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JAHRESBERICHT
ÜBER DIE
LEISTUNGEN UND FORTSCHRITTE
AUF DEM GEBIETE DER
NEUROLOGIE und PSYCHIATRIE
IN VERBINDUNG MIT
Dr. ALBRECHT-Berlin, Dr. M. A&NDT-Wannsee. Dr. B. ASGHEB-Berlln, Dr. W. BAÜKANN-Breslaa, Geheimrat
Prof. Dr. BBKNHARDT-Berlio, Dr. M. BLOCH-fierliD, Oberanet Dr. B. BBATZ-Wuhlgarten, Dr. BBBGMANN-
Waraohau, Dr. ERICH BBUCK-Breslaa, Prof. Dr. L. BRÜNS-Hannover, Priv.-Doz. Dr. B. GASSIRER-Berlin,
Prof. Dr. A. GRAMER- GÖUingen, Dr. F. DAYIDSOHN-BerUn, Priy.-Dos. Dr. DETERMAKN-Freibnrg i. B.,
Dr. GEORG DRETFÜSS-Heidelberg, Pref . Dr. REN£ DU BOIS-RETMOND-Berlin, Dr. G. FLATAU-Berlin.
Dr. ERNST FLÖRSHEIM-BerUn, Dr. H. G. HAENEL-Dresden, Prof. Dr. FRITZ HARTMANN-Gras,
Prof. Dr. RENKEBERG-Berlin, Dr. HÜDOYERNIG-KAROLT-Bndapest, Priv.-Doz. Dr. F. W. JAMIN-Erlangen,
Dr. 0. KAUSGHER-Berlin, Dr. S. KALISGHEB-Berlin-SohlaohteiiBee, Dr. KARPLUS-Berlin, Medizinalrat
Dr. KOBNIG-DaUdorf, Dr. L. M. KOBTSGHER-Habertasbarg, Dr. F. KRAMER-Breslau, Dr. KRON-Moskan,
Priv.-Doz. Dr. PAUL LAZARUS-Berlin, Geheiwrat Prof. Dr. B. vom LEYDEN-Berlin, Prof. Dr. H. LORENZ-
Graz, Dr. 0. MAAS-Berlin, Priv.-Doz. Dr. MANN-Breslau, Dr. KURT MENDEL-BerUn, Dr. MERZBAGHER-
Heidelberg, Priv.-Doz. Dr. MINOR-Moskaii, Priv.-Doz. Dr. BD. MÜLLER-Breslau, Direktor Dr. NEISSER-
Bonzlan, Prof. Dr. OBERSTEINER-Wieii, Dr. GEORG PERITZ-Berlin, Prof. Dr. A. PIGK-Prag, Dr. B. POLLAGK-
BarUn, Priv.-Doz. Dr. M. REIGHARDT-Wirzburg, Dr. RIGHTER-Hamm, Dr. A. SAENGER-Hamburg, Prof.
Dr. SEIFFER-Berlin, Prof. Dr. SILEX-Berlin, Prof. Dr. WEYGANDT-Würzbuig, Priv.-Doz. Dr. H. WIENEB-
Prag, Prof. Dr. WOLLENBERG-Strafibnrg, Oberarzt Dr. ZIERTMANN-Banzlan,
kerausgegeben und unter Mitwirkung von
Dr. ED. FLATAU in Warschau und Dr. S. BENDIX in Berlin
Redigiert von
Professor Dr. B. Mendel Frivatdozent Dr. L. Jacobsohn
in Berlin. in Berlin.
IX. JAHRGANG:
Berlcbt Ober das Jahr 1905.
BERLIN 1906
VERLAG VON S. KARGER
KARLSTBASSE 16.
-^F^-r^.^T
^_'-— ^-'-. ■ * -'^■
KV ' ^'<^'-l
Alle Hechte yorbehalten.
Druck von ▲. Hopfer in Burg b. M .
Die Sedaktion des Jahresberichts far Neurologie n. Psychiatrie
richtet an die Herren Fachgeoossen und Forscher, welche zu den
Gebieten Gehöriges und Verwandtes publizieren, die dringende Bitte, sie
durch rasche Übersendung von Separat- Abdrücken ihrer Veröffentlichungen
unterstützen zu wollen.
Zusendungen wolle man an die Verlagsbuchhandlnng von
S. IBLSkTger in Berlin, Karlstraße 15, „für den Jahresbericht^ richten.
INHALTS-VERZEICHNIS.
A. Neurologie.
Seite
I. Anatomische Untersuchungstnethoden des Nervensystems.
Ref.: Dr. B. PoUaok-Berlin 1—7
II. Anatomie des Nervensystems. Ref. : Priv.-Doz. Dr. L. Jaoobsohn-
Berlin (s. auch Ergänzungsreferate p. 1218) 7 — 69
in. Physiologie.
a) Allgemeine Physiologie
1. des Nerrensystems. Ref.: Prir.-Do2. Dr. Hugo Wiener-
Prag 70—100
2. des Stoffwechsels in bezug auf das Nervensystem. Ref.: Dr.
Georg Peritz-Berlin ... 101—115
b) Spezielle Physiologie
1. des Gehirns. Ref.: Dr. O. Kalischer- Berlin 116—135
2. des Rückenmarks. Ref.: Priv.-Doz. Dr. Hugo Wiener-
Prag 135—147
3. der peripherischen Nerven und Muskeln. Ref.: Prof. Dr.
B. du Bois-Beymond-Berlin 147—182
lY. Pathologische Anatomie.
a) allgemeine: der Elemente des Nervensystems. Ref.: Prof. Dr.
H. Obersteiner- Wien 182—204
b) spezielle:
1. des Gehirns, Rückenmarks und der peripherischen Nerven.
Ref.: Dr. Bd. Piatau- Warschau 204—247
2. Das Knochensystem in seineu Beziehungen zu den Krank-
heiten des Nervensystems. Reif. : Prof. Dr. Fritz Hartmann-
Graz 247—278
V. Pathologie des Nervensystems.
1. Allgemeiner Teil (Ätiologie, Symptomatologie, Diagnostik).
Ref.: Priv.-Doz. Dr. L. Mann-Breslau, Dr. Franz Krämer-
Breslau, Dr. Erich Bruck-Breslau und Dr. Walter Baumann-
Breslau 278—356
Anhang, a) Aphasie. Ref.: Dr. S. Kalischer-Schlachtensee . 355—370
b) Die Beziehungen der Augenstörungen zu den Nerven-
krankheiten. Ref.: Prof. Dr. P. Süex-Berlin . . 370—390
2. Erkrankungen des Zentralnervensystems.
a) Multiple Sklerose und amyotrophische Lateralsklerose. Ref.:
Dr. Bregmann- Warschau 391—405
b) Tabes. Referenten : Geh.-Rat Prof. Dr. E. V. Leyden und
Priv.-Doz. Dr. Paul Lazarus-Berlin 405—426
c) Friedreichsche Ataxie. Ref. : Dr. G-. Flatau-Berlin .... 427—430
d) Syphiüs. Referent: Prof. Dr. W. SeiflPer-Berlin 430—437
Inhalts- Verzeichnis. V
86iU
e) Meningitis cerebroBpinalifl. Bei. : Priy.-Doz. Dr. Fr. Jamin-
ErUngen 487—461
f) Durch Intoxikationen und Infektionen bedingte Erkrankungen
des ^erwoimfaiamß, Ref.: Dr. Gfreorg Forits-Barlin . . • 461—485
g) faralysis agitans und Tremor seaüis. Ref.: Prof. Jh.
K. Wollenberg-Straßburg 486—488
3. Erkrankungen des Großhirns.
a) Diffuse:
Meningitis tuberculosa, Meningitis purulenta, Fachynienin-
gitis etc. Ref.: Priv.-Doa. Dr. Fr. Jamin-Erlangen 488—502
Encephalitis, Polioencephalitis, Hydrocephalua, Er-
krankungen der Himgefaße. Ref.: Priv.-Doz. Dr.
Beiohsrdt-Würzburg 502—511
b) Herderkrankungen:
Himgeschwülste. Ref.: Prof. Dr. L. Brons-Hannover . 511—580
Hämorrhagie, Embolie, Thrombose, Abszeß. Ref. : Priv.-
Doz. Dr. Ed. MÜller-3reslau 581—545
Anhang: Zerebrale Kinderlähmung. Ref.: Prof. Dr.
Henneberg-Berlin 545—550
Augenmuskellähmungen. Ref. : Dr. Kiohter-Hamm i. W. 550 — 556
4. Erkrankungen des Kleinhirns. Ref.: Prof. Dr. L. Bnuis-
Hannover 556 — 559
5. Erkrankungen der Brücke und der Medulla oblongata.
Ref.: Dr. S. KaliBCher-S^Uaehtensee 559—567
6. Erkrankungen des Rückenmarks.
a) Diffuse Formen:
Myelitis. Myelomalaeie, Myelitis gonorrhoica, Caiies.
Referent: Dr. S. Flatau- Warschau 567^574
Traumatische Erkrankungen des Rückenmarks (Hamato*
rhachis, Hämatomyelie. Fraktur usw.). Erkrankungen
des Epiconus, Conus und der Cauda. Malum Potii.
Ref.: PriT..Doz. Dr. L. Minor-Moskau 574—587
Syringomyelie und Morvaoseher Bymptomenkomplex. Raf. :
Dr. H. Q. Hftenel-Drasden 587—595
b) Herderkrankuogen :
Rückenmarks- und Wirbelgeschwülste. Ref.: Prof. Dp.
It. Bvuni'Hannoyer 595 — 598
c) Strang- und Systemerkranknngen. Ref. : Prof. Dr. ▲. Plok-
Prag 598—59»
d) Poliomyelitis. Ref.: Dr. 8. Bendbc-Berlin 599—610
e) Progressive Muskelatrophie. (Dystrophia musculorum pro-
gressiva. Spinale und neurotische Muskelatrophie.) Arthri-
tische Muskelatrophie. Myatonie, Muskelhypertrophie, Muskel-
defekte. Myositis. Ref.: Prof. Dr. H. Lorenz-Graa . . . 610—624
7. Krankheiten der peripherischen Nerven. Ref.: Geh.-Rat
Prof. Dr. Bernhardt-Berlin 624—652
8. Funktionelle Erkrankungen des Nervensystems:
Hysterie, Neurasthenie, Hypochondrie. Ref : Dr. E. Flörsheim-
Berlin 652—671
Epilepsie, £klampsie, Tetanus. Ref.: Oberarzt Dr. E. Bratz-
Wuhlgarten 672—700
Chorea, Tetanie. Ref.: Prof. Dr. B. Wollenberg-Straßburg . 700— 7ia
Lokalisierte MuskelkrSmpfe. Ref.: Dr. Baumann-Breslau . . 718—722:
Morbus Basedowii, Myxödem, Raynaudsche Krankheit, Angio-
Trophoneurosen, Akroparästhesien, Er>'thromelalgie, Sklero-
VI Inhalts -Verzeichnis.
Seite
dermie, Akromegalie, Gigantismus und verw^andte Zustände.
Ref. : Priv.-Doz. Dr. K. Cassirer-Berlin und Dr. O. Maas-
BerUn 722—747
Hemiatrophia faciei. Ref.: Prof. Dr. £. Mendel-Berlin . . . 747 — 749
Oephalea, Migräne, Neuralgieen osw. Ref.: Dr. A« Saenger-
Hamburg 749—752
9. Trauma und ^Nervenkrankheiten. Ref.: Dr. Kron-Moskau . 763 — 766
YI. Therapie der Nervenkrankheiten.
a) Allgemeine Therapie.
1. Medikamentöse Therapie. Ref.: Dr. M. Bloch-Berlin . . . 767—780
2. Hydrotherapie und Balneotherapie. Ref.: Priv.-Doz. Dr.
Determann-St. Blasien 780—808
3. £lektrodiagno8tik und Elektrotherapie. Ref. : Dr. G-. Flatau-
Berlin 809-818
4. Massage, Heilgymnastik, Übungstherapie, Sport, Orthopädie.
Ref.: Dr. G. Platau-Berlin 818—825
5. Organotherapie. Ref.: Dr. Dreyfuss-Heidelberg ..... 825—840
6. Chirurgische Behandlung. Referenten: Dr. F. DavidflOhn
und Dr. JuL Herafeld-Berlin 840—877
b) Spezielle Therapie
1. der Krankheiten des G«hims, Ruckenmarks und der periph.
Nerven. Ref.: Dr. M. Blooh-Berlin 877—908
B. Psychiatrie.
1. Psychologie. Ref.: Prof. Dr. Weygandt- Würzburg 908—933
II. Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und Diagnostik der
Geisteskrankheiten. Ref.: Dr. Arndt-Wannsee-Berlio 938—1016
III. Spezieller Teil:
1. Idiotie, Imbezillität. Kretinismus. Ref.: Med.-Rat Dr.
W. Könlg-Dalldorf 1016—1033
2. Funktionelle Psychosen. Referent: Direktor Dr. Clemens
Neisser und Oberarzt Dr. Ziertmann-Bunzlau 1033 — 1046
3. Psychosen und Neurosen. Ref.: Dr. S. Bendix-Berlin . . . 1046—1049
4. Intoxikations- und Infektions-Psychosen. Ref.: Prof. Dr.
A. Cramer-Göttingen 1049-1062
5. Organische Psychosen.. Ref.:. Prof. Dr. E. Mendel und Dr.
Kurt Mendel-Berlin 1062—1090
IV. Kriminelle Anthropologie. Ref.: Dr. Max Kötscher-^Hubertusburg 1090—1158
V. Gerichtliche Psychiatrie. Ref.: Prof. Dr. A. Cramer-Göttingen . 1158—1182
VI. Therapie der Geisteskrankheiten, Anstaltswesen, Wärter-
ffrage etc. Ref.: Dr. B. Asoher-Berlin 1182—1218
Anhang: Ergänzungsrefferate 1218—1228
Sach- und Namenregister. Dr. M. Karger-Berlin 1229 — 1291
Tärlieteeluiik lud aiatomische Vntersnchnngsmethoden
des Herrensystems.
Refö-ent: Dn Bernhard Pollack-Berlin.
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Part. 3, p. 368—369.
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Lehre von den Neuroien. Obosrcnje p^chiatrii. No. 5
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kroskopie. Bd. XXII, p. 177.
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46. W i m m e r , A., Ora Neurofibril farving og Neuro-fibrillemcs Forhold i Cortex cerebri
ved patologsk- Tilstande. Hospitaltidende. No. 30 — 31.
Bayon (3) hat in seinem Buche über clie histologischen Untersticlmngs-
Methoden des Nervensystems folgende Einteilung gewählt: Laboratoriums-
aDatomische üntersuchungsmethoden des Nervensystems. g
einrichtungen, Sektionstechnik, Konservierung in natürlichen Farben zu
SammluDgs- und Demonstrationszwecken, Fixation, Schneiden, Einschließen,
dann die eigentliche Färbetechuik (Kern nnd Kollektiv-Färbungen, Neuroglia^
Ganglienzellen, Achsenzylinder, Markscheiden, Hautnerven, ferner besonders
Marchis Methode, sowie vitale Färbungen, Golgis Methoden und die neueren
Fibrillenfarbungen. Betreffs der letzteren wäre zu bemerken, daß Bayon
noch die älteren komplizierteren Anweisungen Bielschowkys mitteilt, die ja
neuerdings durch wesentlich vereinfachtere ersetzt wurden.
Am Schlüsse widmet B. auch der Mikrophotographie und der Unter-
suchung der Cerebrospinalflüssigkeit ein kurzes Kapitel. Es sei dem Refe-
renten an dieser Stelle noch die Bemerkung gestattet, daß selbst so spezielle
Werke, wie das von Bayon und dem Referenten (dessen III. Auflage
etw^a gleichzeitig mit dem vorigen erschien) immer gewisse Mängel auf-
weisen müssen, die sich naturgemäß aus den oft ganz plötzlichen und
schnellen Fortschritten der Technik ergeben. Der Mikroskopiker kann aus
solchen und ähnlichen Techniken meist wohl nur gewisse Anleitungen ent-
nehmen und bedarf im übrigen weiterer eigener Studien, eigener Erfahrung,
eigener Kritik.
Bayon (4) faßt die Resultate seiner Untersuchungen in folgenden
zwei Schlußthesen zusammen:
1. Die Cajalschen Fibrillen- und Achsenzylinder- Imprägnatiousver-
fahren sind in der pathologischen Anatomie des menschlichen Zentralnerven-
systems leicht anwendbar.
2. Sie können uns einen erweiterten Einblick in die akuten Erkran-
kungen der Nervenzelle gewähren, indem sie uns mit zwei neuen Befunden
bekannt machen: a) körniger Zerfall, b) Verdickung der Neurofibrillen.
Bielschowsky (5) gibt eine Modifikation seiner Silberimprägnations-
methode an, welche eine Differenzierung des fibrillären Bindegewebes und
elastischer Fasern gegenüber den Achsenzylindern und intracellulären Fi-
brillen der Ganglienzellen am peripherischen Nervensystem möglich macht.
Als Fixierungsflüssigkeit dient 10 — 15 7o Fonnalinlösung; die Schnitte
kommen in 2 '7o Höllensteinlösung. Darauf gelangen sie in das Gemisch
von ammoniakalischer Silberlösung, bis sie eine dunkelbraune Färbung an-
genommen haben. Von hier überträgt man die Schnitte in eine schwache
wässerige Lösung von Essigsäure, bis sie eine gelbliche Farbennuance an-
nehmen. Dann kommen sie in die reduzierende wässerige Formollösung,
solange als noch weißliche Wolken sich aus ihnen entfernen. Jetzt werden
die Schnitte einer Vergoldung unterzogen und kommen in ein neutrales
Goldbad (5 Tropfen einer 1 ^1^ Goldchloridlösung auf 10 ccm Wasser), bis
der Grundton des Gewebes ein rötlich violetter wird.
Schließlich werden die Schnitte, um ungenügend reduziertes Silber zu
entfernen, in eine 5 ^:q Lösung von Natriumthiosulfat gebracht. In den
fertigen Präparaten sind die Achsenzylinder homogen scinvarz tingiert,
während die Fasern der Bindegewebssubstanz eine violette oder blauviolette
Färbung aufweisen. -Die Markscheiden sind häufig mitgefärbt und umgeben
dann den zentralen Achsenstrang als ein rötlich gefärbter Mantel. In diesem
Falle läßt sich feststellen, an welcher Stelle die Nervenfasern marklos
werden. (Ihndiv.)
Das Verfahren Henke und Zeller's (12), bei welchem Fixation des
Gewebes und Vorbereitung zur Durchtränkung mit Paraffin in einen Akt
zusammengezogen ist, basiert auf den Eigenschaften des Acetons, protoplasma-
fallend zu wirken und sich in geschmolzenem Paraffin leicht zu lösen.
Die Gewebsteile kommen in Aceton, bis sie etwa die Konsistenz von in
4 Färbetechoik und
Alkohol gehärteten Objekten haben. Dann gelangen sie in flüssiges Paraffin
vom Schmelzpunkt 52 — 63®, worin das Aceton mit seinem Siedepunkt
von 56* sich leicht löst, teils verdampft. Wenn die Blasenbildung, die
diesen Vorgang anzeigt, beendigt ist, so kann das Objekt herausgenommen
und ein Block gegossen werden. Die Dauer der einzelnen Prozeduren
richtet sich nach der Größe des verwandten Stückes. Das Verfahren ist
zunächst nur als Schnellmethode ausgearbeitet, doch kann durch Mischung
mit Alkohol die wasserentziehende Eigenschaft des Acetons abgestuft und
80 auch die Vorbereitung diffizilerer Objekte, mit entsprechendem Mehr-
aufwand von Zeit, erzielt werden. Die Färbbarkeit für alle Farbstoffe
bleibt nach unseren Versuchen erhalten, auch können dem Aceton Anilin-
farben beim Fixieren zugesetzt werden, um Vorfärbungen zu bekommen.
Die Vorzüge der Methode sind: Die geringe Anzahl der verwandten Medien —
Aceton, Paraffin — weiter der Umstand, daß kein öfterer Wechsel derselben
nötig ist, endlich die Schnelligkeit; sie stellt also die geringsten Anforde-
rungen an die Aufmerksamkeit insbesondere des Praktikers. (Autoreferai.)
Hoinblirg6r(14) weist kurz und mitRechtdarauf hin, daßWeigertsche
Neurogliapräparate allmählich teils verwaschen erscheinen, teils abgeblaßt.
Als Gründe hierfür gibt er an, daß das Celloidin bei der Differenzierung
mit Anilinxylol den Farbstoff ziemlich zäh zurückhält, so daß im Präpa-
rate Methylviolettreste bleiben, die nicht an die Faser gebunden sind. Eest-
liches Anilin löst dieses Methyl violett allmählich, dieser gelöste Farbstoff
verwischt dann die Struktur im Schnitt, besonders am Rande und an den
Gefäßen, wo das meiste Celloidin ist. Es empfiehlt sich daher die Ent-
fernung des Celloidins aus dem Präparat. Aber selbst dann verblassen die
Präparate und zwar wohl hauptsächlich durch Einwirkung reduzierender
Gase im Laboratorium. (Reduktion des Methylvioletts zu seiner Leukobase.)
Also möge man Methylviolettpräparate nicht im Laboratorium aufbewahren.
Eine Wiederauffärbung der Neurogliapräparate erreicht H. folgender-
maßen: Anwärmen des Präparates und Balsams über der Spiritusflamme,
bis man das Deckglas leicht abziehen kann, entfernen des Balsams mittels
Xylol, sowie der Farbreste mittels Oxalsäurealkohol und erneutes Färben
des Schnittes.
Bei Anwendung des Schädel -Fixators nach Koda (lob) ist zur
Schädelsektion Assistenz unnötig, und Verletzungen sind ausgeschlossen. Der
Apparat besteht aus 4 an den Enden scharf zugespitzten Stahlteilen, 2 Hand-
haben und einem Konus. Die 4 Teile werden zum Gebrauch zu einem
Rahmen zusammengefugt, indem man zunächst den mit glatten Bohrungen
versehenen flachen Stahlteil über die Gewinde der runden Stäbe schiebt
und dann den flachen Stahlteil mit Muttergewinden auf die runden Stäbe
schraubt. Mittels des Konus, welcher in die seitlichen Löcher der Wulste
an den runden Stäben paßt, wird der Rahmen fest angezogen und der
Schädel darin fixiert. Den so eingespannten Kopf läßt man mit einem
Ruck auf die Holzunterlage fallen, so daß die Spitzen der Seitenteile sich
tief in dieselbe einbohren. Lidem nun der Obduzent eine Handhabe auf
die nach oben gerichtete Spitze des ihm zugewendeten Seitenteiles auf-
gesteckt, hat er nicht nur diese Spitze unschädlich gemacht, sondern auch
für die linke Hand einen sicheren Anhaltspunkt gewonnen und kann mit
der Rechten nun mit Leichtigkeit in gerader Richtung sägen, wobei der
Apparat selbst der Säge als Führung dient.
Durch Drehen des Kopfes samt dem Rahmen nach rechts und links
kommen nach und nach alle Teile des Schädels unter die Säge, und es wird
dieser in einigen Minuten symmetrisch eröffnet, ohne die gefährlichen Ecken
anatomiflche UnteiBnchungsmethoden des Nervensystems. 5
und Zacken. Jede Säge ist brauchbar, eine Blattsäge ist jedoch einer
Bogensäge vorzuziehen. Vorteile dieses Fixators sind: Zeitersparnis, präzise
Arbeit, Sicherheit gegen Verletzungen und Unabhängigkeit von fremder Hilfe.
Marchand (21, 22) teilt neben Cajals bereits genügend verbreiteten
neuen Methoden auch eine neue van Gieson- Methode mit, für Stücke,
die in Formol, Alkohol oder Kalichromat fixiert sind.
Man bereitet folgende Lösungen:
a) Ferrum sesquichlorat. 4,0
Acidum muriat. 1,0
Aq. dest, 95,0
b) Alkohol {9ßX) 100,0
Hämatoxylin 1,0
c) Gesättigte Fikrinsäurelösung 150,0
Säure-Fuchsin 1,5
Färbung: 1. a und b zu gleichen Teilen gemengt. Die Schnitte bleiben
hierin 3 Minuten.
2. Auswaschen (5 Minuten),
3. Schnitte bleiben einige Sekunden in einigen ccm von Lösung
a, werden darin blaßgelblich.
4. Auswaschen (6 Minuten).
5. Mischen von Lösung c mit gesättigter Fikrinsäurelösung im
Verhältnis 1,0:10,0 (diese Mischung darf auch älter sein)
und Färben darin einige Sekunden.
6. Kurzes Auswaschen.
7. Entwässern, Alcohol absol.. Einbetten.
Moll's (28) Darstellung der Neuroglia und Achsenzylinder im Sehnerven
ist bereits im letzten Jahresbericht referiert.
Fassek (31) schlägt zwei neue Methoden vor, deren eine den Bau
der Saftkanälchen der Nervenzellen darstellt, deren andere die Chromato-
philsubstanz betrifit.
I. Man taucht Stückchen von Vs <^cm in 15 ccm folgender Mischung:
1 g Osmiumsäure gelöst in 100 ccm gesättigter wässeriger Sublimatlösung
(ohne Natr. chlor.) = 5 ccm; 5,6 % wässeriger Acid. acet. glac. Lösung ^
10 ccm. Hierin bleiben die Stückchen 6 — 7 Stunden; man läßt sie in
Chloraethyl gefrieren, das Rasiermesser feuchtet man mit Ol. cedri oder
Bergamotti; die Schnitte überträgt man in Ol. cedri (Bergamotti), aus dem
Öl in Aceton pur. oder 95^0 Alkohol (3 — 4 Min.), dann in Aceton 80 ^/^
oder Alkohol 90%, mit Tinct. jod. auf 6 Min., um das Hg zu entfernen.
Aceton 30% oder Alkohol 30 7o ^^^ 2 Min., um das Jodquecksilber zu
entfernen; in 20% Aceton auf 2 Minuten, dann Aq. dest. Im Wasser
glätten sich die Schnitte und werden weiterer Bearbeitung unterzogen: auf
den Bandschnitten des Präparates färben sich die Nervenzellen sehr intensiv
mittels Osmiumsäure, nachher muß man sie der Wirkung von Tannin oder
dem Entwickler von Kolossow unterziehen; auf die weiter vom Rand des
Präparates entfernten Schichten ist die Osmiumwirkung nicht so intensiv,
sodaß sich hier deutlich die Struktur der Nervenzellen ofifenbart; diese
können auch noch mit Hämatoxylin (Gren) gefärbt werden.
U. Methode: Stückchen des Zentralnervensystems von V« — 'V4 ccm
bleiben 24 — 36 Stunden in 20 ccm folgender Mischung liegen : 1 g Osmium-
säure verflüssigt man in 100 ccm gesättigter wässeriger Sublimatlösung =
10 com, Müllersche Flüssigkeit = 10 ccm. Abspülen der fixierten Stück-
chen in Wasser (24 Stunden, mehrfach zu wechseln), dann Aq. dest., Al-
kohol 70 — 90%? ^^Vo* Besser: Aceton statt Alkohol und zwar erst
Q Eärbeteohnik und anatomische Untersuchangamethoden des Nervensystems.
Aceton 20 7«? ini Laufe von 48 Stunden allmählich alle 3 — 4 Stunden um
10 ^/ft verstärken bis zum Aceton pur. absol. Cedernöl (24 — 36 Stunden)
im Thermostat bei 37 ^; dann auf 36 — 48 Stunden in folgende Mischung:
Spermacetis 40.0, gelbes Wachs 1,5, Ol. ricini 10,0 (24 Stunden bei 45 — 48 «!).
Färben mit Hämatoxylin (Heidenhain) und Weigerts Resorcin-
fuchsin mit vorhergehender Beize 1 % is®r wässer. Ferr. sulf. — ammoniak.
Lösung. Zuletzt DiiBferenzierung in salzsaur. Spirit.
Hierbei fixiert man ganze Mengen kleiner Granula, die den Helda-
Neurosomen ähnlich sind und im Protoplasma der Zellen sowie im Zentral-
kanale verstreut sind.
Perez u. Oendre (33) färben die Neuroglia folgendermaßen:
1. Fixation in Chrom-Platin-Osmiumsäure nach Borrel.
2. Färben mit Magenta.
3. Differenzieren mit Pikro-Indigo-Carmin.
Im allgemeinen bleiben die Schnitte in der 1 prozcnt. Magentalösung
eine halbe Stunde, ebensolange in der Differenzierungsflüssigkeit. Es zeigt
sich die Neuroglia elektiv gefärbt. Die Methode erinnert in ihren Prinzipien
an diejenigen von Anglade für die Vertebraten.
Renand (37) empfiehlt eine Methode, mittels welcher man innerhalb
3 Tagen Schnitte erhalten und zwar an demselben Stück die Methoden von
Pal -(Weigert), Nissl anwenden kann, sowie die Neurogliafasern und die
Achsenzyünderfihrillen darzustellen vermag.
Fixation:
A: Sublimat 70,0
Acid. acet. cry stall. 10,0
Aq. dest. " 1000,0
B: Formol (40^^)
C: Kai. bicLrom. 50,0
Acid. chrom. 2,0
Aq. dest. 1000,0
Zum Gebrauch werden alle 3 Lösungen ää gemischt; wo es möglich
ist, werden 250,0 dieser Mischung mittels Lumbalpunktion in die Spina
injiziert. Letztere sowie die Basis cerebri sind nach einigen Stunden fixiert;
das Gehini im ganzen läßt sich aber auf diese Weise nicht völlig fixieren.
Nach der Fixation wird die Spina resp. die Nerven ausgewaschen (nach
1 — 2 Tagen) und eingebettet: Alkohol (90%) 1 — 2 Stunden, danach in Collodium
bei 37*7o im geschlossenen Glasgefäß. Nach 24 Stunden läßt man das
Collodium unbedeckt etwas verdunsten und konzentrierter werden. Ist es
härter, so wird es mit etwas Alkohol (90%) übergössen und erstarrt darin
in einigen Stunden.
Die Schnitte kommen dann in Jodalkohol, Alkohol (90%) und Aq. dest.
Färbung: Alle Färbungen sind möglich. Renaud benutzt gern
Hämatein und Pikrofuchsin.
Man kann auch dünne Stückchen und die Nerven vor der Einbettung
mit Osmiumsäure (1,0:200,0) behandeln.
Differenzierung des Markes: Schnitte kommen in Eisenalaun
(1,0:200,0) für einige Stunden, dann in 1 prozent. wässrige Hämatoxylin-
lösung (in der Wärme, bis Dämpfe aufsteigen).
Auswaschen, Differenzieren in Kai. permangan., Acid oxalic, Aus-
waschen und dann in sehr schwache Ammoniaklösung. Resultat: Wie bei
Weigert-Pal.
Die besten Resultate erhält man mit Polychromblau (Unna) nach
mehrstündiger Beizung in Eisenalaun. (15 — 30 Minuten färben.)
Anatomie des Nervensystems. 7
Dann Differenzieren in Alcohol absol. u. Xylol ää, Aufhellen in
Xylol, Einschließen.
Sabrazes und Letessier (39) geben als ziemlich zuverlässige Neuro-
gliafärbung folgenden Modus an: Fixation von Gehirn und Rückenmark
•mittels orbitalis- resp. spinaler Injektion von etwa ^/^ Liter Formol (10: 100,0).
Härtung in Alkohol (95 %) Alcohol absol., Aceton, Paraffineinbettung. Schnitte
mit Glycerin- Albumin auf dem Objekträger fixiert. Färbung auf dem Objekt-
träger mit Karbolfuchsin (Fuchsin 1,0 Acid. carbol. 5,0 Alcoh. abs. 10,0),
mischen und auflösen lassen, mit 85,0 — 90,0 Aq. dest. verdiinnen.
Hiervon einige Tropfen auf dem entparaffinierten Schnitt tröpfeln,
Jeicht erwärmen, bis Dämpfe aufsteigen. Dann abfließen lassen, der rot-
violette Schnitt wird rasch auf Alcoh. absol. abgewaschen, aufgehellt mit
Anilin, pur. und Xylol, wiederum Alcohol absol. für einen Augenblick,
Anilin-xylol, Xylol.
Ali diese Manipulationen sollen bei möglichst hellem Licht erfolgen.
Einbetten in Xylolbalsam.
Das Fasernetz und die Zellen der Glia sind kirschrot gefärbt, die
Achsenzylinder rosa. Mittels Anglades Fixation zeigt sich die Neuroglia
am besten aliein gefärbt.
Sanzo (39 a) schlägt zwei Verfahren vor, um mit Hilfe der Elektro-
lyse eine Metallimprägnation des Gewebes in ausgiebiger Weise zu ermög-
lichen. £r scheint allerdings selbst seine Methoden praktisch noch nicht
-erprobt zu haben. Bei dem ersten Verfahren werden die mit dem Metall-
«alz bereits imprägnierten Stücke schwachen Strömen ausgesetzt, sodaß das
Metall am negativen Pole frei wird und in statu nascendi Gelegenheit hat,
seine besondere Elektivität für gewisse Bestandteile des Gewebes zu äußern;
beim zweiten Verfahren werden vor der Imprägnation im Gewebe durch die
Elektrolyse Basen und Säuren getrennt und für die dann hinzutretende
"Wirkung des metallischen Salzes besonders zugänglich gemacht.
(Merzbacher,)
Stroud's (42) Apparat zur leichteren Entfernung des Gehirns aus
der Schädelhöhle besteht aus einem Eisengestell, auf dem ein bügeiförmiger
Kopfhalter beweglich befestigt ist, sodaß der Bügel unter dem KJnn bis an
beide Ohren reicht und hier durch Schrauben befestigt werden kann.
Zur Aufbewahrung des Gehinis gibt St. eine Formaldehyd -Alkohol-
lösung an. (Bendix.)
Anatomie des Nervensystems.
Referent: Privatdozent Dr. L. Jacobsohn-Berlin.
1. Abelsdorff,G., Notiz über die Pigmentierung des Sehnerven bei Tieren. Archiv
für Augenheilk. Bd. 51, p. 185.
2. Derselbe, Bemerkungen über das Auge der neugeborenen Katze, im Besonderen die
retinale Sehzellenschicht, ibidem. Bd. LIII, p. 257.
'3. A d a m , A., De la signification du poids du cerveau chez l'homme ses rapports avec
la profeasion d*apr^ les travaux du Dr. Matiegka, de Prague. Annalea med. -psycho!.
Jan./F6vr. p. 78.
A. Alexander, G., Zur Frage der phylogenetischen, vikariierenden Ausbildung der
Sinnesorgane. Ueber das statische und das Gehörorgan von Tieren mit kongenital
defektem Sehapparat: Maulwurf (Talpa europaea) und Blindmaus (Spalax typhlus).
Zeitschr. für PsychoL iL PhysioL der Sinnesorgane. Bd. 38. Heft 1, p. 24.
Q Anatomie des Neryensystems»
6. Alfewsky, Nicolas, Les noyaux sensibles et moteurs du nerf vague chez le lapin
(Communication pr^liminaire). Le N^vraxe. Vol. VII, p. 21.
6. Allen, Bennet Mills, The Eye of Bdellostoma Stout«. Anatom. Anzeiger. Bd. XXVI^
p. 208.
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Anno 23. fasc. 4/5. p. 371—378.
8. Archambault, Le Faisceau longitudinal inf^rieur et le faisceau optique centrale
Revue neurol. No. 22. s. No. 234.
8a. A 8 a i , Untersuchung über die Struktur der Nervenzellen, insbesondere der Proto-
plasmasubstanz. Mitt. der Med. Geselsch. zu Tokyo. XIX. 849—871.
9. Asohoff,L., Bericht über die Untersuchungen des Herrn Dr. Tawara, die „Brücken-
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Münch. Mediz. Wochenschr. p. 1904. (Sltzangsberieht.)
10. A t h i a s , M., La vacuahsation des cellules des ganglions spinaux chez les animaux
k r^tat normal Anatom. Anzeiger. Bd. 27, No. 1, p. 9.
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balho do laboratorio de histologia e physiologia da Escola medico-chirurgica de Lisboa).
12. Auerbach, Elias, Die Innervation der Hirngefässe. Inaug.-Diss. Berlin. (Kritisches
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340. Derselbe, Zur Kenntnis vom Bau der Selachier-Retina. ibidem, p. 55 — 60.
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2*
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461. Wilson, John Gordon, The Structure and Function of the Taste-Buds of the Larynx.
Brain. Part. II. p. 339.
462. W o 1 f f , Max, Ueber ausserembryonale nervöse Elemente. Vorläufige Mitteilung.
Anatom. Anzeiger. Bd. 26. Heft 24, p. 658—663.
463. Derselbe, Zur Kenntnis der Heldschen Nervenendfüsse. Journal für Psychologie und
Neurologie. Bd. IV. H. 4, p. 144.
464. Derselbe, Neue Beiträge zur Kenntnis des Neurons. Biologisches Centralblatt. No. 20,.
p. 679.
465. Derselbe, Ueber die fibrillären Strukturen in der Leber des Frosches, zugleich als ein
Beitrag zur Differentialdiagnose nervöser und nicht nervöser fibrillärer Elemente.
Anatomischer Anzeiger. Bd. XXVI. No. 4/5, p. 135.
466. Derselbe, Ueber den Ursprung des Neurons und seine primitive Anordnung im Metazoen-
Organismus. Naturwiss. Wochenschr. XX. 641 — 653.
467. Worthing ton, Julia, The Descriptive Anatomy of the Brain and Cranial Nerves
of Bdellostoma Dombeyi. The Quart. Joum. of Microscopical Science. Vol. 49. Part. 1,
p. 137.
468. W r e d e n , J., Die Nervenendigungen in der harten Hirnhaut des Rückenmarks von
Säugetieren. Archiv für mikroskopische Anatomie. Bd. 66, p. 128.
469. Z a n c i a , Aurelio, Sopra un caso di eterotopia del midollo spinale. Pisani. Giorn.
di Patol. nerv, e ment. Vol. 26. fasc. 2, p. 117—140.
470. Derselbe, Contributo alla conoscenza della fina struttura dell'elemento nervoso nei
vertebrati e negli invertebrati. Pisani. Palermo. 1904.
471. Ziehen, Th., Das Centralnervensystem der Monotremen und Marsupialier. III. Teil:
Zur Entwickelungsgeschichte des Centralnervensjrstems vom Echidna hystrix. Jena.
472. Zietzschmann, Otto, Die Traubenkömer unserer Haussäugetiere. Arch. f. mikrosk.
Anat. u. Entwickelungsgesch. Bd. 65. H. 3, p. 611.
473. Zuckerkandl, £., Ueber die Collateralfurhe. Arbeiten aus dem Neurologischen
Institut an der Wiener Universität. Bd. XII, p. 407.
474. Derselbe, Über die Affenspalte und das Operculum occipitale des menschlichen Gehirns,
ibidem. Bd. XII, p. 207.
475. Derselbe, Zur Morphologie des Af fengehims. ( Vierter Beitrag. ) Das Gehirn der Cebiden.
Zeitschrift für Morphologie und Anthropologie. Bd. VIII. p. 100 — 122.
476. Derselbe, Zur vergleichenden Anatomie des menschlichen Hinterhauptlappens^
Neurol. Centralbl. p. 920. (Sitzungsbericht)
Gewicbt- ond Massvefbaitnisse des Gehirns resp. einzelner Teile
desselben und Gebalt an cbemisclien Bestandteilen.
PearVs (308) Studie besteht in einer vergleichenden Zusammen-
stellung von Hirngewichtsuntersuchungen verschiedener Autoren. Die Ver-
gleichungen beziehen sich auf das Hirngewichtsverhältnis zur Rasse, zum
Alter, Geschlecht, Statur, Körpergewicht, Schädelunifang usw. Bemerkens-
wert ist, daß die Verhältnisse bei den verschiedenen Rassen ziemlich die
gleichen sind. Es hat sich ferner nicht sicher herausgestellt, daß die geistige
Begabung in besonderer Beziehung zum Hirngewicht steht. Infolge der
noch etwas spärlichen Ergebnisse, die sich bei diesen Yergleichungen heraus-
gestellt haben, macht der Autor zum Schluß Angaben, welche Punkte bei
Gehirn wägungen in Zukunft zu berücksichtigen wären.
Watson's (447) Resultate über den Einfluß der Gravidität auf
Körpergewicht und Gewicht des Zentralnervensystems bei Ratten sind
folgende: Das Körpergewicht steigt bei trächtigen Ratten (abgesehen natür-
lich von den Föten) mehr, als bei nicht trächtigen. Erstere haben nicht
nur absolut, sondern auch proportional ein schwereres Zentralnervensystem.
Hierbei zeigt weniger das Geliirn, als das Rückenmark eine Gewichts-
zunahme. Ferner zeigte das Zentralnervensystem der trächtigen Ratten einen
etwas höheren Prozentgehalt an Wasser.
Roncoroni (354) hat sich der mühsamen Arbeit unterzogen, aii
Gehirnen von Tieren, die verschiedenen Klassen augehören, und an kranken
und pathologischen Menschenhirnen das Verhältnis der Breite der Molekular-
schicht (Kleinhirn, Großhirn^ Ammonshorn, Bulbus olf., Corpus dent.) zu
Anatomie des Nervensystems. 25-
den übrigen Schichten der Hirnrinde zu bestimmen. Das Verhältnis drückt
er in Ponn eines Index aus, indem er die nicht molekulare Schicht der
grauen Substanz = 100 setzt. — Die angewandte Technik, Fehlerquellen
osw. sind im Original nachzusehen. Aus den gewonnenen Zahlenyerhält-
nissen seien hier nur einige Schlußfolgerungen wiedergegeben: Der höhere
Index des strat. molec. ist höher in jenen Gehirnteilen, welchen höher»
psychische Funktionen nicht zukommen, während er in der Großhirnrinde
am niedrigsten erscheint. — Die Entwicklung der Molekularschicht steht
nicht im Verhältnis zur Größe der Zahl der Zellen, deren Protoplasma-
fortsätze sich in diese Schicht verbreiten. In der Großhirnrinde wächst die
Dicke der Molekularschicht in direkter Proportion mit der Ausdehnung der
unter ihr liegenden Schichten. Bei den höheren Vertebraten ist der Index
der Molekularschicht weniger groß als bei den niedrigeren — dies für das
Großhirn — im Kleinhirn sind die Unterschiede unbedeutend. In patho-
logischen Gehirnen sind hohe Indices der Molekularschicht häufig. — (Ref.
erscheint „es sehr gewagt, zwei anatomische Gebilde, die nur auf Grund
äoßerer Älmlichkeiten den nämlichen Namen erhalten haben (Molekular-
schicht der Großhirnrinde (Meynert) und der Kleinhirnrinde), in Bezug
auf Funktion auch zueinander in Analogie setzen zu wollen. Unseres Er-
achtens nach sind die Molekularschicht hier und die Molekularschicht dort
zwei grundverschiedene Gebilde, die gar nicht zueinander in Beziehung
gesetzt werden können.) (Merzbacher.)
Die Untersuchungen von Qnest (326) führten zu dem Resultat, daß
der Kalkgehalt im Gehirne der Neugeborenen relativ hoch ist und in der
weiteren Entwicklung in gesetzmäßiger Weise abnimmt und zwar in den
ersten Lebensmonaten rapider, dann allmählicher. Das zweite Ergebnis
(welches allerdings nur auf wenigen Beobachtungen beruht) ist, daß die
Gehirne von tetaniekrankeu Kindern im Vergleiche mit den von tetanie-
freien einen auffallend geringen Kalkgehalt aufweisen.
Hirn- ond RDckenmarksbaate and -Befasse.
Lesein (240) hat an fötalen und erwachsenen menschliclien Gehirnen,
ebenso an Affen- und Hundegehirnen die Varietäten der Verzweigungen
der A. cerebri anterior untersucht. Sehr anschaulich sind besonders die
farbigen Tafeln von Hemisphären, auf welchen die Ausbreitungsbezirke der
A cerebri anterior, media und posterior durch verschiedene Farben dar-
gestellt sind. Aus ihnen ergibt sich, daß die A. cerebri anterior an der
basalen Himfläche die mediale Abteilung der pars orbitalis bis hinten zum
Chiasma, daß sie ferner die ganze oberhalb des Balkens gelegene Fläche
vom vorderen Pol bis hinten zur Fissura calcarina, und daß sie an der
konvexen Fläche eine der Medianspalte anliegende breite Randzone ver-
sorgt, welche nach lateral von den Sulc. frontalis superior und Sulc. inter-
parietalis begrenzt wird. Der Hinterhauptslappen sowohl an der konvexen
wie medialen und basalen Fläche wird von der A. cerebri posterior ver-
sorgt, deren Gebiet noch die hinteren zwei Drittel der basalen Occipito-
Temporalfläche einnimmt. Das Ausbreitungsgebiet der mittleren Hirnarterien
umfaßt die Gebiete, die oberhalb und unterhalb der Fissura Sylvii liegen,
oben reicht es bis an den Sulcus frontalis sup. und Sulcus interparietalis
heran, und nach unten nimmt es die ganze konvexe Fläche des Teniporal-
lappens bis fast zum unteren ßande desselben ein.
Lapinsky (233) injizierte in die A. femoralis eines Hundes warme
Methylenblaulösung nach Ehrlich, um die Gefäßuerven und deren Endigung
"26 Auatomio des Nervensystems.
ZU studieren. Er fand in den Gefäßwänden sowohl maxkhaltige, wie mark-
lose Pasern. Letztere präsentieren sich entweder als solche, die durch eine
nicht näher bestimmbare (kolloide oder protoplasmatische) Masse zusammen-
gehalten werden und als solche, denen diese einhüllende Masse fehlt. Gleich-
zeitig fanden sich in den Gefäßen Endigungen der Nerven von sehr ver-
schiedener Form, in Endplättchen, in Pinselform, epheuartig, knospen-
ähnlich, netzförmig usw. Die Gefäßnerven verlaufen entweder einzeln oder
zu Bündeln vereinigt, und zwar herrschen in den kleinen Gefäßen die ein-
zelnen Nervenfäden vor, während in den dickeren Gefäßen Nervenbündel
und Nervennetze überwiegend angetroffen werden. Bezüglich der Netz-
bildung fand der Autor, daß die Netze, die tief in der Gefäßwand liegen,
schmale Maschen haben, deren Fäden sehr dünn sind und größtenteils aus
einzelnen Fasern bestehen, während die oberflächlichen Netze sich durch
breite Maschen auszeichnen, deren Fäden aus Bündeln bestehen. Nerven-
zellen konnten an den Nerven der Gefäße nicht gefunden werden, ebenso
keine speziellen sensiblen Endapparate, wie Meissnersche, Pacinische Körper
usw. Der größte Teil der vasomotorischen Pasern der Hundepfote verläuft
im N. ischiadicus.
Cuiieo und Marc Andre (90) injizierten die Lymphbahnen der
Meningen in der Nachbarschaft des Bulbus olfactorius bei Hunden, Ka-
ninchen und beim Menschen. Sie erhielten ein lymphatisches System, welches
sich noch durch die Lamina cribrosa auf die oberen Teile des Nasen-
septums und der seitlichen Nasenwand erstreckte. Dieses Netz war in sich
geschlossen und stand mit den Lymphbahnen der anderen Partien der
Nasenschleimhaut nicht in Verbindung.
Darstellung des ganzen Nervensystems oder grosserer Abscbnltte
desselben.
Krause und Klempner (220) beschreiben die Formationen des
Zwischen- und Vorderhirns vom Orang-Utan und vergleichen dieselben mit
den analogen Gebilden beim Schimpansen, Macacus cynomolgus und beim
Menschen. Der Schimpanse weist in allen diesen Gebilden eine größere
Ähnlichkeit mit dem Menschen auf als der Orang. Diese Ähnlichkeit be-
trifft die äußere Form des Hirnstammes, das Verhalten der Corpora
mamillaria, die Lage des Corpus subthalamicum, die Stärke der vorderen
Kommissur und der Hirnschenkelschlinge, die Form der inneren Kapsel und die
Winkelstellung der beiderseitigen Kapseln, das Größen Verhältnis vom Fornix-
querschnitt zum Querschnitt des Vicq d'Azyrschen Bündels, die Lagebeziehungen
der Insel. Der Macacus soll einen von den beiden Anthropomorphen
durchaus abweichenden Typus repräsentieren (? ßef.). Der Orang zeigt
bezüglich des Vorderhirns in mancher Beziehung Verhältnisse, welche man
in dem Gehirn von Neugeborenen oder ganz jungen Kindern vorfindet.
Dagegen nähert sich das Schimpansenhirn in den meisten Punkten vielmehr
dem Gehirn des erwachsenen Menschen. Die Menschenähnlichkeit des
Schimpansenhirns offenbart sich in der Querschnittsform, in der Stellung
des Dorsoventraldurchmessers des Hemisphärenquerschnitts zum Transversal-
durchmesser resp. zur Medianlinie, in der Breite und Tiefe der Fiss. cal-
carina, in der reicheren Gliederung der Windungen und Markstrahlen, in
der Gestalt und Lage des Unterhorns, im Hervortreten des Stirnscheitel-
lappens gegenüber dem Schläfenlappen, in der besseren Ausbildung der
Inselanlage, in der geringeren Entwicklung des Septum pellucidum, in der
schwächeren Ausbildung des Balkens und in der geringeren Abnahme,
Anatomie des Kervensystems. 27
welche derselbe frontalwärts erleidet, in der geringeren Mächtigkeit der
tiefen Marklager des Stimhirns bei gleichzeitiger besserer Differenzierung
«einer Faserzüge, in der geringeren Differenzierung der Pasersysteme des
Rhinencephidons. Der Macacns zeigt Anklänge an die Verhältnisse beim
Orang in der medianen Konkavität der Hemisphären, in der Form des
Hinterhorns und der Lage des Unterhoms, im Übergreifen des Gyrus forni-
catus aaf die ünterfläche des Balken spleniums, in der Ausbildung des
Forceps longus, im überwiegen des Schläfenlappens über den Stirnscheitel-
lappen, in der starken Ausbildung des Septum pellucidum, in der besseren
Ausbildung der den Sulcus olfactorius umgebenden, in den Gyrus rectus ein-
strahlenden Faserzüge.
Leche (235) untersuchte eine Anzahl Insektivorengehirne und stellt
einerseits die gemeinsamen Charaktere im Bau ihrer Gehirne, andererseits
die Unterschiede fest. Chrysochloris weicht im Hirnbau von allen Insekti-
voren ab. Corpora quadrigemina, Cerebellum und Med. obl. sollen vom
Cerebrum verdeckt sein. L. hält es für zweifellos, daß die durch die
Lebensweise bedingte eigenartige Form des Hirnschädels Einfluß auf die
Lagerungsverhältnisse des Gehirns hat. Die Großhirnhemisphären sind
relativ stärker bei Chrysochloris ausgebildet. Das Beuteltier Notoryctes hat
mit Chrysochloris im Hirnbau große Ähnlichkeit. Die Form und Größe
des Cerebrum ist bei beiden dieselbe. Bei beiden tritt die Eminentia nati-
formis stark hervor, beiden soll eine Fiss. rhiualis fehlen. Das Corpus
callosum ist gut entwickelt, das Cerebellum ist klein.
Die an einem großen Material unter Edingers Leitung vorgenommene
Untersuchung Ooldstein's (169) erstreckt sich im wesentlichen auf das
Vorderhirn und Zwischenhirn einiger besonders charakteristischer Knochen-
fische. Der Bearbeitung liegen Präparate zu Grunde, die mit verschiedenen
Zell- und Fasernfärbungeu (auch der neuen Ramön y Cajalschen Achsen-
zylindermethode) behandelt wurden. — Besondere Sorgfalt ist auf das Studium
des Thalamus verwandt worden, der bisher bei den Knochenfischen immer
noch einen sehr dunklen Hirnteil darstellte, jetzt aber in den Hauptzügen
seines Aufbaues klar sein dürfte. Es ließ sich eine weitgehende Homologie
mit dem Thalamus höherer Vertebraten nachweisen und besonders, abgesehen von
den schon bekannten Verbindungen mit dem Vorderhirn, ließen sich auch solche
mit der MeduUa oblongata darstellen, die zum Teil wahrscheinlich der Schleife
höherer Vertebraten entsprechen. Es konnte dann ein Kern als Nucleus
ruber tegmenti abgegrenzt werden, der in gekreuzter Verbindung mit dem
Kleinhirn steht, das auch außerdem durch zahlreiche Faserzüge mit dem
Thalamus in Beziehung tritt. Ausführlich sind ferner die komplizierten
Verhältnisse des Hypothalamus behandelt. Mittelhirn und Kleinhirn sind
soweit in den Rahmen der Untersuchung gezogen worden, als sie als Aus-
gangspunkt langer Bahnen dienen, die von ihnen zum vorderen Hirnabschnitt
ziehen. — Wegen der zahlreichen Einzelheiten, die durch eine große Anzahl
Text- und Tafelfiguren illustriert sind, muß auf das Original verwiesen
werden. Sie eignen sich nicht zur Wiedergabe in einem Referat.
(Autoreferat)
Krawany (221) beschreibt den Charakter und die Gruppierung der
Ganglienzellen des Zentralnervensystems von Eisenia foetida nach Bildern,
welche er mittels der vitalen Methylenblaumethode erhalten hat. Zusammen-
fassend kommt der Autor zu dem Resultat, daß das Bauchmark einer Seite
sowohl nach rechts wie nach links efi'ektorische Axone entsendet. Die sen-
siblen, zentripetalen Nervenfasern scheinen auf derselben Seite zu verbleiben
mit Ausnahme jener des oberflächlichen Plexus. Die Schaltzellen setzen
28 Anatomie des Nervensystems.
die aufeinanderfolgenden Segmente des Banchmarkos miteinander in Be-
ziehung und zwar sowohl die Elemente der gleichen Seite durch nicht über-
kreuzende, als auch die der Gegenseite durch überkreuzende Axone. Im
sehr dichten Neuropil des Oberschlundganglions endigen Längsbahnen, welche
Yom Bauchmark kommen und wahrscheinlich aus Axonen von Schaltzellen
und vielleicht auch aus solchen von sensiblen Zellen, die auf zentripetalem
Wege das Gehirn erreicht haben, bestehen. In diesem Neuropil endigen
auch jene sensiblen Fasern, welche direkt von der Peripherie in das Gehirn
eintreten. Dieses Neuropil steht ferner noch in Verbindung mit dem zen-
tralen Ganglienapparat des Gehirns, der vor allem aus der sehr großen
Anzahl der kleinen Rindenzellen besteht, deren Fasern merkwürdigerweise
durchwegs überkreuzen, bevor sie in das Neuropil eintreten. Eine sekundäre
Rolle scheinen die großen Zellen des Gehirns zu spielen.
JolULStoil (201) gibt eine Darstellung der in das Zentralnervensystem
von Amphioxus einstrahlenden Nervenwurzeln und der Zellen, mit welchen
dieselben in Verbindung stehen. Er meint, daß Amphioxus mehr, als
gewöhnlich angenommen wird, eine Brücke schlägt zwischen dem Nerven-
system der Wirbellosen und der Wirbeltiere. Es hat mit dem Nervensystem
niederer Fische folgende Punkte gemein : Es ist an der dorsalen Fläche hohl
und hat getrennte dorsale und ventrale Wurzeln. Der Zentralkanal hat
vorne eine Erweiterung, den Hirnventrikel. Die dorsalen Wurzeln bestehen
aus Hautfasern, aus sensorischen und motorischen Visceralfasern, sie ent-
halten in der Hirnregion spezifisch sensorische Bahnen (zu Riech- oder
Geschmackszentren?). Beide Arten von sensorischen Fa'sem besitzen Gang-
lienzellen, welche entweder im Rückenmark oder innerhalb der Nervenwurzel
liegen, ungefähr ebenso gelagert wie die Spinalganglien der Vertebraten.
Die beiden Arten von sensorischen Fasern bilden nach dem Eintritt ins
Rückenmark Dorsalstränge, welche denen der Vertebraten ähnlich sind. Die
Zellen der viscero-motorischen Fasern liegen wie bei den Vertebraten dorsal
von den somatisch motorischen Zellen und lateral inbezug auf den ventralen
Teil des Kanales. Die Nervenzellen haben eine Struktur, welche für die
Zellen der Vertebratenembryonen charakteristisch sind, und welche man in
einzelnen Hirnteilen der Fische sehen kann. Die ventralen Wurzeln entspringen
für sich getrennt und bleiben unabhängig. An das Nervensystem niederer
Tiere mahnt das Fehlen jeder spezialisierten Sinneszelle, die Anwesenheit
ganz einfacher Licht perzipierender Organe im Zentralnervensystem, die ganz
geringe Entwicklung des Gehirns.
Heath (181) beschreibt das Nervensystem der Gattung Solenogastres.
Das Gehirn ist von mittlerer Größe und liegt vor der unpaarigen Speichel-
drüse in einer Vertiefung zwischen Mund und Pharynx. Vom vorderen und
seitlichen Rand desselben entspringen drei Nervenpaare. Von diesen gehen
Fasern zu sensorischen hypodermalen Organen, welche vor der hinteren
Mundgrenze gelegen sind. Die übrigen laufen mit dem Verdauungstraktus
und vereinigen sich mit Gruppen von Ganglienzellen, welche zerstreut an
diesem Traktus liegen. Diese Ganglien bilden Nervenplexus, deren Fasern
zur Körperperipherie gehen. Die weitere Beschreibung geht näher auf die
Einzelheiten in der Ausbreitung dieser Fasern ein.
Enwicklong des Nervensystems.
Charnock Bradley (51; gibt eine eingehende Darstellung der
Entwicklung des Hinterhirns vom Schwein und illustriert dieselbe durch
eine Anzahl von aus Serienschnitten rekonstruierten Wachsmodellen und
Anatomie des Nervensystems. 29
durch viele Schnitte aus allen Abschnitten des Hinterhirns selbst. Die
Einzelheiten der trefflichen Studie müssen im Original nachgesehen werden.
Die Paraphysis erscheint nach neueren Untersuchungen von Warren
(446) an Necturus maculatus zuerst bei einem Embryo von 12 mm Länge.
Sie entwickelt sich vom Telencephalon und zwar unmittelbar kopfwäxts vom
Velum transversum als ein schmales Divertikel, welches allmählich zu einer
komplizierten vaskulären Drüse wird. Die Epiphyse erscheint zuerst bei
einem Embryo von 9 — 10 mm und entwickelt sich vom Diencepbalon, sie
ist durch einen kurzen, soliden Stiel verbunden. Das Velum transversum
entsteht zuerst ventral und kaudal zum Hinterhim und bildet so den dien-
cephalen Teil des Plexus chorioideus. Der Plexus telencephalicus entsteht
vom Dache des Telencephalon und füllt die Höhlung des 3. Ventrikels.
Die Off'nung der Paraphysis ist von diesen beiden Plexus umgeben. Der
Hemisphärenplexus entsteht im rechten Winkel von Plexus telencephalicus
grade kopfwärts und ventral zur Öffnung der Paraphysis. Die Commissura
superior erscheint zuerst beim Embryo von 16 — 17 mm, sie liegt unmittelbar
vor dem Epiphysenstiel und ist verhältnismäßig kurz. Die Commissura
posterior erscheint zuerst beim Embryo von 15 mm Länge, und zwischen
ihr und der Epiphysis bildet sich im Dach des Diencepbalon eine scharf
sich heraushebende Grenzscheide.
Takasu (412) studierte die Entwicklung der Kleinhimrinde an
Schweineembryonen mittels der Nissischen Methode. Seine Befunde sind
folgende: Die Entwicklung der Kleinhirnrinde ist bei ein und demselben
Stadium nach Ort und Stelle sehr verschieden, und zwar entwickelt sich —
wenigstens in früheren Stadien — die Rinde der Wurmgegend immer rascher
als die der Hemisphären. Die äußere Körnerschicht ist in den früheren
Stadien des Embryonallebens noch schmal; sie verbreitert sich erst bei einem
Embryo von 195 mm N. L. bis zu 30 ^ und ist dann überall in zwei typische
Schichten zerlegbar; danach verschmälert sie sich wieder nach und nach bis
zu 10 ^, indem die Zellen ihrer tieferen Schicht allmählich verschwinden,
während die ihrer oberflächlichen dagegen bis zum Ende des Embryonal-
lebens zurückbleiben. Die Molekularschicht bleibt in früheren Stadien immer
stationär und sehr schmal, erst in späteren Stadien verbreitert sie sich sehr
rasch bis zu 100 jli- Die innere Körnerschicht beginnt schon früher, doch
ganz allmählich sich zu differenzieren, indem sie immer zahlreicher wird.
Erst am Ende des Embryonallebens ist sie überall scharf abzugrenzen, wobei
ihre Dicke 70 — 140 ^ beträgt. Die G olgischen Zellen und die Korbzellen
treten erst bei einem Embryo von 195 mm N. L. deutlich hervor und wachsen
dann stetig bis zum Ende des Embryonallebens. Die Purkinjeschen
Zellen unterscheiden sich in den frühesten Stadien nur durch die Helligkeit
ihres verhältnismäßig großen Kernes und erst bei einem Embryo von 76 mm
N. L. auch durch ihre überwiegende Größe (5 — 7 ^i) von allen übrigen Zellen.
Erst bei Embryonen von 132 und 150 mmN. L. sind sie mit ansehnlichem
Protoplasma versehen, dann wachsen sie sehr rasch, so daß sie schon bei
einem Embryo von 220 mm N. L. 12 \x breit und 17 m lang, bei einem von
300 mm N. L. 18 ^ breit und 28 |i lang sind. In letzteren Stadien ent-
wickeln sich auch ihre verästelten Fortsätze und eine feinstreifige Tigroid-
substanz. Die Entwicklung der Ganglienzellen im Innern der Markmasse
ist immer weiter vorgeschritten als die der Purkinjeschen Zellen. Die
markhaltigen Nervenfasern im Marklager und in der inneren Körnerschicht
(Färbung nach Pal) sind erst bei Embryonen von 220 mm N. L. nachzu-
weisen.
30 Anatomie des Nervensystems.
Pighini (317) hat die Bildung und Entwicklung der Nervenelemente*
bei Knorpelfischen zum Gegenstand seiner Untersuchung gemacht Zunächst
erscheint das Nervensystem aus Ketten bipolarer Zellen zusammengesetzt;
außerhalb des Rückenmarkes setzen sich die Wurzeln kontinuierlich fort ia
andere Kettenreihen, den peripheren Nerven. In einem weiteren Stadium
sieht man im Rückenmark andere Zellenreihen, die quer die zuerst genannten
Reihen durchkreuzen. Indem mehrere Zellen aus diesen Ketten sich eng
aneinander lagern und schließlich miteinander verschmelzen, entstehen aus
diesen quergelagerten Ketten die Ganglienzellen der Vorder- und Hinter-
hörner. (Merzbacher.)
Klinkhardt's (209) Untersuchungsergebnisse über die Entwicklung,
der Kopfganglien und Sinneslinien der Selachier sind folgende: Die
Ektodermfelder (Verdickungen) am Selachierkopfe geben den Kopfsinnes-
linien (Seitenlinien) und vermutlich auch den Lorenzinischen Ampullen den
Ursprung. Aus einem Teil der Ektodermverdickungen der Kiemenbogen
entstehen die Kiemenfäden. Man kann vier Ektodermfelder, Kiemen-,
Supraorbital-, Infraorbital- und Ciliarfeld unterscheiden. Kiemen- und
Supraorbitalfeld hängen von Anfang an zusammen ; Ciliar- und Infraorbital-
feld vereinigen sich im Laufe der Entwicklung. Zum Supraorbital- und
Infraorbitalfeld gehören Zweige des Facialis, zu jenem der Ramus ophthal-
micus superficialis, zu diesem der Ramus buccalis. Die beiden zuletzt ge-
nannten Ektodermfelder schließen die ersten Anlagen der gleichnamigen
Sinneslinien in sich ein. Somit entstehen die Sinnesüuien am Kopfe eher
als am Rumpfe. Sämtliche Ganglien, die zum Bereich der Kiemenregion
gehören, nämlich Acustico-facialis, Glossopharyugeus und Vagus, gehen im
Bereich jedes Kiemenbogens je eine doppelte Verbindung mit dem Ekto-
derm ein, eine laterale und eine epibranchiale. Die Lateralverbindungen
liegen ungefähr auf der Höhe der Chorda oder etwas ventral davon. Aus
den Verbindungsstellen bildet sich später der betreffende Teil der Sinnes-
linien. Die Epibranchialverbindungen liegen au der dorso-kaudalen Wand
jeder Kiemenspalte. Sie werden erst nach den Lateralverbindungen ge-
bildet. Aus diesen Verbindungsstellen gehen später verschiedene Nerven
hervor. Durch beide Verbindungsstellen sieht man Kerne aus dem Ekto-
derm in die Ganglienanlage einwandern. Diese Einwanderung ist schwach
an den Ijateralverbindungen, dagegen enorm stark an den Epibranchial-
verbindungen. Es ist nicht unzweifelhaft festgestellt, ob sich der Trige-
minus ebenso verhält, wie die Ganghenanlagen der Kiemenregion.
Olmer und Stephan (304) berichten über die ersten Fibrillen-
bildungen bei Schafembryonen. Im frühesten Stadium (Embryo von 1 cm
Länge) sind die Zellen des Vorderhorns spindelförmig, mau sieht einzelne
dicke Fibrillen, welche die Zelle von einem zum anderen Fortsatze passieren.
In der weiteren Entwicklung bildet sich außer den ebengenannten
Fibrillen ein feines, anastomosierendes Netz in der Zelle, welches den Kern
nur von einer Seite umgibt, da er zunächst ganz exzentrisch liegt. Dieses
Fibrillennetz wird in der weiteren Entwicklung immer stärker, ebenso über-
kreuzen sich auch die einzelnen Fibrillen in immer mehr komplizierter Art
und umgeben jetzt auch den Kern von der anderen Seite. Gleichzeitig
treten auch in den Fortsätzen die Fibrillen dichter zusammen und laufen
als parallele Bündel in ihnen hin. In den Spinalganglien tritt das Fibrillen-
netz schon früher auf als in den Zellen der Vorderhörner und ist viel
feiner und viel regulärer als in diesen; es setzt sich beiderseits etwas in
die Fortsätze fort. Die Autoren sind entgegen der Ansicht von Cajal der
Anatomie des Nervensystems. 3X
Meinung, daß die ersten Fibrillen in den Zellen entstehen und dann erst in
den Fortsätzen.
La Feg^a (232) hat die pluricelluläre Anlage nicht nur in dem extra-
medullären Achsenzylinder, sondern auch an dem Protoplasmafortsatz der
Ganglienzelle des Hülmchens beobachtet. Zur Zeit des 4. Bebrütungstages,
während noch jene Zellen, aus denen später die definitiven Ganglienzellen durch
Verschmelzung mehrerer Zellen (nach Fragnito) entstehen sollen, noch das
primitive Bild der Neuroblasten zeigen, strömen den Vorderhörnern Fasern
zu, die zum größten Teile aus Ketten spindliger Zellen gebildet erscheinen,
und die mit den Neuroblasteu noch keine Beziehungen eingehen. Neben
diesen feinfaserigen Gebilden sieht man andere, die jedoch das Neuro-
spongium darstellen, und die weder mit den Neuroblasten noch mit den
zuerst genannten Zellketten in irgendwelche Beziehung treten. Erst am
10. Tage beginnen die pluricellulär entstandenen Faserzüge mit den Neuro-
blasten in innigen Konnex zu treten. Die Tatsache, daß die Zellenreihen,
die auch als Bildner der peripheren Nerven gelten, nicht nur extramedullär,
sondern auch intramedullär angetroffen werden, spricht dafür, daß diese
Zellen ausschließlich der Genese des Achsenzylinders vorstehen, nicht auch
der übrigen den peripheren Nerven konstituierenden Teile, wie Dohrn be-
hauptet Was endlich das erste Auftreten der Neurofibrillen in den
Ganglienzellen anbetrifft, so wendet sich Pegna gegen ßesta, der eine
frühzeitige Bildung derselben beobachtet haben will; P. will dieselben nie
vor dem 10. Bebrütungstage gefunden haben. — Untersucht wurde mit dem
von R. y Cajal angegebenen Verfahren. 2 Tafeln sind der Mitteilung bei-
gefügt. (Merzhacher,)
Capobianco (72) versucht neuerdings, die pluricelluläre Entstehung
der Ganglienzellen an der Hand neuer Untersuchungen zu demonstrieren.
Als Versuchsmaterial dienen das Rückenmark und die Spinalganglien von
Katzenföten (jüngste Stadien: 2 cm). Der Abhandlung sind auf 2 Tafeln
21 Abbildungen beigefugt, auf denen man recht deutlich zwei Stadien der
Bildung verfolgen kann: die Syncytiumbildung, bei der das Protoplasma
mehrerer Neuroblasten auf verschiedener Weise miteinander zu verschmelzen
scheint, und regressive Prozesse am Kerne, die zu Abnahme der Färbbar-
keit bis zu vollkommenem Mangel derselben führen. Der Autor hat sich
schließlich der mühsamen Arbeit unterzogen, die zelligen Elemente in der
fötalen Entwicklung und im erwachsenen Tiere miteinander zu vergleichen.
Es zeigte sich, daß im Spinalganglion während der Entwicklung zwei- bis
dreimal soviel zellige Elemente vorkommen als im ausgewachsenen.
(Merzbacher,)
Fragnito (136) hat die pluricelluläre Entstehung der Achsenzylinder
und Protoplasmafortsätze verfolgen können. Kerntragende Fortsätze können
bis in das Innere der Zelle selbst deutlich verfolgt werden. So entwickelt
sich der GanglienzelUeib und seine Fortsätze für sich selbständig aus Zellen-
koionien bezw. Zellenketten, die erst in späteren Stadien zueinander in Be-
ziehung treten. Die Kerne sind deutlich als spindelförmige Auftreibungeu
und färberisch von ihrer Umgebung verschieden zu verfolgen. Die Unter-
suchungen sind mit Hilfe der Donaggioschen Methode an Hühnclion-
embr}^oneu — vom 16. Bebrütuugsiagr an — gewonnen worden.
Das Ergebnis dieser Untersuchungen scheint gegen die Auffassung zu
sprechen, die von anderer Seite vertreten wird, und die dahin lautet, daß
die beobachteten Zellenketten als Bildner lediglich der Schwannschen und
der Markscheiden zu betrachten sind, werden doch hier diese zelligen
32 Anatomie des Nervensystems.
Elemente an Stellen demonstriert, an denen diese Bestandteile des Achsen-
Zylinderfortsatzes vermißt werden. (Merzbacher.)
Eohn (210) tritt auf Grund seiner Untersuchungen für die ekto-
dennale Natur der sogen. Schwann sehen Zellen ein. Sie entstehen nach
seiner Ansicht aus embryonalen Ganglienzellen, z. B. bei den hinteren
Wurzeln aus Zellen, welche ganz und gar identisch sind mit den embryo-
nalen Spinaiganglienzellen. Dieselben Zellen, also die Vorläufer derSchwann-
schen Zellen, sind nach K.s Ansicht auch die Quelle der Ganglien des sym-
pathischen Nervensystems.
Bei der Kröte entsteht nach Untersuchungen von Jones (202) der
Sympathikus in verhältnismäßig einfacher Art in der Gegend zwischen Vagus-
Ganglion und zweitem Spinalnerv. Es sammeln sich hier allmählich Zellen
von epiblastischem Ursprung im Mesoblast und bilden einen Zellstrang. In
der Gegend hinter dem zweiten Spinalnerven erscheint zuerst ein schmaler
Zellhügel, welcher der Aorta dicht anliegt und sich an ihr entlang zieht.
Die Zellen an der Spitze des Hügels differenzieren sich zum Sympathikus-
Strange. Später verschwindet der Hügel, und der Strang wird frei, nur mit
"den seitlichen sympathischen und Spinalnerven verbunden bleibend. Die
sympathischen Ganglien und Kommissuren entstehen direkt aus dem sym-
pathischen Strange. Die Rami communicantes bilden sich bei der Kröte
in derselben Art wie bei den Elasmobranchiern.
Bei jungen Embryonen der Ente und der Maus sollen nach Unter-
suchungen von Held (183) als BiJdungszellen der Neurofibrillen die-
jenigen Zellen erscheinen, welche His als Neuroblasten bezeichnet hat. Be-
merkenswert erscheint, daß zuerst im basalen Teil dieser Zellen ein feines
Fibrillennetz auftritt. Von dieser Zellenregion wachsen dann inmier länger
werdende Fibrillen aus, welche teils zum primären Nervenfortsatz jener Zellen
konvergieren, teils den Kern umgreifen und dann bald in divergente Proto-
plasmafortsätze ausstrahlen. Auch im sympathischen Nervensystem gilt das
gleiche Prinzip. Bevor noch fibrUlenhaltige Nn. communicantes existieren, zeigen
bereits die einzelnen Zellen oder Zellgruppen, welche zu Ganglienzellen
werden, selbständig einsetzende Pibrillationsprozesse. Außerdem fand Held
noch in einzelnen zerstreut in peripherischen sensiblen Nerven liegenden
Zellen Fibrillen, ebenso im Ektoderm. Der vorschreitende Prozeß der
Neurofibrillation, der die Länge einer Nervenleitung bedingen würde, erscheint
dem Autor in der Hauptsache als ein von jener Stelle der Neuroblasten
beherrschtes Längenwachstum der einzelnen Fibrillen. Der Axolotl z. B.,
der auf dem Stadium der ersten Gefäßprozesse steht, zeigt grobe und weit
verzweigte Nervennetze, die von dem dorsalen Umfange des MeduUarrohres
her bis zur Haut ausgespannt sind und erst später kernhaltig werden.
Brock (54) hat mit der Ramon y Cajalschen Methode die Pibrillen-
entwicklung bei Schweineembryonen untersucht. DieSchweineembrj'onen hatten
eine Länge von 14 bis 280 mm Steiß - Scheitellänge. Es ergab sich
folgendes: Eine Faserbahn, welche sich in irgend einem fötalen Stadium
imprägniert dargestellt hat, erscheint in jedem folgenden Stadium ebenfalls
imprägniert. Eine Ausnahme machte nur die Pyramidenbahn. Die Im-
prägnation der Fibrillen tritt bedeutend früher als die Reifung der Mark-
scheiden auf. Die Reihenfolge der Imprägnation der einzelnen
Bahnen entspricht im ganzen wohl der Reihenfolge der Mark-
scheidenreifung. Die Imprägnationsfähigkeit der Fibrillen schreitet
von dem im anatomischen Sinne peripherischen Ende nach dem
zentralen fort. Dem entspricht auch die Tatsache, daß die Bahnen
gewöhnlich vor den Zellen der zugehörigen Kerne imprägniert werden.
Anatomie des Nervensystems. 88
Einzelne Bahnen treten sogleich in der Fonn der feinfibrillären Bahnen auf
^Lobus olfact), andere erscheinen erst grobfibrillär und werden in späteren
Stadien erst feinfibrillär (Himnervenwurzeln), wobei eine Vermehrung der
Fibrillen eintritt. Bemerkenswert ist, daß der Autor der von anderen
Forschern behaupteten Tatsache, daß Fibrillen durch den Zellleib von einem
Fortsätze zum anderen hindurchgehen sollen (Bethe, Bielschowsky u. a.)
5ehr skeptisch gegenüber steht. Er hält solche Bilder für Trugbilder, welche
dadurch entstehen, daß sich Fibrillen oder Fibrillenbündel so dicht anein-
ander legen, daß sie den Eindruck einer kontinuierlich Terlaufenden dicken
Fibrille heryorrufen. (Kef. kann nur seiner Genugtuung Ausdruck geben, daß
damit die von ihm energisch bekämpfte und von vielen Autoren kritiklos
nachgesprochene Angabe des Durchgehens der Fibrillen durch die Nervenzelle
•eine weitere, gewichtige Stütze erfahren hat.)
Braus (53) transplantierte bei Amphibien (Bombinatorlarven) in einigen
Entwicklungsstadien, in welchen an den Gliedern histologisch noch nichts
von einem peripheren Nervensystem zu erkennen war, Gliedmaßen eines
Tieres auf irgend eine Stelle eines anderen. Es entwickelte sich an der im-
-plantierten Extremität im Laufe der weiteren Entwicklung ein für diese
Extremität typisches peripherisches Nervensystem. Hierbei konnte nach-
gewiesen werden, daß die Nerven dieser Extremität nicht etwa durch Hinein-
wachsen von Nerven des Stumpfes, auf welchen die Extremität implantiert
war, sich gebildet hatten, sondern daß sie selbständig in ihr entstanden
waren. Wurde dagegen ein Extremitätenblastem von einem Tier transplan-
tiert, dem in frühem Stadium die Rückenmarksanlage entfernt war, so ent-
wickelten sich nach der Transplantation auf ein anderes Tier an dieser Ex-
tremität zwar Knochen-, Gefäß- und Muskelsystem wie gewöhnlich, aber
nichts von einem peripherischen Nervensystem. Derselbe Mangel war vor-
handen in akzessorischen Gliedern, die sich öfters an transplantierten Ex-
tremitäten ausbilden. Ein Blastem also, welches an dem gewöhnlichen Ort
seiner Entwicklung Nerven in späteren Stadien erhält, besitzt die Potenz
antogeuer Nervenproduktion auch nach seiner Verpflanzung an beliebige an-
dere Stellen des embryonalen Körpers. Bleibt es in loco, so ist es imstande,
einer durch irgend welche Regulationen ausgelösten Verdoppelung die Fähig-
keit der Nervenproduktion mitzuteilen, wird es dagegen verpflanzt, so erlischt
diese Fähigkeit der Mitteilung an einen derartigen Adnex. Daraus schließt
Jer Autor: Blasteme, welche niemals in normaler Verbindung mit den ihnen
-zugehörigen Teilen des Zentralnervensystems gestanden haben, sind bei
Bombinatorlarven nicht imstande, Nerven autogen zu reproduzieren. Da sich
ferner ergeben hat, daß Blasteme, welche einmal in normaler Verbindung
mit ihrer Umgebung gestanden haben, wenn es auch nur in frühen, vor der
sichtbaren Differenzierung des peripheren Nervengewebes gelegenen Etappen
des Entwicklungsganges war, doch die Potenz der autogenen Nervenbildung
behalten, so ist der Schluß gerechtfertigt, daß schon zur Zeit der Trans-
plantation, ehe also Nerven sichtbar differenziert sind, Verbindungen zwischen
spezifischen Teilen des Zentralnervensystems und dem Blastem der zuge-
hörigen Extremität vorhanden sein müssen, und daß von deren Vorhandensein
die spätere Entfaltung eines typischen Nervensystems abhängig ist. Es
muß also ein „Etwas" vom Zentralnervensystem aus auf die zugehörigen
peripheren Blasteme in frühen Stadien einwirken, um die Entstehung von
ilerven zu ermöglichen, und sich dies wahrscheinlich der He nsen sehen
Theorie entsprechend, auf dem Wege morphologisch ausgebildeter Verbin-
dungen, Protoplasmabrücken vollziehen. Wenn auch nach Harrisons
Experimenten die Schwann sehen Zellen keine primären und ausschließlich
Jahresberieht f. Neuroloi^e und Psjchiatrie 1906« ^
34 Auatomie des Nervensystems.
Nervenbildner sind, wie die Anhänger der Zellenkettenhypothese annehmen^
so können sie doch sehr wichtige Faktoren zweiter Ordnung für die-
Entstehung und Bildung peripherer Nerven sein, indem sie die primäre»
Protoplasmabrücken schützen, ernähren oder eventuell direkt die Entstehung
von Fibrillen in denselben anregen.
Die Entwicklung des Auges nimmt, wie Proriep (144) in der Einleitung
seiner umfassenden und vortrefflichen Studie sagt, innerhalb der Bildungs-
geschichte der Sinnesorgane der Vertebraten eine Sonderstellung ein. Alle
anderen Sinnesorgane entstehen durch Differenzierung der embryonalen
Epidermis, d. h. desjenigen Teiles des Ektoderms, der nach Absonderung
des Medullarrohres übrig bleibt, und sie treten mit den Produkten des letzteren^
den Zentralorganen des Nervensystems, erst sekundär in Verbindung. Hier
dagegen schnürt sich ein Teil der Wand des Medullarrohres selbst von
diesem ab und wird zur Retina, dem lichtrezipierenden Endorgan. Ebenso
merkwürdig ist der Umstand, daß an der Stelle, wo jenes zentrale oder
encephalogene Sinnesorgan an die Peripherie tritt, die Epidermis einen Hilfs-
apparat produziert, der zwar bei seinem Auftreten Ähnlichkeit mit der An-
lage peripherischer oder epidermogener Sinnesorgane darbietet, jedoch nie-
mals nervöse Funktionen gewinnt, sondern in eigentümlicher Weise sich zu
einem dioptrischen Instrument, der Kristalllinse, ausgestaltet. Im Hinblicke auf
die Kompliziertheit dieses ganzen Sinnesorganes ist es staunenswert, daß in
der ganzen Reihe der Wirbeltiere keine niederen Zustände desselben er-
kennbar sind. Von den Cyclostomen angefangen, deren Augen hauptsächlich
infolge von Rückbildung einige Abweichungen darbieten, zeigt iu der Reihe
der Kranioten kein anderes Organ eine solche Gleichförmigkeit der wesent-
lichen Organisationsverhältnisse. Dies wird sodann im einzelnen durch ge-
naue Darstellung der Entwicklung des Sehorganes bei Wirbellosen, und
bei allen Wirbeltierklassen gezeigt und durch viele Photogramme und Zeich-
nungen illustriert.
Allgemeine Histologie des Nervensystems.
a) Nervenzellen.
Die Monographie von Athias (11) bringt eine fleißige und erschöpfende
Zusammenstellung der Arbeiten, die über die normale Anatomie der Ganglien-
zelle erschienen sind. Besondere Berücksichtigung finden die neuesten histo-
logischen Arbeiten. Es hat den Wert eines Nachschlagebuches, da der
Autor selbst nichts neues bringt (freilich ist das Fehlen eines Sachregisters
dabei mißlich!). Eine kurze (vielleicht zu kurze!) historische Übersicht leitet
das Buch ein. Im ersten Teil wird die Morphologie der Zelle gewürdigt —
dieser Teil schließt mit einer ganz netten vergleichenden Morphologie der
Ganglienzelle ab. Der zweite Teil ist den einzelnen Bestandteilen der
Ganglienzelle gewidmet, wobei den Neurofibrillen ein breiter Rahmen zu-
gewiesen wird. Im 3. Teile werden die Beziehungen der einzelnen Zellen
zu einander behandelt. Hier findet die Besprechung der Neuronenlehre
ihren Platz, der der Autor in ihrer modernen Form sich nicht anzuschließen
vermag. Er meint, es seien noch keine genügend überzeugende neue Momente
aufgebracht worden, welche der Auffassung entgegengehalten werden könnten.
Das Neuron — in seiner alten Form und Auffassung — stelle anatomisch
wie funktionell eine Einheit dar. Im letzten Kapitel dieses Abschnittes
beschäftigt sich Verf., immer wieder rein referierend, mit der Lehre von
der Autoregeneratioi) ; die bis jetzt gesammelten Erfahrungen genügen ihm
hier auch nicht, um ein abschließendes Urteil fällen zu können.
Anatomie des Nervensystems. 35
Dürftig sind die wenigen einfarbigen Abbildungen, die sich auf 8 Tafeln
beschranken. (Darstellung einiger Zellen nach der Golgi und Caja Ischen
Methode; nur auf der letzten Tafel 2 Photogramme von SpinalgangÖenzellen
nach Heidenhain.) Wertvoll ist die Literatur übersieht, die 577 Arbeiten
umtaßt (Merzbacher,)
Schnitze (378) bespricht in seiner Arbeit zwei Hauptfragen aus dem
Gebiete des feineren Baues des Nervensystems, nämlich erstens die^ ob
die periphere Faser als ein einfacher Zellfortsatz oder als ein multicelluläres,
syncytiales Gebilde aufzufassen ist, und zweitens die, ob die sogenannten
Neurone in der Peripherie nur freie Endigungen tragen, oder ob netzförmige
Vereinigungen, Zellennetze, vorkommen. Als Objekt dienten vorwiegend die
wegen der Größe ihrer Elemente günstigen Amphibienlarven. Nach Kon-
serrierung mit Osmiumsäure oder Kaliumbichromatosmiumsäure, Entfernung
des Epithels und Färbung mit Hämatein und Alaunkarmin findet Schnitze
allenthalben bei jungen Salamanderlarven dicht unter der Coriumanlage
zahllose teils bipolare, teils multipolare, von den Bindegewebszellen auf das
deutlichste unterschiedene Zellen, die mit ihren Ausläufern zusammenhängen
und ein kontinuierliches einschichtiges Netz bilden. Die Zellen und
alle ihre Ausläufer zeigen einen feinfibrillären Bau, und der Zusammenhang
mit marklosen oder bereits markhaltigen Nervenfasern ist leicht zu erweisen.
Es handelt sich um typische Neuroblastennetze, Netze von nervenfaserbilden-
den Zellen. Von anfangs nackten Fasern oder Netzen, denen sich sekundär
Schwann sehe Zellen auflagern sollen, ist nichts vorhanden. Die Bildimg
der Nervenfasern erfolgt nach dem bereits vor 60 Jahren von Kölliker
beschriebenen Modus aus Zellketten bipolarer Zellen, deren Zellgrenzen in
der fertigen Faser durch die Ranvierschen Einschnürungen angegeben sind,
deren Kerne zu den Neurilemmkemen werden. Das Neurilemm ist die
Zellmembran und verhält sich zur Faser wie das Sarkolemm zur Muskelfaser.
Die fibrilläre Substanz der aufbauenden Elemente bleibt vom Beginn der
Entwicklung an kontinuierlich, indem mit dem Längenwachstum der Faser
alle Neuroblasten nach der Teilung und dem Auseinanderweichen der Kerne
durch breite Verbindungen verbunden bleiben. Es bleibt wie bei der mitotischen
Teilung der durch Intercellarbrücken verbundenen Epithelzellen die Kontinuität
der Zellen fortwährend bestehen. Der Autor verfolgte nun weiter das Wachs-
tum der auffallenden kontinuierlichen subcorialen Neuroblastennetze. Zu-
nächst nimmt das Netz mit dem Wachstum der Larve nach dem gleichen
Prinzip der Zellteilung mit Erhaltung der Kontinuität der Elemente durch
Intercellularen flächenhaft zu, wobei es auch zur Ausbildung größerer Bezirke
kernloser Netzregionen kommt. Der Modus dieser Bildung wird genau
in der Arbeit verfolgt und beschrieben. Es dürfte wenig Objekte geben,
an denen so leicht und so überzeugend diese Netze nervöser Zellen, deren
Dendriten in kernlosen Netzregionen ineinander übergehen, demonstriert
werden können, sodaß unwillkürlich der Vergleich mit dem hypothetischen
zentralen Dendritennetz sich aufdrängt. Bei dem Flächeuwachstum des
Netzes spielt die Spaltbildung bezw. Vakuolisation des Neuroplasmas von
den Knotenpunkten aus die wesentliche Rolle; hierdurch wird die Zahl der
Maschen vermehrt. Die Zahl der Fasern vermehrt sich gleichfalls durch
Spaltbildung, solange noch keine Markbildung eingetreten ist Das Zellen-
netz selbst bildet sich zu dem markhaltigen Plexus nervosus profundus der
Amphibienhaut um (s. genaueres hierüber in der folgenden Arbeit des Autors).
(Autoi'eferat.)
Schüpbach (382) gibt eine genaue Beschreibung der im Zentral-
nerren^stem der Taube vorkommenden Ganglienzellen (Färbung nach Held
3*
36 Anatomie des NervensyBtems.
mit Methylenblau-Erythrosin) und deren regionäre Anordnung. Motorische
Zellen im Sinne Nissls hat er im Großhirn und Mittelhirn nicht gefunden.
Die von Birch-Hirschf eld an den Zellen der Kaninchennetzhaut gefundenen
Unterschiede zwischen hell- und dunkeladaptierten Zustand konnten für die
Retinazellen verschiedener Vögel, speziell der Taube, nicht bestätigt werden.
Es zeigten sich ebenfalls keine konstanten funktionellen Unterschiede in
den Ganglienzellen verschiedener Hirnteile.
Levi (242) hat vergleichende Messungen von Zellen angestellt, um zu sehen,
ob die Körpergröße der betreffenden Tierart in Beziehungen zu den Größen-
schwankungen der Zellen stehe. Neben anderen Zellarten wurden auch Ganglien-
zellen gemessen und zwar Spinalganglienzellen, Purkinjesche Zellen des
Kleinhirns und die Granula des Cerebellura. Bei den Spinalganglienzellen
besonders war das Verhältnis ihrer Größe zu derjenigen des betreffenden
Tieres sehr augenscheinlich. Beim Ochsen erreichen die größten Zellen
der Spinalganglien im Durchschnitt 104,3 |li, beim Schweine 84,2 ji, beim
Hunde 72,42 ji, beim Kaninchen 54,2 |Li, bei Mus 37,25 |Li, bei Pachiura
etmsca 26,5 ili. Auch bei kleineren Ganglienzellen ergaben sich analoge
Verhältnisse, wenn auch der Unterschied nicht so prägnant war, wie bei
den vorhererwähnten Zellen.
Marinesco (271) gibt eine kritische Übersicht über unsere bisherigen
Kenntnisse vom Pigment der Nervenzellen und fügt neue Tatsachen hinzu,
die er besonders bei Färbung mit Sudan und mit der Caja Ischen Methode
erhalten hat. Er beschreibt ausführlich die verschiedene Form und Größe
der Pigmentkörner und ihre Lage innerhalb des Zellleibes. Er konnte bei
Sudanfärbung auch Pigment in den Purkinj eschen Zellen nachweisen und
außerdem schwarzes Pigment in Spinalganglienzellen und auch noch an anderen
Stellen des Zentralnervensystems. Besonders fand er es bei sehr alten
Leuten. Auch in Präparaten, die nach der Cajalschen Fibrillenmethode
hergestellt sind, ist das Pigment deutlich erkennbar, besonders stark ist es
im Ursprungshügel des Achsenzylinders angehäuft und macht hier das
Fibrillennetz dichter. Die Pigmentbildung auf Kosten des Cytoplasmas
geschieht immer langsam im Gegensatz zur fettigen Entartung (z. B. bei
Phosphorintoxikation), die sich akut ausbildet. Es sei deshalb zweifelhaft,
ob es als ein rein fettartiger regressiver Körper (Lipochrom) anzusehen sei;
M. glaubt, daß es lecithinhaltig wäre. Das Pigment bleibt auch nicht
unabänderlich in den Nervenzellen, sondern es wird zeitweise eliminiert und
geht in die Gefäße über.
Legendre (237) hat den Bau der Nervenzellen von Helix pomatia,
an welchen Holmgren u. a. am besten die Saftkauälchen der Nervenzellen
sich zur Anschauung gebracht haben, mit besonderen Methoden studiert.
Nach den Bildern, welche er von diesen Zellen erhielt, ist er der Meinung,
daß das Protoplasma der Nervenzellen von Helix aus zwei Zonen besteht,
einer inneren, perinukleären, in welcher sich die Hauptmasse der Neuro-
fibrillen und der chromophilen Substanz befindet, und einer äußeren, weniger
dichten, wo die Neurogliafaden und die Lakunen vorhanden sind. Zwischen
beiden Zonen liegt eine körnige Zone. Zwischen den Lakunen, die ziem-
lich unregelmäßig sind, und den Neurogliafaden bestehen keine Beziehungen.
L. hält die Vakuolen für Ablagerungsstätten von Produkten^ die von der
Zelle verbraucht sind. Die Neurogliafaden aber sollen nur dazu dienen,
diese außerordentlich großen Ganglienzellen in ihrem Bau zu stützen.
Marinesco (272) gibt eine erschöpfende Beschreibung der histo-
logischen und chemischen Eigenschaften des Kerns und Kernkörperchens
Anatomie des Nervensystems. 37
der Nerrenzefle und der Veränderungen, welche diese Gebilde in patho-
logischen Zuständen erfahren (s. darüber das Kap. über Allg. pathol. Anat.
der Elemente des Nervensystems).
Lache (227) gibt eine nähere Beschreibung des Nucleolus der
NerTenzellen. Der Durchmesser des Nucleolus beträgt annähernd den
sechsten Teil des Nucleus; beim Menschen zeigt er die stärkste Entwicklung,
besonders in den motorischen Zellen des Kückenmarks und in den Pur-
kinj eschen Zellen; die kleinsten Kernkörperchen enthalten die kleinen
Hirnrindenzellen. Die Lage des Nucleolus ist meistens exzentrisch. Man
kann im Kernkörperchen eine Grundsubstanz und eine zweite unter-
scheiden, die besonders färberisch hervorragt Besonders in patholo-
gischen Zuständen kommt die eine resp. die andere gut zur Anschauung.
Ist die zweite reduziert, wie bei Winterfröschen, so erscheint das Kern-
körperchen wie ein helles Bläschen. Sowohl in der Grundsubstanz wie im
Chromatin kann man noch mannigfache Einzelheiten beobachten, so z. B.
in der Grundsubstanz Vakuolen, in der anderen Substanz hyperchromatische
Körner. Das Kernköi-perchen ist neutrophiL Das beste Färbemittel für
das Kernkörperchen sei das Safranin. In vergleichend anatomischer Hin-
sicht hebt der Autor das Bestehen von zwei Kernkörperchen, besonders bei
Vögeln, hervor. Von diesen beiden ist das eine fast achromatisch, während
das andere chromatisch ist. Das Kernkörperchen bildet sich aus einer
Differenzierung von Kömern des Nucleus. Die ersten Nucleoli erscheinen
in den motorischen Zellen, sie lagern sich erst später exzentrisch.
Scott (385) ist der Ansicht, daß eine gleiche Substanz, wie sie in
den Nissischen Granula enthalten ist, nur noch in den Zellen des Pankreas
und in den Hauptzellen der Magendrüsen sich findet. Die Neurosome von
Held sollen morphologisch homolog den Zymogenkörnern von Drüsenzellen
sein, und es besteht ein gleiches Abhängigkeitsverhältnis zwischen der Masse
der Niss Ischen Substanz und der Zahl der Neurosome, wie zwischen dem
Prozymogen von Macallum und der Zahl der Zymogenkörner. Die Kerne
der drei genannten Zellarten gleichen auch einander. Es findet sich schließ-
lich eine Ähnlichkeit in der Wirkungsweise dieser drei Zellarten, insofern
sie alle dazu dienen, die Veränderungen in Proteide zu kontrollieren. Dieser
Ähnlichkeit wegen kann die Hypothese aufgestellt werden, daß Nervenzellen
durch eine Art von proteolytischem Ferment wirken.
V. Thanhoffer (418) erhält mit der Eisenlack-Hämatoxylinfärbung
Ton Heidenhain Bilder von Nervenzellen, in welchen die Fibrillen lilablau
gefärbt, während der Kern schwach oder gar nicht gefärbt ist. In der Mitte
des Kerns liegt das dunkel gefärbte Kernkörperchen. Vom Kernkörperchen
geht der Achsenzylinderfortsatz von ebensolcher Farbe aus und auch mehrere
feine Fäden, die in radiärer Richtung zur Kernhülle ziehen. Letztere durch-
setzen die Hülle und verlieren sich zwischen den Fibrillen des Zellkörpers.
Einige von diesen Fäden verlassen sogar den Zellkörper. Sie alle sind, wie
der Achsenzylinderfortsatz dunkel gefärbt, und einzelne von ihnen können
mit einer knotenartigen Anschwellung auch vom Zellkörper selbst entspringen.
Die Rückenmarkszelle besitzt nach Ansicht des Autors zwei Hauptachsen-
zyhnderfortsätze, einen, der vom Nucleus und einer, der vom Zellkörper
(Deiterssche) entspringt.
Schaffer's (367) Ergebnisse seiner Untersuchung des Nervensystems
mittels der Bielschowskyschen Methode sind folgende. In den Nerven-
zellen kann man zwei netzartige Bildungen unterscheiden. 1. Die Nerven-
zelle und ihre Protoplasmafortsätze enthalten in ihrer äußeren Rindenschicht
38 Anatomie des Nervensystems.
ein starkes Netzwerk, das äußere oder pericelluläre Netz, welches identisch
ist dem Golgischen Netze. Es besteht aus starken und parallel laufenden
JPibrillen, welche durch feine und schräg laufende mit einander verbunden
sind. Je nachdem die starken Fibrillen dicht zusammen oder entfernt von
einander liegen, erhält man ein fibrilläres oder netzartiges Aussehen. Das
fibrilläre Aussehen ist also in Wirklichkeit nur pseudofibrillär. 2. Nach
dem Zellinneren zu besteht dieses pericelluläre Netz aus feinen Fibrillen,
welche ein polygonales Netz bilden. Die Vereinigungsstellon der Fibrillen
zeigen dreieckige Anschwellungen. Dieses innere oder intracelluläre Netz
ist lockerer an der Peripherie und dichter um den Kern herum. Zahlreiche
Fibrillen des intracellulären Netzes entspringen von den dreieckigen An-
schwellungen des äußeren Netzes. Dies innere Netz setzt sich auch fort
in das Innere der Protoplasmafortsätze. Die extracellulären Fibrillen
tauchen in das pericelluläre Netz ein.
Marinesco (273) gibt eine genauere Darstellung der speziellen Netz-
struktur, welche sich an denjenigen Stellen der Nervenzelle findet, an welcher
das Pigment lagert. Die Maschen des Netzes sind dichter und die Tra-
bekeln von dunkelerer Farbe, als diejenigen der pigmentfreien Zellregioneu.
Je älter eine Nervenzelle ist, umsomehr ist sie von dieser veränderten
Netzstruktur erfüllt.
Mahaim (263) kommt auf Grund von Untersuchungen mittelst der
neuen Cajalschen Methode zu Ansichten, die denjenigen entsprechen, welche
Held entwickelt hat. Er leugnet das Bestehen von pericellulären Netzen
und meint, daß derartige Bildungen, wie sie mit der Bielschowskyschen
Methode erzielt werden, entweder Kunstprodukte sind, oder Neuroglianetze.
Lugaro (256) hat die verschiedenen bis jetzt bekannten Methoden
durchversucht, die eine Darstellung der Neurofibrillen gestatten. Er glaubt
sich davon überzeugt zu haben, daß keine Methode ausschließlich freiver-
laufende Fibrillen darstellt, und daß die Netzbildung der Fibrillen als eine
durchgehend ausgebildete Struktur aufzufassen ist. Selbst bei Anwendung
der Bethe -Methode lassen sich fast immer die sogenannten freilaufenden
Fibrillen in solche, die Anastomosen bilden, auflösen. Die verschiedenen
Methoden unterscheiden sich dadurch von einander, daß sich mit ihrer Hilfe
verschieden feine Strukturen aufdecken lassen. Die feinsten Details gibt
nach Ansicht des Autors, die Chlor-Molybdänmethode, die zur Zeit vom
Autor noch weiter ausgebildet wird, und die Methode mit dem coUoidalen
Silber (Joris-Lugaro), aber gerade diese leistungsfähigsten Methoden stellen
nur Netzstrukturen dar. — Keines der gewonnenen Bilder entspreche den
Verhältnissen am lebenden Gewebe genau, doch würde die Annahme eines
retikulären Baues auch vom physiologischen Standpunkte aus unseren Vor-
stellungen mehr entsprechen. (Merzhacher,)
London (250) untersuchte teils mit der Methode von Apathy, teils
mit der von Cajal den Bau des Nervensystems beim Blutegel und einzelner
Säugetiere. Beim Blutegel bestätigt L. das Vorhandensein eines Elementar-
gitters in der Ganglienzelle, in welches die Fibrillen übergehen, in den
Muskelzellen des Tieres ein perinukleäres Gitter mit einer eintretenden und
einer austretenden Fibrille. Nach dem Verlauf der Fibrillen in Ganglien-
zellen von Säugetieren teilt er diese Zellen in drei Gruppen, in büschel-
förmige (motor. Zellen des Rückenmarks und des Bulbus, pyramidale Zellen
der Hirnrinde usw.), in netzförmige (im Kerne der Gehörsnerven, im Corpus
trapezoides, Olive, kernigen Schicht des Kleinhirns und sympathischen
Ganglien). Die übrigen Zellen gehören dem gemischten Typus an. Er
Anatomie dee Nervensystems. 39
finteTSclieidet ferner kontinuierliche und verzweigte Fibrillen. Die ersteren
verlaufen ungeteilt durch den Zellkörper (? Die Figuren lassen dies nicht
erkennen. Ref.), die zweite Art entsteht durch dichotomische Teilung. Der
Antor plaidiert dafür, den Ausdruck Neurontheorie fallen zu lassen und an
seiner Stelle die Bezeichnung Fibrillentheorie zu gebrauchen.
Wolff (463) kommt auf Grund von Untersuchungen mittels der
€ajalschen und Bielsehowskjrschen Methode zu dem Ergebnis, daß die
sog. Endfiiße in keiner "Weise als Endstationen spezifisch-nervöser Differen-
zierungen angesehen werden dürfen, gleichviel, ob man, wie die meisten
Neurologea es tun, in den Neurofibrillen das leitende Element sieht oder,
wie er selbst der Ansicht ist, das dendritische und neuritische Hyaloplasma
sowie das hyaloplasmatische Ektoplasma der Nervenzelle als das wahre
Substrat der Reizleitung und Umleitung auffaßt. Die Präparate lassen
deutlich erkennen, daß sowohl die fibrillären Strukturen, wie die plasmatischen
an der Endfußbasis keinerlei morphologische Abgrenzung von Zellkörper-
Ektoplasma und Endfuß im Sinne einer Diskontinuität jener Elemente
erkennen lassen. Der Autor vertritt ferner die Anschauung, daß die Fibrillen
einen isolierten Verlauf haben, daß also eine gabelige Teilung derselben nicht
vorkommt. In der Vertebratenganglienzelle laufen im allgemeinen die Neuro-
fibrillen gesondert als Elemeutarfibrillen, täuschen darum also auch weniger
leicht Netze vor. In der Evertebratenganglienzelle verlaufen die Neuro-
fibrillen streckenweise ganz besonders eng zu Bündeln, den sog. Primitiv-
fibrillen (Apathy) vereinigt. "Wo sie auseinanderweichen, wie z. B. in den
perinukleären Netzen, täuschen sie dann außerordentlich leicht ein in Wahr-
heit gar nicht existierendes Netz vor.
Lache (225) unterscheidet in der Nervenfibrille eine Grundsubstanz,
in welcher der mit Silbernitrat sich niederschlagende Stoff besonders stark
angehäuft ist, und rundliche Kömer von verschiedener Größe ; letztere seien
identisch den von Held beschriebenen Neurosomen (Lache, Sur les neuro-
somes de Hans Held; ibidem).
Gtomelli (155) wendet eine neue Silberimprägnationsmethode an (die
komplizierten technischen Manipulationen sind auf Seite 454 nachzulesen),
um endocelluläre fibrilläre Netzstrukturen in den Ganglienzellen der Wirbel-
losen und Wirbeltiere darzustellen. Die Zuverlässigkeit und Leistungsfähig-
keit der Methode wird gelobt und durch einige Abbildungen bestätigt. —
In der vorliegenden Arbeit finden die bei Würmern erhobenen Befunde
Erwähnung. Nach dieser Methode — deren Ergebnisse noch durch eine
zweite Methode, einer Modifikation der Kap lauschen Methode (Färbung
mit Schwelel-Alizarin) bestätigt werden (vgl. S. 468) — könnten die Be-
funde Apathys im allgemeinen bestätigt werden: 2 — 10 Fibrillen treten in
den Zellleib ein, anastomosieren miteinander, bilden ein mehr oder minder
weitmaschiges Netz, das zum Kerne in keine bestimmte Beziehung tritt.
Daß es sich hier um ein endocelluläres nervöses Netz handle, hält Autor
für sicher. Die Konturen der einzelnen, die Maschen bildenden Fibrillen
erscheinen glatt. (Merzbacher.)
b) Neurontheorie.
Turner (426) glaubt auf Grund von Präparaten, die er mit seiner
psendovitalen Methylenblaumethode und mit der Cajalschen Fibrillenmethode
hergestellt hat, daß es in der Groß- und Kleinhirnrinde sogen. Schaltzellen
gibt (die nach des Autors Methode sich dunkel färben), aus deren mit
Knoten versehenen Fortsätzen das pericelluläre Netzwerk sich bildet. Dieses
Netzwerk soll einmal eine Kontinuität bilden, und außerdem sollen von ihm
40 Anatomie des Ner?«nsystems.
Fortsätze entspringen, welche mit den Pyramiden zellen in Verbindung stehen,
(Erstaunlich ist alles das, was einzelne Autoren in ihren Präparaten sehen
können. Ref.)
Die Beziehungen, in denen zwei nervöse Elemente im Erwachsenen
zu einander treten, sind nach Fragnito (137) noch unklar. Analogie-
schlüsse, gezogen aus der Betrachtung der Verhältnisse bei Wirbellosen,
lassen zwar einen kontinuierlichen Zusammenhang der Elemente annehmen*
Verschiedenes spricht dafür, daß die Fortsätze, welche den extracellulären
Verbindungen dienen, nicht als Anhängsel der Ganglienzelle zu betrachten,
sind, sondern autonom aus selbständigen Zellenketten entstehen. Beweise
für die Existenz des Neuropils im Sinne Nissls stehen noch aus, soweit
66 die Wirbeltiere betrifiFt; ebenso sind Fibrillen, die mit keiner Zelle direkt
in Verbindung stehen, noch nicht nachgewiesen. (Mei^zhacher.)
Retzdus (338) kommt auf Grund von Untersuchungen mittelst der
Ehrlichschen Methylenblaumethode bei Crustaceen und Würmern zur An-
schauung, daß intercelluläre Anastomosen bei keinem dieser Tiere existieren,
daß also auch bei ihnen die nervösen Elemente eine anatomische Einheit
bilden. (Referiert in der Arbeit von van Gebuchten über die Neurontheorie.)
Hartmann (179) gibt eine Übersicht der Forschungsresultate, welche
in den letzten Jahren durch die Methoden von Apathy, Bethe, Cajal^
Bielschowsky u. a. bezüglich der feineren Struktur der Nervenelemente
erzielt wurden. Diese führen ihn zu der Anschauung, daß die Neuron-
theorie von His, Waldeyer nicht mehr haltbar ist. H. meint, „daß man
nicht mehr von einem Aufbaue aus cellulär abgegrenzten Einheiten de»
Nervensystems sprechen, wohl aber von einer gewissen Einheitlichkeit des-
Aufbaues und der Anordnung der spezifisch nervösen Substanz. Sie prägt
sich aus in der einheitlichen Anordnung von Bündeln, von Aufsplitteruugen^
von Austausch und netzartiger Verknüpfung der Fibrillen in den Komplexen
der Ganglienzellen, deren Dendriten, der Achsenzylinder, Endbäumchen usw.^
einer Einheitlichkeit des Aufbaues und der Beziehungen also des Zell-
produktes als Träger der leitenden Funktion'*.
van G^hnchten (152), einer der Hauptverfechter der Neurontheorie,,
hat in den letzten Jahren wiederholt seinen alten Standpunkt verteidigt^
indem er die sogen. Beweismittel der Gegner der Neurontheorie Revue
passieren ließ und den Wert der von ihnen gebrachten Beweismittel einer
scharfen Kritik unterzog. So auch diesmal. Die Gegner liefern entweder
nur Theorien, ohne sich auf Tatsachen zu stützen (Nissl) oder die inter-
cellulären Netze, welche sie in ihren Präparaten darstellen, wären teils
Kunstprodukte, teils Neuroglianetze. Die Methode von Cajal beweise, daß
wenigstens bei den Vertebraten nur intracelluläre Fibrilleiinetze existierten^
und daß an der Peripherie der Nervenzelle der Achsenzylinder einer andere»
mittelst einer Endkeule sich anlege. Die anatomische Unabhängigkeit der
Nervenelemente bleibe also trotz aller Kontroversen bestehen, und das
Neuron bleibt, was es gewesen ist, nämlich eine wahre, anatomische
Einheit. Diese Einheit würde auch dann nicht erschüttert werden, wenn
die Nervenfasern nicht eine unicelluläre, sondern pluricelluläre Entstehung
hätten, da die pluricellulären Teile sich beim erwachsenen Individuum zu
einer Einheit verbinden.
Forel (132) will das Verdienst^ den Begriff des Neurons seinem
Wesen nach zuerst erkannt zu haben, His zuschreiben. Man solle recht-
mäßig diese Lehre als „Hissche Neuronentheorie" bezeichnen. Die
Entscheidung über die Richtigkeit dieser Theorie könne nicht durch,, eine
Methode allein erbracht werden^ sondern sie könne sich nur aus der Über*
Anatomie des Nervensystems. 4.I
eiDSthnmuDg verschiedener ergeben. Er resümiert sich folgendermaßen: Die
Frage steht heute so: Ist die Hissche Neuronentheorie, welche die cyto-
genetische Einheit des Nervensystems und zugleich die Matrix der Nerven-
fibrillen in der Ganglienzelle erblickt, oder ist die Apathysche Theorie,
welche hypothetische fibrillogene Nervenzellen als wahre cytologische Ein-
heit des Nervensystems annimmt, die richtige? Wenn Apathy Recht hat,
gehört die Ganglienzelle überhaupt kaum mehr zum Nervensystem im
engeren Sinne.
Dnrailte (112) negiert die Neurontheorie, da sie sowohl nach der
anatomischen, wie physiologischen, wie pathologischen Seite nicht genügend
gestützt ist. Er glaubt, daß das Nervensystem aus einzelnen Territorien,
ähnlich den Drüsen, besteht und schlägt für ein solches Territorium den
Namen Neurula-Nervenläppchen vor. Die verschiedenen Zellen, welche
Fibrillen in den A chsenzylinder entsenden, vergleicht er mit den Acini der Drüsen.
BaltxiS (14) gibt ein Referat der größtenteils hypothetischen Argumente,
welche gegen die Neurontheorie ins Feld geführt werden und kommt zu dem
Schlüsse, daß sie alle nicht stark genug sind, um die Theorie zu erschüttern.
Siehe auch Athias p. 34 und Dogiel p. 67.
*
c) Nervenfasern.
Lngaro (267) resezierte an jungen Hunden und Katzen die lumbo-
sakralen Nerven an ihrer Austrittsstelle an der Dura und außerdem die
dazugehörigen Ganglienzellen. Selbst 4 Monate nach diesem Eingriffe wurden
regenerierte markhaltige Fasern im N. ischiadicus nicht gefunden. L. ist
auf Grund dieser Resultate der Ansicht, daß eine autogene Regeneration
peripherischer Fasern nicht stattfindet. Er meint, daß bei den Versuchen
anderer Autoren immer nur ein Teil dieser Wurzeln resp. des unteren
Rückenmarks (Raimann) fortgenommen worden ist, und daß die Regeneration
der Nerven dann von den gesunden des Cruralisgebietes oder anderen durch,
chemotaktische Wirkung erfolgt ist
Besta (36) gibt eine neue Methode an zur Darstellung der Mark-
scheiden der peripheren Nerven. Auch der Achsenzylinder und die Schwann-
sche Scheide kommen bei dieser Methode gleichzeitig zur Ansicht. In den
gelungenen Präparaten findet man die Markscheide ausgefüllt von einem
feinmaschigen Netz, nach der Ansicht des Autors die Zwischenwände eines
alveolären Baues. Laut ermann sehe Segmente lassen sich nicht zur Dar-
stellung bringen, dann, wenn die Nerven mit Vermeidung aller gröberen
Eingriffe behandelt worden sind. Diese alveoläre Stützsubstanz der Mark-
scheide, läßt sich sowohl vom Achsenzylinder, wie von der Seh wann sehen
Scheide deutlich trennen. Der Annahme, es handle sich um ein Kunst-
produkt, begegnet B. mit dem Hinweis auf die äußerst schonende Art des
verwendeten Fixierungsmittels und ferner mit der Tatsache, daß die Ent-
wicklung des Gebildes, soweit dieselbe durch Beobachtung von embryonalem
Material verfolgt werden kann, aus relativ einfachen Verhältnissen heraus
erst allmählich die definitive komplizierte Gestaltung erfälirt. Das Studium
von embryonalem Material zeigt auch, daß die Bildung der Seh wann sehen
Scheide erst der Anlage der Markscheide nachfolgt.
Die Methode ist folgende:
Fixierung in chlor-ammoniakalischem Zinn (Merk) 4,0
Formalin 25,0
Aq. destill. 100.0
für feine und embryonale Nerven 20 — 24 Stunden, für größere Nerven
2—3 Tage. Spülen in Wasser 2—3 Minuten, Härten in Alkohol 70 ^^^
42 Anatomie des Nervensystems.
und absolutem je 12 Stunden. Einschluß in Paraffin. Schnittdicke 6 — 7 ^.
Eärben kann man nach verschiedenen Methoden. Am besten bewährt sich
Hämatoxylin Mallory 24 Stunden lang mit nachfolgender Differenzierung in
Jod- Jodkali bis die Schnitte eine leichte blaugrüne Färbung annehmen.
Unterbrechung der Differenzierung durch 70% Alkohol. Dann reichliches
Auswaschen in demselben. Eine zweite Methode der Färbung besteht in
der Anw^endung von sehr verdünntem Hämatoxylin Delafield (2 — 3 Tropfen
in 50 ccm Wasser), kurzes Spülen in Wasser und Nachfärbung in essig-
saurem Erytrosin (Held) 1 Minute lang, Waschen in 70% Alkohol. Will
man die Schwannsche Scheide elektiv färben, so fügt man dieser Färbung
noch die Behandlung in folgender Lösung bei: 1 % Hämatoxylinlösung
25 ccm, Ammoniummolybdat 4 % 25 ccm, Eisessig 3 Tropfen. Die Schnitte ver-
bleiben mehrere Stunden in dieser Lösung. Auswaschen in 90 7o Alkohol.
(Merzbacltm',)
Durch ein eigenes Verfahren, dessen Wiedergabe uns aber der Verf.
schuldig bleibt, will Capparelli (73) die feinere Struktur der markhaltigen
Nervenfasern beobachtet haben. Der nervöse Achsenzylinder ist in einer
Flüssigkeit suspendiert, die in einem soliden Neurokeratinrohr enthalten ist.
Dieses Rohr setzt sich aus einzelnen Stücken zusammen, die in der Höhe
der ßan vi er sehen Einschnürung zusammengeschweißt sind. Dieses „peri-
achsiale Rohr'* wird durch dünne Fäden bindegewebiger Natur an die
eigentliche Markscheide fixiert und suspendiert gehalten. Die Fäden laufen
von innen unten nach oben außen; sie sind es, welche die Trichter der
Lautermannschen Gebilde darstellen. Schließlich wird das Ganze durch
die eigentliche myelinhaltige Markscheide eingeschlossen, die eine solidere
Lanen- und Außenmembran enthält; die Membran ist durch Verdichtung
des Myelins und Eiweißes der Markscheide gebildet. Eine netzige
Struktur ist nicht vorhanden. Markscheide und peiiachsiales Rohr haben
lediglich den nervösen Achsenzylinder zu schützen, die Ernährung wird aus-
schließlich durch die periachsiale Flüssigkeit vermittelt. (Merzbacher.)
Auf Grund von Versuchen an verschiedenen Tieren (Axolotl, Frosch,
Hund, Katze) über Regeneration von peripherischen Nerven tritt Barfarth.
(24) dafür ein, daß eine Regeneration von Nervenfasern in einem peripheri-
schen, von seinem Zentrum getrennten Nervenstumpf möglich ist, die
in günstigsten Fällen bis zur Bildung aller wesentlichen Bestandteile (Achsen-
zylinder, Markscheide, Neurilemm) fortschreitet. Die Art, wie die Regene-
ration vor sich geht, schildert B. folgendermaßen: Je mehr die Marktrümmer
des degenerierten Nervenstückes verschwinden, um so deutlicher treten die
Kerne der Schwann sehen Scheide hervor. Man sieht dann Fasern, die
neben einigen Markresten aus nahe aneinander liegenden ovalen Kernen
bestehen, die durch dünne Brücken miteinander verbunden sind. Sind die
Marktrümmer vollkommen geschwunden, so hat man die sogen. Büngn er-
sehen „Bandfasern" vor sich. Alsdann beginnen die Kerne ihre zentrale
Lage aufzugeben und sich an die Peripherie zu begeben. Zugleich tritt
nun eine manchmal mehr, manchmal weniger deutliche Differenzierung der
Fasern in einen zentralen Zylinder und einen ihn umgebenden Mantel auf,
der jedoch noch nicht die Fähigkeit besitzt, sich durch Osmium zu schwärzen.
Schon an den Bandfasern kann man zuweilen eine Andeutung von Fibrillen-
bildung beobachten. Deutlich sind dieselben jedoch erst nach Ausbildung
der Markscheiden darzustellen. Bis zur Bildung von Bandfasern konnte B.
die Neubildung von Nervenfasern in einem peripherischen Stumpf verfolgen,
der in einen Abszeß eingekapselt lag und mit der Umgebung resp. mit
Anatomie des NerreDsystems. 4S
anderen in der Umgebung liegenden Nerven nicht in Verbindimg hatte
kommen können.
Schnitze (379), welcher die Existenz der sogen. Schwan nschen
Zellen leugnet, welcher die Neurilemmkerne der peripherischen Nervenfasern,
deu Sarkolemmkernen der Muskelfasern gleich setzt^ erstere also als Bildner
der peripherischen Nervenfasern ansieht, fordert die anders denkenden Fach-
genossen auf, die von ihnen supponierten Schwan nschen Zellen doch auf
dem nächsten Anatomenkongreß zu demonstrieren.
Sehr großes Interesse verdient der Krankheitsfall, über welchen
Shirres (390) berichtet. Es handelt sich um einen 48 Jahre alten Matrosen,
der im Frühjahr 1902 einen Wirbelbruch in der Gegend zwischen 9. und
10. Dorsalsegment erlitten hatte. Es war nach dem Bruch schlaffe Lähmung,
vollständiger Verlust der Bewegungsmöglichkeit und des Gefühls, ferner
Verlust aller oberflächlichen und tiefen Reflexe der unteren Extremitäten,
der Blase und des Rektums eingetreten. Bei der operativen Entfernung des
gebrochenen und dislozierten Wirbels wurde nach Öffnung der Dura mater
Yollkommene Spaltung des Rückenmarks gefunden; es war zwischen den
beiden abgetrennten Rückenmarksstücken eine klaffende Spalte von etwa
^5 Zoll Länge. Auf Reizung der Wurzeln des ersten und zweiten Lumbai-
segments erzielte man Muskelkontraktionen im Bein. Dies sei nach des
Autors Ansicht ein Beweis, daß die unterhalb der Verletzungsstelle gelegenen
motorischen Zentren intakt waren. Patient wurde sehr sorgsam monatelang
abgewartet, viel mit Elektrizität und Massage behandelt, ohne daß nach
6 Monate langem Verlauf irgend eine Veränderung in dem Zustande ein-
getreten war. Die Reflexe blieben erloschen, und die Lähmung blieb schlaff.
Elf Monate nach stattgehabtem Trauma wurde die Wirbelsäule noch einmal
geöffnet und nun ein Stück vom Rückenmark eines kräftigen Hundes zwischen
die beiden Enden des durchtrennten Rückenmarks bei dem Patienten hinein-
gebracht und mit der Dura vernäht. Patient überstand auch diese zweite
Operation ohne jede besondere Reaktion. Er wurde wieder aufs sorgfältigste
abgewartet, ohne daß sich zunächst in den nächsten Wochen eine Veränderung
im Symptomenkomplex zeigte. Fünf Wochen nach der Operation gab Patient
ED, daß er den Abgang von Blähungen fühle, und einige Tage darauf spürte
er, wenn er katheterisiert wurde, und wenn die Fäkalien die Analgegend
passierten, femer spürte Patient Kribbeln vom Fuß bis zum Knie. Wieder
einige Zeit darauf wurde leichter Muskeltonus bei Beklopfen der Schenkel-
moskeln beobachtet. Leider ging Patient einige Zeit darauf an Nierenabszeß
zu Grunde. Bei der Untersuchung des Rückenmarks wurden, außer den
gewöhnlichen auf- und absteigenden Degenerationen, an dem Teil der Dura
mater, welcher zwischen den durchtrennten Abschnitten der Medulla lag,
eine Menge von zarten markhaltigen Nervenfasern gefunden. Diese Fasern
bildeten eine Brücke zwischen dem oberen und unteren Rückenmarkstück
und beweisen, daß eine Regeneration von Nervenfasern in beschränktem
Umfange stattgefunden hatte.
Meuroglia und Hesoglla.
Tumer(427) beschreibt die zuerst von Robertson erwähnten Mesoglia-
xellen, welche Abkömmlinge des Meso blast sind. Sie liegen um die Nerven-
zellen und um Gefäße herum, erfüllen die pericellulären und perivaskulären
Bäume und sollen mittels ihrer Fortsätze das sogen. Grolginetz bilden.
44 Anatomie des Nervensystems.
Spezielle Darstellong einzelner Teile des Zentralnervensystemes (resp.
der In diesen Teilen vorliandenen Zellgroppen nnd Faserbabnen).
a) Telencephalon.
Weinberg (454) hat die Oberflächen von 78 Hemisphären mensch-
licher Gehirne (hauptsächlich von Esthen nnd Letten) untersucht und fuhrt
die einzelnen Varietäten auf, welche sich bei ihnen im Verlaufe, in der
Verästelung und Länge der Furchen und Windungen finden. Es ist sicher
ein großes Verdienst daß der Autor diese dem Hirnanatomen bekannten
Tatsachen an einem etwas größeren Material zusammengestellt hat. Die
Einzelheiten sind in der Arbeit selbst nachzulesen.
Bianchi (40) hat die Rinde des Delphins (Delphinus delphis) makro-
skopisch wie mikroskopisch untersucht. Der Stimlappen zeigt sich sehr
wenig entwickelt, hingegen stark der Parietooccipitallappen. Die Furchen
sind in anterio-posteriorem Sinne gerichtet, die ßiechlappen mangeln voll-
kommen, lobus temporalis und Gyrus hippocampi haben eine nur mangel-
hafte Ausbildung erfahren. B. meint, daß die ganze Anlage der Windungen
dem Typus der Carnivoren entspricht.
Die Zellenrinde erscheint morphologisch recht einförmig; große Pyra-
midenzellen sind recht selten; das Stirnhirn zeichnet sich besonders durch
Zellenarmut aus (ist bei den übrigen Gehirnen doch auch der Fall! Ref.).
Breite Anastomose zwischen zwei Ganglienzellen will Verf. häufig beobachtet
haben (nach der Zeichnung erscheint es Ref. nicht ganz sicher, ob die
betreffenden Gebilde Ganglienzellen darstellen!). Der Autor hat sich die
Mühe genommen, aus den einzelnen Cortexgegenden und in den einzelnen
Schichten Ganglien- und Gliazellen zu zählen. (Merzbacher.)
In den Riesenzellen der Hirnrinde (Betzsche Zellen), deren aus-
schließlich motorische Natur nebenbei bestritten wird, beschreibt Rossi
(356) durchwegs eine retikuläre Anordnung der Neurofibrillen. Es gibt
Zellen, die nur aus großmaschigen Netzen bestehen, und solche, bei denen
scheinbar auch durchgehende Fibrillen, im Sinne von Joris und Bethe,
vorkommen. Macht man recht dünne Schnitte, so kann man auch hier
Netzstrukturen beobachten, sodaß durchgehends dieses Strukturprinzip be-
wahrt erscheint. Um die Kerne herum sind die weitmaschigen Netze die
Regel, mehr nach der Peripherie zu die engmaschigen, lang gestreckten Ge-
bilde. Die Netze lassen sich auch in die Protoplasmafortsätze hinein ver-
folgen. (Merzbai:he7\)
Die Frage, ob am Petromyzongehirn schon eine Palliumanlage existiert^
oder nicht, will Gdinger (114) jetzt nach Untersuchungen mit der Biel-
schowskyschen und Cajal sehen Fibrillenraethode entschieden haben. Hier-
nach ist der frontale Tumor des Vorderhirns mit seinem engen Ventrikel
der Bulbus olfactorius. Aus den Mitralzellen des letzteren entspringt ein
starkes Bündel, der Tractus bulbo corticalis, welcher mit der basalen Riech-
strahlung der Säuger identisch ist. Alle Fasern dieses Bündels enden fein
aufgezweigt um die Zellen des hinteren Tumors des Vorderhirns. Letzterer
ist also ein echter Lobus olfactorius. Aus dem kaudalen Abschnitt dieses
hinteren Tumors läßt sich ein Faserzug bis ins Unterhirn und bis in die
Basis des Mittelhirns verfolgen; dieser Zug ist identisch mit dem Tractus
strio-thalamicus; sein Ursprungsgebiet ist demnach das Striatum. Aus dem
basal-kaudalen Abschnitte stammt das mächtigste Bündel des Petromyzon-
vorderhirns, ein Tractus zum Ganglion habenulae, identisch der Taenia.
thalami. Sein Ursprungsgebiet muß als Nucleus taeniae bezeichnet werden.
Für den in der ganzen Vertebratenreihe wiederkehrenden Komplex von:
Anatomie des NerveDsystems. 45
Lohns olfactorius, Nucleus taeniae und Stammganglion schlägt Edinger
die Bezeichnung Hyposphaeri um vor. Dieses Hyposphaerium würde dem
Episphaerium (Pallium) gegeuüberstehen. Zwischen beiden liegt eine Furche,
die Fovea limbica. Bei Petromyzon und den Teleostiern entwickelt sich
nur das Hyposphaerium kräftig; da wo das Episphaerium bei höheren
Tieren (zuerst bei den Selachiern) entsteht, ist nnr eine Epitheldecke, die
man entweder mit Rabl-Rückhard membranöses Pallium oder mit Stud-
nicka Tela chorioidea nennen könnte.
Trolard (425) schätzt die Größe des Claustrum, vertikaler und hori-
zontaler Abschnitt zusammengenommen, auf ungerähr 22 — 25 qcm. Vom
Tertikaien Abschnitt der Vormauer kommen radienartig Fasern, von denen
eine Anzahl sich in die Corona radiata ergießt, während andere sich in die
dritte Stirn-, in die beiden Zentral- und in die obere Parietalwindung be-
geben, wobei sie die Capsula externa et extrema passieren. Von diesen
Fasern stehen die vorderen mit dem fasciculus uncinatus in Beziehung, die
hinteren mit dem fasciculus longitudinalis inferior.
Redlich (330) untersuchte an nach P^l gefärbten Serienschnitten
den Verlauf des sog. Fasciculus longitudinalis inferior. Diese Untersuchung
wurde an Gehirnen von Tieren fast sämtlicher Säugetierklassen, einschließ-
lich des Menschen, durchgeführt. Nach einer ausführlichen Beschreibung
dieses Faserzuges, wie er sich an Frontal-, Horizontal- und Sagittalschnitten
darbietet, kommt der Autor zu folgender Ansicht über den Charakter
dieses Faserzuges: Der Fasciculus longitudinalis inferior resp. das Stratum
sagittale laterale ist um so komplizierter entwickelt, je höher man in der
Tierreihe aufsteigt (im Gegensatz zum Cingulum). Der Fasciculus strahlt
einmal in die mediale Occipitalrinde um die Fissura calcarina, dann in den
Occipitalpol, in die basale Occipitabrinde und in die konvexe Oberfläche
des Occipitalhirns und des Scheitellappens ein. Verbindungen dieses Bündels
dagegen zum konvexen Anteile des Schläfenlappens sind nicht leicht ersicht-
lich. Es unterliegt keinem Zweifel, daß wenigstens der dorsale Anteil des
Bündels zum allergrößten Teile in die Projektionsfaserung übergeht. Dieser
Anteil durchsetzt das Putamen des Linsenkerns und strahlt in die Lamina
meduU. ext des Thalamus ein; auch zum Corpus geniculat. ext. bestehen
Beziehungen. Ein kleiner Rest des Bündels geht in die äußere Kapsel
über. Während der dorsale Teil dieses Bündels beim Menschen und den
Säugetieren in seinem dorsalen Anteil unzweifelhaft Projektionsfasem ent-
hält (Sehstrahlung), ist für den kleineren basalen Teil des Bündels, der im
Gyrus hippocampi und an der lateralen Umgrenzung des Unterhorns ver-
läuft, die Bedeutung als Assoziationsbündel nicht erwiesen, ja nicht einmal
wahrscheinlich.
Archambault (8 u. 234) beobachtete 8 Fälle von Erweichungsherden
der hinteren Partie der Großhirnhemisphäre. In einem Falle war nur die
Hirnrinde allein erweicht. Auf Grund der sekundären Degenerationen, die
in diesen Fällen sich ausgebildet hatten, kommt der Autor bezüglich der
Zusammensetzung, des Ursprunges und Verlaufes des sog. unteren Längs-
bündels zu folgenden Ergebnissen: Es existiert ein Bündel, welches im
Temporallappen zum Teil das Stratum sagittale ext, zum Teil das Stratum
sagittale intemum einnimmt, und welches im Hinterhauptslappen fast das
ganze Stratum sagittale externum ausmacht. Dieses Bündel, welches die
kortikopetale Faserstrahlung des Occipitallappens darstellt, nimmt seinen
Ursprung aus dem Corpus geniculatum externum nnd endigt an den beiden
Lippen der Fissura calcarina, besonders der unteren. Der Autor schlägt
für dieses Bündel „zentrales optisches Faserbündel" oder „fasciculus geni-
46 Anatomie des Nervensystems.
culo-calcarineus" vor. Dieses Bündel muß von allen denjenigen Faserziige»
herausgeschält werden, welche fortwährend seinen Bezirk durchkreuzen^
Das, was die Autoren als fasciculus longitudinalis inferior bezeichnen,
besteht aus dem zentralen optischen Bündel und außerdem aus einer Anzahl
von Assoziationsfasern. Zwischen Occipital- und Temporallappen gibt es
keine langen Assoziationsbahnen. Das Cingulum hat nicht die Bedeutung,
den Gyrus fornicatus mit dem Gyrus hippocampi zu verbinden, sondern
jede der genannten Windungen mit den Windungen der inneren und äußeren
Hemisphärenflächen. Die beiden Teile des Cingulum setzen sich in den
Occipitallappen fort und bilden dort das Sachssche und Vialetsche
Bündel. Letztere beiden Bündel sind nicht allein dem Occipitallappen
eigentümlich, sondern sind auch im Parieto-temporallappen vorhanden.
Locy (246) beschreibt am Selachiergehim einen neuen am vorderea
Kande des Prosencephalon verlaufenden Hirnnerven, welcher peripherwärts
mit dem Olfaktoriusepithel in Verbindung steht, und welcher zentral in einer
Erhabenheit des Septum medianum endigt. Die Fasern dieses Nerven
sollen keinen Zusammenhang mit den Glomeruli olfactorii haben. Ihre
Funktion wäre unbestimmt
Koppen und Loewenstein (217) stellten sich die Aufgabe, die
Untersuchungen über den Bau der Hirnrinde auf die Gehirne der Ungulaten
und der Karnivoren auszudehnen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungea
fassen die Autoren in folgenden Schlußsätzen zusammen. Bei den unter-
suchten Karnivoren (Hund, Katze) und Ungulaten (Schwein, Hammel, Ziege)
ist über die ganze Konvexität ein indifferenter vierschichtiger Bindentypus^
verbreitet. (1. Molekularschicht, 2. Schicht kleiner Pyramiden, 3. Schicht
großer Pyramiden, 4. Schicht polymorpher Zellen.) Von diesem Typus
finden sich bei beiden Tiergruppen zwei Ausnahmen, deren eine dem moto-
rischen, deren zweite dem visuellen Bindentypus des Menschen nahe kommt.
Der motorische Typus liegt bei allen untersuchten Tieren medial von der
Fissura coronalis und ist nach hinten durch den Processus transversus der
Coronalis begrenzt. Seine Ausdehnung, sowie die Ausbildung seiner 3. Schicht
ist am geringsten beim Schwein, stärker bei der Ziege und am weitestea
beim Hammel. Am ausgeprägtesten und ausgedehntesten aber findet sich
der Typus bei den Karnivoren und hier bei der Katze mehr als beim Hund.
Der visuelle Typus der Ungulaten findet sich in einer bogenförmigen Windung
zwischen Balken und Splenialfurche ; er ist durch das Auftreten einer Stern-
Zellenschicht, sowie eines dieser Schicht entsprechenden Markfasei-streifens
charakterisiert. Bei den Karnivoren findet sich in der entsprechenden Region
nicht die Kömerschicht, wohl aber der stark reduzierte Markfaserstreifen.
Oberhalb der Splenialis, etwa dem Mu nkschen Sehfelde entsprechend, findet
sich bei ihnen eine wohl ausgeprägte Kömerschicht, die breiter und tiefer
gelegen ist als die der Ungulaten. Es fehlt hier der Markfaserstreifen, da-
gegen findet sich ein dichtes Geflecht markhaltiger Fasern in der ganzen
Binde. Eine durch Spindelzellen charakterisierte Rinde (Hörrinde) findet
sich bei den Ungulaten in einem Teil der Insel, bei den Karnivoren hinter
der Fissura Sylvii. Huf- und Raubtiere unterscheiden sich von den Liss-
encephalen dui ch die weite Verbreitung der indifferenten Rinde, sowie durch
die stärkere Ausbildung des motorischen Typus. Die Primaten unterscheiden
sich von den Ungulaten und Karnivoren durch den komplizierten Bau der
typischen Rinde, sowie der Sehrinde. Je höher ein Tier steht, desto grösser
ist auch der Reichtum an Körnerzellen, sowohl an solchen, die durch die
ganze Rinde zerstreut sind, als auch an solchen, die in Schichten gelagert
sind. Bei den Lissencephalen haben wir nur an einer Stelle Köruerzellen
Anatomie des Nerveosysteins. 47
in wohl ausgebildeter Schicht, bei den Ungulaten außerdem noch diffus ver-
strente Körnerzellen sehr reichlich am Occipitalpol des Gehirns, bei den
EanuYoren sind fast überall in der indifferenten Binde Sternzellen zer-
streut, und bei den Primaten enthält auch die indifferente Rinde über-
all eine gut ausgebildete Stemzellenschicht. Die Furchen sind keine
gleichwertigen Gebilde; es gibt Hauptfurchen, welche die Grenzen von
Gebieten verschiedener Punktionen darstellen, sowie Nebenfurchen, deren
Bedeutung noch nicht ganz aufgeklärt ist. Die Hauptfurchen sind nicht
alle absolut konstant, in der ganzen Säugetierreihe finden wir nur die Fissura
liüoalis und centralis (? Ref.). Die Grenzfurche, die das Sehgebiet bei den
niederen Gyrencephalen umgibt, findet sich beim Menschen nicht, Fissura
centralis und coronalis sind homologe Gebilde. Als Stirulappen kann nur
die Windung vor der Fissura praesylvia angesprochen werden.
Das Großhirn der Papageien, welches Kalischer (206) auf das ein-
gehendste studiert hat, läBt äußerlich betrachtet, einen Stirn-, Scheitel-,
Hinterhaupt- und Schläfenteil erkennen. Der Scheitelteil hebt sich wulst-
artig hervor und wird von zwei im wesentlichen sagittal laufenden, nach
hinten zu etwas divergierenden flachen Furchen begrenzt. Zwischen Stirn-
ond Schläfenteil findet sich eine Andeutung einer Fossa Sylvii. Das Groß-
hirn bedeckt beim Papageien den Lobus opticus vollständig; nach hinten
ragt das Kleinhirn hervor, welches im wesentlichen aus dem Wurme besteht.
An der Btisis ist der vordere Abschnitt des Großhirns vom hinteren durch die
hier tiefer ausgeprägte Sylvische Furche getrennt. Der vordere Abschnitt
besteht aus Stimteil mit rudimentären Riechlappen. Zwischen Stirnteil einerseits
and Schläfenteil, resp. Chiasma andrerseits breitet sich das Mesostriatum
aus. Der Schläfenteil hat bei den Papageien eine sehr starke Entwicklung.
Fast das ganze Großhirn des Papageien besteht aus dem Striatum, das
Pallium ist überall nur sehr gering entwickelt. Das Striatum zerfällt in
folgende Abschnitte, 1. das Mesostriatum; dieses liegt zu innerst, bildet die
direkte Fortsetzung des Thalamus und tritt vorn an die Basis des Gehirns.
2. das Hvperstriatum, hegt oberhalb des vorigen und erstreckt sich über die
ganze Länge des Großhirns. Oberhalb des Hyperstriatum, zwischen ihm
und dem Wulste findet sich eine schmale gut abgegrenzte Lage von Gang-
lienzellen ; der Autor bezeichnet sie als ünterwulstregion. 3. Das Epistriatum ;
dies Ganglion liegt teils lateral wärts, teils nach hinten vom Mesostriatum.
4. Ectostriatum, ein kleineres, dem hinteren Teile des Mesostriatum auf-
sitzendes Ganglion. Diejenigen Teile des Striatum, welche nichts besonders
Charakteristisches zeigen, bezeichnet K. einfach „als Striatum" und unter-
scheidet dabei vier Regionen, ein Str. frontale, parietale, occipitale und
temporale. Es folgt nun eine genaue Schilderung der einzelnen Zellschichten
und der Nervenfaserzüge des Großhirns, wie sie sich auf Frontal- und
Horinzontalschnitten des Gehirns, die teils nach Nissl, teils nach "Weigert-
Pal gefärbt sind, erkennen ^jassen. Vorzügliche Abbildungen illustrieren
die Darstellung aufs beste, über den physiologischen Teil dieser gediegenen
und grundlegenden Arbeit siehe das Kapitel: Physiologie des Großiiirns.
Kaes (205) bestinmite die Breitenverbältnisse der Rinde und deren
Paserschichten an der konvexen Fläche von 32 meist männlichen Gehirnen
der verschiedensten Altersstufen, unter denen sich keine Geisteskranken,
wohl aber drei Angehörige niederer Rassen und vier Verbrecher finden.
Seine Schlußfolgerungen sind folgende: Die Natur bedient sich in den ersten
Monaten der geistigen Entwicklung des Kindes neben den Meynert sehen
fibrae propriae in hervorragender, ja fast ausschHeßlicherweise der Leitungs-
bahnen der inneren Hauptschicht, da der Hauptteil der äußeren Haupt-
48 Anatomie des Nervensysteins.
Schicht um diese Zeit noch völlig faserleer erscheint. Es ist deshalb wahr-
scheinlich, daß die psychischen Regungen in den ersten Lebensmonatea
durch die Assoziationsfasem der inneren Hauptschicht vermittelt werden,
da auch die von der Peripherie zuleitenden Projektionsfaserbündel noch
nicht über diese Schicht hinausgewachsen sind. Vom 8. Monat an findet
man die beiden Baillargerschen Streifen und auch schon etwas die äußere
Hauptschicht in die Leitungsbahnen mit eingeschlossen. Man kann somit
wohl annehmen, daß die höhere geistige Entwicklung des Kindes der Bahnen
<ler äußeren Hauptschicht nicht entraten kann, während die niedrigere,
primitive mit den Bahnen der inneren Hauptschicht allein auszukommen
scheint. Die innere Hauptschicht erreicht ihren Maßen nach bereits im
19. Lebensjahr ihren Höhepunkt, während die äußere noch über das
46. Lebensjahr hinaus in ihrer Entwicklung fortschreitet. Die äußere und
innere Hauptschicht sind in ihrer vollen Entwicklung bei Angehörigen des
Arbeiterstandes ungefähr gleich, bei niederen Rassen überwiegt die innere
Schicht die äußere, bei geistig hochstehenden Menschen vermutet Verfasser
das umgekelirte Verhältnis. Zwischen beiden Hemisphären finden sich keine
großen Unterschiede.
In einer sehr ausführlichen und lesenswerten Arbeit gibt Banchi (39 a)
eine minutiöse Beschreibung eines Gehirnes, bei dem sämtliche Kommissuren
fehlen; nämlich corpus callosum, das corpus des Fornix, die commissura
anterior und das corpus des Septum pellucidum. Das Grehirn entstammte
•einer 73jährigen Frau, die sich zu ihren Lebzeiten körperlich wie geistig
absolut normal gezeigt hatte.
Am Schädeldache waren belanglose Asymmetrien zu beobachten. Das
Oehirngewicht erwies sich normal, die einzelnen Hirnwindungen waren sehr
gut ausgeprägt, zum Teil stärker als in der Norm, zeigten keine auffallenden
Abweichungen bis auf solche der Medialseite. Die Rinde des Gynis forni-
catus erscheint in einer großen Anzahl radiär gerichteter Windungen ge-
faltet, die diesem Teü des Gehirnes ein ganz eigentümliches Aussehen ver-
leihen. Ihre Entstehung versucht der Autor rein mechanisch zu erklären.
Der bemerkenswerteste Teil der Arbeit ist in der Beschreibung des
langen Fasersystemes zu suchen, das in den einzelnen Hemisphären die
einzelnen Teile derselben mit einander verbindend angetroffen worden ist.
Es ist dies ein großer Faserzug meist sagittal verlaufender Fasern, der in
drei einzelne Komponente sich zerlegen läßt. Er verläuft an der medialen
Seite einer jeden Hemisphäre und wird vom Autor fascio mediale-longitudi-
nale genannt. In dem Teile, der dem Gyrus cinguli entspricht, sieht man
Fasern die Rinde von oben nach unten durchziehen, um dann eine sagittale
Richtung anzunehmen und den Fornix zu begleiten. In der gesamten For-
mation erblickt der Autor ein großes Assoziationsbündel zwischen lob. front,
und occipit. pariet. und front, und wahrscheinlich auch zwischen pariet. und
occipit. B. bekämpft des weiteren die Hypothese, die in diesem Gebilde
eine Heterotopie des Balkens erblicken will; nach seiner Ansicht kann nur
von einer gewissen Hypertrophie eines sonst normaliter bereits vorhandenen,
aber durch die Balkenformation verdeckten Gebildes gesprochen werden.
Ein Teil des Fase, mediale longitud. entspricht dem Fornix sup. des
Kaninchens und dem Fornix longus der anderen Autoren.
Banchi wagt es nicht, irgend eine Hypothese auszusprechen, um eine
bestimmte Noxe als Ursache der Mißbildung zu nennen. Die von den
anderen Autoren aufgezählten Schädigungen werden als zum Teil nicht zu-
treffend, als zum Teile nicht zureichend erwähnt. Die Schädigung muß
nach Ansicht des Autors in einem sehr frühen Entwicklungsstadium (etwa
Antitomie des Nerrensyatems. 49
im 4. Monat) das fötale Hirn in einer sehr kleinen, scharf umschriebenen
Stelle treffen: in der medialen Region der embryonalen Lamina terminalis.
Der Arbeit sind eine große Anzahl gut gelungener Tafeln und Text-
abbildungen beigegeben. Sämtliche analogen in der Literatur vorhandenen
Fälle sind ausführlich mit herangezogen.
Der Autor hebt hervor, daß sein Fall sich besonders dadurch aus-
zeichnet, daß jegliche Kommissur fehlte, es sich also nicht imi bloßen
Balkenmangel mit Kompensationserscheinungen in anderen Kommissuren
handelte. (Merzbacher.)
b) Diencephalon, Hypophysis.
Probst (323) untersuchte in einem Falle, in welchem eine 76jähiige
Frau 30 Jahre lang wegen Bulbusatrophie blind gewesen war, auf iVontal-
schnitten durch das Gehirn das Chiasma, Tractus opticus und die ihnen
auüegenden Fasersysteme und schließlich die gesamten Sehbahnen überhaupt
Die Meynertsche Kommissur trat in diesem Falle dorsal vom Sehnerven-
chiasma (welches noch einige sich kreuzende gesunde Fasern enthielt) als
ein deutliches, ziemlich starkes Bündel hervor, welches P. beiderseits bis an
die Basis des Linsenkerns verfolgen konnte. Das Bündel verläuft parallel
mit dem Tractus opticus bis an die ventrale Seite der Linsenkeraschlinge,
wo diese den Fuß der inneren Kapsel umgibt und durchbricht. In der an
der Basis des Linsenkerns gelegenen Faserung verschwinden dann die Fasern
der Meynertschen Kommissur. Ein Teil derselben läßt sich an der medial-
dorsalen Seite des Tractus opticus bis zum äußeren Kniehöcker verfolgen,
von wo aus die Fasern gegen den ventralen Sehhügelkern zuzulaufen
scheinen. Dieser letztgenannte Anteil der Meynertschen Kommissur ge-
hört aber nicht allein dem Fasersystem der Meynertschen Kommissur als
solcher an, sondern diese Fasern kommen zum Teil aus der Ganserschen
Kreuzung Coramissura hypothalamica anterior (resp. des gekreuzten Hauben-
Sehhügelbündels von Probst) und legen sich aus dem sog. Fasciculus tuberis
dnerei der Meynertschen Kommissur an. Als Guddensche Kommissur
scheinen nach Ansicht von Probst bisher irrtümlich Teile der Meynert-
schen Kommissur oder der dorsal gelegenen Fasern der Sehuervenkreuzung
angesehen worden zu sein. Die Sebstrahlung, ebenso die Rinde der Fissura
calcarina war hier (also trotz Bestehens einer 30jährigen vollkommenen
Blindheit) von normalem Aussehen.
Moell (290) fand bei einseitiger vollständiger Atrophie des Sehnerven
auf der Seite des atrophischen Nerven eine gewisse Abnahme eines Teils
der Faserang der grauen Substanz über dem dorsalen Rande des Chiasma
uüd zwar vorzugsweise medial gelegen. Diese Verminderung in der Dichte
der Faserung begrenzt sich auf die medialen, dem Ventrikelwinkel zunächst
liegenden Abschnitte der grauen Substanz. In den lateralen Abschnitten
der Ventrikelwand ist sie nicht vorhanden. Aber auch in dem medialen
Teile des Querschnitte der grauen Substanz, nahe dem basalen Winkel des
dritten Ventrikels fehlt die Faserung auf der befallenen Seite nie vollständig.
M. fand ferner einen Faserzug zwischen basalen Opticusganglien und Tractus
opticus erhalten, den er als „Winkelbündel" bezeichnet, und in welchem er
einen sich aus dem Zwischenhirn zum Tractus opticus gesellenden Zug
erbückt, der bei Atrophie der mit der Retina zusammenhängenden Fasern
besonders deutlich hervortritt, und der mit dem Gudden sehen Bündel nicht
identisch ist
Marie and Leri (270) fanden in mehreren Fällen von Tabes und
multipler Sklerose, in denen die Nn. optici vollkommen atrophiert waren,
Jahresbericht f. Neurologie und Psychiatrie i»06. ^
50 Anatomie 4es NerveDsystems.
im Tractus opticus ein Faserbüjadel erhalten. Sie neonen es ^.faisceau r^si-
duaire de la bandelette optique". Dieses Bündel liegt in der äußeren Ab-
teilung des Tractus und ist dadurch schon yollkoinmen verschieden von der
Gudden sehen Kommissur. Nach hinten endigt das Bündel oberhalb der
Meynertschen Kommissur im Faserareal, welches den unteren Teil de*
Linsenkerns begrenzt, nach vorn erstreckt es sich bis zum Ganglion opti-
cum basale von Meynert und steht mit den Zellen dieses Ganglion in
Verbindung. Die Autoren besprechen alsdann noch die Faserareale, die in
diesem Ganglion basale zusammentreffen.
Gemelli (lÖO) bringt eine ausführliche Studie über die Histologie
der Hypophysis. Besondere Aufmerksamkeit wendet er den sogen, chromo-
philen Zellen zu, die er drei verschiedenen Typen zuteilt: große Zellen mit
zahlreichen, sich stark färbenden Körnchen, Zellen mit zahlreichen, sich
wenig färbenden Körnchen, endlich Zellen mit wenig stark sich färbenden
Körnern. Die Färbetechnik zur Darstellung der Elemente findet ein-
gehendste Besprechung. (Merzbaciiei\J
c) Mesencephalon.
Sala (362) gibt hier die erste Mitteilung eines großen Werkes über
die optischen Zentren der Vögel, das er in Vorbereitung hat. Er beschreibt
die Struktur des Ganglion des Isthmus. Zu seinen Untersuchungen hat er
sich vorzüglich der Cajal sehen Methode bedient. Das Ganglion läßt aidb.
in zwei Teile gliedern — ein oberes und ein unteres, das von einem kom-
pakten Faserzug voneinander getrennt wird. Die dem tectum opt. näher
liegende Portion erhält den Namen der Portion mit den großen Zellen, der
andere Teil Portion der kleineren Zellen, das trennende Faserbündel ent-
stammt vorzüglich aus dem tiefen Markfaserlager des Tect. opt. Es folgt
eine detaiUerte Beschreibung der Verlaufsrichtung dieser Fasern und ihr^
Beziehung zu den Zellen der beiden Portionen. Diesen Fasern gesell^:^
sich auch Fortsätze aus den Zellen des Gangl. Isthmi selbst bei. Die Arbeit
wird abgeschlossen mit einer minutiösen Beschreibung der Zellen selbst, die
er 7 Typen zuweist, je nach der Verlaufsrichtung und dem Verhalten des
Aehsenzylinders. (AlerzbacJier.)
Mahaim (262) hat bei einem Affen einen Teil des Corpus genicu-
latum internimi und den hinteren Vierhügelschenkel an seiner Einmündungs-
stelle in dieses Ganglion zerstört. Er fand darauf keine Veränderungen in
den Zellen des hinteren Zweihügels und schließt daraus, daß die letzteren
ihre Achsenzylinder nicht in den inneren Kniehöcker entsenden. Dieselbe
Tatsache wurde auch bei der Katze festgestellt. Daraus zieht M. den vor-
läufigen Schluß, daß der hintere Zweihügel weder Fasern zum inneren Knier
höcker sendet, noch auch zur Hirnrinde. Letzteres deshalb, weil auch nach
Zerstörung der medial vom Corpus geniculatum internura gelegenen Fase-
rung die Zellen des Kniehöckers keine Veränderungen aufweisen.
d) Metencephalon.
Nach einseitiger Zerstörung des sensiblen Trigeminuskerns beim
Kaninchen erhielt Wallenberg (445) folgende zwei sekundär entartete
zentrale Bahnen: 1. eine dorsale Bahn, welche aus dicken Fasern besteht,
ungefähr den gleichen Verlauf besitzt, wie die aus dem bulbären Endkeme
der spinalen Quintuswurzel stammende, aber zum Unterschiede von dieser
auch beim Kaninchen einen ungekreuzten Anteil besitzt, sich durch Abgabe
Anatomie des NerveDsystems. 52
Ton Fasem an beide motorische Quintuskeme, an beide Kerne der cere-
bialen Quintuskeme, an beide Okulomotoriuskeme, besonders den gekreuzten,
an die Kerne der Formatio reticularis schon während des Verlaufs durch
frontale Brückenebenen und durch das Mittelhim dermaßen erschöpft, daß
nar Tereinzelte Elemente die Endstation der bulbären Quintusbahn, das
centre H^edian und das zentrale Grau des 3. Ventrikels erreicht. 2. eine
ans dünnsten Fasem bestehende ventrale Bahn, die erst am frontalen Pole
des sensiblen Trigeminuskemes austritt und sich der gekreuzten medialen
Schleife medial und dorsal eng anschließt Nach unbedeutender Faserabgabe
an die Umgebung endigt diese Trigeminusschleife in ventralen Thalamus-
kernen und im centre median.
Johnston (199) beschreibt den Verlaui der Badix mesencephalica
bei Scyllium. Das Wichtigste ist, daß sie nach des Autors Ansicht mit der
sensiblen Trigenünuswurzel das Gehirn verläßt, und daß sie selbst sensibler
(nnd nicht, wie von anderen Autoren behauptet worden ist, motorischer)
Narur ist. Für den als Ganglion isthmi von Edinger bezeichneten Kern
halt J. zweckmäßiger die Bezeichnung nucleus visceralis cerebelii, weil damit
mgleich seine Lage und funktionelle Bedeutung ausgedrückt ist.
Kohnstamm (211) hat, um einen Einwurf Lewandowskys zu
entkräften, noch einmal eine Halbseitenläsion des oberen Halsmarkes ]>ei
einem Hunde ausgeführt und hat ebenso wie früher beim Kaninchen den
Ton ihm als Nucleus intratrigeminalis bezeichneten Kern degeneriert gefunden.
Dieser Kern muß demnach seiner Ansicht nach als Ursprung des prädorsalen
Langsbündels angesprochen werden. K. beschreibt ferner, daß sich in
frontaleren Höben der Oblongata an den Kern der spiniden V. Wurzel
ventral ein Zipfel grauer Substanz anschließt, der mit dem Hauptteil des
V. Kernes durch eine schmälere oder breitere Brücke verbunden ist. Dieser
Kern entsendet ein Analogen der Kieinhimseitenstrangbahn. Der sensible
Qnintuskern der Brücke sei das Analogen der Hinterstrangskerne. Die
Axone des dorsalen Vaguskernes treten am ventralen Pol der spinalen
Qointuswurzel aus und werden durch Läsionen dieser Gegend zerstört.
Thomas (419) fand in einem Falle von Zerstörung einer Kleiuhirn-
hemisphäre Zellatrophie der gekreuzten Olive außerdem eine Atrophie der
ZeUen des gleichseitigen Monakowschen Kernes, d. h. des Zellterritoriums,
welches im Bulbus nach außen vom eigentlichen Burd ach sehen Kerne
gelegen ist nnd schließlich eine Atrophie des gleichseitigen Nucleus lateralis.
Von letzteren beiden Kernen müssen also Fasern in das Kleinhirn verlaufen.
Parhon und Papinian (307) haben auf Grund der Beobachtung
▼on drei Fällen, bei denen infolge von Tumoren verschiedene vom Facialis
innerrierte Muskeln außer Funktion gesetzt waren, verfolgen können, von
welchem Teil des Facialiskernes die Nerven entspringen, die zu den einzelnen
Muskeln ziehen. Sie können so genau die Beziehungen präzisieren, die
zwischen einem Teil der peripheren Gesichtsmuskeln und den einzelnen Zell-
gruppen des Facialiskernes bestehen. (Met*zbac/iei\)
van Gehncllten (153) konnte beim Kaninchen nach Medianspaltung des
Kleinhirnwurms ohne Verletzung der Kleinhirnkerne mittelst sekundärer
Degeneration den Verlauf des zuerst von Rüssel, dann von Thomas, Probst,
Lewandowsky beschriebenen Hakenbündels, faisceau en chrochet verfolgen.
Er beobachtete auf Marchipräparaten eine Kreuzung von Nervenfasern im
Medianlappen des Kleinhirns; diese Fasem verlassen alsdann den Median-
I&ppen und winden sich um den oberen Kleinhirnstiel herum, indem sie
dabei eine schmale weiße Lamelle um ihn bilden. Über dieser Lamelle
liegt im Niveau des oberen Kleinhirnstieles eine zweite, welche die cerebello-
4*
52 Anatomie des Nervensystems.
petalen Fasern des Gowers sehen Stranges enthält. Nachdem die genannten
Fasern um den oberen Kleinhirnschenkel herum gegangen sind, vereinigen
sie sich zu einem kompakten Bündel, welches ungefähr im Niveau des aus-
tretenden Facialisschenkels im Winkel zwischen Corpus restiforme und ab-
steigender V. Wurzel gelegen ist. Hier spaltet sich das Bündel in zwei
schlankere Fascikel, und zwar in ein vorderes, welches den austretenden
Facialisschenkel intramedullär durchquert und dann in der Mitte der Sub-
stantia reticularis bis in das Halsmark absteigt, und in ein hinteres, welches
an der inneren Abteihing des Corpus restiforme abwärts zieht und sich bis
in das Niveau des ersten Cervikaluerven verfolgen läßt, van Gebuchten
hält den faisceau en chrochet, wie er von ihm beschrieben, für ein cerebello-
fiigales, das einzige vom Kleinhirn absteigende Bündel, welches bis jetzt
festgestellt worden ist. Es hat seine Ursprungszellen im Kleinhirn. Auf
Grund früherer Forschungen nimmt er an (sicher ließ es sich nicht fest-
stellen), daß das Bündel aus dem Dachkern entspringt. Noch weniger kann
er sagen, wo die beiden aus dem Gesamtbündel sich spaltenden Fascikel
endigen. Zum Teil, nimmt er an, endigen die Fasern in den Kernen des
N. vestibularis (Deitersscher und Bechterewscher Kern) und finden ibre
Fortsetzung im fasciculus vestibulo-spinalis und in den hinteren Längs-
bündeln, zum anderen Teil in der Formatio reticularis, wo sie mit Zellen
motorischer Kerne in Verbindung treten. Was die direkte und indirekte
sensorische Kleinhirnseitenstrangbahu betrifft, so ist ein direktes Einlaufen
von sensorischen Hirnnervenfasern nur für den N. vestibularis bewiesen, und
was die indirekte Bahn anbetrifft, wird es nach van Gehuchtens Ansicht
sich um die vorher von ihm beschriebenen Faserbündel handeln, von denen
es sich nun herausgestellt hätte, daß sie nicht cerebellopetal sondern cere-
bellofugal verlaufen. Das Bündel, welches Edinger als fasciculus nucleo-
cerebellaris bezeichnet hat, ist daher besser als fasciculus cerebello-bulbaris
zu benennen.
van Gehnchten (154) hat bei Kaninchen teils größere Stücke der
Kleinhirnrinde allein, teils Kinde und Ganglien einer Kleinliirnhemisphäre
exstirpiert, um den Verlauf der Fasern des oberen Kleinhirnschenkels zu
studieren. Bei bloßer Exstirpation von Stücken der Rinde bekam er
niemals Veränderungen im Crus cerebelli superior, aus welcher Tatsache er
folgert, daß die Fasern des oberen Kleinhirnschenkels mit der Kieinhirn-
rinde direkt nicht in Verbindung stehen können. Sekundäre Degeneration
wies der obere Schenkel hingegen immer auf, sobald Dachkern oder Oliven-
kern des Kleinhirns verletzt waren. Die degenerierten Fasern des oberen
Kleinhirnschenkels laufen gemeinsam bis zu ihrer Kreuzung in der sog.
Wernickeschen Kommissur. Nach der Kreuzung trennen sie sich in
einen mächtigeren aufsteigenden und in einen kleineren absteigenden Teil.
Die Fasern des aufsteigenden Teiles endigen im Ursprungskern des Okulo-
motorius und im distalen Teil des roten Kerns.
Gurewitsch (172) untersuchte die Kleinhirnrinde des Menschen,
verschiedener Säugetiere und verschiedener Vögel mittelst der Golgi sehen
Methode. Als Grundlage der Beschreibung der Kleinhirnrindenelemente
wählte er das Kaninchen und fügt die Besonderheiten an, die die anderen
Tiere in dem Bau der fraglichen Zellelemente zeigen. Bezüglich dieser
Besonderheiten erwähnt der Autor, daß nur die Purkinjeschen Zellen
wesentliche Unterschiede darstellen, während dies bei den anderen Zellen
nicht der Fall sein soll. Am schärfsten ausgeprägt sind die Besonderheiten
der Purkinjeschen Zellen beim Menschen, und je höher das Tier in der
Säugetierreihe steht, desto entwickelter sind die Purkinjeschen Zellen,
Anatomie des Nervensystems. 53
i h. desto größer ist der Reichtam der Dendriten. Die Verzweigung der
Dendriten der genannten Zellen geht bei den Vögeln nach einem etwas
anderen Typus von statten. Vom Zeilkörper geht bei den Vögeln stets nur
ein Dendrit ab, der sehr bald in lange Aste zerfallt; welche den Charakter
der Endäste besitzen. Bei gut fliegenden Vögeln — Taube, Krähe usw. —
ist die Verzweigung der Dendriten der Purkinj eschen Zellen reicher, als
bei schlecht fliegenden, wie Huhn, Ente. Je höher das Tier organisiert
ist, am so größer ist auch der Unterschied zwischen der Form der Elemente
TOD einem jungen und erwachsenen Individuum. Beim Menschen macht die
Zelle eine viel längere Evolution durch als beim Kaninchen, bis sie ihre
Tollständig entwickelte Form annimmt. Die Besonderheiten der entwickelten
jungen Zelle sind mehr oder weniger auch erwachsenen Tieren niederer
Arten eigen, das sind: die verhältnismäßig arme Verzweigung der Dendriten,
die schwache Entwicklung der glatten Zwischenäste, die unbedeutende Länge
der Enddendriten, die Grobheit und Unregelmäßigkeit der Seitenspitzen und
im allgemeinen die minder komplizierte Form, der geringere Umfang und
die kleinere Oberfläche der Nervenzelle. Die Purkinjesche Zelle eines
einmonatlichen Kindes ähnelt mehr der Zelle eines Meerschweinchens als
der eines erwachsenen Menschen. Aus diesen Abstufungen, welche die er-
wachsenen Tiere verschiedener Klassen und verschieden jungen Tiere einer
Klasse im Bau einer bestimmten Zelltypus zeigen, glaubt der Autor den
Schluß ziehen zu können, daß die Besonderheiten der äußeren Form der
Xervenelemente den funktionellen Besonderheiten entsprechen, daß die Kom-
pliziertheit der Form als Abspiegelung und zu gleicher Zeit als Bedingung
der Kompliziertheit der funktionellen Tätigkeit erscheint
Clarke und Horsley (82) untersuchten mittelst der Marchischen
Methode die sekundären Degenerationen, welche nach Exstirpation verschie-
dener Teile der Kleinhirnrinde bei der Katze, Hund und Affen eintraten.
Nur diejenigen Experimente benutzten sie zur Verfolgung der sekundären
Degeneration, bei welchen eine Verletzung der Kleinhirnkerne oder der
Eleinhirnschenkel nicht erfolgt war, bei welchen die Heilung ohne entzünd-
liche Reaktion erfolgte, und nach welchen das Tier drei Wochen nach der
Operation am Leben blieb. Sie kamen zu folgenden Resultaten: Es existieren
keine Fasern, die von Zellen der Kleinhirnrinde entspringen und direkt in
die Kleinhirnschenkel gehen. Alle Fasern, welche das Kleinhirn mittelst
seiner Schenkel verlassen, entspringen von einem oder dem anderen Klein-
hinikern. Was die Beziehungen der Kleinhirnrinde zu den Kleinhirnkernen
betrifft, so ergab sich, daß irgend ein Teil der Kleinhirnrinde nur mit einem
oder mehreren Kernen der homolateralen Seite in Verbindung steht; Kreu-
zungen nach der anderen Seite finden nicht statt. Die Verbindungen der
einzelnen Abschnitte der Kleinhirnrinde mit den Kernen werden von den
Autoren in einer Tabelle wiedergegeben. Es ergibt sich daraus, daß unter
allen Kernen der Dachkem die größte Bedeutung hat, da er mit allen
Teilen der Hirnrinde in Verbindung steht. Er steht ferner in Verbindung
mit den Vestibularkernen, und es lühren Faserzüge über den vorderen Klein-
himschenkel zur Gegend der Locus coeruleus. Der Nucleus globosus steht
ausschließlich mit der Rinde des Wurmes in Beziehung. Der Nucleus den-
tatus steht in naher Beziehung zu den seitlichen Teilen des Mittellappens,
hat aber keine Verbindung mit dem Flocculus und Parafiocculus; diese
beiden haben Verbindungen mit dem Dachkern. Der Nucleus dentatus hat
keine Beziehungen zur Lingula, Lobus centralis, Culmen, Uvula und Nodulus,
sondern nur Verbindungen zum Mittellappen des Vermis, und auch mit diesem
ist die Faserverbindung eine geringe. Was die Bogen fasern der Kleinhirn-
54 Anatomie des Nervensystems.
rinde selbst anbetrifft, so kamen die Autoren über letztere zu folgenden
Schlußfolgerungen: Recht wenige Fasern gehen vom Wurm zu den Seiten-
lappen, und diejenigen, welche man verfolgen kann, gehen nie über den
Lobus paramedianus hinaus. Bogenfasern lassen sich vom Rande der gesetzten
Verletzung gewöhnlich nur zwei Rindenblätter entfernt verifolgeu, sehr selten
noch eines weiter. Ausgedehnte Verietzungen des Wurmes, besonders des
Mittellappens, sind von ausgedehnter Degeneration von Bogenfasern in antero-
posteriorer Richtung gefolgt. Ungemein wenige Fasern gehen zum Nodulus.
Zuletzt machen die Autoren noch nähere Angaben über die Dicke der
Fasern in den verschiedenen Systemen der erwähnten Eleinhirnfaserung.
Ansalone (7) stellt neuerdings fest, daß die dicke (zuführende)
Faser, die an die einzelne Zelle im Kerne des Corpus trapez. tritt, in
einzelne Fibrillen sich auflöst, von denen ein Teil in die Zelle selbst ein-
dringt und in das endocelluläre Netz übergeht, d. h. in kontinuierlichen
Zusammenhang sich mit der Zelle setzt. Ein anderer Teil der Fibrillen
zieht an der Zelle vorbei, um mit dem endocellulären Netze benachbarter
Zellen in Beziehung zu treten. Bei dieser Anordnung können die Held-
sohen Kelche nicht mehr die Bezeichnung von Eudorganen beibehalten.
Der Arbeit ist eine Tafel mit drei übersichtlichen Figuren beigefügt.
(Merzhacher.)
Vincenzi (435) bedient sich der Oajalschen Silbermethode, um die
Beziehung der Heldschen Becher zu den Körpern der Zellen im Nucleus
des Corpus trapezoides zu untersuchen. Nie will er eine direkte Verbindung
der an die Zelle herantretenden Zellfortsätze („große Faser**) mit dem aus
derselben tretenden Achsenzylinder beobachtet haben; ein kontinuierliches
Verhältnis zwischen diesen beiden Nervenelementen bestehe nicht. Die
Fortsätze gelangen an die Peripherie der Zelle ohne in ihrer Lage durch
die Austrittsstelle des Achsenzylinders bestimmt zu werden, sie schmiegen
sich eng der Peripherie an, bleiben aber an der Außenfläche der Zelle,
ohne mit dem endocellulären Netze derselben zu verschmelzen, wie es bei
oberflächlicher Betrachtung zunächst erscheint. Mit dieser Beschreibung
stellt sich V. in Gegensatz zu den Anschauungen von Donaggio und
Ve r a 1 1 i. (M^'rzbacliev.)
e) Myelencephalon.
Banchi (16) beschreibt im corpus restiforme des Menschen einen
Kern grauer Substanz, der wieder aus drei Teilen sich zusammensetzt; zwei
dieser Teile liegen unterhalb des VIII,, der eine über dem Kern des V.
Man findet diesen Kern beim Menschen in allen Lebensaltern, sein erstes
Auftreten wurde am Ende des 4. Monats beobachtet. Die Zellen dieses
Kernes scheinen in die cerebello-bulbären Bahnen der Nerven der MeduUa
obl. eingeschobene Elemente darzustellen. .. (Merzbacher,)
Um die Endstätten der einzelnen Aste des Vagus in der MeduIIa
oblongata und in den Ganglien zu eruieren, untersuchte Alfewsky (5) diese
Teile mittelst der Nissischen Methode bei Kaninchen, denen er wechselnd
die Rami pharyngei, laryngei und cardiaci ausgerissen hatte. Er kam zu
folgenden Resultaten: Das Zentrum der motorischen Fasern des Ramus
pharyngous liegt im oberen Abschnitt des Nucleus ambiguus derselben Seite,
die sensiblen Fasern dieses Astes gehen in das Ganglion jugulare. Die
motorischen Fasern des N. laryngeus superior haben ihr Zentrum in der
oberen Partie des dorsalen Vaguskerns dcTselben Seite, die sensiblen Fasern
dieses Astes kommen alle aus dem Ganglion noueux. Der Ramus cardiacus
ist ein ausschließlich sensibler Nerv. Nach Durchschneiduug oder Aus-
Anatomie des Nervensystems. 6*5
telBung dieses Nerven finden sich mehrere Zellen im Ganglion noueux in
Reaktion. Der Bamns laryngens inferior ist ein ausschließlich motorischer
Nerv, sein Zentrum bildet die untere Hälfte des gleichseitigen dorsalen
Yagnskems.
Kosaka und Yagita (218) fanden Veränderungen des unteren Teiles
des dorsalen Vaguskemes nach Durchschneidung der Er. gastrici N. vagi
und Veränderungen auch des oberen Teils nach Durchschneidung des Vagus
unterhalb der Abgangsstelle des untersten R. pulmonalis u. vagi. Der dorsale
Vaguskern ist danach der motorische Kern für die Magen- und Speiseröhren-
muskulatur, vielleicht auch der Luftröhre und der Bronchien. Vagusfasern einer
Seite entspringen nicht aus dem Kern der gekreuzten Seite ; der N. depressor,
laryngeus superior und die Rr. pharyngei n. vagi stehen ' mit dem dorsalen
Kern nicht in Zusammenhang. Was den Nucleus ambiguus N. vagi betrifft,
so unterscheiden die Autoren auch einen distaleren Abschnitt desselben mit
lockeren Zellen und einen mehr kompakten proximalen Abschnitt. Sie
45chließen sich ferner der Ansicht von Bunzl-Federn an, daß die lose
Formation das wichtigste Zentrum für die Innervation der Kehlkopfinuskeln
darstellt. Die dichte Formation des Nucleus ambiguus soll vor allem mit
den quergestreiften Muskeln des Schlundkopfes und der Speiseröhre in Ver-
bindung stehen; ein Ursprung von Vaguswurzeln aus dem gekreuzten Nucleus
ambiguus findet nicht statt. Die Autoren halten es f&r wahrscheinlich, daß
eine Anzahl Zellen des Plexus nodosus mit der Lunge in Verbindung steht;
beim Kaninchen waren die Nervenzellen des Ganglion nach Vagusdurch-
schneidung am Halse unterhalb des Abganges des N. laryngeus sup. und
N. depressor fast gänzlich degeneriert. Die Sensibilität des Schlundkopfes
ist beim Kaninchen vom Plexus nodosus ganz unabhängig. Erwähnenswert
ist noch, daß die Autoren noch experimentell eine Bahn feststellen konnten,
welche von der Umgebung des solitären Bändels entspringt und zu den
doppelseitigen dorsalen und prädorsalen Längsbündeln gelangt, um dann in
die Vorderstränge abzusteigen. Diesen Tr actus solitariospinalis halten
die Autoren für eine wichtige Bahn, welche den sensiblen Vagus mit den
Vorderhörnern des Rückenmarks verbindet. Die glatten Muskeln der Lunge
werden nicht vom Vagus, sondern vom Sympathikus innerviert.
Herrick (186) beschreibt ausführlich das peripherische und zentrale
System der Geschmacksfaserleitung bei Fischen. Die Teleostier besitzen
allgemein Geschniacksknospen, welche zerstreut in der Schleimhaut des
Mundes, der Spalten und Lippen liegen. Die Nerven, welche von den
Knospen der äußeren Haut ausgehen, sammeln sich alle im Facialis, die-
jenigen der Mundschleimhaut im Facialis, Glossopharyngeus und Vagus, in
letzterem vornehmlich. Ein besonderes Ganglion, der lobus vagi, dient bei
Fischen allgemein als das primäre Hirnzentmm für alle Geschmacksfasern;
außerdem besteht bei den Cyprinoiden und Siluroiden der Lobus facialis,
welcher die primäre Endstätte aller Geschmacksfasern der äußeren Haut
darstellt. Der Autor hat sich nun die Aufgabe gestellt, den weiteren Verlauf
dieser Geschmacksfasern im Gehirn festzustellen und besonders auch die
Reflexwege zu finden, mit welchen die Geschmacksfasern in Verbindung
stehen. Die Einzelheiten dieser Studie sind im Original nachzusehen.
Volpi-GMrardlni (440) faßt die Resultate seiner Untersuchung über
die Nuclei arciformes in fol«^enden Sätzen zusammen; 1. Die Nuclei arci-
formes medullae oblongatae dehnen sich zuweilen über die Gegend der
Pyramiden hinaus bis in die Nähe der spinalen V. Wurzel. Der von Köl-
liker gebrauchte Name „ventraler Pyramidenkern" ist deswegen unzweck-
mäßig. 2. Manchmal findet man im Seitenstrange der Medulla oblongata
^Q Anatomie des Nervensystems.
an der Peripherie Kerne, die nicht mit dem Niicl. lateralis zu verwechselü
sind. Wegen ihrer Beziehungen zu den fibrae arciformes externae anteriore»
gehören sie zu den Nuclei arciformes. B. Die zu den Nucl. arciformes
gehörenden Formationen sind auf Nissl-Präparaten durch das Vorhanden-
sein einer gemeinsamen hellblau gefärbten Grundsubstanz ausgezeichnet.
4. Die sehr wechselnde Größe der Nucl. areif, findet vielleicht ihre Erklä-
rung dadurch, daß diese Kerne eine fast exklusive Bildung des Genus homo
sind. 5. Nicht immer stoßen die Nucl. areif, mit den Brückenkernen zusammen-
Ob diese Formationen homolog sind, ist zweifelhaft. 6. Die abnorme starke
Entwicklung des Nucleus areif, verbindet sich häufig, wie es scheint, mit
anderen Anomalien in der MeduUa oblongata (Picksches Bündel, überzählige
Nebenoliven usw.).
f) Medulla spinalis.
Hardesty (175) beschreibt das Rückenmark von Emu (Dromaeus
novae hollandiae) und vergleicht es mit demjenigen der Vogelart Strauß.
Das Rückenmark von Emu besteht aus 48 Segmenten. Der Sinus rhom-
boidalis tritt in der Lendenanschwellung sehr deutlich heraus; die Länge
des Rückenmarks beträgt ca, 90 cm. Eine deutliche Halsanschwellung war
nicht zu finden. Die Länge der Segmeute ist am oberen und unteren Ende
kleiner, als im mittleren Teil. Die Wurzeln breiten sich an jedem Segment
an der Peripherie nach aufwärts und abwärts aus. Die graue Substanz ist
im Verhältnis zur weißen Substanz klein und nimmt auch in den Anschwel-
lungen nicht bedeutend zu. Der Autor macht dann nähere Angaben über
die Zellgruppen, die sich in der grauen Substanz finden.
Das Rückenmark der Cyklostomen erlaubt nach Untersuchungen vo»
Kolmer (212) keine Unterscheidung von grauer und weißer Substanz; es
enthält keine echten markhaltigen Fasern. Die Nervenzellen sind wahr-
scheinlich alle multipolar, die nach den verschiedenen Regionen zu benennen
sind. Besonders erwähnenswert sind Kolossalzellen, welche über die ganze
Breite des Rückenmarks mit Körper und Fortsätzen reichen. Alle Nerven-
zellen enthalten sehr spärliche Nisslkörper und Neurofibrillen. Letztere
bilden in der Nähe des Kerns ein echtes Gitterwerk. Die Nervenzellen ent-
halten ein System von zusammenhängenden Kauälchen, deren Wand von
einer wenig differenzierten Schicht des Zellplasmas gebildet wird. Eiiae
Kommunikation des Kanälchensystems mit äußeren Hohlräumen ließ sick
nicht deutlich feststellen. Die Fortsätze der Nervenzellen erreichen die
Oberfläche des Rückenmarks, um höchst wahrscheinlich in einem unter der
Limitans externa gelegenen Netzwerk zu anastomosieren. Der Autor bespricht
dann den histologischen Bau der Fasern und eine Einteilung derselben nach
ihrer Verlaufsrichtung und nach ihrem Zusammenhange mit Zellen. Der
Zentralkanal enthält konstant den Achsenfaden (Reissnerschen Faden),
Dieser Faden ist nach des Autors Ansicht sicher kein nervöses Gebilde, wahr-
scheinlich ein Sekretionsprodukt der Ependymzellen. Die Glia entspricht m
ihrem Bau den bisherigen Darstellungen. Das Rückenmark ist in seinem
ganzen Verlauf bis zur Oblongata gefäßlos. Das Rückenmark zeigt, ab-
gesehen von der allmählichen Verschmälerung des ganzen Organs und dem
langsamen Verschwinden der dicksten Fasern, große Gleichförmigkeit im
Bau und in seinem ganzen Verlauf Eine Segmentierung ist, abgesehen voa
den Wurzelfasern, nicht deutlich ausgepräp;t.
Blumenan und Nielsen (44) untersuchten das Hals- und das obere
Dorsalmark eines Patienten, dem wegen Caries humeri der eine Oberarm
im oberen Drittel amputiert worden war; Fat. war dann 4 Monate nach
Anatomie des XerTensystems. 57
dieser Amputation gestorben. Sie fanden in dem der Amputationsseite ent-
sprecheDdeu Vorderhorn Veränderungen der motorischen Zellen. Diese Ver-
änderungen waren in den vier unteren Hals- und im ersten Dorsalsegment
zu konstatieren. Die einzelnen veränderten Zellgruppen werden sodann
genauer beschrieben und in Hinsicht auf ähnliche Untersnchungen früherer
Aatoren angegeben, für welche Muskeln die einzelnen als Zentren zn gelten
haben. Im allgemeinen kommen die Autoren zu dem Schluß, daß die
Zentren der oberen Extremität in der Halsanschwellnng des Menschen die-
selbe Lage einnehmen, wie sie bei Tieren festgestellt sind.
Sano (364) untersuchte auf Serienschnitten, die nach Nissl gefärbt
waren, das Rückenmark einer Eana temporaria, welchem ein Teil der Vorder-
pfote und Unterschenkel und Fuß fehlte. Das Fehlen der Vorderpfote war
älteren Datums, dasjenige des Unterschenkels und Fußes 18 Tage alt. S.
fand nun im entsprechenden Vorderhorn des Halsmarkes eine bedeutende
Verminderung der Ganglienzellen und eine Atrophie von bestimmten Zell-
gnippen. Indessen wäre es schwer gewesen, den Platz der verschwundeoen
Zellen nachzuweisen, wenn nicht eine Serie vorgelegen hätte, durch welche
ein Fehlen überhaupt konstatiert werden konnte. Besser waren die der
Muskulatur des Unterschenkels und Fußes entsprechenden zentralen Zellen
an der Chromatolyse zu erkennen. Die getroffenen Zellgruppen breiten sich
im Gebiete der Myelotome aus, aus welchem der N. ischiadicus seinen Ur-
sprang hat. S. hat ferner bei 2 Affen den Musculus biceps entfernt und
die Tiere nach 19 resp. 21 Tagen getötet. In beiden Rückenmarken fand
sich konstant eine Zellenveränderung in einem bestimmten Kerne, und zwar
posterolateral im V. Myelotom. Es waren aber nicht alle Zellen dieser
Gruppe von der Chromolyse ergriffen. Schließlich konnte S. bei Cercopitliecus
mona das Zentrum für den Musculus extensor digitorum brevis an der api-
kalen Außenseite des Nucleus postposterolateralis im VII. Lumbalmyelotom
in direkter Nähe des Nucleus der Extensoren feststellen.
Ininesco und Parhon (193) fanden in zwei Fällen von Vereiterungen
derPerineabnuskeln im Sakralmark und zwar im dritten Segment Veränderungen
in einer Zellgruppe, welche etwas nach hinten und etwas nach innen von
der Onufschen X. Gruppe liegt. Die Zellen sind etwas kleiner als die
gewöhnlich motorischen. Die Autoren schließen aus ihrem Befunde, daß
diese Gruppe das Zentrum für die Perinealmuskeln darstellt.
Fischer (129) konnte in einem Falle, wo durch einen zirkumskripten
tuberkulösen Herd im Lobnlns paracentralis eine Lähmung eines Beines
bedingt war und der Patient kurze Zeit nach Eintritt der Monoplegie starb,
die Untersuchung des Himstammes und Rückenmarkes mittelst derMarchi-
schen Methode ausführen. Auf Grund der erhaltenen Präparate kommt er-
zu der Schlußfolgerung, daß die für die Fußbewegungen bestimmten Pyra-
midenfasem vom Hirnschenkel nach abwärts überall über das ganze Gebiet
des Pyramidenareals verstreut sind und nirgends ein selbständiges, von den
anderen Fasern abgegrenztes Feld einnehmen. (Die vom Hirnschenkel ge-
gebenen Abbildungen der Degeneration lassen eip;entlich nicht recht diesen
Schluß zu, da das gesamte P^amidenfeld doch ein bei weitem größeres ist,
als es die Abbildung zeigt. Ref.).
Rosenzweig (355) studierte mit der Bielschowskyschen Methode
die Substantia gelatinosa Rolandi einzelner Säugetiere, hauptsächlich vom
Rfickenmarke des Kalbes. Er kam zu folgenden Resultaten: Die S. R. ist
quantitativ die an Nervenzellen reichste Partie der grauen Substanz des
Rückenmarks, in Bezug auf den Besitz von Gliazellen und Glianetzen steht
sie der Substantia gelatinosa centralis am nächsten. Der Reichtum an
58 Anatomie des Nerveos^ystems.
lubilen, kleinen Nervenzellen und marklosen Nervenfasern stellt eine spezi-
fische Eigentümlichkeit der eigentlichen S. R. vor. Das Geflecht der mark-
losen Fasern hat sich in der Grenzschicht als zu einer longitudinalen Leitungs-
bahn differenziert Ein Teil dieser marklosen Fasern ist eine extracelluläre
Fortsetzung der intracellulären Fibrillen der Zellen der S. R. Die beim
erwachsenen Säugetier mikroskopisch sichtbaren Haufen von Zwischenmasse
sind wahrscheinlich postmortal zerfallenes Nerven- und Gliaprotophisma,
also Kunstprodukte. Das gelatinöse Aussehen der ungefärbten 8. R. ist
auf Fehlen von markhaltigen Fasern zurückzuführen. Die allgemeine Affinität
der S. R zum Karmin, Nigrosin und ähnlichen FarbstoflFen ist auf den
Reichtum an protoplasmatischen, sehr labilen Elementen zurückzuführen.
Jacobsohn (194) beschreibt Bogenfasern im Sakralmark des Menschen.
Diese Bogenfasern verlaufen teils an der Peripherie des Rückenmarks (fibrae
arciformes superficiales) teils im Innern der weißen Substanz (fibrae
arciformes profundae). Von den oberflächlichen kommt ein Teil (fibrae
arciformes superficiales ventrales) aus der vorderen Kommissur, ver-
läuft zunächst dicht am medialen Rande des Vorderstranges entlang, biegt
dann am medialen vorderen Winkel des Vorderstrauges seitwärts ab und
verläuft nun am ventralen Rande des Rückenmarkes bis fast zur Mitte des
Seitenstranges. Die Fasern verlieren sich im Vorderseitenstrang. Diese
Fasern scheinen sich konstant in der Tierreihe zu finden. J. hat sie beim
Affen, beim Hunde, Kaninchen beobachtet, von anderen Autoren sind sie
bei niederen Tieren (Vögel, Ajnphibien) beschrieben worden. Ein zweiter
Teil der oberflächlichen Bogenfasern scheint aus der lateralen Abteilung
der hinteren Wurzel herzurühren. Wenigstens sieht man einzelne Fasern
dieser Wurzel am Rande der Lissauerschen Zone entlang laufen und sich
von hier immer an der Peripherie entlang bis ungefähr zur Mitte des Seiten-
stranges fortsetzen. Diese fibrae arciformes superficiales laterales
sind sehr spärlich und mit Sicherheit wohl nur auf Serienschuitten zu er-
halten. Die dritte Abteilung der oberflächlichen Bogenfasern (fibrae
arciformes superficiales dorsales) kommt vom medialen Teil der
hinteren Wurzel und geht am dorsalen Rande des Hinterstrangs nicht ganz
bis zum Septum medianum posterius. Von den tiefen Bogenfasern findet
sich in der unteren Lendengegend ein mächtiger Faserzug, der breit aus
der intermediären Zone zwischen Vorder- und Hinterhorn entspringt, sodann
seitwärts in den Seitenstrang einstrahlt und nun in einem großen Bogen um
das ganze Vorderhorn herumgeht und sich schließlich im Vorderstrang ver-
liert. Dieser mächtige Faserzug, den J. am Schimpanserückenmark ungemein
deutlich ausgeprägt fand (auch am Hunderückenmark war er gut nachweis-
bar), während er am menschlichen Rückenmark nicht so stark und so scliarf
heraustrat, entspringt, wie erwähnt, breit im Winkel zwischen Vorder- und
Hinterhorn, hält sich vom lateralen Rande des Vorderhoms immer etw^as
entfernt und verschmälert sich umsomehr, je weiter man ihn nach dem
Vorderstrang zu verfolgt. Er stellt Assoziationsfasern dar, die im unteren
Abschnitt des Rückenmarkes besonders zahlreich sind.
Bnmke (62) konnte in einem Falle die Degeneration der ersten
Cervikalwurzel nach dem verlängerten Marke zu verfolgen. Bei ihrem Ein-
tritt ins Rückenmark liegen die Fasern dieser Wurzel dicht an der Substantia
gelatinosa Rolandi. In der Höhe der Schleifenkreuzung liegen sie etwas
dorsaler als die V. Wurzel am inneren Ra.nde des Corpus restiforme lateral
von der Vestibulariswurzel. Lange im Hinterstrang absteigende Fasern
konnten nicht verfolgt werden.
Anatomie des Nervensystems. 59
Bumke (60) beschreibt zwei Fälle von Pyramidenverlagerung, die
mittels der Marchischen Methode nachgewiesen werden konnte. In dem
einen Falle waren ein kleiner Teil der Pyramidenfasern bei der Kreuzung
in die Kuppe der Hinterstränge gegangen, um nach kurzem senkrechtem
Verlaufe in diesen Strängen das Hinterhorn wieder zu passieren und sich
mit der Haiiptmasse der Pyramidenfasern im Seitenstrang zu vereinigen.
In einem anderen Falle waren ein paar Bündel des Pyramidenstranges bei
der Kreuzung sehr stark medial dicht am Zentralkanal nach dorsal bis fast
zur Grenze der Hinterstrangskuppe gekommen, waren in letztere aber nicht
Mneingegangen, sondern waren dicht ventral davor nach seitwärts in den
Seitenstrang abgebogen, um sich hier auch wieder mit der Hauptmasse der
Pyramidenfasem zu verbinden.
Piiriphtriscbes. csrebrospinalns Nervensystem and Spinalganglien.
Atllias (10) fand in den Zellen der Spinalganglien von gesunden
Säugetieren und Vögeln Vakuolen, wie sie schon von vielen Autoren be-
schrieben worden sind. Diese Vakuolen sind von verschiedener Größe, sie
finden sich ziemlich selten. Sie haben keine Membran, und A. glaubt, daß
sie durch Verdichtung des Cytoplasma zu stände kommen; sie sind mit
nnfärbbarer Flüssigkeit gefüllt. Ist die Vakuole sehr groß, so wird der
Kern gegen einen Pol der Zelle gedrängt und ist mitunter etwas abgeplattet
Die meisten Vakuolen sind leer, einzelne enthalten einige feine Granulationen.
Selten trifft man eine, die einen Lymphocyten enthält.
Cajal» S. (65) fand mit Hilfe seiner Methode in den Spinalganglien des
Menschen und der Säugetiere folgende Zelltypen. Außer der klassischen
unipolaren Zelle findet sich 1. ein multipolarer Zelltypus mit kurzem und an
der Kapsel mit einer Anschwellung aufhörendem Ende, 2. ein unipolarer
Zelltypus, welcher mit sehr feinen Dendriten versehen ist. Diese Dendriten
entspringen entweder am Zellleib oder am Ursprung des Achsenzylinders,
▼erdicken sich und endigen mit enormen Kugeln. 3. Ein Zelltypus (gefenstert),
bei welchen die Zelle am Ursprung des Achsenzylinders zwei, drei oder
noch mehr Durchlöcherungen zeigt. 4. Ein Typus, bei welchem die Zellen
mit Grübchen bedeckt sind und zahllose kurze, etwas verästelte stachelartige
Ansätze haben.
Die Bifurkation des Nervenfortsatzes der Spinalgan glienzelle geschieht
nach Untersuchungen von Michotte (287) an der Ranvierschen Ein-
schnürungsstelle. Hier endet die von der Zelle kommende Faser mit einer
kuppelartigen Bildung der Markscheide. Dieser Kuppel liegen dann eben-
falls mit einer kuppelartigen Bildung die beiden nach peripher weiter laufen-
den Zweige an. Während demnach die Markscheide an dieser Teijungsstelle
unterbrochen wird, geht der Achsenzylinder ununterbrochen weiter, in der
Weise, daß ein Teil der in ihm laufenden Fibrillen in den einen Teilungs-
ast, der andere Teil in den anderen Teilungsast abbiegt und in ihnen weiter-
läuft. Die Teilungsstelle des Achsenzylinders hat die Gestalt eines Y, wobei
die beiden gewöhnlich ungleich starken Teilungsäste zusammen das Kaliber
des ungeteilten Achsenzylinders ausmachen. Ein anastomosierendes Netz
findet sich nicht zvrischen den Fibrillen der Teilungsäste, auch geht niemals
eine Fibrille eines Teilungsastes in den anderen Ast über, sondern jede
Fibrille muß bis zur Spinalganglienzelle verlaufen. Die Fibrillen des einen
Nerrenfortsatzes der Spinalganglienzelle verhalten sich ebenso, wie die einer
bipolaren Zelle, nur mit dem Unterschiede, daß bei ersterer in dem von
•der Zelle unmittelbar ausgehenden Stück des Nervenfortsatzes die zentri-
60 Anatomie des Nervensystems.
petalen und zentrifugalen Fibrillen in einer Markscheide zusammenliegeu
und sich erst an der Bifurkationsstelle trennen.
Levi (241) konnte in Spinalganglien Ton Taubenembryonen mittels
der Cajalschen Methode multipolare Zellen nachweisen und andere bipolare,
deren peripherischer Fortsatz im Ganglion selbst endigte. Ferner konnte
er in Spinalganglien von Schildkröten beulenföimige Fortsätze erkennen, die
in einigen sehr zahlreich sind, sich teilen und anastomosieren, so daß die Zelle
von einem echten Netze mit beulenförmigen Verdickungen umsponnen wird.
Die Untersuchungen Franceschi's (138) gelten der Frage nach der
Verteilung der motorischen und sensiblen Nervenfasern im gemischten Nerven.
Er durchschneidet jungen Hunden bald die vorderen Wurzeln, bald exstirpiert
er die Spinalganglien und hinteren Wurzeln, die an der Konstitution des
gemischten peripheren Nerven beteiligt sind; die Tiere werden nach einiger
Zeit getötet (Maximum 24 Tage nach der Operation). Die Nerven werden
mit Hilfe der Marchi-Methode untersucht. Die mikroskopische Unter-
suchung ergab, daß die sensiblen wie die motorischen Fasern nicht zu Bündeln
vereint im Nervenstamm lokalisiert sind, daß überhaupt keine bestimmte
Lokalisation derselben wahrgenommen werden kann. Das Verhältnis der
Zahl der motorischen Fasern zu den sensiblen variiert in den verschiedenen
Nervenbündeln. (Merz bacher,)
Aus anatomischen und experimentellen Untersuchungen von Bruandet
und Humbert (58) geht hervor, daß die Fasern verschiedener Nervenäste,
wenn sie in einen Nervenstamm übergehen, sich in letzterem durch einander
mischen, so daß, wenn man „diesen Stamm hemiseziert, einmal die sekundäre
Degeneration sich in aUe Aste ausbreitet und ferner nach einer solchen
Hemisektion niemals vollkommene Lähmung einer Muskelpartie eintritt.
Donaldson und Hoke (106) stellten Messungen über die Areale
der Markscheiden und die in letzteren enthaltenen Achsenzylinder im Spinal-
nerven bei den verschiedenen Tierklassen an und wollen gefunden haben,
daß in einem Nerven das Volumen, welches die Substanz der Achsenzylinder
ausmacht, ungefähr gleich ist dem Volumen der sie umhüllenden Markscheiden.
Groenonw (171) beschreibt eine intrasklerale Nerveuschlinge, die
ungefähr im vertikalen Meridian gelegen war und zwischen sich ein Blut-
gefäß enthielt.
Borchert (48) fand bei der Verfolgung der Gehirnnerveu von Torpedo
eine Gesetzmäßigkeit ihres Verlaufes, die darin besteht, daß bei denjenigen
Nerven, welche aus deutlich gesonderten, frontal (vorn) und kaudal (hinten),
das Gehirn verlassenden Wurzeln bestehen, die frontalen Wurzeln bei ihrem
Austritt aus dem Gehirn stets an die ventrale Seite 'der kaudalen Wurzeln
treten. Bei den Lateralnerven des Trigeminus-Facialis-Akustikus-Komplexes
sowie beim Trigeminus imd Facialis zeigt es sich, daß die frontale Wurzel
erst an die mediale, dann an die ventrale Seite der kaudalen Wurzel tritt.
Nach Untersuchungen von Weigner (452) bilden die Ganglienzellen
des Ganglion geniculi den Ursprung für den Nervus intermedius. In seiner
ganzen peripherischen Ausbreitung enthält der Nerv sehr zahlreiche Kerne,
er hat vorwiegend feine markhaltige, aber auch marklose Nervenfasern, und
es begleiten ihn zahlreiche Blutkapillare. In seinen Verlauf sind einzelne
oder kleinere Gruppen von Ganglienzellen eingeschaltet, die ihrer Form und
Größe denjenigen des Ggl. geniculi entsprechen. Von den im Meatus acusticus
internus verlaufenden Bündeln des Nerven lassen sich einige direkt ohne
Unterbrechung im Ggl. geniculi in den Nervus petrosus superficialis major
und in die periphere Fortsetzung des Nerven distal vom Ganglion verfolgen;
für diese direkten Nervenfasern können als Zentren die zerstreuten vorhin-
Anatomie des Nerve nsyatems. 61
erwähnten Ganglienzellen angesehen werden. Die anderen Pasern, die im
Ggl. geniculi endigen, setzen sich dann peripherwärts in den N. petrosus
superficialis und in die Peripherie des N. facialis fort. Die letzteren gehen
in die Chorda tympani und in die Endverzweigungen des N. facialis.
Schumacher (381) beschreibt den Verlauf und die Verästelung des
N. mylohyoideus nach anatomischer Präparation am Menschen und ver-
schiedenen Säugetieren. Bemerkenswert ist, daß der N. mylohyoideus in der
Mehrzahl der Fälle nicht auf beiden Seiten einen Hautast entsendet, sondern
nur auf einer Seite ; er findet also in vielen Fällen nicht nur auf der Ur-
sprungsseite, sondern auch auf der gegenüberliegenden sein Ende. Wenn
ein Hautast des N. mylohyoideus vorhanden ist, so findet das Trigeminus-
gebiet nicht am Kinn sein Ende, sondern reicht bis in die Unterkinngegend
Mn. Dieser Hautast fand sich beim Menschen unter 20 Fällen 15 Mal, so
daB man den N. mylohyoideus als einen gemischten Nerven auffassen muß.
Der Autor fand außerdem mehrmals ein vom N. mylohyoideus abgehendes
Nervenfädchen, das unterhalb der Spina mentalis in den Unterkieferknochen
eindringt Der Autor beschreibt alsdann den Verlauf des N. mylohyoideus
bei vielen höheren und niederen Säugetieren. Außer dem motorischen Anteil
des Nerven fand er auch sensible, • von denen er einen medialen und lateralen
Ast unterscheidet. Der mediale Hautast versorgt die Haut der Kinn- und
Uaterkinngegend. Der laterale Ast verbindet sich oft und in verschiedener
Starke mit einem Zweige des N. facialis.
Nach Untersuchungen von Hardesty (177) beim Frosch ist die Anzahl
der Nervenfasern eines Spinalnerven, wie der gesamten Nerven bei einem
größeren Tier größer als bei einem kleineren. Im Mittel sind in der dorsalen
Wurzel ungefähr 2mal so viel Nervenfasern wie in der ventralen. In den
Spinalganglien sind ungefähr dreimal so viele Ganglienzellen als Fasern in
den dorsalen Wurzeln. Mit der Gewichtszunahme des Tieres nehmen die
Fasern am distalen Ende des Spinalganglion schneller zu, als die dorsale
und ventrale Wurzel zusammengenommen. Das distale Überwiegen von
Nerven wird erklärt durch die zentripetalen sympathischen Markfasern, welche
in das Spinalganglion eintreten und an den Zellen hier enden, durch die
Biftirkation der Fasern der ventralen Wurzeln am distalen Pol des Spinal-
ganglion und durch die Bifurkation des peripherischen Fortsatzes der
Spinalganglienzellen.
Nach Untersuchungen von Weiller (453) erfolgt die Innervation des
M. levator ani des Menschen in 57 Proz. der Fälle aus dem dritten, in
43 Proz. der Fälle aus dem vierten Sakralnerven. Hieraus darf man wohl
scWießen, daß der M. levator ani bald aus dem dritten, bald aus dem vierten
sakralen Myotom hervorgeht, mit anderen Worten bald dem 28., bald dem
29. Myotom seine Herkunft verdankt. Die Sexualmuskulatur des Menschen
erhält ihre Innervation aus dem Nervus pudendus. Dieser Nerv ist aus
einem Teile des 2., 3. und 4. Sakralnerven gebildet. Diesem Innervations-
veihältnis zufolge kann man annehmen, daß die Sexualmuskulatur aus Be-
standteilen des 27., 28. und 29. Myotoms sich aufbaut.
Die Markfasern zu den Beckenorganen und speziell zur Prostata
kommen nach Untersuchungen von Gentes (161) aus der dritten und
vierten Sakralwurzeln. Die meisten treffen mit marklosen Fasern zusammen,
)»elche sich im Plexus hypogastricus fortsetzen; einige aber bleiben gesondert,
verlaufen zwischen den fibrae vesicales und rectales und senken sich am
Hilus in die Prostata ein. So erhält die Prostata sowohl indirekt vom
Plexus hypogastricus, als auch direkt durch die eben genannten Fasern
Nervenzufltisse.
52 Anatomie des Xerveosystems.
Jnng (203) hat an Serienschnitten durch Becken neugeborener
Mädchen und verschieden altriger Föten die Innervation der weiblichen
Genitalorgane studiert und kam zu folgenden Resultaten : 1. Bei neugebornen
menschlichen Früchten liegt in der Höhe des Scheidengewöibes und der
Cervix uteri im parametranen Bindegewebe, und zwar in der Hauptsache
noch ziemlich weit seitlich von Uterus und Scheide, ein größeres Ganglion^
in dem sich massenhaft Nerven mit eingestreuten größeren und kleineren
Ganglien kaudalwärts bis auf den Beckenboden (unteres Drittel und Scheide)
und kranialwärts nach dem Ureter bis in die Blase, unter das Peritoneum,
der Plica vesico-uterina vorn und des Cavum Douglasii hinten, sowie von
letzteren bis in die Rückwand des Uterus selbst reichend, vereinigen. Ver-
bindungen bestehen ferner nach hinten zum Rektum und durch die Ala^
vespertilionis bis zum Ovarium als Anastomose nach dem Ganglion renale.
Auch im Uterus selbst finden sich subperitoneal größere Ganglien eingefügt.
2. Das Ganglion cervicale uteri stellt nicht einen Plexus sondern eine
größere Masse dar, in der schließlich alle die Zweige der Genitalnerven
zusammenlaufen. 3. Dieses Ganglion hat nicht die große Ausdehnung wie
sie Frankenhäuser beschreibt, es ist vielfach von Bindegewebszügen durch-
zogen oder eingekerbt, sodaß dadurch die eigentliche Nervensubstanz reduziert
wird. 4. Die ganze Scheide an ihrer vordem und hintern Wand bis zum
muskulösen Beckenboden ist von einem dichten Netz von Nervenfasern mit
eingestreuten Ganglien umsponnen, welche teils hart an der Muscularis im
paravaginalen Bindegewebe, teils auch weiter seitlich im Beckenbindegewebe
liegen in einer bisher an menschlichem Material noch nicht beschriebenen.
Ausdehnung. Dieses peri- und paravaginale Geflecht steht gleichfalls mit
dem großen Ganglion in Verbindung und wird nach der Mitte von Uterus
und Scheide hin immer spärlicher; es verhält sich also in dieser Beziehung:
analog dem Blut- und Ljmphgefäßsystem.
Eine eingehende Studie Ducceschrs (108a), die der Innervation des
Magens gewidmet ist. Vagus und Sympathikus versorgen den Magen mit
zentripetalen (sensiblen) Fasern. Die Verteilung an der Oberfläche des
Organes ist eine derartige, daß die dem rechten wie dem linken Nerven
zugehörigen Fasern ganz gleichmäßig untereinander verteilt sind, d. h. jeder
Nerv versorgt das Organ in totaler bilateraler Weise. Dies Verhalten
konnte sowohl für den Vagus, wie fiir den Splanchnikus durch Reizungs-
und Durchschneidungsversuche festgestellt werden. Experimentell konnten
nur in dem Vagus mit Sicherheit motorische Fasern aufgefunden werden,,
die mit der Magenmuskulatur in Beziehung treten. Die topographischen
Verhältnisse der motorischen Nerven scheinen sich ähnlich zu verhalten wie
die der zentripetalen. Auf den Nachweis der totalen bilateralen Inner-
vation des Magens legt D. besonderen Nachdruck. Dieser Innervations-
modus scheint sich gesetzmäßig bei allen unpaarigen Eingeweideorganen zu
wiederholen, die ursprünglich während der fötalen Entwicklung median ge-
legen sind. Die Bedeutung dieser Anordnung scheint vorzüglich eine
physiologische zu sein: sie schützt das Organ vor Ermüdung und ermöglicht
in hohem Grade eine kontinuierliche Tätigkeit; das eine nervöse Zentrum
kann zeitweise mit dem anderen alternieren, ohne eine Störung der Gesamt-
funktion während der Ruhepause zu veranlassen. ( Merzbaclier.)
Rubinato (358) hat bei Vertretern verschiedener Wirbeltierarten^
wie auch beim Menschen, die Ganglien des Magens untersucht. Beim Meer-
schweinchen, Maus und Kaninchen linden sich dieselben zwischen den ein-
zelnen Muskel bündeln der äußeren Muscularis, meist einzeln verstreut, von
keiner bindegewebigen Hülle umgeben, den jeweiligen vorhandenen äußeren
Anatomie de« Xenrensystems. ß$.
StxakturyerhältnisseD ihrer Umgebung sich anpasseud. Id den tieferen
Schichten drängen sie sich mehr aneinander und sind von einer Art binde-
gewebiger Kapsei eingeschlossen. Man kann zwei Typen von Zellen unter-
scheiden, in dem der eine mehr an die Zellen der Hinterhömer, der andere
an die der Spinalganglien erinnert. Meist sind die einzelnen Zellen sehr
klein, die chromatophile Substanz ist schwer erkennbar.
Beim Menschen sind die Zellen weit größer, stehen dichter aneinander-
gedrängty sind von einer deutlichen Kapsel umgeben. Die ganze Formation
der nervösen Elemente erinnert hier an die Verhältnisse der Spinalgauglien.
Die Beziehungen zu Nervenstämmen sind deutlich, häufig sieht man mark-
haltige Nervenfasern aus dem Vagus, die Mitte des Ganglions durchqueren.
( Merzbac/iei'.)
Die Verteilung der Nervenfasern im Pankreas erfolgt nach Pensa (312)
in ähnlicher Weise wie bei den Speicheldrüsen. Der Autor hat bei zahl-
reichen Vertretern verschiedener Wirbeltierklassen die Verhältnisse an den
Blutgefäßen und Nerven verfolgt. Zwischen den einzelnen Drüsentubuli
bilden die Nerven ein dichtes Fasergewirr, aus dem einzelne Fasern heraus-
treten und zwischen die Zellen eindringen, bei einzelnen Tieren, besonders
bei Bund und Katze, besteht noch zwischen den einzelnen Zellen ein dichtes,
äußerst feines Fasei^ewirr. Besonders reichlich sind die Langerhans sehen
Inseln mit Gefäßen und Nerven versorgt^ zwischen den Zellen ist der Reich-
tnni an diesen Elementen größer als zwischen den tubuli; diese Tatsache
spricht für die hohe funktionelle Bedeutung der Langerhansschen Inseln.
Bei den Vögeln und einzelnen kleinen Wirbeltieren wurden sympathische
Ganglien beobachtet, vereinzelte Ganglienzellen wurden niemals angetroffen.
Das Eindringen einer Nervenfaser in die Zellen oder eine Kontinuität von
£^aser und Zelle konnte nicht beobachtet werden, auch erscheint Verfasser
das Vorkommen freier Endknöpfe unsicher. Zahlreiche Abbildungen sind
der Arbeit beigefügt. (Merzbacher,)
Wolff (462) konnte im Amnion der Katze mittels der Bielschowsky-
sehen Methode nervöse Geflechte darstellen, die im Zusammenhang mit sinnes-
körperähnlichen Gebilden standen.
Sympathisches Nerrensystem.
Fischer (127) unterscheidet am sympathischen Nervensystem der
Katze vier Faserarten: a) starke Nervenfasern mit dicker Markscheide^
b) mittelstarke markhaltige, c) dünne markhaltige und d) marklose Fasern.
Im folgenden beschreibt er dann^ aus welchen Faserarten die einzelnen
Abschnitte der sympathischen Nerven und ihrer Ganglien zusammengesetzt
sind. Die dicken und mittelstarken Nervenfaseru stammen teils vom Vagus,
teils von den Rami communicantes ; die feinen markhaltigen Fasern haben
zum großen Teil ihren Ursprung aus den sympathischen Ganglien ; ob sie
aber sämtlich aus den Ganglien kommen, bleibt vorläufig ungewiß. Die
marklosen Fasern des Sympathikus sollen sämtlich Nervenzellen sympathi-
scher Ganglien entstammen und wesentlich die Bedeutung nackter Achsen-
zylinder haben.
Roth (367) zählte bei der Ratte und bei der Katze den Gehalt an
feinen, marklosen und marklialtigen Fasern in den oberen Cervikalwurzeln
und fand, daß unterhalb der letzten für den N. accessorius abgehenden
Wurzel der Gehalt an solchen Fasern plötzlich außerordentlich stark zu-
nimmt. Er schließt sich der Ansicht derjenigen an, welche im Akzessorius-
kem eine Fortsetzung des motorischen Vaguskernes sehen; diese Fort-
.^4 Anatomie des Nei*vensystems.
Setzung verdränge in den oberen Cervikalsegmenten die für die Kami com-
municantes bestimmten Zellgruppen etwas nach abwärts, dort häufen sie
sich dann in um so größererer Menge an und geben einer großen Anzahl
von feinen Fasern den Ursprung.
Simon und Hoche (391) beobachteten in einem Falle von Neuro-
fibromatose, daß die Knotenbildungen im Gebiete des sympathischen Systems
prädominierten, sich allerdings auf das ganze peripherische Nervensystem
erstreckten, daß aber die Zentralorgane und die hinteren Wurzeln frei-
gelassen, während die Spinalganglien befallen waren. Die Autoren werfen
die Frage auf, ob event die Spinalganglien zum sympathischen System gehören.
Sehr eingehende anatomische Untersuchungen über die Nerven des
Schwanzes der Säugetiere und des Menschen hat Schmnacher (380) an-
gestellt. Er beschreibt sowohl die Anzahl der Nn. coccygei bei sehr vielen
Säugetierarten, als auch die Verhältnisse des Grenzstranges in diesem
distalsten Körperabschnitt. Bei allen untersuchten Tieren war ein Schwanz-
teil des Sympathikus vorhanden, und es handelt sich dabei nicht etwa um
periphere Ausstrahlungen des Grenzstranges in den Schwanz hinein, sondern
es finden sich segmental angeordnete Ganglien, die durch Rr. communi-
cantes mit den Rr. ventrales der betreffenden Schwanznerven entweder direkt
oder indirekt — durch Einmündung in den aus der Vereinigung sämtlicher
Rr. ventrales der Steißnerven hervorgehenden N. caudalis ventralis — in
Verbindung stehen. Die Ganglien können auch mehrfach miteinander ver-
schmelzen. Was die Lage der Spinalganglien der Nn. coccygei anbetrifft,
so fand Seh. ein vollständiges Eingelagertsein sämtlicher Ganglien in die
Zwischenwirbellöcher, nur bei den Beuteltieren, beim Kaninchen liegen die
Verhältnisse ähnlich; bei allen übrigen untersuchten Tieren liegen sämtliche
Spinalganglien der Steißnerven — manchmal auch der Kreuznerven —
proximal von den entsprechenden Zwischenwirbellöchern. Bezüglich der
Verhältnisse beim Menschen hebt der Autor hervor, daß die aus dem Plexus
coccygeus hervorgehenden Fasern als rein sensible aufzufassen sind. Ihr
Versorgungsgebiet fällt im wesentlichen mit dem das Steißbein bedeckenden
Hautbezirk zusammen. Auch beim Menschen kann man ebensogut wie bei
den Tieren einen N. caudalis ventralis und dorsalis, hervorgegangen aus
dem entsprechenden Aste des Steißnerven und einem Anteile des Kreuz-
nerven unterscheiden. Die Endigung der beiden Grenzstränge des N. sym-
pathicus geschieht in der Regel in einem Ggl. impar. Es liegt dieses
Ganglion meistens zwischen erstem und zweitem Steißwirbel, mitunter auch
etwas weiter distal. Entsprechend dem einen Steißnervenpaar findet sich
beim Menschen auch nur ein Ggl. coccygeum, dessen Rr. communicantes
mit den entsprechenden ventralen Ästen oder dem N. caudalis ventralis in
Verbindung stehen.
Laignel-Lavastine (229) imprägnierte die großen Zylinderzellen der
medullären Schicht der Nebennieren mit Argent nitricum- Lösung nach der
Methode von Cajal. Bei dieser Methode zeigen sich die Zellen vollgepfropft
mit braunschwarzen Körnern, was ihnen ein charakteristisches Aussehen
verleiht.
Freidenfelt (140) beschreibt den feineren Bau des Visceralganglions
von Anodonta (Muschel) und zwar zuerst die Fasern des Nervus palliatis
posterior, wie sie in das Ganglion einstrahlen und sich in letzterem ver-
teilen, sodann die Kommissur, die sich im oberen Abschnitt zwischen den
beiden Hälften des Ganglions findet, und schließlich die Fasern des Cerebral-
konnektivs und dessen Riesenfasern. Von den Zellen im Ganglion unter-
scheidet er Zellen mit langem Nervenfortsatz und Zellen mit rein zentraler
Anatomie des Nervensystems« 55
Verzweigung. Verwachsungen von Nervenzellen, wie sie von anderen Autoren
angenommen wurden, konnte F. nicht finden. Das zentrale Nervensystem
-schließt sich den allgemeinen Bauprinzipien an, d. h. es besteht aus einer
Rinde von Ganglienzellen, die plasmatisch miteinander nur in Kontakt-
verbindung stehen, und einem zentralen Neuropil, das kein wirkliches Netz
ist, sondern ein verflochtenes Gewirr von den blind endigenden Dendriten
and Telodendrien wie von den dasselbe durchsetzenden, stets direkt nach
der Peripherie sich begebenden Nervenfasern, nebst den Seitenzweigen
4er Fasern.
SiBBesopgane oml NerTeneBdigongeii.
Bebizzi (328) hat versucht, die nervösen Elemente der Ketina bei
verschiedenen Tieren mit Hilfe der von Lugaro angegebenen Methode
-(Imprägnation mit kolloidalem Silber) darzustellen. Obwohl zunächst die
Technik für alle Tierarten dieselbe blieb, zeigte es sich, daß nur in der
Hetina des Meerschweinchens eine Darstellung nervöser Elemente gelang.
Auch hier wieder konnten nur ganz bestimmte Zellen angesprochen werden
und zwar in einer, wie der Autor meint, vollkommen elektiven Weise — ;
und zwar nur die horizontalen Zellen. Verfasser hat allerlei Versuche an-
gestellt, um zu demonstrieren, daß nicht Verschiedenheit technischer Be-
<üngungeD, auch nicht Verschiedenheiten in der Größe des Präparates diese
Anffallende Elektivität zur Folge hat, sondern daß es sich hier wirklich um
bestimmte chemische Affinitäten der betreffenden Zellen handelt. Die
^Fibrillen in den untersuchten Zellen kommen sehr gut zur Darstellung; sie
bilden engmaschige endocelluläre Netze, die in verschiedenen Ebenen der
Zellen versehiedeue Größe besitzen. Eine extracelluläre Anastomose zwischen
•den Protoplasmafortsätzen verschiedener Zellen, wie sie von anderen Autoren
beschrieben worden sind, konnte R. nirgends beobachten, obwohl er mit
besonderer Aufmerksamkeit danach fahndete. Ein solches Vorkommnis be-
frachtet R., wenn es tatsächlich existieren sollte, als eine Abnormität.
( Merzhacher,)
Jacoby (195) hat die normalen Sehnerven und spez. die Papille mit Hilfe
4ier Weigertschen Neuroglia-Methode untersucht. Während sich für den
Stamm nichts wesentlich neues ergab, zeigte sich, daß die Neuroglia am
Aufbau der Papille in reicherem Maße beteiligt sei, als bisher angenommen
wurde. So besteht das intermediäre Gewebe aus einem mehr oder weniger
-vollkommenen Gliaringe.
Ferner fanden sich reichliche Gliafasem auch in der physiologischen
Exkavation, die sie mit den Resten der Arteria Hyaloidea, die gleichfalls
«inen Gliaraantel besitzt, auskleiden und in geringerer Menge auch im Grenz-
^ewebe. In der übrigen Papille haben die Gliafasern z. Zt. eine Anordnung
wie im Stamm. Nach der Umbiegung der Nervenfasern aber ordnen sie
sich senkrecht zu deren Verlauf an. Die Gliasammlung am Boden der
physiologischen Exkavation dürfte im stände sein, den hellen Reflex der
Exkavation zu erzeugen, und vielleicht läßt sich in gleicher Weise der
schmale, ophthalmoskopisch sichtbare Streifen an der Papille auf stärkeren
Oberflächen-Reflex von selten des intermediären Gewebes zurückführen.
(AvioreferaU)
Vennes (431) schildert eingehend den fibrillären Bau der bipolaren
Zellen und der Nervenfaserschicht der Retina, hauptsächlich von Säugetieren.
Wenn man den noch unvollkommen dargestellten fibrillären Bau der Stäbchen
ond Zapfen akzeptiert, so kann man die fibrilläre Struktur in der Retina
Jahresbericht f. Neurologie u. Psychiatrie 1906. «>
gg Anatomie des Nerrensystems.
für festgestellt betrachten. Die Kontinuität in der ganzen Retina hält
Verf. auf Grundlage seiner Untersuchungen für nicht bewiesen.
Im Stroma der Iris fand Münch (295) kleine Zellen, welche er für
Ganglienzellen Ton kleinerem Typus nach R. y Cajal hält. Ein Padennetz,
das einem Nervennetz entsprechen soU^ steht mit den genannten Zellen in
Verbindung und zwar in Form eines einfachen Kontaktes oder in Form
von Apparaten, die den motorischen Endplatten Ranviers entsprechen, oder
indem eine Ganglienzelle selbst einen Endhügel bildet.
Wilson (461) hat mittelst der Ehrlichschen Methylenblaumethode
die Geschmacksknospen des Larynx beim Menschen und einigen Säugetieren
dargestellt. Sie liegen in tellerartigen Vertiefungen und bestehen aus spindel-
förmigen Zellen und aus Stützzellen. Von Nervenfasern, die in Beziehung
zu den Geschmacksknospeu stehen, unterscheidet der Autor solche, die an
der Basis der Knospe einen Plexus bilden und solche, welche mehr oder
weniger sich in ihrer Umgebung verteilen. Die Zellen der Knospe und die
Nervenverteilung wird sodann näher beschrieben. Was die Funktion der
Knospen betriflEt, so schließt sich der Autor derjenigen Theorie an, welche
besagt, daß es sich um phylogenetische Residuen handelt; im oberen Teil
des Larynx werden sicher Geschmacksempfindungen ausgelöst.
Krebs (222) untersuchte die Nervenendigungen im Musculus stapediu»
mehrerer Säugetiere mit Modifikationen der Ehrlichschen Methylenblau-
methode und der Goldchloridmethode. Die Nervenendigungen, sowohl
motorische wie sensible zeigten bezüglich ihrer histologischen Struktur keinen
Unterschied von derjenigen in andern Muskeln ; sie liegen auch hypolemiial^
Nur die Größe derselben steht hinter derjenigen anderer kleiner Muskeln
beträchtlich zurück.
Wolff (465) polemisiert gegen die Deutung von nervösen Endapparateu i»
der Leber der Katze, welche AUegra in einer kürzlich erschienenen Arbeit
gegeben hat. Letzterer hätte in seiner Mitteilung nirgends einen Beweis^
(Zusammenhang von markhaltigen Fasern mit Ganglienzellen usw.) für die
nervöse Natur der von ihm gesehenen Gebilde erbracht, außerdem wäre e»
Wolff mittelst der Bielschowskyschen Methode gelungen, genau die
Allegraschen Bilder an Gefrierschnitten von der Froschleber zu erhalten,,
die aber ausschließlich eine prachtvolle Imprägnation fast sämtlicher Binde-
gewebsfibrillen und stellenweise auch der Gallenkapillaren zeigten.
Sfameni (389) untersuchte die Nervenendigungen in den äußeren,
weiblichen Genital Organen vom Menschen und von verschiedenen Säugetieren.
Alle diese Endorgnae haben folgenden gemeinsamen Charakter: sie stellenr
Nervenorgane dar, welche entweder eine bindegewebige Hülle besitzen oder
nicht, welche aus einer oder mehreren Nervenfasern bestehen, die, n<achdena
sie die Markscheide verlassen haben (wenn sie überhaupt eine solche be-
saßen), sich in mitten oder um eine körnige und kernhaltige Substanz aus-
breiten. Er klassifiziert die Endigungen nur nach dem Organ und nach der
Gewebslage, in welcher sie sitzen. Die markhaltigen Nervenfasern präsen-
tieren sich als grobe und feine. Letztere und die marklosen Fasern ge-
hören dem sympathischen System. Der Autor beschreibt nun den Verlauf,,
die Plexusbildung und die Endigung aller dieser Fasern, nachdem sie ent-
weder die Nervenkörperchen (die er für modifizierte Zellen hält) pussiert haben
oder frei zu den einzelnen Schichten verlaufen und sich hier zu Endnetzen
verbinden. Die Nervenkörperchen stellen nach Ansicht des Autors nicht
die Endkörper der sensiblen Nerven dar, sondern es sind Gruppen von
Nervenzellen, welche in ihrer anatomischen Verteilung den Spinalganglien
entsprechen. Die wahren Endigungen der Nerven bilden verschiedenartige
Anatomie des Xervenaystems. ßj
ektodermale Zellen, welche io der Haut zerstreut liegen, und mit
welchen das schließliche Ende der sensiblen Nervenfasern in Verbindung steht.
Rüffini (359) hat in den Endstücken sensibler Nerven eine Scheide
mit Hilfe einer besonderen Darstellungsmethode (Vergoldung) beobachten
können. Sie liegt zwischen Henlescher und Schwannscher Scheide, hat
einen Durchmesser von etwa 20 — 30 ^i, nimmt vom Endoneurium ihren
Ursprung und begleitet die Endfaser bis in die Endorgaue hinein; sie ist
bindegewebiger Natur; mit der Ernährung der Faser scheint sie in Zu-
sammenhang zu stehen, ihre Hauptaufgabe soll die eines Schutzorganes sein.
In den motorischen Fasern wird sie vermißt. Die Arbeit enthält außerdem
noch einige Bemerkungen über die Henlesche Scheide und über das Endo-
neoriom in den feineren sich abzweigenden Nervenstämmen. Der Arbeit
sind auf 2 bunten Tafeln 16 Abbildungen beigegeben. (Merzbar/ier,)
Eolmer (214) untersuchte die Haut von Lumbricus, die Maculae
acQsticae von Rana, die Riechhaut der Fische mit der Caja Ischen Fibrillen-
methode und fand überall, daß die sensiblen Nerven resp. deren Neurofibrillen
dort, wo man bisher Nervenendigungen annahm, nicht frei endigen, sondern
entweder in einfacher Form als schmale Schleifen oder verschieden gestaltete
Binge oder in kompliziert aufgebauten Gittern, ohne Unterbrechung der
Kontinuität wieder zu den Fibrillen der leitenden Bahnen zurückkehren.
Hangold (265) beschreibt den Bau der marklosen Nervenfasern der
Arthropodenmuskeln und den Verlauf und die Verzweigung der marklosen
Muskelnerven. Erwähnenswert ist, daß sich auch aus seinen mit der vitalen
Methylenblaumethode hergestellten Präparaten mit Deutlichkeit ergibt, wie
der oder die Achsenzylinder unter der eigentlichen Sarkolemmembran sich
ein oder mehrmals teilen und mit ihren letzten nachweisbaren Fasern der
Oberfläche der quergestreiften Substanz der Muskelfasern meist in deren
Längsrichtung aufliegen. Im Inneren der quergestreiften Substanz selbst
ließ sich mit der Methylenblaumethode keine Spur von Nervenelementen
nachweisen. Auch die innerhalb des Sarkolemms den kontraktilen Inhalt
der Muskelfaser umspinnenden Fibrillen bilden keine eigentlichen Netze.
Schließlich glaubt M. es als Regel für die Arthropoden aufstellen zu können,
daß die Innervation der Muskelfasern durch zwei Nervenelemente getrennten
Ursprungs geschieht.
Oemelli (156) studierte den histologischen Bau der motorischen
£ndplatten bei Lacerta viridis et agilis mit einer von ihm angegebenen
Methode. Er konnte in dem Achsenzylinder, welcher zu der Endplatte ver*
läuft, zahlreiche, gewöhnlich parallel laufende Fibrillen erkennen. Im Innern
der motorischen Platte teilen sich diese Fibrillen, anastoniosieren miteinander
nnd bilden im Innern der motorischen Platte ein Netz. Übereinstimmend
mit Angaben von Perron cito konnte der Autor noch andere ungemein
«ttte Fibrillen an der Endplatte sehen, welche innerhalb der Hen leschen
Scheide der Nervenfaser laufen, und welche sich an der Oberfläche der End-
platte aufsplittern und sich mit den Aufsplitterungen des Achsenzylinders
vereinigen.
Dogiel (100) untersuchte ganz frische Hautstückchen vom Menschen
und einigen Säugetieren, ferner das Peritoneum der Katze mittels der
Cajalschen FibriUenmethode. Er beschreibt dann den Bau der Tastscheiben
im Epithel, in den typischen und modifizierten Vater-Pacini sehen Körper-
chen, in den typischen und modifizierten Meissner scheu Körperchen und
schließlich in den papillären Büscheln von Ruffini. Nach den gewonnenen
Bildern ist Dogiel der Ansicht, daß sämtliche Endverzweigungen sensibler
Nerven aus mehr oder weniger engmaschigen, jedoch vollkommen geschlossenen
5*
gg Anatomie des Neryensystems.
Neurofibrillennetzen bestehen, welche in einer bald größeren, bald geringereu
Menge perifibrillärer Substanz gelegen sind. Die Neurofibrillen netze weisen
zusammen mit der perifibrillären Substanz eine verschiedene Form auf. Ein
Teil derselben stellt sich in Gestalt runder, ovaler oder eckiger, bisweilen
mehr oder weniger gebogener Scheiben von verschiedenem Durchmesser dar,
so die Tastscheiben im Hautepithel, in den Gandryschen Körperchen und
dergl. Andere Netze erscheinen in Form von kleinen eckigen Blättchen,
wie sie Dogiel in der Haut, Schleimhaut, serösen Häuten, Muskeln, Sehnen
usw. des Menschen beschrieben bat. Noch andere stellen spindelförmige,
keulenförmige, runde oder ovale, zuweilen mehr oder weniger abgeplattete
Gebilde dar, wie in den Herbstscheu, in den Vater-Pacinischen Körper-
chen usw. Der wesentlichste Unterschied zwischen den mannigfaltigen Arten
von Endapparaten ist nach des Autors Ansicht nicht in der äußeren Form,
nicht in dem Bau, sondern in der Gesamtmenge der Neurofibrillen, welche
in den Bestand sämtlicher Netze eingehen, in denen alle Verzweigungen des
peripherischen Portsatzes einer sensiblen Zelle endigen, sowie in der Gesamt-
menge der zwischen den Fibrillen vorhandenen perifibrillären Substanz ge-
legen. Aus einer verhältnismäßig geringen Neurofibrillenanzahl eines peri-
pherischen Fortsatzes jeder sensiblen Zelle entsteht infolge der allmähliclien
Verzweigung des Fortsatzes und einer gleichzeitigen Teilung der Jn ihm
enthaltenen Neurofibrillen, schließlich an der Endiguugsstelle dieser Astchen
eine unzählbare Menge von Neurofibrillen. Letztere bilden eine große Anzahl
von untereinander verbundenen, vollkommen geschlossenen Netzen ver-
schiedener Form, wobei jedes Netz bald eine größere, bald eine geringere
Fläche einnimmt, während sie in ihrer Gesammtheit eine ungeheure Fläche
darstellen müssen. Die Nervenapparate in welchen die zentralen Fortsätze
der sensiblen Zellen z. B. einer motorischen Zelle im Zentralnervensystem
gegenüber endigen, sollen relativ gleichförmig gebaut sein und sehr den
einfachen Formen von sensiblen Apparaten gleichen, welche im Bindegewebe
yerschiedener Organe sehr verbreitet sind. In Anbetracht dessen, daß* in
dem zentralen, verhältnismäßig dünnen Fortsatz sensibler Zellen weniger
Neurofibrillen enthalten sind als in dem dickeren peripherischen, und daß
jedes Netz, in welchem die Verzweigungen des ersteren endigen, eine sehr
beschränkte Fläche einnimmt, kann angenommen werden, daß sowohl die
Gesamtmenge der Neurofibrillen, als auch der perifibrillären Substanz, welche
in den Verzweigungen des zentralen Fortsatzes einer Zelle mitsamt dessen
Endnetzen enthalten ist, geringer ist als in den Verzweigungen des peripheren
Fortsatzes derselben Zelle. Jede sensible Zelle muß somit als eine voll-
kommen abgesonderte Einheit angesehen werden, welche weder mit anderen
Einheiten noch mit Zellen des Zentralnervensystems verbunden ist, d. h. sie
stellt ein Neuron dar. Die in den Bestand eines Neurons eingehenden
Neurofibrillen bilden mindestens drei vollkommen geschlossene und gleich-
zeitig eng miteinander verbundene Netze: das intracelluläre, das peripherische
und das zentrale Netz. Der in Fibrillen nicht diflferenzierte Protoplasmateü
des Neurons, die perifibrilläre Substanz, setzt sich unmittelbar von dem
Zellkörper auf dessen Fortsätze und deren sämtliche Verzweigungen fort.
D. glaubt, daß im Zentralnervensystem einzelne Zellen sich durch Verbindung
ihrer feinsten Dendritenverzweigungen zu einzelnen Komplexen, Zellkolonien,
vereinigen. Eine Kolonie soll nur von Zellen eines bestimmten Typus ge-
bildet werden, welche einen bestimmten Platz im Nervensystem einnehmen
und eine bestimmte Funktion ausüben. D. teilt alle Nervenzellen in zwei
Hauptkategorien: in typische, organisch miteinander nicht verbundene Neurone
und in Neuronenkolonien, welche vermittels der Verzweigungen ihrer Dendriten
Anatomie des Nerveiuystems. 5^
eng miteinander verbunden sind. Den ersteren gehören die sensiblen Zellen,
den zweiten wahrscheinlich viele Zellgmppen des Zentralnervensystems und
der Retina an. Die Funktion der Neurofibrillen ist noch nicht sicher gestellt
Sie stellen mit dem undifferenzierten Protoplasma (dazu gehört auch die
perifibrilläre Substanz) und dem Kern ein untrennbares Oanze dar und
stehen mit derselben in engem genetischen, trophischen und funktionellen
Zusammenhang, ihr Leben ist von demjenigen der Zelle abhängig.
Cavalie (76) fand bei Hühnerembryonen von 14 — 17 Tagen in den
Maskeln Zellreihen, welche an preterminale motorische Nerven resp. an
motorische Nervenendigungen erinnern. Achsenzylinder konnte er in diesen
Zeilreihen mit der Goldchloridmethode nicht nachweisen.
Alexander (4) faßt die Ergebnisse über das Gehörorgan von Talpa
europaea und Spalax typhlus wie folgt, zusammen: 1. Die vorzügliche Aus-
bildung des Gehörorgans bei Talpa europaea und Spalax typhlus ist in der
relativen QuerschnittgröBe des Schneckenkanals, der reichen Zahl der Sinnes-
zellen und der Größe des N. YIII ausgeprägt. 2. Die Sinneszellen des
Cortischen Organs formieren stellenweise vier lateral von den Cortischen
Pfeilern gelegene Haarzellreihen, hierzu kommt noch eine achsial von den
Keilern gelegene Haarzelle, sodaß im Radius fünf Haarzellen stehen.
3. Eine ausgezeichnete Aquilibrieruug ist anatomisch bei beiden untersuchten
Spezies ausgedrückt durch die besondere Größe der Nervenendstellen, beim
Maulwurf außerdem durch die relative Zunahme der Anzahl der Sinneszellen
and eine Faltung bezw. Furchenbildung an der endolymphatischen Fläche
des Neuroepithels. 4. Bei Talpa europaea findet sich in der Nähe der
unteren Ampulle und zwar im Sinus utricularis inferior eine Macula neglecta,
die den übrigen Säugetieren fehlt, die hiermit zum ersten Mal an einem'
höheren (?) Säuger nachgewiesen ist und von den Vögehi und Reptilien
abgesehen, nur an einem anderen niederen Säuger, Echidna aculeata, ge-
funden worden ist. Dem Typus nach entspricht die Macula neglecta des
Maulwarfes der gleichgenannten Nervenendstelle der Reptilien und Vögel,
sowie derjenigen der Echidna. 5. Durch den oben genannten Befund ist
der morphologische Übergang des Labyrinths der niederen Säuger in das
der höheren illustriert.
Das von Beyer (39) in Gips hergestellte Modell des Cortischen
Organs soll als Hilfsmittel für Lernende und Lehrer dienen. Der Vorteil
der plastischen Darstellung gegenüber den in einer Ebene gegebenen
Zeichnungen der mikroskopischen Bilder beruht in der viel leichteren Über-
sicht über die verschiedenartigen Formen der einzelnen Zellen, ihre Stellung
und Angliederung aneinander und die dadurch ermöglichte schnelle Orien-
tierung. So veranschaulicht dasselbe deutlich die Stellung und Konstruktion
der Cortischen Pfeiler, die Anlagerung der inneren und äußeren Haarzellen,
die Gestalt der Deiters sehen Zellen und ihre Einfügung als Stützzellen in
dem komplizierten Bau der Oberflächenzeichnung, die lamina reticularis,
Ser¥enversorgung und Nervenendigung. (Beyer.)
Mnskeln.
MÜnch (294) sucht nachzuweisen, daß das Stromazellennetz der Iris
ein Netz von glatten Muskelzellen darstellt, und daß dieses Netz nichts
anderes ist, als der wahre, so lange und so vergeblich gesuchte Diktator
impfllae.
Siehe weitere Referate im Kapitel: Ergänzungsreferate.
70 Allgemeine Physiologie des Nervensystems.
AllgemBlne Physiologie des NerTonsystems.
Referent: Privatdozent Dr. Hugo Wiener-Prag-,
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Allgemeine Physiologie des NeryensystemSf 71
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74 Allgemeine Physiologie des Nervensystems.
Alrutz (1) bestimmte nach der Methode von Thunberg mittels
Glasfäden die Druckpunkte auf der Haut. Er fand, daß gewöhnlich die
Dinickpunkte größer sind, als die Fläche an dem eben wahrnehmbaren Glas-
faden. Sie werden stets „luvwärts" von den Haaren, d. h. auf der Seite,
nach der das Haar sich biegt, gefunden. Wendet man einen Reiz an, der
den Schwellenwert für den fraglichen Druckpunkt etwas übersteigt, so wird
zunächst die Haut seitwärts vom Follikel empfindlich. Bei stärkerem Reize
wird sozusagen auch der Raum zwischen dem eigentlichen Druckpunkt und
dem Haare ausgefüllt, und bei noch stärkerem Reize erhält man eine noch
größere empfindliche Fläche. Immer kann man jedoch bei Anwendung des
Schwellenwertes bloß eine ganz kleine empfindliche Fläche oder einen Punkt
luvwärts vom Haare erhalten und immer kann man finden, daß dieser Punkt
eine spezifische Druckempfindung auslöst. Auf anderen Stellen, als luvwärts
von Haaren, kann man nicht mit Sicherheit Druckpunkte nachweisen. Be-
züglich der Zahl der Druckpunkte schließt sich der Autor den Angaben
von Frey und Kiesow an, die eine viel geringere Zahl fanden, als Gold-
scheider, der eine Anzahl von Schmerzpunkten für Druckpunkte gehalten
haben dürfte.
Die Druckpunkte haben eine spezifische Energie, von ihnen können
weder Kälte- noch Wärmeempfindungen ausgelöst werden. Auch sind die
Druckpunkte analgetisch.
Auf Grund seiner Untersuchungen kommt Alrutz (2) zu folgenden
Schlüssen.
1. Es gibt Hautpunkte, welche bei punktueller Reizung einzig und
allein Schmerzempfindungen geben.
2. Es gibt sowohl primäre, augenblickliclie, als auch sekundäre, ver-
zögerte Schmerzempfindungen.
3. Die primären haben einen stechenden und punktförmigen Charakter,
während die sekundären im allgemeinen juckend und irradiierend sind.
4. Die verschiedenen Hautpunkte können entweder die eine oder die
andere Schmerzempfindung, oder beide oder keine auslösen. Auch seheinen
die Versuche dafür zu sprechen, daß die Hautpunkte, an denen man am
leichtesten die juckenden Empfindungen erhält, mit den Punkten für die
stechenden Empfindungen nicht zusammenfallen.
6. Verschiedene Hautstellen verhalten sich den beiden Empfindungen
gegenüber sehr ungleich. Auf gewissen Stellen löst man die sekundäre
Empfindung sehr leicht und charakteristisch, auf anderen gar nicht aus.
Auf Grund seiner Untersuchungen und Überlegungen erklärt An-
driezen (3) alle früheren Theorien über Heredität für einseitig, da sie nur
die Samenzellen berücksichtigen. Die neueren Ansichten gehen dahin, daß
sowohl die männlichen als auch die weiblichen Keimzellen in gleicher Weise
zur Konstitution des Embryo beitragen, und daß die intrauterine Umschließung
und Ernährung des befrucliteten Eies einen dritten wichtigen Faktor dar-
stellen. Zu diesen kann noch gelegentlich ein vierter Faktor, ein krank-
hafter, als Komplikation hinzukommen.
Im Laufe der tierischen Entwicklung zeigt die Natur in den höheren
Stadien eine zunehmende Vervollkommnung des Mechanismus, welcher das
befruchtete Ei umschließt. Bei den niederen Wirbeltieren, welche die Eier
ins Wasser ausstoßen, finden wir schützende Hüllen, um die Eier zusammen-
zuhalten. Bei höheren Tieren sind die Eier von Membranen eingeschlossen,
welche auch Nährmaterial enthalten. Bei den Wamiblütlern ist ein thermo-
statischer Mechanismus vorgesehen, und bei den Säugern kommt noch dazu
ein Plazentarkreislauf, der das Medium, in dem sich der Embryo befindet,
Allgemeine Physiologie des Nerveasystems. 75
merkwürdig konstant erhält. Überall sieht man also in der Natur den Ver-
erbungszweck, indem das befruchtete Ei eine immer vollkommenere und
konstantere Einhüllung erhält. Der einzige Faktor, welcher geeignet ist,
dies zu stören, ist der pathogenetische, der speziell beim Menschen in Be-
tracht kommt.
Heredität und die verschiedenen Kräfte der organischen Welt müssen
mitwirken, um die Entwicklung immer höherer Lebensformen möglich zu
machen. Die Heredität sorgt für die Erhaltung der Gattungs- und spezi-
fischen Typen, die äußeren Kräfte für die Variationen, die für die fort-
schreitende Entwicklung neuer und komplizierterer Arten nötig sind. Beim
Menschen kommen dann noch die Einwirkungen der Zivilisation, Degene-
ration und Pathogenesis hinzu.
Zoologen und Palaeontologen glauben, daß die Variationen in früheren
phylogenetischen Stadien viel größer gewesen sein müssen, als jetzt. Eigen-
schaften, die in den ersten Stadien der Entwicklung wahrscheinlich um-
bildungsfahig waren, sind starr geworden. Ersterer Umstand war auch nötig,
solange eine Anpassung an äußere Verhältnisse für die Erhaltung der Art
erforderlich war. Sobald aber eine solche Adaptation an spezielle äußere
Verhältnisse ausgebildet war, wurde gerade die Fixierung der Eigenschaften
für die Erhaltung der Art zweckmäßig.
In einem gewissen Gegensatze zu den Variationen, die allmählich vor
sich gehen, stehen die Mutationen, bei denen durch eine kumulative Wirkung
von physiologischen und pathologischen Kräften eine plötzliche Veränderung
hervorgerufen wird.
Wichtig für die Lehre der Heredität ist die Tatsache, daß die Ent-
wicklung des Embryos, die Autogenese, einen Abschnitt der Phylogenese
darstellt, und daß die Keimanlage, welche dem Auftreten der Keimzellen
vorangeht, in den Körperzellen bereits vorhanden ist. Die eigentlichen
Keimzellen entstehen erst, wenn schon Tausende oder Millionen von Zellen
gebildet sind.
Schließlich beschäftigt sich der Autor mit den pathologischen Ein-
flüssen, speziell zunächst mit dem Alkoholismus der Eltern, und führt an,
daß 62 "/„ der Idioten von alkoholischen Eltern stammen, und wenn man
Idiotie und Imbezillität zusammennimmt, 41% der Fälle alkoholische Ab-
stammung zeigen, daß 5^0 "/^ der Insassen von Irrenhäusern, 46 % von
gewohnheitsmäßigen und 45 % von jugendlichen Verbrechern, schließlich
82 ^ Q der Prostituierten von Säufern abstammen, und auch die Kinder-
sterblichkeit durct den Alkoholismus der Eltern wesentlich erhöht wird.
Aber auch andere Gifte, wie z. B. Blei und das syphilitische Gift wirken
in ähnlichem Sinne.
Babäk (4) entfernte bei Froschlarven das Gehirn und konstatierte
nach dieser Operation folgende Verhältnisse in Bezug auf den Ablaut* der
Metamorphose:
1. Vor allem läßt sich eine Abhängigkeit der Versuchsresultate von
den zeitlichen Verhältnissen der Entwicklung der Larven feststellen. Am
häufigsten, ja fast regelmäßig wird die Reduktion der Kiemen und des
Schwanzes gehemmt, wenn die Gehirnoperation einige Tage vor dem nach
äußeren Merkmalen leicht bestimmbaren Hervorbrechen der Vorderextremi-
täten durchgeführt wird.
2. Es ist wahrscheinlich, daß alle Gehirnabschnitte nicht in gleichem
Maße mit den morphogeuetischen Vorgängen, welche die Reduktion von
Schwanz und Kjemen bedingen, in Beziehung treten. Je distaler gelegene
76 Allgemeine Physiologie des Nervensystems.
Grehirnabschnitte beseitigt werden, um so sicherer gelingt es, die Meta-
morphose zu hemmen.
Auf welche Weise das Gehirn die Gestaltungsverhäitnisse beeinflußt^
ist Torläufig nicht sicher zu sagen.
Die im Titel der Arbeit enthaltene Frage glaubt Baglioni (6) auf
Grund seiner Versuche in positivem Sinne erledigt zu haben. Er legte das
Froschrückenmark bloß, schnitt es an der MeduUa oblongata durch und legte
eine Elektrode auf den Querschnitt, eine zweite an die Lumbaianschwellung.
Auf diese Weise erhielt er einen kräftigen Demarkationsstrom, der bei
Reizung der Fußhaut eine starke negative Schwankung zeigte. Vergiftet©
er lokal das Rückenmark mit Strychnin, so stieg der Wert des Demarkatious-
stromes auf das Doppelte und noch mehr. Da das Strychnin ausschließlich
die Ganglienzellen affiziert, so ist der Schluß gestattet, daß die vom De-
markationsstrom wahrgenommene Veränderung ausschließlich mit den intimen
Vergiftungsvorgängen der Ganglienzellen einhergeht, was ein indirekter
Beweis dafür ist, daß die Tätigkeit der Ganglienzellen doch mit Entwicklung
elektromotorischer Kräfte verbunden ist.
Die Ergebnisse der Arbeit Baglioni's (7) gipfeln in folgenden Sätzen :
1. Die an Wirbeltieren nachgewiesene elektive Wirkung des Phenols
auf einige bestimmte Teile des Zentralnervensystems erstreckt sich auch in
vollem Umfange auf das Zentralnervensystem der Wirbellosen (Eledone
moschata, Carcinus maenas, Sipunculus nudus). Dasselbe gilt für die elektive
physiologische Wirkung des Strychnins.
2. Wir besitzen im Phenol und Strychnin zwei wertvolle Mittel, um
rein physiologische Teile des Zentralnervensystems aller Tiere von einander
zu unterscheiden. Es gibt Teile, welche spezifisch nur auf Phenolwirkung
reagieren (Erhöhung der Erregbarkeit, klonische Krämpfe), welche man als
motorische Mechanismen des Zentralnervensystems bexeichnen kann (Vorder-
hörner, Ganglion stellatum der Eledone), und es gibt Teile, welche spezifisch
nur auf Strychninwirkung reagieren (Erhöhung der Erregbarkeit, tetanische
Krämpfe), welche man als sensible Mechanismen des Zentralnervensystems
bezeichnen kann (Hinterhörner).
3. Das Ganglion stellatum der Eledone moschata stellt ein nervöses
Zentralorgan dar, welches lediglich motorische Mechanismen (Ganglienzellen)
enthält; es reagiert allein nur auf die Phenolvergiftung mit klonischen
Krämpfen, während es für Strychnin völlig unempfänglich ist.
Baglioni (8) untersuchte das Zentralnervensystem von Medusen,
Echinodermen, Würmern, Mollusken, Vertebraten und fand, daß dasselbe
ein spezifisch größeres Sauerstoffbedürfnis hat, als die übrigen Körperorgane
und Körpergewebe. Demzufolge sind bei allen Tieren besondere Mechanismen
vorhanden, welche das Zentralnervensystem immer reichlich mit Sauerstoff ver-
sorgen. Bei den Tieren (Wirbeltieren, Weichtieren, Würmern), bei denen die
Ganglienzellen weit von ihrem ursprünglichen Orte, von der Berührung mit
der äußeren Umgebung, zu Anhäufungen im Innern des Körpers zusanmien-
getreten sind, treten Sauerstoffüberträger (Blutfarbstoffe) und Blutgefäße auf,
die das Zentralnervensystem reichlich mit Sauerstoff zu versorgen haben. Bei
den Tieren (Echinodermen, Medusen), bei denen die Ganglienzellen noch ihre
ursprüngliche Lage im Ektoderm aufweisen, besteht eine solche Vorrichtung
nicht, da dem Zentralnervensystem der nötige Sauerstoff immer zur Ver-
fügung steht. Dadurch leiden aber letztere Tiere rasch unter dem Sauerstoff-
mangel des Mediums.
Bethe (13) tritt der von Harnack gemachten Annahme, daß der
menschliche Körper eine physiologische Elektrizität besitze, entgegen und
Allgemeine Physiologie des Nervensystems. 77
wendet sich gegen die Behauptung, welche Harnack zur Stütze seiner
Anschauung anführte, daß nämlich die Pingerspitze geeigneter Personen
Glas und Hartgummi stärker und mit geringerem Kraftaufwande elektrisch
zu laden vermag, als leblose Materialien. B. wiederholte diese Versuche,
konnte aber Harnacks Resultate nicht bestätigen.
Bickel (15) berichtet über Versuche von Sasaki, die den Einfluß
von AflFekten auf die Magensaftabsonderung erweisen. Derselbe konstatierte
bei einem Hunde, der durch den Anblick einer Katze, durch den er in
große Aufregung geriet, gereizt wurde, daß die Magensaftabsonderung, die
durch eine Scheinfutterung hervorgerufen wurde, plötzlich sistierte, sowie,
daß nach dieser Beizung in einem zweiten Versuche durch eine nach-
trägliche Scheinfutterung keine Magensaftabsonderung erzeugt werden konnte.
Durch starke Affekte können also die nervösen Apparate des Magens so
nachdrücklich verstimmt werden, daß die mit der Aufnahme von Speisen
Hand in Hand gehenden nervösen Erregungen nicht mehr genügen, um die
normale Saftbildung auszulösen.
Bohn (18) beschäftigt sich im Ansclilusse an seine früheren Unter-
suchungen mit den Rotationsbewegungen der Hummern larven. Bei denselben
sind 3 Arten zu unterscheiden.
1. Die Rotationsbewegungen um die Längsachse des Köi*pers. Die-
selben sind sehr frequent. Es handelt sich aber dabei nicht um ein Rollung,
sondern um eine Reihe von Oszillationen auf beide Seiten der Gleich-
gewichtslänge. Unter gewissen Bedingungen, speziell, wenn die Larve an
eine Seitenwand anstößt, ändert sich die Bewegung. Während der Oszilla-
tionen stellt sich die Köiperachse in eine Kegelfläche, deren Scheitel am
Kopfe der Larve liegt. Diese Bewegung kann sich weiter ändern. Indem
sich der Winkel des Kegels allmählich öffnet, endet die Ortsveränderung
in einer Ebene, der Körper lagert sich wie die Speiche eines Rades, das
sich dreht. Das ist dann die zweite Art der Bewegung, die Rotation in
der Speiche eines Rades. Drittens kommt beim Schwimmen noch eine
Manegebewegung hinzu. Bei diesen Wirbelbewegungen suchen sich aber
die Larven in einer bestimmten Richtung zu orientieren und sich in dieser
fortzubewegen. Auf diese Weise resultiert beim Schwimmen eine krumme
Bahn, die gerade für die Hummernhirve charakteristisch ist.
Bohn (19) unternahm eine Reihe von Versuchen, welche bewiesen,
daß sich die Arthropoden nach der Verteilung von Licht und Schatten,
die ihre Augen treffen, orientieren, und daß häufig die Rotationsbewegungen
derselben durch diese Momente bedingt sind.
Bohn (17) gibt zunächst eine Einteilung der Rotationsbewegungen.
Dieselben zerfallen 1. in Reitbahnbewegungen, 2. in Rotationsbewegungen
im Kreisdurchmesser, 3. in Rollbewegungen.
Dieselben werden durch einseitige Verletzungen und asymmetrische
Reizungen des Tegmentes und der Sinnesorgane bei Insekten leicht erzeugt.
Bethe, Holmes, Axenfeld und Rädl studierten die Manegebewegungen,
die durch eine ungleiche Beleuchtung beider Augen erzeugt werden, und
Axenfeld konstatierte eine Beziehung zwischen dem Phototropismus und
dem Sinne der Manegebewegungen. Rädl stellte fest, daß die Beleuchtung
eines Auges einen Einfluß auf den Tonus der Muskeln derselben Seite hat.
Der Verfasser selbst will nun zeigen, welchen Standpunkt man zum Ver-
ständnis des Phototropismus einnehmen muß. Er beobachtete Rotations-
bewegungen okulären Ursprungs nicht nur bei den Anneliden und Gastro-
poden, sondern auch bei den Crustaceen und Fischen und fand: 1. Bei den
am Strande lebenden Anneliden ändert sich bei den Manegebewegungen der
78 Allgemeine Physiologie des Nervensystems.
Durchmesser der KrümmuDg der Bahn im entgegeugesetzten Sinne wie der
Unterschied der Beleuchtung zwischen beiden Augen. Der Sinn der Orts-
veränderung macht periodische Änderungen, synchron mit der Ebbe und
Flut, und dieselben persistieren noch eine Zeitlang im Aquarium. Man kana
sie in gewissen Fällen durch plötzliche Herabsetzung der Beleuchtung ändern.
2. Bei den am Strande lebenden Gastropoden bestehen dieselben Tat-
sachen. Der Sinn der Ortsveränderungen kehrt sich um, wenn das Tier an
der unteren Fläche eines Gegenstandes kriecht. 3. Bei den Lungen- Gastro-
poden sind dieselben Verhältnisse vorhanden. Der Sinn der Orts Verände-
rungen hängt von ihrem Ursprungsorte und der Tageszeit ab.
4. Unter den Strandcrustaceen zeigen die Seesterne Manegebewegungeu,
aber bei den meisten Crustaceen ruft die Entfernung eines Auges ver-
schiedene Rotationsbewegungen, nicht nur Manegebewegungen, sondern auch
Rotationsbewegungen im Kreisdurchmesser, Rollbewegungen oder eine mehr
oder weniger permanente Neigung gegen die Vertikalebene hervor. Bei den
Krabben (carcinus maenas) treten nach Entfernung eines Auges häufig Be-
wegungen auf, die einer vertikalen Linie oder Fläche folgen und eine auf
die vorige senkrechte Richtung zeigen. Ja, es genügt beim Carcinus das
Passieren einer beschatteten Fläche, die momentan eines seiner Augen ver-
dunkelt, um eine Rotationsbewegung um seine Achse zu erzeugen. Beim
Platyonichus latipes treten nach einer ungleichen Beleuchtung beider Augen
sehr häufige Rotationsbewegungen im Kreisdurchmesser auf.
Diese Tatsachen, die sich in gleicher Weise bei den Anneliden und
den Mollusken finden, gestatten in einem gewissen Maße die Anziehung und
Abstoßung durch das Licht, die Phototaxis zu verstehen.
Auch bei Fischen kanu man analoge Erscheinungen wie bei den
Crustaceen beobachten. Wenn man ihnen ein Auge entfernt, so krümmt
sich ihr Köi-per in der Achse mit der Konkavität nach der Seite des
erhaltenen Auges, und die Sagittalebene ist ebenfalls nach dieser Seite ge-
neigt. Häufig finden sich unmittelbar nach der Verletzung Rollbewegungen,
die kürzere oder längere Zeit persistieren.
Camer^r (23) machte verschiedene willkürliche Bewegungen mit
seinem rechten Arme und registrierte dieselben auf einer SchreibtrommeK
Bei der Ausmessung der so gewonnenen Zeitkurven zeigte es sich, daß bei
einer gewollten gleichmäßigen Bewegung tatsächlich eine solche zustande
kam, nur daß zu Beginn eine leichte Beschleunigung, am Ende eine leichte
Verzögerung zu konstatieren war. Eine gewollte beschleunigte Bewegung
erwies sich nach der Kurve als eine gleichförmig beschleunigte. Letztere
ist die sparsamste Art der Hirn- und Muskelarbeit.
Camerer (24) legt in dieser populär gehaltenen Schrift seine An-
schauungen über diesen Gegenstand nieder und bespricht zunächst den
Dualismus und Monismus, den Willen und die Bewegung, den Sinnesreiz
und die Empfindung, die Entwicklungsstufen von Körper und Geist und
zwar in der Zeit vor der Geburt, dann von der Geburt bis zur Zeit der
Reife, den Einfluß des Geschlechtsunterschiedes im Alter der Reife, die
Erziehung der Mädchen, die Ehe und nimmt hier speziell Stellung gegen
das Frauenstudium.
Dubois (28) polemisiert gegen Giesbrecht, der dessen Anschauung,
die Leuchtsubstanz sei lebendes Protoplasma, als nicht mehr gültig, ihn
aber selbst als einen JS^eovitalisten bezeichnete, und behauptet, daß, wenn
sein Gegner alle seine Arbeiten gelesen hätte, er nicht in dieser Weise
gegen ihn aufgetreten wäre. Er gibt zu, daß mitunter die Erklärung beob-
achteter Tatsachen mit der Entdeckung neuer in Widerspruch stehe, aber
Aligremeine Physiologie des Nervensystems. 79*
dies komme in der Entwicklung der Wissenschaft stet« vor. Er schreibt
sich das Verdienst zu, die Präge der Biophotogenese aufgerollt zu haben.
Seine Untersuchungen wurden die Grundlage einer Reihe von Arbeiten.
Zum Schlüsse verteidigt er sich gegen den Vorwurf, als Neovitalist
angesehen zu werden.
Dnbois (29) knüpft an eine Äußerung Giards an, der von einer
alten Schule der Physiologie sprach, woraus auf die Existenz einer neuen
Schale geschlossen werden muß. Er wünscht im Interesse der Wissenschaft,
daß 6iard diese neuen Prinzipien und Methoden, sowie das neue Material
bekannt gebe, und erklärt sich zu der neuen Richtung bekehren zu lassen,,
wenn dieselbe sich als vorteilhaft erweisen sollte.
Fore (41) gibt zunächst eine Definition des Gähnens. Dasselbe ist
eine lange und tiefe, vom Willen unabhängige Inspiration mit mehr oder
weniger starker Öffnung der Kiefer und gefolgt von einer verlängerten
Exspiration. Es handelt sich um eine krampfhafte Kontraktion aller
Inspirationsmuskeln, welche durch eine vorhergehende Periode oberfläch-
licher Atmung erzeugt ist
Das Gähnen kann verschiedene Ursachen haben: Ermüdung, Schlaf-
bedürfnis, Langeweile, Hunger, schwierige Verdauung, Eintönigkeit der
Empfindungen. Es ist ansteckend und kann durch den Anblick oder durch
das Gehör oder durch ein Erinnerungsbild hervorgerufen werden.
Nach der Besprechung der Ursachen des Gähnens wendet sich der
Autor zum Studium der Wirkung des Gähnens auf die ergographische
Arbeit. Bei seinen Versuchen trat das Gähnen nie während der ergo-
graphischen Arbeit, sondern immer nur während der Buhepausen ein. Zeigte
sich das Gähnen in der zweiten Hälfte der Ruhepause, so war es von einer
deutlichen Erniedrigung der Arbeit gefolgt. War durch die Ermüdung
bereits an und für sich eine Herabsetzung der Arbeit erfolgt, so wurde sie
durch das Gähnen noch weiter herabgedrückt. In allen Fällen folgte dann
auf die Verminderung eine Erhöhung der Arbeit, außer daß sich das Gähnen
wiederholte und dadurch die Herabsetzung verlängerte.
Pere (40) bezieht sich auf seine früheren Untersuchungen, in denen
er nachwies, daß angenehme Reize eine Steigerung, unangenehme eine Herab*
Setzung der willkürlichen Tätigkeit erzeugen. Aus dieser Tatsache kann
man erschließen, daß unangenehme Reize viel stärker sind, zumal man
beobachtet, daß die Summierung mehrerer angenehmer Reize genau dieselbe
Arbeitsherabsetzung hervorruft, wie ein unangenehmer Reiz. Man kann daher
Toraussetzen, daß auch der Schmerz eine solche Herabsetzung erzeugt. Die
Versuche, die der Autor in dieser Richtung unternahm, bestätigten diese
Annahme.
Zu den Versuchen bediente er sich des Bloch sehen Sphygmometers,
dessen Pelotte sehr gut dazu dienen kann, einen schmerzhaften Druck zu
erzeugen. Zunächst wurde der Druck auf den rechten Vorderarm studiert.
Es zeigte sich nun, daß bei geringem und kurzem Drucke eine ganz leichte
Steigerung der ergographischen Arbeit eintrat, die wieder in normaler Zeit
zurückging. Dauerte der leichte Druck längere Zeit, wurde die Arbeit ver-
mindert und die Ermüdung blieb bestehen. Wurde der Druck stärker, so
steigerte sich das Unvermögen in dem Maße, als die Dauer zunahm. Wenn
aber nach einer kurzen Ruhepause der Druck abermals angewendet wurde,
so wurde die Arbeitsleistung verstärkt.
Es verhalten sich demnach schmerzhafte Reize genau so, wie unan-
genehme oder wie häufige oder andauernde. Wenn aber ein schmerzhafter,
herabsetzender Reiz seine Wirkung auf die Arbeit verliert, dann steigert
:80 Allgemeine Physiologie des Nervensystems.
•er dieselbe. Diese Eigenschaft yermindert sich mit der Zunahme der Dauer
der Reizung. Man kann annehmen, daß der Schmerz unzertrennlich mit
der Ermüdung verbunden ist, letztere also eine Vorbedingung für denselben
darstellt.
Pere (52) bringt die Krankengeschichte eines epileptischen Knaben,
der von gesunden Eltern abstammt und macht fiir die Erkrankung sexuelle
Exzesse der Eltern während der Schwangerschaft verantwortlich. Er erwähnt,
daß die sexuelle Unenthaltsamkeit während der Schwangerschaft erfahrungs-
gemäß nicht nur Frühgeburt erzeugt, sondern auch zu Erkrankungen und
Degeneration der Frucht führen kann. Man kann daher den im Beginne der
Schwangerschaft auftretenden unbezwinglichen Abscheu des Weibes gegen
den Mann als eine natürliche Schutzvorrichtung betrachten, die im ganzen
Tierreiche zu finden ist.
Fere (43) studierte den Einfluß der Ermüdung auf die ergographische
Arbeit und fand, daß willkürliche Bewegungen, mögen sie noch so gering
sein, eine lange Zeit latente, schließlich manifest werdende Ermüdung setzen.
Letztere ist desto stärker, je geringer die Arbeitsleistung ist, durch die sie
erzeugt wurde, wenn dieselbe langdauernder war. Die Zahl der Hebungen
nahm in dem Maße ab, als die Größe des Gewichtes zunahm, die Arbeit
stieg aber dabei bis zu 4 kg und nahm von da wieder ab. Die Dauer
der Arbeit wirkte in geringerem Grade herabsetzend, als die Größe des
Gewichtes steigernd.
Fere (42) untersuchte den Einfluß einer vorangehenden geistigen Vor-
stellung einer Bewegung auf die nachfolgende ergographische Arbeit Der
Effekt war verschieden, je nach der Schwere des Gewichtes, das man sich
bei der fiktiven Hebung vorstellte.
Zunächst stellte er sich vor, während einer Minute jede Sekunde ein
Gewicht von 3 kg zu heben. In der darauffolgenden Sekunde wurde dann
das wirkliche Gewicht hoch gehoben^ aber in der nächsten Sekunde war
schon die Hubhöhe eine unbedeutende. Nach einer Pause von 18 Minuten
war die Arbeitsleistung wieder normal geworden.
Die Vorstellung von 5 kg mußte wegen der Unmöglichkeit, dieselbe
weiter fortzusetzen, schon nach 25 Sekunden abgebrochen werden. Die
darauffolgende wirkliche Hebung des Gewichtes von 3 kg, die erst nach
Ablauf der ersten Minute versucht wurde, ergab trotz der Ruhepause von
35 Sekunden eine sehr geringe Hubhöhe, und auch nach einer Pause von
18 Minuten zeigte sich noch eine Ermüdung in Form eines sehr schwachen
Ergogramms.
Auch die Vorstellung der Hebung eines Gewichtes von 4 kg mußte
nach 30 Sekunden abgebrochen werden. Nach einer Pause von 30. Sekunden
wurde die wirkliche Hebung versucht. Dieselbe fiel sehr schwach aus, und
ebenso w^ar noch nach einer Pause von 18 Minuten die Ermüdung deutlich.
Die Vorstellung der Hebung von 2 und 1 kg hatte eine Steigerung der
Arbeitsleistung bei der nachfolgenden wirklichen Hebung zur Folge.
Es zeigte sich demnach, daß die durch die fiktive Hebung erzeugte
Ermüdung nicht proportional der Größe des Gewichtes verläuft, sondern sehr
wechselnd ist. Die Vorstellung der Hebung schwerer Gewichte setzt eine
bis zur völligen Erschöpfung gehende Ermüdung voraus.
Fere (45) untersuchte die Reaktionszeit an den Fingern beider Hände
bei einem 67jährigen Klavierlehrer, der behufs weiterer Vervollkommnung
im Klavierspiele nach Paris gekommen war. Er konstatierte zunächst, daß
die Reaktionszeit an den Fingern der linken Hand kleiner war, als an denen
der rechten, eine Beobachtung, die er übrigens häufig bei Klavierspielern
Allgemeine Physiologie des NerveDsystems. 81
gemacht hatte, — femer stellte er fest, daß die Reaktionszeit mit der Zu-
nahme der Schnelligkeit und der Größe der Bewegungen und der zu-
nehmenden Kenntnis Ton der Stellung der Finger, abnahm, d. h. die Senaibi-
lität wuchs.
Er sieht in dieser Beobachtung den Beweis, daß die Erziehung in
gewissem Sinne auch in späterem Alter noch etwas leisten kann.
Pere (32) studierte die Rolle der Blickbewegungen bei der Arbeit
am Ergographen, indem er einige gut gekannte Illusionen untersuchte.
Von zwei geraden, parallelen, gleichlangen Linien, Ton denen die eine
durch kurze senkrechte Linien geteilt ist, erscheint letztere viel länger. Den
Einfluß dieser Illusion studierte der Autor, indem er diese Linien in der
Entfernung Ton 5 m von der Versuchsperson anbringen ließ. Letztere hatte
den Auftrag, mit dem rechten Mittelfinger jede Sekunde 3 kg bis zum voll-
standigen Unvermögen zu heben und nach einer Ruhepause von 18 Minuten
wieder eine Hebung zu machen.
Wenn der Versuch ohne Vorbereitung gemacht wurde, war das erste
Ergogramm konstant und das zweite nach der Ruhepause gleich dem ersten.
Wenn aber der ergographischen Arbeit unmittelbar ein Hin- und Herpendeln
der Blickrichtung längs der ungeteilten Linie während 20 Sekunden voran-
gegangen war, stieg die Arbeit, und wenn das Auge über die geteilte Linie
hinschweifte, nahm noch die Arbeit im ersten Ergogramm zu.
Wenn die vorhergehenden Augenbewegungen nuj: eine leichte Reizung
setzten, so daß die Arbeitsleistung unter 10 kg blieb, genügte die Ruhepause
Ton 18 Minuten, um das zweite Ergogramm dem ersten wieder gleich zu
machen. War aber die Reizung eine stärkere, blieb auch nach einer Ruhe-
pause von 18 Minuten die Ermüdung bestehen. Wenn aber die Blickbe-
weguDgen längs der geteilten Linie längere Zeit fortgesetzt wurden, riefen
sie sofort eine Ermüdung hervor.
Weitere Versuche wurden mit geraden Linien unternommen, deren
beide Enden durch je zwei im Winkel aneinanderstoßende kurze Linien
begrenzt waren. Die Winkel waren einmal gegen die Mitte, ein andermal
in der Richtung der Verlängerung der Geraden offen. Die Bewegung der
Blickrichtung längs der zweiten Linie wirkte zwar viel stärker erregend,
andererseits aber auch viel stärker hemmend.
Interessant waren auch die Resultate, die er erhielt, wenn er den Blick
längs der Schenkel eines Winkels gleiten ließ. Je mehr sich der Winkel
öffiiete, desto stärker äußerte sich die Ermüdung, und zwar war dies in den
Fällen, in den der Scheitel des Winkels nach unten sah, viel ausgesprochener,
als in den entgegengesetzten Fällen.
Pere (47) wiederholte zunächst seine früheren Versuche über den
Einfluß der Stellung nach verschiedenen Himmelsrichtungen auf .die ergo-
graphische Arbeit und konnte seine früheren Angaben bestätigen. Beim
Schauen nach Süden ist die Arbeit gering, nach Norden größer, noch größer
nach West oder Ost. Genau dasselbe relative Verhalten zeigte sich bei
Terdeckung der Augen, nur daß in letzterem Falle die Anfangsarbeit eine
nel geringere war.
Weitere Untersuchungen waren dem Studium des Einflusses partieller
Sonnenfinsternis auf die ergographische Arbeit gewidmet.
Schließlich untersuchte der Autor den Einfluß des Rhythmus der
Hebungen auf die ergographische Arbeit bei verschiedener Orientation.
Pere (33) hatte Gelegenheit, bei einem Knaben, den er behufs Unter-
suchung entkleiden ließ, die Ausdehnung einer zufällig eingetretenen Scham-
röte zu beobachten. Dieselbe erstreckte sich rasch über Gesicht, Hals,
Jahresbericht f. Neurologie und Psychiatrie I90ö. ^
S2 AUgemeiue Physiologie des Nerveosystems.
Brust, Bauch und Extremitäten, sowohl vorne als hinten. Sie bedeckte
gleichmiäßig den ganzen Körper mit Ausnahme der Hände bis zum Daumen
und der Füße bis zum Knöchel und verschwand nach einigen Sekunden bis
auf das Gesicht, das rot blieb.
Fere (34) erwähnt eigene Beobachtungen, wo nach Kitzeln schwere
Störungen auftreten, bei einem Knaben ein epileptischer Anfall, bei einem
Mädchen eine Chorea, in einem anderen Falle neurasthenische Beschwerden.
Im Anschluß daran zitiert er auch fremde Beobachtungen, nach denen Herz*
Störungen, ja sogar der Tod eingetreten sein soll. Dies alles selbst bloß
nach einer Androhung des Kitzeins.
Verf. sucht dann das Kitzeln zu analysieren. Nur eine leichte Be-
rührung ohne Druck ruft die Wirkung hervor. Letztere hängt auch davon
ab, ob das Individuum überrascht wird oder nicht. Ermüdung steigert die
Erregbarkeit. Rhythmische, rasche Bewegungen sind weniger wirksam, als
irreguläre. Erstere erzeugen eine angenehme Eknpfindung, wie eine Lieb*
kosung, letztere mehr eine Qual. Die Intensität der Wirkung steigt bei
erregbareren Personen und an erregbareren Stellen. Bei verschiedeneu
Individuen sind gleiche Stellen mehr oder weniger erregbar. Die erreg-
barsten sind meist die mit Nerven am stärksten versorgten, die Nasenlöcher,
die Gehörgänge, die Lippen, die Fußsohlen, die Handflächen, die vordere
Fläche des Halses, die Hüften usw. Bei manchen Individuen sind aber die
weniger sensiblen Zonen stärker erregbar, wie z. B. die Seiten, der Bauch,
der Kücken oder die Hinterflächen der Extremitäten.
Die Erregbarkeit nimmt mit dem Alter ab.
Während das psychische Lachen in einer, ursprünglich im Gesichte
lokalisierten Zusammenziehung besteht, folgt das mechanische Lachen beim
Kitzeln krampfhaften Bewegungen, die sich verallgemeinern und oft auf das
Gesicht übergreifen.
Um sich über die Wirkung des Kitzeins Rechenschaft zu geben, prüfte
der Autor dessen Reaktion auf die ergographische Arbeit. Der Kitzel
wurde dabei durch Hin- und Herfahren mit einem Borstenpinsel erzeugt.
War die Reizung kurzdauernd, so vergrößerte sie die Arbeit. Überstieg ihre
Dauer 20 Minuten, so rief sie eine Herabsetzung hervor. Je empfindlicher
die gekitzelte Regiou war, desto stärker war die Steigerung, aber auch die
nachträgliche ErniedriguDg.
Fere (51) fand, daß eine Arbeitsleistung von immer langsamerem
Rhythmus eine immer größere Arbeit liefert, und zwar bis zu einem Rhythmus
von 10 Sekunden. Man sollte nun glauben, daß bei diesem Rhythmus eine
unbegrenzte Arbeit möglich ist. Dem ist aber nicht so. Es tritt nämlich
auch da eine Ermüdung ein, die aber zu gering ist, um manifest zu werden,
bis sie nach einiger Zeit plötzlich in Erscheinung tritt.
Fere (48) verglich die Arbeitsleistung am Ergographen beim Sitzen
und beim Stehen. Er konstatierte, daß im ersten Falle die Arbeit zu Beginn
geringer war, dann aber bloß wenig abnahm und zum Sclüusse noch genug
groß war, w^ährend im zweiten Falle anfangs die Arbeit sehr groß war, bis
zum 16. Ergograram in dieser Höhe anhielt, dann aber rasch sank, daß also
durch das Stehen während einer kurzen Periode die Arbeit begünstigt wurde,
dann aber eine starke Ermüdung eiutrat.
Fere (49) unternahm Versuche, um den Einfluß vorangehender Im-
mobilisierung auf die ergographische Arbeit festzustellen. Dabei muß man
zweierlei Arten von Inmiobilisierung unterscheiden: Eine tonische, wie z. B.
die Habt-Acht-Stellung beim Soldaten, die in Wirklichkeit eine starke
Tätigkeit darstellt. Sie ist, wenn sie nicht lange dauert, im stände, eine
Allgemeine Physiologie des NerveDsystems. 83
sehr rasche, energische und präzise Bewegung vorzubereiten. Dauert sie
aber lange, erzeugt sie eine Ermüdung, die die Größe der Arbeit herabsetzt.
Die zweite Art ist die atonische oder schlaffe Immobilisierung, die den
Schlaf and die Ruhe charakterisiert. Auch sie kann, wenn sie länger dauert,
die Arbeitskapazität vermindern.
Den Einfluß der letzteren wählte der Autor als Untersuchungsobjekt
und fand, daß die Immobilisierung, wenn sie sehr kurz war, die Arbeit nicht
beeinflußte. Dauerte aber die Immobilisierung fünf Minuten, so zeigte sich
zunächst ein Anschwellen der Arbeit, dem bei weiterer Verlängerung der
Immobilisiemngszeit wieder ein Abschwellen folgte. Im weiteren Verlaufe
der Arbeit konstatierte er aber bei kurzdauernder Immobilisierung eine
allmählich zunehmende Ermüdung, während bei länger dauernder Immobili-
derong nach der ursprünglichen Herabsetzung wieder eine starke Steigerung
der Arbeit erfolgte.
Pere (50) knüpft an seine früheren Versuche an, welche zeigten, daß
sowohl durch sensible, als auch durch toxische Reize eine vorübergehende
Steigerung der Arbeit erzeugt wird, der eine um so schnellere und tiefere
Ermüdung folgt, je größer die ursprüngliche Steigerung war. Die schwachen
Reize zeigten sich am geeignetsten, die Arbeit zu verlängern, während die
starken Ermüdung, begleitet von Schmerz, erzeugten. Im allgemeinen be«
Bchleanigten die Reize die Ermüdung, nur daß die schwachen weniger rasch
wirkten. Auf Grund dieser Tatsachen sucht der Autor jene Methode zu
ergründen, welche die Arbeit am dauerndsten und angenehmsten macht, die
Ermüdung am meisten hinausschiebt.
Eine Art besteht darin, daß man den Rhythmus der Hebungen ver-
laQgsamt Auf diese Weise wird die Arbeitsdauer verlängert, aber plötzlich
tritt Ermüdung ein. Eine andere Art beruht darauf, daß man vor Eintritt
der vollständigen Ermüdung die Arbeit abbricht, um sie nach einer Ruhe-
pause wieder aufzunehmen. Dieses Haushalten mit der Arbeitsleistung be-
günstigt nicht nur eine Vergrößerung des Arbeitseffektes, sondern hält auch
die Amplitude der Bewegungen lange Zeit auf gleicher Höhe, ebenso deren
Schnelligkeit und Exaktheit.
Pere (36) untersuchte weiter, inwiefern die Art des Kitzeins Einfluß
auf die ergographische Arbeit hat, indem er das einemal mit dem Borsten-
pinsel an verschiedenen Stellen in querer Richtung, das anderem al in der
Quer- und Längsrichtung hin und her strich.
In den ersten Fällen zeigte es sich, wie in früheren Versuchen, daß
sich die Steigerung der Arbeit nicht proportional der Reizungsdauer erhob,
und daß, wenn die Reizung so lange dauerte, daß die Arbeit bedeutend ab-
geschwächt wurde, die Ermüdung nicht mehr gleichmäßig zunahm. Die
Monotonie schwächte die steigernde Wirkung ab.
Wenn die Reizung in einer weniger monotonen Weise erfolgte (Streichen
in der Quer- und Längsrichtung), erhielt man in einer kürzeren Zeit eine
viel stärkere Ermüdung.
Pere (36) beobachtete, daß, wenn eine Tätigkeit infolge irgend eines
Beizes erschöpft war, dieser selbe Reiz weiter nur eine minimale und schnell
Toröbergehende Wirkung hatte, während andere Reize, namentlich auf dem
Gebiete anderer Sinne, eine bedeutende und langdauernde Steigerung der
Arbeit erzeugten. Der unmittelbare Effekt dieser wechselnden, aufeinander
folgenden Reize zeigte oft eine desto größere Arbeitssteigerung, je größer
die Ermüdung war. Unangenehme Reize setzten die Arbeit herab, wenn
«ie während der Ruhepause appliziert wurden, und steigerten sie, wenn sie
6*
84 Allgemeine Physiologie des Nervensystems.
während der Ermüdung einwirkten. Angenehme Reize gaben eine geringere
Steigerang der Arbeit nach der Ruhepause als während der Ermüdung.
Wenn nach der ersten Arbeitsleistung eine bestimmte Ruhepause ge-
nügte, um die Höhe der normalen Arbeit wieder herzustellen, zeigte eine
neue Reizung nach derselben Pause eine gesteigerte Erregbarkeit. Die
Pause also, die genügte, ,um die Größe der Arbeit wieder herzustellen,
reichte nicht aus, um die Übererregbarkeit zu unterdrücken.
Aufeinander folgende Reize ohne Arbeit dazwischen gaben ganz ver-
schiedene Resultate. Die Erfahrung lehrte, daß zwei verschiedene Reize
sich summieren und Ermüdung erzeugen. Ein unangenehmer herabstimmen-
der Reiz wirkte noch herabstimmender, wenn ihm ein angenehmer, arbeit-
steigeruder Reiz vorangegangen war oder folgte. Zwei aufeinander folgende
angenehme Reize setzten die Arbeitsgröße herab, obwohl sie jeder für sich
dieselbe steigerten.
Der Autor prüfte nun die Reaktion auf einige Reize mit dem Ergo-
graphen.
Als Reize wurden angewendet: Riechen an einem Fläschchen mk einer
riechenden Flüssigkeit, Absinthessenz, mit der ein Filtrierpapierstückchen
befeuchtet und auf die Zunge gelegt wurde. Streichen mit einem Borsten-
pinsel am Vorderarm, Drack auf die Augen.
Es zeigte sich, daß die Wirkung einer unangenehmen Reizung durch
eine angenehme nicht aufgehoben wurde. Das Resultat war eine Depression.
Pere (37) studierte die Dauer der Einwirkung der geistigen Vor-
stellung einer Bewegung auf die durch diese Bewegung erzeugte Arbeits-
leistung. Der Versuch bestand darin, sich die Beugebewegung des rechten
Mittelfingers, der 3 kg hebt, jede Sekunde vorzustellen und nach der
20. Vorstellung diese Bewegung mehrere Minuten hindurch auszuführen.
Die vorhergehende Vorstellung vermehrte die Arbeit. Diese Wirkung
war am deutlichsten, wenn die wirkliche Arbeit nicht früher als nach einer
oder zwei Minuten nach der imaginären Arbeit begann. Wartete man
länger, bis zu 7 Minuten, nahm die Arbeit ab, und wurde die Wartezeit
noch verlängert, wurde die Arbeit wieder normal.
Nachdem Fere (38) die Wirkung zweier aufeinander folgender Reize
auf die ergographische Arbeit studiert hatte, versuchte er die Wirkung
zweier gleichzeitig einwirkender Reize zu ermitteln.
Als Reiz wurde eine ganz kleine Zinkplatte verwendet, die in Wasser
auf 60® erwärmt und auf den Vorderarm gelegt wurde. Dieser Reiz allein
war so schwach, daß er kaum eine größere als die normale Arbeitsleistung
erzeugte und die Ermüdung in der normalen Zeit wieder rückgängig machte.
Wenn aber dieser Reiz mit einem anderen schwachen (Streichen mit einem
Borstenpinsel) kombiniert wurde, erhielt man eine Steigerang der Arbeit,
die freilich auch gering war. Wenn aber beide Reize stark waren, erhielt
man eine Herabsetzung der Arbeit nicht nur unmittelbar nach der Reizung,
sondern auch nach einer Ruhepause, die hinreichend war, die normale
Arbeitsleistung wieder herzustellen.
Pere (39) beschäftigte sich mit der Wirkung von Giften auf die
ergographische Arbeit. Es ist bekannt, daß, wenn ein Mensch unter dem
Einflüsse eines Giftes arbeitet, eine neuerliche gleiche Dosis eine neuerliche
und stärkere Wirkung hat als die erste. Diese Steigerang könnte als Aus-
druck einer Kumulation des Giftes aufgefaßt werden. Wenn man aber die
Wirkung der gleichen Dosis der gleichen Substanz vergleicht, wenn man
sie einmal während der Ruhepause, das andere Mal nach der Arbeit dax-
Allgemeine Physiologie des Nervensystems. 35
reicht, so sieht man, daß in letzterem Falle eine viel stärkere Wirkung
eneugt wird. Diese Reaktion maß der Autor am Ergographen.
5 Minuten nach Darreichung von 1 g Bromkalium (in einer Kapsel^
am den Geschmack zu vermeiden) wurde eine normale Arbeitsleistung
erzielt 5 Minuten später zeigte ein zweiter Versuch eine deutliche Steige-
roDg der Arbeitsleistung. Einige Tage später zeigte nach einer Arbeit
unter dem Einflüsse zweier gleichzeitiger sensorischer Reize schon die erste
Leistung 5 Minuten nach Darreichung derselben Dosis eine bedeutende
Steigerung. Diese Unschädlichkeit des Bromkaliums war auch bei höheren
Dosen zu konstatieren. Wenn aber 5 Minuten nach Darreichung von 6 g
Bromkalium die Arbeit begonnen wurde, ergab die Arbeitsleistung eine be-
deutende Herabsetzung, die nach 8 Minuten noch stärker wurde. Aber
nach einer Arbeit unter dem Einflüsse von zwei gleichzeitigen sensiblen
Reizen zeigte die erste Arbeitsleistung 6 Minuten nach Darreichung der-
selben Dosis eine deutliche Steigerung. Die Steigerung hatte die Herab-
setzung, die in den Versuchen mit Darreichung der toxischen Substanz in
der Ruhepause erzielt wurde, überkompensiert.
Auch das Veronal wirkte verschieden, je nachdem das Individuum in
Ruhe ist oder gearbeitet hat.
In einem Versuche ließ der Autor nach einer unter dem Einfluß von
drei gleichzeitigen sensiblen Reizen ausgeführten Arbeit und zwar 5 Minuten
nach dem zweiten Ergogramm 0,25 g Veronal in einer Kapsel nehmen.
5 Minuten später stieg die Arbeit mäßig an. Einige Tage später wurde in
der Ruhe 5 Minuten vor der Arbeit dieselbe Dosis genommen. Hierauf
sank die Arbeit bedeutend herab.
Ganz analoge Resultate gab ein Valeriana- Extrakt.
Die Versuche lehrten demnach, daß beruhigende Mittel in kleinen
Dosen anfangs eine mehr oder weniger erregende Wirkung haben, die stärker
ist, wenn die betreffende Substanz nach der Arbeit dargereicht wird.
Die Methode von Frey, welche Fontana (53) zur Feststellung der
kutanen Schmerzempflndlichkeit anwendet, besteht darin, daß mit verschieden
laugen Tierhaaren von verschiedenem Querschnitt gearbeitet wird. Das freie
Ende des Haares ist mit einem kleinen Holzstückchen versehen und mit
einer Präzisionswage senkrecht verbunden und hebt, je nach seiner Länge
und dem Querschnitt, ein Gewicht verschiedener Größe, bis es sich zu biegen
beginnt. Das Maximum des gehobenen Gewichtes wird in g ausgedrückt,
und der Qaotient aus diesem und der transversalen Durchschnittsfläche des
Haares gibt in g/mm* die Größe des Druckes an. Frey suchte durch seine
Methode zu erweisen, daß den Schmerzpunkten der Hautoberfläche ebenso-
Tiele spezifische Organe für Schmerzempfindung entsprechen müssen und auf
1 cm* etwa 100 — 200 konmien. Wenn ihr Schwellwert an bestimmten
Gegenden, etwa der Cornea, 0,2 gr/mm* ist, so erreicht er an den Finger-
spitzen 300 g/mm*. F. fand nun durch Vergleiche bei verschiedenen Indi-
Tidnen an ein und derselben Hautstelle, speziell der regio frontalis sinistra
anterior den Schwellwert 37 — 40 g/mm^, im allgemeinen jedoch zwischen
28—55 schwankend, was er damit erklärt, daß überhaupt normalerweise
die Schmerzempfindung bei den verschiedenen Individuen zu schwanken
pflegt. (Bendix.)
Als neugewählter Präsident der New- Yorker neurologischen Gesellschaft
tritt Fraenkel (54) in seiner Antrittsrede dem jetzt in der Neurologie
temchenden Pessimissmus entgegen und versucht weitgehende Ausblicke
fc die Zukunft dieses Zweiges der Medizin zu eröffnen. Als passendstes
86 Allgemeine Physiologie des NerrensvBtems.
Thema für diesen Zweck wäMt er die Beziehungen des somatischen und
autonomen Nervensystems zur Pathologie der vegetativen Funktionen.
Er gibt eine übersichtliche Darstellung aller bekannten trophischen
sekretorischen und vasomotorischen Störungen und zieht in den Bereich
seiner Betrachtungen die Störungen der Drüsen mit innerer Sekretion und
ihre Folgen, deren Beziehung zum Nervensystem er zu beweisen sucht
Gelle (55) vertritt die Anschauung, daß bei der Reform der Ortho-
graphie physiologische Argumente geltend zu machen seien, da die Sprache
in das Gebiet der Physiologie gehört und die Orthographie eine getreue
Reproduktion der gesprochenen Laute sein soll.
Nun hatte man das Bestreben, die Orthographie durch Weglassen von
Schriftzeichen, die man für überflüssig hielt, zu vereinfachen. Dabei besteht
aber die Gefahr der Eintönigkeit, der Einförmigkeit, d. h. des Fehlens des
Charakters, der der Sprache Leben gibt. Die heutigen Mittel der Ortho-
graphie reichen bei weitem nicht heran an die Sprache; wozu dieselben
noch einschränken?
Die artikulierte Sprache ist eine Aufeinanderfolge von Lauten und
Ruhepausen. Letztere stellen die Zeit dar, innerhalb welcher der phonie-
repde Luftstrom unterbrochen oder abgeschwächt ist durch Verschluß oder
Verengerung des Lautkanals. In diesem Momente bilden sich die zur
Phonation nötigen Muskelkontraktionen aus. Dieselben brauchen eine gewisse
Zeit, und die Lautstille markiert diese Zeit, die verschieden ist, je nachdem
der motorische Effekt einfach oder zusammengesetzt, schnell oder verlangsamt
ist. Die artikulatorischen Bewegungen sind, wie jede motorische Aktion,
durch den Willen beeinflußbar.
Diese physiologische Analyse zeigt also, daß auch die durch die ortho-
graphischen Zeichen umgebildeten Konsonanten eine Bewegung darstellen,
und die Orthographie sollte so gut als möglich diese Zeiten und diese arti-
kulatorischen Bewegungen kenntlich machen.
An der Hand von einigen Beispielen zeigt der Autor mittelst graphi-
scher Verzeichnung, wie wichtig die Anwendung von Doppelkonsonanten
oder von zwei nicht verschmelzbaren Konsonanten ist, daß durch dieselben
angezeigt wird, mit größerer Ausdruckskraft zu sprechen. Er erwähnt ferner,
daß das aspirierte h den Charakter des Durchdringenden und des Rauhen
aufprägt und der Leser sich von den orthographischen Zeichen leiten lassen
soll, wenn er Geschriebenes lesen will, um das Leben dem wiederzugeben,
was er dem Papier anvertraut hat. Die Orthographie soll eben eine beschei-
dene Dienerin der Sprache sein und hat daher die Pflicht, die Übertragung
zu sichern.
Die Lautartikulationen sind die Manifestationen der motorischen Energie
und der Lebendigkeit der Sprache. Deshalb sollte man eher bestrebt sein,
die Schriftzeichen, die ein besseres Bild der Laute geben können, zu ver-
mehren, als einzuschränken.
Giesbrecht (56) polemisiert gegen Dubois, der in widerspruchsvoller
Weise die Leuchtkraft der Lebewesen bald für eine physikalisch-chemische
Eigenschaft, bald für einen physischen, vitalen Vorgang nachzuweisen suchte.
In seiner letzten Arbeit über die Vakuoliden führte D. aus, daß die Leucht-
kraft derselben auf einem Atmungsprozeß, respektive Sauerstoffbedürfnis
beruhe. (Bendia.)
Haberlandt (58) verteidigt gegenüber Bütschli den von ihm in
einem Vortrage gebrauchten Ausdruck von Sinnesorganen von Pflanzen fiir
deren Perzeptionsorgane und rechtfertigt diese Nomenklatur dadurch, daß
Allgemeine Physiologie des Nervensystems. 37
Sinnesorgane physiologisch betrachtet zur Anslösnng von Reizbewegangen,
p^chologisch betrachtet zur Auslösung von Bewuftseinsvorgängen dienen.
In England hat sich eine Gesellschaft gebildet, die es sich zur Auf-
gabe machte, eine gleichmäßige Einübung beider Hände bei den täglichen
Verrichtungen zu propagieren. Harman (61) nimmt zu derselben Stellung.
Bevor er aber ein Urteil über die Berechtigung solcher Bestrebungen ab-
gibt, entwickelt er seine Anschauung, wie wir zu der sog. Eechtshändigkeit
gekommen sind, und ob eine solche überhaupt besteht.
"Wenn wir die phylogenetische Entwicklung überblicken, so sehen wir,
daß alle Extremitäten zunächst in gleicher Weise als bilaterale Knospen
an der Körperwand entstanden sind und übereinstimmende Bewegungen
zeigen, wie z. B. bei den "Wassertieren. Beim Fortschreiten zu den Land-
tieren sehen wir dann, daß eine Differenzierung zwischen den Vorder- und
Hintergliedem eintritt. Erstere sind dazu bestimmt, das Gewicht des
Kopfes und des Thorax zu tragen, letztere den Körper nach vorwärts zu
treiben, und entsprechend der verschiedenen Funktion tritt auch eine ver-
schiedene Gestaltung der Extremitäten ein. Mit dem Auftreten der auf-
rechten Körperhaltung bei den anthropoiden Affen tritt eine Umgestaltung
des Thorax ein. Derselbe wird breiter und weniger tief, und die Vorder-
extremitäten rücken nach außen. Sie brauchen auch nicht mehr als Stützen
zu dienen und werden für den Dienst des Kopfes frei.
Durch die Form Veränderung des Rumpfes ist aber eine Umlagerung
der Eingeweide notwendig geworden. Während sich früher die unpaaren
Organe in der Mitte befanden, werden sie jetzt in die Seiten gedrängt, die
Leber in die linke, Milz und Magen in die rechte, und das Herz nimmt
jene Seite, die am entferntesten von der Leber liegt und daher am
geräumigsten ist, ein. Die Lage der Leber bestimmt somit die La^e der
anderen Organe. Daß aber die Leber gerade in die rechte Seite rückt,
hat wieder seinen Grund in der Lagerung des Coecums. Dieses ist bei
den Pflanzenfressern mächtig entwickelt. Es entsteht durch Auswachsen
des unteren in der rechten Seite der Bauchhöhle gelegenen Dickdarms.
Beim Weiterwachsen schlägt es sich nach oben über den Dünndarm und
wächst gegen rechts hin, die Leber nach rechts verdrängend.
Wie kommt es nun bei den bestehenden Verhältnissen zur Rechts-
händigkeit? Hier spielt der Kampf ums Dasein bei den Urmenschen eine
Rolle. Wenn zwei solche Individuen in Streit gerieten, so versetzte der
eine dem anderen einen Schlag mit dem rechten Arm in die Herzgegend,
die gefahrlichste Stelle des Körpers. Der Angegriffene schützte die ge-
troffene Stelle mit dem nächstliegenden, also dem linken Arm und holte
mit dem rechten zu einem Schlage in dieselbe Gegend des Feindes aus.
Der rechte Arm wurde so zum Fechtarm, der linke zum Verteidigungsarm.
Die Urmenschen, die ihre Arme in dieser Weise gebrauchten, blieben
Sieger über die anderen, und so resultierte durch natürliche Zuchtwahl ein
rechtshändiges Geschlecht.
Genauer betrachtet gibt es aber keine eigentliche Rechtshändigkeit,
sondern es besteht nur eine Arbeitsteilung zwischen beiden Händen. Verf.
bringt nun eine Heihe von Beispielen von Handleistungen bei der Toilette,
beim Essen, bei Handwerken und beim Violinspielen, die beweisen sollen,
daß tatsächlich beide Hände in Tätigkeit sind. Nur beim Schreiben scheint
eine Ausnahme zu bestehen. Dieselbe ist aber nur scheinbar, da erstens
beim Maschinenschreiben und ferner beim Einmeißeln oder Malen von In-
schriften wieder beide Hände beteiligt sind.
gg Allgemeine Physiologie des Nervensystems.
Es besteht demnach eine Ambidexterität, oder besser gesagt eine
Koordination bimanaeller Tätigkeit, und die Bestrebungen der oben erwähnten
Gesellschaft sind daher überflüssig, da die Natur ihnen bereits vorgegriffen hat.
Holmes (63) wendet sich gegen die Verallgemeinerung der Deutung
der phototaktischen Bewegungen, als einfache Reflexbewegungen. Zur Unter-
suchung dieser Frage stellte er Beobachtungen an Regenwürmern, Blutegeln
und Fliegenlarven an, Tieren, die eine sogen, negative Phototasis zeigen,
die sich also einem Lichtreize nicht nähern, sondern von demselben ent-
fernen. Es zeigte sich dabei, daß es sich keineswegs um eine gezwungene
Orientierung handelte, sondern daß die Tiere gleichsam suchend den Kopf
oder den ganzen Körper gegen das Licht oder vom Licht wegbewegen, um
erst dann nach dieser Austastung sich definitiv vom Lichte abzuwenden.
Die negative Phototaxis äußerte sich also, wie die genaue Beobachtung ergab,
als ein Vorgehen, wie man es auch bei höheren Tieren findet und als
Versuchs- und Lrrtumsmethode bezeichnen könnte. Nur kommt bei den
höheren Tieren dann noch die Erfahrung hinzu.
Dieser Reaktionstypus ist bei niederen Tieren sehr verbreitet und bildet
gewiß einen Teil vieler Tropismen, weshalb der Autor gegen die Versuche
Stellung nimmt, dieselben rein physikalisch zu erklären. Bei manchen In-
fusorien findet sich aber eine Phototaxis, die tatsächlich durch einen direkten
Reflex zustande kommt. Zwischen diesen beiden Formen gibt es nun all-
mähliche Übergänge, so daß es eigentlich schwer wird, eine strenge Grenze
zu ziehen. Alle Tiere machen mitunter fehlerhafte Bewegungen. Diese
werden in dem einen Falle durch einen geeigneten Reflex, in dem andern
Falle durch einen Zufallserfolg einer zufälligen Bewegung berichtigt. Es
gibt nun gewiß viele Fälle, bei welchen diese Bewegungen nicht ganz zu-
fällig sind, sondern der einwirkende Reiz eine gewisse direktive Wirkung
haben dürfte. Das sind eben die Übergangsformen.
Die Arbeit Jordan's (69) ist die erste aus einer größeren Serie, welche
die Ausarbeitung der vom Verf. früher publizierten Resultate^) zum Gegen-
stande hat. Das Thema lautet etwa wie folgt : Niedere Tiere z. B. Medusen,
die an „zentralen" nervösen Elementen lediglich ein Nerven netz besitzen,
erscheinen mit dieser einfachen Vorrichtung den Bedürfnissen ihres Daseins
hinlänglich angepaßt, und zwar durch 3 Hauptreflexfunktionen : 1. durch den
einfachen Reflex, 2. den rhythmischen Reflex, 3. die (bei Medusen nicht
studierte) tonische Funktion. Die Schnecken besitzen in ihrem Hautmuskel-
schlauche gleichfalls ein Nervennetz, welches — mit Hautmuskelschlauch
und Rezeptionsorgan — ein, den Medusen vergleichbares, Nervenmuskel-
system darstellt („System erster Ordnung") und welches, gleich den Medusen
den 3 Hauptfunktiouen obzuliegen vermag. Welchen Einfluß üben nun auf
diese Funktionen die Zentralganglien aus? Die vorliegende Mitteilung bringt
einen Teil des auf den Tonus sich beziehenden Materials. Unter tonischer
Funktion der Muskulatur wird die Fähigkeit dieser letzteren verstanden, die
einmal angenommene Verkürzung dauernd beizubehalten; und zwar höchst-
wahrscheinlich als „Ruhestand" (Bethe), d. h. ohne Energieverbrauch. Der
Tonus drückt sich am lebenden Tiere aus durch die Verkürzung
unter bestimmtem Drucke (Innendruck) oder aber durch den
maximalen Druck, der an einer bestimmten Verkürzung nichts zu
ändern vermag. Gemessen wird der Tonus vorläufig durch einen Apparat
(die Beschreibung würde hier zu weit führen), der etwa die Verhältnisse
*) Die Physiologie der Lokomotion bei Aplysia limacina. Zeitschr. Biol. Bd. 41.
1901. p. 196—2.58. 1 Taf., 1 Fig.
Allgemeine Physiologie des Nervensystems. 89
innerhalb des Tieres nachahmt. Verkürzung bedingt Mehrbelastung und
umgekehrt. Abgelesen wird die Belastung (entsprechend dem Innendruck).
Da der Apparat nur Vergleichswerte zu liefern vermag (nämlich unter gleichen
Bedingangen) aber auch normaliter absolute Manometerzahlen nicht zu er-
halten sind, des schwankenden Wassergehaltes wegen, so darf sich dieses
Aeferat auf die Wiedergabe der eigentlichen Kesultate beschränken.
I. Wie verhält sich die Schneckenmuskulatur bei abnormer Belastung
(abnormem Wassergehalt, der in Wirklichkeit leicht eintreten kann)?
Ist die Belastung gering (5 g am ganzen Schneckenfuß arbeitend),
so entlastet sich das „normale Tier" — im Besitze seiner Ganglien —
wesentlich schneller (Tonusfall!) als das Ganglienlose, welches letztere sich
schließUch höher einstellt.
Ist die Belastung eine hohe (etwa 15 g und mehr), so zeigt sich
Torab gleiches Verhalten bis zu einer gewissen Dehnung des normalen
Muskels; dann beginnt dieser langsamer sich zu dehnen, wird vom andern
überholt und stellt sich schließlich höher ein als der ganglienlose Muskel.
n. Entlastet man nach höherer Belastung, so steigt der Tonus im
Mnskel.
Ein normaler Muskel mit 20 — 40 g belastet, wird auf 5 g entlastet.
Zu Beginn des Versuches steigt der Tonus wenig; je mehr die Belastung
aber, und im Laufe der Versuche die Gesamtdehnung steigt, desto mehr
wächst jener Anstieg. (Extreme: 0,2 g — 6,6 g.)
Im abnormen Muskel steigt, unter gleichen Bedingungen, der Tonus
Ton Tom herein etwas mehr, auch hier läßt sich im Verlaufe des Versuches
eine Zunahme nachweisen, allein diese beträgt sehr viel weniger als im
normalen Muskel (Extreme: 0,9 g — 2,0 g), so daß wiederum die Werte
des normalen Tieres diejenigen des abnormalen umfassen.
in. Die Tiere werden median der Länge nach in zwei symmetrische
Teile geteilt, die einmal nur durch das Zentralnervensystem, ein zweites mal
nur durch eine schmale Brücke Fußmuskelsubstanz kommunizieren. Die
eine Hälfte wird abnormer Belastung ausgesetzt, an der andern Tonus-
schwankungen abgelesen: Es läßt sich — unter Beobachtung einer Reihe
Ton Eautelen — unter allen Umständen ein Tonusfall im registrierenden
Teile nachweisen, der jedoch wesentlich höher ist, wenn das Zentralnerven-
system die Kommunikation darstellt, als im andern Falle. Entlastung bedingt
entsprechend Tonussteigerung.
Kurz: Das System erster Ordnung beantwortet anormalen Innendruck
dorch Toniisfall, demzufolge eben dieser Innendruck sinkt. Allein, erst in
Verbindung mit den Ganglien wird diese Funktion im richtigen Maße aus-
geführt, d. h. schnell und energisch bis zu einer gewissen Dehnung. Dann
aber bedingen die Ganglien Inhibition der Anpassung, offenbar würde eine
weitergehende Dehnung schädlich sein. Die definitiv erreichte Dehnung ist
abhängig von der Ausgangsbelastung.
Eine ähnliche Anpassung findet nach Entlastung statt. Auch hier wird
der normale Innendruck im Tiere mit GangHen schneller erreicht als im
Ganglienlosen, und zwar von selten jenes minder ausgiebig, wenn die durch
die Belastung bedingte Dehnung eine geringe, ausgiebiger, wenn diese
Dehnung eine starke war. Der Zweck dürfte einleuchten.
Die dritte Versuchsreihe macht uns hauptsächlich mit der Vorrichtung
bekannt, der die Gleichförmigkeit des Tonus innerhalb der gesamten Mus-
kulatur des Tieres zuzuschreiben ist. Daß ein solcher Leitungsvorgang durch
das Zentralnervensystem besser vermittelt wird als durch das Netz, ist nach
Bekanntem selbstverständlich.
90 Allgememe Physiologie des Nervensystems.
Zn erwähnen sind noch einige pharmakologische Yersnche, die nicht
eigentlich in diese Mitteilung gehören, deren Resultate aber im hypothetischen
Teile Verwertung finden: schwache Kokainisierung der Ganglien oder der
einen Tierhälfte bedingt Tonusfall in den registrierenden Muskelpartien.
Im letzten Teile der Arbeit wird der Versuch gemacht, von den Er-
scheinungen auf die Vorgänge zu schließen, welche sie bedingen. Da«
eigentliche Problem ist die Lösung derjenigen Form des Tonus, den Schultz
Substanztönus nennt, also des Zustandes, in dem der Muskel ohne Energie-
verbrauch dauernd verkürzt bleibt, und der für die Schnecken die größte
Bedeutung hat. Es lassen sich zwei Hypothesen aufstellen, die — etwa
einander entgegengesetzt — sich ausschließen.
I. (Biedermann). Der ganz unabhängig vom Nervensystem ver-
harrende Sperrtonus (Substanztonus) wird durch einen zentrifugalen Impuls
gelöst, der seine eigne Bahn haben muß. „Unipolarhypothese."
II. Der Sperrtonus, eine Folge des (statischen) Potentials des „Nerven-
prinzips'* im motorischen Nervenende, wird dadurch gelöst, daß durch ein
zentripetales Gefalle jenes Potential vermindert wird und zwar nach dem
universellen Gesetze vom Energieausgleiche. (Der Tonus würde nach dieser
Auffassung den Schwankungen des „Potentials" -r- im allgemeinsten Sinne
— folgen, nur Tonusänderungen würden als ein Stoffwechselvorgang anzu-
sehen sein.) Diese „Bipolarhypothese" ist eine Weiterbildung der v. Uex-
k Uli sehen Tonushypothese.
Es wird im weitem versucht, die obenstehenden Tatsachen durch beide
Hypothesen zu erklären, eine Entscheidung für eine derselben wird ver-
mieden. Immerhin erklärt sich alles durch Hypothese II ohne weiteres,
während Hypothese I einer größeren Zahl Hilfshypothesen bedarf. Hier
muß ein Beispiel genügen:
Vergleichen wir normales und ganglienloses Tier unter hoher Belastung,
so finden wir, daß bei einer gewissen Dehnung die Ganglien im normalen
Tier einen vermehrten Tonus bedingen. Nach Hyp. I würden wir einen
entsprechenden Reflex, bedingt durch die Dehnung, anzunehmen haben.
Teilen wir ein Tier in zwei Hälften und dehnen nur die eine, so sinkt
der Tonus in der andern. Also, es wird hier (nach Hyp. I) unter gleichen
Bedingungen, d. h. also durch die nämlichen Ursachen, ein Reflex ausgelöst,
demzufolge — wenigstens je in der andern Hälfte — der Tonus herab-
gesetzt wird. Beide Reflexe müssen sich entgegenarbeiten und sich in der
Norm wenigstens teilweise aufheben. Das Ausgleichgesetz- der Hypothese II
erklärt alles ohne weiteres: Dehnung bedingt Tonusminderung, demnach Gefalle
in der Richtung nach der gedehnten Muskelpartie, demzufolge im ersten
Falle mehr Tonus im normalen als im unnormalen Muskel, im zweiten Falle
Tonusfall in der registrierenden Hälfte. (Autoreferat)
Kelling (71) behandelt zwei große Prinzipien, den Satz von der Er-
haltung der Kraft und den Satz von der kontinuierlichen Entwicklung in
seiner Bedeutung für den tierischen Organismus.
Lapicqne und Girard (78) haben das Verhältnis des Gehirngewichtes
bei Vögeln zu dem Körpergewicht festzustellen versucht. Sie haben das
Gehirn von 112 Vögeln gewogen, welche 58 verschiedenen Arten ange-
hörten. Aus den von ihnen erhaltenen Zahlen schließen sie, daß die Formel,
welche Dubois bei Säugetieren für das Verhältnis von Himgewicht zum
Körper gefunden hat, auch für die Vögel zutrifft. Es beträgt bei Vögeln
durchschnittlich 0,56. Das Hirngewicht schwankt bei den einzelnen Tier-
arten beträchtlich, je nach der intellektuellen Beschaffenheit der Vögel. Im
Vergleich zu den Säugetieren ergeben die Hühnerarten den gleichen Koe£fi-
Allgfemeine Physiologie des Nervensystems. 91
lienten wie die Ratte und der Ige). Die Ente steht etwas höher als das
Kaninchen und die Papageien gruppieren zwischen dem Affen und der
Meerkatze, bezüglich des Gehimgewichts der einzelnen Vogelarten und des
Gewichtes der einzelnen Abschnitte des Gehirns fanden sie, daß die guten
Segler, wie die Möven und Raubvögel, ein höheres Gehirngewicht haben als
die nur flatternden Vögel. Für die Haustiere gilt aber das Duboissche
Gesetz für die Beziehungen des Gehimgewichtes zum Körpergewicht nicht.
(Bendia.)
Nach Le Damany (79) ist die Fähigkeit des Menschen, sich auf-
recht zu halten und zu gehen, das Resultat intellektueller Arbeit; das Kind
lerne in derselben Weise stehen und geben, wie es schwimmen, sprechen
und schreiben lernt. Bei bestimmten Gehirnkrankheiten gehe die Kontrolle
der hierzu nötigen Assoziationen verloren und die Kranken, welche lange
zu Bett gelegen haben oder an Astasie-Abasie leiden, verlernen zu gehen
and zu stehen. Es fehlt ihnen weniger die Muskelkraft hierzu als die Fähig-
keit, die koordinierten Muskelbewegungen richtig auszuführen. (BendLr,)
Lerda (80) kommt auf Gmnd seiner Beobachtungen zu dem Schlüsse,
dafi das Granulationsgewebe gegen jede Art des Reizes insensibel ist. Nach
oberflächlicher Entfernung der Hautfläche tritt nur eine leichte Störung der
spezifischen Gefühlsquaiitäten auf, die sich aber innerhalb kurzer Zeit wieder
herstellen. Die Narben schrumpfen nicht, wie häufig angenommen wird,
sondern organisieren sich in gewisser Hinsicht und gewinnen langsam einen
ziemlichen Grad von Empfindlichkeit. Die Wiederherstellung der Empfin-
dung in den Narben und den Thierschen Trausplantationsstellen geht meisten-
teils von den Rändern aus. Bei der Wiederkehr des Gefühls kann man
sehr häafig eine Dissoziation bemerken und zwar in der Weise, daß die
taktile Sensibilität die Schmerzempfindung übersteigt und diese wiederum
die Wärmeempfindung. In einigen Fällen schien eine gewisse Dissoziation
zwischen dem Wärme- und Kältegefühl zu bestehen. Die Wiederherstellung
des Gefühls erreicht erst nach langer Zeit den ursprünglichen Grad der
Vollendung. Gewöhnlich vergehen einige Jahre; doch übt der funktionelle
fieiz einen wohltätigen Einfluß auf den Regenerationsprozeß aus. Ahnlich
wie im Narbengewebe stellt sich das Gefühl in transplantierten Hautstellen
wieder ein. (Bendix.)
In Ei^änzung der früheren Arbeiten über den Mechanismus des Hungers
and über das Hungerzentrum teilt Levi (81) die Störungen des Hungers,
wie sie die menschliche Pathologie lehrt, ein. Die quantitativen Störungen
bezeichnet er als Aphagie und Polyphagie, die qualitativen als Paraphagie.
Die Aphagie zeigt sich z. B. bei tuberkulösen oder carcinomatösen
Individuen, die zwar das Bedürfnis nach Nahrungsaufnahme bewahrt haben,
aber absolut nicht imstande sind, Nahrung aufzunehmen. Hier versagt das
bnlbäre Hungerzentrum seinen Dienst. Auch eine Vergiftung dieses Zentrums
dürfte bei gewissen Formen von Aphagie im Verlaufe von akuten Affek-
tionen mit bulbären Symptomen, z. B. im Typhus abdom. eine Rolle spielen.
Die Polyphagie findet sich, meist vergesellschaftet mit Polydipsie, bei
Verletzungen des Bulbus, femer bei bulbärer Syphilis, bei Morbus Basedowii,
bei perniziöser Anämie und häufig bei allgemeiner Paralyse, in deren Ver-
laufe eine Ependymitis im vierten Ventrikel auftritt. Ferner beobachtet
man sie bei Reizung eines Kernes am Boden des vierten Ventrikels, außer-
dem häufig als Vorläufer einer Migräne und beim Heu- Asthma. Bei Reflex-
neurosen gehen häufig die Anfälle von Beklemmung, von Angina pectoris,
▼on Herzklopfen mit starkem Hungergefühl einher. Auch bei der Poly-
phagie im Diabetes dürfte das Hungerzentrum beteiligt sein.
92 Allgemeine Physiologie des Nervensystems.
Was die Paraphagie betrifft, so ist die häufigste Form derselben der
Ekel, wie man ihn bei Carcinomatösen, oder der elektive Ekel, wie man
ihn bei Magen-, Leber- oder PankreasafEektionen beobachtet. Im ersten Falle
hat das bulbäre Hungerzentrum seine Funktion eingestellt. Die Reize, die
von der Peripherie oder vom Gehirn kommen und auf dieses Zentrum
treffen, summieren sich und erzeugen den Ekel. Im zweiten Falle muß man
eine Intervention der vom Gehirn empfangenen Eiiadrücke von der fehler-
haften Funktion der Verdauungsorgane annehmen. Aber nicht nur letztere,
sondern auch ihre Erinnerungsbilder vermögen Ekel zu erzeugen. Dieselben
sind entweder erworben oder angeboren.
Wenn sich diese starken und andauernden Reize noch steigern, dann
kommt es zur Nausea und bei höheren Graden zum Erbrechen.
Es handelt sich in diesen Fällen gleichsam um eine forme fruste des
Hungers, die man bei Nervösen, Chlorotischen, Schwangeren und bei durch
ungenügende Ernährung im Stadium der Inanition befindlichen Individuen sieht.
Außer diesen Störungen des bulbären Hungers gibt es Fälle, wo man
von einem nervösen Hunger spricht, ohne etwas näheres darüber sagen zu
können. Hierher gehören allgemeine Verletzungen und diffuse Läsionen des
Nervensystems. In diesen Fällen hat der Hunger einen impulsiven Charakter
und verdient den Namen Sitolepsie. Schließlich kann es wegen der mannig-
fachen Beziehungen zwischen Bulbus und Gehirn zu einer wahren Manie,
der sogen. Sitomanie kommen.
Die Arbeit Levi's (83) stellt eine erschöpfende Monographie über
den Hunger dar, in der er die Resultate sämtlicher Untersuchungen, darunter
auch der seinigen, bereits anderwärts veröffentlichten, über diesen Gegen-
stand zusammenträgt.
Das erste Kapitel beschäftigt sich mit der inneren Ernährung und
ihrer Abhängigkeit von einem nervösen Regulationszentrum, das zweite mit
dem Auftreten des Hungergefühls. Das dritte ist der Besprechung der
einzelnen Formen des Hungers, dem cellulären, dem Magenhunger und dem
zentralen Hunger, welch letzterer wieder in den bulbären und zerebralen
Hunger zerfällt, gewidmet. Im vierten Kapitel bespricht der Autor den
Mechanismus des Auftretens des Sättigungsgefühles, im fünften die physio-
logischen Veränderungen des Hungers, im sechsten schließlich die Störungen
des Hungers, die er in solche des peripheren Hungers und in die nervösen
Störungen, darunter in die Störungen des bulbären und andererseits des
zerebralen Hungers einteilt.
Die Arbeit enthält nicht nur wichtige physiologische Daten, sondern
auch wertvolle Anhaltspunkte für die klinische Beurteilung der verschiedenen
Störungen und gipfelt in folgenden Sätzen:
Die Perzeption des Hungers ist bei den höheren Tieren nichts anderes
als die Umwandlung der chemischen Vorgänge, die sich in den einzelneu
Zellen abspielen, in eine bewußte Empfindung, die, um einen bestimmten
Zweck zu erreichen, die Intervention eines Leitungs- und Aufsichtssystems
bedarf. Dieses System funktioniert in einer ununterbrochenen Kette und
besteht aus den mannigfachsten Reflexbogen. Immer sind es die Fermente,
deren Tätigkeit die Zellernährung sichert, die das Nervensystem, das dazu
bestimmt ist, den Einklang zu erhalten, in Aktion setzen.
Während sich nun das ursprünglich in den isolierten Zellen mangel-
hafte Bedürfnis durch die wenig gegliederten Erregungen der Gesamtheit
der Zellen nur nach und nach vervollkommnet, kommen dann der Digestions-
apparat und der Geschmack hinzu und tragen dazu bei, das Bedürfnis
spezifischer zu machen.
Allgemeine Physiologie des Nervensytteras. 93
In dem Maße als die Zahl der Elemente, die sich zur Sicherung des
richtigen Fanktionierens des Hungers rereinigen, steigt, mehren sich die
Möglichkeiten Ton Stömngen. In einem gewissen Ausmaße besteht eine
Ausgleichung zwischen den Aufnahms- und den Übertragungsapparaten,
welche die physiologischen Variationen gestatten. Wenn aber diese Grenze
überschritten wird, entsteht ein pathologischer Zustand.
Levi (82) beschäftigt sich in dieser Arbeit mit dem nervösen Regulations-
mechanismus der inneren Ernährung. Es handelt sich um einen Reflex-
mechanismus. dessen peripheren Ursprung bis zu einem gewissen Grade alle
Zellen darstellen. Der Reiz wird auf dem Wege der zentripetalen Nerven
zunächst regionären, untergeordneten Zentren zugeführt, von denen man nach
Analogie der vasomotorischen und sekretorischen Systeme annehmen kann,
daß sie längs des Rückenmarks in den sympathischen Ganglien oder im
Inneren des Rückenmarks reihenförmig angeordnet sind. Von diesen geht
der zentrifugale Teil des Reflexbogens wieder zu den Zellen. Außerdem
muB man aber eine lange Bahn von diesen Zentren zu dem großen Regulations-
zentrum in der Medulla oblongata annehmen.
Dieser nervöse Regulationsmechanismus funktioniert automatisch, aber
seine Tätigkeit ist nicht kontinuierlich. Nur wenn die diastatische Tätigkeit
der Gresamtheit der Zellen ihren größten Wert erreicht hat, sind die von
den Nervenendigungen erzeugten Reize so stark, daß sie bis zum bulbären
Eegdationszentrum fortgeleitet werden. Von hier aus können sie bis ins
Gehirn gelangen, wo sie in eine bewußte Empfindung umgewandelt werden.
Auf diese Weise entsteht das Gefühl des Hungers.
Der Beiz, der das Hungergefühl erzeugt, ist in dem Momente am
stärksten, in dem die Zellen im Begriffe sind, die Reserven in den Geweben
anzugreifen.
Daß das Hungerzentrum in der Medulla oblongata liegt, beweist der
Umstand, daß dasselbe auch bei den Föten der Anencephalen, den Embryonen
der Beuteltiere, bei enthimten Fröschen, Hunden usw. auch funktioniert.
Es liegt, wie die Erfahrungen bei traumatischen Nervenerkrankungen, bei
denen neben Polyphagie meist Polydipsie besteht, beweisen, in unmittelbarer
Nachbarschaft des Durstzentrums und steht in Verbindung mit dem Saug-
zentrum, dem Schluckzentrum, dem Magenzentrum und in Beziehung zum
Geschmackszentrum. Man kann annehmen, daß das Hungerzentrum uupaar
in der Medianlinie neben dem Vasomotoren- und sekretorischen Zentrum liegt.
Das zerebrale Zentrum liegt vielleicht am vorderen Ende des Lobus
temporosphenoidalis, nicht weit vom Gyrus uncinnatus und hat Beziehungen
zum Geschmacks- und Geruchszentrum, sowie zum Rindengebiete der
Schlingbewegungen.
Von dem cellulären Hunger muß man den Magenhungor trennen. Im
Gegensatz zu den erwähnten peripher ausgelösten Formen des Hungers muß
man auch einen zentral ausgelösten unterscheiden.
Das Gehirn meistert und verändert den Hunger, es verwandelt das
Bedürfnis in Verlangen, es macht aus dem Hunger den Appetit. Hierbei
spielen die Erinnerungsbilder des Geschmackes eine Rolle und geben dem
Hunger verschiedenen Charakter. Auch der Geruch ist dabei beteiligt.
Bei den Störungen des Hungers muß man somit eine wichtige Rolle
dem Nervensystem zuschreiben und unterscheiden zwischen Störungen des
bulbären Hungers (Aphagie, Polyphagie, Paraphagie) und denen des zerebralen
Hungers (Anorexie, Hyperorexie, Dysorexie).
Die Monographie Loewenfeld's (85) zerfällt in zwei Teile. In dem
ersten beschäftigt er sich mit der geistigen Arbeitskraft, ihren physiologischen
94 AllgemeiDe Physiologie des Nervensystems.
und pathologischen Schwankungen und bespricht zunächst die qualitaüve und
quantitative Seite derselben, das Verhältnis der Begabung zur geistigen
Arbeitskraft, die Bedeutung der staatlichen Prüfungen, die er im allgemeinen
vei-wirft und die Faktoren, welche die quantitative Seite der geistigen Arbeits-
kraft konstituieren, nämlich die Arbeitsschnelligkeit und Andauer der Arbeits-
fähigkeit. Hierauf geht er auf die Momente ein, welche die individuellen
Unterschiede dieser beiden Faktoren bedingen, auf die angeborene Gehim-
veranlagung, auf die Massenentwicklung, die Organisationsverhältnisse und
die Schwankungen in der Blutzufuhr des Gehirns.
Nun wendet er sich den physiologischen Schwankungen zu, deren be-
dingende Momente — Lebensalter, Geschlecht, Kasse, klimatische Verhältnisse^
Höhenlage, Jahreszeit, äußere Eindrücke, Unterbrechung der Arbeit, Gemüts-
stimmung, Affekte, andere emotionelle Momente, Lebenslage, Zwang äußerer
Verhältnisse, körperliche Zustände, Ernälirungsvorgänge, Genußmittel, Leibes-
übungen, Schlaf, sexuelles Verhalten — er einzeln erörtert.
Unter den Momenten, die pathologische Schwankungen erzeugen, be-
handelt er chronische organische Erkrankungen des Nervensystems, Neurosen,
psychopathische Zustände und Geisteskrankheiten, chronische Erkrankungen
der Lungen, des Herzens, des Verdauungsapparates und der Nieren.
Der zweite Teil des Buches ist der Hygiene der geistigen Arbeitskraft
gewidmet. Hier behandelt er zunächst die Hygiene des jugendlichen Alters,,
nimmt Stellung zur Frage der Schulüberbürdung und den Mängeln unseres
Mittelschulsystems, zur fehlerhaften häuslichen Erziehung und zur Masturbation.
Dann bespricht er die Hygiene der geistigen Arbeitskraft des Erwachsenen
und zieht dabei in den Rahmen seiner Erörterungen die Regulierung der
Ernährung, die Genußmittel, Tag- und Nachtarbeit, die Arbeitspausen, die
abendlichen Erholungen, die Zerstreuung, die hygienische Bedeutung körper-
licher Übungen, des Schlafes, der Ferien und deren zweckmäßige Ausnützung,
der Größe und Beleuchtung der Arbeitsräume, der Einteilung der Arbeit^
des Arbeitswechsels usw.
Loisel (86) beschäftigt sich mit der Telegonie, der Übertragung von
Charakteren des ersten Mannes durch die Mutter auf ein Kind aus zweiter Ehe,
Man weiß, daß gewisse Krankheiten und Ernährungszustände vom
Vater auf die Mutter durch das bloße Beisammensein oder durch den Koitus
übertragen werden. Ln Tierreiche ist die Wirkung der Begattung auf den
weiblichen Organismus manchmal so gewaltig, daß nicht nur die Geschlechts-
organe, sondern häufig auch das Leben des weiblichen Individuums ganz
verändert wird Es ist daher wahrscheinlich, daß der Einfluß des Männchens
auf das Weibchen eine gewisse Zeit hindurch nach der Begattung bestehen
bleibt. Warum aber manchmal dieser Einfluß so dauernd und gewaltig
wird, daß er sich auf die Kinder eines anderen Vaters überträgt, zu erforschen,
und die Bedingungen hierfür kennen zu lernen, hat sich der Autor zur
Aufgabe gemacht.
In erster Linie kommt die Schwängerung der Mutter durch den Samen
des Männchens in Betracht. Die flüssigen und festen Bestandteile des Samens
werden von den Eileitern aufgenommen und gelangen in das Innere des
Körpers. Man kann behaupten, daß der Samen mehrere Monate oder
mehrere Jahre in den Organen des Weibchens verbleibt, z. B. bei der
Fledermaus oder der Biene, oder wie z. B. bei der Hündin oder der Kuh,
wo die Spermatozoen die durch Austritt des Eies im Eierstock entstehenden
Lücken ausfüllen.
Diese Aufnahme der geformten Produkte des Männchens von Seite
des Weibchens gehört in das Gebiet der inneren Sekretion. Wir wissen^
Allgemeine Physiologie des Nervensystems. 95
-welche Bolle die inneren Sekretionen der Geschlechtsdrüsen bei der Bildung
gewisser somatischer Charaktere spielen. Wir wissen auch, daß ein Weibchen
durch Vererbung manche ihrer Charaktere an das Junge abgibt, und so
können sich unter diesen auch solche finden, welche das Weibchen erst
durch den Verkehr mit dem ersten Männchen erhalten hat.
Das zweite Moment, das bei der Telegonie in Betracht kommt, ist die
Imprägnierung noch nicht reifer Keime mit Samen. Wenn z. B. bei der
Hündin oder der Kuh die Spermatozoen durch die Lücken, die durch die
Ovulation entstehen, in das Innere des Ovariums eindringen, können sie auch
in junge Eier gelangen, die die Bestimmung haben, sich erst später unter
dem Einflüsse eines anderen Männchens weiter zu entwickeln. Das Junge,
das auf diese Weise entsteht, ist aus dem Chromatin des zweiten Vaters
gebildet, aber durch die Substanz des ersten Männchens, die in Reserve-
material des Eies umgewandelt ist, ernährt.
Eine dritte Bedingung der Telegonie ist speziell bei den Säugetieren
Torhanden, wo der Fötus so enge Beziehungen zur Mutter hat. Man kann
annehmen, daß letztere durch die löslichen Stoffe des Eötus des ersten
Mannes imprägniert wird und sie diese erworbenen Charaktere auf das Kind
aus zweiter Ehe überträgt. Mau weiß, daß der Embryo von der Mutter her
gegen verschiedene Krankheiten immunisiert werden kann und andererseits,
daß die Plazenta in den ersten Monaten vom Fötus losgerissen und durch
die mütterlichen Gefäße in verschiedene Regionen verschleppt werden kann,
wo sie resorbiert wird. Andererseits wird bei den Maulwürfen und den
Beuteltieren die Plazenta nach der Geburt nicht ausgestoßen, sondern in
situ resorbiert.
Als letztes Moment, welches von älteren Autoren hervorgehoben wird,
ist die Einbildungskraft der Mutter anzusehen. Der erste Mann, dessen
Bild der Mutter bei dem Koitus vorschwebt, soll einen Einfluß auf die nach-
herige Befruchtung ausüben. Diese Hypothese , ist zum größten Teile ver-
lassen, da man nicht versteht, daß eine erbliche Übertragung ohne materielle
Substanz zu stände kommen kann.
Nenstatter (97) studierte das von Sommer mitgeteilte Phänomen,
welches in dem Aufleuchten von Glühlampen bei Berührung mit der Hand
besteht, und welches Sommer als durch eine physiologische Elektrizität des
menschlichen Körpers entstanden erklärte.
Durch mannigfache Variierung der Versuchsauordnung konnte N. zu-
nächst ausschließen, daß es sich um menschliche Elektrizität handelt, viel-
mehr nachweisen, daß die Erscheinung eine rein physikalische Ursache hat,
d. h. durch statische Elektrizität erzeugt sei.
Radi (100) versucht den Nachweis zu erbringen, daß zwischen unserer
Orientierung zur Schwerkraft und derjenigen zimi Lichtstralile mehrfache
Analogien aufzufinden sind und zwar:
1. Wie sich durch eine auf unser inneres Ohr wirkende Centrifugal-
kraft infolge der veränderten Orientierung zur Schwerkraft auch unsere
Orientierung im optischen Räume verändert, so verändert sich auch um-
gekehrt unsere Orientierung zur Schwerkraft infolge einer primären Ver-
änderung der optischen Orientierung. Wir halten unseren Kopf nur dann
in (subjektiv gewählter) vertikaler Stellung, wenn unsere Augen geschlossen
sind, oder wenn sie einen symmetrisch zu den Augen und etwas über den-
selben liegenden Punkt fixieren, sonst neigt unser Kopf unbewußt in der
Sichtung, wohin die Augen gerichtet sind. Auch wenn sich ein fixierter
Gegenstand von uns entfernt, folgt ihm der Kopf nach.
96 Allgemeine Physiologie des Nervensystems.
2. Das Aubertsche Phänomen, wo bei geneigtem Kopfe eine objek-
tive Vertikale im sonst dunklen Räume im entgegengesetzten Sinne geneigt
erscheint, kann ebenfalls umgekehrt werden: eine geneigte Linie im Gesichts-
felde bewirkt, daß die Vertikale ebenfalls geneigt zu sein scheint.
3. Als eine Störung der optischen Orientierung lassen sich alle geo-
metrisch-optischen Täuschungen auffassen, indem für alle der Satz gilt, dafi
der subjektive Raum um einen optisch gegebenen Punkt oder um eine
Linie zusammenschrumpft.
4. Die Plateau-Oppelsche Erscheinung ist eine lokale Schwindel-
erscheinung im Gesichtsfeld und ist in allem den „wahren" Schwindel-
erscheinungen ähnlich. Also gibt die Tatsache des Schwindels eine weitere
Analogie zwischen der Orientierung zur Schwerkraft und derjenigen zum
Licht.
5. Eine fernere Analogie liegt vielleicht darin, daß wie wir uns nur
schritt- und sprungweise von einem Pimkt zu einem anderen willkürlich be-
wegen können, wir auch nur sprungweise von der Fixierung eines Punktes
zu der eines benachbarten tibergehen können.
Die Ergebnisse der Untersuchungen Ronse's (102) ergeben folgendes:
1. Die normale Atmungskurve der Tauben ist der des Menschen sehr
ähnlich, nur daß sie viel frequenter ist. Die Atmung ist verschiedenen
Arten von Reizen zugänglich und antwortet auf dieselben mit Beschleuni-
gung, Abflachung, Vertiefung, Pausen und Unregelmäßigkeiten.
2. Mechanische Reize, Töne, vielleicht auch Gerüche, beeinflussen in
hohem Maße die Atmung. Am stärksten wirken mechanische Reize, die
oft einen plötzlichen Stillstand und viele Unregelmäßigkeiten erzeugen.
3. Reizung durch Licht stört auch die Atmung, wenn auch viel weniger
als mechanische Reizung. Es tritt meist unmittelbar eine Beschleunigung
ein, die mit der Farbe des Lichts wechselt, manchmal auch eine Verflachung
und Unregelmäßigkeit.
4. Nach der verschiedenen Wirkung der einzelnen Reize zu schließen,
hat es den Anschein, daß angenehme Gefühle von Atmungsbeschleunigung
begleitet sind.
5. Wiederholung der verschiedenen Einwirkungen ruft eine Art Ge-
wöhnung hervor, sodaß die Atmung dann nicht mehr beeinflußt wird.
Schneider (104) kommt auf Grund eingehender Versuche an Brief-
tauben zu dem Schlüsse, daß dieselben keinen angeborenen Richtsinn haben,
sondern daß die Entwicklung von Erinnerungsbildern und somit das Gedächt-
nis die Hauptrolle beim Aufsuchen der Heimat spielt. Die Beweise für
diese Anschauung sieht der Autor in dem Unistande, daß erstens junge
Tauben nicht gleich ihren Weg finden, daß sich forner junge Tauben, wenn
sie von einem Orte aufgelassen werden, von dem aus sie einen weiten Über-
blick haben, leichter orientieren, als wenn sie von einem tiefliegenden Tale
abfliegen, und daß klare Luft und Sonnenschein den Tauben ihre Orientierung
erleichtern.
Schnpbach (105) gibt zunäclist (^ine Beschreibung der wichtigsten
im Zentralnervensystem der Taube vorkommenden Ganglienzellen und deren
regionäre Anordnung. Nach Feststellung dieser anatomischen Verhältnisse
ging er daran, zu untersuchen, ob histologische Veränderungen entsprechend
der Funktion in den einzelnen Zellen auftreten. Dabei vermißte er die von
Birch-Hirschfeld an den Zellen der Kaninchennetzhaut gefundenen
Unterschiede zwischen hell- und dunkeladaptiertem Zustande. Auch in den
Ganglienzellen verschiedener Hirnteile zeigten sich keine konstanten funk-
tionellen Unterschiede.
Allgemeine Physiologie de« Neirensystems. 97
Sommer (108) wendet sich gegen die Harnackscbe Annahme, daß
bei der Ablenkung der Magnetnadel eines Kompasses durch Beiben an der
Glasdecke mit den Fingern neben dem physikalischen Vorgänge noch be-
sondere physiologische Bedingungen mitspielen sollen. Er machte zunächst
eine Reihe von Versuchen am Elektroskop, die im ersten Moment für die
Harnackscbe Anschauung sprachen, deren Ergebnisse sich aber bei genauerer
Prüfung als durch rein physikalische Vorgänge bedingt erwiesen.
Wenn ein Elektroskop mit Elektrizität geladen wird, sodaß die Blatt*
eben auseinanderweichen, so bemerkt man bei Annäherung eines Fingers au
das Glasgefäß eine Anziehung des Blättchens, manchmal eine Abstoßung.
Dies schien zunächst für eine elektrische Ladung des Fingers zu sprechen.
Allein es zeigte sich, daß, wenn das Elektroskop nicht geladen war, bei
Annäherung der Finger kein Ausschlag erfolgte. Es handelte sich dabei
also nicht um eine dem Finger dauernd innewohnende elektromotorische
Kraft, sondern nur um eine influenzierende Wirkung der im Elektroskop
vorhandenen Elektrizität. Die manchmal beobachtete Abstoßung des Blatt*
chens bei Annäherung der Finger erklärte sich wiederum dadurch, daß in
diesen Fällen durch zufällige Beibung des Qlasgefäßes auch an diesem
Elektrizität entstand, das Instrument also zwei Ladungen besaß. Bei An*
näherung der Finger wurden diese vom G-lasgefäß influenziert und erhielten
die gleichnamige Ladung, wie die Blättchen, sodaß sie letztere abstießen.
Somit ist auch jenes, scheinbar auf tierischen Magnetismus deutende Phänomen,
experimentell als indirekte Folge von Beibungselektrizität nachgewiesen.
Spirtoff (109) hat die Wirkung der farbigen Beleuchtung auf die
geistige Arbeit experimentell geprüft. Er ließ eine Anzahl Individuen bei
verschiedener und verschiedenfarbiger Beleuchtung Multiplikationen und
Additionen ausfuhren und bestimmte die Leistungsfähigkeit vor und nach
den Buhepausen. Er konnte unter anderem feststellen, daß eine Zunahme
der Arbeitsmenge bei blauem Licht nach längeren Buhepausen statthat,
was mit der Beobachtung übereinstimme, daß das blaue Licht eine be-
ruhigende Wirkung ausübe. (Bendix.)
Talbot (112) sucht die verschiedenen Abnormitäten der Zahnbildung
in entwicklungsgeschichtlicher Beziehung zu erklären.
Bei der Entwicklung der einzelnen Organe spielen mehrere Momente
eine Bolle. Zunächst die direkte Heredität von den unmittelbaren Vor-
fahren, dann der unmittelbare und entfenite Atavismus; ferner der Kampf
ums Dasein und schließlich mehr äußerliche Momente, wie z. B. Nahrung,
Klima, Blutsverwandtschaft, Intoxikationen und Infektionen, nervöse Er-
schöpfung der Eltern.
Der Autor sucht nun den Einfluß dieser Momente auf die Zahn- und
Kieferentwicklung darzulegen. Die Entwicklung des Menschen durchläuft
die ganze Beihe der Phylogenese, und jede Entwicklungshemmung führt
daher zu atavistischen Erscheinungen. In der . aufsteigenden Tierreihe ist
zunächst die Kieferentwicklung sehr ausgeprägt, nimmt aber, wie die ganze
Oesichtsentwicklung, mit der zunehmenden Entwicklung des Himschädels
ab. Während ursprünglich der letztere hinter den Kiefern lag, überdacht
er beim Menschen die Kiefer. Je stärker die Entwicklungshemmung ist,
desto mehr treten die Kiefer vor und der Hirnschädel zurück, desto größer
wird der Gesichtswinkel.
Andrerseits kann aber durch nervöse Erschöpfung des elterlichen
Organismus zu wenig Bildungsmaterial für die Kiefer des Kindes vorhanden
sein, die Zähne haben dann nicht genügend Baum und formen, je nachdem
welche Zähne zuerst durchbrechen, den Kiefer in verschiedener Weise um.
Jahresbericht f. Neurologie and Psychiatrie 1905. 7
98 Allgemeine Physiologfie des Nervensystems.
Brechen zuerst die Backenzähne durch , dann erhält der Zahubogen mehr
eine spitzwinklige Form und nähert sich dem Reptilientypus; wenn die
Schneidezähne zuerst durchbrechen, wird der Bogen mehr flachgestreckt und
nähert sich dem Raubtiertypus.
Was die Form der Zähne betrifft, so leiten sie sich von den primi-
tiven konischen Zähnen niederer Tiere ab, und die Entstehung der Backen-
zähne erklärt man entweder aus dem Zusammenwachsen mehrerer solcher
konischer Zähne oder durch seitliche Sprossung der einfachen Wurzel des
primitiven Zahnes. Der Autor bringt eine Reihe von Abbildungen von
Zähnen verschiedener fossiler Affen, die die allmähliche Entwicklung der koni-
schen Zähne, wie sie bei Reptilien gefunden werden, zu den Backenzähnen
des Menschen illustrieren.
Der Mensch hat ferner eine bestimmte Zahl von Zähnen, eine Ab-
nahme derselben bedeutet eine Weiterentwicklung des Menschen, eine Zu-
nahme einen Atavismus, eine Rückkehr zu den Halbaffen. Die überzähligen
Zähne gleichen entweder den angrenzenden Zähnen, oder sie sind konisch
geformt. Die Zahl der Zähne ist noch immer in Abnahme begriffen. Am
häufigsten fehlt der dritte Backenzahn, der durch die immer weiter fort-
schreitende Verkürzung der Kiefer keinen Platz findet. Häufig ist er nur
abortiv entwickelt. Ein weiterer Zahn, der zum Verschwinden bestimmt isty
ist der seitliche Schneidezahn.
Schließlich findet man häufig Mißgestaltung von Zähnen. Dieselbe
resultiert aus trophischen Störungen während der Zahnentwicklung vor der
Geburt. Auch hier kann die trophische Störung atavistische, konisch geformte
Zähne erzeugen.
Den Abschluß dieser Monographie bildet die Aufzählung einer großen
Reihe von in der Literatur niedergelegten Fällen von Zahnanomalien und
deren Klarlegung.
V. Uexküll (114) gibt zunächst auf Grund chromophotographischer
Aufnahmen eine genaue Beschreibung des Gehens, des ümdrehens, des
Fressens und des Vorganges bei der Selbstverstümmelung, sowie der Ab-
wehrbewegungen der Schlangensterne. Hierauf folgt eine genaue Darstellung
der Anatomie dieser Tiere, und schließlich bespricht er die Bewegungsgesetze
im Nervensystem und kommt zu der Anschauung, daß sich die Erregung
im Nervensystem der Schlangensterne wie eine materielle Flüssigkeit benimmt.
Das letzte Kapitel der Arbeit ist dem Ausbau dieses Analogiebildes ge-
widmet. Nach des Autors Anschauung ist der Muskel ein Endorgan, das
mit seinen Nerven und seinem Zentrum eine höhere Einheit darstellt. Das
Zentrum des Muskels nennt er seinen Repräsentanten. Die Repräsentanten
tauschen unter sich auf intrazentralen Bahnen das Fluidum, den Tonus, aus
und senden Druckwellen durch die Muskelnerven. Wird an einer peripheren
Stelle gereizt, so geht von dort eine Welle neuentstandenen Tonus in den
Nerveuring über, teilt sich daselbst, und die beiden Zweige prallen gerade
gegenüber ihrem Eintrittsorte in den Nervenring gegeneinander und faliren
wieder auseinander. Diesen Punkt nennt der Autor Pulsationspunkt. Der-
selbe kann wandern. Auf diese Wanderung lassen sich alle Gehbewegungen
der Schlangensterne, wie der Autor zeigt, leicht zurückführen. Auch die
Selbstverstümmelung läßt sich auf diese Weise leicht verständlich machen.
Bei Reizung einer beliebigen Stelle des Armes tritt zentrifugal Tonus-
steigeruug, zentripetal Tonusfall ein. Letzterer kann die Muskeln derartig
zum Erschlaffen bringen, daß sie beim geringsten Knick durchreißen.
Vaschide (115) gibt einen Überblick über die bisherigen Forschungs-
ergebnisse hinsichtlich des Zusammenhanges von geistiger und Muskelarbeit.
Allgemeine Physiologie des Nerrensystems. 99
Er halt die gewonnenen Resultate für unzureichend und anfechtbar; denn
Dach den experimentellen Versuchen scheine intensive und längere Geistes-
arbeit den Muskeltonus herabzusetzen, und hingegen sei die Muskelkraft eine
Bedingung für geistige Arbeit. Es müßten also die geistigen Fähigkeiten
7on den körperlichen abhängen. Dagegen sei es verständlich, nach Mosso,
nur eine Art der Ermüdung, nämlich eine geistige, anzunehmen.
(Bendix,)
Wamer (118) beschäftigt sich in einem kurzen Aufsatze mit der
Frage, in v^elcher Weise im normalen kindlichen Gehirne sich Vorstellungen
entwickeln und ausbilden, und wie die geistige Entwicklung angeregt werden
kann. Nach Warners Meinung ist der Nachahmungstrieb das Mittel,
nm Torstellungen und neue geistige Eindrücke zu gewinnen. (Bendia.)
Im Anschlüsse an die Versuche Hougardys, der nach intravenöser
Injektion einer bestimmten Menge von Soda einen plötzlichen Stillstand der
Atembewegungen beobachtet und diese Apnoe auf eine verminderte Kohlen-
säurespannung des Blutes zurückgeführt hatte, untersuchte Wertheimer
(119), ob das gleiche Verhalten auch bei Tieren eintritt, deren Atembe-
wegnngen nach Durchschneidung des Cervikalmarkes sich wieder eingestellt
hatten. Er fand nun tatsächlich dasselbe Verhalten in vielen Fällen. In
anderen trat nur eine Abschwächung der Respirationsbewegungen, in wieder
anderen Cheyne-Stokes Atmen vorübergehend ein.
Daraus geht hervor, daß der physiologische Atmungsreiz, die Kohlen-
säurespannung im Blute, nicht an einem umschriebenen Punkte im Bulbus
angreift, von wo aus die Erregung auf die Eückenmarkszentren übertragen
Tird, sondern die ganze graue Vordersäule den Atmungsmechanismus lenkt.
Die Untersuchungen Winterstein's (121) führten zu folgenden
Resultaten:
1. Die Wärmelähmung ist eine in allen Klassen des Tierreiches zu
beobachtende Erscheinung.
2. Mit steigender Temperatur steigt der Sauerstoffverbrauch und ist
auch während der Wärmelähmung nach Eintritt vollkommener Reaktions-
losigkeit maximal gesteigert. Der Sauerstoffverbrauch ist daher kein unbe-
dingtes Maß der funktionellen Tätigkeit und umgekehrt.
3. Die Wärme steigert den Sauerstoffverbrauch nicht einfach durch
Erleichterung der Sauerstoffübertragung, sondern durch Erhöhung des Sauer-
stoffbedarfes.
4. Die Narkose vermindert den Sauerstoffverbrauch nach Maßgabe
ihrer Konzentration und zwar nicht einfach durch Herabsetzung des Sauerstoff-
bedarfes, sondern durch direkte Behinderung der Sauerstoffatmung.
5. Die Wärmelähmung tritt in der Narkose bei niedrigerer Temperatur
ein, als beim unvergifteten Organismus. Eine bei gewöhnlicher Temperatur
unvollständige Narkose wird durch Erhöhung der Temperatur über eine
gewisse Grenze in eine vollständige verwandelt. Die Intensität der Narkose
ist also nicht bloß eine Funktion der Konzentration des Narkotikums, sondern
auch eine Funktion der Temperatur.
6. Mit der Dauer der Einwirkung verstärkt sich die Narkose. Ihre
Intensität ist also auch eine Funktion der Zeit.
7. Die Wärmelähmung ist aufzufassen als eine Erstickung, bedingt da-
durch, daß die Sauerstoffatmung für den gesteigerten Sauerstoffbedarf unzu-
reichend ist.
8. Die Narkose aerober Organismen ist aufzufassen als eine Erstickung,
bedingt dadurch, daß die durch die Narkotica herabgesetzte Sauerstoffatmung
7*
XOO AUgemeioe Physiologie des Nervensystems.
für den Sauerstoffbedarf nicht ausreicht. Die Narkotica sind vielleicht Anti-
katalysatoren der Oxydationsprozesse.
9. Die Erregungsstadien der Narkose und der Wännewirkung beruhen
auf derselben Ursache wie jene der Erstickung, vermutlich auf einer An-
sammlung erregend wirkender Produkte unvollkommener Oxydation.
Wintrebert (122) untersuchte die sogen, primitive Sensibilität bei
Siredon pisciformis und Bana temporaria und kam zu folgenden Resultaten:
Die primitive Sensibilität ist keine Fortsetzung einer embryonalen Erschei-
nung, die durch das Auftreten einer muskulären Kontraktion hervorgerufen
ist. Ihre gut gekennzeichneten Charaktere weisen ihr eine bestimmte Stellung
im Laufe der Ontogenese an. Sie geht der Etablierung der nervösen Sensi-
bilität voran. Manchmal fällt sie vor ihrem Verschwinden im Bereiche des
Bumpfes mit letzterer zusammen. -Die beiden Arten der Sensibilität sind
dann einander superponiert und schließen einander nicht aus. Die Haut-
decke ist gleichzeitig das Aufnahms- und auch das oberflächliche Erfolgs-
organ. Die Übertragung in die Tiefe ist keine diflFuse, sondern scheint ner-
vösen Bahnen zu folgen, die für die vorderen Metameren des Bumpfes
bereits ausgebildet sind, und die Beflexbeantwortung, welche sich in ihuen
bereits lokalisiert findet, scheint von den nervösen Zentren auszugehen und
zentrifiigale nervöse Bahnen zu benützen.
Wintrebert (123) entfernte an verschiedenen Amphibienlarven das
Nervensystem in verscliiedener Ausdehnung und fand, daß deren Entw^ick-
lung nach Abtragung der nervösen Zentren nur wenig verlangsamt ist. Die
Möglichkeit einer vom Nervensystem unabhängigen Muskelerregung gibt er
aber nicht zu. Es besteht zwar ein zentripetaler, wahrscheinlich ekto-
dermaler Weg für die primitive Sensibilität, allein die muskuläre Beaktion
folgt immer nervösen Bahnen.
Wintrebert (124) entfernte bei Salamandern .Teile des Bücken-
marks und beobachtete, daß trotzdem die Metamorphose in den des Bücken-
marks beraubten Begionen unter denselben Erscheinungen verlief wie in
anderen, noch unter nervösem Einflüsse stehenden. Auch trat eine Begene-
ration des Bückenmarks ein, die nicht nur im Auswachsen von Nerven-
fasern, sondern auch in einer wahren Knospung des Zentralkanals bestand,
dessen anatomische Kontinuität zwischen den getrennten Stümpfen noch vor
der Vereinung des zentralen und peripheren Stumpfes und, ohne daß noch
die Sensibilität in der gelähmten Zone zurückgekehrt war, wieder her-
gestellt wurde.
Wintrebert (125) entfernte das Bückenmarkszentrum des Schwanzes
bei Froschlarven, das an der Schwanzwurzel gelegen ist, und beobachtete,
ob bei so operierten Larven die Bückbildung des Schwanzes längere Zeit
beansprucht als bei normalen. Er fand, daß kein Unterschied besteht.
Daß wirklich die entsprechenden Zentren abgetragen waren, wurde dann
physiologisch und histologisch festgestellt.
Zuntz (128) hielt in der Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde
einen zum Teil populären Vortrag über den Winterschlaf der Tiere, indem
er die Vorlangsamung des Stoffwechsels sowie die verschiedenen Schutz-
einrichtungen gegen die Gefahren des Winterschlafes besprach. Als solche
sind das Erwachen der Fische bei großem Sauerstoffmangel, sowie das Er-
wachen der Säugetiere bei allzu niedrigen Temperaturen anzusehen.
Physiologie des Stoflfwechsels. XOl
Physiologie des Stoffwechsels.
Referent: Dr. Georg Peritz-Berlin.
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XLIII, p. 256.
100. Villaret, Maurice et Tixier, Leon, Les elements clairs et les transformations
cellulaires dans le liquide cephalo-rachidien. Journal de Physiologie. Bd. VU, p. 841.
101. Vincent, Swale and JoUy, W. A., Some observations upon the function of the
thyroid and Parathyroid Glands. The Journ. of Physiology. Vol. XXXII, No. 1, p. 65.
102. Weichardt, Wolfgang, lieber das Ermüdungstoxin und dessen Antitoxin. (Dritte
Mitteilung.) Münch. Mediz. Wochenschr. No. 26, p. 1234.
103. Wessely, Karl, Zur Wirkung des Adrenalins auf Pupille und Augendruck. Zeit-
schrift für Augenheilkunde. Bd. XIII, H. 4, p. 310.
104. Weygandt, W., Demonstration thyreoidektomierter Tiere. Vereins bsIUge der Deutsch.
Medizin. Wochenschrift, p. 2038.
105. Wiggers, Carl J., On the Action of Adrenalin on the Cerebral Vessels. The
Amer. Journal of Physiology. Vol. XIV, p. 452.
106. Zalackas, C, Sur l'antidote de la nicotine. Compt. rend. Acad. des Sciences.
Vol. CXL, No. 11, p. 741.
Ambard (4) hat einen Stoffwechselversuch mit sich während 51 Tage
angestellt. In dieser Zeit nahm er eine chlorarme Nahrung zu sich. Er
fand eine erhebliche Abnahme des Durstgefühls. Ferner konstatierte er,
daß sich sehr bald eine gewisse gleichmäßige Chlorausscheidung von durch-
schnittlich 2,20 g einstellte. Die Einnahme von Natriumsulfat wirkte ver-
mindernd auf die Chlorausscheidung, dagegen hatte die Aufnahme von
Kaliumnitrat keine Wirkung.
Battelli (7, 8) wies nach, daß mehrere normale Sera eine vaso-
konstriktorische Wirkung bei Tieren einer anderen Gattung ausüben. Die
vasokonstriktorische Wirkung ist abhängig von Yasokonstriktinen, die sich
zusammensetzen aus zwei Substanzen, der vasokonstriktorischen Substanz
und dem Alexin. Die Vasokonstriktine wirken direkt auf die Muskeln der
Gefäßwand. (Bendix,)
Battelli (9) und Mioni fanden, daß man beim Meerschweinchen eine
energische Vasokonstriktion erhält, wenn man Binderserum in den' Blutkreis-
lauf einführt Serum von Pferden dagegen übt keinen vasokonstriktorischen
Einfluß aus. Weitere Versuche B.'s zeigten, daß auch Hammelserum vaso-
konstriktorisch wirkt. Ebenso übt Kaninchenserum bei Meerschweinchen
eine Vasokonstriktion aus, trotzdem es nicht hämolytisch wirkt. B. fand im
Physiologie des StofEwecfaflels. 105
aUgemeinen, daß das Serum norm^üer Tiere in der Mehrzahl eine parallel
gehende "Wirkung auf die Blutkörperchen und die Gefäßwände der Meer-
schweinchen besitzt; nur das Kaninchenserum bildet eine Ausnahme, indem
es eine bedeutende Menge Ton Yasokonstriktin und sehr wenig Hämolysin
enthält Die Tasokonstriktorische Kraft ist an die Elemente der Gefäßwände
gebunden und nicht durch Salzlösung aufzuheben. Die derartig empfindlich
gemachten Gefäße kontrahieren sich unter der Einwirkung von Alexine.
(Bendix.)
Baum (10) hat die Einwirkung Ton Nebennierenextrakt, Brenzkatechin
und Spermin auf die Zirkulation untersucht und gefunden, daß Spermin und
Nebennierensubstanz hinsichtlich ihrer lokalen Wirkung deutlich Antagonisten
sind. Bei lokaler Wirkung auf die normale Haut tritt eine deutliche Anämie
der Stelle ein. Ahnlich ¥drkt das Brenzkatechin. Dagegen trat bei Be-
pinselung der Zunge oder Schwimmhaut von kurarisierten Fröschen mit
Spermin fast plötzlich eine starke Beschleunigung der Zirkulation und Er-
veiterung der Arterien und Kapillaren ein. (Bendix,)
Ceni (15) kommt auf Grund seiner Untersuchungen über das Wesen
nnd die Spezifizität der im Blutserum der Epileptiker enthaltenen toxischen
Stoffe zu dem Schluß, daß das Blutserum der Epileptiker, das, während des
regulären Verlaufs der Krankheit in akzessualen oder in interakzessualen
Phasen entzogen, in einer Dosis yon 10 kcm anderen Epileptikern injiziert
irird, von diesen gewöhnlich vertragen wird und kein unmittelbar akutes
Phänomen erzeugt. In den schweren Fällen und mehr noch im Status epi-
lepticus wird das Blutserum der Epileptiker sehr oft ganz bedeutend hyper-
toxisch und ist, bei Epileptikern angewandt, fähig, auch in kleinen Dosen,
bei jeglichem Epileptiker Phänomene akuter Vergiftung mit lokaler und all-
gemeiner Reaktion zu erzeugen. Diese zeichnen sich besonders durch Kopf-
schwere, geistige Verworrenheit, fieberhaften Zustand und Verschlimmerung
der epileptischen Symptome aus. Der Toxitätsgrad im Blutserum der Epi-
leptiker steht nicht in direkter Beziehung zur Kraukheitsschwere. Die Epi-
leptiker reagieren auch sehr verschieden auf das hypertoxische Serum. Die
Epileptiker, w^elche große Dosen von hypertoxischem Serum vertragen, sind
anch weniger sensibel auf die Injektionen mit spezifischem Antiserum und
umgekehrt.
Epileptiker reagieren im Verschlimmerungsstadium auf ihr eigenes
hypertoxisches Serum nicht, dagegen stellen sich Phänomene akuter Ver-
giftung ein, wenn ihnen das eigene hypertoxische Serum einige Tage später,
wenn sie in ihren normalen Zustand zurückgekehrt sind, injiziert wird. Die
Hypertoxität des Serums eines Epileptikers kann auch einige Tage dem
Ausbruch der Verschlimmerungsphasen vorausgehen und kann deshalb zur
Ursache der Verschlimmerung in Beziehung gebracht werden. Bei nicht
Epileptischen kann das hypertoxische Serum eine akute toxische Wirkung
hervorrufen, aber gewöhnlich nicht heftig und ohne spezifische Symptome
der Epilepsie. Die epileptogenen toxischen Prinzipien scheinen nur bei
Menschen spezifisch zu wirken, nicht aber bei Tieren (Hund, Katze, Kaninchen,
Meerschweinchen, weiße Maus und Huhn). Die Hypertoxität des Serums
Epileptischer wird man dem übermäßigen Vorhandensein der beiden Elemente,
die das epileptogene Gift bilden, und zwar der sensiblen Substanz zuschreiben
können. (Benduc.)
Chlistens (19) beobachtete bei drei Ziegen, denen er die Thyreoidea
und Parathyreoidea entfernt hatte, Tetanie, in einem Fall erst 265 Tage
nach der Operation. Verfasser bezieht die beobachteten Störungen auf die
Entfernung der Parathyreoidea.
X06 Physiologie des Stoffwechsels.
Christiani (20) entfernte bei vier Ratten gleichen Alters Teile der
Thyreoidea und pflanzte sie auf der entgegengesetzten Seite ein. Zwei von
den Tieren erhielten gewöhnliche Nahrung, die beiden anderen erhielten
daneben noch reichliche Dosen von Schilddrüsenextrakt. Die zwei aormal
ernährten blieben gesund, bei ihnen hatte sich die Überpflanzung vollkommen
regeneriert, bei den beiden anderen trat nach 25 — 27 Tagen der Tod ein,
die Überpflanzung war sichtbar, klein und blaß. Verf. schließt daraus, daß
Thyreoideaextrakt in hohen Dosen einer Überpflanzung schädlich ist. Die
überpflanzten Drüsen,, verfallen einer rapiden Degeneration, gefolgt von
Atrophie. Bei der Überpflanzung kann man zwei gleich unangenehmen
Situationen gegenüberstehen: es kann einmal der Körper ein großes Bedürfnis
nach der Funktion der überpflanzten Teile haben. Unter diesen Umständen
liegt die Gefahr vor, daß sich die schädlichen Folgen einer oberarbeit
geltend machen, die schließlich zu einer Thyreoiditis mit nachfolgender
Sklerose führt. Auf der andern Seite kann der Körper künstlich mit
Thyreoidin gesättigt sein, in diesem Fall kann sich die überpflanzte
Thyreoidea aus Mangel an Bedürfnis nicht entwickeln.
Citron (22) hat eine große Anzahl von Kaninchen mit Suprarenin
behandelt und dann die Organe dieser Tiere untersucht. Er fand in der
Leber ausgedehnte Veränderungen, die entweder vom interstitiellen Binde-
gewebe oder vom Parenchym ausgehen. Er erklärt die Wirkungsweise des
Adrenalins auf die Leber in der Weise, daß in ihm die Kombination der
giftigen und der blutdrucksteigernden Gruppe den starken Eff^ekt bedingt.
Die plötzliche Blutdrucksteigerung setzt kleine mechanische Läsionen der
Arterienwandung, und dann wirkt das speziflsche Protoplasmagift de-
struierend ein.
Coiiat (25) gibt ein ganz kritikloses Referat über einige neuere
Arbeiten auf dem Gebiete der chemischen Gehimforschung.
Dixon's (27) Untersuchungen über die selektive Einwirkung des
Kokains auf die Nervenfasern ergaben, daß Kokain, lokal angewandt,
einzelne Nervenfasern vor anderen auswählt und lähmt, die sensorischen
Fasern vor den motorischen bevorzugt, die zentripetalen Vagusfasem vor
den zentrifugalen, die vasokonstriktorischen Fasern vor den Vasodilatatoren,
die bronchokonstriktorischen Nerven vor den Bronchbdilatatoren. Die lokale
Anwendung des Kokains auf die Vagi kann dazu dienen, Todesfälle im
Beginne der Chloroformnarkose zu verhüten. Medikamente, die auf das
Zentralnervensystem, Gehirn, Kückenmark oder die Nervenfasern einwirken,
üben ihren Einfluß fast regelmäßig auf die sensiblen Zellen und Fasern
früher aus als auf die motorischen. Es liege keine Veranlassung vor zur
Annahme, daß Kokain auf die sensiblen Nervenendigungen eine spezifische
Wirkung ausübe. (Bendix.)
Bekanntlich bildet es eine große Schwierigkeit, das Cholin in dem
alkoholischen Auszug der Cerebrospinalflüssigkeit für sich zu gewinnen —
und dies gilt auch für das Blut — , weil die Alkalichloride in geringer
Menge auch in den absoluten Alkohol übergehen. Donath (28, 29) be-
gegnet dieser Schwierigkeit dadurch, daß er nach Abscheidung aller sonstigen
in der Cerebrospinalflüssigkeit bisher bekannt gewordenen und zum Teil
doppelbrechenden Substanzen in dem alkoholischen Auszug nur Cholin nebst
Alkalichloriden erhält, aus welchem mittelst Platinchlorids nur Kalium-,
Ammonium- und Cholinchlorid gefällt werden. In diesem Salzgemenge ist
nur das Cholinplatiuchlorid doppelbrechend, welches unter dem Polarisations-
mikroskop die bekannten Erscheinungen der chromatischen Polarisation zeigt,
während das zum regulären Kristallsystem gehörende Kalium- und Ammonium-
Physiologie des Stoffwechsels. 107
platinchlorid diese Erscheinungen nicht zeigt. Mittelst dieser äußerst empünd-
liehen Methode kann das kleinste mikroskopische Fragment eines Cholin-
platinchloridkriställchens erkannt werden, ohne daß das in beliebiger Menge
Torhandene Kalium- und Ammoniumplatinchlorid stören würde, ja, nach
dieser Methode wird Ealiumchlorid direkt hinzugefugt, um einen etwaigen
Überschuß des doppelbrechenden Platinchlorids in das einfach brechende
Ealiumplatinchlorid zu verwandeln. Die näheren Details müssen im Ori-
ginal nachgesehen werden. Die Abbildungen zeigen das Cholinplatinchlorid
in der Gestalt von Plättchen, Stäbchen, geraden und gebogenen Nadeln,
zuweUen in büschelgarben- oder rosettenförmiger Anordnung, ferner als
prismatische Formen oder gezähnte Fasern. Entsprechend seinen früheren
Untersuchungen fand er das Cholin in der Cerebrospinalflüssigkeit bei rapid
fortschreitenden organischen Erkrankungen des Nervensystems (progressiver
Paralyse, chronischer Myelitis, tuberkulöser Meningitis, Tabes dorsalis, syphi-
litischer Cephalalgie), aber auch nach einer Reihe von schweren Krampf-
anfällen bei Epilepsie und Hysteroepilepsie, wenngleich bei letzteren meist
io geringerer Menge. Nicht gefunden wurde es bei Neurasthenie und Para-
lysis spinalis spastica, (Von letzterer wurde ein Fall untersucht.)
Die Jodreaktion, durch welche auch Allen in letzterer Zeit zur Sicher-
heit des Cholinnachweises beigetragen hat, wurde von D. für weit weniger
empfindlich befunden als die Polarisationsmethode. Während Allen das
Cholin an dem dunkelbraunen Niederschlag erkennt, der durch 30 ^/^ igen,
mit Jod gesättigtem Weingeist in der Eprouvette entsteht, benutzt D. Jod-
baryumjodid, welches unter dem Mikroskop das in Nadeln und dickeren
Prismen kristallisierende Cholinjodid zeigt. (AiUoreferat)
Dopter (30) brachte Kaninchen Kulturen von Dyssenteriebakterien
unter die Haut. Er sah danach Lähmungen auftreten, die manchmal den
Charakter der L an dry sehen Paralyse zeigten. Die peripheren Nerven
zeigten mikroskopisch keinerlei Veränderungen. Dagegen fanden sich im
Rückenmark die typischen Veränderungen der Poliomyelitis anterior acuta.
Verf. konnte im Rückenmark keinerlei Bakterien nachweisen, ebenso blieben
bei allen Kulturversuchen die Platten steril. Verf. schließt daraus, daß die
beobachteten Veränderungen im Rückenmark auf die Toxinwirkung der ein-
geimpften Bakterien zurückzuführen sei.
Dor, Maisonnave und Monziols (31) wollen bei Kaninchen
mittelst Einspritzungen von Hodensaft eine Wachstumshemmung des Skelettes
beobachtet haben, dagegen konnten sie eine solche nicht feststellen nach
Einspritzungen von Lezithin und Spermin. (Poehl).
Dreyfass (32) findet, daß das Chinin ebenso lähmend auf das Tonus-
labyrinth wirkt, wie auf das Hörlabyrinth, ja daß am Versuchstier die Er-
scheinungen von Seiten des Tonuslabyrinths viel frühzeitiger und aus-
gesprochener sind, als man mit Hilfe unserer Untersuchungsmethoden
Störungen des Hörlabyrinths nachweisen kann. Verf. nimmt an, daß durch
das Chinin in der Hauptsache die Nervenkerne und der Ramus vestibularis
selbst affizieri; werden. Denn peripher eingeträufelt nach Durchbohrung des
Trommelfells wirkt das Chinin nicht, während es doch beim Chloroform
nicht einmal der Durchlöcherung des Trommelfells bedarf, um seine lokale
Wirkung auf das Tonuslabyrinth zur Geltung zu bringen.
Dnbos (33) stellt fest, daß die Cerebrospinalflüssigkeit meist eine
reduzierende Substanz enthält, welche aber kein Zucker ist. Er hält diesen
reduzierenden Körper aber nicht für Pyrocatechine (Gautier), sondern für
Xanthin, respektive für die letzten Produkte der Zellenaktivität (Kroatin,
Kreatinin, Xanthin und Hypoxanthin). (Bendix,)
108 Physiologie des Stoffwechsels.
Ducrot und Gantrelet's (34) Versuche bei ikterisch gemachteo
Hunden und Kaninchen (Exzision des ductus choledochus oder Injektion
von Rindergalle in die Vena femoralis) ergaben, daß in die Cerebrospinal-
fltissigkeit kein Gallenfarbstoflf übergeht. (Bendix,)
Ducrot und Gantrelet (35) stellen fest, daß nach Verlegung des
Plexus chorioides auch beim normalen Hunde sich in der Duralflüssigkeit
Pigmente finden, welche dem normalen Blutserum entstammen: Lutein oder
Serochrom oder Urobilin. Diese Färbung der Duralflüssigkeit war voraus
zu sehen. Die physiologische Barriere der Plexus war unterdrückt. Als
Folge davon mußten die normalen und anormalen Pigmente des Blutes in
die Duralflüssigkeit gelangen.
Ducrot und Gautrelet (36) verstopften mittelst Methylviolett die
Plexus chorioides bei 3 an Ikterus leidenden Hunden. Sie sahen danach
Gallenfarbstoff in großer Menge in der Duralflüssigkeit auftreten, nach dem
Freiwerden der Plexus verschwand der Gallenfarbstoff wieder. Die Verf.
schließen daraus, daß die Plexus chorioides die Bolle einer wirklichen Drüse
spielen, sie sezemieren die Duralflüssigkeit, nach ihrer physiologischen Unter-
drückung verhält sich diese Flüssigkeit wie ein gewöhnliches Transsudat.
Fere (38) hat am Mos soschen £rgographen den Einfluß von Bouillon
auf die Arbeitsleistung geprüft und einmal die Wirkung des Vorschluckens,
andrerseits das bloße Schmecken der Bouillon zum Gegenstande seiner
Beobachtungen gemacht. Aus seinen Untersuchungen geht hervor, daß die
exzitierende Wirkung der Bouillon hauptsächlich oder einzig auf einer
Reizung der sensiblen Nervenfasern beruht. (Bendix,)
Forssman (41) beschäftigt sich mit der Frage, ob die Antitoxin-
Neutralisation zwischen Toxin und Antitoxin im Organismus und in vitro
in derselben Weise vor sich geht. Er ist im Gegensatz zu Dziersgowski
der Ansicht, daß dies nicht der Fall sei.
Gulewitsch und Krimberg (48) stellten aus Fleischextrakt einen
Körper von der Zusammensetzung Ci^Hg^NjOeCl^jPt dar, welcher das
Chlorplatinat einer noch unbekannten Base ist, für welche sie den Namen
Karnitin vorschlagen. In der Voraussetzung, daß diese Substanz ein
Monoamin und kein Diamin ist, und daß hier keine quartäre Ammonium-
base vorliegt, kann die Zusammensetzung des Karnitins durch die Formel
C^H^jNOg ausgedrückt werden. Die freie Base reagiert stark alkalisch
und ist, wie auch ihr salz- und salpetersaures Salz, im Wasser äußerst
leicht löslich. Die lange Reihe der Extraktivstoffe des Muskelgewebes hat
sich somit noch um ein neues Glied bereichert. Das Karnitin, der neu
entdeckte stickstoffhaltige Bestandteil des Fleischextraktes, unterscheidet
sich von den übrigen Extraktivstoffen des Muskelgewebes dadurch, daß im
Karnitin auf ein Atom Stickstoff 3 Atome Sauerstoff kommen. Seinen
stark alkalischen Eigenschaften nach, kann das Karnitin nicht eine Oxyamino-
säure sein, und seiner chemischen Struktur nach nimmt es eine besondere
Stellung unter den bekannten Bestandteilen des tierischen Organismus ein.
Huchard (49) bestätigt die Angaben von Clement, daß die Ameisen-
säure und ihre Verbindungen, von denen er besonders das ameisensanre
Natrium verwendet, eine Wirkung auf die Muskulatur ausübt. Diese soll
darin bestehen, daß das Ermüdungsgefühl weniger schnell und weniger stark
auftritt. Die Muskelleistungen sollen zunehmen. Am Mosso sehen Ergo-
graphen gemessen, wuchs seine Arbeitskraft von 9 Kilogrammetern auf 30
in 6 Tagen bei täglicher Einnahme von 2 — 4 g ameisensaurem Natrium,
Verf. hat es bei Neurasthenien, Asthenien und in der Bekonvaleszenz mit
gutem Erfolg angewandt Ferner haben diese Substanzen auch eine diure-
Physiologie des Stoffwechsels. 109
tische Wirkung. Dagegen wurden keine schädlichen Wirkungen auf die
Nieren beobachtet. Die Giftwirkung ist sehr gering. Verf. gibt 4 g pro
Tag in wässeriger Lösung. Den physiologischen Effekt erklärt er als eiue
gewisse Muskelaaästhesie, wodurch das Ermüdungsgefühl in den Muskeln
schwindet
Kocher (52) hat die Ausscheidung des Jods im Urin einer Anzahl
normaler und solcher, welche an einer Struma litten, untersucht. Er fand,
daß bei normalen Menschen unter ganz gleichen Bedingungen das Aus-
scheidungsqoantum des per os gegebenen Jodes im Urin keinen merklichen
Schwankungen unterwori'en ist. Das Mittel der Quantität des im Urin aus-
geschiedenen Jods beträgt 74,3 7o ^^^ eingeführten Menge. In allen Fällen
wurde auch der größte Teil des Jodes in den ersten 12 Stunden nach der
Einnahme ansgeschieden. Verfasser untersuchte danach Kranke mit Strumen
in derselben Weise. Er unterscheidet drei Arten von Kröpfen: Die erste
Gruppe wird dargestellt Ton den sogenannten parenchymatösen Strumen und
femer von den nodösen Strumen mit wenig oder gar keinen regressiven
Veränderungen. In der zweiten Gruppe finden sich einmal Struma nodosa
mit regressiven Metamorphosen und ferner Mischformen der ersten und dritten
Kategorie. In die dritte Gruppe gehören die festen Kolloidkröpfe. Die
erste Gruppe zeichnet sich dadurch aus, daß einmal eine erhebliche Ver-
mehrung der Jodausscheidung stattfindet und ferner, daß mit ihr eine Ver-
kleinerung der Struma Hand in Hand geht. Bei wiederholten Jodver-
abfolgungen in diesen Fällen fanden Jodausscheidungen und weitere Rück-
bildungen der Struma in ganz gleicher Weise statt, wie bei der ersten Jod-
einnahme, falls eine weitere Rückbildung möglich war. Ist dies nicht der
FaU, so sind die Ausscheidungsquanten wie bei den Individuen mit normaler
Schilddrüse. Bei der zweiten Kategorie fanden sich ziemlich normale Jod-
qoanta im Urin. Die Strumen dieser Individuen zeigten keine wesentlichen
Veränderungen durch die Jodverabfolgung. Die dritte Gruppe zeigte ver-
minderte Jodausscheidung. Die Kranken zeigten keine Symptome, welche
die verminderte Ausscheidung hätten erklären können, wie Verdauungs-
störungen, Schnupfen, erheblichen Schweiß oder Fieber. Bei dieser Gruppe
ist auch die zeitliche Ausscheidung verändert, sie ist protrahierter. Verfasser
ist daher der Ansicht, daß die quantitative Jodausscheidung an den histo-
logischen Bau der Struma gebunden ist, und daß es vom histologischen Bau
abhängt, ob eine Struma zurückgeht oder nicht. Es wirkt das Jod nur
dann auf die Schilddrüse resp. Struma ein, wenn es in derselben funktions-
fähiges Parenchjm vorfindet. Eine solche Art der Einwirkung ließ übrigens
unsere Kenntnis der physiologischen Bedeutung des Jodes für die Scliild-
drüse voraussetzen. Die Funktionstüchtigkeit des Schilddrüsenparenchyms
ist abhängig einesteils von der Blut- und Lymphzirkulation, anderenteils von
der Integrität des FoUikelepithels, und ebenso ist der Grad der Einwirkung
des Jodes abhängig von Grad und Menge der funktionstüchtigen Drüson-
substanz. Der Jodgehalt der Strumen scheint sich umgekehrt zu verhalten,
wie die Ausscheidung des Jodes durch den ITrin. Die Strumen, die unter
der Jodverabfolgung an Volumen abgenommen hatten, wiesen einen geringeren
Jodgehalt auf, gemäß der vermehrten Jodausscheidung; umgekehrt zeigt sich
in den Kröpfen, die unter der Jodverabfolgung nicht abnahmen, und wo die
Ausscheidung vermindert war, ein hoher «lodgehalt. In einigen Fällen wurde
ein Jodismus beobachtet. Verfasser meint, daß dieser dann auftrete, wenn
Strumen und Jodzufuhr mit Rückbildung und vennehrter Ausscheidung
reagieren, abnorm viel Jod aufnehmen, welches dann allem Anschein nach
abnorm verarbeitet wird und in die Zirkulation gelangt und die chronischen
210 Physiologie des Stoffwechsels.
oder bei neuer Jodzufuhr die akuten Thyreoidismussymptome hervorrufL
Physiologisch glaubt Verfasser annehmen zu müssen, daß das Kolloid
imstande ist, wechselnde Mengen von Jod zu binden, daß die zu gering
jodierten Eiweißmengeu in der Drüse als Reservestoffe bleiben, wenn aber
normale Jodierung^ stattfindet, würde Thyreoalbumin ausgeschieden werden.
Wenn nun die Zufuhr von Jod oder auch von anderem schilddrüsenfahigen
Material sich aus irgend einem Grunde verändert, so muß dies eine quan*
titative Veränderung des Bläscheninhaltes und dementsprechend des Jod-
gehaltes der Struma zur Folge haben, und diese histologische und chemische
Veränderung der Drüse wird am so größer sein, je größer oder geringer die
Quantität des zugeführten schilddrüsenfähigen Materials ist und je länger
sie andauert. Aus dieser Überlegung läßt es sich verstehen, daß die Schild-
drüse befähigt ist, sich verschiedenen Ansprüchen anzupassen, und daß wir
ein verschiedenes Verhalten in bezug auf Alter, Nahrung, Wohnort usw^
antreffen.
Lafitte-Dnpont und Manpetit (54) finden, daß die Druckänderungen
der Labyrinthflüssigkeit und der Duralflüssigkeit begleitet sind von einer
gleichgerichteten Bewegung des arteriellen Druckes. Beim Menschen ruft
die Lumbalpunktion eine Erniedrigung des arteriellen Druckes von 4 — 8 cm
Hg hervor. Diese arterielle Druckverminderung kann mehrere Tage anhalten.
Livon und Briot (58) finden, daß der Speichel der Cephalopoden
giftig auf das Nervensystem der Cnistaceen wirkt. Es bleibt die elektrische
Erregbarkeit der Muskeln erhalten. Dagegen ist es nicht sicher, ob das
Gift auf das zentrale Nervensystem oder das periphere motorische System
wirkt.
Die Versuche von Lortat-Jacob und Sabareann (59) ergeben,
daß die Exstirpation der Hoden einen großen Einfluß hat auf die inten-
sivere Ausbildung des Aortenatheroms, das man durch Injektion von Adre-
nalin erhält.
Lncksch (60) versucht festzustellen, inwieweit vorübergehende oder
andauernde Zirkulationsstörungen, Fieber, Hunger, Blutzerfall, Intoxikation
und Infektion die Nebennieren in ihrer Funktion schädigen. Diese Schä-
digung wurde in einer Blutdruck vermindernden Kraft des Nebennieren-
extraktes von Tieren gesehen, welche in einer der obengenannten Weise
geschädigt waren und dann getötet wurden. Durchschneidung des Rücken-
marks, Hunger, Fieber, d. h. Hyperthermie, Zerstörung der roten Blut-
körperchen, waren ohne jeden Effekt der Nebennierenfunktion. Während
Pilokarpin in keiner Weise auf die Funktion der Nebenniere Einfluß hat>
findet man eine vollkommene Störung derselben nach Phosphorvergiftung,
ferner infolge des urämischen Giftes, schließlich durch das Diphtherietoxio
und nach Injektion von Bacterium coli commune. Auch der Hunger macht
den Nebennierenextrakt unwirksam.
Durch ein besonderes Verfahren hcaben Marino Lnco und Onorato-
(61) aus dem Urin von Menschen, Hunden und Ochsen eine Substanz,
isolieren können, die starke toxisclie Eigenschaften besitzt und Meerschwein-
chen injiziert, dieselben in kürzester Zeit tötet. Diese Substanz, die von
den Autoren Biotoxin genannt wird, findet sich im Urin in einer Menge
von 0,3 — 0,5 %(). Dieselbe konnte in ungefähr gleicher Menge aus den
Nieren und in relativ geringerer aus dem Blute (nicht dem Serum !) von
Ochsen gewonnen werden.
Nach Injektion von 20 cgr dieser Substanz starben Meerschweinchen
nach 12 ^ unter Temperaturabfall und schweren Collapserscheinungen. Bei
geringeren Dosen gingen die Tiere nach längerer Zeit (bei Injektion eines
Physiologie des Stoffwechsels. HX
mgr nach durchschnittlich 30 Tagen) unter ähnlichen Erscheinungen ein,
zu denen sich noch klonisch-tonische Zuckungen zugesellten. Bei der
Autopsie waren Hämorrhagieen in der Marksubstanz der Nebennieren am
auffallendsten, ferner parenchymatös-nephritische Prozesse. Das Krankheits-
bild entsprach ungefähr dem bei Urämie beobachteten. Diese Beobachtung
führte zur Bestimmung der Biotoxinmenge bei urämischen Menschen, und die
Autoren wollen tatsächlich gefunden haben, daß bei diesen die Menge des-
selben bedeutend herabgesetzt erscheint. (Merzbacher,)
Marie (63) sah bei 20 Überimpfungen mit dem Blut von wutkranken
Tieren nur zwei positive Resultate.
Mac Callnm und Davidson's (64),,Versuche an einer größeren
Anzahl von Hunden brachten sie zu der Überzeugung, daß die Tetanie
nicht eine Folge der Schilddrüsenfunktion ist, hervorgerufen durch den Verlust
der Einwirkung der Parathyreoidea, sondern die direkte Folge des Ver-
lustes der Funktion der Parathyreoidea sei. Dafür spricht, daß die Tetanie
direkt durch Injektion von einer Emulsion der Nebenschilddrüse bei man-
gelnder Schilddrüse geheilt werden könne. (Bendix.)
A
Mayer (65) untersucht das Verhältnis -s^pp er findet, daß es nicht
konstant ist beim gesunden Menschen. Es hängt einmal ab von der chlor-
natriumreichen Nahrung, oder wenn diese feststehend ist, von dem sonstigen
Reichtum an anderen Salzen. Er ist der Ansicht, daß alle physiologischen
Schlüsse, die man aus der Konstanz des Verhältnisses ^^ ^, hat ziehen
NaCl
wollen, nur mit der größten Vorsicht aufgenommen werden dürfen.
Meltzer und Aner (66) kommen auf Grund ihrer Untersuchungen
z\i der Annahme, daß das Nebennierenextrakt eine Verstärkung des Kon-
traktionszustandes des Protoplasmas der Kapillare ndothelien veranlaßt; da-
durch werden die Lumina der Poren verkleinert. So wird die Beschränkung
des Austausches, die Herabsetzung der Resorption und der Transsudation
erklärt.
Mongonr (68) stellte fest, daß sich in der Cerebrospinalflüssigkeit
Ikterischer keine Spur von Gallenpigment nachweisen läßt. Dagegen ist die
Reaktion auf Gallensalze eine deutliche. (Bendix.)
Die interessanten Studien Monery's (67) über den Jodgehalt der
Schilddrüsen in den verschiedenen Gegenden und bei verschiedenen Er-
krankungen des Organismus ergaben bei Geisteskranken das Resultat, daß
der Jodgehalt bei Erregungszuständen erhöht ist und bei Depressionszuständen
am geringsten ist. Der Umstand ist insofern bemerkenswert, weil auch bei
geistiger Schwäche, speziell bei dem kongenitalen Kretinismus die Funktion
der Schilddrüse alteriert ist und mit der geistigen und somatischen Hemmung
in Verbindung gebracht wird. (Bendix,)
Parhon und Goldstein (70) nehmen einen Antagonismus zwischen
den I\inktionen der Thyreoidea und den Ovarien an. Derselbe soll sich
nicht bloß auf das Wachstum der Knochen beziehen, sondern auch auf die
Fettentwicklung, auf die Haare, auf das Herzgefäßsystem und auf die Vaso-
motoren, auf die Sekretion der Milch, femer auf den StofiFwechsel. Es
werden sogar die einzelnen Stoffwechselprodukte unter diesem Gesichtspunkt
betrachtet, ohne daß ein wirklicher Beweis erbracht wird.
Pisani und Paladino (72) haben mit Jodtinktur oder Lösungen
von Jodsalzen imbibierte Elektroden Menschen und Hunden auf die Haut
s^pliziert, um zu untersuchen, in welcher Art durch den elektrolytischen
212 Physiologfie des Stoffwechsels.
Prozeß die Absorption des Jods begünstigt wird. Während bei Hunden
nur von der Kathode aus das Jod eingeführt werden konnte, konnte es beim
Menschen von beiden Polen aus in den Organismus gelangen. Mit zu-
nehmender Stromintensität nimmt die Zeitdauer bis zum Beginne der Re-
sorption ab, die Intensität muß proportional sein dem Gewichte des Tieres.
So sind z. B. bei 5 M.-A. beim Hunde 3 Minuten, bei 30 M.-A. nur eine
Minute notwendig, bis das Tier zur Absorption kommt (im Urine nachweis-
bar!). Auf der Haut zeigen sich an der Stelle, an der die Elektrolyse statt-
findet, typische Veränderungen, die aber nur auf den Einfluß durch das
passierende Jod zurückgeführt werden können. Metallisches Jod wird bei
dem elektrolytischen Prozeß intensiver aufgenommen als solches aus Salz-
lösungen. — Was den praktischen Wert der Untersuchungen anbetrifft, so
ergibt sich, daß vom Magen aus die Resorption eine ausgiebigere ist als
von der Haut aus bei dem elektrolytischen Verfahren; letzteres kann dann
mit Vorteil in Anw^endung kommen, wenn zirkumskripte, lokalisierte Wir-
kungen gewünscht werden. (Merzbacher,)
Prevost und Mioni (74) haben bei jungen thyreoidektomierten
Hunden durch Elektrisieren mit dem faradischen Strom wochenlang an-
haltende klonische Krämpfe hervorgerufen. Durch die Thyreoidinbehandlung
konnte das operative Myxödem gebessert werden, und die Elektrisierung rief
Konvulsionen hervor, währenddessen die klonischen Zustände noch verstärkt
waren. Die ThyreodektomiB bewirkt bei jungen Tieren eine Entwicklungs-
hemmung und verändert die Punktionen der kortikalen motorischen Zone,
die Verff. als das Zentrum der klonischen Krämpfe ansehen.
Richon und Jeandelize (78) finden, daß die Kastration eine all-
gemeine Verlängerung der langen Skelettknochen mit Gewichtszunahme be-
dingt. Diese Verlängerung betrifft aber nicht vor allem die Knochen der
unteren Extremität. Es besteht ferner auch kein Verhältnis zwischen der
Längenzunahme und der absoluten Länge der Knochen.
Richon und Jeandelize (80) stellen fest, daß die Wirkung der
Thyreodektomie eine der Kastration entgegengesetzte in bezug auf die langen
Knochen ist. Diese Tatsache könnte vielleicht als ein Beweisstück für die
Annahme gelten, daß die Genitaldrüsen und die Thyreoidea antagonistische
Funktionen haben.
Rosenheim (83) hat an Stelle der nicht ganz zuverlässigen Platin-
chloridmethode zum Nachweise von Cholin im Blut und in der Cerebro-
spinalflüssigkeit drei neue Untersuchungsmethoden gefunden.
Es sind dieses: die Per-jodide-Eeaktiou, eine mikroskopische Methode;
die Alloxan-Reaktion, eine Farbenreaktion; und die Wismuth-ßeaktion, welche
auf der Bildung charakteristischer Präzipitate beruht. (Bendix.)
Snchowa-Ossipowa (88) berichtet: Einer 17 jähr. Patientin wurde
aus kosmetischen Gründen der Kropf entfernt. Vier Tage nach der Ope-
ration traten Krämpfe auf, welche sich mehrmals täglich wiederholten,
anfangs ohne, dann mit Bewußtseinsverlust einhergingen. Die Menstruation
hörte nach der Operation auf. Im Laufe der nächsten vier Monate führt
die Eiterung der Operationswunde zum Schwunde der übrig gebliebenen
Schilddrüsensubstanz. Patientin wird elend, die Muskeln werden schlaff, die
geistigen Fähigkeiten, besonders das Gedächtnis, nehmen ab. Während des
2jährigeu Aufenthaltes der Patientin in der Prof. v. Bechterewschen Klinik
wird insofern eine Besserung beobachtet, als die Anfälle und Gliederschmerzen
seltener werden. Die Transplantation der Schilddrüse von einer am Kropf
leidenden Patientin brachte bloß kurzdauernden Erfolg. Desgleichen die
Behandlung mit Thyreoidintabletten. (Kran.)
Physiologie des Stoffwechsels. JX3
Thierfelder (92) setzt seine Arbeiten über das Cerebron fort und
kommt zu der Anschauung, daß die für das Cerebron gefundene prozentische
Zusammensetzung am besten zu der Annahme paßt, daß dem Cerebron die
Formel C^g H^, NO, zukommt, und daß es bei der hydrolytischen Spaltung
unter Aufnahme von 2 Molekülen Walser in je ein Molekül Cerebronsäure,
Sphingosin und Galaktose zerfällt
Thierfelder (93) verwahrt sich gegen Posner und Gies, daß das
Ton ihm hergestellte Cerebron und das Yon Thudichum gefundene Phreno*
sin identisch seien, und daß daher der Körper als Phrenosin zu bezeichnen
sei, da Thudichum diesen seinen Körper schon im Jahre 1874 entdeckt
habe. Mit Recht weist Thierfelder darauf hin, daß die Zahlen, die Thudi-
chum angibt, nicht für Cerebron stimmen. Es gibt zwei Möglichkeiten:.
Entweder hat Thudichum eine reine Säure in Händen gehabt und analy-
sier^ dann sind Phrenosin und Cerebron yerschiedene Körper. Oder er hat
unreines Material untersucht, dann sind seine Angaben über die Zusammen-
setzung der Säure und damit auch über das Phrenosin unrichtig, und das
Phrenosin wäre yielleicht als unreines Cerebron zu bezeichnen, aber nicht
das Cerebron als Phrenosin. Allerdings sprechen die Darstellungsweise
beider Substanzen, die für beide Substanzen angegebenen Eigenschaften und
Tor allem der für Thudichums Arbeiten charakteristische Mangel an Exakt-
heit für die letztere Annahme. Thudichum hat das Verdienst, zuerst mit
Nachdruck das Vorkommen phosphorfreier Atomkomplexe im Gehirn be-
hauptet zu haben, die Reindarstellung eines solchen Körpers ist ihm aber
nicht gelungen, und ebensowenig hat er seine Zusammensetzung und seinen
ehemischen Aufbau richtig erkannt. Diese Feststellungen sind erst durch
die Untersuchungen von Gamgee, Wörner und Thierfelder geliefert
worden. Alle Angaben von Thudichum müssen so lange mit Mißtrauen
betrachtet werden, bis ihre Bestätigung von anderer Seite erfolgt. Diese
Ansicht wird jeder bei der Beschäftigung mit den Arbeiten dieses Autors
gewinnen. Die Tatsache, daß so viele seiner Angaben keine Berücksichtigung
in der Literatur und keine Aufnahme in die Lehrbücher gefunden haben,
laßt sich nicht aus persönlicher Animosität, sondern nur aus einem sehr be-
rechtigten Mangel an Vertrauen an der Exaktheit seines Arbeitens erklären.
Ergeben weitere Untersuchungen die Richtigkeit seiner Befunde, so soll ihm
gewiß die Anerkennung nicht versagt werden. Das Cerebron aber zeigt eine
andere Zusammensetzung und einen anderen chemischen Aufbau als Thudi-
chum für das Phrenosin angegeben hat.
Tlberti (94) ist der Ansicht, daß es sich bei der Tetanuswirkung bei
den Wannblütem um zwei in Bezug auf Zeit und Ort verschiedene Vor-
gänge im Rückenmark handelt: der erste ist eine lokale motorische Intoxi-
kation, welche die lokale Kontraktur der Muskeln bewirkt, der zweite ist
eine lokale sensible Vergiftung, der reflexive Tetanus. Über die Art der
Ausbreitung des Tetanusgiftes zum Rückenmark kommt Verf. zu folgenden
Schlußfolgerungen :
L Injiziert man Tetanustoxin subkutan bei einem empfänglichen Tier,
so geht ersteres größtenteils in die Lymphgefäße über und von diesen aus
in das Blut; zum geringeren Teil wird es von den Nervenendigungen resor-
biert und wird durch diese zu den Nervenzentren weiter geleitet. Nach
hypodermatischer Injektion von Tetanustoxin in ein Glied ist das Toxin
konstant in den Nervenstämmen des Gliedes selbst nachweisbar.
2. Der Transport des Tetanustoxins zu den Nervenzentren durch die
Nerven findet statt nicht durch die Lymphwege der Nerven selbst, sondern
im Plasma der Nervenfasern, aus denen der Achsenzylinder besteht. Damit
Jahresbericht f. Neurologie und Psychiatrie 1906. 8
114 Physiologie des Stoffwechsels.
die Nervenfasern imstande sind, das Tetanustoxin aufzunehmen und es zu
den Nervenzentren weiterzuleiten, ist es nötig, daß der Achsenzylinder ihre
normale Integrität besitzt.
8. Dem Achsenzylinder entlang läuft der Strom des Giftes nur in
cellulopetaler Richtung. Das Tetanustoxin verschiebt sich nach der Nerven-
zelle hin, wahrscheinlich, weil letztere auf das Tetanusgift, mit dem die
Nervenfasern durchtränkt werden, eine Anziehung ausübt.
4. Injiziert man in einen Muskel Tetanustoxin, so breitet es sich in
der den Muskel selbst umspülenden serösen Flüssigkeit aus und wird, nach-
dem es von den Endigungen der in den Muskeln befindlichen Nerven resor-
biert worden ist, vermittelst der Nerven zu den Zentren weiter geleitet.
5. Das in die Wadenmuskeln eines Meerschweinchens inokulierte Tetanus-
toxin trifft man im entsprechenden Ischiadikus in beträchtlichen Dosen erst
1^/j Stunde nach der Injektion an, während man es viel schneller im Blute
antri£Et (schon nach 10 Minuten).
6. Es genügen minimale Dosen von Tetanustoxin, um schwere Tetanus-
erscheinungen hervorzurufen, wenn die Injektion direkt in das Parenchym
der Nerven erfolgt. Dieselben Dosen rufen, wenn sie unter die Haut oder
in den Kreislauf injiziert werden, keine Tetanuserscheinungen hervor.
7. Injiziert man Tetanusantitoxin in einen Nervenstamm und inokuliert
hierauf Tetanustoxin in die durch den erwähnten Stamm innervierten Muskeln,
so gelingt es, den Zutritt des Toxins zu den entsprechenden Nervenzentren
zu verhindern, und man bemerkt deshalb keine Tetanuserscheinungen irgend
welcher Art in dem bezüglichen Muskelgebiet.
8. Das direkt, in einen Nerven inokulierte Tetanustoxin hat keinen
anderen Weg der Übertragung auf die Nervenzentren als die Substanz des
Nerven selbst, wie dies die Tatsache beweist, daß man durch Unterbrechung
des Rückenmarkes an einem bestimmten Punkte die Wirkungen des Toxins
auf den in Verbindung mit dem Sitz der Einimpfung stehenden Abschnitt
des Rückenmarkes selbst verhindern kann.
9. In den durch Durchschneidung der entsprechenden Nervenstämme
ihrer Innervation vollständig beraubten Muskeln zeigen sich keine Tetanus-
erscheinungen infolge subkutaner Inokulation von Tetanustoxin.
10. Wenn man Tetanustoxin direkt in die Substanz des Rückenmarks
injiziert, so erhält man eine beträchtliche Abkürzung des Inkubationsstadiums,
und es zeigt sich ein besonderes, durch den Namen Tetanus dolorosns
charakterisiertes Krankheitsbild.
11. Injiziert man Tetanustoxin in den Kreislauf, so werden nach einem
mehr oder weniger langen Inkubationsstadium, je nach der betreffenden Tier-
gattung, alle Muskeln gleichzeitig von tetanischen Kontrakturen ergriffen,
weil das Toxin des Tetanus von aUen Nervenstämmen gleichzeitig resorbiert
und zu den Nervenzentren weiter geleitet wird.
In diesem Falle fehlt der sogenannte lokale Tetanus, den man
beobachtet, wenn das Toxin unter die Haut oder in das Parenchym eines
Nerven injiziert wird. Es ist eine viel stärkere Dosis von Toxin erforderlich,
um bei einem Tiere Tetanuserscheinungen hervorzurufen, wenn man die In-
jektion in den Kreislauf macht, als nötig ist, wenn man sie subkutan oder
direkt in die Nervenstränge vornimmt.
12. Das in die Blutbahn injizierte Tetanustoxin geht schnell in die
Lymphe über. In der cerebrospinalen Flüssigkeit kann das Tetanusgift mit
Sicherheit nachgewiesen werden.
Tribondeau und Recamier (96) haben auf das Auge und die
Gesichtsknochen einer neugeborenen Katze Röntgenstrahlen wirken lassen.
Physiologie des SioflFwechsels. 115
Sie fanden zwar keine Entwicklungshemmung am Auge, dagegen Verände-
ningen; Stäbchen und Zapfen waren vorhanden, aber es fanden sich Struktur-
anomalien der Ketina und ferner Blindheit infolge Katarakt. Die Entwick-
Incg der Gesichtsknochen war verlangsamt, nicht aber gehemmt worden.
Yillaret und Tixier (100) geben eine nähere Beschreibung von
eigeDtnmlichen Zellkörpem, sogen. ,,cellules claires", die sich in der patho*
logischen Cerebrospinalfiüssigkeit bei meningitischen Manifestationen vor-
fanden. Es handelt sich um durchsichtige, transparente Elemente ver-
schiedener Dimensionen, die ein feines Netzwerk erkennen lassen und ein-
kernig sind. Sie sind der Überzeugung, daß die Mehrzahl der transparenten
Elemente degenerierte Leukocyten repräsentieren. (Bendix.)
Vincent und JoUy (101) sprechen sich auf Grund ihrer Experi-
mente dahin aus, daß es nicht bewiesen sei, ob die Thyreoidea und Para-
thyreoidea unbedingt für das Leben notwendig sind, da eine oder beide
Drüsen sich bisweilen, ohne das Leben zu gefährden, entfernen lassen. Die
Terschiedenen Tiere reagieren sehr verschieden auf die Exstirpation dieser
Drüsen, aber bei keinem Tier, auch nicht bei Affen, Hunden und Katzen,
entwickelte sich je ein dem Myxödem ähnlicher Zustand. Wenn auch
junge Tiere nach Exstirpation der Schilddrüse langsamer wachsen, so zeigen
sie doch nie Erscheinungen von Kretinismus. Myxödem und Kretinismus
müssen wohl weitgehendere Ursachen haben als die einer bloßen Insuffizienz
der Schilddrüse. Die Parathyreoidea scheint für die exstirpierte Schilddrüse
funktionell einzutreten und dann histologische Veränderungen zu erfahren.
(Bendix,)
Weichardt (102) kommt im Verlauf seiner weiteren Untersuchungen
über Ermüdungstoxine zu folgenden Schlußsätzen:
1. Durch anhaltende Muskelbewegung im luftverdünnten Räume, also bei
Saaerstoffinangel, wird aus dem Muskeleiweiß reichlich Ermüdungstoxin gebildet.
2. Die Ausbeute an Ermüdungstoxin wird durch Behandlung des
Ermüdungsmuskelpreßsaftes mit Reduktionsmitteln, z. B. mit schweflig-saurem
Natron, gesteigert.
3. Auch aus Muskelpreßsaft nicht ermüdeter Tiere werden mittelst
Behandeln mit Reduktionsmitteln toxische Substanzen ausgebildet.
4. Femer gelingt die Herstellung derartiger Eiweißreduktionstoxine
auch aus anderen Eiweißarten, z. B. aus dem Eiweiß Abt Plazenta, dem
des Gehirns, der Pollen, ja sogar aus einfachem Hühnerklar.
Mit diesen Eiweißreduktionstoxinen zeigt das mittelst wiederholter In-
jektion von Ermüdungstoxin gewonnene antitoxinhaltige Serum insofern eine
Gruppenreaktion, als es dieselben bis zu einem gewissen Grade absättigt.
5. Die Simultanimmunisierung (Einverleiben von Ermüdungsantitoxin
ond -toxin) zeitigt bei den Versuchstieren eine hochgradige Steigerung der
Leistungsfähigkeit.
Wessely (103) untersuchte die verschiedenen im Handel sich be-
findenden Adrenalinpräparate. Er findet, daß die alten Präparate außer-
ordentlich schwach an wirksamer Substanz sind. Sie stellten alle nur eine
etwa 5*/^ ige Lösung dar, mit Ausnahme des nicht kristallisierten Supra-
renins, welches etwa 50 ^^ Adrenalin enthielt. Die neuen kristallinischen
Substanzen sind in ihrer Wirkung gleich- und vollwertig. Die Untersuchung
ergibt dann auch, daß es sich in allen Nebennierenpräparaten in ihrer Be-
ziehnng zum Auge stets um ein und dasselbe wirksame Prinzip handelt,
welches druckherabsetzend und pupillenerweiternd wirkt, und daß die beob-
achteten Differenzen in der Wirkung nur durch die jeweils zur Anwendung
gelangten größeren oder geringeren Dosen bedingt sind.
8*
216 Spezielle Physiologie des Gehirns.
Spezielle Physiologie des Gehirns.
Referent: Dr. Otto Kalischer-Berlin.
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Das Denken ist nach Adamkiewicz (1) eine Funktion der Groß-
hirnrinde und als solche von der Physiologie des Organes abhängig. Physio-
logisch fehlerhaft sei es, von „Zentren der Assoziation" zu sprechen, weil
der Begriff eines Zentrums eine physiologische Eigenartigkeit und Spezifizi-
tÄt eines Zentrums voraussetze, die Assoziation aber nichts Eigenartiges und
Spezifisches an sich habe. Die Rinde des Großhirns sei nicht, wie man
glaubte, in den Stirnlappen „motorisch" und in den hinter der Zentral-
furche liegenden Abschnitten „sensorisch", sondern sie sei das überall
physiologisch gleichwertige Seelenorgan für die einzelnen — durch eigene
und an verschiedenen Stellen der Großhirnrinde gelegene Abschnitte dieser
Äinde vertretenen — großen Organsysteme, welches sich nicht aus „Sinnes-
zentren" sondern aus „Seelenfeldern" zusammensetze, worunter A. die
seelischen Substrate für die Gesamtinnervation der einzelnen Organgruppen
— also Organseelengebiete — versteht.
Beim entwickelten Menschen sind die Seelenfelder mehr oder weniger
über die ganze Großhirnrinde verbreitet; daher denkt der Mensch mit der
ganzen Rinde des Großhirns und nicht mit begrenzten Teilen derselben, also
auch nicht mit irgend welchen Plechsigschen „neutralen Gebieten".
(Bendix.)
Nach Adamkiewicz (2) ist die Großhirnrinde ausschließlich
Organ der höheren Seelenfunktionen. Als solches erzeugt sie Begriffe
und Vorstellungen. Aus beiden resultiert der psychische Akt des Willens.
Der Wille ist ebenso wie die ihm kongruente Intelligenz das Produkt der
gesamten Großhirnrinde, hat aber für die einzelnen, den Gesamtorganismus
Spezielle Physiologie dea Gehirns. 119
ZQsammensetzendea Organkomplexe bestimmte, auf der Rinde gelegene, zwar
lokal getrennte, aber physiologisch vollkommen gleichwertige Felder — die
Seelenfelder. Das Seelenfeld der Körperbewegungen umfaßt die vorderen
Partien der Großhirnhemisphären und vor allem die Zentralwindungen. Von
hieraus bhngt der Wille die Körpermuskulatur in Bewegung. Um das zu
tuD, muß der Wille Zentren erregen, die der groben Bewegung vor-
stehen. Letztere Zentren befinden sich hauptsächlich im Kleinhirn, welches
der eigentliche Herd der Körperbewegungen ist. Außerdem befinden sich
noch Bewegungszentren in den Ganglien des Großhirns, im Linsenkern, Seh-
bägel und im Schweifkern. Das Kleinhirn enthält zwar die physiologischen
Zentren der einzelnen Bewegungen, nicht aber die Kraftquelle für die
Muskelfunktionen. Diese Kraftquelle der Muskeln — die grobe mecha-
nische Kraft — muß den Muskeln von den unterhalb des Kleinhirns ge-
legenen Stationen der Willensimpulse zufließen — aus den großen multi-
polaren Ganglienzellen der Yorderhömer der grauen Rückenmarksubstanz,
wofem diese Kraft nicht aus den Ganglien der Großhirnrinde auf dem Wege
der Pyramidenbahnen in Form elektrischer Ladung den Muskeln zufließt.
Im Kleinhirn, in welchem alle Zentren aller willkürlichen Bewegungen
enthalten sind, hat jedes Zentrum seine besondere Lage.* Die Loka-
üsation dieser Zentren hat Verf. durch seine Versuche beim Kaninchen fest-
gestellt: Auf minimale Läsionen verschiedener Teile des Kleinhirns folgten
regelmäßig von dem Ort der Verletzungen abhängige isolierte Funktions-
störungen im Bereiche der, Motilität.
BaGh (4) gibt eine Übersicht der neueren Arbeiten über die Pupillen-
leflex-Zentreu und -Bahnen als Fortsetzung einer bereits im Bd. XI der
Zeitschrift für Augenheilkunde erschienenen Mitteilung. Die neueren Ar-
beiten, mit denen Verf. sich kritisch zum Teil auf Grund eigener Unter-
SQchungen beschäftigt, stammen von Anderson, Braunstein, Panegrossi,
Römer und Stein, Bernheimer und von Lewinsohn.
Baer (5) verwendete bei seinen Versuchen an Hunden, bei denen es
ihm auf die gleichzeitige Keizung zweier Gehirnstellen ankam, die
von Ewald eingeführte Mäthode der Dauer - Elektroden. Verf. beschreibt
genau die Technik, die einige Modifikationen durch ihn erfahren hat. Zu-
nächst nahm Verf. Vorversuche mit nur einem Elektrodenpaar vor; speziell
suchte er zu ermitteln, in wie weit voü der Sehsphäre aus Reizerfolge zu
erzielen waren. Die Erregbarkeit der Binde erwies sich schon bei ein-
facher Beizung als eine sehr schwankende.- Verf. gibt hier eine größere
Anzahl von Einzelbeobachtungen, die zum größten Teil schon von anderen
Aatoren erwähnt worden sind. Was die Reizung der Sehsphäre betrifft, so
war die Reizung in vielen Fallen von negativem Erfolge, in anderen Fällen
wurden deutliche, denjenigen der motorischen Zone konforme Zuckungen er-
zielt; eine Gesetzmäßigkeit ließ sich hier ebensowenig, wie in der motorischen
Zone feststellen. Meist war bei den positiven Reizungen der Seh-
sphäre eine große Stromstärke notwendig.
Bei gleichzeitiger oder in kurzem Zwischenraum aufeinanderfolgender
Dorchschneidung zweier nahe oder entfernt gelegener Stellen ist eine gegen-
seitige Beeinflussung wahrzunehmen, die aber recht verschiedener Art
sein kann; so kann ein konstanter Bestandstrom hemmend oder fördernd
wirken, wenn an einer anderen Stelle des Gehirns gereizt wird.
Das auffälligste sämtlicher Ergebnisse war für Verf., daß es
gelang, eine der „unerregbaren" Zone (der Sehsphäre) zugehörige Gehirn-
steile dadurch erregbar zu machen, daß man auf eine zweite an und für sich
erregbare Stelle (motorische Sphäre) gleichzeitig oder kurz vorher einen
220 Spezielle Physiologie des Gehirns.
kurzen Dauerstrom einwirken ließ. Verf. schließt daraus, daß eine Trennung
in erregbares und unerregbares Gebiet nicht in zu strengem
Sinne eingehalten werden darf. Es wurden dabei von der Sehsphäxe
aus nicht nur Muskelgebilde in Tätigkeit gesetzt, die mit der betreffenden
Sinnesregion in direkter Beziehung stehen, wie z. B. die Lid- und Kopf-
bewegungen, sondern es kam auch zu Bewegungen der Extremitätenmuskeln
in genau der gleichen Weise wie bei Beizung der eigentlichen motorischen Zone.
Alle die Schwankungen im Erfolge der Oberflächenreizung, die bei
allen Versuchen klar hervortreten, offenbaren aufs deutlichste, daß der je-
weilige Reizeffekt fortwährend wechselnden Bedingungen unterworfen ist,
deren Natur uns noch unbekannt ist
Auf Grund der erwähnten Beobachtung, daß von allen Teilen der
Gehimoberfläche alle willkürlichen Muskeln in Erregung versetzt werden
können, muß nach Verf. angenommen werden, daß alle Teile der Gehim-
oberfläche durch eine ausgedehnte netzförmige Verbindung untereinander
in Beziehung stehen.
Entsprechend den klinischen Ermittelungen, die für den Menschen
die Kegion^ der Fissura calcarina als Sehzentrumgebiet bezeichnen, nahm
V. Bechterew (7) an, daß das wirkliche Sehzentrum der Säuger
sich auf der Innenfläche des Hinterhauptslappens befinde. Die
Versuche, die Verf. daraufhin bei Hunden vornahm, bestätigten seine
Annahme. Nach Zerstörung allein der Innenfläche des Occipital-
lappens vom Hunde beobachtete Verf. bei den Versuchstieren konstant
andauernde Hemianopsie beider Augen auf der dem Eingriff abgewendeten
Seite. Ferner befindet sich nach Verfassers Untersuchungen ein weiteres
Sehzentrum auf der äußeren Oberfläche des Hinterhauptslappens, in welchem
Zentrum die Produkte optischer Perzeption, die im obengenannten Seh-
zentrum zunächst entstanden, zur Ablagerung und weiteren Verarbeituog
konmien. Diese weitere Verarbeitung besteht in der Assoziation des Er-
innerungsbildes qualitativer Sehperzeption mit Muskel- und anderen Em-
pfindungen, und hieraus ergibt sich die Möglichkeit der Erzeugung voller
optischer Vorstellungen, sowie das Orientierungsvermögen. Es ist dieses
zweite, psycho-sensorische Sehzentrum eine unmittelbare Ergänzung zu
dem sensiblen Sehzentrum au der Medianfläche des Occipitallappens. Ist
das mediale sensible Sehzentrum vernichtet, so restituiert sich das Sehen
nicht trotz des dorsolateralen psycho-sensorischen Zentrums, das sich nicht
auf das Gebiet des Munkschen Zentrums A. beschränkt, sondern eine
größere Ausdehnung besitzt.
Im Gebiet des Zentrums der optischen Vorstellungen, im psycho-sen-
sorischen Zentrum, befinden sich auch Zentra für die Augenbewegungen,
für die Pupillenbewegungen und für die Akkommodation, die reflektorisch
unter dem Einfluß optischer Bilder wirksam werden und als wirkliche Werk-
zeuge der ßaumorientierung dienen. Beim Hunde finden sich die Zentren
für die Willkürbewegungen der Augen im Gebiet des Gyrus sig-
moideus. Eine Sehstörung im Anschluß an Beschädigungen der motorischen
Rindenfelder kann Erklärung finden im Ausfall motorischer Beize und
mangelhafter Bildung entsprechender optischer Vorstellungen, die eine
Assoziation motorischer und optischer Empfindungen zur Voraussetzung
haben. So kommt es, daß bei einem Hunde, dem man den Gyrus sigmoideus
fortnahm, Erscheinungen zur Beobachtung gelangten, die jenen analog sind,
die für Zerstörung der lateralen Occipitalrinde charakteristisch sind.
V. Bechterew (8) berichtet über Versuche an Kaninchen, die den
Einfluß der Gehirnrinde auf die Bewegungen des Uterus verfolgen sollten.
spezielle Physiologie des Gehirns. 121
Es stellte sich dabei heraus, daß der mediale Teil des hinteren Abschnittes
des Gyrus sigmoideus bezw. des motorischen Rindenfeldes das Gebiet ist,
Ton dem ans Kontraktionen des Uterus erhalten werden können. Manchmal
fand sich diese Stelle im hinteren Teil der motorischen Zone am inneren
Hemisphäxenrande, manchmal lag sie mehr nach außen. Von jeder Hemisphäre
bekommt man den gleichen Reizeffekt. Auch flemmungswirkungen aiä die
Ctemsrhythmik konnten erzielt werden.
Bei den Hunden waren die Erscheinungen weniger deutlich wie bei
den Kaninchen.
Reizung des hinteren Teiles des Gyrus sigmoideus ruft beim Hunde
deuthche Spannung und Größenzunahme des Penis hervor. Auch hier
ließen sich außer den Reizwirkungen auf das Glied Hemmungswirkungen
feststellen. Das Zentrum der Gliederektion ist zweiseitig. Wurden beim
Honde die Erektionszentra an beiden Hemisphären abgetragen, so zeigte er
keine Neigung mehr, sich der Hündin zu nähern, nicht einmal während der
Brunstzeit, obwohl die mechanische Erregbarkeit des Penis bei solchen
Hunden sogar gesteigert ist.
Reizung eines Rindenfeldes, das dem Erregungszentrum der Erektion
benachbart Uegt und mit ihm teilweise identisch ist, hat gesteigerte Samen-
ausscheidung zur Folge. Auch ein kortikales Zentrum für die Sekretion
der Prostata wurde aufgefunden. Die Reizstelle liegt fast Va cm hinter
dem Sulcus cruciatus und ungefähr 1 cm vom großen Längsspalt des Gehinis
entfernt
Femer wurden in der sensitiv-motorischen Zone durch Reizung der
Großhirnrinde in der Nachbarschaft des Facialiszentrums (Zitzengebiet),
deutliche Veränderungen der Milchsekretion bei Schafen in der Laktations-
periode wahrgenommen.
Nach V. Bechterew (9) ruft elektrische Reizung der Gehirnrinde im
medialen Teil des vorderen und hinteren Abschnittes des Gyrus sigmoideus
(Gjms prae- und postcruciatus) deutliche Tränenabsonderung hervor
Die Tränensekretion erscheint demnach als streng lokalisierte Rindenfunktiou ;
in allen Fällen gelangte die Sekretion auf beiden Seiten zur Beobachtung,
doch war sie auf der der Reizung entgegengesetzten Seite fast immer stärker
ausgesprochen.
Von der inneren Hälfte des vorderen Abschnittes des Gyrus sigmoideus
s. antecruciatus ließ sich durch Reizung gesteigertes Schwitzen, vor-
wiegend auf der entgegengesetzten Seite erzielen, das manchmal noch mehrere
Minuten nach dem Aussetzen des Reizes anhielt. Doch wies das Schwitzen
bei Rindenreizung ein recht unbeständiges Verhalten auf.
Ferner vermochte Verf. durch Reizung bestimmter Abschnitte der
Großhirnrinde eine lebhafte Steigerung der Hamsekretion auszulösen, be-
sonders war diese Wirkung vorhanden bei Reizung des inneren Teiles des
vorderen Abschnittes des Gyrus sigmoideus bezw. des Gyrus praecruciatus,
weniger konstant und lebhaft bei Reizung des äußeren Abschnittes desselben
Gyrus. Der Einfluß der Rinde erwies sich dabei als ein gekreuzter. Ob
diese diuretische Wirkung in Abhängigkeit steht von einer allgemeinen Blut-
drucksteigerung, oder ob sie bedingt wird durch Erweiterung der Nieren-
gefaße, unabhängig von dem Zustand des Blutdruckes, das bleibt noch fest-
zustellen. Doch hält Verfasser eine topographische Koinzidenz der blut-
drucksteigemden Rindengebiete mit den Rindenfeldern der Nierensekretion
nicht für wahrscheinlich.
Nach V. Bechterew (6) ist es zweifellos, daß der Thalamus außer
den bekannten sensiblen Funktionen auch Beziehungen zur Motilität
222 Spezielle Physiologie des Gehirns.
besitzt. Nach Abtragung einzelner motoriscber Kindenzentra, so
des Atmungszentrums, des Schluckzentrums, des Zentrums der Milz-
bewegungen, des Erektionszentrums, konnte außer Degeneration der Pyra-
midenbahn durch die innere Kapsel bis hinab in den Hirnschenkelfuß auch
eine absteigende Degeneration bis zur Gegend des Thalamus nach-
gewiesen werden. Und zwar wird die Bolle eines motorischen Ganglions
im Thalamus hauptsächlich von seinem medialen Kern übernommen. Die
aus dem Thalamus absteigenden zentrifugalen Bahnen lassen sich bis zu
dem Nucleus reticularis tegmenti pontis (Bechterew), zu den zentralen
Kernen der Formatio reticularis und zum roten Kern verfolgen.
Beitzke und Bickel (10) berichten über die Krankengeschichte und
den Sektionsbefund eines 4 jährigen Knaben, welcher an Konglomerattuberkeln
in beiden Kleinhirnhemisphären litt. Die klinische Diagnose war auf
Tumor des Cerebellum „unter dem Bilde der multiplen Sklerose verlaufend"
gestellt worden. Die Kleinhirnerkrankung betraf beide Hemisphären in einer
beiderseits ungefähr gleichen Ausdehnung. Die tuberkulösen Massen saßen
auf Frontalschnitten in den mittleren und unteren Teilen beider Hemi-
sphären. Der interpedunkuläre Teil der Kleinhirubasis, sowie der ganze
Wurm und die Kleinhirnkerne waren intakt. Mit der Weigertschen
Methode wurde ein irgendwie erheblicher Faserausfall in den zu- und ab-
leitenden Bahnen des Kleinhirns nicht gefunden. Bei diesem letzteren
Befunde ist es ganz besonders heryorzuheben, daß bei dem Knaben wahrend
des Lebens eine hochgradige Ataxie bestand und zwar sowohl statische, wie
Bewegungsataxie.
YerSL führen diese hochgradige Ataxie darauf zurück, daß neben den
Kleinhimtuberkeln eine Meningeal- und Ependymtuberkulose und ein Hydro-
cephalus internus vorhanden war. Dadurch war die Möglichkeit genommen,
daß die Kleinhimstörungen durch die Tätigkeit der Großhirnrinde kom-
pensiert wurden. Die kortiko-muskuläre Bahn, insbesondere die Pyramiden-
fasem, wiesen eine Lichtung ihrer Faserareale auf.
Auf das Ausbleiben der Kompensation der Kleinhirnstörungen von
selten der Großhirnrinde führen Verff. auch die Hypertonie der Muskulatur
und die Steigerung der Sehnen- und Periostreflexe zurück, welche bei dem
Knaben bestanden.
Verff. nehmen an, daß beim Tiere Kleinhirnmangel als Ausfalls-
symptom eine Hypertonie der Muskulatur zur Folge hat, sodaß dem Klein-
hirn demnach analog dem Großhirn bewegungshemmende Funktionen zu-
kommen. Wenn beim Menschen die Hypertonie der Muskulatur bei Klein-
hirnläsionen nicht zum Ausdruck kommt, so liegt das daran, daß der
gewaltige hemmende Einfluß des Großhirns den Ausfall der Hemmungs-
wirkung des Kleinhirns meist nicht hervortreten lasse.
Convrenr und Chevrotier (17, 18) hatten festgestellt, daß die
Instillation einer reizenden Flüssigkeit (iither) in den Konjunktivalsack eines
Auges im Falle des Atmungsstillstandes bei Asphyxie oder Synkope die
Atmung wieder herbeifuhren kann. Bei ihren weiteren Versuchen an
Hunden, Kaninchen und Meerschweinchen ermittelten Verff., daß dieser
Konjunktival-Atmungsreflex als zentripetale Bahn den Augenast des Trige-
minus als zentrifugale Bahn den Phrenikus benutzt, während das Zentrum
des Reflexes in der Gegend der hinteren Vierhügel gelegen ist. Der
Reflex läßt sich bei Atemstillstand noch erzielen, wenn auf der einen Seite
die Vierhügel exstirpiert sind nach Instillation einiger Tropfen Äther in das
der Exstirpation gegenüberliegende Auge. Nach einseitiger Phrenikusdurch-
schneidung läßt sich der Reflex auch von dem der Durchschneidung ent-
Spezielle Physiolog^ie des Oehirofl. 123
sprechenden Auge heirorrafen; die Überleitung des Reizes erfolgt dabei in
dem Ni?eau der Vierhügel.
Danilewsky (21) teilt seine experimentellen Versuche, bei Hunden
künstlich Mikrocephsdie zu erzeugen, .;mit Er bediente sich zu diesem
Zwecke gut zugepaßter Metallhelme, die er sehr jungen Hunden auf den
Kopf setzte, sodafi der Schädel yon allen Seiten fest umfaßt wurde. Die
!nere gewöhnten sich allmählich an den Helm, waren aber niedergedrückt,
bellten weniger, wurden apathisch, wenig beweglich und mehr oder weniger
indifferent gegen die Umgebung. Eines der Tiere wurde mürrisch und bos-
haft, sein Gebell war rauh, heiser und kurz.
Der Himschädel blieb im Wachstum stark zurück, wurde flach und
niedrig, während der Gesichtsschädel unverhältnismäßig zunahm. Das ganze
Eoiperwachstum blieb gegen die Eontrolltiere zurück, die Muskulatur war
mangelhaft entwickelt. Nach Ablauf von zwei bis 3 Monaten stellten sich
gewöhnlich Anfalle von Eonyulsionen ein; namentlich stellten sich während
des Schlafes klonische Zuckungen ein. Bei einigen kam es zu echten An-
fallen Ton Epilepsie mit Tremor, Trismus, Zuckungen der Extremitäten,
Schaum vor dem Maule, Bewußtlosigkeit und Reaktionslosigkeit der Pupillen.
Länger als S^g bis 4 Monate blieben diese Tiere nicht am Leben.
Die Oberfläche des Gehirns zeigte einen gewissen Grad von Abflachung
der Windungen. Das Gewicht des Gehirns zeigte keine Abweichungen
gegenüber den Kontrolltieren. Die Konfiguration der Gyn und Sulci der
Großhirnhemisphären bot keine Abweichung vom normalen Typus. Die
Kanmuskulatur, besonders die Mm. temporales waren mangelhaft entwickelt,
der Magen war klein, das Herz in der Entwicklung zurückgeblieben.
(Bendix.)
Bei einem Menschen, dem vor 15 Jahren wegen einer Neubildung
Bindensubstanz in der Gegend der rechten Zentralfurche in ausgiebiger
Weise entfernt wurde (wieviel?) konnte Doniselli (22) die Reaktionszeit
auf elektrische Reizung der Unterarmshaut hin messen. Das betreffende
Indiyiduum reagierte mit dem sensorischen Reaktionstypus. Wurde links
gereizt, so erwies sich die Reaktionszeit fast dreimal so lang wie bei Prüfung
TOD der rechten Seite aus. Diese Verzögerung führt D. zurück auf Vor-
gange jener Teile, die kompensatorische Funktionen übernommen haben, und
die seiner Ansicht nach auf Grund komplizierter Deduktionen in höheren
Assoziationszentren gesucht werden. (Merzbachtr.)
Xach der Exstirpation eines Cysticerkus im Bereich der rechten
ArmregioD war es zu einer Störung der linken Hand gekommen, welche
sowohl die Motilität als auch die Sensibilität betraf. Die Sensibilitätsstörung
erwies sich als hysterische. Die Motilitätsstörung fand sich vornehmlich
in den ulnaren Fingern, welche auch für die Dauer schwer beweglich
blieben. Zu bemerken ist, daß vor der Operation verschiedene, der
Jackson sehen Rindenepilepsie ähnliche Krampfanfälle in den zwei ulnaren
Fingern der linken Hand begonnen hatten; nach der Operation hörte
dieser Typus der Anfälle auf (es begannen jetzt die Anfälle an einer anderen
Stelle, wegen deren, weil man auch hier einen Cysticerkus vermutete, eine
zweite Operation versucht wurde).
Die erwähnte Art der Lähmung in den zwei ulnaren Fingern zeigte
och weniger in der Herabsetzung der groben Kraft, als vielmehr in der
Einbuße der Geschicklichkeit; diese Einbuße blieb, als die begleiten-
den hysterischen Symptome der Sensibilitätsstörung zum Verschwinden ge-
bracht waren.
ZJ
124 Spezielle Physiologie des Gehirns.
Fischer (27) folgert aus diesem Fall, daß ein Zentrum für die
isolierten Bewegungen der zwei ulnaren Pinger existiert. Dafür spricht
auch der auf diese Finger lokalisierte Initialkrampf in den Paroxysmen tof
der Operation. Der Cysticerkus befand sich zwischen dem Zentrum für die
Bewegung der Vorderarmmuskeln und dem Zentrum für die Abduktion des
Daumens. (Die Krankengeschichte dieses Falles wurde bereits von Maydl
in der Wiener klin. Rundschau 1901 Nr. 16 publiziert.)
Nach Verfasser lehrt dieser Fall mithin j daß die einzelnen Ab-
schnitte der Hand, vielleicht auch die einzelnen Finger selb-
ständige Bewegungszentren besitzen, daß weiter nicht nur durch
Reizung dieser Zentren die betreffenden einzelnen Finger bewegt, sondern
daß auch durch Schädigung dieser Zentren die einzelnen Finger vornehm-
lich oder auch ausschließlich in ihrer Beweglichkeit gestört werden können.
Auf Grund dieser Momente können wir nach Verfasser die Erklärung des
Umstandes, daß bei der gewöhnlichen zerebralen Monoplegie der oberen
Extremität die Hand am stärksten affiziert ist, nicht in einer über die ganze
Armregion verstreuten Vertretung der kortikalen Innervationselemente der
Handmuskeln suchen, welcher Standpunkt in neuester Zeit besonders von
Bonhoeffer vertreten wird. Die Ursache für das Überwiegen der Lähmung
der Hand und Finger möchte Verfasser vielmehr darin sehen, daß die gleich-
zeitig und gleich starke, zu Anfang aufgetretene Lähmung der Schulter und
des Ellenbogens, als der funktionell weniger differenzierten Teile,
eher und leichter sich restituiert als die Lähmung der Finger. Die höher
differenzierten Körperteile — Hand und Finger — sind mehr von der
motorischen Hiuirinde abhängig als die proximalen Partien der oberen
Extremität, als Schulter und Ellenbogen.
Oeigel (31) erörtert die Rolle des Liquor cerebralis bei der Zirkula-
tion im Schädel. Er fand, daß der Gesamtwiderstand in der zerebralen
Blutbahn dann am geringsten ist, wenn gleichzeitig gar kein Liquor cerebralis
vorhanden ist und der Widerstand im arteriellen Abschnitt zu dem im
venösen sich verhält wie die Volumina der beiden Abschnitte direkt und
umgekehrt wie die Exponenten, welche das Abnehmen des Widerstandes
bei wachsendem Querschnitt bestimmen. Bis zu diesem Punkte nimmt der
Gesamtwiderstand durch Erweiterung des arteriellen Teiles ab, darüber hin-
: aus zu. Jede Vermehrung des Liquor cerebralis vermehrt den Gesamt-
I widerstand für sich. (Bendia,)
I Nach G^igel (32) hat im Gehirn innerhalb von ihm genau formu-
lierter Grenzen eine spastische Verengerung der Arterien eine Verbesserung
der Durchströmung (Hyperdiämorrhysis), paralytische Erweiterung eine Ver-
schlechterung der Durchströmung (Adiämorrhysis) zur Folge. Dieser Satz
hat Geltung, ^wenn, wie Verfasser annimmt, das Volumen der Gesamtstrom-
bahn im Gehirn ein konstantes ist Die Versuche, durch welche neuerdings
Jensen jene Annahme zu erschüttern sucht, werden von Verfasser als jeder
Beweiskraft entbehrend zurückgewiesen.
Gnerrini (34) kommt auf Grund seiner Untersuchungen zu den
Schlußfolgerungen, daß es unrichtig ist, die Hypophyse für ein rudimentäres
Organ ohne Funktion zu halten. Die Hypophyse habe eine Punktion, die
sich darin ausspreche, daß sie ein Sekret von zweierlei Art bereitet. Das
Sekret scheint keinen Einfluß auf den Trophismus auszuüben und besitze
eine allgemeine antitoxische Funktion. (Bendiv.)
Jensen (38) hält in einer Polemik gegen G ei gel u. a. an der in
einer früheren Arbeit aufgestellten Behauptung fest, daß die Sympathikus-
Spezielle Physiologie des Gehirns. 125
dnrchschoeidtiDg keine Änderung des Stromyolnmens der Carotis interna
bewirkt
Durch die Einschränkungen, welche Greigel mache, werde das Geltungs-
bereich der Hypothese dieses Forschers, daß das Volumen der Gesamtstrom-
bahn im Gehirn ein konstantes ist, derartig eingeengt, daß der von Geigel
angenommene Mechanismus im Leben des Tieres kaum eine nennenswerte
fiolle spielen und daher nur ein ideelles Interesse in Anspruch nehmen könne.
Aus den Ergebnissen des physiologischen Teiles der Arbeit Kalisoher's
(39a) geht hervor, daß den verschiedenen Teilen des Großhirns der
Papageien ganz distinkte Funktionen zukommen. Die elektrischen Beizungen,
die Verfasser bei den Papageien vornahm, hatten an verschiedenen Stellen
des Großhirns verschiedene Reizerfolge ergeben. Unter diesen Reiz-
erfolgen ist besonders erwähnenswert die von einem bestimmten Punkte des
Schläfent«iles hervorgerufene „Phonation^. Im Anschluß an die Ex-
stirpationen verschiedener Bezirke des Großhirns traten Störungen
des Sehens, des Sprechens, des Fressens, der Bewegung und Empfindung,
und der Orientierung hervor.
Die doppelseitige vollständige Großhirnexstirpation läßt sich bei den
Papageien nicht ausführen; auch gelang es nicht, Tiere nach vollständiger
einseitiger Großhirnexstirpation für längere Zeit am Leben zu erhalten.
Es ist besonders hervorzuheben, daß die Papageien, obwohl ihnen eine
Großhirnrinde fast ganz fehlt, doch auf einer so hohen Stufe
psychischer Entwicklung stehen. Nach doppelseitiger Exstirpation ober-
flächUcher Himpartien, speziell des Wulstes und des freien Palliums, fanden
sich nur rorübergehend geringe Störungen in der Bewegungssphäre; das
psychische Verhalten erlitt dabei keine wesentliche Veränderung. Dauernde
Störungen der Intelligenz traten erst nach ausgedehnten tiefen Verletzungen
beider Hemisphären hervor.
Tritt bei den Papageien die Bedeutung der „Riude^ fast ganz zurück,
80 spielt das Striatum mit seinen verschiedenen Abteilungen eine umso
wichtigere Bolle. Das Mesostriatum, welches die direkte Fortsetzung
der tieferen Gehirnteile (Thalamus) bildet, stellt das wichtigste Großhirn-
zentrum für die Funktionen der Bewegung und Empfindung dar. Nach
seiner Exstirpation gehen die Hauptganglien des Thalamus auf der gleichen
Seite zu Gründe.
Nach doppelseitiger leichter Schädigung einer bestimmten Stelle des
Kopfes des Mesostriatums traten dauernde, schwere motorische Sprech-
Störungen ein, wobei kaum noch Worttrümmer zurückbliebeu, während
nach einseitiger Schädigung derselben Stelle, gleichviel welcher Seite, das
Sprechen nur vorübergehend gestört war.
Ebenso wie die Sprechbewegungen zeigten sich auch die Freßbe-
wegungen vollkommen an das Großhirn gebunden. Nach starker,
doppelseitiger Schädigung einer bestimmten Partie des Kopfes des Mesostria-
tums kam es zu schweren Freßstörungen, die unter verschiedenen Symp-
tomen, wie Kopfnickbewegung, Luxation des Unterkiefers, Krämpfen der
Kaumuskulatur, zum Tode der Tiere führten. Diesen Reizerscheinungen
stand die vollständige Lähmung der Freßbewegungen gegenüber, welche
nach umfangreicher doppelseitiger Verletzung des Mesostriatums bei gleich-
zeitiger Schädigung des hinteren Teiles dieses Großhirnabschnittes zu beob-
achten war, und welcher die Tiere in kürzester Zeit erlagen.
Nach stärkeren Schädigungen besonders des hinteren Teiles des Meso-
striatums kam es nicht zu einer Aufhebung, wohl aber zu einer Herab-
setzung der Sensibilität (Druck, Schmerz, Berührungsempfindung) in
126 Spezielle Physiologie des Gebims.
der gegenseitigen Körperhälfte. Die Sensibilität zeigte sich nur znm Teil
an das Großhirn gebunden.
Die erheblichen Lagegefühlsstörungen, die anfangs nach den
Exstirpationen zu beobachten sind, stellen keine wahren Ausfallerscheinungen
dar, sondern sind von indirekten Störungen, besonders von den „nervösen
Fernwirkungen" auf die tieferen Gehirnteile abhängig; sie gleichen sich
zum größten Teile aus und bleiben erst dauernd nach der Schädigung
tieferer Gehirnteile bestehen.
Nach der Verletzung des als isoliertes Ganglion scharf abgrenzbareu
Hyperstriatums standen die Drehstörungen im Vordergrunde. Diese
Störungen waren allein sensorischer Natur, während der motorische Teil
der Umdrehung Torm Mesostriatum abhängig ist. Ohne das Hyperstriatum
fuhren die Tiere die Umdrehungen ausschließlich auf direkte äußere Sinnes-
reize hin aus, während bei erhaltenem Hyperstriatum die Erinnerungsreize
des Sehens und Fühlens die Drehungen beeinflussen. Das Hyperstriatum
erscheint demnach als ein-sensomotorisches Zentrum höherer Ordnung.
Das gleichfalls gegen die Umgebung deutlich sich abgrenzende Epi-
striatum steht zum Sehen in Beziehung und ist (durch Vermittlung de&
gleichseitigen Thalamus) bestimmten Teilen der gegenseitigen Retina zu-
geordnet. Verfasser hat beim Papagei zwei physiologisch verschiedene
Sehakte feststellen können, einen Großhirnsehakt und einen Mittelhirn-
sehakt, die beide nebeneinander funktionieren. Die Fovea centralis der
Retina stellt den Hauptpunkt des Großhirnsehens, die lateralste, dem bino-
kularen Sehen dienende Partie der Retina den Hauptpunkt des Mittelhim-
sehens dar. Aber auch das Großhimsehen erwies sich nicht als „Rin-
densehen", sondern als Striatumsehen.
Verfasser hält es nach seinen Untersuchungen für möglich, daß das
Epistriatum mit bestimmten Abschnitten auch zu anderen Sinnesfunktionen,
wie zum Hören und Riechen, in Beziehung steht, so daß dasselbe damit das
sensorische Hauptzentrum des Großhirns darstellen würde.
Levinsohn (42) hält es für unmöglich, die reflektorische Pupillen-
starre auf eine Erkrankung des Okulomotorius zurückzuführen, auch wenn
die Erkrankung jenseits des Ganglion ciliare läge. Auch gegen die Annahme
einer Herderkrankung im Rückenmarck erhebt L. schwere Bedenken. Da-
gegen konnte er experimentell bestätigen, daß die zwischen den Okulomo-
toriushauptkernen medial gelegenen kleinzelligen Edinger-Westphalschen
Zellgruppen die Zentren der gleichseitigen Sphinkteren darstellen; und e&
sind auch verschiedentlich bei reflektorischer Pupillenstarre in diesen Edin-
ger-Westphalschen Kernen Degenerationen gefanden worden.
Um den Verlauf der zentripetalen Pupillenbahn bis zum Edinger-
Westphalschen Kern genauer zu analysieren, suchte L. das Verhalten der
vorderen Vierhügel zu diesem Reflex klarzulegen. Unter der Voraussetzung,
daß auch bei Kaninchen wie bei Affen und der Katze die zentrifugale Reflex-
bahn von den kleinzelligen Mediankernen der gleichen Seite ihren Aus-
gang nimmt, muß nach L. die zentripetale Pupillenbahn, die im Chiasma
ihre erste Kreuzung erfahrt, bevor sie die kleinzelligen Mediankerne erreicht,
eine nochmalige Kreuzung durchmachen. Diese zweite Kreuzung müsse
unterhalb des Aquaeductus Sylvii, etwa entsprechend der Mitte des vorderen
Vierhügels, gelegen sein. ^^ (Bendiv,)
Liepmann (43) fand, daß die Überlegenheit der linken Hemi-
sphäre mit dem Vollzug der symbolischen Funktionen nicht erschöpft
ist, daß der linken Hemisphäre vielmehr beim Handeln,, überhaupt,,
wenn auch nicht in demselben Maße wie beim Sprechen, das Übergewicht
Spezielle Physiologie des Gehirns. 127
znkommt. Etwa die Hälfte der rechts gelähmten Patienten, die er
tmtersuchte — im ganzen nahm Verfasser bei über 90 Hirnkranken
in der Siechenanstalt der Stadt Berlin Untersuchungen ror — , zeigten
StöruDgen der Gebrauchsfahigkeit der nicht gelähmten linken Hand;
fast zwei Drittel dieser linksseitig Dyspraktischen zeigten ferner neben der
Lähmung eine motorische Aphasie. Auch bei einigen Nichtgelähmten,
welche im linken Stirnhim resp. Balken große Herde hatten, trat dieselbe
Erscheinung einmal vorwiegend links, einmal beiderseitig auf. Was Art
nnd Grad der Bewegungsstörung in der linken Hand bei den Rechtsgelähmten
betrifft, so handelte es sich nicht etwa um eine gröbere motorische Störung,
nicht um eine Parese. Die Störung zeigte sich vielmehr 1. in einer
schweren Beeinträchtigung des Nachmachens, 2. in einer Unfähigkeit, wohl-
bekannte Bewegungsformen, wie die Ausdrucksbewegungen und Objekt-
bewegnngen, aus der Erinnerung zu produzieren; letztere also, wenn die
Objekte selbst nicht oder nur teilweise gegeben sind. Es gelang den Kranken
z. B. nicht, zu zeigen, wie man anklopft, Geld aufzählt, eine Fliege fängt
nsw. 3. Bis zur Beeinträchtigung der Fähigkeit, mit Objekten zu manipu-
lieren, erstreckte sich die Störung in höchstens einem Viertel der überhaupt
dyspraktischen Fälle. Ein Kranker z. B., der ohne sonstige aphasische
Störung vollkommen apraktisch in der linken Hand war, setzte einen Kneifer
statt auf die Nase auf die Zunge.
Aus der Tatsache, daß unter den rechts Gelähmten, welche Apraxie
der linken Hand zeigten, die große Mehrzahl schwere Sprachstörungen und
zwar motorische Aphasie aufwiesen, zieht Verfasser den Schluß, daß die
linksseitige Apraxie vorwiegend bei kortikalen, nahe der Kinde gelegenen
(suprakapsulären = oberhalb der inneren Kapsel gelegenen) Herden, welche
die rechte Hand lähmen, auftritt.
Bei den aphasischen, rechts Gelähmten konnte Verfasser mit Sicherheit
nachweisen, daß nicht etwa fehlendes Wortverständnis die Fehlreaktionen
der linken Hand bedingte, ja es ließ sich zeigen, daß umgekehrt durch die
Apraxie der linken Hand Worttaubheit vorgetäuscht werden kann. Die
Aphasie steht in gar keiner Beziehung zur Apraxie der linken Hand, wenn
auch beide Störungen häufig vergesellschaftet vorkommen.
XJber die anatomischen Verhältnisse, die die neu gefundenen Tatsachen
erklaren könnten, gibt Verfasser folgende Vorstellung; Das rechte Senso-
motorium bleibt zeitlebens in einer gewissen Abhängigkeit vom linken; beim
Handeln der linken Hand geht der Hauptstrom der Erregungen aus dem
Gesamtgehirn über das linke Sensomotorium durch den Balken in das rechte
Sensomotorium, während nur ein Nebenstrom direkt in das letztere über-
fährt wird; dieser Nebenstrom ist es, der nach Fortfall des Einflusses des
linken Sensomotoriums die doch immer noch erheblich vorhandene, wenn
anch in ihrer Vollkommenheit beeinträchtigte Aktionsfähigkeit der linken
Hand sichert.
Lnciani's (46) Arbeit über das Kleinhirn, welcher eine Zu-
sammenstellung der Literatur vorausgeschickt ist, enthält zunächst ana-
tomische Vorbemerkungen über die Morphologie des Hinterhirns und über
die Bahnen, welche die drei Kleinhimstiele zusammensetzen.
Die unmittelbaren Folgen der Abtragung des Kleinhirns bezeichnet
L als dynamische Erscheinungen. Der Schwindel nach der Operation
büdet die^Ursache derselben. Es stellen dieselben weder einen Gegensatz
noch ein Übermaß der cerebellaren »Ausfallserscheinungen der zweiten post-
operativen Periode dar. Woher sie kommen, bleibt noch dunkel. Es ist
sehr zweifelhaft, bis zu welchem Grade sie nach der Exstirpation von Klein-
V
128 Spezielle Physiologie des Gehirns.
hirnteilen auf den Beizzustand oder auf die Lähmung der Faserbündei der
Kleinhimstiele zurückzufuhren sind. Jedenfalls kann mau nicht aus diesen
dynamischen Erscheinungen auf die normale Funktion des Kleinhirns einen
Schluß machen.
L. wendet sich alsdann zu den cerebellaren Ausfallserscheinungen,
die er nach Exstirpation einer Hälfte und des ganzen Kleinhirns in Form der
cerebellaren Ataxie bei seinen Versuchen an Hunden und Affen beobachtet
hat, und bespricht weiter die klinischen Fälle von cerebellarer Ataxie beim
Menschen. L. stimmt den Theorien nicht zu, welche das Kleinhirn
zum Organ der Erhaltung des Gleichgewichts und der Orientierung des
Körpers gegen die Umgebung machen. Das Kleinhirn trägt wohl mit den
anderen Zentren des Nervensystems dazu bei, besitzt aber nicht allein für
sich diese besondere Funktion. Ebensowenig stimmt er den Theorien zu,
welche das Kleinhirn als das Orgab der Koordination der willkürlichen
Bewegungen betrachten. Gegenüber. Lussana und Lewandowsky betont
er, daß bei den am Kleinhirn operierten Tieren, wie in den klinischen
Fällen von Erkrankungen des Kleinhirns, der Muskelsinn sich in keiner
Weise geschädigt zeigt.
Man muß bei Betrachtung der cerebellaren Ataxie nach L. vor allem
die eigentlichen cerebellaren Ausfallserscheinungen von den funktionellen
Kompensationsvorgängen trennen, durch welche letztere das Tier die
Folgen des Ausfalls der Kleinhirninnervation auszugleichen vermag. Man
braucht nur die sogenannte motorische Sphäre des Großhirns einer oder
beider Seiten zu zerstören, und z. B. ein Tier mit halbem Kleinhirn verliert
von neuem für lange Zeit die nach der Kleinhirnoperation bereits wieder-
gewonnene Fähigkeit, sich aufrecht zu halten und zu gehen, ohne nach der
geschädigten Seite des Kleinhirns zu fallen. Diese Kompensationen sind
es, die der cerebellaren Ataxie das charakteristische Merkmal aufprägen,
nämlich den unzusammenhängenden und schwankenden Gang, wie er den
Trunkenen eigen ist, und der durch übermäßig willkürliche Abduktion und
Adduktion der Glieder hervorgerufen wird.
Tiefgehende Schädigungen und absolutes Fehlen des Kleinhirns er-
zeugen weder eine Lähmung der sensorischen, noch eine solche der will-
kürlichen motorischen Funktionen. Die Kleinhirndefekte äußern sich
einfach in atonischen, asthenischen und astatischen neuromusku-
lären Erscheinungen; sie zusammen bilden das Syndrom, das man als
cerebellare Ataxie bezeichnet. Das Kleinhirn stellt kein eigentliches
Sinneszentrum dar; die Sinneseindrücke, die zu ihm auf besonderen
Bahnen gelangen, erwecken keine bewußten Empfindungen. Das Kleinhirn
bildet ein kleines Hilfs- oder Verstärkungssystem des großen Cerebrospinal-
systems. Seine einzelnen Abschnitte haben die gleiche Funktion wie das
ganze ; der Ausfall des Wurmes kann von den Seitenlappen organisch kom-
pensiert werden. Die einseitigen Läsionen üben einen vorwiegend homo-
lateralen Einfluß aus. Mit der komplizierten tonischen, sthenischen und
statischen Wirkung — kurz gesagt: mit der Verstärkungswirkung — ist
innig eine direkte oder indirekte ,.trophische" Wirkung verknüpft, die das
Kleinhirn normalerweise auf die Organe ausübt, mit denen es in Verbindung
stellt. Die direkte trophische Wirkung zeigt sich in den Degenerationen
und Sklerosen, die auf die Abtragung des Kleinhirns folgen; (üe indirekte
trophische Wirkung ergibt sich aus den Muskeldegenerationen ' und anderen
Schädigungen, die man im Verlauf der Kleinhiruataxie auftreten sieht.
Gegen Lewandowsky, welcher die sich u. a. in der Gangart des
Hahnes äußernde Dysmetrie der Bewegungen für ein Zeichen von
spezielle Physiologie des Gehirns. 129
Koordinationsstörung hält, hebt L. hervor, daß die Djsmetrie keine kon-
stante nnd darum keine wesentliche und notwendige Erscheinung des Aus-
falls des Kleinhirns darstelle. Sie werde durch die im Anschluß an die
Kleinhimoperationen auftretenden Eompensationserscheinungen bedingt und
sei eine natürliche Folge der Atonie und Astasie. Das richtige Ausmaß
der Bewegungen ergebe sich aus dem richtigen Ausmaß der tonischen,
sthenischen und statischen Wirkung. Die „anpassende^ Wirkung sei in
diesem Trinom mit eingeschlossen.
Marassini (49) stellt experimentell fest, daß Verletzungen der
medialen Teile des Kleinhirnes Störungen in der Haltung des Gleich-
gewichtes bedingen, so daß die Tiere nach vorne bezw. nach rückwärts
fallen, während Substanzverluste der lateralen Teile motorische Schwäche
und Lähmungen der verschiedenen Extremitäten und Körperteile bedingen.
Es gelang ihm, die Funktionen für die einzelnen Körperteile (auch Zunge,
Augen, Kopf) streng zu lokalisieren. — Der Widerspruch, der zwischen
klinischen Erfahrungen und Beobachtung nach experimentellen Läsionen
besteht, und der dahin geht, daß auf Grund ersterer im allgemeinen nur
den medialen Teilen des Kleinhirnes motorische Funktionen zugesprochen
werden, erklärt sich nach Ansicht des Autors dadurch, daß die durch
Substanzverluste der medialen Teile bedingten Störungen beim Menschen
mit seinem aufrechten Gange weit stärker in die Erscheinung treten müssen
als die Störungen, bedingt durch Erkrankung der lateralen Teile — Störungen,
die sehr leicht einer Kompensation fähig sind. (Merzbac/ier.)
Nach Mavrakis und Dontas (50) existiert eine Stelle im oberen
Teile der vorderen Zentralwindung, deren Reizung bestimmte und
reine (d. h. von keiner anderen Bewegung begleitete) Atembewegungen
herrorruft. Die von dieser Stelle ausgehenden zentrifugalen Fasern gehen
dorch die Capsula interna, den Schenkelfuß und die basalen Ganglien zum
Mittelhirn, in welchem sie ganz nahe an der Mittellinie auf der entsprechen-
den Seite bis zu ihrer Endigung in der Medulla oblongata zu den in der-
selben liegenden Atemzentren verlaufen. Diese Fasern gehen also wenigstens
bis zum Mittelhim in gleichseitigen und nicht in gekreuzten Bahnen.
Niessl V. Mayendorf (61) untersuchte anatomisch das Gehirn eines
Mannes, der an doppelseitiger homonymer Hemianopsie mit Orien-
tierungsstörungen gelitten hatte (die Krankengeschichte ist von O. Meyer
in der Monatsschr. f. Psychiatr. u. Neurol. VIII, 6. Dez. 1900, veröffentlicht)
und kommt dabei unter Berücksichtigung der Literatur zu folgenden Schlüssen:
1. Der Eintritt der zentralen Sehbahn in die Hinrinde des Occipitallappens
erfolgt ausschließlich in kompakten Bündelformationen. Der ganze Sehbezirk
ist schon dem makroskopischen Anblick durch die Anwesenheit des Vicq-
d'Azyrschen Marksstreifens kenntlich und abgrenzbar. 2. Die kortikale
Sehsphäre ist nicht ihrer spezifischen Struktur zufolge ein sinnliches Organ.
Sie ist gleich der übrigen Hirnrinde ein Assoziationsmechanismus, welcher
optische Wahrnehmungen gestaltet, wenn ihr präformierte Erregungsfonnen
von der Peripherie zugeleitet werden. Derselbe Zellkomplex, durch die
Assoziationsbündel von anderer Seite her erregt, produziert unsinnlich optische
Vorstellungen. 3. Unter optischen Erinnerungsbildern sind die Funktionen
gebahnter Zellkomplexe in der Sehrinde zu verstehen, sobald sie ein Bestaud-
teU unseres Bewußtseins geworden sind. Wird ein gebahnter Zellkomplex
durch die Projektionsbündel erregt, dann kommt durch den Vorgang der
primären Identifikation (Wernicke) das Wiedererkennen eines Dinges zu
Stande. Bei Erregung desselben Zellkomplexes durch die Assoziationssysteme
werden optische Erinnerungen lebendig. 4. Das makuläre Bündel des Seh-
Mresbericht f. Neurologie und Psychiatrie 1906. ^
Vi
130 Spezielle Physiologie des Gehirns.
nerven hat auch in der Sehstrahlung eine isolierte Vertretung, und diejenigen
Bindengebiete, welche mit demselben in Verbindung stehen, sind als maku-
läre Sehrinde zu betrachten. Da sich das makuläre Bündel an die zentrale
Bahn der peripheren Netzhaut nach außen, untea sowie nach oben zu an-
gliedert, so sind auch diejenigen Bindenstücke, w^elche sich nach außen,
unten und nach oben zu der Rinde des peripheren Sehens anreihen, als
kortikale Vertretungen der Makula zu betrachten.
Nikolaides (54) faßt seine Untersuchungen über die zentrale Atem-
innervation folgendermaßen zusammen. In der Medulla obl. liegt ein Zentrum,
Ton welchem die normale Atmung, d. h. der rhythmische Wechsel von
Spannung (Inspiration) und Entspannung (passive Exspiration) derselben
Muskelgruppe, der Inspiratoren, geleitet wird. Ebenfalls in der Med. obl.
muß ein Zentrum der aktiven Exspiration angenommen werden. Das- Zentrum
der normalen Atmung wird beeinflußt von einem Inspirationshemmmungs-
zentrum, welches in den hinteren Vierhügeln liegt, und dessen Fortnahme
Veränderungen der Inspiration zur Folge hat, auch bei Integrität des Vagi.
Das Zentrum der aktiven Exspiration wird bei der normalen Atmung ge-
hemmt von einem Exspirationshemmungszentrum, welches in den vorderen
Vierhügeln oder in den unter denselben gelegenen Teilen existiert. Die in
verschiedenen Teilen des Hirnstammes oberhalb der Med. obl. beschriebenen
inspiratorischen Zentra sind wahrscheinlich inspiratorische Bahnen, deren
Zentra in der Großhirnrinde liegen.
Pagano (67) suchte durch Injektionen von Kurarelösungen in ver-
schiedene Teile des Kleinhirns bei nicht narkotisierten Hunden die
Funktionen des Kleinhirns zu ermitteln. Die Resultate, zu denen er gelangt,
sind folgende : Das Kleinhirn ist kein funktionell einheitliches Organ,
sondern entsprechend den Verhältnissen der andern nervösen Zentren sind
auch beim Kleinhirn die verschiedenen Formen seiner Tätigkeit an be-
stimmte, wohl unterscheidbare Regionen gebunden. Die verschiedenen,
von ihm abhängigen motorischen Funktionen lassen sich genau lokalisieren.
Die bisher feststellbaren Zentren sind nicht die einzigen; durch weitere
Untersuchungen sind die noch fehlenden Muskelzentren festzustellen. Die
motorischen, reizbaren Elemente sind wahrscheinlich nicht an der Oberfläche,
sondern mehr in der Tiefe gelegen. Von bestimmten Stellen des Kleinhirns
aus wurden nach den Injektionen psychische Aufregungszustände erhalten.
Prevost (61) hat bei Hunden und Katzen künstlich eine Blutleere
des Gehirns hervorgerufen durch Unterbindung respektive Kompression des
Truncus communis und der A. subclavia sinistra nach Eröffnung der Brust-
höhle. Wenn er dann bei diesen Tieren einen epileptiformen Anfall mit
Hilfe des alternierenden elektrischen Stromes, den er von der Schnauze
nach dem Nacken leitete, hervorrief, so zeigte sich, daß bei dem epilep-
tischen Anfall die klonische Phase ausblieb und nur tonische Krämpfe auf-
traten, der Art, wie sie sich bei der Applikation des Stromes vom Kopf
bis zum Anus mit dem Effekt der Herzparalyse einstellen. P. schließt aus
seinen Versuchen, daß die Blutleere des Gehirns infolge Lähmung der
kortikalen motorischen Sphäre den epileptiformen Anfall, der durch Appli-
kation eines alternierenden, vom Mund nach dem Nacken wirkenden Stromes
auftritt, ändert, und zwar der Art, daß nur eine tonische konvulsive Phase
auftritt und die klonischen Zuckungen ausbleiben.
Diese bei zerebraler Blutleere modifizierten epileptiformen Anfalle sind
den epileptiformen Anfällen ähnlich, die man durch Leitung des alternierenden
Stromes vom Kopf zum Anus erhält: Hierbei tritt Herzparalyse auf, und
Spezielle Physiologie des Gehirns. 131
der epileptiforme Anfall offenbart sich nur durch eine tonische Phase oder
darauf folgende klonische Erscheinungen. (Bendix.)
Rethi (62) berichtet über die sekretorischen Fasern der Gaumen-
driiseo, ihren peripheren Verlauf und die Kerne derselben nach den
experimentellen Untersuchungen bei Katzen, Hunden, Kaninchen und Affen.
Sekretion der Gaumendrüsen ließ sich erhalten 1. bei lokaler Reizung des
weichen Gaumens mittelst des faradischen Stromes, wobei es sich nicht etwa um
ein mechanisches Herauspressen des in den Drüsen vorhandenen Sekretes durch
Kontraktion der Gaumenmuskulatur handelte. 2. Bei Reizung des Hals-
svfflpathikus in der ganzen Ausdehnung rom obersten bis zum untersten
Halsganglion und eine kurze Strecke über dasselbe hinaus. 3. Bei Reizung
des Facialisstammes bei seinem Eintritt in den Meatus acust. internus.
Bei Reizung beider Nerven ist die Sekretion halbseitig und scharf
g^en die andere Gaumenhälfte in der Mittellinie abgesetzt. Die. Sekret-
tröpfchen erscheinen bei Sympathikusreizung etwa nach 15 Sekunden, bei
Facialisreizung schon nach 1 — 2 Sekunden.
Die im Sympathikus enthaltenen sekretorischen Nerven ziehen mit
dem X. petrosus profundus major und dem N. vidianus zum G. spheno-
palatinum. Die im Eacialisstamm enthaltene^Sekretionsnerven ziehen dagegen
mit dem N. petrosus superf. major zum N. vidianus und in diesem ebenfalls
zum G. spheno-palatinum, von wo sie dann zugleich mit den Sympathikus-
fasem durch die Nn. palatini, weiterhin durch den N. palatinus post. dem
Endziel zugeführt werden.
Der Kern der im Halssympathikus enthaltenen Nerven liegt im
Brustmark in der Höhe des fünften bis sechsten Brustwirbels, während
der Kern der im Pacialisstamm enthaltenen Sekretionsnerven unter der
Rautengrube vor dem Calamus scriptorius gelegen ist.
Manche klinische Beobachtungen sprechen dafür, daß beim Menschen
ähnliche Verhältnisse vorliegen.
Ries (63) hat im Hallerianum zu Bern die Funktionen des zentralen
Nervensystems untersucht, während das Gefäßsystem blutleer gemacht wurde.
Marcius hatte schon 1882 Frösche durch Salzwasserperfiision paralysiert
und dabei 3 Stadien unterschieden. Im ersten wurde der Frosch zu einem
Golzschen Quaktiere, im zweiten atmete er nach Cheyne-Stokeschem Typus,
im dritten stieg die Reflexerregbarkeit und das Tier ging zu Grunde.
Gies setzte diese Versuche 1899 in Bern fort und sah die Haupt-
funktionen in folgender Ordnung verschwinden: 1. Respiration. 2. Haut-
reflexe. 3. Lidreflex. 4. Nasenreflex. 6. Herzschlag. Anämisierte Kaninchen
und Hunde verhielten sich ähnlich.
^Bei akuter Hirnanämie infolge Ligatur der Arterien oder Durch-
spülung mit indifferenten Flüssigkeiten — physiologischer Kochsalzlösung,
Ringerscher oder ähnlicher Lösung — bleiben die Funktionen des Hirns
nicht erhalten.
Ries perfundierte mit rhythmischem Drucke (nach Krön eckers
Methode) vom Bulbus aortae durch das Gefäßsystem von Fröschen
anorganische oder organische Flüssigkeiten, welche durch den angeschnittenen
Herzventrikel erkennbar rhythmisch ausflössen.
Nach 1% bis 2 stündiger Perfusion mit physiologischer Kochsalzlösung
reagieren die Frösche auf Säurehautreize nicht mehr, ebenso nicht auf
mechanische Reize der Hornhaut und der Nasenschleimhaut.
Strychninlösungen von 0,0005 ^oo ruf^ii schon Krämpfe hervor, nachdem
biüm 1 ccm in die Blutbahn gelangt ist.
9*
//
132 Spezielle Physiologie des Gehirns.
Nach 16 bis 20 Minuten fortgesetzter Perfusion von Strychninsalz-
wasserlösungen, gleichviel welcher Zusammensetzung, sind die Krämpfe
erloschen. Strychnin mit Serum unterhielt für 40 Minuten Krämpfe, deren
anfangs hohe Intensität immer mehr abnahm.
Wenn durch Kochsalzlösung die Reflexerregbarkeit erloschen war, so
konnte sie nach 15 Minuten durch Kaninchenserum wieder hergestellt werden;
schon früher begann das Tier, sich spontan zu bewegen. Diese wieder-
gewonnene Erregbarkeit wurde durch Perfusion Ringer scher Lösung nach
12 Minuten aufgehoben.
Cushings-Salzlösung mußte 2^/^ Stunden lang durch den Frosch geleitet
werden, bevor der Säurereflex erlosch. Kalbsserum hiemach perfundiert,
ermöglichte dem Frosche schon nach 10 Minuten Maulbewegungen; 5 Minuten
später Kornealreflex und spontane Pfotenbewegungen. Hohe Reflexerreg-
barkeit nach 30 Minuten. Der Frosch hockte. Cushings-Lösung hebt die
durch Serum ermöglichten Sensibilitätserscheinungen wieder auf. Nach
weniger als 15 Minuten war der Kornealreflex erloschen.
Wenn 2 Stunden währende Perfusion von Kochsalzlösung den Frosch
reflexlos gemacht hatte, so konnten schon wenige Tropfen von strychnin-
haltigem Serum Krämpfe hervorrufen. Dieselben erloschen erst nach vierzig
Minuten währender Durchleitung. Verdünntes, giftfreies Pferdeserum rief
bei erschöpften Fröschen die Krämpfe wieder hervor, die mit Auswaschung
des zurückgebliebenen Strychnins nach 15 Minuten erloschen.
Auch entkalktes Serum ermöglichte, ähnlich wie kalkhaltiges, die durch
kalkhaltige Salzlösungen aufgehobenen Reflexe wieder.
Keine Salzlösung vermag die Erregbarkeit des zentralen wie
des peripheren Nervensystems sowie die Leistungsfähigkeit der
Muskeln von Fröschen zu erhalten, wohl aber sind dazu serum-
eiweißhaltige Perfusionsflüssigkeiten befähigt.
Ries konnte nicht finden, daß der Sauerstoff bei der Erholung eine
Rolle spielt. (Autoreferat)
Aus der Monopraphie von Sachs (64) seien einige der wichtigsten
die Sprache betreflfenden Streitpunkte herausgegriffen und der Standpunkt
kurz skizziert, den Verf. ihnen gegenüber einnimmt. Obwohl in der Arbeit,
welche für die „Gebildeten aller Stände" geschrieben ist, vorwiegend die
normalen Beziehungen zwischen Hirn und Sprache besprochen und die
krankhaften Störungen wesentlich nur zur Erläuterung herangezogen werden,
so bieten sich doch auch für den mit dem Gegenstand Vertrauteren der
Anregungen und des Wissenswerten genug.
Verf. erkennt die vier eigentlichen Sprachzentren im Großhirn nicht
an; die Sprachzentren decken sich nach ihm mit den gemeinen Sinneszentren.
Das Lesezentrum ist für ihn nichts anderes als das Sehzentrum; daa Sprach-
zentrum ist nichts anderes als das Zentrum für die Bewegungen der zum
Sprechen dienenden Muskeln der Lippen, der Zunge und des Gaumens.
Dabei ist zu bemerken, daß der Unterschied zwischen den Sprechbewegungen
und den sonstigen Bewegungen der gleichen Muskulatur, wie beim Mund-
spitzen, Kauen, Niesen u. dergl. darin liegt, daß die gesprochenen Wörter
eine komplizierte und schwer zu erlernende Bewegungsübung sind.
Das Schreibzentrum ist identisch mit dem Zentrum der rechten Hand.
Ein besonderes Rindenfeld innerhalb oder neben demjenigen für die rechte
Hand, welches noch als besonderes Zentrum für die Schreibbewegungen
diente, existiert für Verf. nicht.
Auch ein besonderes Begriffszentrum erkennt Verf. nicht an;
die verschiedenen Sinneszentren mit ihren Sinneserinnerungsbildern sind
Spezielle Physiologie des Gehirns. 133
durch Assoziationsbahnen untereinander yerbunden; die Summe dieser
Assoziationsbabnen stellen das „Begriffszentrum^ dar. Auf die Asso-
ziatioBsfaserung legt Verf. den Hauptnachdruck: Nicht die Zentren als
solche, sondern erst ihre Verbindung führt zum Verständnis der Sprache.
Die durch die Tätigkeit der Assoziationsfaserung hervorgerufene „Spannung"
in bestimmten Formen bildet die Erinnerungsbilder. Hier versucht Verf.
die verschiedenen Formen der Assoziationen der Erinnerungsbilder dem
Verständnis näher zu bringen.
Nicht im Kiangzentrum, sondern in der Verbindung desselben mit
den anderen Zentren, die Verf. unter dem Sammelnamen „BegriSszentrum"
zusammenfaßt, liegt das Wesentliche des „sensorischen Sprachzentrums^.
Nicht auf die Zellen im Gehörzentrum kommt es an, bei deren Tätigkeit
die subjektive Erscheinung des Klanges auftritt, sondern auf die Fasern,
die das Klangzentrum mit dem „BegriflEszentrum** verbinden. Auch erst
die Einübung der Assoziationsfasern, die zu anderen Zentren führen,
macht das Bewegungszentrum der Lippen, Zunge usw. zum motorischen
Sprachzentrum.
Nach Verfassers Meinung geht die Bahn vom Begriffszentrum zum
Sprachzentrum über das ^sensorische Sprachzentrum". Wie das Lesezentrum,
hat auch das Sprachzentrum keine unmittelbaren Beziehungen zum „ Begriff s-
zentrum".
Verfasser unterscheidet zwei voneinander verschiedene Gesichtswahr-
nehmungszentren (auch zwei Zentren für den Tastsinn). In dem einen —
dem optisch-sensorischen Zentrum — kommen die Licht- und Farbenein-
drücke zur Wahrnehmung; in dem anderen — dem optisch-motorischen
Zentrum — dagegen die Kombination der einzelnen Augenbewegungen,
welche uns die gesehenen Formen vermitteln. Durch die assoziative Ver-
bindung beider Zentren kommt es zu der vollständigen Sinneswahrnehmung,
dem Lichteindrucke in bestimmter Form und Lage.
Die gewöhnlichen Aphasieschemata bieten nach Verf. viele Fehler;
besonders findet Verf. bei der Beurteilung der Krankheitsbilder den Punkt
nicht genügend berücksichtigt, daß bei den pathologischen Prozessen im
G«hirn neben der völligen auch die teilweise Zerstörung und die
bloße Herabsetzung der Tätigkeit eines Zentrums oder einer Bahn in Frage
kommt. Teilweise Zerstörungen gehen neben teilweiser Tätigkeitsherab-
setzungen nebenher. Verf. stimmt in dieser Beziehung Bastian zu, welcher
zwischen einer anatomischen Zerstörung und einer funktionellen Herab-
setzung der einzelnen Zentren unterscheidet und daran seine Schlußfolgerungen
knüpft.
Sabli (65) faßt das Resultat seiner Untersuchungen folgender-
maßen zusammen:
1. Beim Menschen liegt das gemeinsame kortikale Zentrum der kon-
jugierten Augenbewegung und der Drehung des Kopfes nach der entgegen-
gesetzten Seite in dem Fuß (dem den Zentralwindungen benachbarten Teil)
der mittleren Stirn win düng.
2. Gründe, innerhalb dieses Zentrums beim Menschen eine anatomische
Trennung einer Kopfregion und einer Augenregion vorzunehmen, liegen
nicht vor, obschon funktionell natürlich innerhalb dieses Zentnims eine solche
Trennung vorhanden sein muß, da man Kopf und Augen unabhängig von
einander seitwärts wenden kann.
3. Für die Annahme, daß beim* Menschen neben der erwähnten Zentral-
stelle für die in Frage stehende Funktion noch andere kortikale Zentren
existieren, sei es ein weiteres gemeinsames Zentrum im Gyrus centr. ant.
J34 Spezielle Physiologie des Gehirns.
wie beim Orang-Utan, sei es zwei getrennte Zentren wie beim Macacus für
die Seitwärtsbewegung bloß der Augen einerseits und für die Seitwärts-
bewegung bloß des Kopfes andererseits im Gyrus frontal, sup. u. inf., für
diese Annahme spricht vorläufig nichts.
4. Der Gyrus angularis resp. das Unterscheitelläppchen, resp. die
darunter liegende weiße Substanz spielt in der Frage der Seitwärtswendung
des Kopfes und der Augen bloß die Rolle einer Durchgangsstelle für sen-
sorische Erregungen, welche auf die Stellung des Kopfes und der Augen
einen zentripetalen Einfluß haben.
Spanbock (66) berücksichtigt in seiner Mitteilung über die Erreg-
barkeitschwankungen der motorischen Gehirnzellen alle die Untersuchungen,
aus welchen zu ersehen ist, daß die Erhöhung respektive Herabsetzung der
Erregbarkeit der genannten Zentren hervorgerufen werden kann. Es wurde
die Erregbarkeit mit Hilfe von physikalischen, chemischen, physiologischen
und pathologischen Reizen gepriift.
Der Einfluß der verschiedenen Agentien wurde auf Grund der minimalen
Bewegungen bestimmt, welche durch Reize mittels des elektrischen Stromes
hervorgerufen werden, welche Bewegungen entweder durch unmittelbare
Beobachtungen am ganzen Tiere festgestellt worden sind oder mit Hilfe von
Kurven, die durch einen fixierten Muskel vorgezeichnet wurden, auf Grund
der Zeit, nach welcher die Kontraktion eintrat, der Dauer und des Charakters
der Muskelkontraktionen. (Bendia:.)
Die Ergebnisse von Wiechowski's (74) Untersuchungen zur Er-
forschung der analgetischen Wirkung haben zu folgenden Resultaten geführt:
1. Die Hürthlesche Methode läßt mit Sicherheit Tonusschwankungen der
inneren Schädelgefäße erkennen, und ihre Ergebnisse werden durch gleich-
zeitige vasomotorische Vorgänge in anderen Gefäßgebieten nicht beeinflußt.
2. Es ergibt sich mit großer Wahrscheinlichkeit, daß die intrakraniellen
Gefäße auf peripher angreifende vasomotorische Agentien prinzipiell, wenn
auch in verschiedenem Maße,^ ebenso reagieren, wie die übrigen Körper-
gefäße, daß sie jedoch vom allgemeinen vasomotorischen Zentrum aus weder
reflektorisch noch direkt durch Gifte, welche dort angreifen, beeinflußt
werden. 3. Die analgotische Wirkung der verschiedenen Analgetica sei in
letzter Linie Ausdruck einer Lähmung. Ob die beobachtete Tonusabnahme
der inneren Schädelgefäße unter dem Einfluß der symptomatischen Analgetica
durch periphere Gefäßlähmung oder durch Lähmung eines vom allgemeinen
Vasomotorenzentrum unabhängigen Gehirngefäßnervenzentrums erfolgt, ist
unentschieden. Die eigentümliche Wirkung der Verletzung des Corpus
striatum macht es nicht unwahrscheinlich, daß dort ein Gefäßnervenzentrum
für das Gehirn gelegen ist, welches in Beziehung zum Wärmeregulations-
zentrum steht. (Bmdix.)
Nach den experimentellen Untersuchungen von Thiele (69) enthält
der Thalamus in seinem hinteren Abschnitte jederseits ein Zentrum für die
Kontrolle der koordinatorischen Bewegungen beim Gehen. Möglicherweise
reicht das Zentrum bis zu den Corpora quadrigemina. Der Thalamus
opticus übt eine hemmende Wirkung auf die Vorderhornzellen der anderen
Seite aus. Er scheine keine Kontrollfunktion auf die entgegengesetzte
Cerebellarhemisphäre in der Bahn der thalamo-pontilen, ponto-cerebellaren
Fasern auszuüben. Das Cerebellum habe keine Kontrollfunktion für den
entgegengesetzten Thalamus opticus auf dem Wege des oberen Pedunculus.
Die cerebellaren kortikalen Zellen scheinen eine hemmende Wirkung auf
den Deitersschen Kern beiderseits zu haben; doch ist die Wirkung meist
homolateral. Der Deiterssche Kern scheine eine dauernde unterstützende
Spezielle Physiologie des Afickenmarks. 135
WirküDg auf die homolateralen Zellen der flömer auszuüben längs des
Deitersschen Kückenmarkstraktus. Das Cerebellum beeinflusse mittels
seiner Pedunkuli die Skelettmuskulatur und könne Bewegungen hervorrufen.
Die Eontrollwirkung erstrecke sich auf beide Seiten des Körpers, doch sei
die homolaterale Kontrolle überwiegend. Am meisten beeinflusse es die
Büinpf- und Gürtelmuskeln. Für das Vorhandensein des Muskeltonus sei
der £eflexbogen notwendig. Die aufsteigenden Rückenmarksstränge scheinen
aber hierfür nicht notwendig zu sein. (Bendia.)
Spezielle Physiologie des Rnckenmarks.
Referent: Privatdozent Dr. Hugo Wiener-Prag.
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Compt. rend. de la Soci6te de Biologie. Vol. LIX, p. 168.
30. Derselbe, Sur le developpement de la moelle caudale chez les larves d'Anoures. ibi-
dem. Tome LIX, p. 170.
Angesichts der Widersprüche in den Resultaten verschiedener Autoren
bezüglich der Verteilung der Zellveränderungen im Rückenmarke nach
Resektion yon Nerven, Muskeln, nach Ezartikulationen oder Amputationen,
nahmen Bikeles und Franke (2) solche Untersuchungen am Affen vor,
um eine Entscheidung in dieser Frage herbeizufuhren. Die Versuche be-
trafen die Nerven Radialis, Medianus, Cruralis, Ischiadikus, Peroneus.
Sie fanden, daß bezüglich der vorderen Extremität das Verhältnis in
der Lagerung der Zellen für das Innervationsgebiet des (dorsalen) Radialis
einerseits und der (ventralen) Nerven Medianus und Ulnaris andererseits
beim Affen und Hund ganz analog sind. Bei beiden Tieren liegen nämlich
am Querschnitte die Zellen für den Radialis lateral von dem von hinten
nach vorne sich verschmälernden Gebiet des Medianus und Ulnaris. Be-
züglich der hinteren Extremität ist die Lagerung der Zellen für den
(dorsalen) Peroneus bei Affe, Hund und Katze ebenfalls eine ziemlich über-
einstimmende. Bei allen diesen Tieren ist das Gebiet des Peroneus ähnlich
gelagert, wie das Gebiet des Radialis, das ist im lateralen Teile der dorso-
lateralen Gruppe, lateral vom Zellengebiete für den Tibialis.
Nach Resektion des (dorsalen) Cruralis betrafen die pathologischen
Veränderungen im Rücken marksquerschnitte sowohl beim Affen, als beim
Hunde und bei der Katze ausschließlich die lateralen Gruppen, während die
zentrale Gruppe ausnahmslos frei blieb. Nach Resektion des Ischiadikns
fanden sich bei allen diesen Tieren Veränderungen in den lateralen Gruppen
und ebenfalls in der zentralen, nach Resektion des Obturatorius ausschließlich
in der zentralen.
Auf Grund dieser Tatsachen verwerfen die Autoren die Angaben
Lapinskys, nach welchen nach Nervenresektionen diffuse Veränderungen
in den Gangliengruppen des Rückenmarks vorhanden sein sollen, und schließen
sich denjenigen Forschem an, die lokalisierte Veränderungen annehmen.
Sie stellen daher folgende These auf. Sind motorische Zellen für
dorsale und ventrale Teile des Myotomö in einer frontalen Linie aneinander-
Spezielle Physiologie des Edckenmarks. 137
gdagertf dann korrespondieren die lateralen den dorsalen, die medialen
hing^en den rentralen.
Bikeles (1) snchte durch Versuche am Hunde die gegenseitige
Lagerung verschiedener Zellgruppen zu eruieren und für diese relative
Aniagenrngsweise einen möglichst objektiven, in Zahlen faßbaren Ausdruck
zu gewinnen. Zu diesem Zwecke wurden auf der einen Seite dorsale, auf
der anderen ventrale Muskeln oder Nerven reseziert und die nach Nissl
gefärbten Bückenmarksquerschnitte mit einem Okularmikrometer ausgemessen.
Bezüglich der vorderen Extremität wurde versucht, das Verhältnis für
die relative Lokalisation zu bestimmen: 1. für die (ventralen) Mm. pectorales
im Vergleich zum (dorsalen) M. latissimus dorsi, 2. fiir die (ventralen)
N. olnaris et medianus im Vergleiche zu dem (dorsalen) N. radialis, 3. für
den (ventralen) N. musculocutaneus im Vergleiche zu dem (dorsalen)
N. radialis.
Bezüglich der hinteren Extremitäten wurde das Verhältnis bestimmt:
1. einerseits für sämtliche ventrale (N. tibialis, obturatorius, Rami muscul.
ad semi-membran. tendin.) und andrerseits für fast sämtliche dorsale
(N. peroneus, cruralis, glutaei) Nervenäste der hinteren Extremität, 2. für
den (ventralen) Tibialis im Vergleiche zu dem (dorsalen) Peroneus, dann
3. für den (ventralen) N. obturatorius im Vergleiche zu dem (dorsalen)
N. cruralis.
Aas den zahlenmäßigen Gegeneinanderstellungen ergaben sich folgende
SchloBfolgerungen :
1. Der Satz, wonach bei Aneinanderlegung von motorischen Zellen
fo dorsale and ventrale Teile des Myotoms in einer frontalen Linie die
lateralen Zellen den dorsalen, die medialen hingegen den ventralen Teilen
des Myotoms korrespondieren, gewinnt an weiterer Beweiskraft.
2. Die Zellen für den dorsalen und ventralen Längsstreifen desselben
Myotoms sind nicht immer strikte in einer und derselben frontalen Linie
nebeneinandergelagert, sondern es macht sich eine fast konstante Ver-
schiebung in sagittaler Richtung geltend. Die motorischen Zellen für den
ventralen Abschnitt des Extremitätenmyotoms sind etwas nach hinten, die
fiir den dorsalen Abschnitt ebenso mehr nach vorne geschoben.
3. Die Zellgmppen für Muskeln mehr proximal gelegener Körper-
abschnitte sind in sagittaler Richtung stets die vorderen unter den Zellen
for ein und dasselbe Myotom.
4. Der Umstand, daß die Lageruugsweise der motorischen Zellen am
Bückenmarksquerschnitt sowohl in frontaler als auch in sagittaler Richtung
nach einem morphologischen Typus statt hat, zeugt, daß das Prinzip für
die Lokalisation motorischer Zellen im Rückenmark überhaupt ein morpho-
logisches ist.
5. Die verschiedene Lagerung der motorischen Zellen^ je nachdem
dieselben dorsalen oder ventralen, proximalen oder distalen Muskeln ent-
sprechen, ist Ursache, daß bei einer Reihe spinaler Nerven nach deren
Besektion das Bild einer rein nervösen Lokalisation erzeugt wird, trotzdem
der Grundtypus kein nervöser ist. Aus demselben Grunde hat es häufig
am Querschnitte den Anschein einer Lokalisation nach Körperabschnitten.
Tatsächlich aber versehen alle dem Gebiete des Ramus anterior augehörenden
motorischen Zellgruppen des Rückenmarksquerschnittes je einen muskulären
Langsstreifen der Extremität oder ein Myotom.
Deganello (5) hat seine Untersuchungen über die Physiologie der
Canales semicirculares und die Bahnen der vestibulären Zentren an sechs
Tauben angestellt, denen die halbzirkelförmigen Kanäle entfernt wurden.
]^38 Spezielle Physiologie des Rückenmarks.
Die Tiere wurden nach einem Monat getötet und ihr Zentralnervensystem
einer histologischen Untersuchung unterzogen.
D. fand, daß die einseitige Entfernung der Bogengänge, eine beider-
seitige Degeneration — die allerdings an der operierten Seite am stärksten
ist — von Fasern des Akustikus, des Brandisschen Bogenstranges, der
hinteren Längsbündel, der lateralen Region des Bulbus ventral des Seh-
nerven, der intrabulbären Wurzeln des III., IV., VII. und XII. Nerven,
des kaudalen Pedunculus cerebelli, des Vorderstranges des Rückenmarks
bis zur Lendenanschwellung und der spinalen Vorderwurzeln zur Folge hat
Demnach bestehe die Ansicht von Stefani zu Recht, daß das vestibuläre
Labyrinth seine tonische Wirkung auf die quergestreiften Muskeln nicht
nur indirekt durch Vermittelung des Kleinhirns ausübt, sondern auf direktem
Wege längs des Bulbus und Rückenmarkes.
Es bestehe eine enge Beziehung, sowohl physiologisch als auch ana-
tomisch, zwischen den Botengängen und dem Kleinhirn. Die fortschreitende
Muskelatrophie, die im Gefolge der Exstirpation der Bogengänge auftritt,
ist höchstwahrscheinlich spinaler Natur und eine Folge der Degeneration
der spinalen vorderen Wurzeln, (Bendix.)
Kopczyiiski (8) kam auf Grund seiner experimentellen Untersuchungen
an Affen zu folgenden Schlußfolgerungen: 1. Durchschneidung einer ein-
zigen hinteren Wurzel, welche eine der Extremitäten versorgt, bedingt keine
Störung der Mobilität dieser Extremität. 2. Durchschneidung mehrerer, aber
nicht sämtlicher hinteren Wurzeln, die zu einer Extremität gehören, fuhrt
zu einer gewissen Bewegungsataxie, besonders in den Zehen; diese Störungen
schwinden aber nach einigen Tagen. 3. Die Rolle der VIII. hinteren Halswurzel,
welche einen großen Teil der Handfläche versorgt, sei keine bedeutende.
Das Intaktbleiben der 1. dorsalen Wurzel gleicht diejenigen motorischen
Störungen aus, die nach Durchschneidung der übrigen der oberen Extremität
gehörenden Wurzeln entstanden sind. 4. Durchschneidung sämtlicher Wurzeln,
welche eine Extremität versorgen, bedingt keine Lähmung derselben, sondern
führt zu einer Störung der Motilität. Bei diesem Experiment kommt es
femer zu einer deutlichen Erschlaffung und Atrophie der Muskeln. In
anatomischer Beziehung ließ sich folgendes konstatieren: L Das absteigende
Schultzesche Bündel besteht fast ausschließlich aus absteigenden Asten der
hinteren Wurzeln; die endogenen Fasern bilden einen unwesentlichen
Bestandteil dieses Bündels. Je niedriger (distaler) man die Hals- resp.
Dorsalwurzeln durchschneidet, desto weiter nach unten reicht die entsprechende
Degeneration. 2. Einzelne hintere Wurzeln werden nach ihrem Eintritt in
das Rückenmark immermehr nach der Mittellinie verschoben, sie bilden
aber nirgends kompakte Felder, sondern werden mit andern Wurzelfasern ver-
mischt. 3. Nacii Durchschneidung der hinteren Wurzeln einer Seite kommt
es niemals zu einer Degeneration der heterolateralen Hinterstränge. 4. Die
Trennung der Hinterstränge in Go 11 sehe, Bur dach sehe Stränge kann sich
nur auf die oberen Halssegmente beziehen. Das Septum paramedianum
bildet keine Grenzlinie für diese Stränge weder im unteren Halsmark, noch
im oberen Dorsalmark. 5. Ein Teil der Hinterstrangfasern geht in einigen
Fällen direkt durch die Hinterstrangiskerne in die mediale Schleife über
und zieht kortikalwärts weiter. 6. Nach Durchschneidung hinterer Wurzeln
treten keine Alterationen in den Vorderhornzellen auf und fast keine in
den anderen Wurzeln. 7. Nach Durchschneidung der hinteren Wurzeln
zwischen den Spinalganglien und dem Rückenmark tritt völlige Entartung nur
der zentralen Teile der Wurzeln ein, die peripherischen Abschnitte bleiben
Spezielle Physiologie des Eückenmarks. 139
dagegen intakt. 8. Die Spinalganglien zeigen keine Zeichen der retrograden
Degeneration^ auch 30 Tage nach Darchschneidung der hinteren Wurzeln.
(Edward Flatau,)
Lazams (9) legte das Rückenmark frei und reizte die Markober*
fläche Segment auf Segment direkt mittelst Nadelelektroden. Die Resultate
seiner Untersuchungen waren folgende:
Das Rückenmark ist bereits fiir sehr schwache galvanische und fara-
dische Ströme erregbar. Sowohl die Reizung der grauen, als auch der
weißen Substanz führt zu Bewegungen. Die galvanische und faradische
Erregbarkeit der Rückenmarkssubstanz überdauert um ungefähr zehn Minuten
deo Tod. Durchschicken starker Ströme, Verblutung und namentlich Ab-
kühlung beschleunigen das Erlöschen der elektrischen Reizbarkeit. Diese
verschwindet zuerst in der Rückenmarkssubstanz, dann in den Wurzelnerven,
weiterhin in den peripheren Nerven und schließlich in der Muskulatur.
Die bipolare Nadelreizung der Rückenmarksoberfläche oder des Rücken-
marksquerschnittes führt je nach dem erregten Segmente zu bestimmten
koordinierten, annähernd symmetrischen Bewegungen, die den willkürlichen
ihneln. Bei Verstärkung des Stromes werden die Bewegungen tetaniform;
es läfit sich aber selbst bei maximaler Reizung eines Segmentes kein
Wandern der Erregung auslösen. Die motorischen Zentren sind somit im
Backenmark, ebenso wie im Gehirn genau lokalisiert. Auch der Leitungswider-
stand scheint im Rückenmark ein erheblicher zu sein. Bei schwacher
Reizung beschränkt sich der Bewegungseffekt auf das Innervationsgebiet
des erregten Segmentes und tritt in der gleichen Stärke auf, selbst nach
vollständiger oberer und unterer Abtrennung des Segmentes, sofern nur
dessen vordere Wurzeln erhalten bleiben. Das motorische Funktionsgebiet
der vorderen Wurzeln ist somit identisch mit jenem ihres Segmentes.
Diese Versuche erweisen somit, daß die Rückenmarkssegmente als
medulläre Zentren für bestimmte kombinierte Muskelfunktionen, nicht aber
für Einzelmuskeln oder Einzelnerven aufzufassen sind. Jede vordere Wurzel
verwaltet eine Anzahl funktionell zusammenhängender, synergisch mit ein-
ander arbeitender Muskelabschnitte.
Für diese Auffassung spricht femer die längst anerkannte Annahme
eigener Rückenmarkskoordinationszentra für die automatischen Bewegungs-
mechanismen, z. B. für die Atmung, weiter die bekannten Beobachtungen
über die Fortdauer der koordinierten Bewegungsmechanik enthirnter Tiere
imd das Erhaltenbieiben wohlgeordneter Reflexbewegungen nach hohen Quer-
trennungen des Rückenmarks.
Es sind somit im Rückenmark vorgebildete Zentra für bestimmte
funktionell aneinander gekettete Muskelabschnitte vorhanden, die vom Gehirn
durch den VVillensimpuls und von der Peripherie her durch sensible Reize
selbständig erregt werden können.
Von der Hirnrinde geht der Bewegungsimpuls aus, welcher durch die
Pyramidenbahn in das Rückenmark absteigt und hier in die Vorderhörner
geleitet wird. Jeder Pyramidenzelle der Zentralwindungen entsprechen eine
eder einige bestimmte Ganglienzellen des Vorderhorns, so daß die Erregung
einer bestimmten Auslese von Pyramidenzellen eine korrespondierende Mit-
erregung der zugehörigen kontralateralen, durch die Pyramidenfasern um-
sponnenen Yorderhomzellen bewirkt. Jede Zelle des Rückenmarks kann
dann mittelst der vielfachen Anastomosen mit allen anderen Ganglienzellen
des Bückenmarks in Verbindung treten.
Auf Grund dieser Anschauungen legt der Autor dar, wie man sich
das Erlernen einer neuen Bewegungsart vorstellen kann, sowie die Vor-
140 Spezielle Physiologie des Rückenmarks.
gänge, die sich im Zentralnervensystem bei der Überpflanzung eines ge-
sunden Muskels in seinen gelähmten Antagonisten abspielen« Zum Schluße
gibt er eine tabellarische Übersicht der spinalen Lokalisation der motori-
schen Funktionen.
Prince (12 a) hatte Gelegenheit, einen Fall von Rückenmarksläsion
in der Höhe zwischen 5. und 6. Cervikalsegment zu beobachten. In dieser
Höhe war die MeduUa von rechts oben nach links unten durch einen
Messerstich im dorsalen Umfang durchschnitten worden. Die Grenze
zwischen vorderer unverletzter und hinterer zerschnittener Zone bildete
auf dem Querschnitt eine schräg transversal laufende Linie, welche rechts
ungefähr durch die Mitte des Seitenstrangs ging, dann in der Medianlinie
die vordere weiße Kommissur passierte und auf der linken Hälfte schräg
durch die Mitte des Vorderhorns nach der linken Peripherie zustrebte. Die
Verletzung ging also links im Seitenstrang weiter nach vorn als rechts.
Es waren zerstört beide Hinterstränge, rechts PyS und zum größten Teil
KS, links PS, KS, ein Teil des Gowersschen Stranges und ein Teil der
Seitenstranggrundbündel. Klinisch wurde Lähmung beider Beine, Lähmung
sämtlicher Finger, Unfähigkeit den Unterarm zu strecken (Lähmung desTriceps),
normale Kraft im Deltoideus und in den Flexoren des Unterarms konstatiert.
Berührungsempfindung und wahrscheinlich auch Schmerzempfindung waren
rechts erloschen, links vorhanden. Rechts war die ulnare Hälfte des Unter-
armes und der Hand anästhetisch, die radiale empfindungsfähig. Aus dieser
Beobachtung zieht der Autor folgende Schlüsse bezüglich der Sensibilitäts-
leitung im Rückenmark. Da beide Hinterstränge vollkommen zerstört waren,
die Berührungsempfindung aber auf einer Seite erhalten war, so ist das
ein Beweis dafür, daß die Berührungsempfindung auf anderen Bahnen, als
denen des Hinterstranges geleitet werden muß, indessen kann daraus nicht
gefolgert werden, daß die Hinterstränge überhaupt nicht Gefühlseindrücke
leiten. Dieselben Schlußfolgerungen sind wahrscheinlich auch für die
Schmerzempfindungen gültig. Da die Verletzung auf beiden Hälften des
Rückenmarks hinten gleich, dagegen links noch weiter nach vorne gegangen
ist, so kann nur die Zerstörung dieser am vorderen Teil des linken Seiten-
stranges gelegenen Fasern der Grund fiir die rechtsseitige Anästhesie sein.
Da vollständige Paraplegie bestand, so können durch den PyV nicht nennens-
werte Impulse zu motorischen Zellen gelangen. (Jacobsohn.)
Parhon und Goldstein (15) berichten über die Resultate der histo-
logischen Untersuchung des Rückenmarks von zwei Fällen, die sie intra
vitam zu beobachten Gelegenheit hatten.
In dem ersten Falle handelte es sich um eine senile Gangrän, derent-
halben zuerst eine Amputation der einen unteren Extremität, etwa in der
Mitte des Oberschenkels gemacht wurde, und nach einem Jahre wegen
desselben Prozesses eine Exartikulation des Kniegelenkes des anderen Heines
vorgenommen werden mußte. 3 Wochen nach der zweiten Operation starb
der Patient.
Die Untersuchung des Rükenmarkes ergab folgendes: Die Ver-
änderungen begannen im 3. Lendensegment. Hier traten auf der Seite der
Amputation spärliche veränderte Zellen in der externen Zellgruppe auf, so
daß es keinem Zweifel unterliegt, daß diese Gruppe mit der Innervation
der Oberschenkelmuskeln in Verbindung ist, und zwar repräsentiert sie, wie
frühere Untersuchungen zeigten, das Zentrum des M. quadriceps.
Weiter nach unten nahmen die Veränderungen zu. Die antero-exteme
Gruppe, das Zentrum des Sartorius,, war reduziert und ebenso weiter nach
hinten die postero-intermediäre Gruppe. Weiter nach hinten konstatierte
\
Spezielle Physiologie des Bückenmarks. 14 t
man Veränderungen in der hinteren Gmppe, dem Zentrum des M. tibialis
anticus. Das Zentrum des M. gastrocnemius war unverändert, während
das des Tibialis und der Ektensoren ganz geschwunden war. Im ersten
Erenzsegment befand sich die post-posterolaterale Gruppe, das Zentrum
der Pkntarmuskeln in Reaktion. Im 4. Sakralsegment war keine Gruppe
mehr in Reaktion.
Im zweiten Falle handelte es sich um einen Mann, dem 4 Jahre
Torher der linke Oberschenkel in der Mitte amputiert . wurde.
Auch hier begannen die Läsionen im 3. Lumbaisegment, wo die Zellen
anf der amputierten Seite etwas kleiner und tieffärbiger waren. Im yierten
Lumbalsegment fanden sich nur wenige Zellen in Ohromatolyse in der
externen und postero-intermediären Gruppe. Auch die Zellen der hinteren
Grippe waren in Reaktion.
Pari (16) hat zu seinen Untersuchungen über die Ermüdbarkeit der
Rückenmarksreflexzentren eine Methode angewandt, die er für besser und
sicherer hält, als die bisherigen Methoden, um zu bestimmen, von welchem
Organe die fortschreitende Abnahme und das Aufhören der Reflexkontraktionen
herrührt, wenn man wiederholt einen zentripetalen Nerven gereizt hat.
Nach Durchschneidung des Rückenmarks eines Frosches rief er eine oder
mehrere Zuckungen durch Reizung eines Muskels oder seines motorischen
Nerven hervor. Hierauf reizte er mit demselben Strom den Ischiadikus der
anderen Seite und zeichnete die reflektorischen Zuckungen des Muskels bis
za seiner völligen Ermüdung auf; dann reizte er von neuem den Muskel
oder seinen motorischen Nerven. Vor dem Eintreten der Ermüdung bei
den reflektorischen Zuckungen und im Anschluß daran ließen die peri-
pherischen Organe fast immer, bis auf geringe Ausnahmen, dieselbe Erreg-
barkeit wahrnehmen, und zwar eine Verminderung der Reizbarkeit, welche
nomöglich das Aufhören der reflektorischen Erregbarkeit erklären konnte.
Demnach müssen die Organe, denen dieses Zessieren zugeschrieben werden
kann, die Rückenmarkszentren sein. Dieses kann noch deutlicher bewiesen
werden, wenn man die Ermüdung mit Hilfe von längeren tetanischen
Reizungen hervorgerufen hat. Die Reflexzentren restaurieren sich nach
ihrer Ermüdung leicht. Die Zeit, innerhalb deren es geschieht, variiert
sehr, jedoch erholt sich ein Rückenniarkszentrum viel schneller, als ein
ennüdeter Muskel, und einige Sekunden Ruhe genügen oft zur völligen
Erholung. Oft aber genügt wiederum eine so kurze Ruhe nur zur teilweisen
Erholung, je nachdem die vorangegangene Ermüdung geringer und die Ruhe
länger war. Das Ergebnis der Versuche über die Ermüdung und Erholung
der Rückenmarkszentren stimmt durchaus mit dem physiologischen Verhalten
der Gehimzentreu überein. (Betiduv.)
Boger (17) untersuchte den sog. Speiseröhren-Speichelreflex.
Jede Reizung der Ösophagusschleimhaut ruft auf reflektorischem Wege
eine reichliche Speichelsekretion hervor. Wenn ein Fremdkörper im Öso-
phagus stecken bleibt, entsteht ein Flüssigkeitsstrom, welcher das Herunter-
gleiten erleichtert. Die Reizung des Ösophagus ist aber nie von peristal-
tischen Bewegungen gefolgt. Wenn man eine Elektrode, auf die Ösophagus-
schleimhaut aufsetzt oder einen Fremdkörper in den Ösophagus einfuhrt,
beobachtet man nur eine lokale Kontraktion, es entsteht aber keine musku-
läre Welle, ^die den Fremdkörper weiter zu treiben strebt. Letztere Be-
wegung des Ösophagus hat ihren Ursprung in einer Kontraktion des Pharynx.
Bin Fremdkörper, der durch eine Osophagusfistel eingeführt wird, bleibt
unbeweglich bis zu dem Momente, wo das Individuum Schluckbewegungen
macht. Der Ösophagus, der sich nicht von selbst zusammenziehen kann.
142 Spezielle Physiologie des Rückenmarks.
erzeugt eine Speichelsekretion. Diese ruft eine Reihe von Scbluckbewegungen
hervor, die von einer großen peristaltischen Bewegung gefolgt sind.
Der Autor nahm graphische Verzeichnungen der Bewegungen des
Ösophagus vor. Bei einem Kaninchen wurde der Ösophagus in der Hals*
gegend freigelegt und durch eine seitliche Wunde ein kleiner Konus aus Guttar
percha eingeführt mit der Spitze gegen den Magen gerichtet, an der Basis
mit einer Schreibtrommel verbunden, um die Schluckbewegungen zu
registrieren, wurde in den Larynx ein mit einer zweiten Schreibtrommel
verbundenes Häkchen eingehakt. Die Schreibhebel beider Trommeln schrieben
ihre Kurven auf eine berußte Trommel.
Man sieht nun an den Kurven, daß der Fremdkörper zunächst ruhig
in der Speiseröhre liegen bleibt. Nach kurzer Zeit treten, durch die sieb
einstellende Speichelsekretion erzeugt, Schluckbewegungen auf, die zunächst
zu schwach sind, um sich auf die tiefer liegenden Teile zu übertragen.
Mit dem Momente, wo aber eine energischere Schluckbewegung eintritt,
zieht sich der Ösophagus zusammen, was man an der Kurve aus einer Ver^
Schiebung des Fremdkörpers erschließen kann.
Ganz ähnliches sieht man, wenn man den Pharynx direkt reizt, sei
es indem man einige Tropfen Wasser einführt, oder ihn mit einem festen
Gegenstande berührt. Es entstehen auf diese Weise Schlingbewegungen
und, wenn die Reizung genügend stark ist, eine Kontraktion des Ösophagus.
Alle diese Phänomene sind vom Vagus abhängig. Doppelte Yagotomie
hebt diesen Beflex auf, ebenso eine größere Atropindosis, die den Vagus
lähmt.
Trotzdem die Speicheldrüsen beim Zustandekommen dieser Phänomene
eine große Rolle spielen, sind sie nicht unbedingt notwendig. Auch Dach
Exstirpation aller 3 Paare derselben trat reichliche Speichelabsonderung
aus den Drüsen der Mundschleimhaut auf und löste genau in derselben
Weise, wie früher, die Pharynxkontraktionen aus, die ihrerseits wieder die
Osophaguskontraktionen veranlaßten.
Rothmann (18) nahm verschiedene Operationen am Rückenmark
vor und zwar: 1. isolierte Vorderstrangsausschaltung, 2. isolierte Hinter-
strangsausschaltung, 3. kombinierte Ausschaltung von beiden Vordersträngen
und beiden Hintersträngen, 4. kombinierte Ausschaltung beider Vorder- und
beider Hinterstränge mit Ausschaltung eines Seitenstrangs, 5, kombinierte
Ausschaltung beider Vorder- und beider Hinterstränge und doppelte Seiten-
strangsausschaltung. Diese Versuche ergaben:
1. Die Berührungsempfindung ist vom allgemeinen Drucksinn za
sondern und wird- durch den gleichseitigen Hinterstrang und gekreuzten
Vorderstrang geleitet. Der Drucksinn hat seine Leitung vorwiegend im
Seitenstrang.
2. Die Schmerzempfindung wird vorwiegend durch den Seitenstrang
geleitet. Die Hinterstränge sind gar nicht beteiligt, obwohl sie selbst äußerst
schmerzempfindlich sind. Eine geringe Nebenleitung geht durch den Vorder-
strang. Völlige Zerstörung des Querschnittes der grauen Substanz hebt
die Schmerzleitung nicht auf. Im Seitenstrang scheint die Leitung dea
langen endogenen Rückenmarksbahnen zuzukommen, die Gowerssche Bahn
scheint nicht beteiligt zu sein. Jede Körperhälfte besitzt Leitung in beiden-
Rückenmarkshälften mit reichlicherer Vertretung in der gekreuzten.
3. Ort sinn, Lagegefühl und Muskelsinn sind komplizierte Symptomen-
komplexe.- Das Umlegenlassen der Pfote restituiert sich selbst bei nur
partiellem Erhaltensein der Vorderseitenstränge und Zerstörung aller übrigeu
Leitungsbahnen. Der Versenkungs versuch der Extremitäten ist dauernd
Spezielle Physiologie des Rückenmarks. 143
positi?, wenn lediglich die ventralen Reste der Seitenstränge erhalten sind,
zeigt sonst fast immer Restitution. Das Verstellen der Glieder nach den
Seiten ist bei Fort&ll der ELleinhirnseitenstrangbahnen und der Vorder-
strange zusammen besonders stark ausgebildet. Störung der Gleichgewichts*
haltQDg tritt vorübergehend bei Vorderstrangausschaltungen auf, fehlt im
übrigen, so lange noch Reste der Gowersschen Stränge vorhanden sind.
Die physiologische Leitung der Sensibilität durch das Rückenmark ist
nicht ausschließlich an die langen Bahnen geknüpft, sondern kann durch
kürzere Bahnen mit ümschaltungen in der grauen Substanz von statten
gehen.
Ausgehend von den im obigen Referate besprochenen Resultaten
kombinierter Ausschaltung von Rückenmarksbahnen bei Tieren bespricht
Bothmann (19) in der Berliner medizinischen Gesellschaft die Verhältnisse
beim Menschen. Aus den Beobachtungen von Fällen von Brown-
Sequardscher Lähmung geht hervor, daß beim Menschen die gekreuzte
Leitung für Schmerz- und Temperatursinn von größerer Bedeutung ist, als
bei den höheren Säugetieren, aber allmählich durch gleichseitige Leitung
ersetzt werden kann. Die Berührungsempfindung verfügt auch beim Menschen
über zwei feste Bahnen, im gleichseitigen Hinterstrange und im gekreuzten
Vorderstrange.
In dem Referat, welches Sano (21) am 14. Kongreß der französischen
Neurologen über diesen Gegenstand hielt, erwähnte er zunächst die ver-
schiedenen Arbeiten, die mit der Nissischen Methode zur Erforschung der
liokaUsation der motorischen Funktionen im Rückenmark gemacht wurden
und fährt die verschiedenen Theorien an, die auf Grund der verschiedenen
Resultate aufgestellt wurden. Diese sind 1. die radikuläre von Dejerine,
2. die fascikuläre von Krauß und Philippson, 3. die nervöse, 4. die
segmentäre von van Gebuchten und Brissaud, 5. die muskuläre, 6. die
funktionelle von Parhon und 7. die teleologische von Marinesco.
Er weist ferner nach, daß trotz des scheinbaren Widerspruches die
einzelnen Theorien einander nicht ausschließen, sondern einander vielmehr
ergänzen. Weiter polemisiert er speziell gegen Marinesco, führt dessen
Befunde und Schlüsse an und verteidigt sich gegen die von diesem Autor
gegen ihn gemachten Einwürfe. Marinesco hatte sich z. B., wie aus der
Stelle, die S. zitiert, hervorgeht, damit einverstanden erklärt, wenn S. die
Behauptung aufstellt, daß jeder Muskel sein eigenes Innervationszentrum im
Vorderhorn hat, hingegen aber gegen die Annahme Stellung genommen, daß
jeder Muskel seinen umschriebenen Kern im Rückenmark hat. S. führt
nun aus, daß „muskuläres Innervationszentrum^ und „Kern der MuskeU
innervation" eigentlich nur zwei Ausdrücke für ein und dieselbe Sache seien.
Er zeigt somit an diesem Beispiele, daß viele Differenzen einfach nur darin
ibre Ursache haben, daß die einzelnen Ausdrücke von verschiedenen Autoren
in Terschiedenem Sinne gebraucht werden. Er hält es daher für notwendig,
endgültig die Bedeutung der einzelnen verwendeten Termini zu fixieren und
schlägt folgende Terminologie vor:
Metameren. — Jeder Teil eines noch fragmentierten Tieres, der die
Gesamtheit der Eigenschaften und Merkmale des fertigen Tieres besitzt.
Die Metameren sind gleichwertige und ursprünglich identische Segmente,
deren Serie in einer gewissen Periode den ganzen Körper des Embryo dar-
Bi«llt. Innerhalb einer Metamere des menschlichen Körpers sind die
wichtigsten Teile, die entweder segmentiert sind oder noch Zeichen der
Segmentation an sich tragen, folgende: a) die Neurotome, Segmente des
144 Spezielle Physiologie des Bückenmarks.
Mednllarrohrs, b) die Ganglien, Segmente der Ganglienkette, c) die Myotome,
Primordialsegmente.
^ Außer diesen verschiedenen Elementen muß man neue Einheiten fest-
halten, die man aber mit den früheren nicht zusammenwerfen darf. Diese
sind: d) die Myomeren, Muskelgruppen, die von der motorischen Portion
eines und desselben Neurotoms abhängig sind, e) die Rhizomeren, von den
Ganglien abhängige Hautbezirke, f) die Myelomeren, Hautbezirke, abhängig
von den spinalen Segmenten, den sogenannten Neurotomen. Man kann
daher eine Metamere als einen durch Anpassung an verschiedene Funktionen
umgebildeten, ursprünglich aber aus einem Primitivsegment des Embryo
stammenden Teil definieren.
Segment — allgemeiner Ausdruck für jeden durch Segmentation ent-
standenen Teil.
Innervationszentrum — physiologischer Ausdruck, der beiläufig den
Punkt des Ursprunges des nervösen Einflusses angibt.
Zellgruppe. — Gesamtheit der Zellen, die auf einem Rückenmarks-
schnitte zu sehen sind.
Kern — eine kompakte Gruppe von Zellen in ihrer ganzen Höhe und
Breite betrachtet. Der Kern kann die hauptsächlichste motorische Inner-
vation eines Nerven darstellen, er kann einen oder mehrere Muskeln inner-
vieren und in sekundäre Kerne zerfallen.
Kolonne — Vereinigung mehrerer übereinander liegender Kerne von
konstanter Lagerung.
Zone — Innervationsgebiet, das mehrere Kerne umfaßt und sich durch
mehrere Kolonnen in bestimmter Höhe erstreckt.
Das Referat des Autors schließt dann mit folgenden Sätzen:
a) Die Lokalisation der motorischen Funktionen des Rückenmarks des
Menschen entspricht der morphologischen und funktionellen Difi'erenzierung
des Muskelsystems. Jedem quergestreiften Muskel entspricht ein Kücken-
markskern, jeder Muskelgruppe eine Kerngnippe, jedem Gliedsegment eine
Zone, jedem Gliede drei Zonen. Genau wie die quergestreiften haben auch
die glatten Muskeln ihre Innervationszentren in Kernen von bestimmter Lage.
b) Unsere Kenntnisse über die gut abgegrenzten Gebiete sind aus-
reichend, um eine topographische Darstellung ihrer Gesamtheit zu geben.
Die pathologisch-anatomischen Daten beim Menschen sind noch nicht
genug zahlreich, um mit Bestimmtheit die Funktion jedes Kernes bestimmen
zu können.
c) Es wäre verfrüht, über das menschliche Rückenmark mehr aus-
zusagen; aber für den Hund erscheint es klar, daß die allgemeinen Ideen
von Parhon, Brissaud und Marinesco über die funktionelle Bestimmung,
die Embryogenie und Teleologie sehr exakt sind.
In der Diskussion zu diesem Referate führt Grasset die von Sano
erwähnte Tatsache, daß die verschiedenen Theorien über die motorische
Lokalisation einander nicht ausschließen, sondern ergänzen, weiter aus. Man
muß im Rückenmark 3 Typen von Zeniren unterscheiden. Der erste Typus
mit segmentärer Verteilung, dessen Läsion sich in Störungen manifestiert,
die Gebiete an den Extremitäten einnehmen, welche von einander durch auf
die Achse der Glieder senkrechte Linien getrennt sind; der zweite Typus
mit radikulärer Verteilung, dessen Läsion sich in Störungen zeigt, die durch
zur Längsachse der Glieder parallele Linien von einander getrennte Ge-
biete umfassen ; der dritte Typus mit muskulärer Verteilung.
Diese verschiedenen Zentren sind zueinander nicht gegensätzlich,
sondern folgen aufeinander im senso-motorischen Apparate.
Spezielle Physiologie des Rückenmarks. 245
um diese Yerhältnisse besser verständlich zu machen und um zu
zeigen, daß diese Verteilung die einheitliche Anwendung eines allgemeinen
Gesetzes ist, zieht Orasset einen Vergleich zwischen den medullären
Zentren einerseits und den bulbären und mesencephalischen andererseits.
So ist z. B. der Okulomotoriusstamm analog einer vorderen Wurzel,
sein Zentrum ist ein radikuläres. Jeder von ihm innervierte Muskel hat
seinen speziellen Kern, ein muskuläres Zentrum. Außer diesen beiden
Zentren gibt es noch supranukleäre Zentren. Wenn eines der letzteren
lädiert ist, so tritt eine assozierte Augenmuskellähmung mit Deviation
coDJngee beider Augen auf.
Die supranukleären Zentren haben daher eine segmentäre Anordnung,
denn die Medianlinie, die den Körper in eine rechte und linke Hälfte teilt,
schneidet jedes beider Augen in der Mitte. Der sensomotorische Seh-
apparat ist in eine rechte Hälfte, gebildet von den rechten Hälften beider
Augen und in eine linke, gebildet von den linken Hälften beider Augen,
geteilt Jede Hemisphäre blickt mit beiden Augen auf die entgegen-
gesetzte Seite.
Der Okulomotorius hat demnach 3 Arten von Kernen übereinander.
Ganz dasselbe gilt vom Rückenmark.
An der Diskussion beteiligten sich dann weiter noch Parhon,
Cabannes und Brissaud, die sich im wesentlichen dem Referenten
anschlössen.
Spiller (25) berichtet über einen Fall, der den strikten Beweis er-
brachte, daß die Temperatur- und Schmerzempfindung durch Fasern ge-
leitet wird, die im Gow er s sehen Bündel verlaufen.
Es handelte sich um einen 23jährigen Mann, der 4 Monate, bevor er
in die Beobachtung des Autors trat, Schmerzen in der Lendengegend und
im Abdomen bekommen hatte. Bald darauf stellte sich Steifheit in den
Füßen und später in den Unterschenkeln ein. Berührungsempfindlichkeit
war an den unteren Extremitäten normal, Schmerzempfindung beinahe auf-
gehoben, ebenso die Temperaturempfindung an den unteren Rumpfpartien
und den Oberschenkeln. Es bestand femer eine leichte Kyphose entsprechend
dein 10. Brustwirbel. Obere Extremitäten und Gesicht waren normal.
Nach einem Sturze über die Treppen trat vollständige Lähmung der
unteren Extremitäten, vorübergehender Verlust der Berührungsempfindung
an der rechten unteren Extremität und Verlust der Temperatur- und
Schinerzempfindung an dem rechten Unterschenkel und beiden Füßen ein,
Patellarreflexe waren stark gesteigert, B ab in skisches Phänomen vorhanden.
Bei der Obduktion fand man: Tuberkulöse Meningitis, Wirbelkaries
und einen Tuberkel im rechten Seitenstrange am unteren Ende des Brust-
markes, die Gegend des Gowersschen Stranges einnehmend. Ungefähr
1 Zoll höher wurde ein zweiter Tuberkel im linken Gowersschen Traktus
Sauden.
Die Frage nach der reflektorischen Natur der Sehnenphänomene schien
durch die Arbeiten der letzten Jahre endgültig in positivem Sinne erledigt
zu sein. Trzecieski (27) tritt aber dieser Anschauung auf Grund von
Versuchen und Überlegungen entgegen.
Zunächst überzeugte er sich, daß Durchschneidung der hinteren
Wurzeln den Verlust der entsprechenden Sehnenphänomene nach sich zieht,
Äaß dieser Effekt gleich nach der Operation eintritt, aber auch weiter un-
verändert bestehen bleibt, daß es sich also dabei nicht um eine Hemmungs-
^^irinmg durch den bei der Operation gesetzten Beiz handelt. Trotzdem
i^t er es nicht für gestattet, aus dieser Tatsache auf die reflektorische
Jabnslwziebt f. Kearologie n. Psychiatrie 1906. 10
146 Spezielle Physiologie des Rückenmarks.
Natur des Phänomens zu schließen, sondern man kann mit demselben Hechte
annehmen, daß durch die Durchschneidung die hinteren Wurzeln in diesen
zentrifugal gehende Impulse ausgeschaltet wurden, welche fttr eine normale
Funktion des Muskelgewebes überhaupt, darunter auch ftir das Sehneu-
phänomen unerläßlich sind. Diese Anschauung sucht der Autor durch
weitere Versuche zu stützen.
El- bespricht zunächst die Physiologie der Bewegungen und ihre
Koordination und sieht das Zustandekommen letzterer hauptsächlich in der
Fähigkeit der Muskeln, mehr oder weniger lange Zeit in ihrem Kontraktions-
zustande zu verharren. Dadurch eben werden die einzelnen Bewegungen
genau abgestuft, nicht schleudernd, gleitend. Durchschneidet man aber die
hinteren Wurzeln, dann verlieren die Muskeln die obenerwähnte Fähigkeit;
sie können sich zwar noch eben so kräftig, ja noch kräftiger kontrahieren,
die Kontraktion hält aber nicht an, die Muskeln erschlaffen sofort wieder,
die Bewegungen werden ausfahrend, ataktisch. Daß diese Änderung in der
Kontraktionsweise der Muskeln nicht auf den Wegfall zentripetaler Er-
regungen zurückzuführen ist, beweist der Umstand, daß eine ganz gleiche
Veränderung in der elekti-ischen Reaktion bei Reizung der vorderen Wurzeln
nach Durchschneidung der hinteren beobachtet wird.
Normalerweise tragen die Muskelkontraktionen bei KathodenschloB
nur bei minimaler Stromstärke einen rein klonischen Charakter. Bei ver-
hältnismäßig unbedeutender Verstärkung des Stromes kontrahiert sich aber
der Muskel nicht nur im Momente der Stromschließung allein, sondern
bleibt während der ganzen Zeit der Stromdauer zusammengezogen, er ver-
fallt in einen Galvanotonus. Läßt man den Strom einschleichen^ so verfällt
der Muskel gleich, ohne vorangehende Zuckung in den tonischen Kon-
traktionszustand. Diese tonischen Kontraktionen verschwinden nach Durch-
schneidung der hinteren Wurzeln. Diese Veränderung in der Reaktion
bezeichnet der Autor als „atonische Reaktion". Bei unvollständiger Durch-
schneidung der hinteren Wurzeln tritt eine sog. partielle atonische Reaktion
ein, die entweder darin besteht, daß die tonische Kontraktion nicht ganz
geschwunden, sondern nur sehr stark herabgesetzt ist, oder aber daß nur
eine diskontinuierliche tonische Kontraktion bestehen bleibt. Aus allen
diesen Tatsachen geht mit großer Wahrscheinlichkeit hervor, daß die hinteren
Wurzeln einen zentrifugalen Einfluß auf den Muskel besitzen. Dieser Ein-
fluß wäre kein direkt motorischer, sondern ein hemmender, letzterer aber
auch nicht in dem gewöhnlichen Sinne. Es müssen durch die hinteren
Wurzeln Impulse gehen, welche nicht den Kontraktionsakt selbst unter-
drücken, sondern umgekehrt Impulse, welche den Akt der Muskelerschlaffung
hemmen, somit Impulse der tonischen und statischen Innervation.
Wintrebert's (29) Untersuchungen über das Nervensystem der
ürodelen führten ihn zu folgenden Resultaten: Im Schwänze der ürodelen
sind alle nervösen Metameren anfangs Endorgane. Zu dieser Zeit liefern
sie für die Spitze die Gefühlsempfindung, aber sie haben noch keine Ver-
bindung mit der Muskulatur. Der Reflexbogen bildet sich erst später, wenn
sich das sensible Gebiet nach vorn ausgebreitet hat, durch Ansatz neuer
Segmente. Der schräge Verlauf der sensiblen Geflechte ist sehr ausge-
sprochen, wenn das Metamer nahe dem Ende ist, und wird geringer, wenn
es sich durch das Wachsen der Spitze vom Ende entfernt. Das sehr
schnelle Entstehen der sensiblen Funktion rührt vielleicht von der großen
Einfachheit der Organisation der freien Nervenendigungen her, im Gegensatz
zu der verwickeiteren Einrichtung der motorischeo Platten. Im Bereiche
der Regeneration tritt nach der Durchschneidung der Nerven die Rückkehr
Spezielle Physiologie der peripherischen Nerven und Muskeln. 147
der Empfindung schneller wieder, und zwar wohl aus demselben Grunde.
Das längere Ausbleiben der motorischen Funktionen kann nicht allein den
begleitenden Maskelatrophien zugeschrieben werden. (Bendix,)
Wintrebert (30) fand, daß bei den Änuren, deren Schwanz ein nur
Yorübergehender Körperteil ist, die Entwicklung der nervösen Metameren
nnd des kaudalen Rückenmarkes vor der Mitte des Schwanzes halt macht;
mehr als die Hälfte desselben entbehrt demnach der Reflexzentren und
bildet einen unscharfen Bezirk, in dem sich die sensiblen Geflechte fächer-
artig ausbreiten. In dieser Zone besteht, auf Grund des Fehlens von ent-
sprechenden Nervenzentren, eine echte Trennung derjenigen Elemente, die
ursprünglich die Metameren zusammensetzen. (Bendix,)
Spezielle Physiologie der peripheriseben Nerven und Maskeln.
Referent: Prof. Dr. R. du Bois-Reymond- Berlin.
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259. Derselbe, Sur les chaleurs de combustion et la composition cbimique des tissus
nerveux et musculaire chez le cobaye, en fonction de Tage, ibidem. Vol. 140,
No. 23, p. 1565.
260. Tromp, Fritz, Zur Physiologie der Irisbewegung. Inaug.-Diss. Marburg.
261. Urbantschitsch, Victor, Ueber Sinnesempfindungen und Gedächtnisbilder. Archiv
für die gesamte Physiologie. Band 110, p. 437.
262. Van^sek, B., Ueber die Bedeutung der exspiratorischen Betardation des Pulses, der
orthostatischen Tachykardie Thomayers und des Symptoms von Erben. Aroh. hohem,
de med. clin. VI. p. 379.
263. Vecchi, B. de, Sulla resezione sperimentale dei nervi renali. Bull. d. Sc. med. di
Bologna. 8. s. V. 427—480.
264. Vedova, R., Della. Ueber die Möglichkeit, das Magengeschwür durch Läsionen
der Magennerven hervorzurufen. Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 75, p. 809.
265. Velich, Alois, Ueber den Einfluß des Nervenapparates auf den Puls. I. Experimen-
telle Erklärung des respiratorischen Frequenzwechsels des Pulses. Revue neurolo-
gique. No. 97.
266. Waller, A. D., Demonstration of Photo-Electrical Effects on the Frogs Eyeball
before and after Tetanisation. Proc. Physiol. Soc. London, p. LXVI.
267. AVarneboldt, W., Die Beziehungen der Mnskelsehnen zu den Bändern des Fußes.
Inaug.-Diss. Göttingen.
268. Watt, Henry J., Ueber die Helligkeit einmaliger und periodisch wiederkehrender
Lichtreize. Archiv für die gesamt« Physiologie. Bd. 107, H. 10 — 12, p. 591.
269. Weiss, Otto, Ueber die Ursache des Axialstromes am Nerven, ibidem. Bd. 108, p. 416.
270. Weiss, 0-., A propos de l'excitation electrique des nerfs et des muscles. Compt.
rend. Soc. de Biologie. Tome LIX, p. 126.
271. W^ertheim-Salomonson, J. K. A., Ueber den Reizwert sinusoidaler Strome von
hoher Frequenz. Archiv für die gesamte Physiologie. Bd. 106 (cf. Jahrgang 1904).
272. Derselbe, Die Effektgrösse als Funktion der Beizgrösse. Erwiderungen J.W. Langelaan.
ibidem. Bd. 108, p. 105.
273. Wertheimer, E., A propos de la dcmonstration de l'independance du „reflexe acide**
du pancreas vis-a-vis du Systeme nerveux. Journal de Physiologie et de Pathologie
generale. No. 4, p. 677.
274. Winterberg, Heinrich, Die Latenz der Vagusreizung beim absterbenden Schild-
kröt^uherzen. Centralbl. f. Physiol. Bd. XVIU, No. 21, p. 657.
275. W^intrebert, P., Sur le developpement de la contractilite musculaire dans les
myotomes encore depourvus de liaison nerveuse reflexe. Compt. rend. Soc. de Biologie.
Vol. LVm, p. 60.
276. Wlotzka, Ernst, Die Synergie von Akkomodation und Pupillenreaktion. Archiv
für die gesamte Physiologie. Bd. 107. p. 174.
277. Yerkes, Robert M., The Sense of Hearing in Frogs. The Journal of compar. Neu-
rolog)'. Vol. XV, p. 279.
278. Derselbe, Bahnung und Hemmung der Beactionen auf tactile Bebe durch akustische
Reize beim Frosche. Archiv für die ges. Physiologie des Menschen und der Tiere.
Bd. 107, H. 5-6, p. 207.
279. Zwaardemaker, H., Ueber den Schalldruck im Cortischen Organ als der eigentliche
Gehörsreiz. Archiv f. Anat. u. Physiol. Physiol. Abt. Suppl.-Bd. I, p. 124.
280. Derselbe, Riechend schmecken. Zeitschrift für Psychologie und Physiol. der Sinnes-
organe. Bd. 38, p. 189.
Spezielle Physiologie der peripherischen Nerven und Muskeln. 157
£81. Derselbe, On the Ability of Disüngnishing Intensities of Tones. Koninklijke Akademie
Tao Wetenschappen te Amsterdam, p. 421.
2S2. Derselbe, On the Belative Sensitiveness of the Human £ar for Tones of Different
PitcL Measured by lleans of Organ Pipes. ibidem, .p 549.
A. Arbeiten aus dem Gebiete der Mnsiceiphyslologie.
1. Beizung und Erregung betreffend.
Gktrrey (93) untersucht die Eigenschaft von Salzlösungen, eingetauchte
Muskeln in Zuckungen zu versetzen, ohne daß es gelingt, allgemeine Gesichts-
punkte zu finden.
Fröhlich (89) findet die maximale Zuckungshöhe des Muskels von
der Stelle der Reizung abhängig, sie ist am größten, wenn in der Mitte,
kleiner, wenn am proximalen, am kleinsten, wenn am distalen Ende gereizt
wird. Reizt man die ganze Strecke, so erhält man dieselbe Zuckung wie
bei Reizung in der Mitte.
Herr und Frau Lapicque (162, 164) haben ihre Studien über das
ErreguDgsgesetz an einer Reihe verschiedener Arten träger Muskeln fort-
gesetzt und finden, daß die Stromintensität, die zur Erreichung einer
Minimalzuckung erforderlich ist, von der Dauer der Einwirkung abhängt.
a
Die Formel von Weiss J =— -|- b drückt diese Abhängigkeit nicht mit
Tollkommener Genauigkeit aus, sondern Verff. ergänzen sie zu J = — ^ — .
Diese Korrektion ist nur in manchen Fällen von Belang. Verflf. zeigen
durch berechnete Beispiele, welche Bedeutung den einzelnen Gliedern zu-
konunt Aus einer Tabelle der Versuchsergebnisse wird ersichtlich, daß für
den Froschmuskel 3 Tausendstel Sekunden, für den Mantel von Aplysia
800 Tausendstel Sekunden die Grenze darstellen, über die hinaus eine Ver-
längerung des Reizes keine Verstärkung mehr bedeutet. Aus diesem Unter-
schied erklären sich zum Teil die entgegengesetzten Anschauungen der Autoren.
Nicolai (195) kommt auf Grund von ausführlich beschriebenen und
sorgfaltig kritisch erörterten Versuchen zu dem Schluß, daß die Spannung
beim Froschmuskel auf die Anspruchsfähigkeit keinen Einfluß hat.
Fröhlich (86) hat den kurarisierten Sartorius so im Hering sehen
Doppelmjographion eingespannt, daß bei von einem Ende zugeleiteter Reizung
die Kontraktion zweier Strecken des Muskels, die sich wie 1 : 3 verhielten,
aufgezeichnet werden kann. Die Kurve der kurzen Strecke, die das Reiz-
ende bildet, hebt sich zuerst und fällt ab, ehe die Kurve der großen Strecke
ihr Maximum erreicht. Zeitverhältnisse werden nicht angegeben. Verf. leitet
aus diesen Kurven den Schluß ab, daß im Muskel Restitution schon während
der Kontraktion einsetzt
Fröhlich (87) macht noch eine Anmerkung betreffend die Stellung
der Schreibspitzen seines Apparates.
Eipiaul (138) gibt ein ausführliches Referat über die in den Arbeiten
Ton Joteyko ausgesprochenen Anschauungen über die Zusammensetzung
des Muskels aus zweierlei verschiedenen kontraktilen Substanzen und über
deren Anwendung auf die pathologischen Zustände des Muskels.
2. Kontraktionsvorgang und Ermüdung betreffend.
Enant (140) stellt eine Hypothese für die Bewegungen des Proto-
plasmas auf, die auf Kohleusäureentwicklung und Absorption beruht.
158 Spezielle Physiologie der peripherischen Nerven und Muskeln.
MeigS (181) hat gefunden, daß die Muskelfasern im kontrahierten
Zustand gefärbt auf dem Querschnitt eine gefärbte lunenzone und eine un-
gefärbte Bandzone zeigen^ im Ruhezustand umgekehrt. Hieraus und aus
knotigen Schwellungen der Muskelfasern bei Glycerinbehandlung leitet Yerf.
eine völlig unhaltbare Auftreibungstheorie für die Kontraktion ab, die in
der Auftreibung der Muskelfasern als Ganzes die Ursache der Verkürzung
erkennen will.
Keith (136) findet, daß vereinzelte Muskelfasern keine gleichmäßige
Steigerung der Leistung mit steigender Reizintensität aufweisen, sondern
daß die Tätigkeit sprungweise zunimmt. Es ist daher anzunehmen, daß jede
einzelne Faser nur maximale Kontraktionen macht, und daß die Steigerungen
der Tätigkeit ganzer Muskeln auf Reizung mehr oder weniger zahlreicher
Fasern beruhen.
Müller (187, 188) hat unternommen, die Beziehungen zwischen
Einzelzuckungen mit verschieden hoher Unterstützung und der tetanischen
Muskelkurve zu erforschen. Hierzu bedurfte es zunächst einer Untersuchung
über die Höhe der Zuckung bei wechselnder Unterstützungshöhe, weil in
den älteren Arbeiten, insbesondere v. Freys (Festschr. f. C.Ludwig), keine
Gesetzmäßigkeit gefunden worden war. Verf. stellt fest, daß bei Berück-
sichtigung der Temperatur der Muskel ein gesetzmäßiges Verhalten zeigt,
indem die Unterstützung bei niedriger Temperatur die Zuckungshöhe (Er-
hebung über die der Ruhelänge entsprechende Abszisse) vermehrt, bei
höheren vermindert. Das Ergebnis ist außerdem abhängig von der Be-
lastung. Ahnliche Kurven wie die durch wechselnde Unterstützungshöhe
gewonnenen lassen sich nun auch durch w^echselnde Frequenz des Reizes
erzeugen, indem offenbar zwischen der Zuckung bei unterstützter Last und
der bei noch nicht bis zur Anfangslage herabgesunkenen Last eine Ana-
logie besteht.
Ferner hat derselbe Ermüdungsversuche am Muskel ausgeführt, die
wegen der Mannigfaltigkeit der Bedingungen und der Ergebnisse im Bericht
nicht wohl wiedergegeben werden können.
Bernstein (17) hat vor einigen Jahren eine Theorie der Muskel-
kontraktionen aufgestellt, nach welcher die bewegende Kraft im Muskel auf
eine Oberflächenspannung der kontraktilen Elemente der Faser gegen das
Sarkoplasma zurückgeführt w^urde.^) Jetzt erhebt er die Frage, ob man nicht
einen osmotischen Druck oder auch einen Quellungsdruck als Ursache der
Muskelkraft ansehen könne, und erörtert die Bedingungen, unter denen eine
solche Möglichkeit denkbar wäre.
Da der osmotische Druck in den Zellen der Pflanzen und Tiere eine
wichtige Rolle bei der Erzeugung des Turgors spielt, so kann er in denselben
auch mechanische Energie liefern.
Bei der Tätigkeit muß offenbar durch die Dissimilieruug der lebenden
Substanz in der Muskelfaser der osmotische Dnick steigen, weil aus.
komplexen Verbindungen einfache entstehen und daher die Zahl der
Moleküle in den kontraktilen Elementen der Faser zunimmt. Der osmotische
Druck ist aber proportional der in einer Lösung vorhandenen molekularen
Konzentration.
Verf. berechnet nun die Steigerung des osmotischen Druckes in der
Faser bei der Kontraktion unter der Annahme, daß der Zucker (Dextrose)
das Brennmaterial des Muskels bildet, aus welchem die Muskelenergie erzeugt
>) Die Energie des Muskels als Oberflächenenergie. Arch. f. d, ges. PhysioL
fi 071 loni
Bd. 58. S. 271. 1901.
Spezielle Physiologie der peripherisclien Nerven und Haskeln. 159
wird, und dehnt diese BerechnuDg auch auf die Annahme aus, daß statt
des Zuckers hierzu Fett und Eiweiß verwendet werden könne. Es ergibt
sich hieraus das Resultat, daß der hierdurch erzeugte osmotische Druck
(auf 1 cm*) höchstens 2,14 g beträgt, während die gemessene absolute
Muskelkraft (auf 1 cm^) zu ungefähr 600 g bei einer Zuckung (Frosch-
moskel) anzunehmen ist. Sehr viel größere Kräfte als durch Osmose können
bekanntlich durch Quellung entstehen, und es unterliegt keinem Zweifel, daß
der Quellungsdruck die Muskelkraft erreichen könnte. Aber in beiden
Fällen wäre, um die Kontraktion zu erklären, eine besondere Mechanik
erforderlich, welche in der Struktur der Faser gegeben sein müßte. Diese
Bedingung bestände nun nach Verf. darin, daß die Muskelfasern aus einer großen
Zahl in Längs- und Querreihen angeordneten länglichen Bläschen zusammen-
gesetzt wäre, deren Wandungen in der Längsrichtung gefaltet sein müßten.
Verf. beobachtet an einem aufgehängten und belasteten Kautschuk-
balleu, dessen Wandungen in leerem Zustande Längsfalten bilden, daß
derselbe sich beim Aufblasen verkürzt und die angehängten Gewichte hebt.
Einige Experimente und Berechnungen ergaben, daß wenn die Muskelfaser
die angegebene Struktur besäße, durch eine solche Mechanik die Muskelkraft
erreicht werden könnte. Da aber die bisherigen mikroskopischen Unter-
suchungen keinen Anhalt für eine solche Struktur geben, so besitzt eine
darauf gegründete Theorie der Kontraktion wenig Wahrscheinlichkeit, und
die Entscheidung würde demnach zu Gunsten der Oberflächenspannuugstheorie
ausfallen. (AiUoreferat.)
Fröhlich (88) erklärt die „Muskeltreppe** auf Grund der obigen
Untersuchung als durch Verlangsamung des Restitutionsprozesses bedingt.
Die scheinbare Steigerung der Leistungsfähigkeit des Muskels bei Doppel-
reizen und im Tetanus ist auf dieselbe Erscheinung zurückzuführen.
Seemann (233, 234) findet durch Versuche mit elektromagnetischer
Dehnung oder Entlastung des isometrisch zuckenden Muskels, daß in beiden
Fällen die entwickelte Spannung vom Augenblick der Zustandaänderung
an beträchtlich vermindert wird, und zwar umsomehr, je plötzlicher die Änderung
eintritt. Diese Versuche werden in einer weiteren Mitteilung ergänzt und
die Schlußfolgerung erweitert.
Lee (168) hat die Ermüdongsverändening der Muskelkurve bei ver-
schiedenen Kalt- und Warmblütern untersucht und findet einen Unterschied
darin, daß die Kaltblüterkurve mit steigender Ermüdung einen immer lang-
sameren Verlauf zeigt, die der Warmblüter nicht. Bei hoher Temperatur
ist die Verlangsamung weniger deutlich. Warmblütermuskeln bei niedriger
Temperatur zeigen Andeutungen von Verlangsamung.
Bürker (36) hat eine thermoelektrische Vorrichtung hergestellt, die
bei einer einzigen Muskelzuckung Galvanometerausschläge von über
50 Skalenteilen gibt, und millionste! Grade abzulesen gestattet. Der Vergleich
zwischen Erwärmung und Arbeitsleistung läßt einen Schluß auf den Wirkungs-
grad der Muskeln zu. Winter- und Sommerfrösche verhalten sich ver-
schieden, indem bei Winterfröschen von Anfang an ein Zustand besteht, der
l)ei Sommerfröschen erst in der Ermüdung auftritt. In diesem Zustande
arbeiten die Muskeln bei außerordentlich geringer Wärmeproduktion.
Wintrebert (275) berichtet über Beobachtungen und Versuche an
Jngendstadien vom Grasfrosch und Axolotl, bei denen die hinteren Extremi-
täten schon entwickelt sind, aber keine Nerven haben, und am Siredon.
Es erfolgt lokalisierte Reaktion auf Reiz auch ohne Beteiligung von Nerven.
Mackenzie (176) erörtert Venenpuls, Herzgeräusche u. a. m. auf
Grund der Lehre vom Herztonus.
X60 Spezielle Physiologie der peripherisch en Nerven und Muskeln.
3. Muskelströme und Verschiedenes.
Tchiriev (256) hat die Ströme von Muskeln und Herz bei der Tätig-
keit kapillarelektrometrisch aufgenommen und zieht aus den Kurven Schlüsse,
die mit denen aller anderen üntersucher im Widerspruch stehen. (Dies ist
daraus zu erklären, daß Verf. seine Kurven als getreue Abbilder der Strom-
kurven ansieht. Ref.)
Overton (199) zeigt, daß durch Imprägnieren von Muskeln mit ver-
schiedenen Lösungen die Stärke des Ruhestroms und sogar seine Richtung
beliebig geändert werden kann, und daß sie nach Auswaschen der betreffenden
Lösung wieder normal wird.
Höber (125) hat die Beziehungen der Jonenpermeabilität der Muskeln
zu ihren elektrischen Eigenschaften untersucht und ist zu Ergebnissen ge-
langt, die wegen der Mannigfaltigkeit der verwendeten Substanzen und ihrer
Wirkungen nicht in Kürze wiederzugeben sind, weshalb auf die Original-
arbeit verwiesen werden muß.
Carlson (40) geht davon aus, daß die Leitungsgeschwindigkeit der
Nerven der Zuckungsdauer der zugehörigen Muskeln proportional ist, und
hat für Simulus festgestellt, daß die Leitung durch das kardiale NeiTennetz
nur 40 cm in der Sekunde, also nur den zehnten Teil der Geschwindigkeit
der motorischen Muskelnerven von Simulus beträgt.
Henze (112) hat in Oktopodenmuskeln nur einen Teil der in Wirbel-
tiermuskeln vorkommenden organischen Substanzen gefunden. An anorganischen
Salzen und insbesondere an Schwefel sind sie besonders reich.
Fleig (81) widerlegt ausführlich auf Grund sorgfältiger Nachprüfungen
die Anpreisungen des therapeutischen Wertes der Ameisensäure, die von
Clement ausgegangen sind.
Igersheimer (129) hat die Wirkung von Strychnin auf das Frosch-
herz untersucht, und gibt an, daß sich das Kauincheuherz ähnlich verhalte.
Kleine Dosen wirken hauptsächlich verlangsamend. Große Dosen lähmen
vor allem die nervösen Zentren des Herzens und können diastolischen
Stillstand erzeugen, den Kampher wieder zu heben vermag.
Rohde (222) findet, daß durch Chloralvergiftung zwei Gruppen von
Funktionen des Herzens getrennt werden können, deren eine neiurogener,
die andere myogener Art ist. Rhythmizität auf Dauerreiz und refraktäre
Periode gehören der ersten, Reizbarkeit, Leitung und Kontraktilität der
zweiten. Diese Auffassung stützt sich auf die Analogie mit dein Herzen
von Simulus, dessen nervöser Apparat anatomisch vom Herzmuskel getrennt
werden kann.
Link (170) hat sich bemüht, den Muskelton diagnostisch verwertbar
zu machen. Die Höhe des Tones ist bei willkürlich kontrahiertem Muskel
stets gleich, bei faradischer Reizung dagegen von der Stromfrequenz ab-
hängig. Bei organischer Kontraktur und bei nutritiven chronischen Ver-
kürzungen ist kein Ton vorhanden.
Prenant (209) macht darauf aufmerksam, daß alte Präparate von
Renaut Einzelheiten im Bau der quergestreiften Muskelfasern anders er-
scheinen lassen, als kurz nach ihrer Herstellung, und erörtert ihre Deutung.
Renaut und Dubreuü (217) haben in einem Schlundmuskel von
Ammocoetes branchialis ein geeignetes Material gefunden, um ein nach ihrer
Annahme für den Bau der gestreiften Fasern im allgemeinen sehr bedeut-
sames Gebilde zu untersuchen, dem sie den in der Überschrift ihrer Arbeit
angegebenen Namen beilegen.
spezielle Physiologie der peripherischen Xerven und Muskeln. 161
Tribot (258, 259) weist Änderungen in der Verbrennungswärme der
Korpergewebe des Meerschweinchens nach, die vom Alter abhängig sind und
auf die Größe des relativen Fettgehaltes zurückgeführt werden können.
Smitmans (239) geht von der von Lehmann entdeckten Tatsache
ans, daß nach Vergiftung mit Dinitrophenol die Totenstarre in wenigen
Minuten eintritt, und benutzt sie, um einige Punkte in der Lehre von der
Totenstarre aufzuklären. Die roten Muskeln erstarren auch bei normalen
Tieren schneller als die weißen. Alkalische Lösung von Dinitrophenol be-
wirkte, daß die starren Muskeln alkalisch reagierten. Die zuerst erstarrten
Muskehl lösten sich zuletzt Durchschneidung des Ischiadikus bei vorge-
schrittener Vergiftung hatte keinen Einfluß auf die Starre.
Heltzer und Aner (182, 183) haben gefunden, daß Injektionen,
die Subkutan wirkungslos sein würden, intramuskulär eingespritzt fast wie
intravenöse Injektionen wirken. Insbesondere Adrenalin und Kurare zeigen
bei intramuskulärer Injektion in ganz schwacher Dosis alle die Wirkungen,
die sabkutan nur durch die stärksten Dosen hervorgebracht werden. (Ein
gelegentlicher Versuch bestätigte die Angabe nicht. Ref.)
Beck (15) hat im Gegensatz zu den Angaben von Paul Schultz
gefunden, daß Atropin die spontanen Bew^egungen der Froschmagenmuskulatur
nicht aufhebt im Gegenteil treten sie nach Atropinbehandlung nicht selten
erst ein, wenn nicht die Lösung so stark war, 5 Prozent, daß sie den Muskel
schädigte. Kokain wirkt stärker hemmend, ähnlich so Apocodein, dagegen
rief Äpocodeinlösung, die längere Zeit der Luft und dem Licht ausgesetzt
gewesen war, Bewegung hervor. Codein wirkt stark erregend. Nach Mor-
phium treten die spontanen Bewegungen erst sehr spät auf, 24 Stunden und
mehr nach der Behandlung.
4. Besondere Formen die Muskelbewegung betreffend.
Cbaine (51) hält seinen Satz, daß alle mehrbauchigen Muskeln der
Längsachse des Körpers parallel laufen, aufrecht, indem er für diejenigen
Muskeln, die wie der Biventer und Omohyoideus, von dieser Richtung Ab-
weichungen zeigen, angibt, daß sie nur bei den höchststehenden Tieren diese
abweichende Richtung hätten.
Chaine (50) stützt seine Anschauung von der Bedeutung der Richtung
des Digastricus durch die Betrachtung, daß sie von dem Winkel zwischen
der Richtung der Achse des Kopfes und der Wirbelsäule herkomme.
Sergl (236) hat festgestellt, daß ein bis auf die Nervenverbindung
Tom Köq)er getrennter Schildkrötenmuskel abwechselnde Perioden der Ruhe
und Tätigkeit zeigt Diese Muskeltäligkeit ist der Ausdruck der willkürlichen
Innervationen des Versuchstieres.
I. Im Anschluß an frühere Mitteilungen beschreibt Sheirington (237)
nun aucli beim Hund mit durchschnittenem Rückenmark die Verstärkung
des Streckreflexes nach vorhergegangenem Beugereflex. Nadelstiche am Fuß-
ballen bringen bekanntlich Beugereflex hervor, dagegen Drücken gegen den
Ballen Streckreflex. Dieser erweist sich als viel lebhafter, wenn vorher der
Bengereflex hervorgerufen worden war. Ahnlich verhalten sich die entgegen-
gesetzten Reflexbewegungen beider Seiten. Da die beiden Reflexe anta-
gonistisch sind und mithin nach des Verfassers Versuchen einander gegen-
seitig hemmen, kommt Verf. zu dem Ergebnis, daß die Tätigkeit eines
^notorischen Reflexapparates den antagonistischen Apparat primär hemmt
^nd sekundär eine Phase stärkerer Erregbarkeit in ihm „induziert". Diese
Wirkung kann so stark sein, daß ohne äußeren Reiz „spontan" die anta-
^abresbericht f. Neurologie und Psychiatrie i»06. 11^
162 Spezielle Physiologie der peripherischeD Nerven und Muskeln.
gonistische Bewegung zustande kommt. Verf. weist auf die Analogie zwischen
diesen Erscheinungen und den Konstrastphänomenen im Auge hin. Die
durch diese Art der „Induktion" gegebene Verknüpfung von Reflexen dürfte
besondere Beziehungen zu den Punktionen der betrefifenden Teile haben.
Vor allem erscheinen die oben erwähnten Reflexe der hinteren Extremitäten
als zweckmäßig im Sinne der Lauf- und Gehbewegung.
II. Verf. beschreibt sehr ansführlich seine Folgerungen aus seinen früher
mitgeteilten und seitdem erweiterten Grundversuchen über „gekreuzte Inner-
vation" und gibt Kurvenbilder, die die „Hemmung" der Antagonisten ver-
anschaulichen. Der Versuch gelingt in beiden Richtungen, d. h. es ist gleich,
welche Muskelgruppe als Agonist, welche als Antagonist betrachtet wird.
In allen Fällen handelt es sich um zentrale Hemmung. Verf. betrachtet
diese als einen „aktiven" Prozeß sui generis und hebt zur Begründung dieser
Ansicht hervor, daß die Erschlaffung plötzlich eintritt. Obschon willkürliche
Innervation antagonistischer Gruppen möglich ist, ist es Verf. nur in einem
Falle gelungen, durch Reizung im Gebiete der einen Gruppe Erregung in der
anderen hervorzurufen. Dieser Fall betrifft die Planta pedis, von der aus
man Kontraktion des Extensors auslösen kann. Nach Strychninvergiftung tritt
stets Erregung statt der „Hemmung" auf. Verf. gibt ein Schema der Nerven-
bahnen, die die reflektorische Erregung und „Hemmung" vermitteln sollen.
In einem Zusatz erörtert Verf. eine Reihe weiterer Versuche, zum Teil mit
Tetanustoxin, das ähnlich, aber langsamer wirkt wie Strychnin, zum Teil
andere Bewegungsformen betreffend, wie Offnen und Schließen der Kiefer.
Wameboldt (267) beschreibt die Befunde an 16 Präparaten vom
Fuß, betreffend Zusammenhang der Sehnen und Muskeln untereinander und
mit dem Bandapparat, vom rein anatomischen Standpunkt.
Krome (145) beschreibt die Befunde an 15 Präparaten von Unter-
arm und Hand, betreffend Zusammenhang der Sehnen und Muskeln unter-
einander und mit dem Bandapparat, von rein anatomischem Standpunkt aus.
Rüge (224 und 225) weist nach, wie gewisse Abnormitäten der Mus-
kulatur aus dem Hautmuskelsystem der Wirbeltiere abzuleiten sind.
Chaine (52) stellt eine phylogenetische Hypothese über die Inscrip-
tiones tendineae der Muskeln auf.
Mtiscat (190) erörtert im Anschluß an die Demonstration eines
Mannes, der sich auf Einzelinnervation bestimmter Muskeln, Muskelteile und
Muskelgruppen geübt hat, die Möglichkeiten willkürlicher Muskelinnervation.
Pere (76) konnte 18 Min., nachdem er am Ergographen 9,51 mk
Arbeit geleistet hatte, wieder 9,44 mk Arbeit verrichten. Führte er vorher
eine Anzahl Bewegungen mit irgend einer beliebigen Muskelgruppe aus, so
fiel der Wert der ersten Leistung größer, der der zweiten aber kleiner aus,
beispielsweise nach Bewegung des linken Daumens 8,75 mk und 9,33 mk.
Der Wert der Versuche soll darin bestehen, daß sie zeigen, daß nach einer
absolut höheren Anfangsleistung die Erholung mehr Zeit erfordert, als nach
einer niedrigeren Anfangsleistung.
Nach einer Einleitung, die historisch die französischen Arbeiten be-
rücksichtigt, erörtert Lamy (153) einige wundervoll plastische Photogramme
eines gehenden Mannes von hinten und weist daran die Beteiligung der
ßückenmuskeln nach. Sacro-lumbalis und Erector trunci kontrahieren sich
abwechselnd periodisch bei jedem Schritte, und zwar auf der Seite des
schwingenden Beines. Die Zusammenziehung beginnt in dem Augenblick,
wenn das Bein der Gegenseite den Boden berührt, und währt über die
ganze Schwingungsperiode. Zweck dieser Kontraktion ist offenbar die Er-
haltung des seitlichen Gleichgewichts.
Spezielle Physiologie der peripheriBchen Nerven und Muskeln. 253
dn Bois-Beymond (68)- bespricht die mechanischen Bedingungen
d» Springens des Menschen und zeigt, wie gering die wirkliche Hebung
des Schwerpunktes ist, und wie sich aus der Bahn des Schwerpunktes einige
Ergebnisse ableiten lassen, beispielsweise, daß die Geschwindigkeit der Be«
wegung beim Sprunge kleiner ist, als bei schnellstem Laufen.
B. Arbeiten aus dem Gebiete der Allgemeinen NerTenphysiologle.
1. Reizung und Erregung betreffend.
Kronecker (146) tadelt die Art, wie vielfach Reizversuche mit un-
zureichend bekannter Reizstärke ausgeführt werden, und empfiehlt die An-
wendung der Gülcherschen Thermosäule und graduierter luduktorien.
Danilewsky's (60) Versuche über Reizung des Nerven im elektrischen
Felde sind wegen der erforderlichen genauen Beschreibung der Versuchs-
bedinguDgen im Auszug nicht wiederzugeben.
Hoorweg (128) geht von älteren Versuchen über Nervenreizung
durch Konsendatorentladung aus und zeigt, daß deren Ergebnisse mit dem
du Bois-Reymondschen Erregungsgesetz unvereinbar sind« Hermanns
Versuchsreihe, die, nach Hermann, dessen Auffassung des Erregungs-
gesetzes bestätigen soll, sieht Verf. seinerseits als vollkommene Bestätigung
von des Verf. Anschauungen an.
Höber (126) geht von Bethes Angabe aus, daß im Nerven Er-
regbarkeitsunterschiede sich durch Unterschiede der Färbbarkeit erkennen
lassen, und prüft sie, indem mit verschiedenen Salzlösungen behandelte
Xerven auf ihre Erregbarkeit und ihre Färbbarkeit mit Toluidinblau unter-
sucht werden. Es zeigte sich, daß die Unterschiede der Erregbarkeit und
der Färbbarkeit tatsächlich gleich laufen.
Wertheimer (273) weist darauf hin, daß die Veröffentlichung
Popielskis, auf die angeblich Bargliss und Starling die Lehre von der
selbsttätigen Reaktion des Pankreas auf Säure zurückführen, im Gegenteil
die Mitwirkung von Nerven zu Grunde legt. Dagegen will der Verf. selbst
schon 1899 durch Exstirpation des Ganglion coeliacum die Unabhängigkeit
des Pankreas vom Nervensystem bewiesen haben.
Bomttau (28) gibt eine ganz kurze Übersicht über die neueren
Lehren auf dem Gebiete der Nervenphysiologie, in der Fibrillen- und
Xeuronenlehre, Erregung und Leitung, Ermüdung und Erstickung kurz be-
handelt werden.
Obersteiner (197) äußert sich in populärer Form über die Er-
nährung der Nerven, deren Erkrankung u. a. m.
Ladd (150) berichtet über einen von Cushing operierten Fall von
Facialisruptur durch Schußverletzung, der durch Annähen des in toto durch-
trennten Akzessoriusstammes an den peripherischen Facialisstumpf geheilt
worden ist, nachdem schon eine ausgebildete Gesichtslähmung bestand. An-
fifflglich war nur die Schulterbewegung von Gesichtsverzerrung begleitet,
allmählich wurde die normale Beherrschung der Gesichtsmuskulatur er-
worben. Verf. erörtert die Möglichkeiten zentraler ümschaltungsvorgänge.
Die Arbeit von Head (108, 109) bringt auf Grund umfassenden
Beobachtungsmaterials ganz neue Anschauungen über die Funktionen der
Hautnerven. Verf. weist auf die Widersprüche hin, die zwischen den ana-
tomischen Angaben über die Ausbreitung der Nerven und den klinischen
firfahningen über die Folgen von Nervenverletzung bestehen. Die Gebiete,
in denen bei ein und derselben Verletzung die verschiedeneu Gefühls-
11*
X64 Spezielle Physiologie der peripherischen Nerven und Muskehi.
qualitäten ausfallen, unterscheiden sich erheblich, und diese Unterschiede
ändern sich im Laufe der Wiederherstellung in typischer Weise. Verf. be-
schreibt diesen Vorgang für die Verletzung der einzelnen Arm- und Bein-
nerven, soweit die große Zahl von ihm beobachteter Fälle es zuläßt. Weitere
Kapitel behandeln im einzelnen die Ergebnisse, die mit den verschiedenen
Untersuch ungsmethoden: Prüfung des Temperatursinns, der Berührungs-,
Druck-, Schmerzempfindlichkeit usw. gewonnen wurden, ferner die Hyper-
algesie und die trophischen Polgen der Nervenverletzung, endlich die Be-
ziehungen zur elektrischen Reizung. Verf. geht dann zur theoretischen Dar-
stellung über, der ein Versuch mit Nervendurchschneidung an seinem eigenen
Arm zu Grunde liegt. Verf. unterscheidet mehrere verschiedene Punktions-
weisen der Nerven, die nach den Stadien der Heilung, in denen sie einzeln
auftreten, als ^^protopathische" und ,,epikritische" Sensibilität bezeichnet
werden. Die Gebiete, auf denen diese verschiedenen Zustände nachzuweisen
sind, lassen sich genau abgrenzen, stimmen nicht mit den anatomischen
Ausbreitungen und überragen zum Teil einander an den Grenzen. Es
lassen sich nach allen diesen Beobachtungen drei Arten Nervenfasern unter-
scheiden: 1. Die der tiefergelegenen Empfindungen und der Druckempfindung.
2. Die „protopathischen", die Schmerz und Temperaturschmerz vermitteln.
3. Die „epikritischen", die die Berührungsempfindlichkeit und das Tast-
vermögen vermitteln.
"Weiß (270) erörtert im Anschluß an die neueren Veröffentlichungen
den Plan, nach dem er seine Untersuchung über das Erregungsgesetz an-
gestellt hat, und kommt zu dem Ergebnis, daß seine Pormel sich aus der
Hoor wegsehen Pormel nicht ableiten läßt, und daß sie, wie alle Natur-
gesetze, nur eine Aunähening an den tatsächlichen Befund darstellt. JBHir
manche Pälle müßten Korrektionen eingeführt werden, für die Verf., nach
seiner Auffassung von den Eigentümlichkeiten des Erregungsvorganges,
Glieder mit steigenden Potenzen der Zeit vorschlagen möchte.
Lapicqne (158) bespricht aus Anlaß der Äußerung von Weiß die
Perm der Korrektionen der "Weiß sehen Pormel, die Verf. bei seinen Ver-
suchen nötig gefunden hat.
Lapicque (159) beweist, daß das Gesetz der Nervenerregung von
du Bois-ßeymond für kurzdauernde Beize nicht gilt. Nach diesem Ge-
setze müßte das Ansteigen des Stromes als Reiz wirken und ebenso das
Abfallen. Verf. zeigt aber, erstens, daß die Reizung unter diesen Umständen
wie bei einfacher nur au der Kathode auftritt, und daß es für den Erfolg
gleich ist, wenn man den Reizstrom überhaupt nicht abfallen, sondern konstant
fortbestehen läßt.
Lapicqne (160) faßt Hoorweg gegenüber seine Ansicht über das
Erregungsgesetz so zusammen, daß die zur Minimalerregung erforderliche
Elektrizitätsmenge für wachsende Reizdauer eine gegen die Abszisse konkave
Kurve darstellt, die sich für längere Reize einer Asymptote nähert, die der
linearen Gleichung von Weiß entspricht, während sie für kurze Reize von
der Graden im bezeichneten Sinne abweicht.
Clnzet (66) zeigt, daß die Reizung durch Kondensatorentladungen
mit minimaler Energiemenge für verschiedene Nerven Werte erzielt, die
nur von der Erregbarkeit des Nerven abhängen und durch die Zeitdauer
anzugeben sind. Verf. empfiehlt, diese Art der Prüfung zu elektro*
diagnostischen Zwecken anzuwenden.
Herr und Prau Lapioque (161) besprechen kritisch die Angaben
Cluzet's (56), der die Weiß sehe Pormel bei Kondensatorentladungen als
Spezielle Physiologie der peripherischen Nerven und Muskeln. 165
genau zutreffend bezeichnet hat, und erklären, daß die Versuche nicht hin«
reichend genau waren, um eine solche Behauptung zu rechtfertigen.
duset (56) verwahrt sich und seine Methoden gegen die Darstellung
TOD Herrn und Frau Lapicque.
Langelaan (154) wendet sich gegen den Versuch Wertheim -
Salomonsons, den Zusanunenhang zwischen Reiz und Effekt mit dem
Massenwirkungsgesetz von Guldberg und Waage in Beziehung zu bringen,
und weist femer einen Fehler in der Ableitung der Wertheim-Salomon-
SOQ sehen Formel nach.
Wertheim-Salomonson (272) weist die Einwendungen Lange-
la&Ds zurück.
Achelis (1) unternimmt, die Verhältnisse der Nervenreizung beim
lebenden Menschen durch eine tripolare Anordnung der Reizelektroden am
Froschpräparat nachzuahmen. Ferner wird am durchschnittenen und einige
Zeit der Degeneration überlassenen Nerv, wie an dem mit Kurare in ver-
schiedenem Grade behandelten Präparat vergeblich versucht, die Entartungs-
reaktion experimentell wiederzugeben. Dies gelingt beim ermüdeten Präparat.
Die nähere Erörterung der Versuche enthält Aufschlüsse über die Ent-
stehungsursachen der Entartungsreaktion.
Schenck (227) bespricht weitere Einzelheiten betreffend die methodi-
schen Eigentümlichkeiten der tripolareu Reizung.
Langley (156) kommt auf Grund von Versuchen mit verschiedenen
Mitteln, insbesondere Nikotin und Karare, zu der Anschauung, daß im
Huskel bestimmte Übergangsorgane zwischen Nerv und kontraktiler Substanz
eingeschaltet sind, auf die die betreffenden Gifte wirken.
2. Leitung und Elektrizität betreffend.
Hermann (119, 120) hält daran fest, daß die elektrischen Erschei-
nungen am Nerven ein wichtiger Faktor ihrer Organisation sind, und sucht
die physikalische Theorie der Nervenleitung zu begründen.
Sntlierland (252) stellt eine rein mechanische Hypothese der Nerven-
leitung auf, die sich unter dem Bilde der Torsion eines elastischen Stabes
Teranschaulichen läßt. Im allgemeinsten physikalischen Sinne sei diese Hypo-
these, da sie molekulare Verhältnisse betrifft, auch als elektrische zu be-
trachten, da alle Bewegung mit elektrischen Veränderungen einhergehe.
Carlson (38) findet, daß sich die Latenzzeit des Nervmuskel-
präparats durch Dehnung des Nerven nicht ändert, und schließt daraus, daß
der leitende Teil der Nervenfaser flüssig sein müsse.
Bühler (35) findet, daß Abkühlung bis zum Gefrieren die Leitfäliig-
keit des Froschnerven nicht beeinträchtigt, und daß nur der Gefrierungs-
Yorgang selbst sie zum Sinken bringt.
Nicolai (194) kommt auf seine Mitteilung über die Leituugsgeschwindig-
keit im Nerven zurück, um zunächst gegenüber Hermann die Richtigkeit
seines theoretischen Einwandes gegen die Bestimmung der Geschwindigkeit
ans der Differenz der Leitungszeiten festzuhalten. Verf. berichtet dann über
neue Versuche mit einer neuen Anordnung („Gabelmethode"), in denen eine
ganze Reihe neuer Ergebnisse gewonnen ist. Die Leitung ist in auf- und
absteigender Richtung gleichmäßig und gleich schnell. Die Ausbreitung des
Äeizes als solcher ist gleichförmig. Die 'Geschwindigkeit ist abhängig von
der Temperatur, unabhängig von Leistungsfähigkeit und Reizstärke. Die
Latenz ist für Induktionsschläge null, für den konstanten Strom beträgt sie
Xgg Spezielle Physiologie der peripherischen Nerven und Muskeln.
bis zn 1 Zwanzigstel Sekunde, die Leitungsgeschwindigkeit ist aber dann
größer als bei Reizung mit Induktionsschlägen.
Emanuel (72) untersucht die Wirkung von Ammoniak auf den Ner?
und findet, daß bei Warm- und Kaltblütern weder Reizung noch erhöhte
Erregbarkeit, sondern reizlose Abtötung eintritt.
Kohnstamm (141) bespricht die Annahme, daß in den sensibeln
Nerven, insbesondere den hinteren Wurzeln, trophische und yasomotorische
Erregungen in zentrifugaler Richtung laufen.
Kohnstamm (142) sucht den Nachweis zu bringen, daß in den
sensiblen und rezeptorischen Endneuronen außer der zentripetalen eine
zentrifugale Strömung fließt, die höchstwahrscheinlich im Zusammenhang
mit der Trophik und der Gefäßerweiterung des Hautorgans steht
(Bendix.)
Baether (216) prüft die Wirkung verschioden konzentrierter Lösungen
fünf verschiedener Alkohole auf den Nervus ischiadicus des Frosches als
sensibeln Nerv, ferner auf die Cornea, wobei Schließen des Auges als Reiz-
erfolg gilt, endlich auf die Haut des herabhängenden Beines und stellt die
Schwellenwerte der Konzentration fest. Die Giftigkeit steigt mit dem Koblen-
stoffgehalt, und zwar in sehr schneller Progression: Methyl;. = 1, Aethyl- == 3,
Propyl- = 30, Butyl- = 90, Amyl- Alkohol = 225. Ähnlich fielen die
Schwellungswerte fiir Schmeck- Versuche aus. Verf. schließt noch eine Ver-
suchsreihe über Amylalkohol in verschiedener Konzentration an, bei der sich
ergibt, daß die Reaktionszeit sich viel stärker ändert, als die Konzentration,
also ungefähr in geometrischer Progression, bei arithmetischer Progression
der Lösungsstärke.
Bornttau (27) hat Untersuchungen an verschiedenen Arten Nerven,
Mantelnerv der Kephalopoden, elektrischen Nerv vom Torpedo, Olfaktorius
vom Seeaal augestellt, de/en mannigfache Einzelergebnisse sich nicht in
Kürze aufzählen lassen.
Weiss (269) hat den Axialstrom am Nerven künstlich verändern
können, indem an einem Ende des Nerven indifferentes Gewebe angehäuft
wurde. Auch eine beliebige Flüssigkeitsmenge zeigt Ströme, wenn von zwei
Stellen mit verschiedener Querschnittsgröße abgeleitet wird. Verfasser sieht
deshalb die Ursache des Axialstromes in den Unterschieden der Quer-
schnitte im Gebiete indifferenter Gewebe.
Sosnowski (243) wendet sich gegen die Polarisationstheorie der
elektrotonischen Ströme auf Grund von Versuchen an Kernleitermodellen
ohne Elektrolyte aus trockener Kohle mit Metallkern. Ausführlichere Mit-
teilung soll folgen.
Qarten (94) setzt gegenüber Boruttau auseinander, wie er die Aus-
drücke physikalischer und physiologischer Elektrotouus verstanden wissen
will. Beide sind von Stromschleifenwirkung verschieden, der zweite unter-
scheidet sich vom ersten dadurch, daß er ein physiologisches, das heißt mit
Stofiwechselvorgängen verbundenes Phänomen ist.
Schnitz (229) setzt gegenüber Boruttau auseinander, daß der Streit
über Aktionsströme ohne Aktion darauf beruhe, daß unter Aktion ver-
schiedene Begriffe verstanden würden. Herzen und Radzikowski fassen
den Aktionsstrom als einen Nebenumstand auf, ohne den Aktion möglich
ist, Boruttau, Waller, Schultz sehen ihn als Ausdruck der Aktion selbst
an, ohne die er undenkbar ist.
In dieser dritten kürzeren Abhandlung bespricht Schtlltse (230) seine
morphologischen Resultate von physiologischem Gesichtspunkte aus. In
Übereinstimmung mit der Auffassung von A. Pick und E. Pflüger stellt sich
Spezielle Physiologie der peripherischen Xer^'en und Muskeln. 167
heraas, dafi bei dem fortBchreitenden Wachstum der schon sehr früh neuro-
fibrillär gebauten erregungsleitenden Materie — wenigstens in dem peri-
pheren Nervensystem — die fortwährende Wahrung der Kontinuität der
fiausteine, wir mögen sie nun Zellen, Energiden oder Organisationseinheiten
oennen, das herrschende Prinzip ist. Noch niemand hat das freiaus wachsende
£ode einer Nerrenfaser mit der erforderlichen EJarheit bewiesen (s. oben).
Soweit die Tatsache des multicellulären Aufbaues der peripheren Faser die
allgemeine Nervenphysiologie überhaupt berührt, tritt sie mit dieser nirgends
in Widerspruch. Im Gegenteil lassen sich eine Reihe von Tatsachen der
allgemeinen Nervenphysiologie auf Grund des multicellulären Aufbaues der
Faser nach der Ansicht des Verfassers noch besser verstehen, als wenn wir
die Faser fälschlich als einen Zellfortsatz auffassen. In dieser Beziehung
wird auf das Original verwiesen. (Aiäareferat.)
6. Arbeiten aus dem Gebiete der speziellen Merrenphyslologie.
Asher (7) erörtert die Möglichkeiten ^ den Antagonismus zwischen
hemmender und erregender Nerventätigkeit zu erklären, und kommt zu dem
Ergebnis, da nach Langley Yerheilung verschiedener Nerven möglich ist,
können die Nerven nicht selbst verschiedener Art sein, sondern es kann
nor der in ihnen ablaufende Vorgang oder die Angriffsstelle verschieden
sein. Verf. zeigt, daß der Depressor auf das vasomotorische Zentrum ent-
gegengesetzt wirkt wie Asphyxie, daß gleichzeitige Depressorreizung die
Wirkung der Asphyxie auf den Blutdruck aufhebt, und weist auf die Ana-
logie dieses Vorgangs mit gleichzeitiger Vagus- und Acceleransreizung hin.
Bessmertny (20) teilt unter ausführlicher Erörterung der in Betracht
konunenden Hypothesen und Versuchsbedingungen Ergebnisse über die Ein-
virbmg verschiedener Bedingungen auf die Wirksamkeit von Vagus- und
Acceleransreizung mit. Da der Grad der Wirksamkeit durch die Stärke
der angewendeten Reizung gemessen wird, bezeichnet Verfasser ihn kurzweg
als „Erregbarkeit^^ des Nerven und kommt dadurch in die Lage, anzugeben,
daB Adrenalininjektion die Erregbarkeit des Vagus aufhebe. Atropin-
vergifhing, die die Vaguswirkung verhindert, ändert die Acceleranswirkung
I nicht. Zwischen Atropin und Jodothyrin besteht Antagonismus, aber nur
I partieller. Adrenalin kann die Vaguswirkung aufheben und schwächt auch
die des Accelerans. Im ganzen sprechen die Versuche dafür, daß beide
Nerven, der Ludwigschen Hypothese entsprechend, an verschiedenen Stellen
eines peripherischen nervösen Apparates angreifen.
Fagano (199a) hat gefunden, daß bei Hunden, denen Blausäure-
lösnng in den Lendenwirbelkanal eingespritzt worden war, außer vorüber-
gehenden Lähmungszuständen, lokal begrenzter Haarausfall eintrat, den Verf.
als Beweis ansieht, daß eine trophische Nervenwirkung ausgefallen ist,
während die sensible und motorische Funktion restituiert wurde.
Okada (197a) teilt die Befunde an Nervenstämmen im Gebiet ex-
perimentell unterbundener Gefäße mit. Es trat partielle oder totale De-
generation ein, doch war Restitution leicht möglich.
Langley (155) trägt seine Anschauungen über den Bauplan des
Zentralnervensystems der Säugetiere vor.
Prestschistenskaja (210) hat am durchspülten suspendierten Frosch-
herz den Einfluß der Vaguswirkung bei hoher und niedriger Temperatur
j geprüft (die auch hier als „Erregbarkeit des Vagus" bezeichnet wird, Ref.).
I Erwämmng wie Abkühlung des Herzens setzt die Vaguswirkung herab,
]^58 Spezielle Physiologie der peripheriachen Nervea und Muskeln.
plötzliche Erwärmung des abgekühlten Herzens kann sie ganz aufheben.
Verf. verwirft auf Grund der Ergebnisse die Gas kell sehe Theorie der
Vaguswirkung.
Winterberg (274) hat bei Versuchen am absterbenden Schildkröten-
herz Fälle beobachtet, in denen auf Vagusreiz die Kammersystole fortfiel,
obschon der Vorhof schlug und erörtert die Bedingungen, unter denen auf
diese Weise die Reizleitung zwischen Vorhof und Ventrikel unterbrochen
wird. Nach Verf. ist weder für noch gegen die myogeue Theorie aus seinem
Befunde beweisendes Material zu schöpfen.
Kronecker (147) hat Versuche über Erregungsleitung im Herzen
mit Abquetschung und Durchschneidung der extrakardialen Nerven angestellt,
die nervöse Leitung nachweisen sollen. (Es sind in einigen der Versuche
Fehler nachgewiesen, vgl. Zentralbl. f. Physiol. XIX. S. 329. Ref.)
Beyne (22) gibt an, daß bei Fröschen und Schnecken das Herz mit
steigender Temperatur bis an eine gewisse Grenze schneller schlägt, bei der
Verlangsamung und Stillstand folgt. Die Dauer der Systole verhält sich
umgekehrt. Ihre Amplitude wächst von Null bei 0^ erst an, hält sich dann auf
gleicher Höhe und fällt mit weiter zunehmender Temperatur wieder ab.
Da das Schneckenherz von nervösen Elementen frei ist, müssen die Er-
scheinungen am Froschherz auf Grund der myogenen Theorie erklärt werden.
Benedict (16) sucht nachzuweisen, daß die Erregung rhythmischer
Herztätigkeit durch gewisse Salze auf die Wirkung der Aniouen zurück-
zuführen ist.
Carlson (39 — 44) hat umfassende Studien zur Lehre von der Automatie
des Herzens au Mollusken vorgenommen. Verf. bekämpft die myogene
Theorie und will auch in der Kammerspitze des Salamanderherzens mit
vitaler Methylenblau - Färbung Ganglienzellen nachgewiesen haben.
Hering (116) gibt zunächst an, daß Reizung des Accelerans die voll-
ständig ruhenden Vorhöfe zum automatischen Schlagen bringen kann, gleich-
viel ob die Tätigkeit des Herzens durch Gifte oder durch Absperrung der
Speisungsflüssigkeit hervorgerufen ist. Hieraus ist zu schließen, daß diese
Herzteile noch eine gewisse Reaktionsfähigkeit haben, obgleich sie die
Fähigkeit zur Reizbildung schon verloren hatten. Verf. erörtert weiter die
Art, wie der Accelerans wirkt und kommt aus Beobachtungen über die
Folge der Vorhof- und Ventrikelkontraktionen zu dem Schluß, daß durch
die Acceleransreizung die Ursprungsstelle des Herzreizes verlegt werden
kann, indem nämlich die Reizbildungsfähigkeit einer Stelle, die vorher nur
zugeleitete Reize empfing, soweit gesteigert wird, daß sie vielmehr selbst die
Reizbildung übernimmt.
Hering (113—115) zeigt ferner, daß der Vorhof durch Schnitt so
isoliert werden kann, daß er seine Erregung nicht auf die Kammer über-
trägt, daß aber eine kleine Muskelbrücke, die man stehen läßt, die Leitung
aufrecht erhält. Die solchergestalt vom Vorhof unabhängig gemachten
Kammern werden in dem Rhythmus, den sie automatisch einhalten, durch
Accelleransreizung beschleunigt.
Knliabko (149) hat gefunden, daß die an Kaltblüterherzen beobachteten
periodischen Tonusschwankungen auch an Warmblüterherzen unter gewissen
Bedingungen, insbesondere bei Veratrinvergiftung auftreten. Je nach der
Dosis wirkt Veratrin sehr verschieden. Starke Dosen (0,01 g) erzeugen
systolischen Stillstand mit fibrillären Kontraktionen. Bei schwächeren Gaben
ist der Stillstand kürzer, und die nachfolgende Tätigkeitssteigerung tritt mehr
hervor. Diese nimmt bei minimalen Dosen (0,1 ccm einprozentiger Lösung)
die Form von Delirium cordis an. Bei Wiederholung der Versuche ist der
Spezielle Physiologie der peripherischen Nerven und Muskeln. 169
Ablauf besser im einzelnen zu erkennen. Verf. erörtert die Ergebnisse vom
ffloskelphjäiologischen Standpunkt im Sinne der Bottazzischen Theorie.
Bhodius und Straub (218) haben die Einwirkung you Mascarin
aof das Froschherz untersucht und kamen zu dem Ergebnis, daß das Mittel
auf die Muskulatur selbst einwirkt. Ob die Verlangsamung auf unmittelbarer
Wirkung oder auf Vaguswirkung beruht, bleibt unentschieden. Bezüglich
zahlreicher Einzelangaben ist die Originalarbeit einzusehen.
Hatschek (106) hat bei Abkühlung und Erwärmung des Herzens
bald Steigerung, bald Abnahme der Vaguswirkung beobachtet. Bei gleich-
zeitiger Reizung des Accelerans bedarf es stärkerer Vagusreize um eine
hemmende Wirkung zu erhalten. Verf. bespricht die praktische Frage nach
der Wirkung der „Herzkühler^ und glaubt diese auf reflektorische Vorgänge
zurückführen zu dürfen.
Danilewsky (61) beschreibt eine Versuchsanordnung, bei der das
aberlebende Säugetierherz auf faradische Reizung wahren Tetanus zeigen soll.
Danilewsky (63) findet ferner, daß noch 24 Stunden nach dem Tode
die Hemmungswirkung in kühl aufbewahrten Warmblüterherzen nachgewiesen
werden kann.
Fenerbacll (79) bespricht im Anschluß an die Untersuchnng eines
im Momente der Kontraktion durchschosseneu Herzens die Lage und gegen-
seitige Bewegung der einzelnen Teile des Herzens, sowie die Funktionen
einzelner Muskelzüge der Herzwandung und stellt am Schlüsse seiner durch
sehr schöne Abbildungen anschaulich gemachten Auseinandersetzung 24 Sätze
auf, die sich namentlich auf die Muskelwirkung beim Verschluß der Kammern,
anf die Drehung des Herzens, die nach Verf. die Entleerung der Vorhöfe
begünstigt und zum Teil pathologische Einzelheiten der Herzbeweguug
bezieht. Die Kontraktion des Vorhofs soll beim Beginn der Kammersystole
noch andauern. Die krampfhafte Form der Hemisystolie soll durch einen
Krampf des Ringmuskels der Ostien bedingt sein, der die AtrioYentrikular-
grenze stranguliert. Auch die Theorie des Herzstromes wird besprochen.
Schenck (226) verwahrt sich gegen Einwände Wolfs gegen seine
Angaben über die Wirkung des Vagus bei der Selbststeuerung und kritisiert
die Auffassimg Boruttaus.
Alcock und Seemann (2) bestätigen den seinerzeit von Lewan-
dowsky ausgeführten Versuch, daß sich bei Aufblasung der Lungen eine
negative Schwankung im Nervenstrom des Vagus nachweisen läßt. Beim
Zusammenfallen der Lungen war sie nicht deutlich zu erkennen. Ferner
aber gelang es den Verff., auch bei ruhiger Atmung periodische Schwankungen
im Vagustrom zu zeigen.
Pflücker (203) hat das Verfahren, den Vagus durch Anelektrotonus
auszuschalten, ausgearbeitet und durch sorgfältige Versuche erprobt.
IsMIiara (130) hat die Tatsache, daß Vagusausschaltung unter
gewöhnlichen Bedingungen Inspirationsbewegung auslöst, dazu benutzt, um
diejenige Stellung des Atemapparats zu bestimmen, bei der weder expira-
torische noch iuspiratorische Selbststeuerungsreize im Vagus verlaufen. Die
Ausschaltung wurde an Kaninchen auf elektrischem Wege nach Pflücker
▼orgenommen und bei verschiedenen Graden künstlicher Aussaugung der
LuDgen so oft wiederholt, bis der Indifferenzpunkt aufgefunden war. Dieser
Punkt liegt bei etwas kleinerem Volum, als der gewöhnlichen Exspiration
entspricht. Schenck hatte schon gefunden, daß normalerweise nur die
cxspiratorische Erregung des Vagus vorkommt. In einer weiteren Versuchs-
reihe zeigt Verf., daß unter Umständen der neutrale Punkt auf ein etwas
größeres Lungenvolum fäUt.
i[70 Spezielle Physiologie der peripherischen Nerven und Muskeln.
Schulz (231, 232) hat den Blutdruck bei Fröschen gemessen und
dabei gefunden, daß im Oktober und November die Frösche auf Keize, ins-
besondere optische Reize mit sehr starker Blutdrucksenkung durch Vagus-
wirkung reagierten. Atropin hob die Reaktion auf.
Qarrelon und Langlois (92) haben eine Angabe Richets von
1888 nachgeprüft und festgestellt, daß bei Hunden, die mit Choral betäubt
und durch Erwärmen im Brutofen in Polypnoe gebracht waren, doppel-
seitiger Yagusschnitt ein augenblickliches Ansteigen der Atemfrequenz bis
auf daa Doppelte, in einem Falle Yon 160 auf 330, zur Folge hat.
Erlanger (74) hat den Vagus mit verschiedenen anderen Nerven
verheilt und Reizversuche angestellt, deren Ergebnis jedoch nur bei ein-
gehender Erörterung gewürdigt werden kann.
Mlslawsky und Bystrenine (185) haben die Wirkung von Wärme-
reiz auf die vasodilatatorische Fasern führenden Nervenstämme an ver-
schiedenen Punkten, insbesondere an der Zunge, nachgewiesen. Vasodilata-
torische Fasern für die hintere Extremität finden sich nicht im Sympathikus,
sondern in dem V. — VII. Lendennerven.
Chanoz (53) findet, daß die Froschhaut bei Behandlung mit ver-
dünnten Säuren in ihrer elektromotorischen Wirksamkeit ähnlich beeinflußt
wird, wie durch Nervenreizung. Wegen weiterer Einzelangaben ist das
Original einzusehen.
Billard und Bellet (25) haben bei Kaninchen den Einfluß der
Nervendehnung auf das Knochenwachstum geprüft und finden, daß die
Knochen des Hinterbeines einige Wochen nach der Dehnung des Ischiadikos
an Länge und an Gewicht die der nichtoperierten Seite übertreffen. Ursache
soll ein vasomotorischer Reflex sein.
Billard und Bellet (24) haben ferner den Ischiadikus bei Kaninchen
durch Betupfen mit Alkohol oder Umbinden eines Haares chronisch gereizt,
und finden, daß nach einigen Wochen die Knochen der operierten Seite die
der andern an Länge und Gewicht übertrefiien. Eine Erklärung wagen Verft
nicht zu geben.
Billard, Bellet und Maltet (26) fanden die Knochen des Hinter-
beins beim Kaninchen an derjenigen Seite schwerer, an der der Ischiadikus
durchschnitten oder gedehnt worden war. Wäguugen nach Trocknung und
Veraschung beweisen, daß es sich um eine Lähmungskongestion gehandelt
haben muß.
Friedenthal (85) gibt nur einen Überblick über seine in dem Arch.
d. Sc. biol. de St. Feterbourg mitgeteilten Operationsmethoden: Entfernung
eines unteren Abschnittes des Rückenmarks, indem die Wirbelsäule an zwei
Stellen eröffnet und der ganze unterhalb der oberen Öffnung gelegene
Teil durch das untere Loch herausgezogen wird, Teilung der Harnblase,
sodaß das Sekret jeder Niere in einer getrennten Blasenhälfte gesammelt
oder durch Bauchkanäle entleert werden kann, Anlegung einer Lymphfistel
mit Zuhilfenahme der Vena jugularis als Ausführungsgang.
Auf Grund seiner Versuche glaubt De Marchis (179) bestreiten zu
müssen, daß der cervikale Anteil des Sympathikus die vasomotorische Inner-
vation für das Gehirn besorgt. Der Widerspruch mit den Versuchen
Cavazzanis, der nach Unterbindung beider Carotiden und Durchschneidung
der Sympathici die Tiere unter dem Symptomenbild der Gehimanämie zu
zu Grunde gehen sah, erklärt sich dahin, daß die Blutgefäße der Ohren der
Tiere sich im Übermaß mit Blut füllten, und daß auf diese Weise indirekt
eine Gehirnanämie hervorgerufen wurde. Entfernt man den Kaninchen, bevor
man Oarotidenunterbindung und Sympathikusdurchschneidung vornimmt, beide
Spezielle Physiologie der peripherischen Nerven und Muskeln. 171
Ohrlöffel und wartet die Heilung ab, so bleibt nachfolgende Carotisunter-
biodaDg und Nervendurchschneidung ohne jeden sichtlichen Einfluß auf die
Blutzirkulation im Gehirne. (Merzbacher.)
Cavazzani (47) behält sich in einer Erwiderung auf vorstehende Ar-
beit vor, selbst experimentell die Beweiskraft obiger Versuche nachzuprüfen,
gegen die er einige — freilich nicht allzu stichhaltige — Einwände vorläufig
erhebt. (Merzbacher.)
Spratling und Park (244) haben trotz der von ihnen angegebenen
änBerst ungünstigen Statistik an drei Epileptikern den Sympathikus beider-
seits durchschnitten. Über den Heilerfolg wird nicht berichtet. Die Ergeb-
nisse des histologischen Befundes an den Nerven werden als zweifelhaft
Mngestellt, da die Methoden der Präparation unzureichend seien.
Lodato (172) hat den Halssympathikus oder das Ganglion cervicale
snperins durch Betupfen mit Essigsäure, Terpentin, Crotonöl oder durch
einen hindurchgezogenen Faden in chronischen Reizzustand versetzt und
findet, daß die Filtrationsmenge im Leb ersehen Apparat dadurch vermindert
wird, die Spannung des Bulbus erhöht, die Pupille erweitert. Die Ergeb-
nisse waren in Bezug auf Intensität und Dauer inkonstant.
Langley und Magnns (157) haben die Angabe von Bagliss und
Starling nachgeprüft, daß der peristaltischen Kontraktion des Darms Er-
schlaffung vorausgeht, und haben sie bestätigt. Nervendurchschneidung im
(rebiet des Sympathikus hat keinen Einfluß.
Henderson und Loewi (Hl) haben den schon von Loewi an der
Niere ausgeführten Versuch auch an der Speicheldrüse angestellt, die Durch-
blutung des in Gips fest eingeschlossenen Organs durch Nervenreizung zu
beeinflussen. Da die Eingipsung auf die Wirkung der Vasodilatatoren gar
keinen Einfluß hat, schließen Verfasser, daß eine Erweiterung des Gefäß-
Inmens ohne Vergrößerung des Gesamtquerschnittes möglich sein müsse.
Im Anschluß an Friedländers Arbeit; Vagus und Peritonitis, be-
richtet Strehl (250) nach ausführlicher Erörterung dieser Arbeit sowie der
übrigen Literatur über Versuche an Kaninchen und Katzen, bei denen ex-
perimentell Peritonitis hervorgerufen war, über den Einfluß der Vago-
tomie und der Exstirpation des Ganglion coeliacum auf Temperatur und
Pulszahl, ohne indessen Friedländers Angaben bestätigen, oder selbst
positive Ergebnisse aufstellen zu können. Abbindung des Netzes, die
nach Friedländer stets tödliche Entzündung zur Folge hat, ist nach Verf.
unschädlich. Aufklärung über den Zusammenhang der peritonitischen Symp-
tome „kann man erst erwarten, wenn man sich über die Sensibilitätsverhält-
nisse der Bauchhöhle völlig im klaren ist^^
Della Vedova (264) verteidigt seine Angaben gegen Einwendungen
?on Donati.
Bainbridge und Dale (9) berichten über verschiedene Versuchs-
reihen, betreffend die Innervation der Gallenblase. Unter den Ergebnissen
ist hervorzuheben, daß durch Reizung der sympathischen Nerven Erschlaffung,
dnrch Reizung des Vagus Kontraktion hervorgerufen wurde. Reflektorische
Erregung vom Darm aus ließ sich nicht nachweisen.
Freese (82) hat bei Hunden in Morphium- Athernarkose in den Gallen-
gang eine Kanüle eingeführt, die durch Bleirohr mit einem Wassermano-
meter voll Ringer scher Lösung verbunden wurde. Auf das Wasser wurde
ein in sinnreicher Weise aus Galatinekapseln verfertigter Schwimmer gesetzt,
nnd der erreichte Druck in Kurvenform geschrieben. Bei direkter elektrischer
Heizung oder bei Reizung der Splanchnici und der Rückenmarksnerven stieg
das Manometer um 10 — 20 mm bei einem vorhandenen Druck von bis zu
X72 Spezielle Physiologie der peripherischen Nerven and Muskeln.
300 min. Über die Menge der in der Blase vorhandenen Flüssigkeit wird
nichts angegeben. Der Splanchnikus enthielt dilatatorische Fasern, die ans
dem 6. — 3. Brustnerven stammen.
Nagel (191) zeigt, daß der Samenleiter des Kaninchens ein geeignetes
Präparat darstellt, um Zuckung glatter Muskulatur zu untersuchen. Es findet
keine wahrnehmbare Peristaltik, sondern nur starke Längskontraktion statt,
die nach der Mündung zuläuft.
Cavalie (45) hat seine Untersuchungen über die Nerven des elek-
trischen Organs von Torpedo fortgesetzt und hat gefunden, daß die von
ihm beschriebenen Fibrillen der Faserscheiden sich auch in der ventralen
Schicht jedes Organelements vorfinden und sich zum Teil in die mittlere
Schicht fortsetzen; ob aber ein Zusammenhang zwischen den Fibrillen des
Organs und denen der Scheiden besteht, war nicht zu erkennen.
Biedermann (23) hat den Mechanismus der Bewegungen des
Schneckenfußes untersucht und gefunden, daß er auf einer Art Peristaltik
der Muskulatur beruht, deren Ablauf von der Integrität des Nervensystems
abhängt. Als Zentralorgan fungiert das Pedalganglion. Das peripherische
Gangliennetz dient nur der Koordination. Vom Pedalganglion getrennte
Muskelabschnitte geraten in maximale Kontraktion.
Brücke (33) geht auf Grund seiner Versuche an Aplysia auf die
neueren Theorien der Muskelrhjthmik, Peristaltik u. s. f. ein.
Jordan (134) erörtert auf Grund einer umfassenden Untersuchung
des Nervensystems der Schnecken die Lehre von der Hemmung und vom
Tonus. Die Ausführungen des Verfassers greifen auf zu viel verschiedene
Gebiete über, als daß sie in Kürze wiedergegeben werden könnten. Ver-
fasser betont zum Schluß, daß seine Arbeit gegen die Anschauung gerichtet
sei, als wären die nervösen Centra nur Kreuzungspunkte von Leitungsbahnen.
D. Arbeiten aus dem Gebiete der Sinnesphysiologie.
1. Geschmacksinn.
Stembei^g (247) verfolgt durch eine große Zahl von Verbindungs-
gruppen die Beziehung der Konstitution zu der Wirkung auf das Geschmacks-
organ, indem er eine Reihe von irrtümlichen Angaben namentlich über süß
schmeckende Verbindungen widerlegt.
Zwaardemaker (280) untersucht, ob die auf der Geruchsschleim-
haut vorkommenden „Schmeckbecher" eine echte Geschmacksempfindung
beim Riechen vermitteln können. Nach vergeblichen Versuchen kam Verf.
auf eine Anordnung, die gestattete, intermittierende Luftströme durch die
Nasenhöhle zu blasen. Gleichzeitig wird phoniert, um den Abschluß der
Mundhöhle zu sichern. Dabei tritt, wenn der Luft Chloroformdampf bei-
gemengt ist, süßer Geschmack ein und zwar bei einer Reizschwelle, die
zweimal höher ist als die der Geruchsempfindung, während beim gewöhn-
lichen Riechakt die beigemischte Schmeckempfindung dreieinhalbmal höher
liegt als die Riechschwelle. Verf. sieht in diesen Ergebnissen einen Beweis,
daß tatsächlich mit der Geruchsschleimhaut geschmeckt werden kann.
Nagel (192) erhebt gegen die Anschauung Zwaardemakers Ein-
spnich, da die angeblichen Geschmacksknospen der Schleimhaut als solche
nicht mehr angesehen würden. Eher wäre anzunehmen, daß die Geschmacks-
empfindung von der oberen ' Fläche des Gaumensegels ausgelöst werde.
Übrigens sei das ^Schmecken" von Chloroform beim Riechen durchaus
nicht allgemein. Verf. teilt weiter einen einfachen Versuch mit, der deu
Spezielle Physiologie der peripherischen Nerven und Muskeln. 173
Verschluß des Gaumensegels bei Phonieren beweist und dessen Stärke zu
messen gestattet. Beim I ist der Verschluß am stärksten, bei A verträgt
er 10—15 cm Wasserdruck von der Nasenhöhle aus.
2. Gehörsinn.
Qnix (212) hat durch neue Versuche mit anderer Methode seine
früheren Befunde bestätigt und erhält sie Wien gegenüber aufrecht.
Quix und Minkema (213) ziehen aus ihren Versuchen über die
Empfindlichkeit des Ohres folgende Schlüsse:
Die Empfindlichkeit steigt rasch mit der Tonänderuug von C — g*,
bleibt dann bis g^ nahezu gleich und fällt dann rasch ab. Das Maximum
der Empfindlichkeit liegt bei g* und hat einen Energiewert von Imal 10—®
bis Imal 10"^^ Erg.
Marage (177) gibt das Energieminimum an^ bei dem das Ohr die
einzelnen Vokale in verschiedener Tonhöhe vernehmen kann. Die Höhen
sind für die verschiedenen Vokale beträchtlich verschieden.
Bard (12) führt einen Vergleich zwischen der Wahrnehmung körper-
licher Formen durch das Auge und der Wahrnehmung der akustischen
Eigeuschaften tönender Körper durch das Ohr aus. Die Form der Mund-
höhle verändert den Klang der im Kehlkopf gebildeten Töne, das Ohr ver-
mag also die Form der Mundhöhle aufzufassen. Verfasser erörtert weit-
laaftig, aber ohne physikalische Analyse die Art und Weise, in der die Ver-
änderung der Schalleitung durch die Luft zustande kommen könne, so daß
sie sich auf das aufnehmende Trommelfell überträgt, und sucht durch eine
Schilderung der Kette der Gehörknöchelchen zu zeigen, daß die Über-
tragung von TrommelfeUschwingungen unendlich feiner Modifikationen fähig
ist. Man braucht nur anzunehmen, daß das Cortische Organ auch alle
diese feinen Modifikationen aufzufassen und in verschiedene Arten der
Reizung zu übersetzen vermag, so ist die Wahrnehmung der Formen durch
das Ohr erklärt. Für Geräusche verschiedener Herkunft besteht in gewissen
Grenzen auch eine „Akkommodation" durch verschiedene Spannung des
Trommelfells.
Bard (11) stellt eine Theorie der Schallbewegung der Luft auf, nach
der die Bewegung der einzelnen Teilchen von der Kichtung der Schall-
quelle abhängig ist und daher auch auf ein Aufnahmeorgan je nach der
Richtung der Schallquelle vers^ieden wirken kann. Verf. nimmt an, daß
die seitlichen Komponenten der Bewegung, die bei verschiedenem Einfalls-
winkel der Schallwellen in den Gehörgang entstehen, auf den gesamten
Schalleitungsapparat des Ohres übergehen und die Gnindlage für die
Schätzung der Kichtung des Schalles bilden, die bekanntlich ziemlich
sicher ist.
Passow (202) gibt eine Übersicht über die Bestrebungen, die klini-
schen Beobachtungen über Ausfallserscheinungen nach Verlust des Ohr-
labyrinthes mit den physiologischen Hypothesen zu vereinigen, und fühii;
dann 6 von ihm selbst untersuchte Fälle an, deren Symptome, insbesondere
beireffend Nystagmus, Schwindelgefühl und Gleichgewichtsstörungen, unter-
einander und mit den früheren Beobachtungen im Gegensatz stehen. Bei
einseitigem Defekt sind Ausfallserscheinungen überhaupt nicht mit Bestimmt-
heit nachzuweisen, auch bei doppelseitigem müssen sie gesucht w^erden und
bestehen eigentlich nur im Fehlen der beim Normalen nach Drehen auf-
tretenden Störungen. Demnach darf man den Bogengangapparat nicht als
ein den übrigen Sinnesorganen gleichwertiges Organ betrachten.
174 Spezielle Physiologie der peripherischen Nerven und Muskeln.
Eretschmann (144) beschreibt zunächst eine Reihe von Versuchen
über Verstärkung von Stimmgabeltönen durch Mitschwingen anderer fester
Körper und geht dann zum Mitschwingen von Resonator-ähnlichen Hohl-
körpern über. Die Paukenhöhle soll einen derartigen Resonator darstellen.
Die Gliederung verhindert die Entstehung von Eigentönen. Weitere Ver-
suche an Modellen ergeben, daß durch Membranen verschlossene Resona-
toren eine erhebliche Verstärkung des Tones hervorrufen, wenn die Mem-
branen geeignete Spannung haben. Die Kette der Gehörknöchelchen, die
Verf. mit dem Stimmstock in der Geige vergleicht, hat zugleich die Auf-
gabe, die Spannung der Membranen zu regulieren. Der Einfluß dieser Re-
gulierung wird durch weitere Versuche an Modellen bestätigt.
Zwaardemaker (279) stellt auf Grund von Untersuchungen an
Modellen und am Gehörorgan selbst die Hypothese auf, daß nicht die Schall-
schwingungen, wie bisher angenommen, sondern der daraus resultierende
Schalldruck das Wesentliche für das Zustandekommen der Gehörserregung sei
Aus Zwaardemaker's (281) Versuchen mit Stimmgabeln ergibt
sich, daß das Web ersehe Gesetz für mittelstarke und schwache Töne nicht
streng gilt. Die- Unterschiedsschwelle für Töne ist am niedrigsten etwa bei
c*, und nimmt nach beiden Seiten der Skala annähernd gleichförmig zu.
Zwaardemaker (282) berichtet über Versuche von Quix und Min-
kama (s. d.) über die Empfindlichkeit des Ohres, die im Freien mit Orgel-
pfeifen gemacht wurden. Das Ergebnis stimmt mit den früheren Angaben
der Verff. gut überein und steht im Gegensatz zu den Angaben von Wien.
Stenger (246) führt eine Reihe von fremden und eigenen Beobachtungen
an, aus denen hervorgeht, daß gleichzeitige verschiedene Töne von beiden
Ohren getrennt wahrgenommen werden, daß aber gleiche Töne zweier vor
beiden Ohren befindlichen Schallquellen unter Umständen vereinigt als ein
Schall wirken. Hält man zwei gleiche Stimmgabeln in verschiedener Ent-
fernung vor beide Ohren, so wird nur die nähere gehört. Dieser Versuch
ist ein sicheres Mittel, die Hörfähigkeit des einzelnen Ohres nachzuweisen,
denn wenn ein Ohr nicht hört, kann die davor gehaltene Stimmgabel die
Wahrnehmung der andern nicht verändern. Aus demselben Versuch erklärt
Verf. auch den Web ersehen Versuch.
Bei der Prüfung der Funktion der semizirkulären Kanäle benützte Mari-
kovszky (180) als Versuchstiere Tauben, Raben, Krähen und Kaninchen.
In folgendem seien bloß jene Erfahrungen erwähnt, welche sich nach halb-
oder doppelseitiger totaler Labyrinthzerstörung ergaben. Bei den V^ögeln
wurde die Zerstörung nach der Ew aidschen Methode durchgeführt, doch
wurde nach Entfernung des senkrechten und horizontalen Bogenganges der
vordere angebohrt und daraus der häutige Kanal mit einer Donaldson sehen
Nadel extrahiert. Bei Tauben wurde nach der Entfernung des Labyrinthes
Ewalds Plombierungsverfahren wiederholt. Bei Kaninchen hat Verf. im
Sinne der klassischen Högy es sehen Methode das Dach des Vestibulum er-
öffnet und die Weichteile mit einer konzentrierten Säure oder galvanokaustich
zerstört. Bei Tauben mit vollständig entferntem linken Labyrinthe konnte
Verf. folgende Erscheinungen beobachten: 1. Vom 3. bis zum 14. Tage
nach der Operation war der Kopf des Tieres derart verdreht, daß die Schädel-
decke nach unten, das rechte Auge nach vorne und das linke nach rück-
wärts gedreht blieb. 2. Dreht man das Tier um seine senkrechte Achse nach
rechts, so wird der Kopf erst nach Aufhören dieser Bewegung nach rechts
und links geschwungen. 3. Während des Gehens neigt das Tier zum Fallen
nach links, infolge Einknicken des schwächeren linken Beines. 4. Linka
operierte Tauben machen während des Gehens oft eine ganze Wendung nach
Spezielle Physiologie der peripherischezi Nerven und Muskeln. 175
linls, da mit dem rechten Beiue zu große Schritte unternommen werden.
5. Beim Stehen auf einem Beine wird meist das stärkere rechte benützt.
6. Wird hierzu ausnahmsweise das linke schwächere benützt, dann knickt
daraelbe ein. 7. Wird der Kopf der Taube mit einer Kappe bedeckt, so
trachtet sie stet-s auf dem rechten Beine stehend, mit dem linken die Kappe
abzustreifen. 8. Angehängtes Gewicht wird mit dem rechten Beine stets
höher gehoben. 9. Auf einen Finger gesetzt, krallt sie sich mit dem rechten
BeiDe fester an. 10. Bei den Beinen aufgehängt, kann die Taube nicht
fliegen. Infolge des stärkeren Flügelschlages rechts, dreht sich das Tier
stehts nach links. 11. Die links operierte Taube vollführt noch nach Wochen
Zwangsbewegungen, überschlägt und wälzt sich, usw. Diese Zwangsbewegungen
werden mit der Zeit wohl milder, doch treten sie nach jeder Reizung von
neuem auf. -
Bei Kaninchen, welchen das linke Labyrinth zerstört oder entfernt
wurde, konnte Verf. folgendes beobachten: 1. Unmittelbar nach Entfernung
des 1. Labyrinthes dreht sich der Kopf um die senkrechte und horizontale
Achse nach links. 2. Beide vordere Extremitäten werden nach rechts gestreckt.
3. Freigelassen, wälzt sich das Tier nach links. 4. Es entsteht eine Ver-
krümmung der Wirbelsäule, dadurch, daß die rechtsseitigen Muskel stärker
kontrahiert, die linken schlaff sind. 5. Wird das links operierte Tier nach
rechts gedreht, so entsteht erst nach Aufhören dieser Bewegung ein Kopf-
nystagmus, doch besteht dieser bei Drehung nach links bereits während der
Bewegung.
Bei Tauben mit beiderseits entferntem oder zerstörtem Labyrinthe er-
gaben sich folgende Erscheinungen: 1. Unregelmäßige Bewegungen des Kopfes
um irgend eine Achse. 2. Wird das Tier gedreht, so erfolgen keine oder kaum
merkbare kompensatorische Kopfbewegungen (Kopfnystagmus). 3. Der Kopf-
nystagmus zeigt sich gar nicht, wenn die Sehfähigkeit des Tieres durch eine
Kappe aufgehoben wird. 4. Selbst aus voller Schale kann das Tier nur
mit Mühe einzelne Kömer nehmen. 5. Wird das Tier geschwungen, schwebt
der Kopf kraftlos mit. 6. Infolge Einknickens der Beine ist der Gang der
Tiere unsicher. 7. Das Tier vermag nicht gerade zu gehen, macht mit
einem oder dem anderen Beine zu große Schritte; diese Unsicherheit ist
umso stärker, je unruhiger das Tier, und zeigte sich bei zwei Tauben selbst
37, resp. 40 Monate nach der Operation. 8. Auf einen Stab gesetzt, kann
sich die Taube nur mit Mühe darauf erhalten. 9. Aus der Rückenlage erfolgt
das Aufstehen mit besonderer Mühe. 10. Unregelmäßige Zwangsbewegungen um
eine Achse des Körpers, auch noch längere Zeit nach erfolgter Operation.
11. Ausruhen nach diesen Zwangsbewegungen in den unbequemsten Situationen.
12. Wird das Tier bei den Beinen aufgehängt, hängen beide Flügel kraftlos
hinab. 13. Im Anfange vermag die Taube nicht zu fliegen, erlernt dies
jedoch später in mangelhafter Weise; (hierin unterscheiden sich M.'s Er-
fahrungen von jenen Flourens). 14. Bei Fluchtversuchen nähert sich das
Eer dem Verfolger statt sich zu entfernen.
Bei Kaninchen mit doppelseitig zerstörtem oder entferntem Labyrinthe
ergab sich: 1. Wird das Tier freigelassen, bleibt der Kopf zwar in der
Mittellinie, liegt jedoch schlaff und kraftlos auf der Unterlage. 2. Bei
beliebigen Drehbewegungen zeigt der Kopf keinen Kopfnystagmus oder nach-
traghchen Kopfnystagmus, sondern folgt bloB den Gravitätsgesetzen. 3.
Die Extremitäten bleiben ebenfalls in der Mittellinie, jedoch kraft- und wider-
standslos. 4. Die gesamte Muskulatur ist schlaff. 5. Das Tier ist unfähig
zu stehen, da sämtliche Extremitäten einknicken. 6. Das Tier kann keine
176 Spezielle Physiologie der peripherischen Nerven und Muskeln.
Schlingbewegungen machen und muß mit der Sonde oder per rectum er-
nährt werden.
Auf Grund seiner Erfahrungen und der Literaturangaben weist Verf.
nach, daß zwischen Labyrinth und Muskulatur ein Zusammenhang besteht,
und detailliert diesen folgenderweise: Das linke Labyrinth steht in Verbindung
mit den rechtsdrehenden Muskeln des Halses, und umgekehrt; hier besteht
demnach eine gekreuzte Verbindung. Beim Kaninchen steht das linke
Labyrinth in Verbindung mit den Adduktoren der rechten und den Abduk-
toren der linken vorderen Extremität und umgekehrt. Abduktoren, Extensoren
und Pronatoren der vorderen Extremität stehen mit dem homolateralen,
Adduktoren, Flexoren und Supinatoren stehen mit dem heterolateralen
Labyrinthe in Verbindung. Muskulatur des Rumpfes, resp. der Wirbelsäule
ist mit dem homolateralen Labyrinthe in Verbindung. Bei der Taube steht
das linke Labyrinth in Verbindung mit den Muskehi der rechten Halsseite.
Bei der Taube steht das linke Labyrinth in Verbindung mit der reflexhemmenden
Einrichtung des rechten und mit der Muskulatur des linken Beines. Analog
ist die bewegende und hemmende Verbindung der Flügel. Die Schweifmuskulatur
ist in Verbindung mit dem homolateralen Labyrinthe. Bezüglich der hinteren
Extremitäten des Kaninchens läßt Verf. die Frage der Verbindung oflPen.
— Es ist somit nachgewiesen, daß beide Labyrinthe die Reflexin nervatiou
der Muskeln beider Körperhälften regulieren.
Schließlich hat Verf. noch das Verhalten der operierten Tiere gegen-
über dem induzierten Strome geprüft. Bei operierten Tauben und Kaninchen
war die Erregbarkeit der Extremitäten gegenüber dem induzierten Strome
bedeutend herabgesetzt; war das Tier bloß kokainisiert, so war die Erregbar-
keit nach Schwinden der Kokain Wirkung wieder normal; erfolgte die Operation
bloß durch Plombierung, so erlitt die Erregbarkeit keine nennenswerte Verände-
rung. Bei halbseitig operierten Tauben und Kaninchen war die Erregbarkeit der
heterolateralen Extremitäten (bei Hasen auch des heterolateralen Ohres)
herabgesetzt. — Dies beweist, daß die Labyrinthe auch mit der reflektorischen
Erregbarkeit der anderen Körperhälfte in Verbindung stehen.
Nachdem Schiff ähnliche Resultate mit der einseitigen Durchschneidung
der sensiblen Wurzeln erzielt hat, glaubt Verf. folgern zu können, daß die
von ihm erwähnte Reflex-hemmende Einrichtung bei halbseitig operierten Tieren
mit der Funktion der sensiblen Bahnen zusammenfällt. Wenn eine links
operierte Taube mit dem rechten Beine zu große Schritte unternimmt, so
beweist dies, daß die sensiblen Bahnen dieser Extremität gelitten haben;
die gleichzeitig bestehende Schwäche des rechten Beines spricht für eine
motorische Schädigung desselben. (Hudwernig )
Terkes (277) untersucht den Gehörsinn des Frosches, als eines Tieres,
das zwischen den Fischen, deren Hören bezweifelt wird, und den Säugern
in der Mitte steht. Das Trommelfell ist bei den männlichen Fröschen um
ein Drittel breiter als bei den weibUchen. Am freilebenden Frosch kann
man mit Sicherheit beobachten, daß Schall wahrgenommen wird, obgleich
Reaktionen meist erst eintreten, wenn optische oder taktile Reize hinzu-
kommen. Daher wendet Verf. bei seinen Versuchen die Schallreize nur in
Verbindung mit einem stets genau gleich gehaltenen mechanischen R^iz an.
Die reflektorische Hebung des freihängenden Hinterfußes bei Berührung des
Rückens ist höher, wenn in weniger als 0,35 Sekunden Zeitabstaud vorher
ein Schallreiz, fallender Hammer oder Läutewerk, eingewirkt hat. Ist der
Zeitabstand größer, so ist die Reaktion gegen die Norm abgeschwächt, über-
steigt er 1 Sekunde, so ist der Schallreiz unwirksam. Es wurden auch Ver-
Spezielle Physiologie der peripherischen Nerven und Muskeln. 177
Sache unter Wasser und bei zerstörtem Trommelfell mit positivem Erfolge
ausgeffihrt
Yerkes (278) hat die Reaktion an Fröschen auf Berührung bei gleich-
zeitiger Einwirkung an Schallreizen geprüft und findet sie am stärksten bei
genau gleichzeitigem Reiz, am schwächsten, wenn der Schallreiz von etwa
7, Sekunde zu früh kommt, 0,9 Sekunden zu früh ist der Schallreiz
wirkungslos. Die Verstärkung ist deutlicher bei männlichen Fröschen. Verf.
deutet und bezeichnet seine Ergebnisse als Erscheinungen der Bahnung und
Hemmung.
Badl (214:) deutet auf Grund seiner Beobachtungen die Chordonotal-
organe der Insekten. Das Gehör der Insekten scheint aus Sinnesorganen
henorgegangen, die dem Muskelsinn dienten.
3. Gesichtssinn.
Bach und Meyer (8) fußen auf früheren Versuchen, in denen
BeizuDg des Trigeminus ^hinter dem Ganglion Gasseri beim Kaninchen auch
nach Abtrennung der Medulla oblongata vom Gehirn" Verengerung der
gleichseitigen Pupille hervorruft. Nach Einspritzung von Nikotin in die
Jügnlaris reizten Verf. nun mechanisch „die lateralen Partien der Medulla
oblongata und den Trigeminus" und erhielten stets Pupillenverengerung, aus-
genommen, wenn die Nikotinvergiftung so stark war, daß der Trigeminus
unerregbar geworden war, oder wenn zugleich Eserinmiosis bestand, die nicht
mehr verstärkt werden konnte. Verf. schließen, daß die Trigeminusreizung
nicht durch Vermittlung des Ganglion ciliare wirkt, sondern daß der Trige-
minus motorische Fasern für den Sphincter pupillae enthält.
Anderson (3, 4) fand, daß nach Durchschneidung des Okulomotorius
oder Exstirpation des Ganglion ciliare einer Seite, bei Asphyxie die be-
treffende Pupille enger wird als die andere. Sind nur einige Ciliarnerven
durchschnitten, so ist die betreffende Stelle der Pupille verengt. Dies ist die
paradoxe Verengung, die, wie Verfassers Untersuchung lehrt, auf erhöhter
Erregbarkeit der betreffenden Sphinkterfasern beruht. Vom Ganglion ciliare
Msgehende Reize sind nicht nachzuweisen. Im 3. — 6. Spinalnerv tritt nach
Exstirpation des Ganglion ciliare keine Degeneration ein. Nach Exstirpation
des Ganglion ciliare bleibt die Hornhaut normal.
Roch (221) gibt eine Reihe geschichtlicher Daten, aus denen hervor-
ff^ht, daß ursprünglich die Zusammenziehung der Iris durch Zunahme der
Blutfällung erklärt worden ist. Auch nach der Entdeckung des Sphinkter
haben viele Forscher den Einfluß der Blutfülle nachgewiesen. Verf. hat an
einer größeren Zahl Patienten den Blutdruck und die Pupillenweite ver-
glichen und gefunden, daß dem höheren Blutdruck stets engere Pupillen
entsprechen. Dadurch, daß im Alter die Pupillen weniger erweiterungsfähig
sind, wie Verf. aus derselben Beobachtungsreihe nachweist, wird das Ergebnis
beeinflußt
über den Mechanismus der Akkommodation geben Bertin-Sans und
ÖÄgniöre (19) an, daß der Krümmungsradius der Vorderfläche der Linse,
den sie nach einem nicht weiter beschriebenen Verfahren bei Kaninchen
bestimmten, nach dem Tode und vor dem Tode nur um ein Zehntel Milli-
meter verschieden gefunden wurde, bei dem Akkonamodationsvorgang da-
gegen sich um volle zwei Millimeter änderte. Verff. schließen hieraus, daß
^ Linse in Akkommodationsruhe ihre Ruhelage habe und bei der Ak-
kommodation deformiert werde, und folgen daher der Tscherningschen
^•luuberieht f. Neurologie a. Psychiatrie 1009. 12
178 Spezielle Physiologie der peripherischen Nerven und Muskeln.
Wlotzka (276) hat bei geringer Konvergenz und sehr großen At
kommodationsänderungen festgestellt, daß die Pupillenweite gleich blieb.
Die Pupillenreaktion ist also zwar von der Konvergenz abhängig, von der
Akkommodation aber unabhängig. Das Ergebnis war erst nach einiger
Übung der Versuchsperson konstant.
Die Mitteilung von Figeon (205) setzt die Kenntnis des von ihm an-
gewendeten Stereoskops voraus, das darin nicht beschrieben ist.
Danilewsky (64) hat die Beobachtung von Frankenhäuser u. a.
bestätigen können, daß in dem durch den von Conrad Müller zu thera-
peutischen Zwecken angegebenen Apparat erzeugten variabeln magnetischen
Felde Lichtflimmer vor den Augen wahrgenommen wird.
Stigler (249) beschreibt eine subjektive Gesichtserscheinung, die
morgens bei ausgeruhten Augen bei plötzlicher Verdunkelung wahrzunehmen
ist, und für die Verf. eine funktionelle Hyperämie der Augengefaße als Ur-
sache annimmt.
Gertz (95) beschreibt eine subjektive Wahrnehmung bei Betrachtung
eines rot beleuchteten Spaltes im Dunkelzimmor, deren Form eine Beziehung
zum Verlauf der Sehnervenfaserbündel erkennen läßt Verf. stellt die
Hypothese auf, daß die Erscheinung auf der Stromschwankung der erregten
Nervenfasern beruhe.
Grijns und Noyons (99) haben die minimale Energiemenge bestimmt,
die in Gestalt auf die Hornhaut fallenden Lichtes die menschliche Netzhaut
zu erregen vermag.
Waller (266) zeigt, daß die galvanische Lichtreaktion des Frosch-
auges nach Einwirkung eines Induktionsstromes von 1000 Einheiten der
Kroneckerschen Skala verstärkt ist, nach Einwirkung von 10000 Einheiten
dagegen vermindert ist und durch 100000 Einheiten fast ganz verschwindet.
Verf. leitet daraus ab, daß die Retina, als zartes, nervöses Gebilde, nicht
ausschließlich Quelle des Reaktionsstromes sein kann.
Herzog (122) weist in einer umfassenden Arbeit Zustandsänderungen
in der Retina bei Belichtung nach, die auf Grund der Duplizitätstheorie zu
deuten sind.
In einer Arbeit, die ihres reichen Inhalts wegen hier nur andeutungs-
weise besprochen werden kann, stellt Siven (238) die Theorie auf, daß die
Stäbchen und Zapfen zwei Systeme von farbenempfindlichen Apparaten dar-
stellen, von denen der eine Rot und Grün, der andere Blau und Gelb als
Komplementärfarben, die einander zu Weiß ergänzen, empfindet. Dadurch
werden die Heringsche und die Helmholtzsche Theorie gewissermaßen
mit einander verschmolzen.
Lohmann (174) bespricht auf Grund einfacher Versuche die Theorie
der stereoskopischen Auffassung, die auch bei momentaner Belichtung statt-
finden kann, weil im Nachbild durch den Wettstreit der Sehfelder bald eine
bald die andere Seite des Gegenstandes erscheint.
Heine (HO) bespricht eine Reihe von Versuchen über stereoskopisches
Sehen unter verschiedenen Bedingungen und zieht die Grenze zwischen
objektiver Tiefen Wahrnehmung und der subjektiven Vorstellung solcher
Tiefeneindrücke.
Müller (186) lehnt die Auffassung Reimanns über das Problem
der Gestalt des Himmelsgewölbes ab, weil seine Beobachtungen unzureichend
und subjektiv beeinflußt seien. Im Anschluß an Deichmtillers und Gntt-
manns Versuche unternimmt Verf. neue Beobachtungen über den Einfluß
der Blickrichtung auf die Schätzung der Länge von Funkenabständen im
verdunkelten Räume. Die Versuche zeichnen sich dadurch aus, daß der
Spezielle Physiologie der peripherischen Nerven und Muskeln. 179
ErhebuDgswinkel nur 26® betrug, und daß die Versuchspersonen in Un-
kenntnis über Zweck des Versuchs und Entfernung des Objekts waren. Das
Eiigebnis war dem von Mirobaut entgegengesetzt, indem scheinbare Ver-
kürzung der Strecke gegen den Zenit hin auftrat. Verf. erörtert dann aus-
führlich die Verwertung der Ergebnisse für die Theorie, ohne indessen die
Aufstellung einer bestimmten Kurve für die Form des Himmels für berechtigt
ZQ erkennen. Jedenfalls ist die Blickrichtung ein wesentlicher Umstand,
daneben dürfte der Farbe Bedeutung zukommen.
Pdlack (208) hat gefunden, daß ein dunkeladaptierter Beobachter,
der ein schwach monochromatisch erleuchtetes Feld im Dunkeln betrachtet,
dessen Farbe eben deutlich erkennbar ist, die Empfindung einer plötzlichen
Zunahme der Färbung erhielt, wenn der Raum, nicht zu hell, erleuchtet wird.
Verf. nimmt an, daß durch die plötzliche Erleuchtung des Eaumes
die Lichtempfindlichkeit des Auges soweit herabgesetzt wird, daß die Licht-
wirkung des monochromatisch erleuchteten Feldes gegenüber der Farb-
wirkung verschwindet.
Basler und Höfer (14) haben mit Licht, das durch Farbfiüssigkeiten
gegangen war, Pupillenreaktion hervorgerufen und gefunden, daß, wenn
beim Übergang von einer Farbe zur andern Verengerung auftritt, bei dem
umgekehrten Vorgang nicht immer Erweiterung, sondern unter Umständen
auch Verengerung auftritt. Verff. haben ferner die pupillomotorische Wir-
kung der verschiedenen Farben verglichen. Grün und Blau wirken stärker
und nachhaltiger als ein anscheinend viel helleres Rot. Verff. erörtern die
Ergebnisse auf Grund der Heringschen Lehre.
Die Untersuchungen von Hess (124) am Cephalopodenauge betreffen
Terschiedene Spezies, bei denen die anatomischen Verhältnisse unter Berück-
sichtigung der Lichtwirkung auf die Betina geschildert sind. Wichtig ist
vor allem der Nachweis eines dem Sehpurpur der Wirbeltiere entsprechen-
den Farbstoffs.
Heß (123) widerlegt Einwände Exners gegen seine Angaben über
das „Anklingen" der Erregung des Gesichtssinnes mit bewegtem Keizlicht.
Piper (206) hat die elektromotorische Reaktion des Auges von Vögeln
und Säugetieren auf Belichtung mit Strahlen von verschiedener Wellenlänge
bestimmt. Die Tagvogelaugen reagierten am stärksten auf gelbes und rotes
Licht, die Nachtvögel auf grünes. Die Kurve der ßeizwerte fällt bei den
Xacht?ögeln mit der Absorptionskurve des Sehpurpurs zusammen. Die
Sängeraugen verhielten sich wie die der Nachtvögel, was sich nach Verf.
daraus erklärt, daß nur der Stäbchenapparat für das Versuchsergebnis maß-
gebend war.
Piper (207) gibt eine Übersicht über die von Kriessche Duplizitäts-
theorie und über die sie stützenden Untersuchungen über die getrennten
Funktionen des Stäbchen- und Zapfenapparates.
Brückner und Brücke (34) kommen auf ihre frühere Mitteilung
zurück, um sie teils literarisch, teils experimentell zu ergänzen und sich
gegen Heine, der die Ansichten der Verff. angefochten hat, zu rechtfertigen.
Verff. bleiben dabei, daß Unterscheidung rechts- und linksäugiger Gesichts-
eindrücke stets durch äußere Bedingungen bedingt sein muß. zu denen auch
zentrale Empfindungen zu rechnen seien.
Harbe (178) beschreibt eine Vorrichtung, um Lichtreize bestimmter
Art hervorzubringen, mit deren Hilfe die nachfolgende Untersuchung von
Watt (268) ausgeführt worden ist. Es wurde ein Feld mit so schneller
Periode belichtet, daß durch Verschmelzung der Einzelreize eine gleich-
förmige Helligkeit entstand, und diese Helligkeit mit der eines gleichen nur
12*
280 Spezielle Physiologie der peripherischen Nerven und Muskeln.
einmal belichteten Feldes verglichen. Gegenüber der Annahme von Martins,
daß die Helligkeit in beiden Fällen gleich erscheinen werde, wurde fest-
gestellt, daß unter mehreren Beobachtern das Urteil wechselnd ausfiel.
Eldridge- Green (71) hat eine eigene Theorie der Farbenempfindung
aufgestellt und verwirft die Hypothese der Grundfarben. Das Licht soll
erstens als solches infolge des Bleichungsvorganges des Netzhautpurpurs
wahrgenommen werden und zweitens je nach der Wellenlänge verschiedene
Empfindungen in einem besonderen Farbenempfindungszentrum auslösen.
Entwicklungsgeschichtlich soll dies zweite Zentrum später entstehen als das
Lichtempfindungszentrum, sodaß alle Grade der Farbenblindheit (es gibt
nach Verf. deren sechs, die je eine Farbe des Spektrums mehr erkennen
können) im Lauf der Entwicklung durchgemacht werden. Es folgen Er-
örterungen über die Tatsachen der Farbenmischung, des peripherischen
Farbensehens, des Kontrastes und der Adaptation, die mit des Verf. An-
schauungen in Einklang gebracht werden.
Angler (6) hat die von v. Kries am Protanopen ausgeführte Ver-
gleichung der Helligkeitswerte peripherisch gesehener farbiger Lichter für
das deuteranopische Auge angestellt. Hier ist das Maximum nach dem
roten Ende des Spektrums verschoben, während es beim Protanopen nach
dem Grün zu liegt.
S[leill (139) faßt die Änderung des herrschenden Zustandes als das
wesentliche beim Vorgang der Reizung auf, und zwar ganz allgemein bei
jeder physiologischen Reizung. Ein völlig gleichmäßig belichtetes Auge
würde also ungereizt „ruheblind" sein. Dies ist jedoch nicht der Fall, weil
im Auge jeder Reiz „vervielfältigt" werden kann, wobei das „Selbstleuchtend-
werden" der Netzhaut eine Rolle spielt. Eine große Zahl subjektiver Beob-
achtungen, die durch hypothetische Schemata in Zusammenhang stehen,
stützen die Ausführungen des Verf., die sich auch auf willkürlich hervor-
gerufene „Phantasiebilder" und die Nachwirkungen von Gehörsempfindungen
erstrecken.
In einer umfangreichen Arbeit, die nach einem historischen Vorbericht
zahlreiche eigene Beobachtungen und kritische Erörterung älterer Versuche
und Hypothesen enthält, hat Sziljr (254) die Lehre von den Bewegungs-
nachbildern dargestellt Die Mannigfaltigkeit der Versuchsanordnungen, die
sich auf monokulares und binokulares Sehen beziehen, und der entsprechende
Umfang der Ergebnisse schließt einen abkürzenden Bericht aus, doch ist
anzuführen, daß Verf. jegliches Übergehen auf das psychologische Gebiet
zur Erklärung der von ihm untersuchten Erscheinungen für unnötig hält
Janet (131) beschreibt die Konstruktion eines Apparats, mit dem die
zur Gesichtsperzeption erforderliche Zeit bestimmt werden soll, im wesent-
lichen eines Farbenkreisels von regulierbarem Gang. Bei 40 Sektoren-
wechseln (zwei Farben) entstand Flimmern, bei 1.30 — 160 verlor sich die
Farbenempfindung, und es wurde farbloses Flimmern wahrgenommen, bei
210 — 250 homogene Mischung. Viele Kranke geben ganz normale Zahlen
an, aber eine Gruppe, die Verf. als „Psychasthenische" bezeichnet (Delire
du doute, phobies, obsessions etc.), gaben viel niedrigere Zahlen für die
Mischung an, aber nur im Zustande der Depression, nach entsprechender
Behandlung machten sie normale Angaben. Verf. erörtert die Bedeutung
dieser Beobachtung und erwähnt Fälle, in denen angeblich alle bewegten
Gegenstände verzerrt gesehen werden.
Quillery (102) berichtet über Messungen der Entfernungen oder
der Größen, bei denen verschiedene Formen von Sehprüfungsfiguren erkannt
werden, und kritisiert im Anschluß daran die Snellensche und die ver-
Spezielle Physiologie der peripherischen Nerven und Muskeln. Ißl
wandten Methoden zur Prüfung der Sehschärfe. Aus der Untersuchung geht
herror, daß die Erkennbarkeit einer Figur keineswegs der Größe oder der
Annäherung proportional ist.
Die Darstellung, die Lipps (171) von seiner Theorie der geometrisch-
optischen Täuschungen gibt, liegt mehr auf psychologischem als auf physio-
logischem Gebiet, wesentlich ist dem Verf. die Auffassung des unmittelbaren
fündmcks. Was sich ausdehnt, ausweitet oder sich begrenzt, einengt, erscheint
in onmittelbarem Eindruck ausgedehnter oder eingeengter als anderes, für das
diese Beschreibung nicht zutrifft. Dies Sichausdehnen usw. ist eine Tätigkeit, und
diese Tätigkeit ist zweifellos eine Tätigkeit des Beobachters. Die Ausführungen
des Verf. beziehen sich zum Teil auf frühere Mitteilung und Einwendungen
die You Wundt, Schumann u. a. dagegen erhoben worden sind. Das
Hereinziehen von Augenbewegungen in die Betrachtung weist Verf. zurück.
Parker (201) berichtet über Versuche, aus denen hervorgeht, daß Fische
(Ammocoetes), die sich in den Sand einwühlen, eine gegen Licht empfindliche
Hantoberfläche haben. Die Empfindlichkeit ist am größten gegen das
Schwänzende zu.
Holmes (127) hat die Reaktionen der Wasserspinne (Ranatra) auf
Lichteinfall durch eine große Reihe verschiedener Ursachen geprüft, über
deren Einzelheiten hier nicht berichtet werden kann, und kommt zu dem
Eigebnis, daß Zwischenformen zwischen reinem Reflex und Einwirkung von
Lost- und Unlustgefühlen vorliegen.
Lahy (152) erörtert eine frühere Veröffentlichung über die physio-
logische Bedeutung von Lust und [Inlust nach Untersuchungen an Idioten
and verwirft die in dieser Arbeit gezogenen Schlüsse und warnt vor vor-
eiügen Annahmen über Vorgänge, die auf psychologischem Gebiet verlaufen.
Die Beaktiosszeit des vasomotorischen Systems ist vielleicht durch die
Versachsanordnung zu erklären, sie fehlt für den Atmungsapparat. Die
Idioten sind kein besonders geeignetes Material für Untersuchungen dieser
Art, denn sie zeigen individuelle Unterschiede ebenso häufig wie Normale.
Angler (5) faßt das Ergebnis seiner Versuche über Schätzung von
ßewegungsgrößen bei Vorderarmbewegungen wie folgt zusammen: Es handelte
sich um Winkelbewegungen des Vorderarms im Ellenbogengelenk, die stets
in gleicher Richtung innerhalb objektiv festgelegter. Grenzen ausgeführt
wurden. Die Genauigkeit der Schätzung war von der Größe des von voller
Passivität bis zu schwerer Belastung der Strecker oder Beuger variierten
Widerstandes unabhängig. Bei Steigerung der Bewegungsgeschwindigkeit
vnrde dagegen ausnahmslos die Bewegungsgröße beträchtlich überschätzt, und
xwar ebensowohl bei passiver wie bei aktiver Bewegung.
Pere (77) geht davon aus, daß sensible Reize angenehmer Art die
Leistung am Ergographen erhöhen, und untersucht, auf wie große Zeiträume
sich diese Wirkung erstreckt. Es wurde mit Geruchsreiz (Riechen an einem
Riechfläschchen mit Nelkenöl), Geschmacksreiz (Zuckerwasser), Gehörreiz
(Sümmgabelklang) täglich nur ein Versuch gemacht und die Reihenfolge
der Versuche in jeder Beziehung unregelmäßig gestaltet. Die Versuche
bestanden darin, daß eine gemessene Zahl Minuten nach dem Reiz ein
Ergogramm (jede Sekunde 3 K) und nach einer Pause von 18 Minuten
wiederum ein Ergogramm aufgenommen wurde. Normalerweise wurden auf
diese Weise je gegen 9,5 Meterkilogramm Arbeit geleistet. Je stärker der
Reiz, desto größer wurde die erste Leistung, auf Kosten der zweiten. Die
Wirkung verlor sich schneller bei den stärkeren Reizen und hielt höchstens
12 Minuten an. Verf. meint, daß Geräusche und Gerüche offenbar einen
132 Allgemeine pathologische Anatomie der Elemente des Nervensystems.
stark schädigenden Einfluß auf die Leistungsfähigkeit des Menschen über-
haupt ausüben.
4. Geruchsinn.
Berthelot (18) geht auf seine Messungen der Geruchsempfindlichkeit
zurück, die in den Annales de Chimie et de Physique 7. serie, T. XXII,
p. 4()0, 1901, veröffentlicht sind, um zu zeigen, welcher Wirkungen ganz
minimale Spuren gewisser Stoffe fähig sind.
Urbantschitsch (261) hat über die subjektiven Nachempfindungen
und Äusbreitungsempfindungen nach Einwirkung von Reizen auf Temperatur-,
Tast-, Geschmacks- und Farbensinn Beobachtungen gemacht und zu einer
umfangreichen Darstellung vereinigt. Während viele Angaben, insbesondere
die über Ausbreitungsrichtung und konträre Empfindungsqualität, physio-
logische Deutung zulassen, geht Verf. im dritten Abschnitt auf das psycho-
logische Gebiet über, indem die Erinnerungsbilder in ihrer Beziehung zu
unter der Bewußtseins- Schwelle bleibenden Sinneseindrücken zu den oben
bezeichneten Erscheinungen in Analogie gesetzt werden.
Von NageVs (193) Handbuch ist inzwischen weiter erschienen: Fort-
setzung und Schluß des dritten Bandes: Physiologie der Sinne und die erste
Hälfte des ersten Bandes, enthaltend Kreislauf, Atmung, Stoffwechsel.
Durch den Verzicht auf die Vollständigkeit der Literatur und durch die
individuelle Richtung der einzelnen Bearbeiter hat das Werk mehr den
Charakter einer Sammlung von „Essays" nach Art der „Ergebnisse" an-
genommen, als den eines Handbuches. Doch wird dadurch der im Vorwort
angegebene Zweck, ein Nachschlagebuch zu schaffen, aus dem eine gründ-
liche Einführung in die einzelnen Gebiete, nach dem heutigen Stande der
Wissenschaft geschöpft werden kann, dadurch nicht vereitelt.
Allgemeine pathologisclie Anatomie der Elemente
des Nervensystems.
Referent: Prof. H. Obersteiner-Wien.
1. Alexander, Alfred, Zur Kenntnis der Rückenmarks Veränderungen nach Ver-
schluss der Aorta abdominalis. Zeitschr. f. klin. Medizin. Bd. 58, p. 247.
2. A 1 q u i e r , Sur T^tat des neurofibrilles dans l'epilepsie. Revue neurologique. p. 146.
3. A m a t o , A., SuUe fine alterazioni e sul processo di restitutio ad integrum delle
cellule nervöse nelF anemia sperimentAle. Arch. di Anat. patol. e Sc. af&ii. Vol. I.
fasc. 1.
4. Amato, d' und Macri, Pietro, Die sympathischen Ganglien des Magens bei
einigen experimentellen und spontanen Magenkrankheiten. Virchows Archiv für
pathol. Anatomie. Bd. 180, p. 246.
5. A n g 1 a d e , D., La r^action n^vrologique dans Tenc^phalomalacie. Compt. rend.
Soc. de Biologie. T. LVni, No. 7, p. 319.
6. Battaglia, M., Alterazioni traumatiche primitive della cellula nervosa. 2. Al-
terazioni per caduta. 3. Alterazioni per scarica elettrica. Ann. Med. navale. Anno 11.
Vol. 1, fasc. 3, p. 241—257.
7. B e 1 1 o t , Les neurofibrilles. Morphologie normale. Leurs alt^rations pathologiques
dans Tan^mie exp^riment^le et dans Themiplegie. Th^se de Bordeaux.
8. Bertarelli, E., Die neueren Erfahrungen und Fortschritte auf dem Gebiete
der Pathologie der Wutkrankheit. Wiener klinische Rundschau. No. 9, p. 145.
9. B e s t a , Carlo, Sulla degenerazione e rigenerazione delle fibre nervöse periferiche.
Nota preventiva. Rivista sperim. di Freniatria. Vol. XXXI, fasc. 3 — 4, p. 645.
Allgemeine pathologische Anatomie der Elemente des Nervensystems. X83
10. Bielschowsky, M. und Brodmann, K., Zur feineren Histologie und Histo-
Pathologie der Groeshimrinde mit besonderer Berücksichtigung der Dementia para-
lytica, Dementia senilis und Idiotie. Journal für Psychologie und Neurologie. Bd. V,
Heft 5, p. 173.
11. Bietti Amilcare, Ricerche sperimentali suUa rigenerazione dei nervi ciliari dopo
la neurectomia ottico-ciliare. (Mammiferi.) Ann. Oftalmol. Anno 34. fasc. 3/4,
p. 250—285.
lU. Blomenaa, L., Der Zerfall der Neurofibrillen bei Atrophie der Yorderhömer des
Rückenmarks. Obosrenje psichiatrii. No. 4.
12. B 0 n g i o V a n n i , A., I corpi dl Negri e Tinfezione rabida da virus fisso a lento
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fonctionnement et la nutrition des cellules nerveuses. Revue Neurologique. No. 13,
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63. Derselbe, Lesions des neurofibrilles dans certains ^tats pathologiques. Comptes rendus
hebdomadaires des S^ances de la Soci6t4 de Biologie. Vol. LVIII, No. 12, p. 536.
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65. Derselbe, Recherches sur les changements de structure que les variations de temp^ra-
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Allgemeine pathologische Anatomie der Elemente des Nervensystems. 185
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71. M o d e n a , Gustav, Die Degeneration und Regeneration des peripherischen Nerven
nach Läsion desselben. Arb. aus d. Neurol. Inst. a. d. Wiener Univ. XII.
72. Derselbe, La degenerazione e la rigenerazione del nervo periferico in seguito a lesione.
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Sleeping Sickness, and the Part Played by Diplo-streptococci. Brain. Part. II, p. 364.
(SltEungsbericht.)
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75. M ü n z e r , E., Giebt es eine autogene Regeneration der Nervenfasern ? Neurolog.
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Centralnervensystem. Arbeiten aus dem Neurologischen Institut an der Wiener Uni-
versität. Bd. xn, p. 86 u. Wiener klin. Wochenschr. No. 40.
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79. Parhon, C. et Goldstein, M., Recherches sur Tinfluence exerc^e par la section
transversale de la moelle sur les l^ions secondaires des cellules motrices sous-jacentes
et leur reparation. Revue Neurologique. No. 4, p. 205.
80. Derselbe et Papinian, Jean, Note sur les alt^rations des neurofibrilles dans la
pellagre. Compt. rend. Soc. de Biologie. T. LVIII, No. 8, p. 360.
81. Peroncito, Aldo, La rigenerazione delle fibre nervöse. Bull, de Soc. m6d. chir.
di Pavia. seduta d. 3. Nov.
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geminusneuralgie. Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. Bd. 77, p. 401.
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Significance. The Amer. Joum. of Insanity. Bd. 61, No. 3.
84. R a i m a n n , Emil, Beitrag zur Kenntnis der Markscheidenregeneration in peripheren
Nerven. Jahrbücher f. Psychiatrie u, Neurologie. Bd. 26, p. 311.
85. Razzaboni, Giovanni, Ricerche sperimentali sui processi degenerativi e rige-
nerativi delle fibre nervöse midoUate penferiche in seguito a ferite. (Rendic. Accad.
Soc. med..chir. Bologna). Bull. Sc. med. Ann, 75. (Ser. 8, Vol. 4.) 1904. fasc. 1,
p. 461-462.
86. Riva, Emilio, Sulla presenza di corpuscoli air intemo delle cellule nervöse spinali
nell' inanizione sperimentale. Riv. sperim. di Freniatria. Vol. 31, p. 251.
87. Derselbe, Lesioni del reticolo neurofibrillare della cellula nervosa nell' inanizione
sperimentale studiate con i metodi del Donaggio. ibidem. Vol. 31, p. 245.
88. R 0 u X , Jean-Ch. et H e i t z , Jean, Deuxidme note sur les d6g6n6rescence8 des nerfs
cutanfe observ^ chez le chat k la suite de la section des racines posterieurs correspon-
dantes. Compt. rend. Soc. de Biologie. Tome LIX, p. 133.
89. S a 1 1 y k o w , S., Versuche über Gehimreplantation zugleich ein Beitrag zur Kenntnis
reaktiver Vorgänge an den zelligen Gehimelementen. Archiv für Psychiatrie. Bd. 40,
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90. Derselbe, Ueber Heilungsvorgänge an Erweichungen, Lichtungsbezirken und Cysten
des Gehirns. Verhandlungen der Deutschen Pathol. Gesellschaft zu Meran. p. 299.
91. Scarpini, Vincenzo, Su alcune alterazioni primitive del reticolo fibrillare endo
cellulare e delle fibrille lunghe nelle cellule del midollo spinale. Ricerche sperimentali
«»U' avellenamento da cloruro d'etile e sulla compressione dell' aorta abdominale ese
guitecol metodo di Donaggio. Rivista sperim. di Freniatria. Vol. XXXI, fasc. 3/4, p. 584
92. Derselbe, Le alterazioni cadaveriche delle cellule nervöse studiate col metodo di Do
öÄggio. Ricerche. ibidem. Vol. XXXI, fasc. 3-^, p. 640.
186 Allgemeine pathologpische Anatomie der Elemente des Nervensystems.
93. Derselbe, Le cellule del sistema nervoeo centrale nell* awelenamento e narcosi da
clorure d' etile. Atti Accad. Fisiocritici Siena. Anno accad. 214, Ser. 4, Vol. 17, No. 3,
p. 99--104.
94. ScavonettoMaterazzi,C., Importanza dei corpi di Negri nella rabia. Gazz.
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95. Schiffmann, Josef, Zur Kenntnis der Negrischen Körperchen bei der Wut-
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97. Schröder, Über neuere Fortschritte in der pathologischen Anatomie der Hirn-
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97a. Schnitze, Oskar, Weiteres zur Entwickelung der peripheren Nerven mit Berück-
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98. S i m m o n d s , M., Ueber das Angioma racemosum und serpentinum des Gehirns.
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99. S o u t h a r d , E. E., The Neuroglia Framework of the Cerebellum in Gases of Marginal
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103. T u c k e 1 1 , Ivor, Degeneration of Nerve-Cells of the Rabbits Superior Cervical
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104. W a k i i , Ueber das Verhalten von Hirn- und Rückenmarkszellen beim chronischen
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I. Nervenzellen.
Wir haben unsern vorjährigen Bericht mit der Bemerkung eingeleitet, daß
voraussichtlich die neuen Methoden der Fibrillenfärbung in gleicher Weise eine
überaus große Anzahl von Arbeiten auf pathologisch-anatomischem Gebiete ver-
anlassen würden, wie seinerzeit die Niss Ische Schollenfärbung, was tatsächlich
auch eingetroffen ist. In erster Linie gilt dies für die von Cajal angegebenen
„photographischen" Methoden und auch für die von Bielschowsky. Die
Färbung nach Donaggio ist schwieriger und noch nicht viel verbreitet,
noch unsicherer und daher auch praktisch wenig verbreitet ist die von Bethe.
Cerletti und Sambalino (19) haben nun die verschiedenen neuen
Fibrillenfärbungsmethoden nach ihrem Werte für die pathologisch-anatomischen
Forschungen durchgeprüft und machen in einer sehr beherzigenswerten Mit-
teilung darauf aufmerksam, daß diesen Methoden, trotz der schönen Resultate
die sie bereits geliefert haben, doch gegenwärtig noch eine gewisse Unsicher-
heit in der Konstanz des Erfolges anhafte, so daß sie auf pathologisch-anatomi-
schem Gebiete nur mit der nötigen Reserve verwendet werden dürften.
Schon unter dem Einflüsse von relativ geringen Temperaturschwankungen,
wie sie in unseren Klimaten gewöhnlich sind, können nach Marinesco (65),
der sich nicht ganz der Auffassung Cajals und Teiles anzuschließen ver-
mag, deutliche Unterschiede in der Struktur der Nervenzellen eintreten; es
müssen also wenigstens diejenigen Zellbestandteile, welche solche Ver-
änderungen erkennen lassen — die chromatophile Substanz und die Neuro-
fibrillen — auch unter den gewöhnlichen Lebensbedingungen einem fort-
währenden strukturellen Wechsel unterworfen sein. Allerdings sind diese
Variationen deutlich nur an neugeborenen Tieren nachzuweisen, doch be-
Allgemeine pathologische Anatomie der Elemente des Nervensystems. 187
Stehen sie aller WahrscheiDlichkeit nach, wenn auch yielleicht weniger aus-
geprägty in gleicher Weise bei den ausgewachsenen. Bezüglich der Tigroid-
Substanz wäre zu bemerken, daß die Zellen bei niederer Temperatur (10**)
pjknomorph erscheinen, die gedrängt stehenden Nissl körperchen sind dunkel,
groß, besonders an der Peripherie, während bei Tieren, welche einige Stunden
in höherer Temperatur (15 ®, 30 **) gehalten worden waren, die Nisslkörper-
chen weit voneinander abstehen, granuliert, selbst yakuolisiert sind. Die
Veränderungen an den Neurofibrillen sind besonders deutlich in den Wurzel-
zellen des Vorderhoms (mit roten Fibrillen); bei den in der Kälte gehaltenen
Tieren finden sich hier die hypertrophischen, spindelförmig angeschwollenen
Neurofibrillen; es handelt sich um eine durch die Kälte verursachte Aggre-
gation der Neurofibrillen, die sich zu gleichmäßig dicken oder spindelförmig
Terdickten Strängen vereinigen, während die hohen Temperaturen deren Disso-
ziation veranlassen. Es sind molekulare Modifikationen, Konzentrations-
schwankungen des interfibrillären Plasmas unter dem Einflüsse der Temperatur-
schwankungen, welche die Alteration und Kepulsion der Neurofibrillen ver-
anlassen. Es ist dies aber keineswegs eine der Temperaturwirkung aus-
schließlich zukommende Erscheinung, da ja ähnliche Aneinanderlagerungen
der Neurofibrillen zu monströsen Fasern auch bei Vergiftung mit Strychnin
und Morphium beobachtet werden können. — Geht man auf Temperaturen
über, welche höher als die gewöhnlichen Lufttemperaturen sind, so werden
allerdings die Veränderungen an den Neurofibrillen schwerer, sie fragmentieren
und schwinden endlich gänzlich. Besonders empfindlich sind die Zellen mit
sehr feinem Fibrillennetz, z. B. die Purkinj eschen Zellen und die der
Spinalganglien. Immerhin ist auch bei ziemlich starken Alterationen der
Neurofibrillen noch eine Reparation nicht ausgeschlossen. Um auch die
Wirkung der Insolation zu untersuchen, wurden junge Hunde durch
'/^ Stunden bei 42® der Sonne ausgesetzt; die Wurzelzellen erschienen
gleichmäßig gefärbt, glasig, keine deutlich erkennbaren Nisslkörperchen, mit
Sprängen und Vakuolen, Kern undeutlich, die Fortsätze schienen teilweise
geschwunden zu sein.
Harinesco (63) konnte seine Anschauung, daß das Zugrundegehen
der Neurofibrillen in den Nervenzellen Hand in Hand mit der Läsion der
Tigroidsubstanz geht, durch weitere Untersuchungen befestigen, so in einem
Pdle akuter Myelitis (Landryscher Typus). Bemerkenswert war, daß trotz
der Desintegration der Neurofibrillen die Endknötchen an den Wurzel- und
Strangzellen viel weniger alteriert schienen; ja manche Zellen zeichneten
sich geradezu durch ihren Keichtum an Endknötchen aus, die sich auch
sonst durch ihre Resistenzfähigkeit bemerkbar machen (Anaemie, Tetanus,
PäuLois). In einem Falle von akuter Meningitis waren allerdings die
Läsionen an den Neurofibrillen auffallend weniger ausgesprochen als an den
Nisslkörperchen. In atrophischen und in erweichten Rindenpartien fanden
sich sehr verschiedenartige Veränderungen an den Neurofibrillen. Im Laufe
Yon hemiplegischen und paraplegischen Zuständen ist der Zustand der Neuro-
fibrillen in den Rindenzellen abhängig von der Raschheit, mit welcher die
Nervenfasern zerfallen und vom Sitze der Läsion. Jedenfalls kann man
sagen, daß alle Zellen im Zustande kompletter Achromatose keine Neuro-
fibrillen besitzen (Pellagra), während man an pyknomorpheu Zellen hyper-
trophische Fibrillen antrifft.
Die oben geschilderten Tatsachen bringt Marinesco (64) ausführlicher
und erweitert in einer anderen Arbeit. Es sei auch bemerkt, daß das Faser-
netz in der Gegend des Pigmenthäufchens sich merklich resistenter zeigt.
Er geht hier auch näher auf das erwähnte und seiner Anschauung nach
Ig8 Allgemeine pathologisohe Anatomie der Elemente des Nervensystems.
anscheinend der Eegel widersprechende Mißverhältnis zwischen der Alteration
der Fibrillen nnd der der Tigroidsubstanz ein. Der Umstand, daß die Neuro-
fibrillen der Fortsätze noch gut erhalten sein können, während sie im Zell-
körper zu Grunde gegangen sind, könnte gegen die trophische Bedeutung
der Zelle sprechen.
Marinesco (66) studierte ferner auch noch den Reparationsvorgang
der Neurofibrillen in den Zellen des Hypoglossuskernes nach Durchschneidung
dieses Nerven, ein Vorgang, der mehrere Monate in Anspruch nimmt. Es
muß bemerkt werden, daß sich die einzelnen Zellen dieses Kernes durchaus
nicht gleichen; es wurden hauptsächlich die Zellen der antero-extenien
Gruppe untersucht, die eine deutlich retikulierte Struktur besitzen. Übrigens
ist auch der Reparationsprozeß ein ziemlich variabler. Im wesentlichen
erscheinen die Zellen anfänglich streifig, die Neurofibrillen sind verdickt
und intensiver gefärbt. Die Wiederherstellung der Netzstruktur geschieht
vom Kerne gegen die Peripherie zu, doch unterscheidet sich das neue Netz-
werk von dem ursprünglichen noch merklich, seine Balken sind gröber und
weniger regelmäßig. Besonders bemerkenswert für die Reparation ist die
Hypertrophie der Fibrillen in den Dendriten. Im Anschlüsse hieran werden ,
auch die Reparationsvorgänge an den Fibrillen in den Spinalganglienzellen
geschildert; hervorzuheben wäre hier die Verdichtung und Verdickung des
perinukleären Netzes.
Dagonet(21)hatin3FällenvonprogressiverParalyse dieHirnrinde
aus verschiedenen Gegenden mittelst der Ramonschen Silbermethode unter-
sucht und immer ein sehr reiches extracelluläres Fibrillennetz gesehen; aber
auch das intracelluläre Netz der Großhimriudenzellen, gleich dem in den
Purkinjeschen Zellen und im Rückenmark war in jeder Beziehung unver-
ändeit: diese sehr auffallende Integrität der Neurofibrillen neben den be-
kannten schweren sonstiged Alterationen der Pyramidenzellen bei der pro-
gressiven Paralyse beweist, daß die Nervenzellen nicht als trophische Zentren
für die Neurofibrillen aufzufassen sind ; diese sind vielmehr von der Nerven-
zelle unabhängig, und die Einwände, die gegen die Neurontheorie erhoben
wurden, sind begründet.
Hingegen waren Bielschowsky und Brodmann (10) imstande,
mittelst der Methode des ersteren in der Großhirnrinde charakteristische
Kennzeichen der progressiven Paralyse aufzufinden; als solche sind hervor-
zuheben auffallend starke Veränderungen an allen Zellen bis zum Ver-
schwinden ganzer Zellschichten bei verhältnismäßig gutem Erhaltenbleiben
der faserigen Bestandteile. Die paralytische Zelle ist im allgemeinen charak-
terisiert durch einen frühzeitigen und hochgradigen Untergang der Fortsätze
und durch Auflösung der Fibrillen bei zeitweiligem Persistieren von einzelnen
Fibrillen im Zelbnimpf. Der intercelluläre Faserfilz ist besonders in seinen
feinsten Elementen stark gelichtet. — Bei der senilen Demenz bleibt im
Gegensatz zur Paralyse die äußere Form der Zellen mit ihren Dendriten
gut und auch die Rindenschichtung leidlich gut erhalten; die Zellstruktnr
zeichnet sich durch Vergröberung und Verklumpung der Fibrillen aus. Der
intercelluläre Faserausfall ist weniger hochgradig als bei der Paralyse und
betrifft gröbere und feinere Bestandteile gleichmäßiger. In einem Idioten-
gehirne waren ganz abweichende Befunde, was Schichtengliedemng, Zell-
formen und Fasern anlangt, zu konstatieren ; die Zahl der Fasern und Zellen
war stark vermindert. Distinkte, über weite Strecken zu verfolgende Fibrillen
sind nur selten sichtbar, am ehesten in den gröberen Dendriten. Dagegen
ist das Zellinnere von dunklen Körnern und Körnerreihen angefüllt
Allgemdne pathologische Anatomie der Elemente des Nenrensystems. 189
CSerletti (18) hat die Stäbchenzellen (Nissl, Alzheimer) in ihrer
Beziehung zu den erkrankten Pyramidenzellen beobachtet Er findet sie den
apikalen Fortsätzen aufs engste angeschmiegt und in der Nähe des Zellleibes
selbst im pericellulären Baume, in dem sie eine den Trabantzellen ähnliche
Stellung einnehmen. Von diesen Beobachtungen ausgehend, unterwirft der
Autor die Momente, die von Nissl und Alzheimer aufgezählt worden
sind, um diese Elemente als Gebilde mesodermalen Ursprunges hinzustellen,
eioer Kritik und führt seinerseits einige Sätze auf, um für die Zugehörig-
keit der Stäbchenzellen zum Ektoderm zu plädieren. Die Stäbchenzellen
seien selbst als eine krankhafte Modifikation der Neurogliazellen zu be-
trachten, als solche könnten sie nicht jenen charakteristischen regressiven
und progressiven Prozessen unterliegen, die die erkrankten Neurogliazellen
Tor den gesunden auszeichnen. Bekanntlich hat Nissl selbst ursprünglich
&Q dem ektodermalen Ursprung der Stäbchenzellen festgehalten.
(Merzhache)\)
Donaggio und Fragnito (24) beschreiben die Veränderungen,
welche die motorischen Zellen des Rückenmarkes zeigen nach Ausreißung
des Ischiadicus der einen Seite beim Kaninchen. Die Beaktion des
Fibrilleoapparates auf diese Schädigung hin läßt verschiedene Stadien er-
keauen: das erste Stadium ist durch Verdichtung des endocellulären Netzes
ausgezeichnet (2. — 5. Taf.), das zweite Stadium (10. Taf.) durch Unordnung
in der Anordnung der Fibrillenzüge, in einem dritten Stadium (15. Taf.)
zeigt sich Atrophie der Fibrillen gleichzeitig mit einer Inversion der Färb-
barkeit, sodaß die Kerne der Entfärbung trotzen, während die Fibrillen sehr
schnell ihren Farbstoff abgeben. Die endocellulären Netze scheinen sehr
resistent zu sein und verschwinden vielleicht nie gänzlich. Während sie
mit der Gajalschen Methode nicht mehr zur Darstellung gebracht werden
können, bleiben sie, mit der Donaggio sehen Methode behandelt (deren
sich die Verfasser bei ihren Versuchen bedienen), deutlich nachweisbar.
(Merzbacher.)
DragO (28) hat seine Aufmerksamkeit speziell dem Verhalten der
Ganghenzellen im Verlaufe der Encephalitis zugewendet, die er bei Hunden
durch Trauma, Infektion oder auf chemischem Wege experimentell erzeugte.
Er kommt zu folgenden Schlüssen: Ganglien- wie Gliazellen gehen beim
encephahtischen Prozesse zugrunde und können deshalb an den Reparations-
prozessen keinen Anteil haben (!? Ref.). Sowohl im encephalitischen Herde
wie in den zunächst benachbarten Teilen w^erden die Ganglienzellen am
stärbten in Mitleidenschaft gezogen, während die Neuroglia und die Fasern
veniger leiden. Die Veränderungen an den Ganglienzellen sind folgende:
Tariköse Atrophie der .Protoplasmafortsätze, Zerfall derselben wie des Zell-
leibes, Schwellung des Achsenzylinders, Hyperchromatose des Nukleolus;
progressive Chromatolyse, Kariolyse und Zerstörung der Zelle. — Die Glia-
zelieo im Herde selbst gehen zugrunde oder verlieren ihre Fortsätze (Glia-
fasem? Ref.), während die Gliazellen in den dem Herde angrenzenden
Teilan veränderte. Fortsätze zeigen. — Bei der Encephalitis nach Infektion
und chemischer Reizung kommt es zur Heilung nach Bildung eines Granu-
lationsgewebes, das aus Leukocyten entsteht; dieselben sollen sich durch
Karyokinesen vermehren und endlich zu Fibroblasten sich umgestalten.
(Merzbadter,)
2 — i Tage nach einer hämorrhagischen Läsion in der inneren Kapsel
fanden Oentes und Bellet (36) einen Teil der Pyramidenzellen alteriert
und zwar sind die Neurofibrillen an Zahl geringer und verdickt, manchmal
"iöd sie, besonders in den peripheren Anteilen der Zelle, fragmentiert oder
190 Allgemeine pathologische ADatomie der Elemente des Nervensystems.
sie sind ganz geschwunden, höchstens durch eine Körnchenreihe angedeutet
In den Fortsätzen bleiben sie dabei erhalten.
Bei vier Epileptikern, welche Alqnier (2) untersuchte, waren sowohl
in den Zellen der Hirnrinde als auch in denen des Ammonshoms und des
Kleinhirns keinerlei Veränderungen au den Neurofibrillen zu erkennen mit
Ausnahme zirkumskripter Stellen, an denen sich alte oberflächliche Sklerosen
und Erosionen vorfanden.
In einem Falle von Pellagra mit ausgesprochenen cerebro-spinalen
Erscheinungen fanden Parhon und Papinian (80) in den Betzschen
Rindenzellen die Fibrillen fast ganz verschwunden, nur an der Peripherie
und in den Fortsätzen waren sie manchmal erkennbar: der Kern wird
undeutlich, schwindet. Im Rückenmark waren die Veränderungen am aus-
gesprochensten an den Vorderhornzellen des Cervikalmarkes in ähnlicher
Art, wie in der Hirnrinde. Auch in diesem Falle gingen die Veränderungen
der Fibrillen parallel mit denen der Nisslkörperchen.
Es ist Franpa (31) gelungen, bei verschiedenen Mäusearten durch
Injektion von Wutgift die Erscheinungen der Rabies hervorzurufen. Die
meist beschriebenen anatomisch -pathologischen Befunde, insbesondre die
bekannten Rabiesknötchen konnten aber nicht aufgefunden werden, wohl aber
die vonCajal angegebene Hypertrophie der Neurofibrillen, sodaß man wohl
diese Läsionen des Neurofibrillennetzes als das Wesentliche in der Patho-
genese der Wutlähmungen bezeichnen muß.
FranQa (32) hat zwei Füchsen Straßen virus in Oberschenkelmuskeln
injiziert und bei dem einen die Symptome der paralytischen, bei dem anderen
der furibunden Rabies entstehen sehen. Er fand die van Gehuchten-
schen Knötchen in den Ganglien des Vagus und pericelluläre Knötchen
von Bab^s im Bulbus. Die sogenannten Mastzelleu waren äußerst verändert.
Mit Hilfe der Cajalschen Methode fand er eine deutliche Hypertrophie
des neurofibrillären Netzes im Bulbus, Rückenmark, Ammonshorn, den
spinalen Ganglien und Vagus. Außerdem beobachtete er interessante Ver-
änderungen an den Ganglienzellen, vorzüglich denen des Pneumogastricus;
ein Teil der Zelle erscheint in ein Netz eines mehr oder weniger engen
Maschenwerks verwandelt zu sein, dessen Geflecht von Fibrillenbündeln
gebildet und von Elementen ausgefüllt wird, die den Rabiesknoten bilden.
Diese Alteration findet sich gewöhnlich nur au der Seite der Zelle, wo sich
die Ausbuchtung befindet; sie kann aber an beiden Polen oder sogar im
ganzen Umkreis der Zelle vorhanden sein. In vorgeschritteneren Stadien sind
die Maschen von Neuronophagen angefüllt, und endlich löst sich die Zelle
ganz auf und der Rabiesknoten besteht dann nur noch aus den einge-
drungenen Zellen. (BendLv,)
Hunter (40) hat seine Versuche über die Einwirkung des Giftes von
Daboia Russellii auf das Nervensystem an Tauben, Ratten, Kaninchen, Affen,
Eseln und Pferden angestellt. H. konnte keinerlei degenerative Verände-
rungen an den Ganglienzellen des Cortex, Pons, der MeduUa oder des
Rückenmarkes finden. Auch die Nissischen Granulationen waren unver-
ändert und keine Chromatolyse nachweisbar. Die peripherischen Nerven
waren intakt und nur die feinen Kapillaren der grauen Nervensubstanz
dilatiert. In den vasomotorischen Zentren ließ sich keine Chromatolyse
nachweisen. (Bendix.)
Malatesta (67) fand bei Kaninchen, welche durch Unterbindung des
Ductus choledochus ikterisch gemacht worden waren, eine Chromatolyse an
der Peripherie der Ganglienzellen des Herzens, die nach und nach sicU
AllgemeiDe pathologische Anatomie der Elemente des Nervensystems. 191
über die ganze Zelle ausbreitet, Pärbbarkeit der achromatischen Substanz,
Yaknolisation des Zellleibes und Homogenisierung des Kernes.
Diese Veränderungen an den Herzganglien scheinen keinen Einfluß
auf die bei Ikterus oft auftretende Bradykardie zu haben. (Bendia.)
An den Kückenmarkszellen von Hunden und Kaninchen fand Riva
(87) bei Anwendung verschiedener von Donaggio angegebenen Pärbungs-
methoden, wenn er die Tiere längere Zeit hungern gelassen hatte, auffallige
Veränderungen des Fibrillennetzes. Wenn auch im großen und ganzen
die f^brillen eine sehr große Resistenz selbst bis ins agonale Stadium des
Verhungems darbieten, so wird doch ihre Anordnung wesentlich alteriert;
sie weichen, im Gegensatze zu ihrer sonst besonders beim Hunde so deutlich
regehnäßigen Lagerung, nach den verschiedensten Seiten ab, bilden Spiralen,
legen sich zu Bändern aneinander, lassen größere Hohlräume, Vakuolen
zwischen sich ; besonders in den Zellen der Hinterhörner bilden sie manch-
mal rosenkranzartige Stränge; ein zu Grunde gehen, einen wirklichen Zerfall
der Fibrillen findet man nur äußerst selten.
Bei Anwendung der 5. Methode von Donaggio konnte Riva (86) ferner
in den Kückenmarkszellen eines 48 Tage lang fastenden Hundes eigentüm-
liche rundliche, stark gefärbte Körperchen verschiedener Größe autfinden,
entweder einzeln oder in Gruppen, manchmal auch in den ersten Stämmen
der Dendriten liegend. Wahrscheinlich sind die früher beschriebenen Va-
kuolen ihr Sitz. Es kann aber nicht behauptet werden, daß sie eine für
die Inanition charakteristische Bildung darstellen.
Bellot (7) untersuchte das Verhalten der Neurofibrillen in den Pyra-
midenzellen der Hirnrinde bei künstlicher Anämie und bei Hemiplegischen.
Wenn er einem Hunde eine oder beide Carotiden unterband, so fand er
nach 21 Stunden auf der Seite der Unterbindung resp. beiderseits einen Teil
der Pyramidenzellen (Silberfärbung nach Ramon) mehr oder minder alteriert.
Die Veränderung ging immer von der perinukleären Zone aus und ergriff
den Anfang der Dendriten erst, wenn der ganze Zellkörper gelitten hatte.
Die Fibrillen werden dichter, fragmentieren und zerfallen schließlich in feine
Granula. In mehreren Fällen frischer zerebraler Hemiplegie beim Menschen
fanden sich ähnliche Veränderungen an den Neurofibrillen der motorischen
Rindenzellen. Zwischen normalen Zellen liegen auf der Läsionsseite solche,
die vor allem durch die starke Färbung und Dicke ihrer Neurofibrillen auf-
fallen und nur in geringer Anzahl vorhanden sind; manchmal zeigen sie
auch ungleiche Dicke. In späteren Stadien zerfallen sie zu gröberen Frag-
menten, die sich schließlich in feine Granula auflösen. Auch hier beginnt
der Prozeß in der perinukleären Zone. Wahrscheinlich können diese Ver-
änderungen (in der Anämie) früher auftreten, als die Lähmung, und es darf
auch angenommen werden, daß diese Beaktionserscheinimg nichts spezifisches
für die betreffenden Ursachen hat; sie gestattet auch eine Restitutio ad in-
tegrum.
Bei einer Batte, die durch stundenlanges Laufenlassen erschöpft war,
fand Ludliun (52) die Zeichen einer beginnenden Fibrillendegeneratiou ;
starker war diese nach 4^2 tägigem Fasten. Erschöpfung und Ernährungs-
störung spielen aber in der Pathogenese der Psychosen eine wichtige Rolle;
es stand daher zu erwarten, daß auch in manchen Psychosen sich ähnliche
Zellveränderungen finden werden; die wenigen bisher in dieser Beziehung
von dem Autor angestellten Versuche bestätigten diese Annahme.
In den acht Fällen von Dementia praecox, in welchen De Buck und
Derotlbaix (14) die Hirnrinde mittelst der yerschiedenen neueren Methoden
w untersuchen Gelegenheit hatten, konnten pathologische Veränderungen
192 Allgemeine pathologische Anatomie der Elemente des Nervensystems.
aufgefunden werden, welche als im Wesen gleichartig anzusehen sind, wenn
sie auch ihrer Intensität nach, d. h. dem Fortgeschrittensein des Prozesses
nach, differieren. In erster Linie sind es die Nervenzellen, welche ange-
griffen werden, die einer chronischen Atrophie anheimfallen. Dabei machen
sie eine Periode der chromolytischen Reaktion durch, zunächst zentral, mit
Verlagerung des Kernes. Diese Periode, die weiterhin in die der Achroma-
tose oder der Pyknomorphie übergeht, kann von verschieden langer Dauer
sein. Auch ein gewisser Grad von Pigmentdegeneration ist zu beobachten.
Der Kern verändert seine Gestalt erst spät, er wird unregelmäßig, schrumpft.
In den letzten Graden der Atrophie zerlällt der Zellkörper, zuletzt schwinden
Kern und Kernkörperchen. Gleichzeitig werden auch die intracellulären
Fibrillen ergriffen; sie werden völlig fragmentiert, zerfallen körnig — früher
im ^ellleib, später in den Dendriten. Immerhin ist die Zerstörung der
intracellulären Fibrillen eine langsamere und weniger intensive als in der
progressiven Paralyse. Die intercellulären Fibrillen erweisen sich als sehr
resistent; lediglich in den letzten Stadien beginnen sie sich zu rarefiziereq,
zu fragmentieren. Die Markfasern bleiben lange intakt, hingegen lassen sich
im Bereiche der Neuroglia ausgesprochene Veränderungen nachweisen; man
kann an ihr die Zeichen einer Hyperaktivität, einer deutlichen Proliferation
erkennen, welche gleichen Schritt hält mit den regressiven Vorgängen in den
Nervenzellen. Auch die intrazerebraleu Gefäße erwiesen sich, mit Ausnahme
eines Falles, als nahezu intakt. Diese geschilderten Veränderungen pflegen
besonders ausgesprochen im unteren Teile der Schichte der großen Pyra-
miden und in der der polymorphen Zellen zu sein. Da diese Befunde in
den verschiedenen Formen der Dementia praecox identische sind, ergibt sich
die Richtigkeit der Kraepelinschen Auffassung, sie in eine Krankheits-
gruppe zu vereinigen. Es handelt sich wohl um einen chronischen Prozeß
von Autointoxikation.
Monrre (74) liefert eine kritische Übersicht der Besultate, welche
die Ni SS Ische Zellfärbung ergeben hat; am Schlüsse folgt auch eine reiche
Zusammenstellung der Literatur (423 Nummern). Er macht aufmerksam
auf die zahlreichen Widersprüche in den Angaben der verschiedenen
Autoren und sucht dieselben mit Zuhilfenahme eigener Versuche aufzuklären.
Es darf vor allem nicht außer Acht gelassen werden, daß innerhalb der
Breite des Normalen sehr große Schwankungen vorkommen, sodaß dadurch
die Erkennung leichterer Läsionen wesentlich erschwert wird. Die mit
dieser Methode darzustellenden Zellveränderungen sind weder für ein be-
sonderes Gift, noch für einen bestimmten pathologischen Zustand spezifisch«
Bei einem drei Monate alten Kinde, das von seiner Geburt an die
Symptome einer spastischen Paraplegie dargeboten hatte, fanden HatlS-
halter und CoUin (38) in den Pyramidenzellen der Zentralwindungen (im
Gegensatz zu dem Verhalten bei anderen Kindern dieses Alters) keine
Nissl schollen; ihr Protoplasma war diffus gefärbt, dunkler an der Peripherie;
mit Eisenhämatoxylin waren zerstreute siderophile Granula nachzuweisen.
Es kann nicht entschieden werden, ob die Schollen im Protoplasma der
Pyramidenzellen überhaupt nie zur Entwicklung gelangten, oder ob eine
intrauterine Chromatolyse vorlag.
Scarpini (92) hat dem getöteten Tiere verschieden lange Zeit nach
dem Tode entnommene Stücke aus dem Zentralnervensystem, die in der
feuchten Kammer bei 15^ aufgehoben gewesen waren, untersucht. Erst
24 Stunden nach dem Tode sollen die kadaverösen Erscheinungen das
Fibrillenbild stören. Die Zellbilder, die man von diesem Zeitpunkt ab
gewinnt, tragen wesentliche Unterscheidungsmerkmale von denen, die man
Allgemeine pathologische Anatomie der Elemente des NeiTensystems. 193
nach Unterbindung der Aorta auftreten sieht. Die Tatsache, daß die
Methode Donaggios erst relativ spät durch das Einsetzen kadaveröser Er-
scheinungen beeinträchtigt wird, wird vom Autor als ein Vorzug der Methode
hingestellt; dies wie uns dünkt zu Unrecht; mau kann aus dieser Tatsache
vielmehr schließen, daß erst relativ grobe Veränderungen von der Methode
angezeigt werden, dieselbe also als kein besonders empfindliches Eeagens
zu betracDten ist (Merzhacher.)
Die bekannte Erfahrung, daß bei der Fäulnis der Nukleolus der
Nerrenzellen am längsten sichtbar bleibt, konnte auch Lache (46) be-
stätigen. Er fand ihn aber auch gegen alle anderen die Zelle schädigenden
Einflüsse auffallend resistent. Am häufigsten kann man noch eine Hyper-
trophie des Nukleolus antreffen und zwar in Zellen, die im Begriffe sind,
zu Grunde zu gehen. Gelegentlich, aber selten, trifft man auf eine ex-
zentrische Lagerung des Nukleolus, auch mehr ausgesprochene Vakuolisierung
(etat vasculaire ?), schwächere Färbbarkeit. Die von Marinesco beschrie-
bene Desintegration des Nukleolus, bis zu dessen völligem Schwinden nach
Ausreißen der betreffenden Nerven, konnte nicht bestätigt werden.
Die zuerst von Negri beschriebenen Eiuschlüsse in den Nervenzellen
lyssakranker Tiere (vgl d. Ber. 1903, p. 249) hat Schiffmann (95)
unter verschiedenen Bedingungen eingehender studiert. Er kann drei Ab-
arten unterscheiden: 1. große polymorphe Körper, die in ihrem Inneren
eine größere Anzahl scharfumgrenzter, riugfönniger Gebilde enthalten,
2. Formen, welche einem einzigen solchen Innengebilde entsprechen, 3. ganz
homogene bis zu den kleinsten, eben noch wahrnehmbaren. Es läßt sich
bezüglich dieser Formen eine Abhängigkeit von der Tierart nachweiseu ; bei
Hunden mit Straßenwut und bei Menschen fanden sich alle drei Formen;
nach Uberimpfen auf eine Ratte konnte nur die dritte Form nachgewiesen
werden. Femer besteht das Gesetz, daß die kompliziert gebauten Formen
bei Passagen durch Kaninchen an Zahl sich verringern und schließlich bei
vielen Passagen selbst die kleinen Körper zu schwinden scheinen. Die Be-
deutung dieser Gebilde läßt sich noch nicht sicher präzisieren, es kann
nicht einmal sicher behauptet werden, daß sie dort, wo sie nicht nachweis-
bar sind, wirklich fehlen, da ja dann ihre minimale Größe möglicherweise
sie mit den zur Verfügung stehenden Methoden nicht zur Darstellung
bringen läßt. Man kann morphologisch weder sichere Beweise für ihre
parasitäre Natur vorbringen, noch dafür, daß es sich um Degenerations-
produkte handle.
Die feinere Struktur dieser Negri sehen Körper hat Maresch (60)
mittelst der Bielschowskyschen Silberfärbung untersucht. Die meisten
lassen eine gewisse Regelmäßigkeit des Aufbaus erkennen; es zeigen
nämlich die runden Formen fast durchwegs ein größeres schwarzes Korn in
der Mitte, welches von zahlreichen kleinsten schwarzen Körnchen umgeben
ist; diese Anordnung ist auch an den sehr kleinen runden Einschlüssen
wieder zu erkennen. Hingegen ist dieser Typus der Struktur an den größeren,
▼on der Kugelf orm abweichenden Einschlüssen mehr oder minder vermischt;
sie enthalten oft mehrere in unregelmäßiger Weise angeordnete größere
Körnchen, welche aber auch mehr eine zentrale Lage haben, während die
kleineren Elemente in der Peripherie lokalisiert sind. Wenn auch diese
Befunde geeignet sind, den Gedanken an die parasitäre Natur der Negrischen
Körper nahezulegen, so bilden sie doch andrerseits noch keinen ausreichenden
Beweis für eine solche Annahme.
Bertarelli (8) ist der Ansicht, daß die Anwesenheit der Negrischen
Körperchen mit Sicherheit den Schluß gestattet, das Tier sei wutkrank ge-
Jahrabericht f. Neurologie u. Psychiatrie 1906. 13
194 Allgemeine pathologische Anatomie der Elemente des Nervensystems.
wesen, während bei deren Fehlen mit größter Wahrscheinlichkeit Wnt aus-
geschlossen werden kann. Es genügt, die Pyramidenzellen des Ammonshoms
zu untersuchen, wo sie am konstantesten auftreten; die Negrischen
Körperchen sind acidophil und färben sich mit Eosin tief; sie werden aber
auch durch Osmiumsäure schwarz gefärbt. Über ihre Bedeutung kann man '
noch nichts sicheres aussagen; es ist wenigstens nicht möglich, den parasitären
Charakter dieser Gebilde (Protozoen), wie er von manchem angenommen
wird, festzustellen.
Saltykow (89) hat Stückchen des Großhirns bei Kaninchen uni'
schnitten, herausgehoben und alsbald wieder reponiert, also nicht eine
Transplantation, sondern eine Replantation ausgeführt; dabei fiel das
replantierte Stück nicht etwa einer Erweichung anheim, sondern heilte ein^
und dessen zellige Elemente blieben eine größere Zeit erhalten; sie zeigten
erst progressive Veränderungen und gingen später, was die spezifischen
Elemente anlangt, zu Grunde. Einzelne gut erhaltene Ganglienzellen konnten
bis zum achten Tage aufgefunden werden. Manche aber fallen bereits acht
Stunden nach der Operation durch ihre Größe auf, ihr Protoplasma wird
blasser, kömig, angeschwollen. Bald zeigen sich auch besonders große und
chromatinreiche Kerne mit mehreren Kernkörperchen, und gelegentlich
gelingt es auch, Übergänge von diesen Kernformen zu den sich mitotisch
teilenden Kernen anzutreffen. Solche Mitosen in den Ganglienzellen waren
durchaus nichts seltenes und konnten namentlich in der Umgebung der
Operationsstelle schon vom zweiten Tage an in reichlicher Menge gesehen
werden; dabei sind es sowohl Knäuelformen als Monaster, nicht selten
auch Metakinese und Bildung von Tochterzellen. Solche Mitosen wurden^
meist in großer Menge, bis zum sechsten Tage nach der Operation angetroffen,
um vom siebenten Tage an zu verschwinden. Auch direkte Kernteilung in
den Ganglienzellen wurde nicht selten wahrgenommen. Der Autor will auch
die Umwandlung hyalin degenerierender Ganglienzellen in Amyloidkörperchen
beobachtet haben. Die schrumpfenden Zellen geben in ihrem Verhältnis
zur umgebenden Substanz den Beweis für die Präexistenz pericellulärer
Räume. Vom achten Tage an verkalken auch manche Ganglienzellen. Die
Nervenfasern degenerieren und verschwinden bald in dem replantierten Stück.
An den Gliazellen zeigen sich vom siebenten Tage an zahlreiche Mitosen»
die bis zum 20. Tage wiederzufinden sind. Die Gefäße lassen vom zweiten
bis dritten Tage eine üppige mitotische Wucherung der Endothelien und
der perivaskulären Zellen erkennen.
Nach Saltykow's (90) Erfahrungen bieten die Heilungsvorgänge bei
Erweichungen, Lichtungsbezirken und Cysten des Gehirns sowohl ihrem
Wesen nach, als vor allem in bezug auf die Heilungsvorgänge an demselben
eine gewisse Verwandtschaft. S. stimmt mit Weigert darin überein, daß
bei reparatorischen Prozessen des Zentralnervensystems die Glia sich analog
dem Bindegewebe verhält.
Bei den Hirnerweichungen variieren die Vorgänge je nach der Gestalt^
Größe und Lokalisation der Erweichung ganz beträchtlich. Am häufigsten
besteht nach einer gewissen Zeit das Innere des Herdes aus einem Balken-
werke, von Blutgefäßen, nach außen von diesem zentralen Teil befindet sich
eine Schicht von meist konzentrisch verlaufenden Gliafasem und Gliazellen.
Je nach dem Alter der Erweichung handelt es sich entweder um Spinnen-
zellen und Pinselzellen oder um dichtere faserige Massen. Die zentralwärts
gelegenen Schichten sind vorwiegend faserig, die peripheren zellig. Die
Gefäße des zentralen Balkenwerkes sind oft van faserigem Bindegewebe
Allgemeine pathologische Anatomie der Elemente des Nervensystems. 195
umgeben, doch strahlen nicht selten Gliafasern von der Gliaschicht in die
peripheren Balken hinein.
Ferner kommen solide Narben vor, die aus den größeren Herden
henrorgegangen sind und zentral aus eiuer bindegewebigen, peripher aus
Gliagewebe bestehen. Bei den sogenannten Erweichungscysten ist das zen-
trale Balkenwerk besonders weitmaschig und von einer dichten, peripheren,
gliösen Zone umgeben. In weiteren Fällen ist das bindegewebige Netzwerk
nur an der Grenze mit Gliagewebe vorhanden, der zentrale Teil stellt eine
einfache Höhle dar. Die Lichtungsbezirke unterscheiden sich von den Er-
weichungen im wesentlichen hinsichtlich ihrer Heilung dadurch, daß sie be-
deutend kleiner sind und der Zerstörungsherd ganz besonders elektiv um
sich greift, — es degenerieren zunächst fast ausschließlich die Markscheiden
und Ganglienzellen. Die Gliazellen bleiben gut erhalten.
Bei den Gehirncysten konnte S. sich davon überzeugen, daß die
meisten, vital entstandenen Cysten durch die Erweiterung der perivaskulären
Bäume zustande kommen, die adventitiellen Bäume kommen nur in zweiter
Linie in Betracht. Schon bei verhältnismäßig geringer Erweiterung jener
Säume findet man oft eine Wucherung der Gliazellen um diese herum und
später die Bildung einer verschieden dichten, faserigen Gliaschicht. Die
Gliose schreitet immer weiter fort. Durch die Schrumpfung der Glia ver-
kleinem sich die Cysten ganz beträchtlich. (Bendia:.)
Zu weiterer Ausfühnmg seiner bereits im vorigen Jahre (vgl. d. Ber.
1904 S. 225) kurz mitgeteilten Versuche gibt Obersteiner (76) eine ein-
gehende Beschreibung der Veränderungen, welche sich nach Bestrahlung
mit Eadium an den Elementen des Nervensystems von Mäusen auffinden
ließen. Wenn dieselben auch recht bedeutend sein können, so sind sie doch
nicht so sehr auf eine direkte Schädigung der Nervenelemente zurückzu-
führen, sondern vielmehr der Ausdruck einer, durch die Radiumstrahlen er-
zeugten allgemeinen Störung der Zirkulation und des Stoffwechsels.
Jellinek (41) fand bei einem durch elektrischen Starkstrom getöteten
Mann, außer Blutungen in der grauen Substanz des Rückenmarkes, in einigen
Vorderhornganglien deutliche Veränderungen, die sich auf die Form der
Zelle und des Kernes bezogen. Außerdem waren oftmals die Protoplasma-
lortsätze nnd die Achsenzylinder verquollen und Chromatolyse, Tigrolyse
Dachweisbar. (Bendia,)
Um den Einfluß der zerebralen Erregungen auf motorische Vorderhorn-
zellen, deren Nerv durchschnitten war, auszuschließen, haben Parhon nnd
Groldstein (79) au Kaninchen, Katzen und Hunden den N. ischiadicus
und auch die Medulla in der oberen Lendengegend durchtrennt. Bereits
nach 3 Tagen waren die entsprechenden Vorderhornzellen geschwellt, mit
konvexen Konturen, der Kern leicht vergrößert; der Zellleib zerfiel in zwei
Zonen, eine perinnkleäre, anscheinend wenig veränderte und eine periphere,
die manchmal breiter als jene und nahezu ohne Achromatinkörper war.
Ibnchmal konnte man protoplasmatische, schollenreiche Fortsätze von der
perinukleären Schicht bis an die Peripherie herantreten sehen; andrerseits
wd gelegentlich die innere Zone dnrch ein Band in Achromatolyse durch-
bogen. An einem Kontrolltiere, dem bloß der N. ischiadieus durchschnitten
worden war, fanden sich nur geringe Veränderungen, leichte Zellschwellungen,
sehmale und partielle periphere Chromatolyse. An einem Kaninchen, welches
<üe doppelte Operation 23 Tage überstanden hatte, war die periphere
Achromatolyse ungemein vorgeschritten, der perinukleäre Teil der Zelle
manchmal pyknomorph ; in manchen Zellen fehlten die Schollen fast gänzlich.
Bei dem Kontrolltiere mit einfacher Ischiadikusdurchschneidung war die
13*
X96 Allgemeine pathologische Anatomie der Elemente des Nervensystems.
Reparation der Zellen beinahe vollendet, aodaß sie oft von normalen nur
schwer unterschieden werden konnten. Man darf daher aus diesen Ver-
suchen schließen, daß die Durchschueiduug des Rückenmarks einen gewissen
Einfluß auf die motorischen Zellen, deren peripherer Nerv durchtrennt ist,
hat, daß die von den höheren Zentren kommende Nerveneregung die Zellen-
veränderung beschleunigt, andererseits wird durch die Ausschaltung dieser
zerebralen Erregungen der Eintritt der Reparation verhindert. — Bemerkens-
wert erscheint übrigens, daß nach Durchschneidung des Markes nicht bloß
die mit dem durchtrennten N. ischiadicus in Verbindung stehenden Zellen
Veränderungen zeigten ; die Verfasser sind geneigt, diese Erscheinung durch
nutritive Störungen der Zellen infolge Unterdrückung der zerebralen Er-
regungen zu erklären.
Eine ähnliche Versuchsanordnung hat auch Marinesco (62) benützt.
Er ist der Ansicht, daß die zu beobachtenden Veränderungen in erster
Linie auf die Durchschneidung des Rückenmarkes, d. h. auf den Ausfall
der zerebralen Reize zurückzuführen sind, und daß ihr Auftreten durch die
gleichzeitige Durchtrennung der entsprechenden peripheren Nervenfasern
(Achsenzylinder) lediglich begünstigt w^erde; es handelt sich dabei um nutritive
Störungen, welche zu Strukturveränderungen in der Zelle führen, die sich
wesentlich von denen nach einfacher Nervendurchschneidung unterscheiden.
Beim Kaninchen zeigen sich diese Veränderungen früher als beim
Hunde und auch intensiver. Bereits nach 3 Tagen bemerkt man bei jenem
Tiere eine beträchtliche Anschwellung des Zellkörpers, des Kerns und des
Kernkörperchens mit Chromatolyse und selbst Achromatose an der ganzen
Peripherie oder nur an einem Teile derselben. Später verkleinert sich die
Zelle wieder, und es beginnt die Neubildung der Tigroidkörperchen ; bei
manchen Zellen aber führt die Schrumpfung zur Atrophie. Immer ist die
Reparation eine verspätete und inkomplette. Manchmal sind die aktiven
Vorgänge im Nukleolus der betreffenden Zelle ausgebildeter; es findet sich
dann eine Vermehrung oder Hypertrophie der Granulationen im Nukleolus,
die zu einer Emission di§ser Granula und einer Neubildung von Keni-
körperchen führen kann. Auch diese Vorgänge sind auf die durch die
doppelte Läsion erzeugte Ernährungsstörung zurückzuführen, doch dürfte noch
ein anderer Paktor, z. B. das Alter der Tiere dabei auch eine Rolle spielen.
In dem Gehirne eines 10jährigen Knaben, der zwei Tage nach einem
Schädeltrauma gestorben war, konnte Dinkler (22) schwere Veränderungen
an den Nervenzellen der Hirnrinde auffinden. Oft ist die färbl)are Substanz
zu einer feinkörnigen, das Methylenblau intensiv aufnehmenden Maße zer-
fallen, in welcher der diffus gefärbte Kern mit den Kernkörperchen ge-
radezu aufgeht. Die Färbung setzt sich eine Strecke weit in den Achsen-
fortsatz hinein fort. In anderen Zellen ist der feinkörnige Detritus zum
großen Teil schon resorbiert, der Rest ist bald an dieseni, bald an jenen
Teil des Zellleibs angehäuft; die Zellen erscheinen infolgedessen einmal von
einem Streifen dicht aneinander gelagerter Tigroidkörper durchzogen, ein
andermal findet sich eine besonders dichte Anhäufung der Zerfallsprodukte
an der Abgangsstelle eines Fortsatzes. Der diffus gefärbte Kern erscheint
oft in die Länge gezogen und aufgebläht. Manchmal sieht man eine ziem-
lich breite, tigroidfreie Perinuklearzone. Endlich ist öfter von der Zelle fast
nur mehr der dunkel gefärbte Kern sichtbar, die Tigroidsubstanz vollkommen
geschwunden, der Zellkontur kaum mehr zu erkennen. In einem andern
Falle, der noch V;^ Jahre nach dem Trauma gelebt hatte, waren die Qefäß-
veränderungen besonders in die Augen springend, teils Verdickung der
Allgemeine pathologische Anatomie der Elemente des Nervensystems. 197
Wandnngen durch sklerotisches oder hyalin entartetes Bindegewebe mit nur
Tereinzelten Kernen, teils starke, zellige Infiltration aller Gefäßschichten.
Gasparini (33) findet, daß nach Exzision des Ganglion cervicale der
einen Seite sowohl beim Hunde wie beim Affen nach Verlauf weniger
Wochen weitgehende Veränderungen an den Zellen des Ganglion der anderen
Seite sich einstellen. Auch am lebenden Tiere zeigt sich bereits aus der
fieaktioü der Pupille der Seite, auf der die Exstirpatiou des Ganglions
nicht ausgeführt worden ist, daß funktionelle Veränderungen im Gebiete des
Sympathikus vorhanden sein müssen. Bleiben die Tiere nach einseitiger
Exzision lange genug am Leben (bis zu 2 Monaten), so fallen sie einem
eigentümlichen Marasmus anheim, an dem sie ziemlich schnell unter den
Erscheinungen großer Erschöpfung zu Grunde gehen. — Sechs Mikro-Photo-
graphien sind der Publikation beigegeben, aus denen der Unterschied zwischen
den normalen Ganglien und den erkrankten (den krankhaften Prozeß nennt
der Autor einen sklerotischen) deutlich hervorgeht. (Merzbacher,)
In dem Kleinhirne einer 54jährigen Frau, welche neben anderen Er-
scheinungen auch ausgesprochene cerebellare Ataxie gezeigt hatte, fand
Thomas (102) an verschiedenen Stellen zahlreiche Läppchen, in denen die
Pnrkinjescheu Zellen bis zum völligen Schwunde atrophiert waren; an ihrer
Stelle bestand ein dichtes Gewirre von Gliafasern nebst zahlreichen Glia-
kernen. Die anderen Schichten der Kleinhirnrinde in den betreffenden
Läppchen zeigten ebenfalls, wenn auch leichtere Veränderungen. Im
geringeren Grad konnte eine solche Atrophie der Purkinj eschen Zellen
auch in der Tabes und der disseminierten Sklerose konstatiert werden.
Zabriskie (106) hat den unteren Teil des Rückenmarkes eines
Mädchens untersucht, dem 2 Jahre vorher ein Unterschenkel amputiert
worden war. Das Ergebnis war ein vollkommen negatives, was das Verhalten
der verschiedenen Arten von Nervenzellen betrifft; genaue Zählungen auf
beiden Seiten ergaben nahezu gleiche Zahlen, nur einzelne leicht veränderte
Zellen fanden sich in allen Höhen und auf beiden Seiten (wahrscheinlich
Folge des Typhus).
Für die viel diskutierte Frage nach einer eventuellen Neubildung oder
Regeneration von Nervenzellen könnten die Angaben von' Ciaccio (20)
herangezogen werden, welcher im Bauchsympathikus von Vögeln Neubildung
von Xervenzellen beobachtete; sie stammen aus kleinen Zellkolonien, die
durch direkte Teilung von „Keimzellen" entstanden sind.
Laignel-Lavastine (47 und 48) hat seine Untersuchungen über den
abdominalen Sympathikus fortgesetzt (vgl. bes. d. Ber. 1903 S. 251). Die
Ganglien des Plexus solaris zeigten in akuten Infektions-Krankheiten (Typhus,
Peritonitis u. a.) parenchymatöse und degenerative Alterationen, in lang-
sameren Prozessen mehr Infiltrationen. Es ist darauf zu achten, daß solche
Prozesse dauernde Schädigungen der Ganglien nach sich ziehen können, die
im Stande sind, in der Folge Veranlassung zum Auftreten visceraler Neu-
rosen zu geben.
d'AmatO und Macri (4) haben an Hunden, denen sie durch Alkohol-
einflöBen Gastritis erzeugten, und bei Menschen, die an Magenkrankheiten
gelitten hatten, die Ganglien der Magenwand untersucht: Bei der experi-
mentellen Gastritis fanden sich immer Zellveränderungen (Achromatolyse,
A akuolenbildung, Karyolysis, Atrophie). Bemerkenswert erscheint, daß sich
derartige Veränderungen der Ganglienzellen auch an Stellen finden, wo die
Entzündungserscheinnugen auf die Mukosa beschränkt blieben; sie sind als
Ausdruck einer die Ganglien schädigenden Wirkung der in den Magen ein-
geführten oder dort gebildeten Substanzen anzusehen.
X98 Allgemeine pathologische Anatomie der Elemente des Xenrensystems.
II. Nervenfasern.
Die Frage nach der zentralen oder autochthonen Regeneration der
Nervenfasern hat auch im Berichtsjahr eine Reihe von einschlägigen Arbeiten
angeregt. Der Umstand, daß die Anschauung einer autochthonen Regene-
ration erst in jüngerer Zeit wieder mehr gegenüber der zentralen zur Geltung
kommt, mag die Ursache sein, daß die Vertreter jeuer umso häufiger und
lauter ihre Stimme erheben. Immer mehr macht sich aber auch eine ver-
mittelnde Auffassung geltend, wonach eine autochthone Nervenbildung im
gewissen Sinne und Grade zwar angenommen werden muß, aber nur unter
dem Einflüsse des Zentrums zu anatomischer und funktioneller YoUwertig-
keit führen kann.
Mittels Durchschneidungen und anderen Läsionen der Nerven hatModena
(71) die Degenerations- und Regeuerationsvorgänge studiert. Fibrillen und
Perifibrillensubstanz fallen bei der Degeneration einem typischen kömigen
Zerfall anheim, welcher von einem vakuolären Zustand und einer Fragmen-
tierung des ganzen Achsenzylinders begleitet ist; dieser Zerfall ist bei jeder
Art von Verletzung vollkommen im peripheren Abschnitt, befällt aber nur
einzelne Fasern des zentralen Abschnittes und macht an diesem für gewöhn-
lich in geringerer Entfernung von der Läsion Halt. Die ersten Verände-
rungen des Myelins treten gleichzeitig mit denen des Achsenzylinders auf.
Die Kerne der interannullären Segmente zeigen bereits 24 Stunden nach
der Operation karyokinetische Bilder und bilden nach 10 — 15 Tagen die
bekannten Bandstreifen, welche als Anfänge der neuen Achsenzylinder an-
gesehen werden müssen. Nach 18 — 28 Tagen treten Fadenbildungen seit-
lich der Kerne der interannullären Segmente auf. Gleichzeitig beginnt die
Neubildung der Markscheide, die wenigstens zum Teile von den Neuro-
blasteu, vielleicht unter Verwendung von Resten der früheren, zerfallenen
Scheide, aufgebaut wird. An ausgewachsenen Tieren ist eine Regeneration
ohne Vereinigung der Stümpfe unmöglich ; doch kommt es im peripheren
Stumpfe zum Versuche einer beginnenden Regeneration. Es muß also ein
Einfluß der Zentren auf den Regenerationsvorgang angenommen werden;
ohne diesen Anreiz vom Zentrum aus ist eine komplette oder dauerhafte
Differenzierung der verschiedenen Bestandteile der Nervenfasern nicht mög-
lich, wenn auch die Regeneration durch die Tätigkeit peripher befindlicher
zelliger Elemente zustande kommt.
Aus den Versuchsergebnissen Laplnsky's (50) über Degeneration und
Regeneration peripherer Nerven heben wir folgendes hervor: Im Anfangs-
stadium der Degeneration verflüciitigt sich die Achsenzylinderfärbung an
einzelnen Stellen, während sie sich in den Zwischenstücken konzentriert; es
beruht dies wahrscheinlich auf ungleichen Dichtigkeitsveränderungen des
Achsenzylinders, Zerfaserung, Flüssigkeitsimbibierung, Verflüssigung, wodurch
der Aclisenzylinder ein gekörntes Aussehen annimmt, vakuolisiert wird und
endlich in einzelne Stücke zerfällt, die sich ihrerseits auch noch in der
Längsrichtung zerspalten können. Einzelne Achsenzylinder, besonders solche
der marklosen Fasern, zeichnen sich durch besondere Widerstandskraft aus.
Die Fasern des peripheren Stumpfes können sich auch autochthon regene-
rieren, doch kommt diese Fähigkeit den einzelnen Fasern in verschiedenem
Grade zu, manchen fehlt sie. Die autochthon regenerierten Fasern schwinden
nach und nach zum Teile wieder. Die Regeneration geht nicht bloß inner-
halb der alten Schwann sehen Scheiden vor sich, sondern sie kann sogar
außerhalb der Hüllen des betreffenden Nerven, in dem umhüllenden Gewebe
stattfinden. Autochthon entwickelte Fasern erscheinen unvollständig, der
Allgemeine patiiologische Anatomie der Elemente des Nervensystems. 199
fibrilläre Bau des Achsenzylinders, die Markscheide und die Schwann sehe
Scheide sind entweder gar nicht entwickelt oder in einem embryonalen
Stadium geblieben.
Auch Marinesoo und Minea (68) nehmen einen ähnlichen ver-
mittelnden Standpunkt ein gleichwie Moden a, Sie haben sich bei ihren
Untersuchungen über die Regeneration peripherer Nerven der Cajalschen
Silbermethode bedient Es finden sich im peripheren Stumpfe, der dauernd
von seinem Zentrum getrennt ist, jene Vorgänge, die für eine autochthone
Regeneration charakteristisch sind, solche sind aber auch im zentralen
Stumpfe nachweisbar ; während aber in letzterem die Regeneration eine
vollständige ist infolge der funktionellen und nutritiven Beeinflussung von
Seiten der Ursprungszellen, geht sie im peripheren Stumpfe langsamer vor
sich und bleibt unvollständig, beschränkt sich auf die formative Tätigkeit
der aus der Proliferation der Schwannschen Kerne hervorgegangenen
spindelförmigen Zellen. Es erscheint daher der Einfluß vom Zentrum her
unbedingt notwendig zu einer vollständigen und dauernden Regeneration der
Nervenfasern.
In einer späteren Arbeit gibt Marinesco (67) ausführlichere Mit-
teilungen über seine Regenerationsversache an Nerven. Er legt wieder
großen Wert auf die wesentliche Bedeutung, welche den hyperplastischen
Kernen der Schwannschen Scheide bei der Regeneration zukommt. Alte
und junge Tiere verhalten sich gleich, nur geht bei letzteren der ganze
Prozeß viel rascher vor sich. — Die neuen Fibrillen bilden sich aus einer
Sukzession von Granulis, die sich erst nach und nach aneinander lagern.
Bemerkenswert erscheint es, daß M. auch ähnliche Bilder beobachten konnte,
wie die gleich zu erwähnenden von Peroncito — beide bedienten sich der
gleichen Methode (Silber nach Cajal). Nur sind dieser sowie Cajal selbst
zu dem Schlüsse gelangt, daß die Regeneration vom Zentrum her stattfinde.
Durch Anwendung seiner neuen Silbermethode konnte Cajal (15, 16)
sich davon überzeugen, daß die jetzt von vielen Seiten verfochtene Auto-
regeneration der Nerven nicht bestehe, sondern nur auf Grund falscher und
falsch gedeuteter Beobachtungen angenommen wurde. Man kann sich leicht
an jungen Tieren davon überzeugen, daß mit dem Beginne der zweiten
Woche nach der Durchschneiduug des Nerven aus dem zentralen Stumpfe
marklose Fasern durch die Narbe in den peripheren Stumpf einwachsen
und den letzteren auch trotz aller Hindernisse erreichen. Unter gewöhn-
licheli Verhältnissen geschieht dies sehr rasch, bei Vorhandensein erschweren-
der Umstände erst nach 3, 4 Monaten oder noch später. In diesem letzteren
Falle ist auch die im peripheren Stumpfe vorhandene Anzahl der neuen
Fasern eine geringe. Sie finden sich hier sowohl innerhalb der alten
Scheiden, als auch zwischen diesen. Das freie Ende der wachsenden Faser
zeigt eine Anschwellung (masse oder olive terminal), dem embryonalen
Wachstumkonus vergleichbar. Häufig findet man aucli diese EndkoIi)eu
hochgradig hypertrophiert ; wahrscheinhch handelt es sich dann um eine
Anhäufung der Achsenzylindersubstanz in solchen Fasern, die aus irgend
einem Grunde ihr Ziel nicht erreichen können. Manchmal siebt man auch
in der Narbe oder im peripheren Stumpfe sehr reiche, freie Endveräste-
lungen (etat d'amoeboidisme divis6); es dürfte hier eine überrasche
Wachstumsperiode vorliegen, und man kann annehmen, daß, wenn einmal
die Fasern den richtigen Weg gefunden haben, die überflüssigen Zweige
»chvinden und die restierenden sich mit ihrer Endanschwellung versehen.
Eine Vermehrung., der jungen Fasern durch Bifurkation in gleich starke
oder ungleiche Aste findet fast ausschließlich in der Narbe, und zwar
200 Allgemeine pathologische Anatomie der Elemente des Nervensystems.
besonders in der Nähe des peripheren Stumpfes nnd auch noch in diesem
letzteren statt, sie fehlen aber bereits nach einigen Millimetern.
Gleichfalls mit Hilfe der Cajalschen Fibrillenfärbung konnte
PeroncitO (81) an den sich regenerierenden Nerven eine Reihe neuer
Tatsachen beobachten. Die Regeneration beginnt bedeutend früher als ge-
wöhnlich angenommen wird, sodaß sie 48 Stunden nach der Durchschneidung
bereits in deutlicher Weise erkennbar ist. Nach zehn Tagen ist das ganze
Narbengewebe von neu gebildeten Nervenfasern durchzogen, und es scheint,
daß sie in dieser Periode in den peripheren Stumpf einzuwandern beginnen.
Jetzt sind auch die Endkolben der wachsenden Fasern am besten aus-
gebildet; sie zeigen in ihrem Innern ein dichtes Netzwerk feinster oder auch
stärkerer Fibrillen, und an ihrem freien Pole eine Zelle mit wenig Proto-
plasma und einem meist abgeplatteten Kern. Eine besonders eigentümliche
Bildung kann man oft im Bereiche der Narbe beobachten. Es handelt sich
um Nervenfasern, die um eine oder mehrere dickere Fasern eine große An-
zahl von manchmal äußerst dicht liegenden Schrauben Windungen ausführen.
Nach 20 Tagen sind die neugebildeten Fasern im peripheren Stumpf bereits
in großer Anzahl vorhanden. Bemerkenswert ist auch, daß die marklosen
Fasern im peripheren Stumpf sich sehr lange (bis zu zehn Tagen und seihst
länger) intakt erhalten können.
Nach den Ergebnissen seiner an 21 Kaninchen angestellten Versuche
muß auch Lndlnm (53) sich gegen eine autochthone Regeneration der
Nerven aussprechen.
Auf Gruud einer reichen und sorgfältig durchgeführten Versuchsreihe
vermag RaimanH (84) bemerkenswerte Beiträge zur ßegenerationsfrage za
bringen, ohne freilich die strittigen Fragen abschließend beantworten zu
können. Der Verf. hat zunächst die Bethesche Neuentdeckung der auto-
genen Nervenregeneratiou nachgepiüft, beschreibt diese, sowie zahlreiche
Kontroliversuche in extenso, vermeidet es aber, alle Nervenbilder und Be-
funde deuten zu wollen; er beschränkt sich vielmehr auf die Feststellung, daß
die Nervendegeneration wie -regeneration beim Neugeborenen ungemein
viel schneller von statten geht und viel weiter führt als beim älteren Tiere;
daß jene Protoplasmafasern, welche eine Läsionsstelle überbrücken, ver-
schieden weit und in verschiedener Weise Mark bekommen, daß aber jeden-
falls der Regenerationsvorgang im Nerven etwas Einheitliches darstellt und
mit I'berwinclung bedeutender Schwierigkeiten ein geschlossenes Fasersystem
sich wieder ausbildet. •
Schnitze (97 a), ein strenger Gegner der Neuronlehre, kommt haupt-
sächlich auf Grund seiner Untersuchungen über die Entwicklung der peii-
pheren Nerven zu dem Schlüsse, daß der aus eigenen Energiden entstandene
periphere Nerv die Fähigkeit besitze, aus diesen nämlichen Elementen —
den peripheren Neuroblasten, deren Kerne die Seh wann scheu Kerne sind
— den entstandenen Defekt zu decken; die Regeneration des Nerven ist
nicht bloß autogen, sondern auch isogen. Die periphere Faser ist kein Zell-
fortsatz mit aufgelagerten Scheidenzellen, sondern ein Syncytium mit zahl-
losen eigenen „trophischen" und regenerationsfäliigen Zentren. —
Die periphere Nervenfaser besitzt nach den Untersuchungen von
Okada (78) zwei Faktoren der Trophik, den einen weit von ihren Gang-
lienzellen her, den anderen, lokalen von den Nervenarterien. Diese beiden
Ernährungsquellen müssen zur Erhaltung der anatomischen und physiologischen
Integrität der Nervenfasern zusammenwirken; keine von diesen beiden Er-
nährungsquellen steht in der Konkurrenz wesentlich hinter der anderen ziurück,
keine allein ist ausreichend. Wenn der N. ischiadicus des Kaninchens durch
Allgemeine pathologische Anatomie der Elemente des Nervensystems. 201
Unterbindung der Art glutaea inf. seiner wichtigsten vaskulären Ernährungs-
queile beranbt worden war, so entsteht in den Nerven eine Faserdegeneration^
welche übrigens sich von der Ponn der Wallerschen nicht wesentlich unter-
scheidet Ferner ist die Eegenerationsfähigkeit der anämisierten Nerven-
fasern eine große.
Zunächst macht Merzbacher (69) darauf aufmerksam, daß die
Nervenfasern unter gewissen Umständen einem regressiven Prozesse (Nekrose)
aoheimfallen können, der sich von der gewöhnlichen Degeneration (Wallerscher
Typns) wesentlich unterscheidet — Dieser nekrobiotische Prozeß charak-
terisiert sich ganz besonders dadurch, daß der Zerfall der Markscheiden in
größereu oder kleineren Myelintropfen, die Rosenkranz- und Elipsoidbildung
entweder nur angedeutet sind oder ganz fehlen. Die Markscheiden sind
meist leicht verbreitert, werden durch Osmium nur mangelhaft geschwärzt^
erhalten ein starres Aussehen und erscheinen aus unregelmäßigen Schollen
und Platten zusammengesetzt, die konzentrisch angeordnete Schichten er-
kennen lassen. In anderen Fälleu erscheint der Markmantel wie fein bestäubt
Wenn nun kleine Stücke des Ischiadicus entweder demselben Tiere (Warm-
blüter) oder einem anderen derselben Spezies zwischen die Muskeln implan-
tiert wurden^ so fanden sich nach 4 Tagen daselbst bereits an den meisten
Nervenfasern (später noch ausgebildeter) die Zeichen der Degeneration, an nur
wenigen die der Nekrose. Auch bei Kaltblütern wurden Auto- und Homo-
transplantationen vorgenommen ; hier kann das transplantierte Nervenstück
tagelang (bis 10 Tage) ganz intakt bleiben, degeneriert aber in 2 — 3 Tagen,
wenn man das Tier dann in den Brutofen (27 — 30 ^) bringt. Nur das lebende
Gewebe scheint die Fähigkeit zu besitzen, die transplantierten Nerven zur
Degeneration zu bringen oder unter Umständen lebend zu erhalten. Im
toten Tiere transplantierte Nervenstückchen zeigten ausschließlich Nekrose.
Wurden Nervenstückchen einem Tiere anderer Gattung implantiert, so wurden
sie als Fremdkörper behandelt und vei-fielen der Nekrose.
Aus den Versuchen von Okada (77) geht hervor, daß die Nerven
durch Radiumbestrahlung im wesentlichen nicht geschädigt werden; bei
Mäusen fand sich manchmal fettige Degeneration von Muskelfasern.
Roux und Heitz (88) haben ihre Versuche über die Degeneration
der Hautnerven nach Durchschneidung hinterer Wurzeln (vgl. d. Ber. 1904
p. 230) fortgesetzt. Während nach 240 Tagen zahlreiche Hautnerven im
Zustande der Degeneration gefunden wurden, fehlten sie aber nach 338
resp. 382 Tagen; dafür konnten zahlreiche leere Nervenscheiden angetroffen
werden. Es muß also angenommen werden, daß zwischen diesen beiden
Perioden der Degenerationsprozeß in den Hautnerven seinen Abschluß findet.
Dopter (27) hat die histologischen Veränderungen der peripherischen
Nervenfasern bei chronischem Hautödem einer Prüfung unterzogen und ge-
fanden, daß die sensorischen und motorischen Störungen bei chronischem
Bautödem von Alterationen der Hautnerven bedingt sind. Die Degene-
ration der Nerven kann in zweierlei Weise sich dokumentieren, als Wal 1er-
sche Degeneration und als segmentäre periachsiale. Letztere entstehe direkt
durch Eindringen der ödematösen Flüssigkeit, wobei nach und nach alle
Nervenelemente zu Grunde gehen, mit relativem Verschontbleiben des Achsen-
zrlinders. Sobald aber auch der Achsenzylinder zerstört oder derart affiziert
sei, daß die Leitungsfähigkeit des Nerven gelitten habe, so komme die Type
der Wallerschen Degeneration zu stände. (Bmdioc,)
Marburg (58) macht darauf aufmerksam, daß mittels der Biel-
schowsky sehen Methode in pathologischen Geweben neben dem Achsen-
zylinder auch die Glia mitgefärbt werden kann, so daß es unter Umständen
^02 Allgemeine pathologische Anatomie der Elemente des Nervensystems.
kaum möglich sein wird, zu entscheiden, oh man erhaltene Achsenzylinder
oder Gliafasern vor sich hat. In 3 Tuberkeln fanden sich noch in den
Randpartien sichere Achsenzylinder, allein bereits verändert; ähnlich in den
Gliomen.
In einer zusammenfassenden Darstellung der Lehre vom WallerscKen
Gesetze kommt van Oehuchten (34, 35) zu dem Schlüsse, daß es am
besten in folgender Weise zu modifizieren wäre: "Wenn ein peripherer oder
zentraler Nervenstrang in seiner Kontinuität unterbrochen wird, so degeneriert
der periphere Stumpf immer. Der zentrale Stumpf verhält sich aber ver-
schieden je nach der Intensität der Reaktionserscheinungen, die die Läsion
in den Ursprungszellen hervorruft; sind diese nur leichten Grades und führen
sie nicht zum Absterben der Zelle, so bleiben auch die Fasern des zentralen
Stumpfes erhalten, kommt es aber zur Atrophie der Zelle, dann erfolgt
dessen Degeneration. Bemerkenswert erscheint auch, daß van Gebuchten,
der sich bezüglich der autochthonen Regenerationen ganz auf Seite Bethes
gestellt hatte (s. d. Ber. 1904 p. 231), sich diesmal etwas vorsichtiger über
diesen Punkt äußert.
Die enorme Tendenz der Nerven zur Regeneration zeigt sich nach den
Erfahrungen von Perthes (82) in solchen Fällen, in denen wegen Trigeminns-
neuralgie wiederholte und verschiedenartige chirurgische Eingriffe vorgenommen
worden waren (Extraktion des peripheren Nerven nach Thiersch, partielle
Exstirpation des Ganglion Gassen u. a.). Ein Versuch an einem Hunde
hat gezeigt, daß der durchschnittene N. infraorbitalis nach Plombierung des
Canalis infraorbitalis mit Gold nicht mehr im stände war, auszuwachsen.
Odier (78 a) kommt wieder auf die Regeneration der motorischen
Endapparate zurück (vgl. d. Ber. 1904 p. 231). Dieser Prozeß kann in
dreifacher Weise stattfinden, durch partielle Degeneration und Regeneration
an Ort und Stelle, durch Neubildung dieser Apparate au Stellen, wo sie
wahrscheinlich primär nicht bestanden und endlich durch Knospung vom
Nerven aus. Letztere Regenerationsform findet sich nur in der Nähe der
Durchschnittsstelle des Nerven.
Eilvington (43, 44) hat an Hunden eine große Reihe von Trans-
plantationsversuchen von Nerven ausgeführt und seine Beobachtungen haupt-
sächlich an den Nd. peronei und tibiales gemacht. Es gelang ihm, anta-
gonistische Muskelgruppen von einem Nerven aus zu innervieren. Er fand,
daß bei der Verbindung eines Nervenstumpfes mit zwei Nerven die Nerven-
fasern im proximalen Nervenstumpfe sich teilen, und daß der Verlauf der
neugebildeten peripherischen Fasern kein regulärer, sondern ein unregel-
mäßiger war. Er vereinigte nicht nur mit gutem Resultate querdurch schnittene
Nervenstürapfe verschiedener Nerven, sondern spaltete auch einen Nerven und
vereinigte die beiden Teile mit zwei zentralen Nervenstiimpfen. (Bmdlx.)
III. Neoroglia.
Nach der Meinung von Anglade (5) ist die Gehirnerweichung keine
reine, einfache Nekrose, sondern immer von einer umschriebenen, gelegentlich
aber auch ausgebreiteten Encephalitis begleitet. Der encephalo-malacische
Prozeß spielt sich aber wohl nur im Bereiche der Neuroglia ab. Es treten
große Astrocyten mit zahlreichen Fortsätzen auf, die sich später aneinander
legen; dabei lösen sich die Kerne ab und geben wahrscheinlich Veranlassung
zur Entstehung der Körncheuzellen, die demnach auch gliöseu Ursprungs
wären.
Allgemeine pftihologische Anatomie der Elemente des Nerrensystems. 203
Bei chroDisch Geisteskranken trifft man nach Marchand (69) nicht
selten leichte, aber ausgedehnte meningeale Verdickungen, welche auf eine
Tor längerer Zeit überstandene Meningitis zurückzuführen sind. An solchen
Stellen sieht man dann Veränderungen in der Hirnrinde, die in erster Linie
die oberflächliche Glia betreffen; diese Schicht ist auffallig verdickt und
sendet unzählige Neurogliafäden in die Moleculärschichte hinab, die davon
schließlich ganz erfüllt wird. Das sklerotische Gewebe ist arm an Kernen.
Die daneben vorhandenen Veränderungen an den Tangentialfasern (Ver-
mindernng) und an den Nervenzellen (Raretizierung der Fibrillen, Fehleu
der Seitenäste an dem Spitzenfortsatz, starke Pigmentierung) pflegen über
das Grebiet der verdickten Pia hinauszureichen. Die Gefäße behalten ihr
oonnales Aussehen.
Krückmann (45) hat sich eingehender mit dem Verhalten der
Gliabestandteile der Retina abgegeben. Neben den Wucherungsprozessen
der Glia beschäftigt er sich auch mit dem Vorkommen von Pigmentkörnchen
in Gliazellen und Fasern, das außerordentlich häufig ist und auf einen
phagocjtären Vorgang zurückzuführen wäre; die Pigmentkörnchen können
«US den Pigmentepithelzellen, den Chromatophoren der Aderhaut oder aus
den roten Blutkörperchen stammen.
IV. Gensse.
Die syphilitische Erkrankung der Basalarterien (der Autor gebraucht
den zu Mißverständnissen führenden Ausdruck „Basilararterien") hat Fabinyi
(29) in drei Fällen untersucht. Bezüglich des Ausgangspunktes des Prozeßes
nimmt er einen vermittelnden Standpunkt ein, indem er annimmt, daß das
Virus der Syphilis jede der drei Arterienschichten primär ergreifen kann,
besonders Adventitia und Intima, seltener die Muscularis. Namentlich ist
festzuhalten, daß die Erkrankung der Intima und der Adventitia von ein-
ander unabhängig erfolgen, während die der Media mit der Entzündung der
Adventia in Zusammenhang zu stehen scheint. In der Intima findet sich
eine intensive Proliferation, die zur Obliteration führen kann; bei chronischen
Prozessen besteht das neu gebildete Gewebe aus zerstreut liegenden, manch-
mal konzentrisch geordneten, fortsatzreichen Zellen, die in eine gallertartige,
homogene Grundsubstanz eingebettet sind mit sehr spärlicher Infiltration,
während bei akutem Verlaufe die Intima die Struktur eines gewöhnlichen
Granulationsgewebes darbietet, aus dicht nebeneinander liegenden, großen
Bindegewebszellen besteht, zwischen denen auch frische Kapillaren und eine
starke Infiltration zu finden sind. Besonders resistent erweist sich die
Membrana fenestrata; der Autor schließt sich der Anschauung Heubners
an, daß es bei diesem Prozesse, und zwar in einer Periode des Stillstandes
zu einer Neubildung von elastischen Fasern komme, doch ist dies keines-
wegs für die Syphilis charakteristisch. In der Media und in der Adventitia
erzeugt die Syphilis dififuse Entzündungen und umschriebene miliare Herde,
wobei auch Riesenzellen vorkommen, die als spezifische Produkte der Syphilis
anzusehen sind. In den späteren Stadien wird das Gewebe aller drei
Schichten durch ein gleichförmiges, dem Granulationsgt^webo mehr oder
minder ähnliches Gewebe ersetzt; manchmal deutet nur die noch erhaltene
Elastica darauf hin, daß hier einst eine Arterie bestand.
Neuere Untersuchungen haben de Bnck (13) veranlaßt, seine Auf-
fassung der für die Binde der Paralytiker charakteristischen Plasmazellen
zu ändern; während er früher meinte, daß sie hämatogenen Ursprungs seien,
muß er sich jetzt der Anschauung derer anschließen, welche ihre fibro-
204 Spezielle pathologische Anatomie des Gehirns,
plastische Natur behaupten und sie hier aus den Elementen der Gefaßwände
entstehen lassen. Auch die ebenfalls libroplastischen Stäbcheuzellen Xissls
tragen in Gemeinschaft mit der Neuroglia bei zur Sklerosierung der atrophi-
schen Paralytikerrinde.
Nach dem Vorgange Virchows unterscheidet Simmoilds (98) das
eigentliche Angioma raceniosum von dem Aneur}'sma serpentinum o8er cir-
soideum, welch letzteres nicht so sehr eine Geschwulstbildung darstellt,
sondern lediglich auf Gefäßektasie und Schlängelung des Stammes einer
Arterie zurückzuführen ist. Es finden sich aber gelegentlich Zwischenglieder,
die man als Angioma arteriale serpentinum bezeichnen könnte. Von diesen
im Gehirne recht seltenen Bildungen werden zwei beschrieben. Im ersten
Falle handelt es sich um ein echtes arterielles Angiom des Occipitallappens,
das nicht als Effekt einer Gefaßwanderkrankung aufzufassen ist, sondern auf
einer Neubildung von Gefäßelementen beruht. Die Media erwies sich meist
als ganz normal, die Intima war mäßig verdickt, nur die Elastika war an
manchen Stellen stark aufgefasert oder schwer, selbst gar nicht mehr dar-
zustellen. Im zweiten Falle saß die Geschwulst in der Gegend der rechten
Zentralwindungen und erwies sich als eine aueurysmatisch erweiterte, stark
geschläugelte Arterie. In dem ektasierten Gebiete dieses Gefäßes fand sich
eine vorgeschrittene Alteration der Wände; Intima und Elastika sind nicht
erkennbar. Die Media fehlt auch stellenweise. Aber auch hier liegt nicht
bloß eine einfache Verlängening und Erweiterung der Arterie vor, sondern
eine wirkliche Neubildung (Angioma serpentinum).
In zwei Fällen mit hochgradiger, bis zum Verschluß des Lumens
führender Verkalkung der Hirngefäße hat Pick (83) diesen Prozeß genauer
studiert. Er ist der Meinung, daß zuerst die in der Muscularis verlaufenden
elastischen Pasern kolloid entarten und dann verkalken. In zweiter Linie
werden die Muskelfasern (vielleicht auch nach vorhergegangener Kolloid-
degeneration) von der Verkalkung ergriffen, wobei die Kerne relativ lang
sichtbar bleiben können. Die Adventitia widersteht am längsten. Vorher
kann bereits eine Wucherung der Intima stattgefunden haben. Eigentüm-
liche rundliche Gebilde mit sich dunkelfärbendem Kerne, die sich gelegentlich
fanden, wären am besten als Calcospheriten (Härtung) anzusprechen.
Als weiterer Beitrag zur Parasitologi<3 des Gehirns sind die Mitteilungen
von Schimamura (96) zu erwähnen, welcher im Gehirn, speziell in den
kleinen Gefäßen, zahlreiche Eier von Schistosomum japonicum auffand, die
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210 Spezielle pathologische Anatomie des Gehirns,
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14*
212 Spezielle pathologische Anatomie des Gehirns,
I. Pathologiscbs Anatom!« des Gehirns.
Mißbildungen und Entwicklungsstörungen im Gehirn.
Vogt's (194) Arbeit über die Mikrocepbalien bildet das erste Heft der
Arbeiten aus dem unter der Leitung v. Monakows stehenden himana-
tomischen Institut in Zürich. Nur derjenige, der mit den Schwierigkeiten
solcher Studien und speziell mit den Untersuchungen auf Grund von Him-
serienschnitten vertraut ist, kann sich eine Vorstellung über den enormen
Fleiß bilden, welcher vom Verfasser bei dieser Arbeit ver^^audt werden
mußte. Es ist unmöglich, in einem Eeferat auf viele interessante anato-
mische Einzelheiten einzugehen, es mögen hier nur kurz die allgemeinen
Schlußfolgerungen des Verfassers hervorgehoben werden. Es wurden im
ganzen drei Fälle von Mikrocephalie genau untersucht. Im Fall I fand
Verfasser folgendes: 1. Gewicht (Pormol) 126 g, Vergrößerung betrifft zu-
meist das Großhirn. Stumpfer Prontalpol. Lappung kaum angedeutet. Keine
eigentliche Furchenbildung. Grübchentypus. Insel liegt frei. Bilaterale
Symmetrie erhalten.
2. Der Frontallappen zeigt noch die der Norm ähnlichsten Verhält-
nisse. Das flächenhafte Grau überall wenig oder gar nicht gegliedert.
Makrogyrie. Rindendicke sehr variabel. Einstülpung eines ganzen Wendungs-
weges in die Tiefe des Marks an der Basalseite beider Hemisphären (Temporal-
teü). Stammganglien selbständig, der Norm entsprechend entwickelt. Ihre
Größe entspricht absolut dem Alter (zwei Jahre), also relative Hypertrophie.
Massenhafte Heterotopien, besonders im parietalen, temporalen und nament-
lich occipitalen Teil der Hemisphäre. Bildung einer areomeduUovaskulosa-
artigen Platte an der Basis der Hemisphäre.
3. Balkenmangel. Ein Teil (der aus dem Frontalhirn stammende)
der Balkenstrahlung nimmt den Weg durch die Commissura anterior. Der
übrige Teil der Balkenfasern wendet sich in sagittaler Bichtung und wird
zum Aufbau des Marks der gleichseitigen Hemisphäre verwendet (Balken-
längsbündel). Ein Teil endlich tritt dem Fornix bei. Das Fornix-System
erhält Fasern aus dem dem Septum pellucidum entsprechenden Teil der
medialen Hemisphäreuwaud (Pedunculus sept. pellucidi der Beutler). Die
Randwindung ist vollständig erhalten wie beim balkenlosen Marsupialier-
gehirn. Psalterium fehlt. Ein Teil der medialen Hemisphärenwand (occipital)
bleibt in embryonalem Zustand, d. h. epithelial. Der Seitenventrikel ist im
Frontalteil ein kapillarer Spalt, er wird nach vorn von den Stammganglien
überragt, nach rückwärts ist er enorm weit unter Persistenz eines großen,
blutgefäßreichen Plexus.
4. Das Mark ist nur im Frontalteil in deutliche Strata gegliedert. Die
nachweisbaren Strata botreflfen die langen Assoziationsbahuen. Die kurzen
Fibrae propriae der Rinde sind reichlich. In manchen Teilen ist eine hyper-
trophische Tangentialfaserschicht (bis 1 mm dick) vorhanden.
6. Das Kleinhirn ist weniger stark an Größe reduziert. Infolge der
Verkürzung der Großhirnhemisphäre liegt seine dorsale Oberfläche teilweise
frei. Mark und Rinde sind gleichmäßig vermindeit. Die Rinde ist plump,
relativ breit, zeigt wenig reiche Gliederung. Graue Kerne erhalten. Von
den Armen zeichnet sich das Corpus restiforme durch Stärke und Faserreich-
tum aus.
6. Die tieferen Hirnteile zeigten absolut etwa die Größenverhältnisse
des Neugeborenen. Sie sind ungleichmäßig reduziert, insofern die Großhirn-
teile stark reduziert sind, die übrigen Teile der Norm relativ entsprechend.
Im Thalamus zeigt entsprechend der Ausbildung des Frontalteils des Groß-
Käckenmarks und der peripherischen Nerven. 213
hirns der Nucleus anterior die beste Beschaffenheit, er ist relativ am größten,
auch histologisch fast normal. Die hinteren und ventralen Kerngruppen
leigea (der Atypie des Temporal- und besonders des Occipitalteils der
Hemisphäre entsprechend) Verkleinerung, Zellschwund und Zellmangel.
Taenia, Ganglion habenulae usw., hypertrophisch. Mittelhimdach hat Größen-
Terhältnisse des Neugeborenen, ebenso der durchweg normale Dorsalteil der
Mednlla oblongata mit den Nervenendkemen. Brücke sehr verkleinert,
namentlich Brückengrau vermindert. Corpus trapezoides liegt ventral frei.
Pyramide sehr klein. Olivensubstanz und Olivenzwischenschicht verringert.
7. Eackenmark mikromyelitisch, embryonaler Typus, runder Querschnitt
in allen Höhen. Markdichte relativ dem 7. Pötalmonat entsprechend. Graue
Substanz normal konfiguriert, Pyramidenseitenstrang fast ohne Mark.
8. Die Rinde zeigt sehr variables Verhalten. Teilweise normale Schich-
tig, meist große Unordnung in Zahl, Verteilung, Anordnung und Einstellung
der Ganglienzellen. Die Anordnung (Längsreihenbildung, Wucherungszone)
hat teilweise embryonalen Typus. Viele Elemente (Kömer, Neuroblasten,
Gangüeozellen in Teilung, Ganglienzellen mit zwei Kernen usw.) haben un-
fertigen Charakter. Die Tigroidsabstanz ist spärlich oder fehlt völlig.
Zwischensubstanz und Glia ohne Besonderheit. Die Kleinhirnrinde zeigt
Termehranj? der Kömerzellen. Purkinje sehe Zellen nicht zahlreich, Pig-
mentatropliisch.
Im Thalamus zeigen die reduzierten Partien Zellenmangel und atro-
pliische Zellformen. Letzteres gilt auch für das Brückengrau. Die Zellen
des Ganglion habenulae, der Vierhügel, der Nervenkerne, der Medulla oblon-
gata, der Bückenmarkszellsäulen sind normal.
In Anlehnung an diesen Fall bespricht Verfasser einiges über den
Atavismus. Im vorliegenden Fall lagen nun folgende atavistische Erschei-
nungen vor: 1. Das Verhalten des Stammteils am Pallium und die allge-
meine Konfiguration in Anlehnung an das Ungulatengehim; 2. die Einstül-
pung g^liederter Rinden von der Dorsalseite her in das Innere des Tem-
poral- und Occipitallappens, die zur Verlagerung größerer Rindenkomplexe
geführt hat, bietet Analogie mit der Anlage einer Furche, die bei allen
tierischen Gehirnen höherer Gliederung sich mit großer Konstanz nachweisen
läßt Es ist das die sog. fissura rhinalis posterior, die fast bei allen Karni-
voren und Ungulaten zu beobachten ist. Die genannte Figur stellt also eine
mit großer Konstanz in der Bildung der Oberfläche wiederkehrende Erschei-
nung dar und ist als atypisches Vorkommnis auch im vorliegenden Fall als
Anlehnung an eine niedrigere Konfigurationsstufe zu beobachten; 3. die
Lage und die topographische Beziehung des corpus genicul. ext. bietet
mancherlei phylogenetische Beziehungen dar; 4. das Verhalten der Randwin-
dung, gyrus dentatus, Fornix und Ammonshorn; 5. Faserverbindungen atypische
{phylogenetisch niedriger Art) und zwar: a) ein Teil der Balkenfasern nimmt
durch die Commissura anterior ihren Weg. ein Verhalten das für Marsupialier
(Ziehen) die Regel ist; b) das septum pellucidum fehlt, der betreffende
Teil der medialen Hemisphären wand hat wohlentwickelte Rinde; Fasern aus
diesen Teilen (pedunculus sept pellucid.) vereinigen sich mit dem Fornix
(Omithorhynchus-Typus); c) nur verhältnismäßig großer Fornix lougus. Ver-
fasser sieht im Atavismus selbst eine Erscheinung rein sekundärer, nicht
primärer Natur. Es handelt sich dabei um eine Erscheinung, die rein nur
«Be symptomatische Bedeutung besitzt, die aber in ihrer Genese für die
Beurteilung phylogenetischer und ontogenetischer Entwicklung interessant
'St. Die Ursache für die Entstehung der Ausbildung liegt weder in dem
spontanen Rückschlag noch in der Neigung zur Wiederauflebung atavistischer
2X4 Spezielle pathologische Anatomie des Gehirns,
Entwicklungstendenz; sondern in primären pathologischen, die normale Eeim-
entwicklung hemmenden Momenten. Unter den verschiedenen anatomischen
Bildern, welche durch Fixation bestimmter Entwicklungsphasen auftreten
können infolge des Weiterwachsens des Keimes in einer falschen Bichtung,
können Anlehnungen an tierische, niedrigere Formen durch das Prinzip der
phylogenetischen Vererbung zustande kommen.
Im Fall II fand Verf. im wesentlichen folgendes: 1. Gewicht (frisch)
von Gehirn und Rückenmark 265 g. Die Großhirnhemisphären sind nur
dünne Säcke. Seitenventrikel enorm weit. Dicke der Hemisphärenwand
1 — 10 mm. Rechte Hemisphäre stärker mißbildet. Hirnmasse derb. Mikro-
gyrischer Windungstypus. Hirngefäße sehr eng, zart.
Hydrocephalus ex vacuo. Keine entzündlichen Veränderungen an
Ependym oder Plexus. Keine Drucksymptome. Plexus klein.
2. In der Hemisphären wand überwiegt die Masse des Grau. Rinde
außen, Markkörper innen. Rinde fein gefaltet, teilweise Ansatz zu sekun-
därer Gliederung. Teilweise embryonaler Schichten typ us (Wucherungszone,
Körnerschicht). Einstellung der Elemente fehlt, embryonale Längsreihen,
Ganglienzellen sind nur teilweise wohl gebildet. Wenig Protoplasma. Tigroid-
mangel. Viel unfertige Formen, Körner, Neuroblasten, auch atrophische
Zellformen. Rindentypus in den einzelneu Abschnitten der Hemisphäre
sehr different. Rinde durchsetzt die Markkämme vielfach bis an das tiefe
Markstratum hin ; makrogyrische Rinde bei niikrogyrischem Windungstypus.
Stammganglien der Norm (2 jähriges Kind) entsprechend in Größe
und Bau.
Heterotopien (im frontalen Abschnitt der Hemisphäre), welche stets
an der Basis der Markkämme liegen. In der Umgebung zeigt das Mark
die Figur der zerzausten Haare. Heterotopie der Olive. Bildung der
,.basalen Platte", einer indifferenten, mit der Basis des Zwischenhirns und
der Hemisphären zusammenhängenden Masse, die Neuroblasten, Ganglien-
zellen, indifferente Elemente und einzelne Markfasem enthält. Sie besitzt
weite, dünnwandige Gefäße. Sie hängt mit der Pia zusammen. Wahr-
scheinlich stellt sie einen undifferenzierten Rest der MeduUarplatte dar.
3. Der Balken ist sehr verkürzt (7 mm lang). Knie und Splenium
fehlen. Psalterium und Commissura anterior fehlen. Fornixsystem sonst
vorhanden. Randwindung ohne Besonderheit. Im Markkörper deutliche
Gliederung des tiefen Marks in strata (lange Assoziationsbahnen). Dieser
Teil bildet den Hauptbestandteil des gesamten Marks. Centrum ovale fehlt.
Tangen tialfaserschicht und Fibrae propriae fehlen. Markkämme sehr dünn.
4. Das Zwisclienhirn ist allgemein reduziert, am meisten sind die
kaudalen Teile (Pulvinar und Corpus geniculatum externum) betroffen. In
den Kernen des Thalamus ist die Zwischensubstanz vermindert, die Zellen
lagern unregelmäßig, sind ohne nonnale Gruppierung. Die Zellindividuen
sind teils von normaler Struktur, teils atrophisch. Besonders im Coq)U8
geniculatum externum pigmeutatrophische Ganglienzellen. Das Zwischen-
hirn ist markarm. Im Mittelhirn ist in der Haube Markarmut vorhanden
(Schleife klein); Hinterstrangkerne teilweise atropliisch. Brückengrau zeigt
starke Verminderung und Verdichtung der Zwischensubstanz. Pigment-
atrophie der Zellen. Pedunkulus klein. Von den Xervenkernen zeigt be-
sonders der Okulomotorius, die aufsteigende Quintuswurzel, der Facialis teils
Verminderung, teils pigmeutatrophische Form der Zellen. Die Akustikus-
kerne sind klein (außer dem Tuberculum acusticum), Olivenheterotopie (s. o.),
Rückenmark mikromyelitisch. Ganglienzellen zum Teil verkleinert, sonst
wohlgebildet. Spaltung des Zentralkanals. Kleinhirnrinde reich gefaltet.
Rückenmarks und der peripherischen Nerven. 2j[5
Parkinjesche Zellen zum Teil pigmentatrophisch. Rechtes Corpus den-
tatum und übrige Kerne rechts atrophisch. Die Atrophie der tieferen Him-
teile beschränkt sich hier also nicht wie im Falle I auf die Großhirnanteile.
Verfasser schließt an diesen Fall eine allgemeine Betrachtung über die
restierende (trotz des mangelhaften Entwicklungsgrades des Gehirns) Funktions-
fähigkeit. Alle anatomischen Merkmale dokumentieren in allen Teilen ein
ziemlich gleichmäßig zurückgebliebenes Gehirn. In den tieferen Teilen sind
nicht allein die Großhimanteile reduziert. Kein Teil ist von selbständigen
Momenten mangelhafter Bildung und Entwicklung frei. Dementsprechend
im klinischen Bild eine niedrige Stufe der nervösen und psychischen Funk-
tionen. Ebenso wie für die Bewegungsvorgäuge im speziellen die mikro-
c^phale Bildung des Gehirns einen Ausfall der feineren Vorgänge bei
Erhaltung der Grundbewegungen bedingt, so scheinen die mikrocephalen
Gehirne im allgemeinen klinisch einen Ausdruck in der Weise zu linden,
daß ein Rest der Funktion, eine Grundkomponente derselben, erhalten bleibt.
Wie es sich anatomisch um eine allgemeine und allseitige Verbildung des
Gehirns handelt, in welchem ein geringes Maß von Differenzierungen doch
Doch Tor sich gegangen ist, so scheint dieser noch gebliebene Rest von
funktionsfähigem Nervengewebe die Ausbildung rudimentärer Punktionen
noch Zuzulassen.
Speziell interessiert im vorliegenden Falle noch die Tatsache, daß das
Kind niemals saugen lernte, obwohl der Facialiskern beiderseits wohlgebildet
ond groß war. Die Gesichtsmuskeln waren dabei zu anderen Zwecken,
z. B. zum Weinen, auch willkürlich innervierbar geblieben ; auch konnte die
Sangbewegung (Zuspitzung des Mundes) durch elektrische Reizung in nor-
maler Weise hervorgebracht werden. Vielleicht kommt das Fehlen der
kortikalen Bogenfasem zum Facialis in Betracht. Dieselben waren nur sehr
spärlich. Auch zum Saugakt scheint eine kortikale Komponente not-
wendig zu sein.
Im UL Fall fand man folgendes: 1. Das Gehirn stellt die Miniatur-
ausgabe eines normalen Gehirns dar. Gewicht (Formol) 156 g. Die Größe
entspricht etwa der des siebenmonatlichen Fötus. Die linke Hemisphäre ist
ein wenig kleiner. Die Lappen sind deutlich. Occipital- und Temporal-
lappen sind am meisten verkürzt. Die Insel liegt zum Teil frei. Die
Furchen zeigen deutliche Konfluenz aus hintereinander gereihten Grübchen
(embryonaler Typus). Sie lassen sich identifizieren. Die Abweichungen
vom Typus fallen in den Bereich der Norm. Es sind nur die Hauptfurcheu
angelegt (primäre Gliederung). Die sekundären Furchen fehlen.
2. Die grobe Architektonik, Verteilung von grauer und weißer Sub-
stanz entspricht der Norm.
3. Die Rinde ist ungewöhnlich dick, die Dicke derselben entspricht
ungefähr der des Erwachsenen, die feinere Gliederung der Rinde fehlt aber.
Die Kinde zeigt durch den Reichtum an Neuroblasten und Körnern, durch
die Einstellung der Elemente in Längsreihen und durch die Breite der Ependym-
schicht exquisit embryonale Verhältnisse. In der vierten Schicht ist stellen-
weise die Grundsubstanz erheblich vermindert. Der Markkörper ist grob
entwickelt, massig gebaut, gleichfalls ohne feinere Differenzierung. Es ergibt
»ich also, auf diese Weise betrachtet, der Schluß: das Gehirn hat sich nach
nonnalem Typus bis zu einer gewnssen Stufe gegliedert, etwa bis ins zweite
Drittel der Fötalzeit. Von dieser Zeit an ist die feinere Gliederung und
^ansion ausgeblieben, das Gehirn ist im ganzen nur dem Volumen nach,
aber nur wenig gewachsen. Die Faltung des Rindengraus ist ausgeblieben,
216 Spezielle pathologische Anatomie des Grehims,
dagegen ist die Rinde der Dicke nach gewachsen, die einzelnen Elemente
derselben sind zum Teil ausgereift.
4. Der Markteil zeigt enormen Kernreichtum. Die Verdichtung des
ganzen Gewebes erinnert an Zustände beginnender diffuser Sklerosierung.
5. Das ganze Gehirn ist in Mark und Rinde gleichmäßig, außerdem
ohne Unterschied in allen Teilen des Gehirns vom Rückenmark bis znr
Großhirnrinde von kleinen Hohlräumen durchsetzt, die einen Durchmesser
von 0,1 bis 0,5 mm haben und ziemlich gleichmäßig verteilt sind. Sie sind
im Markteil etwas anders gestellt als in der Rinde:
a) in der Rinde stellen sie sich als kleine kreisförmige oder ovale
Hohlräume dar;
b) im Mark sind sie gelegentlich mehr längs oval und in trauben-
förmigen Anhäufungen aneinandergelagert oder perlschnurartig hintereinander
gereiht.
Alle diese Hohlräume zeigen eine scharf konturierte, von Endothel aus-
gekleidete Wand. An einzelnen Stellen ist der Übergang in ein erweitertes
Kapillargefäß direkt zu sehen. Die Hohlräume stellen cystös erweiterte
Kapillaren dar, deren Lumen verstopft ist. Der Inhalt besteht aus hyalin-
artig geronnener Masse.
Als ursächliches Momente der Mißbildungen in diesem Fall könne gelten:
1. Die krankhafte Anlage des Keimes vor seiner Entwicklung, die Keim-
vergiftnng; 2. die Erkrankung des Keimes während seiner Entwicklung,
a) in Form einer diffusen Schädigung, b) in Form einer lokalen Erkrankung.
Im Anschluß daran bespricht Verf. noch den Aufbau und Gliederung
des Markkörpers, die Heterotopieen und andere Formen atypischer Gestaltung
der grauen Substanz und schließt mit der Besprechung des Wesens der
Mißbildung. Speziell über das letzte Thema äußert sich Verf. folgender-
weise. Die wesentlichen Momente für die Mißbildung sind folgende: 1. Das
primäre pathologische Moment (anatomisch nicht immer nachweisbar) z. ß.
Gefäßerkrankungen, deren Folge die Mißbildung darstellt; 2. die Fixation
einer bestimmten Entwicklungsphase des Keimes im ganzen oder an einem
seiner Teile, Zurückbleiben eines Teiles hinter den anderen; 3. die Modi-
fikation dieser Phase durch das Weiter^'irken des Restes der nicht zerstörten
Entwicklungsfaktoren. Diese Modifikation erfolgt entweder im Sinne der
normalen Entwicklung, oder es kommt infolge der veränderten Bedingungeu
zu den 4. Korrektiirbildungen. Als solche sind zu betrachten: a) unegales
Größenwachstum mehrerer Teile, zuweilen im Sinne einer kompensatorischen
Hypertrophie z. B. der phylogenetisch alten Teile bis Atrophie der phylo-
genetisch jungen; b) Einhalten einer phylogenetisch niedrigen Stufe
(Atavismus); c) Paradoxe Korrekturbildungen. Da das Material zum
normalen Aufbau nicht zur Verwendung gelangt, so kommt es zu Ver-
bindungen und zu Bildungen in gänzlich atypischer Architektonik; 6. die
sekundären pathologischen Veränderungen des mißbildeten Keimes.
Die Arbeit ist mit sehr anschaulichen Bildern versehen und enthält
ein erschöpfendes Literaturverzeichnis.
Wehrli (200) berichtet über die der Mikro- und Makrogyrie des
Gehirns analogen Entwicklungsstörungen der Retina. Die wesentlichsten
Resultate der vorliegenden Arbeit ließen sich in folgenden Schlußsätzen zu-
sammenfassen:
1. Ätiologisch ist die Mißbildung des Gehirns und der Retina zurück-
zuführen auf langdauernde Unterernährung durch Stauung in den großen
Halsgefäßen des infolge Raumbeengung bei geringer Fruchtwassermenge und
Zwillingsschwangerschaft zusammengepreßten Fötus, wobei der Kopf auf die
Rückenmarks und der peripherischen Nerven. 217
Brust niedergedrückt wurde. Die Existenz eines gesunden, jetzt sieben-
jährigen Zwillingskindes sohließt allgemeine UrsHchen ans.
2. Die im linken Auge des 1^^^ jährigen Knaben ophthalmoskopisch
sichtbare, zufällig entdeckte Anschwellung der Netzhaut unterscheidet sich
▼on kleinen Gliomen im ophthalmoskopiacheu Bild durch die Farbe, die
Prominenz, das Verhalten der Gefäße und fehlendes Wachstum.
3. Nach der histologischen Untersuchung ist im Bulbus normaler Größe
mit normalem Optikus und normal dicker Sklera in der NorTenfaserschicht
der abnorm dünnen Netzhaut, entsprechend dem ophthalmoskopischen Bilde,
Dach unten von der Papille eine, hauptsächlich aus wohl erhaltenen Achsen-
zylindern und vielen, der Form nach der normalen Retina fremden, läng-
liehen, auch in der übrigen Netzhaut zerstreut vorkommenden Zellen zu-
sammengesetzte Anschwellung, deren Bau von demjenigen des Glioms wesent*
lieh differiert, und unter welcher die bis fast zur Papille reichende, wohl-
erhaltene Netzhaut in verschiedenen Schichten Entwicklungsstömngen, wie
Persistenz zahlreicher, zum Teil heterotaktischer, nicht endgültig differenzierter
Zellen und Verdoppelung der inneren Körperschicht, Heterotopie, aufweist.
Rosetten fehlen.
4. In dem nicht hydrocephalen Gehirn, entsprechend der Hypoplasie
der Retina, mikrogyrische Windungen, deren Schichtung und Konfiguration
in verkleiueitem Maßstäbe sich der Norm nähert, mit massenhafter Hetero-
topie einzelner 2iellen und ganzer Verbände; ähnlich der Anschwellung der
Nervenfaserscliicht einzelne Windungen betreffende, primitive, makrogyrische,
prominent« Teile, in welchen Heterotopien, sekundäre Degeneration, Ersatz
durch Gliagewebe (kein Gliom!) das Bild beherrschen. Diffus überall per-
sistierende, embryonale Zellformen. Ferner heterotopische graue Substanz
in Gestalt kleiner Tumoren des Ependyms.
o. Die JMikroretina, auf Rechnung namentlich der äußern Schichten
Vi der normalen Dicke erreichend, zeichnet sich durch abnorme Kleinheit
ihrer Elemente ans; durch relativ erhöhte Zahl derselben wird etwelche
Kompensation der zu geringen Dicke bewirkt.
6. Die heterotopischen Partien der innern Körnerschicht werden durch
faseriges Gewebe nach Art der plexiformen Schichten getrennt.
7. Die Anschwellung der Nervenfaserschicht ist in Berücksichtigung
der Gehirnbefunde, des klinischen und histologischen Verhaltens, kompliziert
mit unzweifelhaften Mißbildungen, als eine, aus Eutwicklungsstörungen hervor-
gegangene Anomalie aufzufassen, besonders in Hinsicht auf das sehr reich-
Bche Zwischengewebe (Nervenfasern) und die eigentümliche Zellform.
8. Die Kosetten des Mikrophthalmus und der Colobome verdanken
ihre Entstehung der Faltung der Netzhaut und ungleichem Wachstum
einzelner Schichten; sie treten erst gegen Ende der Fötalzeit auf und können
weder „Keime" genannt werden, noch sind sie, infolge pathologischer Vor-
gänge entstanden, der Heterotopie grauer Substanz zu vergleichen.
9. Typische Epithelrosetten bilden sich auch nach der Geburt durch
pathologische Prozesse, z. B. Netzhau tabhebung, Retinitis proliferans und
Chorio-Retinitis.
10. Ein Teil der Gliomrosetten ist mit den Mikrophthalmusrosetten
identisch und stellt mehr oder weniger gut erhaltene Reste des endgültig
differenzierten, zerrissenen und überwucherten Neuroepithels der Netz-
baat dar.
11. Ein anderer Teil der Gliomzellringe kommt dadurch zu stände,
daß Gliomzellen, besonders wo sie dicht liegen, wieder epitheliale Eigen-
schaften annehmen, wie dies im Gehirn durch viele Beobachtungen an Glia-
218 Spezielle pathologische Anatomie des Gehirns,
und Gliomzellen bewiesen wird. Anwesenheit von Rosetten läßt also nicht
auf epitheliale Abstammung einer 61ia enthaltenden Geschwulst schließen.
12. Von Epithel des Ependyms formierte Einschlüsse kommen im
Gehirn auch bei gutartigen Prozessen durch sekundäre Abschnürung vor.
13. Die Entwicklungsstörungen, von welchen das Gliom sich ableitet,
sind wohl meist gehäufte, nicht endgültig differenzierte, verlagerte oder an
normaler Stelle befindliche Glia- und Ganglienzellen nach Art der von
Cajal, Dogiel, Lenhossek, Stöhr, Greeff beschriebenen und derjenigen
im vorliegenden Falle gefundenen Formen. Indiflferente Epithelzellen oder
Keimzellen sind in der Retina normal großer Augen nach der Geburt bisher
nicht nachgewiesen.
14. Die Netzhaut neigt infolge des komplizierten Baues und der sehr
spät vollendeten Differenzierung mehr zu Mißbildungen als andere Organe.
15. Die Anwesenheit dieser Entwicklungsstörungen genügt zur Er-
zeugung des Glioms nicht, sondern es muß noch eine, die Proliferation jener
Zellen anregende Schädigung hinzukommen, und als solche sind die bisher
total unbeachteten, durch den Geburtsakt verursachten Blutungen und Zer-
reißungen der Retina Neugeborener hauptsächlich anzusehen, welche, wie
das Gliom, fast ausschließlich auf die Netzhaut beschränkt und histologisch
und ophthalmoskopisch als sehr häufig nachgewiesen sind.
16. Die Annahme einer ätiologischen Bedeutung der Geburtstraumen
erklärt ungezwungen das Vorkommen der Geschwulst vorwiegend im ersten
Lebensjahre, das familiäre Auftreten, die doppelseitige Erkrankung und den
Beginn im gleichseitigen Auge bei mehreren Kindern derselben Mutter.
17. Die Zerreißungen der Retina durch Blutung rufen eine reparative
Zeilproliferation hervor, die, wenn fertige Zellen getroffen werden, mit der
Heilung abgeschlossen ist, wenn aber unfertige, unentwickelte Zellen in
Wucherung geraten, weit über das Ziel hinausgehen und zur Tumorbildung
Anlaß geben kann.
18. Da bei frühgeborenen Kindern von Naumoff keine Blutextravasate
konstatiert wurden, so ist die, bisher unbekannte, Möglichkeit einer Prophylaxe
des Glioms für folgende Geburten bei drohendem familiären Auftreten
gegeben.
19. Der Markschwamm der Netzhaut würde den Namen Neuroglioraa
traumaticum erhalten, welcher sowohl .den histologischen Bau wie die
Ätiologie bezeichnet.
Tambroni und d'Onnea (181) beschreiben das Gehirn einer
Mikrocephalin, die das 66. Jahr in voller Gesundheit erreichte. Residuen
einer alten Erkrankung ließen sich am Gehirne nicht wahrnehmen, das
Stirnhirn ist leidlich entwickelt, während Schläfe- und Hinterhauptslappen
sehr dürftige Gliederung erfahren haben. Das Kleinhirn liegt fast ganz
frei. — Gewicht des frischen Gehirnes: 427, nach Alkoholhärtung 321 g,
größter Umfang des Schädels 420 cm, front. Durchmesser 90, bipariet.
111 cm. — Starkes Vorwiegen des Gesichtsschädels vor dem Gehirnschädel.
Länge der ganzen Person 165 cm. Gewicht 58 kg. — Die psychischen
Leistungen waren gering, doch reinlich, anhänglich, kann deutlich Lust- und
Unlustgefühle zur Darstellung bringen, spricht einiges, lernt dazu. Sonstige
Abnormitäten fehlen vollkommen. (Die Hauptsache: die histologische Unter-
suchung des Gehirnes fehlt leider vollkommen.) (.\Jerzbachet\)
In seinem Falle von Mikrogyrie fand Page May (127) die rechte
Gehirnhälfte um ^/g kleiner als die linke und die Gehirnwindungen halb so
dick in ihrer weißen und grauen Substanz, jedoch von unveränderter Form.
Die großen motorischen und Pyramidenzellen waren degeneriert oder fehlten
Rückenmarks und der peripherischen Nerven. 219
ganz an der kranken Seite, besonders in den Pyramidenbahuen. Die basalen
Ganglien waren größtenteils verändert. Im Kleinhirn war der rechte Lappen
besonders stark degeneriert, und die Pur kinj eschen Zellen fehlten ganz
oder waren stark verändert Außerdem waren der Nucleus dentatus und der
Fednuculus cerebelli superior atrophisch.
Im Rückenmark fand sich Degeneration in den Pyramidensträngeu
und in dem anterolateralen Strang, auch waren die Yorderhornzellen
degeneriert. (Bendia.)
Hanshalter und Collin (74) berichten über einen Fall von all-
gemeiner spastischer Rigidität, welche bei dem 6jährigen Kinde seit seiner
Geburt bestand. Das Kind war idiotisch. Die Sektion ergab makroskopisch
eine geringe Entwicklung des Gehirns. Die linke Hemisphäre wog 46 g
weniger als die rechte. Man fand an der Hemisphäre Mikrogyrie und
Polygyrie. Rechts waren diese Verunstaltungen hauptsächlich nach vorn von
der tiss. Sylvii und fiss. Rolando entwickelt. Links waren diese Verändei-ungeu
umfangreicher als rechts. Es ließ sich ferner ein vollständiger Mangel des
Balkens und der Pyramiden feststellen. Die mikroskopische Untersuchung
zeigte in der Hirnrinde keine größeren Alterationen. Die Pyramidenzellen
zeigten nur eine unregelmäßige Anordnung und eine gewisse Verminderung
ihrer Zahl. Im Rückenmark fehlte die PyS bei vorhandener PyV.
Oeconomakis (123) untersucht 2 Fälle, in welchen er mikrogyrische
Verbildungen vorfand (der eine Fall bezog sich auf einen Epileptiker mit
einseitiger Hemiparese, der andere stellt eine zerebrale Kinderlähmung mit
Epilepsie und Schwachsinn dar). Die Schlüsse, zu welchen Verf. kommt,
sind folgende: 1. Mikrogyrie und PorencephaUe können als Folgen derselben
krankhaften Einwirkung zustande kommen ; ja wahrscheinlich stellen sie zwei
Terschiedene Grade der Intensität des ihnen zu Grunde liegenden gemein-
sameu (arteriellen) Prozesses dar; 2. bei krankhafter Zerstörung, welche die
eine Hemisphäre in einer fötalen Zeit der Entwicklung befällt, kann die ge-
sunde Hemisphäre für die befallene kompensatorisch eintreten und durch
stärkere Ausbildung ihrer Elemente einen Ausgleich der funtionellen Ausfalls-
erscheinungen bewirken; 3. die Taenia pontis ist als aberrierendes pedunku-
läres Bündel zu betrachten. Sie kann kompensatorisch hypertrophisch werden
nnd an der Stelle der atrophischen Pyramide für die Versorgung der Motilität
in der homolateralen Körperhälfte eintreten: 4. daß ein solcher kompen-
satorischer Vorgang sich durch Hypertrophie der Taenia pontis an der
homolateralen Körperhälfte entwickelt hat, kann man auch aus dem Ver-
balten der fibrae arciformes externae anteriores schließen. Es ist nämlich
derjenige Teil dieser Fasern hypertrophisch, der zu den homolateralen Ver-
bindung (nach den Angaben von Mingazzini) dient. Das heißt also, es
müßte nach dem Einsetzen der Motilität auch die Bewerkstelligung der er-
forderlichen Koordination durch diese Hypertrophie zustande kommen.
Bieii (16) berichtet über die Anatomie des Zentralnervensystems einer
Doppelmißbildung einer Ziege. Es handelt sich um eine neugeborene Ziege,
welche einige Stunden gelebt haben soll. Sie besaß einen Kopf, einen ein-
fachen Hals, drei vordere Extremitäten und einen bis :in die Nabelhöhe
einfachen Rumpf. In der Nabelhöhe spaltete sich das Tier in zwei hintere
Tiere: zwei deutliche Wirbelsäulen. Makroskopisch waren keine Abnormi-
täten weder im Groß- noch im Kleinhirn konstatiert. Es bestand eine
doppelte Hypophyse. MedüUa oblongata verbreitert. Es waren drei n. n. vagi
feststellbar. Das Kückenmark verbreiterte sich nach abwärts allmählich und
spaltete sich am 5. Halssegment in das Kückenmark des rechten und linken
unteren Tieres unter einem Winkel von ca. 45®. Die 5 Segmeute des
220 Spezielle pathologische Anatomie des Gehirns,
noch einheitlichen Rückenmarks waren äußerlich normal. Verf. gibt dann
eine genaue Schilderung der Rückenmarksverhältnisse und verweist am
Schlüsse der Arbeit auf die wichtige Tatsache, die er im Zentralnerven-
system dieser Mißbildung konstatieren konnte. Es ließ sich nämlich im
Gehirn eine Zweiteilung des Neuralrohres an seiner Basis (doppelte Hypo-
physis, dritter Vagus) feststellen, während der dorsale Abschnitt sowohl des
Groß- wie auch des Kleinhirns einfach geblieben ist. Diese Tatsache merkt
man ebenfalls am Rückenmark. Auch hier konnte konstatiert werden, daß
die Teilung veutralwärts viel weitergehend war, als an der dorsalen Seite.
Dies findet seine Bestätigung, abgesehen von den Befunden der grauen
und weißen Substanz, auch darin, daß es wohl gelungen ist, bis weit hinauf
ventrale, aus den beiden verwachsenen Vorderhömem stammende Nerven-
wurzeln aufzufinden, während die analogen dorsalen Wurzeln völlig mangeln.
Diese ventralwärts viel weiter vorgeschrittene Duplizität war auch im Be-
reiche der Wirbelsäule nachweisbar, da die Halswirbelsäule bis zum 6. Hals-
wirbel aus 2 symmetrischen Wirbelkörperhälften und einem Paar zugehöriger
Bogen besteht.
Rabaud (140) vertritt in dieser Fortsetzung seiner Arbeiten über die
Anencephalie die Ansicht, daß es sich hierbei um eine fötale Meningitis
und deren Folgen handelt. Seine Untersuchungen haben gezeigt, daß die
Entzündung zunächst in demjenigen Gebiet der Pia mater einsetzt^ welches
dem hinteren Sulcus entspricht (convexitas cerebri). Von da aus verbreitet
sich der Prozeß nach allen Richtungen und geht sowohl auf die lateralen
und unteren Partien der Hirnhäute, wie auch auf die Rückenmarkshäute über.
Von der Pia mater verbreitet sich der Prozeß nach außen (auf die binde-
gewebigen und Knochenhüllen) und nach innen (auf die Nervenachse selbst).
Im Nervensystem entsteht dadurch eine bindegewebig-vaskuläre Substanz,
welclie allmählich die nervöse Substanz substituiert. Die Intensität der Ver-
änderungen, die man im Nervensystem antrifft, hängt von der Frühzeitigkeit
des Einsetzens des Prozesses und von der Rapidität dessen Verbreitung ab.
Verf. nimmt an, daß die Meningitis foetalis zwischen dem lU. und VI. Monat
des Fötallebens beginnt. \'erf. bespricht dann die klinischen Erscheinungen
bei den Anencephalen und den Parallelismus zwischen denselben und den
pathologisch-anatomischen Veränderungen. Auch findet man in der Arbeit
eine detaillierte Schilderung der pathologisch-anatomischen Alterationen selbst.
(Die Arbeit ist noch nicht abgeschlossen!)
Petzalis und CosmettatOS (134) untersuchten einen Fall von An-
encephalie und kamen dabei zu der Überzeugung, daß, wie es bereits von
Morgagni behauptet wurde, die Anencephalie durch Hydrocephalie ver-
ursacht wäre. Der Hydrocephalus selbst sei aber keine primäre Erscheinung,
sondern das Resultat einer Meningitis oder Ependvmitis. Diese letzteren
können ihrerseits durch verschiedene Faktoren venirsacht werden. In der
eigenen Beobachtung ließ sich überall eine Verdickung der Häute und ent-
zündliche Veränderung in der Umgebung des gesamten ependymären Kanals
feststellen. Verff. meinen somit, daß die Anencephalie keine Monstruosität
(Saint Hilaire), sondern eine Abnormität (Davaine) darstellt, welche
meistens in der Mitte des intrauterinen Lebens sich entwickelt
CosmettatOS (37) untersuchte das Auge bei einem Anencephalen
und fand folgendes: In der Retina sind die Ganglienzellen unvollständig
entwickelt, und man sieht an deren Stelle kleine Kerne ohne Protoplasma.
Es fehlen hier völlig die Sehfasern. Im n. opticus findet man keine Nerven-
fasern (Bindegewebe und Gefäße). Es war überhaupt eine starke Vaskulari-
sation in allen Partien des Auges konstatiert, besonders aber in der Sklera^
Kückeimiarks und der peripherischen Nerven. 221
Choroidea und im Sehnerv. Verf. bespricht dann die Details der vorgefundenen
Veränderung und vergleicht seine Befunde mit denjenigen anderer Forscher.
Nageotte (118) beschreibt bei einem 35 jährigen Epileptiker eine ganz
eigentümliche Heterotopie des Kleinhirns. Man fand nämlich im Halsmark
im Subarachnoidalraum eine graue und unregelmäßig granulierte Masse,
welche durch Fortsätze mit einer ähnlichen Masse verbunden war, die an
der vorderen Rückenmarksfläche lag. Auch im oberen und mittleren Dorsal-
mark fand man ähnliche isoliert liegende Massen. Nach oben zu vereinigen
sich die Elalsmassen an der unteren Fläche des Kleinhirns. Im Kleinhirn
selbst fand man eine Ektopie eines Teils der linken Kleinhirnhälfte in der
Richtung nach dem Foramen occipitale (an Stelle der ektopierten Teile fand
man eine Höhle). Die mikroskopische Untersuchung der Tumormassen
zeigte, daß dieselben aus Lamellen bestehen, die den Bau der Kleinhirnrinde
zeigen. Verf. meint, daß es sich wahrscheinlich um einen hypertrophischen
Prozeß im Frühstadium der Kleinhirnentwicklung handelt Dieser Prozeß
führte alsdann zur Ektopie der Kleinhirnmassen mit nachfolgender Atrophie
und Resorption. Alles dies wurde wahrscheinlich durch eine lokalisierte
Beizung oder Entzündung eines Teils der Kleinhirnrinde im embryonalen
Leben verursacht
Oredig (66) fand in einem Fall von Spina bifida lumbosacralis folgende
Entwicklungsstörung im Kleinhirn. (Es handelte sich um ein atrophisches
Kind von 10 Tagen mit Myelomeningocele sacralis. Kein Hydrocephalus.)
Das Kleinhirn erschien schon makroskopisch durch eine tiefe Furche an der
oberen Fläche in die beiden Hemisphären geteilt Der Monticulus war nicht
vorhanden. Die Furche setzte sich auf die untere Fläche fort Bei der
mikroskopischen Untersuchung, deren zahlreiche Details in der Arbeit selbst
nachzulesen sind, fand Verf. Störungen im Wurm, im hinteren Teil des
Ventrikeldachs und in seiner Nachbarschaft Dagegen war der Hirnstamm
so gut wie normal. Der Mangel an markhaltigen Fasern, der sich überall
kundgab, weist auf eine Entwicklungshemmung der betreffenden Bahnen, die
zum Kleinhirn führen hin, doch ist er nicht bewei$end für ihre Abwesenheit.
Eine Beeinträchtigung der Funktion des Kleinhirns, namentlich des Wurms,
wäre demnach mit Vorsicht anzunehmen, umsomehr. als Ernst sogar beim
Erwachsenen keine nennenswerten Störungen trotz des mißbiideten Kleinhirns
konstatieren konnte.
Goldberg (65) beschreibt folgenden Fall von Balkenmangel im
menschlichen Großhirn. Es handelt sich um ein 4 jähriges etwas zu früh
geborenes Kind, bei welchem man unmittelbar nach der Geburt eine Vor-
treibung des rechten Auges und eine Spaltung der Iris an demselben wahr-
genommen hat Das Kind war nur etwa 8 Tage lang normal, dann begannen
Krämpfe, welche durch das ganze Ijeben fortbestanden. Keine Halbseiten-
erscheinungen, dagegen war die Gesamtmuskelkraft offenbar sehr gering.
Das Kind vermochte niemals, den Kopf selbständig zu halten und hat nicht
laufen gelernt Es hat immer nur unartikulierte Laute von sich gegeben.
Der rechte Exophthalmus nahm langsam zu. Status. Gesicht asymmetrisch.
Angenbefund: links: großes Maculacolobom; chorioiditische Herde, Myopia
excessiva, Staphyloma posticum. Rechts: Bulbus bis zum Äquator vor-
getrieben, Iriscolobom, persistierende Pupillarmembran. Steifigkeit der Kau-
muskulatur. Kind kann weder stehen noch sitzen. Opistothonusstellung.
Kolossale Muskelrigidität der Extremitäten. Ungewollte Bewegungen. Die
Sektion zeigte folgendes: Gehimgewicht 750 g. Die rechte Großhirn- und
Kleinhimhemisphäre etwas kleiner als die linke. Balkenmangel. Mikrogyrie
eines Teils der L Frontalwindung.
222 Spezielle pathologische Auatomie des Gehirns^
Die abnormen Befunde waren folgende:
I. Eine gliomatöse Cyste in der rechten Orbitalhöhle und ein Coloboma
iridis derselben Seite.
IL Eine Neigung der Arachnoidea zur cystoiden Degeneration, deren
Haupteffekt durch die an der Ealx cerebri befindliche, walnußgroße Cyste
repräsentiert wird.
lU. Folgende Veränderungen im Gehirn: a) Anomalien in der Größe,
Form und Zahl der Windungen bis zur Ausbildung auffallender Mikrogyrie;
b) Defekte und Verkümmerungen einzelner Hirnteile, 1. totaler Balkenmangel;
2. Fehlen des Gyr. rectus links, rechts nur angedeutet; 3. Fehlen des rechten
Lob. lingualis; 4. Fehlen der Commissura moUis; 5. Fehlen des Gyr. fornicatus;
6. Verkümmerungen der Corpora quadrigemina; 7. Verkümmerung des Ober-
und Unterwurms und der rechten Kleinhirnhemisphäre, c) Deformierung der
Ventrikel, die sich kundgibt 1. in einer Erweiterung des 3. Ventrikels; 2. in
einer Verwachsung des Fornix mit dem Ependym des rechten Seiten Ventrikels,
während der linke bis auf das erweiterte und mißstaltete Hinterhom durch-
aus der Norm entspricht; 3. in einer Erweiterung des IV. Ventrikels,
d) Größenabuahme des Geliirns und Differenz zwischen beiden Hirnhälften.
Verf. nimmt an, daß die an der Falx sitzende und in den großen Him-
spalt hineinhängende Cyste im 4. Fötalmonat die Vereinigung der Hirn-
hemisphären durch den Balken verhindert hat. Zum Schluß bespricht Verf.
noch die Ursachen der Mikrogyrie.
Douglas -Crawford (47) beschreibt einen der seltenen Fälle von
fehlendem Corpus callosum. Das Präparat stammt von einem älteren männlichen
Individuum, dessen Krankengeschichte unbekannt ist. Das Corpus callosum war
durch ein rundliches Bündel von Fasern ersetzt, welches 7« Zoll im Durch-
messer maß und sich vorn an die vordere Wand des Fornix und dorsalwärts
an die normale commissura ansetzte. Beide Hemisphären zeigten reichliche
Windungen, die aber etwas unregelmäßig verliefen. Die linke Fissura
Rolando war nach oben gegabelt und setzte sich in die aufsteigende Front^l-
wiudung fort. Die obere und mittlere Frontalwindung waren gleichfalls durch
abnorme Sulci in mehrere Teile getrennt.
Es fanden sich überhaupt im allgemeinen große Veränderungen fast
aller Windungen und Sulci, insbesondere an der Außenfläche des Gehirns.
An der medialen Gehirnfläche waren rechts besonders auffällig: der
sehr kurze Gyrus fornicatus, die vollkommene Trennung der vorderen und
hinteren Teile der Fissura calcarina durch den Gyrus cuneo-lingualis und die
radiäre Anordnung der Sulci. Einige Schnitte durch das rudimentäre
Corpus callosum zeigen, daß dessen Fasern in der Mittellinie nur mit den
vorderen Abschnitten der Froutallappen kommunizieren, aber mit den hinteren
Portionen der aufsteigenden Stirnwindungen nicht in Verbindung stehen.
Die Fasern der commissura anterior scheinen normal zu verlaufen.
(Bendix.)
Vogt (193) bespricht in seiner Arbeit die Frage des Balkenmangels ini
menschlichen Großhirn und faßte das bis jetzt bekannte folgendermaJSen
zusammen: 1. Fälle von Balkenmangel, die hochgradige anderweitige Auf bau-
störungen zeigen (Mikrocephalie und Heterotopie usw.). Der Balkendefekt
ist ein Symptom in einer Reihe und koordiniert mit den übrigen, er ist eine
Folge der allgemeinen Mißbildung des Keims. Es liegt ein totaler Defekt
des Systems vor (echte Agenesie). Die Randwindung dieser Fälle zeigt infolge
der ausgebliebenen Balkenentwicklung meist einen kreisförmigen Zustand,
sie ist in allen Teilen gleichmässig gebildet (fötaler Zustand, Zustand des
Marsupialiergehirns). 2. Die Balkenfasern sind angelegt, können aber nicht
Rüekenmarks und der peripherischen Nerven. 223
aastreten und sammeln sich am Balkenlängsbündel. Diese Fälle zeigen meist
radiären Windnngstypus der Medialseite mit Fehlen der Randwindung. Das
Gerebrum zeigt keine Defekte der Anlage. Die Störung des Balkendefekts
kt den Charakter einer umschriebenen Störung, die übrigen Erscheinungen
erklären sich in unmittelbarem Zusammenhang mit derselben meist als deren
Folge. 3. Der bereits angelegte Balken geht durch einen fötalen Hydro-
cephalasdruck atrophisch zu Grunde. Meist handelt es sich um Fälle von
partiellem Balkendefekt. Die Gehirne dieser Gruppe zeigen weder Störungen
der Anlage, noch im BalkenlängsbüudeL 4. Partieller Balkendefekt kann
im allgemeinen ebenso durch partiellen Mangel der Anlage wie durch lokale
Momente entstehen. Dieselben Momente, welche zu totalem Mangel fuhren^
können natürlich bei geringerer £2xtensität und Intensität einen partiellen
Mangel hervorrufen. 5. Primär mißbildete Gehirne bieten oft Zustände
sekundärer endzündlicher Erkrankung. Die Grenzen der Gruppen können daher
in mannigfacher Weise ineinander übergehen. Der Charakter des Balken-
defekts als Symptom wird sich aber meist nach den begleitenden Umständen
entscheiden lassen. Besonders ist das Verhalten des septum pellucidum,
das bei Mangel der Balkenbildung stets fehlen muß, der Zustand der Band-
windung und das Fehlen oder Vorhandensein des Balkenlängsbündels zu
beobachten.
Paramore (129) beschreibt einen Anencephalus, dessen Schädeldecke
fehlte und von einer dunklen, weichen Maße ersetzt war, die aus zwei bis
drei Knoten bestand und mit der Kopfhaut und der Schädelbasis verwachsen
war. Die Augäpfel waren stark hervorgetreten und die Augenlider über die
Bulbi gewölbt. Die ossa frontalia bis zum Augenrand fehlten vollständig.
Der Defekt des Schädeldaches umfaßte den Teil oberhalb der Linea semi-
circularis superior, der ossa zygomatici und des margo supraorbitalis.
(Bmdlx,)
Durlacher (51) teilt einen Fall von Anencephalie mit, der sich
dnrch vollständigen Defekt des Schädeldaches und des obersten Teiles der
Wirbelsäule auszeichnete. Die von Bender unternommene mikroskopische
Untersuchung der abpräparierten dorsalen Wand der Hirnblase zeigte in
ihrem äußeren Teile maßenhafte stark erweiterte Venen und Bindegewebe.
An einer Stelle fanden sich verstreut einzelne Nervenbündel mit an Riesen-
zellen erinnernden Zellformen. Ganglienzellen schienen nicht vorhanden
zn sein. (Bendix.)
Hirngeschwülste und Cysten.
Weber und Papadaki (199) untersuchten das Nervengewebe in
bezug auf die Alterationen, welche dasselbe durch die Wirkung der Tumoren
erfährt. Auf Grund einer genauen Durchmusterung von fünf Sektionsfälleu
Ton Tumor cerebri kommen Verff. zu folgenden Schlüssen: Es scheint ein
Lymphstrom von der Peripherie des Gehirns nach dessen Ventrikeln vor-
handen zu sein. Dieser Strom scheint dann durch den Aquaeductus Sylvii
nach dem subduralen Raum des Rückenmarkes seinen Weg zu nehmen. Die
Folgen der Tumorwirkung fallen ganz anders aus, je nachdem dieser Lymph-
strom unterbrochen wird oder nicht Im letzteren Fall entstehen sogar bei
großen Tumoren geringe Alterationen. Im ersten Fall können sogar kleine
Tnmoren große Veränderungen verursachen. Das kommt zustande durch
die Einwirkung des vermehrten Druckes der Ventrikelflüssigkeit auf das
ganze Gehirn. Aus diesem Grunde führen die Tumoren des Tentorium
cerebelli in der Gegend des Foramen occipitale zu den schwersten Folgen,
Will man den Grad des intrazerebralen Drucks durch die Gewebsalterationen
224 Spezielle pathologische Anatomie des Gehirns,
messen, so ist ersichtlich, daß dieser nicht üherall gleichmäßig verteilt ist.
Derselbe ist am intensivsten in der Umgebung des Tumors und — falls
die Ventrikel erweitert sind — in deren Nachbarschaft. Unter dem Ein-
fluß des vermehrten intrakraniellen Druckes nähern sich die Windungen
einander, dann wird das Gewebe zusammengedrängt und zeigt eine ver-
waschene Zeichnung (I. Stadium). Weiterhin macht sich der Liquor cerebro-
spinalis Platz und führt zur Atrophie der Nervenfasern (11. Stadium). Da-
bei erfährt die weiße Substanz viel größere Störungen als die graue. Aus
diesem Grunde ist die Demenz, die bei Tumoren auftritt, von derjenigen
bei Paralyse grundverschieden (bei der letzteren ist wohl die Hirnrinde am
meisten 'alteriert). In der weißen Substanz scheinen die Assoziationsfasem
mehr verändert als die Projektionsfasern. Im Falle, wenn der unilaterale
Tumor die Ventrikelzirkulation stört, tritt regelmäßig eine größere Erweite-
rung der entgegengesetzten Kammer ein. Die perivaskuläre Erweiterung
mit Bildung von Hämorrhagien in derselben begleiten regelmäßig die Ent-
wicklung der Tumoren. Verff. fanden dagegen weder Nekrosen (durch
Entzündung) noch Stillstand der Zirkulation. Obgleich die Lymphzirkulation
sehr eng mit derjenigen der Venen verbunden ist, so sei dennoch die
Lymphstauung keineswegs eine einfache Folge der Venenkompression. VerfiE.
meinen, daß es im Gehirn einen speziellen nutritiven Mechanismus gibt, der
uns bisher näher unbekannt geblieben sei. Verff. verwerfen die Meinung
von Brissaud und Souques, welche eine Reihe von Erscheinungen durch
die Toxinwirkung der Tumoren selbst erklären wollen. Will man durchaus
den Faktor der Autointoxikation hierher einführen, so sei richtiger anzu-
nehmen, daß dieselbe durch den erschwerten Abfluß verschiedener Produkte
zustande kommt. Die Produkte selbst können Residuen der Hirntrophik
oder der Faserdegeneration darstellen.
Bartel (11) berichtet über zwei Fälle von multiplen primären Tumor-
foilduugen an den Meningen des Gehirns und des Rückenmarkes, wobei der
eine Fall noch die Besonderheit einer gleichseitigen multiplen Bildung von
Neurofibromen an den basalen Hirnnerven, den Spinalnerven, wie auch an
den peripherischen Nerven, darbot. Im einen Fall handelte es sich um eine
über die inneren Hirn- und Rückenmarkshäute ausgedehnte Bildung zahl-
loser als Angiosarkome zu bezeichnender Tumoren, im zweiten um in gleicher
Ausdehnung auftretende Endotheliome der Dura mater, in welchem letzteren
Falle auch die obenerwähnte multiple Neurofibrombildung vorhanden wm.
In beiden Fällen zeigten Gehirn und Rückenmark makroskopisch deutliche
KompressioDserscheinungen. Trotzdem waren die histologischen Verände-
rungen am Rückenmark des ersten Falles recht geringfügig. Die Erschei-
nungen am Knochensystem des Schädels und des Wirbelkanals waren im
ersten Fall sehr ausgeprägt, im zweiten Fall wenig in die Augen springend.
Von benachbarten Organen erlitt im ersten Fall die Hypophysis starke Ver-
änderungen im Sinne einer Druckatrophie.
Fischer (60) berichtet über folgenden Fall von multipler metastati-
scher Carcinomatose des Zentralnervensystems. Es handelt sich um einen
66 jährigen Mann, welcher vor drei Wochen an aligemeiner Mattigkeit und
zunehmender Stumpfheit erkrankte. Linksseitige Hemianopsie, partielle
sensoriscbe Aphasie, Rindenkrämpfe (bis über 30 am Tage). Tod in einem
solchen Anfall. Die Sektion zeigte multiples Carcinom des Gehirns (pri-
märes Carcinom im linken Stammbronchus). Makroskopisch war keine
Volumenzunahme des Gehirns zu konstatieren (keine Drucksymptome). Aus
den mikroskopischen Bildern ließ sich folgendes hervorheben. In den
kleinsten Tumorknötchen, die in der weißen Substanz lagen, sah man, daß
Rückenmarks und der peripherischen Nerven. 225
an der betreffenden Stelle um die erweiterten Gefäße herum in deren Lymph-
scheiden eine Ansammlung von Tumorzellen sich findet. Dabei ist die Zell-
lage um die gröSeren Gefäße dicker und nimmt mit der Gefäßweite schnell
ab. An den Gefäßverzweigungen kommunizieren auch die Tumorausgüsse
der perivaskulären Spalträume miteinander, was zu der Annahme berechtigt,
daB der ganze Knoten durch ein Fortwuchem des Carcinoms in den Lymph-
wegen je eines Blutgefäßes gebildet ist. Die Knoten in der grauen Sub-
stanz sind den geschilderten ähnlich, nur mit dem Unterschiede, daß die
Tnmorzellen nicht bloß um die Gefäße, sondern auch infiltrierend im Gewebe
Terstreut sind; dadurch sind diese Knoten zellreicher und zeigen in diesem
infiltrierenden Wachstum eine den Carcinomen sonst nicht zukommende
Eigentümlichkeit, während die Knoten in der weißen Substanz dem gewöhn-
lichen Typus des Wachstums in präformierte Lymphbahnen entsprechen.
Es handelt sich aber nur um ein scheinbares Infiltrieren. Es finden sich
nämlich darin, genau so wie um die kleinsten Blutgefäße, auch um die
einzelnen Ganglienzellen Ansammlungen von Tumorzellen, welche dieselben
in 1— 2 f acher Lage wie ein Mantel umgeben und sich noch um die größeren
Fortsätze herum weiter erstrecken; der Umstand, daß man aber in einem
Schnitte nur wenige dieser Fortsätze mit der Zelle im Zusammenhang
sehen kann, gilt in gleicher Weise auch für viele von den um dieselben
hemm wuchernden Zellsträngen, welche dann, isoliert getrofifen, den Ein-
dnick machen, als ob das Carcinom das Nervengewebe direkt infiltrieren
vürde, während es nur, genau so wie um die Blutgefäße, auch in den
Zwischenräumen zwischen den Ganglienzellen und der übrigen Hirnsubstanz
weiter gewuchert ist. Die etwas größeren Carcinomknoten repräsentieren
sich als aus einzelnen dichten Carcinomsträngen aufgebaut, die durchwegs
die Blatgefaße umgeben. Die größeren Tumorknoten haben gegenüber den
geschUderten kleineren Knoten ein viel dichteres Gefüge; dabei wuchert
hier das Neoplasma nur in den perivaskulären Lymphräumen, nirgends in-
filtriert es das Gewebe oder umschließt es die Ganglienzellen; der Knoten
ist solide, ganz aus Carcinom aufgebaut. Das Fehleu der Volumszunahme
ließe sich damit erklären, daß die Tumoren (multiples Carcinom), vermöge
ihrer besonders vergrößerten Oberfläche gerade oder annähernd soviel Hirn-
masse zu zerstören im stände sind, als ihrem wachsenden Volumen ent-
spricht Verf. beschreibt dann die Alteration des Nervengewebes (speziell
der Ganglienzellen) selbst und hebt das Fehlen markanter klinischer Er-
scheinungen hervor. Er hebt hervor, daß eine gewisse klinische Ähnlich-
keit mit der progressiven Paralyse nicht zu verkennen sei.
Wätzold (197) beschreibt einen Fall von Peritheliom des Plexus
chorioideus des ünken Seitenventrikels. Der Fall betraf ein -i^/^ jähriges
Madchen, bei welchem neun Monate vor dem Tode die ersten Krankheits-
^mptome auftraten. Die Geschwulst stammt aus der hinteren Hälfte der
linken Hemisphäre. Ihr Gewicht beträgt (Alkoholhärtung) 160 g. Die
Farbe rotgelb — rotbraun, namentlich in den locker gebauten Teilen, mit
zottiger Oberfläche, teils graugelb in den festeren Partien. Auf dem
Diurehscbjütt sieht man schwammig gebaute und dichtere Partien; in diesen
letzteren mit Blut gefüllte Gefäßlumina, die besonders reichlich in den
schwammigen Partien vorhanden sind. Die mikroskopische Untersuchung
zeigte, daß die Geschwulst vom Plexus chorioideus des linken Seiteu-
ventrikels ihren Ursprung genommen hat. Sie hat sich dadurch entwickelt,
daß die in der Umgebung der Blutgefäße des Plexus gelegenen Zellen in
Vacherung gerieten und einen dicken Zellmantel um die Blutgefäße
bildeten. Man kann danach die Geschwulst den als Peritheliom bezeichneten
JaiiztMbeiichi f. Neurologie und Psychiatrie i»06. 15
226 Spezielle pathologische Anatomie des Gehirns,
Geschwülsten zuzählen. Auch die Bezeichnung plexiformes Hämangio-
sarkom (Waldeyer, Ziegler) ist für sie zutrefiFend. Verf. zitiert vier
analoge Fälle aus der Literatur.
Erdheim (54) gibt in seiner umfangreichen Arbeit eine ausführliche
Schilderung der Hypophysenganggeschwülste und der Hirncholesteatome.
Die Arbeit zerfällt in folgende 6 Kapitel: 1. Zur normalen Anatomie der
Hypophyse und ihrer Umgebung. 2. Über das Vorkommen von Plattenepithel-
haufen in der Hypophyse (aus den nicht involvierten Resten jenes Anteils
des Hypophysenganges, der an Vorderlappen der Hypophyse inseriert, ent-
stehen Plattenepithelhaufen, die infolgedessen innerhalb eines beschränkten
Bezirkes des Hypophysenvorderlappens anzutreffen sind und daselbst nicht
nur als isolierte Haufen, sondern auch innerhalb eines von Bindegewebe
begrenzten Alveolus mit Hypophysenzellen oder indifferenten Bläschen ver-
mischt vorkommen). 3. Intrafaanielle Epidermoide und Dermoide (Unter-
suchung einer Reihe von 16 Cholesteatomen führte zu dem Resultate, daß
dieselben nicht aus dem Platten epithel in der Hypophysis hervorgehen,
sondern epidermoidaler Herkunft sind). 4. Plattenepithelgeschwülste des
Hypophysenganges (genaue Untersuchung von 7 Fällen zeigte, daß diese
Geschwülste aus den Pflasterepithelresten des Hypophysenganges hervor-
gehen und in Bezug auf Topographie und Histologie ein von den Cholestea-
tomen ganz abweichendes Verhalten zeigen). 6. Trophische Störungen bei
Hypophysentumoren. (Es sei in hohem Grade wahrscheinlich, daß die bei
Hypophysentumoren ohne und mit Akromegalie vorkommende Adipositas
nicht auf eine fehlerhafte Blutdrüsenfunktion der Hypophyse, sondern darauf
zurückzuführen sei, daß in solchen Fällen eine uns unbekannte Stelle der
Hirnbasis durch den Tumor direkt beeinflußt wird (gereizt oder lädiert).
Hierbei kommt es weder auf die Natur der Neubildung, noch auf das Ver-
halten der Hypophyse selbst an. Ferner scheint es für die Hypophysen-
ganggeschwülste charakteristisch zu sein, daß sie nicht mit Akromegalie
einhergehen). 6. Über die Sella turcica bei Hypophysentumoren (beschränkt
sich der Hypophysentumor auf die Sella, so ist dieselbe vergrößert, aber
ihr Zugang von oben nicht erweitert. Liegt ein infundibularer Tumor Tor,
so kann derselbe den Zugang zum Türkensattel erweitern, die Sella bleibt
aber annähernd normal groß. Ahnliche Verhältnisse können aber durch
allgemeine Hirndruckerscheinungen bedingt sein, und darum ist bei der Be-
urteilung solcher Fälle einige Vorsicht am Platze. Entsteht ein Hypophysen-
tumor in der Sella und wuchert aus dieser nach oben gegen die Himbasis
oder wölbt sich nur sehr stark gegen dieselbe vor, so ist die Sella vergrößert
und öffnet sich weit nach oben. In allen diesen Fällen gibt die Röntgen-
aufnahme ein charakteristisches Bild, aus dem mit einiger Sicherheit schon
am Lebenden ein Schluß auf die Wachstumsrichtung der Neubildung möglich
sein dürfte). — Der Arbeit sind zahlreiche Abbildungen und ein ausführ-
liches Literaturverzeichnis beigegeben.
Simmonds (164) beschreibt Fälle von angioma racemosum und ser-
pentinum des Gehirns. Nach dem Vorgang Virchows pflegt man unter
der Bezeichnung Angioma racemosum eine Gefäßneubildung zu verstehen,
bei welcher größere Strecken einer Arterie oder mehrerer benachbarten bis
in ihre Verästelungen hinein eine hochgradige Schlängelung und Erweite-
rung, bisweilen unter Bildung sackiger Ausstülpungen erfahren. Der Prozeß
kann bis auf die Kapillaren und sogar Venen übergehen. Von diesen echten
Angiomen findet man eine Gruppe, in welcher nur der Stamm einer Arterie
die Schlängelung zeigt — aneur. serpentinum oder cirsoides.
Rückenmarks und der peripherischen Nerven. 227
Fall I: Die 45 jährige Frau litt seit ihrer Kindheit an Krämpfen, die
seit 20 Jahren häufiger wurden. Zuletzt Kopfschmerzen, lallende Sprache,
Parese des linken Facialis. Tod nach einem epileptischen Anfall. Die
Sektion zeigte Schlängelung und Blutüberfüllung sämtlicher Piagefäße. Der
rechte Hinterhauptlappen war an der Unterfläche mit der Dura verwachsen ;
die Ra war verdickt und mit enorm geschlängelten, stark erweiterten, viel-
fach Yon Ampullen unterbrochenen Gefäßen besetzt. Die Gefäße der übrigen
Hirnoberfläche waren normal.
Fall II: Der 53jährige Mann erlitt im 30. Jahre einen Schlaganfall
(rechtsseitige Hemiparese). Bei der Autopsie fand man Verwachsung der
Pia mit der Dura im Gebiete des rechten Scheitellappens. Nach Aus-
räumung alter Coagula fand sich in der Gegend der rechten Zentralwindung,
dicht unter der Pia sitzend und einem größeren Gefäß derselben anhaftend,
ein haselnußgroßer, dünnwandiger, an der frei in den Blutungsherd ragenden
Kuppe mit einem kleinen Riß versehener Sack. Das Gefäß, an welchem
der Blutsack sitzt, ist stark geschlängelt und zeigt in seinem weiteren Ver-
lauf noch mehrere kleine Ausbuchtungen. Dann folgt ein walnußgroßes
Packet stark gevrundener, ektaüscher, mit bohnengroßen und etwas kleineren
Sacken versehener Gefäße, deren Wandung stark verdünnt, stellenweise auch
verdickt erscheint. Die mikroskopische Untersuchung zeigte, daß es sich
nicht um ein Aneurysma, sondern um ein angioma serpentinum handelte.
Haggard (71) berichtet über einen Fall von Encephalomeningocele.
Es handelte sich um ein viermonatliohes Kind, bei welchem man gleich bei
der Geburt einen im Hinterteil des Schädels sitzenden Tumor konstatieren
konnte. Der Tumor wuchs allmähh'ch und nahm schließlich enorme Dimen-
sionen an (wurde viel größer als der Kopf des Kindes). Der Tumor ent-
hielt gelbliche, etwas alkalische und albumenreiche Flüssigkeit. Am Boden
des Sackes fand man eine geringe Ansammlung von Gehirnmasse.
Saltykow (156) konnte eine besonders ausgedehnte, postmortale
flöhlenbildung im Gehirn beobachten. Es handelte sich um das Gehirn
eines 50 jährigen Paralytikers; die Sektion wurde 15 Stunden nach dem
Tode vorgenommen. Von Fäulniserscheinungen wurde Imbibition des Endo-
kards und der Intima aortae und Gasblasen gefunden. Das Gehirn zeigte
außer den der progressiven Paralyse eigenen Veränderungen ein walnuß-
großes Gliom des linken Frontallappens. Bei der drei Wochen später vor-
genommenen Sektion des in Formol eingelegten Gehirns sah man in beiden
horizontal durchschnittenen Großhirnhemisphären eine ausgedehnte Zer-
störung. Beide Hemisphären enthielten je eine große, symmetrisch gelagerte
Höhle. Die Höhle reichte rechts bis an die Rinde der Insel und nahm
den größten Teil des Linsenkems ein; links reichte sie bis an die Rinde
des Parietallappens. Die Umgebung der großen Höhlen war von etwa erbsen-
großen, glattwandigen, kugelförmigen und ovalen Lücken dicht besetzt, so
daß stellenweise nur ein Balkenwerk von blaßem Hirngewebe erhalten blieb.
Auch das Gliom war von Gasblasen durchsetzt. Alle Gefäße in der Um-
gehung der Höhlen waren von plumpen. Gram - beständigen Bazillen vom
Aussehen der Gasbazillen vollgepfropft. Von Bazillen waren auch die Ränder
der Hohlräume durchsetzt.
Eine bestimmte Eingangspforte für die Gasbazillen konnte nicht nach-
gewiesen werden. (Bmdix,)
Cholestearinkonkremente im Gehirn.
Sonthard (169) beschreibt einen Fall von Bildung von Cholestearin-
konkrementen im Gehirn und im Rückenmark. Der Fall betraf einen
15*
228 Spezielle pathologische Anatomie des Gehirna,
56 jährigen Mann. Hochgradige allgemeine Arteriosklerose, besonders in
den Gefäßen des circulus arter, Willisii. Cholestearinkonkremente in ver-
schiedenen Teilen der Hirnrinde, der zentralen Ganglien und in der weißea
Substanz des Rückenmarks. Das größte Konkrement von 2 cm im Durch-
messer lag im linken nucl. lenticularis. Die Konkremente waren von einer
dünnwandigen Neurogliakapsel umgeben.
Erweichungen, Abszeßbildung und Entzündungen
im Gehirn.
EÖlpin (86) berichtet über einen Fall von retrograder Degeneration
der Pyramidenbahn und der Schleife infolge eines Erweichungsherdes in der
medulla oblongata. Bei einem 66 jährigen Potator mit Glykosurie trat
doppelseitige Ptosis auf. Nach einigen Wochen schkganfallähnliche Er-
scheinungen, motorische und sensible Lähmung der linken Seite, Erschwerung
der Sprache und Atrophie der rechten Zungenhälfte. Nach neun Moiia4;en
Exitus. Die mikroskopische Untersuchung ergab in der rechten Hälfte der
medulla oblongata mehrere Erweichungsherde, von denen einer die Pyra^
midenbahn total, andere die mediale Schleife zum größten Teil zerstört und
den XIL Kern ebenfalls stark lädiert haben. Die Pyramidenbahn zeigt
unterhalb des Herdes die typische absteigende Degeneration, oberhalb des
Herdes läßt sich eine retrograde Degeneration dieser Bahn in aUmählich
abnehmender Intensität bis ans proximale Ende der Brücke verfolgen. Dia
mediale Schleife zeigt aufsteigend die bekannte Degeneration, retrograd ist
eine Degeneration der zu den gekreuzten Hinterstrangkernen ziehenden
inneren Bogenfasem festzustellen. Auch die Zellen dieser Hinterstrang-
kerne sind vielleicht etwas affiziert. Nach der Zusammenstellung von Hunt
wären bis jetzt 9 Fälle von retrograder Pyramidendegeneration veröffentlicht.
Weber (198) berichtet über einen genau mikroskopisch imtersuchten
Pall von sekundärer Degeneration nach einer Erweichung des Galcarinagebiets.
Er kam dabei zu folgenden Schlüßen: 1. Die sagittalen Bündel waren dabei
ebenfalls direkt getroffen. 2. Die sekundäre Degeneration war zunächst im
unteren Abschnitt der Gratioletschen Sehstrahlung (Rth) und des fiascic
longitud. inf. (Fli) lokalisiert. 3. Diese Degeneration zerfallt dann in
frontaler Richtung in a) eine untere, sich nach dem lob. tempor. begebende
Zone und b) in eine obere nach dem corp. genicul, und pulvinar laufende
Zone. 4. Die Degeneration ist viel intensiver in Fli als in Bfii, Verf. betont,
daß diese Ergebnisse mit denjenigen Monakows übereinstimmen. Er hebt be-
sonders in Bezug auf den fascic. longitud. inf. hervor, daß der untere Teil
desselben im lobus occiptalis verwischte Assoziations- und Projektionsfasem
enthält. Nach vorn gehen diese beiden Arten von Fasern auseinander, und
während die Projektionsfasern in oberer Etage nach dem corp. genicul. ext.,
pulvinar u. a. verlaufen, ziehen die Assoziationsfasern in der unteren Eta^e
nach dem lob. temporalis.
LobenhofEer (98) untersuchte mikroskopisch einen Fall von Hirnabszeß
und speziell die Abszeßmembran. Er fand in der Wand des Abszeßes
3 Schichten. Die innerste war nicht überall gleichmäßig erhalten und zeig^
einen bindegewebigen Bau. Die einzelnen Zellen oder kleineren Verbände
waren vielfach aus dem Zusammenhang gelöst, sodaß sie wie feine Fäden
gegen das Limien vorragten. Die nächste Schicht bestand hauptsächlich
aus Rundzellen. In der nächstfolgenden Schicht, die den Hauptteil der
Membran darstellt, nahm das Bindegewebe den Vordergrund ein. Ganz
anders war der Aufbau der Kapsel des kleineren Abszeßes, in welchem e3
Rückenmarks und der peripherischen Nerven. 229
sich nm eine richtige Abkapselung des Eiters handelte. Zu innerst lag ein
Wall sehr kern reichen Gewebes (dichte Lenkocytenmassen waren um die Gefäße).
Die nächste Schicht bestand aus kernreichem Bindegewebe und trug viele
GefSSe. Nach der Peripherie hin wurden die Bindegewebsbündel immer
massiger. Der Befund am großen Abszeß bestätigte die Ansicht, daß das
Veiterwachsen des Abszeßes unter Einschmelzen und Neubildung der Kapsel
Tor sich gehe. Bei dem kleinen Abszeß kam es gleich zu einer Abkapselung
dw Eiters, und man fand hier weder degenerative Vorgänge, noch Ein-
schmelzung der Kapsel.
Harcband, Petit und Coqnot (104) beschreiben einen 2 Vt jährigen
Hund, bei welchem man progressive Demenz, Schwund der speziellen Sinne
des Sehvermögens, des Gehörs, des Geschmacks und des Geruchs, Parese
der Extremitäten und manegenartige Bewegungen von links nach rechts kon-
statiereo konnte. Die Sektion ergab Atrophie, eine linksseitige Hemiatrophia
ccrebeUi und meningo-encephalitis diffusa subacuta (hauptsächlich im Gebiete
der Frontallappen). Die histologische Untersuchung zeigte, daß die gefundenen
Läflionen denjenigen bei paraljsis progressiva des Menschen ähnlich erschienen.
Kattwinkel (83) teilt den Befund eines Falles mit, der klinisch
üDter dem Bilde einer multiplen Sklerose verlaufen war. Die Autopsie
ergab im Gehirn ganz eigenartige ependymäre Flecken, die an der Ober-
fläche saßen und die Form von Knötchen hatten. Sie waren am zahl-
reichsten im Hinterhom des linken Ventrikels. Das Vorderhorn und der
dritte und vierte Ventrikel waren von ihnen frei. Es handelte sich histolo-
gisch um eine einfache Sklerose des Ependymgewebes, eine Proliferation
der Neuroglia mit mäßiger Vermehrung der Neurogliazellen, die als Epen-
djinitis grantüaris in Form von Plaques bezeichnet werden kann. Der Kranke
war ein 30 jähriger Arbeiter, der seit zwei Jahren Unsicherheit in den Beinen
bemerkte und Blasenstöruugen bekam mit heftigen Schmerzen in den Beinen.
Er hatte sehr lebhafte Patellarreflexe, keine Sensibilitätsstörungen, leichten
Faßklonus beiderseits und Babinskisches Zeichen. Reflektorische Pupillen-
starre, Sprache nicht skandierend. Außer einer Dilatation der Seiten-
ventrikel, besonders links mit fleckenförmiger Ependymitis und Verdünnung
des corpus callosum, waren weder am Gehirn, noch am Rückenmark und
der Medulla oblongata irgendwelche Veränderungen nachweisbar.
(Bendix.)
Banbitschek (143) fand bei der histologischen Untersuchung des
Hexns chorioideus von früh zur Obduktion gekommenen Fällen bei allen
akuten Meningitiden, besonders in den Zotten des Plexus, zwischen den
papillären Blutgefäßen und dem Plexusepithel eigentümliche Zellen. Bei allen
eitrigen Meningitiden fand er ganz typische polynukleäre Leukocyten in
allen Stadien, vom Austritt aus dem Blutgefäß bis zum Durchtritt durch
4ö Epithel des Plexus chorioideus. Bei der tuberkulösen Meningitis sah
« ganz allgemein Zellen, die auch zwischen Blutgefäß und Plexusepithel
iin losen Bindegewebe lagen, aber nur einen Kern hatten. R. glaubt, daß
*e bei den Meningitiden in der Cerebrospinalflüssigkeit gefundenen Zellen
aiis den Grefäßen des Plexus chorioideus in den Liquor cerebrospinalis aus-
wandern. (Bendix.)
Porencephalie.
Spielmeyer (173) beschreibt ein hydranencephales Zwillingspaar:
Bei einem Zwillingspaare, von dem das eine Kind am 2., das andere
*ffl 7. Tage nach der Geburt starb, ohne bei Lebzeiten Hirnsymptome ge-
boten zu haben, lag ein bei beiden Kindern verschieden ausgedehnter Hirn-
230 Spezielle pathologische Anatomie des Gehirns,
defekt vor; irgendwelche rachitische Hemmuugsbildungen fehlen. In Fall I
ist außer dem Großhirn auch das Stammhirn bis zur hinteren Grenze des
Diencephalon in den Substanzverlust einbezogen, bei II sind noch Reste vom
Thalamus und vom Hippocampus ihrer Lage und Konfiguration nach kenntlich;
das übrige Stammhirn mit dem Cerebellum ohne makroskopische Veränderung.
Der Hirndefekt ist größtenteils durch seröse Flüssigkeit ersetzt, in der bei
II noch Spuren alter Blutungen nachgewiesen werden konnten ; ein Flüssig-
keitsbinnendruck (gegen die Schädelwandungen) fehlt. Die Meningen sind
bei I größtenteils zerstört, bei II bilden sie einen stark vaskularisierten Sack.
An der Defektperipherie, speziell auch an der Innenfläche der weichen Hirn-
haut, zahlreiche uekrobiotische und hämorrhagische Residuen neben Re-
sorptions- und Reparationsvorgängen. Überall erhebliche Gefäßfüllung —
auch an makroskopisch nicht veränderten Stellen (Kleinhirn!) — und
kavernöse Erweiterung der meningealen Blutbahnen.
Schon auf Grund des makroskopischen Befundes erweisen diese Fälle
ihre Zugehörigkeit zu jenen Formen seltener Hirndefekte, die Cruveilier
unter dem Namen der „Hydranencephalie" beschrieben hat.
Verf. nimmt an, daß es sich hier um einen speziellen Fall von Por-
encephalie handelt, der sich rein quantitativ von den üblichen Bildern „der
trichterförmigen Substanzverlust in Mantelhirn" unterschiede. Es werden
dann die Ursachen der Porencephalie besprochen, und schließlich kommt
Verf. zu folgender Ansicht über seinen eigenen Fall:
Unsere pathogenetischen Untersuchungen ergaben somit, daß die Hydran-
encephalien bei unserem Zwillingspaare ihre Ursache in einem hämorr-
hagischen Zerstörungsprozeß haben, der teils durch direkte Zertrümmerung
des nervösen Gewebes, teils durch die aus der Zirkulationsstörung resultierende
Nekrose den Substanzverlust bewirkte. Spuren dieser Vorgänge finden sich
in der blut- und blutpigmentreichen Proliferationszone an der Peripherie
des Defektes, ebenso an den den Plexus und den Meningen anliegenden,
noch erhaltenen Hirnteilen. Der hämorrh%ische Prozeß hat mit einem
artoriitischen, thrombotischen oder embolischen Gefäßverschluß nichts zu tun ;
er stellt sich auch nicht als Begleiterscheinung einer Encephalitis dar. Seine
Entstehungsbedingungen sind vielmehr in der enorm dünnen Gefäßwandung
zu suchen und vor allem in der ausgesprochenen Tendenz der Blutgefäße,
zu kavernösen Hohlräumen zusammenzufließen. Ihre Ausbreitung hat, resp.
hatte diese Gefäßanomalie in den Blutleitern, die dem Plexus angehören,
und besonders in denen, die ihren Weg auf mehr weniger lange Strecken
in den meningealen Maschenräumen nehmen.
Tuberkulose der Hypophysis.
Hueter (78) betont die Seltenheit der Tuberkulose der Hypophysis
und führt eine eigene Beobachtung an. Der Fall betraf eine 42jährige
Zwergin, die seit drei Wochen an Magenerscheinuugen, Kopfschmerzen er-
krankte. Status: Sensorium nicht frei, Strabismus convergens, Pupillen-
reaktion erhalten, rechter Patellarreflex erhöht, Bewegungen des Kopfes
schmerzhaft, Milz vergrößert, Tod. Die Sektion ergab ein sulziges, graues
Exsudat der Meningen an der Basis, auch akute Miliartuberkulose der Lungen,
Tuberkulose der Leber, der Nebennieren und des Utenis. Man fand femer
tuberkulöse Entartung der Hypophysis, wobei die mikroskopische Unter-
suchung eine schon in Nekrose übergegangene Tuberkulose des vorderen
Lappens des Organes ergab mit auffälliger Lokalisation der Erkrankung
um den Hinterlappen herum, diesen vollkommen freilassend. Der Prozeß
Rückenmarks und der peripherischen Nerven. 231
war jedoch nicht auf eine Umfassung des Hinterlappens beschränkt, er
setzte sich auch entlang der bindegewebigen Begrenzung des Infundibulums
fort. Verf. ventiliert« nur die Frage über die eventuelle Alteration der
fljpophysis bei meningitis tuberculosa und untersuchte zu diesem Zweck
7 Fälle. In allen Fällen fand sich der meningeale Überzug des Clüasmas und des
Infundibulums schwer erkrankt (Infiltration mit epitheloiden Zellen und
Ljmphocyten, beginnende Gewebsnekrose, mächtige fibrinöse Exsudation im
Sobarachnoidalraum). Überraschend w^ar in einigen Fällen die sehr be-
trächtliche Anzahl von Tuberkelbazillen. Das unter der bindegewebigen
Membran in dünner Schicht auf der oberen Fläche des Trichters befindliche
Hrpophysisgewebe, das den Chiasmafortsatz der Hypophysis darstellt, fand
sich fast in allen Fällen wohl erhalten, häufig waren die obersten Schichten
iofiltriert, und nur in zwei Fällen ließen sich miliare Tuberkel nachweisen.
Niemals warde dagegen tuberkulöse Erkrankung der Hypophysis auf dem
Blut- oder Lymphwege beobachtet. Es erscheint soweit unwahrscheinlich,
daß sich in dem obigen Fall die Hypophysistuberkulose an die meningitis
tuberculosa anschloß. Vielmehr spricht der ganze Befund dafür, daß der
tuberkulöse Prozeß in der Drüse unabhängig von der Meningitis entstanden
und sehr chronisch yerlaufen ist.
Sclerosis tuberosa hypertrophica.
Pemsilli (133) gibt eine äußerst ausführliche Schilderung eines
Falles von sclerosis tuberosa hypertrophica (istioatipia corticale disseminata
Ton Pellizzi). Die am meisten charakteristischen Merkmale der Krankheit
sind die anatomischen Degenerationserscheinungen, die Epilepsie und die
Idiotie. Hinzufügen darf man wohl noch die schwere erbliche neuro-
psTchopathische Belastung, die fast niemals zu fehlen scheint. Im Falle
des Verf. traten femer richtige Paresen und Lähmungen mit Kontrakturen
ein, was bei dieser Krankheit ziemlich selten vorzukommen pflegt. Was
die pathologisch-anatomischen Veränderungen betrifft, so fand man makro-
skopisch bei normalen Meningen Hypertrophie der erkrankten (tuberöse
SÜerose) Windungen. Bezüglich der Herde selbst unterscheidet Pellizzi
zwei Typen: 1. große rundliche hypertrophische Stellen mit unregelmäßigen
Konturen und einer deutlichen Einsenkung im Zentrum, die Furchen dritter
Ordnung einschließen; 2. die soeben beschriebenen ähnlichen Stellen, die jedoch
keine Furchen dritter Ordnung einschließen und keine Einsenkung in der
Mitte aufweisen; sie entsprechen nur mehr oder weniger ausgedehnten
Windungsabschnitten, ohne tief in die Furchen einzudringen. Die sklero-
tbchen Stellen findet man nicht nur in der Rinde, sondern auch außerhalb
derselben, so in der darunter liegenden weißen Substanz, in den Seiten-
ventiikeln, an der Oberfläche der Ganglien. Was die mikroskopischen
Alterationen betrifft, so fand Verf. im wesentlichen folgendes. Zunächst
bemerkt Verf., daß wir hier vor einem Prozeß stehen, der deutlich eine
Tendenz zur Ausbreitung zeigt, daß ferner die Unterschiede zwischen den
erkrankten und den gesunden Partien zwar deutlich sind, aber nicht das
Wesen des Prozesses betreffen, schließlich finden sich zwischen,, den ver-
schiedenen, in verschiedenem Grade betroffenen Teilen deutliche Übergänge.
Verf. behauptet nun mit großer ßeserve, daß der Befund, der sich in den
gesunden Partien der Kinde bot, dem entspricht, was unter dem Namen der
epileptischen Gliose beschrieben worden ist. Anders liegt die Sache bei
den erkrankten Teilen oder richtiger bei den sklerotischen Flecken in den
Windungen; hier kann kein Zweifel an der sklerotischen Xatur des Prozesses
232 Spezielle pathologische ADatomie des Gehirns,
und an der pathologischen Natur der dabei beteiligten Glia sein. yerf. hat
jedoch den Eindruck gewonnen, daß zwischen den Veränderungen bei der
Epilepsie, bei den diffusen hypertrophischen Zerebralsklerosen und bei der
tuberösen Sklerose die histologischen Ähnlichkeiten sicher zahlreich und
bedeutsam, die Unterschiede aber nur gering und unwesentlich sind. In
Bezug auf die Pathogenese der Krankheit, lehnt sich Verf. an die
Theorie you Pellizzi. Die tuberöse Sklerose stellt eine Anomalie in der
histogenetischen Entwicklung der Hirnrinde dar, die auf einen Mangel in der
ersten Anlage der histologischen Elemente zurückzuführen sein soll. Es
fehlen yöilig alle pathologischen Prozesse im engeren Sinne, weder finden
sich Entzündungserscheinuugen noch Gefäßyeränderungen. Die histologischen
Anomalien bestehen häuptsächlich in Unregelmäßigkeiten der Gestalt der
Verteilung der nervösen Elemente in der Hirnrinde und stellen einen
degenerativen histologischen Charakter, eine atavistische, hauptsächlich tera-
tologische physische Entwicklungsanomalie dar. Die ursprüngliche Ver-
änderung hat ihren Sitz nach Pellizzi in den nervösen Elementen; die
Beteiligung der NeurogUa sei durchaus sekundärer Natur, so daß die
Sklerose nur den Endausgang bedeutet. (Der Arbeit sind vortreffliche
Abbildungen beigegeben.)
Bebizzi 0^5) bringt eine eingehende Studie über die Pseudosklerose
und die diffuse oklerose. Er hatte Gelegenheit, einen klassischen Fall von
diffuser Sklerose klinisch wie anatomisch genau zu verfolgen. Auf Grund
eines vergleichenden Studiums kommt er zu dem Schlüsse, daß beide Er-
krankungen einer einzigen Krankheitsgruppe angehören. Die Pseudosklerose
sei als die leichtere Form der diffusen Sklerose zu betrachten. Die schwerere
Form der Pseudosklerose und die leichtere Form der diffusen Skerose gehen
in einander über, und so stellt sich ein kontinuierlicher Zusammenhang
zwischen beiden Erkrankungen dar. Rebizzi sucht diesen Satz unter Zu-
grundelegung klinischer Symptome wie anatomischer Untersuchungen zu
beweisen. Als das wesentlichste Merkmal sei beiden Erkrankungen ge-
meinsam die diffuse primäre Erkrankung der nervösen zelligen Elemente,
der sekundär eine Vermehrung der Gliaelemente folge. Der Prozeß sei ein
schwerer, schnell fortschreitender, und auf diese Weise erkläre es sich, daß
auf der einen Seite die ersten Stadien der Zellalteration nicht zu verfolgen
seien, auf der anderen Seite sekundäre Schrumpfungsprozesse nicht zur Beob-
achtung kämen. Bei dieser Auffassung würde die Erkrankung in der
Mitte stehen zwischen der multiplen Sklerose und der progressiven Paralyse.
Klinisch hätten die beiden in Betracht kommenden Erkrankungen viel ge-
meinsames, verwandtes, das gehe deutlich daraus hervor, daß eine Anzahl
von Fällen juveniler Paralyse und Fälle, die klinisch als Kombinatien von
progressiver Paralyse mit multipler Sklerose beschrieben worden sind —
bei denen aber die anatomische Nachuntersuchung fehlt — ihrem ganzen
Symptomenbild und Verlaufe nach mit aller Wahrscheinlichkeit der Pseudo-
sklerose und der diffusen Sklerose zugerechnet werden müssen. Achte man
in Zukunft darauf, so werde man weit mehr einschlägige Fälle aufzuzählen
haben, als es bisher der Fall war. — Bei der Pathogenese kämen aller
Wahrscheinlichkeit nach toxische Prozesse in Betracht, die zu einer diffusen
degenerativen Erkrankung der nervösen Elemente führen; die Erkrankung
muß als eine metasyphilitische betrachtet werden. Auch anatomisch würden
sich eine Anzahl von Analogien zur progressiven Paralyse finden lassen^
wenn man den primären Prozeß bei der Paralyse nicht als einen entzündlichen
auffasse. — In dem Falle, von dem Eebizza ausgeht, fehlten alle ent-
zündlichen Erscheinungen — keine Infiltrationen, keine Gefaßalterationen,
HaekeDinarks und der peripherischen Nerven. 883
iAgegen starke Qliawuchernngen. Merkwürdig war der Befund in den
Spinalganglien: es wnrde hier das Auftreten ron Ganglienzelleninseln beob-
achtet — ein Stehenbleiben anf embryonalen Vorstufen nach Ansicht des
Verfassers. Um die Einheitlichkeit der Erkrankung zum Ausdruck zu
bringen, schlägt Rebizzi vor, die diflfuse Sklerose und die Pseudosklerose
unter einem Namen zusammenzufassen und beide Erkrankungen unter dem
Namen der Westphal-Strümpellschen Krankheit zu vereinigen.
(Merzbcusher.)
Die Lichtungsbezirke im Zentralnervensystem.
SchmailS (158) bespricht die Entwicklung der sog. „Lichtungsbezirke^
im Zentralnervensystem, welche eingehend von Borst beschrieben worden
sind. Verfasser selbst berichtet über einen entsprechenden Fall, dessen
klinische Geschichte sehr mangelhaft ausfiel (57jährige Frau, die seit meh-
reren Monaten über Schmerzen in den Beinen und in den Armen klagte:
Behinderung der Koptbewegungen, heftige Schmerzen bei jeder Bewegung,
einige Wochen vor dem Tode schlaffe Lähmung zuerst des linken Armes,
bald darauf des rechten, schließlich Parese der Beine). Die Sektion
ergab Lungentuberkulose, Erweichuug des Halsmarkes (besonders der V. — VI.
Segmente). Die mikroskopische Untersuchung zeigte nun im Halsmark
nindliche, scharf begrenzte, wie ausgeschnitten aussehende Flecken (Lich-
tungsbezirke). Bei Karminfärbung erkannte man innerhalb der Herde deut-
liche Achenzylinder, bei Weigert — nur hier und da eine Markfaser, an
Gieson sehen Präparaten — Gliafasem. Verfasser meint nun, daß, wenn
auch eine leichte Knickung der Wirbelsäule vorhanden war, so deutet doch
das Fehlen jeder merklichen Verengung des Wirbelkanals, das Fehlen von
Verdickungen und Verwachsungen der weichen Häute und von Veränderungen
der meningealen und intramedullären Blutgefäße darauf hin, daß die vor-
liegenden Lichtungsbezirke nicht auf eine durch Binderung des Lymph-
abflusses bedingte Hyperlymphose lokalen Charakters bedingt werden dürfte»
Es handelt sich vielmehr um die Wirkung eines an bestimmten Stellen aus
einem Kapillargebiet austretenden, mit irgendwelchen Schädlichkeiten be-
ladenen Transsudaten. Verfasser macht femer darauf aufmerksam, daß in
solchen Fällen zunächst die Myelinscheide betroffen wird, während die Achsen-
KTÜnder noch gut erhalten bleiben, daß dagegen bei rein mechanischer
Lymphstauung gerade die Achsenzylinder zuerst Quellung, Zerreißung und
Segmentierung aufweisen. Verfasser bespricht noch die von Ferrard be-
schriebene Encephalite chronique sclerosique des vieillards und die Kunst-
prodokte, die aber mit den „Lichtungsbezirken" nichts gemeinsames haben.
Atrophische Hirnsklerose.
BonmÖTille und Mangeret (18) geben in ihrer Arbeit eine aus-
fuhrliche Krankengeschichte eines 13jährigen epileptischen Mädchens, bei
welchem man bei der Sektion atrophische Sklerose der linken Hemi-
sphäre vorfand. Die Konvulsionen begannen bei dem Kinde im 6. Monate.
Dieselben beschränkten sich auf die rechte Körperseite, dauerten 8 Stunden
lang und waren von einer rechtsseitigen Hemiplegie begleitet. Die zweite
Attacke im 10. Monate, dann traten die Krämpfe jeden 6. Monat bis zum
t Lebensjahre auf. Vom 3. Lebensjahre und 2 Monaten Wiederkehr der
Krämpfe in jedem Monate bis zum 7. Lebensjahre. Athetose. Vom 7.
Lebensjahre bis zum Eintritt in das Krankenhaus 2 — 3 Krämpfe jeden Tag.
234 Spezielle pathologische Anatomie des Gehirns,
Autopsie : Tuberkulose der Lungen und der Nieren. Verdickung des Schädels
links. Meningitis chronica (links intensiver ausgesprochen). In der gesamten
linken Hirnhemisphäre ließ sich eine Atrophie der Windungen konstatieren
(hauptsächlich im lob. frontalis und lob. occipitalis). Linke Pyramide grau.
Gekreuzte Atrophie des Kleinhirns.
Pseudobulbärparalyse.
Müller (116) gibt einen Beitrag zur pathologischen Anatomie der
Pseudobulbärparalyse, indem er einen Fall einer genauen Durchmusterung
unterzog. In diesem Fall fanden sich außer mehreren größeren Erweichungs-
herden im Großhirn noch sechs Herde in der Brücke, die teils älteren, teils
frischen Datums sind. Im zerebralen Abschnitt der Oblongata keine Herde,
dagegen eine größere Anzahl derselben im unteren Oblongatateil und im
Rückenmark. Es zeigte sich nun, daß die Pyramidenbahnen, die oberhalb
der Brücke nur ganz geringfügig degeneriert waren, in der Brücke eine
Zunahme der Entartung zeigten; und aus der Brücke kamen diese Bahnen
schwer geschädigt heraus. Die zentrale motorische Bahn erlitt somit ihre
hauptsächlichste Schädigung durch die Entwicklungsherde in der Brücke.
Der Symptomenkomplex der Bulbärparalyse war allerdings durch die Groß-
hirnherde bedingt (Herde im Bereiche der Zentren für Mund, Sprache, Schluck-
akt), obgleich es nicht unwahrscheinlich ist, daß eine weitere Schädigung
der bulbären Funktionen durch die Brückenherde veranlaßt worden ist
Verfasser bespricht noch die Seltenheit der Bückenmarksherde, welche in
seinem Fall, wenigstens teilweise, große Ähnlichkeit mit denen der mul-
tiplen Sklerose zeigten.
Augen muskellähm ung.
Siemerling (163) gibt folgenden Beitrag zur pathologischen Anatomie
der früh entstandenen, isoliert verlaufenden Augenmuskellähmung. Bei einer
55jährigen, an Morphinismus leidenden Frau wurde eine Ophthalmoplegia
tolalis externa dextra mit vollkommener Ptosis konstatiert. Beweglichkeits-
beschränkung des linken Auges im Gebiete des Okulomotorius, besonders
nach oben, etwas weniger nach innen und unten. Beweglichkeit nach außen
gut. Ptosis mittleren Grades, welche sich bei forcierter Anstrengung etwas
mindert. Kein Nystagmus; ophthalmoskopisch normaler Befund. Während
der 3jährigen Beobachtung bleibt die Aufhebung der Bewegungen recht
konstant; links zuweilen eine etwas ausgiebigere Bewegung nach innen und
unten. Die Pupillen sind infolge des dauernden Gebrauchs von Morphium
verengt. Dieser Beweglichkeitsdefekt datiert vom dritten Lebensjahre.
In dieser Zeit stellte sich das rechte Auge nach außen, und sank das rechte
Lid etwas herab. Wann sich die Beweglichkeitsbeschränkung links eingestellt
hat, ist nicht besonders beobachtet (wahrscheinlich existiert auch diese seit
der frühesten Jugend, gleichzeitig mit der rechtsseitigen Lähmung).
Die Sektion und mikroskopische Untersuchung ergibt als Erklärung
für diese beiderseitige Augenmuskellähmung eine Vernichtung resp.
Schädigung der Trochlearis- und Okulomotoriuskerne. Die dort
beschriebenen Veränderungen sind aufzufassen als der Ausdruck einer ab-
gelaufenen Hämorrhagie in das Kerngebiet, wesentlich auf dieses
beschränkt. Man fand die Reste einer Blutung in Gestalt einer apoplek-
tischen Cyste mit Überresten von Blutpigment. Der Trochleariskem rechts
ist ganz zerstört, vom Trochleariskem links vielleicht ein minimaler Rest
erhalten, wenn wir den beginnenden Okulomotoriuskem als gemeinschaftliche
Rückenmarks und der peripherischen Nerven. 235
Ursprungsstätte des Trochlearis und des Anfangsteils des Okulomotorius auf-
fassen. Nach früheren Beobachtungen ist als feststehend anzunehmen, daß
der proximale Teil des im hinteren Längsbündel gelegenen Kernes in enger
Beziehung mit dem Okulomotoriuskern steht. Die zentrale Verbindung
zwischen beiden Trochleariskernen in Form einer Kreuzung zeigte in
dem vorliegenden Falle eine Abnahme ihrer Fasern. DerOkulomotorius-
kern der rechten Seite ist fast völlig zu Grunde gegangen. Nur im proxi-
malen Teil findet sich ein ganz kleiner Überrest, welcher der Lage nach
dem ventralen Teil des proximalen großzelligen Okulomotoriuskernes ent-
spricht.
Es ist eine kleine Gruppe aus wenigen Ganglienzellen mit gut entwickeltem
Fasemetz. Vom linken Okulomotoriuskern sehen wir erhalten das distale
und proximale Ende, aber auch nicht in der Ausbildung, wie unter normalen
Verhältnissen; im distalen Ende nimmt der Kern eine weit kleinere Aus-
dehnung an, ist wie zusammengedrängt in zwei Gruppen. Vom Zentralkern
ist in der Mitte der Gesamtlänge des Okulomotoriuskernes nur ein minimales
Stück nachzuweisen. Der eigentliche großzellige Hauptkem ist in seiner
mittleren Partie gleichfalls bis auf einen ganz geringen Rest des dorsalen
Abschnittes zerstört. Erst proximal ist wieder ein größeres Stück des
Haaptkernes sichtbar.
Die austretenden Okulomotoriuswurzeln zeigen rechts eine hoch-
gradige Degeneration, links sind sie etwas besser erhalten.
Die von Okulomotorius und Trochlearis versorgten Muskeln lassen die
für Kemerkrankung charakteristischen degenerativen Vorgänge deutlich
erkennen.
Das hintere Längsbündel, welches im proximalen Teil des Kernes
in wenigen Bündeln hervortritt, zeigt beiderseits in seiner ganzen Ausdehnung
einen hochgradigen Ausfall an Fasern, besonders auf der rechten Seite.
Dieser Fasernausfall ist im distalen Ende in der Höhe des Abduzenskern
nicht mehr so erheblich, aber auch noch hier ist es kleiner.
Seiner ganzen Verlaufsweise nach stellt sich der Fall dar als eine
in frühester Jugend entstandene Ophthalmoplegia externa ohne
anderweitige Begleiterscheinungen des Nervensystems.
Veränderungen im Gehirn bei Intoxikationen.
Erb jun. (53) stellte Untersuchungen über die Hirnveränderungen
bei Adrenalininjektionen an und fand dabei folgendes (bei Kaninchen).
Sowohl vom Verf., wie auch von einer Reihe anderer Forscher wurde bereits
festgestellt, daß es nach Adrenalininjektionen zu einer Erkrankung der
Gefäßwände (speziell in der Aorta) kommt. Verf. fand nämlich, daß dabei
eine zur völligen Nekrose führende Degeneration der Muskelzellen der
Gefäßwand zu stände kommt, die von ausgedehnter Verkalkung und Aneu-
rysmenbildung gefolgt ist. Bei einem der Versuchstiere, das innerhalb von
2 Monaten 60 Adrenalininjektionen erhalten hatte, fanden sich 2 große
apoplektische Narben und zahlreiche kleine hämorrhagische Herde im Gehirn.
Verf. beschreibt eingehend die Veränderungen der Hirnsubstanz und zieht
dann folgendes Fazit: Die gefundenen Alterationen des Gehirns seien sämtlich
als direkte oder indirekte Folgeerscheinungen der multiplen Blutungen an-
zusehen. An dem größten Herd in der Rinde seien einige Besonderheiten
zu konstatieren. Es wäre hier nämlich auf die ausgedehnte Nekrose der
Gitterzellen, auf den großen abgekapselten Kalkherd und die eigenartige
fibröshjaline Umwandlung des Gewebes liinzuweisen. Auch die starke An-
236 Spezielle pathologische Anatomie des Gehirn^,
Sammlung von Plasmazellen ohne sonstige entzündliche Erscheinungen ist-
ungewöhnlich. Dazu kommt noch das Auftreten von massenhaften Glia-
zellen mit stark basophilem Protoplasma, besonders in der Umgebung de»
großen Thalamusherdes. Es sei möglich, daß die Eigentümlichkeiten dieser
Befunde durch die Wirkung der dauernden Vergiftung mit Adrenalin herror*
gerufen werden. Die Ursache der Blutungen bliebe noch dunkel. Die
spärlichen Befunde an den Gefäßen rechtfertigen nur den Verdacht einet
Arterienerkrankung, der strikte Nachweis einer primären Gefäßläsion konnte
jedoch nicht erbracht werden.
Hirnveränderungen bei Erhängten.
Lochte (99) beschreibt die Obduktionsbefunde bei Erhängten, wobei
er hauptsächlich über die Strangfurchen und die Veränderungen in den
Lungen berichtet. Was das Nervensystem betriflft, so findet man in der
Arbeit eine Vermerknng, daß es auch im Gehirn (wie in den Lungen, der
Schleimhaut des Magendarmkanals) während des Erhängens zu größeren
Blutungen kommen kann. Die Bedingungen dazu seien in Blutstauung und
krankhafter Veränderung der Gefäßwände gegeben.
IL Pathologische Anatomie des ROckenfflarks.
De- und Begeneration des Bückenmarks.
Fickler (58) stellte experimentelle Untersuchungen an, einmal um
einen Beitrag zur Klärung des Zustandekommens der mannigfachen Ver-
änderungen zu liefern, welche sich im Rückenmark infolge von Tranmen der
Wirbelsäule mit oder ohne Verletzung derselben finden, sodann um die
Regenerationsfähigkeit des Rückenmarks zu studieren. Zum Studium der
traumatischen Rückenmarkserkrankungen ohne Verletzung der Wirbelsäule
hat Verfasser ein einmaliges heftiges Trauma (mit Hammer) einwirken lassen,
zum Studium der Rückenmarkserkrankung mit Verletzung der Wirbelsäule
wurde der Wirbelkanal geöffnet und mit Sonden einmalige Stöße auf das
fieigelegte Rückenmark ausgeübt. Verfasser gibt nun folgende Einteilung
der verschiedenen Rückenmarkserkrankungen nach Trauma:
I. Traumatische Rückenmarkserkrankungen ohne wesentliche Verände-
rung der äußeren Form (Kontusion des Rückenmarks); A. ohne gleichzeitige
Verletzung der Wirbelsäule (indirekte Kontusion des Rückenmarks), B. mit
Verletzung der Wirbelsäule (direkte Kontusion des Rückenmarks).
II. Traumatische Rückenmarkserkrankungen mit Veränderung der
äußeren Form (partielle und totale Querläsion des Rückenmarks).
m. Posttraumatische Rückenmarkserkrankungen.
Was zunächst die Gruppe lA anbetrifft, so kam Verf. zu folgenden
Schlüssen: 1. Das Vorkommen einer vorübergehenden Lähmung des Rücken-
marks durch Trauma ohne Wirbelsäuleverletzung und ohne gröbere Verände-
rungen im Rückenmark ist nicht zu bezweifeln, wenn auch der durch Muskeln,
Wirbelsäule, Venen und Fettgewebe außerhalb der Dura gewährte Schutz
ein bedeutender ist. 2. Das gleiche Krankheitsbild kann in ganz analoger
Weise wie beim Menschen auch bei Tieren erzeugt werden. 3. Die durch das
Trauma verursachte Bewegung des Rückenmarks ist eine Schleuderbewegung,
welche von der Gewalteinwirkungsstelle aus in der Richtung des Traumas
erfolgt. 4. Die Marklähmung hat ihre Ursache nicht in einer Erschütterung
des Rückenmarks, sondern sie ist die leichteste Form der Quetschung des
Eäckenmarks und der peripherischen Nerven. 237
Bückenmarks ; die sofortige totale Funktionslähmung und der rasche Bück*
gaog derselben sind durch Schwankungen des Axoplasmas zu erklären, nicht
dorcii eine molekulare Alteration. 5. Die Läsion des Rückenmarks ist eine
zirkumskripte; sie ist am stärksten an der Stelle des Kontrecoups, etwas
weniger stark an der Einwirkungsstelle des Traumas. Fällt die Stelle des
EoQtrecoups mit dem Foramen magnum zusammen, so bleibt daselbst eine
LasioB des Rückenmarks aus. 6. Abgesehen von Coup uod Kontrecoup
bedingen in den übrigen Teilen des Rückenmarks die irerscbiedene Konsi-
stenz der Gewebselemente und ihr yerschiedenes Beharrungsvermögen die
Terschiedene Schwere der Quetschung. £ine zweite Unterabteilung der oben-
genannten Gruppe lA bildet die Kontusion des Rückenmarks ohne Ver-
letzung der "Wirbelsäule, welche herdförmige Nekrose des Nerven- und Glia-
gevebes (Erweichungsherde) und Zerreißung der Gefäße zur Folge hat. Das
Studium der Wirkung des Traumas hat gezeigt, daß das Nervengewebe am
wenigsten widerstandsfähig erscheint, dagegen die Blutgefäße am resistentesten
sind. Lvmphergüsse scheinen nur bei Eröffnung des Zentralkanals eine
wesentliche destruierende Rolle zu spielen. Zentrale Blutergüsse kommen
nie ohne Schädigung des Nervengewebes und nur dann zustande, w^enn die
Zeotralveneu in der Bichtungslinie des Traumas liegen. Thrombenbildungen
sind meist unerheblich für die Genese der traumatischen Rückenmarks-
Teränderungen. Die Gefäßveränderungen scheinen zur spinalen Spätapoplexie
führen zu können.
IL. Partielle und totale Querläsionen des Rückenmarks mit Blutungen
und Erweichungsherden bilden den häufigsten Befund der zur Sektion
kommenden Fälle von traumatischer Rückenmarkserkrankung. Hierbei be-
spricht Verfasser das Zustandekommen der sogen. Röhreublutungen und
meint^ daß die Blutung gleichzeitig aus mehreren Gefäßen verschiedener
Höhen erfolgt.
HL Zu den posttraumatischen Rückenmarkserkrankungen bemerkt Ver-
fasser, daß die Gewebe, die durch ein Traunm zu regressiven oder pro-
gressiven Veränderungen angeregt werden, das Gliagewebe und die Blut-
gefäße wären. Es kann hierbei zur Tumorbildung der Glia, andererseits zu
Ernährungsstörungen durch Verdickung und Obliteration der Gefäße kommen.
Im zweiten Teil der Ai-beit bespricht Verfasser die Regeneratious-
fähigkeit des Rückenmarks nach Trauma. Verfasser macht auf die den
peripherischen Nervenfasern analeren Gebilde auftnerksam, die von ver-
schiedenen Autoren im Rückenmark des Menschen gefunden worden sind.
Dazu gehören die Neurome, femer Nervenfasern vom peripherischen Bau,
die man in alten Fällen von traumatischen Rückenmarkserkrankungen inner-
halb des Rückenmarks an der verletzten Stelle vorfand (Nicolaier,
Stroebe, Eichhorst -Naunyn u. a.). Verfasser hält diese Fasern (die
im perivaskulären Lymphraum der Rückenmarksgefäße verlaufen) für Regene-
rationsfasern. (Auch die bei Syringomyelie öfter gefundeneu Neurome •
rechnet Verfasser ebenfalls zu Regenerationserscheinungen.) Die Versuche
an Tieren zeigten, daß bei Durchschneidung der weißen Substanz zwischen
Vorderhorn und vorderer Peripherie aus den Vorderhörnern ober- und unter-
halb der Läsionsstelle Nervenfasern hervorsprossen und mit den Vorder-
wurzelgefäßen in die Pia gelangen können. Resume: Regenerationserschei-
DHngen treten im Rückenmark nur an den Nervenfasern auf; eine Neu-
bildung von Ganglienzellen ist bis jetzt noch nicht beobachtet worden. Die
«nte Bedingung für das Entstehen der Regeneration ist, daß die Ganglien-
zeüe der durch Druck, Zerreißung, Odem u. a. geschädigten Nervenfaser
intakt geblieben iat. Die Sprossung der jungen Faser scheint aus der alten
238 Spezielle pathologische Anatomie des Gehirns,
Nervenfaser zu erfolgen (Stroebe), jedoch nicht an der Stelle der Unter-
brechung, sondern in der Nähe der Ganglienzelle. Zu einem ausgedehnteren
Längenwachstum bedürfen die Nervenfasern stets einer Leitbahn, wozu ihnen
die Blutgefäße bezw. deren perivaskuläre Lymphräume dienen. Während
ihres Verlaufes an den Gefäßen zeigen sie auch im Rückenmark den Bau
peripherischer Nervenfasern, nehmen dagegen den Bau zentraler an, wenn
sie in das nervöse Gewebe übertreten. Die Orte, von denen Fasemeubil-
dungen ausgehen, sind die graue Substanz des Rückenmarks und die Spinal-
ganglien nächst der Herderkrankung. Ein solcher Faserersatz erstreckt sich
somit auf die sensiblen Fasern aus den nächsten Spinalganglien unterhalb
der Herderkrankung und auf Faserbahnen, welche verschiedene Rücken-
markshöhen untereinander verbinden. Das funktionelle Resultat, was durch
die Regeneration im günstigsten Fall erreicht werden kann, ist kein sehr
bedeutendes. Hauptsächlich sind es Assoziationsvorgänge im Rückenmark,
die hergestellt werden können. Dazu kann es noch zur Wiederherstellung
der Sensibilität und der Koordination in den Körpergegenden kommen, die
von den nächsten Spinalganglien unterhalb der Herderkrankung versorgt
werden. Die Ausdehnung der Regeneration hängt auch von der Art des
Krankheitsprozesses selbst ab. Die besten Chancen für die Restitution gibt
die traumatische Erkrankung besonders, wenn nur eine Kontusion, dagegen
keine partielle oder totale Querläsion stattgefunden hat.
Verschiedene Formen der Hinterstrangsentartung.
WiUiamson (203) bespricht in seiner Arbeit die verschiedenen
Formen der Degeneration der Hinterstränge. Er unterscheidet hauptsächlich
zwei Kategorien: L Veränderungen der Hinterstränge, welche direkt an der
Durchtrittstelle der hinteren Wurzel durch die pia mater einsetzen, 2. Ver-
änderungen, welche an diesem Orte nicht beginnen. Was die erste Kate-
gorie betrifft, so bemerkt Verfasser vor allem, daß die Hinterwurzelfasem
an der genannten Durchtrittstelle nicht nur ihre Schwannsche Scheide,
sondern auch auf einer kurzen Strecke ihre Myelinscheide verlieren, so daß
der Achsenzylinder hier nackt bleibt. Nachdem aber die Wurzelfaser die
pia mater passierte, erhält sie wiedenim ihre Myelinscheide. An dieser
Durchtrittstelle setzen nun häufig die Alterationen der Hinterstränge an.
Solche Veränderungen findet man bei Tabes, ferner fand Verfasser dieselben
in einigen Fällen von Diabetes mellitus, bei Hirntumoren, bei Rückeumarks-
tumoren. Man fand sie ferner in einigen Fällen von Paralyse, bei Ergo-
tismus, bei Carcinomatose anderer Organe, bei Polyneuritis u. a. Zu der
anderen Gruppe von Hinterstrangserkrankungen gehören die Fälle, in welchen
die Erkrankung nicht an der Durchgangsstelle durch die pia mater beginnt
Die Hinterwurzelzone zeigt somit gar keine oder nur geringe Veränderungen.
Man kann hier einige Varietäten unterscheiden, nämlich: Veränderungen in
den Hinter- (und Seiteusträngen) bei Anämie hängen oft mit Gefäßalteration
zusammen, bei Pellagra verdanken die entsprechenden Veränderungen der
Degeneration der endogenen Fasern ihre Entstehung, bei Syringomyelie der
Gliose, bei seniler Paraplegie den Gefäß Veränderungen usw.
Lie (96) entwirft ein Bild der Lepra in den peripheren Nerven und
im Rückenmark auf Grund seiner eingehenden pathologisch -anatomischen
und bakteriologischen Untersuchungen an 14 Leprakranken. L. fand, daß
die Leprabazillen in den peripheren Teilen der Nerven auftreten und die
zentral gelegenen Teile frei lassen. Sie greifen zuerst die Endäste in der
Haut an. Die Hauptform der peripherischen Erkrankung bildete die auf-
Rückenmarks and der peripherischen Nerven. 239
Steigende Neuritis, während die absteigende Neuritis eine seltene Aus-
oahme bildete.
Die an den Nerven durch die Leprabazillen verursachten Verände-
rnngen sind entweder parenchymatös-degenerativer Natur mit Veränderungen
am Achsenzylinder und an der Myelin- und Schwannschen Scheide, oder
es kommt zu interstitiellen Alterationen mit Kernvermehrung und Ver-
dickangen des Perineuriums. Die dritte Form der peripherischen Nerven-
störungen scheint von den Nervenfasern selbst, von ihrem Bindegewebe, den
Schwannschen Scheiden auszugehen und weist zahlreiche, gerade, parallele
Bindegewebsfasern auf. An den Spinalganglien fand L. meist exzentrische
Lage des Kerns oder Fehlen desselben, femer Yakuolenbildungen und
weehselndes Verhalten des Chromatins. Auffallend war die starke Pigment-
ablagerung in den Kernen. In den Zellen der Spinalganglien wurden immer
LeprabaziUen gefunden, wenn sie in den peripherischen Nerven nachweisbar
gewesen waren. Im JKückenmark waren die Veränderungen in der grauen
Substanz nur gering und unsicherer Natur, dagegen konnte L. mit Sicher-
heit ausgedehnte Degenerationen in den Hintersträngen nachweisen, so daß
er es als festgestellt hält, daß bei Lyssa in einem bestimmten Grade der
Entwicklung stets Degeneration der Hinterstränge auftritt. Die Degene-
ration der Hinterstränge stehe im Zusammenhange mit der Degeneration an
den peripheren Nervenfasern. (Bendix,)
Primäre Pyramiden-Degeneration.
Spiller (174) untersuchte 11 Fälle von primärer Degeneration der
Pyramidenbahnen und stellte in derselben mikroskopische Untersuchungen
auf. In sechs Fällen waren außerdem die motorischen Vorderhomzellen
afBziert, so daß man diese Fälle als amyotrophische Lateralsklerose auffassen
durfte. Zwei weitere Fälle können als reine Fälle von primärer Entartung
der Pyramidenbahnen betrachtet werden (Freibleiben der Vorderhomzellen,
keine Mnskelatrophieen). Was die Ausdehnung des pathologischen Prozesses
in proximaler Richtung betrifft, so ließ sich die Degeneration nur in einem
Falle bis zur motorischen Binde verfolgen; in 2 bis zur Capsula interna;
in 2 bis zum pedunculus cerebri, in 3 bis zum Pons. Da Verf. diese
11 Fälle im Verlaufe von 6 Jahren zu Gesicht bekam, so zieht er daraus
den Schluß, daß diese Krankheit und speziell die amyotrophische Lateral-
sklerose (6 Fälle) keine so seltene Krankheit darstellt, wie man es anzu-
nehmen gewohnt ist. Verf. bespricht dann eingehend die einzelnen Fälle
nnd die Ergebnisse der bisher veröffentlichten Fälle anderer Forscher.
Tabes.
Nageotta (117) berichtet über einen Fall von amyotrophischer Tabes,
in welchem er vermittelst der Bamon y Cajalschen Methode eine Re-
generation der myelinhaltigen vorderen Wuzeln und der myelinlosen hinteren
Wurzeln nachweisen konnte. Auf Grund des Vergleichs der mikroskopischen
Bilder der nach der Weigertsc hen und der Cajalschen Methoden gefärbten
Rttckenmarksqaerschnitte (inklusive vordere und hintere Wurzeln) kommt
Verf. zum Schluß, daß es sich in den erhaltenen Achsenzylindern dieser
Wurzel nicht um erhalten gebliebene atrophische Axone, sondern um re-
generierte Achsenzylinder handelt. Warum aber diese nach Verfassers
Meinung regenerierten Achsenzylinder sich in den vorderen Wurzeln mit
Myelin bedeckten, während dieselben in den hinteren Wurzeln myelinloa
geblieben sind, blieb unerklärt.
^40 Spezielle pathologische Anatomie des Gehirns,
HöhlenbilduDg und Mißbildungen.
Bittorf (16) gibt folgenden Beitrag zur Lehre von der Entstehung
der Rüokenmarkshöhlen. Ein 12 jähriger Knabe erkrankte 8 Wochen vor
seinem Tode an diabetes mellitus. Keine Zeichen einer Rückenmarkskrank-
heit. Man fand nur im Rückenmark vom unteren Halsmark bis zum oberen
Lumbaimark eine wechselnd hochgradige Erweiterung des ZenfaralkaoaU.
Die mikroskopische Untersuchung zeigte, daß die Hydromyelie größtenteils
mit Epithel bekleidet war, wobei der dieselbe umgebende Gliamantel dünn
gewesen war. Es handelte sich also um eine typisch angeborene Hydro-
myelie, die am Leben symptomlos verlief. Der Fall erhält ferner Interesse
durch eine Höhle, die sich im obersten Brustmark fand, und die nirgends
mit dem Zentralkanal in oflFener Verbindung stand. Aus der ausfuhrlichen
Schilderung geht hervor, daß es sich um eine angeborene Höhle handelt,
(das Verhalten des Zentralkanals; der angeboren abnorme Bau des Rückenmarks
speziell in dieser Höhe; die Lage, Form und WandbeschafFenheit der Höhle;
-der gleichzeitige angeborene Hydromyelus; der Mangel einer anderen Ätiologie
— Fehlen von Gliose oder Gefäßveränderungen, Fehlen von Stauungen usw.).
Sterling (179) hatte Gelegenheit, das Rückenmark eines Kranken,
der an Morv an scher Krankheit verstorben war, mikroskopisch zu untersuchen.
Er konnte das Vorhandensein von zwei ganz selbständigen Kategorien
von Spalten im Rückenmark nachweisen. Namentlich eine im Halsteile des
Rückenmarkes befindliche, mit EpendymzeUen ausgekleidete Höhle erinnerte
an die typischen syringomyelitischen Höhlen.
Ganz anders stellten sich in histopathologischer Hinsicht die Höhlen dar,
welche sich in anderen Rückenmarksteilen (dorsaler und lumbaler Abschnitt)
darboten. Auf keinem einzigen entsprechenden Schnitte konnte man einen
Zusammenhang mit dem zentralen Kanäle weder in topographischer, noch
in histologischer Hinsicht feststellen. Die Höhlen, respektive Spalten, hatten
sich in der Mitte von verdickten bindegewebigen Scheidewänden gebildet,
welche von der Peripherie stammten und durch ihre Struktur an die Pia
mater erinnerten. Die Wände der Höhlen bestanden aus Bindegewebsfasern
und waren nie mit EpendymzeUen ausgekleidet. Selbst in den Fällen, wo
die Verzweigungen dieser Höhlen neben dem zentralen Kanäle verliefen,
konnte nie irgendwelcher Zusammenhang zwischen der Höhle und dem
Kanäle festgestellt werden. Diese Höhlenbildungen konnten mit dem zentralen
Kanal und den EpendymzeUen oder mit dem embryonal mit dem Kanäle
verbundenen Septum longitudinale posterius nichts zu tun haben. St. ver-
mutet, daß aus uns unbekannten Ursachen eine Retraktion einzelner Schichten
der verdickten bindegewebigen Scheidewände zustande kam und von der
Intensität dieser Retraktion die Bildung kleinster Spalten oder großer Höhlen
und Spalten abhängig war. (Bendia,)
Braoe, M'Donald und Pirie (22) beschreiben eine Doppelbildung
des Lumbosakralmarkes, welche bei einer 31jährigen Frau, ohne irgend
welche Erscheinungen intra vitam zu machen, zufällig entdeckt wurde. Die
Patientin war im Coma diabeticum zu Grunde gegangen und hat weder sen-
sorische noch motorische Störungen an den unteren Extremitäten gezeigt
Das Lumbosakralmark bestand aus zwei Teilen, die vou einer einzigen Dura
umgeben waren, welche aber an der Stelle fehlte, wo beide Hälften völlig
getrennt waren. Die Zweiteilung des Rückenmarks ist etwa zwei Zoll lang.
Makroskopisch erschien die rechte Hälfte auf dem Querschnitt von nonualer
Beschaffenheit, dagegen war in der linken die graue Substanz unregelmäßig
geformt. Der Wirbelkanal war von normaler BeschaSeüoheit.
Böckenmarks und der peripherischen Nerven. 241
Bei der mikroskopischen Untersuchung war auf einem Schnitte im
unteren Teile des elften Dorsalsegementes eine Abplattung des Rückenmarks
zn erkennen. Etwas tiefer zeigte sich der Zentralkanal unregelmäßig er-
weitert, endete aber an der Stelle blind, wo sich das Rückenmark teilte.
Beide Teile waren durch eine Bindegewebsmasse getrennt. In den oberen
Schnitten machte es den Eindruck, als sei das Rückenmark nur in zwei
symmetrische Hälften mit je einem Vorder- und Hinterhorne geteilt. Doch
war rechts im dritten Lumbaisegment deutlich die Bildung beider Vorder-
and Hinterhömer zu erkennen, während links nur das Vorder- und Hinter-
honi an Starke zunahmen. In der Gegend des fünften Lumbaisegmentes
schienen beide Teile fast normalen Rückenmarksquerschnitten zu entsprechen.
Im ersten und zweiten Sakralsegment kann man die Wiederverschmelzung
beider Teile wahrnehmen.
Ans den guten Abbildungen, welche der Arbeit beigefügt sind, geht
herror, daß es sich um kein Kunstprodukt, sondern um wirkliche lokale
Verdoppelung des Lumbosakralmarkes gehandelt hat, welche nicht auf einer
neuen Eeimanlage zu beruhen scheint, sondern in einem frühen Entwick-
hingsstadium durch einen auf das Rückenmark einwirkenden Reiz zustande
gekommen ist. (Bendir,)
Rückenmarkstumoren.
Bames (10) beschreibt zwei Fälle von diffuser sarkomatöser Infil-
tration der Pia mater des Rückenmarks. Im ersten Fall handelte es sich
bei einem 13 jährigen Knaben um einen primären Tumor im linken Frontal-
iappen. Die Spitze des Tumors lag in der Nähe des Foramen Monroi.
Der Tumor entsprang ans dem Ependym des Vorderhorns des Seiten-
Tentrikels. Man fand ferner Tumormassen im III. Ventrikel, Aquaed.
Sylvii, im JTV. Ventrikel, femer in den weichen Häuten der Himbasis und
des Rückenmarks. In diesen letzteren waren auch die Interyertebralganglien
infiltriert. Im zweiten Fall handelte es sich um einen retroperitonealen
Tumor bei einem 50jährigen Manne, bei welchem man bei der Sektion
Tomormassen im Gehirn fand, und von da aus (auf dem Wege der Cerebro-
spinalflüssigkeit) kam es zu einer sarkomatösen Infiltration der Interverte-
bralganglien der Cauda equiua und einiger Dorsalwurzeln. Das Rücken-
mark selbst und die Häute erschienen normal. Verf. bespricht dann die
Fälle aus der Literatur und meint, daß bei Infiltration der Rückenmarks-
hänte meistenteils, wenn nicht immer der primäre Tumor höher im Zentral-
nervensystem (Gehirn) zu liegen pflegt. Die Fortpflanzung der sarkomatösen
Tomormassen kann durch Vermittlung der Cerebrospinalflüssigkeit auf dem
Vege des Ventrikularsystems und der subarachnoidealen Räume des Gehirns
und Rückenmarks geschehen.
V. SexiSZ (146) beschreibt einen interessanten Fall von Rückenmarks-
toberkulose, der sich durch die außergewöhnliche Ausdehnung der Zer-
störung und die dadurch verursachten Symptome auszeichnete. Es handelte
sich um ein Tuberkel des Lendenmarkes, welcher vom untersten Teile der
Lendenanschwellung ausgegangen, in allmählichem Fortschreiten die ganze
llarksnbstanz bis zum XII. Dorsalsegment total zerstörte und so das Bild
einer aszendierenden Myelitis vortäuschte und die Symptome eines zu-
gleich bestehenden Gehirntuberkels verdeckte. Es handelte sich um einen
6 jährigen Knaben, der zuerst in der linken unteren Extremität Schmerzen
bekam, worauf sich Parese und Atrophie erst des linken, dann beider Beine
entwickelte. Bald trat völlige Lähmung der Beine ein und Unfähigkeit der
Hände, Gegenstände festzuhalten. Auch die Sprache und das Schlucken
J>ltre8b«richt f. Neurologie und Psychiatrie 1906. 16
242 Spezielle pathologische Anatomie des Gehirns,
waxen erschwert. Urin und Stuhl läßt der Beranke unter sich. Kein Er-
brechen. Außer schlaffer Lähmung und Atrophie der Beine besteht Parese
des rechten Facialis, Schwäche der Arme, Anästhesie der unteren Extremi-
täten bis zum Nabel und hinten bis zum VUI. Brustwirbel. Erhöhte
Sehnenreflexe der oberen Extremitäten. Cremasterreflex, Bauchdecken- und
Sehnenreflexe der unteren Extremitäten erloschen. Neuritis optica. In der
linken Zentralwindung lag ein ungefähr nußgroßer Tuberkel in der korti-
kalen Substanz. Im mittleren Teile der linken Zentralwindung befand sich
ein weiterer, kleinapfelgroßer Tuberkel in der Hirnsubstanz selbst, und ein
pflaumengroßer Tuberkel lag noch im zentralen Teil des Linsenkerns, vom
Kopfteile des Nucleus caudatus bis zum kaudalen Ende des Thalamus
reichend.
Im Kleinhirn war noch in der linken Hälfte des Vermis inferior ein
kleinerer Tuberkel. Der ganze lumbale Teil des Rückenmarks war ungefähr
auf das doppelte Volumen verdickt, gelblich gefärbt, anämisch und hart
Die mikroskopische Untersuchung ergibt, daß der Lendenteil durch den
Tuberkel vollkommen zerstört und durch feinkörnige Detritusmassen sub-
stituiert ist. (Bendix.)
V. BeUBZ (147) beobachtete einen Fall von Rückenmarkstuberkulose,
der in seinem Verlaufe außer den Symptomen einer Kompressionsmjelitis
und Gehirn tuberkulöse klinisch nichts besonderes darbot. Bei der Sektion
fand sich außer einem kleinen Tuberkel im Gehirne ein zirka 6,5 cm langer
Tuberkel im oberen Dorsalmarke vor. Der Tumor reichte bis zum VIL
Dorsalsegmente. Im Bereiche des VII. — IX. Segmentes war in der zen-
tralen grauen Substanz ein scharfbegrenzter FaserausfaU zu bemerken.
Hieran schlössen sich vom IX. — ^XI. Segment eigenartige Veränderungen,
der Marksubstanz. Bei mikroskopischer Untersuchung sah mau, daß die
normale spongiöse Struktur der grauen Substanz stellenweise vollkommen
verschwunden war und durch strukturlose, stark lichtbrechende Exsudat-
elemente ersetzt war, in denen zumeist ovale, 20 — 50 ]ui große, mehr minder
gefärbte Gebilde eingebettet lagen. Diese ovalen Körperchen, welche in
großer Menge vorhanden waren, scheinen durch eine degenerative Schwellung
der kleinkemigen Gliazellen oder aus eingewanderten Leukocyten entstanden
zu sein. (Bendix.)
Bückenmarksveränderungen bei Paralyse.
Vigonronx und Laignel-Lavastine (191) studierten die Frage
des Auftretens der kombinierten Systemerkrankungen bei Paralytikern auf
Grund von mikroskopischer Untersuchung 12 Fälle (Fälle von Sclerosis
lateralis, Sclerosis posterior und kombinierte Sklerose). Verff. finden nun
ganz verschiedene Ursachen der Seitenstrangsklerosen. In einzelnen Fällen
wurde die Rarefikation der Pyramidenbahnen durch eine Encephalitis diffusa
verursacht. In anderen wiederum entsprach das Bild der lateralen Sklerose
demjenigen von Westphal. Verff. meinen aber nicht, daß es sich hier um
ein primäres Leiden handelt, sondern um ein sekundäres, welches durch die
Leukomyelitis, Meningomyelitis oder Läsion der Ganglienzellen des Rücken-
marks bedingt worden war. Was nun die Sclerosis posterior (der Hinter-
stränge) betriflft, so fanden Verff. bald die gewöhnlichen Fälle von Tabes
ohne andere medulläre Veränderungen, bald Fälle mit Meningitis und Ent-
zündung der hinteren Partie der Seitenstränge oder mit Meningomyelitis xmd
absteigender Sklerose der Pyramidenbahn auf Grund einer Erweichung im
Gehirn. Verff. fanden, daß die frischen tabetischen und die frischen para-
lytischen Alterationen nur zwei Ausdrücke eines und desselben meningo-
Rückenmarks und der peripherischen Nerven. 243
myelitisch-encephalitischen Prozesses darstellen, d. h. eine einheitliche Krank-
heit der Nervenachse im Sinne von Raymond undNageotte. In anderen
Fällen führte derselbe Prozeß im Rückenmark und speziell in den flinter-
strängen zu pseudosystematischen Läsionen usw. Verff. betonen besonders
die Tatsache, daß die verschiedensten klinischen Bilder, die man in be-
stimmte Krankheitsformen gruppiert, nur verschiedene Stadien einer und
derselben Evolution darstellen, die man abgesondert von einander beschreibt
daok ihrer langen Dauer und unabhängig von der Krankheitsursache. Die
genaue Erforschung der Rolle, welche dabei die Syphilis spielt, führte zu
einer präziseren Erkenntnis der verschiedensten komplizierten klinischen
Bilder einer in pathogenetischer Hinsicht einheitlichen Krankheit.
Orr und RoWB (126) berichten in ihrer Arbeit über die systematische
Läsion der Hinterstränge bei Paralyse. Sie fanden hauptsächlich folgendes :
1. Entartung der inneren Wurzelzone in ihrem intramedullären Verlauf, be-
ginnend an der Eintrittsstelle in das Rückenmark und folgendem üblichen
Verlauf in den Hintersträngen; 2. Freibleiben der äußeren Wurzekone. die
ans schmalen Fasern besteht (Lissauersche Zone); 3. Degeneration der
Kollatcralen und der Terminalfasem, die nach der grauen Substanz hinziehen;
4. die in den distalen Abschnitten degenerierten langen Fasern findet man
dann im Halsmark im Gebiet der GoUschen Stränge entartet; 5. der
extramedulläre Abschnitt der hinteren Wurzeln blieb normal. Aus diesem
Grunde nebmen VerfiF. an, daß die Läsion der hinteren Wurzeln bei Paralyse
ähnlich wie bei Tabes an der Eintrittstelle in das Rückenmark beginnt.
Sie kommt dadurch zu stände, daß gerade an diesem Orte die Vulnerabilität
dieser Fasern am größten ist (Verlust des Neurillemms und ebenfalls —
auf einer kurzen Strecke — der Myelinscheide). An dieser Stelle setzt
dann die Noxe, die in der Lymphe zirkuliert, ihre Wirkung und bedingt die
entsprechende Degeneration. Die Meningen bleiben dabei intakt.
Rückenmarksveränderungen bei Anämie und Kachexie.
Clarke (35) beschreibt 5 Fälle von Degeneration des Rückenmarks
im Verlaufe der Anämie. In aUen diesen Fällen ging die Anämie der
Rückenmarkskrankheit voran; d. h. die Rückenmarksveränderungen ent-
standen sekundär infolge der schweren Anämie. Aus diesen Untersuchungen
folgt, daß die Entartung dabei in den Hintersträngen beginnt und zwar zu-
nächst im Halsmark und im oberen Dorsalmark. In den Fällen, in welchen
der Tod aus anderer Ursache firühzeitig eintritt, kann diese Rückenmarks-
affektion im Leben unbemerkt verlaufen. In den weiter fortgeschrittenen
Fällen befällt die Degeneration die Hinterstränge des gesamten Rückenmarks;
sie ist aber in den zunächst erkrankten Gebieten am stärksten entwickelt
(hier sind die ganzen Hinterstränge befallen mit Ausnahme der dorsalen
Peripherie und der der grauen Kommissur und den Hinterhörnern an-
liegenden Partien). Obgleich diese Entartung vielleicht die längsten Hinter-
strangsbahnen zunächst betrifft, zeigt sie doch einen fleckartigen Charakter.
Die hinteren Wurzeln scheinen nicht zu erkranken. An manchen Stellen
erweckt es den Anschein, als ob die Degeneration mit den Gefäßen zusammen-
hängen. In den mehr fortgeschrittenen Fällen von Hinterstrangserkrankung
waren auch Herde in einem oder in beiden Seitensträngen (im Gebiete der
PyS) konstatiert. In den degenerierten Gebieten fand man Neuroglia-
wucherung, Verdickung und zum Teil hyaline Veränderung der Gefaßwände.
Verf. nimmt aber an, daß primär die Nervenfasern erkranken und die
topographische Abhängigkeit derselben von der Gefäßaffektion nur den Weg
16*
1
244 Spezielle pathologische Anatomie des Gehirns,
markiert, auf welchem etwa die Toxine aus den Gefäßen austreten. Daß
die Gefäße selbst sekundär erkranken, zeigt die Tatsache, daß dieselben in
den frischen oder schwach entwickelten Degenerationsherden keine Ver-
änderungen zeigen. In bezug auf die klinischen Erscheinungen bemerkt
Verf., daß dieselben überhaupt fehlen können. Das Hauptsymptom bilden
die verschiedenartigen Parästhesien, zunächst in den unteren, dann in den
oberen Extremitäten. Im weiteren Verlauf Schwäche der Extremitäten.
Keine Statik, keine Störungen beim Urinlassen. Verf. bespricht zum Schloß
die Veränderungen des Rückenmarks bei perniziöser Anämie und die Be-
ziehungen der oben beschriebenen Degenerationen zu den sogenannten
„subakuten kombinierten Sklerosen^ und zu den „diffusen Degenerationen
des Rückenmarks".
Tauber und v. Bernd (182) haben zum Gegenstand ihrer Unter-
suchung das Verhalten des Rückenmarkes in Fällen Ton Polyneuritis auf
kachektischer Grundlage gemacht. Sie wählten ihr Clntersuchungsmaterial
aus dem Material der multiplen Neuritisfälle bei Lungentuberkulose. Es
gelangten dreizehn Fälle zur Untersuchung; von diesen wiesen acht aus-
gesprochene Veränderungen im Rückenmark auf, die übrigen aber nur ge-
ringere Alterationen. Die Autoren kamen zu dem Resultat, daß sich bei
der multiplen Neuritis der Tuberkulösen häufig degeneratiye Veränderungen
im Rückenmarke finden, die meist parenchymatöser Natur sind und in den
untersuchten Fällen den Charakter von systematischen Degenerationen trugen.
Sie waren fast stets auf beide Rückeumarkshälften symmetrisch verteilt
und beschränkten sich nicht immer auf ein einziges Fasersystem.
Die Degeneration betraf verwiegend den Hinterstrang und die hinteren
Wurzeln, jedoch auch andere Bahnen, wie den Fyramidenseitenstrang, die
Kleinhirnseitenstrangbahn, das Schultzesche Komma. Die Veränderungen
an den Rückenmarkswurzeln sind meist ausgedehnter als das Ursprungsgebiet
der klinisch als erkrankt bezeichneten peripheren Nerven.
Die Hinterstrangveränderungen stehen zu denen der hinteren Wurzeln
nicht nur im Verhältnisse aufsteigender Hinterstrangsdegenerationen. Die
Rückenmarksveränderungen sind den Veränderungen an den pheripheren
Nerven vollkommen koordiniert. (Bendüe.)
IIL Pathologische Anatomie der peripherischen Nenren.
Geschwülste.
Brault und Tanton (20) beschreiben einen Fall von generalisierter
Neurofibromatose bei einem 43 jährigen Mann, bei welchem der erste Tumor
sich im 20. Lebensjahre am rechten Ellenbogen zeigte. Bei Aufnahme in
die Klinik sah man Hunderte von Geschwülsten und Hautflecken am ganzen
Körper. Da speziell die Schmerzen in der rechten oberen Extremität sehr
quälend waren, so wurden hier 2 Tumoren entfernt. Die histologische Unter-
suchung zeigte folgende Schichten: Eine oberflächliche, bindegewebige Schicht
Eine Zone von Nervenfasern, die durch das Bindegewebe auseinander ge-
drängt sind. Eine Schichte vom Bindegewebe, dessen Bau eine verschiedene
ist (an manchen Stellen findet man hier hauptsächlich zellige, an anderen
wiederum faserige Gebilde). Eine zentrale gefäßreiche Zone, die ausschließlich
aus Zellen besteht, welche ein sarkomatöses Aussehen zeigten (maligne De-
generation des Tumors).
Llttlewood, Telling und Scott (97) beschreiben folgenden Fall
von multipler Neurofibromatose. Der 47 jährige Mann erlo-ankte seit
17 Jahren an der genannten Krankheit, indem in ganz verschiedenen Q^genden
Rückenmarks und der peripherischen Nerven. 246
des ganzen Körpers sich Geschwülste zeigten, welche Schmerzen uud
kachektische Erscheiirnngeu verursachten. Infolge einer Operation behufs
Entfernung eines Abdominaltumors starb der Kranke. £s wurden zur
mikroskopischen Untersuchung drei Tumoren verwandt, und es zeigte sich,
daß dieselben sarkomatöser Natur waren. Die Tumoren besaßen eine binde-
gewebige Kapsel, in welcher man myelinhaltige Fasern nachweisen konnte.
Auch dieser Fall zeigt nach Ansicht der Verff., daß die Tumoren aus dem
Eodoneurium entstehen.
Fuchs (62) fand bei einem 48 jährigen Mann, welcher seit sechs Jahren
über heftige Schmerzen unterhalb des linken Rippenbogens klagte, ein hirsen-
großes Grebüde unterhalb des Kippenbogens in der Axillarlinie. Die leiseste
Berührung dieses Knötchens verursachte Schmerzen. Extirpation. Die
mikroskopische Untersuchung des Knötchens führte zum Schluß, daß der
kleine Tumor eine Drüse ohne Ausführungsgang darstelle und zwar am
ehestem ein Epithelkörperchen oder ein einem Nebenrierenadenom ähnliches
Gebilde.
Clark (34) beobachtete zwei Fälle von Gliom der Nase (bei einem
2jährigen und bei einem 10 wöchentlichen Knaben). Die mikroskopische
Untersuchung zeigte, daß der Tumor hauptsächlich aus feinen Fasern und
Zellen bestand, deren histologische Struktur und die Funktionseigenschaften
die gliöse Natur der Geschwulst zeigten. Die beiden Fälle hatten somit
augenscheinlich pränatale Entwicklung von gliomatiösen Geschwülsten außer-
halb des zentralen Nervensystems. In beiden Fällen war die Geschwulst
eine gutartige.
Küster (88) fand in zwei Fällen in den Nebennieren bösartige
Geschwülste von bisher nicht bekanntem, aber übereinstimmendem Bau.
Charakteristisch war der Reichtum an rundlichen, chromatinreichen Kernen,
das Fehlen von Protoplasma, welches durch ein Filzwerk feiner Fäserchen
ersetzt ist, und durch die Neigung der Kerne zur Rosettenstellung. Diese
Tumoren konnten nicht zu den in Frage kommenden zellreichen Geschwülsten,
Carciuom oder Sarkom gerechnet werden und besaßen Merkmale des Baues
entsprechend dem des Gliagewebes bezw. der Tumoren der Neuroepithelzellen.
K. hält sich daher für berechtigt, die Wahrscheinlichkeitsdiagnose auf einen
den Ghomen nahestehenden Tumor zu stellen. (Dendia.)
Mark (111) beschreibt zwei Fälle von multipler Neurofibromatose
respektive Fibroma moUuscum. Der eine Befund ist rein klinischer Natur
nnd betrifft unter dem Bilde der Atrophie einhergehende Hautyeränderungen
bei einem 34jährigen Manne. Die Nerventumoren waren sehr ausgebildet
und hatten besonders am rechten Arme zu schmerzhaften Neuromen ge-
führt. Es wurde Amputation des Armes ausgefülirt. Allein im Stumpfe ent-
standen wiederum Neurombildungeh.
Der zweite Befund betraf einen Mann mit Hautneurofibronien und
Pigmentation der Haut. Es war ein schwachsinniger Mann, dessen linke
2sebenniere auffällige Veränderungen darbot. (Bendia,)
Steiner's (178) Fall von Neurofibromatose zeigte an der ganzen
Korperoberfläche eine Unmenge weicher Knötchen von Stecknadelkopf- bis
zar Kleinkinderkopfgröße. Die Geschwülste sind meist gestielt, einer der
größten hängt sackartig links oberhalb des Darmbeinraudes herab. Der
Patient ist fast stumpfsinnig und war stets arbeitsscheu.
Der Kopf, speziell Stirn, Nacken, Oberkörper und die mittlere Partie
ies Kückens sind am meisten mit Tumoren besät. Die Zahl der Tumoren
soll seit der Geburt immer zugenommen haben, ebenso ihr Wachstum.
(Bendia;,)
246 Spezielle patholog^che Anatomie des Gehirns, Rückenmarks usw.
Erkrankungen im Gebiete des Hörnerven.
Manasse (100) untersuchte einige Fälle von akuter eitriger Mittelohr-
entzündung, um die von dieser fortgeleiteten Erkrankungen des Labyrinths
und des Hörnerven zu studieren, und fand dabei folgendes: Was zunächst
die Wege betriflft, auf denen der entzündliche Prozeß vom Mittelohr auf das
innere Ohr geleitet wird, so scheinen liier in erster Linie die häutigen
Abgrenzungen, also membrana fenestrae rotundae und ligamentum annulare
im Gegensatz zu den knöchernen bevorzugt zu werden. Was die Verände-
rungen des Labyrinths betrifft, so nennt Verfasser im wesentlichen 3 Stadien
der Entzündung, die akute, die subakute und die chronische Otitis media.
Für die ganz akute Form scheint charakteristisch zu sein: kurze Dauer der
Erkrankung und anatomisch: von entzündlichen Veränderungen Ansammlung
von Eiter, Fibrin und Hyalin in sämtlichen Hohlräumen des Labyrinths,
nichts von organisiertem Gewebe; degenerative Alterationen in der Schnecke
fast gleich Null, im Vestibulum dagegen stärkere degenerative Veränderungen.
Bei länger dauernder akuter Entzündung kommt es dann zu größerer De-
generation. In der subakuten Form findet man Granulationsgewebe, Fibro- '
blasten, Kapillarsprossen, eventuell schon zartes, hyalines Bindegewebe. Das
letztere findet sich dann reichlicher bei der chronischen Form. Verfasser
bespricht näher die Bildung der hyalinen Substanz.
Brühl (23) untersuchte mikroskopisch die Gehörorgane in 5 Fällen
von nervöser Schwerhörigkeit bei Geisteskranken. Von diesen 6 Fällen
wurde in 3 zu Lebzeiten auf Grund der Punktionsprüfung die Diagnose
auf „nervöse Schwerhörigkeit" gestellt, und in allem bestätigte die ana-
tomische Untersuchung die Diagnose. Einer dieser Fälle verdient eine be-
sondere Beachtung, weil in ihm eine Entwicklungsstörung im Labyrinthe
als Ursache der Schwerhörigkeit erkannt wurde. Es können also auch
geringgradige Entwicklungsstörungen im Labyrinth ebenso „nervöse Schwer-
hörigkeit" erzeugen, wie solche hohen Grades Taubstummheit verursachen.
Dieser Fall stellt nach Verfassers Meinung den ersten anatomisch unter-
suchten Fall von kongenitaler nervöser Schwerhörigkeit dar. In 2 anderen
Fällen stellte der Hörnerv die primäre Erkrankungsstelle dar (die laby-
rinthären Veränderungen sekundär). In 4 Fällen sollte man die Ursache
der Erkrankung in dem Greisenalter und in der Arteriosklerose suchen. Es
handelte sich dabei nicht um neuritische, sondern um einfache degenerative
Vorgänge im Parenchym der Nerven.
Brühl (24) berichtet über 2 Fälle von Stapesankylose mit Beteiligung
des Hörnerven, davon einer im Leben diagnostiziert. Die histologische
Untersuchung der Fälle zeigte, daß es sich bei Steigbügelankylose um eine
reine Knochenerkrankung handelt. Dieselbe schreitet besonders an der
Grenze des bindegewebig vorgebildeten Anteils der Labyrinthwand selbst
vorwärts und besteht gleichzeitig aus zerstörenden (Osteoklasten) wie aus
neubildenden Prozessen (Osteoblasten); angeregt wird dieselbe durch einen
zirkumskripten periostitischen Vorgang in der vor dem Fensterrand ge-
legenen Labyrinthwand.
Netzhautveränderungen.
Krückmann (87) gibt eine sehr ausführliche, mit zahlreichen Ab-
bildungen versehene Arbeit über die Pigmentierung und Wucherung der
Netzhautneuroglia. Seine Hauptschlüsse sind folgende: Verfasser betont in
erster Linie, daß es ilim nicht gelungen ist, solche Neurogliafasern aufzu-
finden, welche als freie, d. h. vollkommen entbündelte angesehen .werden
Du KnocheDsystem in seinen Beziehungen zu den Krankheiten des Nervensystems. 247
konnten. Entweder bestand irgend ein unmittelbarer Zusammenhang mit
den anderen Fasern oder mit den Protoplasmafortsätzen oder sogar mit
dem Zelleib selbst. War dies nicht der Fall, so verriet zuweilen seitlich
gelagertes Pigment den imgefärbt gebliebenen Protoplasmafortsatz. Andern-
falls waren die Fasern entweder an einem oder an beiden Enden abge-
schnitten. Verfasser konnte sich daher nicht ohne weiteres entschließen,
freie Fasern als Bestandteil des Neurogliagewebes zu proklamieren, möchte
viebnehr annehmen, daß die scheinbar entbündelten Gliafasern nicht eine
völlige Entblößung, sondern eine starke Reduktion von Protoplasma erfahren.
Über die Pigmentierung der Neuroglia der Netzhaut bemerkt Verfasser, daß
dieselbe sich innerhalb weiter Grenzen von einem einfachen, isoliert liegen-
den Korn bis zur Anhäufung geballter Massen nachweisen läßt. Es fällt
somit die firühere Behauptung vom freien Pigment. Ein solches gibt es in
den ektodermalen Netzhautbestandteilen nicht; denn stets ist das Pigment
entweder an den Gefäßapparat oder an das Gliazellenprotoplasma bezw. an
ein diesem Protoplasma ähnliches Xonstituens gebunden.
Hess (76) fand bei einem Macacus auf der temporalen Seite des
rechten Auges eine zarte, grauweiße Masse, die das Bild einer Betinitis
proliferans darbot Mikroskopisch fiel eine sehr beträchtliche Vermehrung
der Neurogliakeme auf. Da die Versorgung der Fovea beim menschlichen
Auge ähnlich wie beim Affen ist, so ist der Befund geeignet, Aufklärung
über die Natur gewisser partieller Sehnervenerkrankungen zu geben, die als
schleierartige Auflagerungen auf die Netzhaut öfters imponieren. (Bendix,)
Das Knoehensystem in seinen Bezielinngen zn den KranUielten
des Rerrensystems.
Referent: Priv.-Doz. Dr. Fritz Hartmann-Graz.
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sperim. di Freniatria. Vol. 31, p. 882. (Sitinngsberieht)
I. ScbSdel.
A. Anatomie, vergleichende Anatomie, Entwicklungsgeschichte
und Mechanik, Kraniotopographie.
Eyeiich und Loewenfeld (64) besprechen die bislierigen Unter-
suchungen über die Beziehungen zwischen Körperlänge und Hirngewicht
und zwischen Körperlänge und Kopfumfang (Bischoff, Moebius, Ober-
flteiner, Broca, La Bon, Pfleger, Marshall u. a.). Diese Unter-
suchungen Bprechen fiir das Bestehen gewisser Beziehungen zwischen
Körpergröße und Gehirnmasse resp. Körperumfang und zwar derart, daß
dem Anwachsen der Körpergröße ein solches der Gehimmasse resp. des
Kopfumfanges innerhalb gewisser Grenzen parallel geht. Marchands Be-
funde weichen davon ab.
E. und L. bezeichnen diese Untersuchungen als unzureichend; die
Fälle, welche sehr große und sehr kleine Individuen betreffen, sind so ge-
ring, daß sich aus denselben kein allgemein verwertbarer Schluß ziehen läßt.
Ihre eigenen Untersuchungen an 936 Soldaten und 300 Einjährig-
Freiwilligen ergaben, daß weder Körperlänge noch Brustumfang eine kon-
stante Proportion zum Kopfumfange aufweisen. Bei einem Körperlängen-
unterschiede von 20 cm findet sich der gleiche mittlere Kopfumfang von
56,25 cm ; anderseits, daß die Schwankungen des Kopfumfanges bei gleicher
Körperlänge bis nahezu 10 cm betragen können; bei der Gruppierung der
verschiedenen Körperlängen von je 10 cm zeigt sich, daß der Kopfumfang
der Gruppe von 160 — 170 cm gegenüber der von 154—160 etwas ab-
nimmt, von 170—190 dagegen etwas zunimmt, am erheblichsten in der
Gruppe 170—180.
Der Umstand, daß ein Unterschied des Kopfumfanges zwischen Ein-
jährig-Freiwilligen und den übrigen Soldaten nicht besteht, spriclit dafür,
Krankheiten des Nerve asystems. 257
daB das Maß der geistigen Bildung und die Beschäftigung für die Gehirn«
entwicUung von keiner sicheren Bedeutung sind.
Femer bestehen auch zwischen der Masse des Gehirns und den intellek-
taellen Leistungen keine bestimmten Beziehungen. Bei 53 cm Kopfumfang
i8t fast der gleiche Prozentsatz der Individuen von durchschnittlicher Intelli-
genz wie bei 58 cm. Die Untersuchung an Kindern bestätigt die obigen
Besultate.
Die Ansicht der meisten Autoren über die Beziehungen zwischen
Körpergröße und Gehirnmasse resp. Körperumfang erscheinen daher fraglich
Qjid laufen auf eine Überschätzung hinaus. Nicht im Volumen, sondern
fielmebr in der Organisation des Gehirnes sei das Haupterklärungsmoment
für die Unterschiede in der geistigen Qualität der Einzelindividuen zu suchen.
Ellerbroek (60) veröffentlicht eine Arbeit über „Skaphokephalie**.
Er bespricht zuerst die einschlägige Literatur über die vor ihm unter-
suchten Schädel, insbesonders die Untersuchungen Welkers, von Baers;
DaTis beschreibt einen Skaphokephalus eines 7 Monate alten Kindes. Die
Greifswalder anatomische Sammlung enthält den besonders lehrreichen
Schädel eines Stettiner Webers, der vom Einsender Dr. Braunmüller be-
schrieben worden ist, ebenso von Schade, Bonnet und Davis.
E. selbst untersuchte fünf Schädel der Göttinger Sammlung und kam
dabei zu folgenden Resultaten:
Alle fünf Schädel zeigen dolichocephalen Typus ; bei den vier Schädeln
?0D Erwachsenen fehlt die Sagittalnaht vollkommen, bei dem einen kind-
lichen ist sie teilweise vorhanden.
Bei allen Schädeln finden sich Foramina parietalia.
In der Gestalt stimmen die Schädel nicht überein.
Das Längenwachstum aller vier Schädel von Erwachsenen scheint von
der Sntara coronaria auszugehen.
fihachitis kann in schwerer oder leichter Form auftreten (3 Schädel
weisen rhachitische Veränderungen auf); ob sie als Ursache verantwortlich
gemacht werden kann, muß dahin gestellt bleiben.
Bei zwei Schädeln ist die Neigung zu orthognater Gesichtsstellung
vorhanden.
Bonnet hat die Kahnschädel in 2 Abarten eingeteilt, in solche ohne
pathologische Veränderungen, mit einfacher Synostose der Pfeilnaht und
glattem Kiel, und in solche mit pathologischen Formen.
Die Bildung von Kahnschädeln muß auch anderen Ursachen zuge-
trieben werden, nach denen erst gefahndet werden muß.
Fischel (68) untersuchte einen weiblichen Schädel ohne Intermaxillare
QAd fand, daß da unverkennbar ein Fall einer interessanten Regulation
eines abnormen Entwicklungsganges vorliegt. Die Regulation besteht darin,
<iaß die Oberkieferfortsätze des ersten Kiemenbogens viel weiter als normaler-
weise aufeinander zurückten und auf diese Weise den sonst unausbleiblich
gewesenen Defekt in der Medianregion zu decken suchten und eine Schädel-
forin erzielt wurde, die sich der normalen sehr nähert.
Vielleicht durch einfache mechanische Bedingungen, durch den Fort-
»«1 des Zwischenkiefers wuchsen die Oberkieferfortsätze in der Richtung
i^ geringeren Widerstandes medianwärts vor und haben naturgemäß eine
«^aa andere räamliche Anordnung erfahren, indem sie sich an der Bil-
w^g des Canalis incisivus beteiligen, der normalerweise von den Zwischen-
kfefern umwandet wird. Daß der Kanal sich trotz der geänderten Ver-
liiltnisse gebildet hat, spricht dafür, daß die in ihm enthaltenen Gebilde
^•hwibeiiclit f. Neurologie u. Psychiatrie i»06. 17
258 ^^s Knochensystem in seinen Beziehungen zu den
die Ursache zu seiner Entstehung bilden, und für diese eventuell auch
andersartiges Material als de norma verwertet werden kann.
Wie das Foramen incis., so sind auch der Gaumen und der Boden
der Nasenhöhle nicht von den de norma sie bildenden Knochen zusammen-
gefügt, trotzdem aber nahezu normal gestaltet. Von ganz besonderem
Interesse war das Verhalten der Zähne. Aus dem, sowie aus der Bildung
des Foramen incis. ließen sich Schlußfolgerungen ziehen, die auch für die
normale Ontogenese Geltung besitzen und schon aus diesem Grunde die
geschilderte Bildungsanomalie wertvoll erscheinen lassen.
Friedemann (76) bespricht die verschiedenen Ansichten über die
Ausbildung des Gesichtsskelettes in seiner Beziehung zur Prognathie.
Froriep suchte nachzuweisen, daß die Entwicklung der Zähne und des
Kespirationsapparates für die Ausbildung des Gesichtsschädels von großer
Bedeutung sei. Engel bringt sie in Zusammenhang mit der Wirkung der
Kaumuskeln. Wieder andere Autoren weisen auf die Bedeutung der
Schädelbasis für die Entstehung des Gesichtsskelettes und speziell der
Prognathie hin und stellen die Drehungstheorie auf.
Dieser Überblick über die Literatur zeigt, daß beim Zustandekommen
der Pjognathie offenbar eine große Anzahl bestimmender Momente in Frage
kommt, und daß es schwer ist, bestimmte Korrelationen des Gesichtsskelettes
mit dem übrigen Schädel nachzuweisen.
Fr. versucht, ein genaueres Bild von den Beziehungen der Oberkiefer-
form zur Prognathie zu geben; er wählte eine etwas andere Art der
Messung der Prognathie, indem er an den in geometrischer Projektion an-
gefertigten Zeichnungen Messungen vorgenommen hat. Er bediente sich
dabei hauptsächlich des von Klaatsch verbesserten Li s sau ersehen Schädel-
diagraphen. Die Diagramme zeigen Mannigfaltigkeiten der Formen des
Gesichtsfünfeckes; einige Haupttypen lassen sich herausgreifen. Der Kanaken-
und der Türkenschädel zeigen ein Vorstehen des ganzen Gesichtes, der
Negerschädel hingegen erscheint im Gesichtsskelett sowohl nach. vorne wie
nach hinten ausgedehnt; es finden sich natürlich alle möglichen Übergänge;
an einem Schema veranschaulicht er die Tatsachen noch besser; es ergibt
sich aus allem, daß der sagittale Durchschnitt des Gesichtsskelettes die
mannigfachsten Formen annehmen kann. Die allgemeine Prognathie
resultiert aus einer Menge von Komponenten, von denen jede eine große
Variationsbreite besitzt.
Gaupp (83) handelt über die Schädelentwicklung von Echidna und
beschreibt ausführlich 1. Die Deckkuochen am Ethmoidalskelett von Echidna
und ihre vergleichend- anatomische Bedeutung; hernach folgt die Geschichte
des Septomaxillare. 2. Das Parasphenoid und Pterygoid der Säuger.
Die Pterygoide von Echidna zeigen in ihrer ganzen Anordnung weit-
gehende Übereinstimmung mit denen der Reptilien.
Von den auf Echidna bezüglichen Tatsachen ist neu eigentlich nur
die, daß hier außer dem bisher für das Pterygoid gehaltenen Knochen noch
ein zweiter in der typischen Lage des „Säugerpterygoids" vorkommt.
Hilzheimer (110) untersuchte chinesische und indische Tigerschädel
und fand dabei Unterschiede in der Schädelformation und zwar in der
Lage des höchsten Punktes des Schädels, dem Hinterhauptsdreieck und
Gesichtsteil; bei den indischen ist der Gesichtsteil flacher, mit mehr ab-
gerundeten Seitenwänden. Die chinesischen haben dagegen einen spitzeren
Gesichtsteil mit steilen, abfallenden Seitenwänden; femer Unterschiede in
der Bildung des Gaumens, der bei den indischen fast eben, bei den chine*
Krankheiten des Nervensystems. 259
gischen im Hinterteil stark aufgerichtet ist, des Unterkiefers und der
Scheitelkämme, und ganz besonders auch in der Zahnformation.
Zweck der Arbeit sei zu zeigen, daß jene kleinen und kleinsten Ver-
änderungen, wie sie die Deszendenztheorie voraussetzt, wirklich vorhanden sind.
von Kämpen (124) untersuchte die Tympanalgegend des Säugetier-
schadeis. Die letzte ausfuhrliche Arbeit über die Paukenhöhle datiert vom
Jahre 1845. E. teilt die Arbeit in einen allgemeinen und einen systematischen
Teil ein.
Der allgemeine Teil enthält eine allgemeine Übersicht über die Wand
der Paukenhöhle der Säugetiere und ihre Umgebung, insofern die Kenntnis
derselben fiir das Verständnis des systematischen Teiles notwendig ist und
schon zum größten Teil die allgemeinen Resultate, welche sich aus den
im 2. Abschnitte genannten Tatsachen ergeben.
Der allgemeine Teil ist gegliedert nach mehreren Gesichtspunkten:
I. Die Anlage von Paukenhöhle, äußerem (xehörgang und Trommelfell,
n. Die postembryonale Entwicklung der Paukenhöhle. III. Die Wände
der Paukenhöhle und des äußeren Gehörganges. IV. Die Bulla ossea,
V. Kiefer und Zungenbein. VI. Gehörgänge und -Öffnungen. VII. Nerven.
Der systematische Teil behandelt die Tympanalgegend der einzelnen
Säugetierklassen und enthält anschließend eine allgemeine Zusammenfassung.
Aus dieser Übersicht geht hervor, daß besonders durch die Bestand-
teile, aus welchen die Wand der Paukenhöhle sich zusammensetzt, große
Gruppen von Säugetieren charakterisiert sein können. So kommt eine haupt-
aächhch durch das Alisphenoid gebildete Bulla nirgend anders vor als bei
tfarsupiala, eine aus dem Basisphenoid bestehende ausschließlich bei In-
sektivora, K. ist der Meinung, daß darum die Kenntnis der Wand der
Paukenhöhle in vielen Fällen Anweisungen geben kann, welche für die
Systematik von Nutzen sind.
Auch für die Paläontologie werden diese Eigenschaften von Bedeutung sein.
Die meisten anderen Eigenschaften sind mehr variabel und darum
nur für die Systematik von kleineren Gruppen zu gebrauchen.
Kazzander (127) handelt über die Pneumatisation des Schläfebeins
beim Menschen. Von verschiedenen Autoren sei nur in ganz unbestimmter
Weise angegeben worden, daß bei weitgehender Pneumatisation die pneu-
matischen Zellen noch in den Schuppenteil sich ausdehnen. E. traf im
Schlafebein eines erwachsenen Mannes nach stattgehabter Maceration eine
ungewöhnliche Entwicklung der pneumatischen Räume an; fast der ganze
horizontale und der untere Teil der vertikalen pneumatisierten Portion der
Schuppe wird von einem einzigen großen buchtigen Luftraum eingenommen,
der die innere Knochentafel der Schuppe gegen die Schädelhöhle hin vortreibt
und auch die äußere Knochentafel von der vorderen Wurzel des Proc,
2ygom. über die Int. squamoso-sphenoidalis blasenförmig lateralwärts hervor-
wölbt, über den Meatus aud. ext. war die äußere Knochen tafel gleichfalls
hervorgebuchtet. Im oberen Teile der pneumatisierten vertikalen Portion der
Schuppe sind die Luftzellen durch knöcherne Scheidewände getrennt. Diese
pneumat. Bäume kommunizieren mit denjenigen der Pars mastoidea.
Bei vielen Vertebraten erreicht die Pneumaticität des Schädels normal
einen hohen Grad ; beim Menschen wurde eine Zunahme der Pneumaticität
des Schädels infolge einer größeren Entwicklung der Nebenräume des
Mittelohrs konstatiert.
Diese Fälle beim Menschen wiederholen Zustände, welche bei niedriger
stehenden Vertebraten normal vorzukommen pflegen, und müssen deshalb als
atavistisch angesehen werden.
17*
260 ^^ Knochensystem in seinen Beziehungen zu den
In derselben Weise sei auch der Befund Kazzanderszu interpretieren.
KoUmann (131) handelt über Varianten am Os occipitale, besonders
in der Umgebung des Foramen occipitale magnum:
Angeborene Assimilation des Atlas kann auf Druckwirkungen in utero
zurückgeführt werden, ebenso viele Varianten des Atlas für sich. Ob alle,
bleibt noch zu untersuchen.
Kaudales Vorrücken des Occiput ist wohl in allen Fällen auszuschließen.
Viele Varianten des Os occipitale in der nächsten Umgebung des Poramen
magnum können als Manifestation des Occipitalwirbels aufgefaßt werden,
80 die Labia foraminis magni, der Condylus tertius, der Proc. paracondy-
loideus (paramastoideus), die Verdoppelung des Canalis hypoglossi, die In-
cissura marginalis und Reste von Massae laterales neben und mit den nor-
malen Condyli occipitales.
Nachdem in Ungarn verschiedene Nationalitäten mit yerschiedeuen
Schädelformationen leben, ist es nach Konräd (132) nötig, vorerst für
jede Nationalität einen Typus zu bestimmen, und erst auf dieser Basis
können Vergleiche der Gesunden und Geisteskranken erfolgen. Als „Typus"
bezeichnet K. die bei der überwiegenden Zahl der Gesunden geftmdenen
Maßgrenzen; jene Schädel, bei welchem zwei Hauptmaße vom Typus ab-
weichen, werden als atypisch bezeichnet. Nach K.'s Statistik kommt bei
den Geisteskranken die Atypie häufiger vor als der Typus. Positiv läßt
sich dies nicht begründen, doch wäre daran zu denken, daß hierbei bio-
logische formative Einflüsse mitwirken, und daß diese gewisse disponierende
Momente involvieren. Den Schädeldeformitäten kommt nach E. eine klarere
disponierende Rolle zu als den Atypien, wenn auch jene Erankheitsformen
in Betracht gezogen werden, bei welchen sie vorkommen. In diesen Fällen
kommen die Vererbungs- und Evolutionseinflüsse — vielleicht im Wege eines
gestörten Chemismus — intensiver zum Ausdrucke. Sowohl atypische als
auch deformierte Schädel erscheinen als Stigna einer neuropsychopathischen
Disposition, erstere in leichterem, letztere in größerem Grade. In einer
früheren Arbeit hat Verfasser nachgewiesen, daß Kinder mit deformiertem
Schädel leichter ermüden. (Hudovemig,)
Das Vorkommen von hochgradiger Kurzköpfigkeit bei blonden Menschen
(unter den Halligfriesen und jüdischen Taubstummen) ist in neuester Zeit
als ein Zeichen von Entartung gedeutet worden. Meisner (160) führt
einige Punkte an, die gegen diese Ansicht Waldenburgs sprechen.
Zunächst erscheint es verfehlt, die Zeichen der Entartung ausschließ-
lich oder vorzugsweise mit dem Kopfmesser zu suchen.
Ferner entspricht es nicht der vergleichenden Statistik, so niedrige
und so ungleiche Werte zu einer Vergleichung zu benutzen wie die vor^
liegenden.
M. gibt an, daß in Schleswig-Holstein zwei durchaus verschiedene
Typen menschlicher Gestalten vorkommen: Der eine ist lang, schmal^ mit
kleinem, langem Kopf, schmalem Gesicht usw., der andere kurz und breit,
mit großem, rundem Kopf, breitem Gesicht, kurzer geräumiger Brust.
Das Auftreten des blonden isocephalen Rassenelementes auf den
Halligen erklärt M. auf ethnologischem Wege, welches durch Kreuzung
und Eückschlag entstanden sein kann, und ist überzeugt, daß gewisse
somatische Eigenschaften der Vorfahren, wie die Größe und Gestalt des
Schädels, des Rumpfes und der Gliedmaßen bei einem Nachkommen zu-
sammenwirken und gewissermaßen sich aufsummieren und gelegentlich zu
einer ausgesprochenen Isocephalie Veranlassung geben können.
E^rankheiten des NerreDsystems. 261
Bezüglich der Juden, die er iu 2 Typen, ähnlich wie oben teilt, führt
IL das Vorkommen von Isocephalie in den meisten Fällen ebenfalls auf
ethnologische Einflüsse zurück. Die Annahme, daß die Isocephalie aus-
schließlich oder auch nur vorzugsweise ein Symptom der Degeneration dar-
stellt, weist er als unhaltbar zurück, da der ziffernmäßige Nachweis der
Erscheinungen von Degeneration versagt, und die Bedingungen, unter welchen
diese Erscheinungen der Degeneration zustande kommen (Alkoholismus und
Sjphilis), nicht häufiger sind, als man sie auch anderweitig trifft.
Parhon und Nadjede (195) teilen einen weiteren Fall von Hemi-
craniosis mit, welcher für die Frage der Genese von duralen Knochen-
ueabüdungen von großer Bedeutung ist. Es handelte sich um eine 63jähr.
Frau, die nach einer Schenkelhalsfraktur, ohne sonstige auffallende Störungen
Ton Seiten des Nervensystems dargeboten zu haben, eine linksseitige Hemi-
plegie unter Verlust des Bewußtseins erlitt. Seitdem war sie nicht mehr
TöUig orientiert und wurde unsauber, hatte aber Krankheitsbewußtsein;
keine Krämpfe, kein Kopfschmerz, keine Sehstörungen. Sie erlag erneuten
Schlaganfallen. Bei der Eröffnung des Schädels war die Dura mater an
dem vorderen Teile der Schädeldecke adhärent; nach Ablösung der Dura
fand sich in dem mittleren und hinteren Abschnitt des os frontale dextrum
eine nußgroße Knochenverdickung mit unregelmäßiger Oberfläche. Die
rechte Hälfte der Schädeldecke war viel dicker als links, jedoch war die
Außenseite glatt und ließ auf keine Knochenverdickung schließen. Kun
&nd sich aber noch auf dem rechten Frontallappen ein Tumor von der
Größe einer kleinen halben Orange, der nicht mit dem Gehirn zusammen-
hing, sondern von der medialen Fläche der Dura ausging. Dieser Tumor,
der den größten Teil des Lobus praefrontalis dexter einnahm, hatte etwa in
der Mitte eine Vertiefung, in welche der Knochentumor hineinpaßte. Der
Tumor war hart und von rötlich-grauer Farbe. Die Hirnwindungen in
seiner Nähe waren abgeflacht und zum Teil erweicht. Histologisch erwies
er sich als ein angiolitisches Sarkom (Psammom). Es muß angenommen
werden, daß die Exostosenbildung am Schädel, resp. die extradurale Peri-
ostitis das Primäre gewesen ist und erst als ihre Folge von der Dura
zentralwärts die angiolitische Neubildung erfolgt ist. (Bendia:,)
Beichardt (219) bespricht die Methoden der Schädelkapazitäts-
bestimmung. Die idealste Methode sei die Bestimmung am mazerierten
Schädel. Man bedient sich dabei des Wassers oder eines trockenen Füll-
materials (gleichgroße Glasperlen usw.).
Besondere Wichtigkeit erlangen diese Bestimmungen, wenn man die
Kapazitätszahl zu dem dazu gehörigen Hirngewicht in Beziehung bringt;
es hat sich ergeben, daß die Schädelkapazität in ccm meist 12 — 14% größer
ist als das zugehörige Hirngewicht in Gramm.
B. beschreibt eine praktische Methode, welche es ermöglicht, bei allen
wichtigeren Autopsien außer der Hirnwägung auch eine einfache exakte
Bestimmung der Schädelkapazität zu machen, und zwar folgendermaßen:
Nach Abtrennen von Haut, Galea, Periost wird ein Metallband um
den Schädel in einer Horizontalen festgeschraubt, welche 2 cm oberhalb der
Nasenwurzel und durch die, beziehungsweise etwas oberhalb der Protube-
rantia externa verläuft. Dann Anzeichnen der Sägelinie längs des unteren
Bandes; hierauf Entfernung des Bandes, sorgfältiges Aufsägen und Ent-
nahme des Gehirns. Entfernen der Dura aus dem Schädeldach und samt
dem Sinns aus der hinteren Grube der Schädelbasis. Am Foramen magnum
und im Wirbelkanal soll die Dura möglichst unverletzt bleiben. Dann
wd die Schädelbasis horizontal eingestellt. Man gießt den Wirbelkanal
262 ^^ Knochensystem in seinen Beziehungen zu den
voll Wasser und überzeugt sich, daß nach mehrmaligem Eingießen der
Wasserspiegel im Foramen magnum zum Stehen kommt, und gießt dann
die ganze Basis voll Wasser aus einem graduierten Meßzylinder. Zur
Sicherheit soll mau gegen zehnmal ausmessen. Nachträglich die Messung
der Schädelkalotte.
Die konsequente Kapazitätsl^estimmung ist wichtig bei Krankheiten,
die zu einer Himverkleinerung oder Vergrößerung fuhren.
RÖrig (225) untersuchte 240 Schädel von Cervidenarten (131 von
Capreolus, 65 von Elaphus, 44 von Dama), teilte sie nach 5 Lebensperioden
ein und kam zu dem Ergebnis, daß die Indices des Hirnschädels eine im
Betrage sinkende, die des Gresichtsschädels eine steigende Tendenz zeigen,
daß ferner in den ersten Lebensperioden der Gesichtsschädel gegen den
Hirnschädel in seinen Dimensionsverhältnissen zurücksteht, daß dann aber
bis in das höhere Lebensalter hinein der Qesichtsschädel im Vergleiche
zum Hirnschädel prävaliert.
In diesen Verhältnissen kommen die Wirkungen funktioneller Selbst-
regulierung deutlich zum Ausdruck. Am Gesichtsschädel des Kalbes setzen
sich nach der Geburt desselben neue Funktionen durch und zwar zunächst
in der Säugetätigkeit, und nach Ablauf der Laktationsperiode tritt mit der
Aufnahme und Zerkleinerung pflanzlicher Nahrungsstoffe eine Funktion
neuer Art ein; nachdem die Milchnahrung in den ersten Lebensperiodea
ausgiebiges Wachstum sowohl am Schädel wie am gesamten Organismus
eingeleitet hatte, vervollständigt sich das Gebiß, um die vegetabilischen
Nahrungsstoffe der Ernährung dienstbar zu machen; danach verursacht der
Zahnwechsel eine starke Reduktion des Schädelwachstums.
Török (261) bezeichnet die von Retzius angegebene Klassifikation
der Schädelformen (in dolicho- und brachycephale) als nicht zureichend,
weil dabei die Höhe des Hirnschädels nicht berücksichtigt werde und die
Klassifikation sämtlicher Schädelformen der Menschheit nicht auf diese
Weise systematisch durchgeführt werden könnte.
Trotz der langen Dauer (60 J.) der kraniologischen Forschungsmethode
sei man noch bedeutend im Rückstand geblieben.
T. kam bei seinen langjährigen Forschungen zu folgenden wichtigen
Ergebnissen:
1. Daß einzelne Dimensionsmaße verschiedentlich variieren.
2. Daß innerhalb der Variationsextensität (Variationsbreite) die Einzel-
fälle der Variation in verschiedentlicher Anzahl auftreten.
3. Daß infolge der allgem. Gesetzmäßigkeit der Variationsintensität
die Gruppe der mittelgroßen Werte in der dominierenden Mehrheit einer
Vertretung aufzufinden ist.
4. Daß, weil die mittelgroßen Maßwerte stets den ausschlaggebenden
Typus ausdrücken, wir schon mit Gewißheit aussagen können, daß weder
die wirkliche Langschädeligkeit, noch die wirkliche Kurz-, sondern die Mittel-
langschädeligkeit auf Erden vorherrschen muß.
T. hat zum Studium der Dolichocephalie die Maßangaben von ins-
gesamt 652 Schädeln für 7 dolichocephale Rassen der Literatur entnommen.
Ergebnisse aus den 3 Variationsextensitäts-Tabellen zusammengezählt
und die dem Indexwert nach als dolichocephal benannten Menschenrassen
weisen unter sich verschiedenartige Schädelformen auf und sind nicht durch-
weg wirklich dolichocephal.
Pürderhin müßten bei den bisher sogenannten dolichocephalen Rassen,
vor allem die kurzen, mittellangen und langen dolichocephalen Schädelformen
unterschieden werden, sollten unsere Forschungen auch verläßliche Auf-
Krankheiten des Nervensystems. 2g 3
klanmg hiDsichtlich der Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten der einzelnen
dolichocephalen Menschengruppen behufs einer Klassifizierung liefern.
Auch in Bezug auf die Variationsintensität ihrer 3 Dimensionsmaße
des Himschädels könnten keine solchen dolichocephalen Kassen ausfindig
gemacht werden, innerhalb welcher die wirklich langen Schädel in der do-
minierenden Mehrheit auftreten würden.
Daß diese Tatsachen solange unbemerkt bleiben konnten, führt T. auf
die Einseitigkeit der bisherigen Forschungsmethode mit den Indexzahlen
Zurück.
Weber (278) handelt über die Variationen der regio pterygoidea des
menschlichen Schädels, die vornehmlich mit der Insertion und der Richtung
des Muse, pterygoideus internus zusammenhängen.
B. Mißbildungen.
Beckhard (16) teilt einen Fall von Encephalocele bei einem Kalbe
mit einer dritten Augenspalte in der Kopfhaut mit. Die Schädelhöhle war
froutalwärts ofifen, und das Gehirn war an dieser Stelle nur von Hirnhäuten
bedeckt.
Blumentlial und Hirsch (27) behandeln einen Fall von angeborner
Mißbildung der vier Extremitäten bei einer 46 jährigen Patientin. Linke
obere Extremität: Nur ein Oberarm und an der medianen Seite desselben
ein Pinger vorhanden, Gesamtlänge 30 cm, endigt konisch zugespitzt.
Rechte obere Extremität weist nur einen Humerus auf, 28 cm lang,
die Gesäßgegend zeigt sich stark ausgebildet.
Untere linke Extremität: Ein einem Unterschenkel ähnliches und ent-
sprechendes Stück, welches mit einem Knick in ein breites kugeliges Ge-
bilde übergeht, das die Stelle des Oberschenkels einnimmt. Ein mit drei
normal gebildeten Zehen versehener Fuß vorhanden.
Fibula fehlt vollständig. Kniegelenk vorhanden, Patella fehlt. Femur
16 cm, Tibia 22 cm lang.
Rechte untere Extremität an Stelle des Oberschenkels ein kugeliges,
mannskopfgroßes Gebilde mit einem nach unten gerichteten fußähnlichen
Anbang. Fußsohlen und zwei Zehen.
Die Röntgenbilder gewähren einen deutlichen Einblick in den Knochen-
befund.
Zunächst folgen einige Bemerkungen über die Terminologie. Für den
Ton Bl. und H. beobachteten Fall sei eine einheitliche Bezeichnung nicht
zu finden.
Hierauf werden die Veränderungen der Reihe nach kritisch behandelt
imd mit den Beobachtungen anderer Autoren (St. Hilaire, Marchand,
Kümmel) verglichen.
Aus der Literatur werden vor allem die Ergebnisse Blenckes er-
wähnt Von 66 Fällen von kongenitalen Femurdefekten sind Defekte llmal
auf den Femur beschränkt, 31 mal finden sich außer dem Femurdefekt De-
fekte der Fibula, der Patella und des Fußes. In 12 Fällen Femur- und
Tibia knöchern verwachsen. Ehrlich erklärt diese Ankylose aus der Ent-
wicklungsgeschichte, indem die allen Gelenken in einer früheren Zeit der
Entwicklung zukommende Synostose hier noch fortbesteht. Becken gut
ausgebildet
BL und H. erscheinen für diese verschiedenen Verbildungen eine
exogene Entstehungsursache wahrscheinlich.
264 ^As Knochensyatem in seinen BezielxaDgen zu den
Patientin erhielt für die rechte untere Extremität eine Federprothe«e
mit einem Unterschenkel und künstlichen Fuß.
Hax (157) macht auf das topographische Verhalten der Carotis in-
terna und V. jugularis int. zur Paukenhöhle und auf die dadurch bedingten
lebensgefahrlichen Blutungen aufmerksam. Zwei Beobachtungen dieser Art,
von denen die eine die Carotis, die andere die V. jug. betrifft, konnte er
in der Ambulanz machen: Bei einer 17 jährigen Patientin war nach einer
eitrigen rechtsseitigen Mittelohrentzündung die Mukosa der Paukenhöhle
geschwollen und bot im vorderen unteren Quadranten eine starke pulsatorische
Bewegung, die von der Carotis herrührte und als angeborener Defekt der
vorderen Wand der Paukenhöhle betrachtet werden muß.
Häufiger und mannigfacher finden sich Anomalien der unteren Paaken-
höhlenwand, von praktischer Wichtigkeit durch die Anlagerung der Vena
jugularis. Es ist das der sechste der in der Literatur verzeichneten
derartigen Fälle. Bei einer vorgenommenen Paracentese am linken Ohr
quoll eine beträchtliche Menge Blut hervor, welche Blutung durch Tamponade
entstand.
Diese Anomalien sind bedingt durch Caries, Usur, einen angebornen
Defekt.
Villaret und Francoz (271) stellen eine ausführliche Betrachtung
über die Dysostose cleidocranienne h^reditaire an. Sie beobachteten diese
Erkrankung an einer Frau und deren drei Kindern. Ferner stellte ihnen
Convelaire eine interessante Beobachtung zur Verfugung. Hierauf be-
sprechen sie die einschlägige Literatur. M. M. P. Marie und Santon
seien die ersten gewesen, welche diese Anomalie in ihrer Gänze beschrieben
und die vier Symptome (vermehrter Parietal-Durchmesser, verzögerte Ver-
knöcherung der Fontanellen, mehr oder minder ausgesprochene Aplasie der
Clavikel und die Vererbung) aufgestellt haben.
Das eine oder das andere Symptom, oder mehrere derselben seien
schon von mehreren Autoren beobachtet und beschrieben, jedoch nicht in
ihrer Gesamtheit erkannt worden.
Was die Ätiologie anlangt, so seien verschiedene Theorien aufgestellt
worden; eine genügende Erklärung dieser angeborenen Erkrankung aber
vermag keine zu geben.
C. Deformitäten, Verletzungen, Entzündungen, Tuberkulose,
Syphilis, Tumoren.
Erdheim (63) berichtet über zwei Fälle von Schädelcholesteatomen
(Epidermoide). Was die Ätiologie der Cholesteatome überhaupt anlangt, so
gewinnt die Annahme Bostroems immer mehr Boden, Danach entstehen
die Cholesteatome aus embryonalen Epidermiskeimen der Kopfregion, die
bis in die Pia mater versprengt werden. Schädelcholesteatome kommen
hauptsächlich vor am Schläfenbein, aber auch an anderen Stellen, wie
Hinterhauptsbein, Scheitel- und Stirnbein; er zeigt das in der folgenden
Literaturzusammenstellung.
Dermoide des Schläfenbeins gehen aus versprengten Ektodermkeimen
hervor; in Bezug auf die viel häufigeren Epidermoide (Cholesteatome) des
Schläfenbeins gehen die Ansichten der Autoren jedoch ganz auseinander,
und ist die Literatur enorm angewachsen.
In Anbetracht der so geringen Zahl anatomisch erwiesener echter
Schläfenbeincholesteatome teilt E. zwei weitere Fälle mit.
Ejrankhehen des Nervensystems. 365
L Fall. Zuerst gibt E. den Befund des Trommelfells imd Mittelohrs
an und beschreibt hierauf das Cholesteatom der Gestalt, Lage und dem
Inhalt nach. Die Böntgen&ufnahme ergab einen sehr klaren Befund : Defekt
in der Tabula int. größer, in der Tab. ext. kleiner. Sitz dort, wo Hinter-
haupts-, Scheitel- und Schläfenbein zusammenstoßen. Dieses Cholesteatom
hat genetisch nichts mit dem Mittelohr zu tun. Mikroskopisch besteht im
histologischen Aufbau die weitgehendste Übereinstimmung zwischen diesem
Schädelcholesteatom und den Hirncholesteatomen überhaupt.
n. FalL Das Präparat stammte von einer 36 jährigen Frau. Die
Untersuchung ergab ein vollkommen normales Mittelohr und nicht den
mindesten Verdacht einer je vorhanden gewesenen Eiterung. Das Chole-
steatom wieder genau beschrieben. Halbkugelförmig, der Gegend des Sulc.
sigmoid. aufsitzend. Der Sitz derselbe wie im Falle I, jedoch viel weiter
nach vorne und etwas tiefer.
Processus mast. wurde aufgesägt und durch einen der kleinen Defekte
TOD außen sondiert. Es war eine offene Verbindung des Cholesteatoms mit
den pneumatischen Mittelohrräumen erwiesen. Mikroskopischer Befund an-
geschlossen. '
Ergebnisse dieser Untersuchung: In den Fällen von Scliwartze,
Korner und in diesen zwei angeführten handelt es sich um ganz ähnlich
gelegene Cholesteatome; sie nehmen alle jene Stelle ein, wo das Schläfen-,
Scheitel- und Hinterhauptsbein zusammenstoßen.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß in unseren Fällen das Cholesteatom
mit einer Ohreiterung nichts zu tun hatte.
Der zweite Fall erscheint von besonderer Bedeutung, weil er gerade
das sekundäre Inverbindungtreten des Cholesteatoms mit dem Mittelohr in
vollkommen einwandfreier Weise zu einer Zeit demonstriert, bevor Infektion
und Vereiterung des Cholesteatoms erfolgt war.
Ferner ist diesen Fällen auch das gemeinsam, daß sie mit ihrem
vordersten Anteil die Pars mastoidea des Schläfenbeins einnehmen. In
dieser Weise lokalisierte Cholesteatome eignen sich am besten, das Vor-
kommen echter Cholesteatome zu veranschaulichen.
Entwickelt sich hingegen das Cholesteatom nicht in der Peripherie,
sondern mitten im Gebiete der pneumatischen Bäume, so muß die Perfo-
ration desselben ins Mittelohr schon in einem sehr frühen Stadium erfolgen
mit konsekutiver Mittelohrentzündung und Vereiterung des Cholesteatoms.
Alle solche Fälle verfallen dann der sekundären Theorie.
E. ist der Meinung, daß primäre Cholesteatome nicht nur an der
Grenze der oben erwähnten Knochen, sondern auch an den zahlreichen
anderen Stellen vorkommen, wo sie als sekundäre beschrieben werden; nur
werden sie hier infolge der oben erwähnten ungünstigen Umstände nicht
als primäre erkannt, sondern für sekundäre gehalten.
Bemerkenswert ist der Umstand, daß in allen vier Fällen der Tumor
vorwiegend gegen das Schädelinnere, viel weniger nach außen seine Ent-
wicklung nahm.
Diese Untersuchung gestattet keinen Schluß, um wieviel und ob über-
haupt das primäre Cholesteatom des Schläfenbeins häufiger als das sekun-
däre sei.
Für zwei Fälle hatte E. also den Beweis eines echten Cholesteatoms
der Schläfenbeingegend erbracht und es wahrscheinlich gemacht, daß ein
primäres Cholesteatom leicht für ein sekundäres gehalten werden kann.
Neisser (180) demonstriert Bilder eines exquisiten Turmschädels bei
einem 44jährigen Mann mit totaler Amaurose des linken Auges von Kind-
^56 Das Knochensystein in seinen BeziehuDgen zu den
heit auf und einer allmählicli fortgeschrittenen, jetzt schon beträchtlichen
Sehschwäche des rechten Auges; neuritische Atrophie nachweisbar. Seit
dem 14. Lebensjahr Epilepsie und Intelligenzabnahme, während andere
Autoren bei ihren Patienten intakte Intelligenz beobachteten.
Interessante Besonderheiten: Patient hatte keine klare Vorstellung von
der Situation des Augapfels und der umgebenden Partien an dem amau-
rotischen Auge; er wußte nicht, ob das Auge im Moment oflfen oder ge-
schlossen gehalten wurde.
Es ist dies etwas analoges wie die bei Fällen mit alten zerebralen
Kinderlähmungen nicht selten zu beobachtende Unfähigkeit, durch Tasten
mit der gelähmten Hand Gegenstände zu erkennen, eine Tastlähmung,
welche sich bei Übung schnell ausgleicht. So dürfte es sich hier um eine
Folge des Nichtgebrauchs handeln.
Oberwarth (186) hatte Gelegenheit, innerhalb weniger Monate acht
Fälle von sog. Turmschädel zu beobachten. Die Besitzer sind geistig nor-
male Menschen; jedoch findet sich in einer großen Zahl dieser Fälle eine
Atrophie des Sehnerven: von diesen acht besaßen fünf kranke Sehnerven:
einmal völlige, einmal fast völlige Amaurose infolge beiderseitiger Atrophie
nerv, opt., einmal Neuritis beider nervi optici bei guter, einmal bei zweifel-
hafter Sehschärfe, einmal rechtsseitige Stauungspapille bei linksseitigen an-
geborenen Netzhautflecken. Das männliche Geschlecht bevorzugt (sechs
Knaben und nur zwei Mädchen). Neuritis bei drei Knaben und zwei
Mädchen. Die Sehnervenerkrankung kann sich schon in der ersten Kind-
heit entwickeln. Spiro fand dieselbe bei einem 2jähr. Kinde. Rhachitis
und meningitische Prozesse werden als Entstehungsursache angegeben, doch
ohne überzeugende tatsächliche Feststellungen.
Schliz (234) bespricht die künstlich deformierten Schädel in ger-
manischen Reihengräbern und zwar a) die westgermanischen (Heilbronner,
Wiener, Niederolmer . . .) Schädel ; b) die ungarischen künstlich verbildeten
Schädel; c) die niederösterreichischen künstlich verbildeten Schädel.
Die Ursache der künstlichen Vorbildung ist bei sämtlichen dieselbe:
Es läuft eine ringförmige Furche als Abdruck eines Bandes um den Kopf
vom oberen Teile der Stirnschuppe bis zum Hinterhaupt oberhalb des
Inions; die dadurch hervorgebrachten Anomalien des Schädels stimmen in
den Grundzügen ebenfalls überein ; sie sind nur etwas verschieden je nach
der ursprünglichen dolichocephalen oder brachycephalen Anlage des um-
schnürten Kopfes.
Die in germanischen ßeihengräbern gefundenen künstlich deformierten
Schädel sind germanische; die niederösterreichischen schließen sich ihnen
an, die ungarischen tragen aber einen anderen Rassentypus.
Von den ersten sind alle, deren Geschlecht sich bestimmt nachweisen
läßt, weibliche. Die Veränderungen haben sich langsam durch gleichmäßigen,
dauernden Druck in den ersten Lebensjahren vollzogen. Bei Frauen ent-
spricht der Schnürfurche der Sitz des Haarbandes.
Walcher (276): Die Tatsache, daß die bei Kraniotabes im ersten
Lebensjahre durch die Lage des Kopfes erworbene Umbildung des Schädels
dem Träger desselben bis ans Ende seiner Tage bleibt, brachte W. auf
den Gedanken, Untersuchungen darüber anzustellen, ob nicht auch die Form
eines normalen Kindes-Schädels durch eine bestimmte Lagerung des Kopfes
beeinflußt werden könnte. Seine Beobachtungen an Zwillingen ergaben
nach den ersten zehn Tagen, daß das auf dem Hinterkopf liegende Kind
brachycephal , das auf der Seite liegende dolichocephal wurde. Zuletzt
Krankheiten des Nervensystems. 267
fordert W. die Kollegen auf, weitere Untersuchungeu auf dem gleichen
Felde zn machen.
II. Wirbelsaale.
A. Entwicklungsanomalien.
Cuneo (49) handelt über Spina bifida und deren Abarten : Myeloschisis
(Myelo-meningocele v. Eecklingshausen), Myelocystocele und Meningocele.
Nachdem C. die pathologischen Veränderungen der drei Abarten und deren
ünterabarten erörtert hat, macht er auf die Schwierigkeiten der Diagnose
aufmerksam: Myeloschisis ist charakterisiert durch das Hervortreten des
Tumors mit den drei konzentrischen Zonen und ist noch leicht zu erkennen.
Weit größere Schwierigkeiten bieten Myelocystocele und Meningocele. Die
Schwierigkeiten beruhen auf dem mannigfachen Aussehen der Decke der
Spina bifida; diese kann nämlich von normaler Haut gebildet sein, bald
zeigt sie geringe, bald beträchtliche Modifikationen. Bei aufmerksamer
Untersuchung gestatten auch diese eine richtige- Diagnose.
Von den die Myelocystocele begleitenden Mißbildungen und Anomalien
haben einige diagnostischen Wert. Nach Recklingshausen sei die Myelo-
cystocele begleitet von Anomalien in der Zahl und Form der Wirbelkörper.
Bei normaler Haut des Tumors handelt es sich entweder um eine Myelo-
cystocele oder Meningocele. Beine Meningocele ist selten; in zweifelhaften
Fällen müsse man immer an eine Myelocystocele denken.
Die Prognose ist bei Myeloschisis ungünstig wegen der großen Gefahr
einer Meningitis. Auch auf operativem Wege wurden keine guten Resultate
erzielt. Meningocele ist dagegen sehr günstig. Myelocystocele stehe zwischen
beiden. Myelocystocele dors. ist leicht operabel, ventrale und totale M.
weitaus schwieriger; leider sei bei diesen drei Unterarten nur eine wahr-
scheinliche Diagnose möglich.
Neugebaner (181) teilt eine höchst seltene Beobachtung, einen Fall
von Hydromeningocele sacralis anterior, bei einem 22jährigen jüdischen
Mädchen mit. Im kleinen Becken ein prall gefüllter, über doppelfaustgroßer
flnctuierender Tumor, hinter dem Mastdarm, der Vorderfläche des Os sacrum
auflagernd ; bedeutende Dislokation ; doppelte Scheide mit Duplicität des Uterus.
Pat. trat in die chirurgische Klinik ein, verließ dieselbe nach einem
Tag und soll 3 Wochen nach der Heimkehr eines plötzlichen Todes gestorben
sein. Die Gesamtzahl derartiger Fälle von Meningocele sacr. ant. u. post.
sind sehr gering und sind deren in der Literatur 22 bekannt.
Die älteste Beobachtung stammt von Virchow, weitere Fälle wurden
Ton Wegner, Kroner und Marchand, von Braune, Emmet u. a.
Löhlein hat einen äußerst interessanten Fall beschrieben bei einer
28jährigen III. Gebärenden.
Femer noch Kettler und Beneke.
Derartige Meningocelen sind der bisherigen Erfahrung nach stets an-
geboren.
Eine Reihe von Fällen erwies einen teilweisen Mangel an Wirbel-
körpem oder Wirbelbögen.
Wie ist eine solche Rachischisis anterior zu erklären? Es bestehen
verschiedene Ansichten von Seiten der Autoren, z. B. die Annahme einer
einheitlichen Anlage des medianen Knochenkernes für die Wirbelkörper
(Rambaud u. Renault), die Annahme der bilateralen Anlage (Natorp,
Vrolik). Virchow hält die angeborene Wirbelspaltung für eine besondere
Entwicklungsstörung.
268 ^^ Knochensystem in seinen Beziehungen zu den
Neugebauer hält für die vordere Wirbelspaltung ätiologisch nur einen
spinalen Hydrops als Ursache plausibel.
Eine Reihe von Autoren gaben beim Vorhandensein einer Meningocele
sacr. ant. entsprechende Knochendefekte, eine sog. vordere Wirbelspaltung an.
Diagnose ist nicht schwierig und durch deutliche Merkmale charak-
terisiert. Die Kasuistik mit so großem Letalitätsprozent erweist zur
Genüge, wie ungemein wichtig gerade bei den Becken -Meningocelen eine
richtige Diagnose ist.
Betreffs Behandlung seien die Meningocelen als Noli me tangere anzusehen.
Die bisherigen Ergebnisse der Paracenthese sind hier nichts weniger als
ermutigend.
Dieser Tumor hat ernste Bedeutung für den Geburtshelfer.
Angesichts der Schicksale dieser Frauen scheint es N. festzustehen,
sobald eine Meningocele sacr. ant. das Becken nur einigermaßen verengt,
daß keine Paracentese der Cyste oder Einschnitt behufs Ermöglichung der
Geburt per vias naturales vorzunehmen, noch Wendung oder Zange zur Be-
endigung zu versuchen sei, sondern man von vornherein zur Sectio caesarea
greifen und die Cyste unberührt lassen soll.
Zusammenfassend gibt N. an, daß er in der vorliegenden Arbeit die
Bedeutung der Mening. sacr. ant. flüchtig für den Chirurgen gestreift hat,
hauptsächlich die Symptomatologie, Diagnose, Ätiologie, pathol. Anatomie,
klinischen Verlauf, Prognose und Bedeutung für den Geburtshelfer erörtert,
und das anatom. Material bezüglich der medianen Wirbelkörperspalten
zusammengestellt und die sich daran knüpfenden Hypothesen und die
Beziehungen der medianen Wirbelkörperspalten zur Meningocele sacr. ant.
besprochen hat.
N. sieht mit Interesse einer Diskussion der geburtshilflichen Indikations-
stellung für solche Fälle entgegen.
Möge diese Arbeit die Aufmerksamkeit der Fachgenossen auf diese
ernste Geburtserscheinung lenken und für den Einzelfall die Diagnose
erleichtern.
Petersen (201) macht aufmerksam, daß nicht Luschka u. Schwegel
die ersten waren, die Artikulationsflächen an der Hinterseite des Os sacrum
gefunden haben ; denn die Kenntnis derselben datiert aus viel früherer Zeit.
Albinus hat eine deutliche kleine Gelenkfläche an der 1. Seite des Os sacrum
abgebildet, die an der rechten Seite einem kleinen Trabekel Raum gibt.
P. fand unter 63 Becken, die er auf diese Gelenkfläche untersucht hatte,
10 derartige, mit Gelenkflächen versehene. Diese Gelenkflächen liegen in
allen Fällen seitwärts von einem Foramen sacr. posterius, sind häufig
doppelseitig und zwar entweder vor dem 2. oder vor dem 1. Foramen sacr.
post., dementsprechend findet sich an der medialen Fläche der Spina il.
sup. eine kleine Gelenkfläche, wenn am Os sacrum die Gelenkfläche vor
dem 2. Foramen liegt; ist letztere vor dem 1. For. gelegen, so findet sich
die korrespondierende Gelenkfläche am Os ileum oberhalb der Sp. il. post
sup. Die Gelenkflächen erheben sich nur wenig über das Niveau; in einem
einzelnen Fall hatte sich indes gleichsam ein Proc. artic. gebildet.
Bei Betrachtung einer Reihe normaler Becken gewahrt man, daß bald
ein relativ großer Abstand zwischen den Tuberositäten des Os ileum und
denen des Os sacr. besteht, bald nur ganz geringe Entfernungen bestehen,
und in den Fällen, wo man Gelenkflächen antrifft ist gewissermaßen eine
„Einfalzung" sehr ausgeprägt.
Die Gelenkflächen waren in allen beobachteten Fällen glatt, und wo
die Lig. an der umgebenden rauhen Knochensubstanz gesessen hatten,
Krankheiten des Nervensystems. 269
scharf und deutlich von dieser abgegrenzt In den meisten Fällen fanden
sich nur Spuren einer Enorpelbildung an den macerierten Knochen^ und
zwar hyaliener Knorpel.
Der Zweck der Arbeit Reohe's (215) ist, in das Verständnis der
Form und der Funktion der Halswirbelsäule der Wale einzudringen. An
Material standen hauptsächlich Skelette zur Verfügung. In der Arbeit wird
gezeigt, daß trotz der großen Unterschiede, die die Halswirbel der Cetaceen
in ihren Formen aufweisen, ihnen allen doch ein Erscheinungskomplex ge-
meinsam ist: die Reduktionserscheinungen, die sich hauptsächlich in einer
Verkürzung dieser Wirbel, und zwar besonders der 5 letzten äußern.
Die Ursache dieser Veränderungen der ursprünglich normalen Hals-
wirbelsaule ist das Wasserleben, besonders der durch das dichtere Medium
bedingte größere Widerstand. Dazu kamen noch andere sekundäre Ein-
flüsse, wie Größe, Schnelligkeit, Art der Nahrung usw., die modifizierend
eingriffen und allerhand andere Erscheinungen, wie Verschmelzungen, Ver-
steifungen und dergl. hervorbrachten. Zwischen den beiden nicht direkt
miteinander verwandten Ordnungen der Barten- und Zahnwale treten dabei
keinerlei prinzipielle Unterschiede auf; das Wasserleben hat solange auf sie
eingewirkt, daß die Umgestaltung der Halswirbel in beiden Gruppen zu
einem gewissen, in diesem Falle gleichartigen Abschluß gelangt ist.
(Autoreferat)
Wolters (286) untersuchte die Haut über einer Meningocele und
fand mehrfache Veränderungen. Die Haut sehr dünn, in der Mitte Deku-
bitus; das epithelbedeckte Gewebe von normaler Dicke. Unter dem Mikroskop:
Keine Atrophie des Epithels. An der Dekubitusstelle granulierendes
Gewebe, bedeckt von nekrotischen Massen. Das ganze Corium breiter als
normal. Gefäße reichlich entwickelt, die Intiroa derselben intakt, Media
starker entwickelt. Subkutis spärlich. Im Corium große Zahl von glatten
Mnakelfasem, im mittleren und unteren Teil so mächtig, wie bei Myomen
der Haut. Elastische Elemente normal.
Die Herkunft dieser abnormen Muskelmassen ist nicht ohne weiteres
klar. W. konnte beobachten, daß ein Teil mit den Arrectores pilorum in
Verbindung steht; der größere Teil dieser Muskelmassen ist durch zarte
Fasern mit der Media der Gefäße verbunden und ist aller Wahrscheinlich-
keit nach von ihnen ausgegangen. W. nimmt an, daß die Entwicklung
dieser Muskelmassen auf den permanent pulsierenden Druck, der durch den
Inhalt der Meningocele bedingt sei, zurückzuführen sei, während ein konstanter
Druck zur Hypertrophie der bindegewebigen Elemente geführt hätte. Nur
konnte er nicht feststellen, ob das zufallig vorkommende oder konstante
Befände seien.
B. Verletzungen.
Lndloff (149) teilt die Resultate der oft recht mühsamen Unter-
suchungen bei Verletzungen der Lendenwirbelsäule und des Kreuzbeins an
der Hand von Röntgenogrammen mit und beschränkt sich dabei auf 6 Fälle,
bei denen die Patienten über Schmerzen gerade im untersten Teil der
Lendenwirbelsäule und am oberen Ende des Kreuzbeins klagten und ein
schweres Trauma, nachdem sich die Beschwerden entwickelt haben, vor-
gelegen hat
L. gibt die Art, wie die Patienten zu Schaden gekommen sind, die
subjektiven und objektiven Symptome an, bespricht die einzelnen Rönt-
genogramme ausführlich und zeigt eine ganze Reihe von Formveränderungen
ün Vergleich mit dem normalen Skelett. L. teilt letztere in wirkliche und
270 ^^s Knochensystem in seinen Beziehungen zu den
scheinbare Veränderungen. Er bringt den Beweis für einen Bruch des
einen Gelenkfortsatzes, Verschiebung und Neigung des Wirbelkörpers auf
dem Promontorium nach rechts und osteoarthritische Auflagerung an der
rechten Kante des Promontoriums.,^ Diese Art von Brüchen komme verhältnis-
mäßig häufig durch gewaltsame Überbeugung oder Überstreckung vor, und
es liegt demnach eine typische Fraktur vor.
L. gibt der wohlberechtigten Hoffnung Raum, daß mit Hilfe eingehender
Röntgenuntersuchung und mehrfacher Röntgenographien des betreffenden
Patienten künftig noch manchen Unfallbetroffenen sein Recht wird, der jahre-
lang mißtrauisch als Simulant betrachtet wurde.
Romm (224) berichtet über einen Fall von Atlasluxation mit Ab-
bruch des Zahnfortsatzes des Epistropheus.
Eine 26 jährige Frau fiel vor einem halben Jahre von einem Heu-
schuppen aus einer Höhe von 5 m auf ausgestampften Lehmboden; fiel mit
der linken Hälfte des Hinterhauptes und Scheitels auf und war sofort be-
wußtlos.
Angeblich befand sich der Kopf sofort nach dem Unfall in der ab-
normen Stellung, die er zur Zeit der Aufnahme in die cliirurgische Klinik
noch einnimmt, die sie wegen aufgetretener Schluckbeschwerden aufsuchte,
aber nach 14 Tagen wieder verließ.
Im Anschluß daran führt R. die in der Literatur gesammelten Fälle
von Atlasluxationen aller Art an und behandelt den von ihm selbst beob-
achteten Fall ausführlicher.
Bespricht die Ätiologie im allgemeinen, die Symptome, Verlauf und
Prognose; die reinen Atlasluxationen ohne Bruch scheinen günstiger zu ver-
laufen. (Bei älteren Individuen war der Tod vorwiegend sofort eingetreten.)
Bei mit Bruch einhergehenden Luxationen ist die Prognose entschieden
eine in fauste.
Nach Gurlt ist die Prognose umso ungünstiger, je höher oben die
Läsion der Medulla erfolgt ist.
In ebenso ungünstigem Sinne äußert sich Blasius.
Therapie ist so gut wie machtlos. In den frisch zu behandelnden
Fällen wird man unter möglichster Berücksichtigung der Verhältnisse im
Röntgenbild zu dem Versuche einer Reposition schreiten, der nach positivem
Resultate eine Fixation durch Verband anzuschließen ist.
Extensionsbehandlung sei mit großer Vorsicht anzuwenden.
Ankylose.
Ehrhardt (58) beschreibt ein Skelett mit chronisch ankylosierender
Entzündung der Wirbelsäule und zwar einen Typus der Strümpellschen
Form, den höchsten denkbaren Grad des Krankheitsprozesses. Die Wirbel-
säule bildet von der Schädelbasis bis zur äußersten Spitze des Steißbeines
einen einheitlichen ununterbrochenen knöchernen Stab mit hochgradiger
arkuärer Kyphose im Gebiet der Brust- und Lendenwirbelsäule. Halsteil
leicht lordotisch und leicht rechts konvex skoliotisch. Die Kyphose so
hochgradig, daß die Längsachsen der Oberschenkel senkrecht zur Wirbel-
säule stehen. Das Becken ist auch durch knöcherne Ankylose mit dem
Kreuzbein verbunden, ebenso Oberschenkel im Hüftgelenk knöchern fixiert
E. betrachtet diesen Grad als Endstadium der chron. Wirbelsäulen-
ankylose. Der ganze Prozeß stellt sich dar als syndesmogene Synostose sämt-
licher Wirbelgelenke mit Verknöcherung der Längsbänder und Zwischen-
wirbelscheiben, begleitet von knöcherner Ankylose der Wirbel-Rippengelenke
und der Hüftgelenke, und zwar reine Synostose ohne Exostosenbildung.
Krankheiten des Nervensystems. 271
An der Hand dieses Skelettes Tersucht E. die Unterschiede zwischen
einer Spondylitis deformans und einer reinen Wirbelsäulenankylose fest-
zustellen :
Spondylitis deformans zeigt ausgedehnte Exostosenbildung, zunächst
nur im Sereich der Zwischenwirbelscheiben, im späteren Stadium durch das
Zusanunenfließen dieser Osteophjten, die dann als breite Knochenmassea
seitlich den Wirbelkörpem aufliegen. Chronische ankylosierende Wirbel-
säulenversteifung geht mit Versteifung der kleinen Gelenke und Bandver-
knöcherung einher. Die mitgeteilten Befunde zeigen, daß es sich bei diesen
beiden Fällen um zwei nach Pathogenese und anatomischer Beschaffenheit
durchaus verschiedene Prozesse handelt. In dem beschriebenen Falle handelt
es sich zweifellos um Infektion, die alle Wirbel ergrifif. Die Ätiologie ist
immer noch etwas unklar.
Mingazzini (165) beschreibt einen Fall von Spondylose rhizomglique,
wobei er auf einige besondere Umstände aufmerksam macht. Der ganze
Komplex von Symptomen der 9 Jahre dauernden Kiankheit nötige ihn zu
dieser Diagnose.
Differentialdiagnostisch sei in Erwägung zu ziehen:
a) Die chronische Steifigkeit der Wirbelsäule (Bechterew), dagegen
spricht die Tendenz der Krankheit, sich von unten nach oben auszubreiten.
h) Myogene Wirbelsteifigkeit nach Cassirer. Gegen dieselbe spricht
das Fehlen von Kontrakturen bei Schmerzen.
c) Die lange Dauer schließt auch Pachymeningitis cerv. hypertrophica
und die Krankheit von Pott aus.
Vor 4 Jahren war jedoch eine sichere Diagnose außerordentlich
schwierig. Das ganze Krankheitsbild sprach für eine radikuläre Neuritis,
welche Annahme durch das Ergebnis einer intraduralen Kokainisierung be-
kräftigt wurde. M. macht noch darauf aufmerksam, daß eine teilweise
Besserung der Ankylose der Beine eingetreten ist. Es handelte sich offen-
bar um eine Pseudoankylose, weil bei der Chloroformierung die Oberschenkel
beweglich wurden; nach Askoli sei die ankylosierende Tendenz eines der
lebhaftesten Kennzeichen der Spondylose rhizomSlique.
C. Entzündung der Knochen und Gelenke.
Böger (28) beschreibt einen Fall von Malum suboccipitale rheu-
maticum bei einem IT^/^ Jahre alten Ackerer aus Poll. Im Verlauf einer
rheumatischen Polyarthritis treten Schmerzen und Infiltration des Nackens
anf ; allmählich hochgradiges Caput obstip. dextrum, das mit der Infiltration
zurückgeht; Patient hat femer Schluckbeschwerden und Schmerzen im
Hinterkopf. Untersuchung per os und Eöntgenbild zeigt den zweiten Hals-
wirbel gegen den ersten zurück und den Zahnfortsatz nach links abgewichen ;
dementsprechende Bewegungsstörungen; besonders Drehbewegung, verloren
gegangen. Endlich Besserung der subjektiven Beschwerden, der Beweglich-
keit and des Herzfehlers.
Das Fehlen jeder Druckempfindlichkeit, das Ergebnis der Röntgen-
durchleuchtung und unleugbare Besserung sprechen gegen eine tuberkulöse
Erkrankung.
Labejrrie (136) liefert eine umfangreiche Arbeit über die nicht tuber-
kulösen Ostitiden der Wirbelsäule bei Erwachsenen; er macht vor allem
aufmerksam auf die Resultate Fraenkels, der im Mark der Wirbel (Brust-
ünd Lendenwirbel) den Eberthschen Bazillus, Pneumokokken, Strepto-
kokken und Staphylokokken gefunden hat. Die Wirbelsäule verhalte sich
272 ^^ Knochensystem in seinen Beziehungen zu den
infektiösen Keimen gegenüber wie ein langer Knochen, dessen Epiphysen
Hals- und Lendenwirbel und Diaphyse die Brustwirbel darstellen; und da
die Lendenwirbel die voluminösesten sind, sei auch die Infektion fast ge-
wöhnlich daselbst lokalisiert!
Er unterscheidet vier Formen dieser Erkrankungen: 1, Die eigentliche
Osteomyelitis. 2. Eine subakute sehr beschränkte Form mit schließlicher
Abszeßbildung. 3. Eine akute oder subakute Form, eher eine Osteoperi-
ostitis, die mit Resorption endigt. 4. Eine chronische Form, ankylosierende
Osteoarthritis.
Ad 1. Osteomyelitis der Wirbelsäule ist eine seltene Affeküon.
Bisher sind 55 Fälle in der Literatur bekannt. Ätiologie dieselbe, wie bei
Osteomyelitis überhaupt; pathogene Keime gelangen durch die Blutbahn,
ausgehend von einem Panaritium oder Furunkel usw., wobei prädisponierende
Momente auch in Betracht kommen, in die Wirbelsäule. Femer beschreibt
er im weiteren die Erkrankung und deren Komplikationen von Seiten des
Rückenmarkes. Die Symptome sind äußerst schwere. Die Katastrophe er-
folgt plötzlich. Diagnose schwierig. Prognose sehr ungünstig; Behandlang:
Ohirurgischer Eingriff.
Ad 2. Zwei Fälle bekannt. Erster Fall von Professor Eichler
(Münchener Wochenschrift). Den zweiten Fall beobachtete L. selbst und
Äwar einen Abszeß in der Höhe des 7. Hals- und der ersten 2 Brustwirbel,
faustgroß, wenig schmerzhaft. Haut kaum gerötet. Punktion, Entfernung
«ines Sequesters. Jodbehandlung. Heilung schnell und vollkommen.
Eichels Fall ganz analog.
Ad 3. Seit 15 Jahren bekannt; zuerst im Anschluß an Typhus beob-
achtet worden. Quincke berichtet zwei Fälle. Alle möglichen Keime
können vorhanden sein. Diese Spondylitis typhosa betrifft vorzugsweise die
Lendenwirbel. Symptome bestehen charakteristische. Prognose günstig.
Ätiologie unaufgeklärt. Auffallende Vorliebe für Männer (24 Männer, vier
Frauen) Pathogenese (Eberth Bazillus). Behandlung symptomatisch.
Ad 4. Ankylose betrifft Knochen und Bänder. Bald besteht Infil-
tration mit Volumsvergrößerung und Verlust der Elastizität, bald und zwar
sehr oft eine Verkalkung und wahre Verknöcherung. Das Periost beteiligt
sich am Prozeß. Das Knochengewebe kann einerseits erweicht, anderseits
härter als normal sein.
Anschließend bespricht er die pathologisch-anatomischen Veränderungen.
Die Ankylose kann eine partielle oder totale sein. Die partielle ihrerseits
kann eine cervikale, dorsale oder lumbale sein. Totale Ankylose hat zwei
Typen (Bechterew und Pierre Marie). L. ist der Ansicht, daß es sich
in beiden Fällen eigentlich um eine und dieselbe Affektion handelt; vielleicht
ist bei Bechterew dieselbe noch nicht soweit vorgeschritten, wie beim Pierre
Mari eschen Typus. Prognosis nicht besonders schlecht. Diagnosis, be-
sonders in nicht typischen Fällen sehr schwer.
Nicht ohne Erfolg wurde physikalische Behandlung angewendet.
Zum Schlüsse bemerkt er, daß die Affektionen des Rückgrates noch
schlecht bekannt sind. Diese Ostitiden seien viel häufiger, als man glaubt,
und wurden nur zu oft mit mal de Pott verwechselt.
D. Tuberkulose, Syphilis, Tumoren.
Petren (202) wirft die beiden Fragen auf, ob 1. . nicht schon vor
■dem Auftreten der groben, von den Chirurgen angegebenen Symptome
(spontane Frakturen, Difformitäten, Folgen einer Kompression des Rücken*
Krankheiten des Neirenaystemi. 273
iDtfkes) andere Erscheinmigen der Carcinose vorhanden sind, und 2. ob es
Camnose gibt, wo diese gröberen Symptome überhaupt niemals auftreten.
Die Symptome der Carcinose der Wirbelsäule seien zwar schon ein-
gehend studiert worden, nicht aber so die der übrigen Teile des Skelettes.
An Tier Fällen zeigt P., daß Carcinose des Rumpfskelettes nach Ca. mam-
mae bestanden hat, wo die gewöhnlichen auffallenden Symptome fehlten und
Schmerzen von unbestimmter Lokalisation, welche in der Ruhe weniger, bei
Bewegung und Lageveränderung stärker auftraten und die Gehfahigkeit ver-
minderten, die einzigen Symptome waren. Auffallend sei auch die lange
Latenzzeit zwischen Operation eines Brustkrebses und dem Auftreten von
Skelettmetastasen. Diagnostische Bedeutung scheint auch der Eindruck zu
haben, daß die Konturen des Knochens (os üeum) für die Palpation weniger
distinkt hervortreten, als normal.
Bezüglich der zweiten Frage sagt Petren, daß die Skelettcarcinose
bei Prostatakrebs im allgemeinen oder immer nur Knochensymptome (von
Difformitaten und spontanen Frakturen abgesehen), nicht aber Wurzel- oder
fiückenmarkssymptome gibt, während die Skelettcarcinose nach Brustkrebs
znweilen (oder oft?) nur dasselbe gibt.
Wir hätten also Grund, beim Auftreten von schweren und lange be-
stehenden Schmerzen, ohne bestinunte Lokalisation, nach Brust- und bei
Proelatakrebs den Verdacht auf Skelettcarcinose zu lenken, ohne daß es zu
objektiven Veränderungen des Skelettes oder bestimmten Kompressions-
erscheinungen seitens der Wurzeln oder des Rückenmarkes kommt, auch
wenn der Verlauf dieser Symptome sehr wechselnd ist.
E. Skoliose.
Meyerowitz (162) sagt in seiner Arbeit über Skoliose bei Hals-
rippen, daß in 2^/^ aller Skoliosen das Zusammentreffen von Skoliose und
Halsrippen zu beobachten sei. M. betrachtet die Existenz der „Qar raschen
Skoliose'', d. h. einer durch größere einseitige Halsrippen mechanisch be-
dingten Skoliose als feststehend.
Zweitens sei die gleiche Erklärung auch f&r die bei ein- und
doppelseitigen Halsrippen von geringerer Länge beobachtete Skoliose wahr-
scheinlich anzunehmen, während er die Erklärung als „reflektorische Skoliose'*
nach Helbing bei doppelseitigen Halsrippen zurückweist und eine ganze
Beihe von Einwänden macht.
Schmidt (235) bezeichnet in seiner Abhandlung über die Skoliose
die bisherigen Theorien in Bezug auf Rotation und Torsion als unvollständig
und einseitig. Seiner Ansicht nach müsse man nicht vom pathologischen,
»ndem vom physiologischen Standpunkte aus das Wesen der Skoliose zu
Spunden versuchen. Seh. betrachtet die sich abspielenden Vorgänge bei
Entwicklung reiner Skoliose und führt im weiteren aus, wie durch das Aus-
gleichsbestreben der beiden Scheitelwirbel die skoliotischen Umformungen
entstehen müssen.
Therapeutisch erscheint ihm die operative Entfernung des Domfort-
satzes des oberen Scheitelwirbels von praktischer Bedeutung zu sein.
IILErtaraiikimgeB des Dbrlgen Knocbensystemes (und Gesamterkrankungen
des Skelettes).
Deycke-Pascha (55) veröffentlicht eine ziemlich lückenlose Serie der
hei der mutilierenden Lepra nervorum erscheinenden Knochenveränderungen
JabieMMxiclit f. Neurologie und Piyoliiatrie i»06. 18
274 ^^ EDOchensystem in seinen Beziehungen zu den
an Händen und Füßen von ihren ersten Anfangen bis zu den hochgradigsten
Verunstaltungen und bezeichnet dieselben als indirekte oder passive Ver-
änderungen, im Gegensatz zu den als aktive bezeichneten. An 10 beobach-
teten Fällen beschreibt er in aufsteigender Progression diese Knocben-
veränderungen.
Es handelt sich in diesen Fallen um rein resorptive Vorgänge, jede
produlctive Bildung fehlt vollständig. Lepröse Spontanfrakturen zeigen nicht
die geringste Spur einer Kallusbildung. Leichte periostale Auflagerungen,
scheinbare Ausnahmen, sind durcb sekundäre Infektion hervorgerufen.
D.-P. sieht in diesem Prozeß ein auf Kalkresorption hinzielendes
Prinzip; diese Resorption wird geschaflfen durch Funktionsparesen oder
-Paralysen der entsprechenden, im physiologischen Sinne trophischen Neu-
ronen. Er vermutet, daß es am nächsten liege, sich den Prozeß als eine
durcb Säure oder saure Salze bedingte Entkalkung vorzustellen, wobei ent-
weder die Bildung oder mangelhafte Entfernung, resp. Neutralisierung des
sauren Prinzipes durch die gestörte Innervation ausgelöst würde.
Lanz (138) bekam bei seinen Untersuchungen über die Progenitur
Thyreopriver, die er an Kaninchen, Katzen und Hunden und hauptsächlich
an Ziegen anstellte, folgende Ergebnisse:
1. Junge, unter 7« jährige thyreodektomierte Zicklein gehen gewöhnlich
schon innerhalb des ersten Lebensjahres an subakuter Kachexie zu Grunde.
2. 1 — i jährige Ziegen reagieren auf den Schilddrüsenausfall weniger akut
3. Bei alten 5- und mehrjährigen Tieren sind die Ausfallserscheinungen
weniger deutlich.
Bezüglich der Fortpflanzungsfähigkeit und Progenitur thyreodektomierter
Ziegen: 1. Thyreodektomiert man junge, einige Wochen alte Böcklein, so
sind sie, wenn sie überhaupt das fortpflanzungsfähige Alter erreichen, ab-
solut impotent; auch weibliche Tiere büßen ihre Fortpflanzungsiähigkeit ein.
2. Bei im fortpflanzungsfahigen Alter thyreodekt. Ziegen, männliche wie
weibliche, bleibt dieselbe öfters im beschränkten Maße erhalten.
3. Thyreodektomierte Muttertiere haben £ast ausschließlich männliche
Junge geworfen; Geburtsakt immer mühselig. Bei Kachexie der Mutter
zeigten die Jungen Merkmale Ton Elretinen. Milchsekretion geht rasch anf
die Hälfte oder das Drittel zurück und zessiert nach einigen Wochen oder
Monaten.
Die Frage nach der Progenitur totalexstirpierter Menschen ist nicht
direkt zu beantworten, weil seit 1883 (Kocher) die Totalextirpation der
Schilddrüse nicht mehr ausgeführt wird. B. beobachtete ein männliches und
weibliches Individuum, an welchen vor 1883 die totale Thyreodektomie gemacht
worden war. 1. Der Mann ist nach 10 Jahren der Typus eines Kretins;
nach ^/^ jähriger Schilddrüsenkur verschwinden aUmählich die pathologischen
Erscheinungen ; Geschlechtstrieb erwacht wieder. 2. Bei einer totalextirpierten
Frau stellen sich nach mehrmonatlicher Schilddrüsenkur die Menses ein.
Die Schamhaare beginnen zu wachsen.
Aus dem Umstände, daß Kinder, deren Mütter hypothyreotisch, — L e.
einerseits durch kolloide Entartung, andererseits durch Strumitis kretinoides
Aussehen erhalten, — lädiert sind, ferner, daß die Natur durch Reduktion, resp.
Aufhebung der Fortpflanzungsfähigkeit die Thyreopriven vor Nachkommen-
schaft bewahrt, kann man gewisse Rückschlüsse auf die Progenitur Thyreo-
priver machen.
Lannois und Tremolidres (141) teilen einen Fall von multiplen
Exostosen von seltener Größe und Zahl mit, die bei einem phthisischen
35 jährigen Mann seit frühester Jugend sich entwickelt hatten.
Krankheiten des Nerjrensystems. 275
Aach Simonilli (246) hat eine Reihe von Fällen mit epiphysären
Exostosen beobachtet zum Teil bei verschiedenen Mitgliedern derselben
Familie.
Matignon (155) teilt einen Fall von einer Thorazdeformation nach
einer akuten Pleuritis bei einem 23 jährigen Soldaten mit, die^ nachdem der
PaL im Erholung in die Heimat geschickt worden war und ein Rezidiv
bekam, lon ihm bemerkt wurde, als er nach 14 Tagen das erste Mal das
Bett TerlieB. Der Fat bot folgende Besonderheiten: Rechts konkave Skoliose
Dod zuerst Schmerzen auf der ganzen rechten Seite, die bei Bewegungen
und Hasten beträchtlicher wurden; femer das frühzeitige Auftreten (2 Monate
nach der 1. Pleuritis) der fehlerhaften Haltung.
IL weist die Annahme einer chronischen Pleuritis, die durch eine
Skoliose charakterisiert ist, zurück und konnte feststellen, daß die Defor-
mation nur eine scheinbare ist, was sowohl die gleichen Maße der beiden
Brosthälften, als auch das Fehlen der geringsten Einziehung der Inter-
eostahäume ergeben. Es besteht nur eine Wirbelsäulenbiegung mit deut-
licher Senkung der rechten Schulter, welcher Zustand nur als „reaction de
defeDce** zur Verminderung der Schmerzen entstanden sei. Eine entsprechende
Gymnastik hätte nach Matignons Ansicht den Fehler beheben lassen. Erst
allmählich sei die Verdickung der Pleura die Ursache dieser Haltung ge-
worden, sodaß auf eine dynamische Ursache eine körperliche Schädigung
folgte. Bezeichnend ist auch die ähnliche Erscheinung beim Großvater
mütterUcherseitSy der ebenfalls nach einer Pleuritis eine Skoliose bekam.
Mocqnot und Montier (170) beschreiben Veränderungen des Skelettes,
Teiche in ihrem Verhalten an die Pagetsche Krankheit erinnern, und nennen
daher dieses Syndrom „Pseudo-Paget^. Die klinischen Symptome eines
typischen Falles sind Deformationen, welche vornehmlich den Bumpf und die
onteren Extremitäten betreffen. Thorax und Abdomen zeigen charakteristische
Formen, ebenso die Wirbelsäule. Gebückte Haltung. Die unteren Extre-
mitäten zeigen bei geschlossenen Fersen einen beträchtlichen Abstand der
beiden f emurcondylen ; auch der Kopf bietet Veränderungen; es gibt auch
Variationen; meist von Abmagerung begleitet; Altersschwäche konstant.
M. u. M. stellten Messungen an, welche sie mit den, von den Pat an-
gegebenen Maßen zur Zeit ihres Militärdienstes vergleichen konnten. Vor
allem zeigten £ückgrat, Thorax, Femur und das Becken Deformationen,
während tibia, clavicula, Schulterblatt und Humerus keine Veränderungen boten.
Differentialdiagnostisch ist hervorzuheben, daß „ Paget ^ auftritt im
weniger vorgerückten Alter und mit Schmerzen einsetzt, während Pseudo-
Paget erst gegen das 60. Lebensjahr die ersten Erscheinungen ohne voraus-
gehende Schmerzen zeigt. Die Haltung ist beiden gemeinsam. Bei Pseudo-
Paget hat der Thorax eine mediane Einsenkung, chondrokostalen Bosenkranz
imd gesenkten Bippenbogen. Wenn der Aspectus keine sichere Diagnose
gewahrt, so kann es die Palpation, da bei Pseudo- Paget die Knochen-
Terdickungen fehlen. Auch mit anderen Erkrankungen, vor allem mit
solchen des Bückgrats sind Verwechslungen möglich. Pseudo-Paget ist die
Gesamtheit von Deformationen, hervorgerufen durch senile Veränderung
d^ Skelettes, wobei der Beruf eine prädisponierende Bolle spielen kann.
Die einzige wahre Ursache ist die senile £[nochenatrophie. Der Knochen
wird gebrechlich. Mikroskopisch zeigen sich die Ha vers sehen Kanälchen
erweitert, die Substantia compacta vermindert. Die chemische Analyse er-
gibt eine Vermehrung des Fettes und Verminderung der anorganischen
SiLhsttmz.
18*
276 -^^ Knochensystem^in seinen Beziehungen zu den
Einzelne Veränderungen seien zum größten Teil schon genau beschrieben
worden, aber die Gesamtheit der Veränderungen hat die Aufmerksamkeit
der Autoren nicht auf sich gelenkt.
Oettinger und Agasse-Lafont (187) besprechen die Fagetsche
Krankheit bei zwei Brüdern und deren Vater; alle waren Wäscher. Die
Symptome sind im vorgerückten Alter aufgetreten. Die Skelettveränderungen
zeigten sich an der Krümmung der Beine, welcher Schmerzen vorangegangen
waren, Zunahme des Kopfumfanges und der Glavicula«
Die Beobachtung derselben Krankheit an Verwandten sei noch kein
Anhaltspunkt für die Annahme einer hereditären ^affection familiale^; auch
Syphilis sei auszuschließen, gegen die mehrere Umstände sprechen.
Die wahre Ursache sei chronische Intoxikation durch Mineralsäuren.
Darüber zusammengestellte Statistiken bekräftigen diese Annahme.
Oettinger und Agasse-Lafont nennen diese Krankheit „Rachitis
des Alters''; wie die Eachitis der Kinder eine Autointoxikation (Milch-
säure) ist, so sei die Fagetsche Krankheit eine Berufsintoxikation durch
Mineralsäuren, welche indirekt wirken, indem sie eine große Menge von
Milchsäure in Freiheit setzen können, die den Knochen zerstört.
Rosenhaupt (226) teilt einen Fall von doppelseitiger Halsrippe mit;
zufälliger Befund. Daraus gehe hervor, daß die Halsrippe sicher viel
häufiger vorkommt, als sie beobachtet wird. Bezüglich der Ätiologie be-
zeichnet R. die Abstammung von kranken und belasteten Eltern als min-
destens prädisponierendes Moment. Aus allem gehe hervor, daß die Hals-
rippe, auch wenn sie zunächst symptomlos ist, immer weiterer ärztlicher
Beobachtung bedar£
Femlich detaillierte Untersuchungen Znccarelli's (291) über Vor-
kommen und Form des Trochanter tertius auf Grund einer großen Samm-
lung alter und moderner Oberschenkelknochen. Die Entwicklung dieser
Knochenabnormität soll bei Degenerierten („Briganten'*) besonders häufig
auftreten. (Merzbacher.)
Anbang.
Schädel und Sinnesorgane.
Alexander und Tandler (4) stellten Untersuchungen an kongenital
tauben Hunden, Katzen und an Jungen kongenital tauber Katzen an. Die-
selben ergaben: Die Hunde I und II zeigen im wesentlichen übereinstimmende
Defekte der knöchernen Skalensepten, femer finden sich übereinstimmende
degenerative Veränderungen der Papilla basilaris Cochleae und umschriebene
Verödung des häutigen Schneckenkanals. Schneckennerv und Ganglion
Spirale nur wenig verkleinert. Die defekte Entwicklung der Schnecken-
kapsel repräsentiert sich als Hemmungsbildung.
Bei Hund III ist die Pars inf labyrinthi degeneriert, wie sie bei
tauben Menschen von mehreren Autoren beschrieben wurde. Die Ver-
änderungen sind lediglich geringeren Grades. Besonders der regionäre
Blutgefäßmangel wird hervorgehoben.
Die Resultate an den drei Hunden zeigen, daß die kongenitale Taub-
heit der Hunde pathologisch-anatomisch nicht ein und derselben Taubheits-
form entspricht.
Bei Katzen: Aus der Untersuchung aller dieser Tiere ergibt sich, daß
die anatomischen Veränderungen bei kongenitaler Taubheit der Katzen nur
geringe individuelle Verschiedenheiten zeigen.
Krankheiten des Neryensystems. 277
Die kongenitale Taubheit unyoUkominen albinotischer Katzen entspricht
einem einheitlichen pathologisch-anatomischen Typus.
Die erste Veränderung bei kongenitaler Taubheit der Katze wurde
dnrch ungenügende Blutversorgung herbeigeführt, welche Meinung auch
schon Siebenmann für den Menschen vermutungsweise ausspricht.
Die untersuchten £[atzenjungen bieten wichtige Aufschlüsse: Hier
zeigte sich Hypoplasie des Schnecken- und Sacculamerven und des Schnecken-
gangliotts, sowie mangelhafte Entwicklung der Stria vascularis.
Denmach seien die degenerativen Veränderungen an der Macula
sftccnli und der ganzen Papilla basilaris und die Veränderungen der endo-
lymphatischen Pars inferior als sekundäre Veränderungen zu betrachten.
Antonin (7) hatte Gelegenheit, eine cystische Schädelgeschwulst zu
beobachten. Derartige Fälle sind sehr selten; bis jetzt sind 7 Fälle in der
Literatur bekannt; dazu kommt dieser 8. Fall.
Es handelt sich um einen Soldaten, der plötzlich während der Nacht
g^torben war. Die Autopsie ergab einen cystischen Tumor, ausgehend yom
rechten Parietale, zwischen diesem und der Dura gelegen. Derselbe hatte
die Größe eines Granseies, klaren, gelblichen flüssigen Inhalt; an der Innen-
seite waren kleine Bläschen, an der Außenseite eine größere Blase gelagert;
es war dies eine typische unilokuläre Cyste. Unter dem Mikroskop zeigte
der Inhalt Echinokokken und Köpfchen mit Hackenkranz versehen.
Die pathologischen Veränderungen des rechten Parietale an der In-
sertionsstelle des cystischen Tumors bestanden in einer deutlichen Leiste
TOQ zirkulärer Form; an deren Innenseite waren kleine Knochen vorsprünge,
wie kleine Stalaktiten zu sehen, zwischen welchen das Parietale sehr dünn
und auf die äußere Tafel reduziert war.
Das Gehirn zeigte normale Konsistenz und Farbe. Die rechte Hemi-
sphäre hatte eine dem cystischen Tumor. entsprechende Aushöhlung, durch
Dnick hervorgerufen, in der Gegend der Fissura Kolando. Die Gyri sind
Terbreitert. Die Hirnhäute hyperämisch. Das Gehirn war also einem
mechanischen Druck ausgesetzt. Ätiologie ist außer Zweifel.
Symptomatologie und Diagnostik: Die Entwicklung derartiger Cysten
ist eine langsame; es besteht eine prolongierte latente Periode, bis zum Auf-
treten von Schwellung des Knochens und der zerebralen Erscheinungen.
Dieser Soldat hatte Epilepsie von Kindheit auf und starb auch in
einem epileptiformen Anfall.
In derartigen Fällen, wie dieser, sei eine Diagnose unmöglich.
Beyer (22) untersuchte die Schläfenbeine zweier albinotischer Katzen
und ein^ albinotischen Dalmatinerhundes. Die Hörprüfung ergab, daß die
Tiere, wenn überhaupt, so nur ein minimales Hörvermögen besaßen. Die
Tiere wurden mittels Chloroform getötet, die Gehörorgane auspräpariert,
fixiert und konserviert.
Bei der äußeren Betrachtung der Präparate konnten keine besonderen
Abweichungen gefunden werden. Der rechte äußere Qehörgang der ersten
Katze war durch einen Oeruminalpfropf völlig ausgefüllt. Beim Präparat 11
bestand hochgradige Gefaßentwicklung innerhalb der Schneckenspindel, und
zwar ganz besonders in der Zwischenknocbensubstanz.
In den Windungen der Skala vest. und tymp. bei Katze I starke Ge-
rinnsel mit wenig Zelleinschlüssen (noch reichlicher beim Hund fast innerhalb
der ganzen Schnecke und dem Yorhof).
Die Membran des runden Fensters war nach dem Insertionsrande
verdickt, gefaltet und eingesunken.
278 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
Im oberen vertikalen Bogengang der linken Seite eine kleine Exostose
vorhanden.
Die membranösen Teile zeigten nur teilweise das gleiche Verhalten,
wie bei Alexander.
Bogengänge und ütrikulus haben ihr normales Lumen beibehalten.
Oupula ternünalis beim Hunde besonders lang.
An den Querschnitten des häutigen unteren Bogenganges der I. Katze
größere und kleinere^ halbkreisförmige, papillenartige Vorwölbungen, die
sich nicht als die von Lucae an den häutigen Bogengängen erwachsener
Menschen beobachteten Gebilde (corpuscula amylacea) erwiesen, sondern
in der Hauptsache aus einem Konglomerat polygonaler Epithelzellen be-
stehen.
Pars superior normal, Pars inf. verändert sowohl in ihrer Form,
wie an ihren Nervenendstellen. Auch hier Übereinstimmung mit den
Alexanderschen Angaben.
Sinus utricularis sacculi und Ductus reuniens nur als dünne feine
Spalträume vorhanden.
Duct. cochlearis mit seinem Epithelgebilde (Cor tische Org.) zeigt die
schwersten Veränderungen:
Am Lig. Spirale fehlte die Stria vascularis durchaus; von der Papilla
spiralis nur mehr ein Trümmerhaufen von Zellen übriggeblieben. In der
BasalwinduDg ist die Veränderung am weitesten vorgeschritten.
Beim Hunde fehlt jede Spur von Corti-, Hensen-, Haar- und
Deiter'zellen.
Ganglion spirale ist hochgradig verändert, die Ganglienzellen bedeutend
reduziert.
Es handelt sich hier um einen ausgedehnten Degenerationsprozeß, den
B., wie Alexander und Oppikofer, für eine intraembryonale primäre
mangelhafte Anlage des Ganglion spirale und der daraus resultierenden
Destruktion des Cortischen Organes hält.
Allgemeine Ätiologie^ Spiptomatologie nnd Diagnostik der
KranlLheiten des Nervensystems.
Referenten: Privatdozent Dr. L. Mann -Breslau.
Dr. Franz Kramer-Breslau. Dr. Erich Brück -Breslau.
Dr. Walter Baumann-Breslau.
1. Abrams, Albert, Vago visceral Reflexes with Special Reference to the Vagostomach
Reflex. Amer. Aledicine. Sept. 30.
2. Derselbe, The Aortic Reflexes. Medical Record. Vol. 68, No. 12, p. 459.
3. Ale voll, Eriberto, Sülle interne rispondence etiologiche e patogeniche fra Liipomi
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I. Allgemeines, LehrbOclierp Itlologlsches nsw.
• Von Toby Cohn (106) ist der erste Teil eines groß angelegten Buches
erschienen, betitelt „Die palpablen Gebiete des normalen menschlichen
Körpers und deren methodische Palpation". Cohn geht von dem Gesichts-
punkte aus, daß zwar in allen Gebieten der Medizin die Palpation als dia-
gnostische Methode verwendet wird, daß aber sehr häufig dem üntersucher
genügende systematische Kenntnisse darüber fehlen, wie sich der Palpations-
befund am normalen menschlichen Körper verhält. Der Verf. will also eine
systematische Bearbeitung der Frage geben : „Was kann man alles am normalen
menschlichen Körper palpieren?" Zu diesen Studien ist der Verf. hingedrängt
worden durch seine jahrelange eingehende Beschäftigung mit der Massage,
bei welcher fortwährend eine „gleichsam unabsichtliche Palpation^ stattfindet.
Er hat die dabei gewonnenen Erfahrungen durch eingehende Beschäftigung
mit der topographischen und plastischen Anatomie und durch zahlreiche
eigene Leichenuntersuchungen in dem Berliner anatomischen Institut ergänzt.
Auf Grund seiner außerordentlich eingehenden mühevollen Studien ist
es dem Verf. gelungen, die gestellte Aufgabe in vollkommener Weise zu
lösen und ein Werk zu schaffen, welches als ein dauernder Gewinn für die
Diagnostik bezeichnet werden muß.
In dem vorliegenden Bande von 216 Seiten wird nur die Palpation
der oberen Extremität behandelt. An der Hand der in der topographischen
Anatomie üblichen Einteilung nach Regionen wird jedes Gebiet auf das
genaueste, mit Unterstützung durch 21 Abbildungen zur Darstellung gebracht
Auf den Inhalt kann natürlich nicht eingegangen werden. Wer das Buch
gründlich unter gleichzeitiger Benutzung von lebenden Modellen durchstudiert,
der wird sicherlich eine erhebliche Erweiterung seiner anatomischen Kennt-
nisse und diagnostischen Fähigkeiten erfahren. (Mann.)
Frankl- Hochwart (171) gibt eine zusammenfassende Darstellung
der Lehre von der Athethose. Bezüglich der Theorie dieser Krankheit und
der anatomischen Lokalisation kommt er zu dem Schlüsse, daß eine einheit-
liche Auffassung des Krankheitsbildes noch nicht möglich ist. (Mann,)
Edinger (142) gibt seine bereits vor 10 Jahren ausgesprochene
Theorie der Aufbrauchskrankheiten des Nervensystems in ausführlicher und
weiterentwickelter Darstellung. Die Theorie sagt, daß es Nervenkrankheiten
gibt, welche dadurch entstehen, daß für den Verbrauch, der durch die
Funktion geschieht, kein genügender Ersatz stattfindet. Durch Zuhilfenahme
dieses ätiologischen Faktors läßt sich eine Reihe von sonst unerklärbaren
Erscheinungen deuten, so insbesondere die Tatsache, daß dieselbe Noxe
qualitativ und quantitativ so sehr verschiedene Bilder erzeugen kann, sowie
daß bei verschiedenen Ursachen das gleiche Krankheitsbild entsteht. Das
fehlende Bindeglied zwischen Noxe und Krankheitsbild ist hier die gleiche
oder verschiedenartige Funktion, welche den Ort des stärksten Aufbrauches
und damit auch die Lokalisation des Krankheitsbildes bestimmt. Wenn auch
den Giften eine gewisse elektive Wirkung zugesprochen werden muß, so kann
Diagnostik der Krankheiten des Nervensystems. 297
doch die Gifttheorie alle diese Tatsachen nicht ausreichend erklären. Die
Aufbranchskrankheiten entstehen einmal, wenn an die normalen nervösen
Apparate übermäßige Anforderungen gestellt werden (z. B, Arbeitsneuritiden);
ferner wenn infolge irgend einer Giftwirkung bei normaler Funktion kein
genügender Ersatz stattfindet (toxische Polyneuritis, Tabes, Paralyse usw.);
drittens wenn einzelne Bahnen von vornherein nicht stark genug augelegt
sind, nm auf die Dauer die normale Funktion zu ertragen (hereditäre
Nervenkrankheiten, spinale Muskelatrophie usw.). Auf Grund dieser An-
schauungen werden dann die in Betracht kommenden Krankheiten vor allem
Neuhtis, Tabes, Paralyse und hereditäre Nervenkrankheiten einer eingehenden
Besprechung unterzogen. Es wird gezeigt, wie sich viele Besonderheiten
der Krankheitsbilder, dann auch vor allem einzelne .atypische Fälle durch
Aofeigewöhnlichkeiten der Funktion durch spezielle Überanstrengungen er-
klären. So wird, um nur ein Beispiel anzufiüiren, die Tatsache besprochen,
daß die Armlähmung bei Bleivergiftung bei Lackierern meist das Badialis-
gebiet, bei Schriftsetzern das Ulnari^gebiet betrifft. Dies wird dadurch
eridärt* daß die Lackierer bei ihrer Arbeit hauptsächlich die Handstrecker,
die Schriftsetzer die kleinen Handmuskeln gebrauchen. In ähnlicher Weise
werden auch die so sehr wechselnden Lokalisationen des tabischen Prozesses,
das Vorkommen der Optikusatrophie usw. erklärt. Verf. meint zum Schluß,
daß diese Betrachtungsweise für die Therapie sehr richtig sei und ihm auch
bereits z. B. bei Behandlung der Tabes, große Dienste geleistet habe.
(Kramer,)
Masing (338) gibt eine kurze Darstellung der von Edinger begründeten
Theorie der Aufbrauchskrankheiten des Nervensystems und hält sie für eine
große Bereicherung und Klärung der Ätiologie vieler Nervenkrankheiten.
Anch für die Prophylaxe sei die Edingersche Theorie von großer Bedeutung.
(BernMx.)
Schwab (480) gibt ein ausführliches Sammelreferat über all das, was
künisch, pathologisch-anatomisch und schriftstellerisch (Lehrbücher, Mono-
graphien usw.) im vergangenen Jahre auf dem Gebiete der Neurologie ge-
leistet worden ist. Insbesondere unterzieht er einer Besprechung die neuesten
Arbeiten über Tabes dorsalis und ihr Verhältnis zur Syphilis, ferner Arbeiten
über Epilepsie, Myasthenie, Hirntumoren, den Ganserschen Symptomen-
komplex, die Dementia praecox Kraepelins usw. Von experimentellen Arbeiten
werden vornehmlich die neueren Ansichten über die Neurofibrillen und deren
Pärbemethoden, femer die Ergebnisse der Lumbalpunktion und der Cyto-
diagDose besprochen. (Banmann,)
Das mir rorliegende Referat über die maladies nerveuses par Comby,
Babinski» Dupre, Mery et Armand-DeliUe usw. (111) enthält nur
eise Aufzählung des Ldhalts des Buches zugleich mit den Namen der
Autoren der einzelnen Abschnitte. Ich erwähne nur, daß außer namhaften
französischen Autoren sich auch deutsche, z. B. Soltmann, Schlossmann
nsw., an dem Gelingen des Werkes beteiligt haben. (Banmann,)
HeyeT (350) kommt in seinem Vortrag zu dem Schluß, daß die
Nervenkrankheiten der Schulkinder zum großen Teil auf dem Boden einer
ererbten nervösen Disposition entstünden. Die nervösen Affektionen werden
aosgelöst bei derartig veranlagten Kindern durch die geistigen Anstrengungen
nod die seelischen Erregungen, sowie durch die körperlichen Unzuträglichkeiten,
welche das Schulleben mit sich bringt. Verf. will die Schulpflicht auf das
7. Lebensjahr heraufgesetzt wissen. Von sämtlichen untersuchten Schul-
kindern wurden 1% Epilepsie und 1% allgemeine Nervosität festgestellt.
(Baumann,)
298 Allgerndne Ätiologie, Symptomatologie und
Krohne (302) hat 540 Kinder, die Dorfschulen besnchten, auf ihren
körperlichen und geistigen Zustand untersucht und teilt seine Beobachtungen
statistisch geordnet mit. Sein besonderes Augenmerk hat er bei seinen
Untersuchungen dem Vorkommen von Gesichtsasymmetrien zugewendet. Er
fand, daß nicht nur die sehr unbegabten und ausgesprochen schwachsinnigen
Kinder in hohen Prozentsätzen diese Anomalien aufwiesen, sondern daß sich
ganz besonders auch bei Kindern mit ungleichmäßiger Begabung ein ähnliches
Verhalten konstatieren ließ; daß also auch Kinder, die außer einem Durch-
schnittsmaß von Verstandeskräften für bestimmte Gebiete einen kleinen Vor-
rat recht guter geistiger Kräfte besaßen, in relativ höherer Zahl Gesichts-
asymmetrien darboten, als Kinder mit gleichmäßiger mittlerer Veranlagung.
(Bruek.)
Zappert (669) bespricht die Störungen des kindlichen Schlafes, von
denen viele nie Gegenstand einer ärztlichen Konsultation bilden. Zu dieser
letzteren Gruppe gehören namentlich rasche, zusammenzuckende Bewegungen,
ferner rollende Augenbewegungen unter den geschlossenen Lidern, Zähne-
knirschen usw. Andere Störungen sind mehr koordinierter Art, die unter
das Kapitel der Stereotypien eingereiht werden können. Die häufigste davon
ist das Ludein (Fingerlutschen oder nur Saugbewegungen), ferner die Kopf-
wackelbewegungeu. Von Traumbewegungen ängstlicher Art gibt es zwei
Formen : das nächtliche Aufschreien und der Pavor noctumus. Der psychische
Mechanismus des Pavoranfalles erinnert lebhaft an die Art, wie nach Breuer
und Freud hysterische Anfälle zustande kommen, womit nicht gesagt sein
soll, daß der Pavoranfall ein Ausdruck kindlicher Hysterie sei. Ein dem
Pavor ähnlicher Zustand ist der Somnambulismus. Beide sind meist selb-
ständige Neurosen, oft genug jedoch auch Symptome einer Hysterie. Eine
weitere Schlafstörung bilden die Schluckkrämpfe der Säuglinge und die
Enuresis nocturna. Letztere teilt man am besten ein in angeborene und
erworbene Fälle des Leidens. Pfister hält die Enuresis für ein neuro-
pathisches Stigma hereditatis. Die Incontinentia alvi ist selten. Häufig
dagegen ist die Schlaflosigkeit der Kinder; letztere hat ilire Ursache bei
Säuglingen in Bauchkolik, Hunger, Hautausschlägen, Ohrenschmerzen usw.,
bei älteren Kindern in Juckausschlägen, Verstopfung der Nase, ungenügende
Ventilation des Schlafzimmers usw. In der überwiegenden Mehrzahl der
Fälle spielen psychische bezw. erziehliche Momente eine große Rolle. Zum
Schluß bespricht Verf. noch eingehend die Therapie dieser vielseitigen
Störungen. (Bauffiaruu)
Asohby (14) spricht in seinem Vortrag über die Neurosen des frühen
Kindesalters zunächst über die Schwierigkeit der Abgrenzung des Begriffs
,,Neurose". Zu den charakteristischen Anzeichen rechnet er: 1. Mangel an
Koordination sowohl der reflektorischen als der gewollten Muskelbewegungen,
2. Hyperästhesie der motorischen und seusorischen Zentren, 3. Mangel einer
Hemmungskontrolle über gewollte und Beflexbewegungen, 4. übergroße Ge-
wissenhaftigkeit und Widerspruchsgeist, 5. gewisse krankhafte Angewohnheiten,
6. Neigung zu petit mal und hysterischen Anfällen. — Ein kongenitaler
Stridor besteht offenbar in einem Mangel von Hemmung oder aktivem An-
trieb der in- bezw. exspiratorischen Muskeln. Die Schwierigkeit zu schlucken
ist in manchen Fällen bedingt durch eine Nasen Verstopfung, in den meisten
sicher durch einen Mangel an Bewegungskoordination hervorgerufen. Ebenso
steht OS mit dem nervösen Erbrechen, dem Bettnässen, dem Kopfschütteln
und -nicken. Letztere Bewegungen werden meistens bei Kindern mit ge-
ringer Lebensfähigkeit oder mit Rhachitis gesehen, nie aber bei sehr starker
Rhachitis. Eine andere Gruppe von Neurosen schließt Erscheinungen ^ie
Diagnostik der Krankkeiteo des Nervensystems. 299
Astlima, Rückf&llfieber, Rückfallerbrechen und yielleicht auch Diabetes ein.
Alle diese Erscheinungen kommen meist in nervösen Familien vor. Die
aaslösende Ursache ist oft eine ganz verschiedene.
Darauf geht Verf. näher ein auf das allgemein nervöse Kind und
schildert dessen Eigenarten und Symptome, ohne wesentlich Neues zu bringen.
Bei manchen Kindern finden wir nicht nur eine Übersensitivität, sondern
auch einen Widerspruchsgeist, welcher die Erziehung sehr erschwert. Bei
andern Kindern wieder ist mehr ein Kontrollmangel über die eigenen Wünsche
und das Gewissen zu finden, und bei einer dritten Art zeigt sich eine aus-
gesprochene Hemmung betreffs des Handelns und der Wünsche. Die
Prognose ist bei Annahme einer sorgsamen Erziehung gut. Erscheinungen,
welche auf das eventl. Vorhandensein einer Neurose aufmerksam machen,
sind die Masturbatien, das Essen von Schmutz und die Angewohnheit
mancher Kinder, ihre Nägel in die Hände oder das Gesicht ihrer Erzieher
za bohren. Bezüglich der Masturbation ist besonders auch auf das Ludein
zu achten. Femer muß man die Aufmerksamkeit auf die Unterschiede
zwischen kindlichen Konvulsionen, Hysterie und Epilepsie richten. Die
kleinen plötzlichen Bewußtseinstrübungen beim Spieleu gehören nicht zur
Epilepsie und können durch energische Ermahnungen eventl. bintangebalten
werdeü. Die Prognose ist besser als bei typischer Epilepsie. Bezüglich der
Therapie meint Verf., daß eine sorgfältige und vernünftige Erziehung unter
ärztlicher Kontrolle die besten Resultate zu zeitigen vermag. „Much depends
npon heredity and much on parents." (Baumann.)
Cheinisse (99) veröffentlicht eine Anzahl von Fällen sowohl aus der
Literatur als auch selbst beobachtete, welche beweisen sollen, daß ein
psychischer Choc fähig sei, eine anatomische Läsion der Nervenzentren zu
setzen, in derselben Weise, wie er eine Epilepsie, eine Hysterie oder eine
andere Neurose auszulösen vermag. Von praktischer Wichtigkeit sei die
Kenntnis dieser Tatsache deswegen, weil die Störungen möglicherweise für
funktionelle gehalten werden können und die Prognose aus diesem Grunde
günstig gesteUt werde. Ein wichtiger Faktor dabei sei nach Leyden die
Prädisposition. Die gleichen psychischen Ursachen vermöchten bei dem
einen Individuum keine Spur zu hinterlassen, während sie bei anderen zu
organischen Läsionen, namentlich zerebraler Blutung oder Myelitis, führten.
Ein wichtiges prädisponierendes Moment seien die Pubertätszeit, besonders
bei Mädchen, und Kreislaufsstörungen, welche eine Brüchigkeit der Gefäße
bedingen. (Banmann.)
Wiohmann (561) behandelt in einem 80 Seiten starken Bändcheii
die Frage der geistigen Leistungsiähigkeit und Nervosität bei Lehrern und
Lehrerinnen. Er will untersuchen, ob die geistige Leistungsfähigkeit der
Frauen in demjenigen wissenschaftlichen Berufe, in dem sie am längsten
tätig sind, in der Tat derjenigen der Männer gleichkommt, wie es von den
Frauenrechtlerinnen behauptet wird, und ob beide Geschlechter sich bezüglich
ihrer Neigung, an Neurasthenie zu erkranken, verschieden verhalten. Zu
diesem Zwecke hat Verf. einen Fragebogen verschickt, der ihm von 344
Lehrern und 780 Lehrerinnen beantwordet worden ist. Bezüglich der vielen
interessanten Einzelresultate muß auf das Original verwiesen werden. Im
allgemeinen hat sich das Resultat ergeben, daß die geistige Leistungsfähig-
keit der Lehrerinnen hinter derjenigen der Lehrer merklich zurückbleibt,
obgleich die Belastung der Lehrerinnen, was Anzahl der zu unterrichtenden
Kinder, Privatunterricht, Sorge für Angehörige usw. angelangt, eine geringere
ist, als die der Lehrer. Die Lehrerinnen haben bei Beantwortung der Frage,
wie viele Stunden Arbeit sie leisten könnten, ohne zu ermüden, durchweg
300 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
ihre Leistungsfähigkeit selbst geringer eingeschätzt als die Lehrer. Bezüg-
lich der Nervosität sind die erhaltenen Zahlen schlecht vergleichbar, weil
die Lehrer, von denen Antworten erhalten wurden, in viel höheren Prozent-
zahlen erblich nervös belastet waren, als die Lehrerinnen. Damm war auch
ein größerer Prozentsatz von ihnen nervös erkrankt als von diesen. Trotz
dieses Unterschiedes wurde aber von den Lehrerinnen der Unterricht häufiger
ausgesetzt als von den Lehrern. Bei der Unterscheidung zwischen wissen-
schaftliohen und technischen Lehrerinnen ergab sich ein Unterschied za
gunsten der letzteren. {Kramer,)
Die japanische Zeitschrift „Neurolog^a** (3^4) bringt neben ihrem
hauptsächlichen, in japanischer Sprache geschriebenen Inhalt einzelne Auf-
sätze in deutscher Sprache. Das vorliegende Märzheft enthält eine Über-
sicht der japanischen neurologischen Literatur im Jahre 1903 von Dr.
Ishikawa. Man ersieht daraus, daß auch in Japan recht rege auf unserem
Gebiete gearbeitet wird. . (Mann.)
Im ersten Jahresbericht über die Tätigkeit des Henry Phipps-In-
stituts, dessen Bestimmung die Prophylaxe, Erkennung und Behandlung der
Tuberkulose ist, gibt McCarthy (342) eine Statistik und Kasuistik der
neurologisch bemerkenswerten Fälle, die er in diesem Jahr unter dem
Krankenmaterial der Anstalt genau zu untersuchen, zu beobachten und zu
einem großen Teil autoptisch zu kontrollieren Gelegenheit hatte. Er unter-
scheidet zwischen den organischen Läsionen : direktem Übergreifen des tuber-
kulösen Prozesses auf Nervengewebe, sowie Veränderungen des Nerven-
gewebes durch Toxine einerseits und den funktionellen Störungen des Nerven-
systems andrerseits, die entweder durch direkte Toxinwirkung zu erklären
sind oder auf einer Unterernährung des Nervensystems als Folge der all-
gemeinen Vitalitätsverminderung beruhen.
•Nach einigen z. T. recht interessanten Mitteilungen über Leptomenin-
gitis-Fälle, die größtenteils in vivo nicht diagnostizierbar waren, werden
weiter u. a. 7 Fälle von Tuberkulose des Plexus chorioideus, 23 Fälle von
Hydrocephalus internus, 41 von Hydrocephalus externus geschildert, darauf
folgen Berichte über einen Fall von Bechterewscher Wirbelsteifigkeit, über
Affektionen des Rückenmarks und der Spinalmeningen und über tuberkulöse
Neuritis.
Von Interesse sind Mitteilungen über den ,.Ulnarreflex", einen Haut-
reflex, der nach den Beobachtungen des Autors in fast allen Fällen von
vorgeschrittener, oft aber auch bei ganz beginnender Tuberkulose sich findet
und nur selten bei andern Krankheiten (spez. Carcinom), wie bei Gesunden
konstatierbar ist. Carthy löste ihn durch Streichen der Ulnarseite auf der
Vorderfläche der Unterarms mit einer Federspitze aus und beobachtete dann
eine Kontraktion des Abductor pollicis minimi, d. h. in wenig ausgesprochenen
Fällen eine Faltenbildung an der Außenseite des Hypothenar, bei stärkeren
Graden eine Abduktion des kleinen Fingers, mitunter sogar Klonus desselben.
Ein ähnliches Phänomen konnte er, etwas seltener, an der Daumen-
basis konstatieren. Bemerkungen über -Störungen im Gebiet des Sympathi-
kus bei der Tuberkulose beschließen den Bericht. (Brack,)
S[lail88lier (290) spricht in einer kleinen Monographie über Beob-
achtungen und Erfahrungen bezüglich des psychischen Verhaltens des Patienten
vor, während und nach chirurgischen Operationen und gibt allgemeine Ver-
haltungsmaßregeln für den Arzt. Keine neuen Gesichtspunkte. (Brück.)
Hess (236) zeichnet das Bild der Examensnervosität Er unterscheidet
zwischen einer physiologischen Form, der in höherem oder geringerem Grade
außer Imbezillen und Psychopathen auf moralischem Gebiet jeder anheim-
Diagnostik der Krankheiten des Nervensystems. 301
fallt, und einer pathologischen Form, die schwerere psychische Erscheinungen
macht, deren Symptome noch lange nach überstandenem Examen weiter
dauern, und die eine richtige Neurose ist. Der Angstaffekt gibt dem ganzen
Krankheitsbilde die Grundfarbe; Insuffizienzgefiihl, Unfähigkeit zur Konzen*
tration, erhöhte Ablenkbarkeit, Unlust zur Arbeit und rasche Ermüdung bei
dieser sind sekundäre Erscheinungen. Hess teilt ausführlich einen Fall mit,
in dem ein 48jähriger Beamter das vollentwickelte Krankheitsbild vor einem
Examen seines Sohnes darbot. — Besprechung der Therapie, die zunächst
das quälendste Symptom, die so häufige Schlaflosigkeit zu berücksichtigen
hat; hierfür empfiehlt der Autor vor allem Paraldehyd in größeren Dosen
und Alkohol. (Brück.)
Die Arbeit Schreibers (476) enthält keinerlei neue Gesichtspunkte
oder differential-diagnostische Momente. (Baumann.)
0. Allgemelns Zerebralsymptoms (CsrsbrospinalflOssigksit nsw.)
Bing (57) beschreibt einen Fall von Friedreichscher Ataxie, der
außer den gewöhnlichen Symptomen dieser Krankheit ausgeprägte Muskel-
atrophien und Pseudohypertrophien zeigte. Die elektrische Untersuchung
ergab einfache Herabsetzung. Der klinische Befund entsprach also einer
Korabination von Friedreichscher Ataxie mit Muskeldystrophie. Dieser
Fall liefert wieder einen neuen Beitrag zu der Tatsache, daß gerade die
hereditären Krankheiten vielfache Übergänge und Kombinationen aufweisen.
Die anatomische Untersuchung ergab in den Muskeln den gewöhnlichen
Befund der Muskeldystrophie. Das Rückenmark zeigte die für Friedreich -
sehe Ataxie charakteristische Veränderung an den Hinter- und Seitensträngen ;
außerdem fand sich aber eine exzessive Hypoplasie des Kleinhirns nebst
histologischen Veränderungen in der Rinde desselben (speziell Verarmung
an Purkinje-Zellen). Dieser anatomische Befund veranlaßt den Verf , auf
die Beziehungen zwischen Friedreichscher Ataxie und der Heredo-Ataxie
cerebelleose von Marie einzugehen. Er kommt auf Grund der bisherigen
anatomischen Befunde und der klinischen Bilder zu dem Resultate, daß ein
prinzipieller Unterschied zwischen beiden nicht existiert und beide nur
Varietäten eines und desselben Krankheitsbildes sind. (Kramer.)
Besprechung Kron's (303) der für die Zahnheilkunde wichtigen
Neirenstörungen : lokaler und reflektorischer Schmerz, Trigeminusaffektionen,
Beteiligung benachbarter Nerven, Epilepsie, Hysterie, Neurasthenie, gewisse
Psychosen (Hypochondrie), Tabes, Diabetes, Intoxikationen (Blei, Queck-
silber, Syphilis) usw. (Autoreferat)
Nach dem Berichte von Jelliffe (270) wurden in der Vanderbilt-
Klinik im Jahre 1904 2138 Nervenkranke behandelt. Geisteskranke waren
darunter gegen 10 '^/j^. Davon litten 26 an progressiver Paralyse, 6 an
Paranoia, 4 Fälle von manisch-depressivem Irresein, Melancholie in 31 Fällen,
Dementia praecox 12 mal, Idiotie und Imbezillität in ()8 Fällen.
Neurasthenie wurde bei 326 Patienten, Hysterie bei 77 beobachtet.
Femer 173 Epileptiker, 221 Kranke mit Sydenha rascher Chorea, 1 Fall
▼on Paramyoklonus multiplex, 16 Paralysis agitans. Peripherische Nerven-
leiden kamen 323 mal zur Beobachtung, ferner 33 Patienten mit Poliomyelitis
ant. acuta, 9 mal multiple Sklerose, 6 Fälle von amyotrophischer Lateral-
sklerose, 5 mal Syringomyelie und einige Fälle von Tumor, Hämorrhagie und
Pottscher Erkrankung der Spina dorsalis. Organische Hirnkrankheiten
traten in 111 Fällen auf. Von Trophoneurosen wurde Basedow 16 mal,
302 Allgemeiae Ätiologie, Symptomatologie und
Myxödem 1 mal, Meralgia paraesthetica, Erythromelalgie und Raynaud je
einmal diaguostiziert. (Bendix.)
Van Wart (543) beobachtete bei einem Falle von perniziöser Anämie
folgende nervösen Symptome: Erhöhung der Sehnenreflexe, Patellarkloniu
rechts, Babinski beiderseits. TaubheitsgefUhl beider Hände und Füße mit
Herabsetzung des Schmerz- und Temperaturgefühls, Ataxie beider oberen
und unteren Extremitäten. Ferner traten an falls weise Krämpfe in deu
Muskeln der Arme, Beine und des Rumpfes auf. Urinlasseu war erschwert
(Benduc,)
Auerbach (15) konnte bei 10 Radrennfahrern eine erhebliche Ver-
minderung oder ein Erloscheusein der Patellarsehnenreflexe konstatieren und
zwar bei 8 auf beiden Seiten, bei 2 auf einer Seite. Zwei dieser Leute zeigten
vor dem Rennen und einige Tage nachher durchaus normales Verhalten der
Patellarreflexe.
Von subjektiven Störungen wurden stärkere Parästhesien in den Händen,
besonders an der Volarseite der Finger angegeben, femer Krampfgefühl in
den Oberschenkeln; auch wurde Tremor der Hände und deutliche Beein-
trächtigung der Lichtreaktion gefunden. A. stellt fest, daß seine Beobach-
tungen an Radrennfahrern Beweise für die Richtigkeit der Aufbrauch- und
Ersatztheorie E dingers sind und für dessen Lehre über das Wesen und
die Pathogenese der konstitutionellen und erworbenen Neurasthenie und
für die Beziehungen dieses Leidens zu den organischen Gehirn- und Rücken-
markskrankheiten von hervorragender Bedeutung sind. (Bendix.)
Cassirer (86) hat in klarer Weise die diagnostischen Prühsymptome
der Rückenmarksleiden einer kurzen Besprechung unterzogen und die Bedeutung
des Babinski sehen Zehenreflexes, der Erhöhung oder Herabsetzung der
Sehnenreflexe, der Gefühls- respektive Temperaturstörungen und der
lokalisierten neuralgischen Schmerzen für die Erkennung der verschiedenen
Rückeumarksafifektionen erläutert. (Bendix,)
Marburg (332) gibt eine kritische Auseinandersetzung der für die
Diagnostik der Mittelhirnerkrankungen verwertbaren Symptome. Bisher
wurden drei Arten von Syndromen für die topische Diagnostik der Mittel-
hirnerkrankungen verwertet; das Webersche Syndrom, die gleichzeitige
Okulomotoriuslähmung mit kontralateraler Hemiplegie fiir einen Herd im
Pedunkulus, das Syndrome de Benedict, wobei die Okulomotoriuslähmung
mit kontralateraler Athetose, Chorea respektive Tremor bestand bei Herden
in der Hirnschenkelhaube und das Syndrome de Nothnagel, welches sich ans
ein- oder beiderseitiger Okulomotoriuslähmung mit Ataxie cerebellarer Art
zusammensetzte und auf eine Schädigung der eigentlichen Vierhügelganglien
hinwies. Nur gleichzeitiges Einsetzen der Okulomotoriuslähmung mit kontra-
lateraler Hemiplegie oder Hemiathetose gewährt aber die sichere Annahme
des Ergriffenseins jener Partien. Auf Grund seines Beobachtungsniaterial«
hält M. das Nothnagelsche Syndrom, besonders wenn es mit Hör- und
Sehstörungen verbunden ist, für ein Zeichen der Vierhügelaffektion, wenn
auch dieselben Erscheinungen von Affektionen der nächsten Nachbarschaft
bedingt sein können, besonders aus der Gegend des Aquaeduktus. Auch
können analoge Erscheinungen von Tumoren des Wurms ausgelöst werden.
(Beudix.)
Reichardt (433) untersucht die Frage der Entstehung des Hirndruckes
bei Tumoren. Wenn auch oft die Größe der Geschwulst, der Sitz derselben
usw. die Drucksteigerung ausreichend erklären, so gibt es doch nicht selten
Fälle, in welchen alle diese Kriterien nicht ausreichen und dann die Ursache
des Hirndruckes in einer spezifischen Reaktion des Gehirns auf den an
Diagnostik der Krankheiten des Nervensystems. 303
sich oft kleinen Tamor zu suchen ist. Die Größe des Druckes ist dann
oft Tielmehr abhängig yon der Fähigkeit des Gehirns zu dieser Beaktion,
als TOD Natur und Sitz des Tumors. Bei alten Patienten besteht diese
Miigkeit oft nicht mehr, und man findet dann gelegentlich im Gegenteil
Atrophie des Gehirns. Verf. schildert ausführlich Krankheitsverlauf und
Obduktionsbefund bei einer Anzahl yon Patienten mit Tumoren resp. Hirn-
drnck und analysiert bei diesen eingehend die Entstehungsweise des Druckes
im einzelnen. Er Terwendet vor allem die yon Rieger angegebene Methode
der Vergleichnng yon Schädelkapizität mit Hirngewicht; das Verhältnis
zwischen beiden ist beim normalen ein relatiy konstantes, sodaß man hieraus
erkeDoen kann, ob im einzelnen Fall das Gehirn fiir den betreffenden
Schädelraam zu groß gewesen ist. Wenn sich auch auf diese Weise das
Gehirn als zu groß erweist, so ist damit noch nicht erwiesen, daß intra yitam
gesteigerter Hirndruck bestanden hat, da die Himschweliung auch sub
inem entstanden sein kann. Entscheidend sind dann die änderen Zeichen
dfö Himdruckes (Stauungspapille, Veränderungen an den Schädelknochen).
Verf. hat in einigen seiner Fälle sowohl bei Hirntumor, als auch bei Psychosen
aod bei Paralyse eine eigentümliche Art der Hirnschwellung als Ursache der
Drucksteigerung gesehen. Die Gehirnmasse war dabei trocken, nicht
odematös; histologisch ließ sich nichts abnormes nachweisen. Durch diese
Beobachtung wird erklärt, wieso bei kleinen Tumoren gelegentlich schwerer
Himdnick auftreten kann ; auch die Todesfälle unter Himdruckerscheinungen
bei funktionellen Psychosen können hierin ihre Begründung haben. Zum
Schluß geht Verf. auch auf die Frage der Beziehung zwischen Psychose
und Himdruck ein. (Kramer.)
Franceschi (169) hat das Gehirn einer Frau untersucht, bei der
oach 2 apoplektischen Insulten Aphasie eingetreten war, und die außerdem
Äfl spastischen Wein- und Lachkrämpfen litt. Die anatomische Untersuchung
des Gehirnes zeigte weitgehende Zerstörung des yorderen Segmentes und
des Kniees der inneren Kapsel des Pntamens und des Globus paliidus, des
Xucleos caudatus und der Capsula interna auf der rechten Seite. Ein
kleinerer zweiter Herd fand sich auf der linken Seite, der die hintere Hälfte
des Putamens und in geringer Ausdehnung das hintere Segment der Caps,
int. in Mitleidenschaft zieht. Diesen Befund benützt der Autor, um die
verschiedenen Theorien über den Mechanismus des spastischen Lachens und
Weinens in ihrer Verwertbarkeit für den yorliegenden Fall zu prüfen. Die
Intaktheit des Thalamus opt. stimmt mit all den Theorien, die hier das
Koordinationszentrum für die mimischen Ausdrucksbewegungen suchen. Die
kortiko-thalamischen Bahnen, deren Zerstörung das spastische Lachen und
Weinen bedingen soll, wird von den verschiedenen Autoreu in verschiedenen
Faserzügen gesucht. Die Lokalisation, die denselben von Mingazzini ge-
geben wird, scheint dem Autor am meisten mit dem anatomischen Befiuide
seines Falles übereinzustimmen. Die Fasern sollen im Putamen verlaufen,
lAsion derselben soU das spastische Weinen und Lachen in die Er-
scheinung treten lassen. Eine eben solche Wirkung komme den kortiko-
bolbären Bahnen des Facialis zu. Tatsächlich findet sich im Falle von Fr.
das Putamen beiderseits fast ganz zerstört und die Facialisbahn in Mitleiden-
schaft gezogen an der Stelle, wo sie auf der rechten Seite durch das Knie
der Caps, interna tritt. (Merzbacher.)
Bonnier (63) schlägt vor, statt des Ausdrucks Urämie die weitere
Benennung ürhydrie zu brauchen, da sich die betreffenden Veränderungen
ücht auf das Blut beschränkten, sondern auch in den andern Körperflüssig-
keiten, namentlich dem Liquor cerebrospinalis sich nachweisen ließen.
304 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
Er erörtert danach die physiologischen und pathologischen Verhält-
nisse des Liquor cerebrospinalis und der Labyrinthflüssigkeit, besonders auch
in ihrem Verhältnis zu einander. Er ist der Ansicht, daß zur Aufrecht-
erhaltung des normalen Gehörs und Gleichgewichts Liquor cerebrospinalis,
Perilymphe, Endolymphe und Paukenhöhlenluft unter gleichem Druck
stehen müßten, der gleich dem atmosphärischen Druck sei, und begründet
dies mit der Notwendigkeit, daß auf beiden Seiten des runden und des
ovalen Fensters, sowie des Trommelfells gleicher Druck herrschen müsse,
um diesen Membranen ihr Funktionsoptimum zu ermöglichen, schließlich
weist er auf die offene Verbindung des Liquor cerebrospinalis mit der La-
byrinthflüssigkeit durch die Siebenmannschen Kanäle und den Schnecken-
aquädukt hin. Er erklärt Schwindel, Schwerhörigkeit und subjektive Ohr-
geräusche durch Störungen dieses Druckgleichgewichts und macht auf die
„druckregistrierenden Fähigkeiten" des inneren Ohres aufmerksam, die auf
reflektorischem Wege Kompensation und Regulation normalerweise bewirkten.
Endlich bespricht er die chemisch-pathologischen Verhältnisse der
Cerebrospinal- und der Lumbaiflüssigkeit, speziell bei der Nephritis und er-
klärt die Pathogenese der liierbei auftretenden Gleichgewichts- und Hör-
störungen durch die Toxizität dieser Flüssigkeiten. Eigene Beobachtungen
oder Versuche werden nicht mitgeteilt. (Brück,)
Orünberger (211) hat in der Lumbaiflüssigkeit einer 16jährigen
Patientin mit Coma diabeticum neben Traubenzucker und Aceton mit der
Gerhardtschen Eisenchloridprobe auch die Anwesenheit von Acetessig-
säure festgestellt, — ein Befund, der seines Wissens noch nicht beschrieben
worden ist. (BnuL)
Balogh's (28) Untersuchungen bezweckten die Ermittelung, ob zwischen
vorausgegangener Lues und bestehender lymphocytärer Reaktion ein Zu-
sammenhang nachweisbar ist. B. fand die von deutschen Autoren be-
schriebenen drei Formen zelliger Elemente, und zwar schreibt er bloß den
polynukleären einen diagnostischen Wert zu, denn ihre Anwesenheit beweise
immer einen akuten Krankheitsprozeß. Die Untersuchungen bezogen
sich auf Fälle von Tabes, genuiner Epilepsie, Paralyse, Tabesparalyse,
Tumor cerebri, Melancholie, seniler Demenz und Eucephalomalacie teils mit,
teils ohne vorangegangene Lues. Schlußfolgerungen: 1. Der Lymphocyten-
gehalt der Cerebrospinalflüssigkeit hängt nicht ab von vorangegangener Lues.
2. Bloß den polynukleären zelligen Gebiklen kommt diagnostischer Wert zu.
3. In Übereinstimmung mit allen Autoren fand B. bloß bei der progressiven
Paralyse stets positive Ergebnisse, was von differentiell-diagnostischem Werte
sein kann. 4. Lymphocytose war auch bei Tumor cerebri und Melancholie
nachweisbar. (Hudovernig.)
Hnguenin (258) gibt einige interessante Auseinandersetzungen über
den. Schwindel als Krankheitssymptom. Nach einer Darstellung der ana-
tomischen Verhältnisse der zum Kleinhirn in Beziehung stehenden Bahnen
kommt er zu dem Schluß, daß unter dem Kleinhirnsch^indel ein zerebrales,
also ein Großhirnrindensymptom zu verstehen sei. Er sei zu vergleichen
mit einer Halluzination, bei der wir den Weg der Auslösung ausnahmsweise
einmal kennen. Es ist nämlich die zerebrale Bahn des Nervus vestibularis.
Er begründet diese Anschauung folgendermaßen: Der experimentell erzeugte
Schwindel, den jeder in seiner Jugend (auf der Schaukel oder dgl.) einmal
durchgemacht hat, hinterläßt ein gewisses Erinnerungsbild, welches sich aus
kinästhetischen, optischen, akustischen und taktilen Komponenten zusammen-
setzt Diese Erinnerungsbilder vereinigen sich zu einem festen G^samt-
eindruck, den wir das Gefühl des Drehscliwindels nennen. Wenn nun in
Diagnostik der Krankheiten des Nervensystems. 305
einem Krankheitsfalle eine Beizong der Peripherie des Vestibularis oder
irgend eines Punktes seiner Bahn stattfindet^ so wird die ganze Kette der
Empfindungen wieder lebendig, und es tritt dieselbe Empfindung ein, wie
wenn damit auf der Drehscheibe gedreht würde. Es handelt sich also um
die pathologische Erweckung eines bewußten Erinnerungsbildes, also um ein
Großhirnsymptom, dessen Sitz wir im Frontalhirn annehmen müssen. Die
weiteren interessanten Auseinandersetzungen, besonders über das Verhältnis
des Schwindels zu Gleichgewichtsstörungen, zu Zwangsbewegungen usw.
können hier nicht wiedergegeben werden. (Mann.)
Thomas (518) teilt ausfuhrlich einen Fall mit, in welchem cerebellare
Gleichgewichtsstörungen in Verbindung mit alternierender Hemiplegie in
langsam progressivem Verlauf beobachtet wurden. Die Sektion ergab
maltiple luetische Herde, insbesondere einen bulbären Herd mit sekundären
Degenerationen im Kleinhirn. Die kasuistischen Einzelheiten können hier
im allgemeinen Teil nicht wiedergegeben werden. (Mann.)
Carriere (85) hat an 8 Fällen von Urämie mit Erscheinungen von-
seiten des Nervensystems den Liquor cerebrospinalis genau untersucht. Er
fand den Druck bei der Lxmibalpunktion fast stets erhöht, einigemale erheb-
lich, den Gefrierpunkt der Flüssigkeit immer abnorm hoch (statt der normalen
0,72—0,78® stets über 0,60®, einmal bei 0,48®), ohne regelmäßige Beziehung
wr Schwere des Falls. Der Trockenrückstand wurde stets vermindert
gefunden, der Harnstoffgehalt war, entsprechend den Befunden anderer
Autoren, in allen Fällen erhöht, bis 2,12 7od' ^^^ Gehalt an Chloriden war
in allen untersuchten Fällen unter der Norm, am niedrigsten bei den schweren
Fällen. Sulfate und Phosphate waren vermehrt, dreimal wurden reduzierende
Substanzen gefunden, dreinial Globulin und Serin. Cholin war nie nach-
zuweisen. Die Toxizität des Liquor war in sämtlichen Fällen erhöht, zum
Teil erheblieh. (Brück.)
Frank C« Eve (154) beschreibt ein einfaches Manometer zur Druck-
messung bei Lumbalpunktionen. Der Griff der Punktionsnadel ist mit zwei
Ausfloßöffnungen versehen, von denen die eine durch einen dünnen Schlauch
EU einem Steigrohr führt, die andere als Abflußöffnung dient und ebenfalls
mit einem Gammischlauch versehen ist. An beiden Schläuchen befinden
sich Klemmen. Bei der Punktion bleibt zunächst die Schlauchklemme an
der Abflußöffnung verschlossen; am Steigrohr wird der Druck abgelesen,
dann wird die Manometerklemme geschlossen, die andere geöffnet und die
erforderUche Flüssigkeitsmenge abgelassen. Im Anschluß daran berichtet
der Autor über eine Anzahl von Druckmessungen, die er mit diesem Instru-
ment vorgenommen hat, und welche die von früheren Untersuchungen
gefundenen Resultate im wesentlichen bestätigen. (Brück)
Niedner (379) glaubt, daß die üblichen Methoden der Cytodiagnostik
Ton Lumbalflüssigkeit zu ungenau sind, um bei nicht sehr großen Differenzen
diagnostische Schlüsse zu gestatten. Von seinen eigenen zusammen mit
Manilock angestellten Untersuchungen ist zu erwähnen, daß von 9 unter-
suchten Tabikern nur 5 das Symptom der Lymphocytose darboten ; in einem
dieser Fälle, einer ganz alten Tabes, fand sich bei der ersten Untersuchung
keine Hyperlymphocytose, einige Wochen später Hyperlymphocytose mäßigen
Grades, nach einem weiteren Monat, bei Gelegenheit sehr schwerer gastrischer
Krisen, eine enorme Lymphocytose.
Weiterhin berichtet Niedner über Experimente an Kaninchen, denen
er durch aseptische Einführung von Tampons in die Schädelhöhle einen
kunstlichen Tumor beibrachte. Bei diesen Tieren fand sich eine Vermeh-
Jahiesbericht f. Neurologie and Psychiatrie 1906. 20
306 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
niDg der zelligen Elemente des Liquor cerebrospinalis, speziell der Lympho-
cyten, obwohl keinerlei entzündliche Veränderungen in der Umgebung de»
„Tumors" konstatiert werden konnten. (Brudc,)
Villaret und Tixier (536) haben bei der Untersuchung einer großen
Anzahl von Cerebrospinalflüssigkeiten ihr besonderes Augenmerk auf die
Anwesenheit von transparenten hellen Zellen gerichtet. Sie unterscheiden
drei verschiedene Formen, die sich im wesentlichen durch ihre Größe und
die bessere oder schlechtere Erkennbarkeit des Kerns unterscheiden. Der-
artige Zellen finden sich oft in großer Zahl vor; sie könnten teilweise fiir
Endothelien gehalten resp. mit solchen verwechselt werden. Dagegen scheint
den Autoren aber der Umstand zu sprechen, daß diese Zellen zum Teil
sicher veränderte Lymphocyten sind und sich zwischen den drei verschiedenen
Formen alle Übergänge, nicht aber Übergänge zu sicheren Endothelien finden
lassen, femer der Umstand, daß die bei starker Endotbelabschilferung zu
erwartende Undurchlässigkeit der Meningen z. B. für Jodkalium sich nicht
nachweisen läßt. Sie nehmen also an, daß es sich hierbei stets um Destruk-
tionsformen der verschiedenen Leukocytenarteu handelt. Für letztere Auf-
fassung spricht, daß sich ganz ähnliche Formen auch bei Blutpräparateo
von Röntgen -behandelten Leukämiefälleu konstatieren lassen. (Brück.)
Gross (210) teilt einen Fall von Großhirntumor mit, der unter dem
Bilde einer Meningitis serosa verlief. 27jähriger Mann, der im Anschluß
an Influenza schwere Hirnerscheiuungen bekam; besonders Kopfschmerz,
Erbrechen, Pulsverlangsamung, Stauungspapille, Exophthalmus, Beeinflussung
des Pulses und Steigerung der Hirndruckerscheinungen durch La^ewechsel.
Vorübergehende rechtsseitige Abduzens-, später Trochlearisparese. Es fand
sich ein Tumor des mediobasalen Abschnittes des linken Schläfenlappens,
des Gyrus fusiformis und Hippocampi, mit Zerstörung des linken Gyrus
lingualis. (Bendir,)
Reiche (434) fand bei einem 26jährigen Kranken eine pulsierende,
walnußgroße Geschwulst, die in der Ruhe verschwand, bei Erregungen und
beim Senken des Kopfes wieder hervortrat. Die Sektion stellte fest, daß
ein dicker Knäuel dilatierter Venen in der Galea aponeurotica und dem
Musculus frontalis der rechten Stirnseite durch ein breites Ejmissarium direkt
mit einem venösen Hirnsinus in Verblödung stand, und daß es sich um
einen abnormen, überzähligen Blutleiter in diesem Falle handelte.
(Bendix.)
V. Bechterew (39) teilt einen Fall von Pseudomelia paraesthetica
bei einem 38jährigen Trinker mit, der besonders wertvoll wegen des Sektions-
befundos ist. Der halluzinierende Kranke, welcher plötzlich eine Lähmung
des rechten oberen Augenlids, Abweichung der Zunge nach links, erschwerte
Sprache und tonische Kontraktur der linken oberen und unteren Extremi-
täten bekam, hatte eine besonders falsche Empfindung linker Armbewegungen.
Obwohl beide Extremitäten stark atrophiert und gelähmt waren, hatte er
doch die Empfindung, daß der linke Arm sich bewege und bald auf der
Brust oder auf seinem Rücken liege. Er weiß aber, daß der Arm sich
nicht bewegen kann. Die Obduktion stellte eine Erweichung des größten
Teils des Linsenkernes fest, verschont war der Thalamus opticus und der
Nucleus caudatus. v. Bechterew ist der Überzeugung, daß das Symptom
der Pseudomelia paraesthetica in nächster Beziehung zu einer Affektion des
Linsenkernes stehe und zu den Leitungen des Muskelgefuhles, auf welches
die Empfindungen von der Lage der Teile und Glieder des Köi-pers sich
gründen. (Bendix,)
Diagnostik der Krankheiten des Nervensystems. 307
DL Motorlselie Synptone <Ulimiui|eii, Trenor dsw.).
CorschlXiailll (122) bat an einem größeren Ej-ankenmaterial Unter-
suchungen über die idiomusknläre Uberregbarkeit angestellt, um zu einer
genaueren Vorstellung über Genese und Natur dieser Erscheinungen zu ge-
langen. Er kam dabei zu folgenden Resultaten: Idiomusknläre Übererreg-
barkeit und Schi ff sehe Wellen treten beim Menschen ausschließlich auf
mechanische Reize hin auf, vorzugsweise bei pathologisch bedingter Ab-
magerung, können aber auch bei starker Magerkeit fehlen. Sie sind kein
reines Abmagerungssymptom, sondern der Ausdnick einer im Muskel selbst
liegenden spezifischen Irritabilität, die myogenen Ursprunges, wahrscheinlich
toxischer Genese ist. Störungen im Nervensystem i^irken eher ungünstig
als befördernd auf das Phänomen. Der Grad der idiomuskulären Kontraktion
ist proportional dem der allgemeinen Muskelerregbarkeit. Bei höheren
Graden des Phänomens findet sich auch meist eine Störung der mechanischen
und elektrischen Nervenerregbarkeit. Die idiomuskuläre Uberregbarkeit
and die Schiff sehen Wellen gehen einander proportional und sind darum
wohl als der Ausdruck einer Erregbarkeitsveränderung aufzufassen. Krank-
heiten, die eine sekundäre Tetanie hervorbringen können, produzieren auch
die größte Disposition zur idiomuskulären Uberregbarkeit. Zu der Stärke
der Sehnenreflexe, der vasomotorischen Erregbarkeit, zur Erregbarkeit d(»r
erectores pili ließ sich keine Beziehung auffinden. (Kramer,)
Weisenbnrg (549) bringt eine klinische Studie über die Kontrakturen
bei organischen Nervenerkrankungen. Nach ausführlicher Besprechung der
hemiplegischen Kontraktur unter kritischer Würdigung der Literatur geht
Verf. über zur Erörterung der Kontrakturen bei Rückenmarkserkrankungeu,
Krankheiten der peripheren Nerven und der Muskeln. Er teilt die Kon-
trakturen ein in passive und aktive. Unter passiven versteht er Kontrakturen
infolge von Gelenkerkrankungen, Muskelkrankheiten usw. und infolge von
Lähmung der Antagonisten, während eine aktive Kontraktur eine direkte
Folge einer Erkrankung des Zentralnervensystems sei. (Baumann.)
Bechterew (35) beschreibt 2 Fälle mit Gebirnaffektion, bei denen
gewisse Bewegungen vorkamen, die nicht mit Mitbewegimgen zu verwechseln
sind, und die Verf. als „Kompensationsbewegungen"* bezeichnet. Anstatt
auf Verlangen mit der gelähmten Hand eine Bewegung auszuführen, reichen
die Kranken in diesen Fällen stets die andere Hand, und anstatt auf der
gelähmten Seite djis Auge zu schließen oder ihre Wangenmuskeln zu
kontrahieren, vollführen sie diese Bewegungen auf der gesunden Seite, ohne
selbst den eigenen Fehler zu bemerken. Bezüglich der Mitbewegungen
referiert Verf. die Erklärungsversuche Westphals und Hitzigs; bezüglich
der Kompensationsbewegungen meint Verf., daß es sich um Übertragung des
fieizes auf die andere Hemisphäre handle. Man müsse annehmen, daß bei
jeder Willensanstrengimg die Erregung infolge von Störung der Leitungs-
funktionen den Zentren der andern Hemisphäre zugeführt wird und nun
den Muskeln der dieser Hemisphäre entsprechenden Körperhälfte zufließt.
(Baumann.)
Bei 3 von Bechterew (36) beobachteten Krankheitsfällen führte jede
mehr oder weniger starke Anspannung der Arm-, Bein- und Bauchmuskeln
zu längeren sehmerzhaften Krämpfen bei den Muskelkontraktionen, die erst
Mch einiger Zeit aufhörten. Die Kranken konnten z. B. nicht ihre Stiefel
anxiehen oder sich Tom Boden erheben, ohne einen dauernden schmerzhaft-
tonischen Krampf in den Bauchmuskeln zu bekommen. Das gleiche war
bei einem der Patienten audi bei stärkerer elektrischer Reizung und Kon-
20*
308 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
traktion der Muskeln zu beobachten, falls die Kontraktion eine größere
Ausdauer hatte. Im allgemeinen erinnerte der Zustand bis zu einem gewissen
Grade an Myotonie, unterschied sich aber davon durch das Fehlen der
myotonischen Reaktion, vielmehr trat unter dem Einfluß elektrischer oder
mechanischer Beizung ein längerer schmerzhaft-tonischer Krampf nicht
einzelner Bündel, sondern des ganzen Muskels auf und ging sodann mehr
oder weniger schnell, anstatt allmählich, zurück. Die Fälle erinnern an
einen von Wernicke beschriebenen Fall von Crampusneurose, von dem
sich erstere ätiologisch durch mangelnden starken Alkoholismus unter-
scheiden. Verf. ist der Ansicht, zumal mit Rücksicht auf den Befund der
Harnuntersuchung bei einem der Patienten, daß es sich bei dem Prozeß um
eine Störung des Stoffwechsels handeln mag. (Baumami.)
Saxl (465) beobachtete eine besondere Art von Mitbewegung an der
oberen Extremität eines gelähmten Kindes. Es handelte sich um ein
15 jähriges Mädchen, daß mit drei Jahren an Encephalitis erkrankt war
(Sprachlähmung und Lähmung der rechten Körperhälfte). Es bestand in
der ersten Zeit eine rechtsseitige Hemiparese. Ließ er nun das Kind, dessen
Arm in der typischen Hemiplegikerstellung stand, den Unterarm strecken, so
machte gleichzeitig die sonst in Palmar- und Ulnarflexion stehende Hand
eine Streckbewegung, wobei auch die ulnare Stellung aufgegeben wurde.
Dagegen konnte Patientin für gewöhnlich bei Kontrakturstellung des Unter-
armes, die gebeugte Hand nicht strecken. Diese synergische Streckbewegung
der Hand bezeichnet S. mit „Streckphänomen".
Bei dieser Art von Mitbewegungen handelt es sich um ein Zusammen-
arbeiten von Muskeleinheiten oder -Gruppen, die durch die Läsion der
Pyramidenbahn nicht mehr isoliert innerviert werden können. (Bendix.)
Bonchand (69) beschreibt einen Fall, bei dem im Anschluß an 2
leichte Schwindelanfälle von kurzer Dauer sich nach einigen Tagen ein
Intentionstremor lediglich der rechten oberen Extremität einstellte. Sonstige
nervöse Störungen fehlten. Die Autopsie ergab eine Neubildung im hinteren
Teile der inneren Kapsel. Bisher sind bei Herden dieser Art nur choreatische,
athetotische oder ataktische Störungen beobachtet worden. (Baumann,)
Schmaltz (474) berichtet über drei Familien, in denen eine Anzahl
von Personen (in der ersten 13 in 4 Generationen, in der zweiten 4 in
2 Generationen, in der dritten 3 in der gleichen Generation) an Tremor
litten, ohne daß, abgesehen von leichter psychischer Erregbarkeit und in
einem Falle von aufallsweise auftretenden Angstzuständen, von selten des
Nervensystems oder der inneren Organe etwas pathologisches nachzuweisen
war. Das Zittern zeigte bezüglich der Schnelligkeit und der Exkursions-
weite der Einzelschläge, sowie der Lokalisation große ünterscliiede ; am
stärksten w^aren meist die Hände betroffen, außerdem öfters die Beine,
Gesichtsmuskulatur, Zunge, zweimal die Bulbi. Oft entsprach die Art des
Zitterns dem Intentionstremor bei der multiplen Sklerose. — Schmaltz
zieht den Ausdruck „familiärer Tremor" dem zumeist gebrauchten „essentieller
hereditärer Tremor" vor, weil in einer der erwähnten Familien eine Ver-
erbung des Tremors überhaupt nicht nachzuweisen war, der familiäre Charakter
des Leidens sich jedoch durch sein Auftreten bei zwei Schwestern und einem
Sohn ihrer Mutter-Schwester kund gab. (Bnick.)
Spiller (492) berichtet über einen Fall von Tremor, den er als
erblichen essentiellen anspricht, bei einem Rekruten, der seit seiner Schulzeit
an einem feinschlägigen Zittern litt, und bei dessen Vater genau die gleiche
Störung zu verzeichnen war. Es wurden 9 — 11 Einzelschläge in der Sekunde
festgestellt; das Zittern betraf die ausgestreckte Zunge, Arme und Beine
Diagnostik der Krankheiten des Nervensystems. 309
nnd nalim bei Aufregang, starken Abkiihlungeü und anstrengender Arbeit
SQ. Brom hatte nicht den geringsten Einfluß. (Brück.)
PÜrbringer (182) gibt an der Hand eines eigenen, 500 Fälle
betreffenden Materials Anskunft über des Maß des diagnostischen Wertes
des fländezittarns für den Alkoholmißbrauch. F. gelangt zu dem Schlüsse,
daß auch richtige Potatoren den Tremor oft vermissen lassen ; doch dürfte
diese Zahl kaum den zehnten Teil ausmachen. — In mäßiger Ausprägung
berechtigt das Händezittern an sich zu keinerlei Schluß auf Alkoholismus.
Es boten nahezu dreimal mehr Nichttrinker das Phänomen. — Auch der
starke und stärkste Tremor ist an sich nicht mit hoher, wohl aber mit einer
an das Doppelte grenzenden Wahrscheinlichkeit für die Diagnose des
Potatoriums zu verwerten. (Bendix.)
ürbach (531) beobachtete vier Fälle von Intentionstremor bei Kindern,
TOD denen die beiden ersten Fälle als Bleitremor aufzufassen waren; auch
der dritte Fall war auf Bleiintoxikation verdächtig. Der letzte Fall wird
als familiäres oder hereditäres Zittern erklärt, zumal Symptome von Minder-
wertigkeit nachweisbar waren und der Zustand sich seit Jahren gleich
geblieben war. ^, (Bendix.)
Nach einem kurzen Überblick über die Literatur der schmerzhaften
Paralyse der Kinder (paralysie douloureuse des enfants) geht Galatti
(184) zu einer Schilderung des Krankheitsbildes über, wie es von ihm im
Anschluß an mehrere Fälle beobachtet wurde. Nachdem Verf. die
Differenzialdiagnose namentlich gegenüber der „Entorse juxtaepiphysaire"
(Ollier) und der Poliomyelitis anterior acuta klar gestellt hat, schildert
Verf. die verschiedenen Erklärungsmöglichkeiten und faßt zum Schluß seine
sehr interessanten Ansführungen folgendermaßen zusammen: Die paralysie
douloureuse des enfants gibt ein charakteristisches Krankheitsbild. Das
initiale Trauma, der initiale Schmerz, die Bewegungsstörung einer Extremität,
die Schmerzhaftigkeit, die kurze Dauer mit Ausgang in Heilung kommen
keiner anderen uns bekannten Krankheit in dieser Zusammensetzung zu.
So charakteristisch aber auch das Kjrankheitsbild ist, so wenig haben wir
es mit einer Krankheit sui generis zu tun, wenn wir unter ihr ein anatomisch
oder physiologisch begründetes Leiden verstehen. Dieses charakteristische
Krankheitsbild bedeutet eine auf traumatischer Grundlage sich ausbildende
psychische Hemmungserscheinuug, also eine spezielle Lokalisation eines
psychischen Vorganges. Von diesem Standpunkt aus sind auch die deutschen
Autoren im Rechte, indem sie diesen Symptomenkomplex nicht als selb-
ständige Krankheit anerkennen. (Baumann,)
Fuchs (178) beschreibt einen Fall von periodischer Extremitäten-
lähmuDg, bei dem, wie schon der Name besagt, der hauptsächlichste Moment
in der periodisch wiederkehrenden schlaffen Lähmung der Muskulatur bei
— io schweren Fällen aufgehobenen — in leichteren herabgesetzten Reflexen
and m einzelnen Muskelgebieten erloschener, in anderen (zur Zeit der Läsion)
schwer geschädigter elektrischer Erregbarkeit mit nachfolgender allmählicher
Bestitution besteht Was die Ätiologie anlangt, so suchten Westphal und
Oppenheim, später auch Goldflam die Ursache der Krankheit in Muskel-
veräDderungen, Oddo in einer Entwicklungsanomalie des Muskelgewebes.
Die periodische Wiederkehr der Anfälle und das Zustandsbild legt den
Gedanken einer Autointoxikation sehr nahe. (Baumann,)
Schlesillger (471) beschreibt einen Fall von periodisch auftretender
paroxysmaler Lähmung. Von dieser zuerst von Westphal beschriebenen
seltenen Krankheit sind bisher erst 68 Fälle bekannt geworden, von denen
nur ein verhältnismäßig kleiner Teil, etwa ^b» ärztlich beobachtet wurde.
310 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
Im Yorliegenden Falle handelt es sich um einen 26 jährigen, in keiner Weise
erblich belasteten Mann, der seit seinem 16. Lebensjahre an periodischen
Anfällen von zumeist schlafifer Lähmung des größten Teils der wiUkürlicheD
Körpermuskulatur litt. Bei einzelnen Anfällen wurden leicht spastische
Symptome an einzelnen Teilen der Muskulatur mit gleichzeitigen Schmenen
beobachtet. Von der Lähmung verschont blieben regelmäßig die Muskeln
des Kopfes. Die Sehnenreflexe sind in den Anfällen herabgesetzt oder
sogar erloschen. Die faradische Erregbarkeit der Muskulatur ist sehr stark
herabgesetzt. Die mechanische Erregbarkeit derselben ist gesteigert und
durch lange bestehenbleibende Dellenbildungen ausgezeichnet Während der
Anfälle wurde bisweilen Pulsverlangsamung und Arhythmie beobachtet, sowie
im Urin mehrmals Aceton und einige Male Albumen und hyaline Zylinder
gefunden. Diese Erscheinungen verschvdnden nach den Anfällen. Das
Sensorium bleibt stets frei. Der Anfall beginnt meist am Montag oder an
einem auf einen Feiertag folgenden Tag, gewöhnlich während des Schlafes
unt«r starken Schweißausbrüchen. Verf. vergleicht den beobachteten Fall
mit den von anderen Autoren beschriebenen und bespricht die zur Er-
klärung des eigenartigen Krankheitsbildes aufgestellten Theorien, von denen
die eine Inhibitionsvorgänge, eine zweite Entwicklungsstörungen in der
Muskulatur, die dritte toxische Einflüsse annimmt. Verf. hält die toxische
Theorie für die wahrscheinlichste und meint, daß besonders das Auftreten
von Acetonurie und Albuminurie für diese Auffassung spräche. (Kramer,)
Infeld (262) teilt seine an einem Falle von periodischer Lähmung
gemachten Beobachtungen, den Schlesinger eingehend beschrieben hat, mit
Der Patient erkrankte im Alter von 17 Jahren im Schlafe an Anfallen
von Lähmungen, welche ihn der Bewegungsfähigkeit seiner Extremitäten für
kürzere oder längere Zeit beraubten. Das zeitweilige Versagen der Funktion,
die „Myatonie", bescliränkte sich auf das spinale Gebiet, aber nicht bloß
auf die Extremitäten. Die Sensibilität war dabei nicht betroffen. Es bestand
eine Alteration von Haut- und Sehnenreflexen bis zur Aufhebung. Die
elektrische Erregbarkeit, besonders der Muskulatur, war stark herabgesetzt,
indem sowohl bedeutend stärkere Ströme als im normalen Zustande erforder-
lich waren, als auch nur schwache Zuckungen, auch bei beträchtlicher
Steigerung der Stromstärke, zu erzielen waren. (Bendix.)
Boinet und Andibert (60a) machen interessante Mitteilungen über
die bei Taucheni auftretenden Lähmungserscheinungen. Nicht selten werden
Todesfälle bei den unter Wasser nach Korallen und Schwämmen Fischenden
beobachtet. Von den Lähmungserscheinungen werden relativ seltener Hemi-
plegien zerebralen Ursprungs wahrgenommen; am häufigsten aber sind Para-
plegien spinalen Ursprungs, die um so häufiger auftreten, in je größerer
Tiefe die Fischer unter Wasser arbeiten. Die Paraplegien leichterer Art
sind meist transitorisch, die schweren Paraplegien bleiben gewöhnlich be-
stehen und sind anfangs schlaffer Natur, später spastisch und gehen mit
Störungen der Sphinkteren einher. Gewöhnlich ist die Folge des zu plötz-
lichen Wechsels zwischen hohen und niederem Druck eine HämatomyeUe,
durch Entweichen von übermäßig aufgespeichertem Stickstoff in das um-
gebende Gewebe. Prophylaktisch ist bei Tauchern vor allem das zu schnelle
Emportauchen zu verhüten und eine streng geregelte Lebensweise innezu-
halten. (Bendix.)
Withe und Bainbridge (558) publizieren einen von ihnen beobach-
teten Fall von Taucherlähmung. Der betreffende Patient bekam öfter, wenn
er aus einer Tiefe von 150 Fuß emporkam, Parästhesieen in den Beinen
und hatte Schwierigkeiten beim Laufen; zweimal erlitt er eine langdauemde
Dim^ostik der Kranklieiten des Nervensystems. 31 X
Lähmung ?on ca. 12 Wochen. Der ins Krankenhaus eingelieferte Patient
starb hier an einer Langenphthise, an der er außerdem litt. Der Sektions-
befand des Aüid^enniarks war ein interessanter: Die Zellen waren im Lumbal-
nuurk ?iel spärlicher als gewöhnlich, und zwar fehlten die Zellen namentlich
io den Vorderhömern. Die perivaskulären Bäume waren im Lumbaimark
Tiel weiter als im Cerrikal- und DorsalmarL Die Verfasser stellen den
Fall nun in Analogie zu den Tierversuchen von Leonard Hill, welcher
nachwies, daß, wenn die Tiere unter einen größeren Druck als eine Atmo-
sphjire gebracht werden, eine große Menge von Stickstoff im Blut gelöst sei
nach dem Gesetze von der Löslichkeit der Gase. Wird dieser Druck
plötzlich zur Norm erniedrigt, so wird das Gas frei in den Gefäßen und
entweicht in die perivaskulären Bäume. Auf ähnliche Weise erklärt Verfasser
das Zastandekommen der Symptome der Taucherlähmung. (Bawnann.)
Gegenüber M. Bornstein, der die Abgrenzung und Schilderung der
charakteristischen Symptome der periodischen Extremitätenlähmungen Gold-
flani zuschreibt und dieses seltene Krankheitsbild kurzweg als Goldflam-
sche Krankheit bezeichnet, nimmt Westplial (556) die Priorität hierbei
in erster Linie für C. Westphal und in zweiter für H. Oppenheim in
Ansprach. (Brück.)
Heilbronner (230) stellt folgendes Schema der asymbolischen
Störungen auf; die kortikale Apraxie (= kortikale motorische Asymbolie),
welche charakteristisch ist durch Schädigung der Eigenleistungen des Senso-
motoriams und das Überwiegen der parakinetischen Erscheinungen bei allen
Bewegungsformen. Die transkortikale Apraxie (transkortikale motorische
Asymbolie) charakterisiert sich durch die Intaktheit der Eigeoleistuugen des
Sensomotoriums; komplizierte Willkürbewegungen gelingen überhaupt nicht,
atatt dieser erfolgen vertrakte Bewegungen (Parakinesen). Ferner Leitungs-
asymbolien. Sie bieten die variabelsten Bilder. Charakteristisch sind die
zahlreichen geordneten Bewegungsverwechslungen, häufig im Sinne des
Haftenbleibens. Parakinetische Erscheinungen sind spärlich und fehlen
ganz. Endlich die Agnosie (= sensorische Asymbolie), die Summe von
Seelenblindheit, Seelentaubheit usw.; die Bewegungsstönmgen (Verwechse-
lungen) können als sekundär betrachtet werden. (Bmdix.)
Budler und JRondot (454) beobachteten einen Fall von Scapulae
alatae bei einem 25jährigeu kräftigen i^Ianne. Da weder Atrophieen noch
Funktionsstörungen in der Muskulatur der Schultern und Schulterblätter,
vorhanden waren, noch irgend welche Abweichungen der elektrischen Reaktion
der Muskeln bestanden, so schließen die Autoren jede myopatlüsche oder
nervöse Erkrankung aus und halten die abnorme Beweglichkeit der Schulter-
blätter in diesem Falle für physiologisch. Sie glauben die fiügelförmige
BewegUchkeit der Scapulae physiologisch erklären zu können aus der Stö-
rang des Antagonismus, der normalerweise zwischen den skapulo-humeralen
und skapulo-thorakalen Muskeln besteht. Diese Disharmonie beruhe wahr-
scheinlich auf einer zu großen Schlaffheit der skapulo-humeralen Ligamente,
auf der Erschlaffung der Muskeln uod auf einer zu starken Entwicklung der
skapulo-humeralen Muskeln im Gegensatz zu den skapulo-thorakalen, infolge
ihrer jahrelangen übermäßigen Funktion.
Unter diesen veränderten Umständen kehre sich das Verhältnis von
Muakelansatz und -Ursprung um, sodaß die Skapula die Rolle der Muskel-
nrsprünge und der Humerus die feste Insertion übernehme.
Bei den Bewegungen des Schultergürtels bleibe der Humerus fixiert
und nach vorn gerichtet, und das Schulterblatt führe flügelartige Bewegungen
312 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
aas. Bei herabhängendem Arme kehren die Scapulae in ihre normale Lage
wieder zurück. (Bendia,)
Billard und Bellet (54) beobachteten bei Kaninchen, bei denen sie
eine Dehnung oder Ausreißung des N. ischiadicus vorgenommen hatten, eine
Deformation der Gelenkenden des femur und der tibia am Kniegelenk.
Die Deformität in Form einer Rotation der Condylen des Femur kommt
dadurch zustande, daß die Tiere nach der Zerrung oder Ausreißung des
N. ischiadicus gezwungen sind, auf drei Beinen zu laufen und die Knochen
sich den neuen statischen Verhältnissen anpassen. (Bendix,)
Nageotte-Wilbrouchewitch (370) schreibt: Die Ausgiebigkeit der
Bewegungen ist schon physiologischerweise sehr variabel; pathologischer-
Weise kann die Bewegungsamplitude bemerkenswerte Variationen aufweisen,
sei es durch starke Steigerung der Starre (wie z. B. bei der Parkinsonschen
Krankheit) oder sei es durch Steigerung der Bewegungsausgiebigkeit. Außer
diesen pathologischen oder physiologischen Zuständen gibt es noch eine
klinische Form von mehr oder weniger allgemeiner Starrheit, welche nicht
unter dem Einfluß einer Krankheit des Nervensystems, der Muskeln oder
der Gelenke zu stehen scheint, und die doch als ein anormaler, noch nicht
beschriebener Zustand imponiert. Es handelt sich um Kinder mit kypho-
tischem Rücken, geneigtem Haupt, vorgewölbtem Bauch. Jede Be-
wegung, die man ausführen läßt, erfolgt in einer ganz geringen Ausdehnung,
und die Nachbargelenke müssen oft helfend mitwirken. Die Starrheit ist
nicht immer allgemein, sondern beschränkt sich oft nur auf einzelne Extre-
mitäten. Den Mechanismus erklärt Verf. so, daß diese Starre auf einem
abnormen Zustand der Muskeln beruhe, welche zu kurz im Verhältnis zu
den knöchernen Hebeln oder zu wenig ausdehnbar sind. Ob es sich um
eine Verkürzung durch muskuläre Hypotonie handelt, oder ob die Muskeln
anatomisch zu kurz sind durch Substanzmangel, läßt' Verf. dahingestellt
Ätiologisch scheinen die Kinder wohlhabender Eltern mehr von der Starre
befallen zu werden als ärmere. In der Familienanamnese finden sich haupt-
sächlich nervöse Erkrankungen und Arthritis deformans. Die Starre ist
therapeutisch allen mechanischen Behandlungsweisen zugänglich.
(Baumann,)
Fuchs (180) stellt 2 Fälle von Mitbewegungen der 2. Hand vor,
wenn die 1. Bewegungen machte. Beide Mädchen waren dadurch bei der
Vornahme von Handarbeiten wesentlich behindert. Im übrigen war das
Nervensystem vollständig intakt. Eine Erklärung läßt sich mangels genauer
anatomischer Befunde nicht geben. Während Oppenheim gewissen Formen
der Mitbewegungen die Bedeutung eines Stigma degenerationis zuschreibt,
erklärt Otfried Förster das Zustandekommen derselben an der Hand der
von Storch aufgestellten Schemen der stereopsychischen Felder. In den
beiden beschriebenen Anfällen bestanden in der Kindheit Fraiseuanfälle.
Möglicherweise lag dem konvulsiven Anfalle eine, wenn auch geringe, Herd-
erkrankuug zu Grunde, deren Folgen sich bis auf die bestehenden Mitbewegungen
verwischt haben. (Bauniamu)
Zappert (570) beschreibt einen Zustand während des kindlichen
Schlafes, bei dem das Wesentliche beruht in dem Vorhandensein rhythmischer
kräftiger Kopfbewegungen während des Schlafes, welche mit kurzen Pausen
die ganze Nacht oder einen großen Teil derselben andauern, allnächtlich
wiederkehren und viele Jahre hindurch unverändert fortbestehen können.
Die Kinder wissen von ihrer nächtlichen Unruhe nichts; die Bewegungen
sind völlig regelmäßig, „wie der Pendel einer Uhr". Bestimmte Körperlagen
während des Schlafes scheinen das Wackeln zu begünstigen. Nicht ganz
Diagnostik der Krankheiten des Nerrensystema. 3x3
übereinstimmend sind die Angaben, ob die Bewegungen schon beim Ein-
schlafen vorhanden sind, und ob sie auch den tiefen Schlaf begleiten. Die
Auffassung der meisten Beobachter schwankt zwischen Tic und Spasmus
natans. Beides glaubt Verf. ablehnen zu müssen und ist geneigt, diese
nächtlichen Kopfwackelbewegungen in die Gruppe der bei Geisteskranken
genauer studierten motorischen Stereotypien oder Gewohnheitsbewegungen
einzureihen. Sie gleichen diesen in Bezug auf die stets gleichmäßige Wieder-
holung derselben koordinierten Bewegungsform und in Bezug auf die jahre-
lange ununterbrochene Fortdauer der motorischen Aktion. Auch ein Gefühl
des Wohlbehagens scheint damit verbunden zu sein. Die Schwierigkeit ihrer
Gleichstellung mit den Stereotypien liegt einzig und allein in dem aus-
schheßüch an den Schlaf gebundenen Auftreten dieser Kopfbewegungen;
Vert glaubt jedoch, auf Grund seiner klinischen Beobachtungen diese
Schwierigkeiten als beseitigt betrachten zu dürfen. (Daumann.)
Zesas (573) gibt einen Überblick über die bisher bekannten Tatsachen
in bezug auf Ätiologie und pathologische Anatomie des intermittierenden
Hinkens. Er hebt hervor, daß neben der organisch, durch Arteriosklerose,
bedingten Form eine lediglich funktionell neurotische existiere, und führt
als Beispiel dafür einen Mann an, der aus einer neryÖ3 stark belasteten
Familie stammte, selbst eine Keihe neurasthenischer Symptome darbot, außer-
dem allerdings einige Jahre vor Beginn der Erkrankung eine Lues akquiriert
hatte. Dieser Patient bot das ausgesprochene Krankheitsbild der Claudication
intermittente mit vasomotorischen Symptomen (Schwitzen des erkrankten
Beins nach dem Anfall) dar, ohne daß sich irgendwo die Erscheinungen von
Arteriosklerose nachweisen ließen; sämtliche Fußpulse waren vorhanden.
Durch Massage und Tragen eines Gummistrumpfs ließen die Anfälle etwas nach.
Z. weist darauf hin, daß auch bei der organische Veränderungen dar-
bietenden Form dem funktionellen Moment der wechselnden physiologischen
Funktion der Gefäßwandungen ein ganz hervorragender Anteil an dem Zu-
standekommen des intermittierenden Hinken s zufällt. (BmcL)
Simon (486) macht auf die atypischen Fälle von intermittierendem
Hinken aufmerksam, wo das Symptom des Hinkens sogar völlig fehlen kann,
während hauptsächlich Schmerzen in verschiedenen Gebieten des Hirns,
Parasthesieen usw. auftreten, und wo man die bekannten Erscheinungen an
den Arterien feststellen kann. Auch zeigen in diesen Fällen (wenn auch
nicht immer) die Röntgenogramme die entsprechenden Bilder der verkalkten
Gefäße. Verf. bespricht u. a. folgende Fälle: Fall III. Der 56jährige
Mann spürte seit vielen Jahren ein fortwährendes Kältegefühl in den Beinen
nnd Schwitzen der Füße. Seit 1 Jahre heftiger Schmerz im linken Bein
(Unterschenkel) und in der 1. Inguinalfalte beim Gehen. Keine typischen
Zeichen des intermittierenden Hinkens. Der Puls in der rechten Art. dorsalis
pedis und Tibialis post. deutlicher als in der linken. Arteriosklerose in
anderen Gefäßen. Fall JV. Der 72jährige Briefträger klagt seit 7« Ja'^r
über Schmerzen im r. Oberschenkel, welche nur beim Auftreten und beim
Gehen auftreten. Beim Liegen oder Sitzen keine Schmerzen. Der Gang
ist im Anfang durch die Schmerzen gestört (Hinken), allmählich wird dem
Kranken leichter zu gehen. Allgemeine Arteriosklerose und Verdickung der
Gefäße der unteren Extremitäten (besonders rechts). Im weiteren Verlauf
verschUnmierte sich der Zustand, sodaß der Kranke nicht mehr laufen
konnte. Gleichzeitig traten auch Schmerzen in den oberen Extremitäten
und im Rücken, von der Kreuz- nach der Halsgegend, auf. Fall V. Der
BGjährige Mann merkte vor einigen Monaten, daß beim Verlassen seiner
Wohnung (im Winter) die linken Zehen und der vordere Fußteil eiskalt,
314 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
wie abgestorben, waren. Gleichzeitig tritt hier Anästhesie ein. Keine Bi-
gidität in der Wade. Kein Pulsieren der Art. dorsalis pedis sin. bei
schwachem Puls in der Art tibialis post. sin. Verf. meint, daß es sich hier
um eine Embolie in die Art. tibialis ant. handelte. Verf. fuhrt noch andere,
ähnliche atypische Fälle der Klaudikation an und bespricht zum Schluß die
Differentialdiagnose dieser Krankheit mit anderen organischen Nervenkrank-
heiten und besonders mit denjenigen Erkrankungen, bei welchen das Symptom
der Tarsalgie im Vordergrund tritt (Plattfuß, subkutane Geschwülste der
Planta pedis, fascitis plantaris Franke, Entzündungen der Fußknochen,
neuralgia plantaris, arthritische Erscheinungen im Fuß). (Edward Fiatau.)
Bei dem Falle von „intermittierendem Hinken" eines Armes, der
Zunge und der Beine, den Determann (131) mitteilt, handelt es sich um
einen 51jährigen Kaufmann, in dessen Familie Arteriosklerose häufig war.
Wegen eintretender Gangrän mußte ihm die linke große Zehe amputiert
werden. Nach der Operation bemerkte er beim vielen Sprechen ein Ver-
sagen des mechanischen Sprechaktes, dann ermüdeten ihm auch beim Gehen
die Beine leichter, sodaß seine Schritte kürzer, langsamer und schleppend
wurden. Auch Schmerzen stellten sich dann in den Beinen ein. Der Puls
fehlte an der Art dorsalis ped. und Tib. post. Endlich konnte beobachtet
werden, daß Bewegungen des rechten Armes anfangs schnell und leicht aus-
führbar waren, nach und nach aber langsamer wurden und versagten. Auch
die Zungenbewegungen ließen sehr bald an Schnelligkeit und Kraft nach.
(Bendix.)
V. Prankl-Hocliwart's (170) umfangreichen Arbeit über den
M e nie r eschen Symptomenkomplex liegen eine große Anzahl gut beobachteter
und geprüfter Krankengeschichten zu Grunde. Seine Besprechung bezieht
sich auf die apoplektischen Formen mit oder ohne Trauma und auf die
Schwindelerscheinungen bei chronischen Mittelohr- und Labyrintherkrankungen
mit ihren bisweilen differentialdiagnostisch, besonders gegenüber den pseudo-
meniöreschen Formen schwierigen Fragen. Im Anschluß an eine große
Zahl von Krankengeschichten bespricht Verf. die Prognose und Therapie
des M6ni Preschen Symptomenkomplexes. (Bendix,)
Srb (147) beschreibt einen Fall von intermittierender Bewegungs-
störung bei einem 32 jährigen Mann, der (Lues vor 3 Jahren und reichliches
Zigarettenrauchen in der Anamnese) ihn zuerst 1902 wegen typischen inter-
mittierenden Hinkens des linken Beines konsultierte, und bei dem 1905
gleiche Erscheinungen auch im rechten Bein und außerdem ähnliche Anfangs-
symptome im linken Arm auftraten. Am Arm subjektiv: Schmerzen an der
Innenseite, Prickeln in den Fingerspitzen; objektiv: linker Kadialpuls
schwächer, als der rechte. Die Palpation der Arterien ergibt keine Ver-
kalkung, auch die pulslosen Arterien des linken Fußes nicht als harte
Stränge fühlbar.
Erb nimmt eine durch zellige Wuchenmg der Gefäßwandungen,
speziell der Jntima bedingte Verengerung des Lumens auf luetischer Grund-
lage als Substrat in diesem Falle an. (Bmck)
Nach einer ausführlichen Darlegung unserer bisherigen Kenntnisse über
das intermittierende Hinken nnd verwandte Krankheitsformen gibt Hnnt
(259) genaue Krankengeschichten von 4 Fällen seiner eigenen Beobachtung.
In Bezug auf die ätiologisch in Betracht kommenden Faktoren ist
bemerkenswert Fall I (68jährige Frau aus einer Gichtikerfamilie, die seit
ihrer Jugend an somnambulen Zuständen litt und die Tee-Abusus trieb), sowie
Fall £V, bei dem eine Kombination von Syphilis, Tabak- und Alkohol-
Diagnostik der Krankheiten des Nerrensysiems. 315
exzessen mit konstanter Kälteeinwirkung auf die Fuße vorlag, und bei dem
dorch eine Fesselung im Alkoholdelirium das Erankheitsbild ausgelöst wurde.
Abnormitäten an den Fußpulsen sind in sämtlichen Fällen notiert, in
Fall I[, dem leichtesten, allerdings eigentümlicherweise nur ein Schwächer-
sein eines Tibialispolses an der gesunden Seite.
Ans der Symptomatologie ist femer herrorzuheben, daß in dem einen
Falle außer den bekannten Erscheinungen an den Beinen auch gleiche
SUiroDgen (Schmerzen, Parästhesien, Rigidität) im Gebiete des einen ßlutaeus
auftraten, und zwar nur beim Sitzen, während sie beim Stehen und in
Rückenlage alsbald verschwanden.
In allen Fällen wurde durch therapeutische Maßnahmen (Jodpräparate
in steigenden Dosen, Nitroglycerin, diätetische Vorschriften, warme Salz-
bader, sowie vor allem periodische Ruhekuren) wesentliche Besserung oder
wenigstens ein Stillstand des Leidens erzielt. Besonderes, Gewicht legt Verf.
auch darauf, daß sich die Patienten dauernd vor der Überschreitung der
jeweiligen „Grenzzeit"*, bei welcher ihr Anfall aufzutreten pflegt, in Acht
nehmen.
Zum Schluß betont Ramsay Hunt, daß zu der organischen Gefäß-
erkrankung immer noch eine abnorm starke vasomotorische Erregbarkeit
sich gesellen müsse, um das Krankheitsbild der intermittierenden Dysbasie
resp. Dyspragie hervorzurufen. (Brtick,)
Goldscheider (202) bespricht einen Fall von spastischer Kontraktur
beider Beine im Knie und Hüftgelenk bei einem Mann, der Lues gehabt
hatte. Ausgehend von der Vermutung, daß es weniger die Lähmung als
vielmehr die spastischen Kontrakturen waren, welche die Bewegungsfreiheit
anfhoben, injizierte Verf. 0,4 — 0,6 ccm einer 10^/^^igen Stovainlösung sub-
dural, worauf nach wenigen Minuten Patient die Beine ziemlich ausgiebig zu
strecken und beugen vermochte. Bald jedoch kehrte die Kontraktur zurück.
Hierdurch war der Beweis erbracht, daß tatsächlich die aktive Bewegungs-
fähigkeit in so großem Umfange erhalten war, daß die Aufhebung der Ge-
braachsfähigkeit lediglich durch die spastischen Kontrakturen bedingt war.
(Baumann.)
Kaposi (283) beschreibt einen Fall, bei welchem sich im unmittel-
baren Anschluß an ein schweres Kopftrauma eine allgemeine pseudospastische
Parese mit Schütteltremor und epileptiformeu Konvulsionen vorfanden. Nach
Verf. eigenen Angaben wurde der Fall von einem der erfahrensten Neuro-
logen (Erb? Ref.) als typischer Fall von traumatischer Hysterie erklärt.
Trotzdem erscheint es dem Verf. mit Rücksicht auf die Entstehung als
dnrchaus wahrscheinlich, daß das Gehirn an der Erschütterung des Schädels
teilgenommen hatte, und daß dabei gerade das Krampfzentrum in der
Mednlla oblongata am stärksten getroffen wurde. Dem Ref. erscheint die
Erklärung des Verf. äußerst gezwungen, und er möchte sich lieber auf die
Seite des erfahrenen Neurologen stellen. (Baumann,)
Sabrazes und Bonsquet (458) beschreiben einen Fall von Allochirie.
Das Grundleiden war mit großer Wahrscheinlichkeit als multiple Sklerose
anzusehen und zeigte kombinierte hemiplegische und cerebellare Symptome.
Außerdem bestand eine an Intensität und Ausbreitung schwankende Hemi-
anästhesie. Sehr häufig aber nicht konstant fand sich in ausgesprochener
Weise das Symptom der Allochirie und zwar in gleicher Weise für alle
Qualitäten. Die Empfindungen wurden auf den genau symmetrischen Punkt
der anderen Seite verlegt Die Erscheinung verschwand meist, wenn die
Empfiudungsprüfungen sehr gehäuft wurden. Zum Schluß geben die Verff.
316 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
eine Übersicht über das Vorkommen der AUochirie, und über die dafür
gegebenen Erklärungen. (Kramer.)
Weber (544) untersucht in einer 112 Seiten starken Schrift die Ur-
sachen und Folgen der Rechtshändigkeit. Die ersten Kapitel beschäftigen
sich mit der Erscheinungsweise der Rechtshändigkeit; hier wird festgestellt,
daß beim Kinde in der ersten Lebenszeit und beim Tiere ein Unterschied
zwischen den Funktionen der beiderseitigen Extremitäten nicht besteht, daß
beim Urmenschen zwar die rechte Seite schon bevorzugt wurde, aber durch-
aus nicht so allgemein wie heutzutage. Dagegen läßt sich in historischen
Zeiten kein Unterschied gegenüber den heutigen Verhältnissen nachweisen.
In der Gegenwart finden wir die Linkshändigkeit bei der Frau häufiger als
beim Manne ; ferner auch beim Verbrecher auffallend häufig. Dann werden
die Theorien über die Entstehung der Rechtshändigkeit besprochen. Die
Hypothesen, welche diese Erscheinung als Folge der Blutversorgung, als
direkte Folge der asymmetrischen Lage der Organe im Körper usw. be-
trachten, werden ausführlich widerlegt. Verf. schließt sich dann folgender
Theorie an: als die Urmenschen zum aufrechten Gange übergingen, eraies
sich die Bevorzugung einer Extremität zum Zwecke schnellerer Übung als
zweckmäßig. Bei Verwendung einer Extremität im Kampfe waren diejenigen,
die links kämpften, wegen der exponierteren Lage des Herzens im Nach-
teile. Dies fiihrte ganz allmählich zur Bevorzugung der rechten Seite.
Doch war diese Bevorzugung keine so zwingende, daß sich nicht noch bis
heute das Vorkommen linkshändiger Individuen erhalten hätte. Im zweiten
Teile werden die Folgen der Rechtshändigkeit besprochen; und zwar vor
allem die linksseitige Lage des Sprachzentrums. Verf. meint, daß diese
einseitige Lagerung sich erst im Verlaufe des individuellen Lebens ausbildet.
Durch das rechtshändige Schreiben werden alle zu dem Gebiete der Sprache
gehörigen Assoziationen au die linke Hemisphäre geknüpft und so das ent-
sprechende Zentrum der rechten Seite vernachlässigt. Daher kommen bei
Kindern, ehe sie schreiben, keine dauernden Aphasien bei linkseitigen
Herden zu stände. Bei Linkshändern sollen rechtsseitige Herde auch nur
dann Aphasie bewirken, wenn dieselben links schrieben. Verf. meint, daß
infolge der Bevorzugung der rechten Hand zum Schreiben eine mangelnde
Ausnutzung des Gehirns bewirkt werde, der man durch Verwendung beider
Hände entgegenarbeiten müsse. (Kramer.)
Batten (33) weist darauf hin, daß im kindlichen Alter ataktische
Erkrankungen vorkonmien, die sich in die gewöhnlichen Krankheitsbilder
(Friedreichsche Ataxie usw.) nicht einordnen lassen. Es werden eine
Anzahl diesbezüglicher Fälle mitgeteilt. Verfasser versucht auf Grund dieser
und der aus der Literatur zusammengestellten Fälle eine Klassifikation dieser
Erkrankungen zu geben und teilt diese ein 1. in Fälle, bei denen die Ataxie
von frühester Kindlieit an besteht und Neigung zu allmählicher Besserung
zeigt (kongenitale cerebellare Ataxie), 2. Fälle, in denen die Ataxie sich
plötzlich entwickelt während oder nach einer akuten Krankheit bei einem
vorher gesunden Kinde (akute Ataxie; encephalitis cerebelli), 3. Fälle, in
welchen sich die Ataxie allmählich entwickelt bei einem vorher gesunden
und bis dahin normal entwickelten Kinde (progressive cerebellare Ataxie).
Die letztere Form steht der Friedreichschen und der Marieschen Ataxie
verhältnismäßig nahe, ist aber doch von dieser deutlich unterschieden.
(Kranw,)
Preobraschensky (411) berichtet über vier männliche Patienten im
Alter von 18 — 23 Jahren, bei denen im Anschluß an eine akute Infektions-
krankheit eine akute Ataxie auftrat. In zwei Fällen war eine Lungen-
Diagnostik der Krankheiten des Nervensystems. 3X7
entzündung vorausgegangen, in den beiden anderen blieb der Charakter der
Infektion unaufgeklärt. Das wesentlichste Symptom bildete die Ataxie der
Sprach-, Rumpf- und Extremitätenmuskeln. Beim Versuch zu sprechen
macht Patient eine Keihe zweckloser, grimassierender Bewegungen mit der
Zunge, den Lippen- und Gesichtsmuskeln, stößt unartikulierte Laute aus;
gleichzeitig wirf der Atmungstypus unregelmäßig. Trotz guter Kraft in
den Extremitäten Bewegungen unmöglich, die Schrift ist äußerst unleserlich.
EÜDige Schriftproben illustrieren diese Störung und die allmähliche Besserung
der Schrift. Sensibilität^ Reflexe, Psyche normal. Li manchen Fällen bestand
Nystagmus, sonst waren die Hirnnerven a. D. Der Verlauf war günstig,
nur in einem Falle trotz viermonatlicher Behandlung keine Besserung. Ver-
fasser nimmt an, daß dem Leiden zerstreute encephale myelitische Herde,
Tieileicht auch hämorrhagischen Charakters, zu Grunde liegen. Verfasser
gibt eine kritische Übersicht der vorhandenen Literatur. (Krön.)
Herz (235) fand, daß das Geräusch beim Quinquaudschen Phänomen
nur dann auftritt, wenn die Beagesehnen der Fiugerbeuger gespannt sind.
Er glaubt, daß die Phalangealkrepitation durch sehi' geringe Verschiebungen
zwischen den Beugesehnen und ihren Scheiden zustande kommt, und nicht,
wie Fürbringer annahm, durch kleine Verschiebungen der Gelenkflächen
aneinander. Dieses „Sehnenschwirren" soll durch unwillkürliche Muskel-
kontraktionen hervorgerufen werden und daher durch die bei Alkoholikern
Torhandene Muskelunruhe begünstigt werden. (Brück.)
HofCmaniL und Marx (244) haben an 1018 Insassen des Unter-
snchnngsgefängnisses in Moabit Untersuchungen über das Vorkommen des
Quinquaudschen Zeichens gemacht und haben dabei gefunden, daß Fehleu
oder ein mäßiger Grad des Phänomens sichere Schlüsse auf Abstinenz oder
Alkoholmißbrauch nicht zuläßt, daß das Fehlen höchstens mit einer Wahr-
scheinlichkeit von 3:2 Abstinenz anzunehmen erlaubt, daß dagegen ein
intensiver Grad des Phänomens mit einer Wahrscheinlichkeit von nahezu
3:1 den Potator strenuus, mit einer Wahrscheinlichkeit von 2:1 den Trinker
anzeigt.
Die Autoren sind der Ansicht, daß der BewegungsefiFekt beim Quin-
quaud durch Kontraktion einzelner Muskelbündel zustande kommt, während
im Gegensatz hierzu der Tremor auf Zusammenspiel ganzer Muskeln beniht.
Hoffmann und Marx konnten das Phänomen bei Personen, die in der
Ruhe davon frei waren, dadurch erzeugen, daß sie die Versuchsperson auf-
forderten, 60 — 80 Sekunden lang einen Arm mit Anspannung aller Muskeln
auszustrecken; sie fanden bei unmittelbar darauffolgender Prüfung in allen
Fällen das Zeichen. Bei Personen, die es schon in Ruhe darboten, wurde
es dadurch verstärkt (Brück.)
Perazzolo (398) hat Untersuchungen über die Häufigkeit des Quin-
quaudschens Zeichens (Krepitieren der auf die Hand des Untersuchers
senkrecht aufgestellten mittleren Finger) bei Alkoholisten angestellt. Bei
30 chronischen Alkoholisten, die außerdem noch Zeichen einer geistigen
Störung zeigten und längere Zeit dem Alkoholgenuß entzogen waren, konnte
er dieses Symptom 20 mal deutlich, 5 mal nur angedeutet finden, während
^ in fünf weiteren Fällen vollkommen fehlte. In einer zweiten Unter-
suchungsreihe wurden chronische, nicht weiter geisteskranke Potatoren ver-
glichen mit mäßigen Gelegenheitstrinkern und mit abstinenten Individuen.
Von den ersteren fehlte das Zeichen unter 10 Fällen nur 2 mal ganz, in
der zweiten Gruppe hatte nur einer das Zeichen, während von den Absti-
nenzlern kein einziger das Quinquaudsche Zeichen erkennen ließ. Das
Quinquaudsche Zeichen muß nach den Untersuchungen Perazzolo s als
318 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie imd
ein Frühsymptom des chronischen Alkoholismus aufgefaßt werden, das alleu
anderen Zeichen auf somatischem Gebiete voraneilen kann. Über die Geuese
dieses Symptomes läßt sich nichts bestimmtes aussagen; ob es als eine Teii-
erscheinung des Tremors aufzufassen ist, ist unsicher; in zwei Fällen bestand
es neben dem Tremor, in der Mehrzahl der Fälle hingegen allein.
(Merzbaelier,)
IV. Sensibilität.
Claparede (103) schreibt über die klinische Prüfung des „sens mus-
culaire". Unter diesem Namen werden eine Anzahl sehr verschiedener,
mehr oder minder komplizierter Wahrnehmungsakte zusammengefaßt. Die
klinische Prüfung der verschiedenen Modalitäten dieses Sinnesgebietes macht
erhebliche Schwierigkeiten. Verfasser empfiehlt, zur Anwendung bei der
klinischen Untersuchung zur Gewichts- und Volumenschätzung die Ver-
gleichung zwischen beiden Händen zu benutzen. Es werden dem Patienten
gleiche oder verschiedene Gewichte resp. Würfel gleicher oder verschiedener
Größe in beide Hände gegeben und dann ein Urteil verlangt, in welcher
Hand das schwerere Gewicht resp. der größere Würfel sei. Eine bestehende
Neigung zur Über- oder Unterschätzung prägt sich dann mit großer Evidenz
und Konstanz aus. Die bisher vom Verfasser mit dieser Methode ange-
stellten Untersuchungen zeigen, daß die Fehler der Gewichts- und der
Volumenschätzung miteinander durchaus nicht parallel gehen, auch bei Sen-
sibilitätsstörungen gleiclien Ursprunges. Auch mit der sonstigen Sensibilität
oder Motilität ist kein Parallelismus zu erkennen. In einem Falle von
Verlust des stereognostischen Perzeptionsvermögens zeigte sich die A^olunaen-
schätzung intakt. (Kmmer,)
Curschmann (123) gibt eine neue Methode zur Bestimmung der
Muskel- und Gelenksensibilität an. Er bestimmt mit dem galvanischen Strom
die Minimalzuckung eines Muskels und die Stromstärke, bei welcher dius
Kontraktionsgefühl des Muskels eintritt. Bei normaler Muskelsensibilität
tritt beides zu gleicher Zeit ein. Die Differenzzahl zwischen beiden gibt
den Herabsetzungsgrad der Kontraktionssensibilität an. Verf. hat solche
Herabsetzung beobachtet bei peripheren Lähmungen mit Ea R, eine geringe
Herabsetzung bei multipler Sklerose, ebenso bei Syringomyelie im Bereiche
der Empfindungslälmmng. Die Gelenksensibilität bestimmt Verf. dadurch,
daß er durch galvanomuskuläre Beizung eine minimale Bewegung im Gelenk
hervorruft. Bei normalen Menschen fällt die Empfindungsschwelle mit der
minimalen Bewegung zusammen. Differenzen zwischen beiden zeigen eine
Herabsetzung an. Eine solche hat Verf. auch bei nicht ataktischen Tabikeru
beobachtet. (Kramer.)
Piltz (406) macht auf Grund von drei von ihm beobachteten FäUen
von Rückenmarkserkrankungen (Stichverletzung, Meningomyelitis cervicalis,
Malum Pottii) eingehende Angaben der dabei auftretenden Dissoziation der
Temperatiu- und Schmerzempfindung. P. gibt eine besondere Bahn für
die Leitung der Temperatur- und Schmerzeindrücke im Rückenmarke an,
die von den Bahnen, die zur Leitung der taktilen Sensibilität und des
Muskelsinnes dienen, anatomisch getrennt ist. Die Lokalisation und der
Verlauf dieser zur Leitung der Temperatur- und Schmerzeindrücke be-
stimmten Bahn ist nach P. folgender: hintere Wurzel, Hinterhom, Com-
missur der grauen Substanz, Vorderseitenstrang und schließlich seitliche
Peripherie desselben, aller Wahrscheinlichkeit nach das Gowersche BündeL
(BendU)
Diagnostik der KrankheiteD des Nervensystems. 3X9
Harinesco (337) gruppiert die Sensifoilitätsstörungen bei Erkrankungen
desNerreDsystems klinisch folgendermaßen : Störungen aller Gefühlsqualitäteu.
— Störung für die Empfindung des Druckes oder der Stimmgabel —
TJelmehr eines dieser Gefühle — mit Erhaltensein aller anderen Gefühls-
qaalitäten. — Aufgehobensein der Wärmeempfindung und des Schmerzgefühls
mit normalen sonstigen Empfindungen (Syringomyelie). — Störung der
Wänneempfindung, des Bertihmngs- und Schmerzgefühls, mit intaktem
Gefühl für Druck und Stimmgabel. (Bendia.)
Buch (80) kommt in seiner Arbeit über Globusgefühl und Aura zu
dem Schluß, daß das Globusgefühl seinem Wesen nach eine innerhalb des
Sympathikus, wahrscheinlich der Grenzstränge, vielleicht mit Einschluß der
prirertebralen Geflechte, sich abspielende Mitempfindung sei, die wahrscheinlich
so zustande kommt, daß ein den hyperalgischen Sympathikus, meist den
Lendensynipathikus, treffender Reiz sich auf die ebenfalls hyperalgischen
Ganglien des Grenzstranges ausbreitet und zwar in der Art, daß von der
Beizstelle aufwärts sukzessive in einem Ganglion nach dem andern die vorher
latente Empfindung über die Bewußtseinsschwelle hinauf geschnellt wird.
B. wendet sich gegen die allgemein geläufige Ansicht, daß Globus nur für
Hysterie charakteristisch sei, und möchte den Begriff der Hysterie mehr
abgegrenzt sehen. In seinen Fällen lag meist Anämie vor. (Bemlur.)
Thnnbarg (524) bezweckt mit seinem* neuen Algesimeter ein in
Zahlen ausgedrücktes Maß für die Stärke eines Nadelstiches zu erhalten'
Sein Algesimeter besteht aus einem zweiarmigen Hebel, dessen kurzer
Hebel um eine Achse drehbar ist. Von der Spitze des längeren Hebel-
annes geht die Nadel aus. Der Abstand von dem Befestigungspunkt der
Nadel bis zur Achse ist in zehn Teile graduiert. Der kürzere Hebelai-m
hat ein Schraubengewinde; au ihm kann ein mit entsprechendem Gewinde
Tersehenes Gewicht durch Schrauben auf verschiedene Abstände von der
Achse eingesteUt werden. Mittelst des Gewichtes kann der andere Hebelami
mit dazu gehöriger Nadel genau äquilibriert werden. Mit Hilfe dieses
Apparates kann sehr genau die Reizschwelle des Schmerzes festgestellt
werden. (Bendix,)
Onszinan (214) hat Untersuchungen angestellt über die Fähigkeit,
Rauhes und Glattes mit Hilfe des Tastsinnes zu unterscheiden. Er benutzte dazu
das Ästhesiometer von Graham Brown. Dieses besteht aus einer glatten
gewölbten Fläche, die auf die Haut aufgesetzt wird, und aus welcher durch
eine Mikrometerschraube G feine Stifte hervorgeschoben werden können. Die
Stifte werden soweit vorgeschoben, bis an der betreffenden Hautstelle das
Gefühl der Rauhigkeit auftritt. Die dazu nötigen Umdrehungen der Mikro-
meterschraube geben ein Maß für die Feinheit der untersuchten Empfindungsart. *
Verf. hat mit diesem Instrument die gesamte Körperoberfläche untersucht,
und stellt die Resultate in einer Tabelle zusammen. Die Werte gehen
ziemlich genau den Weberschen Tasterzirkelschwellen parallel. Einstreichen
der Haut mit anästhesierenden Substanzen ergibt keine wesentliche Ver-
änderung der Schwellenwerte. (Kramer,)
Joteyko (280) gibt in einem Vortrage auf dem belgischen Kongreß
ftr Psychiatrie und Neurologie zu Lüttich ein ausführliche Übersicht über
unsere Kenntnisse bezüglich des Schmerzsinnes. Die Verf. ist eine An-
hängerin des durchaus konsequent durchgeführten Gesetzes der spezifischen
Sinnesenergien; und so ist das Hauptinteresse des Vortrages darauf gerichtet,
nachzuweisen, daß der Schmerzempfindung besondere nervöse Apparate von
der Peripherie bis zum Zentrum zukommen. Bezüglich der besonderen peri-
pheren Sinnesorgane bezieht sich die Verf. auf die Untersuchungen von
320 Allji^emeine Ätiologie, Symptomatologie und
Goldscheider, Blix und von Frey, aus denen die Existenz von besonderen
Schmerzpunkten folgt. Auch an der Hirnrinde nimmt Verf. ein besonderes
Schmerzzentrum an, das in der Nähe der Zentralwindungen liegt. Als
Beweis für die Existenz desselben wird unter anderem angeführt, daß das
Verhalten der Schmerzempfindung in manchen von der Großhirnrinde ab-
hängigen Beziehungen den anderen Empfindungsqualitäten nicht parallel geht
So z. B. bei den Unterschieden zwischen rechts und links. Während die
anderen Sinnesfunktionen bei Rechtshändigen auf der rechten, bei Links-
händigen auf der linken Seite besser ausgestaltet sind, ist für die Schmerz-
empfindung, wie Verf. im Verein mit Stefanowska nachgewiesen hat, stets
die linke Seite die empfindlichere. Auch die Dissoziationen, wie sie z. B.
in der Narkose zwischen den verschiedenen Empfindungaarten sich zeigen,
sprechen in demselben Sinne, ebenso die Dissoziationen unter pathologischen
Verhältnissen. In den letzten Kapiteln werden die Einflüsse des Schmerzes
auf den übrigen Organismus, das verschiedene Verhalten der Schmen-
empfindung nach Alter, Basse, , Geschlecht und bei Tieren besprochen. Den
Schluß bildet ein allgemeiner Überblick auf die teleologisch prophylaktische
Rolle der Schmerzempfindung. (Kramer.)
WiUiamson (564:) hat ein großes Krankenmaterial bezüglich der
Vibrationsempfindungen untersucht. Außer bei einer Anzahl von Nerven-
erkrankungen (Tabes, myelitische Prozesse usw.) fand er auch Herabsetzung
resp. Aufhebung der Vibrationsempfindung in 15 Fällen von Diabetes, ohne
daß sonstige Sensibilitätsstörungen vorhanden waren. (Kranwr,)
Porli und Barrovecchio (165) haben einige Patienten mit Sensi-
bilitätsstörung (Syringomyelie und Polyneuritis) bezüglich des Verhaltens der
Vibrationsempfindung untersucht. Sie fanden, daß die Störungen dieser Em-
pfindungsart durchaus den Störungen der Berührungsempfindung parallel
gehen und dieselben Grenzen wie diese innehalten. Bei Intaktheit der Be-
rührungsempfindung erwies sich auch die Vibrationsempfindung als intakt
Hieraus schließen die Verf., daß Berührungsempfindung und Vibrationsgefuhl
Äußerungen einer einzigen Sensibilitätsart sind, die sich nur dadurch unter-
scheiden, daß bei der Prüfung der einen ausschließlich die Hautoberfläche,
bei der anderen auch die tiefen Teile mit in Betracht kommen. Zu dieser
Ansicht waren die Verf. schon durch ihre früheren Untersuchungen ge-
kommen, in welchen sie das Verhalten des Vibrationsgefuhls bei Bierscher
spinaler Anästhesie untersucht hatten. (Kramer,)
Treitel (526) stellte durch seine an Nervenfällen vorgenommenen
Untersuchungen über das Vibrationsgefühl fest, daß Störungen der Vibrations-
empfindung z. B. bei Tabikern viel früher beobachtet werden können, als
solche des Tast- und Schmerzgefühls. Auch glaubt T., daß die Störungen
des Lagegefühls und der Ataxie mit den Alterationen des Vibrationsgefühls
enger zusammenhängen, als mit denen der Hautsensibilitätsstörungen.
(Bmdix,)
Sterling's (499) ausgedehnte Untersuchungen über das Vibrations-
gefuhl bei Tabes und speziell im Initialstadium der Tabes führten zu dem
Resultat, daß in den frühesten Stadien dieser Krankheit die Vibrations-
störungen oft völlig fehlen. Auch bestehe kein Zusammenhang zwischen
Ataxie und Vibrationsstörungen. Bei anderen organischen Rückenmarks-
erkrankungen stellten sich sehr wichtige Abweichungen des Vibrationsgefuhls
gegenüber den übrigen Geftihlsstörungen heraus.
Bei der Läsion der peripheren Nerven, entzündlicher oder neuralgischer
Diagnostik der Krankheiten des Nervensystems. 321
Natur, scheint aber die Unte;*suchung des Vibrationsgefühls keine deutliche
klinische Bedeutung zu haben und keine konstanten Ergebnisse zu liefern.
(Bendix.)
Bing (56) ist durch seine Untersuchung der Knochensensibilität zu
einer Bestätigung der Eggerschen Ansicht gelangt, daß die Stimmgabel-
Methode in der Tat zur Prüfung dieser Empfindungsart geeignet sei. Die
abweichenden Resultate von Kydel und Seif f er seien auf die Verschiedenheit
der Methode zurückzuführen. Bei der von Egger angewandten großen
Stimmgabel mit kleinem Fuße ist die, durch die Haut und die Muskeln
vennittelte Yibrationsempfindung eine im Verhältnis zu der des Knochens
so geringfügige, daß sie nicht wesentlich in Betracht komimt ; und so können
wir tatsächlich mit der Stimmgabel die Knochensensibilität prüfen. Verf.
bestätigt auch die Eggerschen Angaben, daß für das Resultat der Prüfung
nur die Sensibilität an der Stelle des Aufsetzens der Stimmgabel in Frage
kommt, und daß eine Erregung durch fortgeleitete Schwingungen nicht statt-
findet. Er erklärt dieses Verhalten dadurch, daß die periostalen Nerven
nur durch Wellen, die das Periost senkrecht treffen, und nicht durch solche,
die parallel gehen, erregt werden. (Krämer.)
Neutra (376) hat Untersuchungen angestellt über das Hören des
Stimmgabeltones von peripheren Körperstellen aus (Osteoakusie), und die
Beziehungen dieser Fähigkeit zur Vibrationsempfindnng. Die Resultate, zu
denen er gelangt, sind folgende: Es handelt sich bei der Osteoakusie aus-
schließlich um das Fortleiten des Stimmgabeltones von der Applikationsstelle
bis zum Gehörorgan. Es ist also ein Phänomen, das der Knochenleitung
vom Schädel aus durchaus analog ist und daher ähnliche Eigenschaften
zeigt wie diese bezüglich der Verstärkung bei Ohrverschluß und der
Lateralisation im Web ersehen Versuch. Die Osteoakusie ist etwas prinzipiell
verschiedenes von der Vibrationsempfindung, indem die letztere, die Verf.
für einen modifizierten Drucksinn auffaßt, eine Wirkung der Stimmgabel-
schwingungen auf die lokal befindlichen sensiblen Nervenendigungen darstellt.
Für sie spielt der Knochen nur die Rolle eines die Schwingungen ver-
stärkenden Momentes. Infolge dieses Unterschiedes wird das Knochenhören
durch lokale, organische Anästhesien, welche die Vibrationsempfindung auf-
heben, nicht beeinflußt. Dagegen wird es erheblich modifiziert durch den
Zustand des fortleitenden Knochengerüstes, indem Extension einer Extremität,
verschiedene Krümmung der Wirbelsäule, Skeletterkrankungen einen deut-
lichen Einfluß ausüben. Aus den Differenzziffern der Osteoakusie und der
Vibrationsemptindung an einer Stelle, d. h. der Sekundenzahl vom Ende der
einen bis zum Ende der anderen Empfindung lassen sich eine Reihe von
diagnostischen Schlüssen ziehen. Aus der verschiedenen Genese beider
Empfindungsarten folgt, daß ein gleichzeitiges Fehlen beider an einer Stelle
infolge einer organischen Erkrankung durchaus unwahrscheinlich ist und
darum, wenn es zur Beobachtung* kommt, durchaus für Hysterie oder
Simulation spricht. (Kramer.)
Nentra (375) hat die bei der Vibrationsempfindung zu beobachtenden
Ermüdungsphänomene einer genauen Untersuchung unterzogen. Das Studium
dieser Ermüdungserscheinungen ist darum auch wichtig, weil dieselben bei
der Feststellung der Dauer der Vibratiousempfindung von außerordentlichem
Einflüsse sind. Stellt man die Stimmgabel auf irgend einen Knochenpunkt
und läßt sie abklingen, bis ihre Vibration nicht mehr wahrgenommen wird
und stellt sie dann auf den symmetrischen Punkt, so wird dieselbe hier noch
eine bestimmte Zeit wahrgenommen, eine Zeit, die als Ermüdungsziffer be-
zeichnet wird. Bei gleichempfindlichen Stellen ist naturgemäß die Ermüdungs-
Jahresberieht f. Kearologie und Psychiatrie 1906. . 21
322 Allg^emeine Ätiologie, Symptomatologie und
Ziffer von der einen Stelle zur andern gleich der in umgekehrter Reihenfolge
erhalteneu. Gleichheit der Ermüdungsziffer beweist also Gleichheit iler
Empfindlichkeit zweier Stellen, während man aus der Verschiedenheit der
Ziffern eine verschiedene Empfindlichkeit schließen kann. Aus diesen Gründ»»ü
eignet sich die Bestimmung der Ermüdungsziffer einmal für die Feststellen*,'
der Topographie der Vibrationsempfindung am normalen Körper, sowie für
die Feststellung pathologischer über- oder Unterempfindlichkeit. Verf. gihr
die Zahlen, die er für die Verteilung der Vibrationsempfindlichkeit am Körper
erhalten hat an; dieselben zeigen Abweichungen von den Angaben der anderen
Autoren. Diese Ermüdungsphänomene sind durchaus physiologischer Natiir.
Unter pathologischen Bedingungen können jedoch die Ermüdungserscheinungen
noch andere Formen annehmen. So hat Verf. das Vorkommen folgender
Erscheinung beobachtet. Wenn man nach Aufliören der Empfindung an
der zweiten Stelle die Stimmgabel noch einmal an die erste zurückbringt,
so wird hier die Vibration wieder wahrgenommen, und dieses Spiel kann sich
mehrere Male hin und her wiederholen oder, wenn man an einer und derselben
Stelle die Stimmgabel nach Aufhören der Empfindung eine kurze Zeit abnimmt
und dann wieder aufsetzt, so setzt auch hier die Empfindung eine oder
mehrere Male wieder ein. Diese Erscheinungen sind besonders bei Neur-
asthenie zur Beobachtung gekommen. Verf. geht dann noch auf die allgemeine
Theorie der Ermüdungserscheinungen ein. Er glaubt nicht, daß dieselben
auf allen Gebieten nach einem Schema zu erklären seien. Die physiologischen
Ermüdungserscheinungen auf dem Gebiete der Vibrationsempfindung sieht
Verf. als Ermüdung des peripheren Nerven an, während bei den geschilderten
pathologischen Erscheinungen außerdem Einflüsse des Zentralnervensystems
sich geltend machen. (Kramer.)
Schaffer (467) schreibt über die klinische und anotomische Erscheinungs-
weise der zerebralen Sensibilitätsstörungen. Er berichtet über einen Fall,
in welchem nach zwei Insulten eine sehr starke Störung des gesamten Em-
pfindungsvermögens bestand. Es fand sich Anästhesie für Berührungs-, Schmerz-
und Temperaturreize am ganzen Körper, nur das Gesicht war im wesentlichen
frei. Bei gröberen Reizen war am Körper noch eine Empfindung zu erzielen,
doch mit sehr falscher Lokalisation und falschen Qualitätsbezeichnungen der
Temperaturreize. Außerdem bestand auch eine starke Herabsetzung der tiefen
Sensibilität. Im Anschluß daran bespricht Verf. die Frage der anatomischen
Basis der zerebralen Sensibilitätsstörungen und berichtet auch noch über
einen Fall von zerebral bedingter hochgradiger Beeinträchtigung des Loka-
lisationsvennögens. Er kommt zu folgenden Schlüßen: Eine vollkommene
Aufhebung der Sensibilität bei zerebralen Herden ist nur dann zu finden,
wenn (»ine sehr hochgradige und ausgedehnte Markerweichung vorliegt. Meist
sind die Ausfallserscheinungen bei geringerer Ausdehnung der Läsion nur
partiell und best(»hen in fehlerhafter Perzeption. Alle zerebralen Empfindungs-
störungen sind sehr variabel und auch von der Aufmerksamkeit beeinflußbar.
Die Ausdehnung der Empfindungsstörung kann polyinsulär oder von voll-
kommen hemianästhetischer Form ähnlich den hysterischen Störungen sein;
dann auch, was das häufigste ist, hemianästhetisch, nach den Extremitätenenden
hin zunehmend, oder bei Diplegien kann eine doppelseitige Anästhesie bestehen.
Die Hemianästhesie läßt oft das Gesicht ganz oder teilweise frei. Die Hemi-
anästhesie ist entweder bedingt durch Zerstörung der thalamokortikalee
Bahnen im Marklager oder im Thalamus selbst bei Herden im hintere«
Teil der inneren Kapsel. Läsionen im vorderen Abschnitte der inneren
Kapsel können auch ohne Sehhügelläsionen Hemianästhesie bedingen.
(Krämer.)
Diagnostik der Krankheiten des Nervensystems. 323
Bei Besprechung der zerebralen Sensibilitätsstörungen bei Hemiplegie
liebt Schaffer (^ö8) folgende Merkmale derselben hervor: Topoanästhesie
(ist für cerebrale Sensibilitätsstörungen nahezu charakteristisch), Stereoagnosie,
artikulare und überhaupt tiefere Störungen der Sensibilität, auch Analgesie
kommt Yor. Dissoziation der Temperaturempfindung ist häufig. Die klini-
schen Pormen der zerebralen Sensibilitätsstörungen teilt Schaffer in drei
Gruppen: I. polyinsuläre Form; U, hemianästhetische Form, 1. gleichmäßig
aaf der ganzen Körperhälfte, 2. totale Anästhesie distal, Hypästhesie pro-
ximal; in. doppelte Hemianästhesie, d. i. Hemianästhesie beider Körper-
hälften. Bezüglich anatomischer Lokalisation akzeptiert S. den Dejerine-
Longschen Standpunkt, daß sensible und motorische Fasern in der Caps,
int vermengt vorkommen, was S. auf Grund zweier anatomischer Befunde
bestätigt. Ist nur ein Teil des hinteren Astes des Caps. int. zerstört, so
ist die Hemianästhesie nicht yollkommen; ist die Zerstörung total, so ist
auch die motorische und sensible Störung vollkommen. Das dritte Neuron
der sensiblen Bahn, welches von der ventro-lateralen Krone des Sehfeldes
in der ganzen Breite des hinteren Astes der Caps. int. ausgeht, ist einer
Garbe ähnlich, welche sich über der Kapsel fächerartig ausbreitet, somit
müssen Hemisphäralherde sehr ausgebreitet sein, wenn sie vollkommene
Anästhesie hervorrufen sollen.
In einem Nachtragsvortrage erwähnt S. noch folgendes interessante
klinische Verhalten: Wird bei erhobenem Arme des Patienten dessen Arm
erhoben, so verbleibt dieser ca. 5 Minuten (manchmal auch länger) erhoben
und sinkt dann erst langsam und sukkessive hinab ; ähnliches, aber weniger
ausgeprägtes Verhalten der unteren Extremität. S. nennt die Erscheinung
Pseodokatalepsie, deren Ursache darin liegt, daß der Kranke wegen einer
Sensibilitätsstörung nicht zur Kenntnis der Lageveränderung gelangt, und
Beinen Arm quasi in der gegebenen Lage vergißt. Das nachträgliche Sinken
ist einer spät eintretenden Ermüdung, eventuell aktiven Innervation zuzu-
schreiben. (Uudovertdg,)
Hatschek (226) beschreibt einen Fall von zerebral bedingter disso-
ziierter Störung der tiefen Sensibilität. Die Störung war bei der Patientin
plötzlich ohne schwerere Insulterscheinungen mit häufigen Kopfschmerzen
eingetreten. Es bestand an dem rechten Arme eine Aufhebung der Lage-
und Bewegungsempfindung, eine sehr starke Störung der Lokalisation und
des Drucksinnes, während die Oberflächenqualitäten intakt waren. Die
Motilität war nur in den ersten Tagen leicht gestört. Alle Bewegungen
geschahen aber, besonders bei geschlossenen Augen, in hohem Maße ataktisch.
Sogar die FaustschluBkoordination war gestört. Unter antiluetischer Behand-
lung allmähliche Besserung. Bemerkenswert ist hierbei, daß die Besserung
äes Lokalisationsvermögens mit derjenigen der Bewegungsempfindung nicht
parallel ging Verfasser vermutet einen zerebralen Sitz der Affektion; der
Fall weist seiner Ansicht nach auch darauf hin, daß die Lokalisation der
tiefen Sensibilität in der Hirnrinde nicht mit derjenigen der Motilität identisch
sei (Krämer,)
Schlesinger (472) berichtet über das Veriialten der Sensibilität bei
akuter lokaler Ischämie. Verfasser hatte Gelegenheit, in fünf Fällen plötz-
lichen embolischen Gefaßverschluß an den unteren Extremitäten zu sehen.
Unmittelbar nach dem Eintreten desselben ist neben vollständigen schlaffen
Mnskellähmungen, dem Erlöschen der Keflexe auch eine komplette Aufhebung
der Sensibihtät zu beobachten, und zwar sind in gleicher Weise die ober-
flächlichen, wie die tiefen Qualitäten betroffen. Die Ausbreitung der Sensi-
hihtätsstörung war in allen Fällen die gleiche, was wohl mit dem Prädi-
21*
324 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
lektionssitz der Embolie zusammeuhängt. Und zwar war anästhetisch eiae
Zoue am Fuß und Unterschenkel, die vorn das untere Viertel, hinten das
untere Drittel des Unterschenkels einnimmt. Diese Begrenzung, die auch
immer von der später einsetzenden Gangrän inne gehalten wird, entspricht
weder den peripheren, noch den radikulären Nervengebieten. Hieraus schließt
Verfasser, daß die Anästhesie nicht durch Schädigung der peripheren Nerven,
sondern durch eine solche der Nervenendigungen bedingt ist. Hierfür spricht
auch der Umstand, daß die peripheren Nerven gegen Blutleere ziemlich
resistent sind. Auf die Schädigung der peripheren Nervenstämme will
dagegen Verfasser den immer sehr heftigen Schmerz zurückführen. Die
Schädigung der Nervenendigungen ist zunächst keine sehr schwerwiegende,
da Restitutionen auch noch nach Stunden möglich sind. Die Sensibilitäte-
störungen sind immer nur bei völligem Verschluß zu beobachten, ein Umstand,
der eventuell dififerentialdiagnostisch wichtig sein kann. (Kramer.)
Bonnier (65) bezeichnet mit Aschematie (bezw. mit Hyper-, Hypo-
und Paraschematie) die Störung der räumlichen Orientierung. In jeder
Wahrnehmung, mag dieselbe sich auf ein äußeres Objekt oder den eigenen
Körper beziehen, müssen wir unterscheiden einen sensoriellen Faktor und
eine räumliche Komponente. Diese letztere ist überhaupt das Vergleich-
bare an den verschiedenen Sinneswahrnehmungen, dasjenige, was die Grund-
lage der Objektbildung ist. Diese Raumkomponente darf nicht, wie es von
vielen Autoren geschieht, mit der Bewegungsempfindung, dem „Muskelsinne'^f
identifiziert werden. (Irrtümlicherweise wirft Verfasser diese Vermengiing
der beiden Begriffe auch Storch vor, der im Gegenteil eben diese Ansicht
bekämpft, und dessen Standpunkt dem des Verfassers sehr ähnlich ist)
Verfasser teilt dann eine Anzahl von Fällen zum Teil aus seinen früheren
Arbeiten mit, die eine isolierte Störung dieser räumlichen Komponente der
Wahrnehmung, also Aschematie, zeigen. Es handelt sich meist um anfalls-
weise Störungen, die mit dem vestibulären resp. cerebellaren Apparate
zusammenhängen. (Kramer.)
Nach den Erfahrungen Erons (304) ist der reflektierte Ohrschmera
am häufigsten. Er weist, wenn andere Affektionen fehlen, auf den zweiten,
seltener auf den ersten unteren Molaren hin; er verbindet sich aber, was
der reinen Hyoidzone nicht entspricht, gern mit Schläfenschmerz. In der
Häufigkeitsskala folgen dann die dem Maxillartypus angehörigen Fälle.
Weiter ist der Schlundschmerz eine bekanntere" Reflexerscheinung. Die
anderen Neuralgieen hat Verfasser seltener und auch nicht immer in der
typischen Ausbreitung gefunden. Bestätigt wird, daß der lokale Schmerz
auch bei Pulparverrenkung angetroffen werden kann. (KroTu)
Sternberg (501) gibt zur genauen Prüfung des Geschmackssinnes
ein Gustometer an, welches auf dem Prinzip beruht, die schmeckenden
Substanzen in gasförmiger Beschaffenheit einwirken zu lassen. Es besteht
aus einem Gebläse, zwei Gefäßen mit gegenüberliegenden Offnungen und
den Ansätzen. Das Glasgefäß, zur Aufnahme des Siißstoffes bestimmt, und
ein anderes Gefäß zur Aufnahme des Bitterstoffes, sind durch einen Zu-
führungsschlauch auf der einen Seite mit einem Gebläse verbunden. Ein
Zweiwegehahn gestattet, nach Belieben die Luft in das eine oder in das
andere Gefäß zu treiben. Die gegenüberliegende Seite der Geföße ist
wiederum mit Hähnen verseilen, welche schließlich in ein zugespitztes
Röhrchen auslaufen. Zur Vergrößerung der Verdampfungsfläche dienen
Schwammstückchen am Boden der Gefäße. (Bendix.)
Ein anderer Apparat Stemberg's (502) ermöglicht es, die Geschraacks-
untersuchung auf beiden Seiten der Zunge gleichzeitig vorzunehmen und sich
Diagnostik der Krankheiten des Nervensystems. 325
über die Ausdehnung des gesamten Geschmacksfeldes zu orientieren und die
Intensität der Geschmacksempfindung zu bestimmen. Der Apparat wird am
Oberkiefer befestigt und trägt zwei bewegliche Kanäle, deren Abstand an
einer Skala abgelesen werden kann, und deren Entfernung von der Zunge
leicht zu bestimmen ist. (Bendix.)
Menzel (347) teilt einen Fall mit, bei dem eine paradoxe Schmerz-
empfindlichkeit im Kachen vorhanden war. Der Kranke lokalisierte den
Schmerz auf die der erkrankten, entzündeten Pharynxpartie entgegengesetzten
Seite. Auch beim Ätzen der kranken . linken Rachenseite gab der Patient
an, nur rechts Schmerzen zu spüren. (Betidix.)
V. Reflexe.
Müller und Seidelmann (365) untersuchten den Bauchdeckenreflex
an 1000 gesunden Soldaten, femer an 2000 nervengesunden Patienten des
Ambulatoriums. Es ergab sich, daß der Reflex nur in einem verschwindenden
Bnichteil (etwa 0,5 ^1^) fehlte. Das Fehlen des Bauchdeckenreflexes beweist
also mit allergrößter Wahrscheinlichkeit eine Erkrankung des Nervensystems
oder eine Affektion der Bauchorgane.
Von großer diagnostischer Wichtigkeit ist das doppelseitige Fehlen der
Bauchdeckenreflexe bei der multiplen Sklerose (Strümpell). Es sichert
häufig die Differentialdiagnose gegenüber einer echten spastischen Spinal-
paralyse. (Bei letzterer kann allerdings bisweilen durch die hochgradige
Bvpertonie der Bauchmuskeln der Reflex vorübergehend verdeckt werden.)
Im Gegensatz zur multiplen Sklerose sind die Bauchdeckenreflexe bei
der Tabes gewöhnlich vorhanden oder gesteigert, abgesehen von Spätstadien
mit sehr ausgebreiteter Anästhesie der Bauchhaut. Bei funktionellen
Empfindungsstörungen verschwindet im allgemeinen der Reflex nicht.
Das Fehlen der Bauchdeckenreflexe ist ferner von Wichtigkeit bei
Affektionen der Bauchorgane: Alle krankhaften Prozesse, die sich im Ab-
domen abspielen und den Spannungszustand der Bauchmuskulatur steigern,
können die Auslösbarkeit der Bauchdeckenreflexe verhindern oder erschweren.
Chronisch sich entwickelnde Prozesse hindern zwar im allgemeinen das Auf-
treten der Reflexe nicht, dagegen gehen sie bei rascher sich entwickelnden
Auftreibungen, die zur Spannung des schmerzhaften Abdomen führen, in
der Kegel verloren. Halbseitiges Verschwinden sieht man ganz gewöhnlich
hei akut -entzündlichen Lokalaffektionen, die bei gleichzeitiger, mehr um-
schriebener Druckempfindlichkeit des Abdomens ungefähr über der Stelle
des erkrankten Organs eine erhöhte Muskelspannung verursachen. Ein
typisches Beispiel ist dafür die akute Perityphlitis, bei welcher in ürenzfällen
das Fehlen des rechten unteren Bauchreflexes für die Diagnose von Wichtig-
keit sein kann.
Zum Schluß werden einige Kautelen der Untersuchung besprochen.
Die störende Anspannung der Bauchmuskeln wird am besten durch ableitende
Tnterhaltung mit dem Patienten überwunden. Das Streichen darf nicht zu
langsam und nicht mit einem zu stumpfen Instrument geschehen. Bisweilen
ist eine stumpfe Nadel zweckmäßig. Eine Untersuchung im Stehen ist in
zweifelhaften Fällen der im Liegen hinzuzufügen. (Mann,)
Sicard (484) hat bei größeren Kindern, die an Typhus und an Appen-
dicitis erkrankt waren, täglich die Bauchreflexe untersucht und macht über
seine Ergebnisse folgende Mitteilungen:
In 26 Typhusfällen fand er 22 mal beiderseitige Verminderung oder
Fehlen der Bauchreflexe; rasches Schwächen^erden der Reflexe im Anstieg
326 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
der Erkrankung, Rückkehr der nonnalen Reflexerregbarkeit zugleich mit der
Entfieberung oder kurz zuvor. Beim Wiedererscheinen der Reflexe ließ sich
im allgemeinen zuerst der obere Reflex wieder auslösen.
Bei der Appendicitis konstatierte der Autor häufig rechtsseitiges Fehlen
oder Verminderung der Reflexe, zumal der unteren, bei normalen linksseitigen
Bauchdeckenreflexen; zugleich mit der Rekonvaleszenz stellte sich auch hier
die Reflexerregbarkeit wieder rasch her.
Diese Verminderung der Reflexe ging teilweise mit gesteigertem, patho-
logischem Kontraktionszustand der Muskulatur, teils mit abnormer Mnskel-
schlaflFheit einher; sie fand sich auch in Fällen, bei denen keine Schmerzen
vorhanden waren. (Brück,)
Horsley (250) beschreibt «inen vom Trigeminus auslösbaren Ohrreflex
beim Kaninchen. Wenn man im Bereiche des 2. Trigeminusastes vor allem
an dem Foramen infraorbitale einen Reiz ausübt, so erfolgt eine Erhebung
des gleichseitigen Ohres; dieselbe Bewegung, die doppelseitig erfolgt, wenn
das Tier in Furcht geraten flüchtet. Durch andere Reize ist es dem Verf.
nicht gelungen, dieselbe Bewegung auszulösen, ausgenommen durch Gehörreize.
Die Reflexbewegung ist eine durchaus zweckmäßige, indem sie beim Heran-
nahen von Gefahr die Gehörswahmehmuug verschärft. Nach experimentellen
Untersuchungen vermutet Verf., daß der Reflex über die hinteren Vierhügel
geht. (Kramer.)
IVtirallie und Gendron (365) untersuchten den diagnostischen Wert
des Supraorbitalreflexes in Bezug auf die Unterscheidung zwischen zentraler
und peripherer Facialislähmung. Sie fanden in 16 Fällen von zentraler
Lähmung den Reflex stets deutlich vorhanden. 8 mal war er auf der gelähmten
Seite stärker, wie auf der gesunden 7 mal beiderseits gleich, und 1 mal auf
der gelähmten Seite schwächer. Dagegen war jn 6 Fällen von peripherer
Facialislähmung der Reflex allemal aufgehoben. Über die Frage der Wieder-
kehr des Reflexes im Stadium der Heilung und über die prognostische Be-
deutung bezüglich der Heilungsdauer der peripheren Facialislähmungen stellen
die Verfasser noch nähere Beobachtungen in Aussicht. (Mann)
Hndovemig (255) vertritt seine, schon früher ausgesprochene Ansicht,
daß der sogenannte Supraorbitalreflex kein Reflex sei. Er sieht das Phänomen
ausschließlich als den Ausdruck einer unmittelbaren Ausbreitung des mecha-
nischen Reizes an und führt dafür besonders 4 Fälle von Exstirpation des
Ganglion gasseri an, in welchen jede Leitung im Trigeminus ausgeschlossen
war, trotzdem aber der Reflex in derselben Stärke wie auf der gesunden
Seite nachweisbar war. (Mann.)
Bei einem Paralytiker mit allgemeiner Reflexsteigerung konnte Reuter
(439) bei Reizung der Handfläche neben dem gewohnten Palmarreflex (Finger-
beugung) nach Reizung der Handfläche noch folgenden Vorgang bemerken:
Bei leichter Abduktionsbewegung des Unterarmes wird derselbe nach vorne
gestoßen und gehoben, macht eine leichte Extensionsbewegung; gleichzeitig
erfolgt leichte Kontraktion der Schulter- und Clavikularpartie des Deltoideus
und des Triceps. Das Phänomen war nur bei diesem einen Kranken nach-
weisbar. (Hudovemig.)
Porli und Quidi (166) haben das Verhalten des Rachenreflexes bei
zahlreichen gesunden Personen und in Fällen von funktionellen und organischen
Gehirn erkrankungen untersucht. Bei jüngeren gesunden Personen wurde
der Reflex in 15,8 7o der Fälle vermißt, während er bei gesunden Personen,
die älter als 60 Jahre waren in 31,4^0 ^^r Fälle nicht ausgelöst werden
konnte. Bei den Hysterikern fand sich die Alteration des Reflexes ver-
schieden stark ausgeprägt, je nachdem es sich um schwerere Formen mit
Diagnostik der Kr&Dkheitea des Nervensystems. 327
£rampfeisclieinimgen oder um melir reine psychische Eormen handelte
(ibwesend bei den ersteren in 65,5 7o9 ^^i ^^^ letzteren in 31,35 % der
¥$üey Bei den Epflq>tikern wurde der Reflex relativ häufig verändert
geioodeD. Bei der Paralyse scheinen die Kranken mit fortgeschrittenen
Foimen weit häufiger eine Abschwächung oder das Fehlen des Reflexes zu
mgm als die Kranken, die im Beginne der Erkrankung stehen. Nach
ebbender Besprechung der an diesem Reflexe beteiligten anatomischen
Bahoeo and sich stützend auf die klinischen Erfahrungen — speziell in
Fallen von Hemiplegien — kommen die Autoren zu dem Schlüsse, daß wir
in dem Rachenreflex einen kortiko-nukleären Reflex erblicken müssen, und
dafi die Absohwächuug oder Aufhebung des Reflexes vorzüglich durch
Leitungsunterbrechungen seines zentripetalen Schenkels bedingt sei. Diese
zeBtiipetale Bahn ist sensorischer, nicdit sensibler Natur. (Merzbacher.)
WMte (557) gibt eine neue Methode zur Auslösung der Dorsalflexion
der großen Zehe bei Läsion der Pyramidenbalinen an. Während Oppenheim
darch Bestreichen der inneren Seite des Unterschenkels undGordon durch
festes Kneten der Wadenmuskulatur die Dorsalflexion erzielen, will Verf.
durch Bestreichen der medialen Teile der Vorderseite des Obersdienkels
mit dem Perkussionshammerstiel eine Dorsalflexion der großen Zehe erreichen
aach in Fällen, wo zwar die Babinskische Methode den Reflex erzielte,
aber bei der Oppenheimschen und Gordonschen Methode eine Wirkung
aisblieb. Da die Hautgebiete, von denen Verf. den Reflex auslöst, dem
1. uüd 2. Lumbaisegment angehören, das spinale Zentrum des ext. hallucis
lougas aber in dem Vorderhom des V. Lumbaisegmentes zu suchen ist, so
maß das zentripet^e Neuron dieses V. Lumbaisegment erreichen. Das tat-
sächliche Eintreffen dieses Postulates glaubt Verf. histologisch auch nach-
gewiesen zu haben. ^ (Baumann.)
Morselli (360) bringt Beobachtungen über den von Sciamanna
(cfr.diesen Jahresber. 1904) beschriebenen Unterarmreflex bei normalen und
kranken Individuen. (Meizbacher.)
Lannois und Clement (312) kommen in ihrer Arbeit zu folgenden
fiesttltaten :
1. In der Narkose findet zuerst ein Verschwinden der Erregbarkeit der
flaat- und Augenreflexe statt. Die Patellarreflexe hingegen erfahren eine
Steigerung vor dem Verschwinden.
2. Der Fußklonus verhält sich nicht wie der Patellarreflex ; er beginnt
einige Augenblicke nacli dem Verschwinden der Augenreflexe stärker zu
werden, aber anstatt sich im Verlaufe der Narkose abzuschwächen, wächst
er and besteht selbst noch, wenn der Patient aufwacht.
3. Diese Steigerung des epileptiformen Zittaus ist völlig unabhängig
von dem Tonus der Muskulatur; sie scheint ihr Maximum während der voll-
ständigen Lösung zu haben.
4. Das Zentrum des Klonus liegt wahrscheinlich zwischen den Zentren
der Sehnenreflexe und den Zentren der organischen Reflexe der Zirkulation
nnd der Atmung; daher ist es von Wichtigkeit, das epileptiforme Zittern
während der Narkose zu überwachen. (Uamtuimu)
Nach CllAddock (91) gibt es 4 Arten von Fußklonus: 1. Wirklicher
pathologischer Fußklonus als ein unzweideutiges Zeichen organischer Nerven-
erkrankung, ausgezeichnet durch die Schnelligkeit und Regelmäßigkeit der
UoRiscben Bewegungen mit Erschlaffung der Unterschenkelmuskeln. 2. Wirk-
licher physiologischer Fußklonus, bei gesunden Personen vorkommend, aus-
gezeichnet durch die Spannung der Unterschenkelmuskeln. 3. Wirklicher
Reflexfufiklonus, vorkommend in Venbindung mit chron. Erkrankung des
328 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
Fußgelenkes. 4. Falscher Fußklonus, bei funktionellen nervösen Erkrankungen,
ausgezeichnet durch die Unregelmäßigkeit der Bewegungen oder durch die
Kontinuierlichkeit der vibrierenden Bewegungen nach Beseitigung des aus-
lösenden Aufwärtsdruckes, derart, daß die Vibration zum spontanen Tremor
wird. Auf Grund seiner Untersuchungen kommt Verf. zu folgendem Schlüsse:
Verlust der tiefen Reflexe beweist das Bestehen einer organischen Erkrankung
des Reflexbogens; Steigerung der tiefen Reflexe beweist eine organische
Erkrankung der dazu gehörigen cerebro-spinalen Bahnen. (Baumarm.)
Rolleston (447) hat bei einer großen Zahl von Diphtheriefällen die
Achillessehnenreflexe untersucht und fand diese in einer erheblichen Zahl
der Fälle fehlend oder herabgesetzt, wenn auch weniger häufig, als dies
beim Patellarreflex der Fall ist. Es sind vor allem die schweren Fälle von
Diphtherie, in denen die Achillesreflexe fehlen, und zwar besonders die,
welche mit Lähmungen einhergehen. Die Reflexverminderung tritt oft schon
am Beginn der Krankheit ein und kann diese, sowie auch die Lähmungen
überdauern, Ungleichheit der beiden Reflexe kommt auch vor, besonders
zur Zeit der Besserung. (Kramer,)
Als Reflexe der distalen Abschnitte der oberen Extremität werden von
V. Bechterew (3 7) folgende aufgeführt: Der Palmarreflex, der in einer Kon-
traktion des M. palmaris brevis besteht, der Metacarpophalangealreflex, der
sich als Flexion der Fingerphalangeu bei Reizung der dorsalen Fläche des
Metacarpus äußert, der Handreflex, hervorrufbar durch Perkussion der SeRne
des M. ulnaris externus dicht über dem unteren Ende der Ulna. Der
letztere führt zur Extension und Abduktion der Hand. Schließlich sind noch
von besonderer Bedeutung die Reflexe von den Sehnen der Hand- und
Fingerflexoren, sowie ein Pronatorenreflex, der von einer Kontraktion des
M. Pronator quadratus abhängt und durch Perkussion auf den Rand der
Ulna erhalten wird.
Diese Reflexe können einmal in dem Falle diagnostische Bedeutung
gewinnen, wenn sie normale oder gesteigerte Erregbarkeit zeigen. Aber
auch im Falle des Fehlens können sie trotz ihrer nicht unbedingten Konstanz
verwendet werden, nämlich dann, wenn sich ein ungleiches Verhalten auf
beiden Seiten herausstellt. Eigene Untersuchungen haben nämlich gezeigt,
daß eine bilaterale Ungleiclimäßigkeit, resp. einseitige Entwicklung dieser
Reflexe ein relativ seltenes Vorkommnis darstellt. (Mann.)
V. Bechterew (38) äußert sich über die Natur des von ihm früher
beschriebenen Lumbofemoralreflexes. Derselbe ist nach McCarthy nur der
Ausdruck einer mechanischen Reizung, die durch das Knochengewebe in der
Wirbelsäule hindurch das Rückenmark und die vorderen Wurzeln erreichen
soll. V. Bechterew hält demgegenüber die reflektorische Natur der Er-
scheinung aufrecht und fuhrt dafür an, daß der Reflex nicht nur auftritt,
bei Beklopfen der Lendenwirbelsäule, am Orte der Wirbel selbst, sondern
auch in ihrer nächsten Umgebung. Ferner, daß bei allgemeiner Steigerung
der Sehnenreflexe der Lumbofemoralreflex gleichzeitig eine Steigerung zeigt,
und sogar häufig in klonische Form übergeht. (Mann.)
Vitek (538) konnte feststellen, daß bei der Perkussion mit dem
Hammer in der Gegend des 1. und 2. Metatarsus eine leichte Plantarflexion
des Fußes zutage trat.
Nur bei pathologischen Fällen mit spastischen Erscheinungen (spastische
Parese eines Beines luetischen Ursprungs und bei einer spastischen Para-
parese) stellte sich bei seinen Untersuchungen eine^ dorsale Extension ein.
Bei der Untersuchung muß der Fuß vertikal auf der Unterlage ruhen, am
besten unter leichter dorsaler Extension aller Zehen. (Bendir.)
Diagnostik der Krankheiten des Nervensystems. 329
Engsfler (146) hat an einem großen Kindermaterial, das sich aus
1000 cerebrospinal gesunden Kindern zusammensetzte, den Babinski sehen
FuBsohlenreflex untersucht, um festzustellen, wie lange bei den jüngsten
Kindern normalerweise an Stelle der Beugung eine Streckung der Zehen
erfolgt, uod zu welchem Zeitpunkt der Umschlag von normaler Streckung
znr Beugung, eintritt. Er fand, daß bei neugeborenen und insbesondere
frühgeborenen Kindern die Dorsalflexion die Regel bildet, bei Kindern im
dritten Lebensjahre die Plantarflexion fast ausnahmslos zu beobachten ist.
Im Laufe des ersten und zweiten Lebensjahres nimmt die relative Häutig-
keit der Dorsalflexion zu Gunsten der Plantarflexion ziemlich gleichmäßig
ab, Ende des ersten Lebensjahres beträgt sie ungefähr 50 ^/^, In der Periode
des Umschlages der Dorsalflexion in die Plantarflexion kommt es häutig,
namentlich im zweiten Lebensjahre verhältnismäßig oft zum Ausbleiben des
Reflexes. (Bendix,)
Valobra und Bertolotti (533) haben einige neue Knochenreflexe
der unteren Extremitäten beobachtet. Ihre Untersuchungen betrafen 500
gesunde Individuen. Beim Beklopfen des inneren Fußknöchels eines auf
dem Bücken liegenden, mit dem Fuß etwas nach außen gerichteten Indivi-
dnams entstand in 35 "/o ©iae Kontraktion der Adduktoren des Schenkels
derselben Seite.
Beim Beklopfen der flachen Unterseite der Ferse bei ausgestreckt ge-
haltenem und ein wenig über die Bettfläche erhobenem Glied, entsteht in
40 '/o eine Kontraktion der Abduktoren des Schenkels der entgegengesetzten
Seite. Beim Beklopfen des inneren Gelenkkopfes des Schenkelknochens
oder der Anschwellung des Schienbeins oder der Kante desselben, bei
Bäckenlage mit angezogenen Beinen und ein wenig geöffneten Knieen ent-
steht in 60 \ eine Kontraktion der Adduktoren der gleichen Seite, in on%
eine Kontraktion der Adduktoren beider Seiten, Beklopft man die Knie-
scheibe bei Rückenlage und angezogenem Beine, so macht sich in 50 7o
der Fälle eine Kontraktion der Adduktoren der entgegengesetzten Seite
bemerkbar. Diese Reflexe verhalten sich fast völlig wie die Patellarreflexe.
(Bendix.)
Rothmann (451) hebt in seiner Arbeit die Bedeutung der Haut-
ond Sehnenreflexe für die Diagnose der verschiedensten Affektionen des
Xerrensystems hervor. Er begründet die Lehre von dem spinalen Ursprung
der Sehnenreflexe und geht auf die viel diskutierte Frage nach dem Ver-
halten der Sehnenreflexe bei völliger Querdurchtrennung des Rückenmarks
näher ein.
Besonders hebt er die diagnostische Bedeutung des Babinskischen
Zebenreflexes hervor, der wie alle Hautreflexe einen komplizierten Aufbau
darstellt, seinen Sitz in der Großhirnrinde hat und sich aus den Leistungen
einer Reihe einander übergeordneter Zentren zusammensetzt. Die Wichtig-
keit des Babinskischen Zehenreflexes geht auch aus seiner funktionellen
Bedeutung hervor, die sich darin offenbart, daß, wie von Kalischer betont
wurde, normalerweise die Plantarreizung bei aufrecht gehenden Menschen
sich durch Plantarflexion der Zehen, respektive durch Andrücken der Zehen
an den Fußboden äußert. Hierdurch wird die Sicherheit des Ganges erhöht.
Bei Hunden und neugeborenen Kindern mit unentwickeltem Gehirn flndet
sich normalerweise Dorsalflexion der Zehen. Bei ausgeprägtem Babinski-
schen Phänomen kann man sehr deutlich beobachten, daß bereits das ein-
lache Aufsetzen des Fußes auf den Boden beim Gehen die dorsale Flexion
des Ziehen, vor allem des Hallux auslöst, ein Auto-Babinskisches Zehen-
phänomen. Auch der Fußreflex (Oppenheim), der harte Gaumenreflex
330 All^meme Ätiologie, Symptomatologie uod
(Henneberg) und der r^flexe buocale (Toulouse und Yurpas) sind Eeflexe,
die iü phylogenetisoh alter form auftreten, wenn der übermächtige Einfluß
der G^ehimrinde abgeschwächt oder aufgehoben wird. (Bendia.)
Tl. Hemiplegie.
Orasset und Ganssel (208) beschreiben als ein neues Symptom
der organischen Hemiplegie die Fähigkeit, in Bettlage das paretische Bein
isoliert zu erheben neben der Unfähigkeit, beide Beine gleichzeitig zu er-
heben. Das Symptom steht scheinbar in Widerspruch mit andern bei
Hemiplegikeru beobachteten Erscheinungen, bei denen bekannterma&en die
bilateralen assoziierten Bewegungen leichter vor sich gehen, wie die isolierten
des paretischeu Gliedes, die Autoren geben aber eine vollkommea be-
friedigende Erklärung: das Symptom beruht auf einer Schwäche derjenigen
Eumpfmuskeln, die den Oberkörper während der Erhebung der Beine
stabilisieren, d. h. auf der Unterl€Lge fixieren. Wird nur ein B^n erhoben,
so hilft das andere bei der Stabilisierung des Rumpfes mit, bei Erbebung
beider Beine gleichzeitig müssen die Rumpf muskeln die gesamte Arbeit
leisten. Wenn man die Tätigkeit dieser Muskeln dadurch ersetzt, daß man
durch Druck mit den Händen auf das Becken den Rumpf fixiert, so ist die
Hebung beider Beine gleichzeitig möglich. (Mann.)
Mirallier und G^endron (354) haben 6 Fälle von Apoplexie beob-
achtet, in denen sie unmittelbar nach der Attaque die Reflexe untersuchen
konnten, sie fanden die Sehnenreflexe an den unteren Extremitäten un-
mittelbar nach dem Anfall stets gesteigert, das Babinskische Zeichen war
in einem Falle schon 10 Minuten nach Eintritt der Apoplexie nachweisbar,
in anderen 15 — 20 Minuten. Die spastischen Erscheinungen können also
nicht auf eine sekundäre Degeneration der Pyramidenbahn zurückgeführt
werden, sondern sind ein Ausdruck der Funktionsstörung in derselben. Das
Babinskische Zeichen ist ebenso wie die Reflexsteigerung ein Phänomen,
welches sofort eintritt und die Unterscheidung von hysterischer Apoplexie
gestattet. Es bleibt während der ganzen Krankheitsdauer bestehen und
konnte noch wenige Minuten vor dem Tode nachgewiesen werden. An den
oberen Extremitäten fand sich in den untersuchten Fällen teils Aufhebung,
teils Steigerung der Sehnenreflexe. (Mann,)
Redlich (428) macht darauf aufmerksam, daß in manchen Fällen
von Hemiplegie die Hautreflexe entgegen der bekannten Regel nicht herab-
gesetzt, sondern parallel mit den Sehnenreflexen gesteigert sind. Zur Er-
klärung dieser Erscheinung geht der Verf. aus von der Annahme eines
kortikalen Reflexbogens für die Hautreflexe. Er stellt sich vor, daß unter
Umständen Reizzustände im Cortex, vielleicht auch der zu- und abführenden
Bahnen, die bei der Natur der Läsion doch im stände sind, hemipiuretische
Erscheinungen auszulösen, eine Erhöhung der Hautreflexe bedingen können,
gleicli wie wir bei Reizzuständen der spinalen Reflexzentren mit einer
Erhöhung der Sehnenreflexe seit langem rechnen. Zwei Tatsachen sprechen
besonders für diesen Erklärungsversuch: einerseits der Umstand, daß
in der Mehrzahl der Fälle, wo sich eine solche Steigerung der Hautreflexe
fand, die Lähmungserscheinuugen relativ wenig ausgesprochen waren und
zweitens, daß eine relativ große Zahl (5 von 7 Fällen) Jacksonsche
Epilepsie zeigte. (Mam.)
Babinski (18) behandelt in einem Vortrage die Difierentialdiagiioae
zwischen organischer und hysterischer Hemiplegie. Er gibt im wesentlichen
eine Zussammenstellung der bekannten und zu einem großen Teile in seinen
Diagnostik der Krankheit«n des Nervensystems. ggX
Mheren Arbeiten geschilderten Merkmale. Unter anderem hebt Verf. be-
sonders das Platysmasymptom hervor (Ansbleiben der PlatysmAontraktion
frei Ofihen des Mnndes usw. auf der Seite der organischen Hemiplegie),
ferner die kombinierte Bengong Ton Rumpf und Bein beim Aufrichten aus
der Roekenlage, die ebenfalls nur bei organischer Hemiplegie vorkommt.
Bezüglich der Sehnenreflexe betont Verf., daß bei Hysterie eine Veränderung
derselben verhältnismäßig selten sei, und daß echter Fußktemis hier fast nie
zur Beobachtung komme. Bei den Hautrefiexen wird hesonders das Zehen-
pfaänomen hervorgehoben. Die Ausführungen beKuglich der aktiven und
pasaren Beweglichkeit enthalten nur allgemeine bekannte Tatsachen.
(Krwner,)
Koerber (295) teilt folgenden Fall mit: Ein kräftiger junger Mann
hat Ton 11 Jahren eine Hemiplegie im Anschluß an Gelenkrheumatismus
aqninert. Die Läfamungserscheinungen gingen so weit zurück, daß er ohne
wesentliche Beeinträchtigung wieder schwere Tagelöhnerarbeit verrichten
konnte, nur machte sich mit der Zeit eine hochgradige Dorsalflexion der
Großzehe des ehedem gelähmten, jetzt nur noch leicht spastisch-paretischen
rechten Beines geltend. Bei jeder intendierten Verkürzung dieses Beines
wurde der Hallux auf das stärkste dorsalwärts flektiert, sodaß er sich fast
seniorecht zur Achse des Fußes stellte. Äußerst heftige Schmerzen, hervor-
gerufen durch die starke Schwielenbildung an der Strecksehne dieser Zehe,
zwangen den Kranken die Arbeit niederzulegen und ärztliche Hilfe auf-
2a6Qchen. Die Tenotomie des Extensor hallucis longus brachte für einige
Monate Besserung, dann aber stellten sich die alten Beschwerden, wenu auch
nicht in so hohem Grade wie vordem, wieder ein. (Mann.)
Löwy (328) schildert ausführlich einen Fall von Mikrographie, der
im Anschluß an einen hemiplegischen Anfall entstanden war. Die genaue
Analyse der Schreibstörung führt den Verf. zu der Auffassung, daß die
Ursache der Schreibstörung, der Mikrographie und des Steckenbleibens, des
Festgehaltenwerdens beim Schreiben unseres Pat. ein Spannungszustand,
ein Rigor ist, der mit der Aktion zunimmt, aber auch schon mit dem Beginn
derselben gegeben und wirksam ist. (Schon der erste Buchstabe ist ver-
kleinert und die Schrift von Beginn an verlangsamt.) Merkwürdigerweise
ist dieser Rigor nicht etwa ein Ausdruck einer allgemeinen Steigerung des
Tonns der betreffenden Muskeln. (Alle anderen Funktionen der Hand- und
Rngeraraskeln sind unbehindert.) Er trifft nur das Schreiben, also nur
pine einzige bestimmte Koordination, wodurch dieser Fall bisher einzig da-
steht Sonach stellt diese, die Mikrographie verursachende Rigidität keine
Muskelrigidität im gewöhnlichen Sinne dar, sondern ist ein eigenartiger, ein
anf die Schreibkoordination beschränkter Rigor, der während der Aktion,
i h. Andauer der Inanspruchnahme der koordinatorischen Tätigkeit für
das Schreiben, noch zunimmt. Ja, selbst ein Aussetzen der Aktion des
Schreibens, an welche dieser Rigor gebunden ist, ist ohne Einfluß, wenn
nicht auch gleichzeitig eine Änderung des Innervationsverhältnisses der
Muskeln, eine Unterbrechung der dauernden Inanspruchnahme „der koordi-
natorischen Einstellung für das Schreiben" erfolgt. Denn ein Aussetzen,
ohne die Feder vom Papier abzuheben, also ohne die Koordinations-
▼erhältnisse zu ändern, erwies sich wirkungslos für die Vollendung der
Buchstaben, in denen der Patient stecken geblieben war, — Der Rigor
unseres Patienten ist also an die koordinatorische Einstellung für das
Schreiben gebunden. Verf. bespricht ausführlich die bisherige Literatur
äer Mikrographie und findet, daß in den bisher geschilderten Fällen ein
332 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
allgemeiuer Bigor vorgelegen hat, im Gegensatz zu der Beschränkung
desselben im vorliegenden Falle auf eine isolierte Koordination.
Bezüglich der Lokalisation vermutet er, daß die Nachbarschaft der
Willkürbahnen, insbesondere vielleicht der Streifenhügel eine Region der
Tonusregulierung im Sinne der Herabsetzung des Tonus sei. Bei Läsiooen
dieser Gegend könne es zu Rigor kommen. (Mann,)
Weisenbnrg (548) beschäftigt sich in seiner interessanten klinischen
Studie über die Hemiplegie beim Erwachsenen hauptsächlich mit der Here-
dität, den prä- und posthemiplegischen Schmerzen, der Atmung, dem Odem,
den vasomotorischen Störungen, der posthemiplegischen Chorea der zerebralen
Muskelatrophie und den Arthropathieen. Bezüglich der Heredität hat Verf.
in gewissen Familien eine besondere Prädisposition für Hemiplegie beob-
achtet, und zwar beruht dies wohl auf einer Vererbung eines krankhaften Zu-
standes der Blutgefäße. In 17 von 109 Fällen bestanden prähemiplegische
Schmerzen 2 Monate bis 2 Jahre vor dem Anfall. Die Sclimerzen sind
zweifellos kortikalen Ursprungs. Die Ursache ist entweder in der Blutkon-
gestion oder in Ernährungsstörungen zu suchen. Die posthemiplegischen
Schmerzen teilt Verf. ein in leichte unbedeutende, ferner in parästhetische
und in sehr heftige Schmerzen. 30 von seinen Fällen zeigten Sensibilitäts-
störungen. Bezüglich der Atmung wird Jacksons Ansicht bestätigt, daß
die oberen luterkostalmuskeln der gelähmten Seite eine größere Ausdehnungs-
amplitude bei ruhiger Atmung haben wie auf der gesunden Seite, daß aber
bei forcierter Atmung das Verhältnis umgekehrt ist. Starkes Odem fand
Verf. nur in 2 Fällen. Die Tendenz zu Ödem bei Hemiplegie wird stärker
bei gleichzeitiger Nephritis. Vasomotorische Störungen kamen sehr häufig
vor. Die sogen, posthemiplegische Chorea ist ungemein selten. Von den
Erklärungsversuchen sagt dem Verf. die Ansicht, daß die Bewegungsstörun/?en
bei Läsion der vorderen Kleinhirnschenkel in ihrem Verlauf zu den sub-
kortikalen Ganglien entstehe, am meisten zu. Die zerebrale Muskelatrophie
fand sich in sämtlichen beobachteten 160 Fällen, in einer beträchtlichen
Anzahl sogar auf der gesunden Seite. Über die Entstehung bestehen die
verschiedensten Theorieen. Unter Arthropathieen bei Hemiplegie versteht
Verf. mit Marie die Funktionsstörung der Gelenke auf dor gelähmten Seite,
besonders in der Schulter, unter starker Beschränkung der willkürlichen Be-
wegungen. (Baumann.)
Oansel und Massabnau (194) publizieren einen Fall, bei dem nach
einem Trauma der 1. Parietalgegend eine rechtsseitige Hemiplegie mit Henii-
ataxie entstand. Diese Ataxie unterschied sich von der spinalen durch Er-
haltensein der Sensibilität und des Muskelsinnes, durch Abw^esenheit von
Hypotonie, Abwesenheit von Romberg usw. Es bestand eine Einsenkung des
Schädelgewölbes mit Vorspringen eines Knochensplitters, der die Hirnsub-
stanz komprimierte. Die Beseitigung dieses Splitters genügte, um eine be-
trächtliche Besserung der Hemiplegie und der Hemiataxie herbeizuführen.
Dieser Fall ist nach Ansicht der Verff. der einzige von traumatischer Hemi-
plegie, bei dem die posthemiplegischen Bewegungsstörungen ataktischer Art
waren. Die interessanteste Seite ihrer Beobachtung ist nach den Verflf. die
ausgezeichnete Wirkung der chirurgischen Behandlung. (Baumatm,)
Müller (363) beobachtete bei zerebraler Hemiplegie leichte Fonnen
von Blasenstörungen nach der Art derjenigen, die bei der multiplen Sklerose
kaum jemals ganz vermißt werden. Natürlich dürfen bei der Bewertung
dieses Symptoms gelegentliche Fehlerquellen (Prostatahypertrophieen, Ver-
blödimgsprozesse usw.) nicht übersehen werden. Diese Beeinträchtigung der
Blasenfunktion fand sich vornehmlich bei einseitigen Großhirn erkrankungen
Diagnostik der Krankheiten des Nervensystems. 333
in Verbindung mit ausgeprägten motorischen Störungen der Extremitäten.
Eine ausführliche Besprechung seiner Kasuistik wird Verf. später veröffent-
lichen. (Baumann.)
Erben (148) teilt ausführlich den Befund bei einer simulierten Hemi-
plegie mit Der betreffende Patient führte sein Leiden auf einen Unfall
zurück. Es bestand eine schlaffe Lähmung des Armes und eine Beinlähmung
mit hochgradiger Kontraktur, die nicht überwunden werden konnte. Daneben
fand sich eine komplette Hemianästhesie, die allen Versuchen standhielt, nur
im Gesicht war die Sensibilität noch etwas erhalten. Verfasser hat mit dem
Patienten eine Anzahl Versuche angestellt, die alle darauf hinzielen, den
Nachweis zu führen, daß bei Ablenkung der Aufmerksamkeit die gelähmten
Aimmuskeln funktionieren und die Kontraktur des Beines ebenfalls über-
wunden wird. Während es unmöglich war, das Bein gegen den Rumpf zu
beugen, gelang es umgekehrt, den Rumpf gegen das Bein zu beugen. Wäh-
rend der Arm nach passivem Erheben schlaff herunterfiel, so wurde er, wenn
die Aufmerksamkeit durch Untersuchung an den Fingern abgelenkt wurde,
für einen Augenblick hochgehalten. Beim Gehen traten Pendelbewegungen
der Anne ein usw. Durch alle diese Versuche hält Verfasser den Beweis
der Simulation für erbracht. Referent kann dem nicht unbedingt beipflichten,
da alle diese Erscheinungen auch bei hysterischen Lähmungen zu beobachten
sind. (Kramer.)
Dejerine und Roussy (128) teilen ihre Beobachtungen bei einem
Blindgeborenen mit, welche im Anschluß an eine Hemiplegie eine konjugierte
Deviation des Kopfes und der Augen darbot. Es handelte sich um eine
71jährige Frau mit linksseitiger Hemiplegie, deren Kopf und Augen nach
rechts gerichtet waren. Es wurden bei der Autopsie in der rechten Hemi-
sphäre drei Erweichungsherde gefunden, von denen der größte, im Lobus
fusiformis,. die beiden kleineren in der dritten Temporalwindung, respektive
an der Grenze der dritten Occipitalwindung und des Lobus lingualis lagen.
Aus den Beobachtungen an diesem Falle ziehen die Autoren den Schluß,
daß die Hemianopsie nicht die Ursache der Deviation zu sein braucht, wenn
auch Hemianopsie und Deviation häufig zugleich bei demselben Kranken
vorkommen, da bei dem mitgeteilten Falle die konjugierte Deviation der
Augen und des Kopfes bei der Blinden auftreten konnte, bei der das korti-
kale Schzentrum keinesfalls ausgebildet sein konnte. Auch könne die
Deviation nicht immer eine Lähmungserscheinung sein, wogegen die Mög-
lichkeit, diese zu korrigieren, spreche und die bei der Kranken von ihnen
beobachtete Kontraktur der Nackenmuskulatur an der gesunden Seite.
Das kortikale Innervationszentrum der Kopf- und Augenbewegungen
könne bezüglich seiner Lokalisation oder seiner Projektionsbahnen kein ein-
heitliches sein, da auch dissoziierte Kopf- und Augenbewegungen verschiedent-
lich beobachtet worden sind. (Bendir.)
Der Fall, welchen Dlipre und Camus (140) mitteilen, bietet höchst
bemerkenswerte Eigentümlichkeiten dar und zwar beruhen die krankhaften
Störungen auf einer Entwicklungsstörung der motorischen Bahnen infolge
mangelhafter Kreuzung der Pyramiden sowie der homolateralen Bahnen
beider Seiten. Ganz besonders interessant ist in dem Falle noch das Be-
stehen einer doppelten Hemiplegie bei demselben Individuum, die Deutung,
welche jeder dieser Hemiplegien gegeben werden muß, und die Frage, welchen
Einflnß eine infantile Hemiplegie auf eine spätere Hemiplegie des Kranken
ausgeübt hat. Es handelte sich um einen 43 Jahre alten Potator, welcher
in früher Jugend eine rechtsseitige Hemiplegie erlitten hatte und in einem
Zustande von Demenz und Aufgeregtheit mit dysarthrischer Sprachstörung
334 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
zur Beobachtung kam. Einige Zeit darauf eutwickelte sich bei ihm eiue
linksseitige Hemiplegie, welche zum Exitus führte. Die zum Tode fiihreude
linksseitige Hemiplegie hatte ihren Grund in einem Erweichungsherde des
linken Frontallobus infolge Embolie der Arteria fossae Sylvii. Die Hemi-
plegia dextra rührte von einer infantilen Eucepbalopathie, welche fast aus-
nahmslos die rechte Gehirn hemisphäre einnahm und zur Agenesie der rechten
Pyramide nbahneu geführt hatte. Die Dekussatio pyramidum war nur eiue
teilweise und asymmetrisch; die rechte Pyramide war kleiner als die linke
infolge von Agenesie. Die geistige Schwäche rührte von den Defekten
infolge der infantilen Meningoeucephalitis her. Für die in der Entwicklung
gehemmte rechte Gehirnhälfte war die homolaterale linke Hemisphäre ein-
getreten und hatte die Innervation der linken Körperhälfte übemonmien.
Die Aphasie bei der termin^üen motorischen Sprachstörung hing mit den
Zerstörungen des linken Frontallappens und der Insel zusamiuen. (Beiidix.)
Raymond (424) erörtert den Fall einer urämischen Hemiplegie bei
einer 41jährigen Frau. Sie litt an chronischer Nephritis und bot Erschei-
nungen dar, wie Kopfschmerz, Erbrechen und Sehstörungen, welche als
urämische gedeutet werden müssen und in Zusammenhang zu bringen sind
mit einer rechtsseitigen Hemiplegie, welche die auf Hysterie verdächtige
Patientin erkennen ließ. Wahrscheinlich handelt es sich um eiue auf urä-
mischer Intoxikation beruhenden Encephalitis. (Bendia.)
Heilbronner (229) macht auf eine bei frischer Hemiplegie auffallende
Erscheinung aufmerksam. Es erscheint die Außen- wie die Innenkontur
des Oberschenkels von der Achse des Beines abgerückt, letztere zuweilen die
Medianlinie überschreitend, der ganze Oberschenkel verbreitert, oft ..aus-
einandergeflossen", der antero-posteriore Durchmesser entsprechend verändert.
Wälirend die Zirkumferenz des gesunden Oberschenkels eine annähernde
Kreislinie darstellt, macht der gelähmte den Eindruck eines platten Ovds.
Das „breite Bein" gehört zu den konstauten Erscheinungen der frischen
Hemiplegien und ist ein Ausdruck derselben Hypotonie, wie wir sie bei den
Gelenken infolge von vermindertem Gefühl des Widerstandes bei passiven
Bewegungen und der Möglichkeit extremer Exkursionen in den Gelenken
wahrnehmen. Mit dem Wiedereintritt des reflektorischen Tonus der Ober-
schenkelmuskulatur verschwindet das „breite Bein". (Bendix.)
Frey (176) teilt einen Fall von Blutung im linken Thalamus opticus
mit, welche auch gleichzeitig die innere Kapsel leicht lädierte und eine
rechtsseitige. Hemiplegie verursachte. In der gelähmten oberen Extremität
sowie auch im unteren Eacialis bestand eine ziemlich große Kontraktur, in der
unteren Extremität nur Hypotonie. Später wird an der kontrakturierten
oberen Extremität Athetose bemerkt, welche dann beständig wird. In diesem
Fall schien aus einem inveterierten Thalamusherd die Hemiathetose zu ent-
stehen. F. folgert aus seinen Untersuchungen, daß die hemiplegischen
Bewegungsstörungen wahrscheinlich durch Läsionen des Sehhügels oder der
Regio hypothalamica verursacht werden, und daß der Sehbügel ein Koordi-
nationszentrum ist. (Bendix,)
Jones (278) hat die Ursachen der hemiplegischen Stönmgen auf
Gri;nd von Gefäßveränderungen eingehend studiert und gefunden, daß Bett-
ruhe und Schlaf gegen die zerebrale Blutung wirken; die Tageszeit hat
keinen besonderen Einfluß. Bewußtlosigkeit tritt zum Beginn in der Hälfte
der Fälle ein bei Thrombosen und' in ^/^ der Fälle von Blutungen. Intra-
ventrikuläre Blutung ruft gewöhnlich keine Bewußtlosigkeit hervor. Am
meisten treten Todesfälle am ersten Tage bei jüngeren Leuten ein; ältere
Personen pflegen erst nach Wochen zu sterben. (Bendix.)
Diagnostik der Krankheiten des Xervensystems. 335
YII. Vasanotoritelit Symfttm.
Haskovec (223) teilt nach eingehender Besprechung der bisherigen
das Verhalten des Bhitdruckes betreffenden Untersuchungen, seine eigenen
Versuche mit, die er an Gesunden sowie an Nervenkranken, besonders bei
Neurasthenie und traumatischer Neurose, gemacht hat. Die normalen Durch-
schnittszahlen (mit dem Gärt n ersehen Tonometer gemessen) betrugen bei
Männern 100 — 110 mm, bei Frauen 90 mm. Potatoren und starke Raucher,
sowie intensiv geistig Arbeitende zeigen einen etwas höheren Blutdruck,
ebenso reizbare Individuen. Abends ist der Druck gewöhnlich etwas höher
wie am Tage, die Gravidität hat keinen Einfluß, psychische Erregung steigert
den Druck um 20 mm und mehr.
Die eingehenden tabellarisch dargestellten Untersuchungen an 105
Kranken ergaben, daß dem Blutdruckbefund vorläufig nicht ein so hoher
diagnostischer Wert beigelegt werden kann, wie manche Autoren (besonders
Strauß für die traumatischen Neurosen) es wollen. In den gleichen
klinischen Formen der Neurasthenie zeigt der Blutdruck durchaus nicht ein
konstantes Verhalten; bei denselben Formen kann sich ein sub- und ein
supranormaler Druck finden. Es findet sich auch kein konstanter Parallelis-
I mus zu den Beschwerden des Kranken, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit.
Ein erhöhter Druck bis etwa zu 130 mm kann nicht immer als pathologisch
I angesehen werden, er kann auch durch psychische Erregung bedingt sein.
j Immerhin ist aus der Tabelle ersichtlich, daß das Bestehen erhöhten Blut-
i druckes bei nervösen Erregungszuständen ein recht häufiges Vorkommnis
! ist. H. meint, daß diese Untersuchungen bei traumatischen Neurosen be-
sonderen Wert bekommen würden, wenn es möglich wäre, als Grundlage
unserer Beurteilung die Durchschnittszahlen zu verwerten, welche aus den
Messungen vor dem Unfälle und in verschiedenen Zeiten nach dem Unfälle
gewonnen wurden. Manche interessante Einzelbeobachtung, welche die
Arbeit noch enthält, muß hier übergangen werden. (Mann.)
Jossilewsky (279) untersuchte den Einfluß verschiedener Körper-
Stellungen und körperlicher Anstrengungen auf die Pulsfrequenz. Alle unter-
suchten normalen Personen, mit Ausnahme von 3 Patienten, zeigten
Differenzen zwischen der Pulsfrequens im Stehen und im Liegen, und zwar
fanden sich 2 Typen der Pulsdifferenz in den beiden Körperstellungen (große
und geringe Diflferenzen), die bei wiederholten Untersuchungen ihren Charakter
beibehalten. Die Pulsfrequenz im Liegen ist konstanter als die im Stehen.
Sie kann in seltenen Fällen selbst bei Kranken, die kein vitium cordis
haben, gelegentlich auch höher sein als wie im Stehen. Das psychische
Wesen, sei es in Form einer Depression, oder starker Labilität, kann sich
in einer Verringerung oder einer Steigerung der Pulsfrequenz ausdrücken,
psychische Momente, wie Schreck, plötzliche Erregung usw. nifen eine Be-
schleunigung des Pulses hervor.
Wichtig sind einige Beobachtungen über die traumatische Neurose.
J. macht darauf aufmerksam, daß hohe Pulszahlen, die durchaus nicht
pathognomonisch seien, auch bei Gesunden vorkommen, besonders im Stehen.
Außerdem hat er festgestellt, daß traumatische Neurosen, die im Stehen
hohe Pulszahlen aufweisen, im Liegen vollkommene normale, ja sogar oft
eine Bradykardie zeigen können. Große Schwankungen in aufrechter nud
Gleichmäßigkeit in horizontaler Haltung wurde regelmäßig beobachtet. Diese
Erscheinungen können jedoch nicht als spezifisch für die traumatische Neu-
rose angesehen werden, sondern kommen überall da vor, wo die psychischen
Punktionen mehr oder weniger labil sind. Die Hysterischen zeigen im Liegen
33(3 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie and
höhere Worte wie die.Neurasthenischen. Bei den .letzteren dagegen zeigen
sich entsprechend dem Grade des Erschöpfungszustandes, die Unterschiede
zwischen der Pulsfrequenz im Liegen und Stehen höher, d. h. je stärker
der Erschöpfungszustand, desto höher ist die Frequenz im Stehen.
Jede Muskelanstrengung verursacht eine Erhöhung der Pulsfrequenz,
die gleich nach dem Aufhöhren der Anstrengung sukzessive abnimmt Diese
Abnahme vollzieht sich nach relativ leichter Anstrengung (ömaligem Klettern)
schon im Verlauf von einer Minute. Ist dies nicht der Fall, so haben wir
es mit einem starken Erschöpfungszustand zu tun.
Nach einer Muskelanstrengung tritt im Liegen zunächst Verlangsamung
und erst nach etwa 2 Minuten eine normale Pulsfrequenz ein. (Mann,)
Um einen Einblick in die Häufigkeit und die Art des Vorkommens
der Dermographie zu bekommen, stellte Stursberg (507) an 90 Männern,
84 Frauen und 70, meist nur poliklinisch beobachteten, Kindern Unter-
suchungen über die Reaktion der Haut auf mechanische Reize in der Weise
an, daß er mit dem abgerundeten Ende einer metallenen Bleistifthülse mit
mäßigem Druck und mäßiger Schnelligkeit Striche über die Brust, den
oberen Teil des Rückens und gelegentlich anderer Körperteile ausführte.
Er fand, daß sich dadurch Rötung der Haut bei der großen Mehrzahl aller
Untersuchten nachweisen ließ, und daß völliges Fehlen dieser „Reizrötung**
sehr selten war. Stärkere Grade fanden sich bei Berücksichtigung der
Durchschnittszahlen allerdings besondei-s häufig bei Neurosen, indes zuweilen
auch bei Personen ohne jede nervöse Störung. Wesentliche diagnostische
Bedeutung kommt demnach der Dermographie nicht zu. (Brück,)
Kern (288) hat bei 100 Soldaten des zweiten Jahrgangs, die obne
jede Beschwerde den Anforderungen des militärischen Dienstes genügten,
Untersuchungen über das Verhalten des Pulses in Ruhe und bei mäßigen
Anstrengungen gemacht, um aus den hierbei etwa zu konstatierenden
Anomalieen rückwärts zu schließen, welche Herzstörungen wohl mit dem
Ertragen aller Strapazen des Militärdienstes vereinbar seien. Er fand in
24 ^/o der untersuchten Fälle Abweichungen von der Norm, die im wesent-
lichen in besonders starker Erhöhung der Pulsfrequenz beim Treppensteigen
und in erheblich verlängerter Zeit bis zur Rückkehr auf die normale Puls-
zahl bestanden. (Bruch,)
Kress (300) berichtet über zwei Fälle, bei denen im Anschluß an
psychische Erregungen ganz bestimmter Art anfallsweise Zustände tou Angst,
bchmerzen in der Herzgegend, allgemeiner Unruhe und starker Reizbarkeit
auftraten ; während dieser Anfälle war zweifellose Verbreiterung des Herzens
nach rechts und nach links perkutorisch nachzuweisen. Zugleich bestand stark
beschleunigte und inäquale Herztätigkeit. Nach einer halben Stunde bei
dem einen Patienten, 2 — 48 Stunden bei dem andern, trat Beruhigung und
Rückkehr des Herzens zu normaler Größe und Tätigkeit ein. In beiden
Fällen handelte es sich um neuropathische und nervös belastete Individuen
im Alter zwischen 20 und 30 Jahren. (Brück.)
Fried (176) erörtert die Pathogenese der Bradykardie im allgemeinen
und des Stokes-Adamsschen Symptomenkomplexes im speziellen; für
letzteren nimmt er als die wahrscheinlichste Erklärung eine Erregung der
Hirnrinde und der medullären Zentren an und lehnt die anderen Theorieen
ab. Er berichtet über einen Fall von starker Bradykardie mit epileptoiden
Anfällen (Bewußtseinsverlust, klonisch-tonische Krämpfe, Erbrechen), bei
einem 19jährigen Jüngling vorübergehend beobachtet, den er dem genannten
Symptomenkomplex zurechnet. (Brück.)
Diagnostik der Krankheiten des Nerrensystems. 337
Eemper (287) gibt die Krankengeschichte eines 5jährigeD Knaben,
der während einer längeren Beobachtnngszeit dauernd sehr erhebliche Herab-
setzung der Pulsfrequenz darbot, außerdem in längeren Intervallen an Ohn-
mächten und Krämpfen litt; bei physikalischer Untersuchung fand sich Herz-
hjpertrophie und mitunter Bigeminie. Die Sektion bestätigt die Herzhyper-
trophie, zeigte das Endokard an der Hinterwand des linken Ventrikels in
mäßiger Ausdehnung weißlich getrübt und teilweise schwielig verdickt;
außerdem ergab sich eine starke Vergrößerung der rechtsseitigen Bronchial-
drüsen, geringere der linken. Diese können nach des Autors Ansicht durch
periphere Vagusreizung als ursächliches Moment für die Pulsverlangsamung
und Bigeminie in Betracht kommen. Kemper sieht den Fall als zugehörig
zum Stokes-Adamsschen Symptomenkomplex an. (Brück,)
IdChtheim (319) publiziert einen bereits früher von ihm vorgestellten
Fall von Adams-Stokesscher Krankheit. Bei genauerer Analyse der
Spbjgmogramme und im Verlaufe der Beobachtung ergab sich die Tatsache,
daß die Arterienpulse nicht, wie ursprünglich angenommen wurde, einen
aliqaoten Teil der Venenpulse darstellen, sondern daß Kammer und Vorhof
rollständig unabhängig von einander arbeiteten, daß also nicht ein Herz-
block im engeren und ursprünglich von His angenommenen Sinne des
Wortes vorhanden war, sondern „atrioventrikuläre Arhythmie" bestand. In
diesem Falle konnte durch Registrierung von Extrasystolen, die nach dem
Typus der von den Venenmündungen ausgelösten verliefen (bei vollständig
anderer Vorhofsschlagf olge !), zum ersten Male am lebenden Menschen die
TOD Hering am Tier bewiesene automatische Kontraktion der Ventrikel
»chergestellt werden.
Als wahrscheinlichste Ursache dieser Störung nimmt Lichtheim eine
Erkrankung des His sehen Bündels an. (Brück,)
Medea (343) teilt nach kurzer historischer Einleitung (in der er
darauf aufmerksam macht, daß schon, lange vor Adams, Morgagni das
Krankheitsbild der sogenannten Stokes-Adamsschen Krankheit treu ge-
zeichnet hat) eine Anzahl von Krankengeschichten mit, von denen sich die
ersten auf Fälle von Bradykardie beziehen, die zum Teil mit anderen
Störungen des Kreislaufsapparates und des Nervensystems einhergehen, zum
Teil die einzige nachweisbare Veränderung darstellen, die aber jedenfalls die
andern Komponenten des Symptomenkomplexes Stokes-Adams vermissen
lassen.
Darauf folgt der Bericht über 3 Fälle von wahrer Adams-Stokesscher
Kiaokheit, von denen zwei zur Autopsie gekommen sind. Die Fälle selbst
bieten klinisch keine besonderen Abweichungen vom typischen Krankheits-
Mi Die Autopsie ergab beim ersten: Schlaffheit und Verfettung des
Myokards, Stauungsniere, Atherom der Aorta, des Truncus basilaris und des
Circidas Willisii; beim zweiten Fall: Hyperämie des Bulbus, Atherom des
Circulus Willisii, des Truncus basilaris und der Vertebralarterien, leichte
chronische Nephritis mit Hypertropliie des linken Ventrikels. Keine er-
heblichen Veränderungen der Vaguskerne und -wurzeln (nicht mit feineren
Methoden untersucht!), keine Arteriosklerose im Bulbus.
Im Anschluß an diese Fälle erörtert Medea die Pathogenese der
Krankheit. Von den früheren Theorieen weist er sowohl diejenige, welche
die Herzveränderungen in den Vordergrund stellt, wie die, welche Läsionen
an den nervösen Zentren durch Gefäßveränderungen im Bulbus verantwort-
lich macht, zurück. Er glaubt auch, daß die Theorie einer chronischen
Urämie (Huchard) durchaus nicht zutreffend sein könne, und lehnt ebenso
die Hypothese, welche Reizung des Vagus (Cardarelli) oder Läsionen an
JihRsberieiit f. Neurologie und Psychiatrie 1906. 22
338 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
dessen Wurzeln und Kernen (Brissaud) pathogenetisch Terantwortlich macht,
ab. Allerdings glaubt er die Ta;tsache, daB die Atropininjektionen, die bei
allen andern Fällen Ton Bradykardie eine Pulsbeschleunigung erzeugten, in
den 3 Fällen von Stokes-Adams ohne Erfolg blieben, kaum anders er-
klären zu können, als durch eine bulbäre Vagusreizung (?), doch kann er
sich andrerseits nicht vorstellen, daß eine solche Vaguskemreizung so lange,
wie in seinen Fällen bestehen könne, ohne Störungen in den anderen, vom
Vagus versorgten Organen hervorzurufen.
Medea glaubt, unter Hinweis auf Beobachtungen und Experimente toa
Fran<;ois Franck, der bei tonischen Krämpfen der Epilepsie Polsrer-
langsamung fand, und auf die zweifellose Existenz einer Epilepsie auf GiuihI
von arteriosklerotischen Veränderungen der Hamrinde eine kortikale Störaag
auf arteriosklerotischer Basis als wahrscheinlichstes Substrat für das Krank-
heitsbild annehmen zu dürfen. Störungen der Funktion des Bulbus wiren
sekundärer Natur. (Brudc)
Nach einleitenden Bemerkungen über die allgemeine Symptomatologie
der Stokes-Adamsscfaen Krankheit und nach Erwähnung einiger froherer
Sektionsbefunde (sklerotische und myokarditische Veränderungen am Henen,
Läsionen des Vagus und des Plexus cardiacus) beiq>richt Stengel (497)
zunächst an der Hand der ausführlich dargelegten myogenen Herztheorie
und der anatomischen und physiologischen Verhältnisse des Hissdien
Bündels die Erscheinungen des Herzblocks. Er berichtet weiterhin über den
experimentellen Herzblock, wie er namentlich durch die Experimente tob
His jr. selbst und Erlanger hervorgerufen werden konnte und teilt dann
die Krankengeschichte eines Mannes mit, der alle Symptome der Stokes-
Adamsschen Krankheit bot und in sehr ausgesprochener Weise die Er-
scheinungen des Herzblocks (Dissoziation von Kammer- und Vorfaofskc»-
traktion) zeigte. Bei 16 — 18 Pulsschlägen in der Minute wurden 80—100
Venenpulse gezählt; während Aussetzen des arteriellen Pulses bis zu 2*/^
Minute ließen sich 120 — 140 Venenpulse feststellen. Die am Herzen hör-
baren Töne entsprachen stets ausschließlich den an den Arterien fühlbaren
Pulsen. Der Tod erfolgte nach Häufung der charakteristischen Ohnmacht«-
anfalle und nach vorangegangener Cheyne-Stokesscher Atmung. — Zu
bemerken ist, daß Atropindarreichung ohne Einwirkung auf die Herscfrequenz
geblieben war.
Die Autopsie ergab in diesem Fall mäßige Arteriosklerose, Herzhyper-
trophie, die namentlich die linke Kammer betraf, Aortenatherom, Verdickung
der Koronararterien mit Atherom an den Urspmngsstellen, aber ohne Ver-
engerung des Lumens. Die Herzmuskulatur und die Klappen intakt.
Als wichtigster und interessantester Befund ergab sich, daß ein FleA
von atheromatösem Charakter, sklerotisch und weiß, sich gerade an der
Stelle des Endokards, nahe dem vorderen Mitralzipfel, fand, wo das Hissdie
Muskelbündel vom Vorhof zum Ventrikel sich hinzieht. Durch Abpräpa-
rierung des Endokards an dieser Stelle ließ sich die Veränderung noch
deutlicher darstellen, und es ließ sich zweifellos machen, daß das Hissche
Bündel in den atheromatösen Herd einbezogen war. Die histologisdie
Untersuchung war zur Zeit der Publikation dieses Befundes noch nicht ab-
geschlossen. (ßrueL)
Robinson (444) teilt eine große Anzahl von Krankengeschichten mit^
die nervöse Herzstörnngen betreffen. Es handelt sich in diesen Fällen znu
Teil um reine Herzneurosen, zum Teil aber auch um Störungen bei organisdiei)
Herzveränderungen, die als superponiert auf die wesentlichen, organisch be-
dingten, Krankheitserscheinungen aufzufassen sind, und schließlich kommen ii
Diagnostik der Krankheiten des Nervensystems. 339
Betracht Fälle von anderen Organerkrankungen (Magen, Beckeaorganen usw.)^
bei denen sich Herzstörungen geltend machen.
Die Symptome, die äußerst mannigfaltig bezüglich ihrer Art und Stärke
sind, eignen sich nicht für ein kurzes Referat; es erscheint jedoch hier er-
vähDenswert, daß nach des Autors Ansicht nicht nur Herzdilatation, sondern
auch gewisse Grade von Herzhypertrophie auf rein nervöser Basis sich aus-
bilden können, und daß bestimmte blasende Herzgeräusche, die meist als
aoämische angesprochen werden, ungenügender oder irregulärer Muskelaktion
des Myokards ihre Entstehung verdanken.
Betrefiis der Therapie äußert sich Robinson dahin, daß Erfolge, falls
sie erzielt würden, allzuhäufig Augenblickserfolge seien, daß in ausgesprochenen
Fällen meist Rezidive erfolgen, daß dann Schlaflosigkeit, geistige und körper-
liehe Depression, hypochondrische Ideen und eine ganze Fülle von anderen
Störungen sich zu den reinen Herzbesdiwerden addieren. Er bespricht dann
die Therapie, die immerbin in allen Fällen versucht werden müsse, die
medikamentöse Seite sowohl wie die physikalische und diätetische Therapie.
Von Medikamenten empfiehlt er außer den allgemein üblichen Mitteln
namentlich die Glycerophosphate mit Kola und Ealisaya; ganz besonders
redet er aber der temporären Anwendung von Coca (Schwierigkeit, gute
Piaparate zu bekommen!), speziell bei Herzstörungen nach vorausgegangenen
Infektionskrankheiten, das Wort. Bei erniedrigtem Blutdruck, wie er bis-
weilen auch bei Herzneurosen vorkommt, empfiehlt er u. a. die Darreichung
TOD Adrenalin. Zum Schluß weist R. auf die sehr große diagnostische
Schwierigkeit hin, die die Unterscheidung von organischen und rein nervösen
Störungen oft unmöglich mache. (Brück.)
Franze (173) teilt fünf Fälle von sexueller Neurasthenie mit, welche
mit Herz- und (xefkßneurosen kompliziert waren und eine Diiatatio cordis
erkennen ließen. F. nimmt an, daß die Mehrzahl aller Herzneurosen ihre
Wurzel im Verbreitungsbezirk des Sympathikus haben. Infolge der Schwäche
der Systole über ein gewisses Maß hinaus entsteht auf die Dauer eine Er-
veiterung der Kammern. (Uendia.)
Den ersten Teil dieser nennenswerten Untersuchungen von Velich
(.534) bildet die experimentelle Erklärung der Ursachen, welche eine Aende-
nuig der Frequenz des Pulses während der Atmung verursachen. Die
Erscheinung, daß sich nämlich der Puls wahrend einer ausgiebigeren Atmung
ändert, was die Zahl der Pulsschläge anbelangt, ist seit längerer Zeit bekannt.
In der letzten Zeit hat sie aber die Aufmerksamkeit der Kliniker einge-
nommen, da sie sich besonders auffallend bei schwächlichen Individuen
(Rekonvaleszenten, Neurasthenikern usw.) manifestiert. Die Variabilität des
Polses besteht besonders darin, daß bei Inspirium eine Beschleunigung der
Folaschläge sich einstellt, während bei Exspirium eine auffallende Yerminde-
rang derselben eintritt Eine befriedigende Erklärung dieser Erscheinung
liai y. in der Literatur nicht gefunden und bemüht sich deswegen auf Grund
seiner eigenen experimentellen und klinischen Untersuchungen, das Problem
za lösen. Nach V. verursacht die genannte Beschleunigung des Pulses
während der Inspiration eine Irradiation auf die Fasern des N. acce-
lerans. Am Ende einer tiefen Inspiration und während der Exspiration
tiitt dann ein verkehrtes Benehmen des Pulses ein infolge einer Beizung der
aeasitiven intramuskulären Fasern, die mit dem Yaguszentrum in inniger
SeziehuDg stehen, woraus reflektorisch eine Betardation des Pulses resultiert
(ein Analogon des Erbschen Symptoms). Einen Beweis für diese An-
schaonng sieht V. in dem Umstände, daß bei einer starken Kontraktion
mehrerer Muskeln, sowie bei forziertem Exspirium zuerst eine Beschleunigung.
22*
340 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
dann aber eine Venninderung der Pulsschläge, infolge desselben reflekto-
rischer Mechanismus sich einstellt. Die Erklärung, nach der die oben-
genannten Erscheinungen durch eine Abschwächung des Zentrums von Nerv,
vagus entstehen, ist nach V. nicht zulässig. Der Umstand, daß nach Ent-
fernung der Wirkung des N. vagus der Puls regelmäßig beschleunigt ist,
läßt sich nach V. so begreifen, daß bei einem so beschleunigten Pulse eine
noch größere Acceleration desselben schwer zu konstatieren wäre, wenn sie
sich überhaupt bei der Inspiration einstellt.
..Im zweiten Teile dieser Abhandlung bemüht sich V., die Ursachen
der Änderung des Pulses in verschiedenen Körperlagen klarzustellen. Er
verwirft die frühere Anschauung, daß es sich hier um eine Wirkung von
Seiten des Vagus handelt und zwar auf Grund seiner sowie der vorhergehenden
experimentellen Beobachtungen, nach welchen auch nach Entfernung der
Wirkung von selten des N. vagus (Durchschneidung, Injektion von Atropin
usw.) die orthostatische Tachykardie unverändert sich einstellt (Dehio, Zybulebi
u. a.). Verfasser erblickt die Ursache dieser Erscheinung in einem anderen
Momente und zwar in einer Irradiation des nervösen Impulses bei
einer stärkeren Muskelarbeit auf das Zentrum des N. accelerans.
Diese Irradiation stellt sich auch in dem Falle ein, wenn die Muskeln^ die
der betreffende innervieren will, gelähmt sind (bei kurarisierten Tieren, bei
den Hemiplegikern usw.) und erklärt sie nach V. durch einen Impuls des
Willens, der einer wirklichen Innervation gleicht und ebenso auf das Zentrum
des Accelerans irradiiert. Je mehr das Individuum dann durch verschiedene
Einflüsse abgeschwächt wird (in der Rekonvaleszenz, bei Neurasthenie.
Kachexie usw.), desto leichter kommt die erwähnte Irradiation zu stände.
(SchuU.)
In einer sehr interessanten Monographie bespricht Pal (389) die
pathologische Physiologie und die Klinik der „ Gefäßkrisen ". Er versteht
unter diesem Begriff alle die Zustände, bei denen die Grefaße in paroxys-
maler Weise in den Gang der Ereignisse eingreifen und dadurch charak-
teristische Erscheinungskomplexe zu Wege bringen, die durch Aufhebung
der Gefäßvorgänge wieder verschwinden. Die Krisen können hervorgerufen
w^erden durch Konstriktion und durch Dilatation von Arterien, und zwar
durch lokale und allgemeine, rein muskulär (Nebennierenextrakt-Wirkung)
und durch Vermittlung des Nervensystems bedingte.
Nach pathologisch-physiologischen Vorbemerkungen über Vasomotoren-
tätigkeit, speziell über Splanchnikuswirkung und über das Gesetz des
Antagonismus der Blutverteilung bespricht der Autor die Analyse der
vasomotorischen Erscheinungen und die Bedeutung und Methodik der Blut-
druckmessung; (er selbst hat mit dem Gärtn ersehen Tonometer seine
Untersuchungen angestellt). Alsdann geht er auf Theorie und Symptoma-
tologie der verschiedenen Gefäßkrisenein, zunächst der durch Vasokonstriktion
bedingten, von denen er auf Grund seiner Beobachtungen einen abdominellen
Typus, einen pektoralen Typus, zerebrale Formen, Extremitätenkrisen und
die allgemeine große Gefäßkrise unterscheidet; er weist dabei darauf hin,
daß Kombinationen vorkommen können und die verschiedenen Formen ins-
besondere durch Herbeiführung einer erhöhten Gefäßspannung einander
ursächlich bedingen können. Er erörtert ausführlich die arterielle Hoch-
spannung, ihre Konsequenzen für den Betrieb des ganzen Organismus, dann
speziell auch das Verhältnis von Schmerz und Blutdrucksteigerung — alles
unter reichlicher Heranziehung eigener und fremder Experimente.
Darauf spricht er sich im einzelnen über das Zustandekommen der
Erscheinungen, die bei kritischer Konstriktion im Splanchnikusgebiet zu Tage
Diagnostik der Krankheiten des Nervensystems. 341
treten, aus; weiterhin erörtert er die Pathologie der Lungen- und Herz-
krisen, speziell der Angina pectoris und das Asthma cardiale, dann geht er
kurz auf die zerebralen Krisen ein (Retinalkrisen, transitorische Ausfalls-
ersebeinongen, eklamptische Anfälle); über Epilepsie und Migräne und ihr
Verhältnis zu Gefäßkrisen will er sich nicht bestimmt äußern. Schließlich
macht er kurze Bemerkungen über Extreuiitätenkrisen ( Vasomotor. Neurosen,
gewisse Stadien des Raynaud, Claudicatio intermittens usw.) und über die
allgemeine große Gefäßkrise (Urämie, Eklampsie).
Über die Pathologie der Krisen durch Gefäßerweiterung (Synkope,
Infektionskrankheiten, Intoxikationen, paroxysmale Tachykardie, Störungen
der Nebennierenfunktion) äußert er sich kürzer, ebenso über die allgemeine
Therapie dieser Störungen.
In einem speziellen Teile bespricht der Autor die Pathologie der
Geßßkrisen bei den verschiedenen Krankheitsformen, ohne aus dem Gebiet,
das unter einem großen Gesichtspunkt äußerst verschiedenartige Affektionen
zusanunenfaßt, mehr als „ausgewählte Kapitel" zu geben.
Die Gefäßkrisen bei Bleikranken und bei Arteriosklerotikern, die bei
Xephrolithiasis, Cholelithiasis, Nephritis und bei Eklampsie vorkommenden,
die in ihrer Pathologie ausführlich erörtert und in Krankengeschichten mit
: zahkeichen Blutdruckbestimmungen klinisch dargestellt sind, können hier
! öbergangen werden.
Sehr interessant sind seine Ausführungen über die Tabes, deren vaso-
I motorischen Symptome noch nicht ausreichend bekannt und gewürdigt sind.
Seine Untersuchungen beziehen sich hauptsächlich auf gastrische Krisen
und stützen sich auf 19 Fälle, ganz besonders aber auf einen sehr lange
und genau beobachteten Fall von Tabes ; es ergab sich, daß bei diesen Zu-
ständen sich ganz enorme Blutdruckschwankungen feststellen lassen, daß
dem Eintritt von Schmerzanfällen und dem Erbrechen in den meisten Fällen
sehr hohe Blutdrucksteigerungen vorangehen, daß mit der Erniedrigung des
Blutdruckes z. B. durch Einatmung von Amylnitrit die Schmerzkrisen meist
prompt beseitigt sind. Der Verf. ist deshalb geneigt, in der Vasomotoren-
tatigkeit auch hierbei das primäre auslösende Moment zu sehen, besonders
im Gegensatz zu neueren französischen Autoren, die Reizzustände des Plexus
' solaris in erster Linie verantwortlich machen wollen. — In Bezug auf Einzel-
! heiten muß auf die Originalarbeit verwiesen werden. (Brück,)
' Weber (546) berichtet über einen von ihm beobachteten Patienten,
bei dem immer, wenn er feste Nahrung zu sich nahm, auf der linken Ge-
sicbtsseite ein roter heißer Fleck entstand, der auch Schweißtropfen sezer-
nierte; der Fleck verschwand 2 — 3 Minuten nach dem Essen. Patient hatte
eine beiderseitige eitrige Parotitis, die auch inzidiert wurde, durchgemacht.
Verfasser glaubt nun das Phänomen so erklären zu können, daß in dem
operierten Narbengewebe sympathische Nervenfasern eingebettet waren, die
durch die physiologische Schwellung der Speicheldrüsen während des Essens
gezerrt wurden. Derselbe Patient hatte auch die sogen. Striae patellares am
Knie. Verfasser glaubt, daß diese die gleiche Ätiologie wie die Striae gravi-
darum (Zerreißung der tieferen Gewebeschichten) haben, und sucht die
Ursache dieser Zerreißung in zu schnellem Wachstum der Röhrenknochen
^nd, soweit die Erscheinung bei Typhuskranken und starker Diarrhoe
beobachtet wurde, in der starken Trockenheit der Haut bezw. in der dauernden
Flexionsstellung der Knie, welche den Patienten einnahmen. (Baumann,)
Jassinowsky (268) teilt einen Fall von übermäßiger Speichelsekretion
bei einer 12 Jahre alten hysterischen Patientin mit, welche nach einer Auf-
342 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
regung öfters hystero-epileptische Anfälle bekommeD hatte. Während des
Schlafes sistierte die Speichelsekretion. (Bendix.)
VIII. Ange.
VersgUth (535) bedient sich zur Papillenprüfung eines kleinen von
ihm angegebenen Apparates, der aus einem kleinen Trockenelement nebst
darauf befindlicher Glühlampe besteht. Vor der Glühlampe befindet sich
eine Konvexlinse und eine verstellbare Irisblende. Ist eine bestimmte Rich-
tung des Lichtkegels notwendig, wie etwa bei Prüfung auf hemiopische
Beaktion, so kann dem Apparate ein Metallkegel angeschraubt werden, der
nur einen schmalen Strahl von genau zu fixierender Richtung hinausläßt. Die
Vorzüge des Apparates sind seine leichte Handlichkeit^ ferner Unabhängigkeit
von der äußeren Umgebung und der Adaptation des Patienten, sowie das
Vermeiden von sensiblen Reizen durch Berührung der Gesichtshaut
(Kramer,)
ChaufTard und Laederioh (95) haben unter 17 Fällen von Pleuritis
7 mal Ungleichheit der Pupillen beobachtet. Auf der erkrankten Seite war
stets die weitere Pupille. Die Ungleichheit ist mäßig und wechselt sehr an
Intensität. Bei starker Kontraktion der Pupillen durch intensive Beleuchtung
und durch Konvergenz verschwindet die Ungleichheit. Die Art der Pleu-
ritis, sowie ihre Intensität ist für das Aufteten des Symptoms ziemlich gleich-
gültig, ebenso das Stadium, in welchem die Krankheit sich befindet. Die
Thorakozenthese ist ohne Einfluß. Beim Verschwinden des pleuritischen Er-
gusses verschwindet auch die Pupillendifferenz. Verf. glaubt nicht, daß zur
Erklärung des Symptoms organische Ursachen, wie Lymphdrüsenschwellungeu,
Druck des Exsudates usw. herangezogen werden dürfen, sondern er nimmt
eine durch den peripheren Reiz reflektorisch bedingte Abschwächung des
Sphinkterreflexes der Pupille an. (Krämer,)
Spiller (493) bespricht die Frage der Blicklähmung unter Mitteilung
von neun eigenen Fällen und eingehender Berücksichtigung der in der Lit4?-
ratur mitgeteilten Beobachtungen. Er kommt zu folgenden Schlüssen: Dauernde
Blicklähmung nach der Seite deutet auf eine Läsion des hinteren Längs*
bündeis hin; dauernde Blicklähmung nach oben oder unten spricht für eine
Läsion in der Nähe des Kerns des Okulomotorius. Bei Erkrankungen
der peripheren Nerven gibt es keine Blicklähmungen. Läsionen der Hirn-
rinde können Blicklähmung nach der Seite verursachen und wahrscheinlich
auch solche nach oben oder unten ; aber diese Blicklähmungen sind vorüber-
gehend. Endlich kann Blicklähmung bei Hysterie vorkommen. Organische
Läsiouen, welche Blicklähmung machen, eignen sich nicht zur* Operation,
höchstens zu palliativen Eingriffen. Die Affektionen, welche Blicklähmungen
bedingen, sind entweder entzündlicher Natur, oder durch Alkohol, Syphilis
oder Tumor hervorgerufen. (Krainrr,)
Oaussel (191) behandelt ausführlich die anatomische Genese der seit-
lichen Blicklähmungen und zwar insbesondere die Beziehungen derselben
zum Kleinhirn, den Vierhügeln und der Brücke. Er kommt dabei zu dem
Resultat, daß bei akuten Kleinhirnaffektionen gelegentlich konjugierte Deviation
der Augen vorkommt, aber dann immer imr eine vorübergehende Erscheinung
ist. Dauernde Abweichung oder Blicklähmung kommt bei auf das Klein-
hirn beschränkten Affektionen nicht vor, ebensowenig kommt Blicklälimuug
bei Läsionen der Vierhügel vor. Ein Zentrum für die seitlichen Augen-
bewegungen existiert hier nicht. Dagegen sind die seitlichen Blicklähmungen
durchaus charakteristisch für die Ponsherde, und zwar handelt es sich danB
Diftgnottik dar Knmkbeiten des NerveiwysteBis. 343
QU Mektionen dea Abducenskerns. In selteneren Fällen liegt eine Läsion
Toor, welche die Wuizelfasern des Abducens und gleichzeitig die von dem
Abdieeißkeni zmn Oknlomotorinskern yerlaufenden Fasern affiziert Die
BBeklähmnng kann beiderseitig sein bei medial gelegenen Herden.
(Kramer.)
Blischek (59) beobachtete in zwei Fällen von Lues cerebri folgende
Mitbewegangen zwischen Lid und Ange: während die Ptosis im Eückgange
ist. tritt bei Adduktion des gelähmten Auges auffallende Erweiterung der
Lidspalte und bei Abduktion Verengung derselben ein. Weiter tritt bei
Hebirog der Blickebene nur eine Spur von Erweiterung derselben zu Tage,
wäkrend bei Senkung der Blickebene die Lidspalte weit geöffnet erscheint.
Bei der Erklärung ^eser Mitbewegungen geht der Verf. von einer anderen
Gruppe Yon Mitbewegungen aus, welche von Terschiedenen Autoren be-
sdinebeD worden sind, neulich jenen zwischen Lid^ Unterkiefer und Schlund-
niBskulatur.
Er kommt zu folgenden Resultaten;
1. Da man annehmen kann, daß die paradoxen Lidbewegungen bei
KoDtraktion des Unterkiefers und der Scblundmuskulatur darauf beruhen,
daß hier a priori eine physiologische Mitbewegung besteht, welche auf vor-
iumdene Bahnen deutet, die unter Umständen stärker zur Entwicklung
kommen, sei es nun, daß Kematrophie vorhanden ist oder diese erst
sekondär (Fuchs) nach peripheren Läsionen eintritt, so liegt es nahe, an-
znnehmen, daß auch die zweite Gruppe der paradoxen Mitbewegungen, d. i.
7 Bulbus und Lider^ aus physiologischen Mitbewegungen abzuleiten sind.
2. Es ist zu bemerken, daß ein anderer Teil von solchen paradoxen
Mitbewegungen aus neu geschaffenen Bahnen stammen kann, die aus patho-
logischen Prozessen entstanden sind.
3. Ein anderer Teil (angeboren) solcher Mitbewegungen ist wahrschein-
lich dadurch zustande gekommen, daß solche Bahnen, die sonst nur funktionell
benutzt werden, von vornherein benutzbare Wege sind (also Abnormitäten).
4. Die Hypothese von Drooglever Fortuyn vom Übergreifen des
iBDervationsreizes, welche er für beide Gruppen angewendet wissen will,
bekommt nur dann einen Haltpunkt, wenn wirkliche Bahnen zu diesem
tbergreifen vorhanden sind; und diese können nach Punkt 1 vorhanden sein.
6. Da ich fand, daß bei Adduktion meist eine Hebung und bei Ab-
duktion eine Senkung des Lides stattfindet (oft auch umgekehrt), so ist
dieses Phänomen bei Lähmungen, die im Bückgange begriffen sind, nur
eine Steigerung des physiologischen Vorganges.
6. Die sonderbare Erscheinung, daß bei Senkung der Blickebene das
ptotische Auge klafft, erklärt sich aus dem Spasmus des Levators und zum
großen Teil aus der Senkung des unteren Lides. Der Levator kann nicht
entspannt werden.
7. Aus den Kernen und aus den kortikalen Zentren läßt sich bis jetzt
kein Anhaltspunkt für paradoxe Lidbewegungen gewinnen. (Mann,)
SchxtltS-Zehden (478) teilt einen Fall mit, in dem neben sonstigen
zerebralen Symptomen auf dem rechten Auge einfache Sehuervenatrophie,
auf dem linken Stauungspapille bestand. Es wurde vermutet ein Tumor,
der den rechten Optikus direkt geschädigt hat, während die Veränderung
auf dem linken Auge als Folge des allgemeinen Hirudrucks aufgefaßt wurde.
Die Sektion ergab ein Cholesteatom in der rechten Hirnhälfte, das in der
Tat den rechten Optikus neben dem Chiasma fast ganz zerquetscht hatte.
(Kramer,)
344 - Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie and
Schöller (477) gibt in der vorliegenden Arbeit eine allgemeine
Übersicht der multiplen und kombinierten organischen Erkrankungen des
Nervensystems und hebt einige allgemeine Gesichtspunkte als Ergebnisse
seiner Forschungen hervor. Er fand, daß multiple, ätiologisch einheithche
Affektionen des Nervensystems am häufigsten durch Infektionen, ziunal
Syphilis, dann durch Gefaßveränderungen verursacht werden. Bei Kom-
bination verschiedener organischer Nervenkrankheiten sind diejenigen am
häufigsten vertreten, welche auch sonst sehr häufig vorkommen, z. B. Tabes,
multiple Sklerose, Syringomyelie. Immerhin zeigt die letzte Aflfektion eine
ganz besondere Neigung, sich mit anderen zu kombinieren. Aber gewisse
seltener vorkommende Affektionen kombinieren sich relativ häufig miteinander;
es kann dies als ein Hinweis auf die pathogenetische Zusammengehörigkeit
der in Rede stehenden Affektionen angesehen werden.
Ein anhangsweise mitgeteilter, anatomisch ausführlich beschriebener
Fall von Kombination von Mikrogyria vera, Syringomyelia gliosa und
Sclerosis multiplex beansprucht ein besonderes Interesse nicht nur der
Seltenheit wegen, sondern auch wegen der theoretischen Erwägungen, die
sich bezüglich der Pathogenese der miteinander kombinierten Krankheits-
formen daran knüpfen lassen. (Bendiv,)
Babinski (24) machte bei einer Epileptischen die sonderbare Beobach-
tung, daß die Pupillen, während sich die Kranke in einem dunklen Räume
befand, erweitert waren und auf Licht nicht reagierten. Nach einem kurzen
Verweilen in dem dunklen Räume konnte jedoch eine schwache, aber deutliche
Reaktion auf Licht erzielt werden. Diese pseudo-reflektorische Pupillenstarre
kann ihren Grund in der Brommedikation bei Epileptikern haben und spricht
auch für die Tatsache, daß die Dunkelheit — wahrscheinlich durch Regene-
ration des Sehpurpurs — den Lichtreflex verstärkt und die Helligkeit ihn
herabsetzt, sodaß man auch bei Normalen imstande ist, eine Ungleichheit
der Pupillen hervorzurufen. Diese pseudoreflektorische Pupillenstarre ist
daran zu erkennen, daß der konsensuelle Reflex erhalten bleibt und der Licht-
reflex bei langem Verweilen im Dunklen wiederkehrt. (Bendiix.)
IX. Ohr und Labyrinth. Nase.
Brühl (79) betont die Wichtigkeit einer genauen Hörprüfung bei
progressiver Schwerhörigkeit. Durch eine genaue Hörprüfung kann trotz
mangelnden otoskopischen Befundes der Sitz der Erkrankung festgestellt
und dadurch auch gelegentlich therapeutische Maßnahmen angezeigt werden.
Verf. setzt die hierzu nötigen Prüfungen auseinander und gibt einen kurzen
XJberblick über die anatomischen Substrate der progessiven Schwerhörigkeit.
Es gelang dem Verf., in einer Anzahl von Fällen die intra vitam mit Hilfe
der Funktionsprüfungen gestellten anatomischen Diagnosen post mortem zu
verifizieren . ( Kramer. j
Hammerschlag (220) schreibt über die Diagnose der funktionellen
(rehörsstörungen. Die Erscheinungsweise derselben ähnelt zunächst sehr der-
jenigen der Erkrankungen des schallperzipierenden Organes; doch fällt meist
die starke Inkongruenz zwischen den Ergebnissen der Prüfungen mittelst der
Stimmgabel und der Sprache auf. Als ein besonders charakteristisches
Symptom für funktionelle Ohrerkrankung sieht Verfasser das Ermündungs-
phänomen an. Wenn der Patient angibt, die Stimmgabel nicht mehr zu
hören, wird dieselbe vom Ohre fortgenommen und nach kurzer Zeit, ohne
von neuem angeschlagen zu werden, wieder vor das Ohr gehalten. Dann
wird die Stimmgabel wieder wahrgenommen. Dies kann sich zwei bis drei
Diagnostik der Krankheiten des Nervensystems. 345
M&I wiederholen. Verf. gibt als Beispiele einen Fall Ton Hysterie und zwei
Ton traumatischer Neurose, in welchen dieses Symptom sich fand und von
diagnostischer Bedeutung war. In angedeuteter Weise findet sich das Er-
müdoDgsphänomen auch bei Gesunden; deshalb ist bei Verwertung des nicht
ausgesprochenen Symptoms Vorsicht geboten. (Krämer,)
Lannois (311) schreibt über die im Verlaufe des Herpes zoster
TOi^ommenden Hörstörungen. Diese können besonders beobachtet werden
bei Zostereruptionen im Bereiche des Trigeminus oder des Plexus cerricalis.
Dieselben kommen auch Tor, ohne daß gleichzeitig Facialislähmuug vorhanden
ist. In den ersten beiden der mitgeteilten Fälle traten gleichzeitig mit der
Herpeserkrankuug Ohrgeräusche und Herabsetzung des Hörvermögens auf,
die im zweiten Falle zur völligen einseitigen Ertaubung führten. Die letzten
beiden Fälle litten bereits vorher an einer alten Ohrerkrankung, die sich
im Anschluß an den Herpes zoster, der sich auch auf den äußeren Gehör-
gaug erstreckte, wieder verschlimmerte. Verf. faßt die Ohrerscheinuug als
eine neuritische Erkrankung des Akustikus auf, die auf dieselbe infektiöse
Ursache zurückzuführen ist, wie das Grundleiden. (Kramer.)
Wells (552) beschreibt zwei Fälle von objektiven Ohrgeräuschen, die
in dem einen Falle unwillkürlich auftraten, in dem anderen willkürlich hervor-
gebracht werden konnten. Verf. hat in beiden Fällen Zuckungen in der
Gaumenmuskulatur festgestellt, während die Trommelfelle sich nicht bewegten.
Auf Grund dieses Befundes und auf Grund einer Betrachtung des Mechanismus
der Öffnung und Schließung des Tubenostiums kommt Verf. zu dem Resultate,
daß die objektiven Ohrgeräusche bedingt sind durch Zuckungen des tensor
Teli palatini und des salpingo-pharyngeus. (Kramei\)
Wittmaack (566) führt aus, daß die Erkrankungen des inneren Ohres
sich zwar schon seit längerer Zeit diagnostisch gut abgrenzen lassen von denen
des Mittelohres, daß aber eine weitere DiflFerenzierung der ersteren in solche
der Hörnerven und solche des häutigen Labyrinthes noch auf Schwierigkeiten
stößt. Als solche differenzial- diagnostische Momente gibt er nun drei an:
1. Bei den Akustikuserkrankungen, bei denen in elektiver Weise der
Schneckenast des Akustikus betroffen wird, fehlen die labyrinthären Symptome
(Schwindelgefühl, Nystagmus, Gleichgewichtsstörungen usw.) vollkommen.
Dagegen sind sie regelmäßig bei den Erkrankungen des Labyrinthes vorhanden
und zwar teils als Reiz- teils als Ausfallssymptome. Letztere präsentieren
sich als ein Ausbleiben von Schwindelerscheinungen bei Drehungen des
Körpers um die Längsachse und bei Einwirkung starker galvanischer Ströme.
2. Ist der Vergleich des Hörreliefs von Wichtigkeit. Bei den Akustikus-
erkrankungen findet sich ein Abfallen des Hörvermögens mit zunehmender
Tonlage, bei den Labyrintherkraukungen dagegen findet sich der stärkste Abfall
in der mittleren Tonlage.
3. Ist der Verlauf der Akustikuserkrankungen durch ein gleichmäßiges
Portschreiten charakterisiert, während bei den Labyrinthaffektionen deutliche
Krankheitsanfalle mit Remissionen zu beobachten sind.
Diese differentialdiagnostischen Beobachtungen sind auch für die all-
gemeine Diagnose von Wichtigkeit. Die Akustikuserkrankungen sind ziemlich
häafig Teilerscheinungen eines allgemeinen Nervenleidens (Tabes, Lues cerebri,
degenerative Neuritis usw.), während für die Labyrintherkrankung Allgemein-
leiden wie Nephritis, Lues, Anämie, Leukämie usw. in Betracht kommen.
Durch den Ohrbefund kann bisweilen der erste Hinweis auf das Vorliegen
eines derartigen Leidens gewonnen werden. (Mann,)
346 Allgemeine Ätiologfie, Symptomatologie und
In einer zweiten ansführlichen Arbeit, führt Wittmaack (567) diese
Anschaaungen weiter aus und belegt sie dnrch zahlreiche Erankengeschichten.
(Marm.)
B^nosp (293) beschreibt einen Fall von apoplektiformem Mfeniörescheii
Symptomenkomplex. Bei einer 60 jährigen Frau trat im Anschluß an eine
ErkiUtung der M6ni^resche Symptomenkomplex ganz plötzlich auf. Es
blieb bei diesem einzigen Anfalle. Allmähliche Besserung sowohl der Schwindel-
erscheinungen, sowie des Hörvermögens. (Kramer.)
Bonnier (63) beschreibt einen Symptomenkomplex, den er bei einem
Patienten mit Meui Drescher Krankheit in den Anfällen beobachtet hat, und
der eine große Ähnlichkeit zeigt mit den Erscheinungen, die er in früheren
Arbeiten als charakteristisch für Reizung des D ei t er Sachen Kerns beschrieben
hat. Außer Ertaubung, Schwindel, Ohrgeräuschen, plötzlichem Zusammen-
stürzen, Schlafneigung usw. zeigte der Patient auch besonders eigenartige
Störungen im Bereiche der Augenmuskeln. Es war ihm während der Anfälle
nicht möglich, seinen Blick auf irgend einen Punkt dauernd zu richten.
Die Augen machten ununterbrochen ungeordnete Bewegungen, sodaß der
Patient fortwährend Doppelbilder in den verschiedensten Richtungen hatte.
Diese Augenbewegungen dauerten auch bei Augenschluß in störender Weise
fort. (Kramer,)
Raymond und Egger (425) beschreiben einen Fall, in welchem
außer einer Störung des rechten V., VI., VII., VIII. und IX. Gehirnnerven
sich Gleichgewichtsstöningen fanden. Die Patientin zeigte beim Gehen eine
Unregelmäßigkeit der Schritte, sowie eine Neigung, nach rechts abzuweichen,
die sich bei geschlossenen Augen verstärkte. Auch beim Stehen mit ge-
schlossenen Augen bestand Schwanken mit Neigung, nach rechts zu fallen.
Bei den Versuchen auf der Drehscheibe fehlte die Wahrnehmung der Drehung
nach rechts, sowie die Wahrnehmung der scheinbaren Nachdrehung nach
rechts bei Sistierung der Drehung nach links. Aus diesen Versuchen geht
hervor, daß auch der vestibuläre Teil des Akustikus durch den vorliegenden
biilbären Prozeß mitgeschädigt worden ist. (Kramer,)
Royet (452) bespricht die Genese des Schwindels. Derselbe kommt
zustande, wenn die sensiblen Nachrichten, die in ihrer Gesamtheit dazu dienen,
die Gleichgewichtsbewegungen zu regulieren, mit einander nicht übereinstimmen.
Der bei weitem überwiegende Ausgangspunkt des Schwindels ist jedoch immer
das Ohr. In einem großen Teil der Fälle hat Verf. als Ursache des Schwindels
eine Verwachsung zwischen dem Tubenostium und der hinteren Rachenwand
j^efunden. Durch Beseitigung dieser Affektion ließ sich dann der Schwindel
fast immer günstig beeinflussen. Diese Ursache fand sich auch oft dann,
wenn andere den Schwindel begünstigende Faktoren gleichzeitig vorhanden
waren; auch dann war der therapeutische Effekt ein guter. (Krämer.)
Ooldschmidt (203) beschreibt eine Methode, mit deren Hilfe es ihm
gelungen ist, für einen erblindeten und ertaubten Patienten eine Verstän-
digungsmöglichkeit zu finden. Es wurde die Tast- und Bewegungswahr-
nehmung herangezogen und mit dem Zeigefinger des Patienten die Buch-
staben auf den Tisch geschrieben. Zur Erleichterung des Verkehrs wurde
ein leicht erlernbares einfaches Abkürzungssystem angewandt. {Kramer.)
Kintaro Ishii (263) hat in dem japanischen Bezirk Tokushima eine
Krankheit beobachtet, die in Japan bisher nur im Bezirke Aomori beobachtet
und als Kubisagari bezeichnet wird. Die Krankheit soll identisch sein mit
der von Gerlier in der Nähe von Genf beobachteten und als vertige para-
lysant beschriebenen. (Kramer.)
Diagnostik der Krankheiten des Nervensystems. 347
Harris (222) gibt einen historischen ÜberbBck über die Frage der
Synästhesien speziell dos Farbenhörens (audition color^e) und beschreibt dann
Ae Beobachtong, die er an sich selbst und seinem Bruder über dieses
Phänomen gemacht hat. Bei beiden fand sich eine Verbindung der Wort-
Torsteilung mit Farben, während bei einfachen Tönen keine Synästhesien
aasgelöst wurden. Verf. selbst hatte das Phänomen auch bei einzelnen
Buchstaben, sein Bruder hierbei nicht. Entsprechend den anderweitigen
Beobachtungen war auch hier keine Übereinstimmung in der Art der Farben-
erscheinungen bei den beiden Brüdern zu yerzeichnen. Was die Erklärung
des Phänomens anbelangt, so hält es Verf. für möglich, daß für die Art
der Farben Verknüpfung assoziative, in früher Jugend geschaffene Verbindungen,
deren Bindeglieder vergessen wurden, wirksam sein können. Die Grundlage
der Erscheinung hält aber Verf. auf jeden Fall für eine angeborene, der
Beeinflussung durchaus unzugängliche Anlage. (Kramer,)
Iiennoyess (316) betont die Bedeutung der Geruchsmessung für die
Praxis und beschreibt ausführlich die bekannten olfaktometrischen Methoden
von Zwaardemaker und Reuter. (Kramer,)
X. Atmongsargane.
Iiibensky (318) macht auf die seltenen Fälle aufmerksam, in denen
dem Eintreten des Cheyne-Stokesschen Atmungsphänomens nicht in kurzer
Zeit der Exitus folgt. Er berichtet über einen Fall, in dem eine Patientin
ungefähr zwei Monate lang im Xrankenhause und nach glaubwürdiger Angabe
schon vier Monate lang vorher zu Haus diesen Atmungstypus dargeboten hat.
Im Anschluß an diesen Fall erörtert er die bekannten Theorien des
Cheyne-Stokesschen Atmens, die Traubesche, die Filehnesche und die
Rosenbachsche; hierbei weist er besonders auf das Unbefriedigende hin,
das bezüglich der Dekreszendoperiode des Phänomens die beiden ersteren
Erklärungen an sich hätten.
Außerdem berichtet er über Versuche, die er mit verschiedenen Mitteln
bei seinem Falle angestellt hat; hierbei erscheint besonders erwähnenswert,
daß unter Sauerstoffeinatmung sich der Atmungstypus total änderte, die
Pausen immer kürzer wurden, sodaß die Kranke schließlich ununterbrochen
ohne Pause atmete. (Brück)
Hof baner (242) warnt davor, jede Tachypnoe bei Patienten, deren
Herz und Lungen keinen pathologischen Befund darbieten, als hysterisch
anzusprechen. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf die Unterschiede des Atem-
typus, wie sie durch pneumographische Aufnahmen sich feststellen lassen,
z. B. Hysterie: geringe Tiefe der einzelnen Atemzüge ohne Formveränderung
des einzelnen Atemzugs; Typus ähnlich, wie beim Kind. Im Gegensatz
hierzu z. B. Morbus Basedowii: hier Inspiration und Exspiration verlängert,
Ausbleiben der normalen Atempause, Differenzen der einzelnen Atemzüge
bezüglich ihrer Tiefe. (Bruch)
QibsOU (197) hat interessante Beobachtungen bei einem im übrigen
typischen Falle von Angina pectoris gemacht.
Der Patient klagte über konstante Schmerzen, die sich genau lokali-
sieren ließen, links den Rücken bis zum 9. Interkostalraum, den größten
Teil der linken Brustseite, die Schulter und die radiale Hälfte des ganzen
Armes einnahmen. Während der Anginaanfälle reichten die Schmerzen
über dieses Gebiet hinaus, schlössen u. a. das Cranium mit ein. Bei
Prüfung der Sensibilität ergab sich eine starke Hyperästhesie in dem ganzen
schmerzhaften Gebiete, peripher bis in die Gegend des Handgelenks reichend.
348 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
ein komplett anästhetisches und analgetisches Gebiet, das den Daumenballen,
Daumen, Zeigefinger und die radiale Hälfte des Mittelfingers außer dessen letzter
Phalanx, sowie die entsprechenden Teile der Mittelhand, einschloß, endlich
eine analgetische Zone, die streifenförmig von der Rückseite des Handgelenks
ausgehend, am Daumenballen vorbei zum 3. Metakarpophalangealgelenk zog.
Eine kleine Stelle am Daumenballen zeigte vollkommen erhaltene Sensibilität.
Auf Segmente bezogen, ergibt dies also: 7. und 8. Cervikalsegment und
1. Dorsalsegment sind frei, die Gebiete darüber und darunter weisen Stö-
rungen auf — während für gewöhnlich ein umgekehrtes Verhalten der Sensi-
bilitätsstörung vorliegt.
Von weiteren besonderen Symptomen war bei diesem Fall zu bemerken
außer einer Erweiterung der linken Pupille Prominenz des linken Bulbus;
femer Schwäche und Atrophie im Deltoides, Biceps, Supinator longus und
Flexor digitorum sublimis mit Steigerung der faradischen Erregbarkeit. Aus
letzterer Tatsache schließt der Autor, daß es sich hierbei wahrscheinlich
nicht um einen Vorgang reflektorischer Natur handelt, wie bei der Atrophie
nach Gelenkerkrankungen, da bei letzterer die faradische Erregbarkeit durch-
weg herabgesetzt ist.
Gibson nimmt, besonders mit Rücksicht auf die okulo-pupillären
Störungen, an, daß eine Affektion des Halssympathikus in seinem Falle
mitspiele.
Am Schluß erwähnt er, daß einige Monate später die beschriebene
Hyperästhesie zum großen Teil, die Anästhesie vollständig verschwunden war.
(BmcL)
XI. Magen und Darm.
Journeault (281)' beschreibt zwei plötzliche Todesfälle bei Frauen,
die an leichter und mittelschwerer Colica muco-membranosa litten. Bei der
einen Patientin war seit langem unregelmäßiger Puls konstatiert (der übrigens
kurz vor dem Exitus nicht schlechter war als sonst); hier trat der Exitus
plötzlich im Anschluß an die Einnahme eines salinischen Purgans ein; im
andern Falle ging dem Tode ein heftiger Kolikanfall mit Entleerung pseudo-
membranöser Pakete voraus. Obduktionen wurden in beiden Fällen nicht
ausgeführt.
Im Anschluß an diese Krankengeschichten wirft der Verf. die Frage
auf, ob es einen Angor ventris, entsprechend dem Angor pectoris gäbe, der
wie dieser, plötzliche Todesfälle im Gefolge haben könne — eine Frage,
die ja bereite von anderen Autoren bejahend beantwortet worden sei.
(Brück.)
Hnghes (256) setzt weitläufig und mit zahlreichen historischeu Be-
merkungen auseinander, wie häufig Aifektionen, die von Patienten und oft
auch von Ärzten auf den Magen bezogen werden, durch psychische Einflüsse
oder durch organische Himkrankheiten bedingt sind, und daß das um-
gekehrte Verhältnis, psychische Depression usw. infolge von Magenleiden
das weit Seltenere sei. Er gibt allerdings zu, daß dann, wenn infolge der
zerebralen Einflüsse die sekretorischen und sonstigen funktionellen Ver-
hältnisse des Magens eine Störung erlitten hätten, sich eine ungünstige
Wechselwirkung, ein Circulus vitiosus ausbilden könne. Therapeutische
Vorschläge im Sinne dieser Auffassung. (Brück.)
Cohnheim (107) hält die Enteritis membranacea oder Colica mucosa
lediglich für einen sekundären Katarrh im Verlauf der habituellen Obsti-
pation, meist bei nenropathischen Individuen auftretend, welche ja das
Hauptkontingent zur großen Gruppe der Obstipatiker stellen. Die Colica
Diagnostik der Krankheiten des Nervensystems. 349
mneosa, für die Ewald den Namen Myxoneurosis intestinalis gebraucht^
wenn ihm der Fall nervöser Natur zu sein scheint, ist lediglich eine akute
ExazerbatioD dieses chronischen Katarrhs, grade wie die Gallensteinkolik die
akut« £xazerbation des chronischen Gallenblasenkatarrhs mit Steinbildung.
Von einer rein nervösen Natur der Colica mucosa kann nach Cohnheim
keine Rede sein, wenn sie auch sehr häufig bei Hysterischen und Neur-
asthenikern vorkommt. (Brück.)
Oefele (385) zeichnet das klinische Bild des „nervösen Schlingers
seiner Nahrung". Er führt aus, wie namentlich bei vielbeschäftigten und
nervösen Männern durch schlecht angebrachte Übung die reflektorische
flemmang im Schlund verringert wird, und so ungenügend eingespeichelte
and zu große Bissen in den Magen gelangen. Die Konsequenzen dieser
Gewohnheit sind einmal die gleichen, wie bei Sondenfütterung: Die Ein-
speichelung fällt zum großen Teile aus, außerdem hemmt die Ausschaltung
der Geschmackswahrnehmung im Munde oder Unterbrechung des Reflex-
bogens vom Mund durch das Zentrum zu den beteiligten Drüsen die reflek-
tori8che Tätigkeit aller Verdauungsdrüsen; die Nahrung wird also un-
genügend ausgenützt, im Kot ist die Menge der unverdauten Nahrungsstoffe
stets ?ermehrt. Ferner sind Durchfälle, zum Teil mitunter mit Erbrechen
einhergehend, oft mit Obstipation wechselnd, ein häufiges Symptom der
-Devoratio". Die Diagnose läßt sich im allgemeinen durch die Untersuchung
der Faeces führen. (Bmck,)
Eemp (286) hat zum Gegenstande seiner Betrachtungen die Be-
ziehungen der Unterleibsorgane zu den Nerven- und Geisteskrankheiten
gemacht. Er führt namentlich die epileptischen Erscheinungen und Kon-
vulsionen häufig auf Sekretionsstörungen der Leber (Cholin) und des Magens
(flvperazidität) zurück, welche die Bildung von Toxinen im Organismus
befördern. (Bendia,)
XII. Harnorgane.
V. Frankl-Hochwart (172) behandelt in dem von v. Frisch und
Znckerkandl herausgegebenen Handbuche der Urologie die nervösen Er-
kraDkuDgen der Harnröhre und der Blase (S. 771 — 871). Es wird hier in
sehr klarer und übersichtlicher Weise uns ein Überblick über dieses schwierige
nnd in vielen Punkten noch strittige Gebiet gegeben. In dem physiologischen
Teile wird ausführlich Stellung genommen zur Frage der Entstehung des
Harndranges (Verfasser nimmt an, daß derselbe dem Kontraktionsgefühl
der Blase seinen Ursprung verdankt); ferner werden die Inuervationsf ragen
der verschiedenen Muskeln eingehend behandelt. Dann folgt die allgemeine
Symptomatologie, bei welcher vor allem die nervöse Inkontinenz in aus-
führlicher Weise besprochen wird. In der speziellen Symptomatologie nehmen
oatorgemäß die spinalen Blasenstörungen den größten Baum ein; doch finden
wir hier auch eine sehr interessante Zusammenstellung alles dessen, was über
»rebrale Blasenanomalien bekannt ist, ein Gebiet, das ja erst in den letzten
Jahren etwas größere Bearbeitung gefunden hat und noch vieles Unklare
enthalt. Den Schluß dieses Kapitels bilden die Neurosen, bei denen
die Enuresis nocturna infantum die ihr gebührende Berücksichtigung findet.
Das Schlußkapitel behandelt die Therapie mit Beschränkung auf die vom
neurologischen Standpunkte aus indizierten Maßnahmen. (Kramer,)
Lange (310) bestreitet auf Grund seiner vielfachen Beobachtungen,
daß die Enuresis der Kinder in irgend welche ätiologische Beziehung zu den
adenoiden Vegetationen des Nasen-Rachenraums zu bringen sei, und stellt
die neue (sie!) Lehre auf, daß die Enuresis am besten als ein neuropathisches
350 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
Leiden zu betrachten und am geeignetsten durch interne Therapie mit
Arsen, Jod und Eisen zu behandeln sei. Referent ist der Ansicht, daß die
,,neue" Lehre des Verfassers doch nicht so ganz neu ist, und yerweist ia
dieser Beziehung namentlich auf die ausgezeichnete Arbeit Pfisters (Mooate-
schrift f. Neur. u. Psychiatrie, Jahrgang 1904). (Baumann,)
Stern (500) berichtet über eine Ton ihm beobachtete Familie, bei d^r
Mutter und sämtliche fünf Kinder an Enuresis nocturna litten. Die zwei
MÄdchen zeigten das Bild der echten Neurose, d. h. die enuretischen Be-
schwerden begannen um das zehnte Jahr hemm; die drei Knaben dagegen
zeigten seit Geburt Enurese. Ein ähnlicher Fall ist nur noch einmal in der
Literatur von Monro beschrieben worden. Die geschilderten Fälle erscheiuea
dem Verfasser ala Vorstufen bezw. Übergangsformen zu jenen seltenen Auo-
malieen, wo infolge angeborenen Mangels des Sphinkterenversdilusses die
kongenitale Enurese dauernd bestehen bleibt. Von Interesse wird die weitere
Beobachtung und der Effekt der therapeut. Maßnahmen sein, da möglicber-
weise die im allgemeinen durchaus günstige Prognose der Enuresis nocturoÄ
für solche Fälle eine gewisse Verschlechterung erleidet. (BawnaxuL)
Zuccala (577) berichtet über einen Fall von reflektorischer Auurie.
Es handelte sich um einen 38jährigen gesunden Bauern, der im Anschlul
an eine schwere Gemütsdepression über eine Woche hindurch keinen Tropfen
Urin entleeren konnte. Die Blase war dauernd leer. Am 7. Tage stellten
sich urämische Symptome ein, am 8. Tage wurde eine Kochsalzinfusioa
gemacht, am 9. Tage begann Urin zu fließen, am 11. war die ürinmenge
normal, die urämischen Zeichen verschwanden rasch. Der Harn enthielt
1^/(^0 Albumen und hyaline Zylinder, das spezifi.sche Gewicht betrug 1012.
Z. führt die Auurie auf eine durch Nervenchok hervorgerufene VasomotoreU'
lähmung und dadurch bedingte starke Herabsetzung des arteriellen Blutdrucks
zurück. (Brück,)
Ostheimer (388) behandelte drei Kinder, bei denen Incontinentia
der Faeces und des Urins als einzige Krankheitssymptome vorhanden waren.
O. macht auf den Zusammenhang dieser Symptome mit Epilepsie und andereu
allgemeinen Krankheiten oder mit Lokalerkrankungen aufmerksam und
empfiehlt gute Pflege, tonisierende Behandlung und frische Luft als zweck-
mäßige Mittel zur Beseitigung dieser bei Kindern nicht allzuhäufig vor-
kommenden Störungen. (Baidis.)
Vogel (540) weist darauf hin, daß nervöse Blasenstörungen ohne
anatomische Grundlage zu den Seltenheiten gehören. Für gewöhnlich lieg«»
den nervösen Blasenstörungen bestimmte Ursachen zur Grunde, wie Erkra»-
kungen der Blase selbst oder ihrer Nachbarorgane, Rückenmarksleidea,
Blasensteine, Nierentuberkulose und Intoxikationen. Auch bei Neurasthe-
nikern liegt häufig den nervösen Blasenbeschwerden eine Erkrankung des Dro-
genitalapparates zugrunde. (Bendix.)
XIII. Sexnalorgane.
Schaeffer (466) teilt seine Untersuchungen mit über die Lokalisation
der von den einzelnen weiblichen Genitalabschnitten erregbaren Schmert-
und Druckempfindungen. Dieselben sind an 3000 Frauen angestellt worden
und sollen im wesentlichen eine Ergänzung und kritische Begrenzung der
bisherigen Kenntnisse in teilweiser Analogie mit den Headschen Unter-
suchungen darstellen. Es werden die Erregungsgebiete für die verschiedenen
Teile des Genitalapparates einzeln besprochen. Verfasser naeint, daß die
Deutung und Abgrenzung der Lokalisation der Sensibüitätsregionen nickt
Diagnostik der Krankheiten des Nervensystems. 35 X
aof die kompliziert Yerlanfeüden NervenbabneQ, sondern auf den Verlauf der
Tersorgenden Blutgefäße zurückzuführen seien. (Kramer.)
Strasser (505) teilt die Geschichte eines Falles von exzessiver Mastur-
bfttioD mit schweren Folgezuständen mit. Es handelte sich um ein Mädchen,
das selbst ursprünglich gesund und hereditär keineswegs belastet, seit ihrem
vierten Lebensjahre Onanie getrieben hatte, und das mit neun Jahren in
extremster Weise zu masturbieren begann. Alle Maßregeln pädagogischer
ODd ärztlicher Art, auch Zwangsmaßregeln, blieben vollkommen eriblglos^
besonders da die Patientin mit der Zeit auf geringste körperliche Irritationen
hin, £ut aUrin durch Vorstellungen, den Orgasmus hervorrufen lernte. In
knrser Zeit traten neben schweren körperlichen Erscheinungen (starker Ab-
magening, Schwäche, vasomotorischen Störungen, schließlich ausgesprochener
Arteriosklerose) auch psychische Störungen hervor, die ein Ejrankheitsbild
mmlich der Dementia senilis ergaben. Im Alter tou 10 Jahren trat der
Exitas eiQ: die unmittelbare Ursache dazu gab eine Zehengangrän, die zur
Prämie führte, und die dadurch entstanden war, daß das Kind an einen
zwischen beide Beine (zur Verhinderung der Adduktion und sensuellen
Beizung) gelegten Gegenstand seine Beine so fest anpreßte, daß die periphere
Zirkulation not litt.
Im Anschluß an diesen Fall bespricht der Autor die ganze Pathologie
' and Therapie der Masturbation. (Brück)
I Bei den zwei von Seiffer (481) publizierten Fällen handelte es sich
{ 1. um eine Komplikation einer organischen Gehirnerkrankung mit einem
I genitalen Entwicklungsfehler (rudimentäre Entwicklungshemmung des Utenis
nnd der Ovarien). Verfasser läßt ^s dahingestellt, ob bei der Patientin eine
Entwicklungshemmung der Genitalien, kompliziert mit einer leicht hydro-
cephalischen Erkrankung, vorlag, welche nicht direkt in einem ursächlichen
Zusammenhang mit der ersteren stand, oder aber, ob die zerebralen Krank-
1 heitssjmptome eine direkte Folge der Uterus- und Ovarial-Anomalie war.
j Wahrscheinlicher erscheint dem Verfasser die erstere Annahme. 2. handelte
es sich um einen Fall von Menstruatio praecox, welcher schon bald nach der
Gebart Zeichen Yon Epilepsie dargeboten hat. Aus den zuverlässigen
anamnestischen Angaben der Eltern und der klinischen Beobachtung ist zu
sehiießen, daß es sich in diesem Falle um eine zufällige Komplikation von
Epilepsie und Menstruatio praecox handelte — und doch wiederum nicht
ganz zufällig insofern, als diese Komplikation, wie auch beim 1. Fall, die
Teilnahme des Nervensystems an anderweitigen körperlichen Entwicklungs-
störangen, speziell des Uterus, in der Form eines angeborenen pathologischen
Zustandes des Gehirns illustriert. (Bawmnn.)
Müller (362) publiziert fünf Fälle, welche beweisen, das dauernde
Amenorrhoe das früheste Symptom einer Erkrankung an Tumor cerebri,
auch bei Lokalisation der Geschwulst im Kleinhirn und im Occipitallappen,
darstellen und dadurch gelegentlich eine beginnende Schwangerschaft vor-
taaschea kann. Es sind im wesentlichen drei Möglichkeiten einer gegen-
seitigen Beeinflussung zerebraler Erkrankungen und Menstruationsstörungen
gegeben: 1. das Gehirnleiden als eine Folge der Menstruationsstörung (ältere
Anschauung), 2. ein mehr koordiniertes Verhältnis derart, daß eine gemein-
same Schädlichkeit die Grundursache der Geschwulst ist und gleichzeitig
mittelbar oder unmittelbar auch Menstruationsstöruugen verursacht, 3. Ab-
kangigkeit der Amenorrhoe von der zerebralen Herderkrankung. Nach
Verfassers Anacht scheint es, daß mit besonderer Vorliebe die Geschwülste
dfir Hypophysis und der ihr benachbarten basalen Bezirke, sowie solche
Tumoren verschiedenen Sitzes, die mit frühzeitiger Entwicklung eines starken
352 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
Hydrocephalus und raschem Verfall des Sehvermögens einhergehen, durch
eine initiale Amenorrhoe sich ankündigen. — Eine zerebrale Beeinflussung
der Menstruation ist bei Hirntumoren mit einiger Wahrscheinlichkeit nur
dann anzunehmen, wenn man sich durch sorgfältige Untersuchung des All-
gemeinzustandes und der innern Organe (einschließlich des Geschlechts-
apparates) überzeugt hat, daß sonstige erklärende Ursachen fehlen.
(Bautmmn,)
Hoppe (248) bespricht die Störungen des Nervensystems, welche beim
Manne Impotenz erzeugen, ohne im wesentlichen neue Gesichtspunkte zu
berühren. (Baumann.)
Kisch (289) nimmt an, daß gleich wie bei den allgemein physiologi-
schen Funktionen des weiblichen Organismus eine gewisse Periodizität oder
Wellenbewegung, die mit dem Vorgang der Ovulation in Zusammenhang
steht, auch bei gewissen pathologischen Prozessen sich eine derartige Wellen-
bewegung kundgibt, welche den drei großen Epochen des weiblichen Sexual-
lebens: Geschlechtsreife (Menarche), Geschlechtshöhe (Menakme) und Ge-
schlechtsrückgang (Menopause) parallel geht. Diese Wellenbewegung gestaltet
sich so, daß gewisse pathologische Symptome in der Menarche eintreten, in
der Menakme mehr oder weniger verschwinden und in der Menopause wieder-
kehren. Die Symptome bestehen von seiten des Herzens in Herzpalpitationen,
Kurzatmigkeit, Präkordialangst, Druckgefühl auf der Brust, Blutwallung nach
dem Kopf, von seiten des Nervensystems in nervöser Dyspepsie, in mehr
oder weniger ausgesprocheneu Psychoneurosen, die als Pubertäts- bezw.
klimakterielle Psychosen bezeichnet werden, ferner in Chlorose, die auch zur
Zeit der Menopause häufig beobachtet wird, in Albuminurie und in Haut-
erkrankungen (Erytliem, Akne, Hyperhidrosis). Bezüglich der EJntstehung
dieser Symptome bringt Verfasser nichts Neues. (Baumann.)
Reko (435) bringt ein Sammelreferat über die Wechselbeziehungen
zwischen Nase und Geschlechtsapparat spez. dem weiblichen. Die Fließ-
sche Erklärung des nasogenitalen Konnexes (periodische Anschwellung be-
stimmter Stellen der Nasenschleimhaut zur Zeit der Menstruation, Schmerz-
haftigkeit dieser Stelleu bei Dysmenorrhöe usw.), wonach die Visceral-
schmerzen ins Rückenmark übergeleitet und von da auf analoge Zonen im
Innern der Nase projiziert würden, sei von den verschiedenen Autoren an-
gegriffen worden. Verfasser geht dann noch auf zwei Arbeiten von Traut-
mann bezw. Freund ein, von denen ersterer das Zustandekommen dieser
Wechselbeziehungen drei näher bestimmten anatomischen Nervenbahnen
supponiert, während letzterer der Ansicht ist, daß die nasogenitalen Be-
ziehungen in der Hauptsache auf Veränderungen des Stoffwechsels beruhen.
Verfasser entscheidet sich für Trautmanns Auffassung. (Baumann.)
Im Anschlüsse an 5 Beobachtungen, bei welchen verschiedenartiger
sexueller Mißbrauch vorkam, und teils entzündliche Veränderungen, teils
nervöse Erscheinungen entstanden sind, kommt Emödi (144) zur Konklusion,
daß Onanie, Coitus interruptus oder condommatus gleich dem normalen
Sexualakte mit einer Hyperämie verbunden sind, ohne jedoch den normalen
Ausgleich derselben hervorzurufen, somit eine ständige Hyperämie des
XJrogenitalsystems hervorrufen. Bei längerer Dauer vermag diese chronisch
entzündliche Veränderungen hervorzurufen, welche mit der Zeit zu ver-
schiedenen Neurosen des Urogenitalsystems führen. In den Fällen E.'s war
keine gonorrhoische oder andere Infektion nachweisbar. Die Therapie hat
in erster Reihe die Ursache zu beseitigen, sodann die Krankheitserscheinungen
symptomatisch zu beeinflussen. (Hudovermg,)
DiAgnosfcik der Krankheiten dee NerrensyiteiDt. 353
XIT. Halt
Bonch (82) veröffentlicht 2 Fälle von Striae patellares nach Typhus
bezw. Pleuritis und Endocarditis. Die beigegebenen Abbildungen zeigen
die Striae recht gut. Verf. macht zunächst Literaturangaben über die
neneren Arbeiten der Striae pat und geht dann näher auf die Pathogenese
der Erscheinung ein. Die Striae pat. sollen entstehen durch Zerreißung der
tiefereu Gewebsschichten, die ihre Ursache in einem übermäßig großen
Waciistum der Epiphysen der Röhrenknochen habe; letzteres sei wohl ent-
zündlichen Ursprungs. Manche Autoren hielten jedoch die Striae für den
Ausdruck einer zentralen nervösen Affektion. An anderen Stellen als gerade
am Knie würden Striae sehr häufig beschrieben. Zum Schluß bringt Verf.
noch das Ergebnis der histologischen Untersuchung eines exzidierten Stückes,
das vorwiegend eine Alteration der elastischen Elemente darbot
(Baumann.)
Howard (253) berichtet über 6 Fälle, welche einen erneuten Beweis
liefern für den Satz, daß der gewöhnliche Herpes zoster, ebensogut wie der
Herpes bei Pneumonie und Cerebrospinalmeningitis ein pathologischer Zu-
stand ist, der von der Läsion bestimmter Ganglien abhängt, welche ihrer-
seits durch verschiedene Ursachen, die auf verschiedenen Wegen wirken,
bedingt wird. Der Herpes hängt ab von der Läsion der Ganglien, und
offenbar variiert er nicht mit den Ursachen der Läsion, sei es, daß diese
durch Embolie, Thrombose, Hämorrhagie, Tumordurchwachsung, Mikro-
organismen oder durch Toxine oder andere Gifte hervorgerufen sei. Bei
dem Herpes bei Meningitis sind die ganglionären Veränderungen wahr-
scheinlich bedingt durch eine Ausbreitung des entzündlichen Prozesses ent-
lang den Nervenbahnen der Ganglien; bei der Pneumonie wird das wirk-
same Agens dem Ganglion wahrscheinlich durch die Zirkulation übermittelt.
(Bamtiann.)
Dnbrenilh (139) teilt nach kurzer Rekapitulation der bisher be-
kannten Fälle 3 neue Krankengeschichten von rezidivierendem Herpes der
GesäBgegend mit.
Der eine Fall betrifft einen 54jährigen gichtkranken Offizier, der seit
12 Jahren ungefähr jeden Monat einmal eine Herpeseruption in der Gegend
des rechten Trochanter major, ohne Schmerzen oder sonstige Störungen
bekonunt; der zweite Fall ist ein 36 jähriger neurasthenischer Offizier aus
einer nervös und mit Stoffwechselanomalien belasteten Familie, der früher
einige Jahre lang an Herpes praeputialis litt und neuerdings ohne irgend
welche sonstige Veränderungen (keine Drüsenschwellungen, keine Sensibilitäts-
stomngen) alle drei bis vier Monate in der oberen Gesäßgegend Herpes-
^niptionen bekommt; im dritten Fall, bei einem Luetiker, war die Eruption
am linken Gesäß von heftigen Schmerzen begleitet. Keine Sensibilitäts-
?eningen; im Lumbaisediment geringe Lymphoc}1;ose. Hinweis auf die
Ahnüchkeit dieser Affektion mit Antipyrineruptionen. (Bi'uck.)
In einem klinischen Vortrage über Zona oder fiövre zost6rienne be-
tont Jeanselme (269), daß diese Affektion (= Herpes zoster) nicht auf
cioer Erkrankung der peripheren Nerven beruht, sondern daß sie höchst-
wahrscheinlich weiter zentral gelegenen Ursprungs ist. Als Stütze für diese
Annahme weist er einmal auf die Lokalisation der Sensibilitätsstörung hin,
die durchaus nicht dem Verbreitungsgebiete des betreffenden peripheren
Nerven, sondern einem radikulären Gebiet entspricht, femer auf frühere
Sektionsbefunde von Campbell, bei denen in frischen Fällen Blutungen
und Infiltrate, bei älteren Fällen Narbenbildungen in den SpinalgangUen
Jaliresberieht f. Neurologie nnd Psychiatrie I90ft. 23
354. Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und Diagnostik der Krankheiten nsw.
gefunden wurden; schließlich führt er die Ergebnisse der Lumbalpunktion
an, bei der schon frühere Autoren Lymphocytose in frischen FäUeu nach-
gewiesen hatten. Ihm selbst gelang es auch, in einem Falle Lymphocytose
und vermehrten Albumengehalt in der Lumbaiflüssigkeit eines Patienten
nachzuweisen, bei dem der Herpes zoster 3 Jahre zurücklag und keinerlei
Störungen der Sensibilität oder sonstige Veränderungen mehr zu finden
waren. (Brück.)
Nobl (380) bespricht die Veränderungen an den Nägeln, wie sie als
Teilerscheinungen von Hautkrankheiten und im Zusammenhang mit Allgemein-
leiden, sowie idiopathisch auftreten, und lenkt die Aufmerksamkeit u. a. auf
die trophoneurotische Beeinflussung des Wachstums, der Form und struk-
turellen Beschaffenheit der Nägel bei einer Reihe von Krankheiten des
Hirns, des Rückenmarks und der peripheren Nerven (Syringomyeüe, Tabes,
Paralyse, Raynaud, Entwicklungsstörungen bei Verletzung peripherer Nerven);
hierbei erwähnt er besonders einen Fall von M. Joseph, bei dem ein
(nach Kongestionsattacke der Vorderarme auftretendes) gangränöses Absterben
aller Nägel als selbständige Teilerscheinung des Symptomenbildes Raynaud
aufzufassen war. (BmcL)
Koch (294) beschreibt einen Fall von diflfiiser symmetrischer Fett-
gewebswucherung, dessen erste Symptome sich etwa ein Jahr nach einem
schweren Trauma (Fall aus dem dritten Stockwerk) einstellten. Nach
diesem Trauma war u. a. eine starke Schmerzhaftigkeit der Wirbelsäule zu
konstatieren, die andauernd bestehen blieb. Trotz des Fehlens irgendwelcher
anderweitiger Erscheinungen von Seiten des Nervensystems, abgesehen von
einer Abnahme der Kraft in den große Fettmassen enthaltenden Extremi-
täten, glaubt Verf. eine Rückenmarksverletzung durch den Fall als Ursache
der pathologischen Fettgewebsentwicklung ansprechen zu müssen, wie dies
in einem früheren Falle von Buchterkirch und Bumke schon angenommen
worden ist. (Brück,)
Holterbach (246) beschreibt das Auftreten einer oberflächüchen
Hautwunde am rechten Vorderfuß eines Pferdes, die dem Tier offenbar
einen unerträglichen Juckreiz verursachte, da es sich auf alle nur erdenkliche
Weise am Kripprand zu scheuem suchte oder die Wunde mit den Zähnen
bearbeitete. Die Affektion trotzte jeglichem Therapieversuch. Später kam
noch hochgradiges Lungenemphysem hinzu. Warum es sich aber bei diesem
Prozeß gerade um eine „Hautneurose" handeln soll, wie Verf. meint, ist
meiner Ansicht nach durchaus nicht ohne weiteres aus der Arbeit zu er-
kennen. (Baumanru)
Bleibtreu (60) hat in einem Falle von Scharlach das symmetrische
Auftreten von Striae, ähnlich den Schwangerschaftsstriae, oberhalb beider
Kniescheiben und in beiden Glutaealgegenden beobachtet. Bisher sind der-
artige Veränderungen hauptsächlich bei Typhus beschrieben worden. Neu-
ritische Störungen im Gebiet des Cruralis, wie sie in solchen Fällen bei
Typhus wiederholt sich konstatieren ließen, und aus denen manche Autoren
auf eine nervöse Entstehung dieser Erscheinung geschlossen hatten, fehlten
vollständig. Ferner unterschied sich dieser Fall von den bisher beschriebenen
durch das Fehlen jeglicher Darmerscheinungen, jedes langdauemden er-
schöpfenden Fiebers, es fehlte auch das langdauernde Liegen mit angezogenen
Beinen. Daher haben nach Bleibtreu alle bisherigen Erklärungsversuche,
nach denen man sich die Striae, sei es durch mechanische (H. Köbner),
sei es durch trophoneurotische Einflüsse (G. Fischer), entstanden dachte,
für diesen Fall etwas unbefriedigendes, und die Pathogenese erscheint voll-
kommen dunkel. (Brück.)
Aphaaie. 355
Plant (408) beobachtete bei einem Ikteriachen einen sehr starken
Dennographismus. Es handelte ' sich um einen unzweifelhaft nervösen
Menscheo, der auch schon vielfach an. Kopfweh und Schwindelanfällen ge-
litten hatte. (BendÜB,)
Aphasie.
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108. Syme, W. S., A Case of Congenital Word Blindness. Journal of Laryng. London.
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111. Thomas, C. J., Cecite verbale congenitale. The Ophtalmoscöpe. p. 380.
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121. Derselbe, Bemerkungen über die Prognose und Behandlung des Stotterns. ibidem.
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123. Zeri, Agenore, Afasia da malaria. Bolletino delle cliniche. No. 10, p. 440.
Apliasi«. 359
a) Allgemeines imd Ätlologlselies.
Ontzmann (38) gibt hier einen kurzen historischen Überblick über
die Entwicklung der Lehre von den Sprachstörungen. Erst mit der Be-
grandnng und dem Ausbau der Aphasielehre wurde das Gebiet der Sprach-
stonmgen klinisch verwertet und auch die rein funktionellen Störungen,
Stottern usw., exakt untersucht. Die Entwicklung der Sprachphysiologie
hatte eine rationelle Sprachtherapie zur Folge, die bei den Taubstummen
schon lange angewandt wurde. Die einzelnen üntersuchungsmethoden der
Sprachfehler, die Therapie, die Beziehungen mit anderen klinischen Er-
scheinungen wurden eingehend gewürdigt.
Ontzmann (36) erörtert hier die Beziehungen der Affekte zu den
Sprachstörungen. Diese Kenntnis ist von großem Werte für die medizinisch-
pädagogische Behandlung der Sprachstörungen.
Sachs (96) gibt hier zunächst eine Anleitung himanatomischer und
physiologischer Natur, um dann die älteren Anschauungen über die Sprach-
störungen und die Unzulänglichkeiten der verschiedenen Schemata klar zu
legen. Die Begriffe der eigentlichen Sprachzentren usw. sollen zusammen
mit den gemeinen Sinneszentren und ihre Verbindungsweise untereinander
and mit anderen Hirngebieten gekennzeichnet sein. Das Wesentliche bleibt
die Form und Art der Tätigkeit der Assoziationsbahnen zwischen den
einzelnen Zentren. In dem Wort haben wir nicht das Symbol eines geistigen
Inhalts zu suchen, sondern einen Teil dieses Inhalts selbst. Unsere Sprache
besteht mehr aus Sätzen als aus Worten, die wir nicht Objekte, sondern
Situationen nennen. Bei der Lokalisation der Sprache wird ebenso wie auf
die Zerstörung bestimmter Stellen auf die Art der Verbindungen und ihrer
Entstehung zu achten sein. Die Teilungsaphasie im Wernicke sehen Sinne
erkennt S. nicht an. Auch ein besonderes Bahnzentrum nimmt er nicht an.
Stransky (104) versteht unter Sprach Verwirrtheit jede nicht durch
bloße aphasische oder artikulatorische Störungen bedingte Anomalie der
sprachlichen Ausdrucksform. S. stellte Versuche bei normalen Menschen
an, die er unter Fortfall der Aufmerksamkeit reden ließ, was ihnen einfiel.
Üabei ließ sich ein Gemisch von Ideenflucht, Perseveration in regellosem
Durcheinander mit vielen Kontrastassoziationen usw. feststellen. Aehnliche
Gemische fand er bei Hebephrenen und Katatouikern. Die erhaltene Nei-
gong zu grammatikalischen Verknüpfungen ließ die Sprachverwirrtheit hier
besonders hervortreten. Auch bei den Kranken schien demnach die Sprach-
verwirrtheit mehr im Mangel der Aufmerksamkeit begründet zu sein. Auch
auf die eigenartige Sprachverwirrtheit bei Paranoia geht S. näher ein.
Huyghe (48) beobachtete drei Fälle, in denen einer späteren Hirn-
oweichung Monate lang vorher eine dysarthrische Sprachstörung voraus-
ging, die intermittierend auftrat und als prämonitorisches Symptom zu ver-
werten ist, das der Erweichung in der Gegend der Rol an doschen Win-
dungen vorausgeht.
Hahn (39) beobachtete bei einem 72jährigen Mann eine vorübergehende
Benommenheit mit leichter Verwirrtheit und aphasischen resp. paraphasischen
Störungen, die als Ursache dieser Zirkulationsstörungen bei Arteriosklerose
angesehen werden müssen.
Heilbronner (42) beschäftigt sich mit den aphasischen Störungen,
die sich bei Epileptikern finden. Dieselben treten am häufigsten in der
Form der amnestischen Aphasie auf und nur in Ausnahmefällen unter dem
Bilde der sensorischen Aphasie. Er führt dieselben zurück auf lokale
Exazerbationen des spezifischen -epileptischen Prozesses. Gegenüber der
360 Aphasie.
diagnostischen Bedeutimg der amnestisch -aphasischen Störungen fiir die
Erkennung der epileptischen Erkrankung rät H. zu einer gewissen Vorsicht.
Ein Zustand amnestischer Aphasie kann als Residuum einer fiberstandenen
epileptischen Psychose bestehen, doch auch als langdauernde Folge von
Anfallen auftreten, ohne daß schwerere psychische Störungen oder ein Stupor
vorausgingen. Oft tritt sie als isoliertes Symptom sprachlicher Störung auf.
Das Haftenbleiben in den Verben ist dann eine sekundäre Erscheinung.
Im Verlaufe einer schweren Chorea beobachteten Simon et Crouzon
(101) bei einem 13jährigen Mädchen eine spastische Lähmung mit Aphasie.
Es lag anscheinend eine organische Erkrankung (Embolie mit Erweichung)
vor, obwohl das Herz beim Eintritt der Lähmung intakt erschien. Erst
später zeigten sich Erscheinungen der Mitralstenose.
Stone (103) beschreibt einen Kranken, von dem ca. fünf Verwandte
(Mutter und Geschwister) in vorgeschrittenem Lebensalter an demselben
Leiden litten und starben. Es handelt sich um Anfälle vorübergehender
Aphasie mit Schwäche an der rechten Körperhälfte, Incontinentia der
Blase, Trübung des Glaskörpers am Auge, Verlust und Verminderung des
Schmerz- und Temperaturgefühls, epileptiforme Krämpfe; plötzlicher Tod
bei völliger Bewußtlosigkeit. In einem Falle, der zur Sektion kam, bestand
eine cerebrospinale Leptomeningitis; die Hinterstränge des Rückenmarks
und die hinteren Wurzeln waren degeneriert. — Der hier beschriebene Fall
betriflft eine 37jährige Frau, die seit zehn Jahren an Glaskörpertrübungen
litt und zuletzt erblindet war. Ihre vier Brüder, die an derselben Krankheit
litten, starben im Alter von 23 — 27 Jahren.
Ein Bergmann war vor 14 Jahren verschüttet worden, wodurch er
neben einer Verletzung der unteren Extremitäten völlig taub geworden war.
Trotz fortwährender Begutachtungen wurde auf die von ihm auf den Unfall
zurückgeführte Taubheit keine Rücksicht genommen; obwohl er immer
wieder Berufung ergriff, wurde nie eine spezialärztliche Untersuchung an-
geordnet. Dadurch, daß das Kubrum nicht zu seinem Rechte kam, ent-
wickelte sich allmählich eine schwere Neurasthenie. Erst als auf Ver-
anlassung des Reichsversicherungsamtes ein Obergutachten eingeholt wurde,
wurde eine genaue Untersuchung der Gehörorgane veranlaßt. Diese, mit
der Bezold-Ertelmannschen kontinuierlichen Tonreihe von Wanner (117)
ausgeführt, ergab rechts eine einfache, links eine dreifache Lücke inner-
halb der Skala; außerdem fehlte ganz resp. teilweise die für die Sprache
unbedingt notwendige Tonstrecke (b' — g"), sodaß die Taubheit wohl erklär-
lich war. Der Sitz der Erkrankung war somit in der Schnecke zu suchen;
nach Art der Zerstörungen in der Schnecke ist irgend welche Einwirkung,
wahrscheinlich Blutung, anzunehmen, wodurch einzelne Strecken der schaU-
aufnehmenden Teile vernichtet wurden. Verf. benutzt diesen Fall, um
darauf hinzuweisen, wie notwendig es ist, daß jeder Verletzte, welcher ein
Schädeltrauma erlitten, sei es, daß Blutung aus dem Ohre eingetreten ist
oder nicht, sofort auch hinsichtlich seiner Gehörorgane untersucht wird.
Die Untersuchung soll womöglich von einem Spezialarzt ausgeführt werden;
da aber auch jeder praktische Arzt in die Lage kommen kann, solche
Kranke untersuchen zu müssen, ist es notwendig, daß jeder Arzt mit der
Untersuchung des Ohres vertraut ist und in Zukunft im Examen seine
Kenntnisse in der Ohrenheilkunde vor einem Fachlehrer dartut
(Ardoreferat)
b) Therapie der Aphasie.
In dem Fall, den M cConnell (70) beschreibt, litt ein 28jähriger Mann
mehrere Jahre an epileptischen Anfällen. Dazu traten Jackson sehe Krämpfe,
Aphasie. 361
die mit Erhaltensein des Bewußtseins einhergingen, in der rechten Gesichts-
luUfts begannen und eine Sprachstomng von Dauer mehrerer Minuten ver-
orsachteD. Es bestand eine Parese des rechten oberen und unteren Facialis^
artiknlatorische Sprachstörung und motorische Agraphie. Wegen zu-
nehmender Krämpfe und Gedächtnisschwäche wurde die Trepanation vor-
genommen und ein Tumor entfernt, der oberflächlich auf dem Fuß der
ersten und zweiten Stirnwindung auflag, doch auch die dritte Stimwindung
und die yordere Zentralwindung komprimierte. Nach der Operation besserte
sieh die Sprache schnell, die Schrift allmählich auch. Die Parese des
rechten Facialisgebietes war stärker, und die rechte Hand war paretisch.
— Der Fall spricht zu Gunsten der Annahme eines motorischen Schrift-
zentrnms in der linken zweiten Stirnwindung.
In Mygind's (81) Falle bekam eine 52jährige Frau, die seit ihrer
Kindheit an einem übelriechenden Ausfluß aus dem linken Ohre litt, die
Erscheinungen der amnestischen Aphasie, ohne daß sonst Allgemeinsymp-
tome Ton selten des Gehirns aufgetreten waren. Die Trepanation erwies
eine Abszeßbildung in der linken dritten Temporalwindung. Eine direkte
Portpflanzung zwischen dem Mittelohr- und Hirnleiden war nicht nach-
weisbar; es handelte sich nicht um eine direkte sichtbare Portpflanzung
der Entzündung durch die Dura,,mater, deren äußere Fläche nur eine leichte
diffttse Trübung zeigte. Eine Öffnung war nicht vorhanden. Der Abszeß
lag mehr zentral in der Temporalwindung. Die sensorische Aphasie war
Ton Agraphie und Paraphasie begleitet; die letztere trat erst hervor, als
die Aphasie nach der Operation sich allmählich besserte.
Wray (119) beschreibt hier seine Behandlungsmethode der Wort-
blindheit speziell bei Kindern. Er findet die echte Wortblindheit selten
bei Kindern; bei dieser versteht der Beranke die Wortbilder nicht, die sonst
in seinem geistigen Besitz existieren. Bei der Pseudo- Wortblindheit, die
bei Kindern häufig ist, werden die Worte nicht begriffen, weil sie in dem
Wortschatz noch gar nicht existieren, und weil das Verständnis ihrer Be-
griffe noch fehlt. Hier muß man zunächst das Begriffsvermögen und den
Wortschatz erweitern, ehe man zu detaillierten Übungen übergeht.
Mohr (79) weißt darauf hin, daß bei der Behandlung zentraler
Sprachstörungen die außerordentliche Kompliziertheit selbst des einfachsten
Sprachaktes eine weit größere Berücksichtigung verdient, als es noch viel-
fach der Fall zu sein scheint, daß also Sprechen und Auffassung des Ge-
sprochenen als eine mit dem ganzen psychischen Geschehen unlöslich ver-
knüpfte Funktion angesehen werden muß. Daraus folgt, wie notwendig
eine Berücksichtigung der Gesamtpsyche des Aphasischen ist. Man wird
daher beim Unterricht möglichst so vorgehen, daß der Kranke Fortschritte
und keine Defekte sieht, d. h. man muß mit leichten Übungen anfangen.
AuBerdem ist die Leistungsfähigkeit den Schwankungen des AUgemein-
ZQstandes anzupassen. Ferner soll man das Gefühl und den Affekt des
Kranken in den Dienst der Sprachunterweisung zu stellen suchen. Worte
and Sätze sind zu wählen, die bei dem Kranken eine besondere Gefühls-
betonung hervorrufen. An bekannte Tatsachen und Fehler der Unterhaltung
iind Anweisungen anzuknüpfen. Überhaupt soll man dem Aphasischen
möglichst viel Anregung bieten, ohne ihn anzustrengen, um ihm das Interesse
für die Außenwelt, von der er abgeschnitten ist, zu wecken und das Auf-
Bsfamen neuer Eindrücke, wie den Drang, seine Gefühle, Ansichten, Be-
strebungen nach außen kund zu geben, in ihm zu erhalten. Am besten
soll der Arzt solche Kranke bis zum Ende selbst behandeln und belehren.
362 Aphasie.
Sonst eignen sich auch Lehrer für Schwachsinnige and Taubstumme zum
Übernehmen dieser Aufgabe, die besondere Sorgfalt und Ausdauer erfordert.
c) Symptomatologie der Aphasie und der einzelnen Formen.
Holden (46) beschreibt einen Fall von Seelenblindheit, in welchem
die medialen Flächen der Occipitallappen »owie beide Sehstrahlungen unver-
sehrt waren. Verletzt waren symmetrisch beide äußeren Flächen des Gehirns
und besonders die 6yri angul. und supramarginales. Außer der Seelenblind-
heit bestand Hemiplegie, Aphasie und Demenz sowie verbreitete Arterio-
sklerose.
Mills und Weisenburg (76) beobachteten bei einem rechtshändigen
Manne neben linksseitiger Hemiplegie eine sensorische Aphasie, die dauernd
war und besonders in Wort- und Buchstabenblindheit bestand. Es mußte
ein rechtsseitiger Herd angenommen werden, der in Embolie der rechten
mittleren Hirnarterie bestand oder in einer subkortikalen Läsion, welche
die weiße Substanz unterhalb der Zentralwiuduugen, der Parietal- und
Angularwindung betraf und vielleicht auch einen Teil der ersten Temporal-
windung. Die gekreuzte Aphasie bei rechtsseitigen Herden ist sehr selten.
Der Fall scheint zu lehren, daß mitunter das Zentrum für das Sehen der
Buchstaben und Wörter auf der rechten Seite gelegen sein kann, und daß
einseitige Herde mitunter auch dauernde Wortblindheit erzeugen können.
In der Therapie wandten die Verfasser die beiden üblichen Methoden an,
um die Worte und Buchstaben wieder erkennen zu lernen; die durch Bei-
bringen der ganzen Worte en bloc und die durch Lehren der einzelnen
Buchstaben und Silben.
Faterson (84) beschreibt drei Fälle von Wortblindheit. Im ersten
bestand rechtsseitige Hemianopsie und partielle Hemiplegie, komplette Buch-
staben- und Wortblindheit mit Störung des Schreibens. Intelligenz und
Sprache waren sonst intakt. Im zweiten Falle bestand rechtsseitige Hemi-
anopsie, Aphasie und partielle Agraphie mit Wortblindheit. Im dritten lag
eine Dyslexie (Berlin) vor mit Hemianopsie rechts, ohne motorische Lähmung.
Bouchaild (12) beobachtete bei einem 68jährigen Mann die Symptome
der Worttaubheit, der völligen Blindheit mit rechtsseitiger Hemiplegie-
Dieser Zustand war nach mehrfachen apoplektischen Insulten und allge-
meinen Krampfanfällen im Laufe von zwei Jahren eingetreten. Auch hatten
die geistigen Fähigkeiten abgenommen. Als Grund der Worttaubheit
erwies die Sektion eine Zerstörung der zweiten linken Schläfenwindung und
eines Teiles der dritten, während die erste Schläfenwindung, in derem hinteren
Drittel der Sitz der Läsion (Worttaubheit) erwartet wurde, unversehrt war.
Außerdem waren die subkortikalen Fasern der ersten Schläfenwindung ver-
ändert, atrophiert, ohne daß die reine Worttaubheit (Dejerine) bestand.
Die Blindheit beruhte auf doppelseitiger Hemianopsie durch Zerstörung der
Sehstrahlungen.
In dem von BoenninghatlS (9) beschriebenen Fall handelte es sich
um eine Herderkrankung beider Schläfelappen. Der Kranke litt an senso-
rischer Aphasie resp. Seelentaubheit mit Paraphasie, nachdem ein Schlag-
anfall aufgetreten war, der vollkommene Taubheit und diese Aphasie er-
zeugt hatte. Lähmungen lagen nicht vor. Das Gehör trat nach 2 Monatea
wieder ein, doch fehlte jedes Verständnis des Gehörten; Klingel, Hunde-
beilen, Musik war für den Kranken nur ein Geräusch. Die völlige Er-
taubung nach dem zweiten Schlaganfall in den linken Schläfenlappen war
nur dadurch zu erklären, daß bei einem 7 Jahre zuvor erlittenen Schlag-
Aphasie. 363
anfall mit zeitweiliger linksseitiger Halbseitenlähmung und dauernder Ge-
fohlsstöruDg links die rechte akustische Bahn zerstört sein mußte. Der
ganze Verlauf stützt die Anschauung, daß der Akustikus jeder Seite mit
beiden Schläfelappen in Verbindung stehe, daß also der Akustikus nach
Art des Optikus sich nur teilweise kreuze. So ist es auch zu erklären,
daß ein wichtiges Zentrum des Gehirnes einseitig vollkommen funktionslos
werden kann, ohne daß die Folgen des Ausfalles auf die Dauer bemerkbar
werden.
Bonvicini (11) geht die bisher beschriebenen Fälle von subkortikaler
sensorischer Aphasie kritisch durch. Zur Unterscheidung der Pseudo-
sprachtaubheit und der reinen Worttaubheit sind die von ßezold bei
Taubstummen gewonnenen Beobachtungen und üntersuchungsmethoden maß-
gebend. Er fand keinen Fall in der Literatur, bei dem infolge Läsion in
einem der beiden Schläfenlappei^ Tonlücken, wie z. B. bei Labyrinth- und
AkustiknsafiFektionen festzustellen waren. Seine zwei Fälle, in denen die
Sektion noch nicht vorgenommen war, scheinen zu lehren, daß nicht nur
die Worttaubheit infolge linksseitiger mit, sondern auch infolge linksseitiger
Schläfelappenläsion ohne Ausfall von Tongehör speziell für die Sprach-
seite (b' — g") auftreten kann. Daher ist auch der letztere Fall zur reinen
Worttaubheit und nicht zur Pseudosprachtaubheit Liepmanns zu rechnen.
Die in der Literatur vorhandenen Fälle sog. subkortikaler sensorischer
Aphasie mit linksseitiger Läsion gehören durchwegs zur Pseudosprach-
taubheit und weisen allgemeine Hörstörungen auf. Das Krankheitsbild in
reiner Form ist nur sehr selten und gehört zu den klinischen Baritäten.
Zwei Fälle, die der Verf. mitteilt, zeigten keinen Ausfall des Hörvermögens
bis auf eine geringe gleichmäßige Herabsetzung der Perzeptionsdauer für
alle Töne, eine Erscheinung, die auch der Kranke Liepmanns aufwies.
Als Sitz der Affektion nimmt Bonvicini nicht eine funktionelle Schwäche
des Hörzentrums im ganzen an infolge beiderseitiger diffuser Läsion mit
vorwiegender Beteiligung des Hörzentrums (Pick, Dej6rine-Serieux,
Hohmayer usw.), sondern er nimmt mit Sachs zwei Entstehungsursachen
der reinen Worttaubheit an. Bei einseitiger Läsion: subkortikale Unter-
brechung der zur linken Schläfenrinde ziehenden Hörbahn mit gleichzeitiger
Lasion der die beiden Hörfelder verbindenden Balkenbahn, bei beiderseitiger
Affektion: Läsion der Hörbahn im Marklager des linken Schläfenlappens
und der Balkenbahn der rechten Hemisphäre.
Li einem Falle von Embolie mit rechtsseitiger Hemiplegie konnte
Kleist (53) folgenden aphasischen Symptomenkomplex feststellen: Geringe
Störung des Sprachverständnisses, eine Herabsetzung der Merkfähigkeit für
Sprachklänge, eine erhebliche Störung des Nachsprechens mit amnestisch-
paraphasischer Natur. Gestört waren ferner die Zerlegung der Laut-
komplexe und das Lesen und Schreiben. Das Spontansprecheu war im
Verhältnis wenig gestört. Im großen ganzen waren die verbalen und
literalen Assoziationen mehr gestört als die Sprachartikulation und das
Sprachverständnis selbst. Es handelt sich um eine Leitungsaphasie nach
Wernicke. — Die subkortikalen Aphasien zeigen nach K. drei Funda-
mentalsjmptome: 1. die Aufhebung des Sprachvermögens, 2. die Auf-
hebung des Sprachverständnisses, 3. die Dissoziation des Wortbegriffs. Je
nachdem eines dieser Symptome hervortritt, unterscheidet er: L die reine
WortsUimmheit (subk. mot. Aphasie), 2. die reine Worttaubheit (subk. sens.
Aphasie), 3. die reine Wortbegriffaphasie (Leitungsaphasie).
Rotlimami (94) teilt zunächst einen Fall von transkortikaler
motorischer Aphasie mit Sektionsbefund mit. Nach einem Schlaganfall mit
364 Aphasie.
rechtsseitiger Hemiplegie und fast totaler motorischer Aphasie trat der
Verlust der spontanen Sprache ein bei erhaltenem Wortverständnis, er-
haltenem Nachsprechen, Lesen usw. Die Sektion erwies eine kleine Cyste
am Seitenventrikel im Gyrus angularis mit einem röhrenförmigen Er-
weichungsherd, der unter den Zentral Windungen bis ins Mark der 3. Stiru-
windung eindrang. Der Fall stützt die Anschauungen Lichtheims und
Wernickes von der transkortikalen motorischen Aphasie. Die genauere
mikroskopische Untersuchung der Hirnrinde, die intakt erschien, steht noch
aus. Im zweiten Fall handelt es sich um einen komplizierten Fall von
partieller motorischer und totaler sensorischer Aphasie. Die Sektion erwies
eine Atrophie der linken ersten Schläfenwindung und eine ausgedehnte Er-
weichung im vorderen Teil der linken dritten Stimwindung bei Freibleiben
der eigentlichen Brocaschen Windung. Elrweicht war ferner links die
Insel und das Mark der 1. Schläfenwindung.
V. Bechterew (5) teilt einige Fälle von transkortikaler Aphasie
oder „Dissjmbolie^ mit, die teils die transkortikale Aphasie begleitete,
teils auch selbständig auftrat. Durch Störung der Leitungen ist hier der
Sprachapparat der Kontrolle der Begriffe entzogen. Die Kranken merken
nicht, wenn sie Worte verwechseln, und daß ihre Worte den Begriffen nicht
entsprechen und andere nicht verständlich sind. Im zweiten Falle bestand
gleichzeitig eine transkortikale Paralexie.
HaUipre (40) beobachtete bei einem 71jährigen Manne die Er-
scheinungen der amnestischen Aphasie. Bei der Sektion fand sich ein Herd
in der Regio occipito-temporalis vom Hinterhorn des Seitenventrikels bis
zur IL Parietalwindung; derselbe nahm die IL Occipitalwindung des
Gyrus angularis, die I. Parietotemporalwindung bis nach vom zur Fissura
Sylvii ein. Die innere und untere Fläche des Lobus occipitalis war frei.
Hallipro erwähnt Fälle amnestischer Aphasie von Bianchi, S^rieux,
Trenel, in denen die Herde ebenfalls am Gyrus angularis, Occipitalhirn
und Fasciculus occipitofrontalis (subkortikal) saßen. In allen Fällen, auch
in den oben beschriebenen, hatte sich die amnestische Aphasie erhebUch
gebessert, so daß diese Prognose als günstig bezeichnet wird.
Mann (65) beobachtete ein 12 jähriges Mädchen, d:is bereits 5 Tage
nach einer doppelseitigen Mittelohrentzündung mit Spontanperforation links
zerebrale Störungen (wie Beschwerden beim Wasserlassen usw.) zeigte.
14 Tage darauf folgten Konvulsionen, Kopfschmerzen, Bewußtlosigkeit,
Nackenstarre, Doppeltsehen, Parese im rechten Arm und Facialis. Die
Operation erwies einen großen Abszeß im Schläfenlappen, der in 4 Wochen
gut verheilte. Nach der Operation machte sich eine eigenartige Sprach-
störung geltend, indem die Patientin neben allgemeiner Gedächtnisschwäche
die Dinge, die sie kannte und erkannte, nicht benennen konnte; die Körper-
teile konnte sie jedoch wohl benennen. Die Namen von Dingen fand sie
mitunter von selbst oder oft erst durch das Schreiben. Insofern erinnert
der Fall an den Kranken Voit, der zuletzt von Gustav Wolff „Über
krankhafte Dissoziation der Vorstellungen" beschrieben ist
Reich (92) beobachtete bei einem Manne von 58 Jahren im An-
schluß an einen Unfall aphasische Symptome, die darin bestanden, daß der
Patient nachsprechen kann, nicht versteht, wenig spontan sprechen kann;
dabei bestand Gedächtnisschwäche, Apraxie, asymbolische Symptome.
Lähmungserscheinungen fehlten. IL nimmt hier eine Störung des Begriffs-
zentrums an, vielleicht auf der Basis kapillärer Blutungen oder einer
Pachymeningitis haemorrhagica. Möglicherweise handelt es sich auch um
eine Korsakoffsche Psychose.
Aphasie. 365
Stransky (105) berichtet über einen Fall von Arteriosklerose mit
seniler EQmatropbie, die an einzelnen Stellen und besonders über dem
linken Gyros snpramarginalis einen ausgesprochenen Schwund aufwies^
ohne besondere Herdaffektion. Klinisch bestanden neben den Erscheinungen
einer transkortikalen Aphasie, sensorische Asymbolie und katatonische Er-
scheinungen; ähnliche Fälle sind von Pick beschrieben.
Aach für die gemischte Apraxie konnte Pick (90) ähnlich wie für
die Aphasie eine stärkere, lokalisierte Atrophie bei allgemeiner seniler
Himatrophie erweisen. In diesem Falle von gemischter Apraxie betraf die
Atrophie beide Stirnlappen und ganz besonders das linke untere Scheitel-
läppcben, während Zentral- und Ocdpitalwindungen kaum betroffen waren.
Piok (87) geht auf das Symptomenbild der Apraxie näher ein, das
hei Terschiedenartigen Krankheitszuständen vorkommen kann. So beschreibt
er es in einem postepileptischen Delirium, bei organischen Eirkrankungen,
wie bei HimtumcMren, Herden. In diesen Fällen lagen Störungen des
Handelns ror und nicht nur Störungen des Erkennens der Gegenstände
oder fehlerhafte Beaktionen infolge von Perseyeration. Das durch Perseve-
ration bedingte yerkehrte Handeln bezeichnet er als Pseudoapraxie. Außer
diesen gibt es eine Reihe von motorischen Apraxien, so das von Liep-
mann beschriebene, femer ein Danebenhandeln (wie ein Danebenreden),
dann eine ideomotorische Apraxie, d. h. ein verkehrtes Handeln infolge
von gestörter Aufmerksamkeit. Namentlich auf die Bedeutung und den
Grad der Aufmerksamkeit f&r das Zustandekommen komplizierter Hand-
langen und Ausfallserscheinungen wies Pick besonders hin.
BramwellB (14) Fall von motorischer Aphasie zeichnete sich be-
sonders durch das Fehlen einer Agraphie aus. Anfangs bestand eine
Schreibstörung, aber mehr auf Ghrund der Unfähigkeit, die Feder zu halten.
Die 27 Jahre alte Kranke hatte eine rechtsseitige Hemiplegie mit Verlust
des Spracbvermögens und mit Schmerzen in der linken Kopf hälfte erlitten.
Sie hatte eine Mitralstenose, welche wahrscheinlich eine Embolie herbei-
geführt hatte, mit einem Erweichungsherde am unteren Ende der motorischen
Zone der linken Seite. (Bendix.)
Maas (62) berichtet über eine eigenartige Artikulationsstömng bei
einer 64jährigen Hemiplegischen mit Beteiligung der rechten Körperhälfte.
Patientin verstand alle an sie gerichteten Fragen, hatte keine Schwierig-
keiten der Wortfindung und Satzbildung und sprach mit normalem Wort-
schatz. Sie sprach aber stets an Stelle von g ein d und für k ein t.
Außerdem bestand Sigmatismus. Besonders auffallig war es, daß die Störung
nur beim Spontansprechen bestand, nicht beim Nachsprechen. (Bendix,)
Eine 56jährige Frau, die, wie BUTT (19) mitteilt, seit ihrer Jugend
taubstumm war und sich durch Zeichensprache verständigte, verlor nach
mehr&chen SchlaganföUen die Fähigkeit, sich durch Gesten und Panto-
mimen zu verständigen. Auch konnte sie die Zeichensprache anderer
Taubstummer nicht mehr verstehen. Sie war rechts völlig gelähmt und
anästhetisch, verlor auch die Fähigkeit zu lesen und zu schreiben, die sie
Torher besaß. Die Sektion erwies ein gefäßreiches, erweichtes Gliom in
der linken Hemisphäre der Stirn- und Zentralwindnngen ; auch die Basal-
ganglien waren links beteiligt. — Eine reine motorische Amimie bei Nicht-
tanbstnmmen ohne Aphasie ist bisher nicht beobachtet.
In dem von y. Mayendorf (69) beschriebenen Falle lag klinisch
SeelenbUndheit und Alexie vor neben Worttaubheit usw. In anatomischer
Beziehung erwiesen sich der Gyrus angularis sowie die beiden Hinterhaupts-
lappen und deren Windungen als völlig normal. Der Herd saß durchwegs
366 Aphasie.
subkortikal (Abszeß) an der Spitze des linken Schläfenlappens mit fistel-
artigen Fortsetzungen nach dem Gyrus Hippocamp. und fusiform. und
unterhalb der ersten Schläfenwindung, die subkortikal abgeschnitten war.
Der Verf. deutet die Alexie und Seelenblindheit als subkortikale Störungen
des zentralen Sehens. Die optischen Erinnerungsbilder, die durch das
binoculare Sehen gewonnen werden, sind in die linke Sehsphäre zu verlegen.
Eine Unterbrechung der linken Sehstrahlung muß alsdann eine Erregung
dieser Erinnerungsbilder von der Peripherie, so auch der Wort- und Buch-
stabenbilder unmöglich machen. Der Kranke wird sehen, weil die rechte
Sehstrahlung intakt ist usw.
Katz (50) beschreibt zwei Fälle echter und larvierter Wort- und
Buchfitabenblindheit bei Kindern. Die Pseudo-Alexie kann durch an-
geborene Augenstörungen entstehen, die echte nur durch angeborene
zentrale Störungen.
49 jähriger Potator, Patient von Margnlies (65 a)^ klagte 3 Tage
vor der Aufnahme ins Krankenhaus über schlechtes Sehvermögen und bald
darauf über Schwäche im r. Arme. Obj.: träge Lichtreaktion, hemianopsia
d., sc. atr., Paresis im Ylld., XII d., hemiparesis-anaesthesia D. Amnestische
und geringe motorische Aphasie. Totale Alexie bei erhaltenem Schreib-
vermögen und Sprachverständnis. Bis auf die Hemianopsie, amnetische
Aphasie und Alexie Besserung der Symptome. M. nimmt eine durch
Thrombose der Aste der art. fossae Sylvii bedingte Läsion der
Gratioletschen Sehstrahlung des Gyrus angularis und der Assoziations-
fasern an, welche die Sehzentren des Occipitallappens mit anderen korti-
kalen Zentren verbinden. Hemiplegie und Hemianaesthesie waren dadurch
bedingt, daß auch die Capsula interna betroffen war. (Kwn.)
In dem von Bramwell (15) beschriebenen Fall bestand Wort-
blindheit mit fast reiner Alexie; gleichzeitig war rechtsseitige Hemianopsie
ohne Hemiplegie oder Hemianästhesie vorhanden. Die Sektion erwies eine
Erweichung im Gebiete der linken Arteria cerebri posterior; beteiligt waren
der linke Hinterhauptslappen, der Gyrus hippocampus, die 3. und 4
temporo-sphenoidale Windung. Der Gyrus angularis und supramarginalis
resp. deren Rinde schienen noch unversehrt zu sein; nur der hintere untere
Teil des Gyrus angularis war mit lädiert.
Bei einem 40jährigen Musiker beobachtete Marinesco (67) nach
einem apoplektischen Insult neben rechtsseitiger Hemiparese eine partielle
motorische Amusie und inkomplette musikalische Agraphie. Apbasische
Störungen fehlten.
Pick (89) sucht bei der Analyse der Elemente der Amusie nach-
zuweisen, daß die aphasischen Störungen einer noch viel weiter gehenden
Analyse zugänglich sind, als sie bisher gepflogen wurden, und daß die Ver-
wertung der dadurch nachgewiesenen Einzelsymptome eine weitere theoretische
und praktische Vertiefung des Studiums erhoffen läßt. Hier weist er haupt-
sächlich auf Störungen der Intonation, des Rhythmus, der Intensität resp.
Stärke der Sprache, der feineren Nuancierung und Klangfarbe des Sprechens
bei den aphasischen Kranken hin. — Wie bei den Tönen unterscheidet er
bei der Sprache 1. die Qualität, Stellung in der Tonreihe, Höhe, Melodie,
2. die Intensität, Stärke, 3. Klangfarbe und 4. den Rhythmus.
Löwy (61) beschreibt einen Kranken, der das Bild von Hysterie
und Arteriosklerose bot und im Anschluß an eine rechtsseitige Hemiplegie
organischer Natur das Bild der Mikrographie bot ohne agraphische und
paragraphische Erscheinungen. Die Schrift wurde während des Schreibens
immer kleiner, bis zuletzt nur Striche übrig blieben. Er mußte erst all-
Aphasie. 367
mähHch wieder wie ein Kind schreiben lernen, zeigte aber immer noch
BückMe. Außerdem bestand eine leichte Artikulationsstörung. Die Hand
zeigte keinen Kraftverlust, aber wohl eine schwere und mangelhafte Beweg-
lidikeit. Die Störung machte sich am meisten beim Schreiben geltend,
wobei Spannungen auftraten, die zunahmen; es handelt sich um einen leichten
Spasmus bei einer bestimmten Koordinationsfahigkeit (Schreiben), ebenso
schien die Artikulationsstörung durch zunehmende Rigiditäten bedingt zu
sein. Ahnliche Eälle von Mikrographie infolge abnormer Muskelspannungs-
zQstande sind von Pick und anderen beschrieben. Diese Rigidität ohne
Lahmung scheint durch Läsion der Nachbarschaft der Willkürbahnen etwa
des Streifenhtigels bedingt zu werden.
Nachdem Pick (88) früher zwei Fälle von stationärer oder chronischer
organischer Hiraerkrankung mit dem Symptomenbild der Mikrographie mit-
geteilt hatte, beschreibt er nun einen Fall, in welchem diese Schreibstörung
Torübergehend und funktionell bei einer Hysterie auftrat. Eine gleichzeitig
Torhandene Makropsie konnte die Schriftstörung nicht voUkominen, aber doch
Zürn Teil begründen. Die Störung der Unterschätzung der Bewegung
(Kinästhesie) war hier lediglich auf das Schreiben beschränkt.
d) Fnnktlonelle Sprachstfiningeo.
In einem Falle typischer traumatischer Neurose mit vorwiegend vaso-
motorischen Symptomen beobachtete Auerbach (4) eine Sprachstörung,
die als funktionelle resp. hysterische gedeutet werden mußte. Die Sprache
erinnert an die pseudospastische Parese mit Tremor, wie sie an den Extre-
mitäten bei der traumatischen Neurose oft beschrieben ist. Die Stimm-
bänder zeigten eine gewisse Parese mit Tremor. Zeitweilig bestand Stottern.
Haas (63) beobachtete bei einer hysterischen Frau drei eigenartige
Störungen der Sprache. Zunächst bestand Stammeln und zwar so, daß fUr
swei Laute 1 und m das Nachsprechen außer in der Mitte von Worten
nicht möglich war. Das Stammeln trat beim Spontansprechen mehr hervor
als beim Nachsprechen und ließ im Laufe längerer Unterhaltung nach.
Außerdem bestand hysterisches Stottern, das intermittierend war und durch
psychische Einflüsse leicht zu erzeugen war; es wich von dem gewöhnlichen
Stottern auch sonst nicht ab. Endlich lag Agrammatismus vor. Alle drei
Störungen gingen zurück, ohne speziell behandelt zu werden.
Von den beiden Fällen kindlicher Aphasie, die Heller (43) mitteilt,
betrifft der eine eine Hörstummheit (vorher Aphasie), die durch langen
gründlichen Unterricht wesentlich gebessert wurde. Im zweiten Falle lag
onsorische Aphasie resp. psychische Taubheit vor. Hier konnte erst durch
den Umweg des Lesen- und Schreibenlernens das Sprachverständnis geweckt
nnd das Sprechen beigebracht werden. Dieser Knabe gehörte zweifellos
zu dem Typus mit optisch-motorischem Sprachgedächtnis; er war sonst
geschickt und intelligent — Die kindlich-aphasischen Zustände sind von
den idiotischen zu scheiden und gesondert zu behandeln.
Heller (44) schildert den Stufengang der Übungen, die er beim
Sprachunterricht hörstummer Kindheit anwendet. Gegenstandsnennen, Orts-
Teränderungen, Eigenschaftsbegrifife, Tätigkeiten werden allmählich bei-
gebracht. Sprechübungen werden mit Hilfe von Bilderbüchern vorgenommen,
das Wortgedächtnis besonders geübt...
Oltoszewski (83) gibt einen Überblick über die bekannten Stigmata
der Entartung, zu denen er die Mehrzahl der Fälle von Neurasthenie, Hysterie
und der ünequilibrierten rechnet, unter 348 Kranken mit Sprachstörungen
368 Aphasie.
aller Art spielte die Entartung eine sehr wichtige Rolle ; sie disponiert am
meisten zu Sprachstörungen, und diese wiederum sind häufig ein Zeichen
der Entartung. Diese Anschauung sucht er in diagnostischer, progno*
stischer, therapeutischer und prophylaktischer Beziehung zu verwerten.
Conmiont (24) teilt einen Fall von hysterischer Aphasie mit und
präzisiert eingehend die Merkmale der hysterischen Aphasien und des
hysterischen Mutismus. Der Fall selbst betraf eine äSjäbrige Schneiderin,
die seit ihrer Jugend nervös und Potatrix war. Sie bekam nach einer
starken Gemütsbewegung eine rechtsseitige Hemiparese mit Hemianftstbesie
und wurde aphasisch. Die Aphasie äußerte sich nicht nur in Apbemie,
sondern auch in Agraphie, Worttaubheit und Wortblindheit, aber ohne
Seelenblindheit mit mäßiger Amnesie. Auffallend war eine dissoziierte
Sprachstörung für das Französische und Deutsche. C. unterscheidet echte
hysterische Aphasien, welche völlig mit denen organischer Erkrankungen
zusammenhängen, und hysterischen Mutismus. Bei den Aphasien können
die Kranken nicht sprechen, entweder, wie in dem mitgeteilten Falle, in
Verbindung mit Agraphie, Worttaubheit und Wortblindheit oder in Form
eines Mutismus oder besser einer Aphemie (Charcot^).
Dagegen beruht der hysterische Mutismus darauf, daß die Kranken
nicht sprechen wollen, und dieses dürfte demnach richtiger als voluntärer
hysterischer Mutismus zu bezeichnen sein. (Bendix.)
Bei zwei Kranken Albrecht's (1), welche nach apoplektischen Insulten
die Symptome sensorischer Aphasie zeigten, entwickelten sich im weiteren
Verlaufe der Erkrankung dauernde Stimmungsveränderungen, Halluzinationen
und Wahnideen, welche zum Teil systematisch ausgebaut wurden. Die
klinische Beobachtung, welche sich durch längere Zeit fortsetzen ließ, weist
darauf hin, daß der in beiden Fällen vorausgegangene zeitweise Alkohol-
mißbrauch nicht als ätiologisches Moment der paranoischen Psychose auf-
zufassen ist, sondern daß er nur allgemein prädisponierend gewirkt hat.
Verfasser glaubt vielmehr die Entstehung dieser Paranoia der Aphatiker
aus der ßeizwirkung der Herderkrankung und den durch die Selbstwahr-
nehmung des Sprachdefektes entstandenen anhaltenden Stimmungsanonyahen
erklären zu können. (AtitoreferaJt.)
In 18 Fällen von Chorea beschreibt Cizler (20) allerlei Störungen
und Unregelmäßigkeiten des Rhythmus und Tonus bis zu komplettem Mutismus
und absoluter Aphonie. In vier Fällen fanden sich choreatische Bewegungen
der Stimmbänder.
Maas (64) gibt hier einen kurzen Abriß über die Entwicklung der
Sprache des Kindes und ihre Störungen.
Unter 6000 Volksschülern zeigten bei den Untersuchungen von SchleiSB*
ner (97) 13,6 % Knaben und 7,4 V^ Mädchen Sprechgebrechen und zwar
überwiegend Stammeln. Auch in den Bürgerschulen tiberwiegten die Knaben.
Zahn (120) rät, das Stottern recht fiiih durch Unterricht zu bekämpfen
und in Schulen dauernd Kurse mit 8—10 Teilnehmern einzurichten.
Zahn (121) hält die Aussicht des Stotterns auf eine Selbstheilung
seines Leidens für sehr unsicher. Die Kur ist so bald wie möglich anzu-
fangen.
Mehnert's (71) Vortrag über Stammeln und Stottern bei Schul-
kindern enthält nichts wesentlich Neues.
Trömner (113) kommt nach seinen Betrachtungen und Erfahrungen
zu dem Schlüsse, daß es viele Stotterer gibt, welche sich durch Übungs^
therapie eher verschlimmern als verbessern, und daß Hypnose ein in allen
Fällen vorteilhaftes, in vielen Fällen ausschließliches Mittel darstellt. Der
Aphasie. 359
Vorteil, den die hypnotische Suggestivbehandlung selbst bringt, sind
psychische Beruhigung und Minderung der Sprachangst. In einigen Fällen
kann eine Kombination mit der Übungstherapie am Platze sein. Die Sugge-
stionen im wachen Zustande schienen Tromner bei Stotterern nicht so zu
wirken und zu haften, als solche im Zustande eingeschränkten Bewußtseins
und mit reduzierter Afifektlage.
Mehnert (72) weist auf die leichte Übertragung des Lispeins in den
Schulen hin und rät seine Bekämpfung durch methodische Sprechübungen an.
Von 200 Waisen und 95 Taubstummen konnte Deutsch (25) in 14
Fällen bei den ersteren und in 19 bei den letzteren Spiegelschrift der linken
Hand feststellen. Bei den 14 Waisen fanden sich gleichzeitig andere Ano-
malien, wie Anämie, Hypertrophie der Bachentonsillen usw. Von den 19
Taubstummen waren einige idiotisch, andere schwach begabt. D. hält die
Spiegelschrift für einen pathologischen Zug; innerhalb physiologischer Grenzen
kommt sie nur vereinzelt vor und weist auf eine Lockerung der psychischen
Hemmung hin.
e) TaubstDDifflbelt.
Gntzmann (37) weist hier darauf hin, wie gut die Hörreste bei
taubstummen Bändern für die sprachliche Entwicklung der Kinder verwandt
werden können. Angeborene Taubstumme zeigten bei der Untersuchung
an den von 6. ausgeführten Atmungskurven andere Linien als die Kinder,
die erst später ihre Taubstummheit erworben hatten. Aber selbst bei
angeborenen Taubstummen ließ sich der Typus der Atmung durch geeignete
Atmungsübungen verändern und dadurch eine günstige Regulation der
übrigen Vorgänge der Sprache herbeifuhren. Diese Atmungsübungen sind
jedoch nicht nur zu Anfang der Artikulationszeit vorzunehmen, sondern
auch in späterer Zeit sind sie systematisch aufzunehmen, wenn das Kind
bereits sprachlich weiter vorgeschritten ist.
Grelle (30) macht der Bezoldschen Methode der Prüfung, um die
hörfähigen und bildungsfähigen Taubstummen auszuwählen, zum Vorwurf,
daß sie nur das Gehör der Töne berücksichtige, während andere Natur-
geräusche nicht geprüft werden, die oft von den Taubstummen noch vor
den musikalischen Tönen wahrgenommen und gehört werden. Auch andere
Instnimententöne werden oft schneller wahrgenommen, als die Stimmgabel-
töne. Die tonale Prüfungsmethode erscheint dem Verfasser nicht genügend
zur Prüfung und Auswahl der hör- und bildungsfähigen Taubstummen. Die
Prüfung mit der Königschen Sirene scheint ihr vorzuziehen zu sein.
Die weiteren Untersuchungen von Hammersclllag (41) lehren, daß
die große Mehrzahl der hereditär Taubstummen sowohl dem Drehversuche
als der galvanischen Durchströmung gegenüber sich normal verhalten und
daher abweichen von der Wirkung bei Tanzmäusen. Ein geringer Bruchteil
der hereditär Taubsturamen reagiert auf den Drehversuch negativ, auf die
galvanische Durchströmung positiv gleich den Tanzmäusen. Eine weitere
kleinere Zahl erweist sich bei beiden Versuchen refraktär.
unter 43 taubstummen Kindern fand Treitel (112) 7 Imbezille, und
0 der Taubstummen hatten imbezille Geschwister. Andere gaben den
Prozentsatz der Imbezillen unter den Taubstummen auf 6 — 10% an. Als
Ursache kamen in Betracht: Alkoholismus, Lues, Kretinismus, Erblichkeit,
Konsanguinität. Verwandten -Ehen scheinen schon zur Erzeugung von
Kindern mit Imbezillität wie mit Taubstummheit zu disponieren, auch wenn
in ihnen keine erbliche Belastung oder Degeneration vorliegt.
Jaluresbericht f. Neurologie u. Psychiatrie 1906. 24
370 ^^® BeziehuDgfen der Augenstorungen
Lindt (59) fand in einem Falle angeborener Taubstummheit neben
einem normalen äußeren, mittleren Ohr und Labyrintbkapsel eine Atrophie
des Ganglion spirale, des Nervus cochlaris, des Bamus saccularis, Degene-
ration des Epithelbelages und des Neuroepithels, der Pars inferior des
häutigen Labyrinths der Cochlea und des Sacculus. Der Fall reiht sich an
die Fälle, die Siebenmann als ausgedehnte Epithelmetaplasie mit fehlender
oder mangelhafter Entwicklung des Sinnesepithels und Ektasie der Laby-
rintfawand beschrieb. Auffallend in dem hier beschriebenen Falle ist das
vollständige Fehlen einer Papilla basilaris in allen Windungen rechts und
links. Die Entwicklungsstörong im Labyrinth muß in die frühe Zeit des
Embryolebens verlegt werden.
Die Beziehnngen der Aogenstönrngen zd den NerrenkranklieiteiL
Referent: Prof. Dr. Silex-Berlin.
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Marenghi hatte gefunden, claB intrakranielle Durchschneidung des
Optikus die Lichtreaktion der betreffenden Pupille nicht aufhebt. Abels-
dorff (1) wiederholte diese Experimente, konnte den Befund jedoch nicht
bestätigen. Intaktheit des Optikus ist nach wie Tor zur Erzielung einer
Lichtreaktion des Optikus erforderlich.
Es wird von Abelsdorff und Piper (2) mit Hilfe eines eigens
konstruierten Apparates der exakte Nachweis geführt, daß die konsensuell
reagierende Pupille bei Lichteinfall meist sich in geringerem Grade verengt
als die direkt getroffene.
Es handelt sich bei dem Fall von Abraham (3) um eine rechts-
seitige Hemianopsie. In der linken Gesichtsfeldhälfte war Rotgrünblindheit
Yorhanden. Die Diagnose lautet auf einen Herd im linken Temporal- und
Occipitallappen, der eine Erblindung der gleichseitigen Netzhauthälften
herbeigeführt hat Außerdem mußte in der rechten Hemisphäre ziemlich
symmetrisch eine Zirkulationsstörung vorliegen, welche zwar keine Erblindung
aber eine Störung im Farbsinn hervorrief.
Adamkiewicz (4) verteidigt seine Ansicht, daß die Stauungspapille
nicht in Stauungsvorgängen am Sehnerven, sondern in entzündlichen Prozessen
im Sehnervenapparat zu suchen sei. Er stellte die sogenannte Stauungs-
papille in Abrede; denn es gäbe keinen „Himdruck**. Eine wirkliche
Steigerung des Liquor finde nie aus mechanischen Gründen, sondern nur
dann statt, wenn mit dem Liquor Entzündungsprodukte sich mischen,
da diese unter eigenem und immer erhöhtem Druck stehen. Wäre die
Stauungspapille mechanischen Ursprungs, dann müßte sie durch reine, auf
mechanischem Wege hervorgerufene Drucksteigerungen im Schädel künstlich
hervorgerufen werden können. (Bendir,)
I. Die Zeitdauer der ophthalmoskopischen Leichenuntersuchung wird
nach Albrand (6) durch die postmortale Pupillenerweiterung begünstigt;
von dieser zu unterscheiden ist die agonale Dilatation, welche vielleicht mit
dem 0-Mangel des Blutes zusammenhängt; jedoch hebt Sympathikusdurch-
schneidnng beim Tier diese Erweiterung sub finem auf; wahrscheinlich ist
sie Dur Folge der Blntentleerung der Iris und ist Zeichen des unmittelbaren
378 ^^® Beziehungen der AugeiutöruDgeii
Todes. Wenn für die Sphinktermnskulatur Totenstarre auftritt^ eifdgt
Pupillenverengerung. Lagerveränderungen, Kammer wasser -Verlust usw. rufen
Differenzen in den Pupillen weiten hervor. Weitere Verengerungen, nach
24 Stunden, hängen nüt der abnehmenden Tension zusammen, forzierte
Injektion von Flüssigkeiten bewirkt wieder Dilatation. Ausführliche
Tabellen erläutern die Verhältnisse des näheren. — Forensisch wichtig ist
die Konstatierung, daß alle Angaben über ein charakteristisches Verhalten
der Pupille für gewisse Vergiftungen unhaltbar sind, da das prä- und
postmortale PupiUen-Phänomen unabhängig von der Todesart ist; aus-
genommen scheint nur die Adrenalinwirknng.
IL Im zweiten Teil seiner Arbeit erwähnt A. einen interessanten
Fall von Skleralberstung, entstanden durch Kochsalzinjektion in den Glas-
körper; der Riß verlief halbmondförmig, nahe dem Limbus corneae, also
einer Stelle, wo die Sklera die geringste Resistenz besitzt; parallel zu diesem
Falle gibt A. ein Bild eines glaukomatösen Bulbus, wo an gleicher Stelle
schon intra vitam eine deutliche Skleralverdünnung sichtbar war. — Im
Anschluß hieran teilt , er einige weitere Beobachtungen über die Leichen-
verändeningen des inneren Auges mit; vor allem Gefäß Veränderungen. —
Kleine Stückchen der Augenhäute, mikroskopisch untersucht, zeigten schon
sogleich nach dem Tode das charakteristische der feinkörnigen Trübung.
Die Linsen geben mikroskopisch und makroskopisch ein der Katarakt-
bildung am lebenden Auge sehr ähnliches Bild, und zwar scheint sich zueist
die Corticalis zu trüben. — Die im Tode ophthalmoskopisch bald abblassende
Chorioidea zeigt auch makroskopisch teilweise Blutentleerung der Gefäße.
Zum Schluß der Arbeit folgen noch einige Beobachtungen an tierischen
Leichenaugen, vornehmlich bezüglich der Pupillarveränderungen.
Die ersten Augenstudien an menschlichen Leichen unternahm nach
Albrand's (6) Ausführungen Bouchut; diese Studien dienen nicht nur
zur Beobachtung des allmählichen Umsichgreifens der letalen Eiweißgerinnung
der Retina, sondern sind auch praktisch wichtig, um Todeskonstatieningen
vorzunehmen und den ungefähren Zeitpunkt des Todes festzustellen.
Der Augenspiegelbefund auf beiden Augen bei einer Leiche pflegt der
gleiche zu sein, dagegen verschieden bei verschiedenen Leichen zu gleichen
Zeiten nach dem Tode, je nachdem ein plötzlicher Exitus oder ein lang-
sames Absterben vorliegt.
Zunächst ist regelmäßig eine papierweiße Abblassung der Papille zu
konstatieren und Schwinden des Arterienlumens, während die Venen länger
sichtbar bleiben und in einzelne Segmente zerfallen. Übrigens ist das Aus-
sehen der Gefäße wesentlich abhängig von der Kopfhaltung der Sterbenden.
Die kadaverösen Trübungen der Retina treten zuerst an der Macula
und in der Papillengegend ein, auch schwinden gleichzeitig die Reflexstreifen
der Gefäße. Bis 8 Stunden post mortem lassen sich gewöhnlich ophthalmo-
skopisch alle Einzelheiten erkennen, während später die zunehmende
Trübung der Augenmedien das Bild zu sehr verschleiert. Vor allem tritt
eine starke Trübung der Cornea mit Substanzdefekten auf, besonders in den
von den Lidern nicht geschützten Teilen. Immerhin kann man die Iris,
Vorderkammer usw. noch ca. 50 Stunden nach dem Tode deutlich beob-
achten, — Sehr bald sinkt auch die Tension des Bulbus, in ca. 24 Stunden
auf — 2. Hiermit Hand in Hand geht ein Pupillar-Phänomen, darin be-
stehend, daß die Pupille auf Pingerdruck eine die Richtung desselben
korrespondierende Verzerrung erfährt.
Auffallend ist bei älteren Individuen, daß die Vorderkammer mit fort-
schreitender Abnahme des intraokularen Druckes flacher wird. — Eine
sa den Neirenkrankheiten. 379
Folge der Totenstarre in der Irismnskulatur ist neben der postmortalen
PapilleDerweiterang die unregelmäßige Form derselben.
Das Kammerwasser reagiert anfangs alkalisch, später amphor. Die
Linse bleibt ca. 6 — 8 Stunden unverändert, um dann in Form von Pünktchen
und Strichelchen sich zu trüben, häufig aber ganz nach Art des Aitersstars,
trotidem findet man nach 24 Stunden immer noch freie Lücken, die eine
Besichtigung des Fundus gestatten.
Die Konjunktiva wird kurze Zeit post mortem schmutzig gelblich,
schließlich mehr oder weniger schwarz und marmoriert.
Azenfeld (14) bespricht die Eigentümlichkeiten angeborener Augen-
muäkellähmuugen. Die Abduzenslähmungen treten viel häufiger links als
rechts anf, und es tritt bei ihnen fast nie sekundäres Schielen ein. Letzteres
bangt von der Beschaffenheit des gelähmten Muskels resp. des ihn er-
setzenden Gewebes ab. Häufig ist der gelähmte Muskel vollkommen wohl
gebildet, ohne die erwartete Atrophie zu zeigen. In manchen Fällen tritt
Setraktion des Bulbus bei Innervation des Internus ein. Besonders
interessant ist ein Fall von angeborener linksseitiger Okulomotorius-Paralyse,
bei dem alle 3 — 5 Minuten, auch im Schlafe, eine krampfartige Kontraktion
der gelahmten Muskeln eintritt. Dieselbe wird als eine athetotische aufgefaßt.
Babinski und Toufesco (16) teilen 2 Fälle von Cyanose der
Retina mit; der erste betraf ein Kind mit angeborener Pulmonalstenose
and allgemeinen Stauungserscheinungen. Der zweite Fall ist deshalb be-
merkenswert, weil es sich um einen 35jährigen Menschen handelte, der an
einer Verengerung der Pulmonalis litt, bei dem sich aber die Cyanose auf
die Retina beschränkte.
Bard (16) sucht an 3 Fällen von homonymer Hemianopsie zu be-
weisen, daß auf der blinden Seite noch Helligkeitsunterschiede wahrgenommen
werden, und führt auf diese Fähigkeit die Tatsache zurück, daß viele
Patienten erst bei der ärztlichen Untersuchung auf den Gesichtsfelddefekt
aufinerksam werden.
Es werden von Berger (22) 6 Fälle isolierter Verletzungen der äußeren
Angenmuskeln angeführt. Die Diagnose des Grades der Verletzung ist häutig
schwierig, die Prognose der unvollständigen Zerreißung günstig, die der
Tollständigen ungünstig. Die Therapie ist zuerst besser abwartend, nach
einiger Zeit eventl. operativ.
Birch-Hirschfeld und Inonye (27) haben an Hunden, denen
Schilddrüsenextrakt gegeben wurde, die Pathogenese der Thyreoidinamblyopie
studiert. Bei drei von vier Versuchstieren konnten sie nicht nur bei der
ophthalmoskopischen Untersuchung Zeichen einer Sehnervenatrophie fest-
stellen, sondern auch bei der mikroskopischen Untersuchung der Netzhaut
ttfld des Sehnerven ausgesprochene Degeuerationserscheinungcn nachweisen.
Das Thyreoidin schädigt am intensivsten die Netzhautganglienzellen und
ffihrt zu einer sekundären Degeneration im Sehnerven. Die Verf. fanden
am Sehnerven das Bild partieller diffuser Faserdegeneration, ohne Ver-
änderungen der Grlia, des Bindegewebes, der Septen oder der Gefäße. Die
Ganglienzellen zeigten Chromatolyse, Vakuolisation mit Schwellung der Zelle,
Kemschrumpfung und -zerfall. Die Thyreoidinfütterung geschah täglich
(bis zu 8 — 10 g steigend) und rief nach mehreren Monaten bei Hunden die
Erscheinungen der Sehnervenatrophie hervor, ohne daß Symptome von
Gefaßstörungen der Papille oder der Netzhaut vorausgingen. (BencUx.)
Brausohweig (30) verweist betreffs der Diagnose auf die Wichtigkeit
der Auskultation in zweifelhaften Fällen von Exophthalmus. Es folgt die
Mitteilung eines Falles, hervorgerufen durch einen Teschinschuß in die
380 ^^^ Beziehangen der Aagenstörangen
Orbita, wo durch das Röntgenbild das Projektil ini Sulcns caroticus nach-
gewiesen wurde. Außerdem enthält die Arbeit sphygmographische Kurren
der Geschwulst
Nach einem Schlag auf das rechte Auge tritt, wie CosmettatOB (38)
mitteilt, Ausfall der Pupillarreaktion auf Licht ein, während sich die
Pupille bei Akkommodation verengert. Die Pupille ist rund, ohne Einrisse
und erweitert. Verfasser nimmt an, daß in der Iris gesonderte Fasern für
den Licht- und den Akkommodationsreflex vorhanden sind.
Dnronx und Grandclement (48) beobachteten eine 27 jährige
Patientin, bei der sich unter anfallsweisen Kopfschmerzen, besonders links,
Exophthalmus entwickelte und ein intraokularer Tumor des linken N. opticus
(Sarkom) entfernt werden mußte. Nach drei Jahren trat wiederum Kopf-
schmerzen auf und Anfalle von epileptoiden Krämpfen mit Lokalisation im
rechten Arm und in der rechten Gesichtshälfte. Erbrechen. Von der
Orbitalhöhle aus wurde ein Teil des auf die Gehirnbasis weiter gew^ucherfcen
Sarkoms entfernt mit dem Erfolge, daß der Kopfschmerz sich besserte und
die Jackson sehen Anfälle fortblieben. (Bendix.)
Evans (52) teilt fünf Fälle von indirekter Verletzung des Sehnerven
infolge von Stoß oder Schlag gegen den äußeren proc. angularis des Stirn-
beins mit. Der Grund ist dafür entweder eine Fraktur durch das Foramen opti-
cum, eine Zerreißung des Nerven, eine Blutung um oder in den N. opticus,
oder eine indirekte Quetschung des Nerven. Meist tritt nach der Verletzung
eine starke Abnahme der Sehkraft an der getrofifenen Seite ein und zwar
temporalwärts. Anfangs kein ophthalmoskopischer Befund, später Optikus-
atrophie. Meist Wiederherstellung des zentralen Gesichtsfeldes.
(Bendix.)
Ein 39jähriger Tabiker Feilchenfeld's (53) bewegt die Augen nach
allen Richtungen normal, wenn er Gegenstände fixiert, verfällt aber sofort
in Konvergenzkrampf, wenn er sie nach einer beliebigen Richtung bewegeu
soll, ohne daß ein bestimmtes Fixationsobjekt zur Betrachtung gegeben ist
Also müssen 1. die Zentren des bewußten Willens, von welchen die Absicht,
eine bestimmte Augenbewegunj» auszuführen, ausgeht, 2. die Bahnen, welche
von diesen zu den niederen Koordinationszentren führen, 3. die Verbindungen
der letzteren mit den Augenmuskeln, kurz der ganze zentrifugale Weg
intakt sein. Die Störung liegt demnach in der zentripetalen Bahn, die
sich aus sinnlicher und sensibler Zuleitung zusammensetzt, und zwar,
da erstere — Sehschärfe, Gesichtsfeld usw. — normal ist, in der letzteren, und
beruht auf einem Ausfall der kinästhetischen Empfindungen der Bewegungs-
organe des Auges, einer Ataxie im Sinne der Ley den sehen Theorie. So-
lange Fixationsobjekte gegeben sind, ist die Bewegung, die sich auf die
normale sinnliche Zuleitung stützt, normal; eine Verirrung erfolgt, sobald
sich die Augen allein auf die nicht mehr intakten kinästhetischen Empfin-
dungen verlassen müssen. (AtUoreferaL)
Frachtman (60) beschreibt den seltenen Fall eines einseitigen
Nystagmus horizontalis an einem Auge mit Sehschärfe = V«o» ^^ andere
Auge ist vollkommen sehtüchtig.
Bei einem 19 jährigen Mädchen beobachteten Glegg und Hay (ö6)
eine Paralyse der Assoziationsbewegungen und bitemporale Gesichtsfeld-
einengung infolge von Empyem der hinteren Siebbeinzellen. Die Kranke
bemerkte nach einem Influenzaanfall eine Störung ihrer Sehkraft; sie konnte
die Augen nach rechts nicht über die Mittellinie bringen und hatte bi-
temporale Gesichtsfeldeinengung. Nach Abfluß von Eiter aus dem rechten
zu den Nenrenkrankheiten. 3g X
hinteren Siebbeinlabyrinth, das operativ eröffnet wurde, gingen die Seh-
störnngen gänzlich zurück. (Bendix.)
Die Erkrankungen des Mittelohres sind nach OradenigO (70) öfters mit
ErkrankuDgen des Auges kompliziert. Letztere kommen vor als Nystagmus
und Aügenmnskellähmungen, speziell der Abduzens, als Ungleichheiten der
Popillenweite und Entzündungen der Sehnerven. Sie werden meist durch
die zerebralen Komplikationen vermittelt. Verfasser führt zwei Fälle an.
Graf (71) gibt ein exaktes Bild von dem Symptomenkomplex der
sympath. Ophthalmie, von dem derjenige der sympath. Beizung streng zu
unterscheiden ist. Letztere kann lange bestehen, ohne daß erstere hinzu-
tritt, andrerseits kann die sympath. Entzündung auch ohne sympath. Reizung
anftreten. Nach einigen histologischen Betrachtungen geht Graf auf die
Trsache der sympath. Ophthalmie ein, als welche ziemlich allgemein ein
allerdings noch unbekannter Mikroorganismus angenommen werde, ebenso
wie die Art der Übertragung von einem Auge auf das andere noch strittiges
Gebiet sei. Die Prognose der Krankheit sei immer zweifelhaft, da noch
nach mehr als einjähriger Ruhe Rezidive auftreten könnten. Therapeutiscli
käme es darauf an, dem Leiden die Existenzbedingungen abzuschneiden, bei
Verletzungen, die keine Sehfähigkeit erwarten lassen, die Exenteration vor-
zunehmen, sonst konservativ vorzugehen, solange keine Reizerscheinungen
die glatte Heilung vereiteln. Nebenbei Anwendung von Quecksilber, Jod,
Salicyl, Mydriatica, subkonjunktivale Injektionen und ableitende bezw. die
Zirkulation anregende Maßnahmen. Bei Verschlimmerung des Zustaudes ist
die prophylaktische Enukleation geboten, und falls die Untersuchung des
Bulbus Verdacht erregt, für das zweite Auge absolute Schonung für zirka
6 Wochen zu veranlassen. Im Anschluß an diese allgemeinen Schilderungen
fährt Graf mehrere Fälle von sympath. Ophthalmie mit gutem Ausgang für
beide Augen an und zwei Fälle von Netzhautablösung als Anfangssymptom
der sympath. Ophthalmie.
Grossmaim (75) berichtet über ein 5% jähriges Mädchen, das sonst
ganz gesund ist. In beiden Augen ist die Pupille nach innen und oben
exzentrisch verlagert und bildet ein kleines schräges Oval. Bei jeder schnellen
Augenbewegung Tremor der Iris. Die größere äußere untere Partie der
Iris zeigt parallel dem Hornhautrande konzentrische Fältelungen. Linse
fehlt; Atropin ruft nur minimale Erweiterung hervor; Eserin, welches schmerz-
haft ist, produziert einen ganz engen Spalt. Autor fand bisher keinen ähn-
lichen Fall in der Literatur.
Nach Ansicht Gnllstrands (76) ist die gelbe Farbe des sogenannten
gelben Flecks im Auge eine Leichenerscheinung und rührt nicht von einem
auch im lebenden Auge in den vor der Membrana limitans interna gelegenen
Schichten der Netzhaut befindlichen Pigment her. Als Beweis werden
aogeführt: Ophthalmoskopische Untersuchungen bei Tageslicht, bei stark
pigmentierten Augen, wo die Netzhaut spiegelnd grau erscheint, bei frischen
Fällen mit akuter Ischämie der Netzhaut, ferner Untersuchungen beim Licht
der Quecksilberbogenlampe, die gelben Farbstoffen gegenüber ein besonders
scharfer Indikator ist. Für die Erklärung gewisser entoptischer Erschei-
nungen, des Maxwellschen Fleckes und des Hädingerschen Polarisations-
bündel ist die Annahme eines Pigmentes der Makula durchaus überflüssig
Auch das von Hering nachgewiesene makuläre Gefälle eines terminalen
homogenen Lichts steht in keinem Zusammenhang mit dem vermeintlichen
Hakularpigment. Geschieht bei in vivo enukleierten Augen die Loslösung
der Netzhaut ohne jede Gewalt, so ist keine Spur von der Farbe der
typischen Leichenmakula zu entdecken.
382 ^^® Beziehungen der Augenstörungen
Hamburger (83) fuhrt eine Beihe tod BeobachtuDgen und iDter-
essanten Versuchen an, die dafür sprechen, daß entgegen der Keplerschen
Theorie des Anfrecfatsehens die Stellung der Netzhautbilder für das Zustande-
kommen des Aufrechtsehens nebensächlich ist.
Hanke (84) sprach einem Danipfkesselputzer, der eine retrobulbäre
Neuritis niit darauf folgender neuritischer Atrophie akquirierte, die voDe
ünfallrente zu, indem er den außerordentlichen Temperaturwechsel als ur-
sächliches Moment beschuldigte. Das Bichterkollegium stimmte diesem Urteil
zu. — Nach kurzer Zeit erschien in der Fuchsschen Klinik ein Bruder
des ersten mit ganz den gleichen Symptomen. Es wurde bald evident, daß
es sich in beiden Fällen um eine hereditäre Neuritis optica (Leber) handelt
Hanke nimmt aber an, daß im ersten Falle die starke TemperaturdiSereni
das latente Leiden zum Ausbruch brachte.
Der von Hansell (85) publizierte Fall Ton Exophthalmus pukans
betrifft ein 22 jähriges Mädchen, das am 30. September links operiert vurde;
am 10. Oktober Entlassung. Wiederaufnahme am 8. November wegen
Wiederkehr der Symptome, sowie retinale Hämorrhagieen. Am 11. November
Ligatur auch der rechten Carotis in Lokalanästhesie. Exitus am 15. November.
— Keine Sektion.
Heine (89) sieht es als allgemein erwiesen an, daß der intraocolare
Dmck unabhängig von der Akkommodation ist, und glaubt durch seinen
Versuch den Nachweis erbracht zu haben, daß das Akkommodationsspiel auch
bei aufgehobenem Intraoculardruck in natürlichem Umfang möglich ist, und
daß auch unter diesen Verhältnissen der Glaskörper durch die Kontraktion
des Giliarmuskels keine Kompression erhält.
Die Miosis bei reflektorischer Pupillenstarre ist Heddaeus (88) geneigt
auf abnorme Akkommodations- und Konvergenzbewegungen zurückzuführ^.
Das Violettsehen, eine sehr seltene pathologische Farbenempiindung,
wurde nur fünfmal bis jetzt beobachtet. Hubert (91) teilt einen neuen
Fall mit. Derselbe betrifft einen neurasthenischen Gutsbesitzer, der an
Influenza litt. Die Janthinopie verschwand unter Gebrauch von Salipyrin
nach 36 Stunden. H. nimmt zentralen Ursprung dieser Farbenempfindung an.
Den 15 Fällen der Literatur, in denen Patienten farbige Flecke im
Gesichtsfeld sehen, fügt Hubert (92) 2 weitere hinzu. Beidemal handelt
es sich um Augen mit normaler Sehschärfe. Eine einigermaßen sicher-
gestellte Ursache für diese pathologische Farben empfindung ist bisher nicbt
möglich gewesen zu ermitteln.
Die Arbeit Kampherstein's (97) enthält eine Zusammenstellung von
200 durch ühthoff beobachtete Fälle von Stauungspapille. Die denselben
zu Grunde liegenden Erkrankungen verteilten sich wie folgt: Hirn-Tumor 134,
Lues cerebri 27, Tuberkulose 9, Hirn-Abszeß 7, Hydrocephalus 3, Meningitis 2,
Nephritis 3, Nephritis mit Bleivergiftung 1, Anämie 2, Cysticercus 2, Sinus
Thrombose 2, Knochennarbe 1, Turmschädel 3, unsichere Diagnose 4:iiud.
Es folgt eine ausführliche Besprechung der klinischen Erscheinungen und
der anatomischen Befunde. Von 51 untersuchten Stauungspapillen war der
Sehnervenscheidenraum erweitert 31 mal, nicht erweitert 19 mal, entzündet
38 mal,,, nicht entzündet 13 mal. Der Optikus - Stamm war normal 5 mal,
zeigte Ödem 49 mal, Entzünduugserscheinungen 28 mal, Ödem mit Ent-
zündungserscheiuungen 19 mal. Von 42 Stauungspapillen war die Lamina
cribrosa vorgebuckelt 33 mal, nicht vorgebuckelt 9 mal, zeigte die
PapiUe Entzündungserscheinungen 27 mal, keine Entzündungserscheinongen
15 mal. Auf Grund dieser anatomischen Untersuchungen kann, „soweit
anatomische Präparate für die Erklärung eines so komplizierten Vor-
sa den Nerrenkranklieiten. 383
ganges dionen könDen'*, weder die Schmidt - Man z sehe, noch die
eotzüDdücbe Theorie allgemeine Geltung haben. Dazu sei einerseits
der Prozentsatz der Stanangspapille ohne Scheiden - Hydrops zu groß,
andererseits fehlten zu oft fintzündnngserscheinungen. K. erklärt daher die
Steanngspapille durch ein Tom Gehirn aus fortgesetztes Ödem. „Das Ödem
dringt Tom Gehirn aus in den Optikus, durch die Lamina cribrosa in die
Papüle und ruft hier als eine Art Inkarzerationserscheinung des intraokularen
Sehnerrenendes^ in dem starren Skleralring eine Schwellung hervor." In
60 7e sei das Ödem des Optikus nachweisbar.
Koller (104) beschreibt einen Fall von völliger (vorübergehender)
Erblindoog bei einem 42jährigen russischen Juden. Ätiologie anfangs un-
bekanat Man erfuhr aber dann, daß er eine geringe Quantität Whisky
eines Morgens genommen hatte, sich abends unwohl fühlte, nach 1 Tag
schlechter zu sehen begann, nach 2 Tagen Amaurose. — Pupillen weit,
lichtstarr. Neuroretinitis optica, in der Macula beiderseits feine Herdchen
irie bei Chorioiditis guttata. — In dem Whisky wurde Methylalkohol nach-
gewiesen. — Therapie: IK und heiße Bäder. Im Laufe von 9 Monaten
Besserang. (8= >%o resp. "/,J.
EoB (106) teilt einen Fall von akuter Entzündung beider Sehnerven
alt, nach übermäßigem Q^nuB von Alkohol und Tabakrauchen. Es trat
▼ollstandige Heilung unter Pilokarpin-Gebrauch ein. (ßendix.)
Es handelt sich um einen 44jährigen Patienten Landmailll's (111),
der 8eit frühester Jugend eine mangelhafte Sehkraft besaß. Die Unter-
sadiang der Augen stellte fest, daß beiderseits die Retina und Chorioidea
bis auf die Maculae luteae fehlten. L. nimmt eine Entwicklungshemmung der
Betioa und Chorioidea an, beruhend auf einer embr^'onalen Obliteration der
ganzen Gnippe der Arteriae ciliares posteriores longae und fast völliger
Obliteration der kurzen Aa. ciliares post. mit Ausnahme der Versorgungs-
iste der Maculargeflechte. (Bendix.)
Es wird von Lenoble und Anbinean (113) ein Fall von angeborenem
Nystagmus beschrieben, der verbunden ist mit allgemeiner Steigerung der
Sehnen- und Hantreflexe, Muskelzuckungen im Gebiet der gesamten Körper-
mußkolatur. Zittern der Hände und der Pinger, vasomotorischen Störungen,
nad faradischer Übererregbarkeit der Muskulatur.
Auf Grund jfrüherer Beobachtungen sehen die Verfasser in diesem
Symptomenkomplex ein bestimmtes Krankheitsbild, dessen Natur zur Zeit
Doch anbekannt ist.
Lens (114) gibt eine Übersicht über 92 Fälle von Hemianopsie, von
deoen 16 bitemporal und 76 homonym waren, einschließlich von Fällen
doppelseitiger homonymer Hemianopsie. Eine binasale Hemianopsie kam
weht zur Beobachtung.
Die bitemporale Hemianopsie verteilte sich ziemlich gleichmäßig auf
die Teischiedenen Lebensalter; nur im Alter ist ein leichtes Zunehmen zu
bemerken. Bei der homonymen Hemianopsie beobachtete er aber ein An-
steigen der Häufigkeitskurve nach dem höheren Lebensalter hin, am steilsten
zwischen dem 5. und 6. Jahrzehnt. Erkrankungen der Hypophysis und Tu-
BH>ren verursachten meist die bitemporalen Hemianopsien. Bei der homo-
Dymen Hemianopsie wurde ätiologisch besonders Arteriosklerose gefunden,
die zu Embolien, Thrombosen oder Gefäßrupturen in den verschiedenen
Gegenden des Verlaufs der Sehbahnen geführt hatte. (Bendix,)
Bei einem auf die Augenhöhle übergreifenden Carcinom des rechten
Oberkiefers einer 58 jährigen Frau zeigt, wie Manch (119) mitteilt, das
enukleierte Auge eine enorme Hypertrophie sämtlicher Augenmuskeln, die
384 ^^^ Beziehungen der Augenstörangea
zum Teil das Vierfache der normalen Dicke aufweisen. Dieselbe mid durch
die infolge des Wachstums des Carcinoms erschwerte Beweglichkeit des Aug-
apfels nur dadurch notwendige stärkere Arbeitsleistung der Augenmuskeln
erklärt, mithin als eine kompensatorische aufgefaßt.
Manch (120) beschreibt und bringt die Abbildung eines tumorartigen
Gebildes des Augenhintergrundes, das in den 7 Jahren, in denen er es zu
beobachten Gelegenheit hatte, ziemlich stationär geblieben ist. Er hofft, daß
einer der Fachgenossen bereits ähnliches gesehen hat oder sonst zur Klärung
des Falles beitragen kann.
V. Michel (J23) teilt an der Hand zweier Abbildungen seine Unter-
suchungen über die Art des Auftretens sowie über die Anordnung der mark-
haltigen Nervenfasern mit. Figur 1 stellt einen Schnitt durch die Mitte des
temporalen markhaltigen Nerrenfasergeflechtes und durch den Sehnerven dar.
Die markhaltigen Nervenfasern hören haarscharf an der hinteren Begreazung
der Lamina cribrosa auf, beim Durchschneiden derselben bleiben die Nerven-
fasern marklos bis auf eine einzige Stelle, die ungefähr in der Mitte und
nahe dem chorioidealen Abschnitt der Lamina cribrosa liegt. Die Ober-
fläche der Papille zeigte in ihrer ganzen Ausdelinung markhaltige Nerven-
fasern, die scharf gegen den marklosen Teil der Papille begrenzt sind. Auf
der temporalen Seite war die markhaltige Nervenfaserschicht durch eine be-
sondere Dicke ausgezeichnet und reichte weit in die Peripherie. Die mark-
haltigen Nervenfasern waren mehr oder weniger miteinander verflochten in-
folge der von v. Michel bereits festgestellten plexusartigen Ausbreitung der
Nervenfasern in der Netzhaut. Auch auf der nasalen Seite, wo ophthalmo-
skopisch keine markhaltigen Nervenfasern walirgenommen werden konnten,
fanden sich solche, allerdings nur in kurzer Entfernung vom Papilleurande.
Wo aber überhaupt noch markhaltige Nervenfasern in der Retina vorhanden
waren, lagen sie der Ganglienzellenschiclit der Netzhaut dicht an. In dem
zweiten Schnitt (Figur 2) zeigten sich die Sehnervenfasern innerhalb der
Lamina cribrosa marklos, ebenso die Oberfläche der Papille. (Dieser Schnitt
wurde durch den Sehnerven und den Rand des temporalen, markhaltigen
Nervenfasergeflechtes geführt.) Temporal war noch ein dichtes Büscliel mark-
haltiger Nervenfasern entsprechend dem Rande der Sehnervenpapille sichtbar,
nasal waren am Rande der Papille nur noch wenige schwachkalibrige Nerren-
fasern direkt der Ganglienzellenschiclit anliegend zu bemerken.
Mintz (124) sah im Anschluß an eine Paraffinplastik einer Sattel-
nase im linken Auge Optikusatrophie mit Amaurose auftreten. Wahrschein-
lich war eine von den Venae nasales auf die Vena ophthalmica inferior
sich ausbreitende Thrombose entstanden, die zur Thrombose der A^eua cen-
tralis retinae geführt hatte. (Beudix,)
Nagel (130) beobachtete bei einem 15jährigen Mädchen "mit retro-
bulbärer Neuritis Farbensinnstörungen, die mit den gewöhnlichen nicht über-
einstimmten und unter die drei dichromatischen Symptome nicht rubriziert
werden konnten. Es war auffällig, das der Verlust der Rot- und Grün-
empfinduug nicht einander parallel gingen, sondern daß die Rotempfindung
in allen Nuancen vom Blaurot bis zum Gelbrot erhalten war, wogegen die
Grünempfindung in allen Abstufungen vom Gelbgrün bis zum Blaugrüu aus-
gelöscht war. (BejidLt.j
Ogawa (131) stellte fest, daß bei Tieren eine normale Pigmentierung
der Papille und des Sehnerven häufig ist. Beim Menschen kommen histo-
logisch im Gewebe der Lamina cribrosa vereinzelte pigmentierte Binde-
gewebszellen vor. Es finden sich in sonst normalen Augen auch gröbere
Pigmentflecken auf der Sehnervenpapille, die als angeborene Anomalien
zu den Nervenkrankheiten. 335
(Yersprengte Pigmenthaufen chorioidalen Pigmentes) zu deuten sind. Die
pathologischen Pigmentierungen des Sehnerven treten nach Blutungen auf
und bestehen ans Blutpigment. (Bendia,)
Onodi (133) ist auf Grund seiner Forschungen der Ansicht, daß die
Sehstoniogen bei nasalen Erkrankungen auch von den hinteren Siebbein-
zellen her ihren Ursprung nehmen können und nicht allein von den Keil-
beinhöhlen ausgehen. (Hendix.)
Mitteilung Pankstat's (139) von 3 Fällen von bitemporaler Hemi-
anopsie, von denen zwei durch Tumoren der Schädelbasis verursacht waren,
einer mit Diabetes insipidus kompliziert war. Die Tumoren hatten, wie die
Sektion erwies, zu einer Kompression des Chiasma geführt; von dem dritten
Fall liegt kein Sektionsbefnnd vor. P. macht besonders auf die häufigen
Schwankungen der Sehschärfe aufmerksam, die stets mit gleichzeitigen
Schwankungen der Gesichtsfeldsgrenzen verbunden sind. Uemianopische
Papillen. Reaktion wurde in einem Falle mit Sicherheit beobachtet.
Es handelte sich um einen 14 jährigen Knaben von Panl (141), der
mit dem rechten Auge direkt auf einen stumpfen Pfahl gestürzt war. Der
ophthalmoskopische Befund, der sich mehrere Tage hindurch gut beobachten
ließj bestand in zahlreichen Hämorrhagieen in der Retina und in der Pa-
I pillengegend, in einer ischämischen Netzhauttriibung und dem bekannten
I kirschroten Fleck in der Makula, und in einer scharf begrenzten, kompletten
I Losreißung der Retina und sämtlicher Retinagefaße rings um die Papille
I hemm. Die Mechanik der Verletzung war wahrscheinlich derart, daß der
^ Bulbus im Verletzungsmoment über den Sehnerven weggestülpt worden war
und dabei die Retina, die vom Glaskörper an die Bulbuswandungen an-
gedruckt wurde, au ihrer Insertionsstelle von dem sich einstülpenden Seh-
nerven losgerissen wurde. (Autoreferat)
Pichler (145) beschreibt 4 Fälle von sog. Augenmuskelrheumatismus
und will damit die Annahme A. Pichlers, Wrights und einiger anderer
stützen, die einen Zusammenhang zwischen gewissen episkleritischen Knoten
und akutem Gelenkrheumatismus konstruiert haben. Diese „Episkleritis" soll
sich durch ihre Lokalisation am Ansatz der Augenmuskelsehnen und durch
besonders starke Schmerzen auszeichnen im Vergleich zu der gewöhnlichen.
I Im Gegensatz dazu bemerkt allerdings Verf., sie werde ihrer geringen Be-
schwerden wegen häufig übersehen.
Pick (146) lenkt die Aufmerksamkeit auf eine eigentümliche Er-
sdieinong, die in Fällen von Paralyse nach einem paralytischen Anfalle
gemacht werden kann und zwar im Stadium des Abklingens einer typischen
homonymen Hemianopsie, die einige Tage hindurch bestanden hatte. Die
Erecheinung besteht darin, daß — unter der Annahme einer linksseitigen
Hemianopsie — sovrie das Objekt dem Patienten von der Außenseite des
Gesichtsfelddefektes, also von links her genähert wird, er melir oder weniger
•chnell, sofort nach demselben hinblickt; wird aber das Objekt durch die
gesehenen Gesichtsfeldhälften hindurch in die hemianopischen übergeführt,
so folgt der Kranke dem Objekt bis zur Mittellinie, sowie er aber über
iese hinausgeht, hört er damit auf, respektive verliert er es. Für diese
BückbUdung der hemianopischen Stömngen nach paralytischen Anfällen
könnte der Umstand von Bedeutung sein, daß bei der Paralyse vor allem
die Hirnrinde, in dem vorliegenden Falle das in diesem gelegene Sehzentrum,
ausgeschaltet war und bei der Funktionswiederherstellung der reflektorische
{subkortikale?) Mechanismus dem willkürlichen (kortikalen) im Tempo der
Kestitution vorangeht. (Bendiv,)
Jahresbericht f. Nearologie und Psychiatrie 1905. 25
386 Die Beziehungen der Augenstörungen
Pihl (147) weist auf deu nicht seltenen Zusammenhang zwischen
Nasenleiden und Augenerkrankungen hin. Es handelte sich um eine ein-
seitige Neuritis retrobulbaris, die in Ermangelung andrer Ursachen auf eine
gleichzeitig bestehende Kieferhöhleneiterung derselben Seite zurückgeführt
wurde. Die Behandlung und Heilung derselben führte auch auf dem er-
krankten Auge wieder volle Sehschärfe herbei.
Enthält die Befunde Piper's (149), die sich ergaben bei der Unter-
suchung mittelst der Nagelschen, der Holmgreenschen Probe, mit
Stillings pseudoisochromatischeu Tafeln, ferner bei der Untersuchung am
objektiyen Spektrum, mittelst Farbenbezeichnungen, DunkeladaptatioD und
des Helmholtschen Farbeimiischapparates; daran anschließend Bemerkungen,
über die Theorie dieser seltsamen Anomalien.
Nach einem Trauma der linken Schädelgegeud trat bei dem Fall von
Fleuk (150) links starker Exophthalmus, Fulsation des Bulbus verbunden
mit eigenartigen über der Orbita und der linken Schädelseite hörbaren Ge-
räuschen auf; die Sehschärfe war auf Fingerzählen herabgesetzt, bei oph-
thalmoskopisch stark geschlängelten Venen und verwaschenen PapiUengrenzen.
Bei Kompression der linken Carotis conununis geht der Exophthalmus zurück
und die Pulsation verschwindet. Als Ursache ist eine Basisfraktur aufzu-
fassen, durch die eine Verletzung einer Kommunikation der Carotis interna
und des Sinus cavernosus geschaffen wurde. Nach Verlauf von 2 Monaten
trat eine geringe Besserung ein. Spontanheilung erscheint nicht aus-
geschlossen.
Follak (151) hatte Gelegenheit, 4 Fälle von Schläfenschüssen (Selbst-
mordversuche) mit Verletzungen der Augen zu beobachten. In drei Fällen
war das rechte Auge sofort blind, das linke hochgradig amblyopisch; im
vierten war das Sehvermögen links erhalten, das rechte Auge amblyopisch.
In dem ersten trat rechts nach 60 Tagen auch Blindheit ein, im
zweiten und dritten blieb ein Kest vom Sehvermögen erhalten, im vierten
trat nach 8 Tagen rechts vollkommene Blindheit ein, während das linke
Auge normal blieb. Verf. legt Wert auf die Untersuchung der Gesichts-
felder, die unter Umständen Aufschluß über die Art der Sehnervenverletzung
gibt und prognostische Schlüsse gestattet. Konzentrische Einengungen geben
fast in allen Fällen eine ungünstige Prognose.
Unter Mitteilung von 14 Fällen weist Pronger (157) darauf hin, wie
wichtig bei Neurasthenie gerade es ist, daß vorhandene Fehler der Refraktion
voll und richtig korrigiert werden.
Redslob (159) beobachtete einen Fall von bitemporaler Hemianopsie
und Diabetes insipidus bei einem 14jährigen Mädchen, das ein Kopftrauma,
wahrscheinlich mit Schädelbasisfraktur erlitten hatte. Das Kind war fünf
Stunden bewußtlos gewesen und hatte seit dem Unfall unstillbaren Durst
und häufigen Harndrang. R. ist gegen die Annahme einer Herderkrankung
bei dem Diabetes insipidus und glaubt, daß nur eine Störung in der hinteren
Schädelgrube zu den Erscheinungen der Polyurie und Polydipsie fuhren
könne. Er sieht in seinem Falle die bitemporale Hemianopsie und den
Diabetes insipidus als rein zufällig nebeneinander vorkommende Folgezustände
der gleichen Verletzung an. (Bendix,)
Es werden von Reichmann (160) zwei Fälle von direkten Sehnerven-
verletzuugen angeführt, von denen die erstere durch den Stoß einer Ofen-
gabel gegen die Orbita des andern Auges, die zweite durch einen Schirm
zustande kam. Bei beiden ließ sich aus dem Verhalten der Pupille erkennen,
ob es sich um eine Verletzung des gefäßhaltigen oder gefaßlosen Teils des
Sehnerven handelte.
zu den NervenkraukheiteD. 337
y. Reuss (161) glaubt auf Grund einer Beihe yon Beobachtungen,
I. T. an sich selber, das Flimmerskotom in vier Typen teilen zu können,
bei denen Übergänge der einen Gruppe in die andere stattfinden. Ver-
schiedene Typen können bei ein und derselben Person vorkommen. Auch
über das Verhalten des Flimmerskotoms im farbigen Lichte hat er Beob-
achtungen angestellt, zu deren Vergleich er die Erscheinungen bei den
physiologischen Phosphenen wie dem Druckphosphen heranzieht.
Bosenbach (166) hebt hervor, daß mit funktionellen Störungen im
Gebiete der Augen wesentliche funktionelle Störungen im ganzen Bereiche
de^ Vagus einhergehen können (also von Seiten der Atmung, des Herzens,
des liagens und Darms), und daß diese und namentlich die Unlustempfin-
dnngen und Angstgefühle durch Behandlung der Augenstörungen oft beseitigt
werden können. R. fand, daß häufig das Flimmerskotom mit einer Kon-
junktivitis verbunden ist und sich Schmerzpunkte in der Nase nachweisen
lassen, von denen aus der Migräneanfall und das Flimmerskotom hervor-
gerufen werde. (Bendix.)
Sachsalber (170) behandelte einen Fall von Schußverletzung beider
Xenri optici, welcher dadurch mitteilenswert ist, daß ein ganz peripher
gelegener Gesichtsfeldanteil wieder zur Funktion gelangte, nachdem drei
Monate lang komplette Amaurose bestanden hatte. Das erhaltene Seh-
TennÖgen des linken Auges besteht aus einem Gesichtsfeldrest, der oben
gelegen ist und sich aus beiden durch die mediane Linie getrennten
ßesichtsfeldhälften entstammenden Anteilen zusammensetzt, mit geringem
Überwiegen des nasalen. Es ist wahrscheinlich, daß das Projektil den
Optflnis von oben her getroffen und nur teilweise zerstört hatte. (Bendix,)
Sachsalber (171) teilt die Ergebnisse der Untersuchung der Augen
samt Orbitalinhalt mit, die er an dem Kadaver eines neugeborenen Kindes
mit Encephalocele occipitalis gemacht hat. Die interessanten, auch ent-
wicklnngsgeschichtlich bedeutsamen Ausführungen entziehen sich der Wieder-
gabe durch ein kurzes Referat.
Sachsalber (172) hat das Verhalten der markhaltigen Nervenfasern
bei entzündlichem deszendierenden Schwund des Sehnerven beobachtet,
fierrorgerafen war diese Atrophie durch einen hauptsächlich in der mitt-
leren Schädelgrube sitzenden, langsam von vorne nach hinten wachsenden
Tumor. Es wurden nacheinander Geruch, Gesicht und Gehör betroffen.
Im Gregensatz zu Wagenmann, der ähnliche Beobachtungen bei tabischer
Atrophie machte, konstatierte S. den Schwund der markhaltigen Nerven-
fasern erst nach der Erblindung, während in dem Falle Wage nma uns
dieser Schwund der Erblindung vorausging.
Saenger (173) referiert die seit Graefes grundlegender Arbeit
-Über Komplikationen von Sehnervenentzündungen mit Hirnkrankheiten"
erschienenen hauptsächlichsten Veröffentlichungen über diesen Gegenstand.
Aach heute ist die Frage noch nicht geklärt. Die mechanische und die
entzündliche Theorie oder Kombinationen beider stehen sich noch immer
gegenüber. Trotz der noch auseinandergehenden Ansichten betont S., daß
auch heute noch dem erhöhten Hirndruck die Hauptrolle bei der Entstehung
der Stauungspapille zugeschrieben werden müsse. Nur dadurch läßt sich
trater anderem der günstige Einfluß der Trepanation auf die Kückbildung
der Stauungspapille erklären.
Als eine häufig erprobte und selten versagende, einfache Methode zur
Feststellung einseitig simulierter Schwachsichtigkeit oder Blindheit sowie zur
Erkennung der tatsächlich vorhandenen Sehschärfe wird das schon bekannte
Verfahren ausführlicher von Schmeiclller (176) besprochen. Vor Einzel-
25*
388 Die Beziehungen der Augenstörungen
priifung der Augen ist vor das gesunde ein starkes Konvergenzglas zu
setzen.
Schreiber (179) berichtet über einen eigentümlichen „Ohr-PupUleu-
Reflex". Dieser wurde an Kaninchen beobachtet, denen teils intrakraniell,
teils intraorbital der Sehnerv durchtrennt war. Er besteht darin, daß beim
energischen Anfassen der Ohrwurzeln nach einigen Sekunden bis einer
Minute eine allmähliche Zusammenziehung der Pupille eintritt. Gibt man
die Ohren wieder frei, so verharrt die Pupille noch sehr lange in verengtem
Zustande, bis sie sich auf irgend einen Reiz hin plötzlich erweitert. An
allen Augen, die diesen Reflex aufweisen, tritt eine allerdings sehr viel
geringere Kontraktion des Sphincter iridis ein bei mechanischer Reizung
der Cornea, der Nasenschleimhaut und beim passiven Schließen und Offnen
der Lider. Auf derartige Reflexe lassen sich vielleicht die Beobachtungen
Marenghis zurückführen, der bei Kaninchen mit intrakraniell durch-
schnittenem Sehnerven eine Pupillenreaktion gesehen hat. Mit einer Licht-
reaktion dürfte dieselbe keineswegs identifiziert werden.
Schwab und Green (182) berichten über einen interessanten Fall
von Ausfluß von cerebrospinaler Flüssigkeit aus der Nase, von welchen bis-
her nur 20 Fälle beobachtet sind; in 8 Fällen waren auch retinale AfEektionen
vorhanden. Im vorliegenden Falle (32 jährige Frau mit Ausfluß aus der
rechten Nase bei gesunder Nase und Hals) war fast normales Sehvermögen
trotz entzündlicher Atrophie beider Papillen bemerkenswert. Die Flüssig-
keit erwies sich bei der Untersuchung als cerebrospinal (frei von Geruch,
Geschmack und Sediment, sowie von Schleim und Eiweiß, positive Reaktion
auf Fehlingsche Lösung).
Schwabe (183) berichtet: Bei einem Fall von Chinin-Amaurose, die
bereits nach 1,25 g Chinin eintrat, mit jahrelang dauernder konzentrischer
Gesichtsfeldeinengung, Hemeralopie, starker Verengerung der Retinalarterien,
trat nach Genuß von coff'einhaltigen Getränken eine weitere hochgradige Ter-
engerung des Gesichtsfeldes auf, infolge weiterer Kontraktion der peripheren
Retinalgefäße, ohne eine nachweisbare dauernde Schädigung herbeizuführen.
Schwabe (184) stellt in seinem Bericht die Augenerkrankungen und
-Operationen, die sich ihm in diesen Zeiträumen darboten, statistisch zu-
sammen und knüpft kritische Bemerkungen daran. In dem 20jährigen
Zeitraum wurden 112 856 Augenkranke neu in Behandlung genommen, an
denen 147 418 Augenkrankheiten konstatiert wurden. Die Zahl aller aus-
geführten Operationen betrug 24809, von denen 7 285, d. h. 29,36 ®/o, als
größere, 17 524, d.h. 70,64^0? s^ls kleinere Operationen zu bezeichnen sind.
Verfasser hatte die gewiß nicht häufige Gelegenheit, in einer Familie (^'ater
und 3 Töchter) das Zusammentreffen von Ptosis congenita mit Epicanthus
zu beobachten. Vier trefflich gelungene Abbildungen illustrieren die Fälle.
A"on einem 20jährigen Mann berichtet ShaW (190), daß er ihn am
10. Februar 1905 wegen rapiden Sehverlustes konsultierte; fünf Tage vorher
Influenza. R S = Finger. LS = 0; Bettruhe; am 22. März Finger in
12 resp. 18 Zoll gezählt, Farben erkannt. Anfang Mai weitere Besserung,
Anfang Juni R ^24? L ^j^; im übrigen gesund.
Ein pflaumeugroßes, in der Gegend des Chiasmas sitzendes Endo-
theliom der Dura. Der Tumor hatte im Chiasma zu einer Atrophie, be-
sonders der mittleren Teile geführt, während in den Sehnerven die zentralen
und medialen Bündel betroffen waren. Der Fall von Silfast (193) bietet
somit eine klinische Bestätigung der jetzt allgemein gültigen Ansichten
über die Kreuzung der Optikusfasem im Chiasma.
zu den Nervenkrankheiten. 339
Enthält den makro- und mikroskopischen Befund eines Gummas des
Sebeiren und eines solchen der Chorioidea sowie eine Zusammenstellung
Stock's (198) der Literatur über diesen Gegenstand.
Stookmayer (199) kann durch seine Untersuchungen, die er an
Hund, Fuchs und Katze anstellte, die Angaben Hoffmanns bestätigen,
wonach bei den Kamivoren Zeutralgefäße zirka 1^« — 2 mm hinter der
Sklera von unten her in annähernd rechtem Winkel von einem Bindegewebs-
mantel umhüllt in den Sehnerven eintreten und in die Retina übergehen.
Im Gegensatz zu anderen Autoren findet er, daß bei der Katze die cilio-
retinalen Gefäße besonders stark sind, sodaß die Blutversorgung der Retina
hier im wesentlichen durch diese erfolgt.
Stölting '(200) bringt die Krankengeschichten Ton 4 Fällen, die er
durch eine atheromatöse Erkrankung in der Karotis resp. der Ophthalmika
oder den Gefäßen des Optikus erklären zu müssen glaubt. Er meint, mit
großer Wahrscheinlichkeit die Diagnose auf Atheromatöse in den Gefäßen,
welche durch ihre Lage zum Optikus oder wegen der Ernährung des Nerven
für ihn nichtig sind, stellen zu dürfen, wenn sich folgende Symptome finden :
Es besteht eine Neuritis optica mit vielleicht starker Schwellung, die nur
sehr langsam fortschreitet, das zentrale Sehvermögen bleibt relativ lauge
erträglich, konzentrische Verengerung des Gesichtsfeldes tritt erst spät ein,
es kommen Schwankungen im Sehvermögen vor, die durch den Augenspiegel-
befand nicht zu erklären sind. Es handelt sich um Personen, die eine
spezifische Infektion durchgemacht oder reichlichem Alkoholgenuß ergeben
waren, und die Kranken geben häufig an, durch körperliche Anstrengung
eine direkte Verschlechterung zu spüren. Wahrscheinlicher noch wird die
Diapose, wenn auch an den Gefäßen des Optikus selbst die charakteristische
Störung hervortritt, und wenn sich eine Abduzensparese einstellt, die durch
sehr langsame Zunahme der Symptome ausgezeichnet ist, und bei welcher
große Tendenz zur Fusion der Doppelbilder besteht.
Ullthoff's (211) Mitteilung betrifft drei Fälle von hochgradigem
Exophthahnus bei Schädeldeformität und zwar einmal bei hochgradigem
Torraschädel mit nenritischer Sehnervenatrophie und Erblindung, einmal bei
Hjdrocephalus extemus mit Pachymeningitis und Neuritis optica und ein-
mal bei hochgradigem flydrocephaJus internus. In allen drei Fällen ist es
jedenfalls die Knochendislokation und damit Veränderung in der Gestalt der
Orbita, welche die Vordrängung der Bulbi in erster Linie bewirkt und venöse
Steuung infolge von intrakranieller Drucksteigerung mit Kompression verursacht.
Der Hirnsinus dürfte in diesen Fällen wenig als ätiologischer Faktor für
den hochgradigen Exophthalmus in Betracht kommen. (Bemlix.)
Veasey (214) berichtet über einen 34jährigen Mann, der ein halbes
Jahr vor der ersten Untersuchung temporale Gesichtsfeldbeschränkung be-
merkte. V == •/so ^^'^P- ^lih'i öioige Monate später R ^/i„„, dann wiederum
'•2; in der temporalen Hälfte schwankte der Anfall des Gesichtsfelds dem-
entsprechend. Später RS = */,g L = % Röntgenbild zeigt einen aus-
gesprochenen Schatten in der Chiasmagegend, wo wahrscheinlich ein kleiner
Tomor vaskulärer Natur sitzt, der öfters seinen Ort wechseln dürfte.
Velhagen (216) hatte Gelegenheit, ein unter dem Bild der Embolia
arteiiae centralis retinae erkranktes Auge, bei dem infolge eines cilio-retinalen
Gefäßes ein rautenförmiger Teil der Netzhaut neben der Papille intakt ge-
blieben war, drei Monate später histologisch zu untersuchen. Es fand sich
tiefgehende Zerstörung der inneren Netzhautschichten der gesamten Netz-
haut, sowie ausgedehnte Zerstörung der Neuroepithelschicht in der Makular-
gegend. Von Defektbildung war keine Spur vorlianden. Der Optikus war
390 ^ie Beziehuugen der Augfenstörangen zu den Nervenkrankheiten.
bis auf eine keilförmige, an der lateralen Seite gelegene periphere Partie
atrophisch. Der Embolus lag im Lumen der Arteria centralis vor ihrem
Eintritt in den Sehnervenstamm. Verf. zieht aus dem Bilde des Optikus
den Schluß, daß die makularen Fasern in der Spitze des temporalwärts
gelegenen Teils dicht neben den Zentralgefäßen liegen.
Die einmalige Verabreichung geringer Alkoholdosen ruft nach Vogt
(217) bei geistig Minderwertigen eine beträchtliche Herabsetzung der Pupillen-
reaktion hervor, während bei geistig vollwertigen selbst in schweren Rausch-
zuständen die Pupillenreaktion unbeeinflußt bleibt. Dieses Symptom läßt
sich nicht in allen dazu geeignet erscheinenden Fällen konstatieren, ein
positiver Ausfall aber gibt einen wesentlichen Anhaltspunkt für die Annahme
einer allgemeinen großen Vulnerabilität des Nervensystems.
In dem Falle von Waterman und Follack (220a) handelt es sich
um einen Eisenbahnarbeiter, der eine Verletzung am oberen linken Orbital-
rande davontrug. Es ergab sich, daß durch Contrecoup eine Basisfraktur
erfolgt war. Die begleitenden Hämorrhagien aus Mund und Nase lassen
den Verlauf der Fraktur deutlich erkennen und zwar, beginnend an der
Sella turcica, erstreckte sie sich durch die Lamina cribrosa und horizontale
Platte des Siebbeins, involvierte resp. brach den kleinen linken Keilbein-
flügel und den Canalis opticus. Sechs Tage nach dem Unfall ergab die
Sehprüfung: 0. D.V. = ^/j^. O. S.V. =« Fingerbewegungen direkt vor dem
Auge erkannt. Gesichtsfeld rechts zeigt starke konzentrische Einschränkung.
Links = 0. Augenbewegungen frei, Examination 12. Dezember. Sechs
Monate nach dem Unfall ergab rechts %jj. Gesichtsfeld wie früher, links
= 0. Examination 11. Februar darauf und 20. März ergaben */a6 rechts.
Ophthalmoskopisch zeigt sich nun links weiße Atrophie des Optikus, rechts
temporäre Abblassung, Die weitere Eigentümlichkeit des FaUes besteht in
der Kombination der Schädelfraktur mit stark ausgesprochenen nervösen
Symptomen, wie Hemianästhesie und psychischen Störungen hemmender
Natur. Auffällig erscheint ferner der lange Zwischenraum (9 Monate), der
zwischen dem Unfall und der nachweisbaren Optikusatrophie lag. In den
in der Literatur verzeichneten Fällen entwickelte sich die Atrophie in
wenigen Wochen. (Autot^eferat)
Als ätiologisch wichtig zur Genese des Glioms hält Wehrli (222)
Retinalblutungen, wie sie beim Neugeborenen, besonders bei langem Geburts-
akt auftreten. Diese Blutungen sollen das persistierende Embryonalgewebe
in Wucherung versetzen. Enges Becken wird als Ursache des langen
Geburtsaktes imd der Retinalblutungen angesehen und auf diese Weise
auch erklärt, wieso das Gliom so häufig Geschwister befällt.
In dem Fall von Zade (228) war bei einem 33jährigen Mann mit
nicht diagnostiziertem Magenkarzinom und Druckschmerzen des St^mums
Stauungspapille aufgetreten: Exitus 2 Monate danach. Sektion ergab Magen-
karzinom und zahlreiche Knochenmetastasen (Wirbelsäule, Kippen, Sternum,
Schädelknochen). Am Optikus ist der Scheidenraum deutlich erweitert.
Mikroskopisch stellt sich diese Erweiterung als eine subdurale dar. Optikus
selbst bis zur Lamina cribrosa nicht verändert. Die makroskopisch fest-
gestellte Papillitis beruht auf ödematöser Durchtränkung; zellige Infiltration
fehlt gänzlich; die Papillitis ist hier auf rein mechanische Vorgänge (Ver-
dickung der Knochen) zurückzuführen.
Sclerosifl multiplex. Amyotrophische Lateralsklerose. 39 X
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Referent: Dr. med. L. B regmann -Warschau.
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I. Sklerosis multiplex.
Pathologisch- Anatomisches.
Änf Grund einer genauen Untersuchung Ton 4 Fällen multipler
Sklerose kommt Bomstein (4) zu folgenden Schlüssen über die patho-
logisch -anatomischen Veräuderungen. An der Grenze der Herde
fiodet sich manchmal ein allmählicher Übergang des normalen Gewebes zur
pathologischen Schwellung der Markscheiden und Achsenzylinder, Mark-
Bchollen und Kömchenzellen. Innerhalb der Herde selbst findet man bei
frischen Herden Myelinreste ergriffen von Kömchenzellen, deren Zahl ver-
mehrt ist. In älteren Herden gar keine Markfasem oder kleine Inseln
persistierender Fasern, welche sich schwach färben mit Körnchenzellen bloß
aa der Grenze der Herde. Die Achsenzylinder sind an der Peripherie der
Herde meist erhalten, manchmal verdickt oder verdünnt oder färben sich
lugleichmäfiig. Innerhalb der Herde (namentlich der älteren) erkennt man
anf Längsschnitten persistierende Achsenzylinder, jedoch in wechselnder
Menge. Dabei sind sie verändert: die einen sind in toto geschwollen, die
anderen verdünnt, noch andere zeigen partielle Schwellungen in ihrem
Verlaufe. Meist färben sie sich schwächer in ihrer ganzen Länge oder auf
kürzere Strecken. Ihre Konturen verwischen sich, und es wird schwierig,
sie von den Gliafasern zu unterscheiden. Die Glia ist in der Umgebung
der Herde verdickt, ihre Kerne vermehrt. In den frischen Herden sind die
Kerne gleichfalls vermehrt, das Glianetz jedoch nicht sehr verengt, häufig
finden sich leere Maschen nach Zerfall der nervösen Elemente. In den
älteren Herden bilden die Gliafasern ein dichtes, intensiv sich färbendes
Qewebe. Häufig finden sich darin Deiterssche Zellen. Die Gefäße sind
tahlreich in den frischen Herden, Gefaßwände verdickt, kleinzellig infiltriert;
die gleiche Infiltration um die Gefäße herum, Erweiterung der perivaskulären
Ljmphräume. Um die Gefäße häufig zahlreiche Körnchenzellen. Ahnliche
Gefäßveranderangen auch in den älteren Herden und Wucherung der Glia
in die perivaskulären Lymphräume. Ganglienzellen bleiben vorerst unver-
ändert, keine sekundäre Degenerationen.
In Bezug auf die Pathogenese glaubt Verf., daß man sich nament-
Ueh auf die chronisch verlaufenden Fälle stützen müsse, und wendet sich
gegen diejenigen, welche die Ergebnisse der Untersuchung akuter und sub-
aknter Falle auf das ganze Gebiet der multiplen Sklerose verallgemeinern.
Je nach der Ätiologie der Fälle könnte auch ihre spezielle Pathogenese
Terschieden sein. Für die auf dem Boden einer Infektionskrankheit
entstandenen paßt am besten die Theorie der primären Gefäßentzündurg.
Die Gliawucherung dagegen dürfte primär sein in den hereditär bedingten
Kllen, wo die Gefaßveränderungen eine untergeordnete und sekundäre Rolle
spielen. In einer dritten Gruppe beginnt der Prozeß mit einem Untergang
der Markscheiden, worauf sekundär die Gliawucherung folgt: diese Fälle
werden vielleicht hervorgrafen durch gewisse uns bisher noch unbekannte
Toxine. Die von B. untersuchten Fälle betreflfen: 1. Eine 62 jährige
Arbeiterfrau, ehemals gesund, nach einer Erkältung Schmerzen in den
Beinen, dann Paraplegie. Objektiv das Bild einer Myelitis transversa. In
diesem Falle glaubt Verf. einen vaskulären Ursprung der multiplen Sklerose
annehmen zu dürfen: die Gefäße waren stark vermehrt, ihre Wandungen
kleinzellig infiltriert, um die Gefäße zahlreiche Körnchenzellen.
2. Eine 36jährige Arbeiterin, im 23. Lebensjahre anfallsweise eine
linksseitige Hemiplegie von kurzer Dauer. Die Anfälle wiederholten sich
mehrmals im Laufe von Jahren. Klinisch: typisches Bild einer multiplen
394 Scierosis multiplex. Amyotrophische Lateralsklerose.
Sklerose. Hier ist nach den Ergebnissen der mikroskopischen Untersuchung
die Wucherung der Glia primär: an vielen Stellen sah man das Anfanga-
stadium der Grliawucherung mit gar keiner oder bloß minimaler Beteilipng
der G-efaße; dagegen an anderen Stellen, wo bereits das Glianetz stark
gewuchert ist, findet sich eine Vermehrung und Infiltration der Gefäße.
3. Ein 52 jähriger Mann. Vor 13 Jahren Schwäche der rechten unteren
Extremität, kurz darauf der linken unteren Extremität. Später wurde auch
die rechte obere schwächer, alle Extremitäten magerten stark ab. Seit einem
Jahre Lungenschwindsucht. Objektiy fast vollständige Lähmung der rechten
unteren Extremität, Parese der linken unteren Extremität und rechten
oberen Extremität. Muskeltonus erhöht, Reflexe gesteigert. Babinaki:
Herabsetzung der Schmerz- und Temperaturempfindung in den unteren
Extremitäten und am Rumpfe bis zur Clavikula. Kein Intentionszittem,
kein Nystagmus. Es wurde eine Syringomyelie diagnostiziert.
In diesem Falle war nach B. der Zerfall der Markscheiden das
primäre, die Glia Wucherung sekundär. Mit Marchi fand sich eine Rarifi-
kation des Gewebes und Degeneration der Myeliufasem an Stellen, wo mit
Hilfe der Methode van Gieson u. a. fast gar keine Gliawucheruog zu
sehen war. Dagegen war letztere sehr ausgesprochen, wo auch nach Marchi
die Herde zu den älteren gezählt werden mußten (heller Grund, Kömchen-
zellen an der Peripherie).
Die Gefäße waren vermehrt bloß in den Herden, wo auch die 6Iia
stark gewuchert war.
4. Eine 29 jährige Arbeiterin bekam im Wochenbett Zittern der Hände,
später erstreckte sich dasselbe auch auf die unteren Extremitäten. Nach
einigen Wochen waren bereits die Hauptsymptome einer multiplen Sklerose
nachweisbar. Exitus nach 6 Jahren an Abdominaltyphus. Es finden sich
zahlreiche Herde im Großhirn und Hirnstamm, keine im RückenmarL
Auch mikroskopisch war das Rückenmark unverändert. Für diesen Fall
läßt B. unentschieden, ob die Degeneration der Myelinfasern oder die Glia-
Wucherung primär auftrat. Die Gefäße waren zwar stark vermehrt, aber
zeigten keine Verdickung ihrer Wandungen und nur schwache, kleinzellige
Infiltration. In einem frischen Herde der Varorschen Brücke waren gar
keine Gefäße zu sehen.
DercTun und Gordon (16) berichten über folgenden Fall mit
Sektionsbefund. Eine 29 jährige Frau, verheiratet, kinderlos. 3 Aborte.
Schmerzen in der Beckengegend. Ovarialcyste. Allgemeine Inanition
Atrophie besonderer Muskelgruppen, namentlich des Tbenar und Hypo-
thenar. Parese beider unteren Extremitäten. Fußklonus, Babinski
beiderseits. Hyperalgesie am ganzen Körper, Schmerzen in den Gelenken.
Inten tionstremor. Skandierende Sprache. Pupillen ungleich, rechte weiter;
reagieren auf Licht, wenn überhaupt, sehr träge; am linken Auge Ptosis.
Harn- und Stuhlinkontinenz. Dekubitus. Allmählich Schwinden der
früher gesteigerten Patellarreflexe. Die Untersuchung des Zentral-
nervensystems ergab im Rückenmark: die graue Substanz, im Sakralmark
vollkommen geschwunden, im Lendenmark erhalten, im Dorsal- und Halsteil
im Schwinden begrifiPen. Die weiße Substanz im unteren Rückenmarkstefl
relativ besser erhalten. Die Vorder- und Vorderseitenstränge sind von oben
nach abwärts degeneriert. In den Hinter- und Hinterseitensträngen ist
kein reguläres Verhalten zu bemerken. Noch irregulärer ist der Prozeß
in der Medulla oblongata, während auf den einen Schnitten sich sehr zahl-
reiche Herde finden, ist auf anderen bloß eine Volumsabnahme festzustellen.
Die grauen Kerne haben stärker gelitten. Mit Marchi können Degenerationen
Sclerosu multiplex. Amyotrophische Lateralsklerose. 395
auch in den scheinbar gut erhaltenen Strängen nachgewiesen werden. Blut-
gelaBe erweitert, ihre Wand verdickt. Kleinzellige Infiltration um die
Gefäße. In manchen Herden mit weit vorgeschrittener Sklerose und Zer-
stomng des nervösen Gewebes finden sich mehrere ganz intakte Zellen.
Andererseits wurden Ganglienzellen mit deutlicher Chromatolyse beobachtet.
Auch erhaltene Achsenzylinder wurden innerhalb der total degenerierten
Herde gefanden. Auf Querschnitten zeigten sich nackte Achsenzylinder
Ton irregnlärer Form, eckig, breit oder ungewöhnlich schmal. Verf. machen
darauf aufmerksam, daß die Oef&ßveränderungen sehr ausgesprochen waren,
wo die nervösen Störungen gering blieben (Lendenmark). Dasselbe Agens
könne die beiden Gewebe — nervöses und Gefäfie — gleichzeitig und
selbständig affizieren in verschiedenem Grade. In der Pyramidenbahn
wurde eine sekundäre Degeneration festgestellt, beginnend von der motori-
schen Zone, durch die Capsula interna und bis zu den distaleren Partien
des Rückenmarks. Die tracti optici, der 3., 4. und 6. Himnerven mit ihren
Kernen waren gleichfalls zerstört.
Webber (62) berichtet Qber zwei Fälle von multipler Sklerose mit
Autopsie. Die Klinische Diagnose bot große Schwierigkeiten. In dem
ersten Fall wurde zuerst Hirntumor diagnostiziert, später erst die multiple
Sklerose erkannt. Patientin war ein 23jähriges Ladenmädchen. Zuerst
Schwindelanfälle, dann Sausen im rechten Ohr. Kopfschmerzen und Schwindel.
Abgestorbensein und Schwäche der linksseitigen Extremitäten. Vorüber-
gehende Ptosis am rechten Auge. Objektiv linke Pupille weiter. Strabis-
mus oonvergens am linken Auge, Parese des linken Abduzens, Doppelsehen.
Sehkraft am linken Auge herabgesetzt. Facialis links schwächer innerviert.
Gang unsicher, Romberg positiv, fallt nach rechts. Sensibilität auf linker
Gesichtshälfte und linker Hand herabgesetzt. Ophthalmoskopisch rechter
Sehnerv gerötet, Venen beiderseits erweitert. Die Diagnose lautete : Hirn-
geschwulst 18 Monate später war das Krankheitsbild total verändert.
Patientin konnte auf der Straße nicht mehr gehen. Die Kopfschmerzen
sind geschwunden, es bestand bloß Kopfdruck. Zittern der Hände und des
Kopfes, auch in der Buhe, bei Bewegungen stärker. Sprachstörung. Deut-
licher Nystagmus. Vorübergehend Schluckbeschwerden. Schwachsinn. Zu-
stand veränderlich, Bemissionen und Exazerbationen. Zuletzt Haminkon-
tiuenz, Dekubitus. Die Autopsie ergab sehr zahlreiche sklerotische Herde
im Großhirn (namentlich auf der rechten Seite), Brücke und Bückenmark.
Im zweiten Fall wurde Tabes diagnostiziert. Ein 44jähriger Bau-
arbeiter bekam Parästhesieen zuerst in den unteren Extremitäten^ später
auch im Abdomen. Schwierigkeit gerade zu gehen, leichte Ataxie. Ver-
minderung der Sehkraft, vorübergehend Blindheit. Leichte Inkoordination
der linken Hand. Geringer Nystagmus. Patientin starb an Appendicitis.
Die Autopsie zeigte einen sklerotischen Herd im Dorsalmark und zwar im
linken ffinterstrang (daher Ähnlichkeit mit Tabes) und spärliche Herde
im Himstamm und Großhirn.
Catola (13) berichtet über folgenden Fall: 38jähriger Arbeiter
erkrankte vor 11 Jahren an Cholera. Nach 5—6 Tagen Zittern beider
Arme. Nach einigen Monaten auch Sprachstörungen. Objektiv Intentions-
tremor, skandierende Sprache, Nystagmus, spastisch-cerebellarer Gang,
linksseitige Abduzensparese, „ Babinski, Fußklonus. Später Unmöglich-
keit sich aufrecht zu halten, Ödeme, Dispnoe^ Exitus. Makroskopisch fallt
auf die Kleinheit des Kleinhirns. Mikroskopiscli zwei kleine Plaques in
der Substantia nigra Soemmeringii, rarifizierte Zonen ohne sekundäre De-
generationen im Kleinhirn, Brücke und meduUa oblongata; Verminderung
396 Sclerosis multiplex. Amyotrophische Lateralsklerose.
der Purkinj eschen Zellen und Vermehrung der Neuroglia in der be-
treffenden Schicht; Degeneration einiger Rückenmarkstränge, namentlich der
Pyramidenbahnen. Verdickung der Pia und des subpialen Gewebes, Ver-
dickung, Degeneration und Infiltration der Gefaßwände.
Ceni und Besta (14) haben bei einem Hunde nach Einführung von
Maisteilen, die mit Aspergillus affumigatus infiziert waren, ein Symptomen-
bild erhalten, das dem der multiplen Sklerose entspricht. Die Sektion
ergab einen merkwürdigen Befund, aus dem die Autoren weitgehende Schlüsse
zu ziehen sich berechtigt fühlen. Das Rückenmark zeigte sich nämlich
durchsetzt von einer Unmenge kleiner Herde. In diesen Herden fanden
sich entzündlich veränderte Gefäße, Markscheidenzerfall in allen Stadien,
während der Achsenzylinder, wenn auch ab und zu gequollen, nirgends eine
Kontinuitätstrennung (daher auch Fehlen von sekundä.ren Degenerationen)
aufwies. Es kombinierten sich also hier die Veränderungen der Myelitis
mit denen der multiplen Sklerose; von der ersten AfiFektion ist vorhanden
die entzündliche Gefilßveränderung mit Exsudatbildung, von der an zweiter
Stelle genannten die Schädigung der Markscheide, ohne Läsiou des Achsen-
zylinders. In diesem Befund erblicken die Autoren eine Bestätigung jener
Theorie, die die Pathogenese der multiplen Sklerose zurückfuhrt auf primäre
entzündliche Prozesse, die zunächst an den Gefäßen sich abspielen sollen.
Der Befund wurde als Nebenbefund erhoben bei den zahlreichen Versuchen,
die die Autoren bereits über die Wirksamkeit der Toxine des Aspergillus
fumig. erhoben haben; systematisierte Schädigung der Markscheiden infolge
der genannten Toxine hatten die Autoren wiederholt beobachtet, bis jetzt
jedoch stets ohne Begleitung entzündlicher Veränderungen an den Gefäßen.
(Merzbache^\)
Klinisches.
Müller (38) betont zunächst die große Wichtigkeit der Optikus-
affektionen für die Diagnose der multiplen Sklerose. Wenn man danach
sucht, findet man sie in mindestens der Hälfte der Fälle. Die von allen
Untersuchern betonte Inkongruenz zwischen anatomischen und ophthalmo-
skopischen Veränderungen einerseits und dem Verhalten der Sehschärfe und
des Gesichtsfeldes andererseits läßt einen Rückschluß zu auf den wichtigsten
Grundzug der multiplen Sklerose — die relative Integrität der Achsen-
zylinder bei Zerfall der Markscheiden.
Das doppelseitige Fehlen des Bauchreflexes ist in Übereinstimmung
mit Strümpell ein wichtiges diagnostisches Symptom. Müller untersuchte
1000 Soldaten und fand nur einmal Fehlen der Bauchreflexe. Nur bei
sehr schlafifen Bauchdecken und mächtigem Panniculus adiposus schwinden
diese Reflexe manchmal. Tonische Spasmen der Bauchmuskulatur — bei
ängstlichen Patienten, bei akutentzündlichen und schmerzhaften Bauch-
affektionen, bei Steigerung des Muskeltonus — können den Reflex verdecken.
Empfehlenswert ist Ablenkung der Aufmerksamkeit, schnelle und lange
Striche über die Bauchhaut (am besten mit der nicht sehr scharfen Spitze
eines Bleistiftes oder einer stumpfen Nadel), wiederholte Untersuchung im
Stehen. Einseitiges Fehlen hat geringe Bedeutung. Auch die Kremaster-
reflexe schwinden meist früh.
Unter den weniger bekannten Verlaufsarten der multiplen Sklerose
stellt Müller an erste Stelle diejenige, welche mit hochgradigen, bis
zur vorübergehenden Erblindung sich steigernden Sehstörungen
einsetzt. Beide Augen werden meist nacheinander ergriffen. Rückgang
gleichfalls rapid spurlos oder meist Hinterlassung einer temporalen
Sclerosis maltiplex. Amjotrophische Lateralsklerose. 397
AbblassuDg der Papillen und kleinen zentralen Skotomen. Die Fälle
werden gewöhnlich als Neuritis retrobulbaris aufgefaßt; die neurologische
Untersuchung kann völlig negativ ausfallen, bis zum Auftreten deutlicher
Symptome können viele Jahre (in einem Falle sechs) vergehen. Die ersten
Stigmata, die an multiple Sklerose mahnen, sind außer den temporalen Ab-
biassuDgen der Papillen namentlich in ihren charakteristischen Beziehungen
zum Verhalten des Sehvermögen und zum Gesichtsfelde, das Fehlen der
Bauefadeckenreflexe, das Babinskiphänomen und ein leichtes Wackeln der
Arme bei feineren Zielbewegungen.
Eine zweite Verlaufsart zeichnet sich aus durch eine fast unbeachtete,
aber ebenso häufige wie bedeutsame Form des Beginnes, nämlich mit ab-
normer lokaler Ermüdbarkeit. Ein Arzt verspürte als Frühsymptom
einer multiplen Sklerose nach längeren Märschen eine hochgradige Müdig-
keit in den unteren Extremitäten, die sich nach kurzer Ruhe wieder verlor.
Ein ISjähriges Mädchen klagte über abnorme Ermüdbarkeit im linken
Beine und rechten Arme, femer, daß nach körperlichen Anstrengungen der
am Morgen normale Arm zu zittern begann. Patientin wurde wochenlang
wegen Anämie und Neurasthenie behandelt. Die genaue Untersuchung
ergab temporale Abblassung, nystagmusartige Zuckungen in den Endstel-
Inngen, Fehlen der Bauchreflexe, lebhafte Sehnenphänomene an den unteren
Extremitäten (besonders links), Andeutung von Babinski, Andeutung einer
Schwäche der Knie und Hüftbeuger links, Spur von Wackeln bei Ziel-
bewegungen namentlich rechts, gewisse abnorme psychische Erregbarkeit.
Dieser Fall veranlaßt Verfasser zu der interessanten Bemerkung, daß trotz
des frühen Krankheitsstadiums bereits das ganze Bild der multiplen Sklerose
fertig sein kann. Er vermutet daher, daß zu dieser Zeit bereits keimende
Herde im ganzen Zentralnervensystem zerstreut sind, und daß das Fort-
schreiten der Erkrankung weniger auf einer weiteren Aussaat, als auf zu-
nehmendem Wachstum der Herde beruht. Die lokalisierte abnorme Ermüd-
barkeit fuhrt Müller darauf zurück, daß die Entmarkung in den Herden
sunächst noch ein mittleres Maß funktioneller Leistung zuläßt, das aber
bei gesteigerten Ansprüchen die Nervenleitung versagt. Die längsten Bahnen
leiden vielleicht unter solchen Umständen am ehesten, daher die Pyramiden -
bahnen der Unterextremitäten, daher die Ermüdbarkeit zuerst an den Beinen
bemerkbar. Sensibilitätsstörungen — subjektive und objektive — gehören
ZQ den fast regelmäßigen Begleiterscheinungen der multiplen Sklerose.
Objektiv sind es Hypästhesieen mit vorzüglicher Lokalisatioü an den distalsten
Teüen der Elxtremitäten, mit erheblichen Schwankungen in Ausbreitung
und Intensität. Subjektiv — meist Parästhesieen, sehr selten Schmerzen.
Im ersten Falle hatte der 45jährige Patient vor 10 Jahren eine starke,
hartnäckige Ischialgie, welche die Entwicklung einer multiplen Sklerose von
hemiplegischem Typus einleitete. Die Ursache solcher Schmerzen dürfte in
der Entwicklung von Herden innerhalb der Nervenwurzeln zu suchen sein.
Zum Schlüsse folgen einige allgemein- diagnostische Bemerkungen,
wobei namentlich auf die Bedeutung einiger allgemeiner Gesichtspunkte —
jugendliches Alter, Fehlen äußerer Krankheitsursachen und familiär-here-
ditären Vorkommens, schmerzfreies, gutes Allgemeinbefinden, sprungweise
Entwicklung des Leidens — und ganz besonders einer genauen Anamnese'
(flüchtige Seh- und Sprachstörungen, Diplopie, Augenmuskelparesen, Dreh-
ßchwindelanfalle, Blasenanomalien) hingewiesen w^ird. Manche Symptome
— leichte Erschwerungen der Sprache, ersten Anfänge der Zwangsaffekte
— werden früher subjektiv erkannt, ehe sie objektiv mit Sicherheit nach-
weisbar werden.
398 Sclerosis multiplex. Amyotrophische Lateralsklerose.
In einer zweiten, mit großer Klarheit geschriebenen Arbeit bespricht
Müller (39) zuerst die allgemeine Ätiologie der multiplen Sklerose.
Zunächst müssen davon alle Fälle getrennt werden, in welchen sklerotische
Herde (Glianarben) sekundär infolge zerstreuter Herddegenerationen und
Herdentzündungen entstehen, und welche klinisch wie anatomisch von der
„primären^' multiplen Sklerose verschieden sind. Diese letztere kann kaum
als exogene Krankheit aufgefaßt werden, äußere Schädlichkeiten ver-
schlimmern nur die Krankheit oder spielen die Rolle von Agents provo-
cateurs. Dagegen ist es möglich, daß eine exogene Schädlichkeit im
frühen Kindesalter einwirkte und die anfangs latente Krankheit im
jugendlichen Alter ausbreche. Das typische Bild sowohl wie die Einförmig-
keit der anatomischen Veränderungen sprechen für ein identisches AgeDS
in den einzelnen Fällen. Auffallend ist femer, das trotz der durchaus ?er-
schiedenen Art des Beginnes und des Verlaufes man bei genauer Unter-
suchung alle typischen Symptome schon früh nachweisen kann. Die Yer-
schlimmerungen des Leidens und häufig das erste Auftreten desselben be-
ruhen nicht auf dem Auftauchen neuer Herde, sondern auf einem plötzlichen
Versagen der Nervenleitung.
Die multiple Sklerose ist die häufigste organische Erkrankung der
Nervenzentra der Landbevölkerung. Die Fälle können getrennt werden in
zwei Gruppen, Fälle mit gewöhnlichem und ungewöhnlichem Beginn.
Die Krankheit kann eingeleitet werden (klinisch) durch Gehirnsymptome,
oder Augen- oder spinale Symptome. Subjektive oder objektive Er-
scheinungen können zuerst auf die Erkrankung aufmerksam machen. Wenn
nach dem Zusammenhang einer multiplen Sklerose mit Trauma gefahndet
wird, so darf ein subjektives Wohlbefinden vor dem Trauma keineswegs
eine schon vorhandene, aber beginnende multiple Sklerose ausschließen.
Es werden dann die einzelne Frühsymptome der multiplen Sklerose
besprochen. Die Differentialdiagnose zwischen der Optikusaffektion der
multiplen Sklerose und der syphilitischen bietet manchmal Schwierigkeiten.
Maßgebend für Lues ist, wenn die prompte Besserung nach spezifischer Be-
handlung bei späteren Schüben stets wiederkehrt. Andererseits entscheidet
für multiple Sklerose der positive Augenspiegelbefund (temporale Abblassang,
Mißverhältnis zur Funktionsstörung) nach Besserung der Sehstörungen.
Wichtig sind die initialen Augenmuskellähmungen, meist unvoll-
kommene, flüchtige Paresen des Abduzens oder des Okulomotorius (Ptosis).
Flüchtiges Doppelsehen. Die nystagmusartigen Zuckungen, zu unterscheiden
vom klassischen Nystagmus, hängen auch mit Augenmuskelparesen zusammen.
Sie sind viel häufiger als der eigentliche Nystagmus.
Initiale Gehirnsymptome sind selten. Manchmal ist es eine zerebrale
Hemiplegie; in anderen Fällen treten psychische Störungen auf, welche zur
Verwechslung mit progressiver Paralyse fähren können; ausnahmsweise
ähneln die Erscheinungen denen eines Gehirntumors (namentlich des Kleinhirns) ;
in seltenen Fällen drängt sich die Fehldiagnose einer progressiven Bulbär-
paralyse auf. Zahlreicher sind die Fälle, in denen das Leiden mit Krank-
heitserscheinungen einsetzt, die zunächst auf eine akut-entzündliche Läsion
im Bereich der Brücke, des verlängerten Marks und des oberen Halsmarks
hinweisen.
Es folgt eine Besprechung der spinalen Symptome und der spinalen Formen
der multiplen Sklerose, in denen systematische, diffuse und disseminierte Bücken-
markskrankheiten nachgeahmt sein können. Die Differentialdiagnose gegen-
über Hysterie, Lues cerebrospinalis und Encephalitis wird genauer erörtert,
ferner die Beziehung zur Pseudosklerose. An letztere muß man denken, wenn
Selerosifi multiplex. Amyotrophische Lateralsklerose. 399
sich in den Armen oder sogar auch in den Beinen ein oszillatorischer Zitter-
klonas einstellt von größerer Ausgiebigkeit und längerer Schwingungsdauer,
und wenn eine temporale Abblassung der Papillen fehlt und die Bauch-
deckenreflexe auslösbar sind.
Die frühzeitige Diagnose ist auch insofern wichtig, als bei Yerwechs-
Inng mit Hysterie eventuelle heroische Behandlungsmethoden wesentliche
Verschlimmerungen zur Folge haben können (Oppenheim).
Cassirer (11) bespricht diejenige Yerlaufsform der multiplen Sklerose,
welche mit Erscheinungen einer akut-entzündlichen Affektion des
oberen Halsmarks resp. des Halsmarks und der Medulla oblongata
einsetzt. Eine 35jährige Frau gibt an^ daß sie vor 6 Monaten die Fähig-
keit verloren hatte, mit der rechten Hand feinere Bewegungen auszufuhren ; die
Sensibilität war abgestumpft, namentlich das Erkennen der Gegenstände durch
Betastung stark gestört. Die Störungen besserten sich sehr erheblich, es
traten aber Optikusstörungen auf und 1^/^ Jahr später eine spastische
Paraparese.
In einem zweiten Falle klagt ein 33jähriger Modelltischler über Gefühl-
losigkeit in der rechten Hand. Er könne mit derselben keine Gegenstände
erkennen. Vor 5 Jahren Parästhesien und Schwäche des rechten Arms,
letztere von einjähriger Dauer. Darauf 1^^^ Ja>hr gesund. Dann erneuter
Anfall, jedoch nicht so schlimm wie der erste. Doppelsehen. Die Schwäche
des Armes schwand nicht mehr vollständig, zeigte jedoch erhebliche Schwan-
kungen. Schwäche des rechten Beines. Objektiv Parese des Rectus superior
sin. Nystagmusartige Zuckungen. Temporale Abblassung der Papillen.
Zentrale Skotome für Weiß und Farben. Bewegungsataxie der rechten
Hand, statische Ataxie der Finger dieser Hand. Störung des Lagegefühls.
Geringe Bewegungsataxie links. Rechter Patellarreflex schwächer, Qua-
driceps abgemagert. Achillessehnenreflex erhöht, Babinski- und Oppen-
heimsches Symptom beiderseits, rechts stärker. Leichte Unsicherheit beim
Gehen. An der rechten Hand Supinatorphänomen abgeschwächt, im Gegen-
satz zum erhöhten Tricepsreflex; das läßt auf den viarmutlichen Sitz des
Herdes in der Höhe des 5.-6. Cervikalsegmentes schließen. Es folgen
zwei bereits früher von Oppenheim beschriebene hierhergehörige Fälle.
Ganz ähnlich war das Bild im 5. Fall. Die Symptome wiesen auf
einen Herd hin, der die sensible Bahn der linken Hand beschädigte mit
geringer Beteiligung der Motilität. Zugleich leichte Muskelatrophie.
Spastische Parese des linken Beines. Andeutung von Brown-S6quard.
Die Lage des Herdes konnte ziemlich genau bestimmt werden, nicht ober-
halb des 5. — 6. Cervikalsegmentes (Herabsetzung des Supinatorphänomens).
Alle Symptome besserten sich allmählich, nach 1 Jahre jedoch entwickelte
sich Nystagmus, Andeutungen von Augenmuskellähmungen, geringe Facialis-
scbwäche, geringer Grad von cerebellarer Unsicherheit. Bauchdeckenreflexe
fehlen... Keine Ätiologie zu finden. Patient war 25 Jahre alt.
Ahnlich sind die Erscheinungen im 6. Falle. Die Diagnose lautete:
inkofflplete rechtsseitige cervikale Myelitis als erster Schub einer multiplen
Sklerose. Später traten Nystagmus und temporale Abblassung der linken
Papille hinzu, welche die Diagnose bestätigten. Die auf den ersten Herd
zu beziehenden Symptome waren geschwunden bis auf das Fehlen des
Supinatorphänomens.
Das wesentlichste Symptom aller beschriebenen Fälle ist die akute
spinale Ataxie mit groben sensiblen Störungen. Demgegenüber
möchte C. die von Müller angegebene „Ataxie ohne Alteration der be-
wußten Empfindungen" vielmehr zum Wackeln (sup. Intentionstremor) der
400 Sclerosis multiplex. Amyotrophische Lateralsklerose.
Sklerosis multiplex zählen. Manche als akute spinale Ataxie beschriebene
Fälle (Gowers, Thomsen, Dona, Olmsted) weisen große Ähnlichkeit
mit Cassirers Fällen auf.
Als anatomische Grundlage der klinischen Symptome nimmt Verfasser
einen echt- entzündlichen Herd mit Blutfüllung der Gefäße, Aastritt
von Blut und einem entzündlichen, amorphen Exsudat in die Gewebe und
einer kleinzelligen, perivaskulären Infiltration an. Charakteristisch ist die
Beschränkung der Krankheitserscheinungen und ihre Tendenz zum Rück-
gang. Unterstützend für die Diagnose ist das Fehlen irgend einer Ätiologie.
Bei der disseminierten Myeloencephalitis, die ätiologisch engere Beziehung
zu vorausgegangener Infektion aufweist, sind die Symptome von vornherein
zahlreicher und die event. eintretende Besserung weniger rasch und weniger
vollständig vorschreitend. Entscheidend kann die Beobachtung des Y erlaufis sein,
indem bei der multiplen Sklerose neue Schübe kommen und neue Störungen hinzu-
fügen. Andererseits glaubt Cassirer in Übereinstimmung mit Oppenheim,
daß auch aus einer echt entzündlichen, exogen bedingten multiplen Myelitis
eine echte, progressiv fortschreitende multiple Sklerose sich entwickeln kann.
Eine sehr interessante Bearbeitung der psychischen Störungen bei
multipler Sklerose finden wir in der Arbeit von Seiffer (55) aus der
Ziehen sehen Klinik. Verf. stellte sich die Aufgabe, an einer größeren
Reihe von Fällen (10) die psychischen Leistungen der Patienten mit An-
wendung der genauen psychophysiologischen Methoden genau zu prüfen.
Es wurde geprüft: 1. auf einfache konkrete Erinnerungsbilder oder Vor-
stellungen und Erinnerung für jüngst vergangene Empfindungen bezw. Em-
pfindungskomplexe, 2. auf zusammengesetzte und abstrakte Vorstellungen,
3. die Aufmerksamkeit, 4. die einfache Reaktionszeit, 5. Ideenassoziationen.
Das Ergebnis war, daß in allen Fällen mit Ausnahme eines einzigen mehr
oder weniger erhebliche Störungen gefunden wurden. Am häufigsten waren
gestört (8 mal): längsterworbene konkrete Erinnerungsbilder aus dem All-
gemeinwissen, jüngst vergangene Empfindungen für Wollproben, rückläufige
Assoziationen; 7 mal waren defekt: Merkfähigkeit für Zahlen, für Paarworte,
zusammengesetzte und abstrakte Vorstellungen bei Unterschiedsfragen; 6 mal:
Assoziationstätigkeit bei Additionen, bei Textergänzungen (außerdem waren
einige Fälle wegen motorischer Störungen zu dieser Probe unfähig), Asso-
ziationstätigkeit bei grammatikalischen Fragen, einfache Erinnerungsbilder
aus dem Schulwissen, Merkfähigkeit für eine Erzählung. Das Tempo der
intellektuellen Leistungen war in einem großen Teile der Fälle verlangsamt,
namentlich das Tempo der Ideenassoziationen.
Ein durchgreifender qualitativer Unterschied zwischen der Demenz
der multiplen Sklerose und anderen Formen von Schwachsinn besteht nicht.
Das unterscheidende Merkmal bieten die psychischen Begleitsymptome:
krankhaft gehobene Stimmung, Euphorie oder häufige Labilität mit plötz-
lichem Wechsel der Stimmung, wobei diese Stimmungsanomalien quantitativ
lange Zeit hindurch in keinem Verhältnis stehen zu dem meist nur geringen
Grade der Demenz (im Gegensatz zu den Stimmungsanomalien der Dementia
paralytica).
Merkwürdigerweise hatte die einzige Patientin, bei welcher keinerlei
Störungen der intellektuellen Fähigkeiten gefunden wurden, innerhalb der
multiplen Sklerose eine schwere Psychose von funktionellem Charakter durch-
gemacht, welche aber ohne Defekt abgeheilt ist. Es handelte sich um eine
halluzinatorische Verwirrtheit (Amentia). Verf. hält es för wahr-
scheinlicher, daß die Psychose trotz vollständiger Heilung und trotz der
jetzt geringfügigen zerebralen Symptome auf organischer, sklerotischer
Scle^osis multiplex. Amyotrophische Lateralsklerose. 4()1;
Grundlage entstanden ist, wie auch die temporären, körperlichen Symp*
tome (Hemiplegien, Ophthalmoplegien usw.) organischer Natur sind. Dies
um 80 mehr, als zur Zeit des Auftretens der Psychose auch körperliche Symp-
tome „schubweise" mid in viel größerer Zahl und stärkerer Intensität auf-
getreten sind, als das später der Fall war.
Ein anderer Fall ist interessant durch das Auftreten „paranoider"
Ideen bei multipler Sklerose. Es handelte sich um Erfinder- und Ver-
folgungsideen, ähnlich den Selbstüberschätzungsideen der Paralytiker. Daher
war der Schwachsinn des Patienten ein ganz zirkumskripter auf inhaltliche
Stornogen der Ideenassoziation und den Mangel ethischer Gefühlstöne be-
schränkt; alle übrigen Intelligenzleistungen waren fast normal.
Ein strikter Zusammenhang zwischen dem Intelligenzdefekt der mul-
tiplen Sklerose und dem Bildungsgrade der Patienten besteht nicht. Auch
zwischen der Dauer der Krankheit und dem Grade der Intelligenzstörung be-
steht kein direktes Verhältnis. Immerhin gibt Verf. eine gewisse Beziehung der
Erankheitsdauer zu den gefundenen Störungen zu. Ausschlaggebend ist die
initiale Lokalisation des sklerotischen Prozesses: vorwiegend spinale
formen zeigen wenig oder gar keine psychischen Störungen; zerebrale,
cerebrospinale und bulbäre Formen sind dagegen auch in psychischer Hin-
sicht häufiger betroffen.
Hobhonse (27) betont, wie wichtig für den praktischen Arzt
die Kenntnis der multiplen Sklerose ist. 1. Es ist die häufigste unter allen
organischen Krankheiten des Zentralnervensystems. Unter 5000 Kranken des
aligemeiuen Ambulatoriums waren neun Fälle von multipler Sklerose, dagegen
bloß 6 Eälle Paralysis agitans, 5 Tabes, 2 — 3 Paralysis progressiva usw.
2. Die Früh Symptome der multiplen Sklerose sind so verschieden, daß
dk Patienten im Frühstadium alle möglichen Spezialisten konsultieren
können. Hobhouse gibt eine Zusammenstellung der 16 von ihm beobachteten
Falle. In drei Fällen begann die Krankheit mit Augensymptomen, die
Kranken wandten sich zuerst an einen Augenarzt. In einem dieser Fälle
war das nächstfolgende Symptom ein sehr starkes Ohrensausen, Patient
wurde an einen Ohrenarzt adressiert. In einem Falle begann die Krankheit
mit Brechanfallen, ähnlich den gastrischen Krisen der Tabiker. Sehr häufig
fand H. bei seinen weiblichen Patienten Menorrhagien, welclie er geneigt
ist, mit der Erkrankung der Rückenmarkszentren in Zusammenhang zu
bringen. Eine Kranke wandte sich deshalb zuerst an einen Frauenarzt.
Manche Kranke gehen wegen Aphonie zum Laryngologeu, andere wegen
Blasenstörungen zum Chirurgen, einer war längere Zeit in chirurgischer
Behandlung wegen einer Kontraktur der Füße in Equinovarusstellung. 3.
B^onders wichtig für den Praktiker ist die Unterscheidung frischer multipler
Sklerose und Hysterie. Die Diagnose wird erschwert durch die bekannte
Inbeständigkeit der Symptome im Frühstadium der multiplen Sklerose.
Femer haben viele Patienten einen echt hysterischen Habitus; sie sind
emotiv, sind leicht zum Lachen und Weinen zu bringen usw.
In einem Falle des Verfassers gingen hysterische Symptome — Kon-
trakturen der Füße, Selbstverletzung und Wunde am Abdomen — dem
Ausbruche der multiplen Sklerose lange Jahre voraus. In einem anderen
begann die Krankheit mit Anästhesie und Erbrechen, später stellten sich
vorabergehende Erblindung, Schwäche der Beine ein, und allmählich ent-
wickelte sich das volle Bild einer multiplen Sklerose. Ätiologisch wurde
in mehreren Fällen Schrecken, schwere Arbeit notiert. In einem Falle lag
ein Kopftrauma vor; die Narbe entsprach der rechtsseitigen Zona motoria^
die Symptome begannen im linken Bein. Die Krankheit machte sehr
Jahresberictt f. Nenrologie und Psychiatrie lOOB 26
402 Sclerosis multiplex. Amyotrophische Lftteralaklerose.
rasche Fortschritte, nach drei Monaten wurde bereits das klassische Bild
einer multiplen Sklerose festgestellt.
Aus seinen Beobachtungen schließt der Verfasser, daß 1. je langsamer
die Entwicklung der Symptome, um so besser die Prognose des Falles,
2. daß der Beginn der Erkrankung mit zerebralen Symptomen kein Beweis
dafür ist, daß sie auch im späteren Verlauf vorherrschend sein werden.
Einen lehrreichen Beitrag zum Kapitel der Ätiologie gibt Orossmaoil
(24) aus der Sternberg sehen Abteilung in Wien. Ein 28jähriger Arbeiter
zeigt das ausgeprägte Bild einer multiplen Sklerose. Patient erlitt vor ca.
1% Jahren ein Trauma, indem er beim Fensterputzen aus mäßiger Höhe
auf eine Feilbank herabfiel. Vor der Trauma hat er schwere Arbeiten
verrichtet; eine Anfrage bei seinen Kameraden ergab, daß er von allen fdr
vollkommen gesund gehalten wurde. Ein Jahr vor seinem Trauma hatte
er eine vierwöchentliche Waffenübung mitgemacht. Nun wurde bereits zwei
Tage nach seinem Trauma eine vollentwickelte multiple Sklerose mit beider-
seitiger Atrophia n. optici, Intentionstremor, Nystagmus festgestellt. Später
kam noch eine allgemeine Schwäche hinzu und Schwierigkeit, sich aufrecht
zu halten. Bemerkenswert ist noch, daß Patient bei mehrmaligem Spital-
aufenthalt des Traumas gar nicht erwähnte, und daß dies Moment in den
betreffenden Krankengeschichten gar nicht berücksichtigt wurde. Da es
unmöglich ist, daß solche Symptome in zwei Tagen zur Entwicklung kommen,
so ist es sicher, daß Patient schon vorher an multipler Sklerose
erkrankt war. Das Leiden war latent, und Patient konnte trotz seiner
Elrankheit schwerste Arbeiten verrichten. Das Trauma führte eine akute
Verschlimmerung herbei. Für etwaige Entschädigungsansprüche wird
freilich durch solche Sachlage nichts geändert, wenigstens nicht nach der
Spruchpraxis im Deutschen Reiche und in Osterreich; es ist ganz gleich-
gültig, ob die Krankheit vor dem Trauma latent war oder gar nicht existierte.
Bei privaten Versicherungsgesellschaften wird es vom Wortlaut des Ver-
sicherungsvertrages abhängig sein.
Cassirer's (12) kleine Monographie über die multiple Sklerose ist
eine wertvolle Darstellung dieser Krankheit hinsichtlich ihrer Ätiologie,
Symptomatologie und pathologischen Anatomie.
In der Ätiologie weist 0. auf die neuerdings zweifellos festgesteUte
Tatsache des Zusammenhanges von multipler Sklerose und Trauma liin,
und zwar könne ein Trauma die Krankheit hervorrufen oder zu einer Ver-
schlimmerung des Leidens fuhren.
Bei der Differenzialdiagnose hebt 0. die zweifellosen Symptome gegen-
über den unbestimmten, auch der Hysterie unter Umständen angehorigen
Zeichen hin, von denen Optikuserkrankungen und das Babinskische Symptom
besonders betont werden. Auch pathologisch-anatomisch hebt 0. die charakte-
ristischen Merkmale der multiplen Sklerose in leicht verständlicher Weisi
hervor und bringt auch die Abbildungen einiger Schnitte aus dem Pens,
der Medulla oblongata, dem Hals- und Dorsalmark, welche die sklerotischer
Herde deutlich erkennen lassen. (JBendüe.)
Berger's (3) Statistik über multiple Sklerose liegen 206 Fälle zi
Grunde. Nur in 9 Proz. der Fälle konnte Trauma als auslösende Ursach«
angesehen werden. Am öftesten begann die Krankheit mit Störungen ii
den unteren Extremitäten. 38 mal wurde einfache Optikusatrophie (11 %)
10 mal deutliche Abblassung der temporalen Papillenhälften (5 ^j^, Ima
neuritische Veränderungen gefunden. Nystagmus war 93 mal vorhandei
(45 %).
Scierosis maltiplex. Amyotrophische Lateralsklerose. 403
Von FaciaUsstöruiig war meist eine Parese des Mundastes (bei 44
Patienten) zu beobachten. Totale einseitige Pacialislähmung wurde 4 mal
konstatiert. 2 mal trat Facialislähmung als Initialsymptom der multiplen
Sklerose auf.
Sehr häufig fanden sich Lähmungen und Paresen der Extremitäten.
Halbseitig waren sie 17 mal. Diplegien fanden sich an den oberen Ex-
tremitäten 16 mal, an den unteren 81 mal. Monoplegien an den oberen
Extremitäten 20 mal, an den unteren 32 mal. Meist waren sie spastischer
Natur.
Bei 23 Patienten fand sich Zwangslachen resp. -weinen. Ungemein
häufig sind hysterische Assoziationen im Bilde der multiplen Sklerose.
Muskelatropbien fanden sich 8 mal. Eine ganze Extremität war in 7 Fällen
ei^riffen, einmal wurden die Interossei der Hand atrophisch gefunden- Bei
Tielen Patienten bestand die multiple Sklerose lange Jahre, im Maximum
28 Jahre. (Bemlix.)
Morawitz (37) teilt zwei Fälle mit, die anfangs durchaus den
Symptomenkomplex einer transversalen Myelitis darboten. Erst der weitere
Verlauf und die Autopsie ließen erkennen, daß es sich um multiple Sklerose
bandelte. Für die wichtige Diagnosenstellung ist die Anamnese in zweifei-
iaften Fällen von Wichtigkeit; denn wenn lange Zeit vor Beginn der
Sjmptome einer Querschnittserkrankung Paraesthesien , leichte Paresen,
flächtige Blasenstörungen oder rasch vorübergehende leichte hemiplegische
Erscheinungen, besonders bei jungen Leuten aufgetreten waren, so ist an
eine multiple Sklerose zu denken, die das Bild einer Myelitis transversa
Tortäuschen kann. (Bemlix.)
Nespor's (40) Fall betraf einen 19jährigen Mann, der unter
gastrischen Erscheinungen, Schwindel, Schwäche der unteren Extremitäten
imd mit erhöhten Patellarreflexen erkrankte. Deutlich wurde das Bild der
multiplen Sklerose nach einigen Monaten durch das Auftreten apoplektischer
Anfalle mit Lähmung der rechten unteren und auch der rechten oberen
Extremität, Hypaesthesie der rechten unteren Extremität, erhöhter Patellar-
refiexe, Babinski, Fußklonus, Litentionszittem, Incontinentia urinae et alvi.
In ätiologischer Hinsicht glaubt N. die Malaria (tertiana) in seinem
Falle beschuldigen zu müssen und führt die auffallende Besserung des
Fall^ und das Verschwinden fast aller objektiven Symptome (bis auf
Nj^tagmus, Bomberg und gesteigerte Patellarreäexe) auf die therapeutischen
l^nahmen medikamentöser, elektrischer und mechanischer Natur zurück,
(Bendix,)
Scherb (53) hat einen von Jaccaut als beginnende multiple Sklerose
l>e8chriebenen Fall nachuntersucht und möchte ihn auf Grund seiner Be-
fände eher für eine cerebellare Erkrankung nach Babinskischem Typus
deuten. Der 45 jährige Patient, ein starker Potator, erkrankte an Pneumonie
und im Verlauf dieser Krankheit an Motilitätsstörungen der Beine
(Schwächegefühl), Störungen der Sprache (skandierend) und spastisch-
ataktischem Gang. Kein Nystagmus, Patellarreflex schwach, kein Inten-
tionstremor.
Bei der Nachuntersuchung fiel auf, daß er weder stehen noch gehen
konnte, ohne in starkes Schwanken zu geraten. Dabei war kein Schwindel-
gefuhl vorhanden. Im Liegen konnte er alle Bewegungen ausfuhren. Auch
VI den Armen hatte er Schwäche und Koordinationsstörung, sodaß er nicht
allein essen konnte. Beim Gehen sucht er mit den Armen das Gleich-
gewicht des Körpers wiederherzustellen, dabei gerät der ganze Körper in
Zittern. Sein Körper folgt beim Gehen nur mangelhaft den Bewegungen
26*
404 Sclerosis multiplex. Amyotrophische Lateralsklerose.
der Beine, sodaß man ihn oft festhalten muß. Beim Stehen bleiben seine
Beine unbeweglich, wenn man ihn nach hinten zieht. Beim Aufrichten im
Bett aus der horizontalen Lage beugt er die Knie und hebt die Fersen.
Er kann seine Beine nicht heben und auf den Boden stellen.
Auch kann er dieselbe Bewegung nicht schnell wiederholen und e^
müdet sehr bald, wenn er Pronation und Supination wiederholen soll. Die
Störungen der Koordination in Verbindung mit der Muskelschwäche
(Asthenie) und der Muskelatonie deuten auf eine cerebellare Erkrankung bin.
Seh. nimmt an, daß bei dem Potator während der Pneumonie eine
Arteriosklerose die Zirkulation im Wunn unterbrochen hat. Die Aa. cere-
bellares superiores geben, nachdem sie die Pedunculi..versorgt haben, an
den Corpp. quadrigemina aus einer A. communicans Äste an den oberen
Wurm ab. Durch eine Thrombose dieser A. communicans kann es zu einem
Erweichungsherd im oberen Wurm gekommen sein. (Bendix.)
Brush (8) macht kurze Mitteilungen über fünf zur Obduktion gelangte
Fälle von traumatischer multipler Sklerose. Dem Auftreten der charakte-
ristischen Krankheitssymptome war regelmäßig eine Kontusion der Wirbel-
säule durch Fall auf den Rücken vorangegangen. Bei allen 5 Fällen
fanden sich ausgesprochene sklerotische Herde im Gehirn und Rückenmark
neben muitiplen kleinen Hämorrhagien im Gehirn. (Bendix.)
Nach einem im neunten Lebensjahre erlittenen Blitzschlag bestand,
wie Podelne (45) mitteilt, bei dem 21 jährigen Kranken Zittern der
Hände, Nystagmus, Bradylalie, Intentionszittern, Steigerung der Patellar-
reflexe sowie der Reflexe der rechten Hand und Ataxie der Oberextremitaten.
— Die geistige Entwicklung ist zurückgeblieben. (Antoreferat)
IL Amyotropbiscbe Lateralsklerose.
Mally u. Miramont de Laroquette (33) berichten über 3 Fälle
von amyotrophischer Lateralskerose. 1. Typischer Fall eines 41jährigen
Buchhalters. Beginn in der rechten oberen Extremität, zuerst Parese,
Parästhesien, später hochgradige Atrophie. Entwicklung sehr langsam.
Erst nach 3 Jahren Verschlimmerung. Rasche Entwicklung bulbärer
Symptome, Exitus vor Ende des 4. Jahres. 2. 40 jähriger Friseur, Beginn
mit Parese und Atrophie der linken oberen Extremität nach einem leichten
Trauma der linken Hand, rasche Entwicklung aller klassischen Symptome,
Exitus nach 2 Jahren. 3. Der 3. Fall ist in mehrfacher Hinsicht inter-
essant, er betrifft einen 38jährigen Modellierer. Die Entwicklung der Krank-
heit ist sehr langsam, Beginn vor 15 Jahren. Zuerst Parese der rechten
unteren Extremität, nach einem halben Jahre der rechten oberen Extremität,
nach 4 Jahren des linken Beines, nach weiteren 4 Jahren des linken Armes.
Die Entwicklung ist also eine hemiplegische mit langen Intervallen in
der Ausbreitung der Krankheit. Trotz der langen Dauer keine bulbäre
Erscheinungen. Die Parese ist sehr hochgradig, desgleichen die spastischen
Phänomene, die Amyotrophie dagegen relativ gering. Dieser Fall spricht
also gegen die Auffassung mancher Autoren, daß bei vorherrschender
Amyotrophie der Verlauf der amyotrophischen Lateralsklerose relativ lang-
sam ist, bei vorherrschenden spastischen Symptomen dagegen rasch.
Potts (46) berichtet über folgenden Fall von amyotrophischer Lateral-
sklerose; 42 Jahre alter Mann, Zimmermann, der seit anderthalb Jahren mit
Blei zu tun hatte uud Bleikolik durchgemacht hatte, bekam zuerst eine
Schwäche im linken Bein und in den Zehen ein Lähmungsgefuhl. Darauf
trat Schwäche im linken Arm und bald darauf auch Störung des Schluckeas
Tabes. 405
und der Sprache auf. Die Faciales waren intakt, aber die Zunge atrophisch
and konnte schwer hervorgestreckt werden. Schluckstörung besonders von
festen Speisen, Uvula weicht nach links ab. Sprache undeutlich» stockend.
Linker Arm schwächer als rechts^ Atrophie des M. adductor poUicis und
der Interossei, Klauenhand, auch rechte Hand, aber etwas weniger atrophisch.
Gfang steif, den linken Fuß nachschleifend. Linkes Bein atrophisch. Leb-
hafte Patellarreflexe, Fußklonus besonders links. Babinski beiderseits. In-
continentia urinae. Fibrilläre Muskelzuckungen, besonders links. Sensibilität
intakt. (Bendix.)
Baymond und Cestan (50) haben achtzehn Fälle von amyotrophischer
Lateraisklerose pathologisch-anatomisch untersucht. Unter den Kranken
waren 13 Manner und 6 Frauen, das Alter schwankt zwischen 36 und
68 Jahren. Ätiologisch war nichts einheitliches zu eruieren. Sie konnten
Tier Formen sjmptomatologisch unterscheiden; die gewöhnliche spinale Form
mit spastischer Paraplegie und Ajnyotrophie, die bulbäre Form, die amyo-
trophische Form und den spastischen Typus. Intellektuelle Störungen
hatten sich in keinem der Fälle entwickelt, auch keine geistigen AflFektionen.
Die Dauer der Elrankheit betrug 26 Monate etwa, aber in vier Fällen nur
6—10 Monate. Die Hinterstränge waren stets intakt bis auf zwei Fälle
mit leichter Sklerose der Gollschen Stränge im Halsmark bei zwei"*Greisen,
Von den Seitensträngen waren der antero-laterale Strang hauptsächlich er-
krankt unter Freibleiben der cerebellaren Stränge und stärkerer Beteiligung
der direkten und gekreuzten Pyramidenbahnen.
An den Zellen der Vorderhörner wurde Chromatolyse, starke Pigmen-
äemng, Schrumpfung aller zelligen Bestandteile und Umwandlung in einen
Pigmentrest mit kleinem noch farbbarem Kern beobachtet.
(Bendix.)
Testi. (59) hat 2 Fälle von amyotrophiscber Lateralsklerose (Typus
Charcot) beobachtet, die durch zwei Umstände besonders interessant er-
scheinen. Die Kranken sind zwei Brüder, bei denen die Erkrankung im
jugendlichen Alter (der eine starb mit 18, der andere mit 13 Jahren) be-
gann, und die außerdem noch den nervösen Symptomenkomplex der Pellagra
zeigten. Testi nimmt an, daß hier die amyotrophische Lateralsklerose an
einem Rückenmark sich abspielt, das durch erbliche Veranlagung zur
STstomatisierten Erkrankung prädisponiert war, und auf das noch außerdem
das Pellagratoxin einzuwirken Gelegenheit hatte. Die Pellagra kann fttr
sich die I^ramidenseitenstränge und Vorderhörner treffen, doch geschieht
das nie in dieser rein systematisierten Weise wie in diesen Fällen ohne
Mitbeteiligung anderer Systeme. (Ma-zbacher.)
Tabes.
Referenten: Geh.-Rat Prof. Dr. E. v. Leyden und
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Bittorf (20) vertritt in geistreicher Weise die Anschauung, daß die
Tabes nur bei einem angeboren abnormen, minderwertigen
£ückenmark entstehe. Als Beweis hierfür dienten ihm Beobachtungs-
tätsachen an 31 Tabikern, bei denen sich relativ häufig neuropathische
Belastung und deutliche Degenerationszeichen vorfanden. Als be-
lastend wurden alle Geistes- und Nervenkrankheiten, sowie Trunksucht in
der Aszendenz angesehen. Von 16 tabischen Männern waren 13 = 81 %
erblicfi "belastet^ unter den 15 tabischen Frauen waren bei 12 = 80 ^j^
Geisteskrankheiten in der Aszendenz vorhanden. Die Vergleichswerte bei
anderen chronisch Kranken von gleichem Alter und Stand wie die unter-
suchten Tabiker ergaben die umgekehrten Zahlen, d. h. es fand sich
höchstens in 10% nervöse Belastung vor. Direkte Heredität fand sich nicht
in den Bittorfschen Fällen; dieselben entstammten am häufigsten aus-
gesprochenen Trinkerfamilien, in denen — ein weiteres Zeichen der Ent-
artung — die Kindersterblichkeit (namentlich an „Ejämpfen") eine außer-
ordentlich große war. Die Bittorfschen Tabiker zeigten femer nervöse
bezw. psychische Stigmata und körperliche Entartungszeicheu. So fanden
sich häufig als Zeichen der neuropathischen Konstitution Neurasthenie und
Hysterie, seltener Imbezillität neben der Tabes; bei zirka 30 7o der Tabiker
fand sich Alkoholismus.
Als noch bedeutungsvoller für seine Auffassung sieht Bittorf das
häufige Vorkommen von Degenerationsmerkmalen der Haut, was Verf.
als direktes Schwächezeichen des ektodermalen Keimblattes ansieht, aus
dem sich bekanntlich die äußere Bedeckung und das Zentralnervensystem
entwickeln. So fand Bittorf bei seinen Tabikern häufig Anomalien
der Haarbildung und stets Hautdegenerationszeichen (fissurale Angiome,
Warzen, Fibrome, Pigmentnaevi, Atherome usw.), außerdem in 67 7o Ano-
malien an Gaumen und Zähnen, in 32 7o Hemmungsbüdungen, in 84 % Asym-
metrien des Gesichtsschädels, schließlich abnorme Genitalien bei 32 ^/q. Fast
kein Tabiker war ohne Degenerationszeichen, 52^0 ^^r Tabiker
hatten mindestens 5 Degenerationsstigmata, die übrigen 48^0
mindestens 3. Von den Vergleichspersonen hatte keine mehr als 3 Ent-
artungszeichen und nur 26 ^1^ mehr als 2 Entartungszeichen.
Für die angeborene Kückenmarksschwäche des Tabikers sprechen
außerdem noch anatomische Tatsachen z. B. die Heterotopie grauer
Substanz und der abnorme Faserverlauf im Rückenmark, die in den
meisten Fällen von Tabes oder Paralyse mit Hinterstrangserkrankung
beschrieben wurden, desgL die nicht seltene Kombination mit Syringo-
myelie. Für die elektive Affektion der Hinterstränge verwertet B. den
<^22 Tabes.
Umstand, daß das ganze sensible Neuron einen anderen Entwicklungs-
gang nimmt, als das übrige Nervensystem. Die Spinalganglien werden ge-
trennt vom Rückenmarke angelegt und sind deswegen beim Schluß des
MeduUarrohrs leicht Störungen ausgesetzt; ferner führen die Hintersträuge
die ersten markhaltigen Fasern, die funktionell am frühesten und am meisten
in Anspruch genommen werden und daher zuerst erkranken. Die Tabes
entsteht somit nur bei einem angeboren abnormen, minderwertigen
Rückenmark. Die übrigen angegebenen Schädigungen (vor allem Syphilis)
wirken auslösend, die Überanstrengung und funktionelle Inanspruchnahme
wirken lokalisierend und das klinische Bild bestimmend.
V. Malaise (103) berichtet aus der Oppenheimschen Poliklinik
über die Prognose der Tabes dorsalis. Seiner Studie liegen 90 Fälle
zu Grunde, deren erste Untersuchung zirka 8 — 10 Jahre zurückliegt, und
die er je nach der Art des Verlaufs in 4 Gruppen einteilt.
Die ersten beiden Gruppen zeichnen sich durch ihre Benignität aus.
Die erste Gruppe (regressiver Verlauf) bilden 2 Fälle von ausgeprägter
Tabes, die nach 8 bezw. 9 Jahren einen objektiv unveränderten, subjektiv
derart gebesserten Zustand darboten, daß die beiden Kranken als gesund
und völlig erwerbsfähig anzusehen sind.
Der zweiten Gnippe (stationäres Stadium) gehören 30 Patienten mit
sehr langsamen, meist über Jahre verteilten, in. Schüben verlaufenden
Krankheitsformen an, sodaß die Kranken ganz oder nur wenig in ihrer Er-
werbsfähigkeit beschränkt sind. Dieses Stadium kann ein Jahrzehnt und
länger andauern, bis durch einen Nachschub oder eine interkurrente Krank-
heit eine Verschlimmerung erfolgt. Die Durchschnittsdauer dieser Form
beträgt ca. 15 Jahre, ohne daß einer dieser Kranken mit einer schweren
Ataxie verfiel oder bettlägerig wurde.
Die dritte und vierte Gruppe zeichnen sich durch das stetige
Fortschreiten der Krankheitssymptome aus; bei der ersteren (30 Kranke)
ist die Progredienz der Krankheit langsamer, sodaß die Tabiker die ersten
3 oder 4 «Jahre noch leidlich arbeitsfähig bleiben, dann erheblicher ataktisch
werden.
Bei der vierten Gruppe (18 Kranke) besteht vom Beginne an ein
derart schwerer und rasch fortschreitender Krankheitszustand, daß die
Arbeitsfähigkeit v()llig ausgeschaltet ist. Nach ein- oder zweijährigem Ver-
lauf setzt meist eine schwere Ataxie ein; nach Verlauf von 4 oder 6 Jahren
sind die Kranken völlig gehunfähig und in ihrem Allgemeinbefinden hoch-
gradig gest()it, sodaß sie der völligen Konsumption anheimfallen. Diese
Tabiker erkranken meist in jugendlichem Alter, bald nach erfolgter luetischer
Infektion, sie magern rasch ab und zeigen eine Rigidität der peripheren
Arterien.
Weiterhin bespricht Malais^ in klarer und erschöpfender Art die
prognostische Bedeutung der einzelnen Krankheitszeichen und Komplikationen.
Je rascher und je vielgestaltiger die Tabes einsetzt, desto schwerer ist
im allgemeinen der Verlauf. Die günstig verlaufenden Fälle waren größten-
teils schleichend und oligosymptomatisch. Bezüglich der prognostischen
Wertigkeit der einzelnen Symptome hat Autor folgende Erfahrungen.
Die gastrischen Krisen sind für den Tabiker mit krankem Gefäß-
system sehr gefährlich; für die anderen Tabiker ist die prognostische Be-
deutung der Krisen keine so schwerwiegende, wenn die Anfälle kurz und die
Erholungspausen lang sind. Morphinismus ist relativ selten (3 mal) zur
Beobachtung de? Verf. gelangt.
Tabes. 413
Bedenklicher ist die frühzeitige Blaseuinkontinenz, . welche meist
eiuen progredienteu Verlauf anzeigt; dazu gesellen sich die Gefaliren der
flaminkontinenz au sich (Cystitis, Pyelitis usw.). — Die Optikusatrophie
trat in 73 % der Fälle als Prühsymptom auf; in ^/^ dieser Fälle blieb die
Tabes vom Moment der Erblindung stationär, in manchen Fällen trat sogar
ein Rückgang einzelner Symptome auf; nur in 15^/^ der Fälle nahm die
Tabes trotz frühzeitig einsetzender Sehnervenatrophie einen progredienten
Verlauf. Relativ selten (nur 4 mal) beobachtete M. trophische Störungen
(Ärtropathien, Mal perforant, Spontanfraktur); sämtliche Fälle nahmen
einen sehr chronischen Verlauf.
Für die Prognose kommen weiterhin in Betracht das Auftreten
paralytischer Anfälle sowie der Hauptsitz des Leidens. Je höher
der Sitz des Leidens ist (zerebral, bulbär, cervikal), desto schlechter ist die
Prognose. Einen schweren Verlauf nehmen gewöhnlich die post-
traumatischen, desgl. die mit Neurasthenie komplizierten Fälle. Hin-
gegen ist ein Unterschied in dem Verlaufscharakter der Fälle mit und ohne
Torangegangene Lues nicht zu erkennen. Je kürzer der Zeitraum zwischen
der luetischen Infektion und dem Krankkeitsausbruch ist, desto ungünstiger
ist der Verlauf. Die günstig verlaufenen Fälle wiesen in der Mehrzahl
der Fälle ein Intervall von 15 Jahren auf, während der Verlauf ein rascher
war, wenn die Krankheit innerhalb der ersten 6 Jahre post infectionem er-
folgte. In Bezug auf das Alter und Geschlecht sah Autor beim weiblichen
Geschlechte häutiger einen günstigeren Verlauf, ebenso beim Auftreten der
Tabes nach dem 45. Jahre. Schwächliche Konstitution, hereditäre neuro-
paihische Belastung, Alkoholabusus, sexuelle Exzesse, psychische und selbst
geringfügige körperliche Traumen, Überanstrengungen, ungünstige soziale
Verhältnisse rerschlimmern selbstverständlich die Prognose. Die Prognose
der lauzinierenden Schmerzen hängt gnißtenteils von dem Verlaufscharakter
der Tabes ab; bei den Fällen der Gruppe 1 und II war fast ausnahmslos
ein Rückgang der Schmerzattacken zu beobachten, ausnahmsweise verloren
sich die lanzinierenden Schmerzen auch bei im übrigen progredienten Fällen.
Dies erfolgt meist dann, wenn das Leiden die Höhe seiner Entwicklung
erreicht hat (totale Unterbrechung der Schmerzleitung durch den tabischen
Prozeß).
Blasenstörungen fanden sich in 85®/<, der Fälle; sie bessern sich
relativ selten, häufiger ist der Ausgang in Inkontinenz. Letztere ist häutig
mit Impotenz verbunden. Impotenz ist als Frühsyraptom selten, wenn dann
von schlechter Vorbedeutung.
Augenmuskellähmungen kamen in ca. 18^ ^ der beobachteten Fälle
vor: der Rückgang derselben innerhalb der ersten Jahre ist häufiger als das
Andauern der Lähmung. Bezüglich der Prognose (juoad vitam stimmten
die Beobachtungen des Autors mit jenen P. Marie^s überein, daß die Lebens-
zeit durch die Tabes nicht oder nicht wesentlich verkürzt zu werden pflegt.
Bing (18) gibt eine lesenswerte kritische Ilbersicht über die Patho-
genese der Tabes. Er nimmt einen vermittelnden Standpunkt ein und
führt die Disposition des einzelnen lletasyphilitikers zur Tabes auf das
Zusammenwirken dreier Hauptfaktoren: Gift, Substrat und Funktion
zurück. Im Mittelpunkte des pathologisch-anatomischen Bildes der Tabes
steht die primäre Erkrankung des peripheren sensiblen Neurons. Dabei
bleiben die Zellen selbst am längsten intakt, während deren beide Ausläufer,
sowohl die peripheren (sensible Nerven) als auch die zentralen (Hinter-
wuTzeln und Hinterstränge) zunächst degenerieren. Das gesamte sensible
Protoneuron dürfte durch den ihm eigentümlichen Entwicklungsgang zu
414 Tabes.
einem besonders vulnerablen Teile des Zentralnervensystems geworden sein.
Ein spezifische Aflinität metasyphilitischer Toxine für dieses Fasersystem
ist wahrscheinlich vorhanden; ebenso wahrscheinlich, daß nach der ur-
sprünglichen toxischen Schädigung dieser Bahnen die völlige anatomische
und physiologische Entartung derselben erst allmählich durch die mit der
normalen Funktion verbundene Abnützung im Sinne Edingers herbei-
geführt wird.
KÖSter (94) bringt einen wertvollen Beitrag zur Klinik und patho-
logischen Anatomie der Tabes und Taboparalyse des Kiodes-
alters. Im Prinzip ist die Tabes des Kindes und des Erwachsenen wohl
dieselbe Krankheit, hingegen bietet der Krankheitsverlauf der relativ sel-
tenen Kindertabes eine Reihe abweichender Momente. Das häutigste und
wichtigste ätiologische Moment für die Entwicklung der Tabes im Kindes-
alter ist in Verbindung mit einer vererbten Disposition die hereditäre Lues.
Unter den kindlichen Tabikern überwiegen die Mädchen. Die Kinder-
tabes nimmt ihren Anfang meist in der ersten Zeit der beginnenden Ge-
schlechtsreife. Auffallend häutige Frühsymptome sind die Erblindung
(Optikusatrophie) und Blasenstörungen. Im Gegensatze zum Erwachsenen
sind lanziuierende Schmerzen, Krisen, Parästhesien, Ataxien, Arthropathien
und Lähmungen der peripheren Nerven oder Augenmuskeln bei der Kinder-
tabes selten. Hingegen finden sich bei der letzteren, bereits im Beginne
Anisokorie, reflektorische oder absolute Pupillenstarre, Are-
flexie und das Rombergsche Zeichen. Der Gesamtverlauf der Kinder-
tabes ist, sofern keine progrediente Paralyse hinzutritt, sehr langsam und
milde. Verf. bringt ferner einen sorgfältig anatomisch untersuchten Fall
von Kindertabes mit progressiver Paralyse. Er betraf ein ISjähriges Mäd-
chen, hereditär luetisch belastet. Die Erkrankung begann vor 8 Jahren
mit reißenden Schmerzen in fast allen Gliedern. Mit 13 Jahren trat Er-
blindung auf (Optikusatrophie). Absolute Pupillenstarre des einen Auges,
nach drei Jahren auch des anderen Auges. Dazu Verlust der Patellarreflexe
und eine angeborene Imbezillität. Keine objektiven Gefühlsstörungen; auch
die Schmerzen in den Gliedern verloren sich völlig mit dem Eintritte der
Erblindung. Mit 15 Jahren traten psychische Störungen (Halluzinationen,
literale Ataxie, läppische Handlungen, Schimpfen, Unreinlichkeit, Intellekt-
verfall) auf, die in völliger Verblödung endeten. Dazu gesellte sich eine
spastische Lähmung mit Kontrakturen aller 4 Gliedmaßen. Die ana-
tomische Untersuchung des Gehirns ergab eine hämorrhagische Pachy-
meningitis, eine chronische Leptomeningitis und Ependymitis
granulosa, eine Atrophie und Hyperämie des Gehirns. Am Rücken-
mark fand sich eine ältere Degeneration der Hinterstränge und eine
jüngere Degeneration der Pyramiden-Seitenstränge und der Vorder-
stränge, desgl. derKleinhirnseitenstränge und derGowerschenBündel.
Lapinsky (100) unterscheidet zwei Formen von amyotrophischer
Tabes; die eine ist neuritischen Ursprunges und führt erst sekundär zu
Zellveränderungen im Rückenmarke (Dejerine), die andere Form verdankt
ihre Entstehung einer primären Veränderung der Vorderhornzellen.
Beide Formen unterscheiden sich sowohl klinisch wie anatomisch voneinander.
Bei der amyotrophischen Tabes mit Affektion der Vorderhörner trägt die
Verteilung der Lähmungen segmentalen Charakter, während sie sich bei
der neuritischen Form auf das Ausbreitungsgebiet des betreffenden er-
krankten Nerven beschränkt. Außerdem entwickeln sich bei der primären
Vorderhom - Mitbeteiligung die Muskelatrophien zuerst und erst später die
Paresen, beide sind asymmetrisch und erinnern in ihrer Auswahl an den
Tabes. 4X5
Typus Duchenne -Aran. Bei der neuritischen Form tritt im Gegensatze
hierzu Torerst die Parese auf, hierauf folgt die Atrophie; außerdem fehlt
das für den spinalen Ursprung sprechende fibrilläre Zittern, hingegen besteht die
für eine periphere Erkrankung sprechende elektrische Entartungs-Reaktion,
Bei beiden Formen wird die Muskulatur elektiv befallen. Die Erkrankung
der Vorderhömer bei der Tabes tritt entweder diffus auf beiden Seiten und
in mehreren Segmenten oder herdweise, namentlich in den zentralen und
hinteren äußeren Gruppen eines Segments, häutig nur einseitig auf. In den
flerdaffektionen lassen sich hiatologisch Verengerungen der kleinen Gefäße
oder Kapillaren, Degenerationen der Kollateralen der hinteren Wurzeln,
atrophierte Vorderhomzellen und schließlich zerfallende Pyramidenfasern nach-
weisen. Auf die Verengerungen der kleinön Gefäße bezw. die ungenügende
Blutzufuhr sind die anämischen Ernährungsstörungen sowie die sekundäre
Atrophie in den zugehörigen Vorderhornzellgruppen zu beziehen. Die dege-
nerierenden langen Kollateralen und Pjramidenbahnen können zur Schädigung
der Vorderhomzellen führen, teils durch Verringerung der Impulsleitung,
teils durch Kompression der Vorderhornzelldendriten seitens der quellenden,
degenerierten Fasern. Charakteristisch für die etagenförmige Erkrankung
der grauen Substanz des Rückenmarks ist die gleichzeitige Affektiou der
motorischen und sensiblen Funktionen eines Segments, während die be-
nachbarten Gebiete keine Veränderung darbieten.
Donath (49) berichtet über einen Fall von Wiederkehr des Knie-
phänomens bei einem 33 jähr., nie luetisch gewesenen Tabiker. Derselbe
bot folgenden Symptomenkomplex: Lanzinierende Schmerzen, Hypalgesie der
Beine, träge Harnentleerung, Abnahme der Potenz, am linken Auge
Ophthalmoplegia intenia mit Ptosis, am rechten Auge Unregelmäßigkeit der
Pupille und herabgesetzter Lichtreflex. 5 Monate später Westphalsches
Zeichen, welches nach 3 Monaten abermals konstatiert wurde, gleichwie das
Fehlen der Achillessehnenreflexe. Der Kranke wurde mit Jodnatrium,
Quecksilberjodid, Elektrizität und roborierend behandelt. 22 Monaten nach
dem ersten konstatierten Verschwinden traten die Patellar- und Achilles-
sehnenreflexe wieder auf, nach weiteren fünf Monaten waren die Kniereflexe
sogar lebhaft. Gleichzeitig gingen auch die anderen Erscheinungen zurück;
die linke Pupille zeigte wieder Akkommodations- und Konvergenzreaktion.
Nach 2 weiteren Jahren waren jedoch beide Pupillen lichtstarr und ungleich.
Donath führt die allmähliche "Wiederkehr und Erstarkung des Knie-
phänomens, welche ohne Hinzutreten von Hemiplegie, aber parallel
mit der allgemeinen Besserung der Krankheitserscheinungen erfolgte, auf eine
reparable Läsion des spinalen Reflexzentrums zurück.
Gancher und Dobrovici (67) beschreiben einen Fall von tro-
phischer Störung des Oberkiefers und von tiefgreifenden Ge-
schwüren an beiden Sohlen. Einer 48jährigen Frau ohne luetische
Antezedentien fielen innerhalb weniger Wochen spontan und schmerzlos die
Oberzähne aus; der Alveolarfortsatz des Oberkiefers wurde ohne entzünd-
liche Begleiterscheinungen total resorbiert. An beiden Fußsohlen entwickelten
sich tiefe schmerzlose Geschwüre. Romberg, Westphal und Argyll Robertson
waren positiv, es bestanden außerdem lanzinierende Schmerzen und Magen-
krisen. Beide Füße bis zu den Knöcheln, desgleichen die Schleimhaut der
Oberkiefer und der entsprechenden Wangenteile waren total anästhetisch
und analgetisch; die Zunge und die übrige Mundhöhle waren normal em-
pfindlich.
Über den Zusammenhang zwischen Tabes und Psychose herrschen
▼erschiedene Anschauungen. Die einen Autoren führen die Psychosen bei
416 Tabes.
der Tabes auf den Übergang des tabischen Prozesses auf das Gehirn zurück.
Andere Autoren verneinen irgend welchen pathogenetischen Zusammenhang
zwischen beiden Kranklieitsformen und seilen in dem Auftreten der Psychose
bei der Tabes nur eine bei der Häufigkeit beider Krankheiten nicht seltene
Komplikation. Eine dritte Gruppe von Autoren nimmt einen vermittelnden
Standpunkt ein; danach soll die Tabes als solche durch die Rückwirkung
verschiedener Symptome wie Schmerzen, Blindheit, Ataxie, langdauerndo Auf-
regung infolge von Schmerzen, Schlaflosigkeit, allgemeine ErnährungsstörungeD,
zu Wahnideen führen können. Der letzteren Ansicht pflichtet auch Born-
stein (22) bei. Nach ihm ist das häufigste psychopathische Symptom bei
der Tabes die Halluzination; aiß hat ihren Ursprung entweder in der Seh-
nervenatrophie oder in den schmerzhaften Sensationen der Tabiker. Bei
Kranken ohne tiefere psychopathische Disposition können auf dem Boden
starker sensibler Überreizung nur Halluzinationen ohne eigentliche Psychose
entstehen; nur bei hereditär psychopathisch Belasteten können sich unter
denselben Umständen wirkliche Psychosen, vorzugsweise Paranoia, Melancholie,
Hypochondrie entwickeln.
Dubossarsky (51) betont das familiäre bezw. hereditäre
Moment bei der Entstehung der Tabes und führt 7 Fälle ohne luetische
Antezedentien an. Er vertritt die Theorie vom „geborenen Tabiker" und
führt die Seltenheit der Tabes bei den Juden nicht auf die Seltenheit der
Syphilis bei denselben zurück, sondern darauf, daß sie sich wenig physischen
Ueberanstrengungen und Exzessen aussetzen.
Sophie Strisower (167) kommt in ihrer Dissertation zu dem
Schluß, daß die trophischen Störungen bei Tabes in keiner Beziehung zu
Sensibilitätsstörungen stehen.
Kuhn (96) betont die ungenügende Quecksilberbehandlung der Lues
bei der Tabes und Paralyse. Er eruierte bei 122 in einem Jahre in der
Aufnahme der Königlichen Charite zur Beobachtung gelangten Tabikem bezw.
Paralytikern bei 88 Syphilis, von denen nur 3 Fälle mehr als 2 Hg-K
durchgemacht hatten. 59 hatten höchstens eine, dazu oft ungenügende
und unsachgemäße Kur und 15 überhaupt keine Kuren durchgemacht.
Curschmann (40) fand bei einem 39jähriger Tabiker (mit Ver-
dacht auf Paralyse) folgende Störungen der Augenbewegung, eine doppel-
seitige Abduzensparese, Nystagmus, Konvergenzkränipfe sowohl bei inten-
dierter Konvergenz als auch bei lateraler Blickrichtung des jeweilig abdu-
zierten Auges, desgl. beim Blick nach oben. Die Pupillen waren difierent
und verengerten sich während des Konvergenzkrampfes, der Fundus war
normal. Verf. bespricht ferner die difl'erentielle Unterscheidung der tabischen
von den hysterischen Konvergenzkrämpfen. Die letzteren sind meist nicht
isoliert, sondern oft mit Blepharospasmus schwerster Fonn, desgleichen mit
Nystagmus und Ptosis verbunden; sie dauern meist länger als die nur
sekundenlang andauernden tabischen Krämpfe und treten auch in der Ruhe,
rein psychogen — bei der Tabes nur bei Fixationsbewegungen — auf. Die
tabisch paralytischen Konvergenzkrämpfe pflegten ohne Schmerzen oder
wesentliche Stöningen des Sehvermögens einherzugehen.
Feilchenfeld (59) beschreibt einen Fall von sensorischer Ataxie der
Augenmuskeln bei einem Tabiker, der wohl nach jeder Richtung hin fixieren
konnte, aber auf die Aufforderung, seitlich oder nach oben bezw. unten zu
blicken, einen maximalen Konvergenzkrampf bekommt. F. führt diese Er-
scheinung auf den Ausfall der „Binnenemptindungen" zurück, die normaler-
weise im Bulbus und der ganzen Orbita gefühlt^ werden und die Koordina-
tion der Augenbewegungen regulieren.
Tabes. 41 7
Catdla (29) berichtet aus dem Laboratorium toq Pierre Marie über
den Banchdeckenreflex bei der Tabes dorsalis. Er hat bei 38, fast durch-
wegs Torgeschrittenen Fällen von Tabes in 15 Fällen (42 \) die Bauch-
deckpDreflexe normal gefunden. Fehlen des Bauchdeckenreflexes fand sich
Dar in 48% der Fälle. Auf Grund dieser statistischen Beobachtungen
Begiert er die Annahme, daß bei der Tabes die Abdominalreflexe ver-
sehwinden; sie blieben selbst in der dritten Periode der Tabes fast in der
Hälfte der Fälle bestehen.
Trevelyan (172) berichtet über eine tabische Familie. Die Fitem
uod deren älteste Tochter sind tabisch; erworbene Syphilis ist nicht nach-
ireisbar.
GrOWera (73) bekennt sich als Anhänger der Tabes-Syphilislehre. Er
ahn das Verschwinden der Sehnenreflexe und des Muskeltonus auf die
Muskelanästhesie zurück.
Abadie (1) berichtet über eine 41jährige Tabika, die seit der letzten
Entbindimg (vor 2 Jahren) an periodischen, einmal monatlich auftretenden
Weheokiisen leidet, die mehrere Stunden andauern und schmerzhafter waren
iis die Wehen bei einer wirklichen Entbindung.
Nach Bauer und Dobrovitch (Ha) werden die Magenkrisen bei
morphinistisctien Tabikern derart prolongiert, daß oft die freien Interralle
ganz aufhören. Morphiumentziehungsknren sind in diesen Fällen durch*
zuführen.
Bernhardt (16) beschreibt eine 39jährige Tabika mit isolierter Läh-
mung des rechten N. suprascapularis.
Collon (34 a) betont auf Grund von 12 Beobachtungen und 9 ana*
UHnisehen Untersuchungen die klinische und anatomische Kongruenz zwischen
der Tabes und der progressiven Paralyse.
Fanre (68) beschreibt die Ataxie der Atemmuskeln, namentlich des
Zwerchfells bei Tabikern.
Knaoliew (98) berichtet über zwei Fälle Ton Tabes mit Wirbel*
rerkrümmangen.
Parhon und Papinian (120) berichten über die Komplikation der
Tabes mit Seitenstrangerkrankung und Glykosurie.
Sabraxes (145) beschreibt unwillkürliche athetoide Fingerbewegungen
bei 5 Tabikern.
Crouzcm (39) hat bei 3 Tabikern Höhlenbildungen im Rückenmark
gefaDden, zweimal im Halsmark, einmal im Lendenmark. Er führt dieselben
gleich Marie auf Lymphstauungen im Gefolge des tabischen Prozesses
zurück.
Sonqnes und Vincent (160) berichten über einen Fall von Tabes
aperior mit luetischer Basilarmeningitis. Klinisch bestanden spastische
Parese and multiple Himnervenlähmungen (Vagus, Hypoglossus, Okulomo-
torios), reflektorische Pupillenstarre.
Köster (96) gibt in seinem Buche zur Physiologie der Spinal-
ganglien und der trophischen Nerven, sowie zur Pathogenese der Tabes
«ioTKÜis eine B«ihe wichtiger experimenteller Untersuchungen. Nach Durch-
schneidung der hinteren Wurzeln traten bei seinen Versuchstieren tabesartige
VemderuDgen in den Spinalganglien auf. Die Wurzelerkrankung bei der
Tabes dürfte demnach das Primäre sein.
Eeiehhardt (136) hat in einem Falle von Paralyse, bei dem reflek-
torische Pnpillenstaxre das einzige objektive Symptom war, eine zirkumskripte
Degeneration in der Bechterewschen Zwischenzone (zwischen Gollschen
wd Burdachschen Strängea) geAmden und zwar in der Höhe des 2. und
Jahresbericht f. Neurologie und Psychiatrie i»06. 27
418 Tabes.
3. Halsnerven. Die Entartung dieser Fasern fand er konstant bei zahl-
reichen Fällen von Tabikern und Paralytikern, die reflektorische Pupillen-
starre dargeboten hatten.
Spielmeyer (161, 162) kommt auf Grund exakter histologischer
Untersuchungen (oach Cajals Achsenzylindermethode und Weigerts
Neurogliafärbung) zu folgenden Schlußfolgerungen:
Das Achsenzylinderpräparat Cajals ergänzt das Markscheidenbild,
das auch über das Verhalten des marklosen Nervengewebes Aufschluß gibt;
es zeigt in den zentralen Fndstätten des erkrankten sensiblen ProtooeuroDS
die Ausfälle der pericellulären Neuritenausläufer an. Besonders markant
sind die Bilder aus der Clarkeschen Säule und aus den Hinterstrangs-
kernen. Das Gliapräparat gibt das Positiv zu diesen Befunden, nämlich
eine Wucherung der gliösen Begleitfasern an Stelle der atrophierten Hinter-
wurzelfasern, eine diffuse Vermehrung der Stützsubstanz (Gollscher Kern)
und eine exquisite pericelluläre Gliawucherung (Clarkesche Säulen). Die
Anordnung des Stützgewebes in den tabischen Hintersträngen scheint nicht
allein von der Richtung der atrophierten Nervenfasern, sondern auch von
statischen Momenten für die Anordnung der Neurogliafasern abzuhängen.
Die Glia dürfte sich ähnlich verhalten wie die eigentlichen Bindcsubstauzen.
Entsprechend der Gliavermehrung in der Kleinhirnrinde (Weigert) lassen
sich im Caja Ischen Achsenzylinderpräparat deutliche Faserausfälle in der
molekularen Schicht, namentlich in den Dendriten der Purkinj eschen Zellen,
nachweisen.
Erb (56) gibt in der „Deutschen Klinik" eine monographische
Darstellung der Tabes dorsalis; der berühmte Meister faßt in dieser
126 Seiten starken Arbeit seine 30jährigen Erfahrungen über dieses an
Streitfragen überreiche Krankheitsgebiet zusammen. In eingehender
und klarer Art werden die Geschichte, die Ursachen, Symptome, ana-
tomischen Befunde, desgl. die verschiedenen Verlaufsarten und die diffe-
rentielle Diagnose, die Prognose und Therapie besprochen. Ein glänzendes
Kapitel bildet die pathologische Physiologie der Tabes, desgl. die Pathogenese
der einzelnen Symptome. In ätiologischer Beziehung betont Verf. eindringlich
seinen Standpunkt von der syphilogenen Entstehung der Tabes (vgl. den
vorigen Jahresbericht), Auch in therapeutischer Beziehung empfiehlt Erb
nachdrücklich die antiluetische Kur. Bezüglich der Pathogenese der Ataxie
erkennt Erb auch heute noch nicht die sensorische Theorie als vollkommen
sicher an, wenn sie auch besser fundiert zu sein scheint als die motorische;
die Möglichkeit von Störungen in zentrifugalen, koordinatorischen Bahnen
ist nicht ausgeschlossen, wenn auch deren Sitz im Rückenmarke noch hypo-
thetisch ist. Es ist unmöglich, in einem kurzen Keferate einen genügenden
Überblick über die auf reichster eigener Forschung und nmfassendei
Kenntnis der älteren und neuesten Literatur beruhende Arbeit zu geben.
Es sei daher das Studium des Originals eindringlich empfohlen.
Goldflam (71) berichtet über die Todesursachen der Tabischen.
Nur selten erfolgt der Tod durch tabische Symptome, meist handelt es sich
um Komplikationen, z. B. Dekubitus, Cystitis^ Pyelitis oder interkurrente
Erkrankungen. In seltenen Fällen kann der Exitus frühzeitig und plötz-
lich erfolgen, z. ß. durch Larynxkrisen oder auch durch sehr heftige
Magenkrisen mit profusem Blutverlust, durch Schluckpneumonie, durch Fett-
embolie bei den Spontanfrakturen, durch Herzlähmung bei bulbärer Tabes:
weiterhin durch die bei Tabikern relativ häufigen Apoplexien oder Herz-
fehler (Aneurysma, Aorteninsuffizienz), desgleichen im Gefolge stenokardischei
Anfälle. Letztere sind entweder auf eine Vagusneuralgie (Herzkrise) oda
Tabes. 419
aufErkranklingeD der CoroDaraxterien zurückzuführen. Viele der genauntea
gefahrfollen Komplikationen, Gehimapoplexie, Aneurysma aortae und Coronar-
skleroae fuhrt der Autor auf die syphilitische Ätiologie der Tabes zurück.
Stembo (166) beschreibt zwei Fälle von Singultuskrisen bei Tabes,
Es handelte sich um sehr heftige, oft über Tag und Nacht ausgedehnte
Anfälle TOB Schluchzkrämpfen. Die Zahl der Schluchzstöße betrug 80 bis
100 in der Minute. Verf. empfiehlt dagegen Magenspülungen und rektale
Ernährung.
Pur jene Tabesfälle, wo die Prodromalerscheinung der Rückenmarks-
erkrankung eine scheinbar selbständige Nervenkrankheit sein kann, schildert
HadOYemig (91) swei Fälle: 1. 46 jähriger Mann, mit ungewisser Lues,
litt 6 Jahre an Neuralgie des rechten Trigeminus, welche jeder Behandlung,
aoch chirurgischer, trotzte; nach 6 Jahren Blasenstörungen, bei unverändertem
Fortbestande der Neuralgie; derzeit typische Tabes. 2. 38jährige Frau, mit
wahrscheinlicher Lues, litt 3 Jahre an hemikranischen Schmerzanfällen, in
derem Verlaufe sich nach 3 Jahren Gürtelgefühl, später Inkontinenz zeigte.
Derzeit PnpillendiSerenz, rechts lichtstarr, verminderter Achillessehnenreflex.
Für diese Art von Prodromalerscheinungen betont Verf. als charakteristisch
die Isoliertheit und das unveränderte Bestehen derselben, wie von
Horavcsik für die Prodromalerscheinungen der Paralyse betont wurde.
Verf. erwähnt noch kurz einen Fall von Tabes, bei welchem während eines
Jahres als erstes Zeichen der Krankheit Klitoriskrisen nachweisbar waren.
(Htidovemig,)
Hudovemig (90) fand das gleichzeitige Bestehen von Tabes und
Basedowscher Krankheit bei einer 53jährigen, nicht belasteten Frau, mit
wahrscheinlicher Lues. Vollkommene Amaurose, heftige Lauzinationen,
tiürtelgefühl und Ataxie seit 6, subjektive Basedow-Symptome seit 1 Jahr.
Status: Exophthalmus, Pupillen difl*erenz, Lichtreaktion links träge, rechts
fehlend; beiderseits Amaurose und Sehnervenatrophie. Rectus ext. rechts
gelähmt; Stellwagsches Zeichen. Struma. Westphal. Achillessehnenreflexe
fehlend. Ataktischer Gang. Puls 120. Tremor der Hände. Systolisches
Herzgeräusch. Keine Verschlimmerung der Ataxie seit Bestand der Amau-
rose. (Hudcveimig.)
Frey (61) beobachtete bei einem Tabiker (Lues, lanziuierende
Schmerzen, Argyll-Robertson, lebhafte Kniephänomene, links geschwächter
Achillessehnenreflex, beginnende Optikusatrophie) eine Drucklähmung des
Radialis mit partieller EaR. Frey bezeichnet dieselbe als selbständige Er-
krankung, deren Zustandekommen durch die Tabes erleichtert wurde (Dis-
position zu organischer Lähmung durch die Tabes) und hält die Prognose
wegen des Grundleidens und der EaR. für eine ungünstige. Li der Diskussion
bezweifelt Salg 6 die Tabes und hält das ganze Bild für multiple luetische
Erkrankung, Sarbo hält die Diagnose Tabes für unzweifelhaft, kann sich
aber der Annahme einer luetischen Neuritis des Radialis nicht ganz ver-
schließen, Schaff er stellt sich auf den Standpunkt des Vortragenden und sieht
keinen Grund für eine antiluetische Behandlung. Gelegentlich einer neuer-
Uchen Vorstellung nach einem Monate war die Radialislähmung ohne anti-
luetische Behandlung geheilt, bei unverändertem Bestände der Tabessymp-
tome. Vortragender betont, das trotz bestehender Tabes und EaR. die Heilung
unerwartet rasch erfolgt war, und folgert daraus, daß die Tabes wohl zum
Zustandekommen von organischen Lähmungen disponiert; die Prognose solcher
Fälle kann nicht a priori als schlecht bezeichnet werden; auch deutet die
EaR. nicht immer auf schlechte Prognose. (Hudovemig,)
27*
420 Tabes.
Die mannigfaltigen Störungen auf motorischem Gebiete — mit Aus-
schluß der Ataxie — die bei Tabes zur Ausbildung gelangen, werden von
Oiannuli (70) besprochen unter Heranziehung persönlicher Beobachtungen,
die an 200 Fällen gesammelt werden konnten. Die Störungen auf diesem
Gebiete werden als Symptome der Tabes angesehen, verursacht durch die^
selben ätiologischen Momente, die die übrigen tabischen Symptome auslösen,
nicht als akzidentelle etwa syphilitische Erkrankungszeichen. Es können
gleichzeitig verschiedene motorische Gebiete in Mitleidenschaft gezogen sein,
selten sind Lähmungen der Extremitäten. Als allgemein motorische Störungen
werden Anfälle, Tremor, vorübergehende Hemi- ulid Monoplegien erwähnt.
G. zählt weiterhin die Gründe auf, die ihm für die Identität des
tabischen und paralytischen Prozesses zu sprechen scheinen. Bei dieser
Aufzählung kommt unseres Erachtens die pathologische Anatomie viel zu
kurz weg. Besonders wichtig scheint G. die Konstatierung der Tatsache zu
sein, daß sowohl bei der Tabes wie bei der Paralyse Systeme getroffen
werden, die funktionell große Analogien zu einander besitzen, nämlich die
spinalen sensiblen Bahnen, resp. die kortikalen psycho-sensorischen Bahnen,
die nach Ansicht des G. vielleicht gerade deshalb getroffen werden, weil
dieselben physiologisch am meisten in Anspruch genommen werden sollen.
Die letztgenannte Hypothese soll auch Geltung haben bei der Erklärung,
warum gerade vorzüglich bestimmte motorische Leistungen bei der Tabes
durch die tabische Erkrankung ausgeschaltet zu werden pflegen.
(Merzbachei\)
V. Bechterew (15) betont abermals die Bedeutung der Muskel-
sensibilitätsprüfung für die Frühdiagnose der Tabes. Die herab-
gesetzte Druckempfindlichkeit der Muskeln (namentlich an den Beinen, be-
sonders au der Wade, oft mit Analgesie des Nervus popliteus verbunden)
gehört zu den konstanten Erscheinungen bei der Tabes. Dieses Symptom
ist differentialdiagnostisch zu verwerten gegenüber der tabischen Form der
multiplen Neuritis, bei welcher in der Regel eine gesteigerte Druckempfind-
lichkeit der Nervenstämme und Muskeln besteht. Zur Untersuchung auf
Muskelempfindung hat V.Bechterew einen Zirkel konstruiert, dessen Enden
durch dosierbare Spiralfederkraft gegeneinander gepreßt werden können und
dadurch einen regulierbaren Druck auf die interponierten Muskeln und Nerven
ausüben können. Der Apparat führt den Namen Myosthosiometer.
Hirtz und Lemaire (87) geben eine Übersicht über 46 in der
Literatur als infantile bezw. juvenile Tabes beschriebene Fälle und reihen
daran eine »eigene Beobachtung. Die Verff. betonen gleich anderen Autoren
das häufige Vorkommen initialer Amaurose und Harninkontiueuz bei der
Kindertabes. In ätiologischer Beziehung spielte nebst der in der Regel
hereditären Lues noch die neuropathische Belastung eine große Rolle.
Bei der 14 jährigen Patientin DobrochotofTs (48) waren die ersten
Tabes-Symptome in ihrem 12. Jahre, bei dem 21 jährigen Patienten in seinem
16. Jahre aufgetreten. Die Mutter der Patientin starb an progressiver
Paralyse, der Vater leidet an Tabes. (Krön.)
Gatöla und Lewandowsky (30) haben an dem reichen Tabiker-
material der Hospico de Bicetre (P. Marie) die Angabe O. Fo erster s
nachgeprüft, wonach bei der tabischen Ataxie die Synergie z. B. zwischen
den Handgelenksstreckern und Fingerbeugern bei Faustschluß verloren gehen
kann. Die Vei-ff. haben hingegen selbst bei sehr schweren Fällen mit fast
totaler Vernichtung der Sensibilität die Synergie intakt gefunden; daher die
Schlußfolgerung, daß die Synergie von der Sensibilität unabhängig
Tabei. 421
imd im ZentralnerTensystem besonders präformiert ist, sowie daß die sen-
soriscbe Ataxie nicht als Störung der Synergie aufzufassen * ist.
Cursclimanil (40 a) bringt einen wertrollen Beitrag zur lUethodik
der Muskel- und Gelenksensibilitätsbestimmung. Er empfiehlt als
beste Methode zur Prüfung des Kontraktionsgefühls die galvanomuskuläre
BeizQDg des einzelnen Muskels. Die Kontraktionsempfindung beim Gesunden
tritt stets bereits bei der Minimalzuckung des Muskels auf. Beim Krauken
z. B. bei einem hemihypästhetischen Hemiplegiker fand C. eine Herabsetzung
des KoDtraktionsgefühls am Bein, welche distalwärts zunahm. In ähnlicher
Alt läßt sich auch galvanomuskulärreizend die Minimalbewegung in einem
Gelenk angeben. Beim Gesunden beginnt die Bewegungsempfindung mit der
geiiogsteDy eben sichtbaren Minimalbewegung des Gelenks, zuweilen sogar
schon vor dieser. Bei Tabikeni, selbst bei anscheinend gar nicht ataktischen,
k(»nte Curschmann mittelst dieser Methoden Störungen des Gelenksinns
nachweisen, die distalwärts stärker wurden. Selbst bei Formes frustes von
Tabes, bei denen nach den gewöhnlichen Methoden der Nachweis einer
Störung der Tiefengefühle nicht gelang, ermöglicht die galvanomuskuläre
fieiznng den zahlenmäßigen Nachweis einer Abschwächung des Muskel-
kootraktionsgefühls und der Geleukbewegungsempfindung.
FrieiÜaender (62) hat bei 27 Tabikern, darunter 4 'schweren, sechs
mittleren und 17 leichten Ataxien, die Störungen der Gelenkempfindung
studiert Fast alle zeigten Störungen der Bewegungsempfindung, die sich
wem in den Zehengelenken einstellten und mit dem Fortschreiten der
Ataxie immer mehr proximalwärts aufstiegen. Lagestörungen fanden sich
in den Zehengelenken in 100 7o ^^r Fälle, in den Fußgelenken in 62 %,
io den Kniegelenken in 46 ^^ und in den Hüftgelenken in 29 "/o- Die
primäre Störung beim Tabischen betrifft das Lagegefühl, während die Be-
wegungsempfindung im Beginne der Erkrankung noch erhalten sein kann.
Trotz vöUig aufgehobener Lageempfindung können noch Reste von Bewegungs-
empfindung persistieren. Die Ausbreitung der Störungen der Bewegungs-
empfindung entspricht der Ausbreitung der Ataxie und schreitet systematisch
TOD den distalen Enden der Extremität proximalwärts fort. Die Lokalisation
und der Grad der Bewegungsempfindungsstörung gehen bei demselben
Kranken der Ataxie parallel; auf der Seite der stärkeren Ataxie besteht auch
die erheblichere Störung der Bewegungsempfindung. Hingegen verhalten sich
der Grad der Störungen der Bewegungsempfindungen und die Intensität der
Ataxie bei den einzelnen Tabikern nicht proportional. Es gibt Fälle von
geringer Ataxie und erheblicher Störung der Bewegungsempfindung, und
amgekehrt. Diese Inkongruenz tritt namentlich im Stehen und Gehen auf,
weniger im Liegen. Verf. macht für dieses Mißverhältnis folgende Umstände
Terantwortlich: individuelle Verhältnisse (geringere oder höhere Geschick-
lichkeit und Einübung), Störungen der Hautempfindung (namentlich An-
ästhesie der Fußsohlen), femer der Grad der Hypotonie, der durchaus nicht
in bestimmten Beziehungen zur bewußten, oberflächlichen und tieferen Sensi-
büität steht Bei der Entstehung der Ataxie spielt der Ausfall von un-
bewußten subkortikalen, cerebellaren und spinalen sensiblen Eindrücken eine
Rolle (Förster).
Bei einem 58jährigen Tabiker, der an einer starken Incontinentia
urinae litt, entwickelte sich am Frenulum des Gliedes ein indolentes Ge-
schwür, das erst nach monatelanger Dauer heilte. Der Penis war gänz-
lich anästhetisch. Als ätiologisches Moment bezeichnet Vitek (174) den
Druck von selten der harten gläsernen Unterlage der Urinflasche.
(Bendix,)
4^3 Tabes.
Etienne (57) führt zum Beweise, daß die tabische Arthropathie keine
gewöhnliche Artliritis deformaas ist, zwei Fälle an, bei denen sich im An-
schluß an subakuten Gelenkrheumatismus bei Tabikern plötzlich starke
Gelenkdeformitäten entwickelten. Der erste Fall betraf eine etwa 70 Jahre
alte Frau, die 40 Jahre vorher unter heftigen Schmerzen in den Beinen zu
leiden hatte und später verschiedene Attacken von subakutem Gelenkrheuma-
tismus durchmachte, die zu leichten Gelenkveränderuugen führten^ bis vor
etwa sechs Jahren plötzlich Arthropathien von extremster Stärke auftraten,
die E. zweifellos als vasomotorische, von der latent verlaufenen Tabes her-
rührende Stöi*ungen deutet. Im anderen Falle hat ein 55 jähriger Zimmer-
mann ein Trauma beider Kniee erlitten, welches leichte arthritische Ver-
änderungen derselben zurückgelassen hatte. Fünf Jahre später entwickelten
sich bei ihm die Symptome einer Tabes, und gleichzeitig trat ganz rapide
eine enorme Arthropathie beider Kniegelenke auf. Dieser Fall scheint
die Annahme zu bestätigen, daß die vasomotorisch - trophischen Gelenk-
störungen bei Tabikern in einer bestimmten Abhängigkeit von Traumen
stehen. (Bendix.)
Sabrazes (144) beobachtete bei Tabikern unwillkürliche Finger-
bewegungen, abwechselnd Adduktionen und Abduktionen, Opposition und
Friktion der Finger, nach Art der Zangenbewegungen, welche besonders
beim Sprechen auftraten. Diese Stereotypien haben mit der Ataxie nichts
zu tun. Geht man dem Ursprung dieser Stereotypien nach, so findet man,
daß sie im Gefolge von Beschwerden in den Händen, und zwar infolge von
abnormen Gefühlsempfindungen aufgetreten sind; ein Gefühl von Parästhesie
und Starrheit der Finger veranlaßt den Kranken, die Finger gegen einander
zu reiben, wie um sie wieder zu beleben. Diese motorische Reaktion gegen
die Gefühlsstörungen wiederholt sich, wird zur Gewohnheit und stellt sich
ein, sobald die Überwachung der Finger, wie beim Sprechen, dem Willen
entzogen ist. Die Stereotypien erinnern an die professionellen Finger-
bewegungen (Befühlen von Stoffen zwischen Daumen und Zeigefinger, Zupfen
von Werg). Diese Art von Zangenbewegungen belästigen die Kranken, die
sie lächerlich finden und zu unterdrücken versuchen, wenn sie sich beob-
achtet glauben ; sie halten dann die Finger hinter dem Kücken, überkrenzen
sie gewaltsam, stemmen sie gegen die Knie, schließen sie krampfhaft, machen
heftige Fingerbewegungen, vergraben sie in den Kleidern und Bettdecken
usw. Diese Stereotypien sind überraschend häufig, sodaß sie S. innerhalb
kurzer Zeit bei fünf Kranken beobachten konnte; sie sind bei Tabikern oft
nur angedeutet, sodaß man auf sie fahnden muß und bei ihrem Vorhanden-
sein ohne weiteres Verdacht auf Tabes schöpfen kann,
(Bendix.)^
Die mastikatorischen Geräusche bei Tabikern sind nach Sabrazos
(143) abhängig von Rauhigkeiten und Veränderungen der Artikulations-
flächen der Kiefergelenke (Arthropathie der Kiefergelenke mit abnormer
Beweglichkeit, die sich bis zur Subluxation nach vorn steigern kann).
(BenSx,)
Bhein (138) hatte Gelegenheit, einen mit Paralysis agitans kompli-
zierten Tabesfall zu obduzieren. Es handelte sich um einen 57jährigen
Mann, der mit den ersten Tabessymptomen zugleich einen rhythmischen
Tremor beider Hände erkennen ließ. R war nicht imstande, außer den
charakteristischen Veränderungen an den Hintersträngen, einen Befund zu
erheben, der die Paralysis agitans erklären könnte. (Bendix.)
Schmey (154) beschreibt einen Fall von isolierter Ataxie eines
Armes nach Trauma. Bei einem 45 jährigen Hauer entwickelte sich all-
Tabes. 423
mählich nach einem Brach der rechten Speiche oberhalb des Handgelenkes
eine Atrophie des rechten Oberarmes, verbunden mit Verlust des Trizeps-
uod Radiusreflexes und Ataxie des rechten Armes.
Enlschenko (97) beschreibt zwei Fälle von Tabes, bei denen
frühzeitig ataktische Bewegungsstörungen der Augäpfel bestanden, die
io einem Falle abklangen und einer Parese der Augenmuskeln Platz
machten.
HndOTemig nnd Oussman (92) fanden bei 50 tertiär syphi-
listischen Ejanken, bei denen seit der Infektion mindestens drei Jahre
Teistrichen waren, nur in 44 Prozent ein gesundes Nervensystem, in allen
übrigen Fallen Tabes dorsalis, progressive Paralyse und Taboparalyse. Verf.
lassen hierbei die Frage offen, wieviel Syphilitiker überhaupt in das tertiäre
Stadiom gelangen. 46 Prozent dieser Kranken sind überhaupt nicht anti-
luetisch behandelt worden, bloß 6 Ejranke (12 Prozent) sind hinreichend
behandelt worden. Ein gesundes Nervensystem fand sich bei 22 Tertiär-
Sjphihtikern; kombinierte Systemerkrankungen und verdächtige Fälle be-
standen 5 mal, Tabes ließ sich 12 mal, Paralyse 7 mal und Taboparalyse
4mal nachweisen. Bei 64 Prozent der an Tabes oder progressiver
Paralyse Erkrankten bestand außerdem hereditäre Belastung (Psychosen,
schwere Nervenkrankheiten, Alkoholismus in der Aszendenz usw.), hiervon
Terteilen sich 75 Prozent auf das männliche und 57 Prozent auf das weib-
liche Geschlecht. Es kommt somit dem hereditären Momente eine ent-
schieden prädisponierende Kolle zu. Auffallend ist, daß nach den
Uatersuchungen der Verf. eine vorangegangene antiluetische Be-
handlung keinen Einfluß auf die etwaige Entwicklung der Tabes
hatte; im Gegenteile, die hinreichend behandelten Syphilitiker haben nach
der Zusammenstellung der V. noch mehr Chancen zu Nervensystem-
erkrankungen als die minder ausgiebig behandelten Fälle. So fand sich
das kürzeste Intervall, (1 Jahr) zwischen Infektion und Tabesbeginn gerade
hei einem hinreichend behandelten Luetiker, während sich das größte
IntervaU (27 Jahre) bei einem vorher kaum antiluetisch behandelten vor-
fand. Ebensowenig ließen sich einheitliche Befunde über den Erfolg der
antilaetischen Behandlung bei tertiären Syphilitikern nachweisen; in einigen
Fallen schritten die objektiven Krankheitszeichen, Pupillen- und Keflex-
störungen, trotz der gleichzeitigen antiluetischen Kur* weiter.
RaUBChke (130) demonstriert einen Fall von Herpes zoster bei
Tabes dorsalis. Die erste Zostereruption stellte sich gleichzeitig mit der
ersten gastrischen Krise ein und zog sich vom 6. und 7. Brustwirbeldorn
Khräg nach links unten außen. Eine andere Zostereruption erfolgte gleich-
tmüg mit einer Blasenkrise und erstreckte sich vom 2. und 3. Lendeudorn
nach Ünks aus. Dieser Zusammenhang zwischen beiden Herpeseruptionen
nnd den Magen- bezw. Blasenkrisen bestätigt die Head'schen Angaben über
die Beziehung zwischen den inneren Organen und bestimmten Hautbezirken.
In der Diskussion berichtete Seiffer über einen Tabiker, der seit Jahren
jedesmal, wenn er lanzinierende Schmerzen bekam, einen Herpesausbruch
im Gebiete des ersten Lumbaisegments bekam.
Bregman (24) berichtet über den Zusammenhang zwischen Sehnen-
reflexen und Sensibilitätsstörungen; er beschreibt 3 Frühfälle von Tabes, bei
denen die Achillessehnenreflexe geschwunden und die Patellarreflexe,
wenn auch ungleich stark erhalten waren. Ins Anatomische übersetzt be-
deutet dies, daß das Sakralmark früher und stärker erkrankt als das Lenden-
majrk. In einem Falle waren die Kniereflexe bei der ersten Untersuchung
ungleich, der rechte lebhaft, der linke schwach; nach zwei Wochen waren
424 Tabes.
beide Kniereflexe schwer aaslösbar und nach drei Wochen Töllig eriosclieo.
In einem anderen Falle bestand eine Kongraenz zwischen dem BeflexTerlost
und den Sensibilitätsstörongen; es bestanden nämlich in dem Innervations-
gebiete des I. Sakralsegments und des Y. Lnmbalsegments, welehe dem
Zentrum des Achillessehnenreflexes entsprechen, erhebliche Seosibilitäts-
stömngen.
Lazarews (lOl) Fall von Tabes im jugendlichen Alter betraf eise
19 jährige Dienstmagd , deren Krankheit drei Jahre rorber mit Eiflschlafen
der rechten Faßsohle in der Nähe der Zehen begann. Ein Jahr später trat
diese Erscheinung auch in der linken Fußsohle aul Zu dieser Zeit bemerkte
sie zuerst, daß die Bewegungen des rechten Beines ihr Schwierigkeiten
machten. Nach einem Jahre sind dieselben auch am linken Bein erschwert
Vor einem Jahre trat Stechen in den Knien und Hacken auf. Das
Westphalsche, Rombergsche^ Argyll-Robertsonsche Symptom und die
stechenden Schmerzen in den Beinen, ebenso wie der Wurzeltypus der
SensibilitätSRtörungen sprachen für die Annahme einer Tabes. Hereditäre
Lues schien in dem Falle nicht vorhanden zu sein. (Bendü.)
Croner (38) polemisiert gegen die theoretischen Bedenken Bosen-
bachs gegen die Angaben Yon C. über die syphilitische Ätiologie seiner
publizierten Fälle Ton Tabes. (Bendix,)
Nemnann (117) teilt einen Fall von typischen tabischen Magenkiisen
bei einem 37 jährigen Postexpedienten mit^ bei dem sich die Magenkrisen
mit Blutbrechen komplizierten. N. hält es für nicht bewiesen^ daß die»
Blutungen mit trophischen Störungen in der Magenschleimhaut zusammen-
hängen, sondern erklärt sie durch einfache mechanische Vorgänge beim Er-
brechen.
Er hält ätiologisch für die Hämatomese bei Tabikern die enorme Blat-
drucksteigerung für verantwortlich, wodurch Zerreißungen in kleineren oder
größeren Gefäßen zu stände kommen. (Bendix,)
Determann (44) betont, daß die Edingersche Theorie von den
Aufbrauchkrankheiten auch für uns in frühdiagnostischer Beziehung der
Tabes von großer Wichtigkeit ist. Vor allem sei es notwendig, nach Früh-
symptomen der Tabes zu forschen, um in umfassendster Weise die Behand-
lung einzuleiten. Dabei seien drei Indikationen zu erfüllen: 1. müsse der
geschädigte oder vergiftete Boden durch Beseitigung der &mndursaeheni
also meistens die Entfernung des Giftes, wieder zu einem möglichst
normalen gemacht werden. 2. Müsse jede Überfunktion, aber auch teilweise
die gewohnte Funktion ausgeschaltet werden, um den anatomischen Herd zo
lokalisieren. 3. Müsse das Verhältnis von Verbrauch und Ersatz, also
Funktions- und Nahrungszufuhr, dem Einzelfall angepaßt und geregelt werden,
um auch von dem erkrankten G-ewebe einiges wieder in normale JBmährungs-
Verhältnisse zu bringen und manche schon schwer erschöpften Zellen unc
Nerven der normalen Funktion zurück zu erobern. (Bendix.)
Hochsinger (89) teilt die Krankengeschichte eines 20 jährigen Mannei
mit, der kongenitalluetisch war und im 5. Lebensjahre an Lebersyphilis unc
paroxysmaler Hämoglobinurie gelitten hatte. Im 10. Lebensjahre erkrankt!
er an einer partiellen Okulomotorius-Lähmung und an Erscheinnngen voi
Hirnlues. Im 12. Jahre hatte er Enuresis, eine Aortenaifektion and neur-
asthenische Beschwerden gehabt, und im 17. Lebensjahre stellten sich be
ihm die ersten Erscheinungen der Tabes in Verbindung mit Infantilismui
heredolueticus ein. (Bendis.)
Von den drei Tabesfällen, die Hawthome (79) mitteilt, bot dei
erste als Frühsymptome neuralgiforme Schmerzen dar. Bei dem zweitei
Tabes. 425
begann die Tabes mit Sefastörungea und Optikusatrophie und bei dem
dritten Falle leiteten Augenmuskelparesen resp. Doppelsehen die Krankheit
ein. (Bendiv.)
von Baits (129) kommt auf Grund seiner Erfahrungen zu dem
Schloß, daß verschiedene Faktoren bei der Ätiologie der Tabes mitsprechen,
und es nicht bewiesen ist, daß Syphilis die Ursache der Tabes ist Wenn
auch Lues in der Anamnese vieler Tabiker vorkomme, so sei damit doch
nicht die syphilitische Natur des Leidens bewiesen. (Bendix.)
Soy (141) beobachtete bei einem nicht bettlägerigen Tabiker einen
trpischeo Dekubitus am os sacmm, der ohne irgend eine äußere Ursache
entstanden war. Es handelte sich um eine 50 jährige Frau, die seit 10 Jahren
an Tabes litt. R. vergleicht diese Schorfbildung mit dem Mal perforant
and bringt sie in direkte Beziehung zu trophischen, von den erkrankten
Nerren herrührenden Alterationen. (Bendix.)
Hrttz (81) hat den Einfluß der Kohlensäurebädei: auf die Sensibilitäts-
storungen der Tabiker studiert. Er will beobachtet haben, daß durch die
kohlensauren Bäder die kutanen und tiefen Sensibilitätsstörungen zur Norm
inriickkehrten. Das Urinlassen besserte sich, die Analgesien schwanden.
Sehr häufig besserte sich das stereognostische Gefühl und das Gefühl für
passive Bewegungen. (Bendix.)
Milift.li (112) fand, daß bei den meisten Tabikem die Potenz erhalten
bleibt. Impotenz tritt meist auf bei den an Blasenstörungen Leidenden. Die
Prnchtbarkeit der Tabes scheint vermindert und auf die überstandene Lues
xorück zu führen zu sein. Auch die Sterblichkeit der Kinder von Tabikem
hängt mit der Syphilis zusammen. Die meisten hereditären Tabesfälle offen-
baren sich als Priedreichsche Krankheit, doch kommen auch echte here-
ditäre vererbte Tabes vor. Auch hier spielt die Erbsyphilis ätiologisch eine
Bolle. Die Kinder von Tabikem disponieren sehr zu Nervenleiden, allein
nieht anders, wie alle an Erbsyphilis Leidenden. Vor allem haben sie die
Prädisposition zu Rückenmarkskrankheiten von ihren tabischen Eltern geerbt.
(BeTidix)
Benon (137) teilt einen Fall von Tabes bei einer syphilitischen Erau
mit, die an Mitralinsufficienz, Aortitis und Endarteriitis der Arteriae coro-
uariae gelitten hatte und tritt für die antilnetische Behandlung derartiger
Falle ein. (Bendix,)
Babinski und Natgeotte fS) beobachteten eine besondere Fomi der
systematischen Sklerose bei einem 36 jährigen Tabiker. Es waren bei dem
Alle die hinteren Wurzelzonen stärker erkrankt als die mittleren Wurzel-
Mnen; das Centrum ovale von Flechsig, das die langen Fasern der Sakral-
wurzeln enthält, und die Gollschen Stränge waren ebenso intensiv erkrankt,
»ie die hinteren Wurzelzonen, während die kollateralen zurücklaufenden und
die vertikalen Bündel des Hinterhoraes relativ erhalten waren in Überein-
stiinmung mit dem Erhaltensein der Patellarreflexe. Es waren demnach im
Gegensatz zu dem gewöhnlichen Verlauf, die langen Bahnen stärker erkrankt,
als die kurzen. Die Verff. glauben, daß die Art des syphilitischen Vims
auf die Entstehung dieser abweichenden Degeneration von Einfluß war und
in elektiver Weise die hinteren Wurzelzonen vor den mittleren bevorzugte.
(Bmdix,)
426 Friedreichsche Ataxie.
Friedreichsche Ataxie.
Referent: Dr. G. Fl atau- Berlin.
1. Aussei, E., Absence da caractöre familial, dans un cas de maladie de FriedreicL
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8. Broglio, 0., La malattia di Friedreich; considerazioni sulla diagnosi diSSorenziale.
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(Sitiangsb)richt)
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2. r. XLL d. 1. 1161—1184.
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(Si Kun^berieht.)
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(Sitzanfsberleht.)
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(Sltiung:sberlcht.)
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No. 10, p. 176.
Mendel (15) hatte Gelegenheit, 4 Fälle von Friedreichscher Krank-
heit zu beobachten; 21 jähriges Mädchen, schon mit 6 Jahren steifer Oang,
Friedreichflclie Ataxie. 427
init 15 Jahren starke Unsicherheit aller Extremitäten. P. B. prompt. Kein
Njstagmas, keine Sprachstörung. Ataxie bei Finger-Nasenversuch. Gang
Btampfendy schwankend spastisch. Sehnenphänomene an den unteren Extre-
mitäten rechts fehlend, links eben noch angedeutet. Babinski positiv.
Bomberg. Ataxie bei Kniehackenversuch.
In der Familie keine Nervenleiden außer bei der 19 jährigen Schwester.
Bei dieser erst mit 14 Jahren Krankheitserscheinungen, nach starkem
Schreck starkes Zittern der Hände, schlechter G-ang, bis zum Alter von
17 Jahren zunehmender Schwindel, schlechter Gang, Verschlechterung der
Sprache. P. B. prompt Andeutung von Nystagmus. Ataxie der Hände.
Unsicherheit der Beine beim Stehen und in der Bückenlage. Füße in
Varo-equinussteUung. Babinskisches Zeichen, Oppenheim. Kniephänomen
fehlt. Achilles üiiks schwach.
£in zweites Geschwisterpaar zeigte folgendes:
1. ISjähriger Mann. Großmutter, Mutter, eine Schwester an gleichem
Leiden krank. Patient zeigte erst mit 14 Jahren die ersten Krankheits-
erscheinungen. Zunehmende Unsicherheit der Arme und Beine.
P. B. prompt. Augenbewegungen eingeschränkt. Kein Nystagmus.
Sprache undeutlich, lallend, näselnd. Fehlen der Patellar- und Achilles-
sehneoreflexe. Ataxie der oberen und unteren Extremitäten und der
Bnmpfmuskeln.
2. 14jährige Schwester des vorigen. Erst im 14. Lebensjahr Zittern
des Kopfes bemerkt, zunehmende Unsicherheit der Extremitäten, schlechter
Gang. Im Status fallt die große äußere Ähnlichkeit mit dem Bruder auf,
hoher steiler Gaumen^ große Ohren. Keine Sprachstörung, P. B. prompt.
Fehlen der Kjnie-Achillesphänomen, cerebellare Ataxie usw. An der Diagnose
Friedreichsche Krankheit kann bei der Symptomatologie und dem familiären
Auftreten kein Zweifel sein. Auffallend ist der ganz akute Anfang im Falle
II des ersten Paares, der akute Beginn; aus dem Verhalten des Babinski-
Zeichens ist zu schließen, daß Beteiligung der Pyramiden am Erkrankungs-
prozeB häufig, aber nicht konstant ist.
Baymond (24) bespricht die Gesichtspunkte, unter denen Familiarität
und Erblichkeit eines Leidens beurteilt werden sollen, und stellt alsdann
einen klassischen Fall Friedreich scher Krankheit vor: Bei einem jungen
Mädchen hat sich schnell eine schwere Ataxie entwickelt, Fehlen der Beflexe,
skandierende Sprache, Nystagmus; Sensibilität intakt, ebenso Blase und
Mastdarm, Hohlfußbildung. Skoliose fehlt noch, über Heredität nichts
Bedeutendes.
Raymond bespricht sodann die Differentialdiagnose gegenüber
der Hysterie (Astasie — Abasie), der Polyneuritis, der Tabes und die patholo-
gische Anatomie. Die Frage, ob es sich um eine primäre echte Gliosis in
den Hintersträngen handelt, an die sich ein sekundärer Prozeß sklerotischer
Art (bindegewebig) anschließt, der auch die Pyramidenstränge ergreift, oder
ob, wie namentlich Dejerine und Letullier meinen, die Gefäße und
Sepia intakt bleiben oder nach Switalski zuerst sich eine Atrophie auf
Grnüd von Gefaßprozessen dystrophischer Art entwickelt, an die sich eine
spätere Degeneration in den weniger widerstandsfähigen Teilen des Bücken-
niÄrks anschließt, darüber ist noch keine Einigkeit erzielt. Ebensowenig
darüber, ob und inwieweit die Pyramiden beteiligt sind.
Raymond hat schon 1896 formes frustes beschrieben, und solche,
die über das Bild hinausgehen, so Fehlen des Nystagmus und des defor-
mierten Fußes, andere wieder mit Pupillenstarre und Sensibilitätsstörungen.
^28 Fhedreichsche Ataxie.
Ehe man sich entschließt, besondere Formen abzugrenzen, wie die
Heredoataxie cerebelleuse und andere, muß man die Übergang&fomeü
betrachten. Raymond stellt einen weiteren Fall vor: cerebellar-atakÜBcher
Gang, statische Ataxie, Abschwächung der Sehnenphänomene, langsame
skandierende Sprache, nachher starke Zunahme der Erscheinungen. Ein
Mutterschwestersohn leidet an gleichem Leiden, unter Hinweis auf früher
beschriebene Fälle und Demonstration von Präparaten kommt Raymond za
dem Schluß, daß es nicht möglich ist, für die Marie-Loudesche Abart
eine isolierte Erkrankung des Kleinhirns nachzuweisen.
Man kann zwar verschiedene Typen klinisch feststellen, die anatomische
Forschung zeigt aber, daß es sich lediglich um Formen handelt, die sich
von den reinen Fällen unterscheiden durch Verknüpfung von LäsioDen in
den Systemen, die mit dem Cerebellum mehr oder weniger direkt ver-
bunden sind.
Bezüglich der Krankengeschichten Mingazzini's und FertLSini's (17)
muß auf den Jahresbericht für 1904, S. 441 verwiesen werden, in welchem
Teil I der in Rede stehenden Arbeit besprochen wurde. Die Autoren
betonen die Schwierigkeit der Diagnose von formes frustes der Friedreich-
schen Ej-ankheit. Wenn die Familiarität nicht deutlich ist, nur Ataxie
cerebelleuse besteht, und eine Hyperextension der großen Zehe mit Hohl-
fußbildung, nystagmnsartige Zuckungen, Neigung zu Skoliose, kann die
Diagnose Friedreich gestellt werden, Tabes juvenilis und Sklerose en
plagues war auszuschließen, freilich ist eine Unterscheidung zwischen er-
worbener cerebellarer Ataxie und familiärer cerebellarer Ataxie klinisch
nicht zu machen, ganz besonders, wenn einfache Ataxie cerebrospinalen
Charakters das Hanptsymptom bildete. Was die anatomische Seite des
zur Sektion gekommenen Falles anbetrifft (vgl. Jahresbericht 1904, S. 441),
so entspricht der Befund im allgemeinen den konstanten Befunden in der
Literatur, Richtig ist, daß eine Degeneration der Pyramidenfasem im
Lumbaimark wenigstens gefunden wurde. Die Störung der Clarkeschen
Säulen ist von Bedeutung für die Degeneration einer direkten cerebellaren
Bahn. Die Kleinhimrinde war intakt. Über die Natur des Prozesses
ist noch keine Einigkeit erzielt, auch reichen unsere Kenntnisse der Physio-
logie des Kleinhirns zur Zeit noch nicht aus. Die Autoren klassifizieren
ihre 3 Fälle wie folgt.
Fall I und II stellen die heredofamiliale Gruppe mit Spinalatrophie
dar. (Friedreichsche Type.) Fall III einen isolierten Fall aus der
G-ruppe der cerebello - spinalen Atrophien (heredofamilialen Charakter).
Anatomisch stellt die Friedreichsche Krankheit eine kombinierte
Sklerose dar.
V. Strümpell (26) demonstrierte eine Kranke mit ausgesprochener
Ataxie der oberen und unteren Extremitäten ohne besondere Sensibilitätsr
Störungen. Für ätiologisch bedeutsam hält Strümpell die Erkrankung
gewisser zum Kleinhirn aufsteigender Fasern.
Bosenberg (25) zeigte im Verein für Psychiatrie und Neurologie
zu Berlin drei Fälle von Friedreichscher Krankheit, die in der Poliklinik
Oppenheims beobachtet worden waren.
Ein vierjähriges Mädchen, ein siebenjähriger Knabe, ein zwölQähriges
Mädchen, drei ältere Geschwister, die sonst gesund waren, zeigten Nystagmus.
Nach den Krankengeschichten scheint es, als ob die später geborenen die
Krankheitszeichen früher und deutlicher zeigten, als die älteren Geschwister.
Der Nystagmus der sonst Gesunden möchte ein Kudiment der Friedreich-
schen Erkrankung darstellen.
Friedreichsehe Ataxie. 429
FoerBter^s (8) Fälle betrafen zwei Brüder, die von Jugend an schlecht
gehen and stehen konnten. Es findet sich hochgradige Ataxie der Arme
und Beine, Gang schwankend, breitbeinig stampfend, Schrift zitterig. Sensi-
bilität wenig verändert. Patellarreflex gesteigert, Babinski. Förster
rechnet beide Fälle zu den kombinierten familiär-kongenitalen System-
erkrankimgen, sie weichen von dem gewöhnlichen Typus Friedreichs ab.
Fefenczi (6) demonstriert einen Fall von Fried reichscher Krank-
heit bei einem 19jälirigen Schneider, der seit seinem 16. Lebensjahre an
Parasthesien in den Armen leidet und gegenwärtig folgende Symptome zeigt :
Fortschreitende Ataxie, Vorbildung des Fußes, Kyphoskoliose. Tremor des
Kopfes, Fehlen der Knie- und Achillesphänomene, Intelligenzschwäche. Eine
Schwester leidet an tabesähnlichen Symptomen; Vater und Großvater sind
Alkoholiker.
Peiper (22) zeigte zwei Kranke. 1. Mädchen von 8 Jahren, 2. deren
Mutter, die z. Z. 35 Jahre alt ist, erkrankte im 21. Lebensjahr bei dem
ersten Wochenbett; das diesem entstammende Kind ist gesund; vier Jahre
später Geburt des hier demonstrierten Kindes, welches ebenso wie die
Matter an Friedreich scher Ataxie leidet; das Wochenbett wirkte deutlich
verschlechternd. Auch eine Schwester der Mutter erkrankte im Anschluß
an ein Wochenbett in ähnlicher Weise.
Fairbanks (5) macht auf die klinischen Eigentümlichkeiten der als
hereditäre oder cerebellare Ataxie bezeichneten Krankheit aufmerksam,
welche in mancher Beziehung der Friedreich sehen Ataxie sehr ähnlich
ist Klinisch charakterisiert sich die Krankheit durch Muskel-Inkoordination,
welche gewöhnlich in früher Jugend beginnt und in der Kegel zuerst die
Muskeln der unteren, später der oberen Extremitäten und des Rumpfes,
Kopfes, Larynx, der Zunge und Augen befällt. Der Gang ist schwankend
nnd imsicher. Die Muskeln reagieren nur träge auf den Willensimpuls.
Sprache stockend und langsam, bisweilen nasal. Nystagmus, Zittern des
Kopfes, Rumpfes und der Extremitäten und eigentümliche unwillkürliche
Bewegungen choreiformen Charakters, oft gleichzeitig mit willkürlichen
MoskdbewegQngen. Laterale Verbiegung der Wirbelsäule, Unfähigkeit,
willkürliche Bewegungen auszuführen und, in einer vorgeschrittenen Periode
der Krankheit, Lähmung, Muskelspasmen und Kontrakturen.
Als pathologisch-anatomischer Befund ergab sich in diesen Fällen eine
starke Degeneration der Hinterstränge mit Beteiligung des direkten cere-
beUaren Traktus und der Clarkeschen Säule. Auch die Hinterstränge fand
P. mehr oder weniger degeneriert. (Bendix )
LannoiB und Porot (13) hatten Gelegenheit, die Obduktion eines
lojährigen Mädchens zu machen, welches an Friedreichscher Krankheit
gelitten hatte und an Myokarditis zu Grunde ging. Ihre Krankheit begann
plöWich im vierten Jahre mit Fieber und meningitischen Erscheinungen.
Im neunten Jahre traten die ersten Gehstörungen auf; sie bot im zehnten
Jahre alle Symptome der Friedreichschen Krankheit dar. Am Herzen fiel
eine Verstärkung des ersten Tones auf. Bei der Obduktion wurde eine
starke Myokarditis gefunden. Die Autoren weisen zum Schluß darauf hin,
daß sich bei Friedreichscher Krankheit oft Herzstörungen finden, besonders
Herzschwäche, der die Patienten häufig erliegen. Meist handelt es sich um
Myokarditis, seltener um Endokarditis. Die bulbären Herzzentren ergaben
bisweilen Alterattoneo. Die Herzstörungen entwickeln sich latent und
parallel den nervösen Symptomen und sind auf dieselbe infektiöse Ursache
zurückzuführen, wie die Friedreichsche Krankheit. (Bendix,)
430 S^'philis des NerveDsystems.
Bei dem 3 ^g jährigen Kinde, über welches Zappert (29) berichte^
entwickelte sich im Verlaufe von mehr als einem Jahre ein charakteristisch
taumelnder Gang. Es bestand Rombergsches Zeichen, die Patellar- und
Achillessehnenreflexe waren beiderseits gesteigert. Babinski anfangs beider*
seits. Später trat noch Ataxie an den Armen im Sinne eines Intentioiis-
tremors hinzu. Keine Augenhintergrundstörungen ; erbliche Belastung fehlt
Der Fall hat etwas Ähnlichkeit mit der Marieschen HerSdoataxie c£re-
belleuse; nur fehlt die Optikusneuritis und der Strabismus. Auch spricht
der frühe Beginn im zweiten Lebensjahre gegen die Mariesche Erkrankung
und für eine ganz besonders seltene Form der hereditären Ataxie.
(BendU,)
Syphilis des Nervensystems.
Referent: Prof. Dr. W. Seiffer-Berlin.
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Eine der wichtigsten Arbeiten über den Zusammenhang zwischen
Syphilis mid Erkrankungen des Nervensystems verdanken wir wieder der
Erbschen Schule. Mit einer Einleitung Erbs versehen, stellt die Arbeit
Fischler's (18) umfangreiche Untersuchungen an über die syphilogeneo
Erkrankungen des Zentralnervensystems und über die Frage der
„Syphilis k virus nerveux", d.h. über die Frage, ob es nicht eine ganz
besondere Form der Syphilis oder ihrer Produkte ist, welche gerade auf
die nervösen Elemente eine spezifisch schädliche Wirkung ausübt und so
die syphilogenen Erkrankungen (Tabes, Paralyse usw.) hervorruft. Jeden-
falls erscheint der ursächliche Zusammenhang der letzteren Erkrankungen
mit der Syphilis auch nach diesen Untersuchungen gesichert, welche im
übrigen — für ein kurzes Referat zu umfangreich — im Original zu
studieren sind.
K. Mendel (35) teilt drei Fälle mit, welche evident für den Zusammen-
hang der Paralyse und Tabes mit der Syphilis sprechen. Der erste
Fall betraf einen 10jährigen Knaben mit zweifelloser juveniler Paralyse,
dessen früher syphilitischer Vater jetzt an Tabes leidet und seinerzeit audi
seine Frau syphilitisch infiziert hatte. Auch im zweiten Fall handelte
es sich um eine juvenile Paralyse (und Tabes), deren Zusammenhang mit
hereditärer Lues sichergestellt erscheint, während der dritte Fall sich
dadurch auszeichnet, daß ein Mann im Alter von 67 Jahren an Tabes
dorsalis erkrankte, also in ungewöhnlich spätem Alter, was der anderen
ungewöhnlichen Tatsache entspricht, daß er sich erst im 52. Lebensjahre
syphilitisch infiziert hatte. Dies führt zu dem Schlüsse eines ursächlichen
Zusammenhangs zvrischen den beiden Spätakquisitionen.
Hndovernig und Onszman (31) beschreiten einen andern Weg
zur Lösung der Tabes-Syphilis frage. Ausgehend von den anerkaDnt
schwachen Seiten der Tabes-Syphilis-Statistik, von der häufigen Unzuver-
lässigkeit nachträglicher anamnestischer Erhebungen, von der scbraffeu
Negation der Gegner der luetischen Tabes-Ätiologie und ihrer Forderimi^
einer Tabes-Statistik der Syphilitischen, d. h. also einer Umkehrung der
Fourni er -Erbschen statistischen Methode, untersuchten die Verfasser
Syphilis des Nervensystems. 433
50 Syphilitische, deren Infektion mindestens drei Jahre zurücklag, auf
begiDnende Symptome von Tabes und Paralyse. Das Material war z. T.
absichtlich so klein gewählt, um eine möglichst einheitliche, genaue und
sichere ÜDtersnchung zu garantieren. Die hauptsächlichen Ergebnisse waren
folgende : Bei den tertiär Syphilitischen, welche sich Yor mindestens 3 Jahren
infiziert hatten, fand sich ein gesundes Nervensystem nur in 44 ^/^^ der
Fälle, hingegen Tabes dorsalis, progressive Paralyse und Taboparalyse in
46 ^^, mit Hinzurechnung der verdächtigen Fälle 54 %.
Der Zusammenhang der genannten Erkrankungen mit der Syphilis ist
also auch nach diesem Untersuchungsmodus ein zweifelloser. Bedeutungs-
voll ist daneben die Rolle der hereditären Belastung : von den neuropathisch
belasteten Syphilitikern erkrankten 64 %, von den nicht belasteten nur
41 % an eioer der in Betracht kommenden Nervenkrankheiten.
Der kurze Aufsatz Gläser's (23), eines leidenschaftlichen G-egners
der Erbschen Tabes-Syphilis-Theorie, richtet sich gegen die bekannte, früher
(1904) referierte Arbeit von Brosius in fast nur persönlicher Polemik, die
nicht Gegenstand der Berichterstattung sein kann.
V. Bebm (2) beschreibt einen Fall von Syphilis hereditaria tarda
beider Ohrlabyrinthe bei einem 19jährigen Mädchen. Der Beginn war
links ein plötzlicher (Ertaubung über Nacht!), rechts ein allmählicher.
Andere Zeichen hereditärer Lues, außer Perforation des Nasenseptums und
narbiger Verwachsung der Uvula mit dem Gaumensegel, bestanden nicht.
Nach Schmierkur trat so gut wie völlige Heilung ein. Sechs Wochen nach
der Entlassung bekam Patient heftige Schmerzen im linken Ohr durch
narbige Retraktion des Hammergriflfs infolge einer (außer der Labyrinth-
affektion bestehenden) luetischen Erkrankung der Paukenhöhle, welche durch
die frühere Schmierkur zur Heilung mit Narbenbildung gebracht war.
Beseitigung der Schmerzen durch Extraktion des Hammers und Lösung
der Narbenstränge. Nach einem Jahr Rezidiv der Ertanbung auf dem
linken Ohr, wieder ganz plötzlich, mit Schmerzen durch Ulcus am Tuben-
yniht. Nach Schmierkur abermalige, fast völlige, definitive Heilung.
Bemerkenswert ist die sonst selten erzielbare Heilung nach schon sehr
lange bestehender Schwerhörigkeit und bei der im allgemeinen schlechten
Prognose der hereditären Labyrinthsyphilis.
Die Betrachtungen Ravogli's (46) über hereditäre Syphilis sind
allgemeiner Natur, ohne speziell auf das Nervensystem Bezug zu nehmen
oder etwas Neues zu bringen.
Als Beitrag zn der Lues hereditaria infantum publiziert Rheiner (49)
einen Fall von Parrotscher Pseudoparalyse. Ein 7 Wochen altes Kind
bekam seit der 4. Lebenswoche eine sich langsam entwickelnde, schwere
Pseudoparalyse dreier Gliedmaßen; beide Arme und das linke Bein waren
schließlich vollkommen unbeweglich, bei passiven Bewegungen schmerzhaft,
ohne charakteristische Symptome von seiten des Nervensystems. Es wurde
eine Quecksilberkur (Calomel) eingeleitet, worauf schon nach vier Tagen
Besserung und nach drei Wochen vollständige und dauernde Heilung eintrat.
Verfasser bespricht die Pathologie dieser Pseudoparalysen, ihre Diffe-
rentialdiagnose mit wirklichen neurogenen Lähmungen infolge von Erkrankung
des Nervensystems, mit Muskelerkrankungen und rachitischen Störungen
sowie schließlich die Differentialdiagnose mit den Epiphysen-Schwellungen,
welche bei nicht luetischen Knochenerkrankungen vorkommen, nämlich bei
der Rachitis und der Tuberkulose. Auch die Therapie und die Prognose
der Pseudoparalyse erfahren eine kurze Besprechung,
Jübresbericht f. Xearologie 11. Fsyoliiatrie 1906. 28
1
434 Syphilis des Nervensystems.
Zappert (69) berichtet über ein 2^/^jährige8 Kind, welches nach
geringen Prodromalerscheinungen während einer Nacht, am nächsten Morgen
eine Hemiparesis sinistra darbot mit Devation conjugee der Augen. Schon
nach wenigen Tagen besserten sich die Lähmungserscheinungen. Da das
Kind ein eigentümliches speckiges Greschwür am Naseneingange, sowie zwei
kondylomverdächtige Geschwüre am Anus hatte, so lag die Annahme einer
Erbsyphilis und einer Hemiplegie infolge von Meningo-Encephalomalacie in
in der Gegend der rechten Zentralwindung nahe. (Bendtjs.)
de Sanctis und Lucangeli (55) besprechen an der Hand von drei
Fällen infantiler, familialer, multipler Sklerose die Literatur und die Patho-
logie der durch hereditäre Syphilis des Nervensystems vorgetäuschten
Formen der kindlichen multiplen Sklerose. Sie gelangen u. a. zu nach-
stehenden Schlußfolgerungen: Es ist notwendig, sklerotiforme Erkrankungen
des Nervensystems und die echte multiple Sklerose auseinander zu halten.
— Zweifellos gibt es eine sklerotische Form der hereditären Lues cerebro-
spinalis, welche in der Kindheit häufig vorkommt. Diese Form sollte nie
mit echter multipler Sklerose verwechselt werden. — Unterscheidungs-
merkmale zwischen beiden lassen sich stets nachweisen, wenn man genügend
danach forscht; besonders der Verlauf der Erkrankung und der ophthalmo-
skopische Befund ist von größter differentialdiagnostischer Wichtigkeit.
— Fälle von infantiler multipler Sklerose mit familialem Typus, in welchen
nicht eine genaue Augenuntersuchung und eine hinreichend lange Beobachtung
vorliegt, haben keinen statistischen Wert.
Barrett (1) beschreibt mit großer Genauigkeit einen Fall von disse-
minierter Encephalitis syphilitica, welche bereits 6 Monate nach der
Infektion zum Ausbruch gekommen war. Besonders ausführlich ist der
pathologisch-anatomische Befund wiedergegeben. Es handelte sich um i.
T. schwere spezifische Veränderungen der Gefäße, der Meningen und ence-
phalitische Herde.
Dongherty (15) berichtet über 2 Fälle von syphilitischer Spinal-
Paralyse mit besonderer Beziehung auf den von Erb beschriebenen Typus
dieser Erkrankung. Im Gegensatz zu den reinen Erbschen Fällen, welche
dieser Autor als System erkrankung nach weit zurückliegender syphilitischer
Infektion auffaßt, faßt der Verfasser Frühformen der spinalen Syphilis ins
Auge, und seine beiden Fälle, welche er keineswegs für vereinzelt hält,
scheinen ihm zu beweisen, daß die sog. Erbsche syphilistische Spinal-
Paralyse nicht, wie Erb annimmt, notwendigerweise auf einer System-
erkrankung des Rückenmarks zu beruhen braucht. In seinem ersten Falle
ergab die anatomische Untersuchung eine Meningomyelitis mit großer Längs-
ausdehnung einer Randsklerose des Rückenmarks, welch letztere stellenweise
die ganze Zirkumferenz einnimmt, im ganzen aber die Gowersschen-,
Flechsigschen- und die Pyramidenstränge befällt. Daneben besteht eine
spezifische Verdickung der Pia mater. Der zweite Fall bot anatomisch
mehr den Charakter einer lokalisierten Querläsion, einer subakuten oder
chronischen Myelitis transversa mit auf- und absteigender Degeneration,
sowie starken Gefäßveränderungen in der Höhe der Querläsion.
Guillain und Thaon (28) beobachteten bei verschiedenen Kranken
eine „besondere klinische Form der Nervensyphilis", welche nach
ihrer Meinung im Rahmen der nervösen Erkrankungen^isoliert zu beschreiben
ist. Die Fälle haben auf den ersten Blick große Ähnlichkeit mit Tabes,
progressiver Paralyse oder Lues spinalis, ohne jedoch bei genauerer Be-
trachtung das echte Krankheitsbild dieser Formen darzustellen. Die
Krankheitserscheinungen sind durch Quecksilberbehandlung beeinflußbar
Syphilis des Nerven Systems. 435
resp. heilbar^ auch konnte in einem Falle anatomisch die spezifische, von
Tabes verschiedene Grundlage konstatiert werden. Die Verfasser halten
diese Formen für häufig und betrachten sie als einen Übergang zwischen
Syphilis des Nervensystems einerseits, Tabes und Paralyse andererseits.
Darin liege ein anatomisch-klinischer Beweis für die kausalen Beziehungen
der Syphilis zur Tabes und progressiven Paralyse.
Pry (21) gibt lediglich die Krankengeschichte zweier Fälle von
syphilitischer Erkrankung der Cervikalgegend, welche an Pachy-
memDgitis cervicalis hypertrophica erinnerten, indessen fast ausschließlich
sensible Reizerscheinungen, nicht aber das charakteristische Bild der echten
cerritalen hypertrophischen Pachymeningitis darboten.
Dercum (13) teilt 3 Fälle von spastischer Spinalparalyse auf
syphilitischer Grundlage mit — i. Fall: 38 jähriger Mann. Plötzliche
Parese des rechten Beins, dann des linken Arms und in geringerem Grade
des linken Beins. Basche Besserung des rechten Beins aber bleibende
&hwäche des linken Arms und Beins. Dann Rezidiv der Parese im rechten
Beiu mit Beteiligung des rechten Arms. Zunächst keine Rigidität, erst
spateres Auftreten derselben. Atrophie des Thenar und der Interossei
beiderseits, besonders links. Geringe Abmagerung des linken Beins.
Sehnenreflexe erhalten, Fußklonus, Babinski vorhanden. Blase zuerst
intakt, später Inkontinenz. Keine Sensibilitätsstörung. Allmählicher geistiger
Böckgang. Exitus. — 2. Fall: 38 jähriger Matrose. Parese des linken
Arms, ausgesprochene Lähmung des rechten, etwas weniger auch des linken
Beins, Armreflexe, besonders links, gesteigert, Kniereflexe erhalten, links
schwacher Fußklonus, beiderseits Babinskisches Phänomen, Rigidität,
spater Schlaffheit der Muskulatur, Inkontinenz, keine Sensibilitätsstörung.
Eiitus durch Pleuritis und Nephritis. — 3. Fall: 66 jähriger Hutmacher,
^hmerzen in den Beinen und in der unteren Dorsalgegend, Schwäche der
Beine, spastischer Gang, Kniereflexe gesteigert, beiderseits Babinski, obere
Extremitäten frei, keine Sensibilitäts3törung, erschwerte Urinentleerung,
später leichte Atrophien an Armen und Beinen. Tod durch Nephritis.
In allen 3 Fällen fand sich anatomisch eine Meningomyelitis syphilitica.
Die meningitischen Erscheinungen waren nur mäßig im 1. Fall, sehr aus-
gesprochen dagegen im 2. und 3. Fall. In allen 3 Fällen waren die
f^ramidenstränge stark affiziert, stärker als irgend eins der andern Systeme.'
Besonders war dies im Fall 1 ausgesprochen, während im Fall 3 der Unter-
schied der Läsion- der Pyramide und der peripheren Markteile weniger auf-
fiUig war. Es hatte den Anschein, als ob eine selektive Wirkung auf die
Pyramidenstränge stattgefunden hätte. Die Läsion war stets entzündlichen
Charakters und offenbar sekundärer Art, im Gefolge der syphilitischen
Gtfaß- und Meningealerkrankung. Die im Fall 1 und 2 beobachteten
Atrophien beruhten offenbar auf einer Erkrankung der motorischen Wurzeln.
Der 3. Fall zeigte klinisch eine Ähnlichkeit mit der Erbschen
STpilitischen Spinalparalyse, was von Fall 1 und 2 nicht behauptet werden
kann. Verf. glaubt an die Berechtigung der Erbschen Aufstellung einer
bestimmten Symptomengruppe, gibt aber zu, daß ein dieser Gruppe ent-
sprechender und konstanter anatomischer Befund noch nicht nachgewiesen ist.
Rosenstein (54) lieferte in einer verdienstlichen Arbeit einen sehr
brauchbaren Beitrag zur Kenntnis der sypilitischen Erkrankungen des
N. acusticus. Nachdem er u. a. betont hat, daß die Neurologen, welche
doch die meisten Fälle von Gehirn- und Akustikus-Syphilis zu Gesicht be-
kommen, den Hörstörungen im Gegensatz zu denjenigen anderer Gehirnnerven
immer noch eine viel zu stiefmütterliche Behandlung zu Teil werden lassen,
28*
436 Syphilis des Nerveasystems.
sammelt er aus dem bezüglichen Material der neurologischen, dermatologi-
schen und otologischen Literatur diejenigen Fälle, in denen eine syphilitische
Erkrankung des Hörnervenstammes vorlag, und bespricht dabei die Patho-
genese, die pathologische Anatomie, die Symptomatologie und besonders die
klinischen Eigentümlichkeiten dieser spezifischen peripheren Nervenerkrankung.
Wegen der besonderen Wichtigkeit seien einige seiner Resultate hier wieder-
gegeben :
Die syphilitischen Erkrankungen der Hörnerven sind viel häufiger ab
bisher angenommen wurde. Ein sehr großer Teil der Fälle von Akustikus-
Syphilis ist bislang unerkannt geblieben. Dies hat einerseits seinen Grund
in der geringen Beachtung, die dem Hörnerven immer noch geschenkt wird.
Bei der bisher geübten Methode, das Ohr nur im Falle grober Hörstörungen
zu untersuchen, mußte ein großer Teil der Fälle von syphilitischen Er-
krankungen des Akustikus der Beobachtung um so sicherer entgehen, als
die luetische Neuritis acuslica nicht nur nicht zu bedeutenderen Beschwerden
zu führen braucht, sondern sogar ohne jedes subjektive Symptom bestellen
kann. Eine zweite kleinere Gruppe von Fällen von Hörnervensyphilis ver-
birgt sich in der otologischen Literatur, die mangels Untersuchung der
übrigen Hirnnerven als Labyrinthaffektionen gedeutet werden. Beiden
Gruppen gegenüber steht eine geringere Anzahl von luetischen Taubheiten,
die mit Unrecht auf Hörnervenstammerkrankungeu zurückgeführt wurden,
während nachträgliche Untersuchungen oder zufällige Befunde Mittelohr-
leiden aufdeckten.
Der Hörnerv ist an Häufigkeit der Erkrankungen durch Syphilis nicht
dem Olfaktorius an die Seite zu stellen, sondern rangiert weit vor diesem.
Ein genaues Bild von dieser Frequenz ist heut noch nicht zu gewinnen,
sondern erst dann, wenn die Untersuchung des Hörnerven i. e. otologische
Untersuchung in jedem Falle von Hirnsyphilis genau so systematisch durch-
geführt werden wird wie die der übrigen Hirnnerven.
Der Hörnerv erkrankt an Syphilis meist nicht d*irch Fortleitung
gummöser Prozesse des Felsenbeins noch durch Kompression infolge perio-
stistischer Verengerung des inneren Gehörganges. Diese Entstehungsarten
kommen vor. Jedoch kommen die weitaus meisten Fälle von Akustikus-
Syphilis auf dem Wege der basalen gummösen Meningitis zu stände, geuai
wie die syphilitischen Erkrankungen der anderen Gehirnnerven. Während
diese Erkrankungsform in dem größeren Teil der Fälle doch erst Jahn
nach der Infektion auftritt, führt in selteneren Fällen . die Syphilis schoi
in ganz früher Periode zur Hörnervenlähmung und zwar auf dem Weg«
einer selbständigen Perineuritis resp. Neuritis gummosa. Hierbei wirc
meist der Facialis früher oder später beteiligt; doch ist es denkbar, dal
diese Affektion sich auch gelegentlich auf den Akustikus beschränkt. All
anderen Modi des Zustandekommens luetischer Hörnervenlähmungen komme!
erst in dritter Linie.
Kerne und Wurzeln des Hörnerven werden von der basalen gummöse
Meningitis oft gleichzeitig mit dem Stamm ergriffen, was sowohl a prioi
anzunehmen war, als aus den Krankengeschichten hervorgeht. Deshalb wir
eine klinische Differenzierung zwischen syphilitischen Erkrankungen de
Hörnervenstammes einerseits und seiner Kerne und Wurzeln andererseiti
kaum je möglich sein.
Syphilitische Hörnervenlähmungen können bei sonst bestehende
gummöser Meningitis außer auf neuritisclien Veränderungen auch auf eil
fachen Degenerationsvorgängen im Kern- und Wurzelgebiet beruhen, wi
sie sonst bei der Tabes beobachtet werden.
Meningitis cerebro-spinalis epidemica. 437
Die Widerstandstähigkeit des Hörnerven gegen die syphilitischen Pro-
dukte scheint ceteris paribus geringer zu sein, wie die des Zwillingsnerven,
des facialis.
Die Erkrankung des Hörnerven an Syphilis ist immer ernst zu nehmen,
wie bereits Hutchinson für die Aflfektionen des inneren Ohres überhaupt
herTorhob. Degenerationsprozesse nach der Schnecke scheinen sich hier
schnell, eventuell rapide anschließen zu können. So bleibt der Hörnerv,
während die anderen mitbetroffenen Nerven z. B. der Facialis durch ent-
sprechende Kur ihre Funktion wieder aufnehmen, eventuell dauernd ge-
schädigt Jedenfalls also erfordert die geringste Hörstörung bei zerebraler
Syphilis sorgfaltige Untersuchung und eventuell sofortige energische Therapie,
will man nicht dauernden Verlust des Gehörs riskieren.
Einer rechtzeitigen Thörapie gegenüber scheint die Akustikussyphilis
aber eine im ganzen günstige Prognose zu geben. Hörstörungen und sub-
jektive Geräusche schwinden unter der Kur; besonders gut beeinflußbar
scheint die Kopfknochenleitung zu sein.
Merzbacher (36) fand, daß die luetische Infektion in fast allen
TOü ihm untersuchten Fällen zu einer Vermehrung der zelligen Elemente
io der Cerebrospinalfiüssigkeit geführt hatte, bereits auch dann, wenn am
Zentralnervensystem und seinen Hüllen keine klinisch wahrnehmbaren
krankhaften Veränderungen aufzufinden waren. (Bendix,)
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Referent: Privatdozent Dr. Ja min -Erlangen.
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Sachs (122) macht auf eine Publikation von Tourdes über die
schwere Genickstarre-Epidemie in Straßburg im Jahre 1840/41 aufmerksam,
deren „Schilderung der klinischen Erscheinungen, der Krankengeschichten,
der ganzen Symptomatologie und pathologischen Anatomie, BetrachtuDgen
über den Sitz der Erkrankung, über den Parallelismus z^dschen anatomischem
Befund und klinischem Bild von einer auch für unsere erweiterte Erfahrung
erschöpfenden Vollständigkeit und von einer so imponierenden Gründlichkeit
sind, daß sie durch die modernen Darstellungen der jetzt so aktuellen Er-
krankung nicht übertroffen w^ird."
V. Leyden's (92) Vortrag über seine gelegentlich früherer Epidemien
und an sporadischen Fällen gemachten Erfahrungen am Krankenbett und
bei der Autopsie Meningitiskranker hebt die Notwendigkeit einer sorgfältigen
Ernährungstherapie bei den infolge des Erbrechens von der Gefahr der
Inanition bedrohten Kranken hervor. Ferner weist v. L. auf seine im Jahr
1883 schon gemachte Beobachtung eines pneumokokkeuähnlichen Diplo-
kokkus im Exsudat der Pia bei epidemischer Gerebrospinalmeningitis hin.
Die Berichte V. Lingelsheim's (94, 95) über die in der hygienischen
Station zu ßeuthen in Oberschlesien vorgenommenen bakteriologischen Unter-
suchungen bei epidemischer Genickstarre umfassen die Zeit vom 3. Dezember
1904 bis zum 15. Juni 1906. Es würde zu weit fuhren, hier die Ergeb-
nisse der Forschungen im einzelnen anzuführen und muß darum auf die
Originalarbeiten verwiesen werden. Diese enthalten genaue Angaben über
den bakteriologischen Befand in den Punktionsflüssigkeiten von Kranken,
vom eingesandten Leichenmaterial, den Ausfall der Blutprüfungen auf agglu-
tinierende Substanzen, die Ergebnisse der Untersuchungen von Nasen- und
Rachensekreten und von Tierversuchen. Es ist u. a. gelungen, wenigstens
bei einer Affenart durch intraspinale Injektion Krankheitszustände zu er-
zeugen, die der menschlichen Genickstarre im wesentlichen entsprachen. Bei
der Obduktion eines derart infizierten Tieres wurde deutliche Trübung der
Pia gefunden und stellenweise etwas Eiter, der ebenso wie das Blut, zahl-
reiche Meningokokken enthielt. Mit dem Fortschreiten der Untersuchungen
trat die ätiologische Bedeutung des Meningokokkus, der sich im Beginn der
Erkrankung in erheblicher Menge in und auf der entzündeten Nasenrachen-
schleimhaut vorfindet, nachher in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle
auch in den entzündeten Gehirnhäuten nachgewiesen werden kann, immer
deutlicher hervor. Die negativen Befunde erklären sich daher, daß Aus-
striche von Gehirnhäuten, die unmittelbar nach dem Tode positive Resultate
ergeben hatten, schon nach 24 Stunden bisweilen keine Kulturen mehr auf-
gehen lassen. Es kann also, wenn nur einen Tag mit der Obduktion gewartet
wird, das Ergebnis der bakteriologischen Untersuchung schon ein fehlerhaftes
werden.
Jacobltz (76) beschreibt einen Fall von Genickstarre bei einem
Soldaten, dessen Sektion den seltenen Befund einer Kombination von
Miliartuberkulose mit tuberkulöser Basilarmeningitis und echter Meningo-
Meningitis cerebro-spinalis epidemica. 443
kokkenmeDingitis zeigte. Weichselbaum sehe Diplokokken waren im Nasen -
ofld Bacheoschleim mikroskopisch, in dem intra vitam entnommenen eiterigen
Exsadat der Meningen, in den Auflagerangen auf der Konvexität des Gehirns
nnd zwischen den Rückenmarkshäuten in Reinkultur durch Züchtung nach-
zQweisen und auch durch die Agglutinationsprobe zu identifizieren. Aus dem
Blute konnte gleichfalls nach Anreicherung mit Traubenzuckerbouillon 24 h
im Brutofen bei 37** durch Ausstriche auf Löfflerschem Blutserum eine Rein-
kultur Yon Meningokokken gewonnen werden. In ähnlicher Weise gelang es,
TOD einem zweiten Falle epidemischer Meningitis, der geheilt wurde, aus dem
Blute echte Meningokokken zu züchten. Das Blut dieses Kranken agglu-
tinierte die eigenen Kokken in einer Verdünnung von 1 : 500. einen Labora-
toriumsstamm von Meningokokken in einer Verdünnung von 1 : 100. Im
^laseoschleim wurden auch hier nur mikroskopisch typisch geformte intra-
celloläre Diplokokken gefunden. Gleiche Blutuntersuchungen bei einer
größeren Zahl von gesunden Personen hatten negatives Ergebnis. Dagegen
zeigte sich, daß das Blut leicht oder kaum Erkrankter Meningokokken in
einzelnen Fällen in ziemlich hohen Verdünnungen agglutiniert. Von 190
Leuten, die mit den Meningitiskranken in Berührung gekommen waren,
zeigten 62 im Nasen- oder Rachenschleim mikroskopisch iutracelluläre Diplo-
kokken. Die Reinzüchtung von Meningokokken gelang nur in einem Fall.
Von 30 zur Kontrolle in gleicher Weise aus einer anderen Garnison Unter-
suchten boten 12 im Rachen- und einer im Nasenschleim einen positiven
Befund. Danach hat die mikroskopische Untersuchung des Rachenschleims
an und für sich wenig Wert. Der mikroskopische Nachweis von intracellu-
lirea kaffeebohnenförmigen, gramnegativen Doppelkokken im Nasen- und
Eachenschleim allein spricht nicht für das Vorhandensein von Meningokokken.
Nur Kultur und Agglutination, letztere auch nur in höheren Verdünnungen
geben allein einen sicheren Anhalt über die Art der vorgefundenen Mikro-
organismen.
Jaeger (77) teilt unter Beigabe anschaulicher graphischer Darstellungen
ein reiches statistisches Material über die Ausbreitung und das epidemische
Auftreten der Cerebrospinalmeningitis mit, deren Epidemien in den Früh-
jahrsmonat^n in Deutschland und in Amerika in gleicher Weise und über
viele Jahre hin ihren Höhepunkt erreichen. Die östlichen Großstädte Amerikas
sind als ein endemischer Krankheitsherd zu betrachten, in dem der Infektions-
stoff sich in voller Virulenz erhält, und von wo aus er mit dem raschen Ver-
kehr zu uns gebracht wird. Indes hat sich auch in Deutschland schon in
verschiedenen Gebieten, in Elsaß-Lothringen, in den Industriezentren am
Rhein und in Oberschlesien und anderwärts seit der Mitte des vorigen Jahr-
hunderts die Seuche eingenistet. Die Fähigkeit, Meningitisepidemien zu ver-
nnachen, kommt nur dem spezifischen Erreger der epidemisclien Genick-
starre, dem Diplococcus intracellularis meningitidis i. e. Meningococcus zu,
iii sehr viel geringerem Grade dem Pneumokokkus. Da die klinischen
Symptome häufig nicht ausreichen, die Meningitisformen verschiedenen ätio-
logischen Ursprungs von einander zu unterscheiden, so gibt die bakterio-
logische Untersuchung des Leichenmaterials oder des durch Punktion, ge-
wonnene^ Liquor cerebrospinalis den einzig zuverlässigen Aufschluß. Über
die Technik der bakteriologischen Untersuchung und die Differenzialdiagnose
der Meningokokken von anderen Erregern werden wertvolle Anweisungen
gegeben. Zweifel an der Echtheit der Meningokokken lassen sich durch die
Agglutination mit dem Serum von Kaninchen, welche durch intravenöse
Injektionen von echten Meningokokkenkulturen vorbehandelt sind, oder mit
dem Blutserum von an epidemischer Genickstarre Erkrankten beseitigen.
444 Meningitis cercbro-spinalis epidemica.
Agglutination in Verdünnung von mindestens 1 : 100 ist ausschlaggebend,
wenn die Kontrolle mit physiologischer Kochsalzlösung sich negativ verhält.
Für die Prophylaxe kommt der Untersuchung des Nasenschleims auf Meningo-
kokken große Bedeutung zu: J. konnte in allen Fällen von Genickstarreim
Nasenschleim charakteristische Meningokokken mikroskopisch nachweisen,
häufig sie auch durch Kulturverfahren und Agglutination als solche identi-
fizieren. Solche Befunde waren, wie Kontrolluntersuchungen lehrten, nienaals
bei solchen Leuten zu erheben, die nicht mit Genickstarre-Kranken ver-
kehrten, dagegen fanden sich bei Leuten aus der Umgebung der Kranken
solche intracelluläre Diplokokken bei 30 — 50^/^, der Untersuchten. Der
damit erbrachte Beweis, daß es auch bei dieser Krankheit gesunde Infektions-
träger gibt, vermag die überraschenden Sprünge zu erklären, welche die
Epidemien machen, und ebenso die sporadischen Fälle.
Die Widerstandsfähigkeit der Meningokokken ist gegen Eintrocknen,
Hitze und chemische Desinfektionsmittel nur eine geringe, wenn sie frisch
dui-ch Niesen oder Husten entleert werden. Dagegen können sie sich iu
dickeren Schleimschichten getrocknet Monate lang lebensfähig erhalten.
V, Drigalski (41) konnte bei einem klinisch und bakteriologisch
sicher diagnostizierten Falle von Meningokokken-Meningitis aus dem Inhalt
der Herpesbläschen in Reinkultur die Weich sei bäum sehen Diplokokken
züchten, und zwar gingen die Kokken aus Herpesbläschen auf, die durch
Abreibungen der Haut mit Seifen Spiritus hervorgerufen werden konnten.
Der Auswurf dieses Kranken enthielt Pneumokokken, im mikroskopischen
Bilde auch stark an Meningokokken erinnernde Formen, die sich aber nicht
weiterzüchten ließen. Das nur in geringer Menge entnommene Blut enthielt
keine nachweisbaren Keime. Ein zweiter Patient starb nach 38 stündiger
Krankheitsdauer unter zerebralen Erscheinungen. Die Obduktion ergab nur
im hinteren unteren Drittel des rechten oberen Lungenlappens einen kleinen
pneumonischen Herd, keine Anzeichen von Meningitis, keine Vermehrung
des Liquor cerebrospinalis. In dem Lungenherd fanden sich kulturell und
durch Tierversuch identifiziert Fraenke Ische Pneumokokken, daneben
Streptokokken. Ferner wurden aber sowohl aus dem Lungenherd, wie aus
dem Halsmark und von dem glatten spiegelnden Ependym der Seitenventrikel
Weichselbaumsche Meningokokken gezüchtet, die auch durch die Agglu-
tinationsproben als solche bestätigt wurden.
Lenhartz (90) hat im Lauf der letzten 10 Jahre im ganzen 46 Fälle
von epidemischer Genickstarre sammeln können, von denen 40 mit Sicherheit
als Infektionen durch den Weichselbaumschen Diplokokkus mit einer Aus-
nahme schon intra vitam erkannt werden konnten. In drei Fällen sicherer
Meningokokkeninfektion kamen eitrige Gelenkmetastasen zur Beobachtung,
in einem Falle auch gleichzeitig eitrige Perikarditis.
Aus den tabellarischen Übersichten geht hervor, daß die Fälle von
Meningokokken-Meningitis bei einer Mortalität von zirka 49 % ^i^e ver-
hältnismäßig lange Krankheitsdauer hatten, während die durch den
Fränkelschen Diplokokkus verursachten eitrigen Meningitisfälle stets in
wenigen Tagen tödlich endeten. Zum bakteriologischen Nachweis der
Meningokokken empfiehlt L., Kulturen auf Schottmüllerschen Menschen-
blutagarplatten anzulegen.
Bei genauer Blutzählung zeigt sich, daß wohl in jedem Fall von
Genickstarre, sowohl bei Geheilten wie bei Gestorbenen eine beträchtüche
akute Leukocytose auftritt. Es wurden Leukocytenzahlen bis zu 40000 fest-
gestellt. Für die Behandlung befürwortet L. angelegentlich die häufige und
regelmäßige Entlastung der Hirn- und Kückenmarkshöhle durch Lumbal-
Meningitis cerebro-spinalis epidemica. 445
punktioneu. Wird die Entleerung durch diese trotz drohenden Hydio-
cephalus infolge Verschluß der Kommunikationen mangelhaft, so kommt die
Yentrikelpunktion in Betracht. Mit einer Lumbalpunktion sollen nicht mehr
als 25 — 40 ccm Liquor entleert und der Druck soll nicht unter 100 mm
Wasser erniedrigt werden. Gegen die als Nachkraukheit auftretende Taub-
heit ist keine Hilfe möglich. In einem Falle von Erblindung mit Augen-
maskelstörungen und Verblödung konnte durch ableitende Behandlung
(Eiterung im Nacken und Inunktionskur) eine Wiederherstellung der In-
telligenz und aller Sinnesfunktionen erzielt werden.
Eine erschöpfende Darstellung der Lehre von der epidemischen
Cerebrospinalmeningitis gibt SchottmÜUer (125). Leider ist es nicht
möglich, die kritische und umfaßende Darstellung der gesamten einschlägigen
Literatur in kurzem zu referieren, der ausgedehnte eigene bakteriologische
ÜDtersachungen und die klinische Vei-wertung eines Materials von insgesamt
49 Fällen aus dem Eppendorfer Krankenhause zur Seite stehen. Die
ätiologischen Streitfragen werden eingehend besprochen. Weitaus die meisten
großen Meningitis-Epidemieen werden durch den Weichselbaumschen Me-
ningokokkus hervorgerufen. Verfasser macht daher den Vorschlag, statt des
unzutreffenden Namens der „epidemischen Genickstarre-* die Bezeichnung
der „Weichselbaumschen Meningitis*' einzuführen. In therapeutischer
Hinsicht empfiehlt er einen Versuch mit dem Serum von Meningitis-Rekon-
valeszenten, da Tiere sich bisher zu wenig empfänglich für eine Infektion
mit Meningokokken erwiesen haben.
Mantenfel (101) hat am hygienischen Institut zu Halle in vier von
17 Fällen in dem durch Lumbalpunktion gewonnenen Liquor von Kindern
aus Kattowitz die von Weichselbaum beschriebenen gramnegativen intra-
cellulären Diplokokken mikroskopisch und kulturell nachweisen können, die
er als die Erreger der oberschlesichen Epidemie anspricht. Kontrollunter-
siichnngen mit den von Jäger und Weichselbaum ihm zur Verfügung ge-
stellten Meningitiskokken sowie Agglutinationsversuche haben ihm gezeigt,
daß der T}*pus Jäger und der Typus Weichselbaum neben wenigen Ver-
gleichspunkten im mikroskopischen und kulturellen Verhalten so viele Unter-
scheidungsmerkmale bieten, daß sie als zwei verschiedene Arten von Diplo-
kokken zu betrachten sind. Die noch vielfach vertretene Annahme, daß die
Verschiedenheit des Weichselbaumschen und Jägerschen Diplokokkus im
wesentlichen auf der Gram sehen Färbung beruht, entspricht nicht den Tat-
sachen. Außerdem glaubt der Verfasser, daß andere Forscher, die sich zur
Meningokokkenfrage geäußert haben, nicht nur diese beiden, sondern
außerdem noch andere mehr oder weniger verwandte Formen vor sich gehabt
haben. Die von ihm selbst gefundenen grampositiven Diplokokken hält er
mit Wahrscheinlichkeit für Verunreinigungen.
Ealberlah (82) konnte bei einem typischen Fall von Genickstarre
in der wiederholt durch Lumbalpunktion gewonnenen Cerebrospinalflüssigkeit
die Meningokokken kulturell nur sofort nach der Entnahme nachweisen,
während die Flüssigkeit durch Stehen im Eisschrank (14 Stunden) oder bei
Zimmertemperatur (20 Stunden) steril wurde. Auch durch Stehen im Brüt-
schrank bei 37 ^ wurde der kulturelle Nachweis vereitelt, dagegen konnten
• hiernach die frisch mikroskopisch nicht nachweisbaren intracellulären Diplo-
kokken im Präparat reichlich gefunden werden. Verfasser empfiehlt daher
für den bakteriologischen Nachweis der Weichselbaumschen Meningokokken,
die Spinalflüssigkeit sofort in Löfflerserumröhren auf/Aifangen und vor weiterer
Abkühlung nach Möglichkeit zu schützen und mikroskopisch sowohl frisch
446 Meningitis cerebro-spinalis epidemica.
als auch vor allem nach 12 — 14stündigpr AnreicheruDg im Brutschrank zu
untersuchen.
Weichselbanm (146) tritt den von manchen Seiten geäußerten Be-
denken über die Kolle des Micrococcus meningitidis cerebrospinalis Weichsel-
baum als Krankheitsen'eger bei der diesjälirigen Epidemie in PreuBisch-
Schlesien unter Hinweis auf die Arbeiten anderer Autoren und die Unter-
suchungen in seinem Institut entgegen und betont, daß man aus den Beob-
achtungen während dieser Genickstarreepidemie mit Sicherheit folgende
Schlüsse ziehen kann: 1. Der EiTeger dieser Epidemie war ausschHeßlich
der Micrococcus mening. cer. W. 2. Der genannte Kokkus kam sehr häufig
schon zu Beginn der Krankheit im Xasenrachensekret vor, weshalb anzu-
nehmen ist, daß die Nasenhöhle bezw. der Nasenrachenraum, wenigstens für
viele Fälle als Eintrittspforte dieses EiTegers gedient hatte. 3. In einer,
wenn auch beschränkten Zahl von Fällen konnte er auch im Nasenrachen-
sekret von Gesunden, aber im Verkehr mit Meningitiskranken gewesenen
Personen nachgewiesen werden, weshalb die Annahme gerechtfertigt ist, daß
auch durch solche gesunde Personen der Krankheitserreger auf andere In-
dividuen übertragen wurde. Weiterhin wird über bakteriologische Unter-
suchungen berichtet, die von Ghon und dem Verfasser in 58 Fällen an
meniugitischeni Exsudat und in 30 Fällen an Lumbalpunktioustlüssigkeit an-
gestellt wurden. Im Exsudate wurde 39 mal der Weichselbaumsche Mikro-
kokkus, 36 mal ausschließlich mikroskopisch nachgewiesen. Der kulturelle
Nachweis gelaug bei dem meist aus größerer Entfernung eingesandten
Material nur selten und wurde darum später in solchen Fällen nicht mehr
versucht. In der Lumbalpunktionsflüssigkeit konnte 18 mal der Micrococcus
men. cer. W. miki'oskopisch, darunter viermal auch kulturell nachgewiesen
werden. In den übrigen Fällen handelte es sich teils um solche von
sekundärer Meningitis (Staphylokokken und Streptokokken), teils um solche
von primärer Meningitis, die durch den Tuberkelbazillus oder den Diplo-
coccus pneumoniae heiTorgerufen war. Letzterer konnte neunmal in Eein-
kulturen nachgewiesen werden. In anderen Fällen, bei denen das Material
nicht aseptisch entnommen worden war, wurde ein Bakteriengemenge ge-
funden. Gerade die Pneumokokkenbefunde lehren, daß man bezüglich der
Ätiologie einer Meningitisepidemie zu einem Fehlschuß kommen kann, wenn
man nur einzelne Fälle untersucht, weil diese, wie es sich bei der letzten
Epidemie ereignete, zufällig einer anderen Form von Meningitis cerebro-
spinalis angehören können, als die epidemischen Fälle. Doch kann man
jetjft schon mit Sicherheit annehmen, daß die großen oder langdauernden
Epidemien von Genickstarre immer durch den Micrococcus meningitidis
cerebrospinalis verursacht werden.
Weichselbanm (144) berichtet über die Versuche Lepierres,
Tiere gegen die Meningokokken-Infektion, sowie gegen die von diesen
Krankheitserregern produzierten Toxine zu immunisieren, die noch nach
keiner Richtung hin zu abgeschlossenen Ergebnissön geführt haben. Es ge-
lang immerhin, durch subkutane oder intraperitoneale Injektion steigender
Mengen abgetöteter Meningokokkenkulturen Kaninchen und Meerschweinchen
im Laufe von 2 — 3 Monaten so weit zu immunisieren, daß sie das zwanzig-
bis dreißigfache der tödlichen Dosis von gewöhnlichen Meningokokken ver-
tragen konnten. Gegen das Toxin des gewöhnlichen Kokkus ließ sich nur
schwer und unter großen Verlusten unter den Versuchstieren ein höherer
(4rad von Immunität erzielen. Die Immunisierung gegen Meningokokken
mit durch wiederholte Tierpassj^ge gesteigerter Virulenz wurde teils mit
lobenden, teils mit abgetöteten Kulturen, teilweise mit gutem Erfolg versucht.
Meningitis cerebro-spinalis Epidemica. 447
Das Blutsemm der gegen den gewöhnlichen Meningokokkus mit Kulturen
immamsierten Tiere zeigte sowohl eine antitoxische als auch eine präventive
Wirkung in geringem Grade. Beide Wirkungsarten waren bei dem Serum
der gegen des Toxin immunisierten Tiere deutlich ausgesprochen; auch eine
kurative Wirksamkeit konnte beobachtet werden. In mäßigem Grade waren
diese drei Wirkungsarten auch an dem Serum der gegen den hyperviruleuten
Meningokokkus immunisierten Tieren festzustellen.
Weyl (149) hat in einem Falle von typischer epidemischer Cere-
brospinalmeningitis bei einem 3 jährigen Kinde den durch viermalige Lumbal-
punktion gewonnenen Liquor cerebrospinalis (zuletzt post mortem entnommen)
genau bakteriologisch untersucht und jedesmal den gleichen Diplokokkus
als Krankheitserreger gefunden, dessen Identität mit dem Meningococcus
intracellularis durch das mikroskopische Bild, das Verhalten der Kulturen
und durch den Tierversuch erwiesen wurde. Diese Diplokokken verhielten
sich jedoch bei der ersten, dritten und vierten Punktion gramnegativ, bei
der zweiten sowohl im direkten Präparat wie in der Agarkultur grampositiv.
Die bei der vierten Punktion gewonnenen Meningokokken zeigten zunächst
reJQ gramnegatives Verhalten, behielten dieses aber bei der Fortzüchtung
nicht durchwegs bei. Eine Ziege, der mehrfach gramnegative Meningokokken
in den Durasack eingebracht wurden, erkrankte chronisch mit spinalen
Krankheitszeichen und nach der dritten Injektion mit schweren Allgemein-
erscheinungen. Die histologische Untersuchung des Rückenmarks mit den
Häuten ergab den Befund einer spinalen Meningitis. Es konnten nur
wenige Diplokokken mikroskopisch nachgewiesen werden, deren Weiter-
züchtiing nicht gelang, andere Mikroorganismen waren nicht nachzuweisen.
In einer Zusatzbemerkung zu dieser Arbeit envähnt Heubner, daß
er in einem weitereu Falle von epidemischer Cerebrospinaimeningitis das
gleiche wechselnde Verhalten der bei den einzelnen Punktionen gewonnenen
Kokken gegenüber der Gramfärbung wieder hat beobachten können und
bei einer großen Reihe von Fällen, in denen es sich nicht um epidemische
Cerebrospinaimeningitis handelte, niemals aus der Spinalflüssigkeit Ahnliches
gezüchtet werden konnte. —
Die Meningitis epidemica ist in den letzten 20 Jahren in vielen
Gegenden West-Europas und Nord-Amerikas epidemisch. Die Epidemie
wird durch das Aufflackern einzelner epidemischer Fälle verursacht, be-
günstigend wirken antisanitäre Verhältnisse. Die Meningitis kommt aus-
schließlich in den Gegenden mit gemäßigtem Klima vor. Der Krankheits-
erreger ist der Meningococcus intracellularis Weichselbaumii. Die Infektion
findet sowohl direkt, als auch indirekt statt. Der geringe Prozentsatz der
Erkrankung liegt an der relativen Immunität diesem Leiden gegenüber. Die
m Erilesch (87) vorgeschlagenen Maßregeln beruhen auf der Beseitigung
rfer begünstigenden Momente. (Krön.)
Kob (83) hat in einem Falle von Genickstarre bei einem Säugling
^on 5 Monaten mit Ausgang in Heilung, kompliziert mit Keuchhusten, 6 mal
die Lumbalpunktion gemacht und die Spinalflüssigkeit bakteriologisch unter-
sucht. Bei den ersten 5 Punktionen enthielt die eitrig getrübte Flüssigkeit,
im Anfang mehr, später weniger typische intra- und oxtracellulär gelegene,
im Ausstrich stets gramnegative Meningokokken. Die aus den ersten drei
Lnmhalpunktionen gewonnenen Kokken behielten dies(*s Verhalten auch bei
der Portzüchtung bei. Die aus der 4. und 5. Punktion kultivierten Kokken
▼eränderten aber ihr Verhalten gegenüber der Gramfärbung: von den aus
der 5. Punktion gewonnenen Kokken hielt der auf Aszitesagar wachsende
Stamm die Gramfärbung, während von der auf Agar angelegten Kultur erst
448 Meningitis cerebro-spinalis epidemica.
nach längerem Umzüchten ein Teil der Kokken entfärbt wurde, etwa die
Hälfte deutlich dunkelviolett blieb. Von den Kokken aus der 4. Punktion
hielt gleichfalls ein Teil nach 5 — 6 Wochen Umzüchtens die Gram sehe
Färbung fest.
Göppert (59) teilt seine in Kattowitz gewonnenen Erfahrungen an
44 Fällen von Genickstarre mit, unter Beigabe instruktiver kurzer Kranken-
geschichten. 20 Fälle boten bei der Untersuchung die typische Nacken-
steifigkeit; bei 12 Kindern unter 3 Jahren, darunter 7 unter einem Jahre,
stand sie aber im Vordergrunde der Erscheinungen. Von den Fällen ohne
Nackensteifigkeit unterscheidet G. zu diagnostischen Zw^ecken drei ver-
schiedene Typen. 1. Fälle, in denen die Auftreibung des Kopfes vor allem
auffällt; die Nähte des Schädels klaffen weit. Der Verlauf ist ein absolut
bösartiger. 2. Fälle ohne Steifigkeit und Fontanellenspannung, bei denen
nur die Schmerzhaftigkeit bei passiven Bewegungen, besonders beim Auf-
setzen bemerkbar wird. 3. Kinder mit wachsgelber Blässe und hohem
Fieber, die leicht zu Verwechslungen mit den in Oberschlesien häufigen
eitrigen Blasenkatarrhen der Säuglinge Anlaß geben. — Bei 3 innerhalb
1^2 — 8 Tagen tödlich verlaufenden Fällen wurde beobachtet, daß der
schweren Attacke ein wenige Stunden anhaltendes Unwohlsein mit Fieber
und Kopfschmerz voranging, danach waren die Kinder noch 10 — 24
Stunden lang vollständig wohl. Schnupfen wurde als vorhergehendes
Symptom in jedem einzelnen Fall bestritten, doch kamen nicht selten
bronchitische und andere Erkrankungen der Atmungsorgane im Beginn des
Leidens nebenher zur Beobachtung. Die übergroße Empfindlichkeit bei
passiven Bewegungen zeigte sich bei diagnostisch schwierigen Fällen als das
zuverlässigste Symptom, das nur bei 5 schwer benommenen Kindern fehlte»
Das Kernigsche Zeichen half nirgends, w^o nicht andere deutliche Krankheits-
erscheinungen vorhanden waren. Die Spinalpunktion hatte wesentlich für
die ätiologische Diagnose Bedeutung. Als ein wichtiges Symptom wurde
bei 6 schwer verlaufenden Fällen eine Verengerung der Pupillen im Sopor
mit maximaler Erw^eiterung beim Kneifen bemerkt. Im wachen Zustand
war die Schmerzreaktion an den dann weiteren Pupillen nicht auszulösen.
Das Charakteristische liegt weniger in der Schmerzreaktion selbst als in der
schnell wieder eintretenden Schlafverengerung. In der Hälfte der Fälle war
das Bewußtsein ein klares, zum Teil während des ganzen Krankheitsverlaufs.
Die Nahrungsaufnahme war oft bis zum Tode eine ausgezeichnete.
Altmann (3) berichtet über seine im Knappschaftslazarett in Zabrze
während der letzten Cerebrospinalmeningitis-Epidemie an einem Material von
mehr als IGO Fällen gesammelten Erfahrungen. Unter den im Regierungs-
bezirk Oppeln seit November 1904 gemeldeten über 2200 Erkrankungsfället
war eine Sterblichkeitsziffer von mindestens 70% aufzustellen. Etwa 7*/,
der Fälle betrafen Erwachsene im Alter von über 16 Jahren.
Bezüglich der Dauer des Inkubationstadiums ist anzunehmen, daß voi
der Zeit des Eindringens des Meningokokkus bis zum Ausbruch der Krank
heit eine Zeit von 2 — 4 Tagen vergeht. In 12 Familien wurden Gruppen
infektionen beobachtet, welche meist zu rasch aufeinander führenden Er
krankungen führten. Die näheren Ursachen der Infektionen konnten nich
sicher ermittelt w^erden.
Symptomatologie und Krankheitsverlauf werden eingehend gescfaildei
und durch die Beschreibung der entsprechenden anatomischen Befunde he
leuchtet. Verf. unterscheidet von den Fällen mit letalem Ausgang dr€
Gruppen : solche Erkrankungen, die sehr stürmisch in wenigen Stunden bi
zu 3 Tagen verlaufen, solche, die sich über eine Woche hinziehen un«
Meningitis cerebro-spinalis epidemica. 449
eiidlicli Wochen und Monate lang sich ausdehnende Fälle. In ähnlicher Weise
lasseD sich auch die zur Genesung kommenden Erkrankungen gliedern in
solche, die schon nach wenigen Tagen kaum mehr Spuren einer Krankheit
zeigen, solche die nach 1 — 2 Wochen lang anhaltenden schweren Krankheits-
erscheiüungen sich erholen und solche, die bis zu 40 Tagen Fieber und
meningitische Symptome haben. Bei letzteren wurde oft das Kernigsche
Zeichen vermißt. Häufig war eine Rötung und Schwellung der Mandeln
zu sehen. Abortiv verlaufende Erkrankungen und zweifelhafte Anginafälle
aus der Umgebung von Meningitiskranken wurden nicht beobachtet. Fälle
von scheinbarer Genesung mit plötzlichem tödlichen Ausgang kommen vor
(Hydrocephalus, Autoreinfektionen). Scheinbar kann man nur dann auf
dauernde Genesung rechnen, wenn mindestens 5 Tage fieberfrei verlaufen
und die Pulsfrequenz unter 100 herabgegangen ist, vorausgesetzt, daß die
schleichende Entwicklung eines Hydrocephalus ausbleibt. Die Behandlung
bestand in erster Linie in sorgfältigster körperlicher Pflege, sodann wurde
die Lumbalpunktion wiederholt ausgiebig angewandt. Außerdem wurden zur
Unterstützung der Resorption des zurückgebliebenen Ergusses besonders
Jodoatrium und warme Bäder gegeben.
\^on den genesenen 18 — 20^0 der Kranken ist etwa der fünfte Teil
taub. Doch waren bei Abschluß der Arbeit erst wenige Wochen seit der
Entlassung der Kranken verstrichen, sodaß abzuwarten bleibt, ob sich noch
weitere Nachkrankheiten einstellen werden.
Cartins (30) hatte im Knappschaftslazarett Königshütte unter 200
Fällen von Genickstarre eine Mortalität von 70^1^ zu verzeichnen, doch ist
dabei zu berücksichtigen, daß meist schwere Fälle zur Aufnahme kamen,
viele im Koma oder in schweren Delirien, nur 75 ohne Störungen des Be-
wußtseins. Die Behandlung mit Lumbalpunktionen wird sehr empfohlen,
nnd zwar derart, daß bei jeder Verschlimmerung punktiert wird, besonders
bei Temperatursteigerungen mit Kopfschmerzen, bei Erbrechen, bei Be-
wußtseinsstörungen, schlechter Nahrungsaufnahme. Die Einspritzungen mit
KoUargollösung in den Duralsack hat der Autor nach einem ungünstig ver-
laufenden Falle wieder unterlassen. Auch größere operative Eingriffe am
Schädel haben sich nicht bewährt. Die Beseitigung der Rachenmandel übt
keinen Einfluß auf den Verlauf der Erkrankung aus. Stauung der Hals-
Tenen schien zuweilen die Beschwerden zu mildern, hatte aber keinen
wesentlichen Einfluß auf den Krankheitsverlauf, soweit die bisher damit
: gemachten Erfahrungen ein Urteil erlauben. Die Anamnese gibt keine
Anhaltspunkte für eine Infektion durch den Rachen (Rachentonsillen !).
Xasenkatarrhe sind in den ersten Tagen der Erkrankung sogar selten. Von
welcher Seite nun auch die Infektion erfolgen mag, so ist festgestellt, daß
fie Meningokokken bei verhältnismäßig frischen Fällen schon sich im Blute
finden. Verf. konnte sie in drei Fällen auf flüssigem Agar durch Blut-
aussaat am 3. Krankheitstage züchten. In 18 Fällen von den 200 wurden
Petechien an Brust und Abdomen beobachtet. Außerdem kam noch ein
anderes masernähnliches Exanthem vor, das zusammen mit den bei der
Meningitis nicht seltenen Erscheinungen von Konjunktivitis und Lungen-
katarrh mit Fieber zu Verwechslungen Anlaß geben könnte. Von den
nervösen Störungen ist die Beobachtung von Flexibilitas cerea in den
komatösen Zuständen hervorzuheben.
Radmann (115, 116) erstattet in zwei Mitteilungen Bericht über die
im Knappschaftslazarett Laurahütte beobachteten 61 Fälle von Genickstarre.
Bemerkenswert ist das relativ häufige Vorkommen von Exanthemen besonders
ro.seolaähnlichen Flecken. In zwei Fällen dieser Art war der Krankheits-
Jahresbericht f. Neurologie and Psychiatrie 19U5. 29
450 Meningitis cerebro-spinalis epidemica.
verlauf ein ungewöhnlich leichter, und doch konnten in dem einen Meningo-
kokken bakteriologisch nachgewiesen werden. Solche Fälle beweisen nach
des Verfassers Ansicht, daß abortive Fälle von Genickstarre vorkommen, und
machen es wahrscheinlich, daß nicht der lokale Prozeß in den Meningen,
sondern die Aligemeininfektion das Primäre ist. In dieser Hinsicht ist auch
bemerkenswert, daß in allen Fällen, in denen besonders darauf geachtet
wurde, in den Leichen teils schnell verstorbener teils wochenlang behandelter
Meningitiskranker regelmäßig Veränderungen am Verdauungstraktus gefunden
wurden. Es waren dies Schwellungen der Peyerschen Plaques und der
Mesenterialdriisen. Meningokokken konnten aus den Drüsen nicht gezüchtet
w^erden. Es ist daher anzunehmen, daß die Infektion der Meningen nicht
direkt, sondern erst durch die Blutbahn nach einer vorausgegangenen All-
gemeininfektion stattfindet, die auch ohne Meningitis ausheilen kann. Der
Beweis dafür, daß die Meningokokken von der Nase oder vom Rachen her
in die Hirnhäute einwandern, ist noch nicht erbracht worden. Gleichzeitig
mit den Hirnhäuten findet wahrscheinlich die Infektion der Augen statt; aus
drei der Iridochorioiditis bei Meningitis entsprechenden Erkrankungen ohne
Meningitis glaubt Verf. entnehmen zu können, daß unter Umständen die
Infektion auch lediglich am Auge Platz greift. Weitere interessante Details
betreffen die einzelnen Krankheitszeichen, die Beurteilung der beiden das
Leben der Meningitiskranken bedrohenden Hauptgefahren: die schwere In-
toxikation im Beginn der Krankheit und die Hydrocephalusbildung im
späteren Verlauf, sowie die Behandlungsmethoden.
Heine (67) hat unter 100 Erkankungen an epidemischer Genickstarre
in den verschiedensten Krankenhäusern Oberschlesiens mindestens 20 Augeu-
kranke mit wenigstens 30 krankhaften Augensymptomen gefunden, von denen
15 den Bewegungsapparat, 10 die optischen Leitungsbahnen und 5 das Augen-
innere betreffen. In der Retina werden ausgedehnte Blutungen getroffen.
Am Sehnerven findet sich am häufigsten das Bild der einfachen Neuritis
optica ohne wesentliche Prominenz, ein Ausdruck der Fortleitung der basalen
Meningitis auf die Sehnervenscheiden, eine Neuritis descendens. Eigentliche
Stauungspapille scheint selten zu sein. Der häufige Hydrocephalus internus
scheint eher zum Exitus zu führen, als zur Entwickelung einer Stauungs-
papille. Häufiger kommen die entzündlichen Stammaffektionen des Optikus
infolge basilärmeningitischer Prozesse — auch ohne ophthalmoskopisch
erkennbare Neuritis optica — '■ vor und bedingen das Bild der basilären
Amaurose oder hochgradigen Amblyopie. Sie ist fast stets doppelseitig und
durch die reflektorische Pupillenstarre erkennbar. Die Häufigkeit einer Er-
blindung durch sekundäre Optikusatrophie nach diesen Erkrankungen läßt
sich noch nicht feststellen. Kortikale Sehstörungen sind selten. Meta-
statische Prozesse kommen bei den Erkrankungen des Augeninneren in
Betracht, mit Lokalisation in der Iris und noch häufiger in Uvea und Retina.
Sehr charakteristisch sind Grlaskörpertrübungen, die auf eine starke Beteiligung
der Aderhaut, insbesondere des Ciliarkörpers schließen lassen. Diese Prozesse
führen nicht zur Vereiterung des Auges, das Sehvermögen geht aber verioren
durch die Bildung des sogenannten Pseudoglioms oder amaurotischen Katzen-
auges. Das typische Endbild der schweren metastatischen Ophthalmie, eine
Atrophie des Bulbus, die wenig entstellt und operative Ein^iffe nicht er-
fordert und nie zu sympathischer Ophthalmie Veranlassung gibt, ist besonders
charakteristisch für die Genickstarre. Die Eigenart des Meningokokkus
macht sich auch hier geltend. Häufig kommen Lähmungen der Augen-
muskelneiTen vor, besonders isolierte Abduzenslähmungen, aber auch komplette
Lähmungen des Bewegungsapparates der Augen. Sie sind als ein basiläres
Meningitis cerebro-spinalis epidemica. 45 X
Symptom za betrachten. Ein praktisch wichtiges, diiFerentialdiagnostisch
brauchbares Symptom ist die Seltenheit des Lidschlags besonders im Beginn
der Erkrankung. Nystagmus und Pupillenstörungen kommen mehrfach zur
Beobachtung, scheinen aber keine sehr erhebliche Bedeutung für die Sympto-
matologie der Genickstarre zu haben.
Bloch (10) gibt nach einem kurzen Rückblick auf die früher in
Deutschland und anderweitig aufgetretenen Epidemien von Cerebrospinal-
meningitis nach seinen nunmehr in zwei großen Epidemien in Beuthen ge-
sammelten Erfahrungen eine Übersicht über die Art der Ausbreitung, die
Symptome und den Krankheitsverlauf sowie die Behandlungsmethoden dieser
Krankheit. 90% der Erkrankungen betrafen Kinder unter 15 Jahren,
10% Erwachsene von 15 — 30 Jahren, darüber hinaus kamen nur vereinzelte
Fälle zur Beobachtung. Die Mortalität erreichte über 60 7o der Fälle. Zur
Behandlung werden lauwarme Bäder empfohlen, im Beginn der Krankheit
Kalomel, wiederholte Lumbalpunktionen bei drohenden Erscheinungen von
Hirndnick. Begünstigend für die Erwerbung der Krankheit scheint eine
lymphatische und skrofulöse Konstitution zu sein. Die Genickstarre ist nicht
als eine Erkrankung der Armen, der Massenquartiere und des Proletariats
zu betrachten, sie betrifft, wenn auch ungünstige hygienische Verhältnisse
ihrer Verbreitung förderlich sein können, doch auch und in der letzten Epi-
demie vorwiegend wirtschaftlich günstig situierte Bevölkerungskreise.
Eine statistische Darstellung von der Verbreitung der letzten großen
Genickstarre-Epidemie bis Anfang Mai 1905 gibt Eggebrecht (43) auf
Grund des amtlich publizierten Materials und der kritisch gesichteten Mit-
teilungen der Presse. Dabei ist die Verteilung der Erkrankungen auf Land
und Stadt, auf die verschiedenen Bevölkerungsklassen und Berufszweige,
auf Alter und Geschlecht, das Auftreten der sporadischen Fälle sowie die
Mortalität berücksichtigt, welch letztere im Durchschnitt auf 40 — 50 ^/^ be-
rechnet wird. An einzelnen Orten war sie beträchtlich höher bis zu 96 ^/„,
an anderen geringer mit 21^1^.
Jochmanil (80) erwähnt gelegentlich einer Besprechung des Krank-
heiisbildes der Cerebrospinalmeningitis, daß es ihm gelungen ist, in einem
Falle von Komplikation mit Gelenkschwellung in dem dicken eitrigen Exsudat
des prall geschwollenen Kniegelenkes die charakteristischen Meningokokken
im Aasstrichpräparat nachzuweisen. Von den Verlaufsformen der Genick-
starre unterscheidet J. 1. die foudroyante Form oder Meningitis siderans,
2. die gewöhnlichen akuten oder subakuten Formen (hierzu gehört auch die
abortive 'Form, die nach ganz kurzer Fieberperiode kritisch entliebert und in
Heilung ausgeht) und 3. die Meningitis levis.
Die Differenzialdiagnose der verschiedenen Meningitisformen bespricht
Krause (86) in einem klinischen Vortrag, der in knapper klarer Fassung
alles Wichtige und nur Wesentliches enthält und besonders die tuberkulöse
sowie die epidemische und sporadische Meningitis berücksichtigt.
Domblüth (39) empfiehlt als prophylaktische Maßregel gegen die
Meningokokkeninvasion die möglichst frühzeitige Entfernung der als Bakterien-
herde dienenden Rachenvegetationen der Kinder. Für die Behandlung der
Genickstarre rät er nach seinen Erfahrungen zu den von Aufrecht empfohlenen
heißen Bädern (38 — 40®) und zu Lumbalpunktionen.
Singer (129) schildert die differentialdiagnostischeu Merkmale der
epidemischen Cerebrospinalmeningitis und der tuberkulösen Meningitis, so-
weit sie sich aus der Krankenbeobachtung ohne bakteriologische ünter-
suchungsmethoden ergeben, und gibt eine Anleitung für die Ausfühning der
29*
452 Meningitis cerebro-spinalis epidemica.
Lumbalpuuktiou und die Beurteilung der damit gewoanenen Cerebrospioal-
fliissigkeit.
Loeper und Goaraud (96) weisen nach, daß bei der Cerebrospinal-
meningitis im Gegensatz zu anderen Infektionskrankheiten die Aus-
sclieidung der festen und der flüssigen Harnbestandteile vermehrt ist. Die
Albuminurie, häufig bei der Pneumokokkenmeningitis, wird bei der Meningo-
kokken meningitis nur in geringem Grade angetroffen oder gar nicht, oft nur
vorübergehend. Cylindrurie kommt gar nicht vor, wohl aber Ausscheidung
polynukleärer Zellen. Das spezifische Gewicht des Harns ist normal, der
Gefrierpunkt mit- 1,2 bis— 1,4** etwas unter dem bei Infektionskranklieiten
sonst beobachteten.
Vor allem charakteristisch für die Harnabsonderung bei der Genick-
starre für den „meningitischen Diabetes** ist die Polyurie. Es werden bis
zu 3 — 4 Liter klaren Urins mit einer Temperatur von 40" im Tage aus-
geschieden. Diese Harnvermehrung soll nicht immer mit einer vermehrten
Flüssigkeitsaufnahme verbunden sein. Indes läßt sich nicht immer ent-
scheiden, ob Polyurie oder Polydipsie das Primäre ist. Leider gibt die
Arbeit den Zahlen über die Ausgaben nicht auch genaue Bestimmungen
über die Einnahmen bei, sodaß sich erstere schwer in ihrer vollen Be-
deutung beurteilen lassen. Erhöht ist die Ausfuhr an Stickstoff, an Phos-
phaten und meist auch an Chloriden. In der Rekonvalszenz gehen die
Harnmengen und die Ausgaben an Stickstoff und Chloriden wieder herunter.
Auch ist die Ausscheidung von Methylenblau, Jod, Salicyl und reichlich
zugeführtem Kochsalz beschleunigt, während sie bei den anderen Infektions-
krankheiten verlangsamt ist. Unter umständen tritt Zuckerausscheidung
ein. Der Vermehrung der Ausscheidungsprodukte im Harn steht eine solche
im Blute zur Seite. Als Ursache dieser Produktions- und Eliminations-
steigerung ist die Erkrankung des Nervensystems, insbesondere die Er-
regung der bulbären Zentren und damit der vasomotorischen, den Blutdruck
regelnden Zentralapparate zu betrachten. Die gleichen Veränderungen der
Harnausscheidung werden bei anderen Zentralerkrankungen, so auch bei
tuberkulöser Meningitis beobachtet. Nur in besonders schweren akuten
^leningitisfällen oder auch vor dem Tode kehrt sich das Verhältnis um: der
Harn wird spärlich, konzentriert, eiweißhaltig, arm an Harnstoff und fast
frei von Chloriden. Die Eigenart der meningitischen Polyurie verleiht ihr
eine gewisse Bedeutung in der diagnostischen Unterscheidung der Genick-
starre von anderen Infektionskrankheiten.
Mandoul (100) berichtet über eine kleine Epidemie von Cerebro-
spinal-Meningitis im 107. Regiment zu Angouleme im Frühjahr 1904, die
sich fast ganz auf eine Kaserne mit lü Fällen beschränkte. In einem
Falle konnten Weichselbaumsche Meningokokken gezüchtet werden. Verf.
empfiehlt zur Verhütung weiterer Ausdehnung nach Ausbruch der Seuche
periodische Spülungen der Nasenrachenhöhlen, um diese möglichst keimfrei
zu erhalten, da alle für die Meningitis in Betracht kommenden Keime am
häufigsten der Flora des Nasenrachenraumes entstammen, und hier allein
eine wirksame Prophylaxe anzugreifen hat, auch wenn man nicht allein dem
Weich sei bäum sehen Kokkus die Rolle des spezifischen Erregers dei
epidemischen Meningitisformen zuerkennen will.
An der Hand eines typischen Falles gibt Chauffard (19) eine über-
sichtliche Darstellung der Symptomatologie, Bakteriologie und Therapie liei
Meningokokken-Meningitis. Er erwähnt die zuerst von Pinto hervor
gehobene Verwandtschaft zwischen Meningokokken und Gonokokken in
fiirborischen und kulturellen Verhalten und spricht die Vermutung aus, da£
Meningitis cerebro-spinalis epidemica. 453
es sich hier um zwei Arten von Mikroorganismen gleicher Herkunft, aber
Terschiedenartiger Virulenz handeln könne. Polyurie konnte in diesem Falle
nifht nachgewiesen werden. Bei Aufnahme von 3 Liter Milch im Tage
wurden 1500 ccm Urin von spezifischem Gewicht 1020 — 1026 ausgeschieden,
damit 3,5 g Phosphate (einmal bis zu 4,65 g), 33 g Harnstoff (einmal bis
zu 72 g) aber nur 1 — 2 g Kochsalz in 24 Stunden. Es bestand also Koch-
salzretention^ ohne daß Ödeme auftraten. Die Prognose hat auch die Frage
nach Residuen der Krankheit beim Überstehen derselben zu berücksichtigen,
ond hierbei ist zu beachten, ob Zeichen einer schwereren Beteiligung des
Zentralnervensystems oder der peripherischen Nerven selbst nachzuweisen
sind. Inwieweit bei völlig ausgeheilter Meningitis eine Disposition des
Nervensjstems zu anderen Erkrankungen zurückbleibt, läßt sich noch nicht
beurteilen. Zur Behandlung werden heiße Bäder (38 — 39**) und wiederholte
Lumbalpunktionen empfohlen. Letztere sichern die klinische Diagnose und
geben ihr die bakteriologische Bestätigung, sie unterstützen die Überwachung
des Krankheitsverlaufs (Abnahme der plymorphkernigen Zellen und Zunahme
der einkernigen Elemente) und haben unbestreitbar einen günstigen thera-
peutischen Einfluß.
Weichselbanm und Ghon (146) fanden bei einer mit Endocarditis
komplizierten Meningitis cerebrospinalis in den Herzklappen Kokken, welche
dem Micrococcus meningitidis sehr ähnlich waren. Ihre weiteren Unter-
söchungen der Nasenhöhlen von Kranken und Gesunden ergaben, daß bei
Meningitis cerebrospinalis der Meningokokkus sich im Nasensekret fast stets
Torfaüd und aucli bei anscheinend Gesunden, die allerdings in der Um-
gebung der Kranken gewesen waren, sich öfter Kokken nachweisen ließen,
die den Meningokokken glichen. (Bendix,)
Grawitz (Hl) analysierte in einem Vortrag in der medizinischen
Gesellschaft die 17 im Charlottenburger Krankenhause während der Genick-
starre-Epidemie in Oberschlesien beobachteten Fälle von Meningitis cerebro-
spinalis. Von diesen erwies sich eine Anzahl als tuberkulöser Natur, und
auch die übrigen verdienten nicht als epidemische bezeichnet zu werden,
sondern nur als „contagiöse" oder „ansteckende" Meningitis. (Bemlix,)
Westenhoeffer (148) beschäftigt sich in seinem Vortiage mit der
pathologischen Anatomie und dem Infektionsweg bei der Genickstarre. W.
hat 30 Sektionen ausgeführt, welche bis auf einen Fall von tuberkulöser
Meningitis cerebrospinaUs denselben Befund ergaben; und zwar sprachen
die Sektionsergebnisse für eine primäre Erkrankung des Nasenrachenraumes
mit Übergreifen auf das Ohr, das Felsenbein und Keilbein und auf die
Meningen auf dem Wege der Highmorshölie, der Keilbeinhühleii, der
Paakenhöhlen und der Sella turcica. Die Erkrankung scheint an der Hypo-
physis zu beginnen, wofür auch der frühzeitige Strabismus der Kinder
spricht. Die Meningitis läßt, im Gegensatz zur tuberkulösen, die Fossa
SyIvü meist frei. W. kommt zu den Schlüssen, daß die Eintrittsforte der
epidemischen Genickstarre der hintere Nasenrachenraum ist, besonders die
Kachentonsille. Die Hirnhautentzündung ist anfangs stets eine basale und
zwar in der Gegend der Hypophysis und entsteht auf lymphogenem Wege.
8ie ist als Zeichen der Erkrankung des Cavum cranii analog den Er-
krankungen der Schleimhäute der Nebenhöhlen des hinteren Nasenrachenraumes
zn betrachten. Niemals oder ganz ausnahmsweise entsteht sie durch Fortleitung
einer Erkrankung der Siebbeinzellen. Die Krankheit ist eine exquisite
Kinderkrankheit, und die von ihr befallenen Kinder und Erwachsenen haben
deutliche Zeichen einer lymphatischen Konstitution. Die Krankheit ist
eine Inhalationskrankheit und ihre Bekämpfung ist ganz wesentlich eine
454 Meningitis cercbro-spinalis epidemica.
wohnungsliygienische Frage. Der Meningokokkus Weichselbaum- Jäger
wird in der Mehrzahl der Fälle gefunden, doch ist die Möglichkeit nicht
ausgeschlossen, daß noch andere, bei der epidemischen Genickstarre Tor-
handene Kokken und der Meningokokkus selbst nur eine sekundäxe Rolle
spielen und der eigentliche Krankheitserreger noch unbekannt ist. (Bendxx.)
Kirchner (81) hebt in seinem Vortrage hervor, daß die sogenannte
epidemische Genickstarre ihren Namen zu Unrecht hat, da sie nicht sporadisch
und nur sehr selten in epidemischer Verbreitung auftritt. Die diesjährige
Epidemie verbreitete sich in Schlesien sehr langsam, und auch dies spricht
dafür, daß die epidemische Genickstarre eine verhältnismäßig wenig an-
steckende Krankheit ist. Sie verbreitet sich durch Kontakt von Person zu
Person und bevorzugt das jugendliche Alter. Aller Wahrscheinlichkeit nach
geschieht die Übertragung durch das Nasen- und Rachensekret mittelst des
Meningokokkus, der die Eigentümlichkeit hat, außerordentlich schnell zu
Gl^unde zu gehen. (Bendix,)
Leschziner (91) teilt einen Fall von epidemischer Genickstarre bei
einem 4 Jahre alten Kinde mit und unterscheidet zwei verschiedene Formen
von Cerebrospinalmeningitis. Die eine geht mit vorwiegender Exsudatbildung
im Subarachnoidalraum einher, bei der anderen Form kommt es jedenfalla
infolge größerer Virulenz der Infektionserreger und größerer Disposition des
Erkrankten zunächst nur zur Bildung von Toxinen. Die letzteren machen
zunächst nur den Eindruck einer Sepsis und stellen die schwereren Formen
der Erkrankung vor.
Die Indikation zur Lumbalpunktion ist bei der vorwiegend exsudativen
Form gegeben in dem Auftreten von Drucksymptomen, insbesondere des
Druckpulses.
Die Lumbalpunktion bleibt ergebnislos oder erfolglos, sobald sich Ver-
wachsungen zwischen Arachnoidea und Pia bilden und den Abfluß der
Cerebrospinalflüssigkeit nach dem Lumbairaum verhindern. (BendLr.)
Bolduan und Qoodwin (12) fassen ihre Erfahrungen bei der epi-
demischen Genickstarre dahin zusammen, daß ihr Erreger der Weichsel-
baum sehe Meningokokkus ist, der sich in der ersten Krankheitswoche in
der Nasenschleimhaut meist vorfindet, aber sehr leicht zu Grunde geht. Die
Infektion ginge durch direktes Kontagium vor sich und werde durch Trauma
oder Überanstrengung befördert.
Die menschliche Genickstarre sei nicht der Cerebrospinalmeningitis bei
Tieren verwandt; eine Übertragung durch Tiere findet nicht statt. In
manchen Epidemien erkrankten zumeist jüngere Kinder, in anderen wieder
ältere Kinder und bisweilen nur Erwachsene. (Bmdut.)
Dopter (38) beschäftigt sich in seiner Arbeit mit der Epidemiologie
und Prophylaxe der Genickstarre und teilt die allgemeine Ansicht, daß die
Gehirnerscheinungen von dem Eindringen des Meningokokkus von den Nasen-
scheimhäuten aus zu den Meningen herrühren. (Bendix,)
Westenhoeflfer (147) nimmt auf Grund seines in Oberschlesien ge-
sammelten Sektionsmaterials und eigener Beobachtungen an Lebenden als
Eingangspforte des EiTegers der Cerebrospinalmeningitis den hinteren Nasen-
rachenraum, den lymphatischen Nasenrachenring, besonders die ßacheii-
tonsille an.
Die Aufgabe der Therapie muß es sein, Rezidive durch Behandlang
der Tonsillen zu verhüten, die Autolyse des festen, in der Dura gebildeten
Exsudates zu befördern und das flüssige Exsudat durch operativen Eingriff
(Lumbalpunktion, Occipitalinzision) zu entfernen.
Meningitis cerebro-spinalis epidemica. 455
Da es bei Pferden eine häufig epidemisch auftreteude seröse Meningitis
gibt mit dem Befunde von Kokken, die den Weichselbaumschen ähnlich
sind, so ist ein Studium des Verhältnisses dieser Krankheit zu der epi-
demischen Genickstarre und ihrer übertragbarkeit auf Menschen sehr not-
wendig. (Bendüe,)
Colles (24) lenkt die Aufmerksamkeit auf die die Meningitis cerebro-
spinalis komplizierenden Ohraffektionen. Aus den Statistiken geht hervor,
daß der fünfte bis sechste Teil der Kranken an Schwerhörigkeit während
oder nach überstandener Krankheit litten. Die Ansichten über die Ursache
der Ohrenleiden differieren noch; zum Teil werden entzündliche Vorgänge
im Akastikus-Zentrum im Gehirn oder im Verlaufe des Akustikus im Schädel
angenommen« zum Teil sind akute Entzündungen des Mittelohres der Grund
für die Ohrenerkrankungen.
C. hat bei der letzten Epidemie von Meningitis cerebro-spinalis elf
Falle beobachtet, 5 Knaben und 6 Mädchen. Nur zwei waren von Ohren-
leiden frei. Die übrigen ließen akute Mittelohrentzündungen deutlich er-
kennen. (Bendia;.)
Martild und Rohde (103) teilen einen Fall von Genickstarre eines
Torpedo-Maschinisten mit, der durch einen septikämischen Prozeß eingeleitet
wurde. Unter Schüttelfrost und hohem Fieber mit heftigen Kopf- und
Backenschmerzen hatte sich ein Exanthem über den ganzen Rumpf ver-
breitet, und erst einige Tage später trat deutliche Genickstarre auf. Es
gelang, sowohl kulturell als auch bakteriologisch den Nachweis des Meningo-
kokkus im Blute zu erbringen. Die Infektion war anscheinend von einem
anderen Torpedo-Matrosen, der nach einem Urlaub an Genickstarre erkrankt
war, erfolgt. (Bendix,)
Donelan's (37) Fall betraf einen 50 Jahre alten Mann, bei dem sich
die Symptome der Genickstarre langsam entwickelt hatten. Unter wiederholt
tosgeführten Lumbalpunktionen, durch welche der Diplococcus intracellularis
nachgewiesen werden konnte, trat auffallende Besserung und Genesung ein.
(Bendix,)
Sevestre und Saillant (127) haben ein 9jähriges Mädchen, das
anfänglich mit Schulterschmerzen, dann mit deutlichen Erscheinungen basaler
Meningitis erkrankt war, mit sehr häufig wiederholten, zunächst täglichen
Lnmbalpunktionen behandelt. Der Liquor war getrübt und enthielt Eiter-
korperchen sowie Meningokokken. Nach 8 — 10 Tagen trat scheinbar Besse-
mng ein, doch setzte darauf die Krankheit mit neuer Heftigkeit ein. Indes
^rde allmählich die Spinalflüssigkeit klarer, es verschwanden erst die Diplo-
kokken, dann die polynukleären Zellen, eine Lymphocytenvermehrung blieb
fe zuletzt nachweisbar. Nach etwa vierwöchiger Krankheitsdauer, und nach-
dem durch 12 Punktionen im ganzen 350 ccm Liquor entleert worden waren,
trat voUkoramene Heilung' ein. Es blieb keinerlei Nachkrankheit zurück.
Hoföiöka und Poledne (69) berichten über das Ergebnis einer
größeren Zahl von bakteriologischen Untersuchungen des Nasensekrets
gesunder Personen und teilen die Krankengeschichten zweier Fälle von
Genickstarre mit, die erfolgreich mit wiederholten Lumbalpunktionen behandelt
und der Heilung zugeführt wurden.
Von 207 gesunden Personen, die mit Meningitiskranken nicht in Be-
rührung gekommen waren, wurden bei 25, somit bei 12,07 ®/^, im Nasensekret
Meningokokken gefunden. Meningokokken kommen also mikroskopisch
nachweisbar im Nasensekret solcher vollkommen gesunder und nicht infi-
zierter Menschen doch verhältnismäßig häufig vor.
456 Meningitis cerebro-spinalis epidemica.
unter 29 Personen, die mit Meningitiskranken in direkter BeriihniDg
gewesen waren, zeigten 11, also 37,9 7o Meningokokken im Nasensekrei.
demnach verhältnismäßig viel mehr als in der vorigen Gruppe.
Insgesamt wurden bei 36 gesunden Personen Mikrokokken vom Typus
der Meningokokken im Nasensekret gefunden. Bei 22 dieser Personen
wurden wiederholte Untersuchungen angestellt, und es zeigte sich, daß die
Kokken bei 4 Fällen nach 7 Tagen, bei 10 nach 8, bei 2 nach 9, bei
einem Fall nach 14, bei 4 Fällen nach 16 und bei einem Fall nach 19
Tagen nicht mehr nachgewiesen werden konnten. Es scheint danach, daft
die Meningokokken sich nicht lange in der Nasenhöhle der Gesunden auf-
halten. Auch in den beiden Fällen von Meningitis verschwanden in der
Kekonvaleszenz während einer Woche die Meningokokken aus dem Nasen-
schleim oder waren doch nur noch in so geringer Menge vorhanden, daft
sie nicht mehr nachweisbar waren. Gelegentlich einer Masernepidemie wurden
119 Kinder auf das Vorhandensein meningokokkenähnlicher Diplokokken •
im Nasenschleim untersuclit und in 34 Fällen ein positives Resultat gefunden,
während bei 9 Fällen von Parotitis epidemica die Untersuchung der Nasen-
sekrete negativ ausgefallen ist.
Speer (131) erörtert das Verhältnis der sporadischen Fälle von Genick-
starre zu den Epidemien dieser Erkrankung. Er führt an, daß ursprünglich
nur der epidemische Charakter des Leidens erkannt wurde, daß die Seuche
nunmehr in den großen Städten (Amerikas) endemisch ist, und daß die Art
ihrer Verbreitung von Ort zu Ort und von Person zu Person noch nicht
hinreichend bekannt ist. Als Erreger der epidemisch wie der sporadisch
auftretenden Fälle kann der Diplococcus intracellularis meningiüdis ange-
sehen werden. Der Krankheitserreger findet seinen Eingang in den Körper
in den Luftwegen, speziell im Nasenrachenraum, setzt sich zumeist und am
wirksamsten an der Hirnbasis fest und dringt von dort zu anderen Gegenden
der Meningen des Gehirns und des Rückenmarks vor. Seine Tätigkeit
gleicht der einer septischen Invasion, die Symptome sind die einer Kombi-
nation von Giftwirkung, von Nervenreizung und von Hirndruck. Die Mor-
talität beträgt 50 ^/^ und kann durch hygienische Maßnahmen sowie durch
gute Pflege und Behandlung der Kranken herabgesetzt werden. Auch in
den schlimmsten Formen ist die Cerebrospinalmeniiigitis einer Behandlung
zugängig. Die therapeutischen Erfolge der Lumbalpunktion lassen noch
viel zu wünschen übrig, diese Behandlungsmethode bedarf noch weiterer
Ausbildung. Bei entschiedener und konsequenter Anwendung vermögen auch
die alten Behandlungsmethoden gute Erfolge zu erzielen. In letzterer Hin-
sicht werden eine Reihe guter praktischer Regeln gegeben.
Hildesheim (68) glaubt, daß die hintere basale Meningitis (posterior
basic meningitis) des Kindesalters nicht als ein sporadisches Auftreten der
epidemischen Meningitis, sondern als eine Krankheit sui generis zu betrachtea
sei, und führt auf Grund eines Materials von über lOO Fällen hierfür u. a.
folgende Gründe an: Die sporadische Form betrifift in mehr als der Hälfte
der Fälle Kinder im Alter unter 1 Jahr, die epidemische im gleichen Ver-
hältnis Kinder unter 10 Jahren. In einem Drittel der sporadischen Fälle
tritt ohne Neuritis optica Amaurose ein, die bei den epidemischen Fällen
nicht vorzukommen scheint, bei welchen die mit jeuer Erkrankung sehr selten
vorkommende Neuritis optica häutiger beobachtet wird. Taubheit wird bei
der hinteren basalen Meningitis selten, bei der epidemischen sehr häufig in
der Rekonvaleszenz gefunden. Hautveränderungen, Petechien, Herpes usw.
kommen nur bei der epidemischen Meningitis (spotted fever!) häufiger vor.
Die für die sporadischen Fälle charakteristische Retraktion des oberen
Meningitis cerebro-spinalis epidemica. 457
Aagenlids wird von der epidemischen Meningitis nicht berichtet Nähere
Angaben über die Ätiologie der vei-werteten Fälle bezw. über die bakterio-
logischen Befunde bei diesen werden nicht gemacht.
Koplik (85) beschreibt das zuerst in England von Gee und Barlow
aufgestellte KranUieitsbild der hinteren basalen Meningitis (posterior basic
meniügitis), den cervikalen Opisthotonus der KJnder, dessen Hauptsymptom
gerade diese eigenartige Kopfhaltung ist. Er hat das Bild während der
letzten Cerebrospinalmeningitis-Epidemie unter insgesamt 30 Fällen bei acht
Kindern im Alter von meist 4 Monaten oder doch unter 2 Jahren gesehen.
Es bestand meist Leukocytose des Blutes, die Lumbalpunktion förderte
zaweilen gar keine, oft nur sehr wenig sterile Flüssigkeit, einigemale wurden
Meningokokken im Liquor intra vitam oder post mortem nachgewiesen. Die
anatomische Untersuchung der gestorbenen Kinder zeigte verschiedenartige
Befunde: Hydrocephalus, basales purulentes Exsudat, Hämorrhagien an der
Medalla spinalis u. a. Die Krankengeschichten werden ausführlich mitgeteilt.
K. hebt hervor, daß die Form der hinteren basalen Meningitis bei Epidemien
Ton Meningokokkenmeningitis vorkommt, durch denselben Krankheitserreger
hervorgebracht, wie die bei älteren Kindern beobachteten Meningitisformen
Ton etwas anders gestaltetem Verlauf. Es ist anzunehmen, daß die Cerebro-
spinabneningitis, die epidemische, wie die sporadisch auftretende, gerade bei
Kindern im Alter von unter 2 Jahren die von Gee, Barlow und Still
beschriebene Form in einer gewissen Reihe von Fällen aimimmt.
Foster (49) hat 30 Fälle von Genickstarre während der Epidemie
in New- York beobachtet und teilt seine Erfahrungen ausführlich mit. Es
ist ihm gelungen, mit Elser (44) aus dem Venenblut der Kranken einen
gramnegativen Diplokokkus von den kulturellen Eigenschaften des Meningo-
kokkus nach Art des Nachweises von Typhusbazillen in Fleischbrühe oder
Ascites-Fleischbrühe zu züchten.
Abbott (1) hat nach den oSiziellen Listen die Fälle von Meningitis
zusammengestellt, die während des Winters 1904/05 in Philadelphia seit
Einfuhrung der Anzeigepflicht im September 1904 vorgekommen sind. Im
ganzen kamen von diesem Termin bis* zum 7. April 1905 52 Fälle als
epidemische Cerebrospinalmeningitis zur Anzeige. Darunter sind 17 Todes-
fälle. Brauchbare Krankengeschichten liegen von 32 Fällen vor, die zeigen,
daß 5 Fälle von tuberkulöser Meningitis dabei waren. 2 Fälle wurden durch
Autopsie oder Lumbalpunktion als Pneumokokken-Iiifektionen erkannt, sechs
weitere Fälle können nach dem Krankenbericht nicht unter die genuine
epidemische Meningitis eingereiht werden. Ohne Korrektur der zweifelliaften
Beobachtungen ergibt sich eine Mortalität von 30,7 %. 3,6 ^l^ der Fälle
betrafen Kinder unter 1 Jahr, 70,9 ^j^ solche zwischen 1 und 20 Jahren,
%o % Erwachsene im Alter von über 20 Jahren. Nur viermal kamen
mehrere Erkrankungen in einem Hause vor. Besondere epidemiologische
Bedingungen für die Ausbreitung der Erkrankung konnten nicht ausfindig
gemacht werden. Eine beigegebene Planskizze veranschaulicht die Verteilung
der einzelnen Fälle auf die Stadtbezirke und ihre zeitliche Reihenfolge.
Jacobi (73, 74) gibt eine umfassende Darstellung von der Geschichte
der epidemischen Cerebrospinalmeningitis und von deren Ausbreitung in
Amerika, speziell in New York. Er berichtet über seine eigenen Erfahrungen
auf diesem Gebiet, namentlich in therapeutischer Hinsicht. Von den nach
Weitzfelders Vorschlag subkutan, intramuskulär und in den Duralsack
gemachten Einspritzungen großer Dosen von Diphtherie - Antitoxin hat er
keinen merklich günstigen Einfluß beobachten können.
458 Meningitis cerebro-spinalis epidemica.
Lafforgue (88) hat von vier Fällen epidemischer Cerebrospinal-
meningitis, die er in Tunis beobachtete, in dreien die Weichselbaumschen
Diplokokken als alleinige Erreger gefunden. In dem vierten, dem einzigen
Fall mit letalem Ausgang, war auffallend der große Reichtum der Cerebro-
spinal -Flüssigkeit an Weichselbaumschen Meningokokken und daneben,
während der ganzen Dauer der Krankheit die Anwesenheit einer zweiten
vorwiegend extracellulär gelegenen und nach Gram stark farbbaren Diplo-
kokkenvariation. Auch diese konnte isoliert werden und wurde durch Uber-
impfungen auf Tiere usw. weiter untersucht, ohne daß es gelungen wäre, sie
genauer zu bestimmen. Sie ähnelte der Jäger-Heubn ersehen Form in
der Gramreaktion, in der Gruppierung zu kurzen Ketten in den flüssigen
Medien, unterschied sich aber von jener durch geringe Lebensfähigkeit, ihre
die der Pneumokokken weit übertreffende ,. Zerbrechlichkeit", die durch die
Tierpassage noch gesteigert worden war.
Boinet (11) führt aus, daß seit einer Epidemie im Jahi*e 1900 jähr-
lich in Marseille einzelne Fälle von epidemischer durch Meningokokken ver-
ursachter Cerebrospinalmeningitis zur Beobachtung gekommen sind, die sich
in letzter Zeit etwas vermehrten. Es besteht demnach im Südosten Frank-
reichs ein Krankheitsherd, dessen Ausdehnung freilich mit den großen
Epidemien in Oberschlesien und in den Vereinigten Staaten kaum verglichen
werden kann. B. berichtet über die neueren Forschungen auf dem ein-
schlägigen Gebiet und teilt die Krankengeschichten von 15 Eigenbeobach-
tungen aus den Jahren 1902 bis 1905 mit.
Blaber (9) erwähnt zwei Fälle von sporadischer Cerebrospinalmenin-
gitis vom Charakter der epidemischen. Der eine Fall verlief letal, schwere
Toxämie zeigte sich frühzeitig durch das Auftreten hämorrhagischer Haut-
tiecke an, durch Respirationsstörungen, Bewußtseinstrübung und rapiden Ver-
lauf. Der zweite Fall kam zur Heilung, war aber durch eine metastatische
Choroiditis, ein sogen. Pseudogliom auf dem linken Auge kompliziert. In
diesem Falle hatten sich nach einem stürmischen Beginn mit Konvulsionen
und jagender Atmung die meningitischen Symptome erst nach einigen Tagen
deutlich entwickelt.
Poynton (114) erörtert in einer längeren Vorlesung die verschiedenen.
Formen meningitischer Erkrankung, die tuberkulöse Meningitis, die epidemi-
sche Cerebrospinalmeningitis, als eine besondere Form die posterior basic
meningitis (akute Meningitis in frühem Kindesalter mit Hydrocephalus) u. a.
und widmet an der Hand lehrreicher Krankengeschichten aus eigener Beob-
achtung besondere Aufmerksamkeit den differentialdiagnostischen Momenten
und den Behandlungsmethoden. Der Lumbalpunktion erkennt er einen
wesentlichen therapeutischen Einfluß nicht zu und macht sie nur, wenn die
Unklarheit des Falles den Eingriff zu diagnostischen Zwecken fordert. Da-
gegen tritt er warm für die operative Behandlung der mit Hydrocephalus
komplizierten Fälle von Meningitis mit nachfolgender Drainage des Ergusses
ein. Die Senimtherapie ist für die Meningitis nach dem gegenwärtigen
Stand der Forschung noch nicht zu brauchen.
Castellani (18) hat auf Ceylon zwei Fälle von autoptisch nachge-
wiesener eitriger akuter Cerebrospinalmeningitis mit raschem Verlauf bei
Eingeborenen beobachtet. Die sorgfältige bakteriologische Untersuchung des
den Leichen entnommenen purulenten Cerebrospinal-Liquors ergab beide
male teils intra-, teils extracellulär gelegene gramnegative Diplokokken, die
nach ihrem mikroskopischen Verhalten, nach dem Wachstum auf den ge-
bräuchlichen Nährboden und nach ihrem Verhalten im Tierkörper als die
Meningitis cerebro-spinalis epidemica. 459
von Weichselbaum beschriebene Fonn der Meningokokken zu erkennen
varen.
McGahey (104) referiert über eine Meningitis-Epidemie, die iu den
Monaten Februar bis April in Nord Nigeria grassierte. Wahrscheinlich war
sie durch einen Mekkapilger eingeschleppt worden. 3 bis 5 7ü der Bevöl-
kernng der befallenen Städte erkrankten, die Mortalität erreichte 50 ^j^ der
Fälle. Krankheitsverlauf und Symptomatologie bieten keine Besonderheiten.
Ebensowenig der mitgeteilte pathologisch-anatomische Befund. Bakterio-
logische Einzelheiten liegen nicht vor.
Connoilman (26) weist in einem Bericht über die Pathologie und
Bakteriologie der akuten Meningitis zunächst darauf hin, daß alle Fälle von
Meningitis cerebrospiuale sind und wahrscheinlich immer eine mehr oder
minder ausgedehnte encephalitische Erkrankung sie begleitet. Seit 1897
wurden in Massachusetts General- und Boston City-Hospital 61 Meningitis-
Autopsieen gemacht. Davon betrafen 21 die epidemische Form. Epidemien
TOD akuter Meningitis werden durch den Diplococcus intracellularis menin-
gitidis hervorgerufen. Sporadische Fälle sind nicht selten, weitaus die
meisten primären Meningitiden werden durch Meningokokken hervorgerufen.
Die Meningokokken - Infektionen kommen viel häufiger zur Heilung als die
Litektionen der Meningen mit Pneumokokken und Streptokokken. Der
Meningokokkus lebt nicht als Saprophyt außerhalb des Körpers, er wird auf
den Schleimhäuten der Nase gefunden, und es ist walirscheinlich, daß die
Infektion der Meningen von einer der benachbarten Schleimhäute her auf
dem Wege der Lymphbahuen erfolgt. In 1 8 Fällen lag eine Pneumokokken-
infektion vor: nur in einem von diesen schien es sich um eine primäre
Meningitis zu handeln. In den übrigen war Sekundärinfektion von
Eitemngen des Ohrs und anderen Infektionsherden in den Lungen, in der
Prostata u. a. nachzuweisen. Selten war die Infektion eine embolische,
meist eine kontinuierliche oder auf den Lymphwegen erfolgte. C. glaubt,
daß das Vorkommen der Pneumokokkenmeningitis bes. bei der Pneumonie
überschätzt wird. Von 18 Streptokokkeninfektionen schien nur eine primär
2a sein. Weiter kamen noch 4 sekundäre Eiterkokkeninfektionen der
Meningen zur Beobachtung, eine Infektion mit Milzbrand. Typhöse Infektion
der Meningen hat Councilman auf dem Sektionstisch nicht beobachtet.
Elsner (45) gibt statistische Daten über das Vorkommen der Cere-
brospinalmeningitis in New York in den letzten zehn Jahren und behandelt
die Symptomatologie der Erkrankung mit besonderer Berücksichtigung des
Kernigschen Zeichens und der Ergebnisse der Lumbalpunktionen. Die
nicht seltenen Kombinationen von Meningokokken mit Pneuinokokkeninfektion
sind beachtenswert. Die Fälle von Cerebrospinalmeningitis mit Pneumonie
hatten in Zentral New- York durchwegs ungünstigen Ausgang.
Mäher (98) hat von einem Meningitiskranken aus dem lebenswarmen
Cerebrospinaleiter typische intracelluläre Weichselba umsehe Diplokokken
gezüchtet. Bei der Weiterzüchtung auf verschiedenen Nährböden und
nach Überimpfung auf Kaninchen ergaben sich mancherlei Umformungen
der Mikroorganismen, die den Verfasser merkwürdigerweise vermuten lassen,
daß der Weichselbaumsche Diplokokkus nur eine Phase darstellt in den
Terschiedenen Lebensformen eines Organismus, der zu Zeiten größer und
stäbchenförmig, zu andern Zeiten klein und von der Gestalt des Pneumo-
kokkus und wieder zu anderen Zeiten in Form von Hefezellen auftritt.
Die Vorlesung Porter's (113) über die Ätiologie, Pathologie und
Therapie der epidemischen Meningitis beschäftigt sich vorwiegend mit den
verschiedenen älteren und neueren Behandlungsmethoden. Wesentlich neues
460 Meningitis cerebro-spinalis epidemica.
ließ sich nicht beibringen, der Verfasser schließt selbst mit den Worten, daB
mit Bedauern zugestanden werden muß, wie wenig Fortschritt in der Be-
handlung dieser Krankheit am Ende eines Jahrhunderts steter Beobachtung
besonders in Hinsicht auf eine wirkliche Heilwirkung gemacht worden ist
Von den Behandlungsmethoden der Cerebrospinalmeningitis hebt
Stockton (133) nach eingehender Besprechung aller früher üblichen thera-
peutischen Maßnahmen besonders die Behandlung mit heißen Bädern nach
Aufrecht, die Spinalpunktion und -Drainage, eventuell mit antiseptischea
oder sonstigen medikamentösen Einspritzungen in den Duralsack und die
subkutanen Snblimatinjektionen nach seinen Erfahrungen als zweckmäßig
hervor. Die heißen Bäder haben sich zur Linderung der Beschwerden und
günstiger Beeinflussung des Krankheitsverlaufs bewährt. Von Medikamenten
werden Opium, Antipyrin und Bromsalze empfohlen, auch Kalomel zur Be-
förderung des Stuhls und der Harnausscheidung. Hauptsache ist die Unter-
bringung des Kranken in den besten hygienischen Bedingungen, absolute
Ruhe, verdunkeltes gut ventiliertes Krankenzimmer, Fernhaltung aller Eeize
und Erregungen.
CoUins (25) beschreibt sehr detailliert die Erkrankung eines
13 jährigen Mädchens an Genickstarre. Die Lumbalpunktion förderte Eiter
mit mikroskopisch nachweisbaren Meningokokken, die sich züchten und beim
Stehen des Exsudats im Brütschrank 24 Stunden bei 39 " in diesem selbst
anreichern ließen. Es handelte sich zweifellos um den Diplococcus iiitra-
cellularis meningitidis Weichselbaum. Das Mädchen genas nach zehntägiger
Krankheitsdauer ohne Folgeerscheinungen.
Davis (33) hat in 30 Fällen aus der New Yorker Epidemie von
Cerebrospinalmeningitis das Verhalten der Augen und Augenmuskeln während
der Dauer der Erkrankung verfolgt. Motorische Störungen wurden nicht
selten gefunden, teils Zeichen direkter Nervenlähmung infolge von Kom-
pression der flirnnervenstämme, teils solche zerebraler Affektionen (konju-
gierte Deviation, Nystagmus, Ptosis). Das hervorragendste Augensymptom
war die in 8 Fällen verzeichnete Neuroretinitis, von denen 4 starben. Die
Prognose wird durch die Augenstörungen ungünstig beeinflußt, besonders
wenn der Augenhintergrund affiziert ist. Bei diesen Fällen beträgt die
Mortalität 66,6 ^/^, bei den Fällen ohne Augenkomplikationen 50 \. Kou-
junktivitis wurde häufig, jedoch mit Ausnahme eines Falles von Gono-
kokkeninfektion nur leichten Grades gefunden. Verfasser empfiehlt für die
Untersuchung der unruhigen Kinder die elektrischen Ophthalmoskope, welche
die Beleuchtung des Hintergrundes in Bettlage erleichtern. Eine genaue
Augenuutersuchung kann unter umständen viel zur Klärung der Diagnose
und zur Prognosenstellung beitragen.
Davis (32) behandelte ein Kind wegen Genickstarre, das nacheinander
auf beiden Augen erblindete. Das linke Auge erkrankte zwei Wochen nach
Beginn der Allgemeinerscheinungen an metastatischer Chorioiditis und bot
dann den charakteristischen Befund des amaurotischen Katzenauges (Pseudo-
glionia) mit Herabsetzung des intraokulären Drucks. Etwas später trat auch
auf dem rechten Auge völlige Erblindung ein, die Pupille wurde weit und
reaktionslos, es bestand primäre weiße Atrophie des Nervus opticus.
Donath (36) berichtet über einen Fall von Meningitis cerebrospinalis
epidemica, welcher in neun Stunden zum Tode führte und einen 24jährigen,
nicht belasteten Mann betrifft. Krankheitserscheinungen: Kopf- und Nacken-
schmerzen, Brechreiz, Muskelkrämpfe, Opisthotonus, Haut- und Akustikus-
hyperästhesie, Fieber. Keine Autopsie. Therapeutisch wird hervorgehoben:
Durch Intoxikationen und Infektionen bedingte Erkrankungen des Ner\'ensystems. 461
Lumbalpunktion, Einreibung des Kopfes mit Ungt. Crede, Collargol als
intravenöse Injektion oder subkutane Infusion. (Hudoremig.)
Morvay (107) hat in Ungarn eine kleine Epidemie der seltenen
Cerebrospinalmeningitis der Pferde beobachtet und gibt auf Grund dieser
Erfahrungen eine ausführliche Beschreibung der Krankheitszeichen der meist
letalen Erkrankung. Nur 6 bis 6 ^Iq der Fälle werden geheilt, 1 bis 2 %
erliegen den Rückfällen, eine völlige Immunität wird nicht erreicht. Die
Symptomatologie und pathologische Anatomie, die Art der Nachkrankheiten
(Blindheit, Taubheit, Hydrocephalus, bleibende Gehirnnervenlähniungeu usw.)
gleichen außerordentlich der epidemischen Cerebrospinalmeningitis des
Menschen. Die Ätiologie ist noch nicht völlig aufgeklärt, es wurden ver-
schiedenartige Erreger kultiviert, und es ist noch nicht gelungen, nach-
zuweisen, ob ein effektiver Zusammenhang zwischen der menschlichen und
der tierischen Form der Meningitis besteht. In den bei Pferden beobachteten
Fällen konnte M. stets auch einen akuten Nasenkatarrh neben der Gehirn-
erkrankung beobachten. Eine direkte Übertragung von den Pferden auf
Menschen wird vom Verfasser nicht verzeichnet. Er glaubt auch, daß die
Verbreitung der Kjankheit miasmatisch stattfindet, unmittelbare Infektionen
hat er auch in den Ställen, wo neben Kranken Gesunde standen, nicht
baDbachtet.
Bailey (6) hat 69 Proben von Cerebrospinalflüssigkeit bei epidemischer
Cerebrospinalmeningitis auf Kochsalzgehalt und Gefriei-punktserniedrigung
untersucht. Die totale Gefrierpunktserniedrigung schwankte zwischen 0,50
und 0,815, betrug in 79 «^ der Fälle 0,52—0,64 und im Durchschnitt 0,575.
Sie ist nicht nur in Proben von verschiedenen Fällen verschieden, sondern
schwankt auch im gleichen Falle zu verschiedenen Zeiten. Der Kochsalz-
gehalt betrug 0,55 bis 0,76 %, in 71 % der Fälle 0,60 bis 0,68 ®/o, im
Durchschnitt 0,66 ®/^. Die auf den Kochsalzgehalt allein berechnete Gefrier-
panktserniedrigung zeigte geringere Schwankungen als die totale, deren
Hauptanteil sie immerhin mit durchschnittlich 0,422 (0,352 bis 0,486, in
T4% der Fälle 0,40 bis 0,45) ausmachte. B. stimmt in seinen Schluß-
folgerungen mit früheren üntersuchern dahin überein, daß diese Bestimmungen
keine praktisch verwertbare Bedeutung haben.
Doreli Intoxikationen and Infektionen liedingte Erkrankungen
des NerTonsystems.
Referent: Dr. Georg Peritz-Berlin.
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Abba und Bormans (2) bestätigen, daß die von Volpino aus-
gearbeitete Methode zur Stellung der Wutdiagnose durch Aufsuchen der
Negri sehen Körperchen vollkommen ausreicht.
Aubertin und Babonneix (22) beschreiben eine Forme fruste der
diphtherischen Paraplegie. Sie haben in mehreren Fällen, in denen sich in
der Rekonvaleszenz eine diphtherische Gaumensegellähmung ausbildete, zu-
gleich ein Verschwinden des Knie- und Achillessehnen-Phänomens beobachten
können, ohne daß sonst irgend eine Störung der Sensibilität oder Motilität
an den Beinen vorhanden war. In drei Fällen bestand auch eine Akkom-
modations-Lähmung. Sie schließen daraus, daß es sich hier um eine ab-
geschwächte Form einer allgemeinen Lähmung handele. Sie meinen, daß
diese Beobachtungen beweisen, daß die diphtherische Lähmung eine Tendenx
zur Generalisation hat, und daß alle Zwischenstufen bestehen zwischen der
einfachen Gaumensegellähmung und der diphtherischen Poliomyelitis unter
der Form der Landryschen Paralyse. Das Fehlen der Reflexe kann das
einzige und feinste Zeichen einer Erkrankung des Nervensystems sein.
Bertarelli (37) bespricht die Dignität der Negrischen Körperchen
einmal für die Diagnose der Wut und ferner als ätiologisches Moment Die
Negrischen Köi-per lassen sich leicht mit Eosin färben und finden sich
immer bis jetzt bei wutkranken Tieren mit besonderer Vorliebe in den
Pyramidenzellen des Ammonshoms, aber auch in anderen Teilen des Zentral-
nervensystems. Dagegen werden diese Körper niemals angetroffen bei Tieren,
die nicht wutkrank waren, laut biologischer Probe. Auch bei den Versuchen
mit den verschiedenartigsten Vergiftungen (Tetanus, Botulismus, diphtherische
Toxine usw.) gelang es nicht, diese Körperchen künstlich zu erzeugen. Da
ErkrankuDgen des Nervensystems. 475
die Erkennong der Negri sehen Körper leicht möglich ist, so eignet sich
dies Verfahren zur Schnelldiagnose der Wntkrankheit. In Fällen, in denen
das Kesfütat negativ ist, muß die biologische Methode angewandt werden.
Die Frage, ob die Negrischen Körper als Parasiten anzusehen seien, bleibt
unentschieden. Auch aus der von Bemlinger gefundenen Tatsache, daß
sich das Wutgift durch eine Berkefeldsche Kerze filtrieren läßt, kann mau
nichts für oder gegen die Parasitennatur der Negrischen Körperchen folgern.
Des weiteren erwähnt Verfasser die Versuche von Nitsch, der sich zum
Beweise der Unschädlichkeit des fixen Virus solches ohne Schaden für seine
Gesundheit in die Bauchhöhle inokulierte. Schließlich hat Valenti noch
gefunden, daß Chinin im stände ist, das Wutvirus sowohl in vitro und in
riro zu neutralisieren, während die anderen Alkaloide diese Eigenschaft
nicht besitzen.
BUlingS (43) kommt zu dem Schluß, daß das Blei eine Krankheit
der Blutgefäße hervorrufen kann und zwar entweder direkt oder indirekt.
Der direkte Einfluß rührt wahrscheinlich von der Wirkung des im Blute
kreisenden Bleies her. Zweifellos werden die Gefaßwände der größeren
Arterien infolge der primären toxischen Endarteriitis in ihrer Ernährung
gestört. Das unzweifelhafte Faktum, das Blei Gicht hervorrufen kann, und
die ebenso wahre Beobachtung, daß bei gichtischen Individuen Arterio-
sklerose frühzeitig auftritt, mag den Einfluß des Bleies bei der Entstehung
der Arteriosklerose in seltenen Fällen erklären.
Bnzzard und Allen (63) kommen zu dem Schluß, daß wiederholte
mäßige Mengen von Cholin, die bei Tieren in die Blutbahn gebracht werden,
weder Konvulsionen noch Lähmungserscheinungen hervorrufen. Die Ein-
führung großer Dosen bewirkt allerdings Konvulsionen, aber die Dosen, die
notwendig sind, sind relativ so groß im Vergleich zu den Mengen, welche
im menschlichen Körper bei den gewöhnlichen Degenerationen des Zentral-
nerTeusystem entstehen können. Daher ist es unwahrscheinlich, daß die
Konvulsionen der progressiven Paralyse und der Epilepsie direkt oder allein
Ton den im Blut oder in der Cerebrospinal-Flüssigkeit sich befindenden
Mengen Cholin bedingt sein können. Die Gegenwart großer Mengen von
Cholin in der Zirkulation bedingt keine wirklich bedeutungsvollen patho-
logischen Veränderungen im zentralen oder peripheren Nervensystem noch
in irgend einem anderen Organ.
Cadwalader (65) findet basophile Granulationen in roten Blut-
körperchen auch normalerweise in geringer Zahl im Menschenblut, aber
sie nehmen unter gewissen pathologischen Bedingungen an Zahl zu und
^der ab, wenn die Rekonvalescenz beginnt.
1. Kernhaltige rote Blutkörperchen finden sich gewöhnlich im Blute
Ton Bleikranken und sind immer vergesellschaftet mit einer Zunahme von
Zellen mit basophiler Granulation.
2. Die sekundäre Anämie ist bei Bleivergiftung in der Kegel nur
niäßigen Grades.
3. Die granulierten Zellen sind am allerhäufigsten bei der Bleivergiftung,
möglicherweise haben sie ihren Ursprung in den blutbildenden Organen, und
wahrscheinlich sind sie das Resultat einer Fragmentation der Kerne der
roten Blutkörperchen.
Camot und Amet (67) untersuchen die Wirkung verschiedener Gifte
^e Arsen, Phosphor, Blei und ferner Alkohol, Str}xhnin, Morphium und
gewisser bakterieller Gifte auf die Fettentwicklung im Körper. Sie finden,
daß der Fettansatz, der ziemlich beträchtlich sein kann, bei leichten Ver-
476 Durch Intoxikationen und Infektionen bedingte
giftnngen mit kleinen Dosen ein ganz allgemeines Phänomen ist und ganz
unabhängig von der Natur des, absorbierten Giftes.
Dürck (111) gibt eine Übersicht über seine pathologisch anatomischen
Untersuchungen bei an Beri-Beri Gestorbenen. £s finden sich ailgemeia
degenerative Veränderungen im peripheren Nervensystem und in den Muskeln,
dagegen fehlen analoge primäre Veränderungen in den anderen Organen.
Dies weist nach Ansicht des Verf. darauf hin, daß es sich bei der Beri-
Beri um ein unbelebtes Gift handele. Allerdings wäre es möglich, daß
dieses unbelebte Gift irgendwo von einem Mikroparasiten, etwa im Darm-
kanal gebildet werde, obgleich auch dann das Fehlen jeder örtlichen Beaktion,
des sog. Primäraffektes aufBlllig wäre. Die Entartung an den Nerven läßt
sich von Stufe zu Stufe verfolgen: Das Ausschmelzen des Nervenmarkes,
die Vakuolisierung der Markscheiden und das Auftreten einer förmlichen
Waben- oder Schaumstruktur in derselben. Das frei gewordene Nervenmark
wird teils durch den Säftestrom in gelöster Form resorbiert, teils durch
große kontraktile, blasige Zellen, offenbar Phagocyten, die sich vornehmlich
in der unmittelbaren Umgebung der Kapillaren finden, welche das endoneu-
rale Bindegewebe durchziehen. Die Nervenfasern selbst sehen nach Verlust
ihrer Markhüllen wie aufgeblasene Glaskapillaren aus. Die Neurilemmscheiden
sind aufgeblasen und glasartig durchscheinend, und auf den Querschnitten
sind die Achsenzylinder in fast allen Fasern verschwunden. An die Stelle
des zu Grunde gegangenen Gewebes tritt ein Narbengewebe. In chronischen
Fällen, die sich über Monate erstreckt haben, sind nahezu alle untersuchten
Nerven in dieser Weise zum größten Teil in schwielige Bindegewebsfäden
verwandelt. Auch an den willkürlichen Muskeln treten die schwersten Ver-
änderungen ein. Einzelne Fasern erscheinen zuerst spiralig zusammengedreht,
zusammengeschnürt zwischen lang gestreckten, noch gut erhaltenen Fasern;
ihre Sarkolemmkerne sind sehr stark vermehrt, der Sarkolemmschlauch zum
Teil abgehoben. Dann zeigen die Sarkolemmschläuche an vielen Stellen
unregelmäßige Ausbuchtungen. Das kontraktile Protoplasma ist in um-
schriebenen rundlichen Klumpen ausgetreten, wie ausgeschüttet und zusammen-
geballt, und in den Klumpen ist keine Querstreifung mehr zu erkennen.
Donath (106) beobachtet einen Fall von Landryscher Paralyse mit
starker Beteiligung der Sensibilität, der in Heilung überging. Als ätiologisches
Moment wird in diesem Fall die Malaria angesehen. Die Cerebrospinal-
flüssigkeit war steril, enthielt sehr groß^ Mengen Fibrinogen und Albumosen.
Nach Erb (117 a) führen die intravenösen Adrenalininjektionen zu einer
meist herdförmigen Zerstörung der glatten Muskelzellen der Media mit rasch
eintretender Verkalkung und charakteristischen Veränderungen an den
elastischen Gewebsbestandteilen. Daraus resultiert eine Verschmälerung und
Elastizitätsabnahme der Media, die gefolgt ist von einer kompensatorischen,
aus neugebildeten elastischen Fasern, Muskel- und Endothelzellen bestehenden
Verdickung der Intima. Schließlich kommt es zur Entwicklung multipler
aneurysmatischer Ausbuchtungen der Geiäßwand. Die Adventitia und Vasa
vasorura scheinen rein histologisch an dem Prozeß unbeteiligt. Angesicht«
dieser Definition des histologischen Gesamtbildes der Adrenalinerkrankung
wird wohl niemand, der mit der pathologischen Anatomie der menschlichen
Arteriosklerose vertraut ist, daran zweifeln, daß von einer Identität beider
Prozesse nicht die Rede sein kann. Dagegen läßt sich wohl eine Parallele
ziehen mit der beim Menschen vorkommenden Mediaverkalkung der großen
Extremitäten-Arterien, die von Marchand und Mönkeberg als ein ziemlich
geschlossenes Krankheitsbild von der allgemeinen Arteriosklerose abgetrennt
wird. Was den Zustand der Organe betrifft, so finden sich nirgends auch
Erkrankungen des Nervensystems. 477
nur annähreDcL so konstaute und charakteristische Yerändeningen, wie an
der Aorta. Am häufigsten sind Blutungen^ ohne das ihnen jedoch bis jetzt
nachweisbare schwere anatomische Läsiouen der Gefäßwände vorausgehen.
Nicht die blutdrucksteigernde Wirkung diös Adrenalins ist schuld an der
Gefäßerkrankung, es muß yieimehr angenommen werden^ daß die Arterien-
efkrankaog durch eine direkte Giftwirkung auf die glatten Muskelzellen der
Gefäßwand hervorgerufen wird.
Emile- WeU und Tanon (115) haben bei Leprakranken die Cerebro-
spioal-Flüssigkeit untersucht. Die Untersuchungen fielen in jeder Beziehung
negativ aus.
Die Arbeit Flade's (124) stellt ein Sammelreferat aus verschiedenen
Arbeiten dar, die sich den Kampf gegen den Alkoholismus zum Ziel gesetzt
haben. Unter anderem gibt er eine statistische Zusammenstellung aus den
amtlichen Nachrichten des Reichsversicherungsamtes über die verschiedene
Häufigkeit von Unfällen an den verschiedenen Wochentagen. Es gebt aus
dieser auch wieder hervor, daß der Montag (Nachwirkung des Alkohol-
mißbraaches am Sonntag) und der Sonnabend (Lohntag) am höchsten mit
Unfällen belastet sind. Bemerkenswert ist ferner, daß die meisten Unfälle
in die Stunden nach der Frühstückspause fallen und auch hierbei wieder
die Standen Montags vormittags (9 — 12) die höchste Unfallszahl aufweisen.
Bei einem sechsjährigen Mädchen beobachtete Focke (128) nach einer
akateo hochfieberhaften Gastroenteritis eine Albuminurie (ohne Zylinder),
die sich nicht in der gewöhnlichen Weise bald und dauernd zum Verschwinden
bringen ließ. Es wurde an eine Vergiftung gedacht. Es ergab sich nach
rielem Sueben, daß die Abziehbilder, mit denen das Kind in den ersten drei
Wochen nach der Entfieberung gespielt hatte, zum Teil stark bleihaltig
▼aren. Es wird das Bleiweiß als Deckfarbe benutzt bei den Abziehbildern.
Verfasser fordert, daß das Blei hier gemieden wird, denn die Möglichkeit,
daß kleine Dosen Blei reizend auf die Nieren wirken, ist bewiesen, und es
ist nicht zu verhindern, daß Kinder beim Spielen mit derartigen Bildern
die mit Blei beschmutzten Finger gelegentlich in den Mund stecken und
sich so allmählich nicht geringe Quantitäten Blei zuführen.
Froin und Ramond (136) stellen fest, daß das Pleuraexsudat
Tuberkulöser mehr Bazillen enthält und stärker giftig ist als das der Oerebro-
«pinalflässigkeit derselben Kranken. Diese enthält dagegen mehr Bazilleih
Sie meinen, daß in dem Pleuraexsudat mehr Bazillen zu Grunde gehen und
infolgedessen mehr Tuberkulin in demselben gelöst ist, in der Cerebrospinal-
tiössi^eit geschieht dies nicht.
Forli (IBl) beschreibt einen Fall von cerebellaren Störungen bei
finem Kranken, der früher an Malaria erkrankt war, und der zur Zeit der
aenrösen Erscheinungen frei von Fieber und von Parasiten (Blutunter-
sucliung) sich zeigte. Der Fall erscheint deshalb wichtig, weil postmalarische
nervöie Störungen an und für sich selten beobachtet worden sind und dann
zumeist das periphere Nervensystem betreffen. Andersartige ätiologische
Momente konnten ausgeschlossen werden, so daß Forli das Auftreten von
Schwindel, Erbrechen, Ataxie, Asthenie, muskulärer Hypotonie, Dysarthrie,
Nystagmus bei dem 29jährigen Manne 15 Tage nach der letzten iialaria-
attacke auf die Wirkung von Malariatoxinen zurückzuführen sich veranlaßt
sieht. Mechanisch bedingte Zirkulationsstörungen, die von anderen Autoren
für die nervösen Störungen bei Malaria verantwortlich gemacht werden,
konnten hier ausgeschlossen werden; die bestehende Anämie konnte nur als
Prädispoaition zur Erkrankung, nicht als Ursache derselben angesehen werden.
Gastro-enteritische Störungen als Bildner der Toxine können nicht in Be-
478 Durch Intoxikationen und Infektionen bedingte
tracht gezogen werden; die Störungen dieser Art sind mit den anderen
nervösen Störungen koordiniert, werden durch dieselben Toxine ausgelöst.
(Mfsrzbacher.)
FÜrbringer (138 a) macht bei seiner Besprechung der Symptome
der Schwefelwasserstoflfvergiftung vor allem auf die psychischen Störungen
aufmerksam, die eine Art Delir darstellen. Es besteht ein ruheloser und
lauter Bewegungsdrang. Manchmal treten mehr springende und tanzende
Bewegungen der Opfer der Vergiftung hervor, welche verworren schwatzen,
unartikulierte Laute ausstoßen, . singen ,.chantent le plomb" im Jargon der
Pariser Kloakenreiniger.
Gerrard, Durh und Cantab (146) beobachteten sieben Fälle von
Beri-Beri mit foudroyantem Verlauf. Bemerkenswert von ihren Mitteilungen
ist einmal die Beobachtung, daß Alkali die Entw-icklung der Bjrankheit
begünstigt Ferner finden sie, daß keine Lösung des Giftes im Blute statt-
findet; der Transport des Giftes findet nur durch das Nervengewebe statt
Kochsalzeingießungen nützen infolgedessen nichts, ebenso sind Blutentziehungen
nur von vorübergehendem Effekt. Das Verhältnis der Leukocyten ist nicht
gestört.
Grawitz (150) berichtet über seine Beobachtungen während der
letzten Influenzaepidemie. Was das Nervensystem anbetrifft, so ist dieses
in ganz besonders schwerer und vielseitiger Weise bei der Influenza be-
troffen. Er sah Neuralgieen in den verschiedenen Nervenbezirken, Nerven-
lähmungen in der Rekonvaleszens, die bekanntlich eine günstige Prognose
geben. Auch von Seiten des Abduzens, Okulomotorius, Vagus sind nicht
selten vorrübergehend motorische Ausfallserscheinungen beobachtet worden.
Eine typische Hemiplegie, welche sich unmittelbar au eine schwere brou-
chitische Influenza anschloß, kam zur Beobachtung. Sie war kompüziert
durch psychische Erscheinungen, so daß das Bild der progressiven Paralyse
entstand. Es gingen jedoch alle Erscheinungen zurück, ohne irgendwelche
Residuen zu hinterlassen. Ferner traten Formen von seröser Meningitis
mit günstigem Verlauf auf. Verfasser betont dann ferner noch, daß die
Leukocytenuntersuchung keinen entscheidenden diagnostischen Wert besitzt,
besonders nicht zur Abgrenzung gegen Typhus.
Hirschfeld (169) sah bei einer Frau Blutungen in der Haut der
Unterschenkel, die eine Größe von Zehnpfennig- bis Zweimarkstückgröße
hatten, und die in die Tiefe bis ins Corium reichten. Im weiteren Verlauf
traten ülzerationen auf, die nicht heilen wollten. Jede Bluterkrankung war
auszuschließen. Dagegen trat Heilung ein, als Patientin das Phenacetin
aussetzte, daß sie gegen Migräne und andere nervöse Beschwerden gebrauchte.
Auf erneutes Einnehmen kam es wieder zu Blutungen unter der Haut.
Jeanselme (176 a) bespricht die Krankheiten, welche in Indio-
China besonders die Bevölkerung heimsuchen, unter anderen auch die Lepra
und die Beri-Beri in den Gefängnissen und die Maßnahmen, welche zu
ihrer Bekämpfung zu treffen sind.
Jeanselme (175) hat in Gemeinschaft mit Milian cytologische
Untersuchungen der Cerebrospinalflüssigkeit von zwei Leprösen angestellt.
Der erste Fall betraf eine Mischform der , Krankheit mit sehr prompten
Patellar- und Achillessehnenreflexen und hatte den Verdacht auf eine
meningo-medulläre Form erweckt. Allein die Untersuchung der unter er-
höliter Spannung stehenden Cerebrospinalflüssigkeit ergab ein negatives
Resultat.
Der zweite Fall zeigte ein sehr auffälliges Verhalten der Reflexe.
Besonders die Patellarreflexe waren äußerst lebhaft; es bestand Fußklonus.
Erkrankungen des Nervensystems. 479
Die Achillessehnenreflexe waren beiderseits gesteigert, die Triceps- und
fiadialretiexe zeigten sich rechts sehr lebhaft, links in normaler Stärke. Die
Plantarreflexe fehlten. Die Bauchdeckenreflexe waren beiderseits normal.
Der Cremasterreflex ließ sich rechts leicht auslösen, links fehlte er (Patient
hatte Cryptorchismus). An den Pupillen ist die Akkommodation gut,
dagegen der Lichtreflex träge. In der Cerebrospinalflüssigkeit fehlte auch
hier eine Lokocytose. Jeanseime ist der Meinung, daß die ßeflexsteigerung
aaf keiner Affektion des Rückenmarks beruhe, sondern auf einer toxischen
Beizang der excito-motorischen Zentren des Kückenmarkes. Um sich bei
der Cytologie der Cerebrospinalflüssigkeit vor Irrtümern zu bewahren, sei es
notwendig darauf zu achten, daß die Leprösen weder an Lues noch an Tuber-
kalose leiden. Ferner sind die Fälle von Lepra auszuschalten, bei denen
ülcerationen vorhanden sind, die möglicherweise eine sekundäre Reaktion
an den Meningen verursachen könnten. (Bendix,)
Eob (180) findet eine Ähnlichkeit zwischen der toxischen Wirkung
des Botalismus-Serums und der des Diphtherie-Toxins, aber keine Identität.
Es fehlt die für die Wirkung des Diphtherie-Toxins unerläßliche Schwellung
aml Rötung der Nebennieren und das Pleuratranssudat. Dagegen finden
sich neben subperitonealen Blutungen Stauung der Galle und des Harns,
was für Botulismus charakteristisch ist. Ferner konnte festgestellt werden,
daß das Botulismustoxin noch recht lange im Körper des Menschen kreist
and abgefangen werden könnte.
Nach Konradi (183) geht das Wutvirus von der Mutter auf den
Fötus über, scheint aber inzwischen abgeschwächt zu werden.
1. Zu solchen Untersuchungen sollte man nicht nur Kaninchen, sondern
auch Meerschweinchen benutzen, da diese für die Wut empfänglicher sind.
2. Die Beobachtungsdauer muß auf ungefähr IV2 Jahr verlängert
werden.
KreSB (1H5) berichtet von einer Hysterika, welche während 11 Monaten
in steigenden Dosen von 0,5 — 1,0 — 2,0 g Veronal täglich zu sich ge-
nommen hat. Der Tod trat bei dieser Patientin im Status epilepticus ein.
Vorher zeigte sie einen erheblichen Tremor, chronische Appetitlosigkeit,
Brechneigung, Obstipation, permanente Schwindelzustände. Ferner traten die
psychischen Symptome der Hysterie in starkem Maße hervor, Mangel jeglicher
Initiatiye, Eriunerungsdefekte und — Täuschungen, Verwirrtheitszustände und
Bewußtseinsveränderungen — also eine Reihe ungewöhnlicher Erscheinungen
im Bilde der Hysterie. A'erf. führt das ganze Bild auf chronischen Veronal-
gebrauch zurück. Er fordert, daß das Veronal aus dem Handverkauf der
Apotheken gezogen wird und nur noch gegen Rezept verkauft werden soll.
Sonst würde sich ein Veronalismus als Krankheitsbild entwickeln, ähnlich
wie wir den Morphinismus kennen.
Eminbholz (186) beobachtete zwei Fälle von Kohlenoxydvergiftung.
In dem einen Fall traten am 4. Tage nach vorhergehendem relativen Wohl-
befinden amnestische Aphasie auf und ferner an verschiedenen Stellen Haut-
nekrosen von ziemlicher Ausdehnung. Es trat in diesem Fall Rückbildung
aller Symptome ein. Verf. hält die Erscheinungen von seiten des Gehirns
und der Haut für zwei koordinierte Erscheinungen, die auf die durch das
Kohlenoxyd verursachten Schädigungen der Gefäßwandungen oder herab-
gesetzte Zirkulation gewisser Gebiete, offenbar durch Thrombosierung, zurück-
zuführen seien. In einem zweiten Fall wurden ebenfalls Hautnekrosen
beobachtet, die bei weitem kleiner waren als die im ersten Fall. Hier trat
der Tod als Folge einer allgemeinen Sepsis ein, die wie Verfasser annimmt
480 Durch Intoxikationen und Infektionen bedingte
hervorgerufen war durch die Anwendung des Wasserbettes. Im Gehirn
wurden symmetrische Erweichungsherde an verschiedenen Stellen gefunden.
In einem kurzen Abriß sucht Kuiiert (1B8) ein Bild von der Beri-
Beri zu geben. Es gibt drei verschiedene Stadien der Beri-Beri: eioe leichte
Form, bei der man seinen Dienst tun kann, die mit geringen ()demen,
starkem Herzstoß, frequentem Puls, Schwere in den Beinen und Harn-
verminderung verbunden ist. In den roittelschweren Fällen besteht Steifheit
der Beine, die elektrische Beaktion der Peronei ist herabgesetzt, Parästhesien,
Anästhesien, starkes Odem, starke Herzaktion, Oligurie, dabei ist das
Wohlbefinden nicht schlecht. In den schweren Fällen besteht schwere Läh-
mung und Erbrechen. Die Mortalität beträgt bei den Eingeborenen 41 bis
4:2 ^Iq und bei den europäischen 27o ^^^ Erkrankten. Der Tod kann aber
plötzlich infolge Dyspnoe innerhalb 12 Stunden eintreten.
Lequyer (207) beobachtete bei einem jungen Mädchen einen chronischen
Kokainismus, und zwar indem es sich das Kokain durch die Nase einverleibte.
Es hat innerhalb eines Jahres auf diesem Wege 161 g in seinen Körper
eingeführt. Vor allem bestand eiue außerordentliche Abmagerung. Außerdem
will die Patientin nur hin und wieder Gehörs- und Gesichthalluzinationen
gehabt haben. Eine für ihre Umgebung unerträgliche Reizbarkeit war lor-
handen, daneben eine fast absolute Schlaflosigkeit. Das Kokain wnrd«
plötzlich entzogen ohne irgend welche wesentliche Störung.
Bei einem Herren, der Antipyrin genommen hatte, sah Loebl (2U)
eine Stomatitis ulcerosa, die Gaumen, Lippen und Wangen Schleimhaut be-
troffen hatte. Es bestand Fieber dabei. Die Erkrankung dauerte 14 Tage.
Lohrisch (215) beobachtete bei einer Frau, die an Tabes litt, daB
diese unter den Erscheinungen einer aufsteigenden allgemeinen Schwäche
und Atmungsinsuffizienz zu Grunde ging. Er hält dieses Terminalbild für
eine Landrysche Paralyse. Pathologisch anatomisch fanden sich neben den
Zeichen der Tabes eiue akute Erkrankung der grauen Substanz, die sich als
eine Poliomyelitis acuta disseminata kenntzeichnete. Verf. meint, daß dieser
Fall denen von Landry scher Paralyse zuzuzählen sei, bei denen im Rücken-
mark und MeduUa obkmgata palpable Läsionen myelitischer Natnr gefunden
wurden.
Lücke (221) stellt folgende Leitsätze als maßgebend für die Be-
urteilung einer Strychninvergiftung auf:
1. Bei Verdacht auf Strychninvergiftung ist auf die anamnestische
Eruierung vorhergehender Krankheitserscheinungen besonders Gewicht zb
legen. Erbrochenes ist stets zu untersuchen.
2. Der Sektionsbefuud bietet wenig charakteristisches.
3. Als Objekte für die chemische Untersuchung sind Magen, oberei
Dünndarm nebst Inhalt, sowie Stücke der Leber, Niere und Blut zu reserrieren,
4. Außer dem chemischen ist der physiologische Nachweis, wenn möglici
zu fuhren; der letztere allein bietet keine völlig sicheren Resultate.
5. Der chemische Nachweis des Strychnins in Leichenteilen ist in dei
Untersuchung auf Alkaloide besonders erfahrenen Chemikern zu übertragen
6. Die eventuelle gerichtliche Fragestellung, ob noch nach Monaten
die Exhumierung einer Leiche zum Zwecke der Feststellung einer Strychnin-
vergiftung praktische Resultate ergeben kann, ist in jedem Fall zu bejahen
7. Bei der Exhumierung einer auf Strychningehalt verdächtigen Leichf
sind Kleidungsstücke, Sargteile und Erde, welche von Fäulnistranssodal
befeuchtet sind, zur chemischen Untersuchung zu entnehmen.
Marie (231) hat nach dem Vorgehen Remlingers Hunde mit einem
Gemisch von Wutgift und Serum behandelt und auf diese Weise eine Im-
Erkrankungen des Nervensystems. 49]^
munität erzielt, die mittelst einer Einspritzung ein Jahr gegen die Straßen-
wut anhält Bemerkenswert ist die Schnelligkeit, mit welcher sich die Im-
munität etabliert. Tiere, die vom Auge aus infiziert waren, blieben noch
?on der Wut verschont, wenn ihnen 3 Tage nach der Infektion das Gemisch
eingespritzt wurde. Es genügte eine einmalige Einspritzung.
Marcnse (229) betont wieder, daß der Alkohol unter allen Um-
ständen eine deutliche und zumeist recht erhebliche Steigerung der Empfäng-
lichkeit für künstliche Infektion hervorruft. Er ist auch ein Gegner der
Behandlung von Infektionskrankheiten mit Alkohol oder gar mit großen
Älkoholdosen, vor allem auf Grund der Arbeiten von Paul Th. Müller,
der bei Versuchen mit Typhusbazillen an Kaninchen durch große Alkohol-
dosen die Agglutination vermindern konnte.
Mayor und Nutritziano (241) untersuchten die Wirkung der vier
Schlafmittel: Chloral, Dormiol, Isopral und Hedonal auf das Herz und das
Gefäßsystem. Sie studieren Druck und Veränderung des Pulses. Sie
kommen zu der Ansicht, daß die Giftigkeit der vier Mittel auf das Blut-
gefäßsystem folgende sei: das Chloral sei das schädlichste, ihm folgt das
Dormiol, danach das Hedonal und schließlich das Isopral. Das Hedonal
wirkt eingespritzt ziemlich schnell, verliert aber ebenso schnell seine giftige
Wirkung. Die Wirkung des Isoprals auf die Nervenzentren ist eine weniger
andauernde als die auf das Blutgefäßsystem.
McGregor (245) teilt einen Fall von Landryscher Paralyse mit,
den er bei einem 23jährigen Manne beobachten konnte. Unter Fieber-
erscheinungen, Schwindel, Parästhesien und Schweißausbrüchen entwickelte
sich eine Schwäche im rechten Fuß, die sich schnell über das ganze rechte
Bein ausbreitete. Nach einigen Tagen erlahmte auch das linke Bein, und
bald waren die unteren Extremitäten ganz gelähmt. Auch die Arme, zuerst
der rechte, wurden etwas päter paretisch. Schmerzen fehlten, ebenso Kopf-
schmerz und psychische Störungen. Später entwickelten sich auch bulbäre
Störungen, unter Parese der Lippen, Zunge und des Gaumens mit undeut-
licher Sprache und Schluckbeschwerden. Nach zwei Monaten gingen die
bulbären Symptome zurück, später auch die Paresen an den Armen und
Beinen, doch blieb noch eine Schwäche zurück. Die Patellarreflexe waren
aber noch zwei Jahre nach dem Beginn der Krankheit nicht wiedergekehrt.
(Bendix.)
Meyer (250 a) beschreibt einen Fall von Atropinvergiftung, bei dem
lebhafte Halluzinationen beobachtet wurden. Therapeutisch waren Sauerstoff-
inhalationen von großem Wert; sie haben dem Patienten große Erleichterung
gebracht.
Miura (254) gibt interessante Angaben über Stellung und ßewegungs-
fihigkeit der Füße, Zehen und Fingerstellung bei Beri-Beri und über ihr
Verhältnis zur elektrischen Erregbarkeit. Die Beobachtungen lassen sich
nicht recht referieren. Ferner betont er, daß wie bei allen peripheren
Lähmungen die Kontrakturen wesentlich eine Folge vernachlässigter Behand-
lung sind, doch gibt es auch Fälle, bei denen sich die Kontrakturen sehr
frühzeitig einstellen. Andere Male bleiben sie ganz aus.
Nach Nicolas und Bancel (270) ist die Impfung gegen die Wut
verbunden mit einer beständigen oft sehr ausgesprochenen Hyperleukocytose,
die ihr Maximum am Ende der Behandlung erreicht.
1. Weder bei den Tieren noch bei den Menschen entwickelt sich eine
deutliche Veränderung im Leukocyten -Verhältnis, das für jedes Individuum
vor, während und nach der Behandlung konstant bleibt.
Jahresbericht f. Neurologie und Psychiatrie 1906. 31
482 Durch Intoxikationen und Infektionen bedingte
2. Die Injektion normaler Rückenmarksubstanz ruft bei den Tiereu
ähnliche Veränderungen hervor wie die nach Einimpfung von wutkrankem
Rückenmark: Sehr ausgesprochene Hyperleukocytose ohne Veränderung des
Leukocyten -Verhältnisses.
Panichi (284 a) hat verschiedenen Tieren das Filtrat aus Pneumo-
kokkus-Kulturen (Fränkel) injiziert. Ein Teil starb sehr schnell unter
akuten Erscheinungen^ ein Teil zeigte starke Lähmungserscheinungen zumeist
im Gebiet der hinteren Extremitäten. Im Darme der Tiere, die der ersten
Gruppe augehörten, fanden sich zahlreiche Blutungen, während das Rücken-
mark derselben keine oder nur kleine punktförmige Hämorrhagien aufwies;
hingegen zeigten die Tiere der zweiten Gruppe recht erhebliche Blutungen
im Rückenmarke, während in den übrigen Organen solche vermißt wurden.
Die Blutung erfolgte teils durch Rhexis, teils durch Diapedese. Die Gefäße
speziell die Venen zeigten Veränderungen, zumeist nur ihrer Außenwände.
Beiden Gruppen gemeinsam waren Veränderungen an den Ganglienzellen
der Vorder- und Hinterhörner, die wohl auf Einfluß von Toxinen zurück-
geführt werden müssen. Verfasser ist der Ansicht, daß die Lähmungs-
erscheiuungen nicht so sehr auf die Erkrankung der Zellen als auf die
Zerstörungen infolge der Blutungen zurückzuführen sind. (Merzhacher.)
Parhon und Goldstein (286) beobachteten einen Fall von sich
entwickelnder Pellagra in Verbindung mit einer doppelseitigen Dupuytren-
schen Fascienkontraktur. Sie nehmen einen Zusammenhang an und glauben,
daß die Fascienkontraktur der Ausdruck einer anatomischen Veränderung
des Zentralnervensystems sein kann.
Poor (297) hält den Nachweis von Negrischen Körperchen fiir die
sicherste Methode, eine schnelle Diagnose der Rabies zu macheu. Zu diesem
Zwecke empfiehlt es sich, aus der Kleinhirn rinde und dem Ammonshorn
etwas Gehirnsubstanz zu entnehmen und diese entweder mit der Zenker-
schen Lösung zu fixieren und mit Eosin-Methylenblau zu färben, wobei sich
die roten Körperchen im blauen Zellgrund gut abheben, oder in absolutem
Alkohol zu fixieren und mit Hämatoxylin-Eosin zu färben. Dann kann man
innerhalb 24 Stunden die Diagnose stellen. Die Paraffin-Einbettungs-Methode
verdient den A'orzug. (BemVx,)
Poynton und Paine (300) sind der Ansicht, daß der akute Gelenk-
rheumatismus durch einen Diplococcus rheumaticus bedingt sei. Sie demon-
strieren ihn und vermögen ihn zu züchten. Ebenso vertreten sie die Ansicht,
daß die Chorea nach Rheumatismus die Folge einer Diplokokkoninvasion
sei; nicht ein unbelebtes Gift bewirkt die Chorea, sondern ein an verschie-
denen Stellen des Gehirns, vor allem der Pia, lokalisierter Diplococcus.
Durch Überimpfung vennochteu sie sogar bei einem Kaninchen unwillkürliche
Bewegungen, Arthritis, Endokarditis und Perikarditis zu erzeugen. Ebenso
wollen sie nach einem Rheumatismus eine Meningitis gesehen haben, bei
der sie aus seröser Piaflüssigkeit ihren Diplococcus isolieren konnten.
Raymond (310) beschreibt einen Fall von diphtherischer Paraplegie,
verbunden mit frühzeitiger Gaumensegellähmung, einen Anfall von Atemnot
und Herzschwäche. Er ist der Ansicht, daß der wesentlichste Teil der
Erkrankung als neuritisch anzusehen ist. Es kann allerdings auch eine
Beteiligung der bulbären Kerne nicht bestritten werden. In Bezug auf die
Frage, ob die Gaumensegellähmung häufiger unter der Serumbehandlung
seien, als früher, neigt der Verf. der Ansicht zu, daß sie nicht häufiger,
bei frühzeitiger Serumbehandlung eher seltener auftreten.
Rhein (329) beschreibt einen Fall von Diplegie bei einem Kind von
21 Monaten, welche während eines Pertussisanfalles entstand. Es bildete
Erkrankungen des Nervensystems. 433
sich schließlich eine Imbezillität aus, nach 17 Monaten trat der Tod ein.
Die Autopsie deckte eine hämorrhagische Encephalomeningitis auf.
Bemlinger (319) stellt fest, daß nur eine vollkommene Neutralie-
siening von Yims und Serum ungiftig ist.
Die Schildkröte ist nach Remlinger (313) immun gegen das Wut-
gift.' Diese Immunität hängt vielleicht mit der rudimentären Ausbildung
des zentralen und peripheren Nervensystems der Schildkröten zusammen.
Bei Schildkröten von 15 kg wiegt das Gehirn kaum 4 oder 5 Gramm.
Remlinger (318) hat nachgewiesen, daß das Wutgift auch durch
die frisch rasierte Haut hindurchdringt. Von vier Meerscliweinchen und
drei Kaninchen, denen auf den rasierten Rücken eine Emulsion von fixem
Wutgift eingestrichen wurde, gingen die Meerschweinchen an paralytischer
Wut zu Grunde. Bei einem weiteren Versuch gingen drei Meerschweinchen
und zwei Kaninchen an Rabies zu Grunde, vier Kaninchen und ein Meer-
schweinchen blieben am Leben. (Bendix.)
Richon und Jeandelize (330a) haben bei 3 weiblichen Kaninchen
im Alter von 7 Wochen die Thyreoidektomie vorgenommen. Sie erzeugten
bei einem eine abgeschwächte Form von thyreoider Insuffizienz. Das Tier
blieb zwei Jahre am Leben und starb durch eine interkurrente Krankheit.
Es machte eine normale Schwangerschaft durch. Das Tier selbst blieb nur
klein und im Gewicht zurück. Bei der Autopsie fand sich ein kleiner, fast
mikroskopischer Rest der Thyreoidea von der Größe eines Hanfkornes.
Riva (331) hat eine Frau beobachtet, bei der eine vollkommen isoliert
bestehende Parese des einen Hypoglossus aufzufinden war. Unter Ausschluß
aller anderen möglichen ätiologischen Momente muß eine vorausgegangene
Kohlenoxydvei giftung in ursächlichen Zusammenhang mit der Störung gebracht
werden, dieselbe ging nach Behandlung mit Elektrizität zurück.
(Merzbachev,)
RollestOIl (337) beobachtete bei einem sechsjährigen Knaben nach
Diphtherie eine Hemiplegie, verbunden mit Herzsymptomen, frühzeitiger
Lähmung des Gaumensegels und Lebervergrößerung. Der Fall ging in
Heilung über. Seit dem Jalire 1899 wurden 4407 Fälle von Diphtherie
im Grove-Hospital behandelt, darunter fanden sich im ganzen zwei Fälle
von Hemiplegie, von denen der eine tödlich verlief.
Rollestoll (337 a) findet, daß das Achillessehnenphänomen in einer
beträchtlichen Anzahl von Diphtherietällen betroffen ist, allerdings seltener
»Is das Kniephäuomen. Die Häufigkeit und die Stärke des Ausfalles steht
in einem direkten Verhältnis zu dem Charakter der initialen Halserkrankung.
Das Achillesphänomen ist in allen Fällen von Paraplegie nach Diphtherie
geschwunden. Das Fehlen kann das einzige Zeichen einer motorischen
Sehwäche in den unteren Extremitäten sein. Es kann sehr frühzeitig anf-
ielen und noch lange nach dem Schwinden der Paraplegie bestehen. Das
Achillesphänomen kann auf einer Seite stärker betroffen sein, als auf der
anderen, es kann im Anfang gesteigert sein. Das Achillesphänomen kann
auf einer Seite schneller wiederkehren, als auf der anderen.
Schlesinger (351) meint auf Grund genauer Betrachtung, daß sowohl
Teophyllin als auch seine Verbindungen beim Menschen bisweilen univers,elle
Krämpfe vom Charakter der Epileptischen mit Bewußtseinsverlust und nach-
folgender Amnesie hei-vorrufen können. Die Neigung zum Auftreten der
Konvulsionen schwindet aber, wenn das Leben erhalten bleibt, längstens
mehrere Tage nach Aussetzen des Mittels. Als Prodromalerscheinungen für
den Änsbruch von Krämpfen haben starke Kopfschmerzen und Brechreiz
zn gehen. Es ist notwendig, darauf aufmerksam zu machen, daß man bei
31*
484 Durch Intoxikationen und Infektionen bedingte
Anwendung dieses vorzüglichen Diuretikums gewisse Vorsichtsmaßregeln
berücksichtigen müsse, deren Unterlassung von wesentlichen Gefahren für
den Kranken gefolgt sein können. Bis zur Feststellung der Maximaldosis
möchte Verf. empfehlen, bei Verordnung von Theophyllinum pur. in der
Kegel nicht über 0,8, bei Verschreibung von Theophyllinnatrium oder
Teophyll. natrium aceticum 1,5 g pro die liinauszugehen und zu vermeiden,
das Mittel durch mehrere Tage ohne Unterbrechung anzuwenden.
Schnürer (352) hat Hunde gegen Lyssa immunisiert. Von den 14
immunisierten Hunden, welche subdural infiziert wurden, starben 7. Von
den intramuskulär, den intramuskulär und subdural sowie von den durch
Biß geprüften Tieren starb keines.
Stockard (376) beobachtete verschiedentlich Fälle von Bromvergiftuug,
bei denen langandauernder, tiefer Schlaf bestand, wobei Stuhl und Urin
unbemerkt abging und der Atem metallisch roch. Nach dem Erwacben
bestanden Halluzinationen und Verfolgungsideen. Die Zunge ist anfangs dick
weißbelegt, später hat sie einen roten glasigen Belag, der mehrere Wochea
anhielt.
Stnelp (380) hatte Gelegenheit, eine Erblindung infolge von Einnahme
von Extr. Fil. im Initialstadium zu beobachten. Er findet denselben Augen-
spiegelbefund wie Haberkamm in drei anderen Fällen: Trübung bezw. grau-
rötliche Verfärbung der Papillen mit Stauung in den Netzhautvenen. Ferner
Trübung der Netzhaut und in seinem Falle ein kolossales Netzhautödem mit
auffallenden Gefäßveränderungen. Also das ausgeprägte Bild der Embolie
oder richtiger gesagt der Thrombose der Zentralarterie. Verf. erklärt die
toxische Wirkung des Mittels in folgender Weise:.. Das im Blut resorbierte
Gift passiert die Art. centrale retinae und deren Aste. Hier wird zunächst
die gegen den Giftstoff besonders empfindliche und an und für sich schon zarte
labile Muscularis der Gefäßwandungen mit einem Reizzustand reagieren, der
einen Arterien krampf mit sich bringt. Dieser Zustand ist geeignet, die
Funktion der anerkanntermaßen gegen Sauerstofifmangel wenig widerstands-
fähigen, aber für das periphere Sehen äußerst wichtigen Ganglienzellen dei
Netzhaut aufzuheben und die plötzliche initiale Erblindung herbeizufuhren
Läßt in diesem Stadium die Giftwirkung und mit ihr der Arterienkramp:
nach, so wird sich die Funktion wieder herstellen und die Amaurose wiedei
vorübergehen. Wird die Giftwirkung durch weitere Resorption verstärkt, s(
tritt Lähmung der Gefäßmuscularis ein mit Erweiterung des Lumens, Verlaug
samung des Blutstromes und Stauung im Gefäßsystem. Die Folge davoi
ist eine weitere Ernährungsstöning der nervösen Elemente, sowie eine serös
Durchtränkung derselben. Bei weiterer Verlangsamung der Blutstromge
schwindigkeit wird eine Thrombenbildung in der Art. centr. retinae eintreten
Valentine (402) studiert den Einfluß des Alkohols auf die Giftwirkun
des Strychnins und des Schlangengiftes. Er findet, daß wenn der AJkohc
im rechten Moment gegeben wird, er eine unbestreitbare Wirkung auf da
Schlangengift ausübt. Falls das Schlangengift nicht zu kräftig ist, wird durc
eine geeignete Verabreichung von Alkohol der Tod vermieden. Das Schlangen
gift kann seine vollkommene Wirksamkeit nicht entfalten, wenn es ein«
Organismus im Zustande des alkoholischen Komas angreift. Verf. ist de
Ansicht, daß das alkoholische Koma zurückzuführen sei auf eine Eutwässerun
der nervösen Zentren durch den Alkohol. Der Alkohol stellt kein Spezitikui
gegen das Schlangengift dar, ebensowenig gegen Strjchnin. Es setzt nur di
Erregbarkeit der Nervenzentren herab.
Vaschide (404) untersucht die psychische Wirkung des Tees un
kommt zu fol";enden Resultaten:
Erkrankungen des Nervensystems. 435
L An den ergographischen Kurven wird die Zahl der Bewegungen
ebenso die Größe der Bewegungen mehr durch den Zustand des Nerven-
gewebes beeinflußt als durch den der Muskeln.
2. Die psychische Disposition ebenso wie die Gewohnheit wirken prompt
auf die Zahl der Bewegung; die Muskelmüdigkeit und die Nahrungsaufnahme
Tiehnehr auf die Amplitude der Bewegung.
3. Das Verhältnis zwischen der Zahl und Amplitude der Bewegungen
sind der Ausdruck persönlicher Eigenschaften.
4. Müdigkeit und Gewohnheit stehen untereinander in einem Abhängig-
keitsverhältnis. Wahrscheinlich sind sie der Ausdruck einer allgemeinen
Eigenschaft des Nervengewebes.
6. Die Erregung im Sinne Ambergs hängt viel von der Form unserer
täglichen Disposition ab.
6. Die Schwingungen der Bewegungen sind während des Tages für die
Muskeln andere als für das Nervensystem.
7. Das Aufhören der Muskelarbeit gegen Ende der Ermüdungskurve
isi die Folge einer reflektorischen Hemmung, verursacht durch die Abfalls-
produkte^ die bei der Muskeltätigkeit entstehen.
8. Das Koffein ruft eine erhebliche Steigerung hervor, die sich mit
einer Vermehrung der Bewegungsgröße verbindet und direkt zurückzuführen
ist auf den Einfluß auf das Muskelgewebe.
9. Der Ablauf der gewohnten Assoziationen vollzieht sich unter dem
Koffein leicht.
10. Der Einfluß des Paraguay-Tees beruht zum Teil auf dem Koffein,
welches sich unter seinen Bestandteilen findet.
11. Das ätherische Ol des Tees erleichtert die Assoziationsvorgänge
und wirkt lähmend auf den zentralen Ablauf der motorischen Vorgänge.
Darauf muß auch die Euphorie zurückgeführt werden, welche beim Genüsse
des Tees entsteht.
Von praktischen Gesichtspunkten aus ist der Kaffee dem Tee vorzu-
gehen, wenn es sich darum handelt, die Muskelkraft zu steigern; denn wenn
der Tee diese Eigenschaften besitzt, so hat er sie infolge des sicli unter
seinen Bestandteilen findenden Koffeins. Aber der Kaffee muß selbst-
verständlich ein mäßiger sein und in mäßigen Quantitäten. Was den Geschmack
und den erregenden oder benihigenden Einfluß des Tees angeht, so muß
man feststellen, daß der Tee nicht vollkommen und genügend ersetzt werden
bnn durch den Kaffee.
Walker (408) berichtet über drei Fälle von Landryscher Paralyse,
denen stets eine langandauernde Cystitis yer ausgegangen war, in keinem Fall
VQide eine Sektion gemacht.
Yamagiva und Yamanonchi (424) können bei ihren Untersuchungen
TonBeri-Beri eine Kontinuitätstrennung des elastischen Gewebes in der Wand
des elastischen Gewebes bestätigen. Sie definieren Beri-Beri als eine durch
den täglichen Genuß von gekochtem Reis, einer schlecht aufbewahrten Sorte
äIs Hauptnahrung entstehende Intoxikations-Krankheit, die die Kontraktion
feinerer arterieller Aste im großen und kleinen Kreislauf hervorruft, was wieder
Dilatation des Herzens und Hypertrophie, lokale Anämie der flaut, der
Schleimhäute, der peripherischen Nerven, Skelettmuskeln und Nieren bedingt
und endlich regressive Metamorphosen in den genannten Organen und Geweben
nach sich zieht.
486 Paralysis agitans und Tremor senilis.
Paralysis agitans nnil Tremor senilis.
Referent: Prof. Dr. R. Wollenberg-Tübing-en.
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Oppenheim (15) teilt eine Reihe persönlicher Erfahrungen mit
Bücksicht darauf mit, daß auch dem erfahreneren Arzt die Erkennung und
Unterscheidung der vom Schultypus abweichenden Fälle von Paralysis agitans
nicht selten Schwierigkeiten macht. Die Fälle von Paralysis agitans sine
tremore sind viel häufiger, als man meist annimmt; sie sind aber leicht zu
erkennen, wenn die durch die Muskelsteifigkeit bedingten Haltungsanomalien
und Deformitäten vorhanden sind. Schwierigkeiten können dagegen die-
jenigen atypischen Fälle machen, in denen die Muskelsteifigkeit objektiT
fehlt und nur der Mangel der Ausdrucksbewegungen und der in der Norm
vorhandenen Positionsveränderungen der Gliedmaßen den Verdacht auf das
Bestehen des Leidens lenkt. Wenn diese Unbeweglichkeit sich generalisiert,
kann sie bei Greisen unter Umständen schwer als krankhaft zu erkennen
sein. Von diagnostisch wertvollen Symptomen werden dann besprochen: die
Verlangsamung der aktiven Bewegungen, die sich im Anfang oft
ausschließlich an den distalen Teilen (Fingern und Zehen) zeigt und (im
Verein mit der Einschränkung der Exkursionsweite) zu Störungen der Schrift
Paralysb agitans und Tremor senilis. 437
(Mikrographie) fuhrt; femer bei einseitiger Erkrankung Mitbewegungen
auf der gesunden Seite. Zu den Frühsymptomen können gehören : rheuma-
toide Schmerzen, gastrische Störungen^ Hyperidrosis, Salivation^ femer auch
Cardialgien, Darmkoliken usw. Außer den typischen Gehstörungen sind zu
be&chten Gehhemmnngen, die einen psychischen Ursprung haben.
Große Elrfahmug ist oft nötig zur Unterscheidung der Paralysis agitans
TOD gewissen Symptombildern der traumatischen Hysterie, Hysteroneurasthenie
nnd der traumatischen Neurosen. Oppenheim teilt B Fälle mit, in denen
sich das Symptom bild yon dem der Paralysis agitans unterschied 1. durch
das Fehlen der Muskelsteifigkeit, 2. durch das Vorhandensein von un-
gewöhnlichen Zeichen, nämlich Sensibilitäts- und sensorischen Stömngen,
reizbarer Schwäche und Angstzuständen, 3. durch gewisse Eigentümlichkeiten
im Verhalten des Zittems usw. Er erörtert dann die Frage, ob diese
Momente als durchgreifende Unterscheidungsmerkmale betrachtet werden
können, und kommt zu einem im ganzen negativen Resultat. Die Muskel-
steifigkeit kann bei im übrigen typischer Ausbildung des Symptomenkomplexes
dauernd fehlen (Fälle von anscheinend gutartigem, äußerst langsamem Ver*
lanf). Die hysterischen und neurasthenischen Erscheinungen beweisen nichts
sicheres, weil die Paralysis agitans sich mit anderen Neurosen zu verknüpfen
geneigt ist Endlich zeigt das Zittem nach Rhythmus, Frequenz und
Lokalisation auch bei der Paralysis agitans gewisse Schwankungen, wenn
sich auch bei ihr gegenüber den Pseudoformen meistens Differenzen finden.
£in ausschlaggebendes oder doch brauchbares Kriterium ist häufig in dem
Einfluß aktiver und passiver Bewegungen zu finden. Diese haben
bei der Parkinsonschen Elrankheit meist eine beschwichtigende, Tremor
hemmende Wirkung, aber auch bei ihr kann, namentlich in den späteren
Stadien, die aktive Bewegung einen tremorsteigemden Effekt haben.
Dem Einfluß der passiven Bewegungen schreibt O. dagegen entschieden
differeutial-diagnostischen Wert zu; bei der echten Schüttellähmung läßt
sich fast ausnahmslos der beschwichtigende Einfluß variierter passiver Be-
wegungen feststellen, während sich bei der Pseudoform meist schon beim
Versuch das Zittern lebhaft steigert. In dem Verhalten des Tremors gegen-
über den psychischen Reizen haben wir keineswegs eine sichere Handhabe
Inr die Differentialdiagnose ; immerhin bildet der Nachweis, daß im gegebenen
Falle die Kardinalsymptome psychogener Natur sind, doch die sicherste
Unterlage für die Deutung des Leidens. — Die Prognose der Paralysis
agitans hält 0. auf Grund seiner Erfahrungen zwar quod valetudinem immer
noch für schlecht, er hat aber ziemlich viele Fälle von mildem und lang-
samem Verlauf gesehen, femer solche, in denen die Therapie den schweren
Zustand doch erheblich mildern konnte (6 Beispiele). — Bei der Behand-
lung rühmt O. die individualisierende Anwendung passiver Bewegungen, die
aktive Gymnastik, die elektrischen Bäder, das Hyoscin und Duboisin, und
empfiehlt mit Rücksicht auf gewisse der Paralysis agitans oft gewissermaßen
aufgepfropfte Symptomkomplexe, auch die Psychotherapie nicht zu vernach-
lässigen.
Catola (5) beschäftigt sich zunächst mit dem Symptom der Sialorrhoe
bei der Paralysis agitans, das er bei Pierre Marie in 13 Fällen 9mal beob-
achtet hat und demnach für keineswegs selten hält. Er wendet sich sodann
gegen dievon Oppenheim und Bruns vertretenebulbäreTheoriedesSymptoms,
indem er sich unter anderm auf folgende Erwägungen stützt: Die Sialorrhoe
ist insofern abhängig von der Haltung der Kranken, als der Speichel sich
bei der typischen Voraübemeigung in der vorderen Partie des Mundes an-
sammeln muß, während zugleich durch die „paresse musculaire" des Pharynx
488 Meningitis tuberculosa, Meningitis purulenta, Pachymeningitis usw.
die Bedingungen zur Auslösung des Schluckreflexes sehr ungünstig beeiufluBt
sind. Ein anderer sehr wichtiger Faktor in der Hervorrufung der Sialorrhoe
ist nach Catola in dem Zittern der Mund- und besonders der Zungenmuskeln
gegeben. Mehrfach konnte er feststellen^ daß mit dem Aufhören des Zitterns
und übrigens mit der Herbeiführung günstiger Bedingungen für den Schlack-
reflex (bei Rückenlage der Kranken) die Sialorrhoe verschwand. Demnach
sieht er die Hauptursache für die letztere in diesem Muskelzittem und dem
Verlust des Schluckreflexes.
Von anderen Symptomen bespricht Verf. die abnorm verlangsamte
Umsetzung von Willensimpulsen in den betrefifenden motorischen Akt, die
er beim Versuch zu sprechen, den Arm zu bewegen usw. beobachten konnte.
In diesem Phänomen liegt die Erklärung für die verschiedenen Pulsionen
der Kranken.
Weiter hat er von selteneren Symptomen 1 mal intermittierendes Zittern
der Augenlider, 2 mal Anfalle wie bei Angina pectoris, 1 mal das Bestehen
von Besessenheits- und Verfolguugsideen beobachtet. In ätiologischer Be-
ziehung fanden sich 2 mal Gemütsbewegungen, 3 mal Unfälle bei der Arbeit,
8 mal keine bestimmte Ursache. 6mad begann das Zittern in der linken
Hand, 5 mal in der rechten, 1 mal in den Beinen. In einem Falle, wo der
Kranke eine Verletzung der rechten Hand erlitten hatte, begann das Zittern
in der linken. — Zum Schlüsse spricht sich Verf. für die nosologische Ein-
heit der Paralysis agitans aus.
Berkeley (2) führt die Paralysis agitans auf eine Atrophie oder
mangelhafte Funktion der Glandula parathyreoidea zurück. B. hat 11 Fälle
mit dem Präparat des Parathyreoidea behandelt und davon bei 9 Fällen
Besserung eintreten sehen. Besonders die noch frischen Fälle von Paralysis
agitans sollen dadurch gebessert werden. (Bendix.)
In am Lebenden ausgeschnittenen Muskelstücken konnte Sanna-Salaiis
(19) in einem Falle von Paralysis agitans Veränderungen, welche vorzüglich
das Sarkoplasma betrefifen, begegnen. Die Veränderungen zeigen sich: in
Volumeuveränderungen, Verschwinden der Querstreifung, Unterbrechungen
in der Längsstreifung (Auffaserung), trüber Schwellung des Sarkoplasma.
Die Kerne des letzteren erscheinen, was Form und Anzahl betriflFt, un-
verändert. (Merzbacher,)
Meningitis tnliercDlosa, Meningitis parnlenta, Pachpieningitis nsw.
Referent: Privatdozent Dr. Jamin-Erlang-en.
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Pachymeningitis. CarcInOse Meningitis.
Scholz (131) teilt die Krankengeschichten von zwei Fällen meta-
statischer carcinöser Meningitis bei primärem Magencarcinom mit. In beiden
fällen war das Krankheitsbild intra vitam das einer Meningitis. In dem
ersten klinisch genauer beobachteten Falle war der Befund durch Lumbal-
punktion ein ganz normaler. Fieber bestand nicht, wohl aber Nacken-
schmerzen, Delirien, Atmungsstörungen, Optikusatrophie. Bei der Autopsie
wurde makroskopisch das Bild einer serösen Meningitis aufgedeckt, für das
sich mikroskopisch die Erklärung durch eine allenthalben w^ahrnehmbare In-
filtration der Piamaschenräume mit epithelialen Gebilden fand. Die bald
mehr tlächenfönnig, bald in Knötchen angeordneten Zellen liegen in doppelten
nnd mehrfachen Reihen und umfassen zwischen sich gerüstartiges Binde-
gewebe. Auch in den Lymphscheiden, die die Gefäße in die Rinde begleiten,
sind Krebsbildungen wahrzunehmen.
Misch (100) teilt aus dem Kinderasyl der Stadt Berlin zwei Fälle
Ton Pachymeningitis haemorrhagica interna mit, schildert den klinischen Ver-
lauf, den Sektionsbefund und das Ergebnis der mikroskopischen Untersuchung
der Dura. Der erste Fall betraf ein Kind von S^/.^ Monaten mit hydro-
cephalischem Schädel, das innerhalb von zirka 10 Wochen der Erkrankung
erlag. Die Lumbalpunktionen lieferten immer klare nur mikroskopisch etwas
ßlot enthaltende Flüssigkeit. Der Tod trat durch eine große frische
Blutung aus der fibrinös belegten Dura ein. Es bestand nur äußerer, stark
hämorrhagischer kein innerer Hydrocephalus. Bei dem zweiten Falle, einem
494 Meningitis tuberculosa, Meningitis purulenta, Pachymeningitis usw.
Kinde rou 6 Monaten lieferte die Lumbalpunktion nur sehr wenig, die Kopf-
punktion in zirka 5 mm Tiefe schon reichliche serös-sanguinolente Flüssig-
keit unter hohem Druck. Jodbehandlung hatte keinen Erfolg, dagegen
besserte sich der Zustand unter Behandlung mit Gelatineinjektionen oeben
Hg. Im 12. Monat ging das Kind an Pneumonie und Kopfphlegmone zu
Grunde. Es fand sich eine dicke organisierte Schwarte unter der Dura über
dem Gehirn, keine frischen Blutungen, kein Hydrocephalus. Stauungspapille
und Netzhautblutungen waren zurückgegangen. Die Heilung des Prozesses
wird auf die Gelatinebehandlung zurückgeführt und solche für ähnliche Fälle
empfohlen. Die Ätiologie der Erkrankung war in keinem der beiden Fälle
aufzuklären. Für die Diagnose haben sich die Punktionen sowie der Nach-
weis von Netzhautblutungen zur Unterscheidung von chronischem einfachen,
Hydrocephalus nützlich erwiesen.
Eltrige-septlsche Meningitis. Tranmatlsche Meningitis.
Die Beobachtung BayerthaPs (13) von Spätmeningitis nach Schädel-
verletzung betrifft einen 26jährigen Mann, der 2^2 Jahre nach einer durch
Unfall erlittenen Schädelbasisfraktur an einer eitrigen Meningitis erkrankte,
der er binnen weniger Tage erlag. Die Sektion mußte auf das Gehirn be-
schränkt bleiben, zeigte eine eitrige Konvexitätsmeningitis. Zeichen einer
Ohreiterung waren nicht nachweisbar gewesen. Seit dem Schädeltrauma bis
zum Beginn der letalen Erkrankung hatte der Kranke an Kopfschmerzen,
Schwindel und Abnahme des Gedächtnisses gelitten. Darin sieht der Yerf.
den Ausdruck einer dauernden Schädigung des Gehirns bezw. seines Gefäß-
apparates, womit der Grund gegeben ist, das Gehirn als einen durch das
Trauma gesetzten locus minoris resistentiae zu betrachten und einen Kausal-
zusammenhang zwischen dem Schädeltrauma und der lange danach mit
letaler Wirkung einsetzenden eitrigen Meningitis zu motivieren.
Kolozs (73) sah rasche Entwicklung einer tödlichen Meningitis puruleuta
mit typischem klinischen Bilde, welche durch eine minimale, vernachlässigte
Kopfverletzung entstanden ist. (Hudovemig,)
Zeroni (164) hat die Fälle von postoperativer Meningitis zusammen-
gestellt und gefunden, daß besonders die Fälle mit Labyrinthbeteiligung die
Gefahr der postoperativen Meningitis in sich bergen. Ferner sind die Fälle
von tiefliegender Eiterung geneigt, an postoperativer Meningitis zu erkranken;
doch kann bei der Gnippe der Ausbruch einer Meningitis nach ausgiebiger
Eröffnung des Eiterherdes verhindert werden. (Bendix,)
Ein Kranker McCaw's (96) ist im Anschluß an eine eitrige Ent-
zündung der Siebbeinzellen an eitriger Meningitis gestorben. Die Autopsie
ließ erkennen, daß die Eiterung nach der linken Orbita hin durchgebrochen
war. Dort war sie subperiostal weiter vorgedrungen und hatte dann durch
die Keilheinfissur ihren Weg nach dem Schädelinnern gefunden und dort
die tödliche Meningitis hervorgerufen.
Grossmann (56) teilt eine Reihe von Beobachtungen mit, die für die
diagnostische Beurteilung der zytologischen und bakteriologischen Unter-
suchungsbefunde des Liquor cerebrospinalis bei Mittelohrerkrankungen be-
sonders wichtig erscheinen. In einem Falle wurde durch die Lumbalpunktion
unter starkem Druck ein leicht getrübter Liquor entleert, der zabbreiche
Eiterkörperchen und Diplokokken enthielt. Trotzdem gingen nach der
Radikaloperation der linksseitigen eitrigen Otitis die Meningitiszeichen und
eine linksseitige Facialislähmung ziemlich rasch zurück. Der Kranke wurde
später völlig geheilt. Eine freie Kommunikation zwischen der Ohreitening
Meningitis tnberculosa, Meningitis purulenta, Pachymeningitis usw. 495
und den Meningen wurde nicht gefunden. Verfasser glaubt daher, daß es
sich nicht um eine diffuse Meningitis wohl auch nicht um eine umschriebene
meningeale Eiterung gehandelt hat, sondern nur um eine Veränderung des
Liquor durch die auf dem Lymphwege erfolgende Resorption eitriger fötider
Massen aus dem Ohr. Bei einem 8jährigen Knaben mit chronischer Ohr-
eitening wurde wegen plötzlich einsetzender meningitisverdäclitiger Erschei-
DQQgen die Lumbalpunktion gemacht und unter starkem Druck eiterhaltiger
aber bakterienfreier Liquor entleert. Bei der Operation wurde ein jauchig
zerfallenes Cholesteatom gefnnden. Nach dieser nahm die Somnolenz noch
zu, ebenso die Nackensteifigkeit. Eine zweite Lumbalpunktion zeigte kaum
stärkere Trübung der Spinalflüssigkeit. Bei der bald darauf gemachten
Sektion wurde keine Spur von Meningitis gefunden. Die linksseitigen Sinus
enthielten fötide Gerinnsel. Es handelte sich um eine schwere Sepsis oti-
tischen Urspnmgs. Angesichts solcher Fälle meint der Verfasser, daß die
Lumbalpunktion erhebliche Einbuße in ihrer praktischen Verwertbarkeit auf
dem Operationstisch erleidet. Nur noch starke eitrige Trübung, die schon
spontan ein reichliches Sediment gibt, verbunden mit dem klinisch voll-
entwickelten Bild der Cerebrospinalmeningitis läßt ihn noch von jedem
Operationsversuch Abstand nehmen. Ein weiterer Fall von Erscheinungen
zirkumskripter suppurativer Meningitis bei linksseitiger Ohreiterung kam nach
der Radikaloperation ohne Lumbalpunktion zur Genesung.
Bacon (6) konnte in zwei Fällen von akuter Mittelohreiterung im
Eiter Weichselbanmsche Meningokokken mikroskopisch nachweisen, im
ersten Fall vergesellschaftet mit Pneumokokken. Der eine Fall kam ohne
Komplikation nach zweimaliger Operation zur Heilung, im zweiten Fall trat
nach der Operation nur vorübergehend Besserung ein, es entwickelte sich
dann eine Meningitis, der das junge Mädchen erlag, llber den Sektions-
befund liegt ein Bericht nicht vor.
Hofer (60) hatte Gelegenheit, zwei Fälle von otogenem ExtraduraU
abszeß mit gutem Erfolg und einen Fall von otogener diffuser eitrig«*r
Meningitis zu operieren. Letzterer endigte letal. Die Krankengeschichten
werden ausführlich mitgeteilt. Im ersten Fall fand sich nur eine kleine
Kommunikation zwischen der extraduralen Eiteransammlung und den Mittel-
ohrräumen, im zweiten Fall kommunizierte die zwischen Dura und Knochen
liegende Äbszeßhöhle weit mit dem eitergefüllten Raum im Warzenfortsatz.
Dieser größere aber weit offene Eiterherd mit freiem Abfluß nach außen
hatte viel geringere subjektive Beschwerden verursacht, als der erste kleinere,
dessen Abfluß noch durch Verstopfung des äußeren Gehörgangs behindert
war. Im dritten F.alle handelte es sich um eine akute Influenza-Otitis. Bei
der Radikaloperation ergab Punktion der Dura noch klares Serum, einige
Tage später war die Lumbaiflüssigkeit schon getiübt, und vier Tage nach
der Operation starb der jugendliche Kranke im tiefen Koma. Die Sektion
zeigt« diffuse eitrige Meningitis. Eine endokranielle Eiteransammlung, die
eine Fortleitung der Mittelohreiterung auf den anatomisch präformierten
Wegen erklärt hätte, konnte nicht gefunden werden. Es wird daher an-
genommen, daß die Eitererreger längs der auastomotischen Lyniph- und
Blutbahnen vom Mittelohr zur Pia sich verbreiteten.
Eine klinische Vorlesung fSichhorst's (46) behandelt einen Fall von
eitriger Meningitis, besonders an der Hirnbasis und am Halsteil des Rücken-
marks bei einem vorher an Lungenbrand erkrankten Manne, dessen Lungen-
erkrankung mit glatter Höhlenbildung in beiden Oberlappen zur Ausheilung
gebracht worden waren. Die Diagnose konnte intra vitam nicht gestellt
werden, da die Lumbalpunktion keinen Liquor zu fördern vermochte. Wie
496 Meningitis tuberculosa, Meningitis purulenta, Pachymeningitis usw.
die Sektion zeigte, kam dies daher, daß die eitrige EntzünduDg zwar das
Brustmark ziemlich frei gelassen hatte, hingegen im Bereich des Lendenteils
wiederum sich reichliche dicke Eitermassen angesetzt hatten und ein be-
wegliches, durch die Punktion entleerbares Exsudat gar nicht vorhandeii var.
Hölscher (64) bespricht die Technik der Lumbalpunktion, empfiehlt
angelegentlich, große Druckschwankungen zu vermeiden und daher nur ein
Instrumentarium zu verwenden, das eine genaue Regulierung und Kontrolle
der Druckverhältnisse ermöglicht, und gibt nähere Anweisungen für die Be-
wertung des Untersuchungsbefundes mit besonderer Berücksichtigung der
Erkennung der otitischen Erkrankungen der weichen Hirnhäute.
Schlegel (130) untersuchte in München von zwei Fällen sekundärer
Meningitis den von der Leiche entnommenen Eiter und die Lumbalilüssig-
keit. Der erste Fall betraf ein 2^/., jähriges Kind, das kurz nach Über-
stehen von Varizellen ein schweres Trauma durch Sturz vom Schemel und
Aufschlagen des Hinterkopfes an ein eisernes Gestell erlitt, noch einen Tag
sich wohl fühlte und dann unter meningitischen Erscheinungen erkrankte,
denen es nach zirka 2 Wochen erlag. Die Autopsie zeigte außer eitriger
Cerebrospinalmeningitis und eitriger Bronchitis einen ohne alle äußere Ver-
letzung erfolgten Bruch des 7. Halswirbelbogens ohne Dislokation. In dem
zweiten Falle handelte es sich um eine von einer eitrigen rechtsseitigeo
Mittelohrentzündung ausgehende diffuse eitrige Meningitis mit Thrombose
des Sinus sigmoideus. Der Tod war hier wenige Tage nach Ausbruch der
meningitischen Erscheinungen eingetreten. Bakteriologisch wurden im ersten
Falle neben Streptokokken und Pneumokokken reichlich gramnegatiTe
Diplokokken nachgewiesen, die auch sonst die Eigenschaften der Weichsel-
ba umsehen Meningokokken aufwiesen. Nur fehlte die intracelluläre Lagerung
der Kokken. Im zweiten Falle fanden sich (allein?) Diplokokken ganz der-
selben Art mit ausgesprochen intracellulärer Lagerung. Die Agglutination
mit aus Straßburg bezogenem Jägerschen Serum gelang nicht.
Meningitis bei Pneumonie, Influenza, Typlius usw.
Cupler (39) konnte in drei Fällen von akuter Meningitis ohne jede
Komplikation in der Lumbaiflüssigkeit Pneumokokken in Beinkultur nach-
weisen. Zwei Fälle — es handelte sich um junge Männer von 20 — 30 Jahrei
— verliefen rasch tödlich. Von einem ist der Sektionsbefund mitgeteilt, dei
lediglich eine diffuse eitrige Meningitis und Milzschwellung aufdeckte. Eh
Fall wurde durch wiederholte Lumbalpunktionen, deren Ergebnis eine all
mähliche Aufhellung des anfänglich stark eitrig getrübten und bis kur
vor der Rekonvaleszenz noch kokkenhaltigen Liquors zeigte, geheilt un<
gegen Ende der fünften Krankheitswoche frei von Krankheitserscheinuuge
entlassen.
Willson (162) teilt vier Fälle von Cerebrospinalmeningitis mit, di
wahrscheinlich ihren Ursprung dem Pneumococcus verdanken. Drei von de
Fällen scheinen mit großer Wahrscheinlichkeit auf den Pneuniococcc
zurückzuführen zu sein. Im allgemeinen verläuft diese Form der Cerebit
Spinalmeningitis fatal, doch gibt es auch leichtere, günstig ausgehende Fäll<
Verf. hält die cerebrospinale Drainage nicht nur für eine durchaus heilsan
therapeutische Maßnahme, sondern auch für einen Eingriif, der scbwei
Anfälle milder verlaufen läßt. (Beudüt.)
Livingstone (90) teilt die Kraukengeschichte eines 40 jährige
Mannes mit, bei dem am 9. Tage einer rechtsseitigen Oberlappenpneumoni
schon die Krise eingetreten war. Vier Tage später stellten sich unter nenei
Meningitis tabercalosa, Meningitis purulenta, Pachymeningitis usw. 497
Keberanstieg Steifigkeit und Schmerzhaftigkeit der Glieder, Erbrechen und
Delirien ein. Kurze Zeit danach waren Geräusche am Herzen nachweisbar.
Nachdem Kopfschmerzen und Delirien sich gesteigert hatten, traten noch
epileptiforme Krämpfe ein, die Atmung wurde sehr beschleunigt, rasselnd
and am 27. Krankheitstage starb der Kranke. Die Autopsie zeigte die
Oberlappenpneumonie in Lösung, femer frische Endokarditis mit Pneumo-
kokken in den Auflagerungen der Mitralklappen und eitrige Konvexitäts-
meningitis.
Mac Callnin (91) beschreibt eingehend die pathologische Anatomie
einer nachweisbar durch Typhusbazillen verursachten eitrigen Meningitis.
Da die Zellformen des Exsudats mit seinen großen Fhagocyten dieselben
sind, wie sie im erkrankten Darm gefunden werden, hält Verf. bei dem
reladv einfachen Bau der in Betracht konunenden Gewebe gerade die
Meningitis für geeignet, Aufklärung über die Herkunft dieser Zellen zu
geben. Es ist nicht zu bezweifeln, daß die polymorphkernigen Zellen aus
den Blutgefäßen auswandern, da die Emigration derselben vielfach gesehen
werden kann. Auch von den lymphoiden und den Plasmazellen ist anzu-
nehmen, daß sie aus den Gefäßen auswandern, da lymphoides Gewebe oder
Anhäufungen von Lymphzellen normalerweise in den Meningen nicht be-
kannt sind. Die großen einkernigen, sehr phagocytär tätigen Zellen bieten
größere Schwierigkeiten. Die Frage, ob sie von einer Proliferation der
Endothelzellen der Arachuoidea, der perivaskulären Lymphräume oder der
Blutgefäße selbst herstammen oder durch eine Umbildung der aus den Blut-
gefäßen austretenden Wanderzellen entstehen, läßt sich endgültig noch nicht
beantworten. Verf. neigt jedoch zu der Anschauung, daß diese Zellen in
nächster Verwandtschaft stehen mit den normalerweise in den Meningen be-
sonders in den Wandungen der Venen vorkommenden amöboiden Zellen
(BanTiers Clasmatocyten, Marchan ds Adventitialzellen, Maximows Poly-
blasten). Diese Phagocyten kommen also entweder aus der Adventitia der
Gefäße nach einem längeren Aufenthalt dortselbst oder direkt aus den Ge-
fißen bezw. dem Blute nach einer Metamorphose her. Damit erweist sich
die ^[eningitis als ein tatsächlich exsudativer Prozeß, bei welchem in letzter
Instanz alle Zellen des Exsudats aus dem Blutstrom kommen.
Ck>le (35) unterscheidet drei Formen von meningealer Beteiligung beim
Typhus auf Grund einer umfassenden Zusammenstellung der einschlägigen
ikerator und eigener in John Hopkins Hospital gesammelter Beobachtungen.
1. Fälle mit meningitischen Symptomen, in denen eine meningeale Läsiou
sich nicht nachweisen läßt oder doch die Abhängkeit der Symptome von einer
Invasion von Typhusbazillen nicht erwiesen werden kann: Meningismus.
2. Fälle mit Zeichen von Meningitis, in denen im Leben oder nach dem
Tode der Typhusbazillus aus der Cerebrospinalflüssigkeit gezüchtet werden
kann, die nachweisbare meningeale Schädigung aber nicht eitrigen Charakter
angenommen hat: seröse Meningitis und 3. Fälle von eitriger Meningitis
mit TyphusbaziUen. Die zweite Form ist nicht nur eine Vorstufe der dritten,
da die Erkrankung nach der Punktion, die eine Diagnose ermöglichte und
Typhusbazillen im serösen Exsudat nachweisen ließ, mit raschem Abklingen
der Symptome zurückgehen kann. Die Ansiedlung der Bazillen in den
Meningen ist nicht notwendig zum Zustandekommen meningitischer Erschei-
nungen im Verlauf eines Typhus, letztere können allein schon durch die
Einwirkung der vom Krankheitserreger produzierten Toxine auftreten (Fälle
der ersten Gruppe). Je genauer und häufiger man jedoch untersuchen kann,
desto zahlreicher werden auch die positiven bakteriologischen Befunde sein,
Jalii«9bcricht f. Neurologie n. Psychiatrie 1906. 32
498 Meningitis taberculosa, Meningitis purulenta, Pachymeningitis qsw.
womit ein größerer Teil der sogen, typhösen Meningismen der echten serösen
Typhusbazillen-Meningitis zufallt.
M'Kenzie (102) t-eilt einen Fall von Meningitis cerebro-spiualis nach
Scharlach mit. Es handelte sich um einen 6 jährigen Knaben, der nach
einem typischen Scharlach von neuem mit Kopfschmerz, Fieber, skarlatinösem
Exanthem und septischen Erscheinungen erkrankte. Es entwickelte sich eine
ulceröse Tonsillitis mit Streptokokkenbefund, Otorrhoe und Gelenkschmerzen.
Nach kurzer Besserung traten unter Erbrechen und Kopfschmerz deutliche
Symptome von Cerebrospinalmeningitis auf, durch die der Exitus herbei-
geführt wurde. (Bendix.)
ToberknlOss Meningitis.
Nonne (Hl) hat bei einem 41jährigen Manne wenige Tage vor dem
unter den Erscheinungen schwerer tuberkulöser Meningitis erfolgten Tode
einige Tage lang das Symptomenbild der sog. „akuten Ataxie" beobachtet
Es bestand unverkennbar statische und lokomotorische, nicht rein ataktische
Koordinationsstörung der Extremitäten, des Rumpfes, der phonischen Sprach-
muskeln und der Mimik, Insuffizienz der äußeren Augenmuskeln bei anfäng-
lich normalem Verhalten der Pupillen und bei ataktisch-paretischem Nystag-
mus, Erhöhung der Sehnenreflexe mit leichter Hypertonie der Muskeln, eine
nur durch leichte Störung der Stereognosie an den Händen dargestellte
Sensibilitätsstöruug. unterdessen waren die Funktionen der Sphinkteren nnd
die Intelligenz noch intakt. Die Störung ist als eine bulbo-zerebellare zu
betrachten. Die Sektion zeigte chronische und frische Tuberkulose in beiden
Lungen, tuberkulöse Basalmeningitis und — was für die Deutung des Symp-
tomenkomplexes besonders wichtig erscheint — die Oberfläche des Kleinhirns
und des Wurms mit besonders dickem sulzig-eitrigem Exsudat überzogen.
Die tuberkulöse Erkrankung hatte an vielen Stellen die Kleinhimrinde selbst
und die nächst gelegene Markschicht mit ergriflFen, zum Teil auch die Me-
duUa oblongata. Das vorübergehende Auftreten der akuten Ataxie in der
zerebellaren Form bei einer tuberkulösen Meningitis findet seine anatomische
Erklärung in einer stärkeren Erkrankung des Kleinliirns bezw. in der Lokali-
sation des spezifischen Prozesses vorwiegend an diesem. An der Hand der
mitgeteilten Beobachtung läßt sich eine besondere „atypische zerebellare Form
der Meningitis tuberculosa^ aufstellen.
Carriere und Lhote (27) beschreiben nach einer längeren Reihe
zum TeU schon veröffentlichter klinischer Beobachtungen das Krankheitsbild
der tuberkulösen Meningitis mit verlängerten Remissionen. Nicht immer ist
der Ausgang der tuberkulösen Meningitis unmittelbar ein ungünstiger, es
kann zu mehr oder minder langen Remissionen kommen, die allerdings selten
konstatiert werden, da der Krankheitsverlauf leicht verkannt wird. Der
Beginn der tuberkulösen Meningitis mit verlängerter Remission entspricht
dem der gewöhnlichen Basalmeningitis. Die verlängerte Remission stellt nur
eine Fortsetzung der auch sonst bei tuberkulöser Meningitis zu beobachtenden
kurzen Beruhigungsperiode dar, sie kann bis zu 9 Monaten und länger dauern.
Während dieser Remission sind eine Reihe von Zeichen nachzuweisen, welche
anzeigen, daß die Krankheit noch im Verborgeneu schlummert, und daß
jederzeit ein Rückfall zu befürchten ist, z. B. Lymphocytose des Liquor
cerebro-spinalis. Die letzte Attacke mit letalem Ausgang beginnt plötzlich
und zeigt rapiden Krankheitsverlauf. Die pathologische Anatomie vermag
diese Remissionen insofern zu erklären, als sie zeigt, daß die initiale Läsion
eine lokale ist, die eine bindegewebige Umwandlung erfahrt, aber doch einen
Entzündungsherd zurückläßt, der unter Umständen den Ausgang einer neuen
Meniogitis tuberculosa, Meningitis puralenta, Pachymeningitis usw. 499
diffiiseren Ausbreitung der tuberkulösen Infektion bildet. Während der
Eemission muß daher eine energische, vorwiegend diätetisch-hygienische Be-
haDdlaug angewandt werden, die sich durch Kalomel, Jod, Arsen und Kreosot
virks&m unterstützen läßt.
Ormerod (112) schildert in einer klinischen Vorlesung zwei Fälle
TOD Meningitis. Im ersten Fall handelte es sich um eine tuberkulöse
Meningitis mit ausgedehnter Beteiligung der spinalen Häute. Die Krankheit
hatte bei dem bis dahin arbeitsfähigen 20jährigen Manne akut mit Kopf-
schmerzen und Delirien begonnen. Anscheinend hat sich die bei der
Autopsie gefundene floride Tuberkulose beider oberer Lungenlappen erst
während des 19tägigen Krankenlagers ausgebreitet, sie war während des
Lebens nicht festgestellt worden. Im 2. Fall war ein 22 jähriges Mädchen
unter meningitischen Erscheinungen erkrankt, erholte sich nach einigen
Wochen einigermaßen und starb dann unter peritonitisohen Zeichen, nach-
dem einige Tage vorher aus dem Bektum Eiter abgegangen war. Die
Xekropsie zeigte eitrige Meningitis, besonders über den unteren Teilen des
Bückenmarks, multiple Abszesse in den Muskeln in der Nachbarschaft der
mteren Dorsal- und der Lendenwirbel und einen großen Abszeß hinter dem
Kektum. Dieser war sowohl ins Rektum wie in die Peritonealhöhle durch-
gebrochen und hatte die tödliche Peritonitis veranlaßt. Der Eiter innerhalb
der Meningen enthielt Staphyloccocus pyogenes albus in Reinkultur. Ver-
&sser nimmt an, daß eine primäre Spinalmeningitis durch Fortleitung der
Infektion auf dem Weg der Nervenwurzeln zu den Abszessen den Anstoß
gegeben hat (? Ref.). Nebenbei wurde in der Blase und in beiden Nieren-
lecken Eiter gefunden.
Laederich (78) beobachtete einen Fall von tuberkulöser Meningitis bei
einem vierundvierzigjährigen Manne, bei dem die Lumbalpunktionsflüssigkeit bis
wm 17. Erankheitstage zwar Albumen, aber keine Leukocyten enthielt.
Erat am 20. Tage, vierundzwanzig Stunden vor dem Tode konnte Leuko-
cytose der Cerebrospinalflüssigkeit festgestellt werden. Die Rückenmarks-
kiute waren von tuberkulösen Veränderungen gänzlich frei, dagegen zeigten
die Hirnhäute die ganz charakteristischen tuberkulösen Erscheinungen.
(ßendia.)
Weill nnd Pehu (155) teilen drei Fälle von Meningitis tuberculosa
ittit, welche mit auffallenden psychischen Störungen einhergingen. Die Kinder
Stten an Delirien mit Halluzinationen des Gehörs und Gesichts. Bei einem
der Kinder hatten die Wahnvorstellungen, ein bestimmtes System ange-
lonunen und traten als religiöser Wahn auf. Das dritte der Kinder bot
das Bild einer zirkulären Psychose dar. Nervöse erbliche Belastung lag
nicht Tor, doch könnte eine nervöse Disposition bei den im Alter von 8 — 10
Jabren stehenden Kindern möglich sein.
Der anatomische Befund bot bei diesen Fällen nichts Besonderes dar,
^as für eine Lokalisation des tuberkulösen Prozesses an den Meningen
önes bestimmten Gehirnteiles gesprochen hätte. (Bendur,)
Villaret und Tixier (153) erhielten bei ihren Fällen von tuberkulöser
Meningitis auffallend verschiedene und sich widersprechende cytologische,
bakterielle, pathologisch-anatomische und klinische Befunde. Sie sind des-
halb der Ansicht, daß es Fälle von akuter Meningitis gibt, welche klinisch
Bnd cytologisch auf tuberkulöse Meningitis hinweisen können, aber negativen
bakteriellen Befund ergeben. Ferner ist nicht ausnahmslos bei tuberkulöser
Meningitis eine Polynukleose vorhanden; vielleicht ist dieses darauf zurück-
nführen, daß in gewissen Fällen die tuberkulöse Meningitis nicht von den
an sich, sondern von deren Toxinen bedingt ist. (Bendix,)
32*
500 Meningitis tuberculosa, Meningitis purulenta, Pachjmeningitis usw.
Proin und Ramond (51) haben bei 12 Fällen von tuberkulöser
Meningitis 24 mal die Cerebrospinalflüssigkeit auf ihre celluläre und sero-
fibrinöse Reaktion geprüft. 19 mal fanden sie den Kochschen Bazillus.
Ihre Untersuchungen bestätigten die Arbeiten von Widal, Sicard und
Ravant hinsichtlich der pathognomonischen Bedeutung der Lymphocj-tose.
Unter 23 Fällen bestand 11 mal eine starke Polynukleose, in 7 JBlüssigkeiten
kamen 70 polynukleäre auf 100, iu einem Fall 90 auf 100 weiße Elemente.
Eosinophile Blutkörperchen waren aber nur in geringer Menge vorhanden;
bei zwei von ihren Fällen zählten sie 0,3 eosinophile auf 100 Leukocyten.
(Bendir.)
Bei einem 64jährigen Hausierer, der an einem retroperitonealem
Sarkom der Leber, Lungen und Nieren zu Grunde gegangen war und über
Kopfschmerz, Schwindel und Rückenschmerz geklagt hatte, fand
Camp (24) die ganze Konvexität der Hemisphären von kleineren und
größeren weißen, opaken Knötchen bedeckt, die besonders in der Pia und
in den Fissuren lagen und den Eindruck von Tuberkeln machten. Mikro-
skopisch erwiesen sie sich als fibröse, an Zellen sehr arme Neubildungen.
(Bendir.)
Allgemeine Symptomatologie der Meningitis.
Baumann (12) teilt eine Reihe von Krankengeschichten mit, di« |
deutlich zeigen, wie leicht gerade im Kindesalter das Krankheitsbild ein« \
Typhus, einer Pneumonie, Influenza, einer Nephritis, überhaupt der meistei ;
fieberhaften und auch nicht fieberhafter Erkrankungen zur Fehldiagnose
Meningitis führen kann auch in Fällen, in denen die Autopsie die Meningen
ganz intakt zeigt. Er bespricht im einzelnen die Bedeutung der für die
verschiedenen Formen der meningealen Erkrankungen in Betracht kommendea
Symptome (Kernig, Nackenstarre, Pulsverlangsamung, Veränderungen im
Augenhintergrund usw.), hebt den großen Wert einer sorgfältigen Blutunter-
suchung und der Lumbalpunktion bei exakter bakteriologischer und cytologischer
Untersuchung des Liquor hervor, betont aber ausdrücklich, daß ein einzelnes
Zeichen uns nicht in den Stand setzt, einen Fall von Meningitis von einer
anderen Krankheit mit zerebralen Erscheinungen zu unterscheiden.
Curl (40) hat in 9 Fällen von tuberkulöser Meningitis und in einem
Falle von seröser Meningitis bei Kindern Hämoglobinbestimmungen und
Zählungen der roten und weißen Blutkörperchen gemacht und t^iJt die Er-i
gebnisse seiner Untersuchungen in einer tabellarischen Übersicht mit. Hämo*.
globingehalt und Erythrocytenzahl waren nicht wesentlich verändert. In secfai^
von den Fällen tuberkulöser Meningitis war keine Leukocytosis nachzuweisen,
nur in zwei Fällen wurden Leukocytenzahlen von 42000 bezw. 21000 gefundeD,
in einem Falle betrug die Zahl der weißen Blutzellen einmal 12092 und
eine Woche später 27000. Die Zahl der eosinophilen Zellen war in achlj
Fällen geringer als unter normalen Verhältnissen, erreichte in keinem Falte '
% %, in vier Fällen fehlten sie ganz. (Es ^Mirden jedesmal mindestens
500 weiße Zellen gezählt.) Nur in dem Falle von seröser Meningitis war
die Zahl der Eosinophilen mit 4,1 — 4,4 % annähernd normal bzw. erhöht
Die großen Lymphocyten und Ubergangsformen waren in 6 von den tuber-
kulösen Fällen an Zahl vermehrt, in einem von diesen erreichten sie 23%
der (resamtleukozytenzahl.
Hamburger (57) yeröfFentlicht einen Fall von Meningitis bei einem
drei Monate alten Kinde, der seiner Ätiologie wegen wichtig erscheint- Der
Fall war durch das Bacterium coli verursacht, und da die Ohren des Kindes
völlig intakt waren, so nimmt H. an, daß es sich um ein plötzliches Virulent-
MeningitU tub^calosa. Meningitis purulenta., PachymeniDgitis usw. 501
Verden des Bacteriiun coli handelte, das an dem locus minoris resistentiae,
d. L den Meningen, die Ton einer traumatischen Blutung intra partum getroffen
waren, sich festgesetzt hatte. (Bendix.)
Hassin (58) zweifelt auf Grund einer literarischen und statistischen
Zosammenstellung nicht, daß das Kernigsche Zeichen irgend eine Läsion der
spinalen Häute anzeigt. Er führt die Terschiedeuen Anschauungen über die
Efltet^hongsursachen dieses Phänomens an und glaubt, daß die passive Dehnung
des HüftnerFen hierbei vor allem in Betracht kommt. Beim Gesunden bewirkt
diese, in mäßigem Grade angewandt, keine abnormen Erscheinungen, bei
einer Erkrankung, die den Nerven selbst bzw. die Wurzeln betrifft, reagieren
die erkrankten Wurzelnerven auf die Streckung und zwar die hinteren Wurzeln
mit Schmerzhaftigkeit, wie sie meist mit dem Kernigschen Zeichen verbunden
ist nnd die vorderen Wurzeln mit Erzeugung der charakteristischen Kon-
traktur in den vom Hüftnerven versorgten Beugemuskeln. Dazu kommt noch,
dafi die mit der Dehnung des Ischiadikus verbundene Schmerzhaftigkeit den
Banken veranlaßt, instinktiv durch Anspannung der Beuger solcher Dehnung
atgegenzuwirken. Das Vorkommen des Kernigschen Phänomens bei Tjphus
istckrch die häufige Komplikation dieser Krankheit mit ßeteilung der Meningen
ra erklären.
Willson (161) hat 120 Patienten ohne alle Zeichen von Meningitis
Ulf das Vorkommen des Kernigschen Symptoms geprüft. Als positiv be-
rachtete er das Symptom nur dann, wenn der an der Ferse ohne besondere
Gewaltanwendung erhobene Unterschenkel zu dem in der Hüfte gegen den
tumpf im rechten Winkel gebeugten Oberschenkel im Knie noch einen
finkel von 110 bis 120^ Grad bildete. Er fand, daß bei einer großen
Ton Kranken das Bein in dieser Weise vollkommen gestreckt werden
ann, bei Frauen besser als bei Männern und noch häufiger bei kleinen
andern. Immerhin wurde das Kernigsche Zeichen bei 29 von 73 Erwachsenen
und bei 3 von 47 Kindern unter 10 Jahren positiv gefunden, im ganzen
»132 Personen i. e. 26,8 %• Einige weitere Angaben betreffen die Be-
aehungen des Kernigschen Zeichens zu dem Verhalten der Haut- und
Sehnenreflexe. W. schließt daraus, daß das genannte Phänomen zwar keines-
»egs als ein direktes Anzeichen einer meningealen oder zerebralen oder
finalen Läsion betrachtet werden kann, daß es aber doch in Verbindung
t anderen Zeichen von Meningitis als eine wichtige Bestätigung der Diagnose
wertet werden darf. In der Mehrzahl der Fälle bleibt es weit bis in die
Aonvaleszenz hinein nachweisbar und ist eines der zuletzt verschwindenden
fjmptome der Krankheit.
In der Straßburger medizinischen Klinik hat WeDnagel (lö6) an
^f 300 Kranken Beobachtungen über das Kernigsche Zeichen gesammelt.
Se Arbeit enthält eine Reihe nener beachtenswerter Einzelheiten über die
^nng und das Vorkommen der Kontraktur der Beuger am Oberschenkel
i rechtwinkliger Beugung des Beins im Hüftgelenk. Von den zur An-
üdnng konmienden Verfahren — Beugung im Hüftgelenk des gestreckten
feins (Lasögue) in Rückenlage, rechtwinklige Beugung des im Knie gebeugten
feins in der Hüfte mit nachfolgender Streckung des Unterschenkels in Rücken-
de, Durchdrücken der im Knie gebeugten Beine bei dem im Bett sitzenden
tranken und Strecken des Unterschenkels bei dem am Bettrand mit heraus-
ttögenden Beinen sitzenden Kranken (Kernig) hält der Verfasser die letzte
Methode für die zweckmäßigste. Je nach der Art der Prüfung kommt man
w Yerschiedenen Ergebnissen, wird das Becken mit Neigung nach vorne
^rt gehalten, so kann man auch beim Gesunden regelmäßig das Kern.igsche
Zeichen nachweisen. Wichtig ist es, die Rückfallbewegung des 'Oberkörpers
502 Encephalitis, Polioencephalitis, Hydrocephalus,
bezw. des Beckens bei der passiven Streckung des Unterschenkels zu beachten,
die unter Umständen durch eine Beugung des Oberkörpers nach vorne
kompensiert werden kann. In einzelnen Fällen läßt sich ein deutlicher Unter-
schied zwischen demLas^gueschen (Schmerzhaftigkeit)unddemKernigsclieQ
(Kontraktur) Zeichen feststellen, da Schmerzhaftigkeit ohne.Kontraktur and
Kontraktur ohne jene vorkommt. Meist aber finden sich Ubergangsfonnen.
Je nachdem die Dehnung des Ischiadikus mehr einen sensiblen oder einen
motorischen Reiz setzt, herrscht das eine oder das andere Zeichen vor. Die
diagnostische Bedeutung des Kernigschen Zeichens ist nach des Verfi^sers
Meinung überschätzt worden. Es gehört zu den Meningitis-Symptomen, ist
aber nicht pathognomonisch für diese Erkrankung und kommt auch bei den
meisten nicht meningitischen Krankheiten vor, am häufigsten freilich beim
Typhus (zirka 40% bei fiebernden Kranken, 23^0 init Einschluß der
Rekonvaleszenten). Das Zeichen kommt am häufigsten bei erwachsenen Männern
vor, am seltensten bei Kindern. Dementsprechend weist es bei diesen noch
mit größerer AVahrscheinlichkeit auf Meningitis hin. So betrafen etwa 40 %
sämtlicher Fälle von Untersuchungen bei jungen Kindern Meningitisfalle.
Encephalitis, Polioencephalitis, Hydrocephalus, Erkrankungen
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Referent: Dr. Reichar dt -Würzburg-.
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Arteriosklerose. Anenrysma.
Saathoff (65) bringt an der Hand eigener und fremder Eranken-
beobachtongen interessante Beiträpge zur Pathologie der Arteria basiiaris.
Die Basiiaris ist äußeren Gewalteinwirkungen leichter ausgesetzt, als man
nach der versteckten Lage von vornherein annehmen sollte. Sie verläuft
direkt auf dem Clivus, welcher noch dazu gerade in der Medianebene häufig
unregelmäßig gestaltet ist. Überlagert ist die Basiiaris von der konsistenten
Brücke. Die Gelegenheit zur Läsion der Arterie ist nun gegeben, wenn
der Körper eine heftige Abwärtsbewegung macht und dabei plötzlich gehemmt
wird, z. B. in typischer Weise durch einen Fall auf den Stamm. Befindet
sich nun während dessen das Blut in der Basiiaris unter hohem Druck
(Fall I: Tragen einer schweren Last, bei Fixation des Brustkorbes in
starker Inspirationsstellung, Muskelarbeit überhaupt, und Schreck usw.), so
entsteht durch die plötzliche Kompression eine gewaltige Ausdehnung der
Gefäßwand, die in der Buptur der Arterie ihren höchsten Ausdruck findet.
— Daß die luetische Gefäßerkrankung (inkl. Thrombose und Aneurysma)
gerade die arteria basiiaris bevorzugt, wird daraus erklärt, daß die Lues
mit Vorliebe an mechanisch geschädigten Geweben auftritt, und daß die
Basiiaris dem Trauma in erhöhtem Maße ausgesetzt ist
Löwy (45) verwertete die für die Differentialdiagnose der zerebralen
Arteriosklerose von der Neurasthenie von Erlenmeyer betonte Auslösung
oder Steigerung der zerebralen Symptome durch blutdrucksteigernde Proze-
duren bei Arteriosklerotikem zur differentialdiagnostischen Ausgestaltung der
Blntdruckmessungsmethode. Er ließ nach beendeter Messung an der
Temporalarterie (im Sitzen und bei gewöhnlicher Kopfhaltung) nun den
sitzenden Patienten den Kopf stark zur Brust vorneigen und bestimmte
nach Ablauf von etwa einer Minute wiederum die Höhe des Blutdruckes.
Bei Patienten mit normalem oder erhöhtem Blutdrucke, bei denen sich für
zerebrale Arteriosklerose keine Anzeichen finden ließen, fehlte auch die
Steigerung des Temporaldruckes durch Vorneigen des Kopfes. In Fällen
sicherer zerebraler Arteriosklerose war sie dagegen vorhanden. Mitteilung
entsprechender Krankengeschichten. Dieses Blutdrucksymptom soll demnach
einen differentielldiagnostischen Wert haben. — Sensibilitätsanoraalien werden
wiederholt bei zerebraler Arteriosklerose angetroffen. Sie entsprechen, so-
weit objektiv nachweisbar, in ihrer Ausbreitung den radikulären (spinalen)
Yersorgungsgebieten der Haut.
NaTmyn (52) spricht unter Beifügung von 6 Krankengeschichten
über die Differentialdiagnose der Pseudosklerose des höheren Alters und
der multiplen Sklerose, sowie über die arteriosklerotische Hirnerkiankung
in ihren Beziehungen zur Pseudosklerose und zur Abasia senescentium. Der
Artikel muß im Original durchgelesen werden.
Fischer und Brooks (22) bringen eine kurze Übersicht der Be-
ziehungen zwischen Arteriosklerose und Erkrankungen des Zentralnerven-
systems. Erwähnt werden hierbei u. a. die Hämorrhagie und Thrombose,
fie progressive Paralyse, multiple Sklerose, Syphilis des Gehirns, ferner
von anderen Organ- und Allgemeinerkrankungen die Nephritis und die
Infektionskrankheiten, die ja auch mit Arteriosklerose in Zusammenhang
stehen sollen. Die Arbeit bringt nichts wesentlich neues; auch dürften
manche Anschauungen der Verfasser bei uns auf Widerspruch stoßen.
506 Encephalitis, Polioencephalitis, Hydrocephalus,
Collins (9) teilt einen Fall von Herderkrankung der linken moto-
rischen Hinirindenregion mit, der bei einer 50jährigen Frau zur Beobachtung
kam. Im Anschluß an Influenza fiel bei ihr ein geistiger und körperlicher
Verfall auf; sie wurde vergeßlich, deprimiert und ängstlich. Nach einiger
Zeit trat ein Anfall von Schwindel und Bewußtlosigkeit auf mit klouischen
Zuckungen im linken Arm und Bein. Erbrechen trat nicht auf. In der
Folgezeit wurden anfangs nur leichte Ohnmächten bemerkt, dann aber
stellten sich häufig eigentümliche Sensationen in der linken Hand ein mit
krampfhaften Zuständen (Geburtshelferhand). Der linke Arm wurde langsam
schwächer und paretisch. Dann ging auch die Schwäche auf das linke Bein
über, welches nach und nach völlig gelähmt wurde. Die Beflexe waren
mäßig lebhaft, beiderseits gleich, kein Babinski, Augenbefund normal. Es
mußte auf eine Obduktion verzichtet werden und die Untersuchung auf ein
aus der Regio Rolandi entferntes Gehirnstück beschränkt werden. Da sich
hier weit fortgeschrittene arteriosklerotische Veränderungen fanden, so nimmt
0. an, daß der Jacksonsche Symptomkomplex auf Arteriosklerose in der
Regio Rolando zurückzuführen sei. .. (Bendiz.)
Nach Ferenczi (19) kommen in der Ätiologie der Arteriosklerose
auch psychische Emotionen, protrahierte Aufregungen, femer Blutdruck-
schwankungen in Betracht. Bei Arbeitern erscheint die Arteriosklerose
meist um ein Dezennium früher. Wirksame Therapie besteht nur in Ruhe
des Blutgefaßsystems. (Hudovemtg.)
Nach Perenczfs (20) Erfahrungen bildet Arteriosklerose oft die
Basis von „funktionellen Neurosen", welche entweder mit der Arterien-
erweichung (Angiomalacie) oder mit der Arterien Verhärtung (Angiosklerose)
im Einklänge stehen ; der ersten entsprechen hyper-, der zweiten ischämische
Zustände. In diesen Fällen bestehen häufige sensorische und sensible
Störungen, namentlich Druckempfindlichkeit der verhärteten Arterien. Die
Erweichung der Halsarterien erzeugt ein Krankheitsbild, das au unvoll-
kommene Formen der Basedowschen Krankheit erinnert; häufige Erschei-
nungen der Arteriosklerose sind: Augenschmerzen, Ohrensausen, Anosmie,
Parosmie, Kopfschmerz, Schwindel, verschiedene motorische und sensible
Erscheinungen des Seniums und Klimakteriums, epileptische und epileptoide
Zustände. Außer bei Lues sah Verf. nirgends so rasch fortschreitende
Arteriosklerose, wie bei Neurosen nach schweren Traumen. In der Arbeiter-
klasse tritt die Arteriosklerose schon im 20. Lebensjahre auf und ist im
30. sehr verbreitet. (Hudovemig,)
Hydrocephalus.
Engel (16) folgert aus den Untersuchungen dreier Hydrocephalen
folgende Sätze: Beim Hydrocephalus congenitus tritt, selbst wenn die Hemi-
sphären hochgradig gelitten haben, bei Individuen des 1. Lebensjahres zu-
nächst keine Degeneration der noch nicht markbekleideten Pyramidenbahnen
ein, sondern sie bleiben nur in ihrer Entwicklung zurück (Hypoplasie). —
Beim angeborenen Wasserkopf trifft man häufig Blutungen im Schädebraum
an, die sich, offensichtlich von den Ventrikeln ausgehend, allmählich in den
Subarachnoidealraum verbreitet haben.
Gramer (ll) beschreibt zwei Fälle von lokal beschränktem Hydro-
ceplialus, von denen namentlich der erste, unter dem klinischen Symptomen-
komplex des Tumor cerebri verlaufend, interessant erscheint. Das rechte
Unterhorn war durch einen minimalen tuberkulösen Prozeß allmählich zur
Abschnürung gebracht und bis zu Apfelgröße cystisch erweitert worden.
Der zweite Fall betraf einen 20jährigen Idioten mit spastischer rechts-
Erkrankangen der Hirngefäße. 507
seitiger Hemiplegie, Kontrakturen und gesteigerten Reflexen. Die Sektion
ergab eine schwere chronische, meningitische Veränderung, welche haupt-
sächliph die Konvexität des gesamten Stirnhirnes bis zur Zentralfurche
einnahm. Entsprechend dieser Veränderung war das Vorderhorn und Teile
der Cella media enorm erweitert. Eine genaue Diagnose intra vitam hatte
sich beidemale nicht stellen lassen.
Finkelnburg (21) betont die Ähnlichkeit des Symptomenbildes des
chronischen Hydrocephalus der Erwachsenen mit dem der Hirn-, speziell
der Kleinhimtumoren. Mitteilung dreier Krankengeschichten und Sektions-
ergebnisse. Bei dem ersten Kranken fanden sich kavernöse Angiome, die
zu den seltensten Himgeschwülsten gehören, vom spinalen Ende der Bauten-
grube an bis in das erste Cervikalsegment. Der Plexus chorioideus zeigte
„chronisch-entzündliche^ Veränderungen. Der dritte Fall betraf einen Tumor
(walnußgroßes Sarkom) des rechten corpus striatum mit dem Symptomen-
komplex einer Kleinhirngeschwulst. Erweiterung der Seitenventrikel. Verf.
folgert aus den drei Beobachtungen: l. Cerebellarer Gang kann auch
beim chronischen Hydrocephalus und bei Tumoren der Zentralganglien als
Frühsymptom eintreten. 2. Ein normales Verhalten der Sehnenreflexe
und selbst eine Abschwächung derselben spricht nicht gegen chronische
Hydrocephalie. 3. Das Schmidtsche Symptom (Auftreten von Erbrechen,
Schwindel und anderen Zeichen intrakranieller Drucksteigerung bei einer
bestimmten Seitenlage) ist nicht charakteristisch bei Kleinhirntumoren,
sondern kann sich auch bei Großhirngeschwülsten finden. 4. Umschnebene
Druck- und Klopfempfindlichkeit des Schädels findet sich auch bei chronischer
Hydrocephalie und hat daher als Lokalsymptom diagnostisch nur geringen
Wert. 5. Stärkere Entwicklung der Stauungspapille auf einer Seite spricht
nicht unbedingt für gleichseitigen Sitz der Geschwulst.
Diller (14) teilt folgenden Fall von akutem Hydrocephalus eines
vierjährigen Mädchens mit. Dieses erkrankte im Alter von 2^^ Jahren
unter Fiebererscheinungen und bekam nach einem halben Jahre einen
Strabismus internus, der besonders rechts sehr ausgesprochen war. Nach
einiger Zeit entwickelte sich eine Parese des rechten Armes, später auch
des rechten Beines. Es entstand eine spastische Parese des rechten Armes
nnd Beines; Patellarreflexe sehr lebhaft;, Fußklonus und Babinskisches
Zeichen. Beginnende Kontraktur der rechten Hand. Sprache gestört.
Später wurde das Kind völlig gelähmt und hilflos, das Schlucken wurde
erschwert, die Muskeln der Beine atrophierten sehr stark. Die Obduktion
ergab einen starken Hydrocephalus internus der dilatierten Seitenventrikel
und Abflachung der Hirnwindungen, sodaß das Gehirn das Aussehen einer
Blase hatte. (Bmdix.)
Hildesheim (34) stützt seine Untersuchungen über die Ätiologie
des Hydrocephalus auf 128 Fälle aus dem Oxforder Kinderhospital.
Er sucht an der Hand der von ihm näher mitgeteilten Kranken-
geschichten zu erweisen, daß fast in allen Fällen der Hydrocephalus eine
Folge einer überstandenen basalen Meningitis posterior gewesen sei.
(Bendb\)
Gtöppert (28) beobachtete drei Fälle von Pachymeningitis haeraor-
rhagicsu die in mehrfacher Hinsicht von dem gewohnten Bilde dieser
Krankheit abwichen und außerdem die prompte Wirkung der Spinalpunktion
auf den akuten Anfall erkennen ließen. Das erste Kind zeigte 3% Monate
vor seinem Tode die ersten Gehirnerscheinungen, Wachstum des Schädel-
umfaiiges und Krämpfe, die nach Spinalpunktion schwanden. Auch die
beiden anderen Fälle zeigten klinisch dasselbe Verhalten. Die Spinal-
508 Encephalitis, Polioencephalitis, Uydrocephalus,
punktion ergab leicht blutige Flüssigkeit von gleichmäßiger Mischung. Der
dritte Fall von HydrocephaJus blieb am Leben und soll durch die Lumbal-
punktionen geheilt sein. Das Band, ein Knabe, soll sich weiterhin geistig
gut entwickelt haben. (Bmdix,)
Homen (35) berichtet über vier Fälle von exzessivem Hydrocephalus,
die im Laufe der letzten neun Jahre zur Sektion kamen.
Fall 1 zeigte die Fossa cranii anterior beiderseits leer, auch die rechts-
seitige Fossa cranii ziemlich leer. Dagegen waren in der rechten Hemisphäre
das Corpus striatum und der Thalamus opticus erhalten. Rechts felüte der
ganze Himmantel, ebenso links. Im Halsmark fanden sich hochgradige
Veränderungen, namentlich der Pyramidenseitenstränge.
Der 4. Fall ließ gleichfalls den Schwund des Hirnmantels und des
Hemisphärengraus erkennen.
Fall 3 bot weniger exzessiven Schwund der Hirnsubstanz, aber stark
hervortretende Rückenmarksveränderungen mit einem großen Hohlraum im
Zervikalmark.
Der 4. Fall betraf eine erwachsene Person, deren Seiten Ventrikel
sehr stark dilatiert waren und deren Hemisphären fast nur aus der Binde
und wenig Marksubstanz bestanden. (Bendix,)
Encephalitis.
Rosenfeld (63) veröffentlicht folgende Krankengeschichte: Bei einer
40jährigen Frau entwickelt sich akut ein Zustand deliröser Verwirrtheit
mit epileptischen Anfallen, leichter Sprachstörung, Kopfschmerzen, Erbrechen,
Schwindel und Odem der Papillen. Nach einer kurzen Remission entwickelt
sich von neuem ein schwerer Zustand: heftige Kopfschmerzen, Erbrechen,
Pulsverlangsamung, Schwindel, Fieber von einigen Tagen Dauer, Paresen,
leichte Ptosis, Krampfanfälle, Störungen der Sprache, Schrift und des
Lesens, und Steigerung der Reflexe an den unteren Extremitäten. Dabei
deutliche Prominenz der Papillen mit starkem Odem, massenhaften Blutungen
auf den Papillen und der Retina mit Erweiterung und Schlängelung der
Venen bei engen Arterien. Heilung nach zwei Monaten. Tod der Frau
interkurrent nach 3^2 Jahren wegen Myoma uteri. Die makroskopische
Gehirnuntersuchung förderte nichts nennenswertes zu Tage. (Leider fehlen
Angaben über auffallige Residuen von Hirndruckveränderungen an den
Knochen, wie überhaupt die Frage des Hirndruckes, der Schädelkapazität
usw. nicht weiter berührt wird.) Histologisch fanden sich ebenfalls keine
stärkeren charakteristischen Veränderungen . Hervorzuheben sind Anhäufungen
von Corpora amylacea, z. B. unter dem Epithel des Seiten Ventrikels, nahe
einer Verwachsung der Ventrikelwände, ferner aber namentlich auch im
Optikus, Chiasma, Tractus, Corpus geniculatum und Pulvinar. Die zelligen
Elemente der Septen des Optikus waren an einzelnen Stellen vermehrt
Ablagerungen von Pigment. Die Krankheit, welche seinerzeit 'den schweren
Symptomenkomplex verursacht hatte, wird als Encephalitis aufgefaßt. (Nach
Ansicht des Ref. genügen diese vieldeutigen histologischen 'Befunde nicht
zur Diagnose einer abgelaufenen Encephalitis. Der Encephalitisbegriff bedarf
überhaupt einer gründlichen Revision. Das gilt namentlich von jenen Fällen,
die Nonne als Pseudotumor cerebri und Ref. als Hirnschwellung bezeichnet,
und die teilweise noch zur Encephalitis gerechnet werden.)
Bei der Kranken von Maas (46) hatte die Diagnose (Prof. Oppen-
heim) anfangs auf Encephalitis pontis gelautet; später wurde sie von
Oppenheim selbst in „multiple Sklerose" umgewandelt. Letztere Diagnose
Erkrankungen der Hirngefäße. 509
THirde durch die Sektion bestätigt; iu der Brücke fanden sich verschiedene
(darunter eine größere) Plaques. Verf. wirft hier mit Recht die Frage
auf, ob es sich nicht von vornherein um multiple Sklerose gehandelt habe,
oder ob diese aus einer „Encephalitis** hervorgegangen sein kann. Er er-
örtert die verschiedenen Ansichten der Autoren über letzteren Punkt und
ist geneigt, zwar der endogenen Disposition zur multiplen Sklerose eine
bestimmte Bedeutung beizumessen, daneben aber auch vermutliche äußere
Entstehungsursachen nicht außer Acht zu lassen.
In dem Falle von Oerber (27) handelt es sich um eine multiple
Hirunervenlahmung im Verein mit einer akuten Mittelohrentzündung, die
bei einem bis dahin gesunden Manne von 45 Jahren im Anschluß an eine
akate Infektionskrankheit, wahrscheinlich eine komplizierte schwere Influenza,
aufgetreten ist. Total oder partiell gelähmt waren, sämtlich rechts: Lingualis
und aurico-bitemporalis des Trigeminus und die Nerven VII bis XII. Später
Besserung sämtlicher Symptome, bis auf die Taubheit und Bekurrensparese
rechts. Die Krankheit wird als Influenza-Encephalitis gedeutet. (? Ref.)
Herzfeld (33) spricht über komplizierende Erkrankungen des Ge-
hiroes und seiner Häute im Anschluß an Krankheiten der Nase oder der
Nebenhöhlen. Eis kann sowolil zur eitrigen Meningitis durch Infektion vom
Nä$eninnern kommen, wie zu Stimlappenabszessen (deren Prognose bei
zeitiger Operation durchaus nicht so schlecht ist), wie auch zur Meningo-
encephalitis serosa acuta. Ein solcher, von Stiruhöhleneiteruug ausgebender,
mit Glück operierter Fall wird mitgeteilt. — Mancher Fall von ßhinorrlioea
oder Hydrorrhoea nasalis ist nichts weiter als der pathologische Ausfluß
Ton Liquor cerebrospinalis durch die Nase.
Southard und Keene (71) berichten über eine Anzahl klinisch und
anatomisch untersuchter Staphylokokkusinfektionen beim Menschen, unter
spezieller Berücksichtigung der zerebralen Veränderungen. Zum Studium
der letzteren haben sie auch das Tierexperiment zu Rate gezogen. Der
Staphylococcus pyogenes aureus ruft in den Hirnhäuten und der Himsubstanz
eine besonders durch Blutungen ausgezeichnete Entzündung hervor. Die
Größe dieser Blutungen, der Entzündungsherde und Abszesse schwankt sehr.
Ihr Sitz ist besonders das subkortikale Marklager und verlängerte Mark.
Beim Meerschweinchen ist das histologische Bild in manchen Punkten etwas
abweichend; wie auch im klinischen Verlaufe Abweichungen bestehen, indem
die Encephalitis vielmehr die Tendenz zur Heilung zeigt.
Eönigsberger (42) teilt einen Fall von Encephalitis acuta bei einem
fiin^ährigen Mädchen mit, welche auf gonorrhoischer Toxinwirkung entwickelt
(Vulvovaginitis gonorr.) mit leichten fieberhaften Erscheinungen, Paresen
mehrerer Himnerven, später Parese der Beine, namentlich rechts, und
Fapillitis haemorrhagica verbunden war; nach dreiwöchentlichem Bestände
Auftreten des Babinskischen Zeichens r. Nach weiteren 5 AVocheii Rück-
bildung sämtlicher Symptome. (Iludovemig.)
Stenger (73) macht kasuistische Mitteilungen zur Meningoencepha-
litis serosa otitischen Ursprungs.
Er teilt drei Fälle mit, bei denen sich im Anschluß an chronische
Mittelohreiterungen schwere Hirnsymptome einstellten, welche den Verdacht
auf etwaigen Hiniabszeß erweckten. Im Vordergrunde standen auffallende
Druckerscheinungen, wie Kopfschmerzen, Erbrechen, Stauungspapille, welche
von übermäßiger Ansammlung der Cerebrospinalflüssigkeit herrührten und
nach deren Entleerung schwanden. Daneben fanden sich aber auch An-
zeichen lokaler Störungen mit psychischen und Bewußtseinsalterationen
510 Encephalitis, Polioencephalitis, Hydrocephalus usw.
Damentlich bei dem 2. Falle, der besonders im Schlafe eigentümliche Be-
wegungen mit den linksseitigen Extremitäten ausführte. (Bmdit.)
Hnismans (36) gibt Krankengeschichte und genauen anatomischen
Befund eines 33 jährigen Mannes, welcher, bis dahin gesund, zunächst an
allgemein nervösen Beschwerden litt, später unter Schwäche in den Beinen
erkrankt. Die letztere wird zur vollständigen Paraplegie. Die Lähmung
befällt den Stamm, die oberen Extremitäten, das Zwerchfell, die Schlund-
muskeln und schließlich das Atemzentrum selbst; sie charakterisierte sich
als schlaffe Lähmung mit Verschwinden der Haut- und Sehnenreflexe.
Während also im großen und ganzen das Bild mit dem der Landry sehen
Paralyse übereinstimmte, ergaben sich im einzelnen unterschiede, klinisch
durch den fieberhaften Verlauf, die Sensibilitäts-, Blasen- und Mastdarm-
störungen, ferner die schweren psychischen Symptome und anatomisch
durch das Bestehen einer disseminierten (wahrscheinlich infektiösen) Encephalo-
myelitis, unter Beteiligung des Gefaßapparates (Embolien und Thrombosen).
Zingerle (82) ist auf Grund der eingehenden Untersuchungen seiner
Fälle von Porencephalia congenita der Ansicht, daß die Porencephalie nicht
das Resultat einer Entwicklungsstörung ist. Z. konnte den Nachweis ab-
gelaufener Destruktionsprozesse erbringen, die das Gehirn in seiner Ent-
wicklungszeit betroffen haben müssen und zu einer Reihe reparatorischer
Vorgänge geführt haben, durch welche die Ausdehnung und Art der
ursprünglichen Läsion in verschiedenem Grade verwischt war. Die angeborene
Porencephalie ist keine einheitliche ätiologische Erkrankung, sondern stellt
das Ausgangsstadium verschiedener, zur Einschmelzung des Gewebes führen-
der Prozesse dar. In seinen drei Fällen von Porencephalie könnt« Z. fest-
stellen, daß der Erkrankungsprozeß sich nicht auf ein bestimmtes Gefaß-
gebiet beschränkte und sich nicht auf Veränderungen in den größeren
Gefäßstämmen zurückführen ließ. Er äußerte sich in multiplen disseminierten
Herdläsionen vom Charakter einer Meningoencephalitis, wobei aus den Ver-
änderungen der kleinsten Gefäße hervorgehende Hämorrhagien und ischämische
Nekrosen beim Zustandekommen größerer Erweichungsherde sekundär eine
große Rolle zu spielen scheinen. (Bendix.)
Der 116 Seiten langen Arbeit Freobraschensky's (61a) liegen
28 Fälle zu Grunde. 22 mit, 6 ohne Sektionsbefund. In 21 Fällen wurden
ausführliche mikroskopische Untersuchungen gemacht. Die verschiedenen
Formen der hämorrhagischen Encephalitis (E. haemorrhagica, Polioence-
phalitis, E. pontis, Myelitis bulbi) bilden eine und dieselbe Erkrankung,
deren Besonderheiten nur von der Lokalisation des encephalitischen Herdes
abhängen. Alter und Geschlecht spielen keine Rolle; zuweilen epidemisches
Auftreten. Das Symptomenbild der Encephalitis haemorrhagica ist viel-
gestaltig, fast immer sind neben den mannigfaltigsten Störungen des Nerven-
systems (Kopfschmerzen, Schwindel, Ataxie, Aphasie, Gleichgewichtsstörungen,
epileptiforme und epileptische Anfälle, Dysarthrie, neuritis optica) Bewußt-
seinsstörungen, Apathie, Somnolenz, akutes Delirium, Demenz vorhanden.
Im akuten Fall der Encephalitis haemorrhagica spielen psychische Störungen
eine wesentliche Rolle. Das Endresultat der Encephalitis haemorrhagica
ist nicht die multiple Sklerose; es treten Narben auf, wie gewöhnlich bei
kleinen Blutungen oder Hirnerweichungen. Wenn während der Encepha-
litis haemorrhagica Symptome der multiplen Sklerose erscheinen, so weisen
diese auf multiple encephalitische Herde hin. Encephalitis haemorrhagica
kommt viel häufiger vor, als bisher angenommen wird, da die Differential-
diagnose mit Lues cerebri, Thrombosis cerebri und multipler Sklerose sehr
schwierig ist. Preobraschensky weist auf die bisher nicht beschriebenen
Himgeschwülste. 5 1 X
chronischen und subchroniscben Formen der EDcephalitis haemorrhagica
hin nnd bringt 3 Falle, einen mit Sektionsbefund. P. bält die Existenz
einer subakuten und chronischen Form der Encephalitis für berechtigt.
Encephalitis haemorrhagica gehört zu den organischen Psychosen, da bei
ihr dauernde psychische Störungen eine wesentliche Bolle spielen. (Krou,)
Hirngesehwfilste.
Referent: Prof. Dr. L. Bruns-Hannover.
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Hirngesch Wülste. 515
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Oppenheim (104) bringt die ausführlichen Krankheitsgeschichten
^er Anzahl von Fällen von Tumor cerebri, die vor allem ein erhebliches
^agnostisches und damit auch therapeutisches Interesse haben. Namentlich
sind die epikritischen Bemerkungen von fesselndem Reiz.
Im 1. Falle handelte es sich um ein Gliosarkom der Brücke mit typischen
Symptomen. Beginn des Leidens mit Kopfschmerzen, Erbrechen, Schwindel
QDd Diplopie nach einem Trauma, sodaß Oppenheim zunächst noch au
«ine Spätapoplexie oder an eine Encephalitis pontis dachte. Später Ent-
^cklung einer typischen alternierenden Hemiplegie auch mit Blicklähmung
33*
516 Hirngeschwülste.
nach rechts; im Anfang war neben rechter Abducens- und Facialisparese links
Babinski und dorsales ünterscheukelphänomen vorhanden. Stauungspapille
fehlte durch den ganzen Krankheitsverlauf.
Im 2. Falle bestanden bulbäre und cerebellare Symptome bei Vorhanden-
sein tuberkulöser Drüsen. Allgemeinsymptome bis auf das Fehlen der
Stauungspapille. Es fanden sich zwei symmetrische Tuberkel in der Ob-
lougata. Die cerebellare Ataxie war wohl auf die Beteiligung der unteren
Kleinhirnarme oder der absteigenden Kleinhirnbahnen zurückzuführen.
Der 3. Fall war ein freier Cysticerkus im 4. Ventrikel, den Oppen-
heim schon bei der 1. Untersuchung mit Wahrscheinlichkeit diagnostizieren
konnte. Neben leichteren dauernden Symptomen — Parese des rechten In-
ternus und Abducens und Nystagmus — bestanden wechselnd Perioden schweren
Leidens mit Kopfschmerz, Erbrechen, Schwindel und solche relativen Wohl-
befindens bis zur Dienstfähigkeit. Der Schwindel war oft so groß, daß der
Patient jede Kopfbewegung brüskerer Art vermeiden mußte, wenn er nicht
hinstürzen wollte. 'Später auch Stauungspapille, die sich auf Hg-Kur zurück-
bildete, ohne daß Oppenheim seine Diagnose deswegen ändert«. Tod an
plötzlicher Atemlähmung; lange vorher schon Pulsarhythmie. Keine Band-
wurmätiologie. Es fanden sich auch noch einige verkalkte Cysten in der
Hirnrinde. Der Fall ist typisch; namentlich auch das Eintreten schwerster
Schwindelerscheinungen bei rascherem Drehen des Kopfes, ein Symptom,
das Oppenheim als ßrunssches Symptom bezeichnen will. Wenn Oppen-
heim übrigens der Ansicht ist, daß das Phänomen nicht unbedingt für einen
freien Cysticerkus spricht, so ist das wohl sicher; namentlich an einem Ependym-
fasernstiele flottierende Cysticerken können sicher dasselbe Symptom herror-
rufen. In dem vom Referenten beobachteten Falle liegt die Möglichkeit, daß
in vivo die Blase nur eine flottierende, nicht ganz freie war, auch vor. Die
Möglichkeit, in solchen Fällen zu operieren, hat Referent nur mit großer
Reserve diskutiert, übrigens würde in solchen Fällen bei dem starken Him-
innendruck ein dünner Ependymfaden wohl reißen und die Blase sich daon
doch entleeren.
In Fall 4 und 5 handelte es sich um Tumoren der motorischen Region.
Im Falle 4 waren die Symptome typisch — nur war auffällig die sehr
geringe Aushaltung der Allgemeinsymptome und das Schlaffbleiben der zere-
bralen Lähmungen. Es handelte sich um ein Gliom im linken Beinzentrum,
das nicht zu operieren war. Im Falle 5 waren die Symptome unsicher und
mit hysterischen gemischt; bei der Operation war man im Zweifel, ob die
bloBgelegte Partie Tumorgewebe war; auch die histologische Untersuchung
post mortem klärte nicht genug über die Natur des Tumors auf.
Fall 6 war ein diagnostisch höchst instruktiver Fall, Es bestand im
linken Arme bei fast normaler Kraft erhebliche statische und lokomotorische
Ataxie; Bathyanästhesie und Stereoagnosis bei erhaltenem Schmerz und
Temperatursinne und nur mäßig gestörtem Tastgefühle; dabei perkutorische
Empfindlichkeit der rechten Schläfengegend; Allgemeinsymptome vorhanden.
Später noch Hemianopsie nach links. Oppenheim stellt die richtige Diagnose
eines Tumors der rechten Parietalwindungen, der sich bei der Operation
direkt unter dem Cortex fand. Er hebt hervor, daß er den Symptomenkomples
schon 1900 scharf präzisiert habe^ und zitiert gleichartige Fälle anderer Autoren;
er übereieht aber einen vom Referenten im Jahre 1898 im neurologischen
Zentralblatte beschriebenen Fall, bei dem auch die Diagnose gestellt war,
aber wegen der Annahme des Sitzes des Tumors im Marke des linken Scbläfen-
lappens leider von einer Operation abgesehen war.
Hirngeschwülate. 517
Der Fall 7 ist dadurch interessant, daß als hauptsächliche Symptome
neben einer sensorischen Aphasie ein der Faralysis agitans ganz gleichendes
Zittern im rechten Beine bestand. Später ging das Zittern zurück; die
aphatischen Störungen traten aber deutlicher hervor. Diagnose: Tumor in
der Gegend des Linsenkernes links. Bei der Operation eine Cyste in der
Umgebung der 1. Schläfenwindung; später keine Obduktion.
Der Fall 8 war dadurch interessant, daß sich bei der Sektion ein
Tumor in der rechten Kolandoschen Gegend fand; da aber nebenbei eine
Cyste im Mark der rechten Hemisphäre bestand, hatten nie typische kortikale
AnMe bestanden.
Im Fall 9 schwankte die Diagnose zunächst zwischen linkem Klein-
hirn-öder Stimhimtumor, später entschied sich Oppenheim für das Klein-
hirn; der Gornealreflez fehlte links vollständig, ein Symptom, dessen Be-
deutung für die Kleinhirntumoren Oppenheim seit langem verteidigt.
Zum Schlüsse bringt Oppenheim noch zwei Fälle von Meningitis serosa,
eine Diagnose, die einmal richtig gestellt wurde, einmal bei falscher Annahme
eines Kleinhirntumors zu einer Operation führte. Beide Male waren auch
Symptome vorhanden, die die Möglichkeit einer Seitendiagnose — gekreuzte
Eörperschwäche — nahelegten, doch sind nach Oppenheim diese Symptome
beim Hydrocephalus immer nur gering ausgebildet und kaum progressiv.
Dann folgen noch einige Bemerkungen über den Pseudotumor cerebri (Nonne).
Oppenheim weist auf die Möglichkeit einer heilbaren zirkumskripten tuber-
kalösen Meningoencephalitis und auf die einer Encephalitis hin.
Oppenlieiin (105) berichtet über einen Fall von Tumor an der
Basis der linken Kleinhirnhemisphäre, bei dem das konstanteste Symptom eine
Areflexie der linken Cornea wan Dazu Allgemeinsymptome und Zeichen von
Druck auf die linke Pyramidenbahn oberhalb der Kreuzung.
Taylor (133) berichtete über einige Fälle, in denen er die Diagnose
Hirntumor stellt und bringt dann allgemeine Auseinandersetzungen über
Srmptoniatologie, Prognose und Therapie dieses Leidens. In zwei Fällen
traten, abgesehen von dauernden Sehstörungen, erhebliche resp. vollständige
Md dauernde Heilung ein (Pseudotumor cerebri Nonne).
Stewart (131) bespricht an der Hand von 40 Fällen die Symptoma-
tologie des Kleinhirntumors und bringt dabei manches Neue und Interessante.
In 22 Fällen wurde die Diagnose durch die Autopsie oder durch eine Operation
bestätigt Verf. bringt unter seinen Fällen erstens solche in der Kleinhirn-
mbstanz selbst, zweitens solche im sogenannten Kleinhirnbrücken winkel; letztere
tonnen wieder von der unteren Fläche einer Kleinhirnhemisphäre oder al)er
Ton den Hirnnerven dieser Gegend ausgehen. Gerade auf die Verschieden-
Mtigkeit der Symptome dieser beiden Arten von Tumoren gt?ht Stewart
Büi besonderem Nachdnick ein. Bei dem häufigen echten Drelischwindel
i^ndelt es sich um das Gefühl einer Drehung der umgebenden Gegenstände
oder des eigenen Körpers. Nach Stewart sollen sich nun die Gegenstände
kei extra- und intracerebellarem Tumor immer von der Seite der Läsion
toch der gesunden Seite drehen; die scheinbare Bewegung des eigenen
Körpers soll aber bei extracerebellaren Tumoren eine solche von der ge-
funden zur kranken Seite sein, bei intracerebellaren eine umgekehrte. Aus-
lesprochene Taubheit und Ohrgeräusch sprechen für extracerebellaren Tumor;
ebenso eine komplette Abduzenzlähmung; leichte, sowie Blicklähniungen
Dach der Seite der Läsion kommen bei beiden Tumorsitzen vor. Nystagmus
ist am deutlichsten beim Bücken nach der Seite des Tumors (Blickparese,
Bef.). Lähmungen des Trigeminus und Facialis und des 9. und 12. Hirnnerven
fehlen fast immer bei intracerebellaren Tumoren; bei solchen des Kleinhirn-
518 Himgeschwülste.
Brückenwinkels sind die ersteren häufig. Im Gegensatz zu Stewart hat
Eef. auch bei Marktumoren Okulomotoriuslähmung nicht selten gesehen.
Bei Marktumoren fand sich an den Extremitäten am häufigsten eine
gleichseitige Ataxie, speziell des Armes, die bei Wurmtumoren doppelseitig
ist. Parese und Ataxie fand sich gleichseitig nur nach akuten L'äsionen,
also speziell nach Operationen. Dabei können die Sehnenreflexe im Anfange
fehlen, später normal oder gesteigert sein. Auch bei Tumoren im Kleinhirn-
brückenwinkel kann auf Seite der Läsion eine Ataxie bestehen — danehen
dann aber meist eine spastische Parese der gekreuzten Extremitäten. Die
Neigung und das Fallen nach der Seite der Läsion kommt bei intra- und
extracerebellaren Tumoren vor; ist aber kein sicheres Zeichen; bei Wurm-
tumoren besteht Neigung, nach hinten zu fallen. Die Haltungsveränderungen
des Kopfes — Seitwärtsneigung nach der Seite der Läsion und Drehung
des Kinnes nach der anderen Seite — wird nach Stewart von manchem
als diagnostisches Moment überschätzt; die Stellung kann auch die um-
gekehrte sein. Charakteristisch für Kleinhirntumoren sind nach Stewart
anfallsweise tonische Anspannungen der Rumpf- und Extremitätenmuskeln
mit Ai*c de cercle Bildung; das hat auch Ref. schon beschrieben.
Eine besondere Tabelle bringt nochmal zusammenfassend die differential-
diagnostischen Momente zwischen Tumoren der KJeinhirnsubstanz, des
Kleinhirnbrückenwinkels und des Pons. Stewart steht mit Recht auf dem
Standpunkt, daß er die klinischen Beobachtungen für die menschliche
Pathologie als bedeutungsvoller ansieht, als die Tierexperimente. Interessant
sind in den Krankengeschichten besonders die Beschreibungen der Symp-
tome, die sich unmittelbar an Operationen anschlössen.
Collier (27) bespricht eingehend alle Umstände, die bei Hirntumoren
als Lokalsymptome imponierende Erscheinungen hervorbringen können, ohne
daß es sich wirklich um solche handelt, und die deshalb die Diagnose auf
falsche Bahnen bringen können. Im allgemeinen kommt er zu folgenden
Schlüssen: 1. Scheinbare Lokalsymptome, die spät, nach langdauemdem
Vorhandensein der Allgemeinsymptome auftreten, sind nur mit Vorsicht zu
verwenden. 2. Relativ häufig werden „Lokalsymptome" hervorgerufen durch
vaskuläre Läsionen, Meningitis, Hydrocephalus, ausgebreitetes Oedem um
den Tumor, selten durch sekundäre Tumoren im Gehirn oder im Rückenmark.
3, Fehlen im Beginn des Leidens echte Lokalsymptome, so kann man an-
nehmen, daß der Tumor über dem Tentorium cerebelli sitzt (? Ref., Tumoren
in einer Kleinhimhemisphäre). 4. Zeitweise vorhandene echte Lokalsymptome
können im weiteren Verlauf durch andere Symptome verdeckt werden und
in Fällen, die überhaupt erst spät zu sachverständiger Beobachtung kommen,
kann eine Lokaldiagnose überhaupt schwierig oder unmöglich sein (das hat
auch der Ref. oft erlebt). Häufig führen nach C. Himnervenlähmungen zu
falschen Lokaldiagnosen. Fernwirkungen auf den Olfaktorius oder Akustikui
— in der Art der optischen Stauungsneuritis — erkennt C. allerdings nicht
an. Häufig treten im späteren Verlauf des Tumors Fernlähmungen im
Abduzens und Okulomotorius auf; sie sind meist auf der Seite der Läsiot
beobachtet, kommen aber auch auf der anderen Seite vor. Trochlearislähmungei
dieser Art sind nicht beobachtet. Collier meint, daß es sich bei diesen
Augenmuskellähmungen um Zerrungen der Nerven an der Basis cerebr
handele; bei Großhirn tum oren wurde Hirnstamm und Kleinhirn in das Foramei
occipitale gedrückt; den Zerrungen wären gerade der 3. und 6. Gehirnnen
besonders ausgesetzt, da sie lange Strecken an der Basis in sagittalei
Richtung zurücklegten. Nur selten werden auch der Trigemiuus, Facialis
und Akustikus in dieser Weise lädiert — manchmal auch der Tractus
Hirngeschwülste. 519
opticus mit entsprechender Hemianopsie — hier kann es sich aber auch um
Drack des Tumors auf die Basis gehandelt haben (Ref.).
Bei ELleinhim- und Himstammtumoren kommen im späteren Verlaufe
auch typische Jackson sehe Anfälle vor — nach Collier durch den Hydro-
cephalus internus. Ebenso berichtet Collier Fälle langjähriger scheinbar
klassischer Epilepsie, bei denen sich viel später als Ursache ein Tumor
herausstellte. Kleinhimerscheinungen bei Großhimtnmoren soUen nach C.
immer durch Hineindrängen des Kleinhirnes ins Foramen occipitale entstehen,
ob die Stimhimataxie immer diese Ursache hat, scheint Bef. doch fraglich,
obgleich er auf diese Möglichkeit schon in seiner ersten Mitteilung (1891)
über die frontale Ataxie hingewiesen hat. Bei einseitigen Tumoren kann
durch Druck auf die andere Hemisphäre doppelseitige spastische Parese
entstehen. Zweimal sah Collier Metastasen in den hinteren Wurzeln des
Bäckenmarks bei primären Hirntumoren; einmal bestanden lanzinierende
Schmerzen; dieselben können auch durch einfache Zerrungen der hinteren
Vurzeln bei Hirntumoren hervorgerufen werden.
Ein Jahr bestehende Hemianopsie, die Lokalsymptom ist, verschwindet,
wenn der Patient ganz blind wird; ist er ganz blind und lahm, so sind
auch die Lokalsymptome der Kleinhirntumoren nicht nachzuweisen.
Qötzl und Erdheim (50) teilen den Fall eines jungen Mannes mit,
der hereditär nicht belastet war und ohne nachweisbare Ursache an Diabetes
insipidus, der ungefähr zwei Jahre anhielt, erkrankte. Während dieser Zeit
zeigte er langsam zunehmende psychische Störungen in Form von Schlaf-
sucht und Unlust zum Essen. Trophische Störungen, wie Ausfall der Pubes-
uiid Ächselhaare traten auf; schließlich zeigten sich Sehstörungen im Sinne
einer bitemporalen Hemianopsie. Körpertemperatur subnormal. Amaurose
auf einem Auge. Psychisch entwickelt sich, nach einer kurzen Periode, in
der ein der Korsakoffschen Psychose ähnliches Zustandsbild bestand, voll-
standiger Stupor. Weitere trophische Störungen in Form von Kleinerwerden
der Glandula thyreoidea und der Genitalien und eines pemphygusartigen
Aasschlages.
Es fand sich ein Gehirntumor maligner Natur (Carcinora). Für die
Annahme eines hypophysären Ursprunges des Tumors sprach, daß er mit
einem Anteil an der Hirnbasis bloßlag, jedoch erinnerten die Tumorelemente
in keiner Weise an die charakteristischen Hypophysenzellen. Für die An-
nahme eines ependymären Ursprunges sprach seine zum Teil papilläre Be-
schaffenheit, dagegen aber der Umstand, daß anatomisch eim Zusammenhang
des Ependyms mit dem Tumor nicht konstatiert wurde. (Bendix.)
Kurze Übersieht Carey's (22) über die pathologische Anatomie der
Hirntumoren.
Walton und Brann's (142) statistische Angaben über die Häufigkeit
nnd Art einzelner Symptome bei Hirntumoren bringen nicht viel Neues.
Nach Sektionsergebnissen halten sie 7 ^j^ für sicher, 13 ^o ^^^ zweifelhaft,
I 80 % für nicht operabel. Von den 7 % nach der Autopsie sicher operablen
I fallen aber noch meist eine Anzahl fort — z. B. durch Fehlen einer Lokal-
diagnose usw. — , so daß 3,3 ^^ überbleiben. Das stimmt auch mit der
Referenten Erfahrungen.
Henneberg (58) berichtet zunächst über zwei Fälle von Jackson scher
Epilepsie, die durch die Progressivität ihres Verlaufs und durch das Auftreten
dauernder Lähmungen — wenn auch in der Art des Einsetzens und des
Verlaufs der einzelnen Anfälle mancher Wechsel bestand — die Diagnose
auf einen Tumor der motorischen Region stellen ließen. Beide Male wurde
aber der Tumor bei einer Operation nicht gefunden, die Kranken starben
520 Hirngeschwülste.
au Infektion infolge der Operation. Die anatomische Ursache der Rinden-
epilepsie konnte nicht aufgeklärt werden, da die gefundenen entzündlichen
Erscheinungen auf die Trepanation geschehen werden mußten. In einem
dritten sonst ähnlichen Falle fand sich ebenfalls bei der Operation kein
Tumor; wohl aber einige Jahre später bei der Sektion an der Trepanations-
stelle; er war entweder übersehen, oder die Trepanationsöffnung war zu klein,
oder er war wohl infolge der Operation entstanden. In einem vierten Falle,
bei dem sicher echte epileptische Anfalle bestanden, wurden partiell solche
Anfälle, weil sie sich hypnotisch beeinflussen ließen, auf Hysterie zurück-
geführt. Als später noch Stauungspapille eintrat, wurde operiert und ein
diffuser inoperabler Tumor gefunden. In einem fünften PaUe wiesen die
Symptome auf den rechten Scheitellappen hin; die typischen Thalamussymp-
tome fehlten; eine Operation war erfolglos, weil der Tumor doch im
Thalamus saß. In einem sechsten Falle hatte ein Thalamustumor als Nach-
barschaftssymptome solche der Vierhügel bedingt — so doppelseitige Okulo-
motoriuslähmung, cerebellare Ataxie, Tremor manuum, Schwerhörigkeit und
linksseitige Hemianopsie. Hier keine Operation.
in dem Fall Glynn (47) bestanden durch Jahre in abwechselnder
Stärke die Symptome eines Hirntumors unbestimmten Sitzes. Dann stellte
sich andauernder Abfluß von Hirnflüssigkeit aus der Nase ein und danach
Heilung aller Beschwerden. Es hat also wohl nur ein Hydrocephalus be-
standen.
Vallette (137) beschreibt zunächst einen Fall von Hirntumor bei einer
Frau. Früh mehr neurasthenische Symptome, aber mit wütenden Kopf-
schmerzen und Erbrechen; später Somnolenz und Torpor, Urinverhaltung;
Schwäche der rechten Seite. Keine Stauungspapille. Gliom im Corpus
callosum, von da in beide Hemisphären reichend. Vallette reiht diesen
Fall ,den von B rasch und Loeper beschriebenen Fällen von Tumor ä forme
psychoparalytique an; diese Beobachtungen bringen aber gar nichts Neues;
namentlich ist das gleiche Krankheitsbild bei Balkentumoren nichts Be-
sonderes. V. berichtet dann noch über einen zweiten ähnlichen Fall mit
Gliom an der Innenfläche der linken Hemisphäre und einen von ihm selbst
nicht beobachteten klinisch komplizierten Fall, bei dem sich ein Angio-
sarkom der Dura fand.
Raymond (114 a) bespricht zwei Kranke mit Hirntumoren, bei denen
schon im fiiihen Stadium eine erhebliche Schlafsucht sehr hervortrat. Die
Kranken waren aus diesem Schlaf zu wecken, waren daon auch klar, es
bestand also kein Coma; doch kann die Schlafsucht in das Coma allmählich
übergehen. Referent hat in seinem Buche über die Tumoren des Nerven-
systems ganz ähnliche Zustände genau beschrieben, was Raymond ent-
gangen ist.
Mocquln (94) berichtet über einen Fall von Ventrikelempyeni, der
einen Hirntumor vorgetäuscht hatte. Es handelte sich um einen 32 jährigen
Alkoholiker, der im Delirium mit einer Pleuropneumonie in Behandlung
kam und im Anschluß an diese Erkrankung Somnolenz, Kopfschmerzen,
Doppelseheu und Abschwäcliung des Lichtreflexes der Augen erkennen ließ.
Bei der Autopsie werden starke Hyperämie des Gehirns, meningitische
Verwachsungen und abgeflachte Hirnwindungen gefunden in Verbindung mit
starker Dilatation der Ventrikel, die mit gelblicher Flüssigkeit angefüllt
waren. Das Ventrikelependym war verdickt und von gelblich-griinem Eiter
bedeckt. Der A([uaeductus Sylvii war vollständig durch einen Eiterpfropf
obliteriert. (Bendix.)
Hirngeschwülste. 521
Nonne (100) spricht nach einem Bericht über die bereits friiher be-
obachteten und publizierten elf Fälle über zwei neue Fälle vom Symptom-
bild des Pseudotumor cerebri.
Fall I. In dem einen Fall., hatte sich vor 1^2 Jahre» bei einem
26j&hrigen Mann, ohne daß eine Ätiologie nachzuweisen war, speziell ohne
daß für Syphilis der geringste Anhalt voriag, unter Kopfschmerzen und
zeitweiligem Erbrechen und Parästheaien in der linken Körperhälfte eine
linksseitige motorische Hemiparese entwickelt. Bei der Aufnahme fand sich
neben der motorischen Hemiparesis sinistra mit Steigerung der Sehnen- und
Herabsetzung der Hautreflexe eine wechselnde Pulsverlangsamung, geringe
StÄuungsneuritis beider Optici, keine Störung der Sensibilität. Der Schädel
war auf Beklopfen nicht empfindlich, die Pupillen reagierten normal, die
Sprache war normal. Abgesehen von einer geringen linksseitigen Facialis-
achwäche (von zerebralem Charakter) war das Gebiet der Hirnuerven intakt.
Sensorium und Psyche intakt. Unter Schmierkur trat keine Besserung ein.
Nach 4 wöchentlicher Behandlung ging der Pat., ohne daß sich subjektiv
und objektiv etwas verändert hatte, ab. Wiederaufnahme nach 7« Jahre,
weil die Hemiparesis zugenommen hatte, die halbseitigen Parästhesien
quälender waren und Diplopie hinzugetreten war. Der objektive Befund
war diesmal derselbe, nur hatte die Stauungspapille etwas zugenommen und
bestand eine linksseitige Abduzenslähmung. Ebenso wie während des ersten
AufenÜialtes fehlten auch diesmal alle motorischen Reizerscheinungen,
niemals Fieber, ebenso wenig wie während des ersten Aufenthaltes. Die
inneren Organe inkl. Urin waren auch diesmal bei wiederholter eingehendster
Untersuchung intakt, ebenso wie die von spezialistischer Seite durchgeführte
Nasen- und Ohrenuntersuchung normalen Befund ergab. Ein abermaliges
Traitement mixte war wieder ohne Erfolg. Entlassung des Kranken nach
6 Wochen. 5 Monate später stellte sich Pat. als geheilt vor. Eine Be-
handlung hatte inzwischen nicht stattgefunden. Der objektive Befund war
jetzt durchaus normal, speziell ließ sich auch das „zerebrale" Verhalten der
Sehnen- und Hautreflexe nicht mehr nachweisen; auch der Augenhintergiiind
(EoDtrolIe von Dr. Beselin) erschien jetzt normal.
Fall n. Ein 30 jähriger Arbeiter, bei dem ebenfalls kein einziges der
in Betracht kommenden ursächlichen Momente nachweisbar war, erkrankte
spontan unter Kopfschmerzen, Erbrechen, Trübung des Bewußtseins; all-
mähliche Progression. Hinzu traten Parästhesien in der linken oberen und
unteren Extremität. Im Krankenhaus fand sich durchgehende linksseitige
Hemiparese und Hypästhesie der linken Körperhälfte für alle Qualitäten.
Die motorische Hemiparese trug organisch zerebralen Charakter. Die
Papillen waren normal, der Spinaldruck etwas erhöht (250 mm Wasser).
Die Benommenheit nahm unter einer Quecksilberjodbehandlung zunächst zu,
ebenso wie die Kopfschmerzen zunächst noch heftiger wurden. Außerdem
trat auch in diesem Falle eine linksseitige Abduzensparese ein. Nach
14 Tagen trat eine Besserung ein, die im Laufe von 4 Wochen bis zur
Heilung f ortschritt. Der Fall liegt zur Zeit 11 Monate zuiiick. Pat. hat
seither als Quaiarbeiter ununterbrochen gearbeitet und fühlt sich völlig wohl.
Objektiv ist zur Zeit als einzige Anomalie nachweislich, daß die Sehnen-
reflexe an der linken Extremität lebhafter sind als rechts, ohne pathologisch
gesteigert zu sein.
Im Anschluß demonstriert Vortr. mikroskopische Präparate eines Falles,
hei welchem intra vitam 8 Jahre lang das klinische Bild einer orga-
nischen Erkrankung der linksseitigen motorischen Zentren vor-
gelegen hatte. Es handelte sich um rechtsseitige Jackson 'sehe Anfälle,
522 Hirngeschwölsie.
die im Peroneusgebiet begannen, mit Klopfempfindlichkeit des oberen An-
teiles der linksseitigen Zeutralwindung. Nach 4 Jahren hatte sich eine
'geringe Hemiparese von organisch zerebralem Charakter hinzugesellt, nnd
bestanden an den Papillen die Zeichen einer geringen Stauung. Die ?om
Pat selbst gewünschte Trepanation ergab keine Anomalie. Der Tod trat
infolge einer Verletzung des Sinus long. ein. Die Sektion ergab makro-
skopisch nichts Abnormes. Erst die mikroskopische Untersuchung
(Dr. Stertz) zeigte, daß es sich um ein außerordentlich zellarmes infil-
trierendes Gliom handelt. Vortr. erwähnt eine einschlägige Erfahrung
von Oppenheim aus dessen letzter Publikation über operierte flimtumoren.
Auch in diesem Fall fand sich bei der Operation und auch bei der Sektion
zunächst nichts Abnormes, und erst die mikroskopische Untersuchung deckte
das Vorhandensein eines Angiosarkoms auf.
Flatau (36) berichtet über den Fall eines jungen Mädchens, das nach
einem Typhus an den Symptomen eines schweren organischen Himleidens
mit Hirndruck und schwerer Stauungspapille erkrankte. Nach wiederholten
Lumbalpunktionen gingen die Stauungspapille, auch die sonstigen Hirn-
symptome zurück, sodaß die Diagnose Meningitis serosa gestellt wurde.
Bald darauf wieder Verschlechterung; plötzlicher Tod; Tumor in der linken
Kleinhirnhemisphäre. Flatau hebt das Zurückgehen der Stauungspapille
bei einem Hirntumor nach wiederholten Lumbalpunktionen hervor — und
will einer vorsichtigen Anwendung der Lumbalpunktion bei diesem Leiden
das Wort reden, namentlich wenn Erblindung droht. Die Ej-aukheits-
geschichte stützt natürlich auch die mechanische Theorie der Stauungspapille.
Stroebe (132) berichtet über einen Fall von Tumor der Hypophysis,
den er als Gumma deutet. Es fand sich außerdem eine gelappte syphilitische
Leber, syphilitische Hyperostosen und Narben nebst frischen Gummata des
Schädeldaches; Gummi der weichen Haut des rechten Scheitelhirnes
und des Kleinhirnes; Erweichung und zirkumskripte Sklerose in der Unken
Kleinhiruhemisphäre. Pachymeuingitis gummosa des Türkensattels. Gummi
der Milz (?) und ischämischer Infarkt. Chronische und parenchymatöse
Nephritis und Amyloid. Perimetri tische Verwachsungen. Symptome, die
auf die Erkrankung der Hypophysis bezogen werden konnten, hatten im
Leben nicht bestanden. Histologisch war besonders das Vorkommen echter
Eiesenzellen von Interesse, deren syphilitische Natur Ströbe im Gegensatze
zu V. Baumgarten verteidigt.
Kollarits (77) beschäftigt sich mit den Beziehungen der Hypophysis
zur Akromegalie. Diese kann fehlen bei einfach hypertrophischen Drüsen,
bei totaler und partieller Zerstörung der Drüse durch einen Tumor. Viel-
leicht tritt bei älteren Individuen, weil das Knochenwachstum ganz ab-
geschlossen ist, eine Akromegalie nicht mehr ein; an ihrer Stelle unter Um-
ständen Obesitas; bei ganz jungen allgemeiner Riesenwuchs. Die Durchsicht
der Literatur ergibt, daß eine bestimmte Abhängigkeit der Akromegalie
von Hypophysentumor nicht besteht; die Akromegalie und die Hypophysis-
geschwulst müssen koordinierte Erscheinungen sein, die wieder auf einer
dritten noch unbekannten Ursache beruhen. K. bringt dann noch 2 eigene
Fälle von Hypophysistumor ohne Akromegalie und ohne bitemporale Hemi-
anopsie; neben allgemeinen Tumorsymptomen bestanden im wesentlichen
Au^'enmuskellähmungen.
Fuchs (42) bringt eine übersichtliche Zusammenstellung der Symp-
tome der Hypophysistumoren unter Berücksichtigung der neuesten Forschungs-
erj^ebnisse. Die Allgemeinsymptome sind im allgemeinen geringfügig, so
Kopfschmerzen und Erbrechen; Schwindel wird kaum angegeben; ebenso
Hirngeschwülste. 523
selten sind KonyalsioDen; daß die Stauungspapille fehlt, ist die Regel. Das
klassische Symptom der Hypophjsistumoren ist die bitemporale Hemianopsie,
m&n hat sie bisher immer durch Druck auf das Chiasma erklärt, also als
Nachbarschaftssymptom, neuerdings will Schnabel sie durch Toxinwirkung
erklären, analog den zentralen Skotomen bei Alkoholneuritis des Sehnerren.
Angenmuskellähmungen sind selten (Referent sah sie zweimal; einmal in
einem Falle von Akromegalie, wo sie bei Thyreoideabehandlung zurück-
gingen). Als eigentliche Lokalsymptome sind zu betrachten: Akromegalie,
Adipositas, eventuell Adipositas dolorosa; partieller Riesenwuchs und auf-
fSillig frühzeitige Entwicklung der Genitalien, frühzeitige Impotenz und
frühzeitiges Aufhören der Menstruation; Polyurie und Diabetes mellitus.
Psychische Symptome kommen vor, sind aber verschiedenartig und diagnostisch
unsicher. Für die Diagnose ist auch der Nachweis der Erweiterung des
Türkensattels durch Röntgenuntersuchung zu verwerten.
In dem von Bregman (16) mitgeteilten Falle handelte es sich um
ein Spindelzellensarkom im vorderen Teile des Balkens, das von da in beide
Stirn- und Zentralhirne hineingewuchert war. Die Symptome waren sehr
rerlangsamte psychische Tätigkeit, völlige Unorientiertheit, Apathie, plötzlich
eingetretene linke Hemiplegie und Ataxie des paretisclien linken Armes;
Schwäche des rechten Beines und frontale Ataxie mit Unfähigkeit zu Stehen
und zn Gehen ; epileptiforme Anfälle von kortikalem Charakter. Dabei aber
fehlen Allgemeinerscheinungen, speziell hochgradige Stauungspapille.
McCay und Thurston (90) berichten über einen Fall von Tumor
im rechten Stirnhim. Außer leichter linksseitiger Parese, Kopfschmerzen
und perkutorischer Empfindlichkeit rechts vorn, Fehlen von Stauungspapille
und Erbrechen heben die Autoren besonders einen allmählich in Stupor
übergehenden Sopor hervor, wie er oft als charakteristisch für große Hirn-
tumoren beschrieben ist. Sie beschreiben auch eine ausgesprochene Unsicherheit
beim Grehen, ohne aber auf dieses Symptom Gewicht zu legen; die Literatur
riehen sie überhaupt nur in sehr unvollkommener Weise $eran.
Die 28jährige, luetisch infizierte Patientin Bela KoDrad's (78) leidet
seit einem Jahr an links ausgesprocheneren Kopfschmerzen, Schwindelgefühl,
häufigem Brechreiz, Diplopie. Linke Pupille enger, beide träge reagierend;
beiderseit Stauungspapille und Neuritis desc, Parese der rechten Köiper-
hälfte, sowie des rechten Facialis und Hypoglossus. Hypästhesie an den
distalen Teilen der rechten Extremitäten; Kniephänomen links kaum aus-
lösbar, rechts lebhaft, Plantarreflex rechts abgeschwächt; minimale Ataxie;
Polyurie. Diagnose: Meningitis basil. luetica. Vorübergehende Besserung,
jedoch in auffallendem Maße nach Inunktionskur, dann rapide Verschlimmerung,
und Tod bei einer Frühgeburt. Autopsiebefund: Apfelgroßes Sarkom der
linken Hemisphäre in der Höhe der 3. Stirnwindung. Verfasser betont, daß
auch Hirntumoren bei antiluetischer Behandlung vorübergehende Besserung
zn zeigen vermögen. (Hmlovemig,)
Eine von Blum f9) beobachtete Frau erkrankte, nachdem sie schon
lange Zeit an heftigen Kopfschmerzen gelitten hatte, an einer apoplektiform
auftretenden Lähmung der rechten Seite, die später teilweise zuiückging.
Dann Stauungspapille. Das auffälligste Symptom war eine Schlafsucht; der
Schlaf entsprach ganz dem natürlichen Schlafe; aus ihm geweckt, war die
Patientin gut orientiert; fiel aber in Ruhe gelassen bald wieder in den Schlaf
zurück. Autopsie: Bronchialcarcinom; solitäre Metastase im oberen Teile der
linken Zentral Windungen.
Fry (41) berichtet über einen Fall von Tumor der 3. linken Stirn-
vindung, der Insel und linken Schläfenwindung, der cerebellare Ataxie, Fallen
524 Hirngeschwülste.
nach links, eine für linke cerebellare Tumoren als charakteristisch be-
schriebene Kopfhaltung und allgemeine Symptome hervorgerufen hatte.
Sprachstörungen fehlen, weil Patient Linkshänder war. Operation über dem
linken Kleinhirn, natürlich ohne Erfolg.
Anatomische Beschreibung dreier sogenannter Psammome. Boussy
(121) hält diese Geschwulst für Sarkome, die Kalkbildungen gehen von der
Gefäßwand aus. Sarcome angiolithique.
Alessandri (2) berichtet über den glücklichen Erfolg der Exsür-
pation eines Tuberkels in den linken Zentralwindungen. Es handelte sich
um einen auch sonst tuberkulösen Mann — Lungen, linkes Kuiegelenlk.
Jackson sehe Anfälle in der rechten Hand beginnend und entweder nur den
rechten Arm beteiligend oder auch das Gesicht und das Bein rechts; dann
Bewußtseinsverlust. Parese der rechten oberen Extremität, der Zunge und
des Gesichtes rechts. Allgemeinsymptome fehlten. Druckschmerzhaftigkeit
und dumpfes Perkussionsgeräusch am Schädel links über der Mitte der
Zentralwiudungen. Bei der Operation wurde ein Tuberkel der Rinde — aber
ziemlich weit nach oben von der Mitte der Zentralwindungen gefunden und
exstirpiert. Zuerst totale Hemiplegie rechts und Aphasie hauptsächlich
motorischer Natur; die Aphasie blieb auffällig lange. Schließlich aber fast
vollständige Heilung; nur Parese der rechten Hand. Noch einmal ein An-
fall im rechten Facialisgebiete.
Bei einem 33 jährigen Mann hatten sich zunächst die Symptome eines
Hirntuberkels entwickelt: Kopfschmerzen, die sich allmählich steigerten,
Schwindel, Erbrechen, Stauungspapille mit nachfolgender Atrophie und totaler
Erblindung, cerebellare Ataxie, epileptische Anfalle, erst rechts, dann beider-
seits Sehnervenatrophie; psychische Symptome in der Art der Korsakowschen
Psychose; Erlöschen der Sehneureflexe; dazu Erscheinungen, die auf eine
ausgedehnte Beteiligung der Meningen auch am Rückenmarke zurückgeführt
werden mußten; ausgedehnte Hyperästhesie, Rückensteifigkeit und Druck-
empfindlichkeit dgr Wirbelsäule und Rückenmuskulatur, Beugekontraktur der
unteren Extremitäten mit ausgesprochenem Kernigschen Symptome, doppel-
seitige Peroneuslähmung. Die Diagnose war auf Sarkom im Schädel und
diffuse Sarkomatose der Häute gestellt; ein größeres Sarkom am Gehirn
fand sich nicht, sondern hier nur Hydrocephalus; sonst die diffuse Geschwulst-
bildung der Häute mit vollständigem Freilassen des Rückenmarkes und der
Wurzeln. Histologisch war die Geschwulst schwer zu deuten; Redlich (Uo)
bezeichnet sie als Sarcoma endotheliale.
Gowers' (51) Fall betrifft einen metastatischen Tumor der hinteren
Schädelgrube links, der den Trigeminus, Abducens, Facialis und Akustikus
lähmte, den Hirnstamm aber nicht beteiligte. Später bildeten sich Tumoren
an anderen Körperstellen, die sich als Adenome auswiesen. Bei der Sektion
fand sich ein primäres Adenom im Darm; der Patient hatte andauernd an
Durchfällen gelitten.
Marie und Roussy (88) bringen die anatomische Beschreibung eines
Cholesteatoms der Basis, das einen großen Teil des Kleinhirnes, der Brücke
und der Hirnscheukel zerstört hatte. In vivo schwankte die Diagnose zwischen
multipler Sklerose und Kleinhirntumor.
Bei einem Kranken v. Sarbö's (123) zeigte sich im August 1905
neuralgischer Schmerz im rechten Trigeminus; sukzessive entwickelte sich
dann Pupillendifferenz, und zwar anfänglich die rechte w^eiter, dann enger,
bei gut erhaltener Lichtreaktion: motorische und sensible Lähmung des rechten
Trigeminus; Atrophie der äußeren Dritteile beider Optici; im November
TTlcus corneae rechts. Nicht genau nachweisbare Hypoglossuslähmung rechts.
Hirngeschwülste. 525
— Vortr. supponiert einen luetischen Tumor oder Meningitis luetica gum-
mosa, lokalisiert in die rechte mittlere Schädelgrube. (Hndovendg.)
Krön (81) berichtet über einen Fall eines Kindes, dessen Leiden mit
heftigen Schwindelanfallen begann, dann allmählich Abnahme der Hörschärfe
links, des Sehens infolge von Atrophia nervi optici ex Neuritide; Parese
beider Abducentes, besonders des linken; Nystagmus besonders nach links;
links Facialis- und Gaumensegelparese; leichte Ataxie und ganz leichte Parese
der linken Extremitäten. Kopfschmerzen und Erbrechen seltener. Die
Diagnose eines Tumors im linken Kleinhirnbrückenwinkel läßt sich wohl be-
gründen. An eine Operation denkt K. nicht.
Im Falle Zenner's (153) handelte es sich um einen großen Tumor im
linken Occipitallappen. Es bestand außer Kopfschmerzen zuerst rechte
Hemianopsie ohne hemiauopische Pupillenstarre, Paraphasie, Alexie, motorische
und sensible rechte Hemiplegie mit Ataxie und Astereognosis, rechts erhöhte
Sehnenreflexe; schließlich Erblindung und Coma. Bemerkenswert waren im
Verlaufe der Erkrankung sehr erhebliche Remissionen.
Die Symptome des Tumors im dritten Ventrikel bestanden nach den
Angaben von Williamson (148) hauptsächlich in Kopfschmerz, Erbrechen
und doppelseitiger Optikusneuritis. Später war zu erkennen eine Paralyse
des rechten Rectus internus, weiterhin auch Anästhesie der linken Gesiclits-
hälfte und Lähmung der lateralen Augenbewegung rechts mit Paralyse der
Innenrotation des linken Auges. Auch eine leichte Störung der Beweglich-
keit des rechten Auges nach oben und unten war vorhanden. Die Patellar-
retlexe schwanden im weiteren Verlauf der Krankheit, Die Autopsie forderte
ein Sarkom zu Tage, welches den dritten Ventrikel ausfüllte und zu aus-
gedehnten Degenerationen der Fasern in den Hintersträngen des Rücken-
marks geführt hatte. (Beudix.)
WoUenberg (151) bringt 6 Fälle von Cysticercus racemosus des
Gehirnes aus der Halleschen Klinik mit genauen Krankengeschichten und
Sektionsbefunden. Die Symptomatologie, die im einzelnen sehr verschieden ist,
zeigt im ganzen doch die Allgemeinerscheinungen eines Tumor cerebri, also
Kopfschmerzen, Schwindel, Erbrechen, Sehstörungen, statische Ataxie,
Krämpfe häufig von tonischem Charakter und psychische Störungen, daneben
als Lokalerscheinungen solche, die auf die Basis des Gehirns hinweisen, wie
Affektionen des Optikus, Facialis, der Augenmuskelnerven, auch des Trige-
minus, Akastikus und Vagus. Extremitätenlähmungen fehlten. Die Symptome
schwankten sehr in ihrer Intensität. Die Diagnose einer diffusen basalen
Affektion war wohl stets zu stellen ; die genaue Artdiagnose der Erkrankung
mit Sicherheit nie. Namentlich war die Unterscheidung von Lues kaum
möglich. Von Interesse ist, daß im Beginn oft über ausgebreitete Schmerzen
in den Gliedern geklagt wurde (Invasionssymptome ?). Auch die psychischen
Störungen waren früh vorhanden und schwer (Hydrocephalus ?). Die Blasen
saßen an der Basis, in den Spalten und Furchen und bedrängten die Hirn-
nerven. W. weist dann auf die Bedeutung der häufig vorhandenen chronischen
Meningitis und Arteritis obliterans für die Symptomatologie dieser Fälle hin.
Boege (10) berichtet über einen der seltenen Fälle von Cysticercus
racemosus des Gehirns. Die Blasen saßen an der Basis und bedrohten
besonders das Ghiasma, wodurch auch schon Sehstörungen bedingt waren.
Eine Blase saß in den Häuten des Kückenmarks am 8. Cervikalsegmente.
Im übrigen bestanden die Symptome eines Tumor cerebri. Kopfweh, Schwindel ;
taumelnder Gang; apoplektisch- epileptische Anfälle, psychische Störungen
wie Benommenheit abwechselnd mit Unruhe und Verwirrtheit.
526 Hirngeschwülste.
Eine 28 jährige Bäuerin wurde, wie Preobrashensky (111) mitteilt,
am 21. Mai 1903 ins Alt-Catharinenspital aufgenommen. Anfangs Januar lag
sie IV« Wochen wegen „febris typhoidea" in einem Krankenhaus. Eine Woche
darauf traten die Erscheinungen wieder auf und veranlaßten Patient wieder
das Krankenhaus aufzusuchen. Letzteres verließ sie nach 1 Monat mit
deutlichen Zeichen von Gedächtnisschwäche. Seit dieser Zeit leidet sie an
schnell vorübergehenden Ohnmachtsanwandlungen, allgemeiner Schwäche und
psychischen Störungen. Diese Erscheinungen nahmen zu, sie trat ins
Catharinenspital ein. Während ihres Krankenhausaufenthaltes wechselten
die Symptome bloß in ihrer Intensität: Gedächtnisschwund, Verwirrtheit,
Illusionen, Halluzinationen und flüchtige Wahnvorstellungen. Hin und wieder
Anfeile: Ohnmächten oder Konvulsionen. Patientin geht und sitzt bloß mit
Unterstützung. Abgesehen von einer 2 — 3 Tage dauernden Lähmung des
1. u. VI. bestanden keine Paresen. Stauungspapille beiderseits ohne Seh-
schwäche. PR. waren bald normal, bald schwer auslösbar. Seit Dezember Ver-
schlechterung des Allgemeinbefindens und Zunahme der psychischen Störungen.
Akute Tuberkulose pulmonum. Exitus 16. Januar 1904, Autopsie: Cysticercus
cellulosae disseminatus im Cerebrum und in allen Muskeln (auch Herz und
Zunge). Tuberculosis ac. pulmonum; auf der Oberfläche der rechten Hemi-
sphäre ca. 250 Blasen, links 270; in der Hirnsubstanz recht viele; auf jedem
Querschnitt durch die f. pallii über 100 Blasen (110 — 125). Die Gesamt-
zahl der Blasen in beiden Hemisphären betrifft einige Tausend; sie finden
sich in den plex. vascuL, ped. cerebri, p. Varolii, corp. quadrig., cerebellum.
In der Medulla oblongata et spinalis waren keine Blasen. Auf der flera-
oberfläche ca. 120, in der Herzmuskulatur mehrere Hundert Blasen. In allen
Kau-, Gesichts-, Zungen-, Hals-, Brust-, Rücken-, Bauch-, Diaphragma-,
oberen und unteren Extremitätenmuskeln waren massenhaft Oystizerc^nblasen.
Eine Blase wurde unter der Magen-, eine andere unter der Dünndarm-
schleimhaut gefunden. Im Unterhautzellgewebe waren keine Blasen. Auf-
fallend ist das Ausbleiben von Lokalsymptomen, trotzdem Tausende von
Blasen im Gehirn, Herz und in den Muskeln sich befanden. (Krön,)
Bei einem jungen Mädchen zeigte sich am Nacken und Unterkiefer
eine allmählich zunehmende cystische Geschwulst; später die allgemeinen
Symptome eines raumbeschränkenden Prozesses im Gehirn, Stauungspapille,
Degenerationsherde in der Netzhaut, Gesichtsfeldeinengung, Sehschwäche und
bitemporale hemianopische Skotome. Die Punktion der Geschwulst ergab
nichts bestimmtes. Man dachte an Lues basalis in der Gegend des Chiasma;
trotz Schmierkur nahmen aber die Beschwerden zu. Schlagintweit (126)
legte an Stelle der Cyste einen großen Echinokokkussack bloß; der Knochen
war außen usuriert, aber nicht durchbrochen; er wurde trepaniert und dann
auch noch innerhalb des Schädels ein großer extraduraler Echinokokkussack
entdeckt. Alle Symptome gingen rasch zurück. Interessant ist die An-
wesenheit extra- und intrakranieller Echinokokken ohne Kommunikation.
Die rasche Rückbildung der Stauungspapille kann hier nur mechanisch er-
klärt werden; die biteraporalen hemianopischen Skotome sind wolil auf
Hydrocephalus internus zurückzuführen.
Ein 29 jähriger Handlungsgehilfe wurde, wie Proobrashensky (112)
mitteilt, am 23. Oktober 1903 in die chirurgische Abteilung des Alt-
Catharinenspitals aufgenommen. Er fühlt sich seit Januar 1903 krank,
damals Pleuritis und Pn. cruposa; im Sputum Kochsche Tuberkelbazilien.
Nach zweimonatlichem Aufenthalte in der Klinik fühlte er sich besser, doch
stieg das Fieber wieder nach der Rückkehr nach Moskau. Er wurde viel
behandelt, unter anderem mit Suspension, da eine Spondylitis vermutet
Hirngeschwülste. 527
wurde. Im Jani desselben Jahres bemerkte er in der Gegend der 9. bis 10.
Bippe eine Anschwelinng auf der rechten Rückenseite, bald darauf trat eine
Anschwellung in der Gregend der linken Mamma auf; hier ließ sich ein hand-
tellergroßes Infiltrat nachweisen. Während der ganzen Zeit bestand Fieber.
Am 29. Oktober 1903 wurden im Sputum die charakteristischen Pilzelemente
nachgewiesen. 29. November : seit gestern ca. 15 epileptiforme Anfälle.
2. Dezember paresis n. VU. d.; behinderte Sprache; in den nächsten Tagen
1—2 Anfille. 6. Dezember hemiparesis d; Lähmung der unteren VII. Aste r.,
erhebhche Sprachstörung. Anfalle kortikaler Epilepsie in der rechten Hälfte
des Gesichts und des Rumpfes. 7. Dezember Hemiplegie d. 9. Dezember
Ezitas. Autopsie: Actinomycosis pulmonum, hepatis, cerebri. Bei der
soBeren Betrachtung des Gehirns eitrige Meningitis im linken lobus frontalis
et centralis, in dieser Gegend entleert ich auf Druck aus einer Gehirnfistel
dicker, grünlicher, äußerst penetranter Eiter. In der vorderen Hälfte der
linken und zum Teil auch rechten Hemisphäre sind Gruppen von mit Eiter
gefällten Kavernen gelagert. Die sekundäre eitrige Meningitis war dadurch
entstanden, daß ein Abszeß sich eröffnete und Eiter auf die Gebirnober-
iläche kam. Im Eiter wurde mikroskopisch eine geringe Anzahl von Pilz-
drüsen gefunden, im allgemeinen entsprechen die mikroskopischen Ver-
änderungen denen bei Hirnabszeß und eitriger Meningitis. Abszesse und
eitrige Meningitis waren infolge der Aktinomykose entstanden. Bei letzterer
treten die Abszesse multipel auf, weshalb auch die Operation erfolglos ist
(FaU Keller). (Krön.)
BmilS (19) demonstriert eine Anzahl von Hirntumoren und erörtert
die klinischen Symptome. Im 1. Falle handelte es sich um eine 40jährige,
unverheiratete Frau, die im Sommer 1904 an Anfällen von heftigen Kopf-
sehmerzen, die sich auf der Höhe mit Erbrechen und Bewußtseinstrübungen
verbanden, erkrankte. Trotzdem B. gleich an einen Tumor cerebri dachte,
fanden sich doch bei mehrfacher Untersuchung absolut keine zerebralen
Herdsymptome, nicht einmal einfach hemiplegische, und auch eine Stauungs-
papille wurde dauernd vermißt. Die Patientin starb im Herbst 1904 in
einem schweren Kopfschmerzanfalle; die Sektion ergab ein mit der Innen-
fläche der Dura mater verwachsenes, etwa walnußgroßes Sarkom, das in die
Hirnrinde eine Grube eingedrückt hatte, aber leicht aus derselben heraus-
gehoben war. Es saß im rechten Stirnhirn direkt an der Mittellinie, aber
mehrere Zentimeter nach vorn von der vorderen Zentralwindung. Der Sitz
der Geschwulst erklärt also vollkommen die Unmöglichkeit der Lokaldiagnose,
ja selbst einer Diagnose der erkrankten Hemisphäre; von Interesse war, daß
vegen Mangels einer Stauungspapille auch die Allgemeindiagnose des Tumors
nicht sicher gestellt werden konnte. Doch hat B. die Kranke in den letzten
2wei Monaten vor ihrem Tode nicht mehr untersuchen können.
Im 2. Falle handelte es sich um eine 35jährige, verheiratete Frau, die
wahrend ihrer letzten Schwangerschaft im Frühjahr 1904 an Aufallen von
Erbrechen und Kopfschmerzen erkrankte, die zunächst auf die Gravidität
bezogen wurden. Sie bestanden aber nach der Entbindung fort, und im
Sommer 1904 wurde von einem Augenarzte inkomplette rechtsseitige Hemi-
anopsie ohne Stauungspapille konstatiert. Im Oktober 1904 fand B.: Leichte
Benommenheit, heftige Kopfschmerzen, schwere Stauungspapille, totale rechts-
seitige Hemianopsie, keine Worttaubheit, wohl aber Wortamnesie und nament-
lich optische Aphasie (Freund), Lesen erschwert, aber nur dadurch, daß
sie rechtsstehende Worte übersah, vSchreiben nicht zu prüfen, rechtsseitige
leichte Parese der Extremitäten mit deutlicher Lagegefühlsstörung des rechten
Annes, rechts Babinski, deutlicher Achillesreflex, aber Fehlen der Patellar-
528 flirngeschwülste.
reflexe beiderseits. Diagnose: Tumor im linken Hinterhauptslappen ; aus der
Vereinigung von Hemianopsie mit optischer Apliasie wird geschlossen, daß
der Tumor im Marke des Occipitallappens sitze und von einer Operation
abgeraten. Die Kranke starb nach kurzer Zeit. Es fand sich ein zum
Teil scharf abgegrenztes, zum Teil diffuses Gliom, das im wesentlichen das
Mark der 2. und 3. Schläfenwindung einnahm, nirgends die Rinde erreichte.
Der größte Teil des Occipitallappenmarkes war frei; nach Yom erstreckte
sich der Tumor bis in die Spitze des Schläfenlappens. Für das Fehlen der
Worttaubheit war von Wichtigkeit, daß auch die 1. Schläfenwindung links
vom Tumor nicht betroffen war.
Im 3. Falle handelte es sich um ein diffuses Ponsgliom bei einem
Kinde von 6 Jahren. Es fehlten Stauungspapille und heftige Kopfschmerzen,
Erbrechen w^ar ab und an vorhanden. Es fand sich eine erhebliche Er-
schwerung der Sprache, die teils skandierend, teils dysarthrisch und aus-
gesprochen näselnd war; dabei Erschwerung des Schluckens. Das Gaumen-
segel war beiderseits paretisch; der Blick war nach rechts hin nicht ganz
vollkommen, namentlich bleibt das rechte Auge zurück (rechter Abduzens).
Der Gang war cerebellar-ataktisch, aber auch etwas spastisch, mit Kleben
der Fußspitzen am Boden. Ausgesprochenes Zittern der Anne; bei der
Untersuchung geriet die ganze Körpermuskulatur in Zittern. Links leichter
AchiUesklonus und links Babinski-Reflex. Unter alUuählicher Zunahme der
Beschwerden erfolgt der Tod des Kindes, das einige Wochen auf der Kinder-
station des Vortr. war, in seiner Heimat. Die Diagnose war auf einen
Tumor im Hirnstamme rechts, möglicherweise auch im Kleinhirne gestellt.
Es fand sich — histologische Untersuchung durch Dr. Ströbe — eine
diffuse Gliomatose des Pons, die auch die Kleiuhirnschenkel infiltriert hatte;
in den basalen Partieen der rechten Ponshälfte hat sich ein mehr umschriebener
kompakter Tumor gebildet.
Im 4. Falle handelte es sich um einen älteren Mann — Maurer — ,
der nach einem Trauma im Jahre 1901, das den Schädel auf der linken
Seite getroffen hatte, allmählich an einer mit linker Abduzenslähmung
beginnenden totalen inneren und äußeren Ophthalmoplegie links erkrankt
war. Im Dezember 1903 konstatierte Vortr. links totale Ophthalmoplegie
und Ptosis, links Anosmie, links totale Trigeminusneuralgie, Kopfschmerzen,
manchmal morgens Erbrechen. Keine Stauungspapille. Sehschärfe links
und rechts gut; keine Gesichtsfeldanomalien. Diagnose: Tumor in der
mittleren Schädelgrube links. Allmählich totale Anästhesie im linken Trige-
minusgebiete unter Andauern der Schmerzen. Keine KaumuskeUähmuug;
dann Erblindung links und allmählich deutliche Atrophia n. optici, nie
Stauungspapille; allmählich unter Ohrensausen und Schwindelanfällen totale
Taubheit links; nie Fazialisparese; meist leichte Spannung im Gebiete des
linken Facialis, wohl eine Folge der andauernden linksseitigen Trigeminus-
neuralgie. Kopfschmerzen . sehr lebhaft, Erbrechen selten, zuletzt sehr
unsicherer Gang. Häufig Nasenbluten, nasenärztliche Untersuchung ohne
positiven Befund. Vortr. konnte den Kranken bis Ende Februar 1906
beobachten; Ende Januar 1905 letzte genaue Untersuchung; es konnte niemals
eine deutliche Parese der Extremitäten oder Abnormität in den Reflexen^
speziell auf der rechten Seite, beobachtet werden. In den letzten Wochen
— Pat. starb am 2. Mai 1905 — soll er nach Angabe der Frau allerdings
ganz gelähmt gewesen sein und auch rechts zuletzt schlecht gesehen haben.
Die Sektion — Prosektor Dr. Ströbe — ergab einen Tumor in den vorderen
medianen Partieen der linken mittleren Schädelgrube, der auch das gesamte
Gebiet der Sella turcica einnahm. Vielleicht war er von der Hypophyse
Hirngeschwülste. 529
ausgegangen. Die Knochen am Sieb- und Keilbein waren vom Tumor
zerstört. Hirnschenkel, Pons und zum Teil auch MeduUa oblong, waren
sehr abgeplattet.
In diesem Falle war, da der Tumor sich in unmittelbarem Anschlüsse
ao ein Kopftrauma entwickelt hatte, auf Grund eines Gutachtens vom Vortr.
und später auch von Windscheid in Leipzig ein Zusammenhang zwischen
Tumor und Trauma angenommen; der Kranke bezog YoUrente.
V. Niessl-Mayendorf (99) bringt einen Beitrag zur Symptomato-
logie der Tumoren des rechten vorderen Schläfelappens. Es handelte sich
um einen bis dahin gesunden 52 jährigen Schuhmachermeister, der plötzlich
einen Anfall erlitt mit Zucken an allen Gliedern bei aufgehobenem Bewußt-
sein mit dem Charakter eines epileptischen Insultes. Tags darauf heftige
Schmerzen in der rechten Schläfe, die den Patienten nicht mehr verlassen,
sich steigerten und bald in die rechte Schläfegegend, bald in das Hinter-
haupt verlegt werden. Als Vorbote zerebralen Erbrechens trat schon früh
zeitweihg übler Geschmack im Munde, Brechreiz und später Erbrechen
selbst auf. Daneben lästiges Doppeltsehen. Nach etwa vier Monaten fiel
Patient vor Schwindel um, und das Erbrechen wurde häufiger. Allmählich
werden die Beine schwächer, nachts treten Delirien auf, Patient läßt Stuhl
und Urin unter sich. Rechtsseitig bestand Ptosis und Nystagmus. Spastische
Parese beider Beine, das linke Bein ist dabei aber stärker affiziert. Links
Händedruck minder kräftig als rechts. Es wurde deshalb ein Tumor der
Himschenkelgegend angenommen. Das Hinzutreten von Gesichtshalluzinationen
Teranlaßten Yert, noch an eine Läsion der Sebstrahlungen zu denken und
einen Tnmor des rechten vorderen Schläfelappens anzunehmen. Hierfür
sprachen die in die rechte Schläfe verlegten Schmerzen und die Klopf-
empfindlichkeit dieser Gegend, die rechtsseitige Ptosis, das Doppeltsehen,
die Dilatation der rechten Pupille und transitorische Lichtstarre beider
Papillen, der Nystagmus und das Schwankende aller Erscheinungen, ferner
<lie allmählich sich entwickelnde und den rechtsseitigen Okulomotorius-
erscheinungen folgende Parese beider Beine mit stärkerem Befallensein des
linken, die Ausdehnung der Schwäche nur auf den linken Arm. Das
Vorwiegen der Spasmen auf der linken Seite, die Gesichtshalluzinationen,
die nächtlichen deliranten Zustände. (Dendix.)
Gutbier (54) berichtet über einen Fall von Gliom der linken Groß-
himhälfte bei einem Soldaten, der plötzlich Anfälle von Bewußtlosigkeit
bekam, denen er erlag. Es hatte als Kind nie an Krämpfen gelitten und
nie ein Schädeltrauma davongetragen, war aber seit dem 19. Jahre oft ver-
stimmt und litt an Kopfschmerzen. Die linke Hemisphäre zeigte auf dem
Durchschnitte eine gänseeigroße, schlüpfrigfeucht sich anfühlende derbe
Geschwulst, die nach rückwärts in den Hinterhaupts-, seitlich in den
^hläfen-, nach oben und außen in den Scheitel- und nach vorn in den
Stimlappen sich ausbreitete. Der Soldat hatte bis auf kurze Unterbrechungen
seinen Dienst ohne auffällige Erscheinungen getan. (Bendia;.)
Knapp (74) bringt neun ausführliche Krankengeschichten über
Tumoren der Schläfenlappen, darunter fünf rechtsseitige, und kommt auf
Grund seiner Beobachtungen zu dem Resultat, daß eine eigentümliche
Kombination von Fernsymptomen auch den Erkrankungen des rechten
Schläfenlappens charakteristisch ist. Es fanden sich immer erst transitorische,
zuletzt persistierende Okulomotoriuslähmung, besonders eine gleichseitige
Ptosis oder Mydriasis mit Störung der Pupillenreaktion. Noch mehr wird
die Annahme eines Schläfenlappentumora durch das Hinzukommen einer
gekreuzten Lähmung unterstützt. Cerebellare Symptome machen, wenn sie
Jahmbericht f. Neurologie a. Psychiatrie i90ö. ^-^
530 Hirngeschwiilste.
sich dabei einfinden, den Tumor im Sciiläfenlappen fast ganz sicher. You
den Pedunkulusherden unterscheidet sich diese AfiFektion dadurch, daß bei
ersterer die Ptosis und gekreuzte Lähmung früh und dauernd vorhanden
ist. Verf. fand apraktische Störungen viermal bei linksseitigen Herden und
nur einmal „zeitweilig^ bei einer „kolossalen rechtsseitigen Geschwulst im
Kleinhirn". Witzelsucht bestand zweimal bei temporalen Geschwülsten.
(Bendix,)
Pick^s (109) Fall von Hirntumor bei einem 27jährigen Patienten ist
dadurch besonders ausgezeichnet, daß anfallsweise bei dem Kranken Zustände
von Euphorie auftraten. Da die Symptome auf einen Tumor in der prä-
frontalen Region hinwiesen und häufig bei Stirntumoren dauernde Euphorie
beobachtet wurde, so glaubt P., auch bei seinem Kranken, die anfaUsweise
auftretende Euphorie in Beziehung zu den vorderen Zentralwindungeu,
respektive zur regio präfrontalis bringen zu können. (Bendix.)
Einen Fall von Hirnmetastase nach Uteruscarcinom teilt Offergeid
(103) mit. Die 53jährige Frau war wegen eines Carcinoma cervicis et
vesicae operiert, aber nicht radikal wegen der zu großen Ausdehnung des-
selben. Nach ihrer Entlassung bekam sie einen Anfall von Bewußtlosigkeit
mit nachfolgender schlaffen Lähmung beider rechten Extremitäten, Aufliebung
der Reflexe und des Gefühls, motorischer Aphasie, retrograder Amnesie,
Parese des rechten unteren Facialis und Abweichen der Zunge nach ünks.
Da auch eine interstitielle Nephritis bestand, so konnte an eine urämische
Hemiplegie gedacht werden; allein die Obduktion ergab eine bräunliche
Verfärbung des unteren Teiles des linken Scheitellappens, die mit einem
weichen, haselnußgroßen Carcinomknoten in Verbindung stand. Die er-
weichte, stark ödematöse, periphere Hirnpartie ging bis in das Gebiet der
Capsula interna, aber nicht in diese selbst hinein. (Beitdix.)
Borchardt (11) entfernte mit Erfolg eine ungewöhnlich große Chole-
steatomgeschwulst der hinteren Schädelgrube bei einem 46 jährigen Arbeiter,
der nach einem Sturz auf den Hinterkopf dauernd über Kopfschmerzen
klagte und später Schwindel, Sehschwäche und Erbrechen bekam. Befund:
Doppelseitige Stauungspapille, Nystagmus und lokalisierter Druckschmerz in
der hinteren Schädelgrube. Nach Entfernung der Geschwulst besserten sich
alle Beschwerden, der Kopfschmerz verschwand, die Stauungspapille des-
gleichen und das Sehvermögen besserte sich fortschreitend. (Bendue,)
Ziehen (154) hebt in seiner Arbeit die Symptomatologie der Tumoren
der Akustikusregion hervor und teilt einen Fall mit, der mit Erfolg operiert
worden war. Es handelte sich um eine 44 jährige Frau, die vor 2 Jaliren
an Schwindel erkrankte mit Taumeln nach rechts und heftigen Kopfschmerzen
im Anschluß an den Schwindelanfall. Anfangs war rechts, später beiderseits
Stauungspapille und horizontaler Nystagmus. Die Untersuchung des Gehörs
ergab schwere Störungen. Der Facialis ist mitunter nicht symmetrisch
innerviert. Starker Romberg, beim Gehen mit offenen, aber besonders mit
gesclilossenen Augen, Taumeln nach rechts. Nie Ohrensausen. (Bendix,)
Schmnailll (128) stellte bei einem Soldaten, der allmälilicb unter
Allgemeinerscheinungen mit sich anschließendem Schwindel, Kopfschmerzen,
Erbrechen, cerebellarer Ataxie und Stauungspapille, erst rechts, dann auch
links, erkrankte, die Diagnose eines Tumors an der Basis cerebri oder des
Kleinhirns, wahrscheinlich eines Sarkoms. (Bendix.)
Hämorrhagie, Embolie, Thrombose, AbszeB. 53]^
Hämorrhagie, Emliolle, Thromliose, Abszess.
Referent: Privatdozent Dr. Eduard Müller- Breslau.
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Gebirnblutimiien.
Ein längeres Referat über das allbekannte, ausgezeichnete Werk vou
V. Monakow (103) erübrigt sich hier schon deshalb, weil jeder, der sich
mit Gehirnpathologie befassen und über Einzel fragen wissenschaftlich arbeiten
will, auf das Original zurückgreifen muß. Es genügt der Hinweis, daß die
soeben erschienene zweite Auflage eine völlige, dem heutigen Stande unseres
Wissens angemessene Umarbeitung erfahren hat. Die Zahl der Abbildungen
beträgt 357 gegen 211 in der ersten Auflage, die Seitenzahl jetzt 1319
gegen 924 früher, obwohl infolge des ungewöhnlich großen ümfangs das
Kapitel über Verstopfung der Gehirnarterien ganz wegfallen mußte. Trotzdem
die Literatur nur soweit die Aphasie in Frage kommt nahezu vollständig
ist, ist das Verzeichnis der Arbeiten auf 3200 Nummern gewachsen. Daß
das Werk keine Kompilation darstellt, sondern eine Arbeit, die großenteils
auf eigene Forschungen sich aufbaut, muß die Kritik rückhaltlos zugeben.
Aus dem Kapitel über die allgemeine Histo-Architektonik, das wie manche
andere in ganz neuer Gestalt erscheint, sei hier nur der Satz hervorgehoben:
„Die Fibrillentheorie scheint in der Form, wie sie von Apathy und Bethe
gelehrt wird, bis jetzt noch auf zu schwachen Füßen zu stehen, als daß
man sie zur Basis für unsere Anschauungen über die Lokalisation der
nervösen Vorgänge und über die übrige Wirkungsweise im Zentralnerven-
system wählen dürfte. Sie ist keineswegs geeignet, die funktionellen Vorgänge
unserem Verständnis näher zu bringen als die Neuronen theorie."
Die beiden Fälle von Hirnhaut-Hämorrhagie, über die Villaret und
Tixier (152) berichten, sind nur klinisch beobachtet.
Fall 1. Ein 52 Jahre alter Potator, der an Wadenkrämpfen, Tremor
usw. litt, bekam — nach einem „Schlaganfall" zwei Jahre zuvor — eine ziemlich
langsam entstehende, rechtsseitige Lähmung (inkl. Facialis und Hypoglossus).
Keine eigentliclie Hypotonie; etwas Nackensteifigkeit, Kernigsches Symptom;
die Sehnenreflexe rechts gesteigert, die Hautreflexe rechts abgeschwächt;
angedeuteter Babinski, Sensibilität rechts stark herabgesetzt; Inkontinenz.
Es wird die Diagnose auf Hirnhautapoplexie gestellt und während ungefähr
acht Wochen 6 mal lumbalpunktiert. Anfanglich blutiger, beim Auffangen
in mehreren Portionen gleichmäßig gefärbter Liquor; Drucksteigeruug.
Entlassung nach ca. 10 Wochen als geheilt. Bei der letzten Punktion war
der Liquor von normalem Druck und völlig klar (im Zentrifugat aber
zahlreiche Lymphocyten).
Fall 2. Ein 38jähriger Trinker (Absynth!), der gelegentlich über
Hämorrhagie, Embolie, Thrombose, Abszeß. 537
Schwiudelanialle mit HiBfallen und nachfolgender großer Müdigkeit klagte^
fiel iu einen neaeu Schwindelanfall auf der Treppe und verlor das Bewußtsein
[Quetschwunde am Hinterhaupt j'edoch keine Anzeichen eines Schädelbruches).
Im Anschluß daran ununterbrochener Zustand von Halbschlaf; keine
eigentliche Parese, hohe Temperaturen (40 Grad); Harnverhaltung. Erysipel,
von der Quetschwunde ausgehend. Bei der Lumbalpunktion gleichmäßig
blutig gefärbter Liquor, der auch beim Zentrifugieren gefärbt bleibt. Zu-
uähme der Schlafsucht (kein Babinski, keine Nackensteifigkeit, kein Kernig-
sches Symptom, jedoch Pupillen ungleich; links weiter als rechts). Tod
nach Utägiger Krankheitsdauer; Autopsie fehlt.
Miiallie und Gendron (101) beschreiben einen Patienten, der
jahrelang eine Hemiplegia alternans superior zeigte und dann plötzlich einen
SchLiganfall erlitt mit nachfolgender Schlafsucht und starker Steifigkeit der
schon zuvor paretischen linken Extremitäten. Nach vorübergehender Auf-
hellung der Bewußtseinstrübung ein zweiter Anfall mit £xitus am folgenden
Tage im Coma. Bei der Autopsie fand sich zunächst — neben einem alten
Erweichungsherd als Ursache der Hemiplegia alternans superior — eine ring-
förmige, 1 — l^/o mm dicke Blutinfiltration der Meningen vom 7. Halswirbel
abwärts bis zum Konus. Weiter oben war der Befund normal, der Bulbus
jedoch allseits von einem Blutkuchen umgeben. An der Unterfläche, wo
die Blatung am stärksten war, erstreckte sie sich über das Chiasma hinaus
bis zum Olfaktorius, nach beiden Seiten der Fossa Sylvii folgend. Auf
florizoutalschnitten sah man den 3. Ventrikel und die Seitenventrikel mit
Blut getüllt. Die Hämorrhagie soll nach dem kurzen Bericht von dem
Circulus arteriosus Willisii ausgehen. Eine eingehende Beschreibung wird
in Aussicht gestellt.
Rüssel (128, 129) hat an dem Material von Birmingham (seit 1891
128 Fälle, darunter 66 Autopsien) die besonders bei den Praktikern
verbreitete Anschauung von den Beziehungen zwischen raschen Schwankungen
des Barometerdruekes und dem Auftreten von Gehirnblutungen nachgeprüft.
Er scbUeßt daraus, daß sich die Hämorrhagien mit einer gewissen Vorliebe
an Tagen hohen bezw. steigenden Barometerdrucks einstellen und zwar
besonders dann, wenn geringe Windstärke mit hohem Barometerdruck
ZQsammenfallen. Die Apoplexien waren außerdem häufiger vom November
bis April als vom Mai bis Oktober (also in der kälteren Jahreszeit). Ab-
gesehen von der Jahreszeit besaß die Temperatur an sich keinen wesent-
heben Einfluß. Symons weist in einer Kritik dieses Aufsatzes auf große
Fehlerquellen der Statistik hin, die von Rüssel übersehen, aber nachträglich
anerkannt werden. Die größere Häufigkeit der Apoplexien bei hohem
ßarometerdruck war einfach dadurch zu erklären, daß eben die Tage mit
hohem Druck in Birmingham viel häufiger waren als diejenigen mit niederem!
Tayloi' (144) skizziert einen merkwürdigen, aber leider unzulänglich
beobachteten und beschriebenen Fall von plötzlich entstandener tödlicher
Hirnhämorrhagie völlig unklaren Ursprungs bei einem zuvor gesunden
10jährigen Mädchen. Ein Trauma war nicht nachzuweisen; bei der Autopsie
ergab sich eine große Blutung mit Durchbruch in den rechten Seiten-
ventrikel. Alle übrigen Organe waren makroskopisch gesund.
Herford (65) gibt vom gerichtsärztlichen Standpunkte aus ein Referat
über die intermeningealen Blutergüsse. Das Bekannte ist darin gut
zusammengefaßt.
In dem von Moses (106) skizzierten Fall stürzt ein Potator iu der
Tnuikenheit auf der Straße (Bewußtlosigkeit, dann Beschäftigungsdelirieu,
Gesichtstäuschungen, Enuresis, Encoprose), Keine Zeichen eines Schädel-
538 Hämorrhagie, Embolie, Thrombose, Abszeß.
bruchs, nur an der Stirn links Hautrötung, links stärkere Ptosis; Pupillen-
differenz (1. ]> r.), Lichtreaktion links sehr träge, auch rechts wenig
ausgiebig. Strabismus divergens rechts; undeutliche verschwommene Sprache,
unregelmäßiger Puls, mühsame Atmung, Leib gespannt; linksseitige Iktremi-
tätenparese, rötlich-gelbe Färbung des Liquor cerebrospinalis auch nach
dem Zentrifugieren; ophthalmoskopisch nihil. Die Diagnose wurde auf
Blutung in der Nähe der Capsula interna und in der Gegend des 3. Kerns
gestellt. Die Autopsie ergab rechts ein großes supradurales Hämatom bei
spaltförmiger Fraktur hinter dem Tuber parietale, Hämorrhagien auf der
Innenseite der Dura und blutige Zertrümmerung im Schläfenlappen unter-
halb der Fossa Sylvii. Der Fall soll die Schwierigkeit der DiflFerential-
diagnose zwischen intrazerebralen Blutungen einerseits und supra- bezw.
subduralen Hämatomen andererseits illustrieren.
Bonain (14) macht auf die Gefahr der meningealen Blutungen auf-
merksam, die besonders bei älteren Leuten droht, wenn ihnen der Warzen-
fortsatz eröffnet wurde, der Sinus lateralis komprimiert oder verletzt wurde.
(Bendi:t.)
Das Gutachten Amstein's (3) betrifft einen Fall von Blutei^
zwischen der weichen und harten Hirnhaut bei einem 60 Jahre alten
Potator. A. nahm an, daß eine stumpfe, mechanische Gewalt zu dieser
Blutung geführt habe und andere Ursachen (Ohrfeige, Wasserstrahl einer
Feuerspritze) ätiologisch nicht in Betracht kamen. (Bendix,)
Bei dem Fall von Troin und Laederich (50) handelte es sich um
eine Gehirnblutung mit Durchbruch in die Ventrikel und in den Rücken-
markskanal. Es war eine linksseitige Hemiplegie ohne Kontrakturen ein-
getreten. In dem Liquor cerebrospinalis fanden sich sehr eigenartige Varia-
tionen bezüglich der koloristischen und morphologischen Beschaffenheit der
roten Blutkörperchen. (Bendix.)
Sinusthrombose.
Nach Voss (153) kann die Malaria in verseuchten Gegenden bei
der ausgesprochen pyämischen Form der Sinusthrombose differentialdia-
gnostisch in Betracht kommen, zumal eine harte palpable Milz sich aus-
nahmsweise auch im Symptomenbilde der letzteren finden kann. Ungemein
schwer kann die Sinusthrombose von der septischen Endokarditis unterschieden
werden; gelegentlich können auch Hysterie, puerperale Prozesse, Typhus
abdominalis, Pneumonie und sogar das Erysipel zu Verwechslungen fuhren.
Das Symptom einer eiterigen Thrombose des Sinus longitudinalis
superior, auf das Gradenigo (53) die Aufmerksamkeit lenkt, besteht in
dem Auftreten einer fluktuierenden, schmerzhaften Schwellung in der
Scheitelgegend, und zwar in der Mittellinie, entsprechend einem der Foramina
emiss. Santorini. Die Schwellung kann einfach Blut oder auch Eiter mit
Granulationen enthalten (einfache Venendilatation, Hämatom oder Abszeß),
Zu ihr,, kann sich das Lermoyezsche Symptom, d. h. Venenerweiterung,
ferner Odem des behaarten Kopfes, der Stirn und der Lider hinzugesellen
Nach einem Trauma, welches eine Panophthalmie des linken Auges
verursachte, entstand in dem von Reis (121) beschriebenen Fall, vermutlicl
auf dem Wege der Lymphbahn, ein Abszeß im linken Frontrallappen, der lang<
Zeit symptomlos verlief. Erst der Durchbruch der Streptokokkeneiterunj
verursachte alarmierende, meningitische Erscheinungen und einen tötlichei
Ausgang in kurzer Zeit.
Richards (122) beschreibt ausführlicli eine vom Ohr ausgehend(
Staphylokokken-Thrombose des Sinus sigm, und petros. Heilung durcl
Hämorrhagie, Embolie. Thrombose, Abszeß. 539
Operation (u. a. Unterbindung der Jugularvene etwa in der Höhe des
Steraoclaviculargelenks und Exzision bis zur thrombosierten Stelle, ein-
schließlich Ton Teilen ihrer Aste). Eine leichte gekreuzte Neuritis optica
war das wesentlichste Zeichen der intrakraniellen Erkrankung; keine
stärkere Fiebersteigerung u. dgl. Zur Verhütung von Embolien bei Frei-
legung erkrankter Sinus und Entfernung septischer Thromben derselben
wird eine vorübergehende gleichzeitige Kompression der Vena jugularis
interna nicht nur derselben, sondern auch der entgegengesetzten Seite
empfohlen (letztere vielleicht schon früher als die erstere). Dadurch soll
auch der Einfluß der Atmung mit Gefahr der Aspiration aus den erkrankten
Venengebieten noch besser ausgeschaltet werden.
y. Bad (118) berichtet über eine interessante Eigenbeobachtung, die er
als Thrombose der Vertrebralis an der Abgangsstelle der Arteria cerebelli
posterior inferior aufzufassen geneigt ist. Bei einem früher luetisch
infizierten Manne, der schon 2 Jahre vorher an Kopfschmerzen und Di-
plopie gelitten hat, kam es, nachdem als Prodromalerscheinungen einige
Tage vorher Kopfschmerzen, Flimmern vor den Augen und leichte Sprach-
stömng vorausgegangen waren, zu einem apoplektiformen Insult ohne
Bewaßtseinsstörung, der mit Lähmung der linken Extremitäten, Störungen
von Seiten der rechtsseitigen Gehimnerven und ausgesprochenen bulbären
Erscheinungen verbunden war. Charakteristisch für eine Affektion der oben
genannten Arterie ist anscheinend das Auftreten deutlicher bulbärer Er-
scheinungen (Schlinglähmung, Dysarthrie, Läsion der Nerven 9 — 11) in Ver-
bindung mit Hemianaestesia altemans. Bei Mitbefallensein des Corp. restif.
würde vielleicht Schwindel nach der Seite der Hirnläsion hinzutreten.
Bei der sogenannten otitischen Sinusthrombose beeinflussen nach
Vo88 (154) zwei Faktoren das Sensorium, die Zirkulationsstörung im Ge-
hirn durch Verletzung von Abflußrohren und die septische Infektion. Eine
Alteration des Zentralnervensystems tritt umso auffallender zu Tage, jemehr
sich die Erkrankung der septischen Form nähert. Mitteilung eines 23 Jahre
alten Kranken, der den Allgemeineindruck eines mittelschweren Typhus-
patienten macht und neben Delirium eine auffallende Euphorie zeigte, und
eines 54 Jahre alten Obersten, bei dem die Thrombose mit einem anfanglichen
„Schlaganfall*^ und schwerer Bewußtseinstrübung einherging.
Zu den 18 durch Eulen stein gesammelten Fällen von Arrosion der
Hirnblutleiter bei Erkrankungen im Schläfenbein fügt Lebram (86) 3 weitere
aus der Breslauer Ohrenpoliklinik (Prof. Hinsberg). Eine strenge Über-
wachung von Scharlachpatienten nach der Aufmeiselung und zwar besonders
dann, wenn bei der Operation der Sinus freigelegt wurde, ist zur Ver-
meidung solcher gefährlicher Zwischenfälle dringend geboten.
Die entzündliche Sinusthrombose kann nach jeder eitrigen Erkrankung
oder Verletzung des Kopfes eintreten. Die Wege, welche die vordringende
Entzündung bevorzugt, sind Venen und Nervenscheiden, sowie vielleicht
noch Lymphbahnen und Bindegewebe. Dobbelmann (39) teilt drei ein-
schlägige, aber leider recht unvollständige Krankengeschichten mit. Im
ersten Fall handelt es sich um einen Patienten, der seit längerer Zeit an
einer Erkrankung der Zähne litt, die schließlich sein tödliches Leiden herbei-
führte (infektiöse Thrombose der Sin. cavern, et intercavern., Meningitis an
der Basis und Insula Eeilii). Die Eiterung soll mit dem dritten Trigeminus-
ast in die Höhe gestiegen und durch Vermittlung des Bete venosum des
Foramen ovale auf den Sin. cavern. übergegangen sein (außerdem metastati-
scher Abszeß in der Lunge, Milztumor und trübe Schwellung der Nieren).
Im zweiten Falle kam es durch Verschüttung mit Erdmassen zu einer
540 Hämorrhagie, Embolie, Thrombose, Abszeß.
Quetschung des Schädels, besonders,, des Unterkiefers und Lockerung der
Zähne; späterhin Kopfschmerzen, Übelkeit, Fieber. Entleerung übel-
riechenden Eiters aus den Alveolen, Apathie (ohne meningitiscbe Erschei-
nungen). Bei der Sektion fand sich eine Osteomyelitis des rechten Unter-
kiefers, ein Abszeß in der rechten Tonsille, Milztumor, trübe Schwellung
der Nieren und Eiteransammlung im Sinus cavernosus. Im dritten Fall
entstand im Anschluß an ein Hordeolum eine Orbitalphlegmone. Bei der
Sektion waren die Venen der Orbita, die Sinus cavernosi, intercavemosi
und petrosi mit septisch erweichten Thromben erfüllt
Bei dem Falle von Thrombophlebitis beider Sinus laterales, den
Brnnel (22) mitteilt, handelte es sich um einen 42 jährigen Mann, der
seit der Kindheit eine rechtsseitige Mittelohreiterung hatte. Wegen all-
gemeiner Hirnsymptome wurde trepaniert und der Sinus lateralis bloßgelegt.
Exitus. Die Obduktion ergab einen extraduralen Abszeß vorn am Felsen-
bein und einen zweiten Abszeß etwas weiter hinten. Aber auch links lag
ein extraduraler Abszeß, der mit dem Antrum kommunizierte und zu einer
entzündliclien Thrombose des linken Sinus lateralis geführt hatte. (Bendix.)
Uchermann (148) fand eine Thrombose des Sinus occipitahs als
Folge einer otitischen Infektion bei einem 18 jährigen Mädchen, unter
Kopfschmerzen und Fieber war es von einem rechtsseitigen Abszeß des
Zahndeisches, der in das rechte Ohr hindurchbrach, zu einem suboccipitalen
Abszeß mit sekundärer Thrombose und Erweichung der Venae cervicales
und des Sinus occipitahs gekommen. Die übrigen Gehirnsiuus waren intakt
geblieben. {Bendix.)
Hlrnabszess.
In der Dissertation von Freese (47) wird ausfuhrlich über einen Fall
berichtet, in dem sich nach einer primären Lungenerkrankung auf meta-
statischem Wege durch Vermittlung der arteriellen Blutbahn ein sekundärer
Abszeß im Gehirn entwickelte. Die anatomische Diagnose lautete bei dem
45jährigen Maurer: Hirnabszeß im Bereich des linken Hinterhauptlappens
mit Einbruch in die linke Kammer. Pyocephalus internus ; subakute eitrige
Leptomeningitis der Basis und der Konvexität; chronische fibröse carnefi-
cierende Pneumonie des linken ünterlappens mit chronischer, fibröser,
adhäsiver Pleuritis; chronische fibröse Perisplenitis und Perihepatitis.
In dem von Schäfer (133) mitgeteilten Fall von taubeneigroßem
Abszeß (unter dem hinteren Ende des linken Ventrikels im Mark der G-ehirn-
substanz) wurde anfänglich die Diagnose auf progressive Paralyse und später-
hin auf Katatonie gestellt. Katatone Symptome waren Negativismus
(Nahrungsverweigerung!) kataleptische und echopraktische Erscheinungen.
Sprachverwirrtheit, schauspielerhaft -manirierte Art des Sprechens, trieb-
artige Erregungszustände bei gutem Gedächtnis und nur geringer Beein-
trächtigung der Orientierungsfähigkeit. In der Epikrise fehlt ein genügender
Hinweis auf die bemerkenswerten Wechselbeziehungen zwischen der Lokal-
erkrankung des Gehirns und der psychischer Störung bei diesem Kranken.
Es handelte sich nämlich um einen belasteten, von seiner Frau geschiedenen.
25 mal wegen Unterschlagung, Betteins u. dgl. bestraften Mann, der früher
stark getrunken, Gonorrhoe und vielleicht auch Lues gehabt hat. Der
Vater starb an Gehirnschlag, ein Bruder ist geisteskrank, eine Schwester
soll geistesschwach sein!
Schmiegelow (136) bespricht seine Beobachtungen bei 19 im Anhang
mitgeteilten Fällen von otogenem Gehirnabszeß aus den letzten 16 Jahren.
Es handelte sich um 10 männliche und 9 weibliche Individuen, von denen
Hämorrhagie. Erabolie, Thrombose, Abszeß. 54 1
4 Kinder und die übrigen Erwachsene waren: 13 mal war der Sitz das
Oroßhim, 6 mal das Kleinhirn. Die Ursache bildete in der überwiegenden
Mehrzahl der Fälle eine chronische Mittelohrsuppuration, die gewöhnlich
schon in der Kindheit entstanden war. Das häufigste Symptom war der
Kopfschmerz; er fehlte allerdings in 2 Fällen gänzlich. Seine wechselnde
Intensität zeigte, wie wenig man imstande ist, aus der Lokalisation des
Schmerzes mit Wahrscheinlichkeit auf die Lage des Abszesses zu
schließen. Auch Schwindel war recht häufig, der Augenhintergrund unter
17 untersuchten Fällen aber 10 mal normal. Die Optikusaflfektionen fanden
sich dabei am häufigsten bei öroßhimabszessen. Fieber war bei fast allen
Kranken nachweisbar. Es ist ein gutes diagnostisches Zeichen, wenn man
andere Fieberursachen, wie Sinusthrombose, epidurale Abszesse, Eiterretention
im Schläfenbein und dergleichen ausschließen kann. Eine hervortretende Krank-
heitserscheinung waren außerdem Appetitlosigkeit und Abmagerung. Die
diagnostischen Schwierigkeiten wachsen durch das häufige Zusammentreffen der
Gehimabszesse mit anderen entzündlichen endokraniellen Komplikationen (ins-
besondere epidurale Abszesse, perisinuöse Abszesse, purulente Sinusthrombose,
Meningitis, diffuse Encephalitis). Unter den 19 Fällen konnte die Diagnose
5mal nicht intra vitam gestellt, bei den übrigen 14 konnte der Absceß nur in
9 Fällen entleert werden. Manchmal tritt bei Gehirnabszeß-Patienten im
Gefolge von Respirationslähmung der Tod ganz unvermutet ein, besonders
während der Narkose und beim Sitz im Kleinhirn, ein Befund, der bei
chirurgischen Eingriffen zu großer Vorsicht mahnt.
Im Falle Pallard's (112) erklärt sich das Fehlen deutlicher Lokal-
erscheinungen trotz großer Ausdehnung der anatomischen Läsion durch den
Sitz des Abszesses im rechten Stirnhirn. Bei dem 21jährigen Patienten
(Habitus phthisicus ; tuberkulöse Narbe in der rechten Lungenspitze) fanden
sich, von flüchtigem Fieber im Anfang abgesehen, während mehr als zwei
Monaten nur heftige Kopfschmerzen (besonders in der Stirngegend; rechts
vielleicht stärker als links), Erbrechen und Stauungspapille, sowie fort-
schreitende Abmagerung. Vom 25. bis 35. Krankheitstage zeitweises, fast
Tolhges Verschwinden der Krankheitserscheinungen. Lumbalpunktion; zahl-
reiche polynukleäre Zellen; tropfenweise Entleerung der für das Auge klaren
Flüssigkeit. Die Diagnose schwankte zwischen Tumor und abnorm ver-
laufender Meningitis. Tod nach allgemeiner großer Schwäche und „Pseudo-
Eheumatismus" in den Beinen; keine eigentliche Lähmung, keine motorischen
Reizerscheinungen. Die Autopsie stellte im rechten Stirnhirn einen mäch-
tigen Staphylo- und Streptokokkenabszeß fest mit hühnereigroßer Höhle
und Eiterdurchbruch in den Seitenventrikel. Da nur die Kopfsektiou
gemacht wurde, bleibt der Ausgangspunkt des Abszesses unklar.
Villard undLeclerc (151) berichten über einen erfolgreich operierten
Fall von linksseitigem Schläfenlappenabszeß otitischen Ursprungs. Der
41jährige Packer litt seit der Jugend an linksseitigem Mittelohrkatarrh und
hatte zeitweihg Kopfschmerzen und Übelkeit. 8 Tage vor seiner letzten
Erkrankung stellten sich sehr heftige Kopfschmerzen ein und ein epilepti-
former Anfall mit allgemeinen Zuckungen, an den sich Erbrechen und
Schüttelfröste mit leicht erhöhter Temperatur anschlössen. Darauf folgte
ein Erregungszustand, der in tiefe Benommenheit überging. Puls 60
Schläge, Atmung verlangsamt. Kein Ohrenlaufen, keine Patellarreflexe,
keine Lähmungserscheinungen. Sensibilität intakt. Pupillen gleich weit. Es
wurde ein Gehirnabszeß angenommen, und als die Eröffnung des Warzenfort-
satzes und des Sinus lateralis normale Verhältnisse ergab, der linke Tem-
porallappen punktiert, und, als sich Eiter zeigte, inzidiert. Nach Abfluß
542 Hämorrhagie. Embolie, Thrombose, Abszeß.
von fäkulent riechendem Eiter und nach längerer Drainage der Abszeßhöhle
trat vollständige Heilung ein. Vorübergehend war eine motorische Aphasie,
aber keine Hemianopsie nach der Operation aufgetreten. (Bendix.)
Ronghton (126) bespricht einen Fall von KleinhirnabszeB nach
chronischer Otitis media in Form einer klinischen Vorlesung. 26 Jahre
alter Patient, seit 8 Jahren zeitweise Ausfluß aus dem linken Ohr, der seit
6 Monaten sich verstärkte. Darauf Erkrankung mit Kopfschmerzen (Süm
und Hinterhaupt beiderseits), allgemeinem Unbehagen, Schwindel, Erbrechen,
linksseitiger Facialislähmung, etwas Fieber, Pulsbeschleunigung, sowie mit
nystagmusartigen Zuckungen in den seitlichen Endstellungen; gute Knochen-
leitung bei anscheinend normalem Processus mastoideus; anfanglich keine
Ataxie und dergleichen. Man dachte zunächst an eine Entzündung der
Hirnhäute in der Nachbarschaft des Schläfenbeins und führte die Facialis-
lähmung auf eine Läsion im Canal. Fallopii zurück. Darauf leichte Augen-
muskelparese mit Diplopie und Neuritis optica duplex; die anfänglich
normalen Patellarsehnenreflexe besonders rechts abgeschwächt; Klopfempfind-
lichkeit am Hinterhaupt unter der Protuberanz und längs der Schädelbasis
hinten links. Operation mit Eröffnung des Processus mastoideus und Frei-
legung der Dura; keine wesentlichen pathologischen Veränderungen. Nach
anfänglicher, tagelanger Besserung der Kopfschmerzen Verschlimmerung des
Allgemeinbefindens, große Unruhe, Pupillendifferenz (rechts > links), Auf-
hebung der Patellarsehenreflexe, Babinski rechts und gleichseitige Parese
mit Sensibilitätsstörungen. Infolgedessen Trepanation unter dem Seitensinus
und hinter dem Sinus sigmoiH. Nach Durch trennung der Dura Vorwölbung
des Seitenlappens des Kleinhirns; Eröffnung der Abszeßhöhle. Tod am
selben Tage ohne Eückkehr des Bewußtseins. Bei der Autopsie fand sich
eine große Eiterhöhle im linken Seitenlappen, außerdem Eiterbelag auf der
Dura in der Gegend des Meatus acusticus internus und leichte Lepto-
meningitis. — Aus diesem Fall geht unter anderem hervor, daß entzündliche
Prozesse am inneren Gehörgang Facialislähmung verursachen können ohne
gleichzeitige Akustikusstörungen.
Im Falle Martineatl (95) handelt es sich um einen gleichseitigen
Subduralabszeß bei linksseitigem Stirnhöhlenempyem. Außer heftigen Kopf-
schmerzen, Fiebersteigerung, mäßiger Pulsverlangsamung, Gefühl von
Eingenommenseiu und Kribbeln in der rechten Hand bestanden keine
neurologischen Erscheinungen. Nach Radikaloperation des Empyems und
Entfernung der hinteren Knochenwand Entleerung reichlichen, stinkenden
Eiters: Heilung; Bemerkungen über die operative Technik.
In dem von Paterson (116) beschriebenen Fall erkrankte ein 5jähr.
Mädchen, das — abgesehen von geringfügigem Eiterausfluß aus dem rechten
Ohr 2 Jahre zuvor — immer gesund war, mit epileptiformen, rechts stärkeren
Krämpfen (starre Pupillen, Deviation conjugu6e nach rechts, leichte Neuritis
optica). Hinter dem rechten Ohr fand sich eine fluktuierende Schwellung;
Inzision an dieser Stelle; Eiterentleerung. Entfernung von Granulations-
geweben aus Antrum und Mittelohr. Einige Tage später rechtsseitige
Lähmung (inkl. Facialis), die nach 10 Tagen wieder verschwand. Gelegent-
liches, flüchtiges Schielen; 9 Wochen darauf allgemeine Konvulsionen, Fieber,
schwere Bewußtseinstrübung, Strabismus convergens rechts. Nochmalige
Ohroperation (starke Knochenarrosion). Nach Inzision in die Dura trifit
die sondierende Hohlnadel ^/^ Zoll von der Oberfläche auf einen soliden
und anscheinend inoperablen Tumor. Die Diagnose wurde daraufhin auf
Tuberkel mit tuberkulöser Meningitis gestellt. Tod 5 Stunden nach dem
Eingriff. Bei der Autopsie (nur Schädelhöhle) fand man eine basale Lepto-
Hämorrhagie, Embolie, Thrombose. Abszeß. 543
meningitis und im Schlaf enlappen, direkt über dem Felsenbein bezw.
Tegment tympani, einen hühnereigroßen, älteren Abszeß mit einer ungemein
derben, selbst fiir eine Punktionsnadel kaum durchgängigen, bindegewebigen
Kapsel.
Dench (35) berichtet über 2 tödlich verlaufende Fälle von Gehirn-
abszeß. Fall 1: 52 Jahre alter Patient; vor 1 Jahr flüchtige, rechtsseitige
Ohrenscbmerzen, die vorübergehend 1 Monat vor der Krankenhausaufnahme
mit großer Heftigkeit wiederkehrten und mit Druckempfindlichkeit, sowie
mit Anschwellung in der Gegend des Warzenfortsatzes verbunden waren.
2 Wochen später rechtsseitige Stirnkopfschmerzen, Schläfrigkeit abwechselnd
mit Unruhe, leicht taumelnder Gang, septisches Aussehen. Bei Stenose
des äußeren Gehörgangs ohne Vor Wölbung des Trommelfelles wurde sofort
nach der Aufnahme die Parazentese ausgeführt. Wegen Fieber und
Empfindlichkeit des Processus mastoideus 3 Tage später Eröfi*nuug des
erheblich erkrankten Warzenfortsatzes (Seitensinus gesund). Tags darauf
Verschlechterung des Befindens, zunehmende Benommenheit und Lähmung
des lioken Arms. Operation, großer Schläfenlappenabszeß nach vorüber-
gehender Besserung. 10 Tage später Exitus unter meningitischen Er-
scheinungen. Fall 2: 23jähriger Mann; Eiterausfluß aus dem linken Ohr
seit 2 Jahren bei ausgedehnter Zerstörung des linken Trommelfelles. Radikal-
operation, vorübergehende Fiebersteigerung mit 25000 Leukocyten. Besse-
rung. Darauf wiederum Fieber, Kopf- und Nackenschmerzen, beiderseitige
Neuritis optica, leichte Wortblindheit, rechtsseitige homonyme Hemianopsie.
Operation mit erfolgloser Punktion des Schläfenlappens, Hernia cerebri.
Nach vorübergehender Besserung Zeichen von Meningitis. Entleerung
trüber Flüssigkeit an der Stelle des Prolapses; Exitus. — In der Epikrise
werden die Methoden zur Auffindung der wichtigsten Sulci und Gyn be-
sprochen^ sowie technische Einzelheiten.
Weiss (158) berichtet über einen Fall von diffuser eitriger Bronchitis
und Eapillarbronchitis mit beginnenden broncho-pneumonischen Herden im
rechten Mittel- und Unterlappen und multiplen Hirnabszessen in beiden
Großhirnhemisphären und im Kleinhirn (außerdem beginnende eitrige Lepto-
meningitis an der Basis und an der Konvexität).
Nexunann (HO) teilt 2 Fälle von otitischem Schläfenlappenabszeß
mit, die durch ihren klinischen Verlauf und das Ergebnis der Lumbal-
punktion Interesse beanspruchen. Trotzdem im ersten Fall durch ein seit
Jahren sich entwickelndes Cholesteatom bei einem 9 jährigen Mädchen aus-
gedehnte Defekte im Gerüst des Schläfenbeins entstanden waren und das
ganze Labyrinth sich von Granulation erfüllt erwies, trotzdem ferner bei der
Sektion ein kindsfaustgroßer Schläfenlappenabszeß gefunden wurde, bestanden
bis 8 Tage vor der Spitalaufnahme keinerlei subjektive Beschwerden oder
objektive Zeichen einer schweren Erkrankung; dieselben traten erst im An-
schluß an die akute Exazerbation des Ohrenleidens auf, die zugleich zur
Bildung eines mächtigen retroaurikulären Abszesses führten. Im zweiten
Fall schloß sich der Abszeß an eine scheinbar leichte, ja fast symptomlos
verlaufende Ohrenerkrankung an (der Patient hatte „keine Ahnung" von
seinem Leiden!). In beiden Fällen war das Lumbalpunktat steril; es ent-
hielt jedoch reichlich Leukocyten (auch polynukleäre).
Legrand und Axisa (87) haben in Ägypten bei postdysenterischen
Gehimabszessen 2 mal Anaerobier nachgewiesen und 1 mal Amoeben. Ob
die Anaerobier, die höchstwahrscheinlich aus dem Darm stammen, nicht
einen zufälligen Befund bilden, oder ob sie irgend eine Rolle bei der Ent-
stehung des dysenterischen Abszesses spielen, bleibt dahingestellt.
1544 H'ämorrhagie, Embolie, Thrombose, Abszeß.
In dem von Steinhaus (140) veröffentlichten Fall ist es anscheinend
zum erstenmal gelungen, das Corynebacterium pseudodiphthericum commune
als den Erreger eines Hirnabszesses nachzuweisen. Es handelte sich um
einen 12 jährigen Patienten, der seit früher Jugend an rechtsseitigem, in
letzter Zeit sich wesentlich verstärkendem Ohrensausen litt. Radikaloperation
(Knochen stal'k mit Granulationen durchsetzt, Sinus ausgedehnt freigelegt,
oberer Rand des Warzenfortsatzes z. T. fehlend). Nach ca. 10 Tagen
rechtsseitige Ohrenschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Somnolenz usw.; darauf
Einstich an der Stelle, wo die Dura bei der Radikaloperation freilag, 3 cm
tief; Ausfluß von dünnem stinkendem Eiter in großer Menge. Auf der
Agarplatte nach 48 Stunden Reinkultur eines in die Gruppe des Diphtherie-
bazillus einzureihenden Stäbchens, das Steinhaus als Corynebacterium
pseudodiphthericum commune betrachtet,
Fremont (48) operierte mit gutem Erfolge einen Mann, der an
chronischer Mittelohreiterung litt und gleichzeitig einen extraduralen Gelnm-
abszeß, einen extraduralen Kleinhirnabszeß und einen großen Abszeß im
Nacken hatte. Alle drei Abszesse waren ätiologisch auf die alte Mittelohr-
eiterung zurückzuführen. (Bendix.)
Monre (107) teilt drei Fälle von Gehirnabszeß a*uf der Basis von
Mittelohrerkrankungen mit, von denen zwei nach der Operation tödlich ver-
liefen. Die Abszesse hatten ihren Sitz im Temporallappen. Trotz des
großen Umfanges des linksseitigen Schläfenlappenabszesses in dem einen
Eall waren Sprachstörungen vermißt worden. Im dritten Falle handeke es
sich um einen traumatischen Abszeß des rechten Schläfenlappens bei einem
6 jährigen Kinde. Heilung nach Entleerung des Abszesses. (Bemlix.)
Heimann (63) berichtet über einen Fall von akutem rechtsseitigem
Schläfenlappenabszeß jnfolge einer akuten artefiziellen Mittelohreiterung und
gibt eine statistische Übersicht von 645 Fällen otitischer Hirnabszesse. Bei
519 wurde die Abszeßentleerung vorgenommen, davon wurden 193 Fälle
geheilt. (Bendij.)
Frey (49) kritisiert den Wert der für die Diagnostik eines otitischen
Hirnabszesses wiclitigen Symptome, die er in übersichtlicher Weise zur
Darstellung bringt. Für sehr wichtig hält er in der Gruppe der von der
Eiterung an sich abhängigen Symptome die Störung des Sensoriums, wobei
<ler Patient entweder schläfrig ist oder eine krankhaft gesteigerte Hini-
tätigkeit zeigt. Von den Hirndrucksymptomen ist die Pulsverlangsamung
häufig aber nicht konstant, ebenso die Alteration des Augenhintergrundes.
Die Herderscheinungen, welche entweder für den Sitz im Schläfenlappen
oder im Kleinhirn sprechen, sind diagnostisch sehr wertvoll; gekreuzte
Taubheit auf dem vorher gesunden Ohr spricht für den Sitz im Schläfen-
lappen, ebenso sensorische Aphasie, Worttaubheit, Agraphie, optische
Aphasie und Paraphasien. Bei Kleinliirnabszessen treten cerebellare Ataxie
und Störungen von Seiten der Medulla oblongata, sowie als wichtiges Fern-
symptom Glykosurie auf. Die Lumbalpunktion gibt jedoch keinen sicheren
Aufschluß über diiferential - diagnostische Entscheidung gegenüber einer
eitrigen Meningitis. F. hält in allen suspekten Fällen die Trepanation für
dringend geboten. (Bmdix.)
Aligemeines.
Die Zahl der im Jahre 1904 in der Münchener üniversitäts - Ohren-
poliklinik behandelten Ohrenkranken betrug nach Hang und Thanisch
{öl) 3315 (darunter u. a. das Labyrinthtraunia in 10 Fällen, Layrintlilues
in 8, Meniö rescher Symptomenkomplex in 1, Neuralgia tympanica und
Zerebrale Kinderlähmung. 545
mastoidea in 6). Schwarzes Operation wurde 20 mal, die Radikal-
Operation 4 mal ausgeführt.
Alt (1) betont zunächst, daß das Ohrcholesteatora ein Entzündungs-
produtt ist im Gegensatz zum wahren Cholesteatom, das durch Verlagerung
TOD embryonalen Epithelzellen bezw. von embryonalem Dermagewebe ent-
steht Mach Besprechung der Pathogenese zeigt er dann, daß dieses Ge-
bilde durch Druckusar zur Bildung großer Höhlen führen kann und zwar
derart, daß der äußere Gehörgang, die Mittelohrräume, der Warzenfortsatz
and sogar ein Teil der Pyramide ein mit Cholesteatom erfülltes Cavum
darstellen. Infolge der Druckusur kann die mittlere und hintere Schädel-
grabe eröffnet und infiziert werden. Es können sich also Extraduralabszesse,
Himabszesse, eitrige Meningitis, Sinusthrombose mit konsekutiver Jugularis-
thrombose und Pyämie entwickeln. Außerdem kommt es durch Arrosion
des Canalis Fallopiae zu Facialislähmungen, zu Labyrintherweiterungen und
durch Eiterretention zu septischen Prozessen. Das Cholesteatom wird
manchmal Jahre, ja Jahrzehnte reaktionslos vertragen und verrät sich dann
gelegenthch ganz plötzlich durch stürmische Symptome, etwa in Form einer
akuten Mittelohrentzündung. Mehr als -/s ^^^^^ Fälle vom otitischen
ßebimabszeß und otitischer Sinusthrombose sind auf verjauchte Cholesteatome
zurückzuführen. Namentlich bei rezidivierendem Cholesteatom ist im Falle
dfö Versagens der mehr konservativen Behandlungsmethoden die Radikal-
operation nach Zaufal indiziert, ebenso bei gehindertem Eiterabfluß (z.B.
bei hochgradigen Stenosen des iürehörgangs). Auch bei schweren Kompli-
kationen, die das Gehirn, die Sinus, die Vena Jugularis und das Labyrinth
betreffen, hat die moderne Otochirurgie glänzende Resultate aufzuweisen.
Zerebrale Kinderlähninng.
Referent: Prof. Dr. Henneberg-Berlin.
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30. Variot, Hemiplegie infantile; pronostic; traitement. Journ. de med. int. 1904. VIIL
356:
31. Derselbe, L'hemiplegie infantile acquise. Rey. gen. de clin. et de therap. Paris. 1901
XVm. 742.
32. Derselbe, Formes rares d'hemiplegie infantile, ibidem. XIX. 39.
33. Verth, zur, Fall von spastischer Halbseitenlähmung mit Gefühlsherabsetzung. Münch.
Med. Wochenschr. p. 1225. (Sfteungsberloht.)
34. Zak, Fall von schwerer cerebraler Diplegie. Vereinsbeil. d. Deutsch. Med. Wochen*
Schrift, p. 128. (SttEttii|;aberleht.)
Lewandowsky (16) bespricht in einer eingeheDdeo Arbeit aus dem
Hospice de Bicetre-Pari« zunächst kurz die Klassifikation un4 die Sympto-
matologie der zerebralen infantilen Hemiplegie. Die infantile Hemiplegie
führt kaum jemals zu einer echten (funktionellen) Kontraktur. Es findet
sich in der Regel eine fixe Kontraktur, die sich zum Teil auf eine man-
gelnde Konformität im Wachstum von Knochen und Muskeln zurückführen
läßt. Eine weitere Eigentümlichkeit stellt das Fehlen der Wernicke*
Mann sehen Dissoziation dar. Einzelne Agonisten und Antagonisten sind
paarweise funktionstüchtig, andere sind paarweise gelähmt. Diese Ver-
hältnisse bilden einen Hinweis darauf, daß eine Zusammenfassung der
Muskeln zu bestimmten Bewegungen im kindlichen Gehirn noch nicht statt-
gefunden hat. In andern Fällen von infantiler Hemiplegie kommt es zur
Athetose. Oulmont hat als charakteristisch für die Athetose bezeichnet:
Langsamkeit der Bewegung, ihre Übermäßigkeit, die Beschränkung auf Hand
und Fuß, die Transformation in einem intermittierenden Spasmus. Eine
Übermäßigkeit ist nach Verf. nicht immer zu konstatieren, wesentlicher ist
ein gewisser Rhythmus der Bewegungen. Athetosische Bewegungen kommen
auch an anderen Stellen als Hand und Fuß vor, z. B. in der Schulter-
muskulatur.
Zerebrale Kinderlähmung. 547
Verf. tritt für eine strenge Scheidung zwischen Athetose und Chorea
eiiu er bat niemals Mischformen beobachtet. Chorea kann ohne jede
Störung der willkürlichen Bewegung vorkommen, die Athetose liegt vielmehr
im Yeiknf der willkürlichen Bewegung selbst, dazu kommt bei der Athetose
die hemiplegische Lähmung in irgend einer Form. In den Pausen zwischen
deo choreatischen Bewegungen sind die Glieder von normalem Tonus oder
aboonn schlaff, die Athetose zeigt dagegen die Neigung, in einen inter-
mittierenden Spasmus überzugehen.
Eine Lokalisation der Athetose und des Spasmus mobilis ist nicht
möglich, sie ist ein fast spezifisches Symptom der im kindlichen Alter er-
littenen Hemiplegie; bei Erwachsenen kommt Athetose nur äußerst selten
zar Entwicklung. Man muß annehmen, daß es besondere physiologische
Eigenschaften des kindlichen Hirnes sind, welche bei Binden- und Kapsel-
herden die Athetose bedingen.
Mitbewegungen kommen bei der infantilen Hemiplegie in verschiedener
Form Tor. Bei den ^identischen^ Mitbewegungen wird diese intendierte
Bewegung auch von der anderen Extremität gleichzeitig ausgeführt. Häufiger
sind angedeutet« korrespondierende Bewegungen (König), nur bei ange-
strengten Bewegungen der nichtgelähmten Extremität erfolgt eine schwache
Bewegung der anderen Extremität. Als Pseudoathetose bezeichnet Verf.
Bewegungen dea^gelähmten Armes, die beim Gehen hervortreten und nur
eine äußerliche Ähnlichkeit mit athetosischen Bewegungen haben. Die Mit-
bewegungen erklärt Verf. dnrch die Annahme, daß durch die Himläsion
phylogenetische ältere Apparate, die den Gemeinschaftsbewegungen dienen,
Geltung gewinnen.
Verf. bespricht des weiteren das Krankheitsbild der Athetose double
an der Hand von 4 Fällen. Die Athetose double ist nicht einfach eine
Athetose, welche beide Körperseiten ergriffen hat, sie ist vielmehr
eharakterisiert durch die eigentümliche Beziehung, die zwischen den Be-
w^ngen der einzelnen Körperteile und Glieder untereinander besteht. Es
handelt sich am generalisierte, nicht identische Mitbewegungen infolge von
rnmöglichkeit einer Dissoziation. Echte athetotische Bewegungen können
zeitweise vorhanden sein, treten aber ganz in den Hintergrund. Willkürliche
Bewegungen sind niemals ganz unmöglich, aber in der charakteristischen
Vebe der infantilen Hemiplegie durch den spastischen Widerstand der
Antagonisten erschwert. Der Symptomenkomplex ist abhängig von einer
doppelseitigen zerebralen Erkrankung; die bisher vorgefundeneu Verände-
rungen waren diffus und mannigfaltiger Art, sodaß sich aus ihnen ein Ver-
ständnis der Bewegungsstörung nicht herleiten ließ.
1 SpiUer (28) wendet sich gegen eine Ausdehnung des Begriffes der
I Little sehen Krankheit und wünscht, daß dieser Name für eine bestimmte
i Form der kongenitalen spastischen Steifigkeit reserviert bleibt. Er teilt
sodann 2 eigene Beobachtungen von kongenitaler Rigidität mit, 2 weitere
\ Tom Verf. beobachtete Fälle sind bereits an anderer Stelle veröffentlicht
worden.
Der erste Fall betrifft ein Kind, das im 7. Monat mit Kunsthilfe
(Zange) geboren wurde. Im Alter von zirka Vj^ Jahren traten Krämpfe
mit Bewußtlosigkeit auf, zwei- bis dreimal am Tage. Das Kind konnte
Bicht gehen, lernte auch nie ordentlich greifen, es konnte nicht sitzen und
den Kopf nicht hochhalten, hatte den Mund meist geöffnet und lernte nicht
sprechen. Pat. starb im Alter von 2^/2 Jahr.
35*
548 Zerebrale Kinderlähmung.
Sektionsbefund: Die Fasern in den Pyramidenseitensträngen erwiesen
sicli feiner als die Fasern im Go 11 sehen Strang und feiner als bei einem
normalen Kinde gleichen Alters. Das Hirn war gut entwickelt.
Außer Zellveränderungen (Thioninfärbung), die yielleicht postmortal
waren, fanden sich keine Veränderungen. Verf. nimmt an, daß dem Leiden
eine Agenesie der Pyramidenbahn zu Grunde liegt.
Im Fall 2 handelt es sich um eine körperlich schlecht entwickelte
und debile Frau, die von Geburt (?) an die unteren Extremitäten nicht
ordentlich gebrauchen konnte, auch die Motilität der Arme war sehr
beeinträchtigt. Die Sprache war ein unverständlicher Murmeln. Beide
Vorderarme zeigten Kontrakturen, die Reflexe an den oberen Extremitäten
waren wegen Atrophie der Muskulatur und wegen der Kontraktur nicht zu
erzielen. Die unteren Extremitäten waren sehr rigide, die Patellarreflexe
gesteigert, die großen Zehen liyperextendiert, es bestand lebhafter Babinski.
Sektionsbefund: Die 4 oberen Cervikalwirbel springen nach hinten in
den Wirbelkanal vor und kompnimieren das Rückenmark, das erheblich
verschmälert erscheint. Die Hinterstränge sind degeneriert. Die mikro-
skopische Untersuchung ergab Degenerationen im Hinterstrang, in den
Go wer sehen und in den Pyramidensträngen.
Verf. weist auf die Schwierigkeit der Unterscheidung von spinalen und
zerebralen Fällen von kongenitaler Starre hin.
Der Fall, über den Babinski (2) berichtet, betrifft ein 26jähriges
Mädchen mit spastischer infantiler Hemiplegie.
Die Patientin war mit einem Jahr aus dem Bett gefallen und danach
einige Stunden komatös geblieben. Sie hatte starke Konvulsionen in der
ganzen rechten Körperhälfte gehabt. Diese nahmen in der Folge allmählich
ab, ohne jemals ganz zu schwinden; seit dem Fall bestand eine Paralyse
der rechten Seite.
Im 8. Jahr wurde die Achillessehne durchschnitten, da der Fuß in
Equino-Varus-Stellung stand und der Gang schwer gestört war. Infolge
der unwillkürlichen Bewegungen des Fußes war die Behandlung erfolglos;
die Patientin trägt daher eine Prothese. Seitdem hat sich ihr Znstand
nicht merklich geändert. Gegenwärtig besteht eine sehr auffallende Varus-
Stellung des rechten Fußes, dessen äußerer Rand auf dem Boden liegt,
Atrophie des rechten Beines und starke unkoordinierte Bewegungen des
rechten Armes, welche die Patientin mit der linken Hand zu unterdrücken
sucht.
Diese Bewegungen treten in Anfällen von 6 — 15 Sekunden auf, die
.Intervalle sind verschieden, bei körperlicher Anstrengung oder geistiger
Erregung sind sie sehr kurz. Die Bewegungen des Armes und der Finger
sind sehr ausgiebig, schnell und kräftig. Mehrmals hat die Patientin andere
Personen unwillkürlich heftig geschlagen. Der Mund ist während der Anfälle
nach rechts verzogen, am Bein sind keine wesentlichen Mitbewegungen
bemerkbar.
Ferner ist in den Intervallen eine Parese des rechten Armes zu kon-
statieren, jede einfache Bewegung wird mit Mühe ausgeführt und löst einen
Anfall aus. Am wenigsten ist die Beugung, am stärksten die Pronation
und Supination betroffen. Übrigens ist die Parese nach der Nachtruhe,
während der die Anfälle aufhören, bedeutend geringer. Die Zeit voio
AVillensimpuls bis zum Eintritt der Bewegung ist verlängert, sie dauert bis-
weilen mehrere Sekunden. Das rechte Bein ist verkürzt und etwas schwächer
als das linke. Bewegungen der oberen Extremität sind von Mitbewegungen
der unteren begleitet und umgekehrt. Der rechte Arm ist nur wenig
Zerebrale Kinderlähmung. 54.9
atrophisch. Der Patellarreflex ist rechts verstärkt. Die Sehnenreflexe des
rechten Annes und die Handreflexe sind normal. Sensibilität, Sensorium
rnid Psyche sind ungestört. Verf. hält in diesem Falle die Bezeichnung
Hemispasmus für geeigneter als Hemichorea.
Zweifellos handelt es sich um eine Läsion der linken Hemisphäre.
Welche Läsion den Hemispasmus bedingt, ist nicht zu sagen. Der Hemi-
spasmus ist nicht, wie etwa die Hemichorea posthemiplegica der Paralyse
unterzuordnen. Das beweisen 3 Gründe: 1. Die Sehnenreflexe der oberen
Extremität sind normal. 2. Der Grad der Parese wechselt, er kann nach
längerem Litervall stark oder schwach sein. 3. Die Reaktionszeit bei will-
kürlichen Bewegungen ist verlängert. Zieht man außerdem in Betracht, daß
die Lähmung nach langer Ruhezeit zurückgeht, so rechtfertigt es sich, diesen
Fall als .,Paralysie postspasmodique" von anderen Lähmungen zu trennen.
Anche und Campana (1) weisen auf das Vorkommen von Blasen-
und Mastdarmlähmung bei der Littleschen Krankheit hin. In zwei Fällen
Tön zerebraler Kinderlähmung, die Mädchen im Alter von 4 bez. 5 Jahren
betrafen, konstatierten die Autoren dauernde Inkontinenz der Blase und des
Mastdarmes, die nicht auf Rechnung einer psychischen Störung gesetzt
werden konnte.
In dem Falle Dupre's und Camns (9) handelt es sich um einen 43jähr.
llann, der von Jugend auf schwachsinnig und linkshändig war. Es bestand
; eine rechtsseitige infantile Hemiplegie, hierzu trat während der Beobachtung
infolge einer Embolie eine linksseitige Hemiplegie mit motorisch-aphasischen
Störungen. Sektionsbefund: Diffuse chronische Meningoencepha litis, großer
Emeichungsherd im linken Stirnhirn, eine Pyramidenkreuzung ließ sich
nachweisen, doch schien ein sehr stark entwickeltes homolaterales Pyramiden-
bondel vorzuliegen.
Breitmann's (4) Arbeit bringt eine ausführliche Darstellung der
Ätiologie und Symptomatologie der zerebralen Kinderlähmung. B. hat 22
Fälle dieser Krankheit zusammengestellt und kommt zu dem Schlüsse, daß
alle mit vorwiegender oder ausschließlicher Läsion des Gehirns durch ver-
schiedene anatomische Prozesse bedingten Symptomenkomplexe, die sich in
spastischen Lähmungserscheinungen äußern und gleichzeitig oder als Folge
ZwaDgsbewegungen, Epilepsie und Idiotie haben, als spinale Kinderlähmung
aufzufassen sind. (Bendix,)
ügolotti (29) teilt die Krankengeschichte eines Jungen mit, der wahr-
scheinüch bei der Geburt ^in Kopftrauma erlitten hatte, und bei dem sich
Atrophie und hochgradige Schwäche der Extremitäten der rechten Körper-
seite eingestellt hatten. Im zweiten Lebensjahre waren sich häufig wieder-
holende Krämpfe hinzugetreten, scliließlich Kontiakturen der rochtseitigen
Extremitäten- Die Sprache blieb erhalten, ebenso die Beweglichkeit bis zum
Eintritt der Kontrakturen. Tod im 1(). Lebensjahre. Die Sektion ergab
hochgradige Substanzdefekte der linken Hemisphäre in allen iliren Teilen,
sodaß nur einzelne Teile der verschiedenen Lappen erhalten blieben. Die
Pedunkuli zeigten ein eigentümliches Verhalten, vollkommenes Fehlen des
Fußes links, sodaß die Substantia nigra direkt an die Peripherie grenzt, sehr
starke Hypertrophie des rechten Fußes. Im Bulbus fehlt die linke Pyramide
?ollkommen, die rechte ist hypertrophisch, in der Höhe der Pyramiden-
kreuzung fehlt die linke Pyramide, an ihrer Stelle vermehrte Gliaanhäufung,
hn Cernkaimark fehlt der ungekreuzte linke Pyramidenvorderstrang, während
der rechte stark hypertrophisch vorhanden ist, von den Pyramidenseiten-
strangen ist der linke in normaler Entwicklung zu beobachten, der rechte
fehlt. — Es scheinen also im vorliegenden Falle nicht nur auf dem Gebiete
550 AugenmuskeHähmangen.
der Funktion, sondern auch rein morphologisch im Bereiche des Zentral-
neryensystems kompensatorische Vorgänge sich eingestellt zu haben. Sprache
und Bewegung sind nach Ansicht des Autors durch Funktion der rechten
Hemisphäre erhalten geblieben. Verf. neigt der Auffassung zu, daß jede
Eolandosche Zone mit beiden Körperhäiften in direkte Beziehung tritt,
ohne jedoch die vermittelnden Bahnen anatomisch bestimmen zu wollen.
Besondere Beachtung schenkt Ugolotti der Tatsache, daß der rechte Pyra-
midenvorderstrang stark hypertrophisch erscheint; dieser Befund bestärkt ihn
in der Annahme, daß dieser Strang nicht zu den Zellen des gekreuzten
Yorderhornes hinzieht, sondern zu den gleichseitigen — daher hier die
hypertrophische Kompensation: der Vorderstrang stellt die Verbindung der
rechten Rückenmarkshälfte mit der erhaltenen rechten Hemisphäre dar, er
ersetzt den verloren gegangenen gekreuzten Pyramiden seitenstrang; würde
der Vorderstrang speziell oder hauptsächlich zum linken Vorderhom in Be-
ziehung treten, so würde es unerklärlich bleiben, warum die H}T)ertrophie
nur den rechten Vorderstrang und nicht auch den linken Seitenstrang trifft.
— Verfasser glaubt, es handelt sich um eine richtige Hypertrophie imd nicht
um eine Hyperplasie. (Met^zbacher.)
Bsposito (10) beschreibt einen Fall, der klinisch das Symptomenbüd
einer infantilen BLinderlähmung zeigte, bei der Sektion ergab sich das Vor-
handensein mehrerer kleinerer Tumoren und Platten an der Dura (und
besonders an der Falx), ferner eines großen kraterförmigen Substanzdefektes
in der linken, und eines kleineren in der rechten motorischen Gegend. Die
Duratumoren erwiesen sich bei der mikroskopischen Untersuchung als
Psammome. Es waren alle Bildungsstadien derselben zu beobachten, nirgends
ließ sich ein Zusammenhang dieser Tumoren mit Gefäßen nachweisen, wenn
auch die Natur der im Tumor vorhandenen Zellnester, femer das reichliche
Auftreten von Bindegewebszellen und Bindegewebe, ihre Angehörigkeit zn
Sarkomen als wahrscheinlich zuläßt, so muß nach Ansicht Espositos doch
der Ursprung aus Teilen vom Gefäßsystem hier angezweifelt werden — im
Gegensatz zur gewöhnlichen Auffassung von der Entstehung der Psammome.
— Die Defekte an der Gehirnsubstanz stehen nach der Ansicht des Verfassers
in keinem direkten Zusammenhang mit der Tumorbildung und haben aller
Wahrscheinlichkeit nach vor Entstehung derselben existiert. Das Vorhandensein
leichter Mikrogyrie spricht ebenfalls in diesem Sinne, ferner der Umstand,
daß die Tumoren zu keiner Verwachsung mit den weichen Hirnhäuten führten,
und daß die porencephalischen Defekte in ihrer Lokalisation der Lokalisation
der Tumoren an der Dura nur teilweise entsprachen. (Mtrzbacher.)
Referent: Dr. Richter-Hamm L W.
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Kongenitale LUmongen.
Das markanteste Symptom der im Titel genannten Affektion, welche
Carpenter (7) in einem besonders ausgesprochenen Fall bei einer 40jährigea
Patientin beobachten konnte, besteht in: Verengerung der Lidspalte, Zurück-
sinkon des Bulbus bei ausbleibender oder nur geringfügiger Adduktion des
Bulbus während der Blickrichtung nach der gesunden Seite, und umgekehrt:
Weitwerden der Lidspalte, Hervortreten des enophthalmischen Bulbus bis zur
Höhe des gesunden Auges und Stehenbleiben in der Mittellinie während der
Blickrichtung nach der kranken Seite. In Carp enters Fall war der
Enophthalmus so hochgradig, daß ein Glasauge hätte getragen werden könneu.
Die Ursachen sind zweifellos rein anatomische, auf fehlerhafter Muskelinsertion
und Fixation beruhend, und sind nicht in Innervationstörungen zu suchen.
Gutmann (21) beobachtete bei einem 13jährigen und einem 11 jährigen
Knaben ein von Geburt an bestehendes Aufwärts- und Auswärtsschielen eines
Auges. Durch Vornäliung des Musculus rectus inferior wurde Schielen und
schiefe Kopfhaltung beseitigt. In beiden Fällen war der Abstand der Sehne
vom unteren Hornhautrand in der vertikalen größer als normal. Der Nach-
weis einer wirklichen Lähmung wird nicht erbracht.
Chaillous und Pagniez (8) machen interessante Mitteilungen über
eine aus sieben Personen bestehende Familie, von denen fünf an Ophthahiio-
plegien litten; die Mutter, drei ihrer Kinder und ein Enkelkind. Außerdem
boten verschiedene Familienmitglieder Degenerationszeichen dar; wie Stottern,
Entwicklungshemmungen, mangelhafte Intelligenz, ünmoralität. Luetische
Anhaltepunkte fehlten. Bei einigen gingen mit den Augenstörungeii Ver-
änderungen am Schädel einher, wie Abflachung und Atrophie oder Lähmung
des Musculus frontalis.
Die Augenmuskellähmungen waren nicht bei allen auf dieselben äußeren
Muskeln beschränkt; so ist die Ptosis bei der Großmutter auf beiden Augen
sehr erheblich, in der folgenden Generation weniger stark und bei der Enkelin
noch schwächer ausgeprägt. Ebenso sind die seitlichen Augenbewegungen
bei der Großmutter am stärksten alteriert, bei der Enkelin viel geringer.
Nur die Elevationsbewegung der Augen und die Augenbewegung nach unten
ist bei allen aufgehoben. Die Integrität der Musculi interni bei allen
Familienmitgliedern scheint bei der kongenitalen Ophthalmoplegie konstant
zu sein.
Wenn auch nach den neueren Arbeiten von Ferran es unzweifelhaft
ist, daß viele Ophthamoplegieu mit Integrität der Irisfunktion ausschHeßlich
von Erkrankungen der Nervenstämme herrühren, so ist es für die kongenitalen
Aiigenmuskellähmuugen. 553
Ophthalmoplegien hingegen sicher, daß sie auf einer Entwicklungshemmung,
eiüer Aplasie der motorischen Augenkerne beruhen.
Die hereditäre Veranlagung, die Bilateralität, die ungleichmäßige Be-
teiligung der Augenmuskeln bei den verschiedenen Generationen sprechen
deutUch für den nuklearen Ursprung dieser Augenmuskellähmungen.
(Bendiv,)
OkDlofflotorlDSIfthmDng.
Spiller und Posey (41) vermehren die kasuistische Literatur über
diesen in den letzten Jahren vielfach genau beobachteten Symptomenkomplex
(vgl. auch die Referate aus den vergangenen Jahren in diesem Jahresbericht)
am einen Fall, der besonders wertvoll ist, da er einen Arzt (31 Jahre alt)
betrifft^ von welchem namentlich zuverlässige anamnestische Daten zu erhalten
sind. Patient litt seit dem 15. Lebensjahr an typischer „migraine" in den
letzten 10 Jahren war er frei davon; es muß nach den zuverlässigen An-
gaben angenommen werden, daß es sich nicht um Flimmerskotom gehandelt
hat, obwohl Sehstörungen bis zu vorübergehender völliger Blindheit, verbunden
mit entoptischen Lichterscheinungen bestimmt von dem Patienten angegeben
werden. Der diesmalige Migräneanfall trat nach besonderer Berufsanstrengung
mit auffallender Heftigkeit auf, und nach einigen Tagen erschien — zum
ersten Mal — Ptosis, Parese des obliquus inferior und rectus internus des
rechten Auges. Hereditäre Belastung, Lues, sind ausgeschlossen. Hinsichtlich
der bisherigen Erklärungsversuche verweisen die Autoren mit Recht auf
llöbius und Oppenheim.
Die Autoren Lannois und Perran (27) halten die Abduzenslähmuugen
otitischen Urspnmgs im allgemeinen für seltener, als von anderen angegeben.
Sie glauben einen wesentlichen Unterschied machen zu müssen zwischen
solchen Fällen, in denen die topographische Beziehung des Abduzens zum
Felsenbein, speziell der Pyramide, den kausalen Zusammenhang zwischen
AbdüzensafiFektion und Ohrenleiden (Mastoiditis, zirkumskripte Basalmeningitis,
Extraduralabzeß, Arachnoiditis) rein mechanisch erklären läßt, und jenen
Rillen leichterer Art, in denen der otitische Prozeß auf das Mittelohr, speziell
die Pauke, beschränkt erscheint und synchron mit dem Ohrenleiden die
Abdozensaffektion auftritt und abklingt. Die Beobachtung eines solchen Falles
bei 38 jährigem Patienten lührt die Auto reu dazu, sich der Urbantschitschen
Erklärung von einem Reflexzusammenhang auf der Bahn des N. vestibularis
anzuschließen.
Schwarz (39) hat in seiner „Funktionsprüfung des Auges" angegeben,
wie die, die sogenannte latente Ciliarmuskelkontraktiou nicht überschreitende
Akkommodationsparese nachgewiesen werden kann. Er gibt in der vorliegenden
Arbeit weiter an, wie das V^erhalten der Pupille des anderen Auges zur
Diagnose einer einseitigen Akkommodationsparese verwertet werden kann,
wenn gleichzeitig eine Internusparese besteht, welche die Anwendung seiner
ersten Methode unmöglich macht. Die Prüfung auf latente Akkommodations-
parese isi deshalb wichtig, weil eine Ciliarmuskelparese nicht immer eine
Verringerung der manifesten Akkommodation sofort erkennen läßt.
Fischer (14) teilt einen Fall von isolierter Lähmung des Musculus
rectus internus mit. Es handelt sich um einen 42 jährigen an einer
chronischen Rückenmarksaffektion mit Beteiligung der Hinter- und Seiten-
stränge leidenden Mann, der beim Blick nach links bis zu einem Winkel
von 25 ® normale Beweglichkeit der ßulbi hatte. Dann aber bleibt das
rechte Auge stehen, und nach einem Moment springt das linke Auge mit
einem kräftigen Ruck plötzlich in äußerste Auswärtsstellung. Wahrschein-
554 Aug^nmuskellähmuDgen.
lieh handelt es sich um multiple Sklerose mit isolierter Beteiligung des M.
rectus internus dexter. (Bendia,)
AbdHzenslShffliuig.
Grasset und Gaussel (19) teilen den klinischen und pathologischen
Befund eines Falles von Tuberkelbildungen im Kleinhirn und Pons bei einer
14 jährigen Patientin mit. Außer den cerebellaren Symptomen war vor allem
der Ausfall der seitlichen Augenbewegungen nach rechts und links be-
merkenswert. Bei der Kranken hatte sich langsam unter Erbrechen,
taumelndem Gang und Abnahme der Sehkraft eine Parese des linken
Facialis, cerebellare Ataxie, Herabsetzung des Gehörs beiderseits, Blindheit
und totale Lähmung der seitlichen Augenbewegungen entwickelt.
Außer einem Tuberkel im linken Kleinhirn fand sich im Pons nach
hinten von den Corp. quadrigemina ein nußgroßer Tuberkel, welcher in einen
zweiten Tuberkel überging, der das vordere Triangel des vierten Ventrikels
einnahm. Die Tumoren nahmen das Gebiet des linken Facialis- und beider
Abduzenskerne ein. Infolge der Affektion beider Abduzenskerne war die
seitliche Bewegung beider Augen unmöglich, dagegen war die Konvergenz
der Augen ungestört.
Der Fall wird als Beweis für die Hypothese angeführt, daß die
kollateralen Augenbewegungen an bestimmte Rindenzentren gebunden sind,
respektive daß jede Hemisphäre beide Augen aber in entgegengesetzter
Hinsicht innerviert. (BendLr.)
Die Patientin Seele's (40) erkrankte zuerst mit 12 Jahren an ünks-
seitiger Abduzenslähmung, welche nach zirka ^^ Jahr ganz verschwunden
war. Nach 3 Jahren Pause wiederholte sich die gleiche Lähmung; nach
weiteren ü'/g Jahren erkrankte erst dasselbe Auge, kurz darauf auch das
rechte Auge an Iridocyclitis und hämorrhagischer ßetinitis. Zwischen dieser
letzten Erkrankung und der letzten Abduzenslähmung hat eine „linksseitige
Lähmung" bestanden, die als hysterische bezeichnet vnirde und eine drei-
wöchentliche klinische Behandlung erforderte. Am Ende der sich über
mehrere Monate erstreckenden Behandlung bleibt Doppelsehen,., konko-
mittierendes Schielen mit Höhendifferenz bestehen. Hinsichtlich der Ätiologie
bringt auch diese Beobachtung keine Aufklärung. Seel nimmt zwar für die
Abduzenslähmung einen peripheren Sitz der Erkrankung an, doch bietet die
Krankengeschichte meines Erachtens dafür keinen zwingenden Grund, wenn
auch die häufigsten Ursachen zentraler Art: Tuberkulose und Lues wohl aus-
zuschließen waren. Festgestellt wurden dysmennorrhöische und amenorrhöische
Anomalien; der ersten Lähmung gingen Schüttelfröste mit „Schnupfen" und
Kopfschmerzen vorauf, der dritten eine angebliche „Erkältung" mit Gesichts-
rose. Ob Untersuchungen des Blutes stattgefunden haben, ist aus den Mit-
teilungen nicht ersichtlich.
Traumatische LUmungen.
Garipuy (16) fügt dem spärlichen kasuistischen Material drei Fälle
hinzu, in welchen durch Messerstich, Fall auf Ecke einer Bank, Hufschlag
eine periphere Lähmung des Obliquus sup. hervorgerufen war. In allen drei
Fällen Ausgang in Heilung ob durch — ob trotz der Faradisation — bleibe
dahingestellt.
MDltiple LUmongen.
Bei einem 32 jährigen Mädchen beobachtete Coppez (9) das Auftreteo
und Verscliwinden folgender Augensyraptome innerhalb eines Monats: Parese
Augenmuskellähmungen. 555
der Akkommodation, erst rechts, dann links, danacli Parese des linken Rectus
inferior, der Papillen, danach wieder normales Pupillarspiel bei bestehender
AkkommodatJonsparese, Spasmus des linken Levator palpebrae, wieder einige
Tage später Parese des rechten Rectus eztemus, der linken Pupille, des
unken Obliquus inferior; das letztere Symptom blieb, die übrigen schwanden.
Über die Ätiologie dieser abenteuerlichen Beobachtung gibt C. keiner Ver-
mutung Baum.
Einichi Naka (31) teilt je einen Fall von peripherer Lähmung von
Augenmuskeln bei tuberkulöser Meningitis und von Ophthalmoplegia chronica
externa et interna bei einem Taboparalytiker mit. Aus der Kranken-
geschichte des ersten Falles geht hervor, daß es sich um einen 29jährigen
starken Potator handelt, der au latenter Phtisis gelitten und keine Be-
schwerden hatte, aber im Rauschzustande plötzlich bewußtlos wurde und
Krämpfe bekam. Hieran schloß sich ein Zustand anhaltender Verwirrtheit.
Am 5. Krankheitstage trat erst leichtes Fieber auf, am 6. Tage Okulo-
motoriuslähmung, besonders links mit Ptosis, Pupillendifferenz, Lichtstarre
und Lähmung der Augenmuskeln. Anatomisch fand sich hochgradige tuber-
kulöse Menin^tis mit Blutung und Verkäsung, Tuberkeln im Ependyra,
starke Beteiligung der Augenmuskelnerven an ihren Austrittsstellen, geringe
Blutung in der Okulomotoriusgegend, fleckige Degeneration der Okulo-
motorius- und Akustikuswurzel.
Fall II betraf einen 59 jährigen Mann mit Taboparalyse, der beider-
seits Ptosis, rechts mehr als links, hatte. Bewegung des rechten Auges fast
volhg aufgehoben, links nicht ganz so stark. Mikroskopisch fand sich De-
generation der Abduzenskeme und der intramedullären Wurzel. Normale
Tentrale Abduzenskeme. Totale Degeneration der Trochleariskerue im
proximalen Teile, distal weniger, links mehr als rechts. Atrophie der dorso-
lateral verlaufenden Trochleariswurzel. Hochgradige Veränderung der
Lateralkeme des Okulomotorius und der Wurzelfasern; geringere Degene-
ration des Zentralkernes. (Bendix,)
IntoxlkationslShmongeiL (Blei Nikotin, Diabetes.)
In dem einen Fall Hammer's (22) handelte es sich um typische,
schon nach einmonatlicher Beschäftigung mit bleihaltiger Porzellanglasur auf-
tretende Bleiintoxikation. Es bestand beiderseitige Abduzenslähmung, Pa-
pillo-retinitis, Bleikolik, Bleisaum. Unter entsprechender Behandlung ging
die Lähmung zurück.
Im zweiten Falle dürfte die Annahme, daß die vorhandene Parese
beider Oculomotorii und des linksseitigen Abduzens auf Tabakabusus zurück-
zuführen sei, zweifelhaft sein, da 12 Jahre vor Auftreten der Lähmungen
spezifische Infektion stattgefunden hatte. Zum ersten Falle bringt Hammer
reiche Literatur; für die Seltenheit der „Nikotinlähmung" spricht der Um-
stand, daß auch Lewin und Guillery in ihrer großen Monographie nur
zwei — überdies zweifelhafte — Fälle anführen können.
Veranlaßt durch drei eigene Beobachtungen von Abduzensparese bei
Diabetikern, veranstaltete DiexQafoy (11) eine Sammelforschung und be-
richtet über das Ergebnis von 68 Fällen. Charakteristisch für die Diabetiker-
lahmungen des Auges ist zunächst die dreifach größere Häufigkeit grade
der Abduzenslähmungen als der anderer Augenmuskeln, ferner das Fehlen
öiner bestimmten Beziehung zwischen Zuckergehalt und Intensität der Lähmung,
drittens der weitaus häufigste Ausgang in Heilung in 2 — 3 Monaten. Sehr häufig
geht dem Erscheinen der Lähmung eine Neuralgie der Schläfen-Orbita-Region
556 ErkraDkuDgen des Kleinhirns.
voraus. Rezidive sind häufig. Hinsichtlich der Pathogenesis erinnert
Dieiilafoy an den Gl. Bernardschen piqüre-Versuch und glaubt einen
Zusammenhang zwischen Glykosurie und Lähmung aus der territorialen Be-
ziehung am Boden des vierten Ventrikels hypothetisch aufstellen zu können.
Erkrankangen des Kleinhirns.
Referent: Prof. Dr. L. Bruns- Hannover.
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Gordinier (16) spricht im allgemeinen über die Symptome der
Kleinhimtumoreu und bringt dann 3 eigene Fälle von Tumoren des Klein-
hirnes und eines im Boden des 4. Ventrikels. Der letztere war ebenfalls
in den Wurm hineingewachsen und hatte nur Kleinhirnsymptorae hervor-
gerufen. Sonst bringt die Arbeit nichts neues.
üoter dem Titel angeborene familiäre Hypoplasie des Kleinliirnes be-
richten Frenkel und Langstein (14) über drei Geschwister, zwei Brüder
nnd eine Schwester, die im allgemeinen der Friedreich sehen hereditären
Ataxie zuzurechnen sind, aber sich — wie manche andere als solche be-
schriebenen Fälle — doch wesentlich von ihnen unterscheiden. Die Sehnen-
reflexe fehlten nicht, sondern w^aren sogar lebhaft; Seusibilitätsstörungen
waren nicht vorhanden; es fehlten die Skoliose und die charakteristische
Paßdifformität; das Leiden begann schon ganz früh und zeigte jedenfalls
keine Progressivität. Im Liegen bei Bewegungen keine Ataxie; ganz besonders
bestand statische Ataxie des Rumpfes auch im Sitzen; beim Gehen Tvichen
die Kranken kaum von der Richtungslinie ab.
Mingazzini (25) bringt folgenden Fall. Bei einem 15jährigen
Mädchen bestand ein unsicherer cerebellarer, teilweise auch tabisch-ataktisclier
Gang. Tremor des Kopfes; Intentionstremor der Arme und der Beine;
skandierende Sprache; Strabismus; leichte spastische Erscheinungen in den
Extremitäten; leichte Hypalgesie. Psychisch: Schwachsinn; epileptische Anfälle.
Es fand sich eine partielle symmetrische Agenesie der Kleinhirnhemisphären
nnd teilweise des Ober- und Unterwurmes ; Aplasie eines Teiles der neuralen
Elemente des Kleinhirns und der Großhirnrinde. Daneben Leptomeningitis
chronica spinalis mit Randdegeneration im Rückenmark. Mingazzini möchte
die Hypalgesie, die leichte Vermehrung des Tonus der Extremitäten auf die
Bückenmarksveränderungen beziehen, ebenso die tabischen Symptome; für
den Strabismus macht er eine unvollkommene Ausbildung der Fasern
558 Erkrankung^en des XleinhirDs.
zwischen den beiderseitigen Abducenskernen verantwortlich; für die skan-
dierende Sprache Fasemiangei im Hypoglossuskern. Der Schwachsinn und die
epileptischen Anfalle finden ihre Erklärung in der Bindenerkrankung des
G-roßhims; die übrigen Erscheinungen sind Kleinhirnsymptame. Es handelt
sich also nicht um einen reinen Fall ron Kleinhirnaplasie, sondern um eine
isolierte cerebello-spinale Agenesie im Sinne Mingazzinis.
Nach einem ausführlichen historischen Eückblicke, der beweist, daß es
klinisch und anatomisch zwischen der Friedreichschen Ataxie und der
Heredoataxie cerebellaire Nonnes alle Übergänge gibt, bringt Nonne (27)
zuerst die anatomische Untersuchung des Bruders eines früher von ihm be-
schriebenen Kranken^ der ganz dieselben Symptome bot, nur etwas starker
ausgeprägt. In diesem Falle findet sich nur abnorme Kleinheit des Klein-
hirnes und der Himnerven, nicht auch des Rückenmarks wie im 1. Falle.
Eine Einteilung der Friedreichschen Krankheit in eine spinale und eine
cerebellare Form ist eine künstliche. Ferner folgen zwei Fälle isoUertei Art mit
demselben Kraukheitsbild , das schon seit frühester Kindheit besteht.
Schließlich ein Fall von akuter Ataxie bei einem Heizer, bei dem die
Symptome nur auf eine Beteiligung des Groß- und Kleinhirnes, nicht des
Rückenmarkes hinweisen.
Mills, Frazier, Schweinltz, Weisenbnrg und Lodhols (24)
haben sich zu einer Monographie über die Tumoren des Kleinhirns, spez.
vom Standpunkte ihrer Operierbarkeit zusammengetan. Mills erörtert die
symptomatischen und diagnostischen Momente. Er spricht von Tumoren
einer Kleinhirnhemisphäre, des Wurmes und des cerebellospontinen Winkels;
am besten operierbar sind die ersteren, wenn sie bestimmt zu lokalisieren
sind. In der Symptomatologie bringt er nicht viel neues; die Allgemein-
symptome des Tumors, spez. die Kopfschmerzen sind bei EJeinhimtnmoren
meist sehr schwere; können aber auch fehlen. Den Schwindel fuhrt Mills
eigentümlicherweise auf Reizung von Duralfasem des Trigeminus zurück.
Warum nicht auf den Vestibulamerven? Die Richtung der nystagmischen
Zuckungen kann kaum für die Seitendiagnose verwandt werden. Rumpf-
muskelschwäche findet sich meist; oft auch solche der Beine; merk-
würdigerweise wird nichts über gleichseitige Bewegungsataxie gesagt. Die
von Batten beschriebene Kopfhaltung — Neigung des Kopfes nach der Seite
der Läsion und Drehung und Hebung des Kinnes nach der anderen Seite
— ist ein unsicheres Symptom. Die cerebellare Ataxie kann bei rein
seitlichem Sitz fehlen. Schwanken tritt bei rein seitlicher Läsion am häufig-
sten nach der Seite der Erkrankung hin auf; bei Wurmtumoren nach vom
oder nach hinten. Oft findet sich Tremor der Arme. Von HimvwletzuDgeo
fanden sich bei reinen Kleinhirntumoren solche vom 3. — 12., am häufigsten
6., 7., 8., dann 5. Die Differentialdiagnose zwischen Kleinhirn- und Stimhim-
tumoren stellt Mills doch zu leicht dar; auf das Vorkommen heilbarer Symp-
tomenkomplexe nach Art der cerebeliaren Tumoren wird hingewiesen. We
Symptomatologie der Kleinhirnbrückenwinkeltumoren wird besprochen, ohne
daß hier neues gebracht wird.
Frazier erörtert und illustriert eingehend die chirurgischen Mai-
nahmen bei Operation von Kleinhirntumoren und Schweinitz bespricht die
ophthalmologischen Symptome. Stauungspapille ist stark; sehr häufig auch
Verfettungen und Blutungen; oft rapide Abnahme der Sehschärfe; in
solchen Fällen wird frühzeitige Operation empfohlen, bei der auch ohne
Entfernung des Tumores die Sehschärfe erhalten bleiben kann.
Weisenburg spricht über die Histologie der Kleinhimtumoren. Am
häufigsten sind Sarkome, Gliome und Tuberkel.
Brücke und HeduUa oblongata. 559
Lodholz gibt einen historischen Überblick über die Lehren der Physio-
logie Yon den Punktionen des Kleinhirnes.
Lichtheim (19) berichtet über 2 Fälle Ton echten Kleinhiracysten bei
jugendlichen Individuen. Die Symptome waren die des Kleinhirntumors.
Dnrch Punktion wurde das Vorhandensein einer Cyste festgestellt; später
aber in beiden Fällen eine ausgedehnte Trepanation und Entleerung der
Cyste vorgenommen.
Williamson (41) teilt einen Fall von Kleinhirntumor vor, bei dem
das Hauptsymptom in Kopfschmerz, Erbrechen und doppelseitiger Optikus-
Neuritis mit starker Ataxie bestand. Später trat ausgesprochene Neigung,
nach links zu fallen, hinzu. Die Autopsie ergab Vinen Tumor der linken
Mandel des Kleinhirns. Der Tumor hatte das linke corpus restiforme leicht
komprimiert und war ein cystisches Sarkom. Im Rückenmark fand sich
eine ausgesprochene Degeneration der Fasern in den direkten hinteren
Nervensträngen, welche in der Cervikal-Region bedeutender war, als in der
Lambalgegend. (BendLv, )
Mackey (22) berichtet über den Befund bei einem 5 ^/^ jährigen
Kinde, welches an Erbrechen, Kopfschmerzen, Parese der Beine und Ab-
nahme der Sehkraft gelitten hatte. Außerdem hatte sich starker Hydro-
cephalus entwickelt und Auseinanderklaffen der Knochennähte mit Ent-
wicklung eines konischen^ fluktuierenden, pulsierenden Tumors an der
linken Coronalnaht, etwa dem mittleren Gynis frontalis entsprechend. Sein
Inhalt bestand aus Cerebrospinal-Flüssigkeit.
Bei der Sektion fand sich ein walnußgroßer Tuberkel am mittleren
Gyrus frontalis mit verkästem Inhalt. Im Gyrus supramarginalis sin. lag
ein zweiter Tuberkel. Der Wurm und die Hemisphären des Kleinhirns
waren völlig verkäst. (Bendir.)
Der Fall, über den Medea (23) berichtet, zeigte Veränderung des
Charakters, Störung der Aufmerksamkeit, große Stumpfheit, Apathie — dabei
orientiert, nicht benommen.
Bei der Autopsie finden sich 4 Cysticerkusblasen im Gebiete der
3. und 4, rechten Stirnwindung. — Fall von ,. frontaler Interesselosigkeit'^
(Flechsig). Beachtenswert erscheint das Fehlen der Stauungspapille.
{Merzbacher,)
Brücke onil Mednlla oUongata.
Referent: Dr. S. Kalischer-Schlachtensee b. Berlin.
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70. Derselbe. Bulbar Symptoms Occurring with Carcinoma of Parts other than the Nor-
vüiis System, and Resulting from Intoxication. ibidem. Vol. XVII. Jan. p. 6.
a) Allgemeine balbSre Symptomatologie.
Babinski (4) beobachtete einen 35jährigen Mann mit den Erscheinungen
eiller Läsion in der linken Hafte des Pons resp. der Medulla oblongata. Es
bestanden Schwindel, Schwanken, rechtsseitige Hemianästhesie mit dem
Typus der Syringomyelie und links Enophthalmus, Verkleinerung der Lid-
spalte und Myosis. Besonders auffallend war rechts eine Vaso-Konstriktion
und Hypothermie (vielleicht aber auch links eine Vasodilatation und Hyper-
thermie). Die bulbären Läsionen können nach dem Verfasser, ohne diese
I^hmuDg zu erzeugen und die Motilität zu stören, vasomotorische und
Jahresbericht f. Neurologie und Psychiatrie 1906. 36
552 Brücke and Medulla oblongata.
thermische Halbseitenstörungea veranlassen (Thermo -Asymetrie), mitunter
macht dieselbe sich subjektiv wenig bemerkbar und muB erst durch die
objektive Untersuchung des Arztes festgestellt werden. Dazu dient das
Eintauchen der Hände in kaltes Wasser und das verschiedene Verhalten
beider Seiten hiernach. Von Hallion wurde ein Plethysmograph konstniiert,
durch welchen die verschiedene Gefaßkontraktion beider Körperhälften
gemessen werden kann.
Unter AffoUement bulbaire versteht Leyi (43) irreguläre bulbare
Reaktionen auf bestimmte psychische oder äußere Eindrücke und besonders
solche, die sich mit ängstlichen Affekten verbinden. In dem von ihm be-
schriebenen Falle trat jedesmal im Anschluß an eine Phlebitis eine bulbäre
abnorme Reaktion ein, die sich in Tachykardie, Angst, vasomotorischen
Störungen, Schweiß, Dyspnoe, Durst und Erbrechen äußerte. L. führt dieselbe
auf den Choc durch die Phlebitis zurück und betrachtet die einzelnen
Erscheinungen als Folge bulbärer Irradiation.
Grüner und Bertolotti (30) beobachteten in einem Falle von
Tuberkel in der Himschenkelbrückengegend einen eigenartigen Symptomen-
komplex, der in einer alternierenden, sensibel-motorischen Hemiplegie bestand
mit Lähmung der assoziierten Heber, Senker und Konvergenzmuskeln beider
Augäpfel mit Beteiligung der internen Augenmuskeln bei Erhaltensein der
assoziierten bilateralen Bewegungen. Der Tumor saß an der Brücke und
den Hirnschenkeln längs des Aquaed. Sylvii vom 3. Ventrikel bis zum
oberen Drittel der Brücke. Denselben Symptomenkomplex beobachteten sie
in einem Falle, der sich später der Beobachtung entzog. Die Lähmung
bestand mehr in einer Stömng der Koordination und Synergie der Muskeln,
als in Lähmung. Die Sensibilität war mehr betroffen als die Motilität.
Die Augenmuskeln des 3. und 4. Hirnnerven waren auf beiden Augen sym-
metrisch gelähmt, nur die konjugierten Seitwärtsbewegungen waren erhalten.
Auch die inneren Augenmuskeln waren beteiligt. Die mikroskopische Unter-
suchung erwies einen Schwund der Zellen des Okulomotorius beider Seiten,
eine Läsion des hinteren Längsbündels, des roten Kernes und der Wurzeln
des Okulomotorius, von denen jedoch einige unversehrt den Hirnschenkel
durchsetzten und den nicht völlig degenerierten Nerv erreichten.
Die Verfasser gehen alsdann auf die differentialdiagnostischeu Punkt«
ein, die bei den unklaren, radikulären und Stammlähmung des N. okulo-
motorius in Frage kommen, sowie bei den supranukleären Lähmungen.
Bei einem 82jährigen Mann beobachtete Lewandowsky (45) ein(
3 Monate bestehende und allmählich ohne Bewußtseinsverlust eingetretene
rechtsseitige Hemiplegie. Jede willkürliche Bewegung im rechten Arm wä:
ausgeschlossen. Die obere Extremität blieb schlaff, die untere zeigte ein-
Flexionskoutraktur mit Steigerung der Sehnenreflexe und positivem Babinski
Sensibilitätsstörungen fehlten. Bei der Sektion fand sich ein linksseitige
Erweichungsherd im mittleren Drittel der Brücke, wo er den gesamte:
Pedunculus cerebri und die ganze Längsfasernmasse einschließlich de
Pyramide vollständig zerstört hatte. L. geht im Anschluß an diesen Fa
auf die Anschauungen ein, welche über die Bahnen der willkürlichen B«
wegungsimpulse beim Menschen herrschen. Die Probstsche Bahn (Grofihin
Tlialamus, Nucleus ruber usw.) war hier unversehrt, dagegen war die Vei
bindung zwischen Großhirnrinde und Nucleus ruber unterbrochen, df
Lewandowsky besondere Bedeutung für die Bewegungsimpulse beile(
(Großhirnrinde, Pedunkulus, Griseum pontis, Brachium cerebelli med. Corti
cerebelli, Corpus dentatuni, Brachium conjunct., Nucleus ruber). Durc
Brücke und Medulla oblongata. 553
ZerstöruDg des Griseum pontis war hier die Verbindung zwischen Hirnrinde
und Nucleus ruber zerstört.
Ballet und RO86 (6) beobachteten bei zwei Geschwistern (Bruder
und Schwester) ein Erankheitsbild, das sich durch spastische bulbo-spinaie
Svmptome äußerte. Die beiden Kranken waren 29 und 32 Jahre alt; das
Leiden begann in dem Pubertätsalter und führte zu einer Kontraktur der
Extremitäten^ Hals-, Gesichts-, Zungen-, Kau- und Augenmuskeln; bei dem
Bruder begann es und kombinierte sich mit einem cerebellaren Gang, bei
der Schwester mit psychischen Störungen. Die Kontrakturen ließen nur
eine geringe aktive und passive Beweglichkeit zu. An den Händen bestand
ein dem Intensionstremor ähnliches Zittern; der Gang war anfangs mehr
schwankend, dann mehr spastisch. Die Sprache war tief, monoton, nasal.
£s fehlten Nystagmus, Sensibilitäts- und Sphinkterenstörungen. Die Verfasser
soeben das £jraukheitsbild abzugrenzen von der multiplen Sklerose, der
spastischen, familialen Paraplegie (Lorrain). Am meisten gleichen die
FSie dem von Westphal als Pseudosklerose beschriebenen Fall, dem sich
Falle von Giese und anderen anreihen. Die Verfasser möchten den Fall
zu den familiären spastischen bulbo-spinalen Kraukheitsformen gezählt wissen.
In dem Falle von Weisenbtirg (70) zeigte eine 59jährige Frau^ die
13 Jahre vor ihrem Tode ein Carcinom der Brust zeigte und vor 7 und 5
Jahreo operiert war, 5 Monate vor dem Tode Schluckbeschwerden, Ver-
anderaugen der Stimme, Artikulationsstörungen bis zur Sprachlosigkeit.
Objektiv fand sich keine Atrophie. Die mikroskopische Untersuchung des
Gehirns, Hirnstamms usw. zeigte normale Verhältnisse bis auf feinere Zell-
Teränderungen in den Ganglienzellen der bulbären Kerne. Im Hirn wie in
den Hirnhäuten fanden sich keine Krebszellen noch Metastasen. Diese
Alterationen föhrt der Verfasser auf toxische Einflüsse infolge der Carcino-
matose des Blutes zurück; sie können einseitig oder bilateral sein und
bestimmte Zentren bevorzugen. Ahnliche Zellverändeningeu in der Hirn-
rinde fand er in einem Falle von urämischer Hemiplegie. Weisenburg
spricht sich zu Gunsten der toxischen Theorie aus, die die Lähmungen bei
Krebs ohne Metastase in den Zentren und Bahnen erklären soll.
b) Cbronlscbe Bnlbarparalyse.
lu dem Falle von Boettigor (8) handelt es sich um einfache chronische
progressive Bulbärparalyse bei einer 58jährigen Frau; es bestanden keine
Symptome der amyotrophischen Lateralsklerose oder der progressiven Muskel-
atrophie. — In einem zweiten Falle war der Beginn der progressiven Bulbär-
paralyse durch eine rasche Erschöpfung beim Sprechen, Schlucken aus-
gezeichnet, und auch zeigte sich eine Remission im weiteren Verlauf, so daß
der Verdacht einer Myasthenia gravis sehr nahe lag. Es folgte jedoch später
eine Zungenatrophie usw.
Tromner (65) beobachtete den immerhin seltenen Fall einer infantilen
progressiven Bulbärparalyse bei einem 13jährigen Knaben, der an Sprach-
störung, Verschlucken und Gesichtslähmung erkrankte. Die Zunge war eben-
Wls atrophisch und zeigte fibrilläres Zittern. Der Masseterreflex fehlte.
Die Sprache war dysarthrisch, besonders bei den Gaumenlauten. Elektrisch
fi«d sich eine Herabsetzung der faradischen Erregbarkeit. Dabei fehlten
Zeichen der Myasthenie oder einer Tumorbildung usw. Extremitäten waren
unbeteihgt, ebenso die Sensibilität. Die Krankheit verlief seit dem Beginn
^or 3 Jahren progressiv.
36*
554 £r ticke und Medulla oblongata.
c) Myasthenia gravis. Astbeniscbe Bnlbarparalyse.
Taylor (63) beschreibt hier zwei neue Fälle der Myasthenie, die
klinisch beobachtet sind. Er schließt daran eine Beschreibung der Atiolo^e,
Symptomatologie, Diagnose, Prognose und Therapie dieser Erkrankung.
Leclerc nnd Sarvonat (40) beschreiben einen neuen Fall von
Myasthenia gravis pseudoparalytica, der ein 23jähriges Mädchen betrifft und
nach einigen Monaten tödlich verlief infolge einer Erstickung resp. Respirations-
lähmung. Die Sektion erwies makroskopisch keinerlei Störungen weder am
Zentralnervensystem noch an den anderen Organen; mikroskopisch zeigten
die Zellen der Kerne der Med. oblongata chromatolytische Veränderungen.
Die Verfasser gehen sodann auf die klinischen, ätiologischen und diflferential-
diagnostischen Beziehungen der Erb-Goldflamschen Krankheit näher ein
und suchen aus der Vielfältigkeit der verschiedenen Formen dieser Krank-
heit, der Ätiologie und der pathologischen Verändeningen zu erweisen, daß
man hier mit Unrecht eine eigene Krankheitsform sui geueris annimmt; es
handelt sich nach Ansicht der Verfasser bei diesem Krankheitsbilde nur um
einen Symptomenkomplex, der bald als Neurose auftritt, bald durch mannig-
fache organische Veränderungen erzeugt werden könne.
Dnpre und Pagniez (24) beschreiben ebenfalls einen Fall von
Myasthenie mit den typischen JErscheinungen und letalem Ausgang. Der
Befund an Schilddrüse, Thymus, Muskeln, zentralem und peripherem Nerven-
system war negativ. Auffallend war im Verlauf die Erscheinung, daß die
bulbären Störungen hinter denen der Extremitäten bis zu dem plötzlich er-
folgten Tode an Dyspnoe und ßespirationslähmung fast völlig zurückstanden.
Ferner trat die Hypotonie der Muskeln auffallend hervor. Doch dürfte dies
kaum Grnnd genug sein, der Aff'ektion noch einen neuen Namen (Myasthenie
hypotonique mortelle) zu geben. Die Persistenz der Thymusdrüse, die auch
hier vorlag, erscheint den Autoren als ein zu häufiger Befund, um daraus
Schlüsse für die Ursachen und Entstehung der Myasthenie zu ziehen.
Blizzard (19) hatte Gelegenheit, 5 Fälle von Myasthenie vom patho-
logisch-anatomischem Standpunkte aus zu untersuchen. In keinem Falle
bestand eine kongenitale Abnormität. In 2 Fällen lag eine vergrößerte
Tymusdrüse vor. Das zentrale und periphere Nervensystem erwies sich in
allen Fällen als intakt. In allen Fällen enthielten die Muskeln- und Driisen-
organe wie Nebennieren, Leber, Schilddrüse, Herde mit Lymphocyten-An-
sammlung; auch zeigten die Muskelfasern unabhängig von diesen Herden
sich öfter verändert. In 3 Fällen war die Thymusdrüse unverändert. Die
Lymphocytenherde ließen sicli am besten in den Augenmuskeln nachweisen.
In den beiden Fällen mit Thymusvergrößerung zeigte sich keine wesenthche
Anomalie, trotzdem bestanden Herde in den Muskeln. Das Blut selbst war
nicht erkrankt. Buzzard nimmt jedoch an, daß diese Lymphocytenherde
in den Muskeln weder die Lähmung derselben noch ihre Ermüdbarkeit er-
klären können.
Bazzard (18) gibt hier ebenfalls eine klinische und anatomische Be-
schreibung der 5 von ihm beobachteten und untersuchten Fälle. Er rät, bei
der Untersuchung der Fälle von Myasthenie eingehender das Blut und das
lymphatische System. Fett- und Bindegewebe zu beachten. Als Ursache
sieht er auch ein toxisches Agens an, das gelegentlich auch andere Gewebe
als die Muskel irritieren kann. Es läßt sich mit Sicherheit noch nicht sagen,
ob die funktionellen Störungen mit den Lymphoidzellenansammlungeu in
Zusammenhang stehen. In einem Falle, in welchem in den Ganglien der
hinteren Wurzeln ebenfiills Lymphzellenanhäufungen vorhanden waren, faud
Brücke und Medulla oblongata. 565
sieh im Leben eine Sensibilitätsveränderung in diesem Wurzelgebiete. Dem-
üach läßt sich die Bedeutung dieser Zellenhäufungen nicht verleugnen. Sie
sind in den Muskeln nicht die mechanische Ursache der Funktionsstörung,
soodern ein gleichzeitiger Ausdruck metabolischer und chemischer toxischer
Vorgänge in den Muskeln. Vielleicht können sie auch vorübergehend auf-
treten und wieder schwinden. Die Veränderungen der Thymusdrüse hält er
für zu inkonstant, um sie für die ursächliche Bedeutung der Erkrankung zu
verwerten. B. geht auch auf die Reaktionserscheinungen der erkrankten
Muskeln näher ein und weist auf das verschiedene Verhalten der Ermüdung
bei Willensreizen, faradischen, galvanischen, mechanischen usw. hin. Er
kommt schließlich zu dem Resultate, daß die protoplasmatische Substanz des
Mnskels mehr als die fibrilläre in ihrer Erregbarkeit gestört sein müßte.
Gnmer (31) berichtet über vier Fälle von myasthenischer Paralyse,
Ton denen einer zur Obduktion kam. Die Fälle zeigten ein typisches Ver-
halten, nur fehlten im vierten Falle die bulbären Erscheinungen, und die
Krankheit war auf die Extremitäten beschränkt; die ausgesprochene
myasthenische Reaktion sicherte die Diagnose. Fall drei betraf ein
13 jähriges Mädchen. In dem Falle, der zur Autopsie kam, war das Vor-
: handensein einer persistenten Thymus das bemerkenswerteste Ergebnis.
Ahnliche Befunde bei der Myasthenie liegen von Link, Hödlmoser und
Hun vor. Muskeluntersuchungen waren nicht vorgenommen worden.
Bmns (15) teilt zunächst einen typischen Fall von Myasthenia gravis
pseadoparalyticu mit, der unter Remissionen langsam progressiv verlief. Er be-
spricht alsdann die differentialdiagnostischen Momente und die eventuellen
Verwechslungen mit Hysterie usw. Er warnt alsdann vor Anwendung der
^'arkose, der Sondenfütterung und der elektrischen Schlundbehandlung.
Femer soll man bei der arbeitenden Bevölkerung, sobald die Diagnose
^sichert ist, vor reichlicher Muskeltätigkeit warnen und von der Aufnahme
der Arbeit abhalten.
Der Fall von Myasthenia, den Dood und Woodwark (23) be-
srhreiben, ist auffallend durch seine Schwere und die rapide Entwicklung.
Schon nach einigen Tagen konnte der Patient sich kaum bewegen noch
Xahrung zu sich nehmen. Die einzelnen Symptome waren die charakteristischen.
Ber Verlauf erst sehr akut, schwer, dann langsam sich bessernd. Die Er-
krankung setzte unmittelbar nach einem Influenza-Anfall ein.
Raymond und Alcitller (55) beschreiben hier einen neuen Fall von
Kjasthenia gravis pseudoparalytica, der klinisch typisch verlief, in anatomischer
Beziehung eine Trübung und Verdickung der Hirn-Rückcnmarkshäute auf-
wies mit geringer Randsklerose im Rückenmark, ferner kleine Herde im
Gehirn, Brücke und Medulla oblongata, die teils auf kleinere Blutungen,
teils auf perivaskuläre Erweiterungen zurückzuführen waren, teils auch
^iotische Wucherungen bildeten und im Gehirn, Brücke usw. sich fanden.
Femer bestanden Atrophien und Chromatolysen der Ganglienzellen. Die
Huskeb) zeigten hier und da degenerative Veränderungen, besonders am
Myocard und an den Armmuskeln. Die Verfasser halten alle diese Befunde
fiir nebensächlich und nichtausreichend zur Erklärung des vorhandenen
Erankheitsbildes. Nur dürften die diffusen leicht entzündlichen Prozesse an
den Him-Rückenmarkshäuten und Gefäßen wie eine gleichzciticro Leber-
drrhose auf einen toxischen Prozeß und Ursprung der Asthenie hinweisen.
Veränderungen der Drüsen (Schild-Thymusdrüse), Bildungsanomalien lagen
nicht vor. Lymphoide Veränderungen in der Milz schienen von keiner
großen Bedeutung zu sein. Herde in den Muskeln selbst fehlten.
566 Brücke und Medulla oblongata.
Wassing (68) beobachtete bei einem 19 jährigen Mädchen eine seit
Tier Jahren bestehende Myasthenie mit apoplektiformem Beginn, zahlreicben
Remissionen, aber im ganzen doch langsam progressivem Verlauf. Jodkali
schien ihm nicht ganz wirkungslos zu sein. Im Verlauf der Krankheit ent-
wickelte sich eine Dorsalskoliose.
Burr (17) teilt einen typischen Fall von Myasthenie mit, der aus-
gezeichnet ist durch eine Komplikation, wahrscheinlich hysterischer Natur,
nämlich durch eine Einengung des Gesichtsfeldes und Veränderung im Farben-
sehen. In anatomischer Beziehung erwies sich das Zentralnervensystem als
intakt; hingegen war die Thymusdrüse vergrößert, persistent und verändert,
auch fanden sich Zellinfiltrationen in den Muskeln. Ahnliche Befunde und
speziell Thymusdrüsenveränderungen bei Myasthenie beobachteten Weigert.
Link, Hödlmoser, Hun, Goldflam. Mit der Zunahme der Zahl dieser
Fälle gewinnt die Annahme des Zusammenhangs dieser Veränderungeü mit
der Ursache der Myasthenie an Wert, wälirend die Befunde und Anomalien
vom Zentralnervensystem noch wenig geeignet sind, einen Zusammenhang
klar zu legen.
Der von Frank (26) beschriebene Fall betrifft ein lOjähriges Mädchen,
das seit vier Jahren Ptosis und dann andere Zeichen der Myasthenie zeigte,
welche besonders auf die Augenmuskeln beschränkt blieb.
Der Fall von Myasthenie, den Spiller und Bnckman (61) beschreiben,
ist durch seine Beschränkung auf die Augenmuskeln ausgezeichnet; im Muse,
sternocleidomastoid. bestand gleichzeitig myasthenische Reaktion. Die inneren
Augenmuskeln blieben frei.
d) Perlodisctae lahmangeD.
In dem Falle von Bomsteill (10) wurde ein 56 jähriger Kränker von
meist nächtlichen Anfällen periodischer Extremitätenlähmung befallen, A'ie
bis zu 12 Stunden andauerten, mit Abschwächung der Sehnenreflexe einher-
giugen und begleitet waren von vasomotorischen Störungen (Blässe, Schweift
Schwellungen der Haut, psychischer Depression, Erniedrigung des spezifischec
Gewichts und der Toxizität des Urins während des Anfalls. Der Fall unter-
scheidet sich von den Goldflam sehen Fällen durch die Anwesenheii
psychischer und vasomotorischer Störungen, durch Druckempfindlichkeit dei
peripherischen Nerven im Anfall und durch die elektrische Reaktion. E
fehlte hier die tonische verlangsamte Zuckung bei direkter galvanische
Reizung in den anfallsfreien Zeiten. In dem beschriebenen Falle bestand
nur faradische Entlastungsreaktion in der anfallsfreien Zeit, wie währew
der Anfälle an allen Muskeln und Nerven. Bernstein sieht das Leide
als eine Abart der Goldflamschen Krankheit an. Die Untersuchung eine
exzidierten Muskelstückchens ergab keine ausschlaggebenden Resultate. Da
Leiden dürfte zu den angioneurotischen und trophischen Störungen zu rechne
sein. Das vasomotorische Zentrum zeigt hier namentlich seinen wechselnde
schädigenden Einfluß auf die motorischen Zentren und Apparate sowie ai
die Haut. Die konstanten Muskelveränderungen werden als besondere tn
phische Störungen angesehen.
e) Pseudobulbärparalyse.
Boon (9) beschreibt einen Fall von Pseudobulbärparalyse, in welch«
die Läsionen die ponto-cerebellaren Fasersysteme betrafen. Der Fall trä|
dazu bei, die Anschauung von Jelgasma zu stützen, daß die Symptom
Myelitis, Myelomalacie, Myelitis gonorrhoica, Caries. 5()7
der Pseudobulbärparalyse weniger durch bestimmte lokalisierte Hirnläsionen
entstehen, als durch eine doppelseitige Unterbrechung der zentrifugalen cerebro-
cerebellaren Bahn au beliebigen Stellen.
Buck (16) beschreibt einen Fall von Pseudobulbärparalyse bei einer
43 jährigen Frau mit sehr frühzeitiger Arteriosklerose; er wendet sich hierbei
gegen die Anschauung von Jelgasma, der die Pseudobulbärparalyse und
ihre pseudobulbären Erscheinungen ähnlich wie bei der Parkinsonschen
Krankheit, mehr in Störungen der Koordination sucht als in direkten motorischen
Läsionen resp. Störungen. Die Läsion sei nicht, wie Jelgasma annimmt,
auf den zentrifugalen cortico-ponto-cerebellaren Bahnen zu suchen, sondern
in zentripetalen spino-cerebellaren-kortikalen.
Weisenburg (69) berichtet hier über sechs Fälle von Pseudobulbär-
paralyse, von den drei zur Obduktion kamen. Klinisch boten die Fälle die
gewöhnlichen Symptome, mehrfache Anfälle mit Hemiplegie, Artikulations-
storongen, Schluck-Kaustörungen, Speichelfluß, Paresen, gesteigerten Sehnen-
redexen, psychischen Anomalien. Ein Fall war auch durch Atrophien der
Extreniitätenenden und Sensibilitätsstörungen ausgezeichnet. In pathologisch-
anatoniischer Beziehung fanden sich diffuse Läsionen im Gehirn und Hirn-
stamm (Erweichungen, Hämorrhagien, Cystenbildung, Degenerationen durch
arteriosklerotische Prozesse) und zwar nicht beiderseits. In 9 Fällen, wo
pseudobulbäre Lähmungen durch einseitige Hirnläsionen erzeugt sein sollen,
durfte die Untersuchung mikroskopisch und makroskopisch vielleicht nicht
auf alle Stellen genügend ausgedehnt worden sein, namentlich hat wohl
die Marchische Methode nicht Anwendung gefunden. In dem zweiten hier
beschriebenen Falle wurde z. B. anfangs für eine scheinbare primäre Pyramiden-
degeneration kein Herd gefunden; erst die Marchische Methode zeigte kleine
Erweichungsherde in der Nähe und im Knie der inneren Kapsel. Die
bilateralen Herde, welche pseudobulbäre Lähmung verursachen, können in
der Hirnrinde sitzen oder subkortikal oder in der inneren Kapsel, in den
Stammganglien, im Hirnschenkel Brücke, MeduUa oblongata. Die Herde sind
mitunter nur für eine eingehende mikroskopische Prüfung sichtbar. Nur eine
solche kann unterscheiden, ob es sich um reine zerebrale oder cerebro-pontine
Pseudobulbärparalyse handelt.
Myelitis, Myelomalacie, Myelitis gonorrhoica, Caries.
Referent: Dr. Edward Flatau-Warschau.
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Myelitis.
Schmaus (45) gibt in seiner Arbeit ein sehr ausführliches und äußerst
kritisches Sammelreferat über die Myelitis. Das Referat bespricht im einzelnen:
1. die allgemeinen Vorbemerkungen über den Begriff der Entzündung^
i Histologie der Myelitis (degenerative Formen, infiltrative Formen, primäre
mid sekundäre Myelitis), 3. spezielle Frage der Ätiologie und Pathogenese
(Zusammenhang der Myelitis mit Infektionskrankheiten, bakteriologische
Untersuchungen bei Myelitis, die primäre oder sekundäre Erkrankung der
Ganglienzellen bei Poliomyelitis), 4. besondere Formen akuter Myelitis (Polio-
myelitis acuta anterior, Myelitis disseminata acuta, Myelitis purulenta),
5. L and ry sehe Paralyse (symptomatologische Vorbemerkungen, anatomische
Befunde, Landrysche Paralyse vom Standpunkte der Infektionslehre,
Landrysche Paralyse als funktionelle Störung). Dem Referat ist ein 138
Arbeiten umfassendes Literaturverzeichnis beigegeben.
Schmaus (44) gibt folgenden kasuistischen Beitrag der akuten hämor-
rhagischen Myelitis. Der 19jährige Mann hatte vor 4 Wochen einen Sturz
erlitten. Keine krankhafte Erscheinungen. Vor 2 Tagen Kopfschmerzen,
Schwindel, Temperatur = 38,3, Rötung der rechten Tonsille. Am 2. Krank-
heitstage plötzliche Atemnot, trotz künstlicher Atmung Cyanose der Lippen und
Wangen, Lähmung der Nackenmuskulatur, kein aktives Heben der Arme,
Parese der Vorderarme und der Hände bei anscheinend unbehinderten Beiii-
bewegungen. Tracheotomie und Blasebalgatmung. Tod am 4. Krankheits-
tage. Die Autopsie zeigte mäßige Blutfüllung der weichen Hirnhäute bei
starker Hyperämie derselben im verlängerten Mark und im Rückenmark.
Auf Durchschnitten intensive Rötung der grauen Substanz (besonders der
Vorderhörner) nebst kleinen Blutpunkten. Rötung der weißen Substanz.
Es folgt dann eine sehr genaue mikroskopische Beschreibung, wobei Verf.
zum Schlüsse kommt, daß der vorliegende Fall eine äußerst akut verlaufende
hämorrhagische Myelitis infiltrativer Art darstellt, mit ausgedehntem, völligem
Untergang von Ganglienzellen, mäßiger Quelluug der Nervenfasern (ohne
eigentliche Degeneration der letzteren), starker infiltrativer Entzündung im
Gebiete des verlängerten Marks mit Tigrolyse der Nervenzellen in den unteren
Bulbärkernen bis ins Bereich der Pons hhiauf. Die ganze Erkrankung
570 Myelitis, Myelomalacie, Myelitis gonorrhoica, Caries.
verlief foudroyant unter dem Bilde eines der L an dry sehen Paralyse nahe-
stehenden, vielleicht derselben zuzurechnenden Prozesses. Yerf. bespricht
dann die einzelnen Befunde der histologischen Alterationen. In Bezug auf
die sich über die ganze Länge des Rückenmarks ausdehnende Infiltration
kam Yerf. zum Schluß, daß die diffuse Infiltration des Markgewebes auf
der Ansammlung polymorphkerniger Rundzellen beruht, welche den gewöhnlich
bei akuten Entzündungsprozessen auftretenden Blutleukocyten entsprechen
(also nicht von Gliazellen). Was die Abstammung der Wanderzellen anlangt,
so läßt sich nur als wahrscheinlich annehmen, daß die perivaskulären Infil-
trate zum Teil durch Emigration aus dem Blute stammender Elemente, zum
Teil aber auch durch Proliferation fixer gewordener hämatogeuer Wander-
zellen zustande kommen. Es wird dann die Alteration des Nervenparenchyms
und speziell der Ganglienzellen in Bezug auf ihre primäre oder sekundäre
Art besprochen. Wenn auch zugegeben werden muß, daß die leukocytäre
Infiltration einen selbständigen Charakter trägt, so läßt sich nicht beweisen^
daß im Sinne von Goldscheider u. A. (bei Poliomyelitis) die regressiven
Veränderungen der Ganglienzellen immer sekundär und nur Folge des
infiltrativen Entzündungsprozesses seien. Die vielfach nachweislichen Alte-
rationen der Ganglienzellen in größerer Ausdehnung legen doch wohl die
Annahme viel näher, daß dieselben selbständig und relativ frühzeitig
unabhängig von den Alterationen des Gefäßapparates leiden. Verf. kommt
somit in der bereits von Schwalbe hei-vorgehobenen Hypothese zu dem
Schluß, daß sowohl das Nervenparenchym wie Blutgefäßapparat selbständig
und unabhängig affiziert werden, wobei ein späteres Zusammenwirken und
eine sekundäre beiderseitige Beeinflussung nicht ausgeschlossen sind.
Holst (24) berichtet über folgenden Fall von akuter Myelitis, welche
auf septischer Grundlage entstand Der Fall betraf eine 42jährige Näherin,
welche eine Zwillingsgeburt hinter sich hatte. Es vergehen einige Jahre.
Eines Tages bleibt die erwartete Regel aus. Wahrscheinlich künstlicher
Abort, septische Infektion und embolische Myelitis transversa. Tod. Die
Sektion ergab u. a. ausgedehnte n septisch-embolischen Erweichungsherd der
intumesc. lumbalis mit auf- und absteigender Verbreitung des Prozesses.
Rhein (42) gibt folgenden Beitrag zum Studium der akuten Myelitis.
Er bespricht zunächst folgende 2 Fälle: Fall l: Bei der 29jährigen verheirateten
Frau begann die Krankheit vor einer Woche mit heftigen Schmerzen im
Epigastrium und Erbrechen. Am folgenden Tage Schmerzen in den Beinen
bis etwa über den Nabel, Schwäche der Beine, die in einigen Stunden sich
zur völligen Lähmung ausbildete. Status: Völlige Lähmung der Beine,
retentio urinae, incontineutia alvi, Schwund der Patellar- und Achillesreflexe,
kein Babinski. Sensibilität konnte nicht geprüft werden (psychischer Mangel).
Erbrechen. Am 10. Krankheitstage Schmerzen in den oberen Extremitäten.
Bei der Aufnahme nonnale Temperatur, dann unregelmäßige febrile Kurve;
Puls 122. Urin normal. Tod. Die mikroskopische Untersuchung zeigte
intensive Rundzelleninfiltration der Pia mater im gesamten Rückenmark«
Erweichung im 2. Lumbalsegment, zerstreute Entzündungsherde im ganzen
Rückenmark. In der Lumbaianschwellung fand man in einem Pyramiden-
Vorderstrang einen Herd, in welchem man kleinzellige Infiltrationen, Fett-
körnchenzellen und zahlreiche teils verdickte, teils obliterierte Gefäße vorfand.
Die Nervenelemente waren hier gänzlich zerstört, ähnliche Herde in anderen
Gebieten des Querschnitts und in verschiedener Ausdehnung in den übrigen
Rückenmarkssegmenten. Fall 2 betraf eine 39jährige Frau, welche verschiedene
Infektionskrankheiten und zuletzt 3 Wochen vor der Aufnahme einen Anfall
von akutem Rheumatismus durchmachte. Status: Paraparesis inferior.
Myelitis, Myelomalacie, Myelitis gonorrhoica, Caries. 571
totale Anästhesie you der 4. Rippe nach abwärts, incoiitinentia uriuae et
alvi, Fehlen der Patellar- und Abdominalreflexe, kein Babiuski, kein Fieber.
Urin frei. Dann ging die Schwäche auf die oberen Extremitäten über.
Nach einigen Tagen Tod. Bei mikroskopischer Untersuchung waren keine
entzündlichen Alterationen nachzuweisen. Schwellung der Vorderhornzellen,
beginnende Degeneration der Markscheiden (nach Marchi), geringe Degene-
ration im n. ischiadicns. Der erste Fall stellt eine typische Myelitis acuta
dar, der zweite zeigt Analogie mit der Landryschen Paralyse. Verfasser
bespricht dann die Fälle von akuter Myelitis, die bis jetzt veröffentlicht
worden sind, und teilt dieselben in zwei große Gruppen ein (Fälle mit deutlichen
Entzäudungserscheinungen und Fälle, wo die Entzündung fehlt und die
Degeneration der Xervenelemente von derselben unabhängig ist).
Frohmailll (17) beobachtete folgenden Fall von Myelitis transversa
mit Muskelwogeu und eigentümlichen Veränderungen der elektrischen Reaktion.
Bei dem 42jährigen Patienten begann die Krankheit vor 3 Jahren nach einer
starken Erkältung mit Schwindelgefühl und der Empfindung gewisser Schwere
in den Beinen. Gleich danach heftiges Schwindelgefühl und Bewußtlosigkeit.
Als er nach wenigen Minuten zu sich kam, bestand völlige Lähmung der
Beine mit reißenden Schmerzen daselbst. Erschwerung der Harnentleeniiig.
Sensibilitätsabstumpfang in den Beinen. Die Beweglichkeit der Beine kehrte
teilweise zurück, sodaß Patient nach einigen Wochen mit Hilfe von Stöcken
stehen und sich langsam fortbew^egen konnte. Seither blieb der Zustand
ziemlich unverändert (spastische Paraparese, Sensibilitätsstörung, gesteigerte
Reflexe, Störung der Blasenfunktion). Es handelt sich nun um eine Quer-
schnittsmyelitis im unteren Dorsalmark. Verf. hebt hervor: 1. sehr lebhafte
fibrilläre und fascikuläre Zuckungen an der Hinterfläche der Beine, in den
Waden, den Beugern am Oberschenkel und den glutaei maximi, 2. die
elektrische Untersuchung zeigte in einer Anzahl gelähmter Muskehi bei
faradischer und galvanischer, direkter und indirekter Reizung eine mehr
oder minder starke Nachdauer der Kontraktion nach Unterbrechung des
Stromes. Das Phänomen trat bei faradisclier Reizung stärker auf als bei
galvanischer und ferner bei Nervenreizung weniger stark als bei Muskel-
reizung. Erschöpfbarkeit dieser Nachdauer-Reaktion. Das Muskelwogen
erinnert am meisten an die von Fr. Schnitze beschriebene Myokymie.
Verf. nimmt in seinem Fall eine Kombination der Myelitis mit Myokymie an
und sieht auch darin eine genügende Erklärung der elektrischen Reaktions-
veränderungen. Die beschriebenen elektrischen Alterationen, die übrigens
nichts spezifisches darstellen, ließen sich im vorliegenden Fall nur in den
Muskeln mit fibrillären Zuckungen nachweisen, während alle Muskeln ohne
Muskelwogen normale elektrische Reaktion gaben.
Ganckler und Ronssy (18) beobachteten einen Fäll von spastischer
Paraplegie mit Herderkrankung des Rückenmarks ohne sekundäre Degenera-
tionen. Es handelte sich um eine 66 jährige Frau, bei welcher die Krank-
heit vor 2 Jahren mit Schmerzen in den Beinen und Parese derselben
begann. Plötzliche Lähmung der Beine. Weiterhin typisch spastische
Lähmung der Beine, Incontinentia, keine Sensibilitätsstörungen. Die Autopsie
zeigt Versclimälerung des Rückenmarks im Gebiete der IV. — V. Dorsal-
segmente. Mikroskopische Untersuchung zeigte, daß die Läsion (mit
völligem Schwund der Querschnittsfigur) nur eine Strecke von zirka 2 mm
einnahm, und daß das Rückenmark in unmittelbarer Nähe dieses Herdes
normale Konfiguration zeigte. Keine sekundären Degenerationen weder
oberhalb, noch unterhalb des Herdes. Der Herd selbst erwies sich als eine
alte Myelitis parenchymatosa mit sekundärer Gliawucherung, wobei haupt-
572
Myelitis, 3Iyelomalacie, Myelitis gonorrhoica, Caries.
sächlich die graue Substanz und ihre unmittelbare Umgebung betroffen waiv
während die weiße relativ erhalten blieb.
Clement (14) hat analog den toxischen peripherischen Neuritiden bei
Lungentuberkulose myelitische Prozesse gefunden, die toxischen Ursprungs sind.
Er beobachtete im latenten Initialstadium der Tuberkulose bei seinem Kranken
Symptome einer an die Tabes erinnernden Rückenmärksaffektion, welche
sich, ohne daß Lues oder andere Ursachen etwa vorgelegen hätten, in
schleichender Weise weiter entwickelte. C. teilt die Krankengeschichten von
sechs derartigen Fällen mit, um zu beweisen, daß es eine initiale toxische
Myelitis tuberkulösen Ursprungs gibt, die unter den Erscheinungen der Tabes
dorsalis auftritt. (Bendix)
Myelomalacle.
Langdon (30) macht darauf aufmerksam, daß eine große Anzahl von
Fällen, welche als Myelitis acuta diagnostiziert werden, eigentlich eine akute
Myelomalacie thrombotischen Ursprungs wären. Die wahre akute Myelitis
stellt dagegen eine verhältnismäßig seltene Krankheit dar. Yerf. stellt foU
gende Unterscheidungsmerkmale dieser beiden Erkrankungsformen:
3.
4.
Myelomalacie.
1. Kein vorhergehendes Unwohlsein.
2. Plötzlicher Beginn der Lähmung.
Kein Fieber, niedrige Puls-
spannung.
Keine Rigidität des Rückens.
Keine spastischen Erscheinungen
an den Extremitäten. Erkrankungs-
zonc variabel, häufig unilateral
und von kleiner Extension. Läh-
mung oft einseitig. Verlauf mit
plötzlichen Schüben.
Häufig Dissoziation (Thermo-
anästhesie) in der nicht gelähmten
Extremität oder in beiden Beinen
(bei Paraplegie).
Keine öürtelsymptome.
Patellarreflexe unegal, häufig
fehlend.
Myelitis.
1. Vorhergehendes Unwohlsein,
Trauma oder akute Krankheit
2. Gradueller oder schneller Beginn
der Lähmung (nicht plötzlich).
3. Fieber anwesend, hohe Pnls-
spannung.
4. Rigidität des Rückens kann vor-
handen sein. Extremitäten häufig
spastisch. Erkrankungszone um-
faßt gewöhnlich ein oder mehrere
ganze Segmente. Lähmung ge-
wöhnlich beiderseitig. Verlauf
progressiv.
5. Keine Dissoziation. Bilaterale
Anästhesie, betreffend sämtüche
Qualitäten unterhalb der Läsion.
6.
7.
8.
Ungleiche
Uni-
6.
7.
8.
10
kann
10.
Gürtelsymptome anwesend.
Patellarreflexe fehlend oder bila-
teral abgeschwächt, aber auf beiden
Seiten gleich.
Fehlende Plantarreflexe (später
beiderseitiger Babinski).
Sphinkterenkontrolle fehlt längere
Zeit hindurch.
Achillesreflexe,
lateraler Babinski.
Die Sphinkterenkontrolle
ungestört bleiben oder fehlt nur
einige Tage.
11. Häufiges Fehlen von Dekubitus.
12. Keine Leukocytose.
Diese Unterscheidungsmerkmale
(1 Myelomelacie, 1 Myelitis) demonstriert.
Lejonne und L'Hermitte (32) machen darauf aufmerksam, daß die
so häufigen motorischen Störungen der Greise, die progressiv zu Paraplegien
führen, bis jetzt einer sowohl klinischen wie auch anatomischen Erforschung
11. Dekubitus stets anwesend.
12. Leukocytose wahrscheinlich,
werden zum Schluß an 2 Fällen
Myelitis, Myelomalacie, Myelitis gonorrhoica, Caries. 573
entbehren. VerflF. beschäftigen sich in ihrer Arbeit nur mit zwei Abarten
dieser Paraplegien,, nämlich denjenigen, die auf lakunärer Alteration beruhen
und denjenigen, die man als myelopathische Paraplegien, durch polyfasci-
kuläre Sklerose bedingt bezeichnet. Die lakunäre Form der senilen Para-
plegie wird rasch von dementiellen Erscheinungen begleitet. Die Pyramiden-
degeneration ist bei derselben intensiver entwickelt als bei der myelopathischen
Form und verursacht auch sehr deutliche Lähmungserscheinungen. Diese
letzteren zeigen femer bei de^ ersten Form eine rapide Entwicklung im
Gegensatz zu der langsam verlaufenden motorischen Störung bei der zweiten
Form. Es soll aber nicht außer acht gelassen werden, daß diese beiden
Formen (nämlich die zerebrale und die medulläre) sich miteinander ver-
mischen können, namentlich in den Endstadien der Erkrankung. In anato-
mischer Beziehung findet man im Rückenmark bei der ersten (d. h. laku-
nären, bilateral-kapsulären) Form nur eine Degeneration, die sich auf die
PyY und PyS beschränkt. Häufig tritt ebenfalls eine leichte Hinterstrang-
sklerose hinzu. Bei der myelopathischen Form findet man dagegen eine
diffuse und disseminierte Sklerose der Hinterstränge und besonders der
tSeitenstränge. Es entsteht hierbei niemals eine systematische Degeneration.
Verff. betonen, daß diese letzteren Alterationen keinesfalls als arteriosklero-
tische zu betrachten seien, vielmehr sollte man sie als eine polyfascikuläre
Sklerose der Greise bezeichnen.
Was die Pathogenese dieser Erkrankungen betrifft, so entsteht die
lakunäre Form durch perivaskuläre Alterationen im Gebiete der Hirn-
ganglien, besonders im nucleus lenticularis (P. Marie, Ferrand, Catola).
Diese enge Beziehung zwischen den Gefäßen und den pathologischen Herden
fehlt bei der myelopathischen Form, bei welcher, wie gesagt, die Krankheit
(diffuse Sklerose) das Rückenmark unregelmäßig befällt. Die l)ei dieser
letzteren Form gefundenen Gefäßstörungen fand man ebenfalls bei Greisen,
die zu Lebzeiten keinerlei klinische Erscheinungen darboten.
Myelitis gonorrhoica.
Bloch (7) hatte Gelegenheit, einen Fall von gonorrhoischer Myelitis
zu untersuchen. Es handelte sich um einen 23jährigen Mann, welcher vor
4 Jahren Gonorrhoe akquirierte. Vor 4 Monaten erkrankte er abermals au
Gonorrhoe. Plötzlich trat unter heftigen gürtelförmigen Schmerzen im
Leib und in den Seiten völlige Harnverhaltung auf. Gleichzeitig incontinentia
wrinae und nach 2 Tagen Parese des linken Beins mit Parästhesien
daselbst. Status. Retentio urinae, Parese des linken Beins (wird nach-
geschleppt), besonders seiner distalen Teile, leichte Hypäthesie am linken
Obersehenkel und zum Teil am linken Unterschenkel, Sehnenrefiexe links
erhöht, Patellarreflexe und Fußklonus links, kein Babinski rosp. Oppenheim-
seber Reflex. Sonst keinerlei Störungen seitens des Nervensystems. Im
weiteren Verlauf trat zunächst eine Besserung der Blasenfunktion auf, dann
schwanden auch die übrigen Erscheinungen bis auf eine gewisse Schwäche
des linken Beins.
Caries.
Lannois und Porot (31) berichten über folgenden Fall von schlaffer
Lähmung: Patientin, eine 41jährige Frau, klagte einig(* Tage über Rücken-
schmerzen. Sie fiel plötzlich auf der Straße um, Lähmung der Beine,
retentio urinae, Anästhesie. Trotz der schlaffen Lähmung und Muskelatonie
wurde eine erhebliche Steigerung der Patellarreflexe und Fußklonus kon-
574 Traumatische Erkrankungen des Rückenmarks.
statiert. Die Autopsie zeigte Caries des 7. Hals- und des I.— 111. Dorsal-
wirbels. Verif. bemerken, daß dieses Verhalten der Kefl^xe keinen absoluten
Gegenbeweis gegen die Basti an sehe Hypothese bildet, weil die Läsioo des
Kückenniarks in den genannten Segmenten keine Tollständige war. Die
mikroskopische Untersuchung zeigte in diesem Fall die üblichen auf- und
absteigenden Degenerationen.
Traamatische Erkrankungen des Rückenmarks (HaematorrhaeUs,
Haematomyelie, Fraktnr isw.). Erkrankungen des Epicons, eoin
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Institut der Universität Helsingfors. p. 79.
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74. Steinmann, Ueber Luxationen der Halswirbelsäule. Corresp.-Blatt für Schweizer
Aerzte. p. 6'21. (Sitzungsbericht.)
75. Stertz. U., l'eber eine isolierte einseitige Verletzung der XII. Dorsal- bis IV. Lumbai-
wurzel infolge einer atypischen AVirbelfraktur. (Zugleich ein Beitrag zur Lokalisation
des unteren Bauchmuskelsegmentes.) Mitteilungen aus den Hamburger Staatskranken-
anstalten.
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schrift. p. 1819.
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bohera. de med. clin. VII, p. 70.
78. Warrington, W. B., A Case of Tumour of the Cauda Equina Removed by Operation;
Erkrankungen des Epiconus, Conus und der Cauda. 3Ialuin Pottii. 577
with Remarks on the Diagnosis and Natura of Lesions in that Situation. The Lancet.
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79. Derselbe, Compresaion Paraplegia. The British Medical Journal. I. p. 307. (Sitzungs-
berieht)
80. Weidenhammer, W., Fall von akuter hämorrhagischer Meningoencephalitis mit
Siausthromboso. Geotralbl. für Nervenheilk. p. 685. (Sitzungsbericht.)
61. Wynkoop, E. J., Rachitis, Potts Disease, and Spinal Cord Involvement Resulting
in a Spastic Paraplegia. Arch. Pediatr. N. Y. XXII. 62—64.
82. Yumucopulo, A., Beitrag zur Aetiologie und Symptomatologie der Erkrankungen
des Conus meduUaris und der Cauda equina. Wiener klin. Rundschau. Xo. 38, p. 671.
Flatan (29) gibt ein sehr vollständiges Referat über alles was in
tezug auf die Stichverletzungen des Rückenmarkes in der Literatur
seit 1743 bis heute erschienen ist.
Es werden 108 Arbeiten zitiert, ausgenommen diejenigen, welche un-
glückliche Zufälle bei der Lumbalpunktion zum Gegenstand haben.
Die ausführliche Arbeit möge allen sich für diesen Gegenstand
interessierenden aufs wärmste empfohlen sein.
Pedermann (28) beschreibt einen Fall von Schußverletzung des
Rückenmarkes bei einem 19 jähr. Mädchen. Der Schuß wurde aus nächster
^ähe auf die in knieender Lage sich befindliche Person abgegeben und ver-
letzte den zweiten Brustwirbelkörper. Es trat sofort Lähmung des linken
Beines und des rechten Armes ein. Es erwies sich nach einigen Tagen das
Bild einer typischen Brown-Sequardschen Halbseitenläsion der unteren
und eine Klumpkeache Lähmung der rechten oberen Extremität. Die
llütilitätsstönmgen mit ausgesprochenen oculo-pupillären Symptomen (Myosis,
Verengerung der Lidspalte, Eingesunkensein des Auges) gingen zurück, die
sensiblen Störungen hielten im Laufe der nächsten 2 Jahre an.
Der Mannigfaltigkeit der klinischen Erscheinungen entsprechend nimmt
Verf. auch eine Multiplizität der Herde an und zwar eine Hämatomyelie
der linken Hälfte des Rückenmarkes in der Höhe des III. Dorsalsegmentes
-als oberste Höhe der Läsion (Anästhesie beginnt in der Höhe derMamilla,
Reizerscheiuungen in einer Zone vom IlL bis zum VIL Dornfortsatz) zur
Erklärung des Brown-Sequard, und eine Läsion der achten Cervikal-
und ersten Dorsalwurzel für die Khimpkesche Lähmung mit den Augen-
störongen.
Der 34 jährige Patient Couteaud's (18), ein Artillerist der Kolonial-
armee, hatte einen Messerstich in die hintere und untere Gegend des Nackens
«rhalten und eine motorische Lähmung der unteren rechten Extremität, eine
Hypästhesie des linken Beines, ein Einschlafen des rechten Armes und
Herabsetzung der groben Kraft der rechten Hand davongetragen.
Die Lähmung heilte schnell, doch blieb die Anästhesie der anderen
Seite unverändert. Anfangs war Hyperästhesie an der gelähmten Seite vor-
handeuj allerdings, was in der Regel bei der Brown-Sequardschen
Lähmung nicht beobachtet wird, mit einer deutlichen Herabsetzung des
Temperaturgefühls. (Bendir,)
Stertz (75) beschreibt folgenden Fall von traumatischer ein-
seitiger Läsion einiger Wurzeln.
Der 42 jährige Patient fiel beim Tragen eines schweren Sackes auf
ebener Erde durch Ausgleiten um, wobei der Oberkörper stark nach der
linken Seite knickte. Sofort heftige Schmerzen im Rücken und Lähmung
des linken Beines. Keine Störungen seitens der Blase oder der Genital-
sphäre. Es entwickelt sich eine leichte Unksseitige Kyphoskoliose. Das
lätöntgenbild zeigt eine keilförmige Kompression des I. Lendenwirbels mit
Zertrümmerung der linksseitigen Gelenkfortsätze. Nach 4 Monaten untersucht,
Jahresbericht f. Neurologie and Psychiatrie I9oo. 37
578 TraumatlBche ErkraDkungen des KückeDmarks.
zeigte Fat. eine vollständige Lähmung des linken Masc. ileopsoas, sartorius;
die Adduktorengruppe, der Abduktor und der Quadriceps femoris, Tibial.
an t. waren im hohen Grade geschwächt. Eine leichte Berabsetzung der Kraft
war in den Beagern des Kniegelenks bemerkbar. Außerdem bestand eine
Parese der Dorsalflektoren des Fußes, eine Lähmung der unteren Segmente der
schiefen Bauchmuskeln, Fehlen des linken Patellarreflexes, Kremaster- und
unteren Bauchdeckenreflexes und eine Anästhesie für alle Gefiihlsquali-
täten an der Vorder-Seitenfläche des linken Oberschenkels und am inneren
Rand des linken Ober- und Unterschenkels. Auf Grund obengenannter
Erscheinungen nimmt Verf. eine isolierte Verletzung der XII. Dorsal- bis
zur IV. Lumbarwurzel an und kommt außerdem bei der Analyse des Falles
zu folgenden Allgemeinschlüssen:
1. Der Ausfall von Dorsalis XII und Lumbalis I kann eine partielle
Lähmung der Bauchmuskeln zur Folge haben.
2. Der Kern des Musculus tibialis anticus liegt hauptsächlich im
IV. Lumbaisegment
3. Die Beuger im Kniegelenk sind tiefer lokalisiert als der Tibialis
anticus, in der Hauptsache unterhalb des IV. Lumbaisegmentes.
Die interessante Beobachtung von Hinsdale (35), betreffend ein
Mädchen, welches bei einer Acetylen - Gas - Explosion einen Unfall erlitten
hat, ist in ihren großen Zügen in der Überschrift ganz genügend resümiert.
Außer der Fraktur der 1., 2. und 3. process. spinosi der Dorsalwirbel mit
darauffolgender Paraplegie, Erloschenseiu der Kniereflexe und Blasen-
stönmgen, waren noch eine Fraktur des Stemum« der rechten Clayicula,
des rechten Badius, des linken Ellbogen-Gelenks, eine komplizierte Fraktur
des rechten Fußgelenkes, der linken Fibula, der Nase usw. notiert Bis auf
eine kleine Steifigkeit im linken Ellbogengelenk erzielten die behandelnden
Ärzte eine Yöllige Restitutio ad integrum.
Zur Beseitigung der yermuteten Kückenmarks-Kompression wurden die
Bogen des L, IL, UI. und teils des IV. Wirbels operativ entfernt. Es
fand sich eine leichte Zerrung der Dura und ein Abbruch der erwähnten
Wirbelbogen. Nach Eröffnung der Dura erwies sich das Rückenmark
ödematös und dunkel gefärbt. In den nächstfolgenden Tagen floß viel
Cerebrospinalflüssigkeit ab. Am zweiten Tag nach der Operation
epileptiforme Anfälle (durch Verlust der Cerebrospinalflüssigkeit verursacht?),
welche aber kurze Zeit andauerten.
Allmähliche Besserung im Laufe der nächsten 3 Jahre und Entlassung
mit folgenden Symptomen: Ziemlich guter Gang, aber spastisch - paretisch»
besonders im rechten Bein. Schmerzgefühl in den Beinen teilweise er-
loschen. Erhöhter Kniereflex, Clonus, Babinski, Blase normal
Browning (13) gibt auf Grund literarischer Angaben und eigener
Forschungen eine kurzgefaßte, aber sehr gründliche Übersicht des jetzigen
Standes der Frage von der Hämatomyelie. Die Klassifikation ist den Tat-
sachen sehr entsprechend in folgender Tabelle resümiert:
I. Epidurale I l°i*f ^'
^ I Adultorum
Spinale
Hämorrhagie
ISnbdural
Subarachnoidal
Subpial
III. In die Rückenmarks- lT^^ — «* /d u* *-v
Substanz Disseminierte (Punktata)
[Herdweise (Fokal)
Erkrankungen des Epiconus, Conus und der Cauda. Malum Pottii. 579
Spinale j IV. Gemische und kom- f Sekundäre
Hämorrhagie j plizierte Formen l Hämatomyelie
Browning und Tilney (14) berichten über einen interessanten Fall
Ton zentraler Hämatomyelie bei einem 60jährigen deutschen Emigranten
Dach Sturz Ton 2 Treppenstufen. Es entwickelte sich eine totale Paraplegie
der unteren Extremitäten mit Retentio urinae und Sensibilitätsstörungen,
deren obere Grenze eine horizontale in der Mitte zwischen dem os Pubis und
Xabel bildete.
Eine zwischen dem 2. und 3. Lumbalwirbel ausgeführte Probepunktion
zeigte keine Zeichen weder einer epiduralen Blutung, noch einer Inflammation.
Zu demselben negativen Resultate führte die am 12. Tage nach Beginn der
Erkrankung ausgeführte Laminektomie mit Entfernung der Dornfortsätze der
10. und 11. Dorsalwirbel. Es fand sich eine mäßige epidurale Blutan-
sammlung, welche die Verfasser der Probepunktion zuzuschreiben nicht
geneigt sind.
Exitus am 2. Tage nach der Operation. Die mikroskopische Unter-
suchung der Lumbaranschwellung zeigte eine typische, beiderseitige zentrale
Hämatomyelie in den Vorderhörnern des 2. und 3. Lumbaisegmentes;
zerstreute Blutungen in höher liegenden Segmenten; zirkumskripte und
diffuse Desintegrationsherde der weißen Substanz mit geschwollenen Achsen-
zTÜndem, Erweiterung der Gliamaschen usw. (Lückenfelder); Chromato-
lyse und Degeneration mehrerer multipolarer Zellen ; Injektion und Erweite-
rung der Gefäße und stellenweise ausgesprochene Neuroglia- Wucherung.
Rasonond und Guillain (55) berichten über einen dem Ton
Dejerine und Gauckler beschriebenen analogen Fall von Hämatomyelie
mit gekreuzter Anästhesie und radikulärer Verteilung der Lähmungen im
Arm auf der Seite der spinalen Hemiplegie.
A. V., 21 Jahre alter Typograph, bekam rechtsseitige spinale Lähmung
nach einem Fall vom Fahrrade. Verlor nicht das Bewußtsein, aber nach-
dem er durch den Unfall erhitzt in einem kalten Flusse badete, verspürte
er einen heftigen Schlag in der Rückengegend, fing an zu sinken, wurde
aus dem Wasser von Kollegen herausgeholt.
Es entwickelte sich sofort eine Paraplegie sup. et. infer. mit eigen-
tümlichen Kontrakturen in den oberen Extremitäten. Es ^ kamen hinzu
Retentio urinae et alvi. Langsame Besserung linkerseits. 7 Monate nach
dem Unfall verließ Patient das Bett. Es bestand dann pes varo-equinus
im rechten Bein und Neigung zur Extensionskontraktur daselbst. Im linken
Ann leicht« Flexionskontraktur. Im rechten Arm ausgesprochene Kontraktur,
ganz besonders in den letzten 3 Fingern. Sehr schwach sind die Extensoren
der Hand und des Unterarms (Triceps). Kniereflexe sehr gesteigert; beider-
seits Babinski, Fuß- und Patellarklonus. Tricepsreflex beiderseits erloschen.
Rechts ist die Sensibilität normal, links existiert eine syringomyelitische
Dissoziation am Rumpf, 2 Finger oberhalb der horizontalen Mamillarlinie
beginnend (2. Dorsalwurzel), am Arme nur an der inneren Fläche (ent-
sprechend den Wurzelregionen) der VIII. Cervikal- und I. Dorsalwurzeln. Die
hintere Fläche des Oberschenkels ist von Sensibilitätstörungen frei. Elek-
trische Störungen in Form von EaR fanden sich nnr in beiden m. m.
trieipites. Bei der Besprechung des Falles machen die Verfasser besonders
daranf aufmerksam, daß das obere Wurzelsegment des Plexus brachialis hier
ganz unversehrt blieb, während im unteren Segmente Kontrakturen bestanden
ohne gleichzeitige Atrophie und EaR. Es beweist dies, wie der Fall
37*
580 Traumatische Erkrankungen des Rückenmarks.
Dejeriiie-Gauckler, daß die Pyramidenbahu im Rückenmark mit einem
radikulären Typus endet.
Dejerine und Gauckler (21a) beschreiben einen ungewöhnlichen
Fall von spontaner einseitiger Hämatomyelie. Es bestaud eine
Brown- Sequard sehe Lähmung (rechts motorisch) mit radikulärer Ver-
teilung der Lähmungen ohne Atrophie im rechten Arm. Fast komplettes
Erhaltensein der kombinierten Bewegungen im Daumen und Zeigefinger.
Kontraktur der Fingerbeuger. Auf derselben Seite Sensibilitätstörungen im
Gebiete der 8. cervikalen und 1. dorsalen Wurzeln. Links syringomyeli-
tische Dissoziation, welche nach oben nur ein wenig die horizontale Mamillar-
linie überschreitet (zwischen den 2. und 3. Brustwurzeln) und an der
Medianlinie scharf abschneidet. Leichte Herabsetzung der Knochensensi-
bilität im unteren rechten Bein. Verlust des Oberarm-Reflexes auf der
motorisch affiziertcn rechten Seite und daselbst oculo-pupilläre StönmjreD.
Keine Störungen seitens der elektrischen Reaktionen. — Dieser Status wurde
2 Jahre nach dem akuten, ohne Vorläufer, von heftigen Schmerzen begleiteten
Beginn der Erkrankung gesammelt. Die Diagnose lautet: Haematomyelia
spontanea. Links soll nach den Verfassern, . entsprechend der klinischen
Lokalisation, der Herd die 2. Brustwurzel nicht überschritten haben: rechts
sollen das 8. cervikale und 1. dorsale Segment zerstört sein. Die Blutung
hatte wahrscheinKch ihren Ausgang im zentralen Grau zwischen dem 2. nnd
3. Dorsalsegraente genommen, um dann nach oben zu steigen. Die Abwesenheit
der atrophischen Erscheinungen spricht gegen eine Affektion der grauen
Substanz und für eine partielle Affektion der Pyramidenbahnen; die radi-
kuläre Verteilung der Lähmungen, welche im übrigen den Charakter einer
zerebralen Lähmung tragen, spricht nach den Verfassern für die radikuläre
Verteilung der Pyranüdenfasern im Rückenmarke.
Der Fall von traumatischer cervikaler Hämatomyelie, welchen
Potts (53) beschreibt, betrifft einen 56jährigen Mann, welcher nach einem
Sturz sofort die Besinnung verlor, nach 12 Stunden zu sich kam, aber noch
einige Tage hindurch delirierte (Alkoholismus?) und eine komplette motori-
sche und sensorische Lähmung der Beine, des Rumpfes und teilweise der
Arme zeigte. Mit Ausnahme der Bicipites waren alle Sehnenreflexe erloschen.
Die Cih'o - spinal-, Crcmaster- und Plantarreflexe waren erhalten. Kein
Babinski. Exitus am 9. Tage. Die Autopsie zeigte Spuren einer leichien
Dislokation des 5. Cervikalwirbels; merkliche Kompression des Rücken-
markes, welches praktisch so gut wie quer getrennt war in der Höhe zwischen
dem 6. und 7. Cervikalsegmente. Blutung in die graue Substanz vom 8. Cer-
vikalsegment bis zum 5. Cervikalsegment. Es fand sich gleichzeitig eine
Fraktur der rechten Schädelhälfte, mit einer großen Blutung, w^elche die
motorische Zone komprimierte, ohne jedoch markante Lokal -Hirn-
erscheinungen hervorzurufen.
Das Interessante in diesem Fall ist das Erhaltensein des Bicepsreflexes
auf der linken Seite, während er rechterseits fast die ganze Zeit erloschen
resp. herabgesetzt war. Die mikroskopische Untersuchung zeigt, daß links
das Rückenmark in der Höhe der 5. Cervikalwurzel ganz intakt war; rechts
aber fand sich in dieser Höhe eine Blutung und Erweichung im Hinterhom.
Verf. schließt aus diesem ITmstande, daß in der Höhe, wie übrigens auch
früher vermutet wurde, das Zentrum für den M. Biceps liege. Das Litakt-
sein des Cilio- spinalen Reflexes erklärte sich durch völlige Integrität des
8. Cervikal- und 5. Dorsalsegmentes.
Ingeirans und Descarpentries (39) berichten über einen inter-
essanten Fall von hämorrhagischer Halsmarkverletzung. Eine 26 Jahre alte
Erkrankungen des Epiconus, Conus und der Cauda. Malum Pottii. 58 J[
Frau hatte einen Revolverschuß in den Nacken erhalten; das Geschoß
konnte am Prenulum linguae entfernt werden. Bei klarem Bewußtsein der
Patientin konnte eine vollständige Lähmung der linken Extremitäten und
des rechten Armes festgestellt werden. Während der CucuUaris und Levator
anguli scapulae intakt waren, bestand eine Lähmung der Pectorales und
Deltoides. Die Patellarreflexe fehlten, links Babinski, Bauchreflexe vor-
handen. Lagegefühl in den drei gelähmten Gliedern verschwunden, Sensibili-
tätsstöningen im Sinne des Brown- S6quardschen Typus auch für Tempe-
raturempfindung. Die Gefühlsstörungen reichen bis zur Schulterhöhe mit
einer angrenzenden hyperästhetischen Zone. Beiderseits Miosis bei nor-
maler Papillenreaktion. Die Kugel war zwischen dem vierten und fünften
Halswirbel in den Wirbelkanal gedrungen und hatte zum Abfluß der Oerebro-
spinalflüssigkeit geführt. Bei der Autopsie fand sich das Rückenmark von
der Kugel durchbohrt in der Höhe der fünften Cervikalwurzel links. Auf
einem Durchschnitt zeigte sich hier eine mit einem linseugroßen Blutgerinnsel
angefüllte Höhle, die sich bis zur zweiten Cervikalwurzel nach oben und bis
zur zweiten Dorsalwurzel nach unten erstreckt.
Durch die Verletzung war eine Zerstörung des größten Teiles des
rechten Burdachschen Stranges und fast des ganzen linken Burdachscheu
Stranges bis auf ein schwaches peripherisohes Band an der Grenze der
Lissauerschen Zone zustande gekommen. Die linken Hinterhörner waren
fast ganz zerstört, das linke gekreuzte Pyramidenbündel vollständig, das
Güwersche Bündel fast ganz und die linke Seiteustrangbahn. Trotz der
schweren Zerstörungen bestanden keine 'absteigenden Degenerationen.
(Bendiaa.)
Kopczynski (43) berichtet über folgenden Fall von Brown- Sequard-
scher Lähmung. Stich mit einem Dolch in der Gegend zwischen den V. und
VI. Dorsalwirbeln. Lähmung des linken Beines (mit Steigerung des Patellar-
reflexes und Babinski), rechts Analgesie und Thermoanästhesie bei erhaltenem
Tastsinn. Verf. hebt heiTor, daß die Grenzen für die Strömungen ver-
schiedener Qualitäten der Sensibilität nicht identisch wären. Die oberste
Grenzlinie für die Temperatur O'* entspricht dem 3. Lumbal wirbel, diejenige
för die Temperatur 55 — 60® reicht bis zum 9. Dorsalsegment. Dazwischen
(am 1. Lumbalwirbel) liegt die Grenzlinie für den Schmerzsinn, und dieser
Grenzlinie nähert sich von oben her die Grenzlinie für die Temperatur
60—100® und von unten diejenige fiir 0 — 10®. Auf diese Tatsache wurde
zuerst von Piltz hingewiesen. (Flatau,)
V. SarbÖ (65; sah bei einem Patienten einige Wochen nach einer
Stichverletzung des Rückenmarkes (Narbe 1 cm rechts von der Spina des
Tin. Rückenwirbels) eine typische Brown-Sequardsche Lähmung: rechtes
Bein in toto atrophisch, ebenda spastische Reflexe mit Babinski und
Klonus, linkerseits anfangs Hypästhesie, dann Anästhesie für alle Enip-
findungsqualitäten; links fehlende Hautreflexe; obere Grenze der Sensibili-
tätsstömngen anfänglich bis zum oberen Rande des Hüftknochens, später
bis zur Nabelhöhe reichend; keine hyperästhetische Zone. (üudovemlg,)
Revilliod (57) beschreibt einen interessanten Fall von Querschnitt-
myelitis bei einer 53jährigen Frau, angeblich luetisch nicht infiziert,
welche vor 14 Monaten einen heftigen Sturz mit darauffolgender Fraktur
beider Malleoli und Semiluxation des Astragalus im rechten Fuß erlitten
hatte. Verfasser will in diesem Trauma die Ursache der Erkrankung er-
sehen. Künischerseits war das ein atypischer Brown-Sequard, indem neben
einer linksseitigen Hemiparaplegie und rechtsseitigen Hemianästhesie noch
Psvehroanästhesie am rechten Fuß bestand. Außerdem wurde der Verlauf
582 Traumatische Erkrankungen des Rückenmarks.
durch eine im 6. Monate der Krankheit akut auftretende Hämatorrhachis
kompliziert. AIhnählicher Übergang in fast gänzliche Genesung. (Patientin
wurde zugleich auch ziemlich energisch mit Quecksilber und Jod behandelt! Ref.)
Schäfler (67, 68) beschreibt folgenden Fall Ton posttraumatischer
Rückenmarkserkrankung, welchen er als sicheren Beweis der Existenz der
sog. Rückenmarkserschütterung zu betrachten geneigt ist.
Der Patient, 21 Jahre alt, wurde im April 1901 durch Fußtritte, Fanst-
stöße und Stockschläge mißhandelt. In den ersten Tagen keine besonderen
Erscheinungen. Am 4. Tage Schmerzen im Kreuz und Druck im Unterleib;
am 10. Tage Retentio urinae, Klagen über Schwäche in den Beinen. Ging
noch 4 — 5 Tage herum, um dann bettlägerig zu werden infolge vollständiger
Lähmung der Beine mit Sensibilitätsstörungen vom 9. Brustwirbel an. Keine
äußeren Zeichen einer Wirbelverletzung. Lumbalpunktion ergab Liq. spinalis
ohne Blut. Zunehmende Entkräftung. Exitus 4^,^ Monate nach der
Verletzung.
Autopsie: Wirbelsäule vollständig unversehrt, desgleichen Band-
scheiben; weiche Häute normal. Erweiterung des Rückenmarks im unteren
Dorsalmark. Genauer finden sich Erweichungsherde im III. und IV. Sakral-
segment mit Höhlenbildun^; im V. Lumbaisegment Aufhellung der ganzen
grauen Substanz und der medianen Teile des Hinterstranges; im letzteren
eine Höhle; im oberen Lendenmark ist nur die ventrale Rückenmarkshälfte
erhalten; im unteren Dorsalmark totale Querschnittserweichung mit Höhien-
bildung, im oberen Dorsalmark Gliose, Erweichung, Ödem, im Halsmark
nur sekundäre Degenerationen. Keine Spuren von Blutung. In den weichen
Häuten keine Verletzungsspuren. Keine Wurzelläsion, keinerlei Verletzung
an der Wirbelsäule. Die Aflfektion will Verf. keinesfalls mit einer Blutung,
Zerrung oder anderen materiellen Grundlage in Zusammenhang bringen, sondern
erklärt sie lediglich als Erweichung iniolge direkter traumatischer Nekrose
durch Rückenmarkserschütteruug. Die weiteren Erklärungen bringen
nichts neues, sowie die sehr polemische (gegen Prof. Stolper) von dem-
selben Autor veröffentlichte Brochüre betitelt: E. Schaff er: Zur Lehre
der Rückenmarkserschütterung. Erwiderung an Herrn Prof. Dr.
P. Stolper.
Yumucopulo (82) beschreibt einen typischen Fall von Konus-
Affektion mit Blasen-Darmstörungen ohne jegliche motorische oder sensible
Störungen seitens der Extremitäten, aber mit tiefer Anästhesie in der
Perinealgegend (Klitoris, Vagina, Perineum und nächstliegende Teile der
Nates). Nach 20 stündigen Ritt Dekubitus an beiden Sitzknocheu. Die
Kniereflexe waren vorhanden. Über die anatomische Grundlage des Leidens
spricht sich Verfasser nicht aus. Der Fall ist noch dadurch interessant,
daß Patientin 2 Jahre nach Eintritt des krankhaften Zustandes schwanger
wurde, und am normalen Termin w^urde sie von einem gesunden kräftigen
Mädchen entbunden; die Geburt verlief sehr leicht, und Patientin fühlte
während der Geburt keine Geburtswehen. Sie hat von dem Durchgang des
Kindes sowie überhaupt von dem ganzen Geburtsakte nichts gefühlt.
Die von Minor vorgeschlagene Einteilung des untersten Rückenmarks-
abschnittes in den Konus und Epikonus erhält eine wertvolle Stütze in der
Beobachtung von Bernhardt (6) eines Falles von Läsion des Epi-
konus.
Ein 14 jähriger nervös prädisponierter und durch Überanstrengung durch
mehrstündiges Austragen von Bäckerwaren, namentlich in bezug auf seine
Beinmuskuiatur geschwächter Knabe verliert ziemlich plötzlich, angeblich
nach einem großen Schreck (heransausendes Automobil), die Herrschaft über
Erkrankungen des Epiconus, Conus und der Cauda. Malum Pottii. 583
seine Beine sowie über Blase und Darm. Nach 6—8 Wochen besserten
sich allmählich diese schweren Erscheinungen, sodaß Patient wieder zu laufen
anfing und auch eine relative Herrschaft über seiue Blase zurückerlangte;
es blieb aber, wie es scheint, für immer eine namentlich links ausgeprägte
Lähmung der Peronealmuskeln zurück.
Nach Verfasser handelte es sich um eine Erkrankung des untersten
Euckenmarksabschnittes und zwar „desjenigen Abschnittes des Rückenmarks,
welchen Minor mit dem „Epikonus*^ zu bezeichnen empfohlen hat^. Es
entspricht dieser Teil den zwischen der vierten Lumbal- und zweiten Sakral-
vnrzel gelegenen Segmenten. Den anatomischen Charakter des Leidens faßt
B. als eine Blutung oder myelitische Affektion an. Als prädisponierende
Momente kämen Überanstrengung und Schreck in Betracht.
Vitek (77) beschreibt drei Fälle der Erkrankung des untersten Ab-
schnittes des Rückenmarkes und des Pferdeschweifes. Zwei von diesen sind
zur Autopsie gelangt, der dritte ist am Leben, Im ersten Falle handelte
es sich um einen Tuberkel des CJonus m. und der Cauda e., im zweiten um
ein Osteosarkom des Kreuzbeines, das zuerst einzelne Nerven des Pferde-
schweifes und zuletzt auch den Conus m. ergriffen hat; der dritte Fall war
dadurch interessant, daß es sich hier um eine reine Affektion des Conus m.
handelte, die mit einer traumatischen Neurose kompliziert war. Der Kranke
hatte eine komplette Hemianästhesie auf der rechten Seite, indem auf der
linken die typischen Sensibilitätsstörungen im Gebiete der Genitalien und
in der Umgebung des Anus nachgewiesen werden konnten. Bemerkenswert
in diesem Falle war auch der Umstand, daß sich nach zwei Jahren auch
die Funktion des Sphincter vesicae ziemlich retablierte. (Schulz,)
Die Fälle von tuberkulöser Erkrankung des os Sacrum und der
Cauda equina sind in der neurologischen Literatur sehr selten be-
schrieben. Die Beobachtung von RoBSi (62) betrifft einen 39jährigen
Mechaniker mit Hämoptyse in den Jugendjahren und starkem Abusus
spirituosorum, sexuellen Exzessen und anderen Schädlichkeiten in den 30 er
Jahren.
Im April 1902 Schmerzen in den Beinen, Händezittern, Cauchemare,
Crampi, starke Abmagerung (20 Pfund Gewichtsverlust), Schweiße. Die
Schmerzen lokalisieren sich ganz besonders im Gebiet der ischiadici.
Die objektive Uutersuchutg entdeckte seitens der Wirbelsäule keine
merklichen Veränderungen. Beide Beine sind schwach (Pat. erklärt die
Schwäche der aktiven Bewegung durch die dieselben verhindernde Schmerzen).
Der äußere Rand des rechten Fußes und die 3. Phalanx der rechten Zehen
ist für alle Gefühlsqualitäten vollkommen anästhetisch. Leichte diffuse Ab-
magerung der Beine. Kniereflexe beiderseits erhöht; Achillessehnenreflex
rechts erloschen, h'nks schwach. Sohlenreflex rechts erloschen. Kremaster
beiderseits schwach. Leichte Blasenstörung im Sinne einer Retentio; Sphincter
ani normal.
Verdacht auf Tuberkulose. Den 19. März 1903 Exitus an einer akuten
Bronchopneumonie.
Die Autopsie erwies eine superfizielle tuberkulöse Osteitis der Innen-
fläche des Körpers des os Sacrum, eine epidurale fibröse Verdickung an der
Stelle des Austrittes der unteren lumbalen und sakralen Wurzeln, welche
mikroskopisch in höchst verschiedenem Grade lädiert waren. Dem ent-
sprechend erwiesen sich unregelmäßige Marchi- Veränderungen in den Wurzel-
eintrittszonen und hinteren Strängen des Rückenmarkes in seinen untersten^
Abschnitten. Innerhalb der Dura, der Wurzeln und des Rückenmarkes
fanden sich gar keine Zeichen einer tuberkulösen Erkrankung. In den
534 Traumatische Erkrankungen des Kückenmarks.
peripherischen Nerven, welche im Beginn auf eine Alkohol-Neuritis verdächtig
waren, fand sich völlige Norm. In den Beugemuskeln der Oberschenkel, im
Rectus externus, insbesondere in den Glutaei fanden sich merkliche Längs-
klüftung der Muskelfasern, Vermehrung der Kerne des Sarkolemms, Ver-
mehrung des Sarkoplasmas ; viele sehr dünne Fasern neben normal dicken;
zwischen denselben reichliches Bindegewebe.
Der Fall ist dadurch interessant, daß äußerlich gar keine Zeichen seitens
der Wirbelsäule vorhanden waren und die Symptome durch eine einfache
Kompression der Wurzeln zu erklären sind, während die tuberkulöse Affekdoa
sich nur im os sacrum lokalisierte.
Sibelins (72) berichtet über 3 Fälle von Cauda-Affektionen,
welche in den letzten Jahren durch Prof. Homen zur Sektion gekommen
sind, und geht dabei auf einige pathologisch anatomische und neurologische
Fragen ein.
Der 1. Fall betraf einen 35jährigen, luetisch nicht infizierten Mann,
bei welchem sich nach einer heftigen Erschütterung des Gesäßes eine Urin-
retention, allgemeine allmählich sich entwickelnde Abmagerung und Schwäche
und endlich Schwäche und Atrophie im linken Beine entwickelten. Patellar-
und Cremasterreflexe erhalten. Achillessehnenreflex aufgehoben. Die Sektion
erwies eine spindelzellige runde Geschwulst mit zahlreichen faserigen binde-
gewebigen Balken, Höhlen von verschiedener Größe und zahlreichen thrombo-
sierten Gefäßen. Der Ausgangspunkt der Geschwulst waren die Lamellen
der Dura mater. Die linken Coccygeal-, Sakral- und 5 Lumbal- Wurzeln
waren stark sklerosiert; rechts die Coccygeal -Wurzeln und die 3 untersten
Sakral -Wurzeln.
Der 2. Fall betrifft einen 61jährigen Mann, bei welchem nach einer
Periode prodromaler Kreuzschmerzen sich im August 1901 eine Schwäche
in den Beinen entwickelte mit Schmerzen im rechten Bein, später auch im
linken. Patellarreflexe links herabgesetzt, rechts erloschen. Muskulatur des
rechten Beines atrophisch. Im weiteren Verlauf treten in den Vordergrund
heftige Schmerzen, dann Harnbeschwerden, zerebrale linksseitige Parese
mit Aphasie. Exitus am 29. Oktober 1901. Die Autopsie zeigte eine
Erweichung des rechten Parietallappens durch vorausgegangene Blutung,
welche sich bis zum rechten Seitenventrikel erstreckte. 2 — 2,5 cm unterhalb
des Conus findet sich eine 3x3 cm große Geschwulst, welche sich mikro-
skopisch als Sarkom erwies. Es waren komprimiert und degeneriert rechts
von den Hinter-Wurzeln die Coccygeal -Wurzeln bis Lumbal -Wurzeln; links
die Coccygeal -Wurzeln und die Sakral -Wurzeln. Auch die entsprechenden
motorischen Wurzeln waren rechts weniger affiziert.
Fall 3 betrifft einen 22jähqgen Arbeiter, bei welchem sich nach Heben
einer sehr schweren Last Kreuz- und Analschmerzen einstellten, um später
in beide Beine in deren hintere Hälfte auszustrahlen. Nach 2 Wochen
Urinbeschwerden, später Incontinentia alvi. Lues wird negiert.
Die Sensibilitätsuntersuchung zeigte eine ausgesprochene Anästhesie
der Analregion und rings herum an beiden Glutaei und am rechten Ober-
schenkel, hinten in Form eines breiten Streifens. Teilweise Anästhesie des
Penis und Skrotum. Kniereflexe beiderseits lebhaft; Achillessehnenreflexe
beiderseits aufgehoben. Exitus 14 Monate nach dem Unfall. Es fand sich
eine Einziehung des Duralsackes in der Höhe der 5 Lumbal -Wurzeln und
Verwachsung mit den degenerierten Cauda- Wurzeln, wahrscheinlich durch
eine traumatisch entstandene epidurale Blutung hervorgenifen.
Was die aufsteigenden Degenerationen anbetrifft, so findet sich Verf. be-
fugt, auf Grund seiner Beobachtungen die Behauptungen von Nageotte über
Erkrankungen des Epiconus, Conus und der Cauda. 31alum Pottii. 535
den exklusiv endogenen L-rsprung der Fasern der Lissauerschen Zone und
die Abwesenheit jeglicher Fasern in Clark eschen Säulen von unterhalb
L IV gelegenen Segmenten zu widerlegen. Ganz umgekehrt findet Verf. in
der L. Z. sowohl endo- als exogene Nervenfasern, letztere in allen 3 Rich-
tangen (horizontal, auf- und absteigend) und in den Clark eschen Säuleu
im antersten Brust- und obersten Lumbalmark Fasern ; auch in den unteren
Lumbalen und oberen Sakralen Hinterwurzeln.
Warrington (78) berichtet über einen Fall von Tumor der Cauda
eqnina, welcher bei Lebzeiten richtig diagnostiziert und auf Grund dessen mit
relativem Erfolg (Nachlassen der klinischen Störung auf einen Zeitraum von
3 MoDaten) operiert wurde. Es wurde nur ein Teil des Neoplasmas, welches
in die Wurzeln eingebettet lag, entfernt; Patient ging am Rezidiv zu Grunde.
Die anatomische Untersuchung zeigte, daß sich das Neoplasma auf eine sehr
lange Strecke in Form multipler Herde der ganzen Pia entlang ausbreitete
und eiop analoge Geschwulst sich im Winkel fand, welcher durch das Cere-
bellum, die Brücke und das Rückenmark gebildet wird. Mikroskopisch er-
wies sich die Geschwulst als ein „Endotheliom oder Angiosarkom". Klinisch
bestand das typische Bild einer Afifektion des untersten Rückenmarks-
abschnittes. Alter des Patienten 36 Jahre, In der Anamnese weder Lues
! noch Trauma. Vor 4 Jahren eine Gonorrhoe mit darauffolgender Striktur.
! Siegel (73) beschreibt einen interessanten Fall von sog. „Mal sous-
occipital", Karies der. obersten zwei Halswirbel mit Eindringen des Pro-
cessus odontoideus in die Schädelhöhle durch das Foramen occipitale.
Der Patient, 13jähriger Knabe, litt im Jahre 1901 an einem Tumor
albus des linken Knies mit Abszeßbildung; im Jalire 1902 an einer Caries
dorso-lumbalis mit Senkungsabszeß. Es gesellte sich schwere Beweglich-
keit des Kopfes und Schmerzen im Halse, welcher sehr abmagerte, und eine
Loxation des Atlas nach rechts zu konstatieren ermöglichte, hinzu. Im
Februar 1904 links am Halse ein Abszeß; Operation mit dauernd zurück-
bleibender Fistel; im August 1904 mehrmalige Blutungen aus der Fistel,
große allgemeine Schwäche, Kachexie, Exitus am 27. September 1904. Die
Autopsie zeigte eine enorme Hypertrophie der Leber, eine nicht ausgeheilte
Karies der 11. und 12. dorsalen und 1. lumbalen Wirbelkörper. In der
Schädelhöhle findet sich der Processus odontoideus, welcher die Medulla
Alongata in der Gegend der Py-Kreuzung rechts komprimierte.
Es fanden sich fungöse Massen in der ganzen oberen Cervikalgegend,
mit Knochensplittern und Abszeßbildung, sodaß man sich keine klare Yor-
Bt€llung macheu konnte über den Zustand der Ligamente, welche den Kopf
mit der Wirbelsäule verbinden. Die Dura mater ist in der Gegend zwischen
dem 5. Cervikalwirbel und dem Processus odontoideus sehr verdickt und
«war in der Form einer Pachym. cervic. extern. Durch die Tatsache, daß
der Pons Varoli nur in seiner vorderen Hälfte durch den Processus odon-
toideus komprimiert wurde, und somit sich nach hinten verschieben konnte,
will Yerf. die Abwesenheit jeglicher nervöser Symptome erklären.
Burr (15) beschreibt einen Fall von Aneurysma des absteigen-
den Teiles der Aorta, in welchem eine Kompression der Wirbelsäule
bestand, simulierend das klinische Bild der Pott sehen Krankheit. Es
bestand nämlich eine ausgesprochene Kyphose des lädierten Teiles, die
Schmerzen waren gering, die Tuberkulinprobe fiel positiv aus und die ander-
weitigen Symptome trugen einen rein spinalen Charakter. Gleichzeitig
waren bei Lebzeiten keine markanten Zeichen eines Aneurysmas. Der
Patient war 56 Jahre alt, hatte in der Jugend Syphilis. Das sehr große
Aneurysma fand sich in der Gegend des 10. Dorsalwirbels, welches sich
586 Traumatische Erkrankungen des Hückenmarks usw.
sackförmig nach oben zog. Die Körper des 4.— 10. Brustwirbels waren
gänzlich erodiert, sodaß der Wirbelkanal offen war. Es bestand eine Ver-
wachsung der Dura mater mit der hinteren Fläche des Aneurysmas. Es
fanden sich die üblichen Zeichen einer Kompressionsmyelitis.
Freebom Chace (17) beschreibt einen Fall von akuter Pott8cher
Krankheit bei einer 28jährigen verheirateten, mit einem Ohrleiden be-
hafteten Frau, welche im Beginn das Bild einer akuten eitrigen Meningitis
darstellte (erhöhte Temperatur, Kopfschmerzen, Genickstarre, Harnretention,
leicht spastischer Zustand der unteren Extremitäten, Erbrechen). Ziemlich
schnell gesellte sich eine Lähmung (motorische und sensible) der unteren
Extremitäten, hinzu, die Kniereflexe waren erloschen. Die Temperatur sank.
Es entwickelte sich eine Pyelitis. Die durch Lumbalpunktion zweimal er-
haltene Cerebrospinalflüssigkeit zeigte weder Tuberkelbazillen noch Leukocyten.
Nach zirka 10 Tagen zeigte sich eine zirkumskript^ K}T)hose des 12. Dorsal-
wirbels, Die Diagnose lautete dann: Malum Pottii. Es ^nirde eine ent-
sprechende Behandlung eingeleitet und eine merkliche Besserung des Zu-
standes erzielt. Die Genickstarre usw. wurde als konsekutive spinale Me-
ningitis aufgefaßt.
Rossi (63) bespricht auf Grund von 4 in der Klinik Prof. Raymonds
von ihm untersuchten Fällen die Pathogenese der anatomischen Ver-
änderungen bei Malum Pottii und kommt zur Überzeugung, daß neben
rein mechanischen Momenten (Knickung des Kückenmarks in der Gibbus-
stelle, Druck tuberkulöser Knoten direkt auf die Rückenmarkssubstanz,
Kompression durch Pachymeningitis) noch eine große,,zuweilen überwiegende
Rolle dem sogenannten entzündlichen kollateralen Odem zukommt. Das
sind die Fälle, in welchen die Pachymeningitis zu schwach und zu begrenzt
ist, um durch ihre exklusive Wirkung auf die Blutzirkulation alle beob-
achteten Veränderungen zu erzeugen. Man muß in solchen Fällen zur
Erklärung noch einen Faktor heranziehen, und das wäre das toxische Mo-
ment, welches im nebenliegenden tuberkulösen Herde seineu Ausgang
gefunden hat. Diese Toxine sollen auf das Rückenmark eher durch Ter-
mittlung des kollateralen entzündlichen Odems als direkt auf seine Substanx
ihre schädliche Wirkung ausüben.
Man darf auf Grund alles bisher bekannten nicht ausschließlich den
rein mechanischen Momenten und damit verbundenen zirkulatorischen
Störungen die Pathogenese des Malum Pottii zuschreiben, sondern auch die
indirekte toxische Wirkung auf das Rückenmark der sich außerhalb des-
selben abspielenden entzündlichen Prozesse in Betracht nehmen.
Einen Fall von Klonus im rectus abdominis bei einem an
Pottscher Krankheit leidenden 22jährigen Patienten beobachteten Parhon
und Papinian (52).
Im Alter von 4 Jahren nach infektiöser Erkrankung zufälb'ger Sturz in
einen Keller. Nach einigen Monaten beginnen lumbo-abdominale Schmerzen,
Parese der unteren Extremitäten, und es zeigt sich eine Prominenz der 4.,
5. und 6. Dorsalwirbel. Zuweilen Blasenstörungen. Funktionelle Restitution
im Verlaufe von 7 Monaten; dann nach 4 Jahren Rezidiv; verstärkter Gibbus;
spastische Paraplegie; sehr erhöht sind die Knie- und Achillessehnenreflexe;
Fußklonus; Klonus der Patella: Babinski beiderseits; Kremasterreflex ünks
verloren, rechts kaum merkbar: der untere Abdominalreflex ist erloschen; der
ol)ere erhöht. Beim starken Druck mit dem Finger quer über den m. rectus
abdominis in der Nabelhöhe, entwickelt sich ein sehr charakteristischer starker
Klonus in diesem Muskel. Die Analogie dieser Erscheinung mit den anderen
Cloni, welche in diesem Falle beobachtet wurden, und der starke Druck der
Syringomyelie und Morvanscher Symptomenkomplex. 587
dazu nötig war, führen den Verfasser zur Überzeugung, daß es sich hier
um einen echten Sehnenreflex handelt.
Gaussel (32) berichtet über einen Fall von Pottscher Lumbalwirbel-
erkrankuDg bei einem 46jährigen tuberkulösen Manne.
Der Kranke hatte Schmerzen in der Lumbaigegend der Wirbelsäule
mit Parese der Beine und leichter Atrophie des linken Beines. Das Gefühl
an den unteren Extremitäten war intakt, die Patellarreflexe lebhaft. Er ging
unter unstillbaren Erbrechen, anscheinend an einer Stenose des Duodenums
zu Grunde.
Bei der Autopsie wurde hinter dem Duodenum ein vom vierten Lenden-
wirbel ausgehender kalter Abszeß gefunden, der nicht mit dem Wirbelkanal
in Verbindung stand und die Meningen und das Rückenmark verschont hatte.
Dagegen wies die mikroskopische Untersuchung neuritische Veränderungen
am Plexus lumbosacralis nach. (Bendix,)
Bard (2) machte die interessante Beobachtung, daß bei einem 6 5 jährigen,
an Pottscher Paraplegie leidenden Manne der Babinskische Reflex links
deutlich vorhanden war, dagegen rechts fehlte, respektive den umgekehrten
Typus (Flexion der Zehen) darbot. Es bestand schlaffe Paraplegie mit lel)-
haften Patellarreflexen und herabgesetzter Empfindung. Der rechte Fuß war
infolge einer Verletzung deformiert. Es wurde Karies des 6. — 8. Brust-
wirbels mit Abszeßbildung gefunden. Pachymeningitis externa vom 6. — 9.
Brustsegment in ringförmiger Anordnung. Bard führt die Inversion des
Babinskischen Reflexes auf die durch die Fußverletzung veränderte Funktion
der Antagonisten des rechten Beines zurück. (Bendiv.)
Der erste Fall von Sabrazes (64) betrifft einen 38jährigeu mit
spastischer Pott scher Paraplegie und Hyperästhesie aller Qualitäten in den
unteren Extremitäten. Die Tibiae sind wenig empfindlich, bei Perkussion aber
anästhetisch gegen die Stimmgabel. Fall 2 (Mann von 25 Jahren) leidet
an Pott scher Erkrankung des letzten Dorsalwirbels mit Schwäche der Beine,
heftigen Wirbelsäuleschmerzen, die gürtelförmig sich ausbreiten, sobald er
hustet oder nießt, und beginnenden spastischen Erscheinungen besonders
rechts. Bemerkenswert ist, daß die Sensibilität der unteren Extremitäten
ungestört ist bis auf das Vibrationsgefühl der Tibiae und Kniescheiben; es
ist nur äußerst schwach im Augenblick des Aufsetzens der Stimmgabel
bemerkbar, doch schwächt sich diese Empfindung schnell ab und schwindet
bald ganz. Für die übrigen, tiefer liegenden Knochen ist jedoch das Gefühl
für die Stimmgabel erhalten. (Bendix.)
Syringomyelie Dnd Morvanscher Spiptomenkomplex.
Referent: Dr. H. G. Haenel-Dresden.
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Malier (23) gibt einige allgemeine Betrachtungen über Unfallsneurosen
nnd die ßolle der Begehrungs-Vorsteliungen bei ihnen, und schildert dann
kurz zwei Fälle: 1. Ein 36 jähriger Arbeiter, der vor drei Jahren infolge
eines Geschwüres an der rechten Hand mehrfach operiert worden war, vor IJahre
infolge eines Panaritiums eine Beuge-Kontraktur aller Finger bekam, vor
^2 Jahre sich die linke Hand erfror, den Mittelfinger amputieren lassen
mußte und dann auch links dieselben Kontrakturen wie rechts bekam, die
ihn völlig arbeitsunfähig machten. Status praes.: Hände stark geschwollen
und vergrößert, kalt, zum Teil cyauotisch, alle Finger in Beugekontraktur,
sodaß beide Hände zur Faust geballt sind. Tremor der Hände sowie des
ganzen Oberkörpers, Sensibilität am linken Zeigefinger sowie der rechten
Hand ganz erloschen, Schmerz- und Tastempfindung überall stark vermindert,
Schmerzleitung verlangsamt, mäßige Kyphoskoliose der AVirbelsäule, Impotenz,
PateUarreflexe sehr stark, Fußklonus, breitspuriger Gang, skandierende
Sprache, verminderte Intelligenz, Puls sehr beschleunigt, 152 in der Minute,
ohne nachweisbare Herzkranklieit. Verfasser bezeichnet den Fall als typische
Syringomyelie, ohne sich auf die doch etwas atypisclien Cerebralsymptome
einzulassen. 2. 34 jähriger Mann, bei dem schon vor 12 — 15 Jahren anfalls-
weise Sensibilitätsstörungen im rechten Arme aufgetreten waren. Nachher
mehrere Unfälle, davon einer mit starker Rückenmarks-Erschütterung ver-
bunden. Darauf Erhöhung der PateUarreflexe, von Ziemssen 1893 die
Diagnose gestellt: Syringomyelie, verschlimmert durch Trauma. Yer-
schlechterung des Zustandes, in welchem Sinne, wird nicht gesagt, sodaß die
Rente bis auf 100 ^o erhöht wurde, dann wieder Besserung — seit wann
und welcher Symptome? — sodaß zur Zeit nur noch eine Herabsetzung der
Sensibilität für Wärme am rechten Arm besteht und Patient auf 15 ^ ^^
Rente herabgesetzt werden konnte, dabei besteht aber völlige Ar])eitsfähigkeit.
Für die Diagnose „Syringomyelie" führt Verfasser hier eigentlich nur „das
Zeugnis zahlreicher Gutachter" an, er hält nur eine Remission der Krank-
heit für vorliegend, und „ist überzeugt, daß in absehbarer Zeit der Gang
auf der schiefen Ebene wieder beginnen wird**. Zum Sc^hluß spricht sich
Verfasser dagegen aus, die Syringomyelie unter die Unfallskrankheiten auf-
zunehmen.
Der erste der von Rosenfeld (33) mitgeteilten Fälle ist folgender:
41 jähriger Arbeiter. Vor 2V4 Jahren heftiger Stoß durch eine Last Bretter
gegen die linke Schulter. Sofort große Schwäche im linken Arm, Unfähig-
keit, die Hand völlig zu öffnen; in den nächsten AVochen rasche Abmagerung
der linken Hand, dazu Unempfindlichkeit gegen Schmerz bei erhaltener ße-
rührungsempfindung. Allmähliche Zunahme der Schwäche. Bei der ersten
Aufnahme ein Monat nach dem Unfall: Atrophie der Klavikularportion des
linken Cucullaris mit erloschener elektrischer Erregbarkeit der kleinen Hand-
muskeln, besonders Thenar und Hypothenar mit erhaltener elektrischer Re-
590 Syringorayelie und Morvanscher Symptonienkomplex.
aktion. Taktile Hypästhesie des linken Arms und der linken Rumpf hälfte
bis zu den Mammillen, in derselben Ausdehnung Analgesie und Therm-
anästhesie. Haut- und Sehnenreflexe normal. Nach zwei Jahren sind die
Atrophien nicht fortgeschritten, dagegen hat sich die Seusibilitätsstörung nach
oben und unten ausgedehnt, und es ist Pupillendiflferenz aufgetreten; der
Krankheitsprozeß zeigt also fortschreitende Tendenz. Der ursächliche Zu-
sammenhang mit dem Trauma ist in diesem Falle zweifellos; in dem nächstea
weist die Entstehung darauf hin, daß bei dem Unfall das Nervensystem schon
latent erkrankt war: Beim Kohlenschaufeln bricht sich ein 36 jähriger Ar-
beiter vor 13 Jahren die linke Ulna, arbeitet in einem selbst angelegten
Verbände noch einige Tage, geht dann erst in die Klinik, wo er ungewöhnlich
lange, 12 Wochen lang, den Arm im Verband tragen muß. Die Schwäche
im Arm besserte sich nicht, nahm zu, im Laufe von 10 Jahren kam es m
Atrophie und Gefühllosigkeit im Arm, in den letzten drei Jahren dasselbe
im linken Bein. Status praes.: Linke Lidspalte und linke Pupille enger als
rechts; Abschwächung des Comeal-ßeflexes, links totale VII. Parese, Parese
des linken Arms mit Atrophie, besonders des M. flexor digit. communis long.,
Krallenstellung der Hand. An den Beinen Spasmen, beiderseits Fußklonus
und Babinskischer Reflex. Ausgedehnte typische Gefühlsstörungen an
Rumpf, linkem Ann und linken Bein. Die Frage, ob die Frakturen, die
nicht selten das erste Zeichen einer Syringomyelie sind, auf einer besonderen
Brüchigkeit der Knochen oder einer Schädigung der Tiefensensibilitat be-
ruhen, läßt Verfasser offen. An dritter Stelle schildert er einen Fall, bei
dem die Symptome der Tabes akut und einseitig nach einem Sturz aus vier
Meter Höhe einsetzten.
Wild (46) steht mit den meisten anderen Autoren auf dem Stand-
punkte, daß die eigentliche progressive Syringomyelie respektive ihre Anlage
angeboren ist, daß Trauma ebenso wie andere schädliche Einflüsse nur den
Anstoß zur Weiterentwicklung geben. Schilderung zweier Fälle: 1. 43 jähriger
Arbeiter, Sturz aus 6 Meter Höhe auf harten Boden. Nach ^/^ Jahr Rente
wegen mangelnder Unfallfolgen abgelehnt; nach einem Jahre: Lichtstarre der
linken Pupille, Kyphose der Halswirbelsäule. Atrophie des rechten Arms,
besonders der Handmuskeln (type Aran-Duchenne), dort elektrische Er-
regbarkeit aufgehoben, Finger in halber Beugestellung, können aktiv nicht
gestreckt werden ; Verbrennungsnarben ; Steigerung der Patellarreflexe. Typische
Gefühlsstörungen im Arm und angrenzendem Brust- und Rückengebiet.
2. 48 jähriger Arbeiter, stürzt 2 Meter tief auf steinerne Stufen, ist mehrere
Stunden bewußtlos. Darauf 6 Jahre lang als Neurasthenie und traumatische
Hysterie von einem Gutachter zum anderen geschickt, schließlich Invaliden-
rente bewilligt. In der Klinik (Hermann-Haus, Professor Windscheid):
Abmagerung des Schultergürtels, links mehr als rechts, Pectoralis rechts;
Supra- und Infraspinati fehlen fast ganz. Vorderarme und Hände nonnal*
Spasmen in den Oberarmmuskeln, starke Herabsetzung der Kraft, Steigerung
der Reflexe; Kontrakturen in Hüftgelenken und Wadenmuskeln, spastischer
Gang. Brandnarbe an der linken Hand, dort Lagegefühl völlig geschwunden,
Thermanästhesie. Da der Kranke angab, schon vor dem Unfall Parästhesien
in den Armen gehabt zu haben, ist auch hier bei diesem selteneren (Skapulo-
Humeral-) Typus nur eine Verschlimmerung des Leidens durch den Fall an-
zunehmen.
Nishino (24) hat bei einer mit der Diagnose: „Jdiotie, Neuritis" ge-
storbenen Frau im Rückenmark eine Höhle gefunden, die sich vom oheren
Hals bis zum unteren Lendenmark erstreckte. Bei der mikroskopischen
Untersuchung zeigte sie sich von dreierlei Art: einmal bestand sie aus ekta-
Syringomyelie and Morvanscher Symptomenkomplex. 59 ^
tischen, hyalin entarteten Gefäßen, im unteren Brust- und oberen Lenden-
mark stellte sie zentral erweichte Gliawucherung dar, die die erkrankten
Gefäße umgab, an dritten Stellen einfache Er^^eichung in der den Gliose-
herdeo angrenzenden grauen Substanz als Folge der Ernährungsstörung und
nerrösen Stauung. Die erworbene hyaline Degeneration der Blutgefäße bildet
nach der Ansicht des Verfassers in diesem Falle die Ursache der syringo-
myeUtischen Veränderung.
Das seltene Auftreten von zerebralen und Augensymptomen veranlaßt
Weisenbnrg und Thorington (45) zur Veröffentlichung ihres Falles.
Auffällig ist, daß die beiden einzigen in der bisherigen Literatur gefundenen
KUevon Syringomyelie mit Neuritis optica ebenso wie der vorliegende Kinder
resp. jungendliche Individuen betreffen : ein Fall von Bullard und Thomas
(1899) begann im 3. und starb im 7. Lebensjahre, wurde durch Sektion
bestätigt, ein Fall von Saxer (Beit. z. path. Anat. Bd. XX) stand im
16. Lebensjahre, kam gleichfalls zur Obduktion; der vorliegende Fall betrifft
ein 16 jähriges Mädchen, das im 7. Jahre auffallend schnell zu wachsen
anfing (jetzt 6 Fuß groß) und seit dem 12. Jahre psychisch und körperlich
sich veränderte: sie wurde stumpfsinniger, widerspenstiger, unordentlich in
der Kleidung, gedächtnisschwach, ziemlich zu gleicher Zeit begann der Gang
nnsicher zu werden, nach und nach schleppte sie die Beine, besonders das
linke nach und war schließlich auf den Rollstuhl angewiesen. Sie klagte
außerdem über mehr oder weniger starke Stimkopf schmerzen seit 2 Jahren,
•gelegentliches plötzliches Erbrechen und Abnahme der Sehschärfe. — Die
Untersuchung zeigt Schwäche und Ataxie der oberen Extremitäten, Flexions-
kontraktur in den Knien, aktiv nur schwache Fußbewegungen möglich; Fehlen
desTriceps-, Steigerung des Patellar- und Achillesreflexes; Fehlen des Sohlen-
reflexes. Dissoziierte Empfindungslähmung an den Oberextremitäten und an
nnregehnäßigen Kumpfzonen. Gelegentlich Inkontinenz der Blase und des
Darms. Fehlen aller bulbären Symptome. Augen: Parese der Mm. recti
eitemi, Schwäche der assoziierten Augenbewegungen; keine Pupillenstöningen.
Rechts Amaurose, links starke Herabsetzung der Sehschärfe; beiderseits
PapiUitis mit Übergang in Atrophie und zwar in Form der Stauungs-, nicht
der entzündlichen PapiUitis (Fehlen von Hämorrhagien, Macula-Veränderungen,
steiler Abfall der Schwellungsränder). Verff. nehmen an, daß ein chronischer
Hvdrocephalus, der manchmal die Syringomyelie kompliziert, hier die Ursache
der zerebralen Symptome ist.
Ketchen (18) berichtet über einen durch Arthropathie des Schulter-
gelenks ausgezeichneten Fall von Syringomyelie. Seit 4 Jahren bemerkte
der 33jährige Patient, daß er Gegenstände aus den Händen unbemerkt verlor;
vor 2 Monaten bemerkte er früh beim Aufwachen eine leichte Schwellung
der rechten Schulter, die rasch wuchs, ohne Schmerzen zu machen. Die
Untersuchung ergab degenerative Atrophie der flandmuskeln beiderseits,
weniger der Extensoren an den Vorderarmen, mit EaB, fibrillären Zuckungen,
main en griflfe, dazu dissoziierte Anästhesie im Gebiete des III. Cervikal-
bis VI. Dorsalsegments. Die Beine normal bis auf Steigerung der Knie-
reflexe, kein Fußklonus, kein Babinski. Fehlen von Blasen-, Wirbelsäulen-,,
trophischen Hautveränderungen, Pupillen ungleich, rechte weiter als linke,
Ton prompter Reaktion. Die rechte Schulter unförmlich geschwollen, großer
Erguß im Gelenk, starkes Krepitieren. Wachsende Schmerzen im Gelenk,,
kauptsächlich durch die starke Weichteilspannung hervorgerufen, veranlaßten
mehrmals Punktion und Aspiration, aber stets nur von ganz vorübergehendem
Erfolge; die Operation war stets völlig schmerzlos. Verfasser erörtert die
592 Syriugomyelie und Morvanscher Symptomenkomplex.
Differential-Diagnose gegenüber Bleivergiftung, die Anfangs wegen des Bernfs
des Kranken (Gießer) angenommen worden war.
Nach einer kurzen kritischen Übersicht über die seltenen Veröffent-
liehungen von lumbo - thorakaler Syriugomyelie berichtet Spiller (37) über
einen eigenen, ä Jahre lang beobachteten Fall, dessen Befund, während dieser
Zeit fast unverändert, kurz der folgende war: Ungleichheit, aber prompte
Lichtreaktion der Pupillen; am rechten Bein Schmerz- und Temperatur-
empfindung sehr herabgesetzt, Berührungserapfindung normal, Patellar- und
Achillesreflex erloschen; Schlaffheit des Beins, etwas Ataxie bei normaler
grober Kraft; im linken Bein keine Gefühlsstörungen, ausgesprochene
Schwäche, Patellar- und Fußklonus, etwas Spasmus, Schleifen des Fußes
beim Gehen; Ba bin skischer Reflex beiderseits positiv; die Störung an den
Beinen trägt also Brown-Sequard sehen Typus und wäre durch einen
Herd in der Hnken Hälfte des Dorsalteils des Kückenmarks erklärt;
iiußerdem muß eine Läsion des rechten Hinterhorns im LumbalteU an-
genommen werden, beides zusammen veranlaßt Verf., die Diagnose auf
Syringomyelie zu stellen. — Im Anschlüsse daran beschreibt Spiller einen
anderen Fall, der klinisch manche Ähnlichkeit mit einer SyringomyeUe hatt«:
23 jähriger Mann, seit 5 Jahren starkes, doppelseitiges Genu valgum, an
Arthropathie erinnernd; Narben am Abdomen, von angeblich schmerzlosen
Verbrennungen in der Jugend berührend. Seit 4 Monaten Schmerzen in
der Lendengegend. Objektiv: Leichte Parese der unteren Extremitäten; ge-
ringe Kyphose in der Gegend des X. Brustwirbels. Gefühl für Berührungen
an den Beinen normal oder fast normal, für Schmerz und Temperatur fast
geschwunden. — Nach einem Fall auf dem Rücken komplette Lähmung der
Beine, starke Erhöhung der Patellarreflexe, Babinskisches Zeichen positiv.
Eine Zeit lang Verlust auch der Berührungsempfindung am rechten Bein,
die sich aber wieder herstellte. Tod unter dem Zeichen einer Meninf^itis.
Obduktion: Keine Höhlenbildung, sondern zwei kleine Solitärtuberkel im
Rückenmark, die, dicht übereinander sitzend, der eine den rechten, der
andere den linken Vorderseitenstraug und besonders die Gowerschen
Bündel zerstört hatten. Dazu allgemeine tuberkulöse Meningitis. Verf.
erklärt die Ähnlichkeit des klinischen Bildes in diesem Falle mit einer
Syringomyelie dadurch, daß die Fasern für Temperatur- und Schmerz-
empfindung in der grauen Substanz eine Strecke weit laufen, in der hinteren
Kommissur kreuzen und dann in die Gowerschen Bündel gelangen, — die
klinischen Folgen sind die gleichen, ob die Läsion vor, in oder nach der
Kreuzung erfolgt.
Die Arbeit Curschmann|s (9) behandelt kritisch 6 interessante
Fälle, bei denen die traumatische x4tiologie von Wichtigkeit war. In vieren
der Fälle betraf das Trauma eine Hand, und die spätere Erkrankung befiel
diese Extremität zuerst und in stärkstem Maße; in einem entstand das
Leiden im Anschluß an eine fortgesetzte starke Überanstrengung der rechten
Hand bei sehr geschwächtem Allgemeinzustand (Rekonvaleszenz nach
schwerer Herzfehler -Dekompensation und dabei 13 — 16 stündige Arbeit als
Feinmechaniker); in einem letzten Fall traten die Erscheinungen der zen-
tralen Gliose nach einem Trauma der Halswirbelsäule und des Kopfes
(Baumstamm fiel dem Pat. auf Rücken und Kopf, SV.» stündige Bewußtlosig-
keit) auf. Alle Fälle ließen nach den — hier nicht näher zu schildernden —
Symptomen einen Zweifel an der Diagnose: echte Syringomyelie, nicht zu,
auch progredienter Charakter des Leidens war in allen Fällen ausgesprochen.
Bei den Fällen mit peripherer Verletzung Avar der Termin von Trauma bis
zum ersten (subjektiven) Beginn der unzweifelhaft gliotischen Erscheinungen
SyriDgomyeiie und Moiranscher Symptomenkomplex. 593
auffallend kurz, nämlich 3 Wochen bis zirka 4 Monate. Einer der Fälle
sprach sehr dafür, daß eine aszendierende Neuritis die Gliose herbeigeführt
habe: schon 3 Wochen nach Quetschung der Hand beginnende Paresen
aod Atrophie der kleinen Handmuskeln, noch nach ^/^ Jahr heftige spontane
Schmerzen und ungewöhnliche Druckempfindlichkeit der Nenrenstämme an
dem sonst analgetischen und trophisch stark veränderten Arme. Für die
anderen Fälle peripherer Ätiologie verweist Verf. auf die Erfahrungen beim
Tetanus: ohne jede erkennbare Läsion des gifttransportierenden Nerven
yennag der peripher angesiedelte Bazillus einen intensiven Einfluß auf das
medulläre Zentrum auszuüben; das gleiche kann man z. B. bei manchen
destruierenden peripheren Prozessen (Zungenkarzinomen u. a.) im zugehörigen
Kerngebiete beobachten. Die Frage, ob ein peripheres Trauma in einem
TöUig gesunden, nach keiner Richtung disponierten Eückenmark das Bild
der Gliose und Syringomyelie hervorrufen könne, glaubt Verf. verneinen
ZQ müssen. Wichtig ist hierfür, daß in 3 von seinen 6 Fällen schon viele
Jahre vor dem Trauma Sympathikusstörungen bestanden hatten, in Form
Ton Hemihyperhidrosis, starker Differenz der Lidspalten, halbseitigem Kopf-
schmerz und Blutandrang. Dennoch kann man annehmen, daß die Fälle
nicht selten sind, wo ohne das Trauma die latente oder spurweise vor-
handene Gliose nicht zu einer so raschen und schweren Entwicklung ge-
kommen wäre.
Weiter behandelt Curschmann im Anschluß an einen genauer ge-
achUderten Fall die Differentialdiagnose zwischen Syringomyelie und
Hysterie, zeigt, daß die von La ehr und Schlesinger angegebenen Merk-
male nicht von durchgreifender Gültigkeit sind und kommt selbst zu fol-
genden Sätzen: Sicher für Syringomyelie sprechen auf sensiblem Gebiete
nur die echten dissoziierten Empfindungsstörungen, besonders ist dabei auf
eine Störung des Muskel- und Gelenksinnes und der Stereognosie bei Intakt-
heit des Tastsinus zu achten, ebenso auf die segmentäre Begrenzung im
Trigeminusgebiete, während an den Extremitäten die Begrenzung nicht aus-
schlaggebend, ist; auf motorischem Gebiete sprechen stetig zunehmende
Paresen, degenerative Atrophie und Kontrakturen, sowie gewisse motorische
Beizerscheinungen langsamer Art („ruhige Intentionsataxie"), auf vaso-
motorisch - trophischem Gebiete nur gröbere Störungen (Onychien, Arthro-
pathien, Mutilation) für Syringomyelie; zuletzt können auch die Sympathikus-
erscheinangen (Hornerscher okulopupillärer Komplex, einseitige Sekretion s-
und Gefaßanomalien) nicht von der Hysterie imitiert werden und beweisen
ein organisches Leiden.
Klinisch bot die Patientin Kölpin's (19), die mit dem Bilde einer
typischen Melancholie in die Anstalt kam, außer lebhaften Patellarreflexen,
wechselndem Pußklonus, etwas unsicherem, breitbeinig spastischem Gange
nichts besonderes, jedenfalls keine gröberen Sensibilitätsstöningen. Die Me-
iaacholie führte über einen delirösen Zustand zum Tode. Bei der Sektion
fand sich im Halsmark in der Gegend des rechten Hinterhonis eine Spalt-
"bildung, die sich stellenweise in den basalen Teil des rechten Vorderhorns,
Tuid in der Medulla oblongata in die Substantia gelatinosa fortsetzte. Der
i24entralkanal liegt bis auf eine kleine Stelle im 6. Cervikalsegment gesondert
•von der Gliose. In der linken grauen Substanz fanden sich in ungefähr der
jgjeichen Ausdehnung kleine hämorrhagische Erweichungsherde, in deren Um-
gebung die Glia homogenisiert und von Spinnenzellen durchsetzt. Auch in
den Spalträumen der Gliose fanden sich hier und da frische Blutungen und
klompiges Blutpigment. Auffallend war, daß die Kleinhirnseitenstrangbahn,
trotz der Zerstörung der Clark eschen Säulen bereits vom achten Dorsal-
Jakresberiebt f. Neurologe und Psyehiatrie 1906. 33
594 Syringomyelie und Morvanscher Symptomeokoiuplex.
Segment an, keinerlei Degeneration zeigte. Bezüglich der Genese der
Syringomyelie steht Verfasser auf dem Standpunkt, daß diese aus den kleineQ
Rückenmarksblutungen entstanden sei, und stützt diese Ansicht durch folgende
Argumente: Die Gliose ist an den zu Blutungen prädisponierten Steilen
lokalisiert, Blut und Blutpigment findet sich in und neben ihr, Blutungen
älteren und jüngeren Datums liegen an den entsprechenden Stellen der
anderen Seite, es lassen sich beginnende Reaktionserscheinungen Ton Seiten
der Glia in der Umgebung der Blutungen nachweisen, auch die Syringobulbie
steht in Zusammenhang mit der Gefaßrerteilung und mit Blutungen, und
es fehlt jede irgendwie in Betracht kommende Entwicklungsanomalie des
Rückenmarks.
Aus den in der Literatur niedergelegten und einigen eigenen Beob-
achtungen kommt Zesas (47) zu dem Satze, daß der Lieblingssitz des
atrophischen Typus bei syringomyelischen Gelenkerkrankungen das Schulter-
gelenk ist: mit oder häufiger ohne Erguß kommt es zu einer Abschleifnng
des Humeruskopfes und Erweiterung der Pfanne; beide Veränderungen be-
günstigen das Eintreten einer Luxation. Die Kasuistik weist darauf hin,
daß man bei habituellen Schulterluxationen an die Syringomyelie als Grunde
afFektion zu denken hat. Die Kapselerschlaflung mit nachfolgender Luxation
kann als Frühsymptom der Syringomyelie auftreten, zu einer Zeit, wo andere
Erscheinungen des zentralen Leidens noch fehlen (doch geht aus den auf-
geführten Krankengeschichten hervor, daß in vielen Fällen die Aus- wie die
Einrenkung schon das erste Mal auffallend wenig Schmerzen machte. Ref.).
Das linke Schultergelenk ist häufiger ergriffen als das rechte, Männer zeigen das
Leiden fast 6 mal so häufig als Frauen. Am häufigsten tritt eine Luxatio
subcoracoidea auf, obwohl auch alle anderen Verrenkungstypen zur Be-
obachtung gelangten. Die veranlassenden Momente waren geringftigiga
Traumen, mitunter entstand die Luxation ohne jede erkennbare Veranlassung.
Außer der schon erwähnten Atrophie des Humeruskopfes und der Kapsel-
schlaffheit fehlten meist anderweitige lokale Veränderungen, nur war häufig
ein starkes Krepitieren im Gelenke aufgefallen, über den Ausgang der
Arthropathie erfährt man in den meisten Fällen nichts Genaueres, als daß
die Luxation sich häufig wiederholte und zu einer „habituellen" gestaltete.
Nur in einem Falle trat Heilung unter Versteifung des Gelenks ein. Thera-
peutisch wui'de 5 mal die Resektion des Humeruskopfes vorgenommen, nur
einmal aber wird von rascher Heilung mit auffallend guter Beweglichkeit
berichtet. Verfasser rät, nur in ganz ausgewählten Fällen operativ vor-
zugehen, bei stärkeren Beschwerden lieber mit einem orthopädischen Apparate
das Gelenk zu fixieren.
Bewley's (4) Fall von Syringomyelie betraf einen 22jährigen jungen
Mann, der bis zum 16. Jahre gesund gewesen war. Er bemerkte zuerst an
den Fingern der rechten Hand eine plötzlich auftretende Rötung, die bis-
weilen zu Eiterungen und zu Zerstöiiingen der Endphalangen führte. Auch be-
merkte er bald eine Herabsetzung des Temperaturgefiüiles für Wärme an
dieser Hand. Dann trat Schwäche beim Gehen und V^erkrimunung der
Wirbelsäule ein. Auffallend war bei diesem Falle d^s halbseitige Auftreten
der Affektion; es war nur die rechte Körperhälfte betroffen. Das Be-
rühningsgefuhl war an beiden Seiten gleich, die Sohmerzempfindung aber
war an der rechten Kopfhälfte aufgehoben, ebenso bis zur Mittellinie des
Rumpfes, am rechten Arm und bis zur Mitte des Oberschenkels. Ebenso
verhielt sich die Temperaturempfindung. Die Endphalangen des Ring- und
kleinen Fingers der rechten Hand fehlten, die anderen Finger waren ver-
dickt. Es bestand eine Skoliose nach rechts, keine Atrophie am rechteji
Rückenmarks- und Wirbelgesehwülate. 595
Arme. Die Pupillen waren gleich, der Sympathikus intakt, die Gehirnnerven
normal bis auf die Analgesie an der rechten Kopf hälfte. Die linke Körper-
halfte war ganz frei geblieben. (Benduc.)
Bradshaw (5) veröffentlicht in Form einer klinischen Vorlesung einen
selteneren Fall von Syringomyelie. Es handelte sich um einen 54 Jahre
alten Mann, dessen Krankheit 15 Jahre vorher mit Beschwerden in den
Fttßen und Gehstörungen begann. Die Zehen wurden steif und flektiert, und
die FüSe völlig gelähmt Dabei bestand Atrophie der Unterschenkel-
muskulatur und starke Flexion der Zehen. An den Armen war keine Läh-
mung, aber Flexionskontraktur der Finger. Die Patellarreflexe fehlten.
Störungen des Schmerz- und Temperaturgefühls fanden sich im Gebiete des
fünften Lumbal- und ersten Sakralsegmentes. Die Störungen sind links
stärker als rechts. (Bendia.)
Rfiekenmarks- nnd Wir&elgescliwfllste.
Referent: Prof. Dr. L. Bruns- Hannover.
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38*
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Perrio (3) fand bei einem Kranken mit ausgebreitetem symmetrisclien
Vitiligo eine kleine, ganz zentral in der grauen Kommissur liegende glio-
matöse Geschwulst, die sich durch die ganze Länge des Rückenmarkes
erstreckte. Neurologisch war der Fall nicht genügend untersucht. F. weist
auf das Vorkommen zentral bedingter nervöser Symptome bei Vitiligo hin;
diese sind aber bisher nur klinisch beobachtet.
Schnitze (19) bespricht in eingehender und klarer Weise die gesamte
Pathologie und Therapie speziell der Rückenmarkshäute und bringt 2 neue
Fälle. In dem einen nur klinisch besprochenen, der ganz besonders typisch
ist, handelt es sich um einen Tumor im unteren Dorsalmarke; in einem
2. Falle fand sich bei der Sektion ein sehr langgestreckter Tumor, der
fast das ganze Gebiet der Cauda equina einnahm; die Symptome hatten
niemals eine sichere Unterscheidung zwischen Cauda- und Conustiunor
gestattet, noch auch eine solche über die Höhe des Sitzes, wenn Caudatumor
angenommen wurde.
Wolfs (29) Dissertation ist eine gute Abhandlung, die zunächst die
Entwicklung der Lehre von den Hinipsammomen bringt, dann einen Fall von
Psammom an der Innenfläche der Dura im oberen Dorsalmarke beschreibt.
Die Patientin war an den Symptomen einer spastischen Paraplegie der Beine
zu Grunde gegangen. Die Geschwulst zeigte zwischen den sehr reichlichen
Kalkkügelchen ein sehr zellenreiches Gewebe, und man konnte deutlich
erkennen, daß die Kalkkörper aus den Zellen hervorgegangen waren.
Hermami und Tournenx (9) bringen auf entwicklungsgeschicbt-
licher Grundlage eine gute Übersicht über die verschiedeneu Formen sakro-
coccygealer Tumoren, sowie über die Theorie ihrer Entstehung und entwick-
lungsgeschichtlichen Begründung. Die mit Spina bifida verbundenen Tumoren
besprechen die Autoren nicht.
Klinisch-operativer und pathologisch-anatomischer Bericht von Her-
mann und Jeannel (8) über ein kongenitales Sakralteratom bei einem
zweimonatlichen Mädchen. Ausgang in Heilung. Anatomischer Befund:
Typische Mischgeschwulst des kaudalen Körperendes. Zahlreiche Cystcben
mit polymorphem Epithelbelag (epidermoide, muco'ide, ependymarlige Bil-
dungen). Im relativ spärlichen, stellenweise sarkomähnlichen, bindegewebigen
Stroma finden sich glatte und (selten) gestreifte Muskelfasern, Neurogiia,
Knorpelinselchen und eine kleine Spange osteoiden Gewebes.
(AlUore/eraU)
Kückenmarks- und Wirbelgeschwülste. 597
Krön (13) macht Mitteilung über einen operativ entfernten Tumor
des Rückenmarks. Der 29 jährige Schneider erkrankte mit Schmerzen in
der linken Seite, die 1^/, Jahre dauerten und denen sich eine Schwäche
des linken Beines hinzugesellte. Allmählich entwickelte sich Paraparese mit
Sensibilitätsstörungen. Die Anästhesie und Analgesie erstreckten sich vom;
rechts bis zur neunten, links bis zur achten Rippe und hinten; rechts bis
zum elftenf links bis zum neunten Dornfortsatz. Nach Entfernung des
sechsten bis achten Brustwirbels gelang es, einen extraduralen Tumor zu
enukleieren. (Bendix,)
Nakayama (16) hat 13 kongenitale Sakraltumoren einer genauen
histologischen Untersuchung unterzogen und zu den neueren Erklärungen
der Entstehung Stellung genommen. Alle Tumoren ließen in ihren sie kon-
stituierenden Gewebsfonnationen den Charakter des fötalen, unreifen Ge-
webes erkennen. Das war am besten am Gewebe des zentralen Xerven-
STstems zu erkennen, das sich in Form des einfachen Gliagewebes oder des
QDToüständig entwickelten Hirngewebes in allen Fällen vorfand. N. ist der
Keinnng; daJS es sich in allen seinen Fällen um bigerminale Sakralteratome
handelte, die entweder aus befruchteten Polkörperchen oder selbständig
gewordenen Blastomeren, oder aus einer Zweiten, ursprünglich selbständig
gewesenen Embryonalanlage oder Bruchstücken solcher durch Einschluß
entstanden waren. (Bendix,)
Ward (26) teilt einen Fall von Sakraltumor bei einem 24 jährigen
jungen Mann mit, der seit 8 Jahren an Rückenschmerzen gelitten hatte und
später eine langsam zunehmende Schwäche der Beine bemerkte, die zur
spastischen Paraplegie führte. Das Gefühl war an den Beinen aufgehoben
Ms hinauf zur Mitte zwischen Nabel und den Pubes, rings um den Leib
heram sich ausbreitend. Es wurde operativ in der Gegend des neunten
and zehnten Brustwirbels ein walnußgroßer fibröser Tumor entfernt.
(Bendix,)
Einen seltenen Fall von Teratom in der Halsregion des Rückenmarkes
, teilt Forbes (5) mit. Es handelte sich um ein ö^/^jähriges Kind mit
I Lähmung., der Arme und Beine, anscheinend infolge von Karies der Hals-
wirbel. Ätiologisch wurde ein Fall von einer Treppe vor längerer Zeit
angenommen. Der rechte Arm war weniger ergriffen als der linke, alle
öefen Reflexe fehlten, Sensibilität intakt, Incontientia alvi und Retentio
ttrinae. Die Laminektomie des 2. bis 6. Halswirbels führte zu keinem
fiesultat; erst mit Eröffnung der Dura mater wurde eine Geschwulst von
der Größe einer Bohne entdeckt, die mit dem Rückenmark zusammenhing
and entfernt wurde. Der Erfolg war ein Zurückgehen sämtlicher Krankheits-
sjmptome, doch ging der Patient an einer Bronchitis zu Grunde, ohne daß
« möglich war, eine Obduktion vorzunehmen.
Die histologische Untersuchung des entfernten Tumor ergab wohl aus-
gebüdete, quergestreifte Muskelfasern, zum Teil embryonaler Struktur, und
xwar spindelförmige Zellen mit vielen Körnern, aus denen der Tumor sich
^Qsanmiensetzte. Außerdem war der Tumor von Blutgefäßen stark durch-
setzt (Bendix,)
Bliss (2) beschreibt einen Fall von Rundzellensarkom des Rücken-
Burks. Ein 22jähriger Dentist erkrankte unter Schmerzen im Nacken und
Krenz. Die Rückenschmerzen ließen zeitweise nach, doch entw^ickelte sich
totale Lahmnng der unteren Extremitäten mit Kältegefühl bis zu den Knien,
Störung der Sensibilität und Verschwinden der Patellarreflexe. Später ent-
^ckelte sich fast vollständige Anästhesie. Mit der Zeit hatte sich an der
598 Strangf- und Syatemerkrankung^en.
linken Nackenseite ein Tumor entwickelt, der sich als kleinzelliges Sarkom
erwies.
Das Sarkom hatte auf die Halswirbelsäule übergegriffen und sich auf
die Dura des Hals- und Dorsalmarkes ausgebreitet. Das Rückenmark selbst
schien nicht ergriffen zu sein. (Benduc,)
Strang^ und Systemerkranknngen.
Referent: Prof. Dr. A. Pick -Prag-.
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Babinski (2) betont die Bedeutung des nach ihm benannten Symp-
toms für den Nachweis latenter Affektionen der Py-ßahn, weiter des von
ihm sog. Fächersymptoms (assoziierte Abduktion der Zehen), das sich
häufiger bei der Hemiplegie der Kinder als der der Erwachsenen, häufigei
bei Hemiparese als bei Hemiplegie und häufiger bei spinalen als bei zere-
bralen Lähmungen findet.
Nonne (10) berichtet als Bestätigung seiner früheren Aufstellung den
Befund eines weiteren Falles typischer syphilitischer Spinalparalyse ; geringe
fleckweise chronisch-myelitische Degeneration im D M ohne sec. Deg., geringe
Degeneration der G oll sehen Stränge des C und ob. DM, Degeneration dei
PyS in L, nicht spezifische Wandrerdickung der Gefäße neben Bndait
chron. Arteriae spin. ant., leichte Meningit. post. cerv. et dors.
Als Beitrag zu der nach ihm noch zu lösenden Frage der Trennung
zwischen echten kombinierten Systemerkrankungen und den nicht systematischeii
kombinierten Strangdegenerationen bringt Henneberg (7) 4 klinisch uni
Poliomyelitis. 599
anatomisch (AbbilduDgen) untersuchte Fälle einer anscheinend gut abgrenz-
baren Fonn der letzteren, deren Diagnose ans der Kombination von tabischen
Symptomen mit Schwäche der Beine, normaler Pupillenreaktion, Streckreflex
der Zehen gestört^ durch auffällige Anämie gesichert wird. Anatomisch ent-
spricht dem eine primäre Degeneration der Markfasern (mit geringer Beteiligung
der 6lia), die herdförmig beginnend, strangförmige, beiläufig symmetrische
Anordnung annimmt; intakt bleibt auch in yorgeschrittenen Fällen eine die
Vorderhörner umgebende Zone und ein Saum um die Hinterhömer; am
stärbten leidet der Dorsalteil, wo in schweren Fällen neben sträng- und
herdförmiger Anordnung auch difiFiiser Ausfall sich findet. Die Vorderhörner
zeigen oft Rarefikation des Gewebes; die Oblongata zeigt nur sec. Deg.
Bezüglich der weiteren Erörterungen muß auf das Original verwiesen werden.
Richmond (12) und Williamson erörterten an einem Befunde
typischer Art den Zusammenhang mit dem hinteren spinalen GefaBsystem;
die Anämie und die Spinalaffektion sehen sie als Folge von Toxinwirkung an.
An der Hand eines ausführlich klinisch und anatomisch dargestellten
Falles von kombinierter Strangerkrankung erörtert Müller (8) die intra
Titam nicht mit Sicherheit gestellte Diff.-Diagnose gegenüber der Herdsklerose.
Für jene spricht zuerst der langsam progrediente, nicht schubweise Verlauf
Ton einer ein Jahrzehnt wesentlich übersteigenden Dauer, die allmähliche
Entwicklung zeitlich konstanter, nicht nur auf die distalen Extremitätenendeu
beschränkter sensibler Störungen mit reinerer Beteiligung einzelner Quali-
täten, Schmerzen, endlich das Fehlen des für Sklerose charakteristischen
Angenspiegelbefhndes; daneben wird die Bedeutung der für die Diagnose
der Sklerose wichtigsten Symptome, Zwangsaffekte, Nystagmus, Fehlen der
lächtstarre und der Bauchreflexe besprochen. Weiter erörtert M. die aus
dem wechselnden Verhältnis der Anordnung in Hinter- und Seitensträngen
sich ergebenden Differenzen des klinischen Bildes, das jeweilig bald mehr
der Tabes, bald der spastischen Spinalparalyse sich näherte und außerdem
Ubergangsformen zeitigt; er erörtert dann zunächst die der Py Degeneration
entsprechenden Erscheinungen, weiter die aus der Mitbeteiligung der Tract.
spinocerebellares sich ergebenden Symtome von Ataxie sowie die Sensibilitäts-
störungen; ebenso ausführlich werden die Hinterstrangssymptome besprochen ;
weiter das Verhalten von Tonus und Sehnenreflexen; ein Exkurs ist auch
der Paralyse und andern das Cerebrum und Cerebellum betreffenden Kompli-
btionen gewidmet. Den Befund deutet M. als echte komb. Systemerkrankung
mit im wesentlichen nukleo-distaler Degeneration langer auf- und absteigender
Bahnen, zu der als koordinierte Erscheinung Hirnatrophie hinzutrat; die vor-
handene Kleinhimatrophie legt Beziehungen zu den Fällen von P. Marie nahe.
Poliomyelitis.
Referent: Dr. S. Bendix-Berlin.
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I. Pathologische Anatomie.
Unter den Arbeiten, welche sich mit der pathologischen Anatomie
der Poliomyelitis acuta beschäftigten, sind zunächst die Mitteilungen
Wickman's (48) zu erwähnen. Seinen pathologisch - anatomischen Unter-
suchungen liegt ein Material ron neun Fällen von Poliomyelitis acuta zu
Grande, die 3 — 4, 4, 5, 6, 7, 8, 9 Tage, 3 und 8 Wochen nach dem Beginn
der Krankheit zur Sektion kamen. Von den sieben ganz akuten Fällen
betrafen vier Kinder, drei Erwachsene ; sie kamen gelegentlich eines epidemi-
schen Auftretens dieser Krankheit zur Beobachtung. Außer dem Rücken-
mark wurde die Medulla oblongata, das Großhirn und Kleinhirn aufs Ein-
gehendste untersucht Als hauptsächlichste Färbemethode kam die v. Gieson
ZOT Anwendung, sodann auch die Haidenhainsche Eisenhämatoxylinmethode.
An die ausfuhrliche Wiedergabe der pathologisch-anatomischen Befunde der
einzelnen Fälle schließt sich eine allgemeine Besprechung der makroskopisch
und mikroskopisch erwiesenen Veränderungen im akuten, infiltrativen Stadium
einerseits, und im Übergangs- oder Reparationsstadium, sowie dem End-
oder Vemarbungsstadium andererseits. Ein besonderer Abschnitt ist noch
der Poliomyelitis acuta adultorum gewidmet, namentlich auf Grund von
pathologisch-anatomischen Befunden, welche die Analogie der poliomyelitischen
Veränderungen mit denen der Landryschen Paralyse zu beweisen scheinen.
In dem Kapitel über die Pathogenese der Poliomyelitis acuta nimmt W,
besonders zu der Frage der akuten oder sekundären Erkrankung der
Ganglienzellen Stellung, die er dahin präzisiert, daß bei der Poliomyelitis
acuta gewöhnlich parenchymatöse und interstitielle Veränderungen neben-
einander vorkommen und die letzteren meist stark ausgeprägt sind; eine
Ganglienzellendegeneration ohne interstitielle Alterationen wird aber nicht
beobachtet, dagegen können normale Ganglienzellen bei stellenweise
interstitiellen Veränderungen nachgewiesen werden. Die Poliomyelitis acuta
müsse als vorwiegend interstitielle, infiltrative Erkrankung angesehen werden,
und die akuten infiltrativen Veränderungen seien an die Gefäße gebunden
und in ihrer Lokalisation von der Verteilung derselben abhängig. Auf
Grund der von ihm erhobenen pathologisch -anatomischen Befunde gelangt
W. zu folgenden Schlußfolgerungen: 1. Der Poliomyelitis acuta liegt eine
infiltrative Myelitis zu Grunde. Diese tritt in zerstreuten Herden auf, ist
602 Poliomyelitis.
somit als eine disseminierte Myelitis aufzufassen. Der disseminierte Charakter
tritt besonders deutlich in der Medulla oblongata und im Gehirn hervor,
wo sich in seinen Fällen immer Veränderungen zeigten. 2. Neben den in-
filtrativen Zuständen nimmt man die Wirkung des schon makroskopisch
sichtbaren Ödems wahr, die sich bis zur Bildung lokal abgegrenzter Herde
steigern kann. 3. In ihrem Auftreten entsprechen die interstitiellen Ver-
änderungen weder den einzelnen Ganglienzellen, noch den verschiedenea
Ganglienzellengruppen. Dies zeigt sich am deutlichsten in der Medulla
oblongata, wo die Veränderungen regelmäßig stärker außerhalb als innerhalb
der Nervenkerne sind. 4. Im Rückenmarke finden sich regelmäßig Ver-
änderungen außerhalb der Vorderhöruer und zwar sowohl in der übrigen
grauen Substanz, wie in den weißen Strängen und in der Pia. 6. Der
Prozeß unterliegt gewissen regelmäßigen Schwankungen. Erstens ist er ia
den Anschwellungen am stärksten, zweitens zeigen die Veränderungen im
oberen Lendenmark und noch mehr im unteren Dorsalmark ein von dem
gewöhnlichen abweichendes Verhalten, indem sie in den genannten Höhen
nicht wie sonst in den Vorderhörnern am meisten ausgeprägt sind, sondern
besonders in den Clarkeschen Säulen gewöhnlich dieselbe Höhe wie in den
Vorderhörnern erreichen und dieselbe oft übertreffen. 6. Diese Schwankungen
in der Intensität fällt mit den Schwankungen des Gefäßgehalts zusanunen.
7. Der Prozeß lehnt sich am engsten an die Gefäße an, und hierbei scheinen
sich die Infiltrate sämtlichen Gefäßen anzuschließen, Arterien wie Venen,
und zwar zentralen wie peripheren. 8. Eine überwiegende Abhängigkeit der
Veränderungen von der Arteria centralis besteht nicht. 9. Prozesse, die
auf eine embolische Entstehung der Erkrankung schließen lassen, konuBen
nicht vor. 10. Eine Ganglienzellendegeneration ohne interstitielle Ver-
änderungen wird nicht beobachtet, dagegen kommen besonders in der
Medulla oblongata gelegentlich normale Ganglienzellen neben alterierten
Gefäßen vor. 11. Im allgemeinen laufen die interstitiellen und die parenchy-
matösen Veränderungen ungefähr parallel. 12. Die hauptsächlichste Ursache
zu dem Zugrundegehen der Nervenelemente muß in der interstitiellen Ent-
zündung gesucht werden. 13. Die Veränderungen bei der Poliomyelitis
acuta der Erwachsenen sind denjenigen der spinalen Kinderlähmung völlig
ähnlich. 14. Mit den bei der spinalen Kinderlähmung gefundenen Ver-
änderungen stimmen auch völlig überein die Befunde, welche bei manchen
Fällen von Landryscher Paralyse ebenso bei Lyssa gefunden wurden; sie
müssen somit alle in pathologisch-anatomischer Hinsicht in eine gemeinsame
Gruppe gebracht werden. 15. Da bei letzterer Krankheit ermittelt worden
ist, daß poliomyelitische Veränderungen bei der Verbreitung des Giftes im
Nervengewebe selbst ohne Veraiittlung der Blutbahn entstehen, so erscheint
es wahrscheinlich, daß auch das pathologisch - anatomische Bild einem ähn-
lichen Prozesse seine Entstehung verdankt. Mit Hinsicht auf den spezifischen
Bau des Nervensystems, ebenso wie auf gewisse pathologisch - anatomische
und experimentelle Untersuchungen können wir diesen Infektionsmodus als
einen lymphogenen bezeichnen. Indessen ist eine hämatogene Infektion
nicht ganz auszuschließen. 16. Es ist noch niemals gelungen, durch bäjna-
togene Infektion, ein Krankheitsbild und Veränderungen hervorzurufen, die
auch nur eine entfernte Ähnlichkeit mit der Poliomyelitis acuta habeu. 17.
Es haben bei der pathologisch-anatomischen Untersuchung keine Bakterien
nachgewiesen werden können.
Sehr bemerkenswerte Beiträge zur Anatomie der Poliomyelitis anterior
acuta liefert auch Neurath (31) an der Hand eines Falles, der in die
Kategorie der rezenten zu rechnen ist und eines zweiten, erst mehrere
Poliomyelitis. 603
Monate nach Überstehen der Krankheit rerstorbenen Falles. Der erste Fall
ist auch klinisch von großem Interesse; es handelte sich um ein 6 jähriges^
früher gesimdes Kind, das unter Fieber und heftigen Schmerzen in Armen
und Beinen mit Einschränkung der Bewegnngsfahigkeit erkrankte, nach
fünftägiger Krankheit aber wieder geheilt erschien. Nach drei- bis vier-
w()chentlichem Intervall setzten die Krankheitssymptome wieder ein in ganz
derselben Form und yon gleicher Dauer. Nach fünf- bis sechswöchentlichem
Literrall tritt eine neue Attacke auf ron heftiger Intensität mit sclilafFer
Lahmang der Kopf- und Extremitätenmuskeln, erloschenen Sehnenreflexen,
Sprachstörung, Scliluck- und Atemstörung.
Bei der Sektion wurde im Rückenmark eine überaus dichte Durch-
setzung der grauen Substanz, und zwar besonders der Vorderhörner durch
Bundzellen und dichtgedrängte Kerne gefunden. Das Protoplasma der
Zellen war wenig deutlich. Diese Rundzellen durchsetzten in mäßiger In-
tensität die Yorderhörner, sammelten "sich aber längs der sichtbaren Gefäß-
züge und um die Gefaßquerschnitte in so dichter Weise, daß diese Zellen-
haufen sich deutlich von den benachbarten Partien abhoben. Die Gefaß-
wandungen erschienen von Rundzelleu infiltriert, und die stark gedehnten
periyaskulären Räume waren von ihnen erfüllt. Die Ganglienzellen zeigten
entweder in den Vorderhörnem normales Aussehen oder verschiedenartige
Änderungen ihrer Struktur. Das Stützgewebe war einerseits durch die
Zelünfiltration, andrerseits durch kapillare Blutungen, schließlich durcli
Lockerung seines Gefüges in seinem Charakter geändert Außer den
Vorderhömern fanden sich diese entzündlichen Veränderungen fast immer
an den ventralen Partien des Hinterhomes und sehr oft in der grauen
Substanz benachbarter Partien der Vorderseitenstränge. Speziell überall,
wo größere Gefäße zu sehen waren, häuften sich die Rundzellen zu dichten
Klumpen. Namentlich die A. sulci anterior zeigte eine starke, in ihrem
Verlauf zunehmende Anhäuftmg von Rundzellen in und um ihre Wandungen.
Die Ganglienzellen waren zum Teil von normaler Struktur, zum Teil aber
völlig geschrumpft. Manche Ganglienzellen zeigten eine Quellung des
Protoplasmas und weniger scharfe Konturierung, andere eine periphere Ver-
lagerung des Kernes und eine Aufhellung seiner Konturen. Öfter bestand
eine körnige Trübung des Zellprotoplasmas. In vielen Schnitten lagen fast
normale neben stark veränderten Ganglienzellen, ferner fanden sich oft ganz
normale Zellen neben Haufen von Rundzellen und stark veränderte Zellen
inmitten von nicht grade stark infiltriertem Gewebe. Im ganzen entsprach
der pathologisch - anatomische Befund einer Myelitis acuta mit Prävalieren
der Veränderungen in den Vorderhörnern. Sehr plausibel erscheint der
Verbreitungsweg der Myelitis auf dem Wege der Gefäßverzweiguug von der
Arteria spinaUs anterior. N. kommt zu dem Schluß, daß die Reihenfolge
der Entstehung von interstitiellen und parenchymatösen Veränderungen nicht
als primäre oder sekundäre mit Sicherheit bezeichnet werden können und
wahrscheinlich beide Arten der Gewebsalteration unabhängig von einander
dnrch toxische^ auf dem Wege der Blutbahn verteilte Produkte nebeneinander
entstehen.
Im Anschluß an den ersten Eall teilt N. noch einen anderen Befund
mit, der bei einem 17 Monate alten Kinde, das 10 Monate nach einer
akuten, mit Lähmung der Beine einhergehenden Krankheit an Keuchhusten
gestorben war, erhoben wurde. Neben Veränderungen, die als Reste einer
abgelaufenen Poliomyelitis anzusprechen waren, fanden sich solche zweifel-
hafter Art in den Hemisphären, ohne klinische Erscheinungen bedingt zu
haben.
504 Foliomyelitis.
Lövegren (28) schickt seiner Arbeit über die Poliomyelitis anterior
acuta und chronica eine ausführliche Literaturübersicht voraus und bespricht
dann eingehend vier Fälle eigener Beobachtung von Poliomyelitis anterior
acuta. Hinsichtlich der Ätiologie erscheint ihm die Annahme berechtigt,
daß die akute Poliomyelitis als Infektionskrankheit aufzufassen ist. dafür
spricht das epidemische Auftreten der Krankheit mit Vorliebe im Sommer
und Herbst. Die pathologisch - anatomischen Befunde sprechen für eine
gleichzeitige parenchymatöse und interstitielle, von den Gefäßen ausgehende
Gewebsalteration. L. hält es nicht für sicher, daß die interstitiellen Ver-
änderungen ursprünglich von den Gefäßen ausgehen.
Die weiteren Untersuchungen von L. betreffen die Poliomyelitis anterior
chronica auf Grund eines klinischen Falles und eines pathologisch-anatomi-
schen Befundes. Der erste Fall war ein 64 jähriger, neuropathisch nicht
belasteter Mann, der von einer allmählichen Schwäche und Atrophie der
Muskeln des rechten Oberschenkels und darauf des rechten Unterschenkels
ergriffen wurde, denen dieselbe Affektion im linken Beine und den Armen
folgte. Die Lähmung ist mit fibrillären Zuckungen verbunden. Die Lähmung
ist schlaff. Die Sensibilität intakt. Der zweite Fall wurde bei einem
68jährigen, hereditär nicht belasteten Manne beobachtet, der an Schwäche
in den Fingern erkrankte mit späterer Atrophie der Handmuskeln. Parese
und Atrophie nehmen zu und verbreiten sich auf Arme und Schultern.
Nach 4 — 6 Monaten wird die Sprache erschwert, und es treten Schling-
beschw^erden hinzu. Im Gebiete des N. liypoglossus und unteren Facialis
entwickelt sich Atrophie und Parese, später auch in den unteren Extremi-
täten und Rückenmuskeln. Sensibilität ungestört. Patellarreflexe erhöht
Keine Blasenstörungen, keine Spasmen.
Die wesentlichen pathologisch - anatomischen Veränderungen bestanden
in stark ausgeprägter Degeneration der Nervenzellen und stellenweiser
Rarefikation des Nervenfasernetzes in den Vorderhörnem des Rückenmarkes.
In der MeduUa oblongata wurde Degeneration in den Accessorius-, Hypo-
glossus- und Facialiskernen, wie auch im vorderen Teil des Nucleus anibiguus
gefunden. Sowohl in den Vorderhörnern, als auch in anderen Teilen des
Rückenmarkes ließen sich Gefäße mit verdickten Wänden nachweisen;
nirgends ließen sich in deren Umgebung Rundzellen erkennen. Auch bei
der chronischen Poliomyelitis anterior läßt sich die Frage, ob die primäre
Erkrankung eine parenchymatöse oder interstitielle ist, nicht absolut sicher
beantworten; es scheint Fälle zu geben, wo die Affektion allein die Gang-
lienzellen betrifft und andere, bei denen die Gefäßveränderungen und die
interstitiellen Alterationen das Primäre sind.
Schnitze (45) hebt in seiner Arbeit die Beziehungen der Poliomyelitis
acuta zur aufsteigenden (L an dry sehen) Paralyse hervor und geht auf einen
schon früher mitgeteilten Fall von Poliomyelitis mit Meningitis näher ein,
der unter dem Bilde der aufsteigenden Lähmung verlief und eine auffallende
entzündliche Veränderung der grauen Rückenmarkssubstanz besonders der
vorderen Abschnitte vom Halsmark bis zum Lendenmark aufwies. Schnitze
fand besonders innerhalb der Pia des Lendenteils und unteren Dorsal-
abschnittes in ihrer vorderen Hälfte starke Anhäufung von einkernigen Rund-
zellen, vor allem um die größeren Blutgefäße herum. Die Anfüllung der
perivaskulären Räume mit diesen Zellen setzt sich ins Rückenmark fort, und
besonders sind die Gefäße der Vorderhörner und der vorderen Hälften der
Hinterhörner ergriffen. In der Rückenmarkssubstanz war besonders der
Lendenteil erkrankt, aber nicht nur die graue Substanz im vorderen, sondern
auch im mittleren Teile der hinteren Abschnitte. Die Läsion entsprach merk-
Poliomyelitis. (J05
würdig geuau dem Verteilungsbezirk der Yorderen Zentralarterie. Von einer
ausschließlichen Zerstörung der Ganglienzellen konnte keine Rede sein. Es
jiatte sich zweifellos um eine akute, produktive Entzündung im Rückenmark
gehandelt, wobei die Beteiligung der Meningen besonders bemerkenswert ist.
Hinsichtlich der Frage, ob das schädigende Agens die großen multipolaren
GaDglienzellen elektiy trifft oder zuerst den Gefäß- und interstitiellen
Apparat angreift, hält es Schultze für nicht unmöglich, daß die Ganglien-
zellen auch zuerst erkranken können, im allgemeinen aber die Ausbreitung
der Krankheit auf dem Wege der Lymphbahnen und der Cerebrospinal-
fiüssigkeit Tor sich gehe. Die primäre Gewebsschädigung könne auch auf
einem toxischen Stoffe beruhen, der besondere Beziehungen zu den großen
motorischen Ganglienzellen habe, diese zunächst schädige und zerstöre und
dadurch sekundäre Extravasationen, Emigration von weißen und roten Blut-
körperchen hervorrufe. Allein alles spreche dafür, daß die Ganglienzellen
erst sekundär erkranken nach primären Erkrankungen im Gefäß- und Lymph-
gefaßapparat, oder daß Gefäß- und Nervengewebsstörungen nebeneinander
entstehen. Die Zuleitung der schädigenden Noxe könnte bei der Polio-
mjelititis acuta sehr wohl von den Meningen her erfolgen, zumal das kind-
liche Alter besonders zu akuten Meningitiden neigte. Es wäre daher von
Interesse, in möglichst frühen Stadien der Krankheit die Lumbalpunktion
aaszaführen und die Spinalflüssigkeit zu untersuchen. Schultze hat dieses
bei einem Falle getan und Diplokokken gefunden, die den Meningokokken
ähnlich waren. In einem zweiten, unter dem Bilde der akuten aufsteigenden
Landrvschen Paralyse verlaufenden Falle von spinaler Kinderlähmung fand
Schnitze ebenfalls Dyplokokokken, die aber nicht mit Sicherheit als Jäger-
Weichselbaumsche anzusprechen waren. Bisher lassen die Kokkenbefunde
keinen Schluß über die bakteriologische Art der Krankheitserreger bei der
Poliomyelitis zu und über die Frage nach ihren Beziehungen zur epidemi-
schen Meningitis.
II. Klinisches.
a) Poliomyelitis anterior acuta infantum.
Der Arbeit Baumann's (3) dienen zur Grundlage die im Laufe von
15 Jahren in der Breslauer üniversitätspoliklinik behandelten Fälle von
Poliomyelitis anterior acuta. Die Zahl der von 1889—1904 beobachteten
Fälle betrug 85. Die Untersuchungen an der Hand dieses Materials er-
streckten sich vor allem auf die Verteilung der Lähmung resp. Paresen auf
die einzelnen Muskeln oder Muskelgruppen. Eine totale Lähmung eines
oder beider Beine fand sich in 16 Fällen, eine totale Lähmung der Beine
mit alleinigem Freibleiben der Zehenbewegungen in 6 Fällen und mit Frei-
bleiben des Extensor digitorum comm. und der Peronei in einem Falle.
Eine totale Lähmung eines oder beider Arme fand sich 3 mal, Lähmung
init Ausnahme der Fingermuskulatur 2 mal. Lähmung oder Parese des
5erratus anticus in 3 Fällen, der Bauchmuskeln in 2 Fällen, der gesamten
Räckenmuskulatur zweimal, des Latissimus dorsi und Rhomboideus einmal.
Die auffallend häufige Beteiligung des Nervus peroneus veranlaßt Bau mann
2u einer Kritik der Theorien, welche diese Erscheinung zu erklären suchen;
es wird angenommen, daß der Nervus peroneus zu Erkrankungen leichter
disponiert durch die Art seiner Blutversorgung oder infolge seiner exponierten
Lage oder durch funktionelle Überanstrengung. Die beiden ersteren Ur-
sachen können auch im Rückenmark selbst liegen. B. macht auf eine, bisher
nur wenig beachtete Beobachtung aufmerksam, nämlich daß die distalen
^Qß Poliomyelitis.
Muskelgruppen der Extremitäten weit weniger betroffen werden, wie die
proximalen.
Die meisten Kinder waren im zweiten Lebensjahre erkrankt; mit dem
4. Lebensjahre trat Poliomyelitis seltener auf. B. konnte noch feststellen,
daB die Krankheit in auffallender Weise in bestimmten Gegenden epidemisch
auftrat und in den Sommermonaten vorherrschte. Von den 56 Fällen ent^
standen 36 im Sommer und 20 in den Wintermonaten.
Die klinischen Untersuchungen Neuraths (32) stützen sich auf 240
Fälle von Poliomyelitis, die von 1886 — 1903 im Wiener Kinderkrankenhanse
beobachtet wurden. Das Alter der Patienten schwankt vom ersten Lebens-
tage bis zu 15 Tagen. Fünfinal war die Krankheit angeblich angeboren.
Am häufigsten trat die Erkrankung im 2. Lebensjahre auf. Das fieberhafte
Initialstadium dauerte gewöhnlich kaum länger als zwei bis drei Tage; bei
93 Fällen war der Beginn fieberhaft, 40 Fälle setzten mit Konvulsionen ein.
und bei 24 traten die Lähmungen als erstes Krankheitssymptom auf. Bei
den fieberhaft einsetzenden Erkrankungen konnte die Schmerzhaftigkeit der
gelähmten Partien auf Berührung und die spontanen Schmerzen im Nacken
und Rücken beobachtet werden. Eine andere, seltene Erscheinung
des Initialstadiums sind Störungen der Harnentleerung, die bei 7 Fällen
gefunden wurden und sich zu den Afiektionen der Lumbaigegend hiuzn-
zugesellen scheint.,. Die Entwicklung der Lähmungen fiel meist in das fieber-
hafte Stadium. Öfter wurde eine initiale Hemiplegie registriert. In 78 "'^
waren die unteren Extremitäten ergrifieu. Die andauernden Lähmungen
bevorzugten die linksseitigen Extremitäten. An den oberen Extremitäten
waren die proximal gelegenen Muskeln viel häufiger gelähmt, als die distalen.
Bei den Lähmungen an den unteren Extremitäten zeigten die peronealen
Muskelgruppen die häufigsten Störungen. Viermal waren die Nackenmnskek
mit gelähmt, in zwei Fällen die Bauchmuskulatur, in 6 Fällen des Facialis
(Beteiligung der Oblongata) und zwar dreimal bei Lähmungen der unteren
Extremitäten, zweimal bei Lähmung der linken oberen Extremität, einmal
bei gekreuzter Lähmung (rechte obere und linke untere Extremität).
Der bemerkenswerten Dissertation von Peschik (33) liegen zwei Fälle
von Poliomyelitis anterior acuta bei Geschwistern zu Grunde, welche die
infektiöse Natur der Erkrankungen zu begründen scheinen. Beide Patienten
erkrankten an demselben Tage plötzlich an einer vollständigen Lähmung des
ganzen Körpers, nachdem sie anscheinend einige Tage vorher gefiebert hatten.
Die Lähmungen besserten sich soweit, daß das Mädchen sich aufsetzen, den
Kopf halten und die Beine bewegen, aber nicht gehen konnte; auch der
linke Arm wurde wieder funktionsfähig, der rechte blieb dauernd gelähmt.
Bei dem Knaben besserten sich langsam die Arme, doch blieben die Beine
paretisch. Bei beiden Kindern besteht eine starke Atrophie der gelähmten
Glieder, namentlich der Beine und bei dem Mädchen des rechten Arnaes.
Bei dem Fall von Kinderlähmung, den Crnchet (11) beobachtete,
war besonders hervorzuheben das Alter, in dem die Krankheit auftrat und
die Lokalisation der Lähmung. Das 12 jährige Mädchen war im 10. Lebens-
jahre unter Fiebererscheinungen erkrankt, wobei sich plötzlich eine schlaffe
Lähmung des linken Armes entwickelt hatte. Bis auf mäßige Beweglichkeit
der Finger blieb die Lähmung unverändert. In hervorragender Weise war
die Muskulatur der Schulter und des Oberarmes atrophisch und gelähmt,
aber auch der Unterarm ist atrophisch, besonders ist der M. supinator loogns
ergriffen, der völlig funktionsunfähig ist. Die Beugung der Finger gelingt
mäßig gut, die Streckung aber schwächer. Die Daumenmuskulatur funk-
tioniert gut. Die Sehnenreflexe, besonders der Tricepsreflex sind sehr schwach.
Poliomyelitis. 607
Die Sensibilität ist intakt Trophische Störungen finden sich nur an der Haut
der linken Hand, die zarter, rosafarbig und empfindlicher gegen Temperatur
ist; and an den Nägeln, die riffig und mehr als rechts gewölbt sind. Zu
erwähnen ist noch die außerordentliche Schlaffheit der Armgelenke namentlich
des stark schlotternden Schultergelenkes.
RoBSi's (41) Fall von Poliomyelitis bietet einige interessante Besonder-
heiten. Aus der Anamnese des ISjährigen Kranken ging hervor, daß er im
4. Lebensjahre an einer schweren fieberhaften Krankheit gelitten hatte,
danach aber keinerlei Lähmungserscheinungeu zurückbehalten hatte. Im
12. Lebensjahre stellte sich eine Schwäche im rechten Arm und linken Bein
ein und leichtes Ermüdungsgefühl. Erst im 16. Jahre fiel ihm eine bedeutende
Abmagerung beider Schultern, Arme und der rechten Hand auf, dabei hatte
er Schwächegefühl und Kälteempfindung in der Hand. Die Beschwerden
begannen seit dieser Zeit langsam an Intensität zuzunehmen, besonders an
der rechten oberen Extremität; auch der Kopf begann sich nach rechts zu
neigen. Die Schwäche im linken Bein nahm nicht zu. Bei der Untersuchung
fiel eine starke Atrophie der unteren Partien der Mm. pectorales maj. auf,
besonders links. Der linke M. CucuUaris erschien atrophisch, der rechte
M. deltoides etwas abgeflacht, der linke hypertrophisch. Auch der rechts-
seitige Latissimus dorsi war deutlich atrophisch. Das rechte Schulterblatt
stand um einen Zentimeter höher als das linke und stand vom Thorax weiter
ab, als das linke. Die Muskulatur der Arme war sehr dünn, rechts mehr
als links und zwar auf Kosten der hinteren Partien desselben. Die Mm.
bicipites sind wenig atrophiert, aber besonders die Mm. tricipites. Die rechte
Hand zeigt starke Atrophien, besonders am Theuar, weniger am Hypothenar.
An der linken Hand sind besonders stark die Mm. interossei atrophisch
and die Thenarmuskulatur. An den Beinen fällt die geringere Entwicklung
der Wade auf; auch der linke Oberschenkel ist weniger gut entwickelt als
rechts. Die linke untere Extremität ist ein Zentimeter kürzer als die rechte.
Der linke Fuß befindet sich in Equino-varus-Stellung. In den kranken Muskeln
ist die faradische Erregbarkeit herabgesetzt. Kossi deutet den mitgeteilten
Fall als eine akute Poliomyelitis, die im 4. Lebensjahr^ einsetzte und ohne
Residuen ausheilte. Eine leichte Schwäche im rechten Ann und linken „Bein
blieben zwar zurück, wurden aber nicht beachtet. Infolge körperlicher Über-
anstrengung trat dann seit dem 12. Lebensjahre eine chronische Myopathie
in den vorher erkrankten Muskeln ein und führte zu den schweren Muskel-
atrophien. Es erschien sehr walirscheinlich, namentlich wegen des asym-
metrischen Auftretens der Atrophien, daß es sich um keine Myopathie im
eigentlichen Sinne, sondern um eine auf dem Boden der früheren akuten
Poliomyelitis entstandene chronische Poliomyelitis gehandelt hat.
Die Mitteilung Clopatt's (10) über oculo-pupilläre Symptome bei Polio-
myelitis anterior acuta betrifft ein 2^/2 jähriges Mädchen, welches plötzlich
mit Prost und Fieber erkrankte und am fünften Krankheitstage eine Parese
der Finger an der linken Hand bekam. Schon am folgenden Tage sind die
Maskeln des ganzen linken Armes paralytisch. Die Lähmung ist schlaff, mit
erloschenen Sehnenreflexen. Sensibilitätsstörungen fehlen. Gleichzeitig mit
diesen Erscheinungen treten Augensymptome linkerseits auf, und zwar Ptosis
und Myosis. Die Lichtreaktion ist vorhanden, links prompter als rechts.
Nach drei Wochen trat Besserung aller Störungen ein, bis auf die Ptosis
des linken Auges, Das Auftreten der oculo-pupillären Störungen am linken
Aoge fuhrt Clopatt auf eine Läsion des Zentrum ciliospinale im Cervikal-
mark zurück.
^03 Poliomyelitis.
Ibrahim und Hermann (24) teilen ihre bei vier Fällen von spinaler
Kinderlähnmug gemachten Beobachtungen über das äußerst seltene Yorkommen
von Bauchmuskellähmungen bei Poliomyelitis anterior acuta mit Die Befunde
bei den vier Kindern waren einander sehr ähnlich: Fall 1, schlaffe Lähmung
des rechten Beines, ließ in der Ruhe am Leibe nichts erkennen, beim Pressen
aber und Schreien wölbte sich ein ganz zirkumskripter Teil der rechten
Bauchdecken halbkugelig in Form eines faustgroßen Tumors vor, um beim
Nachlassen der Bauchpresse wieder einzusinken. Der rechte mittlere Bauch-
reflex fehlt, die übrigen Bauchreflexe sind erhalten. Fall 2 mit schlaffer
Lähmung beider Beine zeigte an der rechten Seite zwischen Darmbeinkamm
und 12. Rippe, vorderer und hinterer Axillarlinie eine gänseeigroße halb-
kugelige Vorwölbung, die sich beim Husten und Schreien vergrößert. An
der linken Seite eine analoge, weniger hervortretende Vorwölbung. Bauch-
decken schlaff. Fall 3 mit Lähmung der Beine und des rechten Armes hat
aufgetriebenen Leib, beim Schreien wölbt sich derselbe in der rechten Seite
halbkugelig vor, die ganze Seite erscheint ausgebaucht Auch links dieselbe
Erscheinung von geringerer Ausdehnung. Bauchreflexe fehlen beiderseits.
Fall 4 schlaffe Lähmung des linken Beines. Die linke Bauchgegend ist schon
im Liegen gleichmäßig ektasiert, die rechte tief eingesunken. Muskeln zeichnen
sich bei Kontraktionen rechts in reliefartigeu Konturen ab. M. quadratus
lumborum und die seitlichen Muskeln der Lendenwirbelsäule scheinen linb
völlig geschwunden. Bauchreflex links fehlt. Im allgemeinen scheint bei
diesen Bauchmuskellähmungen der M. rectus abdominis verschont zu bleiben.
Hervorzuheben ist der Umstand, daß im Bereich der queren Muskeln partielle,
lokalisierte Atrophien bei der spinalen Kinderlähmung auftreten. Auch
dürften die Bauchmuskellähmungen von den Untersuchern häufig übersehen
worden sein.
Im Anschluß an die vier Fälle von Poliomyelitis anterior acuta teilen
die Verfasser noch einen Fall von Spina bifida und Meningomyelocele mit,
wo die Geschwulst vom 11. Brustwirbel bis zum Saknim reichte. Die Beine
waren gelähmt und unempfindlich, keine Atrophien, keine Patellarreflexe.
Beim Schreien und Pressen des Kindes traten beiderseits kugelige Geschwiilste
hervor. Die Baachmuskulatur war beiderseits gelähmt, nur die Mm. Becti
waren verschont geblieben. Die Wurzelgebiete der Mm. Recti scheinen
demnach in höher gelegenen Segmenten zu liegen, als die der anderen Ab-
dominalmuskeln.
Reiche (37) teilt zwei Fälle von spinaler Kinderlähmung mit, bei
denen sich Kontrakturen an den unteren Extremitäten entwickelten. Im
ersteren Falle entstand eine Kontraktur des rechten Kniegelenkes, im zweiten
an beiden Beinen Klumpfuß und Genu recurvatum. Beidemal ließ sich cbe
Entwicklung der paralytischen Kontraktur mit Hilfe der mechanischen Theorie
erklären.
Die paralytischen Kontrakturen kommen stets rein mechanisch dadurch
zu Stande, daß die gelähmten Gliedmaßen in bestimmten Stellungen entweder
beim Umlierkriechen oder mittels unzweckmäßiger Schienen fixiert werden.
Die Arbeit Pigcher's (15) über die Muskelkontrakturen bei Polio-
myelitis ant. acuta hat mehr chirurgisches Interesse. F. führt gegen die
Annahme, daß die Kontraktur und Verkürzung der Antagonisten der ge-
lähmten Muskeln nicht allein dadurch zu stände kommen könne, daß das
Gegengewicht der Agonisten fortfalle, den Umstand an, daß sich die Kon-
traktur am stärksten bei den Gelähmten findet, welche umhergehen, dagegen
bei völlig Gelähmten, die im Bett liegen, oft vermißt wird. F. legt bei der
Behandlung des paralytischen Klumpfußes das Hauptgewicht aui die Be-
Poliomyelitis. 609
seitigung der Kontraktur der Extensoren entweder auf mechanischem Wege
— wenn es nicht gelang, die Kontraktur prophylaktisch zu verhindern —
oder durch Tenotomie.
b) Poliomyelitis anterior acuta adultorum.
Der Fall, den Hoch (23) zum Gegenstand seiner eingehenden patho-
logisch-anatomischen Untersuchungen gemacht hat, betraf einen 16jährigen
Burschen, der 13 Wochen nach dem Beginn der Erkrankung starb. Er
war anter Fieber mit Lähmung der Beine, die auch auf den linken und
rechten Arm überging, erkrankt. Blasenlähmung. Schnelles Auftreten aus-
gedehnter Atrophien in allen Extremitäten. Die mikroskopische Untersuchung
beschäftigte sich mit den Rückenmarksabschnitten vom 4. Cervikal-Segment
abwärts. Die Vorderhörner wurden atrophisch gefunden, die Zellen stark
Terandert. Die Blutgefäße der ventralen grauen Substanz waren stark
alteriert, ihre Wand verdickt, ihr Inhalt bestand aus Haufen roter Blut-
körperchen, die sie verstopften. Besonders die Aste der A. spinalis anterior
und der antero-lateralen Piagefäße waren alteriert und lagen oft innerhalb
der Erkrankungsherde der grauen Kückenmarksubstanz. Die perivaskulären
^ume der Pia und Aa. spinales anter. im Bereiche der kranken. Herde
waren mit extravasierten Zellen verschiedenen Aussehens angefüllt. Ahnliche
etwas geringere Veränderungen fanden sich im Brust- und Lendenmark. Im
ganzen waren die Vorderhörner hauptsächlich alteriert. In den hinteren
Hörnern fanden sich leichtere Gefäßveränderungen mit mäßiger Neuroglia-
wueherung. Die Ganglienzellen der Vorderhörner waren meist degeneriert
bis auf diejenigen der äußersten peripheren Zone. Mit Rücksicht auf die
Befunde bei seinem Falle und die in der Literatur niedergelegten Forschungs-
ergebnisse kommt H. zu dem Schluß, daß die Poliomyelitis anterior acuta
eine primäre Entzündungskrankheit von Rückenmarksgefäßen ist, die mit
Thrombose oder Embolie einhergeht. Die Erkrankung der Ganglienzellen
ist erst eine sekundäre und beruht zum Teil auf mangelhafter Blutzufuhr zu
der erkrankten Zone, zum Teil auf übermäßigen Druckverhältnissen und Toxinen.
Die Poliomyelitis der Kinder und der Erwachsenen scheint identisch zu sein
und dieselbe Ätiologie zu haben. Es spricht alles für die Annahme, daß
es sich um eine Infektionskrankheit handelt, wenn auch kein spezifischer
Mikroorganismus vorhanden ist und verschiedene infektiöse oder toxische
Stoffe angenommen werden müssen. Die Entzündungserscheinungen finden
sich ebensogut in den peripherischen Gefäßen wie in denen der A. spinalis
anterior, doch sind die Veränderungen erst in der grauen Substanz deutlich
nachweisbar. Die fehlende Anlage von Collateralen in den Vorderhörnern
begünstigt die stockende Zirkulation und die Embolien.
c) Poliomyelitis anterior chronica adultorum.
Einen Fall von Poliomyelitis anterior chronica adultorum beobachtete
Engelen (13) bei einem 51jährigen Patienten. Bei diesem war innerhalb
von drei Wochen eine stetig zunehmende Lähmung der rechten Hand ent-
standen. Der Arm bot das Bild einer Radialislähmung; völlig gelähmt und
von geringerem umfang waren der Extensor digitorum communis, Extensor
indicis und Extensor indicis quinti. Paretisch waren die Handstrecker und
die drei dorsalen Muskeln des Daumens. Der Extensor digitorum communis
war elektrisch unerregbar. Sensible Störungen fehlten vollständig. Die
rechte Pupille war lichtstarr. Es lag der Verdacht einer Bleilähmung vor,
Jahiesberieht f. Neurologie u. Psychiatrie 1905. 39
510 Progressiye Moskelatrophie.
und es wurde eine Sehneutransplantation gemacht. Zwei Jahre später war
die rechte Hand ganz unbrauchbar geworden, und auch an der linken H&od
war Atrophie und Parese eingetreten. Der rechte Unterarm bestand nor
noch aus Haut und Knochen, am Oberarm fehlte der Tricepswulst Die
linke Hand war in Hörnerstellung infolge Lähmung des Extensor digitonim
communis. Die Handmuskeln sind auch links atrophiert und paretisch.
Die Muskulatur der Beine war normal. Störungen der Hautsensibilitat
fehlten vollständig, die Hautreflexe sind lebhaft, Patellarreflex links schwadi,
rechts nicht auslösbar, ebenso fehlten beiderseits die Achillessehnenreflexe.
Blasen- und Mastdarmstörungen sind nicht vorhanden. Von der Atrophie
verschont blieb in diesem Falle der rechte Musculus supinator longus. Ob
ein dem Beginn der Erkrankung vorausgegangenes Trauma ätiologisch von
Bedeutung ist oder Bleivergiftung die Ursache der Muskelatrophien war, ist
nicht sicher festzustellen; doch war der Patient wissentlich nie mit Blei in
Berührung gekommen.
Der Fall von chronischer Poliomyelitis anterior, den Moleen und
Spiller (30) mitteilen, betraf einen 37 jährigen Arbeiter, welcher wahr-
scheinlich Lues durchgemacht hatte und plötzlich eine Lähmung der vom
linken N. peroneus innervierten Muskeln bekam. Die faradische Erregbar-
keit in den befallenen Muskeln schwand innerhalb kurzer Zeit, und es ent-
wickelte sich eine starke Muskelatrophie und Verkürzung des ganzen linken
Beines dem rechten gegenüber. Die tiefen Reflexe waren vorhanden und
erhöht. Drei Monate blieb der Umfang der Erkrankung unverändert, ohne
fibrilläre Zuckungen, ohne Geflihlsstörungen und ohne Beteiligung der Ann-
und Gesichtsmuskeln. Ein Jahr später hatte sich allgemeine Abmagerung,
vollständige Atrophie der Thenar- und Hypothenarmuskulatur sowie der
Interossei entwickelt. Dann trat Atrophie und Parese der Zunge und d«s
Pharynx hinzu. Keine Störungen der Blase und Sensibilität. Puls und At-
mung waren sehr bescheunigt, die Schluckbeschwerden nahmen zu, er wordB
reizbar und ging somnolent zu Grunde. Die pathologisch- anatomische Unter-
suchung wurde von Spiller ausgeführt mit dem hauptsächlichsten Befunde
von Veränderungen an den Nervenzellen (Schwund) in den Vorderhömem
des Rückenmarks und den motorischen Gehirnnerven in der Medulla oblon-
gata. Ferner waren dieselben Verändenmgen in den Vordersträngen der
Lumbal- und Sakralgegend nachzuweisen und zahlreiche kleine Hämorrhagien
in der grauen Substanz vornehmlich des Ktickenmarkes.
Progressive Haskelatrophie. (Dystrophia mascDlorDm progressiTi
Spinale und neurotische Noskelatrophle.) Arthritisehe Hnskel^
atrophle. Myatonie. Hnskelhypertrophle. HnskeMefekte. Myosltl&
Referent: Prof. Dr. Heinrich Lorenz-Graz,
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Progressive Muskelatrophie. 5X5
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Dystrophia mBSCBloram prograsslva.
Das klinische Bild der Dystrophia musculonim progressiva bespricht
Leegaard (71) an der Hand von 38 norwegischen Fällen.
Zur Erklärung des bisher noch unbekannten Wesens dieser primären
Mnskelerkrankung wird an eine Stoffwechselstörung gedacht, wofür ver-
schiedene Verhältnisse sprechen. Dagegen sieht Leegard die Erblichkeits-
theorie als nicht genügend begründet an.
Steiuert (118) demonstriert einen interessanten Fall von juveniler
Muskelatrophie, der schon im Jahre 1885 als zweiter Fall mit Gesichts-
muakelbeteilignng von Mossdorf beschrieben wurde. Die Erkrankung hatte
seit diesen 20 Jahren nur sehr langsanue Fortschritte gemacht. Es besteht
Atrophie der Gesichtsmuskeln mit Ausnahme der Augen- und Kaumuskel.
Seit 5 Jahren besteht Zungenatrophie. Sonst findet sich das typische Bild
der fortgeschrittenen Erkrankung; starke Lordose der Wirbelsäule mit
Flügel- und Schaukelstellung der Schulterblätter und enormer Vorbildung
des Thorax. Beckensenkung nach vom. Hochgradiger Schwund des größten
Teilw der Körpermuskulatur; dabei sind die Waden noch recht kräftig,
die (jlutäen relativ voluminös, aber schwach. Außer der Erkrankung der
Zange sind an diesem Falle noch trophische Störungen anderer Gewebe
bemerkenswert: livide Verfärbung und Kälte der Hände, Trommelschlägel-
änger, Ouychogryphosis, „main succulente". Infolge der Thoraxverbildung hat
sich Lungenemphysem und Hypertrophie des rechten Herzens ausgebildet.
Flesch (39) beobachtete eine familiäre Form der juvenilen Dystrophie
mit humero-skapularem und lumbodorsalem Sitz und kolossaler Hypertrophie
der Waden bei einem 20jährigen Mädchen. Die Wadenmuskulatur erwies
sich als sehr arbeitskräftig, deren Vergrößerung als wahre Hypertrophie an-
zusehen ist
In einem Falle von Dystrophia muscul. progr. mit Atrophie der Ober-
ann- und Schultergürtelmuskulatur und keinen Veränderungen der unteren
Extremitäten hat Frey (46) Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit,
EaK im akromialen Teile des Deltoideus mit Inversion, und EaR im Sartorius,
jedoch ohne Inversion gefunden. (Hndovemig,)
Trömner (126) beschreibt bei einem Fall von juveniler Muskel-
dystrophie trotz fast vollständiger Atrophie im Schultergürtel, wobei der
Pektoralis bis auf einen fingerdicken klavikularen Strang geschwunden war,
noch wahre Hypertrophie der Mm. snpra- und infraspinati, des Quadriceps
und der Waden. Der betreffende Mann von 37 Jahren hatte es trotz seiner
Krankheit vom Schiffsjungen znm Steuermann gebracht und galt als bester
Springer am Schiff. Außer den typischen Muskeln wurden in diesem Falle
auch die Bauchmuskeln von der Atrophie befallen. Die durch die mangelnde
Banchpresse hervorgerufenen Beschwerden bei der Urineutleening führten
em den Kranken zum Arzt.
Wendenbnrg (133) teilt zwei Fälle von familiärer Dysti'oi^hie mit.
Zwei Brüder von 15 und 11 Jahren erkrankten im Kindesalter (der eine
nach Masern) unter den Symptomen von Atrophie und Hypertrophie ein-
526 Progressive Muskelatrophie.
zelner Muskelgruppeu, die sich allmählich zu einer typischen Form vou
Pseudohypertrophie ausgestalteten. Interessant ist bei diesen beiden Fällen
die starke Beteiligung der Kaumnskulatur an der Erkrankung. Bei Yölliger
Intaktheit sämtlicher übrigen Gesichtsmukeln waren sowohl die Tempor^es
als die Masseteren kolossal hypertrophiert und gut funktionsfähig; nur bei
dem älteren der Fälle begann bereits (nach mehrjähriger Hypertrophie) der
Masseter zu atrophieren.
Spiller (115) beschreibt bei einem 44jährigen Mann eine infantile
Form von Muskeldystrophie mit Gesichtsbeteiligung. Dieselbe hatte im
2. Lebensjahr begonnen und bis zum 16. starke Fortschritte gemacht. Neben
der im allgemeinen typischen Erkrankung der Muskulatur konnte durch
Röntgenuntersuchung auch Knochenatrophie im Gesicht, am Schultergürtel,
am Humenis und an den Beinen festgestellt werden. Ein Zuiückbleiben
im Wachstum stellt Spiller für diesen Fall in Abrede.
Noica (86) teilt 2 Fälle von primärer Myopathie mit. 2 Brüder, die
beide im Alter von 14 Jahren, der eine plötzlich unter dem Bilde einer
Polyarthritis acuta, der andere nach einer Malariaerkrankung unter monate-
lang anhaltenden, sehr heftigen Schmerzen, erkrankt waren. Es bildete sich
ohne Stadium der Hypertrophie, M\\skeIatrophie und funktionelle Schwäche
aller 4 Extremitäten aus, welche Ähnlichkeit mit dem Typus Leyden-
Möbius zeigte. Die elektrische Erregbarkeit ergab nur quantitative, keine
qualitativen Veränderungen. Zu bemerken war bei dem ersten der Fälle eine \
hochgradige Lordose, die durch abnorme Beckenneigung zu erklären war.
Letztere hatte ihren Grund in der Atrophie der hinteren Oberschenkel-
muskulatur und der Nates, weiterhin in Atrophie der Bauchmuskeln bei
Erhaltenbleiben der beiderseitigen Wirbelsäulenmuskulatur.
Beim älteren der Brüder schienen auch die Knochen atrophiert zu
sein. Außerdem waren auch profuse Schweiße der Extremitäten auffälüg.
Einen Beweis dafür, daß sich nicht nur zwischen den einzelnen Formen
der primären Myopatliien, sondern auch zwischen diesen und den spinalen
Formen keine scharfe Grenze aufstellen läßt, erbringt Donath (34) durch
die Mitteilung eines Falles von progressiver Muskelatrophie, den er als
Kombination einer spinalen Aran-Duchenneschen Form mit der Erb-
scheu Dystrophie auffaßt. Für die spinale Erkrankung spricht das Auftreten
im 4. Dezennium, die distale- Erkrankung wesentlich der oberen Extremitäten
und die tibrillären Zuckungen im Pectoralis, wogegen die herabgesunkenen
Flügelschultern und subluxierten Oberarmköpfe der Erbschen Form znge-
hören.
Lorenz (75) gibt eine Übersicht über die in der Literatur bekannten
neueren Fälle von Mischformen der progressiven Muskelatrophie und teilt
gleichzeitig 2 interessante Fälle mit, welche die Theorie von der Einheit-
lichkeit dieser Erkrankung zu stützen vermögen. Bei einem Brüderpaar
ohne hereditäre Belastung, aber mit eigentümlicher, gleichartiger Verbildung
der Ohren, geringer Entwicklung der Gesichtsmuskulatur und (bei dem einen)
Schwimmhautbildung zwischen den Zehen, traten angeblich erst im Alter
von 34 resp. 36 Jahren während eines Typhus abdominalis die Erscheinungen
der progressiven Muskelatrophie auf. Die Form entsprach am meisten der
neurotischen oder spinal-neuritischen Muskelatrophie und war den von G.
Hänel beschriebenen Fällen von hereditär neurotischer Muskelatrophie am
ähnlichsten. Interessant war dabei, daß neben der Kombination von spinalen
und neuritischen Symptomen bei dem älteren der Brüder auch lokalisierte
wirkliche Hypertrophien auftraten. Neben einem atrophischen und lipomatös
degenerierten Biceps fand sich der Supinator longus derselben Seite mächtig
Progressive Muskelatropbie. 6X7
iypertrophiert; er hatte zum großen Teile die mangelnde Bicepsfunktion
bei der Armbeugung kompensiert. Fibrilläre Zuckungen fehlen, die elektrische
Erregbarkeit ist in den tropbisch erhaltenen Muskeln normal, in den übrigen
im allgemeinen der Atrophie entsprechend herabgesetzt. In einzelnen besteht
EatartuDgsreaktion.
Kuh (67) empfiehlt zur Therapie der Dystrophia musculorum pro-
gressiva, die übrig gebliebene Muskulatur durch methodische Gymnastik und
Massage zu kräftigen. £r erzielte dadurch bei einem Knaben nach monate-
langer, systematischer Behandlung eine wesentliche Bessenmg. Die Strecker
des Kniegelenks, welche vorher nur angedeutet waren, hatten sich ziemlich
gct entwickelt, sodaß der Patient, der beim Stehen sofort zusammengeknickt
war. wieder stundenlange Spaziergänge machen und selbst Treppen steigen
konnte.
Spinale und nBorotlsche Muskelatrophie.
Collins (24) teilt die Krankengeschichte eines Falles von hereditärer
spinaler Muskelatrophie mit. In der Familie des 13 jährigen Mädchens
wurden eine große Zahl von hereditären Nervenkrankheiten beobachtet, wie
hereditäre Ataxie spinalen und zerebellaren Charakters, Thomsensche
Krankheit und Huntingtonsche Chorea. Daneben aber ließ sich eine
Reihe von Fällen von familiärer Muskeldystrophie eruieren. Bei dem Kinde
fand sich starke Atrophie der Musculi interossei, der Handmuskeln und
der Schultern. Auch die Pectorales sind atrophisch und die Rücken-
muskeln. Doppelte laterale Skoliose der Wirbelsäule. Am linken Bein
ist starke Atrophie vorhanden. Die Krankheit soll im 10. Lebensjahre des
Kindes entstanden sein.
Aas dem Stammbaum, den Collins von der Familie aufgestellt hat,
ist ersichtlich, daß bei der Aszendenz in fünf Generationen Fälle von pro-
gressiver Muskelatrophie spinalen und bulbären Charakters vorgekommen sind.
(Bendix.)
Lannois (69) beschreibt einen Fall von Muskelatrophie syphilitischen
Ursprungs, der unter dem klinischen Bilde der Aran-Duchenneschen
spinalen Form verlief. Die Erkrankung hatte 4-6 Jahre nach einer schweren
sypWlitisclien Infektion eingesetzt und ging neben einer syphilitischen Knochen-
erkrankang einher, ohne mit derselben in näherer Beziehung zu stehen. Die
Muskelatrophie machte durch 16 Jahre hindurch langsame Fortschritte und
besserte sich noch nachher unter spezifischer Behandlung ganz wesentUch.
Aus dieser und noch 2 analogen Beobachtungen schließt Lannois, daß die
Syphiüs als meningo-meduUäre Erkrankungsform in der Pathogenest» der
Aran-Duchenneschen Muskelatrophie noch eine Rolle spielen dürfte.
Pagensteclier (89) würdigt die Bedeutung des Traumas für die
Entwicklung der chronischen spinalen Muskelatrophien. Er erweist aus d(*r
bereits reichen, einschlägigen Literatur und an der Hand dreier Fälle die
aoslösende Wirkung des Traumas an einer Reihe einwandfreier Fäll(\ Das
Trauma kann eine auslösende und eine lokalisierende Bedeutung für die
Entstehung der chronischen spinalen Muskelatrophien haben; dabei ist aber
eine Prädisposition durch angeborene oder erworbene Schwäche des motorischen
Systems wahrscheinlich. In manchen Fällen kann ein Zusammentreffen von
Trauma und angestrengter motorischer Innervation verantwortlich gemacht
werden.
Schnitze (108) beschreibt bei einer familiären Form einer progres-
öTen neurotischen Muskelatrophie mit den typischen Veränderungen an den
QIQ Frogreesive Muskelatrophie.
Händeu und Füßen, eine erhebliche Knochenatrophie an den Armen und
Händen.
Ebenso beobachtete Stiefler (120) bei 2 Brüdern einer FamiUe, in
welcher durch 4 Generationen 19 Personen an neuraler Muskelatrophie
erkrankt waren, neben den sonst typischen Symptomen osteotrophische
Störungen, welche in der Form von symmetrischen taubeneigroßen Knochen-
wuchenmgen am ßadiusköpfchen auftraten und die Funktion des Ellbogen-
gelenks beeinträchtigten.
Walton (130) beschreibt einen Fall von neurotischer Muskelatrophie
mit peronealem Typus aus einer Familie, in welcher 4 Geschwister die
gleiche Erkrankung zumeist im Alter von 11 Jahren acquirierten. Xebea
Atrophie der Peronealmuskulatur und Neigung zu Klumpfußbildung ist zu
bemerken: Relativ dünne Waden, Lordose, Erhaltensein der Reflexe, keine
fibrillären Zuckungen und nur quantitative elektrische Veränderungen; sehr
langsames Fortschreiten; bei dem ersten Fall auch Schwund der Hand-
muskulatur.
Weber (131) teilt einen peronealen Typus der Muskelatrophie mit,
in welchem das linke Bein (Atrophie der peronealen Muskeln und der Waden)
und die rechte Hand (Schwund des Thenar und Klauenhand) erkrankt waren.
An der kranken Seite bestanden Verringerung des Patellarsehnenreflexes,
Entartungsreaktion und leichte Sensibilitätsstörungen. Beginn wahrscheinlich
nach Masern.
Der erste der vpn Lepine und Froment (72) mitgeteilten Fälle
betrifft eine chronische Myopathie. Junger Mann von 16 Jahren, Krank-
heitsbeginn anscheinend vor dem 6. Jahre. Drei bis vier Jahre zuvor war
das Kind in einer Grube verschüttet worden. Sonst keine andere Aetio-
logie, keine erbliche Belastung. Zurzeit kann der Kranke nur unter großer
Anstrengung sich auf allen Vieren fortbewegen. Die Atrophie betrifft haupt-
sächlich die proximalen Muskelgruppen der Glieder. Sehnenkontrakturea,
Fehlen der Partellarreflexe, keine EaR., Kyphoskoliose, Facies myopathica
sehr ausgesprochen, fast vollständige Atrophie der Sterno-cleido-mastoidei.
Fall 2. Muskelatrophie anscheinend spinaler Natur. Mann von 59 Jahren.
Sehr ausgesprochene fibrilläre Muskelkontraktionen in den erkrankten Muskeln.
Besonders befallen sind die Muskeln des Schulterringes, insbesondere ünks.
Die linke Thoraxhälfte ist stark abgeflacht und die Pectorales sind links bei-
nahe geschwunden. Dies beruht auf der Profession des Kranken, der in
einer Schneidemühle beschäftigt war und einen schweren Holzklotz bearbeitete,
indem er sich auf die linke Subklavikulargegend stützte. Es ist noch zu
bemerken, daß der Kranke leichte Facies myopathica darbietet und erbliche
Belastung aufweist. Der allgemeine Eindruck spricht aber gegen eine
Myopathie. (BendixJ)
Der Patient von Lepine und Proment (72 a) ist ein 45jährigei
Kutscher, Alkoholist. Seit 1901 kann er die Leine schlecht halten. 190S
Auftreten einer Artikulationsstörung, dann Atrophie der Thenar-Muskeln,
der Vorderarmmuskeln und neuerlich der Mm. sterno-cleido-masto'idei. Kein€
Störung der Sensibilität; keine EaR. Reflexe erloschen. In letzter Zeil
bemerkte man, daß nur 40 — 50 Pulsschläge in der Minute erfolgten, wenc
er lag, beim Stehen nahm die Pulsfrequenz zu. Die Auskultation ergal
keine Bigemination; Puls- und Herzschlag stimmen überein. Diese Brady-
kardie in Verbindung mit der Artikulationsstörung scheint für eine bnlbäre
Erkrankung symptomatologisch zu sein. (BendLr,)
Lepine und Porot (73) teilen folgende Fälle mit. Fall 1. Neu-
ritische Atrophie: Sehr kräftiger, athletischer Mann von 62 Jahren weist
Progressive Muskelatrophie. gj^9
eine beträchtliche Atrophie der Muskeln des vorderen Teiles des rechten
Oberschenkels auf mit Behinderung des Gehvermögens. Rechts kein Patellar-
reflex; leichte Hyperästhesie der Vorderfläche des rechten Schenkels. Ätio-
logie soll ein Trauma gewesen sein; Schlag mittels eines Eisenstiickes von
1—2 Kilogr. gegen den rechten Schenkel, sodaß er zurücktaumelte. Arbeitete
aber die folgenden Tage trotz etwas Steifigkeitsgefühl; erst nach einigen
Monaten stellte sich eine fortschreitende, funktionelle Unfähigkeit des Beines
ein, aodaß er gezwungen war, die Arbeit einzustellen. Trotz der zwischen
dem Unfall und der Arbeitseinstellung verstrichenen Zeit, ist die Kausalität
nicht anzuzweifeln. Fall 2. Muskelatrophie auf arthritischer Grund-
lage. Mann von 53 Jahren mit einer Paralyse des Vorderarmes, die zu-
Däcbst in eine Radialislähmung erinnert. Die Hand ist im Handgelenk
gebeugt, kann nicht gehoben werden, und an der Dorsalfläche findet sich
am Handgelenk eine Schwellung, die den Eindruck einer Handgelenk«
geschwulst macht, wie sie bei Radialislähmung oft beobachtet wurde. Eine
genauere Prüfung aber ergab, daß die Lähmung, sowie die Atrophie sich
&st auf das ganze Glied ausbreitet und die Verdickung am Handgelenk auf
Arthritis beruht. Patient hustet seit 5 Jahren und hat Rasselgeräusche in
der rechten Lungenspitze. Demnach Lungentuberkulose, Arthritis des Hand-
gelenkes und atrophische Paralyse infolge von Gicht. (BencUx.)
ArthrogenB MaskBlatrophlB.
Deronbaix (33) teilt die histologischen Muskel- und Rückeiimarks-
befhnde eines Falles von abartikulärer Muskelatrophie mit. Es handelt sich
um einen 72 jährigen Landmann, der im Alter von 12 Jahren eine Arthritis
des rechten Knies, wahrscheinlich tuberkulöser Natur mit Ankylose und
konsekutiver Atrophie der rechten unteren Extremität akquirierte. Trotz
des langen Bestandes der Atrophie finden sich die Vorderhornganglienzellen
des Rückenmarks normal, jedoch bestand Chromatolyse in den Zellen der
intermediären Zone und der Clarkeschen Säulen des Dorsalmarks. Die
Muskelfasern waren stark atrophisch, zeigten keine Degeneration aber stärkere
Vermehrung der Sarkolemmkerne und zentral liegende Kerne mit Sarkolyse.
Deronbaix schließt aus diesem Befunde, daß es sich bei der abartiku-
laren Muskelatrophie um einen Nervenreiz handelt, der auf dem Wege des
sympathischen Reflexbogens verläuft, und weist die übrigen Theorien, namentlich
die Inaktivitätstheorie, zurück.
Bum (17) hat neue Tierversuche zur Klärung der immer nocli sehr
strittigen Frage über die Entstehung der arthrogenen Muskelatrophie an-
gestellt. Er erzeugte bei Hunden auf chemischem Wege eine einseitige Gelenk-
entzündung am Hinterbein und fand bei vollständiger und dauernder Immo-
bUisiemng beider Hinterbeine eine vollständig gleichmäßige Muskelatrophie.
In Kontrollversuchen atrophierte das immobilisierte gesunde Bein weit rascher
und intensiver als das nicht fixierte kranke. Aus diesem Grund verwirft er
die Reflextheorie zur Erklärung der arthrogenen Muskelatrophie und pflichtet
der Inaktivitätsatrophie bei.
Marcus (78) stellt bei den durch Traumen hervorgenifenen Muskel-
atrophien der Inaktivitätsatrophie eine „direkte" Muskelatrophie gegenüber,
ftr welche das schnelle Eintreten, die verschiedenen Intensitätsgrade in einem
und demselben Muskel und die ungünstige, wenn auch nicht absolut schlechte
Prognose charakteristisch sind. Dieselbe entsteht unmittelbar durch das
Trauma infolge direkter Einwirkung auf die Muskelfasern oder auf die intra-
520 Progressive Muskelatrophie.
muskulären motorischen oder trophischen Nerven; sie wurde aber unter
2000 Fällen nur drei Mal angetroffen.
Myatonia congenita.
Spiller (114) berichtet über einen Fall von Myatonia congenita mit
Sektionsbefund bei einem fast zwei Jahre alten Knaben. Das im allgemeinen
gut entwickelte Band zeigte ohne eigentliche Atrophie eine auffallende
Weichheit und Schlaffheit der Muskulatur; es konnte infolgedessen nicht
stehen, nur mit Unterstützung und nicht länger als 1 — 2 Minuten sitzen:
der Kopf fiel dabei nach vorn. Die Extreniitäten konnten zwar bewegt
werden, aber nur schwach.
Außerdem war infolge der Muskelatonie eine ganz enorme passive Be-
weglichkeit bemerkbar; die Beine konnten im gestreckten Zustande dem
Rumpf vollkommen angelegt werden. Die Patellarreflexe fehlten, die fara-
dische Erregbarkeit war erhalten. Bei der Leiche fällt vor allem das
Fehlen der Totenstarre auf; 20 Stunden post mortem ist die Muskulatur
ebenso weich wie bei Lebzeiten. Sie ist nicht atrophisch aber geringer ent-
wickelt und auffallend blaß. Daneben besteht eine relativ starke Entwicklung
des subkutanen Fettes. Die Muskelfasern sind schmal, zeigen aber keine
Degeneration. Rückenmark und periphere Nerven sind normal.
Kundt (68) beobachtete an Oppenheims Poliklinik einen weiteren
gleichartigen Fall.
Ein IV2 jähriges Kind zeigt neben starker subkutaner Fettentwicklung
ausgesprochene Hypotonie mit schlaff-weicher Beschaffenheit der Muskeln.
Beim Erheben desselben hängen die Beine schlaff in auswärts rotierter
Stellung herab. Spontane Bewegungen, auch solche auf sensible Reize hin
sind stark eingeschränkt. Die elektrische Erregbarkeit ist erheblich herab-
gesetzt. Ätiologisch wird die Erkrankung entsprechend der Annahme
Oppenheims als EntAvicklungshemmung der Muskulatur aufgefaßt.
Myatonia pBriodlca.
Fuchs (47) beschreibt das von Westphal und Oppenheim, später
von Goldflam studierte Krankheitsbild der Myatonia periodica an einem
Falle. Bei einem 36 jährigen Mann kommt es seit seinem 15. Lebensjahre
in unregelmäßigen Zwischenpausen zu Anfällen, die insbesondere nachts unter
allmählich sich steigernder Müdigkeit einsetzen und meist bis zu vollkommener
Inaktivität verschiedener Muskelgruppen führen. Auch die Schiin gmuskulator
wird nicht verschont, nur die Augenmuskeln bleiben frei. Es handelt sich
während des Anfalles um schlaffe Lähmung der Muskulatur mit Herabsetzung,
selbst Aufhebung der Reflexe und schwerer Schädigung der elektrischen Er-
regbarkeit. Allmählich verschwindet der Lähmungszustand ebenso wieder,
wie er kam.
Obduktionsbefunde liegen bisher von dieser ätiologisch noch rätselhaften
Krankheit nicht vor.
Muskeibypertrophie.
Curschmann (30) beobachtete das Auftreten einer echten isoherten
Muskelhypertrophie in zwei Fällen: Einmal des M. gastrocnemius dexter,
das andere mal des M. tibialis anticus beiderseits infolge heftiger und lang-
andauernder Crampi bei toxischer Neuritis. Die Crampi waren von V^ bis
\'2 stündiger Dauer und traten mehrmals täglich im ersten Falle durch l*/4.
Progressive Muskelatrophie. 621
im zweiten durch vier Jahre auf. Die Muskelhypertrophie war als hyper-
kinetische aufzufassen. Die elektrische Erregbarkeit war im ersten Falle
Bonnal, im zweiten auffallend gesteigert. Eine histologische Untersuchung
konnte nicht vorgenommen werden.
Mnskeldefekte.
steche (117) erweist durch sechs eigene Beobachtungen und an der
Hand der einschlägigen Literatur, daß die Defekte der Brust- und Schulter-
muskulatur einen wohl charakterisierten einheitlichen Typus einer Ent-
wicklungsstömng darstellen. Sie sind einseitig, werden nicht vererbt, was
sie anderen Mißbildungen gegenüber kennzeichnet, und betreffen Muskeln,
Skelett und Haut gleichzeitig. Von der Muskulatur werden meist die
Fektorales allein mit Ausschluß ihrer Clavikularportion befallen, seltener in
Kombination mit anderen Muskeldefekten. Auffällig ist dabei die geringe
Funktionsstörung. Am Skelett finden sich Defekte der Brustwand, Hypo-
plasie des Schultergürtel- und Armskeletts und Mißbildungen an der Hand
(hauptsächlich an den Metakarpen und Phalangen der drei mittleren Finger).
An der Haut findet sich Flughaut- und Schwimmhautbildung au den Händen
und Entwicklungsstörungen an der Mammilla und Mamma sowie schwächere
oder fehlende Behaarung. Auch für den Hochstand der Skapula sucht
Steche eine analoge Ursache.
In der Mitteilung von Capelle (19) werden die "Resultate einer rein
anatomischen, muskulo-mechanischen Bearbeitung eines der Fälle von Steche
wiedergegeben, woraus sich ergibt, daß für den ziemlich weitgehenden, wenn
auch nicht vollständigen Ersatz der Funktion die Muskulatur der Umgebung
als Hilfsmnskulatur eintritt, deren Wirkungsweise durchaus mit den von
Mollier festgestellten Prinzipien für den Bewegungsmechanismus in Einklang
2u bringen ist.
Wendel (132) teilt einen (den zweiten in der Literatur bekannten)
Fall von doppelseitigem angeborenen Brustmuskeldefekt mit. Vom Pectoralis
major war nur mehr die Clavikularportion vorhanden. Gleichzeitig bestand
Flughantbildung, rudimentäre Entwicklung der Brustdrüsen und -warzen und
Asymoaetrien am Thorax. Außer diesem wird ein zweiter Fall von links-
seitigem Pektoralisdefekt beschrieben. Eine Zählung der in der Literatur
bekannten Fälle von angeborenem Brustmuskeldefekt ergibt bereits die statt-
liche Zahl von 172.
Wendenburg (134) beobachtete fast vollkommenen funktionellen
Ausgleich eines nach. Stichverletzung total atrophierten M. deltoideus durch
Hypertrophie des Supraspinatus, des mittleren Drittels des Trapezius, der
oberen Partie des Pektoralis und des Serratus anticus major.
Myositis.
Hnätek (56) teilt die genaue Krankengeschichte einer atypischen
Form von Polymyositis mit, die durch die eigenartige Gruppierung der
Symptome ein besonderes Interesse beansprucht. Ein 34jähriger Arzt er-
krankt plötzlich unter hohem Fieber mit schweren Allgemeinerscheinungen,
später Kardiaschmerzen mit vorübergehender Stenose. Darauf kann er durch
II Tage wieder seiner Praxis nachgehen. Nun abermals allgemeine Schwäche,
zweitägiger Trismus mit Schmerz im rechten Oberkiefer, Schwellung und
Blutung des Zahnfleisches, Appetitlosigkeit, durch 2—3 Tage heftige Leib-
Khmerzen mit eigentümlichen Zuckungen der Bauchmuskulatur und profusen
522 Progressive Muskelatrophie.
Schweißen; Milzvergrößerung; im Harn Albnmen und Zylinder. £s tritt
ferner ein blaßrotes fleckiges Erythem am ganzen Körper, bald darauf an
verschiedenen Stellen der Extremitäten Hämorrhagien verschiedener Große
auf, gleichzeitig Rigidität und Schmerhaftigkeit der Muskulatur. Am zehnten
Tage der zweiten Erkrankungsperiode wird ein fünfstündiger „Herzanfall"
beobachtet, der unter Angstgefühl, stürmischer Herzaktion von 180— 5K)0
Pulsen und Erweiterung der Herzdämpfung nach rechts verläuft, nacMem
bereits seit Beginn der Erkrankung Neigung zu Tachykardie bestand.
Gleichzeitig wird das Auftreten neuer Hauthämorrhagien konstatiert Keine
Wiederholung des Herzanfalles.
Hnätek faßt diese Erkrankung als benigne Form der hämorrhagischen
Polymyositis auf.
Siok (111) beschreibt eine interessante Hausepidemie von akuter Poly-
myositis, die neun Wärterinnen der psychiatrischen Klinik Tübingens betraf«
welche gemeinsam zwei Parterrezimmer bewohnten. Die klinischen Symp-
tome waren schwere allgemeine Müdigkeit mit Rückenschmerz und reißenden
Gliederschmerzen unter starker psychischer Depression. Bei einigen
dyspeptische Beschwerden. Nach 1 — 3tägigem Verlauf traten unter hohem
Fieber lokalisierte Muskelschmerzen sowohl spontan als auch auf Druck mit
diffuser oder knotiger Infiltration und Härte der befallenen Muskeln auf. Die
Erkrankung betraf sämtliche Skelettmuskeln mit Ausnahme des Herzeos. Die
Haut blieb frei; es zeigte sich weder ein Exanthem noch Hämorrhagien.
Keine nervösen Erscheinungen. Im Blute keine Leukocytose, keine
Eosinophilie, doch nach Ablauf der schweren akuten Erscheinungen Auf-
treten einer großen Zahl von mononukleären Leukocyten. Bakterien konnten
aus dem Blute nicht gezüchtet werden. Im exzidierten Muskel fand sich
leichte fettige Degeneration der Muskelfasern, keine perivaskuläre Entzündung
der Muskelgefäße. Trotz genauer Durchsuchung keine Trichinen. Die Er-
krankung wird als echte akute, infektiöse Polymyositis aufgefaßt, die sich
jedoch durch das Fehlen der Hauterkrankung und durch den günstigen Aus-
gang von den bekannten Fällen unterscheidet.
Bass (4) fand bei zwei Fällen von typischer^ Influenzabronchitis einnaal
im M. biceps das andere mal im M. deltoideus Schwellungen, die plötslich
während des Abklingens des Influenzaanfalles unter lebhaftem Schmerze auf-
traten und nach 2 — 3 Tagen wieder verschwanden. Sie werden als durch
den Influenzabazillus hervorgerufen erklärt.
Hochsinger (57) beobachtete bei einem hereditär syphilitischen Ejude
mit typischer Flossenstellung der Hände eine Erkrankung der die Ellbogen-
gelenke umgebenden Muskulatur, insbesondere der Strecker und Supinatoren,
welche diese Haltimgsanomalie unschwer erklärt
Im Röntgenbilde konnte weiterhin erwiesen werden, daß diese Muskel-
erkrankung als von einem osteochondritischen Prozeß fortgeleitet anzusehen
ist. Auch die Wadenmuskulatur war in dem betreffenden Falle erkrankt.
Besserung nach antisyphilitischer Kur innerhalb 14 Tagen. Dieser Fall
erweist die myopathische Genese der syphilitischen Extremitätenlähmung der
Säuglinge, für welche man bisher, freilich ohne anatomischen Nachweis, eine
Rtickenmarkserkrankung anzunehmen gezwungen war.
ITrbach (127) berichtet über einen Fall von schwieliger Entartimg
des M. subscapularis (Myositis fibrosa), die sich bei einem 18 jährigen
Knaben im Verlaufe von 2 Jahren ohne bekannte Ursache ausgebildet hatte
und unter Schmerz- und Bewegungsstörung im Schultergürtel verlief. Bei
der Operation zeigte sich der Muskel durch ein beim Einschneiden
knirschendes Narbengewebe vollständig substituiert. Das fibröse Gewebe
Progressive Maskelatrophie. ^28
MfBi von einigen spärlichen Mnskelbiindeln durchsetzt^ welche hochgradige
Atrophie der Muskelfasern mit Kernwucherung und hyaliner Degeneration
idgten.
Heine (54) beschreibt eine Form von Myositis ossificans nach Sturz
TOD einer Treppe, wobei der Oberschenkel gegen eine Treppenstufe ge-
schlagen wurde. Es entwickelte sich neben dem Pemur um den Bluterguß,
m welchem wahrscheinlich kleine abgelöste Periostfetzen mitgerissen wurden,
eine knöcherne Hülle, eine echte Knochencyste, die mit breiter Basis dem
Knochen aufsaß.
Grünbatlin (52) teilt die kurzen Krankengeschichten von 8 Fällen
yon Myositis ossificans nach einmaligem Trauma mit: 6 nach Verletzung der
Ellbogengelenksgegend im M. bracbialis internus, 2 nach Hufschlag im
M. quadriceps. Die Diagnose wurde durch die Röntgenbefunde bestätigt.
Nur in einem Falle wurde 13 Wochen nach dem Trauma der Tumor
exzidiert und solides junges Knochengewebe ohne innere Höhlenbildung
gefunden.
In einem Falle von Myositis ossificans nach Hufschlag gegen den Ober-
schenkel konnte Müller (84) im Röntgenbilde die vollständige Unversehrt-
heit des Knochens und das Fehlen jeder Spur von Verbindung zwischen
dem Tumor und dem Knochen unzweideutig feststellen. Der Tumor lag im
Quadriceps, war 15 cm laug und 11 cm breit und zeigte mehrfache Schich-
tungen.
Frank (43), der 2 typische Fälle von traumatischer Kuochen-
vaehemng mitteilt (am Quadriceps nach Hufschlag und am Brachialis
internus nach Luxation des Ellbogengelenks), nimmt bezüglich der Genese
der Knochenbüdung eine vermittelnde Stellung ein. Nach ihm kann der
Prozeß, der entschieden entzündlichen Charakters ist, gleichzeitig vom Periost
und dem Muskelgewebe seinen Ursprung nehmen. Bezüglich der Behand-
lung rät er bei frischen, wenigstens nicht allzualteu Fällen ein konservatives
Verfahren — bei alten Osteomen, die zu Bewegungsstörung geführt haben,
die operative Entfernung.
An der Hand eines klinisch gut beobachteten und mikroskopisch exakt
untersuchten Falles sucht Stranss (121) unter kritischer Würdigung der
rerhältnismäßig umfangreichen Literatur unsere bisherigen Kenntnisse über
die sog. Myositis ossificans traumatica im engeren Sinne zusammenzufassen.
Der Ausgangspunkt — Periost oder Muskulatur — wird besonders
berücksichtigt. Verf. kommt zum Schlüsse, daß sowohl das Periost als auch
die Muskulatur den Aufbau übernehmen können. Die Frage, ob es sich um
einen Entzündungs- oder Neubildungsvorgang handelt, wird dahin entschieden,
daß eine Entzündung auszuschließen ist, da es sich wesentlich um einen
regeneratiTen Prozeß handelt, der freilich auch nicht die Charaktere der
Neubildung trägt. Die Änderung der Nomenklatur wäre daher wohl am
Platze.
Sonatige Einzelheiten sind im Original nachzusehen. Eine statistische
und literatur-Übersicht schließt die Arbeit. (Autorefemt.)
Nach einer Mitteilung von Stoinert (119) trat bei einem 62jährigen
Mann in einem seit 1 Monat hemiplegischen Arm scheinbar spontan an der
Beugeseite des Ellbogengelenks eine ausgedehnte Blutung auf, aus welcher
sich nach Rückgang der akuten Erscheinungen eine knöcherne Verhärtung
des M. brachiahs internus entwickelte, die das Ellbogengelenk fast völlig
fixierte und im Röntgenbild von feinen, dichten, längsverlaufenden Spangen
durchsetzt erschien.
^24 Krankheiten der peripherischen Nerven.
Einen Fall von Myositis ossificans progressiva demon8triert
Michelsen (80). Dieser, bei einem 19 jährigen Mädchen seit 6 Jahren
bestehend, wurde bereits vor 272 Jahren in der Zeitschrift für orthopädische
Chirurgie beschrieben. Seither bildeten sich häufig schmerzhafte Anschwel-
lungen von Muskelgruppen, die aber zumeist wieder rückgängig wurden und
nur zuweilen in Verhärtungen mit später auftretender Ossifikation endeten.
Viele der bestehenden Verhärtungen lassen fiöntgenstrahlen durch und
befinden sich demnach noch in einem Vorstadium des Ossifikationsprozesses.
Die meisten der Knochenherde liegen mitten im Muskel, weshalb für diese
das intermuskuläre Bindegewebe als Ausgangspunkt angesehen werden muß.
Fehn und Horand (91) beschäftigen sich in ihrer Arbeit mit dem
Wesen der progressiven Myositis ossificans. Sie kritisieren die verschiedenen
Theorien über die Pathogenese dieser Erkrankung und sprechen sich zu
Gunsten der kongenitalen Theorie aus, für welche der Beginn der Afi'ektion
und das Xebeneinanderauftreteu von Knocheumißbildungen und Muskel-
veränderungen zu sprechen scheint. (Bendix.)
MDSkelblntungen.
Smith (113) bespricht unter Mitteilung der Krankengeschichten dreier
Fälle das Auftreten und den Verlauf intramuskulärer Blutungen, insbesonders
in die Wadenmuskulatur, nach vorangegangenen Traumen.
Krankheiten der peripherischen Nerven.
Referent: Prof. Dr. Bernhardt-Berlin.
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(532 Krankheiten der peripherischen Nerven.
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I. Lähmungen.
A. Lähmungen der Hirnuerven.
1. Facialislähmuug.
Bei einem 20 jährigen Patienten von Meyer (147) war über Nacht
eine rechtsseitige Gesichtslähmung eingetreten. Während das Ohr normal
war, fand sich eine bohnengroße, sehr schmerzhafte Drüsenschwelluug dicht
unterhalb der Spitze des rechten Warzenfortsatzes und etwa handbreit darunter
am Nacken ein Furunkel. Die geschwollene Drüse drückte demnach gerade
auf den Nerven. Nach Inzision des Furunkels und Abschwellung der Drüse
trat schon vom dritten Tage an eine Besserung ein. Heilung nach 14 Tagen.
In dem Barth'schen (11) Fall war die Schädigung des N. facialis
abhängig von einem Senkungsabszeß unterhalb des Warzenfortsatzes in der
fossa digastrica. Die Beeinträchtigung des Nerven erfolgte (außerhalb des
Schläfenbeins) nach seinem Austritt aus dem foram. stylom.
Knapp (117) berichtet: Ein sonst gesunder 29jähriger Mann hatte
etwa zwei Stunden, die rechte Wange auf den Tisch aufgelegt, geschlafen.
Es resultierte eine vollkommene rechtsseitige Facialislähmuug. Gesclmiacks-
störungen auf den vorderen zwei Dritteln der rechten Zungenhälfte; die
elektrische Erregbarkeit der gelähmten Muskeln war nur quantitativ vermindert,
qualitativ nicht verändert. Heilung, auch der Geschmacksstörung, innerhalb
4 Wochen. Vielleicht ist für diesen Fall (nach Verf.) anzunehmen, daß die
spitzwinklige Umbiegung der Chordafasern abnorm tief, nicht wie sonst inner-
halb, sondern außerhalb des foram. stylom. erfolgt ist.
Stein (217) beobachtete bei einem durch Spontangeburt von einer
Primipara geborenen Mädchen eine in der Gegend des linken Proc. mast
gelegene kirschkerngroße teigige Schwellung, eine Lähmung des linken Facialis
und eine Parese der linken Zungeuhälfte. Die elektrische Erregbarkeit war
für die Gesichtsmuskulatur herabgesetzt. Innerhalb zweier Wochen waren
Schwellungen und Facialisparesen geschwunden, die elektrische Erregbarkeit
zur Norm zurückgekehrt. Im Urin keine abnormen Bestandteile; Herzaktion
normal. Verf. sieht die Schwellung an der Austrittsstelle des linken Facialis
als ein typisches Hämatom an, meint aber auch, daß zur Erklärung der
Zungenparese eine intrakranielle, basale Blutung anzunehmen sei. Beide
Hämatome hatten in diesem Falle dieselbe Ursache, dieselben Wirkungen:
kurz dauernden Druck auf den Schädel, Lähmung zweier Gehirnnerven.
Bei einer 66 jährigen Frau, beobachtet von Raymond, Huet und
AlQUier (184), trat ohne äußere Ursache eine linksseitige vollkommene bis
zum Lebensende nach 13 Jahren unverändert bestehen gebliebene Facialis-
lähmung auf. Der Tod trat infolge einer Bronchopneumonie ein. Ein Fibro-
sarkom hatte den linken N. facialis an seinem Austritt aus der Med. obL
in seinen Bereich gezogen und komprimiert, die med. obl., das Kleinhirn,
den 8., 9. und 10. Hirnnerven bei Seite schiebend, ohne sie irgend wie
schwerer in ihrer Integrität zu beeinträchtigen. Deshalb konnte dieser Fall
während des Lebens auch nicht diagnostiziert worden. Die genauere Unter-
suchung ergab den Ursprung der Neubildung aus der Scheide des N. facialis
bei seinem Austritt aus dem Bulbus. Die Details der histologischen Unter-
suchung siehe im Original. Obgleich die Lähmung 19 Jahre bestanden hatte,
wurden doch nirgends im Zentralnervensystem oder an den Nervenwurzeln
auch nur Geschwulstandeutungen gefunden.
Krankheiten der peripherischen Nerven. 533
In Novak's (164) Fall handelt es sich um eiuen 59jährigeD, geistig
zurückgebliebenen Mann mit rechtsseitig verbildetem Olir und mangelhaft
entwickelter rechter Gesichtshälfte. Äußeres, mittleres und inneres Ohr waren
ergiiffeu und schlecht entwickelt. Einzelheiten siehe im Original. Es bestand
DQQ eine ausgesprochene Differenz beider Gesichtshälften, und doch lag keine
eigentliche Lähmung vor; die elektrische Erregbarkeit war für beide Stromes-
arten erhalten. Wie die vom Facialis, so waren auch die vom Trigeminus und
Hrpoglossus innervierten Muskeln nur mangelhaft entwickelt. Der Fall ent-
spricht am meistem dem in diesem Bericht vom Jahre 1902 besprochenen
TOü Marfan und Delille. Vgl. dort.
Barth's (12) Beobachtungen gipfeln in folgejidem Satz: So ist die
eigentümliche Veränderung der Sprache bei doppelseitiger Facialislähmung
(der Ausfall der Lippenlaute, die unreine Vokalbildung, die beim Sprechen
besonders hervortretenden Kaubewegungen zur Kompensation der fehlenden
Lippenspannung) von besonders charakteristischer und hervorstechender symp-
lomatologischer Bedeutung.
Bei einem 51jährigen vorher an Influenza krank gewesenen Manne
hatte sich, wie Langdon (124) mitteilt, infolge von Erkältung (?) auf einer
Eisenbahnfahrt eine doppelseitige Gesichtsnervenlähmung eingestellt, die durch
das Fehlen der Kniereflexe und vollkommene Abwesenheit der Geschmacks-
empfindung auf der rechten Zungenhälfte ausgezeichnet war. Die Kniereflexe
kehrten später zurück. Es trat Heilung ein. Die elektrische Erregbarkeit
soll für beide Stromesarten eine träge gewesen sein.
In Shumway's (208) Fall handelt es sich um ein 19 jähriges Mädchen,
das nach einer unter Schmerzen eingetretenen, auf Erkältung zurückzuführenden
rechtsseitigen Gesichtslähmung zugleich eine doppelseitige Optikusneuritis mit
nachfolgender Atrophie darbot. Es bestand bei ihr eine Abflachung des Ge-
richts auf der leidenden Seite und zugleich Enophthahnos. Verf. teilt zu-
gleich einen Fall von Spiller mit, wo bei einer 52jährigen Frau nach einer
Hüter Schmerzen aufgetretenen rechtsseitigen Facialislähmung eine Abflachung
dieser Seite und deutlicher Enophthalinos zurückgeblieben war. Schmerzen,
Abflachung der betroffenen Gesichtshälfte und Enophthalmos bezieht Verf.
aar eine neben der Läsion des Facialis bestehende Neuritis des Trigeminus
und nicht auf eine Mitbeteiligung sensibler Fasern im Facialis.
Diese Beobachtungen Shumway's erscheinen dem Referenten im Hin-
blick auf die Mitteilungen von Gowers von Interesse.
Bei einem 16 jährigen, neuropathisch belasteten Jungen, dessen Mutter
|ttit 16 Jahren ebenfalls an Facialislähmung litt, sah Hudovernig (1^^«^)
in drei Tagen eine doppelseitige typisch rheumatische Facialislähmung sich
entwickeln; vollkommen mangelnde Mimik, Supraorbitalis rechts druckempfind-
lich, Geschmackempfindung an den beiden vorderen Drittteilen der Zunge
Wabgesetzt, Sprache erschwert, Trommelfell beiderseits eingesunken, beide
Proc. mastoidei druckempfindlich; partielle EaR. (Herabsetzung der fara-
dischen und galvanischen Erregbarkeit, träge Zuckung, Inversion.) Voll-
standige Heilung in zwei Wochen, mit Rückkehr der elektrischen Erregbar-
keit zur Norm. H. betont das doppelseitige und familiäre Vorkommen der
FaciaHslähmung, supponiert eine kongenitale Einengung des Canalis Fallopiae,
welche bei leichter katarrhalischer Affektion eine Kompression des Facialis
hervorrufen kann, ohne schwerere Veränderungen im Nerven. Diese genügt,
^m EaR. zu verursachen, welche jedoch in solchen Fällen nicht für die
Schwere der Prognose sprechen kann, da im Falle H.'s trotz solcher die
B«3titution in zwei Wochen erfolgte. (Hudovernig.)
634. Krankheiten der peripherischen Nerven.
Donath (59) beobachtete, daß in Fällen peripherer Facialislahmung,
wo die Sensibilität der erkrankten Gesichtshälfte herabgesetzt war, auch die
Empfindlichkeit der betreffenden Körperhälfte beeinträchtigt erschien. Die
bei peripherer Facialislahmung auftretenden Schmerzen und Sensibilitäts-
störungen entstehen durch eine Läsion der Nervenendigungen des Trigeminus,
des Plexus brachialis und anderer sensibler Nerven, welche durch dieselbe
Noxe geschädigt werden, welche die rheumatische Facialislahmung hervor-
gerufen hat. (Hvdovernig,)
Crachet (48) teilt folgenden Fall von post paralytischem Facialis-
krampf mit. Bei einem 7 jährigen Knaben entstand eine peripherische
Facialisparese links, welche innerhalb drei Monaten unter elektrischer Be-
handlung zur Heilung kam. Ein Jahr darauf entwickelt sich langsam ein
tonischer Krampf in der linken Gesichtshälfte, wobei zuerst das linke Augen-
lid enger erschien. Innerhalb von drei Jahren nahm der tonische Krampf
aber immer mehr zu. Zu diesem tonischen Krampf gesellten sich in den
beiden letzten Jahren klonische Zuckungen, die anfangs auf die linken Mund-
winkel beschränkt waren, sich aber später auf das Auge und Kinn aus-
breiteten.
Die Kontrakturen stellen sich bei willkürlichen und unwillkürlichen
Gesichtsbewegungen ein. Beim Lachen, Weinen und Grimmassenschneiden
schließt sich das linke Auge fast völlig, wobei der linke Mundwinkel mehr
linkerseits als rechts eleviert wird und sich links ein Kinngrtibchen bildet
Beim Rezitieren tritt derselbe Zustand ein, je nach der Lebhaftigkeit der
Mimik. Bei gewissen unbewußten mimischen Bewegungen, bei seelischer
Erregung, beim Spielen (Lachen) oder bei Traurigkeit (Weinen) kontrahiert
sich die linke Gesichtshälfte total. Auch die Einwirkung des Lichtes,
(Sonnenlicht) und starke Beleuchtung rufen den völligen Verschluß des
linken Auges hervor mit krampfhaftem Emporziehen des linken Mundwinkels
und ausgeprägtem Kinngrübchen. (Bendiz.)
Lamy (123) berichtet über folgende interressante Beobachtungen, die
er bei einem 60jährigen Manne mit rechtsseitiger Facialisparese machen
konnte. Es waren die Frontalmuskeln, zygomatici und levatores labii sup.
rechts paretisch. Ließ Lamy den Kranken das rechte oder beide Augen
zukneifen, so entstanden in den willkürlich nicht bewegungsfälügen Muskehi
der rechten Gesichtshälfte Kontrakturen, die er als synergische, paradoxe
bezeichnet. Lamy möchte dieses Phänomen in der Weise erklären, daÄ
eine mangelhafte Heilung des gelälimten Nerven stattgefunden hat und die
Kernzellen für den M. orbicularis palpebranim besser erhalten geblieben sind
und über die and.^ren Teile des Facialis dominieren; infolgedessen können
sich die übrigen Aste des gelähmten Facialis nur kontrahieren, wenn der
Orbicularis palpebrarum in Kontraktion gerät. (Betidix.)
Babinski (8) sucht die allgemein anerkannte Erfahrung zu modifi-
zieren, daß bei Facialislahmung nur im Anfangsstadium der Erkrankung die
elektrische Erregbarkeit erhöht ist
Babinski teilt zwei Beobachtungen mit. Fall 1 betraf einen 27 jährigen
jungen Mann, der eine alte rechtsseitige Mittelohrerkrankung hatte und
plötzlich eine Lähmung des rechten Facialis bekam, mit Herabsetzung des
Gefühls an der rechten Hälfte des Gesichtes und der Zunge, unsicherem Gang,
Störungen der Bewegungen des rechten Armes, Lateropulsion nach rechts
und Diplopie. Es bestand Bellsches Phänomen und erhöhte faradische und
galvanische Erregbarkeit im rechten Facialis, keine Kontraktur der schlaffen
Gesichtsmuskeln, aber hin und wieder auftretende unwillkürliche Bewegungen
des rechten Mundwinkels. I^ystagmus. — Fall 2 betrifft ein 23 jähriges
Krankheiten der peripherischen Nerven. 635
Mädchen, das seit der Kindheit an einer linksseitigen Parese des Facialis
leidet, besonders im oberen Aste. Anch hier fand sich eine deutliche Über-
enregbarkeit der kranken Gesichtshälfte auf faradischen und galvanischen
Strom. Kontraktur war nicht vorhanden. Die Patientin litt seit ihrer
Jagend an einer linksseitigen Otitis media.
Den ersten Fall deutet Babinski als eine Affektion der regio pontis
et meduUae oblongatae und führt die paradoxe elektrische Übererregbarkeit
des Facialis auf einen Keizzustand im Facialiskeme oder am TJrspnmge
des Nerven zurück. (Bendux.)
Minor (163) berichtet über drei von ihm beobachtete Fälle von
ÜDfalllähmungen des Nervus facialis, welche vom klinischen Standpunkt aus
und auch von dem der Unfallversicherung beachtenswert waren.
Die drei Fälle illustrierten in Bezug auf Lokalisation drei interessante
Yarietaten eines Facialis-Traumas ; im ersten Falle bestand eine hohe Läsion,
wahrscheinlich eine Fissur der pars petrosa; im dritten existierte eine Ver-
letzuug der Nerven neben dem Ohr und gleichzeitig eine Läsion des Trige-
miuus; im zweiten Falle war der Nerv an der Peripherie selbst in der Mitte
der Wange durchrissen. Hier war die elektrische Reaktion auffallend, welche
sich im zentralen Abschnitt der Wange als normal erwies. Alle drei Fälle
Ton Facialislähmung veranlaßten Minor, wegen der durch sie bedingten Be-
einträchtigung der Erwerbsfähigkeit, die Rente um 25 \ zu erhöhen.
(Bendia.)
Gierlich (85) beobachtete bei einem 14jährigen Mädchen eine an-
geborene Lähmung beider Nn. facialis, des linken N. hypoglossus und der
Blickrichtung nach links und rechts bei erhaltener Konvergenz. Die Lähmung
ging mit Atrophie einher nnd war im Gebiete des N. facialis komplett im
Augen- und Wangenteil, während die Mundwinkel nach beiden Seiten ver-
zogen werden konnten. Die elektrische Erregbarkeit war im Gebiete beider
Nd. facialis wie des linken N. hypoglossus am Nerven wie Muskel auf den
galvanischen und faradischen Strom erloschen; nur die oberen Mundwinkel
waren direkt mit beiden Strömen vom Muskel (nicht aber vom Nerven) er-
regbar. Der Herd der Lähmungen dürfte frontalwärts vom Abducenskem
in der Medulla oblongata und in dem kaudalen Brückenmark zu suchen
sein. Die Affektion war angeboren und stabil seit der Geburt; es dürfte
eine Aplasie oder Hypoplasie dieser Teile resp. der Kerne dieser Gegend
vorliegen.
Frazier (74) hat bei einem Manne, der sich durch eine Schuß-
verletzung eine voUkommne Gesichtsnervenlähmung zugezogen hatte, die
Vereinigung der N. facialis mit dem gleichzeitigen N. hypoglossus ausgeführt.
Allmähliche Besserung. Erst nach dem 14. Monate kehrte die faradische
Reaktion zurück (der orbic palpebr. reagierte schon etwas im neunten Monat).
Aktive Beweglichkeit zeigte sich zuerst an den unteren Facialismuskeln.
Trotz der der Operation folgenden Atrophie der Zunge traten Schwierig-
keiten im Schlucken oder Sprechen nicht ein.
Weiter bemerkt Fr., daß er den N. hypoglossus vor dem Accessorius
deshalb bevorzugt, weil seines Wissens noch keine den N. accessor. ver-
wendende Operation ohne die sehr unangenehmen Mitbewegungen der
Schultermuskulatur geendet habe.
Demgegenüber berichtet Eisberg (63) von der an einer 30jährigen
Frau ausgeführten Operation, welche seit fiühester Jugend eine linksseitige
Facialislähmung hatte, und bei der er die Anastomose mit dem Accessorius
durch Nervenpfropfung ausgeführt hatte. Nach der Operation war der linke
Trapezius ganz, der linke Sternocleid. teilweise gelähmt. Dies besserte sich
536 Krankheitea der peripherischen Nerven.
innerhalb 6 Monaten. Allmähliche weitere Besserung. Der Fall verdient
ein besonderes Interesse, weil er 29 ^^^ Jahr nach Beginn der Lähmung
operiert wurde, und weil assoziierte Schulterbewegungen vollkommeQ
fehlten.
In der Diskussion bemerkte B. Sachs, daß er für die Operation den
Accessorius bevorzugen würde, und daß man nicht vor Ablauf wenigstens
eines Jahres operieren solle.
Zabrieskie (244) hatte Gelegenheit, einen äußerst seltenen Fall iso-
lierter einseitiger Lähmung des Platysma zu beobachten. Eine 17 jährige
Zigarettenarbeiterin bemerkte seit drei Jahren im Gefolge eines post-
typhösen Geschwüres hinter dem linken Unterkiefer, daß ihr Mund schief
stand. Eine Gesichtslähmung soll nicht dagewesen sein. Der linke Mund-
winkel hängt in der Ruhe etwas herab und . wird beim Breitziehen des
Mundes weniger nach hinten gezogen als rechts. Werden die Mundwinkel
herabgezogen, so geschieht es links mehr als rechts, und das linke Platysma
bleibt unbeweglich, während das rechte sich gut kontrahiert.
Elektrisch ist der linke Facialis etwas erregbarer als das rechte bis
auf das Platysma, das ganz unerregbar für den faradischen und galvanischen
Strom. Der linke Depressor anguli oris zeigt leichte faradische und gal-
vanische Herabsetzung gegen rechts. Es dürfte sich um eine septische
Neuritis des das Platysma innervierenden Astes handeln, der dem N. facialis
angehören soll. Gegen die Annahme, daß das Platysma von einem anasto-
mosierenden Ast des oberen Cervikalplexus versorgt wurde, spricht in dem
Falle, daß der Plexus cervicalis völlig frei von Lähmungserscheinungen war,
trotz der langen Dauer der Platysma-Lähmung. (Bendix,)
In den von Fleischer (70) beobachteten Falle wurde der Bulbus
beim Lidschluß nicht dem Bellschen Phänomen entsprechend nach oben,
sondern nach unten gedreht. Der Patient hatte durch eine Sprengladung
das rechte Auge verloren, während am linken intakten Bulbus der obere
Lidrand defekt war. Nach einer plastischen Operation gelang der Lidschlnß,
wenn auch unvollständig; der Bulbus rollte sich hierbei nach oben außen.
Ln Laufe von zwei Monaten war das Oberlid am inneren Teil narbig ver-
dickt, am äußeren hatten sich narbige Wülste der granulierenden Konjunktiva
gebildet. Jetzt wurde der Bulbus bei leichtem Lidschluß nach unten, bei
kräftigem Schluß nach oben gestellt. Zwei Jahre später trat bei jeglichem
Lidscliluß, bei dem außen eine Spalte ofien blieb, eine Drehung des Auges
nach unten innen ein; die Kornea verschwand ifast ganz unter dem sich
nach oben schiebenden Unterlid.
Verf. sieht die Bedeutung dieser Beobachtung, bei welcher das Bell-
sche Phänomen sich von einer Aufwärts- in eine Abwärtsbewegung des
Bulbus umwandelte, darin, daß er gegen die Annahme einer anatomischen
Verbindung zwischen Okulomotorius und Facialis und für die Annahme
eines die betreffenden Muskeln des Okulomotorius mit dem Orbicularis zu
koordinierter Tätigkeit bringenden subkortikalen Zentrums spricht. Andrer-
seits erscheint die Beobachtung als eine Stütze der Nageischen Annahme,
daß die Mitbewegung beim Bellschen Phänomen reflektorisch ausgelöst
wird, indem die Kornea hinter den Lidern die Stelle des geringsten Druckes
sucht. Bei der Drehung nach oben wäre der Bulbus in eine sehr ungünstige
Lage geraten; die von ihm eingenommene Stellung (unten) entsprach der-
jenigen, wo die Kornea am wenigsten gedrückt wurde.
Innerhalb der letzten 14 Jahre sind nach Sossinka (214) in der
Mendelschen Poliklinik zu Berlin 300 Fälle von peripherischer Gesichts-
nervenlähmung beobachtet worden. Rücksicht genommen ist in der Arbeit
Krankheiten der peripherischen Nerven . f)37
nnr auf diejenigen Fälle, deren peripherische Natur zweifellos war. Das
Maximum der Erkrankung fand sieh zwischen dem 41. und 50. Lebensjahr.
Es waren 128 männliche und 172 weibliche Individuen, also in Überein-
stimmung mit den Angaben des Referenten und Philips 42,67";^ bei
Männern und 57,33 % b^i Frauen.
Ein besonderer Unterschied hinsichtlich des Befallenwerdens der rechten
oder Unken Seite wurde nicht gefunden und sowohl bei Männern wie bei
Frauen war die rechte resp. die linke Gesichtshälfte nahezu gleichmäßig
erkrankt. Bemerkenswert wäre noch die Tatsache, daß in etwa 10 **/„ der
Fälle subjektive resp. objektive Geschmacksstörungen nachzuweisen waren;
in Tier Fällen bestand Hyperacusis. Auf den Schiefstand der Uvula in
10 Fällen legt Verf., den neueren Anschauungen folgend, kein besonderes
Gewicht; in vier Fällen wird von einem Lähmungszustand des Gaumen-
segels gesprochen; nähere Angaben hierüber fehlen aber. In 71 ^/^^ der
Fälle wurde nur eine reine Gesichtslähmung festgestellt: wohl in reichlich
Dreiviertel aller Fälle ist hiernach der Erkrankungsherd unterhalb des Ab-
gangs der Chorda tymp. zu suchen. Dreimal fand sich eine Abweichung
der Zunge nach der gelähmten Seite hin. Ob es so bekannt ist. wie Verf.
meint, daß bei Facialisparese eine Verminderung der Tränensekretion statt-
hat, ist nach Ref. doch noch zu bezweifeln.
Unter den 300 Fällen kamen bei 10, also in 3°/„, Rezidive vor. In
der Besprechung der Frage über das Wesen der Schädlichkeit, die eine
Gesichtslähmung hervorruft, kommt Verf. nicht zu einer ganz befriedigenden
Antwort,
Unter dem Wort „Paralysies k bascule" versteht Petit (173) solche
Facialislähmungen, welche wiederkehrend nicht dieselbe, sondern die l)eim
ersten Male frei gebliebene Seite des Gesichts befallen.
Die Arbeit, welche speziell einen Fall von Thiroloix und 11 Beob-
achtungen von Hu et verwertet, ist nach verschiedenen Gesichtspunkten
bemerkenswert imd zeichnet sich auch dadurch aus, daß die Arbeiten
deutscher Autoren ausgiebig benutzt worden sind. Wir geben hier von den
ziemlich ausgedehnten Schlußfolgerungen des Verf. die wichtigsten wieder.
Die wiederholt auftretenden Gesichtslähmungen bilden von den peri-
pherischen Facialislähmungen etwa 6^^. Man hat nach Verf. eigentliche
rezidivierende, dieselbe Seite betreffende und abwechselnd die eine oder
andere Seite befallende Paralysen (k bascule) zu unterscheiden. Eine Vor-
liebe in Betreff der Lokalisation besteht für die Rezidive nicht. ZwischcMi
der ersten und der ersten sich wiederholenden Lähmung verfließen selten
mehr als zwei Jahre; doch kann das Litervall sowohl länger, als auch kürz(*r
sein. Zweite, dritte, vierte Rezidive sind sehr selten. Kommt das erste
noch während des Bestehens der ersten Lähmung, so kann das Bild einer
Diplegia facialis resultieren. Vor einem Jahre tritt ein zweites Rezidiv
nicht ein. Zweite, dritte, vierte Rezidive treten umso seltener ein, als das
erste Rezidiv der Zeit nach von der ersten Lähmung entfernt war. — Erste
und zweite Rezidive kommen bei beiden Geschlechtern in gleichem Prozent-
satz vor: bevorzugt ist das Alter zwischen 10 und 50 Jahren; relativ häufig
finden sich Rezidive auch im Kindesalter. Vorangehende Schmerzen be-
stehen in etwa 50 7.» ^^^ rezidivierenden Lähmungen, haben aber mit der
Dauer oder Schwere der Lähmungen nichts zu tun. — In 65 "/^ der Schaukel-
lähmungen treten Kontrakturen ein, die event. beiderseitig entstehen kiinnen.
Die Rezidive können elektrodiagnostisch schwer oder leicht sein; für die
Schaukellähmungen besteht hierin kaum eine Regel, vielleicht aber, wie
auch Ref. (Zbl. 1899 S. 477) gefunden, für die eigentlichen Rezidive. Den
538 Krankheiten der peripherischen Nerven.
Ausdruck „Paralysis a frigore" verwirft Verf. durchaus; Erkältung ist nur
eine Gelegenheitsursache, ebenso die hereditäre Prädisposition. Die
Philip sehe Hypothese einer Verengerung des Foramen stylomast verwirft P.
Nach ihm ist die Gesichtslähmung eine auf infektiöser oder toxischer Basis
beruhende Erkrankung. Die Rezidive werden hinreichend erklärt, wenn
man eine persistierende Ursache oder verschiedene unter verschiedenen En-
Aussen sich ausbildende Ursachen annimmt; deren Wirkungen häufen sich
und erklären das Auftreten von Rezidiven hinreichend, ohno daß man nötig
hat, die Frage der Immunität aufzuwerfen, die ja bei Infektionskrankheiten
möglich ist, aber doch nicht konstant beobachtet wird.
2. Lähmungen der Nn. Trigeminus, Glossopharyngeus, Vagns,
Accessorius, Hypoglossus.
Rethi (188) polemisiert gegen Mann, der behauptet, daß der m. levator
palati mollis vom N. facialis innerviert werde. R. kommt nach seinen Er-
fahrungen zu dem Schluß: Nur dann, wenn ein Obduktionsbefund unzwei-
deutig dartun wird, daß auch der Facialis den Levator innerviert oder der
Zufall etwa eine der Nuhnschen entgegengesetzte Beobachtung ergeben
würde, d. h. daß auch Reizung des Facialis Hebung des Velum ergibt, wäre
nebeu dem Vagus in Ausnahmefällen auch an eine Beteiligung des Facialis
an der motorischen Innervation des Gaumens zu denken. Solange solche
nicht vorliegen, muß an der alleinigen motorischen Versorgung des Leiator
veli palat. durch den N. vagus festgehalten werden.
Den seltenen Fällen von Paralyse der Erweiterer der Stimmritze im
Kindesalter fügt Hussy (107) einen neuen Fall hinzu. Die Obduktion be-
stätigte zwar die Diagnose, gestattete aber nicht, Klarheit über die Ätiologie
des interessanten Falles zu gewinnen.
Eine an Insuffizienz und Stenose der Mitralklappe leidende 30 jährige
Patientin Frischaner's (78) zeigte bei starker Heiserkeit eine vollständige
Lähmung des linken Stimmbandes. Das ganze Herz, besonders der linke
Vorhof war dilatiert, der linke N. recurrens durch den erweiterten linken
Vorhof zusammengedrückt. Der sehr stark erweiterte linke Vorhof hatte
nicht direkt, sondern indirekt durch Vermittlung der von dem linken Vorhof
und den erweiterten Pulmonalvenen in die Höhe und nach vom gehobenen
arteria pulmon. den N. recurrens sin. an den Aortenbogen angedrückt, zur
Degeneration seiner Fasern gebracht und dadurch das linksseitige Stimmband
gelähmt.
Die bisher bei Mitralstenose und Rekurrenzlähmung erhobenen patho-
logisch-anatomischen Befunde haben ergeben, daß hierbei als Entstehungs-
ursache für die Rekurrenzlähmung drei Möglichkeiten in Betracht kommen,
nämlich: 1. durch den erweiterten linken Vorhof direkt; 2. den erweiterten
Hnken Vorhof indirekt durch Vermittlung der Arteria pulmonalis; 3. das
Ligamentum Botalli.
Ein 56 jähriger Patient Rosenberg's (191) wurde wegen Zungen-
Carcinoms mehrfach operiert und auch intrabukkal mit Röntgenstrahlen be-
handelt. Es stellte sich ziemlich plötzlich eine doppelseitige Postikuslähmung
ein, die eine Tracheotomie nötig machte. Allmähliche Heilung. Verf. ver-
mutet die Ursache der Kehlkopfmuskellähmung in der Behandlung des
Kranken mit Röntgenstrahlen: er mußte eine kleine Röhre in den Mund
nehmen.
Bei einem 38 jährigen Phthisiker Patienten Ohm's (165), trat ein
rechtsseitiger Pneumothorax auf und wenige Tage darauf eine Lähmung des
Krankheiten der peripherischen Nerven. 639
Küken Sümmbandes, das völlig bewegungslos in Medianstellung mit leicht
exkayiertem Bande stand bei übrigens vollkommen normalen Verhältnissen
im übrigen Kehlkopf; die operative Entleerung der rechten Pleurahöhle
nach Bülau führte relativ schnell zur Entfaltung der Lunge und zur £ück-
bildung der Verdrängung des Herzens. Wenige Tage danach ließen sich
wieder Bewegungen des linken Stimmbandes nachweisen und allmähliche
Bäckbildung der Lähmung bis fast zur Norm; dann starb der Patient an
seiner Tuberkulose. Die Autopsie widerlegte nicht die intra vitam gestellte
Diagnose, wonach durch die starke Verdrängung des Herzens und des
Aortenbogens, um den sich ja der linke Nervus recurrens herumschlingt,
eine dauernde Zerrung der Nerven veranlaßt wurde.
Eine 29 jähr. Dame bekam sechs Wochen nach operativer Entfernung
einer kleinen Struma Atembeschwerden (Dyspnoe), welche wie Cartaz (39)
nachwies, von einer beiderseitigen Stimmbandlähmung herrühite. Das larjngo-
logische Bild entsprach einer Paralyse der Crico-arythenoidei postici, welche
C. auf Narbenkompression der Nervi recurrentes im Gefolge der Struma-
exstirpation deutet, (Bmdix.)
Franke (73) publiziert einen Fall von Vagusarrhythmie des Herzens
hn Anschluß an akute Perikarditis. Wahrscheinlich hatte der entzündliche
Zustand des Perikards einen Reiz auf reflektorischem Wege auf den Herz-
fagus ausgeübt. (Bendix.)
Bei dem 36 jährigen Patienten Frey 's (76) entwickelte sich in kurzer
Zeit Lähmung des rechten Okulomotorius und Hypoglossus, des linken
Pacialis, Akustikus, Abduzens und Okulomotorius; gesteigerte Reflexe; im
übrigen normaler Befund, tuberkulöse Affektion der Lungen und Stimm-
bänder. F. supponiert multipe Miliartuberkeln in den betreffenden Nerven-
kernen. (Hudoveimig,)
B) Lähmungen im Bereiche des Halssympathikus und
der Dorsalnerven.
Mendel (144) beobachtete bei einer an Mitralinsuffizienz leidenden
53jährigen Frau eine linksseitige Lähmung des Halssympathikus. Als Ursache
derselben war ein knochenharter Körper in der linken Hälfte der vergrößerten
Schilddrüse anzusehen. (Ossifizierte Struma.) Kekurrenz verschont. Die
okalopopUläreu Symptome (Miosis, Lidspalteneuge, Zurücksinken des Bulbus)
entsprechen den im Tierexperiment gemachten Erfahrungen. In der Ruhe
war die linke Gesichtshälfte röter und wärmer als die rechte; das Verhältnis
änderte sieh aber, wenn die Patientin sich anstrengte. Dann schwitzte nur
die rechte Hälfte des Gesichts und war wärmer, als die linke ; dasselbe war
nach Injektion von Pilocarpin der Fall. Im vorliegenden Fall erweiterte
Atropin die linke Pupille nicht ganz so, wie die rechte; es spricht dies für
die Ansicht, daß neben der Lähmung des Okulomotorius durch Atropin
noch eine Beizung der Endzweige des Sympathikus im M. dilatator statt
hat Zu bemerken wäre noch die deutliche Flachheit der linken Gesichts-
halfte gegenüber der rechten und die geringere Pigmentierung der linken
Iris g^enüber der rechten.
Da durch die Erkrankung des Sympathikus die eine Rötung und
Erwärmung der betreffenden Gesichtshälfte hervorrufenden Reize nicht
wirksam werden konnten, blieben diese Folgeerscheinungen bei Erregungen
nnd körperlichen Anstrengungen auf der kranken Seite aus.
Minkowski (151) beschreibt 2 Fälle von chronischen Lähmungen,
die sich auf einselne Bauchmuskeln beschränkten und durch eine peripherische
^40 Krankheiten der peripherischen Nerven.
Neuritis bedingt waren. In dem 1. Falle lagen der Neuritis Diabetes und
chronischer Alkoholismus zu Grunde, in dem 2. Falle entwickelte sich die
Nervenaflfektion im Anschluß an eine Infektionskrankheit. Bemerkenswert
war in diesem 2. Falle die Kombination eines Hei-pes zoster mit motorischen
Lähmungen und zwar im Gebiete des N. ileohypogastricus und ileoinguinalis.
Die neuritische Bauchmuskellähmung kann leicht übersehen werden; sie
kennzeichnet sich durch zirkumskripte Vorwölbung oder hernienartige Vor-
stülpung der Bauchdecken, die beim Husten und Pressen zunimmt, durch
Schlaffheit, Atrophie, Änderung der elektrischen und mechanischen Erregbar-
keit bestimmter Bauchmuskeln, Verhalten der Reflexe, der Sensibilität und
eigenartige Lokalisation der Schmerzen.
Earczewski (113) berichtet über einen Fall von traumatischer Ver-
letzung des Halssympathikus. Die 28jährige schwangere Frau erhielt einen
Schuß in den Rücken, fiel auf den Boden, verlor aber das Bewußtsein nicht.
Am folgenden Tag klagte Patientin über Dyspnoe. Am 3. Tage Geburt
eines toten Kindes. Seitdem Fieber. Ihre Stimme ist heiser. Die linke
Lidspalte verengt (Ptosis des oberen Lides). Die linke Pupille ebenfalls
enger als die rechte; reagiert gut; Lähmung des linken Stimmbandes. Die
Eintrittstelle der Kugel liegt am Rücken 3 cm oberhalb des inneren Ab-
schnittes der crista scapulae. Der Austritt der Kugel entspricht vorn dem
linken sterno-clavicular Gelenk.. Diese Erscheinungen (^"erengung der linken
Lidspalte, der linken Pupille und der linken Chorda vocalis) sind der Ver-
letzung des unteren Plexus des Halssympathikus zuzuschreiben.
(Edward JRatau.)
C. Lähmungen der Nerven der oberen Extremitäten.
Die 3 Autoren Clark, Taylor und Prout (43) haben sich zusammeu-
getan, um eine höchst eingehende Studie über die sogenannten Gebnrts-
lähnmngen der Kinder zu geben. Indem wir den interessierten Leser auf
das Original verweisen, geben wir hier nur die Schlußfolgerungen der drei
Autoren nach ihren klinischen, pathologisch-anatomischen und operativen
Studien wieder.
1. Die Ursache der Lähmung ist Dehnung der Nervenstämme: erst
zerreißen die Nervenscheiden, sodann die Nervenfasern. Der Geburtshelfer
darf bei der Entbindung den Nacken des Kindes nicht zu stark strecken.
2. Die Dauer der Lähmung erklärt sich durch die bei der Zerreißung
auftretende Blutung in die Nervenscheideii und die blutige Infiltration der
benachbarten Gewebe. Die konsekutiven Bindegewebsnarben strangulieren
das Nervengewebe und hindern die Vereinigung der getrennten Fasern.
3. Das geschädigte Gewebe muß entfernt und Nervennaht angele;?t
werden, sobald klar geworden, daß spontane Wiedervereinigung nicht ein-
getreten. Weiter ist dann die Behandlung die auch bei anderen Läsionen
peripherischer Nerven anzuwendende. Eine derartige Behandlung muß
solange fortgesetzt werden, bis entweder spontane Heilung eintritt oder bis
operiert wird. Auch nach der Operation soll die Behandlung fortgesetzt
werden. Vor Ablauf eines Jahres raten Verfasser nicht zu operieren.
In den in der Arbeit mitgeteilten Fällen war die Zeit noch eine zu
kurze, als daß über definitive Resultate berichtet werden könnte. Immerhin
war in 2 Fällen nach 18 Monaten eine sehr wohltätige Wirkung des
operativen Eingriffes deutlich wahrzunehmen.
Unter den Beobachtungen von Shirres (207) interessiert zunächst
eine durch Krückendruck bedingte Radialislähmung mit Ergriffensein auch
Krankheiten der peripherischen Nerven. (J41^
des M. triceps. In einem 2. Fall wurde ein Mann im epileptischen Anfall
überfahren und bekam so eine ßadialislähmung.
Es folgen sodann einige Fälle von Gebnrtslähmungen bei Kindern.
Von den peripherische Lähmungen betreffenden Beobachtungen Bern-
hardts (21) sind (abgesehen von den mit Reizung durch Kondensatoren-
entladuQgen erhaltenen Resultaten) vielleicht folgende 2 Beobachtungen auch
von Interesse für die Pathologie peripherischer Lähmungen.
Bemerkenswert erscheint ein Fall partieller Radialislähmung,
der sich unter Auftreten heftigster Schmerzen bei einem 32 Jahre alten
Manne entwickelt hatte. Es hatte Furunkulose auf der Rückseite des linken
Unterarms, an der Grenze des oberen zum mittleren Drittel. Schwer be-
fallen erwiesen sich der M. ext. carpi uln., der ext. digit. commun. und die
langen Daumenmuskeln (EaR.).
Eine derartige, durch Furunkulose bedingte Lähmung im Radialisgel>iet
ist bisher noch nicht beschrieben worden. Möglicherweise kam die Paralyse
zn Stande durch die entzündliche Durchtränkung der Muskeln resp. der
Nenrenäste oder durch die Fortsetzung der Entzündung der Haut- und
Unterhautgebilde auf die Nerven; ob nur das entzündliche (3dem oder der
Gebalt der ödematösen Flüssigkeit an infektiösem Material diese neuritische
Affektion bedingt hat, bleibt dahingestellt.
Der 2. bemerkenswerte Fall betrifft eine schwere Medianusver-
letzung oberhalb des Handgelenks mit erheblichen Störungen der Sensi-
bilität im Bereich dieses Nerven und mit folgender Entartungsreaktion der
Daumenballenmuskeln. Wichtig war in diesem (wie in anderen vom Verf.
beschriebenen ähnlichen Fällen) die Tatsache, daß trotz ausgesprochener
Entartungsreaktion der Thenarmuskeln diese ihre aktive Motilität durchaus
nicht verloren hatten.
Aus der fleißigen Arbeit Pessler's (69) heben wir zunächst die
Bemerkung hervor, daß die Integrität der radialen Sensibilität dann am
häutigsten beobachtet wird, wenn der Bruch (mit der Verletzung des Nerven)
in der Mitte oder im unteren Drittel des Oberarms liegt. Liegt der Bruch
oberhalb der Knochenmitte, und ist ausgiebige Dislokation vorhanden, so
kann man das Vorhandensein des Punctum raaximum der Anästhesie zwischen
OS metacarpi prim. und os. metacarpi sec. (L6tievant) differential-diagnostisch
für vollkommene Nervenzerreißung verwerten. Sehr wichtig ist die durch
eigne Beobachtungen und aus den Nachweisen der Literatur gestüzte Be-
hauptung, daß die nicht sofort mit der Fraktur einsetzende, sondeni sich
erst später einstellende, als sekundär bezeichnete Lähmung sich durch eine
allmählich oder rasch einsetzende und dann fortdauernde tberdehnung
di^8 Nerven über die mehr oder weniger dislozierten Knochenstücke ent-
inckelt, F. unterscheidet nach seinen Studien 3 Foimen der Radialislähmung
bei Hnmerusfrakturen : L Primäre, sofort eintretende Lähmung durch
Quetschung, Zertrümmerung oder Aufspießen des Nerven an den Fragmenten.
2. Nach Wochen oder Monaten eintretende Paralyse (sekundäre Form) bei
Fistelbildung, Nekrose, Callusbildung, auch nach abgelaufener Fraktur bei
Pseudarthrosen. 3. Endlich eine Übergangsform zwischen 2. und 8., eine
während der Bruchheilung in ihren Anfängen schon bei der Frakturierung
begrändete. aber erst in den nächsten Stunden oder Tagen mit zunehmender
Dehnung des Nerven zunehmende Form. Den Schluß der Arbeit geben wir
mit des Verfassers eignen Worten wieder: Bei Brüchen im chinirgischen
Hals des Humerus, auch bei Luxationen, kann der Nerv durch den nach
innen und oben dislozierten Oberarmschaft gedehnt und gedrückt werden.
Bei Brüchen oberhalb des Ansatzes des Deltoides kann sich ein nach hinten
Jahresbericht f. Nearologie und Psychiatrie 1905. 41
542 Krankheiten der peripherischen Nerven.
und innen vorspringender Knochenwinkei der Bruchenden bilden; hier wird
der Nerv hauptsächlich über das nach innen abweichende obere Fragment
gedehnt. Bei Brüchen im mittleren Drittel des Knochens wird das durch
den Triceps nach hinten oben verschobene untere. Fragment dem Nerven
am nächsten kommen; hierher gehören die meisten der Badialisyerletzuogea
in ganz typischer Weise. Bei Brüchen im unteren Drittel drückt am ehesten
das nach oben und außen dislozierte untere Fragment gegen den Nerven.
Bei Brüchen dicht oberhalb des Ellenbogengeleuks kommt am äußeren
unteren Ende des Nerven spiralganges das obere nach außen unten und vom
aufgeklappte Brnchende am häufigsten dem Radialnerven zu nahe.
Im Falle Uchida's (227) handelt es sich um einen 23 jährigen Mann, der
nach Exzessen in potu eine rechtsseitige Neuritis der unteren Wurzelgebiete
des rechten PI brachialis acquirierte mit den für die sogenannt« Klumpkesche
Lähmung charakteristischen Symptomen.
Bei einem 40jährigen Musiker war ganz allmählich eine Lähmung der
Strecker der drei letzten Finger der rechten Hand eingetreten. Alle anderen
Muskeln, auch der m. supin. longus, waren frei. An der Rückseite des
Unterarms, an der Grenze des oberen und mittleren Drittels, am äußeren
Rande des Gliedes befindet sich ein auf Druck sehr schmerzhafter Punkt
Der M. extensor communis und digiti propr. zeigen Entartungsreakäon.
Onillain und Conrtellemont (89) denken als ätiologisches Moment an
eine Läsion des tiefen Astes des N. radialis, hervorgerufen durch die während
des Berufs des Kranken stundenlang ausgeführten Pro- und Supinations-
bewegungen der rechten Hand. Der Kapellmeister hatte die Gewohnheit,
den Taktstock mit seinen beiden letzten, gebeugt, gehaltenen rechten Fingern
festzuhalten; so w^urden die entsprechenden Streckmuskeln abnorm gedehnt
und ermüdet. Verff. vergleichen diese Lähmung mit der sogenannten
Trommlerlähmung (siehe das Original). Sie rieten dem Kranken, seinen
Beruf als Kapellmeister aufzugeben, da bei dem langen Bestand des Leidens
jede Behandlung tatsächlich nutzlos gewesen sei und bleiben werde.
Joachimsthal und Cassirer (Hl) berichten zunächst von einer
jetzt 10 jährigen Patientin, bei der sofort nach der Geburt eine tiefe Schuur-
furche an der Grenze des mittleren und unteren linken Unterschenkel-
drittels, daneben ein Klumpfuß auf derselben Seite festgestellt wurde.
Durch Tenotomien und redressierende Verbände gelang die Gerade-
stellung des Fußes (es resultierte ein leichter Plattfuß); Patientin kann am
Turnunterricht teilnehmen.
In einem zweiten, ein 13 jähriges Mädchen betreffenden Fall bestand
neben einem ausgeprägten rechtsseitigen Klumpfuß eine Schnürfurche an
der Grenze des mittleren und unteren rechten Unterschenkeldrittels, weiterhin
eine solche im Bereiche des ersten rechten Zeigefingergliedes und endlich
eine tiefe Schnürfurche an der Grenze des mittleren und unteren Ober-
armdrittels. Nach einer Tenotomie der Achillessehne und zwei redressierenden
Verbänden trat Wiederherstellung ein ; Patient kann radeln und Schlittschuh
laufen. In diesem Falle beschreibt Cassirer die durch die amniotische
Schnürfurche bewirkte Lähmung des Radialisgebietes, von der nur der M.
triceps frei war. Zugleich bestand eine Lähmung des Handastes des N. ulnaris
derselben Seite. Die elektrische Erregbarkeit der gelähmten Muskeln war
verschwunden; während im Radialisgebiet Sensibilitätsstörungen • fehlten, be-
stand im Gebiet des Ulnaris an der Hand eine deutliche Hypästhesie resp.
Hypalgesie. Verf. zweifelt nicht an der Entstehung der Radialislähmiiog
durch die amniotische Schnürfurche; vielleicht war durch sie auch der N.
ulnaris im Sulcus bicipitalis internus geschädigt. Möglich wäre es aber auch.
Krankheiten der peripherischen Nerven. 643
daß durch die extreme Beugestellung der Hand ein dauernder Druck auf
den X. ulnaris am Handgelenk ausgeübt wurde (vgl. den interessanten Fall
TOD Fr. Spieler, Jahresber. 1903 S. 674).
Der erste Fall Bemhardt's (23) betrifft eine Tabeskrauke, die eine
isolierte Lähmung des rechten N. suprascapularis mit Atrophie der
Mm. supra- und infraspinatus aufwies. Von den wenigen bisher bekannten
(etwa 16) Fällen ist noch keiner bis dahin bei Tabes beobachtet worden.
Det zweite Fall betrifft eine doppelseitige traumatische Lähmung der
Mm. rhomboidei, Serrat. ant. maj. und der unteren Abschnitte der
Trapezii; rechts war die Paralyse ausgeprägter, als links. Die Affektion
bestand seit 25 Jahren. Drittens wird eine linksseitige Ulnarislähmung
und linksseitige isolierte Lähmung des M. ext. hallucis long, nach Typhus
beschrieben. Das isolierte Befallensein dieses Muskels bei toxischen oder
infektiösen Affektionen des N. peroneus ist ungemein selten.
Bernliardt (22) beschreibt hier eine isolierte Lähmung des Nervus
mnsculocutaneus infektiösen resp. gonorrhoischen Ursprungs; dieselbe sezte
im Verlauf einer Gonorrhoe mit Bubo inguinalis ein, ging mit Atrophie,
Lähmung des Biceps usw. einher nnd mit denen für die Affektion des N.
perforans charakteristischen Sensibilitätsstörungen. Die rechten Beugemuskeln
waren bei diesem Manne (Kellner) besonders angestrengt, und so ist vielleicht
die Lokalisation dieser toxischen Mononeuritis zu erklären. Sonst pflegen
die gonorrhoischen Neuritiden mehr die unteren Extremitäten zu befallen,
und mitunter von Gelenkaffektionen begleitet zu sein. Die Prognose dürfte
wohl aber nicht unbedingt ungünstig sein. Eigentliche Eutartungsreaktion lag
nicht vor.
' Drenkhahn (60) beschreibt hier einen Fall von angeborener Supinations-
behinderang der Unterarme, der auf einer angeborenen knöchernen Ver-
biodang der Diaphyse der Unterarme und dadurch bedingter Feststellung
in Pronationsstellung beruhte. Einen ähnlichen Fall beschrieb der Verfasser
bereits im XI. Bande der oben genannten Zeitschrift. Hier fehlen einige
fühlbare Vorsprünge am Radius, die möglicherweise mit an der Supinations-
behioderung beteiligt waren.
Eine 46jährige Frau, Patientin Frischaner's (77), wurde bei nach
links gedrehtem Kopf am Nacken zwischen Treppengeländer und Wäsche-
ftofzug eingeklemmt. Nach wieder erlangtem Bewußtsein gelang es, bei ihr
folgende krankhaften Symptome festzustellen: Lähmung des rechten Hals-
srmpathikus und Hyperhidrosis der rechten Gesichtshälfte. Druck anf den
rechten Sympathikus ist schmerzhaft ; dabei erweitert sich die rechte Pupille.
Weiter bestand eine vollkommene rechtsseitige Rekurrenzlähmung und Para-
lyse der Erbschen Muskelgruppe; mitbeteiligt waren der M. supraspin.,
infraspin. nnd der serratos ant. major. Nur mäßig mitbeteiligt waren der
Pectoralis, der Stemocl. mast. und der CucuUaris in seinem oberen Drittel.
Ferner bestand Hypästhesie im Gebiet des N. axillaris und musculocut:
Druck auf den Plexus brachialis in der Supraclaviculargrube und im Sulcus
bicipitalis sowie auf die gelähmte Muskulatur war schmerzhaft. Bei tiefer
Atmang ist die respiratorische Verschiebung der rechten Zwerchfellhälfte
gleich Null. Littensches Phänomen nicht erkennbar. Keine Randgeräusche.
Druck auf den N. phrenicus schmerzhaft. Interessant ist trotz der rechts-
seitigen Sympathikusreizung die Rötung des Gesichtes, die für eine Lähmung
spricht Bei der Durchleuchtung des Thorax mit Röntgenstrahlen wurde
bei tiefer Atmung eine inspiratorische Hebung des Zwerchfells festgestellt,
nnd das rechte Lungenfeld zeigte sich deutlich dunkler, als das linke.
(Durch die Sympathikuslähmung, die sich auch auf das Gebiet der Rami
41*
544 Kraakheiten der peripherischen Nerven.
pulmonales erstreckte, \i^irde die rechte Lunge blutreicher.) Die Phrenicns-
parese erklärt sich nach Naunyn dadurch, daß dieser Nerv noch vom
6. — 7. Cervikalnerven Fasern erhält. Bei der Intaktheit des N. accessorius
und trotzdem bestehender Parese des M. sternocl. erscheint dem Verfasser
die Ansicht Schmidts richtig, daß der Sternocl einmal ausschließlich
vom N. accessorius, manchmal aber auch ausschließlich von Zweigen des
Halsnervengeflechtes versorgt werden kann.
Marcus (139) teilt zwei Fälle von isolierter Lähmung der muäculi
rhomboidei nach Operationen mit. Es handelt sich um zwei junge Leute
im Alter von 17 und 10 Jahren, bei denen Drüsen an der rechten resp.
linken Halsseite entfernt worden waren. Im Anschluß an die Operation
bildete sich ein Herabsinken der Schulter aus und eine Beschränkung der
Seitwärtsbewegung des Armes. Durch die oberflächliche Lage des N. dor-
salis scapulae an der Stelle, wo er auf dem scalenus medius und levator
angeli oris verläuft, ist er bei Operationen am Halse leicht Verletzungen
ausgesetzt. (Bendir,)
PerWUSChin (171) berichtet über einen Fall von infektiöser Neuritis
des plexus brachialis bei einem 42 jähr. Mann, der unter Fiebererscheinungen
eine Lähmung des Schulter- und Ellenbogengelenkes bekam. Es bildete
sich eine Atrophie der Hand- und Oberannmuskeln aus, ebenso der Schulter-
muskeln. Anästhesie an der linken Hand, Hypästhesie am Arm. P. ninsmt
an, daß es sich um eine infektiöse Wurzelcrkrankung des plexus brachialis
gehandelt hat. (Rendix)
D. Lähmungen der Nerven der unteren Extremitäten.
Hirschfeld (100) fand, daß bei Peroneusparesen der Winkel um
welchen die Dorsalflexion des Fußes stattfindet, bei gestrecktem Beine ein
geringerer ist, als wenn man das Bein im Kniegelenk beugt. Es kann da
zu Unterschieden von 30 — 40 Grad kommen. Die Erscheinung erklärt sich
dadurch, daß bei gestrecktem Bein durch die Dorsalflexion des Fußes die
Wadenmuskulatur stärker gespannt wird, als bei im Kniegelenk gebeugtem
Bein, weil im letzteren Falle eine Entspannung der Wadenmuskulatur durch
Näherung der Ansatzpunkte eintritt. Der antagonistische Widerstand, cWr
also durch den normalen Tonus der Wadenmusknlatur am Fuße plantan^ärts
ausgeübt wird, ist bei Beugung des Beins im Kniegelenk ein geringerer, als
bei Streckung. Man lasse also bei eintretender Genesung einen Kranken
die Versuche zu einer Hebung der Fußspitze immer erst bei gebeugtem
Knie beginnen. Die beschriebene Erscheinung wird, abhängig von individuellen
Verhältnissen, hier und da vermißt werden; so sah z. ß. Verf. einmal hei
gleichzeitiger Schwäche der vom N. tibialis innervierten Muskeln die Er-
scheinung nur wenig ausgeprägt.
Nach einer anstrengenden Fußtour konnte ein sonst gesunder SOjähriger
Mann. Patient Determeyer^s (58), seine Unterschenkel nicht mehr strecken:
der Patellarreflex fehlte; Cremasterreflex und Sensibilität normal. Elektrische
Untersuchung war zur Zeit nicht ausführbar. Rückkehr des Patellarreflexes
nach zwei Tagen: allmähliche Besserung auch der Lähmung erst links, dann
rechts. Heilung nach 14 Tagen. Alle anderen dem PL cruralis angehörigen
Aste, auch di(* sensiblen, waren von der Paralyse verschont geblieben.
Nach Mitteilung eines selbst beobachteten Falles von traumatischer
Goburtslähmung bei einer Frau und gestützt auf die in der Literatur vor-
handenen Angaben kommt Herzog (99) zu folgenden Schlüssen. Es werden
b(»i der traumatischen Ge])urtslähmung gerade diejenigen Muskeln, nämlich
Krankheiten der peripherischen Nerven. 545
die m. peronei, am meisten yerschont, welche bei gleichmäßiger Schädigung
des ganzen N. peroneus am wenigsten Widerstand leisten. Die vorwiegende
Beteiligung des Peroneus bei den Geburtslähmungen und die Verteilung der
Paralyse in seinem Gebiete hat ihren Grund in der topographischen Lage
des Nerven im Becken: Es sind die im Truncus lumbo-sacralis verlaufenden
Nervenfasern unter allen Teilen des Plexus lumbo-sacralis die am meisten
exponierten. Es verlaufen hier hauptsächlich Fasern für die Extensoren des
Unterschenkels und nur teilweise solche für die Mm. peronei. Erstere Muskeln
erhalten also ihre Nerven aus dem Lumbaimark, letztere außer aus diesem
noch aas dem Sakralmark.
Zwischen der Zangenoperation und der traumatischen Peroneuslähmung
besteht nach Verf. kein kausaler Zusammenhang; die häufiger vorkommende
Anwendung der Zange bei Geburten, welche zu traumatischen Lähmungen
führen, hat ihren Grund ebenso wie die Lähmungen selbst in der langen
Dauer der betreffenden Geburten. Der Verlauf der Lähmungen ist ein lang-
wieriger, ihre Prognose gerade keine gute.
Götz (87) teilt einen Fall von Meralgia paraesthetica mit, der da-
durch ausgezeichnet ist, daß in dem erkrankten Gebiet bei dem 35 Jahre
alten Landarzt ein Furunkel auftrat, der lange Zeit keine Neigung zur
Heilung hatte und gar nicht schmerzhaft war. (Bendia;.)
Raymond und Guillain (182) berichten über einen Fall von aszen-
dierender Neuritis im (befolge von Blinddarmentzündung. Ein 39 jähriger
Mann hatte verschiedene Anfälle von Perityphlitis durchgemacht und war
Dach günstig verlaufener Operation, wobei nur Adhäsionen, aber kein Eiter
gefunden wurden, an Lähmungserscheinungen der Beine erkrankt. Totale
Lähmung der rechten unteren Extremität, Parese des linken Beines, Atrophie
beider Beine, besonders rechts. Fehlen der Sehnenphänomene rechts, links
sehr schwache Reflexe. Parästhesien und Schmerzen an den Beinen, aber
keine objektiven Sensibilitätsstöniugen. EaR an den Muskeln des rechten
Beines, links nur an den Muskeln der hinteren Fläche EaR, die Musku-
latur der Vorderfläche zeigte aber Herabsetzung der faradischen Erreg-
barkeit. (Bendit,)
Bei dem 38 jährigen Patienten von Rnssel (1^7) entwickelte sich im
Anschluß an Malaria eine Neuritis beider Nn. ischiadici mit stärkerer Be-
teiligung der hnken Seite. Die Patellarreflexe fehlten, Abmagerung der
Beine, besonders links. (Bendix.)
II. Neuritis — Polyneuritis.
Babinski (5) berichtet über einen Fall von doppelseitiger Extensort^n-
lahmung der Hände und Finger, die sich nach Kolikanfällen entwickelt hatte.
Der Patient hatte sich als Ackerbauer mit künstlichen Düngemitteln viel
abgegeben, die aus Superphosphaten bestehend, Blei und Arsenik enthalten.
Verf. vermutet hierin das ätiologische Moment der Krankheit. Die von B.
als merkwürdig hervorgehobene elektrische Reaktion (prompte Zuckung der
Beuger und nachfolgende träge der gelähmten Strecker bei Aufstützen der
Elektroden auf die Streckseiten der Unterarme) ist eine bekannte Erscheinung
und beruht auf der Degeneration der Nerven in den entarteten Muskeln und
deren Intaktheit bei den unversehrten Beugern. (Ref.)
Bei einem Holzbildhauer, Patient MarcOTl's (138), trat im Anschluß
an eine Appendicitis eine mit Schmerzen und Lähmung einhergehende rechts-
seitige neuritische Lähmung des N. ulnaris ein. Verf. vergleicht dieses Vor-
kommen mit den auch bei anderen Infektionskrankheiten, speziell bei Typhus,
546 Krankheiten der peripherischen Nerven.
nunmehr ziemlich häufig beobachteten neuritischen Affektiouen verschiedener
peripherischer Nerven, besonders auch des N. ulnaris und polemisiert speziell
gegen Raymond und Guillain. Diese hatten bei einem Kranken im An-
schluß an eine Appendicitis eine Neuritis im Cruralis- und Ischiadiknsgebiet
mit Lähmungen (aber ohne Sensibilitätsstörungen und ohne Beteiligung der
Blase und des Mastdarms) auftreten sehen. Auch der N. obturatorius war
ergriffen. Die Verff. nahmen keine Polyneuritis auf infektiöser und toxischer
Basis an, sondern behaupteten, es mit einer ascendierenden Neuritis zu tun
gehabt zu haben. Speziell hiergegen richtet sich M.'s Polemik. (Wenn der
Autor gesagt, daß sein Kranker weder ein Trauma erlitten habe, noch ein
Säufer war, und daß auch in seiner Profession kein ätiologisches Moment
gefunden werden könnte, so erinnert Ref. an die von Bruns beobachteten
Ulnarislähmuugen bei Xylographen; eine Disposition könnte doch wohl durch
den Beruf gegeben gewesen sein.)
Genaue Beschreibung zweier Fälle von Beschäftigungsparesen: 1. Neu-
ritis infolge Überanstrengung bei einer 64jährigen Zigarrenwicklerin; 2. Neuro-
myositis bei einer Frau, die 37 jährig, sich mit Nähen von Kunstleder be-
schäftigte. Die besonders beteiligte rechte Hand zeigte die kleinen Hand-
muskeln geschwollen, derb anzufühlen und auf Druck empfindlich. Nach
Bittorf (26) lag hier eine Entzündung der Muskeln selbst vor, entstanden
durch Überanstrengung und kombiniert mit einer Neuritis.
Cnrschmann (49) teilt folgende sehr interessante Fälle mit. In dem
ersten, einen 49jährigeu Baumwart betreflfenden Fall, hatte sich langsam unter
neuralgischen Erscheinungen eine Lähmung im Bereich des Plexus brachialis
entwickelt. Links bestand sie in Gestalt einer Erbschen Schulter- Armlähmung,
rechts als Axillarisparese. Die Affektion war hervorgerufen durch das lange
Zeit hindurch fortgesetzte Tragen von jungen Bäumen über den Schultern;
Heilung unter Galvanisation und Ruhe in wenigen Wochen. Es handelte
sich also in diesem Falle um eine reine Druckparese. Die faradische Erregbar-
keit war in diesem Falle nur mäßig herabgesetzt; keine Entartungsreaktion.
Nach Verf. kann man das Fehlen dieser geradezu als pathognomonisch für
die habituell erworbene Beschäftigungsneuritis im Bereiche des Plexus brach,
ansehen.
In einem zweiten Falle handelte es sich bei einem 18jährigen Menschen
um eine doppelseitige Peroneuslähmung, linksseitigo Parese im Gebiet des
N. tibialis und des M. quadric. fem., entstanden durch lange fortgesetztes
Arbeiten in knieender Stellung beim Steineklopfen und später beim Rüben-
ziehen. Nach einer im Orig. nachzulesenden, die anatomischen Verhältnisse
der Nn. tib. und cruralis klariegenden Auseinandersetzung und Beschreibung,
wie diese Nerven gerade beim Knien geschädigt (zusammengedrückt) werden,
betont Verf. das vorwiegende Befallenwerden des linken Beines und die
Prädisposition jugendlicher Personen. Die elektrischen Veränderungen sind
meist hochgradiger, als bei den oben erwähnten Paralysen des PL brach.
Interessant ist auch der dritte Fall, das Auftreten einer Parese durch
fortgesetzte tritation der peripherischen Hautmuskelgebiete des betreffenden
Nerven. Es handelte sich um eine Parese der vom N. uln. sin. versorgten
Muskeln der Hand und der Finger mit geringer Atrophie und partieller EaR-
(nur in einem Muskel), entstanden direkt nach Einwirkung eines stumpfen,
durch eine elektrisch betriebene Fraise beständig erschütterten Gegenstandes
(Glocke). Heilung durch Ruhe und galvanische Behandlung in wenigen
Wochen. (Einzelheiten siehe im Orig.) Es handelte sich hier um keine
Drucklähmung, sondern um Überanstrengung und Lähmung auf äußere, Haut-
and Muskelgebiet des betreffenden Nerven treffende Reize (Druck und Er-
Krankheiten der peripherischen Nerven. 547
schüttening). Weiter ist der Fall einer ülnarisparese von Interesse, bedingt
dareh eine habituelle, stark äußerliche Irritation des betreffentlen Hautmuskel-
gebiets (Andrücken in Eiswasser getauchter Kompressen mit dem Kleinfinger-
bailen gegen ein entzündetes Auge.)
Leichte Paresen der Handmuskeln mit subjektiven Sensibilitätstörungen
sollen bei Arbeitern in Eiswerken und Eisgeschäften nicht ganz selten vor-
konunen.
Kntner (122) beobachtete bei einem 46 jährigen, nie syphilitisch ge-
wesenen Mann eine schon seit 5 Jahren bestehende, durch Erkältung ent-
standene AflFektion des linken Trigeminus in seinen sensiblen Anteilen. Die
Störung war bei .dem gleichzeitigen Hervortreten der Symptome und der
Beteiligung aller Aste im Ganglion Gasseri oder dem von diesem in den
Pens einstrahlenden Bündel zu suchen.
Ein Trauma war nicht voraufgegangen: die Affektion war nach Verf.
eine rheumatische, wie die so oft beobachteten Facialislähmungen. Die
Störung der Empfindlichkeit war dissoziiert: starke Herabsetzung der
Temperatur- und Schmerzempfindung bei relativ intakter Berührungs-
empfindung. Keine Störungen der Sensomobilität im Gesicht. Eine Ver-
minderung der Tränensekretion wurde nicht beobachtet; ebensowenig
Geschwürsbildung in der Mundhöhlenschleimhaut. Die Geschmacksstörung
bestand nur auf den vorderen Teilen der betroffenen Zungenhälfte.
In zwei anderen, Säufer betreffenden Fällen war einmal der N. peroneus
superfic, im anderen Fall nur der N. saphen. maior betroffen. In dem
einen Fall entstand das Leiden erst drei Wochen nach einer totalen Ab-
stinenz in der Anstalt.
In einem dritten Fall war nach einem Strangulationsversuch eine
Facialis- und Akustikuslähmung der rechten Seite entstanden. Wahr-
scheinlich handelte es sich um eine Blutung durch Ruptur der vena auditiva.
Die Taubheit blieb; die Gesichtsnervenlähmung war vorübergehend, da der
N. fac. im meatus geschützter liegt, als der Akustikus.
Westphal (238) berichtet: Bei einer an seniler Melancholie leidenden
Fraa entstand im Anschluß an eine doppelseitige Pneumonie nach Ablauf
des Fiebers ein deliriöser Verwirrtheitszustand, auf dessen Höhe akut und
apoplektiform eine schlaffe Lähmung des rechten Arms, die bis zum Tode
(6 Wochen) unverändert anhielt. Die elektrische Erregbarkeit war herab-
gesetzt; außer Hyperästhesie und Hyperalgesie war die Sensibilität unver-
sehrt. Die Patellarreflexe schwanden im Verlaufe der Beobachtung allmählich.
Die mechanische Muskelerregbarkeit war erhöht. Die anatomische Unter-
suchung ergab eine parenchymatöse Neuritis der Nervenstämrae des rechten
Armes und leichte Veränderungen im Plexus brachialis. Die Muskelfasern
waren leicht verändert, ohne Zerfall oder Degeneration zu zeigen. Am
Rückenmark fand sich eine Pachymeningitis interna fibrosa und leichter
Zellenschwund in den Vorderhörnern der Halsanschwellung, besonders rechts.
Die apoplektiform einsetzenden Plexusneuritiden sind im großen ganzen
seilen. Hier handelt es sich um eine postinfektiöse resp. toxische Neuritis
nach Pneumonie; derartige disseminierte, auch symmetrische akute Nouritiden
nach Pneumonie sind mehrfach beschrieben, (v. Krafft-Ebing, Oppen-
heim, Charcot, Ross usw.) — Bei den apoplektiformen^Neuritiden ist der
rechte Arm bevorzugt, wohl infolge von funktioneller Überlastung. Auf-
fallend war hier das Fehlen der Entartungsreaktion; die Veränderungen
der Vorderhornzellen des Rückenmarks in seiner ganzen Höhe werden auf
toxische Prozesse infolge der Pneumonie bezogen und zur Erklänmg des
Schwindens der Patellarreflexe verwertet.
548 Krankheiten der peripherischen Xerven.
Im ersten Falle Cnrschmanil's (50) bestand bei einem Alkoholisten
mit Neuritis des N. ischiad. rechts und Peroneus links infolge heftiger Crampi
der rechten Waden muskulatur eine hochgradige Hypertrophie des il. gastro-
cnemius dexter. Im zweiten Falle lag Tabakspolyneuritis mit typischer
Amblyopie vor und heftigen Crampi der Extensoren der Unterschenkel: die
Mm. tibialis antici waren hypertrophisch und geschwächt; die galvan. direkte
Erregbarkeit gesteigert. Eine histologische Untersuchung der Muskehi
konnte nicht vorgenommen werden. Die Fälle des Verfs. lehren, daß auf
Basis von toxischen Neuritiden Crampi und Hypertrophien der gescliwächteu
und beteiligten Muskeln auftreten können.
Der von Darkschewitsch (54> mitgeteilte Fall betrifft eine an
Nephritis leidende Frau, bei der sich alle Erscheinungen einer weit Ter-
breiteten Polyneuritis mit Lähmungen, Atrophien, herabgesetzter resp. ver-
schwundener elektrischer Erregbarkeit, Hypästhesie und Druckschmerzhaftigkeit
der Nerven und Muskeln fand. Die Patientin starb. In allen untersuchten
Nervenstämmen wurde eine parenchymatöse Entzündung festgestellt.
Bei einem an Polyneuritis erkrankten Patienten Schläpfer's (202)
wurde in der dritten Krankheitswoche die Gegend der Nagelwurzel spröde,
brüchig, wie gefasert und zeichnete sich mit ziemlich scharfgezackter,
schwachbräunlicher Linie gegen die vordere gesunde Partie des Nagels ab.
Dies war an allen Fingern zu bemerken. Die Zehennägel blieben frei.
Nach Verf. waren in den Nerven der oberen Extremitäten auch die sympa-
thischen Fasern mit ergriff'en, da der krankhafte Prozeß sich an den cer-
vikalen Nerven bis an die hinteren Wurzeln resp. deren Eintritt in den
Duralsack erstreckt habe, an den Lumbalnerven aber sich nicht soweit aus-
gedehnt hätte.
Wolfstein (240) teilt einige Fälle multipler Neuritis mit, von denen
der erste eine 30 jährige Säuferin betraf, der zweite nach Influenza auftrat
und der dritte eine anämische und magere Dame betraf. Der vierte Fall
bezieht sich auf einen 8jährigen Knaben, bei dem keine Lifektion oder
irgend eine andere vorangegangene Krankheit nachgewiesen werden konnte.
Verf. weist bei diesem Fall speziell auf die Möglichkeit einer VerwechsluDg
mit Hysterie hiü.
Sinkler (212) teilt einige wegen ihrer Ätiologie bemerkenswerte Fälle
von multipler Neuritis mit. Der erste wurde bei einem 7jährigen Kinde
nach Verabreichung von Sol. Powleri gesehen. — Der zweite betraf eine
21jäiirige, früher gesunde Frau, die 8 Tage nach einer normalen Ent-
bindung von einer multiplen Neuritis befallen wurde. Entartungsreaktiou;
der rechte m. externus und der linke m. internus bulbi oc. waren gelähmt.
Allmähliche Genesung.
In einem dritten Fall trat die Krankheit nach einer Entbindung ein;
Fieber; Feststellung einer Appendicitis; Operation.
In einem vierten Falle trat das Leiden nach einem mit Septikämie
einhergehenden Abort auf; Tod. Auch der fünfte Fall schloß sich an einen
Abort an.
Bei einem 1 5jährigen Jungen, der viel mit der Darstellung von Anilin-
farbstoffen beschäftigt war, entwickelte sich eine Polyneuritis, die klinisch
wie anatomisch beobachtet werden konnte. Es handelte sich nach ModOfl
(143) um parenchymatöse Polyneuritis mit sekundärer Erkrankung der Vorder-
und Hinterhörner und mit beginnender, aufsteigender Degeneration (Marclii-
methode) der Hinterstränge, besonders der eintretenden Wurzelfasern.
(Merzbacher,)
Krankheiten der peripherischen Nerven. 64^
Bliss (28) konnte in der Staatsirrenanstalt eine Epidemie von mul-
tipler Neuritis beobachten. Von den 250 Insassen, von denen 50 Epileptiker
waren, erkrankten 24 in gleicher Weise an Lähmungserscheinuugen und
Atrophien der Beine. Der Gang der Erkrankung war bei allen Kranken
einschleichender; zuerst trat Schwäche und leichte Ermüdung in den Beinen,
schleppender Gang und dann Atrophie der Beinmuskeln auf mit Ödemen
Tor und nach dem Einsetzen der Atrophien. Beschleunigte Herzaktiou ohne
Herzgeräusche; keine gastrointestinalen Störungen. Heilung trat in fast
allen Fällen innerhalb von 11 Monaten ein. Ätiologisch fehlte jeder Anhalts-
punkt; Blei- oder Arsenvergiftung konnten ausgeschlossen werden. Da von
den 50 Epileptikern der Anstalt 14 erkrankt waren, so wäre vielleicht eine
medikamentöse Ursache anzuschuldigen. (Bendia',)
Mendl's (145) Fall von Arsenpolyueuritis und akuter Arsenvergiftung
betraf ein 19jähr. Mädchen, das nach Einnahme einer in selbstmörderischer
Absicht genommenen großen Dosis von Arsen Lähmungen in den Armen
and Beinen bekam. Von Sensibilitätsstörungen wurden Anästhesie im Ge-
biete der Nn. mediani und radiales und an den Beinen im unteren Drittel
festgestellt. Dabei bestand aber Hyperästhesie an beiden Händen und den
Füßrücken. Von motorischen Störungen fanden sich starke Kontrakturen
in beiden Kniegelenken und bedeutende Atrophie der Muskulatur an den
Händen und den Vorderarmen. Die Patellarreflexe fehlten. Von vaso-
motorischen Störungen zeigten sich intermittierend auftretende, zum Teil
juckende Ekzeme und Oedeme an beiden Unterschenkeln. (Bendix.)
Cassirer (40) bringt in der Deutschen Klinik eine vortreffliche Dar-
stellung der Lehre von der Neuritis und Polyneuritis in Forai von Vor-
lesungen, welche sich namentlich auch durch die übersichtliche Gruppierung
und Schilderung des ganzen Stoffes auszeichnet. (Liendix.)
Moore (154) teilt 3 Fälle von Neuritis auf Grund von chronischem
Alkoholismus mit. Es handelte sich um weibliche Kranke, welche dem
chronischen Whiskygenuß ergeben waren und hauptsächlicli Schmerzen und
Schwäche in den Extremitäten hatten. Sensibilitätsstörungen waren nur
gering, die Patellarreflexe fehlten.
Die erste Patientin bot einen ziemlichen Grad von Demenz und
Somuolenz dar. (Bendix,)
Neisser (160) konnte im Allerheiligenhospital zu Breslau bei zwei
Fällen von Polyneuritis alcoholica mit psychischen Symptomen (Korsakow-
scher Psychose), deren Krankengeschichten, durch Photographien ergänzt,
ausführlich wiedergegeben werden, diffuse Hämorrhagien der Haut, daneben
au für Dekubitus prädisponierten Stellen blutunteriaufene, nicht blutlialtige
flautblaseu beobachten. Als Bindeglied zwischen den an der Haut und
übrigens auch an den serösen Häuten sichtbaren Blutungen und den ))ei
Polyneuritis bezw. polyneuritischer Psychose bereits bekannten im Zentral-
nervensystem, deren Vorhandensein in dem einen der vorliegenden Fälle
der Sektionsbefund und die mikroskopische Untersuchung bewiesen, betrachtet
der Verfasser den Alkohol. Wird bei Polyneuritis alcoholica künftig der
Haut nicht bloß im Gebiete der erkrankten Nervenstämme erhöhte Auf-
merksamkeit zugewandt, und besonders wenn bei Hautblutungen dieser oder
jener Form auf neuritische Erscheinungen geachtet wird, dann dürften
sicherlich ähnliche Symptomenkomplexe gefunden werden, wie sie die hier
beschriebenen Fälle darbieten. (Autoreferaf,)
Berger (17) berichtet: Bei einem 55jährigen, bisher gesunden und
nicht ohrleidenden Manne trat infolge Erkältung unter Fiebererscheinungen
eiüe totale rechtsseidge Facialislähmung auf, eine Hörstörung rechts (Sausen,
()50 Krankheiten der peripherischen Nerven.
Schwerhörif?keit), eine Herabsetzung der Empfindlichkeit der rechten G^sichts-
hälfte mit Herpesausbruch und endlich Schwindel, Übelkeit, Brechreiz. Das
plötzliche Entstehen wies auf eine Basalblutung hin, für die jedoch alle
anderen Symptome fehlten. Der fieberhafte Beginn, der allmähliche Rückgang
der Erscheinungen, wies auf einen akut infektiösen Prozeß resp. eine Neuritis
mehrerer Gehirnnerven hin. Ahnliche Fälle sind von v. Prankl-Hoch-
wart, Kaufmann, Hammerschlag, Annsen beschrieben. In allen diesen
Fällen war neben dem Ohrnerv der Facialis und der N. trigeminus in seinen
sensiblen Partien miterkrankt. Per von v. Frankl-Hochwart gewählte
Name Polyneuritis cerebralis erscheint daher sehr angebracht.
IIL Verschiedenes.
Einen ausführlichen Bericht über die Arbeit Head's und Sherren^s
(95) zu geben, ist wegen der Länge derselben und der eingehenden Be-
trachtungen und Untersuchungen, welche die Verfasser ausgeführt haben,
in einem Jahresbericht kaum möglich. In 16 Kapiteln werden die Ver-
sorgungen der Hohlhand mit sensiblen Nerven und die Störungen nach
Läsionen dieser Nerven, die Wiederherstellung der Sensibilität nach voll-
kommener oder unvollkommener Trennung der betreffenden Nerven beschrieben;
ebenso die Folgen einer Verletzung der Nerven des Unterarms, des Plexus
brachialis, ferner der Durchtrennung der hinteren Wurzeln besprochen. Die
Verhältnisse an den unteren Extremitäten finden im 7. Kapitel ihre Be-
sprechung. Im 8. bis zum 13. Kapitel werden die Störungen der einzelnen
Empfindungsqualitäten eingehend gewürdigt, weiterhin (im 13. und 14. Kapitel)
die Veränderungen an der Haut und den Nägeln, im 15. Kapitel die Lähmungs-
zustände der Muskeln und die Erfolge der Nervennaht besprochen. Im
letzten Abschnitt endlich werden die in den vorangegangenen Kapiteln
gesammelten Erfahrungen gesichtet und über die verschiedenen Funktionen
der einzelnen Faseranteile der sensiblen Nerven an den verschiedenen Em-
pfindungen, ferner über die Restitution ihrer durch die verschiedenen Läsionen
gestörten Funktion im Zusammenhang gehandelt. Die ausgedehnte, inter-
essante und wichtige Arbeit verdient eingehend studiert zu werden; an
dieser Stelle mag es genügen, auf sie die Aufmerksamkeit der Arzte und
besonders der Neurologen gelenkt zu haben.
Die vorliegende Monographie Hoesslin's (101) behandelt in um-
fassender Weise alle in Zusammenhang mit der Schwangerschaft vor-
kommenden Lähmungen und die Wechselwirkung zwischen Lähmung und
Scliwangerschaft.
Nach einem geschichtlichen Überblick gelangen die beiden Haupt-
gi'uppen, die zentralen Schwangerschaftslähmungen und die peripheren
Schwangerschaftslähmungen zur Besprechung und zwar, soweit dies möglich
ist. auf pathologisch-anatomischer Grundlage. Unter den zentralen Schwanger-
schaftslähmungen ohne pathologisch-anatomischen Befund zählt H. die hysteri-
schen und myasthenischen Lähmungen auf, erstere sind viel seltener als von
manchen Autoren angenommen wird. Die Schwangerschaft ist in manchen
Fällen von Myasthenia gravis schon deswegen als ätiologisches Moment an-
zusehen, weil die in einer Gravidität aufgetretene Myasthenie in einer
weiteren Schwangerschaft exazerbierte.
Eine mächtige Stellung unter den zentralen Schwangerschaftslähmungen
nehmen die zerebralen Lähmungen ein; H. unterscheidet hier die durch Apo-
plexie, die albuminurische Schwangerschaftslähmung, die Schwangerschafts-
Krankheiten der peripherischen Nerven. 651
lahmungeu darch Thrombose und Embolie, die SchwangerschaftsIähmungeD
durch andere Gehirnkrankheiten (Deciduoma malignum, Paralyse).
Die Albuminurie kann entweder auf toxischem Wege zu diffusem oder
lokalem Gehirnödem und so zu Lähmungen fähren, oder es kommt im
eklamptischen Anfall, aber auch ohne einen solchen zu größeren und kleineren
Gehirnblutungen; die Prognose dieser letzten Lähmungsformen ist eine sehr
ernste, viel ernster als bei den durch Thrombose von Gehirngefäßen ent-
stau denen Lähmungen; diese Thrombosen entstehen hauptsächlich im An-
schluß an schwere Blutyerluste und betreffen dann hauptsächlich die Venen
der Gehimoberfläche und der Himsinuse. Für die Ätiologie der Embolie
in der Schwangerschaft ist die Schwangerschaftsendokarditis und die sep-
tische puerperale Endokarditis von Wichtigkeit, endlich Exazerbationen alter
Endokarditiden in der Gravidität. Die Prognose ist besser als bei den
bisher besprochenen Lähmuugsformen.
Bei den spinalen Schwangerschaftslähmungen unterscheidet H. zwischen
den Rückenmarksaffektionen, die schon vor der Gravidität bestanden, aber ge-
wisse Wechselwirkungen zur Folge haben, und solchen, die erst bei Schwangeren
oder Wöchnerinnen auftraten, teils abhängig, teils unabhängig von der Gravi-
dität, Die bei ersterer Gruppe angeführten Beobachtungen zeigen, wie die
Gebort bei Tabeskranken ohne Empfinden der Mutter und doch ganz un-
gestört verlaufen kann, die multiple Sklerose kann durch Schwangerschaften
wesentliche Exazerbationen erleiden. Während der Gravidität akut ein-
setzende Rückenmarkserkrankungen, besonders traumatische Zerstörungen
des Marks können zur vorzeitigen Ausstoßung der Frucht füliren, die Geburt
selbst pflegen sie nicht zu beeinflussen.
In Abhängigkeit von der Gravidität können sich verschiedene Mark-
erkrankungen entwickeln, so z. B. Komprefsionsmyelitiden bei Wirbelkaries ;
in noch direkterer Abhängigkeit von der Gravidität stehen die Markerkran-
kungen, die nach bedeutenden Geburtsblutungen auftreten, und Markerkrau-
kangen infolge septischer Puerperalerkrankungen. Die Entstehung mancher
Fälle von multipler Sklerose kann auf die Gravidität oder das Puerperium
zurückgeführt werden, ebenso die Entstehung einiger Fälle von Poliomyelitis.
Am meisten interessiert uns wohl die Tatsache, daß die gleichen Formen
toxischer oder infektiöser Myelitis, wie sie nach akuten Infektionskrankheiten
auftreten, auch in der Gravidität und im Puerperium zur Beobachtung
kommen. Ausführlich beschreibt H. einen Fall rezidivierender Schwanger-
schaftsmyelitis, einen Fall, in welchem im Anschluß au mehrere Graviditäten
immer wieder eine schwere Myelitis auftrat, die jedesmal in Genesung aus-
ging, mehrmals nach künstlicher Unterbrechung der Schwangerschaft.
Der Einfluß der zerebralen und spinalen Lähmungen auf Konzeption,
Schwangerschaft und Geburt wird ausführlich besprochen.
Die peripheren Schwangerschaftslähmungen teilt H. in myopathische
und neuritische ein; zu den ersteren zählt er die osteomalacischen, die viel
häufiger sind, als allgemein angenommen wird, und die seltenen, durch Poly-
myositis bedingten.
Ein großes Interesse beanspruchen die neuritischen Lähmungen, schon
vegen ihrer Häufigkeit.
Die Genese der traumatischen Neuritis wird ausführlich besprochen
und auch durch eine anatomische Tafel erläutert. Die bisher in den meisten
Lehrbüchern vertretene Anschauung, daß nur der N. peroneus bei der Geburt
tiaumatisch gelähmt wird, kann durch die angeführte Kasuistik und die
Pathogenese leicht widerlegt werden. Neuritis puerperalis per contiguitatem
nennt H. diejenigen Neuritiden, die durch Druck von Exsudaten im Becken,
(J52 Hysterie, Neurasthenie, Hypochondrie.
durcli Phlegmasia alba dolens, durch Fortleitung von Entzündungsprozessen
im Becken auf die motorischen Nerven desselben entstehen. Nicht all-
gemein bekannt dürfte sein, daß diejenigen Neuritiden, welche im Anschluß
an puerperale Infektion entstehen, die postinfektiöse Puerperal-Neuritis, wie
H. sie bezeichnet, mit Vorliebe das Medianus- und Ulnarisgebiet eines oder
beider Arme betreffen.
Für eine der wichtigsten und interessantesten Schwangerschaftslähmungen
hält H. die toxische Gravidität- und Puerperalneuritis, die sich ohne voraus-
gehende Infektion, also wohl auf Grund einer Autointoxikation entwickelt;
hierher gehören auch die schweren Fälle allgemeiner amyotrophischer Poly-
neuritis, wie sie vielfach gleichzeitig mit unstillbarem Erbrechen zur Beob-
achtung kommen. Bei dieser Form kommt es ebenso wie im Gefolge der
Alkoholneuritis auch zu schwerer Korsak off scher Psychose. Die Indi-
kation, welche durch diese oft tödliche Polyneuritis für die Unterbrechuug
der Schwangerschaft entsteht, wird eingehend besprochen. Eine Kasuistik
von 494 Fällen illustriert die einzelnen von H. aufgestellten Formen von
Schwangerschaftslähmungen; den Schluß der Monographie bildet ein aus-
führliches Literatur- und Autorenverzeichnis. (Autoreferat.)
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Referent: Dr. E. Flörsheim-Berlin.
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Hysterie.
Thaniscll (235) berichtet über eine 2Bjährige nervös veranlagte Frau,
welche vor einigen Jahren angeblich infolge einer Erkältung plötzlich taub
geworden war; nach otägiger Taubheit war wieder nonnale Hörfähigkeit
eingetreten. Plötzlich nach Anstrengung und seelischer Erregung erkrankte
sie wieder an beiderseitiger kompletter Taubheit mit vollständigem Verlust
der Knochen- und Luftleitung. Keine akuten Entzündungserscheinungen im
Ohre, auch war vorher keine Abnahme der Hörfähigkeit bemerkt worden.
Ebenso plötzlich verschwand die Funktionsaufhebung. Darauf einige Tage
lang Anfalle von Angstgefühl, Atemnot, Beklemmungen, die durch Trinken
von "Wasser koupiert werden. Es bleibt noch eine Zeit lang schmerzhafte
42*
5ß0 Hysterie, Neurasthenie, Hypochondrie.
Hyperästhesie des Gehörorgans bestehen, so daß Patientin durch das Schreien
ihres Kindes in einem hochgradigen Erregungszustand versetzt winl Im
Gegensatz zu anderen Beobachtungen bestand während des Anfalles Hyper-
ästhesie des Gehörgangs und des Trommelfells. Es kann sich nur um eine
hysterische Taubheit gehandelt haben.
Die 12jährige, von DÖlger (68) beobachtete Patientin, welche' vor
4 Jahren an einer rechtsseitigen Mittelohreiterung gelitten hatte, erkrankte
mit Schmerzen im rechten Warzenfortsatz und im äußeren Gehörgang be-
sonders bei Berührung von dessen unterer knöchener Wand. Hörweite rechts
für Flüstersprache = 0; Stimmgabel vom Scheitel ins linke (gesunde), rechts
durch die Luft nicht gehört. Außerdem bestanden rechtsseitige Kopf-
schmerzen, Schwindelanfälle und Übelkeiten. Kein Fieber, auffallendes
sonstiges Wohlbefinden. Von einer Operation wurde zunächst Abstand ge-
nommen, da sich die Hyperästhesie der unteren Gehörgangswand mit dem
übrigen auf eine organische Erkrankung des Mittelohrs und Labyrinth hin-
deutenden Befund nicht in Einklang bringen ließ. Nach 14 Tagen plötzlich
wieder Eintritt normaler Hörfähigkeit, wodurch die Diagnose hysterische
Taubheit gesichert wurde.
Steffens (224) wendet sich gegen Bratz und Falkenberg, welche
in ihrer Arbeit über Hysterie und Epilepsie das Bestehen einer Mischform
oder Übergaugsform entschieden in Abrede stellen und in Krankheitsfällea,
welche Symptome beider Neurosen in inniger Verbindung zeigen, das Zu-
sammentreflFen als ein mehr oder weniger zufälliges bezeichnen. Verf. führt
Nonnes und Binswangers Ansichten an zu Gunsten der Aaffassung der
Hystero-Epilepsie als eines selbständigen Krankheitsbildes und sieht in der
zitierten Arbeit vielmehr den Beweis erbracht für die Unmöglichkeit^ aach
nur ein einziges Symptom zu finden^ welches nur der Epilepsie oder nur der
Hysterie angehören könnte. Aber auch die Unterscheidung der drei Krank-
heitsbilder: Hysterie, Hystero-Epilepsie und Epilepsie bedeutet keinen Fort-
schritt; zu einer natürlichen Anschauung über das Wesen dieser Krank-
heiten und zu einer ungezwungenen Erklärung aller ihrer Symptome kommt
man nur durch die Annahme einer einzigen umfassenden Krankheit, einer
„Hystero-Epilepsie", unter welcher Verf. nicht eine dritte Krankheit ver-
steht, die zwischen der Hysterie und der Epilepsie steht, sondern womit er
die Hysterie und Epilepsie selbst meint, welche unter diesem Namen zu
einem gemeinschaftlichen Krankheitsbild zusammengeschlossen werden sollen.
Die Hystero-Epilepsie ist eine Psycho-Neurose und gehört zur Gruppe
der auf Entartung im weiteren Sinne beruhenden Krankheiten. Von der
langen Reihe der Krankheitserscheinungen stehen auf der einen Seite
sensibel-sensorische Störungen: Stigmata, Schlafanfälle, Dämmerzustände imd
Erscheinungsformen des petit mal; auf der anderen Seite die schwersten
psychischen Störungen; in der Mitte Krampfanfälle der verschiedensten Art
und Schwere. Diese Krankheitserscheinungen treten oft einzeln bezw.
gruppenweise auf entsprechend der ,.reinen Epilepsie'' und ^reinen Hysterie",
häutiger finden sie sich gemischt und so unentwirrbar verbunden, daß eiD€
Trennung in reine Gruppen unmöglich ist. Durch die ganze Reihe zieht sich
außerdem eine Charakterveränderung, welche sich bald in Launenhaftigkeit
äußert, bald in Unzuverlässigkeit, Lügenhaftigkeit, Reizbarkeit, Stumpfheit
usw. Therapeutisch sind einzelne Gruppen erfolgreich mit Brompraparaieo,
andere mit psyclio-therapeutischen Maßnahmen anzugreifen; häufig sind bei
demselben Kranken beide therapeutischen Methoden anzuwenden.
Im Laufe der letzten vier Jahre hat Nonne (166) fünf Fälle von
Hystero-Epilepsie gesehen. Der jüngst beobachtete betraf einen 36JHhrigea,
Hysterie, Neurasthenie, Hypochondrie. ßß\
körperlich und geistig normalen Steuermann, der weder Luetiker, noch
Aikoholist war. Im Anschluß an ein schweres Kopftrauma entwickelt sich
unter Kopfschmerzen eine psychische Veränderung epileptischen Charakters.
Es folgen als epileptisch diagnostizierte Krampfanfälle, dann eine apoplekti-
form einsetzende linksseitige Hemiplegie. Die Trepanation ergibt keine
Anomalie an Hirnhäuten oder Hirnsubstanz; trotzdem Heilung der motori-
schen Hemiplegie nach einigen Tagen. Wegen Konrulsionen, Kopfschmerzen
undEeizerscheinungen an der Trepanationsstelle : zweite Trepanation. Danach
wechselvolles Bild funktioneller, nervöser Beschwerden, hysterische Krampf-
anMe. Entlassung. Nach abermaliger Aufnahme Wechsel von echt epi-
leptischen und echt hysterischen Anfällen, hysterische sensibel - sensorische
Hemianästhesie. Dritte Trepanation wegen erneuten Verdachts eines pal-
pablen lokalen Hirnleidens. Danach hysterische Hemiplegie. Heilung durch
Suggestionstherapie; es bleibt nur eine — durch die erste Trepanation ge-
setzte — ganz leichte Parese am linken Bein. Darauf völlige Arbeitsfähig-
keit als Bootsfuhrer. Nach 3 Monaten erneute Aufnahme wegen echt epi-
leptischer Anfälle. Fortbestehen der „hysterischen" sensibel -sensorischen
Anästhesie und der periodisch auftretenden „epileptischen" Charakter-
Teränderung und Konvulsionen hysterischen Charakters.
Handelt es sich hier um eine Hysterie, Epilepsie oder was sonst?
Da das Kj-ankheitsbild sich zusammensetzt aus exquisit hysterischeu
Sensibilitätsstigmaten, aus hysterischen, motorischen Paralysen, welche einer
Suggestifbehandlung weichen und aus Paroxysmen, welche teils einen rein
epileptischen, teils einen rein hysterischen Charakter tragen; da inter-
paroxysmal eine Charakteränderung vorliegt, welche sowolil bei Hysterikern
als auch bei Epileptikern vorkommt, und da diese anfallsweise sich steigernde
Stimmnngsanomalie einmal zu hysterischen und einmal zu epileptischen
Attacken führt, so wird man gezwungen, ein Krankheitsbild anzunehmen,
welches untrennbar die integrierenden Bestandteile der beiden Neurosen
Hysterie und Epilepsie in sich vereinigt. Hinzukommt, daß nur eine Ur-
sache, das Kopftrauma, welches sonst häufig je eine der beiden Neurosen
manifest werden läßt, hier das zusammengesetzte Bild geschaffen hat.
Verf. glaubt, daß man die Ansicht, daß die beiden Kreise Hysterie
nnd Epilepsie sich nicht nur berühren können, sondern ineinander über-
greifen und dadurch ein mehr oder weniger großes gemeinsames Gebiet
schaffen können, nicht von der Hand weisen soll, wie es Ho che in seinem
Vortrage getan hat. Angesichts eines solchen Falles, der sich durch Ätio-
logie, Zustandsbild und Verlauf als ein einheitlicher darstellt, hieße es, den
Tatsachen Gewalt antun, wenn man das beiden Neurosen charakteristiche
Zöge entlehnende Krankheitsbild „Hysterie- Epilepsie'* als nicht existierend
bezeichnen und von dem Nebeneinander zweier verschiedenen Neurosen bei
einem Individuum sprechen wollte.
Paworsky (78) stellte eine Patientin vor, mit einer ödematösen
Schwellung, die sich über Gesicht, Hals, oberen Teil der Brust und des
Rückens erstreckte, die sich hart anfühlte und auf Druck keine Dellen
^rückließ. Die Haut war gespannt, von bläulicher, fleckweise von tief dunkelblau-
rötlicher Färbung; die Hauttemperatur an den gefärbten Stellen war erhölit.
Diese Ödeme scheinen ziemlich akut entstanden zu sein. Über ihre Dauer
^rd nichts erwähnt Außerdem wurde plötzliches Auftreten von Ekchy-
Jnosen am Körper, begleitet von Schmerz- und .luckempfindung beobachtet.
Außerdem hysterische Symptome. Verf. verwahrt sich gegen die Auffassung
dieser Erscheinungen als akutes, umschriebenes Ödem und bezeichnet sie
als ausschließlich hysterische.
552 Hysterie, Neurasthenie, Hypochondrie.
Dultz (70) beschreibt ausführlich die interessante Krankengeschichte
einer 17 jährigen Hysterica, die mit einer Anzahl angeblich spontan auf-
getretener Epidei-mis - Defekte, teils auch tiefer greifender Geschwüre er-
krankt war. Da bei indifferenter Salbenbehandlung eine Reihe neuer Efflores-
cenzen auftrat, wurde ulceröse Syphilis angenommen und Pat. dementsprechend
mit dem Erfolg völliger Heilung behandelt. Nach 1^2 Jahren erschien die
Kranke mit einem Rezidiv, das aber trotz erneuter Anwendung einer anti-
luetischen Therapie keine Neigung zur Heilung zeigte. Jetzt erst bequemte
sie sich einzugestehen, daß sie sich die Ulceration durch Verätzung mit
Säure selbst beigebracht habe. Verf. hat dann an sich selbst eine Reihe
von Atzversuchen gemacht und dadurch die gleichen Veränderungen wie die
bei der Kranken beobachteten hervorgerufen.
Auf Grund von fünf Beobachtungen von multipler, neurotischer Haut-
gangrän bei hysterischen Mädchen, von denen sich in zwei Fällen die arte-
fizielle Entstehung nachweisen ließ, während sie in den übrigen in hohem
Grade wahrscheinlich war, kommt Rona (199) zu folgendem Resum^:
1. Die von Kaposi aufgestellte Kraukheitsform „Herpes zoster gang-
raenosus hystericus" ist nicht aus der Gruppe der ,.spontanen, multiplen
neurotischen Gangrän" auszuscheiden.
2. Die Läsionen dieser Hauterkrankung sind stets nur bei Hysterischen
und Simulanten zu beobachten und stellen .nichts anderes dar, als artefakte
Läsionen, hervorgerufen durch irgend ein Atzmittel.
3. Die morphologischen und pathologisch-anatomischen Differenzen der
Läsion sind von der Differenz der angewendeten Substanz resp. deren Kon-
zentration und Anwendungsdauer abhängig.
Scheu (217) sah ein ISjähriges Mädchen, welches plötzlich in der
Nacht mit heftigen Stichen der linken Lendengegend erkrankte; seit dem
ist sie schief. In stehender Stellung legt sie sich mit dem Oberkörper
stark nach rechts hinüber, der Rumpf ruht mit seiner ganzen Last auf dem
rechten Bein. Die Wirbelsäule zeigt in ganzer Ausdehnung eine starke,
nach rechts konvexe, seitliche Verki'ümmung; Kopf wird nach links geneigt
gehalten; das Becken steht schief, die linke Spina ant. sup. höher wie die
rechte. Die Ferse des linken Fußes bleibt 6 cm vom Boden entfernt, das
linke Knie wird leicht gebeugt gehalten. Die Gelenke waren frei. Der
Gang ist hinkend. Durch Vornüberneigen des Rumpfes gleicht sich die
Wirbelsäulen -Verkrümmung aus; auch für kurze Zeit durch gutes Zureden,
sowie in der Hypnose. — Von sonstigen hysterischen Symptomen bestand
Hypästhesie und Hypalgesie bezw. Analgesie im Bezirk der ganzen linken
Körperhälfte. — Eine Besserung des Zustandes ließ sich nicht erzielen.
Brück (28) beobachtete einen 22jährigen Mann, der in Ostasien an
Malaria, Typhus und Dysenterie erkrankt, dann aber in völligem Wohlbefinden
zurückgekehrt war. Zirka 1 Jahr später erkrankte er plötzlich mit Kopf-
schmerz und großer Mattigkeit, die wenige Tage darauf in einen tiefen,
3 Tage andauernden Schlafzustand überging. Es folgten, getrennt durch
etwa 7« jährige Intervalle relativen Wohlbefindens, 3 weitere Anfalle von
3 — Stägiger Dauer. Pat. wurde nun wegen Verdachts auf Schlafkrankheit
dem Institut für Infektionskrankheiten überwiesen. Hier wurde ein viel
Stunden dauernder Anfall beobachtet: Pat. schlief in sehr unbequemei
Stellung auf seinem Stuhl ein und war in keiner Weise zu erwecken; Gliedei
fallen schlaff herab, Augen geschlossen, Gesicht blaß, Extremitäten kühl
Sehuenreflexe vorhanden, Hautreflexe erloschen, Cornealreflex herabgesetzt:
Pupillen erweitert, reagieren prompt. Nach dem Erwachen keine EriDnerang
Hysterie, Neurasthenie, Hypochondrie. 553
Es handelt sich um einen hysterischen Schlafzastand, der außer leichten
Hyperästhesien an der Haut der rechten Kopfseite keine Zeichen für Hysterie
darbietet, der also im Gegensatz zu den französischen Ansichten, Binswangers
Behauptung recht gibt, daß die Schlafanfälle an sich bei weitem nicht immer
das Vorhandensein der großen Hysterie beweisen.
Tetzner (234) berichtet über einen 21jährigen Handarbeiter, der vor
i Jahren mit Schütteln des Kopfes und mit Zuckungen namentlich der
Nackenmoskalatur erkrankte; allmählich wurde der Kopf andauernd so stark
nach hinten gezogen, daß Pat. die Arbeit nicht mehr sehen konnte. Bei
der Uutersuchung bestand eine so hochgradige Kontraktur der Nacken-
nraskeln, daß das Gesicht YoUständig nach oben blickte. Aktiv gelingt
minimales Beugen des Kopfes, Seitwärtsdrehungen relativ gut. Passive
Beugeversuche , lösen tonisch-klonische Krämpfe der Nackenmuskulatur aus;
auch passive Überstreckung ist nicht möglich. Beim Essen und Trinken
halt er mit der linken Hand den Kopf nach vom und führt mit der rechten
Speisen und Getränke zum Mund. Diese Kopfhaltung änderte sich nur in
der Rahe ein wenig. Therapeutische Maßnahmen blieben erfolglos. Auf-
fallend war das völlige Fehlen anderweitiger hysterischer Symptome.
Mathieu und Ronx (146) beobachteten eine Hysterica, die seit
10 Jahren an Brechanfallen litt, die sich mit zirkumskripten Schmerzen im
Epigastrium einleiteten, worauf ca. 50—80 ccm einer schwarz-rötlich gefärbten,
Menziehenden, schleimigen Flüssigkeit erbrochen wurden; gleichzeitig bestand
starkes Hungergefühl, Schwäche, Schweißausbruch; sonst keine Zeichen einer
Verdauungsstörung. Das Erbrochene, in dem sich Hämoglobin, aber keine
roten Blutkörperchen fanden,, ist das Produkt der Speicheldrüsen sowie der
Drüsen des Pharynx und Ösophagus; die Reaktion war schwach sauer;
Salzsäure ließ sich nie nachweisen. Die von diesen Drüsen abgesonderte
Flüssigkeit sammelt sich oberhalb der Cardia an und wird durch einen
leichten Würgakt nach oben befördert. Das beigemengte Blut stammt gleich-
falls aus den Drüsen oder aus dem Pharynx und Ösophagus.
Ein wegen linksseitigen Krampfaderbruchs versuchsweise eingestellter
Soldat erkrankte mit Schmerzen, die vom Hodensack nach dem Nabel aus-
strahlten und die Bewegungen des linken Beines beeinträchtigten. Blanc
(22) konstatierte eine so hochgradige Druckempfindlichkeit des Hodensacks
imd insbesondere des linken Hodens, daß Patient schon bei vorsichtiger
Betastung sich vor Schmerzen krümmte. Das linke Bein wurde im Hüft-
gelenk gebeugt gehalten. Die Schmerzen ließen allmählich nach; zu gleicher
Zeit wurde die linke Skrotalhälfte auästhetisch bezw. analgetisch; diese
Sensibilitätsstörung setzte sich fort auf eine umfangreiche Hautpartie der
angrenzenden linken Bauchhälfte und der Vorderfläche des linken Ober-
schenkels. Die leichte Beugekontraktur des linken Hüftgelenks blieb bestehen.
Bei dem von Kern (130) beobachteten Soldaten, der V2 •J^'^'' vorher
einen Stoß gegen die Genitalien erhalten hatte, wurde in ähnlicher AVeise
ein heftiger Schmerz ausgelöst durch leiseste Berührung des linken Hoden,
Nebenhoden und Samenstrangs. Auch Betastung der linken Bauchseite war
schmerzhaft. Außerdem wurden noch eine Keihe von Sensibilitätsstörungen
an Rumpf und Extremitäten sowie andere ausgesprochene hysterische Symp-
tome festgestellt
Bei einer 22 jährigen hysterischen Krankenwärterin, die an fieberhafter
Grippe erkrankt war, sahen Menetrier und Roux (150 a) die typischen
Symptome der Meningitis: Heftige Kopfschmerzen mit Lichtscheu, Erbrechen,
Zähneknurschen, in die Kissen gebohrten Kopf, ausgesprochene Nackensteifig-
keit, Kernigsches Symptom, Delirien. Nach 4 Tagen verschwinden diese
Q54 Hysterie. Neurasthenie, HypochoQdrie.
Symptome; an ihre Stelle treten psychische Störungen vom Typus des
Puerilismus: täppisches Benehmen, Beschäftigung mit Kinderspielzeug u. dgL
Nach wenigen Tagen völlige Rekonvaleszenz. Es stellte sich heraus, da&
die Patientin, die auch sonst Zeichen typischer Hysterie aufwies, vorher
5 Geschwister an tuberkulöser Meningitis gepflegt und verloren hatte. Die
Verf. nehmen daher au, daß die meningitischen Erscheinungen bei ihr auf
autosuggestivem Wege entstanden sind. Da aber eine Spinalpunktion nicht
vorgenommen wurde, ist inmierhin die Möglichkeit einer echten meningiti-
schen Reizung nicht ganz von der Hand zu weisen.
Dupouy (73) beobachtete eine 48 jähr. Frau, die 8mal wegen alko-
holischer Exzesse dem Asyl überwiesen wurde. Es handelt sich um ein
geistesschwaches, degeneriertes Individuum mit Gesichts-, Grehörs-, Genichs-
und Geschmackshalluzinationen. Außerdem bestanden hysterische Erschei-
nungen: Krämpfe, eine wieder geschwundene Hemiplegie, linksseitige Hemi-
anästhesie, linksseitige Amaurose, Taubheit, femer Verlust des Geruchs und
Geschmacks derselben Seite. Interessant war, daß die Halluzinationen, genau
entsprechend ihrer sensibel-sensorischen Hemianästhesie, auch ausschließlich
die linke Seite betrafen. Allein also die rechte Großhirnhemisphäre, die als
Sitz der hysterischen AfEektion einen locus minoris resistentiae darbot, hat
auf die Alkoholintoxikation reagiert. Die Kranke hat mit ihrer rechten
Gehirnhälfte deliriert, geradeso wie sie dieser ihren Sensibilitätsverlust
verdankt.
Eine von Müller (158) beobachtete 35jährige Hysterica gab an, in
einem Bissen Brot 3 Nadeln verschluckt zu haben. Nach zirka 8 Tagen
zeigte sie eine neue glänzende Nähnadel, die sie erbrochen haben wollt«;
die anderen spürte sie deutlich im Magen. Da sie darauf hingewiesen wurde,
daß das glänzende Aussehen der Nadel mit 8 tätigem Aufenthalt im Körper
nicht zu vereinen sei, brachte sie nach weiteren 8 Tagen ein Gefäß mit
Stuhlgang, in dem sich 2 tadellos oxydierte Nadeln befanden. Etwa 1 Jahr
später stellten sich häufige, sehr heftige üterusblutungen ein, die einen so
bedrohlichen Charakter annahmen, daß Verf. zur Totalexstirpation schreiten
mußte. Dabei fanden sich, eingebettet in das linke verdickte Ligamentom
latum, 2 Nähnadeln. Auf welchem Wege die Nadeln dorthin gelangt waren,
darüber verweigerte Patientin jede Auskunft.
Als Altersgrenze, bis zu welcher man von einer kindlichen Hysterie
sprechen kann, rechnet Eulenburg (76) das 14. Lebensjahr. Die Tat-
sache, daß es überhaupt eine keineswegs seltene und bei beiden Geschlechteni
ungefähr gleich häufig vorkommende kindliche Hysterie gibt, widerspricht
den alten, immer wieder vorgebrachten Deutungsversuchen, die in der
Hysterie wesentlich eine von Erkrankungen des weiblichen Geschlechts-
apparates abhängige Neurose erblicken. Verfasser definiert vielmehr die
Hysterie als eine zumeist in angeborener Veranlagung wurzelnde, chronisch
verlaufende Psychoneurose, die als solche sich in ihrer Eigenart vor allem
als eine Erkrankung des Vorstellungslebens kundgibt, das durch ungemeine
Labilität und durch abnorm erhöhte expansive und exzessive Reaktionsfähig-
keit auf innere und äußere Eindrücke („Impressionabilität^') gekennzeichnet
ist: eine Eigenart des psychischen Geschehens, mit der sich in der Begel
auch eine in hohem Grade gesteigerte Einbildungskraft, gesteigerte affektive
und reflektorische Erregbarkeit und dement^rechend gesteigerter Drang zu
krampfliaften motorischen Entladungen („Konvulsibüität") — andererseits
Herabsetzung der VVillensenergie und des wiUkürlichen motorischen Handelns
(Hypobulie und Abulie; „abulische Insuffizienz") bis zur vollendeten „Lähmung'*
in größerem oder geringerem Umfange verbinden.
Hysterie, Neurasthenie, Hypochondrie. 565
Im Kapitel Ätiologie gibt Verf. die Eichtigkeit der von Breuer und
Freud aufgestellten Theorie des psychischen Trauma nur für einzelne Fälle
zu. Auch diese betreffen vorzugsweise ursprünglich belastete, erblich-degene-
rati? beanlagte Kinder, bei denen das auf erotischem Gebiet liegende Angst-
eriebnis wesentlich als auslösendes Moment zu wirken scheint, nicht aber als
alleinige und unmittelbare „Ursache". Das ist praktisch wichtig. Denn
dann könnte und müßte durch Hinwegräumen dieser Ursache — durch ein
auf suggestivem Wege bewirktes vollständiges Abreagieren — auch die
Hysterie zur Heilung gebracht werden. Das ist aber weder immer tunlich
Doch notwendig, wofür Verf. ein Beispiel anfuhrt.
Die Prognose, d. i. Aussicht auf wirkliche Heilung, ist nicht besonders
günstig, wenn auch etwas besser als bei Erwachsenen. Ein spontanes Er-
löschen mit Vollendung der Pubertät oder nach dieser ist mindestens als
Ausnahme zu bezeichnen.
Die Behandlung der manifest gewordenen kindlichen Hysterie wird
sich vorwiegend auf dem Wege seelischer Beeinflussung und Umwandlung
vollziehen müssen.
Grober (104) beobachtete in der Jeneuser Klinik einen eigentümlich
Terlaufenden Fall von laugdauemdem, hysterischem Schlafzustand. Die
Krankengeschichte in der Zusammenfassung des Autors ist folgende: Ein
3% jähriges Kind gerät nach mehreren, höchstwahrscheinlich hysterischen
Anfällen in einen 3 Monate dauernden letliargischen Zustand mit lebhaften
choreatischen Bewegungen und Bewußtseinsverlust, in dessen Beginn viel-
leicht eine andere (organische) Erkrankung (Meningitis) hineinspielt. Es
erwacht plötzlich spontan, hat aber den Gebrauch der Sprache verloren und
leidet an einer rein funktionell bedingten Steifheit des rechten Handgelenkes,
die sich nach kurzer Zeit spontan verliert. Nach dem lethargischen Zustand
folgen noch einzelne kurze hysterische Anfälle. IV2 Jahre nach dem
Schwinden der letzten Erscheinungen bleibt das Kind gesund. Eine Ur-
sache der Hysterie könnte höchstens in einer akuten Keimesschädigung
gefunden werden; der Vater soll sich bei der Konzeption in einer akuten
Alkoholvergiftung befunden haben.
Eollaiits (132) bespricht 6 Fälle von spasmodischem Schiefhals, von
denen er 3 selbst beobachtet hat während die andern der Klientel Jen-
drassiks entstammen. Sämtliche Kranke waren neuropathisch belastet;
nur ein einziger zeigte hysterische Stigmata. Der unmittelbare Anstoß zum
Torticollis waren: Zittern des Kopfes, Parästhesien im Nacken, ein andermal
eiu geringfügiger Schlag, welcher die Gedanken des Kranken an den Nackten
heftete. Die Krämpfe hatten sich nie auf das Accessoriusgebiet beschränkt;
es waren auch Gesichts-, Schulter-, Rumpfmuskulatur, die oberen Extremi-
täten, manchmal auch die unteren, meistens beiderseits beteiligt. Niemals
handelte es sich um isolierte Muskelkrämpfe, vielmehr um koordinierte Be-
wegungen, um krampfartige Kopf-, Rumpf-, Schulterhaltung, grimassierenden
Gesichtsausdruck. Jeder Kranke erfindet für sich einen Griff, mit welchem
er Herr über seine Krämpfe wird. Verfasser spricht von einem psychischen
oder autosuggestivem Griff, da er ohne Kraftanwendung wirkt. Es handelte
sich in allen Fällen um den hysterischen Torticollis mentalis. Verf. kommt
zü folgendem Ergebnis: Jeder aus tonischen oder klinischen Krämpfen be-
stehende spasmodische Torticollis ist ein Torticollis mentalis. Das läßt sich
auch für sämtliche in der Literatur beschriebenen Fälle nachweisen.
Torticollis mentalis ist ein Symptom der Hysterie und kann ohne
andere hysterische Symptome als raonosymptomatische Hysterie erscheinen.
^55 Hysterie, Neurasthenie, Hypochondrie.
Die Therapie dieses hysterischen Symptoms kann nur eine suggestive
sein; chirurgische Eingriffe können nicht gebilligt werden.
Bei einer 14jährigen Hysterica mit rechtsseitiger Hemianästhesie und
gleichseitiger Amblyopie konnte Cruchet (56) durch eine Reihe von Ver-
suchen feststellen, daß diese Sehstörung nur in Erscheinung trat bei gleich-
zeitigem Lidschluß des gesunden Auges. Nicht nur also beim binokularen
Sehen, wie in den meisten Fällen hysterischer Amblyopie, blieb das Seh-
vermögen des kranken Auges normal, sondern auch wenn man das gesunde
Auge durch Vorhalten von Gegenständen ausschaltete, ohne es aber schließen
zu lassen. Wurde das gesunde Auge durch genau der Orbita entsprechend
geschnittene Papierstreifen verdeckt, so trat die Amblyopie des andern Auges
jedesmal dann wieder ein, wenn farbiges Papier verwendet wurde. Nur bei
Bedeckung mit weißen Papierstreifen blieb das Sehvermögen normal. Sobald
also die weißen Lichtstrahlen das gesunde Auge erreichen können, bleibt
die Amblyopie des andern aus und es ist nicht der motorische Akt des
Lidschlusses, welcher die Sehstörung hervorruft, sondern die dadurch ent-
stehende Empfindung der Dunkelheit
Herz (114) sah ein 16 jähriges Bauernmädchen, bei welchem nach
den ersten Andeutungen einer Menstruation stürmische Erscheinungen von
Seiten des Herzens, Palpitationeu, Tachykardie, Angina pectoris auftraten.
Auch der zweiten Menstruation ging ein Anfall von paroxysmaler Tachy-
kardie voraus. Von da ab begann unter Appetitabnahme und StuÜ-
beschwerden eine Vergrößerung des Abdomens, die nach der 31. Menstruation,
die 11 Monate nach der ersten eintrat, übrigens auch sehr spärlich war,
rapide zunahm. Verf. fand jetzt Hochstand des Zwerchfells mit Verschie-
bung der Lungen- und Herzgrenzen, einen frequenten Puls von 150 — 165
Schlägen in der Minute, sowie eine Auftreibung des Abdomens, welche etwa
einer Schwangerschaft im neunten Monat entsprach. Bedingt war dieser
Bauchtumor durch eine Ansammlung von Darmgasen; er verschwand nach
Einführung eines Darmrohrs. Die Ursachen dieser Störung der Herz- und
Darmtätigkeit sieht Verf. in den der ersten Meustmation vorausgehenden
vas(miotorischen Erscheinungen, welche zu Reflexvorgängen im Nerven- und
Gefäßsystem Anlaß geben können. Er nimmt mit Kisch eine uterine Dys-
pepsie an, bei der als nahezu konstantes Symptom Stuhlverstopfung und
starke Gasentwicklung im Magendarmkanal beobachtet werden. Sonstige
Zeichen der Hysterie hat Verf. bei der Pat. weder gesucht noch gefunden.
Um seine vor mehreren Jahren aufgestellten Behauptungen über die
Pathogenese hysterischer Symptome und die psychischen Vorgänge bei der
Hysterie durch eine Kranken- und Behandlungsgeschichte zu erhärten, teUt
Freud (87) das Bruchstück einer Hysterieanalyse mit, deren Einzelheiten
im Original nachgelesen werden müssen. Es ist dem Verfasser der Vorwurf
gemacht worden, daß seine Theorie der Hysterie eine rein psychologische
und deshalb von vornherein unfähig sei, ein pathologisches Problem zu
lösen. Die vorliegende Abhandlung soll demgegenüber beweisen, daß nur
die therapeutische Technik rein psychologisch ist, während die Theorie auf
die organische Grundlage der Neurose, die Sexualfunktion hinweist. F. wiU
ferner als Ergänzung zu seinem Buche über Traumdeutung zeigen, wie diese
sonst unnütze Kunst zur Aufdeckung des Verborgenen und Verdrängten im
Seelenleben verwendet werden kann, sowie Interesse erwecken für Verhält-
nisse, welche sich nur bei Anwendung seines Verfahrens entdecken lassen;
so für die Komplikation der psychischen Vorgänge bei der Hysterie, das
Nebeneinander der verschiedenartigsten Regungen, die gegenseitige Bindung
der Gegensätze, die Verdrängungen und Verschiebungen u. a. m. Endlich
Hysterie, Neurasthenie, Hypochondrie. 6(57
sollte bewiesen werden, daß die Sexualität nicht bloß als einmal auftreten-
der Deua ex machina irgendwo in das Getriebe der für die Hysterie
charakteristischen Vorgänge eingreift, sondern daß sie die Triebkraft für
jedes einzelne Symptom und für jede einzelne Äußerung eines Symptoms
abgibt. Die Krankheitserscheinungen sind die Sexualbetätigung der Kranken.
Dieulafoy (63) beschreibt 2 Fälle Yon kompletter hysterischer Blindheit.
Der eine betraf eine 44jährige Frau, die seit ihrem 10. Lebensjahre an
hjsterisehen Anfällen litt. Im Anschluß an eine solche Attacke erblindete
sie plötzlich. Außerdem bestand eine hysterische Hemiplegie und Kontrakturen.
Der andere Fat war ein 25 jähriger Mann, der plötzlich auf der Straße von
Tölliger Blindheit befallen wurde. Er hatte nach seinen Erzählungen früher
nach psychischen Erregungen Nerven- Attacken gehabt. Objektiv ließ sich
kein weiteres hysterisches Symptom feststellen. Die Diagnose hysterische
Blindheit war begründet in der Symptomen-Trias: plötzlicher Beginn, normaler
ophthalmoskopischer Befund und erhaltene Pupillar-Lichtreaktiou. Suggestiv-
Behandlung führte Heilung herbei, während im ersten Fall der Zustand allen
therapeutischen Versuchen trotzte.
Mathien und Ronx (1^8) beobachteten bei einer 42jährigen,
hysterischen Frau eine enorme Vermehrung der Speichelsekretion. Es wurden
fast ^/g Liter täglich entleert, teils durch Erbrechen, teils durch Heraus-
fließen aus dem Munde. Die VerflF. bewerten die „Sialorrhoe" als hysterisches
Stigma und schlagen suggestiv Therapie an, die auch in diesem Falle Nutzen
brachte.
Tixier (236) sah einen 38 jährigen Arbeiter, der mit zwei, von Stock-
hieben herrührenden Kontusionen der linken Scheitelbeingegend das Kranken-
haus aufgesucht hatte. Pat. war nicht im stände, ein Wort zu sprechen,
konnte aber seine Antworten richtig niederschreiben. Von sonstigen nervösen
Störungen fand sich nur ein vollständiger Verlust der Geschmacksempfindung
auf der linken Zungenhälfte. Verf. kommt nach langen Auseinandersetzungen
über motorische und sensorische Aphasie und Anarthrie zu dem Schluß, daß
es sich um eine hysterische, durch das Trauma hervorgerufene Sprachstörung
handelt.
Grasset (102) beschreibt mehrere Fälle hysterischer Hüftgelenk-
schmerzen; während aber der eine sich als reine Neurose und der letzte als
Imitation einer Coxitis sich erwies, handelte es sich bei dem letzten Fall
«m eine Kombination einer organischen Coxitis mit Hysterie. (Bendix,)
Bnvat (33) führt aus, das die hysterische Anorexie sich mehr als ein
objektives Symptom einer Anästhesie oder eines Spasmus offenbart, während
die psychasthenische Anorexie sich mehr in das Gewand einer Phobie zu
kleiden pflegt. (Beudix.)
Der Fall hysterischer Paraplegie, den Conor (47) berichtet, betraf
einen Soldaten, der unter Atembeschw^erden erkrankte, mit sich anschließender
Schwäche der Beine. Keine Schmerzen, keine Spasmen. Anästhesie der
Beine, mit Ausnahme der Fußsohlen. Sehr lebhafte Patellarretlexe.
(Bendix,)
Meyer (152) hat das Material der Münchener Universitäts-Kinderklinik
an Hysteriekranken bearbeitet und weist auf den einfachen „Mechanismus"
der hysterischen Erkrankungen im allgemeinen hin. Im ganzen kamen vom
Jahre 1887 bis 1904 103 Kinder wegen unzweifelhafter Hysterie in klinische
Behandlung und zwar im Alter von 5 — 15 Jahren. Das Mißverhältnis
zwischen Veranlassung und schwerer Erkrankung war oft, aber nicht immer
anfallend, und nicht selten wurden Stigmata angetroffen; sowohl die sonst
seltener gefundenen Sensibilitätsstörungen, als auch Druckpunkte. Nicht selten
6(58 Hysterie, Neurasthenie, Hypochondrie.
wurden auch mehrere Krankheitsbilder neben einander gefunden: Krämpfe
und Lähmungen oder Kontrakturen, Schmerzen und viszerale Erscheinungen,
namentlich Erbrechen und Asthma. (Be9idia.)
Maas (144) teilt einen Eall hysterischer Sprachstörung bei einer
58 jährigen Frau mit. Die Sprachstörung zeichnet« sich einmal durch die
undeutliche Aussprache der einzelnen Laute, die als Stammeln zu bezeichnen
ist, aus und beim Spontansprechen mehr hervortrat als beim Nachsprechen.
Nur die Laute b und m konnten nicht nachgesprochen werden. Ferner zeigte
sie die Erscheinung des hysterischen Stotterns und des Agrammatismus.
(Bendix.)
Hellpacll (112) nimmt an, daß zum Zustandekommen der Hysterie zwei
Ursachen zusammen wirken müssen, eine konstitutionelle und eine accidentelle;
die konstitutionelle liegt vor in einem Seelenzustand, den er Lenksamkeit
nennt, die accidentelle in seelischen Erlebnissen, die als Verdrängung begrifflich
zusammengefaßt werden können. Ausnahmsweise nur in extremen Fällen,
reicht einmal die Lenksamkeit oder reicht die Verdrängung allein, ohne
Zutun der anderen, für die Entstehung der Hysterie aus. (Bendix.)
Der Fall von traumatischer Hysterie, den Stintzing (226) mitteüt,
ist durch die ungewöhnliche Kombination von Mutismus und Respirations-
krämpfen ausgezeichnet bei Fehlen sonstiger hysterischer Stigmata und durch
die eigentümliche Form des hysterischen Asthmas.
Der 29 jährige Zimmergeselle hatte im Jahre 1902 einen Unfall erlitten
und seitdem asthmatische Anfälle. Erst ein Jahr später trat eine Störung
der Sprache auf; er konnte nur noch unartikulierte Laute hervorbringen.
Flüsterstimme nicht möglich. (Bendijt.)
Kürbitz (133) berichtet: Ein 15jähriges Mädchen mit zahlreichen
hysterischen Anfällen gab an, vom Onkel während eines Anfalls vergewaltigt
worden zu sein. Sie habe ihn zw^ar nicht gesehen, aber das Glied in der
Scheide gespürt. Das Verfahren gegen den Onkel wurde auf Grund
psychiatrischer Gutachten eingestellt. (Braiz.)
Vitek (242) hat ein 14 jähriges anämisches Mädchen beobachtet bei
dem sich infolge eines starken Schreckes, der sich bei ihr eingestellt hatte,
als sie zum erstenmale ihr Menstruationsblut erblickte, ein motorische Aphasie,
sowie Alexie und Agraphie entwickelte. Diesen Erscheinungen ging eine
kurzdauernde Ohnmacht voraus. Die genannten Störungen sind in einigen
Wochen sukzessiver Weise gänzlich verschwunden und zwar nach einigen
psychotherapeutischen Prozeduren. Das Mädchen selbst bot den Charakter
einer Hysterischen, besonders im psychischen Sinne (Unbeständigkeit, rasche
Änderung der Stimmung usw^.). V. ist der Ansicht, daß es sich hier zweifellos
um eine hysterische Attacke infolge eines psychischen Choks handelte (das
Herz war intakt) und bemüht sich auch, die Pathogenese in solchen Fällen
zu beleuchten, indem er annimmt, daß es sich hier um einen reflektorischen
Spasmus der kortikalen Gehirnarterien handelte. V. stellt seine Hypothese
auf Grund seiner klinischen Beobachtung, nach der bei dem Weibe am An-
fange des sexuellen Lebens (Pubertät) eine größere Irritabitität der Vaso-
konstriktoren das Feld beherrscht, indem bei der Menopause (Cliraax) die
Vasodilatatoren das Übergewicht erhalten. Dem scheint auch die bekannte
experimentelle Erfahrung beizupflichten, nach der bei Reizung der vaso-
motorischen Zentren am Anfang die Vasokonstriktoren größere Reizbarkeit
zeigen, später aber ermüden und die Herrschaft den Vasodilatatoren
überlassen. (SchtUz.)
Auf Grund eingehender Beobachtung dreier Fälle von hysterischem
TortikoUis, in deren jedem einzelnen hereditäre Belastung, psychische Ein-
Hysterie, Neurasthenie, HypochoDdric. 669
iiusse und irgend eine somatische Grundlage der ersten Krampferscheinungen
DAchweisbar war, kommt Kollarits (132) zu folgenden Schlüssen: Jeder
ans tonischen oder klonischen Krämpfen bestehende spastische Tortikoilis
bt als T. mentalis zu bezeichnen. Letzterer ist eine Teilerscheinung der
Hysterie und kann ohne weitere hysterische Zeichen als monosymptomatische
Hjsterie bestehen. Bloß suggestive Behandlung ist angezeigt, jeder chirur-
gische Eingriff schädlich. (Hndovermg.)
Neurasthenie.
In einem großangelegten Sammelvortrage bespricht Prof. Jendrässik
(127) seine Erfahrung über Neurasthenie, betont die wichtige Rolle der Ver-
erbung, welche meist Yon der Mutter erjfolgt, während die Nervenkrankheit
des Vaters bei den Nachkommen weniger ausgeprägt zum Vorschein kommt;
exogene Nerrenkrankheit der Eltern pflegt sich überaus selten in Fonn von
Nearasthenie auf die Nachkommen zu yererben. Verfasser betont, daß die
Neurasthenie als angeborene Disposition, als latente Neurasthenie bei dem
belasteten Individuum stets vorbanden ist, und daß die als ätiologische
Faktoren bezeichneten äußeren Momente nur in der Auslösung der latenten
Nearasthenie mitwirken. In diesem Sinne ist die pathologische Auffassung
Jeodräasiks^ daß die Nearasthenie eine endogene Krankheit des Nerven-
STStenis ist, welche auf einer angeborenen Schwäche des Nervensystems
iMBnüit; die Neurasthenie ist einigermaßen mit der Paranoia zu identifizieren,
bei beiden bestehen fixe, sowie Wahnideen und Sinnestäuschungen, bezüglich
welcher nur graduelle Unterschiede bestehen; die organisch durch nichts
bedingten Parästhesien und Schmerzen der Neurastheuischen sind im Wesen
nichts anderes als Sinnestäuschungen. Demzufolge kann sich die Therapie
oor gegen die neurasthenischen Manifestationen richten, der neurasthenischen
Disposition gegenüber ist die Therapie machtlos. Eine eingehende Be-
sprechung der Symptomatologie, Diagnose und Therapie ergänzt die Arbeit.
(Ihuloüantig,)
Ferenczi (Bl) bezeichnet als Neurasthenie in Übereinstimmung mit
Möbius bloß durch Erschöpfung entstandene Fälle von somatischer und
psychischer reizbarer Schwäche. Aus der Gruppe „Neurasthenie" wären
jeoe Fälle mit nervösen Störungen auszuscheiden, wo solche irgend eine
organische Erkrankung verdecken. Auszuscheiden wären weiter di« mit
«degenerativer Neurasthenie-* oder „zirkulärer Neurasthenie** bezeichneten
Fälle, welche eigentlich auf degenerativer Grundlage entstandene rudimentäre
Psychosen darstellen. Häufige Ursache der klassischen Neurasthenie ist
Anämie, bei 30 — 45jährigen ruft auch Arteriosklerose neurasthenische Er-
scheinungen hervor; eine solche kann auch Ursache der klimakteriellen
Neurose sein. Die bei den Schneidern so häufige Neurasthenie will Ferenczi
teüs der sitzenden Lebensweise, teils einer Autointoxikation, entstanden durch
mangelhafte Verbrennung der Nahrung, zuschreiben. (Hudovervlg.)
Aus dem großen Material der Landesversicherungsanstalt Berlin in
Beelitz bringen Leubuscher und Bibrowicz (141) zum ersten Mal den
zahlenmäßigen Beweis für die auch sonst schon gekannte Zunahme der
neurasthenischen Elrkrankungen in Arbeiterkreisen. Die Erklärung ist zu
Suchen darin, daß erstens die Beobachtung der chronischen Arbeiterkrank-
heiten eine wesentlich umfassendere und genauere geworden ist und vor
allem zweitens in den veränderten Verhältnissen in der Arbeiterbevölkerung
Die Arbeit ist eine andere geworden. Die Akkordarbeit hat zwar bessere
Einnahm«! geschaffen, aber ein Hasten und Jagen und eine Inteosität des
Schaffens gezeitigt, die man früher nicht kannte. Und davon wird in erster
570 Hysterie, Neurasthenie, Hypochondrie.
Linie der schwächere Teil der Arbeiterbevölkerung betroffen, gerade die-
jenigen, denen die Arbeit an sich schon schwerer fallt als den übrigen.
Durch die dauernde Angst, zurückzubleiben, wird zu den Überstunden ge-
griffen, und so entsteht aus der nominell gegen früher verkürzten Arbeits-
zeit eine weit längere und durch die Unregelmäßigkeit weit anstrengendere.
Mehr noch aber wirkt das Mißverhältnis zwischen den intellektuellen Be-
dürfnissen, des heutigen großstädtischen Arbeiters und der Wertigkeit seiner
Arbeit, überall, wo geistig strebende, lebhaft denkende Menschen, noch
dazu unter mäßigen äußeren Verhältnissen hoffnungslos unselbständig, jahr-
aus, jahrein eine schwere, die höchste Aufmerksamkeit erfordernde Arbeit
ohne Wert für sie selbst leisten müssen, da wird Neurasthenie gezüchtet.
So sind unter den beobachteten 1564 Fällen vertreten: die Schriftsetzer mit
15,75%, die Tischler mit 9,45%, Schlosser mit 5^^, Mechaniker mit 1,9%,
während die Gesamtmenge der in Berlin beschäftigten Schriftsetzer 1%
aller männlichen Versicherten, die der Tischler ungefähr 5% beträgt. Die
intellektuellen Bedürfnisse dieser Leute sind in einem früher unerhörtem
Masse gestiegen, ihre Berufsarbeiten sind zum größten Teil immer unselb-
ständiger, immer unbefriedigender geworden. Im Gegensatz dazu gibt es
z. B. bei den Malern, die außerordentlich an ihrer Arbeit hängen, wenig
Neurastheniker trotz der durch die Bleivergiftung bedingten ungünstigen
hygienischen Verhältnisse. Die in der Anstalt erzielten Erfolge sind be-
deutend. Es wurden entlassen als voll erwerbsfähig 60,7%, als größtenteils
erwerbsfähig 37%, als en^erbsunfähig 2,3%, und es ist nach den bisherigen
Erfahrungen anzunehmen, daß der gewonnene Zustand der Arbeitsfähigkeit
eine Reihe von Jahren vorhält. Drei Viertel der beobachteten Neurasthenien
waren erworbene. Das Anwachsen der neurasthenischen Symptome bis zur
schweren Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit fällt in das Alter zwischen
25 und 45 Jahre, die Zeit der größten Anspannung der Arbeitskraft. Da,
abgesehen von der Prophylaxe, nur eine möglichst frühzeitige und aus-
gedelinte Behandlung in Nervenheilstätten günstige Aussichten bietet, er-
scheint die weitere Begründung von solchen Volksheilstätten für Nerven-
kranke als dringendes Bedürfnis.
Porosz (177) weist darauf hin, wie falsch es ist, wenn der Arzt aus
Scham, Prüderie oder „Takt" sich scheut, bei jungen Frauen das sexuelle
Leben zur Sprache zu bringen. Er führt mehrere Fälle an, in denen junge
Ehefrauen längere Zeit hindurch fruchtlos hydrotherapeutischen und ähn-
lichen antineiirasthenischen Prozeduren unterworfen worden waren, weil den
betreffenden Ärzten auf die Intimitäten des Ehelebens einzugehen peinlich
war. Erst als es durch genaue Exploration gelang, festzustellen, daß die
Frau infolge zu frühzeitiger Ejakulation des Mannes fast nie den Höhepunkt
des Orgasmus erreichte, — und nachdem infolgedessen die Therapie erfolg-
reich der mangelnden Potenz aufgeholfen — trat spontan eine schnelle
Besserung der neurasthenischen Symptome der Frauen ein.
Matthieu und ROUX (147) teilen vier Fälle von jugendlicher Neur-
asthenie bei 15 — 18 jährigen jungen Menschen mit, deren Hauptsymptome
in Kopfschmerz bestand, die sie zur Arbeit unfähig machte, ferner in Er-
müdungsgefühl, Verdauungsbeschwerdeu und Magendilatation. (Beiuiix*)
Pere (80) teilt zwei Fälle von sexueller Neurasthenie bei hereditär
belasteten Patienten mit, welche sich dadurch auszeichnen, daß die Krankheit
im Anschluß an den Geschlechtsakt plötzlich zum Ausbruch kam. (Bendur.)
Beni-Barde (15) sucht nachzuweisen, daß die Appendicitis an sich,
oder infol^'e des ihretwegen ausgeführten operativen Eingriffes, geeignet ist,
eine wichtige Rolle bei dem Ausbruch der Neurasthenie zu spielen. Verf»
Hysterie, Neurasthenie, Hypochondrie. 671
hält diese für eine Spezialform, der er die Bezeichnung einer appendi-
külären Neurasthenie gibt. (Bendix.)
Freund (88) sucht nachzuweisen, daß die Neurasthenie häufig nur
eiü Symptomenkomplex und keine einheitliche Krankheit ist, der oft be-
stimmte Organerkrankungen zu Grunde liegen. (Bendic.)
Federn (79) vertritt gegenüber Haskovek seinen Standpunkt bezüg-
lich der Abhängigkeit der neurasthenischen Symptome von einem konstanten
abnoimea Blutdruck. Als die häufigste Ursache des hohen Blutdrucks fand
er eine periphere Reizung des Nervus splanchnicus infolge eines bestimmten
Darmleidens. (Bendix.j
Hypocbondrls.
In seinem Referat über die nosologische Stellung der Hypochondrie
kommt Wollenberg (255) entsprechend seinen im Nothnagelscheu Hand-
buch geäußerten Ansichten zu einem durchaus negativen Ergebnis. Hypo-
chondrische Episoden sind im Verlauf anderer Krankheitszustände sehr
hanfig; dahin gehören die hypochondrischen Formen der progressiven Paralyse^
des Seniums, der Hebephrenie, der Melancholie; ferner die bisweilen hypo-
chondrisch gedeuteten abnormen Sensationen bei chronischen Alkoholisten^
bei Eokainisten und bei Epileptikern. Als ein etwas selbständigeres Krauk-
heitsbild erscheint die Hypochondrie in Fällen von traumatischer Neurose
sowie in den Formen, die sich auf dem Boden einer angeborenen psycho-
pathischen Eigenart entwickeln. Darunter fallen gewisse Fälle von degene-
ratiyer Hysterie, ferner die auf degenerativer Grundhige erwachsenden
psychischen Zwangszustände und die mannigfaltigen Formen der Nervosität.
Endlich bleiben noch gewisse Fälle übrig, die sich durch die Entwicklung
eines typischen hypochondrischen Wahns aber meist ohne eigentliche Syste-
matisierung auszeichnen und prognostisch günstig sind. Verf. teilt zwei eigene
Beobachtungen mit und weist diese Formen als Depressionszustände des
manisch-depressiven Irreseins (im Sinne Kraepelins) nach. Eine selbständige
Krankheitsform der Hypochondrie existiert also nicht. Bei näherer Be-
trachtung und hinreichend langer Beobachtung erwiesen sich die als solche
beschriebenen Fälle als anderen Krankheitsformen angehörig, und zwar
kommt hier — abgesehen von den bloßen hypochondrischen Episoden im
Verlauf der anderen Geisteskrankheiten — vor allem in Betracht: die durch
chronisch erschöpfende Einflüsse erworbene Form der Neurasthenie und die
Grnppe der konstitutionellen Psychopathien. Die Hypochondrie ist eben
nar ein psycbopathologischer Zustand, eine krankhafte psychische Disposition
besonderer Art, die zuweilen eine so dominierende Stellung im Krankheits-
bilde einnimmt, daß nach dem Grundsatze ,.e potiori fit denominatio" und
ans praktischen Gründen die Beibehaltung der Bezeichnung Hypochondrie
gerechtfertigt erscheinen kann.
Auf Grund zweier eigener Beobachtungen und der vorhandenen Literatur
bestätigt Schaikewitsch (216) die herrschenden Ansichten: Die Schmerzen
sind als Neuralgie, die Bewegungsbehinderungen als Folge der hypochon-
drischen Depression aufzufassen. Es ist kein selbständiges Leiden, sondern
ein Symptomenkon^plex der Hypochondrie und kann im Vordergrunde der
Erscheinungen stehen. (Krou.)
Vigonronx und Collet (241) teilen zwei Fälle von Hypochondrie,
respektive Ton hypochondrischen Beschwerden mit, bei denen die Autopsie
bestimmte riskerale Erkrankungen (Neubildungen) ergab. Das eine Mal
handelte es sich um ein tuberkulöses Lymphom, das andere Mal um ein
latentes Magenkarzinpm. (Bendix.)
^72 Epilepsie, Eklampsie, Tetanus.
Epilftpsie, EUanpsIe, Tetanns.
Referent: Oberarzt Dr. E. Bratz-Wuhlgarten.
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Tetanns.
Orünfeld (119): EId Holzsplitter war einem Kinde von der rechten
Nasenhöhle aus in die linke Orbita gedrungen. Tetanus. Heilung.
Lloyd (174) beschreibt genau einen Fall von Kopftetanus mit doppel-
seitiger kompletter Facialislähmung.
Axhausen (13) beschreibt einen interessanten Fall von Tetanus nach
Verletzung des linken Arms durch eine Pferdeleine. Der Tetanus begann
sehr spät und zwar nicht mit Masseterkrampf, sondern mit Zuckungen im
linken Arm und verlief sehr langsam und milde. Am 13. Tage nach der
Verletzung: Beginn mit Hyperämie und Odem in der Umgebung einer ober-
flächlichen, gut granulierenden Wunde der linken Hand und Zuckungen im
linken Ann.
15. Tag: Zurückgehen der lokalen Wundreaktion, Zunahme der
Zuckungen, die einen stets gleichmäßigen charakteristischen Verlauf nehmen
und Reflexsteigerung aufweisen, Ausbildung der Starre im linken Arm; erstes
Fühlbarwerden des vorderen Masseterrandes bei Betastung vom Mund her.
31. Tag: Höhepunkt der allgemeinen Starre, komplette Starre des linken
Anns in extremer, dem Typ der Zuckungen entsprechender Stellung bei
TöUiger Beweglichkeit des rechten Arms. 36. Tag: Beginn der Lösung der
allgemeinen Starre; lokale Starre unverändert. 60. Tag: Lösung des all-
gemeinen Tetanus beendet; Beginn der Lösung der Starre des linken Arms.
57. Tag: Portschritt der Lösung im linken Arm. Die jetzige Stelliuig noch
sicher zum Teil tetanischer Natur, wie der Nachlaß in Narkose und die
Wiederkehr nach der Narkose beweist, während der Rest der kontrakten
Stellung auf sekundären Veränderungen in den Weichteilen und den Gelenken
beruht. Am 80. Tage besteht diese Kontraktur auch noch zu einem ge-
wissen Grade.
Aus der Literatur weist nun Axhausen nach, daß fast alle Fälle mit
Beginn des Krampfes an der Infektionsstelle einen späten und milden Ver-
lauf zeigen. Diese Fälle milder Toxinwirkung dienen nach Axhausen als
Stütze fiir die Theorie, daß die Tetanustoxine die peripheren Nerven entlang
^32 Epilepsie, Eklampsie, Tetanus.
gehen und im Kückenmark angekommen, sich zuerst in den motorischen
Zellen der betreffenden Höhe verankern. Denn nur bei milder Toxinwirkung
kommt dieser Weg zur Beobachtung, ehe die Blutinfektion auftritt. Ebenso
kann dieser Weg. wie Axhausen ferner anführt, eher zu Beobachtung
kommen, wenn die Nervenbahn bis zu den motorischen Ganglien sehr bin
ist: Daher der lokale Facialiskrampf bei sogenanntem Kopftetanus.
V. Lingelsheim (172) gibt eine lichtvolle Darstellung der ganzen
Immunitätsfrage bei Tetanus. Er berücksichtigt auch die angeborene Im-
munität, die Autotoxingewinnung usw.
Hnätek (130) teilt ausführlich folgenden Fall von Tetanus und Neuritis
mit: Ein typischer, traumatischer, nicht mit Antitoxin behandelter Tetanus,
der ungünstig endete, war von ausgedehnten anatomischen Veränderungen be-
gleitet, die auf eine so tiefe Alteration des Nervensystems hindeuteten, wie
sie in dem Grade, in der Art und unter solchen Umständen bis jetzt noch
nicht beschrieben wurden. Die neuritischen Veränderungen betrafen znm
größeren Teil die Nerven des Plexus brachiaiis und führten fast alle Folge-
zustände herbei, die wir nach entzündlichen Affektionen der Nerven erwarten
können, nämlich Anomalien der Sensibilität und der Motilität, vasomotorische
und trophische Störungen. Diese letzteren äußerten sich in einer ungewöhn-
lichen Art und Weise, indem sie außer den Weichteilen der Extremität auch
die Knochen und Gelenke ergriffen. Die pathologisclien Veränderungen der
Knochen stinmiten mit jenen, welche wir bei der sogenannten Knochen-
atrophie — allerdings unter anderen Umständen als beim Tetanus — Ter-
zeichnet finden, vollständig überein. Die Erklärung dieser bis jetzt noch
nicht beobachteten Veränderungen liegt wohl in der Eigentümlichkeit einer
Komponente des Tetanusgiftes, die peripheren Nerven bei einer besonderen
lokalen Empfänglichkeit derselben und bei einer allgemeinen Resistenz des
Organismus gegen die tödliche Wirkung des Giftes zu verändern. Die lange
AVirkungsdauer des Tetanusgiftes dürfte die Bedingung sein, welche in einem
gegebenen Falle derartige Veränderungen in ausgiebiger Weise erleichtert
Moriarta (202) berichtet: Ein Arbeiter, dem durch die Räder einer
Maschine ein Arm zerfleischt und fast abgerissen ist, schien sich von schwerem
Shoc zu erholen. Vier Tage nach dem Trauma stellten sich die Erscheinungen
des Tetanus ein, welchen Patient nach weiteren drei Tagen erlag.
Sagasser und Posselt (248) haben eine Reihe sehr exakter Versuche
gemacht über die Agglutination der Tetanusbazillen durch Serum. Sie
hofften, der Frage der Serumdiagnose des Tetanus vermittelst des Agglu-
tinationsvermögens näher zu kommen, doch haben ihre Versuche bisher
praktisch verwertbare Ergebnisse nicht gezeitigt.
Oeller (214) berichtet: Eine Verletzung des Auges hatte Kopftetanus und
Panophthalmie, schließlich trotz Enukleation des Bulbus letalen Ausgang zur
Folge. Eine sehr sorgfältige, mikroskopische Untersuchung des Sehnerven
zeigte auch in dem zentralen Ende desselben eine strangförmige Erweichung.
Durch Beschreibung und Abbildungen liefert Oeller den Beweis, daß un-
abhängig von einer auch vorhandenen interstitiellen Entzündung die strang-
förmige Erweichung im Sehnerven herbeigeführt wurde durch die toxische
Wirkung des aus der Augenhöhle zentralwärts diffundierenden Giftes.
Poczobnt (226) beschreibt einen Fall von akutem Tetanus bei eioem
10 jährigen Knaben nach einem Trauma (Zerschmetterung des rechten Fußes).
Bereits 15 — 16 Stunden nach dem Anfall traten die ersten tetanischen Er-
scheinungen auf. Dann je ^/o — ^/^ Stunden tetanische Anfälle. Amputation
nach zwei Tagen. Allmählich Besserung und Heilung. (Edioard fiäoH,)
Epilepsie. Eklampsie, Tetanus. 6S3
Bei dem Tetanus werden, wie Znpnik (321) experimentell nachweist,
TOD dem krankheitserregenden Agens sowohl beim Menschen, als bei Kalt-
blütlern zwei G^websarten zugleich und für sich getrennt angegriffen: das
Mnskelgewebe und das Rückenmark. Im letzteren erzeugt das Gift, dem
Stryehnin YÖllig analog, ausschließlich eine gesteigerte Reflexerregbarkeit, iü
dem ersteren einzig und allein eine permanente Starre. Beide Gewebsarten
erhalten das Gift einzig und allein auf dem Wege der Blutbahn. Deshalb
sei es belanglos, auf welche Weise und wohin das Antitoxin eingesprizt werde ;
Yor allem seien therapeutisch Narkotika und Fernhalten aller Reize zweck-
mäßig. (Bendix.)
Szalärdi (283^ veröffentlicht einen Fall von Tetanus neonatorum.
den er durch die innere Darreichung von Formalin zur Heilung brachte.
Er ist der Ansicht, das Tetanus-Serum keinen Erfolg gehabt haben würde.
(Bendir,)
Heiman, Buerger und Aronson (129) teilen, unter Angabe des
kKnischen Verlaufs, des bakteriologischen Befundes und der Stoffwechsel-
▼orgänge, einen Fall von traumatischem Tetanus bei einem 12 jährigen Knaben
mit, der sich mit einem Nagel die rechte Fußsohle verletzt hatte. Heilung
mit Hilfe von Tetanus-Antitoxin. (Bendix,)
Bombes de ViUieres (26) beobachtete einen Fall von spontanem
Tetanus infolge von Erkältung ohne jede traumatische Ätiologie. Der Fall
TOD Tetanus rülirte nicht von dem Nicolai ersehen Bazillus her, sondern
wahrscheinlich von einer Infektion mit Pneumokokken, die reichlich im Aus-
wurf und in der rechten Lunge gefunden wurden. Der Fall würde als
Pnemnokokken-Tetanus zu bezeichnen sein im Gegensatz zu dem Erkältungs-
Pseudotetanus, bei dem das tetanisierende Gift von einem anderen Bazillus
produziert wurde. (Bendix.)
Bottenstein's (244) Fall von traumatischem Tetanus betraf ein
13 jähriges Mädchen, das nach leichten Verletzungen bei Gartenarbeit und
einer lukubationsdauer von 10 Tagen einen schweren Tetanus bekam, der
durch Serum sich nicht besserte. Nur der Anwendung toxischer Dosen von
Narkotika, vor allem Chloralhydrat, bis tiefe Bewußtlosigkeit und Aufreguogs-
zustände eintraten, verdankte er den günstigen Verlauf des Falles.
(Bendix,)
Eklampsie.
Harrar (126) zieht aus 150 Fällen von Puerperaleklampsie den Schluß,
daß diese Erkrankung in New-York im April am häufigsten, im November
am seltensten auftritt, mit regelmäßigem Auf- und Absteigen der Kurven
zwischen diesen Zeitpunkten.
Hathes (1B7) polemisiert gegen Labhardt.
Schwarz (252) gibt nach der Literatur eine Darstellung neuerer An-
schauungen über Eklampsie.
Ehrenfest (90) gibt eine Darstellung der Eklampsietheorien.
Drei Eklampsiefälle Swahlen's (281) bieten wenig Besonderheiten.
Liepmann (169) unterwirft die unten besprochene Arl)eit von Dienst
(80) einer scharfen Kritik. Er erklärt D.'s Behauptung — daß in be-
stimmten Fällen mütterliches und kindliches Blut sich verhalten, wie das Blut
zweier Spezies — für eine biologische Ungeheuerlichkeit. Daß bei Eklamp-
tischen sich stets Antikörper, Hämolysine und Agglutinine im Blute befänden,
bestreitet Liepmann auch nach einigen entsprechenden Experimenten.
Dienst (80) hat eine neue Eklampsiehypothese aufgestellt auf Grund
folgender Versuche: Er injizierte 15 von Eklamptischen herrührende Plazenten
gg4 Epilepsie, Eklampsie, Tetanus.
von einer Nabelarterie oder von der Nabelvene aus mit Milch. Jedesmal
konnte er das Heryorfließen der Milch, meistens sogar im Strahle aus einem
größeren Gefäßast an der maternalen Fläche der Plazenten wahrnehmen.
Das gab ihm Veranlassung, von da ab systematisch alle Plazenten aof diese
Anomalie hin zu untersuchen. Im ganzen kamen 335 Plazenten zur Unter-
suchung, und es zeigte sich, daß sie öfter diese Anomalie erkennen ließen,
als der Autor Ton vornherein vermutete. Spritzende größere Gefaßäste, wie
bei den Plazenten Eklamptischer, konnte er allerdings auch bei dieser etwas
gröberen Untersuchungsmethode nur selten sehen. Weil jedoch die zahl-
reichen Fehlerquellen dieser Versuchsanordnung auf der Hand lagen, so
untersuchte Dienst später die Plazenten auf ihre Durchlässigkeit resp.
daraufhin, ob in manchen Fällen eine Kommunikation zwischen mütterlichen
und fötalem Kreislauf statthabe in der Weise, daß er sofort nach der Geburt
des Kindes, noch vor der Lösung der Plazenta von der Uteruswand, von
einer Arterie oder von der Vena umbilicalis der Nabelschnur aus eine sterile
Methylenblaulösung unter möglichst niedrigem und in allen Fällen möglichst
gleichmäßigem Druck in die Plazenta einlaufen ließ. Von den im ganzen
160 Frauen, welche eine solche Methylenblaulösung in ihre noch an der
Uteruswand haftende Plazenta erhielten, zeigten 32, d. h. 20 %, blauen Urin,
der nach einigen Stunden wieder verschwand. — Zugleich damit hatte
Dienst sich mit der Frage beschäftigt, ob und in wieviel Prozent der Fälle
wohl das Blut der Mutter Agglutinine und Hämolysine gegenüber dem Blnte
anderer Mütter und Neugeborener zeige, und vor allem, ob nicht in diesem
oder jenem Falle das Mutterblut auch das zugehörige Kindesblut aggiutiniere
oder gar auflöse und umgekehrt. Das Blut von 118 Müttern und deren
zugehörigen Kindern wurde in 1726 Mischungen untersucht. Daraus resul-
tieren mithin bei der V^ennischung von Blut resp. Serum von je zwei Indi-
viduen 3452 verwendbare Ergebnisse. In allen Fällen wurde das steril auf-
gefangene retroplazentare Hämatomblut resp. = Serum untersucht, sodann bei
einzelnen Fällen außerdem das im Wochenbett durch Venae punctio resp.
Venae Sectio gewonnene Blut resp. Serum. Letzteres geschah mehrfach und
vornehmlich in Fällen von Albuminurie und Eklampsie. Vom Kinde wurde
das Xabelschnurblut geprüft. Nur Blut, das durch Schütteln in einem mit
sterilen Glassplittern versehenen sterilen Kolben zuvor defibriniert war, kam
zur Anwendung. Auf Grund dieser Experimente möchte Dienst der Ver-
mutung Ausdruck geben, daß eine Albuminuria gravidarum resp. eine Eklampsie
dann zu stände kommt, wenn sich Mutter- und Kindsblut zueinander ver-
halten wie das Blut zweier verschiedener Spezies, und wenn dann noch eine
Kommunikation beider Kreislaufsysteme, und sei sie noch so geringfügig,
gewissermaßen als auslösendes Moment hinzutritt. Wenn eine solche gering-
fügig ist, wenn also auch nur eine geringe Menge — sit venia verbo —
„heterogenen" Kindesblutes in den mütterlichen Kreislauf gelangt, dann
kommt die Frau anscheinend mit einer Albuminurie davon; und eine solche
während der Schwangerschaft einsetzende Albuminurie wird lediglich als
Albuminuria gravidarum verlaufen und nicht zur Eklampsie verschlimmert
werden, wenn eine anfänglich bestehende Kommunikation nicht vergrößert
wird resp. sich schließt.
In einer zweiten Arbeit verteidigt Dienst (81) seine Eklampsietheorie
gegen Einwände, welche Liepmann gegen dieselbe erhoben hat.
Davis (74) vertritt den Standpunkt, daß ijicht nur die Eklampsie,
sondern auch das unstillbare Erbrechen der Schwangeren, welches sonst
reflektorisch durch die Ausdehnung des Uterus erklärt wird, durch Toxizität
des Blutes der Schwangeren bedingt sei. Bei jeder Toxämie der Schwangeren
Epilepsie, Eklampsie, Tetanus. ß35
sei die Funktion der Schilddrüse herabgesetzt. Den fötalen Ursprung der
Toxine verwirft Davis, nimmt aber in verschiedenen Fällen einen hepathischen
oder intestinalen oder renalen Ursprung an.
Liepmann (170) hat die Substanz von Eklampsie-Plazenten zahl-
reichen Kaninchen einverleibt. Die frisch auf dem Kreissaal aufgefangenen
oder von Kollegen übersandten Plazenten wurden in der Scheringschen
Fabrik in der Fleischmaschine zermahlen, getrocknet und dann so lange in
einer elektrisch betriebenen Kegelmühle zerrieben, bis sie die Feinheit von
Puderzucker und eine grauweiße Färbung erhalten hatten. Von diesem
Pulver nun wurde je 1,0 g in physiologischer Kochsalzlösung aufgeschwemmt
und nach Zusatz von einigen Tropfen Toluol den Versuchstieren mit ab-
gestumpfter, breiter Kanüle intraperitoneal injiziert.
Aus diesen Experimenten leitet Liepmann folgende Ergebnisse ab:
In Eklampsieplazenten findet sich ein Gift, welches sich in normalen Pla-
zenten nicht findet. Dieses Gift ist mit dem Eklampsiegift identisch, denn
je mehr Gift vom Organismus absorbiert wird, um so weniger findet sich in
der Plazenta; umgekehrt, die Plazenta ist um so reicher an Gift, je weniger
in den mütterlichen Organismus übergegangen ist. In Analogie mit der
Bildung der Fermente scheint bei der Genese dieses Giftes das Choriou-
epithel eine wesentliche Rolle zu spielen: Die Plazenta scheint daher
Bildungsstätte und Ausgangspunkt des Giftes zu sein. Das Gift zeigt eine
ausgesprochene Affinität zur Gehirnzelle, die durch dasselbe gelähmt wird
und es neutralisiert. Außerdem ruft das Gift in erster Linie eine Schädigung
des Nierenparenchyms hervor, dann aber auch der Lebersubstanz (Leber-
nekrosen). Die Nierenschädigung ist stets sekundäre Folge der Vergiftung;
bei schon bestehender Eiweißausscheidung kann diese durch das Gift er-
heblich gesteigert werden.
Boeb (237) hat aus dem Urin und aus dem Gehirn von Eklamptischen
Substanzen dargestellt, welche im Tierversuch giftig wirkten, insbesondere
Lähmungen herbeiführten.
Queirel (231) veröffentlicht einige Fälle von Puerperaleklampsie und
knüpft an dieselben theoretische Erörterungen.
Das Ergebnis einer früheren Untersuchungsreihe ZweifePs (322),
welche 32 quantitative Analysen aller Stickstoffsubstanzen im Harn Eklamp-
tischer umfaßte, war eine sehr bedeutende Herabsetzung des Harnstoffgehaltes,
berechnet aus dem Gesamtstickstoff des Harns, eine beträchtliche Steigerung
des Ammoniaks, dagegen eine nur geringe Änderung der Harnsäure und der
Purinbasen. Für den Rest der Stickstoffverbindungeu kam eine geringe Ver-
mehrung während der Anfälle und ein mäßiges Absinken bei der Genesung
unter 10 % des Gesamtstickstoffes heraus.
Li einer neuen Untersuchungsreihe weist nun Zweifel regelmäßig
Fleischmilchsäure im Urin und im Aderlaßblut der Eklamptischen nach.
Daß diese Fleischmilchsäure nicht etwa die Folge der Muskelkrämpfe,
soodem die Ursache derselben ist, schließt Zweifel aus dem Nachweis von
geringen Mengen Fleischmilchsäure bei Nephritis gravidarum in zwei Fällen.
Tierarzt Holterbaoh (134) schildert einen Fall von puerperaler
Eklampsie beim Schwein, mit Genesung. Das Tier soll immer sehr schreck-
haft gewesen sein.
Dnnlop (86) berichtet über 8 Fälle von Puerperaleklampsie.
Leioester (163) berichtet: Eine 30jährige Frau, welche unter der Geburt
eklamptische Anfälle hatte, starb am 16. Tage nach der Entbindung an
einem Müzabszeß, der nach dem Zwerchfell zu durchgebrochen w^ar. Er ent-
Welt zahlreiche Streptokokken.
QQß Epilepsie, Eklampsie, Tetanus.
Nen (210) hat einen Herpes zoster im Wochenbette einer Eklamp-
tischen auftreten sehen. Die Herpesbläschen traten im rechten Bein auf
und nahmen das Gebiet folgender Hautnerven ein:
Nn. clun. superiores, N. cut. femor. med. bezw. intern., N. obturatorius,
N. saphenus. Ausgespart waren folgende Zonen; Am Gesäß die der Nn.
clun. inf.; an der Vorderfläche des Oberschenkels die der N. cutan. fem.
ext., Lumbo-inguinalis, Ileo-inguinalis. Neu tritt nun einen umfangreichen
Beweis dafür an, daß somit in diesem Falle das Ganglion des 4. Lumbal-
nerven affiziert gewesen ist. Neu denkt in erster Linie daran, daß die
Toxine der Eklampsie das Spinalganglion geschädigt haben. Aber er läßt
auch die Möglichkeit zu, daß es bei den Krampfanfallen unter der Druck-
steigerung im Spinalganglion zu einer Läsion kleinster Gefäße gekommen
ist; die entstehenden Hämorrhagien könnten dann dieselben anatomischen
und funktionellen Folgen haben wie eine primäre, toxische Schädigung der
betreffenden Nerveuapparate.
Qntbrod (12 1) hat 2 Fälle von Eklampsie gesehen, bei denen
Gangrän der Haut und Eiterungen in peripheren Körperpartien auftraten.
Er erklärt sich diese Erscheinungen so, daß das eklamptische Gift auch
durch die Haut abgesondert wird und dabei Nekrosen erzeugt.
Im ersten Falle war die Wöchnerin so eingeschlafen, daß die hnke
Hand unter dem Kreuz, der linke Fuß über dem rechten gelegen hatte;
danach waren folgende Stellen gangränös geworden: Die ganze linke Hand,
die Haut über dem Kreuzbein, beide Innenseiten der Kniegelenke, die linke
Ferse, die Dorsalseite des rechten Fußes. Während im übrigen Heilung
eintrat, mußte der rechte Unterschenkel unterhalb des Kniegelenks amputiert
werden.
Der zweite Fall war durch eine über ca. 14 Tage sich erstreckende
eklamptische Psychose ausgezeichnet mit nachfolgender totaler Amnesie für
diese Zeit, trotzdem sie sich zuletzt schon scheinbar vernünftig mit anderen
Patientinnen unterhalten hatte. Als die Psychose im Abklingen begriffen
war, traten Geschwür- und Abszeßbildungen an einem Bein und eine Trübung
der Cornea ein.
Livon (173) beschreibt einen Bazillus, den er in Eeinkidtur aus dem
Blute zweier eklamptischer Frauen dargestellt haben will. Das Blut war
während der Konvulsionen durch Aderlaß entnommen.
Lobenstine (175) hat unter 152 Eklampsiefällen 7 mit hämorrhagi-
schen Erscheinungen beobachtet. Besonders handelt es sich um Blutungen
in die Leber und Jlagenwand. Die klinischen Erscheinungen waren folgende:
Schwere Allgemeinerscheinungen, die auf starke Toxizität des Blutes schließen
lassen; Gelbsucht; Auftreibung des Leibes; Erbrechen auch von kaffeesatz-
oder blutähnlichen Massen; Schmerz in der Lebergegend; Blutungen in
die Haut.
Gessner (113) verlegt den Schwerpunkt seiner Eklampsietheorie anf
die beiderseitigen, von der Cervix nach dem Blasenhalse hinziehenden
Muskelbündel. Steigt nämlich der Uterus in der Gravidität oder in der
Eröffnungsperiode in die Höhe und gleichzeitig mit ihm die Blase, so wird
vermittels der en^^ähnten Muskelbündel ein Zug auf die von rückwärts in
den Blasenhals eintretenden üreteren ausgeübt. Diese Zerrung erfährt einen
Ausgleich durch die im selben Verhältnis herabdrückende Niere; anders
jedoch, wenn dieses Organ dem -Zuge nach abwärts nicht folgen kann —
die ZeiTung setzt sich in solchen Fällen auf dessen Rinde fort, verursacht
Zirkulationsstörungen, Anämie.
Epilepsie, Eklampsie, Tetanus. (>37
Schwangerschaftsniere, Nephritis sub paitu und Eklampsie sind nach
Gessners Auffassung nur graduell verschieden, aber auf einem gemein-
samen Prinzip beruhende Erscheinungen, nämlich die Folge des Zuges an
den üreteren bei mehr oder minder fixierter Niere und bei mehr oder minder
YÖlligem Versagen der Schutzeinrichtung, welche für die weiblichen Haru-
orgaoe in den beiden runden Mutterbändern Yorgesehen ist. Den geringsten
6rad stellt die Schwangerschaftsniere dar, sie weist aber zugleich auf die
ungünstigsten anatomischen Verhältnisse hin, da hier schon das Empor*
steigen des Uterus während der letzten Schwangerschaftsmonate genügt, um
die leichtesten Nierenstörungen hervorzurufen. Können hier die Nieren dem
dauernden Zug während der Schwangerschaft nicht folgen, und kommt es
nun zur Geburt und zur gewaltigen Dehnung des Cervix nicht nur im ^'er-
lanf seiner Achse sondern auch seiner Peripherie, so ist klar, daß solche
IndividueD am meisten zum Ausbruch der Eklampsie disponieren müssen.
Diese so entstandenen Nierenstörungen werden sekundär kompliziert durch
Thrombosen, Hämorrhagien und Nekrosen in sämtlichen Organen speziell
auch in den Nieren selbst. Können sich diese Organe infolge des ümfanges
und des Grades dieser doppelten Schädigung post partum nicht schnell
genug erholen, und kommt es durch längere Chloroformnarkose und infektiöse
Prozesse im Wochenbett zu weitereu Läsionen des Nierenparenchyms, so
ist klar, daß es auch zum Ausbruch der Eklampsie im Wochenbett kommen
kann, und daß gerade diese Fälle eine besonders ernste Prognose haben.
Nachdem Zweifel das regelmäßige Vorkommen von Pieischmilch-
säure im Urin und Blut Eklamptischer zum ersten Male nachgewiesen hatte,
untersuchten Püth und Lockemann (109) die Cerebrospinalttüssigkeit
auf deren Anwesenheit. Sie lieferten in einem Falle (3. Juni 1905) den
qualitativen und zweimal den quantitativen Nachweis, daß die Fleischmilch-
säure, wie schon von vornherein vermutet war, auch in der Cerebrospiual-
flüssigkeit vorhanden ist, und zwar war die in ihm nachgewiesene Menge
in einem Falle doppelt so groß wie in dem Aderlaßblut vom gleichen Tage.
Ein Analogon zu diesem Befunde ist die von V. Grünberger gefundene
nnd Ende Juni 1905 mitgeteilte Tatsache, daß in der Cerebrospinalflüssigkeit
eines 16 jährigen Mädchens mit Coma diabeticum Acetessigsäure vorhanden
war. ^ (Autor et erat.)
Byers (43) gibt eine klare Übersicht der Theorien und Forschungs-
ergebnisse über die Eklampsie und begründet die Anschauung, daß bei dieser
geßhrüchen Erkrankung der Fötus ätiologisch eine wichtige Rolle spielt,
da gewöhnlich die drohenden Eklampsie - Symptome nachlassen, wenn
der Fötus abstirbt. Ferner ist die Gefahr der Eklampsie bei Zwillingen
eine viel größere, sodaß bei Eklampsie eine Zwillingsschwangerschaft auf
13 Geburten kommt, während das Verhältnis sonst nur 1 : 80 ist. Thera-
peutisch empfiehlt Byers Morphium, purgierende Mittel, Kochsalzinfusionen
und möglichst frühe Entbindung. (Bendur.)
In seiner Abhandlung über Eklampsie führt Allen (6) aus, daß die
Eklampsie auf einer Intoxikation, wahrscheinlich von der Leber her, beruhe.
Ihre Entstehung verdanke sie mehr dem mütterlichen, als dem kindlichen
Organismus. Der Krankheit gingen stets Prodromalsymptome voraus, besonders
Stirnkopfschmerz. Frühzeitige Entbindung und Narkotika seien besonders
zu empfehlen. (BemUx,)
Kinhead (149) teilt sieben Fälle von puerperaler Eklampsie mit bei
wei Primiparae, einer Viertgebärenden und 4 Zweitgebärenden, und hebt
die guten Erfolge, die er mit schneller Entbindung und der Anwendung
von Chloral und Chloroform erzielte, hervor. (Bendix.)
^38 Epilepsie, Eklampsie, Tetanus.
Mynlieff (207) glaubt, daß bei der Frage nach der Ätiologie der
Eklampsie aach gewisse mechanische Momente berücksichtigt werden müBten.
Die Tatsache, daß bei Eklampsie und bei gesunden Graviden die Ureteren
und die Pelvis renum diktiert vorgefunden werden, spreche dafür, daß durch
Druck der Ureteren eine intrarenale Spannung hervorgerufen werde, die bei
der Pathogenese der Eklampsie eine Kolle spielen könne. (Bmdix.)
Als Resultat seiner experimentellen Untersuchungen zur Pathogenese
der Eklampsie fuhrt Semb (256) folgendes an: Es ist nachgewiesen, daß
Kaninchen durch Injektion von steigenden Dosen gegen die toxische "Wirkuog
des normalen menschlichen Serums wenigstens bis an eine gewisse Grenze
immunisiert werden können. Kaninchen, welche gegen das menschliche
Serum als solches immunisiert sind, haben in der Mehrzahl der Fälle gegen
das Eklampsieserum mit einem meistens tödlich verlaufenden Krankheits-
zustand reagiert In den Organen dieser Tiere sind Veränderungen nachgewiesen,
welche im großen ganzen mit dem bei der menschlichen Eklampsie fest-
gestellten pathologisch-anatomischen Befunde übereinstimmen. In einer Minder-
zahl der Fälle haben die Versuche ein negatives Resultat ergeben, indem
das Eklampsieserum keine Reaktion hervorgerufen hat. (Bendix.)
Labhardt (158) weist eingehend nach, daß die klinischen Tatsachen
im Widerspruch stehen mit den biologischen Hypothesen der Eklampsie;
Plazenta und Kind sind eben für die Mutter nicht artfremd und die Resorption
ihres Gewebes schädige weder die Niere noch irgend ein anderes Organ und
rufe noch weniger eine Eklampsie hervor. (Bendix.)
Dirmoser (82) betont, daß für die schweren Formen der Hyperenuresis
gravidarum ebenso wie für den Symptomenkomplex der Eklampsie die Hysterie
und Neurasthenie nur eine Disposition abgeben könne, auf Grund deren die
Selbstvergiftung leichter zustande komme. Es sei kaum möglich, einen
einzelnen chemischen Körper für die Eklampsie verantwortlich zu machen,
sondern die Summe der im Körper zurückgehaltenen Gifte, welche durch
die Punktionsuntüchtigkeit der Leber keine Entgiftung erfahren, rufe die
Autointoxikation hervor. (Bendix.)
Epilepsie.
Masoin (184, 185) hat Untersuchungen des Urins bei Epileptischen,
insbesondere auf die Ehrlichsche Diazoreaktion ausgeführt.
Er hat bei einer Gruppe von Krauken die Reaktion festgestellt und
zwar trat sie hier oft schon vor epileptischen Anfällen auf, besonders deutlich
vor Serienanfällen. Bei anderen Epileptischen fand sich keine Diazoreaktion.
Bei einer dritten Gruppe von Epileptischen wechselten die Resultate der
Urinuntersuchung. Eine Prüfung des Charakters der Epileptischen dieser
drei Gruppen ergab, daß der positive Ausfall der Diazoreaktion stets Kranke
mit somatischem und geistigem Verfall betrafen. Bei Gesunden und Geistes-
kranken fand Masoin die Diazoreaktion niemals außer bei solchen, welche
einige Zeit die Nahrung verweigerten.
V. Sarbö (250) gibt in einem Bändchen der „Wiener Klinik"^ eine
kritische Darstellung des heutigen Standes der Pathologie und Therapie der
Epilepsie: In der Pathogenese ist nur ein Punkt sichergestellt, die angeborene
Disposition des Nervensystems zu den epileptischen Erscheinungen. In den
Stoffwechseluntersuchungen sei wohl ein aufmunternder Anfang zu künftigem
positivem Wissen gemacht, bisher kann aber kein Stoff Wechselprodukt als
ständiger Begleiter, Veiursacher oder Erhalter der echten Epilepsie in An-
spruch genommen werden. Großen Wert legt Sarbö — hier ist die
originellste und beachtungswerteste Stelle seiner Darstellung — den iuter-
4i2pilepsie. Eklampsie, Tetanus. 639
paroxysmalen Symptomen der Epilepsie bei. Auf motorischem Gebiete neur-
asthenische Symptome, wie iibrilläre Zuckungen, Tremor, Intentionskrämpfe
einzelner Muskeln. Seltener Ermüdungslähmungen und Paresen, Schwäche-
gefdhl. Ais interparoxysmale Symptome somatischer Natur zitiert Sarbo
nach anderen Autoren Kopfschmerzen^ weite Pupillen mit träger Reaktion,
dysarthritische Sprachstörung.
Auf psychischem Gebiete weist Sarbo auf die bekannte Charakter-
Teräiiderung und Gemütsreizbarkeit der Epileptischen und nach eigener Er-
falirung auf die Vergeßlichkeit hin. Charakteristisch für diese Vergeßlichkeit
ist nach Sarbo der Verlauf. Im Anfang ist dieselbe von vergänglichem
Charakter, besteht Monate hindurch, bessert sich, um neuerdings zu er-
scheinen und mit fortschreitendem Alter auch zuzunelimen. Chirurgische
Behandlung der echten Epilepsie verwirft Sarbo. Seine Anschauungen über
den Verlauf und die Prognose faßt er in einen hübschen Vergleich zu-
sammen: Gleich der glbnmeuden Glut, welche, von Asche gedeckt, untätig
lange Zeit besteht, ihre Gegenwart nur durch die vorhandene Wärme ver-
ratend, kann die schlummernde epileptische Norveukonstitution lange Zeit
untätig bestehen, nur durch die interparoxysmalen Erscheinungen vom nor-
malen Nervenzustand abweichend. So w^ie veränderte Luftströmungen leicht
die schlummernde Glut zur Flanmie entfachen, so bei veränderten Verhält-
nissen, wie z. B. die Pubertät, entflammt die epileptische Nervenkonstitution;
so wie die zur Flamme gewachsene Glut unter gegebenen Verhältnissen das
Gebälke wohl schwärzt, aber nicht verbrennt, so hinterlassen die epileptischen
paroxysmalen Krämpfe wohl ihre Spuren im Nervensystem, ohne jedoch
dasselbe ganz zu verwüsten. Und ebenso als unter entsprechenden Um-
ständen das angefachte Feuer nicht mehr zu bändigen ist und alles ein-
äschert, kommt es vor, daß die zum Ausbruch gelangten epileptischen
Krämpfe nicht mehr einzudämmen sind und das Individuum im Status
epilepticus zu Grunde geht; wie Ol auf die Glut, so wirken die verschiedensten
schädlichen Einflüsse auf das epileptische Nervensystem, in erster Keihe der
Alkohol. Was die Asche der Glut, ist das Brom dem Epilektiker. So wie
die lodernde Flamme immer öfter und öfter das Gebälke berührt, immer
größeren unheilbaren Schaden erreichend, so verursachen die immer erneut
auftretenden Paroxysmen stets schwerere, ständigere Veränderugen, bis
schließüch das ganze Nervensystem zusammensinkt, zu Grunde geht.
Pere (lOO) berichtet über ein kleines epileptisches Mädchen, das im
Alter von 5 Jahren, nachdem die Anfälle durch Brom unterdrückt waren,
bald nach dem Aussetzen des Broms eigenartige Traumzustände am Tage
bekam. Das Kind stürzte seinem Vater mit fremdartigem Gesichtsausdruck
entgegen und sprach unverständliche Sätze. Auf Fragen, was sie meinte,
'faßte sie keine Auskunft zu geben, wußte gar nicht, daß sie gesprochen
batte. Diese Zustände wiederholten sich durch einige Monate, um dann
nicht wiederzukehren.
Aronheim (ll) teilt Simulation epileptischer Anfälle durch einen
Schulknaben mit. Derselbe litt au einem Bandwurm und zeigte Abmagerung
und Schwindelanfalle. Eines Tages bekam er Konvulsionen mit Bewußt^
losigkeit. Nach Abtreibung des Bandwurms hob sich das Allgemeinbefinden,
aber der Knabe bot in der Folgezeit wiederholt Krampfzustände, die für
epileptische gehalten wurden. Nach Vj^ Jahren glückte es dem Autor zu
einem solchen „Anfall" hinzuzukommen; er sah, daß es sich um willkürliche
Bewegungen handelte, die Pupillen reagierten. Nach entsprechender Suggestion
seitens des Arztes und einer Tracht Prügel durch den Vater kehrten die
Anfälle nicht wieder.
Jahresbericht f. Neurologie und Psychiatrie 1906. 44
^90 £pilepsie, Eklampsie, Tetanus.
Müller (206) hat 8 Beobachtungen von Status hemiepilepticus aas
der Nonneschen Abteilung des Eppendorfer Krankenhauses zusammengestellt
Bei 7 Fällen führten die andauernden, ausschließlich halbseitigen Krämpfe
nach Eintritt eines Coma zum Tode. Der Sektionsbefund war durchweg
negativ, auch in den mikroskopisch untersuchten Gehirnpartieen. Müller
kommt auf Grund dieser Beobachtungen und nach Heranziehung der Literatur
zu der Ansicht, daß nicht nur die Jacksonsche, sondern auch die echte
Epilepsie zu einem Status mit ausschließlich einseitigen Krämpfen fuhren
könne. Die einzelnen Kjankheitsgeschichten müssen im Original gelesen
werden. Ich greife die eines Knaben heraus, welcher im Alter von 4 Jahren
im Inkubationsstadium einer fieberhaften Erkrankung doppelseitige Krämpfe
hatte. Dieser Knabe machte im Alter von 6 Jahren im Inkubationsstadium
von Masern einen schweren Status hemiepilepticus durch. Es trat aber
Heilung ein.
Bei einem anderen im Dämmerzustand aufgenommenen Patienten, einem
Potator, trat der Tod nach 306 linksseitigen Krampfanfällen ein. Es fand
sich hier übrigens ein alter Erweichungsherd im rechten Stimhim, dem der
Verfasser aber keine pathogenetische Bedeutung für die Krämpfe bei-
legen will.
In keinem der Fälle ist mit Sicherheit nachgewiesen, daß vor dem
Status hemiepilepticus bereits echte Epilepsie bestand.
Unser Bericht über Tumer's (294) Abhandlung ^das Wesen der
Epilepsie" kann diejenigen Teile übergehen, welche aus früheren, bereit« in
diesem Jahresbericht referierten Arbeiten schöpfen (1904, Seite 705 und
710). Als Kuriosum sei eine von Turner zitierte poetische Darstellung
des grand mal-Anfalles erwähnt, welche der altrömische Dichter Lucretius
gegeben hat.
Unter den Degenerationszeichen, welche bei Epileptischen häufig sich
finden, berichtet Turner über histologische Entwicklungsstörungen in der
Hirnrinde und zwar Bestehenbleiben von Ganglienzellen im Marklager und
in der obersten Rindenschicht, embryonaler Charakter der Betzschen Riesen-
pyramidenzellen.
Von sonstigen anatomischen Veränderungen berichtet der Autor über
unveröffentlichte Untersuchungen John Tumer's, der in der Rinde von
Epileptikern Thrombose in den kleinsten Arteriolen, Kapillaren und Venen
fand, die teils das Lumen nur verengten, teils zum Verscliluß derselben
führt. Sehr häufig war die zuführende Arterie des Ammonshorns von dieser
Thrombose betroficn.
Turner sieht in dieser Thrombose nicht Folgen der Krampf anfalle
und der durch sie bedingten Zirkulationsstörungen, sondern will umgekehrt
in dieser kapillaren Thrombose die Ursache der epileptischen Anfälle er-
blicken.
Oehmke (2 1 3) berichtet : Ei n körperlich übermäßig entwickeltes Mädchen
von 12 Jahren, daß seit frühester Jugend an abortiven epileptischen Antillen
leidet, beschuldigt einen 16 jährigen Lehrling in sehr anschaulicher Schildenmg
(gerichtliche Vernehmung), sie defloriert zu haben. Ebenso bezichtigt sie
einen Arbeiter, in Gegenwart einer anderen Frau mit ihr unzüchtige Hand-
lungen vorgenommen zu haben. Die Untersuchung erweist, daß das Mädchen
gar nicht defloriert ist. Vielmehr erscheinen ihre Angaben als ein patho-
logisches Trauragobilde des sexuell sehr erregbaren, bereits menstruierten
Kindes, das wahrscheinlich wahrheitsgetreu seine Phantasiegebilde wiedergibt.
Das Strafverfahren gegen den Lelirling und den Arbeiter wurde auf
entsprechende Begutachtung eingestellt.
Epilepsie, Eklampsie, Tetanus. ß9X
Jeremy (144) beschreibt eineD Fall von augina pectoris bei einer
epileptischen Frau ohne Herzfehler und ohne Arteriosklerose. Jeremy
nifflmt als Grundlage der angina pectoris eine Störung des vasomotorischen
Zentrums in der meduUa oblongata an, welche er mit den epilepsiemachenden
RindenTeränderungen in Parallele stellt.
Epstein (94) tritt für die pathogenetische Verwandtschaft von Migräne
and Epilepsie ein. Er berücksichtigt eingehend die Literatur, polemisiert
besonders gegen Möbius und stützt sich auf zwei eigene Fälle, von denen
der eine klar ist. Die 47jährige Frau ist erblich belastet, speziell mit
Migräne. Im Alter von 16 Jahren trat die Menstruation auf, welche sich
seither regelmäßig einstellte. Bereits vor dem Auftreten der Menstruation
litt sie an Kopfschmerzen; sie weiß, daß dieselben nicht migräueartig waren,
sondern erst später sich dazu gestalteten. Die Migräneanfälle traten bald
Tüchentlich, bald ein- zweimal im Monat auf. Ungefähr seit elf Jahren
beetehen bei ihr Furchtgefühle mit wechselnder Intensität: sie fürchtet sich
Tor gewissen Zahlen, vor gewissen Tagen, vor neuen Kleidern und überhaupt
Tor jeder Veränderung. Ungefähr vor 5 Jahren, also im Alter von 41 bis
42 Jahren, überfiel sie eines Nachts der erste epileptische Anfall. Von
diesem Zeitpunkt angefangen hatte sie monatlich ein, zwei, manchmal auch
drei solche Anfälle, bis sie am 30. Oktober 1900 in die Anstalt kam. Hier
traten die epileptischen Anfalle immer seltener auf, so daß Monate ohne
Anfälle vorübergingen; dagegen traten die Migräneanfälle, welche in den
Jahren des häufigeren Auftretens der epileptischen Anfälle angeblich von
kürzerer Dauer waren, jetzt öfter auf. Die Dauer derselben erstreckt sich
gewöhnlich auf ein oder mehrere Tage, und ist ihr Verlauf typisch: der
Anfall wird durch eine Aura eingeleitet, welche sich in undeutlichem Sehen,
Flimmern, manchmal angeblich auch in kurz andauerndem Schwarzsehen
äußert; mit dieser Aura pflegt gleichzeitig Druck im Kopfe, Unwohlsein und
Brechreiz einherzugehen, der Kopfschmerz selbst, welcher derartig ist, als
ob ^man von innen an den Kopf hämmern würde", ist immer halbseitig,
zieht sich aber langsam auf die andere Seite hinüber, während er auf der
Seite, wo er entstanden ist, aufhört; auf jener Seite, wo der Schmerz seinen
Sitz hat, verspürt Patientin Wärme, auf der anderen Seite Kälte.
Während des Anfalles ist eine Bewußtseinsstörung nicht wahrnehmbar,
jedoch ist die Kranke ihrer eigenen Aussage gemäß, reizbar und ungeduldig;
ihr Geruchssinn wird derart empfindlich, daß sie an einer vorübergehenden
Frau die eventuelle Menstruation verspürt. Speisen, welche sie sonst liebt,
kann sie nicht riechen, selbst feine Wohlgerüche sind ihr während dieser
Zeit widerwärtig, dagegen entstehen Gelüste nach pikanten, saueren Speisen,
und sie muß weinen, wenn sie sich dieselben nicht verschaffen kann. Die
Epilepsia tarda, die in diesem Falle zu der Migräne hinzutritt, ist nach
Epstein's Auffassung eine echte Epilepsie. Die Migräne war schon jahr-
zehntelang vor dem ersten typischen Krampfanfall eine Offenbarung der ver-
borgen bei dem Individuum bestehenden epileptischen Veränderung.
Voisin und Krantz (306) haben Untersuchungen über die tägliche
Koclisalzausscheidung bei Epileptischen und Nichtepileptischen angestellt;
sie haben den Einfluß der Nahrung und etwaigen, als Medikament gegebenen
Bromkahs berücksichtigt. Konstante Beziehungen zu den epileptischen An-
fällen ergeben sich nicht. Jedoch fanden sich Perioden von größerer und
geringerer Ausscheidung der Salze. Solche wechselnde Perioden fanden sich
aber auch bei einem nichtepileptischen imbezillen Kinde.
Bandall (234) erzählt die Geschichte eines Knaben mit eitriger Otitis
44*
692 Epilepsie, Eklampsie, Tetanus.
und epileptischea Anfällen. Die Krampfanfälle sollen nach Aufmeißelung
des Warzenfortsatzes seltener und milder geworden sein.
Peters (221) berichtet über die Heredität eines Epileptikers. Der
Vater und seine Verwandten waren gesund. Die Mutter, sowie ein Bruder
der Mutter und zwei Kinder der Schwester der Mutter und ein Kind einer
anderen Schwester der Mutter sind epileptisch.
Pere (99) weist auf die Fälle hin, in denen Stottern als Aura eines
epileptischen Anfalls auftritt. In solchen Fällen kann das Stottern auch
isoliert als epileptisches Äquivalent erscheinen. Von den angeführten drei
Krankheitsgeschichten Feres sei hier nur eine herausgegriffen: Ein 17jähriger
Epileptiker zeigte unter Brom wenige Anfälle, aber sie wurden eingeleitet
durch minutenlanges Stottern, welches nach dem Anfall sich oft mehrere
Stunden wiederholte. Nach Steigerung der Bromdosis verschwand das post-
paroxystische Stottern. Nach 6 Monaten dieser Behandlung trat ein Anfall
auf, der in einem halbstündigen Stottern bestand und mit leichter Benommen-
heit ohne Bewußtseinsverlust endigte. Solche Stotteranfalle folgten sich und
schienen die Krampfanfälle verdrängt zu haben. Nach Aussetzen des Broms
traten die alten Krampfanfalle wieder auf.
Lossen (178) hat zwei Fälle von Diabetes mit epileptifonnen Krampf-
anfällen beobachtet. In dem einen Falle mit Atrophie des Pankreas traten
die Krämpfe erst in der letzten Stunde vor dem Tode auf. Lossen sielft
hier in den Krämpfen ein Zeichen des Absterbens des schon vorher ge-
schädigten Zentralnervensystems.
In dem anderen Falle war der Sektionsbefuud negativ. Es handelte
sich um einen schweren Diabetes, der seit einem Jahre bei einer jungen,
nicht-epileptischen Frau bestand. Die tägliche Zuckerausscheidung bei ge-
mischter Kost stieg bis über 600 g. Trotzdem fanden sich zunächst keine
Zeichen einer abnormen Säurebildung. Die bei der Aufnahme vorhandene
schwache Eisenchlorid- und deutliche Acetonreaktion verschwanden bereits
am nächsten Tage und kehrten erst bei einer wesentlichen Beschränkung
der Kohlehydrate (150 g Brot) wieder, um rasch stärker zu werden, be-
sonders nach gänzlicher Entziehung der Kohlehydrate. Auch Oxybutter-
säure ließ sich jetzt durch Linksdrehung des vergorenen Urins nachweisen.
Dabei blieb die Reaktion des Harnes wenigstens zunächst bei großen Dosen
von Natr. bicarbon. alkalisch oder neutral. Am 5. Tage der Kohlehydrat-
entziehung traten dann plötzlich ohne irgend welche Vorboten schwere
Störungen im Bereiche des Nervensystems auf, zunächst plötzliche voll-
ständige Amaurose und psychische Unruhe, und gleich darauf setzten typisch-
epileptiforme, tonisch-klonische Krampfaufälle ein, die meistens im linken
Arm beginnend und die linke Körperhälfte etwas stärker betreffend, inimei
häufiger wurden. Das Sensorium war bis auf eine kurze Pause dauernd
geschwunden. Die Atmung zeigte außer einer leichten Beschleunigung
keinerlei Abnormität; es fehlt jede Andeutung von dem großen Atmen des
Coma dyspnoicum. Nach zirka 8 Stunden wurden die Anfälle immer seltener
und hörten schließlich ganz auf, während die Kranke dauernd comatös blieb.
Unter hober Temperatursteigerung und Lungenödem trat der Tod ein.
Lossen hält nach dem berichteten eine Säureintoxikation in diesem
Falle für unwahrscheinlich; er kann das Auftreten der nervösen Erscheinungen
nicht näher erklären.
Brash (38) erörtert die Frage des ursächlichen Zusammenhangs
zwischen Kopftrauma und Epilepsie. Nach einer lichtvollen Diskussion der
Literatur berichtet er kurz über die selbst beobachteten Fälle.
Epilepsie, Eklampsie, Tetanus. 693
Die eine Klasse umfaßt diejenigen 10 Fälle, in welchen das schwere
Kopftrauma eine Gehirnerschütterung herbeiführte. Die zerebralen Erschei-
nongen dauerten 4 Stunden bis 3 Tage. In 6 von diesen Fällen stellten
sich die ersten Konvulsionen innerhalb 24 Stunden nach Aufhören der
Gehimerschütterungssymptome ein. In den übrigen 4 Fällen kamen die
Anfälle nach einem Intervall von 3 Tagen bis 4 Monaten. Aber in diesem
Literrall bestanden Kopfschmerzen, Schwindel, psychische Erscheinungen.
Die Krämpfe waren vom grand mal-Typus. Von diesen Fällen scheidet
Brush eine zweite, 16 Fälle umfassende Gruppe ab, in denen durchweg Er-
scheinungen einer organischen Gehirnläsion bestand. Das Coma nach dem
Trauma dauerte von 9 bis 24 Stunden. In 8 Fällen bestand Bruch der
Schädeldecke, in 3 Fällen der Schädelbasis. 2 zeigten eine Lähmung eines
Arms, 8 eine vollständige Hemiplegie. Bei 12 waren die Konvulsionen zu-
erst Ton Jacksonschem Typus und gingen allmählich in den des grand mal
über; 4 zeigten den letzteren Typ von vornherein. Bei diesen letzteren
4 Fallen traten die Krämpfe sofort nach dem Trauma ein, bei den übrigen
3 Tage bis 4 Jahre nach demselben. Brush macht schließlich darauf auf-
merksam, daß in beiden Gruppen der ursächliche Zusammenhang zwischen
Trauma und Epilepsie offensichtlich sei. Er weist darauf hin, wie schwer
diese Fälle mit der toxischen Theorie der Epilepsie besonders für den ärzt-
lichen Gutachter vereinbar seien.
Bramwell und Brown (31) haben die bekannten Brown-Sequards-
sfhen Experimente nachgeprüft, nach denen Meerschweinchen nach Exzision
eines Stückchens vom nerv, ischiadicus eine epileptogene Zone im Gesicht
bieten, nach deren Reizung Krampfbewegungen und Krampfanfälle auftraten.
Spätere Experimentatoren haben bekanntlich Brown-Sequards Resul-
tate teils bestätigt, teils in ihrer Allgemeingültigkeit verneint. Sogar in ein
and demselben Laboratorium (Obersteiner) sind zu verschiedenen Zeiten ver-
schiedene Ergebnisse erzielt worden. Die beiden Autoren haben nun eine
große Anzahl von Meerschweinchen nach Exzision eines Stückchens des
nerms ischiadicus längere Zeit beobachtet, sie haben dann die überlebenden
Tiere, sowohl diejenigen, welche Krämpfe darboten, als auch diejenigen, bei
welchen Krämpfe sich nicht erzielen ließen, nach mehreren Gesichtspunkten
(Alter, Geschlecht, Operationsverlauf) geprüft. Es ergab sich, daß anscheinend
i^s Alter der Tiere zur Zeit der Operation entscheidend für die Folge-
erscheinungen ist. Nur ei-wachsene Meerschweinchen nämlich bekommen
Jnrch die Operation eine ^epileptogene" Zone.
Die Unstimmigkeit früherer Experimentatoren würde sich danach durch
das verschiedene Alter der benutzten Meerschweinchen erklären.
Bra (29) beschäftigt sich mit den Gegnern, welche sein von ihm nach
seiner Ansicht entdeckter Erreger der Epilepsie (Neurococcus) gefunden hat.
Cox (68) berichtet über 350 klinisch beobachtete Fälle und bringt
einige Einzelheiten von Interesse.
Ceni (49) versucht in einer ersten Arbeit zu beweisen, daß das
epileptogene Gift eine besondere Spezifizität fiii- den Menschen besitzt und
leine spezielle toxische Wirkung auf andere Tierspezien ausübt. In zweiter
Linie zeigt er, daß dieses menschliche Gift eine bemerkenswerte Beständig-
keit bei einzelnen Patienten hat, indem es keine bedeutende Schwankung in
Bezug auf den akzessualen Charakter der Krankheit darbietet. Die toxischen
Eigenschaften des Serums stehen jedoch in direkter Verbindung mit der
Schwere der Krankheit und besonders mit den schweren Perioden der Ter-
whlinunening, z. B. dem „Status epilepticus*% die nicht selten den regulären
Verhinf der Krankheit selbst stören. In diesem Falle kann das Serum eine
691 Epilepsie, Eklampsie, Tetanus.
hypertoxische Eigenschaft an Charakter und an Intensität erlangen gleich
jenem spezifischen Antiserum.
In einer zweiten Arbeit berichtet Ceni (50) über natürliche antitoxische
Substanzen des Serums der Epileptiker. Er hatte schon früher darzulegen
gesucht, daß die antitoxischen Substanzen des Blutes der Epileptiker die
Eigenschaft haben, die toxische Wirkung des menschlichen epileptogeneu
Antiserums zu neutralisieren. Zu diesem Zwecke versuchte Ceni früher den
Grad der Beständigkeit bei einzelnen Patienten festzusetzen und zu ermittelD,
in welcher Beziehung diese antitoxische Eigenschaft des Blutserums zur
Schwere der Krankheit steht. Indem Ceni mit seinen üntersuchuDgea in
gleicher Weise fortfuhr, injizierte er Epileptikern eine Mischung von Senun
der Epileptiker und spezifischem Antiserum.
Drei Versuchsreihen führten Ceni zu folgenden Ergebnissen:
1. Die antitoxische Wirkung des Blutserums der Epileptiker gegen
spezifisches Antiserum stellt keine bedeutenden Modifikationen in den Ter*
schiedenen Phasen (akzessualen und interakzessualen) der Krankheit während
des regulären Verlaufs dar.
2. In den ernsten Fällen der Epilepsie oder mehr noch in den Perioden
der Verschlimmerung der Krankheit (status epilepticus usw.), welche den
regulären Verlauf stören, vermindert sich das Antitoxin des Serums ganx
bedeutend, bis zum Verschwinden.
3. Wenn man mit den Injektionen von Antiserum und auch mit hyper-
toxischem Serum der Epileptiker fortfährt, zeigt sich eine Verschlimmerung
in dem Krankheitszustande eines Epileptikers und zur selben Zeit auch eine
Verringerung der antitoxischen Kraft des Blutserums dieses Patienten gegen
spezifisches Antiserum.
Levi-Bianchini (167), der in Calabrien viele Epileptiker zu beob-
achten Gelegenheit hat, beschreibt sehr schmerzhafte, 2 — 3 Tage, dauernde,
mit periodischen Intervallen auftretende gastrische Krisen als Äquivalente
des epileptischen Anfalles. (MerzOacher.)
BratZ (32) teilt die Epileptiker in drei Klassen geistiger Leistungs-
fähigkeit lein. Als Maßstab der Einteilung berücksichtigt er nicht nur die
intellektuelle Schwächung, sondern auch die übrigen Abweichungen von der
Gesundheitsbreite. Krankhafte Erregbarkeit, Widerstandsiosigkeit gegen
Alkohol, Häufigkeit der Anfälle, die Dauer der nachfolgenden Benommenheit,
Dauer und Häufigkeit etwaiger akuter epileptischer Psychosen werden mit
zur Abwertung der gesamten psychischen Leistungsfähigkeit herangezogen.
Bei einer solchen Verwertung aller interparoxysmalen und aller Anfalls-
oder Aquivaleiitserscheinungen kann Bratz die Epileptiker nicht nach
Intelligenzklassen einteilen. Um alle Krankheitserscheinungen berücksichtigen
zu können und den Bedürfnissen der Praxis dabei zu genügen, ist Brati
zu 3 Klassen gekommen. Auf der einen Seite die geistig Gesunden (I),
dahin sind die leichtesten Grade von Gedächtnisschwächung oder Erregbar-
keit mit einbezogen. Auf der anderen Seite stehen diejenigen Epileptiker,
welche durch die Schwere einer oder meist mehrerer Krankheitserscheinungen
in ihren Kombinationen im Sinne des bürgerlichen Rechts nicht mehr fähig
sind, ihre Angelegenheiten zu besorgen (lU), welche also entmündigt werden
können. Zwischen diesen steht eine Klasse (U) Kranke, welche vorüber-
gehend (z. B. zur Zeit der Aufnahme) oder dauernd als geistig erkrankt
zu bezeichnen sind, bei denen aber die geistige Erkrankung oder Schwächung
nicht derartig ist, daß der BetrefiFende in Betrachtung seines Gesamtlebens
entmündigt werden könnte. Nach einer sorgfältigen Prüfung der auf-
genommenen Epileptiker des Jahres 1904 — dies Jahr hat Bratz gewählt,
Epilepsie, Eklampsie, Tetanus. 595
weil es einerseits Doch nicht zu weit zurückliegt, andererseits schon eine
längere Beobachtung der Aufgenommenen yerbürgt — ergibt sich folgendes :
Aufgenommen 302. Davon waren: 1. geistig gesund oder wenigstens so
intakt daß sie dem Staatsanwalt nicht angezeigt wurden, 32 »= 15.8 ^j^,
i geistig erkrankt, aber geschäftsfähig 67 = 33V«®/o» 3. geschäftsunfähig
103 = 50,9 Vo.
Aus einer Festrede Spratling's (268) ist die statistische Feststellung
ZQ entnehmen, daß es in den Vereinigten Staaten Nord-Amerikas 150 000,
im Staate New- York allein etwa 15 000 Epileptiker gibt.
Mermingas (194) berichtet über einen Fall von Kindenepilepsie, bei
dem zweimal durch operative Entfernung von Blutmassen aus der Gegend
der Zentralwindungen vorübergehende Besserung erzielt wurde. Die Ursprungs-
stelle der Blutungen (Geschwulst?) wurde nicht gefunden.
Finckh (103) hat 250 Krankheitsgeschichten der Tübinger Klinik
benatzt, um die wesentlichsten Punkte des klinischen Verlaufs der Epilepsie
zu beleuchten. Die Gesichtspunkte, nach denen das vorliegende Material
bearbeitet wurde, betrafen die Ätiologie, die Beziehungen der Eclampsia
infantum zur Epilepsie, die Prodromalerscheinungen des epileptischen Insults,
die epileptoiden Zustände, den Verlauf der Epilepsie, die traumatische
Epilepsie und die Spätepilepsie. Sehr bemerkenswert sind in Piuckhs
Arbeit die anregenden Erörterungen, welche er unter Benutzung der wesent-
ßchsteii Literatur einzelnen strittigen Kapiteln in der Klinik der Epilepsie
vorausschickt, Erörterungen, die oft den Autor zu einer neuen und schärferen
Art der Fragestellung führen. Die eigenen Ergebnisse sind auch nach der
statistischen Seite in jedem Kapitel unter Berücksichtigung der früheren
Erfahrungen dargestellt und schließlich in Leitsätzen knapp formuliert. Aus
dpm reichen Inhalt der 104 Seiten umfassenden Habilitationsschrift können
nur einige der Finckh sehen Leitsätze herausgegriffen werden. Finckh hat
elDgehend das prämonitorische Stadium des epileptischen Anfalles, das
% Stunde bis 4 Tage dauert, studiert. Als Symptome dieses Stadiums nennt
er die psychischen und Allgemeinerscheinungen, verknüpft mit Unlust-
empfindnngen, motorischer Unruhe, Gereiztheit und gelegentlich lokalen
Beschwerden. Zweimal ging eine unruhige, traumreiche Nacht voraus, und
zwar hatten bei einem die Träume jedesmal unter einander inhaltlich große
Ähnlichkeit. Zweimal bestand das prämonitorische Stadium in einer kurz
dauernden Verwirrtheit. Nur dreimal lag eine heitere Verstimmung vor,
darunter bei zwei Kranken, die friiher vor ihren Anfällen besonders reizbar
gewesen waren. Von körperlichen Symptomen nennt Finckh Hitze oder
Kälteempfindungen, lokalisierte Schmerzen, einmal z. B. am After, ferner
Schmerzen in der Magen- oder Bauchgegend, ein prickelndes Gefühl am
Penis mit Erektionen, Knurren der Eingeweide, endlich Kopfschmerzen,
zuweilen in der Gegend einer Narbe, Kopfdruck, Schwindel, Übelkeit, Zittern,
Zuckungen einzelner Muskelgruppen. Endlich erwähnt Finckh, daß bei
einigen Kranken gehäufte Petit mal -Anfälle die Einleitung bildeten.
Das prämonitorische Stadium ist nach Finkh eine relativ seltene Er-
scheinung. Es ist nicht zu erwarten vor Anfällen, die durch plötzlich ein-
wirkende Gelegenheitsursachen ausgelöst werden. Abgesehen von unzu-
reichenden Angaben hängt die Seltenheit vielleicht auch davon ab, daß es
verschiedene Gruppen von Epilepsien geben dürfte, bei deren einer, mög-
licherweise durch Toxine bedingt, ein aus bestimmten Symptomen bestehendes
prämonitorisches Stadium auftritt, während es bei anderen vermißt wird.
Das prämonitorische Stadium ist etwa in V4 der Fälle genuiner, traumatischer
und alkoholischer Epilepsie angegeben. Die Aura, das erste Symptom der
696 Epilepsie, Eklampsie, Tetanus.
auf ihrer Höhe befindlichen epileptischen Erregung, ist wesentlich häufiger
als das prämonitorische Stadium, bei genuiner Epilepsie in 87,8 Prozent der
beobachteten Fälle nachweislich. Da wo sie vorhanden war, zeigte sie sich
in 74 Prozent ziemlich regelmäßig und gleichförmig; nur in 14 Prozent
der Fälle genuiner Epilepsie war ein Wechsel der Aura vorhanden.
Bezüglich der traumatischen Epilepsie kommt Finckh zu folgenden
Ergebnissen :
1. Es gibt Fälle traumatischer Epilepsie (in Tübingen 44 Prozent),
bei denen außer dem Trauma keinerlei weitere ätiologische Faktoren nach-
gewiesen werden können. JMan muß für diese annehmen, daß sie aus-
schließlich Produkt des Traumas sind. Es ist ferner nicht von der Hand
zu weisen, daß in seltenen Fällen eine lediglich zu einer Himerschütterung
führende Gewalteinwirkung die Epilepsie hervorrafen kann. Sehr häufig
aber (in Tübingen 56 Prozent) sind neben dem Trauma noch andere Ur-
sachen vorhanden (Heredität, Krankheiten, Alkohol usw.).
2. Die traumatische Epilepsie war in 17,6 Prozent der Gesamtsumme
angegeben. Sie ist beim männlichen Geschlecht wesentlich häufiger als beim
weiblichen (23,2 Prozent : 7 Prozent), ferner häufiger in der Jugend, als
später (auf das erste Dezennium fallen 45,6 Prozent, auf das zweite Jahr-
zehnt 30 Prozent; zur Frühepilepsie rechnen '/^, zur Spätepilepsie ^,^ der
Tübinger Fälle). Somit erscheint die gefundene starke Beteiligung der
ersten Lebensjahre als Stütze der von anderer Seite ausgesprochenen An-
sicht, daß viele Epilepsien des frühen Kindesalters traumatisch bedingt sind.
3. Der Charakter der traumatischen Epilepsie ist im allgemeinen ein
schwerer. Geistige Störungen erheblicher Art traten bei 23 unter 40 Kranken
ein (57,5 Prozent). Psychisch epileptische Äquivalente waren etwas häufiger
als bei der genuinen Epilepsie. Der Ausgang in Demenz ist bei der trau-
matischen Epilepsie häufiger als bei der genuinen Epilepsie. Es ist
zweifellos, daß die Demenz wesentlich häufiger bei den im jugendlichen
Alter Erkrankten als bei erwachsenen Individuen eintritt.
4. Psychische Traumen wirken nur als auslösende Momente des An-
falls bei bestehender Prädisposition. Einen einwandsfreien Fall von Epi-
lepsie nach Schreck ohne hereditäre Belastung oder sonstige ätiologische
Momente lieferte das Material Fiuckhs nicht.
Die Spätepilepsie ist nach Finckh häufiger bei Männern als bei Weibern:
bei letzteren überwiegt die genuine Form, während bei den Männern andere
ätiologische Faktoren wie Alkohol, Trauma, Lues usw. an Bedeutsamkeit
überwiegen. Die Spätepilepsie als ausschließliches Produkt der Arteriosklerose
anzusehen, liegt vorläufig hinreichender Grund und eine Berechtigung nicht
vor, wohl aber spielt diese bei bestehender Prädisposition des Gehirns als
ätiologischer Faktor zweiter Ordnung eine wichtige Rolle. Heredität findet
sich in zwei Drittel aller Fälle von Spätepilepsie und zwar überwiegend die
schwere psychopathische Belastung.
Ein Hysterikus, der früher nach einem Versuch, die Pulsadern sich auf-
zuschneiden Krampfanfälle gehabt hatte, bot in der Irrenanstalt einen
Ganserschen Dämmerzustand und machte einen Versuch, sich zu erhängen.
Er wurde abgeschnitten, konnte allein ins Bett gehen. Hier zerriß er sein
Hemd und bekam einen Krampfanfall.
Kürbitz (157) macht darauf aufmerksam, daß der Krampfanfall nach
Erhängen hier psychogen (hysterischer Natur) nicht etwa durch Gehimanämie
bedingt und epileptischer Natur sei.
Epilepsie, Eklampsie, Tetanus. ^97
Neißer (209) teilt 2 Kraukheitsgeschichten von Epileptikern mit, bei
denen während der Erregungszustände Sprachstörungen nachgewiesen werden
konnten.
Es handelt sich um eine Schußverletzung des Schädels und Gehirns^
die nach Entfernung von Knochensplittern, Abszeßöffnung, Projektilextraktion
schließlich unter bleibenden Defekten des Schädels ausheilte. Unmittelbar
nach der Verletzung aufgetretene Lähmungserscheinungen und Anfälle von
Epilepsie gingen vollständig zurück, bis nach zwei Jahren dem Fat. ein
schwerer Gegenstand auf die Schädelnarbe auffiel, worauf ein Stadium heftiger
und häufiger epileptischer Attacken einsetzte.
Schon der erste Versuch, beide Schädeldefekte zu decken, hatte einen
entschieden günstigen Einfluß auf die Anfälle. In dem Maße aber, als das
implantierte Knochenstück und die Celluloidplatt« sich aus der Umgebung
loslösten und die Stellen des Schädeldefektes des dauernden und festen
Verschlusses immer mehr verlustig wurden, rezidivierten die Krämpfe in
immer heftigerer Weise; der psychische Zustand wies bemerkenswerte Ver-
änderungen auf. Das schwere Krankheitsbild wurde erst dann vollständig
behoben, als es gelang, die Schädellücken in vollkommen solider Weise
dauernd zu verschließen.
Fraenkel (107) tritt im Anschluß an diesen Fall den Kocherschen
Bestrebungen entgegen, Schädellücken nicht zu verschließen. Die Deckung
eines Schädeldefektes übt in vielen Fällen eine entschieden regulatorische
Wirkung auf die intrakranielle Zirkulation und behebt auch hiermit die
Bedingungen für das Entstehen abnormen Hirndruckes. Umgekehrt hindert
das Bestehen eines Schädeldefektes trotz seiner entspannenden Wirkung
durchaus nicht das Entstehen von Krampfzuständen.
Kühner (156) berichtet über einige neuere Epilepsiearbeiten, ins-
besondere das 1904 erschienene Werk von Spratling und andere englische
bezw. amerikanische Schriften. Nach dem Spratlingschen Werke werden
bei Epilepsie von Gehirnläsionen am häufigsten diese mit infantiler Zerebral-
hemiplegie verbunden angetroffen; Sklerose des Cornu Ammonis ist
eine der gewöhnlichsten grobsinnlichen Verändemngen, die bei Epilepsie
gefunden werden. Was die Histologie betrifft, so kommt man zu dem
Schluß, daß eine tiefe und diffuse Kortikaldegeneration gefunden wird bei
Epilepsie, und daß die krankhaften Veränderungen hauptsächlich in der
Zerstörung der Kerne der Zellen des sensorischen Typus bestehen. Die
pathologische Folge ist eine progressive Gliose, mehr oder weniger deutlich
wageprägt und gleichermaßen ausgebreitet. Folgende Schlüsse lassen sich
hieraus ziehen: 1. Epilepsie ist eine wesentliche sensorische Störung mit
motorischen Äußerungen. 2. Ihre Atiopathologie beruht auf einer Varietät
toxischer oder autotoxischer Agentien, welche noch nicht bestimmt zu isolieren
oder festzustellen sind. 3. Die Krankheit wurzelt in einer organischen Ano-
nialie der Zellen der Gehirnrinde, welche zumeist durch Fehler der Heredität
herbeigeführt wird.
Da nach Ansicht von Roncoroni (243) die uns jetzt zu Gebote
stehenden histologischen Untersuchungsmethoden noch keinen genügend
sicheren Aufschluß geben über die Veränderungen, die an der Zelle und
ihren Teilen sich abspielen, so versucht er durch rein moi*phologische Be-
trachtungen, die er über Verteilung und Orientation der Zellen zueinander
anstellt, vergleichende Betrachtungen zu ziehen. Seine besondere Auf-
merksamkeit hat er hier zunächst der Hirnrinde von Epileptikern und ,,ge-
horenen Verbrechern-* zugewendet. Bei 33 Epileptikern will er (im Stirn-
him) 9 mal das Fehlen der tiefen Körnerschicht beobachtet haben; 15 mal
^98 Epilepsie, Eklampsie, Tetanus.
80II diese Schicht bei denselben eine starke fieduktion erworben habeo; bei
10 Fällea soll ferner die Orientierung der Pyramidenzellen eine erheblich
veränderte gewesen sein. Bei den IH Verbrechergehirnen will er 4 mal
Fehlen, 6 mal Reduktion der Körnerschicht beobachtet haben, 7 mal ab-
norme Orientierung der Pjramidenzellen. In diesen Befunden, die uns noch
sehr der Nachprüfung bedürftig erscheinen, sucht der Autor eine neue Art
von Degenerationszeichen. (Merzhadier.)
Astwatzaturofi (12a) untersuchte bei 7 Epileptikern im Laufe toq
1 — 2 Monaten den Blutdruck mit Hilfe des Gärtn ersehen Tonometers.
Der Blutdruck sank am Tage, stieg gegen Abend an. Wenige Minuten Tor
dem Anfall war eine Steigerung, nach dem Anfall ein Sinken des Blutdnickes
zu verzeichnen. In Fällen von epileptischer Psychose war erhöhter Blutdruck
im Stadium der Erregung, verminderter während der Depression. (Krön,)
Konrad (152) berichtet über einen 11jährigen Knaben, bei welchem
ohne nachweisbaren Grund 18 Monate hindurch Konvulsionen der rechten
Körperhälfte, mit partiell erhaltener Besinnung bestanden, ferner Parese und
Ataxie der rechten Extremitäten, Lähmung des rechten Facialis und Hypo-
glossus ; überdies Empfindlichkeit in der Gegend des linken Parietalhöckere.
Während der Anfälle Verstärkung der Lälmiungserscheinungen. Verf. sup-
pouiert einen zirkumskripten Tumor der linken Zentralwindung. Trepanation,
wobei bloß mäßige Trübung der Pia gefunden wurde. Nach der Operation
zwei Jahre hindurch bedeutende Besserung, dann plötzlich Status epiL, Coma
und Tod. Bei der Autopsie wurde neben den Spuren der Trepanation bloB
Hyperämie des Gehirnes gefunden. Verf. bemerkt, daß selbst bei genauen
Herdsymptomen die topische Diagnose nur mit Wahrscheinlichkeit zu stellen
ist, und daß Jacksonsche Epilepsie und Monoplegien derselben auch ohne
anatomische Veränderung bestehen könne. (Hudavemig.)
Als Beitrag zur Entstehung der Epilepsie teilt Zappert (320) die
Krankengeschichte eines 16jährigen Mädchens mit. Das bis dahin ganz ge-
sunde Kind erkrankte im 13. Lebensjahr unter Kopfschmerz, Abmagerung,
Schwindel, beiderseitiger Stauungspapille und zuerst linksseitiger, dann rechts-
seitiger Abduzenslähmuug. Diese Tumorsymptome schwanden nach % Jahren
v(illig, dagegen entwickelte sich eine typische Epilepsie, deren Vorläufer, in
Form kurzer Sohwindelaufälle, Parästhesien, Sprachstörungen und Extremi-
tätenparesen, sich schon im akuten Anfangsstadium der Krankheit zeigten.
In der Folgezeit traten die Anfälle in Intervallen von Wochen und Monaten
entweder als charakteristische Krämpfe oder Petit mal- Anfälle auf. Z.
nimmt einen kleinen ausgeheilten Pousherd an, von dem die Krampfanfalle
ausgehen, und wirft die Frage auf, ob nicht noch geriuggradigere Affektionen
im Gehirn, die noch symptomloser verlaufen, dennoch Epilepsie verursachen
können. (Bendix.)
Mnrdoch (206) teilt zwei Fälle von Epilepsie mit, welche er auf
eine Autointoxikation infolge von gastro-intcstinalen Störungen zurückführt
und durch diätetische Behandlung gebessert haben will. (Bendix,)
McLanghlin (192) fand bei sechs von ihm beobachteten Fallen
genuiner Epilepsie Störungen in der Magen - Darmfimktion mechanisch
chemischer Natur und erzielte mit physikalisch-diätetischer Behandlmigsweise
sehr befriedigende Besserungen. (Bendu.)
Katz (147) veröffentlicht drei Fälle von Epilepsie, die er als Reflex-
epilepsie deutet und in Zusammenhang mit Erkrankungen der oberen Atmungs-
wege zu bringen sucht. Es handelt sich um jüngere Individuen, zwei Mädchea
von 11 und 24 Jahren und einen 13 jährigen Lehrersohn, die an adenoiden
Vegatationen, respektive an Schleimhautpolypen der Nase litten und nach
Epilepsie, Eklampsie, Tetanus. ()99
Beseitigung dieser Störungen von ihren seit Jahren bestehenden epileptischen
Anfällen geheilt waren. (Bendix.)
KoDYDlslonen.
Roch (3^0) berichtet: Nach einer Verletzung des linken musc. gastro-
cnemius ohne Verletzung eines größeren Nervenstamms, wird für mehrere Wochen
bei einem 14jährigen, sonst gesunden Knaben Fußklonus beobachtet. Nach
Aasheilung der Mnskelyerletzung hört auch bald der Fußklonus auf.
Monro (199) berichtet: Ein ISjähriger Knabe erkrankt an schwerer
Gastroenteritis. Es stellen sich rechtsseitige Konvulsionen, Hemiplegie und
Aphasie ein. Femer eine Reihe von Erscheinungen wie Ery thema nodosum, Con-
juDCtivitis. Monro schließt aus den angeführten Begleiterscheinungen, daß
die zerebrale Kinderlähmung in diesem Falle nicht durch einen embo-
lischen Prozeß, sondern durch eine Infektion (Polioencephalitis) bedingt ist.
Ein zweiter Fall von rechtsseitiger Konvulsion- und Hemiplegie betraf ein
Idjähriges, bleichsiichtiges, amenorrhoisches Mädchen. Es trat hier noch
Strabismus und Neuritis optica auf, ferner ein EJrythema multiforme. Monro
macht darauf aufmerksam, daß hier zwar Erscheinungen einer Infektion und
Meningitis vorliegen, daß aber trotzdem eine Thrombose als Ursache der
Hemiplegie nicht ausgeschlossen ist, da die Thrombose infektiös bedingt
sein kann.
Roch (241) hat sorgfältig alle Fälle in der Literatur gesammelt, iu
denen epileptiforme Krampfanfälle mehr oder weniger ausschließlich durch
eioen JReiz von der Pleura aus, z. B. durch eine Pleuritis oder durch ein
Trauma des Brustfells, also reflektorisch ausgelöst wurden. Er kommt dazu,
einige Besonderheiten der Anfälle dieser pleuralen Eklampsie herauszufinden.
Eine Aura mit Respirationsstörungen und Brustschmerzen. Vor^'iegen der
Krämpfe auf der Seite der gereizten Pleura, nachfolgende Paresen, Fehleu
von Zungenbiß und Enuresis.
Camot und Delion (44) berichten: Eine Phthisische, bei deren Ob-
duktion sich später eine Verkäsung im Seitenlappen der Schilddrüse fand, ging zu
Grunde, nachdem sie die letzten 8 Stunden in eigenartigen Konvulsionen
gelegen hatte. Die Krampfbewegungen erinnerten gleichzeitig an Athetose,
Chorea und Tetanie. Die Patientin folgte bei den Krampfljewegungeu mit
den Blicken den umstehenden, die Pupillen waren weit und reagierten auf
Licht. Da der Gehirnbefund ganz negativ war, nehmen die Verfasser an,
daß die Konvulsionen mit der Affektion der Schilddrüse in Zusammenhang
zu bringen seien.
Spratling (267), der Leiter der New -Yorker Epileptikeranstalt, hat
in zwei Jahren 20 Fälle gesehen, in welchen nach Überfütterung epileptische
Konvulsionen auftraten. Diese Konvulsionen sollen bemerkenswerter Weise,
wenn die Patientin ihre Lebensweise nicht wechselten, in habituelle Epilepsie
übergehen. Insbesondere liegt die Gefahr dieses Überganges nach Sprat-
ling vor, wenn es sich nicht mehr um grand mal, sondern auch um petit
mal handelt.
Als Beispiel, in welchem die Konvulsionen symptomatisch blieben, gibt
Spratling folgendes: Ein intelligenter Handwerker, Mitte Dreißiger, m.it
schwachem Magen, beging häufig grobe Diätfehler. Er bekam eines Tages
iamitten einer öffentlichen Rede einen Krampfanfall. Solche Krampfanfälle
ereigneten sich noch mehrmals, jedesmal am Tage nach einem gastrono-
mischen Exzeß. Er änderte seine Lebensweise und ist jetzt schon 5 Jahre
aafallsfrei. Von einem anderen Patienten, bei dem sich echte Epilepsie
entwickelte, erzählt Spratling das Menü eines Tages: Zum Frühstück Eier.
700 Chorea. Tetanie.
Brot, Kartoffeln, Pfannkuchen und Kaffee; zum Diner: Suppe,' Hühner-
Pastete, Gemüse und Pudding, zum Dessert Weincröme. Zum Abendessen
viel Pleischpastete. gebackene Kartoffeln, drei Stücken Apfeltorte und drei
Tassen Tee. Fast alle Fälle, die Spratling beobachtete, fallen in das Lebens-
alter zwischen 35 und 45 Jahren.
Wenn man bei Hunden oder Katzen einen elektrischen Strom Tom
Mund zum Nacken gehen läßt, treten tonische Konvulsionen auf, die von
klonischen gefolgt sind. Die klonischen Zuckungen folgen nicht, wenn die
motorischen Zentren vorher exstirpiert sind. Prevost und Mioni (228)
haben diese Erfahrung auf anderem experimentellen Wege bestätigt, Sie
haben die Rinde der Tiere künstlich anämisch gemacht, entweder indem sie
die großen zuführenden Hirngefäßo teilweise unterbanden, oder aber indem
sie im Momente der elektrischen Gehirnreizung auf den Nervus vagns
elektrisierten.
In beiden Experimentalreihen trat nur eine tonische Phase der Kon-
vulsion ein, indem die motorische Rinde durch die künstlich herbeigeführte
Anämie ihre Erregbarkeit verloren hatte.
KÜhnemann (155) hat eine Tabelle entworfen, welche die Differential-
diagnose der verschiedenen Krankheiten erleichtern soll, welche mit Krämpfen
einhergehen.
Ashly (12) macht einige Ausführungen bezüglich Kinderkonvulsionen.
Von Interesse sind einige Krankheitsgeschichten, so die folgende: Ein Knabe,
der zu 17 Monaten gehen, zu zwei Jahren sprechen lernte, bekam zu
3^2 «Jahren die Masern mit hohem Fieber, Konvulsionen, zweitägigem Coma.
Als er das Bewußtsein wiedererlangte, war er einige Tage blind und mehrere
Wochen aphatisch. Noch nach 6 Monaten war die Sprache undeutlich.
Das früher artige Kind wurde reizbar und bösartig.
Chorea. Tetanie.
Referent: Prof. Dr. R. Wollenberg-Tübingfen.
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Chorea.
Gramer und Tübben (24) teilen zwei Fälle von klinisch wohl
charakterisierter infektiöser Chorea mit, in denen intravital aus dem Blut
ein positiver bakterieller Befund erhoben werden konnte. Die bisherigen
Befunde, die in einer kurzen Übersicht zusammengestellt werden, sind fast
ausnahmslos erst post mortem erhoben. Die Verfasser scheiden nun von
ihren Fällen den ersten, in Genesung übergegangenen aus, in welchem im
Blut Staphylokokken nachgewiesen wurden, und verwerten nur den zweiten
Fall. Hier wurde gleich in den ersten Tagen nach der Aufnahme unter
antiseptischen Kautelen Blut entnommen und, nach einem vergeblichen
Versuch, eine Streptokokkenkultur gewonnen. Nach dem Tode der 13 jährigen
Kranken wurden sodann aus Blut, Gehirnstücken, Cerebrospinal- und
Peritonealflüssigkeit, Herzklappe die Streptokokken wieder gezüchtet, auf
Kaninchen übertragen und hier wiederum aus Blut, Gehirn und Peritoneal-
flüssigkeit wiedergefunden. — Die Verfasser sind weit davon entfernt, die
gefundenen Streptokokken als die Erreger der Chorea hinzustellen; aber
das Zusammentreffen dieser pathogenen Bakterien und so frischer pathologi-
scher Veränderungen (pralle Füllung der Gefäße, perivaskuläre Blutungen,
randständige Gliakerne usw.) in einem und demselben Organismus ,,gibt
immerhin zu denken und legt die freilich noch unbewiesene Vermutung
nahe, daß diese Mikroorganismen als agents provocateurs und als treibende
Kraft jener pathologischen Prozesse anzusehen sind". In diesem Falle
haben pathologische Anatomie und Bakteriologie die kliniscli gewonnene
Anschauung, daß es sich um eine organische infektiöse Chorea handele,
jedenfalls glänzend bestätigt; er bildet somit einen wertvollen Beitrag zur
infektiösen Theorie der Chorea. — Die Verschiedeuartigkeit der bisher er-
hobenen bakteriologischen Befunde und der Mangel an Spezifizität der nach-
gewiesenen Mikroorganismen macht es verständlich, wenn man die Chorea
öicht nur nach akutem Gelenkrheumatismus, sondern auch nach anderen
infektiösen Krankheiten auftreten sieht. An einen spezitisch choreogenen
Mücroorganismus ist hiernach nicht zu denken; man muß vielmehr eine
Torausgegangene Infektion annehmen, die bei den vielgestaltigen Invasions-
pforten des jugendlichen Organismus sehr verschiedenartiger Natur sein
kann. Da nun fast alle diese Mikrobien zu den pyogenen Bakterien gehören,
1^30 liegt die Annahme außerordentlich nahe, daß sie alle einen Giftstoff
704 Chorea. Tetanie.
produzieren, welcher unter gewissen Bedingungen eine besondere Affinität
zu den Rezeptoren der Eiweißmoleküle des Zentralnervensystems und zwar
ganz bestimmter Zellbezirke desselben, nämlich der motorischen Regionen,
besitzt". — In den weiteren Ausführungen kommen die Verf. zu dem Re-
sultat, daß bei ,,an sich so heterogenen Krankheitsbildern wie der Chorea,
der L an dry sehen Paralyse, der hämorrhagischen Polioencephalitis und der
großen Gruppe der unter dem Namen der akuten Delirien zusammengefaßten
Geistesstörungen, eine ganze Reihe von Mikroorganismen nachgewiesen
wurden, die ihrer größten Mehrzahl nach zur Gruppe der pyogenen Bakterien
gehören. Diese an sich ja nicht so bedeutungsvolle Tatsache gewinnt dadurch
erheblich an wissenschaftlichem Wert, daß auch klinisch zwischen allen
diesen Krankheitszuständen insofern gewisse Analogien bestehen, als bei
ihnen alle motorischen Reiz- oder Lähmungssymptome in der Erscheinungen
Fluclit stets wiederkehren und ihnen so ein ebenso eigenartiges wie gemein-
sames symptomatologisches Gepräge geben. Zudem schließen sie sich alle-
samt sehr häufig an akute Infektionskrankheiten an. Dazu kommt, daß bei
den zur Sektion gelangten Fällen nicht selten frische entzündliche Prozesse
im Zentralnervensystem, und zwar hauptsächlich in den Bezirken festgestellt
wurden, welchen die motorischen Funktionen unterworfen sind*. Ohne diesen
verschiedenartigen Mikrobien im Einzelfall die Rolle von Krankheitserregern
zuzusprechen, sind die Verfasser doch davon überzeugt, daß zwischen diesem
circulus vitiosus, zu welchem sich die Infektion, die eigenartigen Krankheits-
symptome und die frischen pathologischen Prozesse vereinigen, ein kausaler
Zusammenhang besteht.
Förster (36) zerlegt die bei der Chorea minor zu beobachlenJen
Störungen in der Tätigkeit des Muskelsystems in zwei verschiedene Kom-
ponenten; die choreatischen Spontanbewegungen, die zu den Krämpfen
gehören, und die choreatischen Koordinationsstörungen. — Chorea-
tische Spontanbewegungen kommen bei vielen an sich sehr verschiedenen
Krankheitsbildern vor, nämlich, abgesehen von der Chorea minor, bei den
anderen Choreaformen (chronische, chronische hereditäre, hysterische, elek-
trische Chorea, Choree variable des degeneres) ferner bei Epilepsia con-
tiuua, bei dementia paralytica, bei Motilitätspsychosen (neben den pseudo-
spontanen Bewegungen), bei kongenitaler und infantiler Zerebrallälunung,
bei Herderkrankungen des Thalamus opticus, der Bindearme, Kleinhiru-
<affektionen, auch bei Tabes dorsalis (Försters „choreatische Extremitäten-
krisen*').— Die Merkmale der choreatischen Spontanbewegungen sind
ihr rascher Ablauf, ihre relativ große Exkursion, ihr echt klonischer Typus
(im Gegensatz zu den tonisch -klonischen der Epilepsie), der fortwährende
bunte Wechsel in ihrer Ausbreitung. Sie haben ferner in ihrer äußeren
Form keine Ähnlichkeit mit Willkürbewegungen, nicht einmal mit den ein-
fachen Willkürbewegungen einzelner Glieder, da ihnen die kombinierte
Muskelwirkung (z. B. die in der Norm synergisch erfolgende Kontraktion
des m. extensor digitorum comm. bei willkürlicher Tibialisaktion) fehlt
Vollends entsprechen sie niemals den kombinierten Verrichtungen und Be-
schäftigungen unserer Glieder. Sie entspringen aus der isolierten Wirkung
einzelner Muskeln (z. B. tibialis anticusj oder einzelner Muskelgruppen
(z. B. Flexoren des Vorderarms), während die Willkürbewegungen auf der
gleichzeitigen Wirkung mehrerer ^luskeln oder mehrerer Muskelgruppen
basieren. Die oft erörterte Frage, ob die choreatischen Spontanbewegungen
koordiniert sind oder nicht, ist müßig; denn koordiniert kann nur eine Be-
wegung sein, welche eine Aufgabe, einen Zweck in sich schließt und erfüllt;
<Ues ist aber l)ei den in Kede stehenden Bewegungen nicht der Fall. —
Chorea. Tetanie. 706
Die choreatisclien Koordinationsstörungeii bestehen in Störungen in
der Aasführang der mechanischen oder statischen Muskelleistungen. Sie
sind auch in den leicliteren Fällen mindestens angedeutet, in den schweren
aber stets deutlich ausgesprochen. Gleichwohl hat man sie bisher wenig
beachtet. Förster beginnt ihre nähere Beschreibung und Analyse damit,
daS er die Muskeln nach ihrer Funktion einteilt in Hauptago nisten (die
für die einfachen Bewegungen jeweilig erforderliche Muskelgruppe), agonisti-
sche Synergisten (die Muskeln, die, wie die extensores carpi beim Faust-
schloß, die Wirkung der Hauptagonisten zweckmäßig unterstützen), antago-
nistische Synergisten, ((fie Muskeln, die die Bewegung zu moderieren
and im gegebenen Moment zu arretieren haben), kollaterale und rotatori-
sche Synergisten (die Muskeln, die seitliche Abweichungen des Gliedes
aas der Bewegungsebene, resp. Rotation des Gliedes um die Längsachse zu
verhindern haben). Die Koordinationsstörung äußert sich nun, wenn sie
Toll aasgeprägt ist, in folgenden Elementarstörungen: Die bei unseren
Villkürbewegungen (einfachen und zusammengesetzten) in Aktion tretenden
flauptagonisten werden im allgemeinen prompt innerviert, aber die InneiTa-
tion ist dem Grade nach unbeständig, ja in schweren Fällen entschieden
herabgesetzt, so daß deutliche, aber ohne Prädilektion für besondere
Mnskelgruppen über alle Muskeln eines Gliedes ungefähr gleichmäßig ver-
teilte Paresen entstehen. Bei den einfachen Bewegungen der Finger, der
Zange, der Lippen usw. ist die Innervation der Hauptagonisten aber bis-
weilen nicht einmal prompt, sondern verspätet und nicht stabil, sondern nur
flüchtig. Der Lmpuls für die Hauptagonisten irradiiert ferner fast stets auf
Maskeln, die mit der Bewegung an sich nichts zu tun haben (unzweck-
mäßige Mitbewegungen besonders der homologen Muskelgruppe der anderen
KörperhäJfte). Die bei vielen unserer Willkürbewegungen mit in Aktion
tretenden agonistischen , antagonistischen , coUateralen und rotatorischen
Synergisten werden in schweren Fällen von Chorea gar nicht oder nur
mangelhaft mitinnerviert. Ebenso fehlt die Innervation der Muskeln, welche,
ohne besondere willkürliche Intervention, unsere Gliedteile in ihrer normalen
Stellang zu einander zu erhalten haben. Soll ein Glied willkürlich in einer
besonderen, von der gewöhnlichen Haltung abweichenden Stellung fixiert
werden, so ist der Impuls der hierzu erforderlichen Muskeln zwar vorhanden,
aber dem Grande nach kein stabiler. Man kann also sagen, daß bei der
Aasführang der lokomotorischen oder statischen Aufgaben unseres Muskel-
sjstems im allgemeinen diejenigen Innervationen erfolgen, die auf einem
willkürlichen Impulse beruhen, so daß hierbei sogar eine ausgesprochene
Neigung zur Mehrinnervation besteht, daß hingegen diejenigen Innervationen
unterbleiben, welche normaliter unbewußt zu erfolgen haben. — Es fragt
ach. in welchem Abschnitt des Nervensystems wir uns den der Chorea
«u Grunde liegenden Krankheitsprozeß lokalisiert denken? Sowohl epilep-
tische wie choreatische Krämpfe können von der Hirnrinde ausgehen ; diese
muß aber keineswegs der Sitz der Reizung sein. Choreatische Spontan-
bewegungen können von recht verschiedenen Abschnitten des Zentralnreven-
systems ausgehen. Es gibt aber außer der Chorea minor Fälle, in denen
die von Förster postulierte charakteristische Kombination von Spontan-
bewegungen und Koordinationsstörungen der geschilderten Eigenart vor-
gelegen und in denen, im Gegensatz zur Chorea minor, die Autopsie ein
positives Resultat ergeben hat. Es handelt sich dabei um Erkrankungen
des Kleinhirns oder der Bindearme (Bonhöffer). Wir sind berechtigt,
auch für die Chorea minor eine Erkrankung derselben Ortlichkeit in An-
spruch za nehmen. Förster glaubt, daß in der Tat irgend eine Schädigung
JabRsbeiicfet f. Neurologie und Psychiatrie 1906. 45
706 Chores. Tetanie.
toxiach-infektiösen Ursprungs des Kleinhirns die Ursache der Chorea minor
sei, welche allerdings zu keinen grob greifbaren anatomischen Veränderungen
führt. — Verfasser erörtert weiter, ob sich das Symptomenbild der Chorea:
unwillkürliche Spontanbewegungen und Koordinationsstörungen, ans der Läsion
des Kleinhirns resp. der Bindearme deuten läßt? Es würde an dieser
Stelle zu weit führen, den Deduktionen Försters im einzelnen zu folgen.
Kurz zusammengefaßt ergibt sich aus ihnen folgendes: Die choreatischen
Spontanbewegungen sind am besten als Reizsymptom aufzufassen. Man
kann ohne Schwierigkeit annehmen, daß der der Chorea minor zu Grunde
liegende toxisch - infektiöse Prozeß auf die Elemente des Kleinhirns als
reizendes Agens wirkt. Die Reizung des Kleinhirns führt aber zu Spontan-
bewegungen auf verschiedenen Wegen: teils durch Vermittelung der Binde-
arme vermittelst der von den Ganglien der Haube ausgehenden zentrifugalen
Bahnen, teils direkt cerebellofugal. Auch für die choreatischen Koordinations-
störungen nimmt Förster das Cerebellum in erster Linie in Ansprach,
bezieht jene aber auf einen Fortfall der cerebellaren Funktionen, sieht sie
also als Ausfallssymptom an. Der Schlußsatz der interessanten Ausführangen.
die im einzelnen im Original nachzulesen sind, lautet : Wir haben also in
der Chorea minor den Typus einer Nervenaffektion vor uns, bei der Reiz-
und Ausfallssymptome sich paaren und aus der nämlichen Schädlichkrit
entspringen.
Flatan (36) hat iu seiner kleinen Arbeit über den Veitstanz alles
über die choreatischen Erkrankungen Bekannte zusammengefaßt und be-
rücksichtigt.
F.'s Darstellung der Chorea ist für den praktischen Arzt bestimmt und
sehr geeignet, eine klare Vorstellung von der einfachen Chorea, der Chorea
adultorum (Huntington), der Schwangerschaftschorea und der postapoplek-
tischen Chorea zu gewinnen.
In der Therapie empfiehlt F. vor allem den von jeher empfohlenen
Arsengebrauch. (Bmdix.)
Oould und H0W6II (44) beobachteten bei einer 19 jährigen Primipara
außer einer Chorea gravidarum seit dem 6. Monate der Schwangerschaft eine
am Ende der Gravidität auftretende Eklampsie. Im Urin war Albumet
vorhanden. Die Chorea war schon vor dem Ende der Schwangerschaft &at
völlig geheilt, und auch die Eklampsie verschwand nach spontan erfolgten
Partus. (Bendix.)
Dixon (26) berichtet über einen Fall von Chorea gravidarum, dsr
mit Aufregungszuständen, Halluzinationen und großer Unruhe verbunden war.
Es handelte sich um eine 22jährige Gravida im 8. Monat der Gravidität
Unter Anwendung von Bettruhe und Narkotika trat nach normalem Partos
vollständige Heilung ein. (Bendüs.)
Den bisher nur in kleiner Zahl bekannten Fällen von Chorea im Zo-
sammenhang mit Blennorrhoe (Litten 2, Heubner 1, Fröhlich 1,
Massanek 1) fügt Boissonnas (12) einen weiteren aus der Heubnerschen
Klinik hinzu. Er empfiehlt Vorsicht bei der Prognose solcher Fälle, weil
sie oft äußerst hartnäckig sind und schwere Komplikationen bringen können.
Jedenfalls soll man in entsprechenden Fällen sich des Fehlens jedes Aus-
flusses versichern. Wenn man darauf mehr achte, werde sich vielleicht die
bis jetzt nur kleine Zahl der Beobachtungen vermehren und diese Form sich
als nicht so selten erweisen.
Klempner (63) berichtet über 2 Fälle von choreatischer Diplegie aus
der Mendelschen Poliklinik, die dadurch bemerkenswert waren, daß bei
beiden die isolierte doppelseitige schlaffe Lähmung und Atrophie eines
Chorea. Tetanie. 707
einzelnen Muskels festgestellt werden konnte, und zwar in dem einen der
mm. rhomboidei, in dem andern der Perouei.
Besta (11) hat das Zentralnervensystem eines Mannes zu untersuchen
Gelegenheit gehabt, der mit 40 Jahren an Chorea erkrankte. Bereits
3 Grenerationen des betreffenden Kranken waren der nämlichen Krankheit
erlegen. 5 Jahre nach .Ausbruch der motorischen Erscheinungen traten noch
psychische hinzu, die schließlieh zu einer deutlichen, wenn auch nicht starken
Demenz führten. An der Diagnose „Chorea Huntington" setzt der Autor
keine Zweifel (wir wollen es nicht unterlassen, zu bemerken, daß der Kranke
Tor Beginn der choreatischen Erscheinungen an Typhus gelitten hat). Die
mikroskopische Untersuchung ergab folgendes: sehr starke Veränderungen
an den Blutgefäßen im ganzen Zentralnervensystem. Die kleineren Gefäße
seheinen stärker betroffen zu sein, indem an denselben sämtliche Teile in
Ifitleidenschaft gezogen worden sind (weitgehendste Sklerose). Die großen
Gefäße hingegen weisen nur eine stärkere Infiltration der Adventitia auf. Die
Gefäßerkrankung setzt sich auf die Pia fort und hat hier zu einer deutlichen
Leptomeningitis Anlaß gegeben. Die Tangentialfasem erscheinen in der
Binde geschädigt, ebenso die oberste Ganglienzellenschicht der Rinde. Die
raletzt genannten Veränderungen führt der Autor sekundär auf die primär
entstandenen Piaveränderungen zurück. Er glaubt also im Einklang mit
anderen Autoren das Wesen des Prozesses auf eine primäre Gefäßerkrankung
der kleineren Gehimgefäße zurückführen zu können. Die übrigen Ganglien-
zellen erschienen nicht lädiert, Gliaveränderungen wurden nicht beobachtet.
Bd dieser Auffassung des Prozesses bleiben die lang andauernden motorischen
Erscheinungen unaufgeklärt. (MerzbacJier.)
Weyrauch (98) teilt die Geschichte einer ausgesprochenen Chorea-
funilie mit, in der in 3 aufeinander folgenden Generationen 8 ausgeprägte
Fälle Ton Chorea vorhanden waren. In einem weiteren Falle wird berichtet,
daß die betreffende Person „etwas schlotterig^, daß bei ihr die Krankheit
„nicht ganz durchgebrochen** ist. Femer bestand in einem Falle ein Zu-
stand Ton Tiefsinn, der allmählich zur Verblödung gefuhrt hatte. In den
beiden Tom Verf. beobachteten Fällen war bei dem schon 9 Jahre leidenden
Kranken bereits hochgradige Verblödung eingetreten; bei dem andern, der
erst Tor 4 Jahren erkrankt war, bestand nur eine gewisse Urteilsschwäche.
Ton dem hemmenden Einfluß gewollter Bewegungen auf die choreatischen
Zuckungen konnte W. sich nicht überzeugen. Bei 6 Mitgliedern ist das Alter
bei Krankheitsbeginn ermittelt; es lag zwischen dem 30. und 43. Lebensjahre.
Lieben (61) teilt einen Fall typischer Huntingtonscher (die Ameri-
kaner schreiben den Namen übrigens neuerdings Huntingdon. Kef.) Chorea
mit. Wenn sich auch in der Ascendenz nichts Ton Chorea, Epilepsie usw.
feststellen läßt, so darf man doch in den Klagen der Tochter und dem aller-
diogs spärlichen objektiven Befund die ersten Anfänge desselben Leidens
erblicken. Dies würde für ein früheres Befallenwerden der jüngeren Gene-
rationen im Sinne Heilbronners sprechen. Für Huntingdons Form
sprechen ferner der Beginn im mittleren Lebensalter, die Progredienz des
Leidens aus unmerklichen Anfängen heraus, sowie die psychischen Begleit-
symptorae, die transitorischen früheren Aufreguugs- und Verwirrtheitszustände,
die Demenz, die exzessive Reizbarkeit. — Im einzelnen bespricht Verf. dann
die Demenz und besonders die Bewegungsstörungen in seinem Falle: Die
Bewegungen sistierten im Schlaf und ließen bei intendierten Bewegungen
nach, wobei an ihrer Stelle meist ein feinschlägiger Tremor auftrat. Das
langsamere Tempo der Zuckungen (im Gegensatz zu dem blitzartigen bei
der Sydenhamschen Form) gehört zu den Momenten, die schon zur Athe-
45*
708 Chorea. Tetanie.
tose hinüberleitea. Die choreatische Unruhe der Stammmuskulatur nnd der
Beine tritt erst beim Stehen und Gehen in Erscheinung, also dann, wenn
die zur Erhaltung des Gleichgewichtes dienenden regulatorischen Apparate
(Kleinhirn) vermehrt in Tätigkeit zu treten haben. — Die in L.'s Fall beob-
achtete rechtsseitige Parese ist als ein Symptom des Grundleidens anzusehen
und auf zirkumskripte Veränderungen der motorischen Region zurückzuführen.
Ebenso wie in Facklams Fall (Archiv für Psych. Bed. XXX) standen auf
der paretischen Seite die chorea tischen Bewegungen an Intensität der gesunden
Seite gegenüber zurück, während sonst bekanntlich gerade nach Hemiplegieo
choreatische Erscheinungen auftreten.
Peachell (72) teilt einen Fall von Dementia bei Huntingtonscher
Chorea mit. Der 54 Jahre alte Mann litt seit dem 45. Jahre an Hunting-
tonscher Chorea. In den letzten 6 Monaten seiner Krankheit hatte sich
hochgradige Demenz bei ihm entwickelt. Die Autopsie ergab deutliche
Atrophie der Frontallappen und des ganzen Gehirns sowie der zerebralen
Gefäße. (Bendix,)
In 2 Fällen von Chorea Huntington fand Daddi (25) weitgehende
Ganglienzellveränderungen, hauptsächlich in den oberen Rindenschichten des
Stirnhirnes und der motorischen Region; daneben Neurogliavermehrung.
Die Veränderungen der Gefäße sind auf Kosten der Arteriosklerose zu
setzen. In beiden Fällen handelt es sich um alte Individuen, bei dem einen
waren mehrere Familienmitglieder in der Aszendenz choreatisch gewesen;
nicht so im zweiten Falle, der außerdem Epileptiker war. Trotz dieser
Verschiedenheiten ist der anatomische Befund ein gleicher. Der Autor
bemülit sich, die Abweichung der Veränderungen von denen des senilen
Gehirnes zu demonstrieren. (Merzbacher.)
Babinski (4) konnte bei einer großen Zahl von Chorea (Sydenham)
ein eigentümliches Phänomen, „die kombinierte Flexion des Oberschenkels
und Rumpfes" beobachten. Es war bei allgemeiner Chorea nachzuweisen,
und zwar bisweilen auf der einen Seite, beim Niederlegen auf der anderen.
Insbesondere zeigt es sich bei Hemichorea und entspricht an Deutlichkeit
der Schwere der Krankheit; es schwindet beim Heilungsprozeß der Chorea
und kann dalier als Merkmal der wahren Chorea gegenüber der hysterischen
Form dienen. Da dieses Phänomen der organischen Hemiplegie eigen-
tümlich ist, so scheint die Annahme, daß die Chorea eine Affektion der
Pyramidenbahn ist, dadurch eine Stütze zu erhalten. (Bendvs.)
Nerlich (68) berichtet von einem am 11. Dezember 1866 geborenen
Anstaltsinsassen, der im Jahre 1900 wegen Sittlichkeitsverbrechens zu
schwerer Zuchthausstrafe verurteilt, dann „aber wegen angeborenen Schwach-
sinns mit Chorea" aus dem Strafvollzug in die Irrenanstalt versetzt war.
Das mit Rücksicht auf diese angeblich „angeborene" Schwäche betriebene
Wiederaufnahmeverfahren wurde von den Angehörigen aufgegeben, weil sich
nachweisen ließ, daß der Kranke bei Begehung der Tat und ebenso in den
ersten 1^2 Jahren der Strafhaft sich ganz geordnet und zweckmäßig ver-
halten und erst im August 1902 Beeinträchtigungsideen und mäßige geistige
Schwäche gezeigt hatte, die dann innerhalb zweier Jahre zu völliger Ver-
blödung fortgeschritten war.
Jones (50) teilt einen Fall von Huntingtonscher Chorea mit, in
dem sowohl die klinischen Symptome als auch der anatomische Befund zur
Diagnose einer progressiven Paralyse geführt hatten: Frau von 53 Jahren.
Vater von jeher etwas ängstlich, leicht deprimiert, erkrankte selbst an Chorea
mit 50 Jahren; Mutter hatte angeborenen Klumpfuß, war sonst gesund,
starb, 54 Jahre alt, nach Apoplexie. Eine Schwester litt an Chorea, zwei
Chorea. Tetanie, 709
Brüder starben an Tuberkulose, einer von ihnen hatte ein erregbares, im-
polaiTes Wesen. Die anderen Geschwister neigten zu etwas schwerer Lebens-
anflassimg. Die Patientin erkrankte mit 46 Jahren an choreatischen Be-
wegungen erst nur im Kopf und Gesicht, später auch der Arme, Parese des
linken Armes. Lichtstarre der Pupillen, Sprachstörung, gesteigerte Patellar-
reflexe. Psychisch zunehmende Demenz (Pat war von jeher etwas imbezill);
zanächst noch sexuelle Halluzinationen und Schwangerschaftswahn mit Selbst-
anschuldigung der ehelichen Untreue, später aufgeregt, zerreißt, sehr unruhig
und reizbar. Starke Abmagerung. Exitus nach 7jährigem Anstaltsaufenthalt.
Die Autopsie ergibt u. a. Atrophie des Gehirns, Pachymeningitis
hämorrhagica, Leptomeningitis, Hydrocephalus externus. Atrophie der Win-
dungen. Dilatation der Ventrikel. Granulierung des Ependyms. Mikro-
skopisch: Verschmälerung der Zellschichten, insbesondere- der Pyramiden
im Stimhirn.
Verf. bespricht die Pathologie der Huntingtonschen Chorea, die nach
seinen Erfahrungen eine sehr seltene Krankheit ist (bei 10000 männlichen
und weiblichen Kranken des London County Asylum zu Claybury kam
höchstens auf 3000 Fälle einer von Huntingtonscher Chorea) und hält es
für gerechtfertigt, die Huntingtonsche Chorea der Gruppe der sogenannten
Pseudoparalysen (Pseudo general paralysis) einzureihen.
V. Rntkowski (80) gibt einen kurzen Überblick über die Momente,
die eine Abtrennung der nervösen Chorea von der Sydenhamschen „infek-
tiösen" Form notwendig machen.
Hoisholt (48) gibt in seinem in der California Northern District
Medical Society am 14. Juni 1904 gehaltenen Vortrag einen kurzen histo-
rischen Uberbück über die Beziehungen der Chorea zum Veitstanz und
bespricht dann folgende psychische Stömngen bei den drei Hauptformen
der Chorea: 1. Die hysterische Geistesstörung bei der Chorea magufi,
2. das Delirium der Chorea minor, 3. die Demenz der hereditären oder
chronischen Chorea, indem er sich im wesentlichen an Kraepelins Dar-
stellung anschließt. In einer Fußnote findet sich der Hinweis, daß die
chronische hereditäre Form meist fälschlich als ..Huntingtonsche" bezeichnet
verde, während der Name des Autors Huntingdon laute. Zum Schluß
teilt Verf. 2 Fälle dieser Form mit, die beide die Besonderheit hatten, daß
die Kranken beim Gehen, ganz wie bei Paralysis agitans, in Propulsion
kamen. In dem zweiten Falle kam ätiologisch ein Trauma in Betracht.
Brower (14) berichtet über eine Diskussion in der Chicago Academy
oflledicine vom 14. Oktober 1904, die er selbst mit Bemerkungen über
Geistesstörung bei Chorea und über die von ihm angewendete Behandlungs-
methode einleitet. Es beteiligten sich weiter die Doktoren Frank X. Walls,
Henry T. Byford, William F. Waugh, James G. Kiernan, William
L. Baum, C. S. N. Hallberg mit Ausführungen über die Pathogenese der
Chorea, die Beziehungen zwischen ihr und Augen Störungen usw., ferner über
die Behandlung der Chorea, wobei von einer Seite auf die Gefahren großer
Arsenikdosen (Neuritis) hingewiesen wurde. Zum Schlüsse bespricht V. G.
Gallagher vom juristischen Standpunkt die Entschädiguugsfrage bei durch
Schreck hervorgerufener Chorea und anderen Nervenkrankheiten.
Bei der 23 jährigen Kranken Prigyesi's (38) zeigten sich chorea-
tische Erscheinungen im fünften Monate der zweiten Gravidität nebst Endo-
carditis und Temperatursteigerungen bis 39,6 ^ C. Trotz sofort eingeleitetem
Abortus artefic. Tod am dritten Tage. Hyperämie des Gehirnes und
seiner Häute, Endocarditis und puerperale Veränderungen. Keine mikro-
skopische Untersuchung. Nach F. ist die sofortige Unterbrechung der
710 Chorea. Tetanie.
Schwangerschaft angezeigt, wenn schwere zerebrale oder endokarditiscbe
Erscheinungen, Neigung zur Progression bestehen, oder der Kräfteznstand
rasch abnimmt. (Hudovemig,)
Tetaiils.
Gottschaik (43) berichtet kurz über einen Fall von Tetanie, die in
der 3. Woche nach einer normalen Geburt auftrat und in Heilung übergiof.
Beginn mit Krämpfen in einzelnen Fingern, dann 3 Stunden dauernder
Krampfzustand in Händen und Füßen; das Gesicht war verzogen; Dyspnoe
und Schweißausbruch im Gesicht; starke Schmerzhaftigkeit im Bereich des
Nervenplexus des linken Oberarms. Trousseau anfangs nur angedeutet, später
stark positiv; Chvostek negativ; später Parästhesien in den Fingerspitzen,
Zittern der Zunge und Zucken im Gesicht. Zum Schluß wirft er die
Frage auf, ob nicht in diesem Falle vom Genitalkanal herrührende toxische
Stoffe zur Schädigung des Nervensystems führten und so die Neurose be-
wirkten.
Die Tetanie ist nach Chvostek (22) eine einheitlidhe, typische Er-
krankung, der eine Funktionsstörung der Glandulae parathyreoideae zu Grunde
liegt. Dieses ist das konstitionelle Moment, das bewirkt, daß die mit dieser
Anomalie behafteten Individuen a^f verschiedene auslösende Ursachen mit
derselben spezifischen tetanischen Reaktion antworten. Die Insuffizienz der
Epitelkörper kann angeboren oder erworben, dauernd oder vorübergehend
sein. Sie kann vielleicht durch Erkrankungen dieser Gebilde selbst gegeben
sein, zum Teil durch Erkrankungen der Nachbarorgane (Schilddrüse), opera-
tive Eingriffe oder Zirkulationsstörungen an den Organen des Halses gesetzt
sein. Für die endemisch und epidemisch auftretenden Fälle können analoge
Verhältnisse als maßgebend angenommen werden wie für das endemische
und epidemische Auftreten der Struma. (Bendix.)
Baymond (77) hebt an Krankheitsfällen die Merkmale der Tetanie
gegenüber der Pseudotetanie hervor. Es gibt hysterische Kontrakturen,
die Tetanie vortäuschen, aber sich deutlich durch bestimmte Charaktere von
ihr unterscheiden. Doch begegnet man bei gewissen Individuen einem
neuropatischen, zu Krämpfen prädisponierenden Zustand, der keine Hysterie
ist, aber schwer zu diagnostizieren sein kann, so daß die Frage, ob es sich
um echte Tetanie oder um hysterische Kontraktur handelt (Pseudotetanie-
Curschmann), entstehen kann. Nach Curschmann kann sich diese
Frage bestimmt entscheiden lassen durch das Erb sehe Phänomen, welches
bei Hysterie nie vorkommt, während das Trousseausche und Chvostek-
sche Zeichen bei peripheren und zentralen Läsionen des Nervensystems, bei
Neurosen, ja sogar bei gesunden Menschen gefunden wird. (Bendix.)
Edenhuizien's (28) Fall betraf eine hochgradig neurasthenische und
psychisch sehr leicht erregbare Frau, die unmittelbar im Anschluß an eine
Magenaffektion an Tetanie erkrankte. Die Anfälle, welche anfangs nur bei
der Magenspülung auftraten, wurden später auch durch psychische Momente
hervorgerufen. Die Tetanie ging ihrer Intensität nach dem Magenleiden
parallel, verlor sich aber nach der Heilung desselben nicht völlig, sondern
nahm den Charakter der Pseudotetanie an. (Bendix.)
Fischer (34) behandelte ein neurotisches Mädchen, das über un-
bestimmte Magenbeschwerden klagte und eine kleine epigastrische Hernie
hatte. Bei der Operation fand sich an der kleinen Curvatur ein Fibrolipom,
das entfernt wurde. Am 17. Tage post operationem wurde die Patientin
von Tetanieanfallen heimgesucht, die leichter Art waren und nie mit Be-
Chorea. Tetanie. 711
waBtseinsatörangen einhergingen. Als Ursache nimmt F. eine Intoxikation
an durch Retention von toxischen Massen im Darmtraktus. (Bendia.)
MacCalllun (62) hält es für wahrscheinlich, daß, welches auch die
Quelle des toxischen Materials bei den yerschiedenen Fällen von Tetanie
sein mag, das tatsächliche Auftreten der Tetanie auf die Unzulänglichkeit
der Parathjreoiddräsen zurückzuführen ist, welche schließlich unfähig sind,
alles Gift zu neutralisieren. Möglicherweise könne in solchen Fällen durch
Verabreichung von Parathyreoidsubstanz temporäre Erleichterung geschaffen
werden, (Bendix.)
Ufßmheimer (90) hat die Beobachtung gemacht, daß die Mehrzahl
der an Tetanie erkrankten Kinder einen eigenartigen Qesichtsausdruck zeigt,
der außerordentlich abweicht von dem normaler, gesunder Kinder des
gleichen Alters. Es ist das spezifisch Kindliche aus ihren Zügen gewichen,
ond an seine Stelle ein Ausdruck wie von Nachdenklichkeit oder Sorge
getreten. Bisweilen hat der Gesichtsausdruck den Anschein eines „knifflichen,
Tenchlagenen^. Diese eigenartige Veränderung der Gesichtszüge rührt
offenbar daher, daß in den Muskeln eine gewisse Spannung, ein allerleichtester
tonischer Krampf eintritt, der den leichtesten Ausdruck dessen bildet, was
wir beim echten Tetanus als den Risus sardonicus genannten Dauerkrampf
der mimischen Muskulatur vorfinden. (Bmdix.)
Marinesoo (63) beobachtete einen Fall yon Tetanie bei einem
16 jährigen Mädchen, welches außerdem noch Erscheinungen von Basedow-
seher Krankheit zeigte. M. fuhrt die Tetanie auf Störungen in der Funk-
tion der Glandulae parathyreoideae zurück und glaubt, daß nicht nur die
motorischen Störungen der Tetanie von ihnen verursacht werden, sondern
auch gewisse eklamptische und epileptische Anfälle, ebenso wie verschiedene
spastische Zufalle von ihnen herrühren. (Bendix,)
Sohmidleoliner's (81) Fall von Tetania gravidarum betraf eine
i4jährige Frau, die 8 mal normal geboren hatte und seit dem 6. Monate
der letzten Gravidität an Tetanie erkrankt war. Am 6. Tage des Wochen-
bettes trat der Exitus ein. Von sicheren Zeichen der Tetanie waren das
Trousseausche und Ohvosteksche Zeichen vorhanden, sowie das Erbsche
Phänomen. {Bendix,)
FerenOfli (32) fand gleichzeitig bestehende Tetanie bei einer Mutter
und ihrem dreijährigen Kinde; im Anschlüsse betont F., daß die Tetanie
bei der Budapester Arbeiterklasse im Herbste und Frühjahre endemisch
aoftritt; Ursache dieser Erscheinung liege in hygienischen Noxen. Manche
Individuen erkranken 2—8 — 6 Jahre nacheinander in der Zeit November
bis April an Tetanie. (Hudovemig.)
Thimble's (89) Beobachtung betrifft einen 45jährigen Mann, der seit
Jahren an den Erscheinungen der Magenerweiterung litt und dann an Tetanie
erkrankte. Der Fall zeigte an Besonderheiten einen gegen das Ende der
(tödlich endenden Krankheit) auftretenden und jeder Behandlung trotzenden
Singoltus, femer in geistiger Hinsicht zunächst eine gewisse Erregung, später
eine zunehmende, sich bis zur Inkohärenz steigernde deliriöse Verwirrtheit.
Bezüglich der Ätiologie ist Verf. der Meinung, daß weder die toxische, noch
die reflektorische Theorie an sich genüge, während beide zusammen allen
Anforderungen entsprechen.
Btumet (17) teilt 4 Fälle mit, in denen bei Kindern von IV« bis
& Jahren Tetanie mit Gastrektasie bestand. Er ist der Meinung, daß der
stagnierende und sich zersetzende Inhalt des erweiterten Magens die Quelle
toxischer Substanzen wird, die insbesondere auf das Nervensystem wirken.
In jedem Falle von Tetanie solle man deshalb auf den Zustand des Ver-
712 Chorea. Tetanie.
dauungstraktus achten und Sorge trageu, daß nicht der Magen mit flüssiger
und gährender Nahrang überfüllt werde.
Lanz (57) hat in Bern insgesamt 30 Ziegen thyreoidektomiert. tou
denen nur ein einziges Tier au akuter Tetania thyreopriva einging, während
die anderen zum Teil Kachexie, zum Teil beinahe keine AusfallserscheinungeQ
zeigten. Im Gegensatz dazu starben von 20 in Amsterdam thyreoidekto-
mierten Ziegen 9 an akuter resp. subakuter Tetanie. Er sieht die einzige
Erklärungsmöglichkeit dieser Zahlen unterschiede in der Annahme, daß die
Schilddrüse in verschiedenen Ländern verschiedenen funktionellen Wert habe.
Nach einer kurzen geschichtlichen Einleitung, in welcher er ausführ-
licher auf die Arbeiten von Peters eingeht, beschreibt Zinn (99) 5 Fälle
von Tetanie-Star. In den 4 ersten Fällen handelt es sich um junge, sonst
gesunde Frauen von 26 bis 32 Jahren, bei welchen Diabetes, Heredität,
Trauma, vorausgegangene Augenerkrankungen sowie anderweitige Organ-
erkrankungen auszuschließen waren. Hingegen war bei allen eine schwächende
Krankheit vorausgegangen (in 3 Fällen nach Partus, in einem Typhus), an
deren Schluß bei allen Haare und Nägel vollständig oder nahezu vollständig
ausgefallen waren, ebenso hatten sie sämtlich an Krämpfen gelitten, welche
nach der von den Patientinnen gegebenen typischen Beschreibung und dem
Zeugnisse der behandelnden Arzte zweifellos Tetaniekrämpfe gewesen sind.
Zur Zeit der Spitalbehandlung waren dieselben freilich bereits vollständig
erloschen, sodaß die galvanische Erregbarkeit nicht mehr erhöht gefunden
wurde, das Trousseausche Phänomen nicht mehr nachzuweisen war. Nur
in Fall 2 waren sie bei der zweiten Aufnahme wieder in charakteristischer
Weise vorhanden. Fall 5 ist ein 22jähriger Mann, der, nachdem er mehrere
Jahre an tetanieartigen Krämpfen gelitten hatte, Haarausfall und doppel-
seitigen Katarakt bekam.
Ein in der Nachschrift mitgeteilter sechster Fall betrifft eine 41jährige
Frau und ist den obenbeschriebenen analog, nur sind hier mehrmals im
Anschluß an Krampfzustände Fingernägel und Haare ausgefallen.
Jonnesco und Grossmann (51) haben einen Fall von Tetanie
gastrischen Ursprungs beobachtet, der durch die Magenuntersuchungsbefunde
aufgeklärt und chirurgisch geheilt wurde. Der Fall be weißt, daß die Hj-per-
sekretion die Folge und nicht die Ursache der Magenbewegungsstöningen
ist. Die Art und Weise, wie in diesem Falle die Tetanieanfälle aufgetreten
(Wasserverlust durch Erbrechen und Diarrhoe) und sistiert worden sind
(Eingießungen von physiologischer Kochsalzlösung) spricht ferner zu Gunsten
der Kußmaulschen Theorie (Verdickung des Blutes und Vertrocknuug der
Nerven und Muskeln durch großen Wasserverlust des Körpers). Die Ver-
fasser neigen demnach zu der Ansicht, daß die aus der Tätigkeit der Organe
und vor allem der Muskeln resultierenden krampf erregenden Toxine in den
Körpersäften bis zu einem gewissen Grad verdünnt sein müssen, um durch
das Nierenepithel zu gehen und nach außen zu gelangen. Sind sie es aber
wegen Wasserverlust des Körpers nicht, so wenden sich ihre Wirkungen
gegen den Organismus selbst, die Tetanie erzeugend. Um von diesen Toxinen
sich zu befreien, eliminiert sie der Körper teilweise durch die Magenwand
nach außen, geradeso wie er es auf dem gleichen Wege mit dem Harnstoff
bei der Urämie tut.
Prankl - Hoch wart (37) beginnt seinen klinischen Vortrag mit
folgender Einteilung der in Betracht kommenden Fälle: 1. Tetanie der ge-
sunden jugendlichen Arbeiter (kommt hauptsächlich ror zu gewissen Zeiten
in gewissen Städten und ergreift meist junge Männer, vorwiegend Schuster
und Schneider). 2. Tetanie bei Magendarmaffektionen (insbesondere be
Lokalisierte 3Iuskelkrämpfe. 7X$
Magendilatation KuBinauI). 3. Tetanie bei akuten Infektionskrankheiten
(Typhus, Influenza, Angina usw.). 4. Die seltenen Falle nach Vergiftungen
mit eingeführten Substanzen (Ergotin, vielleicht Chloroform, Morphium,
Alkohol, Phosphor, Blei). 5. Die Tetanien der Maternität (bei Schwangeren,
Gebärenden und Säugenden). 6. Tetanie bei Schilddrüsen- (resp. Epithel-
körper-)Yerlust oder Schilddrüsenmangel. 7. Tetanie im Zusammenhange mit
anderen Nervenkrankheiten (Morbus Basedowii, Tumor, Syringomyelie usw.).
" Der epidemisch-endemische Charakter der ad 1) genannten Form, der
übrigens auch bei einem Teil der anderen Formen erkennbar ist, wird be-
wiesen durch das Ansteigen der Tetaniefälle in gewissen Monaten (März und
April), femer durch das strichweise Auftreten der Tetanie (Aussterben der
Kraakheit in Paris, Häufigerwerden in Wien). — In ätiologischer Beziehung
ist die Tetania strumipriva am dankbarsten. Durch Pin el es ist neuerdings
besonders betont worden, daß nicht der Verlust der Schilddrüse es ist, der
die Tetanie erzeugt, sondern die Ausschaltung der Epithelkörperchen. Aber
auch hier und vollends bei den anderen Formen sind wir über die Hypo-
these noch nicht hinausgekommen, die Verfasser bereits 1890 aufgestellt hat,
daß nämlich alle die sonst angeführten Ursachen nur die Disposition dar-
stellen, daß es aber zur Erzeugung der Krankheit immer eines weitereu
Agens bedürfe, welches zu gewissen Zeiten und nur an gewissen Orten auf-
trete. Auch die Veränderungen des Organismus durch die schweren Magen-
erkrankungen bilden höchstwahrscheinlich nur die disponierende Basis für
das von außen einwirkende Agens der Tetanie. — Nach einer Besprechung
der speziellen Symptomatologie erörtert Verfasser die Differentialdiagnose
besonders gegenüber der Hysterie, ferner die formes frustes, darunter die
1887 von ihm beschriebene Tetanoidie, und zuletzt die Prognose, patho-
logische Anatomie und Therapie der Krankheit.
Lokalisierte Inskelkrämpfe.
Referent: Dr. Bau mann -Breslau.
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715 Lokalisierte Muskelkrämpfe.
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Lokalisierte Muskelkrämpfe. 7X7
HalaiUe des Tics. Tic convulslf.
Sabrazes und Calmette (89) beobachteteu bei einem Blinden
einen sonderbaren Haltnngstic des linken Zeigefingers. Dieser Finger wurde
dauernd in starker Extensionsstellung gleichwie der Fühler eines Insekts
gehalten, unter dem Einfluß des Willens wurde jederzeit die normale
Haltimg eingenommen.
Babinski (5) stellt einen Fall von rechtsseitigem Spasmus des Trapezius
Tor, welcher auch im tiefsten Schlafe anhielt. Verf. ist der Ansicht, daß
dieser Spasmus peripherer Natur ist. Der gleiche Kranke zeigte beim
Schlingen und Sprechen einen Gesichtstic, den Verf. aber aus verschiedenen
Gründen nicht für peripher bedingt wie den Trapeziusspasmus sondern für
funktionell bedingt hält.
Crachet (27) behauptet, daß die Tics organischen Ursprungs im all-
gemeinen während des Schlafes weiter fortbestehen, wohingegen die Tics
funktionellen Ursprungs vollständig aufhören, sobald das Individuum ein-
geschlafen ist. Nur sehr selten findet sich ein umgekehrtes Verhalten. Verf.
schüdert darauf 2 Fälle, bei denen eine solche Abweichung von der Norm
statt hatt«. Bei dem ersten Kinde handelte es sich um einen Tic des Kopfes
und des Rumpfes, welcher nur während des Schlafes auftrat, während bei
dem zweiten Kinde die ticartigen Bewegungen des Kopfes und Rumpfes
sowohl während des Wachens als während des Schlafens sich vorfanden.
Bei beiden Kindern handelte es sich um ausgesprochen funktionelle Tics.
— Man kann die Beziehungen zwischen Schlaf und Tics in drei Gruppen
teilen: 1. der Tic besteht während des Wachens und bleibt auch im Schlafe
vorhanden. Verf. will dies als eine Folge der von ärztlicher Seite oft ver-
urteilten, im Volke aber noch festwurzelnden Sitte des Wiegens der Kinder
auffassen. 2. Der Tic, der zuerst während des Wachens und Schlafens be-
standen hat, verschwindet im Wachzustande und bleibt während des Schlafes.
Die Kinder verlieren in diesem Falle die Ticbewegungen während des Wachens
unter dem Einfluß der Erziehung; im Schlafe dagegen fallen diese er^'^orbenen
Hemmungen noch fort. 3. Der Tic besteht nur während des Schlafes, wobei
der Tic dann zu den sog. schlechten Gewohnheiten des Schlafes gehört, zu
denen unter anderem auch das funktionelle Schnarchen zu rechnen ist.
Still (102 a) gibt auf Grund von 100 Beobachtungen eine sorgfältige
Studie von habituellen Tics bei Kindern. Am häufigsten war in seinem
Material Zwinkern mit den Augen (47 Prozent). Dem kam am nächsten
in der Häufigkeit Zucken im Gesicht, sei es mit der Nase oder eines Mund-
winkels oder Stirnrunzeln; dann Werfen des Kopfes, plötzliches Heben der
Schulter. Am seltensten waren die unteren Extremitäten betrofifen. Der
Beginn des Leidens fällt am häufigsten in das 7. und 8. Lebensjahr. Die
Schilderung der Ätiologie, Behandlung und vieler Eiuzelheiten verdient im
Original gelesen zu werden. (Bratz.)
Patrick (77) beschäftigt sich in seiner Arbeit mit dem Tic im all-
gemeinen und rechnet den Tic convulsif ätiologisch und funktionell zu der
Tickrankheit hinzu. Er neigt der Ansicht zu, daß ursprünglich dem Tic
ein absichtlicher, zweckmäßiger Willensakt zu Grunde liegt, woraus sich
dann, nach Aufhören des ätiologischen Momentes die unwillkürliche Muskel-
aktion entwickelt. Da es sich meist um nervös disponierte Patienten handelt,
80 empfiehlt es sich, eine suggestive Behandlung in Verbindung mit den
Brissaudschen Muskelübungen einzuleiten. (Bendix,)
718 Lokalisierte Muskelkrümpfe.
Myotonie.
Einen Fall von erworbener Myotonie beschreibt Collins (23), der zu-
erst als Bescbäftigungsneurose imponierte, später sich aber als Myotonie
herausstellte. Myotonische Reaktion und Heredität fehlten.
Bngelen (29) bespricht einen Fall von Myotonie, der einen für die
Thomsensche Krankheit durchaus typischen Verlauf hatte. Eigenartig an
dem Fall war nur, daß die galvanische Untersuchung fast voUkommeD
normale Ergebnisse lieferte. Therapeutisch legt Verfasser außer auf die be-
kannten physikalischen Methoden besonders auf die möglichste Einschränkung
des Alkoholgenusses Wert.
Lannois (54) teilt die Krankengeschichte eines Mannes von
33 Jahren mit, bei dem zugleich Atrophieen der Bein- und Vorderarm-
muskeln und blitzartige Schmerzen in den Beinen mit Verlust der Patellar-
reflexe auftraten. Zur selben Zeit machten sich Erscheinungen von Myotonie
genau wie bei der T ho ms en sehen Krankheit bemerkbar. Eine langsame
Verschlimmerung der Symptome und eine progressive Muskelschwäche trat
bald ein, sodaß jegliche Arbeit unmöglich wurde. Daneben fand sich
myotonische Reaktion und bei der mikroskopischen Untersuchung Lästonen
wie bei der progressiven Muskeldystrophie. Verfasser zä«hlt darauf ungefähr
ein Dutzend Beobachtungen aus der Literatur auf, bei denen sich Muskel-
atrophieen zusammen mit myotonischen Symptomen vorfanden. Nach Ver-
fassers Ansicht stellen diese Fälle eine deutliche Beziehung zwischen der
Dystrophie und der Myotonie her und bilden ein gutes klinisches Argument
zu Gunsten der myopathischeu Natur der Thomsenschen Krankheit. Der
Arbeit sind zwei ausgezeichnet gelungene Abbildungen des beschriebenen
Patienten beigegeben.
V. Bechterew (ll) teilt einen Fall mit, der äoßerlich Ähnlichkeiten
mit der Myotonie darbot, aber keinerlei Erscheinungen von myotonischer
Reaktion aufwies. Der kräftige Patient zeigte äußerlich nichts Auffallendes.
Bei Versuchen aber, bestimmte Bewegungen auszuführen, treten eigentHmlicbe
Störungen ein: so kann er zwar auf Verlangen die Augenlider scfalieBen,
aber nicht öffnen und führt die Finger zu den Augenlidern, um sie so empor«
zuheben. Eine weitere Besonderheit stellt sich heraus, wenn er den Mond
öffnen soll; um das zu ermöglichen, schiebt er den Zeigefinger der rechten
Hand zwischen die Lippen und Zähne. Dann aber kann er den so geöffneten
Mund nicht ohne weiteres wieder schließen und zieht den Unterkiefer mit den
Fingern in die Höhe. Die Zunge kann er nur mühsam und unvollständig
vorstrecken. Die Finger kann er ohne Mithilfe der anderen Hand nicht
beugen. Wiederholung der Prozedur verbessert die Beweglichkeit nicht
Auch der Kopf wird nur langsam und unvollständig bewegt. Reflektorische
Bewegungen in den gestörten Muskelgebieten führen zu Muskelkontraktionen;
besonders beim Beklopfen mit dem Hammer entstehen Muskelkontrakturen.
Die mechanische Muskelerregbarkeit ist nicht konform derjenigen bei
Myotonie; es treten keine rinnenförmigen Kontraktionen hervor. Ebenso-
wenig sind die für Myotonie charakteristischen, andauernden Kontraktionen
bei faradischer und galvanischer Stromreizung vorhanden. (Bendix.)
Levi (58) kommt in seiner Abhandlung über die Myotonie zn dem
Schluß, daß der Muskeltonus, eine Funktion des sarkoplasmatischen Appa-
rates, durch seine Verstärkung das Bild der Myotonie hervorrufe. W^
Myotonie entstehe entweder infolge einer mangelhaften Entwicklung des
Muskels (Hvpergenese des Sarkoplasmas) oder durch eine toxische oder
nervöse Reizung des Sarkoplasmas. (Bmdix,)
Lokalisierte Muskelkrämpfe. 7]^ 9
Tfeomseittck« Knmklielt.
(Myotonia congenita.)
Meeus (71) yeröffentlicht einen Fall von Thomsenscher Krankheit,
deren Kenntnis in Prankreich bedeutend weniger verbreitet ist als in Deutsch-
hod. Die Besonderheiten, welche der beschriebene Fall darbot, bestanden
darin, d&8 kein einziges Familienmitglied jemals ähnliche Erscheinungen auf-
Eaweisen hatte, daß aber starker Alkoholismus des Vaters und allgemein
nenöse Belastung mütterlicherseits vorlag. Femer fehlten die wichtigsten
Seimen- und Hautreflexe, und es bestand eine für den Patienten peinliche
Schwäche und Unsicherheit.
Levi (59) kommt unter Zugrundelegung der Untersuchungen von
Botazzi und Joteyko zu folgenden Schlüssen:
Der myotonische, Symptomenkompiex wird verursacht:
1. Durch eine Überproduktion von Sarkoplasma; in den Fällen von
kongenitaler Thomsenscher Krankheit mit Muskelläsionen, wie sie von Erb,
D^jerine und Sottas beschrieben worden sind.
2. Durch eine Erhöhung der Funktion des Sarkoplasmas. Diese Über-
reizbarkeit kann an die Wirkung physiologischer Gifte geknüpft sein
(Joteyko, Tiegel), und sie kann auch abhängen von einer Läsion, die sich
auf den tonischen Apparat bezieht. Im letzteren Falle handelt es sich um
erworbene Myotonie mit verschiedenen Läsionen des Nervensystems.
Frankl-Hochwart (34 a) gibt eine kurze zusammenfassende Dar-
stellung der Lehre von der Thomson sehen Krankheit (Mann,)
HyokloBle.
Eine neue Art von kongenitalem Myoklonus mit konstantem Nystagmus
beobachteten Lenoble und Anbineatl (57) in der Bretagne. Sie unter*
scheiden folgende Typen: L Isolierter habitueller Nystagmus. 2. Habitueller
Nystagmus mit verschiedenen anderen Symptomen: Zittern des Kopfes,
Asymmetrie des Gesichts, Pupillenungleichheit. 3. Habitueller Nystagmus
mit Reflexsteigemng und epileptoider Erregung. 4. Zusammengesetzte Form
mit trophischen, vasomotorischen und Intelligenzstörungen, inklusive den
Torhergehenden Symptomen. 6. Familiäre und erbliche Form, entweder
isoliert oder in Verbindung mit den übrigen Symptomen.
Hnchard und Fiessinger (42) geben, ohne wesentlich Neues zu
bringen, eine geschickte Zusammenstellung des myoklonischen Symptomen-
komplexes nach Ätiologie, Symptomatologie, Differenzial-Diagnose und
Therapie. In dem Abschnitt über Symptomatologie referieren die Verfasser
noch einen selbst beobachtete>n Fall, bei dem der Myoklonus einzig und
aUein auf den musc. tensor fasciae latae beschränkt war.
Hecht (40) gibt zunächst eine historische tlbersicht über die Klassi-
fiaerung des Myoclonus multiplex und gebt dann zu einer Schilderung der
Pathogenese und der nosologischen Stellung dieser Krankheit über. Einzel-
heiten müssen im Original nachgelesen werden. Zum Schluß referiert er
einen selbst beobachteten Fall von Myoclonus multiplex, welche Bezeichnung
er mit Hunt für die Formen von Myospasmus reserviert wissen will, welche
durch multiple, isolierte Kontraktionen zusammengehöriger Muskeln
charakterisiert sind.
Bobitschek (87) narkotisierte einen an Paramyoclonus multiplex
leidenden Soldaten mit Billrotscher Mischung (Chloroform-Äther 1:2).
Nach 3 g Betäubungsflüssigkeit und nach Ablauf einer Minute schlief der
720 Lokalisierte Muskelkrämpfe.
Patient, die klonischen Zuckungen dauerten weiter und wurden heftiger.
Nach 7 g«ist völlige Narkose eingetreten, die klonischen Zuckungen sistierten.
Nach weiteren fünf Minuten waren das Bewußtsein und die Korneal-Reflexe
noch erloschen, die Zuckungen begannen wieder und zwar mit wachsender
Intensität. Hieraus schließt Verfasser, daß die Pathogenese möglicherweise
im Ktickenmark zu suchen sei, indem er annimmt, daß die Narkose bei der
Hirnrinde beginnt, dann allmählich aufs Bückenmark übergeht und denselben
Weg, den sie gekommen, auch zurückgeht. Die auffallend geringe Quantität
von Betäubungsflüssigkeit spricht für die Annahme einer hochgradigen
Asthenie der cerebrospinalen Zentralorgane des Patienten. Die Annahme
jedoch, daß das ganze Krankheitsbild der cerebrospinalen Neurasthenie an-
gehöre, läßt sich nicht vollkommen von der Hand weisen.
Beschaftlgungsnenrosen.
Kouindjy (51) faßt die professionellen Krämpfe (Schreibkrampf,
Krampf der Klavier- und Violinspieler usw.) als eine ataktische Koordinations-
störung auf, die in genau der gleichen Weise wie die lokomotorische Ataxie
der Tabiker in Erscheinung tritt. Der Schreibkrampf tritt viel häufiger bei
Personen auf, die sich bei ihrem Schreiben geistig betätigen, als bei Menschen,
die einfach kopieren. Die Affektion ist meistens sowohl zentralen als peri-
pheren Ursprungs, jedenfalls sei es schwer, den Anteil jeder dieser beiden
Ursachen zu bestimmen. Der größte Teil der Arbeit ist der Therapie der
Berufskrämpfe, speziell des Schreibkrampfes, gewidmet. Die verschiedensten
Versuche, wie Elektrisieren, Ruhe, mediko-mechanische Apparate, Massage,
selbst Tenotomien haben fast nie zu einem nennenswerten Erfolge geführt.
Verf. führt sodann seine eigene Metliode näher aus, die in methodischer
Massage, bewegungstherapeutischen Übungen und in Wiedererlernung der
Handschrift besteht. Für die Massage gelte das Hauptprinzip: Die h)'po-
tonischen Muskeln (Extensoren) massieren, die hypertonischen (Flexoren)
in B-uhe lassen. Die Bewegungsübungen bestehen in Übungen mit Gewichten,
Stäben, Kugeln usw. Die Wiedererlernung der Schrift beginnt Verf. so,
daß Pat. schreiben lernen muß, indem die Dorsalfläche der Hand auf dem
Schreibpult aufliegt. Dadurch sollen die Extensoren an Tätigkeit gewöhnt
und die Flexoren entlastet werden. Diese Behandlung wirke nicht nur durch
Verminderung bezw. Beseitigung der Ataxie, sondern auch suggestiv (wahr-
scheinlich wohl nur in letzterem Sinne. Ref.). Auch dem Eintreten von
Rezidiven soll durch die beschriebene Behandlungsmethode vorgebeugt werden.
Curschmann (28) teilt einen Fall mit, bei dem in einem TeU der
Vorderarmhandmuskeln, nämlich den Streckern, Paresen und ihren Anta-
gonisten und zwar nur in diesen Myotonie mit ihren typischen Symptomen
bestand. Sonst fand sich nur auf der Zunge typische myotonische Dellen-
bildung mit Nachdauer der Kontraktion bei mechanischer Erregbarkeit Die
Paresen der Strecker waren die Folge einer Beschäftigungsneurose. Verf.
ist nun der Ansicht, daß hier der reflektorische Reiz, der die Antagonisten
der Strecker infolge der Parese der letzteren traf, den Ausbruch der Myotonie
bei einem latent myotonischen Individuum auslöste. Einen gleichen Fall
hat Verf. in der Literatur nicht nachweisen können. Auch in puncto Ätiologie
(Beschäftigungsneurose) nimmt der geschilderte Fall eine Sonderstellung ein;
nur JoUy beobachtete einen ätiologisch ähnlichen Fall. Die Tetanie schließt
Verf. aus differenzialdiagnostisch wegen des Fehlens von tetanischen Bewegungs-
störungen, von elektrischer Übererregbarkeit der übrigen motorischen und
sensiblen Nerven und wegen des fehlenden Trousseauschen Phänomens,
Lokalisierte Muskelkrämpfe. 721
obwohl das Chvosteksche Facialisphänomeu vorhanden war. Die Sehnen-
reflexe fehlten überall, was Verf. aber nicht auf ein komplizierendes Nerven-
leiden zurückführt. Das elektrische Verhalten der myotonischen Muskeln
entsprach im wesentlichen dem Typus der Erbschen Keaktion.
Bonmis (13) beobachtete bei einer 50 Jahre alten frommen Schwester
das gleichzeitige Vorhandensein von Schreibekrampf und Akzessoriuskrampf.
Von Hause aus sehr leicht erregbar, ängstlich und furchtsam, über-
aostrengte sich die intelligente Schwester beim Unterricht und ümherreisen
häufig nnd fühlte sich meist übermüdet und schwach. Nach einem Influenza-
anfall stellte sich nach dreiwöchentlichem Krankenlager eine Schwäche der
Hand beim Schreiben ein und blieb mit Kemissionen jahrelang bestehen,
sodaB sie nur ganz langsam schreiben konnte und unter dem Eindruck stand,
nicht schreiben zu können. Sieben Jahre darauf bekam sie nach einer
Inspektionsreise Schmerzen im Nacken, besonders rechts, und mußte, um
die Schmerzen erträglicher zu gestalten, den Kopf nach links drehen. Nach
einiger Zeit bemerkte sie, daß sich der Kopf von selbst bei der geriagsten
Bewegung nach links drehte. B. erzielte durch suggestive und gymnastische
Behandlung eine Besserung des Schreib- und Akzessoriuskrampfes und glaubt,
daß auch der Schreibekrampf auf einen seelischen Faktor zurückzuführen sei.
(Bendix.)
Kontrakturen.
Knapp (48) schildert nach Angaben der einschlägigen Literatur vier
selbstbeobachtete Fälle mit funktioneller Kontraktur der Halsmuskeln, bei
denen anamnestische Angaben und ein zufälliges Zusammentreffen einer
Beule auch für organische Erkrankungen charakteristischer Symptome dazu
fahren konnten, eine organische Gehirn- bezw. Wirbelerkrankung zu diagno-
stizieren. Eine sichere Entscheidung läßt sich jedoch stets treffen, wenn es
gehngt, bei abgelenkter Aufmerksamkeit die Kontraktur vorübergehend zu
beseitigen oder sie durch Suggestion zum Verschwinden zu bringen. Diffe-
renzialdiagnostisch muß man eine Meningitis, einen Tumor bezw. Abszeß,
die reflektorische und accidentelle Nackenkontraktur bei Wirbelkaries, eine
Occipitalneuralgie und eine rheumatische Affektion der Halsmuskeln ans-
chließen. Ätiologisch kommt der hysterische Genickschmerz, ein Trauma,
eine psychische Ursache oder wenigstens eine neuropathische Veranlagung
in Betracht Die Therapie ist ausschließlich suggestiver Natur.
Babinski (4) beschreibt einen Fall, bei dem im linksseitigen Facialis-
febiet kurze klonische Kontraktionen auftraten, die schließlich zu einem
.spastischen Zustand führten, der einige Sekunden anhielt. Spontan konnten
diese Zuckungen nicht nachgemacht werden. Die drei Hauptcharakteristica
dieses spastischen Zustandsbildes waren eine konkave Einbiegung der Nase,
die Entstehung eines Kinngrübchens und eines paradoxen Zusammenwirkens
einzelne^ Muskelbündel. Außerdem bestanden noch Symptome (z. B. links-
jwitige Atrophie der Zunge, Parese des rechten Stimmbandes, Schwindel usw.),
die Verf. dazu bewogen, eine bulbäre Störung anzunehmen. Im Gegensatz
zu Brissand, welcher als Ursache für derartige klonische Spasmen die
Reizung itgend eines Punktes innerhalb eines Reflexbogens annimmt, glaubt
Babinski, als Ursache nur eine Reizung im motorischen Nerven bezw.
dessen Kern (also hier im Facialis oder dessen Kern) annehmen zu dürfen.
Bei einem Manne mit Dupuy trenscher Erkrankung fand Perrero (78)
bei der Obduktion im Cervikalmark ausgedehnte Läsionen um den Zentral-
)uiDal (Syringomyelitische Prozesse). Er schließt sich auf Grund dieser
Beobachtung der Theorie an, die die Dupuytren sehe Erkrankung auf nervöse
Jahresbericht f. Neurologie und Psychiatrie 1905. ^
722 Morbus Basedowii, Myxödem, Kaynaudsehe Ej-ankheit,
Störungen zurückführt Durch den Prozeß im Rückenmark werde eine
Unterbrechung des spinalen trophischen Beflexbogens yeruxsacht.
(Merzbacher.)
Einen Befund deryolikommen dem von Ferrero erhobenen entspricht,
konnte Testi (104) im Rückenmark (in weicher Höhe? [Ref.]) eines
60jährigen Mannes feststeilen. Besonders beachtenswert erscheint an dem
Falle der Umstand, daß zwei Brüder des Kranken an derselben Erkrankung
litten; bei beiden war das anatomisch-pathologische Substrat ein ähnliches
wie bei dem zuletzt zur Sektion gekommenen Fall. (Merzbacher,)
Lewandowsky (62) erklärt die hemiplegische Kontraktur nicht durch
den Fortfall einer Henmiung (Mann), sondern er glaubt, daß, solange eine
Kontraktur besteht, dauernd hemmende Erregungen den Großhimzentren der
antagonistischen Muskeln zugehen ; also nicht ein Fortfall der Hemmung sei
Ursache der Kontraktur, sondern eine dauernde Hemmung der antagonistischen
Muskeln durch die Kontraktur. (Bendix.)
Bemak (84) erörtert in einer klinischen Vorlesung in übersichtlicher
Weise das ganze Gebiet der lokalisierten Muskelkrämpfe unter Berück-
sichtigung der neuesten Arbeiten. (Bendlx.)
Morlins BasedowU, Myiödem, Raynaadsche Krankheit Angio-
Trophonenrosen, Akroparästhesien, Erythronelalgie, SUerotoiii,
Akrofflsgalie, Gigantismos und verwandte Znstande.
Referenten: Priv.-Doz. Dr. R.Cassir er- Berlin und Dr.O. Maas-Berlin.
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269. Zondek, M., Beitrag zur Lehre vom Riesenwuchs. Archiv für klinische Chirargie.
Band 74. Heft 4.
Basedowsche Krankheit.
CoUins und Robbins (39) geben zuerst eine IJbersicht über die ältere
Literatur der Krankheit, erwähnen, daß die erste Beschreibung derselben
von Hillier Parry aus dem Jahre 1786 stammt, die jedoch erst nach
des Verfassers Tode im Jahre 1825 publiziert wurde und zitieren dann
die wichtigsten Arbeiten, denen wir die Kenntnis der bei uns als Basedow-
sche, in England als Gravessche bezeichneten Krankheit verdanken; ah
solche betrachten sie namentlich die Arbeiten von Adelmann, Demoars,
Brück, Pauli, Morsh, Koeben, von Gräfe, Chvostek, Eulenburg,
Stellwag und Moebius. Dann besprechen sie eingehend die zahlreichen
Theorien, die zur Erklärung der Krankheit aufgestellt wurden, sowie die
Resultate der in neuerer Zeit in Aufnahme gekommenen Serumbehandlong,
die von Moebius angeregt wurde. Aus dieser Übersicht geht jedenfalls das
zweifellos hervor, daß ein abschließendes Urteil über den Wert der Methode
noch nicht möglich ist. Im Anschluß daran gehen die Verfasser auf ihre
eigenen Beobachtungen ein, die sich auf 100 Fälle erstrecken; sie betonen
selbst, daß sich aus diesen in bezug auf Pathologie und Symptomatologie
wenig neues ergebe. In einem sehr großen Prozentsatz ihrer Fälle fanden
sie neuropathische Disposition. Als sehr wahrscheinlich sehen sie Be-
ziehungen der Krankheit zu den Geschlechtsfunktionen an. Die Behandlung
bestand meist in Darreichung von Akonitin, Galvanisation der Schilddrüse,
Bettruhe zur Kontrolle der Herzaktion, Hydrotherapie, Kalomel und SaloL
um Gärungen im Harn zu hindern. In einem besonders schweren Fall
wurde mit der Milch einer Ziege, der die Schilddrüse operativ entfernt
worden war, und später mit Moebiusschem Serum, intern und subkutan,
wesentliche Besserung erzielt. In einem anderen Fall wurde mittels Merck-
Angio- und TrophonearoMn, Akroparasthesien, Erythromelalgie usw. 73]^
sehen Schilddr&sen&emms imd den gewöhnlichen hygienischen Mafiregeln
völlige Heilung erzielt. In einem weiteren Fall, dessen Behandlung noch
nicht abgeschlossen ist, führten Parathyroidintabletten zu weitgehender
fiessemng^ während Thymustabletten in einem anderen^ in dem zuvor auch
Schilddrüsentabletten ohne Erfolg geblieben waren, keine Besserung be-
wirkten; von chirurgischer Behandlung haben die Verfasser keinen Erfolg
(flehen.
Stein (233) sieht die Basedowsche Krankheit als Folge einer
chronischen Degeneration der Schilddrüse an und glaubt, dafi toxische, Ton
der Schilddrüse abgeschiedene Produkte das Krankheitsbild herrorrufen.
Als Hauptbeweis dafür sieht er die Erfolge der Behandlung mittels Anti-
thyreoidinserums an, die auch Verfasser in mehreren Fällen erzielte. Er
rät, 2 mal täglich 15 Tropfen des Merckschen Serums intern zu ver-
abreichen, und je nach dem Fall bis 2 mal täglich 60 Tropfen zu steigen.
In 2 Fällen hat Verf. auch mit der Milch entkropfter Ziegen gute Resultate
erzielt Zum Schluß erwähnt Verfasser, daß er 2 mal als Initialsymptom
Odem der Augenlider beobachtete, das eine Mal sogar anfangs einseitig,
nnd im Anschluß daran Doppelsehen; in einem weiteren Fall sah Verf.
häufige Pollutionen.
Peters (195) hat in zwei Fällen von Behandlung mit Mercks Anti-
thyreoidin Besserung der Symptome bei Basedow gesehen.
Hoennicke (Hl) bat 3 mal durch langdauemde Fütterung mit
Binderschilddrüsensaft bei Kaninchen die Symptome der Basedowschen
Krankheit herrorgebracht, und faßt daher die B.'sche Krankheit als reine
Hjperthyreosis auf; deshalb glaubt er^ daß das „ zuviel ^^ an Schilddrüse
entfernt werden müsse, und da nach seineu Beobachtungen 20 g das Durch-
schnittsgewicht der Schilddrüse ist, so rät er, dieselbe operativ bis auf dieses
Gewicht zu reduzieren, doch dürfte man auch nicht zuviel entfernen, da
es sonst zu den bekannten Störungen kommt. In der Diskussion zu diesem
Vortrag tritt Friedrich auf Grund eigener Beobachtungen warm für die
operative Behandlung der Basedowschen Krankheit ein; er • glaubt
aber, daß der Vorschlag H.'s, soviel von der Schilddrüse zurückzulassen,
als deren normalem Volumen entspricht, undurchführbar sei, da das ent-
scheidende nicht das gesamte Volumen der Drüse, sondern die erhöhte
Funktion der einzelnen Drüsenzelle sei. Minkowski schließt sich der Auf-
fassung des Vortragenden an, daß die Basedowsche Krankheit auf Störung
der Schilddrüsenfunktion zurückgeführt werden müsse. In bezug auf das
Zastandekommen der verschiedenen Organstörungen hat er aber etwas ab-
weichende Vorstellungen.
Hirsch (108) gibt zuerst eine sehr übersichtliche Darstellung der
vielen Theorien, die zur Erklärung der B.'schen Krankheit aufgestellt
wurden, sowie der vielen Behandlungsmethoden, von denen keine sichere
Erfolge hatte. Als feststehend betrachtet Verf. nur, daß ein Reizzustand
des Nervensystems vorliegt, daß es aber ungewiß sei, ob dieser die Scbild-
drüsenveränderungen hervorrufe, oder ob umgekehrt die Schilddrüsenkrank-
hcit das Nervensystem beeinflusse. Verfasser weist dann weiter darauf
hin, daß sich auch bei Herzklappenfehlern in einem gewissen Prozentsatz
der Fälle Strumen finden, und nimmt an, daß „Herzkrankheiten an sich,
also Vitium und essentielle Tachycardie Morbus Basedowii hervorrufen
können. Als wichtigstes Moment in der Behandlung der Basedowschen
Krankheit sieht er die Beeinflussung des Herzens an. Die Resultate der
Serumbehandlung sowohl wie die Operation (Strumektomie und Sympathikus-
resektion) hält er nicht für genügend sicher, um sie anraten zu können.
733 Morbus Basedowii, Myxödem, Raynaudsche Krankheit,
Während Digitalis nach seinen Erfahrungen im Stiebe läßt, sah er gute
Erfolge von Strophantus mit Valeriana, Bromkali, salizylsaurem und phos-
phorsaurem Natron, vor allem aber von kohlensauren Bädern.
Tucholake (248) berichtet über einen Basedowkranken, dem Verf.,
nachdem die Behandlung mit Strophantus und Böntgenbestrahlung ohne
Resultat geblieben war, einen Teil der Schilddrüse operativ entfernte.
Patient wurde völlig geheilt. Verfasser bespricht dann die Beziehungen
zwischen Schilddrüse, Hypophysis und Nebennieren, femer kurz die Ter-
schiedenen Behandlungsmethoden; von der Besektion des Ganglion cervieale
rät er ab; falls die interne Behandlung versagt, empfiehlt er die partielle
Strumektomie.
Jones (128) hat einen Fall von Basedow mit Bädern, gymnastischen
Übungen und hauptsächlich einer Trinkkur von Llangamarch'schem
Wasser behandelt; dem Bariumchlorid, das in diesem enthalten sei, schreibt
Verfasser den Erfolg zu.
Hnmphry (118) hat in zwei Fällen von Basedowscher Krankheit,
die zum Exitus kamen, die glandulae parathyreoideae mikroskopisch unter-
sucht; beidemal fand sich ausgedehnte Fettinfiltration der Drüsen; das Fett
lag zwischen den Drüsenzellen, die zum großen Teil zu Grunde gegangen
waren; in einem dritten Fall fand sich ebenfalls Fettinfiltration der gland.
parathyreoideae, die aber nicht so weit vorgeschritten war, wie in den
beiden ersten, in einem vierten Fall, in dem eine gland. parathyreoidea zu-
sammen mit einer Schilddrüse bei einem Basedowkranken operativ entfernt
worden war, fand sich zwar keine Fettinfiltration, doch machten die Zellen
keinen normalen Eindruck.
Verfasser hat dann zum Vergleich die gl. parathyreoideae bei 18 an
verschiedenen Afifektionen gestorbenen Kranken untersucht; bei 12 Fällen
unter 50 Jahren fand er nur einmal Fettinfiltration, bei 6 Fällen, die
zwischen dem^, 50. und 72. Jahr sich befanden, hatten 4 deutliche Fett-
infiltration, Über die Bedeutung seiner Befunde drückt sich Verfasser sehr
vorsichtig aus; jedenfalls glaubt er, daß die gl. parathyreoideae selbständige
wichtige Organe sind und nicht nur kompensatorisch für die Schilddrüse
eintreten.
Shattock (223) hat ebenfalls bei einem Fall von Basedowscher
Krankheit die gl. parathyreoideae untersucht und fand an ihnen außer
ziemlich reichlichen Fettzellen nichts, was als pathologisch gedeutet werden
konnte; die gleiche Fettinfiltration hat Verfasser auch bei anderen Kranken
in den gl. parathyreoideae beobachtet. — Femer gibt Verfasser kurz den
mikroskopischen Befund an der Schilddrüse seines Falles an.
Mackenzie (157) bespricht zuerst die Pathologie der Basedowschen
Krankheit; bei der mikroskopischen Untersuchung soll die Schilddrüse
charakteristische Veränderungen darbieten, und zwar sollen die Drüsenzellen
in charakteristischer Weise verändert und das sonst in der Drüse sich
findende Kolloid durch eine schleimige Substanz ersetzt sein. Die Ver-
änderungen der Schilddrüse hält er für die gleichen, die Edmunds nach
Entfernung des größten Teils der Drüse an dem zurückgelassenen Best bei
seinen Versuchstieren beobachtete, und die Edmunds als kompensatorische
Hypertrophie gedeutet hat. Er erwähnt dann weiter die Versuche, die
gland. parathyreoideae zu exstirpieren, was den Tod der Versuchstiere
unter Erscheinungen zur Folge hat, die der Basedowschen Krankheit
ähneln. Verfasser glaubt, daß auch diese Drüsen zur Basedow-
schen Krankheit Beziehungen haben. Große Bedeutung für die Pathologie
dieser Krankheit mißt er auch der Persistenz und häufig auch Hypertrophie
Ängio- und Trophoneurosen, Akroparästhesien, Erythromelalgie usw. 733
der Thymus bei. Die in der Medulla zuweilen gefundenen Veränderungen
hält er für unwesentlich. Die B/sche Krankheit sieht er als Folge über-
mäBiger Tätigkeit der Schilddrüse an, das Myxödem als Folge verminderter
Tätigkeit und ihre ungenügende Entwicklung als Ursache des Kretinismus.
Verfasser gibt zu, daß wir nichts darüber wissen, was die übermäßige
Tätigkeit der Drüse bedingt. Im Anschluß daran beschreibt er die Sympto-
matologie und Behandlung: hauptsächlich empfiehlt er von Medikamenten
Brom, Jod, Belladonna, Phosphor. Schilddrüsenpräparate sollen im all-
gemeinen schädlich sein, doch hat Verfasser zuweilen, in veralteten Fällen,
gutes von ihnen gesehen, weil, wie er meint, die Schilddrüse zu wenig
Sekret lieferte. Thymus-, Milz- und Hypophysisextrakt waren ohne Wirkung;
ebenso hatte er vom Moebiusschen Serum keinen Erfolg, desgleichen von
elektrischer Behandlung. Die chirurgische Behandlung glaubt Verfasser
trotz mancher Erfolge derselben nur in Ausnahmefällen empfehlen zu sollen,
da dieselbe oft direkt den Tod des Patienten herbeigeführt.
Mnrray (178) hat 180 Fälle von Basedowscher Krankheit beob-
achtet; er berichtet eingehend über die bei diesen beobachteten Symp-
tome; seine Beobachtungen stimmen in den wesentlichen Punkten mit denen
anderer Autoren überein; als Behandlung empfielt er in schweren Fällen
Bettruhe; gute Erfolge sah er von lange angewendeter Faradisation der
Schilddrüse. Von dem Merckschen Serum sah er in den wenigen Fällen,
in denen er es anwandte, keinen Nutzen, bei einem Fall, den er mit Rodagen
behandelte, stellten sich wiederholt schwere Kollapszustände ein. Auch der
Versuch des Verfassers, ein Antithyreoidinserum herzustellen, indem er
Versuchstiere einige Zeit mit Schilddrüsen fütterte oder ihnen Schilddrüsen-
saft einer anderen Tierart injizierte und dann das Blutserum dieser vor-
behandelten Tiere Patienten, die an Basedowscher Krankheit litten, in-
jizierte, führten nicht zu wesentlichen Erfolgen.
Operationen bei Basedowscher (partielle Entfernung der Struma) sah
Verfasser nur zweimal; beidemal starben die Patienten nach einer Stunde.
Zeitner (266) beschreibt bei Basedowscher Krankheit das Musset-
sche Zeichen, d. h. rhythmische pulsatorische Kopf bewegungen, ein Symptom,
das zuvor bei Aortenaneurysma, Aorteninsuffizienz und diffuser Arterio-
sklerose beobachtet worden ist; Verfasser führt das Symptom darauf zurück,
daß die starke systolische Erweiterung der großen Arterien eine Baurn-
beengung in der Unterkiefergegend bewirkt, die zu einem Ausweichen des
Kopfes nach oben führt; in der Diastole soll dann der Kopf infolge seiner
Schwere wieder zurücksinken.
Oswald (190) bespricht die Pathologie der Basedowschen Krank-
heit, er weist darauf hin, daß bei dieser Krankheit der Verbrauch an Eiweiß
wie an stickstofffreier Substanz stark erhöht ist; da nun ein Einfluß von
Schilddrüsenpräparaten in dieser Richtung festgestellt ist, so folgert Verf.,
daß eine gesteigerte Sekretion der Schilddrüse die Ursache dieses Mehr-
verbrauchs sei. Femer erörtert er die Beziehungen zwischen Base-
dowscher Krankheit und einfachem Kropf. Er weist darauf hin, das so-
wohl in chemischer wie anatomischer Beziehung die Basedowstrumen keine
sicheren Unterschiede von gewöhnlichen Kröpfen erkennen lassen; auch die
Tatsache,, daß zwischen einfacher Struma und Basedowscher Krankheit
klinisch Übergangsformen vorkommen, d. h. bei einfachen Strumen ein oder
das andere Basedowsche Symptom, spräche für die Beziehungen zwischen
Schilddrüse und Basedowscher Krankheit. Die Auffassung, die Verfasser
von der Basedowschen Krankheit hat, weicht nur insofern von der
Maebius' ab, als dieser angeblich einfach eine vermehrte Produktion von
734 Morbus Basedowii, Myxödem, ßaynaudsclie Krankheit,
Schilddrüsensekret annimmt (? lief.), Oswald dagegen die „Überschwemmung
des Organismus mit minderwertigem, insuffizientem Schilddrüsensekret". —
Als Folge der pathologischen Funktion der Schilddrüse sieht Verf. die bei
Basedowscher Krankheit beobachteten Sympathikussymptome an; die ältere
Anschauung, daß die Sympathikussymptome auf mechanischen Druck ?on
Seiten der Struma zurückzufuhren seien, bekämpft er.
Im Sinne seiner Theorie verwertet Verfc auch die Erfolge der opera-
tiven Behandlung der Basedowschen Krankheit sowie der Behandlung mit
Schilddrüsenpräparaten.
Mac Callmn (156) beschreibt die Veränderungen, die er bei der mikro-
skopischen Untersuchung von 28 Basedowkröpfen nachgewiesen hat« Nach
seiner Meinung haben die von ihm beobachteten Veränderungen die größte
Ähnlichkeit mit denjenigen, die von Halsted als kompensatorische Hyper-
trophie aufgefaßt wurden; an den glaudulae parathyreoideae wurden keine
wesentlichen Veränderungen gefunden.
Salmon (217) bespricht kurz die Beziehungen zwischen Hypophysis
und Schilddrüse und glaubt der ersteren für die Pathologie der Base*
dowschen Krankheit eine wesentliche Bedeutung zuerkennen zu müssen.
MiQSOWicz (167a) beschreibt folgenden Fall von Basedowscher
Krankheit mit Muskelatrophie und myxödematösen Veränderungen an den
Beinen. Das 24jährige Mädchen erkrankte vor 2 Jahren mit allgemeioer
Nervosität, Schwäche, Diarrhöe, SchweiBausbrüche. Dann Struma, Zittern
der Hände, Herzklopfen, allgemeine Mattigkeit. Status: Exophthalmus,
Struma, Tachykardie usw. Atrophie der Muskulatur der oberen Ebctremitäten,
speziell m. m. pectoralis, deltoideus, cucullaris, supra-, infraspinatus, triceps. Die
Muskulatur der Vorderarme und der biceps zeigen keine Atrophien. Dagegen
Atrophie des hypothenar besonders links. Aktive Bewegungen abgesdiwächt
Nirgends EaB,, nur* quantitative Abschwächung der elektrischen Erregbar-
keit. Keine fibrilläre Zuckungen. Bodagen während einiger Wochen. Kein
Einfluß auf die Kardinalerscheinungen, subjektiv besser. Es zeigen sich
nun an den Fußgelenken Hautverdickungen. Dann Sympathikusgalvanisation.
Abnahme der Struma und der Tachykardie. Im weiteren Verlauf Ve^
dickung der unteren Extremitäten von den Knieen nach unten (Haut-
verdickung). Antithyroidinbehandlung. Exophthalmus geringer. Verf. meint,
daß es sich in diesem Fall um eine Muskelatrophie handelt, die am meisten
an die spinale Muskelatrophie erinnert. Die Verdickungen der Haut an den
Beinen stellen keine oedemata cirkumskripta dar, sondern gehören zu der
Kategorie der myxödematösen Störungen. (Flaiau.)
Myxödem.
Foster (73) beschreibt unter dem Titel Myxödem nach Basedowscher
Krankheit einen Fall, der anscheinend 18 Jahre an Basedowscher Krank-
heit (verdickter Hals, „geschwollene^ Augen, Zittern der Hände, Herz*
palpitationen) gelitten hatte; dann stellten sich folgende Symptome ein: die
Haut wurde trocken und schälte sich ab, das Haar wurde spröde und fiel
großenteils aus, die Herzpalpitatiouen nahmen zu, und der ganze Körper
schwoll an; zugleich traten psychische , Symptome auf, Suiddalideen und
Vergeßlichkeit; am quälendsten waren Übelkeit und häufiges Erbreche».
Bei der Untersuchung war jetzt weder Exophthalmus noch Struma nach-
weisbar, aber Tremor und Fulsbeschleunigung, Ödem der Füße, gesteigerte
Kniepbänomene. Eine wesentliche Besserung der Beschwerden trat wibroid
der Beobachtung durch den Verf. nicht auf. Da die Fütterung mit Schild-
An^o- and TrophoneoroseD, Akropaiüatheüenf £rythromelalgie usw. 735
drosenpri^araten keinen weBentlichen Erfolg herbeiführte, so meint Verf.,
daß beim Myxödem — als das er den Fall auffaßt — nicht nnr ver-
minderte Funktion der Schilddrüse, sondern aach eine krankhafte Funktion
derselben besteht.
Argutinsky (6) beschreibt einen Fall von Myxödem, das er als an*
geborenes auffaßt, da die ersten Symptome schon im Alter von 3—4 Monaten
zur Beobachtung kamen: Apathie, abnorm großer Kopf, und ungewöhnlich
dicker Körper. Noch im Alter von 3 Jahren 8 Monaten konnte Patient
nicht gehen, die ersten Zähne bekam er im 4. Jahr. Bei der Untersuchung
im Alter von 3 Jahren 8 Monaten fiel auf, daß Patient sehr dick und klein
(68 cm statt 95 cm) war, daß er die dicke Zunge permanent herausstreckte,
da£ die wenig dichten Haare trocken und glanzlos waren, und daß Patient
nach psychisch nicht normal war: er ist apathisch, spricht nicht und muß
stets gefüttert werdeu.
Nach 17t jähriger Schilddrüsenbehandlung (0,05 g glandulae thyreoid.
siccatae 2 mal täglich, anfangs bedeutend mehr nach allmählicher Steigerung)
w&r sowohl in somatischer wie in psychischer Beziehung eine weitgebende
Besserung eingetreten. — Verfasser bespricht dann noch ein Symptom, das
sich ebenfalls wesentlich besserte, abnormer Tiefstand des Nabels, ein
Symptom, das Verfasser auch auf der Photographie bei vielen anderen Fällen
ron angeborenem Myxödem beobachtete« Verfasser weist schließlich noch
darauf hin, daß anzunehmen ist, daß das Fehlen der Schilddrüse schon vor
der Geburt seinen Einfluß auf die Entwicklung ausübt.
Obregia, Parhon und Florian (186) beschreiben einen Fall von
kindlichem Myxödem, bei dem die ersten Symptome im Alter von 4 Jahren
bemerkt wurden und das im Alter von 12 Jahren zur Beobachtung kam;
die Behandlung mit Schilddrüsenpräparaten bewirkte, daß das Kind in drei
Monaten von 1,13 m bis zu 1,185 m wuchs, auch war das Kind dünner ge-
worden, die Infiltration des Unterhautfettgewebes hatte abgenommen, eine
weitgehende psychische Besserung war eingetreten. Die Verff. besprechen
dann femer die Pathologie des Myxödems, sie glauben das geringe Wachstum
bei dieser Krankheit so erklären zu können, daß sie der Schilddrüse die
Eigenschaft zuschreiben, das Calcium im Körper zurückzuhalten; fehle die
Schilddrüsenfunktion, wie sie das beim Myxödem als sicher annehmen, so
leide alao die Knochenbildung, und daher könne der Körper nicht wachsen.
Die Störung der Calciumassimilation soll auch die Störungen des Haar-
wuchses erklären« Zum Schluß weisen die Verff. noch darauf hin, daß eine
Beihe von Punkten in der Pathologie des Myxödems noch durchaus zweifel-
haft ist. so die nervösen Störungen und diejenigen des Zirkulationsapparates.
Hon^ardy und Längstem (113) haben bei einem Kinde, das an
infantilem Myxödem litt, Stoffwechselversuche angestellt, und zwar zuerst,
während keine Behandlung des Kindes stattfand, und dann in einer zweiten
Periode, während das Kind mit Thyreoidin gefüttert wurde; von den Besul-
taten sei erwähnt, daß die Stickstoffbilanz keinen wesentlichen Unterschied
ergab, in beiden Versuchsreihen wurde die stickstoffhaltige Nahrung vor-
züglich ausgenützt; beide Male wurde der größte Teil des Stickstoffs als
Harnstoff ausgeschieden. Während der Thyreoidinperiode war die Phosphor-
ansscbeidung erhöht, doch wollen die Verff. keine sicheren Schlüsse daraus
sehen. In bezug auf den Kalkstoffwechsel war eine geringe Ketention von
Kalk in der unbeeinflußten Periode bemerkenswert, während in der Thyreoidin-
periode die Kalkretention stark anstieg.
Hunt (119) berichtet über einen Fall von Myxödem, der mit Tuber-
kidoee der Nebennieren verbunden war» was sich aber erst bei der Sektion
736 Morbus Easedowii, Myxödem, Raynaudsche Krankheit,
herausstellte; klinisch hatte sich die Erkrankung der Nebennieren nicht
bemerkbar gemacht. Das Myxödem, dessen Symptome sehr deutlich waren,
hatte nach vierjährigem Verlauf zum Tode geführt. Die anatomische Untei>
suchung ergab makroskopisch und mikroskopisch weit vorgeschrittene Atro-
phie der Schilddrüse, leichte Vergrößerung der Hypophysis, histologisch aber
nichts abnormes; die genannten Nebennierenveränderungen, aber keine Ver-
änderungen am Nervensystem. In den Fällen von Myxödem, wo Verände-
rungen am Nervensystem beobachtet wurden, sind dieselben nach des Autors
Meinung als sekundäre deshalb aufzufassen, weil der häufig heilende Einfluß
der Schilddrüsenpräparate gegen eine organische Krankheit des Nerven-
systems spreche.
Strasser (239) beschreibt einen Fall von infantilem Myxödem, der
zugleich an Diabetes mellitus litt. Verfasser weist auf die Seltenheit dieser
Kombination hin, bespricht die Symptomatologie, Pathologie und Prognose
des kindlichen Diabetes und teilt die Resultate von Stoffwechselversuchen
mit, die er an seinem 8jährigen Patienten ausgeführt hat. über die Be-
ziehungen der beiden Krankheiten spricht sich Verf. sehr reserviert aus.
Lorand (154) hat einen Fall von Schlafkrankheit beobachtet; die
beobachteten Symptome führt er auf eine verminderte Funktion der Schild-
drüse zurück und faßt die Krankheit als Myxödem auf, das durch Ein-
wirkung der Trypanosomen auf die Schilddrüse entsteht; Verf. weist darauf
hin, daß bei beiden Krankheiten als pathologisch-anatomische Giundlage
entzündliche Prozesse der G-ehimrinde nachgewiesen seien, und daß auch
das hauptsächlichste klinische Symptom, die Schlafsucht, bei beiden Krank-
heiten besteht. Weiter fuhrt Verf. aus, daß auch bei anderen Krankheiten,
bei denen Schlafsucht beobachtet wird, dieses Symptom auf eine Affektion
der Schilddrüse zu beziehen sei, so die Schlafsucht bei Hypophysistumoren,
indem die Erkrankung der Hypophysis zu Veränderungen der Schilddrüse
führe. Im Gegensatz zum Myxödem soll bei der Basedowschen Krank-
heit infolge übermäßiger Funktion der Schilddrüse Schlaflosigkeit bestehen.
Akromegalls.
Schulz (219) berichtet über einen von Lichtheim beobachteten, von
Beneke sezierten Fall, den Verfasser dann mikroskopisch untersuchte.
Patient hatte alle wesentlichen Zeichen der Akromegalie dargeboten, Ver-
größerung der Hände und Füße, des Unterkiefers, der Nase, Ohren, Zunge,
sowie auch Kyphose der Wirbelsäule. Anatomisch fand sich starke Ve^
größerung der Hypophysis, die Verfasser als Struma deutet, femer Hydro-
myeUe und Syringomyelie. Die mikroskopische Untersuchung ergab femer
Veränderungen am Knochensystem, an der Haut, den Schleimhäuten und
Muskeln. Zum Schluß zitiert Verfasser die verschiedenen Theorien, die zur
Erklärung der Akromegalie aufgestellt wurden, ohne sich aber für eine
derselben zu entscheiden.
Bleibtren (21) berichtet über einen Fall von Akromegalie, in dem
die anatomische Untersuchung ergab, daß die Hypophysis durch eine Blutung
in dieselbe zu Grunde gegangen war. Verfasser vermutet, daß durch ein
schweres Trauma (Sturz auf der Treppe) die Blutung entstanden sei, und
daß das so bedingte Fehlen des Hypophysisfiinktion die Akromegalie herTO^
gerufen habe.
Prittie Perry (204) beschreibt einen von ihm beobachteten Kreolen,
der als Kind durch Sturz vom Baum eine Depressionsfraktur des Stirnbeins
erlitten hatte, und der im Alteir von 20 Jahren einige Symptome bot, die
Angio- und Trophoneurosen, Akroparästhesien, Erythromelalgie usw. 737
Verfasser als Ausdruck einer besonderen Form von Akromegalie ansieht:
Leichte Vergrößerung von Fingern und Zehen und Troramelschlägerform
der EDdphalangen. Verfasser vermutet, daß das Trauma die Hypophysis
iu irgend welcher Art geschädigt habe. Die Abbildungen der Hände und
Füße, die Verfasser publiziert, wirken nicht sehr überzeugend.
Klan (133) hat einen Patienten beobachtet, bei dem sich Akromegalie
im 17. Lebensjahr entwickelte; im Anschluß an das Heben einer schweren
Last erkrankte Patient an allgemeiner Mattigkeit, Schwindel, Ohrensausen
und Sehstörung, Herzklopfen und Atembeschwerden. Diese Beschwerden
blieben seit der Zeit im wesentlichen bestehen und wurden auch angegeben,
als Patient drei Jahre später vom Verfasser untersucht wurde. Seit jener
Zeit soll auch das abnorme Wachstum begonnen haben. Die objektive
Untersuchung ergab ungewöhnlich große Hände und Füße, die aber im
Gegensatz zu den meisten anderen Fällen dieses Leidens nicht ungeschlacht,
sondern durchaus proportioniert waren; ferner fiel die abnorme Entwicklung
des Gesichtsschädels auf. Von sonstigen Symptomen war die vermehrte
Schweißsekretion zu bemerken, ferner Tremor der Hände, zeitweilig leicht
erhöhte Temperatur, für die eine sichere Erklärung nicht zu finden war,
sowie Irregularität des Pulses und auffallend leichte Ermüdbarkeit. Er-
wähnenswert ist noch, daß die Libido sexualis völlig fehlte, und daß
Pollutionen nur ausnahmsweise beobachtet wurden. Das zeitweise Fehlen
des recht-en Kremasterreflexes, auf das Verfasser Wert zu legen scheint,
dürfte keine wesentliche Bedeutung haben.
Am Augeuapparat fand sich, abgesehen davon, daß das Gesichtsfeld
etwas eingeengt war (Verfasser macht darüber keine genaueren Angaben),
kein pathologischer Befund.
Cnrschmann (45) hat 4 Fälle von ausgesprochener Akromegalie
routgenographisch untersucht; besonders bemerkenswert ist es, daß sich in
drei derselben atrophische Prozesse an den Knochen, namentlich am unteren
Gelenkende der Ulna und den Diaphysen der ersten Phalangen der Zehen
landen; bei allen vier Fällen war die Stirnhöhle auffällig erweitert. Ver-
fasser nimmt mit Tamburini usw. an, daß zwei Stadien bei der Akro-
megalie zu unterscheiden seien, ein hyperplastisches und ein kachektisches,
und daß die regressiven Knochenveränderungen nur im letzteren zu beob-
achten seien. In zwei von den vier Fällen ergab das Köntgenbild auffällige
Erweiterung des Türkensattels.
Lapersonne (145) beschreibt einen typischen Fall von Akromegalie,
betont die diagnostische Bedeutung der bitemporalen Hemianopsie sowie das
häufige, gleichzeitige Vorkommen einer Hypophysisgeschwulst und geht kurz
auf die Beziehungen der Akromegalie zum Riesenwuchs ein.
Gange (33) bespricht einen Fall von Akromegalie, bei dem sich in
kurzer Zeit genuine Optikusatrophie, die Verfasser als Folge eines Hypo-
physistumors ansieht, entwickelt hat, erwähnt, daß in anderen Fällen zu-
weilen neuritische Atrophie beobachtet wurde, bespricht kurz die übrigen,
am Augenapparat beobachteten Symptome der Akromegalie, Exophthalmus
nnd Augenmuskellähmung und weist auf die in seinem Fall zwar ver-
gr()ßerten, aber nicht übermäßig unförmigen Hände und Füße hin.
Sabrazes und Bonnes (213) berichten über Blutuntersuchungen
bei zwei Akromegalen, bei dem einen (Riesenwuchs eines 14jährigen Knaben)
bestand geringe Verminderung des Hämoglobingehalts, geringe Leukocytose
nnd ausgesprochene Lymphocytose; in dem zweiten Fall (Akromegalie eines
Erwachsenen ohne Biesenwuchs) war der Hämoglobingehalt und die Zahl
der roten Blutkörperchen vermehrt, ebenso die der Lymphocyten, während
Jahresbericht f. Neurologie u. Psychiatrie 1906. 47
L
738 Morbus Basedowii, Myxödem, Raynaudsche Krankheit.
die Zahl der i)olynukleären neutrophilen Leukocyten wesentlich ver-
mindert ist.
Auch Marie (161) berichtet über Blutuntersuchungen bei Akrome-
galen, die von Sakorraphos und ihm selbst ausgeführt wurden. In dem
von S. beobachteten Falle bestand geringe Oligämie, das Zahlenverhältni»
der verschiedenen Biutkörperchenarten war nicht gestört, bei dem von M.
untersuchten Patienten (Riesenwuchs ohne Akromegalie) fand sich vor allem
Vermehrung der Zahl der polynukleären Leukocyten.
Sakorraphos (215) hat bei einem Fall von Akromegalie eine leichte
Verminderung des Hämoglobins gefunden, welche auf eine geringe Herab-
setzung der Zahl der roten Blutkörperchen zurückzuführen war. Dabei be-
stand auch eine Abnahme der Leukocyten. Es handelte sich also nur nm
eine ganz allgemeine Verminderung der ganzen Blutmasse ohne ein Miß-
verhältnis der zelligen Bestandteile des Blutes. (Bendix.)
Münzer (177) weist nach, daß Befunde Martinottis an den Muskeln
von Akromegalen nichts für dieses Leiden Charakteristisches haben, sondern
daß derartige histologische Bilder (scheinbar senkrechte Lagerung der
Fibrillen einer Muskelfaser zueinander) auch unter normalen Verhältnissen
beobachtet werden.
Clande (38) hat bei einem an Akromegalie leidenden Patienten
Zittern, Tachykardie, Vergrößerung der Schilddrüse und leichtes Schwirren
über derselben, ferner Verhärtung der Arterien, gesteigerten arteriellen
Druck, Herzvergrößerung und ein diastolisches Geräusch über der Aorta
beobachtet, Symptome, die der Autor auf Aflfektion der Schilddrüse und
der Nebennieren bezieht; eine ähnliche Symptomenkombination sah er bei
einem anderen Fall. Verfasser glaubt daraus auf Beziehungen zwischen
Hypophysis und den übrigen Blutgefäßdrüsen schließen zu dürfen.
Lannoia und Boy (146) geben eine Beschreibung des Riesen
Machnow, teils auf Grund eigner Beobachtung, teils auf Grund der früher
von V. Luschan mitgeteilten Untersuchung. Interessant ist es, daß
Machnow ein kleines Gesicht hat, daß der Kopfumfang nicht ungewöhnlich
groß ist (62 cm), daß dagegen Beine und Füße unverhältnismäßig groß sind.
Nach L. und R. sind drei Typen von Riesen zu unterscheiden: Der infan-
tile, der akromegale und der gemischte. Machnow rechnen sie im wesent-
lichen zu den nicht infantilen Riesen, weil die Zwischenknorpel bei ihm za
der normalen Zeit verknöchert sind; trotzdem bietet er einzelne Zeichen
des infantilen Typus, Kleinheit des Kopfes, jugendliches Gesicht, un-
proportionierte Entwicklung der unteren Extremitäten. Das Hervortreten
der Jochbeine, die Höhe des Kinns, die Größe der Zunge, die Tiefe der
Stimme, die Größe der Hände und Füße, sprechen andeutungsweise für den
akromegalen Typus. Für einen Hypophysistumor lag ein Anhaltspunkt nicht
vor. Erwähnung verdient noch, daß er ein ungewöhnlich starker Esser ist
Hndovernig (115) berichtet über die zweijährige Entwicklung des
von ihm 1903 beschriebenen Falles von Gigantismus (referiert 1903 S. 782),
wobei es sich um einen 6 jährigen Knaben handelte, bei welchem neben
abnormen Größenwachstum (137 cm) eine vollkommene Entwicklung der
Genitalien und Imbezillität bestanden haben; außerdem war am Röntgen-
bilde damals eine Vergrößerung der Hypophyse und eine für das Alter des
Kranken weit vorgeschrittene Ossifikation nachweisbar. Gelegentlicli der
ersten Publikation hat Verfasser die Hypothese aufgestellt, daß die ge-
steigerte Funktion der Hypophyse auf das Knochenwachstum beschleunigend,
die verminderte Funktion der inneren Geschlechtsdrüsen auf dasselbe ver-
zögernd einwirke, und schließlich die Vermutung ausgesprochen, daß eine
Angio- und Trophoneurosen, Akroparästhesien, Erythromelalgie usw. 739
Hyperfunktioii der ionereu Geschlechtsdrüsen die Verknöcherung selbst be-
schleunige. In der vorliegenden Arbeit berichtet Verfasser über eine
30 monatliche Beobachtung des Falles und die erzielten therapeutischen
Erfolge: Während der ersten zehn * Monate bekam Patient Thyreoidea-
präparate, bei Zunahme der Körperlänge um 5,7 cm und ohne Beeinflussung
der Imbezillität; in der zweiten zehnmonatlichen Periode gemischte Jodkali
nnd Thyreoidin-Behandlung, wobei die Körperlänge um 5 cm zunahm^ der
Geisteszustand absolut keine Besserung aufwies; in der dritten zehnmonat-
lichen Periode bekam Patient Ovarintabletten, was Verfasser mit Berück-
sichdgang seiner Hypothese vornahm, daß nämlich die gesteigerte Sekretion
der inneren Geschlechtsdrüsen die Verknöcherung beschleunige und so eine
Yerlangsamung des abnormen Knochen Wachstums zu erwarten war; in diesen
zehn Monaten hat die Körperlänge des Patienten bloß um 3,1 cm zu-
genommen, und gleichzeitig ergab sich eine überraschende Besserung des
psychischen Zustandes, indem Patient ruhiger, vernünftiger wurde, und Lesen
and Schreiben erlernte. Die gleichzeitig vorgenommene Untersuchung mit
Röntgenstrahlen ergab das unveränderte Bestehen der Hypophysen-Ver-
größerung und die nahezu vollkommen beendigte Verknöcherung der ge-
legentlich der ersten Untersuchung noch unvollkommen verknöcherten Röhren-
knochen. Verfasser sieht in diesem Erfolge und Befunde die praktische
Bestätigung seiner bereits in der ersten Publikation entwickelten Ansicht,
daß nicht nur die Hyperfunktion der Hypophyse das Knochenwachstum zu
befördern vermag (wie dies bei Akromegalie und Gigantismus der Fall ist),
sondern auch die gesteigerte Sekretion der inneren Sexualdrüsen den Ver-
knöcherungsprozeß zu beschleunigen vermag (was übrigens auch bei der
gelegentlich der Pubertät stattfindenden raschen Ossifikation eintritt, und
wofür auch jener Umstand spricht, daß die Knochen kastrierter Tiere und
Menschen meist ein größeres Längenwachstum aufweisen). Ovarintabletten
wurden im geschilderten FaUe verabreicht, weil Spermin nicht zugänglich
war; es war auch nicht anzunehmen, daß die Ovarien auf die Verknöcherung
einen anderen Einfluß ausüben, als die Hoden resp. deren Sekrete. Immerhin
war beim Pat. während der Ovarienbehandlung eine Volumensabnahme der
übrigens abnorm großen Hoden nachweisbar, ohne daß der Sexualtrieb des
Knaben eine Beeinflussung erfahren hätte. Im geschilderten Falle nimmt
Verf. einen durch die Hypophysen-Hyperfunktion bedingten gesteigerten
Impuls des Knochenwachstumes an, wobei der Ossifikationsprozeß bereits
ziemlich vorausgeschritten ist; bleibt ersterer auch nach vollendeter Ver-
knöcherung weiter bestehen, so ist es nicht auszuschließen, daß sich mit
der Zeit der Gigantismus des Knaben zu einer Akromegalie entwickeln
kann im Sinne der Ansicht Brissaud und Meiges. (Ausführliche Publi-
kation erfolgt in der „Nouvelle Iconographie de la Salpetri^re" 1906.)
(Aiiioreferat.)
Lewis (149) bespricht das häufige Zusammentreff'en von Akromegalie
und Hypophysistumoren, erwähnt, daß in einigen Fällen von Akromegalie
keine Hypophysisveränderungen gefunden wurden, sowie auch daß wiederholt
die Hypophysis erkrankt oder völlig zerstört gefunden wurde, ohne daß in
Tivo irgend welche Zeichen von Akromegalie nachzuweisen waren. Dann
bespricht er die Arbeiten über experimentelle Herausnalime der Hypophysis,
die zum Teil der Hypophysis eine wichtige Bedeutung zuschreiben, zum
Teil aber zu dem Resultat kommen, daß die Herausnahme der Hypophysis
ohne jede Bedeutung ist.
Dann zitiert er kurz die vielen Theorien, die zur Erklärung der
Akromegalie aufgestellt wurden und beschreibt dann einen von ihm be-
47*
L
740 Morbus Basedowii, Myxödem, Raynaudsche Krankheit,
obachteten Fall von Akromegalie. Bei der Autopsie desselben bot die
Hypopliysis makroskopisch ein normales Aussehen dar, mikroskopisch fanden
sich Veränderungen, die von verschiedenen Autoren schon beschrieben imd
als Tumoren der Hypophysis aufgefaßt worden sind, Verf. erachtet ebenfalls
diese Veränderungen, die in der Hauptsache in starker Vermehrung der
chromophilen und Verminderung der chromophoben Zellen bestehen, als
charakteristisch für Akromegalie und glaubt sogar, daß in zweifelhaften
Fällen aus diesem mikroskopischen Befund die Diagnose gestellt werden
könne.
Von einer Reihe von Autoren sind die Veränderungen der Hypophysis,
die sie bei Akromegalie beobachteten, als Sarkome aufgefaßt worden; dieser
Auffassung widerspricht Verf. und vermutet, daß es sich stets um Hyper-
plasie gehandelt hat. Er faßt seine Vorstellung vom Wesen der Akromegahe
dahin zusammen, daß derselben eine übermäßige Funktion der Hypophysis
zu Grunde liegt.
Ballet und Laignel-Lavastine (14) beschreiben einen Fall von
Akromegalie, der eine 40jährige Patientin betraf; von Typhus abgesehen
war diese nie zuvor krank gewesen, die Vergrößerungen des Kopfes und
der Extremitäten entwickelten sich ganz allmählich, ferner eine deutliche
Verkrümmung der Wirbelsäule und in den letzten drei Monaten immer
mehr zunehmende Taubheit sowie Schwäche der Beine. Die Patientin kam
ins Krankenhaus, weil sich im Anschluß an einen Anfall von Bewußtseins*
Verlust, über dessen Dauer nichts berichtet wird, eine Lähmung beider
Beine einstellte. Die Untersuchung ergab, von den Symptomen der Akro-
megalie abgesehen, Lähmung beider Beine, schwaches Kniephänomen, rechts
dorsalen Zehenreflex und leichte Hypästhesie der ganzen rechten Seite.
Nach 1^/2 jährigem Aufenthalt im Krankenhaus starb die Patientin, ohne
daß wesentliche neue Symptome dazugetreten wären. Bei der Autopsie
fand sich eine haselnußgroße Hypophysis, während von Thymusresten nichts
nachweisbar war. Die Vergrößerung der Hypophysis betraf nur den vorderen
Lappen; im Zentrum desselben fand sich ein hämorrhagisches Exsudat,
wie es sich in geringerer Ausdelmung auch in der normalen Hypophysis
findet. Die Schilddrüse war ebenfalls vergrößert, mikroskopisch fand sich
Sklerose des interacinösen Bindegewebes mit Proliferation der Drüsenzellen.
In den Nebennieren fanden sich zahlreiche Adenome. An den Knochen
bestanden die bekannten Veränderungen. Im linken Großhirn waren zwei
Erweichungsherde, der eine nach außen vom Nucleus lenticularis, der andere
im Thalamus opticus. Mikroskopisch sah man ferner leichte Aufhellung
im Gebiet des rechten Vorderseitenstranges sowie leichte atrophische Ver-
änderungen der Muskeln. Die VerflF. bemerken ausdrücklich, daß sie keine
direkten Beziehungen dieser Muskelveränderungen zur Akromegalie an-
nehmen. Sodann erörtern sie die Beziehungen der Hypophysis zur Akro-
megalie und glauben die Akromegalie mit einer Hyperfunktion der Hypo-
physis in Beziehung bringen zu dürfen ; auch die Hypertrophie der Schild-
drüse und der Nebennieren sehen die VerflF. als wichtigen Befund an, geben
aber zu, daß wir über den Zusammenhang der verschiedenen Symptome <ler
Akromegalie noch nichts sicheres wissen.
Angloneurottsches Odem.
Herter (104) schildert einen Fall von angioneurotischem Odem, das
anfallsweise auftrat und ausschließlich Gesicht und Zunge befiel; die Anfalle
begannen regelmäßig nach Mitternacht, erreichten gegen Morgen den Hohe-
Angio- und Trophoneurosen, Akroparästhesien, Erythromelalgie usw. J^\
ponkt und gegen Abend war jede Störung verschwunden. Außerhalb der
Anfalle bestand nur eine mäßige Schwellung der Zunge und des Gesichts.
Morns (173) berichtet über einen Fall von angioneurotischem Ödem,
den er schon einmal (Fall 2, Amer. Journal of the Medical Sciences^
November 1904) beschrieben hat. Das Ödem betraf hier Hände, Füße,
Larj'Dx und Magen. Das Ödem des Larynx rief mehrfach Erstickungs-
anfille hervor, und schließlich endete ein solcher Erstickungsanfall tödlich.
Anatomisch fand sich ein ausgedehntes hochgradiges Ödem des ganzen
Lanux, der Epiglottis, Stimmbänder usw. Bemerkenswert, jst, daß auch
die Mutter des Pat. an Anfällen von angioneurotischem Ödem litt, das
infolge der durch den Tod des Sohnes bedingten Erregung zunahm.
Halsted (93) weist darauf hin, daß nach Ansicht vieler Autoren das
an^oneuro tische Ödem der Urticaria nahe steht, und berichtet dann über
einige von ihm beobachtete Fälle von angioneurotischem Odem. In der
Familie des ersten Falles ist Urticaria wiederholt vorgekommen; die Krank-
heit hatte zuerst den rechten Arm betroffen, dann wurde mehrfach der
Larynx und einmal die Damm- und Oberscheiikelgegend betroffen; einige
Jahre später traten zweimal schwere Gastro-Intestinalafifektionen auf, die
Verf. als Purpura deutet. Eine sichere Ursache für die Anfälle weiß Pat.
nicht Der zweite Pat., in dessen Familie anscheinend eine Neigung zu
SchleimhautschwelluDgen mehrfach vorgekommen ist, litt wiederholt an
Schwellungen der Nase und des Halses, denen Ödeme der äußeren Körper-
oberfläche bald vorausgingen, bald folgten; auch in diesem Fall war
keine Ursache für die Ödeme nachzuweisen, trotzdem das Leiden 18 Jahre
bestand. Der dritte Patient war namentlich deswegen bemerkenswert, weil
er einmal einen schweren Anfall von angioneurotischem Ödem des Larynx
durchmachte und einige Zeit danach von einer typischen Urticaria des
Larynx befallen wurde; nach seinen Angaben waren schon wiederholt
Urticariaanfalle aufgetreten; auch hier sind Anhaltspunkte für eine familiäre
Disposition nachzuweisen, eine Schwester des Pat. hat nämlich zweimal an
Urticaria gelitten.
Verf. weist dann darauf hin, daß zweifellos mancher Fall von, angio-
neurotischem Ödem der Nase fälschlich als Heufieber aufgefaßt wurde;
sodann bespricht er die Beziehungen des angioneurotischen Odems zum
Asthma und berichtet kurz über einen schweren von ^ihm beobachteten
Asthmafall, der zeitweise auch von angioneurotischem Ödem der äußeren
Haut befallen wurde. Er glaubt auch, daß mancher unklare, plötzliche
Todesfall auf angioneurotisches Ödem des Laiynx zurückzuführen ist; in
einem von Griffith beobachteten Fall starb der Pat., der schon wiederholt
schwere Anfälle von angioneurotischem Ödem des Larynx durchgemacht
hatte, ganz plötzlich au einem derartigen Anfall, und es wurde das Ödem
des Larynx durch die Sektion bestätigt. Wahrscheinlich war der Vater der
Patientin in gleicher Weise gestorben.
Die Bedeutung der Heredität geht aus diesem wie aus vielen anderen
Fällen hervor.
Unter Umständen soll angioneurotisches Ödem auch Anlaß zu Ver-
wechslungen mit Gicht und Rheumatismus geben können. Verf. diskutiert
dann kurz die Frage, ob Darmsymptome als Ursache oder Symptom des
Angioneurotischen Ödems aufzufassen sind, und entscheidet sich in letzterem
Sinne. Auch an den verschiedenen inneren Organen, wie Nieren und Gehirn,
soll das angioneurotische Ödem vorkommen. Zuweilen soll es auch infolge
^on Seruminjektion, die, sei es aus prophylaktischen, sei es aus thera-
peutischen Gründen, ausgeführt wurden, auftreten; die Tatsache, daß oft
742 Morbus Baaedowii, Myxödem, Raynaudsche Krankheit,
nur ein Pat. von angioneurotischem Ödem befallen wird, wenn eine Äeihe
von Individuen Injektionen mit dem gleichen Serum bekamen, ohne zu
erkranken, beweist, daß die individuelle Disposition von entscheidender
Bedeutung ist. Auf akutes angioneurotisches Odem führt Verf. die plötz-
lichen Todesfälle nach Injektion von Diphtherieantitoxin zurück und warnt
davor, prophylaktisch das Serum zu injizieren, ohne auf angioneurotisches
Ödem in der Familie gefahndet zu haben. Verf. hat bei angioneurotischem
Ödem des Larynx therapeutisch Adrenalin und Kokain anscheinend mit
Erfolg gebraucht, in schwereren Fällen Skarifikationen der Sc^hleimhaut aus-
geführt und rät bei Lebensgefahr die Tracheotomie auszuführen. Lokale
Eisbehandlung hält er für kontraindiziert. Er empfiehlt dagegen auBer
Bettruhe salinische und alkalische Abführmittel, die anscheinend in einem
seiner Fälle günstig wirkten,
Chretien (36) demonstriert einen Fall von Urticaria auf angio-
neurotischer Basis, die sowohl auf der äußeren Haut wie auf der Schleim-
haut des Mundes auftrat; da keine Intoxikation als Ursache dieser Urticaria
nachweisbar war und die Pat. auch sonst nervöse Symptome bot, will Verf,
den Fall nicht als gewöhnliche Urticaria, sondern als Angioneurose auf-
fassen.
Kuöera (142) beschreibt einen Fall von Urticaria, die er als Angio-
neurose auflfaßt. Pat. war von einem Insekt gestochen und erschrak heftig,
da sie fürchtete, eine tödliche Blutvergiftung davonzutragen. Eine aas*
gebreitete Urticaria entwickelte sich schon wenige Minuten nach dem Stich
und muß daher sicher als psychisch bedingt aufgefaßt werden; nach einer
Stunde war Heilung eingetreten, die, wie Verf. mit Recht hervorhebt, nicht
der auf die Stichstelle gestrichenen Borsalbe, sondern der psychischen Be-
ruhigung zuzuschreiben war.
Reusner (208) weist darauf hin, daß eine vasomotorische Parese
die Ursache von Katarrhen der oberen Luftwege sein kann. In einem von
ihm beobachteten Falle glaubt er auch eine Epilepsie auf vasomotorische
Parese der Nasenschleimhaut zurückführen zu dürfen.
Valobra (250) bespricht die Beziehungen der Urticaria, des akuten
angioneurotischen Odems und des chronischen Trophödems von Meige. In
bezug auf das akute angioneurotische Odem weist Verf. darauf hm, daß es
stets Neuropathen befallt, und zwar oft mehrere Glieder einer Familie.
Häufig ist die Quinkesche Krankheit die,. unmittelbare Folge einer In-
toxikation oder Infektion. Der Sitz dieses Ödems ist ein wechselnder, zu-
weilen hat es eine deutlich segmentäre Anordnung, in anderen Fällen läßt
es diese vermissen. Die Farbe des Ödems ist ebenfalls in den verschiedenen
Fällen eine verschiedene, bald zeigt die Haut an den betroffenen Stellen
eine blaßere, bald eine rötere Farbe als die normale Haut. Dann erörtert
Verf. die Beziehungen der Urticaria zum „akuten angioneurotischen ödenu
die er sowohl wegen der häufig gleichen Ätiologie wie auch aus klinischen
Gründen als sehr enge ansieht. Den wesentlichsten Unterschied zwischen
beiden sieht er in der verschieden langen Dauer. Auch die Unterschiede
zwischen dem akuten angioneurotischen Odem und dem Trophödem sieht
Valobra nicht als prinzipielle an und glaubt somit die drei besprochenen
Krankheiten als einheitliches Leiden auffassen zu dürfen; alle drei Krank-
heiten faßt er als nervöse auf, meint aber, daß bei schweren organischen
Nervenkrankheiten meist das Trophödem auftritt, während die beiden anderen
Formen vorzugsweise bei den nicht organischen Prozessen des Nervensystems
vorkommen. Das Ödem führt Verf. im Gegensatz zu den früheren Autoren
nicht auf Zirkulationsstörungen in den Arterien oder Venen, sondern in den
Angio- und Trophoneurosen, Akroparästhesien, Erythromelalgie usw. 743
Lymphgefäßen zurück. Sodann erörtert er die Beziehungen und Unter-
schiede zwischen Trophödem und Elephantiasis und bespricht zum Schluß
die Frage, von der Schädigung welcher Teile des Nervensystems das Troph-
ödem wie das Quinkesche Ödem abhängt; er hält es für sicher, daß der
Sitz dieser Affektionen im Rückenmark zu suchen ist, glaubt aber, daß eine
genauere Lokalisation vorläufig nicht möglich ist.
Testi (244 a) hat ein 23 jähriges Mädchen beobachtet, an dessen
rechten Arme und Hand, sich allmählich und über die ganze Extremität
gleichförmig ein starkes Odem entwickelte. In der ersten Zeit war es weich,
and der Eindruck mit den Fingern hinterließ Dellen, später mit dem Wachstum
wurde es hart und die Haut nicht mehr eindrückbar. Die Sensibilität er-
schien intakt; auf Druck bestand Schmerzhaftigkeit. — In seiner Analyse
yersucht Testi den Nachweis zu erbringen, daß es sich nur um eine zentrale
vasomotorische Störung handeln kann, die sekundär eine Hypertrophie des
ünterhautbindegewebes zur Folge hatte. Aus Analogien mit Beobachtungen
bei der Syringomyelie nimmt Testi an, daß die vasomotorischen Er-
scheinungen durch Läsionen um den Zentralkanal im Cervikalmark bedingt
sind. — Diese Annahme wird durch den weiteren Krankheitsverlauf be-
stätigt: nach einiger Zeit traten Störungen von selten der Sensibilität hinzu
80, wie sie der Syringomyelie eigen sind. (Merzbacher,)
Aus 7 klinischen Beobachtungen Kreibich's (141) und aus zahlreichen
an den betroffenen Patienten vorgenommenen Experimenten, aus der ana-
tomischen Untersuchung der durch das Experiment hervorgerufenen Haut-
veränderungen ergaben sich folgende Tatsachen:
a) Es gibt eine angioneurotische Entzündung, da sich dieselbe durch
das Experiment erzeugen läßt. Sie kommen zustande durch Reizung der
Vasodilatatoren. Der Entzündung geht vasodilatorische Hyperämie voraus,
die ihrerseits als solche allein bestehen kann und sich oft erst nach Stunden
rückbildet, sie ist der Effekt der schwächsten Dilatatorenreizung, bei stärkerer
Reizung kommt es zur Gefäßausdehnung, und zur neurosen Beeinflussung der
Gefäßwand, die zum angioneurotischen Odem führt. Aus den Gefäßen tritt
nicht Serum sondern Blutplasma aus, was durch refraktometrische Unter-
suchungen gezeigt werden , konnte. Die ürticariaquaddel ist^.der Typus eines
solchen angioneurotischen Odems. Das vasodilatatorische Odem ist noch
nicht Entzündung, erst bei stärkerer Nervenreizung kommt es auch zum
Durchtritt von zellulären Elementen zur Entzündung; vorher kann aber
durch das angioneurotische Odem eine solche Kompression der Hautgefäße
entstehen, daß das betrefifende Gewebe der Nekrose verfallt. Es gibt keinen
akuten trophischen Tod der Haut, sondern ,das Absterben ist die Folge der
Anämie und diese wieder eine Folge des Ödems oder des Gefäßkrampfes
(Morbus Raynaud). Die Reizung der Gefaßnerven erfolgt nicht direkt im
Verlauf des Sympathikus oder in der zentralen Sympathikuszelle, sondern
die zentrale Reizung der Vasomotoren erfolgt indirekt durch sensible Reize.
Im Experiment waren diese Reize elektrische, thermische, urticariogene
(Brennessel) und psychische (Suggestion). Die psychischen zerebralen Vor-
gänge spielen die gleiche Rolle, wie sensible Hautreize. Die vasomotorischen
Veränderungen sind daher der Effekt von Hautreflexen oder von Spät-
reflexen, wenn sich zwischen sensiblem Reiz und konsekutiver Hautveränderung
^ Zeitraum oft von Stunden einschaltet. Während die vasodilatatorische
Hyperämie physiologisch sind (Zorn — Schamröte), treten höhere Effekte nur
auf, wenn der Hautreiz oder allgemein der sensible Reiz intensiver wird,
oder wenn das dominierende Vasodilatatoreuzentrum sich in einem Zustand
labilerer Innervation leichterer Reizbarkeit befindet; diese Verhältnisse sind
744 Morbus Basedowii, Myxödem, Raynaudsche Krankheit,
ähnlich wie beim ErektionszentruiU; das ebenfalls seinem Wesen nach ein
dilatatorisches ist. Der Typus einer solchen sympathischen Reflexneurose
ist die sogenannte neurotische Hautgangrän in allen ihren Formen. Der
Herpes zoster ist ein vasomotorisches Reflexphänomen, hervorgerufen durch
die intensive sensible Reizung, welche durch Erkrankung des Spinalganglions
entsteht. Der Herpes simplex oder febrilis ist, Effekt einer geringeren
Reizung. Urticaria ist bloßes angioneurotisches Odem; jede Quaddel ent-
steht durch Nerveneinfluß. Die Nerven können auch durch Gifte gereizt
werden. (Autointoxikationen mit Urticaria.) Prurigo ist eine Art chro-
nische Urticaria, Ekzem ist ein vasomotorischer Vorgang der durch be-
stimmte eczematophore Reize ausgelöst wird. Decubitus acutus, die
sogenannte Glanzhaut „glossy skin" sind vasomotorischer Art.
Im Gegensatz zu den vasodilatatorischen Effekten beruht der Morbus
Raynaud höchstwahrscheinlich auf einer stärkeren oder leichteren Reiz-
barkeit des Konstriktorenzentrums. Die Hautveränderungen hier sind
konstriktorischer Art, und die Nekrose ist eine Folge der konstrik torischen
Anämie. (Autoi-efimt)
Raynaadsche Krankheit.
Mosse (174) demonstrierte einen Fall von Raynaudscher Krankheit;
das Leiden, das schon viele Jahre bestand, ohne sich zu ändenu war im
Anschluß an eine fieberhafte Krankheit entstanden. Der Fat. hatte hoch-
gradig cyanotische Hände, die sich kalt anfühlten; es lassen sich an ihnen
bei der objektiven Untersuchung nur geringe Sensibilitätsstörungen nach-
weisen, sonst keine Störungen von seiten des Nervensystems.
Belkowsky (17) berichtet über histologische Befunde am Rücken-
mark eines Patienten, der nach einjähriger Krankheit an symmetrischer
Gangrän der vier Extremitäten, Ohrläppchen und Nase gestorben war.
Verf. beschreibt Schwund von Ganglienzellen in Vorder- und Hinterhörnern,
Marchidegenerationen in der ganzen weißen Substanz, hauptsächlich in der
Peripherie, sowie Gefäß veränderimgen; auch an den lutervertebralganglien
sah Verf. Veränderungen der Zellen und an den Extremitätennerven zahl-
reiche in Entartung begriffene Nervenfasern.
Mirallie (169) hat bei einem an Raynaudscher Krankheit leidenden
Manne genaue Sensibilitätsuntersuchungen an den Händen angestellt; für
die verschiedenen Qualitäten der Hautsensibilität ergaben sich völlig gleiche
Werte. Die Sensibilitätsstörungen „ä topographie radiculaire pseudometa-
merique" nehmen proximal und radial wärts an Intensität ab und betreffen
an beiden Händen völlig symmetrische Stellen.
Im zweiten Teil seiner Arbeit behandelt Dotschkow (55) auf Grund
der vorliegenden Literatur die Raynaudsche Krankheit; hier, wie im ersten
Teil schließt sich Verf. im wesentlichen an die Monographie von Cassirer
an. Am Schluß der Arbeit veröffentlicht er kurz einige Krankengeschichten
von Sklerodermie und Raynaudscher Krankheit.
Der 24jährige, gesunde Pat. Vladär's (252) schlief seit seiner Kindheit
stets in Rückenlage mit etwas erhobenen Händen, was mit einem Taubheits-
gefiihle der Hände in den Morgenstunden verbunden war. Nach Jahren
entwickelte sich typische symmetrische Gangrän (Raynaudsche Krankheit),
welche mit spontanem Abfall einiger Phalangen endete. Verf. kann in
seinem Falle keine zentral bedingte Trophoneurose als Ursache annehmen,
sondern eine künstliche hervorgerufene Ischämie, welche mit der Zeit zur
Gefäßerkrankung führte, ohne zentrale Störung. (Hudoremig.)
Angio- und Trophonearoseo, Akroparäathesien, Erythromelalgie usw. 745
Erythromelalgie.
Ein von Hirose (107) beobachteter Patient, der mehrmals Malaria,
Beri-Beri, Lues, Epididymitis gonorrhoica, Scabies und Alopecia areata
durchgemacht hatte, erkrankte im Verlauf einer Beri-Beri an brennenden
Schmerzen in beiden Füßen, namentlich am Fußrücken, den Zehen und
Zehenballen; zugleich stellte sich an den betrefifenden Stellen Rötung und
Schwellung ein. Später betrafen die Beschwerden den ganzen Fuß und den
Unterschenkel. Die Rötung war nicht scharf begrenzt und hatte keine
Beziehungen zum Ausbreitungsgebiet bestimmter Hautnerven. Auch die
Finger der linken Hand wurden später von dem Leiden befallen. Im
Verlauf der Krankheit kam es auch zu gangränösen Prozessen. Als ver-
anlassende Momente sieht Verf. atmosphärische Kälteeinwirkungen und die
verschiedenen Infektionen an. Der Kranke versuchte die heftigen Schmerzen
durch Eintauchen der Glieder in eiskaltes Wasser zu stillen, von Medika-
menten sah Verf. keine Wirkung. (Der Fall ist wohl kaum als selbständige
Erythromelalgie zu deuten.)
Sklerodermie.
Alquier und Touchard (5) haben bei einigen Fällen von Sklero-
dermie die Haut mikroskopisch untersucht und fanden um die kleinen Blut-
gefäße herum einen Kranz von länglichen Zellen teils vom Typus der Binde-
gewebezellen, teils von dem der Mastzellen; es schien, daß die Zahl dieser
Zellen abnahm, je weiter der sklerotische Prozeß fortschritt. Die Verfasser
▼ermuten, daß die Sklerose des Bindegewebes bei der Sklerodermie mit
Heizung des die tiefäße umgehenden Gewebes beginnt, und daß die Krankheit
auf eine Intoxikation vom Blut zurückzuführen ist.
Menetrier und Bloch (165) berichten über die therapeutischen
Erfolge, die sie bei einem Fall von Sklerodermie mit Schilddrüsentabletten
erzielten. Daß die Sklerodermie in Beziehungen zur Schilddrüse stehe,
folgern sie daraus, daß man wiederholt bei der Autopsie von Sklerodermie-
fillen atrophische Schilddrüsen gefunden hat; sodann erinnere im Anfangs-
stadium die Sklerodermie an das Myxödem; auf der anderen Seite hat man
wiederholt bei Basedowkranken Sklerodermie beobachtet.
Menetrier und Bloch haben in ihrem Fall, in dem es sich um eine
ausgedehnte diffuse Sklerodermie handelte, die sich im wesentlichen noch
im ödematösen Stadium befand, rohe Schilddrüse (Schaf) innerlich gegeben,
anfangs 7« g P^o Tag, allmählich bis 2 g steigend. Schon nach wenigen
Wochen zeigte sich eine deutliche Besserung sowohl in bezug auf die Haut-
affektion wie auch auf das Allgemeinbefinden; zu einer völligen Heilung
war es aber auch nach vier Monaten noch nicht gekommen. Da es bei
Sklerodermie auch zu spontanen ßesserunp:en kommt, sprechen sicli die Verf.
über den Wert der Schilddrüsenpräparate vorsichtig aus, raten aber stets
dieselbe zu versuchen.
Menetrier (164J hat vier Monate später den Fall noclimals vor-
gestellt und glaubt jetzt, nachdem die Schilddrüsenbehandlung in gleicher
Weise fortgesetzt worden war, von völliger Heilung sprechen zu dürfen.
Brown (28) beobachtete einen Fall von „difi'user idiopathischer
Atrophie der Haut mit Sklerodermie'*, der beide Unterextremitäten in weiter
Ausdehnung betraf; die Krankheit 1)egann am rechten Knie, vielleicht im
Anschluß an ein Trauma. Die sklerodermatischen Partien sind in großer
Ausdehnung pigmentiert; es sind das namentlich Stellen, die zuvor der Sitz
von Ulzerationen waren.
746 Morbus Basedowii, Myxödem, Raynaudsche Krankheit usw.
Etwas komplizierte Yorstellungen über das ZustandekommeD der
Sklerodermie entwickelt Huismans (116); er denkt, daß das primäre bei
der Krankheit eine funktionelle Erkrankung des Sympathikus sei, die dann
eine Ernährungsstörung der Blutdrüsen und Gefäße im Gefolge habe; kommt
es dann sekundär zu einer Infektion der Blutdrüsen und der Haut, so ent-
stände in letzterer eine chronische Entzündung, als welche er die Sklero-
dermie auffaßt.
Ein Fall von Sklerodermie und Sklerodaktylie, den MoBSe (174a)
beobachtet hat, bot ein, wie Verfasser betont, seltenes Symptom, nämlich
Druckschmerzhaftigkeit der langen Röhrenknochen; die ersten Symptome
der Krankheit hatten sich im Anschluß an die Entbindung von einer tot-
faulen, schon mehrere Monate zuvor abgestorbenen Frucht eingestellt.
Dotschkow (55) bespricht in seiner Dissertation die Ätiologie der
Sklerodermie und kommt zu dem Resultat, daß über dieselbe noch nichts
genaueres bekannt ist. Symptomatologisch unterscheidet er drei Stadien
des Krankheitsverlaufs: 1. das nervöse, 2. das myxödematöse oder ödematöse,
3. das sklerotrophische Stadium. Ferner bespricht er Pathogenese, Prognose
und Therapie der Sklerodermie.
Akroparastbeslen.
Etienne (68) bespricht die Bedeutung intensiver Kälteeinwirkimg
auf die Pathogenese von Akropathien. In dem ersten von ihm beobachteten
Fall, der einen 50jährigen Mann betraf, welcher bei heftiger Kälte eine
Nacht im Freien zugebracht hatte, traten am folgenden Tage Schmerzen
in den Fingern ein; dann kam es zu schweren Ernährungsstörungen in
diesen, und es stießen sich ein oder mehrere Glieder an den verschiedenen
Fingern ab.
Der zweite Patient erlitt durch heftige Kälte plötzlich totale Anästhesie
der Finger, die sich zuerst ganz weiß färbten und dann cyanotisch wurden.
Nach drei Monaten trat Besserung ein, die den ganzen Sommer über an-
hielt. Im Winter stellten sich dann aber wieder Schmerzen und Anästhesie
in den Fingern ein und zugleich auch hochgradige Cyanose.
Bei dem dritten Patienten hatte sich im Anschluß an heftige Kälte-
einwirkung Polyneuritis entwickelt, die acht Monate dauerte. Fünf Jahre
später stellten sich im Anschluß an anstrengende körperliche Arbeit heftige
Schmerzen in mehreren Fingern ein, die sich cyanotisch verfärbten, zum
Teil mumifizierten und nekrotisch abstießen.
Im Anschluß an diese Fälle bespricht Verfasser die Bedeutung der
Kälte für das Nervensystem, speziell für die Vasomotoren.
Schwarz (220) gibt eine sehr übersichtliche Darstellung der Patho-
logie der Akroparästhesien.
Andere vasomotorische Nearosen.
Plaut (199) beschreibt einen Patienten, der an mäßig starkem Ikterus
litt und bei dem Kratzen der Haut gelbe Streifen an den gekratzten
Stellen erzeugte; diese Streifen entstanden in 2 — 4 Minuten und verschwanden
nach zirka 10 — 15 Minuten.
Praetorius (202) beschreibt einen Fall von erworbenem symme-
trischem Farbstoffverlust der Haut; eine Ursache für das Leiden war nicht
nachweisbar. Pat. war sonst beschwerdefrei.
Hemiatrophia faciei. 747
Ein von Zapport (265) beobachtetes 6 jähriges Kind schwitzt seit
seinem 2. Lebensjahr am Handrücken, an der Streckseite der Arme, am
Nacken and der Brust, sobald das Kind der Kälte ausgesetzt wurde. Im
übrigen war das Kind gesund. Das Schwitzen hörte auf, wenn durch
Laufen oder Springen die Körperwärme stieg. Bei Wärmeeinwirkung be-
stand nur geringe Neigung zum Schwitzen. Bemerkenswerter Weise waren
die sonst am meisten zum Schwitzen neigenden Hautstellen von dem
Symptom Yöllig frei. Im Anschluß an diesen Fall bespricht Verfasser die
sonstigen, auf nervöse Ursachen zu beziehenden Anomalien der Schweiß-
sekretion.
Babinski und Tonfesco (11) beobachteten ein Kind, das seit einer
Erkrankung an Keuchhusten, während deren eine linksseitige Hemiplegie
entstanden war, dauernd an Cyanose der Haut und sichtbaren Schleimhäute
leidet die bei Anstrengungen noch zunimmt. Das bemerkenswerte des
Falles war die Cyanose des Augenhintergrundes, die bisher nur vereinzelt
beobachtet wurde.
Jobson (126) beobachtete eine Patientin, die an auffallsweisen, nur
im Winter auftretenden symmetrischen Schwellungen einer Reihe von Ge-
lenken litt; hauptsächlich waren Knie-, Hand- und Eingergelenke betroffen.
Verfasser hält es für wahrscheinlich, daß die Schwellungen als nervöse auf-
zufassen seien.
Zieler (267) berichtet über zwei teilweise schon früher von Dou-
trelepont veröffentlichte Fälle von akuter multipler Hautgangrän; bei
beiden Patientinnen ergab die klinische, bei dem einen auch die anato-
mische Untersuchung keinen Anhaltspunkt für ein organisches Nervenleiden ;
nur die eine der Patientinnen bot deutliche hysterische Zeichen, beide
starben an rasch fortschreitender Phthise. Für eine artefizielle Entstehung
der gangränösen Prozesse hat Verfasser keinen Anhaltspunkt gefunden. Bei
beiden Fällen wurden Bläschenbildungen, die zu den nekrotischen Prozessen
in Beziehungen standen, beobachtet, bei beiden aber erst nach einiger
Dauer der Krankheit. Die anatomische Untersuchung des zweiten Falles,
die an exzidierten Hautstückchen der Anfangsstadien vorgenommen wurde,
ergab „Hyperämie und Ödem der Cutis und des Papillarkörpers mit ge-
ringer kleinzelliger Infiltration um die Gefäße." Verfasser berichtet dann
weiter über die anatomischen Resultate früherer Autoren und bespricht die
Pathologie des Leidens. Das wesentlichste sieht er in vasomotorischen
Vorgängen, meint, daß namentlich der histologische Befund gegen artefizielle
Nekrose spricht und faßt das Leiden im Anschluß an Cassirer als selb-
ständige Neurose auf. Zum Schluß berichtet er über interessante klinische
und anatomische Befunde bei experimenteller Hautgangrän.
Hemiatrophia faciei.
Referent: Prof. Dr. Mendel-Beriin.
1. Cüllins, .Joseph, Pacial Hemiatrophy. The Post- Grad uate. Vol. XX, p. 519.
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No. 51, p. 949. (Sitzungsbaricht.)
748 Hemiatrophia faciei.
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5. Sachs, B., A Gase of Facial Hemiatrophy (?). The Journ. of Nerv, and Ment. Di*,
p. 86. (Sitiungsbericht.)
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Arch. f. Kinderheilk. Bd. 42, p. 374 und Allgem. Wiener Mediz. Ztg. No. 22, p. 269.
7. Schwartz, Theodor, Fall von Hemiatrophia linguae. St. Petersb. Mediz. Wochenschr.
p. 219. (Sitzungsberieht.)
8. Wechselniann, Wilhelm, Ein Fall von Elephantiasis teleangiectodes der rechlea
unteren Extremität und Scrotalhälfte mit hemi atrophischer Hypoplasie der rechten
Geaichtshälfte. Arch. f. Dermatol. Bd. LXXVII, p. 399.
9. Wirschubski, A., Zur Casuistik der Hemiatrophia facialis progressiva. Pract. WratscL
No. 16-17.
Das Leiden der 22jährigen Patienten Wirschubskis (9) begano
vor 5 Jahren mit Spannungsgefühl und Zuckungen in der rechten Gesichts-
hälfte; nach einiger Zeit trat eine Veränderung der Farbe und ein Zunehmen
der Atrophie der Wange zu Tage. Aus kosmetischen Gründen machte Verf.
subkutane Paraffininjektionen (2 Tage je 4 ccm), die den Defekt in der
Wange ausglichen. Verf. bespricht ausführlich die verschiedenen Theorien
dieses Leidens, für welches er die Bezeichnung hemiatrophia faciei statt
facialis vorschlägt. (Krön.)
Lewskowski (4 a) bringt 2 Fälle. 1. 13 jährige Gymnasiastin kam
zufällig in neurologische Beobachtung. In der mütterlichen Aszendenz Tu])er-
kulose und Nervenkrankheiten. Obj.: Normaler Befund bis auf mydriatische.
prompt reagierende Pupillen und einige atrophische Partien. Über dem linken
Ohre ist ein 4 ccm große atrophische Partie, die Haut darüber ist dünn,
glänzend, pigmentfrei. Das ünterhautfettgewebe ist deutlich geschwunden;
eine ähnliche Stelle findet sich am inneren linken Augenwinkel und schließlich
im Interkostalraum (zwischen 8 — 9ter Rippe).
2. 10 jährige Jüdin stammt aus gesunder Familie. Seit 4 Jahren
bemerkten die Eltern eine Verkleinerung der rechten Gesichtshälfte. Obj.:
Rechte Pupille enger als links; rechtes Auge ist eingesunken. Das rechte
Augenlid ist stark verdickt; am inneren Drittel der rechten Augenlider fehlen
die Wimpern. Die Atrophie unter dem rechten Auge betrifft außer der
Haut Muskeln und Knochen. Die ganze rechte Gesichtshälfte ist deutlich
kleiner als die linke. Der rechte Nasenflügel ist atrophisch, steht ein wenig
höher als links. Der N. trigeminus war in beiden Fällen frei; im ersten
Falle war sogar ein Gebiet betroften, das ganz außer dem Bereiche dieses
Nerven steht. Die Mydriasis im ersten Falle, die Miosis d. im zweiten
erklärt Verf. durch eine Reizung resp. Parese des N. sympathicus. Er
ist der Ansicht, daß in der Mehrzahl der Fälle das in Rede stehende Krank-
heitsbild durch Affektionen des Ganglion cervicale n. sympathici bedingt ist.
(Kroti.)
Der von Collins (1) beschriebene Fall von Hemiatrophia facialis ist
ein typisches Beispiel dic^ser Erkrankung. Das 14jährige Schulmädchen
ist ohne erbliche Belastung, sie machte Masern, Keuchhusten und eine Otitis
media durch. Später soll sie ein Exanthem am Ohr, Gesicht und den
Armen gehabt haben und eine Schwäche im linken Bein bemerkt haben.
Gleichzeitig soll auch die linke Gesichtshälfte verändert und eingesunken
sein. Es hatte sich eine Atrophie der Haut der linken Gesichtshälfte ent-
wickelt; die Haut war dünn, kalt und glänzend. Die Gegend des linken
Oberkiefers war eingefallen, der Mundwinkel nach oben gezogen. Das linke
Stirnbein, der Oberkiefer mit dem os zygomaticum und die hintere Partie
des l'Uterkiefers waren atrophisch. Der linke Arm war kürzer als der rechte.
(BenJis.)
Cephalea, Migräne, Neuralgien usw. 749
In dem Falle Ton doppelseitiger umschriebener Gesichtsatrophie, den
Schlesinger (6) mitteilt, handelt es sich um ein lOjähriges Mädchen, das
nach einer vorausgegangenen Infektionskrankheit (Morbilli) an doppelseitigem,
umschriebenem Gesichtsschwund, und zwar ziemlich gleichzeitig in beiden
Gesichtshälften, erkrankte. Die Krankheit ging mit keiner Neuralgie eines
Trigeminusastes einher, dagegen deutet die Enge der rechten Lidspalte und
der rechten Pupille auf eine Beteiligung des Sympathikus dieser Seite hin.
(Ben dir.)
Bei dem 24 jährigen Manne, dessen Krankengeschichte Wechselmann
(8) mitteilt, sollen sich etwa 6 Monate nach der Geburt auffällige Veränderungen
an den unteren Extremitäten und im Gesicht gezeigt haben. Die rechte
untere Extremität bis zum Scrotum war mit vielen kavernösen Knoten
bedeckt. Ferner war das Gesicht asymmetrisch, die rechte Gesichtshälfte
TOD der Augenhöhle an verkleinert unter Beteiligung respektive Atrophie
der Weichteile und Knochen. Die Zähne an der kranken Seite sind im
Gegensatz zu der gesunden Seite kariös und stark mit Zahnstein belegt. Die
Haare der rechten Gesichtshälfte sind spärlich und fehlen auf der Oberlippe,
die Haut ist stark atrophisch, besonders am rechten unteren Augenlid und
der Unterlippe. (Beruiu'.)
Cephalea, Migräne, Nearalgien usw.
Referent: Dr. Alfred Säen ger- Hamburg-.
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Eliinek (37) empfiehlt gegen Migräne die nach Angabe Dr. Fuchs's
vom Apotheker Natterer hergestellten Migränetabletten. Diese bestehen aus
Phenacetin 0,5,
Coffein 0,06,
Codein 0,02,
Guarana 0,2
und sollen jeden Anfall kupieren können. Er demonstriert den guten Erfolg
an einigen Krankengeschichten.
Levi (44) versucht durch eine neue Theorie das Wesen der Migräne
zu ergründen: Sämtliche peripheren Erscheinungsformen der Migräne weisen
nach ihm auf ein Zentrum: den Boden des IV. Ventrikels hin, in welchem
die yerschiedenen Kerngebiete mit ihren komplizierten wechselseitigen Ver-
bindungen das anatomische Substrat für das wechselnde klinische Bild der
Migräne abgeben. Der zentrale Punkt, von dem aus in letzter Linie der
Anfkll, d. h. die Erregung dieser verschiedenen Kerngebiete ausgelöst wird,
liegt nach L. in dem Kernzentrum der sensiblen Fasern der Hirnhäute,
den er als einen „begrenzten Bezirk" im Boden des IV, Ventrikels be-
zeichnet. Zum Schluß bespricht L. noch die Ätiologie der Migräne, ohne
jedoch etwas Neues zu bringen.
752 Cephalea, Migräne, Neuralgien usw.
An der Hand einiger Fälle beweist Whitehead (83) die Wichtigkeit
der Behandlung von Affektionen im Nasenrachenraum bei Kopfschmerzen.
Eine genaue Untersuchung der Nase und ihrer Nebenhöhlen hält er in jedem
Fall von hartnäckigem Kopfschmerz für ebenso notwendig wie die Unter-
suchung des Urins und der Augen.
Meyer (53) beschreibt einen mit Fieber verlaufenden Fall von Ischias
mit komplizierendem Herpes, in welchem mit dem Abklingen der Herpes-
eruption auch die Symptome der Ischias vollständig verschwanden.
An der Hand von 6 Fällen von Ischias, die in Bezug auf Sensibilitäts-
störungen auf das Genauste untersucht worden sind, kommen Lortat-Jacob
und Sabareanu (48) zu dem Schluß, daß es neben der gewöhnlichen
Neuralgie, respektive Neuritis des Ischiadikusstammes noch eine wohT
charakterisierte Erkrankung gibt, welche ihren Sitz im Wurzelgebiet dieses
Nerven hat (Sciatique radiculaire).
Weisz (82) hat die krankhaften Gangarten bei Ischias genauer unter-
sucht und gefunden, daß es eine besonders für Ischias pathognostische
Gangart nicht gibt.
Lorenz (47) weist nach, daß die ischiadische Skoliose eine reflektorisch
spastische Zwangshaltung ist zur mechanischen Entspannung der affizierten
Nerven, gewissermaßen eine Entspannungshaltuug. Die Lendenwirbelsäule
wird durch reflektorische Muskelspasmen konvex nach der kranken Seite
eingestellt, um die aflfizierten Lumbo-Sakralnerven vor mechanischer, schmerz-
hafter Spannung zu bewahren. Aus der primären Lumbaikrümmung als
Grundlage entwickelt sich dann das ganze äußere Krankheitsbild.
(Bendix.)
Brassert (7) beschreibt einen typischen Fall von Brachialgie, jener
diffusen, nicht an bestimmte Nervengebiete sich haltenden psychogenen
Schmerzhaftigkeit des Arms.
Magenschmerzen, d. h. Schmerzen in der Oberbauchgegend, entstehen
nach Riedel (68):
1. Auf reflektorischem Wege bei akuter und chronischer Appendicitis,
bei Hernia lineae albae, bei den Corpora aliena adiposa, bei floriden oder
auch bereits vernarbten Ulcera des Querkolon.
In diesen Fällen lokalisiert sich der Schmerz am häufigsten in der
Mittellinie.
2. Fortgeleitet von benachbarten Organen bei akut entzündlicher keim-
haltiger Gallenblase, bei Verwachsungen zwischen Gallenblase, Leber, Duo-
denum und Pylorus infolge von Gallensteinen, Cholecystitis ohne Concremente
und Cholecystitis luetica (nach R. sollen auch die Crises epigastriques der
Tabiker zum Teil auf Rechnung der Cholecystitis luetica kommen), ferner
bei dislozierter rechtsseitiger Wanderniere, bei Ulcera duodeni, Fettnekrose
des Pankreas.
In diesen Fällen lokalisiert sich der Schmerz am häufigsten rechts
von der Mittellinie.
3. Bei Ulcus ventriculi. Abgesehen von den Fällen, in welchen das
Geschwür am Pylorus sitzt, wird hier der Schmerz immer in die linke
Oberbauchgegend lokalisiert
Trauma und Nervenkrankheiten, 753
Trauma und NerYenkranUieiteD.
Referent: Dr. Krön -Moskau.
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sichtigung der Unfallnervenkrankheiten. Jena. G. Fischer.
116. Woods, J. T., Heat Stroke and Sunstroke. Toledo Med. and Surg. Reporter.
XXXI. 489.
A. Zerebrale Verletzongen und Erkrankungen.
L Fälle mit beträchtlicher Verletzung des knöchernen Schädels.
IL Blutungen und Erweichungsherde im Gehirn.
Dercum (25) berichtet über einen Fall von Trauma des Fußes der
zweiten Stirnwindung, welches gleichzeitiges Auftreten von Ataxie der Unken
Extremitäten, Nystagmus und Epilepsie zur Folge hatte. A. C, 24 Jahr,
bekam zwei Schläge auf den Kopf, welche ihm zwei oberflächliche Wunden
auf der Stirn verursachten. Seitdem Ataxie der linken oberen und unteren
Extremität, Nystagmus und epileptische Anfälle. Bei der Schädeloperation
wurde eine Verwachsung der Arachnoidea und Pia mater im genannten Gebiete
gefunden; die Adhäsionen wurden gelöst. Ataxie und Epilepsie schwanden,
Nystagmus blieb zurück.
Fossek (85) berichtet über einen 23 jährigen Kellner, der einen Axt-
hieb über das Hinterhaupt bekam. Die abgesprengte Knochenplatte wurde
herausgenommen, wonach 7 — 8 Wochen hindurch totale Blindheit auftrat,
wohl infolge eines intraduralen Blutergusses. Die Sehschärfe besserte »ich
etwas. Es besteht linksseitige homonyme Hemianopsie, die durch die Ver-
letzung des rechten Hinterhauptlappens hervorgerufen war.
Marie und Cronzon (72) kommen auf Grund der vorhandenen
Literatur und eines eigenen Falles zu folgenden Schlüssen:
Das Trauma kann Spätapoplexie hervorrufen, letztere tritt aber meist
bei Personen mit krankem Gefäßsystem auf.
Trauma und Nervenkrankheiten. 757
Gesunder, kräftiger Mann fiel, wie Haag (43) berichtet, rücklings
usgefahr vier Meter hoch auf alte Schindeln und Steine. Er erhob sich,
klagte über Lähmungen im Kücken, steUte die Arbeit ein und begab sich
nach Hause. Er konnte nur mehr leichtere Arbeiten verrichten, klagte über
Schlaflosigkeit und Schwindel, sowie Schmerzen im Kücken. Zwei VV^ochen
darauf verschied er plötzlich. Die Witwe machte für sich und ihre Kinder
Anspruch auf Rente unter der Behauptung, der Tod sei eine Folge des Unfalles.
Die £erufsgenossenschaft hatte den Anspruch abgewiesen, die Landes-Yer-
sichenmgsgesellschaft den Tod als Unfallfolge anerkannt.
Noehte (80) berichtet über einen Soldaten, der am 16. September 1904
aus einem Eisenbahnwagen während der Fahrt stürzte und noch am selben
Abend in bewußtlosem Zustand ins Lazarett gebracht wurde. Am Scheitel-
höcker jederseits zwei unbedeutende Hautwunden, sonst keine äußeren Ver-
letzungen. Er ist benommen, wehrt aber Schmerzreize ab, läßt Harn
und Kot unter sich. Befund am 16. Oktober: Rechte Pupille > links und
reagiert träger, als linke auf L. und A. Parese des M. obliqu. inf. d.
undn. Vli d.; Ataxie in allen Extremitäten, Hemiparesis d., Geschmack und
Geruch rechts herabgesetzt, Gesichtsfeld beiderseits eingeengt. Trübung der
Uerkfahigkeit, der optischen Erinnerungsbilder, des Kombinationsvermögens.
Heiteres, etwas kindliches Wesen. N. nimmt an, daß von dem am stärksten
befallenen Facialiszentrum aus die Oberfläche des Großhirns. bis zum Hinter-
hauptlappen hin verändert ist.
25jährige Frau stürzt aus großer Höhe. Bewußtseinsverlust. Er-
brechen blutiger Massen, Pupillen mittelweit, reagieren. Decessus invol.
Puls 50 — 60. Mehrfache Verletzungen. In den nächsten 6 — 6 Tagen
schwanden die Symptome der Gehirnerschütterung, einige Tage darauf bald
Somnolenz, bald Exzitation. In der folgenden Woche normaler nervöser
Status. Für den Sturz und die demselben unmittelbar vorangegangenen
Ereignisse komplette Amnesie. Am 20. Tage plötzlich Lähmung beider
Xn. VI, Andeutung einer Blicklähmung nach rechts, leichte linke, VII.
Parese. Zwei Tage später Pupillen weit, reagieren träge. Außer Lähmung
heider Nn. VI gingen die Erscheinungen im Laufe einer Woche zurück.
Am 34. Tage linke Stauungspapille. Dieser Zustand blieb stationär, noch
zirka drei Monate nach dem Unfälle. Rnpp (89) vermutet eine Blutung
in der Kemregion beider VI. und des linken VII. Er bespricht die Ar-
beiten von Bollinger und Langerhans über die traumatische Spät-
apoplexie. Traumatische nukleare Augenmuskellähmungen sind selten.
B. Spinale Erkrankungen.
29 jährige Arbeiterin erlitt durch einstürzende Balken eines Hauses eine
Beschädigung der unteren Wirbelsäule. Obj.: Lähmuug der unteren
Extremitäten, vesicae et recti. Nach einiger Zeit Lähmung der Mm. peronei,
glutaei med., tensor fasc. lat. utr. ; willkürliche Bewegungen der Mm. tibiales
gut erhalten, elektrische Erregbarkeit dortselbst in beiden Mm. gastrocnemii
und Extens. digitorum herabgesetzt und träge. Patellarreflexe und Sphink-
teren funktionierten nach einigen Wochen normal. Da die obere Grenze
durch das Erhaltensein der Patellarreflexe, die untere durch das
Funktionieren der Sphinkteren bestimmt war, so nahm Minor (75) eine
Läsion des Rückenmarks in der Höhe der 5. Lenden- und 1. Sakral wurzel
an, in jener Gegend also, für welche Verfasser zweckmäßig die Benennung
Epikonus vorgeschlagen hatte.
758 Trauma und Neryenkrankheiten.
6. AagBnBrkraiikDHgen.
Coppez (22) schlägt für die Augenuntersuchungen bei traumatischer
Neurose eine bestimmte, methodische Beihenfolge vor, dank dieser konnten
etwaige Veränderungen und Simulation leicht nachgewisen werden.
Bach (7) macht auf isolierte Muskelkrämpfe an der Balbusmnskulatnr
und an den Lidmuskeln, auf trophische und vasomotorische Erscheinungen
aufmerksam, die sich im Ergrautsein der Augenbraunen und Cilien auf der
Seite der Verletzung, im Bereich der anästhetischen Zone, und in cjanotiscber
Verfärbung der Lidhaut äußern. Pupillenungleichheit ohne Reaktionsstonmg
mißt Verfasser keine wesentliche Bedeutung bei. Die konzentrische Ein-
schränkung des Gesichtsfeldes wird um so seltener gefunden, je geübter der
Untersucher im Perimetrieren ist. B. bespricht kurz die anderweitigen nicht
mit dem Sehorgan direkt in Beziehung stehenden rein nervösen Klagen,
deren Kenntnis auch für den begutachtenden Augenarzt von Wichtigkeit ist.
Ein 46 jähriger G-rubenarbeiter erkrankte im Anschluß an ein Kopf«
trauma, wie Westphal (113) mitteilt, unter den Erscheinungen Aex
traumatischen Neurose; gedrückte Stimmung, Kopfschmerzen, Schwindel-
gefiihl, objektiv nachweisbare Schwindelanfalle, beschleunigte Herzaktion,
Steigerung der vasomotorischen und Muskel- Erregbarkeit. Anfallsartig tretai
unter dem Einfluß psychischer Erregungen Zustände auf mit Zittern und
Schütteln des ganzen Körpers. Im Mittelpunkte des Interesses stehen Er-
scheinungen am Bewegungsapparat des Auges. Es besteht eine komplette
beiderseitige Ophthalmoplegie (mit Freibleiben des Levator palpebrae sup.
und der Irismuskulatur). Die Ophthalmoplegia ext. bilateralis zeigt jedoch
bei weiterer Beobachtung, daß sie keine konstante ist, sondern bei Ab-
lenkung der Aufmerksamkeit des Patienten bald teilweise, bald vollständig
verschwindet. Die Bulbi werden manchmal ruckweise mit vereinzelten
kleinen Absätzen bewegt; dieses Verhalten spricht für das Bestehen von
Kontrakturzuständen in den äußeren Augenmuskeln, auf die Disposition zu
Kontrakturen wiesen hier anfallsweise auftretende Schmerzen mit intensivem
Spannungsgeflihl in der Nackengegend und Spasmen in der Muskulatur der
Hände und in den Kaumuskeln hin, welche bei wiederholtem ÖflFnen und
Schließen der Hände und bei schnellen Kaubewegungen auftraten.
D. Ohrerkrankungen.
Grazzi (40) berichtet über zwei Fälle von durch Blitz verursachter
Labyrintherschütterung, welche außer einer Läsion des achten Himnerren
eine Endolabyrinth-BIutung hervorrief, diese bedingte in beiden Fällen
völlige Taubheit.
Stenger (100) fordert bei jedem Kopfverletzten eine genaue Ohr-
untersuchung, speziell auf eine Beschädigung des Labyrinthes. ,, Lassen sich
vom Labyrinth ausgehende Symptome nachweisen, so müssen die nach-
folgenden allgemeinen nervösen Beschwerden auch auf eine Verletzung dieses
Organs bezogen werden, umsomehr, als sie den nach andersartigen Labyrinth-
erkrankungen auftretenden entsprechen.^ Für diese Fälle schlägt Verfasser,
da eine bestimmte organische Erkrankung vorliegt, die Bezeichnung
traumatische Labyrinthneurose vor; der Begriff der traumatischen Neurose
ist hier zu unbestimmt.
In der größeren Mehrzahl der Fälle von Unfallverletzungen des Ohre
wird der erfahrene Ohrenarzt ein definitives Urteil abgeben können. Im
Interesse des Unfallverletzten ist es wünschenswert, daß gleich nach dem
Unfall eine genaue Untersuchung des Gehörorgans vorgenommen wird. Je
Trauma uad NervenkraDkheiteD. 759
Dach der Intensität der FunktioBsstörung des Gehörs wird die Höhe der
Rente 6 — 100 ^j^ betragen, wobei Berufsarten, bei denen binaurales Hören
wichtig ist, auch bei einseitiger Läsion besonders berücksichtigt werden
müssen. Baginsky (8) ist der Ansicht, daß in der Mehrzahl der Fälle
mit Störungen von Seiten des Gehörs organische Läsionen vorliegen. Das
gröBte Kontingent für die Begutachtung und die schwierigsten Fälle stellen
die sogenannten Labyrinthkammotionen dar. Liegt eine Herabsetzung der
Hördauer, eine Beschränkung innerhalb der Perzeption der Töne und eine
Verkürzung der kranio-tympanalen Leitung vor, so soll eine mehrmalige
Prüfung entscheiden, ob die Brcsultate des Einneschen und Weberschen
Versuches sich gleich bleiben. B. fand fast regelmäßig eine Verkürzung
der Enochenleitung. Schon geringfügige Erschütterungen des Schädels
fahren in den Fällen eine bedeutende Verschlimmerung herbei, in denen
schon früher ein mit Hörstöruug verbundenes Ohrleiden bestand.
E. Rein peripherische Affektlonen.
Eine auf den Oberschenkel bei leicht gebeugtem Kniegelenk auf-
fallende schwere Last kann das Femur intakt lassen und eine Kompressions-
fraktur des Calcaneus erzeugen. Blind (15) hat zwei solche Fälle beob-
achtet; er vergleicht die fallende Last mit dem Hammer, den Unter-
schenkel mit dem Schlägel und den Fußboden mit dem Ambos; auf welch
letzterem der Calcaneus zermalmt wird.
Aronheiin (5) hat in einem Falle, wo eine isolierte periphere
Lahmung des N. medianus infolge Narbendruckes nach Verletzung des
Arcus volaris sublimis arteriae ulnaris eingetreten war, Heilung durch
Thiosinamininjektionen erzielt. Innerhalb 14 Tage betrugen die beiden
ersten Injektionen je eine halbe, die vier folgenden je eine ganze Pravaz-
spritze einer 10 ^i^igeu alkoholischen Thiosinaminlösung. Die Einspritzungen
waren während einiger Minuten äußerst schmerzhaft, ihre günstige Wirkung
aher sehr bald zu erkennen.
F. Fonktlooelle KrankheltsznstSnde.
I. Hysterie, Neurasthenie.
Interessantes Gutachten von Hitzig (48) über einen angeblichen
Fall von ünfallsneurose; besonders beachtenswert sind die allgemeinen Aus-
führungen der Autors. Nicht „Simulantenfallen", sondern gründlich wieder-
holte Anwendung der klinischen üntersuchungsmethoden sind das beste
Mittel zur Entlarvung von Simulanten,
Stintzing (100 a) berichtet über einen 29 jährigen Arbeiter, der im
Anschluß an ein Trauma die ungewöhnliche Kombination von Mutismus mit
Respirationskrämpfen bei Fehlen sonstiger hysterischer Stigmata und
hysterisches Asthma darbot. Patient konnte keinen hörbaren Laut aus-
stoßen, obgleich er im stände war, die Stimmbänder bis zur Berührung zu
adduzieren. Verfasser schreibt der mit dem Unfälle verbundenen Angst
und der lange nachwirkenden Furcht die wesentlichste ätiologische Bedeutung
zu. Eine suggestive Behandlung brachte dem Patienten Heilung.
Nach einer Quetschung des Beins entwickelte sich bei einem 16 jährigen
Arbeiter, wie Liniger (66) mitteilt, eine hysterische Kontraktur des Fußes
in Klumpfußgtellung, die durch einen Stützapparat wenig beeinflußt
wurde. Nach etwa 2^/^ Jahren vernahm der Junge plötzlich „eine innere
760 Trauma und Nervenkrankheiten.
Stimme", die ihm sagte, er solle wieder gehen, wie früher, und — er war
geheilt!
16jähriges Dienstmädchen flüchtete in Angst vor Dieben die Treppe
hinunter, glitt aus, rutschte einige Stufen auf dem Bauche hinab, den Kopf
voran. Keine sichtbaren Verletzungen, kein Bewußtseinsverlust. 60 Stunden
darauf vollkommene Bewegungslosigkeit, Taubsein und Schmerzen in den
Extremitäten. Status in der Charit^ : Totale Lähmung aller 4 Extremitäten.
Taktile und thermische Anästhesie, totale Analgesie, Verlust des Lage-
gefühls. Bumpf - Bauchmuskeln kaum beweglich. Pupillen reagieren,
Sehnenreflexe sind vorhanden. Eetentio urinae, incontinentia ani. Appetit
gut, Stimmung heiter. Im Anschluß an diesen Fall von hysterischer Schluck-
lähmung berichtet Leyden (64) über mehrere Fälle, bei denen sich nach
einem psychischen Affekt organische Erkrankungen des Zentralnervensystems,
Apoplexie und Myelitis entwickelten. Lazarus teilt im Nachtrage mit,
daß die Kranke unter psychisch-suggestiver Behandlung nach ganz kurzer
Zeit vollständig hergestellt wurde.
Seifert (96) berichtet über einen Patienten, welcher vor 12 Jahren
eine Gehirnerschütterung erlitten hatte. 4 Monate nachher trat nach einem
zweitägigen hysterischen Dämmerzustand eine vollständige sensible und
sensorielle linksseitige Hemianästhesie ein, später, meist im Gefolge toq
weiteren Dämmerzuständen, ein zweitägiger Mutismus, eine hysterische
Anästhesie der rechten Hand von viermonatlicher Dauer, wiederholtes Blut-
erbrechen, eine 19tägige Taubheit, dann eine hysterische Stummheit von
73 Tagen usw. In den linken Extremitäten fehlt jede Lage- und ßewegungs-
empfindung. Patient steht nur noch mit den Sinnesorganen der rechten
Seite mit der Außenwelt in Verbindung. Er kann die anästhetische Hand
nicht heben, wenn er sie nicht sieht. Bei leichtem Zudrücken des noch
hörenden rechten Ohres kann Patient nicht weiter zählen oder sprechen.
Bei völligem Verschluß des rechten Ohres oder Auges oder beider Sinnes-
organe zugleich sinkt er nach wenigen Sekunden um und verfallt in einen
hypnoiden Zustand, den Verfasser den hysterischen Dämmerzuständen zu-
rechnet. Der Sitz der Erkrankung ist in das Zentralnervensystem und zwar
in die Großhirnrinde zu verlegen und die peripheren Sinnesstörungen als
Folgen eines veränderten Bewußtseinszustandes anzusehen.
42jähriges Fräulein trug durch Stürzen von einer Treppe Verletzungen
des Kopfes, Fraktur am rechten Arm und Quetschungen am rechten Knie
davon. Einige Monate darauf trat Zittern der rechten Hand auf, welches
nach einigen aktiven Bewegungen aufhörte. Etwas starrer Gesichtsausdrack.
Seltenheit des Lidschlages und Gang der Patientin ließen an Paralysis
agitans denken, dagegen sprach das schnellschlägige Zittern und Fehlen
der Steifigkeit der Nackenmuskulatur. Flatau (32) faßt das Leiden als
Hysteroneurasthenie traumatischen Ursprunges auf und nahm die Herab-
setzung der Erwerbsfähigkeit auf 60 7« an.
Bei einem jungen, nervös belasteten Mädchen, das an Krampfanfallen
und anderen nervösen Beschwerden gelitten hatte und dann Pg Jahre
arbeitsfähig war, trat, wie Flatau (33) mitteilt, im Anschluß an ein "Trauma
das Nervenleiden mit großer Intensität auf. Auf der Unken Seite bestanden
motorische Schwäche, Analgesie, Anästhesie, Störung des Lagegefühls bis
genau zur Mittellinie, konzentrische röhrenförmige Einengung des Gesichts-
feldes, Herabsetzung bezw. Verlust von Geruch, Geschmack, Herabsetzung
der Hörschärfe, Parese der Augenmuskeln, linksseitiges Doppeltsehen.
Klar (55) bringt die ausführliche Krankengeschichte eines Patienten
aus der Professor Vulpiusschen Klinik, bei dem „reine Simulation" nach-
Trauraa und Nerrenkrankheiten. 751
gewiesen werden konnte. Im Anschluß an diesen Fall wiederholt K. den
TOD Professor Yulpius gemachten Vorschlag, nach welchem der zueilst
behandelnde Arzt nur einen genauen ärztlichen Bericht, nicht aber ein Gut-
achten, erstatten soll. Nach Abschluß der eventuellen Anstaltsbehandlung
oder Beobachtung, die vom Vertrauensarzt empfohlen war, soll letzterer im
Verein mit dem Anstaltsarzt ein gemeinsames Gutachten abgeben, dieses
soll nur eingehend den Zustand und die Funktionsbehinderungen des Ver-
letzten schildern, nicht aber die Erwerbsbeschränkung nach Prozenten ab-
schätzen. Die Schätzung der Arbeitsfähigkeit soll in der Sitzung der
Bentenfestsetzungskommission, an der die Arzte als Beisitzer teilzunehmen
haben, vorgenommen werden.
Faivre (31) berichtet über eine 15 jährige Magd, welche nach einem
Schreck, infolge eines geringen Traumas, das sie durch einen Stoß eines sie
an eine Stalltür drängenden Ochsen erlitt, unfähig war, zu schlucken. Sie
konnte nur Flüssigkeiten schlucken, vorübergehend auch festere Speisen.
Die Sondierung ergab keine Behinderung der Passage. Das Gaumensegel
wich nach links ab; die Patientin wies am Gaumen und den Ohren De-
generationszeichen auf, femer ticartige Augenbewegungen, besonders nach
finks, Fehlen des Pharynx- und £omealreflexes, Gesichtsfeldeinengung,
leichte Beeinilußbarkeit, Neigung zum Trübsinn, sowie zum Lachen und
Weinen ohne Grund.
Es handelte sich zweifellos um einen hjstero-traumatischen Osophagus-
krampf. (Beiidix.)
G. Tranmatischer Diabetes.
52 jähriger Mann erleidet, wie Lepine und Boulud (62) berichten,
eine Schädelbasisfraktur; wird im bewußtlosen Zustande ins Hospital gebracht,
wo er nach zwei Stunden stirbt. Bei der Autopsie wird in der Gegend
des Os parietale eine submeningeale Blutung gefunden. Die chemische
Untersuchung des Blutes und Urins weist Zucker auf.
Nach Traumen können die verschiedensten Formen der Glykosurie,
resp. des Diabetes auftreten, von der leichtesten Form, der alimentären
Glycosurie e sacharo, an bis zur schwersten, dem echten Diabetes. Zwischen
den einzelnen Formen kommen die verschiedensten Übergänge vor. Kausch
(54) weist nach, daß alle mitgeteilten Fälle von echtem traumatischem
Diabetes Zweifel aufsteigen lassen, ob hier in der Tat ein Zusammenhang
zwischen dem Trauma und dem Diabetes besteht; wenigstens ist kein Fall
absolut sicher. Die leichteren Formen — die alimentäre und ephemäre
Glykosurie — sind noch spärlich beobachtet. Die Häufigkeit der einzelnen
Formen der Glykosurie nimmt mit ihrer Schwere ab, die alimentäre
Glykosurie wird am häufigsten beobachtet, der echte Diabetes am seltensten.
Die transitorische Glykosurie ist hauptsächlich an Verletzungen des Schädels
gebunden. Verfasser vermag nicht den sicheren Beweis dafür zu erbringen,
daß der echte traumatische Diabetes wirklich so überaus selten ist oder
überhaupt nicht vorkommt. In jedem Gutachten spricht er sich daher selir
zurückhaltend über den Zusammenhang zwischen Unfall und Diabetes aus,
um nicht eventuell dem Patienten zu schaden. Häufige Urinuntersuchung
I ist wünschenswert, aufklärend wirken aber nur positive Befunde.
I H. Yerietzongen durch Blitz nnd elektrische StrOme.
i CJrile und Macleod (24) suchen auf Grund von 23 Experimenten
an Hunden die tödlich wirkende Stärke des elektrischen Wechselstromes
762 Trauma und Nervenkrankheiten.
und dessen Einwirkung auf das Gefäßsystem festzustellen. Die Stärke des
Stromes, welche den Tod herbeiführt, ist abhängig von dem Weg, den der
Strom im Körper nimmt Liegt das Herz im Wege, so können mittelstarke
Ströme von mittlerer Dauer den Tod herbeiführen, der Blutdruck erfährt
eine plötzliche Steigerung und dann einen jähen Abfall.
Raebiger (86) bringt einige Fälle, meist Mischformen Ton Hysterie,
Neurasthenie, Hypochondrie und einfachen Psychosen. Verfasser nimmt
mit Bruns an, daß „grobe nervöse Funktionsstörungen auf rein psychischem
Wege durch den seelischen Chok des Unfalles-' entstehen können and
lehnt alle anderen Hypothesen (Charcot,- Oppenheim, Jellinek) ab.
Böhmig (17) berichtet über neun Fälle von Induktions- und fiUts-
schlagverletzungen von Telephonistinnen mit nachfolgenden traumatisch-
hysterischen bezw. neurasthenischen Erscheinungen. Die Symptome waren
schon wenige Stunden nach dem Unfälle in voller Deutlichkeit vorhanden,
sodaß ihre Entstehung durch Begehrungsvorstellungen oder Suggestion aus-
geschlossen werden kann.
Wendriner (Hl) kommt nach Besprechung der Literatur zu fol-
genden Schlüssen: 1. Eine große Anzahl von Menschen übersteht die
schwersten elektrischen Insulte nach einer rasch vorübergehenden Bewußt-
losigkeit und anderen Symptomen des Choks ohne jede Schädigung.
2. Treten schwere, teils rasch, teils gar nicht schwindende Symptome su^
die zur traumatischen Neurose gezählt werden, ohne daß organische Ver-
änderungen nachweisbar waren. 3. An das elektrische Trauma schließen
sich schwere Erkrankungen des Nervensystems an; multiple Sklerose,
progressive Paralyse, Tabesparalyse und schwere Störungen der Großhim-
rindenfunktion. Verfasser bringt zwei einschlägige Fälle (Klinik v. Leyden):
1. 30 jähriger gesunder Elektromonteur erhielt beim Untersuchen eines
Kabels, in das ein Strom von 300 Volt Spannung eintrat, einen heftigen
Schlag, und erst vier Wochen nach dem Trauma trat eine organische
Hemiplegie auf, deren Residuen noch drei Jahre darauf deutlich sind. Eün
anderes ätiologisches Moment außer dem Trauma war für die Hemiplegie
nicht vorhanden. 2. 34 jähriger Elektromechaniker erhielt, auf einer Leiter
stehend, einen elektrischen Schlag mit 12000 Volt und schlug besinnungslos
mit dem Rücken auf Ackerboden auf. Es bestand 3 Monate lang Parese
beider Beine, incontinentia urinae et alvi, Symptome, die sich im folgenden
Jahre bis auf die Parese des rechten Beines zurückbildeten. In der Klinik
wurde die Diagnose auf abgelaufene Hämatomyelie in Höhe des X. Brust-
wirbels und hysterische Lähmung des rechten Beines (komplette Anästhesie,
anästhetische Zonen usw.) gestellt.
Eulenbnrg (30) weist in einigen Fällen den Zusammenhang zwischen
elektrischem Unfall und organischer Erkrankung des Zentralnervensystems
(Tabes, progressive Paralyse, multiple Sklerose) nach. Außer der Strom-
spannung kommt Verhalten der Leitungswiderstände und individuelle
Empfindlichkeit in Betracht.
Wallbaum (109) sieht im Gegensatz zu Eulenburg, der eine e^
höhte Schalleinwirkung annimmt, „richtige elektrische Unfälle" als Gnmd
des Leidens an. Das Leiden kommt nicht durch Außerachtlassung von
Vorsichtsmaßregeln, sondern folgendermaßen zu stände: Die Telephonistin
wird von einem Teilnehmer angerufen; sie schaltet sich in die Leitung ein,
dann meldet sie sich beim Anrufenden und verbindet diesen mit dem Amt oder
Teilnehmer; hierauf schaltet sie sich wieder aus. Oft wird der Anrufende
ungeduldig und klingelt, bevor sich die Telephonistin ausgeschaltet hat; sie
bekommt dann den Kurbel- oder Teilnehmerstrom, der, 5—10 Volt stark,
Trauma and Nervenkrankheiten. 763
nicht angenehm empfdnden wird. Aus unbekannten Ursachen ist der Kurbel-
strom manchmal äußerst stark; die Telephonistinnen verspüren in solchen
Fällen einen heftigen Schlag im Körper. Nach wenigen Minuten treten
starke Kopfschmerzen, Schwäche in den Gliedern, Herzklopfen ein; sie
müsiien ihren Dienst aufgeben. Jede neue Tätigkeitsaufnahme im Telephon-
amt bedingt E^zidive. W. rät, nervös belastete Damen vom Telephondieust
aasznschließen.
23 jährige Telephonistin wurde im Dienste innerhalb einer Stunde
zweimal von Starkströmen getroffen; unmittelbar darauf Hemianästhesie,
Aufhebung des Gehörs-, Geruchs-, Geschmacksvermögens der linken Seite,
Gesichtsfeldeinschränkung des linken Auges. Einige Tage darauf Schwellung
der linken Gesichts-, Zungen- und Halshälfte und der Fingerglieder der
linken Hand. 12 Tage vor dem Unfälle hysterische Krämpfe anläßlich
Auflösung ihrer Verlobung. Patientin magerte in der Folge ab, sah elend
aub. Nach einem Jahre erholte sie sich, subjektive Beschwerden (Herz-
klopfen, Angstgefühl, Kopfschmerzen, Parästhesien) blieben zurück. Bei
der Untersuchung der Sinnesorgane (Seh- und Hörorgane) stellten sich
Widersprüche heraus, sie wurde von den Begutachtern als dienstfähig er-
klärt; dagegen erhob sie Klage. Sie wurde dann im Laufe der nächsten
6 Jahre achtmal begutachtet. Im 6. Jahre nach dem Unfälle heiratete sie.
Wemicke (112) nahm an, daß der Starkstrom nicht bloß eine vorher
latente hysterische Disposition auslöste, sondern daß das Nervensystem
direkt, vielleicht sogar an zentraler Stelle, betroflFen wurde. Die Wider-
sprüche von Seite des Gesichts- und Gehörsinnes erklärt Verfasser durch
die hysterische Hemianästhesie. Erwerbsfähigkeit der für den Telephon-
dienst untauglichen Patientin ist zu ^^ geschädigt.
I. Diagnostik.
V. Hoesslin (49) weist den Voi'wurf Dreyers, daß Verfasser Kranke
mit traumatischen Neurosen stets als völlig arbeitsunfähig begutachtete, als völlig
imbegründet zurück; in dem Falle, welchen Dreyer anführt, habe Verfasser
überhaupt gar keine traumatische Neurose angenommen, sondern wegen einer
chronisch entzündlichen Afifektion am Fußgelenk die Arbeitsunfähigkeit be-
gut:ichtet. Im allgemeinen nimmt Verfasser bei der Beurteilung von Unfalls-
iienrosen folgenden Standpunkt ein:
Durch Traumen, besonders durch solche, welche mit Gehirn-
erschütterung oder großem Schreck verbunden sind, können schwere Neu-
rosen entstehen, welche eine Erwerbsbeschränkung bedingen. Der Grad der
Erwerbsunfähigkeit muß in jedem Grad durch genaue Untersuchung und
Beobachtung ermittelt werden. Daß die Neurasthenie, die Hysterie, die
Hypochondrie schwere Depressionszustände, auch völlige Erwerbsunfähigkeit
zur Folge haben können, ganz gleich, aus welcher ätiologischen Ursache sie
entstanden sind, bedarf kaum einer Erörterung. Auch vor der Unfalls-
gesetzgebung hat es genug Menschen gegeben, welche durch ihre Erkrankung
an derartigen Neurosen lange Zeit oder dauernd daran verhindert waren,
zu arbeiten, und auch heute sehen wir alltäglich solche arbeitsunfähige
Kranke, welche keine Rentenansprüche erheben können. Liegt ein renten-
pflichtiger Fall vor, so ist in erster Linie die Glaubwürdigkeit des Kranken
zu prüfen, und dann hat Verfasser auch selbst eine Methode empfohlen,
welche besonders geeignet ist, die Simulation oder Übertreibung nach-
zuweisen, die Methode der Prüfung mit plötzlich nachlassenden Wider-
ständen (Münchener med. Wochenschr. J902 Nr. 37). Gerade bei
764 Trauma und Xervenkrankheiten.
Hysterischen ist Verfasser in der Beurteilung der Erwerbsbeschränkimg
sehr vorsichtig, weil Hysterische bei der krankhaften Veranlagung ihres
Charakters sehr geneigt sind, zu übertreiben und aus einer nach einem
Unfall entstandenen Exazerbation ihres Zustandes Kapital zu schlagen. Ist
über eine nach Trauma in die Erscheinung getretene Hysterie ein Gutachten
abzugeben, so ist daher eine hohe Kente nur dann zu empfehlen, wenn die
Krankheitssymptome derartige sind, daß man bei dem gesamten Krankheits-'
bild annehmen kann, der Kranke würde auch ohne Entschädigungansprüche
nicht in der Lage sein, zu arbeiten. In sehr vielen anderen Fällen dagegen
ist trotz bestehender Neurosen gar keine oder eine kleine Rente zu em-
pfehlen, weil eben bei dem betreffenden Grad der Neurose die Arbeits-
fähigkeit nicht oder nur wenig beschränkt zu sein pflegt. Hier helfen keine
allgemeine Prinzipien, sondern nur sorgfältige Entscheidung von Fall zu Fall.
Auch bei der sorgfältigsten Untersuchung kann es vorkommen, daß ein
Kranker uns täuscht und wir nicht imstande sind, ihm diese Täuschung
durch ärztliche Untersuchungsmethoden nachzuweisen. Wenn wir infolge
einer solchen gelungenen Täuschung wirklich eininal einen Simulanten eine
Rente zubilligen, so ist das noch lange nicht so schlimm, als wenn wir einen
wirklich Kranken als Simulanten begutachten. (AtUoreferat.)
In fünf Vorlesungen behandelt Schuster (93) die traumatischen
Neurosen. In der ersten gibt der auf diesem Gebiete hinlänglich bekannte
Verfasser einen interessanten Überblick über die Geschichte der traumatischen
Neurosen, in den anderen werden Ätiologie und Pathogenese, Symptomatologie,
Diagnose, Simulation, Prognose und Verlauf in klarer, lehrreicher Form
geschildert. Besonders ausführlich ist die Symptomatologie abgehandelt.
Volle Zustimmung verdient die Forderung, daß den Verletzten von den
Berufsgenossenschaften Betriebe nachgewiesen werden, in welchen sie gegen
entsprechenden Lohn nach Maßgabe der noch bestehenden Arbeitsfähigkeit
arbeiten könnten. Das Büchlein bietet nicht bloß dem praktischen Arzt,
sondern auch dem Neurologen Wissenswertes und Anregendes.
Leers (69) legt seiner Arbeit 28 Fälle zu Grunde, die er im Institut
für Staatsarzneikunde (Professor F. Strassmann) zu beobachten Gelegenheit
hatte. Die nervösen Störungen entwickelten sich durchweg unmittelbar im
Anschluß an das Trauma, nur in vereinzelten Fällen erst nach Wochen bis
Monaten. Der Verlauf des Leidens war chronisch, hartnäckig. Das
psychische Moment, wenigstens in Gestalt einer gemütlichen Depression,
fehlte in keinem Falle. In 5 Fällen war Ausgang in Psychose, 2 endeten
mit querulatorischer Paranoia, 3 mit Demenz. Die Prognose ist ungünstig.
Im Interesse der Wiedergewinnung des Verletzten zur Tätigkeit tritt L. ein
für die Umwandlung der Rente in eine einmalige Kapitalsabfindung und
eine damit Hand in Hand gehende Beschleunigung des Rentenfestsetzungs-
verfahrens. Von größerem praktischen Werte erscheint Verfasser die Ein-
richtung von Volksnervenheilstätten, in denen die Verletzten die notwendige
Ruhe und mit dieser Gelegenheit zu körperlicher Arbeit und geistiger An-
regung finden könnten. Durch sachgemäße psychische Behandlung würde
in ihnen Lust zur Arbeit geweckt werden. Die Berliner Volksnerven-
heilstätte Haus Schönow unter Leehrs Leitung hat eine Reihe solcher
Erfolge zu verzeichnen.
In seinen Auseinandersetzungen über die sogenannte traumatische Neu-
rose hebt Löwenthal (68) ganz besonders die Ursachen dieser Krankheit
hervor. Sie ist nicht die unausbleibliche Folge des Unfalles, sondern an
gewisse Umstä-nde geknüpft, denen bei der Entstehung der Unfallneurose
entgegengetreten werden muß. Zu ihrer Entwicklung tragen die ängstlichen
Trauma und Nervenkrankheiten. 755
hjrpochondrischen Yorstellungen über die eigene &esuDdheit, die Arbeits-
fähigkeit und die Existenzfrage der Familie bei, ferner die damit verbundene
Begebrungsvorstellung einer mögliebst hohen Entschädigung und die mit
dem Kampf um die Rente verbundenen Aufregungen durch Untersuchungen
und Prozesse.
Prophylaktisch ist die Bekämpfung des Alkoholismus sehr wichtig,
der die Entstehung der traumatischen Neurose begünstigt und gewisse
Symptome, die als Teilerscheinungen der Krankheit aufzufassen sind, hervor-
ruft Die wichtigste Aufgabe der Therapie ist, den Verletzten wieder an
die Arbeit zu gewöhnen und ihm das Vertrauen zu seiner Leistungsfähigkeit
wieder zu geben. (Bmdix,)
K. Allgemeines Ober traumatische Erlcranlcimgen.
Das Bild einer posttraumatischen organischen Erkrankung des Nerven-
systems entsteht nur in einer beschränkten Zahl von Fällen aus der exogenen
Ursache des Traumas allein. Veragn^th (107) ist der Ansicht, daß wir
nicht ohne die Annahme einer besonderen Disposition auskommen, welche
das Trauma im Moment vorfindet, da es den Körper triflft.
Schlossermeister W. bezog, wie Haag (42) mitteilt, wegen „traumatischer
Neurose** eine Unfallrente von 33^8 7o' ^^ verstarb mit Hinterlassung
einer Witwe und vier Kindern, für welche Entschädigungsanspruch geltend
gemacht wurde, mit der Behauptung, der Tod wäre ünfallfolge gewesen.
W. starb an Gehirnanämie, Herzlähmung infolge chronischen Alkoholismus.
Es wurde geltend gemacht, daß W. wegen Kopfschmerzen Trinker geworden
war. Da aber W. schon vor dem Unfall Trinker war und eine Veranlassung,
znm Trinker zu werden, aus dem Unfall nicht anerkannt werden konnte,
so wurde der kausale Zusammenhang zwischen Unfall und Tod verneint.
Der Anspruch wurde durch alle Instanzen verfolgt und abgewiesen.
Blind (16) hat 806 eingeborene (elsässische und südwestdeutsche)
Männer, 99 mit wenigen Ausnahmen elsässische Frauen und 51 männliche
Italiener untersucht, die sämtlich zur Nachbehandlung von Unfallverletzungen
überwiesen waren. Von diesem Material wiesen nervöse Unfallfolgen
(neur asthenische, hypochondrische, hysterische) auf von eingeborenen Männern
6,6 ^ ^, eingeborenen Frauen 12,1 7o> italienischen Männern 39,2 ^o« ^a^
Überwiegen der traumatischen Neurose beweist nach Verfasser eine spezielle
Veranlagung der lateinischen Rasse zu dieser Krankheitsform im Vergleich
zum einheimischen Arbeiter, vielleicht meint B., tritt diese Prädisposition
bei jeder Rasse auf, die vorübergehend ihrer Heimat, gewohntem Klima
und Lebensbedingungen entrissen wird.
Hahn (44) teilt einen Fall mit, wo Patient nach einem Schuß die
Empfindung hatte, als ob er einen Schlag in die linke Weiche bekommen
hätte, tatsächlich war aber der Schuß in den Oberschenkel von hinten ein-
gedrungen.
Stronz (102) pflichtet Professor Vulpius bei, welcher den erst-
behandelnden Arzt von einer prozentualen Festsetzung der Erwerbs-
beschräukung entbindet, wendet sich aber gegen die Forderung, daß der
praktische Arzt nur einen sachverständigen Bericht liefern soll ohne jedes
Urteil über den Fall. Im Interesse einer möglichst unparteiischen Ent-
scheidung in Unfallstreitsachen fordet S. eine gleichberechtigte Mitwirkung
des erstbehandelnden Arztes und der späteren Begutachter. Das ärztliche
Gutachten in strittigen Fällen sei das Ergebnis einer mündlichen geheimen
766 Trauma und Nervenkrankheiten.
Konferenz sämtlicher, mit gleicher Stimme beteiligten Kollegen, in welcher
„Für" und „Wider" in erschöpfender Weise besprochen werden kann.
Georgii (36) fordert eine sehr eingehende Untersuchung und sofortige
Protokollierung des Befundes. Die Abgabe von Gutachten darf nicht mehr
bloß eine Gefühlssache des Einzelnen sein, sie muß auf einem streng wissen-
schaftlichen Standpunkt beruhen. In- zweifelhaften Fällen genügt es, das
urteil so zu formulieren, daß die Annahme der traumatischen Entwickeluag
einer fraglichen Krankheit mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit ge-
rechtfertigt ist oder nicht. G. erinnert daran, daß Fremdwörter im Gut-
achten fortgelassen, und daß letzteres deutlich geschrieben sein muß. G. em-
pfiehlt, in Anbetracht der mannigfachen Beziehungen zwischen Arzt und
Unfallgesetz, daß nicht allein die Arzte, sondern alle mit der Vollziehung
des Gesetze? Betrauten, also auch die Beamten, die Gewerbetreibenden und
die Landwirte, von Haus aus eine gründlichere Vorbildung und Schulung
in der Praxis der Arbeiterfürsorgegesetze nötig haben. Darum gehört der
Unterricht schon auf die Hochschulen.
Die nicht anästhesierten Hunde fielen augenblicklich mit dem Anf-
treffen des Schusses im Feuer und verendeten in kurzer Zeit; die durch
Rückenmarksanäathesie unempfindlich gemachten Tiere liefen weg oder ver-
suchten es zu tun, soweit die bestehende Lähmung es gestattete, obwohl
sie mit den zahlreichsten Schrotverletzungen am ganzen Körper übersät
waren. Schieffer (92) betrachtet seine Versuche als einen Beweis der
Leyden-Groeningschen Choktheorie, durch die Rückenmarksanästhesie
wurden die sensiblen Zentren gelähmt und dadurch die verderbliche Ein-
wirkung traumatischer Reize auf lebenswichtige Zentra — der Chok —
ausgeschlossen.
Stolper (101) erkennt die Unfallsneurose als ein wohl abgrenzbares
Krankheitsbild an. Er warnt davor, die Prognose in den ersten Tagen zu
ungünstig zu stellen und den Patienten auf ein femliegendes Unfallsmoment
aufmerksam zu machen, welches dann zuständigerseits nicht als ent-
schädigungspflichtiger Unfall anerkannt wird. Ein solcher Unfallskranker
wird nicht selten zum Querulanten. S. verurteilt das Massenuntersuchen
von Unfallverletzten, da dadurch das Vertrauen zum Untersucher erschüttert
wird ; er empfiehlt Übung und Schulung des ärztlichen Nachwuchses in allen
Fragen der versicherungsrechtlichen Medizin.
Windscheid (115) bespricht die einschlägigen Gesetzesbestimmungen,
die Unfallgesetzgebung in den außerdeutscheu Staaten und erklärt den
Begriff „Betriebsunfall". In klarer, lehrreicher und hauptsächlich für den
praktischen Arzt berechneter Darstellung geht Verfasser auf die Fragen
des Zusammenhanges eines Unfalles mit den verschiedenen Krankheitsgruppen
ein (Infektions-, Lungen-, Herz-, Gefäß-, Magen-, Darm-, Leber-, Bauch-
speicheldrüse-, Nieren- und Stoffwechselerkrankungen). Den weitaus größten
Raum nehmen die funktionellen und organischen Nervenkrankheiten ein, die
Verfasser in ihrer Beziehung zum Trauma und zur Begutachtung einzeln
und ausführlich bespricht. Zum Schluß bespricht W. die Stellung des
Arztes zum Invalidenversicherungsgesetz, die Untersuchung und Begutachtung
Invalider.
Medikamentöse Therapie der NerreDkrankheiien. 757
Medikamentöse Therapie der Rervenkranklieiteii.
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Schmitt (88) hat 3 neuere Derivate des Chlorals eingehenden pharma-
kologischen and klinischen Untersuchungen unterzogen. Für die Chloralose
kommt er zu dem Schluß, daß sie als einzigen Vorteil gegenüber dem
Chloral den besitzt, keine ungünstige Wirkung auf das Herz auszuüben,
daß de aber andererseits anderen wohlerprobten Schlafmitteln gegenüber
keiflerlei Vorzüge besitzt, ihre Wirkung vielmehr unzuverlässig und nicht
im von beunruhigenden und unangenehmen Nebenwirkungen ist. Auch
I Jahresbericht f. Nearologie und Psychiatrie 1906. 49
770 Medikamentöse Therapie der NervenkrankheiteD.
Yom Dormiol hat Verf. keine konstanten und besonders befriedigenden Erfolge
gesehen. Keinesfalls war sein hypnotischer Effekt dem des Chlorals über-
legen. Die pharmakologischen Untersuchungen mit Isopral haben ergeben,
daß es schneller und in gleicher Dosis intensiver hypnotisch wirkt, als
Chloral, und daß ein größerer Spielraum zwischen wirksamer und toxischer
Dosis beim Isopral im Vergleich zum Chloral vorhanden ist. Therapeutisch
empfiehlt Verf., Isopral in reichlicher Menge gezuckerten aromatischen Wassers
zu geben. Bezüglich der Dosierung und Indikation stimmt er im wesent-
lichen mit anderen Autoren überein. Der Schlaf tritt im allgemeinen viel
schneller als beim Chloral ein, in der Wirkung stimmt es im wesentlichen
mit diesem überein. Kontraindiziert ist es bei entzündlichen Affektionen
des Magendarmkanals, während es im Gegensatz zum Chloral bei manchen
Herzaffektionen unbedenklich gegeben werden kann.
Klatt (46) sieht im Isopral ein angenehm wirkendes, wenn auch nicht
immer zuverlässiges Hypnotikum bei der Schlaflosigkeit der Neurastheniker,
bei depressiven Zuständen und ein brauchbares Sedativum für manche Auf-
regungszustände. Unangenehme Nebenerscheinungen treten nur auf in
Fällen von Herzmuskeldegeneration, wo das Mittel demnach kontraindi-
ziert ist. Absolut unwirksam war das Mittel bei durch Schmerzen bedingter
Schlaflosigkeit.
Auch Tauszk (100) empfiehlt das Isopral in Dosen von 0,5—1.0
als verläßliches, von Nebenwirkungen freies Hypnotikum. Wenn er es auch
vorwiegend bei innerlich Kranken verwandt hat, so hat er es doch auch bei
einigen Fällen von Neurasthenie, Hysterie, Cephalaea mit Erfolg verordnet.
Interessant ist, daß bei einigen Tabikern, die an heftigen lanzinierenden
Schmerzen litten, es dem Verf. gelang, durch Isopral allein ohne ein anderes
Medikament Schlaf herbeizuführen.
Nach Wassermeyer (104) ist das Isopral, mit dem er an der
Siemerlingschen Klinik Versuche angestellt hat, ein Schlafmittel, das
neben den schon bekannteren sehr wohl Beachtung verdient und zu weiteren
Versuchen und ausgedehnterer Anwendung geeignet ist. Es steht in gleicher
Menge dem Veronal etwas nach, dem Trional mindestens gleich. Bei un-
ruhigen Kranken versagten die gewöhnlichen Dosen von 0,5 — 1,0 völlig,
aber auch solche von 2,5 wirkten durchaus nicht sicher; also ein anderen
Schlafmitteln völlig analoges Verhalten. Unangenehme Nebenwirkungen hat;
Verf. bei seinem Material — allerdings fast ausschließlich Psychosen —
nicht beobachtet.
Selka (92) sieht in dem Isopral zwar kein Schlafmittel erster Güte,
wohl aber ein ganz gutes, brauchbares und empfehlenswertes Mittel bei
Schlaflosigkeit einfacher Art, das gern genommen wird, bei entsprechendet
Dosis bald wirkt, frei von Nebenwirkungen ist, keine rasche Angewöhnung
bedingt und sich auch dort eignet, wo Chloral und ähnliche Mittel wegen
ihrer Wirkung auf das Herz kontraindiziert sind.
Pisarski's (79) Beobachtungen über die Wirkung des Isopral be-
treffen vorwiegend interne Fälle. Er bestätigt im ganzen die günstigen Er-
fahrungen anderer Autoren. Bemerkenswert erscheint, daß nach seinen
Beobachtungen weibliche Patienten empfindlicher gegen die Isopralwirkung
sind, als Männer. Nach Dosen über 1,0 wurde mehrfach starker Schwindel,
Schwächo und T^belkeit, sowie protrahierte Schlafsucht beobachtet. Deutlich
kumulierende Wirkung wurde nicht beobachtet, manchmal dagegen eine ge-
wisse Gewöhnung. Mehrfach wurde eine intensive sedative Wirkung kon-
statiert, so bei multipler Sklerose, Dementia senilis, Morphinismus und
Medikamentöse Therapie der Nervenkrankheiten. 77J[
Tetanus. Mehrfach wurden auch bei mäßigen Gaben Fulsbeschleunigung
und Sinken des Blutdruckes, recht häufig vermehrte Diurese beobachtet.
Verf. empfiehlt wegen des unangenehmen Geschmackes des Mittels,
dasselbe in Fastillenform oder in Oblaten zu geben. Bemerkt sei noch, daß
in einigen Fällen Dosen von 1,0 auch Schlaflosigkeit, die auf körperlichen
Schmerzen beruhte, zu beseitigen im stände waren.
Poerster (28) hat an der Bonner psychiatrischen Klinik Versuche
über die hypnotische Wirkung der Isoprals auf perkutanem Wege angestellt.
Am zweckmäßigsten erwies sich ihm eine in der Kälte leicht herstellbare
Lösung von 30,0 Isopral auf 10,0 Alcoh. absol. und 10,0 Ol. Ricini. Das
einzureibende Quantum entsprach einer Dosis von 1,0 — 6,0 des Präparates,
über 5,0 Isopral zweimal pro die ist er nicht hinausgegangen. Dosen von
2,5 — 3,0 sind meist ohne bemerkenswerten Einfluß, bei Unruhezuständen
muß man auf 4,0 — 5,0 steigern. Müdigkeit und Schläfrigkeit treten in der
Regel nach Va — 2 Stunden ein, der Schlaf dauert durchschnittlich 4 bis
7 Stunden. Verf. hat das Verfahren bei 38 Patientinnen mit im ganzen
14Ö Einreibungen versucht; bei einem Drittel der Patienten war der Erfolg
positiv, bei einem Viertel weniger ausgesprochen, beim Rest fraglich oder
negativ. Üble Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet.
Das Präparat wird an Arm oder Oberschenkel kurz eingerieben, die
flaut mit Guttapercha bedeckt und dies mit einer Binde fixiert. Die Be-
deckung wird nach 1 — IV2 Stunden entfernt. Reizerscheinungen der Haut
hat Verf. mit obigem Gemisch nicht konstatiert.
Szentkir&lyi (99) prüfte das Isopral in 20 Fällen von Erkrankungen
des Nervensystems, Stoffwechsels und der Atmungsorgane. In der Dosis von
0,0 bis 1,0 g verursacht I. einen 4 — 10 stündigen, dem normalen ähnlichen
Schlaf. Keine schädliche Wirkung auf das Herz; in 2 Fällen leichter
Kopfschmerz als Nachwirkung. In einem Falle von Morphinismus brachten
2,0 g I. keinen Schlaf, sondern nur einen P/^ stündigen rauschähnlichen
Znstand. Bei schweren organischen Erkrankungen erwies sich Veronal oft
als erfolgreicher. Die Anwendung in Lösung oder Tablettenform ist em-
pfehlenswerter. (Hudovern ig,)
Seitdem das Isopral existiert, hat Kress (49) es in der Praxis stets
im Auge behalten und veriügt heute über Erfahrungen an zirka 60 Pa-
tienten. Als Hypnotikum ist es vor allem bei jenen Nervösen und Neurasthe-
nikern indiziert, bei denen die Agrypnio in einer Erschwerung des Ein-
schlafens bedingt ist, bei denen aber nach Ul)erwindung dieser Schwierigkeit
ein genügend langer Schlaf zu erwarten steht. Da die Wirkung des Isoprals
sich schon nach wenigen Minuten geltend macht, ist es ratsam, dasselbe erst
nehmen zu lassen, wenn der Patient im Bett zum Schlaf bereit liegt und
weitere exogene Störungen beseitigt sind. Bei der obigen eingeschränkten
Indikationsstellung macht sich als prähypnotische Isopralwirkun^^ ein exjian-
siyes, befreiendes und lösendes Allgemeingefühl geltend, in welchem wir
einen Vjesonderen Vorzug des Isoprals erblicken dürfen, weil es die psychi-
schen Schlafhindernisse leicht beseitigt. Mit gerinj^en Ausnahmen hat er
mit n,5 g Isopral guten Schlaf erreicht: mehr als 0,75 hat er nie ver-
ordnen müssen. Der Schlaf war stets erquickend, unang(Michnie Neben- oder
Nachwirkungen wurden bis heute nicht konstatiert.
In diesem Sinne hat er auch bei gelierenden nemasthenischen Im-
potenten durch Isopralordination in kleineren individualisierten Dosen eine
leichtere Überwindung restiereiider, die Potentia coeundi hindernder Henimungs-
vorstellungen mehrfach gesehen, sodaß also bei präziser Jndikationsstellung
das Isopral auch als ein gutes Unterstützungsmittel der Suggestionstherapie
49*
772 Medikamentöse Therapie der Nervenkrankheiten.
angesprochen werden kann. Daraus geht hervor, daß wir in dem Isopral
keinen Konkurrenten des Veronals, sondern ein spezialisierteres Mittel zu
erblicken haben. Wegen der Reizwirkung auf empfindliche Schleimhäute
möchte er empfehlen, die Tabletten in Oblaten einschlagen zu lassen.
(Anmerkung des Referenten: Neuerdings wird das Isopral aber auch in Form
Yon Dragees geliefert, bei denen sowohl das Moment der Flüchtigkeit der
Substanz, wie des scharfen Geschmackes in Fortfall kommt)
(Aiiioreferat)
Eine kurze kritische Besprechung der 3 neuen Schlafmittel Veronal,
Isopral und Neuronal gibt Maas (60), ohne aber eigene Erfahrungen bei-
zubringen.
Baroch (5) fügt seinen bereits früher publizierten Erfahrungen mit
Dormiol einige neue hinzu. So berichtet er über einen Fall von Ischias bei
einer Hysterica, bei der die Kombination von Dormiol mit Antineuralgicis
sehr gute Wirkung tat, ferner über einen Fall von Tabes, bei dem gleich-
falls die Kombination von Dormiol mit Lactophenin und kleinen Dosen
Morphin lange Zeit hindurch die durch lanzinierende Schmerzen sonst stark
gestörte Nachtruhe wiederherstellte. Verf. hat ferner bei Erregungszuständen
nach epileptischen Anfällen sehr gute Erfolge erzielt, ferner seine eigene
Schlaflosigkeit erfolgreich mit Dormiol bekämpft. Verf. empfiehlt die Ver-
abreichung des Mittels in Kapseln als angenehmste und zuverlässigste.
Baschkow (83) hat Neuronal bei 63 Patienten mit im ganzen
400 Einzelgaben versucht. Die Dosis betrug meist 0,5, stieg aber in einer
Anzahl von Fällen bis zu 2,0. Es handelte sich durchweg um Geisteskranke.
203 mal w^urde ein Schlaf von mindestens 6, 124 mal von weniger als 6,
33 mal von weniger als 2 und 32 mal überhaupt keine Schlafwirkung erzielt.
Unangenehme Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet. Bei Erregungs-
zuständen mußten gewöhnlich 2,0 gegeben werden, ohne aber jedesmal zu
wirken. In seiner Wirkung wurde das Mittel nur vom Veronal übertroffen,
Isopral und Hedonal kamen ihm ziemlich gleich. 1,0 Neuronal entspricht
ungefähr 0,5 Veronal und 2,0 Hedonal.
Schulze (89) faßt seine Erfahrungen mit Neuronal in folgenden Sätzen
zusammen:
1. Es wirkt in Gaben von 0,5 — 1,0 günstig in den meisten Fällen von
Schlaflosigkeit, soweit nicht starke Schmerzen oder andere heftige Beschwerden
komplizierend wirken.
2. Auf Kopfschmerzen hat es keinen Einfluß.
3. Bei Epilepsie scheint es die Zahl der Anfalle herabzusetzen.
4. Eine kumulative Wirkung findet nicht statt, eher eine gewisse Ab-
schwächung bei länger fortgesetztem Gebrauch,
5. Leichte Nebenwirkungen kommen gelegentlich vor, sind aber selten
und gefährden nicht den Patienten.
Bleibtreu (13) empfiehlt Neuronal in Dosen von 0,5—1,0 als wirk-
sames Sedativum und Hypnoticum. Erstere Eigenschaft hat Verf. auch bei
Chorea gute Dienste geleistet.
Die Erfahrungen Euler's (24) mit Neuronal sind nicht ganz so günstig,
wie die anderer Autoren. Er hat das Mittel bei etwa 40 verschiedenen
Psychosen versucht und kommt zu dem Schluß, daß es eine Reihe ganz un-
verkennbarer Erfolge zeitigt, daß aber viele Patienten auf Neuronal überhaupt
nicht reagieren oder sich sehr rasch daran gewöhnen, daß ferner in nicht
wenigen Fällen Nebenerscheinungen zur Beobachtung kommen, die sich mehr-
fach in allgemeinem Unwohlsein, Erbrechen und Durchfällen äußerten. Bei
Epileptikern wurde eine Verringerung der Anfälle nicht beobachtet. In den
Medikamentöse Therapie der Kerrenkrankheiten. 773
Fällen, in denen das Mittel seine volle Wirkung entfalten konnte, setzte
dieselbe überraschend schnell ein, was vielen Narkoticis gegenüber einen
unzweifelhaften Vorteil bedeutet.
PröUs (81) teilt Erfahrungen mit Veronal aus der allgemeinen Praxis
mit. 3 Fälle betrafen psychische Erkrankungen, in denen es gelang, den
Fat ohne Anstaltsbehandlung Beruhigung zu schaffen und die psychische
ASektion zur Heilung zu bringen. Bei durch Schmerzen bedingter Schlaf-
losigkeit hat Verf. keine Erfolge gesehen, wohl aber bei sonstigen körper-
lichen Erkrankungen, fieberhaften Zuständen usw., die durch Schlaflosigkeit
kompliziert waren. Eine Gewöhnung hat Verf. nicht konstatieren können,
ebensowenig unangenehme Nebenwirkungen. Auch bei schweren Herzleiden
kann das Mittel unbedenklich gegeben werden.
Beyer (12) hat die Erfahrung gemacht, daß Veronal vor anderen
Schlafmitteln den Vorzug hat, auch ohne Steigerung der Einzelgabe längere
Zeit hindurch verabreicht, stets eine prompte Wirkung zu erzielen. Neben-
erscheinungen traten bei Dosen von 0,6 — 1,0 nicht ein, neben der hypnotischen
besitzt das Mittel ausgesprochen sedative Wirkung.
Die besten Erfolge von Veronal als Sedativum und Hypnotikum sah
KUeneberger (47) bei mehreren auf den Tag verteilten kleinereu Einzel-
gaben, 3 mal täglich 0,25 nach den Mahlzeiten. Bei größeren Tagesgaben
als 1,0 stellten sich keine entsprechend höhere Wirkung, aber wiederholt
unangenehme Nebenerscheinungen, wie Schlafsucht, leichte Benommenheit usw.
ein. Weiter teilt Verf. einen Fall von Idiosynkrasie gegen Veronal mit, bei
dem es nach Dosen von 1,0 pro die mehrmals zu Rauschzuständen mit
Schwindelgefühl, taumelndem Gang, träger Pupillenreaktion, Tremor und
lallender Sprache kam. Derartige Beobachtungen mahnen jedenfalls zur
Vorsicht bei der Ordination des Mittels.
Alter (2) hat in der Provinzial-Irrenanstalt Leubus bei 3 Psychosen
nach Verabreichung von 1,0,. Veronal sehr schwere vorher bei den betreflFeuden
PäUen nicht beobachtete Änderungen des Zustandes gesehen, die er zwar
nicht mit absoluter Sicherheit als Intoxikationserscheinungen deuten will und
zwar aus dem Grunde, weil in der bisherigen Veronalliteratur ähnliches nicht
beschrieben ist, die aber doch zu einer gewissen Vorsicht bei Verordnung
des Mittels mahnen. Im 1. Fall traten nach gutem Schlaf heftige Kopf-
schmerzen, Kongestionen, dann ein deliriöser Zustand mit schreckhaften
Visionen, der etwa 6 Stunden anhielt, später 2 bluthaltige Stuhlentleerungen
auf. Auf kleinere Dosen reagierte Patient jedesmal mit Kopfschmerzen,
neuralgischen Beschwerden und Kongestionen. Im 2. Fall, bei einer ver-
wirrten und unruhigen Epileptica trat gleichfalls nach 1,0. Veronal nach
gutem Nachtschlaf plötzlich Cheyne-Stokessches Atmen ein, die Reflexe
Terschwinden, es setzt hohes Fieber ein, Exitus nach 3 mal 24 Stunden.
Auch hier Blutfarbstoff in den Faeces. Sektion nicht gestattet. Im 3. Fall
traten Erscheinungen ähnlich denen in Fall 1 ein, Kongestionen, Herzangst,
Cyanose, ängstliche Visionen, die mehrere Stunden anhielten. Hier wai* das
Mittel per clysma verabreicht worden. Auch hier fand sich einmal in den
Faeces Blutfarbstoff.
Verf. will nicht sicher behaupten, daß es sich in den mitgeteilten Fällen
am Intoxikationen handelt, steht aber seit diesen Erfahrungen dem Veronal
mit einem gewissen Mißtrauen gegenüber.
Kress (60) hat dreimal nach abendlichen Dosen von 0,5 Veronal nach
3—4 Tagen eine kumulierende Wirkung in Form einer sich über mehrere
Tage erstreckenden Schlaftrunkenheit mit konsekutiver äußerst mangelhafter
Nahrungsaufnahme und Unfähigkeit, das Bett zu verlassen, beobachtet, die
774 Medikamentöse Therapie der Neryenkrankheiten.
ihn veranlaßt, zur vorsichtigen Beobachtung etwaiger Erscheinungen von
kumulativer Wirkung aufzufordern. Ref. glaubt, daß in der Praxis (ab-
gesehen vielleicht von der Anstaltsbehandlung) wohl kaum täglicher Gebrauch
von Schlafmitteln wie Veronal angeraten wird.
Interessant und zu weiterer Prüfung auffordernd ist die streng genommen
zwar nicht hierher gehörige Beobachtung FraenkePs (29), der in einer
größeren Zahl von Fällen von Keuchhusten eine sehr wirksame Beeinflussung
der Anfälle durch Veronal konstatieren konnte. Komplizierende epileptifomie
Anfälle wurden allerdings nicht vermindert. Die Dosierung geschah in
Tabletten von 0,06 — 0,1 mehrmals täglich je nach dem Alter.
Fischer und v. Mering (26) haben Versuche mit einem Homologen
des Veronals, der Dipropylbartitursäure, Proponal genannt, angestellt In
20 Fällen einfacher Schlaflosigkeit wurden Dosen von 0,15 — 0,6 mit sehr
gutem Erfolge gegeben. Der Schlaf trat innerhalb 15 — 40 Minuten ein und
hielt 6 — 9 Stunden an, ohne daß Nebenwirkungen beobachtet wurden. Bei
vergleichenden Untersuchungen stellte sich heraus, daß Proponal in der
halben Dosis ebenso stark wirkt, wie Veronal; stellenweise wirkte es trotz
seiner schweren Löslichkeit im Wasser schneller als Veronal. Bemerkens-
wert ist, daß das Mittel mehrmals in Fällen von durch Schmerzen bedingter
Schlaflosigkeit, wo Veronal bekanntlich versagt, sehr gute Wirkung tat
Viferral, ein aus Chloral und Pyridin hergestelltes Polychloral, ist von
Witthauer und Gärtner (107) pharmakologisch und klinisch untersucht
worden. Es stellt ein weißes, bitter schmeckendes, in kaltem Wasser sich
nur langsam, in siedendem aber völlig lösendes Pulver dar, das im Magen
nicht in Chloralhydrat umgewandelt wird und keinerlei Reizwirkung auf
die Magenschleimhaut ausübt Es hat sich in Dosen von 0,75 — 1,0 bei
verschiedenen körperlichen Erkrankungen und vor allem bei nervöser Schlaf-
losigkeit, wenn keine starken Aufregungszustände und keine Schmerzen
vorhanden waren, gut bewährt Irgendwelche unangenehmen Neben- oder
Nachwirkungen bis auf ganz geringen Kopfdruck haben VerflF. nicht beobachtet
Es empfiehlt sich, das Mittel in Oblaten oder Tabletten zu verordnen. Der
Preis ist ein mäßiger (10 Tabletten k 1,0 = 1,25 Mk.).
Freudenberg (31) rät, von den chemischen Schlafmitteln möglichst
geringen Gebrauch zu machen und es lieber besonders bei chronischen
Fällen mit physikalischen und autosuggestiven Methoden zu versuchen.
Er macht auf einige derselben, die in jüngster Zeit empfohlen sind, auf-
merksam. Es handelt sich um den Winternitzschen nassen Fußwickel
(wohl eine Modifikation des „nassen Strumpfes", Ref.), Offnen und Schließen
der Augen mit Inspiration und Exspiration, Anlegen einer festen Binde
über Augen und Nacken u. a. Verf. hat zweifellos damit recht, daß
gelegentlich ein oder das andere derartige Mittel ebenso gut Schlaf herbei-
fiihrt, wie Narkotika resp. Hypnotika, ohne deren doch nicht immer gleich-
gültige Neben- oder Nachwirkungen zu besitzen.
Bergeil und Mamlock (ll) geben eine interessante historische
Studie über die Entwicklung der Morphinforschung in den 100 Jahren seit
der Entdeckung des Morphins durch Sertürner, eine Studie, die gleich-
zeitig einen kurzen Abriß der Geschichte der Alkaloide überhaupt darstellt
In einem zweiten Aufsatz bespricht Bergell (9) ebenfalls die Fort-
schritte und die Ziele der Erforschung des Morphins; von den letzteren
bezeichnet er als das zunächst präzisierte die Synthese des Alkaloids. Der
Aufsatz hat vorwiegend pharmakologisches Interesse.
Sollier (94) setzt auseinander, daß das Dionin keinen Vorzug besitzt
um das Morphium ersetzen zu können. Es besitzt alle Grefahren des
lledikameotöse Therapie der Nervenkrankheiten. 775
Morphiums, ist sogar Doch weit mehr schädlich und macht heftigere Intoxi-
katioDserscheiiiungen als jenes. Es ist durchaus unbrauchbar und als Ersatz-
mittel für Morphium nicht zu verwenden. Das gleiche Urteil fällt er über
das Heroin, das auch nur im stände ist, anstatt des Morphinismus eine Heroi^-
manie hervorzurufen. (Bendia.)
Joi" und BrofflprSparate.
Tomascsewski (lOl) gibt eine detaillierte Schilderung der Technik
der Jodipininjektionen, wie sie sich ihm seit längerer Zeit bewährt hat.
über ihre therapeutische Bedeutung läßt er sich in dem kleinen Aufsatz
nicht aus.
Ueier (65) teilt einige an Mäusen vorgenommene Versuche über
die reflexherabsetzende resp. krampfstiilende Wirkung des BromocoUs mit. .
Bei Tieren, die mit Strychnin in tetanuserzeugender Dosis vergiftet wurden,
traten nach gleichzeitiger Einverleibung von BromocoU keine tetanischen
Erscheinungen auf.
In einer zweiten Reihe von Versuchen hat Meier (66) festzustellen
unternommen, inwieweit Bromocoll bei akuten Strychninvergiftungen thera-
peutisch verwertbar ist. Ist bereits erhöhte Reflexerregbarkeit eingetreten,
so läßt subkutane Injektion einer 10 7o BromocolUösung ein deutliches
Schwächerwerden der Strychninwirkung erkennen. Ist bereits Tetanus ein-
getreten, so ist Rettung des Versuchstieres nur dann möglich, wenn die
Injektionen an verschiedenen Stellen, besonders in der Nackengegend, gemacht
werden, durch Massage die injizierte Menge über den ganzen Körper verteilt
und gleichzeitig künstliche Respiration unterhalten wird. Bromkali ist,
wie Verf. gleichfalls festgestellt hat, nicht im stände, die Giftwirkung des
Strychnins zu eliminieren.
In einer Reihe weiterer Versuche stellte Meier (67) folgende Unter-
schiede zwischen Bromipin und Bromocoll fest. Letzteres gelaugt schnell
fui Wirkung, letztere besteht nur kurze Zeit; das Bromipin gelangt langsam
zur Wiikung, letztere hält dagegen länger an. Dieses Verhalten in Bezug
auf die Verschiedeuheit der Resorption und Ausscheidung läßt sich auch
beim Menschen nachweisen.
Meier (68) beobachtete, daß der Harn nach Verabreichung größerer
Brommengen stark getrübt war, ebenso, wenn er Bromipin in größeren
Dosen gab. Dagegen trat die Trübung bei entsprechender Bromocollver-
abreichung nicht auf. Ein Versuch mit Bromipin, entsprechend 10 g Brom,
ergab als Resultat eine Bromvergiftung unter starker Ausscheidung von
Harnsäure und Erdphosphaten, Aceton und flockigem Niederschlag. Es
handelte sich höchstwahrscheinlich um eine starke Nierenüberreiziing infolge
großer Brommengen. (Betulix.)
TalerianaprSparate.
Die Arbeit von Kionka (43) beschäftigt sich mit der Frage der ver-
schiedenen pharmakologischen Wirkung des Baldrians je nach Varietät und
Standort der Pflanze und hat ausschließlich pharmakologisches Interesse.
Boss (16) bezeichnet nach seinen an den verschiedensten Fällen von
funktionell nervösen Störungen gemachten Beobachtungen Bornyval als das
gegenwärtig beste Analeptikum, das bei den verschiedensten neurasthenischen
und hysterischen Zuständen eine stets gute und wohltätige Wirkung entfaltet
und auf nervöse Herzbeschwerden in fast spezifischer Weise einzuwirken scheint.
Sehr enthusiastisch äußert sich Schumann (90) über seine Erfolge
nut Bomyral, in dem er ein Nervenmittel allerersten Ranges sieht. Seine
7 76 Medikamentöse Therapie der NerTenkrankheiten.
Erfahmngen beziehen sich auf einen sehr schweren Fall von Enuresis nocturna
et diurna, der durch Bornyval geheilt ist, auf Fälle von nervösen Hen-
beschwerden und Neurasthenie.
BringS (18) hat Bornyval nicht nur bei funktionellen Herzstörungen
als wirksam erprobt, sondern auch bei organischen Erkrankungen des Henens
gute symptomatische Erfolge gegen Herzklopfen, Atemnot, Angina pectoris
erzielt. Er will auch in einigen Fällen von Epilepsie Verringerung der
Anfälle nach Bomyvalgebrauch gesehen haben, sowie außerordentlich günstige
Beeinflussung zweier Fälle von traumatischen Neurosen. Dem Ref. hat
das Mittel bei zwei Fällen der letzteren Art noch in jüngster Zeit völlig
versagt.
Auch Beerwald (8) bestätigt die günstige Wirkung des Bomyrals
bei den funktionellen Neurosen, besonders bei funktionellen Herzstörungen.
Er schildert an einigen Krankengeschichten die günstige Wirkung des Mittels.
Levy (66) zieht aus seinen Erfahrungen mit Bornyval den SchluB^
daß es ein hervorragendes Hilfsmittel bei der Behandlung vielseitiger nervöser
Störungen, insbesondere der Hysterie in ihren verschiedenen Formen nnd
der nervösen Kreislaufstörungen darstellt. Von 18 Patienten vertrugen nur
zwei das Mittel nicht^ bisweilen wurde es monatelang ohne Widerwillen ge-
nommen. Bemerkt sei, daß das Präparat gelegentlich auch bei organischen
Herzafifektionen symptomatisch schmerzlindernd und beruhigend wirkte.
Auch Brano (20) stimmt mit der Mehrheit der Autoren überein, die
im Bornyval eine außerordentlich schätzenswerte Bereicherung unseres Arznei-
Schatzes sehen. Er zeigt an einer Reihe von Krankengeschichten den
günstigen Einfluß des Mittels bei verschiedenen funktionellen Neurosen, be-
sonders der Neurasthenie und Hysterie, der auch nach seinen Erfahrungen
vornehmlich vasomotorischen und kardialen Funktionsanomalien zu gute kommt
Witt (106) gibt ein Sammelreferat über die bisher erschienenen Arbeiten
über Bornyval ohne eigene Erfahrungen.
Abermals ein neues Valerianapräparat, das Valofin, das von Beddies (7)
empfohlen wird, ein Destillat der Valerianawurzel, das die wirksamen Bestand-
teile dieser und der PfeflFerminze vereinigt und den Vorzug der Billigkeit
hat. Aus Resorptionsversucheu hat Verfasser nachgewiesen, daß es schneller
resorbiert wird, als Bornyval und ValyL Es fehlen femer Reizwirkungen, der
Geschmack ist relativ angenehm. Indiziert ist das Präparat bei allen funk-
tionellen Nervenstörungen, vor allem auch solchen des Magens und Darms
auch bei Kindern, sowie bei schmerzhaften Menstruationsstörungen.
Antinenralgika: AspirlD, AconltlDp TrigemlD, Maretin, Pyramldon.
RhodannatrlDffl.
Seifert (91) gibt ein sehr reichhaltiges Sammelreferat über die bis-
herigen therapeutischen Erfahrungen mit Aspirin. Von seinen eigenen Er-
fahrungen interessieren besonders die günstigen Erfolge, die er mit der
Anwendung des Mittels bei Interkostalneuralgie und bei einem Falle tod
chronischer Gicht mit häufigen subakuten Nachschüben erzielt hat.
Nachdem bereits Weil, Merkel, Witthauer u. a. auf die schmen-
stillende Wirkung der Salicylsäure in Form ihrer Verbindungen hingewiesen
hatten, machte Wederhake (105) die Erfahrung, daß diese Wirkung sich
auch bei den chirurgischen Erkrankungen betätigte. Namentlich bei den
inoperablen Carcinomen ist sie im stände, das Morphium ganz zu verdrängen.
Viele Kranke gaben sogar dieser Medikation vor dem Morphium den Vor-
zug, da die Schmerzstillung länger anhielt. Man konamt bei fast allen
Medikamentöse Therapie der Nerrenkrankheiten. 777
Kranken mit dreimal täglich 1 g Natr. salicyl. oder Aspirin oder SalipyriD
aus. Nur der hohe Preis steht der Anwendung der Salicylpräparate al»
aligemeines Analgetikum im Wege. Nicht zu unterschätzen ist die
schmerzstillende und schlafmachende Wirkung der Salicylsäure hei der
Entziehung des Morphiums, da sie uns behilflich ist, ein wichtiges Symptom,
das sogar in vielen Fällen die Ursache des Morphinismus ist oder wird,,
mit großer Sicherheit zu bekämpfen, zumal man unbedenklich auch höhere
Dosen geben kann und eine Angewöhnung auch bei langem Gebrauche nicht
stattfindet. (Autoreferat,)
Martinet (63) sieht in dem Aconitin eines der wirksamsten Anti-
nenraigica, yielleicht das dem Morphin zunächst kommende; er macht aber
auf die ungemein wechselnde Toleranz gegenüber der Giftwirkung des Mittels
aufmerksam, die zu besonderer Vorsicht bei seiner Anwendung mahnt. Verf.
gibt als Anfangsdosis nie mehr als ein Decimilligramm, die nur bei fest«
gestellter Toleranz wiederholt und gesteigert werden sollte; zu beachten ist
anch die dem Mittel eigentümliche kumulierende Wirkung. Die ersten
toxischen Erscheinungen sind bekannt, so daß sich ihre Wiederholung er-
übrigt. Die Mittel, die Verf. empfiehlt, sind französische Fabrikate; das in
seiner Wirkung sehr gleichmäßige deutsche Präparat der Firma Gehe scheint
Verf. nicht zu kennen, wenigstens findet es keine Erwähnung.
Hammer (35) hat mit dem Trigemin eine größere Reihe klinischer
Versuche angestellt, die Kranke mit den verschiedensten funktionellen und
organischen Nervenleiden betrafen. Von seinen Beobachtungen ist bemerkens-
wert, daß Trigemin in 16 Fällen von Tabes 11 mal sehr günstige Wirkungen
auf die lanzinierenden Schmerzen ausübte und nur 5 mal versagte. Bei
Trigeminusneuralgie chronischen Charakters wirkte es palliativ meist günstig,
aber meist nur in leichteren Fällen. Im übrigen ist es anderen brauchbaren
schmerzstillenden Mitteln an die Seite zu stellen. Bisweilen übt es — wohl
durch seine Chloralhydratkomponente — hypnotische Wirkung aus. In seltenen
Fällen verursacht es Übelkeit, Magenbrennen und Erbrechen.
Nach Muller (73) stellt Trigemin ein vorzügliches Mittel bei Schmerzen
neuralgischer Art, z. ß. Trigeminusneuralgie, Migräne u. a. dar, dagegen ist
es nicht angezeigt bei Schmerzen entzündlicher Provenienz, wie Rheumatismus,
besonders nicht, wenn Fieber oder Magenbeschwerden bestehen. Trigemin
besitzt sehr stark die Magenschleimhaut reizende Wirkungen, wird aber bei
gesunder Schleimhaut meist gut vertragen, während es auch bei leichtesten
MagenaSektionen Erbrechen und heftige Schmerzen provoziert. Das Mittel
wird deswegen und wegen seines schlechten Geschmackes am besten in
Oblaten oder Kapseln gegeben. Verfasser empfiehlt nicht, wie die Höchster
Farbwerke anraten, als Einzeldosis 0,6 — 7,5, sondern weit kleinere Mengen
0,2 — 0,25, die vollkommen genügen. Zu achten ist auch auf Reinheit dos
Präparates, das, zersetzt, sich gelblich bis braun färbt.
Kirkowi£ (44) faßt seine Erfahrungen mit Maretin in folgenden
Schlüssen zusanunen:
1. Bei akutem Gelenkrheumatismus hat es eine sichere und prompte
Wirkung, die sich in raschem Nachlaß des Fiebers, der Schwellung und
der Schmerzen kundgibt. Sein Vorteil den Salicylpräparaten gegenüber
besteht im Wegfall der oft lästigen Schweißwirkung. Bei subakuten Fällen
wirkt es selbst beim Versagen von Salicylpräparaten heilend oder mindestens
erheblich bessernd. Bei chronischen Fällen wirkt es oft symptomatisch
Khr günstig.
2. Bei manchen Neuralgien, lanzinierenden Schmerzen und Kopf-
schmerzen erweist sich das Maretin als ein sehr brauchbares Mittel und ist
778 Medikamentöse Therapie der Nervenkrankheiten.
vielleicht berufen, manche Lücke auszufüllen, die unsere Antineuralgica bis
jetzt offen gelassen haben.
3. Die zweckmäßigste Dosierung sind Dosen 0,25 — 0,5 2 — 3 mal tägUch.
4. Von Nebenwirkungen hat Verf. in 3 Fällen eine leichte ikterische
Verfärbung der Haut und der Skleren gesehen, die ohne Beschwerden in
zehn Tagen verschwand. Übermäßige Schweißeruptionen, wie sie Litten
bei Phthisikern beobachtet hat, konnte Verf. nicht konstatieren.
Reuter (84) bestätigt die günstigen antipyretischen Wirkungen des
Maretins, namentlich bei der fieberhaften Temperatur der Phthisiker; Dosis
0,25 — 0,50 g. Keine unangenehmen oder schädlichen Nebenwirkungen.
In obiger Dosis erwies, sich Maretin auch als brauchbares Antineuralgiknm
sowohl bei neuralgischen, als lanzinierenden Schmerzen, femer auch bei
Kopfschmerzen verschiedener Natur. Höhere Dosis als 0,6 g ist nicht
ratsam, denn Verf. beobachtete bei 1 g einen CoUaps. (Uudovermg.)
Die Erfahrungen von Klatt (45) mit dem Pyramidon beziehen sich
ausschließlich auf interne Fälle (Typhus und Tuberkulose) und ermangehi
daher neurologischen Interesses.
V. Dalmady (22) hat das Rhodannatrium bei vier Tabikem versucht,
u. z. in Lösung, bei Einzeldosen von 0,25, und Tagesdosen von 1,0 — 1,25 g
augewendet, wobei er einen besonders günstigen Einfluß auf die lanzinierenden
Schmerzen, auf das Gürtelgefühl und auf die unangenehmen Sensationen
nachweisen konnte. Verf. entscheidet jedoch nicht, ob die Wirkung dem
sedativen Einflüsse des Rhodannatriums oder seiner Wirkung auf den Angio-
spasmus zuzuschreiben ist (von welchem die lanzinierenden Schmerzen und
die gastrischen Krisen der Tabiker nach Pal abhängig wären). Gewöhnung
an das Mittel ist nicht ausgeschlossen ; keine unangenehmen Nebenwirkungen.
(Hudovemig.)
Taria: ElseOp Arseiip Lecithin, Pliosphor, Nitroglycerin, Joliimbinp
Argentuffl nitrlcum, Eumydrln, Clavln, Hydargynim. — Alcnponktnr nnl
Moxenbeliandmng.
Laquer (52) hat Arsenferratose (Boehringer) bei einer Anzahl von
Fällen von Anämie, konstitutioneller Schwäche, Chorea, Neurasthenie,
Hysterie und Basedow mit sehr gutem Erfolge gegeben. Er sieht in dem
Mittel eine glückliche Kombination eines Tonikums mit einem Nervinum, die
stets gut vertragen wurde, in günstigster Weise auf Hebung der Ernährung
und des Körpergewichts wirkte und gleichzeitig auch die nervösen Störungen
sehr günstig beeinflußte. Auch Kef. hat in jüngster Zeit vielfach sehr
günstige Erfolge mit genanntem Mittel erzielt.
Liermberger(57) gibt, besonders auf den therapeutischen Erfahrungen
mit Levico-Starkwasser fußend, dem Gedanken Ausdruck, daß bei der
kombinierten Anwendung von Eisen und Arsen eine gewisse Reziprozität
der Wirkung beider Agentien besteht derart, daß das eine Mittel die Wirk-
samkeit des anderen erhöht und umgekehrt, ohne zu verkennen, daß dieser
Annahme der gesicherte Boden experimenteller Untersuchungen bisher
noch fehlt.
Bergeil und Braunstein (10) haben sich bei ihren experimentellen
und klinischen Versuchen mit Bromlecithin ausschließlich darauf beschränkt,
die Wirkung des Mittels auf die Blutbeschaffenheit zu studieren, ohne anf
andere Indikationen, deren Aufstellung vorläufig nicht durchweg gerechtfertigt
erscheint, einzugehen. Für ihre Zwecke haben sie unzweifelhaft feststellen
können, daß bei einer Reihe von sekundären Anämien der Blutbefund in
Medikamentöse Therapie der Nervenkrankheiten. 779
auffällig günstiger Weise durch das Mittel beeinflußt wurde, und daß damit
Hand in Hand eine Kräftigung des Allgemeinzustandes und Hebung der
Ernährung ging. Als ein wirksames Brompräparat erwies sich dagegen das
Bromlecithin nicht Die Dosierung des Mittels geschah in den von der
Aktien - Gesellschaft für Anilinfabrikation hergestellten Bromlecithinpillen
& 0;1, dreimal täglich zwei Pillen.
Fürst (32) rühmt die günstigen Erfolge, die er bei geschwächten
Kranken mit der Biedelschen Krafknahrung erzielt hat, deren Hauptvorzug
nicht nur der der Hebung des allgemeinen Ernährungszustandes ist, sondern
Tor allem auch die günstige Beeinflussung der Nerventätigkeit bei Zuständen
TOD Apathie und Depression. Verfasser glaubt diese Wirkung besonders
auf die Zusammensetzung des genannten Präparates zurückführen zu müssen,
das in erheblicher Menge gerade die Stoffe enthalte, die für eine Zellmast
des Nervensystems in Frage kommen.
Loomis (58) faßt seine klinischen und experimentellen Erfahrungen
ober die Wirkung des Nitroglycerins in folgenden Schlußfolgerungen zu-
sammen: Die gewöhnliche Dosis des Mittels, 0,0006, ist zu gering, um bei
krankhaften Zuständen irgend welchen Einfluß auszuüben. Die geringste,
wirksame Dosis beträgt 0,0012. Hoher Blutdruck wird beim Menschen
durch das Mittel nicht beeinflußt, Erweiterung der Gefäße ist nach seiner
Anwendung nicht zu konstatieren. Versuche am Hunde haben gezeigt, daß
seine Wirkung sehr vorübergehend ist, und daß Dosen von 0,0006, vier-
stündlich gegeben, ohne Einfluß auf die Arterien waren. Eine vermehrte
Harnausscheidung konnte Verf. nicht konstatieren. Verf. glaubt, daß das
Mittel bei Zuständen von Arterienspasmus (Angina pectoris, Migräne, Asthma)
von Nutzen sein kann, aber nicht bei Arteriosklerose.
Die Arbeit Holterbach's (38) mag hier kurze Erwähnung finden,
da sie den öfter gemachten Einwand, daß das Yohimbin nur suggestiv wirke,
zu widerlegen geeignet erscheint. Verf. hat nämlich das Mittel bei ver-
schiedenen Tiergattungen gegen Impotentia coeundi angewandt und vielfach
vorzügliche Erfolge erzielt, von denen eine Reihe mitgeteilt werden.
Eine zweite Arbeit Holterbach's (39) beschäftigt sich mit demselben
Gegenstande und bestätigt die günstigen Erfolge unter Anführung weiterer
Fällp.
Babonneix (4) gibt eine kritische Zusammenstellung der verschiedenen
Erkrankungen, bei denen Argentum nitricum innerlich verordnet wird. Die
Arbeit hat, da sie eigene Erfahrungen nicht beiträgt, nur geringes Interesse.
Die Arbeit von Hagen (33) hat vorwiegend internmedizinisches Inter-
esse, da sie sich mit der Wirkung des Eumydrins als Atropinersatz bei
Erkrankungen der ünterleibsorgane beschäftigt.
Vablen (102) ist es gelungen, aus dem Mutterkorn im Gegensatz zu
den bisher bekannten Bestandteilen desselben, einen Stoff zu isolieren, das
Clavin, das im Wasser löslich ist, weder Gangrän noch Krämpfe erzeugt
nnd im Tierexperiment die Eigenschaft aufwies, kräftige Wehen hervorzu-
rufen. Die positiven therapeutischen Versuche des Verf. haben ausschließ-
lich geburtshilfliches Interesse.
In einer umfangreichen Arbeit bespricht Lannois (51) die Methoden,
die Technik und die Indikationen der merkuriellen Injektionsbehandlung.
Von seinen Ausführungen interessieren hier nur seine Bemerkungen über
die Behandlung der syphilitischen und der parasyphilitischen Affektionen des
Nervensystems. Er betont, daß bei den ersteren nur die Prozesse heilbar
sind, die einer histologischen Umwandlung noch fähig und dem Quecksilber
Zugänglich sind. Narben, Herde, in denen das Nervengewebe zerstört oder
780 Hydrotherapie, Balneotherapie und verwandte
degeneriert sind, sekundäxe sklerotische Prozesse sind Yom Quecksilber nicht
zu beeinflussen. Dasselbe gilt von der Tabes und der Paralyse.
Okada (74) yeröffentlicht eine interessante Darstellung der Technik
und Anwendung der Moxen und der Akupunktur in Japan von mehr kultur-
historischem als medizinischem Interesse.
Hydrotberapie, Balneotberapie nnil Yerwandte Heilmethoden bei
Nervenliraiikheiten.
Referent: Priv.-Doz. Dr. Determann-Freiburg-St. Blasien.
1. Albu, Die Behandlung der Hyperacidität und der Hypersekretion des Magens.
Therapie der Gegenwart. Heft 4.
2. Allard, Zur Anwendung der Lichtbäder. Verelnsbeil. d. Deutsch. Med. Wochen-
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8. Bachmann, Die gesundheitliche Bedeutung des Luft- und Lichtbades. Blätter far
Volksgesundheitspflege. H. 6, p. 92.
4. Bain, William, Edgecombe, Wilfred and Frankling, Hubert, The Effect of
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5. Barbier, Les Sanatoriums maritimes de la cote Atiantique en France. Bull. gen.
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6. Bassenge, R., Dr. Pascal Josef v. Ferro, ein Hydrotherapeut des XVIII. Jahr-
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Hydrotherapie.
Herz (45), dessen Ansicht über das Wesen der Reaktion schon voiiir^^s
Jahr (siehe Referat in diesem Jahresbericht 1904, S. 809) wiedergei^^ohen
wurde, beschreibt zunächst die Abhängigkeit der Zirkulation von dorn
nTonus" der Arterien, einem Begriff, dem jede Kxistenzberechtignng fehle
(? Ref.). Entscheidend sei für die Spannung der Arterieuwand nur der
Blutdruck und die Weite des Gefäßes. Den Sitz der Reaktion verlegt
Herz in die „kleinsten Arterien", die bei hellroter Färbung der Haut (gute
Beaktion) weit, bei blauroter (schlechte Reaktion) eng S(^ien. Sie bildeten
also eine „Schleuse" zwischen kapillaren und weiteren Arterien.
Strasburger (96) hat zur Untersuchung des Eintiussos von Bädern
auf die Zirkulation beim Menschen seine Methode (Zeitschr. f. klin. Medizin,
Bd. 54, S. 373) angewandt. Dieselbe erlaubt den Minimal- und Maximal-
druck, sowie das Verhältnis der Differenz derselben zum Maximaldruck, den
784 Hydrotherapie, Balneotherapie und verwandte
„Blatdruckquotienten** festzustellen. Die Resultate seiner Experimente faßt
Verfasser in folgende Sätze zusammen:
„I. Wasserbäder. Die Kurve des systolischen Blutdruckes während
des Bades zeigt im Prinzip einen dreiteiligen Typus : Ansteigen — Senkung
— Ansteigen. Es sind aber nicht immer alle drei Phasen ausgebildet. Am
konstantesten ist die mittlere Senkung. Nach dem Baden erfolgt stets ein
Fallen des Druckes, in der Regel bis unter das Anfangsniveau. War der
Druck zum Schluß des Bades schon unter diesem, so bleibt er hier noch
einige Zeit.
Je kälter das Bad, um so ausgesprochener die Anfangssteigerung, je
heißer, um so ausgesprochener die Schlußsteigerung des Blutdruckes.
Bei heißen Bädern (über 40 ^ C.) befindet sich während des Bades der
Druck dauernd über dem Ausgangsniveau.
Bei warmen Bädern (bis 40® C.) pflegt der Blutdruck, abgesehen
davon, daß die Anfangssteigei-ung gering ist oder fehlt, im ganzen tiefer
zu sinken, als bei kalten Bädern.
Die Kurven des systolischen Blutdruckes bei Bädern nicht weit ober-
halb des Indifferenzpuuktes können aber denen von Bädern nicht weit unter-
halb dieses Punktes zum Verwechseln ähnlich sehen.
Bäder gleich oberhalb des Indifferenzpunktes scheinen auf den Blut-
druck regulierend zu wirken.
Der Indifferenzpunkt für den Blutdruck befand sich in meinen Ver-
suchen bei 34 ® und 35 ® C. Der Indiffereuzpunkt für die Pulsfrequenz um-
faßte bei einfachen Wasserbädern die Temperaturen 34, 35 und 36** C.
Unterhalb dieses Punktes findet man Pulsverlangsamung , oberhalb
Beschleunigung.
Der diastolische Druck bewegt sich gleichsinnig mit dem systolischen,
geht ihm aber keineswegs völlig parallel.
Aus dem Verhalten des Blutdruckquotienten und aus seinem Vergleich
mit dem systolischen Druck, ergibt sich, daß bei einfachen Wasserbädem,
deren Temperatur unterhalb 40 ® C. liegt, der Verlauf der Druckkurve ganz
vorwiegend durch das Verhalten des Gefäß tonus bestimmt wird. Insbesondere
ist bei kalten Bädern der primäre Druckanstieg Folge der Gefäßkontraktion,
das darauf folgende Sinken Folge der Gefäßerweiterung (Reaktion). Friert
der Patient, so bleibt infolge von Gefaßkontraktion der Dmck erhöht, resp.
steigt wieder an.
Der Druckanstieg gegen Schluß heißer Bäder (über 40 ® C.) ist Folge
vennehrter Herzarbeit.
Die Herzarbeit ist bei Wasserbädern über 40*^ C. stark vermehrt,
unterhalb dieser Temperatur bis zum Indifferenzpunkt gewöhnlich etwas
erhöht, unterhalb des Indifferenzpunktes in der Regel etwas herabgesetzt.
n. Kohlensäurehaltige Soolbäder. Die Kurve des systolischen
Druckes unterscheidet sich nicht prinzipiell von der bei einfachen Bädern
und wird hauptsächlich durch die Temperatur des Bades bestimmt.
Der Puls wird eventuell während des Bades weniger, nach dem Bade
stärker verlangsamt als bei einfachen Bädern von der entsprechenden
Temperatur.
Die kohlensäurehaltigen Soolbäder regen das Herz während des Bades
unter Vermehrung des Schlagvolumens zu größerer Arbeit an, eine Eigen-
schaft, die die einfachen kühlen Bäder in der Regel nicht besitzen.
III. Klinische Folgerungen. Heiße Bäder stellen in jeder Be-
ziehung erhebliche Mehrforderungen an das Herz. Es gilt dies w-ahrsohein-
lich besonders von denen, die zur Erhöhung der Körpertemperatur führen.
Heilmethoden bei Nervenkrankheiten. 785
Kühle Bäder bedeuten für das Herz zugleich eine Übung und Schonung.
Bei kohlensäurehaltigen Soolbädern machen sich diese beiden Faktoren in
anderer günstigerer Weise geltend, als bei einfachen Wasserbädern.,, Ins-
besondere greift bei kohlensäurehaltigen Soolbädern die Anregung zur Übung
am Herzen selbst an, ähnlich einer vorübergehenden Digitaüs -Wirkung.
Dabei geht übrigens letztere mit Gefaßverengeruug, erstere mit -erweiterung
einher. Man kann sagen: Kohlensäurehaltige SQolbäder üben das Herz
unter erleichterten, schonenden Bedingungen.
Alle angeführten Resultate sind durch Versuche an gesunden Per-
sonen gewonnen und beziehen sich streng genommen zunächst nur auf diese.*'
Brieger und Herz (15) haben bei ihren Untersuchungen über den
Einfluß kurz dauernder hydrotherapeutischer Prozeduren auf den Kreislauf
und die Atmung wenig konstante Resultate bekommen, trotz ihrer gegenüber
früheren Untersuchungen wesentlich verbesserten Methodik. Zum Auf-
schreiben der Atmung bedienten sie sich des Oehmke sehen Gürtelpneumo-
graphen, zur Registrierung des Pulses eines dem neuen Gärtnerschen
Pulsschreiber nachgebildeten Apparates. Als Kymographiou diente ihnen
die kleine von Bachsche Garnitur.
Sie gebrauchten zur Abkühlung Atherübergießungen, IJbergießungen
mit Wasser und Eintauchen von Extremitätenteilen in Wasser sowie Duschen.
Kalte Prozeduren beschleunigten die Atmung.
In Bezug auf den Einfluß warmer Prozeduren auf die Atmung scheint
keinerlei Gesetzmäßigkeit zu bestehen. Die Pulsfrequenz wird durch Kälte-
reize herabgesetzt. In Bezug auf kurz dauernde Wärmereize war keinerlei
gleichmäßiges Verhalten zu konstatieren. Die Resultate in Bezug auf die
Beeinflussung des Blutdruckes durch kalte und warme Prozeduren zeigen, daß
lokale milde Kältereize zunächst die Kurve sehr erheben, dann aber bald
herabsinken lassen. Bei Güssen und Duschen sank der Druck gleich.
Varme Prozeduren hatten keinen so ausgesprochenen Einfluß auf den Blut-
druck, Die Verfasser gestehen selbst zu, daß ihre Untersuchungsresultate
noch nicht gänzlich einwandsfrei sind.
Wintomitz (106) bespricht einige häufig vorkommende Mißgriffe,
die infolge Temperaturwahl und mangelhafter Berücksichtigung der Inten-
sität des mechanischen Reizes, der Dauer der Einwirkung und somit der
Dosierung der Reize entstehen. Die gründliche Kenntnis der Reaktions-
weise des menschlichen Körpers auf die verschiedenen mechanischen und
thermischen Reize und die Kenntnis der Abweichung der Reaktion unter
den verschiedensten Krankheitsumständen ist notwendig, um die genannten
Fehler zu vermeiden. Wenn man also physiologische Kenntnisse ordentlich
beherrscht, so wird man an der richtigen Stelle auch ganz niedrige Tem-
peraturen anwenden dürfen.
An Lehrbüchern der Hydrotherapie ist allmählich kein Mangel mehr.
Immerhin hat Davidsohn (19) es verstanden, der Materie in seiner
Darstellung noch einige neue Seiten abzugewinnen, vor allem durch
Hioeinbeziehung aller der Hydrotherapie verwandten Gebiete wie der Fango-
behandlung, der Strombäder, der Modifikationen der gewöhnlichen Bäder,
(Bettbäder, permanente Bäder, heiße Bäder, medizinische und medikamentöse
Bäder, Moorbäder), der Luft-, Perl- und Sauerstoffbäder, der Dusche-Massage,
der Thermotherapie, der Sandbäder, der Behandlung mit fester Kohlen-
säure, flüssiger Luft, Chloräthyl, der Aerotherapie, worunter nur das von
Herz beschriebene Licht-Luftstrombad fehlt. Das Luft- und Sonnenbad
ist äußerst dürftig besprochen. Das Buch ist insofern für den praktischen
Arzt gut geeignet, als immer Rücksicht auf die Ausführungsmöglichkeit im
Jahresbericht f. Neurologie u. Psychiatrie löos. 50
786 Hydrotherapie, Balneotherapie und verwandt«
Hause des Patienten bei der Darstellung genommen wird. Leider sind die
Abbildungen des Buches größtenteils nicht sehr gut ausgefülirt.
Sadger (92) macht aufmerksam auf einige von Prießnitz eingeführte,
jetzt verloren gegangene Wasserkurformen: Wandereinpackung, Luftwasser-
bad, fiebererzeugendes Halbbad, Wechselbad und das langdauemde Halbbad
von einer bis zu mehreren Stunden. Die „Wandereinpackung" besteht darin,
daß der Patient am ganzen Körper derart mit feuchten Hosen und Leibchen,
darüber trockenem Leinen und Flanell bedeckt ist, daß er damit umhergehen
kann. Die Indikation besteht in „Flechten", rheumatischen und gichtischen
Ablagerungen, syphilitischen Knochenauftreibungen, lanzinierenden Schmeraen
bei Tabes usw. — Sodann das „Luftwasserbad" : Übergießungen nach Ein-
schlagen in ein nasses Tuch bei offenem Fenster, dann 2—3 feuchte Ein-
packungen und Halbbad. Indikation: schwere Fälle von Malaria, akute
Infektionskrankheiten, akuter Gelenkrheumatismus, Asthma (!), organische (!)
und nervöse Herzleiden, Neurosen, Chorea minor, Epilepsie (!). — Das
fiebererzeugende Halbbad, bei starken Naturen anwendbar. In diesem
(10 — 12** R.) blieben die Leute 1 — 2 Stunden (!), sogar länger. Dasselbe
sollte chronische Leiden in ein akutes verwandeln. Diese Prozedur setzt
eine Widerstandskraft voraus, wie sie heutzutage kaimi existiert. — Femer
das Wechselbad, d. h. der mehrmalige Wechsel zwischen temperierten (12 bis
15® R.!) Halbbad und ganz kaltem Vollbad. Indikation: Typhus, croupöse
Pneumonie, torpide, alte Leiden, Geisteskrankheiten (!) mit furibunden oder
tief apathischen Erscheinungen, Epilepsie (!). — Die allerlängsten Halbbäder
wurden bei Schlaganfällen verabreicht. Prießnitz selbst wurde deshalb
dieser Prozedur unterzogen. — Es folgt die Wiedergabe einer langen Be-
schreibung der angeblichen Heilung einer Meningitis bei einem kräftigen
Manne durch von Ür. Pingler, einem Schüler Prießnitz', verordnete lang-
dauemde kalte Halbbäder usw. — Wenn auch in einzelnen Fällen Gutes
durch diese „Pferdekuren", die sehr an Dr. Eisenbarts Verordnungen er-
innern, geleistet sein mag, so kann man doch nur dringend vor einer Wieder-
einführung derselben in die Reihe der gebräuchlichen Wasserprozeduren
warnen, da sicher mit ihnen meistens sehr schweres Unheil angestiftet
werden würde.
Brieger (12) bespricht eine Reihe von allgemeinen und lokalen
Prozeduren, die bekannterweise bei Magenkrankheiten und den ihnen folgenden
funktionellen Störungen des Nervensystems sich bewährt haben. Er geht
dabei ein auf die wichtigsten physiologischen Kenntnisse auf dem Gebiete
der Wirkung der allgemeinen und lokalen hydrotherapeutischen Prozeduren
auf die Magentätigkeit.
Brieger (11) betont an der Hand einiger Beispiele die zahlreichen
Berührungspunkte zwischen Hydro- und Balneotherapie. Er macht bei dieser
Gelegenheit einige Bemerkungen über die hydro-balneotherapeutische Be-
handlung der Gichtischen und der Fettsüchtigen.
Eine kurze Rede Blieger's (14) über die Entwicklung, welche die
Hydrotherapie im Laufe der Zeit genommen hat, und eine Aufstellung der
Hauptgruppen der Krankheiten, welche durch sie bekämpft werden können.
Die Poliklinik Brieger's (13) wurde von 2551 Personen besucht»
darunter 804 Nervenkranken. Besonders zahlreich sind Neurasthenie, Ischias,
Neuralgien, Hysterie, traumatische Neurosen, Epilepsie, Tabes dorsalis. Auf
der stationären Abteilung waren 208 Patienten.
Heilmethoden bei Nerveokrankheiten. 787
Balneotherapie. Elektrische BSder.
Ekgren (24) geht von der Senator-Prankenhäuserschen Auf-
fassung, daß die Wirkung der künstlichen gashaltigen Bäder auf thermischen
Kontrasterscheinungen beruhe, aus. Er hat bei seinen Prüfungen gefunden,
daß ein bei 33** verabreichtes SauerstoflEbad auf die Pulsfrequenz verlang-
samend und auf den Gefäßtonus (Untersuchungen mit Rire-Roci) erhöhend
eiu wirke.
de Vries-Reilingh (103) hat den Einfluß des faradisch-galvanischen
nnd kombinierten elektrischen Bades auf den Blutdruck studiert. Er hat
sich dabei möglichst vor den von manchen früheren Untersuchern gemachten
Fehlern gehütet. So hat er besonders den psycliischen Einfluß des Bades
nnd die Wirkung des warmen Bades an sich auf den Blutdruck auszuschalten
gesucht. Allerdings wäre es gut gewesen, den Zustand der Hautgefäßfüllung
und der Hauttemperatur der Versuchspersonen vor dem Bade auch in Be-
rücksichtigung zu ziehen, Verfasser fand, daß bei Gesunden durch alle
3 Formen des elektrischen Bades eine Herabsetzung des Blutdrucks erfolgt.
Derselbe steigt jedoch schnell nach Aufhören des Bades wieder auf die an-
fängliche Höhe, Nur bei lang dauernder Einwirkung erreicht der Blutdruck
nur langsam und nicht vollständig seine frühere Höhe. Auch bei Kranken
wurde eine gleiche Wirkung erzielt, und Verfasser will weitere Versuche
ansteUen über die Anwendbarkeit des elektrischen Bades in Fällen, wo die
Herabsetzung des Blutdrucks wünschenswert erscheint.
Fellner (29) fand, daß im COg- Gasbade (vorgenommen mit Hilfe
der Pranzensbader Gasquelle) der Blutdruck stets erhöht, Puls- und Respi-
rationsfrequenz in der großen Mehrzahl der Versuche vermehrt war im
Gegensatz zu den Beobachtungen im CO^ -Mineralbade, in welchem u. a.
eine Abnahme der Pulsfrequenz und der Respirationszahl und meistens ein
Sinken des Blutdruckes gefunden wurde. Im CO^- Gasbade tritt ein leb-
haftes Wärmegefühl mit Rötung der Haut ein.
Loebel (70) gibt von verschiedenen Verbesserungen Kenntnis, die in
der Bereitung der Moor- und Kohlensäurebäder zu Dorna-Wien in letzter
Zeit durchgeführt wurden. Für die Gewinnung eines möglichst wenig ent-
gasten und gleichmäßig temperierten Eisenwassers ist direkt an den Quellen
eine Art Sammelbassin geschaffen worden, das unter beständigem Druck
der entwichenen Kohlensäuremenge steht. Von diesem Sammelbassin fließt
das Wasser direkt durch eigene Schwerkraft in die Badewannen ab. Die
Erwärmung geschieht durch Heizungsanlagen, die in Doppelböden der Kupfer-
wannen angelegt wurden. Zur Erlangung einer gleichmäßigen Dampfspannung
dient ein Körtingscher Reduzierapparat. Zum Schutze des Badenden vor
dem überhitzten Sitzboden der Wanne dient ein Rost. Durch einige andere
BeguUervorrichtungen wird eine sehr weitgehende Dosierbarkeit der Tempe-
ratur bei den Bädern garantiert.
Weiterhin sind die Verbesserungen, die bei Moorbädern durchgeführt
wurden, bemerkenswert. Das Moor wird im Gegensatz zu anderen Kurorten
während eines Winters und Sommers, geschützt vor Feuchtigkeit, gründlich
getrocknet und durch einige andere Maßnahmen zu einer möglichst gleich-
mäßigen chemischen Beschaffenheit gebracht. Er wird dann fein zerkleinert
und gesiebt und später in gleichmäßiger Weise mit Wasser oder Eisenwasser
vermischt und temperiert. Dazu ist ein sehr gut geübtes Personal notwendig.
Dncros (22) berichtet über einen sehr günstigen Erfolg der Behand-
lung mit langdauernden Bädern bei einer Hysterischen. Es handelte sich um
ein 26jähriges Mädchen, das seit 4 Jahren an einer hysterischen Hemiplegie
50*
788 Hydrotherapie, Balneotherapie und verwandte
litt mit einem starken Tremor, der sie unfähig machte, zu gehen. Bei jeder
Aufregung oder bei jedem Schreck traten hysterische Anfälle auf mit mehr
oder weniger langdauernden kataleptischen Zuständen. Anfangs war die
Behandlung mit Bädern von ein bis eineinhalbstündiger Dauer erfolglos.
Bei einer Wiederholung der Kur mit Bädern von drei bis dreieinhalbstüncOger
Dauer besserte sich der Zustand bedeutend, und nach einer dritten Bäder-
behandlung von zwei bis vierstündiger Dauer trat vollständige Heilung ein.
(BetidLT.)
Frankenhäuser (34) entwickelt einen Plan seiner Bestrebungen,
die Wohltaten der Balneotherapie soweit wie möglich auch denjenigen
Patienten zukommen zu lassen, welche an iliren Wohnort gefesselt sind.
Um die Kuren billiger zu gestalten sei eine Zentralisation der Badekuren
in bestimmten Badeanstalten mit Massonbezug von Mineralsalzen notwendig,
ferner Ersatz der Bäder durch Packungen und sonstige, in der Hydro-
therapie übliche Prozeduren, mit Mineralwasser in den Fällen, wo auch
diese erforderlich sind; endlich billige Herstellung der Surrogate am Orte
der Kur. (Bendix.)
Homburger (50) fülirt die Wirkung der kohlensauren Bäder auf
eine Steigerung der Blutzufuhr nicht nur zur Haut, sondern auch zu den
inneren Organen zurück. Hieraus erkläre sich die günstige Wirkung der
kohlensauren Bäder auf Herz-, ßückenmarkskrankheiten und die mannig-
fachsten anderen Leiden. (Bmdie,)
Zucker (113) verwendet zur Herstellung des Kohlensäurebades orga-
nische Säuren wie Milchsäure, deren Salze eine mild reizende Eigenschaft
besitzen. Ferner ist das zur Verwendung gelangende Alkali derart verpackt,
daß die Entwicklung nur ganz langsam und in kleinen Blasen erfolgen kann.
Infolge der langsamen Entwicklung der Kohlensäure wird die störende Kohlen-
säureatmospliäre über der Oberfläche des Bades sehr vermindert Die gleich-
mäßige Entwicklung der Kohlensäure dauert zirka 40 Minuten an. Preis
des Bades zirka 1.50 Mk.
Hirsch (48) bespricht die künstlichen Kohlensäurebäder, besonders
die Perlbäder nach Weißbein, denen er den Vorzug vor allen anderen gibt.
Die Versuche, die Wirkung der Perlbäder durch elektrische Scheinwerfer
zu erhöhen, sind noch nicht abgeschlossen.
Schliep (93) bespricht die elektrischen Bäder, besonders den fahr-
baren Sanitäts-StuhlschUtten und das elektrische Vierzellen bad. Letzterem
mißt er wohl etwas zu große Bedeutung bei. Seine Befürchtungen, das alte
faradische Vollbad könne Verschwinden, ist unbegründet. Es wird immer
in Fällen, wo man einen allgemeinen Hautreiz erzielen, also die ganze flant-
oberfläche als AugrÜfspunkt benützen will, sein Recht behalten.
Die beispiellos reichen und vielartigen Schwefelquellen der Pyrenäen
werden von Pelon (83) in vier von einander recht verschiedene Typen
eingeteilt:
1. Die „eaux polysulfurees", welche als erregend gelten müssen.
2. Die „eaux sulfitees" und ,,hyposulfitees, welche beruhigend wirken.
3. Die „eaux sulfhydriquSes", welche sogleich Schwefelwasserstoff an
die Luft abgeben, und für die Erkrankungen der Respirationsorgane in Bi*-
tracht kommen.
4. Die „eaux blanchissantes", welche freien Schwefel und Emulsion
enthalten. Dieselben kommen bei Hautkrankheiten in Betracht, besondere
bei juckenden, bei Prurigo, Pruritus usw. — Die Indikationen für diese
Quellen sind Syphilis, Rheumatismus, Arthritisformen, Skrophulose-tuber-
kulöse Diathese, Ernährungsstörungen bei Kindern und jungen Leuten;
Heilmethoden bei Nervenkrankheiten. 789
ferner GeleakerkraDkungen, Neuralgien, ErkrankuDgen der Haut, der
Bespirationsorgane, der Geschlechtsorgane. — Der Nutzen der Schwefelbäder
bei Syphilis besteht nach Verfasser in ihrer anregenden tonischen Wirkung,
io der Eeinigung der oberflächlichen Erscheinungsformen der Syphilis, in
der erleichterten Ausscheidung des gegebenen Quecksilbers und der Erhöhung
der Widerstandsfähigkeit des Organismus gegen dasselbe. Bei Hautkrank-
heiten: Seborrhöe, Ekzema, Acne rosacea, Urticaria und juckenden Derma-
tosen, Psoriasis usw. — , kommen besonders die „eaux blanchissantes" in
Betracht. — Bei chronischem Schnupfen, Ozaena, Syphilis der Nase.
Bei Hypertrophie der Muscheln, chronischer Laryngitis und Bronchitis,
Asthma, Emphysem, soll sich außer den Schwefelbädern die Einatmung de»
Schwefelwasserstoffes als nützlich erweisen.
Barbier (5) hat auf dem 11. Congr^s fran^ais de climatotherapie et
d'hygi^ne urbaine zu Arcachon und Pau einen Bericht über die wenig be-
kannten Küstensanatorien Westfrankreichs erstattet. Dieselben eignen sich
besonders für tuberkulöse, an Drüsen-, Gelenk- und Knochentuberkulose
erkrankte, hereditär belastete und skrofulöse Kinder, schwächliche Leute,
RekonTaleszenten usw. Besonders sollen die Sanatorien zur Prophylaxe
ernsterer Krankheiten dienen.
Fonchet (85) erinnert an die Versuche von Quinton, nach welchen
man im stände ist, größere Mengen von Meerwasser, das durch Verdünnung
mit destilliertem Wasser den Körpersäften isotonisch gemacht war, einem
Hunde ohne dauernden Schaden einzuverleiben, während dasselbe, wenn man
es eindickt und mit einer entsprechenden Menge destillierten Wassers im ur-
sprünglichen Lösungsverhältnisse wieder herstellt, diese Eigenschaft wieder
verliert Er hat dann 700 g eines mit allen Kautelen rein gewonnenen
Meerwassers Menschen injiziert. Nach heftigen Reaktionserscheinungen (Frost,
Durst, Kopfschmerz, Übelkeit), wurde bei drei Kranken (Gastro-Enteritis,
Oxalsäurevergiftung, ,,Cirrhose mit Erysipel") ein schneller und dauernder
Erfolg erzielt. Gute Wirkungen sah Verfasser auch bei maligner Syphilis,
veralteter Syphilis und Hauttuberkulose. Nach Ansicht von Quinton hängen
diese merkwürdigen Wirkungen zusammen mit der Anwesenheit geringster
Mengen von Metallen, welche in festen schwer zu ergründenden Verbindungen
im Meerwasser existieren. Diese mehr als metallische Fermente zu be-
zeichnenden Beimischungen von Metallen haben nach Untersuchungen von
Kobin eigentümlich schwerwiegende Einflüsse auf den gesamten Stoffwechsel
des Menschen. Es lassen sich aber nach Ansicht des Verfassers die Wirkungen
der Aufnahme von Meerwasser, sowie von Mineralquellen nicht allein durch
die chemische Zusammensetzung erklären, sondern es muß die Art der Ver-
einigung der verschiedenen Bestandteile des Meerwassers, deren Erkennung
aoch außerhalb des Bereichs unserer XJntersuchungsmittel liegt, eine Rolle
spielen. Aus diesem Grunde wirken auch zwei verschiedene Mineralquellen,
die in ihrer chemischen Zusammensetzung ganz gleich sind, oft ganz ver-
schieden. Jede Quelle ist daher als „Individuum" für sich zu betrachten.
Zimmerznann (112) empfiehlt die Wechselstromtherapie bei Herz-
erkrankungen mit Herabsetzung der Widerstände im periplieren Kreislauf,
vorausgesetzt, daß noch genügend Kraft zur Hervorrufung einer Hypertrophie
vorhanden ist. Die Wirkung der Wechselstrombäder erklärt er sich durch
Beizusg der sensiblen Nerven, vielleicht auch der großen Nervenstämme
nnd die hierdurch bewirkte Reflexwirkung auf die Innervation des Herzens.
Wiedergabe der bekannten Errungenschaften auf dem Gebiete der
Technik, Wirkungen und Indikationen der elektrischen Bäder bei Ano-
malien des Kreislaufs. Franze (35) trennt zweckmäßigerweise in seinen
790 Hydrotherapie, Balneotherapie und verwandte
Ausführungen über die Wirkung diejenige des Bades an sich und die des
elektrischen Stromes. Verf. empfiehlt, die elektrische Behandlung mit der
Nauheimer Kur zu verbinden. Mit B^cht führt Verf. die Wirkung der
elektrischen Bäder mit Ausnahme des Vierzellenbades verschiedenster Art
fast lediglich auf den diffusen Hautreiz zurück. Er fand zwar nicht einen
direkten Einfluß der Smith-Hornungschen elektrischen Bäder auf die
Herzgröße, empfiehlt aber doch diese Bäder bei Leuten mit herabgesetztem
Gefäßtonus, während er bei hohem Blutdruck unter Ausschluß von Arterio-
sklerose eher den galvanischen Bädern günstigen Einfluß zusprechen möchte.
Buss (17) empfiehlt die Verwendung des von dem Gerbermeister
Stanger in Ulm eingeführten elektrischen Lohtanninbades. Der Salzgehalt
der Lohbrühe ermöglicht eine um 20 mal größere elektrische Leitung als
diejenige des gewöhnlichen Wassers. Das Bad wird verabfolgt in einer
Holzbadewanne. Auf den Längsseiten der Badewanne, läuft eine Längs-
schiene, an der je 10 Elektroden verschiebbar, drehbar, ein- und ausschaltbar
befestigt sind. So kann man den Strom den verschiedensten Körperteilen
zuführen. Jedes Bad hat eine Vorrichtung, welche bei Überschreitung des
Stromes über eine gewisse Stärke automatisch die Zuleitung des Stromes
unterbricht. Das Badeextrakt wird in Mengen von 5 Kilo dem Bade zu-
gesetzt, ist eine sirupartige Masse und wird gewonnen aus der Rinde der
verschiedensten Bäume. Hauptsächlich ist dann Gerbsäure im Bade.
Man kann auch elektrische Teilbäder geben in einem besonders kon-
struierten Apparate. Auch ist eine elektrische Begießung, Bestralilung oder
Dusche mit Lohtanninflüssigkeit bei dem in der Wanne sitzenden oder stehenden
Patienten möglich. Die Anwendung bezog sich besonders auf Fälle von
Gicht und Rheumatismus, auch auf einige Fälle von Ischias. Bei diesen
sollen die Resultate sehr gute gewesen sein. Die Angabe einiger anderer
Indikationen wäre vor genauerer Prüfung besser weggeblieben.
Winternitz (107) möchte das elektrische Vierzellenbad, dessen all-
gemeine Anwendung durch ein weitgehendes Monopolisierungsbestreben er-
schwert ist, und das außerdem nach seiner Ansicht nicht genügend OriginaUtät
zur Aufstellung einer gewissen, ganz neuen elektrischen Behandlungsmethode
besitzt, ersetzen durch einen, dem allgemeinen ärztlichen Gebrauch bequem
zugänglichen Apparat, bei welchem die Elektroden in Form großer Hand-
und Fußplatten auf dem Tische, der vor dem sitzenden Patienten steht,
angebracht sind. Diese Platten sollen dann die Zellen des Vierzellenbades
ersetzen. Winternitz hat genaue Untersuchungen darüber angestellt, daß
erstens sich bei seinem Verfahren genau dieselbe Stromstärke anwenden läßt
wie beim Vierzellenbade, und daß trotz der verringerten Ein- und Austritts-
oberfläche des Stromes keinerlei störende Schmerzhaftigkeit eine Steigerung
des angewandten Stromes hindert. Auch konnte er sich durch Versuche
davon überzeugen, daß der Hauptwiderstand in vollkommen ausreichender
Weise und schnell genug überwunden wird. Es zeigt sich das daran, daß
die Stromstärke während der Behandlung und bei gleichbleibender Strom-
stärke nicht anwächst. Die Verhältnisse für den faradischen Strom liegen
ganz gleichartig. Die Vorstellung, daß mittelst der Vierzellenbäder eine größere
Stromstärke dem Körper zugeführt werden kann als mittelst seiner Platten-
elektroden, ist nach Ansicht von Winternitz durchaus unbegründet Die
weitgefaßten Indikationen zur Anwendung des Vierzellenbades schränkt Ver-
fasser für seine Modifikation desselben erheblich ein, d. h. er möchte sein
Verfahren nur empfehlen für solche Fälle, in denen bis jetzt einfache Elektroden-
behandlung begründete Aussicht auf Erfolg bot.
Heilmethoden bei NervenkranklieiteD. 79 X
Heits (44) hat in 2 Fällen von Tabes, die er mit Kohlensäurebädern
behandelte, eine sehr erhebliche Verkleinerung der anästhetischen Grebiete
der Haut nach einer 6 — 7 wöchentlichen Kur beobachtet, zugleich mit dem
Zurückgehen der subjektiven Beschwerden und der Besserung des Allgemein-
befindens. Speziell in dem 2. Falle, wo zu Beginn der Behandlung der
ganze Rumpf, beide Unterschenkel und teilweise die Arme totale Haut-
anästhesie aufwiesen, war dieselbe nach Beendigung der Kur bis auf eine
kleine handbreite Zone an der einen Thorazseite völlig verschwunden, und
auch hier bestand nur noch leichte Hypästhesie.
Zur Erklärung dieser in solchem Maße bisher noch nicht mitgeteilten
Erscheinung führt Verf. als Analogie die Beobachtung Eggers an, der
durch Sommation von Nadelstichen auf anästhetischen Hautstellen wieder
die Sensibilität erwecken konnte; die zahlreichen Kohlensäure-Gasbläschen,
die sich im Bade auf der Haut festsetzen, wirken zusammen mit der kühlen
Temperatur des Wassers als summierter Reiz. Außerdem ruft aber das
Kohlensäurebad auch durch Verbesserung der lokalen und der allgemeinen
Zirkulationsverhältnisse sowie durch Hebung des Ernährungszustandes indirekt
ein Zurückgehen der Sensibilitätsstörungen bei Tabes hervor.
(A. Laqueifr.)
In dem sehr guten Vortrage betont Goldscheider (39) die außer-
ordentliche Wichtigkeit der Berücksichtigung der Gesamtkonstitution bei
der Behandlung von Kranken besonders in Kurorten. Bei der Kom-
pliziertheit und Ausdehnung der Vorgänge, welche wir unter dem Be-
griffe der Konstitution zusammenfassen, ist es kaum möglich, durch irgend-
welche diagnostische Mittel, etwa dosierte Arbeit ein einheitliches Maß für
die gesamten konstitutionellen Kräfte zu finden. Infolgedessen müssen wir
uns mit der Ergründung der Summe von Einzelkonstitutionen begnügen und
daraus einen Rückschluß machen.. Wir müssen also die Leistungsfähigkeit
jedes einzelnen Organes prüfen und dabei wohl berücksichtigen, welches Organ
oder welche Organsphäre in besonderem Maße zur Hinfälligkeit oder zu
Krankheiten neigt. Weiterhin müssen wir unterscheiden die ursprüngliche
Konstitution und die durch Alter, Schädlichkeiten oder Organerkrankungen
geschwächte Konstitution. Um sich über den Allgemeinzustand klar zu sein,
ist, abgesehen von einer genauen Anamnese, die Berücksichtigung des Milieus,
des Berufs, der Lebensgewohnheiten, des Charakters notwendig. Da diese
Fragen nur teilweise durch eine längere Beobachtung genügend entschieden
werden können, ist eine genaue Berichterstatttung durch den Hausarzt von
größter Wichtigkeit So wird am besten beurteilt werden können, wie ein
bestimmter Heilapparat eine bestimmte Konstitution beeinflussen wird. Ferner
wird der Arzt bei der individuellen Konstitution auch individuelle Prophylaxe
treiben können, indem er den Patienten vor Schädlichkeiten, die ihn ganz
besonders treffen würden, bewahrt. Also systematische Schonung des lei-
tenden Teiles und Kräftigung der Gesamtkonstitution sind die beiden Dinge,
worauf der Arzt, und besonders der Arzt in Kurorten, zu achten hat. Für
die AUgemeinbehandlung ist eine viel größere Berücksichtigung der indi-
Tidnelleu Diät, als die bis jetzt in Kurorten üblich ist, notwendig. Je nach
der Konstitution sind auch Bewegung, Ruhe, Zerstreuung, Tageseinteilung,
Unterbringung in Hotels, Pensionen oder Sanatorien zu gestalten. Gold-
scheider schließt seinen Vortrag: „Kollegen, studiert die Konstitution
eurer Kranken, das ist die halbe innere Medizin."
Ein interessanter, gewandt geschriebener Aufsatz, in dem die ver-
schiedenen balneo- und klimatotherapeutischen Paktoren in ihrer Wirkung
auf Nervenkranke genau geprüft, verglichen und in ihrem Wert abgewägt
798 Hydrotherapie, Balneotherapie uod verwandte
werden. Eulenbnrg (26) hebt hervor, wie außerordentlich wichtig und
ermutigend es für die genannten Zweige der . Therapie ist, daß maa
anfängt, sich von einer rein pathologisch-anatomischen Betrachtungsweise
einer mehr biologisch-funktionellen Auflassung zuzuwendend Als E^uptsache
zur Erzielung guter Erfolge betrachtet Verfasser es, daß alle Arzte der
Kurorte mit den ihnen zur Verfügung stehenden Heilmitteln auf das Beste
bewandert sind; und er gibt somit der Empirie gegenüber der bis jetzt noch
sehr geringen Ausbeute an wissenschaftlicher Begründung sein Recht. Unter
den Momenten, die bei Auswahl der Kurorte besonders bei funktionellen
Nervenkranken in Betracht kommen, unterscheidet er den klinmtologischen
Faktor, den lokaltherapeutischen Faktor, den personell ärztlichen Faktor
und den individuell-psychologischen oder suggestiven Faktor. Es werden
dann besonders die Di^erentialindikationen des Höhen- und Seeklimas knrz
aber treffend skizziert.
Henbner (47) berichtet über Stoffwechselversuche, die von ihm über
die Wirkungsweise des Kochsalzbades bei zwei skrophulösen Kindern au-
gestellt sind. Das Ergebnis dieser beiden in Bezug auf die Methodik ein-
wandsfreien (Fehlerquellen wurden sorgfältig ausgeschaltet) Versuche ist, dafi
die Stickstoffausscheidung erheblich gefördert wird. Es ist also anzunehmen,
daß die Salzbäder eine Steigerung der Zersetzungsvorgänge im Körper
bewirken. Es ist aber auch anzunehmen, daß außer den stickstoffhaltigen
auch die stickstofffreien Körper einer Mehrzersetzung anheim fallen. Das
beim Kind besonders hervortretende Bestreben, seinen Stickstoffbestand zu
vermehren, verursacht eine bedeutend größere Nahrungsaufnahme, also
einen erheblichen Einfluß auf den Stoffwechsel. Die Beobachtungen an den
beiden Kindern ergaben fernerhin eine erhebliche Beeinflussung der Haut-
vasomotoren. Die Frage, ob Salzteilchen lange Zeit an den Flächen der
Haut nach dem Bade zurückbleiben, wurde ebenfalls geprüft. Es wurden
24 Stunden nach dem Salzbade noch 17 mg Kochsalz an der gesamten
Hautoberfläche gefunden. Die Stoffwechselversuche müssen uns veranlassen,
in der Indikationsstellung der Soolbäder vorsichtig zu sein. Es ist notwendig,
daß die Reaktion nach dem Bade eine gute ist, daß der Appetit und das
Körpergewicht steigt. Blasse, magere und appetitlose Kinder eignen sich
nur selten für Soolbäder. Noch einen größeren Eingriff stellen die See-
bäder — gewissermaßen potenzierte Soolbäder — dar. Als Einleitung zu
Soolbädeni oder bei schwächlichen Kindern für die ganze Zeit der Kur
hat man kohlensäurehaltige Soolbäder gebraucht. Heubner macht noch auf
die bei Kindern vielfach vernachlässigten Moor- und Schlammbäder sowie
auf die sehr warmen, resp. heißen Bäder aufmerksam.
Neumann (81) berichtet über seine Erfahrungen, welche er mit der
balneologischen Behandlung der Hemiplegie in 26 Fällen gemacht hat.
Nach mancher interessanten Bemerkung über die Pathogenese der Hemiplegie
und die Art des Zustandekommens von Ausgleichungen auch in schweren
Fällen von halbseitiger Lähmung verwirft er zunächst die in neuerer
Zeit hervorgetretene Bestrebung, unmittelbar nach dem Schlaganfall
die Leitungsbahneu von der Peripherie her durch Galvanisatioo.
Gymnastik und andere Mittel anzuregeu. Von der zentralen Galvanisation
des Gehirns hält er gar nichts. Seine persönlichen Erfahrungen betreffen
den Erfolg der Thermen, besonders der Kochsalzthermen von Baden; sie
sind „maßvollen Erwartungen gegenüber" durchaus nicht ungünstig. Unter
sorgfältiger Innehaltung einer richtigen Temperatur (26 — 26 72" ß-) sah er
oft eine Bessening der Herztätigkeit, eine Beruhigung aller sensiblen Bahnen,
eine Verminderung der Kontrakturen, eine Besserung der willkürlichen Be-
Heilmetkoden bei NervenkrftDkheiten. 793
vegQUgeD. Nach dem Bade^ das hie und da mit 24 ^ R. beginnt, folgt eine
mehrstündige Bettruhe. Als Hilfsmittel dient dem Verfasser die Zander-
8che Gymnastik. Als besserungsfähig bis zu einem gewissen Prozentsatz
der Erwerbsfahigkeit hält Neumann 30 — 40% der Fälle.
von Strampell (97) äußert sich zunächst über das Wesen der Neur-
asthenie. Wenn er meint, daß der eigentliche Krankheitssatz in dem Vor-
stelluDgsleben des Patienten zu suchen ist, so ist damit nach Ansicht des
Beferenten kaum das Wesen der Neurasthenie erschöpft, besonders nicht
bei den durch Überanstrengung, Schicksalsschläge und andere exogene Ur-
lachen entstandenen Formen der Neurasthenie. Dementsprechend ist die
psychische Behandlung, welche von Strümpell als Hauptsache jeder The-
rapie beim Neurastheniker hinstellt, zwar äußerst wichtig, aber daneben
hätten doch die anderen Kurmittel, welche der Neurastheniker in Bade-
orten findet, eine stärkere Hervorhebung verdient.
FiBOh (31) sucht in diesem kleinen Aufsatz zu zeigen, inwiefern es
der Balneotherapie gelungen ist, bei der Kombination von Herz-, Nerven-
imd Frauenleiden zu nützen. Seine Ausführungen beziehen sich besonders
auf die im Kurort Franzensbad erzielten Resultate, das er als Herzheilbad
schon seit längerer Zeit empfiehlt
Die Ursache der sog. konstitutionellen Anämie ist nach Ttiran (100)
in einer ungenügenden Assimilation des mit den Nahrungsmitteln eingeführten
Eisens zu suchen. Die unzweckmäßige Ernährung verursacht eine Armut
des Organismus an Kohlehydraten, namentlich aber an anorganischen Sub-
stanzen; es liegt somit eine in einer Demineralisation zum Ausdrucke ge-
bingende Veränderung des Stoffwechsel -Chemismus, resp. eine enterogene
Autointoxikation vor, welche in der Anämie zum Ausdrucke gelangt. Das
Wesen der Anämie ist nicht eine Verminderung des Hämoglobingehaltes,
sondern eine Verringerung der Zahl der roten Blutkörperchen. Eisentherapie
ist aus diesem Grunde erfolglos; nötig ist eine derartige Regelung der Er-
nährung, daß die eiweißhaltigen Nahrungsmittel in minimalen Mengen, die
Tegetabilischen jedoch überwiegend zugeführt werden; nebenbei ist An-
wendung von eisenhaltigen Mineralwässern, und lauen, ev. kohlensauren
Bädern angezeigt. Selbst anatomische Veränderungen, wenn solche durch
die Anämie bedingt sind, heilen durch die Diät, ohne spezielle Behandlung,
(Hudovemig,)
Thermo^ Photo-, Ärotheraple.
Mirtl (80) gibt einen neuen Heißluftapparat an, bei dem die beim
Quinckeschen ßeheizungsmodus so unerwünschte tlbersättigung mit Wasser-
dampf vermieden wird. Sein Apparat besteht aus einem runden, innen mit
einer Asbestkleidung versehenen Blechmantel mit horizontalem Boden und
unter 45 Grad geneigtem Dache.
Am Mantel befindet sich bodenständig eine Öffnung für den Eintritt
kalter Luft; hochständig knapp unter dem Dache ein weiteres Rohr für die
ausströmende Heißluft, die hier durch den lebhaften Auftrieb des bis auf
die Hälfte, ja auf ein Drittel verringerten spezifischen Gewichtes entweicht.
Zum Zweck der Trockenerhaltung des Luftraumes übernimmt ein nach
dem Schomsteinaufsatz leitendes Rohr die Absaugung der bodenständigen
kühlen und durch Schweißverdunstung angefeuchteten Luftschichten aus dem
Belegkasten und deren endgültige Eliminierung gemeinsam mit den Ver-
brennnngsgasen. So tritt die Zimmerluft in die untere OflFnung des Ofen-
mantels, sie wird erwärmt aufgetrieben in den Kasten, dort nimmt sie unter
gleichzeitiger Abkühlung Schweißwasser auf, sie sinkt zu Boden und wird
794 Hydrotherapie, Balneotherapie und verwandte
durch den Schornstein abgesaugt. Auf diese Weise ist eine wirklich
trockene, atmosphärische Luft ohne Vermengung mit feuchten Verbrennungs-
gasen garantiert. Verfasser hat 3 Arten der Ausführung Yorgesehen: 1. den
Bedürfnissen des praktischen Arztes entsprechend ; 2. eine sogenannte Spital-
garnitur, bestehend aus 7 Kasten für die verschiedenen Körperteile; 3. eine
Sanatoriumsgarnitur in verschiedener Auswahl. Preis je nach Reichhaltig-
keit der Garnituren von Mk. 75. — an.
Jacobsohn (51) berichtet über seine während eines halben Jahres
gemachten Erfahrungen mit dem Hilzingerschen Heißluftapparat Der
bekannte Apparat besteht aus einem Heißluftsammler, aus dem die Lnft
dann in den Baum, in dem der Patient sich befindet, hineinströmt. Dieser
Raum wird gebildet durch ein ausziehbares reifenartiges Holzgestell, das mit
einer wollenen Decke überdeckt wird. Man kann durch verschiedene
Formung dieses Holzgestells ganze oder Lokalbäder geben. Dieser Apparat
ist tatsächlich sehr praktisch, da seine Herrichtung, schnell jede andere Form
dem Apparat zu geben, nicht länger als 1 Minute dauert, und der Preis
ein geringer ist. Bei organischen zentralen Nervenkrankheiten hat Jacob-
sohn keinen nennenswerten Erfolg gesehen, aber auch keinen Schaden,
dagegen sehr gute Resultate bei sehr vielen peripherischen und funktionellen
Nervenkrankheiten; besonders bei Polyneuritis, allen Fonnen von Neuralgie,
Beschäftigungsnearosen, bei Schlaflosigkeit infolge von Anämie, bei vielen
hysterischen Beschwerden, bei Muskel* und Gelenkrheumatismus. Die Heiß-
luftbäder sind alle im Sprechzimmer des Verfassers gegeben. Aus ärztlichen
und wirtschaftlichen Gründen empfiehlt er den Kollegen bei sich im Sprech-
zimmer solche Heißluftbäder zu geben, anstatt sie in Instituten verabreichen
zu lassen.
Sommer (94) hat bei den gewöhnlichen Glühlichtbädern einen Ee-
gulierapparat eingeführt, der es ermöglicht, die Intensität der Belichtung
genau meßbar abzustufen. So können die Lampen von der Schwarzglut bis
zur leichten Rotglut resp. Weißglut gebracht werden, und der Grad der Be-
lichtung läßt sich jeder Zeit auf einem bestimmten Niveau konstant erhalten.
Die Lebensdauer der Glühlampen leidet darunter nicht. Verfasser hat nun
die Temperatur mit 3 verschiedenen Thermometern geprüft, einem gewöhn-
lichen Thermometer, einem Schwarzkugelthermometer, einem Psychrothermo-
meter (mit angefeuchteter Musseline umhüllt). So konnte er bei verschie-
densten Intensitätsgraden der Belichtung das Maß der Strahlungswärme
gegenüber dem der einfachen Leitungswäime feststellen. Verf. hat seine
Resultate in Kurvenform übersichtlich dargestellt. Während bei dem Glüh-
lichtbad mit vollbrennenden Lampen die Temperatur des Strahlungsthermo-
meters von 0 — 15 Minuten in weitem Abstände von der Luftthermometer-
kurve verläuft, liegen beide Kurven im Glühlichtbad während Einschaltung
des Gesamtwiderstandes dicht beieinander. Es kommt also zum Ansteigen
der Lufttemperatur bei vollbrenneuden Lampen als wesentlicher Faktor die
Strahlung hinzu. Das Psychrothermometer zeigt bei vollbrennenden Lampen
einen viel schnelleren Anstieg als bei eingeschaltetem Widerstände, weil die
Verdunstung in ersterem Falle viel intensiver ist. Bei Einschaltung oder
Ausschaltung nähern resp. entfernen sich die Kurven des Strahlungs- und
Luftthermometers. Durch vorsichtiges Regulieren der Widerstände kann
man vermittelst des Lichtbadrheostaten so die Temperatur eines Glühiicht-
bades streng auf einer beliebigen Höhe erhalten, ebenso die Verduustungs-
wärme. Der Apparat gibt uns also die Möglichkeit, infolge einer sehr
feinen Regulierung des Glühlichtbades auf bestimmte Temperaturgrade ein
Glühliclitbad nahezu in ein Heißluftbad umzuwandeln.
Heilmethoden bei Nervenkrankheiten. 795
Marcnse (75) bringt eine gute Darstellung des jetzigen Standes der
Wirkung und Technik der Heißluftbehandlung. Nach allgemeinen physiologischen
Vorbemerkungen geht Verfasser auf die örtliche und allgemeine Wirkungs-
Treise der Heißluftbäder ein bei Gesunden und Kranken. Die Indikationen
«rfabren eine sehr übersichtliche Zusammenstellung. Bei der Beschreibung
der Technik wird die ganze Entwicklung der Heißluftbehandlung in ihren
Terschiedenen Phasen bis zu ihrem jetzigen Stande kritisch durchgenommen ;
eine Reihe von Abbildungen illustriert die Ausführung. Am meisten lobt
Marcuse den Hilzinger schon Zirkulationsheißluftapparat, der auch nach
des Referenten Ansicht den Vorzug vor den meisten anderen verdient.
Den Schluß bilden einige instruktive Krankengeschichten. Ein ausführliches
Literaturverzeichnis macht die Arbeit besonders wertvoll.
Eine Werbeschrift Rozenraad's (91) für die Anwendung der Heiß-
loftbehandlung in Amerika. Verfasser hat als früherer Assistent des
Krankenhauses Moabit sich eine genaue Kenntnis der verschiedenen Arten
der Heißluftbehandlung erworben. Außer den verschiedenen Anwendungs-
weisen bespricht Verfasser die Indikationen.
Das Wesen der lokalen Heißluftbehandlung ist nach Lamberger
(62) die sorgrältige Beschränkung der therapeutischen Aktion auf eine er-
krankte Körperstelle, unter möglichster Vermeidung einer allgemeinen
Reaktion des Organismus. Die physikalischen und physiologischen Eigen-
schaften der heißen Luft lassen dieses Ziel als durchaus erreichbar erscheinen;
denn das Auftreten allgemeiner Reaktionen, sowie unangenehmer Begleit-
erscheinungen sind nicht der Heißluftbehandlung als solcher eigen, sondern
nur die Folgen technischer Un Vollkommenheiten in der Konstruktion der
Apparate, sowie der mangelhaften Methodik, welchen Übelständen zuverlässig
abzuhelfen ist.
Gleichgültig, ob man die Heißluftbehandlung bei Exsudaten, rheumati-
schen oder ueuritischen Affektiouen anwendet, muß man den Kranken ganz
entkleiden und die nicht zu behandelnden Teile nur leicht bedecken. Ferner
ist es wichtig, das betreffende erkrankte Glied in der durch den Schmerz
oder eventl. Kontraktur gebrachten Stellung zu belassen und die betreffenden
Apparate der Gliedhaltung anzupassen. Lamberger gibt einen derartigen
zweckmäßigen Apparat an.
Die Applikation geschieht dann in der Weise, daß man längstens eine
hall>e Stunde die Schwitzprozedur vornimmt; dabei ist sorgfältig darauf zu
achten, ob Schweißsekretiou eintritt, denn nur so ist eine Toleranz für hohe
^'ärmegrade vorhanden; es ist daher ein ganz allmähliches Ansteigenlassen
der Temperatur erforderlich, weil sonst Verbrennungen auftreten.
In den Bäumen, die bei Schwitzprozeduren benutzt werden, soll die
Luft kühl und frisch sein, und die nicht zu behandelnden Körperteile müssen
vor der Einwirkung der Wärme genügend geschützt werden. Nach Be-
endigung des Schwitzens empfiehlt es sich, den Patienten eine Zeit lang
ruhen zu lassen und die erkrankten Partien mit Franzbranntwein abzureiben;
dadurch wird, ohne daß die Hyperämie beseitigt wird, der Schweiß entfernt.
Im Anschluß daran kann man nach der Eigenart des Falles Massage
oder Elektrizität anwenden, wodurch die Heißluftbehandluog in ihrer Wir-
kung bedeutend unterstützt wird. (Mamlock.)
Die Ergebnisse seiner Untersuchung über Anwendung küliler Luft auf
den nackten Menschen faßt van Oordt (82) in folgende Sätze zusammen:
Der Einfluß eines mit mäßiger Wärmeentziehung verbundeneu Kälte-
leizes auf einen großen Teil der Hantoberfläche des gesunden Menschen gibt
sich in einheitlicher und kontinuierlicher Weise ohne plötzliche Reaktions-
796 Hydrotherapie, Balneotherapie und verwandte
erscheinungen kund in der Zusammensetzung des Blutes, in der Blutver-
teilung, dem Blutdruck, in der Körpertemperatur, in der Puls- und Atmanga-
frequenz.
Der Einfluß auf die Blutverteilung und -Zusammensetzung äußert sich
zunächst in einer Anämisierung der Haut durch Verengung der Haut-
kapillaren, in einer Abnahme der Erythrocyten in denselben und in eiDer
gleichzeitig in ihnen auftretenden Vermehrung der Leukoc}i;en, in einer
peripheren Kälteleukocytose. Diese Veränderung der Zusammensetzung ist
eine lokale Dissoziation der zelligen Elemente des Blutes ohne Veränderung
ihrer absoluten Mengen in der Zusammensetzung des gesamten Blutes und
ist die Folge der Verengung der betreffenden Hautgefäße, sowie des gleich-
zeitig erfolgenden thermischen Reizes für die Leukocyten. Bei Fortdauer
der Kältewirkung folgt dem Kontraktionszustand eine Erweiterung, dem Ge-
fäßreiz eine Gefäßlähmung. Je nachdem nun aber die Stromgeschwiodigkeit
in den Kapillaren infolge gleichzeitiger Kälteverengung zuführender Arterien
verlangsamt bezw. bei einem normalen Tonus derselben normal oder unter
Erweiterung derselben beschleunigt ist, tritt Cyanose bezw. leichtere oder
stärkere Rötung der Haut — letztere als Reaktion bekannt — ein. Das
Verhalten der Hautgefäße unter Kälteeinwirkung ist beim herzgesunden
Individuum unabhängig von dem in den großen Gefäßen herrschenden Blut-
druck. Es wird bestimmt durch individuelle Verschiedenheit, durch Art,
Intensität und Dauer des Kältereizes.
Blutdruck und Temperatur des Körper-Innern steigen von Beginn der
Kältewirkung an, um erst nach Erreichung eines individuell verschieden
hohen und zeitlich verschiedenen Maximums langsam oder rascher wieder zu
sinken. Das Steigen der Innentemperatur des Körpers ist mit einem Sinken
der Hauttemperatur verbunden. Dieses ist durch (fie verminderte Zirkulation
an der Körperoberfläche verursacht, welche ihrerseits auf der Verengung
des peripheren Strombettes beruht. Die Temperaturerhöhung ist also eine
Wärmeaufspeicherung infolge kräftigen Funktionierens der physikalischen
Wärmeregulation durch die Haut.
Die Steigerung des Blutdrucks ist ein Produkt aus der Kälteverengung
der Hautgefäße, des Tonus der zuführenden Arterien, der kältereflektorisch
gesteigerten Herzenergie und der relativen Häufigkeit der kältereflektorisch
herabgesetzten Pulszahl. Die qualitative Bedeutung sowie die Mächtigkeit
des einzelnen Faktors ist aber von Fall zu Fall verschieden, deshalb kann
der Blutdruck je nach dem Vorherrschen oder Ausscheiden eines derselben,
wie z. B. bei Lähmung der Hautkapillaren, sowohl bei der Rötung als bei
der Cyanose der Haut eine Zeitlang derselbe bleiben, wie bei der voraus-
gehenden Blässe oder infolge dieser Lähmung bis zu einem gewissen Grade
sinken. Den größten und dauerndsten Einfluß übt die reflektorische Stei-
gerung der Herzenergi« aus.
Puls- und Atmungsfrequenz nehmen in geringem Maße ab.
Solange nicht infolge einer zu lange dauernden Kältewirkung der Kälte-
reiz sich mit einer Schädigung des Körpers verbindet, treten die eben ge-
schilderten Veränderungen auf.
Nach dem Wegfall des Kälte reizes vor Eintritt der Kältelähmung der
Hautgefäßo und bei Fortdauer der Körperruhe (künstliche Reaktion) ändert
sich die Blutverteilung in dem Sinne, daß die Menge der Erythrocyten in
der Peripherie über die in der Vorbereitungszeit gefundene Menge hinaus
rasch zunimmt, die der Leukocyten abnimmt. Letzteres erfolgt durch
Schwinden des thermotaktischen Reizes, ersteres weil infolge der Erweiterung
der Hautkapillaron und der peripheren Arterien eine reichliche Durch*
Heilmethoden bei Nerrenkraakheiten. 797
blutung der Peripherie eintritt. Diese Veränderung ist wenigstens noch eine
Stunde nach Wegfall des Kältereizes nachweisbar.
Die Körpertemperatur sinkt nach Wegfall des Kältereizes sofort unter
den Änfangswert, um allmählich die normale Höhe, die vor Beginn der
Versuche bestand, wieder zu erreichen. Die Temperaturherabsetzung ist
durch die Erweiterung des peripheren durchkälteten Strombettes, das wieder
ganz in die Zirkulation einbezogen wird, bedingt, indem einerseits kühles
Blut der Oberfläche in größerem Maße dem allgemeinen Kreislauf zugeführt
wird, andererseits mit Durchbrechung der physikalischen Regulation zunächst
größere Wärmeverluste eintreten. Der Blutdruck sinkt nur in dem Grade,
als es durch den Nachlaß der Kontraktion der Hautgefäße und der zur
Haut führenden Arterien bedingt ist, und bleibt wegen Steigerung der Herz-
energie auch nach Aufhören der Kältewirkung noch über seinem Aufangs-
niveau stehen. Der Ausgleich ist meist nach einer Stunde noch nicht erfolgt.
Die Herzaktion bleibt auch nach Wegfall des Kältereizes noch eine
Zeitlang verlangsamt. Die Atmungsfrequenz steigt nach Aufhören der
Kältewirkung wieder langsam an.
Der Kubn ersehen Anregung, die künstliche Luftbewegung zu thera-
peutischen Zwecken zu benutzen, ist Herz (46) gefolgt durch Herstellung
seines Licht -Luft -Strombades. Die zu variierenden Faktoren sind die
Temperatur und die Geschwindigkeit der Luft, die Intensität der Wärme-
and Lichtstrahlung. Das Licht-Luft-Strombad ist folgendermaßen eingerichtet:
Für die Aufnahme der Kranken ist ein Kasten bestimmt, der innen
mit Spiegeln belegt und mit elektrischen Glühlampen veraehen ist.
Durch eine Öffnung in dem Boden des Kastens tritt ein Luftstrom
ein, welchen ein in dem Kasten angebrachtes, elektrisch angetriebenes,
rotierendes Gebläse erzeugt.
Bei dem Apparate ist in dem Sockel ein mit Wasserdampf gespeister
Heizkörper angebracht, dessen Temperatur durch einen Drosselhahn reguliert
wird, und über welchen man den Luftstrom streichen läßt, um ihn auf eine
gewünschte hohe Temperatur zu bringen. Wo eine Dampfheizung nicht zur
Verfügung steht, wird der Erhitzer für Kohle, Petroleum und dergleichen
eingerichtet. Bei einem neuen Modelle ließ Herz auch eine mit der Wasser-
leitung verbundene Kühlvorrichtung zur Erzielung niedriger Temperaturen
anbringen.
Auch einzelne Körperteile kann man vermittelst des Apparates mit
Strömen der Luft dadurch behandeln, daß man das Rohr des Heizkörpers
an kleinere kastenförmige Behälter anschließt. Der beschriebene Apparat
kann in folgender Weise gebraucht werden:
1. als kaltes und warmes Luftbad,
2. als elektrisches Lichtbad,
3. als Licht-Luft-Strombad,
4. als Luftduschapparat,
5. als Kalt- oder Heißluftstrom -Apparat zur Behandlung einzelner
Körperteile.
Als Vorteil des Licht-Luft-Strombades gegenüber den natürlichen
Luftbädern wird mit Recht die Regulierbarkeit von Wind, Temperatur,
Feuchtigkeitsgehalt der Luft hingestellt, während die natürlichen Luftbäder
von großen und unberechenbaren Schwankungen dieser Faktoren abhängen.
Zugleich erlaubt das Licht-Luft- Strombad die Einatmung der bewegten Luft
auszuschüeßen. Sehr wichtig ist der Umstand, daß man im künstlichen
Licht-Luft- Strombad im Gegensatz zum elektrischen Licht- oder heißen
Luftbad den Feuchtigkeitsgehalt der Luft regiüieren kann. Denn bei Ein-
798 Hydrotherapie, Balneotherapie und verwandte
treten von Wärmestauung treten infolge der Schweißproduktion ganz andere
Nebenerscheinungen des Herzens und des Nervensystems ein, als wenn
schnell und dauernd infolge der Trockenheit der heißen Luft die abgesonderte
Flüssigkeit verdunstet. Die Anordnung des Apparates ist so gemacht, d&B
die Luft durch Druck vorwärts bewegt wird. In einer früheren Arbeit hat
Herz auf den wichtigen Unterschied der Wirkung auf den menschlichen
Körper zwischen Zugluft und Wind hingewiesen. Wenn auch das Licht-
Luft-Strombad von Herz das natürliche Luftbad mit seinen unendUch viel-
fach wechsehiden physikalischen Faktoren, welche auf die mannigfachste
Weise die Funktion des Körpers üben, nicht ersetzen kann, so wird es
doch wohl eingeführt werden für solche Fälle, in denen es auf genaue
Dosierung von Wind, Temperatur, Belichtung, Feuchtigkeit der Luft ankommt.
Lenkei (67) hat im Anschluß an die im Jahre 1904 Seite 814 dieses
Jahresberichts vom Ref. besprochenen Untersuchungen weiter auf dem Gebiete
der Wirkung der Sonnenbäder gearbeitet. Die Methodik ist vielfach eine
einwandsfreiere als bei der früheren Arbeit. Die Untersuchungen beziehen
sich auf das Verhalten des Blutdrucks und der Atmung, auf die Frequenz
und Qualität des Pulses, sowie auf das Körpergewicht. Er hat an 37
Personen, darunter Stoffwechsel-, Herz- und Nervenkranke sowie Gesunde
untersucht. Der Blutdruck war vermittelst Gärtners Tonometer, Modell
1904, bestimmt. Bezüglich der Lage und Haltung wurden die nötigen
Vorsichtsmaßregeln beobachtet. Die Bestimmung der Lichtintensität ver-
mittelst Vakuumthermometer glaubt Verfasser durch die Messung der Licht-
mengen mittelst Vogels Photometer unnötig gemacht zu haben. Bezüglich
des Gewichts ist es interessant, daß die Mageren zunahmen und die Kor-
pulenten an Gewicht verloren. Der arterielle Blutdruck wurde während
und nach dem Sonnenbade nie höher, in der großen Mehrzahl der Fälle
sank er. Der Druck im Venensystem veränderte sich in 25 ®/o ^®^ ^^®
nicht, bei 75 % stieg er. Die Zahl der Pulsschläge vermehrte sich bei 86 ^^
um ein weniges, in 15 7o ^^^ Fälle änderte sich die Pulsfrequenz nicht. Die
Qualität der Pulses blieb sich ziemlich gleich. Die Frequenz der Atmung
nahm in keinem Falle zu. In 95 ®^ der Fälle nahm sie um 4 in der Minute
ab. Alle enviihnten Veränderungen zeigen sich um so ausgesprochener, je
intensiver das Sonnenlicht war.
Eine Werbeschrift Eokisch (69) für das Luftbad, die zwar zu großen
Enthusiasmus hervortreten läßt, im großen und ganzen jedoch auf physio-
logischem Boden steht. Nachdem die physikalischen Eigenschaften der
Luft unter den verschiedensten Feuchtigkeits-, Temperatur- und Luftbewe-
gungsverhältnissen besprochen sind, geht Verfasser auf die physiologischen
Wirkungen des Luftbades auf den Körper ein. Sein HauptÄrgument für
die günstige Wirkung des Luftbades besteht darin, daß bei entkleidetem
Körper die Nerven der Haut und der Sinnesorgane in einem großen A«s-
(lehnungsgebiet gereizt und infolgedessen die Körperfunktionen in sehr
gleichmäßiger allgemeiner Weise angeregt werden können, wälirend ein örtlich
starker Beiz bei geschütztem übrigen Körper oft ernste Störungen infolge
übermäßiger Keizwirkung auf eine Gegend hervorruft. Beispiele für diese
letztere Erscheinung sintl das Auftreten einer Facialislähmung bei Einwirkung
eines feinen Zuges auf den Nacken oder das Gesicht, ferner die Zirkulations-
störungen an Händen und Füßen (Gefäßkrampf usw.) bei Einwirkung der
Kälte auf diese Teile, das Auftreten von krankhaftem Zusammenziehen der
Gesichtsmuskulatur bei Einwirkung kalten Windes, Erkältungen nach Durch-
nässunp^en der Füße usw. Dadurch, daß die Reize auf die ganze Haut-
oberfläche wirken, kann es zu lokalen Störungen nicht so leicht kommen.
Heilmethoden bei NenrenkrankheiteD. 799
weil dieselben ausgeglichen werden durch eine Menge von Reflexen auf die
Herz- und Gefaßtätigkeit, die Blutverteilung, die Muskeltätigkeit, den Stoff-
wechsel, die Wärmebilanz. Im Luftbade ist der Mensch viel mehr ein Reflex-
individuom als im bekleideten Zustande. Mit großer Leichtigkeit werden
Muskelbewegungen ausgeführt, die mit bekleidetem Körper in dieser Schnellig-
keit und Elastizität kaum möglich sind. Sie bestärken alle Allgemein-
Wirkungen. Eine weitere Wirkung des auf die ganze Hautoberfläche aus-
geübten Reizes ist nach Ansicht des Verf. die Feuchterhaltung der Schleim-
häute, wodurch ein mächtiger Schutz gegen Erkältungsgefahr nicht bloß im
Luftbade selbst, sondern noch lange hinterher erzielt wird. Daß damit bei
regelmäßigem und zwar auch im Winter genommenen Luftbade die Erkältungs-
gefahr vermindert wird, ist wohl erklärlich. Nicht zu vernachlässigen bei
der Bearteilung der Wirkung dabei sind die besonders im Winter intensiv
Torzunehmenden Körperbewegungen. Die Haut funktioniert im Luftbade
als vollkommenes Sinnesorgan und wird infolge einer ständigen Aus-
bildung aus einer atrophischen, blassen, blutleeren, leichenfarbenen Umhüllung
mit der Zeit zu. einem rosigen, blutgefiillten, gesund aussehenden und prall
gespannten Organ. Dadurch werden natürlich die auf sie eindringenden
Beize wohl gerade so gut empfunden, aber die Reize klingen schneller ab,
sie hinterlassen im Körper keine schädlichen Einwirkungen.
Alle diese Ausführungen des Verf. bedürfen natürlich noch einer
genauen experimentellen Begründung. Immerhin ist es wahrscheinlich, daß
es sich so verhält. Verf. macht dann noch w^eitere Schlüsse aus den
genannten Wirkungen des Luftbades. Dadurch, daß der Mensch sich wieder
der Natur nähert, soll er auch in ethischer und ästhetischer Hinsicht sich
heben, seine Individualität soll mehr hervortreten, aus dem Stuben- und
Aktenmensch wird wieder ein natürliches, freies, gewissermaßen instinktiv
fühlendes und handelndes Reflexindividuum. Schon bei Kindern soll man
deshalb in ausgedehnter Weise das Luftbad in Anwendung bringen. Auch
auf die Lebensweise, Gewöhnung an natürliche Ernährung, an die Vermeidung
von Reizmitteln usw. soll es günstig wirken.
Fliedländer (37) hat sich der dankenswerten Aufgabe unterzogen,
die Kenntnis der Luft- und Sonnenbäder durch einen in Frankfurt gehaltenen
Vortrag zu verbreiten. Ich finde nur, daß sich Verfasser in seiner Empfehlung
des Luftbades, als eines Mittels, das im stände ist, die glatte Muskulatur der
Haut zu üben und die Haut abzuhärten, etwas zu zurückhaltend ausdrückt.
Nach Ansicht des in dieser Beziehung gut bew^anderten Referenten kann
man das Luftbad als bestes Abhärtungsmittel bezeichnen. Auch kann
Referent dem Verfasser, der hydrotherapeutische Maßnahmen dem Luftbade
als Abhärtungsmittel der Haut vorzieht, nicht beistimmen. Während
Wasserprozeduren nur einen Augenblick anwendbar sind, läßt sich das Luft-
bad für längere Zeit im Sommer jedenfalls viel länger als 30 Minuten, welches
Zeitmaß Verfasser als die Grenze hält, fortsetzen. Referent hat manclie
Patienten zu ihrem großen Nutzen 2 — 3 Stunden luftbaden lassen. Kin
Nachteil ist ja zweifellos die mangelhafte Dosierbarkeit des Luftbades.
Referent erreichte viel durch genaue Vorschrift bezüglich der Dauer und
Art des Luftbades unter den verschiedensten Temperatur-, Wind- und
Peuchtigkeitsverhältnissen. Auch die Sonnenbäder werden vom Verfasser
einer Darstellung unterzogen. Auf alle Fälle ist es zu begrüßen, daß immer
mehr Empfehlungen des Luft- und Sonnenbades sich finden gegenüber der
bis jetzt indifferenten oder zurückhaltenden Stellungnahme der großen Masse
der Arzte.
SOO Hydrotherapie, Balneotherapie und verwandte
Eine kurze Notiz Bachmann's (3) über den Nutzen des Luft- und
Lichtbades. Die Haut, an der vor allem das Luftbad angreift, wird aas
einer schlaffen, welken leichenfarbenen Bedeckung zu einem höchst wichtigen
Organ und ist im stände, durch ihre intensive funktionelle Mitarbeit
Erkältungen und schwere Erkrankungen zu verhüten oder zu verkürzen.
Gegenüber der übermäßig verbreiteten Anschauung der Infektiosität vieler
Erkrankungen und der Gefahr des Hineinbringens kleiner Lebewesen in
den Körper, tritt in der Neuzeit wieder die biologische Anschanung,
daß die Menschheit durch Befolgung der Gesetze einer naturgemäßen
Lebensweise einen natürlichen Schutz gegen äußere Schädlichkeiten er-
langt, mehr in den Vordergrund. Außer der Ernährungshjgiene kommt
vor allem die Wiederbelebung des Hautorganes und die Wiedergewöhnung
an die natürlichen Reize der Luft und des Lichtes in Frage. So verspricht
sich der Verfasser bei der Verbreitung des Luftbades in allen Volksklassen
eine allmähliche „Wiedergeburt des Volkes in körperlicher . und geistiger
Beziehung".
Determann (20) führt aus: Infoige unserer Kleidung und des da-
durch geschaffenen warmen, trockenen Privatklimas sind wir im stände, in kühlen
Klimaten zu leben. Die ästhetische und kosmetische Bedeutung der Kleidung
ist erst später hinzugekommen. Aber wenn die Kleider auch notwendig
sind, so sind durch sie doch manche Schädlichkeiten bedingt. Die
Funktion der Haut wird nicht genügend geübt; wir müssen fortwährend ein
großes Gewicht mit uns tragen, das nicht organisch zu uns gehört. Durch
zu dicke und falsch sitzende Kleidung schaffen ^ir uns sehr oft die Möghch-
keit des Entstehens ernster Krankheiten. Die Ausdünstung gewisser, im
Schweiß befindlicher giftiger Stoffe ist vermindert. Wenn wir anch nicht,
wie die Indianer und Feuerländer, welch letztere an der Südspitze von Süd-
amerika in einem zwar kühlen und feuchten, aber sehr gleichmäßigen Ehma
aus besonderen Gründen gänzlich ohne Kleidung leben, die Kleidung bei
unserem Leben und unseren Kulturbedingungen entbehren können, so ist
docli ein zeitweiliges Ablegen, zumal für die unter schlechten hygienischen
Bedingungen lebenden Zimmerarbeiter, zu gewissen Jahreszeiten dringend zu
empfehlen. Daß diese Maßnahme von größter W^ichtigkeit und von hervor-
ragendem Nutzen für die Gesundheit ist, wird erklärt durch eingehende
Bemerkungen über Licht und Luft als Lebensreize, welche auf den Körper
als Objekt physikalisch und auf ihn als Organismus physiologisch einwirkea.
Verfasser weist auf die van Oordt sehen Untersuchungen am nackten Menschen
hin. (Bes. Referat darüber.)
Die Technik und Ausführung des Luftbades stoßen deshalb anf
gewisse Schwierigkeiten, weil nicht jedes Klima, Wetter und Jahreszeit sich
eignen, und weil das Luftbad wegen der Veränderlichkeit des Wetters sehr
oft nicht zu dosieren, abzustufen ist. Um so mehr sollte das Luftbad bei
Kranken nur ärztlich verordnet werden. Die Wahl des Platzes, des Bodens,
der Besonnung, der Landschaft, des Klimas, die inneren Einrichtungen, die
Art des Luftbadekostüms, die Dauer, die Tages- und Jahreszeit des Luft-
bades werden genau besprochen. In geeignetem Klima sind auch im Winter
Luftbäder recht gut möglich; in Städten muß man sich im Winter mit dem
Zimmerluftbad begnügen. Bei Kranken muß man mancherlei ModifikationeD
in Bezug auf die Dosierung, Bekleidung usw. vornehmen.
Unter den Kranken, bei deren Auswahl für das Luft.bad übrigens der
Zustand der Funktionen und des Körpers mehr entscheidet als der Name
der Krankheit, sind es besonders die funktionellen Nervenkranken.
Heilmethoden bei Nervenkrankheiten. QOl
Aach einige organische Nervenkranke kann man unter Über-
urachuDg luftbadeu lassen, ebenso noch kräftige Zuckerkranke, Gichtiker,
Blutarme, Bleichsüchtige. Besonders gute Erfolge erfahren Fettleibige,
die man bis zu vielen Stunden täglich im Luftbad lassen kann ; auch Kranke
mit Morb. Basedow finden nicht selten eine wesentliche Besserung. Bei
leichten Herzkranken darf man die Luftbäder nicht zu kalt wählen,
ebenso nicht bei Arteriosklerose.
Zu verwerfen oder mit äußerster Vorsicht zu verordnen ist das Luft-
bad bei Nieren- und schweren Herzkrauken, bei Rheumatismus, bei
schweren Nervenkranken, bei hochgradigen Erregungszuständen,
bei sehr schlechtem Schlaf; auch entzündliche und katarrhalische Er-
krankungen, besonders bei Neigung zu Blutungen, sind davon fernzuhalten.
Einige unerwünschte Nebenwirkungen, besonders Entzündungen und
Beizzustände der Haut, Kopfschmerz, Blasenreizungen, sind zu erwähnen.
Durch Übung und Stärkung der Haut wirkt auch das Luftbad als
Schönheitsmittel.
Sonstige physikalische Therapie.
In dieser 74 Seiten starken Rektoratsrede gibt Jaquet (52), einer
der erfolgreichsten Erforscher auf dem Gebiete des Höhenklimas, ein Ge-
samtbild der auf diesem Felde in den letzten 10 Jahren geleisteten Arbeit.
Er beschränkt sich dabei auf die Besprechung derjenigen Wirkungen, welche
unter für den Arzt in Betracht kommenden Verhältnissen zu stände kommen.
Die Bergkrankheit und die anderen in ganz großen Höhen auftretenden
Erscheinungen finden daher keine Erwähnung. So werden in großen Zügen
die Einflüsse des Höhenklimas auf die Blutzusammensetzung und die Blut-
bildung durchsprochen. Es wird entsprechend den neuesten Eorschungs-
resoltaten festgestellt, daß die Ursache der Veränderung des Blutes fast
gänzUch im verminderten Luftdruck der Höhe zu suchen sind. Sodann
kommt die Wirkung des Höhenklimas auf Herz und Kreislauf, auf den
Gaswechsel, der Einfluß der Muskelarbeit auf Atmung und Gaswechsel im
Gebirge, endlich der Einfluß des Höhenklimas auf den Stickstoffumsatz.
Die wichtigsten Forschungsergebnisse werden durch Tabellen erläutert. Von
der Einwirkung des Höhenklimas auf das Nervensystem spricht er nicht, da
systematische Untersuchungen dieser Wirkung noch fehlen. In Bezug auf
die Blotverändemng faßt er seine Ansicht in folgenden Worten zusammen:
«Die im Gebirge beobachtete Zunahme der Zahl der roten Blutkörperchen
und des Blutfarbstoffes ist kein einheitlicher Prozeß, sondern beruht auf
Mitwirkung verschiedener Ursachen. Eine Blutneubildung ist hier sicher im
Spiele, sie tritt aber allmählich ein und erklärt die vielfach beobachtete
starke Zunahme unmittelbar nach der Ankunft im Gebirge nicht. Diese
initiale Hyperglobulie ist keine absolute, sondern nur eine relative und be-
ruht auf einer Veränderung der Blutmischung in den verschiedenen Gefäß-
bezirken. Endlich scheint auch eine geringfügige Eindickung des Blutes
bei der Zunahme der Erythrocyten etwas mitzuwirken. Die Hauptreaktion
ist aber die Neubildung von roten Blutkörperchen, welche, wie besondere
Versuche erwiesen haben, einzig und allein von der Druckvermiuderung
abhängt"
Nach den vielen Irrtümern, die infolge der nicht genügend kritischen
tbertragnng von Laboratoriumsversuchen auf die Verhältnisse im Höhen-
klima selbst entstanden waren, ist es sehr angebracht, daß Jaquet Beispiele
darüber gibt.
Jahresbericht f. Kearologie und Psychiatrie 1906. 51
002 Hydrotherapie, Balneotherapie und verwandte
Eine weitere, früher gänzlich unerörterte Wirkung des HöhenkUmas
ist die auf den Stoffwechsel. Und auch hierüber wird alles neuerdings be-
kannt gegebene referiert Im Gegensatz zu Laboratoriumsversuchen, bei
denen erst bei sehr niedrigem Barometerdruck die erste Veränderung des
Gaswechsels wahrgenommen wird, kann man schon in der Höhe bei einem
Druck von 630 mm Hg. eine deutliche Steigerung des Gaswechsels und
gleichzeitig eine Retention des Stickstoffes feststellen. Ein ausfuhrliches
Literaturverzeichnis, das allerdings nur die Arbeiten berücksichtigt, welche
ein neues Ergebnis gezeitigt haben, bildet den Schluß.
Marburg, Clar, Epstein, Ewer, Förster, Hatscheck, Holz-
knecht, Knoedl, Schmidt, UUmann (73) haben in knapper Foim
die physikalischen Heilmethoden in Einzeldarstellungen auf 425 Seiten
beschrieben.
Der Aufsatz über Balneo- und Klimatotherapie von Clar-
Epstein ist sehr kurz und berücksichtigt die neuen Arbeiten auf diesem
Gebiete noch nicht. Bezüglich der Mineralbäder ist die früher übliche
Einteilung beibehalten, über die Wirkung von Klima und Eädern ist nichts
mitgeteilt, die Darstellung der klimatischen Stationen berücksichtigt nur
Einzelnes. — Hatschek gibt einen guten Überblick über Wirkung, Technik
und Anwendung der hydriatischen Prozeduren. — Die apparatliche,
Röntgentherapie und Finsentherapie von Holzknecht undE. Schmidt
geben ebenfalls einen Überblick über das Wissenswerte auf diesen Gebieten.
Es werden unter den Indikationen nur die ganz gesicherten angeführt —
Gut dargestellt ist auch der Abschnitt Thermotherapie von Ulimann.
Alle die neuen Apparate werden mit zahlreichen Abbildungen zur Kenntnis
gebracht. UUmann bespricht auch einige Versuche über physiologische
und experimentelle pathologische Wirkungen konstanter Wärmeapplikationen
am Menschen- und Tierleibe. — Marburg hat das Kapitel Elektro-
therapie übernommen. Außer der allgemeinen gibt er auch eine kurze
spezielle Elektrotherapie. — Ewer bringt ziemlich erschöpfend die Massage,
die Heilgymnastik und die Mechanotherapie. — Ebenso Förster die
kompensatorische Übungstherapie bei Tabes dorsalis. — Eine
kurze allgemeine Krankenpflege von Knoedel bildet den Schluß.
Das Buch gibt eine gute Übersicht über den jetzigen Stand der physi-
kalischen Therapie und ist durchaus für den praktischen Arzt geschrieben.
Bain, E(^econibe und Frankling (4) haben Untersuchungen ge-
macht über die Verwendung der hochfrequentierten Wechselströme, der
elektrischen Tauchbäder (Verbindung der sinusoidalen Ströme mit einem
lauwarmen Bade^, von Licht- und Ozonbädern, von lokalen und allgemeinen
Heißluftbädern, von Dampfbädern mit darauf folgender Dusche -Massage,
von Moorbädern und Thermalschwefelbädern. Es ist besonders geprüft die
Wirkungsweise auf Blutdruck, Zusammensetzung des Urins, Blutbeschaffen-
heit. Das Indikationsgebiet, welches die Verfasser für diese Arten von
Bädern feststellen, ist ein außerordentlich weites, sodaß Referent in der
Empfehlung so zahlreicher Krankheiten, welche durch die Bäder gebessert
werden sollen, den Verfassern kaum folgen kann.
Sommer (95) setzt die Behandlungsmethode auseinander, die an der
Berliner hydrotherapeutischen Universitätsanstalt bei Ischiaskranken ange-
wendet werden. Er hat ein Material von 504 Fällen an der Hand. Die
Bewegungsbäder, kombiniert mit nachfolgenden Massage-Prozeduren wirken
hauptsächlich beruhigend. Bei schweren Fällen muß man sich mit erregenden
Umschlägen, in manchen Fällen auch feuchten heißen Umschlägen oder
Dampfkompressen bei Bettruhe begnügen. Besonders werden die Diehl-
HeilinethodenN}ei NervenkraDkheiten. g03
sehen Umschläge, ganz trocken gemachte Watteumschläge, mit Guttapercha
daräber and seitlich dnrch Fett luftabschließend gemacht, empfohlen. Zu-
weilen sind auch nur Alkoholumschläge oder trockene Umschläge möglich.
Dann werden Tor allem warme und heiße Vollbäder, in denen methodisch
Bewegungen vorgenommen werden, empfohlen. Am Schluß wird das Bad
abgekühlt. Sodann bespricht Verfasser die Massage, die Dehnung des N.
ischiadicus, späterhin die Duschen, Dampfdusche usw. Die Zahl der
Heilungen ist sehr groß, sie schwankt zwischen 80—90 %. Mißerfolge
kommen besonders bei Komplikationen Tor. Acht instruktive Fälle werden
beschrieben.
Laqnenr (64) bespricht die hydrotherapeutische Behandlung der
Neurasthenie, wobei er der Blutdruckveränderung durch laue Vollbäder und
Ganzeinpackungen den Haupteinfluß auf die Hervorbringung von Schlaf zu-
schreibt Besonders spielen Einpackungen mit ihrem Einfluß auf die Puls-
frequenz eine wichtige Rolle in Fällen von nervösem Herzklopfen als Ur-
sache des schlechten Schlafes. Gute Erfahrungen hat Laqueur auch mit
der Ärsonvalisation und mit der Anwendung des elektro-magnetischen Feldes
gemacht
Kann (54) beschreibt in seiner lesenswerten kleinen Mitteilung die
Art und Einrichtung des von ihm in Oeynhausen angewandten Übungs-
saales, welcher in der Tat eine Verbesserung gegenüber den bis jetzt ge-
bräuchlichen Bäumlichkeiten darstellt.
Die Kranken können unter Vermeidung von Treppe oder, Stufen ver-
mittelst einer bequemen Bampe auf dem BoUstuhl in den Ubungsraum
hineingefahren werden oder hineingehen. Der Boden dieser Bampe besteht
ans mit Rillen versehenen Zementbeton. Die Garderoben und Toiletteräume
sind hell, heizbar und nicht zugig, in Bücksicht auf die Unsicherheit des
Ganges vieler Kranken bei schlechter Beleuchtung und auf die Empfindlich-
keit gegen TemperaturdiSerenzen. Handgrifl'e an den Wänden dienen zur
weiteren Erleichterung beim Ablegen der Mäntel usw. Die Türöffnungen
sind so weit, daß RoUstühle oder Kranke mit ihrem Begleiter zugleich hin-
durch kommen können. Alle Stufen, Teppiche und Matten sind vermieden.
Der Übungssaal selbst soll 12 — 15 m lang sein, allen hygienischen An-
forderungen genügen, also vor allem hell und luftig sein. Die beste Be-
leQchtang ist die durch Oberlicht. Jedenfalls muß das Licht gleichmäßig
im Saal verbreitet sein und Schatten vermieden werden. Damit kein grelles
Sonnenlicht eindringt, nimmt man am besten für die Fenster englisches
Patent -Bohglas. Die Heizkörper sollen den Baum möglichst gleichmäßig
erwärmen. Schwierig ist die Gestaltung des Fußbodens. Er muß warm,
eben, nicht zu glatt, elastisch und leicht zu reinigen sein. Verfasser hat
nach Prüfung vieler Fußbodenarten eine Mischung von Holzmehl mit
Magnesit und Magnesiumsalzen, welche über einen gleichmäßigen Zement-
boden gestrichen werden, angewandt. Bequeme breite und genügend tiefe
Sahesitze sind an den verschiedensten Stellen des Übungssaales anzubringen.
Frenkel (36) gibt eine gedrängte Übersicht der Grundsätze und Er-
fahrungen seiner Ubungstherapie. Er analysiert zuerst das Wesen der
Ataxie, wobei er zu befriedigenden Erklärungen aller Erscheinungen der
Ataxie die Therapie Goldscheiders dahin ergänzt, daß nicht nur die
Störung der Gelenksensibilität der Sehnen usw., sondern vor allem die
Störung der Sensibilität der Muskelsubstanz herangezogen werden muß.
Frenkel gibt dann sein Verfahren zur diagnostischen Feststellung der ver-
schiedenen Grade und Formen der Ataxie an: Die Prüfungen im Stehen,
Liegen, Gehen, Treppensteigen usw. mit offenen und geschlossenen Augen
51*
304 Hydrotherapie, Balneotherapie und verwandte
Die Tatsache, daß ein Tabeskranker durch Übung eine inkoordinierte Be-
wegung in eine normale koordinierte verwandeln kann, wird so von Prenkel
gedeutet, daß die Zentralorgane durch die Wiederholung lernen, sich mit
einem geringeren als dem normalen Maße von Sensibilität zu begnügen.
Zur Vornahme einer rationellen Übungstherapie ist die detaillierte Kenntnis
der Gesetze normaler Bewegungen nötig; gerade die Berücksichtigung aller
Bewegungen, welche zur Erhaltung des Gleichgewichts dienen, also die
Rumpfbewegungen müssen in allen einzelnen Phasen gekannt werden. Eine
Aufhebung der Rumpfbewegungeu durch Laufbarren, Stützen unter den
Achseln usw. hält Frenkel für die Einübung des Gehens für zwecklos.
Die Kunst der Übungstherapie besteht besonders darin, die Grenze der
Leistungsfaliigkeit des Normalen festzustellen und durch langsames Port-
schreiten von leichten zu schweren Aufgaben die Kranken bis zu dieser
Grenze zu bringen. Die Beobachtung der Pulsfrequenz ist dabei von Wich-
tigkeit; man soll warten mit einigen Übungen, bis dieselbe wieder zur
Norm zurückgekehrt ist. Auch ist das bei Tabikern häufig fehlende Er-
müdungsgefühl zu berücksichtigen. Auf die einzelnen Übungen wird nicht
eingegangen; jedoch kann sich ein jeder aus der Lektüre des kurzen, aber
inhaltsreichen Aufsatzes genaue Kenntnis der Prinzipien für die Übungs-
behandlung der Tabiker verschaflFeu.
Hammer (42) hat 5 Fälle von hysterischer Astasie-Abasie behandelt
mit einer Art Isolierkur, verbunden mit einer systematischen Hebung der
gehinderten Bewegungen. Erstere wird innerhalb des Krankensaals vermittelst
spanischer Wände erzielt, sodaß Patient seine Nachbaren nicht sieht, auch
nicht von ihnen gesehen werden kann, aber wohl dieselben resp. ihre Unter-
haltung hört, wodurch sein Verlangen nach Genesung gesteigert werden soll.
Außer einer reichlichen Ernährung, besonders mit Milch, wird nun zweck-
mäßig passive und aktive Bewegung vorgenommen. Zuerst Fußbewegungen,
Beugen der unteren Extremitäten im Knie, gewisse Lagerungen mit gebeugtem
Knie, Spreizen der Schenkel von einander im Liegen, Heben und Seitwärts-
führen der gestreckten unteren Extremitäten im Liegen, endlich Aufsitzen
mit auf der Bnist gekreuzten Armen. Wenn diese Bewegungen gut ein-
geübt sind, werden sie mit Widerstand ausgeführt. Dann kann man all-
mählich den Übergang finden zum Aufstehen vom Stuhl, Stehen auf den
Zehenspitzen, Knie beugen, endlich kommt das Gehen in den verschiedensten
Tempis und Formen, sowie das Treppensteigen. Die Erfolge dieser haupt-
sächlich suggestiv-wirkenden Übungsgymnastik sind nach Mitteilungen der
Krankengeschichte ganz hervorragende. Alle Patienten gewannen ihren
normalen Gang wieder.
Beyer (8) hat den Einfluß des Radfahrens auf das Herz zum Gegen-
stand des Studiums bei Soldaten gemacht. Es handelt sich also bei der
Untersuchung nur um gesunde junge Individuen. Er kommt zu dem Schlüsse,
daß das Radfahren einen spezifisch schädlichen Einfluß auf das Herz ausübt,
und daß das jugendliche Herz gerade infolge der erheblichen Blutdruck-
steigerung großen Gefahren ausgesetzt ist. Diese Blutdrucksteigerung kommt
daher, daß nicht wie bei den meisten anderen körperlichen Bewegungen aus-
gedehnte Miiskelpartien in mäßigem Grade gebraucht werden und durch
Aufnahme von Blut die durch vermehrte Herzarbeit verursachte Blutdruck-
steigerung herabsetzen, sondern das relativ beschränkte Muskelpartien in
Anspruch genommen werden, welche bei der relativ großen Herzarbeit nur
einen geringen Ausgleich der Blutdrucksteigerung ermöglichen. Tatsächlich
weisen Pulskurven, welche bei Radfahrern aufgenommen wurden, meistens die
Zeichen der Spannung des Pnlses auf. Außer der Steigerung des Blut-
Heilmethoden bei Nervenkrankheiten. 805
drackes ist die Erhöhung der Pulszahl das beim Badfahren am meisten auf-
Mende Symptom. Besonders zwei umstände lassen das Badfahren bezüglich
seiner Wirkungen bedenklich erscheinen. Erstens der, daß so häufig körperlich
angeeignete Leute radfahren, sodann die unmäßige oder unzweckmäßige
Ausübung dieses Sportes. Von den Folgen des Badfahrens für das Horz:
Herzhypertrophie, akute Herzerweiterung, Herzklopfen, nervösen Herzstörungen
hat Verfasser nervöse Herzstöruugen am meisten bei seinen Fällen gesehen»
Beyer meint, aus dem statistischen Material, welches ihm vorliegt, entnehmen
zu können, daß die Herzkrankheiten in den Armeen in den letzten 20 Jahren
sich verdreifacht haben, besonders deshalb, weil eine große Anzahl von
Herzleiden schon im Zivilleben erworben werden, die dann bei größeren
körperlichen Anstrengungen im Dienste hervortreten. Besonders bedenklich
ist, daß gerade Leute mit sitzender Lebensweise wie Schreiber, Buchhalter,
Lehrer und Handlungsgehilfen laut statistischem Nachweis am meisten das
fiadfahren betreiben. Gerade diese, welche die einzige freie Zeit der Sonn-
tage zu großen Badtouren benutzen, werden sich relativ häufig überanstrengen.
Man gewinnt aus dem Aufsatze den Eindruck, daß das Badfahren tat*
siehlich nicht ein so harmloser Sport ist, wie man vielfach annimmt.
Kellogg (57) rät an der Hand eines Überblicks über die physika-
lischen Heilmittel, die medikamentöse Therapie in den Hintergrund zu
drängen und chronische Krankheiten, die meistens „Strafen für unsere ge-
künstelte und verdorbene Lebensweise sind", durch Bückkehr zu einer natür-
lichen Art der Lebensführung, durch Anwendung von Licht, Luft, Wasser,
Bewegung, Diät in den verschiedensten Formen zu behandeln. Er erinnert
dabei an die großartigen Erfolge der Freiluftkur bei der Lungentuberkulose,
die Erfolge der Bäder usw. bei Herzkrankheiten, bei funktionellen Neurosen
und vielen anderen chronischen Erkrankungen.
Rochelt (90) bespricht den klimatischen Kurort Meran. Über das
Klima ist verhältnismäßig wenig die Bede, mehr über die neuen Einrichtungen,
irie den beabsichtigten Bau eines neuen Kurmittelhauses für alle in Betracht
kommenden physikalischen Heilmittel, von dem Krankenhaus, von den
Terrainkurwegen und den öffentlichen Einrichtungen.
Verschiedenes.
Die neurodynamische Therapeutik soll nach Angabe Ritter^s (88)
in der bewußten Anwendung der in den Pflanzensäften enthaltenen Sonnen-
energie, sowie die Erhaltung derselben in den Pflanzen resp. Arzneien
auch zur Winterszeit bestehen. Sie tritt also für eine medikamentöse Be-
lumdlung ein, gehört jedoch zu den physikalischen Heilmethoden, also zur
liichttherapie. Bitter meint, daß das wirksame Agens vieler Arzneien das
Sonnenlicht ist, und deshalb beruht die Zubereitung aller dieser pflanzlichen
Arzneien auf dem Prinzip, diesen die Lichtschwingungen zu erhalten, die
von dem Pflanzenorganismus aufgenommen werden. Aus diesem Grunde
werden dem ausgepreßten, frischen Pflanzensafte diejenigen Lichtträger in
den gleichen Prozentsätzen zugeführt, die der Pflanze ihre Lebenstätigkeit
Tennitteln halfen, das Pflanzengerüst aufbauten und sich später in der Asche
jeder Pflanze ermitteln und nachweisen lassen. Die bekannte Tatsache, daß
das Nervensystem in gesetzmäßiger Weise auf Erregung durch kurzwellige
Strahlen reagiert, und zwar nicht bloß durch Vermittlung der Augen, sondern
auch durch die der Haut, wird durch zahlreiche physiologische und prak-
tische Belege erörtert.
806 Hydrotherapie, Balneotherapie und verwandte
Die EinwirkuDg dieser Medikamente auf das meDschliche und tierische
Nervensystem und dadurch auf den Gesamtorganismus, läßt sich nur vom
physikalischen Gesichtspunkte, nicht aber Tom chemischen erläutern. Denn
nur von dort aus läßt sich die ^^Erregung der Eflanzensäfle durch Licht-
schwingungen erklären, sowie die Übertragung der durch sie heryorgerafenen
molekularen Erregungen auf Nervenendigungen, sodaß wir begreifen, daß
hier eine Energieübertragung und zugleich die Verwandlung der Bewegungs-
ursache in Arbeitsleistung stattfindet.
Durch diese Anschauung erweitern sich nach Angabe des Verfassers
die Grenzen für die medikamentöse Behandlung. Zugleich wird die Möglich-
keit näher gerückt, durch Regulierung der Nervenfunktionen pathologische
Zustände in subtilster Weise zu beeinflussen, zu beschränken und durch
Anregung der Nerventätigkeit zur Heilung zu bringen.
Hoessli (49) predigt für eine Reihe von Ejrankheitsgruppen leichterer
Art die Vornahme einer viel intensiveren körperlichen Arbeit unter gleich-
zeitigem reichlichem Luftgenuß, als das bis jetzt üblich ist. Er hat
ausgezeichnete Erfahrungen gemacht mit Unterernährten, welche erst dann
zunahmen, wenn sie in frischer Luft sich viel bewegten, mit Fetten,
mit Nervösen. Er ist kein Freund von der Zulassung der physikalischen
Heilmethoden in Nervenanstalten, und er will der Arbeit, der Erziehung und
Abhärtung in freier Luft mehr Raum geben als der Behandlung mit Wasser.
Gymnastik usw. Auch bei Degenerierten sind nach seiner Ansicht klima-
tische Kuren, unterstützt von wohldosierten Muskelübungen von groBem
Nutzen. Er fuhrt die so verbreitete funktionelle Schwäche des Herzens anf
Verweichlichung und Entartung zurück, welche durch die falsche Erziehung
der Kinder, durch das Vorwiegen der geistigen über die körperliche Arbeit
begünstigt wird. Wenn er sagt: „Einem wirklich gesunden kräftigen Herzen
kann die Influenza nichts anhaben", so ist das in dieser allgemeinen Form
ein etwas gewagter Ausspruch. Auch noch bei vielen anderen Krankheiten
hält er eine starke körperliche Arbeitsleistung für sehr angebracht.
In seinem 492 Seiten starken Buche spricht Lossen (72) sich aus
über Art, Wirkung und Anwendung der physikalischen Heilmethoden in der
Ernst Ludwig -Heilanstalt in Darmstadt. Er gibt größtenteils die be-
kannten Kenntnisse auf diesem Gebiet in gewandter Form wieder, fugt aber
eine Menge eigenen Beobachtungsmaterials bei. Das ganze hat die Form
eines kritischen Sammelreferates, welches eine große ßelesenheit und Er-
fahrung beweist. Überall sind ausfuhrliche Literaturangaben gemacht, überall
wird auch durch Abbildungen das Gesagte besonders erläutert.
Nach einer sehr gut dargestellten Abhandlung- über die Ursachen und
die Art der Bekämpfung des Kurpfuschertums, bespricht Lossen der Reihe
nach Bewegungs- und Übungstherapie, besonders die Massage, Gymnastik,
Orthopädie, dann die Thermotherapie, Phototherapie, inkl. Radium, Röntgen-
und Finsentherapie, die verschiedenen Arten der Elektrotherapie, Inhalations-
und Pneumotherapie und medikamentöse Bäder. Den Schluß bildet ein
Artikel über die Nachbehandlung von Unfallverletzten. Die Anwendung
aller dieser physikalischen Heilmethoden bei Erkrankung des Nervensystems
ist dabei genügend erörtert, und es sind die neuesten Forschungen dabei
berücksichtigt.
Aus dem Buche geht hervor, daß die Ernst Ludwig - Heilanstalt ein
vorzüt^'lich eingerichtetes Institut ist, und daß der Arzt die physikalischen
Heilm('thoden beherrscht.
Ohne auf die Differenzialdiagnostik der verschiedenen Erscheinungs-
formen der Hyperazidität näher einzugehen, gibt Albu (1) beherzigenswerte
Heilmethoden bei Nervenkrankheiten. 307
fiatschläge in Bezug auf die allgemeine Behandlung derselben, indem er
Bis Typus die hauptsächlichste Form, nämlich die nervöse Übersäuerung
nimmt Mit Recht macht er darauf aufmerksam, daß keineswegs die im
Augenblick so wohltätig erscheinende Eiweißkost auf die Dauer das Leiden
günstig beeinflußt, ..sondern daß eher eine vegetabilische Kost imstande ist,
die Neigung zur Übersäuerung allmählich zu vermindern. Allerdings muß
man dabei sehr sorgiältig vorgehen in Bezug auf Auswahl und Zubereitung
der Cerealien, der Gemüse, des Obstes, auf Vermeidung von blähenden,
schwer verdaulichen Speisen. Von Eiweißstoffen sind die vegetabilischen
neben mäßiger Fleischkost zu bevorzugen. Von Fetten werden besonders
beste reine Butter, Sahne, Eäer und eventuell löffelweise Ol empfohlen.
Dabei soll man häufig kleine Mahlzeiten geben, besonders auch* spät abends
und früh morgens. Magenausspülungen sind zur Erzielung von Nachtruhe,
besonders spät abends vorgenommen, nützlich. Hinterher kann man mit
Vorteil ein Alkali dem Magen einverleiben. Innerlich ist für viele Fälle
ein Pulver von Belladonna, Bismuth, Magnesia, Natrium bicarbonicum nützlich.
Die Therapie der verschiedenen Arten der Hypersekretion des Magens
moB besonders das Grundleiden berücksichtigen, und muß unter Vermeidung
Ton zuviel Flüssigkeit sich au ähnliche Prinzipien halten wie bei der Hyper-
acidität. Die Schrift kann als kurze, recht brauchbare Anleitung zur Be-
handlung dieser Krankheit dienen.
Winternitz (108) bekämpft die jetzt so häufig schablonenhafte und
in ihrer Ausführung nicht zweckmäßige Art der Mastkur. Schon in einer
früheren aus dem Jahre 1870 stammenden Arbeit hat er der auch jetzt
geäußerten Ansicht Ausdruck gegeben, daß die Funktions- und Regenerations-
energie der Zellen eine um so größere ist, jemehr sie, natürlich bis zu
einem gewissen Grade, im Hungerzustande sich befinden. Es kann deshalb
zweckmäßig sein, vor Einleitung einer Mastkur eine Unterernährung künstlich
herbei zu führen, wie das durch einseitige Kost, z. B. Milchdiät geschieht.
Andererseits sind bei genügendem Ernährungszustand Mastkuren zu, ver-
werfen; überhaupt ist bei jedem Einzelfall von Einleitung einer Über-
ernährung genau zu überlegen, ob ein wirkliches Bedürfnis zu einer Mästung
besteht. Körperliche Bewegung und physikalische Heilmittel können vor
Verwertung des gegebenen überschüssigen Nahrungsmaterials von bedeutendem
Nntzen sein.
Laehr (61) empfiehlt den jetzt schon bestehenden oder neu entstehenden
Volksheilstätten für unbemittelte Nervenkranke Arbeitsstätten anzugliedern.
Dieselben, räumlich und wirtschaftlich vollständig von den Volksheilstätten
getrennt gedacht, sollen den aus der Volksheilstätte entlassenen, aber noch
üicht in Bezug auf Arbeitsfähigkeit und Selbstvertrauen für das erwerbs-
tätige Leben reifen Patienten die Möglichkeit bieten, an einem Ort, wo ihren
Kräften, Veranlagungen und Neigungen entsprechend gegen mäßige Be-
xahlnng eine Arbeit angewiesen wird, den Übergang zu einer späteren be-
ruflichen Tätigkeit zu finden. Die Arbeitsstätte soll..also eine Durchgangs-
statte von der Heilstätte ins Leben sein. Arztliche Überwachung ist in der
Arbeitsstätte nicht vorhanden. Die Lebensweise soll auch dort einfach und
streng geordnet sein. Besonders gut eignen sich für Betrieb einer Arbeits-
stätte Gärtnerei, Landwirtschaft und Tischlerei. Von dieser Arbeitsstätte
ÄU8 sind dann auch die Arbeitgeber eher geneigt, gut empfohlene und be-
währte, wenn auch noch berücksichtigungsbedürftige Arbeiter zu entnehmen.
Die Arbeitsstätte des Haus Schönow ist der Birkenhof, etwa 1 Stunde von
der Heilstätte entfernt. Sie kann zunächst 16 männliche Kranke aufnehmen,
welche unter der Leitung eines Gärtners arbeiten.
808 Hydrotherapie, Balneotherapie und verwandte Heilmethoden bei Nervenkrankheiten,
Ebstein (23) sucht das moderne Bäderwesen durch seine Empfehlung
einer energischeren körperlichen Schulung des ganzen Organismus des Krankea
während der Kurzeit einer Reform zuzuführen. Er macht zur Durchfiihrang
von täglichen hydrotherapeutischen Prozeduren in Verbindung mit Gymnastik
den Vorschlag, daß Duschepavillons umgeben von Luft- und Sonnenbädern
eingerichtet werden, daß ferner durch öffentlichen Unterricht in der Gymnastik,
der den ganzen Tag währt, jedem zu jeder Zeit Gelegenheit geboten wird,
dieselbe auszuüben. Die ganze Einrichtung soll einfach und bilUg sein,
sodaß sie jedem zugänglich sind. Als normale Diät während der Euneit
empfiehlt er warm die vorübergehende vegetarische Kost, welche für die
erdrückende Mehrheit der Kurgäste die zweckmäßigste Ernährongsweise
bilden würde.
Fisch (32) gibt einen historischen Überblick der medikamentösen,
balneotherapeutischen und mechanotherapeutischen Herztherapie-
Vinay (102) empfiehlt die Behandlung mit horizontaler Ruhelage
besonders bei den mit Depressionszuständen einhergehenden Psychoneuroseo.
Die Ruhelage, eventuell im Bett, kann noch mit anderen therapeutischen
Maßnahmen verbunden werden; vor allem aber ist außer der körperhchen
absoluten Ruhe eine Überernährung und Isolierung unter Vermeidung von
Besuchen, Lesen von Briefen und Zeitungen, also ein Abschluß von der
Außenwelt, notwendig. (Bendix,)
Jessen (53) möchte, daß das Hochgebirge zur Behandlung nervöser
Störungen viel mehr als bisher benutzt wird, und daß das unter den Hoch-
gebirgskurorten besonders geeignete Daves berücksichtigt wird, wobei weder
ungeeignete psychische Eindrücke noch eine Infektionsgefahr durch die in
Daves weilenden Lungenkranken zu fürchten sind. {Bendis.)
Lazarus (66) zeigt in seiner Zusammenstellung bezüglich der An-
wendung physikalischer Heilmethoden in der I. medizinischen Klinik und
Poliklinik die große praktische Bedeutung, welche diesen Heilfaktoren bei
der Behandlung innerer und Nervenkrankheiten zukommt. L. plädiert aber
dafür, die Physeotherapie nicht einseitig, sondern im Verein mit anderen
Heilverfahren, den phamiako - dynamischen, diätetischen und psychischen*
zur Anwendung zu bringen. (Bendix,)
Schläpfer (92 a) fand bei Prüfung des modifizierten Mü Her sehen elektro-
magnetischen Apparates (Verbindung mit sekundärem Sinusoidalstrom und
mechanischer Vibration, zugleich Wärmeeinwirkung) auf seine Brauchbarkeit,
ein theoretisch interessantes Phänomen: schon Armin Müller hatte ge-
funden, daß, wenn der Körper gleichzeitig dem Elektromagnetismus, dem
sekundären Sinusoidalstrom und der Vibration ausgesetzt wird, daß dann das
faradokutane Gefühl bedeutend herabgesetzt wird. Schläpfer prüfte dies
„Faradovibrationsphänomen" an mehreren Fällen nach und fand es bestätigt;
beim Suchen nach der Ursache dieses Phänomens kam er zu dem Schluß,
daß es abhängt von dem gegenseitigen Größenverhältnis der faradiscben
und der vibratorischen Einwirkung; das magnetische Wechselfeld hat keinen
Einfluß auf das Phänomen. Simultane Vibration ruft eine Dissoziation der
physiologischen Wirkung des faradischen Stromes hervor, in dem Sinne, daß
die sensorische Reaktion vermindert, die motorische aber nicht beeinträchtigt
wird. Bei galvanischer Reizung findet eine solche Dissoziation nicht statt
(G. Flatau,)
Elektrodiagnostik and Elektrotherapie. 309
Elektrodiagnostik nnil Elektrotherapie.
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Luzenberger (75) gibt im Heft 4 der zwangslosen Abhandlungen
aus dem Gebiete der Elektrotherapie und Hadiologie zunächst eine historische
814 Elektrodiagnostik und Elektrotherapie.
Übersicht, aus der hervorgeht, daß die statische Elektrizität schon in früheren
Jahrhunderten bekannt war und sich allmählich eine dauernde Stellung in
der Elektrotherapie errungen hat. Die Literatur ist recht reichhaltig, zeigt
aber, daß eine vollkommene Einigkeit über die Wirkungsweise und den Wert
der Franklinisation in der Elektrotherapie noch nicht besteht. Die An-
wendung geschieht durch Maschinen nach Whimshurst, Hirschmann
u. a. m. Das Franklinsche Bad, die Spitzenelektroden, die Mortonströme
sind beliebte Anwendungsweisen. Behandelt wurden : Stoffwechselerkrankungen,
Neurosen. L. glaubt nicht, daß es sich um Suggestionswirkung handelt.
Scherk (118) macht Angaben über Heilerfolge bei Neurasthenikem
mit der elektromagnetischen Therapie, ohne wesentlich Neues zu bringen.
Rockwell (110) zählt zunächst die Formen der in der Therapie
gebräuchlichen Elektrizität auf. Eine besondere Rolle spielen die Ströme
mit hoher Frequenz und Spannung. Daß diese noch nicht zu voller An-
erkennung gelangt sind, liegt an der ungenügenden Kenntnis der Arzte, die
sie verwenden. Falsche Anwendung kann, wie an einem Beispiele gezeigt
wird, zu körperlichen Schädigungen führen. Dagegen gelang es, in 3 Fällen
von Pseudohypertrophia musculor. mit Lähmung erhebliche Besserung zu
erzielen durch Verwendung des Funkens selbst bei direkter bipolarer Methode.
Die Erklärung liegt in der Substanz der Ernährung durch Beeinfiußung der
Vasomotoren. Die Verwendung des galvanischen Stromes von großer Inten-
sität zur Beseitigung entzündlicher Exsudate wird noch zu sehr vernachlässigt.
Nach Besprechung der Fortschritte, welche uns die Elektrolyse und
die Röntgenstrahlen gebracht, wendet sich Jones (59) zu weitern Anwendungen
der Röntgenstrahlen in therapeutischer Beziehung und setzt die therapeutische
Anwendung elektrolytischer Vorgänge auseinander. Den Neurologen inter-
essieren diese Dinge kaum.
Rice (106) schreibt der statischen Elektrizität eine besondere Tiefen-
wirkung zu, während die elektrolytische Wirkung geringer ist als beim gal-
vanischen. Der statische Strom ähnelt den physiologischen Strömen des
Körpers und kann das gestörte Gleichgewicht bessern. Funktionelle Er-
krankungen sind das eigentliche Gebiet; bei richtiger Anwendung ist die
Wirkung nicht lediglich suggestiv; die Anwendungsformen sind mannigfaltig,
so ist der Funke ein mächtiges Stimulans für die Gewebe. Eine besondere
Wirkung kommt dem Mortonstrom zu. Verf. sah gute Erfolge bei Leberleiden,
chronischer Obstipation. Morton selbst hält den Funken der statischen
Maschine für ein Specifikum bei akuter Neuritis.
SomervUle (122) gibt einige Erfahrungen über die Dauer der mit
Hochfrequenzströmen erreichten Heileffekte: Darunter waren 4 Fälle von
Ischias, die nach erfolgter Heilung noch 1 — 2 Jahre beobachtet werden
konnten und rezidivfrei blieben. Ahnlich verlief ein Fall von Interkostal-
neuralgie. Gute Dauererfolge fanden sich ferner bei Hämorrhoiden. Auch
Kopfschmerz, Schlaflosigkeit, Asthma wurden dauernd geheilt. An Schrift-
proben wird der gute Einfluß auf choreiforme Zuckungen gezeigt.
Delherm (35) hält die Elektrizität, wenn richtig angewendet, für ein
mächtiges Agens in der Behandlung der Hysterie. Er bezeichnet die Wirkung
als Reedukation und gibt genau das Verfahren für die einzelnen hysterischen
Symptome an. Dabei kommt es auch auf geschickte Benutzung psychischer
Momente an. Z. B. soll man bei Behandlung hysterischer Lähmungen bei
der elektrischen Reizung einzelner Muskelgruppen die Kranken veranlassen,
aktive Bewegung der eben gereizten Gruppe zu versuchen, dadurch wird die
Möglichkeit der Bewegung dem Kranken demonstriert. Bei Anästhesien
hysterischer Natur wird der faradische Pinsel zur Erzeugung erst einer
Elektrodiagnostik und Elektrotherapie. 815
kleinen fühlenden Stelle benutzt, dann Ton da aus weitere Zonen angeregt.
Es ist nicht möglich, hier auf alle Einzelheiten einzugehen. Nur die Be-
handlung des hysterischen Erbrechens und der Dysphagie soll noch erwähnt
werden. Bei ersteren wird der Patient yeranlaßt, zu essen und dann, wenn
die Brechneigung sich einstellt, sofort ein galvanischer Strom durch die
Halsgegend geschickt, der einen Verschluß durch den Glossopharyngeus ver-
ursacht Die Dysphagie wird in hartnäckigen Fällen mit einer olivenförmigen,
in den Oesophagus eingeführten Anode behandelt.
Kreß (66) arbeitet bei seinen elektromagnetischen Versuchen mit dem
System Trüb: Obgleich es ihm nicht an Erfolgen fehlt, vennißt er doch
Aufklärung der Fragen, ob diese Erfolge auf Suggestion beruhen oder physi-
kaUsch begründet sind. Trotz aller Befunde anderer Autoren, hält er diese
Frage noch nicht für endgültig entschieden. Seine eigenen Versuche scheinen
für suggestive Eänwirkung zu sprechen.
Axmanil (3) erwähnt Versuche aus dem Laboratorium Curies; dieser
fand, daß Infusorien unter Wirkung des wechselnden Elektromagnetismus ihre
Schnelligkeit veränderten, die Vermehrung der Infusorien ist eingeschränkt,
ihr Protoplasma verändert, einzelne sterben ab. Ferner weist Axmann auf
das Flimmerskotom hin, daß sich nur beim Einschalten des Stromes einstellt
und trotz des fortwährenden Wechsels nicht andauert. Eine Erklärung ist
noch nicht gefunden.
Die Bewegung, resp. die Wirbelbildung scheint das Wesentliche zu
sein; bringt man eine Quecksilberbogeulampe in den Strahlenbereich des
elektromagnetischen Wechselfeldes, so macht der Lichtbogen schon in ^/^ m
Entfernung alle Schwingungen mit.
Azmaiin (4) beschreibt einen von der Firma Reiniger, Gebbert und
Schall konstruierten sehr vereinfachten Bheostaten, der bis 5000 Ohm leisten
kann; er besteht im wesentlichen aus feinem oxydierten Draht, der in sehr
zahlreichen Windungen um eine Isolatorwalze gewickelt ist; die Einschaltung
geschieht durch einen Schleifkontakt, der auf der Bolle in der Längsachse
verschiebbar ist. Für Widerstände bis 100 000 Ohm ist der Apparat in
gleicher Einfachheit mit geringen Veränderungen konstruiert.
Sommerville (123) behandelte nervöse Schlaflosigkeit mit Hoch-
frequenzströmen; er lagerte seine Patienten auf dem Kondensorsopha und
benutzte bei Frauen 200—700 MA., bei Männern 400— 880 MA. allmählich
steigend. Üble Folgen sah er nie, wohl aber gute Wirkung. Bisweilen
schaltete er den Arm des Behandelnden ein und übte eine gewisse Massage
zugleich mit der Stromwirkung. Die Erfolge waren gut.
Sommer (127) berichtet über die Kongreßverhandlungen auf dem
I. Berliner Böntgenkongreß. Ohne neurologisches Interesse.
Kreflt (67) berichtet über die therapeutische Wirkung der Müller-
und Trüb sehen Apparate und legt besonderen Wert auf die schmerzstillende
Wirkung desselben. Im übrigen handelt es sich um schon bekannte, in
diesem Jahrbuch mehrfach referierte Dinge.
Krahn (66) polemisiert gegen Winternitz (siehe das entsprechende
Referat), der einen einfachen Ersatz des Sehne eschen Vierzellenbades an-
gegeben hatte. Der Ersatz sei durchaus nicht dem Vierzellenbade gleich-
wertig, sicher nicht demselben überlegen.
Colombo (30) stellte Versuche an, um die Wirkung, des wechselnden
magnetischen Feldes zu prüfen. Nach einem historischen Überblick kommt
er auf die Beobachtungen Conrad Müllers, welcher meinte, daß die von
den bisherigen Beobachtern festgestellten negativen Resultate nur dem
stehenden magnetischen Felde zukommen, während das wechselnde Kraftfeld
^16 Elektrodiagnostik und Elektrotherapie.
deutliche therapeutische Wirkungen auslöse. Eulenburg, Frankenhäaser
u. a. folgen ihm darin. Colombo bediente sich des Ton Müller angegebenen
Apparates und prüft zuerst die physikalischen Wirkungen des wechselnden
Kraftfeldes auf photographische Platten und den leuchtenden Calcium sulfid-
schinn; bezüglich beider waren die Resultate negativ. Von biologischen
Einwirkungen des wechselnden magnetischen Feldes fand er zunächst eine
Vermehrung der Bewegung im Infusorienaufguß, die sofort aufhörte, wenn
der Strom ausgeschaltet wurde; eine Ein\sarkung auf Froscheier, Seidenwurm»
eier fand er nicht, ebensowenig auf die weitere Entwicklung der Seiden-
würmer, sodaß also auch in biologischer Beziehung die Ergebnisse im wesent-
lichen negativ sind.
Sommerville (124) behandelte einen Fall schwerer Hysterie mit
Magendarmsymptomen. Die Schmerzen waren so erheblich, daß eine Laparo-
tomie gemacht wurde; man hatte an Magenperforation durch ülcera gedacht,
fand aber Gallenkonkremente. Die Entfernung brachte nur vorübergehende
Erleichterung. Heilung, und zwar dauernde, brachte erst die Behandlung
mit Hochfrequenzströmen, dabei schwanden auch die hämorrhoidalen Er-
scheinungen.
Sommerville (126) macht Mitteilung über einen Fall von Kreuz-
schmerzen bei einer 45 jährigen Frau, den er nach sechs- bis siebenmaliger
Anwendung von Hoclifrequenzströmen dauernd heilte. (Bendlr.)
Sticker (129) bespricht die Wirkungen der elektrischen Anwendungen,
Galvanisation, Faradisation, Kaustik, Kataphorese, Arsonvalisation usw. Er
gibt wohl physiologische Wirkungen zu, wenn diese auch nicht überall völlig
geklärt sind, in der großen Mehrzahl der Fälle ist die Heilwirkung jedoch
nur durch Suggestion zu erklären.
Dem Kundigen bieten die Ausführungen Stickers nichts Neues.
Morton (89) gibt in Fortsetzung früherer Vorträge eine Besprechnng
der Wirkungen des galvanischen Stromes.
Potts (102) schiebt die Mißerfolge der elektrischen Behandlung hemi-
plegischer Kontrakturen auf die falsche Methodik. Er empfiehlt: Man setze
die Anode auf die motorischen Punkte der kontrahierten Muskeln, die
Kathode auf einen indifferenten Punkt, steigere den Strom ganz allmählich
bis 1 — 10 MA. auf 5 Minuten, lasse ihn allmählich auf O. zurückgehen, so
werden reizende Stromerkrankungen vermieden. Danach werden die schlaffen
und schwachen Antagonisten mit einem faradischen Strom, der eben eine
Kontraktion auslöst, etwa zwölfmal gereizt.
Robinowitsch (109) experimentierte mit Strömen niederer Spannung
mit Leducs Unterbrecher, der so angeordnet ist, daß der Strom Vto ^^^
Zeit durch den Körper geht. Für ein kräftiges Kaninchen stellt 14 Volt
einen tödlichen Strom dar (Kathode an der Stirn, Anode am Abdomen), der
Verlust des Bewußtseins tritt sofort ein, letzteres schon bei 5 Volt, in der
Form des elektrischen Schlafes. Ödeme und Verletzungen der Haut treten
nicht ein.
Die Versuche wurden gemacht, um festzustellen, ob die in Amerika
übliche Methode der Elektrokution (Todesstrafe durch Elektrizität) den An-
forderungen der Humanität entspricht. Die von der Verfasserin angewandte
Methode würde beim Menschen bei 150 bis 200 Volt genügen, um sofort
Bewußtlosigkeit und Herz- und Atemstillstand zu erzeugen. Die übliche
Methode gewährleistet das nicht, wie aus angefügten Berichten hervorgeht.
Von Interesse sind vielleicht noch Autopsie-Berichte von Elektro-
kutierten; danach bestanden in einem Falle starke und tiefe Verbr«nnungen.
In anderen Blasenbildungen.
Elektrodiagnostik und Elektrotherapie. S17
Blois (14) gibt eine Übersicht über die gebräuchlichen Behandlangs-
artea der Ischias und bespricht alsdann seine Methode, die in Anwendung
voQ Morton sehen Strömen und statischen Bädern besteht. Er hat in 80^0
der Fälle Heilung bezw. Aufhören der Scbmerzanfälle gesehen; er empfiehlt
tägliche Sitzungen.
Webb (145) empfiehlt Mortonströme als therapeutisches Agens zu
häufigerer Anwendung, sie sollen lokale und allgemeine Wirkungen haben,
eine „Massage'^ der Gewerbe, eine Verminderung der Arterienspannung.
Besondere Anwendung sollen die Mortonströme bei Entzündungen des
Bückenmarkes und der Meningen finden, dann bei Neuralgien, Kopfschmerz,
Kearasthenie. Sie sollen namentlich als Tonikum gute Dienste leisten.
Marshall (79) wies durch Experimente, deren Anordnung genau be-
schrieben wird, nach, daß mit den Strömen, die therapeutisch zur Anwendung
gelangen können, keine Peristaltik des Alagens und Darms erzielt wird.
Scheinbar Ton anderen Autoren gesehene Magenbewegungen erklärt er als
solche, die durch das Herabrücken des Zwerchfells unter dem elektrischen
Strome erzielt werden. Die Meinung Meltzers, als sei die Schleimhaut des
Magens ein Nichtleiter, der den Eintritt des Stromes verhindert, ist durch
andere Experimente des Verfassers als nicht zu Recht bestehend erwiesen.
Zani6tOW8ki(154) hat sich zu der Frage der Kondensatorenentladung
bereits mehrfach geäußert. Ohne über die Theorie derselben und die in
Betracht kommende Formel sich weiter auszusprechen, will er darauf hin-
weisen, daß die Kondenz- Entladung auch für Sensibilitätsuntersuchungen
äußerst brauchbar ist. Nach seinen Untersuchungen gibt die Untersuchung
gleichmäßige und konstante Resultate der Reizschwelle. Die therapeutische
Seite wird nur kurz gestreift und auf spätere Arbeiten verwiesen.
ESrdÖS (41) verwendet eine beliebige elektrische Stromleitung zu ärzt-
Kchen Zwecken ohne Rheostaten, indem die eine Zuleitungsschnur einer
Glühlampe an einer Stelle unterbrochen und daran die primäre Rolle eines
Induktionsapparates eingeschaltet wird. Brennt die Lampe, kreist auch
Strom im Induktionsapparate; die Spannung des Stromes kann durch die
Lichtstärke der eingeschalteten Lampe reguliert werden, und beträgt bei 10,
16, 25 resp. 32 Kerzenkraft je 4, 6, 10 resp. 15 Volt. Die ähnliche Ein-
richtung kann auch zur Galvanisation verwendet werden, selbst bei Wechsel-
strömen; denn die physiologische Wirkung des Letzteren ist im Endresultate
jener des Gleichstromes analog (?). (Hudovemig,)
Nach den Versuchen, die von Tizzoni und Bongiovanni (141a,
141b, 141c) angestellt worden sind, scheint das Radium einen großen Einfluß
anszuüben, um sowohl in vitro als auch im Organismus das Virus der Rabies
zu neutralisieren. Das in vitro den Ausstrahlungen ausgesetzte Virus ^v^rd
nicht nur unschädlich gemacht, sondern es nimmt auch immunisierende
Eigenschaften an. Es muß zu diesem Zwecke 4—6 — 36 Stunden den
Strahlen ausgesetzt gewesen sein. Die Autoren gehen meist so vor, daß sie
die Strahlen eine bestimmte Zeit lang durch das Auge des Versuchstieres
eindringen lassen; flieser Modus erweist sich wirksamer als Bestrahlung der
Wirbelsäule oder des Schädels; die Wirkung bleibt dabei dieselbe, ob nun
das Gift in das Auge gebracht ist oder unter die Dura oder in den Ischia-
dikus injiziert worden ist. Bei Anwendung einer energischen Bestrahlung
(mit sehr wirksamer Substanz oder nach wiederholter stundenlanger Be-
strahlung, wobei keine ungünstigen Wirkungen beobachtet werden konnten) —
die Details müssen im Original nachgelesen werden — konnten selbst Tiere
noch gerettet werden, bei denen zwischen Infektion und Beginn der Behand-
lung bereits 96 Stunden verflossen waren, und die bereits manifeste Erschei-
Jahieabericht f. Neurologie and Psychiatrie ioo5. 52
81 S Massage, Heilgymnastik, Übungstherapie, Sport, Orthopädie.
Illingen der Tollwut zeigten. Wenn die Erkrankung bereits Vs ^^^ Ges&mt-
dauer bestanden hatte, war eine Heilung noch möglich. — In der dritten
Mitteilung werden noch genaue Angaben gemacht über die in Wirksamkeit
tretenden Teile der Ausstrahlungen: die ß-8trahlen scheinen die wirksamst«!),
die T-Strahlen die unwirksamsten zu sein ; es wird durch Versuche analpiert,
welcher Teil des Zentralnervensysteraes und in welcher Ausdehnung derselbe
in Mitleidenschaft gezogen sein kann bis zu dem Augenblicke, in dem eine
Bestrahlung noch wirksam sein kann. Schließlich wird der Minimalweit
an Badiumseinheiten ausgemessen, die notwendig sind, um eine Heilung zu
ermöglichen. Bei den Versuchen, die der Feststellung dieser Frage dienten,
konnten die Autoren beobachten, daß je nach der angewandten Bestrahlung
das Gehini eine größere oder kleinere induzierte Radioaktivität erlangte, die
wieder auf eine photographische Platte projiziert und zur Darstellung gebracht
werden konnte. Die Verfasser berechnen die bei Heilungsversuchen an
Menschen anzuwendende Menge auf 6 000000 Radiumeinheiten.
(Merzbacher,)
Hassage, Heilgymnastik, Obongstherapie, Sport, Orthopädie.
Referent: Dr. G. Fiat au- Berlin.
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Bericht v. VietinghoflTs (58) über das erste Betriebsjahr seiner
mechanotherapeutischen Anstalt im Kur- und Seebade Pernau ; auch Nerren-
kranke verschiedenster Art, Neurasthenie, Hysterie fanden Aufnahme. Ein
Fall von progressiver Muskelatrophie wurde nach vier Wochen gebessert
entlassen (?).
Zabludowski (66) setzt Anwendung und Technik der Massage aus-
einander; allgemeine Erörterungen ohne neurologisches Interesse.
Laquer (34) sieht in der Vibrationsmassage eine wesentliche Be-
reicherung der Therapie nervöser Erkrankungen. Er beschreibt den Apparat
„Tremolo" für elektrischen und Handbetrieb, der zugleich auch den Gebrauch
des Pingers gestattet, wenn man das rotierende Gehäuse mit der Haud
erfaßt und mit dem Finger die Erschütterung auf den Körper übertragt.
Er behandelt Ischias, Lumbago, Neuralgien aller Art, auch nervöse Herz-
störungen, schließlich auch Neurasthenie, Hysterie, Hypochondrie und ist mit
den Erfolgen zufrieden. Bei Allgemein-Neurosen sah er Nutzen von der
Vibration der Wirbelsäule ohne direkte Berührung der Knochen zu beiden
Seiten entlang. Besonders ergibt sich eine beruhigende Wirkung bei nervösen
Zuständen.
Mnmford (40) entwickelt den Begriff der zerebralen kindlichen
Lähmung; sodann weist er auf die Entwicklung der willkürlichen Bewegungen
beim Kinde hin und extrahiert daraus sein System bei der Behandlung kindlicher
Lähmungen. Ein geeigneter Lehrer oder Masseur beaufsichtigt und leitet
die Übungen der Kinder. Die Übungen wurden 12 — 14mal am Tage vor-
genommen und dauerten nur wenige Minuten. Massage wurde daneben
angewendet. Hat man ein genügendes Resultat an den unteren Extremitäten
erreicht, so beginnt man an den oberen Extremitäten.
Champtassin (11) betont zunächst die Wichtigkeit des Muskel-
systems für Atmung, Zirkulation, Sauerstoffumsatz. Die Therapie muß dessen
eingedenk sein und soll sich nicht auf Massage, Elektrizität^ passive Be-
wegungen beschränken. Die aktive Muskelkontraktion, die willkürliche
Bewegung wurden als therapeutisches Agens noch zu wenig gewürdigt Die
Massage, Heilgymnastik, ÜbungsÜierapie, Sport, Orthopädie. 321
Massage uad die passive Bewegung können keine wirkliche Hypertrophie
des Muskels herbeiführen, das ist lediglich eine Punktion der aktiven Be-
wegung mit Einschaltung von Widerstand; es kommt dabei nicht allein auf
die Quantität der geleisteten Arbeit an, sondern auch auf die Qualität, die
Steigerung der Widerstände. Die ungenügende Verbrennungsarbeit in den
Muskeln Fettleibiger, Arthritiker wird nur durch aktive Muskelarbeit gesteigert.
Die aktive (Willenstätigkeit) Anspannung der Muskeln ist also der
notwendige Faktor für die chemischen und physikalischen Prozesse der
Muskeln. Für die Behandlung mit aktiven Bewegungen mit Widerständen
eignen sich alle Formen von Muskelatrophie nach Operationen, Neuritis
infolge von Frakturen, nach Luxation, Hydrarthros. Lehrreich ist ein Beispiel
von Atrophie des Quadriceps nach traumatischem Hydrarthros.
Bei jener Ellasse, die Verf. als verlangsamte Ernährung bezeichnet,
Arthritiker, Fettleibige, Gichtiker, zeigt sich der Erfolg in der vermehrten
Sauerstoffausscheidung, Verminderung der Harnsäure usw. Bei Hemiplegikem,
dann bei ataktisch Zitternden handelt es sich um Wiedereinübung mit will-
kürlichen Kontraktionen. Für alle Zwecke genügt meist ein ganz einfacher
Apparat, der im wesentlichen ein über eine Bolle laufendes Seil darstellt,
dessen eines Ende ein Gewicht, dessen anderes einen Handgriff trägt.
Seaver (53) bespricht u. a. auch die Einwirkung der Massage auf
das Nervensystem. Hier dient sie als Entlastungsmittel. Der Kranke wird
von dem Sitz der Beschwerden abgelenkt, zugleich wird der Blutstrom von
dem Sitz der Schmerzen abgelenkt. Gewisse Bewegungen bringen die gleiche
Wirkung hervor durch Errregung der Vasodilatatoren. Die Massage bei
Neuralgien bewirkt eine Beeinflussung der Ernährung des Nerven. Drücken
des Nerven wirkt ähnlich wie die Extension. Bei der Dehnung des Ischia-
dikus in der Art, daß der Oberschenkel stark zum Bumpf gebeugt und
dann das Bein bis zur Grenze des Erträglichen gestreckt wird, wird ein
guter Effekt erzielt. Bei starker Schmerzhaftigkeit kann eine starke An-
ästhesierung vorausgeschickt werden.
Wullenweber (65) gibt eine Zusammenstellung der von Cornelius
in seinen Arbeiten niedergelegten Ansichten über die Beziehungen von
Xervendruckpunkten zu schmerzhaften Nervenleiden und ihre Behandlung
durch Massage.
Wenn auch die Ansichten von Cornelius noch viel Hypothetisches
enthalten, so stimmen sie doch zum Teil mit den Erfahrungen von He ad,
Xaegeli, Valleix überein und haben sich in praktischer Beziehung als
brauchbar erwiesen und der Massagebehandlung, die nur durch den Arzt
aufigeführt werden soll, neue Gesichtspunkte gegeben. Die Behandlung kann
nur mit der Hand ausgeführt werden.
Beerwald (4) hat in einem handlichen Büchlein, das schon in dritter
Auflage erscheint, alle Übungen mit Text und Bildern zusammengestellt, die
zur Erhaltung der Gesundheit dienen können, sei es für den Kopfarbeiter,
dem es an Bewegung mangelt, sei es für den Handwerker, den einseitige
körperliche Beschäftigung vor der Zeit stumpf und ungelenk macht.,. Außer
Freiübungen werden Geräte, nämlich Stab und Keule, bei den Übungen
verwandt. Herr Brauer, Lehrer im Allgem. Turnverein zu Leipzig, hat
den Verf. durch seine Erfahrung unterstützt.
Lichtenstein (36) weist auf die mit dem Trüb sehen Elektro-
magneten erzielten Erfolge und gibt an, daß, wenn man Körperstellen mit
geeigneten „Magnetoden" montiert — mit Stoß" überzogene Eisenblechplatten
— und auf diese die Kraft des Elektromagneten überträgt, eine angenehme
822 Massage, Heilgymnastik, Übungstherapie, Sport, Orthopädie.
Vibrationsempfindung daselbst entsteht; auch die therapeutischen Erfolge
waren gut.
Contet (13) glaubt, daß dem Worte nach Gymnastik nicht das gleiche
bedeutet, wie zur altgriechischen Zeit; reeducatio, ein Begriff, der den
Grundlagen der medizinischen Gymnastik eigen ist, hat eine gewisse Ver-
breitung gefunden. War es in Griechenland die Sorge für Schönheit und
Harmonie, die den Zweck der Gymnastik bildete, so war es in Rom die
Sorge für Geschicklichkeit und Kraft für kriegerische Betätigung. Die
christliche Epoche ließ alle Sorge für den Körper in Hintergrund treten bis
in der neuen Zeit die Rückkehr zur Natur, die körperliche Erziehung wieder
in den Vordergrund treten läßt und schließlich Schweden (Ling) den Weg
der Gymnastik vorzeichnet, Grundsätze und Indikationen feststellt. Contet
setzt weiterhin den Begriff der Widerstandsgymnastik auseinander. Der
Fortschritt scheint hauptsächlich in einer Koordination der elementaren
Bewegungsakte und ihrer Anpassung bez. Ausdehnung, Kraft und Zweck
für die einzelnen Gelegenheiten zu bestehen. Zugleich liegt darin eine Übung
des Nervensystems; damit ist ihre Anwendung präzisiert. Für chronische
Zustände: Hysterie-Neurasthenie, Tic; für körperlich-geistig Zurückgebliebene,
für Lähmungen verschiedenen Ursprunges, für Ataxie, Kreislauf und Atem-
störungen, schließlich auf sensorischem Gebiet.
Comelins' (15) Ausfiihrungen sind nur zu verstehen, wenn man
seine früheren Arbeiten über Nervendruckpunkte kennt. Nach ihm sind
neuralgische Beschwerden immer auf Ausstrahlungen von erkrankten Nerven-
knoten zurückzuführen, deren Lage durch die Untersuchung festgestellt
werden muß; die Heilung erfolgt durch Massage, die zur Beseitigung von
Narben und Verdickungen, zur Befreiung des Knotenpunkts führt.. Die
Massage geschieht nach besonderen Vorschriften und ist lediglich von Ärztin
anzuführen.
Enlenbnrg (18) beschreibt den Autogymnasten Georg Müllers,
über den hier bereits referiert ist, ferner einen Zimmerturnapparat nach
Kemperdink, Teuton genannt. Dieser Apparat besteht im wesentlichen
aus übersponnenen Gummizügen, die über Holzrollen laufen und als Ruder-,
Stemm- und Zugapparat zu gebrauchen sind. Auch über den Handvibratious-
apparat „Venivici" ist im Jahrbuch schon berichtet (vgl. 1904).
Kranß (32) rät zur Beobachtung folgender Regeln bei der Gymnastik:
1. Übe .mit geringer Belastung, steigere diese allmählich, besser noch,
steigere die Übungen bei gleichbleibendem Widerstand.
2. Übe systematisch und harmonisch alle Muskelgruppen, besonders die
im täglichen Leben vernachlässigten, z. B. die Rumpfmuskeln.
3. Übe rhythmisch mit zweckmäßiger Abwechslung, oder mit Rahe-
pausen, höre auf, ehe jöliiges Ermüden und Versagen eintritt.
4. Beginne jede Übung aus der Ruhe ganz langsam und mit dem stetig
wachsenden Gefühl der Anspannung und beendige sie ebenso mit dem stetig
wachsenden Gefühl der Wiederabspannung.
Wolf (64) findet, daß das mechanische Heilverfahren bei den Neu-
ralgien noch zu wenig Beachtung findet, das liegt zum Teil darin, daß
falsche Anwendung und daher Mißerfolge sie in Mißkredit bringen. Die
rheumatischen Formen sind das eigentliche Feld der Massagebehandlung.
Reibung und Erschütterung der Nerven, dazu leichte Knetung der Mnskeln
haben häufig sofortigen Erfolg. Aus 6 Fällen zieht Verf. folgende Schlüsse:
es sollen vor allem die Schmerzpunkte behandelt werden; außer den be-
kannten Schmerzpunkten gibt es noch eine Reihe anderer, die dem Verlaufe
dor nn. glutaei entsprechen. Eine Behandlung nicht schmerzhafter Stellen
Massage, Heilgymnastik, Übungstherapie, Sport, Orthopädie. 823
ist zwecklos. Ein Mißerfolg trotz vorsichtiger Massage, resp. Steigerung der
Schmerzen läßt auf eine andere als rheumatische Ischias schließen. Beferent
hält den Schluß für recht anfechtbar.
FÜrbringer (26) ist ein besonderer Anhänger des Eadfahrens als
Heilfaktor bei der Behandlung der Neurasthenie, namentlich für die chro-
nischen Formen, die den Kranken eher als einen Erholungsbedürftigen, als
als Kranken erscheinen lassen. Zwei Grundstörungen sind es, für die die
Cyclotherapie kurative Aufgaben zu erfüllen hat, nämlich die krankhaften
Samenverluste und die Impotenz. Sie wirkt einmal als allgemeines Mittel
gegen die Neurasthenie überhaupt, dann im speziellen durch Entlastung des
GehirnSy durch Erweckung gehobener Stimmung, durch erfolgreiche körper-
liche Tätigkeit, durch Erzeugung einer aus Stärkungsgefuhl und angenehmer
Empfindung zusammengesetzter Euphorie. Bedingung ist natürlich ein plan-
mäßig abgestuftes Training. Die krankhaften Samenverluste müssen von
Fall zu Fall beurteilt werden, die Ableitung durch Muskelarbeit der Beine
ist günstig; von wesentlichem Einfluß ist die richtige, reizvermeidende Kon-
struktion des Sattels. Der verordnende Arzt soll natürlich den Badsport
praktisch kennen. Aus diesen Gesichtspunkten betrachtet, verdient die Cyclo-
therapie in manchen Fällen ihren Platz neben anderen Maßnahmen zur
Heilung der sexuellen Neurasthenie.
Flatau (24) setzt die Wichtigkeit der Mechanotherapie bei funk-
tionellen Nervenleiden als bekannt voraus und bespricht die einschlägigen
zahlreichen Apparate. Der von G. Müller erfundene Autogymnast stellt
ein neues Prinzip dar, insofern er eine leicht ^und gut dosierbare Wider-
standsgymnastik ermöglicht und zugleich den Übenden von der Umgebung
unabhängig macht Der Apparat bedarf keiner Befestigung an der Wand
oder am Boden. Auch Übungen in freier Luft, im Luftbade sind möglich.
Für manche Formen sind Verbindungen mit Atemgymnastik vorgesehen.
Schütze (52) betont zunächst die Wichtigkeit der Massage und der
Vibrationsmassage für den Arzt. Er ist der Meinung, daß die Ausübung
derselben nur dem Arzte zusteht. Für die Ausübung ist die Hand das
beste Instrument, doch ist gerade die Erschütterungsmassage schwer zu er-
lernen, und die Bewegungen werden von der Maschine gleichmäßiger ge-
leistet. Erleichtert wird die Anwendung durch den leicht handlichen und
transportablen von Daniels erfundenen Apparat, dessen Beschreibung der
Leser hn vorigen Bande des Jahresberichtes findet. Ref. kann sich mit der
Empfehlung des Apparates nur soweit einverstanden erklären, als er einen
Notbehelf darstellt. Die Vibration, die durch einen Motor geleistet wird,
kann dieser Handapparat nicht ersetzen.
Zangger (67) empfiehlt auf Grund theoretischer Erwägungen und
praktischer Erfolge Massage des Blasenschließmuskels und besclireibt einige
Fälle, bei denen diese Methode gute Erfolge zeitigte, während alle andern
versagten.
Faxire (19) gibt allgemeine Erörterungen ohne neurologisches Interesse.
MÜUer (39) beschreibt den von ihm erfundenen Apparat für Gym-
nastik im Zimmer und in freier Luft. Bezüglich der Beschreibung des
Apparates und Benutzung desselben, soweit er neurologisch interessiert, ver-
weise ich auf das Auto -Referat meiner Arbeit in diesem Abschnitte des
Jahrbuches (s. o.).
Norström (42) sucht nachzuweisen, daß chronische Myositis ent-
weder aus akut rheumatischen Ursachen entsteht oder gleich von vornherein
als langsam chronisch verlaufendes Leiden auftritt. Das Leiden ist sehr
verbreitet. Seine Beseitigung kann am ehesten durch Massage geschehen,
324 Massage, Heilgymnastik, Übungstherapie, Sport, Orthopädie.
besonders die der Muskelschwielen, die sich im Verlaufe bilden. Ablagerungen
im Muskel sollen durch Massagemanipulationen, unter denen Friktionen,
Petrissage und Knetungen mit dem Daumen bevorzugt werden, beseitigt
werden.
Sachs (47) definiert im Anschluß an Brissaud, Meige und Feindel
die Tics als ungewollte koordinierte Bewegung, die einem Zweck entspricht,
aber durch ihre stetige Wiederholung und infolge übermäßigen Auftretens
zu einer krankhaften wird, dazu kommt noch der abnorme psychische Zu-
stand, der sich verschieden äußern kann.
Zur Heilung dieser hartnäckigen Zustände bedarf es einer Kombina-
tion von übenden und erziehlichen Maßnahmen. Unterdrückung von Be-
wegungen und Erzielung geordneter gewollter Bewegungen. JPür dieses Ziel
werden genaue Vorschriften in Anlehnung an die oben zitierten Autoren
gegeben.
Witthauer (63) bespricht in seinem Lehrbuch die physiologischen
Grundlagen und die Anwendungsformen der Vibrationsmassage. Von den
praktischen Anwendungen derselben interessiert hier nur das Kapitel der
Nervenkrankheiten. Die Vibration soll stimulierend auf die Ernährung der
behandelten Teile wirken. Vibration des Kopfes wirkt gut bei Insomnie,
bei Paralysis agitans mäßigt sich das Zittern und die Regidität. Empfohlen
wird der vibrierende Helm (Gilles de la Tourette) zur Behandlung der
Schlaflosigkeit, nach Ewer auch bei Migräne, hier soll der Anfall durch
Vibration unterdrückt werden. Bei Myalgien, myalgischem Kopfschmen,
hysterischen Lähmungen, Globus hystericus. Dankbar ist die Behandlung der
Neuralgien, der Quintusneuralgie, der Interkostalneuralgien, der Ischias, der
Coccygodynie.
Lasarew (35) erzielte mit Hilfe der Übungstherapie, welche einer-
seits bezweckte, zielbewußte Bewegungen auszuführen, und andererseits
abnorme Bewegungen zu hemmen, bei einem Falle von Paralysis agitans
gute Erfolge. Es handelte sich um einen 43 jährigen Beamten, dessen Gang
stark spastisch-ataktisch war, und der sehr ausgeprägte Symptome der Para-
lysis agitans darbot. Bei der Behandlung kamen dreierlei Bewegimgen zur
Anwendung: passive, aktive und aktiv-passive. Die passiven Bewegungen
werden in der Richtung ausgeführt, die der bestehenden Steifigkeit entgegen-
wirkte. Um der Rigidität der Interphalangealgelenke entgegenzuwirken,
rollte der Kranke eine dem Frenkelschen Kugelapparat ähnliche Kugel
zwischen den Händen.
Unter aktiv-passiven Bewegungen versteht L. solche, bei denen neben
den vom Kranken auf Kommando ausgeführten Bewegungen von einer
anderen Person bestimmte Bewegungen mit der Extremität des Patienten
vorgenommen werden. (Bendix.)
Sachs (48) empfiehlt die mechanische Behandlung der Keuralgien
durch Massage der Schmerz- und Druckpunkte des erkrankten Nerven-
gebietes. Es müsse sorgfältig nach Schmerz- und Druckpunkten gesucht
werden und außerdem die Massage- mit einer Bewegungstherapie kombiniert
werden. (Bertdix,)
Schläpfer (51) hat die Wirkung des Mtillersohen Faradovibration^
apparates geprüft und das sogenannte Faradovibrationsphänomen zu deuten
versucht. Er fand, daß das Faradovibrationsphänomen von dem gegen-
seitigen Größenverhältnis der faradischen und der vibratorischen Einwirkung
abhängt. Therapeutisch wirkungslos hält er den Apparat bei peripherischen
Nervenerkrankungen und hypokinetischen Zuständen der Skelettmuskeln.
Organotherapie. 3S5
Dagegen wäre er vielleicht wirksam bei den funktionellen Hyperkinesen und
bei Myalgien ; vielleicht auch bei faradischer Beeinflussung von Eingeweiden^
wo es darauf ankommt, motorische Wirkungen in der Tiefe auszuüben
nnter Umgehung des lästigen Faradisationsgefühls. (Bendix,)
Organotherapie.
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Tetanus-Antitoxin.
Collins (27) berichtet über einen genesenen schweren Fall von Tetanus,
den er mit Antitoxin, Chloral und Curare behandelte. Die Inkubationszeit
betrug 12 Tage. 3 Tage lang, sofort nach Beginn manifester Erscheinungen,
wurde Tetanusantitoxin (10 — 30 ccm) subkutan einverleibt. Nachdem trotz-
dem heftige Krämpfe aufgetreten waren, wurden nach 2tägiger Pause während
der 17 folgenden Tage hohe Dosen von Chloral, und Vi» — 1 gran Curare
im ganzen täglich, subkutan gegeben. C. glaubt zwar nicht, daß Curare anti-
toxische Wirkung habe, ist aber überzeugt, daß es die Häufigkeit und Stärke
der Tetanuskrämpfe beeinflußt.
Clairmont (26) berichtet über einen Fall von Tetanus, bei dem
nach 6tägiger Inkubation unter Fieber und Schweiß Tetanus einsetzte, nach-
dem schon 48 Stunden nach der Infektion lokale Entzündungserscheinungen
Inzisionen nötig gemacht hatten. Auffallend war der Beginn an der ver-
letzten Extremität als lokaler Tetanus, der sich aber rasch über den Stamm
ausbreitete. Nach der kurzen Inkubation und der raschen Entwicklung des
Krankheitsbildes war die Prognose eine durchaus ungünstige. Die Therapie
mußte in diesem Falle zwei Bedingungen gerecht werden: der Behandlung
des Tetanus und der Behandlung der Begleitinfektion. Der Herd der Toxin-
produktion mußte im vorliegenden Fall durch Amputation entfernt werden.
Die Tetanusinfektion wurde mit endoneuraler und subkutaner Tetanus-
antitoxininjektion bekämpft: An der infizierten oberen Extremität wurden
die großen Nervenstämme freipräpariert und in dieselben Antitoxin injiziert.
Ebenso wurde in das umliegende Gewebe Antitoxin eingespritzt. An den
folgenden Tagen wurden noch subkutane Injektionen gegeben. Nach zirka
9 Tagen traten an Intensität jedoch konstant abnehmende tetanische Krämpfe
auf. Der Patient genas völlig.
Ö30 Organotherapie.
Rogers (95) gelang es, bei 7 Fällen von Tetanus durch endoneurale
und subdurale Injektionen von Tetanusantitoxinserum 4 Fälle zu heilen. Es
muß jedoch betont werden, daß zwei von den drei gestorbenen Patienten
sehr schwere Fälle mit ausgedehnten Weichteilverletzungen waren.
In dem von Mornac (76) publizierten Fall von Tetanus ist die
Inkubationszeit unbekannt. Zwei Tage nach Beginn der offensichtlichen
Vergiftung durch die Tetanusbazillen erfolgte bei gleichzeitiger Zufuhr von
Chloral (8 — 12 gran per rectum) anfänglich eine subkutane Injektions-
behandlung von 10 — 20 ccm Antitoxin. Nach 2tägiger derartiger Behand-
lung wurden täglich bis 40 ccm Serum subdural injiziert. Trotzdem ging
der Kranke am 5. Krankheitstage zu Grunde.
Küster (60) fußt auf den Anschauungen von Meyer und Ramson
über den Tetanus: Nach ihrer Anschauung geschieht der Gifttransport von
der Peripherie zum Zentrum ausschließlich durch den Achsenzylinder der
peripheren Nerven. Die Inkubationszeit beim Tetanus wird größtenteils
durch die intraneurale Giftwanderung bis zu den giftempfindlichen Bücken-
markszentren verbraucht. Der örtliche Starrkrampf ist der Ausdruck oder
die Folge des abnorm verstärkten, alle intrazentralen Henunungen über-
windenden Muskeltonus an dem befallenen Gliede. Die gefährdeten
Rückenmarkszentren können durch Sperrung der zuführenden
Nerven mit Antitoxin vor dem Tetanusgift geschützt werden. —
Auf dieser Anschauung basiert die Therapie. Bei K.s Fall handelte es
sich um einen ausgesprochenen Fall von örtlichem Tetanus des rechten Arms,
veranlaßt durch eine Verwundung und Infektion mit Tetauusbouillonkultur.
Die Inkubationszeit dauerte 6 Tage. Dann begannen Schmerzen im ganzen
Körper. Am 7. Tage Muskelspannungen im Arm und am Hals. Mehrere
subkutane Antitoxineinspritzungen blieben erfolglos. Am 8. Tage ausge-
sprochene Muskelstarre an Arm, Nacken und Hals. Beginnende Starre in
den Kaumuskeln und Schluckbeschwerden. Die am Beginne des 8. Tage«
vorgenommenen Antitoxiuinjektionen in die freipräparierten Nervenstämme
des Armes bis zu den Nervenwurzeln heran brachten innerhalb weniger
Stunden eine vollständige Änderung des Krankheitsbildes, insbesondere der
schmerzhaften Muskelstarre hervor. Die Heilung erfolgte nach länger
dauernder, sehr schmerzhafter Myositis schließlich ganz vollkommen. —
Nach K.S Ansicht handelt es sich also bei traumatischem Tetanus, wo ja
wohl stets die Eingangspforte bekannt ist, darum, den erkrankten Nerven
möglichst zentral aufzusuchen und direkt in den Nerven das Antitoxin einzu-
spritzen. Damit wird dem stets von der Infektionspforte langsam nach-
fließenden Tetanusgifte wirksamer Widerpart geboten und dasselbe gebunden.
Bei der subkutanen Anwendung des Antitoxins wird noch immer eine Mor-
talität von 72,9 7^ (früher 88 7^) beobachtet
Flesch (39) teilt 8 Fälle von Tetanus neonatorum mit, von denen 5
trotz der Antitoxinbehandlung (100 A.E.) starben. Die Prognose des
Tetanus des späteren Kindesalters bezeichnet er als sehr gut, bei weitem
besser als den der Erwachsenen. Von 7 mitgeteilten Fällen starb einer
(14,28 7o Mortalität), während vor der Serumära von insgesamt 8 Fällen
3 geheilt, 3 gestorben und 2 unverändert entlassen wurden. Das Antitoxin
wurde stets subkutan gegeben. Bei der Statistik, meint F., muß insbesondere
auf die Schwere des Falles, ob Tetanus traumaticus, puerperalis, infantium,
neonatorum usw. vorliegt, ferner auf die Inkubationsdauer und den Zeit-
punkt der Applikation des Serums geachtet werden. Dann erst lassen sich
die verschiedenen Statistiken vergleichen.
Organotherapie. 831
Nach Miron (73) gehen in Bukarest alljährlich zirka 230 Neu-
geborene, die Ton der Nabelschnurwunde aus infiziert werden, an Tetanus
zu Grunde. Die Tetanusbazilleu wurden in Kulturen und durch den Tier-
Tersach nachgewiesen und stammen entweder Ton unsauberem Messer, mit
dem die Nabelschnur durchtrennt wird, oder von dem yerwendeteu Bind-
faden. — Von drei mit subkutanen Antitoxininjektionen behandelten Neu-
geborenen erlagen zwei dem Tetanus.
In den zwei Fällen, die Atkinson Stoney (107) mit Antitetanus-
toxin behandelte, kamen beim ersten Fall die Krämpfe erst 17 Tage nach
der Infektion. Die Temperatur stieg sehr rasch an, die Krämpfe häuften
sich und trotz subkutaner und subduraler Injektion von Serum einen Tag
nach Beginn der Spasmen, starb der Patient am zweiten Tage der Behand-
lung. Auch im zweiten Falle war die Inkubationszeit eine lange — zirka
18 Tage — , es trat jedoch überhaupt nur ein Krampfanfall auf, und unter
Antitoxinbehandlung (je 10 ccm subkutan an 4 Tagen) genas der Patient
wieder. — Mit Recht zieht Verf. den Schluß, daß wohl die Schwere der
Infektion bestimmender für den Ausgang war, als die Serumbehandlung.
Storrs (108) referiert über einen Fall Ton Tetanus, der 90 Stunden
nach der Infektion begann und sofort in seine Behandlung kam. Er injizierte
sofort je 10 ccm Antitoxinserum in die rechte und linke 2. Frontalwindung
nnd gleichzeitig 10 ccm subkutan. Unter Chloralbehandlung und subkutaner
Injektion von 50 ccm Serum am folgenden und ebensoviel am nächstfolgenden
Tage war der Patient in weiteren 14 Tagen genesen, nachdem nach der letzten
Injektion am 3. Behandlungstage keine Krämpfe mehr aufgetreten waren.
In dem Fall von traumatischem Tetanus, den Heiman (49) mit Anti-
toxin behandelte, dauerte die Inkubationszeit 11 Tage. Drei Tage nach
Beginn der Nackensteifigkeit und des Trismus wurde mit den Antitoxininjektionen
begonnen. In 8 Tagen wurden drei subdurale Injektionen von je 20 ccm
und 8 subkutane von ebenfalls je 20 ccm gegeben. Anfänglich waren die
Krämpfe und die Spasmen sehr stark, allmählich besserte sich der Zustand
des Patienten noch im Verlaufe der Serumbehandlung, und 6 Wochen nach
der Aufnahme wurde er geheilt entlassen. Der Autor ist vorsichtig genug,
die Genesung nicht allein der Serumbehandlung zuzuschreiben.
Orünberger's (46) schwerer Fall von Tetanus traumaticus wurde,
da die subdurale Injektion von Antitoxin wegen heftiger Reflexkrämpfe un-
möglich war, mit 11 subkutanen Injektionen von je 100 Antitoxineinheiten
des Behringschen Antitoxins während 19 Tagen behandelt Daneben
wurde innerlich bis zu 12 g Urethan gegeben. Außerdem wurde Patient
zur Beruhigung in ein Isolierzimmer gelegt, in welchem vermittelst blauer
Fensterscheiben ein gedämpftes blaues Licht erzeugt wurde. Die Beruliigung
und das subjektive Wohlbefinden der vorher äußerst unruhigen und auf-
geregten Kranken war eine sehr deutliche. Patientin wurde geheilt.
Dionis du Sejour (35) berichtet über eine 64 jährige Frau, die nach
einer komplizierten Fraktur eines Beines prophylaktische Tetanus-Antitoxin
erhielt und 22 Tage später Erscheinungen von Dysphagie tetanischen
Charakters bekam. Verf. glaubt, daß es notwendig gewesen wäre, die In-
jektionen öfters zu wiederholen, um diesen üblen Zufall zu verhüten.
(Bendir,)
Cook (28) berichtet über einen Fall von traumatischem Tetanus eines
15jährigen Burschen, der mit Hilfe von 80 ccm. Tetanus-Antitoxin geheilt
wurde. (Bendix,)
Babek (90) behandelte 2 Fälle von Tetanus mit Serum, einmal mit
negativem, einmal mit positivem Resultat. Im ersten Fall handelte es sich
332 Organotherapie
/♦
um ein 5 V2 jähriges Mädchen, welches sich vor 2 Wochen eine Verletzung
am Knie zuzog. Nach 10 Tagen erste Tetanussymptome. Injektion toh
30 ccm des Antitetanusserums (Pasteur). Tod. Im zweiten Fall fiel der
9 jährige Knabe auf den Fußboden und verietzte sich an der Stirn. Tetanus-
symptome nach 4 Tagen. Injektion Yon 30 ccm Serum. Dann lujektioneü
nach 1, nach 2 und 5 Tagen. Zunächst noch Anfälle, dann allmählich
Besserung und Heilung. (Edward Flatau,)
Eklampslebebandlung.
Vassalle (117) beobachtete bei einer Hündin, die eine partielle
Parathyreoidektomie durchgemacht hatte, jedesmal gegen Ende der Schwanger-
schaft oder zu Beginn der Säugung ihrer Jungen epileptiforme Anfälle und
Konvulsionen, die denen eklamptischer überaus ähnlich waren. Von der
Idee nun ausgehend, daß die Eklampsie eine Folge der Insuffizienz der
glandula parathyreoidea sei, haben er, resp. seine Schüler, nachdem er eineo
Extrakt aus Nebenschilddrüsen hergestellt hatte (Parathyreoidin oder Para-
thyreoantitoxin), Eklamptischen 120 Tropfen dieses Extraktes pro die oder
ungefähr ebensoviel intramuskulär mit dem Erfolg gegeben, daß alle 3 Fälle von
Eklampsie, die so behandelt wurden, alsbald keine Krämpfe mehr bekamen,
und schnell genasen. — Auf Grund dieser Erfahrungen glaubt er, behaupten
zu dürfen, daß bei Graviden, die an Eklampsie erkranken, eine latente
funktionelle Insuffizienz der Nebenschilddrüsen entweder dadurch besteht,
daß überhaupt ein oder zwei dieser Drüsen von Geburt an fehlen, oder da-
durch, daß djie Nebenschilddrüse nicht alle giftigen mütterlichen und fötalen
Stoffwechselprodukte zu neutralisieren vermag.
Ebenso fand er, daß bei einem klassischen Fall von Tetanie und bei
2 unter 3 entsprechend behandelten Epileptikern sein Parathyreoidin kurati?
resp. erheblich bessernd wirkte, und glaubt daher, daß ebensowohl diese
Krankheiten als manche Psychosen durch Stoffwechselanomalien der Neben-
schilddrüsen ursächlich bedingt seien. Entsprechende Versuche können hier
die experimentelle Entscheidung bringen.
Morbus Basedowii. (Antitbyreoidln.)
Alexander (2) teilt 3 Basedowfälle mit, die mit Antithyreoidinserum
behandelt worden sind. Die Dosis schwankte zwischen 1 und 15 g im Tage,
doch sah Verf. selbst bei 15 g p. d. keine üblen Nebenwirkungen auftreten.
Die Gesamtmenge des verabreichten Serums schwankt zwischen 43 and
105 g. Zu kleine Mengen waren von keinem dauernden Nutzen. Nach dem
Aussetzen des Serums kamen meist die Symptome wieder. Nach A.'s Meinung
ist es zweckmäßig, event. mehrfache Kuren mit Serum (aber nie über 40 g
Gesamtmenge bei der einzelnen Kur) mit kurzem Intervall vorzunehmen,
damit niemals eine Intoxikation durch die zugeführten Giftstoffe eintrete.
(Cf. den Fall von Dürig.)
Bei den drei Patienten, die teilweise schon lange erfolglos mit diversen
Mitteln behandelt worden waren, trat jedesmal sehr bald nach Einleitung der
Kur eine sichtliche Wirkung des Serums zu Tage. Die subjektive Besserung
war stets am eklatantesten, das Gewicht nahm zu, der Schlaf wurde besser.
In den 3 Fällen wurde die Schilddrüse unter der Wirkung des Serums
w^eicher und kleiner. In 2 Fällen verschwand der Exophthalmus völlig, in
dem einen Fall wurde er erheblich gebessert. Auch der Tremor und die
neiTöseu Beschwerden wurden günstig beeinflußt. Die Pulsfrequenz war
stets auffallend wenig verändert. Trotzdem bei 2 Fällen myokarditische
Organotherapie. 333
Veränderungeo bestandeD, koonte keiue nachteilige Herzwirkuüg konstatiert
werden. Die Fälle selbst sind nur kurze Zeit — höchstens 5 Monate —
im ganzen beobachtet
Hallion (47) verwendet nicht das Serum thyreoidektomierter Tiere,
sondern das mit Glycerin versetzte Blut: „h^matoethyroidine^. Er meint,
daß das Blut, zumal es noch die weißen Blutkörperchen, die vielleicht Träger
bestimmter Stoffe sind, enthalte, wirksamer sei, als bloß das Serum. H. ver-
abreicht 1 — 2 Kaffeelöffel, verdünnt mit etwas Wasser, am Tage vor der
Mahlzeit. Ohne Fälle anzuführen, erklärt er, daß so viele eklatante Erfolge
mit diesem Blut erzielt werden, daß an der Wirksamkeit desselben nicht
gezweifelt werden kann.
Ralenburg (38) verfährt mit der Darreichung des Serums so, daß
er in zweitägigen Intervallen, jedesmal um 5 Tropfen steigend, von 3x10
bis 3x30 Tropfen pro die gibt. Vom 11. Tage geht er in entsprechender
Weise wieder mit der Dosis herunter. Nach dem Verbrauch von 50 ccm
macht er eine achttägige Pause und gibt dann das Serum in kleineren Dosen,
3mal täglich 10 — 20 Tropfen, von neuem. Mehr als 500 ccm insgesamt
wurden nie verbraucht. Nach Eulenburgs Meinung ist der Wert der
Senuntherapie ein begrenzter, und nur ein symptomatischer und palliativer. Von
7 mitgeteilten Fällen zeigte sich bei den meisten, aber keineswegs immer,
eine subjektive Besserung und ein Kleinerwerden der Struma. Eine Patientin
bekam im Verlauf der Kur eine schwere Herzarythmie. Ein Fall blieb ganz
nnbeeinflußt Außer der Struma wurden keine typischen Basedowsymp-
tome gebessert. So kommt es, daß Eulenburg der Serumtherapie ziemlich
skeptisch gegenübersteht und ihr nicht den gleichen Rang mit anderen internen
Behandlungsmethoden zuerkennen will. Auch er fand keine dauernde
Beeinflussung der Symptome infolge der Serumkur.
Hempel (50) beobachtete einen Fall, den er mit spezifischen Serum
behandelte. Er gab jeden dritten Tag 5 g, später jeden zweiten Tag 5 g
Serum. Schon nach kurzer Zeit war eine subjektive Besserung zu kon-
statieren. Der Exophthalmus ging zurück, die Struma wurde weicher und
kleiner. Die Pulszahl sank, um allerdings nach Aussetzen des Serums wieder
zu steigen, die Struma blieb jedoch auch nach Monaten noch weicher und
kleiner. Nach 4 Monaten war das subjektive Befinden immer noch ein
zafriedensteilendes.
Indemans (66) machte mit hohen Serumdosen, 5 — 9 ccm pro die,
schlechte Erfahrungen, da sich bei seinem Basedowfall alle Symptome bei
diesen hohen Dosen erheblich verschlimmerten. Nachdem er die Dosen auf
0,75 — 1,5 ccm pro die reduziert hatte, konnte er nach wenigen Wochen einen
Rostigen Einfluß auf Exophthalmus, Struma, die Augensymptome, den Puls
und das Allgemeinbefinden konstatieren.
Schäler (99) versuchte das Serum erst subkutan einzuverleiben,
mußte aber wegen der örtlichen Beizerscheinungen und der damit verbundenen
Schmerzen von diesem Wege Abstand nehmen.
In den 5 von ihm mit Serum behandelten Fällen konnte er einen
glänzenden Erfolg verzeichnen. Er gab 2raal täglich 10 — 45 Tropfen in
langsam steigender Dosis. Bald nach dem Beginn der Serumtherapie stellte
sich der Erfolg (im ganzen wurden 50 — 100 g gegeben) ein, dabei waren
es meist ziemUch schwere, früher mit anderen Mitteln erfolglos behandelte
Fälle. Fast überall schwand oder verminderte sich die Struma, ebenso der
Exophthalmus, der Tremor und die Tachykardie. Das Allgemeinbefinden
hob sich während des Verlaufs der Serumkur ganz wesentlich, ebenso wie
das Gewicht. Der Puls wurde weniger frequent und regelmäßig. In allen
Jahresbericht f. Neurologie und Psychiatrie 1906. 53
Q34 * Organotherapie.
Fällen konnte Schüler zum mindesten eine weitgehende Besserung, mehr-
mals eine „völlige Heilung** konstatieren. Verfolgt hat Schüler seine Fälle
leider nicht, sodaß über eventuelle Rezidive nichts ausgesagt werden kann.
Unangenehme Nebenerscheinungen wurden nie beobachtet.
Lomer (65) gab einer geisteskranken an typischem Basedow leidenden
Patientin 8x0,6 ccm Serum, täglich um 3x0,6 ccm steigend, bis die Höchst-
gabe von 3x4 ccm erreicht war. Er ging dann langsam mit der Dosis
herunter. Der Erfolg erstreckte sich auf eine Verminderung der Pulszahl.
Günstig beeinflußt wurden Tremor und Exophthalmus. Die Struma blieb
unverändert. Nach dem Aussetzen des Serums waren bald die Symptome
in ihrer früheren Intensität wieder da.
DÜrig (36) berichtet über einen schweren Fall von Basedow. Er
gab durchschnittlich 3x40 Tropfen pro die. Solauge diese Dosis täglich
gegeben wurde, war eine Wirkung auf die Pulsfrequenz und das Allgemein-
befinden nicht zu verkennen. Die Basedowsymptome verschlimmerten sich
jedoch jedesmal wieder nach dem Aussetzen des Serums. Bei dieser Medi-
kation kamen jedoch wiederholt, trotz der oft eklatant guten Wirkung bei
großen Serumdosen, zwar nicht bedeutende,, aber unangenehme Zufälle, heftige
Kopf- und Kreuzschmerzen, Mattigkeit, Übelkeit, innere Unruhe und Äugst
hinzu, die das subjektive Befinden sehr störten. Ein halbes Jahr nach der
zirka 6 Monate dauernden Medikation ist die Patientin als „fast geheilt**
zu betrachten.
Breton (16) berichtet von einem sehr günstigen Erfolg, den er bei
Pleuritis haemorrhagica dextra einer 69jährigen an Morbus Bafiedowü leidenden
Frau mit dem Blutserum entkropfter Tiere erzielte. Die SerumbehaDdlang
führte nicht nur zur Resorption des Exsudates, sondern auch zur Heilung
der lästigen Basedowsymptome. (Bmdix,)
Morre (76) hat zwei Fälle von typischem Morbus Basedowii mit
Antithyreoidin „Möbius" erfolgreich behandelt. Nach dem Gebrauch ?od
70 — 80 ccm in Tagedosen von 5 ccm war ein vollständiges Schwinden der
Struma und des Exophthalmus zu konstatieren in Verbindung mit fast voU-
ständigem subjektivem Wohlbefinden. (Beitdix.)
Torday (116) versuchte Bodagen in drei Fällen Basedowscher
Krankheit. Fall 1 ziemlich vorgeschritten und mit AorteninsufBzienz und
Arteriosklerose kompliziert, endete in 8 Wochen letal, ohne Beeinflussung
der nervösen Symptome zu zeigen. Im 2. Falle vorübergehende Besserung
in der subjektiven Sphäre. Im 3. Falle entschiedene Besserung sowohl
subjektiv als auch objektiv (Verminderung der Herztätigkeit, Abnahme des
Exophthalmus und Struma) bei einer bis zu 80 g steigenden Tagesdosis,
welche Besserung auch nach Hinweglassen des Bodagen anhielt
(Hudoveniig,)
Hndovernig (56) betont die günstigen Erfolge jener Organotherapie
der Basedowschen Krankheit, welche auf die Möbiussche Hyperthyreoi-
dismus-Theorie begründet ist. Der Einfachheit halber hat H. das Milch-
pulver (Rodagen) angewendet, in der Tagesdosis von 4—6 g, mit späterer
sukzessiver Verminderung der Dosis. Vier eigene Beobachtungen mit Aus-
gang in Heilung, wovon zwei unkomplizierte Fälle, und je einer kompliziert
mit Hysterie und mit schwerem Herzfehler; in letzteren FäUen ebenfalls
Heilung der Basedowschen Krankheit, bei Weiterbestand der kompli-
zierenden Krankheit. H. hebt namentlich die günstige Beeinflußung der
subjektiven Symptome hervor, neben welchen Rückgang von Herzfrequenz,
Struma und Exophthalmus zur Normalen nachweisbar waren; die auf der
Organotherapie. 335
Hyperthyreoidismus-Theorie basierende Organotherapie der Basedowschen
Krankheit bildet eine hervorragende Bereicherung des Arzneischatzes.
(Hudovemig.)
Lobenstine (64) hat mit Schilddrüsenextrakt Versuche an elf Eklamp-
tischen und sechs Fällen von drohender Eklampsie angestellt. Er konnte
Qoch zu keinem endgültigen Resultat gelangen und schiebt nur in einem
Falle Ton Eklampsie die Besserung auf die Schilddrüsen-Medikation. Auf
Grund seiner Beobachtungen konnte er feststellen, daß der Schilddrüsenextrakt
' die Spannung des Pulses bei Eklampsie herabsetzt und in auffallender
Weise die Diurese und Kataphorese steigert; jedoch ist es notwendig,
große Dosen des Mittels anzuwenden. Schließlieh rät L. zur Vorsicht beim
Gebrauch des Schilddrüsenextraktes, besonders wegen der leichten Schädigung
des Herzmuskels und bei asthenischen Eklampsiefällen. (Bendix.)
Boerma (12) gab einer hochschwangeren Dame, deren Schilddrüse
koDtinuierlich angeschwollen war, 1 g Antithjreoidinserum, p. d. in 3 Dosen,
während 6 Wochen. Nach einigen Wochen war die anfänglich harte Drüse
bedeutend weicher geworden und hatte ganz erheblich an Umfang abgenommen.
Nebenwirkungen des Serums wurden nicht beobachtet.
Thienger (112) berichtet über 4 Fälle, die er mit Mob ins Anti-
thyreoidin behandelt hat Er gab jedesmal, meist im Abstand von 1 — 2
Tagen, 5 com Serum in Wein. Beim ersten Fall wurde keine Besserung
erzielt. Bei dem zweiten und dritten Fall besserte sich vor allen Dingen
das Allgemeinbefinden, dagegen blieben die Struma, Konsistenz und yasku-
ULre Erscheinungen an derselben unverändert, ebenso der Exophthalmus.
Der vierte beschriebene Fall war ein akut, nach Art einer Infektionskrank-
heit einsetzender Basedow, der im Verlauf von wenigen Tagen alle Folgen
der deletären Wirkung des Basedowstoffwechselgiftes zeigte. Mit der Serum-
behandlung koinzidierte die subjektive Besserung, die Struma wurde auf-
fallend kleiner; der Halsumfang nahm in einem Monat 3 cm ab. Die
Pulszahl schwankte zwar im Laufe der Behandlung, wurde aber nicht sehr
wesentlich beeinflußt. Bei allen 4 Fällen war die Zeit der spezifischen
Therapie und der Beobachtung eine recht kurze.
Slatineano (104) griff die Arbeiten von Milton, Portes und Mun-
kowski über die spezifische Wirkung des thyreotoxischen Serums wieder
auf. Er injizierte Ziegen ausgewaschenen Schilddrüsensaft von Hunden.
Es wurden bis zu zwölf Injektionen auf einmal gegeben, indem die Zahl der
Injektionen mit einwöchentlicher Pause stieg.
Er kam zu folgenden Resultaten:
1. Die Allgemeinerscheinungen: Erbrechen, Tetanie, Hämoglobinurie,
Tenesmus rectalis, Ikterus, sind die Folge der hämolytischen Eigenschaft
dieses Serums und finden sich bei jedem hämolytischen Serum.
2. Bisher wurden mit dem thyreotoxischen Serum nur Läsionen des
Epithels verursacht, indem die Zelle der Thyreoidea mehr oder minder ver-
ändert wurde. Niemals kam es zu chronischen sklerotischen Prozessen.
3. Die Veränderung der Epithelien variiert sehr nach der Stärke der
Serumdosen. Schwache Dosen reizen die Epithelzellen, entsprechend hohe
Dosen verursachen Nekrose derselben. Der subkutane Weg ist vorzuziehen,
wenn man Keizerscheinungen an den Zellen veranlassen will.
4. Nach schwachen Injektionen (5 — 10 ccm subkutan) erfolgt eine sehr
starke Produktion kolloider Substanz, welche die einzelnen Bläschen aus-
dehnt. Gleichzeitig werden die Epithelzellen kleiner, die auf den Basalteil,
welcher den Kern enthält, beschränkt werden. Die Zylinderzelle wird flach.
Der Kern wird nicht verändert.
5B*
836 Organotherapie.
5. Bei starken intravenösen Injektionen findet eine partielle Desquama-
tion des Drüsenepithels statt. Das Protoplasma verschwindet und der Kern
färbt sich intensiv mit basischen Anilinfarben. Diese Epithelnekrose wird
an manchen Stellen von einer Zerstörung der Basalmembran der Bläschen
begleitet, die dann miteinander kommunizieren.
6. Injiziert man das Serum direkt in die Carotis, so beobachtet man
eine sofortige Nekrose in den entsprechenden Lappen der Thyreoidea, Die
Struktur der Drüse kann nicht verkannt werden. Die einzelnen Bläschen
kommunizieren weit miteinander; die kolloide Substanz ist gänzlich ver-
schwunden und das desquamierte Epithel bildet einen Haufen von regellos
zerstreuten Kernen. Der größte Teil dieser Kerne hat seine Affinität für
basische Anilinfarben völlig verloren. Er färbt sich intensiv mit Eosin. Es
handelt sich hier um eine eosinophile Veränderung, die mit der im inneren
der Phagocyten vergleichbar ist; es handelt sich hier um eine extracelluläre
Verdauung. Andere Kerne, welche nicht eosinophil geworden sind, zeigen
das Bild der Chromatolyse, die aus der Vereinigung der chromatischen
Substanz in große Flocken resultiert und sich intensiv mit basischen Farben
färben. Schließlich verschwindet diese Substanz völlig. Der Kern erscheint
dann als große leere Blase.
7. In dem entgegengesetzten Schilddrüsenlappen, der weniger Serum
erhielt, findet man ein völliges Verschwinden der kolloiden Substanz und
gleichzeitig eine Quellung der Epithelzellen, die so angeschwollen sind,
daß sie sich im Zentrum des Bläschens berühren, so daß ein Lumen nicht
mehr existiert. Vielleicht sind diese hypertrophischen Zellen durch das
verschwundene und eventuell von ihnen resorbierte Kolloid so angeschwollen.
GÖllner (44) berichtet über einen ganz außerordentlichen Erfolg, den
er in einem Falle von Kretinismus mit Schilddrüsenbehandlung erzielte.
Die elfjährige Patientin war geistig vollständig zurückgeblieben, konnte weder
lesen noch schreiben. Ihre Bewegungen waren träge, die Weichteile des
Gesichts schlaflE und dick. Nach dem Gebrauch von Jodothyrintabletten
k 0,3 g besserten sich nicht nur die vorhandenen Störungen an den Knochen,
sondern auch die geistige Entwicklung machte überraschende Fortschritte;
sie wurde munter, gesprächig und gab klare, richtige Antworten.
(Bendix.)
Kendle (68) berichtet über einen neunjährigen weiblichen Kretin mit
frühzeitiger Pubertätsentwicklung. Die Brüste des Kindes waren vollständig
entwickelt mit starken, prominenten Brustwarzen. In den Achselhöhlen
starke Haarentwicklung. Menstruation seit dem fünften Jahre in Intervallen
von drei bis vier Monaten. Dauer der sehr profusen Menstruation bis zu
fünf Tagen. Pubes gut entwickelt. Unter Schilddrüsenbehandlung tritt
Besserung der geistigen und körperlichen Störungen ein und Wiederkehr
des kindlichen Habitus. (Bendix,)
Sill (103) teilt in Kürze 16 Krankengeschichten von sporadischem
Kretinismus mit. Auch in seinen Fällen trat die Krankheit mit Vorliebe
beim weiblichen Geschlechte auf. In den meisten Fällen hatte die Be-
handlung mit Schilddrüsenextrakt eine Besserung zur Folge. (Bmdir.)
Den Hauptteil der Arbeit Chidichimo's (23) nimmt ein Autoreferat
Vassales ein über die günstigen Erfahrungen bei Anwendung von Para-
thyroidinpräparaten in Fällen von Eclampsia gravidarum. Auf Grund experi-
menteller Versuche will Verfasser beobachtet haben, daß Hündinnen nach
teilweiser Entfernung der Nebenschilddrüsen sich von den ursprünglich auf-
tretenden Erscheinungen (fibrilläre Zuckungen, Krämpfe, Tetanie, psychische
Störungen usw.) erholten, um dann während der Gestation oder während
Organotherapi e. 337
des Geburts- oder Säugungsgescbäftes von neuem stürmische Erscfaeinungen
zu zeigen. Verabreichung von Nebenschilddrüsenpräparaten coupierte die
Anfälle wieder. Auf Grund seiner experimentellen Erfahrungen versucht
Verfasser die Anschauung zu vertreten, daß die Eclampsia gravidarum durch
insuffiziente Nebenschilddrüsentätigkeit ausgelöst wird. Die bis jetzt als
Ursache der Eklampsie aufgezählten Schädigungen sind als reine schwächende
Momente zu betrachten, die hinzutreten, um bei einer au und für sich un-
genügenden Parathyreoideatätigkeit den Ausbruch der Zeichen der mangelhaften
Funktion auszulösen. Die praktischen Erfahrungen am Menschen, über die
Vassale verfügt, sind noch recht dürftig (3 Fälle, diese mit eklatantem
Erfolge nach Angaben Vassales). In der vorliegenden Arbeit nun hat
Chidichimo den Einfluß des Parathyreoideaextraktes auf den Uterus experi-
mentell geprüft. Derselbe scheint Häufigkeit, Intensität und Dauer der
Eontraktionen des Uterus, wie überhaupt der glatten Muskeln (im Magen
und Darm bedeutend herabzusetzen, vielleicht auch den Tonus der Gefäße
zu beeinflussen. Subkutane Injektionen erweisen sich wirksamer als Dar-
reichung per os. (Mei^zbacher,)
Myxödem.
In einer außerordentlich ausführlichen Krankengeschichte teilt Sasaki
(97) einen Fall von Myxödem mit, den er erfolgreich mit Thyreoidin be-
handelte. Es handelte sich um ein acht Jahre bestehendes schweres
Myxödem. Bei dem 50jährigen Manne waren Ödeme aufgetreten, so daß
der Exitus bevorzustehen schien, als mit der Thyreoidinbehandlung be-
gonnen wurde. Durchschnittlich wurden 0,5 g Thyreoidin gegeben, da
kleinere Dosen keinen Erfolg hatten. Durch Stoffwechseluntersuchungeu
wurde festgestellt, daß die Gesamtstickstoffausscheidung sich nach Thyreoidin-
zufuhr plötzlich fast auf das zehnfache steigerte, während die Eiweißaus-
schei'dung herabgesetzt wurde. Nach zehnwöchentlicher Behandlung war
der früher apathische, stumpfsinnige Patient wieder psychisch annähernd
normal. Nach 25 tägigem Aussetzen des Thyreoidins rezidivierten die alten
Myxödemsymptome, so daß von neuem eine Thyreoidinkur eingeleitet werden
mußte. Von einer Dauerheilung kann also in diesem Falle keine Rede sein.
Christiani (24) teilt ausführlich einen Fall von künstlich erzeugtem
Myxödem mit, das durch eine notwendig gewordene völlige Exstirpation
der Schilddrüse entstanden war. Nur durch zirka 30 Tropfen p. d. von
Schilddrüsenextrakt konnten die Erscheinungen des Myxödems notdürftig
hintangehalten werden. Nach Implantation von kleinen Schilddrüsenstückchen,
die von einer an einer gutartigen Hypertrophie der Schilddrüse leidenden
Patientin gewonnen waren, besserte sich der Zustand, und die Patientin konnte
mit der Tropfenzahl zurückgehen, aber noch nicht völlig aufhören. Nach
abermaliger Implantation von menschlichen leicht hypertrophischen Schild-
drüsenstückchen, die jedesmal gut einheilten und offenbar auch die Funktion
der gesunden Schilddrüse übernahmen, konnte mit der Zuführung von
Schilddrüsenextrakt oder -tabletten ganz aufgehört werden. Die Erschei-
nungen der Myxödems waren so sehr zurückgegangen, daß die betr. Patientin
sich verheiraten konnte.
Sklerodermie.
Schwerdt (100) geht von der theoretischen Erv\^ägung aus, daß es
«ich bei der Sklerodermie um eine Krankheit handle, bei welcher ein in-
testinales Toxin in die Chylusgefäße gelange und bei dem Ausfall der
Funktion der Mesenterialdrüsen oder auch nach Umgehung dieser Drüsen
g38 Org^anotherapie.
unverändert sich dem Blut beimenge. Diese Beimengung könnte auf zwei
Wegen erfolgen, entweder dem normalen durch den Ductus thoracicus, oder
durch eine von Schwerdt supponierte Collateralbahn, in den subkutanen
Lymphgefäßen am Rumpf entlang durch den Truncus lymphaticus dexter.
Bei Eintritt dieses Weges erscheint es -Verf. denkbar, daß die zerstreuten,
regellosen Herde der zirkumskripten Sklerodermie sich entwickelten; und die
Vorliebe dieser Form für die obere Körperhälfte würde damit eine plausible
Erklärung finden. Seh. berichtet dann kurz über einen Fall von zirkum-
skripter Sklerodermie, der im Verlauf einer Behandlung mit einer eigens
präparierten Mesenterialdrüsentablette sich wesentlich besserte. Der Autor
wagt mit Recht aus diesem einen Fall noch keine Schlüsse zu ziehen,
sondern will nur zur Nachprüfung anregen.
Meningitis cerebrospinalis.
Nachdem Hirsch (52) mehrere schwere Scharlachfälle bei frühzeitig
angewendeten Diphtherieheilserum-Injektionen günstig ausgehen sah, versuchte
er dasselbe Mittel bei mehreren Fällen von Genickstarre. In einem schweren
Falle, als H. das Serum sehr früh anwendete, wirkte es anscheinend sehr
gut, in einem zweiten Falle, bei dem das Serum später angewandt wurde,,
starb der Patient. Zwei auf Genickstarre sehr verdächtige Fälle genasen
bei der Serumbehandlung. Theoretisch und bakteriologisch ist die Wirksam-
keit des Diphtherieserums bei Genickstarre nicht begründet.
Hnber (54) empfiehlt bei Cerebrospinalmeningitis subdurale Injektionen
von Diphtherieheilserum (1600 — 2000 A. E.), nachdem einige Kubikzentimeter
Cerebrospinalflüssigkeit abgelassen worden sind. Er basiert auf der bakterio-
logisch festgestellten Tatsache, daß der Diphtheriebazillus und der Meningo-
kokkus Antagonisten seien und Kulturen des letzteren durch Diphtherie-
heilserum abgetötet würden. Mit seiner Methode will er gute Erfolge ge-
sehen haben. Fälle werden nicht zitiert.
Waitzf eider (121) rühmt die günstigen Resultate, die er bei der
Behandlung der Genickstarre mit dem Diphtherieheilserum erzielte. Von 17
innerhalb fünf Wochen von ihm beobachteten Fällen heilten 5 vollständig,
3 starben, von den übrigen 9 Fällen zeigten 4 bereits bedeutende Besserung.
(Bendijs.)
Peabody (84) begründet die von ihm ausgeführte Behandlung der
epidemischen Genickstarre mit dem Diphtherieserum durch die Erfahrung,
daß zwischen dem Kleb s-Loe ff 1er sehen Bazillus und den Meningokokken
ein Antagonismus besteht. Es wurden 22 Fälle von Genickstarre mit Diph-
therieserum behandelt, nachdem bei ihnen die Lumbalpunktion ausgeführt
war. Das Diphtherieserum wurde bei 4 Patienten subkutan, bei 7 sowohl
subkutan als auch intraspinal, bei 11 nur intraspinal, in Dosen von 1200
bis 15 000 Einheiten angewandt.
Es gingen 11 Patienten zu Grunde; von den übrigen 11 Kranken ge-
nasen 4, 5 weitere Fälle waren noch in Behandlung unter schweren Er-
scheinungen, und 2 Fälle waren hoffnungslos. Es heilten demnach von den
Fällen gegen 9 Prozent. (Bendix.)
Heufleber.
Nachdem Wolff (124) eine ausführliche klinische und ätiologische
Würdigung des Heufiebers und dessen Geschichte bringt, bespricht er in
kritischer Weise die bakteriologischen Eigenschaften des Heufieberserums.
Schließlich werden zwei erfolgreich mit dem Dunbarschen Serum (PoUantin)
Organotherapie. g39
sowohl, als mit Weichardts Graminol behandelte Fälle asgefuhrt. Die
betr. Patienten wurden zwar von ihren Beschwerden nicht Yöllig befreit,
doch konnten diese ganz erheblich gemildert werden. Der Autor kommt
za folgenden Schlüssen:
1. Wir haben im Pollantin und Graminol (Graminin) Präparate,
welche beim Heufieberkranken die Wirkung des PoUenendotoxins abzu-
schwächen vermögen.
2. Diese Abschwächung erfolgt gegenüber PoUenendotoxin während
und außerhalb der eigentlichen Heufieberzeit.
3. Die Wirkung ist eine günstigere, wenn die Präparate vor dem Ein-
dringen des PoUenendotoxins prophylaktisch zur Anwendung gelangen.
4. Die Wirkung der Sera ist nicht etwa mit der eines Antitoxischen
in Parallele zu setzen. Eine befriedigende theoretische Erklärung der
Wirkung des Serums fehlt zur Zeit noch.
ToUwDt.
Bernstein (10) bespricht in seinem kritischen Referate die statistischen
Ergebnisse der nach Pasteur behandelten rabiesverdächtigen Personen
and die verschiedenen Gesichtspunkte der Behandlungsmethode.
Remlinger (91) beschäftigt sich mit den während der Pasteurschen
Tollwutbehandlung auftretenden Lähmungen, die anfangs das besorgniserregende
Bild der Myelitis darbieten aber essentieller Natur sind und wieder voll-
ständig heilen. R. resümiert die in der Literatur bekannten Fälle und
glaubt, daß weder Alter, Geschlecht oder das Temperament des Gebissenen
Yon Bedeutung sei, noch das rabische Toxin oder das Heilserum, sondern
daß es sich um eine Idiosynkrasie handle. (Bendix.)
Psychosen (Gebirnsabstanz).
Alter (4) erörtert zunächst in ausführlicher Weise die theoretischen
Erwägungen, die ihn veranlaßten, auf Grund der Erfolge beim Tierexperiment
Infusionen mit Gehirnsubstanz bei Geisteskranken vorzunehmen. Verfasser
berichtet dann über einige Fälle aus der Gruppe der „neurotoxischen
Psychosen", die er mit Gehirnsubstanzinfusionen behandelte. Gesundheit-
liche Schädigungen kamen nicht vor. Nur solche Kranke wurden aus-
gewählt, bei denen noch anhaltende und weitgehende Besserung erhofft
werden konnte. Es wurde, aber keineswegs immer erfolgreicli, versucht, die
oft günstig auf die Psyche wirkenden Temperatursteigeningen, die schon
allein durch den Reiz der Infusion erzeugt werden, durch Pyramiden zu
bekämpfen, sodaß aUein der Effekt der Gehirninfusion zu Tage treten sollte.
- Anscheinend schlössen sich an die acht publizierten Fälle (Paralyse,
Dementia praecox, manisch-depressives Irresein) vorteilhafte Zustandsände-
rnngen an.
Allgemeines.
Farascandolo (83) behauptet, daß in den Organen Verbrannter ein
bestimmtes Gift existiere; er habe mit gutem Erfolge die „Auswaschung"
des Blutes bei Verbrennungen versucht. Er gibt an, es sei ihm gelungen,
flande gegen das Verbrennungsgift zu immunisieren und ein Heilserum
herzustellen. Er kommt nach ausgedehnten Versuchen zu folgenden Schluß-
folgerungen :
1. In den Organen Verbrannter bildet sich ein dem Schlangengift
ziemlich nahestehender Körper (Verbrennungscytotoxin), der auch den
S40 Chirurgfiflche BehandluDg der Nervenkrankheiten.
Toxinen im allgemeinen teils durch seine chemischen Eigenschaften, teils
durch seine Wirkung auf den Organismus verwandt ist.
2. Mit diesem G-ifte kann man Tiere immunisieren; das Serum dieser
so behandelten Tiere besitzt Heilwirkung.
Im übrigen bringt P. ein ausgedehntes Referat über 190 Publikationen
über Toxin, Antitoxin usw.
Floersheim (40) hat beobachtet; daß Adrenalinchlorid imstande ist,
drohende Apoplexien zu yerhindern und glaubt, in sechs derartigen Fällen
durch interne Anwendung Ton Adrenalin den apoplektischen Insult verhütet
zu haben. (Beiidix.)
Tarchanoff, Foehl, A. und Alfred (109) kommen auf Grund ihrer
Laboratoriumsversuche, der Tierversuche und der klinischen Beobachtangen
mit Sperminum-Poehl zu dem Schlüsse, daß es die Oxydationsvorgänge
im Körper günstig beeinflußt und den Körper entgiftet
Die Spermintherapie könne auch durch andere Faktoren, welche die
Oxydationsvorgäuge im Organismus fördern, ersetzt werden, wie durch
Sauerstofftherapie, Aufenthalt in guter Luft, rationelle Hydrotherapie, Massage,
Sport. (Bendix,)
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Referenten: Dr. F. Davidsohn, Dr. Karplus, und
Dr. Albrecht-Berlin.
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AUismsIus. (Chirurgie des gesamten NenreDsystems.)
Ctuhing (98) weist in der Vorrede darauf hin, daß die alten Wege
der Behandlung der neurologischen Affektionen, namentlich mit Bezug auf
die interne Therapie sehr oft nicht zum Ziele führen. Er will hier nicht
reden ?on bekannten und anerkannten Methoden, wie sie die Chirurgie uns
bietet, z. B. in der Entleerung zerebraler Abszesse, der Unterbindung eines
zerrissenen Meningealgefaßes, der Erleichterung des spinalen Druckes, sondern
auf die Möglichkeit hinweisen, in gewissen Krankheiten chirurgische Hilfe
zu bieten, welche sonst keine Aussicht auf Heilung gewähren. Im ersten
Abschnitt: das Gehirn und seine Häute legt er ein besonderes Gewicht auf
die Ausfuhrung palliatiTer Operationen in Fällen, in denen man an den Sitz
mancher Neubildungen nicht herankommen oder die Lokalisation des Herdes
beim Stande unserer heutigen Kenntnis nicht eruiert werden kann. Die
Symptomentrias, tiefliegender Kopfschmerz, Erbrechen, Stauungspapille mit
konsekutivem Verlust des Sehyermögens, welche die Anzeichen von vermehrter
Spannung und gestörtem Blutumlauf in der Schädelkapsel bedeuten, kann
scboell und vollständig in der Mehrheit der Fälle durch die „Dekompression"
«ner palliativen Kraniotomie beseitigt werden. Auf diese Weise können
Patienten Monate und Jahre lang sich unter Erhaltung des Augenlichtes
des besten Wohlbefindens erfreuen. Die Furcht vor dem Operationsraum,
welche viele Ärzte mit ihren Patienten teilen, führt sehr oft zur medika-
mentösen Therapie in der Hoffnung, daß vielleicht ein Tumor syphilitischen
Ursprungs sei. Gleichwohl lehrt die Erfahrung, daß gerade luetische Tumoren
trotz antiluetischer Behandlung keine Tendenz zur Heilung zeigen, während
nicbt luetische Neubildung sehr oft bei derselben Therapie eine scheinbare
Demission zeigen, wodurch sie zu falschen diagnostischen Schlüssen verleiten.
Eiae Palliativtrepanation ist nicht schwierig, sie erfordert trotzdem nicht
wenig Überlegung und operative Geschicklichkeit. Wird sie allein zu
ß58 Chirurgische Behandlung der Nervenkrankheiten.
„Dekompres8ion8"zwecken ausgeführt, so muß der Ort der Trepanation sorg-
fältig gewählt werden, denn die Hernie, welche notwendigerweise resultiert
und als „Sicherheitsventil" wirken soll, yernichtet zweifellos jede Punktion
in der vorfallenden Hirnpartie. Ein relativ großes Knochenstück muß ent-
fernt werden, die Dura soll geöffnet bleiben oder gänzlich entfernt werden.
Gewissenhafte Nachbehandlung ist selbstverständlich, um die unangenehmste
aller Komplikationen, den fungus cerebri, zu vermeiden. Eine besondere
Art der dekompressiven Operation ist intermuskular, bisweilen doppelseitig
durch die Temporalregion durchgeführt unter Wegnahme der squamösen
Partie des Schläfenbeines und Verschluß des Muskels und seiner Fascie
über dem entblößten Gehirn.
Intrakranielle Blutungen, namentlich wenn es sich um die extradurale
Form von umschriebenem Blutaustritt, welche gewöhnlich infolge von Zer-
reißung eines Astes der Meningealarterie auftritt, handelt, werden anerkannter-
maßen schon längst durch chirurgische Intervention behandelt. Hämorrhagien
anderen Ursprungs, z. B. diffuse subdurale, die wohl mit Basalfrakturen ver-
gesellschaftet sind, die Hämorrhagie der Neugeborenen, arterielle bei Er-
wachsenen in die Substanz des Gehirns, werden heutzutage — wenn auch
noch nicht oft genug — ebenfalls von der Chirurgie in Angriff genonunen.
Sehr viele intrakranielle Blutungen ereignen sich bei Kindern während der
Geburt. Und wenn auch infolge des leichter auseinander weichenden Schädels
die Folgen derselben nicht sehr in die Erscheinung treten, so bringt doch
die kommende Zeit die unangenehmsten Überraschungen. Lähmungen, Blind-
heit, epileptische Anfälle usw. sind oft das Los solcher scheinbar gesund
geborenen Kinder. Apoplexien, wenn operiert, zeigten allerdings zunächst
Besserungen, führten jedoch zum Exitus. Ebenso die epidemische Form der
Meningitis. Hierbei mag vielleicht schon die Eröffnung der Meningen analog
wie bei der tuberkulösen Peritonitis zu. einem Erfolge führen.
Der Autor verwendet zur Narkose Äther. Zur Blutstillung Toumiqnets.
Auch die Lagerung der Kranken ist von Bedeutung. Bei der Ausführung
der Operation ist sorgfaltige Blutstillung von größerer Bedeutung als Schnellig-
keit in der Technik. —
Das Rückenmark. Hier sind die chirurgischen Eingriffe nicht
so kompliziert, verlangen jedoch auch eingehende Kenntnis der neu-
rologischen Anatomie. Meistens handelt es sich um gutartige Neubildungen,
welche von den Meningen ausgehen, leicht zu entfernen sind und dem-
nach eine gute Prognose für die volle AViederherstellung der Funktion
im Rückenmark bieten. Die Indikationen für chirurgische Eingriffe bei
traumatischen Spinalfällen sind sehr diskutabel. Der Autor teilt solche
Fälle in 3 Gruppen ein: 1. Fälle, in denen chirurgische Intervention con-
traincliziert ist, weil sie mehr schadet als nützt (traumatische Hämatomyelie),
2. Fälle von «Frakturendislokation, wobei zwar ein Schaden getan, aber aller-
meist ein Nutzen nicht gestiftet wird, 3. Fälle von teilweiser Schädigung des
Rückenmarkstranges, welche mit Symptomen eines durch einen Fremdkörper
erzeugten Druckes vergesellschaftet sind. Hier ist zweifellos ein chirurgischer
Eingriff von großem Nutzen. Langdauernde Fälle, welche die Zeichen einer
Querschnittszerstörung bieten, sollen nicht mehr operiert werden. Es läßt
sich aber noch viel auf rein palliativem Wege erreichen. Wichtig ist die
Sorge um die Blase. —
Die peripheren Nerven. Die Lehre, daß jede Nervenfaser den
Auswuchs einer einzigen Zelle darstellt und beide zusammen die Einheit
des Nerven bilden (His), wurde im allgemeinen als gültig akzeptiert
Neuerliche Untersuchungen haben jedoch gezeigt, daß die Fasern nicht von
Chirurgische BehaDdlong der Nervenkrankheiten. 359
Zentralnervenzellen ausgehen, soDdem unabhängig in der Peripherie von Zell-
ketten entstehen, welche schließlich die Schwannsche Scheide darstellen
und erst in zweiter Linie sich mit der zentralen Nervenzelle verbinden.
Auch scheinen chemotaktische Eigenschaften der Nervenfibrillen resp. des
umgebenden Gewebes eine bedeutsame Rolle für die Wiedervereinigung
durchschnittener Fasern zu spielen. Eine rationelle Nervenchirurgie verfangt
unter allen Umständen ein möglichst genaues Aneinanderpassen getrennter
Nervenfasern, Vermeidung von Blutcoagulationen und Nekrosenpunkten, damit
schließlich die supponierte Chemotaxis eine tadellose Nervenvereinigung
herbeiführen kann. Die Möglichkeit der Nervanastomosierung endet nicht
mit dem Verpflanzen von gleichartigen Nerven auf gleichartige, sondern es
können anch Nervenfasern verschiedener Funktion miteinander verbunden
werden. Hier öffnet sich ein Ausblick auf die Behandlung gewisser neuro-
pathischer Zustände, welche früher nicht beeinflußt werden konnten (Bulbär->
paralyse, Hebung des Muskeltonus eines gelähmten Pharynx). (Alhrecht)
Marion (285) betont in seinem Vorwort, daß die Chirurgie des Nerven-
systems allerdings noch zuriickstehe gegenüber der der übrigen Eingeweide,
daß aber der Mangel genauer Diagnosen, die große Bedeutung aller einzelnen
nervösen Gebilde und der Mangel an Übung infolge geringen Materials wohl
die Hauptursachen dieser Erscheinung seien. An der Hand ganz hervor-
ragend klarer Abbildungen beschreibt er die chirurgischen Eingriffe sowie
die Verletzungen und Erkrankungen des Schädels und Gehiras, die zu Ein-
griffen berechtigen, ebenso bearbeitet er Wirbelsäule und Rückenmark und
die peripheren Nerven, Von Interesse sind besonders die Kapitel über
traumatische Epilepsie und Hirntumoren.
Bezüglich der traumatischen Epilepsie gibt M. an, daß die operativen
Resultate meistens günstige sind; die Anfalle hören sofort auf oder werden
zunächst schwächer und von kürzerer Dauer, um nach einigen Tagen aufzu-
hören; bei Mißerfolgen muß man event. an einer anderen Stelle die Läsion
suchen und dann dort operieren, oft verhilft erst eine zweite oder gar dritte
Operation zu einem Dauererfolg. Daneben muß natürlich Brom und Bella-
donna angewandt werden.
Die Hirntumoren betreffend, bestreitet M. die optimistischen Resultate
anderer Autoren; er nennt die operativen Erfolge nur mittelmäßig; Schuld
daran trügen auch die internen Kliniker, welche sich zu selten zu einer
Probetrepanation entschlössen, die auch nicht gefährlicher sei als eine Probe-
laparotomie; wenig mehr als 7^0 der Tumoren eignen sich nach Sitz und
Größe für die Operation; leider sei im übrigen auch nach der Tumor-
entfernung noch vieles für den Kranken zu befürchten (Narbenbildung usw.).
Bemerkenswert erscheint die Freimütigkeit, mit welcher M. bei Wirbel-
saulentuberkulose der Kinder die Ernährung mit rohem geschabten Pferde-
fleisch, das frei von Taenien und Tuberkulose sei, empfiehlt. (Davichohn.)
SeMdelfrakturen. Scbädeldefekte, Scbadeltrepanatlon, traumatische
Schadelverletzungen, SchSdel-Schussverletzungen, Gesichtsverletzung.
Den Gerichtsarzt interessieren, wie Hoppe (212) ausführt, Schädel-
brüche besonders in diagnostischer Beziehung; aus den Schädelbrüchen an
der Leiche soll er die Todesart bestimmen, ob Verbrechen, Unfall oder
natürhche Todesart vorliegt; bei den Schädelbrüchen des Lebenden muß er
die Beschränkung der Erwerbsfähigkeit abschätzen.
Es handelte sich im vorliegenden Falle von Croce (94) um einen
17jährigen Pferdeknecht, der durch einen Pferdehufschlag eine schwere
ggO Chirurgische Behandlung der Xerrenkraiikheiien.
komplizierte Schädelfraktur au der Stirn erlitt Nach der Operation pro*
labierteu nekrotiflche Massen beider Stimhirne. Wie die Sektion des a&
Meningitis verstorbenen Patienten erwies, erstreckte sich der Stimhiradefekt
rechts auf den unteren Teil der ersten und zweiten Stirnwindung, links auf
den unteren Teil der ersten und zweiten und die Spitze der dritten, und
zwar nur auf ihre Vorder-, nicht auf ihre Unterflächen, die intakt warsD.
Der rechte Defekt war 2^1^ cm hoch, 2^/^ cm breit, der linke 2Vt cm hoch,
4 cm breit Die neurologische Untersuchung des Patienten hatte in Bezug
auf Ataxie, Sprache und Keflexe nichts abnormes ergeben, bis auf Unfähig*
keit sich aufzurichten, zu sitzen oder zu stehen. Außerdem ließ Pattieat
fast regelmäßig Urin und Kot unter sich. Die psychiatrische Analyse bot
ebenfalls wenig Auffälliges. Das Bewußtsein war nicht gestört, der Patient
erkannte seine Umgebung, die Intelligenz war intakt, er rechnete gut, konnte
auf Befragen des Greistlichen Katechismussprtiche aufsagen usw. Der
Charakter bot keine Veränderung, er war gutmutig, teilnahmsToli und scham-
haft Nur die Stimmung war im Gegensatz zur Schwere der Krankheit
auffällig heiter. Patient pfiff, sang und sprach viel. (Karpln$,)
Cantas (65) teilt einen Fall von Schußverletzung des Gehirns mit^
der Tom chirurgischen Standpunkte aus interessant ist und die Frage nach
der Funktion einzelner Gehirnteile zu beleuchten imstande ist. Es handelte
sich um einen 24jährigen Soldaten, der acht Jahre vorher im Jahre 1897
im griechisch-türkischen Kriege einen Schuß 1 cm oberhalb der Mitte der
rechten Augenbraue erhielt mit einer Ausgangsöffnung der Kugel 1 cm
oberhalb und hinter dem oberen Rande des rechten Ohres. Tiefes ComA
war nach der Verletzung eingetroffen, und es wurde die Trepanation aus-
geführt und zur Entfernung der Geschoßtrümmer geschritten; trotzdem der
Soldat etwa 75 g Gehirnsubstanz durch die Zerstörung in der rechten fronto-
temporalen Gegend des Gehirns verloren hatte, so war weder ein motorischer,
sensitiver oder psychischer Defekt eingetreten. Erst drei Jahre nach der
Verletzung begann der Patient über leichten Schwindel, der noch vorhanden
ist und besonders nach Anstrengungen eintritt, zu klagen und in der letzten
Zeit über Kopfschmerz, Schlaflosigkeit, Herzklopfen und leichte Gedächtnis-
abnahme. C. hebt deshalb hervor, daß trotz größerer Verletzungen im
Frontal- und Temporallappen jede motorische, sensible, psychische und
Gehörsstörung fehlen kann. Der Fall scheint auch dafür zu sprechen, da&
der linke Temporallappen besondere Beziehungen zur Gehörssphäre hat
und selbst der Verlust großer Mengen von Cerebrospinaiffüssigkeit ohne
Bedeutung ist. Eine ausgiebige Drainage von Gehimwunden sei sehr
empfehlenswert. (Bendix.)
Schilderung Horel's (315) dreier durch sofortige Trepanation ge-
heilter Brüche des Schädelgewölbes. Der eine Fall betraf einen Maurer,
der durch einen auf seinen Kopf gefallenen großen Stein einen Schädel-
bruch in der linken Scheitelbeingegend mit Einsenkung eines 5 Frankstück
großen Knochenstücks davontrug.
Beim zweiten Fall handelt es sich um eine Schußverletzung aus
nächster Nähe. Die EintrittsöflEhung des Projektils war in der rechten
Schläfengegend. Eine Austrittsöffnung w^ax nicht vorhanden. Es bestand
eine Monoplegie des rechten Armes.
Im dritten Fall bestand in der rechten P^irietalgegend eine weit
klaffende, ca. 7 cm lange Wunde infolge Schlags mit einer mit Wasser
gefüllten Zinkkanne. Von Zeit zu Zeit traten Krämpfe zunächst im Unken
Bein, dann in sämtlichen vier Extremitäten auf.
Verfasser resümiert sich dafür, daß die sofortige Trepanation geboten ist:
(Jhirargische Behandlang der Nervenkrankheiten. g^l
1. Bei sämtlichen Frakturen infolge Schußverletzungen,
9. In allen Fällen mit Lokalisationssymptomen,
3. In allen Fällen mit Einsenkung des Knochens auch bei Fehlen Ton
Lokahsaticmssymptomen. (Karplus.)
Mrocskowski (321) beschreibt einen Fall Ton Fraktur des Schläfen-
beins mit nachfolgenden Kompressionserseheinungen seitens des Gehirns.
Der 17jährige Knabe wurde von einem Pferde in der G-egend des linken
Schläfenbeins stark Terletzt Bewußtlosigkeit kurze Zeit nach dem erlittenen
Trauma^ dann kehrte das BewaBtsein zurnck, und man merkt zunächst
keinerlei Symptome. Im Laufe der vier folgenden Tage trat allmählich
Sprachstörung und dann TöUige motorische und sensorisehe Aphasie, Som-
nolenz ein. Temperatur normal. Operation. Entfernung ron Knochen-
splittern. Gleich nach dieser Operation wurde der allgemeine Zustand
besser, und an demselben Abend nach der Operation yerstand Patient alles
und sprach sogar einige Worte. Allmähliche Besserung und völlige Heilung.
(Edward Flatan.)
Die Arbeit Stieda's (445) behandelt die Streitfrage der Chirurgen, ob
trauDMitisehe Schädeldefekte gedeckt werden sollen oder nicht. Während
Kocher auf dem Standpunkt steht, daß nicht die Eröffnung, sondern viel-
mehr der Verschluß der Schädelhöhle schädlich sei, und dabei besonders auf
die Erfolge der Schädelöffiaung bei der Epilepsie verweist, tritt S. für die
osteoplastische Deckung Ytm Schädeldefehten ein, indem er seine Ansicht
auf das reiche Material der v.Bramannschen Klinik in Halle stützt, die
mit ihrem Verfahren sehr günstige Resultate aufzuweisen hat. In einem
der angeführten Fälle war infolge eines bestehenden Schädeldefekts Epi-
lepsie aufgetreten. Sie heilte nach dessen osteoplastischer Deckung.
(Karpitts,)
Geheilte Sckädelverletzungen machen häufig noch nach Jahren die
größten Besehwerden, Kop£3chmei*zen, Schwindel, Augenfiimmem und trau-
matische Epilepsie. Die nachfolgende Trepanation unter Zurücklassung eines
Sehädeldefekts ist um so zweckmäßiger und verspricht nach Anseht des
Verfiigsers um so größeren Erfolg, je früher sie gemacht wird, unter den
Tier von €k>r6S (1^5) angeführten, in der Angererscheh Klinik operierten
Palten ist einer gestorben, einer wenig gebessert, ein FaU günstig beeinflußt,
einer, bei dem epilepdforme Anfälle aufgetreten waren, geheilt. (Kerrplus,
Eine sehr fl^Bige Zusammenstellung Pbillpps (354) der notwendigen
Maßnahmen bei den verscMedenen Arten der Schädel^chußverletrangen unter
Berücfcsiehtigung der gesamten Literatur dieses Gebiets. Am Schluß der
Arb«t befinden sich 27 Krankengeschichten zur Illustration des vorher
Gesagten. (Karplus,)
Die vier himchirurgischen Fälle von Raiwlmg (382) betrafen einen
39jährigen Mann mit rechtsseitigem Himabszeß infolge von orbitaler Peri-
ostitis, der geheilt wurde. Femer eine alte Schädelfraktur eines 48jährigen
Mannes mit AbszeSbildung im linken Temporallappen, Trepanation. Heilung.
Der dritte Fall betraf einen 16jährigen jungen Mann, der nach einem
Schlag oberhalb des rechten Ohres bewußtlos geworden war. Die Trepa-
nation stellte eine Schädeldepression fest und führte zur Heilung. Bei dem
vierten Patienten lag eine Depressionsfraktur des linken os frontale vor, bei
der ee gelang, durch Elevation der frakturierten Partie Heilung zu eraielen.
(BefidLr,)
Karewski (2«9) fand bei einem an chronischer Ohreiterung leidenden
17 jahrigen jungen Mann eine perisinuöse Eiterung und Sinus- Jugularisthrom-
bose, welehe die Fteilegung dieses Blutleiters erforderten. Es mußte ein
862 Chirurgische Behandlung der Xervenkrankheiten.
ungewöhnlich großes Schädelsttick entfernt werden nnd aus dem Sinus zer-
fallene Blutgerinnsel sowie die thrombosierte Vena jugularis exstirpiert werden.
Der große Schädeldefekt wurde durch Bildung eines MüUer-Königschen
Lappens plastisch verschlossen. Heilung. (Bendix.)
Poissonnier (362) erörtert die Symptome der Orbitalfrakturen; meist
ist der Patient komatös, zeigt subkonjunktivale Ecchymosen, Rinorrhoe, Augen-
muskellähmungen, Amaurose und sensible Störungen. Abduzensparese spricht
meist bestimmt für Fraktur des Felsenbeins, die sich aber in die Orbita
nicht fortzusetzen braucht. Auch pulsierender Exophthalmus ist nicht immer
die Folge einer Orbitalfraktur. Vor allem aber ist Amaurose mit Lähmung
des Okulomotorius, Trochlearis und der beiden oberen Aste des Trigeminus
für die das Foramen opticum und die Orbitalwand beteiligende Fraktur
charakteristisch. (Bendix.)
Chevrier (78) teilt die Symptomatologie der Felsenbeinfrakturen
mit und unterscheidet drei Formen; die komatöse, einfache und gemischte
Form, je nachdem Bewußtlosigkeit sofort oder erst später durch intrakranielles
Hämatom eingetreten ist. Störungen des Gehörs und Facialisparese sind
die auffälligsten Folgeerscheinungen der Felsenbeinbrücke. (Bendix,)
SeldowitSCh (424) hat unter den durch japanische Geschosse Ver-
wundeten 21 Fälle von Schädelschüssen beobachtet 5 Fälle dayon starben
in den ersten 6 — 12 Stunden. 7 Fälle konnten wegen der geringen Störungen
expektativ behandelt werden. 8 Fälle wurden operiert Letal verliefen fast
stets die nicht penetrierenden Verletzungen,, während die Fälle mit durch-
gehender Verletzung des Gehirns und Schädels größtenteils günstig heilten.
Die Verletzungen mit Gewehrkugeln waren weniger schwer als die durch
Artillerie-Schrapnell-Geschosse. (Bendix.)
55 — 37 % aller von E[rogiU8 (245) beobachteten Friedensschußver-
letzungen waren Schädelschüsse, namentlich bei Selbtsmordversuchen. Die
penetrierenden Schädelschüsse waren nach der Dignität der verletzten Gehirn-
teile von schweren Folgen begleitet, jedoch fanden sich Fälle, bei denen
trotz des Ausflusses von Gehirnbrei aus dem Schußkanal Heilung ohne
Störung der sensiblen oder motorischen Funktionen eintrat Von schweren
Folgen begleitet war die Verletzung der Art. meningea media und der Seh-
nerven mit folgender Erblindung. (Bendix,j
Schmolling (418) teilt einen Fall von traumatischer Verletzung der
Art meningea media mit bei subkutanem Schädelbruch. Heilung durch
schnelle, unter aseptischen Kautelen ausgeführte Aufmeißelung des Schädels,
sofortige Ausräumung des Blutergusses und Unterbindung der verletzten
mittleren Hirnhautarterie. (Bendix,)
Leedham-Oreene (256) berichtet über zwei Fälle von größeren
traumatischen Schädeldefekten, die er erfolgreich nach der König-Müller-
schen Methode zum Verschluß gebracht hat. (Bendix.)
Jalland (222) beobachtete einen 21 Jahre alten Mann, der eine
komplizierte Schädelfraktur in der linken regio frontalis erlitten hatte.
8 Tage nach der Trepanation Odem des linken Auges und nach weiteren
zwei Tagen Kopftetanus (Masseteren, Kaumuskeln). Heilung unter Chloral-
gebrauch. (Bendix.)
Hedges (205) erzielte durch Operation eine auffallende Besserung
der Geistestätigkeit bei einem achtjährigen Knaben, der eine Impressions-
Schädelfraktur erlitten hatte. Der Knabe hatte im 4. Jahre eine Schädel-
fraktur mit Impression der verletzten Stelle erlitten und war seitdem in-
tellektuell verändert und geistig sehr beschränkt Er war sehr reizbar, heftig,
suchte sich fremdes Eigentum anzueigen und bediente sich unpassender Redens-
Chirurgische Behandlung der Nervenkrankheiten. 353
arten. Es fand sich eine etwa 1 cm lange und V4 cm tiefe Impression in
der Mittellinie des Schädels an der Sagittalnaht, nahe der regio prefrontalis.
Der Erfolg der Trepanation dieser Schädeldepressiou war eine auffallende
Besserung der moraUschen and intellektuellen Fähigkeiten des Knaben.
(BendLr.)
Cnshing (99) hat bei vier Neugeborenen mit intra partum spontan
oder durch Forceps entstandenen intrakraniellen Blutungen^ welche Krämpfe^
Coma und Paresen zufolge hatten, die Trepanation ausgeführt. Zwei Fälle
wurden erfolgreich operiert und heilten, ohne irgend welche Ausfallser-
scheinungen zu hinterlassen. Der Eingriff wird von Neugeborenen sehr gut
vertragen. (Bendix.)
Panting (343) teilt einen Fall von komplizierter Schädelfraktur bei
einem achtjährigen Knaben mit, der von einem Wagen überfahren worden
war. Er hatte eine komplizierte Fraktur mit Impression am rechten Os
parietale im Verlaufe des sutura coronalis und eine zweite vertikale Fraktur
etwas weiter nach hinten. Trepanation, gute Heilung. Aber Abduzen sparese
und Optikusatrophie als Folge eiuer gleichzeitigen Fraktur der rechten
Orbita, (Bendix,)
Hathaway (191) teilt einen Fall von Orbitalfraktur bei einem
25 jährigen Manne mit, der sich das rechte Auge verletzt hatte und auf dem
rechten Auge vollständig erblindet war. Optikusatrophie infolge Verletzung
des Nerven im foramen opticum. (Bendix,)
Crispin (93) behandelte einen Araber, der eine schwere komplizierte
Schädelfraktur (Schwerthieb) mit flernia cerebri erlitten hatte. Die Wunde
war 6 V« cm lang, auf dem linken Os parietale, parallel der sutura transversaliä.
Bewußtlosigkeit, Ausfluß von Cerebrospinalflüssigkeit. Somnolenz 25 Tage
lang. Heilung ohne jede Störung von Seiten der Intelligenz oder Motilität.
(Bendix,)
Euminel (247) hat bei einem 33 jährigen Manne, der ein Kopftrauma
erlitten hatte nach Schädelbasisfraktur, woran sich schwere meningitische
Erscheinungen anschlössen durch doppelseitige Trepanation Heilung erzielt.
Die Lumbalpunktion hatte Eiteranwesenheit ergeben, also das Bestehen
einer eitrigen Meningitis bestätigt. K. zweifelt nicht, daß bei der diflfusen
eitrigen Meningitis die Heilungen zwar Ausnahmen sind, aber es dennoch
möglich ist, durch breite Eröffnung der Schädeldecke auch in schweren Fällen
Heilung zu erzielen, wo sonst jede Hoffnung aufgegeben werden müßte.
(Bendix.)
Hinsberg (201) hält die von ihm und anderen ausgesprochene Ansicht,
daß eine diffuse Meningitis als Kontraindikation für jeden operativen Eingriff'
angesehen werden müsse, heute für nicht mehr haltbar. Er ist der Meinung,
daß auf Grund der von ihm behandelten Fälle die Drainage nach Inzision
der Dura den chirurgischen Grundsätzen mehr entspricht, als die Lumbal-
punktion, welche doch nur vorübergehende Besserungen erzielt. (Bendij\)
Hirschel (203) teilt einen Fall von Trepanation bei Meningitis im
Anschluß an Kopferysipel mit. Es handelte sich um einen 17 jährigen
Gymnasiasten, der nach Kontusion des linken Auges ein Erysipel des (Jesichts
bekam, das zu einer Meningitis führte. Die Sektion ergab eine ausgedehnte
Trombose des Sinus longitudinaliä sup., besonders der pialen und zerebralen
Venen der linken Hemisphäre und zwar über den hinteren Stirn- und Scheitel-
lappen. (Bendix.)
Anka (ll) hat bei seinen Beobachtungen über die Geschoßwirkung
des Mannlicher Gewehres gefunden, daß die Nervenverletzuugen an Zahl
nüt der Verbesserung der Waffe zugenonmien haben. In Südafrika sah man
364 Chirurgische BehaDdlnng der Nerreukrankheiten.
Nerven, die schlitzförmig durchbohrt waren. Bisweilen ist die NeryeDsubstaDz
zu Brei verrieben, ohne daß die Nervenscheide makroskopisch nachweisbare
Veränderungen aufweist. (Bendix.)
Marsh (287) berichtet über einen 25jährigen Farmer, der einen
Revolverschuß in die Gegend des linken unteren Skapularwinkels bekam und
danach Gürtelgefühl und Parese der Beine verspürte mit heftigen Scbnerzen
der unteren Thoraxgegend. Blase und Mastdarm gelähmt. Leichte Bessernng
der Beine, besonders rechts. Linke Pupille weiter als rechts. Hypästbesie
an den Beinen, besonders rechts. Analgesie an der Außenseite des recbtea
Beins. Beiderseits fnßklonus, lebhafte Patellarreilexe. Plantarreflex fehlt;
Gang spastisch. Operation: Entfernung des 7. 8. und 9. Dorsalfortsatzes.
Kugel nicht zu finden, aber der Schußkanal und eine Impression am hiot^reQ
Bogen des achten Wirbels, die auf das Rückenmark drückte. EDtfernang
derselben. Resultat: Besserung respektire Heilung aller AusfallserscheinaDgeB
motorischer und sensibler Art. (Benüx,)
Wohl die schwerste je beobachtete Verletzung (bestehend in AbreiBmig
des ganzen Unterkiefers, der Weichteile beider Wangen, der Nasenknorpd
bis hinauf zur Stirn) wurde von Kaposi (227) zur Heilung gebracht, die
fehlenden Teile durch eine Kautschukmaske ersetzt. (Damd»ohn,)
Cbfnirgle der Wlrbelsüals, Lamlnektomie. Skollossnbebandlnni.
Unter Lamlnektomie versteht man, wie Sultan (^8) ausführt, die
Resektion mehrerer Wirbelbogen zwecks Beseitigung einer Rückenmarks-
kompression durch Sequester spondyliöscher Wirbelkörper, töberkulo«
Abszesse, durch Verengerung des Spinalkanals infolgB der zusammea-
gesunkenen und nach hinten gedrängten Wirbelkörper. Die Operation
konunt in Frage, wenn infolge Rückeumarkskompression Paraplegien mit
Rektum- oder Blasenlähmnngen eingetreten sind. Yerf. weist don günstigen
Einfluß der Operation an Krankengeschichten nach, die von in der Leipziger
Universitätsklinik operierten Patienten stammem. Es handelte ^ch da am
Patienten, die infolge von Paraplegien und Blasenlähmung bereits 3 Jahre
bettlägerig waren und kurz nach der Operation ihre Besehwerden fast icSa%
und dauernd verloren. Erschwert wird die Indikationssteliung zur OperatioD
durch das Fehlen eines Kriteriums, ob es sich nur um Kompressions-
erscheinungen des Marks handelt oder irreparable Lähmungen desselben
vorliegen. In letzterem Fall ist eine Operation selbstverständlich überflüssig.
Weitere Bedingungen der Operation sind, daß dev tnberkiriöse Prozeß im
wesentlichen abgelaufen ist und der Patient das 20. Lebensjahr nicht weseB^
lieh überschritten hat. (Karpba,)
Tooth (460) macht auf die großen Fortschritte aufmerkscim, welche
die Diagnostik der Rückenmarksverletzung mit Hilfe der Bestimmnag der
Segmentären Gefühlsstörungen erreicht hat Tooth gibt eine sehemiUJBdie
Darstellung der einzelnen Segmentzonen aus der Cervikal-, Dorsal-, Lumbal-
und Sakralgegend des Rückenmarks und fügt daran eine größere Zahl (19)
von klinischen Fällen, an denen er mit Hilfe von schematiacben Zeich-
nungen und an der Hand der Krankengeschichten den Sitz der versehiedetei
Rückenmarkserkrankung erläutert. In der Mehrzahl der Fälle handelte es
sich um Tumoren, Cysten und Wirbelerkrankungen, deren Lage aus den
Segmentären Gefühlsstörungen bestimmt werden konnte und zu erfolgreicher
Beseitigung der Spinalaffektionen führte. (Bendis.)
Kurze, zusammenfassende Darstellung Vnlpiua (484) über die Behaad-
lungsmethoden der Skoliose in den verschiedenen Stadien. Verf. betont die
Cbirurg^ische Behandlung der J^erTenkraDkheiten. 355
große Aufgabe, die dem praktischen Arzt bei der Prophylaxe und der Früh-
diagnose der Skoliose zufällt. Neues wird nicht gebracht. (Kaiylus,)
Cbilrwrglschs Bshandlnng Yon Krankbsitsn des Gsblrns.
Tofflorsn. Lass csrsbrf.
Eine Zusammenstellung Krause's (244) sämtlicher Indikationen für
die chirurgischen Eingriffe am Gehirn. Hervorgehoben sei hier die Forderung
des Verf., in Fällen kortikaler Epilepsie, bei denen die Trepanation keine
pathologischen Veränderungen in der Zentralregion zeigt, durch Faradi-
sierung und zwar einpolige Reizung, diejenigen Foci an der Hirnrinde zu
bestimmen, die das Zentrum für die Zuckungen sind, die im epileptischen
Anfall zuerst auftreten. So war es ihm möglich, einen Anhaltspunkt für
die Exzision bestimmter Hirnteile zu gewinnen. Einzelheiten siehe Original.
(Karplmr)
Axenfeld (16) weist auf den großen Fortschritt der von Krönlein
inaugurierten Operationsmethode hin, die die Erhaltung des Auges ermöglicht,
während früher bei allen retrobulbären Operationen die Enukleation des
Augapfels erforderlich war.
Verf. fuhrt u. a. einen Fall an, wo er die Diagnose auf Sehnerven-
tumor gestellt hatte. Die Operation nach Krön lein ergab einen den Optikus
umlagernden Echinococcus und besserte die Sehschärfe, die fast erloschen
war, auf Vio- (Karplus,)
Vorkastner (480) macht auf die mannigfachen Schwierigkeiten der
Diagnose eines Tumors der motorischen Region und die damit gegebene
Schwierigkeit der Indikationsstellung zur Operation aufinerksam. Bei dem
heutigen Stande unseres Wissens käme doch in den meisten Fällen die Er-
öffnung des Schädels zum Zweck der Entfernung eines Tumors der Zentral-
windungen nicht über das Niveau einer Explorationstrepanation hinaus.
(Bendix,)
Alexander (6) hofft, daß mit der Verfeinerung der Diagnostik der
Labyrintherkrankungen sich auch die Indikationsstelluug der Eröffnung des
intraduralen Raumes verbessern wird und durch rechtzeitiges Operieren und
Terbesserte Methoden viele Fälle von otogener Meningitis werden geheilt
werden können. (Bindia.)
Borchardt (41) ist es gelungen, durch seine ausgezeichnete Technik
der Operationsmethode Tumoren des Kleinhirnbrückenwinkels vollständig zu
entfernen. B. ertiält nach Entfernung nicht nur der Hinterhauptsschuppe,
sondern auch eines großen Teiles des Felsenbeines, nach Durchschneiduug
des Sinus einen sehr guten Überblick bis zum Pons, ohne vom Kleinhirn
etwas resezieren zu müssen. (Bendix,)
Bibrowicz (30) bringt in seiner Arbeit Beiträge zur Klinik und
Chirurgie des Hirnabszesses und teilt 12 von ihm operierte Fälle mit. Die
Abszesse hatten ihren Sitz im Stirnlappen, im Scheitellappen, Schläfenlappen
und im Occipitallappen. Die meisten von ihm beobachteten Fälle von extra-
und intrazerebralen Abszessen verliefen letal. (Benduv,)
Weintraat (4Ö6) haben die Hirnpunktionen zu diagnostischen und
therapeutischen Zwecken gute Dienste geleistet. Er hat das Verfahren in
Tier Fällen angewandt, nachdem er mit dem Drillbohrer eine kleine Öffnung
in dem Schädel machte. Namentlich bei Flüssigkeitsansammlung in den
Ventrikeln (Hydrocephalus) soll sich das Befinden der Kranken gebessert
haben. (Bendix,)
Jahiesbericht f. Nenrologie und Psychiatrie 1905. &^
366 Chirurgische Behandlung der Nervenkrankheiten.
Voss (481) teilt einen Fall von gummöser Geschwulst des Stirnhirns
mit, der mit der Dura verlötet war und ohne jedes Symptom von Seiten
des Gehirns blieb. Es wurde ein nekrotisches Knochenstück entfernt and
das Gummi aus der Hirnsubstanz entfernt, ohne alle sichtbaren Ausfalls-
erscheinungen. Bei einer anderen Patientin schwanden nacfa Entfernung
von luetischen Sequestern die schweren zerebralen Symptome: Schwindel,
Sprachstörungen, psychische Störungen. (Bendix,)
Stransky (447) steht auf einem vermittelnden Standpunkt zwischen
denen, die überhaupt bei Lues nicht operieren wollen und den leicht zur
Operation geneigten Autoren. Er hält Lues jedenfalls nicht für eine Kontra-
indikation gegen eine Operation, falls die sonstigen Tumorerscheinungen
irgendwie bedrohliche sind. (Davidiokn,)
Cbimrgiscbs Bsbandlimg der ROckenmarkskrankbeltsiL Tabes dorsilis.
Kurze Empfehlung SchÜSSler's (420) der vom Verf. mit Erfolg
geübten blutigen Nervendehnnng bei inzipienter Tabes. Den günstigen Einflofi
dieser Methode auf den tabischen Prozeß führt Schüssler auf die Hyper-
ämisierung der peripheren Nervenenden zurück, die bei der Tabes zunächst
erkranken und stets neuritische Veränderungen aufweisen. Gefährlich ist
diese Behandlungsart nicht. Unter 82 blutigen Nervendehnungen an 44
Patienten verlor Verf. nur einen an Embolie der Lungenarterie.
(Karpbis,)
Bei einer Patientin mit spastischer Lähmung des linken Beines, die
sowohl beim Stehen als in der Ruhelage Kontrakturen in den Hüft- und
Kniegelenken aufwies, und bei der Schl6e (415) die Wahrscheinlichkeits-
diagnose Meningomyelitis luetica im unteren Teil des Brustmarkes stellte,
erzielte derselbe durch Extension in Narkose und nachfolgender Behandlung
mit Hessingkorsett und Kopfstütze funktionell gute Resultate. Es wird
allerdings die Möglichkeit zugegeben, daß ein spondylitischer Prozeß den
Symptomen zu Grunde liegt. (Karplus.)
Schilling (414) teilt einen Fall von schwerer spondylitischer Para-
plegie bei einem 19 jährigen Manne mit, die spontan unter Anwendung der
Rauchfuss sehen Schwebe heilte. Gang spastisch-ataktisch, Romberg, leb-
hafte Kniephänomene. Später vollständige Paraplegie der Beine, Sensi-
bilität zeigt tiefe Störungen für alle Qualitäten, auch Lagegefühl, Fußklonus.
Babinski. Es kann also eine schwere spondylitische Paraplegie spontan
komplett heilen, wie es der beschriebene Fall, der innerhalb 27« Jahren
vollständig heilte, beweist. Als Ursache konnte eine tuberkulöse Spondy-
litis des 5. Brustwirbels, der stärker prominierte, gefunden werden. (BaidU,)
Auerbach und Brodnitz (14) haben bei einer 22jährigen Patientin
einen großen, intraduralen Tumor des Cervikalmarkes mit Erfolg exstirpiert*
Im Beginn heftige Schmerzen im Nacken rechts und im rechten Arm. Ab-
magerung des Arms und Taubheitsgefühl. Links dieselben Beschwerden,
aber geringer. Rechte Pupille enger als linke, Hypästhesie für alle Quali-
täten an der Ulnarseite des rechten Arms bis zum Ellenbogen, links ebenso,
aber geringer. Es wurde die zweizeitige Laminektomie ausgeführt in der
Höhe des IIL — VU. Halswirbels und ein Tumor von 6^3 cm Länge und
14 cm Dicke entfernt. Auffallend schneller, nahezu völliger Rückgang der
Lähmung und Atrophie. Die Ungleichheit der Pupillen rührte von dem
Druck des Tumors auf das Centrum cilio-spinale her. (Bendij.)
Chirurgische Behandlung der Nervenkrankheiten. ggj
lirreitransplaBtatlon bei PoUofflysUtls anterior. Sebnentransplantation.
Spiller und Frazier (437): Die akute anteriore Poliomyelitis wird
allgemein als eine Entzündung der grauen Substanz der Vorderhörner an-
gesehen. Je nach der Ausdehnung der Zerstörung oder Affektion der dort
gelegenen Zellen tritt eine vollständige oder teilweise Lähmung der zu-
gehörigen Muskulatur ein. Eine Gesundung der kranken Zelle Mhrt meist
ein entsprechendes Funktionieren der zugehörigen Muskulatur wieder herbei.
Es gibt aber auch Muskeln, welche überhaupt nicht wieder ihre Bewegungs-
fähigkeit erlangen. Arzneiliche Behandlung, Massage und Elektrizität haben
hierbei gar keinen Nutzen, doch gestatten einzelne Fälle ein chirurgisches
Eingreifen, welches oft von Erfolg gekrönt ist. Die Operation ist etwa nach
6 Monaten nach Eintritt der Lähmung vorzunehmen, da um diese Zeit mit
relativer Sicherheit anzunehmen ist, daß ein Wiedergewinnen der kontrak-
tilen Fähigkeit des Muskels ausgeschlossen ist, wiewohl immerhin noch später
spontane Funktionserwerbung desselben eintreten kann. Fälle, in denen es
sich um ein Glied in seiner Totalität oder um den größeren Teil eines
Gliedes handelt, eignen sich nicht für eine chirurgische Intervention. In
Betracht kommen nur solche Fälle, in denen einzelne Muskeln gelähmt sind.
So wurde z. B. ein Kind, welches infolge einer Poliomyelitis anterior an
einer Lahmung des musculus tibialis anterior bei zweijähriger Dauer der
Krankkeit litt, auf chirurgischem Wege der Besserung zugeführt. Vielleicht
kann man sogar von einer völligen Heilung sprechen, da das Kind einen
Tollständig normalen Gang hat und die Innenseite des Fußes fast mit nor-
maler Kraft aufheben kann. Ein zweiter Fall zeigt weniger günstige Resultate.
Es handelt sich um eine Paralyse in der peronealen Muskelgruppe. Die
Methode der Nerventransplantation, wie sie die obigen Autoren angeben,
imterscheidet sich von der von Peckham 1900 angegebenen dadurch, daß
der letztere gesunde Fasern durchschneidet und sie mit degenerierten ver-
bindet, während die ersteren nur gesunde Nervenfibrillen in die gelähmten
Muskelpartien einpflanzen. (Albieclu,)
Ynlpius (486) gibt eine sehr kurze, klare Übersicht über die Methoden,
die der operativen orthopädischen Chirurgie bei der Behandlung der spinalen
Kinderlähmung zu Gebote stehen. Neben der Tenotomie, Sehnentrans-
plantion, Arthrodese usw. werden in letzter Zeit noch Tenodese und Nerven-
implantation versucht. Über den Wert der beiden letzten Methoden steht
ein zuverlässiges Urteil noch aus. (Karplus,)
Der Titel besagt den Inhalt Es werden in kurzem von Müller (323)
die chimrgischen Behandlungsmethoden der verschiedenen Folgezustände der
Kinderlähmung mit ihren mechanisch-physiologischen Grundlagen erörtert.
(Karplus,)
Hackenbrnch (179) berichtet von 33 Fällen mit spinaler Peroneus-
lähmung, die mit Nervenpfropfung (und zwar eines gesunden zentralen Faser-
lappens in eine Schlitzwnnde des gelähmten Nerven) behandelt wurden: in
einem Falle mit sehr gutem Resultat. (Davidsohn,)
Oppenheim (340) weist in der kurzen Mitteilung darauf hin, daß von
den Orthopäden die positiven Erfolge ihrer Operationen bei Lähmungs-
zttstanden der Extremitäten zu stark betont werden, daß aber vor allem
häufig ganz zwecklose Eingriffe gemacht werden an Extremitäten, die eine
totale Lähmung sämtlicher Muskeln aufweisen. In wie leichtfertiger Weise
selbst von hervorragenden orthopädischen Chirurgen bisweilen vorgegangen
wird, zeigt er an drei Fällen, wo bei einer progressiven Muskelatrophie (neu-
rotische Form), bei einer Poliomyelitis anterior chronica mit deutlich fort-
ggg Chirurgische Behandlung der Nervenkrankheiten.
schreitenden Charakter und einem Wirbeltumor, der KompressionserscheinuDgen
machte, Sehnentransplantationen vorgenommen worden waren. (Karplus.)
Doberauer (113) gibt als Vorbedingung für die Ausführung der
Sehnentransplantationen bei Lähmungen einen irreparablen, definitiven Zu-
stand an, der spontan keine Heilung oder Besserung verspricht. Erst lange
nach Ablauf der zentralen nervösen Erkrankung und nachdem trotz elek-
trischer und anderweitiger Übungstherapie die Heilung keine Fortschritte
macht, dürfe zum chirurgischen Eingriff geschritten werden. (Bendix.)
Lombalpanktion.
Beobachtet man nach Devraigne (Hl) nach der diagnostischen
Punktion eine Besserung, so gelingt es meistens durch wiederholte Punktion
Heilung herbeizuführen, bei meningealen Blutungen der Neugeborenen.
Die Lumbalpunktion hat nach Ley (269) sicheren Heilwert bei Hydro-
cephalus und Meningitis; da sie eine harmlose Methode darstellt, kann man
sie ferner versuchen bei Chorea, Eklampsie, Incontinentia urinae usw.
Buck (58) behandelt die Entstehung, die physikalischen und chemischen
Eigenschaften der Cerebrospinalflüssigkeit, sodann ihre diagnostische und
therapeutische Bedeutung. Therapeutisch wirkt die Lumbalpunktion durch
Entlastung der nervösen Zentren von übermäßigem Druck und durch Ab-
leitung toxischer Substanzen, besonders bei Meningitisformen. Der Psychiatrie
leistet sie geringe Dienste. Die Punktion mit nachfolgender Injektion ist
noch im Stadium der Versuche, scheint aber für die Zukunft große Bedeutung
zu haben. (Davidsohn,)
Die Arbeit Rehm's (383) stammt aus der psychiatrischen Klinik zu
München. Bei 91 Punktionen an Geisteskranken fand der Verfasser, daß die
Untersuchung der Cerebrospinalflüssigkeit auf Lymphocyten (Cytodiagnose)
für die Diagnose wertvoll sei. Positiver Befund, i h. Vermehrung der
Lymphocyten spricht für Hirnlues resp. progressive Paralyse. Negativer
Befund schließt Lues resp. Paralyse aus.
In differentialdiagnostisch schwierigen Fällen ist nach dieser Richtung,
wie der Verf. meint, die Lumbalpunktion von entscheidender Bedeutung.
Die Methode muß noch durch Zählung der Lymphocyten und feinere Unter-
scheidung der in der Cerebrospinalflüssigkeit vorkommenden Zellen weiter
ausgebaut werden. (Karplus)»
Das Thema ist von Quincke (374) mit großer Klarheit dargestellt.
Alles Wissenswerte über die Cerebrospinalflüssigkeit in chemischer, physika-
lischer, bakteriologischer und mikroskopischer Hinsicht ist kurz zusammen-
gefaßt, der diagnostische und therapeutische Wert der Lumbalpunktion für die
verschiedenen in Betracht kommenden Affektionen eingehend erörtert Auch
bei Erkrankungen des Zentralnervensystems, wie Tabes, progressiver Para-
lyse, Hirntumoren und bei Psychosen (Demenz u. a. m.) hat die Lumbal-
punktion durch gesteigerten Druck der Cerebrospinalflüssigkeit und Ver-
mehrung der in ihr beflndlichen Lymphocyten bestehende meningeale Reiz-
erscheinungen erkennen lassen, die ohne Lumbalpunktion der Beobacbtung
entgangen sind und entgehen. Einzelheiten müssen im Original nachgelesen
werden. (Karpbis.)
Alezander (8) wendet sich gegen den von Sondermann gemachten
Vorschlag (Nr. 25 derselben Zeitschrift), bei akuter Meningitis die Punktion»-
kanüle mehrere Tage liegen zu lassen, um öftere Punktionen zu vermeiden.
A. hält das Verfahren für gefahrlich wegen der Infektionsgefahr und der
Gefahr des Abbrechens der Nadel. Die gewöhnliche Punktion könne viel-
Chirurgische Behandlung der Nervenkrankheiten. QßQ
mehr mit Leichtigkeit öfter wiederholt werden. Die Möglichkeit, den
Duralsack, wie Sonder mann vorschlägt, mit Kochsalzlösung in wirksamer
Weise auszuspülen, hält A. für ausgeschlossen, derartige Versuche aber nach
experimentellen Erfahrungen für gefährlich. (Autweferat.)
Carridre (67) teilt acht Fälle nervöser Urämie mit, bei denen er
die Lumbalpunktion therapeutisch angewandt hat. Hiervon waren bei vier
die Ergebnisse durchaus negativ; von den übrigen wurde einer gebessert,
aber der weiteren Beobachtung entzogen, die drei anderen wurden geheilt
entlassen. C. ist der Überzeugung, daß die Cerebrospinalflüssigkeit bei den
Patienten mit nervöser Urämie hypertoxisch ist. Die Ätiologie ist aber
noch unklar; es gibt Fälle, bei denen ein Gehimödem die Ursache ist,
andererseits liegt öfters eine Kompression vor infolge der zu großen Spannung
der Cerebrospinalflüssigkeit, und endlich ist fraglos häufig die Hypertoxizität
der f^üssigkeit verantwortlich zu machen. Die Lumbalpunktion kann in
allen Fällen nützlich sein, um die Spannung der Cerebrospinalflüssigkeit
herabzusetzen, oder um die ödematöse Exsudation zu entfernen oder die
hypertoxische, die Zellen der Hirnrinde irritierende Flüssigkeit auszuscheiden.
(Bendix,)
Tobler (458) hält die Lumbalpunktion therapeutisch bei einer Reihe
von im kindlichen Alter auftretenden Erkrankungen des Gehirns und Rücken-
marks für berechtigt. Üble Zufälle hat er nicht beobachtet. Mit der
Lmnbalpnnktion wurden von ihm Fälle von Meningismus, eitriger und seröser
Meningitis behandelt. Auch bei epidemischer Genickstarre erzielte er thera-
peutische und palliative Erfolge. Besonders aber bei chronischem Hydro-
cephalus hat er in 15 Fällen Lumbalpunktionen ausgeführt. Bei sekundärem
Hydrocephalus nach Meningitis erzielte er einige Erfolge. Auch in einem
Falle von postmeningitischer Idiotie hat T. die Lumbalpunktion versucht.
(Bmdix,)
Voss (482) führt Fälle von Heilungen der otogenen eitrigen Meningitis
an. Für die Richtigkeit der Diagnose sprach meist der Befund der Cerebro-
spinalflüssigkeit, welche unter erhöhtem Druck stand und Eiter enthielt. In
einem Falle enthielt der getrübte Liquor überwiegend mononukleäre Leuko-
cyten. (Bertdia;,)
Gmnert (175) hebt die Wichtigkeit der Lumbalpunktion für die
Ohrenheilkunde hervor. Bei für das Vorhandensein einer infektiösen Hirn-
sinusthrombose, eines Extraduralabszesses oder eines Hirnabszesses sprechen-
den klinischen Symptomen, die auf die Möglichkeit einer schon bestehenden
diffusen eitrigen Meningitis rechnen lassen, ist die Lumbalpunktion angezeigt.
Ist der dabei gewonnene Liquor makroskopisch von normaler kristallklarer
Beschaffenheit, dann besteht keine Meningitis und ist trotz noch so bedroh-
licher Zerebralerscheinungen die Hoffnung vorhanden, operativ mit Erfolg
einzugreifen. (Bendix.)
Epldurale Injektionen, Spinalanalgesie.
Eine begeisterte Empfehlung Preund's (143) der Anwendung der
Rückenmarksanästhesie mittels Stovain Suprarenin bei sämtlichen in der
Gynäkologie in Betracht kommenden Operationen der Leibeshöhle. Injiziert
wurden 1,5 ccm der Billonschen Mischung (enthaltend pro ccm 0,00013
Borate de Suprarenine und 0,04 Stovaine und 0,0011 Chlonire de Sodiiim).
Die ünempfindlichkeit erstreckte sich von den Zehen bis zur Mamilla, trat
4—5 Minuten nach der Injektion ein und hielt 1^2 Stunden an. Die Neben-
wirkungen waren unerheblich, jedenfalls geringer als bei Allgemeinnarkose.
(Karphis,)
870 Chirurgische Behandlang der Nervenkrankheiten.
Die Lumbalanästhesie erspart nach Müller (324) der Kreißenden in
der Anstreibungsperiode den Wehenschmerz und gestattet schmerzlose Vor-
nahme von Extraktion, Wendung, Zange-Plazentarlösung, Dammnaht be-
sonders in klinischer Behandlung, für allgemeine Praxis ist die Narkose ein-
facher; ebenso ist die Lumbalanästhesie erfolgreich bei allen gynäkologischen
Eingriffen, bei denen das Peritoneum nicht eröffnet wird. Ob Adrenalin-
kokain oder Tropakokain vorzuziehen ist, läßt sich noch nicht sicher ent-
scheiden. (Davidsolui.)
An der Hand von 100 Fällen kommt Colombani (88) zu folgenden
Schlüssen. Die Normaldosis ist 8,5 cg. Die Methode soll nur angewandt
werden, wo Lokalanästhesie nicht ausreicht. Die Gefährlichkeit der Methode
ist erst an größerem Material sicher zu beweisen. Weder hohes Alter noch
Schwäche kontraindizieren sie; sie ist anwendbar bei allen schmerzhaften
Eingriffen an der unteren Hälfte des Körpers, wofern sie nicht länger als
1^/2 Stunden dauern. (DavicUohn.)
Hirsch (202) empfiehlt die von Cathelin eingeführten epiduralen
Injektionen, welche durch den Hiatus sacralis in den untersten Teil des
Wirbelkanals gemacht werden. Letzterer ist durch den tastenden Finger
leicht zu finden, oder kann durch den Kreuzungspunkt jener zwei Linien
leicht gefunden werden, welche die Spinae post. sup. mit der Tuberositas
ossis ischii verbinden. Injektionsflüssigkeit 0,2 ^o Kochsalzlösung mit etwas
Kokain. Die Injektion muß langsam erfolgen, kann auch an ambulanten
Kranken vorgenommen werden; die Asepsis braucht nicht übertrieben zu
werden. Die Einspritzung ist nicht schmerzhaft; in 17 % der Fälle leichte
unangenehme Sensationen; eine stete Folge ist ein Wärmegefuhl in den
Genitalien; die cystoskopische Untersuchung ergab bedeutende Hyperämie,
namentlich im Trigonum vesicale. Verfasser berichtet über günstige Erfolge,
welche er in 27 Fällen von Enuresis und drei Fällen von „reizbarer Blase-
erreicht hat. Bei 70 7o war der Erfolg schon nach der ersten Injektion
nachweisbar, doch empfiehlt H. mindestens drei Injektionen in Pausen von
1 — 2 — 3 Tagen. Injektionsflüssigkeit bei Erwachsenen 10 ccm, dann
sukzessive bis 20 ccm ansteigend. Der Erfolg bleibt aus, wenn das Leiden
veraltet oder Patient schon verschiedene Behandlungen durchgemacht hat
Verfasser erklärt den Erfolg mit der bewirkten Hyperämie der Blase, wodurch
die Empfindlichkeit des Blasenhalses gesteigert wird, weshalb der Reiz mehr
zur Geltung kommt, so daß derselbe den Patienten aus dem Schlafe erweckt.
Das Aufhören der Enuresis nocturna wieder befreit den Patienten von der
Furcht des Nässens in der Nacht, wodurch die psychisch bedingte Pollakurie
während des Tages aufhört. (Hudavernig,)
Bier (32) empfiehlt bei Operationen unterhalb der Beckenschaufeln,
besonders bei Individuen, für die die Allgemeinnarkose erhebliche Gefahren
besitzt, die Rückenraarksanästhesie mittels Stovain- und Paranephrin- resp.
Suprarenin-Zusatz.
Durch die Kombination dieser beiden Mittel hat die Rückenmarks-
anästhesie ihre Gefahren fast völlig verloren, unter 102 Fällen so erzeugter
Rückenmarksanästhesie sah Bier auch nicht einen gefährlichen Zufall, acht
leichte Begleiterscheinungen, einmal einen leichten Kollaps, 7 mal Erbrechen,
10 erheblichere Nachwirkungen, die in heftigen Kopfschmerzen und Er-
brechen bestanden und bis zu zwei Tagen anhielten. Im allgemeinen waren
die Nachwirkungen erheblich geringer als bei der Allgemeinnarkose.
Ein Übelstand der Methode ist, daß sie bisweilen versagt. Die Zahl
der Mißerfolge dürfte sich aber bei Vermeidung aller technischen Fehler und
bei hinreichender Erfahrung nicht über 2^8 % belaufen.
Chirurgisclie Behandlung der Nervenkrankheiten. 871
Außer auf das oben angeführte Gebiet möchte Bier die Anwendung
der Rückeumarksanästhesie noch auf die Tierheilkunde, die Physiologie und
die Kriegschinirgie ausgedehnt wissen.
Im letzten Falle kommen als besondere Vorteile der Methode in
Betracht, die Möglichkeit mit geringer Assistenz zu operieren und die
Leichtigkeit, große Mengen eines leicht sterilisierbaren und unveränderlichen
Anästhetikums transportieren zu können. (Karplus.)
Hnssel (404) hält die Spinalanalgesie für ein anssichtsvolles Mittel
gegen Tetanus und Strychninvergiftung. R. nimmt an, daß Strychnin-
krämpfe einzig infolge von Reizung des Rückenmarks auftreten. Nach
Durchschneidung der hinteren Stränge treten sie nicht auf. Kokainisation
oder Eukainisation des Rückenmarks ersetzt physiologisch die Durch-
schneidung der Hinterstränge. Auch tetanische Krämpfe entstehen aus der-
selben Ursache und auf demselben Wege. Ein von ihm mit Spinalanalgesie
behandelter Tetanusfall ergab ein gutes Resultat Deshalb empfiehlt er die
Spinalanalgesie bei Tetanus- und Strychninkrämpfen. (Bendix,)
Mit Spinalanalgesie, und zwar unter Anwendung von Tropakokain in
Spinalflüssigkeit gelöst, hat Völker (478) 40 Fälle operativ behandelt. Er
fand die Spinalanalgesie sehr gut brauchbar bei allen Danmioperationen,
den äußeren Genitalien und deren Umgebung, der Scheide und für
Operationen am Uterus, bei denen das Peritoneum nicht eröffnet wird. Die
Wirkungen sind unsicherer bei Operationen am Peritoneum. Für Laparo-
tomien eignet sich die Spinalanalgesie im allgemeinen nicht Bei Hernien-
operationen läßt die Methode oft im Stich. (Bendix.)
Knrzwelly (248) hat bei 53 Fällen die Medullaranästhesie zur An-
wendung gebracht und sich der nach Brauns Angaben hergestellten Kokain-
Suprarenintabletten bedient, die je 0,01 Kokain und 0,0001 Suprarenin ent-
halten.
Nachwirkungen traten nur fünfmal auf, sonst gelang die Injektion fast
immer. Es handelte sich um 15 weibliche und 38 männliche Personen mit
chirurgischen Leiden des Unterkörpers. Die volle Höhe erreichte die An-
ästhesie gewöhnlich erst nach zehn Minuten und hielt mindestens eine
Stunde an. Gefährliche Zufalle hat K. nie gesehen. (Bendia.)
Nensebaner (331) fand, daß die Spinalanalgesie sehr wertroU bei
Operationen am Rektum ist, da nach der Injektion der Anus ganz weit
klafft und man ohne weiteres den unteren Abschnitt des Rektums be-
sichtigen kann. (Bendix.)
Puster's (151) Erfahrungen über Spinalanalgesie sind folgende: JDie
Spinalanalgesie als solche erwies sich, Tropakokain als Injektions-, Cerebro-
spinalflüssigkeit als Lösungsmittel, sowie die notwendigen aseptischen
Eautelen vorausgesetzt, stets als ein quoad vitam gefahrloser Eingriff. Sie
erwies sich für alle jene, im Mittel zirka eine Stunde dauernden operativen
Eingriffe, welche an den von Nabelhöhe nach abwärts gelegenen Körper-
teilen vorzunehmen sind, als ein größtenteils gut brauchbares Anästhetikum.
Die Vorteile gegenüber der Inhalationsnarkose bestehen in der Gefahrlosig-
keit, und darin, daß die Begleiterscheinungen intra- und post operationem
meistens geringer sind, als bei der Narkose, Bis auf einen Fall traten
keine Folgeerscheinungen auf. Eine Inhalationsnarkose nach Spinal-
analgesierung ist fast immer leichter, als sonst die Narkose wäre.
Kontraindiziert ist die Spinalanalgesie im Alter unter zehn Jahren und bei
akut entzündlichen eitrigen Prozessen. (Bendix,)
Eendirdjy und Burgaud (232) haben 140 neue Fälle von Rachi-
Stovainisation zusammengestellt und keinen Mißerfolg gesehen. Die
372 Chirurgische Behandlung der Nervenkrankheiten.
Maximaldosis für die Operation betrug 0,04—0,06 g. Bei kleinen Ein-
griffen am Damin, so bei Zirkumzision genügten sogar oft 0,03 g.
(Bendix.)
Tuffler (465) bat bisher mit Stovain 80 Operationen ausgeführt, und
zwar an den unteren Extremitäten, am Perineum, Rektum, Anus, Skrotum,
Testikel, Blase, Uterus, Hernien und an einigen Fällen von Appendizitis.
£s hat die Rückenmarksanästhesie bei den übrigen Bauchoperationen auf-
gegeben und für das Stovain dieselben Indikationen wie für das Kokain
gestellt. (Bendut.)
Freindeberger (369) hat 346 Rückenmarksanästhesien ausgeführt.
P. benutzte meist Tropakokain, wobei die Dosis von 0,06 überschritten
wurde, ohne üble Folgen hervorzurufen. Nur funfinal wurde Eukain an-
gewandt. Es gelangten in der Inguinal- und Unterbauchgegend 174 Ein-
griffe zur Ausführung; bei 163 freien Hernien war 137 mal komplette. 11 mal
oberflächliche und 10 mal keine Wirkung. Bei 10 inkarzerierten Hernien
und 1 Sectio alta komplette Wirkung. In der Dammgegend wurde 59 mal
operiert mit fast stets kompletter Wirkung. An den unteren Extremitäten
war die komplette Wirkung etwas weniger konstant, als bei den in der
Dammgegend ausgeführten Eingriffen. (Bendir.)
Köder (238) hält die Lumbalanästhesie für ein glänzendes chirur-
gisches Hilfsmittel besonders in kleinen Spitälern, wenn es gelänge, ein dem
Kokain ebenbürtiges, aber uugiftiges Surrogat zu finden. (Bendix,)
Ritter V. Karas (228) berichtet über seine mit Tropakokain-
Anästhesie des Rückenmarks erzielten Resultate. Er sah nie irgendwelche
Nebenwirkungen während der Operation, trotzdem er Dosen von 0,06 bis
0,10 g benutzte. Er übte seine Methode an 22 Fällen aus, die im Alter
von 23 Jahren standen, bis auf einen 64jährigen Mann. Es wurden in
Lumbalanästhesie operiert: 5 mal Bassinische Radikaloperation des Leisten-
bruches, 1 mal Operation bei Samenaderbruch, Hodenkastration (Tuberkulose)
und Appendizitis. 3 mal Faqueliuisierung von Hämorrhoidalknoten, je
1 mal tuberkulöse Periproktitis, Resektion des Kreuzbeins, tuberkulöser flüft-
abszeß, Phlegmone am Oberschenkel, Meißelung am schlecht geheilten Unter-
schenkel, Schußwunde mit Phlegmone, Amputation des Unterschenkels,
Pirogoffsche Amputation, Resektion der Prostata. (Bmdix.)
Tilman (456) glaubt, daß wir in der Lumbalanästhesie durch Ein-
führung des Stovains eine wesentliche Bereicherung unserer Anästhesierungs-
technik sehen müssen, die in allen Fällen, wo es sich um Operationen bis
zum Nabel handelt, indiziert ist, wenn irgend ein Anlaß die Narkose ver-
bietet. Auch bei den Fällen von Ischias, bei denen jede Therapie ver-
geblich ist, und bei denen die unblutige Dehnung des Nerven wegen der
großen Schmerzhaftigkeit nicht möglich ist, sollte eine Stovaininjektion ver-
sucht werden, um während der gewöhnlich vier Tage dauernden Schnien-
losigkeit die Dehnung vorzunehmen, (Bendix.)
Sonnenburg (432) hat an 57 Fällen seine Beobachtungen über
Stovain-Anästhesie des Rückenmarks gemacht und glaubt, daß die Rücken-
marksanästhesie eine Umwälzung in der Frage der Narkose hervorrufen
wird. S. glaubt, daß durch ein planmäßiges, vorsichtiges Vorgehen die An-
ästhesie nicht allein für die unteren Extremitäten und die Bauchhöhle durch
das Stovain erlangt werden wird, sondern daß auch die oberen Extremitäten
dem Einfluß dieses Anästhetikums bei der Lumbalpunktion unterliegen
werden. Es wurde im Durchschnitt 0,05 Stovain gebraucht Dauer der
Narkose im Durchschnitt Vj^ Stunden. (Bmdix,)
Chirurgische Behandlung der Nervenkrankheiten. g73
Cbirorgle der perlpberlseben NMryen.
Die Arbeit van Lier's (271) zerfällt iu einen chirurgischen und
physiologischen Teil und wurde veranlaßt durch eine Operation einer eine
Medianusparalyse verursachenden Narbengeschwulst an einem Oberarm eines
Patienten der Amsterdamer chirurgischen Klinik. Durch Längsinzisionen
iu die Narbemnassen, welche den Nerven komprimierten, Herauspräparierung
des von Bindegewebe durchwachsenen Nerven und Verlagerung desselben
in einen intakten Bindegewebsspalt gelang es, den Nerven faradisch und
galvanisch wieder erregbar zu machen und die motorische Funktion der von
UuD versorgten Muskeln, die vorher Entartungsreaktion zeigten, zur Norm
zurückzuführen.
In der Besprechung der Theorien, die diesen Heilungsvorgang erklären
wollen, kommt der Verfasser zu dem Schluß, daß durch den Druck auf den
Nerven das Axoplasma fortgedrückt wird, der Nerv seine Leitfähigkeit ver-
liert und dieselbe erst wiedergewinnen kann und wiedergewinnt, wenn durch
Aufhebung des Druckes durch Inzisionen des umschnürenden Bindegewebes
das Axoplasma wieder zurückströmen kann.
Zu dieser Ansicht wurde der Verfasser durch seine physiologischen
Untersuchungen gebracht. Er experimentierte an dem Ischiadikus von Rana
temporaria, dessen Halsmark er durchschnitt. Die Kompression des Nerven
übte er mit fließendem Wasser oder Quecksilber aus. Er beobachtete nun
die Einwirkung des Drucks auf die latente ßeizdauer des Nerven, die Be-
ziehungen zwischen Hubhöhe und Dauer der Druckwirkung und die Zeit
der Wiederherstellung nach verschwundener Leituugsfähigkeit. Der kom-
primierte TeU^ der Nerven wurde zwecks mikrosl^opischer Untersuchung
herausgeschnitten, unter fortdauerndem Dnick 10 Minuten in Pormalinlösung
fixiert und darauf nochmals nach Aufhebung des Druckes 10 Minuten in
derselben Lösung gehärtet. Die mikroskopische Untersuchung zeigte u. a.
als Wesentlichstes, daß das Axoplasma, das den Achsenzylinder umgibt,
fortgedrückt war und dem Myelin, in das es hineingepreßt war, ein körniges,
radiär gestreiftes Aussehen gab. Einzelheiten sind im Original nachzulesen.
(Karplus.)
Bardesco (22) erzielte bei einem 33 jährigen Arbeiter, welcher an
schmerzhafter Gangrän des linken Fußes litt, durch die Resektion der Nervi
peronei und Tibialis in der Kniekehle ein Nachlassen der Schmerzen und
Demarkation der gangränösen Teile. B. schlägt vor, in geeigneten Fällen
entweder die Resektion der Nerven oder die Neurotomie mit nachfolgender
Naht auszuführen. (Bendix.j
LÖmiqnist (276) traf im russisch-japanischen Kriege recht häufig
verschiedenartige Läsionen der peripheren Nerven, besonders im Plexus
brachialis, N. ulnaris und Plexus sacralis. In 2 Fällen lag das Bild einer
reinen Neuritis vor nach einer Schußverletzung. Verletzungen des Rücken-
markes führten meist zu dauernden Lähmungen. Kontusionen des Rücken-
marks waren eine große Seltenheit. Die meisten Fälle verliefen tödlich.
Ebenso waren auch die Gehirnschüsse von schwerer Beschaffenheit und
meist letal verlaufend. (Bendix.)
Cutler (101) möchte nicht, daß die Exzision des oberen sympathi-
schen Halsganglions bei einfachem Glaukom in Mißkredit kommt, und teilt
Fälle mit, bei denen die- Operation befriedigende funktionelle Resultate er-
zielt hat. Die Exzision soll bessere Erfolge aufzuweisen haben, als die
Iridektomie. (Bendix.)
374 Ghirurgische Behandlung der Nervenkrankheiten.
Als transitorische Ellumpfüße bezeichnet Saxl (411) diejenigen schlaffen
Bein- und Faßlähmungen, bei denen die Wadenmuskulatur mehr oder weniger
gut erhalten und die Musculi peronei ziemlich kräftig sind, dagegen der
Tibialis anticus ganz oder teilweise gelähmt ist und der Extensor digitalis
communis und der Extensor hallucis paretisch sein können. In unbelastetem
Zustande steht der Fuß in Spitzfußstellung (besonders bei Poliomyelitis).
Beim Sitzen aber steht der Fuß in Hohlspitzfußstellung und abduziert (pro-
natorische Wirkung der Peronei). Der paralytische Klumpfuß kann durch
geeignete orthopädische Mittel yerhütet werden, der ausgebildete SpitzM
ist durch Redressement und nach Kräftigung der Muskulatur eventuell durch
Transplantation zu beseitigen. (Bendix.)
Rosenkranz (395) beschreibt einen Fall Ton angeborenen Kontrak-
turen der Extremitäten bei einem 10 jährigen Knaben. Beide Arme sind
sehr schwach und kürzer als normal, der linke ist noch schwächer als der
rechte, besonders die Schultermuskulatur. Die Hände sind mäßig gebeugt
und in geringer Ulnarflexion, die rechte in Mittelstellung zwischen Pronation
und Supination. Jede elektrische Erregbarkeit an den vom N. radialis ver-
sorgten Muskeln fehlt. Biceps ist erregbar, hintere Portion des Deltoideus
schwächer erregbar, als die vordere. Die Annahme einer Rückenmarfa-
affektion scheint in diesem Falle sehr berechtigt zu sein. In vielen Fällen
kongenitaler Kontrakturen scheint aber die Entstehung nicht neurogen zu
sein, sondern rein mechanischer Natur. (Bendix.)
Wölfler (506) hat erfolgreich die Naht des Nervus hypoglossus aus-
geführt Es handelte sich in dem Falle um eine Lähmung der rechten
Zungenhälfte, die durch die Nerven naht fast völlig geheilt wurde. Auch die
faradische und galvanische EiTegbarkeit des Nerven war fast ganz normal.
(Bmdix.)
Voltz (479) teilt zwei Fälle von traumatischen Lähmungen mit, welche
durch die paraneurotische Naht der verletzten Nerven mit Vorteil behandelt
wurden. Zur Einbettung der Nerven wurden Gelatineröhren benutzt, die
Verf. in 2 7o Formalinlösung erhärten und in verschiedener Größe anfertigen
läßt. (Bendix:)
Spitzys (438) Versuche der Nervenplastik beziehen sich hauptsächlich
auf die Technik der. bisher gebräuchlichen Methoden. Er bediente sich mit
Vorliebe der Hunde, die ihm die besten Resultate lieferten. Er erzielte
durch Vemähung des durchschnittenen N. Peroneus mit dem N. tibialis
funktionell günstige Resultate; auch anatomisch-histologisch war das Ergebnis
gut. Sp. bediente sich, was die Technik der Einpflanzung selbst betrifil,
der Fixierung des zu implantierenden Nerventeiles in einen Längsschlitz des
bahiigebenden Nerven. ' (Bendix.)
Gluck (160) hat die greflFe nerveuse erfolgreich bei einem 12jähiigen
Knaben mit Facialisparalyse ausgeführt. Es wurde der Nervus facialis am
Foramen stylomastoideum oder in der Gegend der Glandula parotis aof-
gesucht. Um den Accessorius zu finden, wird dicht hinter dem Ansatxe
des Ohrläppchens ein Schnitt am vorderen Rande des Kopfnickers ausgeführt
und der Nervus accessorius an der Stelle, wo er in den Muskelbauch eintritt,
bloßgelegt. Die Verbindung des N. accessorius mit dem N. facialis erzielte
ein gutes funktionelles Resultat, und der Patient wurde angehalten, vor dem
Spiegel koordinierte mimische Bewegungen auszuführen, respektive einzuüben.
(Bendix)
Chirurgische Behandlung der Nervenkrankheiten. 375
CUmrglsebe Bshandlimg der Myopathien, Halsmaskelkrampfe.
lahmimgeii.
Flatau (133) rät zur KombinatdoD orthopädischer, gymoastischer und
psychischer MaßaahmeD. (Hypnose.)
Eine karze Skizze Hoffa's (208) der im Titel genannten Materie.
(Karplus,)
Duval (120) gibt eine Methode an, die flügelfönnig, infoige Lähmung
des M. Rhomboideus und M. serratus iongus abstehenden Scapulae an den
Torax zu fixieren und ihre normale Bewegungsfähigkeit zu erhalten. Er
sucht die Scapula mit den Rippen zu vereinigen und einen fibrösen, kurzen
aber soliden Kallus zu erzielen, der die Beweglichkeit der Scapula erhält.
Außerdem transplantiert er an den Angulus superior internus die langen
Kückenmuskeln, um die normale Lage der Scapula zu erhalten. (Bendia,)
Strnmektomle.
Interessanter kasuistischer Beitrag ReicheFs (385) über auftretende
Stömngen nach Kropfoperation. Trotz Zurücklassens hühnereigroßer
Schilddrüsenreste traten in zwei Fällen von Strumektomie Tetanie und
Xachexia strumipriva auf, die sich durch Thyreoidingaben oder spontan
erst nach Anwachsen des zurückgebliebenen Kropfrestes wieder besserten.
In dem einen Fall besserte sich die Kachexie, obgleich das Klropfrezidiv
carcinomatöser Natur war. (Kaiplm.)
CUnirgisclie Beliandlimo von Neurosen; Epilepsie, Eklampsie,
Moriras Basedowll.
An der Hand mehrerer beweisender Fälle legt Hermkes (198) dar, daß
die chirurgische Behandlung der Psychosen und Neurosen möglichst ein-
geschränkt werden muß, daß man möglichst die Heilung der Psychose
abwarten und überhaupt nur dringliche Operationen vornehmen soll; die
Einleitung der künstlichen Entbindung bei Schwangerschaftsneurosen und
Psychosen ist in manchen, durchaus aber nicht in allen Fällen geboten.
(Davidsohn,)
Nach kurzer Besprechung der verschiedenen Theorien der genuinen
Epilepsie wendet sich Friedrich (146) zur Erörterung der Gründe, die
Kocher veranlaßten, auf chirurgischem Wege die Epilepsie zu beeinflussen.
Kocher fand im epileptischen Anfall den intrakraniellen Druck gesteigert
und sah diese Drucksteigerung als die Ursache des Anfalles an. Kocher
glaubt nun durch Anlegung eines größeren Ventils mittels Trepanation
und Ekzision eines größeren Stückes der Dura mater über der hinteren Por-
tion der rechtsseitigen Stimwindungeu und längerer Drainage der Seiten-
veutrikel die intrakraniellen Druckverhältnisse regulieren und die Anfälle
beeinflussen zu können.
Verfasser bekämpft die Kochersche Theorie und zeigt an der Hand
seiner chirurgisch behandelten Fälle, daß die Drucksteigerung im Anfall
nur Symptom ist und keine den Anfall auslösende Rolle spielt. Trotzdem
ist die Anlegung von großen Schädellücken mit Extirpation der Dura mater
bisweüen von günstigem Erfolge selbst bei den schwersten alten Fällen von
sogenannter genuiner Epilepsie. Man muß sich vorstellen, daß, da die dem
Anfalle zu Grunde liegenden Prozesse sich wahrscheinlich in der Hirnrinde
abspielen, durch Anlegung von Schädellücken die Hirnrinde günstig beein-
flußt werden kann.
g76 Chirurgische Behandlung der Nervenkrankheiten.
Für das günstige Resultat der chirurgischen Operation ist nach
Friedrichs Erfahrung der Ort der Trepanation von ausschlaggebender Be-
deutung. Durch sorgfältige Aufnahme von Anamnesen, die sich besonders
auf Erinnerung erlittener früherer Traumen erstreckten, .und sorgfältige
Untersuchung der Kopfhaut der Kranken, ist er zu der Überzeugung ge-
kommen, daß zahlreiche Fälle „genuiner Epilepsie" traumatischen Ursprungs
sind. Er möchte den BegrifE „genuine Epilepsie^ ausgemerzt wissen und
spricht von Epilepsie sicher traumatischen, unsicher traumatischen und un-
wahrscheinlich traumatischen Ursprungs. Häufig entsprechen die Symptome
der Aura der Gegend des erlittenen Schädeltraumas. In diesen Fällen
legt er die Schädellücke an diesen Ort an. Nur wo kein Schädeltrauma
nachweisbar ist, und dadurch kein Hinweis auf eine bestimmte Gehirnstelle
gegeben ist, legt er die Lücke am Orte der Wahl, d. h. über dem hinteren
Umfang der rechtsseitigen Stirnwinduug wie Kocher an. Unter elf Fällen
alter sogenannter genuiner Epilepsie, die zum großen Teil mit schweren
Geistesstörungen kompliziert waren, gelang es ihm, in zwei Fällen Besserung,
in einem Fall Heilung zu erzielen. Die Beobachtung der operierten Fälle
reicht 4—6 Jahre zurück. (Karpia».)
Wilson (502) teilt neun Fälle von puerperaler Eklampsie mit, welche
glücklich verliefen. Er führt die Resultate darauf zurück, daß sofort beim
Eintreten von Konvulsionen die Puerpera tief chloroformiert und das Kind
entwickelt wurde. In allen Fällen hörten mit der Entbindung die eklamp-
tischen Krämpfe auf. (Bendix,)
Beck (25) empfiehlt neben allgemeiner Therapie eine energische
Röntgenbehandlung, während in schweren Fällen die halbseitige Schild-
drüsenexstirpation der Röntgenbehandlung vorausgehen soll; in den aller-
schwersten Fällen soll sogar die Röntgenbehandlung das primäre sein. Er
schildert einen schweren Fall von Morbus Basedowii, bei dem die Exzision
der SchilddrüsenhäLfte mit nachfolgender Röntgenbehandlung in ca. sechs
Monaten zur Heilung führte, sodaß auch die zurückgebliebene Schilddrüsen-
hälfte verschwand, ebenso der Exophthalmus und die Tachykardie. Warnen
muß man aber wohl davor, es, wie Beck vorschreibt, zu einer Röntgen-
dermatitis dritten (!) Grades kommen zu lassen. (Davidsohn,)
Lessing (265) tritt für die chirurgische Behandlung der Basedow-
schen Krankheit ein, die häufig, wie er an einigen in der Chinirgischen Klinik
der königlichen Charit^ behandelten Fällen nachzuweisen sucht, an Heilung
grenzende Erfolge aufzuweisen hat, selbst bei Personen, die vorher jahrelang
intern behandelt worden waren. Die Operation soll frühzeitig vorgenommen
werden, bevor das Herz stark gelitten hat. (Karjdus,)
Die Arbeit Priedheim's (144) stammt aus der chirurgischen Ab-
teilung des Krankenhauses Hamburg-Eppendorf. Von 20 operierten Basedow-
fällen sind 70 ^/^^ der Fälle geheilt. Der jüngste Heilerfolg dauert 4 Jahre,
der älteste 15 V« Jahre an. 26 7o der Fälle sind gebessert, versprechen
aber bei einer Nachoperation zum Teil auch Heilerfolge. 1 Fall starb. Die
Mortalität beträgt demnach 5 ^L, während die allgemeine Mortalität des
Leidens auf 12 % berechnet wird. (Karpbis.)
Kayser (231) tritt für den vaginalen Kaiserschnitt bei Eklampsie ein,
um eine rasche Entbindung zu erzielen. Der vaginale Kaiserschnitt sei allen
anderen forcierten Entbindungsmethoden vorzuziehen. (Bendis*)
Mainzer (282) hat sich bei zwei Fällen von Eklampsie überzeug»»
können, daß der vaginale Kaiserschnitt auch bei völlig virginal erhaltener
Therapie der Krankheiten des Gehirns, Rückeniuarks und der peripherischen Nerven. Q'JJ
Portio eine außerordentlich leichte und gefahrlose Operation darstellt. M.
hat beide Fälle von Eklampsie durch den vaginalen Kaiserschnitt gerettet.
(Bendix.)
Bei einem 12 Jahre alten und einem 10 jährigen an Wundstarrkrampf
leidenden Knaben hat Neugebauer (330) Duralinfusionen mit Behringschem
Tetanasheilserum erfolgreich angewandt. Es trat keinerlei Beizung des
Gehirns oder Eückenmarks ein und trotz der großen, rasch aufeinander
folgenden Einspritzungen fehlte jegliches Zeichen von Kopfschmerzen, Brech-
reiz oder Lokalstörung. (Bendix,)
Riedel (389) macht auf die Fälle von geistiger Schwäche (Imbezillität)
aufmerksam, bei denen chirurgische Leiden einen abnormen Verlauf nehmen.
So heilte bei einem 22 jährigen Mann eine Oberschenkelfraktur trotz Knochen-
naht nicht. Bei einem anderen Imbezillen war Anschwellung der Fuß- und
Kniegelenke (Hydrops genu) beobachtet worden nach einem ganz geringen
Trauma. Bei diesem Fall scheint aber Syringomyelie vorzuliegen und kein
mit der geistigen Schwäche in Beziehung stehendes körperliches Leiden.
(Beiidix,)
Wagner V. Jauregg (488) spricht über die Indikationen zur Unter-
brechung der Schwangerschaft vom psychiatrischen oder neurologischen Stand-
punkte. In Erwägung gezogen kann die Unterbrechung der Schwangerschaft
werden bei eintretenden Psychosen, bei Chorea gravidarum^ bei Hysterie
und EpUepsie. VV. weist darauf hin, daß seiner Meinung nach, die be-
rechtigten neurologischen und psychiatrischen Indikationen zur Einleitung
des Abortes sehr selten sind. ^^ (Bendia.)
HBXkdek (192) gibt einen Überblick über die im Anschluß an meist
geringe chirurgische Erkrankungen sich anschließenden Beschwerden nervöser
und anderer Art und über die Momente, welche das Vorliegen einer Simu-
lation oder starker Übertreibung wahrscheinlich machen. (Bendix,)
Holz (209) glaubt auf Grund zweier Fälle folgende Schlüsse ziehen
zu können: Exophtiialmus, wenn er nicht eine mechanische Protrusio bulbi
ist, rechtfertigt auch als einziges Symptom die Diagnose des Morbus Basedowii.
— Morbus Basedowii ist eine Vergiftung des Zentralnenrensystems durch
abnorme innere Sekretion. — Sie kann auch, ebenso Epilepsie und Chorea,
durch adenoide Vegetationen hervorgerufen werden. — Durch Entfernung
Ton adenoiden Vegetationen kann Morbus Basedowii, Chorea und Epilepsie
geheilt werden. (Bendir,)
Therapie der Kraikhelten des Gehirns, RackeDmarl[S und der
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Referent: Dr. M. El och -Berlin.
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Morbus Basedowll Cliorsa.
Ri viere (304) hat bei einer gewissen Reihe Ton Fällen von Chorea
minor Versuche mit Ergotin, kombiniert mit kleinsten Stiychnindosen, gemacht
und bei etwa der Hälfte der Fälle den Eindruck eines sehr günstigen
Einflusses gewonnen, ohne die Schwierigkeiten zu verkennen, die sich einer
objektiven Beurteilung des Heilwertes von Medikamenten bei der Behandlung
der Chorea entgegenstellen. In jüngster Zeit hat er besonders gute Erfolge
mit einer Kombination von Ergotin mit Fowlerscher Lösung gesehen.
Eine Übersicht über die gebräuchlichen Methoden der Behandlung der
Chorea minor gibt Grenet (146). Dieselbe enthält nichts neues, bemerkt
sei nur, daß Verf. das Antipyrin in der Behandlung des Veitstanzes dem
Arsenik fast gleichwertig an die Seite stellt. Die hohen Dosen des Arsens,
wie sie von Comby u. a. empfohlen worden sind, perhorresziert Verf. mit
Recht.
Mit Aspirin hat Gtormonig (139) in 3 Fällen von Chorea, darunter
einem von Chorea gravidarum, überraschend schnell Heilung erzielt, einmal
nach 10 Tagen und zweimal nach 3 Wochen. Die Dosierung betrug dreimal
täglich 0,5 — 1,0, in dem Fall von Chorea gravidarum stieg Verf. bis zu
5 g pro die. Verf. ließ nach 3 — 5 Tagen eine Pause von 3 Tagen in der
Medikation eintreten. Ref. will nicht verhehlen, daß Dosen von 8 g pro
die wenigstens bei Kindern nur mit Vorsicht gegeben werden sollten, er
selbst hat — allerdings bei einem fiebernden KJude — schon nach 1,5 g
pro die einen schweren Kollaps beobachtet.
Dreyfas (106) gibt ein kritisches Referat über die Therapie der
Basedowschen Krankheit in den letzten Jahren. Die Arbeit bringt zwar
keine eigenen Erfahrungen und Beobachtungen, ist aber wertvoll durch die
Vollständigkeit des verarbeiteten Materials; das Literaturverzeichnis enthält
117 Nummern.
Bei einer Diskussion der Chicagoer neurologischen Gesellschaft über
Morbus Basedowii empfiehlt Barker (16) Ruhe und Isolierung neben
systematischer Psychotherapie sowie Behandlung mit Antithyreoidin. Falb
hiermit Erfolg nicht erzielt wird, soll operiert werden, doch . nicht, wenn
bereits Cachexie oder merkliche Herzschwäche eingetreten ist. Über günstige
Erfolge mit der Serumtherapie berichten bei der gleichen Gelegenheit Sidney
Kuh und Mix.
Epilepsie, Eklampsie.
Wherry (383) betrachtet als Vorbedingung für eine erfolgreiche
Behandlung der Epilepsie: eingehendes Studium jedes Einzelfalles, Anpassung
der verordneten Medikamente an die individuellen Verhältnisse, persönliche
Überwachung und Individualisierung der Diät, völligen Wechsel der Umgebung.
Diese Bedingungen gestatten weder eine Behandlung im Hause noch in
großen Anstalten und erfordern jahrelange Behandlung und Geduld. Nur
in kleinen Anstalten sind diese Bedingungen durchführbar. Verf. glaubt aber,
daß der Prozentsatz der Heilungen bei Erfüllung derselben wesentlich erhöht
werden könne, besonders wenn die Aufnahme in einem frühen Stadium des
Leidens erfolgt. Mit der Anschauung, daß wir bei der Behandlung der
Epilepsie noch in den Kinderschuhen stecken, dürfte Verf. aber zweifellos
ftäckenmarks and dor peripheriachea Nerven. Q^l
im Recht sein, ebenso mit der Eorderung einer starken Yennehrung von
Spezialiieilaastalten für Epileptiker.
Bosanoff (313) bat eine Reihe Ton Diätversuchen unter allen Kautelen
an Epileptikern angestellt, aus denen herrorgeht, daß eine gemischte Diät
keinen anderen Effekt auf den Verlauf der Epilepsie ausübt, als eine rein
?egetarische, die entsprecheoden Mengen von Fäanseneiweiß enthaltende
Diät, daß also der ausschließliche Gebrauch Ton Vegetabilien bei der Epilepsie
pj^t indiziert ist. Dagegen ergab sich, daß sowohl ein Übermaß als auch
eiti aasgesprocbeaes Minus an Proteiden in der Nahrung einen ungünstigen
Eiofluß auf die Zahl der Anfälle ausübt. Am ungünstigsten gestaltet sich
der Verlauf der Krankheit bei einem Übermaß won Eiweißaufnahme und
mangelnder Kohlehydratnahruug; alsdann nimmt die Zahl der Anfalle erheb-
lich zu, und der Pat. erleidet physisch wie psychisch erhebliche Schädigungen.
Die praktische Folgerung aus den Versuchen besteht darin, den Epileptikern
soviel Kohlehydrate und Fette zu geben, als sie irgend zu assimilieren ver-
mögen, Eiweiß dagegen nicht mehr, als zur Erhaltung des Stickstoffgleich-
gewichts erforderlich ist, aber auch nicht weniger.
J. und R. Voisin (371) kommen bezüglich der Diät bei der Epilepsie
auf Grund klinischer Erfahrungen zu dem Schluß, daß das ausschließlich
aus Milch und Vegetabilien bestehende Diätregime auf einer zu weiten Aus-
dehnang einer pathogenetischen Theorie dieser Neurose beruht, nämlich
der der Autointoxikation und auf einer wahrscheinlich irrigen Auffassung
der Stoffwechselvorgänge bei der Fleischverdauung. Genuß von Fleisch und
stickstoffhaltiger Nahrung, welcher Art auch immer, ist, vorausgesetzt, daß
er sich in mäßigen Grenzen hält, nicht imstande, die Zahl der Anfälle zu
Yermehren. Es genügt, daß der Epileptiker neben der Bromtherapie den
Regeln einer guten Ernähningshygiene nachkommt und Verdauungsstörungen
meidet.
Bökelmann (39) urteilt folgendermaßen über Bromipin: 1. Bromipin
ist angezeigt bei allen durch Bromsalz erzeugten Hautaffektionen, da sein
Gebrauch keinerlei Störung der Haut hervorruft. Durch Bromsalze ver-
ursachte schwere Hautaffektionen verschwinden nach Bromipinanwenduug
verhältnismäßig rasch und vollständig. 2. Wird die orale und rektale Appli-
kation nicht vertragen, so kann die Verwendung von Emulsion von Nutzen
sein. Auch Kapseln und Tabletten sind empfehlenswert. 3. Als Antispas-
modikum reiht es sich den Bromsalzen ebenbürtig an und ist denselben in
manchen Fällen überlegen. 4 Nebenwirkungen auf das Zentralnervensystem
(Depression) können bei größeren Quantitäten eintreten, werden aber durch
individualisierte Dosen vermieden. Sprunghafte Steigerungen sind tunlichst
zu vermeiden.
Ehreke (113) hat in Uchtspriuge Versuche mit Bromeigon und Pepto-
ßromeigon an Epileptikern angestellt, die ergeben haben, daß die genannten
Mittel in denselben Dosen wie die Bromsalze, nicht imstande sind, die
Erampfanfälle in sichtbarer Weise zu beeinflussen. In einigen Fällen
erwiesen sie sich nützlich durch Ausbleiben der sonst bei Brommedikation
sich zeigenden Nebenerscheinungen, ohne daß aber das Auftreten von
Bromakne und Bromismus absolut bei ihnen ausgeschlossen ist. Vielleicht
empfehlen sich weitere Versuche mit höherer Dosierung.
Fickler (124) hat von einigen neuerdings empfohlenen Methoden zur
Behandlung der Epilepsie die Cenische Serum therapie, das Opocerebrin
(Poehl) und das Lithiumkarbonat (Krainsky) einer Prüfung unterzogen,
die für die beiden ersten Methoden völlig negativ ausfiel und für die letzte
als B«sultat ergab, daß zwar die Anfälle an Zahl wesentlich zurückgingen;
392 Therapie der Krankheiten des Gehirns,
dafür trat aber eine erhebliche Verschlechterung auf psychischem Gebiet
ein; alle psychisch-motorischen Vorgänge waren hochgradig verlangsamt,
schließlich trat Sopor ein, in dem ein Patient nach 3 wöchentlicher Verab-
reichung des Mittels (3 mal tägl. 1,0) an Pneumonie zu Grunde ging. Nach
diesen Erfahrungen sah Verf. von weiterer Prüfung der Methode ab.
In den Bromsalzen sieht Verf. auch kein Heilmittel der Epilepsie,
sondern nur ein die Erregbarkeit der Hirnrinde herabsetzendes und dadurch
die Zahl der Anfälle verminderndes Medikament, an das aber sehr schnell
Gewöhnung eintritt. Verf. empfiehlt das Brom nur periodisch zu verab-
reichen. Das wesentliche bei der Behandlung der Epilepsie ist Regelung
von Diät und Lebensweise und Fernhaltung aller physischen und psychi-
schen Reize.
G^llns (138) hat bei drei Epileptikern die Cenische Serumtherapie
versucht, ohne dabei irgendwelche nennenswerte Erfolge zu erzielen. Die
Patienten hatten seit längerer Zeit (7 Monate bis 2 Jahre) Brom nicht
erhalten. Weder die Zahl der Anfälle noch das psychische Verhalten
erfuhren eine Änderung, nur das Körpergewicht stieg nicht unerheblich an.
Auch eine in der letzten Zeit der Therapie durchgeführte Kombination mit
Bromdarreichung war erfolglos.
Spratling (349) ist auf Grund langjähriger, umfassender Erfahnmgen
zu der Überzeugung gekommen, daß bei der Behandlung der Epilepsie im
allgemeinen viel zu hohe Dosen Brom verordnet werden und daß der Wert
der Bromtherapie überhaupt ein sehr begrenzter ist. Er geht so weit, zu be-
haupten, daß er bisher noch keinen Fall von Epilepsie gesehen hat, der durch
Brom allein zur Heilung gekommen wäre. In seiner Anstalt ist die durch-
schnittliche Bromdosis pro Tag nicht höher als 0,9 g. Er ist der Meinung,
daß bei einer Mehrzahl der Epileptiker die schweren psychischen Alterationen
im Sinne der Demenz Folge übergroßer Bromdosen sind, die außerdem
schwere Nachteile für den GesamtstoflFwechsel, das Nervensystem und die
Zirkulation im Gefolge haben. Der Hauptnachdnick bei der Behandlung
der Epilepsie ist nicht auf eine schematisierende Bromtherapie, sondern aüi
die Ergründung der individuellen Verhältnisse des einzelnen Patienten zu legen.
Nach Alt (4) kommt der Vorbeugung des Status epilepticus oder, wie
er ihn zu nennen vorzieht, des epileptischen Daueranfalles eine mindestens
so große Bedeutung zu, wie der Behandlung desselben. Der systematischen
Prophylaxe, wie Verf. sie in Uchtspringe anwendet, schreibt er auch die
Abnahme der Häufigkeit des Status epilepticus daselbst zu. Dahin gehört
sorgfältige Regelung der Ernährung, Vermeidung von Kotstauung und -Zer-
setzung und dadurch bedingter Intoxikation, völlige Abstinenz von Alkohol,
Venueidung aller Erregungen, sexueller Exzesse, Einwirkung strahlender
Sonnenhitze. Auch plötzliche völlige Entziehung von Brom löst bisweilen
Status epil. aus. Auch die bei Epilepsie nicht selten indizierte systematische
Jodbehandlung ruft bisweilen Daueranfälle hervor. Für die Behandlung
empfiehlt Verf. in erster Linie hohe Darmeingießungen, unbedingte Ruhe
im Krankenraum unter Fernhaltung aller äußeren Reize. Von den rektal
anzuwendenden Medikamenten kommen Brom, Chloral, Amylenhydrat, Dor-
miol, Opium, ferner die Chloroformnarkose in Betracht. Von Chloral em-
pfiehlt Verf. nicht mehr als 4 g im ganzen zu geben, unbedenklich ist es
überhaupt nur bei kräftigem Puls. Amylenhydrat wird in Dosen von 3—6 g
in 100 ccm Wasser gelöst gegeben und dieselbe Dosis nach 1 — 2 Standen
wiederholt. Ähnlich und in gleichen Gaben wirkt Dormiol. Bei schwachem
Puls wird dem Einlauf Tinctura Strophanti (10—15 Tropfen) zugesetzt. Bei
sehr schweren Fällen wird kombinatorisch Chloroformnarkose eingeleitet, die
Rückenmarks und der peripherischen Nerven. 393
mit SauerstojBSnhalationen verbunden wird. Bei sehr hohen Temperaturen
empfehlen sich protrahierte kühle Bäder resp. Übergießungen, bei sehr yoU-
blütigen Patienten Blutentziehungen und mit oder ohne diese rektale Koch-
salzinfusionen. Die gleiche Therapie wie beim Status epilepticus empfiehlt
Verf. bei der Eklampsia infantum et gravidarum, sowie bei manchen Formen
des paralytischen Anfalles.
Kinberg (181) faßt seine Erfahrungen mit der Toulouse-Richet-
schen Methode, die er bei 30 Patienten versucht hat, folgendermaßen zu-
sammen: 1. Die Behandlung verringert die Zahl und die Intensität der
Anfälle erheblich und scheint den Status epilepticus zu verhindern. 2. Sie
übt oft einen wohltätigen Einfluß auf das psychische Verhalten aus und
Terhindert Dämmerzustände und Delirien. 3. Sie ruft bisweilen Intoxikations-
erscheinungen hervor, die wahrscheinlich auf Eechnung des NaCl-Mangels
zu setzen sind.
Kontraindiziert ist die Methode bei Herzaffektionen, Nephritis, Em-
physem u. dgl., sowie Fettsucht. Kontinuierliche Gewichtsabnahme während
der Behandlung ist ein Signum mali ominis und erfordert Abbrechen
derselben.
Tnmer (366) hat 8 Fälle von Epilepsie dem Toulouse -Eich et sehen
Verfahren der Kochsalzentziehung unterworfen und dabei in 5 Fällen eine
Abnahme der Anfälle beobachtet, die bei 3 Patienten auch noch 3 Monate
nach dem Aussetzen der Diät zu konstatieren war; bei 1 Patient war aller-
dings ein Jahr vorher ohne jede Behandlung zu derselben Zeit auch eine
Verringerung der Anfälle eingetreten. In 3 Fällen war eine Vermehrung
der Anfälle von Petit mal zu konstatieren. Eine sehr erhebliche Besserung
der psychischen Veränderungen war nicht zu konstatieren. Das Körper-
gewicht nahm bei 4 Patienten zu, blieb bei 2 stationär und sank bei den
übrigen beiden. Der Hauptnachteil der Kur, von der schlagende Erfolge
Verf. im ganzen nicht gesehen hat, liegt in ihrer Monotonie.
Ein warmer Befürworter der Toulouse-Richetschen Methode der
Epilepsiebehandlung ist Lambranzi (189). Nach seinen sehr sorgfältig
durchgeführten Beobachtungen schließt er, daß dieselbe in der großen Mehr-
zahl aller Fälle eine erhebliche Verringerung der Zahl und der Intensität
der Anfälle, bisweilen sogar ihr völliges Verschwinden bewirkt. Die Wirkung
hält gewöhnlich während der Dauer der Behandlung an, eine gewisse Besserung
überdauert dieselbe manchmal, aber selten. Auch die psychischen Alterationen
der Epileptiker werden durch die Behandlung günstig beeinflußt. Selbst
erheblich zeitliche Ausdehnung der Kur (Verf. hat sie bis über 3 Monate
lang angewandt), verursacht keine nennenswerte Störung des Stoffwechsels.
Sie kann mit gleicher Wirksamkeit mehrfach wiederholt werden; ihre Unter-
brechung geschieht am besten allmählich, nicht plötzlich.
Die Erfahrungen, die Mirallie (244) in den letzten Jahren mit der
Toulouse-Richetschen Methode gemacht hat, sind im Vergleich zu denen
der ersten Zeit entschieden besser geworden; besonders in der Privatpraxis
hat Verf. eine Reihe sehr guter Erfolge erzielt, von denen er einige mit-
teilt Seine Beobachtungen drängen ihn zu dem Schluß, daß der Kochsalz-
mangel die Nervenzellen empfänglicher für die Bromwirkung machte anderer-
seits aber allen erregenden Momenten gegenüber empfindlich. Es handelt
sich also bei der Ausführung des Na Ci-f reien Regimes noch mehr als sonst
bei der Epilepsie darum, alle erregenden Momente, vor allen aber jeden
Alkohol von den Kranken fernzuhalten. Verf. verfährt jetzt meist so, daß
er monatelang die Patienten unter NaCl-freien Regime hält, um dann wieder
eine Periode mäßigen Salzzusatzes zur Nahrung zu gestatten. Verf. hält das
Q94 Therapie der Kr&nkheiten des Gehirns,
Priozip des Verfahrens für äußerst wertToU bei der Behandhing der Epilepsie;
man kann dabei mit viel kleineren Bromdosen viel bessere Erfolge erzieieO)
als sonst mit hohen. Bei manchen Epileptikern besteht ausgesproehener
Salzhnnger; hier sind die Erfolge des Regimes, dessen Gelingen dureh eine
absolute Milchdiät in solchen Fällen wesentlich erleichtert wird, anscheinend
besonders günstige.
Renninger (297) konnte sich bei seinen Fällen nicht roa einer
spezifischen Beeinflussung der genuinen Epilepsie durch aufsteigende Dosen
▼on Lithium carbonicnm (bis 1,5 pro die) überzeugen, (AtOonferat.)
Zirkelbaoh (397) hat die von Bälint empfohlene Bromopanbehand-
lung an einer Anzahl ambulant behandelter Fälle der U. medizinischen
Klinik zu Budapest erprobt. Verf. ließ die Kranken täglich 2 — 3 Bromo-
panbrötchen, deren jedes 1,0 Bromnatriimi enthält, nehmen, daneben eine
vorwiegend Milch und pflanzliche Nährstoffe enthaltende Nahrung, wenig
Fleisch und möglichst wenig Salz. G-ewöhnliches Brot wurde ganz nnter-
sagt. Die Versuche betrafen 7 Fälle. Verf. nahm wahr, da£ das Bromopan
die Epilepsie schon nach lOtägigem Gebrauch günstig beeinflußt und je länger
verabreicht, desto mehr guten Erfolg verspricht. Die AnfäUe wurden an Zahl
und Intensität verringert, blieben bei längerer Darreichung bisweilen auch
ganz aus. Auch die Psyche der Kranken wurde günstig beeinflußt, in einem
Falle wurde Bromakne beobachtet, sonst aber wurden Stoffwechselstörungen
oder sonstige unangenehme Nebenwirkungen nicht beobachtet. Im ganzen hat
Verf. den Eindruck, daß die Wirkung der Methode längere Zeit hindarch
anhält, als die aller anderen Arten der Therapie der Epilepsie^
Mtiskens (860) verfügt über eine ausgedehnte Erfahrung mit der
Methode der Hypochlorisation bei der Bromtherapie der Epilepsie. Er hat
im ganzen etwa 180 Patienten, darunter zirka 40 inveterierte Anstaltsfälle,
damit behandelt. Bezüglich des Wertes der Methode nimmt er eine mittlere
Stellung ein. Es scheint, als wenn dieselbe einen intensiveren Einfluß aof
die gewünschte Wirkung des Broms auf den Ejrankheitsprozeß als auf die
Akneentstehung hat. Die Dosen des vom Verf. gegebenen Broms übersteigen
selten 4 — 5 g; führen solche nicht zum Zweck, dann ist erfahrungsgemäß
von höheren auch nichts zu erwarten. Männer vertragen die Behandlung
besser als Frauen und zeigen sich meist derselben auch weniger abgeneigt. i
Das Alter hat nur geringen Einfluß; andererseits sind relativ firische Fälle |
besser beeinflußbar. Petit mal und psychische Äquivalente sind weniger leicht
zu beeinflussen, als Krampfanfälle. Zeichen, daß die Diät schlecht vertragen
wird, sind Schwindel, Schwäche der Beine, Sprachstörungen, Konstipation f
und Diarrhöe, Gedächtnisschwäche, udeme, besonders im Gesicht. Besonders j
lästig ist häu% ein unangenehmer Geruch der Exspirationsluft, der sich ]
aber durch sorgfältige Mundpflege vermeiden läßt. Die unangenehmste, sich
oft schon nach wenigen Tagen einstellende Nebenerscheinung ist eine hart- i
nackige Trigeminusneuralgie, zu der besonders Individuen mit Zahnkaries
disponiert sind. In manchen alten Fällen, besonders bei jüngeren Individuen,
macht sich eine größere Reizbarkeit bemerkbar, andererseits nicht selten
auch eine Besserung des psychischen Verhaltens (vermehrte Arbeitslust).
Vielfach wurde eine gewisse Schlafsucht konstatiert. Eine Kontra-
indikation der Methode bilden nur Herzkrankheiten, besonders Herzmuskel-
affektionen. Sonstige Kontraindikationen bestehen nicht, wenn man sich darauf |
beschränkt, die Therapie methodisch nur klinisch durchzuführen. In den
ersten Wochen tritt deutliche Gewichtszunahme auf, die aber später meist
einer Abnahme Platz macht, die wohl häufig Folge einer oft schnell auf-
tretenden Appetitlosigkeit ist.
j
Hückenmarks und der peripheraehen Nerren. 895
Nirgends mehr als bei dieser Methode ist sorgfiUtigstes Individualisiereii
notwendig, die Toleranz gegen die Diät ist eben eine sehr wechselnde. Auf
weitere interessante Einzelheiten der Arbeit kanli hier nicht eingegangen
werden; besQglich derselben sei aaf das Original verwiesen.
Voisill nnd Krauts (374) haben an einer Anzahl von epileptischen
nd nichtepileptischen Ejtndern längere Zeit hindurch soi^ältige Wägungen
bei kochsalzfreier und kochsalzhaltiger Nahrnng in wechselnden Perioden
iBgestellt. Das wesentlichste Ergebnis war, daß bei kochsalzarmer Nahrung
sich in einer ersten Yersuchsperiode fast allgemein eine Abnahme des
Körpergewichts einstellte^ die aber die Neigung hatte, allmählich geringer
ni werden, und daß bei einer zweiten Periode diese Neigung zur Abmagerung
sich weniger stark bemerkbar machte. In den eingeschobenen Perioden mit
kochsalzhaltiger Nahrung trat fast allgemein G-ewichtszunahme ein. Die
praktische Folgerung hieraus ist, daß, wenn bei länger dauernder Kochsalz-
ctttziehnng dauernd eine Abnahme des Körpergewichts zu konstatieren ist^
diese ein Zeichen der Unterernährung darstellt, die ein Abbrechen der Kur
isittelst Koehsalzentziehung erheischt»
In aosführlicher Weise bespricht Müller (257) die Technik der
Flechsigschen Kur, in der er die wertvollste Methode der Behandlung der
Epilepsie sieht. Vorbedingung für ihre Anwendung ist gesunde, körperliche
Konstitution, Intaktsein oder nur geringe Beeinträchtigung der Intelligenz
imd nicht zu langes Bestehen der Krankheit. Am meisten geeignet sind
Kinder. Die Behandlung geschieht am besten im Krankenhaus, doch kann
bei ausreichender Pflege und sorgfältiger ärztlicher Überwachung die Kur
wenigstens zu einem großen Teil auch im Hause absolviert werden.
Strümpell (354 a) äußert in seinen Bemerkungen über die Behandlung
der Epilepsie einige Bedenken gegen die zu ausgedehnte Brombehandlung
und glaubt, daß die symptomatischen Erfolge des Mittels oft überschätzt,
seine schädlichen Nebenwirkungen dagegen oft unterschätzt werden. St. rät,
lieh anfangs auf die allgemeinen Diätvorschriften zu beschränken nnd den
Verlauf der Elrankheit erst abzuwarten. In den Fällen mit seltenen, alle
2— S Monate auftretenden Anfällen sei Brom nicht indiziert. Verfasser
glaubt, daß viele der dauernden Störungen der Geistestätigkeit auf Brom-
iBtoxikation beruhen. Er schlägt Belladonna und Zincum oxydatum vor,
ebenso Baldrianpräparate. (Bendix.)
Die Auswahl der für die Flechsigsche Opium-Brombehandlung ge-
eigneten Fälle von Epilepsie hat sich nach Kellner (179) auf diejenigen
Kranken zu erstrecken, deren körperliche Konstitution nicht zu schwach ist,
imd solche, deren Intellekt nicht erheblich geschädigt ist. Bei derartig aus-
gewählten Fällen erzielt man Erfolge, wie sonst mit keiner anderen Methode
der Epilepsiebehandlung. Verf. hat in den letzten 8 Jahren 60 Patienten
nach Flechsig behandelt. 25 % der Fälle vertrugen Opiimi nicht, so daß
die Kur abgebrochen werden mußte, 34 7o zeigten eine Besserung, die der
nur durch Brom erzielten nicht überlegen war. Bei 12 ®/„ trat eine der
Heilung sehr nahestehende Besserung ein, indem entweder die Krampfanfälle
sehr selten wurden oder statt ihrer nur Schwindelanfälle auftraten. Bei den
letzten 29 % blieben die Anfälle gänzlich fort, und zwar für drei und mehr
Jahre, so daß die Patienten wohl als geheilt angesehen werden dürfen,
seweit man bei der Epilepsie überhaupt von Heilung sprechen darf. Ver-
fasser gibt neben dem Opium Salzsäure und nach Bedarf Carlsbader Salz,
außerdem nach Temperatur und Dauer sorgfältig dosierte Bäder; Diät,
körperliche Bewegung werden genau reguliert, das Körpergewicht zweimal
wöchentlich festgestellt.
396 Therapie der Krankheiten des Gehirns,
Briand uad Halberstadt (52) urteilen sehr günstig über die
Bechterewsche Methode der Behandlung der Epilepsie mittelst Adonis
yernalis, kombiniert mit Bromsaizen. Sie haben niemals eine unangenehme
Einwirkung auf den Allgemeinzustand der Kranken feststellen können, haben
aber eine Besserung in dem Krankheitszustande selbst in Fällen konstatiert,
in denen Brom allein wenig oder gar nicht wirksam war, in einigen Fällen
sogar der Heilung gleichkommende Besserung; Verfasser führen einige Beob-
achtungen sehr bemerkenswerter Erfolge an, ohne zu verhehlen, daß auch
diese Therapie gelegentlich versagt.
Bei der Behandlung der Eklampsie warnt Müller (258) vor allem
davor, in jedem PaU die Narkose einzuleiten. Nach ihm ist nur in sehr
seltenen Fällen die Einleitung einer Narkose angezeigt, und dann soll nicht
mit Chloroform, sondern stets nur mit Äther narkotisiert werden. Ebenso
verwirft er Chloralhydrat, Morphin und andere Narkotika. Nach den
geltenden Theorieen kommt es darauf an, den mütterlichen Organismus zn
entgiften. Bei tiefem Kollaps und Apnoe ist künstliche Respiration einzu-
leiten, gelegentlich ist von der Yenaesektion Gebrauch zu machen, als be-
sonders wirksam sind Kochsalzinfusionen anzusehen, femer alle Mittel an-
zuwenden, die geeignet sind, die Diurese anzuregen. In erster Linie handelt
es sich aber um die Entleerung des Uterus, die so bald als möglich in die
Wege zu leiten ist. Verfasser gibt von den hierfür vorgeschlagenen Ver-
fahren für die Mehrzahl der Fälle dem Dührssen sehen Verfahren den Vorzug.
Er betont aber ausdrücklich, daß die Behandlung der Eklampsie nicht
schematisiert werden darf, vielmehr das therapeutische Vorgehen in jedem
einzelnen Falle dem objektiven Befunde anzupassen ist.
In einer kurzen Notiz macht Knapp (184) im Anschluß an die
Müllersche Arbeit nochmals auf die schon früher von ihm empfohlene An-
wendung von Magenausspülungeu bei der Eklampsie aufmerksam.
Ein Zeichen, wie wenig geklärt noch die Ansichten über die Behand-
lung der Eklampsie und wie diametral einander entgegengesetzt dieselben
oft sind, zeigt gegenüber der eben besprochenen Müllerschen Arbeit das
Referat von Boxall (45), der von allen den von Müller verpönten Mitteln,
wie Chloroformnarkose, Chloral, Morphin usw. gegebenen Fällen reichlich
Gebrauch macht. Seine Ansichten über Prophylaxe mit Therapie der
Eklampsie enthalten im übrigen nichts wesentlich neues. An seinen Vortrag,
der in der Sektion für Geburtshilfe und Gynäkologie der British medical
Association gehalten wurde, knüpfte sich eine ausgedehnte Diskussion, aus
der hervorgeht, daß die ausgedehnte Anwendung des Morphins und des
Chloroforms zahlreiche Anhänger unter den englischen Geburtshelfern hat,
eine nicht geringe Anzahl von diesen aber Gegner der Einleitung der
forcierten künstlichen Entbindung sind.
Frei (132) berichtet über einen sehr schweren Fall von Eklampsia
gravidarum bei einer Ipara; 18 Anfälle waren bereits voraufgegangen, die
Patientin tief komatös, Temp. 40,4, Puls unregelmäßig, schwach 160. Ver£
leitete die künstliche Frühgeburt durch unblutige Dilatation ein. Die Ent-
bindung erfolgt spontan 29 Stunden nach Einleitung der Frühgeburt. Pat.
genas. Verf. macht auf die Schwierigkeiten aufmerksam, die in derPnuris
sich dem aktivereu Verfahren von Dührssen u. a. entgegenstellen, zumal
die Ansichten über deren Vorteile noch keineswegs übereinstimmend seien
und betont, daß in jedem Fall eine individualisierende Behandlung am
Platze sei.
Wilson (387) hält protrahierte Chloroformnarkose für das beste Mittel
bei der Behandlung der Eklampsie, vorausgesetzt, daß nicht zu lange Zeit
Rückenmarka und der peripherischen Nerven. 897
zwischen dem ersten Anfall nnd der Einleitung der Narkose vergangen ist.
Er rät, die Narkose bis zur Beendigung der Geburt fortzusetzen; letztere
wird durch mauuelle Erweiterung des Cervix in voller Narkose eingeleitet.
5 80 behandelte Fälle kamen zur Heilung, während von 4 anders be-
handelten 2 starben.
Tstanos.
Cole (79) berichtet über einen Fall von traumatischem Tetanus nach
einer Schußwunde der Hand bei einem 12jährigen Knaben, der 7 Tage
nach der Verletzung mit vollentwickeltem Tetanus eingeliefert wurde. Der
Fall verlief tödlich. Die Behandlung bestand in Lumbalpunktion und
meaingealer Injektion von Tetanusantitoxin, durch wiederholte subkutane
Antitoxineinspritzung und Anwendung von Narkoticis, Sauerstoffinhalationen
usw. Die Wendung zum schlechteren trat ein nach der zweiten Lumbal-
punktion und intraduralen Injektion von Antitoxin.
Rogier und Gnenot (308) empfehlen zur Behandlung des Tetanus
intramuskuläre Injektionen von Chloralhydrat in Dosen von 2,0, nach Bedarf
zu wiederholen; ferner bei sehr schweren Fällen und drohender Asphyxie
Inhalationen von Sauerstoff; als Beleg ihrer Empfehlung teilen sie 3 Fälle
mit, von denen die beiden ersten mit Chloralinjektionen behandelt wurden,
während bei dem dritten die 0-Inhalationen die drohende Asphyxie prompt
beseitigten. Alle drei kamen zur Heilung. Es wird natürlich nicht selten
zweckmäßig sein, beide Methoden zu kombinieren.
Maberly (215) berichtet über einen Fall von Tetanus nichttrauma-
tischer Herkunft, der ausschließlich mit Chloralhydrat behandelt zur Heilung
kam. Die Dosen, mit denen Pat. behandelt wurde, waren außerordentlich
heroische: 3,6 g vierstündlich, so daß Patient zuerst in 11 Stunden 14,4 g
erhielt.
Auch für die Behandlung des Tetanus empfiehlt M6ier (236) auf
Grund interessanter, in ihren Details im Original nachzulesenden Tier-
versuche die Behandlung mittelst subkutaner Injektionen von Brompräpa-
raten, von denen das Bromokoll für diesen Zweck vor allen anderen den
Vorzug verdient.
HeuralglsB.
Gill (141) berichtet über 3 nach dem Vorgange von Aldrich von
ihm mit Rizinusöl und Injektionen von Strychnin behandelte Fälle von
Trigeminusneuralgie, die sämtlich günstig beeinflußt wurden.
V. Novak (269) will auf eine vor Jahren ihm zur Kenntnis ge-
kommene Empfehlung eines französischen Autors hin bei Trigeminusneuralgie
sehr gute Erfolge mit Einblasung von pulverisiertem Kochsalz in die Nasen-
höhle der betr. Seite erzielt haben. Wenn es ihm auch nicht gelungen ist,
alle Krankheitsfälle damit zur Heilung zu bringen, so wurde doch der akute
Schmerzparoxysmus stets unterbrochen. Ob es sich hierbei wohl immer um
echte Trigeminusneuralgie gehandelt haben mag?
Ostwalt (274) bedient sich zur Behandlung derTrigeminusneuralgien
tiefer Injektionen von Kokain- oder Stovainalkohol in die Austrittstellen
der Trigeminusäste aus der Schädelhöhle. Bisweilen sind mehrere Injektionen
nötig, auch rezidivieren die Neuralgien gelegentlich und bedürfen dann er-
neuter Injektionsbehandlung. Raymond hat 14 Kranke teils in der Sal-
petri^re, teils in der Privatpraxis nach dieser Methode behandelt. Alle sind
entweder geheilt oder w^enigstens erheblich gebessert.
Jahresbericht f. Neurologie und Psychiatrie 1905. ^^
398 Therapie der Krankheiten des Gehirns,
In einem zweiten Aufsatz bespricht Ostwalt (273) die Technik dieser
Injektionen. Er teilt mit, daß er bisher mehr als 250 tiefe Einspritzungen
gemacht habe, ohne je irgend eine Komplikation erlebt zu haben. Bei
etwa ^/g der Kranken trat nach etwa 4 — 5 Monaten ein gewöhnlich leichteres
Rezidiv ein, das durch 1 — 2 Injektionen schnell zu beseitigen war. Verf.
hat auch bei anderen Neuralgien (Ischias, Cruralis u. a.) sehr gute Erfolge
mit dem Verfahren erzielt, ebenso auch beim Tic convulsif. Die Dosis be-
trug 1,0—1,5 80 7o Alkohol unter Zusatz von 0,01 Kokain oder Stovain.
Harbnm (155) empfiehlt im akuten Stadium der Ischias und
der Neuralgie des Plexus brachialis Ruhe, eine Kombination von Aspirin,
Phenacetin, Chinin, salic. und Kodein event. Morphininjektionen, im snb-
akuten und chronischen Stadium vornehmlich physikalische Heilmethoden,
Bäder, Dusche, Massage und Elektrizität in ihren verschiedenen Formen.
Eine detaillierte Besprechung der Diagnose und Therapie der Ischias
liefert Leszinsky (205). Neues enthält die Arbeit nicht.
Aus der Abhandlung von Carron de la Carriere (69) über die
Therapie der Migräne ist bemerkenswert die Empfehlung des Extractum
Caunabis indicae, das Verf. gewissermaßen als ein prophylaktisches Specificum
erprobt hat und warm empfiehlt. Er empfiehlt kleine Dosen (allabendlich
0,015 resp. 0,03) in Pillenform zu nehmen und zwar zuerst ein ganzes Jahr
hindurch, später mit mehr oder minder großen Pausen immer einen Monat
lang, besonders in den Zeiten, wo der betr. Patient eine besondere Dispo-
sition für den hemikranischen Anfall besitzt. Daß außerdem für den Verf.
wie für eine große Zahl seiner Landsleute, alle an Migräne leidenden Arthri-
tiker sind und dementsprechender Diät und Lebensweise, sowie der betr.
Trinkkuren bedürfen, sei nur nebenbei erwähnt. Sonstige veranlassende
organische AflFektionen müssen oft erst mühsam aufgesucht und entsprechend
behandelt werden. Warm empfiehlt Verf. noch den Gebrauch täglicher
warmer Duschen.
SpitzmÜUer (347) hat bei einer 32 jährigen, an hartnäckiger Trige-
minus-Neuralgie leidenden Dame, welche erfolglos mit allen möglichen Nar-
koticis behandelt worden war, mit Injektionen von Kokain einen an Heilung
grenzenden Erfolg erzielt. Er machte in die einzelnen Aste des Trigeminus
etwa 14 Tage lang Einspritzungen einer halben Spritze von Cocain, mur. 0,3,
Aqu. destill. 20,0, Suprarenin gtt. VI. Die Schmerzanfälle hörten momentan
auf und kehrten nach einiger Zeit überhaupt nicht mehr wieder, sodaß die
Patientin bisher ß^j^ Monate schmerzfrei geblieben ist. (Bendix.)
Organlscbe Hervenkrankbeitsn.
Bei gelegentlich von Selbstversuchen nach Einnahme von 0,09 g
Strychnin. nitricum auftretenden deutlichen Erscheinungen von Str}xhnin-
Vergiftung (Erhöhung der Reflexerregbarkeit, Kinnbackenkrampf, Zähne-
knirschen, allgemeines Zittern), machte sich Meier (235) eine intravenöse
Injektion von 10 ccm einer lO^o Bromocolllösung, die nach 16 Minuten ein
Verschwinden aller Reizerscheinungen bewirkte. Zurückbleibende lähmungs-
artige Schwäche der Extremitäten verschwand nach Einnehmen von Vials
Wein nach zirka einer Stunde. Verf. empfiehlt auf Grund dieser Selbst-
beobachtung zur Bekämpfung der Strychninvergiftung intravenöse und sub-
kutane Injektionen von Bromocoll.
Sliwinski (342) berichtet über einen Fall von Morphinvergiftung bei
einem einjährigen Kinde, das irrtümlich 0,02 Morphin erhalten hatte und
alle Zeichen einer schweren Morphin Vergiftung darbot. Von einer Magen-
Rückenmarks und der peripherischen Nerven. 899
ausspülung sah Verf., da über 6 Stunden nach Einnehmen des Pulvers ver-
gangen waren, ab und injizierte 0,003 Atropin. sulfur. Der Fall kam zur
fleilang.
Anstaltsbehandlung für längere Zeit, auch noch Monate nach der Ent-
ziehung andauernd, schnelle Entziehung und Erziehung zur Abstinenz sind
die Prinzipien, die nach Colla (81) heutzutage als die wichtigsten bei der
Behandlung des Alkoholismus angesehen werden müssen. Mit diesen drei
Faktoren allein kommt man in allen Fällen aus, wobei natürlich eine sorg-
faltige Behandlung der Begleiterscheinungen nicht vernachlässigt werden
darf. Auch das Delirium wird nach seinen Erfahrungen am besten ohne
Alkohol behandelt. Zur Nachbehandlung nach erzielter Abstinenz eignen
sich physikalische Methoden, zur moralischen Beeinflussung neben den all-
gemein gültigen psychiatrischen Regeln Beschäftigungstherapie gelegentlich
auch die Hypnose. Bei der Entlassung der Kranken ist möglichst der
Beitritt zu einer Abstinentenvereinignng zu erzielen. Selbstverständlich hat
in Nervenheilstätten überhaupt, besonders aber in Alkoholikeranstalten all-
gemein völlige Abstinenz zu herrschen. Verfasser schließt seine lesenswerte
Abhandlung mit der Mahnung an die Allgemeinheit der Arzte, die hohe
kulturelle Bedeutung der Enthaltsamkeitsbewegung zu würdigen, gleichwie
der einzelne sich persönlich zu ihr stellen mag.
Franpa (130) behandelt die epidemische Cerebrospinalmeningitis
durch eventuell wiederholte Lumbalpunktionen mit nachfolgenden Injektionen
von l^/o Lysollösung (je nach dem Alter 12 — 18 ccm bei Erwachsenen, 3
bis 9 ccm bei Kindern. Bei der Lumbalpunktion werden 25 — 50 ccm
Flüssigkeit entleert. Handelt es sich um dicken Eiter in der Arachnoidal-
höhle, so geht der Lysoleinspritzung eine Auswaschung mit physiologischer
Kochsalzlösung vorauf. Die Vorteile der Behandlung bestehen nach Verf. in
Xichtauftreten von Rückfällen, Abkürzung der Krankheitsdauer, raschem
Verschwinden der Diplokokken, Fehlen gröberer trophischer und Ernährungs-
störungen bei den Kranken und seltener auftretenden residualen Lähmungs-
zuständen. Die Mortalität der so behandelten Fälle betrug nur 29,3%
gegenüber 63% und 66% anders behandelter. Dabei handelte es sich um
eine sehr schwere Epidemie. Einbezogen in die Statistik sind nur bak-
teriologisch sichere Fälle.
Kallmeyer (178) rät bei der Behandlung der epidemischen Genick-
starre von Quecksilbereinreibungen, Anwendung von antifebrilen Mitteln und
Venaesektion ab ; auch Narkotika sind möglichst zu meiden. Anfangs gebe
man Calomel, später nur Clysmata. So früh wie möglich gebe man Arsen
innerlich, besser subkutan, in steigenden Dosen, ferner warme Bäder mit lauen
Übergießungen. Zur Erhaltung der Herztätigkeit sind Kampherinjektionen
anzuraten und besonderes Gewicht auf die Ernährung der Kranken zu legen.
Seibert (331) empfiehlt zur Behandlung der akuten Cerebrospinal-
meningitis die rektale Applikation großer Dosen von Natrium salicylicum.
Er verabfolgt pro Dosis 0,9 bis zu lOmal in 12 Stunden, um diese Dosis
nach 12stündiger Pause eventl. mehrfach zu wiederholen, oder bei eintretender
Besserung zu verringern. Die Behandlung wird je nach Bedarf wochen-,
auch monatelang fortgesetzt, um auch eventl. zurückbleibende Lähmungs-
erscheinungen noch therapeutisch zu beeinflussen.' Von 5 Fällen, die V'erf.
mitteilt, sind 4 völlig geheilt, der 5., der in desolatem Zustande mit Taub-
heit, Lähmungserscheinungen 4 Monate nach abgelaufener Fieberperiode zur
Behandlung kam, wurde wesentlich gebessert. Irgendw^elche Nachteile hat
Verf. von der Therapie nicht gesehen.
57*
900 Therapie der Kraakheiten des Gehirns,
Menschig (240) hat 5 Fälle von epidemischer Genickstarre mit
Pilokarpin behandelt. Es handelte sich um Kinder von 4 — 0 Jahren; er
verabreichte von einer Lösung von 0,03 — 0,04 auf 200,0 1 — 3 stündlich
einen Kinderlöffel, bis Schweiß ausbrach, wartete dann, bis der Pat. wieder
trocken wurde und ließ erst dann das Medikament wieder geben. Mehr als
eine Flasche hat er nie .verordnet. Die Fälle, die sämtlich bis auf einen
sehr schwer waren, wurden außerdem noch symptomatisch mit Antipyrin,
Packungen usw. behandelt und heilten völlig aus; nur in einem blieb eine
leichte Augenmuskellähmung zurück. Die Lumbalpunktion wurde therapeutisch
nur in einem Fall angewandt. Die Wirkung der Pilokarpins sieht Verf.
hauptsächlich in der Herabsetzung des Oehirndrucks. Kollapserscheinnngen
nach Anwendung des Mittels hat Verf. nicht beobachtet.
Lenhartz (202) hat in den letzten Jahren immer mehr die Über-
zeugung gewonnen, daß man durch regelmäßig und häufig wiederholte Lumbal-
punktionen den Krankheitsprozeß bei der epidemischen Genickstarre ent-
schieden günstig beeinflussen kann. Er teilt ausführlich 5 zum Teil selir
schwere Fälle mit, die mit wiederholten (gelegentlich an einem Tage zweimal,
und bis zu 15 und mehr Punktionen während des ganzen V^erlaufes) Punk-
tionen behandelt und sämtlich völlig geheilt wurden. Der Erfolg war viel-
fach auch in symptomatischer Beziehung (Kopfschmerz, Benommenheit) ein
unmittelbarer; üble Nebenerscheinungen hat Verf. nie beobachtet.
Hnhemann (319) empfiehlt auf Grund eines selbstbeobachteten,
günstig verlaufenen, schweren Falles von epidemischer Genickstarre und
gestützt auf theoretische Erwägung, den Gebrauch von jodsaurem Natrium
entweder subkutan oder per os verabreicht.
Mendel (238) gibt eine kurze aber erschöpfende Übersicht über die
Maßnahmen der ersten Hilfe beim apoplektischen und epileptischen Anfall.
Nach einleitenden diagnostischen Bemerkungen betont er vor allem die
Bedeutung der Vermeidung aller überflüssigen körperlichen Bewegung des
von einem Schlaganfall Betroffenen, bespricht die Art der Lagerung und des
Transportes, die Indikation zum Aderlaß und die aus dem Verhalten des
Pulses sonst sich ergebenden Maßnahmen. Die Bekämpfung der Unruhe
des Kranken geschieht am besten durch Morphin. Ernährung und Stuhl-
entleerung sind mit großer Vorsicht einzuleiten.
Beim epileptischen Anfall ist das wichtigste die Lagerung des Kranken
und der Schutz desselben vor Verletzungen. Bei langdauemden Anfallen
und Erstickungsgefahr empfiehlt sich, falls Amyluitritinhalationen unwirksam
sind, Narkose eventl. kombiniert mit Morp^i^™? l^®™ Status epilepticus
Chloral- oder Amylenhydratclysmen, kalte Übergießungen im warmen Bade,
subkutane Duboisininjektionen.
BÜrkner (63) empfiehlt bei Behandlung der Hyperämie des Ohr-
labyrinthes neben Regelung der Diät und Verdauung, Vermeidung aller
erregenden Getränke, bei starkem Ohrensausen und Schwindel Derivantien
in der Umgebung des Ohres, Vorsicht bei Bewegungen. Bei Anämie des
Labyrinthes kommt es auf Hebung und Tonsierung des Kräftezustandes an.
Hämorrhagien sind nach den Grundsätzen der Hyperämie zu behandeln.
Bei Entzündungsprozessen (als Folge von Otitis oder Meningitis) empfiehlt
er im Beginn Eisblase und zeitig Jodpräparate; vom Pilocarpin erwartet er
nicht viel Nutzen. Handelt es sich um Lues, so ist selbstverständlich eine
spezifische Therapie angezeigt. Beim akuten Meniöreschen Anfall ist
Bettruhe, Applikation von Kälte, in schweren PäUen Blutentziehung und
Anwendung von Derivantien angezeigt. Vom Chinin hält Verf. nicht viel,
zioht vielmehr Brom- und Jodkali vor. Bisweilen scheint Pilocarpin von
Rückenmarks und der peripherischen Nerven. 901
Nutzen zu sein. Von Badekuren konunen Kissingen, Aachen und Karlsbad
in Frage, Kaltwasserkuren und Dampfbäder sind zu meiden, wichtig ist die
R^elung der Verdauung. Bei komplizierender Mittelohraflfektion empfiehlt
sich der Tubenkatheterismus, dagegen nicht das Politzersche Verfahren.
Bei neurasthenischem Ohrensausen ist Fernhalten von geistiger Arbeit,
Alkohol und Tabak anzuraten, gelegentlich Tubenkatheterismus, Pueumo-
massage und vorsichtige Anwendung des galvanischen Stromes angezeigt.
Viele Patienten haben Erleichterung durch Aufenthalt im Höhenklima. Bei
Otalgieen rein nervösen bezw. hysterischen Ursprunges empfiehlt Verf. neben
Berücksichtigung des Allgemeinzustandes Anwendung von Antineuralgicis,
örtlich vorsichtige Einträufelungen von Atropin, Karbolsäure mit Menthol
und Kokain, Anästhesin.
Aronheim (9) teilt einen interessanten Fall von peripherischer Me-
dianuslähmung mit, der sich bei einem Pat. nach einer tiefen Schnittverletzung
der Hohlhand, durch die der Arcus volaris sublimis durchschnitten war,
nach Heilung der Wunde durch Narbendruck entwickelt hatte. Es gelang
Verf., durch Injektionen von Thiosinamin die Neuritis zum Schwinden zu
bringen, wie Verf. wohl mit Recht annimmt, durch Erweichung des die
palmaren Äste des Medianus komprimierenden Narbengewebes.
Unter Lumbago der Pferde versteht man nach Raebiger (289) eine
Erkrankung, die plötzlich mit Lähmungserscheinungeu der Hinterextremitäten,
Schweißausbruch, Fieber, Umfallen, Rötung der sichtbaren Schleimhäute,
blutroter bis chokoladenbrauner Haruverfärbung einsetzt und häufig tödlich
verläuft. Die bisher dagegen angewandten Mittel waren mehr oder minder
wirkungslos. Gute Erfolge sah Verf. von dem „Lumbagin" bezeichneten
Mittel, über dessen Zusammensetzung die Publikation leider nichts enthält.
Seine Erfolge werden von anderen Autoren in demselben Blatt bestätigt.
45 jährige Patientin von Jakunin und Schepelewitsch (175) bekam
im Laufe von 2V2 Monaten täglich 10 Tabl. Keratini puri non pepsino
parati (0,5 in tabl.). Bedeutende Besserung der Schmerzen, Ataxie, Blasen-
störungen; Sensibilität an den Füßen und Muskelgefühl sind zur Norm
wiedergekehrt. (Krön.)
Bmmpt und Wurtz (59) haben die Angaben Laverans über die
Heilbarkeit der Schlafkrankheit mittelst Arsen und Trypanrot an Affen
nachgeprüft und gelangen zu etwas anderen Resultaten, Sie halten die
Laveransche Behandlungsweise nur dann für wirksam, wenn das Trypa-
nosomengift von schwacher Virulenz war. (Bendia:,)
Roqne und Comelonp (312) haben vier Fälle von zerebraler
Syphilis mit verscliiedenartigen Manifestationen mit Injektionen von Hermo-
phenyl in großen Dosen behandelt. Sie injizierten innerhalb von 6 Wochen
1,52 Hermophenyl, etwa 0,60 ctgr Hg. entsprechend. Unangenehme Zufälle,
bis auf etwas Schmerzhaftigkeit, traten nicht ein. Niemals wurde Albumi-
nurie beobachtet. Der Erfolg war bei drei von ihren Fällen ein sehr guter,
und die Verf. empfehlen das Hennophenyl, welches dem Hg. gegenüber
noch den Vorzug hat, daß niemals eine Stomatitis von ihm hervorgerufen
wurde. (BmdLr,)
Zjrpkin (399) hat Keratin bei interstitiellen Erkrankungen, besonders
bei Myelitis chronica und Tabes dorsalis angewandt. Das Keratin ist eine
Proteinsubstanz, die zur Gruppe der Albuminoide gehört. Z. glaubt die
Besserungen, die er während der Keratinmedikation bei Myelitis und Tabes
wahrnahm, auf die Einwirkung dieses Mittels zurückführen zu können; das
902 Therapie der Krankheiten des Gehirns,
Keratin soll bei chronischen interstitiellen Wucherungen derart wirken, daß
es das Glutin bindet und dadurch die Kesorption des neugebildeten ßiade-
gewebes befördert. (Betidix.)
Allgemeines, Prophylaxe und Bebandlung der Hysterlep HeorastlieDle nil
verwandter Zustande.
Von dem Buche von Dnbois (107) liegt dem Ref. die Schlußliefening
vor. Dem im vor. Jahrgang des Jahresberichts über dieses Buches Gesagten
ist kaum etwas hinzuzufügen. Wir finden die gleichen Vorzüge des Werkes
in Sprache und Inhalt auch hier wieder, letzteren besonders reizvoll durch
die Fülle mitgeteilter Eigenbeobachtungen und die vielen Ausblicke auf
weitere Gebiete der praktischen Medizin.
Besonders das letzte Kapitel des Buches, in dem V^erf. gleichsam eine
Zukunftsbetrachtuüg über die Stellung, die der Psychotherapie auch auf
anderen Gebieten als dem der Psychoneurosen zuzuweisen sein wird, wird
mit vielem Interesse gelesen werden. Das Buch kann nicht nur Nerven-
ärzten warm empfohlen werden, auch der allgemeine Praktiker, der ja auch
täglich und stündlich mit „Neurosen" zu tun hat, kann mancherlei Winke
und wertvolle Ratschläge für sein ärztliches Tun und Handeln daraus ent-
nehmen.
Die Arbeit Bemheiin's (31) ist eine interessante Auseinandersetzung
mit Dubois, der in seinem schon im vorigen Jahrgange dieses Jahresberichts
besprocheneu Buche sich energisch gegen den Begriff der Suggestion Jils
therapeutischen Agens und ilire Anwendung in der Medizin gewandt und
dafür die Methode der logischen Überzeugung des Pat. als die würdigste
Art der Behandlung der Psychoneurosen bezeichnet hatte. Bernheim führt
mit Geschick den Nachweis, daß diese Methode tatsächlich auch nichts
anderes darstelle als eine Art der Suggestion, von der Dubois übrigens,
wie er ihm beweist, selbst gelegentlich Gebrauch mache. Die interessante
Arbeit, in der Bernheim sich des weiteren über die Methoden seiner Be-
handlung mittelst Suggestion ausläßt und sich gegen mißverständliche Auf-
fassungen seiner Methoden wendet, kann nur warm zum Originalstudium
empfohlen werden.
In einer sehr beachtenswerten Arbeit unterzieht SoUier (345) die
verschiedeneu Methoden der Psychotherapie einer eingehenden Kritik, die
stellenweise den Charakter einer lebhaften Polemik gegen die einseitige
Propagation bestimmter Methoden und Richtungen annimmt Er betont, daß
niemals eine einzelne Methode das Recht hat, als Panacee gegen alle mög-
lichen Neurosen und Psychoneurosen angesehen zu werden; weder die hyp-
notische Suggestion allein, noch das sogenannte Traitement moral, die direkte
wie indirekte Suggestionstherapie, noch die von Dubois inaugurierte Methode
der „Persuasion", gegen deren einseitige Übertreibung er unter Anführung
einzelner die Schädlichkeit einer solchen illustrierender Fälle er sich ganz
besonders scharf wendet, noch Isolierung, Mastkur usw. können kritiklos
und schematisierend angewandt werden; stets bedarf es eines sorgfältig
individualisierenden Eklektizismus, um im Einzelfall den richtigen thera-
peutischen Weg zu gehen. Wie eine jede Therapie, so ist auch die Psycho-
therapie keine Wesenseinheit, kein geschlossenes Ganzes, sondern sie begreift
eine Reihe von mehr oder minder methodischen Maßnahmen in sich, die
jede je nach Lage des Falles und dem künstlerischen Geschick des Antes
ihre Verwendung finden können und mit größtem Vorteile eine Verbindung mit
anderen therapeutischen Faktoren, besonders physikalischen und diätetischen.
Bückenmarks und der peripherischen Ner\''en. 903
wie Verf. besonders Dubois gegenüber scharf betont, einzugehen haben. Verf.
sieht vor allen Dingen noch immer in der Isolierung, der Euhe und der
Mastkur und der methodischen „R6edukation" sehr wertvolle therapeutische
Maßnahmen. Besonders wohltuend manchen philosophisch-psychologischen
medizinischen Spekulationen gegenüber berührt die Mahnung des Verf., daß
der sicherste Boden, auf dem das medizinische Denken sich bewegen kann,
stets der der Anatomie, der Physiologie und der Klinik ist, den wir be-
sonders, wenn es sich um die Therapie handelt, niemals yerlassen sollen, um
uns in die Nebelhaftigkeit der Philosophie und die Feinheiten der Psycho-
logie zu begeben.
Der Aufsatz von Bleuler (36) ist im wesentlichen eine warme
Empfehlung des hier (und auch schon im vorigen Jahrg.) besprochenen
Buches von Dubois, von dem Verf., wenn er auch das Buch in mancher
Beziehung einseitig findet und in manchen Punkten von ihni. abweicht, doch
betont, daß es das geeignetste Werk ist, um dem Arzt die Überzeugung bei-
zubringen, daß die Behandlung der funktionellen Neurosen, die in ihrem
wahren Wesen schließlich doch nichts als Psychosen sind, nur eine psychische
sein kann. Bleuler betont aber im Gegensatz zu Dubois, der nur mit
den Waffen der Logik kämpfen will, die Bedeutung der Suggestion eventuell
der hypnotischen für die Behandlung der Neurosen.
Freud (133) beschäftigt sich in einem sehr lesenswerten Aufsatze mit
seinem Lieblingsthema, der Rathartscheu oder analytischen Methode der
Ps}xhotherapie, der er bekanntermaßen vor allen anderen psychotherapeutischen
Methoden den Vorzug gibt; er setzt den tiefgreifenden Unterschied, der
zwischen ihr und der Suggestionstherapie besteht, auseinander und hebt die
Schwierigkeit seiner Methode und die für einen Erfolg unbedingt notwendige
lange Dauer derselben hervor. Aussichtslos ist seine Methode bei Patienten,
die nicht einen gewissen Bildungsgrad und einen einigermaßen verläßlichen
Charakter besitzen, ferner bei Individuen mit neuropathischer Degeneration.
Auch Psychosen sind für die Psychoanalyse ungeeignet, ebenso Pat., deren
Lebensalter eine Psychoanalyse sowie eine Beeinflussung der Psyche zu sehr
erschweren würde, d. h. also, wenn dieselben zirka 50 Jahre erreicht haben.
Ebenso erscheint es unzweckmäßig, zu dieser Methode zu greifen, wenn es
sich um schnelle ßeseitiguug drohender Erscheinungen handelt. Einen
Schaden von der Methode hat Verf. bei objektiver Betrachtung nie gesehen.
Die Ausführungen des Verf. über die psychologische Basis seiner Therapie,
speziell seine Anschauungen über die Bedeutung der sexualen Ätiologie der
Psychoneurosen sind unserem Leserkreis hinreichend bekannt, so daß ein
Eingehen auf die diesbezüglichen Einzelheiten sich erübrigt.
Müller (259) faßt den seiner Methode zur Erzielung psychischer
Ruhezustände bei Erschöpfungsneurosen zu Grunde liegenden Gedankengang
folgendermaßen zusanmien:
Die psychischen Punktionsstörungen beruhen auf einer Störung des
normalen Gedankenablaufes, welcher Störung in der Mehrzahl der Fälle eine
abnorme Einmischung des Gefühlselementes zu Grunde liegt. Die abnorme
Intensität des Gefühlselementes beniht auf einer zentralen Schwäche, die in
ihrer Intensität alle Stufen darbieten kann, von der leichten Disposition des
nervös Belasteten bis zu den schweren Reiz- und Erschöpfungszuständen der
Psychosen. Die andauernden Gefühlswirkungen bedingen das Andauern der
psychischen Anomalie. Durch ilire abnorme Intensität bilden sie Hemmungen
fiir die normalen psychischen Funktionen. Als psychische Behandlungs-
möglichkeiten kennen wir die Aufklärung des Patienten über das Wesen
seiner Störung und die Anregung zu Willenshandlnngen. Dies sind die
904 Therapie der Krankheiten des Gehirns,
Hauptmittel psychischer Behandlung, wie sie von Prof. Dubois in seinem
Buch über die Psychoneurosen und ihre psychische Behandlung in vorbild-
licher Weise geschildert sind. Je intensiver aber die Gefühlsreizong ist,
meist entsprechend der vorhandenen zentralen Reizung resp. Erschöpfung
desto größeren Schwierigkeiten begegnet die Behandlung. Als dritte mög-
liche Einwirkung haben wir die Ablenkung. Sie tritt dadurch ein, daß ein
stärkerer Eindruck den vorhergehenden Bewußtseinsinhalt verdrängt. Dies
ist das eigentliche Wesen der Suggestivwirkungen. Die systematische Kon-
zentration auf Buheempfindungen bedeutet eine besondere Form der Ab-
lenkung und hat für die Erholung des erschöpften Zentralorgans bestimmte
Vorteile. Die Methode ist nur anzuwenden, wo ein bestimmter Grad von
Ablenkbarkeit vorhanden ist, und wo noch so viel Urteilsfähigkeit besteht,
daß der Kranke das Vorgehen begreift. Im allgemeinen aber dürfte der
Ablenkung in ihren verschiedenen zur Anwendung kommenden Formen eine
größere Bedeutung zuzuschreiben sein, als vielerorts angenommen wird.
Savidge (324) gibt zum Teil ähnliche Lehren wie Müller, ausgehend
von interessanten psychologischen Betrachtungen.
Hoppe (165) gibt in einem lesenswerten populären Vortrag die Grund-
sätze, die vom Standpunkt der Hygiene des Nervensystems für die Erzielmng
in Haus, Schule und Kindergarten maßgebend sind. Der Aufsatz enthäk
zwar nichts neues, ist aber wegen des großen literarischen Materials, das er
berücksichtigt und der Wärme und Klarheit der Darstellung recht lesenswert.
Die lesenswerten Ausführungen Geissler's (137) gipfeln in dem Satze,
daß wir bei der Behandlung der funktionellen Neurosen das Gute nehmen
sollen, wo wir es finden. In diesem Sinne ist auch die ArbeitsÜierapie als
eine überaus wertvolle Bereicherung unseres therapeutischen Arsenals an-
zusehen, die zweifellos vielfach erheblichen Nutzen schafft. Aber es geht
mit ihr wie mit allen therapeutischen Methoden; in einem Fall wahrhaft
Wunder wirkend, versagt sie im nächsten völlig; war sind auch vorläufig
weit entfernt von der Möglichkeit, exakte Indikationen für ihre Anwendung
zu stellen. Eine besondere Schwierigkeit erwächst aus der Verschiedenheit
der beruflichen und gesellschaftlichen Stellung der Patienten, dem Gegensatz
zwischen Kopf- und Handarbeitern und dergl. Es können deswegen z. B.
die Erfolge in Haus Schönow, wo es sich vielfach um Kranke aus dem
Milieu der Handarbeiter handelt, nicht ohne weiteres auf andere Sanatorien
übertragen werden, deren Krankenmaterial ein ganz anderes ist. Verf.
plaidiert dafür, unter sorgfältiger Stellung der Indikation die Arbeitstherapie
als gleichberechtigten Faktor der Behandlung mit heranzuziehen, daneben
aber die anderen erprobten Heilmethoden nicht zu vernachlässigen, vor allem
einer zielbewußten persönlichen Beeinflussung die ihr gebührende Stellung
einzuräumen.
Veragnth (368) sieht in der Arbeitstherapie ein sehr wesentliche«
Moment psychischer Therapie überhaupt, dessen Bedeutung im wesentlichen
in der derivierenden psychischen Wirkung der Arbeit liegt. Verfasser unter-
zieht die verschiedenen Formen der in therapeutischer Beziehung in Betracht
kommenden Arbeit unter gleichzeitiger Betonung der wechselnden Indikation und
Erläuterung durch Krankengeschichten eigener Beobachtung einer Besprechung.
Nicht zu unterschätzen sind die bisweilen einer rationellen Arbeitstherapie im
Wege stehenden räumlichen und zeitlichen Schwierigkeiten. Erstere werden
in einem Sanatorium meist überwunden werden können, letztere liegen meist
besonders in der zu kurz bemessenen Kurdauer. Nicht leicht ist auch die
Frage der Beschaffung geeigneter Hilfskräfte zu lösen. Bei der Auswahl
der Pat. sind zunächst organische Kontraindikationen zu berücksichtigen,
Eückenmarks und der peripherischen Nerven. 9Q5
ebenso bei funktionellen Neurosen schwere Erschöpfungszustände. Am ge-
eignetsten sind Fälle von sog. Überarbeitung, Erschöpfungen infolge ein-
seitiger Berufstätigkeit Doch ist auch hier die Indikation und die Wahl
der Beschäftigung mit Sorgfalt zu treflfeu. Mäßig sind die Erfolge bei
Hypochondern und schlecht meist bei Imbezillen. Wichtig ist eine sorg-
faltige Dosierung der Arbeit.
Biedel (301) wendet sich gegen die öffentliche Schaustellung von
Experimenten aus dem Gebiete der Wachsuggestion, die nach seinen
persönlichen Erfahrungen nichts anderes als eine Form der Hypnose dar-
stellt Verf. geht aber noch weiter, indem er sich als Gegner auch der
therapeutischen Bestrebungen auf dem Gebiete der hypnotischen und der
Wachsuggestion bekennt.
Bonjonr (40) hat bei fünf schwangeren Erauen Versuche gemacht,
durch methodische und wiederholte hypnotische Suggestion den Termin der
Entbindung zu bestimmen. Es ist ihm viermal gelungen, den Eintritt der
Entbindung an einem bestimmten Tage erfolgreich zu suggerieren. Es bedarf
allerdings nach seinen Ausführungen dazu der Herbeiführung des lethar-
gischen Stadiums der Hypnose. Ref. erscheint es zweifelhaft, ob der durch
die Hypnose erreichte Vorteil einer Bestimmung des Gebärtermins nicht
durch die etwaigen Gefahren einer wiederholten hypnotischen Behandlung
während der Gravidität mehr als aufgewogen wird. Bei der durch die
Schwangerschaft schon überreichlich geschaffenen Disposition für nervöse
Zustände ist doch eine wiederholt ohne zwingende Indikation vorgenommene
Hypnose sicher nichts gleichgültiges, so daß nach Ansicht des Ref. gegen
derartige Experimente nicht energisch genug Einspruch erhoben werden kann,
Smith (343) bespricht in einem lesenswerten Aufsatz die Psychologie
und Pathologie des Schlafes und die Behandlung der letzteren. Wesentlich
neues bringt der Verf. nicht, bemerkt sei nur, daß ihm Veronal sich auch
bei leichteren Erregungszuständen und bei Melancholie bewährt hat.
Domblüth (104) gibt einen kurzen Abriß der Behandlung der
Schlaflosigkeit bei Neurasthenie. Neben der üblichen Verordnung von
«weckmäßigen physikalischen, diätetischen und medikamentösen Mitteln em-
pfiehlt er eine verständige Psychotherapie, gegen die Vorstellung des Nicht-
einschlafenkönnens als besonders wirksam die hypnotische Suggestion.
Von den neuen Gesichtspunkten, die die Arbeit von Meyer (242)
zur Verhütung der Schlaflosigkeit in ihrem Titel verheißt, kann Ref. zu
seinem Bedauern leider nicht viel entdecken; trotzdem kann der kleine
Aufsatz als ein brauchbarer Abriß über die Hygiene des Schlafes angesehen
werden. Ref. begreift nur nicht recht die Antipathie des Verf. gegen das
Schlafen bei offenem Fenster, besonders, bei der warmen Jahreszeit. Eef.
hat grade durch die Anordnung, bei geöffnetem Fenster zu schlafen, bei
nervöser Schlaflosigkeit sehr gute Wirkungen erzielt, vorausgesetzt, daß
das Schlafzimmer einigermaßen ruhig gelegen ist.
Eine Diskussion über Behandlung der Schlaflosigkeit und von Schmerzen
wurde von Branton (195) eingeleitet. Seine Ausführungen, sowie die der
Diskussionsredner enthalten trotz ihrer Ausführlichkeit nichts neues.
Von besonderem Interesse ist die Arbeit von MoU (248). Es handelt
sich um ein 5^« Jahre altes, bisher gesundes und gut entwickeltes Kind,
das mit einer schweren Hysterie und den Zeichen schwerer chronischer
Verdauungsstörungen und starker Absonderung von Kalkphosphaten im
Harn aufgenommen wurde. Der somatische und psychische Zustand ver-
schümmerte sich zunächst erheblich, es traten anhaltende Schlaflosigkeit,
hystero-epileptische Anfälle, Unruhe, hochgradige Abmagerung auf, mehrfach
906 Therapie der Krankheiten des Gehirns,
wurde anscheinend alimentär Albuminurie und Glykosurie konstatiert, Fu-
runkel und Panaritien traten gehäuft auf, das Gewicht nahm konstant ab.
Veränderung der Kost auf Kosten kalkreicher Nährmittel (besonders Milch
und Eier) führt ziemlich schnell eine Besserung aller Krankheitssymptome
herbei, die aber nach Überführung auf gewöhnliche Diät wieder rezidivieren,
um bei kalkarmer Nahrung wieder zu verschwinden. Ein erneuter Übergang
zur gewöhnlichen Kost zunächst mit fetter Milch (Rahm) gelingt jetzt und
führt auch nach Einfügung gewöhnlicher Vollmilch und anderer Speisen
nicht wieder zum Rezidiv. Pat. wurde geheilt entlassen. Die Mitteilung
des symptomatologisch vielfach dunklen Falles und seine therapeutische
Beeinflussung sind von großem Interesse.
Der Aufsatz von Barnes (18) über die verschiedenen Formen und
die Behandlung der Enuresis nocturna enthält nichts neues.
Braun (61) hat bei funktioneller Impotenz neben entsprechender
Allgemeinbehandlung glänzende Erfolge mit Muiracithin (anfangs 3, später
4—5 Pillen pro Tag) gesehen und berichtet, über 9 mit vollem Erfolge
behandelte Fälle. Hoffentlich haben andere Arzte und ihre Patienten die
gleichen glücklichen Erfolge wie Verf.
Eine sehr lesenswerte Abhandlung veröffentlicht Levy (207) über die
somatische und psychische Therapie der Spermatorrhoe. Auf die letztere
besonders legt er entscheidendes Gewicht, ohne die erstere zu vernach-
lässigen. Die Grundsätze, von denen er sich leiten läßt, sind im wesent-
lichen bekannt, verdienen aber wegen der Ausführlichkeit und Klarheit, mit
der sie und die aus ihnen hergeleiteten therapeutischen Indikationen be-
sprochen werden, wohl Beachtung zu finden.
Wieder einmal ein neues Baldrianpräparat wird von Flesch (126)
empfohlen. Valofin, von der ehem. Fabrik Helfenberg hergestellt, soll sämt-
liche wirksamen Stoffe der Baldrianwurzel, durch Destillation gewonnen, in
flüssiger Form enthalten. Seine Wirkung war gut bei einer Reihe von Fällen
an Neurasthenie und Hysterie, auch solchen mit Erscheinungen von Seiten
dos Mageudarmkanals und vasomotorischen Störungen.
Silber und Brann (336) empfehlen Liquor Ferro-Mangani saccharati
und peptonati bei chlorotischen Zuständen und funktionellen Neurosen.
Gutzmann (150) stellt in einem ausführlichen Referat in gi'oßen
Zügen die Fortschritte dar, die in der Erkenntnis und Behandlung der
einzelnen Sprachstörungen gemacht sind. Die Arbeit bringt für den mit
der einschlägigen Literatur und den auf dem Gebiete der Sprachstörungen
herrschenden Bestrebungen einigermaßen vertrauten Leser kaum neues,
kann aber vor allem dem Praktiker als orientierender Überblick warm em-
pfohlen werden. Der Wunsch des Verf., das Gebiet der Sprachstörungen
bei deren großer sozialer Bedeutung durch klinischen oder poliklinischen
Unterricht dem angehenden ärztlichen Praktiker vertrauter zu machen, verdient
durchaus Beachtung.
In einem zweiten Aufsatz bespricht Gutzmann (149) die Pathogenese
und Therapie der spastischen Stimmstörungen. Er zeigt, daß dieselben in
erster Linie Störungen der normalen Respiration und daran anschließend
der Stimmbildung sind, woraus sich als selbstverständliche Folge die Therapie
im wesentlichen als eine Übungsbehandlung der Atmung und der Stimm-
bildung ergibt. Einzelheiten der lesenswerten Arbeit sind im Original nach-
zulesen.
Singer (337) veröffentlicht einen Bericht über das Material der Gutz-
mann sehen Sprachheilanstalt vom Jahre 1904, der wesentliche therapeutische
Gesichtspunkte indessen nicht berücksichtigt.
Rückenmarks und der peripherischen Xerven. 907
Lannois und FeniUade (194) berichten über eine sehr interessante
Beobachtung Ton Mutismus bei einem mit Wandertrieb behafteten Degene-
rierten, der seit 16 Monaten bestand und bisher allen therapeutischen Be-
einflussungen getrotzt hatte. Die Heilung gelang prompt mittelst Suggestion
in leichter Chloräthylnarkose; ebenso prompt gelang es einige Wochen
später, bei dem Pat. halluzinatorische Verwirrtheit, durch Brotpillen und
die Ankündigung, eventl. wieder zur Narkose zu greifen, zu beseitigen. Ref.
begreift nur nicht, warum die VerflE. sich bei dem geschilderten Fall, dessen
Diagnose sie offen lassen, nicht zu der einer Hysterie entschließen können.
Toff (360) hat Bornyval in 23 Fällen von Herzklopfen und nervösem
Herzschmerz versucht und durchweg gute Erfolge von demselben gesehen.
Er sieht im Bornyval das beste symptomatische Mittel zur Bekämpfung
nervöser Herzbeschwerden, betont selbstverständlich, daß die Bekämpfung
des Grundleidens je nach Lage des Falles zu erfolgen habe.
Borchard (61) empfiehlt Pyrenol bei nervösen Herzstörungen im
Grefolge neurasthenischer oder hysterischer Zustände im Klimakterium und
bei toxischen Affektionen (Nikotin, Alkohol, Gicht). Die Dosierung beträgt
2—6 Tabletten ä 0,5 täglich.
Zur Behandlung der Herzneurosen ist nach Rumpf (320) nichts von
solcher Bedeutung, wie die sorgfältigste Erhebung der Anamnese, da nur
hierdurch häufig die Ätiologie eruiert und gleichzeitig damit der Weg zur
Behandlung gewiesen wird, die in erster Linie ätiologisch zu verfahren hat.
Hier kommen in Betracht die Herzneurosen infolge chronischer Intoxikationen
(Tabak, Alkohol), gichtische Prozesse, ferner Störungen von Seiten des
Magendarmkanals, der Sexualsphäre. Hier wirkt häufig schon die Elimini-
sierung der bekannt gewordenen Schädlichkeiten heilend. Die übrigen Heil-
faktoren werden vom Verf. in üblicher Weise besprochen, ohne daß wesent-
lich neues beigebracht wird. Besondere Berücksichtigung verdienen die
durch Wanderherz oder allzu bewegliches Herz bedingten Störungen, die
häufig infolge der Abmagerung Fettleibiger, aber auch aus unbekannten
Gründen auftreten und meist bei Hebung des Ernährungszustandes gebessert
werden. Die durch Überanstrengung oder Traumen hervorgerufenen Herz-
neurosen erfordern lange Ruhekuren unter Zuhilfenahme physikalischer Heil-
methoden, sorgfältiger Ernährung usw. In allen Fällen von Herzneurose
bedarf es neben vielfältiger symptomatischer Behandlung der sorgfältigsten
Regelung der gesamten Lebensweise unter steter Berücksichtigung der
individuellen Momente.
Kreibich (186) empfiehlt zur Herabsetzung der zentralen Reflexerreg-
barkeit bei vasomotorischen Neurosen der verschiedensten Art Arsen und
zwar entweder innerlich oder subkutan oder beide Arten der Verabreichung
kombiniert (innerlich die ersten Tage von einer Lösung von Sol. Fowl. mit
Aq. menth. pip. zu gleichen Teilen 3 mal täglich 5, dann 3 mal täglich
10 Tropfen, subkutan jeden zweiten Tag 0,02 Natrium arsenicosum).
Entsprechend seinem Charakter als Fortbildungsvortrag bringt der
Aufsatz von Boas (38) über Diagnose und Therapie der nervösen Magen-
dannerkrankungen kaum etwas neues. Er betont eindringlich die Bedeutung
des persönlichen Einflusses des Arztes, der hier von weit größerem Wert
ist, als die Wahl der therapeutischen Methode. Für die übergroße Mehrzahl
der einschlägigen Fälle empfiehlt sich die Behandlung in kleineren Sanatorien
unter Zuhilfenahme einer einsichtig angeordneten Ernährungstherapie und
der Anwendung physikalischer Heilfaktoren. Bisweilen empfehlen sich Hoch-
gebirgs- und Seelirftkuren oder längere Seereisen. Die Hauptsch^\ierigkeit
für die Erzielung von Dauererfolgen liegt in der wirksamen Beeinflussung
908 Psychologie.
der Kranken nach ihrer Rückkehr in das gewohnte Milieu. Von lokalen
Prozeduren und Trinkkuren rät Verf., nur sparsamen Gebrauch zu machen,
auch Medikamente sollen nur in bescheidenem Maße yerordnet werden, da
sie nur symptomatischen Wert besitzen, das Hauptgewicht der Behandlung
der in Bede stehenden Affektionen auf Temunftgemäße allgemein-hygieDische
Lebensweise zu legen ist.
Zur Behandlung der nervösen Magenstörungen (Atonien mit mehr
oder minder ausgesprochener Dilatation, Gastralgien) empfiehlt Stein (363),
besonders wenn Anorexie mit Völle und Druckgefühl nach dem Essen
besteht, Magenspülungen mit lauem Wasser oder schwacher Argentumlösnng
(1:3000). Nebenher geht eine hydriatische und elektrische Behandlung und
Darreichung von geeigneten Medikamenten, sowie Begelung der Diät. Bei
nervöser Gastralgie empfiehlt Verf. Überernährung. Auch bei nervöser
Bulimie haben Verf. Magenspülungen gute Dienste geleistet.
Lengefeld (201 a) empfiehlt zur lokalen Behandlung der Hjperidrosis
ein neues Aluminiumacetat-Fräparat, das Lenicet, das als SO bezw. bO%
Puder aufgestreut, sehr schnell austrocknend und desodorisierend wirkt.
Meier (237) hat durch zahlreiche Versuche an Fröschen, Mäusen und
Katten festgestellt, daß Bromsalze, besonders Bromocoll, die durch StrychDia
bewirkte gesteigerte Erregbarkeit der vasomotorischen Zentren aufheben.
Bromocoll scheint demnach die Wirkung des Strychnins nnd, wie
andere Versuche zeigten, auch des Curarins herabzusetzen oder zu unter-
drücken. Es würde zu untersuchen sein, ob auch die Wirkung des Pfeü-
giftes der Wilden gleichfalls durch Bromocoll entgiftet wird. (Bendia.)
Porot (285) teilt vier Fälle von Tickkrankheit mit, bei denen er mit
der Bewegungs- oder Wiederherstellungs-Therapie der normalen Muskel-
funktion gute Besultate erzielte. Der Zweck der Methode ist, nicht allein
auf die abnorme Funktion des Muskels einzuwirken, sondern die hemmende
und regulierende Hirutätigkeit wieder wach zu rufen und auszubilden. Die
Patienten werden angewiesen, die abnormen Muskelbewegungen zu unter-
drücken und bestimmte Bewegungen systematisch zu üben. Um Erfolg zu
erreichen, bedarf es nicht nur der Ausdauer des Behandelnden, sondern
auch des guten Willens und der Einsicht des Kranken und seiner Umgebung.
(Bendir,)
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440. Wilson, A.. How our Senses Deceive us. Scient. Am. N. Y. LX. 24934 — 24936.
441. Derselbe, Un cas de personnalite multiple. Ann. d. Sc. psychol. XV. 143 — 160.
442. Wood. T. Outterson, 3Iedico-Psychological Association of Great Britain and Ircland ;
Presidental Address. The Journal of Mental Science. Vol. LI, p. 643.
443. Wright, W. R., Some Effects of Incentives on Work and Fatigue. Psvchol. Rev.
XIII. 23—34.
444. Wulffen, Zur Kriminalpsvchologie des Kindes. 3lonatsschrift für Kriminalpsvchologie.
Bd. IL p. 172.
445. Wandt, Wilh., Grundriss der Psychologie. Leipzig. Eugelmann.
446. Yourievitsch, Xomination d'une commission pour l'elaboration d'un plan general
de ps)'chologie animale. Bull, de l'Inst. gen. psychol. Paris. V. 43—50.
447. Zavadskij. A. V., Die russische Literatur und Experimentalforschung zur Psychologie
der Aussage. Bericht und Eigenbericht. Beiträge zur Psychologie der Aussage.
Bd. II, p. 81.
922 Psychologie.
I. Allgeflielnes.
Hirschlaff (164a) bringt io einem besonderen Heft der Zeitschrift
für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane eine Zodainmenstellung
über die Bibliographie der psycho-phyaiologischen Literatur des Jahres 1903.
Abgesehen davon, daß der Wert dieser Übersicht schon reduziert wird durch
das verspätete Erscheinen, indem eben erst die Publikationen aus dem
zweitvorhergehenden Jahre aufgezählt wurden, muB auch darauf hingewiesen
werden, daß bei dem heutigen Umfange der psycho-physiologischen Literatur
in einem kurzen Hefte nichts Ausreichendes über die Produktion eines Jahres
gegeben werden kann. Tatsächlich ist das Verzeichnis auch recht lückenhafL
Es wäre durchaus zeitgemäß, wenn in Deutschland ein Jahresbericht über
die Erscheinungen der psychologischen Literatur, analog dem vorliegenden
neurologisch-psychiatrischen Jahresberichte, endhch herausgegeben ^ürde.
Warren (430a) bringt als starkes Sonderheft der Zeitschrift The
Psycological Review einen bibliographischen index über die Literatur der
Psychologie und ihre Grenzgebiete von 1904. Wenn hier auf diese Er-
scheinung verwiesen wird, so geschieht es nur um deswillen, weil sie als
Vorbild auch für die deutsche Literatur benutzt werden können. Grerade
für die psychiatrisch -neurologischen Leser, die meist nur einzelnen Aus-
schnitten der psychologischen Literatur ihr Augenmerk zuwenden, würde
(.'\ne möglichst lückenlose Zusammenstellung von Arbeitstiteln nach einer
übersichtlichen Gruppierung willkommener und verwendbarer sein, als eine
notgedrungenerweise recht lückenhafte Zusammenstellung mit kurzer Inhalts-
angabe, wie sie im Rahmen dieses Jahresberichts üblich ist.
Mach (241) behandelt eine Fülle von Problemen, die jeden natur-
wissenschaftlich Denkenden fesseln müssen. Es seien unter den mannig-
fachen einzelnen Aufsätzen hervorgehoben die über Gedächtnis, Reproduktion
und Assoziation, über ReHex, Instinkt, Wille und Ich, über die Entwicklung
der Individualität, über Erkenntnis und Irrtum, über Empfindung, An-
schauung und Phantasie, über Anpassung der Gedanken au die Tatsachen
und aneinander, über Gedankenexperimente, über das psychische Experiment
und seine Leitmotive, über Ähnlichkeit und Analogie als Leitmotive der
Forschung, über die Hypothese, das Problem, die Voraussetzungen der
Forschung, über Ziel und Maß, Zeit und Raum, Sinn und Wert der Natur-
gesetze. Aus diesen wesentlichen Programmpunkten läßt sich bereits eine
Ahnung des ungemein reichen Lihaltes gewinnen, den uns Mach in seiner
klaren originellen Denkweise und packenden Sprache darbietet. Auch wer
nicht dem M achschen Positivismus in seinen letzten Konsequenzen folgen
mag, kann außerordentlich viel Anregung gewinnen; ja es dürften sich unter
den Psychiatern viele finden, denen Machs Psychologie und Philosophie
gerade um ihrer antimetaphysischen Tendenz willen besonders sympathisch ist
Möbius (273) bringt in seinem „Greuzland" eine Reihe von Aufsätzen,
die geradezu als die denkbar beste Einführung in erkenntnistheoretischea
und überhaupt philosophisches Denken bezeichnet werden können.
Hohlfeld und Wünsche (207) haben die bereits 1848 herausge-
gebenen Vorlesungen über psychische Antliropologie von Karl Christian
Krause einer neuen Durchsicht und Herausgabe unterzogen. Das Buch
hat mit seinem etwas spekulativen Standpunkt vorwiegend historisches
Interesse.
Tröltsch (413 a) arbeitet Gedanken früherer religionsphilosophischer
Sclitiften weiter aus. Der ausgezeichnete moderne Heidelberger Theologe
diskutiert über die Religionswissenschaft in einer Weise, die auch dem
Psychologie. 923
Naturforscher eine StelluDguahme ermöglicht. Die Keligionswisseascfaaft^ zu
(leren Beurteilung die Psychologie in weitem Umfang herangezogen wird,
soll keineswegs die Religion aufheben, sondern ihre Basis festigen.
Titchener (412) erörtert in programmatischer Form die Probleme
der experimentellen Psychologie.
Chaparede (74) bringt einen Essay über die Berechtigung der ver-
gleichenden Psychologie.
James (175) spricht dem landiäutigen Begriff des Bewußtseins die
Existenzberechtigung ah. Als grundlegend gilt ihm die Erfahrung des
Wiedererkeunens.
Lipps (229) gibt in der wesentlich erweiterten zweiten Auflage seiner
psychologischen Studien eine Reihe von Erörterungen, die sich auf drei
wesentliche Kapitel der theoretischen Psychologie beziehen: Zunächst be-
spricht er den Raum der Gesichtswahrnehmung, darauf das Wesen der
musikalischen Konsonanz und Dissonanz und schließlich das psychische
Belativitätsgesetz und das Web ersehe Gesetz, jeweils unter eingehender
kritischer Würdigung der von anderen Autoren hinsichtlich der einzelnen
Fragen aufgestellten Tlieorien.
Lipps (232) bringt ferner als erstes Heft eines ersten Bandes Psycho-
logischer Untersuchnn^ren eine Studio über „Bewußtsein und Gegenstand-*,
ausgehend von dem Satz, daß die Bewußtseins - Erlebnisse der Gegenstand
der Psychologie sind. Bei dem Empfinden stehen das Ich und das Be-
wußtseinserlebnis, etwa das empfundtMie Blau, durch das das Ich berührt
wird, außereinander, während beim Gefühl, etwa der Lust, das darin Erlebte
selbst eine Bestimmtheit oiler Dasei usweise des Ich ist. Das Erlebte fällt
hier in das erlebende Ich hinein, das Erleben und das Erlebte fällt im Ich
zusammen. Die Studie wendet sich dem Erlebten und den Gegenständen,
der Wahrnehmung und Vorstellung, der inneren Wahrnehmung und dem
Urteil zu. Daß etwas Tatsache ist, bedeutet, daß eine Forderung der
Gegenstände besteht und sich behauptet; Tatsächlichkeit besagt: Sachliches
oder objektives Gefordertsein. Alle kategorischen Verstandesurteile sind
Urteile, die in gültiger Weise Wirklichkeit oder das Bestehen eines Wirk-
lichkeitszusammenhangs anerkennen, in denen das Recht eines Gegenstandes
anerkannt wird, gedacht zu werden, und fernerhin das Recht eines Gegen-
standes, in den Zusammenhang dessen, was gleich ihm ein Recht hat, ge-
dacht zu werden, in bestimmter Weise hineingedacht zu werden. An die
erkenntnis - theoretischen Auseinandersetzungen knüpfen sich Ausführungen
über die qualitativen Urteile, über Streben und Tätigkeit und den Zusammen-
hang des Bewußtseinserlebens. Das Buch, dessen Darstellung, wie aus den
mitgeteilten Proben schon hervorgeht, den psychiatrischen Lesern keine
leichte Aufgabe stellt, führt zu den Schlußerwägungen: Diejenige Tätigkeit,
in der ich bewußt motiviert werde, durch mich, das heißt durch das Ideal
der absoluten Selbstbetätigung, dessen Verwirklichung das mir, dem indivi-
duellen Ich, transzendente reine Vernunft-Ich erfordert, das ist die Tätig-
keit, in welcher das Erlebnis dieses unbedingten oder absoluten Zweckes
zum unbedingten oder absoluten Motiv geworden ist.
Wandt (445) hat nunmehr von seinem monumentalen Werke über
die Völkerpsychologie, dessen starker, zweibändiger erster Teil, die Psycho-
logie der Sprache, bereits in zweiter Auflage vorliegt, auch den zweiten Teil
erscheinen lassen, der die Psychologie des Mythus und der Religion enthält.
Wenn auch die Leser des Jahresl)erichts nur zum geringsten Teil spezielles
Interesse fiir diesen Zweig der Psychologie haben werden, so sei doch an
924 Psychologie.
dieser Stelle auf das bedeutsame Werk hingewiesen, dem die Literatur
bisher nichts auch nur entfernt Ahnliches an die Seite zu stellen hat.
Mohr (276) belegt durch eine Reihe von Beispielen Abnormer, daß
eine andere Auffassung als die der psychischen Kausalität nicht aulrecht
zu erhalten ist, daß das subjektive Freiheitsgefühl keineswegs die objektive
Freiheit zu beweisen vermag, und daß das gesamte Freiheitsbewußtsein eine
Illusion ist, die sich aus dem Kausalzusammenhang des psychischen Geschehens
ergibt wie alle anderen Gebilde. Schwerlich wird von psychiatrischer Seite
jemand diesen bereits eingebürgerten Anschauungen etwas entgegenhalten,
aber nicht unangebracht ist es doch, daß diese Sätze auch einmal vor einem
mit Juristen durchsetzten Leserkreise dargelegt werden.
Hielscher (162) stellt die ältere griechische Philosophie von einem
neuen Gesichtspunkte aus dar. Er betrachtet nämlich die Weisen des 5.
und 6. vorchristlichen Jahrhunderts nicht nur als die Vorläufer der klassischen
griechischen Philosophie, sondern er erblickt in ihrer Geistestätigkeit den
Abschluß einer vielhundertjährigen Kulturarbeit. Völkerpsychologisch unter-
sucht er Inder, Babylonier, Ägypter und findet, daß alle diese Völker auf
einer bestimmten Kulturhöhe auch zu philosophischen Ergebnissen gelangen,
die man fortan nicht mehr als rein griechische Geisteserzeugnisse wird
bezeichnen können. Die so gefundene Tatsache veranlaßt den Verfasser, die
weitere Frage aufzuweisen, ob nicht die Entwicklung eines jeden denkenden
Menschen gerade auf die Probleme führt, die sich anfanglich zum mindesten
sämtliche Kulturvölker vorgelegt haben. In diesem Falle liefert die Beob-
achtung des Entwicklungsganges unserer Denkfähigkeit eine Kontrolle für
die Problemstellungen jener alten Weisen. Zu der völkerpsychologischen
Untersuchung mußte also ergänzend eine individualpsychologische hinzu-
treten. Nach der Begründung dieser Methode werden nach ihr die Philo-
sophen von Thaies bis zu Heraklit einschließlich dargestellt. Dabei hat
sich eine ganze Reihe von Erläuterungen zu bisher schwer verständlichen
Fragmenten ergeben ; die völkerpsychologischen Vergleiche haben manches
Rätsel zu lösen vermocht. (AutoreferaL)
IL Sinnespsychologie.
Pedersen (308) hat an Schulkindern Versuche zur experimentaleu
Prüfung der visuellen und akustischen Erinnerungsbilder angestellt. Aus
einem englischen Lexikon wurden 500 Wörter von je 7 Buchstaben aus-
gewählt, die den Kindern ganz unbekannt waren. An jedem Tage wurden
den Kindern 15 Wörter nach einander 5 — 10 Sekunden lang exponiert.
Die Ergebnisse lieferten ein annäherndes Maß für die Tüchtigkeit der Kinder
im Unterricht, ferner auch einige Auskunft über ihre Fähigkeit,,^ die Auf-
merksamkeit zu konzentrieren, die ja einer außerordentlichen Übung und
Entwicklung zugänglich ist. Vergleichung mit den Zensuren ergab, daß die
Visuellen in Orthographie und Zeichnen besser sind, die Akustischen in
der Geschichte.
Lemaitre (220) fügt seineu früheren Beobachtungen über die inner*^
Sprache oder die Anschauungstypen von Kindern 18 neue hinzu. Es scheint,
daß bei Kindern von 13 — 14 Jahren die verschiedensten Typen vorkommen,
verbal-visuell, symbolisch-visuell, auditiv- visuell, visuell-motorisch, verbal-
auditiv, verbal-motorisch. Ja diese Typen erw^ecken geradezu einen kom-
plizierteren Eindruck als bei Erwachsenen, bei denen die Vorherrschaft
ein(»s Zentrums über die anderen sukzessive an Boden gewinnt. Er bat
Psychologie. 925
weiterhin an 3 Klassen mit zusammen 90 Schülern von 13 — 14 Jahren Beob-
achtungen angestellt.
Andrews (11) bringt die Erörterung und Aufstellung eines Versuchs-
planes zur Feststellung der persönlichen Eigenschaften auf akustischem
Gebiete, vor allem hinsichtlich der allgemeinen Hörfähigkeit und der musi-
kalischen Fähigkeiten.
Schaefer und Mahner (366) untersuchten, wie sich taubstumme,
Winde und normale Kinder in bezug auf vergleichende Schätzung gehobener
Gewichte zu- einander verhalten. Je 4 taubstumme, blinde und normalsiunige
Kinder von 8 — 14 Jahren wurden herangezogen. Die Ertaubung war
zwischen dem 2. und 9. Jahre, die Erblindung mit 5 und 9 Jahren bezw.
gleich nach der Geburt erfolgt.
Es ergab sich, daß mehr richtige Fälle auftraten, wenn das leichtere
Gewicht zuerst gehoben wird, als wenn das schwerere zuerst gehoben wird.
Die 4 Taubstummen sind den 4 Blinden und diese wieder den 4 Normal-
sinnigen in Bezug auf der Menge der richtigen Fälle sehr deutlich überlegen.
Das Urteil der Taubstummen zeigt geringere Schwankungen als das der
Blinden und Normalen.
Alexander und Barany (3) stellten Versuche an über die Beurteilung
der Richtunp; von auf der Stirn vorgezeichneten Linien (Taktikers uche) bei
geradem Kopf und bei Kopfneigung, dann Taktilversuche bei Körperneigung
und Kopfkörperneigung, dabei auch sogenannte Leuchtlinienversuche, indem
der Versuchsperson in einem Dunkelraum eine leuchtende Linie gezeigt
wurde, deren Richtung sie zu beurteilen hatte. Ferner wurde die Senkrechte
im Räume bei aufrechtem Kopf und Körper sowie bei Körperneigung optisch
bestimmt. Weiterhin wurden Winkelgrößen optisch geschätzt, sodann die
scheinbare Kopflage, die Kopfneigung, die Kopf körp erläge und Kopfkörper-
neigung. Schließlich wurden sogenannte Nachfahrversuche angestellt, indem
bei geradem oder gedrehtem Kopf auf der Stirn der Versuchsperson bei
geschlossenen Augen Striche gezogen wurden, worauf die Versuchsperson
zunächst die Lage des Striches beurteilen und dann ihn auf der Stirue nach-
fahren mußte.
Wie bei der Bestimmung jeder vorgestellten Linie ergab sich auch bei
der Bestimmung der Senkrechten im Räume ein unsicheres Feld, dessen
Größe von der Zahl der Versuche abhängt, wahrscheinlich aber auch je
nach der Merkfähigkeit der Versuchsperson variiert. Die Versuche, zu
denen Taubstumme sowohl wie Normale herangezogen waren, ergaben in
dieser Hinsicht keinen Unterschied. Wichtig ist bei diesen Versuchen das
Auftragen des geschätzten Kopf- resp. Kopfkörperneigungswinkels von der
scheinbaren Kopf- resp. Kopfkörperlage aus. Vorstellungsbildende Empfindungen
des Statolitheuapparats ließen sich niclit nachweisen.
in. GedSchtnis, Assoziation.
Heilbronner (löö) legt bei seinen Auffassungs- und Gedäclitnis-
studien den Nachdruck darauf, die Zahl der zu übersehenden Partialeindrücke
möglichst zu veningern. Er fertigte zunächst einfachste Zeichnungen, die
zum Teil noch vieldeutiger Art waren und erst allmählich durch Hiuzufüguug
charakteristischer Einzelheiten eindeutig wurden.
Bei verschiedenen psychisch- abnormen Zuständen wurde die Methode
augewandt, die sich ausgezeiclinet am Krankenbett und selbst am Dauerbad
verwenden läßt.
926 Psychologie.
Ephrussi (106) stellte in dem Göttinger psychologischen Laboratorium
ausgedehnte Versuche über die Ökonomik des Lernens an, indem er sinnlose
Silbenreihen, dann Wortpaare, die aus einer russischen und der dazu
gehörigen deutsclien Vokabel bestanden, ferner Reihen, deren Paare aus
einem zweisilbigen Wort und einer dreistelligen Zahl gebildet waren, späterbin
auch das Trefferverfahren in Anwendung brachte. Die nächsten Resultate
waren die: Bei der Einprägung von sinnlosen Silben ist das Lesen mit
gehäuften Wiederholungen im allgemeinen beträchtlich ökonomischer als das
Lesen im ganzen; bei der Einprägung von Zahlen oder von Wort- und
Zuhlenpaaren führt eher das Lesen im ganzen zu besseren Ergebnissen.
Weiterhin ließ sich feststellen, daß die Herstellung von Assoziationen
zwischen den Gliedern eines einzuprägenden Lernstoffes besonders nur dann
beginnt, wenn dieser Stoff einen bestimmten Geläufigkeitsgrad erreicht hat.
Um so ökonomischer ist die Memoriermethode, eine je geringere Zahl von
Wiederholungen auf die Herstellung der zur Assoziationsbildung nötigen
Geläufigkeit verwendet wird. Bei ganz besonders geläufigen Stoffen wird
der Wert der Lernverfahrensweisen durch andere Faktoren bestimmt.
Alexander-Schäfer (4) bezeichnet als Tusch den Zustand, in den
das ZentralneiTensystem durch heftige sensorische Reize versetzt wird. Es
wurde z. B., während die Versuchspersonen Metronomschläge zählen mußten,
in üben-aschender Weise eine Platzpatrone abgefeuert; trotz der heftigen
Zuckung fand sich dann keine Gedächtnisstörung bei Erwachsenen, wohl
aber bei Kindern, deren Zählen für einige Minuten gestört wurde; jedoch
trat auch hier bald eine Gewöhnung ein. Bei anderen Versuchen hatte die
Person durch einen Spalt Earbenstreifen am Kymographion zu visieren und
ihre Reihenfolge auswendig zu lernen, wobei sie durch den Schuß erschreckt
wurde. 3 Personen wurden nicht gestört, 7 konnten die Farbe im gehörigen
Moment nicht angeben; alle zeigten beim Schuß Zusammenfahren. Das
primäre Gedächtnisbild wurde unter Einfluß von Tuschreizen stets ungünstig
beeinflußt.
Janet (176) erörtert das psychische Phänomen des Eindruckes, als
habe man etwas schon einmal gesehen, unter Hinw^eis auf die Notwendigkeit
sorgfältiger Beobachtung gegenüber vorschneller Hypothesenbildung.
Leroy (223) untersucht das Problem der inneren Sprache vor alh*m
mit Rücksicht auf verschiedene Auffassungs- und Gedächtnistypen.
Duprat (96) liefert durch eine Reihe von Beispielen kurze Beiträgt*
zur Frage des Traumgedächtnisses, insbesondere des Gedächtnisses bei Kinder-
t räumen.
Pick (313) bringt unter Anlehnung an einen klinischen Fall eine
Auseinandersetzung über das Vergessen bei Irren, wobei er die Bedeutung'
<]es affektiven Faktors den übrigen Faktoren der Vorstellungsassoziation und
Rückerinnerung an die Seite stellt.
Janet (177) behandelt in seiner Arbeit ein häufig aufti*etendes psy-
cliisches Symptom, das bei Hysterischen durch Gemütsbewegung hervor-
gerufen wird. Ein 23jähriges Jlädchen, welches durch den Tod seiner Mutter
sehr ergriffen war, bot folgende Zeichen: 1. Halluzinatorische, dehrante
Krisen, in denen sie alle Phasen der Krankheit ihrer Mutter aufs genaueste
(»rzählt. 2. Nach der Krise erinnert sie sich außer ihres Anfalles noch alles
dessen, was sie über die Krankheit ihrer Mutter gesagt hatte und bietei
eine vollständige Amnesie der ganzen Kraukheitszeit ihrer Mutter dar. Auf
hypnotischem Wege wurde das Erinnerungsvermögen für jene Vorgänge
wieder wachgenifen und das Verschwinden der Halluzinationen erreicht.
Über den Mechanismus dieser Erscheinungen äußert sich J. in folgender
Psychologie. 927
Weise: Durch plötzliche Gemütsbewegungen, denen sich schwache Organismen
nicht anpassen können, entstehe eine psychische Insuffizenz, welche eine
Herabsetzung der höheren Geistesfunktionen und ein stärkeres Hervortreten
der untergeordneten, mehr oder weniger automatischen Funktionen zur Folge
habe. (Bendix,)
Wenn man nach Jung (194) beim Assoziationsexperiment nach erfolgter
Aufnahme von der Versuchsperson sich noch einmal angeben läßt, was sie
auf die einzelnen Reizworte reagiert hat, so versagt an gewissen Stellen die
Erinnerung. Diese Stellen sind in der Regel keine gleichgültigen, sondern
es handelt sich um durch Komplexe konstellierte Assoziationen.
(Über den Begriff ».Komplex** vergl. Dignost. Assoz.Stud. Beitrag I. Journal
Psych, u. Neurol. 1904ff.) Der Reproduktionsversuch liefert also
Indizien zur Auffindung der Komplexe, sog. Komplexmerkmale. Warum
gerade bei den kritischen Stellen oder den unmittelbar darauf folgenden die
Erinnerung versagt, ist nach Freud sehen Prinzipien zu erklären. Jeder
Komplex unterliegt einer gewissen Verdrängung, welche ])esonders die unlust-
betonten Komplexe trifft. Infolge der Verdrängung läßt sich der Komplex
schwerer reproduzieren als das übrige psychische Material, (Autoreferat.)
Gnicciardi (148a) bedient sich einer einfachen Anordnung, um das
Gedächtnis für gehörte und gelesene Worte eineraeits, dargestellte und reell
gesehene Gegenstände andereiseits mit einander zu vergleichen. Er zieht
in den Rahmen seiner Betrachtung Geschlechts-, Alters- und Bildungs-
unterschiede. Die gewonnenen Resultate lassen sich in wenigen Worten
nicht wiedergeben. (Merzhacher.)
IV. Gesicht und Psycbomotilität.
Goldscheider (134) spricht in geistvoller Weise über die Stimmung.
Man wird seine Ausführungen gerne lesen, auch wenn man Einzelnes weder
für neu noch für einwandfrei ansieht, so seine Hypothese: Die gehobene
Stimmung hat ein physiologisches Korrelat, bestehend in einem Zustand
gesteigerter Anregung und Bahnung, unterdrückter Hemmungen auf das
motorische und vasomotorische System irradiierender Erregungen,
Kelchner (196) veranstaltete in Meumanns Laboratorium eingehende
Untersuchungen über die Abhängigkeit der Puls- und Atemveränderung vom
Reiz und vom Gefühl. Der enp:e Zusammenhang zu den Modifikationen der
Pulsfrequenz und denen des Gefühls w^ar deutlich. Es wurde auch bei
Uolustversachen konstatiert, daß die Modifikationen früher eintreten als die-
jenigen des Gefühls, im Gegensatz zu Lehmanns Ergebnissen.
Parker (302) hat die motorischen Erscheinungen in der Cliorea
graphisch registriert. Seine Kurven dienen in der Tat gut zur Veranschau-
lichung der eigenartigen Koordinationsstörung. Mehr Erfolge würden sieh
wohl noch erzielen lassen durch die 3-dimensionale Analyse mittels des
Sommerschen Zitter-Apparates.
Stefan! und Ugolotti (385 a) haben die Wirkung des Pilokarpiii.s
und Atropins auf die Pupille und die Wirkung des Atropins auf Vagus und
Herz graphisch am Neugeborenen und Erwachsenen dargestellt. Aus den
gewcmiienen Resultaten ziehen die Autoren weite, für Physiolo^^ie, Pharmn-
kt)locjie und Biologie Geltung habench» Schlüsse über Ge>YÜhnun;r und An-
passung einzelner nervöser Organe an die AVirkung spezifischer Gifte. Die
sehr in extenso wiedergegebenen Resultate der Untersuchungen können hier
nur andeutungsweise wiedeigegeben werden.
Die Anpassung erfolgt in den Organen selbst, die in spezifischer Weise
auf das Gift reagieren. Die Fähigkeit der Anpassung variiert stark nach
928 Psychologie.
dem Alter des Individuums. Die Fähigkeit der Anpassung kann durch das
Auftreten von Ermüdungserscheinungen gestört werden. Die ErmüduDgs-
kurve zeichnet sich durch besondere Merkmale aus. Dem Stadium der An-
passung geht ein Vorbereituugsstadium voraus, das wieder auf der Kurve
charakt. Merkmale trägt, die es von der Vergiftungs- und Aupassungskurre
unterscheidet (besondere Oszillationen). Die jugendliche Zelle reagiert auf
Gift anders als die erwachsene; in der älteren Zelle verlängert sich die
Latenzzeit, verkürzt sich der auf- und absteigende Schenkel der Wirkungs-
kurve. Um die Dauer der Wirkung beim Neugeborenen dem des Er-
wachsenen gleichzubringen, muß eine zehnmal größere Dosis in Anwendung
kommen, und um die gleiche Latenzzeit zu erzielen, bedarf es beim Neu-
geborenen einer tausendmal kleineren Dosis. Die erwachsene Zelle ist
sensibler als die jugendliche oder in übertragenem Sinne hat ein feineres
Unterscheidungsvermögen als die jugendliche, die erwachsene wird auch für
längere Zeit vom Reize affiziert. (Merzbadier.)
Guicciardi (148 b) zählt in seiner langen Reihe die 75 «mental
tests" auf (mit Angabe der zur Verwendung kommenden Methoden und
Apparate), die in der Klinik von Tamburini (Reggio-Emilia) zur An-
wendung kommen. In dieser Weise soll möglichst erschöpfend und einheit-
lich der psychische Besitzstand eines zu untersuchenden Individuums
(juantitativ wie qualitativ aufgenommen werden, (Merzlmcher.)
V. Bewusstsein. Aufmerksamkeit. Geistige Arbeit.
Seashore (368) bringt kritische Bemerkungen gegenüber den Be-
mühungen von Bertil Hammer, die experimentell vielfach festgestelhen
Aufmerksamkeitsschwankungen in das Bereich der physiologischen Vorgänge
zu verweisen, beziehungsweise sie durch Fehlerquellen am Reize zu erklären.
Peters (311) untersuchte Aufmerksamkeit und Zeitverschiebung in
der Auffassung disparater Sinnesreize in der Weise, daß er eine um eine
Vertikalachse drehbare Holzscheibe anwandte, die bei jeder Umdrehung eine
Quecksilberkuppe durch Kontakt schleifte, wodurch ein Strom geschlossen
und ein als Schallreiz dienender Offnungsfunke hervorgemfen wurde. Ein
2 mm breiter, radiär gerichteter Spalt der Drehscheibe ging bei jeder Um-
drehung an einer 16 kerzigen Glühlampe vorbei, deren Licht in diesem
Moment in das Auge des Beobachters geworfen wurde. Je nach Anbringen
der Kontakte konnte das Licht und der Schallreiz gleichzeitig ausgelöst
werden, oder der eine früher, der andere später auftreten. Nach einigen
A'orversuchen, bei denen der Versuchsperson ein passives Verhalten angeraten
war, wurde verlangt, daß die Aufmerksamkeit sich auf einen der beiden
Eindrücke, zunächst den akustischen, bei späteren Versuchen den optischen
konzentrieren solle. Von den Ergebnissen sei noch besonders erwähnt, daß
die Verbindung zwischen dem zentral bedingten Aufmerksamkeit^zustand und
bestimmten Muskelaktionen, die sensorisclie Affekte bringen, so innig ist,
daß die Ausschaltung der letzteren die erstere in ihrer Wirkung beeiu-
trächtigt.
Bäräay (22) stellte mittels eines Apparates Versuche derart an, daß
auf die Stirn der Versuchsperson in beliebiger Richtung Striche gezogen
werden sollten, die nach ihrer Richtung zu registrieren waren. Dazu war
an dem einen Ende einer Metallachse eine Metallplatte mit einem Spalt
angebracht, in dem ein Stift verschiebbar war. An dem anderen Ende der
Achse war ein mit dem Stab parallel gestellter Zeiger befestigt, welcher auf
Psychologie. 929
einem Papiertransporteur bei jeder beliebigen Stellung des Spaltes die
Richtung des Spaltes und damit auch des Striches auf der Stirue anzeigte.
Die taktile Bestimmung des Senkrechten im Räume erfolgte keineswegs
scharf. Selten nur ist die Merkfahigkeit einer Person groß genug, daß
wenigstens eine Zeitlang bei mehreren Hin- und Rückwegen dieselbe Em-
pfinduDg als vertikal bezeichnet wird. Verschieden sind die Ergebnisse, je
nachdem die Aufmerksamkeit auf das an den aufeinanderfolgenden Em-
pfindungen Gleichbleibende oder auf das an den Empfindungen sich Ändernde
gerichtet ist Ein Ermüdungseinfluß ist nicht zu erkennen.
Jewell (181) liefert eine gedrängte Studie über die Psychologie der
Träume auf Grund eines Materials von 2000 Träumen, die ihm auf Grund
von ausgesandten Fragebogen durch 800 Personen mitgeteilt wurden. Gerade
für einen psychologischen Vorgang, wie dem Traum, der sich so jeder
Kontrolle entzieht, und dessen brauchbare Wiedergabe einen erheblichen
Grad von Selbstbeobachtung voraussetzt, sind derartige Massenenqueten als
eine möglichst ungeeignete Methode zu bezeichnen.
Vaschide (418) erörtert die Kurve geistiger Arbeit, wie sie sich nach
den Forschungen von Kraepelin und seiner Schüler darbietet. Die in der
Sammhing „Psychologische Arbeiten" niedergelegten Untersuchungen werden
darch die verdienstlichen Bemühungen dieses und anderer französischer
Autoren im Ausland bald bekannter sein als bei uns.
Chaparede (73) versucht in geistvoller Weise eine biologische Theorie
des Schlafes zu geben. Er stellt den Schlaf unter dem Gesichtspunkt des
Instinktes dar, nicht als einen Ausdruck der Erschöpfung, sondern als einen
Reflex, der der Erschöpfung vorbeugt.
Weygandt (437) stellte ausgedehnte Versuche über die erholende
Wirkung der einzelnen Schlafabschnitte in der Weise an, daß eine halb-
stündige fortlaufende geistige Arbeit, wie das Addieren einstelliger Zahlen
oder das Auswendiglernen zwölfstelliger Zahlengruppen, zunächst vor dem
Einschlafen geleistet wurde, dann eine gewisse Zeit von % Stunde, 1 Stunde,
2 Stunden usw. bis zu 6 Stunden geschlafen wurde, darauf wieder 7« Stunde
gearbeitet, dann weiter geschlafen und schließlich nach dem Erwachen zur
Kontrolle noch einmal ^'^ Stunde fortlaufend gearbeitet wurde. Aus den
durch Diagramme veranschaulichten Versuchsergebnissen geht hervor, daß
fiir die Ausführung leichter, wohl eingeübter geistiger Arbeiten wie das
Addieren, eine kurze Schlafperiode ausreicht, um die abendliche Ermüdung
auf die Arbeitszeit von einer halben Stunde völlig zu verdecken, für die
viel anstrengendere, einen Merkakt verlangende Arbeit des Auswendiglernens
hingegen ist eine weit längere Erholung durch den Schlaf notwendig, ehe
nach abendlicher Ermüdung wieder eine erhebliche Steigerung der Leistungs-
fähigkeit eintritt. V« Stunde hat für diese Tätigkeit nur geringe erholende
Wirkung, 1 bis 4 Stunden wirken immer günstiger, aber selbst nach 6 und
6 stündiger Schlafzeit ist die Leistungsfähigkeit noch nicht soweit wieder
hergestellt, daß nicht durch eine weitere Sclilafperiode von 1 bis 2 Stunden
noch eine Steigerung eintreten könnte. Hier hat also jede Stunde des
Schlafes, auch die nach den Weckschwellenversuchen von Kohlschütter
u. a. so bedeutungslos erscheinenden letzten Abschnitte, doch noch ihre
volle Bedeutung. Für schwierige geistige Arbeiten ist somit die erholende
Wirkung des Schlafes der Schlafdauer im ganzen proportional.
Ploumoy (115 a) schließt an die ausführliche Beschreibung eines
Traumes, dessen Prophezeiung sich verwirklicht haben soll, eine Warnung
vor übertriebenem Skeptizismus.
Jahresbericht f. Neurologie und Psychiatrie i905. 59
930 Psychologie. |
Gibson (126) betont u. a. die große Bedeutung unterbewußter Sinnes-
empfindungen, vor allem Reaktionen des AUgemeinsinns für die Traum-
vorstellungen, so daß wir geradezu von prognostischen Träumen sprechen
können.
Miller (272) bringt eine Reihe von Tatsachen der schöpferischen
Phantasie, vor allem dichterische Leistungen aus Träumen und hypnagogi-
schen Zuständen.
Giessler (128) sucht in etwas konstruktiver Weise folgende Einzel-
punkte darzustellen:
1. Das Wiedergewinnen der dem Ich bekannten Inhalte als Grund-
tendenz der träumenden Seele.
2. Verdichtung, Verbildlichung und Endophasie als spezielles Mittel
der Vermehrung der psychischen Energie.
3. Das Regulierungsgefühl im Denkorgau als Kern des ganzen Gefühls.
4. Einfügung des als Ich Empfundenen in eine Situation bezw. Kon-
struktion des Traumtriebs.
5. Der immaterielle und formelle Inhalt des Traum-Ichs.
6. Das Unterbewußte und Traumbewußte als Stufen der Wiedergewin-
nung des Ichs.
7. Das Überindividuelle im Traume.
8. Kritische Beleuchtung der Bemerkungen Ziehens über die Auf-
fassung des Ich durch Avenarius und Schuppe.
Bernheim (34a), diese Hauptstütze der Hypnose als einer wissen-
schaftlichen Methode, bespricht die auch bei uns noch nicht hinreichend
beachtete Unterscheidung zwischen Suggestion und Überredung.
VI. Psychologie komplexer nnd abnormer Zustande.
V. Rhoden (344^ bespricht in geistvoller Weise Schillers Be-
ziehungen zur Kriminalpsychologie. Beim Willen des Menschen gibt es keine
Gesetzlosigkeit, doch kann der Mensch durch psychische Kultur Verstand
und sinnliche Kräfte ausbilden. Nicht die einzelnen Handlungen sind zu-
sammenhanglos und willkürlich, vielmehr ist Willensfreiheit nach Schiller
nur als sittlicher Habitus zu verstehen. Anregende Gesichtspunkte ergeben
sich bei der Besprechung von Schillers Begriff der Schuld.
Bischoff (45a) hat auf Anregung Wollenbergs Untersuchungen
angestellt mit der praktischen Perspektive, ob etwa die Aussage einer
Menstruierenden vor Gericht einer besonderen Bewertung bedürftig ist. — i
Eine Versuchsreihe berücksichtigte die kritische Zeit selbst, die zweite die {
intermenstruelle Zeit. Es wurde die akustische Wortmethode angewandt in |
der Weise, daß auf je 100 einsilbige Reizworte assoziiert werden mußte.
Als Versuchspersonen dienten 12 Pflegerinnen im Alter von 19 — 32 Jahren.
Es wurden im ganzen 2400 Keaktionen gewonnen. Zur qualitativen Be-
gistrierung wurde ein Schema angewandt, das nach dem von Aschaffen -
bürg vorgeschlagenen vereinfacht worden war: 1. sinngemäß richtig aufge-
faßte Assoziation, 2. Wortreminiszenzen, 3. Wortergänzungen, 4. Klangasso-
ziationen.
Ein gleichmäßiger, irgendwie erheblicher Einfluß des physiologischen
Vorgangs ließ sich bei den akustischen Wortassoziationen nicht feststellen,
vor allem keine Neigung zu der Abnahme sinngemäß aufgefaßter Reizwörter
und der Zunahme von Klangassoziationen, während eine geringe Alkohol-
gabo von 100 ccm Bordeauxwein bei denselben Versuchspersonen deutlich
die sinngemäßen Assoziationen verminderte, die Klangassoziaiionen vermehrte.
Psychologie. 93 j
Vogt (423) hat Betrachtungen hinsichtlich einer psychophysiologischen
Erklärung der Sehnentransplantatiou angestellt und fand, daß der kortikale
Lernakt nach einer solchen Operation denselben psychophysiologischen Ge-
setzen folgt, die auch für andere Lerntätigkeit gelten.
Franz (118a) an dem Mc. Lean Hospital in Waverley (Massachussetts)
hat die abnormen Reaktionszeiten in einem Falle von manisch-depressiver
Depression näher untersucht. Das Resultat war nicht recht eindeutig, im
ganzen wird allerdings langsam geantwortet, aber die einfachen Antworten
Ja oder Nein werden häufig recht schnell gegeben. Augenscheinlich spielen
auch somatische Anomalien dabei eine Rolle.
Lemaitre (220) schildert 3 Fälle von jungen Leuten, die sich in der
zweiten Hälfte des Jahres 1904 zu Genf entleibt haben. Alle Selbstmörder
wiesen ausgesprochen psychopathische Züge verschiedenster Art auf, Hysterie,
Paramnesie, audition coloree usw.
Kuhlmaim (210) hat ausgedehnte experimental-psychologische Ver-
suche bei Geistesschwachen angestellt, und zwar in 3 Fällen von Imbezilität
auf der Basis des Mongolismus und in 6 Fällen von Debilität.
Schnyder (362 a) hat die verschiedensten psychopathischen Persönlich-
keiten auf ihre Suggestibilität untersucht. Gerade die Suggestibilät beim
scheinbaren Elektrisieren ist geeignet, dem Beobachter wertvolles Material
för die Kenntnis der Verlegenheit des BetreflFenden zu bringen.
Binet-Sangle (43) bespricht in gewandter Vortragsform die Psycho-
logie der Entarteten.
Binet-Sangle (44) bringt eine neue, 7. Serie mit 5 Beobachtungen
eigenartiger religiöser Naturen aus der französischen Geschichte.
Vaschide und Vnrpas (^20) bieten einen Aufsatz über die Be-
ziehungen zwischen motorischen Impulsen und dem sexuellen Akte unter
Heranziehung von Beispielen aus der Psychopathologie.
Weygandt (438) hat an der Hand von 2 Beobachtungsgruppen das
Wesen der psychopathischen Übertragung auf verschiedene Persönlichkeiten
erläutert. Hinsichtlich der Induktion kommen als Psychosen des sekundär
Erkrankten in Betracht außer Hysterie und Paranoia auch noch paranoische
Demenz, sowie auch wohl vereinzelt Depressionsformen. — Die Arbeit
kommt zu dem Schluß, daß Geisteskranke auf völlig geistig Gesunde außer-
ordentlich selten krankmachend wirken, während bei einem disponierten In-
diYidaum sehr wohl beim Umgang mit einer primär erkrankten Person eine
Psychose der erwähnten Art ausgelöst werden kann. Weniger praktisch
bedeutend ist die Einwirkung von Geisteskranken auf andere bereits Geistes-
kranke, doch kommt sie häufiger vor, als gewöhnlich angegeben wird. Aber
auch rüstige Personen können durch Geisteskranke wenigstens soweit be-
einflußt werden, daß sie einzelne psychopathische Züge annehmen, wahuartig
eingekleidete Vorstellungen, einseitig vorherrschende Affekte, selbst Sinnes-
täuschungen und auch manche Handlungsweise im Sinne des primär Er-
krankten.
Pieron (317) bietet eine XTbersicht über die Anwendung der Psycho-
logie in der Schule und Pädagogik; während in Frankreich noch wenig auf
diesem Gebiete geleistet wird, gewinnt das Spezialfach an Boden in Belgien,
Nord- und Südamerika, sowie in Deutschland. Der Verfasser richtet einen
lebhaften Apell an seine Landsleute zur Betätigung der wissenschaftlichen
Mission des Lehrers.
Erichsen (107) nennt sein Buch ,,An der Grenze des übersinn-
lichen". Es liegt jedenfalls weit jenseits der Grenze des Wissenschaftlichen,
Der Autor gibt Erfahrungen zum besten, die er auf langjährigen Tourneen
59*
932 Psychologie.
bei sog. Experimentalabenden gemacht haben will. Eiuen Weg zum Erfolg
verspricht er zu zeigen, indem er in feuilletonistischer Weise, nach einer
mit physiologischen Redensarten ausstaffierten Plauderei über Seele und
Selbst usw. die Hypnose und Suggestion empfiehlt. Wenn wir von seineu
vielen in Fettdruck gesetzten Ratschlägen nur die zwei hervorheben „Lernen
Sie die Macht des Blickes", und dann „Stellen Sie die Telepathie in Ihren
Dienst", so haben wir zur Charakterisierung des Opus genug gesagt.
Ferman (lila) bespricht die Frühreife in ihren mannigfachen Be-
ziehungen, besonders zur Kriminalität, Religiosität, Nervosität und zur sexu-
ellen Sphäre.
Schuyten (367 a) liefert eine kritische Besprechung der Methoden
zur Messung der Ermüdung der Schüler, insbesondere des Buchstaben-
kopierens, der Dynamometrie und der Asthesiometrie, unter Beifügung von
Versuchsbeispielen. Bei unzweckmäßiger Handhabung läßt sich mit allen
Methoden das Gegenteil von dem beweisen, was sie beweisen sollen. Am
brauchbarsten scheint ihm noch die ästhesiometrische Methode; Referent
möchte sich keineswegs unbedingt diesem Urteil anschließen.
Senet (372) betont, daß die Furcht der Kinder vor der Nacht und
dem Dunkeln meist eine Begleiterscheinung allgemeiner nervöser Ängstlich-
keit ist. Die Bekämpfung der Phobie geschieht am besten, indem man die
zu Grunde liegenden nervösen Befürchtungen feststellt und zu beseitigen sucht
Degallier (87) ist Lehrerin au einer Missionsstation am Kongo und
hatte Gelegenheit, sich in die Psychologie eines Negerstammes zu vertiefen.
Interessant sind ihre kurzen Bemerkungen über Lesen, Schreiben, eine Art
Spiegelschrift, Zeichnen, Gesichts- und Farbensinn, Gedächtnis, Ausdrucks-
bewegungen, Spiele, moralische Begriffe und Gemütseigenschaften.
GheorgOV (124) hat eingehende Untersuchungen über die ersten An-
fänge des sprachlichen Ausdrucks für das Selbstbewußtsein bei Kindern an-
gestellt. Nach eingehender kritischer Würdigung der einschlägigen Literatur
aus der Kinderpsychologie betonte er, daß in der Regel die Anwendung des
Possessivpronomens später erfolgt als die des Personalpronomens.
Lutz (239 a) schildert die Mannheimer Sonderklassen nach Eni-
stehung, Einrichtung und Erfolg. Es handelt sich um das sogen. System
Sickinger, wonach nicht nur für schwachbefähigte Kinder der Volksschule
Hilfsklassen, sondern noch eine Zwischenstufe eingerichtet wird, in der die
leicht Zurückgebliebenen, sei es durch Debilität, durch körperliche Krankheit
durch äußere Umstände, wie Ortswechsel, in sogen. Wiederholungsklassen
einen Sonderunterricht erhalten, in dem sie mit allen Hilfsmitteln der Päda-
gogik gefördert werden.
Hirschlaff (163) hat den vielfach demonstrierten Schimpansen Konsul
untersucht und berichtet darüber an zwei Stellen. Er beschreibt ihn
-«omatisch, bespricht die gut ausgebildeten Sinnesfunktionen und schildert das
allgemeine Verhalten. Das Tier ahmt gerne und leicht nach, doch ist es
darin sehr von der Stimmung abhängig und bedarf, wenn es sich darum
handelt, ihm eine neue Leistung beizubringen, außerordentlich langer und
täglich fortgesetzter Übung. Doch auch spontan verrichtet der AflFe eine
Reihe von Handlungen, so sucht er zur Nacht Gegenstände in den Taschen
desjenigen, der sich mit ihm abgibt, entkorkt eine Flasche usw. Er veritigt
über eine nicht sehr reich nuancierte Gebärdensprache und reagiert vor
allem auf die demonstrative und deskriptive Gebärde, das Haiiptmomenu
auf dem seine ganze Erziehung beruht. Ferner sind auch elementare Sach-
vorstellungen zuzugeben, aber auch auf akustische Eindriicke reagiert er
fast stets recht korrekt, auf Rufe wie come, go, give me the band nsw.
Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und Diagnose der Geisteskrankheiten. 933
Einfachere Befehle werden auch ohne Unterstützung durch begleitende Ge-
bärden befolgt. Von Zahlenverständnis ist natürlich keine Rede.
Pieron (318) gewinnt der Betrachtung spielender Robben eine
interessante Seite ab.
Pieron (316) beobachtete ferner einen ilund, dessen Benehmen seiner
Ansicht nach die Annahme zuläßt, daß sich bei dem Tier ein abstrahierendes
Denken abspielt. Nachdem es mehrfach Geld bekommen und damit zur
Erlangung von Brötchen und Fleisch bei Bäcker und Metzger gesandt wurde,
versuchte es später durch Bellen wieder die Sous zu erlangen.
Ein junger Mann, der im Verdachte eines Golddiebstahles steht, gegen
den aber keine weiteren Beweise vorliegen, wie Jnng (193) berichtet, wird
durch das Assoziationsexperiment (Nachweisung eines Diebstahlskomplexes)
der Tat überführt, worauf er gesteht. Der Fall wird ausführlich besprochen
in der Schweiz. Zeitschrift für Straf recht 1906 und in den Juristisch«
Psychiatrischen Grenzfragen 1906. (Antoreferat)
Colucci (77) bringt Vorschläge zu einer individuellen Erziehung der
Insassen ron Zwangserziehungsanstalten. Dieselben müssen zunächst nach
ihren besonderen Eigenschaften und je nach dem Charakter ihrer krank-
haften Veranlagung in bestimmte Kategorien eingeteilt werden, als Ein-
teilungsprinzip muß- vor allem die geringere oder stärkere Fähigkeit, sich
sozialen Verhältnissen anzupassen, gelten. Vorausgegangene Untersuchung
in einer ad hoc zu errichtenden, von psychiatrisch vorgebildeten Ärzten und
Pädagogen geleiteten Beobachtungsstation muß die Zuteilung der Korrigenden
bestimmen und einen von pädagogisch-psychologischen Gesichtspunkten aus-
gehenden Erziehungsplan entwerfen. (Merzhacher,)
Allgemeine Ätiologie, Spiptomatologie Dnd Diagnose der
Geisteskrankbeiten.
Referent: Dr. Arndt -Wannsee- Berlin.
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Acbard und Bamond (l) teilen folgenden Fall mit: 6%jäliriger
Knabe, beide Eltern Trinker, fiel seit zwei Jahren durch Polydipsie und
Polyurie auf; bei Beginn der Erscheinungen bestand Ascites, der nach einer
Punktion heilte. Die Untersuchung ergab normalen Befund von Seiten des
60*
948 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
Nervensystems und der inneren Organe. Der Knabe trank täglich 5^/, bis
9V4 Liter Flüssigkeit, die er nahm, wo er sie fand, auch wenn sie wider-
lichster Art war (Schmutz wasser, eigener Urin). Die Urinentleerung erfolgte
sehr häufig, etwa viertelstündlich ; die Urinmenge betrug 5 — 7 Liter pro Tag.
Die Hautfarbe war frisch und rosig, die Haut war durchaus nicht trocken,
der Körper nicht abgezehrt, kurz es bestanden nicht die Erscheinungen,
welche gewöhnlich bei Polydipsie und Polyurie vorhanden sind. Der Knabe
war intelligent, aber lügnerisch, liebte es, Gegenstand der allgemeinen Auf-
merksamkeit zu sein, prahlte mit seiner Fähigkeit, enorme Mengen trinken
zu können; er zeigte eine exzessive Furcht vor bestimmten Dingen, besonders
vor Uniformen, Messern und Streichhölzern. Plötzliche Beschränkung der
Flüssigkeitszufuhr auf P/« Liter pro Tag wurde gut vertragen und einmal
10 Tage, ein zweites Mal 27« Monate ohne jeden Schaden oder subjektive
Beschwerden fortgeführt. Die Urinausscheidung verminderte sich entsprechend;
also war die Polydipsie nicht eine Folge der Polyurie. Nach Ansicht der
Verfasser handelte es sich in diesem Falle wesentlich um eine psychische
Störung, für die der Knabe durch seine hereditäre Belastung und seine
geistige Degeneration (Hang zur Lüge, zum Prahlen, krankhafte Furcht
usw.) prädisponiert war. Die psychische Störung bestand in einer Sucht
nach Getränken und wird von den Verfassern, da der Name „Dipsomanie"
bereits für ein anderes Leiden gebraucht wird, als „Potomanie" (ttoto^ =
Getränk) bezeichnet.
Freud hat in seiner „Psychopathologie des Alltagslebens^ unter
anderem die Tatsache aufgedeckt, daß auch eine „gedankenlos hingeworfene^
Zahl sich als determiniert erweist. Adler (2) ist in der Lage, das Beweis-
material für Freuds Behauptung durch 3 Analysen zu vermehren. Li zwei
Fällen handelt es sich um vollkommen gesunde Personen, die selbständig,
ohne jegliche Methode, anknüpfend an eine selbstgewählte Zahl ihre Auto-
aualysen durchgeführt haben, im dritten um eine hysterische Angstneurose
mit einer Zahlenphobie. Alle 3 Analysen werden ausführlich mitgeteilt, und
Verf. hebt im Anschluß daran hervor, daß bei Prüfung der Analysen sich
kaum ein Punkt ergeben dürfte, der nicht den Eindruck des Zwingenden,
dos durch Zusammenhänge aller Art Bestimmten an sich trüge: Jeder Ein-
fall der Analyse, vor allem aber die gewählte Zahl wird von mehreren
psychischen Kräften, die zumeist gut faßbar sind, getragen. „Die Uber-
determination der Zahlenvorstellung, ob sie nun scheinbar frei gewählt wird
oder sich als pathologisch und fixiert erweist, ist demnach nicht zu leugnen."
„Die Determination der auftauchenden Zahl geschieht aus dem Unbewußten
unter fortwährendem oft bewußtem Abweichen gegenüber den Widerständen.*^
„Es lassen sich aus allen drei Analysen die großen Anteile des Bewußten.
TJnverdrängten an der Zahlenbildung mit Leichtigkeit nachweisen, die auf
die unbewußt treibende Kraft (unterdrückter Wunsch, verdrängte Regungen),
den eigentlichen Träger des Zahleneinfalls, modifizierend einwirken und ihm
eine äußerliche, logische Repräsentation verleihen."
Angiolella (12) bringt die Krankengeschichte eines Mannes, der im
Anschluß an ein erlittenes Trauma lebhafte Verfolgungsideen, Größenideen
und recht lebhafte Halluzinationen hat. Nach einigen Remissionen im
Krankheitsverlaufe beherrschen zuletzt die Halluzinationen das Krankheits-
bild. Der Patient stirbt an einer interkurrenten Krankheit, so daß über
den klinischen Ausgang der Erkrankung nichts ausgesagt werden kann. Bei
der Sektion ergibt sich eine Knochendepression und eine Lnpression in der
Gehirnsubstanz in der Gegend der unteren rechten Schläfewindung, in der
Nähe des ram. post. Fissurae Sylvii. — Diesen Befund nützt Verf. aus. um
Diagnose der Geisteskrankheiten. 949
1. das ZnstandekommeQ der Halluzinationen an demselben im Sinne der
physiologischen Theorie über das Zustandekommen der Halluzinationen sowie
sie von Tanzi aufgestellt worden ist (cfr. Ref. in diesem Jahresbericht 1905)
zu interpretieren; 2. um in dem Falle eine neue Stütze zu finden für die
von Bianchi aufgestellte Gruppe der „frenosi sensorie" etwa (Halluzina-
torisches Irresein"), bei denen die Psychose mit Einsetzen von Halluzinationen
beginnt, bei denen Halluzinationen im Vordergrunde des Krankheitsbildes
stehen und bei denen der weitere psychische Verfall in genetischen Zu-
sammenhang mit dem Auftreten der Halluzinationen gebracht werden soll (!).
( Merzbachei\)
In einem anonym (15) erschienenen Artikel wird die Schrift „Über
die Feststellung regelwidriger Geisteszustände bei Heerespflichtigen und
Heeresangehörigen" (Berlin, 1905, Verlag von August Hirschwald) einer
Besprechung unterzogen. Sie enthält ein über diesen Gegenstand auf Er-
suchen der preußischen HeeresverwaUl^f^g erstattetes Referat des Wissenschaft-
lichen Senats bei der Kaiser Wilhelms-Äkademie für das ärztliche ßildungs-
wesen. Die Referenten, Generalarzt Dr. Stricker und Prof. Dr. Ziehen,
haben die für die frühzeitige Erkennung von Geisteskrankheit oder Geistes-
schwäche beim Heeresergänzungsgeschäft, bei der Einstellungsuntersuchung
und während der Dienstzeit in Betracht kommenden Gesichtspunkte kurz
und klar zusammengestellt. Verf. hebt aus den Referaten einige Einzel-
heiten hervor, so die Anweisungen betr. Ermittelungen über frühere Geistes-
krankheit usw. von Heerespflichtigen, über die psychische Untersuchung der
Rekruten durch den Truppenarzt, die psychiatrische Ausbildung der Militär-
ärzte, über Geisteskrankheit und Selbstmorde in der Armee usw. usw.
Anton's (16) Aufsatz beschäftigt sich mit den psychiatrischen Leit-
gedanken Theodor Meynerts anläßlich des Erscheinens seiner gesammelten
Gedichte (Wien, Braumüller, 1905). A. hebt hervor, daß Meynert bei
seinem Bestreben nach Erkenntnis des Zusammenhanges der psychischen
Leistungen mit der Gehirntätigkeit stets die ganze Organfunktion in Betracht
gezogen und die Beziehungen der kortikalen und subkortikalen Gehirnteile
ständig ins Auge gefaßt hat. Sein Überblick über den Bau des ganzen
Gehirns bewahrte ihn vor der kritiklosen Lokalisation psychischer Leistungen.
(Bendia,)
Arndt (20) geht in seinem Aufsatz auf die allgemeinen Bedingungen
und Beziehungen des Krankheitsbewußtseins bei Psychosen ein. Die Annahme,
daß bei erhaltenem Krankheitsbewußtsein keine Geisteskrankheit vorliege,
sei nicht stichhaltig, doch könne die wiederkehrende Krankheitseinsicht unter
Umständen ein Zeichen eingetretener Heilung sein. Die Bedingung für das
Zustandekommen des Krankheitsbewußtseins ist erstens, daß dem Individuum
durch eigenartige Gefühle und Empfindungen diese Veränderung überhaupt
zum Bewußtsein kommt, und zweitens, daß diese Elemente, welche das
Material liefern könnten, nun auch richtig verarbeitet werden. Ferner ist
häufig noch ein Moment erforderlich, welches selbst bei völlig intakter
rrteilsfähigkeit das Krankheitsbewußtsein zuweilen erst ermöglicht, nämlich
Erfahrung. (Bemliv,)
Bassi (28a) hat bei 2 Hengsten, die in progredient zunehmender Weise
bösartiger wurden und schließlich deshalb getötet werden mußten, weit-
gehende Schädelasymmetrien finden können. In dem einen Fall schien auch
die eine Gehirnhälfte „komprimiert" und bedeutend reduziert im Verhältnis
zur anderen. (Merzbacher,)
Bangll (29) bespricht auf Grund von 47 selbst beobachteten Fällen
die Verwirrtheitszustände (confusional insanity), welche als Begleit- oder
950 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
FoIgeerscheiDongen toxischer Einwirkungen (Sepsis, Fieber, Alkohol, Puer-
perium und Laktation) auftreten, mit Ausnahme der zu gut begrenzten
Krankheitsbildern (Dementia paralytica und Dementia praecox) gehörenden.
Als gemeinsame Erscheinungen wurden in der Mehrzahl der Fälle gefunden:
a) psychische: Sinnloses Widerstreben, Verwirrtheit, Fehlen eines ausgeprägten
Affekts, Ratlosigkeit; b) körperliche: Leukocytose, Vorhandensein ron Indoxjl
im Hani, yasomotorische Hautveränderungen und andere Symptome, je nadi
der spezifischen Ursache. Die Konstanz der Symptome berechtigt dazu,
diese Fälle zu einer gut charakterisierten klinischen Einheit zusammen-
zufassen. Leukocytose spricht dafür, daß es sich um Toxämie handelt, das
Vorhandensein von Indoxyl im Harn läßt an eine Autointoxikation vom
Intestinaltraktus denken. Verf. sucht in Kürze den Nachweis zu führen,
daß die Toxämie, bezw. die für dieselbe sprechenden Symptome, nicht Polgen
der psychischen. Erkrankung wären, sondern daß letztere als Folgewiricung
der Toxämie anzusehen sei. Von den 47 Fällen sind a) 8 als direkte
toxische Psychosen anzusehen; 6 von diesen waren hereditär mit Geistes-
krankheit belastet, die beiden anderen hatten Alkoholismus in der Aszendenz
und zeigten Stigmata degenerationis; b) 34 Fälle sind als indirekte toxische
Geistesstörungen zu bezeichnen; bei ihnen wirken die Toxine wahrscheinUch
durch Autointoxikation; 29 von diesen waren erblich belastet oder hatten
Stigmata; c) 5 Fälle sind auf Syphilis zurückzuführen, 2 von ihnen waren
erblich belastet. Verf. schließt: die 47 Fälle sind toxischer Genese; in der
Mehrzahl der Fälle wirken die Toxine auf ein hereditär prädisponierte«
Nervensystem, und zwar auf dreierlei Weise: a) direkt durch die Blut- oder
Lymph-Kanäle, b) mehr indirekt, wahrscheinlich durch Autointoxikation,
c) noch mittelbarer, indem Nervenveränderungen Folgen arterieller Ver-
ändeningen sind.
Bayerl (30) teilt einen Fall von Geistesstörung bei einem wiederbelebten
Erhängten mit: Ein 22jähriger Raubmörder, der erblich nicht belastet und geistig
stets gesund gewesen war, machte nach seiner Verhaftung einen Strangnlations-
versuch. Derselbe mißglückte, und es trat ein heftiger Tobsuchtszustand
von mehrstündiger Dauer ein; während desselben war das Bewußtsein völlig
aufgehoben. Es folgte ein Stadium von Benommenheit, die anfangs voll-
kommen war und im Laufe der nächsten Tage allmählich abnahm. Am 2.
und 3. Tage nach dem Suicidversuche bestanden Verwirrtheit und Unruhe,
am 4. war der Mann ruhig und orientiert, doch hatte er keinerlei Erinnerung
für den Selbstmordversuch und den Tobsuchtsanfall. Nach 14 Tagen bestand
diese Amnesie noch fort, während sonst keine Störungen mehr vorhanden warea
Bechterew (dl) bespricht einige Fälle von Zwangsvorstellungen, bei
denen es sich um die Furcht handelte, daß der Patient wegen angeblicher
Vergehen von andern fixiert würde. In dem einen Falle handelte es sich
um einen 21jährigen jungen Mann, Neurastlieniker, der auf der Straß«
fremdem Blicke ausweichen mußte und deswegen bunte Brillen trug. In
dem andern Falle war es ein Student der Medizin, der aus einer belasteten
Familie stammte und an Masturbation in heftigem Grade gelitten hatte.
Derselbe konnte niemandem in die Augen sehen, da er zu fürchten glaubte,
daß man sein Leiden erkennen könne. Je stärker das Leiden der Mastur-
bation war, desto intensiver war auch diese Zwangsvorstellung. Somatisch
war nichts pathologisches zu finden.
Therapeutiscli sind, außer Psychotherapie, Bäder, Duschen, Bromtalze,
in Verbindung mit Herztonicis und Codein angewendet worden. Hypnose
führte bedeutende Besserung der Zwangsvorstellungen herbei. (Roz^nraad,)
Diagnose der Geisteskriuikheiten. 95 X
V. Bechterew (33) beschreibt als eioe besondere Form der Phobie
die krankhafte Angst von professionellem Charakter, die nur bei Personen
eines bestimmten Berufes anftritt und mit den Besonderheiten der betreffenden
Berafstäägkeit auf das innigste zusammenhängt. Hierher gehört z. B. die
Angst der Lehrer vor dem Erscheinen in der Klasse, die Angst von Be-
amten Yor dem Unterzeichnen ron Dokumenten, von Geistlichen vor dem
Tragen der Sakramente usw. B. hat mehrere Fälle dieser „Angst des
Sakramenttragens^ bei Priestern beobachtet und teilt einen derselben mit.
Irgend welche Abweichungen von der Ätiologie, Symptomatologie, Prognose
und Therapie der übrigen Phobien bieten diese „professionellen^ nicht dar.
V. Bechterew (33) bespricht in einem Vortrage die Bedeutung der
Aufmerksamkeit ftir die Lokalisation und Entwicklung yon Halluzinationen.
Die Lokalisierung der Gehörstäuschungen wird bekanntlich in hohem Maße
durch objektive Gehörseindrücke beeinflußt: Die Kranken glauben im
Glockengetön, im Tröpfeln des Wassers usw. Stimmen zu hören. Bei hallu-
zinierenden Trinkern konnte v. B. die Lokalisation der Halluzinationen
willkürlich rerändern, indem er die Aufmerksamkeit der Kranken auf das
Geräusch eines Induktionsapparates lenkte; sie hörten die Stimmen dann
Ton jedem beliebigen Orte aus, an den man den Apparat gestellt hatte.
Eine Kranke, die seit 10 Jahren an Gehörstäuschungen litt, konnte
die Halluzinationen künstUch hervorrufen, indem sie irgend eine Körper-
stelle mit der Hand berührte oder strich; sie hörte dann ihre Halluzina-
tionen in dem berührten Körperteil, doch mußte sie ihre Aufmerksamkeit
auf denselben lenken ; übrigens hörte sie auch Stimmen yon jedem beliebigen
Punkt des Raumes her, auf den ihre Aufmerksamkeit gerichtet wurde. Um
die Abhängigkeit der Lokalisierung der Halluzinationen von unwillkürlicher
Hinlenkung der Aufmerksamkeit näher zu prüfen, stellte v. B. Versuche an
hypnotisierten Personen an. Denselben wurden Gehörstäuschungen suggeriert,
und sie hörten dieselben von dem Punkte her, auf den man ihre Auf-
merksamkeit gelenkt hatte; durch Wechsel der Stellung eines in Tätigkeit
befindlichen Induktionsapparates konnten die Halluzinationen je nach der
Lage dieser SchaUquelle beliebig lokalisiert werden. Analoge Resultate er-
gaben sich auch für Gesichts- und taktile Halluzinationen. In ähnlicher
Weise erklärt sich auch die Lokalisierung von Sinnestäuschungen im eigenen
Körperinnern durch Hinlenkung der Aufmerksamkeit des Halluzinanten auf
die betreffende Körpergegend; z. B. werden Stimmen aus dem Bauche ge-
hört bei Affektionen desselben, durch welche die Aufmerksamkeit unwillkür-
lich auf den Bauch und die dort vorhandenen krankhaften Empfindungen
gelenkt wird. Unwillkürliche Hinlenkung der Aufmerksamkeit erklärt auch,
weshalb mitunter pathologische Affektzustände und Gemeingefühle auf
Gegenden bezogen werden, in denen ihre Lokalisation deutlich abnorm
ist („Angst in der Blase, Übelkeit im linken Bein"); sie erklärt ferner den
Übergang von Halluzinationen in Illusionen und den umgekehrten Fall.
Die Aufmerksamkeit ist auch unter normalen Verhältnissen imstande, innere
BUder dort zu erregen, wo solche in Wirklichkeit nicht vorhanden sind,
d. h. sie kann wirkliche Illusionen hervorrufen.
Boldt's (52) Arbeit stellt den Inhalt eines Vortrages dar, über den
an dieser Stelle (s. diesen Jahresbericht für 1904, S, 973) nach einem
Sitzungsbericht schon referiert worden ist.
BoltOQ (53) ist ein Anhänger der alten englischen Theorie, daß
Psychosen in „Amentia^^ und „Dementia" einzuteilen seien. Unter ersterem
versteht er mangelhafte Entwicklung, unter letzterem Degeneration der
952 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
Nervenbahnen nach psychischem Zerfall. — Er erläutert dies an einer Reihe
von Krankengeschichten.
Von Wert sind mehr die Veränderungen, die er am Nervensystem
pathologisch-anatomisch gefunden hat. Danach sei einfache Senilität nicht
notwendigerweise mit Degeneration der Zerebralgefäße verbunden.
Bei einem Gehirn, das psychisch affiziert sei, verursache die Degene-
ration der zerebralen Gefäße schnellen Zerfall der Nervensubstanz.
(Üozettraad.)
Paul Boncour und Philippe (334) heben hervor, daß unter den
Schülern, welche die Erscheinung von geistiger Ermüdung darbieten, zwischen
denen durch geistige Überanstrengung ermüdeten und denen zu unterscheiden
ist, deren Ermüdung eine kongenitale ist, die vor jeder Anstrengung auftritt.
Letztere sind abnorme Menschen nicht allein hinsichtlich ihrer geistigen^
sondern oft auch bezüglich ihrer körperlichen Konstitution. (Bendix)
Bond (56) ist der Meinung, daß die gewöhnlich angewandte Methode,
Schwankungen des Körpergewichts durch Angabe der absoluten Gewichtszu-
oder -abnähme auszudrücken, unzureichend sei. Er empfiehlt, statt dessen
die Gewichtsveränderungeu unter Beziehung auf das Gewicht bei der Auf-
nahme in Prozentzahlen anzugeben. Es sei von großer Wichtigkeit, das
Körpergewicht der Geisteskranken fortlaufend und regelmäßig zu bestimmen
und die Ergebnisse tabellarisch aufzuzeichnen. Am besten würde für jeden
Kranken bei der Aufnahme eine Gewichtstabelle angelegt, für die B. ein
Schema angibt. Er spricht die Hoffnung aus, daß durch derartige systema-
tische Wägungen sich Fingerzeige für die Behandlung und auch die Klassi-
fizierung der Psychosen ergeben würden; allerdings sei hierzu das Zusanunen-
arbeiten mehrerer Psychiater nach derselben Methode erforderlich, da nur
aus großen Zahlen sich ein brauchbares Ergebnis erwarten lasse.
Bachholz (69) liefert in dieser Arbeit Beiträge zur Kenntnis der
Geistesstörungen bei Arteriosklerose und ihrer Beziehungen zu den psychi-
schen Erkrankungen des Seniums. Er berichtet zunächst über den klinischen
Befund und Verlauf von 5 Krankheitsfällen und teilt ausführlich die Ergeb-
nisse der mikroskopischen Untersuchung des Zentralnervensystems dieser
Fälle mit. Es handelte sich um mannigfaltige und z. T. sogar sehr ver-
schiedenartige Krankheitsbilder, und auch die Ergebnisse der anatomischen
Untersuchung wichen vielfach voneinander ab. Doch war allen Fällen ge-
meinsam, daß es schließlich zu einer, in den einzelneu Fällen allerdings
verschiedenartig gefärbten Demenz kam, und daß ihnen allen eine im all-
gemeinen gleichartige Erkrankung der Hirngefäße, nämlich Arteriosklerose,
mit allerdings verschiedenartigen sekundären Prozessen zu Grunde lag. Verf.
gibt eine sorgfältige Analyse der klinischen Erscheinungen und des ana-
tomischen Befundes seiner Fälle, auf deren Einzelheiten hier nicht einge-
gangen werden kann. Die Krankheitsbilder ähnelten teils der Paralyse, teils
der senilen Demenz, einige waren ganz eigenartig. Der krankhafte Prozeß
war bald im Rückenmark, bald im Hirnstamm, bald im Gehirn selbst in
besonderer Stärke zur Entwicklung gekommen, und zwar das eine Mal mehr
die weiße Substanz, das andere Mal besonders die Rinde ergreifend. Histo-
logisch handelte es sich, abgesehen von den typischen Erweichungsherden
und Blutungen, gleichfalls um recht verschiedenartige Befunde; Rein sklero-
tische Prozesse, wie die von Sander beschriebenen Rückenmarksverände-
rungen, die senile Rindenverödung und die perivaskuläre Gliose Alzheimers,
femer die Encephalitis subcorticalis chronica Binswangers mit ihren Ver-
heerungen innerhalb des Markweißes, die den Erweichungsprozessen zuzu-
rechnenden Veränderungen und eigenartige Höhlenbildungen in der Im-
Diagnose der Geisteskrankheiten. 953
gebung der Gefäße, schließlich die durch den Druck der erweiterten und
yerdickten Gefäße und Aneurysmen direkt bedingten Schädigungen, sowie
die durch die kleinen Blutungen gesetzten Schädlichkeiten. Hierzu kommen
noch die allgemeine Ernährungsstörung infolge der Arteriosklerose, die mit
letzterer in Verbindung stehende Erkrankung der großen Organe, besonders
der Nieren, die durch diese Erkrankungen bedingten Veränderungen im
Stoffwechsel und schließlich die durch die Sklerose der Himarterien be-
dingten Störungen der Blutzirkulation innerhalb des Zentralnervensystems.
In den meisten derartigen Krankheitsfällen sind eine ganze Reihe von patho-
logischen Prozessen vorhanden, so daß es unter den zahlreichen, auf dem
Boden der Arteriosklerose beruhenden Gehimerkrankungen niur eine be-
schränkte Zahl einfacher, typischer Krankheitsbilder gibt, während zumeist
neben einer Reihe für die eine oder die andere Gruppe dieser Erkran-
kungen charakteristischer Symptome noch andere Krankheitserscheinungen
zu beobachten sind. In allen 5 Fällen fehlten aphasische Störungen und
Bulhärerscheinungen ; letztere waren dagegen in einem anderen Falle vor-,
banden, den Verf. mitteilt. Ein auffallend schneller Wechsel in der Inten-
sität der Krankheitserscheinungen war in den Fällen zwar zu konstatieren,
doch fand sich dieses Symptom viel ausgeprägter in 2 weiteren Fällen, über
die Verf. noch berichtet; in einem von ihnen wurden oft Schwankungen in
der Ausdehnung der Gesichtsfelder konstatiert, ohne daß sonstige auffallende
Erscheinungen von selten des Zentralnervensystems vorhanden waren.
Bni^ess (73) weist auf die Zunahme von Psychosen in Kanada hin.
Diese Zunahme ist die Folge der starken europäischen Einwanderung in die
westlichen Staaten der englischen Kolonie. Im Jahre 1901 waren dort 16 600,
= 3,125 auf Tausend der Bevölkerung, oder auf 319 Bewohner ein Kranker
bei einer Einwohnerzahl von 5 Millionen. Die größte Zahl hat die Provinz
Ontario und Quebek. Im Jahre 1891 waren 13 000 bei einer Bevölkerung von
4,7 Millionen. Mithin ist die Zahl der Geisteskranken im Laufe der zehn
Jahre im Verhältnis von 25^0? ^^^ Bevölkerung nur im Verhältnis von
13 "/o gewachsen.
Burgess schiebt diese Zunahme auf den wachsenden Wohlstand, die
Aufregungen des sich mehr und mehr ,,amerikanisierenden" Lebens, be-
sonders aber auf die Heredität. Er will einen Kreuzzug predigen
gegen das Heiraten zweier Menschen, die geistig nicht normal sind. Die
öffentliche Meinung solle durch Vorlesungen instruiert werden. Besonders
aber sollten die Einwanderungsgesetze verschärft werden. Denn besonders
in England liebe die Verwaltung es, ungeeignete Elemente in die Kolonien
zu senden; ein Zwischendecksbillet sei ja auch billiger als ein lebensläng-
licher Unterhalt in einer Anstalt, den die Gemeinde bezahlen müßte. Er
weist auch darauf hin, daß die anderen Lebensbedingungen und erhöhten
Anforderungen an Geist und Körper bei einem Einwanderer in unkultivierte
Gegenden leicht zu einer Psychose führe.
Burgess verlangt daher eine Vermehrung der Heilanstalten, nach
modernen Prinzipien eingerichtet. (liozenraad.)
CabittO (78) hält die Bezeichnung „kommuniziertes oder induziertes
Irresein" für eine inexakte. Es handelt sich in den Fällen, bei denen
Terschiedene Mitglieder ein und derselben Familie an einer ähnlichen Wahn-
idee oder an ein und derselben Psychose gleichzeitig erkranken, entweder
Tim den Ausbruch einer Psychose auf Grund ein und derselben gleichmäßig
bestehenden Prädisposition, auf Grund ein und derselben Entwicklungs-
richtung der ganzen psychischen Persönlichkeit, auf die zu gleicher Zeit
dieselbe auslösende Ursache einzuwirken Gelegenheit hat, oder es handelt
964 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
sich darum, daß die eine Person ihre wahubaft gefärbten Ideen Yoniber-
gehend auf eine zweite Person übertragen kann; letztere übernimmt in einem
Zustand abnormer Leichtgläubigkeit dieselben und Terarbeitet sie in dem*
selben Sinne, wie sie dieselben von der ersten — wirklich erkrankten —
Person übernommen hat. Bei der zweiten Person aber im Gegensatz zu
der ersten sind die Wahnideen einer Korrektur zugänglich, sobald die zweite
Person Ton der ersten getrennt wird. Es handelt sich also in diesem Falle
nicht um den Ausbruch einer richtigen Psychose. Für beide Formen dei
fälschlich sogenannten induzierten Irreseins bringt Verf. zwei recht markante
Beispiele. Im ersten Falle bandelt es sich um den fast gleichzeitigen Aus-
bruch eines klassischen Depreasionszustandes bei einer Frau, ihrer Schwester
und ihrem Sohne — es lag erhebliche erbliche Belastung vor. Im zweiten
Fall entwickelten sich systematisierte Verfolgungsideen bei einem Manne,
die dann von dessen Bruder angenommen und in gleichem Sinne yerarbeitet
werden. Bei dem zuerst affizierten Individuum schreitet der Prozeß weiter,
während bei dem zweiten Korrektur sich einstellt. Der Zweite scheint an
und für sich ein leichtgläubiges, intellektuell minderwertiges Individuum ge*
wesen zu sein. (Alertbcucli^r.)
Chapin, Meredith, Bichardson und McLead (83) erstatten
den Bericht der Kommission, welche von der Association of Superintendent»
aud Trustees of State and Incorporated Hospitals of Pennsylvania ein-
gesetzt war, um Vorschläge für eine einheitliche Klassifikation der Geistes«
Störungen zu machen. Sie kommen zu dem Ergebnis, daß es aus praktischen
Gründen zweckmäßig sei, für die Aufnahmeanzeigeh an die staatliche Auf-
sichtsbehörde die eingebürgerte Einteilung in Melancholie, Manie, Dementia,
Paresis, toxisches Irresein, Imbecillität und Epilepsie beizubehalten.
Chase (84) behandelt in seinem Vortrage die Wahnideen und kommt
zu folgenden Ergebnissen: 1. Eine Wahnidee entspringt primär mehr einer
Veränderung der vitalen Gefühle, als einer Störung der intellektuellen Geistes-
tätigkeiten. 2. Die Wahnideen können hauptsächlich eingeteilt werden in
solche, die auf einem Gefühl von Überlegenheit, und solche, die auf einem
Gefühl des Nichtgenügens beruhen; dazu kommt noch eine beschrankte
Zahl mit krankhafter Veränderung des Ichs. Die Wahnideen des Nicht-
genügens (Depression usw.) überwiegen bei weitem. 3. Die Wahnideen ent-
stehen ganz allmählich aus einer Störung der vitalen Gefühle; die definitive
Form der falschen Vorstellung, welche nachher erscheint, resultiert aus dem
Erklärungsversuch des Krauken. 4. Die genuinen Wahnideen der Geistes-
kranken sind an Zahl sehr beschränkt: die aus ihnen erwachsenden falschen
Vorstellungen sind sehr zahlreich. 5. Im Gegensatz zu den Lehrbüchern
sind die Wahnideen in der Regel nicht veränderlich und wechselnd; nur
die Art, wie sie zum Ausdruck kommen, wechselt
Cole (91) berichtet über einen Fall von Korsakowscher Psychose
mit sensorischer Aphasie. (Rozeuraad.)
Cotton (95) schreibt über geistige Störungen in einem „local prison";
ein solches enthält Untersuchungsgefangene und die zu weniger als 2 Jahren
Gefängnis Verurteilten, während die mit 3 oder mehr Jahren „penal servi-
tude'* Bestraften in das „convict prison" kommen; auch diese letzteren
befinden sich vor und kurze Zeit nach der Verurteilung im „local prisoo".
Die psychiatrische Beurteilung der Gefängnisinsassen bietet Schwierigkeiten,
1. wegen der meist felilenden Anamnese usw., 2. wegen der ünaufricbtigkeit
der Gefangenen, 3. weil Folgewirkungen des Alkoholgenusses meist das Bild
trüben ; aus letzterem Grunde darf man in der Regel erst eine Woche nach
der Einlieferung ein Urteil über den Geisteszustand abgeben. Verf. sondert
DuigQOBe der GeUteskrankheiten. 955
die Gefaogeuen des „local prifloa^ zu Bristol nach ihrem peychischeu Ver*
halten in 4 Gruppen: 1. Gesunde FerBonen, die geistig den Durchschnitts«
wert überragen; es sind zumeist Gewohnheitsverbrecher. Simulation und
fingierte SelJMtmordversuche sind häufig. Echte Geistesstörung kommt selten
Yor, öfters „gaol-dotty", ein Symptomenkomplex, der sich durch Appetit-
losigkeit, Unlust zur Arbeit, GewichtsTerminderung, schlechten Schlaf,
Palpitationen, krankhafte Befürchtungen, allgemeine Nervosität äußert und
bei ärztlicher Behandlung in wenigen Tagen verschwindet. 9. Die zweite
Gruppe umfaßt die Alkoliolisten ; hierzu gehörten 90% der Männer und
noch mehr von den Frauen des ,,Bnstol prison"; akute postalkoholische
Geistesstörung und Delirium tremens sind häufig. 3. Personen, die geistig
und körperlich unter dem Durchschnitte sind; sie sind mehr asozial, als
antisozial und werden meist von anderen Verbrechern benutzt; es handelt
sich um Schwachsinnige, Verblödete, Alkoholdemente usw. 4. Offenbar
Geisteskranke, die auf Grund der Psychose Verbrechen begangen haben.
Verf. gibt alsdann eine Schilderung der Maßnahmen, die getroffen werden
können, wenn ein Gefangener in Geisteskrankheit verfallen ist.
Cowie und Inch (97) haben an dem Michigan Asylum for the Insane
in Kalamazoo eine Nachprüfung der Arbeit von Noordens (Archiv für
Psychiatrie und Nerveiikrankh. XX!! 1887) angestellt und sind dabei zu
folgenden Resultaten gekommen:
1. Bei Psychosen (Melancholie) ist Hyperazidität in 71,4 7o ^^^ ^^
Fällen zu beobachten gewesen (v. Noorden). In 81,8 ^^ bei 22 Fällen
(Cowie and Inch). Frauen und Männer werden in gleicherweise betroffen.
2. Die Hyperazidität ist eine wirkliche Hyperchlorhydria. — Gesamt-
azidität war ebenfalls erhöht.
3. Der abnorme Zufluß von HCl ist nur ein mäßiger, konstanter, und
besitzt erhöhte Vordauungskraft.
4. Die erhöhte Sekretion beruht auf einer Neurosis resp. Psychosis,
nicht auf einer Veränderung der Drüsen. Diese Behauptung fände Be-
stätigung durch das Vorhandensein eiuer schleimigen Degeneration in den
Drüsen und in der Mucosa.
5. Obwohl psychisch Kranke häufig an Gastro-Intestinalbeschwerden
litteu, so müsse doch auf einer genauen chemischen Untersuchung des Magen-
inhalts wegen der Gefahr eines Ulcus oder Carciuoms bestanden werden,
resp. der Beseitigung einer chronischen Gastritis. (Kozenraad,)
TäVL den körperlichen Begleiterscheinungen der Angstzustände gehört
auch die sexuelle (genitale) Erregung. Und zwar tritt dieselbe nicht nur
bei den neurotischen Angstzuständen auf, wie das ja vielfach beschrieben
worden ist, sondern auch bei denen, die als Begleiterscheinungen oder im
Verlaufe von Psychosen vorkommen. Cullerre (101) beobachtete dies
Phänomen 1. bei depressiven Psychosen auf neurasthenischer Grundlage,
2. bei Alienes (melancolie des) gemisseurs, 3. bei der polymorphen Geistes-
«törung der Degenerierten. Er teilt von der ersten und zweiten Gruppe
je 2, von der dritten 3 charakteristische Krankheitsfälle mit; bei letzteren
traten im Verlaufe der Psychose Angstzustände auf, und gleichzeitig setzte
eine hochgradige sexuelle Erregung mit andauerndem Drang zur Mastur-
bation ein. Alle Kranken waren erblich belastet. In allen Fällen spielte
die sexuelle Erregung keine primäre kausale Rolle, sondern sie war stets
sekundärer Natur: immer ging die Angst der sexuellen Erregung voraus.
Oft rief die genitale Erregung erotische Ideen hervor, aber der umgekehrte
Fall wurde nie beobachtet. Auffallend und bemerkenswert ist die Kombi-
nation von Angst und sexueller Erregung, zweier Phänomene, von denen
956 Allgemeine Ätiologie. Symptomatologie und
mau annehmen sollte, daß sie einander ausschließen. Verf. gibt eine patho-
genetische Erklärung für dieses Syndrom, ohne indes selbst viel Gewicht
auf dieselbe zu legen.
Dainaye (104) berichtet über zwei Schwestern, die beide an Zoophobie
und Verfolgungsideen litten. Der Vater war im Übermaße skrupelhaft ge-
wesen, die Mutter hatte immer große Furcht vor Insekten gehabt, in der
mütterlichen Familie waren mehrfach Psychosen vorgekommen. Beide
Schwestern sind unverheiratet und haben seit dem Tode der Eltern immer
zusammengelebt. Die jüngere, 48 Jahre alt, war von Kindheit an sehr
furchtsam, hatte tikartige Zuckungen im Gesicht; seit dem 15. Lebensjahre
Furcht vor Ohrwürmern, die ihr ins Gehirn kriechen könnten, später vor
Wanzen, Schweinen, Mikroben, Bandwürmern usw., die ihr allerhand Krank-
heiten verursachen könnten. In letzter Zeit Beziehungs- und Beein-
trächtigungsideen desselben Inhalts wie die der älteren Schwester; war ebenso
wie diese dauernd untröstlich über den vor 33 Jahren erfolgten Tod des
Vaters. Somatisch außer gesteigerten Sehnenreflexen nichts besonderes;
Intelligenz ein wenig unter dem Durchschnitt. Die ältere Schwester, 62 Jahre
alt, hatte mit 32 Jahren Typhus gehabt, war sonst gesund gewesen. Er-
heblicher Grad von Geistesschwäche: fühlt sich von der Portiersfrau, den
Wärterinnen usw. beeinträchtigt. Keine eigentliche Furcht vor Tieren, wie
die Schwester, ist aber von der Gefährlichkeit derselben überzeugt und hilft
der Schwester bei deren Jagden auf diese Tierchen. Beide Schwestern haben
sich gegenseitig psychisch infiziert. Die jüngere hat ihre zoophobischen Zwangs-
vorstellungen auf die ältere übertragen, während diese die jüngere mit ihrem
Mißtrauen und ihren Beeinträchtigimgsideen angesteckt hat.
Bei der 34jährigen Patientin von Deny und CamUS (114) trat nach
Aufregungen ein Zustand von Ängstlichkeit auf, der sich inZwangsvorsteUungen,
Klagen und Unruhe äußerte. An diesen Angstzustand schließt sich eine
längere delirante Periode an, die sich anfangs in Form von hypochondrischen
Negationsideen offenbarte, später in Vorstellungen von körperlicher Ver-
wandlung. Die Kranke glaubte in einen Hund verwandelt zu sein, in einen
Stier oder Mann; alle Körperteile sind bei ihr angeblich verwandelt, ver-
größert. Sie erkennt sich nicht wieder, ist über ihre Verhandlung unglück-
lich und bedauert ihre frühere Persönlichkeit. Nach und nach breitet sich
das Gefühl, verändert zu sein, auch auf das moralische Gebiet aus; sie sei
keine Frau, wie die anderen, sie sei ein außergewöhnliches Wesen, ein in-
karniertes Mysterium. Der Angstzustand steigert sich je nach der Lebhaftig-
keit der deliranten Vorstellungen. Zu diesen Störungen der inneren Wahr-
nehmung gesellen sich solche der äußeren; die Menschen und Gegenstände
erscheinen ihr verändert, anders als früher. Ihre Familie bringt sie mit
der himmlischen in Verbindung, ihr Mann sei Jesus Christ, ihre Mutter die
Jungfrau Maria. Menschen und Objekte verwandeln sich in ihren Augen,
je nach der Art der ihnen anhaftenden Attribute. Sie selbst ist, trotz der
Größenideen, stets ängstlich, furchtet verbrannt, geköpft, lebendig begraben
zu werden. Sie sei eine unselige Frau, die Geißel der Menschheit. Sie
glaubt, sehr alt zu sein. Nach 5 — 6 Monaten ließ die Angst und Unruhe
nach, aber ohne daß sie sich ihrer Persönlichkeit bewußt wurde. (Befidix.)
Deronbaix (115) gibt eine Schilderung eines im melancholischen
und eines im katatonischen Stupor befindlichen Kranken und weist an der
Hand dieser beiden Fälle auf die charakteristischen Eigentümlichkeiten und
die prinzipiellen Unterschiede dieser beiden, äußerlich so sehr ähnlichen,
Zustände hin. Im melancholischen Stupor handele es sich um eine Hemmung,
im katatonischen um eine Sperrung des Willens.
Diagnose der Geisteskrankheiten. 957
Dewey (119) gibt Auseinandersetzungen über die Grenzen zwischen
Neurosen und Psychosen und schließt sich der Meinung Danas an, daß die
Mehrzahl der sogenannten Neurosen, nämiich die Neurasthenie, Hysterie,
Hypochondrie, die verschiedenen Phobien und Zwangsvorstellungen, eigentlich
zu den Psychosen gehörten.
Diller (124) weist auf die unsichere Begrenzung des Begriffs ,,insanity^
hin; es sei oft schwer zu entscheiden und würde auch von den verschiedenen
Psychiatern ganz verschieden beurteilt, ob „insanity" vorliege oder nicht,
und zu welcher Form der in Frage stehende Fall gehöre. Am besten sei
es, die Bezeichnung „insanity^ überhaupt fallen zu lassen und statt dessen
den Ausdruck „psychosis'^ für alle abnormen geistigen Erscheinungen zu ge-
brauchen. Er tritt ferner ein für die Errichtung von Abteilungen zur Be-
handlung von psychisch Kranken im Anschluß an die allgemeinen Kranken-
häuser, da vielfach geistige Störungen nur Erscheinungen eines körperlichen
Leidens wären und so die Kenntnis der Psychosen voraussichtlich sehr ge-
fordert werden würde.
Dobrschansky (126) berichtet über einen Fall, in dem Seekrank-
heit eine ätiologische Holle bei der Entstehung einer akuten Geistesstörung
spielte. Es handelte sich um eine durch Sorgen und eine längere stürmische
Seefahrt herabgekommene Frau, bei der sich nach Ablauf eines heftigen
Anfalles von Seekrankheit das klinisch wohl charakterisierte Krankheitsbild
einer akuten halluzinatorischen Verwirrtheit entwickelte, die ganz allmählich
im Verlaufe von etwa vier Monaten zur Heilung kam.
Easterbrook (136) gibt eine Übersicht über die Bestimmungen zur
Aufnahme Geisteskranker in England und die Hegeln, nach denen Statistiken
bearbeitet werden sollen. (Rozenraad,)
Elliott (137) bespricht in einem Vortrage, den er vor der Heusselaer
Medizinischen Gesellschaft gehalten hat, die Begriffe Illusionen und
Halluzinationen in allgemeiner Art. (Rozenraad,)
Dr. Ford Hobertson hat die Behauptung aufgestellt, daß ein Mikro-
organismus der Diphtheriegruppe, möglicherweise, der Klebs-Loefflersche
Bazillus selbst, eine wichtige Rolle spiele in der Ätiologie einer großen Heihe
von Psychosen, besonders in der Ätiologie der allgemeinen Paralyse. Durch
Syphilis oder auch andere Krankheiten werde die Widerstandskraft des
Organismus so geschwächt, daß er einen günstigen Boden für die verheerende
Wirkung des Diphtheriebazillus abgebe; dieser Bazillus werde bei Paralytikern
stets gefunden und erzeuge das charakteristische Bild der Krankheit. Man
könne ihn auch bei anderen Psychosen nachweisen; in diesen Fällen habe
sich keine Paralyse entwickelt, da der Organismus nicht vorher durch
Syphilis usw. geschwächt gewesen wäre. Um die Richtigkeit dieser Theorie
zu prüfen, untersuchten JSyre und Flashman (142) die Rachenorgane
einer großen Anzahl von Geisteskranken (138 Fälle), besonders von Para-
lytikern, sowie Flüssigkeiten und Gewebsteile von 33 Paralytiker-Leichen
auf das Vorkommen von diphtlieroiden Bazillen. Eine Durchsicht der
Literatur aus den letzten 10 Jahren er^ab, daß der Diphtheriebazillus nach
den Beobachtungen von 8 Autoren im Durchschnitt sich fand bei 7 "/o der
gesunden Bevölkerung und bei 33 7o der „contacts" (mit Diphtheriekranken
in Berührung gewesenen Personen); demgegenüber hatte Robertson die
Anwesenheit des Diphtheriebazillus bei 86^0 von 20 untersuchten Paralytikern
festgestellt. Die Verfasser beschreiben ausführlich die Technik ihres Ver-
fahrens bei der Entnahme des Untersuchungsmaterials, die angewandten
Färbe- und bakteriologischen Methoden usw. Von Leichenteilen wurden
untersucht Cerebrospinalflüssigkeit, Partikelchen aus dem Pharynx, Herzblut,
958 Aligemeine Ätiologie, Symptomatologie und
Galle, Abschabungen von der Schleimhaut der Bronchien und des Darmes.
Unter den 138 untersuchten Fällen waren 60 Paralytiker und 78 andere
Geisteskranke; im ganzen wurde 24 mal ein diphtheroider Bazillus gefunden^
und zwar siebenmal der Bacillus diphtheriae^ 14 mal der B. Hoffmanni. ämal
der B. xerosis und einmal ein anderer. Die Verfasser geben die einzelnen
Ergebnisse ihrer Versuche in Form zahlreicher Tabellen und kommen auf
Grund derselben zu folgenden Schlüssen: 1. Der Prozentsatz des Vorkommens
aller „diphtheroiden" Mikroorganismen in den Rachenorganen der Geistes-
kranken (17,3 "/o) ist nicht größer als der bei der gesunden Bevölkerung
außerhalb einer Anstalt gefundenen (18,6 %). 2. Der Prozentsatz des Vor-
kommens des genuinen Diphtheriebazillus (5,07 ^j^) in den Rachenorganen
der Geisteskranken ist noch kleiner und entspricht etwa den 6,9 ^j^, die bei
der gesunden Bevölkerung gefunden werden. 3. Der B. diphtheriae wird in
den Rachenorganen der Paralytiker nicht häufiger (5 ^o) angetroffen als in
denen der anderen Geisteskranken (5,1 7^). 4. Die 2^hl der post mortem
untersuchten Paralytiker ist zu klein, um bestimmte Schlußfolgerungen zu
gestatten; bemerkenswert ist, daß der B. diphtheriae in keinem der unter-
suchten Fälle isoliert werden konnte. 5. Die Mehrzahl der aas den Eachcn-
organen der Geisteskranken isolierten Diphtheriebazillen erwies sich als
von geringer Virulenz und Toxizität und glich so den Typen, die ge-
legentlich bei Gesunden gefunden werden. 6. Demnach besteht kein kausaler
Zusammenhang zwischen dem Bacillus diphtheriae und der allgemeinen
Paralyse.
Fanser's (145) Arbeit gibt den Inhalt eines Vortrages wieder, über
den nach einem Sitzungsberichte an dieser Stelle (s. d. Jahresbericht für
1904, S. 987) bereits referiert wurde.
Fanser (146) hebt zu Beginn seines Vortrags die Bedeutung der
wissenschaftlichen Psychologie als einer grundlegenden und erklärenden
Wissenschaft für die Psychiatrie hervor; die dominierende Stellung, die
manche Forscher der normalen und pathologischen Anatomie und anderen
naturwissenschaftlichen Hilfswissenschaften für die Erklärung der normalen
und krankhaften psychischen Vorgänge einzuräumen geneigt sind^ werden
alle diejenigen auf die Dauer nicht für haltbar ansehen können, die die
wissenschtiftliche Psychologie als eine selbständige, ihren eigenen Ge-
setzen folgende, von metaphysischen Voraussetzungen und Be-
dürfnissen unabhängige Erfahrungswissenschaft auffassen.
Zum psychologischen Verständnis des vorliegenden pathologisohen
Symptoms beschäftigt sich der Vortragende zunächst mit der normalen
Psychologie der rhythmischen Vorstellungen, Gefühle und Bewegungsantriebe.
Im Anschluß an Wundt werden die zahlreichen und weitverbreiteten
— nicht nur beim Menschen vorkommenden — rhythmischen Automatismen
besprochen, die — phylogenetisch als Mechanisierungen ursprünglicher
Willenshandlungen aufzufassen — den belebten Wesen fertig zu Gebote
stehen, um entweder als reine Automatismen, ohne Bewußtseinskomponenten
(z. B. Herzbewegungen) oder im Dienste von Willens-, insbesondere
Triebhandlungen in Tätigkeit zu treten.
Aber nicht bloß die Anlage zum einfachen „Rhythmisieren**, sondern
auch die zum ,,Taktieren'', „Akzentuieren", ^Betonen" finden* wir in
unserem gesamten psychophysischen Organismus vorgebildet. Auch dieee
komplizierteren Automatismen werden vom Standpunkt der generellen Ent-
wicklung aus als mechanisieuse Willenshandlungen aufzufassen sein, als
Niederschläge des natürlichen Aufundabwogens der Aufmerksamkeit:
Diagnose der Geisteskrankheiten. 959
die stärkere Betonung entspricht dem Moment der stärkeren Aufmerksam-
keit, die schwächere Betonung dem Nachlassen der Aufmerksamkeit.
Die einstufige Art des von selbst sich einstellenden — zunächst sub-
jektiven — Taktierens (% Takt) läßt sich mit Hilfe eines der gebräuch-
lichen Taktierapparate (Metronom!) ohne Mühe nachweisen.
Sobald uns durch Vermittlung von Muskelzusammenziehungen ein Ein-
fluß auf den äußeren Vorgang eingeräumt wird, wird die subjektive Be-
tonung zur objektiven. Nacheinander werden die verschiedenen Stufen
objektiv - rhythmischer Betonung durchgesprochen: als 1. der natürliche
Gang und der Marsch; als 2. die rhythmisch ausgeführte entweder
gemeinsame (z. B. gemeinschaftliches Heben und £mporziehen schwerer
Lasten, Dreschen) oder mehr individuelle (z. B. Schmieden) mechanische
Arbeit; als 3. der Tanz.
Zu diesen objektiv -rhythmischen und rhythmisch* akzentuierenden Be-
wegungsformen gehören auch die rhythmischen Lautbildungen der
Sprache, die uns hier zu beschäftigen haben. Wenn die natürliche Nei-
gung zum rhythmischen Akzentuieren und Betonen gerade beim natürlichen
Sprechen für gewöhnlich noch am wenigsten stark in die Erscheinung zu
treten pflegt, so hat dies seinen Grund darin, daß der besonnene und ge-
sunde Mensch eben aus Zweckmäßigkeitsgründen beim Sprechen nicht nach
dem Rhythmus, sondern dem Sinn und dem ganzen Zusammenhang gemäß
betont; seine aktiven Aufmerksamkeits- und Willensvorgänge befreien ihn
hier von dem sonst auf die Taktierung gerichteten, biologisch — zweck-
mäßigen (kleinste Muskelarbeit, geringste aktive Tätigkeit des Willens und
der Aufmerksamkeit) Zwang der sinnlichen Antriebe.
So bedeutet die rhythmische Betonung als pathologisches
Symptom nichts anderes als ein Zurücktreten der aktiven Auf-
merksamkeits- und Willensvorgänge hinter den sinnlichen An-
trieben.
Auf diese Weise erklärt es sich, warum wir dieses Symptom haupt-
sächlich bei solchen Geisteskrankheiten vorfinden, bei denen die Aufmerksam-
keits- und Willensvorgänge gestört sind, so insbesondere bei den katatoni-
schen und ähnlichen Verblödungsprozessen. Das Symptom der rhythmischen
Betonung ist hier lediglich ein Spezialfall der durch das Zurücktreten der
aktiven Aufmerksamkeits- und Willensvorgäuge bewirkten allgemeinen Un-
fähigkeit, auftauchende Antriebe zu unterdrücken, und ist dem Symptom
der Stereotypie, des Negativismus der Befehlsautomatie, der „Manieren'*
pathogenetisch und klinisch gleichwertig.
Der Vortragende betont zum Schluß nochmals die Forderung, die nor-
malen oder krankhaften psychischen Zustände zunächst innerhalb ihres
eigensten Zusammenhangs, als Teilglieder größerer psychischer Zusammen-
hänge zu betrachten und zu analysieren; sowohl die Fragestellung an die
Anatomie und die übrigen naturwissenschaftlichen Hilfsdisziplinen, wie die
Aufschlüsse von dieser Seite werden dann ganz andere werden, als unter
Zuhilfenahme einer naiv-metaphysischen Psychologie, sei es materialistischer,
sei es spiritualistischer Art, wie sie heute noch vielfach der Erklärung der
psychischen Vorgänge zu Grunde gelegt wird. (Autoreferat)
Seinen Ausführungen legt Fanser (147) die Anschauungen der
Apperzeptionspsychologie Wundts zu Grunde und überträgt sie auf das
durch Zwangsvorstellungen krankhaft veränderte Seelenleben. Er beschreibt
zunächst die Zwangsvorstellung als eine auf assoziativem Wege entstandene
Vorstellung, die eine Art Fremdkörper im Bewußtsein bildet und begleitet;
ist von einem mehr oder weniger starken Unlustgefühle oft peinigenden
960 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
Charakters, von einem Gefülil der Spannung und von Angst. F. gelangt
zu folgenden Schlußfolgerungen:
1. Die psychologische Grundlage der Zwangsvorstellungen (wie der
„Nervosität" überhaupt) liegt im Vorgang der Apperzeption und besteht in
einer Verschiebung derselben zu Gunsten der passiven Form, in einer „In-
suffizienz der aktiven Apperzeption".
2. Durch diese Insuffizienz der aktiven Apperzeption wird die Bildung
rein assoziativer, den Bedürfnissen des Selbstbewußtseins nicht entsprechender,
absurder Vorstellungen begünstigt.
3. Die bei auch von Haus aus gefühlsarmen Vorstellungen auftretenden
Gefühle des Peinigenden, Quälenden stammen aus dem Vorstellungsverlauf
selbst und sind in erster Linie „intellektuelle Gefühle" und zwar ent-
sprechend dem mühsamen Ringen der geschwächten aktiven Apperzeption
hauptsächlich solche ,. oszillierenden" Charakters (Zweifel, Unsicherheit,
Skrupel, Bedenken usw. auf „intellektuellem", d. h. logischem, ethischem,
religiösem Gebiete); ferner das Gefühl des „Erleidens", des „Fremdseins",
„Spannungsgefühle"; aus diesen Partialgefühlen setzt sich das Totalgefiihl
„Zwangsvorstellungsangst" zusammen.
4. Der Affekt wird wiederum zur Ursache der abnorm starken Fixierung
der absurden Vorstellung, ihres Haftens und — unter Mithilfe der „Übung'*
— ihrer leichten Wiederkehr; das durch letzteres Moment erzeugte ängst-
liche Erwartungsgefühl erzeugt die „Phobo-Phobie".
5. Der Unterschied zwischen „Zwangsvorstellungen" und den sog.
,,Phobieen" i. e. S. reduziert sich psychologisch in der Hauptsache auf den
Unterschied zwischen inneren und äußeren Willenshandlungen; mancherlei
andere klinische Nuancen lassen sich auf Unterschiede der grammatikalischen
Form, des assoziativen Bandes u. a. zurückfüliren.
6. Der Ausgang des Vorganges ist entweder Erstarkung der aktiren
Apperzeption: Genesung, oder weitere Abnahme derselben bis zum völligen
Erlöschen: Übergang in Wahnidee (oder Sinnestäuschung); ob der eine oder
andere Fall eintritt, wird durch klinische Verhältnisse bestimmt
7. Die bei Zwangsvorstellungen auftretenden „Schutzhandlungen" sind
normal motivierte äußere Willenshandlungen, die nach ihrer Entstehungs-
weise nicht von den sonstigen Arten von äußeren Willenshandlungen Ab-
weichendes haben.
8. „Zwangshandlungen" in der eigentlichen Bedeutung, d. h. im Sinn
der Zwangsvorstellung und mit dem Gefühl des Zwangs, treten bei voll-
sinnigen Personen höchstens auf der Höhe des Angstaffektes (Annäherung
an Psychosen) oder als Handlungen von verhältnismäßiger Geringfügigkeit
(Annäherung an Schutzhandlungen), auf. (\awraUkL)
Pere (149) teilt folgenden Fall mit: Eine 29 Jahre alte Frau, der^n
Vater Gichtiker war und die sonst keine erbliche Belastung hatte, auch bis
auf einen Migräneanfall im 14. Lebensjahre stets gesund gewesen war.
bekam im Anschluß an einen psychischen Shock Menstruationsbeschwerdeu
und verfiel dann in einen Zustand steigender Apathie und Verwirrtheit
Die Menses blieben aus, und man konstatierte Schwangerschaft, in deren
weiterem Verlauf die geistige Störung nach mehr als halbjähriger Dauer
vollkommen verschwand. Die Geburt des Kindes erfolgte erst am Ende
des zehnten Schwangerschaftsmonats, — der Zeitpunkt der Befruchtung ließ
sich genau bestimmen, da die Kranke ihrer Psychose wegen die Häuslich-
keit verlassen hatte, — während drei vorhergegangene Schwangerschaften
genau je '9 Monate gedauert hatten. Fere weist auf dieses Zusammentreffen
von Geistesstörung und Verlängerung der Schwangerschaftsdauer hin.
Diagnose der Geisteskrankheiten. 9g X
Vor mehr als 20 Jahrea hat Fero (150) kurz uacheinander hei zwei
Fällen eine merkwürdige Erscheinung heobachtet. 1. 28jährige, erblich
belastete Hysterica bot zahlreiche hysterische Symptome dar und litt an
Migräneanfällen. Während eines schweren Migräneanfalls zeigte sich rund
um den Kopf herum eine Lichtausstrahlung in einer Ausdehnung von 20 cm,
orangefarbig, nach der Peripherie zu abnehmend. Dieselbe Erscheinung
beobachtete man an den beiden Händen. Die gewöhnlich bleiche und matte
Haut hatte einen orangefarbenen Teint, der etwas tiefer war als der der
Sirahlenkronen; er war einige Augenblicke vor dem Erscheinen der letzteren
aufgetreten. Die Lichtausstrahlungen dauerten 4 Stunden und verschwanden
mit dem Erbrechen, das, wie gewöhnlich, den Migräneanfall beendete. Die
Erscheinung yrurde nur ein einziges Mal beobachtet, ebenso auch in dem
zweiten Falle. 2. 25jährige Frau seit 13 Jahren Migräneanfalle. In einem
schweren Migräneanfall traten eine Hautfarbung und Strahlenkronen um
Kopf und Hände ganz ähnlich wie in Fall 1 auf; die Aureolen waren
nicht sehr groß, aber heller und schärfer ausgeprägt und verschwanden nach
einigen Minuten. F6r6 hat dann nie wieder, weder bei Migräneanfällen,
noch bei anderen nervösen Zuständen, diese Erscheinung beobachten können,
bis er von dem folgenden Falle Kenntnis erhielt 3. Eine Frau aus gesunder
Familie, die selbst immer gesund gewesen war und erwachsene Kinder hatte,
litt nach Aufregungen und Sorgen seit '/^ Jahren an Akroparäethesie der
Finger und Zehen aller vier Extremitäten, verbunden mit Unfähigkeit, die
Rnger zu feineren Manipulationen zu gebrauchen. Die Störung trat nur
nachts oder am frühen Morgen auf und verschwand bei natürlicher und
künstlicher Beleuchtung, sowie bei Reibung und Applikation von Wärme.
Später traten nachts oft subjektive Gehörs- und Gesichtsempfindungen, sowie
allerlei Qemütserregungen auf, durch die die Kranke in große Angst geriet.
In diesen Angstznständeu beobachtete der Ehemann der Kranken, daJB ein
Strahlenkranz von 20—25 cm Breite den Kopf seiner Frau umgab; er
erschien plötzlich mit dem Auftreten der Angst und verschwand allmählich
mit ihrem langsamen Aufhören; der Anfall dauerte nicht länger als 74 Stunde,
die Haut erschien dabei blaß und gelblich gefärbt. Seit einem Monat haben sich
die nervösen Beschwerden erheblich gesteigert, die Angstanfälle treten auch
bei Tage auf, sind aber niemals von Lichterscheinungen begleitet. Die
beschriebenen Lichterscheinungen scheinen ebenso wie die Migräne und die
Angst AU vasomotorische Störungen geknüpft zu sein. F6re weist darauf
hin, daß die subjektive Wahrnehmung des Beobachter bei derartigen
Erscheinungen eine Rolle spiele, und hofft, daß die neueren Forschungeu
über die Radioaktivität vielleicht einiges Licht über diese seltenen und merk-
würdigen Beobachtungen verbreiten würden.
FitSgerald (154) bespricht das psychische Verhalten bezw. die
psychischen Anomalien der Tuberkulösen. Tuberkulose komme bei Geistes-
kranken häufig vor, doch sei sie in der Regel nicht die Ursache der Geistes-
krankheit, sondern deren Folge; seltener könne sie auch ätiologisch von
Bedeutung sein. La den Anfangsstadien der Tuberkulose fehlen spezifische
psychische Veränderungen fast gänzlich. Auch der Optimismus finde sich
nicht in den ersten Stadien des Leidens, in denen vielmehr oft Pessimismus
vorherrsche; später allerdings wären die Kranken meist optimistisch. Die
Tuberkulösen wären leicht beeinflußbar, dies sei von großer Bedeutung für
die Behandlung (Suggestion usw.). Im zweiten und dritten Stadium der
Krankheit finden sich häufiger psychische Veränderungen, besonders bei
Misch-Infektion; es sei deshalb nicht angängig, die zerebrale Intoxikation
auf das Konto des Tuberkelbazillus allein zu setzen. Man beobachte jähen,
Jahresbericht f. Neurologie und Psychiatrie 1906. 61
962 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie uod
unbegründeten Stimmungswechsel, Verlust der Energie und Selbstkontrolle,
Abnahme der geistigen Leistungsfähigkeit; als Ursachen für diese Erschei-
nungen kommen Anämie, Fieber, allgemeine Schwäche, vasomotorische
Störungen im Gehirn, Ödem desselben und Toxämie in Frage. In den
früheren Stadien finden sich meist Formen von Melancholie, später mehr
Manie. Die Melancholie sei oft eine natürliche Folge der Krankheit, der
geringen Aussicht auf Heilung usw.; Suicid sei nicht selten. Erbliche
Belastung wirke prädisponierend. Der geistige Zustand der Tuberkulösen
sei von größter Bedeutung für die körperlichen Krankheitserscheinungen,
da er diese in hohem Maße beeinflusse. Deshalb sei eine verständige, ein-
gehende, individuelle, psychische Behandlung von größter Wichtigkeit, und
der Arzt müsse hierauf ebensoviel Wert legen, wie auf die anderen thera-
peutischen Maßnahmen.
Nach einem an dieser Stelle (s. diesen Jahresbericht füi* 1904 S. 987)
bereits referierten Vortrage berichtet Poerster (155) hier über den Gesamt-
eindruck, den er im Winter 1903/04 während eines halbjährigen Aufenthaltes
von der Psychiatrie und Irreufürsorge in Paris empfangen hat. Er schildert
kurz die verschiedenen Kliniken für Psychiatrie und Neurologie, die An-
stalten und ihre Leiter in und bei Paris, die Organisierung des ärztlichen
Dienstes und Arzte -Ersatzes, den allgemeinen Stand der wissenschaftlichen
Psychiatrie in Prankreich usw.
Fröndenberg (161) referiert aus der Gazette medicale de Paris
über eine eingehende Besprechung, welche in der Pariser Gesellschaft für
Hypnologie und Psychologie über „die Schläferin von Thenelles" stattfand.
Es handelt sich um eine erblich belastete und prädisponierte Person, die
infolge einer sehr heftigen Gemütserschütterung in einen schlafartigen Zustand
verfiel und 20 Jahre in demselben verblieb. Sie war ganz unempfindlich,
hatte zu Beginn und vor dem Ende des Stupor-Zustandes heftige Krampf-
anfälle. Zeitweilig traten Odem des Gesichts und Ikterus auf. Es bestand
hochgradiger Negativismus und Nahrungsverweigerung; die Nahrung wurde
ihr durch den Mastdarm zugeführt Im Jahre 1903 traten tuberkulöse
Abszesse an Arm und Fuß auf, und am 22. Mai 1903 erwachte sie ans
ihrem 20jährigen Dauerschiafe, um schon nach 6 Tagen an Tuberkulose zu
sterben. In diesen wenigen Tagen vor dem Tode konstatierte man, daß die
Erinnerung an die letzte Zeit vor dem Beginn des Stupor-Zustandes ver-
mindert war und für die Ereignisse während dieses Zustandes völlig fehlte,
daß auch kein Bewußtsein von dem Vorhandensein dieser Erinnerungslücke
bestand, sodaß sie die Gegenwart unmittelbar an die Zeit vor dem Schlaf-
zustand anreihte. Die Intelligenz erwies sich als gut. An diese von Dr.
Farez gegebenen Ausführungen schloß sich eine längere Diskussion.
Friedman]! (162) bringt eine kritische Besprechung von Janets
Werk: les obsessions et la psychasthenie. Es empfiehlt sich nach F., den
Ausdruck der Psychasthenie beizubehalten, zwar nicht im Sinne einer be-
stimmten Krankheitsgattung, wohl aber um die gemeinsame Grundlage aUer
Zwangszustände, die ünzugänghchkeit der regulativen psychischen Kräfte
mit einem kurzen Ausdrucke zu bezeichnen. Was die Zwangszustände an-
betrifft, so sind sie klinisch am häufigsten bei der gewöhnlichen „psychischen
Neurasthenie" zu finden; die ganz schweren aber beruhen auf einer ange-
borenen degenerativen Anlage und sind als spezifische „Zwangsideenkrank-
heit" anzusprechen. Aber auch bei der Neurastlienie tritt das Zwangs-
symptom um so leichter hervor, je stärker die hereditär erworbene Schwäche
der regulativen geistigen Kräfte in der Person sich ausprägt. (Bmdijt.)
Diagnose der Geisteskrankheiten. 963
Garnier und Dromard (166) teilen einen Fall von ^romantischer
Utoidentifikation" mit. Die Kranke glaubte sich in einer anderen Person
riederzuerkennen. Es handelt sich um ein ca. 30 Jahre altes Fräulein,
eren Vater ein „schwacher Geist", deren Mutter furchtsam und übertrieben
romm gewesen war, und die selbst träumerisch, unentschlossen, furchtsam,
twas melancholisch und in hohem Grade beeinflußbar war. Eines Tages
IS sie einen Roman und glaubte zunächst eine Ähnlichkeit, dann eine
oilkommene Identität zwischen der Hauptperson desselben und sich selbst
is in die kleinsten Einzelheiten zu erkennen. Sie ging noch weiter und
ielt die anderen Personen des Bomans für identisch mit denen ihrer Um-
ebung. Hieran kombinierte sie dann ein ganzes Wahnsystem. Sie glaubte,
aß der Verfasser des Romans sich die genaue Kenntnis ihrer Persönlich-
eit durch einen Herrn, mit dem sie verkehrt hatte, verschafft, daß eine
ir bekannte Frau auch die Hand dabei im Spiele gehabt habe usw. Weiterhin
aten Gehörstäuschungen und verschiedene Beeinträchtigungsideen auf, sie
ersuchte schließlich die oben erwähnte Frau zu töten und kam deshalb in
ie Anstalt. Die falschen Identifikationen finden nach den Verff. ihren
chtigen Platz unter den Erscheinungen der krankhaft gesteigerten Suggesti-
LÜtät. Auf dem Boden derselben ist in dem mitgeteilten Falle eine Psychose
it Verfolgungsideen entstanden; dieselbe unterscheidet sich aber durchaus
)n der der chronisch Verrückten und trägt alle Merkmale der Degenerierten.
Gaupp (167) behandelt in diesem Vortrage die Depressionszustände
is höheren Lebensalters. Er hat die Krankheitsgeschichten der in der Zeit
)m April 1892 bis zum April 1902 in die Heidelberger psychiatrische
linik aufgenommenen Kranken mit depressiver Psychose, die bei ihrer
•sten Aufnahme in die Klinik das 46. Lebensjahr zurückgelegt hatten, einer
ritischeu Durchsicht unterzogen und gibt die Resultate dieser „Inventar-
ifhahme". Es liegen den Untersuchungen 300 zum Teil selbst beobachtete
epressionszustände und femer 51 rein oder vorwiegend manische Erregungen
i Grunde. Verfasser weist einleitend auf die Fehlerquellen seiner Methode
id gewisse Mängel seines Materials hin und gibt dann zunächst eine
atistische Übersicht über das Vorkommen der verschiedenen manischen und
?pres8iven Erkrankungen bei beiden Geschlechtern: Die einfache und die
modische Manie war bei Männern erheblich häufiger, das manisch-
^pressive Lresein mit gleicher Entwicklung beider Phasen fand sich bei
aden Geschlechtern gleich oft, die vorw^iegend oder ausschließlich
jpressiven Formen hatten besonders Frauen befallen. Verfasser gibt dann
ne kurze Charakteristik der verschiedenen Formen und Verlaufsarten, auf
3ren Einzelheiten hier nicht eingegangen werden kann. Er betont zum
ßhlusse, daß er durchaus nicht alle von ihm herausgefundenen Gruppen
üd Untergruppen für wirklich selbständige Krankheiten ansehe, sondern nur
jigen möchte, nach welcher Richtung hin sich das klinische Studium der
epressionszustände bewegen müsse. Das benutzte Krankenmaterial ist das-
ilbe, dem auch die im Kraepelinschen Lehrbuch vertretenen An-
:hauungen basieren.
Goodall (173) teilt fünf tödlich verlaufene Fälle von akuter Geistes-
örung einschließlich des Sektionsbefundes mit. Er bezeichnet die Fälle
Is „akutes Delirium" oder „akute deliriöse Manie". Vier Kranke standen
Q Alter von 40 — 50 Jahren, der fünfte war 21 Jahre alt. Die Krankheits-
auer betrug 10, 11, 20 Tage, Vj^ und 2 Monate. Die hauptsächlichsten
linischeu Erscheinungen waren tiefe Bewußtseinsstörung, große motorische
Unruhe und schneller Kräfteverfall. In drei Fällen fehlten makroskopisch
ichtbare Veränderungen des Gehirns, in den beiden anderen fanden sich
61*
954 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
aasgesprochene Hyperämie des Gehirns und der Meningen, sowie abnorme
Weichheit des ersteren. In zwei Fällen wurde die firkrankung auf eine
kurz Yorber überstandene Influenza, in zwei anderen auf eine starke religiöse
Erregung zurückgeführt. Verf. neigt der Annahme einer Autointoxikation
als Ursache des akuten Deliriums zu. Therapeutisch wären Kochsalz-
infusionen zu versuchen.
Gottgetren (175) teilt einen Fall Ton Geistesstörung bei einem
10jährigen Knaben mit. Derselbe stammt ron einer nervösen Mutter und
zog sich zu Beginn des 8. Lebensjahres durch Sturz von der Treppe eine
Gehirnerschütterung zu; V« Stunde bewußtlos, delirierte einige Wochen,
dann Gedächtnisschwäche, blieb in der Schule zurück, öfters unartig. All-
mähliche Entwicklung einer Geistesstörung, die 2^« Jahre nach dem Unfall
ganz ausgesprochen war ; der Knabe machte allerlei Dmnmheiten, hatte zeit-
weilig Erregungszustände von 2 — 6stündiger Dauer mit Angst- und Ver-
folgungsideen, starrte zu anderen Zeiten lange vor sich hin. Keinerlei
epileptische usw\ Anfälle. In der Anstalt 4% Monate lang, zeigte Halla-
zinationen des Gesichts, Gehörs und Gemeingefühls, konfabulierte; keine
Störungen der Intelligenz und des Gedächtnisses. Vollkommene Heilung.
Verf. zitiert kurz die bisher mitgeteilten Fälle von Psychosen im Kindesalter.
Während einerseits postoperative Psychosen im allgemeinen nicht gerade
selten, andererseits schon viele Tausende von WarzenfortsatzoperationeD aos-
gefiihrt sind, liegen doch nur sehr spärliche Mitteilungen über Geistes-
störungen nach Aufmeißelungen des Proc. mastoideus vor. Grossmaim (1B2)
konnte nur 4 derartige Fälle aus der Literatur zusammenstellen, die von
Tuffier, F. Pluder (2 Beobachtungen) und Piffl publiziert, nach Gross-
manns Dafürhalten aber durchaus nicht einwandsfrei sind. Er selbst konnte
in der Berliner Kgl. Universitäts-Ohrenklinik (Prof. Lucae) einen wirklich
reinen Fall von Psychose nach Aufmeißelung des Warzenfortsatzes beobachten;
es handelte sich um ein Delirium hallucinatorium (Kollaps-, Inanitions-,
Rekonvaleszenz-Delirium) bei einem 18jährigen, erblich nicht belasteten
Mädchen. In 3 anderen in der Klinik beobachteten Fällen traten nach der
Operation Depressionszustände (Hypochondrie, Melancholie) auf; die Kranken
boten das Bild der sekundären traumatischen Psychosen (Mendel), nämlich
Kopfschmerz, Empfindlichkeit gegen Lieht und Geräusch, Schlaflosigkeit und
Schwindel, Angstgefühl mit Phobien, Hoffnungslosigkeit, Suicidalgedankeo,
völlige Energielosigkeit dar; alle drei Kranken endeten durch Selbst-
mord! Verfasser erörtert dann das Vorkommen von Geistesstörungen nach
Operation von Großhirnabszessen und teilt zwei einschlägige Beobachtungen
mit Er kommt zu dem Ergebnis, daß psychische Störungen nach Aof-
meißelungen des Warzenfortsatzes nur scheinbar so selten wären, wie ihr
Vorkommen in der Literatur erwarten lasse. Sie wären vielmehr ebenso
häufig wie die Psychosen nach anderen Operationen und ständen selbst den
Geistesstörungen nach gynäkologischen und Katarakt-Operationen wenig nach,
vorausgesetzt, daß ein gleichartiges Material (Großstadt!) zum Vergleich
herangezogen werde. Ihr Frequenzverhältnis sei im Durchschnitt: 1 Psychose
auf 500 Aufmeißelungen. Ebenso wie für die gynäkologischen Operationen
und Kataraktextraktionen ließen sich auch für die Psychosen nach Auf-
meißelung des Warzenfortsatzes besonders wirksame prädisponierende Momente
eruieren: 1. Die Erschöpfung des Gesamtorganismus durch den Eiteronp-
prozeß. 2. Die Autointoxikation. 3. Die Meißelerschüttemng, das Ver-
hämmern des Schädels. Verfasser verweist auf die bekannten Koch-
Fi lehn eschen Versuche und berichtet über eigene Beobachtungen, die er
bei einer großen Keihe von Aufmeißelungen des Warzenfortsatzes über den
Diagnoae der Geisteskrankheiten. 9^5
JänflaB der Meißelschläge auf Puls und Atmung angestellt hat Es ergab
ich bei diesen, daß bei Warzenfortsätzen mit dicker und harter Kortikalis^
esonders also bei Osteosklerose, die Meißelerschütterung ein Kleiner- oder
clmellerwerdeu des Pulses, also ein Sinken des Blutdruckes, bewirkte; von
em Moment an, in dem Dura oder Sinuswand freigelegt wurde, konnte
eine Beeinflussung des Pulses durch die Meißelschläge konstatiert werden;
espirationsschwankungen waren nicht nachzuweisen: Die Aufmeißelnng des
^arzenfortsat^es ist ein Sehädeltrauma, und daß die Meißelerschütterung
18 wirksamste ätiologische Moment der Psychose ist, geht daraus hervor,
iß Ton 4 Psychosen 3 das typische Bild des sekundären traumatischen
Teseins darboten. Auch können 4. die Nachbehandlung und femer 5. eine
irz Tor der Operation vorgenommene Lumbalpunktion (Fall I. des Verf.)
e Disposition zur psychischen Erkrahkung steigern. Die einfache Eröffnung
?s Antrum und die Totalaufmeißelung ergaben den gleichen Prozentsatz
etoperativer Psychosen; die Haupterschütterung des Kopfes wird demnach
)hl bei dem Durchmeißeln einer sehr harten und stark entwickelten Korti-
tlis erzeugt. Prophylaktisch ist deshalb der Gebrauch der Meißel möglichst
izuschränken, eine Lumbalpunktion kurz vor der Operation nur bei strengster
dikatiou vorzunehmen. Das Auftreten hypochondrisch-melancholischer Ver-
mmung nach einer Warzenfqrtsatzoperation ist ein alarmierendes Symptom
id fordert zu strengster Überwachung auf, da stets die Gefahr des
icids droht.
Auf Anregung Kraepelins hat Hackl (187) Untersuchungen über
s Anwachsen der Geisteskranken in Deutschland angestellt. Es wird
br häufig die Ansicht geäußert, daß die Zahl der Geisteskranken in starker
inahme begriffen sei. Demgegenüber ist darauf hinzuweisen, daß wir keine
auchbare Statistik über das Anwachsen der Geisteskranken in Deutschland
sitzen. Ob in den letzten Jahrzehnten eine Zunahme der Geisteskranken
Deutschland stattgefunden hat oder nicht, wird von den verschiedenen
itoren auf Grund Ärer persönlichen Erfahrungen oder allgemeiner Schluß-
geningen in ganz verschiedenem Sinne angegeben, und in ganz ähnlicher
eise besteht eine Divergenz der Meinungen über diese Frage auch in
deren Ländern. Verf. hat sich zur Orientierung über den Stand des
renwesens in Deutschland mit einer Rundfrage an die Direktionen samt-
her Lrenanstalten gewandt und gibt zunächst das Urteil einiger Pach-
inner über das Anwachsen der Geisteskranken wieder, aus denen hervor-
ht, daß die Anstalten überall überfüllt sind. Hieraus schließen die einen
f ein stärkeres Anwachsen der Geisteskranken überhaupt, während die
deren nur eine Vermehrung des Andranges zu den Anstalten folgern bei
übrigen gleichbleibendem Stand der Geisteskranken. Kraepelin ist der
^inung, daß wesentlich die sich überall wiederholende Steigerung des Ver-
rgnngsbedürfnisses die Ursache für die T'berfüllung der Anstalten sei,
hrend die Ursachen des Irreseins im letzten Jahrzehnt nicht in dem Maße
^nommen hätten, um das Anwachsen der Geisteskranken erklären zu
nnen. Zur Feststellung des Anwachsens der Geisteskranken kann man
ttächst die Irrenanstaltsstatistiken verwenden. Verf. hat die hierfür nötigen
Menunterlagen gesammelt und tabellarisch zusammengestellt. Doch kann
in aus den Statistiken der Irrenanstalten keinen Schluß ziehen, auf das
iwachsen der Geisteskranken im Lande überhaupt; denn nur ein Teil
r Geisteskranken, und jetzt ein anderer Prozentsatz als vor 30 Jahren,
in Anstalten untergebracht, und ferner wächst der Anstaltsbestand weniger
rch die Zunahme der Neuerkrankten als durch die Anhäufung der chroni-
ben Fälle. Verf. hat dann für die einzelnen Bundesstaaten die Mittelzahl
966 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
des jährlichen Zuwachses yoü Geisteskranken berechnet; für Deutschland
beläuft sie sich auf 4400 Köpfe. Am sichersten ließe sich ein Aufschluß
über das Anwachsen der G-eisteskranken nach den Yolkszählungsergebnissen
gewinnen, doch hat in Deutschland bisher nur bei einer Volkszählung im
Jahre 1871 eine gleichzeitige Zählung der Irr- und Blödsinnigen statt-
gefunden; damals trafen auf 10 000 Personen 22,77 Geisteskranke. In
Preußen und Sachsen dagegen sind bei den Volkszählungen wiederholt die
Geisteskranken gezählt worden: In beiden Staaten ist die Zahl der Geistes-
kranken angewachsen, und zwar in Preußen über die Zunahme der BcTÖlkerang
hinaus, während letzteres in Sachsen nicht der Fall war. Für die übrigen
Bundesstaaten liegen keine entsprechenden Zählungen vor. Vergleicht man
die Zahlen der in Anstalten untergebrachten Geisteskranken in
Deutschland nach den Volkszählungen von 1886 — 1898, so ergibt sich, daß
die Zahl der Geisteskranken anwächst über die Zunahme der Bevölkerung
hinaus. Doch sind ja diese Zahlen keine absolut einwandfreien Belege für
das Anwachsen der Geisteskranken überhaupt. Unsere bisherige Irrenstatistik
in Deutschland ist unzulänglich, um dieses beurteilen zu können. Verf.
fordert deshalb mit Recht, daß im Reiche regelmäßige Irrenzählungen
gelegentlich der Volkszählungen vorgenommen würden. Er gibt weiterhin
einen kurzen Überblik über die geschichtliche Entwicklung des Irrenwesens,
besonders in den deutschen Bundesstaaten, und teilt dann ein auf Grund
der vorhandenen Angaben und einer von ihm veranstalteten Rundfrage auf-
gestelltes Verzeichnis aller öffentlichen und privaten Anstalten Deutschlands
mit, in denen zur Zeit Geisteskranke untergebracht werden. Als Kranken-
bestand ist der vom 1. Dezember 1903 eingetragen (S. 47 — 82). Es be-
standen damals 395 Anstalten mit 108000 Kranken. Der gegenwärtige
Stand der Irrenversorgung genügt noch nicht den tatsächlichen Bedürfnissen.
Nach Kraepelin ist als Minimum ein Anstaltsplatz auf 500 Einwohner zu
fordern. Außer der weiteren Errichtung von Anstalten ist vor allem nötig
eine einheitliche gesetzliche Regelung des Irrenwesens, ein deutsches Irren-
gesetz. Ferner ist wichtig der Ausbau der Fürsorge für die Imbezillen und
Idioten, für die Epileptiker und für die geisteskranken Verbrecher. Verf.
bespricht kurz die für diese drei Aufgaben in Betracht kommenden Gesichts-
punkte und gibt dann noch einen Überblick über die allgemeine Prophylaxe
der Geisteskrankheiten unter besonderer Berücksichtigung der hauptsäch-
lichsten ursächlichen Faktoren derselben, der erblichen Belastung, des
Alkoholismus, der Syphilis und der nervösen Erschöpfung. Die wesentlichsten
erforderlichen Maßnahmen zur Bekämpfung dieser Faktoren sind anschaulich
dargestellt.
Auf die Gedichte von Theodor Meynert (erschienen bei Wilhelm
Braumüller, Wien, Leipzig 1905) weist Hartmann (188) in einem wann
empfundenen kleinen Aufsatz hin. Der große Psychiater hatte nie eine Ver-
öffentlichung dieser Gedichte angestrebt, sondern er schuf sie nur für sich
selbst als ein Genußmittel, in dem der in seiner wissenschaftlichen Forschung
so ganz aufgehende Mann Abwechselung und Erregung einer sympathischen
Stimmung — nach Karl Lange die beiden Komponenten des Kunst-
genusses — suchte und fand. Hartmann gibt einzelne markante Proben
aus der Gedichtsammlung und zeigt, wie auch in allem wissenschaftüchen
Schaffen Meynerts eine hohe künstlerische Veranlagung zu Tage tritu Er
war ein bildender Künstler in seiner wissenschaftlich-schöpferischen Tätig-
keit und prägte auch die Gedanken seiner Mußestunden in künstlerischem
Gewände.
Hanshalter (189) berichtet über eine Psychose bei einem Knaben,
Diagaose der Geisteskrankheiten. QQf
die sich im Anschluß an eine akate Affektion, wahrscheinlich eine Meningitis,
entwickelt hatte und sich klinisch in nichts Ton gewissen Formen von
Einderpsychose unterschied, die im Gefolge einiger Infektionskrankheiten
auftreten können: 10 jähriges Waisenkind; über die Eltern ist nichts bekannt;
war stets gesund und geistig gut entwickelt Erkrankte plötzlich mit
Krampfanfällen und meningitischen Symptomen, die einige Tage andauerten;
es traten dann Delirien und heftige motorische Erregung auf, die zunächst
mit den Konvulsionen und zeitweilig auftretendem Koma abwechselten. Als
der Knabe 14 Tage nach dem Beginn der Erkrankung in die Klinik auf-
genommen wurde, waren keine Symptome Yon Meningitis mehr vorhanden.
Das Krankheitsbild manifestierte sich durch ängstlichen Stupor, Verwirrtheit,
kataleptische und automatische Erscheinungen; nach einigen Tagen besserte
sich der Zustand, und 6 Wochen nach dem Beginn der Erkrankung trat
vöUige Heilung ein. Es bestanden außerdem den aphasischen ähnliche
Sprach- und Schriftstörungen, und zwar ganz entsprechend der Tiefe der
geistigen Störungen, als deren Folgen sie zu betrachten sind. Die Ver-
bindung von psychischen und Sprachstörungen bildet ein Krankheitsbild, das
für die postinfektiöse Psychose typisch ist, aber in der Kindheit selten
beobachtet wird. Die beschriebene Psychose ist als Folge der Toxico-Infektion
des Zentralnervensystems zu betrachten.
Heilbronner (191) geht bei seinen Betrachtungen über die Be-
einfluBung einer Psychose durch das ätiologische Moment von der Korsa-
kow sehen Psychose aus. Auf Grund seiner Beobachtungen kann er sich
nicht der Ansicht Kraepelins anschließen, welcher sich dahin ausspricht,
daß Krankheitsbilder mit unzweideutig verschiedenen Ursachen nicht wesens-
gleich sein können, auch wenn die Zustandsbilder zeitweise nicht klar aus-
einander zu halten sind. Vielmehr gelangt er zu derselben Meinung wie
Bonhoeffer, daß das Zustandsbild als solches keine grundsätzlichen
Differenzen erkennen läßt, oder daß zum Mindesten ihre Erkennung bisher
noch nicht möglich ist. Heilbronners Untersuchungen ergaben nun
folgendes: Die chronisch entwickelte und progressiv verlaufende Form des
Korsakow findet sich nur auf dem Boden des Senium; dagegen finden sich
ebensowohl bei Alkoholikern wie bei Senilen akut entwickelte Formen, die
wenigstens, was die Art der Symptome angeht, lange Zeit stationär bleiben,
anderseits bei beiden akut entwickelte Formen, die einer weitgehenden Rück-
bildung und mehr oder weniger vollständigen Heilung fähig sind. Analoge
Verhältnisse .bietet die traumatische Form der Korsakowschen Psychose
dar, die der Ätiologie nach nur akut auftreten kann. Umgekehrt ergaben
sich sowohl beim Potator, wie beim Senilen und beim Traumatiker dieselben
Zweifel, ob man gelegentlich von einem protrahierten Delir oder von einem
rasch verlaufenden Korsakow sprechen soll.
Weitere Analogieen zwischen Alkoholisten und Senilen bilden die
abendlichen Delirien resp. Zustände von Desorientiertheit, die zuweilen die
Einleitung eines Korsakowschen Zustandes bilden können, ferner Depressions-
zustände, sowie der sogenannte Eifersuchtswahn. Auf engere Beziehungen
zwischen den oben genannten ätiologischen Momenten weist auch der Um-
stand hin, daß Alkoholiker und Senile das Hauptkontingent zu den Sittlich-
keitsverbrechern stellen, und daß unter den posttraumatischen Ziiständen
eine Art ethischer Degeneration vorkommt, die eine ausgesprochene Ähnlich-
keit mit der Entartung der Trinker hat. Heilbronner möchte nicht seine
Betrachtungen zum Ausgangspunkt von Einteilungszwecken machen, glaubt
aber, daß Gruppenbildungen, wie er sie in der vorliegenden Arbeit versucht
hat, sich vielleicht ganz förderiich erweisen. (Natcratzki.)
968 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
Heilbronner's (I91a) Arbeit enthält eine Reihe von interessanten
Erörterungen zur Frage der motorischen Asymbolie (Apraxie). Sie beruhen
auf den von Liepmann und A. Pick mitgeteilten Krankheitsföllen und
knüpfen an die Auseinandersetzungen und Anschauuugen dieser Autoren
an. Verf. geht von Meynerts Auffassung der motorischen Asymbolie aus
und beschäftigt sich dann hauptsächlich mit den klinischen Befunden in
Liepmanna bekanntem Fall von einseitiger Apraxie, in deren Auffassung
er im wesentlichen mit Liepmann übereinstimmt. Von den zahlreichen
für dieses ganze Gebiet und darüber hinaus wichtigen Ausführungen können
im Rahmen eines Referates nur einzelne wiedergegeben werden : das Haften-
bleiben oder die einzelne durch Haftenbleiben bedingte Reaktion ist ebenso
wie andere Fehlreaktionen aufzufassen. Theoretisch kann die Scheidung
der Leitungsasymbolien von der Liepmann sehen motorischen Apraxie nicht
streng durchgeführt werden. Gemeinsam ist beiden die Intaktheit der sen-
sorischen Seite und des Sensomotoriums ; der Unterschied zwischen beiden
ist ein gradueller, abhängig von dem Grade der Störung in den Verbindungs-
bahnen zwischen den rein sensorischen Abschnitten und dem Sensomotonum;
je vollständiger und je ausschließlicher diese Verbindung unterbrochen ist^
desto reiner wird sich das von Liepmann gezeichnete Bild darstellen. Im
allgemeinen bestätigt sich auch für die asymbolischen Störungen die bei den
verschiedenen Formen der Aphasie gemachte Erfahrung. Je näher die
Störung den motorischen Gegenden rückt, desto mehr überwiegt, bei einiger-
maßen gleicher Intensität der Schädigung, die Störung im Gefüge des mo-
torischen Effektes, bis dieser zuletzt auch in seinen Elementen geschädigt
wird; je weiter die Schädigung an das sensorische Ende rückt, desto mehr
überwiegt gegenüber der eigentlichen Bewegungsschädigung die Bewegungs-
verwechslung. Dem Sensomotorium kommt auf die Auswahl der aus-
zuführenden Bewegung ebensowenig ein Einfluß zu als dem Brocaschen
Zentrum auf die Wortwahl. Eine Ausnahme von der Regel bilden die
„Eigenleistungen'', sofern sie im Einzelfalle tatsächlich als solche ablaufen;
sie werden erst dann gestört, wenn das Sensomotorium selbst affiziert wird;
dagegen werden sie in demselben Maße wie alle anderen gestört werden,
wenn sie abschnittweise auf gewißennaßen exogene Bewegungen hin ab-
laufen sollen. Heilbronner stellt dann folgendes Schema der asymbolischen
Symptomengruppen auf: I. Kortikale Apraxie (= kortikale motorische
Asymbolie), charakterisiert durch die Schädigung der Eigenleistungen des
Sensomotoriums und das Überwiegen der parakinetischen Erscheinungen bei
allen Bewegungsformen. Sie dürfte der theoretisch konzipierten motorischen
Asymbolie Meynerts entsprechen. 11. Transkortikale Apraxie (transkorti-
kale motorische Asymbolie), charakterisiert durch die Intaktheit der Eigen-
leistungen des Sensomotoriums; komplizierte Willkürbewegungen gelingen
überhaupt nicht, statt dieser erfolgen vertrackte Bewegungen (Parakinesen).
Sie wird repräsentiert durch Liepmanns Kranken. I. und 11. können
einseitig und auch eventuell durch Läsion einer Hemisphäre (bei II. und
Balkenläsion) bedingt vorkommen. III. Leitungsasymbolien, bieten die ver-
schiedenartigsten Bilder, sind charakterisiert durch die zahlreichen geord-
neten Bew^egungsverwechslungen, häufig im Sinne des Haftenbleibens.
Parakinetische Erscheinungen sind spärlich oder fehlen ganz. Hierher ge-
hört die übergroße Mehrzahl aller bisher beschriebenen Fälle. IV. Agnosie
(= sensorische Asymbolie), die Summe von Seelenblindheit, Seelentaubheit
usw.; die Bewegungsstörungen (Verwechslungen) können als sekundär be-
trachtet werden. IIL und IV. setzen doppelseitige Schädigungen voraus.
Heilbronner betont dann ausdrücklich, daß diese Gruppierung nicht etwa
Diagnose der Geisteskrankheiten. 9^9
abgeschlossene und differentialdiagnostisch von einander zu scheidende
Krankheitsbilder im Auge habe, sondern daß es sich praktisch wohl
immer um Übergangs- und Mischformen handeln werde. Verf. erörtert
femer noch die Beziehungen der asymbolischen Erscheinungen zu den
Störnngen der Aufmerksamkeit, das Verhalten der Patienten außerhalb des
eigeDtlichen Krankenexamens, die Frage, warum der Asymbolisehe yerhält-
nismäßig selten zu korrigieren versucht, femer, wie weit man bei den
Kranken wirklich von erhaltenen Zielvorstellungen sprechen kann usw. Den
Schluß bilden Betrachtungen über den Nutzen, den man aus der Vergleichung
des anatomischen und klinischen Befundes in Asymbolie-Fällen zurzeit er-
warten darf.
Zur Bereicherung eines geeigneten Materials für die Beurteilung der
Korsakowschen Psychose traumatischer Genese teilt Heilbronner (192)
rier Krankheitsgeschichten von Fällen dieser Art mit und weist gleichzeitig
Mif mancherlei Besonderheiten in den einzelnen Symptomen hin. Gewisse
ätöniDgen der Merkfähigkeit schienen ihm der retrograden Amnesie nach
Kopflraumen näher zu stehen als der traumatischen Amnesie. Sehr aus-
gesprochen war in den geschilderten Fällen die zeitliche Desorientierung,
während die örtliche Orientierung in geringerem Grade gestört erschien.
Personenverkennungen kamen sehr reichlich vor. Vervollständigt wurden
lie Krankheitsbilder durch die Konfabulationen. Eine besondere Form der-
lelben, die „transitivistische Erinnerungsfälschung", sah H. unter seinen
fallen zweimal. Im Hinblick auf das Verhältnis der Konfabulationen zum
3efekt der Merkfilhigkeit hebt H. hervor, daß ein Erinneningsdefekt im
ingeren Sinne nicht oder wenigstens nicht mehr zu bestehen braucht, und daß
rotzdem Konfabulationen zustande kommen können. Möglicherweise komme
liesen auch ein gewisser Wert für die Klassifikation der postkommotionellen
Störungen zu. Eine Urteilsschwäche war deutlich vorhanden. Das äußere
iT^erhalten war geordnet; die Erinnerungen aus früherer Zeit waren erhalten.
)ie Entwicklung des Korsakowschen Komplexes erfolgte in den Fällen
on H. im Anschluß an eine initial aufgetretene delirante Unruhe.
Für den Zusammenhang der Psychose mit dem Trauma spricht die
eitliche Aufeinanderfolge. Für das Zustandekommen des Korsakowschen
justandes ist die Allgemeinschädigung des Gehirns von Bedeutung, ferner
ine individuelle Disposition. Der erblichen Belastung mißt H. keine
wesentliche Rolle bei. Der Korsakowschen Psychose kommt im alige-
neinen keine allzugünstige Prognose zu. Bei den traumatischen Formen
cheint nach H. allerdings eine Genesung insofern wenigstens möglich, als
eine merkbaren Defektsymptome übrigzubleiben brauchen. Ob eine restlose
leilung möglich ist, läßt sich aber gegenwärtig nicht mit Sicherheit angeben.
(Naxcrcitzki,)
Heilbronner (193) teilt die Krankheitsgeschichte eines Falles von
klamptischer Psychose mit, unter ganz ausführlicher Wiedergabe der
iinischen Befunde und der zahlreichen bei der Kranken vorgenommenen psycho-
•athologischen Prüfungen. Dieselben ergaben eine Reihe von Einzelheiten, deren
Bedeutung für verschiedene Fragen der allgemeinen Psychopathologie Heil-
bronner, gewissermaßen als Fortsetzung seiner Abhandlung „Über epi-
eptische Manie nebst Bemerkungen über die Ideenflucht'*, eingehend und
ibersichtlich erörtert. Auf motorischem Gebiete zeigte die Kranke die sehr
eltene Kombination von isoliertem Kededrang und Akinese der übrigen
^örpermuskulatur. Der Rededrang war formal charakterisiert durch sein
angsames Tempo, den sehr geringen Stimmaufwand und die Monotonie des
Tonfalls; inhaltlich durch das Haftenbleiben, die Ablenkbarkeit (Wernickes
970 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
Hypermetamorphose) und ideenflüchtige Elemente, weiche sich mannigfaltig
kombinierten. Bezüglich des Haftenbieibens war vielfach zu konstatieren,
daß nicht nur die motorische Reaktion haftete, sondern ganze assoziative
und sehr komplizierte Komplexe. Auch auf sensorischem Gebiete war die
Erscheinung des Haftenbleibens vorhanden. Von Wichtigkeit gegenüber den
Angaben und der Theorie v. SöMers ist die Tatsache, daß die perseve-
rierenden Vorstellungen ganz diskontinuierlich nach Tagen wieder in Er-
scheinung traten, sich also über lange Zeiträume erstreckten. Die sehr selt-
same Kombination zweier sich scheinbar ausschließender Erscheinungen, wie
Haftenbleiben und Ablenkbarkeit, rief eine ßeihe von Folgeerscheinungen
hervor, so das scheinbar aktive Interesse, das die Patientin den Eindrücken
entgegenbrachte. Bei der Besprechung der ideenflüchtigen Erscheinungen
beschäftigt sich Heilbronne r auch mit Liepmanns Arbeit über Ideenflucht
(s. d. Jahresbericht f. 1904, S. 1003) und dessen Kritik seiner eigenen
Definition. Er erkennt Liepmanns Kritik als berechtigt an, glaubte
aber, daß dessen Begriffsbestimmung ebenfalls lückenhaft sei, daß überhaupt
eine allen Fällen gerecht werdende Definition kaum möglich sei. Liep-
mann gebe keine Definition der Ideenflucht, sondern eine theoretische
Erklärung ihres Wesens und ihrer Entstehung bei der Manie, in der er
übrigens nur wenig von ihm abweiche. Ideenflucht im weiteren Sinne, vor
allem Klangassoziationen, wurden bei der KJranken gänzlich vermißt; die
Ideenrtucht trat gegenüber der Ablenkbarkeit ganz in den Hintergrund.
Der Anschauung Liepmanns, daß Ideenflucht und Ablenkbarkeit der Aus-
fluß derselben elementaren Störung, der Unbeständigkeit der Aufmerksamkeit
wären, kann Heilbronner sich nicht anschließen, da nach der klinischen
Erfahrung für das Auftreten jeder dieser beiden Erscheinungen gesonderte
Momente von Bedeutung sein müßten. Die Fixierbarkeit ist eine Teil-
erscheinung der Aufmerksamkeit; sie ist nichts für die einzelne Psychose
im einzelneu Augenblick Feststehendes, sondern sie ist abhängig von dem
Inhalt der Frage resp. den daraus erwachsenden Anforderungen. Ab-
lenkbarkeit und Fixierbarkeit sind durchaus nicht zwei gegensätzliche
Momente, sondern beide Erscheinungen haben nahe Verwandtschaft mit
einandor. Verf. bespricht dann des weiteren die Feststellungen über die
Auffassung optischer Eindrücke, die Orientierung, den alten geistigen Besita-
stand, die Affekte, Halluzinationen, Merkfähigkeit, Anmesie, — für die
letzten 3 — 4 Wochen vor der Entbindung bestand ein schwerer Erinnerungi-
defekt — Konfabulation usw. In der Zusammenfassung betont Heil-
bronner, daß es sich um eine eklamptische Psychose gehandelt habe, daß
nach dem klinischen Verlaufe das septische Fieber ohne Einfluß gewesen
sei, daß nach Eklampsie verschiedenartige Psychosen, insbesondere von
Bonhoeffer, Sander und Aishausen beschrieben worden wären, und daß
eine nahe Verwandtschaft der eklamptischen mit den epileptischen Psychosen
bestünde (retrograde Amnesie usw.). Als elementare Symptome in dem
mitgeteilten Falle haben nach Heilbronner zu gelten: Die Dissoziation
(Assoziationsstörung), der Rededrang und die Ablenkbarkeit. Angst und
Halluzinationen spielen nur eine untergeordnete Rolle, das Haftenbleiben
und die Ideenflucht sind aus den Zerfallserscheinungen abzuleiten.
Heilbronner's (194) Versuche bezwecken, die für das Zustande-
kommen des Haftenbleibens maßgebenden Faktoren aufzuklären. Die Ab-
sicht bei den Reaktionsversuchen ist, festzustellen, welche zweite Vorstellung
durch eine geweckte erste zunächst hervorgerufen wird, oder wenigstens,
welche unter den hervorgerufenen so stark ist, daß es zu entsprechender
sprachlicher Reaktion kommt. Er bediente sich hierzu zweier Reihen von
Diagnose der Geisteskrankheiten . 97 X
Beizworten, deren erste nur Bezeichnungen der geläufigsten Dinge des täg-
lichen Gebrauches oder der täglichen Anschauung enthält, während die zw^eite
im wesentlichen aus Abstrakten besteht. Bisher ergab sich, daß w^eder bei
Epileptikern (im Habituatzustand), noch bei Hebephrenen, noch bei Para-
lytikern und Imbezillen im fortlaufenden Assoziationsversuche Haftenbleiben
eine wesentliche Rolle spielt. Als Resultat seiner Versuche bei Psychosen
ergibt sich, daß die geringste Wahrscheinlichkeit, Haftenbleiben zu erzielen,
besteht, wenn man den Kranken einfache Gegenstände in natura oder in
voll ausgeführten Abbildungen benennen läßt; sie wird größer, wenn man
statt dieser schematische Bilder gibt, und zwar umso mehr, je dürftiger
dieses Schema gehalten ist. Die Aufgabe, fortlaufende Reihen zu assoziieren,
führt zu Wiederholungen von solcher Häufigkeit, daß von Haftenbleiben ge-
sprochen werden könnte, nur in ganz wenigen Fällen. Die sicherste Methode,
um Haftenbleiben auszulösen, stellt die Assoziation auf Reizw^orte dar: dabei
vollzieht sich ein allmählicher Übergang von zunächst noch sinnesentsprechen-
def Wiederverwendung schon gebrauchter Assoziationsworte zu sinnlosen
Haftenreaktionen; die Wiederholungen überhaupt, ganz besonders aber die
sinnlosen, treten früher auf bei abstraktem Reizwort als bei konkretem.
Erfahrungen am Asymbolischen machen es wahrscheinlich, daß analoge Ver-
hältnisse auch bezüglich des Hafteubleibens auf nicht sprachlichem Gebiete
vorliegen. Das Verhältnis der einfachen Wiederholung des Reizwortes zum
Haftenbleiben bedarf noch genauerer Untersuchung.
Was das Verhältnis des Hafteubleibens zur Verbigeration anbe trifft,
so ergeben die Untersuchungen H.s, daß Verbigeration generell bei den-
selben Psychosen am häufigsten vorkommt, bei denen auch das Haften-
bleiben vorwiegend beobaclitet wird. Man kann weiter im Einzelfalle \^er-
bigeration und Haftenbleiben nebeneinander beobachten. Man kann endlich
feststellen, daß die gleiche Vorstellung innerhalb kurzer Zeit bald persevera-
torisch wiederkehrt, bald als wesentlicher Inhalt der Verbigeration auftritt.
(Bendia.)
Hoche (201) gibt in einem klinischen Vortrage eine kurze und klare
Darstellung der heute herrschenden Anschauungen und der in Zukunft er-
forderlichen Untersuchungen über die Bedeutung der erblichen Belastung
für die Entstehung von Geisteskrankheiten. Er weist darauf hin, daß die
hereditäre Belastung heute schon bei den Laien, wenn es sich z. B. um die
Frage einer Heirat handele, eine große Rolle spiele; dasselbe sei auch in
der forensischen Praxis der Fall, trotzdem der Nachweis des Vorkommens
von Nerven- und Geisteskrankheiten in der Aszendenz an sich für die Be-
urteilung eines Individuums so lange ganz irrelevant sei, als sich die Be-
lastung nicht in dem Betreffenden selbst nachweisbar ausp^eprägt finde.
Denn wenn auch bei etwa der Hälfte der Fälle von geistiger Erkrankung
sich eine erbliche Belastung nachweisen läßt, so spricht doch das Vor-
handensein derselben bei einer gesunden Person ^nur für eine größere oder
geringere Wahrscheinlichkeit des lijrkrankens. Über die Gesetzmäßigkeiten
in der Vererbungsfrage wissen wir noch sehr wenig, und dieses Wenige sind
meist subjektive Eindrücke: Wir stehen erst am Anfange der notwendigen
Untersuchungen. Eine sehr wesentliche Fehlerquelle für alle statistischen
Untersuchungen über nervöse Belastung ist die Tatsache, daß, wie aus Zu-
sammenstellungen Fourniers hervorgeht, eine ausgedehnte Übereinstimmung
zwischen den Zeichen erblicher Syphilis und denen der nervösen Entartung
besteht. Auch sonst haben die bisherigen statistischen Ermittelungen zahl-
reiche Mängel, da sie vielfach die Arten der Belastung nicht genau aus-
einanderhalten, die Belastung nicht für die verschiedenen Formen geistiger
972 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
Erkrankung gesondert untersuchen, usw. Überhaupt wird nicht auf dem
Wege der Massen-, sondern nur auf dem der Individual - Statistik etwas
Brauchbares zu erreichen sein. Vor allem muß man die bisher übliche
Methode der Erblichkeitsstatistik verlassen und statt der Prüfung de«
Stammbaums (deszendierende Richtung) Ahnentafeln anlegen (aszendierende
Richtung). Solche Ahnentafeln sind in größerem Umfange auch für Ge-
sunde aufzustellen, und erst ein Vergleich derselben mit den bei endogenen
Psychosen gewonnenen kann brauchbare Unterlagen für die Beurteilung der
erblichen Belastung liefern. In zweiter Reihe ist die belastende Wirkung
der einzelnen Anomalien je nach ihrer Eigenart zu untersuchen. Beide
Aufgaben erfordern viel Zeit und Mühe; am besten würde sich das Kranken-
material der großen Privat-Sanatorien und -Irrenanstalten fiir derartige Nach-
forschungen eignen.
Hodgson (203) berichtet über einen Fall von Geistesstörung
bei Extrauterin-Schwangerschaft. Eine 23 Jahre alte Frau, die von einer
nervösen Mutter stammte und selbst an hysterischen Zufällen litt, bekam
während einer beginnenden Schwangerschaft eine Psychose, die sich durch
Verwirrtheit und Gesichtstäuschungen äußerte. Man konstatierte Extrauterin-
Gravidität und entfernte die in der rechten Tube zur Entwicklung ge-
kommene Frucht per laparotomiam. Es blieben aber weiterhin geistige
Störungen bestehen; die Kranke war sehr unruhig, sprach viel, riß sich die
Kleider vom Leibe, wollte sich aus dem Fenster stürzen. Nach 2 Wochen
trat eine Abnahme der Erregung, nach einer weiteren Woche völlige
Heilung ein.
Hoppe (206) hat gegen 500 Geisteskranke und Epileptiker auf das
Vorkommen von Aceton untersucht, das bei verschiedenen Krankheits-
zuständen, wie Fieber, Diabetes, Carcinom, Digestionsstörungen, Inanition
u. a. gefunden wird. Unter 325 Epileptikern wurde Aceton bei 8,6®/^^ der
Kranken nachgewiesen; häufiger noch fand es sich bei Kranken mit akuten
Psychosen, von 55 bei 34 ^o» Böi 38 Idioten und 8 Choreatikem fehlte es
gänzlich. Aceton tritt auch nach Gebrauch von Chloralhydrat auf. Sein
Vorkommen ist für den Psychiater insofern von großer Bedeutung, als es
für ein bedenkliches Anzeichen anzusehen ist. Dafür spricht, daß Aceton
bei Epileptikern meist im Status epilepticus und bei anhaltenden Verwirrt-
heitszuständen auftritt, bei Paralytikern meist zur Zeit der paralytischen
Anfälle, bei den anderen Psychosen im Stadium starker Gemütsdepression
oder hochgradiger Erregung. Der Nachweis von Aceton geschah mittelst
der vom Verf. genauer beschriebenen Stock-Fröhnerschen Reaktion. Die
Annahme aus neuerer Zeit, daß Aceton ein Spaltungsprodukt der Fette sei,
ist nach H. nicht sicher erwiesen. Das Erscheinen größerer Acetonmengen
im Harn zeigt an, daß der allgemeine Ernährungszustand des Körpers unter
unzweckmäßiger Nahrung zu leiden anfängt, und zwar im besonderen unter
mangelnder Kohlehydratzufuhr. Dieser Umstand führte in therapeutischer
Hinsicht dazu, daß man zur Bekämpfung solcher Zustände Haferkuren oder
die Anwendung von Monosachariden empfahl, oder wo die Annahme einer
Säurevergiftung möglich war, die Darreichung von Natr. bicarb. in größerer
Dosis, falls nötig, auch subkutan. (NawratzkL)
Howard (211) teilt die Krankengeschichten von vier den Gelehrten-
kreisen angehörigen Männern mit, welche an Depressionszuständen ver-
schiedener Art litten. Für das Zustandekommen der psychischen Störungen
macht H. einerseits eine gewisse Disposition und dann den Gelehrtenberaf
respektive geistige Überarbeitung verantwortlich. (Benäts.)
Diflkgnose der QeisteskranklieiteD. 973
Hübner (212) teilt die Ergebnisse weiterer Untersuchungen mit, die
er über das Verhalten der psychischen und sensiblen Pupillarreaktion bei
Geisteskranken angestellt hat. Nach Bumkes und Verfassers eigenen
früheren FeststeUungen fehlten die psychische und sensible Reaktion bei
69*^0 ("öte'' 33 Fällen Bumkes) bezw. 75% (unter 51 Fällen des Ver-
fassers) aller an Dementia praecox Leidenden. Verf. erwähnt zunächst, daß
nur bei drei geistesgesunden Frauen im Alter von 48 — 56 Jahren mit
normaler Lichtreaktion die Reaktionen nicht gefunden werden konnten,
während sie bei den 81 anderen untersuchten Gesunden regelmäßig nach-
weisbar waren. Nur in 14,3 % ^^^ ^^ ^^^ untersuchten Fälle der Dementia
praecox -Gruppe waren die sensible und psychische Reaktion vorhanden,
während sie bei 60,7 7o beide fehlten; bei dem Rest waren sie fragUch, oder
es fehlte nur eine. Es ist differentialdiagnostisch von Bedeutung, daß bei
allen anderen funktionellen Psychosen, wenigstens bei jugendlichen Personen,
beide Reaktionen stets vorbanden sind. Eine Ausnahme bilden besonders
die Idioten und Imbezillen. Unter 22 derartigen, neuerdings untersuchten
Fällen waren beide Reaktionen nur bei 12 Knuoken nachweisbar, sie fehlten
bei vier und waren bei vier anderen fraglich; die sensible Reaktion allein
war bei den zwei übrigen vorhanden. Immerhin fehlten also die beiden
Reaktionen bei diesen Krsmken viel seltener als bei den an Dementia praecox
Leidenden. Zwei anfangs als Hysterien angesprochene Fälle, bei denen die
Reaktionen nicht nachweisbar waren, erwiesen sich später als Hebephrenieu.
Bei zwei Frauen mit klinisch unklarer Psychose, die aber höchstwahrschein-
lich keine Dementia praecox war, fehlten beide Reaktionen. Bei keinem
der früher untersuchten Kranken mit fehlenden Reaktionen konnte ein Wieder-
auftreten derselben im Laufe der weiteren Beobachtung festgestellt werden.
Hyslop (213) bespricht den Einfluß von Beruf und Umgebung auf
die Entstehung von Geisteskrankheit. Er weist auf Grund der Statistik
darauf hin, daß in England die Zahl der in der Landwirtschaft beschäftigten
Personen immer mehr aboehme, die der Industriearbeiter immer mehr wachse.
Allgemein mache sich ein Zug der Bevölkerung vom platten Land in die
Städte geltend, und in diesen wären bekanntlich zahlreichere Momente für
die Entwicklung von Geisteskrankheiten vorhanden als auf dem Lande. Die
Zahl der geisteskranken Frauen sei größer als die der Männer. Verf. sieht
die Gründe hierfür darin, daß die Mädchen jetzt, besonders in den Puber-
tätsjahren, zu sehr überanstrengt würden, und daß vor allem ein großer Teil
der Frauen dem ihnen von der Natur bestimmten Wirkungskreise in der
Häuslichkeit sich entziehe und durch Ausübung von Berufen, die früher den
Männern vorbehalten waren und auch vorbehalten bleiben sollten, sich
mannigfachen Schädlichkeiten aussetze. Verf. wendet sich ziemlich energisch
gegen die moderne Frauenemanzipation, gegen die Ernährung der Säuglinge
mit künstlichen Mitteln statt durch die naturgemäße Ernährung mit Mutter-
milch usw. und betont zum Schluß die große Bedeutung moralischer Prin-
zipien bezw. religiöser Überzeugungen und Betätigungen für die Stärkung
des Geistes und die Prophylaxe und Therapie von psychischen Anomalien
und Geisteskrankheiten. An der auf den Vortrag folgenden Diskussion
beteihgten sich Robert Jones, W.Lloyd Andriezen, A. T. Schofield,
Johnstone, Morrison, Fletcher Beacli und James Stewart, die
verschiedenen Anschauungen des Vortragenden entgegentraten.
Janet (217) bespricht in diesem Vortrage, den er 1905 beim Kongreß
of arts and Science in St. Louis hielt, in großen Zügen die psychischen
Erkrankungen der menschlichen Seele.
Elingehender ist das Kapitel über Zwangsvorstellungen, Folie du doute,
974 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
besprochen, sowie die Veränderungen der Affekte der Freude in Trauer.
Jan et weist auf gewisse Autoren: Dumas hin (La Tristesse et la joie.).
(Rozenraad.)
Janet (218) bespricht in diesem Vortrage, den er auf seiner Reise in
Amerika vor der Neurologischen Gesellschaft in Boston gehalten hat, die
Ätiologie der Zwangsvorstellungen. Er weist darauf hin, daß dieselben im
Gegensatz zu wirklichen Psychosen sehr stürmisch anfangen. Motorische
Störungen kommen nicht vor. Eher ist eine Steigerung der motorischen
Organe zu bemerken. Analgesien und Parästhesien sind relativ häufig.
Die Patienten kommen niemals dazu, etwas zu beenden, da ihre Ideen sie
stören. Sie denken meistens an die Vergangenheit, ohne in der Gegenwart
leben zu können. (Rozeta-aad,)
Zur Erklärung der Halluzination sind bisher drei Theorien aufgestellt
worden: Die Theorie der primären Erregung eines Erinnerungsbildzentrums
mit assoziativer Verbreitung des pathologischen Reizes, eine zweite Theorie
der sekundären, rückläufigen Erregung des Organgefühlzentrums und eine
dritte, die der Sejunktion oder Einschränkung (Ausschaltung) der Assoziation
in der Umgebung des primären Herdes der Reizung des halluzinierten Er-
inneniugsbildes. Diesen Theorien fügt Jendrassik (220) eine vierte, die
Suggestionstheorie, hinzu. Er möchte zunächst die Halluzinationen, die bei
akuten Psychosen auftreten, und denen die Traumbilder sehr nahe stehen,
von den stabilen, fest assoziierten Halluzinationen der Paranoia unterschieden
wissen. Für die ersteren läßt er die Erklärung gelten, daß sie durch einen
diffusen Reiz, der die Zentren der Erinnerungsbilder angreift, verursacht
sind. Zur Begründung seiner eigenen Theorie geht J. von dem Gesichts-
punkte aus, daß zwischen der Paranoia und der Neurasthenie keine strengen
Grenzen existieren. Zwischen den Zwangsgedanken, welche den eigenen Leib
betreffen, und welche sich auf äußere Geschehnisse beziehen, bestehe kein
wesentlicher Unterschied. Alle diese Zwangsideen (Wahn) und Halluzinationen
sind Suggestionen in dazu veranlagtem Nervensystem. Befinden sich die in-
suffizient gewordenen Assoziationen auf sensorischem Gebiete, so habe der
Kranke Halluzinationen, seien sie im motorischen Lager der Wortbilder ent-
standen, so habe er einen Wahn.
Nach J. ist also die Ursache des Wahns, der Halluzination, nicht ein
lokalisierter krankhafter Reiz, sondern eine Idee, die sich auf vorbereitetem
Boden festsetzt.
Auch die klinischen Charaktere der Halluzination und des Wahns, Tide
der assoziative Charakter, die Verbindung mit Unlustgefühlen, die Seltenheit
optischer Halluzinationen, die Übertragbarkeit und Stabilität würden sich
zwanglos aus dieser Theorie ableiten lassen. (Nawratzki.)
Jesierski (221) teilt drei Fälle von akuter vorübergehender Geistes-
störung bei Kindern nach Scharlach mit, die im Laufe einer Scharlach-
epidemie des Jahres 1905 in der medizinischen Klinik in Zürich zur Beob-
achtung kamen. Die Kinder waren erblich nicht belastet — nur die Mutter
eines Kindes war eine Trinkerin — , standen im Alter von 7, 3^/J und
5 Jahren und erkrankten im Rekonvaleszenzstadium des Scharlach an einer
akuten Psychose. Im ersten Falle bestand ein Zustand von Apathie und
Stupor, der nach vier Wochen völlig verschwand. Im zweiten Falle dauerte
die Störung nur vier Tage lang; es handelte sich ebenfalls um einen Stupor-
artigen Symptomenkomplex mit Verminderung der allgemeinen motorischen
und der sprachlichen Äußerungen, Kot-Schmieren und -Essen usw. Der
dritte Knabe war ziemlich erregt, schmierte mit Kot, entblößte seine Geni-
talien, attackierte kleine Mädchen, war euphorisch; nach drei Wochen ver-
Diagnose der Geisteskrankheiten. 975
cliwaüden die meisten Symptome, doch traten später Reizbarkeit, Stimmungs-
rechsel und Gedächtnisschwäche auf. Alle drei Fälle sind den „infektiösen
ichwächezuständen" Kraepelins zuzurechnen. Sie waren die einzigen unter
80 Scharlachfällen der Klinik und betrafen nur Knaben; letzterer Befund
teht mit den Beobachtungen anderer Autoren im Einklang. Im ganzen sind
isher nur etwa 20 Fälle von Psychosen nach Scharlach bei Kindern be-
chrieben worden, und von diesen entfallen nur 5, wie die drei mitgeteilten,
nf das Rekonvaleszenzstadium.
In den europäischen und in den amerikanischen Irrenanstalten beträgt
ach Jones (224) die jährliche Sterblichkeitsziffer 8 — 12 ®/^j. Das Durch-
chnittsalter von 2000 männlichen Kranken betrug 42 Jahre, und die Zeit-
auer bis zu ihrem Tode wird, auf statistischem Material beruhend, auf
4 .Jahre berechnet, d. h., daß das Alter 66 Jahre bei ihrem Tode betragen
Fürde. Jedoch beträgt das Durchschnittsalter beim Tode von 721 Männern
ur 50 Jahre. Von je 100 Personen, die zum ersten Mal von einer Geistes-
rankheit befallen w^erden, werden 30 wieder ganz gesund, 20 erholen sich
är eine Zeit, werden dann aber wieder krank und sterben geisteskrank.
Vährend 11 Jahre von 1893 — 1903 waren 12000 Kranke, die sich wieder
rholten, und von diesen erholten sich 26 % während der ersten 3 Monate,
8 % vom 3. — 6. Monat und 27 ^j^^ zwischen dem 6. und 12. Monat. Diese
iahlen beweisen, daß eine vernachlässigte Behandlung im Beginn die Prognose
af Besserung sehr verschlechtert. Die Prognose hängt aber auch von
ußeren Umständen ab, z. B. Alkohol, Blei, unmoralischem Leben, sowie
Clend. In Betreff der Tuberkulose hat Jones aus den Statistiken der
jondoner Anstalten festgestellt, daß 20 7o ^®r Männer in den Anstalten
neder geheilt werden. Bei Sektionen fanden sich 21 % Tuberkulose bei
len Männern und 27 % bei den Frauen. Besonders Fälle von Dementia
)raecox scheinen sich mit Tuberkulose zu vergesellschaften. Jones glaubt,
laß eine herabgesetzte Widerstandskraft des Körpers nicht nur zur Tuber-
ralose, sondern auch zu Geisteskrankheiten disponiere. Er zieht sogar den
iückschluß, daß die Neigung zur Schwindsucht zu Geisteskrankheiten ^or-
Dereite.
Phthisis beim Vater und Neurasthenie bei der Mutter sind die besten
S'orbedingungen für geistig degenerierte Kinder. Bei jungen Leuten kann
illerdings eine Besserung eintreten. Bei den jungen Mädchen bis zu
Ib Jahren ist die Zahl der Geisteskrankheiten größer als bei den jungen
Uännem. In England beträgt die Zahl der Epileptiker 9 ^o- I^^i ^^r
akuten Melancholie ist das Verhältnis der Reichen zu den Armen 30 zu 23.
Das Lebensalter hauptsächlich zwischen 25 — 34 Jahren, das Lebensalter der
größten geistigen Entwicklung. In der Anstalt zu Claybury w^urdeu sogar
246 Melancholische und 153 Maniakalische eingeliefert.
Die Tendenz der Natur ist jedenfalls, einen normalen Ausgleich zu
schaffen: Die Kinder von sehr großen Eltern sind weniger groß und diejenigen
▼on kleinen Eltern ein bißchen größer; auch sind manchmal die Kinder von
einem geisteskranken Vater und sogar, wenn die Mutter auch geisteskrank
ist, nicht nur nicht gesund, sondern geistig begabt. (Rozenraad.)
Jnliusbnrger (226) geht im Anschluß an ein viel besprochenes Er-
eignis der neuesten Zeit der Frage nach, ob es ein pathologisches Plagiat
gebe. Ein bekannter Theaterkritiker war tiberführt worden, in einer seiner
Besprechungen nicht nur die Gedanken, sondern auch die Ausdrucksform
ans der Kritik eines anderen Schriftstellers entnommen und nur mit kleinen
Änderungen versehen zu haben. Man beschuldigte ihn allgemein des be-
wußten Diebstahls geistigen Eigentums, während er sich bemühte, das Vor*
^76 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
kommnis mit seiner abaormen, geradezu erstauulichen Gedächtniskraft za
entschuldigen, mit dem Hinzufügen, daß er sich infolge von geistiger Über-
anstrengung in einem Zustande der Überreizung befunden habe. Verfasser
weist nun derauf hin, daß Helen Keller in der „Geschichte meines Lebens^
ein ganz analoges Erlebnis schildert, daß sie als 12jähriges Mädchen eine
kleine Geschichte geschrieben habe, die in Inhalt und Form fast yollkommen
mit einer andern übereinstimmte, die ihr früher vorgelesen worden war, ohne
daß sie die geringste Erinnerung daran und das geringste Bewußtsein daron
gehabt hätte, daß die Ton ihr geschriebene Geschichte nicht ihr eigenes
geistiges Produkt war. Sie hatte also ein unbewußtes Plagiat begangen, und
Juliusburger trägt deshalb kein Bedenken, das Vorkommen eines patho-
logischen Plagiats anzuerkennen. Zu seiner Erklärung nimmt er eine
Sejuuktionsstörung in der Gefdhlssphäre an.
Das Auftreten Yon psychischen Störungen bei Himgeschwülsten in zirka
60 ^Iq der Fälle hat schon mehrere Autoren veranlaßt, in dieser Verbindung
mehr als ein zufälliges Nebeneinander zu sehen und den inneren Zusammen-
hang zu erforschen. Schuster beschritt den Weg der statistischen Zu-
sammenstellung, fand aber nur wenig brauchbares Material trotz der großen
Zahl der hierher gehörigen Mitteilungen. Zur Vermehrung eines besser ver-
wertbaren Materials teilt Kern (228) drei gut beobachtete Fälle dieser Art
mit. Im ersten Fall, der bei der Sektion einen linksseitigen otogenen Klein-
iürnabszeß ergab, kam das psychische Krankheitsbild der Katatonie am
nächsten: Im Beginn gemütliche Depression, dann plötzlicher Erregungs-
zustand; im weiteren Verlauf impulsive Handlungen, stereotype und affektlose
Klagen, läppisches Wesen, Katalepsie und Mutazismus und Nahrungsver-
weigerung. Kraepelins Hypothese der Selbstvergiftung des Organismus
als Ursache der Katatonie bringen den Verfasser auf die Vermutung, daB
die toxischen Produkte des Hirnabszesses die psychischen Veränderungen
hervorgerufen haben könnten.
Der zweite Fall, bei welchem ein großer Tumor des linken Schläfen-
lappens und der linken Stammganglien gefunden wurde, bot neben den Herd-
wirkungen noch das Krankheitsbild der Melancholie dar. Das Auftreten der
Psychose möchte Verfasser auf die Wirkung des Hirudrucks zurückführen.
Im dritten Falle erkrankte ein hereditär belasteter Mann zweimal mit
einem Intervall von 12 Jahren unter dem Bilde des halluzinatorischen Wahn-
sinns. In der zweiten Attacke erfolgte der Tod. Bei der Sektion fand man
ein kleines Sarkom in der Marksubstanz des rechten Vorderhirns und einen
großen Bluterguß im rechten Seitenveiitrikel. Die Kleinheit der Geschwulst
in Verbindung mit dem Auftreten der Herdsymptome erst kurz vor dem
Tode gibt dem Verfasser Grund zu der Annahme, daß in diesem Falle die
Himgeschwulst nur eine Gelegenheitsursache für den zweiten Ausbruch einer
psychischen Erkrankung bildete. Der Forderung, Anhaltspunkte für die
Diagnose eines Hirntumors schon allein aus den psychischen Symptomen
zu verschaffen, sei es aus einer eigenartigen Verlangsamung des Vorstellungs-
ablaufes, sei es aus einer bestimmten Art von Intelligenzdefekten, kann K.
auch mit seinen Fällen nicht gerecht werden. Die psychischen Symptome
ließen sich niemals in eine Beziehung zum Sitz des Krankeitsherdes bringen.
Vielmehr muß K. betonen, daß erst das Auftreten der auch sonst bekannten
Drucksymptome, wie intensiver Kopfschmerz, Erbrechen, Schwindel- oder
Krampfanfälle, den Verdacht auf Tumor zu erwecken geeignet sind.
(Sattraizki)
Kern (229) bespricht in einem kleinen Aufsatz Schillers Beziehungen
zur Psychiatrie. Der Dichter hat sich in z^ei seiner medizinischen Arbeiten
Diagnose der Geisteskrankheiten. 977
roblemen beschäftigt, die der Psychiatrie nahe liegen, nämlich in der
>sophie der Physiologie" und in „Zusammenhang der tierischen und der
^en Natur des Menschen". Verfasser gibt eine Inhaltsangabe und
se dieser beiden Arbeiten, berichtet über die Rapporte, die Schiller
einen psychisch erkrankten Zögling zu erstatten hatte, und weist
Blioh darauf hin, daß der Dichter in seinen Dramen psychopathologische
Lktere Yermeidet und krankhafte Züge, soweit sie vorkommen, nicht im
linischen Sinne, sondern entsprechend der Volksmeinung verwertet. So
die, historisch psychopathischen Persönlichkeiten des Don Carlos und
uo^rau von Orleans von ihm nicht „psychiatrisch" dargestellt worden.
^^err (230) teilt einen Fall von außerordentlicher Herzhypertrophie
bei dem schwere geistige Störangen depressiver Art mit dem Herzleiden
rangen. Es handelte sich um einen 52 jährigen Grobschmied, der etwa
L&lbes Jahr nach dem Beginne des Herzleidens an einer drei Monate
mden Melancholie erkrankt war und einige Zeit darauf von neuem
ere psychische Störungen bekam. (Bendix,)
Kieman (232) bespricht den Wert, den Geisteskrankheiten bei wilden
erschaften, bei religiösem Fanatismus einnehmen; er weist auf die Gefahr
i^^elche die zahllosen Sekten in Amerika in sexueller Hinsicht für die
len haben; wie häufig die religiöse Erregung manische Erregung aus-
"Wer die Puritanische Hypokrität, besonders in den östlichen Staaten
len gelernt hat, muß Kiernan in seinem Wunsche, daß demselben Ein-
getan werden sollte, nur Recht geben. (Rozenraad,)
Klinoke (234) weist darauf hin, daß Shakespeare, Rousseau, Zola,
the, G. Hauptmann von psychiatrischer Seite geprüft wurden, und daß
lologische Züge bei Rousseau, Schopenhauer, Goethe und Nietzsche nach-
lesen worden sind. Obwohl die Psychiater sich wenig Dank bei den
ildeten erwerben durch solche Untersuchungen, so will K. „durch den
weis auf die Erscheinungen der Entartung Beruhigung in weitere Kreise
en'*. — E. T. A. Hoffmann hat bekanntlich in seinen Romanen mit
•liebe Imbezille, Verbrecher, Epileptiker usw. als Figuren verwandt. Er
st bot körperliche und geistige Degenerationszeichen dar und litt an
issen Zwangsvorstellungen. Letztere spiegeln sich in seinen Werken
Bister Martin-*, „Meister Wacht" wieder. Erschöpfende fieberhafte Krank-
l^en und deren Einfluß auf das Gedächtnis sind in ^Doge und Dogaressa"
1 Ausdruck gebracht. K. bezieht sich auf Landbergs Dissertation über
fEmann, daß eine grüblerische Anlage, wie bei Hoffmann, zur Paranoia
iren könne.
Jedenfalls nimmt K. ihn in Schutz gegen den Vorwurf, daß er ein
inker gewesen sei. Vielmehr sei er „gerade durch die Einwirkungen des
kohols zu Beobachtungen geführt worden, die den Vergleich selbst mit
n neuesten Studien darüber nicht zu scheuen brauchen". (Rozenraad,)
Bei dem von Elnapp (235) geschilderten Kanken unterscheidet sich
Ä Krankheitsbild von dem spezifisch maniakalischen Symptomenkomplex
irch zwei Erscheinungen: Durch die örtliche Desorientierung und durch
Qe Verkennung der Umgebung, die nach den Befunden weder durch Be-
aßtseinstrübung, noch durch Scherzen, noch durch Größenideen, noch
irch flüchtige Beobachtung zu erklären ist. K. möchte diese durch allo-
jychische Desorientierung komplizierte Manie von den typischen Manieen
ögrenzen und ihr den Namen allopsychische Manie beilegen. Als Ursache
IT die allopsychischen Beimengungen zur typischen Manie hat Wernicke
ükoholmißbrauch annehmen zu müssen geglaubt. Auch in seinem Falle
onnte K. feststellen, daß der sonst nüchterne Patient kurz vor seiner Er-
Jahiesberieht f. Neurologie und Psychiatrie 1905. B2
978 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
krankung sehr stark getrunken hatte. Trotz dieser wahrscheinlichen Ätiologie
hat aber das in dem geschilderten Falle vorhandene Krankheitsbild nichts
mit der sogenannten Alkoholmanie zu tun; diese entspricht ihrem Yerlauf
nach vielmehr dem, was andere Autoren als Mania gravis bezeichnet haben.
(Nawratzki)
Kornfeld (239) teilt ein von ihm im Strafverfahren abgegebenes Gut-
achten über den Geisteszustand einer Taubstummen mit. Die 26jährige,
erblich nicht belastete Person hatte sich in der Taubstummenschule eine
Reihe von Kenntnissen angeeignet, war aber nach dem Zeugnis des Direktors
gering begabt und eine schwache Schülerin gewesen. Später hatte sie nicliis
gearbeitet, sich dem Trünke und der gewerbsmäßigen Unzucht ergeben, war
häufig bestraft worden. Sie hatte in ziemlich sinnloser Weise zwei Kinder
entführt und war deshalb angeklagt. K. kommt in seinem Gutachten zu
dem Ergebnisse, daß weder die Voraussetzungen des § 51, noch die des
§ 58 Str.-G.-B. („Ein Taubstummer, welcher die zur Erkenntnis der Straf-
barkeit einer von ihm begangenen Handlung erforderliche Einsicht nicht
besaß, ist freizusprechen.") vorlägen, doch sei die Angeschuldigte wegen ihres
explosiven Charakters, ihrer perversen Neigungen und ihrer angeborenen
geistigen Schwäche „eine minderwertige Person". Sie wurde verurteilt.
Kraepelin (241) weist in diesem Vortrage auf einige der wichtigsten
Fragen hin, welche die klinische Psychiatrie in der nächsten Zeit zu lösen
habe. Er führt aus, daß die Lehre von den Geisteskrankheiten seit längerer
Zeit, seit man wieder angefangen habe, sich mehr mit klinischen Fragen zu
beschäftigen, sich in einem Zustande größter Unsicherheit befinde. Auf
allen Gebieten, selbst bei anscheinend seit langem genau gekannten Krank-
heitsformen, tauchten Schwierigkeiten und Zweifel auf, und die Zahl der
diagnostisch unklaren Fälle nähme immer mehr zu. Doch wären gerade
diese Fälle besonders wichtig, und an ihre Erkenntnis knüpfe sich der weitere
Fortschritt der Wissenschaft: Man solle in jedem unklaren Falle eine vor-
läufige Diagnose mit den Gründen für und wider stellen, dann werde man
aus dem weiteren Verlaufe lernen können, worin man geirrt und worin man
das Richtige getroffen habe, und werde schließlich auch allgemein zu einer
Scheidung des Zutreffenden und Wesentlichen vom Falschen und Unwesent-
lichen gelangen. Kraepelin hebt dann einige Fragen hervor, die als
nächste Ziele der klinisch-psychiatrischen Arbeit dienen könnten. Besonders
wichtig sei die weitere Verfolgung der zunächst als Amentia aufgefaßten
Fälle über Jahre und Jahrzehnte hinaus. Vor allem erfordere aber die
Frage der Dementia praecox ein eingehendes klinisches Studium. Hier
empfehle es sich, die verschieden9,rtigen Endzustände der unter der Bezeich-
nung Dementia praecox zusammengefaßten, offenbar differenten Krankheits-
zustände nach Möglichkeit in Gruppen zu zerlegen und zu untersuchen, wie
weit gleichen Endzuständen auch eine Übereinstimmung im früheren Ver-
laufe und Krankheitsbilde entspreche, und ferner, ob es möglich sei, aus
diesen oder jenen Zeichen die spezielle Eigenart des Endzustandes vorher-
zusagen. Erst wenn es auf Grund einer größeren Reihe von Erfahrungen
gelungen sei, im einzelnen Falle aus dem Endzustande die frühere Ent-
wicklung richtig zu erschließen und im Beginne der Krankheit das spätere
Schicksal vorauszusehen, könne man sicher sein, eine natürliche Krankheits-
gruppe gefunden zu haben. Auch auf dem Gebiete der Alkoholpsychosen,
der Paralyse (stationäre Fälle!), der psychischen Erkrankungen des höheren
Lebensalters, der Paranoia, des manisch-depressiven Irreseins, der Epilepsie
und Hysterie sind zahlreiche, wichtige Fragen zu entscheiden, die Kraepelin
kurz berührt. Er hebt dann zum Schlüsse hervor, daß der Schwerpunkt
Diagnose der Geisteskrankheiten. 979
lie nächste Entwicklung der klinischen Psychiatrie vor allem in den
anstalten liegen müsse, da in ihnen die Möglichkeit einer jähre- und
elintelangen Verfolgung der einzelnen Krankheitsfälle gegeben sei, ohne
le sich die klinischen Hauptfragen nach Verlauf und Ausgang der
:eii Geistesstörungen nicht beantworten ließen. Die Kliniken dagegen
n die Aufgabe, neue Anregungen und Untersuchungsmethoden zu geben,
dauernder, enger Arbeitsgemeinschaft von Klinik und Anstalt könne
. eine klinische Psychiatrie erstehen.
Eranss (244) gibt hierin — dem Zyklus von Vorträgen für ärztliche
5 — eine Reihe von diagnostischen und therapeutischen Hilfsmitteln bei
Lnderung des Luftwechsels (Bergkrankheit, Benutzung von Taucher-
cen), Sonnenstich, Erfrieren, Verletzung mittels elektrischer Entladungen,
^ftungen durch Gifte und fieberhaft infektiösen Erkrankungen.
Den Neurologen interessieren die Erscheinungen des Hitzschlages
Blinwirkung der Sonne bei bedecktem Himmel — , wobei es zu eine'r
erämie der Meningen, zu serösen Ausschwitzungen kommt. Bei der
reren Form, „bei welcher Krämpfe und Lähmung der Sensibilität und
exe besonders hervortreten", werden maniakalische Anfälle mit Er-
►pfnngspsychosen beobachtet.
Die Form des Deliriums bei Typhus ist bekannt, bei Malaria in den
pen werden heftige Präkordialmelancholie oder trän si torische Manie
bachtet.
Dysth}Tnia neuralgica transitoria, „gestörtes Selbstbewußtsein durch
itale, epi- und hypogastrische Neuralgien bei weiblichen Individuen in
Pubertät im Anschluß an Menstruationsphasen, bei Chorea, Hysterie,
lancholie", ist wohl als eine beginnende Psychose aufzufassen.
Die therapeutischen Hilfsmittel sind die üblichen der Innern Medizin.
(Rozenraad.)
Indem er als Beispiele allgemein anerkannte Arbeiten von Kraepelin,
eben, ßinswanger wählt, weist Kroüthal (245) eingehend nach, daß
moderne Psychiatrie mit sehr vielen metaphysischen Begriffen arbeitet.
die dürfen in einer Disziplin, die sich naturwissenschaftlich nennt, keinen
itz haben, weil sie nicht durch naturwissenschaftliche Methoden, durch
ineswahmehmung, sondern auf spekulativem Wege entstehen. Weil die
ycliiatrie viele derartige Begriffe verwendet, gestatten sich Laien in
idizinischen Dingen vielfach Urteile über Geisteskranke. Von Metaphysik
rstehen Theologen, Philosophen eben mehr als Mediziner. Die Möglich-
it, metaphysische Anschauungen naturwissenschaftlich zu beweisen, ver-
sacht die vielen und tiefen Differenzen zwischen den Psychiatern.
Die Psychiatrie kann ohne metaphysische Begriffe auskommen und
ine Naturwissenschaft sein, wenn sie davon absieht, die Empfindung be-
achten oder gar untersuchen zu wollen. Die Empfindung ist mit uatur-
issenschaftlichen Mitteln nicht untersuchbar und niemals untersucht worden.
Ue Empfindungsbegriffe gehören ins Reich der Metaphysik. Was von den
sycho- Physiologen als Empfindung angeblich untersucht wurde, waren
Reflexe oder Leitungszustände. Mit naturwissenschaftlichen Mitteln können
ur naturwissenschaftliche Dinge geprüft werden. Die Begriffe Gedächtnis,
)enken, Wille lassen sich naturwissenschaftlich auffassen. Kronthal gibt
lir dieselben eingehend begründete Definitionen. Läßt man bei jeder Sinnes-
rfahrung unzugängliche Empfindung aus dem Seelenbegriff fort, so bleibt
liese als Summe der Reflexe übrig, wird zum naturwissenschaftlichen Begriff.
62*
980 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
In einem kurzen Schlußwort zeigt Verf., daß diese rein naturwissenschaftliche
Definition von der Seele auch hohen ethischen Anforderungen gerecht wird.
(Auioreferat,)
Während im allgemeinen die Prognose der senilen Melancholien als
minder günstig bezeichnet wird als jene der früheren Lebensalter, konnte
Langer (247) auch bei diesen eine günstige Prognose nachweisen. Kasuisti-
sche Mitteilung von sechs Fällen (Alter der Pat: 56, 65, 67, 62, 52 und
67 Jahre, alle weiblichen Geschlechtes), von welchen drei vollkommen geheilt,
drei nahe der vollkommenen Heilung entlassen wurden. Erfolgt bei der
senilen melancholischen Depression auch nicht immer Heilung, so stet^ eine
derselben fast gleichkommende Besserung. (Hudoveniig.)
Lapinski (248) berichtet über einen Fall von Psychose im Anschluß
an eine Augenoperation. Es handelte sich um einen 60jährigen Mann mit
Hornhautgeschwür, der das Bild der halluzinatorischen Verwirrtheit darbot
L. ist der Meinung, daß die Psychosen nach Augenoperationen nichts spezi-
fisches darstellen und zur Kategorie der Psychosen gehören, die bei Greisen
mit ausgesprochener Arteriosklerose entstehen. (Bendix,)
Laurent (249) hebt die hohe Bedeutung physiognomischer und
mimischer Beobachtungen an Geisteskranken für den Psychiater hervor und
empfiehlt als besonders nützlich die photographische Aufnahme der charakte-
ristischen physiognomischen Erscheinungen bei den Kranken. (Bendia.)
Lemoine und Page (253) teilen einen Fall von Doronmanie, d. h.
von krankhaftem Trieb, Geschenke zu machen, mit. Es handelt sich um
eine degenerierte, hysterische, 30 Jahre alte Dame. Sie war erblich stark
belastet und hatte im 3. Lebensjahre Konvulsionen gehabt. Mit 16 Jahren
empfand sie ein zwangsartiges Bedürfnis, einer Freundin Geschenke zu machen,
tat dies dann auch anderen Personen gegenüber. Mehrfach Suicidversuche
und nervöse Erscheinungen. Mit 18 Jahren verheiratet, führte zunächst ein
glückliches Familienleben. Im 24. Lebensjahre Steigerung ihrer nervösen
Beschwerden und Zunahme der Schenkmanie. Empfand den Antrieb,
verschiedenen Herren, für die sie aber nicht die mindeste sexuelle Zuneigung
hatte, Geschenke zu machen, geriet dadurch ihrem Gatten gegenüber in die
übelste Situation, mußte sich schließlich von ihm trennen. Daß es sich um
einen krankhaften Zwangstrieb handelte, ging auch daraus hervor, daß, wie
bei allen ähnlichen Affektionen, Angst vor der Ausführung der HandUmg
und Erleichterung nach derselben bestand. Ln übrigen bot die Ejranke
zahlreiche hysterische Symptome und Zufälle dar.
V. Leupoldt (257) beschreibt eine besondere Art krankhafter Wander-
zustände, die er in drei Fällen zu beobachten Gelegenheit hatte. Die Zu-
stände unterscliieden sich von dem Wandertrieb im gewöhnlichen Sinne
durch eine nachweislich gut erhaltene Auffassung und Merkfähigkeit für
äußere Vorgänge, während die Tatsache der Wanderung zur Annahme einer
schweren Bewußtseinsveränderung nötigte. In dem einen Falle erwuchs der
Wanderanfall auf einem degenerierten Boden und war als Ausfluß und
Steigerung eines psychogenen Charakters anzusehen. Im andern Falle konnte
er aus dem massenhaften Ansturm von Halluzinationen hergeleitet werden.
Es handelte sich um einen Fall von primärer Demenz. Im dritten FaU^
machte das depressive Moment das eigentliche Wesen der vorliegenden
Psychose aus. Jedesmal ließ sich aber die Be^nißtseinsstörung, welche für
die pathologischen Wanderungen angenommen werden mußte, also auch der
Dämmerungszustand im engeren Sinne in die Elemente der Grundkrankheit
auflösen. (NafcraUki)
Diagnose der Geisteskrankheiten. 9g 1
nor (262) bespricht das Verhältnis der InvolutioDspsychosen zur
IDemenz. Es war ihm aufgefallen, daß bei zahlreichen chronischen
»rungen des reiferen Alters, speziell bei klimakterischen und Invo-
chosen, eine Reihe von Symptomen vorkommen, welche sonst der
praecox eigen sind. Er stellte deshalb die einschlägigen Fälle,
ach dem 36. Lebensjahre erkrankten und nicht erst als ausgebildete
imenz zur Beobachtung gelangten, zusammen. Es waren 28 Frauen
r von 37 — 68 Jahren. Nur 8 von ihnen (28,5 "/j^) waren erblich
während bei juveniler Demenz in 90,86 % aller Fälle eine erbliche
g sich hatte nachweisen lassen: Je stärker also der hereditäre Faktor
i nm so früherem Alter setzt die geistige Erkrankung ein. Bei
i waren sexuell betonte Erlebnisse oder mit den Genitalien in
enhang stehende Eieignisse (Verlassenwerden durch Verlobten oder
Menopause) auslösende Faktoren der Krankheit. In 12 Fällen
im Beginne des Leidens Selbstmordideen geäußert (6) bezw. Selbst-
•suche gemacht (6). In 20 Fällen (71,4%) zeigte sich eine ge-
3 sexuelle Erregbarkeit (Halluzinationen und Wahnideen sexuellen
ohscöne Reden usw.), während in den 8 übrigen Fällen auffallend
eine Verblödung eintrat. Eine mehr oder minder starke Abnahme
elligenz war in allen Fällen zu konstatieren, ganz analog den Ver-
den, welche in den Endzuständen der Dementia praecox gefunden
. Doch auch weiterhin Ueßen sich zahlreiche Ähnlichkeiten mit der
aannten Krankheitsgruppe feststellen: Es bestanden zeitweilige Absti-
u 10 Fällen, negativistisch-mutazistische Züge in 11 Fällen; Verbige-
Stereotypien sind lOmal, plötzlich erfolgte verkehrte Handlungen
notiert. Das starke Hervortreten der geschlechtlichen Äußeningen,
die der Dementia praecox so überaus ähnliche Symptomatologie Ver-
den Verfasser dazu, „überhaupt das gesamte Krankheitsbild der
itionsprozesse auf gleiche oder ähnliche organisch bedingte Ursachen
ie Jugendpsychose zurückzuführen, d. h. am ehesten auf eine durch
und Umstände modifizierte, pathologisch veränderte innere Sekretion
Jeschlechtsdrüsen. "
Liepmann (258) hat in seiner Monographie „Über Störungen des
lelns bei Gehirnkranken" den Versuch unternommen, „die prinzipiellen
en, welche uns bei Betreten des Gebietes der gestörten Handlung auf-
jn, in Angriff zu nehmen". Die Fehlreaktionen, welche sich oft er-
u, wenn L. seiner Gewohnheit gemäß jeden Gehirnkranken vor eine
le kleiner Aufgaben stellte, erwiesen sich bei geeigneter Prüfung als sehr
chiedener Herkunft. Ihr Studium und das ihrer Beziehungen zu der
orischen Apraxie und den agnostischen Störungen bildet die Grundlage
.er Arbeit; sie basiert ferner auf Picks ..Studien über motorische
raxie und ihr nahestehende Erscheinungen" und nicht zum mindesten auf
Verfassers eigenen, in seiner epochemachenden Abhandlung über das
ankheitsbild der Apraxie, mitgeteilten Beobachtungen und Überlegungen,
'en Fortfühniug und eingehendere Begründung hier vollzogen wird. In
r Einleitung gibt Liepmann eine Übersicht über diejenigen Beiträge,
Iche seit dem Erscheinen seines Falles von einseitiger Apraxie von
deren Autoreu (A. Pick, Abraham, Bonhoeffer, Strohmeyer,
erzog, Marcuse) über Störungen des Handelns geliefert worden sind,
id erörtert die Begriffe ..motorische Apraxie" und „Agnosie" (besser als
iensorische Apraxie"). Weiterhin führt er Beispiele für die verschiedenen
arietäten gestörten Handelns an, wie sie bisher außer in seinem Falle be-
onders in den von Pick beschriebenen Krankheitsfällen konstatiert werden
982 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
konnten und gibt eine sorgfaltige und klare Analyse derselben. Charakte-
ristisch für die von Pick mitgeteilten Fehlhandlungen ist es, daß ihnen
immer Störungen in der ideatorischen Vorbereitung der Handlung zu Grande
lagen, welche „Ausdruck des allgemeinen Bewußtseinszustandes des Indi-
viduums sind, immer ein von der Norm abweichender Vorstellungsverianf,
welche nun je nachdem als Störung des Gedächtnisses, der Aufmerksamkeit,
der assoziativen Zusammenhänge, der allgemeinen Bewußtseinsenergie auf-
gefaßt werden". Diesen Störungen stellt er dann die gegenüber, welche sein
Fall von einseitiger Apraxie darbot; dieselbe war, im Gegensatz zu Picks
Fehlhandlungen, dadurch gekennzeichnet, daß sie in dem Teil des Prozesses
der Willenshandlung gelegen war, der in der Umsetzung einer Zielvorstellung
auf das Motorium bestimmter Glieder besteht. In den folgenden Kapiteln
gibt Liepmann dann, von dem Wernickeschen Schema ausgehend, eine
Analyse der Handlung und sucht die Stelle zu bestimmen, welche die
Störungen der Pick sehen Kranken und seines Kranken in dem Vorgang
der Handlung einnehmen. Es ist im Rahmen eines Referates nicht möglich^
den Gang dieser Ausführungen wiederzugeben, die wie immer klar und
präzis sind und alle möglichen Einwände in Rücksicht ziehen, sondern wir
müssen uns darauf beschränken, die hauptsächlichsten Ergebnisse hier mit-
zuteilen: ,,Sobald Fehlreaktionen sich darauf zurückführen lassen, daß der
Entwurf der Bewegung, die Bewegungsformel (die in der Vorstellung anti-
zipierten Teilakte der Bewegung) falsch ist, daß also infolge von Aufmerk-
samkeits- oder Gedächtnis- oder sonstigen Störungen die Besonderung der
Hauptzielvorstellung in die Zwischenziel Vorstellungen fehlerhaft vor sich ge-
gangen ist, die Bewegung also nur getreulich die Irrwege der Zwischenziel-
vorstellungeu mitmacht, liegt ideatorische Apraxie vor. Sind aber die
Bewegungsteile inkongruent zu den Zwischenzielvorstellungen, liegt eine
Spaltung innerhalb des normalerweise als Ganzes schwingenden Komplexes:
Zielvorstellung und Innervation vor, ist dadurch die Bewegung als Ganzes
abgetrennt von dem Vorstellungsleben als Ganzes, so haben wir motorische
Apraxie." Fehlreaktionen können sich ergeben aus: 1. Agnosie (Seelen-
blindlieit, Seelentaubheit, Seelentastlosigkeit bezw. deren Summierung-
Asymbolie Wernickes [sensorische Apraxie, sensorische As^mbolie
Meynerts]). 2. Ideatorischer Apraxie. 3. Motorischer oder innervatorischer
Apraxie. Die ideatorische Apraxie steht der Agnosie viel näher als der
motorischen Apraxie. Bei der ideatorischen Apraxie sind Ideation und Bewegung
miteinder im Einklang, die Bewegung geht fehl gemäß dem gesamten ideatorischen
vorbereitenden Prozeß; die motorische Ausfiüirung harmoniert mit der Weg-
bestiramung, die Wegbestimmung als Ganzes ist falsch. Bei der motorischen
Apraxie dagegen ist von dem regelrechten Gesamtprozeß gerade nur das zur
Bewegung führende Glied respektive die Bewegung allein abgespalten; nur
der ist motorisch apraktisch, bei dem einer bestimmten eindeutig festgelegten
Teilzielvorstellung die Innervation nicht adäquat ist, bei dem also eine Ent-
gleisung zwischen dem im Detail festgelegten Ziel des Wollens und Inner-
vation eintritt, kurz bei dem einer richtigen Wegbestimmung eine fehlerhafte
Ausführung gegenübersteht. Für die Differentialdiagnose zwischen ideatorischer
und motorischer Apraxie kommen folgende Punkte in Betracht: Für das
Vorliegen von motorischer Apraxie sprechen die folgenden Momente: 1. Die
Störung betriflft bestimmte Gliedmaßen. 2. Schon die einfachsten Bewegungen
sind betroffen. 3. Schon das Nachmachen ist gestört. 4. Es treten Be-
wegungsaggregate auf, die überhaupt nicht bekannten Zweckbewegungen
gleichen: amorphe Bewegungen. Bei der ideatorischen Apraxie läßt sich
gewöhnlich das psychologische Band zwischen Norm- und Ersatz-Bewegung
Diagnose der Geisteskrankheiten. 933
emer wird sich die Störung der Aufmerksamkeit oder des Ge-
s, vrelcho die Regelwidrigkeiten beim Handeln bedingen, bei ge-
•rlifting aucii bei andern psychischen Verrichtungen verraten. Po-
gedrückt: Dem Motorisch- Apraktischen gehorchen gewisse Glieder
aa Xdeatorisch-Apraktischen fehlen die geistigen Vorbedingungen
lorrekte Tollziehung der Handlung, aber die Glieder gehorchen.
3res Kapitel ist dem Begriff der Perseveration gewidmet. Unter
hören drei verschiedene Tatbestände: 1. Ohne äußeren Anlaß mehr-
ederholuDg desselben Innervationskomplexes : Wenn jemand dasselbe
». fortgesetzt vorbringt, dieselbe Bewegung unablässig wiederholt.
T^iederholnng tritt nur dann ein, wenn etwas Neues intendiert wird
lelle Perseveration). 3. Es können Kranke in einer Stellung, zu
eine Handlung geführt hat, „verharren"; es handelt sich hier um
seyeration im strengsten und eigentlichen Sinne, hier verharrt die
ion selbst (tonische Perseveration gegenüber den beiden anderen,
nan als klonische bezeichnen könnte). Bei der intentioneilen Perse-
persistiert oft ein Begriff, eine Vorstellung, die ihrerseits assoziativ
ite Bewegungen auslöst; diese bei Gehirnkranken gewöhnlichste Form
irseveration scheint ganz vorwiegend bei Herden im hinteren
des Gehirns, bei Hinterhaupts- und Schläfenlappenherden, eventuell
ei liinten gelegenen Scheitellappenherden vorzukommen. Sie ist als
5atorische Störung anzusehen: Infolge einer im Gebiet der sensorischen
eitung der Bewegung vorhandenen Unwegsamkeit wird eine vorher
etene Ideation überwertig. Die seltene tonische Perseveration muß
jrsistieren eines Erregungszustandes im Motorium selbst aufgefaßt
1. Ein w^eiteres Kapitel ist der Ataxie und ihrer Abgrenzung von der
ie gewidmet. Für die praktische Unterscheidung gilt folgendes: Hat
ler gestörten Bewegung die Genauigkeit, Sicherheit der Gliedführung,
raftabmessung gelitten, dann ist es Ataxie; sieht es so aus, als ob der
:e ganz etwas anderes intendierte, dann ist es Apraxie. Betrachtungen
die Lokalisation der Apraxie und über den „Verlust der gliedkinetischen
eilungen" bilden den Inhalt der folgenden Kapitel, denen sich dann
chluBübersicht anfugt. In dieser zählt Liepmann als Ursachen ge-
ju Handelns bei Hirnkrankheit, in der Reihenfolge vom Reiz zur Be-
ag geordnet, die folgenden auf: 1. Ausfall von optischer (Rindenblind-
oder akustischer (Rindentaubheit) oder taktiler Empfindung (Rinden-
induiigslosigkeit). 2. Ausfall von kinästhetischen Empfindungen und
)rechenden, nicht zum Bewußtsein kommenden zentripetalen Erregungen:
de. 3. Agnosien (3 a. Ideatorische Agnosie). 4. Ideatorische Apraxie,
lotorische Apraxie. 6. Verlust der kinästhetischen Vorstellung-Seelen-
aung. 7. Lähmung respektive Parese. Die Perseveration wäre je nach-
i unter 4. unterzubringen oder 8. als selbständige Quelle gestörten
idelns aufzuführen. Die prinzipiellen Unterschiede zwischen ideatorischer
i motorischer Apraxie sind zum Schluß noch einmal kurz und scharf zu-
imengefaßt.
Liepmann (269) hat in diesem kleinen Aufsatz eine Reihe von
mstgriffen, die bei der Untersuchung von Gehirnkranken wertvoll und
Mg sind!, systematisch zusammengestellt. Mit der ihm eigenen Klarheit
d Schärfe des Ausdrucks, unter Beibringung treffender Beispiele und
agabe zweckentsprechender Untersuchungsmethoden zeigt Verf., wie man
z\ über zahlreiche Fragen Aufschluß verschaffen kann. Ob Sprachtaubheit
ler Bewußtseinstrübung, Demenz usw. vorliegt, ob bei einem motorisch
iphasischen, der zugleich apraktisch ist, das Sprachverstäudnis gestört oder
984 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
erhalten ist, ob bei einem Kranken, der nicht lesen oder Gegenstände nicht
erkennen kann, Alexie bezw. Seelenblindheit oder Störungen des Seh-
vermögens vorliegen, zur Entscheidung dieser wichtigen und oft überaus
schwierigen Fragen gibt L. praktische Winke. Die verschiedenen Methoden,
um Hemianopie festzustellen, das Verfahren bei Farbsinnprüfungen, die
Fehlerquellen, die sich aus dem Symptom des Haftenbleibens (Perseveration)
auf sprachlichem Gebiete, wie beim Handeln ergeben, die zahlreichen mittels
des Hautsinnes zustande kommenden Identifikationen werden anschaulich
geschildert. Zum Schluß bespricht Verf. die Prüfung auf Apraxie, die bei
Aphasischen meist unter Umgehung der Sprache vorgenommen werden muß;
er zählt die Feststellungen auf, welche bei nicht worttauben Patienten ge-
macht werden müssen, und weist darauf hin, daß der Verlust der intransi-
tiven Bewegungen von Bedeutung ist für die Differentialdiagnose zwischen
Apraxie und Agnosie: Der Agnostische, der Objekte nicht erkennt (der
Seelenblinde und Tastgelähmte) wird verkehrte transitive, aber richtige
intransitive Bewegungen machen, der Apraktische wird bei schwerstem
Grade beide Arten der Bewegung verfehlen, bei leichterem Grade gewöhn-
lich vorwiegend die intransitiven (Ausdrucksbewegungen und Markieren von
Zweckbewegungen). Eine wichtige Ergänzung aller dieser Untersuchungen
bildet die Beobachtung des spontanen Verhaltens der Kranken. L. ver-
weist noch auf seine neueren, später zu veröffentlichenden Untersuchungen,
nach denen ein großer Teil der durch kortikalen Herd rechtsseitig Ge-
lähmten, besonders solche, die gleichzeitig aphasisch sind, leichtere oder
schwerere Grade von Apraxie auch in der linken Hand haben, woraus
hervorzugehen scheine, daß die, linke Hemisphäre nicht nur im Sprechen,
sondern auch im Handeln das Übergewicht habe.
Die in der Literatur vorhandenen Angaben über subjektive Farben-
erscheinuDgen sind nach Loiner (261) praktisch in zwei große Gruppen
zu scheiden. Zur ersten gehören alle die Fälle von Farbhalluzinatiouen,
bei welchen die verursachende spezifische Noxe bekannt ist, nämlich solche
a) nach Anwendung chemischer Stoffe (Medikamente und Gifte), b) nach
Kopftrauma, c) nach Anwendung des elektrischen Stromes und Druck-
wirkung, d) bei Glaukom. Zur zweiten Gruppe sind alle Fälle zu zählen,
bei denen die spezifische Noxe unbekannt oder so gut wie unbekannt ist,
nämlich die Farbhalluzinationen a) bei Infektionskrankheiten, b) bei Neu-
rosen (Epilepsie!) und c) bei Psychosen. Im Anschluß an diese Zusammen-
stellung teilt Verf. ausführlich einen selbstbeobachteten Fall von Grünsehen
bei einer 21 Jahre alten, an Dementia praecox leidenden Kranken mit und
versucht eine Erklärung für die Erscheinung dieses Farbensehens zu geben.
Lomer (263) führt folgendes aus: Da das Pathologische nur eine
Steigerung des Physiologischen ist, so müssen sich auch die Wahnvorstellungen
bereits in physiologischen Betätigungen auffinden lassen. Jeder Reiz der
Außenwelt wird von den verschiedenen Individuen verschieden aufgefaßt,
doch schwankt diese Verschiedenheit der durch den Reiz bei jedem Indi-
viduum gesetzten chemischen Veränderungen in der Regel in bestimmten
„physiologischen" Grenzen. Auf dieser Ähnlichkeit der chemischen Konsti-
tution beruht die Möglichkeit, gewisse gemeinsame Begrifi'e zu haben, ohne
die eine Verständigung der Menschen untereinander nicht möglich wäre.
Die Verschiedenheit der Reizauffassung und Reizumsetzung ist die chemisch
bedingte Ursache aller Empfiudungs- und Handlnngsunterschiede. Wie die
Außenwelt, so schickt auch der Körper selbst ins Zentralorgan ununter-
brochen Reize, welche gleichfalls ursprünglich durch Stoffwechselvorgänge
bedingt sein müssen; die durch sie im Gehirn gesetzten dauernden Ver-
Diagnose der Geisteskrankheiten. 9g 5
t bilden in ihrer Gesamtheit den Kern des Persönlichkeitsbewnßt-
sselbe ist umso energischer ausgeprägt, je energischer die zentri-
3ize bezw. die ihnen zu Grande liegenden Stoffwechselvorgänge
einzelnen Individuen wird auch ohne entsprechend vermehrte
5 der Stoffumsatz vermehrt sein, ihr Eigen-Bewußtsein ist an sich
asgeprägt als dasjenige anderer; es muß deshalb auch von ihnen
iwelt anders perzipiert werden als von anderen, weil die Außen-
im Körper zum größten Teil dieselben Bahnen durchlaufen, wie
am eigenen Körper stammenden, mit denen sie im Zentralorgan in
ewohnheitsmäßige Dauerbeziehungen treten. „Die Auffassung der
t ist von denselben Bedingungen abhängig, wie die im Selbst-
a sich ausdrückende Auffassung des Ichs, nämlich von Stoffwechsel-
i. ^Wenn das Ich verändert ist, müssen auch die Außendinge ver-
scheinen." Am stärksten ist das Ich bei der Paranoia verändert,
: handelt es sich stets um eine stärkere Betonung der Eigen-
hkeit.
mer (264) berichtet über eine Familie, bei der durch vier Gene-
hindurch von Jugend an die Erscheinung des Farbenhörens, d. i.
reten subjektiver Farbenerscheinungen bei der Wahrnehmung von
Qängen und Geräuschen verschiedener Art, bestand: 1. Urgroßvater,
lutter, 3. sämtliche Kinder derselben. Lomer gibt den Status des
Sohnes, der sowohl Vokale als auch Konsonanten koloriert hörte
Klänge der verschiedenen Instrumente mit Farben in Beziehung
ind macht ferner Mitteilungen über 4. die drei Kinder desselben,
tUch Vokale mit Farben assoziierten. Über die Deutung und Auf-
des Farbenhörens herrscht noch keine übereinstimmende Klarheit,
bt kurz die Anschauungen der verschiedenen Autoren wieder und
sonders der Auffassung entgegen, daß es sich meist um eine bloße
ion oder Autosuggestion handle; das Bild würde dann nicht ein so
tes, sich selbst gleichbleibendes sein. Sämtliche Fälle des Verfassers
musikalische Begabung, was nach ihm vielleicht für einen vorwiegend
jhen Gedächtnistypus derselben spricht. Er sucht dann eine Er-
; für die Tatsache zu finden, daß bestimmte Vokale offenbar vorzugs-
ron ganz bestimmten Farben begleitet werden, z. B. der Vokal „a'' von
mpfindung „rot", und kommt zu dem Ergebnis, daß zwischen den
igungszahlen der Vokale und den Schwingungszahlen der einzelnen
1 bestimmte noch näher aufzuklärende Beziehungen bestehen müßten,
durch den besonderen Bau der feinsten Hirnelemente bedingt wären.
Irscheiüung des farbigen Hörens sieht Verf. nicht als etwas Patho-
les an; er faßt sie als accidentelles Syndrom einer gewissen Intelligenz-
,uf, das in Einzelfällen eine Begleiterscheinung des Niederganges sein könne.
Lomer (265) teilt einen Fall mit, aus dem sich die Möglichkeit einer
bang individuell erworbener Eigenschaften ergibt. Ein 79 jähr. Mann
in der Jugend durch Fall aus großer Höhe eine Stirnverletzung an
Saargrenze erütten. Nach Heilung der Wunde trat an der Stelle
jfarbung der entsprechenden Haarpartie ein; sonst keinerlei Folgen,
Alkoholmißbrauch usw. Aus seiner nach dem Sturz geschlossenen
mit einer gesunden Frau gingen 7 Kinder hervor, von denen 2 längst
lind, während von den 6 lebenden die 3 ältesten Töchter von Geburt
jinen Büschel weißer Haare an genau derselben Stelle der Stirn wie
Vater haben. Eine von ihnen ist außerdem taubstumm, während die
ite stets an Kopfschmerzen litt und 9 Kinder hat, von denen die 5
sten mit Abnormitäten behaftet sind: 4 sind taubstumm und haben das
986 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
weiße Haarbüschel au der oben genaDuten Stelle, die fünfte hat es nicht
und ist schwerhörig; drei von ihnen haben weiße Flecke au Stirn und
Beinen. Verfasser nimmt eineu ätiologischen Zusammenhang von Trauma
und Haarverfärbung an und hält den Beweis für erbracht, daß die intra
vitam erworbene Eigentümlichkeit auf die Nachkommen vererbt wurde. Das
Wesen der Haarverfärbung sieht er in einem veränderten Verhalten der
Blut- und Lymphzirkulation, welches zuerst durch den psychischen Shok
des mit dem Fall verbundenen Schreckes ausgelöst worden sei. MögUch sei
es auch, daß die Taubstummheit mit der Haarverfärbung in irgend einem
Zusammenhange stehe.
Lomer (266) bespricht einige Wurzeln der Wahnbildung im Alltags-
leben. Er hat in einer früheren Arbeit zu zeigen versucht, daß der spezifisch-
paranoische Vorgang in einem Übermächtigwerden bestimmter Vorstellungs-
komplexe bestehe, welche alle anderen in ihren Bann zögen und so „die
ganze geistige Persönlichkeit, einschließlich aller Logik und Intelligenz, za
ihrem Dienste zwängen^^ Auch die Entstehung der Liebesempfindung glaubte
Verfasser in ähnlicher Weise erklären und sie als eine Art von „physio-
logischer Paranoia" auffassen zu können. Er ist der Meinung, daß es im
täglichen Leben eine ganze Anzahl von paranoischen und paranoiden Vor-
gängen gebe, die man nur wegen ihrer Bedeutungslosigkeit oder auch kultu-
rellen Nützlichkeit nicht als solche ansehe. Hierher gehöre z. B. das Kecht,
welches sich ein Stammgast auf seinen Platz im Wirtshause erworben zu
haben glaube; nur die gewohnheitsmäßige Wiederkehr der gleichen auf ihn
bezüglichen Assoziationen habe das wahuhafte Gefühl eines Rechtes erzeugt
Je stärker und häufiger der einwirkende Gewohnheitsreiz sei, umso inniger
verschmelze in unserer Vorstellung das Reizobjekt mit unserem Selbst, umso
intensiver werde es in der Lage sein, auch unser Handeln zu beeinflussen.
Die verschiedenen Individuen sind natürlich vorwiegend für ganz verschiedene
Reizgruppen empfindlich bezw. empfänglich. Die Wiederholung immer der-
selben Vorstellungen wird z. B. bei der Erziehung angewandt; es werden
gewisse Vorstellungen künstlich fixiert, d. h. überwertig gemacht, so die
Moralbegriffe usw. Eine Überimpfung ganzer Vorstellungsketten durch die
Suggestivkraft starker Persönlichkeiten ruft die großen fanatisch-religiösen
und anderen Massenbewegungen hervor. Das Physiologische scheidet sich
vom Pathologischen nur durch den völlig relativen Begriff der Schädlichkeit
oder Nützlichkeit. „Der Paranoiker, der sich für eine überlegene Persön-
lichkeit hält, ohne es zu sein, setzt sich nicht nur zu seinem sozialen Milieu
in Gegensatz, sondern auch zu den Forderungen seines eigenen individuellen
Lebens ; er ist daher offenbar pathologisch.'' Hat er jedoch zufallig die
Macht, um seine Ideen anderen zu suggerieren und durchzusetzen, so wird
man ihn umso weniger für pathologisch halten, je nützlicher für die Mensch-
heit sich irgend eine seiner Vorstellungen oder Handlungen erwiesen hat
Erst die Weiterentwicklung des Geschaffenen lehrt vielfach, was wirklich
pathologisch und was physiologisch war: „Lnmer noch ist es der Erfolg,
der Recht gibt, und in den Worten „sozial" und „antisozial" drückt sich
Kern und Sinn der Paranoialehre am ungeschminktesten aus."
Lomer (267) gibt hier zunächst theoretische Auseinandersetzungen
über den Schlaf und über die Beziehungen von Reiz und Psyche. Dann
verweist er auf die schon so häufig hervorgehobenen Ähnlichkeiten zwischen
den Erscheinungen des Traumes und den Geisteskrankheiten. Die Mehrzahl
der psychotischen wie der traumhaften Zustände ließen sich zwanglos als
Ausfall gewisser verschieden qualifizierter Vorstellungselemente auffassen.
Ganz besonders treffe dies zu für die verschiedenen Verblödungsformen:
Diagnose der Geisteskrankheiten. 997
iv mehr zentrale Elemente „schlafen ein", die Demenz ist ein immer
s Einschlafen bei offenen Augen." Der Schlaf sei ein periodisch
kehrender Erscheinungskomplex^ der in dem kosmisch bedingten Wechsel
SLg und Nacht seine Ursache habe. Diese Angepaßtheit des Schlafes
imische Perioden lasse sich nun in analoger Weise auch bei den
skrankheiten erkennen. Nicht nur im zirkulären und periodischen
in, sondern auch bei der Mehrzahl aller anderen Psychosen zeige sich
naner Prüfung deutlich eine Tendenz zu rhythmischen Schwankungen.
rliand sei es noch völlig dunkel, welchen kosmischen Einflüssen dieser
Qgang der Psychosen angepaßt sei. Zur Beantwortung dieser Frage
ce es noch sehr zahlreicher, eingehender Untersuchungen an normalen
sycho-pathologischen Zuständen, am besten mittels der exakten Kurveu-
b\ing (P. Näckes Kurven-Psychiatrie), über Blutdruck, Atmung, Er-
ng, Gedächtnis, Auffassungsfähigkeit, Assoziationstätigkeit usw. usw.
eh mit synchronen Tabellen über thermometrische und barometrische
iiiknngen u. dgl.
Isomer (269) hat unter dem Pseudonym de Loosten eine interessante
3h e Studie über das Leben Jesu verfaßt. Derartige Studien sind schon
r gemacht worden und sind sozusagen ein Gemeingut des Gebildeten
rden; in dem Roman „Hilligenlei^ von G. Erenssen wird Jesus auch
isionär geschildert.
Liomer hat in wissenschaftlicher Weise die hereditäre Belastung Jesus
[Stellen gesucht: ^Christus war unehelicher Geburt, Sohn eines griechisch-
^chen Soldaten Panthera. Die Mutter Jesu war blutsverwandt mit
nnes dem Täufer, der von vielen seiner Zeitgenossen als geisteskrank
sehen wurde. So kann die Möglichkeit eines erblichen Eünflusses dieser
'andtschaft auf Jesu Geistesbeschaffenheit nicht bestritten werden".
L. verwertet die „geradezu paranoische Gedankenrichtung im damaligen
3I" als einen Nährboden für die melancholische Disposition von Jesu
5ti. Die Trauer, daß der Bund Jahoes mit seinem Volke Jsrael ge-
hen sei, der Glaube an die Sündhaftigkeit böten das typische klinische
der melancholischen Erkrankung. L. vertritt allerdings die eigenartige
icht, daß die Eroberung Judäas durch die Römer zu einem „Nerven-
:^ des Volkes geführt habe.
Die Offenbarungen Christi seien Visionen gewesen, das „Sichauftun"
Himmels ist wohl als eine Lichterscheinung zu betrachten. Es handelt
dabei um Halluzinationen auf optischem und akustischem Gebiete,
istus zeige häufig Spuren von ethischem Defekt, so seinen Eltern gegen-
: im Tempel; seinem Jünger, der seinen Vater begraben wolle, zu dem
lage: „Folge Du mir und laß die Toten ihre Toten begraben." Familien-
i sei ilun abgegangen ; über die Ehe habe er gesprochen : „Wer ein Weib
ieht, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in
lem Herzen."
Patriotismus ging ihm ebenfalls ab, denn er verkehrte mit den Zöllnern,
Freunden des römischen Imperators ; für das Staatswesen habe er gleich-
s keinen Sinn gehabt, erachtete er sich doch „als Sohn des Königs Jalioe
steuerfrei." Kunstsinn ging ihm ab: „Als ein Jünger den prachtvollen
apel za Jerusalem pries, weiß er nur von dessen baldigem Untergange
reden."
Die Lomersche Schlußfolgerung hieraus, daß in diesen Zügen sich
r Abkömmling niederer Lebenssphären offenbare, in denen das Ringen
IS tägliche Brot die gröbsten Formen anzunehmen pflege, scheint uns doch
^^t ganz richtig, zu sein. Könnte man doch gerade an einer Zalil jetzt
988 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie and
lebender bedeutender Maler und Künstler nachweisen, daß sie in ärmlichen
Lebensverhältnissen groß geworden sind. Auch Jesus als Agitator gegen
den Reichtum, aus dem Gleichnis vom reichen Manne und armen Lazarus
herzuleiten, scheint uns etwas weit hergeholt.
Mir ist dieses Gleichnis stets so erschienen, als ob Christus gerade
hierin Sozialethiker w^ar; verwirft er doch nur den Reichtum, der nutzlos
da läge und nur zu Prassereien verwendet würde, und will er dem Bedrängten
helfen.
Daß Jesus sexuell refraktär war, scheint richtig zu sein; ob er zwar
£unuch war, wie L. aus dem aufgefundenen Egypterevangelium herzuleiten
sucht, ist schwer festzustellen.
Judas wäre zum Verräter geworden, da er ein nüchterner Kopf war
— der einzige, der einen klaren Kopf behalten hatte — und auf die Dauer
keinen Gefallen an dem pekuniär unproduktiven Leben Jesu fand.
Lnmerhin sagt doch Jesus, Matthäus 25, 27, wie er vom Pfiinde
spricht: „So solltest Du mein Geld zu den Wechslern getan haben, und
wenn ich gekommen wäre, hätte ich das Meine zu mir genommen mit
Wucher." Und wieder: „Denn wer da hat, dem wird gegeben werden und
wird die Fülle haben, wer aber nicht hat, dem wird auch, das er hat,
genommen w^erden."
Könnte die kapitalistische Weltanschauung besser ausgedrückt werden?
Ohne die L oh m ersehen Anschauungen „en bloc" adoptieren zu können,
glauben wir, daß dieselben Berechtigung verdienen, wie er sie im Schlußwort
zusammengefaßt hat: „Sein Selbstbewußtsein steigerte sich in langsamer
Entwicklung bis zu einem fixierten Wahnsystem, dessen Einzelheiten durch
die intensive religiöse Richtung der Zeit und seine einseitige Beschäftigung
mit den Schriften des alten Testaments bestimmt waren."
Seine psychischen Affektionen waren Halluzinationen. Wer sich ihm
um seiner Religionsauffassung willen anschloß, den zwang Jesus, auch
zugleich seine wahnhaften Vorstellungen zu adoptieren, was ihm auch fast
durchweg gelang, da dieselben eine brennende Erwartung der Zeit zu ver-
körpern schienen.
Sein endlicher Untergang wurde durch den unvermeidlichen Zusammen-
stoß zwischen Wahn und Wirklichkeit herbeigeführt und durch die Rück-
sichtslosigkeit beschleunigt, mit welcher er seine Ansprüche verfocht.
(Mozenraad.)
In Anlehnung an die von ihm aufgestellte Hypothese, daß die Tetanie,
Myoklonie und Myotonie zusammengehörig und als Autointoxikationskrank-
heiten aufzufassen wären, hervorgenifen durch eine mehr oder weniger hoch-
gradige Insuffizienz der Glandulae parathyreoideae, tritt Lundborg (270)
jetzt dafür ein, daß auch der katatonische Symptomenkomplex zu derselben
Krankheitsgruppe gehöre. Er verweist auf die Anschauung Kraepelins,
daß die Dementia praecox durch eine „Selbstvergiftung" entstehe, und stützt
sich auf die experimentellen Untersuchungen von Blum, der durch Thyreo-
ektomie, und von Berger, welcher durch Injektion des Serums Katatonie-
Kranker (s. diesen Jahresbericht f. 1904 S. 976) bei Hunden katatonie-
artige Erscheinungen hervorrufen konnte.
Macpherson (271) führt die Dementia praecox, progressive Paralyse,
Puerperalpsychosen, Alkohol- und Fieberdelirien auf Toxine des Organismus
zurück. Der Beweis hierfür werde durch das Fieber und die Leuko-
cytosis erbracht. Letztere könne 20 000 Leukocyten pro com betragen, ein
Zeichen, daß der Organismus sich gegen die eindringenden Toxine schützen
wolle. In der Ätiologie der Dementia praecox schließt Verfasser sich der
^ Diagnose der Geisteskrankheiten. 9 39
eandelizes an, daß unvollkommene Funktion der Parathyroid-
:^h organische Störungen herrorrufen könne. Denn aus der Ent-
ir Drüsen bei Hunden entstände geistige Störung, die sich durch
Lud Depression kund gebe. Zeitweilig große Unruhe, verbunden
hlen der Furcht und mit Halluzinationen. Dann Somnolenz,
Iditat, K^atalepsie, Exitus. Die Erscheinungen seien besonders heftig
a Tieren.
hrend bei Myxödem es ganz feststehe, daß es sich um mangelnde
se, die angeboren sei, handelt, wissen wir nichts über akquirierte In-
der Thyreoidea.
Glandiila parathyreoidea wie das Knochenmark hätten vermutlich
£iiifliiB auf Erkrankungen der Psyche. (Rozenraad.)
icpliersoil (272) gibt einen kurzen historischen Überblick über die
ing der Irrenfursorge in Schottland, schildert deren gegenwärtigen
und hebt als wesentlichste Errungenschaften der neuesten Zeit
L. das Bestreben, jede Art von Isolierung bei Tage sowohl, wie bei
u venneiden; 2. die ausgedehnte Verwendung weiblichen Pflege-
3 auf den .Männer- Abteilungen, besonders auf den Siechenstationen ;
ächtliche Überwachung der unruhigen, lärmenden, schmutzigen und
agssüchtigen Kranken; 4. die Bettbehandlung akuter Psychosen in
teilungen; 5. das Landhaus-Bausystem der Anstalten, bei dem eine
Ton im Landhausstyl erbauten Häusern um ein zentral gelegenes
ihaus gruppiert sind.
Lacpliersoil (274) bedauert, daß Forschungsreisende uns so wenig
isteskrankheiten bei wilden Völkerschaften berichten. Er weist auf die
anten Elrgebnisse einer diesbezüglichen Studienreise von Dr. Felkin
Weißen Nil. Letzterer habe festgestellt, daß die schwarze Be-
ng andere Formen von geistiger Erkrankung biete, wie sie uns in
, bekannt seien: die Manie dauere nur ein bis zwei Tage, der Patient
in solcher Periode in Ketten gelegt. Idiotie und Suicid seien sehr
Emin Pascha habe ähnliches beobachtet, und würden die Kranken
gewisse Tränke beruhigt.
^m Gegensatz hierzu stehen die Beobachtungen, die an den Einwohnern
isiens gemacht worden sind. Dort werden Geisteskranke als von einer
hen Macht erleuchtete Wesen angesehen.
Diese Beobachtungen stimmen überein mit denen, die Kraepelin
einer Studienreise nach Java gemacht hat. Dort sei Paralyse, trotz
er syphilitischer Infektion, selten; „Latah** unter den Malayen häufig.
)TQ sei eine Form der Hysterie.
Macpherson bespricht dann die Verbreitung von Geisteskrankheit in
tland. Es waren dort 15899 Kranke = 3.59 auf je Tausend der Be-
rung. Dies im Jalire 1901. — Seit 1868 ist die Zahl der Kranken
173X> jedoch die Bevölkerung nur um 42% gestiegen. Immerhin
it M. nicht, daß Geisteskrankheiten sich vermehrt hätten; lediglich daß
tranken genauer registriert würden. .. (Rozenmad,)
Macpherson (275) polemisiert dagegen, daß die Ätiologie der Paralyse
Lues sei: Die Zahl der Paralytiker stehe gar nicht im Verhältnis zur
i der Infizierten. Bei akuten Geisteskrankheiten entstehen folgende
likalische Symptome: Leukocytosis, erhöhte Temperatur, Insomnia,
iingen der Verdauung und des Stoffwechsels — Steigerung des Blut-
:ks bei Manischen.
In der Behandlung will M. die Grundsätze befolgt mssen, die an
tscheu Universitätskliniken üblich sind.
990 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie uncL
Die einzige Stadt im Vereinigten Königreich, die eine modern ein-
gerichtete Irrenanstalt habe, sei Glasgow. Dort sei für 50 Kranke Platz.
Die öffentliche Meinung sollte aufgeklärt werden, damit mehr solcher An-
stalten gebaut würden. (Rozenraad.)
Marchand (281) erörtert den Begriff „Psychische Degeneration**.
Er referiert zunächst die Anschauungen Morels und Magnans und weist
dann darauf hin, daß bei der Anwendung dieses Begriffs sich in der Praxis
mancherlei Schwierigkeiten ergeben. Es liege dies daran, daß man die Be-
griffe „degeneriert" und „anormal" nicht auseinanderhalte (Rabaud); jeder
Degenerierte sei ein Anormaler, aber nicht jeder Anormale sei ein Dege-
nerierter. Ein Idiot mit einer zerebralen Affektion sei ein Degenerierter,
dagegen ein Idiot mit einer einfachen Verminderung der Hirnsubstanz ein
Anormaler; es gebe also degenerierte und anormale Idioten. Nach Rabaud
muß man bei den kongenitalen Zuständen unterscheiden zwischen den Anor-
malen, die scharf charakterisiert sind durch die völlige Unversehrtheit ihrer
Gewebe, und den Kranken, welche allein die Degenerierten sind: ,bei der
Anomalie sind die Gewebe einfach durch einen Mangel oder ein Übermaß
modifiziert, während bei der Degeneration sich die Entwicklung vollkommeo
von der gewöhnlichen Form unterscheidet. Gewöhnlich nimmt man drei
Kennzeichen dafür an, daß ein Individuum ein Degenerierter ist: erbliehe
Belastung, körperliche und psychische Stigmata. Nach Marchand spielt
die Heredität bei der psychischen Degeneration keine so große Rolle wie
in der Ätiologie der Psychosen; manche körperliche Stigmata der Degene-
ration sind Anomalien und kein Beweis für geistige Degeneration, auch
viele psychische Stigmata finden sich bei dem Anormalen, der kein Degene-
rierter ist. Verf. schließt: Die Gruppe der Degenerierten vereinigt zu riel
verschiedene Typen, und das kommt daher, weil die Autoren dem Tnter-
schied zwischen einem Degenerierten und einem Anormalen nicht genügend
Rechnung getragen haben; unter den Idioten gibt es Degenerierte und
Anormale, die meisten sind beides zugleich; die Desequilibr^s und die
Genies sind meistens Anormale, ohne Degenerierte zu sein, und wenn sie
letzteres sind, so sind sie es immer nur in sehr geringem Maße.
Marchand (282) behandelt die Bedeutung der Syphilis für dieEnt-
st;ehung von Psychosen und geht speziell der Frage nach, ob es eine syphi-
litische Geistesstörung gebe. Er hat aus der Literatur 23 Fälle zusammen-
gestellt, in denen die Syphilis als einziger ätiologischer Faktor wirksam ge-
wesen zu sein schien ; doch war auch unter diesen bei 7 Fällen eine sichere,
bei 7 eine zweifelhafte erbliche Belastung vorhanden. Verf. konmit auf
Grund seiner Untersuchungen und Erwägungen zu folgenden Schlüssen: Die
Syphilis kann durch ihr Toxin bei prädisponieri;en Individuen Psychosen in
die Erscheinung inifen. Diese Entstehungsweise von Geistesstörungen ist
selten. Die geistige Erkrankung tritt fast immer in den der Infektion fol-
genden Monaten auf. Spezifische Hautveränderungen sind häufig neben den
psychischen Störungen vorhanden. Jede Syphilis, sowohl die gutartige, wie
die maligne, kann mit Geistesstörung kompliziert sein. Die häufigsten
|)sychischen Störungen sind Melancholie, Manie, halluzinatorisches Irresein
und Stupor. Sie gehen fast immer in Heilung aus. Die spezifische Be-
handlung soll nach zahlreichen Autoren die Dauer der Psychosen abkürzen.
Die Syphilis kann auch geistige Störungen (Melancholie, Suicid) auslösen
durch den hypochondrischen Seelenzustand, den sie bei dem Sypliilitischen
hervorruft.
Margain (285) gibt auf Grund der Arbeiten von Constans, Chiara.
Kuhn und Tissot eine zusammenfassende Schilderung der psychischen
Diagnose der Geisteskrankheiten. 991
dämonopathischen) Epidemie, welche in den Jahren 1861 — 1865 in
geherrscht hat, unter besonderer Berücksichtigung der psychologischen
lugsmoniente. Es handelte sich um einen Besessenheitswahn auf
her Basis, welcher zur Zeit seiner größten Ausdehnung 150 Per-
rgriffen hatte. Diese glaubten sich vom Teufel besessen, stießen
ichungen und Gotteslästerungen aus und geberdeten sich in ihren
i wie Rasende. Erst durch energische, unter ärztlicher Leitung ge-
Maßnahmen der Behörden gelang es, die Epidemie zum Ver-
en zu bringen. Nur ein Teil der Individuen litt an konstitutioneller
s, die übrigen waren nur psychisch infiziert worden und hatten eine
ntelle" Hysterie mit Besessenheitsideen gehabt. Verf. gibt ein an-
ihes Bild des lokalen Milieus, in welchem die Epidemie entstand,
larakteristik der besonders beteiligten Persönlichkeiten usw.
lercior (293) hält die vom „Statistischen Komitee" entworfene Ein-
der Nervenkrankheiten für nicht genau genug und möchte eine mehr
erte und das Wesen der Psychose kennzeichnende Bezeichnung gut-
(Bendix.)
VEeiinier (294) teilt drei Fälle von pathologischem Lügen mit, die
Schülerinnen einer höheren Pariser Mädchenschule beobachtet«. Die
lafte Natur der Lüge dokumentierte sich dadurch, daß die Kinder
)eden, in einem Falle ohne irgendwie genügenden, Zweck ungeheuer-
unwahre Geschichten erzählten: der Vater sei erblindet, die Mutter
sterben usw. Verf. weist darauf hin, wie wichtig es sei, derartige
nicht nur, wie gewöhnlich, vom pädagogischen und moralischen,
rn auch vom psychologischen Standpunkte aus zu betrachten, und zwar
lücksicht auf ihre Beziehungen zu systematisierten Wahnvorstellungen.
In diesen beiden, zum Teil gleichlautenden Arbeiten tritt Meyers
297) dafür ein, daß in den allgemeinen Krankenhäusern Kanadas
idere Abteilungen für die Behandlung Geisteskranker errichtet würden,
de z. B. schon seit Jahrzehnten in Deutschland vielfach existierten,
ührt aus, daß es im allgemeinen ebensoviel Geisteskranke außerhalb der
alten als innerhalb derselben gebe; es wären das zumeist die Grenzfälle
jhen geistiger Gesundheit und Psychose, Fälle von beginnender Psychose,
.Neurasthenie bezeichnet, usw. Diese Fälle hätten jetzt meist nicht die
faltige und sachgemäße Behandlung, deren sie dringend bedürftig wären ;
1 die praktischen Arzte, von denen diese Kranken behandelt würden,
3n psychiatrisch sehr wenig geschult, da sie auf der Universität nur
ig Zeit und Gelegenheit hätten, Psychiatrie zu studieren und insbesondere
irtige Grenzfälle zu sehen. Diesem Mangel könne durch die Errichtung
Sonderabteilungen für Geisteskranke in den allgemeinen Krankenhäusern
;eholfen werden. Durch diese Maßnahme würde nach Ansicht des Ver-
sers: 1. Die Zahl der offiziell Geisteskranken verringert werden; man
ine diese Kranken ohne ein Attest aufnehmen, und ein großer Prozentsatz
1 ihnen werde als geheilt wieder entlassen werden, ohne daß ihm, wie
iher bei der Aufnahme in eine Irrenanstalt, der Stempel des ,.insane"
fgedriickt worden wäre; durch diese Einrichtung würden auch die Irren-
stalten sehr entlastet werden. 2. Es würde ein besserer klinischer ünter-
;ht für die Medizin Studierenden möglich sein, die so ganz bequem diese
rankheit kennen lernen könnten wie in einer danebeiigelegenen Abteilung
e Krankheiten der Lunge oder des Herzens. 3. Der ganze Ärztestand
iirde besser psychiatrisch ausgebildet werden und Verständnis für psychia-
rische Wünsche und Forderungen zeigen. 4. Man könne das Pflegepersonal
1 den allgemeinen Krankenhäusern mit der Behandlung Geisteskranker
992 Allgemeiae Ätiologie, Symptomatologie und
vertraut machen. 5. Da man die Kranken ohne Attest aufnehmen könne,
würde die Voreingenommenheit der Kranken und Angehörigen gegen die
Anstalt fortfallen, die Kranken würden verhältnismäßig früher als bisher in
Krankenhausbehandlung kommen, wodurch die Heilungsmöglichkeit erheblich
gesteigert würde; auch die Vonirteile gegen die eigentlichen Irtenanstaltett
würden so allmählich schwinden. 6. Durch die früher einsetzende Behand-
lung würde die Zahl der Selbstmorde verringert werden. Jedenfalls würde
durch diese ganze Einrichtung viel zur Verhütung und Heilung der Geistes-
krankheiten beigetragen werden, und den Vorteil davon habe der Staat, der
die Kosten für die Unterhaltung der mittellosen Geisteskranken tragen müsse.
Michel (298) gibt auf Grund amtlicher Erhebungen einen kurzen
Bericht über das Vorkommen von Psychosen in der österreichisch-ungari-
schen Armee während der Jahre 1899 — 1903. In diesem fünfjährigen Zeit-
räume gelangten zur Beobachtung ihres Geisteszustandes 3388 Mann, von
denen sich 2181 als tatsächlich geisteskrank erwiesen; 907 mal handelte es
sich um gerichtliche Fälle. Bemerkenswert ist, daß die Zahl sowohl der
zur Beobachtung gekommenen, wie der wirklich geisteskranken und der
forensischen Fälle mit jedem Jahre stetig gewachsen ist; insbesondere haben
die letzteren sich in den fünf Jahren auf mehr als das Doppelte vermehrt
Entsprechend der Statistik der Irrenanstalten zeigt sich also auch beim
Militär eine bedeutende Zunahme der Psychosen, doch sind dieselben im
allgemeinen beim Militär seltener als bei der Zivilbevölkerung (0,8:3,0 pro
Mille). Nach dem Material der Beobachtungsabteilung des Wiener I. Gami-
sonspitales, welches etwa ^4 ^^^^^ öI^ö^^ zusammengestellten Fälle umfaßt,
kamen auf 100 Beobachtungsfälle 36 Offiziere usw. und 64 von der Mann-
schaft, auf 100 tatsächlich Geisteskranke 39 Offiziere usw. und 61 von der
Mannschaft. Aus einer Übersicht, die Verf. über die Verteilung der FäUe
auf die einzelnen Krankheitsgruppen gibt, geht hervor, daß am häufigsten
zur Beobachtung gelajigten: Die Paralyse (nach Du ms „die häufigste Krank-
heit der Berufssoldaten") mit 100 Fällen, die angeborenen Geistesstörungen
(Imbezille, moralisch Minderwertige, Konträrsexuelle) mit 99, Alkoholismua
mit 60 und Dementia praecox mit 58 Fällen.
Mittenzweig (302) sucht die Frage zu entscheiden, ob auf Grund
eines zu bestimmenden niedrigen Himgewichtes das Vorhandensein einer
geistigen Erkrankung im Leben bei dem betreffenden Individuum sicher-
zustellen ist. M. ist der Ansicht, daß bei einem männlichen Individunm
ohne Rücksicht auf das Alter eine geistige Erkrankung im Leben mit
Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, wenn das Gehirn ein Gewicht unter
1000 g hat. Als etwaige Ejrankheitsform kommt eine Dementia paralytica,
eine Dementia senilis oder eine organische Psychose (falls das Individuum
über 60 Jahre alt war) in Betracht. Handelt es sich von vornherein um
das Gehirn eines Geisteskranken, so ist, falls das Gehirn ein Gewicht unter
1100 g bei einem Alter unter 60 Jahren resp. ein Gewicht unter 1150 g bei
einem Alter unter 60 J ahren hat, das Vorliegen einer funktionellen Psychose
mit Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Handelt es sich um das Gehirn
einer Frau, so ist zu erwägen, ob die Verstorbene ein Alter über oder unter
60 Jahre erreicht hat. Bei einem Alter unter 60 Jahren muß eine geistige
Erkrankung im Leben als ziemlich sicher angenommen werden, wenn das
Hirngewicht unter 1000 g liegt. Als Kranklieitsform kommt eine Dementia
paralytica oder eine organische Psychose in Betracht. Bei einem Alter von
über 60 Jahren ist die Annahme einer Psychose im Leben bei einem Gehirne
unter 950 g gesichert. Es kann sich in diesem Falle um eine Dementia
senilis oder um eine organische Psychose gehandelt haben. (Bendir,)
Diagnose der Geisteskrankheiten. 993
Mönkemöller (304) gibt eine interessante Darstellung des Zustandes,
m sich die deutsche Psychiatrie im Beginne des 19. Jahrhunderts
I. Die damals herrschenden, uns natürlich jetzt recht seltsam an-
den Vorstellungen über Wesen und Ursachen der Geistesstörungen,
lassifikation derselben, die mannigfachen therapeutischen Bestrebungen
raaligen Irrenärzte usw. werden an der Hand der Literatur und unter
ang zahlreicher Beispiele anschaulich geschildert.
n einem längeren Vortrag nimmt Morselli (307) Stellung gegen die
)ungen, welche einer Scheidung von Neurologie und Psychiatrie dienen,
lüht sich, an einzelnen Beispielen zu zeigen, wie der ganze historische
ein Konvergieren dieser beiden Disziplinen zu einander anzeigt, und
t dem Fortschreiten unseres Wissens das Ineinandergreifen von Neu-
ond Psychiatrie immer stärker sich akzentuiert; Betrachtungen, die
die moderne Auffassung der Hysterie und Neurasthenie anschließen,
onders instruktiv zur Illustration der innigen Amalgamierung, die die
gie mit der Psychiatrie erfährt, wenn es gilt, das Krankheitsbild zu
], das Wesen des ganzen Prozesses zu verstehen, therapeutisch die
it zu beeinflussen. Gerade diese Erkrankungen waren es auch, die
it als zur ausschließlichen Domäne des Neurologen gehörig betrachtet
(Merzhacher,)
itepilepsie im Verlaufe chronischer Psychosen ist überaus selten.
(310) teilt die Krankheitsgeschichte von 13 derartigen Fällen mit.
elt sich bis auf ein oder zwei Ausnahmen nur um solche Beob-
a, bei denen erstens alkoholische Psychose ausgeschlossen ist, die
gser Spätepilepsie nicht gar zu selten auftritt, und bei denen ferner
chronische Psychosen nicht vorlagen, bei denen in der Jugend, in
Ttät oder im akuten Stadium des Irreseins Krämpfe auftraten.
)mmt auf Grund seines, des bisher größten veröffentlichten, Materials
Ergebnis, daß die Spätepilepsie bei chronischen Psychosen jetzt ein
Qtlich seltenes Ereignis sei und vorwiegend in der Gruppe der
praecox auftrete. Die epileptischen Anfälle erfolgten meist nachts,
ereinzelt, zuerst in den meisten Fällen 6 — 15 Jahre nach Beginn
iltsbehandlung; gewöhnlich waren es schwere resp. mit leichten
selten waren sie gehäuft, selten auch mit Schwindel abwechselnd,
^alle betrugen oft ein bis mehrere Jahre: mehrmals wurde über-
ein einziger Anfall beobachtet. Eine Schädigung der Psyche,
? Ausbildung eines y, epileptischen Charakters" durch die Krämpfe
ht sichergestellt werden. Die Anfälle ähnelten denen der gemeinen
besonders denen der sonstigen Spätepilepsie. Es erscheint dem
richtigsten, in der Spätepilepsie nur ein Symptom des Irrsinns
ser (311) behandelt in einem Vortrage die Fragen, ob und in-
r individuelle Charakter in und während einer Geisteskrankheit
9be oder sich verändert zeige, und ferner, ob und inwieweit die
ilage, die individuelle Artung, die Persönlichkeit von Einfluß und
sei für die Entwicklung und Gestaltung von Psychosen, er unter-
anpt die Beziehungen zwischen Individualität und Psychose. Er
i von vornherein gegen alle Bestrebungen, welche für die Frage
ehungen eine einheitliche und allgemeingültige Lösung suchen
tritt nachdrücklich der Lehre Tilings entgegen, daß die Ent-
Psychosen, insbesondere der sogenannten funktionellen Psychosen,
mperament und der Charakteranlage, kurz aus der Individualität
3nen heraus begründet und erklärt werden können. Die An-
t f. Kenrologiie und Psychiatrie 1906. 63
994 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
schauung, daß die Psychologie im stände sein könnte, von sich aus die
Kenntnis psychiatrischer Krankheitsprozesse zu vermitteln, daß also die
klinische Psychiatrie nur ein Anhang der Psychologie sein müsse, beruhe
auf einem fundamentalen Irrtum, vor allem, weil die spezielle Eigenart des
Psychischen es nicht gestatte, im voraus zu ermessen, welche psychologischen
Tatbestände durch eine Abänderung normaler Reize zu stände kämen. Ohne
die Bedeutung zu verkennen, welche die zahlreichen Bestrebungen zur
Schaffung einer wissenschaftlichen Individualpsychologie hätten, betont
N ei SS er doch, daß die Individualpsychologie für die Psychiatrie nur als
Hilfsdisziplin von Nutzen sein könne: Zur Ermittelung der Beziehungea
zwischen Individualität und Psychose muß mau die einzelnen Krankheits-
formen gesondert betrachten. Dabei bleibt die Frage der fererbten oder
erworbenen Veranlagung, die rein physische Beziehung der persönlichen
Artung zu dem Auftreten bestimmter Erkrankungen ganz aus dem Spiele.
Es bleiben infolgedessen auch die Degenerierten hier außer Betracht. Nur
die psychologischen Beziehungen der normalen zur erkrankten Persönlichkeit
stehen hier zur Erörterung. Es liegt ohne weiteres auf der Hand, daß bei
allen akuten, sowie bei allen organischen, bezw. überhaupt mit destruktiver
Tendenz einhergehenden, zu einem bleibenden Defekt fuhrenden, Psychosen
eine Beeinflussung der Individualität durch den Krankheitsprozeß stattfindet
Auch bei den Affektpsychosen, der Melancholie und der Manie, ist die
Persönlichkeit völlig verändert, und die Tatsache, daß dieselben Individuen
durchaus nicht selten im Verlaufe ihres Lebens an diesen beiden in ihrem
Gepräge so gegensätzlichen Erkrankungen zu leiden pflegen, daß diese sich
mit einer Mischung der Symptome ineinander verpflechten oder aber, daß
sie in einem regelmäßigen Turnus einander ablösen können, beweist am
schlagendsten das Irrige der Anschauung, daß aus dem Temperament und
dem Charakter einer Persönlichkeit heraus die speziellen Krankheits-
erscheinungen abgeleitet werden können. Neisser analysiert zum Schluß
die Beziehungen der Individualität zur Psychose bei den als Paranoia zu-
sammengefaßten Erkrankungsformen und kommt zu dem Ergebnis, daß die
Individualität in den verschiedenen Fällen und Formen in verschiedener
Weise verändert wurde, und daß auch der persönlichen Artung für die Ent-
wicklung und Ausgestaltung der Krankheit keine gleiche Bedeutung zukonune.
Jedenfalls bleibe der individuelle Charakter bei den Paranoischen trotz weit*
gehendster Verfälschung des Bewußtseinsinhaltes besser gewahrt als bei
den Melancholischen oder Mauischen auf der Höhe der Erkrankung. Ver£
hebt dann zusammenfassend hervor, daß es Ziel und Gegenstand der Individual-
psychologie sei, die Unterschiede der Individualitäten aufzudecken und ru
studieren, während es Aufgabe des Psychiaters sei, das an den erkrankten
Individuen typisch Übereinstimmende zu erkennen. Individualpsychologie
und Psychiatrie bedürfen einander, können aber einander niclit ersetzen.
Neisser (312) weist darauf hin, daß den Erinnerungsfälschungen,
welche spontan und mit phantastischer Ausgestaltung bei gewissen funktio-
nellen Psychosen aufzutreten pflegen und im Vordergrunde des Krankheits-
bildes stehen (Paranoesis confabulans, von Kraepelin zur Dementia para-
noides gerechnet), klinisch und pathogenetisch eine besondere Stellung an-
zuweisen sei. Denn es könne sowohl eine Bewußtseinstrübung, wie auch
eine besondere Schwäche der Kritik, welche beiden Paktoren nach Kraepelin
und Pick bei dem Zustandekommen des Phänomens \(drksam sind, fehlen.
Neisser glaubt, daß die Erinnerungsfälschungen als selbständiges Reiz-
symptom auftreten könnten. Klinisch ergebe sich dies daraus, daß das
Auftreten und die Entwicklung des Symptoms in geeigneten Fällen zeitlich
Diagnose der Geisteskrankheiten. 995
umgrenzt und deutlich verfolgt werden könne. Völlig beweisend aber für
die Selbständigkeit und den Charakter als Reizsymptom sei die Tatsache,
daß es gelegentlich gradezu anfallsweise auftrete. Verf. hat dies zweimal
beobachtet und teilt einen dieser Fälle mit. Bemerkenswert sei es auch,
daß einzelne derartige Kranke eine unmittelbare Wahrnehmung von dieser
Abnormität (akutes übermächtiges Zuströmen von Erinnerungen) besäßen.
Nemnann (313) gibt ein Referat über die Veröffentlichungen der
Aledizinalabteilung des preußischen Kriegsministeriums hinsichtlich der Frage
über den Anteil des Heeresdienstes an dem Zustandekommen von Psychosen
respektive über seinen Einfluß auf Psychosen und ihre Form; ferner auch
über die militärische Kriminalpsychologie. In der Veröffentlichung des
Kriegsministeriums wird eingehend darauf hingewiesen, auf welche Weise
die Einstellung Schwachsinniger, Epileptischer und früher Geisteskranker
verhütet werden kann, und zwar soll auf die Zeugnisse der Angehörigen,
der Hausärzte und Lehrer respektive Gemeindevorsteher Wert gelegt werden.
Bei den eingestellten Rekruten sollen alle psychisch verdächtigen Leute von
psychiatrisch erfahrenen Ärzten untersucht werden. Aus einer Statistik
geht hervor, daß bei der Diensteinstellung folgende Psychosen beobachtet
wurden: Imbezillität, epileptischer Schwachsinn, Dementia praecox seu hebe-
phrenica. Diese Zustände können oft erst nach der Einstellung erkannt
werden, ebenso die Hysterie. In den Veröffentlichungen wird noch besonders
darauf hingewiesen, daß totale Simulation äußerst selten ist und Simulations-
Yerdächtige von Psychiatern zu untersuchen sind. Die Veröffentlichung
bezweckt, durch rechtzeitige Erkennung Geisteskranke, Minderwertige und
Geistesschwache vom Heeresdienst fern zu halten. {Bmdix.)
Niclioll und Boberts (314) berichten über einen Fall von Herzruptur
bei einer Geisteskranken. Eine 77 Jahre alte Frau, die sich seit 6 Jahren
wegen seniler Demenz in der Anstalt befand und keinerlei subjektive oder
objektive Krankheitserscheinungen von Seiten des Herzens dargeboten hatte,
fiel eines Tages nieder und starb nach wenigen Minuten. Die Sektion ergab
ein Haematoma durae matris, Arachnitis chronica fibrosa, Atheromatose der
Himgefäße, femer einen Riß in der Vordei*wand des linken Ventrikels, durch
den sich Blut in den Herzbeutel ergossen hatte. Das Herzfleisch war hoch-
gradig fettig degeneriert, der vordere absteigende Ast der Coronararterie
dnrch einen, bereits bindegewebig organisierten Thrombus völlig verschlossen.
Obregia und Antonin (323) haben an den Schädeln der Sammlung
in Obregias Abteilung diese wenig bekannten Tubercula studiert. Sie
ändern die Bezeichnung Le Doubles als Tubercula exoccipitobasilares in
den Namen von Tubercula endoccipitobasilares um. Die erstere Bezeichnung
ist unzutreffend, weil der intrakranielle Charakter der Tubercula, die vor
den foramina condyloidea und an dem Vereinigungspunkt der basalen Apo-
physe mit dem übrigen Teil des os occipitale liegen, nicht durch sie an-
gedeutet wird. Nur Bianchi und Tamasia haben sie bisher bei den Geistes-
kranken studiert und sie häufiger beobachtet, als den normalen Befund.
Obregia und Antoniu fanden sie elf mal und nur wenig entwickelt
an 160 Schädeln der Sammlung der Medizinischen Fakultät. Dem gegen-
über war sie unter 30*0 Schädeln von Geisteskranken 21 5 mal (71,6 7oj
nämlich 140 mal gut und beiderseits entwickelt (40,66 7o)-
In 12,33% waren die Tubercula wenig deutlich, symmetrisch und
ungleich. An 20 Schädeln (6,66%) wurde nur ein Tuberculum gefunden;
in 5% sahen die Autoren außerdem an der internen Fläche dieser Höcker
eine noch nicht beschriebene, von ihnen als Tuberculum endoccipito-basilare
accessorium genannte Erhabenheit. Die Autoren halten die endoccipito-
63»
996 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
basilaren Höcker für Rudimente der oberen Gelenkflächen des Occipital-
wirbels. (BendLr.)
Peixoto (335) beschreibt eine Reihe von interessanten Fällen des
manisch-depressiven Irreseins, die im Hospital zu Rio de Janeiro, Brasilien,
zur Beobachtung kamen. — Es kamen innerhalb von 10 Jahren 6200
Geisteskranke zur Beobachtung, von den 413 an obiger Affektion litten,
d. h. 6,6% waren manisch-depressiv (Kraepelin gibt einen Prozentsatz
von 15% an). Aus der Statistik Peixotos ist sogar zu ersehen, daS
prozentualisch seit 1901 eine Abnahme stattfand. Die Zahl erhöht sich
bei Kranken über 40 Jaliren, und ist häufiger bei Männern. Die in Brasilien
lebenden Weißen waren am häufigsten betroffen, 28 auf 100, am seltensten
die Neger, 19 auf 100.
Die Arbeit ist ein interessanter Beitrag zur Erkenntnis manischer
Zustände in den Tropen.
Die Behandlung weicht nicht von der in Europa üblichen ab.
(Rozmraad.)
PfersdorfF (341) teilt drei Fälle mit, deren wesentliches khnisches
Merkmal die periodische Wiederkehr einer halluzinatorischen Erregung
sämmtlicher Sinnesgebiete, verbunden mit dem Wahn der körperlichen Be-
einflussung war. Es bestanden gleichzeitig Reizerscheinungen auf akustischem,
optischem und taktilem Sinnesgebiet, die mehrere geraeinsame, sie von
anderen Sinnestäuschungen unterscheidende Merkmale darboten. Besonders
zahlreich waren elementare Sinnestäuschungen vorhanden, daneben auch
Halluzinationen, welche die sinnlichen Merkmale konkreter Erfahrungen
reproduzierten. Diese Sinnestäuschungen wurden von den Kranken nicht
mit peripheren Sinneswahroehmungen identifiziert; sie empfanden die Hallu-
zinationen als getrennte Reizvorgänge in den einzelnen Sinnesorganen. Die
Ursache hierfür ist nach dem Verf. darin zu suchen, daß die assoziative
Verknüpfung der Erinnerungsbilder der verschiedenen Sinuesgebiete unter-
brochen war; ein halluzinatorischer Vorgang könne sich aber nur dann mit
der sinnlichen Wahrnehmung decken, wenn mehrere Sinnesgebiete gleich-
zeitig und gleichsinnig erregt wären, oder wenn der Reizzustand des einen
Sinnesgebietes imstande sei, die durch die sinnliche Erfahrung assoziativ
verknüpften Erinnerungsbilder der anderen Sinnesgebiete zu wecken. Das
gleichzeitig in allen Fällen vorhandene Symptom des öedankenlautwerdens
betrachtet Verf. in Anlehnung an Kraepelin und andere lediglich als eine
Leistung der im Reizzustand befindlichen Wortklangstätte. Er gibt eine
genaue Analyse des Krankheitsbildes und betont besonders, daß der Inhalt
der Sinnestäuschungen keine Affektschwankungen auslöste, da er wegen der
Dissoziation als spezifischer halluzinatorischer Vorgang, der auf einem Sinnw-
gebiet sich abspielte, empfunden und nicht mit der sinnlichen Erfahrung
identifiziert wurde. Nur die elementaren Sinnestäuschungen w^urden von dem
Kranken nach außen projiziert und als durch physikalische Apparate ver-
mittelt angesehen. Hiermit erschöpfte sich die Wahnbildung, sie zeigte
keinerlei Neigung zu irgend einer Systematisieruug und war völlig an den
halluzinatorischen Reizvorgang gebunden. Verf. rechnet die Fälle zur
Dementia praecox und teilt anhangsweise noch einen Fall mit, bei dem
dasselbe Zustandsbild der halluzinatorischen Erregung der Sinnesgebiete
verbunden mit dem Wahn der körperlichen Beeinflussung sich auf dem
Boden der Alkoholintoxikation entwickelte, ohne daß es zur Ausbildung
eines richtigen Wahnsystems kam.
PfersdorfF (341a) teilt 3 Fälle von Mischzuständen des manisch-
depressiven Irreseins mit, welche neben ausgeprägter Hemmung des Vor-
Diagnose der Geisteskrankheiten. 997
stellungsablaufes und des Affekts eine eigenartige motorische Erregung
zeigten. Yerf. gibt eine Analyse dieser Symptome. Die motorische Er-
regung konnte, wenn sie in geringer Intensität vorhanden war, als „Unruhe"
bezeichnet werden ; bei stärkerer Erregung wurden von den Händen kompli-
ziertere, eingeübte Handlungen ausgeführt, die zuerst durch ihre Monotonie
den Eindruck katatonischer Stereotypien erweckten, sich aber von diesen
dadurch unterschieden, daß sie beeinflußbar waren. Verf. sucht darzulegen,
daß die motorische Erregung in diesen Fällen einen selbständigen Reiz-
Torgang darstellte, daß sie nicht „nach Art der Ausdrucks- und Verlegenheits-
bewegungen als unwillkürliche Entladung innerer Spannungszustände" zu
betrachten war. Die in den Fällen vorhandenen motorischen Reiz-
erscheinungen können nach dem Verf. als Bewegungen bezeichnet werden^
die beim Gesunden automatisch zu erfolgen pflegen. In manchen Fällen
ließ die motorische Unruhe in demselben Zeitpunkt nach wie die Hemmung
des Affekts und des Vorstellungsablaufes, woraus man vielleicht auf eine
Korrelation dieser Symptome schließen könne.
Pick (345) teilt sechs Fälle von Psychosen mit, bei denen der so-
genannte Transitivismus (Wernicke) sich in besonderer Weise bemerkbar
machte; die Kranken gaben an, daß nicht sie, sondern ihre Umgebung
geisteskrank sei. P. glaubt im Gegensatz zu Wernicke, der vor allem die
intellektuelle Basis des Transitivismus betont, daß auch noch ein Gefühls-
faktor dabei eine ßoUe spielt, nämlich die neuerdings in der Psychologie
viel betonte „Einfühlung''. (Bendix,)
Pick (346) teilt einen Fall von Psychose bei Lues cerebri respektive
Tabes mit, die dadurch bemerkenswert ist, daß der 42 jährige, absolut amau-
rotische Kranke Lichterscheinungen in den Augen in Gestalt von Kugeln
und Fäden hat, die einen Wirbel aufführen. Bei einem anderen paraphasi-
schen Kranken traten durch äußere Reize Gehörshalluzinationen im rechten
Ohr auf. Durch die Erschütterung beim Fahren in einem Wagen kamen
bei ihm durch den Reiz auf das pathologisch veränderte akustische Wort-
zentrum paraphasische Gehörshalluzinationen zu stände. (Bendix.)
Pighini (349) hat den Puls einer größeren Zahl von Dementia
praecox-Kranken mit dem Sphygmographen untersucht. Er fand daß 1. die
Pulskurve niedriger ist als bei gesunden Menschen;
2. daß die Elastizitätsschwankungen besonders stark hervortreten;
3. daß die reflektorische Pulswelle (sekundäre Elevation) auf ein
Minimum reduziert ist; alles Zeichen, die auf eine vermehrte Spannung der
Gefäßwände hindeuten, Analoga in Erhöhung des Tonus auf anderen Ge-
bieten (erhöhter Muskeltonus, Akzentuierung der neuro-muskulären Reaktion,
idiomuskulärer Wulst, Erhöhung der Patellarsehnenreflexe, Veränderungen im
Gebiete der Vasomotoren) finden sich auch sonst, speziell Störungen in der
Punktion des vasomotorischen Systemes (Ödeme, Cyanose).
Im zweiten Teile seiner Arbeit bespricht P. seine Erfahmngen über
den Einfluß von Darreichung von Nebenschilddrüsenpräparaten an Dementia
praecox-Kranke. Er will Besserung des Allgemeinzustandes beobachtet haben,
ferner spezielle günstige Beeinflußung des Pulses und des Stoffwechsels. Die
Versuche konnten an einer nur geringen Anzahl von Kranken ausgeführt
werden, so daß bis jetzt noch kein definitives Urteil getällt werden kann.
(Merzhacher,)
Podesta (351) stellte fest, daß dem Marinedienst auf die Auslösung
und Entstehung seelischer Erkrankungen bei den jüngeren Mannschaften
and in der frühesten Dienstzeit ein besonders ungünstiger Einfluß nicht zu-
zuschreiben ist. In späteren Jahren ändert sich aber das Verhältnis gegen-
998 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
über der Armee, iosofern als mit den Jalirea seelische Erkrankangen zq-
nehmen und vornehmlich ältere Mannschaften heimsuchen. Es ist dies wohl
auf gewisse Eigentümlichkeiten des Marinedienstes zurückzuführen, nament-
lieh der längere Aufenthalt au Bord und in ausländischen Gewässern. Es
beruht dies auf den ungünstigen und ungewohnten Verhältnissen des KUnuis,
der Körperpflege, der engen Unterkunft, der eintönigen Ernährung und
mangelnden Erholung. Die Einflüsse der Tropenhitze und der in Heii-
und Maschinenräumen erzeugen oft Hitzschlag und sich anschließende
Psychosen. Ursächlich wirken oft noch mit Unglücksfälle, Tropenkrankheiten,
wie Malaria, Ruhr, Syphilis, Alkohohergiftungen. In den ersten Jahren
beider Wehrgattungen kommen häufig verschiedene Schwachsinnsformen vor,
denen sich akute Depressionen und Exaltationszustände anschließen, doch
gelangen die ersteren bei der Marine bedeutend seltener und die letzteren
meist erst viel später zum Ausbruch als bei der Armee. In der späteren
Zeit treten bei der Armee die Paralysen, die Formen des epileptischen
Irreseins, die Paranoia und die Manie mehr in den Vordergrund, weisen
aber durchschnittlich eine geringere Häufigkeit auf als bei der Marine, wo
vor allem die Paranoia, die Paralyse und das alkoholische Irresein stark
vertreten sind. (Beiidix,)
Pollitz (352) sucht die Frage nach dem Einfluß der Einzelhaft auf
die Entstehung von Geisteskrankheiten durch seine Beobachtungen au 64
Krauken zu klären. Von diesen waren 9 Gefangene innerhalb 3 MonateD
nach Beginn des Strafvollzuges erkrankt, 8 Gefangene innerhalb 3 — 6 Monaten,
15 Gefangene innerhalb 6 — 12 Monaten. Es zeigte sich aber, daß sich unter
den früh, innerhalb von 3 Monaten Erkrankten fast nur Hebephrene, Epi-
leptiker, Schwachsinnige und zwei Paralytiker befanden. Nur bei 8 bis 9
der sämtlichen Fälle konnte Auftreten, Verlauf und Form der Krankheit
mit dem Strafvollzuge und der Einzelhaft in Konnex gebracht werden. P.
hält es für sehr verfehlt, bei den psychisch gefährdeten Gefangenen den
Gefahren, die ihrem labilen Geisteszustände von der Einzelhaft drohen, durch
die Deportation in tropische Gegenden begegnen zu wollen, da in tropischen
Gegenden bekanntlich neuropathische Individuen besonders gefährdet sind.
(Bendu.)
Potts (355) untersuchte 200 geistesschwache Kinder verschiedener
Birminghamer Schulen von ätiologischen Gesichtspunkten aus. Er unter-
scheidet zwei Gruppen, 1. solche, deren Eltern normal waren, als „DeviatioDS
from the Normal" = ö^o» 2. solche, deren Eltern geisteskrank bezw. schwach-
sinnig oder körperlich degeneriert waren, als „Degenerative"; zu dieser
Gruppe gehörten alle übrigen Kinder. Er gibt eine Klassifikation der
,. Degenerative"; bei 40**/^ derselben war Geistesschwäche oder Geisteskrank-
heit der Eltern vorhanden, bei den übrigen kamen meist mehrere ätiologische
Faktoren in Betracht. Unter diesen standen Phthise (30%) und Alkoholismus
(30%) in der Aszendenz obenan; es wurden femer gefunden Traumen der
Eltern, uneheliche Geburt, Störungen bei der Geburt, Anw^endung der Zange,
hohes Alter und Blutsverwandtschaft der Eltern, Nervenkrankheiten, Sjphilis,
Krebs usw. usw. derselben.
Punton (356) benutzt einen Fall von Mysophobie (Furcht von
anderen Personen beschmutzt zu werden und andere zu beschmutzen; infolge-
dessen fortwährend Zwang, sich und alle mit ihr in Berührung kommenden
oder gekommeneu Gegenstände zu waschen), den er ausführlich mitteilt, um
darauf hinzuweisen, daß derartige Psychoneurosen von den praktischen
Ärzten immer noch zu wenig gekannt und in ihrer Bedeutung nicht ge-
nügend gewürdigt würden. Er schließt sich der Meinung Deweys und
Diagnose der Geisteskrankheiten. 999
Danas an, daß alle diese sogenannten Neurosen eigentlich Psychosen wären,
und betont, daß die Heilbarkeit dieser Zustände wesentlich von einer recht-
zeitig einsetzenden, zweckmäßigen Behandlung abhänge, da die Prognose um
so schlechter sei, je länger der Zustand schon bestehe.
Ponton (367) weist darauf hin, daß die praktischen Ärzte im all-
gemeinen nicht in dem Maße, wie es notwendig sei, darüber orientiert wären,
wie innige Beziehungen zwischen den zahlreichen sogenannten Psjcho-
neurosen und den echten Psychosen beständen. Häufig vermöge der Arzt
Psychosen, und besonders Anfangsstadien derselben, nicht als solche zu er-
kennen, er halte sie für Neurasthenie, Hysterie usw. Zur Bezeichnung dieser
Psychoneurosen, die man gewöhnlich nicht zu den Geistesstörungen rechne,
trotzdem kein prinzipieller Unterschied zwischen beiden bestehe, schlägt Verf.
den Namen „Psychosomatasthenia" vor. Er analysiert die verschiedenen
psychopathischen Symptome dieser Krankheitsgruppe, referiert u. a. Regis
und Balls Klassifikation der Zwangsvorstellungen, Phobien usw. und kommt
zu folgenden Schlüssen: 1. die Psychoneurosen („Psychosomatasthenia") sind
Vorläufer der Geistesstörungen, der Unterschied zwischen beiden ist nur ein
gradweiser. 2. Die Grundlagen beider sind dieselben, nämlich eine krank-
hafte Verminderung der normalen Hemmungstätigkeit der höheren psychischen
Funktionen mit folgenden nutritiven cellulären geistigen und physischen
Defekten, welche die Willenskraft ernstlich bedrohen, Urteil und Intellekt
schwächen und die Gefühlsqualitäten in allen Intensitätsgraden steigern oder
rermindem. 3. Ihre Ursachen sind ähnlich, beide sind kongenital und er-
worben, während Heredität, die schädigenden Einflüsse des Lebens und
toxische Einwirkungen die hauptsächlichsten ätiologischen Faktoren bei beiden
sind. 4. Abgesehen von den reinen physischen klinischen Symptomen be-
herrschen die psychopathischen Erscheinungen das Krankheitsbild, sie be-
stimmen die Prognose und erheischen meist eine schleunige Behandlung.
5. Im Beginne sind sie der Heilung in hohem Maße zugängig, aber wenn
sie vernachlässigt werden, werden die krankhaften Vorstellungen usw. fixiert
und dauernd und trotzen allen therapeutischen Bemühungen.
Raschkow (358) berichtet über die Kombination von Psychose und Haut-
krankheit bei einer 44jährigen Modistin, die lange an Migräne gelitten hatte,
aber geistig stets gesund gewesen war. Sie erkrankte an einer akuten Psychos^
die sich wesentlich durch Sinnestäuschungen und Wahnideen persekutorischen
Charakters, sowie durch Angst und Verworrenheit manifestierte und nach
einer Dauer von etwa */^ Jahren vollkommen heilte (Amentia Meynerts).
Der Verlauf war ein remittierender, es wechselten wiederholt Zustände
heftigster Erregung mit solchen relativer Ruhe ab, und ziemlich regelmäßig
traten mit dem Beginne der Beruhigung Eruptionen von Acne rosacea auf,
die immer stärker werdend mit dem Einsetzen der Erregung wieder abzu-
blassen anfingen imd auf dem Höhepunkt der Exzitation fast ganz ver-
schwanden. Dies wiederholte sich mehrmals in derselben Weise, und aus
diesem Verhalten, sowie aus der Tatsache, daß die Kranke früher keine
Akne gehabt hatte, auch andere ätiologische Momente (Arzneien) für dieselbe
nicht vorhanden waren, schließt Verfasser, daß innere Beziehungen zwischen
der Psychose und der Akne, welch letzten» übrigens auch völlig zur Heilung
kam, vorlagen; vielleicht wären beide als Folgewirkungen' einer toxischen
Schädigung aufzufassen.
An der Hand mehrerer Fälle sucht Reichardt (365) nachzuweisen,
daß der tödliche Verlauf mancher funktioneller Psychosen niclit immer durch
die üblichen Ursachen: Tobsucht, Erschöpfung oder Nahrungsmangel bedingt
wird, vielmehr lassen sich diese Todesursachen, die nur in einem indirekten
1000 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
Zusammenhang mit dem der Psychose zu Grunde liegenden Krankheitsprozeß
stehen, in jenen Fällen mit einiger Sicherheit ausschließen, und man wird
zu der Annahme gedrängt, daß der den funktionellen Psychosen zu Grunde
liegende Gtehirnprozeß für sich allein das Leben zu gefährden imstande ist
und die Erklärung für einen sonst mehr oder weniger rätselhaften Tod
bildet.
In der einen Reihe von Kranken, die R. genauer schildert, handelte
es sich um funktionelle Störungen, die teils der Manie, teils dem Delirium
acutum oder der Katatonie zu entsprechen schienen. Bei ihnen ließ sich
der Eintritt des Todes nicht durch die oben angegebenen äußeren Gründe
zwanglos erklären; indes erbrachte die Sektion auch nicht den positiven
Beweis dafür, daß der der Psychose zu Grunde liegende fliruprozeß für sich
allein den Tod herbeigeführt hatte. Diesen Beweis aber glaubt Verfasser
in einer zweiten Gruppe von Fällen gefunden zu haben. Diese Kranken
boten das klinische Bild der Katatonie dar. Ihr Tod erfolgte unter den
Symptomen einer organischen Hirnkrankheit. Bei der Sektion fand sich
aber keine Herderkrankung oder eine andere diffuse histologische Verändening,
vielmehr sprach der Befund für eine Hirnschwellung. R. glaubt nun, die
Hirnschw-eUung in direkte kausale Beziehung zui* endogenen Psychose bringen
zu müssen. Er möchte in ihr den exzessiv gesteigerten Ausdnick einer
krankhaften Reaktion des ganzen Hirns auf die der funktionellen Psychose
zu Grunde liegenden pathologischen Vorgänge sehen und glaubt darin den
direkten Zusammenhang zwischen Psychose und tödlichem Ausgang gefunden
zu haben. (Xatcratzk-i.)
Auf Grund mehrjähriger Erfahrungen und Gewichtsmessungen an der
psychiatrischen Klinik gibt Reuter (367) folgende Daten: Ein ständiger
Zusammenhang zwischen den Schwankungen des Körpergewichtes und den
derzeit angenommenen klinischen Krankheitsformen besteht nicht, immerhin
aber lassen sich gewisse gemeinsame Züge nachweisen. Lebhaftere Schwan-
kungen kommen bei den akuten Psychosen vor, ebenso bei akuten Phasen
chronischer Psychosen. Die Letzteren weisen im allgemeinen nur im Anfaugs-
stadium nennenswerte Schwankungen auf, später stabilisiert sich das Körper-
gewicht. Depressive Zustandsbilder sind meist, selbst bei guter Ernährung
mit Gewichtsabnahme verbunden, ebenso auch massenhafte Halluzinationen,
*wenn solche deprimierend wirken. Hebung des Gewichtes bei gleichzeitiger
psychischer Aufhellung spricht für beginnende Heilung; bessert sich aber
der psychische Zustand nicht, so ist Verblödung zu erwarten. Motorische
Unruhe ist meist mit Gewichtsabnahme verbunden (Verfasser zitiert einen
Fall von Graviditätspsychose, wo trotz motorischer Unruhe bedeutende Ge-
wichtszunahme erfolgte). Bei der Manie ist im Beginne meist eine Gewichts-
abnahme, später stete Zunahme; rapide Abnahme tritt ein, wenn der manische
Kranke isoliert wird. Auch bei der Melancholie kommt anfänglich Abnahme,
dann Stabilität des verminderten Gewichtes, schließlich Gewichtszunahme vor.
Ahnliches Verhalten bei der Amentia, sowie bei der Dementia praecox, doch
ist die Gewichtsabnahme der Letzteren eine rapide. Vorläufer katatonischer
Erregungen ist oft eine Gewichtsabnahme. Bei der epileptischen Psychose
ist während der Anstaltsbehandlung gewöhnlich eine langsame Zunahme nach-
weisbar, doch sind Krampfanfälle meist mit einer vorübergehenden Gewichts-
abnahme verbunden. Verschiedenartiges Verhalten bei der progressiven
Paralyse: In foudroyanten Fällen rapide Gewichtsabnahme; bei den protra-
hierten Fällen anfängliche Schwankungen, dann Zunahme, ante mortem wieder
Abnahme des Gewichtes; die paralytischen Anfälle gehen mit Gewichts-
abnahme einher, doch gleicht sich diese rasch aus; die Remission wird durch
Diagnose der Geisteskrankheiten. 1001
Stete Gewichtszunahme eingeleitet, der Rückfall erfolgt gewöhnlich in Ver-
bindung mit Abnahme. Mit Gewichtszunahme yerbundene Remissionen
kommen auch bei der senilen Demenz vor. (Hudovernig,)
Unter dem Titel der auf toxischer Basis beruhenden geistigen Ver-
wirrtheit (confusion mental) beschreibt Regis (362) ein bisher noch wenig
bekanntes Krankheitsbild. Er unterscheidet zwischen der typischen Geistes-
verwirrtheit, der akuten Form und der chronischeu Geistesverwirrtheit oder
Dementia praecox und deren Variationen. (Bendix.)
Dem ersten Bericht (vom Jahre 1899) aus der psychiatrischen Klinik
der Universität Würzburg läßt Rieger (370) jetzt den zweiten folgen, der
ebenso wie jener hauptsächlich für die Mitglieder des Vereins zum Austausch
der Anstaltsbericbte bestimmt ist. Man geht aber durchaus fehl, wenn man
in diesem Schriftchen, wie zumeist in den Jahresberichten der anderen
Irrenanstalten, wesentlich Zahlenangaben über die Krankenbewegung, die
finanziellen Ergebnisse der Landwirtschaft usw., zu finden vermutet. Viel-
mehr hat Rieger diese beiden Berichte dazu benutzt und will es auch mit
etwa später erscheinenden tun, um aus dem reichen Urkundenmaterial des
Würzburger Juliusspitals Beiträge zur Geschichte der Psychiatrie in Würzburg
zu liefern. Die mit vier Abbildungen ausgestattete Schrift handelt im ersten
Abschnitt von den räumlichen Verhältnissen, unter welchen in den ersten
Jahrhunderten des Julius-Spitals die Geisteskranken verpflegt worden sind.
Es geht aus den Urkunden hervor, daß um das Jahr 1600 im allgemeinen
keine eigenen Räume für die zahlreichen Geisteskranken bestanden haben,
welche damals schon aufgenommen wurden, sondern daß diese durchaus
gemischt mit anderen Kranken verpflegt worden sind und daß ferner nur
ausnahmsweise Isolierungen vorgenommen wurden, während die große
Mehrzahl der Geisteskranken sich nicht in den als „Kerker der Wahn-
sinnigen, die in Ketten lagen'* oder als „Gefängnis der Angefochtenen"
bezeichneten Isolierräumen befanden. Rieger teUt dann eine aus dem
Jahre 1600 ca. stammende „Instruktion" für die „Wärterin der Angefochtenen"
mit, die ihrem ganzen Wesen nach so gehalten ist, daß man sie heute noch
brauchen könnte. Er bringt aus den erhalten gebliebenen Krankenver-
zeichnissen Belege für die Zahl und Art der Isolierungen, Entweichungen
und Selbstmorde und weist darauf hin, daß man damals und auch später
(urkundlicher Erlaß v. Jahre 1779) weit davon entfernt war, die Geistes-
kranken einfach einzusperren, daß man auch von der ungünstigen Wirkung
der Isolierungen eine vollkommene richtige Vorstellung hatte. Rieger
benutzt die Gelegenheit, hervorzuheben, daß das Wort „Narrenhaus-* früher
sowohl zur Bezeichnis eines Gefängnisses wie eines Irrenhauses gebraucht
wurde, und gibt ferner eine Erklärung für die Herkunft der Redensart „Er
ist aus dem Häuschen" (Petites-maisons, Ort für die Irrenversorgung in
Paris). Im zweiten Abschnitt behandelt Verf. den „therapeutischen Opti-
mismus der frühesten Zeiten". In seiner aus dem Buche über die Kastration
her bekannten, etwas derben und drastischen, geradezu erquickenden Schreib-
weise, mit der ihm eigenen Offenheit, Gründlichkeit und einer aus jedem
Wort und Satz hervortretenden inneren Überzeugung zieht Rieger Paral-
lelen zwischen dem therapeutischen Optimismus der damaligen und jetzigen
Irrenärzte, zwischen den damaligen und jetzigen Heilungen und Heilmitteln;
er referiert die therapeutischen Anschauungen des Basler Professors der
Medizin Felix Plater fl536 — 1614) in Bezug auf die Geisteskrankheiten
und wendet sich auf Grund des Studiums dieser Lehren und der aus der-
selben Zeit stammenden Würzburger Urkunden mit großem Nachdruck gegen
die fast allgemein verbreitete Anschauung, daß man in früheren Jahrhunderten
1002 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
die Objekte der Psychiatrie gar nicht als Kranke angesehen habe. Beißende
Bemerkungen über den medizinischen Aberglauben im allgemeinen, über den
modernen f uror therapeuticus mit der von Jahr zu Jahr wachsenden Menge
neuer Medikamente usw. („modernisierte Dreck -Apotheke"), illustrative
Belege für den modernen furor operatorius actions (nur Arzte) und passions
(der Hypochonder, Paranoiker usw.) sind in diesem Abschnitte enthalten,
an dessen Schluß der Verf. sagt, daß es ihn, je älter er werde, immer am
meisten interessiere, zu sehen, wie die Wirklichkeit fortwährend von den
Ärzten gefälscht und verzerrt werde. Bemerkenswert sind noch zwei von
Rieger vertretene Anschauungen, nämlich 1. daß die Zahlenverhältnisse
der geisteskranken Bevölkerung überhaupt sich im Laufe der Jahrhunderte
nicht geändert hätten, und 2. daß innerhalb der geisteskranken Bevölkerung
selbst die Verteilung der verschiedenen Krankheitsformen und Zustände im
Laufe der Jahrhunderte gleichfalls die gleiche geblieben sei; was von der
Natur abhänge, habe sich auf dem Gebiete der Psychiatrie nicht geändert,
die großen tatsächlich erfolgten Veränderungen hingen nur ab von den Ver-
änderungen der menschlichen Auffassung in theoretischer und praktischer
Hinsicht; in theoretischer, indem man vieles anders nenne als früher, in
praktischer, indem man anders damit umgehe. Die Lektüre dieses Büchleins,
das unter einem so anspruchslosen Titel so viele wichtige Fragen allgemeiner
Natur behandelt, kann nicht eindringlich genug empfohlen werden.
Rodenwaldt (373) hat in einer früheren Arbeit (s. diesen Jahres-
bericht für 1904, S. 1019) über Kenntnisprüfungen bei Gesunden berichtet,
die er in der Absicht angestellt hat, auf diese Weise einen brauchbaren
Maßstab für Defektprüfungen bei Geisteskranken zu suchen. Bei diesen
Prüfungen ergab sich, daß ausnahmslos Defekte mit Mangel und Intelligenz,
])0sitive Kenntnisse mit Intelligenz der Versuchspersonen verknüpft waren.
Verf. wirft deshalb die Frage auf, ob man aus Wissensdefekten Schlüsse
auf die Intelligenz zu ziehen berechtigt sei, und gibt in dieser Abhandlung
eine Analyse der Intelligenzprüfung, für die er folgendes Schema aufstellt:
A. Prüfung des Vermögens, Vorstellungen zu erwerben.
I. Der Bedingungen des Erkennens,
a) körperliche Untersuchung der Sinnesorgane;
b) Aufmerksamkeit (1. abgelenkte [geteilte], 2. spontane [unwill-
kürliche], 3. angespannte);
c) Merkfahigkeit;
n. Des reinen Erkennens selbst.
B. Prüfung des Vorstellungsschatzes (Kenntnisprüfung) und Prüfung der
Erkenntnis des Sinnes und Grundes der Vorstellungen.
1. a) Lineare Prüfungen durch Aufzählungen (ABC, Wochentage,
Monate, Jahreszeiten, Zahlenreihen [höhere über 300, gerade und
ungerade], militärische Vorgesetzte);
b) planimetrische Prüfungen (Horizont der örtlichen, religiösen,
sozialen, geographischen und historischen Orientierung);
c) stereometrische Prüfung (der geistigen Kapazität), 1. Schulkinder:
Pensum einer Klasse vor und nach Absolvierung eines neuen
Pensums ;
2. Einschränkung der Kapazität bei a) Gefangenen, b) lange bett-
lägerigen Krauken, c) Reservisten,
3. Erweiterung der Kapazität bei Soldaten; Prüfung am Anfang und
Ende der Dienstzeit.
4. Notwendige Inkiibationsdauer und Intensität aktueller Geschehnisse.
Diagnose der Geisteskrankheiten. L003
IL Der Erkenntnis des Sinnes der Vorstellnngen.
a) Definitionen
b) Unterscheidungen
a) konkreter Begriffe,
b) abstrakter Begriffe.
in. Der Erkenntnis des Grundes der Vorstellungen. Einfache Fragen
(und Weiterfragen).
C. Prüfung der Wirksamkeit des Intellekts mit Hilfe der vorhandenen
Begriffe.
1. Bückwärtsherzählungen (Wochentage, Monate, militärische Vor-
gesetzte, ABC).
2. Eingekleidete Rechenaufgaben (nach vorherigem Feststellen des
Bechenvermögens) aus den vier Spezies.
3. Aufsuchen von Gleichklängen (Reimen).
Verf. gibt Erläuterungen zu diesem Schema und hebt hervor, daß nur
aus großen Versuchsreihen bei gleichartigem Menscheuraaterial, wie er sie
bei seinen Kenntnisprüfungen ausgeführt hat, sich brauchbare Anhaltspunkte
för die Intelligenzprüfung des einzelnen Individuums ergeben könnten.
Rodenwaldt's (374) Arbeit stellt zugleich seine Inaugural-Disser-
tation dar und ist an dieser Stelle bereits referiert worden (s. Bericht über
das Jahr 1904, Bd. VIII, S. 1019).
Rorie (380) bespricht die Geisteskrankheiten des Greisenalters, und
unterscheidet drei Formen. Erstens Fälle, bei denen keine Demenz ist,
Fälle, bei denen Demenz mit Psychosen vergesellschaftet ist, und endlich
solche, bei denen organische Gehirnerkrankungen sind.
Geisteskrankheiten des klimakterischen Alters sind keine eigentlichen
Erkrankungen, nur Teilerscheinungen meistens der Melancholie resp. Manie.
Die Frauen stellen hierzu das größte Kontingent.
Rorie stellt die Prognose als günstig hin, zirka 52 7o der Frauen
genesen, zirka 31 ^1^ der Männer. Die Frauen genesen überhaupt schneller
als die Männer. (Rozenraad,)
Rosenfeld (381) hebt hervor, daß die Art, wie der gesamte geistige
Besitzstand bei den zur Verblödung führenden Psychosen zu Grunde geht,
sich durch das Auftreten sogenannter Partialdefekte charakterisiert. Die
Art und Gruppierung dieser Partialdefekte in den Endzuständen dieser
Psychosen bedingt die mannigfachen Formen der Demenz. R. berichtet
über vier Fälle katatonischer Demenz, bei denen die Fähigkeit verloren
gegangen ist, Gegenstände durch Berühren zu erkennen. Alle vier Fälle
zeigen primäre Störungen der psycho-motorischen Inuervationsverhältnisse.
Sie haben trotz ihrer sonstigen Verschiedenheiten, und abgesehen von der
in allen Fällen bestehenden Demenz, gemeinsame Züge. Im Fall I bestand
eine fortwährende, einförmige, an choreatische Bewegungen erinnernde Un-
ruhe des ganzen Körpers und der Extremitäten, ruckartiges Hin- und Her-
fahren mit den oberen Extremitäten, ohne Störung der Hantierung, kata-
tonische Schrift- und Sprachstörung. Im zweiten Falle fanden sich einförmige,
unmotivierte Bewegungen der Arme und des ganzen Rumpfes, besonders der
Handmuskeln, katatonische Schrift- und Sprachstörung. Im Fall III trat
zunächst ein katatonischer Stupor auf, dann bestanden Haltungsstereotypien,
Spannungen, Kontrakturen und einseitige Reflexsteigerungen mit funktioneller
Parese. Im Fall IV fanden sich tremorartige Bewegungen aller Körper-
muskeln, an Intentionszittern erinnernd, Unfähigkeit zu gehen, katatonische
Sprachstörung und zahlreiche Bewegungsstereotypien. (BeiidLc.)
Rosenfeld (382) beschäftigt sich mit den Herdsymptomen bei den
zur Verblödung führenden Psychosen. Bei den Psychosen, die zu einer
mehr oder weniger hochgradigen Störung führen, können Reiz- und Ausfalls-
X004 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
Symptome auf sensorischem und motorischem Gebiet auftreten, die als solche
nicht gerade für den vorliegenden Krankheitstypus charakteristisch sind, aber
dennoch derart dominieren, daß dadurch diagnostische Schwierigkeiten ent-
stehen. Fall I zeigte als erstes Symptom einer beginnenden Demenz eine
hochgradige Störung des Benennungsvermögens, daneben asymbolische Symp-
tome. Fall n bot als erstes Zeichen einer beginnenden senilen Demenz
eine Störung des Sehvermögens, die als apperzeptive oder Seelenblindheit
zu bezeichnen ist. Im Fall III von Demenz bei Epilepsie fanden sich
Asymbolie für mehrere Gegenstände, hochgradige Störungen des Benennungs-
vermögens, paraphasische Symptome bei erhaltenem spontanen Sprechen,
Echolalie. Fall IV, V, VI zeigten Störungen, die teils als taktile Asym-
bolie teils als Stereoagnosie zu deuten sind. In den Fällen VII, VIII und
IX, die zum Krankheitsbilde der Katatonie zu rechnen sind, kam es zu
schlaffer und spastischer Hemiplegie mit einzelnen Symptomen von seiten
der Reflexe, wie sie bei organischen Himerkrankungen zu finden sind,
anfallsweise auftretendem Sprachverlust mit rechtsseitigen starken athetoiden
Bewegungen, zentraler Facialislähmung und Schrifterschwerung bei rechts-
seitiger Hemiparese. (Bendir.)
Rouge (386) beschäftigt sich mit den im Rekonvaleszenzstadium des
Typhus auftretenden psychischen Störungen deliranter Natur. Die Delirien
können die meisten Formen der geistigen Störungen darbieten: die Manie,
Halluzinationen, Störungen des Gedächtnisses und zuletzt Hypomanie (geistige
Schwäche mit geistiger Verwirrtheit). R. teilt die geistigen Störungen nach
Typhus in zwei Gruppen ein, in die eigentlich deUranten, die von kurzer
Dauer sind, günstig verlaufen und bei mittelschweren Tj-phusfällen auftreten.
Die zweite Gruppe umfaßt alle Formen geistiger Störung, speziell aber die
geistige Verwirrtheit und die Manie. Sie treten im Anschluß an schwere
Typhen auf und haben, wie die Psychosen im allgemeinen, eine längere
Dauer und weniger gute Prognose. Sie können einen chronischen Verlauf
nehmen und unheilbar sein. (Bendix,)
Savage (398) rät, aus der Gruppe der sogenannten funktionellen
Psychosen diejenigen psychischen Erkrankungen auszuscheiden, welche von
Ernährungsstörungen des Zentralnervensystems, temporärer Natur abhängig
sind oder durch ungünstige äußere Verhältnisse bedingt werden.
(Bendix.J
Savage (399) bespricht in diesem Vortrage zunächst das Jugend-
irresein (Dementia praecox, postponed idiocy). Er hebt die ätiologische
Bedeutung der Heredität hervor, betont die Rolle der Pubertät, weist auf
den ursächlichen Einfluß der geistigen und körperlichen Überanstrengung
hin usw.; die Masturbation könne sowohl Ursache als auch Symptom der
Krankheit sein. Eine beachtenswerte Früherscheinung sei die Abneigung
gegen die Eltern. Verfasser schildert die verschiedenen klinischen Formen
der Psychose, hebt die Neigung zu Hyperreligiosität und Mystizismus bei
der einen, das Vorwiegen hypochondrischer Ideen bei einer anderen Er-
scheinungsfonn hervor usw. Die Halluzinationen wären denen der senilen
Geistesstörungen oft ähnlich. Dauernde Heilung beobachtete Savage bei
30 % der Fälle. Er bespricht dann kurz die geistigen Störungen des Greisen-
alters, schildert ihre Symptomenbilder und weist unter anderem darauf hin,
daß oft die Krankheitserscheinungen nur eine Aggravation und Verzerrung
schon bestehender normaler Charaktereigenschaften wären. Die Prognose
sei oft sehr gut; es käme in vielen Fällen zu völliger Heilung, in anderen
nur zu einer partiellen. Die Gedächtnisdefekte des Seniums wäre» den in-
folge chronischen Alkoholmißbrauchs entstandenen sehr ähnlich.
Diagnose der Geisteskrankheiten. 1005
Wie alljährlich ist auch zu dem diesjährigen 62. Bande der Allgemeinen
Zeitschrift für Psychiatrie und psychisch-gerichtlichen Medizin ein Literatur-
heft erschienen. Es enthält den von Schuchardt (403) redigierten Bericht
üher die psychiatrische Literatur im Jahre 1904. Die Anordnung und die
Referenten sind dieselben geblieben wie im Vorjahre, doch ist der Bericht,
wie die Redaktion am Schlüsse bemerkt^ lückenhaft geblieben; es fehlen
2 große Abschnitte, und die Seitenzahl beträgt nur 187 gegen 321 Seiten
des Berichts für 1903. Die notwendigen Ergänzungen sollen in den folgenden
Bericht mit aufgenommen werden.
Schwab (406) teilt einen Fall mit, der die Bedeutung des von
Jan et aufgestellten Kjankheitsbegriffes „Psychasthenia" illustrieren soll.
Unter dieser Bezeichnung hat Jan et eine Gruppe von funktionellen Nerven-
leiden zusammengefaßt, die sonst meist der Hysterie, Neurasthenie, dem
Irresein der Degenerierten usw. zugerechnet werden; es sind dies vor allem
die Zwangs- und Angstzustände, die Phobien, die Zweifelsucht, die Be-
rühningsfurcht usw. Der Fall betrifft einen 43 Jahre alten Arzt, den Verf.
seit 6 Jahren beobachtet hat. Er war erblich sehr stark belastet, gut be-
anlagt, hatte ein sehr ausgeprägtes Pflichtgefühl, war aber nicht imstande,
das, was er für richtig erkannt hatte, auszuführen. Im Dezember 1895 er-
krankte er an Influenza und brach danach völlig zusammen. Auf den Rat
seines Arztes machte er allerlei Übungen, um so einer Willenslähmung zu
entgehen, welche nach der Erklärung des Arztes die Ursache seiner ständig
wachsenden Unfähigkeit, sich zu bewegen, war. Diese Erklärung bildet den
Kern einer sich bei dem Kranken im Laufe der Zeit mehr und mehr
fbtierenden Vorstellung. Ganz allmählich verlor er die Herrschaft über
seine Extremitäten, lag schließlich im Bett oder saß auf einem Kranken-
stuhl, unfähig, irgend ein Glied zu rühren. Dieser Zustand dauerte mehrere
Jahre, bis Patient 1899 in die Behandlung des Verfassers kam: Es be-
standen totale Paraplegie aller vier Extremitäten, Inaktivitätsatrophie der
gesamten willkürlichen Muskulatur, allerlei Parästhesien ; sonst normaler Be-
fund. Im Laufe der Beobachtung traten allerlei Symptome auf, die mehr
oder weniger lange Zeit dauerten, so Lähmung aller äußeren Augenmuskeln,
spastischer Kaumuskelkrampf, doppelseitige Ptosis, Schlucklähmung, auto-
matische, den ataktischen ähnliche Bewegungen in den Armen, weniger in
den Beinen; keinerlei Störungen der Intelligenz usw. Patient ist nicht im
Zweifel darüber, daß er die Fähigkeit besitzt, seine Muskeln zu bewegen,
aufzustehen, zu gehen usw., wenn es nötig ist. Aber er will das Wenige,
was ihm von Willenskraft noch geblieben ist, nicht nutzlos verschwenden,
will den gegenwärtigen Zustand nicht wieder mit einem anderen vertauschen,
der den alten Kampf gegen Zweifel und Ungewißheit wieder envecken
würde. Der charakteristische Unterschied zwischen dem psycliischen Zu-
stand dieses Patienten und dem eines hysterischen ist, daß dieser Kranke
stets ein volles Bewußtsein seines Zustandes, ein volles Verständnis für seine
Krankheitserscheinungen hatte, während diese bei hysterischen meist unter-
bewußt sind. Der mitgeteilte Fall kann als typisch für die Psychasthenie
gelten, deren wesentlichste Charakteristika nach Jan et Zweifel, Unschlüssig-
keit und ein Gefühl von Unfähigkeit sind.
Sciamanna (406 a) hat zwei Makaken, die er zuerst monatelang beob-
achten konnte, beiderseits Teile aus dem Stirnlappen entfernt. Nach der
Operation schienen die Tiere weder intellektuell noch rein somatisch irgend
welche Ausfallserscheinungen darzubieten. Der Verfasser zieht aus dem
Resultate dieser Versuche den Schluß, daß die Stirnlappen, nicht als der
alleinige Sitz der Intelligenz betrachtet werden können; die Äußerungen der
1006 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
Intelligenz können nur durch das Zusammenwirken sämtlicher Gehimteile
in die Erscheinung treten. Die Störungen, die nach partiellen Verlusten
beobachtet werden, müssen eher auf die Unterbrechung eines harmouischen
Ziisammenarbeitens zurückgeführt werden als auf die Annahme, daß diese
engbegrenzten Hirngegenden der Sitz der intellektuellen Funktionen seien.
— Den Versuchen S. gegenüber muß bemerkt werden, daß die nachträglich
erfolgte Sektion der Tiere zeigte, daß die Stirnlappen nur in recht geringer
Ausdehnung entfernt worden waren. (Merzbavhtn\)
Sotiriades (413) gibt einen Bericht über einige Fälle von Hunds-
wut, von denen einer ein Geisteskranker. (Fozmmad.)
Spanton (415) weist auf eine sich aus der Workmeiis Compensa-
tion-Act (Arbeiter-Unfallgesetz) ergebende Kalamität hin, die dringend der
Abhilfe bedürfe. Wenn ein Arbeiter jetzt einen Unfallschaden erlitten
habe, der ihn zur Arbeit in seiner Profession unfähig mache, so fiele er in
der Regel dauernd den zur Rentenzahlung Verpflichteten zur Last, da keine
gesetzliche Handhabe bestehe, um ihn zur Annahme einer anderen Be-
schäftigung zu veranlassen, und er selbst dies gewöhnlich nicht tue, da er
ja eine Rente erhalte und an dem Müßiggange bald einen solchen Geschmack
finde, daß er schließlich überhaupt nicht mehr arbeiten könne. Er käme
so in einen Zustand, den S. als „Ergophobie" zu bezeichnen vorschlägt.
Dieser Übelstand könne nur dadurch beseitigt werden, daß gesetzlich be-
stimmt würde, daß, wenn für einen Verletzten eine Arbeit gefunden sei, die
er nach ärzlichem Dafürhalten verrichten könne, die Rentenzahlung zu
sistieren sei. Bedauerlich sei es, daß die gerichtlichen Instanzen sich meist
auf die Seite der Arbeiter stellten und zu deren Gunsten entschieden, auch
wenn die medizinischen Sachverständigen ein entgegengesetztes Gutachten
abgegeben hätten.
Die vier Abhandlungen Stadelmanil's (417 — 420) analysieren die
Stellung des Geistoskranken dem Kosmos, dem Nebenmenschen und sich
selbst gegenüber. Sie verlangen auf Grund des Gedankens, daß das
menschliche psychische Geschehen den nämlichen Notwendigkeiten unterliegt,
wie das Geschehen in der Natur überhaupt, den vollen Anschluß der
Psychiatrie an die Naturwissenschaften. „Auf dem Arbeitsfelde der Natur-
wissenschaften liegt auch dasjenige der Psychiatrie '* „über die Entfernung
des Psychotischen aus der Gesamtheit zu urteilen und ihm eine andere
Stellung anzuweisen, ist Sache der naturwissenschaftlichen Psychiatrie."
..Ein methodisches Suchen der Gesetze des allgemeinen Naturgeschehens in
dem speziellen Falle menschlicher V'orgänge wird der Ausgangspunkt sein
müssen für eine Biologie der Psychose und des Genies." „Eine Psychiatrie
auf dem Boden der Naturwissenschaften ist berufen, das schwere Schicksal
abzuwenden, von dem der Geisteskranke heimgesucht wird. Konstitution
und äußere Vorgänge beim Erleben hinsichtlich ihrer gegenseitigen Reaktions-
möglichkeit auf ein richtiges Verhältnis abzustimmen, ist die vornehme Auf-
gabe einer naturwissenschaftlichen Psychiatrie." (Aiäoreferat.)
Stadelmann (421) weist in dieser Arbeit, welche einen vor der
XXIX. Wanderversammlung der Südwestdeutschen Neurologen gehaltenen
Vortrag darstellt, auf die Wichtigkeit hin, die physikalischen und chemischen
Methoden, welche mit so großem Erfolge in anderen Disziplinen angewendet
worden sind, auch auf die Psychiatrie anzuwenden. „Dem Menschen in
seinen Lebensvorgängen andere Notwendigkeiten zuzuerkennen, als die von
den Naturwissenschaften gefundenen, besteht keinerlei Veranlassung. Der
Lichtstrahl, wie die Luftwelle würde im Gehirn den nämlichen Bewegungs-
vorgang auslösen. S. ist Anhänger der Theorie, daß die psychischen Reize
Diagnose der Geisteskrankheiten. 1007
der Zelle elektrische seien. Die durch chemisch-physikalische Prozesse er-
folgten HemmuDgen in der Zelle würden an die Peripherie der Großhirn-
rinde und in die Muskulatur verlegt, und so entstünden psychotische Zustände.
(RozeiiraaiL)
Stadelmann (423) schreibt: Der Katatonie liegt, wie jeder nicht
symptomatischen Psychose die Kontrastanlage zu Grunde. Ursache der
Katatonie ist eine Enttäuschung; es stellt deshalb die Katatonie in ihrem
Verlaufe eine psychologische Einheit dar. Die verschiedenen Stadien der
Katatonie: Verwirrtheit, Melancholie, Manie, Blödsein entsprechen den Folgen
einer Enttäuschung, die analoger normaler Weise Verdutztsein, Ärger und
Unmut, befreiendes Lachen und Gleichgültigkeit sind. Je nach individueller
Anlage, Erlebnis und der Möglichkeit einer Restitutio ad integrum ergibt die
typische Kontrastanlage das klinische Bild der Dementia praecox, der
klassischen Katatonie, der Ämentia, des depressiv -manischen Irreseins.
Katatonische Symptome bei anderen Psychosen sprechen nur für die Tat-
sache des gemeinsamen Grundes (Kontrastanlage) aller genuinen Psychosen.
(AutoreferaL)
Um Stimmungen und dergleichen (Organfühlsvorgänge) mit einem
sprachlichen Ausdrucke zu bezeichnen, ist nach Stadelmann (422) als
Symbol ein äußeres Objekt notwendig. Wird die Assoziierung bei einem
Organ fühlsvorgang mit einem äußern Objekte eine vollständige, dann ent-
steht eine Verschmelzung von Subjekt und Objekt; das Resultat dieser
symbolisierenden Assoziierung ist der Wahn. Die physikalische Analyse von
Subjekt und Objekt stellt diese beiden nicht in Gegensatz. Ob Größenwahn
oder Verfolgungswahn entsteht, die als die Grundformen der Wahnkrankheit
zu betrachten sind, hängt davon ab, ob ein räumliches oder zeitliches Welt-
bild sich symbolisierend zum Wahne verbindet. Mit der Möglichkeit der
Änderung der Pühlslage, für die ein Wahn gilt, ist die Möglichkeit des
Vergehens des Wahnes und umgekehrt des ßückfälligwerdens gegeben. Der
Paranoetische ist im Wahn objektiviert von der äußern Welt. Alle Symptome
der Paranoia sind die Folge des paranoetischen Typus der Kontrastanlage,
der selbst wieder individuell verschiedene Intensitätsgrade zeigt.
Es verläuft bei der Epilepsie in gedrängter Foi-m gewissermaßen, was
bei andern Psychosen lange Zeit in Anspruch nimmt: ein primärer disso-
ziierter Fühlsvorgang führt nach seinem Ablaufe zur Verblödung. Von dieser
Verblödung nach der Ableitung (Anfall) erholt sich der Epileptische relativ
rasch wieder. Dem Anfalle gehen Jahre lang Friihsymptome voraus. Die
^moralische Minderwertigkeit" ist ein Äquivalent für andere psychotische
Erscheinungen: dies beweist auch der Harnbefund. Epileptische zeigen vor
dem Ausbruch eines Anfalles oder vor dem Auftreten „moralisch minder-
wertiger'^ Äußerungen den nämlichen Harnbefund hiusichtUch des Abnehmens,
des Verschwindens und des Wiederauftretens von Harnsäure im Harn.
Beim Abnehmen der Harnsäure im Harn ist in diesem Falle anzunehmen,
daß nicht die Harnsäure als solche im Körper zurückgehalten ist, sondern
die sie zusammensetzenden Elementengruppen, die der elektrischen Pola-
risation dienen.
Dem Genie liegt die Kontrastanlage zu Grunde. Während bei dem
Psychotischen die Dissoziationsenergien („Negativitätswellen") direkt zur Ab-
leitung kommen, hat der Geniale die Möglichkeit, dieselben zu assoziieren
und so aus dem Erinnern an das Erleben des eigenen Ich zu schaffen.
Alle Psychosen in ihrem einheitlichen Verlaufe, sowie die psychotischen
Symptome sind von der Norm quantitativ unterschiedene Dissoziierungen
und deren weitere Folgen. Die psychologische Dissoziation ist der Aus-
1008 Allgemeine Ätiologie. Symptomatologie und
druck einer elektrischen Polarisation. Psychotische Symptome sind alle
wesensgleich; ihr Unterschied ist ein formaler.
Die naturwissenschaftlich-analytische Betrachtung der Psychosen findet
in allen Psychosen den einheitlichen Wesenszug, mag er sich „geistig" oder
„körperlich" äußern. Aus der Analyse der Psychosen en\'ächst die Synthese:
Die Psychose. (Auioreferat.)
Stakemann (424) teilt folgenden Fall mit: Eine 16jährige geistes-
schwache Epileptica hatte sich bei masturbatorischen Manipulationen eine
11 cm lange Haarnadel in die Blase praktiziert. Die Kranke erschien eine
Reihe von Tagen sehr elend, ohne daß zunächst ein Grund dafür gefunden
werden konnte. Erst als durch eine andere Kranke der Verdacht darauf
gelenkt worden war, wurde der Fremdkörper in der Blase entdeckt und in
der Narkose per urethram entfernt.
Der alljährlich erscheinende Sanitätsbericht über die preußische Armee
ergibt, wie Stier (425) ausführt, daß, im Gegensatze zu der von Jahr zu
Jahr stetig abnehmenden Gesamtziffer der Erkrankungen, die Zahl der Er-
krankungen des Nervensystems von 1881 — 1902 konstant gewachsen ist,
nämlich von 3,9 7oo gradatim auf ö,?^^^^. Der Anteil der einzelnen Gruppen
von Nervenleiden an dieser Zunahme ist ein ungleichmäßiger: Wälirend die
organischen Erkrankungen abgenommen haben, erfuhren die Geisteskrank-
heiten, und ganz besonders die Hysterie und Neurasthenie, eine starke Zu-
nahme derait, daß sich die Zahl der Zugänge von Geisteskrankheit in den
letzten 5 Jahren um 50 7o? ^i© von Hysterie und Neurasthenie sogar um
100^0 erhöht hat. Die gleiche Erscheinung ist auch in der bayrischen
Armee zu konstatieren, findet sich aber in ähnlicher Weise auch bei den
Armeen der übrigen außerdeutschen Staaten und ist demnach wohl durch
Gründe allgemeiner Natur bedingt. Doch ist diese Zunahme der Geistes-
krankheiten z. T. nur eine scheinbare und dadurch verursacht, daß sowohl
unsere Kenntnisse von den Psychosen, wie auch der Begriff der Geistes-
krankheit jetzt erweitert sind. In letzterer Beziehung kommen vor allem die
geistig minderwertigen Personen in Betracht. Auch die Zunahme der Er-
krankungslälle von Neurasthenie., und Hysterie ist zum großen Teil nur
scheinbar; sie ist vor allem auf Änderungen des Rapportschemas, ferner auf
die im Laufe der Jahre erfolgte Änderung der Krankheitsauffassung zurück-
zuführen, indem jetzt viele früher als organisch angesehene Affektionen als
funktionell richtig diagnostiziert werden. Die Kenntnis der Neurasthenie
und Hysterie ist jetzt mehr als früher Allgemeingut der Militärärzte geworden.
Ferner sind früher zahlreiche Fälle von Hysterie unter die Erkrankungen
des Kehlkopfs (hysterische Aphonie), des Magens, Auges, Ohres usw. rubri-
ziert worden. Nach dem Sanitätsbericht ist die Zahl der Fälle von Nerven-
krankheiten und besonders von Geisteskrankheiten im Verhältnis zu der
Gesamtheit aller übrigen Erkrankungsfälle nicht sehr groß. Doch befindet
sich ein großer Teil der hierhergehörigen Fälle unter anderen Rubriken,
z. B. sehr viele Geisteskranke unter der Rubrik der ..zur Beobachtung" auf-
genommeneu Fälle des Kapportschemas; es sind dies gerade die zweifelhaften
und Übergangsfälle. Auch unter den wegen ,.nervöser Störung der Herz-
tätigkeit** aufgenommenen befinden sich viele Nervenkranke, und im Gefolge
zahlreicher organischer und infektiöser Erkrankungen kommen nervöse
Störungen vor, die unter anderen Rubriken des Rapportschemas aufgezählt
sind. Jedenfalls ist also die absolute Zahl derjenigen Fälle, welche vom
Militärarzte eine genaue Kenntnis der Neurologie und Psychiatrie erfordern,
viel größer als es nach dem Sanitätsbericht scheint. Aber wenn auch trotz-
dem diese Zahl noch gering ist im Vergleich zu der anderer Erkrankungen,
Diagnose der Geisteskrankheiten. 1009
80 liegt die Bedeatuog der Nerven- und Geisteskrankheiten darin, daß sie
meist eine schwere und dauernde Gesundheitsschädigung, Dienstunbrauch-
barkeit und völlige Erwerbsunfähigkeit des Betroffenen herbeiführen, die
wirtschaftliche Lage und soziale Stellung seiner Familie schädigen, die
Leistungsfähigkeit des Heeres im Kriege uud den guten Geist der Truppe
im Frieden außerordentlich gefährden können. Der Verlust, den die Armee
alljährlich durch die nervösen Krankheiten erleidet, übertrifft den Verlust
durch Augen- oder Ohreukrankheiten erheblich. Nach dem Sanitätsbericht
sind im letzten Jahre von allen Zugängen wegen nervöser Krankheiten 6 2^0
nicht wieder dienstfähig geworden; sie bildeten 79,3 %<, aller als dienst-
unbrauchbar, invalide und durch den Tod abgegangenen; von ihnen waren
22,6 7oft geisteskrank. „Immer weiter gehende Ausbildung aller und spezia-
listische Durchbildung einzelner Sanitätsoffiziere in diesem Fache dürfte also
im Interesse der Annee ein ebenso berechtigter Wunsch sein wie die Zu-
sammenfassung der an diesen Krankheiten Leidenden zu besonderen Ab-
teilungen an großen Lazaretten.^
Stoddart (426) unterscheidet 2 Arten von Erregungen. Nach seiner
Ansicht kommt eine Erregung aus einer Summe von Gefühlen zu stände.
Die Komponenten sind meistens unfreiwilliger Art. Die Nervenbahnen, auf
denen diese unfreiwilligen Gefühle zu stände kommen, sind diejenigen des
primitiven Nervensystems. Mit Hilfe des Pletliysmographen, des Sphygmo-
graphen, des Pneumographen, des Dynamometer und des Automatographen
werden die Gefühle graphisch registriert Dieselben kommen zu stände
durch die Tätigkeit gewisser Muskeln und gewisser Drüsen, der Schweiß-,
Tränen- und anderer Drüsen. Durch die Tätigkeit der unwillkürlichen
Muskeln entstehen Änderungen im Blutkreislauf, Änderungen des Pulses,
Röte und Blässe der Haut. Äußere Einflüsse sind ebenfalls von Bedeutung,
z. B. in einem Theater, wenn dann die Zuschauer, wenn sie erregt werden,
plötzlich eine unfreiwillige Bewegung machen, z. B. sich aufrichten, tief
Atmen holen oder dergleichen.
Bei den Erregungszuständen angenehmer Art besteht eine Vermehrung
des Muskeltonus, eine Vermehrung der Pulszahl mit Dilatation der kleinen
Arterien und eine Vermehrung der Atemzüge. Bei Erregungszuständen un-
angenehmer Art treten die Muskeln des Gesichtes häufig in Aktion. Z. B.,
kommt eine Kontraktion des Musculus levator labii superioris als ein Aus-
druck des Mißfallens zu stände. Das Vorzeigen des Eckzahnes ist eine ererbte
Willensäußerung zu beißen. Das Zittern der Augen bei Verdachtsmomenten
ist der Ausdruck des Gefühls einer herannahenden Gefahr. Das seitliche
Nicken des Kopfes in Momenten der Mißstimmung, ein Ausdruck des Gefühls
aus der Kindheit die Mutterbrust zu verweigern. Das Nicken nach vorne
zu, der Ausdruck die Mutterbrust anzunehmen. — Die Gegend des Thalamus
opticus spielt die größte Rolle in der Entwicklung der reflektorischen Er-
regung. Hat ein Kranker eine Läsion des einen Thalamus opticus z. B.,
des rechten, und man erzählt ihm einen Scherz, so lacht er nur mit der-
selben rechten Seite. Bei Läsionen in der Gegend des Sülcus Rolandi lacht
der Patient auf beiden Seiten. Aber ein gemachtes Lächeln kommt nur
auf der rechten Seite zu stände, da die linke Seite paralysiert ist.
Bei der Pathologie der Gefühle weist Stoddart darauf hin, daß bei
Imbezillen ein ganz unbedeutendes Wort einen Wein- oder Lachanfall aus-
lösen kann. Bei Paranoikern und Halluziuanten ist die Häufigkeit von
Erregungszuständen merkwüi-dig. Stoddart schließt sich der Ansicht au,
daß bei der Manie die Neurone reizende Substanzen oder Toxine enthalten,
daß infolgedessen die Neurone sich in einem dauernden Stadium der Er-
Jahresberioht f. Nearologie und Psychiatrie 1905. Ö4
1010 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
regung befinden. Bei den Erregungszuständen der Paranoiker und Hallu-
zinanten ist es mehr die große Anzahl der eingebildeten Eindrücke, welche
diese Zustände auslöst. Der Weinkrampf kommt zu stände, weil Patient
glaubt, etwas erfahren zu haben, was diesen Ausdruck der Trauer bewirkt.
Bei der Melancholie fehlen die Gefühle. Die Patienten haben keine Em-
pfindungen der Lust, wenn sie z. B. an ihr Haus und ihre Familie denken.
(üozenraaiL)
Storch (428) gibt in seiner Arbeit über Ideenflucht eine psycho-
logische Analyse dieser psychischen Erscheinung. Er führt am Schlüsse
seiner Arbeit aus, daß wir uns das Bewußtsein als eine in der Fläche aus-
gebreitete Masse denken können. Ein Teil der Erinnerungskörper möge in
ihm gelegen sein, ein anderer Teil, sowie alle subkortikalen Ganglienansamm-
lungen denkt er sich an einer darunter gelegenen Fläche, die aber mit dem
Bewußtseinsorgan in doppelsinnig leitender Verbindung steht. Ein Teil der
unteren Fläche gerate in Erregung und erzeuge in der oberen einen
Bewußtseinskreis, eine gewisse Vorstellung. Nun aber höre der Reiz für das
Bewnißtseinsorgan auf; damit beginnen Veränderungen im Bewußtseinskreise,
wir denken. Anders als beim geordneten Denken, ist es bei der Ideenflucht.
Hier reizt eine Erregung der unteren Fläche das Bewußtseinsorgan. Wieder
haben wir eine Vorstellung. Aus inneren Ursachen beginnen sich die Ver-
änderungen des Bewußtseinskreises zu entwickeln. Aber die Energie dieses
Prozesses ist gering; aus irgend einer Ursache tritt eine Erregung der unteren
Fläche in Wirksamkeit und bewirkt eine Störung des Gleichgewichts im
Bewußtseinsorgan, deren Ablauf von neuem gestört werden kann. Ja es
kann vorkommen, daß die auf einen Beiz erfolgenden Veränderungen der
unteren Fläche ihrerseits die Bewegung des Bewußtseinsorgans beherrschen.
Das ist der Vorgang bei der Ideentiucht. (Bendix.)
Stransky (430) gibt in diesem kleinen Aufsatze kurz die wesent-
lichsten Gesichtspunkte seiner im Journal für Psychologie und Neurologie
Bd. IV S. 158 veröffentlichten umfangreichen Arbeit „Zur Lehre von der
Amentia'* wieder.
In einer umfangreichen Arbeit liefert Stransky „(430) Beiträge zur
Lehre von der Amentia. Er gibt einen historischen Überblick über die
Entwicklung dieses Krankheitsbegriffes, schildert seine Aufstellung durch
Meyuert und präzisiert den Standpunkt, welchen die einzelnen Psychiater
diesem von Meynert formulierten Krankheitstypus gegenüber eingenommen
haben und zur Zeit einnehmen. Er weist darauf hin, daß die Amentia jetzt
von zahlreichen Autoren entweder gar nicht anerkannt oder daß ihr doch
nur ein verschwindend kleines Gebiet eingeräumt würde. Alsdann legt er
seinen eigenen Standpunkt dar, analysiert auf Grund eigener Erfahrungen
das Meynertsche Krankheitsbild und kommt zu folgendem Ergebnis: Es
gibt eine Keihe von Psychosen, die sämtlich dadurch gekennzeichnet sind,
daß sich akut oder subakut eine eigenartige Störung des Verstandes- und
Affekt-Lebens entwickelt, die Verf. als inkoordinatorische bezeichnet, ohne
daß aber in dem früher von ihm beschriebenen Sinne „intrapsychische In-
koordination oder Ataxie" bestünde. Meist mit, seltener ohne Sinnes-
täuschungen entwickelt sich bei den Kranken auf Grund dieser Störungen
ein eigentümliches, von den verschiedensten Autoren, trotz sonst weitgehender
Auffassungsverschiedenheiten, als „verwirrt" gekennzeichnetes psychisches
Verhalten. Nach wechselvollem, äußerlich verschieden gefärbte Bilder in
sich schließendem, verschieden langem Verlaufe fuhren die weitaus meisten
Fälle zu psychischer Genesung mit oder ohne „nervöse" Besiduen; in einigen
Fällen entwickelt sich nach langer Dauer ein dem katatonischen sehr ahn-
Diagnose der (Teisteskrankheiten. 1011
lieber und wohl auch verwandter psychischer Schwächezustand, ohne daß
dieser etwa wie bei der Dementia praecox bereits im luitialstadium vorhanden
wäre; ein weiterer kleiner Bruchteil der Fälle geht in einem als „clironische
Ämentia'* zu bezeichnenden Zustand aus, für den Verf. 2 charakteristische
Beispiele in extenso mitteilt. Endlich können die Fälle auch tödlich ver-
laufen. Stransky faßt diese Gruppe von Fällen zu einer seiner Ansicht
nach klinisch hinreichend als solche charakterisierten Einheit zusammen,
für die er den Namen „Amentia" am zutreffendsten findet. Meynert und
seine Nachfolger hätten diesen Begriff vielfach zu weit gefaßt, doch sei die
Amentia auch nicht grade eine psychiatrische Seltenheit. In einem Zeitraum
von 2^2 Jahren konnte Stransky an der I. psychiatrischen Klinik in Wien
27 einwandsfreie Fälle beobachten, von denen 26 zur Heilung kamen und
nach seinen weiteren Ermittelungen auch bis zur Zeit der Abfassung seiner
Arbeit geheilt geblieben waren (2 waren wiedererkrankt, seither aber geheilt
worden). Verf. hebt alsdann die differentialdiagnostischen Gesichtspunkte
hervor, welche für die Abgrenzung der Amentia von anderen Psychosen,
insbesondere des Kraepelinschen Systems, in Betracht kommen, und weist
weiter darauf hin, daß man die Amentia — besser spreche man wohl von
einer Amentia-Gruppe — im allgemeinsten Sinne als eine ausgesprochen
toxämische Erkrankung auffassen müsse (s. auch diesen Jahresbericht für
1904, S. 1030). Die Krankheitsgeschichten der 27 Fälle (und eines zweifel-
haften) und ein Literaturverzeichnis von 154 Nummern sind der Arbeit
beigefügt.
Stransky 's (431) Erwiderung auf Lewandowskys Ausführungen
„über Sprach Verwirrtheit" sucht dessen Einwände gegen die Art seiner
experimentellen Forschungen an Versuchspersonen zu entkräftigen. Trotz
aller subjektiven Verschiedenheiten zwischen den Versuchspersonen sei eine
Übereinstimmung in den wesentlichsten formalen Eigenschaften des „zwang-
losen Drauflosredens " nicht zu verkennen. (Bendix.)
Taty und Chanmier (439) publizieren zehn Krankheitsgeschichten,
in denen sie den Nachweis zu führen bestrebt sind, daß hypochondrischen
Zuständen somatische Leiden zu Grunde lägen. Eine Besserung entstünde
nicht, vielmehr führten diese Vorstellungen häufig zum Suizid. (Hozmraad.)
Tetzner (441) teilt einen Fall von typischer Katatonie mit, bei dem
durch gehäufte Krampfanfälle der Tod herbeigeführt wurde. Eine 28jährige,
verheiratete Fabrikarbeiterin, die erblich mit Geisteskrankheit belastet, aber
bis auf eine überstandene Lungenentzündung immer gesund gewesen war,
erkrankte mit Beeinträchtigungs- und Verfolgungsideen. Bei der Aufnahme
in die Klinik Angst, Halluzinationen, Nahrungsverweigeiaing; nach einigen
Monaten: Negativismus, Mutazismus, Grimmassieren, Infantilismus, Verbige-
ration, Manieren, Kpprophagie; später: erhebliche psychische Schwäche,
motorische Unruhe, triebartige Handlungen, Sprachverwirrtheit, Stereotypien,
ßizarrerien. Danebenreden, Schnauzkrampf, sexuelle Erregung; Wechsel
zwischen Stupor und Erregung. Orientierung und Gedächtnis während der
ganzen Krankheit erhalten. 3V2 Jahre etwa nach dem Beginn der Er-
krankung traten plötzlich epileptische Anfälle typischer Art auf, und zwar
120 in 24 Stunden; Temperatursteigerung bis 40,2**; am folgenden Tage
71 Anfälle; Exitus 54 Stunden nach dem Beginn des Status epilepticus.
Die Obduktion ergab außer einer Pneumonie beider Unterlappen nur eine
diffuse schwache Trübung und ein leichtes Ödem der Pia über allen
Windungen. Verf. schließt die Annahme einer progressiven Paralyse, einer
genuinen Epilepsie, eines urämischen Comas, einer Spätepilepsie und Syphilis-
epilepsie aus und faßt die Krämpfe als katatone Anfälle auf, die wohl durch
64*
j[012 Allgemeine Ätiologie, Symptoipatologie und
dasselbe Agens bedingt wären, welches bei der katatonen Gehirnverändening
eine Rolle spiele.
Timpano (443) teilt folgenden Fall von Phobie mit: Eine 33 Jahre
alte Frau konnte seit 13 Jahren weder Bücher noch Briefe lesen, weil sie
bei jedem Versuche, dies zu tun, von der Furcht befallen wurde, Erbrechen
zu bekommen und krank zu werden; dies war ihr früher tatsächlich einmal
passiert. Sie war erblich nicht belastet und sonst völlig gesund. Verfasser
referiert einen dem seinigen ähnlichen Fall von Battistelli, in welchem
der 52 Jahre alte Kranke seit ebenfalls 13 Jahren Furcht hatte, Briefe zu
öffnen und zu lesen, nachdem er nach dem Verluste seines großen Vermögens
fortwährend Briefe seiner Gläubiger erhalten hatte; auch er war sonst voll-
kommen gesund, T. unterscheidet drei Formen von Phobie, die neurastheni-
sche, die psychasthenische und die ausschließlich degenerative Form. Er
gibt eine kurze Charakteristik derselben und rechnet Battistellis nnd
seinen Fall zur degenerativen Phobie, trotz Abwesenheit aller Stigmata
degenerationis. Die Prognose sei zweifelhaft.
Tomasini (444) konstatiert zunächst eine progressive Zunahme der
Fälle von Geisteskrankheiten in der italienischen Armee. Die Selbstmord-
statistik gibt der Häufigkeit auch einen beredten Ausdruck: unter 1000 Todes-
fällen sind ungefähr 100 auf Selbstmord zurückzuführen. Dadurch, daß die
hysterischen und epileptischen Geistesstörungen aus der Reihe der Psychosen
ausgeschieden sind, erfähii; die Statistik der Geisteskrankheiten eine wesent-
liche Verschiebung, ebenso durch den Umstand, daß die Erkrankung der
Offiziere der Heeresstatistik nicht zugeteilt zu werden pflegt; immerhin ist
die Steigerung der Erkrankungen eine recht erhebliche, eine stärkere im
Verhältnis zur Zunahme in der übrigen Bevölkerung. Während noch im
Jahre 1895 0,3 ^Iq der Erkrankungen Geisteskrankheiten betrifft, stieg der
Prozentsatz in den letzten Jahren auf 0,74. Zum Schlüsse führt T, an-
schließend au Erfahrungen, die im russisch-japanischen Kriege gewonnen
werden konnten, die Ursachen eiuer Vermehrung der Psychosen zu Kiiegs-
zeiten au und schlägt die Gründung von fachmännisch geleiteten Irren-
Feldlazaretten vor. (Mei'zbaclier,)
Toulouse und Damaye (446) haben in dieser interessanten Ab-
handlung auf den Wert der Erziehung, neben der Heredität als ätiologisches
Moment bei Psychosen hingewiesen. Häufig ergäbe die Anamnese, daß
erst infolge einer fehlerhaften Erziehung nervöse Erscheinungen zum Aus-
bruch gekommen seien. Die Erziehung werde bedingt durch die Umgebung.
Das Moment der Heredität werde im allgemeinen übertrieben. Die Amerikaner
z. B. hätten aus der Summe der Faktoren, die sie aus Europa entnommen
hätten, ein neues gebildet, und zweifelsohne hätten sie es verstanden, Unter-
nehmungsgeist, Arbeitsfreudigkeit, Unabhängigkeit im Denken mit ernster
Arbeit zu vereinen.
Ebenso hätten die Japaner Beweise von Tüchtigkeit gezeigt und eine
Anpassungsfähigkeit an die europäische Zivilisation, ohne daß die Heredität
in Frage kommen könne. An einer Reihe von Kraukengeschichten zeigen
die Verf., wie sich nervöse Beschwerden lediglich durch die Umgebung ent-
wickelt hätten. Bei Knaben durch den Aufenthalt in Internaten und An-
stalten. Bekanntlich prädisponieren in Frankreich diese Momente auch me
wo anders dazu, da die Schulen meist Internate sind. Sexuelle Laster
entwickelten sich dort früh.
Das soziale und l)erufliche Milieu beeinflusse die Form des psychischen
Deliriums. Der Bauer deliriere anders wie der Gelehrte. Wer an „Beelzebub*
Diagnose der Geisteskrankheiten. 1013
glaube^ gäbe demselben einen breiten Raum in seinen Vorstellungen. Gre-
schichtliche Perioden hätten ebenfalls Einfluß. So hätten sich zur Zeit der
ßestauration riele Leute in Frankreich verfolgt geglaubt. Zu Kriegszeiten
pflegen die Größenideen, wie Kaiser, General usw. sich zu häufen.
Die hysterischen Erscheinungen verschlimmem sich bei häufiger Unter-
suchung seitens des Arztes.
„Die Erziehung könne in prophylaktischer Hinsicht sehr viel tun, und
die Arzte soUten dies Gebiet in der sozialen Fürsorge mehr und mehr
berücksichtigen. (Rozenraad.)
Urqnhart (450) gibt ein Schema für eine möglichst eingehende und
übersichtliche Klassifikation der psychiatrischen Literatur für Bibliotheks-
zwecke nach Deweys Dezimalsystem; dieselbe erwies sich bei der Anf-
stellung einer Bibliothek von etwa 1500 Büchern als recht praktisch.
Urqnhart (451) gibt Zusammenstellungen über das Vorkommen
erblicher Belastung mit Geisteskrankheiten usw. bei Geisteskranken. Bei
Patienten der Privatabteilung fand er erbliche Belastung in 46 % der Fälle.
An einer Beihe von Familienstammbäumen zeigt er den Einfluß der Belastung
auf die Deszendenz. Von 886 während der Jahre 1880—1904 in das
James Murray's Royal asylum aufgenommenen Kranken (471 Männern und
415 Frauen) waren mit Geisteskrankheit, Exzentrizität, Neurosen, Paralyse
oder Alkoholismus belastet = 623, nur mit Geisteskrankheit = 394 (44,4%),
und zwar 201 Männer (42,6%) und 193 Frauen (46,5%), nur mit Exzen-
trizität und Neurosen = 229 (25,8%), und zwar 130 Männer (27,6%) und
99 Frauen (23,8%). Bei den 623 erblich belasteten Geisteskranken fand
sich in der Verwandtschaft: Geisteskrankheit 702 mal, Exzentrizität und Neu-
rosen 240 mal, Paralyse 191, Alkoholismus 169, Tuberkulose 259 und Krebs
70mal. 39 Paralytische hatten in ihrer. Verwandtschaft 14mal Geistes-
krankheit, Exzentrizität 4, Neurosen 12, Paralysen 10 und Alkoholismus
7 mal. Von 145 Alkoholisten waren mit Geisteskrankheit belastet = 38,6%,
mit Exzentrizität und Neurosen = 5,5 % und mit Alkoholismus = 24,1 %,
während bei den übrigbleibenden 31,7 % sich keine Belastung nachweisen ließ.
An der Hand von drei selbstbeobachteten Fällen weist Vaschide (453)
darauf hin, daß geistige Störungen durch interkurrentes Fieber vennindert
oder gebessert werden könnten, um mit dem Abfall der Temperatur wieder
den früheren Grad zu erreichen. 1. 45 Jahre alte Kranke, an „manischer
Erregung" leidend, sprach immer dieselben Worte, zeigte einen ängstlichen
Gesichtsausdruck, reagierte nicht auf äußere Beize; während einer fieber-
haften (39 — 40 ®) Grippe bot sie ein Töllig anderes Verhalten dar, sie zeigte
Interesse, gab yerständig Antwort, verbigerierte nicht usw., verfiel aber nach
dem Rückgang des Fiebers wieder in den früheren Zustand zurück. 2. 26-
jäbrige Frau, schwere Melancholie, seit ca. zwei Jahren vollkommen teil-
namslos, sprach nicht usw. Während einer Influenza mit hohem Fieber
redete sie plötzlich, zeigte Interesse für ihre Familie usw., um nach dem
Abfall der Temperatur im Verlauf von 10 Tagen wieder in vollkommenen
melancholischen Stupor zn versinken. 3. 43jähriger Mann, alter Morphinist,
litt an religiösen Wahnvorstellungen; diese verminderten sich während einer
Pneumonie, traten aber nach Ablauf derselben wieder um so stärker hervor.
vanVlenten (458) berichtet über einen Kranken mit Korsakowscher
Psychose, der eine funktionell bedingte, vollständige optische Asymbolie für
körperliche Gegenstände hatte, während er flächenhafte Dinge richtig er-
kannte und benannte. Ein 50 Jahre alter Arbeiter bekam nach einer Kopf-
verletzung Verwirrtheitszustände, Intoleranz gegen Alkohol und, wie sich
später aus den Erzählungen der Angehörigen ergab, Erscheinungen von
1014 Allgemeine Ätiologie, Symptomatologie und
optischer Asymbolie. Ein Jahr nach dem Unfall in die Irrenanstalt Dali-
dorf aufgenommen, machte er hier zunächst ein achttägiges Delirium durch
und bot dann folgendes Bild dar, das sich im Laufe eines Jahres nicht wesentlich
änderte: Es bestand der Korsakowsche Symptomenkomplex, nämlich ein
starker Merkfähigkeitsdefekt und Konfabulationen neben MuskelatrophieD,
geringer Augenmuskellähmung und Druckempfindlichkeit der Nerven. Ferner
konnte der Kranke Gegenstände mit Hilfe des Gesichtssinnes nicht er-
kennen, während er sie sofort mit Namen bezeichnete, wenn er sie durch
den Tastsinn, durch Gehör, Geruch oder Geschmack aufnehmen konnte, und
zwar beschränkte sich diese optische Asymbolie nur auf körperliche Gegen-
stände, während er Bilder auch durch den Gesichtssinn erkannte und
ziemlich klein gedruckte Buchstaben und Zahlen richtig lesen konnte. Gegen
die funktionelle Natur dieses asymbolischen Zustandes sprach, daß er sich
unverändert erhielt und den verschiedenartigsten Suggestionen gegenüber zu-
nächst standliaft blieb. Eine organische Grundlage der Asymbolie erschien
unwahrscheinlich, weil Hemianopsie, sprachliche Störungen, Lese- und Schreib-
störungen, sowie die Erscheinungen des Haftenbleibens fehlten. Auch war
sehr auffallend der scharfe Unterschied zwischen dem Erkennen flächenhaft«r
und körperlicher Dinge, die Reinheit des Bildes, das vollkommene Erhalten-
sein des optischen Gedächtnisses, die erhaltene Fähigkeit, sich in ßäumen
zu orientieren, sowie auch Farben richtig zu erkennen und zu benennen.
Schließlich bestand Hemianästhesie und konzentrische Gesichtsfeldein-
schränkung. Acht Wochen nach der Aufnahme gelang es durch Suggestion,
den Kranken zum Erkennen von körperlichen Gegenständen durch den Ge-
sichtssinn zu bringen und damit die Annahme einer organischen Grundlage
der Asymbolie zurückzuweisen. Verfasser schließt: 1. Optische Asymbofie
kann auch rein funktionell sein. 2. Die bei der Korsako w sehen Psychose
vorkommenden asymbolischen Erscheinungen können das Ergebnis funk-
tioneller Störungen sein.
Warda (463) kommt in seinem Beitrage zur Geschichte nnd Kritik
der sogenannten psychischen Zwangszustände zu dem Schluß, daß man auf
die Verwendung des Begriffes der psychischen Zwangszustände im Sinne
eines Komplexes zusammengehöriger Krankheitszustände verzichten solle.
W. hält alle bisherigen Formulierungen des Begriffes Zwangsvorstellung bis
auf die Freud sehe Definition für gänzlich unzureichend. Innerhalb des
großen unter jenen Namen gesammelten kasuistischen Materials der Literatur
seien klinisch abgrenzbare Krankheitszustände zu unterscheiden. Die ge-
schichtliche Entwicklung spreche dafür, daß der Name Zwangsvorstellung
für jene enger umschriebene Krankheit zu reservieren ist, für die er bisher
vorzugsweise von Freud angewandt worden ist, nämlich für die obsedierenden
Vorstellungen der Zwangsneurose. Der Begriff der Zwangshandlung sei für
gewisse Handlungen eines Menschen anwendbar, aber dürfe in der Psychiatrie
nie wieder konstruiert werden, ohne einen Rückschritt zur Monomanielehre
zu machen. (BettdU.)
Weatherly (464) bespricht die charakteristischen Eigenschaften der
vier Temperamente, wie sie schon von Hippocrates eingeteilt worden
sind, und welchen Einfluß in Anfangsstadien der Psychosen die Berück-
sichtigung des Temperamentes habe. (Rozenraad.)
Weber (465) behandelt in diesem Vortrage die posttraumatischen
Psychosen und kommt nach Mitteilung einer Reihe von Krankheitsföllen zu
folgenden Ergebnissen: Der Begriff einer posttranmatischen Psychose als
eines ätiologisch, in Symptomen und Verlauf einheitlichen und fest bestimmten
Krankheitsbildes ist streng wissenschaftlich nicht aufrecht zu erhalten. Doch
DiagDoae der Geisteskrankheiten. 1015
zeigt die praktische Erfahrung, daß für eine Reihe von nach Trauma sich
entwickelnden Geistesstörungen, auch wenn die Zeichen einer groben Herd-
erkrankung des Gehirns fehlen, ein engerer ursächlicher Zusammenhang
zwischen Trauma und Psychose angenommen werden darf. Von organischen
Psychosen kommen hier besonders die bald nach dem Trauma eintretenden
und foudroyant verlaufenden Paralysen in Betracht. Bei funktionellen
Psychosen, die im übrigen verschiedenen Krankheitsgruppen angehören
können, ist ein ursächlicher Zusammenhang mit dem vorangegangeneu
Trauma namentlich dann anzunehmen, wenn sie neben den ihnen sonst
eigenen Symptomen die Erscheinungen der Depression und Angst, der
assoziativen und motorischen Hemmung oder der katatonen Bewegungs-
störungen aufweisen. Die Psychose muß entweder bald nach dem Trauma
eintreten oder durch eine Prodroraalzeit, in der das psycliische Verhalten
des Betroffenen schon verändert ist, mit ihm zusammenhängen. Häufig ent-
wickeln sich diese posttraumatischen Psyehosen auf dem Boden einer durch
Belastung oder frühere Erkrankung herabgesetzten Widerstandsfähigkeit.
Fälle dieser Art erregen oft den Verdacht der Simulation, der ebenso ^de
starke Übertreibung häufig nur schwer auszuschließen ist. Unter 10 Fällen
rein funktioneller Psychosen, die in den letzten beiden Jahren an der
Göttinger psychiatrischen Klinik im engen Anschluß an ein Trauma beob-
achtet wurden, gehörten 6 dem oben geschilderten Typus an.
Wende (467a) gibt in Form eines motivierten Gutachtens einen Beitrag
zur Kasuistik der Geistesstörungen im Sekundärstadium der erworbenen
Syphilis: Ein Student der Rechte hatte eine ganze Anzahl von plumpen Be-
tiügereien und Unterschlagungen begangen, indem er wertvolle Schmuck-
sachen gegen Wechsel kaufte und größere Geldsummen entlieh unter der
Vorspiegelung, daß ihm in kurzem ein großes Vermögen zufallen würde und
dergleichen. Er war erblich stark mit Geisteskrankheiten belastet, hatte zehn
Jahre vorher nach einem Trauma capitis eine schwere Hirnhautentzündung
durchgemacht, war stets fleißig und ordentlich gewesen, hatte sich bei den
A'orbereitungen für das Abiturientenexamen (als Extraneus) geistig sehr über-
anstrengt. 17^ Jahre vor Begehung der Delikte hatte er sich sypliilitisch
infiziert, war nur lokal behandelt worden und zeigte bald zunächst zahlreiche
nervöse, sich immer mehr steigernde Erscheinungen, nach einem Jahre auch
psychische Störungen: Aufgeregtes, unsicheres Wesen, machte verworrene
Angaben, zeigte unmotivierte Stimmuugsanomalien, war gegen früher gänzlich
in seinem Verhalten verändert; er wurde menschenscheu, trieb sich umher,
ergab sich periodisch übermäßigem Alkoholgenuß, wurde interesselos für seine
Familie, arbeitete nichts, äußerte sonderbare Ideen; plötzlicher StiramuDgs-
wechsel, Wutausbrüche, verübte Handlungen, von denen er nachher nichts
wußte. In diese Zeit fallen die strafbaren Delikte, von denen aber damals
weder die Familie etwas wußte, noch der behandelnde Arzt, auf dessen Ver-
anlassung er in eine Irrenanstalt aufgenommen wurde. Hier besserte sich
sein Zustand ganz erheblich, er wurde nach einem halben Jahre entlassen
und nahm seine juristischen Studien wieder auf. Zwei Jahre später gab
Verfasser, der ihn auf Veranlassung des Gerichts zu beobachten hatte, ein
Gutachten über seinen Geisteszustand ab. Zur Zeit der Beobachtung be-
standen somatische und psychische Erscheinungen von zerebraler Neurasthenie,
doch erschien der Angeklagte völlig zurechnungsfähig. Dagegen bestand zur
Zeit der Begehung der oben mitgeteilten strafbaren Handlungen, für die der
Angeklagte übrigens keine, beziehungsweise nur eine sehr lückenhafte, Er-
innerung hatte, unzweifelhaft eine Geistesstörung akuter Natur, die nach dem
Verfasser wesentlich auf die Syphilis zurückgeführt werden mußte. Für
1016 Idiotie, Imbezillität, Kretinismus.
letzteres sprach: 1. Das Auftreten der Symptome sehr bald oach der In-
fektion. 2. Die stark im Vordergrund stehende geistige Schwäche, die von
allen Autoren als Charakteristikum des luetischen Charakters der Psychose
angesehen wird. Der Angeklagte zeigte aber bei der Begehung der straf-
baren Handlungen eine ausgesprochene Willens* und ürteilsschwäche, er war
meist das gefügige beinahe willenlose Werkzeug in den Händen seiner „Be-
kannten". Es waren demnach die Voraussetzungen des § Bl Str.-G.-B. ge-
geben.
Von Wernicke's (468) Grundriß der Psychiatrie in klinischen Vor-
lesungen (Leipzig, 1900) liegen hier vier weitere Vorlesungen (siehe diesen
Jahresbericht Band VIII Seite 1035), nämlich die 33., 84, 36. und 36., in
englischer Übersetzung von Dr. W. Alfred Mc Oorn vor.
Westphal (470) teilt einen Fall von Psychose mit, in welchem das
Symptom der identifizierenden Erinnerungstäuschung etwa ly« Jahre lang
allein das Krankheitsbild beherrschte. Ein 27 jähriger Arbeiter, Potator,
bot nach einem Trauma capitis neben allgemeinen nervösen Beschwerden die
Erscheinung dar, daß er alle gegenwärtigen Eindrücke und Situationen schon
einmal ganz in derselben Weise durchlebt zu haben glaubte. Alles, was er
sah, hörte, las, kam ihm völlig bekannt vor; er glaubte, schon fünfmal in
der Anstalt gewesen und immer von denselben Ärzten behandelt worden tu
sein, alle Kranken erschienen ihm als alte Bekannte usw. Hierzu gesellte
sich dann die Vorstellung, daß er oft schon vorher wisse, was sich ereignen
werde, und weiterhin die Annahme, er sei vielleicht schon einmal auf der
Welt gewesen und habe eine Seelenwanderung durchgemacht. Später traten
noch sehr lebhafte Qehörs- und vereinzelte Gesichts-Täuschungen auf, und
das Krankheitsbild entsprach am meisten dem halluzinatorischen Wahnsinn
der Trinker.
Die „Medizinische Klinik", Wochenschrift für praktische Arzte, redigiert
von Dr. Kurt Brandenburg in Berlin (Verlag von Urban & Schwarzen-
berg, Berlin) läßt allmonatlich ein Ergänzungsheft in Stärke von zwei Druck-
bogen in Buchformat erscheinen, in welchem ein Überblick über die
wichtigsten neueren Arbeiten eines medizinischen Sonderfaches gegeben wird.
Die Hefte 5 und 13 des I. Jahrganges (1906) sind von Ziehen (479, 480)
herausgegeben und behandeln die wesentlichsten Neuerscheinungen auf dem
Gebiete der Psychiatrie und der Nervenkrankheiten. Die von R. Sinn,
Henneberg, Seiffer, Weygandt, Vorkastner und anderen gelieferten
Referate sind übersichtlich gruppiert.
Ziehen (481) unterzieht seiner Besprechung die weniger bekannten
Formen von psychopathischen Konstitutionen und deren Symptome und ent-
wirft ein Bild dieser Konstitutionen in symptomatischer, ätiologischer und
diagnostischer Hinsicht. Z.s Beobachtungen über Affektstimmungen bei
psychopathischen Konstitutionen führen den Nachweis, daß sie bei keiner
psychopathischen Konstitution fehlen und bei den verschiedenen psycho-
pathischen Konstitutionen in ähnlicher Weise wiederkehren und nur gani
spezifisch nuancierte Affektstörungen vorzugsweise bei bestimmten psycho-
pathischen Konstitutionen sich finden. (Bendix.)
Idiotie, IfflbBziilität Rretlnismas.
Referent: Medizinalrat Dr. W. Koenig-Wittenau.
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1020 Idiotie, Imbezillität, Eretinismos.
103. Derselbe, Gruppenteilong der Idiotie. Sltiungsker. d. Phvs. med. Ges. sa Wiiriborg.
No. 2, p. 29.
lOä. White, K G., Note on two Interesting Gases of Imbecillity with £pilepsy. Tbe
Lancet." 11. p. 951.
104. Yoshikawa, J., Ein Fall von Idiotie mit Erweichungsherd in den Zentralganglien
des Gehirns. Monatsschr. f. Psych, u. NearoL Bd. XVITT, Ergänzungsh.. p. 282.
ImbecilUtas.
White (103) beschreibt zvei Fälle Ton epileptischer Imbezillität,
deren Interesse in den bei der Sektion gefundenen GehimveränderangeD
beruht.
Weygandt (97) versteht unter „abnormen Kindern" alle«, was yon
der Norm, Ton der Durchschnittsbreite abweicht, und betont, daß dieses
große Gebiet, wie er es auffaßt, auch besonders das Interesse des Psychiaters
herausfordert. Der Psychiater muß zum Verständnis schwerer Defekt-
zustände stets die leichtesten Formen bis zum Übergang in die Norm be-
rücksichtigen.
Verfasser faßt seine eingehenden Erörterungen in folgende Leitsätze
zusammen:
1. Neben den Idioten und Imbezillen gibt es eine große Menge von
Kindern, die wegen psychisch abnormen Verhaltens besonderer ärztlicher
Berücksichtigung bedürfen. Die ätiologische Grundlage ist verschieden, es
handelt sich:
a) um vorübergehende Schädigungen exogener Art, durch körperliche
Krankheiten und durch ungünstiges Milieu;
b) um die Formes frustes mancher Formen von Idiotie und Imbe-
zillität;
c) um Entwicklungshemmung auf Grund von konstitutionellen Leiden;
d) um die leicht epileptischen, die hysterischen und die neurasthenisdL
veranlagten Kinder;
e) um die zu schweren Psychosen disponierten und von Kindheit an
auifälligen Individuen.
. Vielfach läßt sich eine Kombination mehrerer ursächlicher Momente
feststellen.
2. Symptomatologisch können die allerverschiedensten psychischen
Funktionen einzeln oder kombiniert betroffen sein, oft genug läßt sich die
Störung bis zu den einfachen psychischen Gebilden verfolgen.
Rein nervöse Begleiterscheinungen sind häufig, ebenso anderweitige
organische Mängel.
3. Als Hauptgruppen lassen sich klinisch-psychologisch folgende auf-
stellen :
a) leicht epileptische Kinder;
b) hysterisch veranlagte Kinder;
c) neurasthenisch veranlagte Kinder;
d) intellektuell und affektiv minderwertige Kinder, die Debilen im
engeren Sinne;
e) intellektuell und apperzeptiv schwache Kinder bei vorherrschendem
Gefühlsleben, die phantastischen, reizbaren und haltlosen;
f) intellektuell und apperzeptiv entwickelte, aber gefuhlsstampfe
Kinder, die moralisch defekten.
4. Therapeutisch empfiehlt sich für erheblich Schwachsinnige die Hilfe-
schule, für intellektuell leicht abnorme Kinder das Wiederholungsklassen-
system, für sittlich Verwahrloste und Defekte die Fürsorgeerziehung unter
Idiotie, Imbezillität, KrdtinismuB. 1021
er Beratung, während epileptische Kinder je nach Art ihres Zu-
differenziert zu behandeln sind.
1 seinem Vortrage über leicht abnorme Kinder beschäftigt sich
st (92) in erster Linie mit den leicht geistesschwachen zurück-
iDen, noch bildungsfähigen Kindern, femer mit einer Anzahl yon
cungen, die den Neurosen und den Neuropsychosen Erwachsener
len, respektive mit diesen identisch sind. Th. geht besonders auf
Hiebe Neurasthenie und Hysterie mit ihren vielgestaltigen Erscheinun-
[ auf die Chorea, die in den meisten Fällen mit geistigen Störungen
iht, ein. Th. empfiehlt die ausgiebige Anstellung von psychiatrisch
chologisch gebildeten Schulärzten auch auf dem Lande, von denen
elmäßige Kontrolle auch mit Rücksicht auf die Zeichen der Nervosität
I; werden muß. Ferner ist er für die Errichtung von Heilstätten mit
igsanstalt für nervöse und geisteskranke Kinder, am besten als Unter-
;en an bestehende Irrenanstalten angeschlossen. (Bendix.)
.n der Kolk und Jansens (46) beobachteten einen merkwürdigen
einseitiger Ausbildung des Gedächtnisses bei einem niedrigstehenden
m. Der 35 jährige Mann soll bis zum 3. Lebensjahre normal ent-
gewesen und nach einem Kopftrauma geistesschwach geworden sein,
aber auf, daß er ein besonderes Interesse für Gebuitstage und
-tage zeigte. Patient kann nicht lesen, nur große Zififern liest er.
len der Tage und Monate kann er nicht hersagen. Dagegen kann
ialender des Jahres 1904 auswendig; er weiß jeden auf das dazu
Datum fallenden Wochentag. In derselben Weise kennt er das
3 und 1905. Ebenso weiß er die Geburtstage und die Lebensalter
liehen Personen, soweit sie auf dem Kalender angegeben sind. Auch
ön seiner Anstaltsgenossen, der Wärter und Arzte kennt er und
sn Geburtstag und ihr Alter. Über das Entstehen und die Herkunft
iseitigen Kenntnisse gelang es nicht, sich eine genügende Erklärung
laffen. (Uendix.)
Erzielung einwandsfreier Vergleichsresultate sind nach Schlesinger
1er Ausführung der Asthesiometrie eine Reihe von Einzelheiten zu
die nicht unwichtig scheinen. Das wichtigste ist es wohl, daß die
Sitzung nicht zu lange dauert. Um sie nicht selbst zum Ausfluß einer
gswirkung zu machen, wie auch um den den Tastsinn verfeinernden
er Übung möglichst auszuschließen, soll der Zirkel verhältnismäßig
tereinander aufgesetzt werden. Mit einer 3-, höchstens 4 maligen
ng des Schwellenwertes innerhalb etwa 4 Minuten muß man sich
Hingegen ist eine mindestens 5 malige Prüfung des Schwellen-
verschiedenen Tagen nötig.
5 Gegenüberstellung der Schwellenwerte vor Beginn und am Ende
ittagsunterrichts, um 8 und um 11 Uhr, führte bei normalen
Ikindem zu folgendem Ergebnis:
lin Drittel von ihnen zeigt keine oder nur eine ganz unwesentliche
des Schwellenwertes, also keine Ermüdung im Sinne der ästhesio-
Prüfungen. Es sind diese Kinder ihren Leistungen nach fast
08 mittelmäßige Durchschnittsschüler, nur ausnahmsweise bessere
ast ebensoviele Schüler weisen am Ende des Vormittagsunterrichts
je ßrhöhung des Schwellenwertes, also eine wenn auch nur leichte
auf. Von diesen gehört die Hälfte zu den Durchschnittsschülern,
n verteilen sich gleichmäßig auf die besten, wie die schlechtesten
1022 Idiotie, Imbezillität, Kretinismus.
3. Ein letztes Drittel der Schüler verhält sich aber hiervon durchaus
verschieden und verdient unsere besondere Beachtung. Von ihnen zeigt die
Hälfte, also im ganzen etwa ein Sechstel, um 11 Uhr eine starke
und sehr starke Erhöhung des Schwellenwertes gegenüber der
Morgenprüfung; sie lassen also eine deutliche Ermüdung erkenneu.
Diese Beobachtung stimmt aber sehr gut mit ihrer Charakterisierung seitens
der Lehrer überein. Es handelt sich ausnahmsweise um gute, fast regel-
mäßig um relativ mäßig veranlagte Schüler, die sich aber viele Mühe
geben, fleißig arbeiten, aufmerksam dem Unterricht folgen, oder, wo dies
nicht zutrifft, handelt es sich um Schüler, die zu Früharbeit angehalten
werden; vor dem Unterricht, von 6 — 7 oder ^'38, müssen sie regelmäßig
Milch, Brötchen oder Zeitungen austragen, Marktgänge machen und anderes
mehr. Bemerkenswerterweise kommen letztere vielfach mit einem niederen,
unter dem Durchschnittsmittel gelegenen Schwellenwert zur Schule, ermüden
dann aber rasch und stark. Schulkinder mit solchen Ermüdungskurven, wie
sie sich ja in den höheren Lehranstalten häufig, hier, in der Elementarschule,
aber nur ausnahmsweise vorfinden, Schüler, die ihr Arbeitsoptimum schon in
der ersten Stunde einbüßen und weiterhin eine sehr starke Herabminderung
des Arbeitswertes erkennen lassen, verdienen sowohl seitens der Lehrer, wie
seitens des Schularztes besondere Berücksichtigung.
4. Eine diesen Beobachtungen genau entgegengesetzte Kurve weist
schließlich ein letztes Sechstel der Fälle auf, nämlich eine starke und sehr starke
Erhöhung der Tastempfindlichkeit im Verlaufe des Vormittagsunterrichts,
also eine fortschreitende Erholung.
Verfasser gelangt zu folgenden Schlüssen:
1. Die Asthesiometrie ist brauchbar zur Messung geistiger Ermüdung,
wenn auch eine mathematisch genaue Formulierung der Wechselbeziehungen
zwischen letzterer und der Größe der Raumschwelle nicht möglich ist.
2. Bei Anstellung der Prüfungen ist namentlich möglichste Gleich-
artigkeit der äußeren Versuchsbedinguugen, eine möglichst kurze Dauer der
einzelnen Prüfungen, ein möglichst gleichmäßiger und geringer Druck beim
Aufsetzen der nicht zu spitzen Zirkelbranchen zu erstreben. Mit dem spitzen
Tasterzirkel erhält man in der Hälfte der Fälle niederere Raumschwellen
als mit dem kugelförmig abgeschliffenen.
3. Von den 70 debilen Kindern der Hilfsschule im Alter von 8 bis
12 Jahren waren 16 = 23 %, fast ausnahmslos jüngere Schüler, infolge
mangelhafter Begriffsbildung zu den Untersuchungen unfähig. Bei den
übrigen lag, im Durchschnitt aus allen Versuchsreihen, der Schwellenwert
bei 21 mm, gegenüber 19 mm bei gleichaltrigen normalen Volksschulkindern,
die aber ausnahmslos für diese Untersuchungen beiahigt waren.
4. Je höher die Schwellenwerte gelegen sind, um so breiter ist die
Sphäre der unsicheren Antworten; bei den eben angefiilirten
16 Kindern war diese sehr breit. Während bei normalen Kindern im Ver-
lauf ein und derselben Prüfung nicht selten eine Verfeinerung des Tastsinns
eintritt, durch Übungszuwachs, machen sich bei den schwachbegabtea
Kindern sehr bald Zeichen subjektiver Ermüdung, Unsicherheit, Ver-
wirrung, bemerkbar.
5. Von den normalen Volksschulkindern wies im Laufe des Vor-
mittagsunterrichts ein Drittel keine Änderung des Schwellenwertes auf, ein
weiteres Drittel eine geringe Erhöhung desselben, eine Sechstel eine starke
Erhöhung, also eine Ermüdung (meist mäßig veranlagte, aber aufmerksame
Schüler, oder solche, die zu Früharbeit außerhalb der Schule angehalten
Idiotie, Imbezillität, Kretinismus. 1023
nn letztes Sechstel zeigte fortschreitende Erholung (meist sehr
Schüler).
[n der Hilfsschule ist die Zahl der Kinder, bei denen es im
I Vormittags zu einer stärkeren Ermüdung kommt^ viel kleiner; um
wächst, gegenüber ..den normalen Schülern, die Zahl derer, die
dieser Zeit keine Änderung des Schwellenwertes oder eine Er-
5 desselben aufweisen.
auffallend ist die Häufigkeit eines hohen Schwellenwertes
;en, vor Beginn des Unterrichts, ferner die Seltenheit einer
^swirkung während der zweistündigen Mittagspause,
die verhältnismäßige Häufigkeit, in der während des Nach-
die Ermüdung wächst, trotz des anregenden Handfertigkeits-
3 an demselben u. a.
^fortschreitende Ermüdungen kommen namentlich bei den relativ
a.gten Schulkindern zur Beobachtung, Erholungserscheinungen,
1 bei den stärker schwachsinnigen. Es spricht aber manches dafür,
He ästhesiometrisch nachweisbare Ermüdung vielfach weniger der
; verantwortlich zu machen ist als andere Momente, und daß der
einzelne Kind charakteristische Ermüdungs- und Erholungstypus
;er Reihe in dessen Individualität und krankhaft veranlagten Natur
ist.
Tür die Praxis ergibt sich aus den Versuchen, daß eine Uber-
ler schwachbefahigten Schulkinder nicht besteht, und auch gegen
[littagsunterricht, speziell gegen den zur Heilung des Schwachsinns
;en Handfertigkeitsunterricht am Nachmittag, dürfte sich kaum
renden lassen.
Vielleicht wäre der Beginn des dreistündigen Morgeiiunterrichts
uszuschieben; vor allem aber sollte die zweistündige Mittagspause
Uhr, um eine Stunde verlängert werden, um den Nachmittags-
bis jetzt von 1 — 3 Uhr, aus der Periode der Verdauung hinaus-
— Schließlich verdient die verhältnismäßig sehr früh auftretende
Ermüdung Berüchsichtigung bei der Unterweisung der schwach
Kinder.
Sanctis (77 a) macht den Versuch, rein klinisch verschiedene
es Schwachsinnes voneinander zu trennen. Quantitative Unter-
merkmale sollen nicht maßgebend sein, sondern qualitative. Er
chst folgende Typen auf, die er durch besondere Merkmale von-
i unterscheiden versucht: den idiotischen, imbezillen, heboidophrenen,
n und endlich den infantilen Typus. Diese verschiedenen Schwach-
n haben nur symptomatischen Wert und sollen nicht dazu dienen,
Krankheitsformen voneinander trennen zu lassen. — Er bemüht
i einen Maßstab zu finden, um die verschiedenen Grade des
anes, ganz abgesehen von ihren Formen, objektiv darzustellen.
Zwecke hat er sich ein Verfahren ausgedacht, das geeignet er-
i den verschiedenen Formen eine einfache Intelligenzprüfung zu-
Die Details des Verfahrens, das unserer Ansicht nach nur der
lg recht einfacher Urteile dienen kann, können hier nicht wieder-
erden. (Merzbacher,)
Lter (76) schildert 6 Fälle von akuter halluzinatorischer Geistes-
ei Imbezillen, während und nach welcher der imbezille Charakter
bar blieben. In jedem Falle war im Sinne Kraepelins eine
itsursache nachweisbar: einmal die erste Menstruation, zweimal
mation, dabei einmal auch Schreck, in einem Falle Autointoxikation
1024 Idiotie, Imbesillität, Kretioismu«.
bei Darmkatarrh, einmal Erschöpfung, und bei einem Kranken zu wiede^
holten Malen besonderer Alkoholmißbrauch. Bei dem Alkoholiker kam es
zu Zwangszuständen mit Angstgefühlen. Bei den fünf weiblichen Kranken
fast immer hysterischer Charakter der Geistesstörung, bei einer derselben
auch G an sersches Symptom. Im Gegensatze zu Krafft-Ebing betont B.
die auffallend rasche Lösung der psychotischen Symptome, ferner hebt S.
hervor, daß die auf imbeziller Grundlage entstandenen Psychosen bloS
rudimentäre Bilder der gewöhnlichen psychiatrischen Zustandsbilder dar-
stellten. (Hudoveniig.)
Wehrlin (94) fand als eine der auffallendsten Eigentümlichkeiten
der imbezilleu Reaktion, gegenüber der normalen, daß die Schwachsinnigen
selten nur mit einem Worte reagieren, sondern mehrere Worte oder Sätze
machten. Die Imbezillen zeigen dieselben Phänomene, wie die ungebildeten,
indem sie mehr Assoziationen reproduzieren als Gebildete. Als haupt-
sächlichstes Merkmal der schwachsinnigen Reaktionen fand er die De-
fin^tionstendenz, welche in vielerlei Gestalt zum Ausdruck gelangt; die
tautologische Yerdeutlichkeit, die Auseinandersetzung (Gefängnis: „Besteht
aus Zellen, wo man unnütze Leute einsperrt '^-j Jahr: zwölf Monate). Die
Überordnung (Katze: Haustier. Baum: Sache. Holz: Brennmaterial). Die
Bestimmung von Ort, Zeit, Mittel, Zweck, Herkunft (Buch: zum Lesen).
Die Angabe der Haupteigeuschaft oder -Tätigkeit. (Blau: Himmel,
^hwimmen: der Eisch schwimmt.) Das Beispiel. Vater: der hat mich
einmal die Treppe hinuntergeworfen. (Bendüe,)
Idiotie.
Yoshikawa (104) berichtet über einen Fall schwerer Idiotie und
seiner Entstehung an der Hand von ihm erhobener Befunde.
Der Fall zeigte Intelligenzdefekt, Sprachstörung, Strabismus convergeo»
4ind eine Abnormität des Ganges. — Der Zustand psychischer Zurück-
gebliebenheit ist auf die Veränderung der Hirnrinde zurückzufahren, die
mit der von Hammerschmidt beschriebenen identisch ist.
Was den Erweichungsherd im Nucleus lentiformis bezw. excubitus an-
betrifft, so sind solche Fälle von vielen Autoren mit verschiedenen Symptomen
veröffentlicht worden. Einerseits zeigten sie choreatische Bewegungen mit
oder ohne Hemiplegie, verbunden mit vasomotorischen Störungen, oder
Muskelsteifigkeit mit Hemiplegie, andererseits aber fehlten auch Er*
scheinungen, die auf eine Herderkrankung hinwiesen. Man nimmt an, daß
die obigen Symptome nicht von der Zerstörung der betreffenden Ganglien,
sondern von einer gleichzeitig aufgetretenen Einwirkung auf benachbarte
Faserzüge herrühren. Der vorliegende Fall ist ein weiterer Beweis für dieae
Annahme. Der vorhandene Hydrocephalus erscheint als die Folge de»
^urch den Erweichungsprozeß auf das Ventrikelependym ausgeübten Beizee.
Die Sprachstörung ist zuräckzuführen auf die Entwicklungshemmung
des Sprachzentrums, weil sowohl der Nervus facialis als auch der n. hypo-
glossus und acusticus intakt waren.
Die Abnormität des Ganges kann durch die Verkleinerung der Pyrs-
midenbahu erklärt werden.
Bei einem halbseitig gelähmten Idioten fand Koppen (48) einseitige
Atrophie der rechten Hemisphäre. Auf den Schnitten zeigte sich dis
Marklager als gänzlich geschwunden, besonders im hinteren Teil der
Hemisphäre. Nur die langen Bahnen hoben sich als wohlerhalten und g»t
gefärbt aus dem degenerierten Hemisphärenmark hervor. Die Rinde er-
Idiotie, Imbezillität, Kretinismus. 1026
berall schmal, zeigte aber nur an wenigen Stellen Herde mit grob-
;in Glianetz und Vermehrung und Verdickung des Kapillarnetzes.
war der mittlere Teil der Rinde etwas aufgelockert. An die
:ige Hemisphären - Atrophie hatte sich eine Atrophie des rechten
ruber, des linken Bindearms und der linken kleineren Hemisphäre
)88en. Verf. glaubt den Befund dadurch erklären zu können, daß
mt, es habe sich hier um eine vorübergehende Zirkulationsstörung
b, die primär die Rinde durch einen vorübergehenden Verschluß
3n und langen Kortikalgefaße geschädigt hat.
Anschluß daran wird noch ein anderer Fall beschrieben: Bei einer
nit rechtsseitiger Hemiplegie fand sich eine Verkleinerung der
»misphäre vorwiegend im Stirnlappen. Die Hemisphäre zeigt keine
nur eine allgemeine Verkleinerung der Substanz. In der Hirn-
ren die Tangentialfasern abnorm tief gelagert. Wahrscheinlich
s sich in diesem Fall um eine primäre Erkrankung der Basal-
speziell des Corpus striatum, denn hier fand sich ein abnormes
von Nervenfasernetzen an einer Stelle, wo Nervenfasern sonst
lieh sind. Diese Irregularität der Nervenfasern ist wahrscheinlich
ichen eines abgelaufenen ausgeheilten pathologischen Prozesses.
(Autoreferat.)
►erti (1) beschreibt einen 8 jährigen Idioten mit Mongolen typus
ite italienische Arbeit über diesen Typus. — Hereditäre Belastung
iesem Falle, der Knabe hat 4 vollkommen normale Geschwister.
(Merebacßier.)
ZOWa (31) hat das Material von fünf kretinischen Schilddrüsen
Schilddrüsen von angeborenem Idiotismus, ferner eine Schilddrüse
Mikrocephalen zum Gegenstande seiner Untersuchungen gemacht
öhr tiefgreifende atrophische und hypertrophische Störungen an
Idrüsengewebe; er konnte an den Drüsenläppchen solche mit noch
, aber atrophischen Bläschen, Läppchen mit zusammen'gefiossenen
und Felder mit zusammengeflossenen Bläschen unterscheiden.
id fehlte in den meisten Bläschen, die Läppchen und Bläschen
bei noch erhaltenen Bläschen — klein, das Stroma verbreitert,
3I im höchsten Grade degeneriert, ebenso die Kerne. In dem
3n Schilddrüsengewebe waren „Arterieuknospen'* in überreichem
anden. (Bendix.)
rgandt (98) macht auf die Wichtigkeit der ätiologischen
bei der Idiotie aufmerksam, da mehr als ein Drittel., der Fälle
heiten der ersten Lebensjahre zurückzuführen ist. Ätiologisch
diesen Fällen die tliyreogenen zu trennen, deren Typus der
! Kretinismus darstellt. Ahnlich ist diesem der sporadische
s, der in Alpenländern vorkommt und als myxödematöse Idiotie
7on den leichteren Fällen erwecken das ärztliche Interesse die-
e nur einen mäßigen Grad von geistiger Abnormität aufweisen
jt sind, in den neuerlich eingerichteten Hilfsklassen oder Hilfs-
ierrichtet und soweit gebracht zu werden, daß sie zu erwerbs-
nschen gemacht wurden. (Bendix.)
inem Idioten, der seit dem 6. bis 8. Lebensmonate an Konvul-
ten hatte und öfter an Zornausbrüclien litt, fand Raymond
eiderseitige, symmetrische Pseudocyste, die den größten Teil der
ppen zerstört hatte. Diese ist von einer hellen Flüssigkeit älin-
jrebrospinalfiüssigkeit angefüllt. Beide Hemisphären erschienen
et. Die Wand der Cyste bestand aus einem lamellösen Ge-
it f. Neurologie und Psychiatrie 1906. ^^
1026 Idiotie, Imbezillität, Kretinismus.
webe, welches die Struktur des Gebisses nicht erkennen ließ und unmerk-
lich in die Gehirnwindungen überging. R. ist der Ansicht, daß es sich
um eine kongenitale Pseudoporencephalie handelt, zumal das Kind mit einem
Klumpfuß zur Welt kam. (Bendix.)
Ein weiterer von Raymond (75) beschriebener Fall betrifft ein
zweijähriges Mädchen mit einem dem vorigen Falle sehr ähnlichem Be-
funde. Ausgesprochene Idiotie, Unfähigkeit zu Gehen und zu Spreeben,
Unreinlichkeit. Untere Extremitäten in Flexionskontraktur. Balanzierende
Kopfbewegungen. In beiden Hemisphären, aber unsymmetrisch fanden sich
starke Zerstörungen; rechts fehlt der Lubus temporalis gänzlich und ein
sklerotischer Herd ersetzt die untere Parietalwindung. Der vordere Teil
des Lobus frontalis ist zerstört, der Lobus insulae und orbitalis sind ver-
unstaltet. Links sind die Zerstörungen noch ausgedehnter; der Lobus
temporalis fehlt vollständig, im Lobus occipitalis liegt ein atrophischer skle-
rotischer Herd. Der Lobus parietalis ist in seinen unteren Windungen
stark verändert, vom Lobus frontalis ist nur der hintere Abschnitt einiger
Windungen erhalten. Von der Außenfläche der Hemisphäre fuhrt eine
Öffnung in den Seitenventrikel hinein. Es handelt sich nach M. auch
hier um keine echte, sondern nur um Pseudoporencephalie. (Bendix.)
Familiäre amaurotische Idiotie.
Zusamenfassender Bericht Schaffer's (81) der pathohistologischen
Untersuchungen über sieben Fälle von Sachsscher amaurotischer Idiotie.
Mit Bielschowskys Fibrillenmethode wurde die Schwellung des Zellleibes
und der Dendriten nachgewiesen; diese kann an letzteren sehr oft auffallend
große, lokale Auftreibungen, die sogenannte cystische Degeneration
(Schaffers) hervorrufen. Die Veränderungen der Neurofibrillen konnte
Seh. erst dann richtig deuten, nachdem er sich auf Grund eigener Unter-
suchungen davon überzeugte, daß die Fibrillen normaliter teils ein um den
Zellkern dichteres polygonales Innenretikulum, teils ein Außenretikulum
um den Zellleib herum bilden; letzteres regionär different gebaut (teils
pseudofibrillär, teils polygonal-maschig) besteht aus derberen Trabekeln,
welche mit dem feinfädigen Innennetz im kontinuierlichen Zusammenhang
stehen. Seh. konnte fremde Axonenden mit dem Außennetz (= Golginetz)
zusammenschmelzen sehen. In den Sachsschen Fällen erleiden die Maschen
des Innennetzes eine starke Blähung; die Maschenpunkte werden derber,
gekörnt; später schwinden die verbindenden Trabekeln, so daß allein die
hypertrophischen Knotenpunkte übrig bleiben; schließlich zerfallen letztere
in kleinere Körner, so daß der Zellleib eingestäubt erscheint. Charakteristisch
ist, daß das Golginetz der Nervenzellen auch dann noch intakt erscheint,
wo das Innennetz bereits ganz zerfallen ist. Verfasser erblickt in der Zu-
nahme der Interfibrillärsubstanz (= Schwellung) die hervorstechendste Er-
scheinung der Pathohistologie der Sachsschen Idiotie, und nachdem diese
Erkrankung den Typus einer primär-parenchymatösen Nervenzelldegeneration
darstellt, so scheint die pathologische Veränderung der Inte^rfibrillärsubstanz
auf die hohe physiologische Bedeutung letzterer hinzuweisen. An die Stelle
der zugrundegegangenen Nervenzellen treten hypertrophische Gliazellen. —
Mit Nissls Färbung sah Verfasser eine hochgradige Chromolyse in der
gesamten zentralen grauen Substanz (übereinstimmend mit Sachs und
Spillers Untersuchungen). Bemerkenswert ist es, daß die Tigroidsubstani
eine raschere Dekomposition erfährt als das Fibrillenwerk. — Mit der
Weigert sehen Markscheidenfärbung ließ sich im ganzen Hirn (Hemisphären,
Idiotie, Imbezillität, Kretinismus. 1027
hirn, Mittelhirn, Rhombencephalon) eine ausgebreitete Rarefizierung
cfasern konstatieren. Pyramiden immer marklos. Interessantes
i an der Hirnrinde: Hier erscheinen die degenerierten Nervenzellen
Hämatoxylin blaugefärbten Körnchen besetzt zu sein, so daß man
Weigert -Präparate die Rindenzellschichtung durch die entarteten
len in klarster Weise angedeutet findet. Ebenso markieren sich
erierten Nervenzellen des Sehhügels, des inneren Kniehöckers usw.
Blich weist Verfasser darauf hin, daß grob-makroskopische Ver-
m respektive Entwicklungsfehler, Bildungshemmungen an den
en Gehirnen nicht, oder wenn schon, dann in belangloser Form,
n. Angesichts letzterer Tatsache, sowie jener, daß die Nerven-
kung die denkbar größte Ausbreitung aufweist, somit letztere das
ade Moment darstellt, nimmt Verfasser an, daß in Fällen von
3r amaurotischer Idiotie das Zentralnervensystem in seinen nerven-
Ilementen minderwertig sei und letztere durch allzurasche Ab-
les nicht lebensfähigen Protoplasmas die denkbar ausgedehnteste
erleiden. Zu diesem Sinne ist die fragliche Krankheit ein Para-
Edingers Aufbrauchkrankheiten, für welche Auffassung noch
arität des Leidens spricht. ( Autor ef erat.)
Slffer (80) macht darauf aufmerksam, daß die inzipient veränderten
en ein schönes Golginetz aufweisen. Bei dem Anschwellen der
ärsubstanz wird das Maschenwerk der Fibrillen des intracellulären
j auseinandergedrängt, wobei dessen Knotenpunkte auch an-
Später verschwinden die Verbindungsfäden, und es bleiben die
jen Knotenpunkte als Körnchen zurück. In diesem Stadium be-
1 der Kern sich zu verändern; erst tingiert sich dieser, dann
er ein, wird zackig. Das Golginetz wird erst ergriffen, wenn das
ilum ganz zerfallen ist. Ein Vergleich mit den Nisslpräparaten
der Zerfall der TigroidschoUen schon weit vorgeschritten sein
end an den Neurofibrillen erst beginnende Alterationen erkennbar
ürde sich daraus erklären lassen, warum Nervenzellen mit hoch-
'igrolyse in ihrer Funktion noch nicht wesentlich gestört sein
(Obersteiner,)
cnway und Bnchanan (86) berichten ausführlich über den
ön Befund und den von Mc Kee in demselben Hefte und hier
Falle von amaurotischer Idiotie. Das Kind starb an Pneumonie,
,te alt.
3eiiind bestätigt die Ansicht von Holden, daß die hauptsächlichen
Igen in den Augen die Degeneration der retinalen Ganglienzellen
ärvenstroma der Optici sind. Der weiße Fleck im Fundus wird
ich bedingt durch die geschwollenen und degenerierten Ganglien-
3he hier in besonders großer Anzahl vorhanden sind, und nicht
n.
er (89) berichtet über einen sehr eingehend anatomisch unter-
1 von familiärer, amaurotischer Idiotie mit Bezugnahme auf seine
efunde und die Literaturen.
flfer (79) kommt auf Grund seiner gründlichen Untersuchungen
3r Auffassung bezüglich der Pathogenese der Sachschen Er-
Was zunächst den anatomischen Befund anbetrifft, so ist der
e Umstand der, daß die Nervenzellen des gesamten Zentral-
oas leiden. Die Erkrankung dokumentiert sich in der Ver-
ier Neurofibriellen wie der Tigroidsubstanz. Die Blutgefäße
ganzen Zentralnervensystem ein vollkommen normales Bild.
65*
X028 Idiotie, Imbezillität, Kretinismus.
Der primär erkrankte Teil der Neurone ißt der Zellkörper; die in
demBelben verlaufenden Fibrillen sind schon hochgradig erkrankt, wenn die
Fortsätze noch eine normale Fibrillenstruktur aufweisen. Ferner ist auf-
fallig. daß dem Entartungsprozeß einzelne Züge von Neurofibrillen wider-
stehen können, die sich alsdann im degenerierten Protoplasma als erhaltene
Fibrillenzüge darstellen.
Ein drittes hervortretendes Charakteristikum ist die Schwellung der
Zellkörper bezw. der Dendriten.
Der primär erkrankte Bestandteil ist somit das Hyaloplasma, welchem
sich später die Neurofibrillen anschließen. Der Umstand, daß die Sachs-
schen Gehirne keine grob- anatomische Abweichung zeigen, femer die klinische
Tatsache, daß die manifeste Erkrankung nach einem mehr minder langem
Spatium von relativer Gesundheit auftritt, deutet darauf hin, daß die Sache-
sche Erkrankung ein ab ovo nichtkrankes Zentralnervensystem befallt.
Noch der Umstand, daß nach einer gewissen Zeit ein progressiver Verblödungs-
prozeß eintritt und vorläufig dessen Teilerscheinung die Optikusatrophie
ist, zusammengefaßt mit der generellen primären Nervenzelldegeneration,
welche als solche das pathologisch - histologische Substrat für die Idiotie
abgibt, läßt logischerweise die Annahme machen, daß in den Fällen von
Sachsscher Idiotie das gesamte Zentralnervensystem (selbstverstäudhch
in seinen nervenzelligen Elementen) derart abnorm und extrem achwach
veranlagt ist, daß es die mit der Funktion einhergehenden physiologisehen
Abnützungen nicht zu ersetzen vermag; die ungemein schwach veranlagten
Nervenzellen erschöpfen sehr bald und unterliegen einem progressiven Ent-
artungsprozesse, welcher zum Untergang der Ganglienzellen mit daranf-
folgender Gliahyperplasie führt.
Der springende Punkt dürfte die primäre Nervenzellerkrankung sein,
welche als solche schon den Gedanken einer Zellabnützung rechtfertigt.
Dadurch, daß diese Abnützung auf sämtliche Nervenzellen sich erstreckt,
wird die Verblödung leicht begreiflich. Die Erkrankung der Pyramiden-
bahn ist gleichfalls aus der generellen Rindendegeneration erklärlich, welche
infolge ihrer wahllosen Ausbreitung auch die Zentral Windungen betrifft.
Die Erblindung im Verlauf der Sachsschen Krankheit ist Verfasser
geneigt, gleichfalls auf einen kortikalen Ursprung zurückzuleiten und als
eine Seeleublindheit aufzufassen. In dieser Ansicht bestärkt Seh. jene Fälle
von Sachs scher Idiotie, welche ganz normale Sehnerven und subkortikale
Optikuszentren aufwiesen.
Alles zusammengefaßt ist Seh. geneigt, die Sachs sehe amaurotische
familiäre Idiotie in jene Grupe von Edinger's Aufbrauclikrankheiten zu
reihen, welche durch die subnormale Veranlagung — wodurch auf die Dauer
die normale Funktion unerträglich wird — entstehen. Nur erblickt er in
der Sachsschen Kranklieit keine Mischform der Auf brauch krankheiten —
„direkter Defekt und allmälilicher Aufbrauch eines zu schwach angelegten
Apparates" (Edinger). — da nach seinen bisherigen Erfahrungen der
direkte Defekt gar keine oder, infolge seiner Seltenheit und Belanglosigkeit«
eine ganz untergeordnete ßolle spielt. Siciierlich repräsentiert aber
die Sachssche Krankheit ein klassisches Beispiel der Edinger-
schen Aufbrauclikrankheiten.
Vogt (93) bespriclit in dem ersten Teile seiner interessanten Arbeit
die Tay-Sachssche Form der familiären amaurotischen Idiotie, im zweiten
Abschnitt die Fälle von Higier, Freund usw. (familiäre zerebrale Diplegie)
und Fälle von der Heil- und Pflegeanstalt in Langenhagen, letztere klinisch
z.T. zwischen beiden Gruppen stehend; es ergibt sich dabei eine prinzipielle
Idiotie, Imbezillität, Kretinismus. 1029
tschaft der Krankheitsbilder. In einer später zu veröffentlichenden
verspricht V. eine Mitteilung der pathologisch - anatomischen Er-
seiner Untersuchungen. Die Fälle von „familiärer zentraler
sind solche, die mit Blindheit und progressiver Demenz einhergehen
;im Säuglingsalter, sondern in späteren jugendlichen Jahren einsetzen,
t Fälle zeichnen sich durch eine weitgebende Übereinstimmung aus.
ahin gesunde Kind (gewöhnlich mehrere in einer Familie, scheinbar
ondere Rassedisposition) erkrankt meist während des schulpflich-
bers, also im Alter von G — 14 Jahren. Die Kinder derselben
erkrankten, zuweilen im gleichen Lebensjahre. Der Beginn ist ein
ber, das erste Symptom ist meist Abnahme der Sehkraft, kann
1 Abnahme der geistigen Regsamkeit oder motorischen Scliwäche
ie Abnahme der Sehkraft führt im Verlaufe von Monaten zu
Brblindung. Ophthalmoskopische Atrophie der Papille. Die
Untwicklung steht still und geht zurück bis zum völligen Blödsinn,
id in Hand geht in den meisten Fällen damit eine Abnahme der
m Funktionen, die mit kompletter Lähmung endet, bald schlaff,
tisch; sie gehen schließlich zu Grunde.
reichungen dieses Krankheitsbildes stellen sich nur als Modifikation
itypus heraus.
Mehrzahl der Familie ist belastet. Auch bei Geschwistern finden
schwere Mißbildungen oder Neigung zu meist tödlicher Erkrankung
jrvensystems im frühen Lebensalter.
^ditäre Lues konnte V. in seinen Fällen in keiner der Familien
heit annehmen. (Ref. hat darauf hingewiesen, daß es jugendliche
gibt, die mit Lähmungen der Extremitäten einhergehen, sog.
^formen zwischen zerebraler Kinderlähmung und juveniler Paralyse.
daß hereditäre Lues nicht nachgewiesen werden konnte, sind die
V. doch sehr verdächtig.)
ler beschreibt V. einige Fälle, in welchen die Gehstöruug in das
ptische Neuron verlegt werden mußte. Die Übereinstimmung der
Sac haschen Form und der Fälle, der später erkrankten, ist in
sntlichen Punkten eine vollständige. Alle charakteristischen
finden sich in beiden Gruppen.
Krankheit ist für beide Formen exquisit familiär,
weniger charakteristisch, aber gelegentlich zu beobachten sind zu
Bulbäre Symptome, Papillenanomalien, Augenmuskelstörungen,
.tiou, Muskelatrophie und Gehörstörungen.
gänge nach Alter und Verlaufsart zwischen der Sachs scheu
id der anderen existieren.
Prädisposition der jüdischen Rasse für die zweite Gruppe scheint
auden zu sein. Der charakteristische Makulabefund der ersten
x\t in der zweiten.
trennenden Momente sind nur Modifikationen eines einheitlichen
ie Fälle beider Gruppen sind Repräsentanten einer gemeinsamen
in Kraukheitspruppe.
dcht kann man die Gruppe 2 als juvenile Form der infantilen
s) gegenüberstellen.
on Spielmeyer (88) beobachteten Fälle familiärer amaurotischer
en mit der Sachsschen Krankheit anatomisch und klinisch nichts
>en. In einem neuerlich anatomisch untersuchten Falle fand sich
im früheren makroskopisch nichts, hingegen mikroskopisch Auf-
ir Ganglienzellen durch Einlagerung einer körnigen, hie und da
1030 Idiotie, Imbezillität, Kretinismus.
pigmenthaltigen Masse. Weniger bedeutungsvoll sind die Veränderungen
an den anderen Elementen des Gehirns. (Obersteiner.)
Calabreso (20) beschreibt das Krankheitsbild, das vier Geschwister-
kinder im Alter von 9, 8, 7 und 5 Jahren bieten. Das Symptomenbild ist
bei allen das gleiche, nur bei den jüngeren Kindern weniger stark aus-
geprägt als bei den älteren. Es äußert sich in spastischen Kontrakturen
sämtlicher Muskeln — ohne Lähmungen, in Steigerung der Reflexe, im
Babinskischen Zeichen, Strabismus und hochgradiger Idiotie. C. faßt diesen
Zustand unter der Bezeichnung des Littleschen Symptomenkomplexes zu-
sammen, indem er die Littlesche Krankheit nicht als. eine klinische Ein-
heit anerkennt. — In der Familienanamnese spielt der Alkoholismus eine
große Rolle, von syphilitischer Infektion bei den Eltern ist nichts bekannt
Die Geburt der Kinder erfolgte ohne ärztliche Nachhilfe. — Verf. vertritt
die Ansicht, es handle sich hier um eine familiäre zerebrale Entwicklungs-
hemmung, die weiterhin — sekundär — die Pyramidenbahnen in Mitleiden-
schaft gezogen hat. (Merzbaditr,)
McKee (59) beschreibt einen Fall von familiärer amaurotischer
Idiotie. Der mikroskopische Befand steht noch aus.
Eliasberg (26) beschreibt einen typischen Fall von amaurotischer
familiärer Idiotie.
Bnchanan (16) macht darauf aufmerksam, daß der diagnostisch
wichtige Befund im Augenhintergrunde die Macula betriflft, welche nicht
das gewöhnliche rötliche Aussehen hat, sondern eine weiße Zone bildet,
welche die Fovea umgibt. Die Papillen sehen weiß-opak aus; alle feineren
Gefäße sind verschwunden. Die Arterien sind sehr eng. Das die Papille
umgebende Pigment tritt auffallend stark hervor.
Die Pupillen reagieren gewöhnlich träge. Bezüglich der Pathologie
schließt sich R. denjenigen an, welche einen degenerativen Prozeß annehmen.
Die Ätiologie ist noch dunkel. B. zitiert auch einen Fall von Clairborne,
welcher nicht von jüdischer Abkunft war.
Lngaro (52) bringt eine durch zahlreiche gute Abbildungen illustrierte
Studie zum sporadischen Kretinismus. Die Krankengeschichten von sechs
Fällen, die er selbst zu beobachten und zu behandeln Gelegenheit hatte,
sind der Publikation beigegeben. Besondere Aufmerksamkeit wird der
Differentialdiagnose zwischen sporadischen und endemischen Formen ge-
schenkt; eine Unterscheidung hält L. für möglich. Von der spezifischen
Schilddrüsenbehandlung erwartet der Autor gute Erfolge. (Merzbacher.)
Dementia. Juvenile Terl)IOdung.
Ausführliche klinische und autoptische Befunde eines Falles von
Dementia epileptica von Bourneville (12).
Fnlirinanii (29) hat es sich zur Aufgabe gestellt, einige Psychosen,
die zu der Gruppe der Dementia praecox paranoides gehören, näher zu
untersuchen und deren klinische Sonderstellung zu beweisen. Es werden
drei Fälle genauer beschrieben.
Es handelt sich um drei junge Leute, die in fast gleichem Alter er-
krankten. Die Väter waren Trinker. Bei allen entwickelt sich akut eine
Psychose, die zur Verblödung tiihrt. Das Initialstadium läßt sich im ersten
Falle in vielen Punkten mit einem Delirium tremens potatorum in Parallele
setzen; bei den anderen findet sich eine weitgehende Übereinstimmung mit
einer akuten Halluzinose der Trinker. Verf. nimmt an, daß der Alkoho-
lismus der Väter es gewesen sei, der verursachte, daß die Psychose der
Idiotie, Imbezillität, Kretinismus. 1031
3e8onderes alkoholisches Gepräge bekam. Mit dieser Annahme
ein Schritt vorwärts getan in der Analyse und der Bewertung
r Verblödungsprozesse, und es würde jetzt die Aufgabe sein,
Psychosen von Juvenilen mit gleicher, ausgeprägter hereditärer
zu untersuchen, d. 1j. die Psychosen der Nachkommen,, von
enan auf ihre Symptomatologie und deren zu erwartende Über-
g mit den akuten Zuständen von Alkoholintoxikation zu studieren.
kann sich nicht entschließen, dieses Krankheitsbild als Dementia
bezeichnen; es fehlen, sagt er, die Manieren, die Stereotypie,
londrischen Wahnideen, die ganzen katatonischen Symptome.
akute Beginn und Verlauf stehen im Gegensatz zu der meist
oft in Remissionen verlaufenden Dementia praecox; er nennt
5 Psychose: Akute juvenile Verblödung.
em einen Fall beobachtete Verf. übrigens ein eigentümliches
welches er als „Pachydermia facialis" bezeichnet; das Gesicht
tisen aus, es hat einen besonderen wächsernen Glanz: die feinere
g verschwindet mehr und mehr, nur die Stirn- und Nasenmund-
heinen grob und tief eingegraben. Wenn Pat. die Augen schließt,
Gesicht wie eine Totenmaske aus.
Infantilismus.
ar (36) erwähnt unter andern Entwicklungsstörungen auch die
nsystems. Leider fehlt hier meistens die anatomisclie Grundlage,
jind darauf angewiesen, aus funktionellen Regelwidrigkeiten auf
annte Veränderungen in dem Bau der Nervenzentren zu schließen,
^keit der Neurasthenie, aber auch schwerer Neurosen, der Chorea,
Hysterie bei zurückgebliebenen Personen ist bekannt. Auch
oße Ungleichheiten in der Ausbildung der psychischen Begabungen
sein, sodaß der eine oder andere sich beträchtlich über das
ebt, während die übrigen unter diesem stehen.
Kretinismus.
olz (84) faßt seine in mühsamer Arbeit, die im Original ein-
rerden muß, gewonnenen Resultate über den Stoffwechsel Kretiner
ier Schilddrüsen futterung zusammen wie folgt:
menfassung der Resultate der Stoffwechselversuche an
Kretinen bei Schilddrüsenbehandlung,
j kurze Übersicht meiner gewonnenen Resultate über den Stoff-
[retiner während der Schilddrüsenfütterung ergibt folgende Tat-
Diurese der Kretinen wird durch Schilddrüsenfiitterung gesteigert,
stoffausfuhr ist nicht wesentlich erhöht, es erfolgt keine bedeuten-
jißeinschmelzung, das Körpergewicht sinkt aber, sodaß der Gewichts-
jm Zerfall stickstofffreier Substanzen zuzuschreiben ist, wie auch der
3 Kohlenstoffverlust anzeigt. Die Kretinen verhalten sich speziell im
Stoffwechsel unter Schilddrüsendarreichung somit anscheinend anders
rlyxöderakranken, eher ähnlich wie die an Morb. Basedow leiden-
viduen. Trotzdem besteht bezüglich des Stickstoffstoffwechsels
kein prinzipieller Gegensatz zwischen Myxödem und Kretinismus,
man könnte schließen, daß der Kretinismus schon hinter dem Myx-
1032 Idiotie, Imbezillität, Kretimsmus.
ödem liegt. Das geht auch daraus hervor, daß der älteste Kretine sich
am unähnlichsten dem Myxödem gegenüber verhält. Die Harnstoffaos-
scheidung wird nur wenig beeinflußt. Die Harnsäureausfuhr steigt beim
Greise, sinkt bei den jüngeren Kretinen, um jedoch auch bei diesen spater
anzusteigen. Die Kreatininelimination ist beim Greise erhöht, bei den
jüngeren Individuen erniedrigt. Die Xanthinbasen werden vermehrt aus-
geschieden, während die Ammoniakwerte im Harne sinken. Der Phosphor-
säurestoffwechsel wird durch Schilddrüsendarreichung nicht wesentlich alteriert,
eher ist eine Retention der Phosphorsäure anzunehmen. Die Erdalkalien-
ausscheidung verringert sich, besonders der Kalk nimmt im Harne bis auf
einen Bruchteil ab, steigt jedoch in den Fäces. Chlor und Schwefelsaare
werden im Körper während der Thyreoideaperiode zurückgehalten. Das
Chlor verhält sich somit entgegengesetzt, wie beim Gesunden, M. Basedow-
und Myxödemkranken. Eine enorme Steigerung der Azidität des Harns,
besonders bei den jüngeren Kretinen, ist bei Schilddrüsenfütterung zu
beobachten.
Von großer Wichtigkeit wäre noch die Beantwortung der Frage, ob
andere Drüsen des tierischen Organismus sich ähnlich in ihrer Beziehung
auf den Stoffwechsel verhalten wie die Schilddrüse.
Ein übereinstimmender Einfluß der Thyreoidea und ihrer Präparate
im Vergleiche zu anderen Drüsen mit innerer Sekretion auf den Stoff-
wechsel besteht nach den angeführten Versuchen nicht.
Sheffield (85) weist darauf hin, daß Kretinismus, Rachitis und
Achondroplasie eng miteinander verwandte Zustände sind, und atypische
Formen derselben werden vielfach miteinander verwechselt. Sh. erläutert
diese Behauptungen an einschlägigen Beobachtungen.
Bei dem von Bayon (6) benutzten Material aus der Würzburger
Klinik schwankte das Alter der in Frage kommenden Individuen zväschen
17 und 92 Jahren. Als Färbemethoden wurden hauptsächlich Bioudi-
Ehrlich-Heidenhains Dreifarhengemisch, Sudan III und Heideuhains
Eisenhämatoxylin angewandt. Auf Grund dieser Untersuchungen konnten
in der Hypophysis eines 25 jährigen Kretins folgende Abweichungen von der
Norm gefunden werden:
Die Zahl der chromophilen Zellen (acidophil gekörnten) ist bedeutend
größer, als es bei einem so jugendlichen Individuum zu erwarten wäre. Das
Colloid ist vermehrt, einzelne Cysten haben einen Durchmesser von über
500 [1, ihre Wand ist durch eine einfache Lage von flachgedruckten Zellen
gebildet, die in ihrem Verhalten zum Teil an die Wand von erweiterten
Schilddrüsen follikeln erinnern, da das Protoplasma sehr schmal ist, aber der
Kern noch gut erhalten. Die bindegewebigen Septa sind entschieden dicker,
als es sonst der Fall ist. Die Bindegewebsbalken sind gänzlich frei von
Drüsenelementen und scheinen teilweise verdichtet zu sein. Zeichen von
regressiver Metamorphose oder Colloidumwandlung der Zellen sind keine zu
entdecken, nur zuweilen begegnet man im Stroma winzigen Kügelchen, welche
nach Erdheim als Fettkörnchen zu betrachten sind, die auch nach der
Extraktion einen Kest zurücklassen. Vor allem fehlen die hochgradigen,
zweifellosen atrophischen Veränderungen, die von Ponfick in seineu
Myxödemhypophysen beschrieben worden sind.
Was die Epiphysis anbelangt, so wurde auch hier versucht, sich eine
einwandsfreie ununterbrochene Beihe von Kontrollpräparaten zu beschaffen.
Dies gelang jedoch nicht, denn bei der überwiegenden Mehrzahl der Indi-
viduen war bereits ein zu starker Grad von „sandiger" Entartung vorbanden.
Die Epiphysis von Ferdinand Stock war relativ frei von Sand, enthielt
Funktionelle Psychosen. 1033
I ganz kleine Körner, die stark basophil waren. Die Septa
1 einzelnen Follikeln waren relativ sehr spärlich, sämtliche Zellen
leicht und deutlich. Auch hier war somit ein an puerile Ver-
onemdes Bild dargeboten.
bü und Femsini (20 a), die ausgedehnte Studien an Kretinen
cht haben, beschrieben hier zunächst alle die sogenannten De-
jichen, die sie an ihrem Materiale auffinden konnten, so die Farbe von
is, die Eigentümlichkeiten von Augen, Haare, Bartwuchs, der
Kopf- und Gesichtsschädel, der Nase, Ohren, des Bauapparates^
3r Zähne, endlich der primären und sekundären Geschlechts-
Auf zwei großen Tafeln vergleichen sie die Häufigkeit der
►egenerationszeichen" bei Geisteskranken, psychisch abnormen
[1 Individuen. Die Verwertung dieser Zeichen bei den Kretinen
I große Schwierigkeit, daß hier gerade durch den spezifischen,
m Prozeß eine große Reihe jener sogenannten Degenerations-
-eben können — die „Degenerationszeichen" sind gerade hier
isch (Haut und ihre Adnexe, Zähne, Knochenveränderungen);
^eil bleibt nur verwertbar. Es zeigt sich ferner, daß bei den
wie bei den akquiriei-ten Formen die Häufigkeit des Vorkommens
ationszeichen" eine gleich große ist. Der Satz, daß der Kretine
sten Stufe der Degeneration stehe, erscheint den Autoren nach
uchungen nicht zu Recht zu bestehen. (M(Tzbacher.)
Fanktionelle Psychosen.
renten: Direktor Dr. Clemens Neisser-Bunzlau
und Oberarzt Dr. Ziertmann-Bunzlau.
k., Osscnrationi statisüche e clinicbe sulla frenosi maniaco-depressiva.
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49. AVherry, J. W., Is Delusional Insanity Due to Disease of the Brain. Alienist and
Neurologist. Febr.
Thalbitzer (47) lehnt in einer „Melancholie und Depression-
betitelten kleinen Abhandlung die selbständige Stellung, welche Kraepelin
Funktionelle Psychosen. 1035
holie" des Rückbildungsalters gegenüber dem manisch-depres-
n anweist, ab, da weder die Ätiologie noch die klinische Symp-
iiese Gegenüberstellung rechtfertige. Allenfalls könne eine kleine
fiückbildungspsychosen als selbständige Form herausgegriffen
r diese passe dann aber nicht die Bezeichnung „Melancholie",
pressiver Wahnsinn". In der Begründung verweist der Autor
f ein vorläufig nur in dänischer Sprache erschienenes Buch über
I- depressive Psychose".
hitz (20) hat auf Anregung von Ziehen alle Fälle von Melan-
in den Jahren 1890 — 1904 in der Berliner psychiatrischen
Beobachtung kamen, zusammengestellt, um über die ätiologisch
[omente Aufschluß zu erhalten. Es ist dabei der Begriff der
in dem Sinne aufgefaßt worden, wie ihn Ziehen in seinem
)r Psychiatrie darlegt. Unter 29 969 Aufnahmen fanden sich
Melancholien = 1.2 %, nach dem Geschlecht geordnet, unter den
5%, unter den Frauen 2,89%. Zum ersten Mal erkrankt waren
^ und unter diesen 210 = 78,1% Frauen, gegen 59 = 21,9%
LS Maximum der Häufigkeit wurde bei den Frauen gegen Mitte
Jahre erreicht; von allen in diese Zeit fallenden Melancholien
die Hälfte nur ganz kurze Zeit nach Eintritt der Menopause
IS einige Monate bis 1 Jahr, ein Umstand, der es fast zur
lacht, daß es sich um eine durch die Involution bedingte Er-
Disposition handelt. 27,6 "o Frauen waren ledig, 62,4% ver-
% verwitwet. Belastende Momente verschiedener Art waren
),o% nachweisbar; die Melancholiker der zweiten Hälfte des
luiums wiesen am häufigsten erbliche Belastung auf. Angeborenes
lies Temperament war in 48 Fällen = 17,8%, das Gegenteil in
:7,4% aufgefallen; bei 20 Fällen = 7,4% bestand deutlicher
Schwachsinn. Überanstrengung und Erschöpfung kam bei
, Gemütsbewegungen, darunter in erster Linie seelische Er-
folge trauriger Ereignisse in der Familie (75 Fälle = 27,9%),
3,8%, Schreck nur bei 3 Fällen in Betracht. Von infektiösen
n, die eine wesentliche Rolle bei der Entstehung der Psychose
n, fand sich Influenza in 5 Fällen = 1,9 ?o; im übrigen schienen
im ganzen nur eine geringe Bedeutung zu haben. In 3 Fällen
edowsche Krankheit seit einem oder mehreren Jahren. Schwere
i, die mehrere Jahre vorhergegangen w^aren oder in der Jugend
fanden sich 7 mal erwähnt. Bei 5 weiteren Melancholikern lag
ng nur kurze Zeit zurück, sodaß eine direkte Beziehung nicht
m schien. Potatorium lag bei 2 Frauen = 1 ^o und 7 Männern
3r; derartige Melancholien waren meist ausgezeichnet durch
^stafl^ekte. 7 = 3,3 % aller weiblichen erstmaligen Melancholien
angerschaftsmelancholien, 6 = 2,9 °o Wochenbettsmelancholien,
j Verf. 18 Hysteromelancholien = 6,3 ^o, darunter 2 Männer, und
mische Melancholien = 9,7%, die bei Männern ungleich häufiger
ei Frauen (23,7:5,7%); relativ oft fand sich bei ihnen Mastur-
:iologisches Moment.
69 Fällen von erstmaliger Erkrankung stehen 82 gegenüber, bei
ier mehrere Anfälle vorausgegangen waren, darunter 58 rezidi-
l 24 periodische Formen. Bei den Re/.idivmelancholien betrafen
en. Erbliche Belastung fand sich 28mal = 48,3%, besonders
sckliche Wortbildung! (Ref.)
1036 Funktionelle Psychosen.
oft gehäufte sehwere Heredität. Nicht immer war eine Grelegenheitsursache
nachweisbar; manchmal war es erstaunlich zu sehen, wie aus ganz nichtige!
Veranlassung das Rezidiv ausbrach, während im Intervall selbst schwere
Schicksalsschläge, wie der Verlust von mehreren Kindern, überwunden wurden,
ohne Spuren zu hinterlassen. Von den 24 periodischen Melanchohen ent-
fallen 22 = 91,7% auf Frauen, nur 2 = 8,3% auf Männer. ErbUche, oft
sehr schwere Belastung bestand in 13 Fällen == 54,2 %. Traumen schienen
gar keine Rolle zu spielen. In einem Falle zog die periodisch Melancholische
im Intervall sich eine schwere Basisfraktui* zu, ohne daß sich daran eine
neue Attacke schloß. Es traten zwar Symptome traumatischer Neurasthenie
auf, die Melancholie jedoch stellte sich erst nach» Ablauf des gewöhnlichen
Intervalls ein. Unverkennbar war in 3 Fällen = 13,6% ein direkter Zn-
sammenhaug mit dem Fortpflanzungsgeschäft, Schwangerschaft und Wochen-
bett. Auch bei der periodischen Melancholie fiel, und zwar in verstärktem
Maße, auf, daß in der Zeit zwischen den Anfällen selbst durch starke Ge-
mütserschütterungen gelegentlich keine neue Attacke ausgelöst wurde.
Cololian (4) hat an 70 Fällen, von denen er 10 ausführlicher mit-
teilt, die Beziehungen der Melancholie zur Cholämie studiert und kommt
zu dem Ergebnis, daß die Leber in der Pathogenese der Melancholie eine
hervorragende Rolle spielt, insofern als die Gallenaffektionen und die einfache
familiäre Cholämie einen ursächlichen Zusammenhang mit der Melancholie
haben. Jedoch steht die Intensität der Cholämie nicht in direktem Ver-
hältnis zu der der Melancholie; während bei sehr leichter Cholämie sich
schwere Stuporzustände fanden, wurden bei leichten Depressionszuständen
sehr intensive Cholämien beobachtet. Ausschlaggebend ist die neuropathische
Disposition des Individuums; Prädisponierte und Degeneres zeigen nur geringe
Widerstandsfähigkeit gegen die toxische Wirkung des Bilirubins. Bei den-
jenigen Fällen, welche in Heilung übergingen, schwanden zuerst die Leber-
symptome; die Cholämie ging zurück, das Ürobilin verschwand allmählich
und die Gremelinsche Reaktion nahm an Intensität ab, bevor irgend ein
psychisches Symptom die Heilung ahnen ließ. Zum Schluß weißt C. auf
den für die Therapie günstigen Umstand hin, daß die allgemein übliche
Behandlung der Melancholie — Bettbehandluug und von diätetischen Maß-
nahmen hauptsächlich Milchdiät — auch das geeignetste Verfahren zur
Heilung der Cholämie darstellt.
„Zur Symptomatologie der Melancholie" bringt Jnliusblirger
(18) einen höchst interessanten kasuistischen Beitrag. Dasjenige Syraptom,
um dessentwillen der Fall mitgeteilt wird, ist eine Zweiteilung des Ich-
bewußtseins der Patientin, aus deren eingehend beschriebenen Äußerungen
folgende Sätze mitgeteilt seien: „In der Mitte hier (die Kranke zeigt auf
die untere Hälfte des Stemum) fühle ich mein Ich, von da geht ein Druck
aus, von da kommen auch die Gedanken. Hier kommt etwas her, das
befreit werden möchte, als wenn es hier eingekerkert wäre, es drängt von
hier, das ist eben mein Ich; ich habe zwei Ich; das eine ist mehr solci
ein negatives, das habe ich, wenn ich ganz still liege; eins sitzt im Kopfe,
eins sitzt hier; das negative sitzt im Kopfe, das andere sitzt hier drinnen.
Das eine beobachtet immer alles und hört alles, ist nicht so persönlich, ist
wie eine dritte Person; das andere will selber leben, möchte 'raus aus mir,
sitzt hier unten in der Brust; das eine Ich hat keine Gedanken, hört bloß?
nimmt nur auf, was es von anderen hört, das andere drängt so Vauf, wiU
leben ..."
Die Analyse des Symptoms glaubt Juliusburger dahin geben zu
müssen, daß die normale innige Verknüpfung und funktionelle Einheit des
Funktionelle Psychosen. 1037
ad des sekundären Ichs, des Organgefühls (Somatopsyche) und
Denk- und Wahrnehmungsvorgänge durch die krankhafte Störung
Die näheren Ausführungen hierüber vertragen eine gekürzte
> nicht; es sei deshalb auf das Original verwiesen,
seh ist leider über den Fall aus der Mitteilung kein Urteil zu
?s wird weder das Alter der Patientin angegeben noch die sonstige
Jogie, welche erst die Bezeichnung Melancholie rechtfertigen
Lr die theoretische Analyse gewisser psychotischer Elementar-
en wird der Fall, dessen ausführliche Veröffentlichung sehr
ert wäre, einen großen Wert behalten, auch wenn man die
m Bemerkungen des Autors nicht für durchgreifend erachtet
L8blll^er(17) teilt unter der Bezeichnung Pseudo-Melancholie
kheitsfall einer erblich stark belasteten 30jährigen Dame mit,
Igemeinen melancholische Störung damit einsetzte, daß sie sich
Male", wie sie selbst angab, die Angehörigen, die Wohnung, den
cht mehr vorstellen, nicht „vor das geistige Auge führen" konnte;
:onnte sie seit dieser Zeit „die Gegenstände, die das Auge wahr-
er Erinnerung nicht mehr vorstellen", ebensowenig den Geschmack
sdenen Speisen, sie merkte angeblich nicht wie die Zeit ent-
leichzeitig bestand Schlaflosigkeit, das Gefühl gemütlichen Ah-
ns und ein außerordentliches Gefühl von Denkerschwerung,
mgsstörungen blieb sie frei, nur gibt sie an, eine Zeit lang nicht
laben sprechen zu können und einmal auf Geheiß die Zunge
)racht zu haben. Im späteren Verlaufe traten Entschlußunfähig-
ksgefühl, Selbstvorwürfe, auch Selbstmordgedanken in den Vorder-
Störung bestand, wenngleich mit erheblichen Inten sitätsch wankungen
von Jahren hindurch, ist aber von Juliusburger nur etwa
obachtet worden, der spätere Verlauf ist nicht bekannt. Die ob-
ersuchung konnte eine Verlangsamung bezw. Hemmung des
Geschehens nicht konstatieren ebensowenig wie eine Störung der
onen.
sburger nimmt eine primäre Störung der sogenannten Organ-
; auf diese somatopsy chische Afunktion bezw. Paraf unktion
) gesamten Krankheitserscheinungen zurückzuführen und reiht den
bekannten Forste rschen Falle von „elementarer allgemeiner
lose" an. Mit Rücksicht auf das klinische Gesamtbild und seine
mit der echten Melancholie wählt er die Bezeichnung Pseudo-
ie.
astner (48) bespricht unter dem Namen: Pseudomelancho-
itände die mannigfaltigen Krankheitsbilder, bei welchen melan-
irtete Symptomkomplexe zur Beobachtung gelangen. Zunächst
erinnert, daß Versündigungswahnideen bei der Paralyse, bei der
i Degenerierten, Debilen, bei toxischen Psychosen, bei Hysterischeu
ileptikern sich finden und auf die verschiedene Färbung hin-
Blche das Symptom im Rahmen dieser Krankheitsprozesse auf-
mn bespricht er diejenige Verla ufsfonn von Psychosen, welche
ung einer sekundären Paranoia geführt hat. In der Regel
!ch hier um pseudomelancholische Zustände; doch behauptet er,
llos" auch Fälle einer Melancholie einer Paranoia vorausgehen,
n zur Illustration angeführten Krankengeschichte scheint er aber
t — eine zwingende Beweiskraft selbst nicht zuzuschreiben. Verf.
m diejenigen Fälle, wo im Verlaufe einer akuten oder chronischen
sehen Paranoia interkurrent primäre Verlangsamung des Vor-
1038 Funktionelle Psychosen.
Stellungsablaufs, primäre Depression oder Angst, also dem Krankheitsbilde
der Melancholie zugehörige Symptome auftreten. Wenn diese melancholischen
Symptome, was in anderen von Ziehen zuerst beschriebenen Fällen zu beob-
achten ist, dem Bilde der akuten halluzinatorischen Paranoia nicht inter-
kurrent, sondern dauernd und von Anfang an beigemischt sind, so ist die
Diflferentialdiagnose gegenüber der echten Melancholie vor allem aus dem
frühzeitigen Auftreten von Halluzinationen und insbesondere auch aus dem
Umstände zu stellen, daß neben den durch den depressiven Vorstellungs-
inhalt vermittelten Halluzinationen auch unvermittelte gleichgültigen oder gar
heiteren Inhalts auftreten. Drei Krankengeschichten folgen zur näheren
Kennzeichnung. Endlich kommt Vorkastner auf diejenigen Fälle zu
sprechen, wo ein melancholisches Stadium auf ein halluzinatorisch-
paranoisches folgt, Fälle wie sie von Gluszezewski in seiner Inaug.-
Diss. (Marburg 1902) beschrieben sind, wofür 4 Beispiele mitgeteilt werden.
Die Fälle bieten folgendes Gemeinsame: Akutes oder subakutes Einsetzen
einer Psychose mit Halluzinationen, primären oder halluzinatorischen Wahn-
ideen event. Inkohärenz; nach verschieden langer Dauer Nachlassen oder
gänzliches Verschwinden dieser Symptome, Auftreten von Selbstanklagen und
Versündigungsideen unter den Begleiterscheinungen der Hemmung, Angst
und Depression, Übergang dieses Stadiums in Heilung. Während Glusze-
zewski die Fälle klinisch als'solche von echter Melancholie mit einem hallu-
zinatorischen Initialstadium betrachtet, möchte Vorkastner lieber von einer
halluzinatorischen Paranoia mit einem pseiidomelancholischen
Nachstadium sprechen. Für die Erklärung des Auftretens eines solchen
pseudomelancholischen Nachstudiums kommen nach ihm in erster Linie
individualpsychologische Momente in Betracht. Die Ausführungen hier-
über sowie die anschließenden theoretischen Erwägungen sind im Original
nachzulesen.
Specht (45) weist auf die chronische Manie als eine, wie er sagt,
durchaus nicht seltene Krankheitsform hin, der eine selbständige noso-
logische Bedeutung zukommt, die aber bisher von den meisten Autoren
nicht als solche gewürdigt werde. Sie gehört der Gruppe der konstitutioneUen
Psychopathien zu und tritt in der Regel mit der Ausreifung der PersönUch-
keit in die Erscheinung. Der Kern wird von einer manischen Verstimmung
gebildet, meist in der hypomanischen, nörgelnden bezw. vernünftelnden Form;
die chronische Verlaufs weise aber erzeugt, wie Koch schon angedeutet
hat, eine Deckschicht von sekundären Symptomen, die der Erkennung des
ursprünglichen Zustaudes gewisse Schwierigkeiten bereiten kann. Zuweilen
wird die Diagnose durch chronischen Alkoholismus irre geleitet, auch epilep-
tisches Irresein und Dementia paranoides sind schon diagnostiziert worden.
Die Mehrzahl der Fälle aber werden fälschlich der chronischen Paranoia
zugezählt. Die chronisch gereizte und expansive Stimmungsrichtung läßt
einen Niederschlag pathologischer Feindschaften einerseits und Renom-
mistereien andererseits entstehen, „die, weil das produzierende Agens sich
nicht erschöpft, allmählich das täuschende Aussehen paranoischer Wahn-
bildung annehmen kann". Eine eindringendere Analyse der symptomato-
logischen Eigenart und die Berücksichtigung der klinischen Vorgeschichte
und des klinischen Verlaufs sollten vor dieser wissenschaftlich wie praktisch
namentlich auch forensisch keineswegs belanglosen Verkennung schützen.
Die Beibringung kasuistischer Beläge behält sich Specht für eine weitere
Arbeit vor.
Oeist (13) bringt einen interessanten kasuistischen Beitrag „zur Lehre
von der periodischen Manie". Es handelt sich um einen 53jährigen
Funktionelle Psychosen. 1039
elchem von seinem 15. Lebensjahre ab Anfälle von Erregung
ind, nachdem eine mit Fieber einhergeliende in ihrem "Wesen
bekannte, aber sicher das Gehirn beteiligende Erkrankung ein
'orangegangen war (Insolation?). Die Anfälle waren durch jähe
6 und blinde Zerstörungssucht ausgezeichnet, trugen im ganzen
rent-manischen Charakter, doch waren meist stürmische Selbst-
j eingeschaltet. Das Auffällige ist, daß jeder der größeren
ersten bis zum letzten sich aus einer Serie kleinerer Anfälle
zteu, welche durch mehrtägige freie Intermissionen unterbrochen
selben werden näher beschrieben; ob aber während derselben
aerweiterung und — Labilität bestand — ein Symptom, auf
sser hingewiesen hat — ist leider nicht angegeben worden.)
rt an die von Pilcz und Neisser betonte Beziehung periodischer
^en zu Gehirnaffektionen, die in der Jugend aufgetreten sind,
nicht für ausgeschlossen, daß dem erwähnten vorausgegangenen
Leiden eine ätiologische Bedeutung auch in seinem Falle zu-
sei. (Die von den genannten Autoren in demselben Sinne ver-
oplexien möchte Geist anders beurteilt wissen; es handle sich
iner Meinung wohl stets um eine fortschreitende arteriosklerotische
I Daß den periodischen Erkrankungen mit serienweisen Anfällen
günstige Prognose zukommt, was Pilcz behauptet, wird auch
orliegenden Fall insofern bestätigt, als die Intelligenz trotz der
kheitsdauer sich nicht gestört zeigt und als die freien Zwischen-
r länger geworden sind (bis zu 9^j^ Jahren Dauer; allerdings
e Anfälle selbst immer länger geworden.
Qtscheidung der Frage über den Eintritt dauernder .Erwerbs-
weiche bei Geisteskrankheiten, namenthch aber in Fällen
Dr Geistesstörung, bei der Ausfüllung der Invaliditäts-
1 oft große Schwierigkeiten macht, wird von Sioli (43) durch
ines Falles einer praktischen Klärung zugeführt. S. führt ein
leichsversicherungsamtes (vom 3. Oktober 1904) an, welches zur
dienen kann. Es darf die dauernde Invalidität nicht vom
periodischen Psychose an gerechnet werden, sondern rück-
st von dem Zeitpunkte ab, von welchem ab längere zusammen-
jiten nicht mehr vorgekommen sind, in denen die Erwerbsfähig-
er ^/g der normalen erhoben hat.
r Hand von drei gut beobachteten Fällen, welche verschiedene
lanisch-depressiver Mischzustände im Kraepelin-
ichen Sinne darboten, weist Pfersdorff (31) auf die selb-
hologische Dignität der dabei zu beobachtenden motorischen
Vorgänge hin. Während die motorischen Äußerungen in den
Q Fällen des manisch-depressiven Irreseins vorwiegend der Inter-
)S Bewußtseinsinhaltes dienen, ist die Konstellation der Symp-
i Mischzuständen vorzugsweise geeignet, eine distinkte Erregung
ruppen von Bewegungsvorstellungen zu Tage treten zu lassen.
mUchkeit dieser Konstellationen sucht Verf. eingehend zu analy-
e feinen Ausführungen Pfersdorffs würden an Vertiefung noch
aben, wenn er die meisterhaften klinischen Beschreibungen der
n Bewegungsvorgänge, welche wir Wernicke verdanken, nicht
ignoriert hätte! Ref.)
rti (1) begibt sich auf die Suche nach positiven allgemeinen
die all den Formen zukommen, die nach Kraepelin in den
3 manisch-depressiven Irreseins gehören. Bis jetzt, so glaubt er,
1040 Funktionelle Psychosen.
besitzen wir noch kein richtiges klinisches Symptom, das nns erlanben
könnte, den einzelnen Anfall mit Sicherheit zu charakterisieren und in die
allgemeine Gruppe des manisch-depressiven Irreseins mit Bestimmtheit zu
verlegen. — In dieser Mitteilung untersucht er an der Hand von 293 sicheren
Fällen, die in diese Krankheitsgruppe gehören, den Einfluß der Vererbnpg
auf Beginn, Schwere, Häufigkeit der Anfälle, ferner die Häufigkeit der
einzelnen Formen, in denen die Erkrankung in die Erscheinung treten kann;
schließlich wendet er sein Augenmerk den einzelnen äußeren Ursachen zu, die
den Ausbruch des Anfalles in den einzelnen Fällen veranlaßt zu haben
scheinen. Erbliche Belastung liegt in 80% der Fälle vor, bei denen nur
zwei Anfälle beobachtet wurden, in 84% der Fälle, bei denen mehr als
zwei Anfälle zur Beobachtung kamen. (Die Fälle mit nur einem beob-
achteten Anfalle schließt der Autor von seiner Statistik aus.) In 36 bezw.
45 % der Fälle handelt es sich um direkte psychopathische Vererbung. Die
Schwere der Anfälle steht mit der Schwere der Vererbung in direktem Ver-
hältnis. Das Alter, in dem der erste Anfall zur Beobachtung kommt, ist
beim Mann und der Frau verschieden, indem beim Manne etwas frühzeitiger
der erste Anfall zum Ausbruch kommen soll als bei der Frau. Das Durch-
schnittsalter soll zwischen 21 und 30 Jahren liegen. Die Mischzustände
werden als die häufigst in die Erscheinung tretenden Formen der Psychose
angetroffen, und je schwerer die ganze Erkrankung ist, desto häufiger sollen
die Mischzustände vor den Erregungszuständen und den Depressionen prä-
valieren. — Der zweite und der. folgende Anfall scheint längere Zeit anzu-
halten als der vorangehende. Äußere veranlassende Ursachen finden sich
relativ recht häufig, dieselben scheinen den ersten Anfall ganz besonders
gern auszulösen, während dieselben als Ursache der folgenden meist ver-
mißt zu werden pflegen. (Merzbacher.)
Gierlich (14) bringt drei sehr interessante und wichtige Kranken-
geschichten von Fällen periodischer Paranoia, welche ihm zugleich zu
Betrachtungen über die Entstehung der paranoischen Wahnideen im
allgemeinen einen Anlaß bieten. In allen drei Fällen handelte es sich \\m
erblich belastete Individuen, bei welchen auf der Höhe des Lebens unter
dem Einflüsse allgemeiner und speziell das Nervensystem schwächender
Momente, nachdem 2 — 3 Monate lang neurasthenische Symptome
von intensiver Stärke die Patienten beherrscht haben und (was vom Verf.
vielleicht nicht genügend gewürdigt wird; Ref.) Verdauungsstörungen voran-
gegangen sind, „unvermittelt ohne melancholische oder maniakalische Gefülils-
störungen systematisierte Wahnideen auftreten, die sich als Beziehungs-,
Verfolgnngs- resp. Eifersuchtswalm dokumentieren." „Der Kranke steht
völlig unter dem Eindruck der Wahnideen, so daß Stimmung und Handeln
ganz durch dieselben bedingt wird. Erstere äußert sich in einer großen
Gereiztheit und Zornmütigkeit, sobald der leiseste Versuch gemacht wird,
den Wahnideen entgegenzutreten. Im übrigen sind die Patienten in diesen
Anfällen bei vollkommen klarem Sensorium, über Person, Zeit, Ort bestens
orientiert. Die Wahnideen hielten sich mehrere Wochen hindurch in voller
Stärke, dann lenkten die Kranken ein, und relativ schnell innerhalb 2 — i
Tagen kam es zu voller Krankheitseinsicht mit Rückgang des Zornaffekts
und ohne reaktive Gefühlsanomalien. Die Anfälle waren von einer starken
Gewichtsabnahme begleitet. Die Wiederkehr der Anfälle war durch ge-
eignete Maßnahmen, die einer Schwächung der Patienten zu einer bestimmten
Jahreszeit vorbeugten, zu verhüten oder doch in ihrer Intensität sehr zü
mildern. Bezüglich der Pathogenese der paranoischen Wahnideen sucht G.
dann an der Hand von noch weiteren instruktiven Beispielen nachzuweisen.
Fanktioiielle Psychosen. 1041
lie intellektnelle Störung, noch die affektive für sich allein zur
les psychopathologischen Herganges ausreichen, daß vielmehr
on beiderlei Art zusammenwirken müssen.
liemöller (25) berichtet über einen Fall von periodischer
bei welchem bisher innerhalb von 12 Jahren 11 Anfälle von Ver-
1 fast völlig gleicher Art aufgetreten sind, von denen nur der
3nbar infolge von voraufgegangenem Alkoholmißbrauch — mit
symptomatischer Sonderzüge ausgestattet war. Mönkemöller
nd auseinander, daß der Fall als periodische Paranoia bezeichnet
se. Er streift dabei alle Einwände, welche von den Autoren
ing dieser Krankheitsform gemacht worden sind. Anamnestisch
erblich nicht belasteten Patienten hervorzuheben: Mit 6 Jahren
indung", bei welcher er über 14 Tage bettlägerig war und heftig
Seitdem häufige Kopfschmerzen, Intoleranz gegen Alkohol und
•fters lebhafte Träume mit Übelbefinden am folgenden Morgen.""
n 20 Jahren trat der erste Anfall auf. Die Anfalle entwickelten
il in jähem Anstieg, fielen aber nur allmählich zur Norm ab.
ör Einzelheiten, unter denen noch manches Besondersartige sich
Luf das Original verwiesen. Mönkemöller erörtert die Frage,
über Jugend erlittenen „Gehirnentzündung" im Sinne von Pilcz
ische Bedeutung beizumessen sei. Er hat das Osnabrücker
i Rücksicht auf die Ätiologie der periodischen Psychosen einer
unterworfen. Von 56 unzweifelhaft periodischen Psychosen —
i und 27 Frauen — , von denen 32 an periodischer Manie
und 15 Frauen), 10 an periodischer Melancholie (2 Männer
en), 11 an zirkulärem Irresein (8 Männer und 3 Frauen), 2 an
Amentia (je 1 Mann und 1 Frau und 1 Mann) an periodischer
;en, fanden sich 27 mal hereditäre Belastung und 13mal schwerere
nen. Von 20 Fällen liegen Sektionsbefunde vor, von denen 6
iterial für die Pilczsche Theorie zu liefern geeignet sind. Die
i von Mönkemöller in einer tabellarischen Übersicht zusammen-
' welche spätere Bearbeiter der Frage zurückzugreifen haben
kt (41) teilt zwei in ihrer Entwicklung durch Jahre genau
Fälle als zur „katatonischen Verrücktheit" gehörig, mit,
Bemeinsame haben, daß sich die ausgeprägte Psychose aus einem
nden Vorstadium herausentwickelte, in welchem die Kranken
Magnose Neurasthenie betrachtet und behandelt wurden. Es
pressant, an der Hand der Krankengeschichten zu verfolgen, wie
lie nervösen, anfänglich geordneten und ihrer Beschaffenheit nach
ers auflFalligen Beschwerden einen immer mehr seltsamen, bizarren,
n Charakter annahmen und das Verhalten der Patienten immer
nwilliger und negativistischer wurde. Bei dem zweiten Falle ist
ang im Anschluß an einen Unfall beachtenswert, der erste Fall
mptomatischer Hinsicht eine Zeit lang eine eigentümliche Ver-
hebephren - geschraubter Redeweise mit seltsamen Wortneu-
it knüpft an die Mitteilung der Krankengeschichten allgemeine
en über die nosologische Bedeutung der sogen. Hypochondrie
iber die Frage, inwieweit die nachmaligen psychotischen Symptome
T individuellen Disposition kenntlich sein möchten.
Itnann (12) hat seine bekannten und bedeutsamen Uuter-
iber die psychologische Grundlage der paranoischen Wahnbildung
it f. Neurologie and Psychiatrie 1906. 66
1042 Funktionelle Ptychosen.
wieder aufgenommen und handelt in dem Torliegenden ersten Beitrage „über
milde Paranoiaformen^*. Er führt als besonders paradigmatisch zunächst
in voller Ausführlichkeit 3 Krankengeschichten vor als Muster endogener,
d. h. aus den Eigentümlichkeiten der betroffenen Persönlichkeit ableitbaren
Wahnbildung. Es handelt sich dui'chweg um von Haus aus krankhaft
disponierte Persönlichkeiten, welche unter der gemütserregenden Einwirkung
eines bestimmten Erlebnisses mit Wahnideen vom Charakter der Verfolgung
erkranken und nach etwa 2—3 Jahren durch Nachlassen des Affektes —
allerdings ohne volle Korrektur ihrer Wahnkonceptionen — genesen. Das
an sich zur Erregung von Unruhe und Mißtrauen geeignete Erlebnis stellt
aber nicht nur die Ursache der Wahnbiidung dar, sondern bleibt auch
während der ganzen Erkrankung das einzige Objekt der Ideenkette. Die
Fälle reihen sich den Wernickeschen Fällen von überwertiger Idee und
dem Querulantenwahn an. Halluzinationen fehlten in allen Fällen oder
spielten doch nur eine ganz untergeordnete Rolle. Friedmann schließt
aus seinen Fällen, daß die endogene Paranoia heilbar bleibt, „solange die
Erkrankung den Charakter der direkten Reaktion auf eine bestimmte äußere
Ursache beibehält". Gegenüber diesen Formen stellt Friedmann die exo-
genen Wahnbildungen, wie sie z. B. auf dem Boden der periodischen
manisch-depressiven Psychosen zustande kommen. Das Grundelement der
Verfolgung beruht hier nach ihm nicht auf einer logischen Idee, sondern
auf einem treibenden Gefühle. Bei den endogenen paranoischen Wahn-
bildungen steht die logische Denkarbeit im Vordergrunde, und der Beziehungs-
wahn bestätigt nur die Gedanken. Bei allen exogenen Formen hingegen
kommen die Wahnvorstellungen impulsiv und unvermittelt, und die
logische Reflexion nimmt nur oberflächlich an der Weiterentwicklung teU.
Endlich gibt es noch eine dritte mildeste Art der Erkrankung, welche
schließlich ohne sichtbare Grenzen in einfache exzentrische oder afiektire
Charakterbildungen übergeht. Diesen soll der Beziehungswahn fehlen.
Dadurch unterscheidet sich die Gruppe, deren bekanntester Typus der Eifer-
suchtswahn sei, von der eigentlichen Paranoia und schließt sich mehr dem
hypochondrischen Denken und dem Erfinderwahn an.
Aus dem Mitgeteilten möge die Wichtigkeit des Studiums der Original-
arbeit hervorleuchten. Bei der Schwierigkeit des Gegenstandes dürfte eine
gekürzte Wiedergabe den Gedankengang des Verfassers nicht ganz richtig
spiegeln.
Siefert (42) teilt einen in der Hitzigschen Klinik beobachteten Fall
von chronischer Paranoia mit, welcher durch seine Entwicklung bemerkens-
wert ist. Ein erblich nicht belasteter und in keiner Weise psychopatfaiseh
konstituierter Mann, der aber eine luetische Erkrankung durchgemacht hat,
erkrankt nach einem kurzen Prodromalstadium allgemeiner Verstimmung an
einer in ihrer Intensität mehrfach schwankenden hypochondrischen Psychose.
Nach mindestens viermonatlichem Bestände dieses hypochondrischen Bildes
bildeten sich ziemlich rasch unter gleichzeitigem Einsetzen einer motorischen
Unruhe ausgesprochene Kleinheits- und Versündigungsideeu aus, denen sich
bald Elemente eines ängstlichen Beachtungswahns hinzugesellten. Acht
Wochen später setzte dann „mit elementarer Macht ein schwerer wahnsinns-
artiger Zustand ein; anfangs bewegt sich dabei alles noch in den melancho-
lischen Vorstellungskreisen, bis auf einmal mit einer erstaunlichen Unver-
mitteltheit das melancholische Element zurücktritt und einer Masse schwerster
Verfolgungsideen Platz macht." Innerhalb weniger Tage trat Beruhigung
ein, zugleich aber lag ein weitschichtiges System von expansiven Größen-
ideen zu Tage, welches seither in Jahren einen immer ungebeuerlicheieii
FunktioDelle Psychosen. 1043
ihren hat Der Fall, welcher diagnostisch lange Zeit verkannt
, regt S. zu einer Reihe klinischer Betrachtungen von prinzipieller
an, bezüglich deren auf das Original verwiesen werden mufi.
erscheint ihm der Fall geeignet, die nur aus der anatomisch-
hen bezw. lokalisatorischen Betrachtungsweise heraus verstand-
»dienz des paranoischen Prozesses darzutun und die Künstlichkeit
ne einer sekundären Paranoia zu erweisen.
nem geistreichen kleinen Essai sucht Lomer (21) die Be-
zwischen Paranoia und Liebesempfindung auf. Er defi-
sem Zwecke die Paranoia als „ein Übennächtigwerden bezw. -sein
^rstellungskomplexe, deren Übergewicht am Ende so groß wird,
h die Kräfte des logischen Denkens dienstbar machen und da-
lirer Wertigkeit herabdrücken". In ähnlicher Weise steht der
nter dem Banne eines Zwangstriebes, welcher sein ganzes Tun
bestimmt. L. versucht die Analogie im einzelnen durchzuführen,
bei der klinischen Symptomatologie der Paranoia gerecht würde,
ings nicht zugestanden werden. Es kommt ihm auch mehr auf
pologischen Hinweis an, daß die Natur, um ihren höheren Zweck
n, sich unter Umständen nicht scheut, Mittel anzuwenden, deren
unser Verständnis die Breite des „Normalen" beträchtlich über-
Q diesem Sinne könne der Liebeszustand als eine „physiologische
bezeichnet werden.
man (29^ teilt zwei Fälle von Paranoia mit, welche sich durch
erheit der Halluzinationen auszeichneten, bei denen der Glaube,
sein, die Hauptrolle spielte. ^ (Bendix.)
er (24) beschäftigt sich in einem „Über psychische Infektion
es Irresein)" überschriebenen Aufsatze zunächst mit der Frage,
gungen affektiver Störungen, speziell der Melancholie, für die
L eingetreten ist, als vorkommend anzunehmen sind. Er möchte
len, sowohl auf Grund der tatsächlichen Erfahrung, als auch auf
oretischer Erwägungen. Die Durchsicht der Literatur hat ihm
daß eigentlich alle induzierten Psychosen der typischen Paranoia
aranoiden Form der Dementia praecox Kraepelins angehören",
täglichen Leben nachdrucksvoll und überzeugend vorgetragene
sind, die Verbreitung finden und „ansteckend" wirken, so sehen
iaß von den Erscheinungen krankhafter Geistestätigkeit vorzüglich
veränderte und lebhaft betonte Vorstellungen als wirksamste
i Krankheitsstoffes sich erweisen." M. nimmt auch an, daß bei
ragung der Paranoia der Mitbeteiligung der Affekte eine große
mmt, aber nur in dem Sinne, daß sie den Boden vorbereiten, auf
ann die Wahnideen zur Entwicklung kommen. Nach diesen mehr
n Betrachtungen wirft M. die Frage auf, ob die induzierte Psychose
rie gewöhnlich angenommen werde, derjenigen völlig gleichen müsse,
• Induktion geführt hat, und speziell, ob eine typische Paranoia
dusche Infektion eine paranoide Psychose vom Typus der Dementia
rzeugen könne. Nach Ansicht von M. kommt letzteres in der Tat
ils Beweis teilt er die Krankengeschichten eines Schwesternpaares
eichen er dies Sachverhältnis verwirklicht gefunden haben will.
Zürich der klinischen Einzelheiten auf das Original verwiesen
aß, möchte Ref. doch seine Bedenken gegen die Bezeichnung der
en Psychose als einer typischen Paranoia nicht zurückhalten.
der Schönfeldtschen Definition des induzierten Irreseins
l, wonach nicht nur ein kausaler Zusammenhang zwischen der
66*
X044 Funktionelle Psychosen.
späteren psychischen Erkrankung und der ersten, sondern auch ein Über-
tragenwerden der infizierenden Psychose ihrem Inhalt nach verlangt wird,
unterscheidet Raimann (34) zwei verschiedene Übertragungsmöglichkeiten:
die zweite Psychose wird entweder durch den Denkprozeß vermittelt, bewußt
übernommen oder un- resp. halbbewußt. Bei der ersten Übertragungsart,
die in der Literatur vorwiegend berücksichtigt zu sein scheint, hält er an
Stelle der sonst üblichen, aber nicht streng durchführbaren Trennung in
eine folie imposee und eine folie communiquee die Aufstellung zweier
Gruppen für gerechtfertigt, je nachdem B. zwar alle Täuschungen und
Wahnideen von A. anerkennt, selbst aber nichts hinzutut und nach^ der
räumlichen Separation in kürzester Frist korrigiert, oder ob B. das über-
nommene selbständig weiterbaut, unheilbar psychotisch erkrankt, wenn A.
diesen Charakter trug. Die Erfahrungen über die Art, wie ein geistes-
krankes Individuum seine Umgebung beeinflußt, lehren, daß hier eine fließende
B-eihe besteht, daß man aus der Norm, aus täglich zu beobachtenden Vor-
kommnissen allmählich in die Pathologie gerät. An zahlreichen Beispielen
wird dies im einzelnen ausgeführt. Im zweiten Teil der Arbeit macht R.
nachdiücklich auf die Rolle der Hysterie aufmerksam und betont die
Empfänglichkeit der Hysterischen für psychische Infektion; sie nehmen
Krankheitsbilder aus der Umgebung auf und kopieren dieselben. Hier hegt
nur mehr zum geringeren Teil die bewußte, wenn man so sagen darf, logische,
vielmehr die unterbewußte, die imitatorische Übertragung vor, welche eine
ganz eigene Stellung beanspruchen darf. Allerdings ist der Gegensatz nicht
so scharf, als Verf. es aus prinzipiellen Gründen darstellt. Bis zu einem
gewissen Grade erliegt auch ein induzierter Paranoiker der Suggestion,
während andererseits die Hysterie auch psychogen entsteht. Gemeinsam ist
beiden Formen die Mithilfe von AfiFekten oder mindestens von lebhaften
Gefühlen, vor allem religiöser Motive, welche die bedeutendste Infektiosität
bedingen.
Wherry (49) erörtert die Frage der Einteilung der Geistes-
krankheiten und stellt zwei große Gruppen auf: die erste umfaßt alle
geistigen Störungen, die auf einer Erkrankung des Gehirns beruhen, und zu
denen er die Imbezillität, die allgemeine Paralyse und die verschiedeneu
Formen der Demenz rechnet. Die zweite Gruppe begreift alle übrigen
Geistesstörungen in sich, die \V. unter dem Namen „delusional insanity"
zusammenfaßt. Unter Heranziehung klinischer, pathologischer, psychologischer
und physiologischer Gesichtspunkte sucht er in längeren, zur AViedergabe
im Referat nicht geeigneten Auseinandersetzungen den Nachweis zu führen,
daß bei allen Psychosen seiner zweiten Gruppe eine Erkrankung des Gehiras
nicht besteht, daß sie vielmehr lediglich die psychischen Äußerungen
einer körperlichen Störung außerhalb des Gehirns sind, die in der
Regel nicht nur ein Organ, sondern ein System von Organen betrifift. Sie
beruhen „auf einem abnoiinen Gefühlston, der aus Sensationen des Organ-
lebens entspringt'^ — Eine solche Einteilung der Geisteskranklieiten recht-
fertigt sich nach Ansicht des Verf. auch praktisch mit Rücksicht auf Pro-
gnose und Therapie. Alle Kjankheitsformen der ersten Gruppe sind unheil-
bar und können durch keine bekannte therapeutische Methode beeinflußt
werden, die der zweiten Gruppe sind zum größeren Teil heilbar; die Behand-
lung hat sich gegen die zu Grunde liegenden köi-perlichen Störungen zu
richten, und hier kommt der gesamte moderne therapeutische Apparat in
Frage. Unsere Irrenanstaltsstatistiken, so schließt Verf., würden erfreulicher
aussehen, wenn sie mit mehr Sorgfalt nach den von ihm vorgeschlagenen
Prinzipien aufgestellt würden.
Fanktionelle Psychosen. 1045
Clr'VCSik (26) betont jene Umwälzung, welche Sie Einfügung des
len Symptomenkomplexes in den Rahmen der Kraepelinschen
praecox hervorgerufen hat. Obwohl sich aus den unter verschiedenen
^en vorkommenden Symptomenkomplexen eine neue, vollkommen
) Krankheitsform zu entwickehi beginnt, so w^erden deren ätio-
symptomatologische und prognostische Eigenschaft durch die
3L praecox" keineswegs gedeckt. Die gegenwärtige Form der
praecox kann von keiner langen Lebensdauer sein, und muß an
noch manche Abänderung getroiFen werden. Eine glücklichere
.g würde jedenfalls zur Zusammenfassung der Symptome beitragen.
instimmuDg mit Bernstein würde auch M. eine geringe Würdigung
ienste Kraepelins darin erblicken, wenn die derzeit noch nicht
nmschriebene .Krankheitsform „Kraepelinsche Krankheit" benannt
7iirde.
ch den Erfahrungen M.'s werden einzelne, seltene Krankheitsfälle
'endsten als katatonische Geistesstörung belegt. Auch die Gegner
3Strebang, welche die Katatonie als selbständige Krankheitsform
et, und unter diesen Kraepelin selbst, bedienen sich oft der Be-
g „Katatonie", worunter sie eine charakteristische Eigenschaft ver-
Die Diskreditierung der Selbständigkeit dieser Krankheitsform wurde
roh nicht genaue Wahl und Bezeichnung der Fälle, teils dadurch
iht, daß einzelne katatonische Erscheinungen bei verschiedenen
jhen Erkrankungen (Melancholie, Manie, halluzinatorische Verwirrt-
sterische und epileptische Geistesstörung, Paranoia, progressive Para-
Bv.) vorkommen können. Nach der Erfahrung M.'s gibt es eine Krank-
m, welche mit einem verschieden langen, meist jedoch kurzen, akut
nenden und verschieden (melancholisch, manisch, stuporös, paranoid)
Buden Initialstadium beginnt, in deren weiterem Verlaufe Sinnes-
ingen ständig, oder wenigstens häufig vorkommen, ohne aber zu
atisierten Wahnbildungen zu fuhren ; von diesen unabhängig weist diese
5che Erkrankung in ihrer Intensität schwankende und verschieden
te motorische Erscheinungen, Veränderungen des Muskeltonus auf,
', stets die leitende Rolle führen und von dem Inhalte des psychischen
iS, sowie den Schwankungen der gemütlichen Sphäre unabhängig sind,
B der psychische und motorische Reizzustand nicht konsekutive, sondern
inierte Erscheinungen bilden. Charakteristisch ist überdies das epi-
5he Auftauchen und Schwinden der einzelnen Phasen der psychischen
notorischen Erscheinungen, der kaleidoskopartige Wechsel, sowie die
mg zu einer Fixierung einzelner Zustände, die Suggestibilität, Ver-
rungen der Mimik und traumartige Zustände des Bewußtseins.
Dem gegenüber sind die bei anderen psychischen Erkrankungen auf-
nden katatonischen Erscheinungen sekundärer Natur, meist durch Sinnes-
jhungeD oder Wahnbildungen bedingt, erscheinen als nicht charakteristische
ptome der Psychose episodenhaft und zeigen, wenn stabilisiert, eine
erung derselben Form. Nicht die Stabilität irgend einer Form der
uBverändening ist das Charakteristische bei der Katatonie, sondern die
te Veränderung der verschiedenen Nuancen bei einer gewissen Neigung
vorübergehender Fixiening. Die bei der Katatonie vorkommenden
lischen oder melancholischen Zustandsbilder sind nicht identisch mit der
iren Melancholie oder Manie; sie unterscheiden sich durch den raschen
ichsel der Symptome, durch deren bruchstückartiges Auftreten, durch das
tweise Auftreten von Halluzinationen und Illusionen und das Einschieben
D Ruheperioden. Im manischen Zustandsbilde fehlt das heitere Moment,
1046 Psychosen und Neurosen.
die Erregungszustände zeigen ein explosives Auftreten. Auch der paranoia-
axtige Zustand unterscheidet sich von der wahren Paranoia durch die
Mannigfaltigkeit der Sinnestäuschungen und Wahnbilder, durch das Fehlen
der Systematisierung und durch den explosionsartigen Charakter der Er-
scheinungen. Dazwischen treten häufig auf die katatonischen motorischen
und psychischen Erscheinungen, femer Energiemangel, Indifferenz, wobei die
Perzeption keine tieferen Störungen aufweist.
Bei der wahren Katatonie kommen nebst den erwähnten charakteristischen
Momenten noch in Betracht verschiedene psychische und somatische Er-
scheinungen : manische, depressive, stuporöse Zustände, vorübergehende
Sinnestäuschungen, Störungen des Bewußtseins, Schwankungen der Pupillen-
weite, Veränderungen der Reflexe und mechanischen Muskelerregbarkeit,
epileptiforme Anfälle, CoUapszustände, Sensibilitätsstönmgen, verschiedene
vasomotorische Störungen usw. Bei seinen Kranken konnte M. in allen
Fällen eine Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit, mit langsamen,
trägen Zuckungen nachweisen. Interessante Daten erhielt Moravcsik auf
Grund mehrjähriger Beobachtungen bezüglich Temperatur und Pulsfrequenz.
Temperatur und Puls weisen sehr bedeutende, meist täglich
wechselnde Schwankungen auf. Die Temperatur war meist eine
niedrigere, und die Pulsfrequenz stand in keinem Verhältnisse zu derselben,
indem bei niederer Temperatur oft hohe Pulszahl oder umgekehrt gefunden
wurde. Die Beobachtungen M.'s bezüglich Körpergewicht sind überein-
stimmend mit den Befunden Kraepelins. Bei Nahrungsverweigerung war
eine rapide Gewichtsabnahme natürlich, aber unter normalen Verhältnissen
war das Körpergewicht auch großen Schwankungen unterworfen und wies
nur dann eine Steigerung und Stabilisierung auf, wenn die Heilung oder
Verblödung eintrat. Die wahre Katatonie kommt selten vor. In 4 Jahren
beobachtete M. 42 Kranke mit katatonischen Erscheinungen, darunter wahre
Kranke bloß in 10 Fällen. Die Dauer erstreckt sich auf Monate und Jahre
und endet selten mit einer defektuösen Heilung, meist mit Verblödung.
Positive Anzeichen zur Voraussage der Prognose gibt es nicht. Von schlechter
Prognose sind : langsame Entwicklung der Symptome, langes Bestehen einzelner
Stereotypien, Maniriertheit, Neigung zu unmotivierten Lachanfallen, hart-
näckig bestehende motorische und psychische Dissoziation, Neigung zur
rapiden Gewichtszunahme, wenn diese nicht parallel ist mit einer psychischen
Aufhellung. Unerwartete psychische Klärungen lassen Remissionen als wah^
scheinlich erscheinen. Nach erfolgter Verblödung werden die bunten motorischen
Erscheinungen farblos, monoton oder verschwinden gänzlich. Heilung konnte
M. bloß dann beobachten, wenn die Tonusveränderungen hauptsächlich nach
einer Richtung ausgeprägt waren und dabei Stereotypien, gekünstelte Atti-
tüden und Maniriertheit fehlten.
Die pathologisch anatomischen Befunde geben derzeit keine Erklärung
der Erscheinungen, ebenso schwer ist es, in den Mechanismus derselben
Einblick zu gewinnen. M. explorierte diesbezüglich seine Kranken häafig,
namentlich in den freieren Phasen, konnte aber von keinem eine Motivierung
seines Verhaltens (Maniriertheit, Mutacismus) erhalten. (Hudovemig,)
Psychosen nnd Neurosen.
Referent: Dr. S. Bendix-Berlin.
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SltsungtbMlcht)
ke (10) bemängelt die von Raimann in seiner bekannten
e durchgeführte Einteilung der verschiedenen Formen des hyste-
eseins nnd hält, gestützt auf 140 Krankengeschichten, eine
Q einfache und zusammengesetzte Geistesstörungen der Hysteriker
ster. In beiden Formen des hysterischen Irreseins dürfen aber
sehen Momente keine zufällige Komplikation bilden, sondern
direkte Ausflüsse des hysterischen Krankheitsprozesses sich dar-
l es muß sich um rein funktionelle Prozesse handeln, die an sich
fektzustand herbeiführen. Die einfachen hysterischen Geistes*
tragen durchaus das Gepräge eines Paroxysmus; sie sind meist
iger Dauer und zum Teil auch von geringer Intensität. Hierher
1 sind Affektzustände, die sich als extremere Grade hysterischer
ng, als richtige Angst- und Depressionszustände, Wutausbrüche
e Erregungen offenbaren. Dabei kann man den Raptus hystericus
und Depressionszustände bezeichnen, die mehr anfallsweise auf-
1 ihrem Verlaufe treten bisweilen nächtliche, halluzinatorische
auf, meist im Anschluß an schreckhafte Traumbilder, die mit
?m Delirium verwechselt werden könnten, aber nie zu einer Ver-
ler Umgebung und Personen führen. Bisweilen schlägt die hyste-
Igst in Wut um und kann zum Furor hystericus werden. Von
n Manien unterscheiden sich die maniakalischen Exaltationen der
len durch das Hervortreten von kindisch-läppischen Erscheinungen
Die hysterischen AflFektstörungen haben gioße Neigung, zu zeit-
rübuDgen des Bewußtseins und Halluzinationen, wodurch sie einen
Charakter gewinnen. Vielfach spielen allerlei hypochondrische
3gen hierbei eine Rolle, ebenso Zwangsvorstellungen. Zu den auf^
Manifestationen dieser Gruppe des hysterischen Irreseins gehört
) Wachträumen, welches sich bis zum Somnambulismus und zur
Dg einer zweiten Persönlichkeit steigern kann. Aus diesem Doppel-
in kann ein hysterischer Stupor hervorgehen mit lethargischen Zu-
1048 Psychosen und Neurosen.
ständen. Häufig ist der hysterische Stupor mit deliriösen Erscheinungen
verbunden, welche eine depressive oder ekstatische Färbung annehmen
können. Von den typischen Delirien läßt sich noch die stürmischer ver-
laufende akute halluzinatorische Verwirrtheit der Hysterischen abtrennen.
Bei den zusammengesetzten Geistesstörungen der Hysterischen unterscheidet
R. die depressive Form, ferner die paranoische und endlich die maniakaiisch-
stuporöse Form und erläutert seine Auseinandersetzungen durch 'ausführ-
liche Krankengeschichten.
Raecke (11) erörtert an der Hand von vier Krankengeschichten be-
sonders die Frage, ob wirklich, wie Bernstein lehrt, die epileptische Per-
severation nur ein Ausfluß der Aphasie ist, und ob auf Grund der Sprach-
stömng und Perseveration, ohne jede Kenntnis epileptischer Antezedentien
die Diagnose am Krankenbette auf Epilepsie zu stellen ist. Als Resultat
seiner Betrachtungen ergibt sich, daß Aphasie und Perseveration keineswegs
in engem ursächlichen Verhältnis zu einander stehen, und daß man nicht
aus dem Nachweis dieser auf das Vorhandensein jener mit Sicherheit
schließen darf. Die amnestische Aphasie spielt in der Symptomatologie d^
epileptischen Irreseins eine große Rolle, sie ist aber keine absolut regel-
mäßige Erscheinung. Sie ruft zwar den Verdacht auf eine epileptische
Grundlage der Psychose hervor, kann aber allein die Diagnose nicht sichern,
sondern es bedarf trotzdem noch des Nachweises epileptischer Antezedentien.
Hinsichtlich der somatischen Erscheinungen seiner Kranken fand R. bei
Fall I die Pupillen im postparoxysmellen Verwirrtheitszustände different
und von träger Reaktion, später wieder normal. Im Fall II ließ sich Licht-
starre nachweisen, die zuerst einen Tag, bei der zweiten Aufnahme bis zu
drei Tagen anhielt. Der Patient bot lallende Sprache, taumelnden Gang,
ausfahrende Armbewegungen. Im Falle 11 und Fall IV wurde der
Babinskische Zehenreflex konstatiert als häufige und praktisch wichtige
Erscheinung nach voraufgegangenen Krampfanfällen. Die Sehnenreflexe
waren öfter gesteigert. Patientin II hatte bei ihrer zweiten Aufnahme
deutlichen Patellar- und Fußklonus. R. nimmt an, daß diese somatischen
Störungen direkte Folgen der voraufgegangenen Krampfanfälle darstellen
und mit der Psychose nichts zu tun hatten.
Steen (16) teilt drei Fälle von Geisteskrankheit bei Morbus Basedowii
mit. Es handelte sich um weibliche Personen mit Symptomen von Melancholia
hallucinatoria.
St. hält auf Grund seiner Erfahrungen für die hauptsächlichsten Merk-
male Basedowsche Geistesstörungen Zustände von Melancholie mit Hallu-
zinationen. Meist treten die psychischen Störungen akut auf. Heilung tritt
sehr häufig ein, auch in anscheinend hoffnungslosen Fällen. Gewöhnlich
geht der Besserung eine Gewichtszunahme voraus. Suprarenal-Extrakt übt
oft einen günstigen Einfluß auf die Kranken aus.
Ruppel (14) beschäftigt sich mit der rein psychiatrischen Seite der chorea-
tischen Störungen und tritt der von Wollenberg gegebenen Einteilung der
psychischen Störungen bei Chorea bei. Danach äußert sich die Sydenhanasche
Chorea („infektiöse" Chorea) auf geistigem Gebiete in gemütlicher Uber-
erregbarkeit und Stimmungsanomalien, seltener in Zuständen von vorüber-
gehender deliriöser Verworrenheit oder etwas langsamer ablaufender psychischer
Hemmung. Die für die Huntingtonsche Chorea („degenerative" Chorea)
charakteristische Geistesstörung liegt auf intellektuellem Gebiete. Sie zeigt
sich zunächst in einer Abnahme des Gedächtnisses, weiterhin in progressivem
Schwachsinn, der schließlich in tiefsten Blödsinn ausgehen kann. Nicht
j
lotoxikations- and Infektions-Psychoseii. 1049
rwickelt sich auch ein schwachsinniger Verfolgungs- und Üher-
wahn, sodaß das Krankheitsbild einer Paranoia hervorgerufen wird,
slegenheit, einen Fall zu beobachten, der wegen seines nicht gewöhn-
aufs von differentialdiagnostischem Interesse ist. Es handelte sich um
ihrigen Mann, der aus einer belasteten Familie stammte; Vater
rea, zwei Schwestern sind nervös. Er machte im dritten Lebensjahre
nyelitis ant. durch. Seit einem Jähe wurden bei ihm eigentümliche
m beim Sprechen wahrgenommen, und die Sprachstörungen nahmen
daß er keinen Satz im Zusammenhang sprechen konnte. Der
ie taumelnd, sodaß er den Eindruck eines Betrunkenen machte.
war ein funktionelles Schwanken im Verhalten des rechten Knie-
1. Einige Zeit nach der Erkrankung traten Sinnestäuschungen
Charakter sich anfangs völlig veränderte, schließlich aber konstant
9 Halluzinationen setzten stürmisch auf dem Gebiete des Gesichts-,
18 und des Gemeingefühls ein. In dieser ganz akuten Form er-
ie an ein Delir, aber es fehlte zu einem solchen das wichtige
)r Verwirrtheit. Ganz im Gegenteil nahm Patient in symptomatisch-
er Weise zu seinen Halluzinationen Stellung und suchte sie zu
Der Verlauf der Wahnideen wich aber von dem der paranoischen
öllig ab, da der Patient seine Annahme, daß ihm die behandelnden
3s zufügten, bald fallen ließ und die Halluzinationen abblaßten
:;her wurden. Die Wahnbildung blieb ganz aus, und Patient faßte
men als Vorspiegelungen seines kranken Nervensystems auf. Das
jbild konnte als Huntingtonsche Chorea gedeutet werden, für
I Alter des Patienten bei Ausbnich der Krankheit und der weitere
»rächen. Es stellte sich eine eigentümliche Art von Demenz ein,
'rediente Abnahme der Merkfähigkeit ausgezeichnet, im Gegensatz
ist nicht gestörten Intelligenz.
regensatz hierzu steht ein kurz mitgeteilter Fall von Sydenhamscher
i einem 22 jährigen Mädchen, bei dem das Bewußtsein der Irrealität
sinungeh trotz der Lebhaftigkeit der Halluzinationen von Anfang
.. Auch bei diesem Falle waren deutliche Zeichen einer Intelligenz-
5u beobachten, was gegen die scharfe Trennung beider Formen der
len Geistesstörungen zu sprechen scheint.
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keity daß sie sich auf ein sehr großes Material stützen. Im
elt es sich um 372 Fälle von Delirium tremens, welche inner-
hreu beobachtet worden sind. Bemerkenswert ist, daß in einem
dieser Fälle das Delirium erst nach vier bis fünftägiger Ab-
Ausbruch kam. In 172 dieser Fälle fand sich Eiweiß im Urin,
r bei zwanzig chronische Nephritis konstatiert werden konnte,
sich Zucker im Urin. Der Gefrierpunkt des Blutes und des
licht verändert. Bakterien fanden sich nicht im Blut.
lard (b8) macht darauf aufmerksam, daß man bei Alkohol-
.uch zu einer Zeit, wo die Halluzinationen spontan ganz zurück-
bungsweise verschwunden zu sein scheinen, wo ferner die Kranken
nd und nur der Tremor den Verdacht auf alkoholische Zustände
lalluzinationen leicht hervorrufen kann, wenn man dem Kranken
beziehungsweise Sonnenlicht ein leeres weißes Blatt Papier in
:ibt und ihn ohne weitere suggestive Fragen auflfordert, zu er-
er sieht. Alsdann erklären die ruhigen und besonnenen Kranken,
das Papier nach den verschiedensten Seiten drehen oder gegen
lalten, auf dem leeren weißen Papier die heterogensten Dinge zu
werden oft nicht müde, stundenlang darüber zu berichten. Vier
ide Beobachtungen werden mitgeteilt. Auch gibt der Autor an,
eser Versuch bisher nicht mißlungen ist.
den Mitteilungen von Gudden (44) geht hervor, daß auch, ohne
)8 getrunken wird, bei so gut wie ausschließlichem Biergenuß
latorischer Wahnsinn, wie er von Bonhoeffer und Kraepelin
1 worden ist, entstehen kann. In den beiden von G. mitgeteilten
delt es sich um disponierte Individuen, bei denen im Beginn der
g Zustände auftreten, welche in gewisser Weise an das Delirium
•innem. Es bestand vermehrte Unruhe, Angst, Tremor und
ind der erste Kranke sah zuerst zu Hause kleine Teufelchen über
springen, während der zweite, wie ein Delirant, die Vorwürfe,
über einen Uhrendiebstahl hörte, zu einem von Handwerksburschen
eten Komplott sporadisch verarbeitete. In keinem der Fälle kam
im systematisierten Wahnsinusystem, auch nicht zu tieferen Be-
1064 intoxikatioDs- oad lofektions-Fsychosen.
wußtseiDSstöniDgen. Der Inhalt der SiDDestäuschuDgen und WahnvorstellungeD
blieb mit wenigen Abweichungen ein sehr unangenehmer und ängstlicher.
Sonkhanoff (100) führt aus, daß die psychischen Störungen bei den
Alkoholisten eine verschiedenartige Pathogenese haben. Er unterscheidet
spezielle alkoholische Psychosen, ferner psychische Störungen im Verlauf
des chronischen Alkoholismus, welche durch andere Ursachen hervorgerufen
werden, und schließlich drittens psychische Störungen, welche auf dem
Boden einer degenerativen Veranlagung entstehen, und bei deren Zustande-
kommen der Alkohol lediglich die Rolle des Agent provocateur spielt. Zu
der ersten Gruppe rechnet er insbesondere das Delirium tremens und die
chronische alkoholische Halluzinose und ferner die Charakterdegeueration
der Trinker, zur zweiten Gruppe die Korsakowsche Psychose, zur dritten
die alkoholische Melancholie, die akute Verwirrung, die chronische alkoholische
Paranoia usw. Schließlich beschreibt S. die chronische alkoholische
Halluzinose.
Bonlioeffer (12) bringt uns in kurzer, knapper Form alles Wesent-
liche, was die modernen Forschungen über die verschiedenartigen Gruppen
und Formen der alkoholischen Seolenstörungen geschaffen haben. Wir
empfehlen den Artikel sehr für die, die sich rasch und kurz einen Überblick
über diese Verhältnisse verschaffen wollen.
Raecke (82) stellt in exakten Untersuchungen, die sich auf 5 an»-
führliche Krankengeschichten stützen, fest, daß eine chronische Alkohol"
Paranoia existiert. Dieselbe entwickelt sich auf dem Boden des chronischen
Alkoholismus entweder primär oder im direkten Anschluß an Delirium
tremens oder im Anschluß an akuten halluzinatorischen Wahnsinn. Dieee
chronische Alkoholparanoia unterscheidet sich klinisch von der klassischen
Verrücktheit lediglich durch einzelne unwesentliche Züge, die auf den zn
Grunde liegenden Alkoholismus zurückzuführen sind. Die Prognose ist
infaust auch bei völliger Abstinenz, eigentliche Verblödung tritt nicht ein.
Diese Krankheit ist streng abzutrennen von den transitorischen paranoiden
Erregungen, welche durch gehäufte Trinkexzesse gelegentlich ausgelöst
werden und bei Alkoholentziehung bald- wieder ablaufen, ferner von den
terminalen Schwächezuständen im Sinne Kraepelins, welche nach Delirium
tremens oder nach akutem halluzinatorischen Wahnsinn zurückbleiben und
keiner Fortentwicklung mehr fähig sind.
Zum Gegenstand seiner Untersuchung macht Lorenz! (63) die Selbst-
morde und Selbstmordversuche der Alkoholisten; speziell richtet er seine
Aufmerksamkeit der Frage zu nach den Beziehungen des Alkoholismus
zum Selbstmord überhaupt und zur Psychologie des Selbstmordes. Ab
Beobachtungsmaterial dienen ihm die Kranken mit alkoholistischen Psychosen,
die im Jahre 1898—1903 in der Klinik zu Padua zur Aufnahme und
Beobachtung kamen. Tentamen suic. finden sich in 16 7o ^^^ Alkoholisten,
während bei den übrigen Geisteskranken nur in S^/o der Fälle. Erbliche
alkoholistische Belastung findet sich häufig bei den Alkoholisten, die Selbst-
mord begehen oder einen solchen versuchen. Vom klinischen Gesichtsponkt
aus konnten einige Oharacteristica der Attentate auf das eigene Leben fest-
gestellt werden; das Essentielle scheint darin zu bestehen, dafi es sich
zumeist um ganz triebartige Gewalttätigkeiten handelt; in vielen Fällen
besteht Bewußtlosigkeit während der Ausführung der Handlungen. Dieses
Merkmal bedingtauch die Eigenart der Ausführung ; sie ist nicht raffiniert,
die Kranken bedienen sich des erst besten, gerade sich gebenden Hil&-
mittels; der Versuch ist oft sehr unvollkommen, manchmal geradeau kindlich
zu nennen« (AUrxbaAer.)
Intoxikation«- and Infektions-Fsyehosen. 1065
In allen Fällen, wo es schwer hält, über die Art eines Bausches ins
klare zu kommen, und namentlich, wenn es wichtig ist, pathologische
Momente nachzuweisen, muß ein Moment, daß auf ein pathologisches Ver-
halten des betr. Menschen hinweist, von Wichtigkeit sein. Vogt (111) hat
im Anschluß an die Untersuchungen von t. Gudden und des Referenten
eine Reihe Yon namentlich schwachsinnigen Individuen auf das Verhalten
der Pupillenreaktion unter dem Einfluß des Alkohols untersucht und konnte
nachweisen, daß bei einem nicht geringen Prozentsatz (zwei) dieser Individuen
der Alkohol zu einer trägen Reaktion der Pupillen, ja zu Lichtstarre führen
konnte.
Scjhröder (94) beschäftigt sich mit den chronischen Alkoholdelirien^
die er in zwei Gruppen einteilt; die eine wird wegen des Bestehens geistiger
Schwäche bei gleichzeitigem Vorhandensein nervöser Lähmungserscheinungen
mit der progressiven Paralyse in Verbindung gebracht, die andere wegen
des Vorherrschens von Wahnideen der Paranoia bezw. den paranoiden Er-
krankungen angereiht. Bezüglich der Alkoholparalysen unterscheidet Seh*
die echten Paralysen bei Trinkern, Pseudoparalysen auf alkoholischer Basis
kompliziert mit starker Arteriosklerose oder mit Epilepsie und die nicht
alkoholisch bedingten Psychosen, die mit Tiiinksucht kompliziert sind; ein
Teil der als Alkoholparalyse imponierenden Fälle sind schließlich als der
Korsakowschen Krankheit zugehörig zu erachten.
Für die chronischen alkoholischen Paralysen mit paranoischem Gepräge
führt Verf. 10 selbstbeobachtete Fälle an und deutet auf die Schwierigkeiten
hin, die sich zur Zeit noch der Deutung chronischer Psychosen als alkoholisch
bedingter entgegenstellen. Er hat mehrfach bei schweren Schnapssäufem
mit Zügen des Korsakowschen Symptomenkomplexes ganz phantastische
Wahnbildungen und Konfabulationen gesehen. Zum Schluß resümiert Verf.
seine Ansicht dahin: Die Frage, ob es chronische Psychosen gibt, die aus-
schließlich durch Alkoholmißbrauch entstehen, kann auf Grund der bisher
vorhandenen Literatur nicht mit Sicherheit bejaht werden. Als begünstigender^
audlösender Faktor wird der chronische Alkoholismus nicht selten heran-
gezogen werden können. Die Korsakowsche Psychose gehört wahrscheinlich
nicht zu den chronischen Psychosen im engeren Sinne; sie stellt vielmehr,
wie man zur Zeit annehmen muß, einen residuären, nicht progredienten
Zustand dar nach einer akuten groben Schädigung des Gehirns. (Bendix,)
Korsakowsche Psychose.
Sims (99) hat zwei gut beobachtete Fälle von Korsakow scher
Psychose pathologisch-anatomisch untersucht. Im ersten Fall fand er leichte
Arteriosklerose, hypostatische Pneumonie, fettige Infiltration der Leber,
akute Degeneration einzelner der peripheren Nerven, Veränderungen der
Vorderhomzellen und der Clarkeschen Säulen des Rückenmarks und einzelner
Kerne der Himnerven; außerdem bestand: Degeneration in den Hinter-
strängen und den direkten cerebellaren Bündeln und eine leichte Erkrankung
der Hirnrindenzellen. Im zweiten Fall fand sich eine allgemeine Arterio-
sklerose namentlich der Aorta und der Himarterien, fettige Degeneration
des Herzens, der Leber und der Nieren, akute Bronchitis, akute Degene-
ration in den peripheren Nerven der unteren Extremitäten und der Yagi^
Erkrankung der Vorderhomzellen und der Clarkeschen Säulen des Rücken-
marks sowie einiger Kerne des Gehii*ns und der Pelzschen Hirnrinden-
seilen^ Gefaßverftnderungen im Rückenmark und in der Hirnrinde mit reich-
Ucben mikroskopisch nachweisbaren Blutungen durch das ganze Gehirn,.
1056 Intoxikations- und Infektions-Psychosen.
Akute Degeneration der kortikalen Strahlungen und der motorischen imd
sensorischen Systeme des Rückenmarks.
Ein Fall von Tabes, bei welchem der Korsakowsche Symptoraen-
komplex sich entwickelte, gibt Stransky (104) Veranlassung, unter Berück-
sichtigung eines großen Teiles der neueren Literatur auf die Frage der
Bedeutung des Korsakowschen Symptoraenkomplexes einzugehen. Er
stellt sich im wesentlichen auf den Standpunkt Kraepelins und nimmt als
wahrscheinlich an, daß dieser amnestische Symptomenkomplex keine eigent-
liche Krankheitseinheit darstellt, sondern, ähnlich wie der paranoische
Symptomenkomplex, in verschiedene Krankheitszustände zerfällt.
Der erste von Boedeker (10) mitgeteilte Fall verdient außergewöhn-
liches Interesse, weil es sich um eine ausgesprochene Polioencephalitis
superior haemorrhagica in Verbindung mit dem nach jeder Richtung hin
deutlich markierten Korsakowschen Symptomenkomplex handelt und trotz
der schweren Erscheinungen der Fall doch zur Genesung kam. Die Ge-
nesung war so vollständig, daß der Patient, ein Universitätsprofessor, be-
reits im Semester darauf mit Erfolg seinen Beruf, seine Arbeiten und Vor-
lesungen wieder aufnehmen konnte. Der zweite Fall betrifft einen exquisit
typisch verlaufenden Fall von Korsakowscher Psychose, der sich im
wesentlichen nicht von anderen mitgeteilten unterscheidet.
Knapp (55) bespricht in sehr eingehender Weise an der Hand von
acht sehr genau beobachteten Fällen die einzelnen Formen und psychischen
Erscheinungen des Korsakowschen Symptomenkomplexes. Besonders
interessant erscheint uns der Abschnitt, der von zerebralen Herd-
«rscheinuugen handelt, und weiter der, der die polyneuritischen Anfälle be-
schreibt. Eingehend werden auch die verschiedenen Komplikationen, die
verschiedenen Ätiologien und die Differentialdiagnose dieses Symptomen-
komplexes besprochen.
Die Dissertation von Wehmng (113) ist dadurch interessant, daß
er im ganzen 34 pathologisch - anatomische Untersuchungen bei der
Korsakowschen Psychose tabellarisch übersichtlich zusammenstellt. In
keinem der in der Tabelle zusammengestellten Fälle erwiesen sich die peri-
pheren Nerven bei mikroskopischer Untersuchung intakt; es fand sich das
Bild der periaxialen segmentären Neuritis oder der parenchymatösen Neu-
ritis schlechthin. Im Rückenmark bestanden mehr zirkumskripte De^ene-
rationsherde. Vorzugsweise waren die Hinterstränge befallen, besonders der
Gol Ische Strang, am zweithäufigsten die Pyramidenseitenstränge. Zu einem
totalen Fasernschwund in der betreffenden Region kam es indessen nie.
Wo nach March die eintretenden Wurzeln untersucht wurden, zeigte sich,
daß mit Vorliebe die Hinterwurzeln, in geringerem Grade auch die vorderen
dem Degenerationsprozeß anheimgefallen waren. In der Mehrzahl der Fälle
waren die Ganglien der Vorderhörner und auch die IntervertebralgangUen
verändert. Am Gehirn wurde in einzelnen Fällen eine Erkrankung der
Pelz sehen Pyramidenzellen festgestellt. Ferner fand sich eine Erkrankung
des tangentialen Fasernetzes. In dem vom Verf. untersuchten Fall wurde
eine parenchymatöse Neuritis, Degeneration der G oll sehen Stränge, der
vorderen und namentlich der hinteren Wurzeln des Rückenmarks und Er-
krankung der Vorderhörner des Lumbaimarks festgestellt. In der Hirn-
rinde bestand beträchtlicher Schwund des supraradiären A8soziation8fa8e^
netzes.
Tegtmeyer (106) teilt einen Fall von echter Korsakowscher Psychose
eines 44 jährigen Mannes mit, welcher längere Zeit beobachtet wurde, und
dessen Verlauf zeigte, daß selbst in sehr schweren Fällen die neuritischen
IntoxikatioD»- und Infektion^-Psychosen. 1057 V
8töniDgen einer sehr weitgehenden, die psTchiscl>en wenigstens einer teil-
weisen Besserung fähig sind. (Bendiss,)
b) Morphium.
Bei Morphinismus macht sich nach Crothers (24) zunächst ein
Verlust des DiflferenzierungsTerraögens für Recht und Unrecht und ein
Mangel an Gefühl für Ethik und Verantwortlichkeit geltend. In zweiter
Linie kann es zo direkten Störungen kommen. In dritter Linie können
die sprachlichen Zentren betroffen werden mit einer Art ron Veränderung
in der Ausdrucksweise und dem Gebrauch von Worten. In vierter Linie
kann es endlich zu einer ausgesprochen schweren psychischen Veränderung
kommen, welche die Persönlichkeit gänzlich verändert.
Bliand undTissot (15) betonen ausdrücklich, daß der Morphinismus
fast ausschließlich nur auf disponiertem degenerativen Boden vorkommt.
Sie schildern ausführlich eine derartige Familie, bei welcher der Morphi-
nismus von Kopf zu Kopf verbreitet wurde, und bei der sich die einzelnen
Familienmitglieder gegenseitig mehr zum Abusus des Morphins anspornten.
c) Kodein, Kokain.
Fels (77) beschreibt ausführlich eine sehr interessante Kranken-
geechicbte, aus der hervorgeht, daß das Kodein doch nicht so ungefährlich
ist, wie man anzunehmen bisher geneigt war. Es handelt sich um einen
psycfaopathisch belasteten, von Hause aus eigentümlichen, an konstitutioneller
Schwermut leidenden Degenere, der, nachdem ein Selbstmordversuch miß-
glückt ist^ nach Betäubungsmitteln sucht und zuerst das Kodein in die
üaiid bekommt. Mit kleineren Dosen beginnend, treibt ihn auf der einen
Seite die Erleichterung und das Wohlbehagen, das ihm das Mittel ver*
schafft, auf der anderen Seite die schnelle Gewöhnung zu immer höheren
Mengen. Beim Versuch, das Mittel auszusetzen, tritt vermehrte Unruhe,
Verstimmung, Reizbarkeit, Energielosigkeit und heftiges Verlangen nach
dem Mittel ein. Schließlich reichen auch die sehr hohen Gaben nicht mehr
aus, und er greift zu anderen Opiaten und auch zu Kokain, um Erleich-
terung zu bekommen. Auf diese Weise „opfert er dem Gifte nicht nur
seinen Körper, sondern auch sein ganzes Vermögen in der Höhe von
10000 Mark."
Zum Kokainismus rechnet Toporkoff (108) die Fälle, wo Schmerzen
die Kokaingewöhnung bewirkt hatten, bei der Kokainomanie wird das
Kokain als Rauschmittel angewandt. Zwei vom Verf. angeführte Fälle
illustrieren beide Kategorien. T. ist ein Gegner der plötzlichen Entziehungs-
kur. Kokainomanie ist im Gegensatz zum Kokainismus prognostisch un-
gtnstig und erfordert Anstaltsbehandlung. Die Empfindung der Kranken,
als ob Fremdkörper unter der Haut säßen, faßt Verf. als Illusionen des
AUgemeingefühls auf. (Krön,)
d) Kohlenoxydgas.
In einer sehr ausgedehnten, außerordentlich gründlich exakten und
fleißigen Arbeit, welche aus der Ziehenschen Klinik hervorgegangen ist,
studiert Sibelins (97) unter Berücksichtigung des gesamten literarischen
Materials und auf Grund eigener Beobachtungen der psychischen Störungen
nach Koblenoxydgasvergiftung. Die Arbeit ist außerordentlich reich an sehr
wichtigen Bemerkungen und Detailuntersuchungen. Wir können darauf
JaltTtsbericht f. Nearologie und Psychiatrie 1906. 67
1058 Intoxikations- und Inf ektioos -Psychosen.
leider nicht eingehen und möchten nur erwähnen, daß S. darauf aufinerksam
macht, daß möglicherweise ein Unterschied besteht zwischen den Psychosen
nach reinen Kohlenoxydgasvergiftungen, welche selten sind, und den Psychosen
nach Vergiftungen mit gemischten Gasen (z. B. Leuchtgas). Die beobachteten
Psychosen zerfallen:
1. in schwere, nicht regressiv verlaufende Formen; dieselben können
ohne Intervall direkt nach Intoxikation einsetzen oder nach einem Intervall,
sie können schwere oder leichtere Grade zeigen und auch zum Tode führen;
2. in regressiv verlaufende Psychosen, welche meist nach einem Inter-
vall einsetzen, und
3. in psychische Störungen, die den Grad einer ausgeprägten Psychose
nicht erreichen, psychopathische Konstitutionen von längerer und kürzerer
Dauer, Fälle mit überwiegend isolierter Gedächtnisstörung, retro- resp. retro-
anterograde Amnesien höchstens mit Spuren von trauriger Verstimmung
und Apathie. Das hereditäre Moment scheint bei diesen psychischen
Störungen mehr zurückzutreten.
e) Allgemeines.
Savage (92) gibt in kurzen Worten eine Übersicht über die Gifte,
nach deren Aufnahme in den menschlichen Körper wir Geistesstörungen
entstehen zu sehen pflegen. Er weist kurz auf die Bedeutung hin, welche
der chronische Gebrauch, die Disposition für das Auftreten von Geistes-
störungen nach Vergiftungen im allgemeinen haben, und teilt die hier in
Frage kommenden Gifte ein in solche, die dem Körper mehr oder weniger
vorsätzlich zugeführt werden (Alkohol, Morphin), in eine andere Gruppe,
welche die Gifte der Infektionskrankheiten in sich begreift, und eine dritte,
welche die im Körper selbst entstehenden Gifte (Autointoxikation) enthält.
Er beschreibt kurz die bekannten Folgeerscheinungen des Alkohol-, Morphin-,
Kokainmißbrauches, die Exzitationsstadien nach Duboisin, Haschisch
und die geistigen Störungen nach Paraldehydgenuß, Co- Vergiftung und
Jodoformgebrauch, unter den Infektionskrankheiten nimmt die Influenza
einen besonders wichtigen Platz ein.
IL Autolntoxikations- und Infektionspsycbosen.
a) Autointoxikation.
Towiisend.(109) teilt die Resultate seiner an 18 Melancholischen
gemachten Urinuntersuchungen mit. Er vermutet, daß die Toxämie, ak
deren klinische Zeichen er übelriechenden Atem, belegte Zunge, Nahrungs-
verweigerung, Obstipation, übelriechende Stühle, Blutarmut, profuse,
charakteristisch riechende Schweißabsonderung und Kopfschmerz ansieht,
mit solchen Toxinen in Verbindung zu bringen sei, die im Darm entständen.
Dabei läßt er vorläufig noch die Frage unentschieden, ob die Toxämie die
Ursache oder eine Folge der gleichzeitig bestehenden Geisteskrankheit sei.
Jedenfalls ergaben seine Untersuchungen, daß in vielen derartigen Fällen
die Indikanausscheidung, welche auf Fäulnisprozesse im Darm hinweist,
außerordentlich vermehrt war. Bei längerer Beobachtung der Kranken und
steter Kontrolle des Indikangehaltes ihres Urins ergaben sich dann folgende
Resultate: Bei depressiven Erkrankungen ist die Indikanausscheidung stark
vermehrt, und die Kranken haben die klinischen Zeichen der Toxämie. Bei
der Folie circulaire pflegt während der depressiven und während der
InfeozikatioDs- and Infektions-Psychosen. 1059 V
manischen Phase Indikan in größerer Menge im Urin enthalten zu sein.
Je schwerer die Psychose, desto größer, ist die Menge des abgesonderten
Indikans, und desto ausgeprägter sind die Symptome der Toxämie. Ge-
sundeten die Kranken, so hielt die Abnahme der Indikanmenge mit der
Wiederherstellung gleichen Schritt. T. empfiehlt deshalb auch möglichst
eiweißarme Diät zu yerordnen, womöglich reine Milchdiät zu geben, da
hierbei die Fäulnisprodukte am geringsten seien.
Leszynsky (62) weist auf die verhältnismäßige Häufigkeit psychischer
Störungen bei Arteriosklerose und Schrumpfniere hin und macht namentlich
darauf aufmerksam, daß man eine oft dabei vorkommende Symptomengruppe:
Kopfschmerz, Schwindel, Erbrechen und Veränderungen am Augenhinter-
grunde leicht mit den Erscheinungen des Hirntumors und der basalen
Meningitis verwechseln kann.
b) Infektionspsychosen.
Edsall (34) hat eine Reihe von solchen Fällen zusammengestellt, in
denen posttyphös Geistesstörungen bei Kindern aufgetreten sind. Da die
Angaben der Irrenärzte und der Praktiker über die Häufigkeit und die
Prognose der Geistesstörungen bei Typhus sehr auseinandergehen, hat er
versucht, aus der Literatur eine gleiche Anzahl von solchen Kranken-
geschichten, welche von Psychiatern und solchen, die von inneren Medizinern
veröffentlicht sind, auszuwählen, um ein möglichst eindeutiges Bild zu be-
kommen. Von den 69 Fällen heilte die Psychose in 62,3 ®/^, ungeheilt
blieben 33,33 7p, es starben 4,34 X-
Die Einteilung nach Krankheitsformen ist nicht so, daß man Schlüsse
daraus ziehen könnte, die Heredität scheint keinen besonderen Einfluß auf
das Auftreten von Geistesstörungen nach Typhus und deren Verlauf zu
haben. Von den Erkrankten waren 39 Knaben, 25 Mädchen; 14 mal traten
die geistigen Störungen im Alter von 2% bis 5 Jahren, 26 mal im Alter
von 5 bis 10 Jahren auf, und 27 Kinder standen zwischen dem 11. bis
15. Lebensjahre.
Rauschke (84) bespricht die Begleitdelirien nach der Ziehenschen
Klassifikation: 1. Infektions- oder Fieberdelirien. 2. Intoxikationsdelirien.
3. Deferveszenz- oder Kollapsdelirien und schließlich 4. Inanitionsdelirien.
Für die erste Gruppe stellen das Hauptkontingent die akuten Exan-
theme. Bei diesen scheiot die erbliche Prädisposition eine verhältnismäßig
geringe Rolle zu spielen. Bei diesen Delirien stehen Sinnestäuschungen und
Störungen des Assoziationszusammenhanges im Vordergrimde und bei starker
Häufung Neigung zu Inkohärenz und Unorientiertheit. Dem Inhalt der
Sinnestäuschungen entsprechen die Affekte; es überwiegen solche der Angst
und des Zornes.
Die toxischen Delirien findet man bei Kompensationsstörungen des
Herzens, bei Nierenerkrankungen, bei Leberkrankheiten und bei Diabetes.
In ihrem Verlauf können die Sinnestäuschungen zu Gunsten von Hemraungs-
und Ausfallserscheinungen mehr in den Hintergrund treten. Die Zahl der
diabetischen Delirien ist nicht sehr groß. Häufig scheinen die Delirien bei
Leberkrankheiten. Die Begleitdelirien bei Nierenerkrankungen und Kompen-
sationsstörungen des Herzens mit Auftreten von Albuminurie will Verfasser
der großen Gruppe der urämischen Delirien zurechnen, weil es sich um eine
Intoxikation des Blutes mit Hambestandteilen handelt. Häufig sind hier
die Delirien die Vorläufer eines verderblichen Oomas, in anderen Fällen ein
Äquivalent für das Coma.
67*
1060 intoxikations- and Infektions-Psychosen.
Die Deferveszenz- oder Eollapsdelirien sind ihrer Pathogenese nach
Doch nicht Yollatändig aufgeklärt. Nach Ziehen ist die Temperaturver-
änderung selbst von geringerer Bedeutung als die mit der Krise verbundene
Herzschwäche. Auch die plötzliche Veränderung der Blutzusammensetzung
kommt in Betracht, und entschieden spielen auch endogene Momente (erb-
liche Belastung) eine Rolle. Verwandt mit diesen Delirien sind diejenigen
nach schweren Blutverlusten, langdauemdem Hunger, langer Flüssigkeits-
einbuße usw. Im Vordergrunde des Krankheitsbildes stehen Halluzinationen,
Beschleunigung des Vorstelluiigsablaufes und gesteigerter Bewegnngsdr&ng
und demgemäß eine gewisse Neigung zu Hypothymie; die Wirklichkeit wird
traumartig umgestaltet Entsprechende Fälle werden mitgeteilt.
Die letzte Gruppe umfaßt alle Delirien, welche ihre Entstehung einer
den Körper chronisch erschöpfenden Ursache verdanken: Fortlaufender
Nahrungsverweigerung, Kachexie bei sehr schwächenden Krankheiten, wie
Krebs, Tuberkulose, Malaria, chronische Eiterung. Auch hier werden ent-
sprechende Fälle mitgeteilt.
Nach den literarischen Studien von Frenkel (41) sind die Psychosen
nach Erysipel außerordentlich selten und treten fast ausschließlich bei
Kopferysipel auf. Der Verf. ist geneigt, den letzteren Umstand weniger
auf toxische Verhältnisse als auf traumatische Einwirkungen zuräckzufÜbren.
Er teilt dann im ganzen 4 Fälle von Erysipelpsychose mit, welche auf der
Klinik Ziehens sehr genau beobachtet sind. In den 4 Fällen spielt die
Disposition zu psychischen Erkrankungen ätiologisch eine geringere Rolle;
immerhin hat aber der eine Fall bereits bei einem Erysipel vor 10 Jahren
psychische Störungen gezeigt, und in einem zweiten Fall haben bereits
früher Gresichtstäuscliungen bestanden. Auch der Alkoholmißbrauch spielt
entschieden ätiologisch beim Zustandekommen der Erysipelpsychosen eine Rolle.
Das Intervall zwischen Erysipel und Psychose betrug in den Fällen, wo
sich das genauer feststellen ließ, zwischen 4, 8 und 11 Tagen. Die Daner
war ebenfalls sehr verschieden. Abgesehen von sehr kurzen deliranten Zu-
ständen schwankte die Dauer zwischen 14 Tagen und einigen Monaten: die
längerdauernden Psychosen scheinen aber seltener zu sein. Für das Gros
der Fälle nimmt Frenkel die Diagnose „Erschöpfungspsychose" in An-
spruch, die sich unter die große Gruppe der akuten halluzinatorischen
Paranoia oder Amentia einordnen läßt.
Wir glauben, daß Picqne (79) die Bedeutung seines chirurgischen
Eingreifens bei den 14 Fällen^ die er beobachtet hat, überschätzt; denn
ein derartiges Resultat wird auch ohne diese Eingriffe erzielt werden können.
Es fand sich nämlich bei 6 dieser 14 Fälle eine Heilung, bei 3 Besserung
und bei 6 kein Erfolg.
Regia (86) gibt eine tibersichtliche Zusammenstellung der Psychosen
bei akuten Infektionskrankheiten. Es können die Psychosen auftreten im
Beginn zur Zeit des höchsten Fiebers, in der Deferveszenz und in der Re-
konvaleszenz. Die Psychosen, welche während des Fieberzustandes aus-
brechen, sind alle ausgezeichnet durch ein traumhaftes balluzinatorisclies
Stadium — dasselbe wird eingehend und citarakteristisch beschrieben — ,
während in dem postfebrilen Stadium und in der Rekonvaleszenz aus-
brechende Psychosen mehr asthenische Formen von Verwirrung darstellen.
Aber auch Formen, welche an die progr. Paralyse sehr erinnern, ja ton
dem Autor mit der Paralyse identifiziert werden, entwickeln sich bei akuten
Infektionskrankheiten. Pathologisch -anatomisch findet sich Meningoence-
phalitis, welche — nach unserer Überzeugung zu Unrecht — vom Autor
mit dem Befunde bei der progr. Paralyse identifiziert wird. Im allgeffleioeo
Intoxikations- und lafekttoos-Psychosen. 1061
liaben diese Psychosen eine gute Prognose. Besonders genau werden die
Influenzapsjchosen abgehandelt, ohne daß allerdings für unsere deutschen
Forscher besonders neue Details gebracht werden. Dasselbe gilt auch von
den Mitteilungen über Pneumonie-Pfiychosen.
van Brero (14) gibt eine kurze Übersicht über die Nerven- und
Geisteskrankheiten, welche in ^en Tropen vorkommen. Es interessiert uns
hier besonders die Beschreibung des Latah, Amok und Schamanismus.
Während der Schamanismus mehr psychogenen Ursprungs erscheint, spielen
beim Amoklaufen Alkoholismus, Vergiftungen im allgemeinen und kalorische
Schädlichkeiten ätiologisch eine Bolle. Genau scheint aber die Frage nach
dem Beriebt des Autors noch nicht aufgeklärt. Das Latah ist eine
funktionell paroxysinatisch auftretende und meist von Schreckaffekt ein-
geleitete Nervenkrankheit, bei welcher auf imperativem Wege und zwar
gegen den Willen und trotz lebhaften Unlustgefuhls des Kranken Be*
wegungen, Laute und Handlungen zur Ausfuhrung gebracht werden. Meist
handelt es sich um hereditär belastete Individuen. Die Krankheit selbst
zeigt häufig hysterische Färbungen und eine gewisse Ähnlichkeit mit der
Maladie des tics von Gilles de la Tourette. Unter der Ätiologie der
Geisteskrankheiten erwähnt Verf. die Malaria, den Alkohol und das Opium,
betont aber dabei, daß der Gebrauch von Cannabis Indica, namentlich in
Ägypten häufig angewandt, zu psychischen Störungen Veranlassung gibt.
Es kommt zu transitorischen Intoxikationen, zu Delirien akuter Haschisch-
manie, chronischer Haschischmanie und einer Haschischdemenz.
Im ganzen wurden nach Maas (65) acht Personen im vei*flossenen
Jahr im Regierungsbezirk Kassel von wutkranken Hunden gebissen. Die
erste Patientin, ein sechsjähriges bis dahin gesundes und kräftiges Mädchen,
war drei Wochen vor der Aufnahme von einem anspringenden Hunde ins
rechte obere Augenlid gebissen worden; die Wunde wurde nicht weiter be-
achtet. Zwei Tage vor der Aufnahme erkrankte das Kind an Krämpfen,
Zittern in den Armen und Verdrehen der Augen. Allmählich kam große
Unruhe, besonders nachts, hinzu. Das Kind wollte aus dem Bett, schrie
und sang, alsdann wurde es bewußtlos und erbrach häufig, es stellte sich
Kieferklemmen ein, die Temperatur stieg auf 39,5. Objektiv war bei der
in tiefem Koma aufgenommenen Patientin wenig festzustellen. Die Lumbal-
punktion ergab bei mikroskopischer Untersuchung der Flüssigkeit einen
negativen Befund. Unter mehrfachen Krampfanfällen starb die Kranke
schon nach eintägiger Krankenhausbehandlung. Nach Ansicht des Autors
sprach gegen Tetanus die tiefe Benommenheit, die klonischen Zuckungen
in den Armen, der reiche Speichelfluß. Die genauere Durchforschung des
Zentralnervensystems ließ im Rückenmark eine zellige Infiltration besonders
in der grauen Substanz um die motorischen Ganglienzellen und eine In-
filtration um den Zentralkanal erkennen. In der grauen Substanz des Rücken-
marks fanden sich verschiedenartige Formen von Nervendegenerationen.
Auch in der MeduUa oblongata waren die Gefäße stark injiziert und von
lebhaften Zellinfiltrationen umgeben; auch fanden sich in den Kernen der
Medulla oblongata Nervenzellendegenerationen. Die Brücke und die Basal-
ganglien zeigten im wesentlichen nur Zellinfiltration, während im Ganglion
Gasseri und im Ganglion coeliacum verschiedene Arten von Nervenzellen-
degeneration sich fanden. Der Befund stimmt ziemlich überein mit dem
von Schaffer erhobenen, wenn er auch nicht, wie Verf. hervorhebt, als
charakteristisch für die Lyssa gelten kann. Einen charakteristischen In-
fektionsträger konnte Autor nicht auffinden, z. B. auch nicht die Negri-
schen Protozoen.
X062 Organische Psychosen.
Luzzäni (64) hat behufs Feststellung der Wutkrankheit bei einer
Gesamtzahl von 179 Fällen die Untersuchung auf Negrische Parasiten an-
gestellt und namentlich dem Ammonshom und dem Kleinhirn besondere
Aufmerksamkeit geschenkt. L. konnte feststellen, daß der Befund der endo-
zellulären Formen des Negri sehen Protozoons in dem Nervensystem von
Tieren mit Sicherheit für das Vorhandensein von Wutkrankheit spricht.
(Bendix.)
Schattenstein (93) gelangt auf Grund seiner Untersuchungen zu
dem Schluß, daß die akute epileptiforme Urämie sehr häufig durch Steigerung
des Druckes auf das Gehirn hervorgerufen wird. Die Lumbalpunktion sei
demnach die beste Intervention bei der epileptischen Urämie oder ein
energischer Aderlaß. Die Hirnerscheinungen werden bei der enterogenen
Autointoxikatiou augenscheinlich durch Vergiftung der Himelemente durch
toxische Substanzen bedingt; aus diesem Grunde sei hier der Aderlaß nicht
am Platze, sondern Kochsalziufusionen zweckmäßiger. (Bendix,)
Organische Psychosen.
Referent: Professor Dr. Mendel -Berlin
(mit Hilfe von Dr. Kurt Mendel).
1. Abadie, J. et Grenier de Garde nal, Paralysie generale ayant appara apr^s ane
commotion electrique. Journal de Med. de Bordeaux. No. 2, p. 27.
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gerichtl. 3Iedizin. 3. Folge. Band XXX. Heft 2. Jahrgang 1905. Heft 4. p. 299.
165. Seif f er, W., Syphilitische Psychose oder progressive Paralyse? Medizinische Woche.
No. 33. p. 823.
166. Siemerling, Die Differentialdiagnose der progressiven Paralyse. Münch. Mediz.
Wochenschr. p. 48. (Siliangsberleht.)
167. Simon, Epilepsie, delire alcoolique. melancholie, tentative de suicide et paralysie
generale chez le iils d'une mfere alcoolisee, d'un pfere suicide, lui-meme etant syphili-
tique et alcoolique. Archives de Neurologie. Vol. XIX. p. 104.
168. Sipöcz, Geza, Die conjugale Paralyse. Orvosi Hetilap. No. 11. Elme-es-idegkörtan
No. 1. (ungarisch.)
169. Sobel, Jacob, A Case of Syphilitic Pseudoparalysis. Medical News. Vol. 86. No. 17,
p. 777.
170. Sorokowikow, G., Ueber Veränderungen der Temperatur bei progressiver Paralyse
der Irren. Inaug.-Diss. Kasan. 1904.
171. Sonkhanoff, Serge, Sur la forme stationnaire de la demence paralytique. Revue
Neurologique. No. 19. p. 959.
172. Steell, J., Symmetrical Gangrene in General Paralvsis of the Insane. Australasian
Med. Gaz. Sydney. XXXIH. 43—46.
173. Steiner, Gregor, Zur Aetiologie der Dementia praecox. Psychiatrisch-neurologische
Wochenschrift. VII. Jahrgang. No. 8. p. 77.
174. Steiner, Michael, Betrachtungen über „Progressive Paralyse**. An der Hand von
93 Krankengeschichten und 21 Sektionsprotokollen. Fortschritte der Medizin. No. 25.
p. 729.
175. Stransky, Erwin, Ueber die Dementia praecox in ihrer Bedeutung für die ärztliche
Praxis. Wiener Mediz. Presse. No. 28. p. 1379. No. 29. p. 1435. No. 31. p. 1522.
176. Derselbe, Dementia tardiva. Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie. Bd. XVm.
Ergänzungsheft. p. 5.
177. Derselbe, Fall von progressiver Paralyse. Wiener klin. Wochenschrift, p. 20.
(Sitzangsberieht.)
1068 Orjfftnwche Psychoaen.
178. T.errein, Dcux cas de paralysie generale; quelques considerations aa sojet de
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179. Titlua, Arthur, Ueber eine eigenartige Form der jugendlichen Faralyse. Inaug.«
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180. Vernet, Georges, La question des rapports de la Syphilis et de la paralysie gene-
rale, k l'Academie de m^decine. Ann. medieo-psychologiques. Juli-August, p. 5.
181. Yeyga, F. de, Las demencias primarias espontaneas. Semana m6d. XU. 920—938.
182. Vigouroux, A., Les escarres dans la paralvsie generale. Revue de Psychiatrie.
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183. Derselbe et Pascal, Mlle., Formes atypiques de paralysie generale. — Hemiplegie
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185. Vogt, H. und Franck, 0.» lieber jugendliche Paralyse, Deutsche medizin. Wochen-
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186. Vogt, R., Psykiatriens hovedtraek: VII. Dementia praecox (s. primaria). NorsL
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187. Vurpas, Gl., L'etiologie de la paralysie generale d'apr^s les discussions de TAcademie
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188. Wenden bürg. Psychische Erkrankung und organische flirnerkrankung bei einem
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189. Westphal, Ueber die Differentialdiagnose der Dementia paralytica und Lues cerebri.
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190. Derselbe, Zwei Fälle von Elephantiasis bei Dementia praecox. Vereinsbeil, der
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191. Weygandt, Dementia praecox und Idiotie. Neurol. Centralbl. p. 629, (Sltmngl-
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193. Woltär, Oskar, Beitrag zur Kasuistik der Paralysis progressiva im Kindesalter.
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innere Med. u. Kinderh. in Wien. IV. No. 8. p. 124.
I. Progressive Paralyse.
a) Ätiologie,
Vurpas (187) spricht sich für den ZusammenhaDg zwischen Paralyse
und SyphiUs aus. Vielleicht wird man in der Zukunft diesen Zusammen-
hang durch Auffinden des Syphilis-Mikroben (Schaudinn) beweisen können
oder aber durch die Folgen des Überiaipfens des SyphUisvirus auf Tiere^
welch letzteres aber kaum zur Entscheidung der Frage ^hren kann, da wahr-
scheinlich Tiere an Paralyse oder Tabes nie erkranken werden.
Martial (116) kommt zu folgenden Schlüssen: die Hauptursachen der
progressiven Paralyse sind 1. die Überanstrengung und die Heredität oder
die Zivilisation und 2. die Syphilis und vielleicht andere Infektionen sowie
Alkohol und professionelle Intoxikationen.
Die beste Prophylaxe ist die Verbesserung unserer modernen Lebens-
weise, die Rückkehr zu einem ruhigeren, normaleren, friedlicheren Leben, eine
„zerebrale Hygiene".
Während die meisten französichen Irrenanstalten durchschnittlich
10—15% und bis 30 7^ Paralytiker zählen, fand Coulonjou (27) im Asile
de r Orne unter 580 Kranken nur 11 Paralytiker =2 7o- Trotzdem ist
Syphilis und Alkoholismus in dem betreffenden Departement sehr verbreitet.
Verf. fuhrt die Seltenheit der Paralyse auf den Mangel an Zivilisation nnd
an das Gehirn überlastenden Momenten zurück. In der Diskussion erklärt
Regis, daß Paralyse selten sein kann trotz Häufigkeit Yon Lues und AI-
Organische Ptychoseu. 1069
koholismua; daß aber das Gegenteil (häufige Paralyse bei selten vorkommender
Syphilis) nirgends festgestellt ist. Auch .die übrigen Redner sprechen sich
fiir die Wichtigkeit der Syphilis in der Ätiologie der Paralyse aus.
1. Aus seiner Statistik folgert Fournier (63), daß die progressive
Paralyse in den zwei ersten Jahren nach stattgehabter syphilitischer Infektion
nicht vorkommt; sie setzt frühestens im Verlaufe des 3. Jahres ein, ist sehr
selten bis zum 6., am häufigsten zwischen dem 6. und 12. Jahre und zeigt
ihr Maximum im 10. Jahre nach der Infektion. Viel seltener wird sie dann
vom 13. bis 20. Jahr nach der Infektion und stellt jenseits des 20. Jahres
nur noch eine sehr seltene Ausnahme dar. Dem gegenüber tritt die Hirn-
syphilis vom 1. Jahre der Infektion an in Szene und erreicht ihr Maximum
bereits im 3. Jahre.
2. Ätiologie der Paralyse: beständige Ursache: Syphilis. Fast beständige
Ursache: ungenügende antisyphilitische Kur. Prädisponierende Ursachen:
Überanstrengung, Aufregungen, Alkoholismus, sexuelle Exzesse, Heredität
(letztere nur in zwei von 112 Fällen). Betreffs der Art der Syphilis fand
F., daß besonders die gutartigen, leichten Syphilisinfektionen von Paralyse
gefolgt werden. Bei 243 Fällen von bösartiger Lues, die er behandelte, hat
er späterhin nicht eine einzige Paralyse feststellen können. Den Grund,
daß gerade nach benigner Syphilis die Paralyse häufig auftritt, sucht F. nicht
darin, daß erstere zu der Gehirnerweichung prädisponiere, sondern vielmehr in der
unvollkommenen Behandlung, welch letztere wohl genügte, die Krankheit in gut-
artiger Form in ihrer zweiten Periode zu erhalten, nicht aber, um die Tertiärer-
scheinungen zu verbannen, überhaupt fand F. in 95^0 der Fälle von
Paralyse eine ungenügende Behandlung der Syphilis, eine richtig ernste
Therapie war nur in ö^o seiner Fälle angewandt worden. Daher der Rat:
behandle gut die Syphilis und die Zahl der Paralysen wird abnehmen! Ist
die Paralyse erst da, so hilft aber in keiner Weise das Quecksilber, in welcher
Form man es auch anwenden mag!
3. Wie ist nun die Syphilis am besten zu behandeln? Anwort: nach
folgendem Schema: im Beginn energische antiluetische Kur, welche während
der ersten beiden Jahre methodisch fortgesetzt wird, und zwar in Form einer
Reihe von energischen Hg- Kuren; dann 2 Jahre lang Pause (keinerlei Kur);
ungefähr im 5. Jahre eine zweite Behandlungsperiode von der Dauer eines
Jahres; dann wiederum Pause bis etwa zum 7. oder 8. Jahre; darauf wiederum
ein Jahr lang dauernde Behandlung.
4. Neben den Quecksilberkuren ist anzuempfehlen:, Vermeidung von
Exzessen in baccho et venere, von geistigen und körperlichen Überanstrengungen,
von seelischen Erregungen; Aufenthalt auf dem Lande, häufiges Ausspannen
von der Arbeit; Hydrotherapie. Dem Jod schreibt F. keinen großen
Wert zu.
5. Die Syphilis ist nach F. hauptsächlich ein Gift für das Nerven-
system; nach der Haut ist das Gehirn dasjenige Organ, welches am häufigsten
von der Syphilis angegriffen wird.
Je länger Raymond (63) in der Praxis steht, desto mehr ist er
überzeugt von dem Zusammenhang zwischen Paralyse und Syphilis. Bezüglich
der Zeit des Auftretens der Paralyse nach stattgehabter Infektion, der Ohnmacht
der spezifischen Kur gegen die Paralyse, der Meinung, daß Paralyse besonders
nach gutartiger Syphilis sich zeigt, und bezüglich der Behandlung der Lues
stimmt Raymond dem Vorredner völlig bei. Der Heredität schreibt er
aber eine größere Rolle in der Ätiologie der Paralyse zu als Fournier:
Die Syphilis wirkt auf ein von Hause aus invalides Gehirn. „Gelingt es
uns,** so schließt Raymond, „die Syphilis und den Alkoholismus zu unter-
1070 Organische Psychosen.
drücken ; so würden wir gleichzeitig die größte Zahl der Nervenkrankheiten,
insbesondere die Paralyse und Tabes, unterdrücken, und die Neurologen
wären gezwungen, ein anderes Spezialfach zu ergreifen."
In der Diskussion führt Joffroy aus, daß die Syphilis nicht die direkte
Ursache der progressiven Paralyse ist, daß letztere nicht eine „Affektion von
syphilitischer Natur" darstellt, daß die Hg- Behandlung weder vor Paralyse
schützt noch bei ausgebrochener Paralyse wirkt, ja bei Paralytikern sogar
nicht ungefährlich ist. In Afrika, wo Syphilis äußerst häufig, ist Paralyse
sehr selten.
Letzteres gibt Raymond zu, er zieht aber daraus nur den Schluß, daß
die Syphilis allein noch nicht Paralyse erzeugt, sondern daß sie einen
günstigen Boden (Heredität!) vorfinden muß, sie bringt den Stein ins Rollen.
Die pathologische Anatomie zeigt, daß oft neben den Erscheinungen der
Paralyse rein syphilitische Läsionen bestehen, ebenso aber auch die Klinik,
dasselbe gilt für die Tabes.
Hallopeau schließt sich im allgemeinen Raymond und Fournier
an, er möchte aber die spezifische Behandlung im 3. und 4. Jahre nicht
unterbrochen wissen, sondern empfiehlt eine 4 Jahre währende Anfangs-
behandluug.
Lancereaux spricht sich gegen jeden Zusammenhang zwischen Paralyse
und Syphilis aus. Die Statistik sei trügerisch. Die pathologische Anatomie
spricht gegen die syphilitische Ätiologie, ebenso die Ohnmacht der spezifischen
Therapie, die Seltenheit der Paralyse in Ländern, wo Syphilis häufig ist.
Raymond antwortet, daß bei Geistlichen Paralyse selten ist und, kommt
sie vor, so war Syphilis nachgewiesen. An Gehirnen von Paralytikern sieht
man oft alle möglichen Übergänge von rein syphilitischen Läsionen zu typisch
paralytischen.
Motet meint, daß die Paralyse sich auf den vaskulären Störungen
aufbaut, welche die Syphilis schafft.
Cornil: Es existiert keine anotomische Ähnlichkeit zwischen Paralyse
und syphilitischen Neubildungen; dennoch spielt die Syphilis eine gleiche
Rolle in der Ätiologie der Paralyse wie Aufregungen, Überanstrengung,
Alkokol und Heredität.
Fournier stellt die Punkte zusammen, welche für den Zusammenhang
zwischen Paralyse und Syphilis sprechen, und zwar sind dies: 1. Häufigkeit
der Syphilis in der Anamnese der Paralytiker (die Statistiken ergeben
50 — 94°/o); 2. Häufigkeit der Syphilitiker, welche Paralyse bekommen;
3. Seltenheit der Paralyse bei Frauen; 4. relative Seltenheit der Paralyse
auf dem Lande, bei der Geistlichkeit und in den Ständen, wo die SyphUis
am wenigsten verbreitet ist; 5. viel bedeutendere Häufigkeit der Syphilis in
der Anamnese bei Paralytikern als bei den anderen Geisteskranken; 6. ge-
wöhnliches Zusammentreffen von Paralyse und Tabes, deren syphilitische
Herkunft nicht mehr bestritten wird (? Ref.); 7. Vorkommen der juvenilen
Paralyse auf hereditär-syphilitischer Basis.
Bezüglich des Nutzens der Hg-Kur als Prophylaxe gegen Paralyse
verteidigt F. seinen vorher angegebenen Standpunkt. Er erwähnt ferner die
konjugale und die familiäre Paralyse, die Fälle, wo in derselben Familie zwei
Individuen Syphilis akquirieren, von denen das eine an Tabes, das andere
an Paralyse erkrankt, und diejenigen Fälle, wo die Syphilis aus der gleichen
Quelle stammt und später bei diesen Syphilitikern Tabes bezw. Paralyse
auftritt (Brosius' 6 Glasbläser!). Die Deszendenz der Paralytiker gleicht
vollkommen derjenigen der Syphilitiker. Das Argyll-Robertsonsche Zeichen,
Organische Psychoaen. 1071
welches — nach Babinski — ein pathognomonisches Merkmal erworbener
oder hereditärer Syphilis darstellt, ist für gewöhnlich bei Paralyse vorhanden.
Alles in allem, Klinik und pathologische Anatomie führen Fournier
zu folgendem Schluß-.DieprogressiveParalyse gehört zu den parasyphi-
litischen Erkrankungen, sie stellt, nach der Tabes, eine der gewöhn-
lichsten und eine der schwersten Nachkrankheiten der Syphilis dar,
Marchand (111) sucht die Frage nach der Ätiologie der progressiven
Paralyse, respektive nach der Bedeutung der Syphilis für diese Krankheit
nicht mit Hilfe der Statistik oder klinischer Daten, noch auf Grund der
pathologisch-anatomischen Befunde oder experimentell zu lösen, sondern aus
den Ergebnissen aller dieser Untersuchungsmethoden und den sich gegen-
seitig ergänzenden Befunden ein endgültiges Urteil zu fällen.
M. stellt fest, daß ätiologisch, klinisch und pathologisch-anatomisch
übereinstimmend die Lues sich als ein mächtiger Faktor der progressiven
Paralyse erweist. Pathologisch- anatomisch darf für die Mehrzahl der Fälle
die syphilitische Natur der Paralyse behauptet werden; nur müßte man die
Fälle von diffuser Meningoencephalitis anderen Ursprungs (Alkohol) von ihr
trennen. (Bendir.)
Die beiden Ehegatten, welche MÖnkemÖUer (1^4) beschreibt, er-
krankten ziemlich gleichzeitig an Paralyse. Da die Frau aus erster Ehe
gesunde Kinder hatte, in der zweiten aber vier Totgeburten durchmachte
und das 5. Kind nach 11 wöchentlichem Leben wahrscheinlich an Lues verlor^
so ist anzunehmen, daß sie die überstandene Lues (leichte Alopecia, bohnen-
große weißlich glatte unregelmäßige Narbe über der rechten Skapula) von
ihrem zweiten Gatten, der ein liederliches Leben führte, akquiriert hat. Auch
dieser wies die Zeichen überstandener Lues auf. Der Verlauf der Paralyse
war bei der Frau rascher. Weitere ätiologische Faktoren als die Lues fallen
für beide Ehegatten aus.
Verf. weist auf die Bedeutung der Erkrankung des ersten Ehegatten
in der Stellung der Prognose und Diagnose bei dem später erkrankenden
Gatten hin. Bei der Unklarheit der ersten Stadien der Paralyse sollte die
Krankheit des ersten ein ernstes Memento in der Stellung der Prognose
und Diagnose des zweiten sein. Dies gilt besonders für forensische Fälle.
Die beiden Fälle zeigen die Bedeutung der konjugalen Erkrankungen für die
Lösung der Frage nach dem ätiologischen Einfluß der Syphilis auf die Ent-
stehung der Paralyse.
SipÖCZ (168) berichtet über drei Fälle konjugaler Paralyse und einen
Paralytiker, dessen Frau an Tabes litt. Lues in den drei ersten Fällen un-
zweifelhaft nachweisbar, im vierten sehr wahrscheinlich, da die Gattin Puella
publica war. Keine verläßlichen Angaben bezüglich Heredität. Geistige
Surmenage konnte in allen Fällen in Betracht kommen. (Hudovemig.)
Garnier und Santenoise (65) verlassen mehr und mehr den früheren
ablehnenden Standpunkt in der Paralyse-Syphilisfrage. Auch Cullerre,
welcher diesen Zusammenhang noch vor 14 Jahren bekämpfte, tritt in einer
neueren Publikation für denselben ein. Der vorliegende Fall bietet nun
durch die Vollständigkeit und Klarheit in der Ätiologie einen weiteren wert-
vollen Beitrag zur Entscheidung der strittigen Frage. Es handelt sich um
zwei Gatten, die im übrigen sowohl außerhalb wie innerhalb der nur 2 Jahre
dauernden Ehe unter sehr verschiedenen Lebensverhältnissen standen. Bei
beiden war syphilitische Infektion früher sicher'nachge wiesen, bei dem Mann 12,
der Frau 10 Jahre vor den ersten sicheren Anzeichen der Paralyse. Beide
waren erblich belastet, der Vater des Gatten, sowie die Mutter der Gattin
1072 Organische Psychosen.
waren an Demenzständen im gleichen Asyl wie die Kinder verpflegt worden;
ein Vetter mütterlicherseits der Gattin litt an progressiver Paralyse.
Die Verff. weisen namentlich anf das Zusammentreffen dieser beiden
Momente erbliche Belastung und Syphilis als ätiologi^h wichtig hin.
Goldberger (74) berichtet über neun in der Budapester psychiatrischen
Klinik zur Beobachtung gelangte Fälle familiärer Dementia paralytiea
(konsanguine Paralyse), deren Krankengeschichten er ausführlich mitteilt.
In den 9 Monaten des Jahres 1905 wurden in der psychiatrischen Klinik
insgesamt 132 Fälle progressiver Paralyse aufgenommen, bei wehren in
36,3 ^/^ hereditäre Belastung im allgemeinen, in 12,1 ^/f, Belastung in dem
Sinne, daß in der Antecedenz Psychosen vorkamen, und in 6 % i^ ^^
Familie vorgekommene Paralyse nachweisbar waren. In einem Falle waren
Vater und Sohn, in fünf Fällen Geschwister, und einmal Oheim und Neffe
an progressiver JParalyse erkrankt. In diesen 9 Fällen konnte Verf. bloß
zweimal in der Anamnese Lues nachweisen, einmal Alkoholismus, und mehr-
mals betonten die Angehörigen das kümmerliche Leben als ürsapbe der
psychischen Erkrankung. Verf. kommt zu dem Schlüsse, daß in der Ätiologie
der Dementia paralytiea der hereditären Belastung eine größere Rolle 2a-
erkanut werden muß, als man bisher geneigt war anzunehmen, doch ist die He-
redität allein ebenso ungenügend, um progressive Paralyse hervorzurufen, als
die anderen ätiologischen Momente; Lues ist immerhin einer der häufigsten
ätiologischen Faktoren. {Hudocemig.)
Meyer (122) hält es für sehr unwahrscheinlich, daß ein Trauma allein
die Ursache der Paralyse bilden könne, doch könne man sich vorstellen,
daß durch das Trauma eine Schwächung des Gehirns hervorgerufen und
so der günstige Boden für die Entstehung der Paralyse geschaffen werde,
oder daß eine schon in Entwicklung begriffene, aber noch latente Paralyse
durch das Trauma zu schnellerem Hervortreten und ungünstigem Verlauf
gebracht werde.
Das Trauma muß aber erheblicher sein, mit einer Kopfverletzung und
allgemeiner Körpererschütterung einhergegangen sein. Der Zwischenraum
zwischen Trauma und Paralyse dürfe nicht zu kurz, aber auch nicht zu lang
sein. Schließlich müßte der Nachweis gebracht sein, daß der Verletzte vor
dem Unfall völlig frei war von psychischen oder nervösen Erscheinungen.
Jedenfalls ist in der Frage der traumatischen Paralysis progressiva
höchste Vorsicht am Platze.
Gieseler (70) veröffentlicht zunächst 2 Paralysefälle, in denen er zu
dem Schlüsse kommt, daß die Paralyse als Folge des stattgehabten Unfalls
aufzufassen ist. Vor dem Trauma waren weder psychische noch nervöse
Abweichungen vorhanden, in etwa 3 Jahren nach dem Unfall trat in beiden
Fällen der Exitus ein. Die Verletzungen waren nicht leicht. Ln Unfall war
jedenfalls die auslösende Ursache für die Paralyse zu erblicken, sei es daß
diese noch latent war, sei es daß sie, in der Entwicklung begriffen, durch
die Verletzung zu schnellerem Hervortreten gebracht wurde.
Im 3. Fall wurde ein psychisches Trauma angeschuldigt, die Paralyse
hervorgerufen zu haben (Erregung bei der Strandung des Schiffes, auf dem
Pat. Verwalter war). Vor der seelischen Erschütterung waren jedoch schon
Zeichen der beginnenden Paralyse vorhanden; die Paralyse stand demnach
nicht in ursächlicher Beziehung zum psychischen Trauma.
In Fall 4 wurde gleichfalls der Zusammenhang zwichen Traunaa nnd
Paralyse abgelehnt, und zwar weil die Verletzung nicht den Kopf getroffen
hatte und auch der Beweis für eine allgemeine Erschütterung des Nerven-
systems felilt.
OrguuBche Fayehos^u. 1073
Fall 5: schon vor dem Trauma psychische Störungen, beginnende
Paralyse. Auch war Unfall unerheblich. Es bestand zudem chronischer
Aikohoimißbraudi.
Fall: 6 Das Trauma war Folge der Paralyse (Kopfverletzung im
Schwindelanfall).
In keinem der Fälle wurde ananmestisch syphilitisch« Infektion zu-
gegeben; verdächtig war in Fall 3 die kinderlose £he, in Fall 2 die große
Zahl der Todesfälle der Kinder in frühester Jugend.
Es ist wenig wahrscheinlich, daß ein selbst sehr erhebliches Trauma
die alleinige Ursache sein kann, doch kann eine Verletzung die Entstehung der
Paralyse so sehr fördern, daß das Leiden als Folge des Unfalls anzusprechen
ist. Das Trauma sdiafift den Locus minoris resistentiae.
Nur dann können wir einen ursächlichen Zusammenhang zwischen
Par&lyse und Unfall annnehmen, wenn trotz genauester Nachforschungen keinerlei
Zeichen, die auf Paralyse hinweisen, in der Zeit vor dem Trauma nachweisbar
eind; wenn das Trauma mit einer erheblichen Kopfverletzung oder Allgemein-
erschüttemng eisfaerging, und wenn endlich weder eine allzu kurze noch
allzu lange Zeit zwischen Trauma und Paralyse verstrichen ist.
Steiner (174) hat seine Erfahrungen über progressive Paralyse an
der Hand von 93 Krankengeschichten und 21 Sektionsprotokollen gesammelt.
Von den 73 Männern waren 60 (also 82,2 7o) veiheiratet, von den 20 Frauen
waren 15 (also 757«) verheiratet. Das Erkrankungsalter schwankte bei den
männlichen Paralytikern zwischen 30 und 60 Jahren, bei den weiblichen
Kranken zwischen 29 und 70 Jahren. Syphilis fand er bei den Männern
in 54,8%, bei den Frauen in 3b \. (Bendix.)
Christiail (25) ist ein entschiedener Gegner der Syphilistheorie der
progressiven Paralyse und glaubt, daß die Furcht vor den Folgen der Lues
schwere Neurosen oft zur Folge habe. (Bmdix.)
b) Pathologische Anatomie.
Meyer (121) wandte seine Aufmerksamkeit der Frage zu, ob die
PlasmazeUeninfiltrate pathognomonisch für die paralytische Hirnrindenerkran-
kung sind, musterte seine Präparate von 69 Fällen in diesem Sinne durch
und fand folgendes:
Von 18 Paralyse-Fällen ergaben 17 typische Pia-Rindeninfiltrate im
Sinne Nissls und Alzheimers. Im 18. Falle, der eine typische Paralyse
war und sehr schnell letal verlief, fanden sich starke Plasmazelleninfiltiate
in der Pia und zwar zunächst der Hirnrinde, daneben viel Lymphocyten in
Haufen; Hirnrinde frei; am Hirn und Bückenmark sichere syphilitische
Veränderungen, so ein kleines Gummi in der Pia spinalis.
Unter den 51 anderen Fällen wiesen 12 von Dementia senilis, 1 von
arteriosklerotischer Himerkrankung, 11 von Autointoxikationspsychose bezw.
Delirium acutum, 1 von Collapsdelirium, 2 von Inanitionsdelirium, 1 von
puerperaler Sepsis mit Fieberdelirien sowie 2 von nicht geisteskranken
Tuberkulösen durchaus negatives Resultat auf. Ebensowenig fanden sich
Plasmazellen in 8 Delirium-tremens-Fällen, bei 4 Katatonien, 2 Melancholien,
2 Hysterien, 1 Epilepsie, 2 zweifelhaften FäUen (wahrscheinlich Dementia
praecox).
Die paralytische Pia-Rindenerkrankung ist demnach dui'ch adventitielle
Plasmaz^Ilen-Infiltrate ausgezeichnet, die der Ausdruck einer Entzündung
(Nissl) sind. Sie sind eine sehr wichtige und leicht erkennbare Stütze der
Jahresbericht f. Neurologie und Psychiatrie 1905. 68
1074 Organische Psychosen.
Diagnose „Paralyse", zumal Plasmazellen- und auch Lymphocyten- Infiltrate
in der Pia und Hirnrinde anderer Geisteskranker fehlen.
Kinichi Naka (127) hat seine Beobachtungen über Rückenmarks-
befande bei progressiver Paralyse und ihre Bedeutung für das Zustande-
kommen der reflektorischen Pupillenstarre an 43 Rückenmarken von pro-
gressiver Paralyse angestellt. Unter diesen Rückenmarken fand sich einmal
isolierte Seitenstrangerkrankung, 6 Mal isolierte Hinterstrangerkrankung und
35 Mal kombinierte Erkrankung des Seiten- und Hinterstranges. Nur in
einem Falle war das Rückenmark ganz intakt. 23 Mal bestand beider-
seitige totale Lichtstarre, 26 Mal gesteigerte Kniereflexe beiderseits, 13 Mal
fehlende Kniereflexe beiderseits, 2 Mal waren sie normal, 2 Mal ungleich
stark. N. sucht nachzuweisen, daß die Hinterstränge resp. die Zwischenzone
des oberen Halsmarks keine Beziehung zur Lichtstarre hat. Zwischen der
Stärke der Zwischenzonendegeneration und der Störung der Pupillenreaktion
besteht kein Verhältnis. Es sei aber nicht ausgeschlossen, daß an irgend
einer Stelle mit unseren Methoden nicht nachweisbare vereinzelte Fasern
verlaufen, welche die Pupillenreaktion regieren. Alle Veränderungen, welche
man bisher im Halsmark sah und zur Pupillenstarre in Beziehung brachte,
haben nichts mit solchen hypothetischen Fasern zu tun. (üencUx.)
c) Symptomatologie.
Paris (134) zieht eine Parallele zwischen der primären Verwirrtheit
(confasion mentale primitive) und der progressiven Paralyse und findet eine
starke Ähnlichkeit zwischen beiden Krankheiten heraus, auch bezüglich der
Ätiologie und des Verlaufs. Sie unterscheiden sich nur dadurch, daß der Paraly-
tiker syphilitisch infiziert war, der Verwirrte nicht. Individuen, welche den Ur-
sachen der Verwirrtheit (Kummer, Exzesse, Elend, Influenza, Typhus, Trauma
usw.) ausgesetzt sind, werden Paralytiker, wenn sie Syphilis hatten, und primär
Verwirrte, wenn dies nicht der Fall war. Die Paralyse erscheint als die
schwere Form der primären Verwirrtheit des syphilitisch Infizierten, und man
wird unterscheiden: 1. heilbare Verwirrtheit, 2. chronisch werdende Verwirrtheit,
3. Verwirrtheit mit paralytischen Störungen.
Die notwendige prädisponierende Ursache der Paralyse ist also die
Syphilis, letztere ist aber nicht die eigentliche bestimmende Ursache der
Paralyse, diese fällt zusammen mit der Ursache der Verwirrtheit, ebenso
muß die bei beiden Afi'ektionen anzuwendende Therapie die gleiche sein:
frühzeitige Behandlung, stetige ärztliche Beobachtung, möglichste Buhe, Ver-
minderung der Intoxikationsgelegenheiten (Diät, Sorge für regelmäßige Ver-
dauung usw.).
Hnilt (80) folgert aus dem klinischen Studium von 60 Paralyse-Fällen
folgendes:
Landwirte sind am wenigsten, Mechaniker am meisten befallen. Verhältnis
der Verheirateten zu den Ledigen = 2:1. In 75% fand sich Tremor im
Facialisgebiet, in 80 % psychische Störungen. Das Leiden wächst an Häufig-
keit des Auftretens mit den Jahren an und erreicht sein Maximum um
45 Jahre, um dann ebenso abzufallen. Die meisten Fälle stehen zwischen
dem 35. und 45. Lebensjahre. Der jüngste Paralytiker war 21 Jahre alt,
es war eine Taboparalyse; der älteste war 65 Jahre mit starken psychischen
Störungen, Halluzinationen usw.
In der Hälfte der Fälle waren die Kniereflexe gesteigert Meist bestand
Argyll-Robertson. 76,8 ^o boten Tremor der Gesichtsmuskulatur. 56 ®/^ zeigten
typische paralytische Sprachstörung, 60 % Gedächtnisschwäche, 59,3 7o gaben
Organische Psychosen. 1075
Syphilis zu. Zwischen Beginn der Paralyse und der syphilitischen Infektion
lagen 5 — 18 Jahre, meist betnig der Zwischenzeitraum etwa 15 Jahre.
Baird (8) untersuchte ein großes Material von Paralytikern nach der
pathologischen und klinischen Seite hin und fand pathologisch-anatomisch
1. subdurale Membranneubildung und* Verwachsung in V^ ^l^^r Fälle, 2. Ad-
häsionen der Pia mit der Hirnrinde, die ohne Substanzverluste nicht zu
lösen waren in 40 7,,, •^' Ependymgranulationen im 4. Ventrikel in solcher
Konstanz, daß dieses Symptom als wichtigstes Differentialdiagnostikum ange-
sehen werden kann. Klinischerseits hatte Verf. folgende Ergebnisse: 1. Das
Alter der aufgenommenen Paralysen beträgt im Durchschnitt 40 Jahre. 2. Die
ungefähre Lebensdauer etwa 14 Monate. 3. Die Krankheit tritt bei Ver-
heirateten relativ häufiger auf als bei Ledigen. 4. Das männliche Geschlecht
ist weitaus am stärksten beteiligt. 5. Von den Erkrankten sind etwa 80 ®/„
Kopfarbeiter. 6. Euphorie findet sich besonders bei Männern, aber sie ist
nicht so häufig, wie man gewöhnlich annimmt. 7. Melancholie, Sinnes-
täuschungen, Verfolgungs- und Selbstmordideen sind ziemlich häufig. 8. Etwa
80 7o litten an körperlichen Begleitssymptomen, wie Augen- und Sprach-
störungen, Lähmungen, abnormen Reflexen und Störungen der Sensibilität.
Ingegnieros (82) teilt den paralytischen Symptomkomplex in folgende
klinische Formen:
1. Akzidenteller paralytischer Symptomenkomplex; er kann durch jegliche
Intoxikation hervorgerufen werden, sofern sie hauptsächlich bestimmte Hirn-
teile schädigt (häufig bei Alkoholisten und Bleiarbeitern). Der Beginn ist
plötzlich, der Verlauf gutartig. Fortschaffen des Giftes führt zu schneller Ge-
nesung. Es findet sich nur eine einfache akute Zellvergiftung ohne entzündliche
oder degenerative Vorgänge.
2. Nicht progredienter, heilbarer paralytischer Symptomenkomplex, der
hervorgerufen wird durch bestimmte Lokalisationen seitens der Sj'philis, des
Alkohols, des Blei, des Diabetes, der Gicht und wahrscheinlich anderer
Gifte, welche solche „Pseudo- Paralysen" herbeiführen. Durch ätiologische
Behandlung sind die toxischen und entzündlichen Läsionen reparabel.
3. Der bekannte klassiche Symptomenkomplex der progessiven Paralyse:
progredienter, zur paralytischen Demenz führender Verlauf, Erfolglosigkeit
der Therapie, definitive, nicht heilbare Degenerationen.
Westphal (189) zeigt an zwei des Näheren mitgeteilten Beobachtungen,
daß sich auf syphilitischer Basis ungemein langsam verlaufende Psychosen
entwickeln können, die im wesentlichen das Bild chronischer manischer bezw.
hypomanischer Erregung darbieten und ausgezeichnet sind durch das andauernde
Bestehen einer gehobenen Stimmung mit massenhaften unzusammenhängenden
Überschätzungs- und Größenideen. Eine schwere Demenz scheint selbst
nach sehr langer Krankheitsdauer nicht einzutreten, wenn auch die Urteils-
kraft zweifellos leidet und ein gewisser Grad von geistiger Schwäche nicht
zu verkennen ist. Gedächtnis und Merkfälügkeit bleiben in auffallend guter
Weise erhalten. Neben den psychischen Störungen bestehen körperliche
Symptome, die auf eine Hinterstrang- oder Seitenstrangerkrankung hinweisen.
Die auffallende Einförmigkeit und Konstanz der Symptome auf geistigem
wie körperlichem Gebiete unterscheiden die Fälle des Verf. von der Mehrzahl
der Fälle der Lues cerebrospinalis, andrerseits sind sie von der progressiv^en
Paralyse, die als Zustandsbild den angeführten Beobachtungen oft außer-
ordentlich ähnelt, wohl zu trennen, was bezüglich der Prognose und Therapie
von Wichtigkeit ist.
In der Würzburger psychiatrischen Klinik sind im Laufe der letzten
20 Jahre unter vielen Hunderten von Paralytikern nur 3 Kranke mit Spontan-
es*
j[076 Organiaehe Psychoseo.
frakturen beobachtet worden. Eckel (51) teilt die betreffenden Kranken-
geschichten mit. Er sieht die Spontanfrakturen und sonstigen krankhaften
Störungen in den Knochen bei Paralyse als direkte Folge geschädigter
Funktionen des Bückenniarkes an, faßt also die Knocheubrüchi^eit direkt
als trophische, unmittelbar von der Hiru-Rückeumarkskrankheit abhängige
Störung auf.
Ein 29 Jahre alter Mann, der viel Alkohol genossen hatte, wird in die
Klinik zu Moskau aufgenommen. Seit Vs J^^ Gedächtnisschwäche, dann
leichte Erregbarkeit, Schreibstöning, Intelligenzschwäche. Über 8yphilifl
wird nichts berichtet. Objektiv: Pupillen mittelweit, reagieren, Silbenstolpem,
Schreibstörung, Bewegungsdrang, Weint viel, Gedächtnis schwach, Patellar-
reflexe vorhanden. Die Erregung nimmt alimählich stark zu. Soukhanoff
(171) stellt die Diagnose: progressive Paralyse (? ? Bef.), die Erregung läBt
nach, die Intelligenz bleibt stark herabgesetzt, ebenso das Urteilfirennögen,
die Sprache bleibt stolpernd. 167« Jahr später: Intelligenzschwäche, leichte
Ptosis rechts, deutliche Sprach- und Schreibstörung, linke Pupille > rechts.
Rechter Partellarrefiex schwach, linker fehlend. Verf. hält es für xnöglieb,
daß sich in dem Organismus Antitoxine gebildet haben, welche den gewöhnlichen,
progredienten, durch Toxine bedingten Prozeß der Paralyse zum Stillstand
brachten.
Seiffer (165) veröffentlicht die Krankengeschichte eines 37jälirigen
Opernsängers. Er schließt mit Sicherheit das Bestehen einer progressiveD
Paralyse aus. Wahrscheinlich hatte Pat. vor 5 Jahren eine leichte meningitieche
Erkrankung durchgemacht, die bei dem hereditär Disponierten zu mehrfachen
protralüerten Stimmungsanomalien, zu Schwindel- und Ohnmachtsanfällen,
zu einem schweren akuten halluzinatorischen Err^ungszustande und zu
Störungen in der Pupillen- und Zungeninnervation geführt hat. Zu der hereditären
Disposition kam eine auf syphilitischem Wege erworbene Disposition ftr
psychische Erkrankungen. Auf dieser Grundlage erwuchs dann infolge eines
leichten Anstoßes (Gemütserregung) eine akute Psychose, welehe in wenigen
Tagen wieder heilte, ehe die eingeleitete spezifische Behandlung überhaapt
wirksam sein konnte. Es handelt sich demnach um eine einfadhe Psychose
bei einem früher Syphilitischen.
Graham (76) beschreibt einen Paralysefall mit syphilitischer Meninjjo-
myelitis (genauer Sektionsbericht). Die Itückenmarksaffektion war wahr-
scheinlich das Primäre, erst später wurde das Gehirn ergriffen- Der Fall
war früher als multiple Sklerose diagnostizieit worden.
Holden (79) kommt zu dem Schlüsse, daß als Frühsymptom der
progressiven Paralyse am konstantesten das Fehlen des seüsorisdhen Reflexes
ist, in der Hälfte der Fälle ist eine unregelmäßige Form, in fast der Hälfte
Ungleichheit der Pupillen vorhanden, in mehr als der Hälfte sind die Pupillen
abiioiin eng, in \'^ der Fälle fehlt die Lichtreaktion, in einem anderen Fünftel
ist die Lichtreaktion träge und in einer kleinen Anzahl dieser Fälle mit
veränderter Lichtreaktion besteht auch eine träge Reaktion auf Konvergenz.
Im mittleren Alter sind Fehlen des sensorischen Reflexes, lliosis und Irre-
gularität der Pupillen von großer diagnostischer Wichtigkeit; das Argyll-
Robertsonsche Zeichen hat in jeglichem Alter bedeutenden diagnostischen Wert
Harandon de Montyel (109) prüfte bei 140 Paralytikern den Licht-
reflex der Pupille in den yerschiedenen Stadien der Paralyse. Seine Schluß'
folgerungeu sind im Original nachzulesen.
Leri (lOl) fand, daß bei der Paralyse mit ausgesprochener Geistes-
störung Amaurose selten, leichtere Sehstörungen häufiger vorkommen, während
vor Ausbrucli der eigentlichen psycliischen Erscheinungen audb erstere nichts
Organische Pgychosen. 1077
Rares sind. Bei Tabes rerbindet sich letztere gewöhnlich mit leichteren
Hinterstrangssjmptomen und etabliert sich gewöhnlich zeitlich vor den meisten
übrigen Symptomen; in diesen Fällen von Tabes beständen aber sehr häufig
auch leichte, an die initial-paralytischen gemahnende psychische Störungen.
Tabes, Paralyse und tabische Amaurose stellen nichts dar als drei verschiedene
Lokalisationen ein und desselben, wahrscheinlich schlechtweg tertiär syphilitischen
Prozesses dar, die isoliert und mit einander aufzutreten vermögen; anatomisch
seien tabische und paralytische Optikusatrophie identisch (sekundäre Atrophie
auf Grund meningitischer und interstitiell-neuritischer Läsionen, ausgehend von
Oefäßveränderungen.)
Bei dem Paralytiker Ganpp's (66) fand sich linksseitiger Hippus bei
Reflextaubheit der Pupille und linksseitige nystagmusartige Zuckungen im
Moment des Pixierens bei sonst normaler Augenbeweglichkeit und bei erhaltenem
Sehvermögen. Das rechte Auge erwies sich völlig normal; die Störung war
also streng einseitig. G. sieht diese Pupillen anomalie als ein ungewöhnliches
Symptom der Paralyse an, wahrscheinlich ist sie die Folge einer kortikalen
LäsioD, eine genauere Lokalisation erscheint zur Zeit nicht möglich.
Marchand und Olivier (112) berichten über einen Taboparalytiker,
welcher an den Tagen vor seinem Exitus eine fortschreitende lytische Ab-
nahme der Körpertemperatur darbot. Nieren und Leber wurden bei der
Sektion normal gefunden, es zeigten sich die gewöhnlichen Läsionen der
progressiven Paralyse. Verff. sehen die Hypothermie (bis zu 29**) als eine
solche nervöser Natur an, zumal sich Brust- und Bauchorgane normal erwiesen.
Puls lange Zeit 96, eine Stunde vor dem Tode 68; 2 Stunden vor dem Tode
24 Atemzüge in der Minute. Eine Stunde vor dem Tode schwand die bis
dahin deutliche Pupillendiflferenz.
Damaye (30) berichtet über eine Paralytika, die bereits seit längerer
Zeit die Gewohnheit hat, mit Gewalt ihre Betttücher zu zerbeißen, und die
eines Tages beim Kauen eines Apfels sich ein großes Stück aus dem Ober-
kiefer herausbiß. Paralytiker können für andere und für sich gefährlich werden.
Marie und Pelletier (114) bringen 3 Beobachtungen, in denen ein
Mal perforant der progressiven Paralyse voranging, in denen die Besserung
des ilal perforant auch von einem erheblichen Kemissionszustand bezüglich
der somatischen und psychischen Symptome gefolgt war.
Verff. erwähnen dann die 3 Theorien über das Mal perforant bei
Paralyse: die periphere, die zentrale und diejenige von der allgemeinen
abnormen Zusammensetzung des Blutes bezw. die septische oder toxische
infektiöse.
VigonrotlX (182) führt aus, daß Paralytiker infolge Veränderung
ihres ganzen Nervensystems, insbesondere der vasomotorischen Funktion
desselben, zu Dekubitus besonders disponiert sind. Druck, lokale Infektion,
Furunkel, die bei anderen Kranken ohne Bedeutung sind, führen bei Para-
lytikern oft zu schweren Geschwüren. Durch Hygiene und peinliche Pflege der
Haut kann man das Auftreten von Dekubitus verhindern. Andererseits
treten aber bei Paralyse Geschwüre als Folge von zerebralen, medullären
oder nenritischen Läsionen auf und können alsdann kaum vermieden werden.
Diese Läsionen wirken auf die Vasomotoren der Haut; Kongestionen und
lokalisierte Anämie scheinen die Hauptursache der Gangrän abzugeben, Dnick
und Mazeration sind nur Nebenursachen. In diesen Fällen kann man dem
Arzt oder dem Pflegepersonal keine Vorwürfe wegen des Auftretens einer
Gangrän machen.
1078 Organische Psychosen.
Billington und Barnes (11) beschreiben den Fall eines 37 jährigen
Paralytikers mit Aithropathia genu. Sonstige Erscheinungen von Tabes,
multipler Neuritis oder Syringomyelie fehlten. Lues war zugegeben.
Fischer (62) bezeichnet die Neurasthenie als eine meist psychogene
und chronische Erkankung des Nervensystems, welche durch eine Verminderung
der geistigen Arbeitsfähigkeit, ohne psychische Defekte gekennzeichnet ist.
Die Neurasthenie bildet somit mit ihren wohlumschriebenen Symptomen
eine nosologische Einheit, welche mit anderen Erkrankungen des Nerven-
systems nicht verwechselt werden kann. Das Anfangsstadiimi der progressiven
Paralyse kann der Neurasthenie wohl ähnlich sein, doch sprechen die Aus-
falls- und Lähmungserscheinungen gegen, mangelnde Sinnestäuschungen,
Phobien und Zwangserscheinungen für die Annahme der Neurasthenie.
Die Neurasthenie ist in der Mehrzahl der Fälle heilbar, und kann nie in
progressive Paralyse übergehen. Findet ein scheinbarer Übergang statt,
so ist dies nicht der Neurasthenie, sondern jener Krankheitsform zuzuschreiben,
welche die progressive Paralyse hervorzurufen pflegt. (Hudovemig,)
Dräseke (43) gibt im Anschluß an 6 in der Literatur veröflfentlichte
Fälle die Krankengeschichten von 4 eigenen Beobachtungen wieder. Alle
10 Kranke zeigen ein auffallend gleichartiges klinisches Bild, welch' letzteres
sich vornehmlich in folgenden Erscheinungen kennzeichnet; akutes Einsetzen
schwerster Krankheitserscheinungen (Somnolenz, ünorientiertheit, halluzina-
torische Erregungszustände, heftigste Reizerscheinungen wie Schütteltremor
und choreatische Bewegungen, welche mit unverminderter Heftigkeit bis zum
endgültigen Kräfteverfall andauern), rapider geistiger Verfall. Pathologisch-
anatomisch sind diese Fälle zum Teil nur makroskopisch untersucht, vier
von ihnen dagegen zeigen auch mikroskopisch ein übereinstimmendes Bild:
überall im Zentralnervensystem waren Residuen früher erfolgter Blutungen
in Gestalt von amorphem und kristallinischem Blutpigmeut oder auch in
Form von gelben kleinen Pigmentkörnern nachzuweisen. D. rechnet die
erwähnten Fälle zu der hämorrhagischen Form der chronischen progressiven
Paralyse (nach Binswanger). Trotz des überaus schweren Krankheitsbildes
sind Remissionen von kürzerer oder längerer Dauer möglich; bei der Re-
mission bleibt die geistige Einbuße bestehen. Mit jedem neuen Schub, der
fast alle Symptome in ihrer Gesamtheit wieder hervortreten läßt, ist ein
weiterer geistiger Rückgang verbunden. So kann diese hämorrhagische Form
der Paralyse Monate, ja Jahre lang dauern. Der Tod erfolgt durch irgend
eine interkurrente Krankheit.
Das Auftreten von choreatischen Bewegungen im Verein mit anderen
schweren Symptomen im dritten Dezennium und später muß an eine progressive
Paralyse, und zwar an deren hämorrhagische Form, denken lassen.
Damaye (31) berichtet über eine an progressiver Paralyse leidende
Frau, welche Depressionszustände hatte und an einer anderen Kranken einen
Mordversuch machte. Verf. weist darauf hin, wie., gefährlich Paralytiker
werden können und wie sie deshalb stets sorgfältiger Überwachung bedürfen.
Ingegnieros (81) bespricht an der Hand eines eigenen Falles die
mehrfach in der Literatur beschriebenen Formen einer paralyseähnlichen Er-
krankung beim Diabetes. Die Fassung, die er dem Begriff der Paralyse
gibt, lehnt sich ziemlich eng an die Aufstellungen von Klippel an. Demgemäß
kennt er eine akzidentelle Form der Paralyse auf diabetischer Grundlage auf
Grund akuter und eine heilbare diabetische „Pseudoparalyse" auf Grund
chronischer diabetischer Intoxikation, welch letztere bei nicht entsprechender
kausaler Therapie in eine progrediente Form überzugehen vermag. Die
Existenz der diabetischen Pseudoparalyse erscheine klinisch sichergestellt
Organische Psychosen. 1079
Klippel (92) vermag in dem geläufigen Krankheitsbilde der progressiven
Paralyse eine klinische Einheit nicht zu erblicken; für ihn handelt es sich
da nur um einen Symptomenkomplex von verschiedenartigster Pathogenese
und verschiedenartigster anatomischer Ursache. „ ... es gibt einen para-
lytischen Symptomeuklomplex (Syndrome paraly tique), nicht aber eine progressive
Paralyse (paralysie gfen6rale) im Sinne einer ausschließlich auf die gleiche
pathogenetische Ursache zurückführbaren klinischen Einheit." Diese von
ihm seit langem verfochtene Anschauung versucht er durch den Hinweis
auf die durch Tuberkulose verursachten psychischen Krankheitsbilder zu
stützen, die nach seiner Überzeugung unter den mannigfachsten Bedingungen
paralytische Färbung annehmen können. In dem Falle, den Verf. in der
vorliegenden Arbeit mitteilt, handelt es sich um einen 33 jährigen Mann,
dessen Kxankheitsgeschichte freilich nur in Umrissen produziert wird, der
jedoch nach dem Zeugnisse psychiatrischer Autoritäten (Magnan, Pavet u. a.)
intra vitam das Bild der progressiven Paralyse dargeboten hätte. Die Krankheit
bestand etwa 3 Jahre. Das Obduktionsergebnis bestand, kurz zusammen-
gefaßt, in der Auffindung verkäster Tuberkel in der Brücke, dem Kleinhirn,
dem Sehhügel und der Spitze des Schläfenlappens, in dem Nachweis einer
tuberkulösen Meningoencephalitis in der Nachbarschaft der erwähnten Tumoren,
und endlich in diffusen Zell- und Gefaßalterationen offenbar toxisch-infektiöser
Genese in der übrigen Hirnrinde, in der sonst ebensowenig wie in den
Meningen irgendwelche pathologische Veränderungen zu finden gewesen wären.
Es bestand eine ausgedehnte alte Lungen- und Mediastinaltuberkulose.
Raymond (145) berichtet über folgende 2 Fälle:
1. 32 jähriger Mann. Im Alter von 27 Jahren Syphilis mit Sekundär-
erscheinungen. April 1905 leichte Ermüdbarkeit, Gedächtnisschwäche, Sprach-
störung. Objektiv: Roraberg, Dysarthrie, intellektuelle Schwäche, Indifferenz,
ürteilsschwäche, motorische Unruhe. Keinerlei Augensymptome. Lebhafte
Patellarretiexe. Wegen Fehlens der Augensymptome, von Kopfschmerzen,
wegen des Verlaufs des Leiden und der Erfolglosigkeit der antisyphilitischen
Kur schließt Verf. die Diagnose Hirnsyphilis aus und meint, daß es sich um
eine progressive Paralyse handelt.
2. 16 jähriger Jüngling. Vater blind, zeigt Gehstörungen (wahrscheinlich
Tabiker). 3 Geschwister gesund. Fat. lernte schlecht in der Schule, sonst
bis 15. Jahr normal. Dann Sehvermögen schlechter, Abnahme der Auf-
merksamkeit, schlechteres Gehen. Objektiv: hochgradige Demenz, starke
Gedächtnisschwäche, Indolenz, Sprach-, Lese- und Schreibstörung, unsicherer
Gang, starke Pupillendifferenz, absolute Pupillenstarre, Lymphocytose der
Spinalflüssigkeit. Diagnose: Paralysis progressiva.
Verf. spricht sich für die Hauptrolle der Syphilis in der Ätiologie der
progressiven Paralyse aus und bespricht, Alzheimer folgend, die pathologische
Anatomie des Leidens.
Oiachetti (68) hat bei 23 Paralytikern, die in einem vorgeschrittenen
Stadium der Krankheit sich befanden, mit einfachen Mitteln die verschiedenen
Sinnesqualitäten geprüft. Er fand, was die Sensibilität betrifft, die Schmerz-
empfindlichkeit fast konstant alteriert, meist vermindert, einigemal ganz auf-
gehoben, in der geringeren Anzahl der Fälle gesteigert. Die Tastempfindung
erfährt eine geringe Herabsetzung, die jedoch in keinem Verhältnis steht
zur gefundeneu Herabsetzung der Schmerzempfindung. Wärmesensibilität
und stereognostischer Sinn erweisen sich nur selten verändert, ebensowenig
findet man eine Herabsetzung des Geruchs-, Geschmacks-, Gehörssinns.
Das Gesichtsfeld erscheint für die verschiedenen Farbeuqualitäten verschieden
stark eingeengt zu sein, dies aber mit großer Konstanz. (Jedoch konnten
X080 Organische Psychosen.
nur 9 Fälle für diese ÜDterswchungen herangezogen werden.) Muskel- und
Gleichgewichtssinn wiesen unwesentliche Veränderungen auf. Der Verf. maebt
darauf aufmerksam^ daß ein genaues Studium der pathologisch-anatoraiscben
Veränderungen des Gehirns und vor allem des Rückenmarks am besten
geeignet erscheint, unsere noch recht spärlichen Kenntnisse auf diesem Gebiete
zu erweitern. (Merzbacher.)
Pierre Roy und Dnpony (157) haben einen an progressiver Paralyse
leidenden 44 jährigen Mann beobachtet, dessen Gedächtnisstörungen nicht, wie
gewöhnlich, langsam und allmählich auftraten, sondern sich plötzlich nach
einem paralytischen Anfall einstellten und auf die letzten 12 Jahre seines
Lebens beschränkten. Er lebte als Kutscher in Paris und glaubte nun noch
Schlächter in Brunoy zu sein. — Geschieden und zum zweiten Male ver-
heiratet, will er nun seine zweite Frau für die erste halten und deren Kinder
für diejenigen seiner ersten Frau. — Seit zwölf Jahren Waise, jannnert er
über seine alten Eltern und schreibt ihnen einen Brief toU von kindlicher
Zärtlichkeit. (Bemiim.)
Pere (60) macht Mitteilung yon einem 43 jährigen Paralytiker, der
nach einem neurasthenischen Vorstadium an den typischen Symptomen der
Paralyse erkrankte. Gleichzeitig entwickelte sich Impotenz und Atrophie
beider Hoden. Am auffälligsten war, daß mit der Hodenatrophie eine Volumen-
zunahme der Schilddrüse stattfand derart, daß schließlich die Schilddrüse
aus zwei symmetrischen Teilen von Mandarinengröße bestand. (Bendix.)
Lannois und Jambon (100) teilen einen Fall von progressiver Paralyse
eines 36 jährigen Mannes mit, der einige Besonderheiten darbietet. Es trat
nämlich im Anschluß an eine vorsichtig ausgeführte Lumbalpunktion, bei
der sich anfangs ganz klare, später aber eine blutige Flüssigkeit entleerte,
ein kollapsartiger Zustand mit nachfolgenden epileptiformen Anfallen and
Hemiplegie ein. Der Patient ging zu Grunde, und es wurde eine ausgedehnte
Thrombose des rechten Sinus longitudinalis superior gefunden, außerdem aber
eine spezifische Endaortitis mit gelatineartigen Flecken, trotzdem der Patient
niemals an Syphilis gelitten haben wollte. (Bendix.)
Simon (167) teilt einen Fall von progressiver Paralyse bei einem
43jährigen Manne mit, der erblich schwer belastet war und an Alkoholismus
und Lues litt. Mütterlicherseits lag Alkoholismus vor, der Vater hatte
Suizid begangen. Er selbst litt seit seinem 15. Jahre an Epilepsie, hatte
im 21. Jahre Lues. Im 35. Jahre erkrankte er au Alkoholdelirien mit
nachfolgenden melancholischen Erscheinungen und Suizidversuchen. Seit
einem Jahre stellten sich bei ihm die charakteristischen Anzeichen der
progressiven Paralyse ein. S. hebt hervor, daß bei dem Kranken die here-
ditäre Veranlagnng für die Epilepsie, der Alkoholismus für die Delirien
und die Lues für die progressive Paralyse verantwortlich zu machen sind.
(Bend^x.)
Die Besonderheit des Falles von Apraxie bei progressiver Paralyse,
den Lewacdowsky (102) mitteilt, liegt in der außerordentlichen Ein-
schränkung der motorischen Fähigkeiten. Der Kranke verfügte nur noch
im wesentlichen über drei Bewegungsformen des linken Armes, die Be-
wegung hinter das Ohr, die Bewegung zum Mund und die Reibbewegung
auf dem Kopf. Der Fall betraf einen 36 jährigen Tagelöhner, der stupurös
war, rechter Arm in kontrakturähnlicher Stellung, im rechten Bein leichte
Spasmen. Absolute motorische Aphasie^ kann nichts hervorbringen außer
unartikulierten Lauten. Wahrscheinlich auch sensorisch aphasisch-sprachtaub.
Auffallend ist die Haltung der linken Hand hinter dem Ohr, wie bei
Schwerhörigen. Stauungspapille und frische Blutungen, die im Laufe der
Organische Psychosen. 1081
Beobachtung noch zunahmen. Die Sektion ergab eine typische progressive
Paralyse. Auffallend war außer der Apraxie die bei progressiver Paralyse
wenig beobachtete Stauungspapille. (Bettdia.)
Für die ünfallpraxis wichtig ist ein von ReiBhold (150) mitgeteilter
Fall von Dementia paralytica nach Unfall. Erblich nicht belasteter Fuhr-
mann erlitt Unfall, wobei er auf das Gesäß fiel. Schmerz am Kreuz-
bein, in den Beineu, Urindrang. Ungleiche, träge reagierende Pupillen.
Verschlimmerung bis zur Arbeitsunfähigkeit, Abnahme der Sehkraft, Zittern
in den Armen, Schwindel. Später reflektorische Pupillenstarre, Kopfschmerz,
Unruhe der Gesichtsmuskeln beim Sprechen. Sprache undeutlich. Weiter-
hin Gedächtnisabnahme, Erregtheit, Eifersuchtsideen und Sinnestäuschungen,
Anfall von Bewußtlosigkeit, später epileptische Anfälle, Augenmuskellähmung.
Im weiteren Verlauf treten die psychopathischen Störungen immer mehr
hervor ; Unorientiertheit, Verwirrtheitszustände, Sinnestäuschungen, In-
kontinenz der Blase und des Mastdarms. Exitus.
Die Autopsie und mikroskopische Untersuchung bestätigten die Diagnose
der Dementia paralytica.
Lues und Alkoholismus kamen ätiologisch nicht in Frage. Ob die
nachgewiesene Arteriosklerose als Folge des Unfalls aufzufassen ist und den
Ausgang der progressiven Paralyse gebildet hat, ist nicht zu entscheiden.
(Bendia,)
Es handelt sich in einem Gutachten Kornfeld's (95) über einen
42iäbrigen Arbeiter, der nach einem Unfall an einer mit Geistesschwäche
einhergehenden Geisteskrankheit zu Grunde ging, die im wesentlichen der
progressiven Paralyse^ glich. K. hält den Zusammenhang der Paralyse mit
dem erlittenen Unfall für sehr wahrscheinlich und die Annahme einer
selbständigen, auf chronischem Alkoholismus beruhenden Paralyse für nicht
begründet. (BendUß,)
Feilchenfeld (59) hat 17 Fälle von progressiver Paralyse zusammen-
gestellt, welche den Beweis liefern, daß schon frühzeitig an der Schrift
Zeichen der beginnenden Paralyse zu beobachten sind. Es sei auf die
zittrigen, unsicher ungleichmäßigen, bald über, bald unter der Linie,
ineinandergeschricbenen Zeichen zu achten, ferner auf das Fehlen und die
selbständige Veränderung von Buchstaben. (Bendits.)
d) Juvenile Form.
Vogt und Franck (185) bereichern die Kasuistik durch einen typischen
Fall, der einen a priori schwachsinnigen (imbecillen) Knaben betraf. Die
kindliche Paralyse kennzeichnet sich durch gewisse Eigentümlichkeiten, und
zwar durch langsamen Verlauf, Hervortreten motorischer Reiz- und Ausfalls-
erscheinungen und die Seltenheit und geringe Intensität der Größenvorstellungen.
In seltenen Fällen, so in der Beobachtung der Autoren, treten Größenideen
besonders hervor.
Bei dem Mädchen aus der Klientel Zappert's (195) entwickelte sich
seit dem fünften Lebensjahre eine rasch zunehmende Demenz, derart, daß
das Kind nur noch lallend spricht, kein Interesse an ihrer Umgebung hat
und unfähig ist, ihr gegebene Aufträge auszuführen. Ungleiche, starre Pupillen
zusammen mit der rasch fortschreitenden Demenz sprechen für die Diagnose
einer progressiven Paralyse. Der Vater leugnet Lues; doch sind vier Ge-
schwister sehr frühzeitig gestorben. (Bendix,)
Woltar (193) teilt einen Fall von progressiver Paralyse im Kindes-
alter mit Idjähriger Knabe, Vater leidet an Tbc. pulm., Mutter an Dementia
1082 Organische Psychosen.
paralytica. Bis zum 6. Jahre normal entwickelt. In der Schule dauernd
fortschreitende Abnahme der Intelligenz, lernt nur schwer schreiben und
rechnen. Mußte im 12. Jahre in die Idiotenanstalt aufgenommen werden.
Minimale Reaktion der Pupillen, Gang unsicher, Sprache schlecht, schwer
verständlich. Später epileptiforme Anfälle, reflektorische Pupillenstarre,
Gang spastisch, sehr starke Patella rreflexe, Babinski beiderseits. Die
Autopsie bestätigte die Diagnose der progressiven Paralyse. (Bendix.)
e) Prognose.
Bei Paralyse-Fällen mit stärkeren Remissionen ist nach Margain (113)
selten syphilitische Infektion nachweisbar, diese Remissionen treten auch
unabhängig von jeder antisyphilitischen Behandlung auf. Verf. führt 16 solcher
Pälle aus der Literatur zusammen und erwähnt kurz 2 eigene Beobachtungen.
Jedenfalls erscheint die Syphilis nicht als alleinige Ursache der Paralyse;
es gibt entschieden Paralysen toxischen Ursprungs, die regressiv sind und
von den syphilitischen progressiven Paralysen getrennt werden müssen.
II. Dementia praecox.
Klippel und Lhermitte (93) berichten in ihrer für ein kurzes Referat
ungeeigneten Arbeit über die pathologische Anatomie und Pathogenese der
verschiedenen Arten von Demenz (Dementia praecox, progressive Paralyse,
Dementia alcoholica, Demenz nach zerebralen Herdläsionen, Dementia senilis).
10 Fälle von verschiedenartiger Demenz mit genauem Sektionsbefund werden
mitgeteilt.
Der als Einleitung der in der Amerikanischen neurologischen Ver-
einigung im September 1904 stattgehabten Diskussion über Dementia praecox
gehaltene Vortrag von Sachs (159) bemüht sich, eine Abgrenzung des dia-
gnostischen Begriffes der genannten Krankheitsbilder jugendlicher Psychosen zu
geben, die an sich dem Zustandsbilde, das von Kraepelin u. a. gezeichnet
worden ist, entsprechen, tatsächlich nicht zur Demenz führen, sondern zur Heilung,
bezw. zu der Heilung nahekommenden stationären Stadien kommen; dieselben
rechtfertigen nicht die Diagnose der Dementia praecox. Wenn auch zahlreiche
Fälle besonders in belastenden Familien dem Bilde der Dementia praecox
entsprechen, so vergehen doch selbst bei solchen bisweilen lange Jahre, bevor
es zu bemerkenswertem Schwachsinn kommt Die Diagnose sollte daher
für solche Fälle reserviert bleiben, bei denen es schon frühzeitig zu erkennbarem
Schwachsinn kommt. Verf. neigt mehr dazu, auch beim Jugendirresein in
der Diagnose sich an das Feststellen altbekannter Zustandsbilder zu halten,
als nur der Tatsache zu Liebe, daß es sich um jugendlich Erkrankte handelt,
ganz verschiedene Typen unter einen Krankheitsbegriff unterzuordnen.
Johnstone (87) gibt ein Referat über die Kraepelinsche Dementia
praecox.
Dercnm (36) zeigt, wie es zwischen den einzelnen Formen der pementia
praecox — Hebephrenie, Katatonie, Dementia paranoides — Übergänge
gibt, und wie demnach diese Gruppen nicht scharf von einander abgetrennt
werden können.
Brower (15) bespricht kurz Ätiologie, Symptomatologie, Diagnose,
Prognose und Behandlung der Dementia praecox.
Evensen (57) bringt in seinem Buch den ersten Teil seiner Unter-
suchungen über die Geisteskrankheiten des jugendlichen Alters. Der nächste
Band soll sich mit dem manisch-depressiven Irresein befassen. Verf. hat
Organische Psychosen. 1083
182 an Dementia praecox erkrankte männliche Individuen verwertet im
Alter von 14 — 26 Jahren. Im allgemeinen folgt Verf. Kahlbaum und
Kr a e p e li n. Eine besondere Abteilung als „Dementia paranoides" zu bezeichnen,
sieht er keinen Grund, es genügen die Unterabteilungen „Hebephrenie" und
„Katatonie".
Verf. bespricht des näheren die Symptomatologie der Dementia praecox
und betrachtet ausführlich die historische Entwicklung des Begriffes der
K-rankheit, Dififerentialdiagnostisch kommen Zwangsirresein, moralischer
Schwachsinn, Epilepsie, chronischer Alkoholismus, Hypochondrie, progressive
Paralyse, Hysterie, manisch-depressives Irresein in Betracht.
In 757,, der Fälle besteht in Verf.'s Statistik Erblichkeit. In 5%
Trunksucht des Vater. Körperliche Degenerationszeichen fanden sich in
57% der erblich belasteten, in 54% der nicht belasteten Fälle. 71,3^0
zeigten mittelmäßige Begabung als Kinder, 22 "/^^ waren schlecht veranlagt,
6,7 % standen über dem Durchschnitt. Ein Zusammenhang zwischen Dementia
praecox und Phthise läßt sich nicht feststellen, wenn auch viele Katatoniker
an Lungentuberkulose sterben.
Meist beginnt das Leiden nach dem Einsetzen der Pubertät, eine zweite
Höhe weist die Erkrankungsziffer noch im 24. und 25. Lebensjahre auf, dann
tritt mehr die katatone und paranoide Form auf.
Von den verschiedenen Theorien der Autoren scheint die einer Intoxikation
am meisten für sich zu haben. Bei 2,7 ^o trat das Leiden im Anschluß
an eine Kopfverletzung auf, 12,6 ^b waren dem Trünke ergeben. In 3,9%
fanden sich Gemütseindrücke. Tabakmißbrauch wird oft angegeben. Etwas
Sicheres über die Ätiologie wissen wir nicht.
Prognose: Größenideen und hypochondrische Vorstellungen sind kein
schlechtes Zeichen. Unruhe ist weniger ominös als Gleichgültigkeit und
Stumpfheit. Prognostisch ungünstig sind Negativismus, Stereotypie, automatische
Bewegungen, impulsive Handlungen außerhalb des Stupors und stärkere
Beteiligung der Gefühlssphäre.
Hecht (77) bespricht ausführlich die Frage der Dementia praecox,
indem er hauptsächlich Kraepeliu und seiner Einteilung in Hebephrenie,
Katatonie uud Dementia paranoides folgt.
McConaghey (119) fand eine große Anzahl von Fällen, welche in
dieKraepelinschen Gruppen: Hebephrenie, Katatonie, Dementia paranoides
nicht hineinpaßten. Er schlägt vor, das jugendliche Irresein einzuteilen in
1. einfache, 2. halluzinatorische, 3. katatonische Form und beschreibt diese
einzelnen Formen. Er fand Heilung in 58,1 7„ der Fälle (gegen 21 ^^ bei
Kraepelin). Die meisten starben an Komplikationen seitens der Lunge,
besonders Phthise. Die Prognose ist am günstigsten in der einfachen, am
ungünstigsten in der katatonischen Form.
Pathologisch-anatomisch wurde nichts Charakteristisches gefunden.
Die Organotherapie oder Serunitherapie blieben ohne Erfolg. Kräftige,
einfache Kost, Übungen in frischer Luft, Sorge für guten Stuhlgang sind
die besten Heilmittel.
Parant (133) kommt zu folgenden Schlüssen: Es gibt zweifellos
abnorme Geisteszustände, die, hauptsächlich bei jungen I^euten auftretend, in
Demenz übergehen. Diese Zustände kann man mit dem Namen „Dementia
praecox" belegen, man könnte sie aber ebenso gut „schnelle Demenz" bezeichnen.
Nichts beweist, daß die Demenz das Primäre ist; die Delirien, die die
Krankheit einleiten, können entweder erst spät in Demenz übergehen oder einer
völligen Heilung zugeführt werden, sie sind das Wesentliche des Leidens.
Fälle, in denen sie schnell in Demenz übergehen, weisen im übrigen keine
X0g4 Organische Psychosen.
charakteristischen Merkmale auf, die ans ihnen eine besondere Gruppe, eine
Krankheitßeinheit zu schaffen gestatten würden* Weder Symptomatologie
noch pathologische Anatomie rechtfertigen die Aufstellung der Krankheits-
gruppe Dementia praecox. Unter dieser Flagge segelt eine Reihe rer-
schiedenartigster Krankheiten. Durch diese neue Benennung hat die
Psychiatrie keinen Fortschritt erfahren, sondern Schaden gelitten.
Stransky (175) skizziert das Krankheitsbild der Dementia praecox
ihrer praktischen Bedeutung nach. Er unterscheidet mit Kraepelin die
hebephrene, katatone und paranoide Form, bespricht in ausführlicher Weise
die Symptomatologie des Leidens in psychischer und somatischer Beziehung
(unter den somatischen Symptomen erwähnt er besonders die epileptiformen
Anfälle, choreiforme und ticartige Zuckungen, Steigerung der Sehnenreflexe,
flyp- und Analgesie, Störungen der Speichel- und Schweißsekretion, yaso-
mo torische und Menstruationsstöruugen), geht dann zur pathologischen
Anatomie und Ätiologie (Autointoxikation) über. Als dififerentialdiagnostisch
in Betracht kommend, erwähnt er die Imbezillität, Idoral insanity, Amentia,
Manie, Melancholie, Hypochondrie, Hysterie, Neurasthenie, epileptische
Dämmerzustände, chronische Intoxikationen, progressive Paralyse und „formes
frustes" des Myxödems«
Therapeutisch sind zu erwähnen : sorgsame Überwachung, gute Ernährung,
Aufenthalt im Freien, eTt. Bettbehandlung, Packungen, Dauerbad, Hyoscin
und Moi'phium.
Marandon de Montyel (110) hatte in einem Artikel in der
Gazette des höpitaux sich lebhaft gegen die Dementia praecox Kraepelins
gewandt. Seine Ausführungen gipfelten in dem Satze, die Dementia
praecox sei „ni demence, nie precoce^. G-egen seine Darlegungen,
die auch die Stellungen der französischen Psychiater überhaupt zu der
Dementia praecox beleuchten, wendet sich Mongeri. Er führt entgegen
Marandon de Montyels Behauptungen aus, daß doch die MehrBahl der
Dementia praecox-Fälle in Verblödung ausgingen, daß ferner die meisten
Erkrankungen in jugendlichen Jahren tatsächlich einsetzen. Auch entspreche
die Dementia praecox keineswegs dem degenerativen Irresinn Magnans,
weil die Geistesstörungen auf degenerativer Basis gerade meist nicht in
Demenz ausgingen, und weil anderseits bei den an Dementia praecox Er-
krankten in der Regel eine degenerative Grundlage fehle.
Wenn Marandon de Montyel die Möglichkeit einer präzisen Definition
der Dementia praecox vermisse, so glaube er, daß wenige Worte dazu ausreichten.
Es sei eine anhaltende geistige Schwäche von mehr weniger Vollständigkeit,
begleitet, besonders im Beginn, von anderen psychischen Veränderungen
(Halluzinationen, Wahnvorstellungen usw.), und die sich bei jugendlichen
Individuen entwickle.
Schott (1B3) fand in seinen Fällen von Dementia praecox folgendes:
In 52®/o erbliche Belastung; die direkte Belastung überwiegt um mehr
als die Hälfte über die indirekte. Potus des Vaters bezw. Großvaters väter-
licherseits in 20 7o der Fälle, Schädeltrauma in 16 %, neuropathische Kon-
stitution gleichfalls in 16 7o- Ii^ ^^^/o eigentümliche Charakteranlage. 28%
hatten in der Schule schwer gelernt, 40 ^/^ galten als gute bis sehr gute
Schüler. 28^0 waren stets still und verschlossen.
Das Initialstadium der Dementia praecox ist sehr verschieden an Läoge
und Verlauf.
Charakterveränderungen, unmotivierter Bewegungsdrang, Versagen in den
praktischen Fragen des Berufes und des Lebens sind häufig bei Dementia
praecox. Ein nicht unerheblicher Bruchteil der Verbrecher rekrutiert »ch
Organische Psychos«n. 1065
AUS der Dementia praecox, besonders kommen vor Bettel, Landstreicherei,
Körperrerletzung, Zuhältertum, Exhibitioni^nus. Brandstiftung, Eahnenflucht.
Zuweilen beginnt die Psychose ganz plötzlich und überraschend.
Therapie : nicht zu lange Zeit währende Bettbehandlung, individualisierende
Behandlung, Erziehung zur Arbeit.
Seh. erkennt die Dementia praecox als besonderes Krankheitsbild an
und legt ihm besonders eine Bedeutung für die Stellung der Prognose bei.
Marandon de Montyel (108) polemisiert gegen Kraepelin und
Deny, welche die Paranoia in das Krankheitsbild der Dementia praecox
hineingezogen haben. Er will der deutschen Psychiatrie ihre Dementia praecox
lassen, möchte aber der französischen Schule die von ihr entdeckte Paranoia
unversehrt erhalten wissen. Frankreich mufi im Kampf gegen die Irrenärzte
jenseits des Bheins die von Morel, Las^gue, Foville und Magnan ge-
schaffene und klargestellte Paranoia, die den klinischen Tatsachen yollauf
entspricht, energisch verteidigen. (!!)
Pfendorff (139) bringt 6 Fälle von Dementia praecox, bei denen
die depressive Stimmung das wesentliche Symptom des Zustandsbildes dar-
stellte*
Bezüglich der Art der Depression ergeben diese Fälle (im Vergleich
zu der Depression des maniseb-depressiven Irreseins) folgendes:
1. Die Stärke des Affekts ist nicht exzessiv. Die Affektäußerung ist leicht
zu unterbrechen, zeigt jedoch in ihrem Abiauf keine Intensitätsschwankungen.
2. Die Wahnideen und Sinnestäuschungen sind inhaltlich von den im
manisch-depressiven Irresein vorkommenden nicht verschieden. Sie zeigen
jedoch in ihrem klinischen Auftreten eine bestimmte Gruppierung; sie treten
nicht vereinzelt, sondern nach Gruppen mit gemeinschaftlicher Affektbetonung
in Erscheinung. Dies trifft, im Gegensatz zum manisch-depressiven Misch-
zttstaade, nicht zu bei den intestinalen Wahnideen, die hier einzelne Orgaoe
betreffen, im Mischzustand meist Körpersegmente. Trotz der Affektschwäche
ist die depressive Eigenbeziehung stark entwickelt. Es finden sich
Schwankungen der inteUektuelien Leistungen, die nicht auf motorischer
Hemmung beruhen.
3. Wenn auch sämtliche Symptome nur bei bestehender Depression
produziert werden, so stellt doch der wechselnde Turnus ihres Auftretens
eine selbständige Beizerscheinung dar, denen keine Affektschwankungen
entsprechen.
4. Der bereits bestehende Defekt äußert sich in der Urteilsschwäche.
In der llehrzabl der Fälle stellt die Depression nicht den ersten Anfall
der Krankheit dar.
Verf. geht dann des näheren auf die Bemissionen bei der Dementia
praecox ein. In demselben zeigen sich die Zustandsbilder der gemütlichen
Verblödung in allen ihren Abstufungen.
Nach der Stufe der Affektschwäche selbst unterscheidet Verf. 2 Arten
von Bemissionen:
1. Die Affektlage ist labil; exzessive Affektäußerungen, meist monoton
depressiv, erfolgen auf geringe Beize. Es treten häufig spontane Depressionen
von kurzer Dauer auf.
2. Es besteht Indifferenz der Affektlage bei erhaltenem Interesse für
die AUtagsbescbäftigung. Der Kranke ist stärkerer Affektregungen verlustig
gegangen. Es fehlen jegliche periodische Erscheinungen.
Dromard (45) teilt die Stereotypieen bei Dementia praecox ein in:
akinetische oder Haltungsstereotypieen und parakinetische oder Bewegungs-
stereotypieen. Von ersteren unterscheidet er totale und partielle (Nahrungs-
1086 Organische Psychosen.
Verweigerung, Miitismus), von letzteren Stereotypieen der Sprache, der Schrift,
der Mimik, des Ganges und die komplizierten beim Handeln. Verf. bespricht
des näheren diese einzelnen Formen, insbesondere auch ihre Häufigkeit, ihren
diagnostischen und prognostischen Wert.
Dromard (44) kommt zu folgenden Schlüssen : Nahrungsverweigerung
und Mutismus können bei der Dementia praecox hervorgerufen werden
1. durch eine bewußte und willkürliche Aktivität (z. B. infolge einer
Wahnidee),
2. durch eine sekundäre automatische Aktivität (Stereotypie),
3. durch eine primäre automatische Aktivität (Negativismus),
4. durch das Fehlen von Aktivität (Stupor oder Demenz).
Aus der Ursache, die zu Nahrungsverweigerung oder Mutismus fuhrt,
wird man airf die Psychologie und Prognose des entsprechenden Falles schließen
können.
Kaiser (89) berichtet über folgenden Fall:
Erblich belastete, bis zum 22. Lebensjahre gesunde Patientin erkrankt
plötzlich an depressiver Geistesstörung mit Nahrungsverweigerung. Nach einigen
Monaten katatonischer Stupor. Dann 2 Jahre lang manischer Erregungs-
zustand mit motorischer Unruhe, Zerstörungssucht und Vorbeireden. Unter
allmählicher Beruhigung tritt darauf ein progressiver Schwachsinn auf.
Schließlich bestanden ihre Äußerungen nur noch in Schreien und Heulen,
sie war zeitweise sehr gefräßig, zu anderen Zeiten verweigerte sie die Nahrung,
gleichzeitig häufiger Erbrechen und Parese beider Beine. Seit 1902 Anfälle
von Bewußtlosigkeit und Jacksonscher Epilepsie mit Zuckungen in der
rechten Körperhälfte. Keine Stauungspapille. Lähmung des rechten Armes
mit tonischer Muskelstarre.
Autopsie: Gliomatose der rechten Hemisphäre mit Blutungen und
Erweichungsherden. Pachy- und Leptomeningitis der ganzen Konvexitäu
Verf. meint, daß bei der schon bestehenden Disposition zur Erkrankung
an Dementia praecox durch den Tumor der Anstoß zum Ausbruch der
Geistesstörung gegeben wurde. Das langsame Wachstum der Geschwulst
erklärt das späte Auftreten körperlicher Symptome. Da letztere rechtsseitig
lokalisiert sind, muß auch die linke Hemisphäre in Mitleidenschaft gezogen
worden sein.
Schott (164) gibt die Krankheitsgeschichten von 6 Mördern wieder,
die zur Zeit ihrer Aburteilung dem medizinischen Sachverständigen keinerlei
Anhaltungspunkte zur Annahme einer bestehenden geistigen Minderwertigkeit
oder einer Geisteskrankheit boten. Trotzdem wurde bei allen 6 Verbrechern
im Verlaufe der Strafverbüßung eine Dementia praecox manifest
Verf. kommt nun bei genauer Prüfung dieser Fälle zu der Ansicht,
daß sich wenigstens bei 4 dieser 5 Mörder schon zur Zeit ihres Verbrechens
ein psychopathisches Moment zur Diagnose der bevorstehenden Dementia
praecox hätte finden lassen. Insbesondere ist dabei auf die von Kraepelin
zuerst hervorgehobene Charakterverändenmg als Vorboten der Geistesstörung
zu achten. Teils die auffallenden Umschläge von Gemütsstimmungen, teils
die Steigerung vorhandener Absonderlichkeiten, oder auch Mangel an Ziel-
bewußtsein, Konzentrationsvermögen, Stumpfheit des Gemüts, Gedankenarmut
und ähnliche Charakterveränderungen sind wichtige Momente in den Initial-
Stadien der Dementia praecox.
Lomer (104) hat sich zur Aufgabe gestellt, dem Wesen und der ver-
mutlichen Ursache des Leidens an der Hand des umfangreichen Materials
der Frauenabteilung der Proviuzial-Irrenanstalt Neustadt-Holstein nachzu-
forschen. Von den 365 weiblichen Insassen litten 86, d. h. 23,6 v. H.
Organische Psychosen. 1087
an Dementia praecox. In Bezug auf hereditäre Belastung stehen die paranoiden
Frauen mit 95,7 % «^ höchsten, die katatonischen mit 85,6 % am tiefsten.
Eine Kombination von Geisteskrankheit und Alkoholismus der Eltern scheint
mehr zu katatoner, eine solche von Geisteskrankheit und Neurasthenie mehr
zu hebephrener Erkrankung der Nachkommenschaft zu disponieren. Bei
einseitiger Belastung liegen die Verhältnisse möglicherweise so, daß bei größerer
spezifisch psychopathischer Vererbungskraft des Vaters vorwiegend der
katatonische, bei solcher der Mutter der hebephrenische Symptomenkomplex
sich herausbildet.
Ein großer Prozentsatz der Kranken hat bereits vor dem Eintreten
der Psychose Anzeichen von somatischer Erkrankung oder psychischer Ab-
normität.
Bei der Entstehung der Dementia praecox sowohl, als auch was den
weiteren Verlauf derselben betrifft, tritt das sexuelle Element in ganz ungeahntem
Maße in den Vordergrund. Kein Erkrankungsfall trat vor der Pubertät
auf. 35 von den 86 Fällen erkrankten im Anschluß an sexuelle Vorgänge
oder psychische mit der Sexualsphäre in Beziehung stehende Erlebnisse.
Bei 69 Kranken waren die Menses von mehr weniger heftigen Aufregungs-
zuständen begleitet; fast alle Kranken litten auch an außermenstruellen
regelmäßig wiederkehrenden Erregungszuständen, die mit Übergang ins Klimak-
terium an Stärke und Zahl abnahmen. 48,8 7o ließen einen mehr oder
weniger gesteigerten Geschlechtstrieb erkennen und sexuelle oder sexuell betonte
Sinnestäuschungen, besonders auf akustischem Gebiete, traten besonders bei
der Katatonikergruppe hervor.
Diese Beziehungen des Krankheitsbildes zur Sexualsphäre scheinen dem
Verf. nicht zufällige zu sein, sondern darin begründet, daß bei der Dementia
praecox eine pathologische Veränderung der inneren Sekretion der Ovarien
besteht; mögUchei-weise eine Hypersekretion mit nachfolgender Minder-
sekretion, wofüi' die mit eintretender Verblödung oft zunehmende Fett-
leibigkeit der Kranken spricht. Bei der fundameutellen Bedeutung der normalen
inneren Sekretion für die Entwicklung von Geist und Körper in der Pubertäts-
zeit muß ein abnormes Verhalten dieser Funktion auch auf die Psyche in
anderer Weise gestaltend einwirken, als unter gewöhnlichen Umständen.
Als Konsequenz dieser Anschauung ergibt sich die Möglichkeit der
Heilung oder weitgehenden Besserung der Dementia praecox durch möglichst
frühzeitige doppelseitige Kastration, wie sie seiner Zeit schon von Goodell
bei den menstruellen Psychosen mit Erfolg versucht worden ist.
Decsi (34) erblickt in der klinischen Zusammenfassung der Dementia
praecox, Hebephrenie, Katatonie und paranoiden Demenz nicht bloß einen
wesentlichen Fortschritt der psychiatrischen Forschung, sondern eine besondere
prognostische Wichtigkeit und eine Annäherung zur richtigen klinischen
Wertung der Psychosen. Die Dementia praecox kann derzeit bloß ein
klinischer Begriff sein ; vom ätiologischen und anatomischen Standpunkte steht
dieser Begriff' noch weit von seiner endgültigen Lösung. (Hudovernig.)
Mondio (123) teilt die Krankengeschichten von 6 Fällen von Dementia
praecox-Kranken mit, bei denen er Gelegenheit hatte, das Gehirn einer
anatomischen Untersuchung zu unterziehen. An allen diesen Gehirnen be-
schreibt er eine Anzahl von Asymmetrien in der Gestaltung der Windungen
und der Formation, die für ihn als Zeichen einer starken Degeneration, eines
atavistischen Typus angesprochen werden. Bei der mikroskopischen Unter-
suchung will er sehr starke Veränderungen der Ganglienzellen beobachtet
haben und zwar gerade solche, wie sie von anderen Autoren bei den ver-
schiedensten Vergiftungen und bei Idioten gefunden worden sind, d. h. mit
2088 Orgamache FsychoseQ.
anderen Worten, er hat bei seinen Untersuchungea alle möglichen VeräoderungeD
gesehen. Diese Vielseitigkeit der Veränderungen spricht unserer Ansicht
nach redit deutlich gegen die Verwertbarkeit der erhobenen Befunde. Wer
bei der Anwendung der Kisslschen Methode sich der Fixierung in Sublimat
bedient, wie es der Verf. zu tun pflegt, vermag kaum ein wandsfreie Präparate
ZM erhalten. Neben der sogenannten Nissischen Methode wurde noch die
Oolgische Methode in Anwendung gebracht, die für histo-pathologische Unter-
suchungen doch noch zu unsichere Resultate zu geben pflegt. Schließlich
hat der Autor noch 26 Fälle zusammengestellt, aus denen er nur unbedeutende
Schlüsse zu ziehen im stände ist. Die Häufigkeit der degenerativeu hereditären
Belastung fällt ihm auf, ferner die Tatsache, daß die allermeisten der Kranken
von jeher schlecht oder wenig begabt waren. So meint er denn, den Sdünß
ziehen zu können: die Dementia praecox ist eine degenerative Krankheit,
die ein von Haus aus geschwächtes Gehirn trifft und zwar in ^ner Ent-
wicklungsperiode, in der besonders hohe Anforderungen an das Gehirn ge-
stellt werden. (Merzbadur,)
Die Arbeit Burzio's (20) enthält 11 Sektionsprotokolle ohne Mitteilung
des mikroskopischen Befundes und der Krankengeschichten. (Merzbadier.)
Sandri (161a) hat bei 40 Dementia praecox-Kranken das Blut anf
das Verhältnis der einzelnen Elemente zueinander untersucht. Die absolute
Zahil an und für sich scheint nicht wesentlich verändert zu sein; dagegen
scheint für alle Formen der Dementia praecox-Gruppe eine leichte Steigerung
der absoluten Zahl der weißen Blutkörperchen sich einzustellen. Die ver-
schiedenen Formen der weißen Blutkörperchen wieder erfahren quantitativ
eine Verschiebung bei den verschiedenen Gruppen dieser Erkrankung: bei
der Katatonie nämlich tritt eine erhebliche Vermehrung der mononukleären
Elemente ein, während die polynukleären Elemente im Gegensatz zurHebephrenie
eine Verminderung erfahren. Die quantitative Verschiebung der Eiemeote
zueinander tritt schon sehr bald nach Be^nn der Erkrankung zu Tage und
ist bei den frischen Formen ebenso deutlich nachweisbar wie bei den chronischen.
Besonders lehrreich war für den Autor ein Fall, der zunächst unter dem
Bilde der Hebephrenie verlief und auch die entsprechende cytologische Formel
zeigte und dann plötzlich typisch katatonische Symptomenkomplexe aufwies.
Mit dem Einsetzen derselben nahm auch die Zahl der mononukleären
Elemente zu, während die polynukleären eine deutliche Abnahme aufwiesen.
Die Veränderungen in der Zusammensetzung des Blutes führt der Autor
auf eine wahrscheinlich vorhandene Intoxikation zurück. (Merzbadur,)
Bei einem jungen Mädchen, das in einem Depressionszustand, der
physiologisch bedingt sein könnte, aus dem Fenster sich stürzte und mne
schwere Kopfverletzung davon ting, sah d'Ormea (130 a) eine klassische
Dementia praecox sich entwickeln. Nach Ansicht des Verf. kann weder im
speziellen Fall, noch überhaupt im allgemeinen bei der ganzen Natur des
pathologisch-anatomischen Prozesses und angesichts der mutmaßlichen Ursachen
der Dementia praecox das Trauma in genetischen Zusammenhang mit dieser
Psychose gebracht werden; das Trauma kann höchstens als eine auslösende
Ursache in Betracht kommen. (Nach Ansicht des Eef. geschah der Suirid-
versuch bei einer Patientin, die bereits manifeste Symptome der Erkrankung
zeigte.) (Merzbacher.)
Masoin (117) beobachtete unter 65 an Dementia praecox leidenden
Patienten fünfmal epileptiforme Anfälle. Bei dem ersten von ihm kurz
beschriebenen Fall traten aligemeine Konvulsionen auf, im zweiten Falle
waren tonisch-klonische Anfälle von kurzer Dauer beobachtet worden. Der
dritte Fall zeichnete sich durch häufige Krisen von kürzerer Dauer aus. Das
Organische Psychosec. 1089
Bewußtsein war stets erhalten. Auch im vierten Falle war das Bewußtsein
nicht gestört während des typisch epileptischen Anfalles. Erst später trat
auch Bewußtlosigkeit auf. Im fünften Falle lagen ganz zweifellose epileptische
Attacken vor. (ßmdix.)
Stransky (176) führt folgendes aus: Die im vorgeschrittenen Alter
auftretenden Verblödungspsychosen lassen sich nicht restlos in die zur Zeit
Geltung habenden Gruppen einreihen. Es bleibt eine kleine Zahl „atypischer"
Fälle da und dort zurück, die meist faute de mieux als Appendix der
symptomatologisch relativ nächstverwandten Krankheitsgruppe geführt zu
werden pflegen. Verf. versucht, einige Fälle solcher Art unter der an sich
unpräjudizierlichen provisorischen Bezeichnung „Dementia tardiva" zusammen-
zufassen. Meist erinnern diese durchgehends im reifen Alter einsetzenden
Psychosen im Beginn oder in späteren Phasen passager an eine Hallucinose,
um sich aber alsbald von diesem Bilde immer mehr zu entfernen. Es kam
im weiteren Verfolge zur Bildung verschiedenartiger, nicht sehr koordinierter
Wahnelemente, während manche Züge andeutungsweise an katatone Zustands-
bilder anklangen. Verf. sucht zu zeigen, daß eine einfache Subsumption
unter die Dementia praecox kaum viel mehr Berechtigung haben dürfte, als
etwa unter die Paranoia-Gruppe. Auch mit der Dementia paranoides erscheint
ihm eine Identifizierung nicht recht indiziert. Den Ausgang dieser Erkrankung
bildet ein mehr minder erheblicher, doch mit dem katatonischen seiner Er-
scheinungsform nach nicht identischer psychischer Schwächezustand.
Einen Kasus alkoholischer Genese will Verf. aus diesem Grunde nicht
direkt mithineinbeziehen. Zwei Beobachtungen von Katatonie mit Beginn
im reifen Lebensalter werden als Vergleichsfäile mitgeteilt.
Dupre (49) teilt einen Fall von chronischem „Puerilismus" bei einer
80 jährigen, an seniler Demenz leidenden Frau mit. Diese zeigte nach einem
transitorischen linksseitigen Schlaganfall die Zeichen seniler Demenz und
begann plötzlich die Manieren, den Ton und die Sprache eines kleinen Mädchens
anzunehmen. Bat sich Puppen aus und benahm sich während einiger Monate
wie ein Kind, bis sie in völlige Verblödung verfiel. (Bendia.)
Postowsky (142 a) fand in seinen beiden Fällen Bewußtseinstrübung,
Defekte des Intellekts, Gedächtnisschwäche für die Gegenwart und jüngste
Vergangenheit, Alteration des Gefühlslebens, wechselvollen Verlauf, konko-
mittierende nervöse Erscheinungen, Kopfschmerzen, epileptoide Anfälle,
inkomplette Hautanalgesie, Syphiliseruptionen auf dem Körper. P. grenzt
eine stuporöse Form der syphilitischen Demenz ab. Die syphilitischen
Psychosen nehmen eine besondere Stellung in der Klassifikation der Psychosen
ein. (Krön,)
Die Grundlage der Untersuchungen Albrecht's (3) über die Dementia
praecox bildet das Krankenmaterial der Anstalt Treptow a. K. Unter den
innerhalb von 4 Jahren aufgenommenen 693 Kranken waren 202 Fälle von
Dementia praecox. A. rubriziert seine Fälle unter drei Formen, welche ein
bestimmtes Krankheitsbild darbieten. Zur hehephreuiscben Form rechnet er
diejenigen Fälle, bei denen im Vordergrund des Krankheitsbildes dauernd
eine geistige Schwäche mehr oder minder hohen Grades steht: Sinnes-
täaschungen, Wahnideen und katatone Symptome traten wohl vorübergehend
auf, nahmen aber niemals ein das Krankheitsbild beherrendes Gepräge an
und traten namentlich in den Endzuständen fast ganz zurück. — Unter den
katatonen Formen versteht er solche Zustände von in Schwachsinn aus-
gehenden Stupor oder Erregung, die Negativismus, Impulsivität, Verschroben-
heiten und Manirieren, Stereotypien, Suggestibilität, Katalepsie, echoartige Zu-
stände deutlich und dauernd auch in den Endzuständen darboten. — Die
Jahresbericht f. Neurologie u. Psychiatrie 1906. 69
1090 Krimmelle Anthropologie.
Dementia paranoides weist neben den Erscheinungen einer rasch mch ent-
wickelnden psychischen Schwäche unter Erhaltung der Besonnenheit, Wahn-
ideern und meist auch Sinnestäuschntigen als hervorstechendes Krankbeits-
Symptom auf. A. fand nur 2^0 (4 Fälle) Heilungen und 17% (32) Heilungen
mit Defekt. (Bendix.)
Krimuslle Antluropologie.
Referent: Dr. Max Kötscher-Hubertusburg.
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212. Möbius, P. I., Ausgewählte Werke. Bd. VI. Im Grenzlande. Leipzig. Johann
Ambr. Barth.
213. Mochi, Aldodrandino, Sui rapporti tra lo sviluppo intellettuale e la morfologia
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e la Etnologia. Bd. 34, p. 83.
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215. Derselbe, Sexuelle Zwischenstufen. Zeitschrift für ärztliche Fortbildung. 1. Jahrg.
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216. Mondio, Giiglielmo, L'infanticida — Contributo anatomo-patologico. II Manicomio.
Anno XXI, p. 29.
217. Montessori, Maria, Sul caratteri antropometrici inrelazione alle gerarchie intellettuali
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pologia e la Etnologia. Bd. 34, p. 243.
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frage der irren Verbrecher und der geistig und sozial Minderwertigen. Psychiatr.-
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221. Derselbe, Der Traum als feinstes Reagens für die Art des sexuellen Empfindens.
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222. Derselbe, Die Gatten-, Eltern-, Kindes- und Geschwisterliebe. Ein Beitrag zar Um-
wertung resp. Revision gewisser moralischer Werte. Archiv f. Kriminalanthropologie.
Bd. 20, p. 103.
223. Derselbe, Castration in gewissen Fällen von Geisteskrankheit Psychiatr.-nenrolog.
W'ochenschrift. VU. Jahrg. No. 29. p. 269.
224. Derselbe, Kleinere Mitteilungen: Merkwürdiger Selbstmord eines geistig Gesunden. —
Kastration gegen Homosexualität. — Jacques Inaudi, der phänomenaJe Gedächtnis-
künstler. — Merkwürdiger Fall von reflektoidem Handeln. — Weiteres über das
Schicksal der kanadischen Duchoborzen. — Höhen und Tiefen der homosexuellen
Welt. — Ueber moralischen Schwachsinn bei Tieren. — Die Familienähnlichkeit am
Kriminelle Anthropologie. 1097
Windungstypus des Gehirns. — Der Mordversuch eines Nachtwandlers. — Starke
Elementar-Halluzinationen im Traume. Archiv, für Kriminal- Anthropologie. Bd. 18,
H. 4, p. 351—870.
225. Derselbe, Merkwürdiger Prozess. ibidem. XX. 174.
226. Derselbe, Rekord im Selbstmord, ibidem. XX. 175.
227. Derselbe, Eigentümliche Annoncen (mit sexual-pathologischem Hintergrunde), ibidem.
XX. p. 177.
228. Derselbe, Defakation nach Angst und Schrecken, ibidem. XX. 183.
229. Derselbe, Kleinere Mitteilungen, ibidem. Bd. 20, p. 368.
230. Derselbe, Le Monde homo-sexuel de Paris. Archives d* Anthropologie criminelle*
Yol. XX, No, ?35, p. 182.
231. Derselbe, Quelques details sur les homo-sezuels de Paris, ibidem. T. XX, p. 441.
232. Derselbe, Quelques details sur les homo-sexuels de Paris. Note supplementaire.
233. Derselbe, Ein Beitrag zur Pathogenese des Naevus vascularis. Neurolog. Centralblatt.
No. 20. p. 930.
234. Derselbe, Der Traum als feinstes Reagens für die Art des sexuellen Empfindens.
Monatsschrift für Kriminalpsychologie. Nov. und Jan. 1906.
235. Naegeli und Akerblom, H., Willkür und Nachlässigkeit bei der Benutzung
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338. Zangger, Heinr., über einen Fall von Pseudohermaphroditismus masculinus exteinus
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p. 1370.
340. Zuccarelli, A., Istituzioni di Antropologia criminale illustrate. — Parte prima:
Caratteri di conformazione dei delinquenti. 1900—1904.
1. Allgemeines. Vererbung. Degeneration. Verbrechen. Soziologie.
Petersen's (267) Buch dürfte wohl von den modernen Schriften, die
sich mit der Willensfreiheit beschäftigen, das reichhaltigste und tiefgründigste
sein. Eine Unmenge Material, historisches, philosophisches und juristisches
ist mit zwingender Logik verarbeitet, daß man glauben sollte, jeder
logisch Denkende, der den modernen Determinismus noch nicht überzeugt
in sich aufgenommen habe, müsse durch dieses Buch unbedingt zu ihm
bekehrt werden. Leider ist die menschliche Logik, wie alles Menschliche,
nie im idealen ßeinextrakt vorhanden; Voreingenommenheiten, Gemütslagen
und Postulate sind Beimengungen, die die schönste Logik verderben können.
Diesen Menschlichkeiten scheint mir gerade aus Liebe zur Verteidigung
seines logischen Determinismus auch der eminent logische Verfasser doch
noch in dem für die kriminelle Anthropologie wichtigsten Kapitel „Der
Determinismus und das Strafrecht** verfallen zu sein. Hier möchte er es allen
Strafrechtstheoretikem recht machen, und es erscheinen da zuguterletzt noch
zwei Seelen in seiner Brust. Einmal meint er, der Determinismus werde
Einfluß auf die strafrechtliche Auffassung haben, denn tout comprendre e'est
tout pardonner; und trotzdem hält er auch die Sühnetheorie aufrecht, und
es spielt bei ihm dabei eine ganz außerhalb der Logik liegende Rücksicht,
nämlich „das zur Zeit bestehende Rechtsbewnßtsein des Volkes", eine große
Rolle. Verf. machte sich lustig darüber, daß man mit der noch nicht be-
lehrten öflFentlichen Meinung eigentlich an die Umdrehung der Sonne um die
Erde glauben müsse, und hier im Strafrecht konzediert er der anbelehrt«n
öffentlichen Meinung sogar noch das atavistische Rachegefühl, auf das ja
jede Vergeltungsstrafe beruht. Dem Determinismus gegenüber kann die Ein-
wirkung auf den Verbrecher nur von einem berechtigten Gesichtspunkt
Kriminelle Anthropologie. 1101
angeschaut werden, und dieser heißt: Schaffung von Gegenmotiven.
Auch die Strafe kann nur begründet werden als Gegenmotiv, wie ich es
auch im Anschluß an Gross in meiner Arbeit: „über das Bewußtsein" usw.
ausgeführt habe. Petersen hebt ja extra hervor, daß die allmählich ent-
standene (relative) Willensfreiheit bei den einzelnen Menschen nicht denselben
Grad hat, daraus folgt doch, daß ein festes Strafmaß diesen Gradunter-
schieden unmöglich gerecht werden kann. Daher fordert allerdings der
Determinismus eine ganz andere allgemeine Behandlung der Rechtsbrecher,
wie sie heute besteht. In diesem Gefühl liegt wohl auch der menschliche
Grund, daß viele kluge Menschen sich streuben, die Logik als logisch an-
zuerkennen.
Kötscher (162) sagt in dem Schlußwort seiner Schrift: „das jedoch,
was mir besonders am Herzen liegt, glaube ich auch schon im vorliegenden
Teile meiner Arbeit zum genügenden Ausdruck gebracht zu haben, nämlich
die Tatsache, daß wahre Gerechtigkeit nur aus einer naturwissenschaftlichen
Betrachtung der Dinge und Menschen entspringen kann. Wir gelangen zu
einer wahrhaft bewußten Sittlichkeit erst dann, wenn nicht Gedanken an
Rache und Sühne und ungerechte Voreingenommenheit den Bringern der
Unlust gegenüber uns beherrschen, sondern wenn wir uns einem leidenschafts-
losen Erforschen von Ursache und Wirkung anheimgeben, das uns die
Gebundenheit offenbart von allem, was geschieht, — seine Abhängigkeit
von Faktoren, denen wir mit unserem Haß und unserem Abscheu für Böses
und Widerliches in plumper Weise entgegenzutreten so häufig uns verführen
lassen, statt das wir, wie es Tolstoi mit den Evangelien betont, nicht nur
siebenmal, sondern siebeuzig mal siebenmal vergeben dem Bruder, der an
uns sündigt." — Naturwissenschaftliche Erkenntnis als Grundlage einer
höheren Sittlichkeit zu fördern, ist die Aufgabe, die sich Verfasser gestellt,
und in diesem Sinne behandelt er in seiner Schrift folgende Kapitel: 1. Kapitel:
Über das Bewußtsein im allgemeinen, seine Wertung vom Standpunkte des
modernen Determinismus und seine Rolle in forensischer Beziehung. 2. Kapitel:
Die psychologischen Elemente des Bewußtseins. Bewußtsein und Selbst-
bewußtsein. 3. Kapitel: Der Automatismus. 4. Kapitel: Allgemeine Sympto-
matologie der Bewußtseinsstörungen. Störung der Erinnerung. Konfabulation
und Pseudologia phantastica. Bewußtseinsanomalien und Zeugenaussagen.
5. Kapitel: Das Bewußtsein der geistig Minderwertigen und Moral-Insanen.
Die forensische Wertung und Behandlung dieser degenerierten Defekt-
menschen. 6. Kapitel: Die Affekte und ihre Wirkung auf das Bewußtsein.
7. Kapitel: Die Suggestion. Ihr Einfluß auf das Bewußtsein des Einzelnen
und der Masse. Ekstatiker und Stigmatisierte. 8. Kapitel: Schlaf und
Traumbewußtsein. Träume der Psychopathen und Verbrecher. Das Schlaf-
wandeln. Die Schlaftrunkenheit. 10. Kapitel: Hysterischer Somnambulismus.
Die Dissoziation des Bewußtseins bis zur sog. Spaltung der Persönlichkeit.
11. Kapitel: Spiritismus, Mediumismus und Trancezustände. 12. Kapitel: Die
sog. okkulten Leistungen des Bewußtseins. Genialität. 13. Kapitel: Dämmer-
zustände. Ideenflucht, Hemmung, Insuffizienz, Inkohärenz. Stuporzustände.
14. Kapitel: Die Delirien, insbesondere auf alkoholischer, epileptischer und
hysterischer Basis. Der Alkoholrausch und seine forensische Bewertung. Angst-
liche und manische Tobsucht. 15. Kapitel: Die Betäubung. Ohnmacht und
Scheintot. Die Narkose und ihre forensische Bedeutung. 16. Kapitel: Tod
und Sterben. Der Bewußtseinszustand des Sterbenden und seine forensische
Bedeutung. Testamentarische Willeuserklärungen. 17. Kapitel: Schlußwort;
darin erklärt sich Verf. auf Grund seiner determinischen Anschauungen für
die Verlegung der Bestimmung der Strafdauer bei minderwertigen und ver-
1102 KTimineUe Anthropologie.
bteoheriscken Naturen i& die 'Zeit des Strafvollzugs ohne Bifidong von deren
Länge und für die nur versuchsweise Beurlaubung der gebessert Erscheinenden.
An etwas kleinem Materiale und bezüglich der roin psychischen Fähig-
kelten auf der sehr subjektiven Methode der Fragebogen beruhend, versucht
Thompson (312) eine Vergleichuug der normalen geistigen Fähigkeiten
von Mann und Frau zu geben. Sie gelangt zü folgenden Resultaten: die
motorischen Fähigkeiten in fast allen ihren Vaiiationen ist bei den Männern
besser entwickelt als bei den Frauen. An Kraft, Schnelligkeit der Be-
wegung und in der Zeit bis zur Ermüdung sind die Männer entschieden den
Frauen überlegen. Bezüglich der Präzision der Bewegung haben sie eben-
falls einen .kleinen Vorsprung. Diese 4 Arten der Überlegenheit sind wahr-
scheinlich Äußerungen ein und derselben Tatsache, nämlich der größeren
Muskelstärke der Männer. Im Bilden einer neuen Koordination sind die
Frauen den Männern voraus. Diejenige Art der manuellen Gewandtheit,
die in der Fähigkeit besteht, sehr feine und minutiös krontrollierte Be-
wegungen auszuführen, scheint beim Manne etwas größer zu sein, diejenige
aber, deren Wesen darin besteht, Bewegungen auf plötzlich gegebene Reize
hin schnellstens zu koordinieren, ist zweifellos bei den Frauen größer. Auf
sensibelm Gebiet fand Verfasser folgendes: die Frauen haben tiefer gelegene
Erkennungsschwellen für den Abstand zweier Punkte auf der Haut, für den
Tastsinn, für süßen, salzigen, sauern und bittern Geschmack, für Geruch,
für Farben und für Schmerzempfindung durch Druck. Bezüglich der oberen
und unteren Tonhöhe besteht kein Unterschied zwischen Mann und "Weib.
Bezüglich der Wahrnehmung des Lichtes haben die Männer tiefere Schwellen.
Unterscheidungsvermögen: Die Frauen haben ein feineres Unterscheidungs-
vermögen für Töne und Farben; für Temperatur, Gerüche imd passiven
Druck ist es bei Mann und Weib gleich. Die Männer haben ein feineres
Unterscheidungsvermögen für gehobene Gewichte, für süßen, sauem und
bittern Geschmack, für graue Schattierungen, wahrscheinlich auch für Haut-
flächen und für gesehene Flächen. Die Anzahl der Fälle, wo der Vorzug
auf selten der Frau liegt, ist größer als die, wo er auf seiton des Mannes
ist. Im großen ganzen sind die Schwellenwerte beim Weibe tiefere. Das
Unterscheidungsvermögen ist im allgemeinen beim Manne besser. Diejenigen
sensorischen Urteile, bei denen Bewegungsempfindung mit ins Spiel kommt,
wie bei der Unterscheidung gehobener Gewichte und der Gesichtslinien und
Flächen, sind beim Manne etwas besser. Alle diese Unterschiede sind in-
dessen nur gering. Was die geistigen Fähigkeiten betrifft, so sind die
Frauen an Gedächtniskraft und wahrscheinlich auch im assoziativen Denken
deh Männern entschieden überlegen. Anscheinend ist aber die männliche
Urteilskraft größer als die weibliche. Bezüglich des allgemeinen Wissens
und der geistigen Interessen besteht kein [^nterachied, der ffir das eine oder
das andere Geschlecht charakteristisch wäre. Die Daten über das Gefühls-
leben weisen darauf hin, daß wenn überhaupt ein auf das Geschlecht zurück-
zuführender Unterschied im Grade des Beherrschtwerdens von Gemüts-
bewegungen besteht, dieser nur sehr gering ist. Das Geselligkeitsgefühl ist
beim Manne, das religiöse beim Weibe das ausgesprochenere. Auf Grund
ihrer Studie kommt die Verfasserin nun zu dem Glauben, daß die psycho-
logischen Geschlechtsunterschiede weder von einem Unterschied der Durch-
schnittsfähigkeit, noch von einem Unterschied im Typus der geistigen Varia-
bilität abzuhängen scheinen, sondern zum großen Teil von den verschiedenen
gesellschaftlichen Einflüssen, die von frühester Kindheit an bis in das reifere
Alter hinein auf das Individuum eingewirkt haben. Die Frage über die
fernere Entwicklung des intellektuellen Lebens der Frau sei eher eine soldie
Kriminelle Anthropologfie. 11 OS
sozialer Notwendigkeiten und Ideale als der angeborenen charakteHstischen
Eigenschaften des Geschlechts. — Diese Anschuldigung des bisherigen Milieus
der Frau ah Grund für ihre geistige Inferiorität dürfte aber ebenso einseitig
sein, wie das andere Extrem, jede normale, nicht virile Frau für angeboren
schwachsinnig zu halten.
Nach Näcke (222) ist alles Ethische ond Moralische, ebenso auch
das Gewissen, als ein sekundäres Gebilde in der Menschheitsentwicklung
aufzufassen. Die moralischen Eigenschaften seien nicht angeboren, wohl
aber die Richtung zu gut oder bös, und zwar sei sie so determinierend, daß
eine stark ausgeprägte positive oder negative Biehtung des Charakters durch
das Milieu später nicht oder nur unwesentlich abgeändert werden könne.
Auch die Gatten-, Eltern-, Kindes- und Geschwisterliebe bis zur Freund-
schaft und Nächstenliebe seien ausnahmslos aus der sexuellen Liebe hervor-
gegangen, ebenso wie die davon abgeleiteten sosaalen Gefühle, die Kunst
und Ästhetik, zum Teil auch die Religion. Die Mutterliebe hat die Natur
dem Weibe als Instinkt mitgegeben. Die Vaterliebe jedoch hat sich erst
allmählich entwickelt, sie erscheint weniger als Instinkt, wie als eine ver-
geistigte Eigentumsliebe. Jünger als die Mutter-, wahrscheinlich aber phylo-
genetisch älter als die Vaterliebe und gleichfalls nicht oder nur sehr wenig
auf Instinkt beruhend, ist die Liebe des Kindes zur Mutter. Phylogenetisch
am spätesten hat sieh wohl die Gattenliebe entwickelt, die anfangs nur eine
reine Geschlechtsbefriedigung war. Sie ist ein veredelter Instinkt. Dagegen
ist die Freundschaft sicher ein sehr altes Gebilde. Das wirkliche Fehlen
der Gefühle der Liebe wird man als einen bedeutenden moralischen Defekt
bezeichnen müssen, und es wird den Träger in ein pathologisches Licht
rücken. Andererseits hegt es noch in der Breite des Normalen, daß wenn
zwischen einem der Eltern und dem Kinde die Gefühlsweisen auseinander-
gehen, dann keine Seelenharmonie zustande kommt und gegenseitige Kälte
eintritt. Das Blut an sich spricht eben im ganzen viel weniger mit, als
im allgemeinen angenommen wird. So kann die Vei'wandtschaftsliebe alle
Grade durchlaufen, unter Umständen sich in Gleichgültigkeit, sogar Haß
verwandeln, ohne daß ohne weiteres von moralischem Defekt die Rede sein
muß. Verlangen wollen, daß unter allen Umständen Eltern-, Kinder- und
Geschwisterliebe sich betätigt, hält der Verf. deshalb für unmöglich und
sogar für unbillig.
An der Hand der Bevölkerungsstatistik einzelner Kulturländer kritisiert
RobinovitCh (277) die moderne Phrase vom Rassenselbstmord. Verf. ist
natürlich auch davon überzeugt, daß eine genügende Reproduktion neuer
Individuen für jede Nation notwendig ist, die ihre numerische Kraft unter den
Völkern behaupten will. In welch übertriebener Weise aber die Behauptung
von der Unzulänglichkeit der Volksverraehrung heute hinausgeschrien wird,
und die Gründe, die für die Minderreproduktion angegeben werden, erscheinen
ihr geradezu lächerlich. Da beschuldigt man für die amerikanische Union
z. B. das zunehmende Frauenstudium als Ursache für die abnehmende Anzahl
der Geburten. Gewiß heiraten die studierten Frauen seltener, besonders
auch später, als die nichtstudierten. Andererseits gebaren die verheirateten
akademisch gebildeten Frauen in den gleichen Ehejahren wie die der anderen
sogar eine etwas größere Anzahl Kinder, und bestand in der Sterblichkeit
ihrer Kinder kein Unterschied mit der übrigen Bevölkerung. Auch liefern
z. B. die englischen studierten Frauen einen höheren Prozentsatz Kinder
männlichen Geschlechts als die nichtstudierten. Es ist also nichts mit der
Behauptung, daß die gebildete, sich selbst erhaltende Frau doppelt dadurch
den „Rassenselbstmord^^ begünstige, daß sie, da sie ledig bleiben kckine, dem
1104 Kriminelle Anthropologie.
Manne den Verdienst entziehe, um doch endlich infolge ihrer Inferiorität
dem Manne gegenüber zu unterliegen. Andere beschuldigen die große
Kindersterblichkeit bei der armen Bevölkerung als Quelle des Bassenselbst-
mords, wieder andere die Zunahme strafbarer künstlicher Aborte, sogar die
Zunahme hygienischer Kenntnisse in der Bevölkerung ist angeschuldigt
worden. In England hat die Presse schon Polygamie als letztes Rettungs-
mittel Yorgeschlagen. Welch widersprechende Ursachen für den Rückgang
der Geburtsziffer angegeben werden, zeigt folgende kleine unvollständige
Zusammenstellung: 1. Die bessere Bildung des Weibes, 2. Maugel au Bildung
des Weibes, 3. Armut mit ihrer hohen Sterblichkeit als Folge, 4. Reichtum
mit seiner Kinderzahlbeschränkung, 5. beschränkte Mittel bei Nachahmung
standesgemäßen Lebens, 6. Unkenntnis der Frau in medizinischen Dingen,
7. Kenntnis davon aus Büchern und hygienischen Schulunterricht, 8. Unlust
der Frau zur Ehe, 9. Unlust des Mannes zur Ehe u. a. m. Auch bei den
Naturvölkern besteht übrigens der Trieb, die Nachkommenschaft zu verringern.
Eben überall herrscht die Sorge, nicht zu viel Kinder in die Welt zu setzen.
Die Natur ist der eigentliche regulierende Faktor, sie will keine Uberfüllung,
Unterernährung und ihre schlimmen Folgen. Daher ist die Bevölkernngs-
zunahme eine wellenförmige und geht zurück, wenn das Maximum der
«rnährungsfähigen Bevölkerung erreicht ist. In solchen Perioden ertönt
dann der Schrei vom Rasseoselbstmord besonders laut. Was nützt aber eine
hohe Geburtsziffer, wenn die Qualität darunter leidet? Die Selbsterhaltung
geht vor und Einschränkung der Nachkommenschaft wird oft Pflicht
Natürlich ist der Fötusmord unter allen Umständen zu verwerfen. Leider
heiraten gerade die Schwachsinnigen sehr leichtsinnig und sind besonders
fruchtbar. Die Degenerierten haben eben einen starken Reproduktionsinstinkt
Gesetze werden da wenig helfen, weil es moralisch Imbezille in den höchsten
Stellungen gibt Nur eine in Zukunft zunehmende Einsicht und Intelligenz
wird den genetischen Trieb regeln können. Eine Uöherzüchtung des Menschen
muß das Ideal sein.
Quinke (265) gibt zu, daß die drei großen deutschen Arbeiter-
versicherungsgesetze viele Mißstände beseitigt, viel Hilfe gebracht und viel
Übel verhütet haben. Man müsse sich aber ebensogut wie über die erreichten
Ziele über gewisse ungewollte Nebenwirkungen Rechenschaft geben, die
vielleicht daher kämen, daß man den Arzt bei Erlaß des Gesetzes überhaupt
nicht befragt habe und nicht in Betracht gezogen habe, was denn der ärztliche
Gutachter eigentlich leisten könne. Eine völlig objektive Begutachtung von
Arbeits- und Leistungsfähigkeit habe ihre Grenzen an der ganzen Persön-
lichkeit des Verletzten. Während vor der Unfallsgesetzgebung der Verletzte
nur das Interesse hatte, gesund und arbeitsfähig zu werden, so ist das jetzt
wohl auch noch bei den meisten der Fall. Bei einer ganzen Reihe von
Leuten sei. .aber eine reine Unfallriecherei großgezogen worden, und eine
übergroße Ängstlichkeit bis zu ausgesprochener Hypochondrie habe sich
mancher Krankgewesenen bemächtigt Ja sogar die allgemeine Anschauung
über den Unfall uud seine Folgen habe sich gänzlich verändert „Früher
auf sich selbst angewiesen und nur die Gesundung als Ziel im Auge, denkt
jetzt jeder Verletzte sofort auch an die Hilfe, auf die er eventuell Anspruch
hat; das schwächt seine Selbständigkeit und Energie, das demoralisiert. So
wirkt das Unfallgesetz umgekehrt wie die allgemeine Wehrpflicht" Die
Versicherungsgesetze züchteten außer den erwähnten Unfallshypochondem
aucli mehr oder weniger sich selbst und andere betrügende Simulanten.
Befindensstörungen werden überschätzt und die Erhebung unbegründeter
Ansprüche befördert Die Gefahr besteht, das Selbständigkeitsgefühl und
Kriminelle Anthropologe. 1105
den Charakter zu schwächen. Beim Arzt haben die sozialen Gesetze mehr
das technische Können als seine Persönlichkeit in den Vordergrund gerückt,
womit die Wertschätzung der Arzte im allgemeinen sank. Bei der geringen
Kassenhonorierung arbeitet der Arzt „billig und schlecht'^* Der Zudrang
zum ärztlichen Beruf schwoll nach der Versicherungsgesetzgebung enorm,
damit die gegenseitige Unterbietung und endlich der Zusammenschluß zur
Selbsthilfe und wirtschaftlichen Kämpfen mit ihren unerfreulichen Neben-
erscheinungen. Bei den subjektiven Verschiedenheiten im Urteil bestände
auch bei den begutachtenden Ärzten die Gefahr der Verweichlichung der
Anschauungen und damit der Charakterverderbnis. Aus allen diesen Gründen
sei es nicht ratsam, die Versicherungsgesetze auf weitere Kreise auszudehnen.
Welker (265a) ergänzt die Erfahrungen Quinkes bezüglich der
Versicherungsgesetzgebung aus seinen praktischen Erfahrungen im Volks-
Sanatorium. Während die NichtVersicherten sich härter anfassen und oft
zu spät zur Anstaltsbehandlung kommen, sind bei den Versichertenzugängen
manchmal Krankheitssymptome kaum zu finden, und es besteht bei ihnen
die Neigung, jeder subjektiven Beschwerde nachzugeben. Der Unfallkranke
kennt nur ein Ziel: „möglichst hohe Rente ^'. Bei sämtlichen Kranken steht
also nach dem natürlichen Gesetz der Selbsterhaltung die Arbeitswilligkeit
in direkter Proportion zu den wirtschaftlichen Aussichten, welche ihnen die
Arbeitsunfähigkeit eröffnet. Wie oft wird nach der Gesundung „Schonung"
beantragt, weil die Entlassenen noch ohne Arbeitsverdienst sind. Daß die Kran-
kenkasse keine Versicherung für Arbeitslosigkeit ist, dafür haben die meisten
Krankenkassenmitglieder kein Verständnis. Für den Arzt ist nichts undank-
barer, als Rentengutachten abzugeben, denn: „Arbeitsfähigkeit und Arbeits-
willigkeit sind inkommensurabel".
(Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten. Deswegen wird man das
Licht nicht missen wollen. Wohl sind unsere Versicherungsgesetze ver-
besserungsfähig, sie aber deswegen nicht noch auf weitere bedürftige Kreise
auszudehnen, dieser Schluß ist absolut nicht zwingend und nicht sozial und
auch nicht ärztlich gedacht. Der Ref.)
Die zu begrüßende Schrift von Hansemann's (117) ist entstanden
aus 6 Vorträgen, die er im Winter 1904 in Berlin auf Veranlassung des
Vereins für volkstümliche Kurse von Berliner Hochschullehrern gehalten
hat. Volkstümlich ist nun Inhalt und Stil des Büchleins im besten Sinne.
Im Zwecke, Laien zu belehren und aufzuklären, liegt es, daß alles positiv
ausgesprochen wird, darunter auch manches, was noch lange nicht über jede
wissenschaftliche Kontroverse hinaus ist. Doch das gehört nicht vor eine
Versammmlnng von Laien. Der Aberglaube z. B., daß die Hysterie mit
dem Geschlechtsleben der Frauen zusammenhänge, da die Krankheit vorzugs-
weise von Veränderungen an den Geschlechtsorganen ausgeht (S. 70), sollte
eigentlich längst als überwunden gelten; dennoch hängt ihm der Verfasser
an. Von Hansemann behandelt nach einer allgemeinen Einleitung über
Aberglauben und seine Entstehung, in der er auch die Definition des Aber-
glaubens bespricht, die lautet: Aberglaube ist der Glaube an übernatürliche
Folgen natürlicher Dinge oder an übernatürliche Ursachen natürlicher Er-
eignisse, — den Aberglauben bei der Geburt, dann bei den Geschlechtskrank-
heiten, bei Geisteskrankheiten, d(^n Aberglauben in der Heilkunst und endlich,
last not least: Aberglauben und Kurpfuscherei. Die Darstellung der Psycho-
logie des Publikums, wodurch es sich zu Kurpfuschern und Quacksalbern
hingedrängt fühlt, und so die Hc^ilung seiner Krankheiten nicht nur ver-
zögert, sondern manchmal gänzlich vereitelt, ist von Hansemann besonders
treffefnd gelangen. Bezüglich der geringen naturwissenschaftlichen Bildung
Jahresbericht f. Neurologie und Psychiatrie 1906. 70
1106 Kriminelle Anthropologie.
UDd Urteilskraft so vieler hochgestellten Beamten, Militärs usw., die auf ihrem
Gebiete kluge Menschen sein können, trifft er den Nagel auf den Kopf.
Sehr gefallen hat mir der geistreich paradoxe Satz: „ ... ich möchte es als
ganz ernst gemeinten Vorschlag aussprechen, daß alle diejenigen, die später
Theologen, Philologen, Historiker, Juristen usw. werden wollen, ganz be-
sonders einer naturwissenschaftlichen Vorbildung bedürfen, während diejenigen,
die später in einen naturwissenschaftlichen Beruf hineingehen, eine huma-
nistische Schule besuchen sollten. Nichts kann für den Menschen nützlicher
sein, als wenn er seine Spezialausbildung auf der Basis einer möglichst
breiten Gesamtbildung aufbaut." Die weiteste Verbreitung dieses guten,
billigen Büchleins ist nur dringend zu wünschen.
Die christliche Lehre von der Sündhaftigkeit des Fleisches erzeugte
im Mittelalter durch das Peinigen und Kasteien des Körpers als dem Werk-
zeug fleischlicher Gelüste öfter einen allgemeinen "Wahn, wie er sich u. a.
in den Umzügen der Flagellanten äußerte. Nach Oettinger (243) gewann
dieser Wahn an Ausbreitung durch ansteckendes Beispiel, durch anfängUches
Anfeuern und nicht zuletzt durch das Bestreben, unlautere persönliche Zwecke
auf heuchlerischem Wege zu erreichen. Dabei führte gerade das übertriebene
Fliehen des Körpers zu diesem wieder zurück. ,.Sind doch Schmerz sowohl
wie Freude nur potenzierte körperliche Gefühle." Ottinger gibt einen
interessanten kurzen Abriß der Geschichte des Flagellantismus, der in ver-
schiedenen Jahrhunderten den Umfang einer geistigen Seuche annahm. Er
schildert dabei, wie das rücksichtslose, bis an die äußersten Grenzen ge-
steigerte Unterdrücken der physischen Bedürfnisse, das Quälen und Martern
des Körpers mit einem Male in das Gegenteil umschlug. Die Demut machte
dem Übermut, die Selbstkasteiung dem schrankenlosen Sichhingeben an alle
Leidenschaften Platz; aus den frommen Büßern wurden wilde Wüsthnge.
Sadistische und masochis tische Individuen spielten unter religiösem Deck-
mantel eine große Rolle. Die kirchliche Vormundschaft wurde von den
Flagellantenscharen abzuschütteln versucht, und deshalb haben Häser und
Meyer Merian in den Flagellanten Vorläufer der Beformation sehen wollen.
„Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber, daß dieser Wahn umsoweuiger
Anspruch darauf erheben kann, als Symptom einer edleren Bewegung an-
gesehen zu werden, als er eben im religiösen Fanatismus seine Wurzeln
hatte."
Unter den zahllosen Hexenprozessen, welche das Mittelalter im Gefolge
hatte, ist der, den Günther (113) an der Hand der erhaltenen Akten er-
zählt, einer von denen, die das weitgehendste Interesse beanspruchen. Ist
doch die der Hexerei Angeklagte die Mutter eines der größten deutschen
Gelehrten und edelsten Menschen aller Zeiten, des Astronomen Johannes
Kepler. Nur seine aufopfernde Sohnesliebe und seine glühende Beredsam-
keit bewahrte die alte Mutter vor dem Feuertode. Günther sagt: „Ein
Bild des Kampfes vorurteilsfreier Männer mit dem zügellosesten Fanatismus
des Hexenglaubens entrollt sich in dieser Tragödie mittelalterlicher R«chts-
kunde vor unsern Augen und gewährt uns einen tiefen Einblick in den
Geist einer trüben Vergangenheit.^ Auch kulturhistorisch ist dieser Prozeß
lehrreich. „Er spielt tief eingreifend in ein bürgerliches Menschenleben, in
einer Zeitepoche, da Pseudo Wissenschaft, Alchemie und Astrologie ihr Un-
wesen trieben, wo die Verfolgung von Zauberern und Unholdinnen weit
und breit bei den Theologen und Rechtskundigen für ein Gott angenehmes
und dem Staate nützliches Werk gehalten wurde und zwar in einem Lande,
wo man sich um lutherisch -kalvinistische Meinungsverschiedenheiten blutig
stritt, und wo dennoch der krasseste Wunderglaube die tollsten Blüten
Kriminelle Anthropologie. 1107
zeitigte." So schrieb auch der edle Freund Keplers, Besold an diesen:
„Und in der Tat, mein verehrter Jugendfreund, möchte ich lieber ein Mit-
glied der heiligen Mutterkirche sein, deren uralte Bräuche schon wegen ihres
Alters ehrwürdig sind, als mitten unter diesen zankenden, haarspaltenden
Protestanten stehen, die, wie bissige Hunde wegen eines Knochens, sich
gegenseitig ankläffen wegen eines Buchstabens in der Lutherschen Bibel-
übersetzung. Ist das die Beinigung des Christentums, die Verbesserung der
Religion, von der man uns so pomphaft vorgesprochen? O mein Freund,
mein Bruder, der Friede wohnt in meinem Herzen nicht, der Glaube, in
dem man mich erzogen, scheint mir ein altes, schales Formenwesen; usw.
Wie tief damals der Aberglaube aber wurzelte, kann man daraus ersehen,
daß selbst einer der aufgeklärtesten, hellsehendsten, freimütigsten Männer,
der so viele Irrtümer, die er antraf, mutig angriff und zerstörte und auch
in diesem Fülle die Grausamkeit und Unvernunft des Verfahrens gegen
Zauberei ohne Bückhalt mit den stärksten Farben schilderte, daß Kepler
selbst den Zauberglaubeu an sich nicht im mindesten angriff, ja sogar
die Existenz der Hexen und der übernatürlichen Krankheiten ausdrücklich
anerkennt, obgleich er wohl fühlen mochte, daß hierdurch die Stärke der
Verteidigung seiner Mutter zumeist verloren ging. Trotzdem hat das ganze
Auftreten Keplers den Anstoß gegeben, daß Herzog Eberhard von Württem-
berg durch ein Edikt reformierend und mildernd in das ganze damalige
Gerichtsverfahren eingriff. Kepler hat also auch noch das Verdienst, den
Hexenprozessen einen tödlichen Stoß gegeben zu haben, auch darin ein
Wohltäter der Menschheit.
Stadelmann (306) hat das Geschick, alte Wahrheiten mit neu-
erscheinenden Worten aufzutischen. Es ist klar, daß ein Auflösen aller
biologischen und psychologischen Erscheinungen in physikalisch-chemische
Vorgänge den menschlichen Erkenntnistrieb am bestmöglichsten befriedigen
würde. Deshalb ist dieses Auflösen auch das beständige Streben unserer
modernen naturwissenschaftlichen Zeit gewesen, und es ist sehr billig, diese
Forderung mit Emphase wie ein neues Postulat auch für die Psychiatrie
aufzustellen und über die physiologische Psychologie als Paralleltlieorie und
über die allzuenge anatomische Basis der Psychiatrie absprechend zu reden.
Der Haken ist eben der, daß wir noch weit entfernt davon sind, psychische
und psychopathologische Erscheinungen in physikalisch-chemische Vorgänge
zerlegen zu können, und diesem Ideal bringt uns auch Stadelmann nicht
näher, selbst wenn er mit dem Begriff der elektrischen Polarisation arbeitet,
ein modernes Wort aus der Physik, angewandt für etwas, was man doch nicht
begreifen, geschweige denn nach der exakten Methode der Naturwissenschaft
etwa gar in unserem Denkorgan nachweisen könnte. Es gibt eben Verfasser, die
befriedigt sind, unserer alten Unwissenheit den Mantel der gerade modernsten
physikalischen Schlagworte umzuhängen, und sie glauben damit auf die in stillem
Gelehrten fleiß gesammelten symptomatischen Kenntnisse pfeifen zu dürfen.
Wie wenig objektiv trotz seiner Naturwissenschaftlichkeit Verfasser denkt,
zeigt er dadurch, daß er geistesgesund oder geisteskrank eine Sache der
„Wertung" sein läßt und gar noch einer so vagen Sache wie der „Sitte"
gegenüber! Die „Selbstvergiftung" durch das Überhandnehmen des „polari-
sierten Stromes" schafft diese unnormalen Wertungen beim Geisteskranken
und — beim Genie, letzteres hat nur noch als Plus die Möglichkeit der
Modifizierung dieser Energien. Nun weiß man doch endlich, was Genie ist!
Zum Schluß wird noch der altbekannte Satz breitgetreten, daß die Natur-
wissenschaft nur Notwendigkeiten kennt. Alles das ist in einem schwulstigen
Deutsch geschrieben, das den Eindruck der Tiefe machen soll.
70*
1108 Kriminelle Anthropologie.
Martius (197) gibt in seinem geistvollen Vortrage seiner Überzeugnug
dahin Ausdruck, daß auch die größte spezialärztliche Erfahrung künftig so
wenig wie heute wird angeben können, unter welchen beherrschbaren Be-
dingungen eine krankhafte Anlage — denn nur eine solche, nicht die Krank-
heit selbst werde vererbt — auf die Nachkommenschaft übertragen werden
muß, beziehungsweise nicht kann, und zwar aus dem einfachen Gmnde,
weil die Annahme von der Möglichkeit derartig spezialisierter Vererbnngs-
gesetze in den jetzt feststehenden biologischen Grundprinzipien der Ver-
erbung keinerlei Stütze findet. Deshalb müsse er die weitgehenden rasse-
hygienischen Forderungen, wie sie heute beliebt werden, ablehnen. Die
Biologie versteht unter „vererbt** nur solche Eigenschaften oder deren
materielle Substrate, die als Anlagen im Keimplasma der elterlichen Ge-
schlechtszellen enthalten waren. Die ganze Erbmasse des neuen Individuums
steckt also materiell und virtuell in den beiden nach dem Kopulationsakte
miteinander verschmelzenden Geschlechtszellen. Alles was noch später hinzu-
kommt, entsteht durch Einflüsse äußerer Art, die auf den wachsenden
Embryo einwirken und sich von den normalen und pathologischen Reizen
des extrauterinen Lebens im Wesen nicht unterscheiden. Angeboren ist
also alles, was bereits zur Zeit der Geburt in und an dem Individuum vor-
handen ist. Ererbt kann nur etwas sein, was durch die KeimstofiFe dem
Nachkommen zu teil wurde. Nach diesen Grundbegriffen gibt es also über-
haupt keine hereditären Krankheiten; denn nicht der Prozeß, den wir
Krankheit nennen, wird übertragen, sondern nur die Anlage dazu. Können
nun individuell erworbene Krankheitsanlagen erblich auf die Deszendenz
weiter übertragen werden? Handelt es sich nun bei der Aszendenz um
eine Krankheit, die selbst auf konstitutioneller ererbter Grundlage sich ent-
wickelte, so ist es nach der Lehre von der Kontinuität des Keimplasmas
selbstverständlich, daß die Anlage zu derselben Krankheit auch weiter ver-
erbt werden kann. Verfasser verneint aber die Frage, ob in der Krankheits-
entstehung bei dem artfestge wordenen, d. h. historischen Menschen die Ter-
erbbarkeit erworbener krankhafter Eigenschaften eine nennenswerte oder
überhaupt nachweisbare Rolle spielt. Beschränkt man den Begriff ^erworben**
auf die Zellen des Soma, so gilt ohne Einschränkung der Satz, daß er-
worbene Eigenschaften nicht vererbt werden. Anders ist es, wenn es sich
um exogene Schädlichkeiten handelt, die ihrer Natur nach geeignet sind,
ebenso wie das Soma auch das Keimplasma direkt zu schädigen, wie z. B.
der im Übermaß genossene Alkohol. Von dieser Erfahrung aus wird das
Standesamt der Zukunft gar keine Schwierigkeit darin finden, ungeheilten
Syphilitikern und unheilbaren Säufern, vielleicht auch manifest Tuberkulösen
den Ehekonseus zu verweigern. Außerdem gibt es allerdings auch bei einer
einmal erreichten Stufe der generellen Ent\vicklung noch eine individuelle
Variabilität; diese wird gewährleistet durch die ., Keimes Variation", das ist
die Neukombination der einzelnen Bestandteile der Vererbungssabstanzen
(der Determinanten) durch den r^in embryologischen Vorgang der Kern-
verschmelzung beider Geschlechtszellen nach vorausgegangener Ausscheidung
je einer Hälfte der Vererbungsmasse, also durch Beduktionsteilung und
Amphimixis. Inwieweit im Einzelfalle diese Keimesvariation statthat, kann
man nicht voraussehen. Die Kombinationen der Vererbungselemente sind
willkürlich durchaus nicht beherrschbar. Deshalb läßt sich nur allgemein
sagen, je besser die Gosamtkonstitution der Eltern, desto größer die Aus-
sicht auf gute Nachkommenschaft! Für die Ausmerznng der ganz Untaug-
lichen sorgt schon der Kampf ums Dasein. Alles in allem lehrt uns die
Biologie einen gesunden, tatkräftigen Optimismus.
Kriminelle Anthropologfie. 1109
Der sog. entartete Delinqueut war und ist für den forensisch tätigen
Psychiater ein heikles Problem, sagt Schaffer (293). Denn die Degeneration
als klinisches Bild entbehrt der schärferen Konturen. Forensisch sind zwei
Möglichkeiten zu unterscheiden: der Entartete begeht eine strafbare Hand-
lung 1. als Degenerierter unter eigenen physiologischen oder 2. unter patho-
logischen Verhältnissen, wie unter den schädigenden Einflüssen großer Affekte,
des Alkohols und überhaupt toxisclier Stoffe. Der Entartete zeigt als auf-
fallendstes Symptom eine ethische Defektuosität, die ihn zu einem wahrhaftigen
Typus des antisozialen Wesens macht. Aber strafbare Handlungen, welche
in nicht geistesgestörtem oder die Möglichkeit der Überlegung nicht aus-
schließendem Zustande von ihm begangen wurden, schließen die Zurechnungs-
fähigkeit keineswegs aus. Ja Schaffer ist der Meinung, daß die härtere
Bestrafung solcher Entarteten, ».sofero auf diesem Wege noch eine Besserung
zu erwarten ist**, geradezu ein Gebot der Notwendigkeit sei. Dabei gibt er
aber selbst zu, daß trotz allem der Entartete häufig rückfällig wird. Dann
ist auch Verfasser für eine längere Detention des Degenerierten in Detentions-
anstalten, die eine Mittelstellung zwischen Irrenanstalt und Strafhaus ein-
nehmen. Der Entartete hat nun eine psychopathische Disposition, die ihn
besonders zu krankhaften Affektausbrüchen neigen läßt. In solchen Fällen
findet Verfasser den Nachweis der hochgradig verminderten Zurechnungs-
fähigkeit für gerechtfertigt. Schaff er berichtet über einen hierher gehörigen
Fall. Ein auch körperlich schwacher, durch Familiennot erschöpfter 20jähriger
Degenerierter schoß auf den Chef seines Vaters, von dem er sich höhnisch
augelächelt glaubte. Es bestand beim Inkulpaten nachher völlige Amnesie
für die Zeit seiner Tat. Er wurde als ein anämischer, degenerierter Mensch
begutachtet, der zu Gemütsausbrüchen disponiert sei, und der seine Tat in
großem Affekt vollzog. Daher sei er bei Ausübung der Tat in seiner
Willensbestimmung wesentlich eingescljränkt gewesen.
Näcke (233) weist auf das häufige Vorkommen von angeborenen
Naevi vasculares bei psychopathischen Individuen hin. N. teilt einen Fall
von sehr ausgebreitetem Naevus vascularis des Gesichts bei einem 50jährigen
Geisteskranken mit, der von Geburt an schwachsinnig war und eine Reihe
anderer Entartungszeichen aufwies. Der Kranke hatte 10 Jahre vorher einen
Erregungszustand durchgemacht und seine letzte Erkrankung, die in der
Form einer akuten Verworrenheit auftrat, nach einem ziemlich schweren
Trauma akquiriert. (Bendix.)
Frey (91) demonstriert eine 17jährige Puella publica (Eltern Alko-
holisten, Schwestern auch Puellae publicae), bei welcher folgende Degonerations-
zeichen bestehen: Asymmetrie der Schädelknochen, WachstunisdifFerenz der
Augenbrauen, angewachsene Ohrläppchen, Herz rechts gelagert, Leber links,
Milz rechts, Magenfundus rechts, Pylorus links, fehlende Behaarung der
Achselhöhlen: Gesichtsfeld rechts eingeengt, links erweitert, Inversion des
Farbensehens, Tremor der Hände, fehlende Bauchdeckenreflexe, die übrigen
Reflexe gesteigert, Sensibilität und übrige Sinnesorgane normal; außerdem
Charakter- und psychische Defekte. Vortragender betrachtet diese inneren
uud äußeren Degenerationsstigmen als familiär und nimmt zwischen ihnen
einen Kausalnexus an. (Ihidoveimig,)
Pere (83) hat interessante Beobachtungen über die Fingerabdrücke
bei Psychopathen angestellt und sehr auffallende Varietäten bezüglich der
Form der Linien gefunden. Er unterschied fünf Gnippen: die senil De-
menten, die Imbezillen, Epileptiker, Paranoiker und Paralytiker. Im all-
gemeinen fand er die größten Abweichungen der Zeichnung der Fingerlinien
am Zeigefinger, am seltensten am kleinen Finger. Die Dementen und
1110 Kriminelle Anthropologie.
Paralytiker wiesen weniger Varietäten auf, als die anderen Gruppen. Auch
fanden sich bei Epileptikern und Imbezillen besonders häufig ungleichmäßige
Zeichnung der Fingerlinien an den einander entsprechenden Fingern beider
Hände. (Bendix.)
Wyman (334) sagt: eine geistig defekte Person ist eine solche, die
ihre Geisteskräfte nicht so entwickeln konnte wie ein Durchschnittskind.
Die Ursache ist wahrscheinlich die Beziehung gewisser Hirnzellen zum Blut,
dessen Güte wieder von der Ernährung und Atmung abhängig ist. Seine
Wirkung auf die Hirnzellen hat als Produkt den Gedanken. Dazu kommt
der Zustand der Hirnzellen selbst und die Beziehungen eines solchen Indi-
viduums zur Umgebung. Auch der Defekte ist ein Teil der Gemeinschaft
und hat seine Beziehungen zu ihr. Einen absoluten Maßstab des Vergleichs
von Defekten und Normalen gibt es leider nicht. Eine Klassifikation ist
die nach der Sprache. Eine Skala geht vom Normalen, der j-ichtig spricht
und versteht, bis herab zu den Verständnislosen und Sprachunfähigen. Sozial
am wichtigsten sind aber gerade die leicht geschwächten, besonders die, wo
nur die moralischen Fähigkeiten fehlen. Hierher gehören viele Verbrecher.
Die heutige Justiz behandelt diese Defekten völlig unzweckmäßig. Solche
Leute müssen dauernd verwahrt werden, denn sie gefährden ständig die so-
zialen Beziehungen. In den Vereinigten Staaten von Amerika befinden sich
mindestens 150 000 solcher Defekter, von denen nur zirka 8000 in den ver-
schiedensten Anstalten untergebracht sind. Andere werden in der Familie
mit aufgezogen und absorbieren da die ganze Kraft der Eltern auf Kosten
von anderen Geschwistern. Der Staat hat die Pflicht, die Familie von
solchen Individuen zu entlasten. Merkt die Mutter die leichteren Grade
von Imbezillität nicht, so wird sie der Lehrer bemerken und sie darauf auf-
merksam machen können. In vielen größeren Städten bestehen jetzt Schulen
für Schwachsinnige. Schon jede Stadt von 25 000 Einwohnern sollte solche
besitzen. — Beruht der Schwachsinn auf Zufällen bei der Geburt, auf Ver-
letzungen in der Kindheit oder auf Infektionen der Hirnzellen, in diesen Fällen
dürfte künftig die Chirurgie noch mehr helfen können, als heute. Meist aber
beruht die Imbezillität auf Erblichkeit, und da gibt es wenig zu hoffen. Die
Defekten sind so alt wie die Menschheit. Im Mittelalter betrachtete man
sie als Kinder Gottes, und die Geschichte ist voll von weisen Aussprüchen
von Narren. — Der Staat Michigan hat bisher am meisten Versuche gemacht,
die Beziehung der geistig Defekten zur Allgemeinheit zu regeln. Das
Institut von Lapeer sorgt für eine große Anzahl solcher, und es bestehen
Pläne für eine so große Erweiterung des Institutes, daß fast alle Defekten
des Staates dort untergebracht werden können.
VorobieflF (325) hat eigene vergleichende Untersuchungen über das
Vorkommen von Anomalien des äußeren Ohres bei gesunden und geistes-
kranken Nordrussen gemacht und diese Untersuchungen in einer Monographie:
Das äußere Ohr des Menschen, Moskau, 1901 veröffentlicht. In vorliegender
Skizze gibt er nach einer Kritik früherer Arbeiten über diesen Gegenstand
noch einmal zusammenfassend an der Hand von Tabellen die Resultate
seiner Arbeit.
Er untersuchte 326 Arbeiter aus Moskauer Fabriken, 100 Fabrik-
arbeiterinnen, 80 Knaben und 80 Mädchen zwischen 6 Monaten und 16 Jahren
und 100 Geisteskranke. Sie alle stammten aus der bäurischen Bevölkerung
und alle aus demselben Departement, daneben untersuchte er noch 75 Kal-
mücken. Er hielt sich dabei an das Schwalbesche Schema. Vorobieff
fand, daß die Ausbildung der menschlichen Ohrmuschel abhängig ist vom
Lebensalter; und zwar ändert sich mit dem Alter nicht nur die Größe,
EjimiDelle Anthropologie. Uli
sondern auch die Form der Ohrmuschel in der Weise, daß eine ausgesprochene
Tendenz zu einer Reduktion der bei Kindern am meisten vorhandenen
embryonalen Form der Ohrmuschel besteht. Es gibt positive Rassenvaria-
tionen des Ohres. Auch die soziale und ökonomische Verschiedenheit der
Menschen hat Einfluß auf die Ohrformen. Weder die Ohrmaße noch die
Verschiedenheit der nach Schwalbe als Stigmata angesehenen abweichenden
Ohrabschnitte zeigen eine irgendwie in Betracht kommende Differenz
zwischen Normalen, Verbrechern und Geisteskranken. Eine normale Ohr-
muschel wiesen auch von gesunden Leuten nur 23,5^0 auf» von Geistes-
kranken 22,0 ®/rt. Die von der Norm abweichenden Ohren sind meist als
embryonal zurückgeblieben anzusehen, sind deshalb aber noch lange nicht
der Ausdruck einer allgemeinen Entwicklungshemmung. Denn das äußere
Ohr ist überhaupt ein funktionell unwichtiges, rudimentäres Organ und beim
Menschen einem beständigen Reduktionsprozeß anheimfallend. Daher kann
man solche verschiedenen Stadien der Rückbildung nicht als Stigmata
degenerationis ansehen. Anders ist es bei Bestehen wirklicher atypischer
Züge wie Fissuren und Colobomata der Ohrläppchen, Tuberkula und Warzen,
das Fehlen der Olirmuschel oder Einkerbungen in Helix oder Antihelix.
Mit solchen Atypien waren nur 9% als normal geltender Russen behaftet,
dagegen 22 7o unter den geisteskranken Russen. Diese wirklichen Degenera-
tionszeichen sind aber eben atypisch und lassen sich nicht generalisieren.
Nach der Statistik hängt, wie Gaupp (99) nachweist, die Häufigkeit
des Selbstmordes ab von der Rasse und der Stammeseigentümlichkeit, von
der Jahreszeit und von der Kulturhöhe (Gebildete töten sich häufiger als
Ungebildete) und endlich vom Lebensalter (Pubertät und Senilität). Der Selbst-
mord ist seltener bei Verehelichten, die für eine Familie zu sorgen haben,
seltener auch in politisch erregten Zeiten und bei stärkerer Herrschaft kirch-
licher Dogmen, dagegen häufiger wieder in Zeiten wirtschaftlicher Krisen.
Heute ist der Selbstmord in Europa in der Regel eine Handlung des
Egoismus. Sehr häufig, wenn auch prozentualisch nicht genau bestimmbar,
ist die Tat durch eine ausgesprochene Geisteskrankheit bedingt. Erblichkeit
und Nachahmungstrieb erklären, daß der Selbstmord öfter in bestimmten
Familien, die zu Geisteskrankheiten neigen, immer wieder in Erscheinung
tritt. Auch die Geistesstörung ist aber nicht imstande, den Stammesunter-
schied, der auf die Neigung zum Selbstmord von Einfluß ist, völlig zu ver-
wischen. Ein anderer wichtiger Faktor ist die Trunk-, die Morphium- und
Kokainsucht. Auch Spielverluste und unheilbare körperliche Leiden führen
öfter zum Suicidium. Aber auch die nichtgeisteskranken Selbstmörder, die
anscheinend durch physiologische Gründe zum Selbstmord getrieben werden,
gehören fast alle zu den „Entarteten". Ein übermäßiger Individualismus
der gebildeten Elemente, eine pessimistische Blasiertheit, die für eine geistige
Isolierung von Bedeutung ist, verstärken die Neigung zur Negierung des
Lebens. Dagegen schützt soziale Gemeinschaft imd Interessensolidarität vor
dem Selbstmord. Das Gefühl der sozialen Verpflichtung muß also besonders
gepflegt werden gegenüber einer heute in Zunalime begriffenen pessimistischen
Weltflucht. Alles in allem ist der Selbstmord ein soziales, biologisches und
psychologisches Problem. Er vollzieht sich nach gewissen unabänderlichen
Gesetzen. Deswegen müssen wir uns hüten zu verurteilen, ehe wir recht
begonnen haben, den Zusammenhang zu verstehen.
An der Hand von vier Fällen eigener Beobachtung kommt Muralt
(219) zu folgendem Ergebnis über die Psychologie bezw. Psychopathologie
der Bluttaten, bei denen ein Familienhaupt seine Angehörigen tötet und an
sich selbst Hand anlegt; solche Bluttaten sind psychologisch nicht als Mord,
1112 Kriminelle Anthropologie.
kombiniert mit Selbstmord, aufzufassen, sie haben vielmehr die Bedeutung
eines komplizierten Selbstmordes.
' Der Täter bringt seine Familie aus altruistischen Motiven um, er will
sie, gerade wie sich selbst, durch den Tod vor weiterem Elend schützen.
Eür den verheirateten Selbstmörder erscheint der Entschluß mit den Seinigen
zu sterben, nicht wesentlich stärkerer Motive zu bedürfen, als der Entschluß^
sich allein umzubringen und die anderen im Unglück zurückzulassen.
Die Psychologie dieser Tat ist daher die gleiche wie diejenige de»
Selbstmordes überhaupt, und die Tat findet auch in ihrem Auftreten weit-
gehende Analogien beim einfachen Selbstmord. Sie kommt sowohl bei
Greisteskrankeu, wie bei geistig Gesunden, wahrscheinlich aber besonders
häufig bei psychopathisch Minderwertigen vor, und ihr Hauptmotiv beim
Nichtgeisteskranken sind Kummer und Sorgen. Bleibt der Täter am Leben,
so sollte er, insofern er nicht unzurechnungsfähig ist, strafrechtlich anders
qualifiziert werden, als der gemeine Mörder.
Der Arbeit Piloz (259) liegt ein Material von 1671 Fällen zu Grunde,
die im Wiener k. k. ger. mediz. Institute zur Obduktion gekommen waren.
Die Ergebnisse bringen zunächst eine Bestätigung gewisser Beobachtungen
anderer großer Selbstmordstatistiken, so z. B. zeigen sie das Uberwiegea
männlicher Individuen (1245 Männer, 426 Weiber), die gesteigerte Disposition
zum Suizid in gewissen Monaten (Mai, «hini), das Verhalten der Altersstufen,
Beziehungen zwischen Todesart und Geschlecht usw.
Bemerkenswert vom Standpunkte einer vergleichenden Hassenpsychologie^
auf welche Verf. überhaupt detaillierend eingeht, ist, daß im Verhältnisse
zu der entsprechenden Prozentzahl, bezogen auf die Gesamtbevölkemng, die
Anzahl der jüdischen Selbstmörder recht gering ist (4,9^/^ gegenüber 8,86 '*^j
Juden in Wien). Aber auch bei den Geisteskranken (der 1. psychiatrischen
Klinik in Wien) kamen Selbstmordversuche nur in 8^/^ bezw. 9 — 12% der
jüdischen Patienten vor, während die entsprechenden Zahlen für die nicht*
jüdischen Pfleglinge 16% (Männer) und 18 7o (Weiber) waren.
Von größerem psychopathologischen Interesse ist auch folgendes: In
19,92 ^/jj bestand Gravidität, und davon fiel die überwiegende Mehrheit in
die erste Hälfte der Schwangorschaft. Verf. betont übrigens, daß die Ziffern
für die graviden Selbstmörderinnen beträchtlich höher wären, wenn nicht
mit Rücksicht auf den Verdacht eines absichtlichen Abortusversuches die
meisten der Phosphorvergiftun^en bei Schwangeren hätten ausgeschlossen
werden müssen.
25,11% befanden sich in prämenstruellem Zustande, 10,9 in statu
menstruali. In 21,7 ^o bestanden Genitalerkrankungen.
Unter möglichster Berücksichtigung der einschlägigen Literatur erörtert
Verfasser außerdem einige aifdere Fragen der Selbstmordstatistiken und der
Beziehungen zwischen Psychose und Suizid. (Auloreferat.)
Placzek (^60) beschreibt in seiner Arbeit die besonderen Merkmale^
die die Ausübung der Musik auf Saiteninstrumenten einerseits bei Dilettanten^
andererseits bei Berufsmusikern hinterlassen, und beleuchtet die Frage, in-
wieweit diese Zeichen zu einer eventuellen Identitätsfeststellung tauglieh
sind. Er bedient sich dabei vorwiegend der daktyloskopischen Methode,
die, wie mau an den beigegebeneu Abbildungen sieht, recht instruktive
Bilder liefert. Alle gefundenen Veränderungen stellt er am Ende der Arbeil
noch einmal übersichtlich zusammen. Bezüglich der forenischen Bedeutung
der aufgefundenen Merkmale kommt er zu dem Schlüsse, daß sie unmöglich
hoch eingeschätzt werden könnten. Ihr Nichtvorhandensein bei Lebenden
und Toten spreche keineswegs gegen den Musikerberuf. Trotz ausgedehnter
Kriminelle Anthropologie. H13
Berufstätigkeit brauchten sie sich gar nicht zu entwickeln oder könnten^
nachdem sie eine Zeit lang bestanden, wieder weitgehend verschwunden sein.
Doch selbst wenn sie nachweisbar wären, sei große Vorsicht in ihrer Be-
urteilung geboten. Nie würde er soweit gehen, wie ein anderer Autor über
diese« Kapitel, Fischer, der gestützt auf diese Zeichen „jedem auf "den
Kopf zusagen könne, welches Instrument er spielt." Dazu seien vor allen
Dingen die Zeichen der Hautveränderungen, von denen Fischer allein
spricht, nicht eindeutig genug. Bei Leichen dürfte sich ihr Wert noch weit
mehr schmälern. Wertvoller dagegen und schon eher zu einem Wahr-
scheinlichkeitsschluß berechtigend, dürften die Veränderungen der Finger-
fonnen sowie Knochenverdickungen sein.
Herz (126) bespricht die Verbrecheusstatistik der letzten 3 Dezennien
in Österreich und konstatiert dabei folgendes: 1. Die schweren Verbrechen
gegen das Leben und Eigentum nehmen ständig ab, während die leichteren
Formen der Delikte (Übertretungen) nicht nur absolut, sondern auch relativ
zunehmen. Die Kriminalität verliert ihre Litensität und ge\vinnt an Exten-
sität. 2, Ln verbrecherischen Handeln selbst beginnt allmählich die List
jene £olle zu übernehmen, die früher die Gewalt spielte (Betrug nimmt zu,
Diebstahl ab). 3. Im gegenseitigen Verhältnisse der beiden großen Delikts-
gruppen der Verbrechen gegen die Person und der Verbrechen gegen das
Vermögen ist 'eine starke Abnahme der Eigentumsdelikte unter gleichzeitig
starker Zunahme der Körperverletzungen zu konstatieren.
Von dem Gesichtspunkte der Verschiedenheit der Beweggründe scheidet
Herz die Verbrechen in zwei Hauptgruppen: 1. Verbrechen aus Eigennutz,
2. Verbrechen aus Leidenschaft.
Zur ersten Gruppe gehören besonders die Verbrechen gegen das Ver-
mögen. Bei ihnen läßt sich deutlich eine Abhängigkeit von den jeweiligen
Lehensmittelpreisen erkennen. Aber die Lebensmittelpreise wirken nicht in
gleicher Weise auf die gesamte Vermögenskriminalität zurück. Die atavisti-
schen Kriminalitätsformen, die sich zumeist in roher Ausnützung einer
gebotenen Gelegenheit und Gewalttätigkeit äußern, Diebstahl und Baub^
stehen in einem unmittelbaren Abhängigkeitsverhältnisse von den Lebens-
mittelpreisen. Die den modernen Verhältnissen besser angepaßten Delikte,
welche in ihrer Absicht ebenso verderbt, aber in den Mitteln zivilisierter
sind, die an Stelle der Gewaltmaßregeln Lüge und Fälschung setzen, über-
winden dieses primitive Abhängigkeitsverhältnis von den Lebensmittelpreisen
und suchen auf dem komplizierten Markte modernen Wirtschaftslebens
Gelegenheit zur Betätigung.
Zur Gruppe der Leidenschaftsverbrechen gehören a) Delikte gegen die
Person, b) gegen die Sittlichkeit und c) gegen die Organisation (Staat).
Die. vergleichende Statistik zeigt, daß die materielle Lage, wenn sie auch
Verbrechen der bezeichneten Art im einzelnen erzeugt, nicht geeignet ist^
der Bewegung der totalen Nichtvermögenskriminalität ihre Direktive zu
geben. Das ständige Anwachsen der Zahl dieser Verbrechen hat wohl seinen
Grund in der durch die große Entwicklung der Industrie hervorgerufenen
Konzentration der verschiedenen Menschenmassen verschiedener Nationalität
und Kulturniveaus in den Städten und Industriezentren; die Anhäufung
kräftiger Männer in engen Bäumen mußten naturgemäß die Gelegenheit zur
Beleidigung, Körperverletzung, Mißhandlung vergrößern. Diese Vermehrung
der Reibuugsflächen und die vermehrte Gelegenheit zum Besuch der überall
emporschießenden öffentlichen Lokale mußte die Streitsucht und die kriminelle
Reiabarkeit der angehäuften Masse erhöhen. Die neusten Untersuchungen
haben ferner zu dem traurigen Resultate geführt, daß gerade der Erhöhung
1114 Kriminelle Anthropologie.
des Einkommens der Arbeiter überall eine noch stärkere Erhöhung der
Ausgaben für den Alkohol gefolgt ist. Die hauptsächlichen Delikte der
Trunkenen sind aber schwere Körperverletzungen und Beschimpfungen^ so-
dann Verbrechen gegen den Staat. Die Konzentration durch die Wander-
bewegung nach den Industriezentren ist eine unzweifelhaft wirtschafüiche
Bewegung, der Zug zur Nahrungserleichterung, der Zug nach dem besseren
Brot. Somit beeinflussen wirtschaftliche Motive, wenn auch nur indirekt die
Verbrechen aus Leidenschaft, auch der Sittlichkeitsverbrechen, deren Anzahl
konstant steigt. Bei allen diesen Affektverbrechen spielen biologische Fak-
toren eine große, ja fast überwiegende Rolle. Verbrechertum und geistige
Störung sind zwei Pflanzen, die aus demselben Boden ihre Nahrung sangen,
aus dem Boden körperlicher und geistiger Degeneration. Ihnen gegenüber
kommen die sozialen Verhältnisse häufig nur als auslösendes Moment in
Betracht. Die zu konstatierende auffallende Zunahme der Verbrechen gegen
die Person, Sittlichkeit und Staat läßt im Zusammenhange mit zunehmenden
minderwertigen Anlagen, schweren Störungen des Nervengleichgewichtes,
darauf schließen, daß die kriminelle Reizbarkeit in bezug auf die erwähnten
Delikte, bei denen die große Bedeutung des biologischen Momentes konstatiert
wurde, zugenommen hat. Vermehren einerseits Erhöhung der Lebensmittel-
preise und wirtschaftliche Krisen die Verbrechen gegen das Eigentum, so
zeigt sich die Kehrseite subjektiver und objektiver Nahrungserleichterung in
der Neigung zum Alkoholismus, der insbesondere im Zusammenhange mit
der Entfaltung städtischen Lebens und industrieller Konzentration zu einer
wahren Kalamität wird. Die Reibungsmöglichkeiten, welche durch solche
Menschenansammlungen notwendigerweise an sich vermehrt werden, werden
durch den Alkoholgeuuß in jeder Beziehung gefördert, wobei auch noch in
Betracht gezogen werden muß, daß die schweren Formen des Daseinskampfes,
die Nervosität und Hast, die alle Berufsschichten durchdringt und durch-
setzt, jene gewisse kriminelle Reizbarkeit erhöht. Das österreichische Straf-
gesetzbuch entspricht nun in keiner Weise mehr den Formen des modernen
Lebens. Deshalb gibt es auch heute in Österreich kaum ein sehnlicheres
Streben als nach einer Reform des Strafrechtes!
Nach Herz (127) ist normalerweise die Frau durch ihre Rolle im
Geschlechtsleben gebundener als der Mann und ihre Betätigung im Erwerbs-
leben nur als eine subsidiäre anzusehen. Infolgedessen ist auch die Zahl
der Verbrechen der Weiber immer bedeutend geringer gewesen als die der
Männer. Nach Colajanni würde aber das Weib, wenn es unter den
gleichen sozialen Verhältnissen wie der Mann leben müßte, wohl eine gleiche
Deliktsfrequenz aufzuweisen haben wie der Mann. Nach der neueren öster-
reichischen Statistik zeigt es sich, daß, abgesehen von Kindesmord, dessen
Verübung nur durch Personen weiblichen Geschlechts erfolgen kann. Frurht-
abtreibung und Kindesweglegung die stärkste Beteiligung der Frauen zeigen.
Als nächstes Verbrechen kommt das des Mordes in Betracht, wobei wieder
Angriffe gegen das Kindesleben, aber auch der Gattenmord ausschlaggebend
sind. Es folgen dann in abnehmenden Prozenten Betrug und Meineid, dann
Diebstahl, Verleumdung, Brandlegung und zuletzt öffentliche Gewalttätigkeit
gegen obrigkeitliche Personen. Mehr der Charakter der Feigheit und der
Unaufrichtigkeit, als der der Brutalität ist für die weibliche Eximinalität
bestimmend. Erfreulich ist, daß in Österreich und Deutschland die Zahl
der weiblichen Verurteilten nicht nur erheblich geringer ist, als die der
Männer, sondern auch ständig abnimmt. Diese Abnahme ist zu konstatieren,
trotzdem es feststeht, daß bereits die größere Hälfte aller Personen weib-
lichen Geschlechts einen bestimmten Erwerb ausüben, und die Erwerbstätig-
Kriminelle Anthropologie. 1116
keit der Frau noch beständig zunimmt. Die ungünstigen Folgen zeigen sich
eben auf einem anderen Gebiet. Das erwerbstätige Weib wird in ihrer
Fürsorge für die heranwachsende Jugend beeinträchtigt, die Kinder werden
verwahrlost, und so erklärt sich die Zunahme des jugeudlichen Verbrecher-
tums. Während in der Landwirtschaft mit ihrer meist geringeren Kultur
sich beide Geschlechter beinahe gleichmäßig an Verbrechen beteiligen, ist
die weibliche Beteiligung in den Gruppen der Industrie, dem Gewerbe, der
Dienstboten u. ä. viel geringer. Es erklärt sich das wohl aus der physischen
Schwäche des Weibes. Daß aber auch trotz gleicher Notlagen auch die
Diebstahlsbeteiligung der Frau eine viel geringere ist, will man mit der durch
die geringere Leistungsfähigkeit gegebene größere Bedürfnislosigkeit der Frau
erklären und weiterhin durch das Befriedigen des kriminellen Hanges der
Frau in der Prostitution. Lombroso und seine Schüler halten sie ja direkt
für die weibliche Erscheinungsform der Kriminalität. Herz meint, vom sub-
jektiven Standpunkt stelle sich die Prostitution als eine der gefährlichsten
Formen der Arbeitsscheu dar, welche alle charakteristischen Merkmale des
Deliktes trägt: Bedürfsbefriedigung durch arbeitsloses Ausbeuten fremder
wirtschaftlicher Verhältnisse bei vorhandener Arbeitsfähigkeit. Aber auch
ein Überschlag über die Anzahl der vorhandenen Prostituierten mit schätzungs-
weiser Einrechnung der nicht kontrollierten ergiebt immer noch als Resultat,
daß die Zahl der verurteilten Frauen zusammen mit der Zahl der Prosti-
tuierten immerhin nicht einmal die Hälfte der männlichen Delinquenten aus-
macht. So muß man annehmen, daß weibliche Individuen viel seltener unter
dem unwiderstehlichen Zwange der unmittelbaren Not zur Prostitution greifen,
als der männliche Arbeiter zum Betteln und Vagieren. Es herrscht eben
fast immer Nachfrage nach der Arbeit junger, kräftiger Weiber (Dienst-
botennot!) Die Prostitution Minderjähriger sollte als Verwahrlosung ange-
sehen und demgemäß behandelt werden. Der Ertrag männlicher Arbeit
müßte so gesteigert werden, daß die Frau dem Hause und der Familie
wiedergegeben würde, denn am ehesten bringt Isoliertheit und Verlassenheit
das Weib auf kriminielle Bahnen.
Mit warmem Herzen, aber in etwas sehr kühnen Bildern — er hält z. B.
Verbrechen und Geisteskrankheit nicht nur für unvermeidliche „Stoffwechsel-
produkte" der Menschheit, sondern teilt ihnen sogar eine „Mission" mit,
vergleicht sie mit dem „Kot" als Düngemittel und spricht in diesem Sinn
von dem „kotentsprossenen Werden" jeden Ährenfeldes, von dem wir unsere
Volksnahrung ziehen, — tritt Wulffen (333) für eine grundsätzlich andere
Behandlung der jugendlichen Kriminellen ein, als wie sie heute gehandhabt
wird. Die absoluten Zahlen der Verurteilten steigen bei den Jugendlichen
in weit größerem Maße als bei den Erwachsenen. Die Zahl der Rückfälligen
ist ^ eine außerordentlich hohe, verhältnismäßig auch bei den Jugendlichen.
Die Anwendung staatlicher Strafgewalt gegenüber den Jugendlichen und den
Kindern ist heute eine ausgedehnte. Je öfter aber derselbe Mensch bestraft
wird, und in je früheren Lebensaltern seine Strafe fällt, desto größer ist die
Gefahr, daß die Wirksamkeit der Strafe zeitig an ihm verloren geht. Des-
halb gebietet die Staatsklugheit, Kinder und Jugendliche ausgiebiger als
bisher mit Verurteilung und Straf verbüßung zu verschonen, an deren Stelle
andere, erzieherische Maßnahmen zu treten hätten. Anzustreben sei:
1. Die Hinaufrückung des strafmündigen Alters vom vollendeten
12. auf das vollendete 14. Lebensjahr.
2. Die Einschränkung der gesetzlichen Verpflichtung der Anklage-
behörde, gegen Jugendliche wegen Geringfügigkeiten einzuschreiten.
llj^g Kriminelle Anthropologie.
3. WeitgeheDde Zubilligung des sogenannten bedingten Strafaufschubs
für Jugendliche.
4. Beim Straf Vollzüge Trennung des vorbestraften Jugendlichen von
den erstmalig Verurteilten.
5. Bewahrung der aus der Strafanstalt entlassenen Jugendlichen vor
dem Rückfalle durch Fürsorge, Unterstützung und Arbeitsnachweis.
6. Zwangserziehung der moralisch und kriminell gefährdeten Minder-
jährigen.
Verfasser bespricht diese Forderungen im einzelnen und kommt za
dem Schluß, daß für die Zukunft Erziehung und Fürsorge die Losungsworte
seien, welche die künftige strafrechtliche Behandlung der Jugendlichen zu
beherrschen habe. Die gerichtliche Mitwirkung werde dann besonders beim
Vormundschaftsrichter liegen. In der Erziehung habe die sogenannte
„Herzensbildung** eine viel größere Rolle zu spielen als heute.
Pennazza (254) hat in einer Erziehungsanstalt für schwachsinnige
Kinder den Zöglingen Material zum Modellieren überlassen und außerdem
Gelegenheit zum Zeichnen gegeben. Es stellte sich heraus, daß diese Kiuder
künstlerisch sehr wenig produktiv sich erwiesen, so daß einige wenige, all-
gemeiner interessierende Schlußfolgerungen aus den Produktionen gewonnen
werden konnten. AuflFallend war die Tendenz zur Reproduktion obseöner
Szenen, die nach Ansicht des Autors weit größer sein soll als bei normalen
Schulkindern (nach Ansicht und Beobachtung des Referenten ist jedoch
auch bei unseren Schulkindern dieselbe eine recht überraschend große). Bei
den Epileptikern soll die Neigung zu religiösen Sujets auch hier bereits zur
Geltung kommen. (Mtrzbacher.)
Dieser Aufsatz von einem Stromer und Verbrecher über das Stromer-
tum ist ebenso bewundernswert wie die anderen von Jäger (140) mitgeteilten
„Papiere eines Verbrechers", bewundernswert nicht nur durch die Kenntnis
über sein Metier, die der Schreiber als Mitglied des Stromertums natürlich
ans erster Hand besitzt, sondern vor allem auch durch die treffende Kritik
über sich und seine Znnftgenosseu. Hier scheint eine Art deutscher Gorki
der Literatur verloren gegangen zu sein. Sind seine anthropologischen Be-
merkungen naturgemäß laienhaft, so sind seine psychologischen um so besser
und wertvoller. Das heutige Stromertum hat Form und Ausgangspunkt aus
dem vormärzlichen Zunftwesen genommen, so führt er aus, und die
germanische werktätige Nächstenliebe, wie sie besonders in katholischen
Ländern als religiöse Notwendigkeit gilt, hat es großgezogen und nährt es
blindsentimental und werkfromm noch immer. Die Bäuerin sucht sich durch
Almosen an den Stromer „eine Stufe in den Himmel" zu bauen, und jeder
Bauer macht den Stromer auf den herankommenden Gendarmen aufmerk-
sam; kurz man hegt und pflegt oft geradezu den Stromer und erzieht sich
so selber den „Parasitismus". Während der echte „Handwerksbursche"
in letzter Linie doch den Zweck des Arbeitssuchens nie aus dem Auge ver-
liert und nur in höchster Not die organisierte, noch seltener die private
Wohltätigkeit in Anspruch nimmt, ist der Halbstromer der „fechtende*"
Geselle, ein Sanguiniker, völlig energielos, fröhlich, mit trockenem Brot zu-
frieden, von Zeit zu Zeit auf 2 — 6 Wochen in Arbeit stehend und deshalb
nie ein Zwangsarbeitshaus sehend, trotzdem bei ihm die Redlichkeit auf
Kosten eines Triebes nach falscher, möglichst hoher persönlicher Freiheit
in die Brüche gegangen ist. Von solchen „sieht man stets zwei Exemplare
auf einmal". Der Vollblutstromer ist der. „Arbeitsscheue", der meist
Zwangsarbeits-, vielleicht gar Zuchthaus gesehen hat, häufig „verfehltes
Genie", großsprecherisch, zumeist von an sich sehr harmlosem Betrug lebend,
Kriminelle Anthropologfie. 1117
lachender Philosoph, zuweilen mit „Damen** in seinem Gefolge. Zu ihnen
gehört auch das „parasitische Ahasvertum" der „armen Juden". Mit
Schlauheit und instinktiver Menschenkenntnis ausgestattet, heuchelt der
„Elitestromer" Geftihlstiefe, z. B. Verständnis für Mnttergltick der an-
gebettelten Bäuerin gegenüber, alles aber nur, um möglichst viel für seinen
Magen herauszuschlagen, der sein Herr und Gott ist. Ist der befriedigt,
dann — „Siesta gepflogen". Zum ernsten Verbrecher wird der Stromer
meist nicht, denn er ist „die verkörperte Feigheit selbst". Oft sieht man
einen alten Vagabunden mit einem jugendlichen Bürschchen einsammeln, der
Alte ist dann der Sklave des Jungen. „Sodomitische Sünde" hält sie 2ni-
saromen. Die Sprache des Stromers, Rotwelsch, enthält keinen einzigen er-
habenen Begriff. Der Herbergsvater verhält sich zum Stromer wie der
Diebeshehler zum Dieb. Helfen kann nur eine andere Ansicht über den
Wanderbrauch: Fechten bei rüstiger Manneskraft muß als ehrlos gelten.
Nach von Rohden (281) haben die auf freiwilliger Unterstützung
beruhenden Arbeiterkolonien, wie sie von Bodelschwingh angeregt und
zuerst gegründet hat, mit größtem Segen gearbeitet, haben unzählige arbeitslos-
gewordene oder schiffbrüchige Existenzen von der Landstraße weggeholt und
wieder an produktive Arbeit gewöhnt, aber den an ihre Begründung ge-
knüpften Erwartungen haben sie doch nicht entsprochen. Sie konnten einem
so großen sozialen Notstand wie der verschuldeten und unverschuldeten
Arbeitslosigkeit gegenüber mit ihren privaten Mitteln nicht genügen. Wenn
nicht ein ganzes System von solchen Arbeitsnachweis- und Arbeitsplatz-
stationen netzartig über das ganze Land verbreitet wird, so wird die Land-
streicherplage nur auf die davon freien Landstriche abgelenkt, ohne an sich
abzunehmen. Eine allgemeine Durchführung solcher Maßnahmen ist aber
nur möglich, wenn die Sache staatlich obligatorisch gemacht wird. Davon
hat sich aber der Staat bisher stets gedrückt. Das Ziel muß sein, dem
Arbeitswilligen zu helfen, damit die Arbeitsscheuen um so schärfer gefaßt
werden können. Drei Gründe, die sich natürlich teilweise mischen, treiben
Wanderburschen auf die Landstraße, 1. der unausrottbare deutsche Wander-
und Bildungsdrang, 2. der Arbeitsmangel und 3. die Arbeitsscheu. Durch
längeres Walzen wird sehr oft das ethische Empfinden abgestumpft, und die
Wanderer sinken zu Stromern herab. Es gibt aber neben den nur leicht-
sinnigen sozusagen geborene Vagabunden, die typischen Tagediebe und
Trunkenbolde. Überhaupt sind unter den Stromern besonders viel minder-
wertige Elemente, zahllose sog. halbe Kräfte, Widerstandsunfähige, Imbezille,
Halbinvalide. Viele zeigen Verblödungsprozesse, Epilepsie, Trunksucht usw.
Gerade diesen Minderwertigen zu helfen, macht die Sache so furchtbar
schwierig. Auch hier spielen also biologische Tatsachen eine große Rolle.
Deshalb ist es auch hier so, wie bei den Verbrechern. Beide stehen zweifellos
mit der Arbeitslosigkeit, der Not in Zusammenhang, aber nicht in einem
zwingend ursächlichen. Unser gegenw^ärtiger Eechtszustand ist zur Bekämpfung
des Vagabundentums völlig unzulänglich. Gesetzlich zur vorläufigen Unter-
stützung verpflichtet ist der Ortsarmenverband, in dessen Bezirk sich gerade
der Hilfsbedürftige befindet. Von diesem bekommt der ortsfremde Bedürftige
aber keine oder eine absolut unzureichende Unterstützung, die ihn zum
Betteln zwingt. Man sucht ihn möglichst rasch und kostenlos loszuwerden.
Die Kosten für Unterstützung ortsfremder Wanderer müßten also auf größere,
leistungsfähige Verbände übertragen werden, z. B. den betr. Landarmen-
rerband. Li gewissen Abständen müßton sich Unterstützungsstellen befinden,
an welche jeder ortsfremde Bedürftige einfach zu weisen wäre. Hier ließe
»ich eine scharfe Kontrolle durchführen, welche das Gesindel der Bestrafung
1118 Kriminelle Anthropologie.
zuführt, für den wirklich Bedürftigen aber nachhaltig sorgt, womöglich durch
Beschaffung von Arbeit, event. durch Zuführung an eine von jedem Ver-
bände einzurichtenden Zentralstelle, die den Wanderer solange nutzbringend
beschäftigt, bis ihm dauernd Arbeit nachgewiesen werden kann. Bisher sind
diese schönen Pläne an der Kostenfrage gescheitert, aber nur eine gesetz-
liche Regelung kann helfen. Die heutige Arbeiterkolonie hat sich zwar gut
erhalten und dehnt sich, namentlich für die katholische Bevölkerung des
Westens immer noch weiter aus, den Erwartungen hat sie aber nicht voll
entsprochen. Statt eine Unterkunft für vollwertige Arbeiter bei erzwungener
Arbeitslosigkeit zu sein, ist sie schon von vornherein viel mehr von schon
heruntergekommenen Wanderern, namentlich Trinkern, die anderwärts keine
Arbeit mehr fanden, benutzt worden. Es hat sich tatsächlich ein Kolonie-
bummlertum herausgebildet. Bis 60% gehen aus der Kolonie wieder ohne
feste Stellung auf die Walze, bleiben also Vagabunden. Die Kolonie ist
der passende Aufenthaltsort für die sehr breite Mittelschicht der Schwachen
und Mindei-wertigen geworden. Nur wenn langdauernde Aufnahme solcher
Personen ermöglicht werden kann, hat es für diese dem Kampf ums Dasein
nicht Gewachsenen seinen guten Zweck. Was die Bestrafung auch des Not-
bettelus betrifft, so ist sie nötig, um nicht wieder den Gewohnheitsbettel
großzuziehen. § 361 StGB. Nr. 5 ist reformbedürftig; schon früher müßte
rechtzeitige Entmündigung und angemessene Heilbehandlung von Gewohnheits-
trinkern in solchen Fällen eintreten. § 361 Abs. 7 ist dahin zu ergänzen,
daß wer erklärt, öffentliche Armenpflege in Anspruch nehmen zu wollen, an
die Folgen dieser Erklärung für eine bestimmte Zeit insofern gebunden
bleibt, daß er sich den Anordnungen der Armenbehörde zu unterwerfen hat.
§ 361 Abs. 8 ist entbehrlich dem Gesindel gegenüber, dem Notleidenden
gegenüber zu hart. § 361 Abs. 10 ist teils zu hart, z. B. gegen den Vater,
der seinem verbummelten Kind nichts geben will, teils zu milde, dem
Bummler, der seine Familie hungern läßt, gebührt Arbeitshaus. Prozessual ist
genaue Berücksichtigung der Lage des Einzelfalles erforderlich.
Hoegel (132) ist nicht angekränkelt von den neueren Erkennt-
nissen der Psychopathologie. Während ein anderer tüchtiger österreichischer
Kriminalist, Herz, gerade die „biologische Wurzel" der Leidenschafts-
verbrecheu hervorhebt, kümmert sich Hoegel um diese Seite der Sache
wenig. Für ihn als Praktiker kommt mehr die große Masse der Ver-
urteilten in Betracht, von der er nicht ganz mit Unrecht meint, daß es
sich dabei nicht um die Verbrecher im engeren Sinne, „von denen in ge-
lehrten Abhandlungen die Rede ist", handle. Straffälligkeit und Verbrecher-
tum seien Dinge, die man auseinander halten müsse. Das ist unstreitig
wahr, aber da das Verbrechertum sicher der größere Krebsschaden unserer
Kultur ist, dürfte es nicht angebracht sein, die Männer, die hier zu erkennen
und zu heilen versuchen, so von oben herab anzusehen, wie es Hoegel
offenbar tut. Hoegel hat nun für die Straffälligen fast jeder Art ein All-
heilmittel bereit, die einzige radikale Lösung, wie er es nennt — Einzel-
haft für die abzukürzenden Freiheitsstrafen. Dabei meint er, Untersuchungs-
richter und Strafrichter lerne den Verbrechern viel besser kennen als wie
die Strafvollzugsbeamten. Überhaupt bedürfe es, um Verbrecher zu durch-
schauen, nur der Lebenserfahrung, des gesunden Menschenverstandes,
vorurteilsloser Beurteilung der Verhältnisse und Lust und Liebe zum Beruf.
(Bei solchen Ansichten fragt man sich, wozu man dann eigentlich noch
psychiatrische Sachverständige braucht, und warum man z. B. forensisch-
psychiatrische Vereinigungen gründet? — Der sog. gesunde, d. h. so häufig
der vom wahren Wesen der Dinge keine Ahnung habende Menschenverstand,
Kriminelle Anthropologie. 1119
was hat der nicht alles schon auf dem Kerbholz! In den Lügen, und wie
sogar Verfasser selbst sagt, „unsinnigsten" Ausflüchten und Beschönigungen
der Täter, in ihrer Pseudologik, die sie zu ganz „sonderbaren Vorstellungen
von Recht und Unrecht führt" und sie zu Querulanten macht, sieht Ho egel
nur „eine solche Stufe sittlicher Verkommenheit", daß für diese Menschen
der Begriff Wahrheit ausgeschaltet ist, während doch für den geschulten
Wissenden die Minderwertigkeit gerade derartiger Leute auf der Hand liegt.
D. Ref.) Nach solchen Ausfällen bespricht Verf. die einzelnen Reform vorschlage
nun etwas sachlicher. Er vertritt zuerst energisch die Einengung des Gebietes
der Freiheitsstrafen. Nicht jede Ordnungswidrigkeit müsse gestraft werden.
Selbst bei manchen Rechtsverletzungen genüge es, nur zivilrechtlichen oder
verwaltungsrechtlichen Schutz zu gewähren. Für die große Klasse der
Straffälligen, die Hoegel allein im Auge hat, hat er recht, wenn er sagt:
„Ich bin ein entschiedener Gegner längerer Freiheitsstrafen, wenn man sich
sagen muß, daß die Tat einer solchen Sühne nicht bedarf, andererseits klar
liegt, daß man den Verurteilten wirtschaftlich, physisch und psychisch durch
eine längere Anhaltung schädigt, ohne dem Gemeinwesen zu nützen", dabei
würde zielbewußte Durchführung der Einzelhaft eine bedeutende Kürzung
der Strafdauer ermöglichen und der Strafzweck geradezu gefördert werden*
Die langzeitige Freiheitsstrafe gehöre für die schwersten Rechtsbrüche und
gegen die gemeingefährlichen Verbrecher, an denen nichts mehr zu retten
ist. Von der Ausdehnung des Gebietes der Geldstrafe hält Hoegel nicht
viel, obwohl er nicht dagegen wäre, wenn von dieser Strafe ein ausgiebiger
Gebrauch gemacht würde. Sie versage aber gegenüber Wohlhabeaden, denn
bei mechanischer Umrechnung auf bestimmte Einkommensstufen würden
Straftat und Geldsumme oft in keinem Verhältnis mehr stehen. Dann
bestehe die Gefahr der Überwälzung der Geldstrafe auf andere, und endlich
müßte bei Uneinbringlichkeit doch wieder die Freiheitsstrafe eintreten. Am
besten sei es, wenn der Richter innerhalb eines gewissen Umfanges die
Möglichkeit hätte, von einer Strafe, aber ohne besondere Bedingungssetzungy
abzusehen — besonders gegenüber Jugendlichen. Bedingte Verurteilung
oder Begnadigung verwirft er, diese wirke nach der Statistik nicht als
Spezialprävention, im Sinne der Generalprävention sei sie sogar bedenklich.
Die Deportation ist 1. zu kostspielig, und 2. hat sie stets zu empörendsten
Zuständen in den Kolonien geführt. Der Hausarrest scheitert an der Un-
möglichkeit einer wirksamen Übei-wachung. Die in der Hauptsache allein
übrigbleibende Freiheitsstrafe müsse bestehen in Zuchthausstrafe für ehrlose,
gemeingefährliche und anscheinend nicht besserungsfähige Verbrecher, in
Haftstrafe, wenn die Tat keinen Makel an der Ehre nach sich zu ziehen
geeignet ist, und in Gefängnisstrafe, wenn die Tat einen Makel an sich
trägt, eine Besserung aber noch in Betracht kommen kann. Der Gesetz-
geber muß dem Richter eine größere Auswahl der Strafmittel in Auswahl
stellen und besonders auch auf Festsetzung von Höchstmaßen verzichten.
Das richterliche Ermessen wäre nur einzuschränken durch Aufnahme von
„Grundsätzen" ins Strafgesetz, nach welchen die Strafe anzumessen sei, viel-
leicht durch Teilung der Tatbestände nach typischen Merkmalen und Straf-
zumessungsgründen. Die sog. unbestimmte Strafe tut Verfasser wieder sehr
von oben herab ab, besonders weil angeblich dadurch der Schutz der Frei-
heit beeinträchtigt würde, und weil das Gefängnis ein ungeeigneter Ort für
psychologische Werturteile bleibe (?). Allerdings widerspricht sich Hoegel
gleich selbst, indem er anerkennen muß, daß die bedingte Entlassung (oder
versuchsweise Beurlaubung d. Ref.) diese Gefahren „wesentlich einengen"
würden. Mit Recht warnt er dabei vor jedem Übereifer in der Überwachung
2 120 Kriminelle Anthropologie.
bedingt Entlassener. BetreflFa des Strafvollzugs spricht er sich für die Mög-
lichkeit von Strafverschärfungen aus, die allerdings keine „Marter oder
Qual** vorstellen sollen (?). Energisch wendet er sich gegen die verrohende
Prügelstrafe. Sein ceterum censeo ist „Einzelhaft, soweit sie ohne Schaden
für die körperliche und geistige Gesundheit vollzogen werden kann**. (Das
ist eben die schwierige Frage, d. Ref.) Gemeinschaftshaft verdirbt die noch
nicht Verdorbenen völlig* Bei langzeitigen Strafen muß wenigstens nächi-
liche Einzellung festgehalten werden. Besonders Jugendliche, um sie zu
schützen, und sog. Minderwertige, um vor ihnen zu schützen, müssen mög-
lichst der Zellenhaft überwiesen werden. Besondere Anstalten für Minder-
wertige hält H. für ein Unding!! Arbeiten im Freien können auch von den
Zellen aus vorgenommen werden. Das Schweigegebot bei Tage ist „wertlos,
undurchführbar und gegen die menschliche Natur". Das Überwiegen des
militärischen Geistes in den Gefängnissen ist von Übel. Die leitenden Stellen
müssen vorwiegend aus dem Stande der Richter und Staatsanwälte besetzt
werden, die Kenntnis des Verbrechers, welche der Kriminalist in solche
Stellung mitbringen würde, würde sich u. a. in einer wesentlichen Ein-
schränkung der Disziplinarstrafen zeigen. Das Strafanstaltswesen als ganzes
gehört der Justizverwaltung, der gesamte Strafvollzug den Staatsanwaltschaften.
Von der großen Reichtagsdebatte über Mißstände des Strafvollzuges
am 13. Mai 1905 ausgehend, gibt von Rohden (280) zu^ daß Fehler and
Mißgriffe im Strafvollzug vorkommen, daß auch Gefängnisvorsteher und -ärzte
fatalen Irrtümern verfallen können, er bestreitet aber, daß solche mensch-
lichen Schwächen hier mehr vorhanden wären als in anderen Ressorts« etwa
im Eisenbahnwesen. Diese hätten nur den großen Vorzug, im hellen Lichte
der Öffentlichkeit zu stehen. Aber auch in den Gefängnissen und Zucht-
häusern würde nichts getrieben, was das Licht der Öffentlichkeit zu scheuen
hätte. Verfasser erkennt das Wahre in den Lehren der modernen deutschen
Kriminalistenschule unter v. Liszt freimütig an, meint aber^ daß die praktische
Umsetzung dieser Lehren bei dem einmal bestehenden moralischen Gefühle
des Volkes noch lange Zeit auf sich warten lassen werde. Dennoch müsse
man zugeben, daß wirkliche Mißstände insofern beständen^ daß unter den
Verbrechern tatsächlich sehr viele Kranke, psychisch nicht normale Menschen
sich befinden. Diese Tatsache würde aber von der Strafvollzugsbehörde
nicht etwa verkannt. Der Mißstand liege darin, daß unsere praktische
Strafjustiz noch nicht vollkommen genug funktioniere, um von vornherein
die strafvoUzugsnnfähigen Verbrecher von den strafvollzugsfähigen zu sondern,
und sodann darin, daß es auch im Gefängnis selbst sogar einem recht ge-
übten Arzteauge nicht immer leicht fiele, den wirklich Kranken bestimmt
von dem Simulanten zu unterscheiden. Die Disziplinarstrafen hält Verfasser
für nötig, weil das Verbrechen nicht nur ein Produkt der sozialen Verhät-
nisse sei. Es gebe nur allzuviele von Grund auf „Böse", allzuviel
Schwache, Minderwertige, sozial Untüchtige, für die man diese Strafen nicht
entbehren könne (?). Jedenfalls, meint v. Rhoden, sei die im Reichstag
vertretene Idee der Erziehung und Besserung der Gefangenen schon fast
veraltet. Aus besagten biologischen Gründen hätten alle diesbezüglichen
Versuche nicht zu den gewünschten Erfolgen geführt Bezüglich der
wachsenden Rückfall- Kriminalität müsse jedenfalls der in solcher Allgemein«»
heit und Bestimmtheit ausgesprochene Satz, daß die Rückfälligkeit die not*
wendige Folge des heutigen Strafvollzugs sei, als unbewiesen und un-
beweisbar entschieden abgelehnt werden. Die Arbeitsmethoden in den An-
stalten werden nicht mit Unrecht als eintönig und abstumpfend bemaagett.
Wie aber bessere Arbeit schaffen, ohne mit der freien Arbeit zu koiw
ErimiBelle Anthropologie. 1121
karrieren? Die Deportation scheitert an den unerschwinglichen Kosten.
Unser Freiheitsstrafensystem ist nicht das Ideal der Verbrechensbekämpfung,
es hat sich nicht bewährt. Auch die Einzelhaft hat den Erwartungen nicht
entsprochen, die Kückfallskriminalität ist durch ihre Einführung nicht ver-
mindert. Viele Verbrecher stumpft sie geistig ab und macht sie sozial un-
tächtig. Wert hat sie nur dadurch, daß für ernstlich Besserungswillige die
Möglichkeit besteht, sie der moralischen Ansteckung zu entziehen. Mehr
als die Zeilen als Erziehungsmittel müßten aber in den Anstalten die voll-
kommenen Erzieher schalten und walten. Rhode n beklagt ferner die be-
stehende Inkongruenz zwischen StraQustiz und Strafvollzug. Er glaubt, daß,
wenn der Besserungszweck der Strafe das Ideal sei, 76^0 der Freiheits-
strafen als kurzzeitige ihren Zweck völlig oder fast völlig verfehlten. Zu
kurze Strafen von Tagen bis Monaten stumpften nur das Ehrgefühl ab, zu
lange Freiheitsstrafen machten die sozial schon an sich wenig Tüchtigen
noch untüchtiger. „Zustands"- oder Gewohnheitsverbrecher dürften nach
Verbüßung ihrer Strafe überhaupt nicht wieder auf die Gesellschaft los-
gelassen werden. Hier seien der Strafe nachfolgende Sicherheitsmaßregeln
etwa durch Errichtung obligatorischer Arbeiterkolonien nötig. Mit den
Freiheitsstrafen müsse ein bedeutend vorsichtigerer und sparsamerer Ge-
brauch gemacht werden. Rh. empfiehlt deshalb das System des Straf-
aufschubs und der bedingten Begnadigimg und endlich der vorläufigen Ent-
lassung. Untersuchungsgefangener und Jugendlicher seien von auderen streng
zu sondern. Minderwertige gehörten in besondere Anstalten. Der Dualismus
in der Gefängnisleitung in Preußen müsse aufhören. Die Anstalten dürften
nicht größer als für 600 Gefangene sein, denn nur beim Massenbetrieb
können häufiger beklagenswerte Irrtümer und Ausschreitungen vorkommen.
Aus dem anscheinenden Fiasko der Freiheitsstrafe wollen neuerdings
ernste Juristen schließen, daß dem Besserungszweck der Strafe überhaupt
jedes Recht abzusprechen sei. So will z. B. Oberlandpsgerichtsrat Schmölder
deshalb nicht Erziehung, sondern Zufügung von Übeln als maßgebende
Norm für den Strafvollzug anerkannt und durchgeführt wissen. Demgegen-
über macht von Rohden (279) auf den jüngst erschienenen 4. Band der
gesammelten Schriften von J. H. Wichern: zur Geföngnisref orm ; Reden,
Denkschriften und Gutachten über das Gefängniswesen, speziell die Durch-
führung der Einzelhaft in Preußen, Hamburg, Verlag der Agentur des
rauhen Hauses 1905, aufmerksam, weil gerade auf das amtliche Wirken
Wicherns der moderne, erziehende Strafvollzug zurückgeht. Wichern,
der Begründer der „Innern Mission" in Deutschland und des bekannten
„Rauhen Hauses" in Hamburg huldigte einer wohldurchdachten Prävention,
einer Verbrechensprophylaxe. Er war es, der 1857 in das Ministerium des
Innern nach Berlin berufen, das neue Moabiter Zellengefängnis und mit ihm
die Einzelhaft vorbildlich inaugurierte. Wicherns Dienstauftrag war die
Reorganisation des Gefängniswesens nach dem „pensy Ivanischen System".
Dieses quäkerhafte System mit seiner schematischen Einzelabsperrung zum
Zweck von Bußübungen und religiöser Wiedererweckung durch Gebet und
Kasteiung hat Wichern nun sozusagen ins Deutsche übertragen. Er verwahrte
sich entschieden dagegen, als solle durch sein Eiuzelzellensystem der Ge-
fangene in einseitig methodischer Weise religiös-sittlich bearbeitet, künstlich
„gebessert" werden. Er wollte den Strafvollzug nur so gestalten, daß die
Gefahr weiteren sittlichen Verderbnisses möglichst hintangehalten wird.
Das kann aber nach Wicherns Meinung nur durch die Einzelhaft geschehen.
T-Aber die beste bauUch-äußerliche Absperrung durch die Zelle genügt nicht
zur Aufhebung des unsittlichen Verkehrs; eine völlige Vereinsamung wäre
Jahresberioht f. Neurologie und Psychiatrie i»06. 71
1122 Kriminelle Anthropologie.
eine durch nichts zu rechtfertigende Strafverschärf ung, wodurch die physisch-
payclüsche Gesundheit des Sträflings auf Spiel gesetzt würde. Vielmehr
muß der Staat, wenn er einmal die Freiheitsstrafe in solch ausgedehntem
Umfange anwendet, auch dafür sorgen, daß der Sträfling aus einer unsitt-
lichen Gemeinschaft in eine sittliche versetzt werde. Und diese Einflüsse,
die dem Inhaftierten sein Bestes, sein Gewissen nicht gefährden, nicht „aus-
brennen" helfen, kann der Staat nicht yon sich aus kraft seiner richtenden
und strafenden Gewalt an den Bestraften heranbringen (?), dazu muß er
Diener der Kirche oder der christlichen Gemeinde und die von der in ihr
lebendigen Liebestätigkeit ihm dargebotenen persönlichen Kräfte in Anspruch
nehmen." Für Wichern bedeutete also die Strafzeit nicht die Besserung
an sich, denn er wußte, daß zur Erziehung Freiheit, sich zu bewähren, ge-
hört, wohl aber die Anbahnung einer Besserung, eine Vorbereitung, die
allerdings in der Luft schweben bleibt^ wenn ihre Fortsetzung nach der
Strafzeit nicht gesichert ist. Deshalb wurde von ihm das Entlassenen-
Fürsorgewesen, das ebenfalls die Aufgabe kirchlicher Organe und charita-
tiver Vereine sei, besonders ausgebildet und dadurch das Hineinwachsen
des Rechtsbrechers in eine sittliche Gemeinschaft begünstigt
Eine ausgezeichnete Schrift, die Schrift Thomsen's (313) mit dem
allerdings etwas schwulstigen Titel: , „Grundriß des deutschen Verbrechens-
bekämpfungsrechtes". Es wirkt ordentlich humoristisch, nachgewiesen zu
sehen, daß, während die klassische und die neudeutsche Kriminalistenschule
noch in hartem Kampfe ihre Theorien gegeneinander anreiten lassen, die
Praxis schon längst über diese Theorien entschieden hat zu Gunsten des
einzig Vernünftigen, zu Gunsten einer Bekämpfung der Verbrechen mit allen
Mitteln, die zu diesem Zwecke geeignet sein könnten, kurz, daß wir tat-
sächlich nicht nur ein Strafgesetz, sondern ein Gesetz zur Bekämpfung der
Verbrechen heute allerdings in sehr verbesserungsbedürftiger Weise schon
haben. Besonders schön zeigt Thomson die vordringende Tendenz nicht
der Vergeltung, sondern der Bekämpfung schlechthin in den nach Erscheinen
des deutschen Strafgesetzbuches gegebenen sog. Nebengesetzen. Aber auch
im Strafgesetzbuch selbst findet sich schon eine große Anzahl von Maß-
regeln, die zweifellos keinen anderen Zweck haben als den der Verbrechens-
bekämpfung, nicht der Vergeltung, so z. B. der Arbeitszwang, die Polizei-
aufsicht, die Ausweisung, überhaupt sämtliche sogen. Nebenstrafen, dann die
Einziehung und Unbrauchbarmachung von Verbrechensmittebi, Erlaß der
Strafe bei „freiwilligen Rücktritt und tätiger Reue**, Unterbringung von
jugendlichen Personen in eine Familie, Erziehungs- oder Besserungsanstalt,
die Unfähigkeitserkläruug zur Beschäftigung im Eisenbahn- und Telegraphen-
dienst u. a. m. Es besteht nach alledem zweifellos die Tendenz, dem Ver-
brechen schlechthin entgegenzutreten mit eingreifenden Bestimmungen auf
dem Gebiete des Strafrechts, zugleich aber auch des bürgerlichen Rechts.
Dieser zu begrüßenden Tendenz gibt Thomsen dahin eine allgemeine Form,
daß er zu einer auf dem Gebiete des Strafrechts und des bürgerlichen
Rechts frei sich bewegenden Verbrechensbekämpfung übergeht; er schafft
damit zum ersten Male bewußt einen neuen Zweig der Rechtswissenschaft
und bereitet das ideale „Gesetzbuch zur Bekämpfung der Verbrechen" vor
und bringt ferner die „Kriminalpolitik", d. h. die Wissenschaft von der auf
gesetzgeberischem oder sonstigem Wege erreichbaren bestmöglichen Ver-
brechensbekämpfung zur gebührenden Anerkennung. Glück auf zu diesem
Wege, dem die Zukunft gehört I
Näcke (220) bespricht in seinem Artikel die Arbeiten von Wüst:
Die sichernden Maßnahmen im Entwurf zu einem schweizerischen Straf-
Kriminelle Anthropologie. 1123
gesetzbuche, Zürich, Alb. Müller 1905; ferner: Schermerz: Het rapport
yan de staatscommlssie in Zake de verzorging van gevaarlijke en schade-
lijke Krankzinnigen, overdruct uit het Nederl. Tijdschrift voor Geneeskunde
1904, Deel II Nr. 20 und endlich: Tanoi, Malatte mentali, Milano 1905.
Im Anschluß an eine Diskussion über die Wichtigkeit und Zu-
lässigkeit der Kastration in gewissen Fällen von Geisteskrankheit auf der
36. Jahresversammlung der schweizerischen Irrenärzte 1905, in der sich
zum Schlüsse die Versammlung ohne Widerspruch für die Sterilisierung
von Geisteskranken und die gesetzliche Regelung dieser Materie aussprach,
macht Näcke (223) darauf aufinerksam, daß er in Deutschland wohl der
Elrste gewesen sei, der energisch und unter, genauer Darlegung der Ver-
hältnisse für diese Sache plädiert habe. Es müsse ein Schutzmittel für die
Angehörigen und für die Gesellschaft geben vor einer Fortpflanzung gewisser
minderwertiger und geisteskranker Individuen. Nicht gesetzliche Eheverbote
könnten da nützen, sondern nur ein Zwangsmittel wie die Sterilisation. Zwar
brauchten sich die Rassehygieniker vorläufig nicht vor einer zunehmenden
Entarttmg zu ängstigen, denn noch reinigte sich der Volkskörper glücklicher-
weise von selbst, aber fest stehe doch, daß die Fortpflanzung minderwertiger
Elemente viel Unglück in die Familie bringe und dem Staat viel Geld koste.
Auch bei den angeborenen resp. firüh auftretenden Entartungszuständen würde
aber eine Kastration vor vollendetem Wachstum gefährlich sein, weil sie
den Charakter ungünstig beeinflußt. Man würde also besonders degenerierte,
mit starker libido behaftete gemeingefährliche Elemente etwa bis nach zurück-
gelegtem 25. Lebensjahre einsperren müssen und dann erst kastrieren. In
zweiter Linie käme die Kastration bei auf degenerativem Boden entstandenen
chronischen Psychosen in Frage; die akuten Psychosen fielen dagegen noch
aus der Indikationsstellung, „da man solche nicht zu weit stecken soll, will
man nicht die gute Sache an sich geiährden". Bei den Männern wäre die
Vasektomie zu empfehlen, bei den Frauen vielleicht die Ausschälung des
Uterus, jedenfalls würde man die weiblichen Keimdrüsen möglichst zu schonen
haben. Das Recht des Staates für eine solche Operation hält Näcke für
gerade so gegeben, wie es heute schon eine staatliche Impfpflicht gibt, und
wie man heute schon Verbrecher, Irrsinnige, Lepröse usw. zum allgemeinen
Besten einsperrt. Allerdings würde Erlaubnis des Kranken resp. seines
Vormundes und vor allem seitens des Richters Voraussetzung sein müssen.
Im konkreten Falle zu entscheiden, würde vielleicht die Aufgabe eines
Kollegiums von Sachverständigen sein.
LaQUer (166) hat das klassische Land der Temperenz, die Vereinigton
Staaten von Nordamerika im Sommer 1904 selbst besucht und berichtet in
interessanter Weise von seinen Erfahrungen und Eindrücken, die er dort
bezüglich der Alkoholfrage erhalten hat. Es fällt dabei manch hübsches
Streiflicht auf den Charakter des Nordamerikanertums überhaupt. Laquer
meint, wir in Deutschland könnten von diesem tatkräftigen Volke vor allem
die Einigkeit lernen. Entgegengesetzt wie bei uns tritt dort der praktische
werktägige Kampf gegen den Alkohol gegenüber theoretischen Betrachtungen
weit in den Vordergrund. Prohibition und Lokaloption hält Verf. im Kampf
gegen den Alkohol nicht für so besonders wirksam, besonders die Prohibition
führe nur zu einer sittenverderbenden Heuchelei und werde geradezu zu
einer Schule für Umgehung der Gesetze im allgemeinen. Die amerikanische
Schankgesetzgebung könne also nur steuertechnisch als Vorbild dienen, „der
Alkohol muß höhere Steuern tragen". Auch in Deutschland müsse die Be-
dürfnisfrage schärfer angepackt werden, und Konzessionen an gemeinnützige
Gesellschaften würden wie in der Schweiz, in Schweden und England dem
71*
1124 Kriminelle Anthropologie.
Trinkzwange mit Erfolg entgegenarbeiten können. Vorbildlich sei Nord-
amerika aacb bezüglich der Trinksitten, es muß auch bei uns ein Kenn-
zeicheu des Gentleman werden, dem Bausche sein Leben lang fem zu
bleiben. Wie in Amerika, allerdings nicht so schematisch und einseitig wie
dort, wird es sich dringend empfehlen, in allen Schulen Unterricht über die
Gefahren und Wirkungen des Alkohols zu erteilen. Am höchsten stellt
Laquer die Arbeit des sogenannten „Fünfziger-Ausschusses^, der seit zehn
Jahren drüben ausschließlich zur Erforschung der Alkoholfrage besteht
Dieser Ausschuß setzt sich aus den ersten führenden Männern zusammen.
Er will ohne jede Voreingenommenheit an das Studium der Tatsachen
herangehen und hat zu diesem Zwecke vier Unterausschüsse gebildet, einen
ärztlich-physiologischen, einen wirtschaftspolitischen, einen gesetzgeberischen
und einen sittlich-kulturellen. Seine Zusammensetzung und sein Wirken
entsprechen also etwa dem des deutschen Vereins gegen Mißbrauch geistiger
Getränke. Solche Volkswohlfahrtskommissionen sind auch in Deutschland
notwendig. Sie möchten in Anlehnung an das Kultusministerium oder an
das Staatsministerium baldigst errichtet werden. Diese Kommissionen sollten
dann mit der Alkoholfrage zuerst anfangen.
Anknüpfend an die Schrift Laquers über Trunksucht und Temperenz
in den Vereinigten Staaten, schildert Meinert (203) den Segen des
amerikanischen zweigeschlechtlichen Unterrichts, der die Bildung und damit
die Hochachtung der Frauen hebt und sie reif macht, neben ihrer meist
musterhaften Hauswirtschaft auch noch eine große Summe sozialer Arbeit
zu leisten. Besonders große Erfolge haben die nordamerikanischen Frauen
als Kämpferinnen gegen den Alkohol. DijB Frauen dort spielen als Er-
zieherinnen und Lehrerinnen eine ganz hervorragende Rolle, und das ganze
in ungezählte Veranstaltungen verschiedenster Art zerfallende Erziehungs-
werk ist mit Temperenz durchtränkt. Der Haupterfolg der großen National
W Omans Temperance Union besteht in dem Durchsetzen des vielgepriesenen
und vielgeschmähten Antialkohol-Unterricht in den amerikanischen Schulen.
Unter dem Vorsitz von Mrs. Hunt werden die Schulbücher u. a. daraufhin
revidiert, ob auch immer genügend der Charakter des Alkohols als Gift
hervorgehoben ist. Den Nährwert des Alkohols darin zu diskutieren, wird
völlig vermieden. Daher der Sturmlauf gegen Mrs. Hunt wegen der durch
sie nicht genügend gewährten Wissenschaftlichkeit. Ihr Hauptgegner ist der
Wissenschaftler Atwater, der aber auch den Alkohol in der Praxis als
Gift betrachtet und ihn „injurious" nennt Das Beispiel, das die meist frei-
willig abstinente Lehrerschaft Nordamerikas bietet, ist von wesentlichem Ein-
fluß auf seine industrielle Größe. Amerikanische Unternehmer schrecken
nicht davor zurück, sich auf dem Wege des wirtschaftlichen Zwanges die
totale Enthaltsamkeit ihrer Angestellten zu Gunsten einer größeren Intensität
des Betriebes zu sichern. Unter den amerikanischen Arbeitern herrscht
überhaupt eine größere Nüchternheit, wie bei denen anderer Länder. Dieser
verdanken die Vereinigten Staaten in der Hauptsache die Siege ihrer Waren
auf dem Weltmarkt trotz höherer Arbeitslöhne. Deshalb würde auch eine
Abschwächung des Antialkoholunterrichts in Professor Atwaters Sinne
nicht nur eine physische und moralische, sondern auch eine wirtschaftliche
Schwächung der Nation bedeuten.
Der Deutsche Verein gegen den Mißbrauch geistiger Getränke hatte
sich bekanntlich an alle ordentlichen Professoren der Physiologie, der Patho-
logie, der inneren Medizin, der Psychiatrie, der Pharmakologie und der
Hygiene an den Hochschulen des Deutschen Reiches gewandt, um durch
Einholung deren Meinung über den Wert der Mäßigkeit oder Enthaltsam-
Kriminelle Anthropologie. 1125
keit bezüglich des Alkohols diese Frage einer Lösung näher zu bringen.
Durch diese und eine große Anzahl anderer sich schroff widersprechender
Gutachten medizinischer Autoritäten ersten Ranges hatte die „deutsche
medizinische Wissenschaft" dokumentiert, daß zur Zeit in der Alkoholfrage
Ton ihr noch kein entscheidendes Wort gesprochen werden dürfe, weil die
Ansichten noch nicht genügend gereift seien. In Professor Hüppe aus
Prag erreichte dann der „Abstinentenhaß" seine höchste Blüte, so daß sogar
Professor Grube in einem offenen Brief sein Bedauern über dessen Auf-
treten aussprach. Immer wieder war die Behauptung vom Nährwert des
Alkohols Ton verwirrendem Einfluß. Nach Meinert (204) war aber schon
die Annahme, daß es sich bei den an den Versuchspersonen nachweißbaren
Ernährungseffekten um physiologische handle, eine willkürliche. Das ständige
Massenexperiment, welchem sich die Gewohnheitstrinker unbeabsichtigt
unterwerfen, lehrt im Gegenteil, daß die Alkoholmast eine pathologische
Erscheinung ist, eine Anbildung von Fett und Eiweiß am unrechten Ort
(z. B. „Bierherz"). „So sehen wir, daß die Wissenschaft anstatt, wie man
wohl zu erwarten berechtigt wäre, der Bewegung gegen den Alkohol ge-
schlossen Beistand zu leisten, neuerdings mannigfach mit oder ohne Absicht
ihr entgegenarbeitete." „Alle die gelehrten Arzte, durch deren autoritative
Zeugnisse das im Schwinden begriffene Vertrauen zu Freund Alkohol wieder
neugestärkt wurde, bekennen sich ausdrücklich zum Standpunkt der „Mäßig-
keit"; und doch wurden sie mit ihrer „Mäßigkeit" zu Verführern." Auch
die Mäßigkeitsvereinler haben nicht die Aufgabe, etwas zu Gunsten des
Alkohols vorzubringen, am allerwenigsten aber die Abstinenten für ihre
Gegner zu halten.
Der Zusammenhang des Rothenkirchner Eisenbahnunglücks mit dem
in den Stunden vorher vom Lokomotivführer Lohse konsumierten Alkohol
dürfte so gut wie erwiesen sein. Meinert (207) macht nun noch psycho-
logisch äußerst interessante Mitteilungen über Aussagen von Angeklagten
und Zeugen, wie sie in der Hauptverhandlung zum Vorschein kamen.
Merkwürdige Widersprüche und ganz sichtbares Zusammenhalten von Freunden
eines guten Trunkes gaben ihnen ein charakteristisches Gepräge. Meinert
faßt seine Eindrücke von dieser Verhandlung so zusammen: „Wieviel von
allen diesen merkwürdigen Aussagen auf die verworrenen Erinnerungsbilder
alkoholisiert gewesener oder chronisch alkoholisierter Gehirne, wieviel auf
die bekannte Neigung der Trinker zur Lüge und wieviel endlich auf eine
wohl nicht ganz von der Hand zuweisende Verabredung unter den „Gemüt-
lichen" und Lohses sonstigen Freunden (in einem ihm günstigen und mög-
lichst übereinstimmenden Sinne auszusagen) kam, läßt sich natürlich nicht
feststellen. Die ganze Verhandlung bewies wieder einmal, wie schwierig
unter Umständen für Behörden und Richter Vorkommnisse festzustellen sind,
bei welchen der Alkohol sein Wesen getrieben hat."
Meinert.. (205) meint, die merkwürdige öffentliche Stellungnahme
hervorragender Ärzte und angesehener Universitätsprofessoren gegen die Ent-
haltsamkeitsbewegung sei eine spezifisch deutsche Erscheinung. Agent provo-
cateur sei ein Herr Arthur Kirchhoff, Redakteur ..der Wochenschrift „Das
Leben", der sich scheinbar harmlos an deutsche Arzte mit Anfragen über
die Wirkung des Alkohols heran mache, um die ihm passenden im Interesse
des Alkoholkapitals zu verwerten, denn sein Unternehmen ist mit Subvention
der Brauer errichtet. Natürlich geht es dabei gegen die „Enthaltsamkeit".
Diese zu bekämpfen warnen die dem Vorstande des Dresdner Bezirksvereins
gegen den Mißbrauch geistiger Getränke angehörenden Arzte. Nicht über
das Maß von Alkohol, das gesundheitsschädlich sei oder nicht, gelte es zu
XI 26 Kriminelle Anthropologie.
Streiten, sondern Wege zu finden, um die Volkskrankheit „Alkoholismus**
möglichst nachhaltig zu bekämpfen, das täten aber auch die Abstinenten, des-
halb mit ihnen, nicht gegen sie. Woodhead in England sieht im Alkohol
die Hauptursache der Entartung. Besonders, seitdem auch die Frauen zu
trinken angefangen, mache diese große Fortschritte. 1. würden immer mehr
Kinder mit defektem Nervensystem geboren, 2. litte die Fruchtbarkeit der
Frauen. Auch der berühmte Blinddarmoperateur König Eduards Sir
Frederick Treves hat sich öffentlich gegen den Alkohol ausgesprochen,
er nannte ihn schlankweg ein Gift. Bezüglich des Antialkoholunterrichts,
ist die Lehrbuchfrage, die in Amerika durch Miß Hunt und ihren Anhang
im radikalen Sinne (Alkohol ist Gift!) gelöst ist, derzeit in England noch
ebenso wie in Deutschland im Stadium unfruchtbarer Diskussion.
Alle Tropenkenner betonen, daß der Alkoholgenuß in den Tropen nur
ein mäßiger sein darf. Nach Emiu Pascha bestehen die vielverschrienen
Gefahren des Tropeuklimas eigentlich nur im Alkoholismus. Nach Meinert
(206) fallen diesem gerade die Deutschen im Ausland am allerersten anheim.
„Unsere jungen Kolonisten versumpfen häufig schon auf der Ausreise."*
Deutschtum und Trinken seien leider allenthalben unzertrennliche Begrifie.
Die deutschen studentischen Trinksitten sind kein unwichtiges Band für den
Tropenalkoholismus. Die hochentwickelte Gastfreundschaft in unseren
Kolonien übt häufig einen Zwang zum Trinken aus. Extraklubs werden
gegründet, in denen nach deutscher Art gezecht wird. Auch unsere Schutz-
truppe ist vom Alkoholismus angesteckt. Überall in den heißen Ländern
.nehmen die Psychosen der Europäer zu, in den französischen Kolonien die
folie morale tropicale, in den deutschen der „Tropenkoller". Pathologische
Impulsivität und krankhaft tiefgesunkene Ethik sind seine Hauptsymptome,
und der Alkoholismus ist das oberste ätiologische Moment. Dazu kommt^
daß schon in Europa moralisch minderwertige havarierte Individuen als
letzten Anker den Tropendienst ergreifen. Die Hauptursache des Koicoial-
alkoholismus ist der Mangel au ernster Beschäftigung, die Langeweile. In
der Arbeit liegt das Heil. Also fort mit den Kolonial-Sinekuren. Die
Kolonien sind nur haltbar, wenn alle nach tropischen und subtropischen
Ländern berufenen Beamten und Truppen zur Enthaltsamkeit Ton Alkohol
yerpflichtet werden.
Nach einer Schilderung des bekannten Vorganges der Befruchtung des
Eies durch die Samenzelle, der Kernteilung, der Beschaffenheit des Chro-
matins, von der sowohl die vererbten Eigenschaften wie die konstitutionelle
Gesundheit zunächst abhängen, der Vererbungsvorgänge usw. hebt Porel (88)
hervor, daß der Mensch leider infolge verschiedentlicher Vorurteile und
Aberglauben danach trachte, „die Produkte der schlechtesten Keime zu
konservieren und die der besten totschießen zu lassen oder zur Sterihtät zu
verurteilen". Dazu käme die ganz absurde menschliche Zuchtwahl und
endlich eine direkte Verschlechterung der Keime unserer Nachkommen, die
ein jeder in sich trage, — um eine zunehmende Entartung unserer Basse herbei-
zuführen. Von allen Protoplasmagiften, die die Keimzellen direkt verdürben,
sei nun der Alkohol das allergefährlichste. Hier kann nur ein Mittel radikal
helfen, die vollständige Verbannung des Alkohols als Genußmittel. Wie
gesagt wirkt der Alkohol a) durch Vergiftung der Keime, — dadurch siecht
unsere ganze arische Rasse geradezu mehr oder weniger an chronischem
Alkoholismus, — b) durch die Vergiftung des Individuums. Die Einwirkung
der Alkoholvergiftung auf das Geschlechtsleben des Individuums ist ein
ganz enormer. Shakespeare schrieb treffend: „der Trunk befördert
Buhlerei und dämpft sie zugleich. Er befördert das Verlangen und erschwert
Kriminelle Anthropologie. 1127
das Tun.^ Die Folgen der Alkoholwirknng sind in sexueller Beziehung:
große Vermehrung der venerischen Infektionen, Verführung beider Geschlechter
zu den schmutzigsten und unzweckmäßigsten sexuellen Verbindungen, Er-
zeugung minderwertiger Nachkommen, alle möglichen Roheiten beim Ge-
schlechtsakt oder infoige desselben, großer Vorschub der Prostitutionsgewohn-
heiten, Steigerung der Zahl der sexuellen Verbrechen in Verbindung mit den
tierischsten Eifersuchtsszenen, endlich mit allen diesen Dingen verbunden,
Lockerung der Familienbande. Viele Fälle von sexuellen Perversionen würden
direkt durch den Bausch erzeugt oder kämen nur während desselben zu-
stande. Für unsere Rassen haben die erwähnten Verhältnisse zur Folge:
eine Vermindenmg der Zahl der Geburten und dadurch der Nachkommen-
schaft, eine Herabsetzung der allgemeinen Leistungsfähigkeit der Individuen
und c) eine Entartung der Rasse durch die Keimschädigung. „Mit unseren
Trinksitten, unserer Verweichlichung, unserem Luxus und übertriebenen
Komfort, unserer Entartung überhaupt gehen wir einer sicheren Vernichtung
langsam entgegen." Alte Kulturrassen, die nur infolge von Stagnation zurück-
geblieben sind, erwachen, so besonders die Mongolen. Das nüchterne Japan
hat vor kurzem dem trinkenden Rußland eine Lektion erteilt. Werden nicht
alle Kräfte unserer Staaten dahin verwandt, das ganze Volk in Nüchternheit
sowie in der geistigen und körperlichen Arbeit zu erziehen, um so wieder
eine widerstandsfähige Rasse aufzubauen, so werden wir unterliegen. Von
den Japanern könnten wir in dieser Beziehung viel lernen, vielleicht soviel
und mehr, als sie von uns gelernt haben, von den Islamiten sollten wir das
Trinkverbot annehmen. Dann dürften wir noch mit einem gewissen Opti-
mismus in die Zukunft schauen können!
Rosenfeld (285) setzt auseinander, wie der Alkohol durch Betäubung
sehr schnell gewisse Hemmungen überwinde, die im nüchterneu Leben
manchen davon abhalten würden, sich der Prostitution in die Arme zu werfen.
Der Alkohol vermindere die Widerstandskraft beim Jüngling und beim Er-
fahrenen dem Trieb gegenüber, illegitimen Geschlechtsverkehr aufzusuchen,
und vermehre auf diese Weise die- Ansteckungsgelegenheiten. Die Alkohol-
wirkung verstärke die Infektionsgefahr bei der Beiwohnung sowohl durch
unzweckmäßig ausgeführten, als auch den verlängerten Akt und zugleich
durch die Vernachlässigung aller Vorsichtsmaßregeln seitens des Berauschten.
Der Alkoholismus erleichtert ferner die Verführung der Jungfrauen und
leiste so der Prostitution Vorschub. Der chronische Alkoholismus bewirke
auch das Auftreten einer schweren Form von Syphilis und femer von sonst
seltenen Spätfolgen der Syphilis, Paralyse, Rückenmarksschwindsucht, Aneu-
rysma der Körperschlagader. Endlich habe der Alkoholismus einen schwer
schädigenden Einfluß auf die Gesundheit der Deszendenz. Totgeburten,
Mißgeburten, verminderte Intelligenz und Verblödung seien häufig Folgen
des Alkoholismus. Äußerste Mäßigkeit im Alkoholgeuuß, am besten aber
die völlige Abstinenz vom Alkohol sei das erste Mittel zur Bekämpfung der
Geschlechtskrankheiten. Besonders wertvoll sei auch die Alkoholabstinenz
als eine bedeutende ethische Schulung, als eine Schulung der Enthaltsamkeit
überhaupt.
Nach einer Belehrung über die schlimmen Folgen des Alkoholismus
überhaupt kommt Rosenthal (286) darauf zu sprechen, wie häufig bei
jungen Leuten gerade die erste Bekanntschaft mit der Prostitution unter
dem Einfluß des Alkohols gemacht worden ist, wie sich überhaupt der
Alkohol bei Männern und Frauen als der vorzüglichste Helfershelfer zur
Unsittlichkeit bewährt. Verfasser betont dann, wie die Prostitution trotz
1128 Kriminelle Anthropologie.
der drakonischsten Strafen niemals auszurotten gewesen ist. Neben den
guten Eigenschaften würden die Geschöpfe dieser Erde stets Träger yod
Leidenschaften und Lastern sein, und man könne es fest aussprechen, daß,
solange nicht andere, höher entwickelte Wesen vorhanden sind, die üd-
moralität so wenig von dieser Erde verschwinden würde, wie der Mord, der
Diebstahl oder die Krankheit. Die Prostitution regelt sich nicht nach dem
Gesetz von Angebot und Nachfrage. In der Prostitution sei nur die
Korruption eines unvenneintlichen Naturtriebes gegeben, eines Bedürfnisses
nach Verbindung. Als Arzt müsse es Verfasser aussprechen, daß die Keusch-
heit oft nur eine Sache des Temperaments ist, und daß die Enthaltsamkeit
die Gesundheit unter Umständen auf das ernsteste geßihrden kann. Mit
Neisser gelange er zu dem Resultat, daß nicht nur der auf die Fort-
pflanzung bedachte Geschlechtsverkehr eine Berechtigung hat; „denn solange
die Folgen, die daraus entstehen, von beiden Teilen getragen werden, so
lange eine Schädigung eines Dritten nicht erfolgt, kann er nicht als etwas
Verwerfliches angesehen werden, der so vielen großen Geistern im Laufe
der Zeit die Quelle des irdischen Glücks und die Ursache und Anregung
zu begeistertem, wirkungsvollstem Schaffen geworden ist." Daß gleiches Recht
für beide Geschlechter in sexueller Beziehung zur Geltung kommen könnte,
hält Verfasser nicht für möglich, „da die physiologischen Verhältnisse beim
Mann und bei der Frau doch ganz verschiedener Art sind". Eher als die
Männer die Enthaltsamkeit lernten, würden dann die Frauen das Recht des
Geschlechtsverkehrs vor der Ehe auch für sich in Anspruch nehmen!
Wälirend das prostuierte, das ist das sich gegen Entgeld hingebende Weib,
mit dem Verkauf ihres Körpers meist ihr ganzes Leben ausfülle, schließe
der Mann, der zu einer Prostuierten geht, — im aligemeinen gesprochen —
nur auf kurze Augenblicke einen Handel ab, ohne sonst auf eine moraUsch
tiefere Stufe zu sinken und in der überwiegenden Mehrzahl ein Leben
voller Ernst und Arbeit zu führen. Da der Geschlechtstrieb physiologisch
sei, könne man auch das Akquirieren einer Geschlechtskrankheit weder als
ein Zeichen von Laster noch als eine verdiente Strafe ansehen, sondern nur
als ein Unglück. Der Alkoholismus nun sei ein wesentlicher Faktor der
Prostitution, ohne daß man sagen könne, ohne Alkohol gebe es keine Pro-
stitution und keine Geschlechtskrankheiten.
Wie der Alkoholismus zur Prostitution, so fülire die Prostitution
wieder zum Alkoholismus. Die Prostituierten gebrauchen die Alkohol-
umnebelung als Betäubungsmittel ihrem schmachvollen Leben gegenüber.
Die Bordelle, die hygienisch kaum etwas nützten, da sie keineswegs Einfluß
hätten auf die Ausbreitung der geheimen Prostitution, besonders in den
großen Städten, seien nicht nur Tempel der Venus, sondern auch des Bacchus.
Durch den Verkauf von meist verfälschten Alkoholicis werde der Bordelwirt am
ehesten reich. Ferner seien in den Animierkneipen die Kellnerinnen geradezu
auf den Massenkonsum von Alkohol angewiesen, ähnlich wie manche schlecht-
bezahlte Schauspielerinnen auf die Prostitution. Die schmählichste Frucht
von Prostitution und Alkoholismus sei aber das Zuhältertum, aus dem sich
Tagediebe, Spieler, Verbrecher und Mörder rekrutierten. Alkohol zusammen
mit moralischen und perversen Ausschreitungen vermehren femer die Zahl
der geistigen Erkrankungen. Besonders nehme die progressive Paralyse bei
den Männern und den Prostituierten immer mehr zu auf dem Boden des
Alkoholismus, der Syphilis, der modernen VielgeschäftUchkeit und des
hastigen Wettbewerbes mit Überarbeitung des Gehirns in der heutigen
Gesellschaft. Die Geschlechtskrankheiten sind furchtbar verbreitet. Nach
Blaschko würden in einer Großstadt wie Berlin von den Männern, die
Kriminelle Anthropologie. 1129
Über 30 Jahre alt in die Ehe treten, jeder 2 mal Gonorrhöe gehabt haben
und jeder 4. und 5. syphilitisch sein.
Die Gonorrhöe schädigt besonders das weibliche Geschlecht und macht
die Ehen häufig steril. Der Alkohol macht nun die Männer in ihrer Aus-
wahl und in ihren hygienischen Maßnahmen besonders unvorsichtig. Der
angesteckte Alkoholiker achtet auch weniger auf seinen Körper; deshalb
sieht man gerade bei solchen oft besonders schwere und vernachlässigte
Formen der Geschlechtskrankheiten. Die ungewöhnliche Intensität, Ex-
tensität und Dauer aller Erscheinungen der Syphilis bei einem Befallenen
ist gewöhnlich das Siegel des Alkoholismus, ebenso oft eine heftigere und
frühzeitigere Erkrankung des Zentralnervensystems. Deshalb zuforderst
gegen den Alkohol! Andererseits nicht den Mut verlieren! Die Geschlechts-
krankheiten sind heilbar! Zu erstreben ist eine Assanierung der Prostitution,
Aufklärung der Jugend und Einrichtung von spezialistischen Kranken-
abteilungen, in denen jedem Kranken unentgeltliche Aufnahme gewährt
wird, wie es die verdienstvolle deutsche und die Internationale Gesellschaft
zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten propagiert.'
Schwarz (298), der auf dem Boden der totalen Alkoholabstinenz
steht, kann trotz so vieler Versicherungen des Wohlwollens staatlicher Be-
hörden den Bestrebungen der Alkoholgegner gegenüber nicht recht an den
Ernst des Staates glauben, den Alkoholkonsum wirkUch einschränken zu
wollen. Der Staat mit seinen bedeutenden Machtmitteln, mit seinem
kolossalen Beamtenheer, seiner schwer in die Wagschale fallenden Autorität
müßte sonst schon vielmehr in dieser Beziehung erreicht haben. Aber von
wirklich durchgreifendem staatlichem Vorgehen findet man keine Spur.
„Nein. Der Staat hat bisher außer den höchst platonischen Zustimmungs-
kundgebungen nichts getan und wird auch in Zukunft schwerlich etwas
anderes tun. Ich habe noch nie gehört, daß der Staat gerade die Henne
abschlachten ließe, welche die goldenen Eier legt. Und die Steuer auf
alkoholhaltige Getränke ist die goldene Eier legende Henne. Ist überhaupt
anzunehmen, daß der Staat auf eine jährlich viele Millionen eintragende
Steuer verzichten wird?^ Die Besteuerung des Alkohols hat nur den einen
Zweck, dem Staate ein größeres Einkommen zu sichern, dabei soll die
Spiritusindustrie von den Leiden der Überproduktion befreit werden, und
als weiteres Ziel schwebt der Gesetzgebung die Entwicklung der land-
wirtschaftlichen Industrie vor. Professor Gruber sagt darüber: „Große
und mächtige Gesellschaftsklassen haben bedeutende Kapitalien iu Spiritus-
brennereien investiert, ein großer Teil des Landbaues dient der Branntwein-
produktion, die Existenz von Tausenden von Branntweinschänkern hängt
daran, daß das Gift der Bevölkerung in ungeschwächtem Strome eingeflößt
wird. Alle diese Kreise würden ihren ganzen Einfluß dagegen aufbieten,
wenn es mit der Einschränkung des Verbrauches ernst würde. Die Gefahr,
daß auch die Staatsverwaltung als Teilnehmer am Gewinne wenig Eifer
zeigen könnte, wurde schon angedeutet." Man kann eben nicht zu gleicher
Zeit die ethischen Ziele, die Volksgesundheit anstreben, wenn man anderer-
seits alles tut, um möglichst viel Profit aus der Schnaps - Bier -W ein -
Produktion herauszupressen. Den Kampf gegen den Alkohol hat heute also
jeder einzelne zu führen. Die endgültige Vernichtung des völkermordenden
Alkoholismus erwartet Verfasser aber von der organisierten Arbeiterschaft
durch ihre große Einwirkung auf die Volksmasse. Daß die richtige Er-
kenntnis von der „zufriedenmachenden", benebelnden Alkoholwirkung unter
den Arbeitern schon zu erwachen beginnt, beweist eine auf dem vorjährigen
Parteitag der deutschen Sozialdemokratie angenommene, gegen den Alko-
2130 Kriminelle Anthropologie.
holismus gerichtete Resolation, beweist auch die fruchtbare Antialkohol-
propaganda des belgischen sozialdemokratischeu Führers Vandervelde, der
die markigen Worte geprägt hat: „Die allein werden würdig sein, die Welt
zu regieren, die gelernt haben, sich selbst zu beherrschen."
Hellwig (122) bringt einen kleinen Beitrag zur Psychologie der Aus-
sage. Er schildert, wie er an sich selbst die Erfahrung gemacht hat, daß
er felsenfest von der in seiner Gegenwart stattgehabten Vernehmung eines
Zeugen überzeugt war, während er in Wirklichkeit die entsprechenden Aus-
sagen nur aus den vor ca. 2 Wochen studierten Akten kannte. Er als
kritisch erzogener Manu würde trotz seiner festen Überzeugung eine even-
tuelle Aussage hierüber nur in der Überzeugungsform getan haben. „Denkt
man nun aber an das Durchschnittsniveau der Zeugen, so wird man zu-
gestehen müssen, daß insbesondere bei lebhaften, phantasiereichen Personen
ein solcher Irrtum vorkommen kann, ohne daß der Zeuge an die Möglichkeit
eines Irrtums denkt, ja, vermöge seiner ganzen Veranlagung auch nur denken
kann." Das Delikt des fahrlässigen Falscheides wird infolge der fehlenden
psychologischen Vorbildung der großen Mehrzahl unserer Richter oft geradezu
„fabelhaft fahrlässig als vorhanden angenommen". Hoflfentlich werde dieses
Delikt in das künftige deutsche Strafgesetzbuch überhaupt nicht wieder auf-
genommen.
In dem Aufsatz: „Zur Verhütung von Meineiden" schlägt Hellwig
vor, systematisch Bemerkungen über das Gebahren von Schwörenden zu
sammeln, da dadurch vielleicht gewisse abergläubische Gebräuche, die die
Folgen des Meineides abwehren sollen, aufgedeckt werden könnten. Solche
Gebräuche, die sich vor allem in gewissen Arm- und Handstellungen beim
Schwören ausdrücken, seien bei verschiedenen Volksgruppen verschieden.
Die Kenntnis dieser abergläubischen Handlungen werde gewiß den Richter
öfter in den Stand setzen, einen eventuellen Meineid zu verhüten.
Eine weitere Mitteilung Hellwigs zeigt an dem Beispiel zweier sich
entgegenstehenden Aussagen von Frauen über den Eigentümer eines gestohlenen
Hemdes, das beide an einem charakteristischen geflickten Riß wiedererkennen
wollten — keine von ihnen hatte ein Interesse daran, falsch auszusagen und
falsch zu schwören — , daß eine von beiden sich gutgläubig geirrt haben
muß. Wie vorsichtig muß also der Richter bei Bewertung einer Zeugen-
aussage sein!
Es war vorauszusehen, daß der unglückselige Weininger nicht trotz,
sondern gerade wegen seiner pathologischen Persönlichkeit suggestiv, ja fast
hypnotisch auf eine ganze Schar von Anhängern wirken würde. Im Märchen
verlockt ja gerade das Irrlicht den wundersüchtigen Wanderer in dunkles
Gestrüpp und tiefen Sumpf. Man kann es bedauern, muß sich aber eben
mit der oft so verderblichen Suggestivkraft abnormer Geister auf mystische
Gemüter als eine unabänderliche Tatsache abfinden. Auch Lnoka (1B6)
ist so ein Bewunderer des Irrlichts Weininger, wenn er auch nicht zu den
ganz blinden gehört. In seinem Kommentar zu Weiningers Büchern spricht
er wohl in höchsten Superlativen von seinem Freund als „Regenerator einer
großen idealistischen Weltanschauung", ja sogar von dem „unsterblichen
Gehalt" in Weiningers Werken; trotzdem gesteht er, wenn auch nicht gern,
zu, daß Weninger seine sexuellen Typen M. (Mann) und W. (Weib), die er
als Grundlage für den Schwall seiner unausgegorenen Gedanken benutzt,
erst selbst „konstruiert" hat; und selbst einem Lucka hat es Meininger
nicht hinlänglich einleuchtend gemacht, daß dem Typus M. auch wirklich
alle die guten Qualitäten, dem Typus W. die schlechten beizulegen seien.
Es sei ,,zu mindest willkürlich, wenn nicht falsch, das auf die wirklichen
Kriminelle Anthropologie. 1131
Männer und Frauen zu übertragen, was seine Typen konstituieren sollen".
Damit fallt aber das ganze phantastische Kartenhaus der Weiningerschen
Weltanschauung zusammen. Statt das einzugestehen, meint Lucka naiv:
.,Hat Weininger Fehler gemacht, so müssen sie eben verbessert werden**.
Auf 80 schwachen Füßen steht also auch diese relativ objektive Verteidigung
Weiningers! Der Verf. hätte sich also ja nicht den Hochmut Weiningers,
der alle nicht extremen Dualisten für Dummköpfe erklärt, zu eigen machen
sollen! Teilt Lucka uns doch selbst den schon aas der Selbstentlcibung
Weiningers zu schließenden philosophischen Bankrott seines Schützlings
noch ausdrücklich mit, indem er dessen letzte Gedanken also schildert: „Es
gibt kein Ich, es gibt keine Seele*'. — also der krasseste Widerspruch zu
seinem M.-Prinzip. Aber auch „nicht eine Minute in seinem Leben" war
Weininger „geistesgestört", das könne auch der Laie (!) feststellen. Was
war es also dann mit Weiningers Philosophie?! Daß aber die Möbiusschen
Widersprüche noch von Lucka festgenagelt werden, hat mich gefreut. Die
Sünden der (geistigen) Väter rächen sich an ihnen und ihren Kindern.
Laurent (168) teilt seine in den Gefängnissen und Irrenhäusern von
Indien und Birma gesammelten Erfahrungen in einer leider etwas stark
dilettantenhaften Weise mit. Besonders Merkwürdiges hat er kaum beob-
achtet. Im allgemeinen finden sich nur recht wenig Schwerverbrecher als
Insassen der wie es scheint recht gut gehaltenen Gefangnisse. Uns über-
raschen die drakonischen englischen Gesetze, die den Nationaleigentümlich-
keiten der Eingeborenen gar keine Beachtung zu schenken scheinen. Das
gilt ganz besonders bei Bestrafung wegen Kuppelei; es wird eben hier nicht
mit der Tatsache gerechnet, daß die Stellung des Weibes eine ganz andere
ist als im englischen Mutterlande selbst. Mord, schwerer Diebstahl, Haus-
friedensbruch, gegen Europäer gerichtete Verbrechen sind bei der natürlichen
Zaghaftigkeit und Ängstlichkeit des Hindu recht seltene ßeate. Anders bei
den Birmanern, die eine weit größere Aktivität zur Schau zu tragen pflegen.
Affektverbrecher findet man noch am zahlreichsten unter den Mohammedanern,
die eben durch den Islam eine selbständigere Lebensbetätigung erhalten
haben. Die Zahl der kriminell gewordenen Frauen ist sehr gering.
Das Kapitel über die Geisteskrankheiten ist noch dürftiger ausgefallen.
Bei den Hindus soll man nur relativ wenige erregte Kranke finden im
Gegensatz zu den Birmanern. Der Unterschied wird vom Autor durch die
Verschiedenheit im Inhalt und in der Form der religiösen Vorstellungen
begründet. Alkoholismus kommt nicht vor, über postsyphilitische Erkrankungen
erfahren wir nichts. (Merzbacher,)
Wenn man auch zugeben muß, daß die Absicht, die Znccarelli (340)
bewegte, als er sich zur Herausgabe der vorliegenden Untersuchungen ent-
schloß, eine recht gute sein mochte, so erscheint doch die Realisierung dieses
Unternehmens als eine recht eigentümliche. Wir können uns des Eindruckes
nicht erwehren, daß hier Eitelkeit und Reklamesucht sich paarten mit dem
Wunsche, recht fleißige und emsig betriebene Erfahrungen an das Publikum
zu bringen. Die ernste Einleitung, der ein Vorwort von Benedikt und
Morselli vorausgeht, hätte Besseres erwarten lassen. In dieser Einleitung
bekennt sich Zuccarelli als Anhänger der positivistischen Schule, umgrenzt
das Feld, das der Kriminal-Anthropologie unter den übrigen Wissenschaften
zukonunt, bespracht die zahlreichen Beziehungen zu anderen Hilfswissen-
schaften, betont die Notwendigkeit eines systematisch betriebenen Studiums
der Kriminal-Anthropologie und präzisiert den eigenen Standpunkt in der
Auffassung des Verbrechers als eines degenerierten und durch besondere
Kennzeichen ausgezeichneten Individuums. In dem Bestreben, diese be-
X132 ErimiDelle Anthropologie.
sonderen Kennzeichen zu demonstrieren, beginnt nun der Verf., eine Unmenge
von Anomalien aufzuzählen, zunächst im Skelette des Verbrechers. Wenn
nun mit derselben Gründlichkeit die übrigen Körperteile zur Sprache kommen
sollen, so ist das Ende im Erscheinen der Hefte nicht abzusehen ; wenn aber
der Autor fortfährt, die Aufzählung in der bis jetzt geübten Weise fort-
zusetzen, so gibt er uns nur lediglich ein fleißig zusammengestelltes Ver-
zeichnis aller möglichen anatomischen Anomalien, die sich eben auch an
Menschen finden können, die Verbrecher sind; diese Möglichkeit wird wohl
niemand abgestritten haben. Den Beweis aber, daß alle die Zeichen mit
besonderer Häufigkeit gerade bei Verbrechern vorkommen und die Bedeutung
dieser Signale bleibt uns der Autor bis jetzt schuldig. Die Umschlageseiten
der Hefte sind ausgefüllt mit günstigen Kezensionen- über das unternehmen,
mit Entschuldigungsschreiben über Verspätung im Erscheinen der Hefte,
über Abonnementserleichteruugen und ähnliche Dinge, die recht unangenehm
auf uns wirken müssen. Der kasuistische Beitrag enthält mangelhafte
Elrankengeschichten, die beigefügten Abbildungen sind recht dürftig und zum
Teil recht tendenziös. (Merzbacher,)
Ortiz (246) bespricht in einer kleinen Mitteilung die Kriminalität der
Neger auf Kuba. Es steht ihm nur dürftiges statistisches Material zur Ver-
fügung. Sicher kann jedoch die Präponderanz des Verbrechens bei den
Schwarzen im Gegensatz zu den Weißen festgestellt werden. Unter den
Mischlingen finden sich mehr Verbrecher als unter den Negern; unter
letzteren kamen früher Verbrechen unter den freien Negern mehr vor als
unter den Sklaven. Schwere Delikte sind bei den Schwarzen zahlreicher
als bei Mischlingen und Weißen.
Einen besonderen Verbrechertypus stellt der schwarze Zauberer dar,
der vor Raub und Mord nicht zurückscheut. Er handelt aber häufig bona
fide, auf Grund des althergestammten Aberglaubens und Beminiszenzen
aus dem Götzendienst. Hier haben wir zwar sozial einen „delinquente nato^
vor uns, der aber nicht durch „Atavismus" wieder zum Verbrecher wird,
sondern durch ein Stehenbleiben auf seiner primitiven Kultur; er ist eben
in eine fortgeschrittene Kultur hineinversetzt worden, ohne persönlich mit
derselben weitergewandert zu sein. {Merzbaeher.)
De Blasio (28) hat an 4000 Neapolitanern und zwar an je 1000
männlichen und weiblichen normalen Individuen und Verbrechern die Form des
äußeren Ohres beobachtet und in 18 Figuren wiedergegeben. Er kommt zu dem
Schlüsse, daß bei den degenerierten Individuen abnorme Formen weit häufiger
sind als bei den normalen, und wieder bei den Frauen häufiger als bei den
Männern. Die Abnormität der Ohrmuschel nimmt die verschiedenartigste
Form an. (Merzbaeker,)
Lombroso (185 a) glaubt einen internationalen Dieb als Simulanten
entlarvt zu haben. Die Gründe, die ihn zu dieser Annahme berechtigen
könnten, erscheinen uns durchaus nicht stichhaltig. Es handelt sich um ein
Individuum, das bereits früher zwei Monate im Irrenhaus gewesen ist und
zuletzt überall herumgereist war. Zur Zeit spricht er nicht mit seinen Ge-
nossen, ist abweisend, abstiniert, reagiert auf starke schmerzerzeugende Reize
scheinbar nicht, produziert Größenideen. Auf der anderen Seite spricht
er äußerst gewandt, wenn angeregt in fremden Sprachen. Lombroso meint
nun, daß ein Mensch, der eine „akute Demenz*' zeigt, nicht im stände sein
sollte, fremde Sprachen in der Weise zu beherrschen, wie es hier geschieht,
da gerade die zuletzt erworbenen Kenntnisse verloren gehen müßten, und
daß ferner ein so sprachbefähigter Mensch nicht außer stände sein dürfte,
das Dynamometer zu hantieren und sich das Gesichtsfeld prüfen zu lassen,
Kifiminelle Anthropologie. 1133
was bei diesem Individuum der Fall war. Wir sind UDfähig, einer solchen
Argumentation zn folgen! (Merzbacher.)
2. Belsteskranke Verbrecher. Psychisch Minderwertige.
Unter den 1846 männlichen Verbrechern, welche Geill (101) als Arzt
der Kopenhagener Untersuchungsgefängnisse in den Jahren 1898 — 1901
systematisch untersuchte, waren 116 wegen Sittlichkeitsverbrechen verurteilt.
Davon waren 84 zwischen 20 und 40 Jahre alt, darunter 6, darüber 26.
Im ganzen waren von den 116 Personen 97 einmal, 10 zweimal, 6 dreimal,
1 fünfmal, 1 siebenmal und 1 achtmal wegen Sittlichkeitsverbrechen bestraft.
Von 10 Exhibitionisten wurden später 1 zweimal, 1 viermal und 2 sechsmal
wegen Ezhibition bestraft.
Verfasser gibt dann die Körperhöhe und die Kopfmaße der betreffenden
Verbrecher. Von allen 1845 Verbrechern waren 9,21 7o unehelich geboren,
von den 116 Sittlichkeitsverbrechern 14,66 ^L, Alkoholismus in der
Aszendenz fand Geill für die Sittlichkeitsverbrecher 36,61 %, Geistes-
und Nervenkrankheiten 18,68 %, oder wenn man die zweite Generation mit-
nimmt^ 20,66 7o, Tuberkulose 18,68 \ und Krebs 8,41 7<,. Nun war es
aber öfter so, daß ein Verbrecher zwei von diesen Krankheitsarten in seiner
Abstammung hatte (siehe die Tabelle in der Originalarbeit). Die 116 Ver-
brecher hatten öfter ein oder mehrere Brüder oder Schwestern, die trunk-
süchtig, geisteskrank oder schwach oder nervenkrank waren. 24,14 ^j^ der
116 waren psychisch minderwertig, nämlich 4 imbezill, 4 epileptisch,
1 hysterisch, 11 neurasthenisch, 4 einfach psychisch degeneriert und 4 leicht
dement 60 % von den 28 psychisch Minderwertigen waren chronische
Alkoholisten. Degenerationszeichen und körperliche, darunter auch venerische
Krankheiten waren reichlich bei den 116 vertreten (Verfasser gibt auch hier
Prozentzahlen). Zur Zeit des ersten Sittlichkeitsverbrechens waren 67 =
49,14 7o trunksüchtig. 38 von diesen waren im Augenblick der Tat be-
rauscht. Aber auch 19 (16,38 %) von den 69 nicht Trunksüchtigen waren
im Augenblick der Tat berauscht. Im ganzen mußte also der Alkohol bei
76 (65,62 \) als mitwirkende oder hervorrufende Ursache des Sittlichkeits-
verbrechens angegeben werden. Bei den 19 Verbrechern, die sich an Er-
wachsenen vergriffen, hatte der Alkohol sogar bei 18, also bei 94,73 \ mit-
gewirkt. Man sieht hieraus, welche gewaltige Rolle der Alkohol auch bei
der Provokation der Sittlichkeitsverbrechen spielt.
Evans (75) macht darauf aufmerksam, daß gerade bei Epileptikern
Grenzzustände zwischen normalem und anormalem Bewußtsein vorkommen,
die es besonders für den Laien sehr schwierig machen können, die Taten
der Epileptischen forensisch richtig zu bewerten. Er teilt als Beispiel dafür
den Fall eines 24 jährigen Latinoamerikaners aus Jamaika mit, der einige
Wochen nach seiner Verheiratung den Wächter eines Klubs, mit dem er
in Wortwechsel kam, mit einem Feuerhaken niederschlug. Er wurde zum
Galgen verurteilt, das Urteil dann aber nicht vollstreckt, da sich heraus-
stellte, daß man es mit einem schwer belasteten Epileptiker zu tun hatte
und dadurch eine ihm erst nicht geglaubte Erinnemngslosigkeit für seine
Tat sehr wahrscheinlich wurde. Man sieht hier, wie ungerecht eine mit
Schnellzugsgeschwindigkeit erfolgte Verurteilung der Tat ohne genaue Unter-
suchung der Persönlichkeit des Mörders sein kann.
Ein zweiter Fall, der die Oberflächlichkeit der Rechtsprechung illu-
strieren soll, ist der der Miß X. y., 28 Jahre alt, die im Sommer 1903
ihren Geliebten in einem Anfall von Eifersucht zu töten versuchte. Auch
1134 Kriminelle Anthropologie.
sie stellte nach Meinung des Verfassers einen Grenzfall des epileptischen
Typus dar. Sie stach ihren Verlobten ins Herz und nur eine fast wunder-
bare Operation, die Naht des Myokardiums, rettete ihn vom Tode und sie
von der Verurteilung zum Tode. Der Erfolg der Operation entschied also
auch über ihr Leben. Wie ungerecht! Nach der Genesung ihres Opfers
fand sie seine Verzeihung und beide heirateten sich.
Verfasser zieht aus seinen Fällen folgende Schlüsse:
1. Ein Verbrechen liegt nur vor, wo die Fähigkeit zu wollen oder
nicht zu wollen ungetrübt erhalten ist.
2. Es gibt keine einem Verbrechen wirklich angemessene Strafe. Das
Verbrechen ist möglichst durch Prophylaxe zu verhindern.
3. Die Opfer von Epileptischen sollten Schadenersatz von der All-
gemeinheit und von denen, die die Epileptiker zu bewahren haben, zu fordern
berechtigt sein.
4. Man sollte Beservationen für Degenerierte und Moral-Insane ein-
richten, wo diese richtig behandelt und nützlich beschäftigt werden könnten.
6. Man sollte die Verheiratung von Neuropathen gesetzlich regulieren,
um möglichst eine belastete Nachkommenschaft zu verhindern.
6. Allen Epileptikern muß man stete mißtrauen. Viele Sonderlinge
und falsche Reformer sind Epileptiker mit Äquivalenten. Solche Leute mit
verschleierten epileptischen Zuständen sind gefahrlicher als die mit Haupt-
formen der Epilepsie behafteten.
P., über den Glos (105) berichtet, ist wegen Verbrechens der
öffentlichen Gewalttätigkeit, Sach- und Körperbeschädigung wiederholt und
empfindlich abgestraft. Er zeigt das typische Bild eines erblich belasteten,
moralisch und intellektuell schwachsinnigen chronischen AlkohoUsten, der
stets ein unstetes, von Raufereien ausgefülltes Leben geführt hat. Seine
gewalttätigen Handlungen beging er nach dem Gutachten der Irrenärzte
meist im pathologischen Rauschzustande. Auch delirium-tremensartige Zu-
stände wurden bei ihm beobachtet. Wiederholt wurde deshalb das Straf-
verfahren gegen ihn eingestellt. Wiederholt befand er sich auch eine Zeit
lang in Irrenanstalten, unter Kuratel war er ebenfalls einige Zeit gebracht
worden. Aber bei der zwangsweisen Abstinenz anscheinend geheilt, ent-
fielen allemal die Gründe, ihn länger interniert zu halten, ja sogar die
Kuratel wurde wieder aufgehoben. So immer wieder zum Trünke zugelassen
und auf die Menschheit losgelassen, konnte er straflos immer von neuem
seine Roheitsverbrechen begehen, eine traurige Illustration unserer heutigen
Behandlung gemeingefährlicher Subjekte.
Die vom Strafanstaltspfarrer Jäger (139) veröffentlichten Papiere eines
Verbrechers K. G. sind einfach phänomenal. Man begreift kaum, wie es
möglich war, daß ein nur 39 Jahre alt Gewordener, in der Volksschule und
dann nur noch einige Monate in der Lateinklasse Vorgebildeter, dann der
Landstreicheroi Anheimgefallener und zusammen 6 Jahre im Zuchthaus,
3 Jahre im Gefängnis und 1 Jahr 4 Monate im Arbeitehaus interniert
Gewesener imstande war, einen solchen Reichtum an Kenntnissen, besonders
in der Literatur, sich anzueignen und solche Gedanken zu produzieren, wie
sie diese Papiere bieten. Zwar fehlt diesen Äußerungen öfter naturgemäß
das objektive und logische Fundament, dafür ist aber gerade das Subjektive
der Angaben über sich selbst und die umgebende Welt von einem kaum
überschätzbaren psychologischen Wert. Allerdings darf man nicht vergessen,
daß man es hier sicher mit einem Ausnahmemenschen zu tun hat, und muß
sich hüten, die Darstellung des K. G. auch flir die Mehrzahl der übrigeo
Gewohnheiteverbrecher zu verallgemeinern. Auch ist ein Posieren in seinen
Eriminelle Anthropologie. 1135
Au&eichnuDgen, besonders in den mitgeteilten Briefen, nicht zu verkennen.
Natürlich entschuldigt er sein Verkommensein mit dem ,.milieu", daß ihn
Yon Jugend an umgeben. Er vergißt, daß unendlich viel Menschenkinder
in ebensolchem, ja noch schlechterem Milieu, wie er seines schildert, auf-
gewachsen sind und doch keine Stromer oder gar Verbrecher wurden, daß
also ein nicht genug zu bewunderndes großes Maß von Redlichkeit und
ßechtsgefühl auch bei der großen Masse der Armen schon in der Anlage
da sein muß, da man sich sonst nicht.. würde vor Verbrechen und Revo-
lutionen retten können. Wie oft legen Ärmste in höchster Not lieber Hand
an sich selbst, als daß sie sich an dem aufreizend kontrastierenden Luxus
der verhältnismäßig geringen Zahl der Bemittelten vergriffen ! Also mit dem
Miheu allein ist es trotz des K. G. nichts. Es muß noch der entsprechende
Charakter dazukommen, und der ist trotz allen Raisonnements K. G.'s an-
geboren. Gewiß gibt es Individuen, wo die Neigung des Charakters zum
Guten oder Schlimmen gerade im labilen Gleichgewicht steht, und hier kann
gütige Hilfe und Erziehung noch den Ausschlag zum Guten geben. Viel-
leicht war K. G. ein solcher Charakter, ich sage nui- „vielleicht", weil ein
solcher Charakter in seinen tiefsten Herzensergüssen wahr sein wird. Bei
K. G. scheint mir aber die wahre Selbsterkenntnis öfter zu Gunsten einer
eitlen Pose zurückzutreten. Er kokettiert zu viel mit seiner Verstandes-
philosophie und mit seinem Mangel an Sentimentalität. Da es aber sicher
Menschen mit dem geschilderten labilen Charakter gibt, bleiben seine er-
schütternden Anklagen gegen die engherzige Gesellschaft, die den zum ersten
Male verbrecherisch Gewordenen von da an selbstgerecht immer wieder ins
Elend zurückstößt, nur allzuwahr. „Die Strafe entsühnt nicht, sondern ver-
fehmt", ruft K. G. aus. Wie mancher Strafentlassene sage: „Wir sollten
nochmal einen guten Zug tun wollen, die man uns ostentativ nebenausstellt? —
Daß wir Narren wären!" — „Deshalb weg mit dem bestehenden Ausnahme-
zustand gegen entlassene Sträflinge, der ja auch unmoralisch und unchristlich
ist!" In diesen Ruf stimmen wir von Herzen mit ihm ein.
An der Hand eines wirklichen Vorkommnisses bespricht Kiemail (153)
die Frage, ob eine Lebensversicherungspolize auch an den Mörder des Ver-
sicherten, zu dessen Gunsten sie lautet, ausgezahlt werden muß oder nicht,
wenn der Mord die Tat eines Geisteskranken war. Ein gewisser Paul Holtz
hatte im Verfolgungswahn seinen Vater getötet. Holtz war erblich belastet
und bot eine Mischung von Hebephrenie mit einem unvollkommenen Wahn-
system und mit unregelmäßig und selten auftretenden epileptischen Zuständen.
Er kam ins Irrenhaus. Der Richter Josse Holdom, als sein Vermögeus-
verwalter, verlangte die Auszahlung der auf H. lautenden Polize von 2000
Dollars. Die Gesellschaft verweigerte die Auszahlung. Richterlich wurde
aber dem Holtz das Geld zugesprochen. Das Appellgericht sprach es ihm
wieder ab. Der oberste Gerichtshof jedoch entschied wieder für Holtz, da
er die Tat ja in unzurechnungsfähigem Zustand begangen hätte. Der Ver-
treter der Gesellschaft berief sich darauf, daß zivilrechtlich ein Geisteskranker
geradeso gestellt sei wie ein Normaler. Die öffentliche Meinung sei sicher
dagegen, daß ein Wahnsinniger durch seine eigene wahnsinnige Tat profitiere.
— Ein Normaler würde natürlich das Recht auf die Polize durch seine ver-
brecherische Tat verlieren. Bei Geisteskranken geht die allgemeine Lehre
dahin, daß sie wohl nicht kriminell verantwortlich sind, wohl aber ver-
antwortlich für angerichteten Schaden nach dem Grundsatz, daß wenn ein
Schaden auf zwei gleich unschuldige Personen fällt, er von dem getragen
werden muß, der ihn verursacht hat. Das hat aber nichts mit der Frage
bezüglich der Haftbarkeit einer Versicherungsgesellschaft zu tun. Fehlen
1X36 Kriminelle ADthropologie.
besondere Abmachungen für solche Fälle, so hat sie eben, wie es ja aach
bei der Feuerversicherung schon öfter entschieden wurde, gegen Zahlung
der Versicherungsbeträge jedes Risiko übernommen. Die Gesellschaft ist
also nicht eine von den beiden unschuldig geschädigten. Sie hat, sobald
sie nicht vorsätzlich geschädigt wurde, zu zahlen ihrem Kontrakt gemäß.
Ist doch sogar Entziehung des Eigentums wegen Verbrechens unbekaunt.
Auch das Erbrecht wird durch Ermordung der Erblasser nicht beeinträchtigte
Gegen solche Fälle können sich die Versicherungsgesellschaften nur durch
kontraktliche Sonderbestinmiungen sicher stellen.
Kornfeld (161) berichtet: am 2. November 1904 wurde der Polizei
in Z. telephonisch angezeigt, daß eine Frau vormittags ein Kind ins B.er
Wasser geworfen habe. Zwei in der Nähe beschäftigte Handlangerinnen
wollten es gesehen haben. Ein Knabe, der das ins Wasser geworfene Paket
mit herausfischte, behauptete, aus der umhüllenden Schürze habe ein Kinder-
kopf, der ihm aber wieder ins Wasser gerutscht sei, hervorgeragt. Es stellte
sich heraus, daß eine Frau L. eine weiß und blaugefärbte Schürze ins Wasser
geworfen hatte, um so auf Rat einer polnischen Bettlerin ihre Nervosität
loszuwerden. Ein Kind hatte sie seit 9 Jahren nicht geboren. Die den
besseren Ständen angehörende Frau hatte also nach dem vielfach in dortiger
Gegend bestehenden Aberglauben gehandelt, daß nämlich jemand, der sein
Leiden loswerden will, eine Schürze am Tage Allerseelen ins fließende
Wasser werfen muß. Die Untersuchung wurde niedergeschlagen.
Ledenig (171) fuhrt drastisch ror Augen, welche Wirkung auf präde-
stinierte Menschen Veröffentlichungen von Straffällen haben können. Es
handelt sich um eine Reihe in relativ kurzer Zeit hintereinander erfolgter
Verbrechen der Münzverfälschungen, die dadurch in Zusammenhang standen,
daß die Münzverbrecher aussagten, sie seien durch die Zeitungsberichte über
die allemal vorhergehenden Fälle erst darauf gekommen, es auch einmal zu
versuchen, falsche Münzen zu machen. (Und das nennt man Abschreckungs-
wirkung der Strafen! D. B«f.)
Ein „auffallend wenig anstelliges^' 16jähriges Dienstmädchen, so berichte
Bercio (19), das alles Gedruckte mit Heißhunger verschlang, verliebte sich
unglücklich in einen Gelbgießei^esellen. Im Sonuner 1904 wurde sie eines
Tages vermißt. Auf dem Küchentisch fand man ein Heft mit von ihr selbst
verfaßten, teilweise nicht ganz ungeschickten Gedichten, alle melancholischen
Charakters, darunter auch eins: „Die Selbstmörderin". Eine Notiz besagte:
„Suchet mich nicht, denn nur der Tod kann mir den ersehnten Frieden
wiedergeben. Ins Wasser. E. Seh." Sofort vmrde der nahe Teich durch-
sucht. Plötzlich gegen Mittag wurde die E. Seh., nur mit Hemd und Unterrock
bekleidet, von einer Bekannten, die sie in einer ganz anderen Richtung
auf der Chaussee getroffen, zurückgebracht. Die Seh. erklärte, ihr fehle
jegliche Erinnerung an die Vorgänge der Nacht, an ihre Eintragungen ins
Gedichtheft usw. bis zu der Zeit, wo das andere Mädchen sie angesprochen.
Daß sie früher an Schlafwandel gelitten, ist von keiner Seite bemerkt worden.
(Vielleicht Hysterie? D. Ref.)
Im Dezember 1903 und Januar 1904 geschahen, wie Ledenig (172)
berichtet, zwei anfangs ganz unerklärliche Attentate gegen zwei geachtete
Einwohner des Ortes Unterauersbach. Ein unbekannter feuerte nachts
Revolverschüsse auf sie ab und verletzt im zweiten Falle den Besitzerssohn
Florian Seh. schwer am Hinterkopf. Als Täter wurde endlich Anton F.
dem Gericht eingeliefert, obgleich ein psychologisches Motiv für seine Taten
nicht gefunden werden konnte. Nach langen Dissimulieren des F. wurde
endlich von den Gerichtsärzten festgestellt, daß F. an heftigen Verfoignngs-
Kriminelle Anthropologie. 1137
wahn litt Er sagte aus, daß ihm beständig fremde Gedanken aufgedrängt
worden seien, auch habe er yerhöhnende Stimmen gehört. Es bestehe ein
Komplott gegen ihn ; die L.schen Eheleute and dann der Florian Seh. hätten
ihn von ferne beeinflußt, und um sich Ruhe zu schaffen, habe er auf sie
geschossen. Als chronisch geistesgestört und gemeingefährlich erkannt,
wurde das Strafverfahren gegen ihn eingestellt und er der Irrenanstalt
Feldhof übergeben, in der er wohl dauernd bleiben wird, da sich sein Wahn-
system immer mehr verdichtet.
Knaner (158) berichtet über einen 46jährigen Bauern A. G., der
anscheinend mit Überlegung am 25. April 1902 seinen 77jährigen Vater,
der ihn in seinem Müßiggange nicht mehr unterstütze, mit dem Revolver
niederschoß. Der A. Gr. hatte offenbar schon 1895 an Verfolgungswahn
gelitten. Seit dem 1900 erfolgten Tode seiner Frau zeigte er ein scheues
grübelndes Wesen, vernachlässigte sein Anwesen, fühlte sich beeinträchtigt,
glaubte, zu verarmen und ergab sich religiöser Lektüre und Spintisiererei.
Die Tat habe er vollbringen müssen, weil es ihm gewesen, als hätte der
Teufel seinen Vater im Genick. Er habe vorher um einen schmerzlosen
Tod seines Vaters gebetet, auch ein Sterbekreuz für ihn mitgenommen, er
habe nur Gottes Willen erfüllt. Weil es an einer richtigen Systematisierung
der Wahnbildung fehlte, erklärten die Sachverständigen den A. G. als nicht
geistesgestört im Sinne des § 51 StGB., sondern nur als von nervös-
psychischer Konstitution. Auffallend war dabei die völlige Reuelosigkeit des
A. G. Er wurde zu lebenslänglicher Zuchtiiausstrafe verurteilt, starb aber
bald an Darmkatarrh. (Sollte es sich hier nicht schon um eine beginnende
präsenile Demenz gehandelt haben? D. Ref.)
Martin (195) erzählt den Fall des 16jährigen aus wohlhabender
Familie stammenden Dienstmädchens G., das in relativer kurzer Zeit fünf
mal sich des Vergehens der Brandstiftung schuldig machte. Sie erklärte,
sie sei hierzu veranlaßt worden durch die Sehnsucht und das Heimweh nach
ihrem Vater. Das psychiatrische Gutachten sprach sich dahin aus, daß die
G. in einer durch das Heimweh verursachten Zwangslage, welche sich ins-
besondere bei den in der Entwicklung befindlichen Mädchen mit besonderer
Gewalt äußert, befunden habe und daher zur Zeit der Handlungen ihre
freie Willensbestimmung ausgeschlossen war. Diesem Gutachten schloß sich
der Landgerichtsrat an, worauf Freisprechung erfolgte.
In über ein Dutzend Brandstiftungen, die enormen materiellen Schaden
anrichteten, leider aber auch großen sittlichen durch Verurteilung eines Un-
schuldigen, auf den der Täter den Verdacht zu lenken gewußt hatte, darin
besteht das unheilvolle Werk eines an chronischer halluzinatorischer Ver-
rücktheit mit unverkennbarem Schwachsinn leidenden, namens Reiger, über
den Mehl (202) berichtet. Offensichtlich unter dem Einfluß von Alkohol
und von gemütlichen Erregungen wird bei R. ein mächtiger Trieb zur Brand-
stiftung ausgelöst, ein Trieb, der ohne normalen vorausgehenden Wahlakt in
die Tat umgesetzt wird. In allen Fällen der Brandstiftungen Reigers kann
als nachgewiesen gelten, daß er am Abend vor Ausbruch des Brandes
betrunken oder angetrunken war. Trotz völligen Fehlens normaler Motive
bei diesem Brandstifter dachte lange Zeit kein Mensch an pathologische
Ursachen. Aus der Irrenanstalt wurde er mit Rücksicht auf eine anscheinende
Remission in der Krankheitsentwicklung wieder seüner Freiheit zurückgegeben.
Natürlich benützt er das, um abermals Brandstiftung zu treiben und Unschuldige
ins Unglück zu stürzen. „Welch unsägliches Elend, welche enormen wirt-
schaftlichen Schäden wären verhütet worden, wenn Reiger, nachdem er ein-
mal als unheilbarer, gemeingefährlicher Geisteskranker erkannt war, sicher
Jahresbericht f. Neurologie und Psychiatrie 1905. 72
1138 Kriminelle Anthropologie.
und dauernd verwahrt geblieben wäre!" Daß er nicht rechtzeitig in die
Irrenanstalt zurückkommt, daran war auch die Heimatgemeinde, die. die
Kosten der Unterbringung K's teilweise tragen mußte, schuld. Damit zeigt
auch dieser Fall, wie notwendig es ist, die Unschädlichmachung gemein-
gefährlicher Geisteskranker in die Hände der mit der Bekämpfung des Ver-
brechertums berufsmäßig befaßten, von Psychiatern beratenen Strafjustiz-
behörden (Staatsanwaltschaften und Gericht) zu legen, und nicht in die der
Polizeibehörden.
Katharina Friederike Dorothea Köster geborene Böhling hatte, wie
Rosalowski (283) berichtet, schon vor ihrer Verheiratung mit dem
Arbeiter Köster von diesem einen Sohn und eine Tochter. Als nach der
Verheiratung die wirtschaftliche Lage der Kösterschen Eheleute eine miß-
liche wurde, beschloß sie, den ihr schon lange widerwärtigen, damals zehn
Jahre alten, übrigens gutartigen Sohn zu beseitigen (die jüngere Tochter wurde
von den Eltern der Frau erzogen). Sie nahm den Jungen am 9. November
1877 mit nach Hamburg und stieß ihn von der den Kammerkanal über-
spannenden Brücke ins Wasser. Erst durch eine Abbildung in der Presse
wurde die aufgefundene Leiche des- Knaben rekognosziert, — ein damals
noch ungewöhnlicher Fall, daß die weiteren Bevölkerungskreise durch die
Presse zur Mitarbeit in einer kriminellen Sache herangezogen wurde. Vor
Gericht machte die Köster die verschiedenartigsten Angaben über die Aus-
führung des Verbrechens. Doch stellte sich als fast sicher heraus, daß sie
die Tat allein verübt hatte. Trotzdem behauptete eine Arbeiterin Spangen-
berg, sie habe zwei Mithelfer der K. verfolgt und mit ihnen gekämpft, — bis
sie endlich eingestand, sie sei gar nicht dabei gewesen, sie habe sich nur
wichtig machen wollen, — wieder ein Beispiel, wie vorsichtig Zeugen-
aussagen zu bew^erten sind. Bei der Verhandlung benahm sich die Köster
stupid und völlig gleichgültig, auch als das Schwurgerichtsurteil, die Todes-
strafe, verkündet wurde. Dennoch machte sie bald darauf einen Selbstmord-
versuch, gewann ihre Ruhe aber schnell wieder, und nunmehr ließ ihr Schlaf
und Appetit nichts zu wünschen übrig. Arztliche Sachverständige stellten
dann fest, daß die K. eine schwachsinnige Person sei, und daß dieser
Schwachsinn nach ihrer difiFormen Schädelbildung als ein angeborener an-
gesehen werden müsse. Nun erst auf ein Gnadengesuch des Verteidigers
hin wurde die Todesstrafe in lebenslängliches Zuchthaus umgewandelt. Im
Zuchthaus führte sich die K. gut und arbeitete fleißig. Eines Morgens fand
man sie an ihrem Taschentuch hängend. Wiederbelebungsversuche waren
von Erfolg. 1880 zeigte sie Anfälle von Schwermut. Am 29. Mai 1880
war es ihr endlich gelungen, sich auf dem Wäscheboden an einem Handtuch
zu erhängen. (Also ein durch und durch psychopathisches Geschöpf wäre
hier beinahe geköpft worden! Sicher keine Ruhmestat unserer heutigen Justiz!)
Kürz (165) zeigt an der Hand von über 1100 Fällen von Körper-
verletzung seines Gerichtsarztbezirks, daß Ort und Zeit der Roheitsdelikte
in weitaus den meisten Fällen auf deren ursächlichen Zusammenhang mit
Alkoholmißbrauch schließen lassen. Auf Grund seiner Erfahrungen als Arzt
und Beamter hält er beide, Alkoholmißbrauch und Roheitsdelikte, nur für
die pathologischen Symptome einer tieferliegenden Grundkrankheit, deren
Ursache neben andere soziale Paktoren vor allem die mangelhafte Erziehnsg
in Schule und Haus ist. Wirkliche gründliche Abhilfe kann nur unter
gleichzeitiger sozialer (wirtschaftlicher und hygienischer) Reform eine völlige
Umgestaltung unseres ganzen Erziehungswesens bringen. Die Volksschule
soll nicht nur dem Unterricht dienen, sondern in möglichst engem Anschluß
an das Elternhaus zu einer Volkserziehungsanstalt ausgebaut werden
Kriminelle Anthropologie. 1139
und ihre Disziplin und Arbeit auch noch unter vernünftiger Abstufung auf
die Jugendlichen bis zum Eintritt ins Heer ausdehnen. Wo das Eltern-
haus versagt, soll — nicht erst kurativ, sondern prohibitiv — die Fürsorge-
erziehung eintreten. Hiervon verspricht sich Verf. eine weit erfolgreichere
Bekämpfung von Roheit und Alkoholismus als von ausschließlicher Bestrafung
und direkten Maßregeln gegen den Alkohol. {Autoreferat)
Der Eid ist, wie Hellwig (120) ausführt, seinem Ursprung nach
mystischer Natur. Bei den Naturvölkern und den tieferen Schichten der
Kulturvölker wird er gehalten aus Furcht vor göttlicher Strafe. Um diese
abzuwenden, ist man in den verschiedensten Ländern auf eine Reihe mysti-
scher Gegenmittel gekommen, bei deren Anwendung man vor der göttlichen
Strafe gesichert zu sein glaubt. Die von Gross (Handbuch für Unter-
suchungsrichter) und Löwenstimm (Eid und Zeugnispflicht nach den An-
sichten des Volkes) gesammelten Materialien werden durch zahlreiche weitere,
aus volkskundlichen und ethnologischen Werken sowie aus persönlichen Mit-
teilungen geschöpfte, ergänzt, systematisch geordnet und zu erklären versucht.
Im Schlußkapitel wird auf die vielfacli noch nicht genügend beachtete Be-
deutung hingewiesen, welche die Kenntnis dieser Gebräuche für den prak-
tischen Juristen hat, was Verf. auch schon in seiner Skizze „Zur Verhütung
von Meineiden" („Archiv für Kriminalanthropologie", XVIL, 1904 p. 199f.)
getan hatte. Eine größere Nachtragsabhandlung soll folgen. (Autoreferat)
Der Diebstahl aus abergläubischen Motiven ist nach Hellwig (124)
durchaus nicht so selten, wie Löwenstimm („Aberglaube und Strafrecht")
annimmt. Es werden eine ganze Anzahl hierher gehöriger neuer Materialien
aus den verschiedensten Ländern aus volkskundlichen Schriften zusammen-
gestellt. Diese Sammlung soll im nächsten Band fortgesetzt werden.
Auf Grund der Gerichtsakten wird einer der auch im zwanzigsten
Jahrhundert leider nicht seltenen Fällen, wo der Hexenglaube zu Beleidi-
gungen und Körperverletzungen führt, ausführlich geschildert und psycho-
logisch analysiert. (Antoreferat)
Die Verbrecher verrichten nach Hellwig (121) oft am Tatort ihre
Notdurft, weil sie glauben, danu nicht entdeckt zu werden. Daher volkstüm-
liche Ausdrücke wie „Wächter", „Nachtwächter", „Posten" usw. lür mensch-
liche Exkremente. Dieser Brauch wird, fast nur auf Grund persönlicher
Mitteilungen für die verschiedensten Teile von Deutschland, der Schweiz,
Österreich, Italien, Holland nachgewiesen. Die Materialien sollen noch
sehr vervollständigt werden. (Aiäoreferat)
„Zauberbücher" spielen, wie Hellwig (125) ausführt, noch heutzutage
des öftern vor Gericht eine Rolle. Eins der verbreitetsten, „Das sechste
und siebente Buch Moses", wird kurz analysiert und die für kriminellen
Aberglauben bedeutsamsten Stellen exzerpiert. In einem weiteren Artikel
soll auf die Verbreitung und den schädlichen Einfluß solcher Zauberbücher
noch näher eingegangen werden. (Autoreferat.)
Zwei Arbeiten XJnger's (319, 320), für weitere Kreise bestimmt, die
dem dicksten Schwindel, sofern er nur mit der nötigen Schlauheit auch von
Geisteskranken inszeniert wird, Glauben entgegenbringen und so ein un-
stetes Wanderleben durch Jahrzehnte hindurch unterstützen und möglich
machen, wie es hier an klassischen Beispielen vorgeführt wird.
( Autor ef erat.)
Biancone und Majano (23) geben eine interessante Kranken-
geschichte eines 20 jährigen Mannes, der in einem Zustand von Doppelt-
bewußtsein einen Mord begeht, dann in einen richtigen hysterischen Dämmer-
zustand gerät, der mehrere Monate anhält. In diesem Dämmerzustande kann
72*
1140 Kriminelle Anthropologie.
die Erinnerung an die Vorgänge, welche den YorbereitungeD zum Morde
(Verschaffung der Waffe, Ablauern des Gregners) und der Ausführung des
Mordes gelten, mit äußerst plastischer Deutlichkeit nur in der Hypnose
wieder reproduziert werden. Nach Tier Monaten yerschwindet der Dämmer-
zustand, und es zeigt sich an dem Kranken eine absolute Oedächtnisiücke,
die bis zu jenen Tagen reicht, in denen die Vorbereitungen Eum Morde ge-
troffen worden sind. Dem Eintritt in den Zustand „von Spaltung der Per-
sönlichkeit" gehen allerlei Vorgänge voraus, die einen psychischen Erregungs*
zustand des Kranken bedingten. (Merzbadi^.)
In seiner umfangreichen Studie bringt Moildio (216) die Beobachtung,
die er speziell am Schädel und am Gehirn (wie auch an den übrigen Or-
ganen) von 56 Kindesmörderinneu sammeln konnte. Den 66 Fällen sind
kurze klinische Beobachtungen zugefügt. Die Befunde, die sich auf here-
ditäre Belastung, Stand, Entwicklung der Intelligenz, des Affektes, der
moralischen Gefühle, auf die begegneten somatischen Anomalien beziehen,
sind auf drei Tafeln übersichtlich zusammengestellt. Mondio findet eine
solche Menge von Degenerationszeichen auf allen Gebieten bei fast sämt-
lichen beobachteten Frauen, daß er hier den Typus des degenerierten, ge-
borenen Verbrechers wiederzufinden glaubt. Der Satz: die Frau befinde sich
während des Geburtsaktes in einem abnormen geistigen Zustande, der sie
vermindert zurechnungsfähig macht, enthält nach Ansicht der Verfassers
starke Übertreibungen. (Merzbarher,)
In einer meisterhaften Skizze schildert Sten (307) die Psychologie
eines zum Tode verurteilten Verbrechers und die unsagbar zerrüttende und
verderbliche Wirkung, die das Fällen eines Todesurteils und vor allem den
Anblick der Strafvollstreckung auf die dabei beteiligten Mitmenschen hat
^Das ist das Hängen", ruft er aus; „die Welt glaubt einen Leichnam mehr
bekommen zu haben und doch hat sie den Tod unter die Leute gesäet
Um einen Verbrecher zu strafen, schuf sie zehn, hundert kleinere"! —
Und ferner: „ich muß jede meiner Handlungen fürchten, weil sie gerecht
sein kann, ich weiß aber jetzt, daß die Gerechtigkeit ein größeres Verbrechen
ist als der Mord. Wie werde ich leben"? . . . Wahrlich ein Kultur- und
Seelenbild mit Tolstoischer Kraft und Tolstoischem Pathos hingestellt, das
mit seinen grellen Farben, die das Gemüt erschüttern, mehr wirkt als aehn
logische Abhandlungen über den Wert der Todesstrafe mit ihrem Dafür
und Dawider!
3. Sexnelle PervsrsitSten nebst Homoseioalität.
Das wundervolle Buch Porers (87) ist zu reichhaltig, um hier ein-
gehend besprochen werden zu können. Naturforscher, Ar2t, Philosoph und
Ethiker sind in der Person. des Autors in harmonischster Weise vereinigt,
80 daß Foreis Werk, das Werk eines im besten Sinne modernen und freien
Menschen, erfüllt ist von großen, der heutigen Wirklichkeit weit voraus-
eilenden Perspektiven. Er predigt Eutwicklungsethik und sieht die höchste
Aufgabe in der Hinaufentwicklung des Menscjien durch die Regelung der
menschlichen Zeugung im Sinne eines Aufsteigens der menschlichen Basse.
Mutig kämpft er zu diesem Zwecke gegen die einseitige, so oft das Höhere
unterdrückende Macht des Kapitals und für die Befreiung der P^rau aus
ihrer heutigen Rechtlosigkeit. Forel ist der hoffnungserfüllte Pionier einer
besseren Zukunft, ein Optimist, der wohl manchmal für die menschliche
Natur, wie sie nun einmal gegeben ist, unerfüllbare Forderungen aufstellen
mag, der uns aber doch den Mut gibt, zu hoffen und zu glauben, daß einst
Kriminelle Anthropologie. 1141
eine höher entwickelte und bessere Menschheit die Erde bevölkern werde,
frei Tou den quälenden Fesseln des Aherglanbens, frei von den heute noch
gerade die Besten unterdrückenden Vorurteilen und frei von veralteten grau-
samen Dogmen. Es ist eine Freude, zu wissen, daß dieses Buch, vielleicht
zuerst meist aus Trieb zur Sensation, aus sexueller Neugier, von tausenden
Händen ergriffen wird. In manch einem wird dann doch beim Lesen ein
leuchtender Strahl von wahrem Wissen in die dunkle Nacht seiner Unwissen-
heit und seiner Vorurteile in sexuellen Dingen fallen. Und gerade die
sexuellen Fragen, an deren bessere Lösung die Zukunft der Menschheit zum
großen Teile hängt, bedürfen der Eriiellung am meisten, weil bei ihnen
falsche Prüderie, irregeleitete Phantasie und vage Gefühlsduselei hier noch
ihr geradezu mittelalterliches Wesen treiben. Welches Elend hat nicht un-
befriedigte oder an falscher Quelle (z. B. auch der Bibel) sich vollsaugende
sexuelle Neugier, die an sich ein ganz normaler Trieb des Menschen ist,
angerichtet infolge ihres Anheimfallens an schmutzige, lüsterne oder quälend
mystische Lektüre! Poreis Buch ist ein reiner Born, aus dem die be-
rechtigte sexuelle Neugier ihren Durst wahrhaft stillen kann. Es ist das
Werk, das uns bisher auf diesem Gebiet fehlte. Leider sind immer noch
XU viele technische und fremdsprachige Ausdrücke darin, die das Lesen des
Buches besonders den Frauen noch zu schwer macht.
Moll (214) bespricht in seiner klaren Weise die beiden Komponenten
des normalen Geschlechtstriebes, die er zuerst in wissenschaftlicher Weise
auseinander gehalten hat, den Detumeszeustrieb, der in seiner reinsten
Form lediglich aus Organempfindungen hervorgeht und, wie es scheint, bei
Manu und Weib schon allein durch den Druck indifferenten Schleims hervor-
gerufen wird und in dem Drang besteht, die drückenden Massen heraus-
zubefördern, und den Kontraktaktionstrieb (von contractare = geschlecht-
lich berühren, aber auch = sich geistig mit etwas beschäftigen), den Trieb
zu allgemeiner körperlicher Berühnmg und, in seiner höchsten Form, zum
seelischen Ineinanderfließen der Geschlechter. Verf. will natürlich diese
einzelnen Komponenten nicht als von einander unabhängig aufgefaßt haben.
Gewöhnlich seien sie innerlich miteinander verknüpft. Andererseits will er
aber auch nicht etwa nur zwei Phasen des Geschlechtstriebes damit dar-
stellen, wie Havelock Ellis es fälschlicher Weise anzunehmen scheine,
der deshalb für „Kontraktaktionstrieb den Ausdruck Tumeszenztrieb vor-
schlägt, weil in den Liebesspielen und Liebeskämpfen der höheren Tiere
und der Menschen zunächst das psychische Element vorwiege und dabei
•tets eine Anschwellung des ganzen psychischen und sexuellen Empfindens
stattfinde, dem nachher die Abschwellung folge. Moll sagt, seine Analyse
sei schon deshalb keine Einteilung in Phasen, weil erstens jeder der beiden
Komponenten fehlen könne, zweitens bald die eine, bald die andere Kom-
ponente im konkreten Falle zuerst auftrete, drittens die beiden Komponenten
auch gleichzeitig miteinander verlaufen könnten. Höchstens wäre jede der
beiden Komponenten für sich in Phasen zu zerlegen, in eine Zunahme der
Spannung und in die Lösung derselben. Die romantische „Primanerliebe"
in der Pubertät bestehe öfter im Kontraktaktionstrieb allein, ebendasselbe
sei häufig beim Weibe überhaupt der Fall, auch da fehle dann der Detumes-
zenztrieb, während die Neigung zur Umarmung des Mannes und auch Interesse
für ihn vorhanden sei. Dies erscheine dann als Frigidität oder gar als
sexuelle Anästhesie des Weibes, weil trotz bestehenden Triebes zum anderen
Geschlecht ein solches Weib beim Koitus nichts empfindet, oder dieser ihm
direkt sniwider ist. Auch die sexuellen Perversionen liegen nach Moll auf
dem Gebiete des Kontraktaktionstriebes, indem dieser nach einem falschen
1142 Kriminelle Anthropolog^ie.
Objekt strebt. Jede der beiden Komponenten des Geschlechtstriebes kann
nun wieder peripher oder zentral (psychisch) geweckt werden. Das originäre
Vorhandensein der Keimdrüsen ist aber eine Vorbedingung für die Ent-
wicklung jeder Komponente. Doch sind, wie gesagt, nicht deren spezifische
Sekrete (Samenflüssigkeit) etwa das wirksame Element, sondern rein indifferente
Sekrete vermögen hier anscheinend als Reiz zu wirken. Moll glaubt auch
nicht wie Jastrowitz an eine toxische Wirkung beim Zurückhalten des
Samens oder der Drüsensekrete des Weibes, durch die die nervösen Er-
scheinungen bei sexueller Abstinenz hervorgerufen werden sollen. Denn
häufig fänden in diesen Fällen Pollutionen statt, ohne daß doch dadurch
die Abstinenzerscheinungen verschwänden, ungünstig für die Nerven wirke
wohl allein schon die fortgesetzte geistige Anspannung, die „Überlastung der
Psyche" bei mit überstarkem Geschlechtstrieb behafteten abstinenten Menschen.
Deshalb biete die sexuelle Abstinenz überhaupt nur in seltenen Fällen
schädliche Folgen dar. In forensischer Beziehung hält Verf. seine Analyse
insofern für wichtig, w^eil man eine in das Gebiet des Kontraktaktionstriebs
fallende Handlung auch dann noch wird als sexuell nachweisen können, wenn
eine Detumeszenz nicht stattgefunden hat.
Ellis (74) sieht das Wesen des erotischen Symbolismus darin, daß
die Aufmerksamkeit des Liebhabers abgelenkt wird vom Brennpunkt der
sexuellen Anziehung auf irgend ein Objekt oder einen Prozeß, welcher an
der Peripherie oder sogar ganz außerhalb dieses Brennpunktes liegt. Da-
durch kann Tumeszenz oder sogar Detumeszenz bewirkt werden durch
Objekte, die mit der Konjugation an sich nichts zu tun haben. Die sexuelle
Selektion wird durch vier oder fünf Faktoren der Schönheit hervorgerufen.
Davon ist ein Faktor der persönliche Geschmack. Der erotische Symbo-
lismus ist eine spezielle Entwicklung dieses Faktors, geht aber nicht etwa
in ihm auf. Beim erotischen Symbolismus kann die Dissoziation vom Ganzen
und die Konzentration auf ein einzelnes Objekt soweit gehen, daß Tiere
oder leblose Sachen die ganze Inbrunst absorbieren. Es kommt dann zum
erotischen Fetischismus. Das Symbolisieren ist eine allgemeine menschliche
Neigung und besteht darin, einen physischen Prozeß an die Stelle eines
psychischen zu setzen oder einen Teil als Ausdruck des Ganzen anzuerkennen.
Keime davon findet man schon bei Tieren. Aber erst die Phantasiefähigkeit
und die Intelligenz des Menschen ist imstande, den Symbolismus auszubilden,
denn dieser setzt eine große Aktivität der höheren Hirnzentren voraus.
Der Urmensch konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf die trivialsten Züge
des anderen Geschlechts. Weiterhin sah der Mensch schon in der Natur
überall sexuelle Symbole; so wurde die Sprache voll von metapherischen
Geschlechtssymbolen. Besonders sind es agrikole Ausdrücke, die schon in
den ältesten Sprachen vorherrschen. Diese Metapheranwendung hat sich
vor allen in der Sprache der Dichter immer mehr verfeinert. Der erotische
Symbolismus entsteht aus dem Gefühl unter- oder unbewußt entweder plötz-
lich durch den Chok einer Jugenderfahrung oder allmählich durch das
Brüten über eine Sache, die mit der geliebten Person zusammenhängt. Oft
liegt sein Keim in einer sexuellen Hyperästhesie. Alles wird dann zum
Symbol des Koitus und führt zu sexueller Emotion. Es entsteht geradezu
ein Hunger nach sexuellen Symbolen. Die unmöglichsten Dinge werden
dann zum Fetisch, ja es gibt sogar einen negativen Fetischismus, wo die
Abwesenheit eines bestimmten Charakters gesucht wird. So hatte ein ver-
heirateter Mann auf Grund einer früheren Liebe Neigung zu Frauen, denen
ein Bein amputiert war, er schrieb sich mit vielen und schaffte ihnen künst-
liche Beine an. In solchen extremen Manifestationen wird der in seinem
Kriminelle Anthropologie. 1143
Wesen normale sexuelle Symbolismus anormal. Abwesend ist er eigentlich
nur in der gröbsten Form der sexuellen Begierde, während das sexuelle
Gefühl bei den Sensitiven sich gerade im Symbolismus kristallisiert. Auch
der oft sonderbarste sexuelle Reliquienkult, für den Verfasser interessante
Beispiele gibt, ist normal, anormal wird der Symbolismus erst dann, wenn
der Teil für den Besitz des Ganzen völlig genügt.
Nach der Art der Objekte kann man den erotischen Symbolismus in
drei Gruppen einteilen und zwar: 1. er erstreckt sich auf Teile des Körpers,
davon a) normalerweise: auf sekundäre Geschlechtsmerkmale, b) anormaler-
weise: auf Häßliches und Widernatürliches (Liebe zu Kindern, Greisen,
Nekrophilie, Liebe zu Tieren); 2. auf tote Objekte, a) Kleidungsstücke,
b) unpersönliche Gegenstände (z. B. Pygmaleonismus = Statuenliebe); 3. auf
gewisse Handlungen und Stellungen, a) aktiv: Prügelausteilen, Grausamkeit,
Exhibitionismus, b) passiv: sich schlagen lassen, Grausamkeit erleiden u. ä.,
c) mixoskopisch : Zusehen von Schaukeln, Klettern, Schwingen, Urinieren
oder vom Koitus der Tiere.
Auch das Puppenspiel gehört zum sexuellen Symbolismus im w^eiteren
Sinne. Alle diese Gruppen können sich mischen. Auch Unschönes kann
zum Brennpunkt für die Aufmerksamkeit und idealisiert werden. So werden
Defekte zu erotischen Symbolen; auch das ist in gewissen Grenzen normal.
Erotischer Symbolismus tritt vorwiegend auf in der Kindheit und der Pu-
bertät, ehe die sexuellen Instinkte ihren richtigen Weg gefunden haben, aus
entsprechenden Gründen auch bei Greisen. Öfter ist das Hätscheln von
Kindern ein Symbolismus und Ersatz bei nicht betätigten Trieb. Überhaupt
führt die Unterdrückung natürlicher erotischer Impulse häufig zu Symbolismen.
Erst wenn dieser Symbolismus den natürlichen Trieb völlig verdrängt und
ersetzt, ist er als krankhaft anzusehen.
Fere (78) hat einen jungen Mann beobachtet, der eine unüberwindliche
Abneigung zu gleichaltrigen oder jungen Frauen überhaupt besitzt und der
den Koitus nur mit alten Frauen auszuführen imstande ist, die wieder ganz
besondere somatische Zeichen an sich tragen müssen. Der betreffende junge
Mann führt diese Anomalie des Geschlechtslebens auf ein an und für sich
harmloses Jugenderlebnis selbst zurück mit einer alten Dame, wobei es zu
einer sexuellen Erregung der ersten gekommen ist. Weder auf somatischem
noch auf psychischem Gebiete konnten sonst an dem betreflFenden Individuum
irgend welche Degenerationszeichen entdeckt werden. (Merzbacher,)
Friedländer (92) glaubt wunder was gewonnen zu haben für das
Verständnis der gegenseitigen sexuellen Anziehung, wenn er sie möglichst
auf „Tropismen", wie sie in der Pflanzenwelt eine so große Rollo spielen,
zurückführen zu können vermeint. Wohl hat er recht, wenn er sagt, daß
die Erotik auch beim Menschen weit weniger im Intellekt als in den ver-
borgenen Tiefen der physiologischen Konstitution wurzelt, Anziehung und
Abstoßung, Wahlverwandtschaft, Tropismeu, das sind aber alles nur be-
schreibende Namen dafür, die uns doch nicht in das Wesen der Sache ein-
dringen lassen. Dazu kommt beim Menschen noch ein mächtiger ideologischer
Überbau, der die physiologische Konstitution denn doch etwas komplizierter
verdeckt wie bei den Ameisen und Schmetterlingen, in deren Biologie sicher
die Chemotaxis eine große Rolle spielt. Ich finde also, daß mit der
Tropismentheorie recht herzlich wenig gewonnen ist und sie weit davon ent-
fernt ist, wie Friedländer hochtrabend glauben machen will, auch für die
höheren Wirbeltiere der „Zentrentheorie" den Garaus zu machen. Dennoch
muß anerkannt werden, daß eine Materialsammlung darüber, auf welchen
Eindrücken die Anziehung, welche gewisse Personen des das Individuum an-
XI 44 Kriminelle Anthropologie.
ziehenden Geschlechts ausübt, beruht, psychologisch äußerst interessant und
wichtig ist. Auf diesbezügliche Fragebogen, die nach Sinnesqualitäten ein-
geteilt ihre Fragen stellten, erhielt Verfasser 104 Ton ihm verwertete Ant-
worten, leider yon sehr einseitigem Materiale, da 88 allein von HomosexnelleQ
und Bisexuellen stammten. Und diese Antworten zeigen eine ganz unglaub-
liche Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit der Angaben. Dennoch kommt
der Verfasser zu einer etwas modifizierten „Jäger sehen" Theorie und zwar:
„Vorwiegende Nasentiere, wie die meisten Säugetiere, sind auch in der Erotik
überwiegend chemotaktisch reizbar, während bei vorwiegenden Augenüeren,
wie den Menschen, neben die Chemotaxis der Morphotropismus (Auziehonga-
kraft durch die sichtbare körperliche und fühlbare Form) tritt, um in vieleD
Fällen ersteren an Bedeutung zu übertreffen." Es ist das eine alte Weis-
heit, daß der Mensch sexuell besonders durch die Schönheit des Partners
erregt wird, und auf Grund dieser Entdeckung glaubt sich Friedländer
allerhand Ausfälle auf die veraltete zünftige Wissenschaft gestatten au
sollen. Das Urteil kann man ruhig den Lesern überlassen.
Näcke (221) geht davon aus, daß auch im Traume alles ebenso wie
im Wachen determiniert sei. Im Traume trete das sekundäre (anerzogene)
Ich zurück gegen das primäre angeborene egoistische Ich. Kiobt der ein-
zelne Traum, wohl aber eine Reihe von gleichmäßigen Träumen eines Individuums
habe deshalb für das primäre Ich eine besondere oharakterologiscbe Be-
deutung und wäre also auch in der Verbrecherpsychologie von gewissem
Werte. Nicht weniger wichtig als flir die Charakterologie, ja viel ein-
deutiger und sicherer sei aber die Bedeutung des Traumes für das sexuelle
Empfinden. Hier spiegeln sich nicht nur die Richtung der Sexualität im
groben, sondern in allen feinen Details mit untrüglicher Sicherheit Aber
auch hier besage ein einzelner Traum allein noch nichts, weil es auch
Kontrastträume gebe. Jeder libidinöse Traum stelle nichts anderes dar, als
einen sexuellen Akt. Gerade die Träume könnten uns untrüglich eine ab-
norme Geschlechtsrichtung enthüllen, und man erkenne an von Jugend an
in gleicher Richtung sich immer wiederholenden sexuellen Träumen häufig^
das Angeborensein von einer oder der anderen Perversität. N. erläutert
das an einem von Fere mitgeteilten Fall einer Frau, die geschlechtlichen
Genuß im Wachen und im Traum nur beim Vorstellen von Personen (männ-
lichen und weiblichen) mit gewandten Bewegungen hatte, nachdem sie im
Alter von 4 Jahren beim Anblick eines gleichaltrigen mit 3 Bällen jong-
lierenden Mädchens eine Art sexuelle Exstase erlebt hatte. So träumt auch
der von Jugend auf homosexuelle nur homosexuell, nie anders, der die
Bisexuelle natürlich träumt hetero- und homosexuell, vielleicht in periodischem
Wechsel. Auf Grund von Serienträumen könne man sicher entscheiden, ob
es sich in concreto um eine Perversion oder Perversität handelt Natürlich
muß der über seine Träume Berichtende vertrauenswürdig sein (!). Es habe
die sichere Diagnose der sexuellen Abnormitäten sowohl prognostischen und
therapeutischen, wie auch einen gewissen forensen Wert. Bei einem durch
Hirschfeld mitgeteilten Fall einer zwitterhaften Person, deren über-
wiegendes Geschlecht dieser für unbestimmbar erklärt, entscheidet sich N.
für die Weiblichkeit derselben, weil ihre Träume sexuell auf Männer gerichtet
waren. In einem Nachtrag zu seiner Arbeit bespricht Verfasser den in
einem Aufsatz von Meyer erwähnten Fall eines Brauers, der sich selbst
fälschlicherweise wegen Sodomie anzeigte. Hier bestände eine Art Bisexua-
lität, indem neben vorherrschender normaler Libido nooh eine starke Dis-
position zur Sodomie vorhanden sei.
Es ist hochinteressant, die Meinung des erfahrenen Münchener Nerven-
Kriminelle Anthropologie. 1145
arztes Loeweufeld (IBl) über eine ärztlich, sittlich und sozial so ein-
schneidende Frage^ wie die bezüglich der sexuellen Abstinenz zusammen-
gefaßt in einem klaren Vortrag vor sich liegen zu sehen. Allerdings be-
schräokt er sich mit Rücksicht auf seine persönlichen Erfahruugeu in diesen
Darlegungen auf die Betrachtung der sexuellen Abstinenz bei Männern der
gebildeten Stände; diese können erst meist im Alter vqu 30—32 Jahren an
eine Verehelichung denken. Es ist also noch, wenn man die volle
Geschlechtsreife des Mannes vom 18. Jahre an als gegeben rechnen kann,
ein Zeitraum von 12 bis 14 Jahren vorhanden, in dem trotz mehr oder
weniger starken bestehenden Sexualtrieb, eine Befriedigung durch ehelichen
Verkehr nicht stattfinden kann. Der naturhche Trieb bewirkt, daß Männer
in dieser Lebensperiode, die abstinent bleiben, weit in der Minderzahl sind.
Von diesen Abstinenten muß man noch die abscheiden, die sich der Onanie
in erheblichem Maße ergeben. Die völlig Abstinenten teilt I^. in 4 Gruppen :
1. in solche, welche keinen manifesten gesundheitlichen Nachteil erfahren.
Bei diesen ist der Sexualtrieb meist sehr gering, es sind meist Männer von
nüchterner, in ihrer Berufstätigkeit ganz und gar aufgehender Lebensweise.
Eine 2. Gruppe bilden solche, bei denen die Abstinenz Molesten nach sich
zieht, gewöhnlich leichtere transitorische nervöse und psychische Störungen,
zumeist sexuelle Hyperästhesie (sexuelle Gedanken, allgemeine Erregtheit,
Pollutionen, lästige Gefühle an Hoden, Damm usw.); — eine 3. Gruppe,
solche, die unter der Abstinenz in ausgesprochene Kiankheitszustände ver-
fallen, in zerebrasthenische und myelasthenische Zustände mit Kopf-
beschwerden, Depression, Angst, Zwangsempfindungen, z. T. vom Charakter
der Phobien und Halluzinationen, wogegen ausgesprochene Psychosen sehr
seltene Vorkommnisse sind. In diesen Fällen liegt in der Kegel eine Kon-
stitutionaunomalie vor, die angeborene oder erworbene neuro-psychopathische
Disposition. Hier können die kortikalen Zentren der sexuellen Funktionen
übererregbar sein, oder das Quantum eines wahrscheinlich von den Keim-
drüsen gelieferten „libidogenen" Stoffes ist vermehrt, und die Resorption
dieser libidogenen Substanz bewirkt eine Art Autointoxikation. Gewöhnlich
wirkt das Übermaß von libidinöser Erregung indirekt schädigend durch die
Anstrengung, die die auf die Überwindung der Sinnlichkeit gerichteten
Kämpfe erfordert; es entsteht so eine intellektuelle emotionelle Erschöpfung
des Gehirns meist depressiver Form öfter begleitet von Funktions-
störungen des Herzens. Andererseits wird die Abstinenz viele Jahre ohne
Benachteiligung der Potenz ertragen. Eine 4. Gruppe der Abstinenten be-
steht aus solchen, bei welchen die sexuelle Triebrichtung durch die Ab-
stinenz beeinflußt wird. Da muß man aber auch sagen, daß die Abstinenz
allein bei sexuell normal Veranlagten nie zur Entwicklung homosexueller
Neigungen führt. Meist handelt es sich hier um schon von Anfang an mit
psychosexualem Zwittertum behaftete Abnorme. Ob ferner die Abstinenz
durch Schmälerung des Lebensgenusses einen inbetracht kommenden Faktor
für das leibliche Wohlbefinden bilde, beantwortet L. dahin, daß er nicht
glauben könne, daß die Abstinenz mit Notwendigkeit einen wenn auch
nur latenten gesundheitschädlichen Einfluß äußert. Bei entsprechender
Lebensweise sei sie sicher wenigstens bis zum 24. oder 25. Lebensjahre der
allgemeinen Gesundheit eher förderlich als nachteilig. Wohl wird die sexuelle
Abstinenz im allgemeinen nicht leicht durchführbar sein, doch stellt sie auch
nicht jene schwere gesundheitsgefährliche Bürde dar, als welche sie oft ge-
schildert wird. Bekannt ist die Kassenverschiedenheit in der Stärke und
Äußerung des Sexualtriebes. Vielleicht erklärt die zunehmende Rassen-
mischung die Verschiedenheiten des Sexualtriebes bei den Individuen eines
1146 Kjiminelle Anthropologie.
Bevölkerungskreises. Jedenfalls ist aber die Empfehlung der Abstinenz von
großer praktischer Bedeutung als Mittel zur Verhütung von Geschlechts-
krankheiten. Deshalb muß sie für Unverheiratete als „pium desiderium",
als ein Ideal, aufgestellt werden. Eine Hygiene des Sexuallebens des Ein-
zelnen (Sport, Hingabe an den Beruf, frugale Ernährung, Einschränkang
des Alkoholgenusses, Vermeiden pornographischer Lektüre und Schau-
steilungen) kann hier viel helfen. Entgegen Markuse findet es L. für sehr
bedenklich, als Heilmittel den illegitimen Geschlechtsverkehr anzuraten. Die
Leiden durch die Enthaltsamkeit seien im allgemeinen nicht so groß, daß
man die Abstinenz nicht stets empfehlen sollte gegenüber der trotz aller
Prophylaktika stets möglichen Gefahr der Infektion besonders mit Syphilis.
Diesen Gefahren gegenüber sei die sexuelle Abstinenz der Unverheirateten
immer noch das kleinere Übel.
Liest man die von Lewitt (179) herausgegebene aktuelle Sammlang
der Ansichten verschiedener moderner Neurologen, Psychiater und Gynäko-
logen über die Frage der geschlechtlichen Enthaltsamkeit und ihre Folgen in
Bezug auf die Gesundheit, so kann man konstatieren, daß die Mehrheit dieser
Arzte darin einig ist, daß beim gesunden, normalen Menschen die sexuelle
Abstinenz nicht wesentlich schädlich wirkt, so daß bei der Wahl zwischen
Abstinenz und Benützung der Prostitution sicher erstere das viel kleinere
Übel darstellt als letztere mit ihren großen Gefahren der geschlechtlichen
Ansteckung. Die Mehrzahl der Autoren glaubt auch annelimen zu sollen,
daß der reine Geschlechtstrieb beim Weibe, besonders solange er noch nicht
durch eine Kohabitation geweckt worden ist, gewöhnlich geringer ist, als der
beim Manne, so daß für das Weib etwaige schädliche Folgen der Abstinenz
noch weniger zu befürchten seien, als beim Manne. Schädlich könne die
Abstinenz allerdings wirken bei Neuro- und Psychopathen. Diese hätten
öfter durch geübte Enthaltsamkeit zu leiden, und ihr Zustand steigert sich
manchmal bis zur sexuellen Neurasthenie. Starken Geschlechtstrieb an sich
schon als Zeichen einer Neuropathie ansehen zu wollen, wie es einige
Schriftsteller tun, dürfte aber nach Meinung des Referenten allzuweit gehen.
Denn in letzter Linie verdanken wir diesem Triebe ein gut Teil Poesie, ja
Kunst überhaupt. — Wie soll sich der über derartige Fragen konsultierte
Arzt praktisch verhalten? Lewitt schließt sich in Beantwortung dieser
Frage mit Recht dem Professor Stintzing an: „Der befragte Arzt wird in
solchen Fällen, wenn nicht die Möglichkeit einer Heirat vor der Türe steht,
in einen Widerstreit der Pflichten gebracht. Auf der einen Seite steht die
Forderung der Gesundheit, auf der anderen die Verantwortung in moralischer
und mit Rücksicht auf die Gefahren der Infektion in physischer Beziehung.
Hier bleibt nur der Ausweg, dem Patienten die Sachlage klar zu machen
und ihm die Entscheidung nach seinem eigenen Gewissen und Wunsche zu
überlassen."
Nach der Statistik nehmen die sexuellen Verbrechen zu. Gerade des-
halb, meint Booth (44) ist es nötig die Perversionen genau zu studieren,
um ein richtiges forensisches Urteil über die Sexualdelikte zu erlangen.
Hier kann besonders der Mediziner den Juristen belehren und aufklären.
Es ist nicht die verbrecherische Tat, sondern die ganze Persönlichkeit des
Täters in Betracht zu ziehen.
Die sexuelle Perversion kann ererbt oder erworben sein. Die erworbene
muß, um pathologisch zu sein, auf einem neuropathischen oder psycbo-
pathischen Allgemeinzustand beruhen. Erotomanie ist eine generelle Be-
zeichnung für Zwangstriebe sexueller Natur verbunden mit neuropathischen
oder psychopatliischen Zuständen, die direkt von den psychischen Hirnzentren
Kriminelle Anthropologie. 1147
ausgehen, während Satyriasis und Nymphomanie, die Bezeichnung für ab-
norm gesteigerte sexuelle Begierde beim Mann und bei der Frau, in den
mehr peripherischen Neuronen beginnen und auf Veränderung der sexualen
psychomotorischen Sphäre beruhen.
Erotomanie ist eine Perversion, die impulsive Handlungen hervorruft,
die nicht notwendigerweise der sexuellen Befriedigung dienen und zum
Orgasmus führen, sondern sogar mit Frigität und Flaczitität des männlichen
Organs einhergehen kann, also eine rein psychische Form von krankhafter
Liebe, — eine Psychose, während Satyriasis und Nymphomanie als motorische
Impulse zu den Neurosen gehören.
Exhibitionismus ist ein unwiderstehlicher sexuell perverser Zwang, sich
öffentlich zu entblößen, gewöhnlich an einem ganz bestimmten Ort und zu
einer gewissen Stunde. Nur Männer tun das und verfolgen auf diese Art
Frauen, ohne doch je aggressiv zu werden. Die Albernheiten solchen Be-
nehmens deutet auf eine intellektuelle oder moralische Schwäche des Ex-
hibitionisten, die die kräftige Männlichkeit desselben in Frage stellt, oder
auf eine vorübergehende Bewußtseinsstörung. Meist beruht der Exhibitionis-
mus auf erworbenen Zuständen von geistiger Schwäche, infolge deren das
Bewußtsein getrübt ist.
Ein Fall illustriert das. Ein mehrfach vorbestrafter Mensch hatte
unter immer wieder ähnlichen Umständen an selbem Ort und zur selben
Zeit mehrere Wochen laug exhibitioniert trotz aller Gefahr, verhaftet zu
werden. Beginn des Anfalls eine „Welle", die nach seinem Kopfe steigt,
danach Leere im Kopf, er weiß nicht, wo er ist, weiß nichts von dem
Zustand seiner Genitalien, hat keinen sexuellen Drang dabei und keine Eja-
kulation, noch Befriedigung. Der Mann bietet deutliche Zeichen eines all-
gemeinen neuropathischen Zustandes, z. B. schläft er schlecht und ist nachts
öfter somnambul. Der Exhibitionismus trat bei ihm nach angestrengter, auch
die Nacht hindurch fortgesetzter Arbeit auf. Nachdem man den Mann erst
für verantwortlich gehalten hatte, wurde er nach Sachverständigenausspruch
für unzurechnungsfähig erklärt.
Nach Kisch (156) ist die hereditäre, in sehr jugendlichem Alter schon
zum Ausdrucke gelangte Fettsucht ein ganz eigentümlicher nutritiver Aus-
druck von Degeneration. Von solchen lipomatösen männlichen Individuen
^eigt eine Anzahl die Degenerationssymptome des Feminismus. Außer
anderen von K. aufgezählten Zeichen des Feminismus ist oft bei solchen
Leuten ein nur minimaler Penis, oder einer, der im Fett verschwindet, vor-
handen. Dabei sind die Hoden verkleinert, oder es besteht Kryptorchismus.
Der Geschlechtstrieb aber ist zumeist normal entwickelt und heterosexuell.
Dennoch leidet durch das Zurückgebliebensein des Genitales die Potentia
«oeundi und damit die Potentia generandi, was auf den Lipomatösen oft
äußerst deprimierend wirkt. Die geistigen Fähigkeiten sind gewöhnlich ganz
normal. Nicht selten sind weitere Degenerationszeichen vorhanden, wie ab-
norm großes Längenwachstum, Gigantismus oder Deformation der vergrößerten
Ohrmuschel, degenerierte Form der Kiefer, abnorme Entwicklung der
Zähne. Die Femininen sind unter den hochgradig lipomatösen Männern
nach K. mit ungefähr 10 Prozent der Gesamtfälle vertreten, von den mit
angeborener oder in früher Jugend erworbener Lipomatose behafteten machen
die Femininen aber 77'*/„ aus, von denen mit später zur Entwicklung ge-
kommener hereditärer Fettleibigkeit aber nur 6^/^,. Dagegen war unter 100
Fällen erworbener Lipomatosis nicht ein einziger Fall von Feminismus vor-
handen, ein Zeichen, daß nur die hereditäre, in früher Jugend zur Ent-
1148 Kriminelle Anthropologie.
wickluDg gelangte Fettsucht eio bemerkenswertes Merkmal hereditärer
Degeneration bedeutet.
„Die im Interesse der Homosexualen von Laien, Juristen und Ärzten
vielfach unterstützte Petition um Aufhebung des § 175 des Strafgesetzbuche»
nimmt die zwittrige Anlage des Menschen als gegeben an, ob indes mit
Recht, steht m. E. nach dahin," sagt Stolper (308). Diese Frage endgültig
zu kläi-en, hält St mit Rücksicht auf die Reform des Strafgesetzbuchea
und auf die Sachverständigentätigkeit vor Gericht für äußerst wichtig. Er
bittet daher dringend alle Ärzte um Mitteilung einschlägiger Erfahningen.
Er selbst teilt drei Fälle eigener Beobachtung ausgesprochenen Habitus
femininus beim Manne mit. Fall 1 wurde über etwaige homosexuale
Neigungen nicht befragt, er lebte in kinderloser Ehe und behauptete, trotz
auffallend unentwickelter Genitale Potentia coeundi zu haben. Fall 11 und
III wollen stets heterosexuell empfunden haben. Nr. 3 hatte sich aber über
Untreue seiner Ehefrau zu beklagen. Wie er wehmütig vermutet, sind die
drei während seiner 12jährigen Ehe von seiner Frau geborenen Kinder
nicht von ihm.
Verfasser meint, mit Recht habe das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch
den Begriff „Zwitter" fallen lassen, damit seien jedoch diejenigen Individuen,
die mehr oder weniger berechtigte Zweifel über ihre Geschlechtszugehörig-
keit zulassen, keineswegs aus der Welt geschafft.
Anschließend an einen selbstbeobachteten Fall von akzessorischen
Nebennieren an den Nebenhoden eines reifen, neugeborenen Knaben, unter-
zieht Meixner (208) die bekannten Fälle von Hermaphroditismus verus
einer eingehenderen Kritik, weil er überzeugt ist, daß besonders der von
Heppner mitgeteilte Fall von Hermaphroditismus verus bilateralis, den
noch die neuesten Autoren als unwiderlegt, wenn auch bezweifelt anführen,
ein ähnlicher Fall wie sein eigener gewesen ist, daß es sich auch hier um
akzessorische Nebennieren und nicht um Hoden neben sonst weiblichen
Geschlechtsteilen gehandelt habe. Dieselbe Bewandtnis habe es auch wohl
mit den überzähligen Geschlechtsdrüsen, von denen mehrere Autoren sagen,
daß sie im mikroskopischen Bilde eigentlich nicht wie Hoden aussähen.
Unter der Kritik Meixners schrumpfen die Fälle, die bisher als Herma-
phroditismus verus bilateralis oder unilateralis beschrieben worden sind, sehr
zusammen; so auch die Fälle von Hermaphroditismus verus lateralis, und nur
ganz wenige, wie etwa der von Schmor 1 und der Fall Obolonskys, sind
fast einwandfrei. Doch sind letztere Fälle ziemlich wesenlos gegenüber der
Frage, ob es möglich ist, daß auf einer Körperseite zwei verschiedenartige
Geschlechtsdrüsen sich entwickeln. In zwei Fällen ist nun ein Ovotesds in
geradezu einwandfreier Weise nachgewiesen worden. Es ist der Fall Simons
und der Salens, dem sich wahrscheinlich noch der Fall von Blacker und
Lawrence anschließt. Diese Fälle können nicht anders als zu Gunsten
der bisexuellen Anlage der Keimdrüse des Menschen gedeutet werden. Die
Autoren, die für eine doppelgeschlechtliche Anlage der Keimdrüse eintreten,
lassen die beiden Anteile in zwei übereinandergelegenen Schichten entstehen.
Die EifoUikel, zum mindesten die Eizellen, werden ganz allgemein vom
Keimepithel abgeleitet, über die Herkunft der Samenkanälchen aber gehen
die Meinungen weit auseinander. Janosik leitet das ganze Hodenepithel
von den Sexualsträngen ab. Er meint: „Käme alles bei Säugetieren (in*
klusive Menschen) und Hühnchen (vielleicht für die Vögel überhaupt gültig)
zur vollen Ausbildung, so würde daraus eine hermaphroditische Drüse reaiü-
tieren, welche im Innern den Hoden und an seiner Oberfläche den Eierstock
zeigen würde, wie ja solche Verhältnisse bei niederen Tieren beschrieben
Kriminelle Anthropologie. 1149
sind." Wo ist dann die Grenze zwischen einfach hyperplaatischen oder
hjpoplastischen oder hermaphroditischen Zuständen zu ziehen?, fragt Meixner.
Bei der Beobachtung eines Falles von Pseudohermaphroditismus
masculinus extemus drängte sich Zangger (338) die Frage auf. ob sich der
naturwissenschafUiche Standpunkt und die medizinische Benennung mit dem
deckt, was juristisch und sozial das Beste für das Individuum und die (re-
sellschaft wäre, ob nicht vielleicht in speziellen seltenen Fällen der natur-
wissenschaftliche Gesichtspunkt dem praktischen nachzustellen ist. Eine
30jährige Arbeiterin mit allen physischen Kriterien der Weibhohkeit bis
hinauf zu der blind endenden Vagina, mit völlig weiblicher Psyche, ja mit
sexuellem Verlangen nach dem Manne, das sich auch in sexuellen Träumen
äußert, hat seit ihrem 17. Jahre in beiden Leistengegenden kleine, etwas
empfindlich werdende Geschwülste bemerkt, die^ als sie endlich wegen allzu-
großer Beschwerden operati? entfernt wurden, sich sofort als Testikel er-
wiesen. Es zeigt sich also auch hier wieder, daß der Geschlechtstrieb nicht
in jedem Falle der Drüse entspricht. Soll nun diese Person, die sicher von
der Funktion ihrer Geschlechtsdrüsen frei ist, die völlig weiblich fühlt, von
allen bisher auch als Weib anerkannt war, und die auch nur weibliche Ge-
schlechtsfunktionen ausüben könnte, gesetzlich als Mann deklariert werden?
denn medizinisch^wissenschaftlich ist dieses Wesen männlich, weil die Ge-
schlechtsdrüsen männlich' sind. Juristisch müßte es dem begutachtenden
Arzt in diesem Falle und auch prinzipiell gestattet sein, aus dem Zusammen-
halten der Einzelbefunde das funktionell geschlechtslose Mädchen in dem
Stande zu belassen, in welchem es sich am wohlsten fühlt, und bei der
Frage nach dem „überwiegenden Geschlecht", das, was in der Zukunft eine
Bolle spielt, die Beziehungnn zu den Mitmenschen, als (mit-)entscheidend
zu berücksichtigen, überhaupt müßte auch das freie Ermessen des Richters
bei der Würdigung eines Sachverständigen wenigstens soweit eingeschränkt
sein, daß bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Richter und Sachver-
ständigen (in bezug auf die rechtlichen Konsequenzen des Sachverständigen-
Befundes) dem Sachverständigen das Recht, eine Oberexpertise zu verlangen,
zustehe.
Mit EUis führt Donath (65) die Wurzel der sexuellen Perversion,
wie sie sich im Sadismus und Masochismus beim Menschen zeigt, auf
Äußerungen der tierischen Werbung zurück, wo Vergewaltigung durch das
Männchen und wirkliche oder geheuchelte Furcht seitens des Weibchens die
Hauptrolle spiele. Die damit einhergehende heftige Erregung sei sehr ver-
wandt einerseits mit dem sthenischen Affekt des Zornes, andererseits mit
dem asthenischen Gefühl des Schmerzes und der Angst. Zorn und Angst
seien durch den Kampf ums Dasein die Grundaffekte des animalischen
Lebens. Die Werbung des männlichen Tieres ist im wesentlichen eine Zur-
schaustellung von Kampflust, auf Seite des Weibchens dagegen geschickte
Darstellung furchterfiillter Stimmungen. Auch beim menschlichen Sadismus
und Masochismus sei der Schmerz das Wesentliche, dessen allgemein
emotionelle und dadurch auch sexuell erregende Wirkung gesucht wird.
Daher sei auch der von Schrenk-Notzing eingeführte Ausdnick Algolagnie,
mit dem er beide besagten Perversionen zusammenfaßt, sehr passend.
Psychisch minderwertige und abnorme Personen, eventuell Kinder und Greise
bedienten sich algolagnistischer Praktiken, um ihrer schwachen Geschlechts-
funktion eü Hilfe zu kommen. Donath schildert des weiteren das Sexual-
leben eines 23 jährigen, ledigen Schauspielers, in dessen Seitenverwandtschaft
Irrsinn vorgekommen, und bei dem im 10. Lebenjahre gelegentlich des An-
blicks einer Züchtigung ein unbekanntes dunkles Gefühl woUlüstiger Er-
1150 Kriminelle Anthropologie.
regung entstand. Der Anblick der zuschlagenden robusten, bocbgeschiirzten
Bäuerin ist dann seit dem Erwachen seines Geschlechtstriebes nicht mehr
aus seiner Phantasie gewichen. Stets siebt er sich an Stelle des geprügelten
Knaben, er, der, wie er sich zur größeren Erniedrigung zusammenphantasiert,
von Bauern gefangen genommen und der Bäuerin ausgeliefert wurde. Es
handelt sich also um ideellen Masochismus oder passive Algolagnie. unter
der Herrschaft dieser quälenden unbezwingbaren perversen Vorstellungen
hatte er Ejakulationen, die ihm aber keine Befriedigung und Erlösung von
den Ideen brachten, ein Zeichen des pathologischen Charakters seiner Per-
version. Schon eine vierwöchentliche Kraukenhausbehandlung mit geeigneter
psychischer Beeinflussung vermochte trotzdem eine Besserung in seinem Zu-
stande herbeizufuhren.
Holterbach (134) wurde zu einer an ihren Genitalien stark verletzten
Kuh gerufen, die acht Tage vorher zum Stier geführt worden war und seit
dieser Zeit stark kränkelte. Es wurde Septikämie festgestellt infolge per-
forierender Scheiden Verletzungen, welche bis in die Niere vorgedrungen sind.
Ist nun anzunehmen, daß durch den Penis eines Bullen eine derartige, bis
in die Niere reichende Verletzung herbeigeführt werden kann? Oder liegt
vielleicht ein Verbrechen oder die sadistische Tat eines Irrsinnigen- vor,
eines sexuell perversen Menschen, der mit Hilfe eines Stockes oder der-
gleichen diese Verletzung herbeiführte? Mit Fürbringer, der in dem Werk
„Krankheiten und Ehe^* von der großen und unheilvollen Gewaltwirkung des
Membnim virile in seinem erigierten Zustand bei ungestümen Impetus spricht,
das nachweislich zu schweren Verletzungen der weiblichen Genitalien, ja zur
Zerreißung der Vagina geführt hat, glaubt H., annehmen zu dürfen, daß bei
fehlerhafter Körperstellung bei der Kohabitation, übergroßem Penis und un-
gestümem Koitus Scheidenzerreißungen leichter möglich sind, als man
gemeinhin vermeint. Auch sollte es ihn bei der großen Länge des erigierten
Bullenpenis nicht wundern, wenn dieser bis zu der Niere vordringen könnte.
Über das gesamte Unternehmen der Jahrbücher für sexuellen Zwischen-
stufen habe ich mich schon im vorjährigen Jahresbericht offen ausgesprochen.
Ich kann auch für den VII. Jahrgang des Jahrbuches nur dasselbe wieder-
holen. (Referate der Hauptartikel siehe unter den Namen der einzelnen
Verfasser.) Im ganzen vertieft auch dieser Jahrgang nicht die Sache, um
die es sich hier handelt, sondern gibt ihr nur eine größere Breite. Ein
Tiefereindringen in das Problem versucht eigentlich nur von Römer in
seiner Arbeit über die erbliche Belastung des Zentralnervensystems bei
„üraniern". Statt des diesmal schweigenden, meist hochwissenschaftlichen
Dr. Hirschfeld (130) machen sich Autoren breit, wie von Levetzow. der
eine Fanatikerin als „Repräsentant-Mensch" verherrlicht und so nebenbei
die Irrenärzte verdächtigt (Seite 322 unten), Anna Rüling, die die Frauen-
bewegung als unter Führung homosexueller Frauen stehende Bewegung dis-
kreditiert, und vor allem Benedikt Friedländer, der den „Edeluranier" an-
schwärmt als sozialen Übermenschen, einen Homunkulus, den er sich gegen
jede Naturwissenschaft zur höheren Ehre des homosexualen Triebes kon-
struiert. Es ist schade, daß der Herausgeber der Jahrbücher zu alledem
schweigt und damit diese Übertreibungen . zu billigen scheint. Im Interesse
der Sache dürfte es gut sein, wenn er gleich im Anschluß an solche Ent-
gleisungen auch seine geschätzte Meinung äußern wollte, damit derartige
Behauptungen nicht den wirklich auf objektiver Basis stehenden Vertretern
einer durchaus berechtigten Reformbestrebung mit in die Schuhe geschoben
werden. Die Kinderschuhe müßte sich die Bewegung nach sechs Jahren
doch wirklich ausgetreten haben!
Kriminelle Anthropologie. 1151
Am interessantesten war mir diesmal eigentlich der Jahresbericht des
zweiten Bandes mit seiner wörtlichen Wiedergabe der über die Homo-
sexualität handelnden Seichstagsverhandlung. Es dürfte keinem objektiv
Denkenden fraglich sein, wer in dem Rededuell Thiele-Thaler die besseren
Gründe auf seiner Seite hatte! Diese besseren Gründe haben zum großen
Teil die guten Arbeiten des Jahrbuches geliefert, und deswegen begrüße ich
auch diesmal wieder sein Erscheinen.
Römer (282) hat die Aszendenz des üraniers im Vergleich zu der
des Durchschnittsmenschen studiert. Er kommt dabei zu folgenden Schlüssen:
1. daß der üranismus in einem Minimum von 2^© iiöd in einem
Maximum von 33"/^ vorkommt;
2. daß der Uranismus mindestens in 35"/^ der Fälle familiär vorkommt;
3. daß der Typus der urnischen Familie im Vergleich zu dem anderer
Familien sich darin dokumentiert, daß die Unterscheidung der Geschlechter
mehr nach der Richtung des Geschlechtstriebes als nach den Genitalien zu
geschehen hat;
4. daß der Altersunterschied zwischen den Eltern meist viel größer isty
als bei den anderen Familien;
6. daß aber in den uranischen Familien die allgemeine Belastung nicht
größer ist als in anderen;
6. daß bei den uranischen Familien Carcinom viel häufiger als Tuber-
kulose, was in den anderen Familien gerade umgekehrt der Fall ist;
7. daß die Möglichkeit für die Entwicklung eines Uraniers in dafür
disponierten Familien größer wird, wenn der Zeitpunkt der Erzeugung des
Kindes dem absoluten oder relativen Ende der Produktivität der Eltern
näher rückt;
8. daß ein solches Kind in der übergroßen Mehrzahl der Fälle schon
von frühester Jugend ab Eigenschaften und Eigentümlichkeiten zeigt, welche
in größerer Übereinstimmung mit einem Individuum des anderen Geschlechts
stehen würden;
9. daß die Entwicklung eines Uraniers jeder anderen Entwicklungs-
anomalie, welche zur Bildung von Varietäten führt, gleichgeachtet werden muß ;
10. daß in Übereinstimmung damit keine Zufälligkeiten oder Umstände,
welche es auch sein mögen, fähig sind, eine Person in der Entwicklung nach
der Geburt zu einem wirklichen Uranier zu machen, es sei denn, daß die
angeborene Prädisposition da war, und dieselben also nur als auslösende
Momente aufgefaßt werden können und müssen, nie aber als Ursache. Die
uranische Familie stellt aber kein in Degeneration, sondern vielmehr ein in
Regeneration begriffenes Geschlecht dar.
Vielleicht ist also die uranische Familie ein Teil der Menschheit, der,
evolutionistisch gesprochen, in Mutation begriffen ist, worin die Uranier
selber einen oft vielleicht schon blühenden, aber immer doch, wenn sie
wenigstens ihrer Natur nach leben, absterbenden Zweig darstellen. Sicher
ist aber, daß der Uranier lediglich als Varietät aufzufassen ist.
So fehlt er denn auch diesmal im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen
leider nicht, der homosexuelle Übermensch, dessen regelmäßige Präsentation
uns wahrlich an der Objektivität der ganzen Betrachtungsweise der Homo-
sexuellen zweifeln lassen könnte. Diesmal heißt er der „Supervirile" und
Eatte (147) ist es, der ihn frei nach G. Jäger heraufbeschwört. Natürlich
erklimmen solche Supervirilen, da sie nach Jäger „stets in Männergesell-
schaft leben und Männer sich ihnen zu Füßen legen, häufig die höchsten
Stufen geistiger Entwicklung, sozialer Stellung und männlichen Könnens"-
Natürlich befinden sich unter diesen homosexuellen gerade wieder „die:
1162 Kriminelle Anthropologie.
hervorragendsten Namen der Menschheitsgeschichte*. Und diese Blüten der
Menschheit setzt das Strafgesetzbuch des Deutschen Reiches auf die Pro-
fikriptionsliste, denn sie lieben keine Weiber! Solcher Übermensch nämlich
trä^ verhältnismäßig mehr Weibliches in sich als der heterosexuelle Mann,
und darum bedarf er zur dauernden Ergänzung seiner Natur natürlich keines
Weibes, sondern einer (mehr femininen) homosexuellen männlichen Person.
Ein solcher Superviriler ist nun nicht Vollmann oder Vollweib, sondern
„Vollmensch", ein Typus Mensch, wie er „in dieser Vollkommenheit auch
auf heterosexuellem Gebiet schwerlich anzutreffen ist**, weil bei letzterem
der weibliche Einschlag zu gering ist. Bei vielen Größen der Menschheit
läßt sich nur deshalb der Nachweis der homosexuellen Veranlagung schwer
erbringen, „weil sie gelieimhielten, was die Durchschnittsmasse in der Welt
verpönte". Natürlich wird auch die Gestalt eines Jesus zu einem „Voll-
menschen" Katt escher Art zurechtgestutzt. So ein viriler Homosexueller,
ein „Vollmensch", macht sich nun gern an die Jugend, und selbst wenn
er den jugendlichen Liebling küssen sollte, ja wenn er mit ihm sexuelle Akte
ausüben sollte, sei das denn soviel schlimmer, fragt Katte naiv, als wenn
der jüngere sich der einsamen Onanie ergibt? — O wenn man es doch
endlich unterließe, in dieser Weise der verfochtenen Sache zu schaden!
Homosexualität und das Verstehen und Nachempfinden der weiblichen Psyche
durch unsere Großen ist denn doch etwas total verschiedenes. Beides zu
vermengen ist ein unwissenschaftliches Kartenkunststück, und damit wird
nur das Gegenteil des Gewollten erreicht.
Sehr viele der im mssisch-japanischen Krieg eine Rolle spielenden
großen Kriegshelden der Japaner stammen aus dem Süden des Reiches und
vier davon sogar aus der Provinz Satzuma. Die hervorragendsten soldatischen
Retter des Reiches der aufgehenden Sonne, stammen •also daher, „wo die
Päderastie von alten Zeiten ganz besonders verbreitet ist". Was liegt für
Friedlaender (93) näher, als nun schleunigst einen kausalen Zusammen*
hang zwischen der sozialen Anerkennung mannmännlicher Liebesbündnisse
und der erfolgreichen Pflege männlicher Tüchtigkeit anzunehmen! Jedenfalls,
meint er, seien diese Tatsachen geeignet, den Einwand, daß die soziale Frei-
gabe des homosexuellen Verkehrs der kriegerischen Tüchtigkeit der Rasse
schade, vollständig zu entkräften, und ihre Anerkennung nach hellenischem
Vorbilde anzubahnen. In einer Anmerkung gibt er seinem Lieblings-
gedanken Ausdruck, daß bei Verpönung des homosexuellen Verkehrs der
Männer der soziale Zusammenhang der Mitglieder des führenden Geschlechts
gelockert werde und dadurch wieder der relative Einfluß des weiblichen
Elements (mit einer ausgedehnten Priesterherrschaft als Folge) steige. Vor
letzterem hat Verfasser heillose Angst und glaubt, daß Männerliebe ein
Gegengewicht dafür bieten könne, er vergißt aber ganz, daß diese Männer-
liebe eben nur einer gottseidank relativ kleinen Minderheit, den Homo-
sexuellen sympathisch ist. Normalmänner wollen von einer irai6epa(JT(a
ebensowenig etwas wissen, wie Friedländer selbst wahrscheinlich etwas
von der Liebe einer Frau. Die Verständnislosigkeit den Gefühlen der
anderen gegenüber ist eben nicht nur auf der heterosexuellen Seite zu finden,
sondern auch auf der der alles verstehenden Edeluranier.
Ich weiß nicht, ob man der Frauenbewegung einen Gefallen damit tut,
wenn man wie Rüling (292) behauptet, daß gerade die homosexuellen
Frauen ihre geborenen Führerinnen wären. Man diskreditiert damit eine
Menschheitsfrage, wie es für mich die Befreiung der Frau ist, zu einem
Kampftummelplatz einer relativ kleinen Minderheit von Menschen. Man
unterstützt dadurch den Aberglauben, als sei die Frau an sich ein minder-
Kriminelle Anthropologie. 11Q3
Geschöpf, das vielleicht der erstrebten Freiheit gar nicht so bedürfe,
nicht ein geistiger Zwitter mit männlichen Anlagen sei. Es muß
)t eiomal dem Mischmasch ein Ende gemacht werden, der darin
1 man geistige Eigenschaften, die vorwiegend bei dem einen Geschlecht
60, wepQ man sie auch bei dem oder jenen des anderen Geschlechts
ich weou diese Eigenschaften mit den sexuellen Trieben gar nichts
aben, gleich als auf Homosexualität weisend bezeichnet Man ver-
ins Uferlose, Spekulative, wenn man bei der Homosexualität mehr
r den sexuellen Trieb als Nebensache, ja wohl als gar nicht not-
«rstellea will. Dieser sexuelle Trieb allein ist für mich das einzige
gebende Charakteristikum; hie ßhodiis, faic salta. Es geht doch
lede energische, stolze, Gerechtigkeit heischende Frau als männlich,
ruinde neigend anzusehen. Ich glaube den Beifall vieler in der
iregung eine Rolle spielender Frauen zu finden, wenn ich sage,
»da sojche Ansichten über sie verbitten würden. Abgesehen von
meiner Meinung falschen Voraussetzungen der Anna B.üling hat
Recht, weiin sie von einer zweckmäßigen Erziehung, sowie von
sten Bildungsmöglichkeit der männlichen und weiblichen Jugend
igen Vortßil für Männer, Frauen und auch für die Homosexuellen
„die Männer erhalten denkende und verstehende Lebensgefährtinnen,
D erlangen allmählich eine würdigere und rechtlich angesehenere
ad die Umindea können sich frei den ihnen zusageji^den Berufen
ren arg moralischen Philologen hat von jeher der große Piaton
nait seinem „Gastmalü" und seinem „Phädrus" große Pein gemacht,
sich dadurch in seiner Anerkennung des Piaton als eines philo-
und sittlichen Genies gestört und gibt deshalb der von ihm
i iratSepaorfa ein möglichst unverfängliches Ansehen. Deshalb ist
> Ansichten des großen Griechen auch einmal von einem Mann
P (162), der frei ist von den Scheuklappen der Durchschnitts-
dargelegt zu sehen. Dabei ergibt sich, daß der jüngere Platon
nJicben Form der TraiSepaaria auch nur bedingungsweise zustimmen
ennoch billigt Platon das sinnliche Element, soweit es nur in
in und „Zusammenliegen" besteht, in seinem „Phädrus" selbst
irbesten, weisesten Menschen; das Reinsexuale hält er auch noch
rerzeihlichen Fehler der „Vielen", ja auch diesen sagt er nach
ein Leben im Lichte" zu, „denn auch sie haben geliebt." Der
iton, der in den „Gesetzen" überhaupt die sinnliche Lust als
aftes verwirft, bezeichnet demgemäß auch die Liebe zum gleichen
als irctpa ^^oiv, als unnatürlich. Jedenfalls hat der noch nicht
soph den gleichgeschlechtlichen Sexualtrieb in seiner relativen
^ anerkannt und ihn in seiner schönsten Veredelung vor Augen
itan (^96) widerlegt in dieser Arbeit mit aller Bestimmtheit
Jigung^, Calvin habe ,.Pedikation-* getrieben und weist nach,
eschuldigung als eine boshafte und absichtliche Verleumdung
isionellen Gegner zu betrachten ist.
5h, unserem Goethe war nichts Menschliches fremd. Sein Genie
das spielend im voraus bewältigt, was die nächsten Jahrhunderte
Torscherarbeit allmählich zu bewältigen suchten. AVie hat er
m Grespräch der erst jetzt nach und nach anerkannten Natür-
Homosexualität epigrammatisch Ausdruck gegeben, wenn er
^nabenliebe sei so alt wie die Menschheit, und man könne daher
r. Neurologe u. Psychiatrie 1905. '3
XX 54 Krimiaelle Anthropologie.
sagen, sie liege in der Natur, ob sie gleich gegen die Natur sei. (Mitgeteilt
von Brandt (46).)
Auch V. LevetZOW (178) arbeitet leider mit der völlig in der Luft
stehenden, einseitigen Phrase, da!ß der „ganze Mensch", der „Repräsentant-
Mensch" vielleicht Mann und Weib zugleich sein müsse, um von allen an
sich zu haben. Für einen solchen „Repräsentant-Menschen" hält er die
Louise Michel, die Fanatikeriu des Anarchismus und der Revolution; er
weist bei ihr unstreitig eine Masse virile Züge auf, körperliche Stigmata,
männliches Gehaben und männliche Interessen, vor allem aber eine sich
durch ihr ganzes Leben ziehende erotische Abneigung gegen den Mann, dem
gegenüber sie sich nur als Kamerad fühlt, und andererseits eine große Liebe-
bedürftigkeit dem Weibe gegenüber, so daß sie bis zu ihrem Tode immer
eine heißgeliebte Freundin haben mußte, mit der sie in Freud und Leid
zusammenlebte, in den letzten 20 Jahren mit Charlotte Vauwelle. Sie ist
also sicher als Virago anzusehen. Aber nun wird aus ihr gleich das Idol
der Homosexuellen gemacht, der „Edeluranier", der, da er von der Art-
erhaltung durch Kindererzeugung ausgeschlossen, sich als soziales Wesen
destomehr gedrungen fühlt, verpflichtet, mit seiner großen, umfassenden Liebe
der Menschheit zu dienen, ihr an Stelle von Kindern soziale Arbeit, große
Ideen zu schenken. Und das Resultat? Eine Fanatikerin fast pathologischen
Charakters, eine Furie der Revolution. Ist das der „Repräsentant-Mensch"?
Nach meinem Geschmack wenigstens nicht. Dennoch stimme ich mit dem
Verfasser darin überein, daß sie ein Ausnahmemensch war, daß sie subjektiv
nur aus den höchsten, reinsten, edelsten, uneigennützigsten Motiven heraus
gehandelt hat, daß sie eine Märtyrerin des Menschheitsgedankens geworden
ist, wie sie diesen verstand ; doch behaupte ich, daß dieses Verstehen wahrhch
nicht ein solches gewesen ist, wie ich es für einen harmonischen Repräsentant-
Mensch würdig halte.
Bertz (21) gibt ein gutes Charakterbild von Walt Whitmann, der
„wohl merkwürdigsten, aber auch problematischsten Gestalt des amerikanischen
Schrifttums" — ein Charakterbild, gleichweit entfernt von blinder Verhimme-
lung, die ihm eine Verehrung als eine Art zweiter Christus angedeihen üeß — ,
wie von gehässiger Unterschätzung, die in Whitmann sogar einen Vagabunden,
ein moralisches Scheusal, ja einen Verrückten erkennen wollte. Bertz sieht
in ihm einen genialen Menschen, der sich gerade infolge seiner GeniaUtät
auf dem Grenzgebiet geistiger Gesundheit bewege, keinen Normalmensehen,
und zwar besonders nicht in dem, was die Grundlage des Charakters und
jeder individuellen Geisteseigentümlichkeit sei, in seiner seelischen Geschlechts-
natur; „er war ein ausgeprägter Typus des Homosexuellen", ein „Edel-
Uranier". Vielleicht hat Whitmann nie „unerlaubte" Beziehungen zu jungen
Leuten unterhalten. Aber nicht auf bestinamte Akte komme es an bei Fest-
stellung der Homosexualität, sondern auf die Geftihlsweise, die psychische
Sexualität. Und diese psychische Sexualität findet bei ihm ihren Ausdruck
in einer glühenden Kameradschaft, ja leidenschaftlichen Liebe von Mann zu
Mann, die besonders in dem Cyklus der „Kalamus"-Lieder geradezu sinn-
liche Gestalt annimmt. Trotz späterer Ableugnung Whitmanns selbst kann
man das Evangelium der Kameradenliebe, wie es immer wieder in den „Gras-
halmen" gesungen wird, nicht nur als Predigt der allgemeinen Menschen-
liebe auffassen, sondern nur als Ausfluß einer umischen Gefühlsweise, „wie
sie niemals stärker, wahrer und naiver zum Ausdruck gelangte". Whitmann
zeigte auch sonst weibliche Eigenschaften, er war eitel äußerlich und innerlich
und von fast wahnsinniger Überhebung. Eine Vorherrschaft des Gefühls
wie beim Weibe erklärt seine ungeheure Subjektivität und seinen Mystizisinns,
Kriminelle Anthropologie. 1155
wollte die Rolle Jesu im modernen Leben spielen. Um ein Weib machte
sich nie Gedanken; ^seine Anlage war anders", sagt sein intimster Freund
iter Doyle. Deshalb blieb W. auch unverheiratet. Umgekehrt trieb es
1 zu ungezwungenem Verkehre mit den Männern des Volkes, er fraterui-
rte mit „kraftvollen", ungebildeten Leuten, mit Naturburschen aller Art,
t Arbeitern, Athleten, Omnibuskutschern, Matrosen, Landstreichern u. ä.
seinen Gedichten sind Stellen wie: „Entschlossen, heute keine anderen
jder zu singen, als solche von männlicher Neigung"; oder er jubelt: „Denn
• eine, den ich am meisten liebe, lag schlafend neben mir unter derselben
cke in der kühlen Nacht." Trotzdem W. offenbar als Homosexueller
ygamisch veranlagt war, hatte er doch langjährige Beziehungen zu Peter
yle, einem ausgesprochenen Urning. Denn wenn er auch zweifellos viele
)ninge geliebt ha^ so konnte ihn doch nur ein Urning wirklich wieder
)en. So beruht denn das ganze Evangelium W.'s, das eine leidenschaft-
le Kameradenliebe predigt, auf einer ganz einseitigen Veranlagung der
che des Dichters und auf der falschen Voraussetzung, daß diese Anlage
i allgemein menschliche sei. Damit bekommt auch die Allgemeingültigkeit
ler Lehre den tödlichen Stoß, und so interessant W. uns als Dichter und
isch bleibt, als Prophet gehört er zu den falschen Propheten.
Daß auch Zola, obgleich er in seineu naturalistischen Romauen, in
en er sonst doch rücksichtslos den Vorhang vor fast allen sexuellen Vor-
nan und Irrgängen herabriß, allein die Frage der Homosexualität nicht
bearbeiten wagte, dennoch auch für diesen Teil der Menschheit tief em-
id und die ganze Wichtigkeit und Tragik dieser Frage völlig begriff,
t der von Benlwitz (22) veröffentlichte Brief Zolas an den franzö-
leu Arzt Dr. Laupts.
Wie groß muß das schier unausrottbar erscheinende Vorurteil, das die
Qosexuellen verfehmt und so oft in Schande und Tod hetzt, sein, ruft
Herausgeber des Briefes aus, wenn ein Zola, der unermüdliche Kämpfer
Wahrheit und Gerechtigkeit, es nach seinem eigenen Geständnis nicht
gt", dem homosexuellen Problem näher zu treten! Ich glaube aber
dem Briefe noch einen anderen Grund des Beiseitelassens der Homo-
aütät herauslesen zu können. Dieser Stoff lag dem Schriftsteller der
ihtbarkeit und dem Apostel der Volks Vermehrung offenbar nicht. Er
ttleidet die Homosexuellen wohl und meint, daß nichts tragischer
als ihre Triebrichtung, für die sie nichts könnten, und für die sie auch
ch nicht bestraft werden könnten, aber er hebt besonders hervor, daß
(den Invertierten für einen Zerstörer der Familie, der Nation und der
jchheit ansieht. „Mann und Weib sind sicherlich nur deswegen hie-
3n, um Kinder zu zeugen, und sie töten das Leben an dem Tage, wo
licht mehr das tun, was notwendig ist, um solche zu zeugen." Bei
i Naturalismus gibt es kaum einen größereu Idealisten als Zola, den
iger und Verherrlicher einer blühenden Zukunftsmenschheit. Zu einer
rteilung der seinen Idealen widersprechenden Homosexualität könnte er
Gerechtigkeitsgefühl nicht kommen, zu einer Anerkennung derselben
erst recht nicht. Und so mag er sich wohl stets gescheut haben, diesen
zu berühren.
Eine lange Zeit verschollene und vergriffene Schrift aus dem Jahre
von einem anonymen Verfasser, hinter dem sich der Schriftsteller
I. Kertbeny verbirgt, wird hier wieder durch Leonhardt (176)
veröffentlicht, eine Schrift, die in der Tat eine Fülle von Gesichts-
ten zur Beiuteilung des homosexuellen Problems enthält, die heute noch
lo beachtenswert sind wie vor 36 Jahren. In der Form einer offenen,
73*
X156 Kriminelle Anthropologie.
fachwissenschaftlichen Zuschrift an den damaligen preußischen Staats- und
Justizminister Dr. Leonhardt gibt K. erst einige,, allgemeine ßetrachtungea
über den fortschreitenden Rechtsstaat und die Überwindung des Feudal-
Btaates zum besten. Gerade in den Sexualitätsfragen der Gesellschaft sei
das Prinzip des Rechtsstaates, der sich in innere Verhältnisse der Indivi-
duen nicht zu mischen habe, noch nicht so durchgedrungen, wie es sollte.
Der Massenprostitution, wie sie die menschlichen Triebe und soziale Ver-
hältnisse (späte Heiratsmöglichkeit) geschaffen, gegenüber verhalte sidi die
Gesetzgebung längst passiv, streng nur die Wahrung der Rechte anderer in
Buhe haltend und nur bei deren Verletzung zur Sühne bereit Dieses
Prinzip solle aber nun auf einmal beim gleichgeschlechtlichen Verkehr keine
Geltung haben. Außer bei der Prostitution siiche sich nun der durch die
sozialen Verhältnisse in seinen natürlichen Äußerungen lahmgelegte Gre-
schlechtstrieb einen Ausweg in der ungeheuer verbreiteten Onanie, deren
Folgen der Verfasser allerdings in ganz übertriebener Weise schildert. Er
meint, die Onanieseuche bedrohe die Menschheit mit beinahe völligem Aus-
sterben, und im Vergleich zu dieser lasterhaften Manie sei die ärgste
sogen, natürliche und widernatürliche Unzucht direkt noch eine physische,
ja sogar moralische Rettung. Und diese Onanie, die oft einem ^^langsameu,
doch sicheren Selbstmord" gleichzustellen sei, sei nicht verboten. Den bloß
durch bestimmte Persönlichkeiten, nicht durch die Phantasie erregbare an-
geborenen Homosexuellen dränge es aber eben zur gegenseitigen Mann-
stupration, einsame Onanie helfe ihm nicht. Und wie nahe liege gerade
beim hier in Betracht kommenden Delikt die Möglichkeit, daß die im GesetK-
sinne wirklich Schuldigen entwischen! Gegenüber der weiten Verbreitung
der Homosexualität seien die Verurteilungen wegen dieses Delikts geradezu
lächerlich gering, also sei entweder die Handhabung des § 143 in der
Praxis unendlich milder als in der Theorie, oder die strafgerichtliche Ver-
folgung stehe in keinerlei auch nur annähemdem Verhältnisse zu den durch
sie strafbedrohten Handlungen. Aus alledem ergebe sich, daß sowohl Theorie
wie Praxis gegen eine Bestrafung der sogen, widernatürlichen Unzucht
sprächen, soweit sie nicht die Rechte anderer beeinträchtige. Man müsse
also das Strafgesetzbuch von dem Makel dieses Unrechts befreien.
Das österreichische Strafgesetz qualifiziert in seinem § 129 b den ge-
schlechtlichen Verkehr mit Personen des gleichen Geschlechts als Verbreclien
und bedroht ihn mit Strafe des schweren Kerkers in der Dauer von 1 bis
6 Jahren, v. Sölder (303) erörtert nun rein vom Standpunkt des gel-
tenden Rechts aus, ob Homosexuelle für Delikte nach § 129 StG. exknlpiert
werden können. Dies fällt de lege lata allein mit der Frage zusammen, ob
sich einer der im Gesetze aufgezählten SchuldausschließungFgründe geltend
machen lasse. Verfasser kommt zu folgenden Schlüssen: Die Homosexualität
ist keine Geistesstörung im Sinne des § 2 a, b und c des Strafgesetzbuchs
(Beraubung des Vernunftgebrauches, abwechselnde Sinnenveirückung und
SinnenverwiiTung). Der Homosexuelle ist, insofern nicht außer der Per-
version des sexuellen Empfindens noch andere krankhafte Momente wirksam
sind, zur Ausübung eines geschlechtlichen Verkehrs nicht stärker gedrängt
wie der Normalsexuelle. Wenn die Ausübung des geschlechtlichen Verkehrs
beim Normalen nicht unter einem «.unwiderstehlichen Zwang" erfolgt (§ 2g
StG.), so kann ein solcher auch für den geschlechtlichen Verkehr des
Homosexuellen generell nicht in Anspruch genommen werden. Besondere
Verhältnisse, die einerseits die Intensität des Geschlechtstriebes, andererseits
die allgemeine psychische Widerstandsfähigkeit des Individuums zur Zeit
der Tat betreifen, können den Antrieb zum geschlechtliefaen Verkehr beim
Kriminelle Anthropologie. 1157
xuellen — ebenso wie beim Heterosexaellen — zu einem zwingenden
Ob hierdurch ein „unwiderstehlicher Zwang" im Sinne des § 2g
^eben ist, hängt von der Auslegung dieser Bestimmung ab; die in
zten Jahren rom obersten Gerichtshof angenommene Auslegung
eine solche Anwendung aus, scheint aber in der hier in Betracht
den Kichtung irrig zu sein.
äcke (230) fühlt sich veranlaßt, gegen die Auslassungen des Raffa-
die Pariser Homosexuellen in Schutz zu nehmen. Es sei falsch,
md einiger am unrechten Orte gesammelter Erfahrungen verallge-
d ein düsteres Bild vom Pariser Homosexuellen zu entwerfen und
md dieses Bildes einen unterschied zum Niveau des Berliner Homo-
n konstruieren zu wollen. N. spricht die Vermutung aus, daß der
hied zwischen Berlin und Paris in dieser Beziehung kein wesentlicher
irfte. Im übrigen Teil seines kurzen Aufsatzes ergeht sich N. in
inerkennenden Äußerungen über die Tätigkeit des „humanitären
jhaftlichen Komitees" zu Berlin aus und schließt seine Sympathie-
3ung mit dem Wunsche ab, es möge sich in Paris eine ähnliche
gung konstituieren. N. erblickt in diesem Komitee einen Kultur-
ron ungeahnter Bedeutung. (Merzbaclitr,)
1 der zweiten kleinen Arbeit veröffentlicht Näcke (231) einen Brief
»hochgestellten" und erfahrenen Homosexuellen aus Paris, der an-
durch die zuerst mitgeteilte Arbeit ihm in seiner Vermutung über
alogie der Berliner und Pariser Verhältnisse beizustimmen scheint,
em Briefe erhält man ganz genaue Angaben, wann, wo und wie sich
gesinnte in Paris treffen können. Allerdings scheint es in Paris in-
schwieriger zu sein, als Lokale mit exklusiv homosexuellem Publikum
orhanden sind. Es ist recht interessant zu erfahren, daß auch in
eich, wo es keinen § 175 gibt, die Gefahr der Erpressung, wenn auch
3schwächtem Maße, ebenfalls sein beunruhigendes Wesen treibt. Zum
neuerdings eine Apotheose des humanitären wissenschaftlichen Komitees
'lin 1 (Merzbacher.)
)ie Arbeit von Hospital (135) enthält nur einige ganz allgemein
)ne Reflexionen über die Exhibitionisten. Sie bringt nichts wesentlich
als kasuistischer Beitrag erscheint das Gebotene recht dürftig.
(Merzhacher,)
3ellini (16) teilt die Krankengeschichte eines 12jährigen Knaben
er bereits im 9. Monat äußerst lebhaft zu onanieren begann. Er ist
i sehr schwer belastet, seine Vorfahren zeichnen sich speziell durch
3cht abnorme vita 8exualis..aus. In den späteren Jahren war er sehr
istisch veranlagt in den Äußerungen seines Sexuallebens, onanierte
iel, verführte andere zur Onanie, schrieb einem 10jährigen Mädchen
selbst im Alter von 12 Jahren! — glühende Liebesbriefe, in denen
ch Drohungen gegen etwaige Rivalen ausstieß. Er soll 2 mal tele-
che Phänomene (!) geäußert haben. Zeichen manifester psychischer
)sie sind vorhanden. — Solche Fälle degenerierter Psychopathen sind
mmene Demonstrationen für die lombrosianische Schule, um den postu-
1 Zusammenhang zwischen Epilepsie und den „Degeneres" darzutun.
(Mei'zhacher,)
Fere (81) berichtet über einen 12jährigen Knaben, der plötzlich im
daß an einen onanistischen Akt in einen Zustand von Verworrenheit
tupor verfiel, der gegen sechs Tage anhielt. Nach einer längereu Bett-
trat vollständige Wiederherstellung ein. (Bendia.)
1158 Gerichtliche Psychiatrie.
Pere (82) hebt in seiner Abhandlung über den Onanismus hervor,
daß durch ihn die sexuellen Triebe unterdrückt werden und PeiTersitäten
entstehen können.
Manche Individuen erleiden durch die Masturbation an ihrer Gesund-
heit keinen Schaden, andere hingegen erleiden Einbuße ihrer InteUigenz nnd
hinsichtlich ihres psychischen Verhaltens. Onanisten leiden besonders an
Depressionszuständen. (Bendur.)
Braune (48) berichtet über einen Fall von konträrer Sexualempfindung
bei einem Artillerieoffizier, der sich von den auf Posten stehenden Soldaten
die Geschlechtsteile zeigen ließ. Der Augeschuldigte hatte längere Zeit
Onanie getrieben, schon als Knabe große Zuneigung zu anderen Knaben
gezeigt und später sich noch mehr zum männlichen Geschlecht hingezogen
gefühlt. Er wurde auf Grund ärztlicher Gutachten verurteilt und erst nach
seiner zweiten Berufung und nach einer Beobachtung im Irrenhause frei-
gesprochen. B. wurde als schwer neurasthenisch erkannt, der infolge erb-
licher Belastung an konträrer Sexualempfinduug leidet und sich bei Be-
gehung der Tat in einem Zustande krankhafter Störung seiner Geistestätig-
keit befunden hat. (Bendia,)
ßsrlGlitUclis Psychiatrie.
Referent: Prof. Dr. A. Cramer-Götting-en.
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58. Derselbe, Fall eines schwachsinnigen Brandstifters, ibidem. Bd. 62, p. 420. (Sltiliilg»-
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No. 83--34.
I. ZnrechnnngsfShIgkelt und damit zusammeDhangende Fragen.
Moeli (iV6) steht auf folgendem Standpunkt:
1. Grundsätzlich ist die allgemeine Berücksichtigung psychischer Mängel
r Schwächen auch bei als zurechnungsfähig Betrachteten beim Urteil
beim Strafvollzug erforderlich. Die Ausgestaltung der Sonderbestimmungen
Jugendliche in mehrfacher Richtung ist an erster Stelle geeignet, diesen
^ck zu erfüllen. Immer muß eine sorgfältige Begutachtung der Einzel-
) behufs Auslese Geisteskranker stattfinden.
2. Nicht nur die individuelle Berücksicl^tigung im gewöhnlichen Straf-
zug, sondern auch die Möglichkeit der Überführung in eine Abteilung
gemilderten Strafvollzug ist allgemein bei diesen Personen anzustreben.
Einrichtung derartiger Abteilungen an Strafanstalten bietet Vorzüge
Verwendung von auch nach dem Strafvollzug bestimmten Anstalten.
3. In welcher Weise die richterliche Tätigkeit bei Zulassung des
britts in eine Abteilung für gemilderten Strafvollzug bei Überweisung
3ewahran8talten nach Verbüßung oder bei Abkürzung der Strafe oder
sonstigen Aufsichtsmaßregeln, deren Zeitbestimmung, Aufhebung usw.
3gelt wird, unterliegt ebensowenig medizinischer Beurteilung, wie die
ge, ob auch gegen verurteilte Gemeingefährliche ohne psychische Schwächea
Mängel „Sicherungsmaßregeln" getroffen werden müssen.
4. Gemeingefährliche der besprochenen Art bieten nur in der Minder-
der Fälle Aussicht auf erfolgreiche Behandlung in Krankenanstalten,
sichernden Verwahrung nach der Strafverbüßung bis zum Wegfall der
oeingefährlichkeit können die Anstalten für Nerven* und Geisteskranke
emein nicht kerangezogen werden.
5. Zweckmäßig insbesondere auch für Beschäftigung im) Freien eiu-
cbtete Bewabranstalten mit gradweiser Abstufung des Verschlusses und
Freiheitsbeschränkung bieten für anders nicht genügend zu beaufsichtigende
einge&hrliche Zurechnungsfähige mit psychischen Mängeln oder Schwächen,
beste Form sichernder Versorgung nach der Strafverbüßung.
sollten durch räumliche Trennung von den Strafanstalten und durch
tritt Verurteilter nur aus den letztgenannten den Unterschied zwischen
ife und sichernder Verwahrung zutage treten lassen.
Podestä hat kürzlich darauf hingewiesen, daß in der Marine Geistes-
ikheiteu etwas häufiger vorkommen als im Heere, und daß sie verhältnis-
ig mehr in den späteren Jahren des Dienstes vorkommen als im Anfang.
jrer (122) teilt zwanzig Beobachtungen, welche zur Begutachtung gekommen
, mit und knüpft daran einige bemerkenswerte Vorschläge. Wir können
nur zustimmen, wenn er betont, daß es sehr wichtig wäre, wenn den
tärbehörden über solche Individuen, die besonders mangelhafte Schuli-
nng aufzuweisen haben, speziell nur Hilfsschulen für schwach befähigte
der besuchen konnten. Mitteilungen über deren Gesamtverhalten und
tige Entwicklung auf amtlichem Wege zugingen, am besten nach Abschluß
Schulzeit, kurz ehe dieselben das militärpflichtige Alter erreichen. Diese
Sregel würde es ermöglichen, die Militärverwaltung von den Geisteskranken
'iori zu befreien, und es würde auch den Geistesscliwachen das Martyrium
Dienstversuches mit untauglichen Mitteln erspart. Auch zur rechtzeitigen
gnose der Formen von Seelenstörung ist die Kenntnis des Vorlebens
116(5 Gerichtliche Psychiatrie.
wichtig und deshalb besonders gerade für die Militäryerwaltung erwünscht.
Ebendahin gehören auch die häufigen Bestrafungen wegen gleichartiger
Delikte. Es wäre wichtig, daß in allen derartigen Fällen sofort dem Arzt
Mitteilung gemacht würde. In Betracht kommt ferner auch eine Orientierung
der Offiziere durch entsprechende Vorträge. Durch die Maßnahmen ist nun
nicht etwa zu befürchten, daß sich die Zahl der Beobachtungen ins Un-
gemessene steigern und die Neigung, Geisteskrankheit vorzutäuschen, geweckt
würde. Im Gegenteil, es kann für Marine und Heer nur von außerordentlicher
Wichtigkeit sein, wenn der Truppenteil rechtzeitig von psychisch unzu-
verlässigen Elementen gereinigt wird, damit nicht im Ernstfall durch Ver-
sagen derselben unabsehbare Folgen entstehen.
Wollenberg (198) hat sich sehr eingehend und auch auf Grund
exakter, weit ausgedehnter Versuche mit der Frage der forensisch-psychiatrischen
Bedeutung des Menstruationsvorganges beschäftigt. Er weist zunächst darauf
hin, daß die Menstruation einer gewissen Wellenbewegung im Leben des
Weibes Ausdruck gibt, und daß namentlich bei Prädisponierten die menstruelle
Periode zu nervösen Zuständen und auch direkt zu psychischen Störungen
Veranlassung geben kann. Dabei ist aber im Auge zu behalten, daß es
robuste, kräftige Frauen und Mädchen namentlich vom Lande gibt, welche
durch die Menstruation in keiner Weise tangiert werden. Interessant ist
die vom Kieler pathologischen Anatomen Heller gemachte Feststellung,
daß von 300 durch Selbstmord zu Grunde gegangenen weiblichen Individuen
sich 40®/o in der Menstruation befanden. Wollenberg ist entschieden mit
Recht der Ansicht, daß im allgemeinen, vielleicht namentlich auch von seilen
der Verteidigung, bei Angeklagten in foro die Bedeutung der Menstruation
zu stark bewertet wird, und betont, daß es immer auf den speziellen Fall
ankommt. Durch Recherchen bei einigen größeren Ferasprechämtern konnte
Wollenberg feststellen, daß von 450 bis 500 Damen täglich 2 bis 4 un-
päßlich waren, und daß diese Unpäßlichkeit in der Menstruation entsprechenden
Intervallen wiederkehrte. Es zeigt sich also hier, daß auch im Beruf ein
nicht geringer Prozentsatz infolge der menstruellen Beschwerden versagt.
Auch bei dem weiblichen Personal der Klinik Wollenbergs fanden sich
irgendwelche Anomalien vor der Menstruation. Um sich über diese Tätigkeit,
über die während der Menstruation geraachten Wahrnehmungen Zeugnis
abzulegen, zu orientieren, hat Wollenberg, sehr interessante Versuche an-
gestellt, hat aber nicht feststellen können, daß eine wirkliche Beeinträchtigung
durch den Menstruationsvorgang in dieser Richtung im allgemeinen beim
weiblichen Geschlecht stattfindet.
FoUigkeit (145) schließt sich betreffs der Reform der strafrechtlichen
Behandlung jugendlicher und geistig minderwertiger Personen den Beschlüssen
des deutschen Juristentages von 1904 an; er betont, daß dieselben volle
Unterstützung verdienen. Zur wirksamen Bekämpfung der Verwahrlosung
und der Kriminalität der Jugendlichen ist jedoch der Erlaß eines Reichs-
erziehungsgesetzes notwendig, worin die staatliche Überwachung der Erziehung
aller Minderjährigen in ihren Grundzügen neu geregelt wird. In diesem
Gesetze ist der Überwachung der sittlichen Erziehung und der Berücksichtigung
der psychischen Eigenschaften der Jugendlichen besondere Aufmerksamkeit
zu schenken. Die vom Staate kraft der Obervormundschaftsrechte ausgeübte
Fürsorge und Aufsichtstätigkeit, die jetzt wesentlich nur den Charakter einer
Repressive gegen den Mißbrauch der elterlichen Gewalt und gegen schuld-
hafte Gefährdung des Kindes durch den Inhaber der Gewalt trägt, müßte
im Sinne einer regelmäßigen, organisierten und präventiven Überwachung
ausgestaltet werden. Der aufsichtsführenden Behörde müßte in der Eün-
Gerichtliche Psychiatrie. 1167
itung einer Berufsvormundschaft ein Organ beigegeben werden, das ihr
praktischen Durchführung der Aufsicht dient und als Zentralberatungs-
Auskunftsstelle den Eltern in der Erziehung minder veranlagter oder
irteter Kinder zur Seite steht.
Häufig gerät der praktische Arzt in Verlegenheit, wenn er strafrechtliche
idlungen, welche in einer Beziehung zum Alkohol stehen, begutachten
. Wir verweisen an dieser Stelle nur auf eine sehr handliche Monographie
Heilbronner (73) über „die strafrechtliche Begutachtung der Trinker".
Die Mitteilungen Leppmanns (101) interessieren uns hier nur in-
eit, als sie sich mit der Frage des Lustmordes beschäftigen. Leppmann
*t aus, daß Lusttötungen in der Regel Augenblickshandlungen sind, und
zur Annahme einer Tötung aus wollüstigen Motiven nicht zugleich die
lahme einer geistigen Verkehrtheit und Unfreiheit notwendig sei. Ein
[ derartiger Morde seien keine eigentlichen Lustmorde, d. h. keine Tötungen,
denen in der Tötung selbst ein Motiv zur Erregung von Wollust liege,
könnte vorkommen, daß die Tötung aus anderen Motiven, z. B. aus Rache,
tfiude und eine Verletzung der Geschlechtsteile vorgenommen werde, um
ch Vortäuschung eines Lustmotives den Verdacht in andere Wege zu
ten. Ferner könne die Tötung auf eine aus normalen geschlechtlichen
iven unternommene Gewalthandlung folgen, um die Gefahr der Entdeckung
beseitigen. In diesem Fall kämen Entschluß und Ausführung in der
^el zeitlich eng zusammen. Endlich könne die Tötung mit dem Versuch
)T geschlechtlichen Betätigung gleichzeitig einhergehen, indem Gewalt-
dlungen zunächst darauf abzielten, den Widerstand des Opfers zu brechen,
. der Erfolg entweder über die gewollte Absicht hinausgehe oder die
en der Geschlechtsbegierde einhergehende Furcht vor Entdeckung die
nralthandluug im Moment der Ausführung bis zur Absicht, zu töten, steigere,
r in der Minderzahl von Fällen begehen Personen Lustverbrechen, deren
chlechtliche Reize auf die eine enge Bahn zusammengedrängt sind, daß
in der Verübung todbringender Grausamkeit ein Wollustgefühl empfinden,
rade bei diesen echten und reinen Lustmorden geht nicht immer, wie
n anzunehmen geneigt ist, mit der Tötung eine Verstümmelung der
ächlechtsteile, der äußeren und inneren, einher, sondern es handelt sich
Erwürgung oder um Beifügung starkblutender Wunden namentlich am
Ise. Andere sogenannte Lustmörder beginnen eine Geschlechtshandlung
i dem Vorsatz normaler Geschlechtsbetätigung, erst im Verlauf der Aus-
rung tritt die Grausamkeit als weiterer Wollustkitzel hinzu.
MönkemÖUer (V28) macht eine Reihe vom Standpunkt des Psychiaters
tier gerechtfertigter Bemerkungen gegen die zum Teil laien-psychiatrischen
merkungen, welche im Plötzensee-Prozeß zum Vortrag kamen, und geht
)ei unter den bekannten Gesichtspunkten besonders auf die Behandlung
• Grenzzustände in den Gefängnissen ein. Seine Bemerkungen wären
Ueicht noch von größerem Wert gewesen, wenn er nicht zu blumenreich
iprochen hätte.
Eoeiüg (83) macht mit Recht darauf aufmerksam, daß im Publikum
mer nur von den Fällen die Rede ist, welche nach der Entlassung aus
' Anstalt draußen nicht ganz gut geraten, daff aber von dem Gros der
Ue, welche sich nach der Entlassung wieder eine neue Lebensexistenz
lafFen, im Publikum nie gesprochen wird.
Cramer (36) führt den Nachweis, daß die Gemeingefahrlichkeit der
listeskranken entschieden überschätzt wird, und daß ein nicht geringer
fl der gemeingefährlichen Handlungen der Geisteskranken vermieden werden
an, wenn für rechtzeitige Anstaltsaufnahme der Geisteskranken dadurch
11(58 Gerichtliche Psychiatrie.
gesorgt wird, daß das Publikum immer mehr aufgeklärt und das Aufnahme-
verfahren nach Möglichkeit erleichtert wird und fsrner die Kranken außerhalb
•der Anstalten in sachgemäßer Weise überwacht werden, daß die Gemein-
gefährlichkeit eines Geisteskranken sich auch wieder verlieren kann und
daß er dann selbstverständlich entlassen werden muß, daß es aber das gute
Kecht des Staates bleibt, zum Schutze des Publikums gewisse Vorsiditfi-
maßregelu zu treffen, z. B. die vorherige Anmeldung an die Ortspolizeibehörde,
daß aber darüber, ob ein Kranker entlassen werden kann, nur sein Zustand
und nicht das, was er begangen hat, entscheidet, und daß das Urteil also
nur beim Arzt liegen kann, daß schließlich die scharfe Betonung der
Gemeingeßlhrlichkeit der Geisteskranken in der neueren Zeit auf Grund
der verschiedensten Vorurteile entsteht und nur zum Schaden unserer Kranken
und Anstalten weiter verbreitet wird,
Dannemann (41j verlangt Einrichtung von neuartigen Asylen fSr
intellektuell und ethisch minderwertige und unsozial veranlagte Elemente,
ferner eine bessere Fürsorge für akut aufsichtsbedürftig werdende Kranke
-speziell in den Yerkehrszentren, weiter Gründung von Pflegerschulen und
Hebung des Interesses für das Irrenwesen im allgemeinen nebst energischer
Popularisierung der Kenntnis von Geistesstörungen und schließlich Einrichtung
von Polikliniken und Gründung von Hilfsvereinen.
Der praktische Arzt ist sehr häufig damit nicht bekannt, wann die
Zeit gekommen ist, daß ein Geisteskranker in eine Anstalt zu bringen ist;
«r weiß auch häufig nicht, unter welchen Verhältnissen ein Geisteskranker
außerhalb der Anstalt leben kann. Wir verweisen zur Orientierung in vor-
kommenden Fällen auf die eingehenden Referate von Weber und Btolper
{191 a) über „die Beaufsichtigung der Geisteskranken außerhalb der An-
stalten^. Gerade mit der genauen Kenntnis und Beachtung dieser Verhältnisse
wird auch die sogenannte Gemeingefähriichkeit der Geisteskranken vermieden.
Die juristischen Konsentatoren des BGB. weichen nach Grassl (65)
in der Begriffserklärung für Trunksucht nicht unerheblich von einander ab.
Sich anlehnend an Kraepeli», definiert Verf. die „Trunksucht^ als den
durch übermäßigen Alkoholgenuß herbeigeführten (chronischen) Zustand,
in dem die Geistestätigkeit in erkennbarer Weise beeinflußt ist. Die Be»
einflußung ist erfahrungsgemäß stets eine Depravation.
Der Nachweis der „Trunksucht^ ist eine rein medizinisdhe Aufgabe.
Sie genügt aber nicht zur Entmündigung. Sie muß auch die im Gesetze
vorgesehenen Folgen bereits zu Tage treten lassen: Geschäftsunfähigkeit
in eigener Sache, drohender Notstand und Gemeinge&hrlichkeit. — Die Un-
fähigkeit „seine Angelegenheiten zu besorgen" ist in schwierigen Fälloi
Sachverständigen zu überlassen, welche der gleichen Beschäftigung angehören
wie der Trunksüchtige. Der Zusammenhang zwischen Geschäftsunfähigkeit
und Trunksucht ist aber wieder vom Arzte zu liefern. (AutareferoL)
Im Anschluß an die geplante Novelle des ungarischen bürgerlichen
Gesetzbuches bespricht Balogh (8) die Frage der Geisteskrankheit und
Geistesschwäche vom juristischen Standpunkte und bemerkt, daß das unga-
rische Strafrecht auf der Basis des Indeterminismus stehend im § 76 als
Gründe der aufgehobenen Zurechnungsfälügkeit solche Störungen des geistigen
Lebens bezeichnet, wegen welcher der Straffällige die Fähigkeit der freien
Willensäußerung nicht besitzt; hierher gehören demnach sämtliche Formen
der Geisteskrankheit, der pathologische Schwachsinn und solche Nerven-
krankheiten, welche das geistige Leben beeinflussen. Der Begriff der partieUen
Zurechnungsfähigkeit wird als unrichtig bezeichnet, hingegen sollen m der
Novelle Dispositionen über die beschränkte Zureehnunga&higkeit anf^
Gerichtliche Psychiatrie. 1169
nmen werden, umsomehr, da in der ungarischen Strafprozeßordnung der
[ff derselben aufgenommen erscheint. Der Richter hat die Zurechnungs-
heit frei zu entscheiden, ohne Rücksicht auf das ärztliche Gutachten,
ilb die Mitwirkung von psychiatrisch gänzlich ungebildeten Geschworenen
öurteilung solcher Fragen unzulässig wäre. (Uudovemig.)
Gero (59) betont den Widerspruch, daß der § 76 des ungarischen
gesetzbuches die verminderte Zurechnungsfahigkeit nicht kennt, während
i der Strafprozeßordnung den eventuellen Nachweis einer solchen fordert
Begriff der verminderten Zurechnungsfahigkeit wäre somit in das unga-
3 Strafgesetzbuch aufzunehmen. Die Feststellung einer solchen soll nicht
Hrafverminderung involvieren, sondern die Unterbringung der Straffälligen
Le für ihre Behandlung geeignete Anstalt bezwecken. In diese Kategorie
1 Fälle von Neurasthenia gravis, Imbezillität, Hysterie, Epilepsie, ein
der Entarteten usw. einzubeziehen. Bei solchen Individuen kann selbst
Anerkennung mildernder Umstände eine Freiheitsstrafe doch nur den
ikter einer Bestrafung tragen, was bei empfindlichen Gemütern nie von
imer Wirkung sein kann. (Hudovemig.)
Salgö (155), selbst ein Korreferent des Kongresses, findet, daß sich der
internationale Kongreß für Gefangniswesen bei Beurteilung der
3: „Sind für vermindert zurechnungsfähige Personen und Trunksüchtige
3 Anstalten nötig ?^ bloß vom Standpunkte des Kongresses leiten ließ,
denjenigen des Arztes und der Gesellschaft zu berücksichtigen. Von
)enannten Individuen hielt nämlich der Kongreß nur jene vor Augen,
e mit dem Strafgesetze bereits in Konflikt geraten sind, während der
diese ohne Rücksicht auf eventuell begangene Straftat vor Augen
die Gesellschaft aber ein Interesse daran hat, daß dem Delikte nach
ichkeit vorgebeugt werde, daß somit derartige Wesen vor anderen ge-
zt werden. Die Abnormität solcher Individuen besteht aber auch vor,
ohne Yerübung eines Deliktes, und sie können auch dann für die
ite Umgebung schädlich sein. Es muß somit schon dann Vorsorge
Sen werden, sobald ihr abnormer Zustand erkannt wird. Diese Vorsorge
Verf. in der Entmündigung gegeben. Die Entmündigung aber ist gerade
m Begriff der Geisteskrankheit oder Geistesschwäche gebunden, welcher
weis aber bei den in Frage stehenden Individuen oft mit großer
ierigkeit verbunden ist; unter solchen Umständen ist eine richtige Lösung
■"rage nur durch eine gründliche, der Psychiatrie Rechnung tragende
rung der bestehenden Rechtsnormen zu erwarten. (Hudovei-nig.)
Tafelrichter Markus (117) schließt sich jener psychiatrischen An-
an, daß es keine partielle Geisteskrankheit gibt, weshalb die im Unga-
rn Gesetzbuche vorgesehene Unterscheidung von „Geisteskrankheit"
,, Schwachsinn" durch einen einheitlichen Ausdruck zu ersetzen wären,
^lich Geschäftsfähigkeit stehe dem Richter bloß die Beurteilung dessen
b der Betreffende trotz seiner Geisteskrankheit zur Versehung s,finer
genheiten befähigt ist. M. betont folgende Wünsche: Leiter und Arzte
rrenanstalten mögen mit dem Charakter von Amtspersonen bekleidet
m; unter Vormundschaft stehende Individuen, wenn sie im Sinne des
;zes bezüglich Eheschließung geschäftsfähig sind, sollen nur bei einstimmig
igem Zeugnisse zweier amtlicher Sachverständiger die Ehe schließen
m; steht ein Gatte wegen Geisteskrankheit wenigstens drei Jahre unter
lundschaft, soll der Ehegenosse die Aufliebung der Ehe verlangen können;
ßlich wäre eine entsprechende Aufklärung des Publikums über den
ikter der Irrenanstalten erwünscht. (Hudovemig.)
reiberioht f. Neurologie u. Psychiatrie i»06. 74
1170 G«rrchtiiohe Psychiatrie.
Nach der Ansicht •Scbaffer's (167) ist bei der forensischen Beurteüu]^
der Degeneration (Moral in^anity) zu unterscheiden^ ob die Straftat in
normalen, quasi physiologischen Zustande der Degeneration begangen wurde^
in welchem Falle — bei ausschlie&barer G^stesstöruixg — volle Verant-
wortlichkeit besteht, wobei eine möglichst harte Strafe gerade deshalb ange*
zeigt erscheint, weil «olche von heilsamem Einflüsse sein kann; falls jedoch
die Straftat in einem abnormen Reaktionszustande, welcher durch die krank*
hafte Impulsivität bedingt ist, begangen wurde, so besteht bedeutend verminderte
Zurechnungsfähigkeit, und bei tatsächlicher vorübergehender Geistesstörung
ist die Zurechnungsfähigkeit aufgehoben. ( Hudottmig.)
Kompe (85) verbreitet sich eingehend üher die strafrechtliche Be-
ziehung des Idiotismus und der Imbezillität. In seinem Schlußkapitel hebt
er besonders die bei Imbezillen häufig auftretenden Störungen des Geschlechts-
triebes hervor, welche die vita sexualis dieser Minderwertigen beeiDflussen
und sie zu Perversitäten verleiten. K. möchte die mit dem Strafgesetz ia
Konflikt geratenen Imbezillen in Asyle auf dem Laude unterbringen und z«
leichter Arbeit anhalten, wie es für gewisse geisteskranke Verbrecher in
Vorschlag gebracht worden ist. (Benäix,)
Zu den Ausführungen Komlfeld's (88) zu dem § 176 Strafgesetz-
buch veranlaßte ihn eine Strafsache, in der er ein Gutachten abzugehen
hatte, auf Grund dessen die Verfolgtitig des Angeschuldigten seitens des
Gerichts eingestellt wurde. Es handelte sich ufli eine ^Sjährige schwach-
sinnige Person, die nie etwas Widersinniges oder VeiTücktes getan hatte,
aber unselbständig, vergeßlich war und an Mangel der geläufigsten ßegriSe
litt. Der Angeschuldigte hatte diese schw^acfhsinnige Pei-son zum Beischlaf
genötigt und war deshalb nach dem Worttaut 'des § 176 angeklagt. K. höh
in seinem Gutachten hervor, daß das Mädchen zwar schwachsinnig, aber
nicht in einer dem Laien leicht erkenntlichen Weise geisteskrank sei. V(m
einer Willenlosigkeit oder Bewußtlosigkeit zur Zett der inkrimierten Hand-
lungen könne keine Bede sein und der Täter brauche nicht das Verständnis
gehabt zu haben, daß er sich durch den Mißbrauch der geizig schwachen,
albernen Person des so schweren Verbrechens des Mißbrauches einer Geistes-
kranken im Sinne des § 176 schuldig mache. {Bendix,)
Kornfeld (87) kommt in einem Gutachten über eine Taubstumme,
die ihr Kind ausgesetzt und dessen Tod dadurch herbeigeführt hatte, zu
dem urteil, daß die Taubstumme bei dem Mangel an moralischen, religiösen
und intellektuellen Vorstellungen nicht die ESnsicht in die Strafbarkeit ihrer
Handlung besaß. (Bendix.)
Leppmann (99) formuliert den Begriff der Strafvollzugsunfähigkeit
infolge geistiger Gebrechen bei der gegenwärtigen Rechtslage und den gegen-
wärtig bestehenden Einrichtungen für Irre wie für Gefangene diircJi die
beiden Sätze: 1. Strafvollzugsunfähig ist derjenige, welcher infolge krank-
hafter Störung der Geistestätigkeit die Ordnung der Strafanstalt dauernd
und erheblich stört. 2. StrafvoUzugsönfähig ist derjenige, weicher infolge
krankhafter Störung der Geistestätigkeit kein Verständnis für seine Strafe
und deren Vollstreckung besitzt. (Bendix.)
Nerlioh (136) berichtet über einen Choreatisohen, der wegen Sit4Jich-
keitsverbrechen bestraft und im Gefängnis in eine schnell in Schwachsinn
übergehende Geisteskrankheit verfallen war. N. widerspricht der von psychia-
trischer Seite geäußerten Ansicht, <laß es sich um angeborenen Schwach-
sinn mit Chorea handelt, da der Mann bis zu seiner Verurteilung gesaud
gewesen war und seiner Militärpflicht genügt hatte. Zu einer S«vjsioD seines
Strafprozesses läge deshalb kein Grund vor. {Bendix,)
Gerichtlidie Psychifttri«. 1171
Plaosek's (144) experimentelle Untersachungen über die Zeugen-
aussagen SchwachsioBiger hatten das Ergebnis, daß das Erinnerungsvermögen
Schwachsinniger im aligemeinen nicht mit verlängertem Zeitabstand ieidet»
sondern sich sogar teilweise auffällig verbessert. Schwachsinnige scheinen
im auffallenden Gegensätze zu Gesunden schwerer durch Suggestionsfragen
beeinflußbar zu sein. Dagegen haften Su^estionen bei Schwachsinnigen
viel leichter, was in foro von ganz besonderer Bedeutung werden kann.
(Bendim.)
Strassmann (175) möchte, daß die endgültige Verfügung über das
Schicksal der wegen Geisteskrankheit Freigesprochenen, über die Dauer ihrer
Verwahrung in der Anstalt und über die- Entlassuug nicht dem Strafrichter
zuweisen. Er hält die Überweisung der weiteren Bestimmung über das
Schicksal des Freigesprochenen an den Entmündigungsrichter für die glück-
lichste Lösung dieser Frage. (Ben^.)
Wehmer (192) hält die neueren Bestimmungen über die Entmün-
digung Trunksüchtiger, wie sie das „Bürgerliche Gesetzbuch" vorschreibt,
für einen dankenswerten Fortschritt. Denn sie ermöglicht wenigstens eine
Entmündigung in solchen Fällen, in denen der Kranke trotz des ärztlichen
Gutachtens vom Siebter nicht wegen „Geisteskrankheit" entmündigt wurde,
während er sich zur Entmündigung wegen „Trunksucht" bereit fand. W.
hat seine Beobachtungen an 32 wegen Trunksucht vom Herbst 1901 bis
Ende 1904 im Landespolizeibezirke entmündigten Personen gemacht Die
jüngste Person war 36 Jahre, die älteste 76 Jahre. Verheiratet waren davon
29. Unter den wegen Trunksucht entmündigten Personen befanden sich 10,
die wohl korrekter wegen „Geistesschwäche'* zu entmündigen gewesen wären.
(Bendix.)
Wulffen (201) berichtet über eine Dienstmagd, die ihr neugeborenes
Kind ins Wasser warf und wegen Totschlages angeklagt war. Auf Grund
des Gutachtens ihres Lehrers und des ärztlichen Sachverständigen wurde
verminderte Zurechnungsfähigkeit angenommen und wegen Totschlages auf
3 Jahre 6 Monate Gefängnis erkannt. (Bendix.)
n. Geistsskranke Verbrecher und deren Unterbringung.
Borel (22) empfiehlt, gesonderte Asyle für die sogenannten ver-
brecherischen Geisteskranken zu errichten und sie nicht in Zusammenhang
mit den Zuchthäusern oder Gefängnissen zu bringen. Er schätzt die Zahl
dieser Kranken nicht sehr hoch und glaubt, daß für die Schweiz am besten
eine internationale Anstalt errichtet würde. Ev wünscht in dieser Anstalt
untergebracht:
1. diejenigen Geisteskranken, welche schwere Delikte begangen haben ;
2. die Geisteskranken, welche zwar noch kein Delikt begangen haben,
bei denen man aber bei ihrem Charakter etwas Derartiges erwarten muß;
3. diejenigen, welche, wegen eines schweren Deliktes verurteilt, geistes-
krank geworden sind; und
4. die Individuen mit zweifelhaftem Geisteszustand, denen man ein
schweres Verbrechen zutrauen kann.
Wir sind mit dieser Klassifikation nicht ganz einverstanden, sondern
glauben, daß für die Aufnahme in eine derartige Sonderanstalt — abgesehen
von dem gestörten Geisteszustände — lediglich der antisoziale Instinkt
maßgebend sein kann und nicht, das, was der BetreiFende begangen hat
Borel sieht dabei vor, daß die Überführung in diese Spezialanstal t sowohl
vom Gefängnis als von der Irrenanstalt geschehen kann.
74*
1172 Gerich tliche Psychiatrie.
Morel (132) hält es im Interesse der sozialen Gesundheit für not-
wendig, daß die Behörden alle geistig zurückgebliebenen Kinder über-
wachen und auch diejenigen, die in einer verdorbenen Umgebung leben, um
rechtzeitig Sorge tragen zu können, sie der Obhut der Eltern zu entziehen
und in einer gesunden und anständigen Umgebung unterzubringen. Geistig
zurückgebliebene oder entartete junge Leute, die infolge der Unregelmäßig-
keit oder Sonderbarkeit ihrer Aufführung die Aufmerksamkeit der Behörden
auf sich gezogen haben, müssen medizinisch-psychologisch untersucht werden.
Das Ergebnis dieser Untersuchung ist den Yerwaltungs- und event. auch
den Gerichtsbehörden zu übersenden. Wo es erforderlich erscheint, werden
diese Minderwertigen in ihrem eigenen wie im Interesse der Gesellschaft
einem medizinisch -pädagogischen Institute anvertraut. Diese müssen mit
allen Einrichtungen versehen sein, damit die unzweifelhaft psychisch Ent-
arteten bei geeigneter Erziehung brauchbare Mitglieder der menschlichen
Gesellschaft werden können. Auch Eltern, welche sich über die eigen-
tümliche Entwicklung ihrer Kinder nach dieser Richtung hin Sorge machen,
haben das Recht, zu verlangen, daß diese Kinder in einem entsprechenden
medizinisch-pädagogischen Institute oder in einer besonderen Anstalt unter-
gebracht werden, solange das notwendig erscheint. Eine Entlassung ist
nur möglich, wenn der Arzt sie für zulässig erklärt. Beim Entarteten ist
der Gedanke einer Sühne nicht am Platze, er muß ersetzt werden durch
das Bestreben, Besserung zu schaffen; denn die Frage nach der Verant-
wortlichkeit und Zurechnungsfähigkeit ist zwecklos. Sie müssen der Für-
sorge der Verwaltungsbehörden auf unbestimmte Zeit, bis sie sich gebessert
haben, anvertraut werden.
Engelken (49) schildert die Verhältnisse in Broadmoor in dem
bekannten Asyl für geisteskranke Verbrecher. In dieser Anstalt finden
Aufnahme ;
1. verbrecherische Geisteskranke, d. h.
a) solche, welche zur Zeit der Begehung der strafbaren Handlung
geisteskrank waren und auf Grund der Geisteskrankheit freigesprochen
wurden oder welche als schuldig, aber geisteskrank befunden wurden;
b) solche, welche vor oder nach der Hauptverhandlung als geistes-
krank befunden wurden;
c) solche, welche schwere Verbrechen begingen, während sie schon als
geisteskrank erklärt waren, z. B. schon als geisteskrank in eine Anstalt
aufgenommen waren.
Alle werden durch Gerichtsbeschluß für unbestimmte Zeit in der
Anstalt untergebracht;
2. Die geisteskranken Verbrecher, d. h. solche Menschen, welche
wegen Verbrechen oder Vergehen verurteilt sind und während der Straf-
verbüßung als geisteskrank erkannt werden.
Entlassen können die Insassen von Broadmoor werden:
1. die verbrecherischen Geisteskranken, wenn sie gebessert sind oder
sich als harmlos erweisen; sie werden alsdann ihren Eltern oder Freunden
oder einer zuständigen Irrenanstalt überwiesen, oder sie werden ohne Ein-
schränkung, wenn sie völlig geheilt sind, entlassen;
2. die geisteskranken Verbrecher kommen, wenn sie vor Ablauf der
Strafzeit geheilt sind, wieder ins Gefängnis zurück, wenn sie nach Ablauf
ihrer Strafzeit noch geisteskrank sind, als geisteskrank in eine zuständige
Irrenanstalt.
Gerichtliche Psychiatrie. 1173
Eine interessante historische Studie, die bis zu den Fragen, welche
die neueste Zeit bewegen, hinaufreicht, bringt uns Türkei (181) in einer
Besprechung der Irrenrechts- und Straf rechtsre form in Österreich 1850 — 1904.
Ungewitter (185) berichtet: Der im Jahre 1877 geborene Söldner
Ludwig Kräh hatte sich vor 2 Jahren verheiratet; er besaß ein Heirats-
gut von 2000 M., seine Frau hatte ein Anwesen. Die Frau und der
Schwiegervater merkten bald, daß Kräh nicht ganz richtig sei; sie ließen
ihm kein Geld, er durfte bei der Bewirtschaftung seines Anwesens nichts
darein reden. Über diese Behandlung wurde Kräh unwillig und faßte den
Entschluß, der Sache gewaltsam ein Ende zu machen. Er steckte am
30. Januar 1905 eine brennende Stearinkerze im Stadel in ein Bündel Stroh,
um das Anwesen wegzubrennen. Der Schwiegervater bemerkte aber zu-
fällig das Licht und entfernte noch rechtzeitig die Kerze. Es wurde gegen
Kräh wegen Brandstiftungsversuchs Haftbefehl erlassen und die Vorunter-
suchung eröffnet, sodann wurde er vor das Schwurgericht gestellt. Kräh
gab die Handlung zu, beschuldigte aber seinen Schwiegervater der An-
stiftung. Weder dem Untersuchungsrichter noch einem anderen mit der
Sache befaßten Beamten waren bisher Bedenken über die Zurechnungs-
fahigkeit des Kräh gekommen. Erst der Verteidiger beantragte die Zu-
ziehung des Gerichtsarztes, der die Unterbringung des Kräh in eine Irren-
anstalt beantragte. Nach dem Gutachten des Sachverständigen beträgt der
Schädelumfang des Kräh nur 52 cm, Intelligenz und Gedächtnis zeigen
tiefgehende Defekte; das Maß der erworbenen Schul- und allgemeinen
Kenntnisse ist ein derartig geringes, daß man ihre Summe gleich 0 be-
zeichnen kann; er leidet an angeborenem Schwachsinn.
Kräh wurde neuerdings vor das Schwurgericht gestellt und frei-
gesprochen. (Schwurgericht Straßburg am 7. VII. 05.) (Autoreferat.)
Die 31jährige, von Schaffer (158) begutachtete erblich oelastete
Frau wurde ungerechterweise eine Diebin genannt und von ihrem Manne
deshalb insultiert, was eine derartige Aufregung bei der auch sonst hyste-
rische Zeichen aufweisenden Frau hervorrief, daß sie ihre Kinder zu ver-
giften trachtete, und den Leiden derselben apathisch zusah. S. nimmt bei
der Frau einen hysterischen Dämmerzustand an, welcher die Zurechnungs-
fähigkeit ausschließt. (Hudovemig.)
III. Slmnlation.
Siemerling (170) bringt in aller Kürze alles Wesentliche, was zur
Beurteilung der Frage der Simulation wichtig ist. Er betont, daß, wie
bekannt, Simulation und Geisteskrankheit sich nicht ausschließen, daß der
Simulant gewöhnlich übertreibt^ und daß gewöhnlich das Krankheitsbild, das
•simuliert werden soll, nicht genau der Wirklichkeit entspricht. Die Formen,
die am häufigsten vorkommen, sind: Blödsinnszustände, leichte Depression,
paranoische Zustände und Erinnerungsdefekte. Die wenigsten Simulanten
sind imstande, ein theoretisch konstruiertes Symptomenbild zu simulieren;
meist kopieren sie Gesehenes. Das bloße Geständnis der Simulation ist
nicht ausreichend, um darauf die Diagnose „Simulation" zu stützen. Ein
nützliches Vorgehen, um Simulation zu erkennen, sind: hydriatische Proze-
duren, Anwendung des elektrischen Stromes und ein Verfahren, um dem
Simulanten bestimmte Symptome zu suggerieren.
. Morean (131) hat sich sehr eingehend mit der Frage der Simulation
von psychischen oder nervösen Störungen bei Kindern beschäftigt und vor
allem auch Literaturstudien vorgenommen. Er hebt hervor, daß Simulation
von Geistesstörung bei Kindern sehr selten ist, während nervöse Störung,
]^|74 Gerichtliche Psychiatrie.
Epüepsie, Hysterie, Chorea von Kindern häufig Yorgetäuadit werden. Die
Ursachen, welche die Kinder zur Simulation fuhren, sind verschieden: ent*
weder streben die Kinder danach, mit dieser Simulation einen bestimmten
Zweck zu erreichen, oder sie tun es aus reinem Vergnügen, um die Auf-
merksamkeit auf sich zu lenken, oder aus Nachahmungstrieb. Moreau
teilt eine Reibe entsprechender Beispiele aus der Literatur und aus eigener
Beobachtung mit und betont auch, daß bereits eine Emulation zu zweien
beobachtet worden ist.
Es bandelt sich um einen sehr raffinierten Kriminellen, welchen
Nerlich (135) zu begutachten hatte, und welchem es bisher immer gelungen
war, durch ausgesprochene Simulation von Schmerzanfallen sich nicht nur
Injektion von Morphium, sondern auch ein besseres Leben in Zuchthäusern
und Gefängnissen zu erwerben. Es ist schwer, ein exaktes Urteil lediglich
nach den Mitteilungen eines G-utachteus über einen derartigen Fall zu er>
langen. Wir machen nur mit allem Vorbehalt die Bemerkung, daß es
stellenweise den Eindruck macht, als ob die Möglichkeit der Annahme
einer Pseudologia phantastica nicht ganz von der Hand zu weisen seL Im
übrigen aber können wir dem Autor nur zustimmen, daß der Mann, als
er ihn begutachtet hat, entschieden strafvollzugsfähig war.
Es wird von Koppen (87) im allgemeinen der Begriff der Simu-
lation nach unserer heutigen Auffassung geschildert und ganz besonders
darauf hingewiesen, wie sehr die Simulation im normalen Seelenlebra
begründet ist und ein notwendiges Mittel im Kampf um das Dasein
darstellt. Sie spielt daher auch, wie gezeigt wird, eine große Bolle in A&ä
Fällen, wo ein Kampf um die Beute erfolgen muß und in den Fällen, wo
eine Person plötzlich in eine gerichtliche Untersuchung verwickelt wird.
(AiUcr^ercU,)
Raimann (148) erörtert" die Schwierigkeiten bei der Begutachtung
der Simulation von Geisteskrankheiten. Die Aufdeckung der Simulation
allein genüge nicht, denn es simulieren Geisteskranke aus wahrhaften Gründen,
es simulieren Hysterische, Schwachsinnige, aber auch Neuropathen, degene-
rierte, Menschen, die als normal, speziell in foro criminaU als zurechnungs-
fähig zu gelten haben, und gerade diese sind praktisch am wichtigsten.
(Bendijc.)
Voss (188) bringt einen kasuistischen Beitrag zur Simulation und
Dissimulation von Geisteskrankheit. Es handelte sich um einen 24jährigen
Mann, der wegen Diebstahls auf einem Schiff inhaftiert wurde und angab,
nichts von dem ganzen Vorgange zu wissen. Er hatte schon von frühester
Jugend an den Hang zum Stehlen, war frech und verlogen. Aus seinen
Briefeu an seine Angehörigen ging hervor, daß er an Paranoia litt
(Bendix.)
lY. BQrierllclies Gesetzbach.
Leppmann (102) betont mit Recht, daß es ein Mangel unserer
Ehescheidungsgesetzo in unserem neuen Bürgerlichen Gesetzbudhe ist, daß
es keine Rücksicht nimmt auf die völlig zerrütteten Familienverhältnisse,
welche dadurch entstehen, daß ein Ehegatte der chronischen Trunksucht
verfällt. Er betont allerdings auch die Schwierigkeiten, hier eine gesetx-
geberische Norm zu finden, und macht zum Schluß auch einen Vorschlag
für einen neuen entsprechenden Paragraphen, den er aber noch nicht als
definitiv hingestellt wissen will.
Strassmann (174) teilt die sehr interessante Tatsache mit unter
ausführlicher Schilderung des betr. Falles, daß die Ehe eines chronischen
Geriditliehe Psychiatrie. 1178
AtkoliolisteB auf 6ru»d seines Outachtens als niebtig gescbieden wurde
entsprechend dem § 133^ BGB.; das G-utachten erklärte, daß schon bei Ein-
geliuDg der Ehe die degeoerative Veranlagung die Trunksucht erwarten ließ.
Y. Kasuistik and einzelne ForiMU.
Die Affiire in der Irrenanstalt in Tours besteht darin, daß ein seit
zwei Tagen aufgenommener kräftiger Paralytiker, dem mit Gewalt die
Zwaagsjacke angelegt werden sollte, bei der dabei entstehenden Balgerei
plötzlich yerscbied. Während Archambanlt (5) keinerlei Zeichen einer
äußeren Gewalttätigkeit feststellen konnte, wurden von der Gerichtskommission
bei der 21 Tage später erfolgten Exhumierung ausgesprochene Zeichen einer
äußeren Gewalttätigkeit festgestellt. Oerichtlioh-medizinisch wird diese
eigentümliche Differenz in den beiden Seotionsbefandeu dadurch aufgeklärt,
daß derartige kurz vor oder im Moment des Todes einsetzende Traumata
in der Regel erst einige Tage später deutlich zum Ausdruck kommen.
Interessant ist diese Affäre aus Tours dadurch, daß sie zeigt, daß eben die
freie Behandlung noch lange nicht überall durchgeführt ist, und das steht
«eher fest, daß, wenn in der Anstalt des Herrn Arobambault jeder Zwang
vermieden worden wäre, auch die Affäre von Tours nicht existieren würde.
Die Beobachtung von Horchen (130) verdient wegen der unge-
wöhnlich langen Dauer besonderes Interesse. Der Patient stammt aus einer
Familie, in der mehrfach Epilepsie vorgekommen ist. Als Kind erlitt er
eine schwere Schädelverletzung, später klagte er viel über Kopfschmerzen
und war intolerant gegen Alkohol. Die Militärzeit wurde ohne Störungen
überstanden. Erst im 22. Lebensjahre traten im Anschluß an eine Ver-
Stimmung eigentümliche Bewußtseinsstörungen auf, die eine vollständige
Amnesie hinterließen und die, sich öfter wiederholend, von längerer Dauer
wurden. Zunächst dauerten sie von 2 bis 14 Tage, 1901 scheint ein
wirklicher epileptischer Insult bestanden zu haben. Alsdann traten neue
Anfalle von Bewußtseinsstörung auf über 2 bis 3 Monate, die mit völliger
Amnesie verbunden waren und sich dadurch auszeichneten, daß Patient in
diesem Zustand eine ganze Kette von Betrügereien und Diebereien aus-
führte, indem er von einem Orte zum anderen wanderte. Eine zweite
Attacke setzte ein halbes Jahr später ein und dauerte drei Monate. Auch
hier war wieder diese poriomanische Attacke von umfangreichen Schwinde«
leien und Betrügereien begleitet. Nach Beendigung des Anfalles war er
wieder der alte, ein fleißiger, solider Arbeiter, der nichts Auffälliges bot.
Im Anschluß an diese Beobachtung stellt Verf. die interessanteren und be-
kannteren der bisher beobachteten Fälle zusammen.
Leppmann (100) stellt 90 Fälle von Sittlichkeitsverbrechen zu-
sammen und schickt denselben eine genaue psychologische Analyse voraus.
Wir möchten^ besonders darauf aufmerksam machen, daß er zu dem Resultat
kommt, daß bei diesen Sittlichkeitsverbrechern die in den pathologischen
Abweichungen ihrer Psyche gelegenen Momente als Verbrechensursachen
für die Sittlichkeitsdelikte eine besonders wichtige Rolle spielen. Mit Recht
betont Verf., daß unsere Strafrechtspflege dieser Tatsache nicht ausreichend
gerecht werde. Daß angeboren ein Drang zum Sittlichkeitsverbrecheii
besteht, hat Leppmann an seinem großen Material nicht nachweisen können;
er hebt hervor, daß in der Regel Zufillligkeiten und soziale Verhältnisse
mitbestimmend, ja oft ausschlaggebend für die Entstehung der Sittlichkeits*
verbreohen sind. Besonders betont er auch die Bedeutung des Alkohols
beim Zustandekommen der Sittlichkeitsverbreehen. Auch stellt er genau
1176 Gerichtliclie Psychiatrie.
die Terschiedenen Arten der Minderwertigkeit und der geschlechtlichen
Anomalien, welche zum Sittlichkeitsverbrechen führen, zusammen.
Die sehr interessante Beobachtung Hartmaiins (72) wird einer
genauen psychologischen Analyse nach unseren neuesten Anschauungen
unterworfen. Der Verf. weist schließlich nach, daß bei diesem Fall die
normale Auffassungsfähigkeit, die normale Merkfähigkeit und das Repro-
duktionsvermögen gelitten hatte, und daß beim Zustandekommen dieser
falschen Aussage namentlich eine ungewöhnliche affektive Erregbarkeit eine
größere Rolle spielte. Auf Grund von allerlei krankhaften Eigenbeziehungen
hat sich schließlich ein phantastisches Wahnsystem, das unkorrigierbar war,
entwickelt.
Die beiden Fälle, welche Horstmann (78) bespricht, betreffen jugend-
liche Brandstifterinnen. Verf. kam nicht zu der Erkenntnis, daß der § 51
StGB, vorliege, sondern nahm nur eine gewisse Minderwertigkeit an; die
beiden Fälle nähern sich der Pseudologia phantastica. Horstmann führt
mit Recht aus, daß man bei dem jugendlichen Alter der beiden Brand-
stifterinnen sich klar darüber sein muß, daß schon von Hause aus bei der
jugendlichen Phantasie eine Lust zu fabulieren besteht, und daß darin noch
nicht eine krankhafte Erscheinung erblickt werden kann. Außerdem muß
man in Betracht ziehen die psychische Labilität, welche infolge der bevor-
stehenden Geschlechtsreife ohnehin vorhanden ist. Es wird also auf diese
Weise die Lügenhaftigkeit von Mädchen im präpubischen Stadium auch
aus physiologischen Gründen verständlich.
Meyer (123) bringt vier genaue Beobachtungen: 1. einen Paranoiker
betreffend, der sich des Verkehrs mit seiner Schwester bezichtigte, 2. einen
Jugend irreseienden, der sich beim Amtsgericht des Diebstahls anklagte,
3. eine Hysterische mit Pseudologia phantastica, die sich der KindestötuDg
beschuldigte, und 4. einen Potator, der sich der Sodomie bezichtigte. Verf.
betont, daß Selbstanzeigen bei der Melancholie vorkommen, namentlich aber
auf der degenerativen Basis bei angeborenem Schwachsinn, bei Pseudologia
phantastica, bei paranoischen Hysterischen und Alkoholisten. Auch hebt
er hervor, daß, wie bekannt, natürlich der Nachweis der krankhaften Ursache
der Anzeige noch nichts für die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Angabe
beweist.
Finckh (51) berichtet über einen sehr interessanten Fall, einen
16jährigen schwachsinnigen Menschen betreffend, der von jeher sich durch
eine große Grausamkeit gegen Tiere und Kinder auszeichnete, schließlich
auch einen vierjährigen Jungen ohne weitere Veranlassung auf die grau-
samste Weise ermordete. Das Gutachten ist sehr sorgfölti^ abgefaßt und
berücksichtigt die in Betracht kommende Literatur. Im zweiten Teil seiner
Mitteilung geht Verf. auf die verscliiedenen Arten von Intelligenzprüfung ein
und macht zum Schluß praktische Vorschläge, um diese Intelligenzprüfung
noch weiter zu unterstützen dadurch, daß man sich bestimmte einfache
Sprichwörter, von denen er eine größere Reihe mitteilt, von dem Be-
treffenden erklären oder bei Gegenüberstellung ähnlicher Sprichwörter
differenzieren läßt.
Dem im Falle Bauer (11) in Betracht kommenden Angeklagten
werden nicht weniger als 68 Diebstähle zur Last gelegt, welche er vom
Jahre 1889 bis zum Winter 1900/01 begangen hat. Die Gegenstände,
welche er gestohlen hat, stellen die heterogensten Dinge dar, aber immer
Gebrauchsgegenstände, die ihm in seiner Wirtschaft von Nutzen sein
konnten. Der Täter wurde nun sehr verschieden beurteilt. Der Verf. selbst
kam, nachdem ein Gutachten erklärt hatte, daß der Angeklagte imter dem
Gerichtliche Psychiatrie. 1177
Einfluß eines' Zwangszustandes gestanden habe, zu der Überzeugung, daß
überhaupt keinerlei krankhafte Erscheinungen nachweisbar seien. Das
Fakultätsgutachten schloß sich im großen und ganzen diesem Gutachten
an, erklärte aber, daß doch eiue gewisse geistige Inferiorität bestanden
habe. Daß ein Zwaugszustand nicht vorgelegen hat, mag schon daraus
hervorgehen, daß der Angeklagte, als er endlich ertappt wurde, erklärte:
„es sei gut, daß nun mit der Sache ein Ende sei; denn sonst würde er
noch immer weiter gestohlen haben".
Felke (50) teilt eine sehr interessante Beobachtung mit, welche
forensisch zunächst zu einer falschen Anklage Veranlassung gab. Es er-
klärte nämlich ein Mann mit aller Bestimmtheit, von einem bestimmten
anderen überfallen, schwer mißhandelt und beraubt zu sein, obschon
schließlich nachgewiesen werden konnte, daß zwei ganz andere diesen
Überfall und Raub veranlaßt hatten. Felke nimmt an, daß diese , iso-
lierte Erinnerungstäuschung dadurch zustande gekommen ist, daß der Über-
fallene vor dem Unfälle Alkohol in reichlicher Menge zu sich genommen
hatte, und daß das bei dem Unfall zunächst erlittene Kopftrauma eine
schwere Bewußtseinsstörung sofort herbeigeführt hat. Charakteristisch ist
die partielle Erinnerung an den geschehenen Vorfall.
Die von Becker (12) mitgeteilte Beobachtung ist deswegen inter-
essant, weil die Patientin, welche durchaus alle charakteristischen Zeichen
des Querulantenwahnsinns aufwies, wie wir sie beim männlichen Geschlecht
finden, auch im Äußeren einen männlichen Habitus zur Schau trug.
Koppen (86) kritisiert die Art und Weise, wie Wernicke den
Begrifif „überwertige Idee", der an und für sich eine sehr wertvolle Be-
zeiclmung darstellt, zu sehr verallgemeinert hat. Er möchte den Begriff
nur auf solche Ideen beschränkt wissen, welche an und für sich nichts
Krankhaftes an sich tragen, durchaus vernünftig und annehmbar sind und
nur durch die große Gewalt, die sie auf die Persönlichkeit ausüben, charak-
teristisch werden. Diese Ideen können mit der eigenen Person zusammen-
hängen oder gar nichts mit der eigenen Person zunächst zu tun haben.
Es kann die überwertige Idee zum Ausgangspunkt und Kristallisations«
punkt eines Wahnsystems werden, an und für sich ist sie nur ein psycho-r
pathologisches Symptom, welches aber nicht genügt, den Nachweis einer
Geisteskrankheit zu erbringen. Wernicke hat als Beispiele für über-
wertige Ideen teils solche Fälle in seinen Publikationen angeführt, welche
überwertige Ideen im strengen Sinne zeigten, teils aber auch Fälle, bei
denen die von ihm sogenannte überwertige Idee den Stempel einer krank-
liaften Idee an sich trägt. — Das Beispiel, welches nun K. selbst gibt, ist
folgendes: Ein Schuhmacher M., der sich sehr viel mit der Lektüre von
Tolstoi und Berta von Suttner beschäftigt und die Vorträge von Rednern
gehört hatte, die für den Völkerfrieden sprachen, hatte sich für diese Ideen
so begeistert, daß er sich weigerte, eine militärische Übung mitzumachen,
weil er „auf Grund der Menschlichkeit" keinen töten dürfe, den Nächsten
lieben müsse und abrüsten wolle. Der Mann wurde dann zur Beobachtung
in die Charite geschickt. Das Gutachten konnte nur dahin abgegeben
werden, daß M. wohl ein Mensch mit überwertiger Idee sei, daß aber keine
Geisteskrankheit vorliege. Es fanden sich bei ihm keinerlei Verfolgungs-
oder Größenideen. M. schwelgte nicht in einem besonderen Martyrium,
glaubte nicht, etwas Besonderes^ mit seinem Verhalten zu erreichen, sondern
wollte nur das tun, was seine Überzeugung erforderte. M. wurde bestraft^
und als er dann später, 1902, wieder zu einer Übung einberufen wurde,
weigerte er sich von neuem, dieselbe mitzumachen. Es kam zu einer
1178 Gerichtliehe Psychiatrie.
aweiten Begutachtung, die genau zu demselben Resultat führte wie die
erste. Auch jetzt fehlten Verfolgungs- und Übersehätzungsideen. Obwohl
M. natürlich vielfach verspottet wurde, war er dabei nicht zur Bilduog
eines Verfolgungswahns gekommen. Bemerkenswert ist, daß M. beim zweiten
Male auch zugestand, er würde seiner Militärpflicht auch genügen, wenn er
aufgefordert würde^ sich als Arbeitssoldat zu beschäftigen, und einräumte,
daß er nicht so handeln könne wie jetzt, wenn er Frau und Kinder hätte.
(AiUorefei-at.)
Für eine Zusammenarbeit der beiden Berufsgattungen sei nach
V. Jagemann (80) zunächst eine Überschau des Arbeitsfeldes und der
Methoden nötig; vorwiegend auf dem Gebiet der Kriminalistik wurde sie
versucht, Zivil- und Prozeßrecht andern vorbehaltend.
Die forensische Psychologie im Strafrecht habe zunächst, seit 1830
etwa, zu einiger Differenzierung der Person nach ihren Eigenschafben geführt,
doch ohne, daß die Willensfreiheit tiefer gehenden Anfechtungen ausgesetzt
gewesen »ei. Ein Umschwung sei Anfangs der 70er Jahre durch das Ein-
dringen der Lehre Lombrosos vom Delinquente nato erfolgt, doch hätten
die deutschen Mediziner, nachdem eine Periode übertriebenen Suchens nach
Psychosen überwunden, sich auf Grund exakter Forschungen vorwiegend
davon abgewandt; auch die Lehre, daß ethische Defekte für sich allein
eine Geisteskrankheit darstellten (Moral insanity), sei nicht wieder auf-
gegeben.
Geblieben sei dagegen als Resultat die Erkenntnis, daß das Ver-
brechertum massenweise somatisch degeneriert sei, und die Hinlenkung der
Strafrechtsanffässung von dem zuvor fast allein gepflegten objektiven Moment
(Bestrafung des Verbrechens) auch auf das subjektive (Bestrafung des
Verbrechers), woran eine Reihe von Konsequenzen hingen, insbesondere
das Studium des Verbrechers, die andere Schätzung des Gefängniswesens,
der Psychiatrie. Es sei eine Bildungsnotwendigkeit für den Juristen,
psychoforensische Kenntnis zu haben.
Aber Aufgabe und Schranken seien für die zwei Berufe verschieden.
Die Führung der Forschung auf diesem Gebiet gebühre dem Mediziner,
und letztere sei schrankenlos. Der Jurist sei Fragsteller und Nutznießer
der Resultate, Skeptiker gegenüber bloßen Forschungsphasen.
In der forensischen Praxis könne nur die Anwendung der lex lata,
auch für den nicht mit ihr einverstandenen Arzt, stattfinden, und müsse der
Jurist medizinische Abweichungen von ihr zurückweisen. Die lex ferenda
dagegen sei beiden Teilen ein Feld gleichmäßigen Ringens und Fort-
schreitens, der Jurist habe dabei mit dem gesunden Eklekticismus der
Staatskunst die überzeugenden Forschungsergebnisse für das öffentliche Wohl
im großen nutzbar zu machen.
Anliegend die Forschungsmethoden, zunächst nach der Seite der
Mittel, beleuchtet der Vortrag die Licht- und Schattenseiten der Statistik
und der Individualpsychologie, — sodann in Hinsicht des Forschungszwecks,
das moderne Hervortreten der Aufsehließung des psychosomatischen Appa-
rats, mit besonderer Würdigung der Psychologie der Aussage.
Sodann wird der psychologische Gesichtspunkt mit den praktischen
Reformzielen der Kriminalistik in Verbindung gesetzt (Revision des Straf-
und Prozeßrechts), dabei aber der Verwertbarkeit medizinischer Anschau-
ungen die Grenze des praktisch Möglichen und Nützlichen entgegengestellt,
insbesondere gegen die Abschaffung des Strafmaßes (Kraepelin), gegen die
Umwandlung des Strafrechts in ein Heilrecht und gegen die Zerstörung
des Schuldbewußtseins Stellung genommen und als eine Hauptfrucht psycho-
Gericktliehe Payoktatrie. 1179
logischer Yertiefang die Prävalierung de» Erziebnng^edankens oiebt UoB
für das Strafwesen, sondern auch für die PräTentiom (vgl. Zwangserziehung,
Kampf gegen die Trunksucht) bezeichnet.
Eüne Reibe eiugeflochtener Erfahrungen aus der legislativen und ad-
ministratiTon Praxis begleitet diese Leitsatze bis zu dem zusammenfassenden
Schln&worte, als gemeinsames Ziel zu proklamieren, dafi der ethisch nicht
Verantwortliche vor der Yermengung mit dem Schuldigen geschützt, da-
gegen Staat und Geselkcbaft im Kampf gegen die Schädlinge des gemeinen
Wohls mit einem guten medizinischen Heft, zugleich aber mit einer starken
joristischen Klinge ausgestattet sein mögen. (Autoreferat.)
Scbaffer (159) teilt die normalen Affekte in zwei Phasen: 1. die dem
seelischen Insulte folgende reäektoriscbe oder impulsive Phase, 2. die darauf-
folgende assoziative Phase, in welcher die Paralysierung der primären Ent-
scUüsse assoziativ erfolgt. Bei pathologischen Individuen bildet sich bloB
die erste Phase aus, und zwar dem Grade der Degeneration entsprechend
in rerschiedener Weise: a) bei den leichtesten Gradea kommt es zu einer
Einengung des Bewußtseins, ohne qualitative Veränderung desselben; b) bei
schwereren Graden kommt es zu einer Verstärkung dieses Zustandes mit lücken-
hafter oder summarischer Reproduktion; c) bei den alterschwersten Graden
kommt es zu einer hochgradigen Einengung des Bewußtseins, mit Amnesie
und Automatismus. Bei allen diesen abnormen ßewußtseinszuständen hat
die auf psychische Einfiiisse sich verändernde kortikale Innervation großen
Einfluß. Das Rindenzentrum kommt als vasomotorisches Zentrum bei dem
psychischen Insult in einen Reizzustand, und dies bedeutet eine arterielle
Anämie für die Hirnrinde, welche wieder das physiologisch wichtigste Corro-
hurium des Bewußtseinszustandes ist. Das vasomotorische Zentrum Degene-
Tierter kann als bedeutend reizbarer betrachtet werden, wodurch die erhöhte
Reaktion bei jedem Reize erklärlich ist, was in stärkerer kortikaler Anämie
zum Ausdrucke gelangt. Seh. bezeichnet die Zurechnungsfahigkeit sub a)
als beschränkt, sub b) als nahe der Unzurechnungsfähigkeit, jene sub c) als
vollkommen mangelnd, und rechnet hierher die hysterischen und epileptischen
'Dämmerzustände. (Hudovermif,)
Es handelt sich in dem von Plehn (144 a) mitgeteilten Fall 1. um
ein epileptisches Äquivalent in Gestalt von Dämmerzustand. Der
junge Kaufmann wurde bewußtlos in einer Berliner Straße aufgefunden und
von der Polizei im Urbankrankenhause eingeliefert. Als er am folgenden
Tage zu sich kam, ließ sich erfahren, daß der Patient vor 4 Tagen aus
Stettin abgereist ist, wo er seine Familie hat und als Kaufmann in Stellung
ist. Er weißt nur, daß er einen Zug auf dem Bahnhof stebn sah und ab-
reißte. Weshalb? Wohin? Vermag er nicht zu sagen. — Er ist dann
4 Tage und 4 Nächte durch die Straßen von Berlin geirrt, hat auch gegessen
und gelegentlich ein Glas Bier getrunken, weiß aber nicht, wo und unter
welchen umständen. — Während seines traumhaften Zustandes erblickte
er wiederholt seinen (kaufmännischen) Chef, mit dem er auf gespanntem
Fuße steht — Schon vor einem Jahre machte er eine Reise unter ähn-
liehen Umständen nach Breslau.
2. Die 45 jährige Frau K. litt vor 6 Monaten an syphilitischen Haut-
eruptionen, welche nach ihrer BeschaflEenheit auf eine etwa S— -4 Jahre zu-
rückliegende Infektion deuteten. Zurzeit bestand fast komplette Lähmung
heider Beine und Parese der Arme, besonders im Radialisgebiet. Ferner
Kribbeln und Taubheitsgefühl in Armen und Beinen, sowie starke Atrophie
der Beinmuskulatur; Fehlen der Reflexe usw. Endlich hochgradige Kurz-
atmigkeit und Erbrechen als Ausdruck der Beteiligung von Vagus, Phrenikus
1180 Gerichtliche Psychiatrie.
und Sympathikus an der multiplen Neuritis. Im Krankenhaus, wohin die
Pat. überführt wurde, traten in nächster Zeit noch psychische Störungen
mit Illusionen und Halluzinationen hinzu, ohne daß die Zeichen einer Herd-
erkrankung im Hirn sich hätten nachweisen lassen. Also das Bild der
Korsakoffschen Psychose der Polyneuritiker. unter wiederholter, ener-
gischer Hg-spritzkur fast vollkommene Heilung. (AutoreferaL)
Oberndorf er und Steinharter (137) versuchen die Bedeutung der
Posthypnose in medizinischer und juristischer Hinsicht klar zu stellen und
kommen zu folgenden Ergebnissen: Es gebe zwar posthypnotische Aufträge,
doch sei es unwahrscheinlich, daß sie juristisch eine Rolle spielen. Der
Versuch, ein Verbrechen in Posthypnose ausführen zu lassen, sei kaum denkbar.
Der in Posthypnose Handelnde sei kein willenloses Werkzeug und strafbar.
Meist sei es die Hysterie, auf deren Boden die Posthypnose gedeihe. In
zivilrechtlicher Beziehung sei die Hypnose und Posthypnose von verschwinden-
der Bedeutung. (limdix.)
Die neueren Experimente zur Psychologie der Aussage haben gezeigt,
daß im allgemeinen Auffassungs-, Merk- und Reproduktions-Vermögen jedes
Menschen so funktionieren, daß das schließliche Resultat, die Aussage, io
erheblichem Maße von der objektiven Wahrheit abweicht Auf Grund der
in neuester Zeit besonders durch Experimente aufgeklärten Theorie der
Aussage-Psychologie stellt Lipmann (106) folgende Forderungen auf.
1. Bei der Vernehmung von Zeugen siud Fragen tunlichst zu vermeiden.
Eventuelle Fragen sind mit in das Protokoll aufzunehmen. 2. Suggesti?-
fragen sind völlig zu vermeiden. 3. Die Fahrlässigkeit bei der falschen
Aussage soll nicht strafbegründend sein. 4. Die suggestive Wirkung der
durch die Presse gebrachten Berichte ist zu beseitigen, zum mindesten bei
der Wertung der Aussagen zu berücksichtigen. 5. Eine Rekognition kann
nur dann als gültig erkannt werden, wenn der Zeuge den vermutlichen Täter
aus einer Reihe womöglich ihm etwas ähnelnder Personen, bezw. ein Porträt
aus einer Reihe solcher Porträts heraus wiedererkennt. 6. Auf die Aus-
sagen geisteskranker und geistesschwacher Personen sowie von Kindern
allein hin darf keine Verurteilung erfolgen. 7. Zeugen, die Aussagen von
entscheidender Wichtigkeit machen, besonders wenn letztere von den Aus-
sagen anderer Zeugen in wesentlichen Punkten abweichen, sind von psycho-
logisch geschulten Sachverständigen auf ihre Glaubwürdigkeit zu untersuchen.
8. Der Richter muß mehr als bisher kriminalpsychologisch vorgebildet sein.
(Bendix.)
Bischoff (18) führt in einem Gutachten über einen vielfach vor-
bestraften Menschen, der objektiv reflektorische Pupillenstarre aufwies und
als Dementia paralytica imponierte, aus, daß Inkulpat zwar auf Grund alter
Gehirnrückenmarkserkrankung an tabesartigen, nervösen Störungen leide,
aber nicht geisteskrank sei. B. glaubt, daß auch hier Simulation vorliege
und der Gebrauch der Vernunft zur Zeit des Deliktes nicht aufgehoben war.
(Benäx.)
Oross (67) teilt ein Gutachten über einen Fall von Pseudo-Quäru-
lantenwahn mit. Es handelte sich um einen schwer psychopathischen Mann,
der seit Jahren als nicht voll zurechnungsfähig zu erachten war, dessen
psychische Alteration aber keine so schwere war, daß die freie Willens-
bestimmung zur Zeit der Begehung der strafbaren Handlungen völlig aus-
geschlossen war. Er war belastet, zeigte eine Reihe nervöser Störungen,
war sehr reizbar und litt an einer starken Selbstüberschätzung. Er hatte
eine der Norm nicht entsprechende Rechtsauffassung, die ihm in Widerspruch
mit der Rechtsauffassung der Richter und Zeugen brachte. Er bewies bei
Gerichtliche Psychiatrie. 1181
der Geltendmachung seines vermeintlichen Rechtes eine unglaubliche Hart-
näckigkeit und Leidenschaftlichkeit und hielt sich nicht an den Rechtsweg
und das rechtsgültig entscheidende Urteil. (Bendia,)
Ouddens (68) Schlußsätze zu seiner Abhandlung über die physio-
logische und pathologische Schlaftrunkenheit lauten: Das hervorragendste
Zeichen der Schlaftrunkenheit ist eine Verschiebung in der Wiederkehr der
Besonnenheit und der Aktionsfähigkeit. — Die Ausbildung der Schlaftrunken-
heit wird sehr häufig begünstigt durch die Schwäche oder das Fehlen von
bestimmten Eindrücken vor dem Einschlafen, welche für die rasche Wieder-
kehr der Besonnenheit bei dem Erwachen von Bedeutung sind. In gleicher
Weise begünstigend wirkt das längere Vorhandensein von ängstlichen Affekten
vor dem Einschlafen. Für das Denken und Handeln der Schlaftrunkenen
spielt das normalerweise schon mit vorzeitigem Erwachen verknüpfte Unlust-
gefühl eine Rolle. Die pathologische Schlaftrunkenheit erstreckt sich bei
gewissen Komplikationen (unsanfte Behandlung oder Trauma des Schlaf-
trunkenen) nicht selten über einen längeren Zeitraum. Die alkoholische
Schlaftrunkenheit geht deshalb oft in einen pathologischen Rauschzustand
über. (Bendia,)
Margnlies (114) teilt die Krankengeschichten einiger Fälle von
Selbstanklagen bei Paranoia mit, als Folgen paranoischer Wahnbilduug,
wobei die Kranken nicht nur an die Realität der Verfolgungen, sondern
auch an die Realität ihres Inhaltes glaubten. Es handelte sich im ersten
Falle um einen Mann, der sich selbst als Brandstifter anschuldigte, offenbar
aber an Paranoia litt und unter dem Eindruck seiner Wahnvorstellungen
sich für den Täter hielt. An melancholischen Symptomen hatte er nie
gelitten.
In einem anderen Falle entwickelt« sich bei einem 32jährigen Bürsten«
bindergehilfen, der von Haus aus intellektuell minderwertig veranlagt und
durch ein Ohrenleiden (Schwerhörigkeit) zum Mißtrauen neigte, eine akute
Psychose mit ausgesprochener paranoischer Wahnbildung. Als der Kranke
für seine Arbeit ReiBwurzeln aussuchen will, bemerkt er auf einem Packete
einen Stein und glaubt, daß man ihn für einen Dieb hält. Bald aber be-
ginnt er sich selbst des Diebstahls anzuklagen.
Fall 8 betrifft einen 66 jährigen Parkwächter, dem wegen Phlegmone
der rechte Vorderarm amputiert wurde, und der längere Zeit Verfolgungs-
ideen äußerte. Als ein unaufgeklärter Doppelmord passiert war, glaubt er,
daß man ihn beobachte und schließlich, daß er den Mord begangen, aber
es vergessen habe. Er erhebt gegen sich selbst Anklage, das kleine Mädchen
vergewaltigt und getötet zu haben. (Bmdix,)
Markovac (116) teilt einen Fall von Selbstbeschuldigung bei einem
epileptischen Bäckergehilfen mit, der angab, bei einem an einem Postillon
verübten Morde mitbeteiligt gewesen zu sein, nach Angaben seines Meisters
und der angeblichen Missetäter aber gar nicht das Haus verlassen hatte.
Später gab er zu, sich nur den ganzen Vorgang eingebildet zu haben und
infolge der Epilepsie öfters geistig verwirrt zu sein. (Bendxx,)
Reichel (152) macht auf die Tatsache aufmerksam, daß Prostituierte
in foro ihren Zuhälter zu entlasten suchen, aus Eifersucht aber häufig zu
Belastungszeugen werden. (Beudix,)
Sieber (169) teilt einen an sich selbst beobachteten Fall von Schlaf-
trunkenheit mit S. hatte eines Nachts, nachdem er vorher durch eine
Spukgeschichte (nächtliche Störung durch Klingeln und Lärm vor seiner
Tür) sich aufgeregt hatte, in der Schlaftrunkenheit seine neben ihm schlafende
1182 Therapie der Geisteskrankikeiten, AosUltswesen, Wärterfrage etc.
Fma fest am Ann gepackt uuter lauten Ausrufen in dem Glauben, deo
Täter erwischt zu haben, und war erst nach einiger Zeit wieder zur klarea
Kinsicht gekommen. (Bendix,)
Weber (190) berichtet über zwei Fälle Ton chronischer Paranoia
hinsichtlich der Anstaltspflegebedürftigkeit, Entlassung, Geschäftsfähigkeit,
Entmündigung und zivil- und stra^esetzlichen Verantwortlichkeit d^
Kranken. Der eine der Fälle hatte insofern ein Interesse^ weil er trotz
seiner schweren Paranoia und teilweise unter dem Einfluß einzelner Symptome
derselben jahrelang ein lukratives Geschäft als medizinischer Kurfusdier
getrieben hatte. Der andere war, als interessantes Pendant dazu, in gleicher
Weise auf kirchlichem Gebiet gewissermaßen als Eurfuscher tätig. Da in
beiden Fällen trotz des langen Bestehens der Krankheit eine mehr als ge-
wöhnliche Leistungsfähigkeit trotz lebhafter Sinnestäuschungen in dem einen
und hartnäckiger Wahnideen in dem anderen Falle erhalten blieb, so konnte
ohne weiteres die zivil- und strafrechtliche Zurechnungsfähigkeit nicht aus-
geschlossen werden, und ebenso genügt die Tatsache, daß einzelne verhälttti«-
mäßig unbedeutende gemeingefährliche Handlungen begangen wurden, nicht
zu einer dauernden Internierung in einer Anstalt. (Bendix.)
Therapie der fieisteskraiklieitei, Anstaltswesen, Wärterfrage etc.
Referent: Dr. B. Ascher-Berlin,
1. Ab bot, E. Stanley, A ßeception-Observation in Boston. The Joorn. of Nenr. and
Mental Disease. Vol. 32, p. 881. (SHzwissImrIelit)
2. Alexander, H. de M., A Note on Veronal as a Hypnotic and Sedative in M«ntsl
Affections. The Journ. of Mental Science. Vol. LI, p. 137.
3. Algeri, Kelazione sul manicomio di Quarto al Marc. Riv. sperim. di Fren. Vol. 31,
p. 423. (Sifsnagsbertefat.)
4. Alt, Konrad, Die Wiener üeilversuche an Paralytikern. Psych.-N«arol. Wochensckr.
Vll. Jahrg., No. 2, p. 13.
5. Derselbe, Nochmals mein Standpunkt in Frage der höchstzulässigen AnstaltsgrÖsse.
Gentralbl. f. Nervenheilk. No. 131, p. 84.
6. Aratarit, Contribntion a Tetude dii bromdiethylacetamide (neuronal); son »ctioü
hypnotique et sedative chez les alienes. Tlitee de Paris.
7. Arthur, D. H., Gawanda State Homeopatkic Uospatal for the losane. N. Ain.J<Hira.
Hoemoeop. N. Y. LIII. 77—83.
8. Ayer, Some Facts Regarding the Early Care of the Insane in Massachusetts, with
Special Reference to the Boaton Alshous«. Tlie Jo-urn. of Nerv, and Mental Disease.
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9. Ballet, Gilbert, Le service des delirants de l'Hotel-Dieu. La Presse medicale.
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10. Barcia Caballero, J., Un caso di mania curado por interferencia. Rev. espec.
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11. Barr, M. W., lastitutions for Mental Defectives. Charlotte M. Journ. XXVil.
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12. Bayerthal, Jahresbericht über die schulärztliche Tätigkeit an den Hilfsklassen der
städtischen Volksschule in Worms (Schuljahr 1904/05).
13. Behrendt, PauU Die Anstalten der Inneren Mission (die ^Bodelsdiwiagacben An-
stalten") zu Bethel bei Bielefeld. Archiv für soziale Medizin. Bd. II, p. 10.
14. Belletrud, Le regime de la vie normale ä Fhopital des raaladles mentales do Var.
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15. Derselbe et Mercier, Quelques r^flexions sur le recratement des infirmiers dans les
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1192 Therapie der Geisteskrankheiten, Anstaltswesen, Wäfterfrage ete.
IrrenpflegB Im allgemBiBBn.
Schwabe (249) nennt drei Wege, auf welchen dem Kreisarzt, dem
die dauernde Fürsorge für Geisteskranke, Epileptische und Idioten zur
Pflicht gemacht ist, die AuMndung dieser Kranken gelingen kann, 1. durch
seine persönliche Berührung mit den Kreisinsassen, 2. durch die Informa-
tionen durch die staatlichen und kommunalen Behörden, 3. durch gemein-
sames Arbeiten mit den leitenden Ärzten an den zuständigen öffentlichen
und privaten Anstalten. Die Ausübung der Fürsorge soll eventuell eine
eingreifende sein und zur Überweisung in eine Anstalt führen. Es soll der
Kranke überwacht werden ,und eventuell schwererer Erkrankung labiler
Personen durch rechtzeitige Übernahme in ärztliche Behandlung vorgebeugt
werden. Der Beschaffenheit der für die vorläufige Internierung geßLbrlicher
Geisteskranker dienenden Lokalitäten muß ein wachsames Auge gewidmet
werden. Die Bevision der Pflegestellen ist ferner Sache des Kreisarztes.
Die Ziele der Irrenhilfsvereine hat er zu unterstützen. Schließlich umgrenzt
Verf. den Begriff der Gemeingefährlichkeit dahin, daß diese vorliegt, wenn
Gesundheit und Leben der engeren und weiteren Umgebung, die Sittlich-
keit der Familie und der Öffentlichkeit gefährdet oder die öffentliche Buhe,
Ordnung und Sicherheit in dem Maße gestört wird, daß andauernd Polizei-
gewahrsam notwendig wird, oder wenn auf Grund verbrecherischer Neigungen
nachweislich Leben, Gesundheit und materielles Gut der Mitmenschen ge-
schädigt wird, endlich wenn in Bezug auf die eigene Person Neigung zu
Selbstbeschädigung vorliegt.
Meyer (180) berichtet über die Fürsorge für die Geisteskranken in
England und Schottland, welche er auf einer sechswöchentlichen Studien-
reise kennen gelernt hat. In beiden Ländern wirken als Zentralbehörden
die Commissioners in lunacy, welchen die Aufsicht über die öffentlichen
Anstalten und die sachkundige Kontrolle über die Kranken in den Privat-
anstalten, vor allem aber in den Armenhäusern und in der Privatpflege zu-
steht. Da zurzeit die Aufnahmeformalitäten sehr umständlich und rigoros
sind, steht jetzt die Frage einer zweckmäßigen Behandlung der beginnenden
resp. kurz vorübergehenden Geistesstörungen auf der Tagesordnung, und
gehen die Wünsche jetzt auf Einrichtung besonderer Aufnahmeabteilungen
an allgemeinen Krankenhäusern.
Bei den neueren Anstalten tritt die Tendenz zum Villenstil hervor.
An einzelnen Anstalten bestehen eigene Sanatorien für Tuberkulöse. In
einigen Anstalten sind 2000-3000 Insassen; die Zahl der Arzte ist viel-
fach zu gering. Die innere Einrichtung der Anstalten ist verhältnismäßig
reich ausgestattet, sodaß sie meist einen heimischen Eindruck macht. Nir-
gends fehlen Spielplätze. Isolierräume sind meist in großer Zahl vorhanden;
zum Teil sind sie mit dickem Gummipolster versehen und zum Verdunkeln
eingerichtet. Die Anwendung von Dauerbädern wurde nicht beobachtet^
von der Bettbehandlung wird wenig Gebrauch gemacht. Dem Pflegepersonal
wird große Beachtung und Sorge gewidmet. Die Familienpflege, das
Boarding-out-System ist bekanntlich in Schottland besonders ausgebildet
Der sechste Teil sämtlicher Geisteskranker Schottlands befindet sich in
Familienpflege. Verf. hat zwei Dörfer, Inverness und Gastmore bei Glasgow
besucht, wo eine große Zahl von Pfleglingen untergebracht ist. Er hat den
vorzüglichsten Eindruck von denselben gewonnen.
Bleuler (23) betrachtet die Anstaltsbehandlung der präcociter De-
menten als ein Übel, das sich während der akuten Schübe und bei allzu
argem chronischen antisozialen Verhalten nicht vermeiden läßt Die Schäd-
Therapie der Geisteskrankheiten, AnstaltsweseD, Wärterfrage etc. 1193
lichkeit ist darin zu sehen, daß gerade diese Kranken durch die Repression
gereizt und yerschlimmert werden. Nun wird frischen Fällen im allgemeinen
draußen ein größeres Interesse entgegengebracht, und es ist leicht möglich^
den Angehörigen oder den Gemeinden frische Fälle zu übergeben, sobald
sie sich nur halbwegs geordnet aufführen. Daher ist Verf. für frühe Ent-
lassung der Katatoniker, sobald nur jemand die Mühe der Besorgung und
der Verantwortung übernehmen will.
Die Heilungszahl sieht Verf. nicht als Maßstab für die Güte der
Anstalt an; diese hängt vielmehr von den Aufnahmeverhältnissen ab. Für
die Verblödungspsychosen hält B. die Anstalt im großen und ganzen für
schädlich; daher sofortige Entlassung notwendig, sobald dieses manchmal
notwendige Übel vermieden werden kann.
Die organisierte Privatptiege einzuführen ist Verf. bisher noch nicht
gelungen. Durch eine rationelle Prophylaxe ist weiter eine Entlastung der
Anstalten zu erzielen; es kommt in erster Linie Bekämpfung des Alkohol-
genusses in Betracht, ferner die Möglichkeit, die Degenerierten von der
KindererzeuguDg abzuhalten.
Binswanger (20) hat in besonderer Berücksichtigung der haus-
ärztlichen Praxis einige prinzipielle Fragen über die Behandlung beginnen-
der Psychosen entwickelt. Bei den initialen Stimmungsanomalien und
intellektuellen Ermüdungssymptomen, welche nicht selten Anfange einer
Hebephrenie, einer Amentia, einer Paranoia oder einer Paralyse ankündigen,
ist Bettruhe und die Anwendung hydriatischer Behandlungsmethoden in-
diziert. Bei krankhafter Apathie, verbunden mit primären Denkhemmungen,
ist zum Unterschied von der melancholischen Depression keine Opium-
behandlung, sondern eine anregende Therapie mit Massage, Gymnastik und
Faradisation am Platze. Melancholien mit Selbstmordtendenz gehören sofort
in die Anstalt^behandlung. Schwachsinnige Paralytiker soll man nur dann
in Familienpflege behalten, wenn die Entmündigung ausgesprochen ist
Jeanselme (128) berichtet über die Irrenpflege in den europäischen
Kolonien Ostasiens. In Java wird der Geisteskranke nicht als Besessener,
sondern als Kranker angesehen. Ist er harmlos, bekommt er eine Scbelle
um den Hals zur leichteren Überwachung und eine Kette um die Füße,
damit er nicht fortläuft Die aggressiven Kranken werden während des
Agitationsstadiums in einen luftigen Käfig gebracht, der so eng ist, daß er
dem Kranken nicht viel Raum zur Bewegung läßt In Bangkok, der Haupt-
stadt Siams, ist eine Irrenanstalt mit etwa 100 Deliranten, von denen
manche an Beriberi erkrankt sind. Vor der Einlieferung in die Anstalt
werden die Kranken einem siamesischen Arzt vorgestellt Auch in B-angoon,
der Hauptstadt von Englisch-Birma, befindet sich eine sauber gehaltene
Irrenanstalt. Die meisten Kranken befinden »sich in Holzpavillons; für die
unruhigen sind festgemauerte Zellen vorhanden. Für die verbrecherischen
Geisteskranken ist ein besonderer Pavillon reserviert die europäischen
Geisteskranken haben wieder eigene Abteilungen. Die Anstalt in Singapor©
ist vom Verf. selber besucht worden. Die ruhigen haben luftige Aufenthalts-
räurae und große, gegen die Sonne geschützte Höfe zum Spazierengehen;
die Unruhigen sind in Zellen isoliert. Beriberi tritt häufig auf; die von
dieser Krankheit Behafteten kommen in eine Spezialaustalt, um die Weiter-
verbreitung zu verhüten. In Buitenzorg, unweit Batavia, der Hauptstadt
von Java, befindet sich die größte Anstalt von Niederländisch-Indien. Sie
hat 500—600 Kranke, von denen die Hälfte Europäer und besonders in-
folge Alkoholmißbrauchs erkrankte Soldaten sind. Es herrscht in der Anstalt
das No-restraint-Prinzip. Die Insassen sind zumeist beschäftigt
1194: Therapie der Geisteskrankheiten, Anstaltswesen, Wärterfrage etc.
Mangels einer Statistik läßt sich nur sagen, daß die Geisteskranken
nicht selten in der gelben Rasse vorkommen; Inspirierte und Unverwundbare
sind häufig. Bei den Malayen ist das Amoklaufen bekannt. Bei den Mal-
gassen kommt das Tarantellalaufen vor. Allgemeine Paralyse wird dagegen
nicht bei den Eingeborenen beobachtet. Auch Alkoholismus kam kaum bei
diesen in Betracht. Dagegen sind als Ursachen anzuführen das Kauen der
Früchte von Datura stramonium und das Rauchen von indischem Hanf.
Meige und Rudler (171) bringen einige Daten über zwei Heilige,
welche sich mit der Heilung Geisteskranker beschäftigten. Saint Menoux
war ein Priester, welcher im 7. Jahrhundert in Irland geboren wurde und
in Mailly-sur-Rone (Bourbon) starb. Viele Heilungen und Wunder wurden
ihm zugeschrieben. Noch jetzt wird sein Grab aufgesucht. In der Kirche
befindet sich der Sarkophag; in einer Wand desselben befindet sich ein
Loch ; bei Migräne und bei Geistesstörung steckt der Kranke den Kopf in
dieses Loch und spricht ein Gebet. Der zweite Heilige ist der Bischof
von Rennes, Dizier. Auch dieser lebte im 7. Jahrhundert. Noch im Sterben
heilte er seinen Diakon Regenfroid von einer Kopfwunde. An das Grab-
mal dieses Heiligen eilten bald die Geisteskranken der umliegenden Pro-
vinzen; es wurde eine methodische Behandlung mit Prozessionen, Gebeten
und Exkursionen eingerichtet. Interessant ist, daß sich bei dieser Gelegen-
heit der erste Versuch einer familialen Pflege Geisteskranker konstatieren läßt.
Starlinger (265) weist, wie bereits im Jahre 1900, auf die Reform-
bedürftigkeit der Anstaltsberichte hin, da diese nicht mehr dem hohen
Stande des Austaltswesens entsprechen. Es ist eine einheitliche Größe des
Formats wünschenswert und in Bezug auf den Inhalt eine größere Über-
einstimmung anzubahnen. Bis zur Erreichung dieses Zieles wünscht Verf.
die eine oder andere praktische Anstaltsangelegenheit, die von einem kom-
petenten Forum zu bestimmen ist, gemeinsam eingehender behandelt.
Schott (244) wünscht bei der Neuordnung der Aufnahme Verhältnisse
der württembergischen Anstalten die territoriale Abgrenzung, welche gegen-
über der Teilung in Heil- und Pflegeanstalten mannigfache Vorteile bietet
Einmal ist der Verkehr mit den Angehörigen erleichtert, die Wiederaufnahme
von neuem erkrankter Personen in die frühere Anstalt erleichtert sich. Die
wissenschaftliche Ausbeute wird eine größere, indem durch die Kenntnis
eines eng umgrenzten Bezirks manche Fragen der Erblichkeitsforschung, der
Lehre von der Entartung, der Kriminalität usw. leichter in Angriff genommen
werden können. Dabei ist für die Arzte der Wechsel des Materials wichtig,
damit nicht durch Beobachtung von nur abgelaufenen Psychosen das Arbeits-
feld eingeengt wird. Als Belegziffer hält Verf. die Zahl von 600—700
Plätzen für das richtigste, wobei etwa 200 auf die Siechenabteilungen zu
rechnen sind.
Drastich (70) hat im Anschluß an den im vorjährigen Jahresbericht
besprochenen ersten Teil einen zweiten veröffentlicht, in welchem die
wichtigsten beim Militär vorkommenden Formen von Geistesstörungen und
psychopathischen Zuständen mit besonderer Betonung ihrer forensischen
Seite besprochen werden. Mit Rücksicht auf die praktischen Bedürfnisse
werden die einschlägigen Paragraphen des Militär -Strafgesetzes und der
Militärstrafprozeßordnuug wiedergegeben. Es wird auf die Bedeutung hin-
gewiesen, welche die beabsichtigte Schaffung von Zentralstellen für forensisch-
psychiatrische Beobachtungen hat, die jedes am Sitze eines Korps-Kommandos
befindliche Grarnisonspital erhalten soll. Grundsätzlich sollten einer solchen
Zentralstelle die kranken Arrestanten, Epileptiker und sonstigen Nerven-
kranken überwiesen werden. Auch der häufig wiederholte Wunsch, daß
Therapie der Geisteskrankbeiten, Anstaltswesen, Wärterfrage etc. 1195
bereits in den Assentlisten Angaben über das Vorkommen von Geistes-
störungen, Nervenkrankheiten usw. in der Familie der Stellungspflichtigeu
gemacht werden, vird vom Verf. wieder aufgenommen. Mit Rücksicht auf
den vorliegenden Zweck bespricht Verf. die beim Militär ganz besonders
häufig zu beobachtenden Greistesstörungen ausführlicher; für die verschiedenen
Formen der geistigen Erkrankungen werden Beispiele aus der reichen Er- \
fahrung des Verfassers mitgeteilt. |
Starlinger (264) weist auf die Bedeutung hin, welche der Arzt auch |
an den Irrenpflegeanstalteii hat, wie er erfinderisch sein muß, um die j
Kranken je nach ihrer Art zu beschäftigen. Zu Unrecht wird die Tätig-
keit an den Irrenpflegeanstalten als minderwertig angesehen. Prinzipiell
spricht sich Verf. indes für eine Zusammengehörigkeit der Heil- und Pflege-
anstalt aus.
Sigel (256) teilt drei Fälle von Spätgenesung von Geisteskranken mit,
der erste betraf eine 41jährige Patientin, welche an Manie erkrankt war
und nach acht Jahren zur Genesung kam. Sie zeigte (seit der Entlassung
sind bereits wieder mehr als 4^2 Jahre vergangen) vollkommene Krank-
heitseinsicht und war im stände, einen großen Haushalt zu leiten und ihren
Kindern eine treffliche Mutter zu sein. Im zweiten Falle handelte es sich
um ein 28 Jahre altes lediges Dienstmädchen, welches an halluzinatorischer
Störung mit periodischem Verlauf erkrankt war. . Nach vierjähriger Krank-
heitsdauer trat vollkommene Genesung ein. Der dritte Fall betraf eine
22jährige Frau, welche an einer hysterischen Seelenstörung erkrankte, die
mit wiederholten Selbstmordversuchen, Beeinträchtigungsideen und starken
Erregungszuständen kompliziert war. Hier trat nach neunjähriger Krank-
beitsdauer Heilung ein.
Es gelingt bisher nicht, einzelne häufiger wiederkehrende Symptome
und Stigmata als prognostisch wichtig in Bezug auf die Spätheilung hervor-
zuheben. Bei der Wichtigkeit aber, insbesondere mit Rücksicht auf den
§ 1569 des BGB., empfielilt es sich, alle einschlägigen Fälle zu veröffent-
lichen.
Christian (46) wendet sich dagegen, die französische Psychiatrie als
rückständig zu bezeichnen, weil sie sich nicht die Neuerungen der aus-
ländischen — deutschen, schottischen und englichen — Psychiatrie zu eigen
gemacht habe. Die Behandlung durch Dauerbäder sowie die Bettbehandlung
sei gerade mit dem Prinzip der möglichst freien Behandlung nicht vereinbar.
An sich sei die Behandlung durch Bäder und durch Bettruhe nichts neues
und fände sie, wenn auch nicht in dem in den ausländischen Anstalten be-
liebten Maße Anwendung. Auch für die koloniale Verpflegung kann sich
Verfasser nicht in der jetzt so unmäßigen Weise begeistern. Wenn die
Kolonie Dun im .Jahre 1902 bei 931 Kranken 2 Selbstmorde, 61 Ent-
weichungen, 180 Änderungen der Pflegestellen, 52 Zurückversetzungen von
Kranken in geschlossene Anstalten, 140 Unterbringungen in Siechenhäusern
hatte, so daß etwa 46 "/^, besondere Vorkommnisse zu verzeichnen sind, so
muß dies doch den Enthusiasmus herabsetzen. Im Anschluß an Anstalten
will Verfasser Kolonien gelten lassen, da einige gut funktionierten; aber die
Anstalt durch eine Kolonie zu ersetzen, hält er für eine unglückliche Idee.
Auch das absolute Alkoholverbot w^ird vom Verfasser geraißbilligt. Es fehle
doch der Beweis, daß der Wein in den geringen Tagesdosen, wie er in den
Anstalten gegeben werde, Schaden anrichte. Zum Schluß verwahrt sich
Verfasser dagegen, nun etwa ein Feind des Fortschrittes zu sein. Das
Gegenteil sei der Fall, aber der Fortschritt habe doch nicht darin zu be-
1196 Therapie der GeiateBkrankheiten, AnsUltsweseo, Wärterfrage etc.
stehen, mit der Yergangenbeit Tabula rasa zu machen. Die französische
Psychiatrie kann den Vergleich mit allen Ländern der Welt ertragen!
Das Zahlenmaterial, das Grunau (98) seinen Ausführungen zu Grande
legt, entstammt den Veröffentlichungen des Königl. preußischen statistischen
Amts über die Irrenanstalten. Bekanntlich werden dem statistischen Bureaa
aus allen preußischen Irrenanstalten seit 1875 alljährlich Zählkarten zuge*
schickt, welche über jeden einzelneu Kranken eine Eeihe verschiedener An-
gaben enthalten. Das hier niedergelegte Material ist merkwürdigerweise
bisher wenig von den Irrenärzten beachtet worden ; Verfasser hat sich sicher-
lich ein Verdienst erworben, daß er die mühsame Arbeit, das Zahlenmaterial
nach einigen Richtungen hin zu sichten, unternommen hat Die gewaltige
Ausdehnung, welche die Irrenanstalten in Preußen von 1875 bis 1900 ge-
nommen hat, zeigen die folgenden Zahlen: Im Jahre 1875 bestanden 118
Anstalten (46 öffentliche und 72 private) mit 18761 Verpflegungsfallen, im
Jahre 1900 248 Anstalten (104 öffentliche und 144 private) mit 76342 Ver-
pflegüngsfällen. Im Jahre 1875 kam in Preußen 1 Verpflegungsfall auf
1386 Seelen, im Jahre 1900 1 auf 452 Seelen. Die meisten Fälle fallen
unter die Rubrik der einfachen Seelenstörung, unter welcher Krankheitsform
alle Arten von Geistesstörung, mit Ausnahme von Paralyse, Psychose mit
Epilepsie, von Idiotie und Delirium potatorum zusammengefaßt werden; die
geringste Anzahl stellt das Delirium potatorum. Unter den einzelnen Pro-
vinzen finden sich große Verschiedenheiten in Bezug auf die Zahl der ver-
pflegten Fälle; obwohl Provinz Posen bis vor wenigen Jahren mehr Ein-
wohner hatte als Berlin, betrug die Zahl für Berlin 138417, fiir Posen
26 622. Die Paralytiker sind in den einzelnen Provinzen sehr ungleich ver-
treten; die größte Zahl weist Berlin auf, die wenigsten Westfalen (15,9*/^
zu 3,9 ^Iq). Eine derartige Berechnung der Alkoholdelirianten anzustellen*
ist nicht angängig, da in Berlin das Gros derselben in die Charite kommt
und mitgezählt wird, in Westfalen bei dem Mangel städtischer Irrenanstalten
diese in allgemeinen Krankenhäusern untergebracht werden und daher nicht
in die Irrenstatistik aufgenommen werden.
Belehrend ist die Statistik, welche das Delirium tremens betrifft. Es
ergibt sich zahlenmäßig, daß die Sterblichkeit an dieser Krankheit erheblich
in den letzten Jahren zurückgegangen ist Verfasser bringt diese Tatsache
mit der Änderung in der Behandlung in Zusammenhang:" früher Narkotica
und Tobzelle, jetzt bessere Ernährung und Dauerbad, beziehungsweise Bett-
ruhe. Die prozentualen Sätze für gewaltsame Todesarten bleiben noch unter
dem allgemeinen Durchschnitte, wie er sich für die ganze Bevölkerung von
Preußen berechnet ergibt, zurück.
Dies nur ein kleiner Teil der Resultate, welche Verfasser aus dem
großen Zahlenmaterial, das in 18 Tabellen geordnet wiedergegeben wird, ge*
Wonnen hat.
In beredter und scharfer Weise wendet sich Belmondo (16) gegen
die noch heutzutage reichlich in Italien angewandten Zwangsmittel bei der
Irrenfürsorge. Er gibt zu erkennen, daß mehr Bequemlichkeit und Verharren
in alten Gewohnheiten die unhaltbaren Zustände zeitige. Die einzelnen
Gründe, die gegen einen liberal durchgeführten non-restraint gewöhnlich
vorgebracht werden, werden einzeln durchgesprochen und mit Hinweis auf
das Ausland, besonders auf Deutschland, als nicht stichhaltig zurückgewiesen.
Der große physiologische wie moralische Unterschied, der zwischen phyri-
kalischer und chemischer Zwangsjacke besteht, wird dargetan. Schließlich
wird Front gemacht gegen die Korridorsysteme der modernen Anstalten wid
gegen einige Regierungs vorschlage, die besondere, den Irrenanstalten nur
Therapie der Gebteskrankheiten, Anstaltswesen, Wärterfrage etc. 1197
aoßerlich angegliederte Beobachtungsstationen für geisteskranke Verbrecher
in Aussicht nehmen. In der lebhaften, sich entwickelnden Diskussion
stimmen alle Redner Belmondo zu, so daß man den Eindruck gewinnt, daß
sein Vortrag wohl geeignet war, mit dem alten Konservativismus aufzuräumen.
(Merzbacher,)
De Paoli (202) macht auf die Unzuträglichkeiten aufmerksam, welche
die Anwesenheit von Individuen mit sogen, „moral-insanity" in den Irren-
liiüisern mit sich bringt Dieselben stören in hohem Maße den Frieden und
die Ordnung im Irrenanstaltsleben. Ihre Verbringung in besondere, anders
geartete Institute (Verbrecher-Irrenanstalten, Kolonien usw.) wird in Er-
wägung gezogen. (Merzbacher.)
Die 2. Sektion des in Budapest abgehaltenen VII. internationalen
Kongresses für das Sträilingswesen hat sich am 7. September mit der
Diskussion der folgenden Frage befast: „Ist ein Bedürfnis vorhanden zur
Erriditung spezieller Strafanstalten a) für Personen mit beschränkter Hand-
lungsfähigkeit, b) fiir unverbesserliche Alkoholisten? Wenn ja, auf welcher
Gruadlage ist die Errichtung solcher Anstalten vorzunehmen?"
Korapporteur, üniversitätsprofesspr Dr. Moravcsik (186) resümiert
in einem vorgelegten Berichte die bezüglich dieser Frage eingelaufenen Gut-
achten uad konstatiert, daß von zehn Gutachten neun (und zwar Crothers,
Sekretär der amerikanischen Gesellschaft zum Studium des Alkohols und
anderer nai^otisdier Mittel, Dr. Curti, Direktor der Strafanstalt in Regens-
dorf, Feuilloley, General-Anwalt bei dem Pariser Kassationshofe, Dr. med.
Forel, ehem. Professor der Psychiatrie an der Universität Zürich, Dr.
Emest Friedemann -Budapest, Jules Heyfitz, zugeteilt dem Justiz-
ministerium in St Petersburg, Dr. J. Salg6, gew. Irrenanstalts-Oberarzt in
ßndapest, Dr. med. Paul Win ge-Christiania und Prof. Dr. E. E. Moravcsik-
Budapest) in bejidienden Sinne gehalten waren, und bloß Vincensini
(directeur de la maison centrale et de la circonscription de Montpellier) hält
die Errichtung spezieller Anstalten für überflüssig, wobei er betont, daß auch
im Rahmen der bestehenden Detentionsanstalten eine solche Separation der
Verurteilten durchführbar sei, welche ihren individuellen Eigenschaften ent-
spricht Nach einer Darlegung des Inhaltes der einzelnen Gutachten führt
Moravcsik aus, daß zwischen normalem und krankhaftem psychischen Zu-
stande, zwischen voller Zurechnungsfähigkeit und Unzurechnungsfähigkeit,
viele Uebergäuge existieren, und daß es Individuen gibt, welche infolge einer
angeborenen oder erworbenen organischen oder geistigen Abnormität gerade
nicht als Geisteskranke zu bezeichnen sind, aber gegenüber dem Denken
und moralischen Fühlen normaler Individuen Defekte, verminderte Wider-
standsfähigkeit, aufweisen und eine spezielle strafrechtliche und bürgerliche
Beurteilung erheischen; aus diesen Gründen müssen die derzeit bestehenden
Verfügungen der Strafgesetze bezüglich der Frage der Zurechnungsfähigkeit
als ungenügend bezeichnet werden. Soll die Rechtspflege ihren idealen
Aufgaben entsprechen, so müssen auch diese intermediären Zustände berück-
sichtigt werden, und eine stets zunehmende Anzahl juridischer und medi-
zinischer Fachmänner spricht sich für die Notwendigkeit aus, daß die ver-
minderte Zurechnungsfähigkeit in die Strafgesetze aufgenommen werde. Die
theoretische Diskussion und die praktische Lösung jener Fragen, welche mit
der verminderten Zurechnungsfahigkeit zusammenhängen, bildet einen erfreu-
lichen Beweis, daß die in unserem Jahrhundert vorherrschende naturwissen-
schaftliche Richtung auch auf die Rechtspflege ihren Einfluß ausübt und ist
gleichzeitig der Vorläufer einer gesünderen, gerechteren und zweckent-
sprechenderen Auffassung, welche nicht bloß bei Feststellung der Zurechnungs-
1198 Therapie der Geisteskrankheiten, Anstaltswesen, Wärterfrage etc.
fahigkeit, sondern auch bei Ausmaß und Durchführung der Strafe die geistigen
und organischen Qualitäten des Straffälligen einer besonderen Berücksichtigung
teilhaftig werden läßt. Zweck der strafenden Gerechtigkeit ist nicht bloß
die Abschreckung, die Vergeltung und Wahrung der sozialen Sicherheit,
sondern auch die zielbewußte Erziehung, Besserung und, wenn möglich, anch
die Heilung derjenigen, welche mit der gesellschaftlichen Ordnung in Konflikte
geraten, und schließlich trachtet sie, den strafbaren Handlungen und der
Entwicklung Straffälliger vorzubeugen. Vortragender betont, daß bei der
Fürsorge um derartige, oft schon organisch stigmatisierte und geistig minder-
wertige Individuen nicht die Strafe das wesentliche ist, sondern eine der-
artige Wahrung der Gesellschaft, welche dem organisch und psychisch
abnormen Zustande solcher Individuen am besten entspricht. Bei diesen
würde die Unterbringung in spezielle Anstalten auch jener milderen Strafe
entsprechen, welche durch die verminderte Zurechnungsfähigkeit bedingt
erscheint. Das Interesse der sozialen Sicherheit wäre dadurch gewahrt, daß
solche straffällige Individuen solange in der Spezialanstalt zurückzuhalten
wären, bis nicht genügende Garantien für das Aufhören ihrer Gemein-
gefährlichkeit geboten sind. Die inveterierten und dabei zu Verübung straf-
barer Handlungen neigenden Trinker sind den Individuen mit verminderter
Zurechnungsfähigkeit wohl in mancher Beziehung gleichwertig; da jedoch
bei solchen die Alkoholentziehuug das eine Hauptziel bildet, und weil ihre
individuellen Eigenschaften in mancher Beziehung abweichende sind, so
wären die Trinker in gesonderten Anstalten unterzubringen. Die über-
wiegende Mehrzahl der eingangs erwähnten Rapporteure bezeichnet es als
notwendig, daß über die verminderte Zurechnungsfähigkeit und Unterbringung
derartiger Individuen SpezialVerfügungen in die Strafgesetze aufgenommen
werden; Feuilloley, Generalanwalt bei dem Pariser Kassationshofe, sagt
diesbezüglich: „II est donc necessaire que le legislateur, s'inspirant de Tidee
de justice, consacre, en l'inscrivant dans la loi, le principe de la respon-
sabilite restreinte et de Tattenuation des peines."
Am Schlüsse seines Berichtes proponiert Moravcsik, der Kongreß
möge aussprechen, daß die Errichtung von speziellen Anstalten für Indi-
viduen mit verminderter Zurechnungsfähigkeit und für inveterierte Trinker
notwendig ist. Die allgemeinen Gesichtspunkte wären am besten so fest-
zustellen, wie dies Feuilloley darlegte, daß nämlich die Anstalten nicht
den Charakter von Strafanstalten besitzen, immerhin aber die Disziplin in
denselben strenger sei, als in den gewöhnlichen Irrenanstalten. Die Anstalten
sollen unter der Leitung eines gewiegten Psychiaters stehen, oder soll einem
solchen zumindest bedeutender Einfluß gewährt werden. Die Beamten einer
solchen Anstalt sollen eine besondere Ausbildung genießen. Um einer An-
häufung schwerer disziplinierbarer Elemente vorzubeugen, mögen die Anstalten
keinen zu großen Fassungsraum haben und Gelegenheit bieten zu einer
möglichst ausgedehnten Individualisierung und zur Durchfuhrung ökonomischer
und gewerblicher Arbeiten. Die untergebrachten Individuen sollen einer
moralischen und geistigen Unterweisung und im Notfalle einer fachgemäßen
ärztlichen Behandlung teilhaftig werden. Die Anstalten sollen dem Staate
unterstehen. Die Unterbringung muß auf Grund eines richterlichen Urteiles
erfolgen, und die Dauer der Unterbringung soll unabhängig von der Art der
strafbaren Handlung sich auf die Zeit der bestehenden Gemeingefahrlichkeit
erstrecken.
Nachdem Salgö, Colin, Feuilloley, Chauvin, Pactet, Skouses
und Forel zur Sache gesprochen haben, hat die Sektion den Vorschlag M/s
Therapie der Geisteskrankheiten, Anstaltswesen, Wärterfrage etc. 1199
mit geringen Modifikationen angenommen. Beschlußweise hat sich auch der
Kongreß für denselben ausgesprochen. (Hndovernig.)
Das Buch Tanzi's (277a) umfaßt die allgemeine wie die spezielle
Psychiatrie auf 764 Seiten zusammen. Der erste Teil ist der allgemeinen
Psychiatrie im weitesten Sinne gewidmet, indem er über die Elemente der
psychischen Prozesse, über ihre Störungen, über den anatomischen und ana-
tomisch-pathologischen Substrate derselben, über die Ursachen der Geistes-
störungen und der Klassifikation der Geisteskrankheiten einzelne Abschnitte
bringt. Der Autor stellt nicht nur referierend die Ansichten anderer zu-
sammen: da er selbst auf den verschiedensten Gebieten, teils persönlich,
teils mit Hilfe seiner Schüler in dem reich ausgestattetem florentiner Labora-
torium vielseitig tätig sein konnte, so steht ihm eine reiche persönliche Er-
fahrung zur Verfügung, die ihm eine Kritik, wie die Einflechtung eigner
origineller Ideen gestattet — Eine ganz besondere Beachtung gebührt seinem
Kapitel über die Halluzinationen, die in ähnlicher Ausführlichkeit wohl sonst
nirgends Besprechung gefunden haben. Die Theorien, die er hier entwickelt^
haben in einem Keferate in vorigem Jahresbericht bereits Beachtung ge-
funden, und es sei hier darauf hingewiesen. — Der Klassifikation der
Psychosen sind fast 20 Seiten gewidmet. Er macht zunächst aufmerksam
auf die Schwierigkeiten, die der VV^ahl eines Einteilungsprinzipes sich gegen-
überstellen, auf die teils didaktischen, teils theoretischen, teils praktischen
Gründe, welche den Versuch einer Einteilung erforderlich machen. Die nun
folgende Aufzählung der verschiedensten in diesem Sinne unternommenen
Versuche, die in dem Augenblick einsetzen, in dem die Psychiatrie Gegen-
stand wissenschaftlicher Forschung wurde, illustriert beredt die entgegen-
tretenden Schwierigkeiten und gibt ein treffendes Bild ab der wissenschaft-
lichen Entwicklung unserer Anschauungen über das Wesen und die intime
Natur der Geisteskrankheiten. Tanzi selbst entschließt sich zu einer Ein-
teilung, deren Ausgangspunkt die Ursachen der Erkrankungen selbst sind.
Er unterscheidet Erkrankungen infolge rein akzidenteller, äußerer Ursachen.
Ihnen schließen sich in einer Gruppe die Erkrankungen an, deren Ursachen
in Intoxikationen und Autointoxikationen zu suchen sind — die Amentia
wird dieser Gnippe auch zugezählt. Es folgen die Encephalopathien a) der
Kinder, b) der Erwachsenen (Tumoren, Kopftraumen, Lues cerebri, post-
apoplektische und senile Demenz). Als 4. Gruppe kommen die „affektiven
Psychosen", die seiner Ansicht nach einen Übergang bilden zu den rein
konstitutionellen Erkrankungen. Äußere Ursachen gesellen sich hier zu einer
„manischen resp. zu einer melancholischen Diathese". Sie haben mit den nun
folgenden rein degenerativen oder konstitutionellen Erkrankungen nichts zu
tun, da sie gesunde Individuen treffen und nach ihrem Ablauf wieder gesunde
Individuen hinterlassen. — Es folgen die konstitutionellen Neuropsychosen
(Neurasthenie, Hysterie, Epilepsie), die Dementia praecox als eine Erkrankung,
die degenerierte, psychisch minderwertige Individuen trifft. Den Schluß
bilden die psychischen Anomalien, Entgleisungen, Entwicklungsanomalien,
Degenerierten. In diese Gruppe vereinigt begegnen wir den sexuellen
Perrersionen, dem moralischen Irresein, der Paranoia, dem angeborenen
Schwachsinn. — In diesem von Tanzi entworfenen Einteilungsversuch ist
es unschwer zu erkennen, wie die zur Einteilung herangezogenen Ursachen
fortschreitend immer weniger akzidentell und immer mehr konstitutionell und
intimer werden. Die individuelle Konstitution gewinnt in den folgenden
Gruppen immer größeren Wert und bestimmt immer mehr die Natur der
Erkrankung, bis am Schlüsse der B.eihe jene Formen stehen, die in klinischem
Sinne nicht mehr als eigentliche Erkrankungen, sondern als eine angeborene
1200 Therapie der Geisteskrankheiten, Anstaitswesen, Wärterfragfe etc.
Mißfonn, Aberration vom Normalen, als ein durch die ganze Konstitution
bedingter Defekt bezeichnet werden muß. Tanzi glaubt, daß bei diesem
Einteilungsmodus sich die Krankheiten ohne Zuhilfenahme dialektischer
Kunstgriffe aneinanderreihen und in einer Folge, bei der Schwere der Er-
krankung und Verlauf derselben einigermaßen im Verhältnis steht zu der
auslösenden Ursache, die eben diese Reihenfolge bestimmt hat. — Es ist
hier nicht der Ort, das Einteilungsprinzip Tanzis einer Kritik zu unterziehen.
Man kann nur kurz darauf hinweisen, daß schließlich Tanzi bei seinen Zu-
sammenfassungen zum Teil sich leiten lassen muß Ton Einteilungsprinzipien
und Zusammenfassungen anderer, die wieder nach einem ganz anderen
Gesichtspunkte zur Aufstellung der betreffenden Gruppen kamen. Aus dieser
Konstatierung geht hervor, daß das von T. adoptierte Prinzip keine einheit^
liehe reinliche Einreihung zuläßt. Wenn er z. B. seiner 6. Gruppe die
Dementia praecox zurechnet und in diesem Begriffe verschiedene psychische
Erkrankungen unterbringt, so hat er eben verschiedene Erkrankungen als
2usa,mmengehörig zusammengefaßt, die auf Grund eines anderen Einteiluogs-
prinzipes als des seinigen von anderen Autoren bereits zu einer Form
gruppiert worden waren.
Leider können wir hier nicht eine eingehende Wiedergabe des
speziellen Teiles folgen lassen. Wir wollen nur auf einige Kapitel hin-
weisen, in denen Tanzi besonders ihm eigene Ideen entwickelt. So ver-
dient das Kapitel über infantile Cerebropathien Beachtung. Die Idiotie
wird hier miteinbezogen und in prinzipiellen Gegensatz zur Imbezillität ge-
bracht. Lediglich einen quantitativen Unterschied zwischen beiden Formen
zu setzen, hält T. für imzulässig, sie seien qualitativ von einander verschieden,
ganz besonders durch das anatomische Substrat. Die Idiotie in gewöhn-
lichem Sinne — und dieser Name muß nach den Anschauungen T.'s zum
mindesten durch den Begriff der akquirierten Idiotie ersetzt werden —
trifft entweder intrauterin oder postuterin ein normal angelegtes Gehirn, das
zu normalen Punktionen eigentlich prädestiniert war, während es bei den
Imbezillen sich um ein Gehirn handelt, das von vornherein konstitutionell,
krankhaft verändert, abnorm gewesen ist. Tanzi macht den — freilich
etwas erkünstelten — Versuch, auch klinisch die Idiotie von der Imbezillität
abzutrennen, ohne sich auf das Vorhandensein lediglich quantitativer unter-
schiede berufen zu müssen. Mit den Ansichten Kraepelins über das
manisch-depressive Irresein erklärt sich Tanzi nicht einverstanden; ftr ihn
gibt es eine selbständige Manie und eine selbständige Melancholie (besser
gesagt Depression, in der die Melancholie Kraepelins auch aufgeht) und
drittens das zirkuläre Irresein, in dem beides, Erregung und Depression,
mit einander alternieren können. Der Zusammenhang zwischen Manie und
Depression sei zwar ein enger und verwische den Antagonismus beider Er-
krankungsformen, er genüge immerhin aber nicht, die Selbständigkeit zweier
Erkrankungen aus der Welt zu schaffen, von denen j^de für sich so ver-
schieden sei, und die erfahrungsgemäß so häufig bei ein und derselben Person
in ihren beiden Ausdrucksformen nie zum Ausbruch kämen. Der manische
Anfall unterscheide sich vom melancholischen auch noch dadurch, daß er in
weit ausgeprägterem Maße auf eine konstitutionelle Disposition zuriickzufuhen
sei als der depressive, daher seine größere Neigung zu Rezidiven, daher seine
geringere Abhängigkeit von auslösenden Ursachen. Den MiBzuständen wird
bei der Schilderung des Krankheitsbildes nicht die nötige Aufmeitsamkcit
geschenkt. In der Dementia praecox-Prage nimmt Tanzi einen ähnlichen
Standpunkt wie Kraepelin ein. Dem unerfahrenen Leser freilich muß es
so scheinen, als ob das Kjankheitsbild hier eine klare Umgrenzung erfahren
Therapie der G^eisteskrankheiten, Anstaltswesen, Wärterfrage etc. 1201
habe; auf die vielen Schwierigkeiten in differentialdiagnostischer Hinsicht
geht Tanzi vielleicht aus didaktischen Gründen nicht ein. Der Ausgang
in Heilung wird zugegeben, wenn auch in sehr seltenen Fällen.
Das 23. Kapitel, das von der „immoralitä costituzionale" handelt,
ist offenbar mit ganz besonderer Liebe ausgearbeitet. Hat hier doch Tanzi
Oelegenheit, als Psychiater den Theoremen der italienischen kriminal-anthro-
pologischen Schule zu begegnen. Er erkennt an, was Lombroso Gutes ge-
schaffen hat, verwirft den fanatischen Übereifer und die beliebte Praxis, die
darin besteht, den Richter mit Zahlen und Maßen zu düpieren und so der
ganzen Richtung den Mantel der positiven Wissenschaft umzuhängen. Die
Analogiestellung des Verbrechens zur Epilepsie verwirft Tanzi als eine klinisch
vollkommen unhaltbare ganz, die Schlußfolgerungen, die die Lombrosianer
aus den Lehren ihres Meisters zu ziehen suchen, bekämpft er. Das genannte
Kapitel ist weitfassender, als es dem Titel nach erscheint: kriminal-anthro-
pologische Betrachtungen, die Behandlung der vermindert Zurechnungsfähigen
findet w^eitgehende Beachtung neben rein klinischen Studien, die dem Delinquente
nato wie dem impulsiven Irresein und den psychopatischen Persönlichkeiten
im weitesten Sinne gelten. Recht originelle Anschauungen entwickelt Tanzi
in seinem Kapitel „Paranoia". Die Begriffsbestimmung dieser Krankheit
umschreibt er in ähnlicher Weise wie Kraepelin; er ist weit entfernt, zu
versuchen, sie rein symptomatisch abzugrenzen. Die paranoischen Wahnideen
spielten im Kjrankheitsbild nur eine Nebenrolle; das Essentielle bestehe darin,
daß sich die Paranoia bei einem Individuum entwickle, das an und für sich
auf Grund einer besonderen Entwicklungsauomalie paranoisch veranlagt sei.
Das paranoische Wahnsystem ist somit nach Tanzi kein Symptom, es ist eine
Art zu denken, eine Weltanschauung, die von falschen Voraussetzungen ausgeht,
die in einer eigenartigen geistigen Struktur wurzelt, in der paranoischen Kon-
stitution, sie ist das phantastische Produkt eines egozentrischen aber geordneten
Geistes, „der sich hemmungslos dem Mystizismus seiner Urväter hingibt".
Diese Auffassung erscheint freilich zunächst recht paradox, sie rückt jedoch
dem Verständnis weit näher, wenn man den mit geschickter und anregender
Dialektik wiedergegebenen Anschauungen folgt, die den Zweck verfolgen,
den engen Beziehungen nachzugehen, die zwischen dem Inhalt paranoischer
Wahnsysteme bestehen und dem Hoffen, Fürchten und Glauben, dem wir
als Ausdruck alter mystischer Anschauungen naiver Welt- und Naturbetrach-
tung eines primitiven Kulturlebens sowohl in der Geschichte unseres Geistes-
lebens als dem der noch bestehenden Naturvölker begegnen.
Mit dem Schlußkapitel, das der Irrenfürsorge gewidmet ist, fügt Tanzi
seinem groß angelegten Buche ein Kapitel bei, das in unseren Lehrbüchern
vermißt wird.
Mit großer Sicherheit ist der Reichtum unsereres positiven Wissens in
diesem Buche wiedergegeben; auf der anderen Seite sind die Streitfragen,
die einer Lösung noch harren, offen aufgeworfen, bestehende Lücken sind
mit geistreichen Hypothesen überbrückt, die die persönliche Stellungsnahme
des Autors zu den Fragen bezeichnen und zur Kritik und somit zum Kampfe
herausfordern. Auf diese Weise bringt das Buch dem Lernenden reiches
Material zur Ausbildung und dem bereits Wissenden eine Menge von An-
regung.
139 Figuren sind ergänzend dem Texte beigefügt. Die Beigabe guter
Krankengeschichten in ausgedehnterem Maße, als es tatsäclilich geschehen
ist, wäre erwünscht gewesen. (Merzbacher.)
Jaliresberiolit f. Neurologie u. Psychiatrie 1906. 76
1202 Therapie der Geisteskrankheiten, Anstaltswesen, Wärterfragie etc.
Anstaltswesei.
Marie (löl) gibt einige Notizen über die Brüsseler Irrenklinik Saint-
Jean, welche, seit 1860 bestehend, unter der Leitung des Professor Boeck
steht. Zur Aufnahme ist ein ärztliches Attest und polizeiliche Requisition
notwendig. Nach einigen Tagen findet dann noch eine Untersuchung durch
einen Arzt des Gesundheits-Bureaus statt. Die Kranken können bei akuten
Fällen bis zur Heilung in der Klinik bleiben; andernfalls kommen sie in
die größeren Irrenanstalten. Der Klinik ist noch eine Poliklinik augegliedert.
Besonders fielen hier dem Verf. Fälle von Dementia praecox und die grofte
Zahl von schwachsinnigen und zuiückgebliebenen Kindern auf.
Serieux (252) schlägt für die verschiedenen Kategorien verbrecherischer
Geisteskranker zwei Arten von Anstalten für Frankreich vor: 1. eine Zeutral-
oder 4 Spezialanstalten im Anschluß an Strafanstalten, die in der Nähe von
Universitätsstädten gelegen sind, zur Aufnahme von Sträflingen, welche im
Laufe der Strafzeit geisteskrank geworden sind; 2. drei Sicherheitsasyle für
verbrecherische Geisteskranke. Hierher sollen auch die nicht geheilten
geisteskranken Verbrecher kommen, welche bei Ablauf der Strafzeit nicht
geheilt sind und als gemeingefährlich erkannt werden, geborene Verbrecher,
alte Alkoholisten, endlich Angeklagte zur Untersuchung, ob Geisteskrankheit
oder Simulation vorliegt. Es wird von einer solchen Einrichtung besserer
Schutz fiir die Gesellschaft, für die gewöhnlichen Geisteskranken Befreiung
von fragwürdigen Elementen, für die Departementsanstalten Entfernung von
an Gefängnisse erinnernde Einrichtungen und für die verbrecherischen
Geisteskranken eine bessere Einteilung nach der Art ihrer Krankheit er-
wartet.
CuUerre (54) gibt einen Bericht über die Irrenverpflegung im Staate
Newyork nach den Mitteilungen der staatlichen Kommission für die Irren-
pflege. Diese Behörde hat folgendes ßeformprogramm: 1. Gründung von
Sonderpavillons zur Behandlung akuter Fälle in allen staatlichen Irren-
anstalten; 2. Erbauung von Sonderhospitälern für psychopathisch Kranke
in der Hauptstadt; 3. Einrichtung von geeigneten Lokalitäten für akut Er-
krankte in den allgemeinen Krankenhäusern; 4. Einrichtung ländlicher Kolo-
nien für akut und chronisch Kranke zum Ersatz alter Anstalten; 5. Hebung
des Wärterstandes; 6. Einführung psychiatrischen Unterrichts; 7. Gründung
von Rekonvaleszentenhäusern; 8. Einfiihrung der Familienpflege. Es handelt
sich dabei um 24000 Verpflegungsfälle; die jährliche Aufnahmezahl beläuft
sich auf 4500.
Grünau (99) weist auf einige Fehler in der amtlichen Statistik hin.
Insbesondere wünscht er die „nicht Geisteskranken" gänzlich ausgeschaltet
Bei diesen könnte besser erörtert werden, aus welchen Veranlassungen die
,,nicht Geisteskranken" Insassen der Anstalt geworden sind. Daß die „nicht
Geisteskranken" in etwa ^/g der Fälle als geheilt entlassen werden, gibt
eine starke Verfälschung der psychiatrischen Resultate.
Hoppe (117) hält die weibliche Pflege bei männlichen Geisteskranken
im allgemeinen nicht für empfehlenswert, wenn man mit der männlichen
Person auskommen kann. Wo dagegen die Wärter andauernd wenig be-
friedigen, ihr Ersatz schwierig ist und zur Abhilfe sich nur palliative Mittel
bieten, scheint ihm der Übergang zur weiblichen Pflege wert, ernstlich ins
Auge gefaßt zu werden. (BendRx,)
Wahrendorff (289) teilt die Neuanlagen der Iltener Privatanstalt
mit, welche jetzt Raum für 100 Kranke I. Klasse und 600 männliche
Kranke III. Verpflegungsklasse bietet.
Therspie der GkisteskrankJieiteD, Anstaltsweaen, Wärlerfnge etc. 1203
Starlinger (263) weist anf die Fortschritte hin, welche die Inen-
pflege in den letzten 25 Jahren gemacht hat. Er hält es für wünschenswert,
daß noch mehr Nachdmck anf die Beschäftigung der Kranken gelegt wird
und zu den Bäamen für die E^anken noch ein Industrietagraum hinzu-
kommt Femer ist auf das Lehr- und Erziehungswesen das größte Ge^^icht
za legen.
Ballet (^) berichtet über die neue Einrichtung von gesonderten ßäumen
für Delirauten an seinem Krankenhaus Hötel-Dieu. In den 27^ Monaten,
welche seitdem vergangen waren, waren bereits 60 Männer und 28 Frauen
aufgenommen, und es waren die Vorteile, welche durch die Schaffung dieser
Sonderräume erzielt werden sollten, bereits eklatant. Es wurde für die
Kranken vermieden, sie sofort in die Irrenanstalten mit dem umständlicheren
Aofnahmeverfahreu zu schicken, anderseits war auch eine genügende Vor-
sorge getroffen, daß die übrigen Kranken durch die Deliranten nicht
belästigt wurden. Es sind zwei Säle mit je 7 Betten eingerichtet; auf der
Männerabteiluug sind zwei Wärter und eine Wärterin am Tage, ebensoviel
des Nachts, auf der Frauenabteilung sind zwei Wärterinnen und ein Wärter.
Mills (183) weist darauf hin, daß sich in Irland viele Geisteskranke
in den Arbeitshäusern befinden. Er stellt die Forderung auf, daß die staat-
lichen Irrenbehörden ihr Interesse dieser Tatsache zuwenden und für die
Unterbringung der Geisteskranken in Irrenanstalten Sorge tragen.
Meyers (181) tritt für die Gründung von Stadtkliniken ein, wie sie
seit langer Zeit in Deutschland und andern Ländern bestehen; auch einige
amerikanische Staaten haben bereits Abteilungen für Nervenkranke und Irre
in den großen Hospitälern. Es ist nicht allein der Nutzen, welchen die
Arzte und die Studierenden durch diese Gelegenheit haben, auch die Geistes-
krankheiten genügend kennen zu lernen, sondern auch die nicht zu unter-
schätzenden Vorteile, welchen die Kranken durch diese Einrichtungen ge-
winnen, daß der Verf. veranlaßt wird, auf die Gründung solcher besonderer
Bäume zur Heilung und Pflege Geisteskranker zu drängen, die im Anschluß
an die großen Hospitäler einzurichten sind. Erleichterte Aufnahme und
frühzeitige Behandlung befördern erfahrungsgemäß die schnellere Gesundung
solcher Kranken.
Boyle (33) tritt energisch für die Einrichtung von Volks-Sanatorien
auch in England ein, wie solche bereits in Deutschland (Haus Schönow und
Rasenmühle) sowie in Schottland existieren. Das im Laufe des Jahres er-
öffnete kleine Sanatorium mit 12 Betten genügt den Anfordemngen nicht.
Morel (189) stellt die Fortschritte zusammen, welche die Irrenpflege
in den letzten Jahren in den meisten Kulturländern aufweist. Diesen Fort-
schritten gegenüber ist Belgien weit zurückgeblieben, weshalb Verf. energisch
für eine Reorganisation eintritt
Würth (298) weist auf die besonderen Einrichtungen hin, welche einer
Irrenanstalt zu Gebote stehen müssen. Verfasser nennt in erster Linie die
Bettbehandlung, dann die Dauerbäder, ferner Zellen, welche bald als offene
Einzelzimmer, bald zu übei*wachter Isolierung verwendet werden können; des
weiteren ist auf gute Ventilation bei geringem Komfort im Wachsaal Obacht
zu geben. Zum Schluß erwähnt Verfasser die Einrichtungen, welche für die
verschiedenartigen Beschäftigungen der Kranken notwendig sind.
Colin (47) berichtet über eine neue Einrichtung, welche in Paris
zwecks Erreichung einer Stelle als Assistenzarzt getroffen werden soll. Die
Bewerber haben ein besonderes Examen abzulegen und zwar insbesondere
über Klinik, Pathologie und Therapie der Geisteskrankheiten. Bei späteren
V^akanzen sind die Chefärzte aus der Reihe der Assistenzärzte zu wählen.
76*
1204 Therapie der Geisteskrankheiten, Anstaltswesen, Wärterfrage etc.
Conlonjou (49) weist im Anschluß an eine Rundfrage Bournevilles
über die Verhätnisse des ärztlichen Personals an den Irrenanstalten auf die
wenig beneidenswerte Lage der jüngeren Anstaltsärzte hin, denen durch die
Chefärzte nicht genügend Gelegenheit zu selbständiger Tätigkeit gegebeD
wird. Nach einer alten Ministerialverordnung hat der Anstaltsdirektor für
alles in der Anstalt die Verantwortlichkeit. Bei der physischen Unmöglich-
keit, nur ärztlich die große Zahl von Kranken zu versorgen, entbehren die
Kranken ärztlicher Behandlung, da die untergeordneten Arzte nicht diese
selbständig leiten dürfen. Verfasser geht sogar so weit, unter diesen Um-
ständen die ganze in den Anstalten zugebrachte Zeit als Assistenzarzt als
eine verlorene anzusehen. Er weist dagegen auf die viel günstiger liegenden
Verhältnisse in Deutschland hin und glaubt, daß die bei uns erzielten
günstigeren Erfolge zum Teil durch die emsige Mitarbeit sämtlicher an den
Anstalten tätigen Arzte begründet sind. Verfasser hoflft, daß Bournevilles
Umfrage zu einer Aufhebung der veralteten Ministerialverfügung führe.
Belletrud (14) gibt ein ausführliches Bild über das Leben der
Kranken in der von ihm geleiteten Anstalt Pierrefeu; das Bestreben ist
darauf gerichtet, die Kranken in der Anstalt möglichst in den ihnen lieb
gewordenen Gewohnheiten, ihren Beschäftigungen zu lassen und ihnen die
weitgehendsten Freiheiten zu gewähren. Die Zimmer sind reichlich ge-
schmückt; in den Gärten sind viele Blumenbeete angelegt. Spiele aller Art
Tageszeitungen, Bücher stehen den Kranken zur Verfügimg. iVeier Aus-
gang wird häufig gewährt. Die Kleidung können sich die Kranken aus
einer größereu Auswahl selber aussuchen. Sie können über Geld verfügen
und ihre Briefe in einer in der Anstalt befindlichen Post selber abgeben,
wie sie auch Briefe empfangen dürfen, ohne daß sie zuvor eröffnet werden.
Auch zur Prüfung der Lieferungen für die Anstalt sind Kranke ausgewählt,
indem sie den dazu vorhandenen Kommissionen angehören. Theater- und
Konzertvorstellungen finden häufig in der Anstalt statt. Sogar ein eigenes
Blatt, das von den Kranken redigiert wird, erscheint in der Anstalt
Kahlbaum (134) bringt zur Feier des fünfzigjährigen Jubiläums der
im In- und Ausland bekannten Privatnervenheilanstalt zu Görlitz einige
Notizen über dieselbe. Sie hat jetzt für 140 Kranke Platz; bei einem
Durchschnittsbestande von 110 Kranken im Jahre 1902 waren 160 Auf-
nahmen, von denen etwa 24 ^Iq Ausländer betrafen. Die Zahl der An-
gestellten beläuft sich auf 119. Dazu kommen noch 11 Lehrer und
Lehrerinnen, welche den Kranken innerhalb der Anstalt Unterricht erteilen.
Ganz besonders wird des ärztlichen Pädagogiums gedacht, welches von Karl
Ludwig Kahlb'aum gegründet worden ist.
Heß (109) bringt zum gleichen Thema insbesondere einige an Karl
Ludwig Kahlbaum, welcher die Anstalt 32 Jahre geleitet hat, erinnernde
Worte; seine Verdienste um die Psychiatrie werden in Kürze gewürdigt.
Trotz umfangreicher Vorbereitung hat K. eine ausführliche Darstellung seiner
Psyclüatrie nicht gegeben, sondern nur einzelne Abschnitte daraus bearbeitet
uiid veröffentlicht. Als dann später Kraepelin auf ihn zurückging, hat er
sich mit der Kraepelinschen Kichtung nicht mehr so befreundet, wie mau
hätte erwarten mögen. Die Vereinigung seiner Katatonie, seiner Hebe-
phrenie und seiner Heboidophrenie zur Dementia praecox billigte er nicht.
HÜfler (121) gibt einige Erläuterungen über die neu erbaute
städtische Irrenanstalt in Chemnitz. Mit Rücksicht auf die Anschauungen
des Publikums wird sie als Nervenheilanstalt bezeichnet Die Anstalt wurde
im April 1905 mit 67 Kranken bezogen, sie enthält für 120 Kranke Kaum.
Bei dem Wachstum der Stadt Chemnitz wird an den Neubau weiterer
Therapie der Geisteskrankheiten, Anstaltswesen, Wärterfrage etc. 1205
Pavillons sowie an die Einrichtung der Familienpflege gedacht. Die Ein-
richtungen der Anstalt entsprechen vollkommen den Anforderungen, welche
die moderne Irrenpflege nicht nur in Bezug auf Hygiene und Pflege, sondern
auch in Bezug auf Komfort der Kranken stellt. Die Anstalt entbehrt der
Gitter und hoher Mauern ; die Fassaden erinnern, soweit die sehr gelungenen
Illustrationen es erkennen lassen, in keiner Weise an geschlossene Anstalten
mit vergitterten Fenstern usw.
Verfasser weist zum Schluß auf die Notwendigkeit hin, daß auch die
andern mittelgroßen Städte Deutschlands an die Neuerrichtung von Irren-
anstalten gehen. In Bezug auf die vorübergehende Verwahrang von Geistes-
kranken bis zur Aufnahme in größeren Anstalten bestehen noch in manchen
Städten arge Mißstände.
Starlinger (267) hat au 90 Anstalten eine Rundfrage über Dauer-
nachtwachen gerichtet und hat die erhaltenen Antworten (68 waren nur von
den 86 eingelaufenen Antworten verwertbar) in vorliegendem Bericht zu-
sammengestellt, Anstalten ohne Nachtwachen gibt es danach nicht; es gibt
mehr ganznächtige Wachen als halbnächtige. In etwa 30 Anstalten hat
dasselbe Personal durch längere Zeit nur Nachtwache. Die Kontrolle wird
durch Kontrollapparate sowie durch Oberpflegepersonen und Arzte ausgeübt.
Für den Nachtdienst sind fast überall Zulagen vorgesehen. Die Dauer-
nachtwache ist stets vom Tagesdienst befreit. Im allgemeinen wird der
Dauernachtwache von den Anstaltsleitern der Vorzug gegeben.
In Mauer Öhling wurde am 1. Januar 1905 Dauernachtwache ein-
geführt. Monatlich wird gewechselt. Das Personal ist mit der Einführung
zufrieden und hat an köi-perlichem Befinden bisher nicht gelitten. Der
Verfasser spricht sich über die Erfolge der Dauernachtwache auch in Bezug
auf die Pflege der Kranken in seiner Anstalt sehr lobend aus.
Alt (5) erörtert nochmals seinen bereits früher ausgesprochenen Standpunkt
in der Frage der höchst zulässigen Anstaltsgröße. Er wünscht in Überein-
stimmung mit anderen bekannten Anstaltsdirektoren, daß er für die zweck-
mäßigste Belegstärke 500 — 600 hält, eine solche von 800 sei noch zulässig,
falls gleich bei der ersten Anlage für die notwendigwerdende Dezentralisation
gesorgt werde. Unter der Verwaltungsüberlastung des Direktors leiden die
Kranken, welche er nicht einmal den Namen, geschweige ihren Sonderheiten
nach kennen kann. Auch der psychiatrische Nachwuchs leidet, wenn die
Aussichten auf eine selbständige Stellung als Direktor zu gering werden.
Medikamentöse Behandlung und anderes.
Hoche (112) hält die Einleitung des Aborts bei unstillbarem Erbrechen
und bei Chorea gravidarum ebenso bei Epilepsie, falls die ^'ermehrung der
Aufälle zur Verblödung zu führen droht, wie die meisten Autoren für indiziert.
Bei geisteskranken Frauen kann von einem heilenden Einfluß durch die Unter-
brechung der Schwangerschaft oder von einer direkten Gefahr durch die
Fortdauer der Psychosen keine Rede sein. Schwierig ist die Entscheidung
beim Auftreten von Depressionszuständen während der Schwangerschaft; es
sind im einzelnen Fall Erwägungen mancherlei Art zu machen, z. B. bei
periodisch oder zirkulär auftretender Melancholie ist von einer Aboiteinleitung
abzusehen. Als nicht gerechtfertigt hält ferner Verfasser den Abort, um der
Befürchtung gerecht zu werden, daß eine erbliche üble Beeinflußung des
künftigen Kindes statthaben könnte, da die Kenntnis von den gesetzmäßigen
Vorgängen der Vererbung viel zu gering ist und die Erfahrung lehrt, daß auch
1206 Therapie der Geisteskrankheiten, Anataltsweseii, Wärierfrage etc.
bei sddwerer erblicher Belastung einzelne yoUkonmien gesunde NachkonmieD
erzeugt werden können.
PiIC2 (215) berichtet über den Decursus niorbi einer Anzahl voi
paralytischen Geisteskranken, welche in den Jahren 1900 ui>d 1901 naok
einer von y. Wagner angegebeneu Methode behandelt worden waren. Die
Behandlung bestand in Injektionen von steigenden Mengen TuberkaliDum
Kochii. Es wurde mit 0,01 des Mittels begonnen und allmählich bis zur
Maximaldosis von 0,1 gestiegen. Es wurden 69 Fälle derartig behandelt
(56 Männer uu4 13 Weiber). 66 Fälle konnten in ihrem weitereu Schicksal
beobachtet werden, und diese wurden nun mit dem Verlauf von 66 andern
nicht behandelten paralytisch Kranken verglichen. Wenn auch kein eijuiger
Fall unter den Injizierten sich befand, der nicht durch eine erkleckliche
Anzabl kasuistischer Beiträge von Spontanheilungen oder weitestgehendster
spontaner Remissionen oder endlicli abnorm langer Dauer übertroffen wurde,
so machte sich doch im Vergleiche zu einer entsprechenden Anzahl nicht
l)ehandelter, sonst unter denselben äußeren Bedingungen verpflegten Patienten
ein Einfluß bemerkbar, der sich nicht bloß bezüglich der Dauer des para-
lytischen Prozesses, sondern auch bezüglich der Stillstände und Besserungen
zeigte. Verf. läßt es zum Schluß dahingestellt, ob das Tuberkulinum Kochü
das geeigneteste Präparat ist, um das erwünschte künstliche Fieber zu erzeugen.
Privat de Portunie (220) teilt zwei Fälle mit, in deren erstem
von einer halluzinierenden melancholischen Kranken ein Zahnersatzstück ver-
schluckt worden jst. Die Radiographie ermöglichte genau die Lage des
Fremdkörpers im Ösophagus nachzuweisen und durch Ösophagotomie wurde der
Fremdkörper entfernt. Im zweiten Fall wurde von einer paralytischen
Kranken ein Selbstmordversuch durch Verschlingen eines großen eckigen
Steines gemacht. Der Stein war nicht im Ösophagus nachzuweisen, so daß
die Gastrotomie in Aussicht genommen wurde. Am dritten Tage wurde der
Stein indes bei einem Hustenstoß ausgeworfen. — Unglücksfälle werden
häuflg angerichtet durch Verschlucken von Kiiochenstücken. Kompliziert
werden die Vorfälle bei Geisteskranken dadurch, daß genaue Auskunft nicht
zu erlangen ist. Genaueste Aufmerksamkeit ist daher auf die Mahlzeiten
der Geisteskranken zu richten.
Springthorpe (260) weist auf die Wichtigkeit psychischer Beeinflußong
der Kranken hin und erinnert an die Erfolge, welche die Kurpfuscher da-
durch zuweilen erreichen.
Mendel (174) bespricht zunächst die Prophylaxe, indem er insbesondere
auf die Gefahr hinweist, welche die Eingehung einer Ehe bei Bestehen er-
heblicher erblicher Belastung bedeutet Ganz zu verwerfen ist, daß eine
tatsächlich geisteskranke Person heiratet. Handelt es sich um eine geistes-
krank gewesene Person, so ist zu erwägen, welchen Ursachen die Geistes-
krankheit zuzuschreiben ist, und inwieweit die erblichen Verbältnisse und die
Form der überstandenen Krankheit eine größere oder geringere Wahrscheinlich-
keit der Wiederkehr der Psychose in sich schließt. Bei Bestehen einer
Geisteskrankheit ist die erste Frage, welche sich der Arzt vorzulegen hat,
ob die Krankheit im Hause behandelt werden kann, oder ob sich Anstalts-
aufenthalt vernotwendigt. Letzteres ist bei Tobsucht, Neigung zu Selbst-
mord, Nahrungsverweigerung der Fall; femer bei der Gefahr, daß der Kranke
sich oder andere infolge seiner krankhaften Vorstellungen schädigt. Bei dar
Behandlung der Psychose ist auf die Organe der Brust- und Bauchhöhle
sorgfältige Rücksicht zu nehmen. Die Entfernung des weiblichen Sexual-
apparats durch Operation als Heilmittel der Psychose ist zu verwerfen; sie
ist dann vorzunehmen, wenn sie durch die ihpkranrkung «des betreffenden
Therapie der Geisteskrankheiten, Anstaltsweseo, Wärterfrage etc. 1207
Organs erfordert wird. In symptomatischer Hinsicht kommen bei Angst
und Unruhe außer den Medikamenten Bettruhe^ feuchte Einwicklungen, pro-
trahierte Bäder in Betracht, bei Schlaflosigkeit Bäder, Anziehen von nassen
Strümpfen, nasses Handtuch auf den Leib, Schlafmittel. Bei Nahrungs-
verweigerung empfiehlt Verf. stets auf den Nachttisch Milch oder Bouillon,
Oakes oder Semmeln zu legen, da solche Kranke zuweilen unbeachtet essen.
Bei absoluter Abstinenz kann man 3 — 4 Tage warten, bevor man zur
Schlundsonde greift. Gegen Selbstmord schützt nur dauernde Überwachung,
gegen Dekubitus sorgfältige Reinlichkeit, Wasserkissen. Die Entlassung aus
der Anstalt soll erst geschehen, wenn der Kranke gesund ist, oder in dem
Falle ßer eingetretenen Unheilbarkeit die Momente weggefallen sind, welche
eine Überwachung oder Pflege in der Anstalt notwendig erscheinen ließen.
Nur in seltenen Fällen, besonders bei der Melancholie ist der Drang, nach
Haas zu kommen, so stark, daß er die Bedenken gegen eine etwaige Ent-
lassung zurückdrängen kann; hier tritt dann zu Hause zuweilen schnelle
Heilung ein.
Higier (Hl) hat mit Hjoscin bei Paralysis agitans dauernd gute
Erfolge erzielt. Auch bei Chorea wirkte Hyoscin in drei schweren Fällen
derart, daß im Laufe einer Woche ein ziemlich erträglicher Zustand eintrat.
Während bei Alkoholismus chronicus und Dipsomanie das Hyoscin kein
erwähnenswertes ßesultat zeitigte, wurden beim Morphinismus vereinzelte
dauernde Erfolge erreicht. Das Mittel wurde kombiniert mit Strychnin oder
Coffein 3 mal täglich subkutan injiziert. In Fällen periodischer Manie sowie
manisch-depressiven Irreseins wollte Verfasser durch Hyoscin prophylaktisch
wirken, jedoch war der Versuch erfolglos. Als Beruhiguügsmittel bewährte
es sich jedoch bei maniakalischer Exaltation. Koutraindiziert ist das Hyoscin
bei jungen Kindern und bei Erkrankungen des Herz- und des Gesäßsystems.
DietZ (68) hat unter 472 Kranken 190 mal Beziehungen zum Alkohol
festgestellt. Von den 282 überbleibenden Kranken ist eine große Zahl
nämlich 130 schwer verblödet, 152 bleiben, welche ruhig Alkohol erhalten
könnten. Als nun Abstinenz und passender Geträukeersatz eingeführt wurde,
waren 41 Kranke darüber erregt, unter diesen 16 Alkoholisten, 3 Idioten
und 1 Dementer, nach Verlauf einiger Monate waren nur noch 21 Kranke
unzufrieden; so daß kaum 57o die Zahl der mit einem gewissen Rechte
beschwerdeführenden Kranken beträgt. Verf. kommt zu dem Schluß, daß
der Verzicht auf Alkohol als Genußmittel im Interesse der Kranken, die
einer Erziehung zur alkoholabstinenten .Lebensweise bedürfen, dringend not-
wendig ist. Die Irrenanstalt und ihre Arzte haben die Pflicht, gegen den
Alkoholmißbrauch Front zu machen, der die Kraft des Volkes untergräbt und
einen großen Teil der Irrenanstaltsinsassen unmittelbar oder mittelbar liefert.
Sadger (239) geht davon aus, daß den Irrenärzten die hydriatische
Schulung fehlt. Er gibt daher Anleitungen zur Behandlung von verschiedenen
Psychosen, welche sich in Kürze nicht referieren lassen.
Dent (62) schildert die guten Erfolge, welche er mit hydropathischer
Behandlung in drei Fällen erzielt hat. Die Fälle betrafen ein ISjähriges
Mädchen mit akuter Melancholie, eine 20jährige Frau, welclie im Wochen-
bett an akuter Melancholie mit Stupor erkrankt war und eine 30jährige
Frau mit akuter Manie.
Pick (210) spricht sich im Gegensatz zu der noch selir vei'breiteten
Ansicht, daß eine Unterbrechung der Schwangerschaft behufs Heilung von
Psychosen unstatthaft sei, für die Berechtigung derselben aus^. Als beweis-
kräftig wird der Fall einer 40jährigen Frau angeführt, welche wieder
öchwanger geworden, der bevorstehenden Entbindung mit Schrecken ent-
1208 Therapie der Geisteskrankheiten, Anstaltswesen, Wärterfrage etc.
gegeDsah. Sie wurde vollstäDdig schlaflos, aß nicht und stand so TollkommeQ
unter dem Einflüsse der überwertigen Idee, bei der Entbindung sterben zu
müssen, daß es allmählich zu einer kaum unterbrochenen ängstlich agitierten
Unruhe kam; ferner bestand die Angst, durch die regelrechte Geburt geistes-
krank zu werden, die sich darauf stützt, daß ein Bruder unheilbar geistes-
krank war. Vier Wochen wurde abgewartet; da sich der Zustand der Frau
weiter verschlechterte, w^urde nunmehr die Schwangerschaft unterbrochen,
und binnen kurzem hatte die Frau sich vollkommen erholt
Auch Jolly und Ziehen stehen nicht auf dem negierenden Stand-
punkte; im einzelnen Falle aber ist hier nur die Erfahrung anzuerkenneo,
und ist die Entscheidung mit allen Kautelen zu umgeben.
Haberda (lOl) hält die Unterbrechung der Gravidität bei Neurosen
und Psychosen nur dann für erlaubt, wenn eine Gefährdung der Mutter
durch die Gravidität bedingt ist und der Abort als Heilmittel für die Mutter
gelten kann. (BemlLe.)
Auch Gross (97) hält die Einleitung des Abortus oder der Früh-
geburt bei Vorliegen einer Neurose oder Psychose für erlaubt, wenn durch
den Eingriff eine der Mutter drohende Gefahr abgewendet werden kann.
Die Einwilligung der zu Operierenden ist dabei einzuholen. (Bmdix.)
Serienx und Mignot (253) teilen ihre mit Yeronal gemachten Er-
fahrungen mit. Es zeigte bei Melancholikern und agitierten Dementen eine
gute hypnotische Wirkung und verschaffte schon nach durchschnitthch 1 bis
2 Stunden einen langen und fortgesetzten Schlaf. Gewöhnung an dies Mittel
trat nicht ein. Es wurde mit einer Dosis von 0,3 g begonnen und allmählich
die Dosis vergrößert, indes nie über 1 g. Es wurde während des Tages ein
Nachlaß der Angst bez. der Unruhe beobachtet. Schwach war die Wirkung
bei Paralytikern.,, Nachteilige Wirkungen auf das Befinden der Kranken,
Auftreten von Übelsein und Schwindel wurden nicht beobachtet. Selbst
Greise und Herzkranke ertrugen das Mittel gut. Nur ein einziger Fall zeigte
Intoleranz gegen Yeronal, indem bei einer halluzinierenden stuporösen Patientin
eine Eubeola auftrat, welche erst nach 14 Tagen wieder verschwand.
Alexander (2) teilt seine mit Veronal bei einem großen Material
von Geisteskranken erzielten Resultate mit. Er hat mit Veronal sehr be-
friedigende Erfolge erzielt, besonders bei den Zuständen von Schlaflosigkeit
der akuten Melancholie. Auch bei den Erregungszuständen der akuten
Manie, des Delirium tremens und der progressiven Paralyse war er mit dem
Mittel sehr zufrieden. Bei der Ruhelosigkeit der senilen Manie wirkte Veronal
besser als Sulfonal. Der einzige IJ beistand sei der etwas hohe Preis.
(BendLt.)
Nach Bonrilhet (29) ist das Veronal in Dosen von 30—80 cg ein
gutes Schlafmittel bei Schlaflosigkeit ohne Erregungszustände. Beruhigend
wirkt es bei der leichten Unruhe Melancholischer, erregter Manischer und an
Dementia praecox Leidender in Einzelgaben von 50 — 80 cg. Bei stärkeren
Erregungszuständen der Paralytiker und Manischen ist es selbst in Dosen von
IV2 — 2 g wirkungslos. Nach langem Gebrauch treten oft Gesundheits-
störungen auf, aber ungefährlicher Art. Es ist ratsam, das Mittel nicht
lange hinter einander zu geben, um Gewöhnung zu vermeiden. (Bendis,)
Kertner (146) gibt hinsichtlich der Anwendung der Lumbalpunktion
in der allgemeinen psychiatrischen Praxis den Rat, sie trote ihres un-
bestreitbaren diflFerential diagnostischen Wertes nur selten anzuführen und
sie auf die Fälle zu beschränken, wo trotz längerer Beobachtung eine
Therapie der Geisteskrankheiten, Anstaltswesen, Wärterfrage etc. 1209^
DiflPerentialdiagnose, besonders gegenüber der Paralyse nicht gestellt werden
kann oder wo äußere Verhältnisse zu einer raschen Entschließung drängen»
(Bendix,)
McHardy (15ö) berichtet über zwei Fälle von allgemeiner Paralyse^
in denen mit der Darreichung von Urotropin eine wesentliche Besserung auch
der schweren geistigen Störung beobachtet wurde. Bei Anzeichen einer Ver-
schlimmerung verhinderte die Steif:;erung der Dose dieselbe. Die Tagesdose
stieg bis zu 15 gran pro Tag. (Die Enttäuschung wird leider dem Verf. nicht
erspart bleiben! Eef.)
Die Wirkungsweise des Isopral wird von Tambroni und Maggiotto
(275) an 45 Kranken, die verschiedenen Krankheitsgruppen angehören, ge-
prüft. Bei stärksten Erregungen werden bis zu 2,5 g gegeben, bei einfacher
Schlaflosigkeit sind 0,75 g genügend. Darreichung des Mittels in Form von
Tabletten erweist sich wirksamer als solche in Form von Lösungen. Ge-
wöhnung sah man eintreten; unangenehme Nebenwirkungen wurden nicht
beobachtet, bei Herzkranken erscheint allerdings einige Vorsicht am Platze.
— 24 Tagesversuche wurden angestellt, um auch die Wirkung auf Herz
und Atmung prüfen und graphisch darstellen zu können. (Merzbacher,)
In der Behandlung der Erregungszustände Geisteskranker betont Stein
(268) den Unterschied zwischen Einzelzimmer und Zelle; so heilsam erstere
sind, so schädlich und darum zu vermeiden sind die Zellen. — Unter den
chemisch wirkenden Beruhigungsmitteln besitzen wir keines, welches unter
allen Umständen verläßlich wirkt, und der Nutzen wird derselben durch
ihre Nachteile oft paralysiert; immerhin sind die chemisch wirkenden Be-
ruhigungsmittel nicht gänzlich entbehrlich. — Den modernen Bestrebungen
der Irrenbehandlung entspricht die physikalisch-diätetische Richtung. Be-
sonders betont S. die Vorteile der Bettbehandlung, welche bei allen akuten
Psychosen, ohne Rücksicht auf die eventuell bestehende Unruhe, ferner bei
den Erregungszuständen chronisch Geisteskranker anzuwenden ist. Die
„Bettsucht" kann leicht veimieden werden; hiebei legt 8. großes Gewicht
auf die Ernährung und plädiert, wenn diese mangelhaft, für je frühere
Anwendung der Magensonde. — Feuchtwarme Einwicklungen sind das einzige
Beruhigungsmittel, welches bei Erregungszuständen jeder Art Wirkung erzielt^
besonders bei katatonischen und hysterischen Erregungen und bei Angst-
zuständen. Kontraindiziert sind sie bloß bei Arteriosklerose und Zirkulations-
inkompensationen; zu verwerfen ist die Einwickluug als Zwangsmittel. —
Als wirksamstes Beruhigungsmittel aller hochgradigen Erregungen bezeichnet
Verf. die protrahierten lauen Bäder, besonders bei Maniakalischen, unruhigen
Paralytikern, beim Delirium tremens. Geringere Wirkung bei Katatonie
und Epilepsie. Vorteilhafte Wirkung bei zerstörungssüchtigen, unbeholfenen
und unreinen Kranken. — Unter den psychotherapeutischen Faktoren betont
S. das Anstaltsmilieu, die Beschäftigung, namentlich die Slöydarbeiten»
Eine gründliche Reform der Pflegerfrage wird als höchst wünschenswert
bezeichnet (Hudovemig.)
Picqne (211) ist der Ansicht, daß die einfache Nierenektopie bei
Hysterischen durch gewöhnliche therapeutische Agentien zu behandeln ist,,
und daß die Operation wie auch bei Neurasthenischen zu geistigen Störungen
unter dem Bilde einer postoperativeu Psychose führen kann. Besteht aber
eine Psychose, so kann der Eingriff in gewissen bestimmten Formen die
Heilung herbeiführen, wie es Verf. bei einer Kranken beobachtet hat, bei
welcher die Schmerzen der Wanderniere infolge besonderer Prädisposition
zu einer Melancholie mit Selbstmordversuch geführt hatten.
1210 Therapie der Oeiateskrankheiten, AuataKswesen, Wärterfrage etc.
Bolton (25) berichtet über eineo Fall, in welchem es sich um men
45 jährigen i^uartalssäufer handelt. Dieser wurde ohne AostaltsbehaDdljOu^
mit regelmäßigeu Injektionen von einer Lösung von Strychnin und Atropin
behandelt. Daneben wurde die Diät geregelt und Ghinarindenmixtur Yer-
orduet. Der Erfolg war ein günstiger.
Wagner (286) hat in einer Beihe von Fällen von MorphinisniQ«,
Kokainismus und chronischem Alkoholismus Hyoscin zur Anwendung ge-
bracht. Es werden einzelne Fälle ausführlich berichtet. Verfasser hält die
Behandlungsmethode des Morphinismus durch flyoscin für gefahrlos, indes
sei dauernde Beobachtung notwendig, und der eigentlichen Behandlung habe
eine Zeit der ßuhe und Pflege zu folgen. Für die Patienten sei die Behand-
lung durch Hyoscin, welchem Atropin beizufügen sei, ohne besondere Be-
schwerden. Bei Alkoholismus sind die Resultate zweifelhaft, ein zeitweiliges
Aufhören des Verlangens nach Alkohol wurde beobachtet
Weifenbach (293) hat seine Erfahrungen, welche er mit dem Neuronal
(Bromdiäthylacetamid) bei einer großen Zahl geisteskranker Männer, und
zwar in 4 Fällen von Idiotie, 3 von Paralyse, 4 von seniler Hirnatrophie,
1 von Idiotie mit Epilepsie, 2 von Epilepsie, 3 von manisch-depressivem
Irresein, 18 von Dementia praecox, 9 von Katatonie und 5 von Dementia
paranoides, sowie in einer Anzahl von Fällen mit einfacher Schlaflosigkeit
gemacht hat, veröffentlicht. Es erwies sich bei Dosen von 1,0 — 2,0 g als
ein recht brauchbares Hypnotikum bei einfacher Schlaflosigkeit und bei
Erregungszuständen Geisteskranker; auch als Sedativum tat es in Tages-
dosen von dreimal 0,5 bis dreimal 1,5 g im allgemeinen gute Dienste. Ein
Nachteil lag in der raschen Angewöhnung und in der allmählichen Abnahme
seiner narkotischen Kraft. Von toxischen und unangenehmen Nebenwirkungen
ist das Mittel, nicht frei, sie verschwinden jedoch nach Aussetzen des Mittels
in kürzester Zeit Der Geschmack ist nicht gut, würde aber der Einbürge-
rung des Medikaments nicht hinderlich sein. Hinsichtlich seiner narkotischen
Kraft steht es nicht höher als gtwa Trional und Veronal.
Jones (131) gibt einen Überblick über die Anwendung der meisten
gebräuchlichen Narkotika und Sedativa bei Geisteskrankheiten. Bei akuten
Fällen empfiehlt Verf. als Hauptpunkte der Behandlung Isolierung in einem
ruhigen Zimmer, Zwangsernäbrung, Herabsetzung des Fiebers durch Bäder-
behandluug, Sorge für Schlaf, Erhaltung der Kräfte.
Pressey (219) vergleicht die Behandlungsmethoden des Morphinismus
und spricht sich für die allmähliche Entziehung des Morphiums aus. Er-
brechen und Diarrhoen treten dabei nicht auf, ferner kommen Hulluzinationen
nicht zur Beobachtung. Rückfälle sind bei der plötzlichen Entziehung
häufiger, und die Genesung zieht sich länger hin, während bei der langsamen
Entziehung bereits wesentliche Erholung eingetreten ist, wenn der letzte Rest
Morphium entzogen wird.
Friedrich (85) demonstriert den Kranken, bei welchem er vor 4%
Jahren durch Extirpation eines großen Tumors im rechten Stimhirn (nach
mikroskopischer Kontrolle durch Marchaud: Fibrosarkom) eine damals seit
über einem JaJire bestehende schwere Dementia paralytica-ähnliche Psychose
unmittelbar zur Heilung zu bringen vermockte, und deren Träger seit der
Operation bis zum heutigen Tage vollkommen gesund geblieben ist.
Es ist derselbe Kranke, dessen Krankengeschichtendetails gelegenüieh
der Naturforscherversammlung in Karlsbad, wobei der Kranke von F. erst-
malig demonstriert wurde, wiedergegeben und in der Deutschen Zeitschrift
für Chirurgie von F. unter den „Mitteilungen zur Hirnpatbologie, insbesondw^
zur Pathologie des Stirnhirns^ (Band 67), eingehend mitgeteüt wordea emi-
Theraine der Geisieakrankheitea, Anstaltsweseo, Wärterfrage etc. 1211
Der Tumor hatte seinerzeit Mitte und hinteren Umfang der ersten beiden
StimwinduDgen rechterseits umfaßt, zu einer ErweichuBg dieser Himabschnitte
^fuhrt Die Operation hatte die Austrepanierung eines 110 qcm großen
Schädelabsehnittes notwendig gemacht, um den ungefäJir 125 qcm großen
Tumor zu entfernen. Der jetzt in «inem großen Beruf stehende Mann hatte
im Anschluß an die Operation die volle Arbeitsfähigkeit wiedergewonnen,
«ukI die damals gestörte Intelligenz hat sieh yollständig wieder hergestellt.
(Autoreferat.)
Bebandlimo durcb BSder. Arbeltsüieraple.
Erlenmayer (75) hat in seiner rühmlichst bekannten Privatanstalt,
um die Behandlung durch Dauerbäder in geeigneten Fällen zur Anwendung
bringen zu können, zwei besondere Villen erbaut. Eine Schwierigkeit dieser
Behandlungsmethode lag von vornherein darin, in einer Privatanstalt Patienten,
welche ihr Einzelzimmer nach dem Willen der Aufnahme Beantragenden
haben sollten, zusammenzubringen. Diese Schwierigkeiten erwiesen sich in
der Praxis als leicht überwindbar, so daß Verf. die gleichgünstigen Er-
fahrungen über diese Behandlungsmethode macdien konnte, wie sie aus den
öffentlichen Anstalten berichtet werden.
Tomaschny (282) hat die neuesten Anstalten Deutschlands und
Österreichs besucht und insbesondere die Einrichtungen für Dauerbäder
«mem hesonderen Studium unterzogen. Der Baderaum hat nach den dabei
^sammelten Erfahrungen in nächster Nähe des Wachsaals zu liegen. Warmes
Wasser muß ununterbrochen Tag und Nacht zur Verfügung stehen. Eine
Heizung des Fußbodens im Baderaum, welcher am zweckmäßigsten in
Terrazzo oder Fliesen ausgeführt wird, ist erwünscht. Ausreichend erscheint
dem Verf. eine Anzahl von Wannen im Verhältnis von 1 : 5 zur Zahl der
Kranken im Wachsaal. Für die Kranken soll ein Offnen und Schließen
-der Hähne unmöglich sein. Daß im Baderaum ein Klosett, Wasch Vorrichtung
und ein Bubebett vorhanden ist, ist wünschenswert zu empfehlen. Zwischen-
wände zur Trennung der einzelnen Badewannen erscheinen entbehrlich; es
dürften in einzelnen Fällen 1 oder 2 halbhohe bewegliche Wände genügen.
Ganz verwirft Verf. fest angebrachte Decken, durch die der Kranke in seiner
Bewegungsfreiheit beschränkt wird.
Broadbent (86) empfiehlt bei Delirium tremens, selbst wenn eine
Komplikation mit Pneumonie oder Albuminurie besteht, die Anwendung
von Übergießungen mit Eiswasser. Der Kranke kommt in Schlaf und
nach dem Erwachen ist das Zittern geschwunden, und der vorher flackernde
Puls hat wieder genügende Fülle.
Würth (297) hat bereits früher auf das Auftreten von Ohnmächten
Tind Collapsen nach der Anwendung prolongierter Bäder hingewiesen. Er
hat bei ca. 15000 Bädern 3 Todesfälle in unmittelbarem Anschluß an Dauer-
bäder erlebt; bei diesen war der Zusammenhang zwischen Bad und Exitus
nicht ganz zweifellos, weil bei hochgradiger Erregung Herz- und Gefäß-
erkrankungen bestanden, so daß auch diese an sich die Veranlassung des
plötzlichen Todes gewesen sein konnten. Häufiger waren Klagen über un-
angenehme Erscheinungen seitens der Haut. Es wird erwähnt die Beschwerde
einzelner Kranker über quälendes Brennen der Handflächen und Fußsohlen.
Auch Dekubitus wurde beobachtet; ferner Conjunctivitiden. Chronische
Mittelohrkatarrhe verschlimmerten sich in mehreren Fällen. Bedenklicher
«nd die Wirkungen bei vorhandener Furunkulose; indem bei der un-
vernMidlichen Entleerung des Furunkeleiters in das Badewasser, die Ent-
1212 Therapie der Geisteskrankheiten, Anstaltswesen, Wärterfrage etc.
Wicklung allgemeiner Furunkulose begünstigt wurde. Folgenschwerer sind
die Störungen geworden, die infolge Infektion mit dem TrichophytoDpilz in
ungefähr 150 Fällen beobachtet worden. Auch von dem Personal erkrankten
einige an dem Vorderarm, eine an der Nasenwurzel. Alle Maßnahmen der
Prophylaxe erwiesen sich als vergeblich.
Neue Beschäftigungsarten für chron. Psychotische beschreibt Schiller
(243), die im Asyl Wil seit 5 — 10 Jahren zur Anwendung gelangt: Her-
stellung von 1. Papierdüten, 2. Lederteppiche aus Lederabfällen, 3. Wichse-
schachteln. 1 einfachste, z. T. aus Verrichtungen rein mechanischer Natur
bestehend, erfordert aber trotzdem, wenn keine Fehler gemacht werden sollen,
angespannte Aufmerksamkeit. — Zu No. 2 Stanzmesser und Hammer, Stanz-
maschine und Draht erforderlich. — Die 3. Beschäftigungsart die reich-
haltigste: Sägen, Hobeln der Schindeln zu Decken und Böden, Ausstanzen,
Sortieren, Hobeln der Späne für Seitenwände, Anleimen an Boden und
Deckel mittelst Käsleim und Klammern bietet physisch und psychisch Stärkeren
und Schwächeren reiche Arbeitsgelegenheit. — Die Erfahrungen sind seit ihrer
Einführung sehr günstige, besonders auf der Männerseite und bei solchen,
die bei der Landwirtschaft nicht beschäftigt werden können. Besonders
wohltätig ist der Einfluß auf kriminelle Fälle. — Drei Fälle akuter Art:
1. Landwirt, 44 J., Influenza mit Delirien, lautes Sprechen und Toben.
Nach 6 tag. Aufenthalt in die Arbeitsabteilung versetzt, beschäftigt sich gern
mit 3; 14 Tage nach Aufnahme, Versetzung in Überwachungsabteilung, nach
6wöch. Anstalts-Aufenthalt geheilt von Ämentia entlassen. 2. Jüngling,
16 J., erblich stark belastet, hebephrenische Tobsucht, Verbigeration, Hampel-
mannsbewegungen. Nach 10 Tagen Versuch der Arbeitstherapie mit Strecken
der Bändchen; während 6 Wochen steigende Arbeitslust, nach 3Vj Monaten
Plazierung auf dem Lande. 3. Verheirateter Sticker, 35 J., (Vater Potator,
Tod durch Suicid, Schwester schwermütig) Selbstmordversuch durch Erhängen,
infolgedessen weder zeitlich noch örtlich orientiert; Arbeit No. 3, nach 1%
Monaten geheilt quoad Anfall von depressivem Irrsinn entlassen. — Die
Arbeitstherapie hat vom Januar 1905 bis Mai inkl. — 82 Aufnahmen — auf
der Männerabteilung von 29 akuten Fällen 19 mal mit durchschlagendem
Erfolg, bei 44 chronischen Fällen 18 mal mit bestem, 10 mal mit be-
friedigendem und 19 mal (ganz verblödete Fälle von Dementia sen. congen.
praecox) mit geringem Erfolg angewandt werden können. Bei den Fraoen
— 92 Aufnahmen in den 5 Monaten — in 33 akuten Fällen 25 mal mit
durchschlagendem, 4 mal mit befriedigendem Erfolg, in 33 chronischen
Fällen 10 mit bestem, 7 mit befriedigendem, 16 mit teilweisem Erfolg. —
Die Arbeitstherapie entspricht dem Bedürfnis der menschlichen Natur. Die
in Frage kommenden Instrumente und Maschinen bergen nicht größere Ge-
fahr in sich, wie entsprechende Betriebe draußen, natürlich bei steter Über-
wachung. Eine Anzahl Kranker als Handwerker in ihrem Berufe in Isolier-
werkstätten beschäftigt. Arbeitstherapie der Bettbehandlung bei den meisten
Fällen überlegen; 1904 die Zahl der arbeitenden Männer im Asyl Wil auf
77 7o7 <Jer arbeitenden Frauen auf 70% gestiegen. Bettbehandlung nur in
7% der Fälle nötig. Die Arbeitstherapie ist an die Spitze unserer Be-
handlungsmethode zu stellen, da sie in der größten Mehrzahl von akuten,
als auch von chronischen Psychosen mit bestem Erfolg anwendbar ist.
(Auioreferat,)
Prophylaxe der Gelsteskrankbeiten.
Schule (246) hat einen in der Versammlung der Deutschen Irren-
ärzte gehaltenen Vortrag erweitert veröflFeutlicht und diese Arbeit dem Ge-
Therapie der Geisteskrankheiten, Anstaltswesen, Wärterfrage etc. 1213
faeimen Rat Hegar, dem hochverdienten Vorkämpfer auf dem Gebiete
sozialer Hygiene, zugeeignet. Verfasser hat ein Schema ausgearbeitet, nach
welchem die statistischen Arbeiten auzulegen wären. Diese haben außer
dem diagnostischen Befunde Angaben über die Heredität in direkter
Aszendenz bis zu den Großeltern, über Geisteskrankheiten bei Geschwistern
und Seitenlinien, sowie bei Verheirateten anch über die Erblichkeitsverhält-
nisse des anderen Gatten, sowie den Geisteszustand der Nachkommen zu
enthalten. In dem anfgestcllten Schema gibt Verfasser eingehende Be-
merkungen und Erläuterungen. Die Ergebnisse aus 20 Stammbäumen-
periodischer respektive zirkulärer Psychose werden in einem weiteren Kapitel
mitgeteilt. Direkte Belastung fand sich 36 mal, und zwar vom Vater 14 mal,
vom Großvater 13 mal, von der Mutter 7 mal, von der Großmutter 5 mal und
von beiden Seiten 10 mal. Es überwiegt demnach erheblich die Belastung
von väterlicher Seite. Auch bei den Seitenlinien überwiegt die väterliche
Seite im Verhältnis 9:7. 13 mal sind die Geschwister erkrankt, und zwar
kommt bei diesen relativ häufig dieselbe zirkuläre Psychose vor. In der
Hauptlinie finden sich dagegen 40 % andere Psychosen. Die Erkrankung
beginnt meist in jugendlichem Alter. Es ergibt sich ferner, daß beim Zu-
sammenkommen zweier kranker Gatten die Aussicht für schwere Erkrankung
der Kinder groß ist; in einem der Ehepaare sind die Kinder teils idiotisch,
teils epileptisch. Eine natürliche Korrektur ist durch große Neigung zum
Erlöschen des Stammes vorhanden.
Prophylaktisch schlägt Verfasser die Mithilfe des Staates vor. Als
Jahresreife zum Eingehen eines Ehebündnisses ist für den Mann das Alter
von 23 — 25 Jahren, für das Mädchen das Alter von 18 Jahren festzusetzen.
Femer sind Gesundheitsatteste zu erstatten, in welchen auf Mahnung,
Warnung und Verbot begutachtet wird. Bei Personen mit häufig
rezidivierender Psychopathie hat die fürsorgliche Entmündigung Anwendung
zu finden.
Zum Schluß werden die Schemata der 20 Stammbäume wiedergegeben.
Tnberknlose In Anstalten.
Marie (162) legt zahlenmäßig dar, wie in den Irrenanstalten die
Tuberkulose mehr Opfer erfordert als in der freien Bevölkerung, und wie
dies Verhältnis in den meisten Ländern besteht. In Amerika und Groß-
britannien sind bereits Asil-Sanatorien eingerichtet worden. Verfasser be-
schreibt ein solches, das im Anschluß an die Anstalt Gartloch eingerichtet
ist. Auch in Villejuif sind bereits Vorrichtungen getroffen, um Tuberkulöse
von den anderen Kranken zu trennen und zu behandeln. Regelmäßige Ge-
wichtsfeststellungen und die sonstigen Untersuchungen werden angestellt, um
die Tuberkulösen rechtzeitig zu ermitteln. Prophylaktisch ist durch früh-
zeitige Isolierung, Verhütung von Überfüllung und sonstige hygienische
Maßregeln zu wirken.
Menzies (176) begründet die von ihm vorgeschlagenen Schutzmittel
gegen die Verbreitung der Tuberkulose in den Anstalten durch die Ansicht,
daß besonders Lungentuberkulose vielen Geisteskranken zu Grunde liegt.
Deshalb sei es notwendig, auf die Frühsymptome der Phthise zu achten und
mit allen modernen, physikalischen und diätetischen Mitteln das Übel zu
bekämpfen. (Bendix.)
FOrsorgeerzlehnng.
Elumker (140) hält das richterliche Verfahren für die Erziehungs-
zwecke als durchaus ungeeignet, und dies noch mehr infolge des häufigen
1214 Therapie der Geisieskrankheitei], Anstaltswesen^ Warterfrage etc.
Wechsels der Dezernenten im Yonnuudschaftsgerieht und durch die yöUige
Zusammenhanglosigkeit der übergeordneten Gerichte. Die ILicfatig;keit dieser
Auffassung beweist Verfasser durch zwei Einzelfälle; die Akten ergaben ein
▼iel schlimmeres Bild über die sittliche Verwahrlosung; e» genügte aber die
Unterbringung in geeigneter Familie, daß keine Klage mehr über die Kinder
geführt wurde. Im anderen Falle kam es infolge des Wechsels der Vor-
mundschaftsriehter erst nach langer Zeit zur Anordnung der Fürsorge-
erziehung, das Landgericht hob aber diese Anordnung, deren Notwendigkeit
zweifellos war, wieder auf.
Energisch tritt Verfasser ferner dafür ein, daß die privaten Fürsorge-
vereine nur dann Kinder aufnehmen, wenn die elterliche Gewalt aberkannt
ist, damit die Eltern das der Schule entwachsene Kind nicht wieder zurück-
nehmen können und dadurch schnell alles, was vorher gut gemacht ist,
wieder verderben kann.
Familienpflege.
Norman (194) weist auf die bedeutenden Erfolge der Familienpflege
in allen Ländern hin und hält die Einführung derselben in Irland für er-
strebenswert. Er befürchtet hier aber große Schwierigkeiten, einmal die
vis inertiae, dann die Opposition der lokalen Behörden aus Unkenntnis der
Vorteile dieses Systems, insbesondere aber die Gleichgültigkeit der Be-
völkerung für die Interessen der Geisteskranken.
Holnb (114) hat einen leicht -faßlichen Leitfaden über die Familien-
pflege geschrieben, in welchem die Pfleger in Kürze über ihre Pflichten
gegen ihre Pfleglinge unterrichtet werden. Als Anhang ist noch das
Wichtigste über erste Hilfeleistung bei plötzlichen Unglücksfällen mitgeteilt.
TrinlierfOrsorge.
Kielholz (137) hat ron den 940 Patienten der Züricher Pflegeanstalt
Rheinau alle diejenigen einer genaueren Betrachtung unterzogen, welche
unter der Diagnose irgend einer Form des chronischen Alkoholmißbrauchs
in die Anstalt eingeliefert worden waren. Es kamen 41 Fälle in Betracht,
deren Kraukheitsgeschichten wiedergegeben werden. Nur 8 Fälle imter
diesen waren als reiner chronischer Alkoholismus aufzufassen. In 2 Fällen
bestand Komplikation mit Paralyse, in 3 Fällen mit manisch-depressiver
Erkrankung, in 14 Fällen mit Dementia praecox, in 1 Fall mit präsenilem
Beeinträchtigungswahn, in 5 Fällen mit Imbezillität, in 7 Fällen mit Psycho-
pathie; in 3 Fällen bestand eine doppelte Komplikation, nämlich einmal
Imbezillität und manisch-depressives Irresein, einmal Imbezillität und Dementia
praecox, einmal Psychopathie und Paralyse. Zur Prognosenstellung sind die
beiden vom Verf. auf Grund seines Materials gewonnenen Sätze wichtig:
1. Eine der Hauptursachen der Unheilbarkeit des Alkoholismus ist die
Komplikation desselben mit einer Psychose oder mangelhaften Veranlagung.
2. Die Hauptursachen der Unheilbarkeit bei nicht komplizierten Formen
von chronischem Alkoholismus sind schwere körperliche Gebrechen und vor-
gerücktes Alter.
MorpiilDismus.
Teschemacher (279) teilt einen Fall von Morphiumentziehung mit
bei einer im 73. Lebensjahr befindlichen Patientin, welche seit mehr als
40 Jahren bis zu 4 g Morphium innerlich (nicht subkutan) genommen hatte.
Die Entziehungskur wurde ohne Wissen der Patientin im ElnTerständaia
Therapie der Geisteskrankheiten, Anstaltswesen, Wärterfrage etc. 1215
mit dem Apotheker und in Verbindung mit einer der Patientin ergebenen
und energischen Gesellschafterin durchgeführt. Die Kur dauerte fast ein
volles Jahr.
Schelmpfing (^41) teilt einige Beobachtungen mit, bei denen, ent-
gegen den bei den betreffenden Fällen gemachten Voraussetzungen, gerade
die Entziefanng des Morphiums schmerzstillend und beruhigend wirkte und
dadurch auf den Allgemeinzustand dieser Schwerkranken den günstigsten
Einfluß hatte. Seh. möchte diese Erscheinung als konträre Morphinwirkung
auffassen, welche als Abstinenz-, resp. Intoleranzerscheinung zu deuten sei*
Zum Schluß macht er auf die ausgezeichnete Wirkung der Dioninsubstitution
bei Morphinismus aufmerksam. (Bendia',)
IdfotsnfOrsorge.
stritter (273) hat einen Nachtrag zu der im Jahre 1901 heraus-
gegebenen statistischen Zusammensetzung der Anstalten für Schwachbegabte
Kinder usw. gebracht, welcher Mitteilungen über neu errichtete oder früher
nicht berücksichtigte Anstalten in Deutschland, in der Schweiz und in
Österreich-Ungarn enthält. In Deutschland gibt es zur Zeit mehr als 100
Anstalten mit etwa 23000 Pfleglingen, deren Dienste sich ca. 5000 Personen
widmen. Der Nachtrag selber enthält Notizen über 76 Anstalten.
Legel (149) hält die jetzt bestehenden ünterrichtsanstalten, wie sie
für schwachbefähigte Kinder ausreichten, nicht mehr für genügend, da das
Material sich jetzt zumeist aus schwachsinnigen Kindern zusammensetzt.
Es machen sich Erziehungsstätten notwendig, die das schwachsinnige Kind
in seiner geistigen und körperlichen Entwicklung planmäßig heben und ihm
bis über das schulpflichtige Alter hinaus einen festen Rückhalt bieten. Der-
artige Anstalten sind in jeder größeren Stadt und in jedem Kreise einzu-
richten; die Leitung unterliegt einem Pädagogen, der Anstaltsarzt muß
psychiatrische Ausbildung haben.
Klnge (138) berichtet über die Erfahrungen bei der Behandlung
psychisch defekter und abnormer Eürsorgezöglinge. Seit dem Jahre 1901
wurden in den Potsdamer Prorinzialan stalten 48 Fürsorgezöglinge, und zwar
in der Idiotenanstalt 29 und in der Anstalt für Epileptische 19 behandelt
Meist walteten bei diesen sozial absolut unzulängliche und oft genug ganz
verkommene Lebensverhältnisse ob. Beweggründe zur Anordnung der Für-
sorgeerziehung waren meist Diebstahl und Raub, dann Vergehen gegen die
Sittlichkeit, sodann Roheitsvergehen. Die größte Zahl der Zöglinge kam
aus Erziehungsanstalten, Magdalenenstiften, Rettungs- und Korrigenden-
häusern. Bei den Pfleglingen in der Idiotenanstalt lag vielfach Rachitis,
Skrophulose und ererbte Syphilis vor. Spuren erhaltener körperlicher Züch-
tigungen wiesen viele auf. Unter den Pfleglingen war eine Gruppe abzu-
sondern, welche leidenschaftliches Gefühlsleben zeigten und zu impulsiven
und zwangsartigen Handlungen neigten. Sie fehlten beständig gegen Ruhe
und Ordnung und boten in der Behandlung die größten Schwierigkeiten.
Als disziplinarisches Mittel kommt, nachdem Separierungen sich zwecklos
erwiesen, jetzt nur noch Verordnung von Bettruhe in Betracht, Als bestes
Behandlungsmittel bewies sich geregelte Beschäftigung. Es stellte sich
jedoch der Wunsch heraus, mit Rücksicht auf die besseren Elemente, die
unverbesserlichen Elemente einer besonderen Abteilung mit strengerer Zucht
zu überweisen. Bei den epileptischen Fürsorgezöglingen handelte es sich
^m ähnliche Verhältnisse. Bemerkenswert waren besonders sechs Mädchen,
die aus dem Magdalenenstifb zugeführt waren. Sie waren in schlechtem
1216 Therapie der Geisteskrankheiten, Anstaltswesen, Wärterfrage etc.
ErDähruDgszustand und machten einen verstockten heuchlerischen Eindruck.
Die mit ihnen im Stift angestellten pietistischen Prozeduren hatten zu
hysterischen Anfällen geführt, welche in der Anstalt nicht mehr beobachtet
wurden. Es tritt aus diesem Vorfall die Notwendigkeit ärztlicher und nicht
pädagogischer Versorgung des kranken Bandes hervor.
Bourneville (30) bringt eine Statistik der in den französischen
Irrenanstalten untergebrachten idiotischen und epileptischen Kinder und des
Unterrichts derselben. Es waren am 31. Dezember 1903 1206 derartige
Kinder im Alter von 2 bis 18 Jahren in den Anstalten. Nur in w^enigen
Anstalten wurde methodischer Unterricht erteilt, und über diese Anstalten
wird im einzelnen berichtet; es sind St.-Yon, Roche sur Yon, Clermont und
Sainte-Gemmes. Daß diese Einrichtungen dem Bedürfnisse nicht genügen,
ergibt sich daraus, daß im Seinedepartement allein 1070 zurückgebliebene
Kinder unterrichtet werden, d. h. auf 10000 Einwohner kommen 3,03 Fälle.
Verf. fordert, daß die Allgemeinheit sich für die Schöpfung neuer derartiger
Schulen in den Departements interessiere.
Oehler (196) fordert, daß die Hilfsschule als selbständige Anstalt
anzuerkennen sei, indem diese Schule einen Organismus für sich bilde. Die
ihr überwiesenen Kinder und an ihr tätigen Lehrer sind von anderen Schul-
verbänden zu lösen. Die Leitung soll ein an der Schule beschäftigter
Lehrer haben, und die Klassen sind in einem besonderen, geeigneten Ge-
bäude unterzubringen. In Gotha ist dies Ziel bereits zum Teil erreicht, in-
dem dort die Hilfsschule Ostern 1901 von der Bezirksschule getrennt wurde
und ein Lehrer mit der Führung der Geschäfte betraut wurde. Es besteht
das Lehrerkollegium aus fünf Lehrkräften, während die Schülerzahl auf 101
sich beläuft. Auch im Interesse der Lehrer fordert Verf. die Selbständig-
keit der Hilfsschule, indem diese sowohl in Hinsicht auf die Eigenart des
Unterrichts als auch auf das in ihre Tätigkeit zu setzende außerordentliche
Vertrauen eine besondere Stellung einnehmen müssen. Es würde dies auch
zur Hebung des äußeren Ansehens der Anstalt führen.
Fischer (83) plädiert dafür, daß der Heileinfluß der geschlossenen
Anstalten durch die Entfernung nicht dorthin gehöriger Elemente gehoben
werde. Aus diesem Gioinde wären einerseits verbrecherische Irre, resp.
irre Verbrecher, andererseits aber die Imbezillen aus den Irrenanstalten zu
entfernen. Für Erstere ist in Ungarn bereits durch eine Spezialanstalt
gesorgt; für die Imbezillen wären wohl die Spezialanstalten des Auslandes
•das Geeigneteste, doch ist dies derzeit nicht durchfuhrbar, weshalb F. für
die unruhigen Imbezillen die Unterbringung in jener Anstalt proponiert,
welche für die geisteskranken Verbrecher bestimmt ist, wobei für eine
speziale Behandlung zu sorgen wäre. Für die ruhigen Imbezillen proponiert
F. einen besonderen Pavillon im Anschlüsse an die zu errichtende Kolonial-
anstalt, welcher unter psychiatrischer Leitung, bei entsprechender pädago-
gischer Mitwirkung zu stehen hätte. Schließlich spricht sich F. für eine
bedingungsweise Entlassung der Imbezillen aus. (Ihidovemig.)
Pflegepersonal.
Stakemann (262) hat für das Anstaltspflegepersonal eine Dienst-
auweisung geschrieben, welche in leicht verständlicher Weise das Personal
über seine Pflichten und seine Tätigkeit instnüert.
Fuhrmann (87) berichtet über seine Tätigkeit in Bezug auf die
Fortbildung des Wartepersonals. Er legt ganz besonderen Wert darauf, sein
Personal in der Lippeschen Anstalt Lindeuhaus in den elementaren Unter-
Therapie der Geisteskrankheiten, Anstaltswesen, Wärterfrage etc. 1217
richtsgegenständen, in Geschichte und Geographie fortzubilden und gibt
seiner Freude über die erreichten Erfolge sowie über das Interesse, welches
er dadurch für die Sorge um die eigene Fortbildung bei seinem Personal
geweckt hat, Ausdruck.
Hoppe (116) sieht den Kern der Wärterfrage mit Erlenmejer
darin, „die Wärterei zu einem sozialen Stande, mit allen Zutaten eines
solchen", zu erheben. Ehrgefühl und Standesbewußtseiu sind notwendige
Eigenschaften eines guten Personals, d. h. eines Berufspersouals. Die gegen
ein solches, namentlich von Ludwig, vorgebrachten Einwände werden ein-
gehend erörtert. Die Degeneration des älteren Personals läßt sich vermeiden,
wenn mau sein Augenmerk auf von vornherein gut qualifizierte Anwärter
richtet; diese aber werden die Anstalten nur dann göwinnen, wenn ein Lohn
gezahlt wird, der es mit dem in der Industrie üblichen aufnehmen kann, und
der den Pfleger in Stand setzt, nach wenigen Jahren ?u heiraten. Die
üblichen Gehaltszulagen sind so zu bemessen, daß sie dem Pfleger auch
wirklich als solche zu Bewußtsein kommen. Im Dienste selbst kommt es
darauf an, dem Pfleger Distanzgefühl, beizubringen; die enge Berührung des
Personals mit den Kranken ist ein Übel, wenn auch ein notwendiges, und
soll sich auf das dienstlich gebotene Maß beschränken; nur so lernt der
Wärter sich als der verständnisvolle Gehilfe des Arztes fühlen. Man schaffe
seiner Stellung die nötige Sicherheit in sich selbst, d. h. mache ihn zum
Beamten, gebe ihm Gelegenheit, „ein wirkliches Familienleben zu führen**
(Alt), richte Pflegezimmer und eigene Bespeisung ein. Auch der theoretische
Unterricht dient weniger der Ausbildung, als der Hebung des Standea-
bewußtseins. Schließlich wird im Anschluß an Scholz die Organisation des
Personals zu einer Pflegerschaft empfohlen. Die letzten Abschnitte be-
schäftigen sich mjt dem weiblichen Personal und mit der Aufsicht und
Anleitung durcii Arzte und Oberwärter. (Autoreferat.)
Boll^trud und Kercier (16) machen, um eine allgemeine Ver-
besserung des Wartepersonals zu erreichen, den Vorschlag, in den Anstalts-
dienst den achtstündigen Arbeitstag einzuführen. Sie berechnen die Ver-
mehrupg des Personals, welches jetzt bei der Anstalt Pierrefeu sich auf 80
beläuft, auf 93 Köpfe. Die Kosten pro anno würden ein Mehr von
48 000 Fr. ausmachen. Ferner sollen für die Verheirateten eigene Häuser
außerhalb des Anstaltsterrains erbaut werden; jedes Haus soll außer Küche
drei Zimmer enthaltep. Durch den Generalrat von Var ist dieses Projekt
bereits beschlossen. Endlich sind, um die Zukunft des Personals sicher zu
stellen, Alterskassen zu gründen.
MigUOt (IB2) gibt das Material eines ungenannten Arztes wieder,
welcher seine Beobachtungen über psychische Erkrankungen an einer Anstalt
gemacht hat, an welcher etwa 325 Personen (Wärter, Wärterinnen, Ange-
stellte, Arzte und Familien) sich aufhielten. IJs erkrankten innerhalb
4 Jahren von diesen 12. Es bedeutet dies eine hohe psychische Morbidität.
Im Seine-Departement kam im Jahre 1900 eine Ansti^ltsaufnahme auf 776
Einwohner; würde man die obigen 12 Fälle nach der Austaltsbedürftigkeit
gruppiert haben, so bliebe immer noch eine Verhältuiszahl von 1:^16.
Verfasser sieht weniger die Ursache in der sogenannten psychischen
Kontagion als in der Tatsache, daß Degenerierte und Verwandte von An-
staltskranken Stellung an Irrenanstalten sich zu verschafl'eu suchen. Ferner
wird der hohe Prozentsatz dadurch bedingt, daß den Irrenärzten ^uch leichte
Fälle von Psychosen nicht entgehen, während solche von den Ärzten mit
allgemeiner Praxis vernachlässigt werden.
Jahi'esbericht f. Neurologie n. Psychiatrie I90ö. 77
1218 Ergänzungsreferate .
Ergänznngsreferate
zum Kapitel: Anatomie des Nervensystems
von Dr. L. Jacobsohn-Berlin.
(Die Literatur- Angaben befinden sich im Verzeichnis zum Haupt-Kapitel: Anatomie.)
Bielschowsky (41) gibt zunächst ein kurzes historisches fieferat
über den feineren histologischen Bau des Zentralnervensystems und über
die Theorien der Verknüpfung der Elemente desselben, wobei die Besprechung
der sog. Neurontheorie und der Einwände, die in den letzten Jahren gegen
dieselbe erhoben worden sind, den breitesten Raum einnimmt. Au diese,
dem Neurologen bekan*nten Dinge, schließt der Autor alsdann Mitteilungen
der Ergebnisse an, welche er auf der Grundlage seiner eigenen und der Kamon
y Cajalschen Methode gewonnen hat. Die eigene Methode lieferte dem
Autor bei Wirbellosen nur unvollständige Bilder, so daß er nicht imstande
war, die Ansichten Apathys einer Nachprüfung zu unterziehen. Bessere
Resultate lieferte das Verfahren bei den Vertebraten. Der Autor bestätigt
für die Mehrzahl der Zelltypen Bethes Beschreibung von dem isolierten
Verlauf der intracellulären Fibrillen. Die Gesetzmäßigkeit des VorkommcDS
intracellulärer Netze, wie sie Cajal annimmt, kann der Autor nicht bestätigen;
Netze kommen nur in einzelnen Zelltypen vor. Ferner sprechen die nach
B's. Methode gewonnenen Bilder entschieden für das Vorhandensein differenter
perifibrillärer Substanzen im Achsenzylinder, von denen nur eine mit ganz
bestimmten tinktoriellen Eigenschaften in den Ranvierschen Schnürringen
aufhört. Sowohl in der motorischen Endplatte, als auch in den sensiblen
Endorganen endigt der Achsenzylinder in einem netzartigen Gebilde. Die
Fibrillen erscheinen auch hier niemals nackt, sondern sind stets in eine
Blasenmasse eingebettet, welche mit der marklosen Axonstrecke .in gani
demselben kontinuierlichen Zusammenhange steht wie die Fibrillen. Ahnliche
Befunde wie an der Peripherie lassen sich auch an den zentralen Endigungen
der Nervenfasern konstatieren. Derartige Endigungen macheu sich am klarsten
an solchen Stellen bemerkbar, wo die sog. Endknöpfe auf einer Gauglienzeile
und ihren Dendriten liegen. Der Autor bezweifelt die Annahme Cajals,
nach welcher diese Knöpfe das definitive Ende der betreffenden Fasern
bilden und die Oberfläche der Zelle lediglich berühren. An guten, nach
seiner Methode gefärbten Präparaten könne man erkennen, daß auch die
Endknöpfe eine tibrilläre netzartige Struktur besitzen, imd daß die Knopf-
fibriUen in das Zellinnere eindringen, und genau so, wie die fibrillären
Formationen am Ende der peripherischen Fasern, in eine kontinuierlich mit
der perifibrillären Axonsubstanz zusammenhängende Plasmamasse eingebettet
sind, lagern die zentralen Knopffibrillen in einer plasmatischen Grundsubstanz,
welche mikroskopisch von der oberflächlichen Plasmaschicht der zugehörigen
Ganglienzelle nicht zu trennen ist. Da, wo die Endknöpfe in größerer Zahl
einer Zelloberfläche zustreben, zeigen sie nicht selten eine echte, durch anasto-
mosierende Fibrillen bedingte netzige Verbindung untereinander. Dieses
Netz ist event. identisch dem pericellulären Netze von Golgi. Aus diesen
Befunden schließt der Autor folgendes : Innerhalb eines Neurons bilden bei
den Vertebraten sowohl die Fibrillen als auch die plasmatische Substanz ein
Kontinuum, und nirgends überschreiten die Fibrillen die Grenzen der
plasmeitischen Substanz. Es ist deshalb aus dem histologischen Bilde kein
sicherer Beweis dafür zu entnehmen, daß die Fibrillen den einzigen leitenden
Bestandteil innerhalb der Zellen und Nervenfasern bilden. Das histologische
Substrat kann mit demselben Rechte für die Leydig-Nansensche Ansicht
Ergänzungsreferate. 1219
ios Feld geführt werden, daß eine homogene flüssige Grundsubstanz (Hyalo-
plasma) das Leitende im Nervensystem ist, und daß den fibrillären Strukturen
lediglich die Bedeutung eines Stützgerüstes innewohnt. Durch die Endknöpfe
ist die Frage der Verbindung von Fasern und Zelle im Sinne der alten
Neuronlehre gelöst, gleichviel ob man mit Cajal an dem Bestehen eines
bloßen Kontaktes festhält oder mit Held, Wolff und dem Autor die Existenz
fibrillärer und plasmatischer Substanzbrücken zwischen den Neuronen annimmt.
Mit dem Nachweis dieser Brücken fällt lediglich die Kontakttheorie. Auch
der Nachweis der pericellulären Netze tangiert die Neuronlehre nicht. Er
spricht aber gegen das Gesetz der dynamischen Polarisation von Cajal; denn
nach des Autors Meinung wäre der Apparat sinnlos, wenn die Leitungsrichtung
in den Zellen immer nur eine cellulifugale wäre. Die Bilder deuten vielmehr
darauf hin, daß die Beizübertragung von einer Faser durch das Netz auf
eine andere oder mehrere andere in das Netz eintretende Fasern stattfinden kann,
und nicht nur auf die eingeschlossene Zelle und deren Neuriten. Für die
Funktion bedeutet demnach das Vorhandensein der Terminalnetze eine un-
geheure Vervielfältigung des Leitungsweges, Der Baum, welchen Dendriten
und Nervenfasern auch in den zellarmen Gebieten der Binde einnehmen, ist
so beträchtlich, daß der Zwang, auf eine besondere, von der Zelle emanzipierte
Substanz rekurrieren zu müssen (Nissls Hypothese) nicht besteht. Der
Autor schließt seine Abhandlung mit folgenden Sätzen: „In jedem Falle glaube
ich, sagen zu dürfen, daß die im Bindengrau vorhandenen bekannten Zellen
und Zellenfortsätze (Dendriten und Axone) genügen, um den Baum auszu-
füllen, und daß ein zwingender Gnmd für die Annahme besonders beschaffener,
von der Zelle emanzipierter nervöser Strukturen nicht existiert. Es besteht
demnach für die Wirbeltiere der Fundamentalsatz der Neuronenlehre immer
zu Becht, daß es im Nervensystem keine andere nervöse Substanz gibt als
Ganglienzellen und Ganglienzellausläufer.
Campbell (70) hat die Hirnrinde des Menschen und vieler Tiere in
normalem Zustande und bei pathologischen Veränderungen des Gehirns
untersucht und baut auf den Ergebnissen dieser Forschungen die Lokalisation
der einzelnen Begionen der Hirnrinde auf. Er geht davon aus, daß das
menschliche Gehirn zwei Arten von Zentren beherberge; 1. solche, welche
die „primary" und 2. solche, welche die „higher evolutionary" Funktionen
beherrschen. Die ersteren sind allen Tieren gemeinsam und Lebensbedingung,
die Zentren für Bewegung und Empfindung, die letzteren stehen jenen kom-
plizierten psychischen Funktionen vor, durch deren Besitz der Mensch sich
über alle anderen Lebewesen erhebt. Die motorische Begion ist histologisch
hauptsächlich charakterisiert durch die Betzschen Biesen zellen und ist be-
schränkt auf den Gyrus centralis anterior. Bei Serieiischnitten durch Gehirne
von Fällen von amyotrophischer Lateralsklerose fanden sich tiefgreifende
Veränderungen im wesentlichen in einem Untergang der Betzschen Zellen
bestehend. In 7 Fällen von Individuen, welche die eine oder andere Ex-
tremität verloren hatten, fanden sich bei der Untersuchung gleichfalls Ver-
änderungen in den Biesenzellen (Beaction a distance nach Marin es co).
Dieses motorische Feld von Sherrington und Grünbaum steht der Aus-
führung der isinfachen primären oder automatischen Bewegungen vor. Dafür
spricht die histologische Tatsache, daß die Menge der Biesenzellen im Bein-
zentrum beim Menschen viel gnißer ist, als im Armzentrum, wälirend sie
bei den Vierfüßlern in beiden Zentren annähernd gleich zu sein scheint.
Die feineren, höher entwickelten Bewegungen hätten ihren Sitz in einem
nach vorn unmittelbar angrenzenden Gebiet, dem intermediären präzentralen
Felde. Dasselbe umfaßt zwei außerordentlich wichtige Zentren feinster Be-
77*
^220 ErgänzuQgsreferate.
weguugeu; das Brocasche SprachzeDtrum und das cheirokmästhetische
Schreibzentrum. Die vordere Grenze dieses intermediären präzentralen
Feldes fällt zusammen mit der des alten motorischen Felden von Ferrier,
Beevor, Horsley u. a. Der übrige Stirnlappen zerfällt ohne scharfe Grenze
in ein „frontales** und in ein „präfrontales" Feld. • Gegen das letztere zu
sollen Fasern und Zellen schrittweise an Zahl und Volumen abnehmen.
Der Gyrus postcentralis ist der Sitz der Fühlsphäre. In drei Fällen von
Tabes will der Autor tiefgreifende Zellveränderungen gefunden haben, die
nur auf diesen Gyrus beschränkt waren. Auch diese Fühlspbäre teilt der
Autor wieder in das vordere postzentrale Feld (welche die einfachen Kom-
ponenten des Gefühls, der Temperatur und der Schmerzempfindung vermittelt
und in das hintere, „intermediäre postzentrale Feld"* mit den höheren Zentren,
Lokalisation, Lage, Muskelgefühl usw. Zwischen diesem sensorischen und
dem Sehfeld bleibt noch ein größeres Bindengebiet, dessen Bolle noch un-
bestimmt ist. Die Tatsache, daß dieses parieto-temporale Feld eingeschaltet
ist zwischen Füblsphäre, Sehsphäre, Hör- und Geruchszentrum scheint ihn^
darauf hinzudeuten, daß dieses Feld der weiteren Verarbeitung und Inter-
pretation der primär durch die verschiedenen sensorischen Felder empfangenen
Eindrücke dient. Der Satz Hitzigs, daß in der Tierreihe der Intellekt in
gleichem Schritt mit dem Frontallappen wachse, gilt ebenso für den Parietal-
läppen. Auch die Sehsphäre zerfällt in ein visuo-sensorisches (Calcarina-
gegend) und ein visuo-psychisches (darüber und darunter gelegen), die Hör-
sphäre in ein audito-sensorisches (Gyri transversales Heschl.) und in ein
audito-psychisches Feld (konvexe Fläche des Schläfenlappens). Die histo-
logische Untersuchung des gesamten Lohns limbicus (Broca) weist darauf
hin, daß der sogen. Lohns pyriformis das Hauptrindenzentrum für den
Geruchssinn darstellt. Dagegen läßt sich über die physiologische Bedeutung
der Gebiete an der Fissura Hippooampi und des Cornu Ammonis nichts
sicheres sagen. (Nach Befernten aus dem Neurol. Centalblatt.)
CappA^relli (73) schildert den histologischen Bau der markhaltigen
Nervenfasern, aus denen es ihm gelungen ist, mit einer eigenen Methode
das Mark herauszuziehen. £s ergab sich, daß ein Beticulum im Myelin
nicht existiert, daß dieses Netz also eine Pseudostruktur ist, welche durch
Wirkung der Beagentien auf das Myelin erzeugt wird. Das Myelin ist von
keiner besonderen Hülle begrenzt; nach außen zu, wo es in Berührung mit
dem Neurilemm kommt, ist es dichter, in der Nähe des Achsenzylinders
dagegen wird es weniger dicht. Der Achsenzylinder liegt im zentralen Teile
der Nervenfaser vermittels Häuteben, welche denselben umgeben, fixiert.
Diese Häutchen erreichen die innere Seite des Neurilemms, wobei sie die
Bichtung und Form der Lantermannschen Segmente zeigen. Sie haben
die Aufgabe, das Myelin zu begrenzen und den Achsenzylinder in der Mitt<e
der Nervenfaser unwandelbar festzuhalten. Der Achsenzylinder selbst hat
einen komplizierten Bau. Er scheint zunächst aus einem hohlen, stark-^
waudigen, homogenen Zylinder gebildet zu sein. Dieser Zylinder zeigt in
der Höhe der Banvierschen Einschnürung die bikonische AnschweUung
und das Aussehen eines keratinigen Gewebes. Es scheint ferner, als ob
der Zylinder eine Flüssigkeit enthalte, in welcher erst eine feine Achsenfaser,
welche ununterbrochen durch die Banviersohe Einschnürung geht, ein«
getaucht liegt. Diese Achsenfaser ist frei nach innen verschiebbar, so daß
der Zylinder eine echte periaxiale Scheide darstellt. Der Autor glaubt,
daß die Flüssigkeit, in welcher die Achsenfaser innerhalb des Zylinders
liegt, die für sie bestimmte Ernährungsflüssigkeit darstellt, welche ihr nicht
durch die Banvi ersehe Einschnürupg, sondern- überall durch die vorher er-
Ergänzungsreferate. 1221
vähnten Häute zugeht. Ferner meint der Autor, daß das Myelin nicht als
Isolatormasse dient, sondern als Mittel für den Stoffwechsel de« Neuriten;
seine Leistung ist ähnlich derjenigen, welche allen Mischungen Ton Fett und
albuminoiden Substanzen zukommt.
Das Trommelfell erhält nach Untersuchungen ron Deineka (95)
seine sensiblen Nerven Tom N. auricolo-temporalis und vom N. Jacobsonii.
Beide bilden bei ihrer Verästelung im Trommelfell mehrere Nervengeflechte ;
und zwar ein Gmodgeflecht und zwei oberflächlich unter dem Plattenepithel
gelegene Geflechte. Dazu kommen noch Verästelungen markloser Nerven-
fasern des Sympathikus. Die Nervenendapparate des Trommelfells teilt D.
ihrer Lage nach in 4 Abteilungen, in 1. Subepitheliale Endapparate der
äußeren Fläche; 2. Subepitheliale Endapparate der inneren Fläche; 3. End-
apparate des mittleren Teils der Bindegewebsschicht; 4. Endapparate des
Sehnenrings.
Ooldstein's (169) ungemein fleißige und gediegene Arbeit über das
Gehirn der Knochenfische kann hier nicht im einzelneu referiert werden,
da die Fülle der beschriebenen Einzelheiten eine zu große ist. Es kann
nur jeder, der sich eingehend mit der äußeren und inneren Gestaltung des
Gehirns der Knochenfische, mit den Kernen der einzelnen Abschnitte, mit
den Faserverbindungen der Geliirnteile untereinander und mit dem Rücken-
marke vertraut machen will, auf diese bedeutsame Arbeit aufmerksam gemacht
werden. Der Untersuchung lag eine Fülle von Material zu Gninde, und
dieses wurde nach jeder Richtung hin mit den brauchbarsten und neuesten
Methoden untersucht. Zur Darstellung der Formverhältnisse des Gehirns
wurde auch die Dohrnsche Platten-Modelliermethode verwendet. Zahlreiche
Abbildungen illustrieren den Text auf das Beste.
Flechsig (130) resümiert und erweitert zugleich seine Lehre von
der myelpgenetischen Gliederung der Hirnrinde. Er gibt eine nochmalige
genauere Übersicht von der Reihenfolge der sich mit Mark bekleidenden
36 Rindenfeldern. Der ümmarkungsprozeß der Rinde beginnt ca. 4 Monate
vor der Geburt und ist wenigstens der Hauptsache nach 4 Monaten nach der
Geburt abgeschlossen. In mindestens 22 Etappen erreicht der Prozeß die Stufe,
welche die normale rechtzeitig geborene Frucht kennzeichnet. Die bis zur dieser
Reife in die Markumhüllung eingetretenen Rindenabschnitte werden als Pri-
mordialgebiete den später markreifenden Intermediär- und Terminalgebieten
gegenübergestellt. Die Abgrenzung der 36 Felder ist immer noch eine '
provisorische; sie kann sich mit weiterer Forschung noch etwas modifizieren.
Die ersten Faserzüge, welche sich entwickeln (Primärsysteme), sind in
sämtlichen Primordialgebieten Radiärfasern. Die subkortikalen Zentren,
mit denen diese Felder in Verbindung stehen, sind der Bulbus olf., der innere
und äußere Kniehöcker und der Thalamus opticus bezw. Globus pallidus.
Diese Fasern kommen also von exogenen Zentren, sie leiten also corticopetal.
Die entsprechenden Felder nennt F. „Primäre Sinnessphären". An zweiter
Stelle entwickeln sich zentrifugale Bahnen (Pyramidenbahn) und an dritter
Stelle erst Balkenfasern und noch später fibrae horizontales der grauen Rinde
und fib^ae arcuatae, weit später mit entfernten Rindenbezirken in Beziehung
stehende Assoziationssysteme. Das von F. aufgestellte Gesetz, daß sich in
der Rinde die motorischen Bahnen nach den sensiblen Leitungen entwickeln,
gilt (trotz Anfechtung von Vogt und v. Monakow) für jedes myelogenetische
Feld im einzelnen. Bei Vergleich verschiedener Felder ergibt sich aber,
daß z. B. die motorische Pyramidenbahn vor der (sensiblen) Hör- und Seh-
strahlung sich entwickelt. Von den postmaturen, d. h. nach der Geburt sich
mit Mark umkleidenden Feldern zeigen noch drei eine ähnliche Entwicklung
1222 Ergänzungsreferate.
wie die Primordialgebiete ; F. bezeichnet sie als zweite Gruppe der Primordial-
gebiete. In allen übrigen späteren Rindenfeldern sind es uni- oder bilaterale
Assoziationssysteme, welche an erster Stelle markhaltig werden. Diese Felder
legen sich an schon vorher entwickelte an, sie sind innig durch fibrae arcuatae
mit ersteren verbunden. F. nennt sie Randzonen. Die letzten drei sich
anlegenden Felder nennt F. Zentralgebiete, weil sie sich zwischen eine
größere Zahl Randzonen einschieben und zu vielen der letzteren nahe Be-
ziehungen erkennen lassen. Alle primären Sinnessphären haben eine besondere
Bauart der Rinde in Bezug auf Anordnung der Ganglinzellen und Nerren-
fasern. Die Struktur der Hirnrinde spiegelt auch noch am Erwachsenen
die myelogenetischen Rindeufelder so deutlich wieder, daß von einem Aus-
gleich der Unterschiede, welche im frühesten Kindesalter vorhanden sind,
nicht die Rede sein kann.
Flechsig kritisiert dann vornehmlich die Ergebnisse sekundärer De-
generation, welche sich auf den Zusammenhang der Rindengebiete mit
anderen Hirn teilen beziehen. Die Wichtigsten seiner Ansichten sind folgende:
Die Pyramidenbahn geht beim Menschen ganz überwiegend aus der
vorderen Zentralwijpidung hervor, und zwar degeneriert sie in der Hauptsache
nur bei Zerstörungen im Bereiche des mittleren und oberen Drittels, sowie
des Lobulus paracentralis. Ein kortikaler Ursprung der Pyramidenbahn vom
Fuße der Stirnwindungen oder von der hinteren Zentralwindung ist nicht
bewiesen. Die Pyramidenbahu nimmt im Hirnschenkelfuß nur dessen drittes
Viertel (von innen gerechnet) ein. Die cortico-bulbären und cortico-poutiiien
Bahnen der Zentralwindungen liegen nach innen von der Pyramidenbahn.
Sie führen Fasern für die motorischen Kerne des V. VII. X. und XII.
Paares.
Flechsig hält die Ansicht v. Monakows, daß die Schleife (und dadurch
die Hintersträuge usw.) durch die ventrolateralen Thalamuskerae mit dem
Gyrus supramarginalis und angularis in Verbindung stehen, für unrichtig.
Die Schleife stehe nur mit der hinteren Zentralwindung und Teilen der
vorderen in Verbindung. Der größte Teil der Hauptschleife erfährt eine
Unterbrechung im Thalamus ; es kämen aber nicht nur ventrale Zellgruppen
in Betracht, sondern auch laterale, sowie der Zentralkern. Hintere Zentral-
^indung und Parietalwindungen bilden weder genetisch, noch anatomisch,
noch funktionell eine zusammengehörige einheitliche Rindonzone.
Die Sehstrahlung besteht aus verschiedenen Fasersystemen und zwar
von innen gerechnet nächst der Balken schiebt, die meist feinfaserige innere
sagittale Schicht (sekundäre Sehstrahlung Flechsig) und die dickfaserige
äußere sagittale Schicht (fasciculus longitudinalis inferior Burdach, primäre
Sehstrahlung Flechsig). Die primäre Sehstrahlung degeneriert rindenwärts,
die sekundäre Selistrahlung thalamuswärts. Die primäre Sehstrahlung, welche
in das Gebiet des Vicq d'Azyr sehen Streifens übergeht, stellt die eigentliche
sensible Leitung der Sehsphäre dar. Sie geht aus dem äußeren Kniehöcker
(Fall Hen Sehens) und dem lateralen hinteren Teil des Pulvinar hervor.
Die absteigende sekundäre Degeneration der Sehstrahlung setzt sich auf die
medialen inneren Teile des Pulvinar und den vorderen Vierhügel fort (Experi-
mente von Horsley und Beevor, welche nach Ekstiipation des Gebietes des
Geun arischen Streifens beiMacacus eine Bahn nach den vorderen Vierhügek
verfolgen konnten, und Reizuugsversuche von Sherrington und Grünbaum
beim Gorilla, nach welchen die elektrische Reizung lediglich des Gebiets des
Vicq d'Azyr sehen Streifens vom Hinterhauptshirn aus Augenbewegimgen
auslost). Danach besitzt die Region des Vicq d'Azyrschen Streifens und
allem Anschein ausschließlich dieser Teil des Occipitallappens ein konjugiertes
Ergänzungsreferate. 1223
Strangpaar optischer und motorischer Leitungen (wie die Rolandosche Zone
in Pyramidenbahn und Schleifenschicht).
Was die Aufschlüsse über die Bahnen des Schläfenlappens betrifft, so
handelt es sich der Hauptsache nach um den Ursprung und Verlauf des sog.
Türk sehen Bündels uiid seiner Beziehungen zur Hörstrahlung. Das Türksche
Bündel spaltet sich nach Untersuchungen Flechsigs unmittelbar nach seinem
Eintritt in die innere Kapsel in mehrere Abteilungen. Die innersten (der
Pyramidenbahn anliegenden) Faserbündel steigen in der inneren Kapsel
senkrecht empor, gelangen bis zum oberen Rand des Sehhügels, ziehen hier
nach außen und treten in die obersten Abschnitte der temporalen Querwindung
ein. Die äußere Abteilung des Türkschen Bündels verläßt schon tief unten
die innere Kapsel und verschmilzt zunächst mit den ventralen Abschnitten
der Sehstrahlung; mit dieser tritt sie gegenüber der Mitte der zweiten und
dritten Temporalwindung in den Schläfenlappen. Beide Abteilungen des
Türkschen Bündels können isoliert degenerieren. Die innere Abteilung
degeneriert bei Herden, welche die temporale Querwindung hinten oben zer-
stören, d. h. in der Regel bei Herden, welche vom Scheitellappen her in die
Fossa Sylvii hineinragen. Die äußere Partie des Türkschen Bündels
degeneriert bei Herden im Schläfenlappen umso vollständiger, je mehr der
primäre Herd der Mitte des Schläfenlappens sich nähert und hier in der
Tiefe bis zur Sehstrahlung reicht, da eben hier in der Sehstrahlung die
Stabkranzbündel der äußeren vorderen Abschnitte der temporalen Querwindung
verlaufen. Bei Herden, welche die gesamte Querwindung zerstören, ein-
schließlich des mittleren Teiles der ersten Schläfenwindung entartet das ge-
samte Türksche Bündel. Hieraus ist zu schließen, daß die Rindenbezirke,
deren Zerstörung sekundäre Degeneration des Türkschen Bündels im Gefolge
hat, sich in der Hauptsache decken mit der Hörsphäre. Die Hörstrahlung,
der innere Kniehöcker und die Türkschen Bündel degenerieren in der
Regel gleichzeitig. Auch die Hörstrahlung verläuft vom inneren Kniehöcker
in zwei Abteilungen ähnlich denjenigen des Türkschen Bündels. Hör-
strahlung und Türksches Bündel stellen also ein konjugiertes Strangpaar
dar, welches zusammengehört wie die vorderen und hinteren Wurzeln, wie
Schleife und Pyramidenbahn usw.
Bei Zerstörung des Gyrus hippocampi degeneriert außer der vorderen
Kommissur besonders regelmäßig der Fornix inferior in seinen corticofugalen
bis zum Corpus mammillare verfolgbaren Bündeln.
Der vordere Sehhügelstiel, welcher nach Ansicht Dejerines und
V. Monakows u. a. mit dem Stirnhirn ausgiebige Beziehungen haben soll,
ist eine zusammengesetzte Bildung; lediglich die mittleren Bündel der vorderen
Abteilung der inneren Kapsel kommen in Betracht. Dieselben dringen im
Stirnlappen gegen den Pol vor, treten aber nicht in die Rinde des Poles,
sondern beschreiben eine Kurve und gelangen zum Teil in das Cingulum,
zum größeren Teil in die frontale Abteilung der Zentralzone. Die dorsalen
und ventralen Faserzüge der vorderen Abteilung der inneren Kapsel stehen
teils zur vorderen Zentralwindung, teils zur Riechsphäre in Verbindung.
Daß der Gyrus angularis einen Stabkranz hat, ist durch keinen
Fall auch nur annäherungsweise bewiesen.
Aus dem Vorstehenden erhellt nach Ansicht Flechsigs, daß es vor-
läufig ganz unmöglich ist, auf Grund der sekundären Degenerationen die
Großhirnrinde rationell einzuteilen. Für kein einziges kortikales Fasersystem,
die Pyramidenbahn nicht ausgenommen, ist der kortikale Ursprungs- und
Ausbreitungsbezirk einwandfrei umgrenzt worden. Es ist lediglich eine
Legende, sagt er, wenn in der neueren Literatur vielfach die Behauptung
1224 Ergänzungsreferate.
wiederkehrt, durch die sekundären Degenerationen sei exakt erwiesen, daS
die Großhirnrinde an allen Orten mit einem Stabkranz ausgestattet sei.
Auch die Behauptung, für jeden Sehhügelkern sei das zugehörige ßinden-
feld exakt festgestellt, und es sei so die Verbindung der ganzen Rinde mit
dem Thalamus nachgewiesen, ist, was den Menschen anlangt, nur ein Lapsus.
Wissenschaftlich festgestellt sind vorläufig nur Beziehungen des Thalamus
zu den primären Sinnessphären, was darüber hinausgeht, ist unsicher. Auch
die Pathologie bestätigt oder weist für sich allein darauf hin, daß jede
primäre Sintiessphäre mit einem doppelten Projektionssystem ausgestattet ist,
a) mit einer oder mehreren corticopetalen Sinnesleitungen,
b) mit einer corticofugalen bezw. motorischen Bahn.
Stets gehören je eine corticofugale und corticopetale Leitung zusammen;
sie bilden „konjugierte Leitungen" oder „Strangpaare" (Flechsig).
Die Frage, ob jede einzelne Sinnessphäre mit allen Rindenfeldem
oder der Mehrzahl derselben durch Fibrae arcuatae und lange Assoziations-
systeme direkt verbunden ist, oder ob jede einzelne Sinnessphäre mit
mehreren oder allen anderen primären Sinnessphären direkt kommuniziert,
wird verneint.
Head, Henry, In conjunction with W. H. K. Rivers and James Sherren. The uffe-
rent nervoas system from a new aspect. Brain. Summer.
Head stellte Sensibilitätsprüfungen an sich selbst an, nachdem
er sich den Hautast des N. radialis hatte durchtrennen und nach geraumer
Zeit wieder vernähen lassen. Nach den erhaltenen Resultaten kommt er
zu dem Schluß, daß der sensible Mechanismus peripherischer Nerven aus
drei Faktoren besteht:
L Tiefe Sensibilität; sie tritt in Erscheinung beim Drucke und bei
Bewegungen. Es entsteht hier bei Schmerz, bei Ausübung eines starken
Druckes oder bei Qelenkverletzung. Die sensiblen Fasern der tiefen Sensi-
bilität laufen hauptsächlich mit den motorischen Fasern und werden nicht
zerstört bei Läsion der Hautnerven.
IL Protopathische Sensibilität; siewird wahrgenommen bei schmerz-
haften Hautreizen und bei extremen Graden von Hitze und Kälte. Sie
gehören einem großen Reflexsystem an und haben eine weit sich ausbreitende
Wirkung, ohne daß dabei eine genauere Lokalisation möglich ist
III. Epikritische Sensibilität. Durch letztere ist es möglich, genau
zu lokalisieren, exakt zwei berührte Punkte zu unterscheiden und feinere
Temperaturgrade zu empfinden.
Die Sensibilität der Eingeweide entspricht hauptsächlich der proto-
pathischen. Auch hier werden nur extreme Grade von warm und kalt wahr-
genommen, und das Lokalisationsvermögen ist ein äußerst geringes.
Die anderen der oben genannten Qualitäten sind an den Eingeweiden
nur schwach vertreten. Immerhin besizt der ganze Körper an einer Außen-
und Innenfläche diese drei verschiedenen sensiblen Fasern. Das protopathische
System der Haut gehört zu dem gleichen sympathischen System, welches
auch die Eingeweide versorgt. Die Bewegungssensibilität der Intestina ist
an die Pacinischen Endorgane gebunden. Ein ähnliches Fasersystem läuft
mit den motorischen Nerven. Das Zentralnervensystem ist der Sammel-
punkt dieser Qualitäten. Hier werden die zulaufenden Impulse so geordnet
und verteilt, wie in einem Zeitungsbureau die verschiedenen Schilderungen
eines Ereignisses, die per Telegraph, Telephon usw. anlangen.
Held (184) untersuchte mittelst der R y Cajalschen Fibrillenmethode
den Trapezkern, vorderen Akustikuskem, Kleinhirn und Retina von Kaninchen,
Katze und Menschen (Retina). Er kommt zu folgendeti Resultaten: Weder
Ergänzungsreferate. 1225
an der inneren Grenee einer Sinneszelle zu ihrer bipolaren Ganglienzellen
noch an dem zentralen Umfang des letzteren Zellelementes und dem cellulären
Beginn einer zentralen Leitungsbahn, der an der Stelle, welche die gleiche
Angliedening einer zentralen Ganglienzelle an eine zweite vermittelt, existiert
der einfache Modus eines bloßen Nerven kontaktes. Als besondere Struktur-
teile dieser nervösen Zellen erscheinen Fibrillen. Der Durchtritt der
Fibrillen geschieht mittelst Nervenendfiiße, welche in ihrer allgemeinen proto-
plasmatischen Substanz zierliche Fibrillennetze enthalten. Von ihnen zweigen
sich dann erst radiäre Verbindungsfibrillen ab, die mit den Fibrillengittern
eines weiteren Zellelementes sich vereinigen, wobei sie die breitere oder
schmälere protoplasmatische Brücke zwischen den einzelnen Abschnitten
einer Neuritenendfläche und der betreflfenden Ganglienzellenoberfläche passieren.
Diese Befunde weichen von der Be theschen in 2 Punkten ab. Nach
Bethe finden erst in den sogenannten Golginetzen der grauen Substanz
die bis dahin ganz isoliert von einander laufenden Fibrillen der Ganglien-
zellen und ihrer Fortsätze ihre morphologische und funktionelle Vereinigung
zu einem Gitter. Nach Held laufen die einzelnen Fibrillen schon Innerhalb
der Region des Ganglieuzellkörpers nicht einfach neben oder übereinander^
sie sind hier vielmehr zu mehr oder weniger engen Gittern verbunden.
Solche Gitterbildungen kommen außerdem auch streckenweise in Ahn
Dendriten vor, besonders an ihren Gabelstellen. Ferner sind nicht die
Golginetze diejenigen Einrichtungen der grauen Substanz, welche erst die
umfangreichere Vereinigung verschiedenzelliger Systeme von Fibrillengittern
herbeiführen. Es gehen direkt die Fibrillengitter einer Ganglienzelle an
zahlreichen Stellen ihrer Oberfläche in die zirkumskripten Gitter über, welche
durch das System ihrer nervösen Endfüße ihr aufgelagert sind und mit den
Fibrillennetzen zahlreicher anderen Ganglienzellen auf dem Wege ihrer
Achsenzylinderfortsätze zusammenhängen.
Imhof (192) hat das Lumbaimark vieler Vogelarten auf das ein-
gehendste makroskopisch wie histologisch untersucht und auch die Ent-
wicklung desselben auf das eingehendste studiert. Die Resultate faßt er
folgendermaßen zusammen. Das Rückenmark der Vögel zeichnet sich durch
besondere Eigentümlichkeiten von dem Marke der Säuger aus a) durch den
Lumbaiwulst, b) durch die Hoffm an n sehen Großkerne, c) durch den Mangel
einer Cauda equina. Die Intumescentia lumbalis bedeutet keine Ver-
mehrung des Rückenmarkes. Die Vergrößerung der Querschnittsfläche des
Lumbalmarkes beruht einzig auf der mächtigen Ausbildung des Lumbai-
wulstes selbst, nicht aber auf einer Volum vermehnmg der grauen Substanz.
Der Lumbaiwulst (dorsaler Gliawulst, Sinus rhomboidalis) liegt immer
präsakral in der sog. Lendenanschwellung und im Gebiet der Ischiadikus-
wurzeln. Die Hoffm an n sehen Großkerne (lobi accessorii) finden sich in
segmentaler Anordnung im Lumbalmarke. Sie sind stets den motorischen
Wurzeln derjenigen Spinalnerven unmittelbar vorgelagert, die sich an der
Bildung des Beckengeflechtes beteiligen. Eine der Cauda equina der Säuger
entsprechende Bildung fehlt den Vögeln. In histologischer Beziehung ist
das Lumbalwulstgewebe ein allgemeines protoplasmatisches Reticulum, dessen
Elemente in syncytialor A^erbindung sind. Die Protoplasmabalken werden
durch freiendigende Gliefasern verstärkt. Die versilberten Lumbalwulst-
zellen, die Ischiocyten, besitzen wenige vorwiegend horizontal verlaufende
derbe Fortsätze, die stets mit den Gefäßen verbunden sind (perivaskuläre
Asterosa). Die Stützsubstanz der übrigen Rückenmarksgebiete ist vor-
wiegend asterös. Pilös, zuweilen stark flächenhaft ausgebreitet, sind die
Elemente der Membr. limitantes. Wenig strahlige Elemente, nur als Stütze
1226 Ei'gänzungsreferate.
der Kapillaren funktionierend, sind die Ischiocyten. An diese schließen sich
die vielstrahligen perivaskulären Asterocyten der Lateralzonen. Durch all-
mähliches Loslösen der Fortsätze von den Gefäßen gehen, durch Zwischen-
stufen verbunden, aus den eben genannten Elementen die multiradiären
Kurz- und Langstrahler, die Träger der Glangienzellensubstanz hervor. Die
Entwicklung des Rückenmarks ist ein Prozeß, der nicht kontinuierlich,
sondern sprungweise verläuft. In der ersten Etappe (bis zum 5. Tage)
wird das pilöse Stützgerüst angelegt und durch fortgesetzte ventrikuläre
Proliferation der Keimzellen die Neuroblasten erzeugt. In der zweiten Etappe
(bis zum 8. Tage) wandern die Neuroblasten ventrolateralwärts aus, und
das Piloaagerüst hat seine typische Ausbildung erreicht. In der dritten
Etappe (bis 13. Tage) wandern aus der Innenzone die Spongioblasten
ventrolateralwärts aus. Die Dendritenbildung der Neuroblasten hat inzwischen
ihr Ende erreicht. Aus der Pilosa wird nach und nach das Ependym und
Perendym. In der letzten Etappe wandeln sich die zahlreichen Spongio-
blasten in Asterocyten um. Die Stützsubstanz erlangt somit ihre definitive
Gestaltung viel später als die Glangienzellensubstanz. Erst mit dem 9. Be-
brütungstage beginnt sich die Dorsomedianzone allmählich in den Lumbai-
wulst umzuwandeln. Die Hof fmannschen Großkeme werden ungefähr
ain 6. Tage von der Mantelzone abgespalten. Das Entstehen des Sinus
rhomboidaUs führt der Autor auf eine Zugwirkung der sensiblen, aus den
Dorsalsträngen dieses Gebietes entspringenden Wurzeln des Ischiadikus
zurück. Zum Schluß weist der Autor auf die Haltlosigkeit der Annahme
hin, daß der Lumbaiwulst der Vögel ein Erbstück des Dinosaurier-
vorfahren wäre.
Schnitze (378) untersuchte bei Amphibienlarven die Nerven der Haut
mit einem eigenen Verfahren. Er kommt zu dem Schluß, daß die embryo-
nale, marklose sensible Faser nichts anderes ist, als eine Vielheit von Zellen
oder ein aus typischen Neuroblasten hervorgehendes Syncytium, das nicht
etwa durch sekundäre Verschmelzung von ZeUeu, sondern durch kontinuier-
liche Erhaltung intercellulärer Verbindungen nach vorausgegangener mito-
tischer Kernteilung entsteht. Die morphologische Kontinuität der Bausteine
ist dem peripheren Nervensystem angeboren. Diese Bausteine werden
peripher, ebenso wie zentral, als Neuroblasten zu bezeichnen sein. Besondere
markbildende Zellen, welche sich frei ausgewachsenen Fasern sekundär auf-
lagern und diese umscheideu, sog. Schwannsche Zellen, gibt es nicht.
Die Neuronentheorie, welche das Hauptgewicht auf die Einheit der
Nervenzelle und der peripheren Faser bis zu deren Ende legt, ist mit dem
multicellulären oder syncytialen Aufbau der peripheren Nervenfaser, sowie
mit dem Vorhandensein der peripheren Neuroblastennetze und Nervenzellen-
netze unvereinbar. Die Theorie des Auswachsens der Faser vom Zentrum
nach der Peripherie wird durch keine einwandsfreie Beobachtung gestützt,
vielmehr ergibt sich, daß die Nervenfasern an Ort und Stelle aus in loco
gebildeten Zellen hervorgehen.
Wie nach und nach alle Spezialdisziplinen der Medizin mit Kom-
pendien gesegnet werden, in welchen den Studierenden das für die Praxis
Notwendigste in möglichst anschaulicher und leicht faßbarer Form (beinahe
Eezeptforni) dargestellt wird, so besitzt auch schon die Neurologie einzelne
solcher Bücher. Auch für die Anatomie des Gehirns und Bückenmarks
ist jetzt ein solches von Villiger (434) erschienen, das, obwohl es nicht
als Kompendium bezeichnet wird, doch dem Inhalte nach als solches sich
darbietet. Der Grundzug des Buches ist das Schema, und zwar nicht nur
für den verwickelten Faserverlauf, sondern auch zur Darstellung der mit
ErgänzQQgsreferate. 1227
bloßem Auge sichtbaren Oberflächenverhältnisse des Zentralorganes. So
sehr auch anerkannt werden muß, daß Verf. sich bemüht hat, durch diese
Darstellungsart dem Studierenden schwer durchsichtige Gehirnparthien klar
zu machen, so ist diese einseitige Art doch auf das Entschiedenste zu miß-
billigen, weil sie in hohem Maße eine wissenschaftliche Bequemlichkeit
großzieht, die zur Oberflächlichkeit führt, da sie die mühevolle Selbstdurch-
dringung eines schwierigen StoflFes verhindert.
Wreden (468) untersuchte die Dura mater spinalis von Katzen,
Hunden und Pferden mit der Ehrlichschen Methylenblaumethode. Von
Interesse ist, daß der Autor Spinalgahglienzellen in der gesamten Dura
mater spinalis angetroflfen hat, .welche im Verlauf der auf der Dura ge-
lagerten Nervenstämmchen und Astchen eingestreut liegen.
Ziehen (471) konnte eine Anzahl von Echidnaembryonen von ver-
schiedenem Alter untersuchen, und zwar standen dem Autor 14 Serien von
verschiedenen Entwicklungsstadien zur Verfügung. Hiervon werden die be-
deutungsvollsten Schnitte genau beschrieben. An die Darstellung der Ent-
wicklung des Rückenmarks von Echidna schließt sich diejenige des Gehirns
und im dritten Abschnitt folgt ein Vergleich der Gehirn- und Rückenmarks-
entwicklung dieses Tieres mit derjenigen der Marsupiaüer, Insectivoren und
Rodentier und ferner der Sauropsiden, speziell der Reptilien. Als Haupt-
ergebnis stellte sich heraus, daß die Entwicklung des Echidnagehims die
Zwischenstellung der Monotremen zwischen den Sauriern und Insectivoren
bestätigt. Durch 67 Figuren auf 12 Tafeln wird das im Text Erläuterte
ausgezeichnet zur Darstellung gebraclit.
Zuckerkandl (475) gibt eine genaue Beschreibung der Furchen und
Windungen der Großhirnfläche des Cebiden. Als Material standen ihm fünf
Gehirne und zwar je eins von C. fatuellus, C. gracilis und einer nicht näher
zu bestimmenden Art und zwei von Cebus capucinus zur Verfügung. Cha-
rakteristisch für das Gehirn der Cebiden ist nach diesem Autor: 1. Die
Kommunikation der Syl vi sehen Spalte mit der oberen Schläfenfurche, ver-
anlaßt durch eine dem Grade nach verschiedene Verkümmerung des hinteren
Endstückes des Gyrus temporaUs superior bezw. auch des vorderen , Schenkels
des Gyrus suprsunarginalis. 2. Das Vorhandensein einer schrägen Übergangs-
windung, die in typischen Fällen oberflächlich liegt. 3. Eine operkulisierte
innere Uebergangswindung, welche vom Tuberculum praecunei zur Spitze des
Hinterhauptslappens verläuft.
Zuckerkandl (474) widmet eine sehr eingehende Studie der Unter-
suchung über die AflFenspalte und das Operculum occipitale des menschlichen
Gehirns. Er stellt als Grundsatz auf, daß am menschlichen Gehirn nur
dann von einer Affenspalte die Rede sein kann, wenn an der Hemisphären-
oberfläche beide Ränder der fraglichen Furche mit jenen der Affenspalte
am Affengehirn identisch Sind. Zur Identität einer, Furche mit der Affen-
spalte am Affengehirn gehören daher Tieflage der Ubergangswindungen und
Gedecktsein derselben durch das Operculum occipitale bis zur Berührung
desselben mit dem primären Scheitellappen, beziehungsweise nur mit dem
Gyrus angularis. Z. hält deshalb die von Elliot Smith urgierte Identität
zwischen der Affenspalte des Affengehirns und dem Sulcus liinatus des
Menschengehirns für falsch. Bei oberflächlicher Lagerung der Ubergangs-
windungen (vornelmilich der 2. und 3.) muß die Affenspalte teilweise oder
ganz aufgelöst sein. Dies trifft für die Mehrzahl der menschlichen Gehirne
zu, denn nur ausnahmsweise ist die Reduktion der Übergangswindungen
(zumeist der zweiten) so weit gediehen, daß das Operculum occipitale an
den Gyrus angularis anschließt. Häutiger ist die Persistenz des kaudal von
1228 Ergäiusungsref erate.
der zweiten ÜbergangswinduDg gelegenen Anteils der Affenspalte, desgleichen
das operculumartige Vortreten des hinteren Randes der ehemaligen Affen-
spalte. Es verschwindet im Laufe der progressiven Gehirnentwicklung die
van Z. speziell als Affenspalte bezeichnete Formation, d. h. die an der
Gehirnoberfläche quer gelagerte, den Eingang zur Affenspalte repräsentierende
Furche; ihr margo parietalis läßt sich, von Ausnahmen abgesehen, überhaupt
nicht mehr erkennen, ihr margo occipitalis kann in einer der Form nach
variierenden Gestalt erhalten sein. Z. schildert nun eingehend, wie in der
Beihe der Affen die allmähliche Auflösung der Affenspalte vor sich geht,
und schließt daran die genauere Beschreibung des Sulcus occipitalis trans-
versus und der ihn begrenzenden Windungen und femer die Variationen,
in dencD das Operculum occipitale am menschlichen Gehirn sich darbieten
kann.
Sachregister.
Die fett gedruckten Zahlen bedeuten Kapitelübersohnf^en.
A.
Abasia senescentium^Be-
aichungen der arterioskle-
rotischen Hirnerkrankun-
gen aur 506.
Abasie-Astasie, Behand-
lung der 804.
Aberglauben in der Medi-
zin 1105.
-- Diebstahl aus 1139.
Abort, künstlicher bei Neu-
rosen und Geisteskrank-
heiten 1205, 1207, 1208.
Abstinenz, sexuelle 1145,
1146.
Abstrahierendes Den-
ke n bei einem Hunde 939.
Abszeß 531.
Abziehbilder, bleihaltige
477.
Aceton-Paraffin-
Schnelleinbettung 3.
Acetonurie bei Geistes-
und Nenrenkranken 978.
Achillessehnenreflex
327, 328.
— Verhalten des bei Diph-
therie 828, 483.
Achondroplasie, Differen-
tialdiagnose zwischen Kre-
tinismus, Rachitis und 1032.
Achse n Zylinder, perizellu-
läre Entstehung des 31.
— Darstellung des 8.
— Areale der im Spinal-
nerven ÖO.
— Pathologie des in Tumoren
und Narben des Gehirns
201.
Achsenzylinderfortsatz,
Ursprung des bei den zen-
tralen Nervenzellen 37.
Acusticusregidn, Tumo-
ren der 525, hOO.
Adaption, Beziehung der
zur Wahrnehmung schwa-
cher Farben 179.
Adenoide Vegetationen,
Heilung eines Exophthal-
mus und von Chorea nach
Entfernung der 877.
Adonis vernalis bei Epi-
lepsie 896.
Adrenalin 840.
— Wirkung des auf Pupille
und Augendruck 115.
— Arterienerkrankung nach
Injektion von 476.
— Gehirnblutungen nach In-
jektionen von beim Kanin-
chen 235.
Aerotherapie 793ff., 797.
Aesthesiometrische Un-
. tersuchungen bei
Schwachbegabten Schul-
kindern 1021.
Aetiolgie, allgemeine der
Krankheiten des Nerven-
systems 278.
— Allgemeine der Geistes-
krankheiten 833.
Affekte, Einflufi der auf die
Magensafisekretion 77.
— Verhältnis der zu den
Sprachstörungen 859.
— gerichtsärztliohe Bedeu-:
tung der 1179.
Affenspalte 1227.
Affollement bulbaire
562.
Agrammatismus, Behand-
lung des 861.
Agraphie, hysterische 668.
Akinesia algera 671.
Akkommodation, Mecha-
nismus der 177, 178.
— und intraokularer Druck
382.
— Erbaltenbleiben der bei
Ausfall der Lichtreaktion
nach Trauma 380.
Akkommodationspare-
se, latente 553.
Akonitin 777.
Akromegalie 722, 736ff.
Akroparästhesien 722,
746
Aktionsstrom ohne Aktion
166.
— der Netzhautfasern, entop-
tische Wahrnehmung des
178.
Aktinomykosis im Gehirn
526.
Akupunktur 780.
Akustische Erinne-
rungsbilder 924.
Albinotische Tiere, Ge-
hörorgan von 277.
Alexie 866.
— hysterische 668.
— Xiokalisation der 365.
Algesimeter 319.
Alkalisalze, Einfluß neu-
traler auf die Erregbarkeit
und Färbbarkeit der peri-
pheren Nervenfasern vom
Erosch 163.
Alkohol und Infektion 481.
— Wirkung des auf die Ver-
änderung der Pupillenreak-
tion 890.
— Einfluß des auf die
Giftwirkung des Stn'chnin
4»4.
— und Psychose 967.
— Entziehung des als Genuß-
mittel bei Geisteskranken
1207.
— und Verbrechen 1134.
Alkohole, Wirkung ver-
schiedener einwertiger auf
sensible Nerven u. Nerven-
endigungen 166.
Alkoholfrage 477, 1125ff.
Alkohol-Amblyopie 883.
Alkohol-Neuritis 649.
Alkoholismus 1058, 1054,
1055.
— chronischer und Unfall
766.
— Bewertung des Tremor als
Zeichen des 809.
— und Temperenz in den
Vereinigten Staaten 1123,
1124.
1230
Sachregister.
Alkoholismus und Ehe-
scheidung 1174.
— Trunksucht als Entmün-
digungsgrund 1168, 1171.
— strafrechtliche Beurteilung
der Trinker 1167.
— Behandlung des 899, 1210.
— Trinkerfürsorge 1214
Allochirie, sensorielle
815.
Allopsychische Manien
977.
Amaurose bei Akromegalie
737.
— hysterische 667.
— bei j)rogre8siver Paralyse
und Tabes 1076.
Ambidexterie 87.
Amblyopie, hysterische,
Verschwinden der bei bin-
okularem Sehen 666.
— toxische nach Influenza
888.
— Thyreoidin-A. 379.
Ameisensäure, Wirkung
der auf die Muskulatur
108, 160.
Amentia 951, 1010.
Ammoniak, Wirkung des
auf den Nerven 166.
Amnesie 926.
— plötzlich auftretende nach
einem paralytischen Anfall
1080.
Amniotische Furchen u.
Klumpfuß 642.
Amok 1061.
Amphioxus, Hirn- und
Spinalganglien des 28.
Amputation, Kücken-
marksveränderungen nach
A. des Unterschenkels 197.
Amusie 366.
Amyotrophische Late-
ralsklerose 391, 404.
Analgesie der Druckpunkte
74.
Analgetische AVirkung,
Analyse der 134.
Anämie, Veränderungen des
Neurofibrillennetzes bei
191.
— Rückenmarksverände-
rungen bei 243.
— balneo-diätetische Behand-
lung der 793.
— perniziöse, nervöse Symp-
tome bei 302.
Anästhesie bei traumati-
scher Hysterie 760.
— Einfluß der Kohlensäure-
bäder auf die tabische 791.
Anatomie des Nerven-
systems 7, 1218ff.
Anatomische Unter-
suchungsmethoden des
Nervensystems 1.
Anoncephalie 220, 223.
Aneurysma der Hirngefäße
505.
Angina pectoris, Symp-
tome bei 847.
Angioma arteriale race-
m o s u m der Schädel decken,
Behandlung der 862.
Angioma racemosum und
serpentinum des Gehirns
204, 226.
Angioneurosen 722, 740 ff.
— Behandlung der 907.
Angst, krankhafte von pro-
fessionellem Charakter 951.
Anuren, Entwicklung des
Schwanzmarks bei den 147.
Anurie, reflektorische 350.
Anilinvergiftung, Poly-
neuritis infolge von 648.
Ankylosierende Wirbel-
säulenversteifung 270.
Anorexie, hysterische 667.
Anpassung 90, 927.
Anstaltsberichte, B/Oform
der 1194.
Anstaltswesen 1182,
1202 ff.
Anstrengungen, Schwan-
kungen der Pulsfrequenz
nach körperlichen 385.
Antagonistische Nerven
167.
Anthropologie, kriminelle
1090.
— psychische 922.
Antipyrinexanthem, sel-
tenl Lokalisation des 480.
Antithyreoidin, Behand-
lung der Basedowschen
Krankheit mit 832 ff.
Antitoxinbildung bei ak-
tiver Immunisierung gegen
Botulismus 108.
Aorta descendens, Aneu-
rysma der mit Erosion der
Wirbel und den Erschei-
nungen eines Malum Pottii
585.
Aphasie 355.
— amnestische 364.
— hysterische 667, 668.
— Beziehungen zwischen Per-
severation und 1048.
Apoplexie, Verhalten der
Reflexe nach 330.
— traumatische Spät-A. 756,
757.
— erste Hilfe beim Schlag-
anfall 900.
App e n d i c i t i s , Bauchreflexe
bei 325.
— Neurasthenie nach 670.
Appendicitis, Neuritis im
Gefolge von 645.
Apraxie 311, 365, 968.
— bei progressiver Paralyse
1080.
Arbeit, Einfluß vorangehen-
der auf die Arbeit anderer
Muskelgruppen 162.
— geistige 929, siehe auch
Geistige Arbeit.
Arbeitskuren im Hoch-
gebirge 806.
Arbeitstherapie bei
Geisteskranken 1212.
— bei Nervenkranken 904.
Architektonikdes Zentral-
nervensystems, Entwick-
lungsstörungen der 212.
Argentum nitricum,
therapeutische Anwendung
des 779.
Arhythmie des Herzens im
Anschluß an akute Peri-
karditis 639.
Armlähmung, spinale Kin-
derlähmung in Form einer
606.
Armzentrum, Folgezu-
stände kleinster Läsionen
im Bereiche des motori-
schen 124.
Arsen, therapeutische An-
wendung des 778.
Arsen-Polyneuritis 649,
Arteria basilaris, Patho-
logie der 505.
— syphilitische Erkrankung
der 208.
Arteria centralis reti-
nae, Embolie der 389.
Arteria cerebralis an-
ter ior, vergleichen de Ana-
tomie der 25.
Arteria meningea media,
Verletzung der 862.
Arteria vertebralis,
Thrombose der 589.
Arterieller Druck, Ein-
fluß des Druckes der Dural-
und der Labyrinthflussig-
keit auf den 110.
Arterienerkrankung
nach Adrenalininjektion
476.
Arteriosklerose derHim-
gefäße 505.
i — als Folge der Bleivergif-
tung 475.
— Geistesstörungen bei 952,
1059. •
Arthritische 31uskel-
atrophie 610, 619.
Arthropathie, nervöse und
chronischer Bheumatismos
422.
Sachregister.
1231
Arthropathia genu bei
einem Paralytiker 1078.
ArtikulatioDsstörung,
.. eigenartige 365.
Ärztepersonal in Irren-
anstalten 1203, 1204.
Aschematie 324.
Aspergillusver giftung,
Erscheinungen von mul-
tipler Sklerose nach experi-
menteller 396.
Aspirin 776.
— Behandlung der Chorea
mit 890.
Assoziation 927.
— bei Imbezillen und Idioten
1024.
Assoziationsbewegun-
gen, Paralyse der bei Em-
pyem der hinteren Sieb-
beinzellen 380.
Assoziationssysteme,
vergleichende Anatomie der
45.
Astasie-Abasie, Heilung
der 804.
Asthenia paroxysmalis
566.
Asthma, hysterisches nach
Unfall 668, 759.
Asymbolie 364, 365.
— motorische 311, 968.
Ataxie, sensorische der Au-
genmuskeln 380.
— bei Kindern 316.
— isolierte eines Armes nach
Trauma 422.
— Fried reichsohe 426.
— tuberkulöse Meningitis mit
dem Svmpt omenkomplex
der 498.'
— zerebellare 558.
— nach Trauma der linken
Stirnwindung 756.
Ataxie vestibulaire 346.
Atemfrequenz, Einfluß des
Vagus auf die 170.
Ateminnervation, zen-
trale 130.
Atemmuskeln, Ataxie der
bei Tabes 417.
Atemzentrum in der Groß-
hirnrinde des Hundes 129.
Atherom, Einfluß der -Ka-
stration auf die Entstehung
des experimentellen 110.
Äther omatose, Sehnerven-
erkrankungen infolge von
389.
Athetoide Fingerbewe-
gungen bei Tabikern 417.
Athetose 296.
Athetose double 546.
Atlas, Luxation des mit Ab-
• brechen des Zahnfortsatzes
des Epistropheus 270.
Atmung und Reizung bei I
Tauben 96.
— Veränderungen der nach
Einspritzung von Soda ins
Rückenmark 99.
— Einfluß hydriatischer Pro-
zeduren auf die 785.
Atmungsorgane, Symp-
tome von Seiten der 347.
— Reflexepilepsie bei Er-
krankungen der oberen 698.
Atropin, Wirkung des auf
die spontanen Bewegungen
der glatten Muskeln 161.
— Wirkung des auf die ge-
lähmte Iris 177.
Atropinvergiftung 481.
Atrophische Hirnskle-
rose 233.
Audition coloree 985. '
Aufbrauchsk rankheiten
des Nervensystems 296, 297.
— Theorie der Tabes als 424.
Aufmerksamkeit 928.
— Bedeutung der für die
Lokalisation und Entwick-
lung von Halluzinationen
951.
Aufrechterhaltung, Fä-
higkeit des Menschen zur
91.
Aufrechtsehen, Theorien
des 382.
Auge, Entwicklung des 34.
— Symptome von selten des
342 0".
— Erscheinungen von selten
der bei der familiären
amaurotischen Idiotie 1030.
— Symptome von selten der
bei progressiver Paralyse
1076.
— bei Anencephalie 220.
Augenbewegungen, kor-
tikale Lokalisation des
Zentrums für die konju-
gierten Seitwärtsbewegun-
gen des Auges und des
Kopfes 133.
Augenhintergrund, Cya-
nose des 747.
— benignes stationäres tu-
morartiges Gebilde des 383.
Augeumuskellähmungen
550, 379.
— pathologische Anatomie
der 234.
Augenmuskeln, Beziehun-
gen des kortikalen Sehfel-
des zu den 120.
— wahre Hypertrophie der
äußeren 384.
— sensorische Ataxie der bei
einem Tabiker 380, 416.
— isolierte Verletzungen der
inneren 379.
Augenmuskelrheuma-
tismus 385.
Augenoperationen, Psy-
chosen im Anschluß an 980.
Augenspalte, eine dritte
in der Kopfhaut bei Ence-
phalocele 263.
Augenstörungen, Bezie-
hungen der zu den Nerven-
krankheiten 870.
— bei Genickstarre 450.
— bei Myasthenia gravis 566.
— bei traumatischer Neurose
758.
Aura und Globusgefühl 319.
Aussage, Psychologie der
1130.
Außerembryonale ner-
vöse Elemente 63.
Autoidentifikation, ro-
mantische 963.
Auto int oxikations Psy-
chosen 1058.
Automatische Nerven
167.
Autoregeneration der
Nerven 199.
Axialstrom, Ursache des
am Nerven 166.
B.
B abinski sehe Klei nhirn-
erkrankungodermultiple
Sklerose 403.
Babinskisches Phäno-
men 329.
— Inversion des bei Pott-
scher Paraplegie 587.
Badekuren und Konstitu-
tion 791.
Baldrian 775, 776.
Balken, Fehlen des 221,
222.
Balkengeschwtilste 523.
Balneotherapie780,787ff.
— bei Geisteskrankheiten
1211.
Basedowsche Krankheit
722, 730 ff.
— Geistesstörung bei 1048.
— Myxödem nach 734.
— gleichzeitiges Bestehen
von Tabes und 419.
— Behandlung der 890.
— Organotherapie bei 832 ff.
— Kombination der Exzi-
sions- und Hoentgenthera-
pie bei 876.
— chirurgische Behandlung
der 876.
Basisfraktur mit Sehner-
venatrophie 390.
Bathmotropher Einfluß
157.
Bauch decken refl exe 325.
1232
Sachregister.
Bauchdeckeneflexe bei
Tabes 417.
Bauchhöhle, Einfluß der
Nerven der auf die Puls-
frequenz bei Peritonitis 171.
Bauchmuskellähmung
bei Poliomyelitis anterior
acuta 608.
Bauchmuskeln, isolierte
neuritische Lähmungen von
639.
Bauchmuskelsegment,
Lokalisation des unteren
577.
Begleitdelirien 1069.
Belastung, Einfluß derauf
den Kontraktionsakt 169.
Beleuchtung, Wirkung
farbiger auf die geistige
Arbeit 97.
Bellsches Phänomen 636.
Beri-Beri 476, 478, 480,
481, 485.
Beschäftigungsneuro-
sen 720, 721.
BeschäftiguQgs Paresen
646.
Bewegungen ,Koordination
der 145.
— Zentren der 118.
— Einfluß einer vorangehen-
den geistigen Vorstellung
eiuer auf die nachfolgendje
ergographische Arbeit 80,
84.
BewegungsgrößoB,
Schätzung ron bei Vorder-
armbewegungen 181.
Bewegungsnachbild und
Bewegungskontrast 180.
Bewegungstherapie 822.
Bewußtsein 923, 928.
— Anomalien des und ihre
forensische Bedeutungl LOl.
Bewußtseinsstörungen
und Kollaps 979.
Bewußtseinsiust and Hy-
sterischer 668.
Bierdelirium 1063.
Bifurkation des Nerven-
fortsatzes der Spinalgang-
lienzelle 59.
Binaurales Hören, Theo-
rie des 174.
Biotoxin 110.
Blaulichtbehandlung
des Tetanus 831.
Bleihaltige Abziehbil-
der 477.
Bleivergiftung, Verhalten
der roten Blutkörperchen
bei 475.
— Arteriosklerose als Folge
der 475.
— Augcnmuskellähmung in-
folge chronischer 555.
Blickbewegungen, Ein-
fluß der auf die ergo-
graphische Arbeit 81.
Blicklähmung 342.
Blickrichtung, Einfluß der
auf die Gestalt des Him-
melsgewölbes 178.
Blindheit s. Amaurose.
Blitz, Verletzungen durch
762.
Blut. Untersuchungen des
bei Akromegalie 737, 738.
— Verhalten des bei Dementia
praecox 1088.
— Veränderungen des bei
Meningitis 500.
— Giftigkeit des bei wut-
kranken Tieren 111.
— Therapie der Anomalien
des 906.
Blutdruck bei Nerven- und
Geisteskrankheiten 335.
— bei Epileptikern 698.
— und Hysterie 671.
— Einfluß des auf die Größe
der Pupille 177.
Blutdruckregulation bei
Rana esculenta 170.
Blutdrucksymptom der
zerebralen Arteriosklerose
505.
Blutdrüsen, Funktions-
steigerung der bei Akro-
megalie 738.
Blut drüsen er krankun-
gen, Beziehungen der zur
Sklerodermie 746.
Bluterbrechen, hysteri-
sches 663.
Blutkörperchen, rote, Ver-
halten der bei Bleivergif-
tung 475.
Blutkreislauf, entoptisohe
Wahrnehmung des eigenen
997.
Blutleere im Gehirn, Wir-
kung der auf die durch den
faradischen Strom hervor-
gerufenen epileptiformen
Krämpfe 130.
Blutserum, vasokonstrik-
torische Wirkung des 104.
— bei Eklampsie 686.
— toxische Stoffe im bei
Epileptikern 105.
— Antitoxine im bei Epi-
leptikern 693.
Blutungen bei Eklampsie
686.
Bornyval 775, 776.
— gegen Herzklopfen 907.
Botulismus 479.
— Antitoxinbildung bei ak-
tiver Lnmunisierung gegen
108.
Bouillon, Einfluß der auf
die Arbeitsleistung 108.
Brachialgie 752.
Brachycephalie, Ent-
stehung der durch will-
kürliche Beeinflussung des
kindlichen Schädels 26«.
Bradykardie 336.
~ bei Muskelatrophie 618.
Brandstiftung eines Idio-
ten 1173.
— aus Heimweh 1137.
Brenzkatechin, Wirkung
des auf die Zirkulation 105.
Brieftauben, Orientieruug
der 96.
Brom. Wirkung des bei ge-
steigerter Erregbarkeit der
vasomotorischen Zentren
908.
— Mißbrauch des in der Epi-
lepsiebehandluDg 892.
Bromeigon bei Epilepsie
891.
Bromipin 775.
— bei durch Bromsalz er-
zeugten Hautaffektionen
der Epileptiker 891.
Bromlecithin 778.
Bromocol 775.
Bromopanbei Epilepsie 894.
BromvergiftuDg 484.
Bronchitis, metastatiscbe
Gehimabszesse bei diffuser
eitriger 543.
Brown -Sequardsche
Epilepsie 698.
Brown-S^quardsche
Lähmung nach Trauma
577, 581.
Brücke. Erkrankungen der
659.
Bvustmaskeldefekt, an-
geborener 618, 6SI1.
Bulbärparalyse, ssthe-
niache 564 ff.
— chronische 563.
Bulbärsymptome 306.
Bulbus, anatomische Be-
ziehungen zwischen Klein-
hirn und 61.
Bulbus arteriosus, Gsog-
lienzellea des beim Sala-
mander 168.
Baibus venae jugularis,
anormales topographisches
Verhalten der sur Pauken-
höhle 264.
Bulbusatrophie, Folgen
der für die zentrale Sek-
bahn 49.
Caloarinagebiet, sekui-
däre Degeneration nach Er-
weichung im 828.
Sachregister.
1233
Calvin, die vermeintliche
Päderastie des 1153.
Canales semieirculares,
Physiologie der 137, 174.
Caries des Rückenmarks
567, 573.
— der Wirbelsäule und Sy-
ringomyelie 592.
Carnivoren, Zellenban des
Großhirn« bei den 46.
Carotis interna, anormales
topographisches Verhalten
der zur Paukenhöhle 264.
Caudaequina, Erkrankun-
gen der 674, 582 ff.
Cepbalaea 749.
Cerebron 113.
Cheyne-Stokessches At-
mnngsphänomen 347.
Chinin, Einfluß desanfdas
Tonuslabyrinth 107.
Chinin- Amblyopie, Eiur
Wirkung des Koffeins auf
das Gesichtsfeld bei 368.
Chirurgische Behand-
lung der Kervenkrank-
heitcn 840.
Chloral, Wirkung des auf
das Herz und das Gefäß-
system 160, 481.
Chloralose 769.
Chlorarme Nahrung,
Stoffwechselversuch mit
104. 111.
Cholämie und Melancholie
1036.
Chole Stearinkonkre-
mente im Gehirn 227.
CholesteatomedesGehirna
226,
— des 3Iittelohrs als Ursache
intrakranieller Erkrankun-
gen 545.
— des Schädels 264.
— der Basis cranii 524.
— der hinteren Schädelgrube
530.
Cholin, Nachweis des in
physiologischen Flüssig-
keiten 112.
— Nachweis des in der Ce-
rebrospinalflüssigkeit mit
dem Polarisations-Mikro-
skop 106.
— Wirkung des auf die Tiere
475.
Chorea 700, 703ff.
— Huntingtonsche 707, 708.
— gravidarum 706, 709.
— Aphasie im Verlauf der
360.
— Sprachstörungen bei 369.
— Differentialdiagnose der
choreatischen Geistesstö-
rung 1048.
Chorea und progressive Pa-
ralyse 1078.
— in forensischer Beziehung
1170.
— Behandlung der 890.
— Heilung der nach Ent-
fernung der adenoiden Ve-
getationen 877.
Chorioidea, kongenitales
Fehlen der 383.
Chorioiditis exsudativa,
Erblindung durch bei Ge-
nickstarre 460.
Chorioiditis gummosa
389.
Christus vom Standpunkte
des Psychiaters 987.
Claudication intermit-
tente 313, 314.
Clavin 779.
Colica muco-membrano-
s a , plötzliche Todesfalle
bei 348.
Coma diabeticum, Befund
von Acetessigsäure in der
CerebrospinalHüssigkeit bei
304.
— epileptische Anfälle beim
692.
Conus medullaris, Er-
krankungen des 674, 582,
583.
Corpus restiforme, Nu-
cleus superior des 54.
Corpus trapeaoide, Held-
sche Kelche im 54.
Cortisches Organ, Modell
des 69.
— Schal Idmck im als eigent-
licher Gehörsreiz 174.
Corynebacterium pseu-
dodiphthericum als Er-
reger eines Hirnabszesses
544.
Cystitis, Landrysche Para-
lyse nach chronischer 485.
Cysticerken des Gehirns
und Kückenmarks 124, 525.
— des Kleinhirns 559.
Dämmerzustand im epi-
leptischen Äquivalent 1179.
Dämonopathie, Epidemie
einer 990.
Darmbewegungen, her-
vorgerufen durch den elek-
trischen Strom 817.
— vor und nach der Durch-
schneidung der Mesenterial-
nerven 171.
Dauerbad in der Irren-
anstalt 1211.
Dauernachtwache in
Irrenanstalten 1205.
Jahresbericht f. Neurologie und Psychiatrie 1905.
Davos, Behandlung Ner-
vöser in 808.
Dekubitus bei progressiver
Paralyse 1077.
— am Os sacrum bei einem
nicht bettlägerigen Tabiker
425.
Degeneration llOOff.
— physische und ihr Ver-
hältnis zu den Sprach-
störungen 367.
— psychische 990.
— Psychopathologie der Ent-
arteten 931.
— vom forensisch-psychiatri-
schen Standpunkt 1109,
1170.
— im Rückenmark 236 ff.
— sekundäre nach Verletzung
der ersten Halswurzel 58.
Deitersscher Kern, Er-
scheinungen bei Reizung
des 846.
Delirium acutum 963.
Delirium tremens 1053.
— Eiswasserübergiefiungen
bei 1211.
pelphin, Gehirnrinde des
44.
Dementia 951, 1030.
— bei Huntingtonscher
Chorea 708, 709.
Dementia juvenilis, Ver-
hältnis der Involutions-
psychosen zur 981.
Dementia paralytica s.
Paralyse, progressive.
Dementia praecox 997,
1082 ff.
— Histopathologie der Hirn-
rinde bei 191.
Dementia senilis, Histo-
pathologie der Großhirn-
rinde bei 188.
Dementia tardiva 1088.
Denken, Zentren des im
Gehirn 118.
Depression, eine Form der
in der Dementia praecox
1085.
— und Melancholie 1034.
Depressionszustände des
höheren Lebensalters 963.
Dermo graphie, Bedeutung
der für die Diagnose funk-
tioneller Neurosen 336.
Dermographismus bei
einem Ikterischen 355, 746.
Deuteranoptisches Au-
ge, Peripheriewerte des
trichromatischen und d. A.
180.
Deviation, konjugierte der
Augen und des Kopfes
nach Hemiplegie bei einem
Blindgeborenen 333.
78
1234
Sachregister.
Diabetes insipidus und
bitemporale Hemianopsie
386.
Diabetes mellitus nach
Trauma 761.
— Augenmuskellähmung bei
655.
— kombiniert mit Myxödem
736.
— paralyseähnliche Erkran-
kung bei 1078.
— Störung der Vibrations-
empfindung bei 820.
Diagnostik, allgemeine der
Krankheiten des Nerven-
systems 278.
— allgemeine der Geistes-
krankheiten 933.
Diebstahl aus Aberglauben
1139.
Diencephalon, Anatomie
des 49.
Dilatator pupillae, kon-
genitales Fehlen des 881.
Dioninsubstitution 1215.
Diphtherie, Achilles-
sehnenphänomen bei 483.
— Lähmung nach 482, 483.
— Formes Trustes der diphth*.
Paraplegie 474.
Diphtheriebazillus, ätio-
logische Bedeutung des für
die Geisteskrankheiten 957.
Diphtherieheilserum,
Behandlung der epidemi-
schen Genickstarre mit 838.
Diplegie, choreatische 706.
— spastische nach Keuch-
husten 482.
Dissimulation von Geistes-
krankheiten 1174.
Dolichocephalie 262.
— Entstehung der durch
willkürliche Beeinflussung
des kindlichen Schädels
266.
Dormiol 770, 772.
— Wirkung des auf das Herz
und das Gefäßsystem 481.
Doronmanie 980.
Druckempfindung, Stö-
rung der 319.
Drucklähmungen 640.
Druckphosphen 887.
Druckpunkte 74.
DuodenalstenosebeiPott-
scher Krankheit 587.
Dupuytrensche Kon-
traktur 721, 722,
— bei Pellagra 482.
Dura niater, Hämatom der
537.
— Psammom der unter dem
Bilde der zerebralen Kin-
derlähmung 550.
Duralinfusion, Behand-
lung des Tetanus mit 877.
Dysarthrische Sprach-
störung 359.
Dysbasia angiosclero-
tica intermittens 313,
314.
Dysenterie toxin,Wirkung
des auf das Nervensystem
107."
Dysenterische Leber- u.
Gehirnabszesse, Anae-
robieu im Eiter von 543.
Dysostose cleidocra-
nienne hereditaire 264.
Dyspepsie als Gehirn krank-
heit 348.
— und Neurasthenie 670.
Dystrophia musculorum
progressiva 610, 615.
— bei spinocerebellarer He-
redoataxie 301.
— Behandlung der mit ak-
tiven Bewegungen 820.
£.
Echinokokkus, extra- und
intrakraniell gelegener 526.
Effektgröße als Funktion
der Keizgröfie 165.
Ehescheidung, Alkoholis-
mus und 1174.
Eifersucht im Zuhälterei-
prozeß 1181.
Eiuzelhaft und Geistes-
störung 998.
Eisen, therapeutische An-
wendung des 778.
Eklampsie 672, 688ff.
— Eklamptische Psychose
969.
^ Behandlung der 876, 896.
— Behandlung der mit Para-
thyreoidin 882, 836.
— Behandlun^der mit Schild-
drüsenextrakt 835.
Ektopische Schwanger-
schaft, kompliziert mit
Geistesstörung 972.
Elektrische Bäder 787ff.
Elektrisches Organ von
Torpedo 172.
Elektrische Reaktion,
Veränderungen der bei
Myelitis transversa 571.
Elek tri 8 eher Starkstrom,
pathologische Veränderun-
gen durch Einwirkung des
195.
Elektrische Strome, Ver-
letzungen durch 761, 762.
Elektrodiagnostik 800.
E 1 e k t r o 1 y s e , Metallimpräg-
nation desGewebes mittels7.
Elektromagnetische
Therapie 815.
Elektromotorische Kräf-
te, sind die Ganglienzellen
des Zentrahier^'ensystema
Sitz von? 76.
Elektropathologie 166.
Elektrotherapie 809.
Elektrotonische Ströme,
Bedingungen der Entste-
hung der 166.
Elektrotonus, Definition
des physiologischen und
physikalischen 166.
Elephantiasis teleangi-
e k t o d e 8 der rechten untern
Extremität und Skrotal-
hälfte mit hemiatrophischer
Hypoplasie der rechten Ge-
sichtshälfte 749.
Elternliebe 1103.
Embolie 531.
Encephalitis 502, 508ff.
— Verhalten der Ganglien-
zellen bei 189.
Encephalitis syphilitica,
disseminierte 434.
Encephalocele mit einer
dritten Augenspalte in der
Kopfhaut 268.
Encephalocele occipita-
lis mit anatomischer Unter-
suchung des Sehnerven 387.
Encephalomalacie, Ver-
änderungen der Neuroglia
bei 202.
Encephalomeningocele
227.
Endapparat e,KegeneratioD
der motorischen 202.
Endfüße, Nerven- 39.
Endnetz, allgemeines sen-
sibler Xeuroblasten bei
Amphibienlarvcn 35.
Endokarditis, hervorgeru-
fen durch den 31icrococcas
meningitidis cerebrospinalis
453.
Endplatten, motorische bei
den Reptilien 67.
Entartungsreaktion bei
ermüdeten Nervenrouskel-
präparaten 165.
Entbindung, Bestimmung
des Zeitpunkt« der durch
hypnotische Suggestion 905.
Enteritis membranacea
348.
Entfernungs unterschie-
d e «Wahrnehmung und Vor-
stellung von 178.
Entwicklung des Nerven-
systems 28 ff.
Entwicklungs Störungen
im Gehirn 212 ff.
Sachregister.
1236
Enuresis nocturna 849,
350.
— Behandlung der 906.
— Behandlung der funktio-
nellen 823.
Ependymgewebe, Sklerose
des 229.
Epiconus meduUaris, Er-
krankungen des 674, 582.
— traumatische Erkrankung
des 757.
Epidemien, psychische 981 .
Epidurale Injektionen
869 ff.
Epilepsie 672, 688 ff., 1007.
— Verhalten der Neurofibril-
len bei 190.
— die im Blutserum der Epi-
leptiker enthaltenen toxi-
schen Stoffe 105.
— Fehldiagnosen in operativ
behandelten Fällen von 519.
— nach Trauma der linken
Stirnwindung 756.
— Auffassung und Bedeutung
aphasischer Störungen bei
859.
— epil. Bewußtseinsverände-
rungen von ungewöhnlicher
Dauer und forensischen Fol-
gen 1175.
— Dämmerzustand im epil.
Aequivalent 1179.
— epileptiforme Anfälle im
Verlaufe der Dementia
praecox 1088.
— Imbezillität mit 1020.
— epileptisches Irresein 1048.
— Spät- Epilepsie im Verlauf
chronischer Psychosen 993.
— Kriminalität bei 1133.
— Behandlung der 890 ff.
— erste Hilfe beim epilep-
tischen Anfall 900.
— chirurgische Behandlung
der Jacksonschen 695, 865.
— operative Beeinflußbarkeit
des Gehirns bei 875.
— Durchschneidung des Sym-
pathikus bei 171.
Epiphysis bei Kretinismus
1032.
Epistropheus, Abbrechen
des Zahnfortsatzes des bei
Atlasluxation 270.
Epithelrosetten in der
Pathogenese des Glioms
216.
Erblichkeit» das Problem
der mit besonderer Berück-
sichtigung des präembryo-
nalen Lebens 74.
— Bedeutung der bei Geistes-
krankheiten 1013.
■ — erbliche Belastung bei
Geisteskranken 971.
Erbsche Lähmung 648.
Ergophobie 1006.
Ergograpbische Arbeit,
Einfluß verschiedener Mo-
mente auf die 80, 81, 82,
83.
Erhängte, Himveränderun-
gen bei 236.
— Geisteszustand bei wieder-
belebten 950.
Erhängungs versuch, psy-
chogene Krampfanfälle
nach 696.
Erhaltung der Kraft 90.
Erinnerungsbilder, vi-
suelle und akustische 924.
Erinnerungstäuschung,
identifizierende 1016.
— solitäre in forensischer
Beziehung 1177.
Erkenntnis und Irrtum 922.
Ermüdung des Muskels
157 ff.
— Einfluß der auf die ergo-
grapbische Arbeit 80.
— und Schmerz 79.
Ermüdungsmessungen
bei Schülern 932.
— bei Schwachbegabten
Schulkindern 1021.
Ermüdungsphänomene
821.
Ermüdungstoxin und
dessen Antitoxin 115.
Ernährung der Nerven 168.
Em st- Ludwig-Heilan-
stalt in Darmstadt 806.
Erotischer Symbolismus
1142.
Erotomanie 1146.
Erregbarkeit 172.
Erregbarkeitsschwan-
kungen der motorischen
Gehirnzentren 134.
Erregungen 1009.
— der Muskeln 157.
— des Nerven 163 ff.
Erregungsvorgang im
Sehorgan 179.
Erschöpfung und Erholung
des zentralen Nerven-
systems 131.
Erschöpfungsneurosen,
Erzielung psychischer Bu-
hezustände bei 903.
Erweichungen im Gehirn
228.
Erysipel, Psychosen nach
1060.
Erythromelalgie722,745.
Erziehung und Hygiene des
Nervensystems 904.
Eumydrin 779.
Examensnervosität 800.
Exhibitionismus 1146,
1157.
Exophthalmus, pulsieren-
der 879, 382, 386.
— hochgradiger bei Schläfen-
deformität 389.
— Heilung des nach Ent-
fernung der adenoiden Ve-
getationen 877.
Exostosen, multiple 274,
275.
Extremität, Lokalisation
im Kückenmark für moto-
rische Nerven der vorderen
und hinteren 136, 140.
— kongenitale Kontrakturen
der oberen 874.
— Lähmungen der Nerven
der oberen 640.
— Lähmungen der Nerven
der unteren 644, 645.
Extremitätenlähmung,
periodische 809, 311, 620.
Facialis siehe Nervus fa-
cialis.
Faisceau en crochet 51.
Faisceau residuaire de
la bandelette optique
49.
Familienmord 1111.
Familienpflege Geistes-
kranker 1214.
Faradisationsgefühl,
Einfluß der Vibration auf
das 808, 824.
Farbenblindheit des Netz-
hautzentrums im einen und
Violettblindheit im anderen
Auge 386.
Farbe nempfindung,
Theorie der 180.
— Stäbchen und Zapfen der
Netzhaut als Vermittler der
178.
Farbensehen 984, 985.
Farbensinnstörung im er-
haltenen Gesichtsfeld bei
Hemianopsie 377.
— im Netzhautzentrum bei
retrobulbärer Neuritis 384.
Farbenverlust der Haut,
erworbener symmetrischer
746.
Färbetechnik 1.
Farbige Flecke im Ge-
sichtsfelde, das subjektive
Sehen der 882.
Fasciculus geniculo-
calcarineus 45.
Fasciculus longitudi-
nalis inferior 46.
Faserbündel, zentrales op-
tisches 45.
Felsenbeinfrakturen 862.
— indirekte 759.
78*
1236
Sachregister.
Feminismus mäunlicher li-
pomatöser Individuen 1147.
Fe ttgewebs Wucherung,
diffuse symmetrische 354.
Fettsucht, toxische 475.
Fibrae arciformes me-
dullae spinalis 58.
Fibrilläre Elemente,
Differentialdiagnose ner-
vöser und nicht nervöser
66.
Fibrillenfärbung 186.
Fieberhafte Krankhei-
ten, Besserung geistiger
Störungen im Verlauf von
1013.
Filix-mas- Amaurosen,
dauernde bei der Wurmkur
484.
Fi nger, Reaktionszeit anden
bei einem Klavierlehrer 80.
— elektromotorische Wir-
kungen der 97.
— Fähigkeit der, Reibungs-
elektrizität hervorzurufen
76.
Fingerabdrücke bei Psy-
chopathen 1109.
Fingerbewegungen, un-
willkürliche bei Tabikern
422.
Fingernägel, Veränderun-
gen an den bei Polyneur
ritis acuta 648.
Flagellanten, Umzüge der
1106.
Fleischmilchsäure in der
ZerebralflüssigkeitEklamp-
tischer 687.
Flimmerskotom 387.
Fötalismus 1031.
Foramenoccipitalemag-
num. Varianten am Os
occipitale in der Umgebung
des 260.
Formensinn, Physiologie
des 180.
Franklinsehe Elektro-
therapie 818.
Frauenbewegung, Inter-
esse der an der Lösung
des homosexuellen Pro-
blems 1152.
Freiheitsstrafen, Reform
der 1118, 1121.
Freiturnapparat 823.
Friedreichsche Ataxie
426.
Frosch, Gehörsinn des 176.
Frühreife in ihren Be-
ziehungen zur Kriminalität,
Religiosität und Nervosität
932.
Fürsorgeerziehung 1213.
Kiinikuläre Mvelitis 598.
Funktionelle Psychosen
1033.
— Todesfälle bei 999.
Fuß, Beziehungen der Mus-
kelsehnen zu den Bändern
am 162:
Fußklonus, Verhalten des
in der Narkose 32)7.
FuBsohlenreflex 329.
Gähnen 79.
Gallenblase, Innervatioii
Äer 171.
Galvanischer Schwindel
369.
Ganglienzelle s. Nerven-
zelle.
Ganglion cervicale su-
p r e m u m . Exzision des bei
Glaukom 873.
Ganglion ciliare, Bezie-
hungen des Trigeminns zum
177.
Ganglion sympathicum
cervicale supremum,
Veränderungen nach £x-
stirpation des 197.
Gangrän, hysterisehe 662.
>- nach Eklampsie 686.
— Nervenresektion bei 873.
— symmetrische 744 siehe
Raynaudsche Krank-
heit.
Gattenliebe 1103.
Gaumen, sekretorische Vor-
gänge am weichen 131.
Gaumenlähmuug 638
Gebärmutter, latente In-
fektionen von Seiten der
nach Entbindungen und
ihre Bedeutung für die
Entstehung von Geistes-
krankheiten 1060.
Gebärmutterkrebs, Hirn-
metastasen bei 530.
Geburt, Facialis- und Hypo-
glossusparese nach 8pon-
tan-G. 632.
Geburtslähmnngen 640,
644.
Gedächtnis 925, 926.
Gedächtnisbilder und
Sinnesempündungen 182.
Gedächtnistäuschung
1130.
Gefäße, pathologische Ana-
tomie der 203, 204.
— Teilnahme der kleinsten
an der Reaktion nach ther-
mischen Einflüssen 783.
— experimentelle Beeinflus-
sung des Kontraktionszu-
standes der des Schädel-
innern 134.
Gefäßerkrankungen, Be-
ziehungen der zur Sldero-
derraie 746.
Gefäßinnervation der
Hundepfote 25.
Gefäßkrisen 340, 341.
Gefäßzentrum, Interferenz-
versuche am 167.
Gefangene, OeistesstoniD-
gen bei 954.
Gefühl 927.
Gehen, Beteiligung der
Kückenmuskeln beim 162.
Gehirn, spezielle Physiolo-
gie des 118w
— vasomotorische Innervation
des durch den Sympathikus
170, 171.
— Kalkgehalt des beim Säug-
ling 25.
— Gewieht und Maßveiiiäli-
nisse des 24.
— Verhältnis der Breite der
Aloleknlarschicht des zu
den übrigen Teilen bei ve^
schiedenen Tierklassen 24.
— Spezielle pathologische
Anatomie des 204, 212ff.
— Mißbildungen und Ent-
wieklungsstörungen im 212.
— und Sprache 359.
— Heilungsvorgänge bei Er-
weichungen, Lichtangsbe-
zirken und Cysten des 194.
Gehirnabszeß 540ff.
— Entwicklung der Abssefi-
membran bei 228.
— otogener mit Aphasie 361,
364.
— mit Seelenblindheit und
Alexie 365.
— Chirurgische Behandlung
des 865.
Gehirnanämie, epileptifor-
me Anfölle nach experi-
menteller 700.
Gehirnatrophie, halbseiti-
ge bei einem Idioten mit
zerebraler Kinderlähmung
1024.
— Aphasie, Asymbohe und
Katatonie bei 365.
Gehirnblutungen 536ff.
— nach Adrenalininjektionen
235.
— Neugeborener, chirurgi-
sche Behandlung der 863.
Gehirncysten, pathologi-
sche Anatomie der 223 ff.
Gehirndruck, EnUtehung
des bei Himgeschwülsten
und andern Himkrank- ,
heiten 302.
Gehirn er schütterang757.
— Geistesstörung imAnschluß
an 969.
Sachregister.
1237
Gehirngefäfie. Volumen
der 124.
— firkranktingen der 502.
GehirDgeschwülste 511.
— pathologische Anatomie
der 223 fif.
— Pathologie des Achsen-
zylinders in 201.
— oder Dementia praecox
1066.
— Differentialdiagnose zwi-
sehen chronischem Hydro-
cephalus und 906.
— Dauerheilung einer Psy-
chose nach fixstirpation
eines Tumors im rechten
Stirnhirn 1210.
Gehirngewicht, Beziehun-
gen zwischen Körperlänge
und 256.
— Verhältnis des zum Kör-
pergewicht bei Vögeln 90.
— und Geisteskrankheit 992.
Gehirnhäute, Lymphbah-
nen der 26.
Gehirn hau tblutungen
536.
Gehirnkranke, Hilfsmittel
bei der Untersuchung tou
983.
Gehirnkrankheiten, orga-
nische und Alkoholdelirien
1053.
— Herderkrankungen und
Psychose 976.
— Therapie der 877.
— Chirurgische Behandlung
der 865.
Gehirnkreislauf, Mecha-
nik des 124.
Gehirnkompression nach
Schläfenbeinfraktur, ge-
heilter Fall von 861.
Gehirunarben, Pathologie
des Achsonzylinders in 201.
Gehirnnerven, Lähmungen
der 632 ff.
Gehirnpunktion 665.
Gehirnreplantation 194.
Gehirnrinde und psychische
Funktion 1005.
— Histologische Veränderun-
gen der bei Epilepsie 697.
— Einfluß der auf die Ge-
schlechtsorgane, die Pro-
stata und die Milchdrüse
120.
— Einfluß der auf die Tränen-,
Schweiß- und Hamabson-
dernng 121.
Gehirnschwellung bei
Himgeschwülsten und an-
deren Hirnkrankheiten 302.
Gehirnsinus, pulsierende
Varizen an der Stirn bei
abnormem 306.
Gehirnsklerose, atrophi-
sche 233.
Gehirnstrang entartung,
verschiedene Formen der
238.
Gehirnsubstanz, Infusio-
nen mit 839.
Gehirnsyphilis, Differen-
tialdiagnose zwischen De-
mentia paralytica und 1075.
1076.
— beh«ndelt mit Hermo-
phenyl 901.
— operative Behandlung der
866.
Gehirnverletzung, Be-
handlung der 8ö0.
Gehirnwindungen, Varie-
täten der 44.
Gehörgang, pathologische
Anatomie des 246.
Gehörorgan von Tieren mit
kongenital defektem Seh-
apparat 69.
— albinotischer Tiere 277.
Gehörsinn, Physiologie des
173 ff.
— Versuch zur Verständigung
bei Fehlen des Gesichts-
sinnes und des 346.
Geh ör BS törun gen, funktio-
nelle 344.
Gehstörungen, Bau und
Einrichtung von Käumen
zur Behandlung der 603.
Geisteskrankheiten, all-
gemeine Aetiologie, Symp-
tomatologie und Diagnose
der 933.
— und Neurosen 1046.
— funktionelle 1035.
— organische 1063.
— im Heere und in der Marine
949, 992. 905, 997, 1006,
1012, 1165.
— Veränderungen der Neuro-
glia unter meningealen Ver-
dickungen bei 203.
— Zusammenhang der Apha-
sie mit 368.
— und Tabes 416.
— Therapie der 1182.
— chirurgische Behandlung
von 875.
Geisteskranke, Beaufsich-
tigung der außerhalb, der
Anstalten 1168.
Geisteskranke Verbre-
cher 1122, 1133ff., 1171.
Geistige Arbeit 929.
— Beziehungen zwischen
Muskelarbeit und 98.
— Wirkung farbiger Beleuch-
tung auf die 97.
Geistige Arbeitskraft 93.
Geistige Fähigkeiten,
Entwicklung der beim
Kinde 99.
Geistig Minderwertige
1133 ff.
Geistige Vorgänge, Be-
ziehungen zwischen materi-
ellen und 78.
Gelenksehwellungen,
symmetrische nervöse 747.
Geienksensibilität, Be-
stimmung der 318.
— bei Tabes 421.
Gemeingefährlichkeit
Geisteskranker 1167, 1168.
Genialität und Geistes-
krankheit 1006, 1107.
Geometrisch- optische
Täuschungen 181.
GerichtlichePsychiatrie
1168.
Gerichtssaalberichte,
Wirkung von 1136.
Gerontophilie 1143.
Geruchssinn, Physiologie
des 182.
Geschenkemachen, krank*
hafter Trieb zum 980.
Geschlechter, verglei-
chende Psvchologie der
1102.
Geschlechtliche Erre-
gung bei Angstzuständen
956.
Geschlechtliche Exzesse
während der Schwanger-
schaft, Einfluß der auf die
Nachkommenschaft 80.
Geschlechtliche Perver-
sitäten 1140ff.
Geschlechtsakt und moto*
rische Impulse 931.
Geschlechtsleben undAl-
kohol 1126, 1127.
Geschlechtsorgane, Ein-
fluß der Gehirnrinde auf
die 120.
— Svmptonie von selten der
350 ff.
— weibliche, Innervation der
62.
— weibliche, Nervenendigun-
gen in den äußeren 66.
Geschlechtstrieb, Ana-
lyse des 1141.
Geschniacksfasern im Ge-
hirn der Fische 55.
Geschmacksknospen des
Larynx 66.
Geschmackssinn, Physio-
logie des 172.
— Prüfung des 324.
Geschwisterliebe 1103.
Geschworene 1140.
Geschwülste der peripheri-
schen Nerven 244, 246.
1238
Sachregister.
Gesichtsausdruck bei Te-
tanie 711.
Gesichtsempfindungen,
Dauer der 180.
Gesichtserscheinung,
subjektive 178.
Gesichtsmaske, totale Ab-
reißung der 864.
Gesichtssinn, Physiologie
des 177 ff.
— Versuch zur Verständigung
bei Fehlen des Gehörsinns
und des 846.
Gesichtsskelett, Bau des
in seiner Beziehung zur
Prognathie 258.
Gifte, Wirkung von auf die
ergographische Arbeit 84.
Gigantismus 722, 738.
— Blutuntersuchungen bei
738.
Glauben, Aufsätze über
Sachen des 922.
Glaukom, Exzision des
Ganglion cervicale supre-
mum bei 873.
Gliom der linken Großhirn-
hälfte 529.
— der Nase 245.
— der Nebennieren 245.
Glioma retinae, £pithel-
rosetten in der Pathogenese
der 216.
— Beziehungen der Netz-
hautblutungen zum 390.
Globusgefühl und Aura
319.
Glottiserweiterer, Läh-
mung der im frühesten
Kindesalter 638.
Glühlichtbäder 794.
Glykose, Fehlen der in
der Zerebrospiualflüssigkeit
107.
Glykosurie, Kombination
der Tabes mit 417.
Goethes Äußerung über
griechische Liebe 1154.
Gonorrhoe, Chorea bei 706.
— Myelitis gon. 573.
— isolierte Lähmung des N.
musculo-cutaueus nach 643.
Grenzland 922.
Grenzstrang, sympathi-
scher 64.
Griechische Philoso-
phie, psychologische Un-
tersuchungen über die 924.
Großhirn, gleichzeitige
elektrische Reizung zweier
Stellen des am ungehemm-
ten Hunde 119.
Großhirnrinde, Unter-
suchungsmethoden der
1221.
— Histopathologie der 188.
Grumus merdae der Ein-
brecher 1139.
Gustometer 324.
Hämatemesis bei organi-
schen Nervenkrankheiten
424.
Hämatomyelie 574, 579,
580.
Hämatorrhachis 574.
Hämorrhagie 531.
Haftenbleiben undStereo-
typie 970.
Halluzinationen 948, 951,
974, 997.
Halsanschwellung, mo-
torische Zellengruppen der
56.
Halsmuskeln, funktionelle
Kontraktur der 721.
Halsmuskelkrämpfe, Be-
handlung der 875.
Halsrippe 276.
— Skoliose bei 273.
Halssympathikus, Läh-
mungen im Bereiche des
639, 640.
Hals wir belsäulederWale,
Form und Funktion der
269.
Halswurzel, sekundäre De-
generationen nach Ver-
letzung der ersten 68.
Handeln, die linke Hemi-
sphäre und das 126.
— Störungen des bei Geistes-
kranken 981.
Handflächenreflex 326,
Hari 780.
Harnabsonderung, Ein-
fluß der Gehirnrinde auf
die 121.
— bei der Genickstarre 452.
Harnblase, Verhalten der
bei traumatischer Hemi-
plegie 332.
— Fremdkörper in der bei
einer geisteskranken Epi-
leptischen infolge von Ma-
sturbation 1008.
Harnorgane, Symptome
von selten der 349, 350.
Haut, der fibrilläre Bau der
Nervenendapparate in der
67.
— des Menschen und Elek-
trizität 95.
— Symptome von selten der
353, 354.
— erworbener symmetrischer
Farbenverlust der 746.
— trophische Störungen der
bei Hysterie 661, 662.
Haut, Veränderungen der
über einer Meningocele 269.
— diffuse idiopathische Atro-
phie der bei Sklerodermie
745.
Hautgangrän, akute mul-
tiple 747,
Hautkrankheit, Kombina-
tion von Psychose und 999.
Hautnerven, Funktionen
der 163.
— der Fische, Reizung der
durch Licht 181.
Hautreflexe, diagnostische
Bedeutung der 329.
— Steigerung der auf der
paretischen Seite bei orga-
nischen Hemiparesen 330.
Hantrumpfmuskel der
Sängetiere 162.
Headsche Lehre von den
Sensibilitätsstorungen, Be-
deutung der für die Zahn-
heilkunde 324.
Hedonal, Wirkung des auf
das Herz und das Gefäß-
system 481.
Heilgymnastik 818.
Heißluftapparate 793,
794.
Heißluftbäder 794, 795.
Heimweh, Brandstiftung
aus 1137.
Heiraten von früher Gei-
steskranken 1212.
Heldsche Kelche im Cor-
pus trapezoide 54.
Hemianästhesie nach
Hysterie 664.
Hemianopsie 383.
— biteraporale 385, 388, 389.
— bitcmporale bei Akrome-
galie 737.
— bi temporale und Diabetes
insipidus 386.
— kortikale nach Trauma
756.
— mit Farbsinnstörung im er-
haltenen Gesichtsfeld 377.
— Helligkeitswahniehmungen
auf der blinden Seite bei
379.
— Gang der Kückbildung
hemianopischer Störungen
nach paralytischen Anffil-
len 385.
Hemiataxie bei traumati-
scher Hemiplegie 332.
Hemiatrophia cerebelli
mit Meningoencephalitis
diffusa bei einem Hunde
229.
Hemiatrophia iaciei 747.
Hemikraniosis 261.
Hemiplegie 330ff.
— diphtherische 483.
Sachregister.
1239
Hemiplegie, spastische in-
fantile 548.
— Veränderungen der Neu-
rofibrillen der Pyramiden-
sellen bei 189, 191.
— Mikrographie nach 366.
— balneologische Behand-
lung alter 792.
Hemiplegis che Kontrak-
tur 722.
— elektrische Behandlung
der 816.
Hemispasmus facialis
721.
Hemisphäre, die linke und
das Handeln 126.
Herdsymptome bei den zur
Verblödung führenden Psy-
chosen 1004.
Hereditäts. Erblichkeit.
Heredoataxie, spinocere-
bellare mit Dystrophia
musculorum 801.
Hermap hroditismusll48.
Herrn opheuyl , Behandlung
der Gehirnsyphilis mit 901.
Heroin 774.
Heroinomanie 774.
Herpes zoster 353.
— im Wochenbett bei einer
Eklamptischen 686.
— als Komplikation von
Ischias 752.
— bei Tabes 423.
— Hörstörungen im Verlaufe
des 345.
Herz, Tätigkeit, Lage und
Bewegung des 169.
— Veränderungen der Gang-
lienzellen des bei experi-
mentellem Ikterus 190.
Herzdilatation, akute 336.
Herzklopfen, Behandlung
des mit Bornyval 907.
Herzlähmung als Unfall-
folge 757.
Herzleiden, nervöse 338.
339.
— nervöse in ihren Bezie-
hungen zur Militärtauglich-
keit 336.
— Zusammenhang der Base-
dowschen Krankheit mit
731.
— bei Friedreichscher Ataxie
429.
— Geistesstörungen bei 977.
— hydroelektrische Behand-
lung der funktionellen 789.
Herzneurosen, Behand-
lung der 907.
flerzruptur bei einer
Geisteskranken 995.
Herztätigkeit, Beeinflus-
sung der 168, 169.
Herztherapie, Geschichte
der 808.
Herztonus 159.
Heufieber, Ser umtherapie
des 838.
Hexenprozeß 1106.
Hilfsschule für schwach-
befähigte Kinder 1215,
1216.
Himmelsgewölbe, Ein-
fluß der Blickrichtung auf
die Gestalt des 178.
Hinken, intermittierendes
313, 314,
Hinterhauptslappen, Tu-
mor des 525.
Hinterhirn, Entwicklung
des beim Schwein 28.
Hinterstrangserkran-
k u n g e n , topographische
Analyse der 584.
Histologie, allgemeine des
Nervensystems 34 ff.
Hippus, einseitiger bei pro-
gressiver Paralyse 1077.
Hirn .... s. Gehirn ....
Hochfrequenzströme,
Heilwirkung der 814, 815,
816.
Hochgebirge, Behandlung
Nervöser im 808.
Hoden, Atrophie der zu-
gleich mit Schilddrnsen-
hvpertrophie bei einem
Paralytiker 1080.
Hodensaft, Wachstums-
hemmung nach Einsprit-
zung von 107.
Hodenschmerz, hysteri-
scher 663.
Hoffmann, E. T. A., zur
Würdigung H.s 977.
Höhenklima, Wirkung des
801.
H ö h 1 e n b i 1 d u n g im Gehirn,
ausgedehnte postmortale
227.
— im Kückenmark 240.
— im Rückenmark bei Tabes
417.
Höhlen grau, das zentrale
bei vollständiger Atrophie
des Sehnerven 49.
Homosexualität 1143ff.
Horizontale Ruhelage,
Behandlung mit 808.
Hören, Theorie des binau-
ralen 174.
Hörnerven, pathologische
Anatomie des 246.
Hörstörung, doppelseitige
zerebrale mit Aphasie 362.
Hörstummheit, geheilter
Fall von 367.
Hüftlähmung, hysterische
mit Skoliose 662.
Hunger 91, 92, 93.
Hydatidencysten am
Schädel 277.
Hydrancephales Zwil-
lingspaar 229.
Hydrocephalus 502, 506,
507.
— Differentialdiagnose zwi-
schen chronischem und
Tumor cerebri 306.
Hydromeningocele sa-
cralis 267.
Hydromyelie, symptom-
iose 240.
— bei Tabes 417.
Hydrotherapie 780,783 ff.
— bei Psychosen 1207.
Hyoscin bei Geisteskrank-
heiten 1207, 1210.
Hyperacidität des Magens,
Behandlung der 806.
Hyperemesis gravida-
rum 688.
Hyperidrosis, Behandlung
der mit Lenicet 908.
Hypermnesie für Kalender-
daten bei einem Imbezillen
1021.
Hypersialosis psychica
841.
Hypertrophie, kompensa-
torische bei zerebraler Kin-
derlähmung 549.
Hypnose, posthypnotische
Aufträge in ihrer psychia-
trischen und forensischen
Bedeutung 1180.
Bypochondrie 652, 671,
1011.
Hypophysis siehe Zirbel-
drüse.
Hypothermie bei progres-
siver Paralyse 1077.
Hysterie 652, 659ff.
— " nach Trauma 759, 760.
— traumatische unter dem
Bilde der Ophthalmoplegia
externa 758.
— hysterisches Irresein 1 047
— Prophylaxe der 902 ff.
— elektrische Behandlung der
814, 816.
Hysterische Sprachstö-
rungen 367. 368.
Hystero-Epilepsie 660.
Jactatio capitis noctur-
na 312.
Jahreszeit, Einfluß der auf
die Wärmeproduktion des
Muskels 159.
Janets Werk: les obsessions
et la psychasthenie 962.
Ich-Kontroverse 930.
1240
Sachregister.
Ideenflucht 1010.
Idiomuskuläre Überer-
regbarkeit ao7.
Idiotenfürsorge 1215.
Idiotie 1016, 1024 ff.
— familiäre amaurotische
1026 ff.
— Histopathologie der Gbroß-
hirnrinde bei 168.
— in strafrechtlicher Besie-
hung 1170.
Ikterus, Veränderungen der
Gan^eazellen des Herzeni
bei experimentellem 190.
— Verhalten der Zerebro-
■pinalflössigkeit bei experi-
mentellem 108, 111.
— Dermographismus bei 855,
746.
Imbesillität 1016, 1020ff.
— in strafrechtlicher Bezie-
hung 1170.
— Beziehungen der zur Taub-
stummheit 869.
— bei chirurgischen Leiden
877.
Immobilisierung, Einfluß
vorangehender aufdieei^go-
graphische Arbeit 62.
Immunität bei Tetanus 862.
Impotenz als Folge von
Nervenstörungen beim
3Ianne 852.
— Behandlung der funktio-
nellen mit Muiracithin 906.
Imprägnations verfahren
Anwendung neuer 3.
I n a n i t i o n , Veränderungen
des Xeurofibrillennetzes der
Ganglienzellen bei 191.
Individualität und Psy-
chose 998.
Induziertesirresein 1043,
1044.
Infantilismus 1031.
Infektionen, durch 1. be-
dingte Erkrankungen des
Nervensystems 461.
— psychische 1043.
— Beziehungen der zur Skle-
rodermie 746.
Infektionskrankheiten,
Veränderungen des Sym-
pathicus abdominalis bei
197.
Infektionspsychosen
1049, 1059 ff.
Influenza, nervöse Störun-
gen bei 478.
— toxische Amblyopie nach
388.
— Facialislähmung nach 623.
— 3Ieningismus und Pueri-
lisraus nach 663.
— Periostitiden und Myosi-
tiden im Verlauf einer I.*
Epidemie 622.
Inkontinena der Faeces
und des Urins 350.
Inscriptiones tendineae
dermehrbäuehigen Muskeln
162.
Insekten, Gehör der 177.
Insektivoren, Hirnbau bei
den 27.
Intelligenz, Bindenbreite
des Gehirns als wesentlicher
Faktor sur Beurteilung der
47.
Intelligenzprüfung 1002,
1176.
In tentions tremor bei Kin-
dern 309.
— auf die rechte obere Ex-
tremität beschränkt 308.
Intentionszuckungen,
eine Neurose unter dem
Bilde tonischer 307.
Interferenzversuche am
Gefäßzentrum 167.
Intoxikationen, durch L
bedingte Erkrankungen des
Nervensystems 461.
Intoxikationspsychosen
1049, 1053 ff.
Intramuskuläres Gewe-
be, Resorption von 161.
Intraokularer Druck und
Akkommodation 382.
Involutionspsychosen,
Verhältnis der zur juvenilen
Demenz 981.
Jod, Ausscheidung des im
Harn und ihre Beziehung
zum Jodgehalt und zur
Verkleinerung der Strumen
109.
— Absorption des durch Elek-
trizität 111.
Jodipin 775.
Jonen, Einfluß von auf die
rhythmische Herztätigkeit
168.
Iris, InneiTation der Stroma-
zellen der 66.
— Wirkung des Pilokarpin,
Physostigmin und A tropin
auf die gelähmte 177.
Irrenpflege 1192ff.
Irresein, induziertes 1043,
1044.
— kommuniziertes und in-
duziertes 953.
Irrtum und Erkenntnis 922.
Ischaemie, Sensibilitätsstö-
ruug bei akuter lokaler 323.
Ischias 752.
— Behandlung der 898.
— physikalische Heilmetho-
den* bei 802.
— Elektrotherapie bei 817.
Ischias, mechanotherapeu-
tische Behandlung der 822.
Isocephalie und Degeue-
ration 260.
Isopral 770, 771.
— Wirkung des auf das Ben
und das Gefäßsystem 481.
— bei Geisteskrankheiten
1209.
Isthmus, Struktur des Gsug-
lion des 50.
Jugendfürsorge und Straf-
rechtsreform 1166.
K.
Kachexie, Riickenmarks-
veränderungen bei 243.
Eammerostien, Muskola-
tur der 169.
Kammerspitze, Ganglien-
zellen der beim Salaman-
der 168.
Karnitin 108.
Kastration, Einfluß der auf
die Entstehung des experi-
mentellen Atheroms HO.
— Einfluß der auf das Ske-
lettwachstum 112.
— in gewissen Fällen von
Geisteskrankheit 1123.
Katarrhe der oberen Luft-
wege infolge vasomotori-
scher Parese 742.
Katatonie 1045.
— Partialdefekte bei der
1003.
— bei Gehirn atrophie 365.
— katatonisches Kraukheits-
bild bei Hirnabszeß 540.
— Hypothese über die Xatur
des katatonischen Symp-
tomenkomplexes 988.
— Tod durch gehäufte
Kramp fanfälle bei 1011.
Katatonischer Stupor
956.
Katatonische Verrückt-
heit 1041.
Katayamakrankheit, pa-
thologische Anatomie der
204.
Kehlkopf, Geschmacks-
knospen des 66.
Keimblattschwäche, Be-
ziehungen der angeborenen
ektodermalen zur Entste-
hung der Tabes 411.
Kelche, Heldsche im Cor-
pus trapezoide 54.
Kephalopodenauge.Ans^
tomie und Physiologie des
179.
Kephalopo den nerven,
Elektropathologie der
marklosen 166.
Sachregister.
1241
KeratinbehandluDg der
Tabes dorsalis und der
Myelitis chronica 901.
Kern und Kemkörperchen ,
der Nervenzelle 36, 87. |
Kernigsehes Symptom. '
diagnostische Bedeutung
d«8 501.
Kernschwund, infantiler
635.
Keuchhusten, spastische
Diplegie nach 482.
— Veronal bei 774.
Kinderlähmung, spinale
599 s. Poliomyelitis.
Kinderlähmung, zere- ,
brale 646.
— und familiäre amaurotische ,
Idiotie 1030. |
— mechanotherapeutische I
Behandlung der 820. '
Kinderliebe 1103.
Kindesmord, Andichtung
von 1176.
Kindesm Order in nenll40.
Kitzeln 62, 83.
Kjn 780.
Kleinhirn 127, 130, 134.
— pathologische Physiologie
des 122.
— anatomische Beziehungen
zwischen Bulbus und 51.
— Erkrankungen des 556.
— Heterotopie des bei einem
Epileptiker 221.
— Entwicklungsstörungen im
bei Spina bifida lumbo-
sacralis 221*
— Folgen partieller Ver-
letzungen des 129.
Kleinhirnabszeß 542, 544.
Kleinhirn- Brücken Win-
kel, Operation der Tumo-
ren des 665.
Kleinhirnrinde, Entwick-
lung der Ganglienzellen
der beim Schwein 29. |
— Form der Nervenelemente ♦
der 52, 53.
Kleinhirnschenkel, obere |
52. I
Kleinhirnsymptome 805. {
Kieinhirntumoren 557,
558, 559.
— Differentialdiagnose zwi-
schen chronischem Hydro -
cephalus und 507.
Kleptomanie, angebliche
1176.
Klon US im Musculus rectus
abdominis bei Pottscher
Krankheit 586.
Klumpfuß und amniotische
Furchen 642.
— transi torischer paralyti-
scher 874.
Klumpkesche Lähmung
642.
— bei Schnßverletzang der
Brust Wirbelsäule 577.
Kniegelenker kr ankung
bei einem Paralytiker 1078.
Knochen, Entzündung der
271.
— regressive Veränderungen
der bei Akromegalie 737.
Knochenfische, Gehirn
der 27, 1221.
Knochenreflexe der un-
teren Extremitäten 329.
Knochen Sensibilität,
Untersuchung der mit der
Stimmgabelmethode 321.
Knochensystem in seinen
Beziehungen zu den Krank-
heiten des NerN'ensvstems
247.
Kochsulzausscheid nng
bei Epilepsie 691.
Kochsalzentziehung bei
Epilepsie 893, 894, 895.
Kodeinismus 1057.
Koffein, Einwirkung des
auf das Gesichtsfeld bei
Chinin-Amblyopie 388.
Kohlen oxyd Vergiftung,
Ernährungsstörungen des
Gehirns und der Haut nach
479.
— Hypoglossuslähmung nach
483.
— psychische Störungen nach
1057.
Kohlensäurebäder 787,
788.
— Einfluß der auf die Sen-
sibilitätsstörungen bei Ta-
bes 425, 791.
Kokain, selektive Einwir-
kung des auf die Nerven-
faser 106.
Kokain-Suprarenin, Spl-
nalanalgesie mittels 871.
Kokainismus 1057.
— chronischer nach Einver-
leibung durch die Nase 480.
Kokaiuomanic 1057.
Kollaps und Bewußtseins-
störungen 979.
Kommissur von Gudden,
Meynert und Ganser 49.
Kompensationsbewe-
gungen bei Gehirnaffek-
tionen 307.
Kondensatorenentla-
dungen 817.
Konfabulation 994.
Kon j unkt ivo-respirato-
rischer Reflex 122.
Konstitution, psychopathi-
sche 1016.
— und Badekuren 791.
Kontraktions vor gang
der Muskeln 157 ff.
Kontrakturen 721, 7^.
— kongenitale der oberen
Extremitäten 874.
— bei organischen Nerven-
erkrankungen 807.
— paralytische an der untern
Extremität nach spinaler
Kinderlähmung 608.
— hysterische nach Unfall
759,
Konträre Sexualempfin-
dung 1158.
Konvergenz, Rolle der für
das binokulare Sehen 178.
Konvergenzkrämpfe bei
Tabes 416.
Konvulsionen 699, 700.
Kopfbewegungen, korti-
kale Lokalisation des Zen-
trums für die konjugierten
Seitwärtsbewegungen des
Auges und des Kopfes 133.
— nächtliche bei Kindern
812.
— rhythmische pulsatorische
bei Basedowscher Krank-
heit 733.
Kopfganglien, Entwick-
lung der bei den Selachiern
80.
Kopf tetanus mit doppelsei-
tiger Facialislähmung 681.
Kopftrauma und Dementia
praecox 1088.
— infektiöse Thrombose der
Gehirn sin US nach 539.
Kopfumfang, Beziehungen
des zu Körperlänge und
geistiger Entwicklung 256.
Körpergewicht, Untersu-
chung des in Bezug auf
Geisteskrankheiten 9.52,
1000.
Körperlänge, Beziehunf^on
des Kopfumfangs zur 256.
Körperliche Beeinflus-
sung. Wahn der 996.
Körperstellungen,
Schwankungen der Puls-
frequenz bei verschiedenen
335.
Korsakowsche Psychose
1055, 1056.
Koxalgie bei Hysterie 667.
Kraft, Erhaltung der 90.
Krämpfe, Einfluß der Schild-
drüsenexstirpation auf die
durch den f aradischenStrom
hervorgerufeneu bei jungen
Tieren 112.
Kraniotopographie 256ff.
Krankheitsanlage und
Vererbung 1108.
1242
Sachregister.
Kraokheitsbe wußtsein,
Analyse des bei Psychosen
949.
Krebs des Bumpfskeletts
272.
— maltipler metastatischer
des Zentralnor\''ensystems
224.
— bulbäre Symptome bei
Brustkrebs 56B.
Krebsmetastase im Gehirn
523, 530.
Kretinismus 1016, 1031,
1032.
— sporadischer 1030.
— Schilddrüsenbehandlung
bei 836.
Kreuzbein, Verletzungen
des 269.
Kreuzschmerzen, behan-
delt mit Hochfrequenz-
strömen 816.
Kriminelle Anthropolo-
gie 1090.
Krisen, gastrische als Aequi-
valente des epileptischen
Anfalls 694.
Kroenleinsche Opera-
tion 865.
Kropfmuskulatur von
Aplysia depilans, Physio-
logie der 172.
Kropfoperationen, Kom-
plikationen nach 875.
Kubisagari 346.
Kurare, Reaktion der quer-
gestreiften Muskeln auf 165.
Küstensanatorien Frank-
reichs 789.
Labyrinth, Funktionen des
173.
— traumatische Erkrankun-
gen des 758.
— Differentialdiagnose zwi-
schen Erkrankungen des
Akustikus und des 345,
346.
Labyrinthflüssigkeit,
Einfluß des Druckes der
auf den arteriellen Druck
110.
Lachkrämpfe, Pathogenese
der 303.
Lähmungen 632ff.
— periodische 566.
— periodisch auftretende par-
oxysmale 309, 310.
— schmerzhafte der Kinder
309.
— bei Tauchern 310.
— chirurgische Therapie und
Nachbehandlung traumati-
scher 874, 875.
Laminektomie 864.
Landrysche Paralyse 476,
480, 481, 569, 604.
— nach chronischer Cystitis
485.
Längsbündel, Ursprung
des prädorsalen 51.
Latah 1061.
Lateralsklerose, amyo-
trophische 391, 404.
Lecithin 778.
Lehrer, geistige Leistungs-
fähigkeit und Nervosität
bei 299.
Leber, fibrilläre Strukturen
in der des Frosches 66.
Leichenveränderungen
des menschlichen Auges
377, 378.
Leitungsaphasie 363.
Lei tun gs bahnen, kombi-
nierte Ausschaltung zentri-
petaler im Rückenmark 142.
Lendenwirbelsäule, Ver-
letzungen der 269.
L e n i c e t zur Behandlung der
Hyperidrosis 908.
Lenksamkeit 668.
Lepra im Rückenmark und
den peripheren Nerven 238.
— Verhalten der Zerebro-
spinalflüssigkeit bei 477,
478.
Lepra nervorum, Kno-
chenveränderungen bei 273.
Leuchtsubstanz, Auffas-
sung der als lebendes Proto-
plasma 78, 86.
Leukopathia acquisita
746.
Licht, absolute Empfindlich-
keit des Auges für 178.
Lichtbäder 800.
Lichterapfindung, Theo-
I rie der 180.
— subjektive im variablen
I magnetischen Felde 178.
i Lichtreize, Helligkeit ein-
maliger und periodisch
wiederkehrender 179.
— Erzeugung kurzdauernder
mit Hilfe des Projektions-
apparats 179.
Lichtungsbezirke im Zen-
tralnervensystem 233.
Liebesempfindung, Be-
ziehungen zwischen Para-
noia und 1043.
Linsen kern, Pseudomelia
paraesthetica als Symptom
einer Affektion im Gebiet
des 306.
Liquor cerebralis, Rolle
des bei der Zirkulation im
Schädel 124.
Lispeln 369.
Lithium carbonicum bei
Epilepsie 894.
Littlesche Krankheit s.
Kinderlähmung, zere-
brale.
Lohtanninbäder, elek-
trische 790.
Lokalisation im Gehirn
1219.
— im Rückenmark 136 ff.
Luft, Einwirkung kühler auf
den nackten Menschen 795.
Luftbäder 798, 799, 800.
Lnftdruckschwankun-
gen, Beziehungen der zum
Auftreten von Gehirnblu-
tungen 537.
Lügen, pathologisches 991.
Lumbagin 901.
Lumbaimark der Vögel,
Anatomie und Entwick-
lungsgeschichte des 1225.
Lumbalpunktion 494,496,
868, 869.
— in der Psychiatrie 1208.
Lumbofemoralreflex328.
Lungenbrand, eitrige Me-
ningitis nach 495.
Lungenvagus 169.
Lustmord 1167.
Lyssophobie 1006.
Machnow, der Riese 738.
Macula lutea, Farbe der
381.
31 a gen, Innervation des 62.
— die sympathischen Gan-
glien des bei Magenkrank-
heiten 197.
Magenausspülungen bei
Eklampsie 896.
Magenbewegung, Ent-
stehung der durch den
elektrischen Strom 817.
Magendarmstörungen
bei Nervenkrankheiten 348,
349.
— Epilepsie infolge von 698.
Mage nerw eitern ng, Teta-
nie bei 711.
Magengeschwür, Erzeu-
gung des durch Läsionen
der Magennerven 171.
Magendarmkrankheiten,
Diagnose und Therapie der
nervösen 907.
— Hydrotherapie der 786.
Magenkrebs mit Knochen-
metastasen und Stauungs-
papille 890.
Magenkrisen bei morphi-
nistischen Tabikem 417.
Sachregister.
1243
Magenneryen, Erzeugung
des Magengeschwürs durch
Läsionen der 171.
Magensaftsekretion,
Einfluß von Affekten auf
die 77.
Magenschmerz, linksseiti-
ger 752.
Magentetanie 710, 712.
Main succulente bei ju-
veniler Muskeldystrophie
615.
Makrogyrie, die der M.
analogen Entwicklungsstö-
rungen der Retina 216.
Mal perforant bei pro-
gressiver Paralyse 1077.
Mal perforant buccal et
plantaire bei Tabes 415.
Mai sous-occipital 271,
586.
Maladie des Tics 717.
Malaria, nervöse Störungen
nach 477.
— Neuritis der Ischiadici
nach 645.
Maltosurie nach Trauma
761.
Malum Potti 574, 586, 587.
Malum suboccipitale
rheumaticum 271, 585.
Manie 1038, 1039.
Manien, allopsychische 977.
Manisch-depressives
Irresein 996, 1039.
Mannlicher Gewehr, Ge-
schoßwirkung des 864.
Manometer zur Druck-
messung bei Lumbalpunk-
tion 305.
Maretin 777, 778.
Markscheiden der peri-
pheren Nerven, Darstellung
der 41.
— Areale der im Spinal-
nerven 60.
Markscheidenregenera-
tion im peripheren Nerven
200.
Massage 818.
— Facialislähmung infolge
von 632.
— eitrige Meningitis nach
495.
Mastdarm, spinale Lokali-
sation des 57.
Mastdarmoperationen,
Spinalanalgcsie bei 871.
Mastikatorische Geräu-
sche bei Tabikern 422.
Masturbation 351, 1157,
1158.
Materielle Vorgänge, Be-
ziehungen zwischen geisti-
gen und 78.
Medikamente, Wirkung
von auf die ergographische
Arbeit 84.
Medikamentöse Thera-
pie der Nervenkrankheiten
767.
— der Geisteskrankheiten
1205 ff.
Medulla oblongata, Nu-
clei areif ormes und akzes-
sorische Nebenoliven der
55.
— Erkrankungen der 659.
— topische Diagnostik der
51.
— Erweichungsherde in der
228.
Meerwasser, physiologi-
sche Wirkung des 789.
Meineid, mystische Zere-
monien beim 1139.
Melancholie 1034ff.
Melancholische Depres-
sionszust an de, Prognose
der im senilen Alter auf-
tretenden 980.
31elancholischer Stupor
956.
Menifereschor Sympto-
menkomplex 314, 346.
— Polyneuritis cerebralis
menieriformis 649.
Meningismus, hysterischer
nach Influenza 663.
Meningitis, fötale als Ur-
sache der Anencephalie 220.
— Psychose im Anschluß an
eine 966.
Meningitis basilaris
posterior und Genick-
starre 456, 457,
— Hydrocephalus als Folge
der 507.
Meningitis carcinoma-
tosa 493.
Meningitis cerebrospi-
nalis epidemica 437.
— Abgrenzung der von der
sekundären Sleningitis 496.
— Wirkung des Diphtherie-
serums bei 838.
— Behandlung der 899. 900.
— Lumbalpunktion bei 868,
869.
Meningitis cerebrospi-
nalis epizootica 461.
Meningitis purulenta
488, 494.
— operative Behandlung der
863, 865.
Meningitis serosa. Dia-
gnostik der 515.
Meningitis syphilitica
basilaris mit Tabes su-
perior 417.
Meningitis traumatica
494.
Meningitis tuberculosa
488. 498 ff.
Meningitische Keizung,
Beziehungen der Syphilis
znr Lehre von der 437.
Meningocele, Veränderun-
gen in der Haut über einer
269.
Meningococcus intra-
cellularis 447.
— als Erreger der Endokar-
ditis 453.
— Vorkommen des in der
Nasenhöhle 453, 455.
Meningoencephalitis
diffusa mit Hemiatrophia
cerebelli bei einem Hunde
229.
Meningoencephalitis
serosa nasalen Ursprungs
509.
Meningokokkensepti-
kaemie 455.
Meningomyelitis syphi-
litica bei progressiver Pa-
ralyse 1076.
Menstruation, Beeinflus-
sung der durch zerebrale
Herderkrankungen 351.
— forensisch - psychiatrische
Bedeutung der 930, 1166.
Menstruationsbeginn,
Phantoma hystericum im
Anschluß an den 666.
Meralgia paraesthetica
645.
Meran 805.
Merkdefekte 951.
Mesencephalon, Anatomie
des 50.
Mesenterialdrüse, Be-
handlung der Sklerodermie
mit 837.
Mesenterialnerven,
Darmbewegungen vor und
nach der Durchschneidung
der 171.
Mesogliazellen 43.
Metabolismus und AVir-
kung der Nervenzelle 37.
Metacarpophalangeal-
reflex 328.
Metallimprägnation des
Gewebes mittels Elektro-
lyse 7.
Metamorphose des Fro-
sches, Beziehungen des
Nervensystems zu den Ge-
staltungsvorgängen der 75.
Metaphysik in der Psychia-
trie 979.
Metencephalou, Anatomie
des 50 ff.
Meynerts Gedichte 966.
1244
Sachregister«
licynerts psychiatrisciie
Leitgedanken 949.
31ichel, Louise 1154.
Migräne 749.
— und Epilepsie 691.
— Behandlung der mit Can-
nabis indiea 696.
Mikrograpbie 866, 367.
— im Anschloß an einen
hemiplegischen Anfall 8dl.
Mikrogyrie 218, 219.
— die der M. analogen Ent-
wicklungastÖrangen der
Ketina 216.
Mikrokephalie 212, 218.
— künstliche Erzeugung von
123.
Milchdrüse, EinHuß der
Gehirnrinde auf die 120.
Mimik Geisteskranker 980.
Minderwertige, geistig M.
1133 ff.
Minderwertigkeit, geisti-
ge bei Strafgefangenen
1170.
Miosis, Entstehung der bei
der reflektorischen Pupil-
lenstarre 882.
Mißbildungen im Gehirn
212 ff.
— am Knochensystem 263,
264.
— des Rückenmarks 240.
Mitbewegungen bei sonst
intaktem Nervensystem 312.
— paradoxe zwischen Lid und
Auge 843.
3Iitralin8uffizienz beiTa-
bes 425.
Mitralstenose, Rekurrens-
lähmung bei 688.
Mittelhirnkrankheiten,
topische Diagnostik der 302.
Mongolentypus bei Idiotie
1025.
Mord und Dementia praecox
1086,
Mordversuch eines Para-
Mikers 1078.
Morphinforschung 774.
Morphinismus 1057.
— Simulation von Sohmerz-
anfällcn bei einem 3iorphi-
nisten 1174.
— Behandlung des 1210.
— Morphiumentziehung bei
1214, 1215.
Morphiumvergiftung,
Behandlung der 898.
Morphologie und Physio-
logie 79.
Morvanscher Symp-
tomenkomplex 587.
— pathologische Anatomie
des 240,
Motorische Funktionen,
spinale Lokalisation der
139, 148.
Motorische Impulse und
sexueller Akt 931.
Motorische Kerne im
Rückenmark der Wirbel-
tiere 67.
Moxenbehandlung 780.
Muiracithin bei funktio-
neller Impotenz 906.
Multiple Sklerose 891,
s. Sklerose, multiple.
Musculus dilatator pu-
pillae, Anatomie des 69.
Musculus extensor qua-
driceps cruris, doppel-
seitige isolierte Lähmung
des 644.
Musculus levator ani,
Innervation des 61.
Musculus rectus abdo-
min i s , Kionus im bei Pott-
scher Krankheit 586.
Musculus rectus infe-
rior, angeborene Parese
des 552.
Musculus rectus inter-
nus, isolierte Lähmung des
553.
Musculus obliquus su-
per ior, isolierte trauma-
tische Lähmung des 554.
Musculus rhomboideus,
Spasmus des 717.
— isolierte Lähmung des nach
Operation 644.
— chirurgische Behandlung
der Lähmung des 875.
Musculus stapedius, Ner-
venendigungen im 66.
Musculus sternalis, Zu-
sammenhang des mit der
Pars abdominalis des M.
pectoralis major und mit
dem Achselbogen 162.
Musculus subscapularis,
Schwielenbildung im 622.
Musculus supinator bre-
vis, Wirkung des bei der
Radialislähmung 642.
Muskarinwirkung 169.
Muskeln, spezielle Physio-
logie der 147, 157 ff.
— Faserrichtung der mehr-
bäuchigen 161, 162.
— Extraktivstoffe der 108.
— Lähmung der unfreiwilli-
gen 177.
— quergestreifte, Nervenendi-
gungen in den 67, 69.
Muskelarbeit, Beziehungen
zwischen geistiger Arbeit
und 98.
Muskelatrophie, arthri-
tische 610, 619.
— neurotische 610, 617.
Muskelatrophie, progres-
sive 610.
— spinale 610, 617.
— bei Basedowscher Krank-
heit 734.
— mit Myotonie 718.
Muskelblutungen 624.
Muskeldefekte 610, 618,
681.
Muskelfaser, Veränderun-
gen der quergestreiften bei
Paralysis agitans 488.
Muskelhypertrophie
610, 620.
— bei toxischen Polyneuri-
tiden 648.
Muskelinnervation, zwei-
fache 145.
Muskelkontrakturen bei
Poliomyelitis anterior acuta
608.
Muskelkrämpfe, lokali-
sierte 718.
Muskelsehnen des Fußes,
Besiehungen der zu den
Bändern 162.
Muskelsensibilität. Prü-
fung der 318.
— Bestimmung und Verände-
rungen der bei Tabes 420,
421.
Muskelspannung bei
außergewöhnlicher Muskel-
beweglichkeit 162.
Muskelströmung 160.
Muskelton 160.
Muskeltreppe 159.
Muskelwärme 159.
Muskelwogen bei Myelitis
transversa 571.
Mussetsches Zeichen bei
Basedowscher Krankheit
733.
M u t i 8 m u s , hysterischer 368.
— hysterischer nach Unfall
668, 759.
— bei Dementia praecox 1086.
— bei einem mit Wandertrieb
behafteten Migranten 907.
Myasthenia gravis 564ff.
Myatonie 610, 620.
Myatonia periodica 620.
Myelencephalon, Ana-
tomie des 54, 56.
Myelin fasern, Färbung der
6.
Myelitis 567, 569.
— funikuläre 598.
Myelitis chronica, Xera-
tinbehandlung der 901.
Myelitis gonorrhoica
667, 573.
Myelitis transversa 570,
571.
— multiple Sklerose unter
dem Bilde der 408.
Sachregfister.
1245
Myelomalacie 567, 579.
Myoklonie 71tt.
Myopathie, Erscheinungen
der bei spinaler Kinder-
lähmung 607.
— chirurgische Behandlung
der 875.
3Iyositi8 610, 621fiF.
Myositis ossifioans trau-
inatica 623.
Myositis rhenmatica,
3Iassagebehandlung der
82H.
Myosthesiometer 420.
Myotonie 718.
— partielle unter dem Bilde
einer Besehäftigungsneu-
rose und -lähmung 720.
Mvsophobie 998.
Myxödem 722, 784, 735,
'736.
— Thyreoidinbehandlung bei
837.
Mvxoneurosis intesti-
nalis 348.
NabeK Tiefstand des bei
Th>Teoapia8ie 735.
Nackenmuskelkontrak-
tur, doppelseitige hyste-
rische 663.
Naevus yascularis bei
psvchopathisehen Indivi-
duen 1109.
Nägel, V^eränderungen an
den 354.
Narkose, Verhalten der Re-
flexe in der 327.
— und Wärmeleitung 99.
Nase, Gliom der 845.
— Wechselbeziehungen zwi-
schen Geschlechtsapparat
and 352.
Nasenerkrankungen als
Ursache von Kopfschmerzen
752.
— Meningo- Encephalitis sero-
sa im Anschluß an 509.
— Sehstörungen und Erblin-
dung infolge von 385, 386.
Nasensekret, Vorkommen
des Meningokokkus im 453,
455.
Naturwissenschaft und
Geisteskrankheit 1006,
1107.
Nebennieren, Zellen der 64.
— Funktionsstörungen der
bei AUgeraeinerkrankun-
gen, Intoxikationen und
Infektionen 110.
— Gliom der 245.
— Veränderungen der bei
Akromegalie 740.
Nebennieren, Tuberkulose
der mit Myxödem 735.
Nebennierenextrakt,
Einfluß des auf Resorption
und Transsudation 111.
— Wirkung des auf die Zir-
kulation 105.
Nebenoliven, akzessorische
der Medulla oblongata 55.
Negrische Körperchen
bei der Wutkrankheit 193.
Nephritis, Polyneuritis bei
648.
— psychische Störungen bei
chronischer 1059.
Nerven, peripherische,
Entwicklung der 38.
— spezielle Physiologie der
147.
— spezielle pathologische
Anatomie der 204, 244 ff.
— Degeneration und Rege-
neration der 198, 199, 200,
201, 202.
— bei Kretinismus 1032.
— Krankheiten der 624.
— Therapie der Krankheiten
der 877
— Chirurgie der 873, 874.
Nervendruckpankte und
Nervenmassage 821.
Nervendigungen 65ff.
Nervenfasern, allgemeine
Histologie der 41 ff.
— feinere Struktur der dop-
pelt konturierten 1220.
— Zahl der im Spinalnerven
des Frosches 61.
— Verteilung der motori-
schen und sensiblen im ge-
mischten Nerven 60.
— molticelluläre Entstehung
der peripheren sensiblen 35.
— pathologische Anatomie
der 198 ff.
Nervenkompression 873.
Nervenleitung 165, 166.
Nervenmassage 821, 822.
Nervenpfropfung bei spi-
naler Kinderlähmung 867.
Nervenphysiologie, all-
gemeine 163 ff.
— spezielle 167 ff.
Nervenplastik 874.
Nervenreizung, tripolare
165.
Nervenschleifen, intra-
sklerale 60.
Nervensystem, Entwick-
lung des 28 ff.
— allgemeine Histologie des
34ff
— peripherisches, Anatomie
des 59 ff.
Nerventransplantation
bei Poliomvelitis anterior
867.
Nervenzellen, allgemeine
Histologie der 34 ff.
— Entwicklung der 30, 31.
— pathologische Anatomie
der 186 ff.
— sind die tätigen N. des
Zentralnervensystems Sitz
elektromotorischer Kräfte?
76.
Nervöses Grau und Neu-
ronenlehre 40.
Nervus abducens, Läh-
mung des 554.
— isolierte traumatische Läh-
mung des geheilt durch
Thiosinamininjektion 901.
Nervus accelerans cor-
dis 168.
— Beziehungen zwischen Va-
gus und 167, 168.
Nervus accessorius, Ana-
stomose des Facialis mit
dem 635.
Nervus acusticu», Diffe-
rentialdiagnose . zwischen
Erkrankungen des Laby-
rinths und des 845, 346.
— syphilitische Erkrankung
des 435.
Nervus coeliacus 171.
Nervus facialis, Lokali-
sation im Kern des 51.
— Anastomose des Hypo-
glossus und des Accesso-
rius mit dem 636.
— Lähmung des 632 ff.
— Lähmung des bei Kopf-
tetanua 681.
— Bedeutung des Supraorbi-
talreflexes bei Lähmung
des 326.
Nervus hypoglossus, Re-
paration der Neurofibrillen
nach Durchschneidung des
188.
— Lähmung des nach Kohlen -
Oxydvergiftung 483.
— Parese des nach Spontan-
geburt 632.
— Anastomose des Facialis
mit dem 635.
— Naht des 874.
Nervus intermedius, Ver-
lauf des 60.
Nervus ischiadicus, Ein-
fluß der Reizung und Deh-
nung des auf das Knochen-
wachstum 170.
— Veränderungen des endo-
cellularen Netzes nach Aus-
reißung des 189.
— Neuritis des nach Malaria
645.
1246
Sachregister.
Nervus musculocuta-
n e u s . isolierte Lähmung
des nach Gonorrhoe 648.
Nervus medianus, isolierte
periphere Lähmung des in-
folge Narbendrucks, geheilt
durch Thiosinamin - Injek-
tionen 759.
Nervus mylohyoideus 6L
Nervus oculomotorius,
Lähmung des 553.
Nervus opticus s. Seh-
nerv.
Nervus peroneus, Begleit-
erscheinung der Parese des
644.
Nervus phrenicus, Läh-
mung des 643.
Nervus radialis, Lähmung
des 642.
— Lähmung des bei Tabes
419.
— Lagerung des bei Ober-
armbrüchen der Diaphyse
64L
Nervus recurrens, Läh-
mung des 688, 689.
Nervus suprascapularis,
isolierte Lähmung des bei
einem Tabiker 417.
Nervus trigeminus, se-
kundäre Bahnen aus dem
frontalen sensiblen Kern
des 50.
— Radix mesencephalica des
51.
— Beziehungen des zur Pu-
pille und zum Ganglion ci-
liare 177.
— Nervenregeneration nach
Extraktion von Nerven we-
gen Neuralgie des 202.
— Behandlung der Neuralgie
des 897, 898.
Nervus vagus, Ursprung
des 55.
— sensible und motorische
Kerne des 54.
— Physiologie des 167, 168,
169, 170.
— Zusammenhang abnormer
Erscheinungen im Auge mit
Svmptomen im Gebiet« des
387.
— Vagusarythemie des Her-
zens im Anschluß an akute
Perikarditis 639.
Netzhaut, Struktur der 65.
— Physiologie der Bewe-
gungsvorgänge in der 178.
— elektromotorisches Ver-
halten der bei Warmblütern
179.
~ markhaltige Nervenfasern
der 384.
Netzhaut, Schwund mark-
haltiger Nervenfasern in der
bei entzündlicher Sehner-
venatrophie 887.
— kongenitales Fehlen der
883.
— die der Mikro- und Makro-
gyrie analogen Entwick-
lungsstörungen der 216.
— Cyanose der bei Pulmonal-
stenose 379.
— vollständige Losreißung
der vom Sehnerven bei
Bulbusverletzung 885.
Netzhautblutungeu, Be-
ziehungen der zum Glioma
retinae 390.
Netzhautneuroglia, Pig-
mentierung und Wucherung
der 203, 246.
Netzstruktur in der Pig-
mentregion der Nervenzelle
38.
Neuralgien 749.
— Behandlung der 897, 898.
— Mechanotherapie bei 824.
Neurasthenie 652, 669,
670.
— und Liitialstadium der
progressiven Paralyse 1078.
— und Trauma 759, 760.
— Prophylaxe der 902 ff.
— balneologische Behandlung
der 793.
— physikalische Therapie der
803.
— Zyklotherapie der sexuel-
len 828.
Neuritis 645 ff.
— und Tetanus 682.
Neuritis apoplectica 647.
Neuritis optica, zugleich
mit Facialislähmung 638.
— bei Syringomyelie 691.
— forensischer Fall von here-
ditärer 882.
Neuritis retrobnlbaris
bei rezidivierendem Empy-
em der Oberkieferhöhle 386.
— Farbensinnstörungen im
Netzhautzentrum bei 884.
Neuroblasten, Endnetz
sensibler li;26.
— allgemeines Endnetz sen-
sibler bei Amphibienlarven
35.
Neuro-dynamische The-
rapeutik 805.
Neurofibrilläre Konti-
nuität im Zentralnerven-
system 1224.
Neurofibrillen, Methoden
der Darstellung der 38, 89.
— Imprägnationsmethode
der 3.
— Entwicklung der 80, 81 , 32.
Neurofibrillen, patholo^
gische Anatomie der 187 ff.
— Verhalten der an der Peri-
pherie 67.
— der Netzhaut 65.
Neurofibrillenlehre 4:0.
Neurofibromatose, mul-
tiple 244, 245.
— multiple primäre Tumor-
bildung der Meningen des
Gehirns und Rückenmarks
bei 224.
Neuroglia, Färbungder6,7.
— pathologische Anatomie
der 202, 203.
Neurogliapräparate,
Weigertsche, Gründe
mangelhafter Haltbarkeit
der und Wiederherstellung
abgeblaßter 4.
Neuronal 772.
— bei Geisteskranken 1210.
Neurontheorie 89ff.
— histologische Seite der
1218.
— und die Nervenendappa-
rate in der Haut 67.
Neurosen und Psvchosen
957, 1046.
Nieren, intrarenale Span-
nung als Ursache der E-
klampsie 688.
Nierenektopie und Psy-
chopathien 1209.
Nierenstörungen bei
Schwangerschaft und Ge-
burt 686.
Nikotin, Reaktion der quer-
gestreiften Muskeln auf 165.
Nikotinvergiftung, Au-
genmuskellähmung infolge
chronischer 555.
Nissische Zellfärbung
192.
Nitroglycerin, therapeuti-
sche Wirkung des 779.
Nuclei areif ormes der Me-
dulla oblongata 55.
Nucleolus, Widerstands-
fähigkeit des 198.
Nyktophobie der Kinder
982.
Nystagmus, angeborener
383.
— nach Trauma der linken
Stimwindung 756.
— einseitiger 880.
Nystagmus-Mvoklonie*
719.
Oberarmbrüche der Dia-
physe, Lagerung des ita-
dialis bei 641.
Oberkieferhöhle, Neuritis
Sachregister.
1247
retrobnlbaris bei rezidivie-
ren dem £mpyem der 386.
Oberscheokel, kombinierte
Flexion des 0. und Rumpfes
. bei Chorea 708.
Ödem, angioneorotisches
740ff.
— histologische Veränderun-
gen der peripherischen Ner-
venfasern bei chronischem
201.
Ohr, Mißbildung des mit
scheinbarer Facialisläh-
mung 63d.
— Empfindlichkeit des
menschlichen 173.
— Symptome von Seiten des
844 fE.
— Form des bei Normalen
and Geisteskranken 1132.
— Degenerationszeichen am
1110.
— ünfallverletznngen des
758, 759.
Ohrgeräusche, objektive
verbunden mit Zuckungen
der Gaamenmuskulatur 345 .
Ohrkrankheiten, Kompli-
kationen von Seiten des
Auges bei 381.
— Bedeutung der Lumbal-
punktion bei 869.
— Behandlung der nervösen
900.
Ohrlabyrinth, Syphilis he-
reditaria tarda beider 433.
Ohr-Pupillenreflex 388.
Ohrreflex, vom Trigeminus
auslösbar, beim Kaninchen
326.
Olfaktometrie 347.
Onychopathologie 354.
Opercalum occipitale
1227.
Ophthalmia sympathica
381.
Ophthalmoplegia exter-
na, traumatische Hysterie
unter dem Bilde der 758.
Operation, das psychische
Verhalten des Arztes und
Patienten vor, bei und
nach der 300.
Opium-Brombehand-
lung der Epilepsie 895.
Opticus s. Sehnerv.
Optische Orientierung,
Analogien zwischen der
statischen und 9^.
Optische Zentren der
Vögel 50.
Orbita, Frakturen der 862,
863.
Organische Psychosen
1063.
Organotherapie 826.
Orientierung, Analogien 1
zwischen der optischen und
statischen 95. '
— Einfluß der auf die ergo-
graphische Arbeit 81.
— der Brieftauben 96.
Orthographie, die Reform
der und die Physiologie 86.
Orthopädie 818.
Os occipitale, Varianten
am 259.
Os sacrum, Artikulations-
flächen an der Hinterseite
des 268.
Osteoakusie und ihre Be-
ziehungen zur Vibrations-
empfindung 321.
Ostitis, nicht tuberkulöse
der Wirbelsäule 271.
Otitis, Epilepsie bei 691.
Otitis media, Encephalitis
im Anschluß an 509.
— eitrige Meningitis nach
495.
Ovarien, A n t agonism us zwi-
schen den Funktionen der
Schilddrüse und der 111.
P.
Pachymeningitis 488,
493.
Pachymeningitis cervi-
calis syphilitica 435.
Pachymeningitis hae-
morrhagica mit Hydro-
cephalus internus 507.
Pagets che Krankheit 276.
— vorgetäuscht durch Ske-
lettdeformitäten 276.
Palmarreflex 328.
Palpation, methodische der
palpablen Gebiete des nor-
malen menschlichen Kör-
pers 296.
Pankreas, Verteilung der
Nervenfasern im 63.
— Unabhängigkeit des vom
Nervensystem 163.
PanOphthalmie mit Oe-
hirnabszcß 538.
— mit Tetanus 682.
Papageien, Großhirn der
in anatomischer und physio-
logischer Beziehung 47, 125.
Papillo-makuläres Fa-
serbündel, pathologische
Anatomie des 247.
Paraffinplastik einer Sat-
telnase, Amaurose nach 384.
Paralvse, progressive
1068ff.
— kongenitale 1071.
— juvenile Form der 1081,
1086.
Paralyse, progressive,
Histopathologie der Groß-
hirnrinde bei 188, 191.
— Plasmazellen der Hirnrinde
bei 203.
— Erhaltenbleiben der Neuro-
fibrillen bei 188.
— Rückenmarksveränderun-
gen bei 242, 243.
— als Aufbrauchskrankheit
296.
— Beziehung der zur Queck-
silberbehandlung der Sy-
philis 416.
— Besserungen im Verlauf
der 1082.
— Beziehungen zwischen Ta-
bes und 417.
— und Sj-philis 428.
Paralyse- Tabes- Sy-
phils-Frage 432.
Paralysis agitans 486.
— Komplikation von Tabes
mit 422.
— Erscheinungen von bei
traumatischer Neurose 760.
— ,. Besserung der durch
Übungstherapie 824.
Paramyoklonus multi-
plex 719.
Paranoia 1007, 1038ff.
— Abgrenzung der chroni-
schen Alkohol-P. 1054.
Paraphasie 364.
Paraphysis, Entwicklung
der bei Necturus maculatus
29.
Paraplegie, diphtherische
482.
— Formes frustes der diph-
therischen 474.
— hysterische 667.
— der Greise myelopathischen
Ursprungs 572.
— nach Fraktur des I., II.
und m. Dorsalwirbels 578.
— spastische mit Herderkran-
kungen des Rückenmarks
ohne sekundäre Degene-
rationen 571.
— Veränderungen in den
Pyramidenzellen der Zen-
tralwindungen bei ange-
borener spastischer 192.
— oder Idiotie 1026.
Parathyreoidea, Funktion
der 111, 115.
— Bedeutung des Funktions-
ausfalls der für den mensch-
lichen Organismus 112.
— Störungen nach Entfernung
der bei einer Ziege 105.
—Verhalten der bei Basedow-
scher Krankheit 732.
— Paralysis agitans als Folge
1248
Sachregister.
von mangelhafter Sekretion
oder Atrophie der 488.
Parathyreoidea, Bezie-
hungen der zur Tetanie
711.
Parathyreoidin, Behand-
lung der Eklampsie mit 832,
836.
Parathyreoiditis tuber-
culosa mit Konvulsionen
699.
Patellarreflexe, Wieder-
kehr der bei Tabes 415.
Pathologische Anatomie,
allgemeine der Elemente
des Nervensystems 182.
— spezielle des Gehirns,
Rückenmarks and der peri-
pherischen Nerven 204.
Pellagra, Veränderungen
der Nearofibrillen bei 190.
— und amyotrophische Late-
ralsklerose 405.
— mit Dupuytrenscher Kon-
traktur 482.
Pepto-Bromeigon bei Epi-
lepsie 891.
Perikarditis, Vagusarhyth-
mie des Herzens im An-
schluß an akute 639.
Perinealmuskeln, spinale
Lokalisation der 57.
Periodische Geistesstö-
rung 1039 ff.
Periostitiden im Verlauf
einer Influenzaepidemie
622.
Peristaltische Bewegun-
gen, vergleichende Physio-
logie der 172.
Peritheliom des Plexus
chorioideus des linken Sei-
tenventrikels 225.
Peritonitis, Einfluß der
Nerven der Bauchhöhle auf
die Pulsfrequenz bei 171.
Peronealer Typus der
Muskel atrophie 618.
Perseveration, Beziehun-
gen zwischen Aphasie und
1048.
Persönlichkeit und Wahn
984.
Perversitäten, sexuelle
1140 ff.
Petromyzon, Deutung des
Vorderhirns bei 44.
Pf ählungs Verletzung der
Orbita, geheilter Tetanus
681.
Pferde, Schädel- und Gehirn-
veränderungen bei bösarti--
gen 949.
Pflegepersonal in Irren-
anstalten 1216, 1217.
Phantoma hvstericum im
Auschluß an die Menarche
666.
Phenacetinvergiftung,
chronische 478.
Phobie, eine seltene Form
von 1012.
Phobie du regard 950.
Phosphaturie, Ernährungs-
therapie der mit Ph. ein-
hergehenden Neurosen 906.
Phosphor -Eiweißmast
der Nervenzellen 779.
Photoelektrische Er-
scheinungen im Frosch-
auge vor und nach der
Tetanisation 178.
Phototaktische Bewe-
gungen 88.
Phototherapie 798ff.,800.
Phrenosin 113.
Physikalische Heilme-
thoden 802.
Physiognomie Geistes-
kranker 980.
Physiologie, allgemeine
des Nervensystems 70.
— spezielle der peripheri-
schen Muskeln und Nerven
147.
— spezielle des Gehirns 116,
— spezielle des Rückenmarks
135.
— des Stoffwechsels 101.
Physostigmin, Wirkung
des auf die gelähmte Iris
177.
Pia mater, diffuse Ge-
schwulvtbilduDgen der 524.
Pigment der Nervenzellen
36.
Pilokarpin, Wirkung des
auf die gelähmte Iris 177.
Plagiat, pathologisches 975.
Planta pedis, ein neuer
Reflex der 328.
Plasmazellen der Hirn-
rinde bei Paralyse 203.
Piatos Stellung zur Homo-
sexualität 1153.
Platysma, einseitige Läh-
mung des 636.
Pleura, epileptiforme An-
fälle bei Erkrankungen der
699.
Pleuritis, Ungleichheit der
PupiUen bei 342.
Pleuritis haemorrhagica
. bei Basedowscher Krank-
heit durch Serumtherapie
geheilt 834.
Plexus brachialiSyWurzel-
erkrankung des vom Cha-
rakter einer Infektionspoly-
neuritis 644.
— Behandlung der Neuralgie
des 898.
Plexus chorioideus, Hi-
stologie des bei den Menin-
gitiden 229.
— Auftreten normaler Pig-
mente des Blutserums in
der Cerebrospinalflüssigkeit
nach Verlegung des 108.
— Peritheliom des 225.
Plötzenseeprozeß 1167.
Pneumatisation desSchlä-
fenbeins 259.
Pnenmokokkeninfek-
tion, Lähmungen nach
experimenteller 482,
Pneumokokkenmenin-
gitis 496.
Pneumothorax mit Rekur-
renslähmung. 638.
Polioencephalitis 502.
Polioencephalitis supe-
rior haemorrhagicamit
Korsakowscher Psvchose
1056.
Poliomyelitis 699.
Poliomyelitis anterior,
Nerventransplantation and
Sehnentransplantation bei
867.
Poliomyelitis anterior
acuta u. chronica adul-
torum 609.
Poliomyelitis anterior
acuta infantum 605ff.
Polychloral 774.
Polydipsie 947.
Polygyrie 219.
Polymyositis acuta hae-
morrhagica 621,622.
Polymyositis heredo-
syphilitica 622.
Polyneuritis 645ff.
— der Tuberkulösen, Rucken-
marksveränderungen bei
244.
Polyneuritis alcoholica
649.
Polyurie bei Genickstarre
452.
Porencephalie 229.
— Beziehungen mikrogyri-
scher Verbildungen an der
Großhimoberfläcke zur 21 9.
Poreneephalia congeni-
ta 510.
Postikuslähmung 638.
Postmortale Reizbarkeit
der hemmenden Nerfen-
apparate im Herzen 169.
Potenz, Verhalten der bei
Tabes 425.
Priessnitzkuren, verloren
gegangene 786.
Prognathie, Beziehung der
zum Bau des Gesichts-
sk^letts 258.
Sachregister.
1249
Progressive Muskelatro-
phie 610.
Proponal 774.
Prostata,MarkfaserDzur61.
— Einfloß der Gehirnrinde
auf die 120.
Prostitution und Alkoho-
lismus 1127.
Protoplasmabewegung,
Theorie der 157.
Psammom 596.
— der Dura mater 550.
Pseudencephalie 220.
Pseudoangina pectoris
bei Epilepsie 691.
Pseudobulbärparalyse
566, 567.
— pathologische Anatomie
der 234.
Pseudochromästhesie
347.
Pseudohermaphroditis-
mus masculinus exter-
nus 1149.
Pseudologia phanta-
stica 1176.
Pseudo -Melancholie
1087.
Pseudomelia paraesthe-
tica als Symptom einer
Affektion im Gebiet des
Linsenkems 306.
Pseudo -Pagets che
Krankheit 275.
Pseudoparalyse, Parrot-
sche 438.
— spastische 815.
Pseudo porencephalie
oder Idiotie 1026.
— unter dem Bilde der zere-
bralen Kinderlähmung 550.
Pseudo-Querulanten-
wahn 1180.
Pseudosklerose 282.
Pseudosclerosis multi-
plex senescentium, Be-
ziehungen der arteriosklero-
tischen Hirnerkrankungen
zur 505.
Pseudotetanie 710.
Pseudotumor cerebri 521.
Psychasthenie 1005.
Psychiatrie, gerichtliche
1158.
Psychische Erregung,
Entstehung organischer
Nervenkrankheiten durch
299.
Psychologie 908.
— vergleichende der Ge-
schlechter 1102.
Psychomotilität 927.
Psychoneurosen, psychi-
sche Behandlung der 902.
Psychopathische Konsti-
tution 1016.
Psychotherapie 902, 908.
Ptyalismus 341.
Puerilismus nach Influenza
663.
— bei einer an seniler Demenz
leidenden Frau 1089.
Pulmonalstenose, Cya-
nose der Retina bei 879.
Pulmanaten, Physiologie
des Nervensystems bei 172.
Puls, Wirkung des Nerven-
systems auf den 339.
Pulsfrequenz, Schwankun-
gen der bei verschiedenen
Körperstellungen und nach
körperlichen Anstrengun-
gen 335.
Punktsubstanz, „Nervöses
Grau^ und Neuronenlehre
40.
Pupillen, psychische und
sensible Reaktion der 973.
— Messungen der Weite der
direkt und der konsensuell
reagierenden 377.
— Lichtreflex der bei pro-
gressiver Paralyse 1076.
— Einfluß des Blutdrucks auf
die Größe der 177.
— Vefhalten der nach intra-
okularer Optikusdurch-
schneidung 377, 388.
— Beziehungen des Trige-
minus zur 177.
Pupillenphänomen, mor-
tales 378,
Pupillenreaktion342,844.
— - bei verschiedenfarbiger
Belichtung 179.
— Synergie der Akkommo-
dation und der 178.
— Wirkung des Alkohols auf
die Veränderung der 390,
1055.
Pupillenreflexb ahnen
119, 126.
Pupillenreflexzentren
119.
Pupillenstarre, reflektori-
sche, Zustandekommen der
bei progressiver Paralyse
1074.
— Verhalten des Rücken-
marks bei 417.
— Entstehung der Miosis bei
der 382.
Purkiujesche Zellen,
Atrophie der 197.
Pylorospasmus, Tetanie
infolge von 712.
Pyramideubahn, Lage der
für die Innervation der
unteren Extremitäten be-
stimmten Fasern der 57.
— Affektionen der 598.
/ahresbericht f. Neurologie u. Psychiatrie i»06.
Pyramide ndegener^tion,
primäre 239.
Pyramidenfasern, Ver-
lagerung von in die Hinter-
stränge 59.
Pyramidenzellen, Ver-
änderungen der Neuro-
fibrillen der bei Hemiplegie
und bei Anämie 189, 191.
Pyramidon 778.
Pyrenol bei Herzneurosen
907.
Q.
Quecksilberbehandlung
der Syphilis, Tabes und
Paralyse in Beziehung zur
416.
Quecksilberinjektionen,
Methoden der 779.
Querulantenwahnsinn
1177, 1180.
QuinquaudschesZeichen
817.
Rachenerkrankung bei
Genickstarre 454.
Rachenreflex 326.
Llachitis,Differentionaldia-
gnose zwischen Kretinis-
mus, Achondroplasie und
1032.
Radfahren, Einfluß des auf
das Herz 804.
Radium, Wirkung des auf
das Tollwutgift 817.
Radiumbestrahlung,
Wirkung der auf das Zen-
tralnervensystem 195.
— Einfluß der auf Muskeln
und periphere Nerven 201.
Radix mesencephalica
trigemini 51.
Radrennfahrer, neurolo-
gische Untersuchungen an
302.
Rassenpsychologie und
Unfallheilkunde 765.
Rauchfußsche Schwebe
bei spondylitischen Läh-
mungen 866.
Raynaudsche Krankheit
722, 744.
Reaktionszeichen, ab-
norme bei manisch-depres-
sivem Irresein 931.
Rechtshändigkeit 87.
— Ursachen und Folgen der
316.
Rechts- und linksäugige
Eindrücke, Unterscheid-
barkeit der 179.
Reflexe 325 ff.
79
1250
Sachregister.
Reflexe, konj unkti vo-resp i-
ratorischer 122.
— Verhalten der nach Apo-
plexie 330.
Keflexepilepsie bei Er-
krankungen der oberen At-
mungsorgane 698.
Keflexzentren des Rük-
kenmarks, Erregbarkeit,
Ermüdung und Erholung
der 141.
Kefraktionsanomalien,
Korrektion der bei Neur-
asthenie 386.
Regeneration, autogene
der Nervenfasern 41.
— im Rückenmark 236 fi.
Regenwurm, Zentralner-
vensystem des 27.
Regio pterygoidea, Va-
riationen der 263.
Reiz, das Wesen des 180.
— Wirkung auf einander fol-
gender auf die ergographi-
sche Arbeit 84.
Reizgrößo, Effektgröße als
Funktion der 165.
Reizung der Muskeln 157.
— des Nerven 163 ff.
Rekognitionsmerkmale
1112.
Religionswissenschaft
922.
Religiöser Fanatismus
in Amerika 977.
Religiöse Schwärmerei,
Vatermord aus 1137.
Resorption aus den Mus-
keln 161.
Retina s. Netzhaut.
Rheostaten, neue 815.
Rheumatismus, nervöse
Erscheinungen bei akutem
482.
— chronischer und nervöse
Arthropathie 422.
Rhinorrhüe,cerebrospinale
mit Netzhautveränderun-
gen 388.
Rhodannatrium 778.
Rhythmische Betonung
bei Geisteskrankheiten 958.
Rhythmus, Einfluß desauf
die ergographische Arbeit
81, 82.
Riechend schmeckenl72.
Riesenzellen der Hirnrinde
44.
Rindenbreite als wesent-
licher Faktor zur Beur-
teilung der Entwicklung
des Gehirns und der In-
telligenz 47.
Rodagen, Behandlung der
Basedowschen Krankheit
mit 834.
Roentgenbehandlung,
Kombination der mit der
Schilddrüsenezstirpation
bei Morbus Basedowii 876.
Roentgenkongreß 815.
Roentgenstrahlen, Ver-
änderungen der Augen und
der Gesichtsknochen durch
Einwirkung der 114.
Roheitsdelikte, Prophy-
laxe der 1138.
Rotationsbewegungen
77.
Rotgrünblindheit im er-
haltenen Gesichtsfeld bei
Hemianopsie 377.
Rückenmark, Anatomie
des 56 ff.
— spezielle Phvsiologie des
135.
— spezielle pathologische
Anatomie des 204, 236 ff.
— Verhalten des bei reflek-
torischer Pupillenstarre
417.
— Höhlenbildungen im bei
Tabes 417.
Rückenmarksanästhesie
869 ff.
Rü ckenmarks erschütte -
rang 582.
Rückenmarksgeschwül-
ste 596.
- pathologische Anatomie
der 241, 242.
Rückenmarkskrankhei-
t e n , diagnostische Früh-
symptome bei 302.
— traumatische 674.
— Therapie der 877.
— chirurgische Behandlung
der 866.
Rückenmarkstuberkulo-
s e , Degeneration der Mark-
substanz bei 241.
— Symptomatologie der 242.
Rückenmarksverlet-
z u n g , segmentäre Gefühls-
störung bei 864.
Rückenmarks wurzeln,
Anatomie und Physiologie
der hinteren 138.
Rückenmarkszentrum
des Schwanzes bei Erosch-
larven, Rückbildung des
Schwanzes nach Entfernen
des 100.
Rückenmuskeln, Beteili-
gung der beim Gehen 162.
Russellsches Bündel 51.
S.
Sadismus oder brutaler
Sprungakt 1150.
Saftkanälcheu, Darstel-
lung der 5.
Sakraltumor, angeborener -
596, 597.
Sakramenttragen, Angst
des 951.
Salizylderivate, schmerz-
stillende Wirkung der 776.
Salze, Einfluß der auf den
Ruhestrom des Frosch-
muskels 160.
Salzlösungen, Zucken der
in eingetauchten Muskeln
157.
Salzzäure, Nekrosen her-
vorgerufen durch rohe 747.
Samenleiter, Kontraktüi-
tät and Reizbarkeit des
172.
Sarkom des Gehirns 533,
524.
— Rundzellen-S. des Rücken-
marks 597.
Sarkomatöse Infiltra-
tion, diffuse der Pia mater
des Rückenmarks 241.
Sarkoplasma und Thom-
sensche Krankheit 719.
Sauerstoffbäder, Einfluß
der auf Pulsfrequenz and
Gefäßtonus 787.
Sauerstoffbedürfnis des
Zentralnervensystems bei
Seetieren 76.
Säuglingsgehirn, Kaik-
gehalt des 25.
Scapulae alatae 311.
— chirurgische Behandlung
der 875.
Schädel, Anatomie, ver-
gleichende Anatomie, Ent-
wicklungsgeschichte und
Mechanik des 256 ff.
— Mißbildungen am 263.
Schädelbrüche, Behand-
lung der 859, 860, 863.
Schädelcholesteatome
264.
Schädeldefekt und Epi-
lepsie 697.
— Verschluß der 861, 862.
Schädel-Fixator 4, 7.
Schädelgrube, hintere,
Diagnostik der Tumoren
der 517.
Schädelkapazität, Be-
stimmung der an der Leiche
261.
Schädelschuß Verletzun-
gen 861, 862.
Schädeltraumen, feinere
Gehimveränderungen nach
196.
— Spätmeningitis nach 494.
— Taubheit für. Sprache und
360.
Sachregister.
1251
Schädeltraumen, Behand-
lung der 860 ff.
Schamanismus 1061.
Schamröte, Ausdehnung
der 81.
Scharlach, symmetrische
Striae bei 354.
— 3Ieningitis cerebrospinalis
nach 498.
— transitorische Geistes-
störungen nach 974.
Scharlachotitis, Spontan-
blutung infolge von Arro-
sion des Sinus transversus
bei 539.
Schicksal und Geistes-
krankheit 1006, 1107.
Schilddrüse, Funktion der
115.
— Physiologie der 106, 109.
— Jodgehalt der 111.
— Bedeutung des Funktions-
ausfalls der für den mensch-
lichen Organismus 112.
— Insuffizienz der 483.
— bei Kretinen und Idioten
1025.
— Antagonismus zwischen
den Funktionen der Ova-
rien und der 111.
— Veränderungen der bei
Akromegalie 740.
Schilddrüsenbehand-
lung 832fif.
Schilddrüsenexstirpa-
tion, Einfluß der auf die
durch den faradisehen
Strom hervorgerufenen
Krämpfe bei jungen Tieren
112.
— die Progenitur Thyreo -
priver 274.
— Tetanie nach 712.
, Schilddrüsenhypertro-
phie zugleich mit Hoden-
atrophie bei einem Para-
lytiker 1080.
Schiller in seinen Bezie-
hungen zur Psychiatrie 976.
— und die Kriminalpsycho-
logie 930.
Schimpanse Konsul 932.
Schläfenbein, Pneumati-
sation des 259.
Schläfenboinfraktur mit
Gehirnkompression, geheil-
ter Fall von 861.
Schläfenlappen, Tumoren
des rechten vorderen 529.
Schläfe nlappenabszeß
541, 543, 544.
Schläfenschüsse, Ver-
letzungen der Sehorgane
bei 386.
^'.hläferin von Thenel-
les 962.
Schlaf, Theorie des 929.
— Störungen des kindlichen
298.
— und Geisteskrankheiten
986.
— Tics und 717.
Schlaftrunkenheit, phy-
siologische und pathologi-
sche 1181.
— und Myxödem 736.
— Heilbarkeit der mittels
Arsen und Trypanrot 901.
Schlaflähniung des Facia-
lis 632.
Schlaflosigkeit, Behand-
lung der 905.
— Behandlung der mit Hoch-
frequenzströmen 815.
Schlafsucht bei Hirntumo-
ren 520, 523.
Schlafzustände, hysteri-
sche 662, 665.
Schleimhäute, trophische
Störungen der bei Hysterie
661.
Schlinger, der nervöse Seh.
seiner Nahrung 349.
Schmerz und Ermüdung 79.
Schmerzempfindlich-
keit, Feststellung der ku-
tanen 85.
Schmerzempfindung,
Leitungsfasern der 145.
— doppelte 74.
— Dissoziation der Tempe-
raturempfindung und der
bei Kückenmarksverletzung
318.
Schmerzlokalisa tion,
paradoxe im Rachen 325.
Schmerzpunkte 74.
Schmerzsinn 319.
Sehn ecken gif t, Einwir-
kung des auf das Nerven-
system 190.
Schueckensohle, loko-
motorische Wellen der 172.
Schrecklähmung 760.
Schreibkrampf zugleich
mit Akzessoriuskrampf 721.
Schulkinder, Nerven-
krankheiten der 297, 298.
Schulte r gelenksv erren-
kungen, syringomy eliti-
sche 594.
Schulter gürtelmusku-
latur, Defekt der 621.
Schußverletzungen bei-
der Sehnerven 387.
Schwachbefähigte Kin-
der, Hilfschuleu für 1215,
1216.
Schwachsinn 1023, 1025.
Seh wann sc he Zellen, Exi-
stenz der 43.
Schwangerschaft, Einfluß
geschlechtlicher Exzesse
während der auf die Nach-
kommenschaft 80.
— Einfluß der auf Körper-
gewicht und Gewicht des
Zentralnervensystems bei
Hatten 24.
— verlängerte Dauer der bei
einer Geisteskranken 960.
— Chorea und Eklampsie in
der 706.
— künstliche Unterbrechung
der bei Neurosen und Psy-
chosen 1208.
Schwangerschaftsläh-
mungen 650.
Schwangerschaftsunter-
brechung, psychiatrische
und neurologische Indi-
kationen zur 877.
Schwanz bei Froschlarven,
Rückbildung des nach Ent-
fernung eines Rücken-
markszentrums 100.
Schwefelquellen der Pyre-
näen 788.
Schwefel Wasserstoff-
vergiftung als Unfall-
erkrankung 478.
Schwerhörigkeit, nervöse
246.
— Hörjirüfung und anato-
mischer Befund bei pro-
gressiver 344.
Schweißabsonderung,
Einfluß der Gehirnrinde auf
die 121.
Schwielenbildung im
31u8culus subscapularis 622.
Schwindel, Genese des 346.
— als Krankheitssymptom
304.
— galvanischer 369.
Schwitzen, paradoxes beim
Kinde 747.
Seekrankheit als Ursache
akuter Geistesstörung 957.
Seelenbliudheit 362.
— funktionelle 1013.
— Lokalisation der 365.
Segmentäre Gefühlsstö-
rung bei Rückenmarksver-
letzung 864.
Seh bahn, Folgen der Bul-
busatrophie für die zen-
trale 49.
Sehen, Theorie des korti-
kalen 129.
Sehfeld, das kortikale und
seine Beziehungen zu den
Augenmuskeln 120.
— der Wettstreit der und
seine Bedeutung für das
plastische Sehen 178.
79*
1253
Sachregister.
Seh hü gel, Physiologie des
134.
— sensible und motorische
Rolle des 121.
Sehnenreflexe 145.
— diagnostische Bedeutung
der 329.
— Zusammenhang zwischen
Sensibilitätsstörungeu und
bei Tabes 428.
Sehnen transplan tation
bei spinaler Kinderläh-
mung 867.
— psychophysiologische Er-
klärung der 931.
Sehnery, Zentralgefäße im
bei Karnivoren 389.
— Neuroglia des 65.
— Darstellung der Neuroglia
und der Achsenzylinder im
5.
— Verlauf der Makularfaaem
im 869.
— Pigmentierung des 384.
— Verhalten der Pupillen
nach intraokularer Durch-
schneidung des 377, 388.
— Tumoren des 380.
— Gummigeschwulst des 389.
— toxische Entzündung bei-
der 383.
— Schußverletzungen beider
387.
— indirekte Verletzungen des
380.
Sehnervenatrophie als
Aufbrauchskrankheit S96.
— das zentrale Höhlengrau
bei vollständiger 49.
— Schwund markhaltiger
Nervenfasern in der Netz-
haut bei entzündlicher 887.
— nach Basisfraktur 890.
— bei Genickstarre 460.
Sehne rvenverletzuu gen,
direkte 386.
Sehpurpur, physiologische
Bedeutung des 179.
Selbstanzeigen Geistes-
kranker 1176, 1181.
Selbstbewußtsein bei
Rindern, die ersten An-
fänge des sprachlichen Aus-
drucks für das 932.
Sei bstmord931, 1111, 1112.
— bei Alkoholisten 1054.
Selbstmordkandidatin,
eigenartige geistige Veran-
lagung einer 1186.
Selbstverletzung, hyste-
rische 664.
Senium, G eisteskrankheiten
des 1003.
— und Psychose 967.
— Geistesstörung im in Be-
ziehung zur Arteriosklerose
952.
Sensible Reize, Dauer des
Einflusses der auf freiwil-
lige Bewegungen J81.
Sensibilität, Leitung der
im Rückenmark 143.
— Entwicklung der in Nar-
ben 91.
— Verminderung der in den
Tibiae bei Pottscher Para-
plegie 587.
— primäre bei Siredon pisci-
formis und Rana tempo-
raria 100.
Sensibilitätsstörungen
bei Erkrankungen des Ner-
vensystems 318 ff.
— bei peripheren Gesichts-
lähmungen 634.
— bei progressiver Paralyse
1079.
— Zusammenhang zwischen
Sehnenreflexen und bei
Tabes 423.
Sensorische Fasern, Ver-
lauf der im Rückenmark
140.
Sensorium bei der otiti-
schen Sinusthrombose 539.
Serodiagnostik des Teta-
nus 682.
Sexuelle Frage lUOfP.
Shokwirkung bei Schrot-
schüssen 766.
Sialorrhoe, nervöse 667.
Siebbeinzellen, eitrige
Meningitis im Anschluß an
eitrige Entzündung der 494.
— Empyem der hinteren mit
Paralyse der Assoziations-
bewegungen und bitempo-
raler Gesichtsfeldeinengung
380.
Sigmatismus 369.
Simulation 1170.
— von Geisteskrankheiten
1173, 1174, 1180.
— Entlarvung von 387.
Singultoskriseu bei Tabes
419.
Sinnesempfindungen
und Gedächtnisbilder 182.
Sinneslinien, Entwicklung
der bei den Selachiern 30.
Sinnesorgane, Anatomie
der 65 ff.
— der Begriff „Sinnesorgan"
in der Tier- und Pflanzen-
weit 86.
Sinnespsychologie 924,
925.
Sinnesphysiologie 172fi.
Sinus lateralis, beidersei-
tige Thrombophlebitis des
540. I
Sinus Ion gitudinalis su-
per i o r , Thrombose des
538.
— Thrombophlebitis des bei
einem Paralytiker 1080
Sinus occipitalis, Throm-
bose des 540.
Sin US sigmoideus, Throm-
bose des 538.
Sinus transversus, Spon-
tanblutung infolge von
Arrosion des bei Scharlach-
otitis 539.
Sinusthrombose 538ff.
— geheilte otitische 861.
Sitiophobie bei Dementia
praecox 1086.
Sitte und Geisteskrankheit
1006, 1107.
Sittlichkeits Verbrecher
1133, 1175.
Situs viseerum inversus
als inneres Degeneratious-
zeichen 1109.
Sitzen, Arbeitsleistung am
Ergographen beim S. und
Stehen 82.
Sklerodaktylie 746.
Sklerodermie 722, 744,
745.
— Behandlung der mit Mes-
enterialdrüse 837.
Sklerose, diffuse 232.
— besondere Form systema-
tischer bei einem Tabiker
425.
Sklerose, multiple 391,
393ff.
— des Epen dringe webes 229.
— Beziehungen der Encepha-
litis non suppurativa zur
508.
— kindliche, vorgetäuscht
durch Syphilis hereditaria
434.
Sklerosis tuberosa hy-
pertrophica 231.
Skoliose 273.
— bei hysterischer Hüftläh-
mung 662.
— Behandlung der 864.
Skoliosis ischiadica 752.
Solenogastres, Nerven-
system der Gattung S. 28.
Sonderklassen fär
Schwachbegabte 932.
Sonnenbad er, Wirkung der
798, 799.
Sonnenfinsternis, Einfluß
der auf die ergographische
Arbeit 81.
Soziale Gesetze, Einfloß
der auf den Charakter 1104.
1105.
Soziologie UOOff.
Sachregister.
1253
Spannung, Einfluß der auf
die einzelnen Komponenten
der Erregbarkeit des Ske-
lettmuskela 157.
Spannungsveränderun-
gen, Wirkung der auf die
isometrische Zuckung 159.
Spätapoplexie, traumati-
sche 757.
Speichel der (Jephalopoden
ein Gift für das Nerven-
system der Crustaceen 110.
Speiseröhre, Fremdkörper
in der bei Geisteskrank-
heiten 1206.
— hystero - traumatischer
Krampf der 761.
Speiseröhren- Speiche 1-
reflex 141.
Spermatorrhoe, Behand-
lung der 906.
Spermin, Wirkung des auf
die Zirkulation 105.
Spermintherapie 840.
Sphakocephalie 257.
Sphinkter en, Verhalten
der bei zerebraler Kinder-
lähmung 549.
Sphincter pupillae, Läh-
mung des 177.
Spiegelschrift 369.
Spina bifida 267.
Spina bifida lumb OS acra-
1 i s , Entwicklungsstörungen
im Kleinhirn bei 221.
Spinalanästhesie 869ff.
Spinalganglien 59fif.
— Physiologie der 417.
— Vakuolenbildung in den
59.
Spinalparalyse, syphili-
tische 434, 435, 598.
— Encephalomyelitishaemor-
rhagica disseminata acuta
unter dem Bilde der auf-
steigenden 510.
Spondylitische Läh-
mungen, Laminektomie
bei 864.
— Rauchfusssche Schwebe
bei 866.
Spondylose rhizomeli-
que 271.
Spontanfrakturen bei Pa-
ralyse 1076.
Sport 818.
Sprache, innere 926.
— Gehirn und 182.
Sprachstörungen 359fr.
— hysterische 668.
— und ihre Behandlung 906.
Sprachverwirrtheit 359,
1011.
Springen, Physiologie des
163.
Sprung akt, brutaler oder
Sadismus 1150.
Stäbchen und Zapfen, Funk-
tion der 179.
— als Vermittler von Farben-
empfindungen 178.
Stäbchenzellen, Verände-
rungen der bei Paralyse 189.
Stammeln 368.
Stapesankylose mit Be-
teiligung des Hörnerven
246.
Star, Tetanie-St. 712.
Starrheit bei Kindern 312.
Statisches Organ von
Tieren mit kongenital de-
fektem Sehapparat 69.
Statische Orientierung,
Analogien zwischen der
optischen und 95.
Statolithenapparat 925.
Status epilepticus, Be-
kämpfung des 892.
Status hemiepilepticus
idiopathicus 690.
Stauungspapille 377,382,
387.
— Genese einseitiger 343.
— bei Magenkrebs 390.
— Rückbildung der bei Hirn-
tumor 522.
Stehen, Arbeitsleistung am
Ergographen beim Sitzen
und 82.
Stereotypie und Haften-
bleiben 970.
— bei der Dementia prae-
cox 1085.
S timm gab elmetho de, Un-
tersuchung der Knochen-
sensibilität mittels der 321.
Stimmstörungen, spasti-
sche und ihre Behandlung
906.
Stimmung 927.
Stirnhirn, Verletzung des
859.
Stirnhöhlenempyem mit
subduralem Abszeß 542.
Stirnwinduug, Heilung
motorischer Agraphie nach
Operation eines Tumors der
zweiten 360.
Stoffwechsel, Physiologie
des 101.
— bei Kretinen 1031.
Stokes-Adamsscher
Symptomenkomplex
336, 337, 338.
Stottern als Aura des epi-
leptischen Anfalls 692.
— Prognose und Behandlung
dos 368.
S t o V ai n , Spinalanalgesie
mittels 871, 872.
Strafrechtsreform und
Jugendfürsorge 1166.
Strafvollzug, Mißstände
des 1120, 1121.
Strahlenkranz, Erschei-
nung des im neuropathi-
schen Zustand 961.
Strang- und Systemer-
krankungen 698.
Stratum sagittale occi-
pitale laterale s. ex-
ternum 45.
Striae, symmetrische bei
Scharlach 354.
Striae patellares 341,353.
Streckphänomen 308.
Stromertum Deutsch-
lands 1116.
Strümpellsches Zehen-
phänomen 331.
Strychnin, Wirkung des
auf das Kalt- und Warm-
blüterherz 160.
— Einfluß des Alkohols auf
die Giftwirkung des 484.
Strychninvergiftung480.
— Behandlung der 898.
— Behandlung der mit Spi-
nalanalgesie 871.
Stupor, melancholischer und
katatonischer 956.
Substantia Rolandi, fei-
nerer Bau der 57.
Suggestibilität psycho-
pathischer Persönlichkeiten
931.
Suggestion 902.
— und Überredung 930.
Supinationsbehinde-
rung, angeborene 643.
Suprarenin, experimentell
erzeugte Veränderungen
durch 106.
Supraorbitalreflex 326.
Symbolismus, erotischer
1142.
Sympathikus, Physiologie
des 170, 171.
— Lähmungen im Bereiche
des Hals-S. 339, 640.
Sympathicus abdomina-
lis, Veränderungen am bei
Infektionskrankheiten 197.
Sympathischer Grenz-
strang 64.
Sympathisches Nerven-
system, Anatomie des 63ff.
— Entwicklung des bei der
Kröte 32.
Symptomatologie, allge-
meine der Krankheiten des
Nervensystems 278.
— allgemeine der Geistes-
krankheiten 933.
Synaesthesien 347.
Synergie und Tabes 420.
1264
Sachregister.
Syphilis des Nervensystems
430.
— Tumor syph. der rechten
mittleren Schädelgrube 524.
— Syph. Erkrankung der
Basilararterie 203.
— svph. Spinalparalvse 598.
— und Tabes 423, 425.
— Tabes und Paralyse in
Beziehung zur Quecksilber-
behandlung der 416.
— syphilitische Psychosen
1089.
— Bedeutung der für die
Entstehung der Geistes-
krankheiten 990.
— Seelenstörungen im Se-
kundärstadium der erwor-
benen 1015.
— und progressive Paralyse
423, 1068.
Syphilis k virns nerveux
432.
Syphilis congenita, 20-
jährige Dauerbehandlung
eines Falles von 424.
Syphilis hereditaria tar-
da 438, 434.
Syringomyelie 587.
Systemerkrankungen
698.
T.
Tabes dorsalis 405.
— als Aufbrauchskraukheit
296.
— im Kindesalter 414, 420,
424.
— pathologische Anatomie
der amyotrophischeu 239.
— und traumatische Syringo-
myelie 589.
— Einfluß der Kohlensäurc-
bäder auf die Anästhesie
bei 425, 791.
— Keratinbehandlung der
901.
— Übungstherapie bei 803.
— chirurgische Behandlung
der 866.
Taboparalyse im Kindes-
alter 414.
Tachypnoe, nervöse 347.
Taktile Keizo, Bahnung
und Hemmung der Reak-
tionen auf durch akustische
Reize 177.
Tastsinn, Untersuchung des
319.
Tatbestands diagnostik,
psychologische 933.
Taube, Ganglienzellen im
Zentralnervensystem der 96.
Taubheit, Schädelverände-
rungen bei kongenitaler 276.
Taubheit, hysterische 659,
660.
— für Sprache nach Schädel-
trauma 360.
Taubstummheit 369.
— Geisteszustand der Taub-
stummen 978, 1170.
Taucher, Lähmungserschei-
nungen bei 310.
Tee, psychische Wirkung des
484.
Telegonie 94.
Telencephalon, Anatomie
des 44 fi.
Telephonistinnen, hyste-
rische Unfallerkrankungen
bei 762, 763.
Temperenz in den Verei-
nigten Staaten 1123.
Temperatur, Einfluß der
Schwankungen der auf die
Struktur der Nervenzelle
186.
— und Muskelermüdung 159.
— Einfluß tiefer auf die Leit-
fähigkeit des motorischen
Froschnerven 165.
— Einfluß der auf die Wirk-
samkeit des Vagus 167, 168.
Tem p erat urempf in düng,
Leitungsfasern der 145.
— Dissoziation der Schmerz-
empfindung und der bei
Rückenmarksverletzung
318.
Teratom, intramedullares
597.
Tetanie 700, 7100^.
Tetanisation, photoelektri-
sche Erscheinungen im
Froschauge vor und nach
der 178.
Tetanische Kontraktion
des Ilerzens bei elektrischer
Reizung 169.
Tetanus 672, 681 ff.
— Behandlung des 897.
— Behandlung des mit Dural-
iufusion 877.
— Behandlung des mit Spinal-
analgesie 871.
Tetanus neonatorum 683.
Tetanusantitoxin 829ff.
Tetanusgift, Transport des
zu den Rückenmarkszentren
durch die Nervenfasern 113
Theophyllin, Krampfzu-
stände nach 483.
Therapie, medikamentöse
der Nervenkrankheiten767.
— chirurgische der Nerven-
krankheiten 840.
— der Geisteskrankheiten
1182.
— -medikamentöse der Geistes-
krankheiten 1205 ff.
Thermoasymmetrie bul-
bären Ursprungs 561.
Thermotherapie 793ff.
Thomsensche Krankheit
719.
Thoraxdeformation nach
akuter Pleuritis 275.
Thrombose 531.
Thyreoidea s. Schild-
drüse.
Thyreoidinamblvopie
379.
Thyreotoxisches Serum
835.
Tibiae, Herabsetzung der
Sensibilität in den bei
Pottscher Paraplegie 587.
Tic couvulsif 717.
Tics, Übungstherapie bei
824, 908.
Tierpsychologie 933.
Tod, plötzlicher bei Tabikem
418.
Tollwut482,483, 1061,1062.
— histologische Diagnose
der 474.
— Negrische Körperchen bei
der 193.
— Giftigkeit des Blutes bei
wutkranken Tieren 111.
— Läsionen des Neurofibril-
lennetzes bei experimentel-
ler 190.
— Vererbbarkeit der 479.
— Geisteskrankheit bei 1006.
— Wirkung des Radiums auf
das Gift der 817.
— Serumtherapie bei 839.
Tollwutimpfungen 480,
483, 484.
— Leukocytose im Verlauf
der 481.
Tonus 88, 98, 172.
Tonusschwankungen am
isolierten Kaninchenherzen
bei Veratrinvergiftung 168.
Torpedo, eine Gesetzmäßig-
keit im Nervensystem des
60.
Torticollis hystericus
665, 669.
Totenstarre 161.
Toxämie bei Schwangeren
684.
Tractus opticus, Encepha-
litis des 508.
Transitivismus bei Gei-
steskranken 997.
Tränenabsonderung, Ein-
fluß der Gehirnrinde auf
die 121.
Traum 929, 930.
— epileptische Tr. 689.
— Psychologie der 929.
— als feinstes Reagens ffir
Sachregister.
1255
die Art des sexuellen £m-
pfindens 1144.
Tr&uma und Nervenkrank-
heiten 753.
— Lähmungen des Nervus
facialis nach 635.
— traumatische Erkrankun-
gen des Rückenmarks 574.
— multiple Sklerose nach
402, 404.
— und Geisteskrankheiten
967, 1014.
— Dementia paralytica nach
1072, 1081, 1088.
Traumatische Neurose
763, 764.
— und Sprachstörung 367.
Traumgedächtnis 926.
Tremor, hereditär -essen-
tieller 308.
— Bewertung des als Zeichen
des Alkohol ismus 309.
Tremor senilis 486.
Trepanation 861.
Trichophytie nach Dauer-
bädern 1211.
Trichromatisches Auge,
Peripheriewerte des deu-
teranoptischen und t. A. 180.
Trigeniin 777.
Trigeminus-Ohrreflex
beim Kaninchen 326.
Trinkerfürsorge 1214.
TripolareNervenreizung
166.
Trochanter tertius 276.
Trommelfell, Nerven des
1221.
Tropakokain, lumbale
Analgesie mittels 870, 871.
Tropen, Nerven- u. Geistes-
krankheiten in den 1061.
Trophische Nerven, Phy-
siologie der 417.
— Beweis für die Existenz
der 167.
Trophische Störungen,
Beziehungen der zu den
Sensibilitätsstörungen bei
Tabes 416.
— bei Hirntumoren 519.
— bei Hysterie 661.
Trophische Vorgänge,
Beziehungen des Nerven-
systems zu den 85.
Trophoneurosen 722,742,
743.
Trophospangium der Ner-
venzellen von Helix 36.
Trunksucht s. Alkoholis-
raus.
Trypanrot, Heilbarkeit der
Schlafkrankheit mittels Ar-
sen und T. 901.
Tuber eulaendooccipit o-
basilaria an den Schä-
deln Geisteskranker 995.
T u b e r k u 1 o s e , histologische
Veränderungen der Hirn-
rinde bei 197.
— des Gehirns und Klein-
hirns 569.
— Solitär-T. der Rolando-
schen Gegend 524.
— der Hypophysis 230.
— des Rückenmarks 241,242.
— des Os sacrum und der
Cauda equina 583.
— Myelitis durch tuberkulöse
Toxine 572.
— stärkerer Bazillen- und
Giftgehalt des Pleuraexsu-
dats im Vergleich zur Gere-
brospinalfiüssigkeit bei 477.
— psychisches Verhalten bei
961.
— in Irrenanstalten 1213.
— progressive Paralyse bei
1079.
Turmschädel 265, 266.
Turnen im Hause 821.
Tuschreize, Beeinflussung
des Gedächtnisses durch
926.
Tympanalgegend des
Säugetierschädels 259.
Typhus, Bauchreflex bei 325.
— Meningitis bei 497.
— Delirien im Rekonvales-
zenzstadium der 1004.
— Geistesstörungen nach
1059.
U.
Überfütterung, epilepti-
,. sehe Anfälle nach 699.
Überernährung 807.
Übersinnliches, Grenze
.. des 931.
Überwertige Idee 1177.
Übungstherapie 818.
— bei Tabes 803.
Ulcera cutanea bei Hy-
sterie 662.
Unfall 8. Trauma.
Unorarische Nationali-
täten. Schädeldeforma-
tionsverhältnisse bei den
260.
Ungulaten, Zellenbau des
Großhirns bei den 46.
Unterarmreflex 327.
Unterernährung 807.
Unterschenkelamputa-
t i o n , Rückenmarks Verän-
derungen nach 197.
Unterschrift der Pai'aly-
tiker 1081.
Untersuchungsmetho-
den, anatomische des Ner-
vensystems 1.
Urämie und enterogenc
Autointoxikation 1062.
— Untersuchung der Gere-
brospinalflüssigkeit bei 305.
— Lumbalpunktion bei ner-
vöser 869.
Urämische Hemiplegie
334.
Urhydrie 303.
Urodelen, Nervensystem
der 146.
Urotropin, Besserung einer
Paralyse nach Anwendung
von 1209.
Urteil 928.
Urticaria auf angioneuro-
tischer Basis 742.
Vagabundenfrage 1117.
Vagus s. Nervus vagns.
Valofin 906.
Vakuolenbildung in den
Spinalganglien 59.
Varizen, pulsierende an der
Stirn bei abnormem Hirn-
sinus 306.
Vaskuläre Trophik der
peripheren Nerven 200.
Vasodilatatoronreizung,
Wirkung der 171.
Vasokonstriktoren, ther-
mische Reizung der 170.
Vasokonstriktorische
Wirkung des Blutserums
104.
Vasomotorische Symp-
tome 335 ff.
Vatermord aus religiöser
Schwärmerei 1137.
Ventrikel, Epyem des unter
dem Bilde eines Hirntumors
520.
— Tumor des dritten 525.
Veratrinvorgiftung, To-
nuserkrankiuigen am iso-
lierten Kanin chcnherzen
bei 168.
Verblödung, juvenile 1030.
— Herdsyniptome bei 1004.
Verbrechen llOOfiF.
Verbrecher, geisteskranke
1122, 1133 £F., 1171 ff.
Verbrennung, Immunisie-
rung und Serumtherapie
bei 839.
Verbrenn ungs wärme der
Körpergewebe, Änderun-
gen der unter dem Einfluß
des Alters 161.
Verdauung, V^erhalten der
bei Geisteskranken 955.
1256
Sachregister.
Vererbung erworbener Ei-
genschaften 985.
— und Krankheitsanlage
1108.
Verfolgungswahn 956.
Vergessen, Psychologie des
bei Geistes- und Nerven-
kranken 926.
Ver kal ku ng der Hirngefaße
204.
Veronal 773, 774.
— bei Geisteskrankheiten
1208.
Veronalismus 479.
Verwandlungswahn 956.
Verwirrtheit 949, 1001.
Vestibuläre Zentren,
Bahnen der bei der Taube
137.
Vibration, Einfluß derauf
das Faradisationsgcfühl
808, 824.
Vibrationsempfindung,
Störungen der 320, 321.
— Beziehungen der Osteo-
akusie zur 321.
Vibrationsmassage 820,
823, 824.
— mittels des Trübschen
Elektromagneten 821.
Vierhügel, Verbindungen
des 50.
Vierzellenbad, Ersatz des
790, 815.
Viferral 774.
Violettblindheit im einen
bei totaler Farbenblindheit
des Netzhautzentrum im
andern Auge 386.
Violettsehen 382.
Visuelle Erinnerungs-
bilder 924.
Viszerale Vorgänge, Be-
ziehungen des Nerven-
systems zu den 85.
Viszeralganglion von
Anodonta 64.
Vitiligo 746.
— bei Rückenmarkstumor
596.
Volksheilstätten für Ner-
venkranke 807.
— für Nerven- und Geistes-
kranke 1203.
Vorderarmbewegungen,
Schätzung von Bewegungs-
größen bei 181.
Vorderhörner, Affektion
der bei Tabes 414.
Vorderhornzellen, Ein-
fluß der transversalen
Durchschneidung des Rük-
kenmarks auf die sekun-
dären Veränderungen der
195, 196.
Vormauer 45.
W.
Wachsuggestion 905.
Wahn und Persönlichkeit 984.
Wahnbil düng, Wurzeln der
im Alltagsleben 986.
Wahnideen 954, 974, 984.
— Entstehung der paranoi-
schen 1040.
Wahrnehmungen, falsche
Verletzter 765.
— eingebildete des Zeugen
1136.
Wallersches Gesetz 202.
Wandertrieb, Mutismus bei
einem mit W. behafteten
Migranten 907.
Wanderzustände, patho-
logische 980.
Wärmeleitung und Nar-
kose 99.
Wärterfrage 1182.
Warzenfortsatz, Gefahr
der Hirnhautblutungen bei
Operationen am 538.
Wasserspinne, Reaktion
der auf Licht 181.
Wechselstrom, Verletzung
durch 761.
Wehenkrisen bei einer Ta-
bikerin 417.
Weigertsche Neuroglia-
präparate, Gründe man-
gelhafter Haltbarkeit der
und Wiederherstellung ab-
geblaßter 4.
We i n i n g e r s Werk und Per-
sönlichkeit 1130.
Weinkrämpfe, Pathogene-
se der 303.
Westphal-Strümpell-
sche Krankheit 232.
Whitmann, Walt W. 1154.
Willenaakt 118.
Willensbewegung, der
zeitliche Verlauf der 78.
Willensfreiheit und Psy-
chopathologie 924.
— Moral, Strafrecht und
1100.
Winterschlaf 100.
Wirbelgeschwülste 695.
Wirbelsäule, Erkrankun-
gen der 267 ff.
— Affektion der bei Tabes
417.
— Chirurgie der 864.
Wirbelsäulen Verstei-
fung, chronische ankylo-
sierende 270.
Wochenbett, Neuritis pu-
erperal ia 648.
— Tetanie im 710.
Wortblindheit 361, 362.
Worttaubheit mit Blind-
heit und Hemiplegie 362.
Y.
Yohimbin 779.
Zahleneinfälle, Psycho-
Analysen von 948.
Zahnbildung in entwick-
lungsgeschichtlicher Be-
ziehung 97.
Zahnheilkunde und Ner-
venkrankheiten 301.
Zauberbücher, moderne
1139.
Zehenphänomen, Strüm-
pellsches 331.
Zehenreflex 327.
Zeichensprache, Verlust
der bei einem Taubstum-
men nach Schlaganfalleo
365.
Zentralnervensystem,
Bau des beim Affen 26.
— Sauerstoffbedürfnis des
bei Seetiereu 76.
Zerebrale Kinderläh-
mung 645.
Zerebrospinalfliissig-
keit, Einfluß des Druckes
der auf den arteriellen
Druck 110.
— cytodiagnostische Unter-
suchung der 304, 305, 306.
— die „cellules claires" in
pathologischer 115.
— Nachweis des Gholins in
der mit dem Polarisations-
Mikroskop 106.
— Fleischmilchsäure in der
bei Eklampsie 687.
— Fehlen der Glvkose in der
107.
— Untersuchung der bei epi-
demischer Genickstarre 461.
— Verhalten der bei experi-
mentellem Ikterus 108, 111.
— Verhalten der bei tuber-
kulöser Meningitis 499, 500.
— Beziehungen der Syphilis
zur Lymphocytose der 437.
Zeugenaussagen
Schwachsinniger 1171.
Zeugenvernehmung, Re-
formvorschläge zur 1180.
Zirbeldrüse, Funktion der
124.
— Histologie der 60.
— Beziehungen der zur Akro-
megaüe 739, 740.
— Beziehungen der zur Base-
dowschen Krankheit 734.
— bei Kretinismus 1032.
— Tumoren der 522.
— Hypophysengang-
geschwülste 226.
— Tuberkulose der 280.
Sachregister.
1257
ZirkulfttioD, Einfluß von
Bädern auf die 783.
Zola über Homosexualität
1156.
Zoophobie 956.
Zuckungshöhe des Mus-
kels bei wechselnder Unter-
stützung 158.
— . Abhängigkeit der maxi-
malen des ausgeschnittenen
Muskels von der Lage der
Reizstelle 157.
Zunge, Atrophie der bei
juveniler Muskeldystrophie
615.
Zurechnungsfähigkeit
1165flf.
— verminderte 1169, 1171.
Zwangserzichungsan-
st alten, individuelle Er-
ziehung der Insassen von
933.
Zwangsvorstellungen
959, 974.
Zwangszustände, psychi-
sche 1014.
Zwischenkiefer, Fehlen
des bei einem menschlichen
Schädel 257.
Zwischenstufen, Jahrbuch
für sexuelle 1150.
Zyklotherapie der sexuel-
len Neurasthenie 823.
Zytodiagnose 304,305,306.
Namenregister.
bezeichnet Arbeiten, welche sich im Literatur -Verzeichnis finden, aber nicht referiert sind.
Aall 672*.
Aaron 840*.
A b a d i e 405*, 41 7, 46 1 *, 700*,
722*, 840*, 1062*.
Abba 474.
Abbe 877*.
Abbot 247*, 457. 1182*.
Abclsdorff 7*, 377.
Abderhalden 461*.
Abogado 461*.
Abraham, K. 877.
Abrahamaon 556*, 567*,
587*, 610, 1049*.
Abrami 489*.
Abrams 278*, 652*.
Acchiote 559*.
Ach 908*.
Achard 437*, 652*, 947,
1046*, 1049*.
Achelis 165.
Acker 204*.
A Costa 461*, 825*.
Acquaderni 502*.
Acuff 488*.
Aczel 462*.
Adachi 247*.
Adam, A. 7*.
Adamkiewicz 118, 377.
Adams 488*, 700*
Adler 211*, 948.
Adolphi 247*.
Aeschbacher 101*.
Agababow 1*.
Agapow 511*.
Agasse-Lafont 276.
Agatston 488*.
Aiello 1062*.
Aievoli 278*
Aikin 278*.
Akerblom 1097*. \
Alberici 933*. '
Albert 768*. i
Alberti 672*, 933*, 1025,
1039.
Albös 937*.
Albrand 377, 378.
Alb recht 368, 672*, 767*,
1089.
Albu 806, 877*.
Alcock 169, 462*.
Aldabalde 557*, 659*
Alderton 840*.
Alejandro San 3Iartin
840*.
Alcssandri 524.
Alessi 116*, 753*.
Alexander, A. 182*, 832.
Alexander, B. 204*, 370*,
550*, 908*.
Alexander, G. 69, 204*,
276, 624*, 865, 925.
Alexander, H. 1208.
Alexander, I. 840*.
Alexander, M. I. 672*. i
Alexander, W. 868.
Alexander-Schäfer 908*,
926.
Alfaro 1049*.
Alfewsky 54.
Alger 1017*.
Algeri 1182*.
Algyogyi 559*.
V. Alimonda 809*.
Aliotta 908*.
Allaeys 877*.
Allaire 624*.
Allanic 652*.
AUard 780*.
Allaria 101*.
Allbutt 877*.
Allen 8*, 475, 556*, 598,
652*, 687, 933*, 1090*.
AUis 247.
Allison 410*.
Allounes 909*, 933*.
Allvn 358*.
Alm ei da 772*, 1049*.
Alpago Novelle 462*.
Alpert 251*.
Alquier 190, 204*. 565, 632,
745, 1062*.
Alrutz 74.
Aisted 825*.
Alt 370* 488*, 545, 624*,
892, 1158*, 1182*, 1205.
Alter 773, 839.
Altmann 448, 840*. i
Alvaro GuimarfCes 205*.
Alves de Lima 278*.
Alzheimer 933*, 1062*.
Amaducci 278*.
Amako 933*.
Amaldi 462*.
Amantini 406*.
d'Amato 182*, 197.
Ambard 104.
Amberg 247*.
Ambrosio 652*.
Araenitzki 2^8*
Ament 909*.
Amerlinck 462*.
Am et 475.
V. Ammon 370*.
Anda 825*.
Anders 672*, 767*.
Anderson 177, 278*, 437*,
491*
Andre 26.
Andreotti 1090*.
Andrews 925, 933*.
Andriezen 74, 933*.
Angelis 1033*.
Angell 279*, 753*, 909*.
Angelvin 652*.
Angersbach 909*.
Angheben 840*.
Angier 180, 181, 462*.
Angiolella934*,948,1090*.
Anglade 202, 205*, 279*,
355*, 370*, 391*, 5 11*, 567*,
672*, 713*, 934*.
Anka 863.
Ansaldi 909*.
Ansalonc 54.
Antheaume 1090*.
Anton 587*, 949.
Antonelli 870*, 878*.
An ton in 277, 355*, 995.
Antonini 878*, 1164*.
Antony 279*.
Aparicio 531*.
Apetz 370*.
Appel 247*.
Appleton 1090*.
Aquilar 878*.
Araki 984*, 1158*
Nameoreglster.
1259
Arantes Pereira 462*.
Aratarit 1182*.
Arbeit 1*.
Archambault 45, 279*,
1175.
Arehibald 672*.
Argelli^s 840*.
Argentina 462*.
Argiitinsky 735.
Armand 722*.
Armand-Delille 297,391*,
722*.
Arniour 753*.
Armstrong 934*.
Arndt 949.
Arneill 462*.
Arneth 713*, 909*.
Arnheim 279*, 689.
Arnold 909*.
Arnolds 406*.
Arnsperger 840*.
Arnstein 538.
Aronade 1049*.
Aronheim 757, 901.
Aronson 683.
Arquembourg 462*.
Arrighi 825*.
Arruda Sampaio 462*.
Arthur 1182*.
Arullani 406*.
Asai 8*.
A8chaffenburg909*,1158*,
1160*.
Aschoff 8*.
Ascoli 531*.
Ashby 298, 700.
Ashdowne 247*.
Asher 167.
Ashley 1062*.
Ashiey-Emile 878*.
As hm e ad 462*, 878*.
Aslecki 462*.
Asmus 370*.
Assicot 1063*.
Assinger 818*.
Astwazaturow 567*, 698.
Atchinson 462*.
Atgier 247*.
Athias 34, 59.
Atkinson 1158*.
Attilio 205*.
Atwood 462*.
Aubertin 462*, 474.
Aubineau 383, 719, 755*.
Auchc 549.
Audan 809*.
Audenino 1017*, 1062*,
1090*.
Audibert 310, 625*.
Audiffrent 1049^ 1090*.
Auer 111, 161, 909\
Auerbach 8*, 302, 367, 860.
Auf der Maur 571*.
Auffret 722*, 840*.
Aurand 550*.
Ausset 426*, 610*.
Austin 462*, 825*.
Austregcsilo 700*.
Autour 285*.
Auziinour 1090*.
Aveta 652*.
Axenfeld 379, 865.
Axhausen 681.
Axisa 543.
Axmann 652*, 815.
Aver 1182*.
Azema 559*, 934*.
Azevedo Sodro 279*, 406*,
672*.
Azoulay 8*.
Azuma 488*.
Bäärnhielm 841*.
Babäk 75.
Babbaux 849*.
Babcock 247*, 878*.
Babel 101*.
Babini 722*.
Babinski 279*, 297, 330,
344, 379, 425, 548, 559*,
561. 567*, 598, 610*, 624*,
634, 645, 652*, 700*, 708,
717, 721, 747, 753*.
Bablcr 556*.
Babonneix 474, 779.
Bach 119, 177, 758.
Bachmann 600*, 800.
Bacon 495, 531*, 878*.
Baculo 70*.
Baduel 406*.
Baer, L. 119.
Baginsky, A. 652*.
Buginsky, B. 759.
B.agliano 878*.
Baglioni 70*, 76.
Bahrdt 437*, 488*.
Bailoy 461, 489*, 531*, 672*,
841*.
Bain 802.
Bainbridge 171, 295*, 310.
Baird 147*, 1075.
Baker 587*.
Bakhtiaroff 878*
Balakian 624*.
Balas 841*.
Balassa 753*.
Baldenweck 677*.
Baldi 16*.
Baldwin 279*. 406*, 749*.
909*.
Balfour 462*, -190*.
Balika 672*.
Balint 624*.
Bull 531*. 722*.
Balhincc 848*.
Ballot 279*, 563, 652*. 713*,
722*, 740, 909^^,934. 1019*,
1062*. 1203.
Balügh 304, 1168.
Baiser 1185'-'.
Baltus 41.
Balzer 462*.
Bancel 481.
B an Chi 8*, 54, 205*.
Banchieri 462*.
Bändel 247*.
Bangs 279*.
Bar 531*, 672*, 841*.
Bäräny 279*, 925. 928.
Barbier 789.
Barbieri 8*, 101*.
Barbour 489*, 599*.
Barcia (/aballero 934*,
1158*, 1182*.
Barcia PMeizegui 672*.
Barclay 818*.
Bard 173, 379, 587.
Bardeen 8*, 247*.
Bardenheuer 841*.
Bardesco 878.
Barfurth 42.
Bargain 934*.
Bark er 723*, 841*, 890.
Barlatior 489*.
Barlay 370*.
Barnabo 8*.
Barnard 713*.
Barnbill 531*.
B a r n e s 241 . 462*. 489*, 878*,
906, 969*, 1078.
Barnhill 841*.
Baroch 772.
Baron 406* 462*.
Baronio 723*.
Barunis 65'2*.
Barot 825*.
Barr 502*.934*, 1017*, 1182*.
Barrat lÖl*.
Barrett 434, 502*, 511 ♦,934*.
Barrovecchio 320.
Bart 462*.
Bartel 224.
Barth 147*, 632, 633, 878*.
Bartholow 878*.
Bärwald 909*.
BarwoU 279*.
Bary 934*, 1158*.
Basch(» 8*.
Baskin 818*.
Basier 179.
Bass 622.
Bassenge 780*.
Bassi 949, 1090*.
Bassoe 462*.
Bastianclli 624*, 749*.
Bastogi 279*.
Bath 8*.
Batista 878^
Battaglia 182*.
Battelli 104.
Bat ton 279*, 316. 371*, 550*,
599'', 624^ 672*, 723^, 909*.
Baudot 574*, 809*.
Baudouin 248*, 250*. 561*
1090*.
Baudron 567*.
1260
Namenregiflter.
Baudry 370*.
Baudiiv 624*.
Bauer 417, 611*, 625*, 700*,
723*, 1090*, 1176.
Baugh 949.
Baum 105.
Baumann 500, 605.
Baumeister 611*.
Baumgarten 406*, 652*.
Bäumler 511*, 625*, 753*.
Bauschke 406*.
Bayerl 950.
Bayerthal 248*, 494, 1182*.
Baylac 406*, 611*.
Bayon 2, 3, 1032.
ßeach 1017*.
Bean 8*
Beard 370* 652*.
Beauchamp 8*.
Beaochant 205*.
Beaulieu 531*.
Beaurieux 70*.
Bechet 672*.
V.Bechterew 120, 121,279*,
306, 307, 328, 364. 420,
611*,713*, 718, 909*, 934*,
950, 951.
Beck, C. 841*, 876.
Beck, G. 161, 280*.
Becker 1158*, 1177.
Beckhard 263.
Beckurts 767*
Beddard 8*, 611*.
Beddies 776.
Beddoe 248*.
Beduschi 248*.
Beebe 462*.
Beerwald 776, 821.
Beevor 8*, 280*, 611*.
Begouin 611*.
V. Behm 433.
Behr 205*, 287*.
Behrends 205*.
Behrendt 1182*.
B ejarono 355*.
Beintker 599*.
Beitzke 122.
Belardi 489*
Belin Sarmiento 909*.
ßeliug 1090*.
Belke 437*.
Belkowski 744.
Bell 462*, 556*, 909* 934*,
1017*.
Bellander 672*.
Bellanger 1090*.
Bellet 170, 248*, 312.
Belletrud 1204, 1217.
Bellin 491*.
Bellini 878*, 1090*, 1157,
1158*.
Belloni 248*.
Bellot 189, 191.
Belmondo 1196,
Belot 809*.
Bclski 280*.
Beitran 1050*.
Benaki 430*.
Benda, C. 8*.
Benderski 818*.
Bendix 723*, 1090*.
B e n e c k 70*.
Benedict 168, 280*, 462*,
700*, 841*.
Benenati 280*, 486*.
Beni-Barde 670.
Ben nett 370*, 809*.
Benöhr 371*.
Benoit 280*. 780*, 809*.
Benon 934*.
Bentall 674*.
Bentley 909*.
Benton 462*.
Bentz 672*.
Berard 531*.
Bercio 1136.
Beresnitzki 878*.
Bereatovisky 280*.
Berg 462*, 700', 825*, 841*.
Bergen 774, 778.
Bergen 9*.
Berger, A. 280*, 402, 649.
841*.
Berger, C. 379.
Berger, E. 371*, 934*.
Berger, H. 9*, 70*.
Berger, P. 625*, 713*.
Berghinz 595*.
V. Bergmann 248*, 280*.
Berillon 878*, 909*, 1090*.
Berkeley 488.
Berliner 9*.
Berling 1183*.
Berlit 371*.
Bernabeo 574*.
Bernand 574*, 611*.
Bernard 430*.
Bernardi 492*.
V. Bernd 244.
Bernhard 625*.
Bernhardt 417, 582, 641,
643, 809*, 934*.
Bern heim 652*, 763*, 902,
930.
Bernstein, 158, 489*, 839,
909*.
Berry 462*, 489*.
Bertarelli 193, 462*, 474.
Berteis 723*.
Berthelot 182.
Bertier 280*.
Bertillon 1183*.
Bertin-Sans 177.
Bertolotti 280*, 329,406*,
562.
Bertozzi 280*.
Bertran 809*.
Bertz 1154.
Besley 672*.
Bessmertny 167.
Besson 749*.
Besta 9*, 41, 182*, 396,
462*, 463*, 464*, 707, 1017*.
Bethe 9*, 70*, 76, 148*.
Bettencourt 462*.
Betti 672*.
Beulwitz 1155.
Beuschotan 531*.
Bewley 594.
Beyer 69, 277, 280*, 773.
804.
Beyne 168.
Bia^i 248*, 280*.
Bi an Chi 44,48, 625*, 878*,
909*, 934*.
Bianchou 652*.
Biancone 511*, 934*, 1139,
1158*.
Biaute 934*.
Bibrowicz 669, 865.
Bickel 77, 122.
Bickham 841*.
Biddle 934*.
Bidlot 749*.
Bidon 559*, 652*.
Biedermann 172.
Biedrichson 653*.
Bieling 878*.
Bielschowsky 3, 188, 371*,
1218.
Bleu 219.
Bienfait 653*, 753*, 780*.
809*. 878*, 1158*.
Bier 870.
Biereno de Haan 909*.
Bietti 183*.
Bikeles 136, 137.
Billard 170, 280*, 312,464*.
Billaud 574*.
Billings 437*, 463*, 475.
Billington 1078.
Binder 909*.
Binet 70*, 910*, 934*, 935*,
1017*, 1090*.
Binet-Sangle 931.
Bing 301. 321. 410*, 413.
Binswanger 1091*, 1183*,
1193.
Biomatrics 9*.
Biondi 625*.
Birch-Hirschfeld 379.
Birdt 489*.
Birkenholz 406*.
Birnbaum 935*, 1091*.
Biros 1050*.
Bischoff 930, 935, 1180.
Bischofswerder 355*.
Bispinck 672*.
Bissauge 511*.
Bittorf 240, 411, 574*, 646.
Blaber 458.
Black 248*.
Blagoweschtschcnski
371*.
Blair 841*.
Blake 280*, 723*.
Blakeman 9*.
Namenregister.
1261
Blanc 653*.
Blanche-de-la-Koche
653*.
Blanchini 1183*.
Blanchon 878*.
Blanda 626*, 935*.
Blank 841*.
Blaschek 343, 531*.
Blasi 782*.
de Blasio 1001*, 1132.
Bleibtreu 364, 736, 772.
Bleier 366.
Blencke 408*, 600*.
Bleuler 903, 910*, 1159*,
1193.
Bleyer 910*.
Blin 206*, 1092.
Blind 759, 766.
Bliss 24S*, 597. 649.
Bloch, I. 1091*.
Bloch, L. 468*, 746.
Bloch, M. 161, 573, 749*,
910*.
Blocher 1091».
Blois 817.
Bloom 672*.
Blum, F. 878*.
Blum, L. 200*, 492*, 623.
Blumenau 56, 183*.
Blumenstock 2^8*.
Blumenthal, M. 263.
Boas 907.
Bochenek 9*.
Boeckel 841*.
Boedeker 1066.
Boeder 780*.
Boege 525.
Boemans 935*.
Boenninghaus 362.
Boerma 835.
Boettiger 563*.
Bogdan 1153*
Bogdanoff 909*, 910».
Böger 271.
Boggiano 355*.
Böhmig 762.
Bohn 77.
Bohne 463*.
Boidard 1062*.
Boinet 810. 458, 574*, 625*.
Boisseau du Kocher 809*.
Boissonnas 706.
Bokay 841*.
Bökelmann 891.
Bokenham 809*.
Boldt 556*, 841*, 951.
Bolduan 454.
Bolk 9*.
Bolognesi 211*.
B ölten 280*.
Bolton 951, 1210.
Bombarda 935*, 1046*,
1050*, 1091*. 1159*i 1183*.
Bombes de Villieres 683.
Bomby 767*.
Bomugat 653*.
Bonain 538.
Boncourt 952.
Bond 70* 809*, 952.
Bonfigli 753».
Bonger 1091».
Bongiovanni 183*, 473*,
813*, 817.
Bonhöffer 205», 935*, 1054,
1091*.
Bonhomme 1062*.
Bonjour 905.
Bonnamour 469*.
Bonnefoy 809*.
Bonn es 210*, 737.
Bonnet 841*, 879*, 910*,
1187*.
Bonnette 935*, 1091*.
Bonney 22*.
Bonniat 561*.
B o n n i e r 1 16*, 280*, 803, 324,
346, 910*.
Bonniot 288*, 715*.
Bonnus 721.
Bonvicini 363.
Boodin 910*.
Boon 566.
B 0 o th 280*, 531*, 723*, 825*,
1146.
Borchardt 511*, 530,611*,
841*, 865.
Borchert 9*, 60.
Borel 463*, 1171, 1183*.
Bormans 474.
Born 879*.
Bornait-Legueule 284*.
Bornemann 371*.
Bornstein 393, 416, 566.
Borowikow 280*.
Boruttau 116», 148*, 163,
166.
Bösbauer 1183*.
Bosch 511*.
Boss 775.
Boss au 280*.
Bossuet 841», 843*.
Botey 531*.
Bottazzi 148».
Botti 148*.
Bottomley 841*.
Boucard 910*.
Bouchacourt 626*.
Bouchaud 308, 362, 545*.
Bouche 426*, 879*.
Bouchet 463*.
Boudet 574*.
Boulanger 625*, 841*.
Boulay 280*.
Boulud 761.
Bouman 148*, 723*, 935*.
Bourdon 70*, 281*, 355*.
Bourgeois 560*.
Bourilhet 1208.
Bournet 625*.
Bourneville233,281*,463*,
672*, 825*, 879*, 1017*,
1030, 1183*, 1216.
Bousquet 315, 672*.
Boussenot 489*.
Bouthelier 767*.
Boutin 749*.
Bouvier 531*, 841*.
Bouygues 281*.
Bowe 430*.
Bowen 437*, 531*.
Box 253*.
Boxall 896.
Boxich 1091*.
Boyd 560*.
Boye 470*.
Boyle 1203.
Bozzano 910*.
Bozzi 841*.
Bra 693.
Brächet 9*.
Brackebosch 248*.
Bradford 248*, 842*.
Bradley 28, 248*, 673*.
Hradshaw 595.
Brady 531*.
Braillon 489*.
Brainerd 463*.
Bramwell 281*, 357*, 365,
366, 391*, 463*, 511*, 531*,
550*, 568*, 574*, 587*, 611*,
693, 818*, 879*.
Brand eis 486*.
Brandon 842*.
Brandt 406*.
Branson 825*.
Brant Paes Lerne 511*.
Brassary 1091*.
Brassert 752.
Bratz 694.
Brauer 9*.
Brault 205*, 244.
Braun 281*, 519, 842*, 906,
935*.
Braune 1158.
Braunschweig 379.
Braunstein 723*, 778.
Braus 33.
Bravo 1159.
Bregmann 248*, 281*, 406»,
423, 523, 560*.
Breitmann 549, 910*.
Brelet 937*.
van Brero 1061.
Bresler 767*, 935*, 1159*,
1183*.
Breton 355*,489*,531*,834.
Brettauer 673*.
Brever 723*.
Brew 281*.
Breyre 625*.
Briand 896, 1057.
Brice 841*.
Bridou 910*.
Brieger 785, 786.
Briggs 1050*.
Brigham 1183*.
Brinckmann 879*.
Brings 776.
1262
Namenregister.
Brink 673*.
Brinkmann 809*, 818*.
Briot HO.
Brissaud 248*, 281*, 551*,
611*, 625*, 700*, 723*.
Hrisson 879*.
Bristow 842*.
Britto 653*.
Broadbent 1211.
Broca489*, 653*, 753*, 809*,
842*.
Brechet 248*.
Brock 32.
Brockman 430*.
Broden 463*.
Brodmann 9*, 116*, 188.
Hrodnitz 842*, 866.
Broeekaert 205*. 625*.
Broglio 426*, 545*, 588*.
Brongniart 723*.
Brook 842*.
Brooks 437*, 505, 560*.
Broschniowski 842*.
Brouardel 767*, 1050*.
Brower 486*, 574*, 598*,
673*, 709, 809*, 879»,
935*, 1082, 1183*.
Brown, C. H. 625*.
Brown, I. E. 371*, 879*.
Brown, I. M. 355*.
Brown, L. 1183*.
Brown, P. K. 511*.
Brown, S. 600*, 673*, 693.
Brown, VV. L. 489*, 551*,
745.
Browning 437*, 578, 579.
879*.
Brownrigg 511*, 935*.
Bruandet 60.
Brubaker 749*.
Bruce 9*, 240, 502*, 568*,
809*.
Brück, A. 842*.
Brück, 0. 662.
V. Brücke 172, 179.
Brückner 179.
Brühl 205*, 246, 248*, 344,
1062*.
de Bruin 545*, 701*.
Bruine Plooa van Amstel
673*.
Bruining 611*.
Brumpt 463*, 825*, 901.
Brunacci 10*.
Brunei 510.
Bruner 355*.
Brunet 437*, 1185*.
Bruni 10*. 135*.
Brunn er 910*. 1017*
Bruno 776.
Bruno n 463*.
Bruns, L. 205*, 391*, 527,
565, 701*. 714*.
Brunton 879*, 905.
Brush 404, 692, 749*, 935*.
Bryant 463*, 531*, 611* I
714*, 723*, 936*.
Buch 319, 658*, 714*.
Buchan 463*.
Buchanan 714*, 1027, 1030.
Buchholz 952.
Buchwald 588*.
Bück 673*.
de Bück 191, 203, 281*.
391*, 567, 842*, 868, 935*.
1062*.
Buckiugham 438*.
Buckman 566.
Buerger 683.
Bufarale 809*.
Buffet-l)elmas205*, 511*.
Bühler 165.
BuisBon 1183*.
Buist 653*.
Bullard 205*, 673», 842*,
1017*.
BuUock 842*.
Bulson 371*.
Bum 619.
Bumke 9*, 58, 59, 935*.
Bunch 353.
Bunge 463*, 1159*.
Buning 1159*.
Bunzl 205*.
Burch 809*, 818*.
Burchard 907.
Burckhardt 10*.
Burford 879*.
Burgaud 871.
Burgdorf 430*.
Burgess 953.
Burgl 1159*.
Bürker 159.
Bürkner 900.
Burnet 653*,711,9!0*,935*
1017*, 1159*.
Bums 730*.
Burnwell 723*, 1159*.
Burr 355*, 365, 566, 585,
673*, 935*, 1017*.
Burr eil 574*.
Burzio 1063*, 1088.
Busch 701*, 780*.
Buschan 70*.
Bush 910*.
Busi 281*, 489*.
Büsing 463.
Buss 790.
Butler 430*, 663*; 879*.
Butter 753*.
Buttler 463*.
Büttner 673*, 1091*.
Buvat 667.
Buxbaum 780*.
Buxton 825*.
Buy 1050*.
Buy IIa 463*.
Buzzard 281*, 430*, 475,
511*, 564, 611*, 625*.
Bvers 687.
Bykowski 10*.
Byloff 463*.
Bystrenine 170.
Cabannes 663*, 714*.
Cabaret 701*.
Cabitto 935*. 953.
Caboche 849*.
Ca de 749*.
Cadwalader 475.
Cagnetto 1*.
Cahen 842*.
yCajal 1*, 10*, 59, 199, 502*,
910*.
Cairns 723*.
Calabrese 502*, 809*. 1030.
Calderini 879*.
Calkina 910*.
Calmette 410*, 717.
Ca Ion 1091*.
Calot 842*.
Calvary 701*.
Calwell 248*.
Cambier 673*.
Camerer 78, 1159*.
Cameron 10*, 910*.
Caminiti 183*.
Camp 406*, 500.
Campaua 545*, 549, 653*,
723*, 1068*.
Campbell, A. W. 205*,
1219.
Campbell, C. M. 1183*.
Campbell, H. 391*, 879*.
Campbell, W. F. 842*.
Campo 1159*.
Camurri 463*.
Camus 101*, 333, 549, 575*,
654*, 956.
Ca n dl er 879*.
Canfield 749*, 842».
Cange 737.
Cannes 1184*.
Cannon 148*.
Cantab 478.
Cantas 860.
Cantlie 842*.
Cantü 723*.
Capece 470*.
Capelle 621.
Capgras 935*.
Capobianco 31, 101*, 879*
Capparelli 42, 1220.
Cappellani 653*, 842».
Cappellettl 658*
Capriati 611*, 809*.
Caracciolo 10*.
Caramano 653*.
Caravaggi 489*.
Carbone 753*.
Carboneil 1050*.
Cardamatis 489*.
Cardoso Fönte 714*.
Carey 512*.
Carles 531*, 653*.
Namenregister.
1263
Carlgren 101*.
Carlier 531*.
Carlisle 1185*.
Carlson 160, 165, 168.
Garnes 809*.
Carnot 101*, 475, 699.
Carothers 673*.
Carpenter 376*, 552.
Carpentier 611*.
Carr 556*.
Carrel 545*.
Carrier 1*, 1050*.
Carrifere 305, 463*, 498,
653*, 673*, 869.
CarrondeIaCarri6re898.
Cartaz 639.
Carter 531*, 879*.
Cartledge 514*, 842*.
Gase 248*.
Cassirer 302, 399, 402, 642,
649, 673*.
Gastagnari 511*.
Gastellani 458.
Castex 281*, 668*, 600*.
Castiglioni 825*.
Gastin 852*.
Gastorina 489*.
de Gastro 281*.
Gastroverde 825*, 842*.
Gathala 749*.
Gather 568*.
Gathoire 625*.
Gatola 395, 417, 420, 487,
596*.
Gattaneo 489*, 749*. 825*.
Gatteil 910*.
Gaudron 653*.
Gaullery 1*.
Gaussade 406*-
Gautley 673*.
Gauzard 560*.
Gavaillon 205*.
Gavalie 10*, 69, 148*, 172.
Gavazzini 171.
(^azalbou 463*.
(yazeneuve 935*.
Geccherelli 149*.
Gecconi 149*, 281*
Gelles 1183*.
Geliier 568*.
Geni 101*, 105, 396, 463*,
464*, 600*, 693, 694, 1159*.
Genter 880*.
Geresoli 464*. 910*.
Gerf 673*, 825*.
Gerletti 10*, 186, 189, 1033.
Gernezzi 842*.
Gesarini 101*.
Gestan 206*, 405. 511*,
653^^, 1063*.
Gevidalli 101*, 935*.
Ghabot 910*.
Ghaee 686.
Ghaddock 281*, 327,910*.
Ghagnon 1063*.
Ghaillous 552.
Ghaine 10*, 161, 162.
Ghamberlain 910*.
Ghambrelent 673*.
Ghampeaux 70*, 653*.
Ghamptassin 820*.
Ghandezon 70*.
Ghanning 281*, 1017*.
Ghanoz 170.
Gh-antre 248*.
Ghapin 954.
Ghappellier 1*.
Ghaput 842*.
GhardiQal371*,673*,1183*.
Ghardon 673*, 1017*, 1019*.
1063*.
Gharles, E. 673*, 701*, 885*.
Gharles, N. 673*, 842*.
Gharon 880*.
Gharpentier 809*, 1051*.
Gharron 1183*.
Gharteris 767*.
Ghase 281*, 936*, 954.
Ghassevant 101*.
Ghatterjee 464*.
Ghauffard 281*, 342,406*,
452, 489*.
Ghaumier 1011.
Ghaussat 723*.
Ghavanne 843*.
Ghavigny 281*.
Gheinisse 299.
Gheney 489*.
Gherefeddin Bey 248*.
Ghevallier 281*.
Ghevrier 862.
Ghevrotier 122.
Ghiadini 438*, 464*.
Ghiari 511*, 611*.
Ghiarini 149*.
Ghiarugi 10*.
Ghichester 880*.
Ghidichimo 135*, 836.
Ghild 116*.
Ghio 10*.
cniipaiilt 843*.
(^hiray 206*.
(vhraielewska 536*.
Ghochlowkin 438*.
Ghocreaux 1183*.
Ghollet 1183*.
Gholmeley 511*.
Ghotzen 936*.
Ghretien 742.
Ghristens 105.
Christian 70*, 1073, 1195.
Christiani 101*, 106, 887.
Christiansen 486*, 600*,
843*.
Christiso n 880*. 936*.
Chris ty 464*, 465*.
Church 281*.
Chvostek 710.
Ciaccio 183*, 197.
('iampolino 556*.
Gieren 601*.
(Jifuentes 843*.
Gima 281*.
Gimbal 936*, 1033*.
Ginotti 625*.
Gisneros 531*.
Gitelli 714*.
Gitron 106.
Cizler 868.
Glair 248*.
Glairborne 489*.
Glairmont 723*, 829.
Glaisse 489*.
Glapar6de282*, 318, 371*,
910*, 923, 929.
Glapham 406*.
Clapits 489*.
Glar 802.
Clark, L. P. 245, 640, 714*,
843*, 880*.
Clarke, H. L. 673*, 810*.
Clarke, I. M. 243, 464*,
556*, 560*, 653*.
Clarke, R. W. 14*, 58.
Claude 206*, 891*, 464*,
738.
Claus 936*.
Clegg 531*.
Clemens 282*.
Clement 327, 572, 880*.
Clemin 910*.
Clergier 1063*.
Gleva 653*.
Glopatt 282*, 607.
duzet 164, 165.
Coats 371*.
Cocaign 248*.
Coceard 1091*.
Coclet 843*.
Goddou Ortiz 843*.
Codeluppi 1091*, 1159*.
Codet-Boisc 714*.
Godman 843*.
Coehn 101*.
(^oenen 843*, 935*.
Goffey 10*, 502*.
Cogg'i 10*.
Cohen 101*, 438*, 461*,
673*, 825*.
Cohn, G. 371*.
Cohn, M. 406*, 438*.
Cohn T. 296, 611*.
Cohnheim, P. 348.
Coignard 663*.
Gole 497, 818*, 897*, 954.
Colella 625*.
Golem an 489*.
Colin 1203.
Co IIa 880*, 899.
Colles 455.
C olle t 211*, 248*, 355*, 615*,
671, 880*.
Collier 282*, 502*, 518, 673*,
880*.
C ollin, R. 10*. 23*. 184*,
192, 219.
Collings 430*, 506.
1364
Namenregister.
Coli ins 371*, 460, 617,718,
780, 748, 829, 880*, 1050*.
Collomb 486*.
Oollon 417.
Cülolian 1036.
Colombani 870.
Colombo 815.
Colon 248*.
Colorni 674*.
Coluccl 11*, 983.
Colver 512*.
Colwell 625*.
Combe 282*, 674*.
(vombeleran 611*.
Com bemale 880*.
Comberlan 1063*.
Comby 248*, 282*, 297, 611*,
723*, 1017*, 1183*.
Comessatti 464*.
Comisso 843*.
Compaired 502*.
Compte 469*.
Condulmer 653*.
Conor 667.
Cousiglio 653*, 936*.
Contet 818*, 822.
Cook 464*, 831, 843*.
Cooksey 674*.
Coolidge 714*.
Coopmann 406*.
Copp 674*.
Coppez 355*, 554, 560*.
758.
Coquot 229.
Corbet 911*.
Cordero 653*.
Coreleu 936*.
Coriat 106.
Coriveaud 355*.
Corlett 282*.
(^rned 1091*.
Cornelius 822, 880*.
Cornell 611*.
Corneloup 901.
Com et 282*.
Corning 714*, 911*. 936*.
Coronat 371*.
Coronedi 723*.
Corsini 101*, 287*.
Coryllos 206*.
Cosmettatos 220,371*, 380.
Costa Ferreira 248*.
Costil 880*.
Cotte 464*, 749*.
Cutter 723*.
Cot ton 954, 1017*.
Cottral 701*.
Couffon 936*.
Coulonjou 1050*, 1068,
1204.
Councilman 438*, 459.
Courcel 880*.
Courjon 818*.
Courmont 282*, 368, 464*.
Cüurtade 149*, 809*, 810*.
Courtaul t 753*, 1159*.
Courtellemont 372*, 406*,
464*, 642.
Courten 914*.
Courtet 248*.
Courtier 911*.
Courtin 848*.
Courtney 282*, 407*, 698*.
Couteaud 577.
Couvreur 122.
Cova 674*.
CoviUe 843*.
Co wie 955.
Cox 531*, 574*, 693.
Crafts'512*.
Craig 911*.
Crambade 653*.
Cramer A. 506, 703, 936*,
1167, 1184*.
Crane 810*.
Creed 880*.
Creel 880*.
Cremer 149*.
Cremieux 282*.
Cresi 11*.
Crevatin 11*.
V. Criegern 625*.
Crile 761.
Crinon 826*.
Crisafulli 1063*
Crispin 863.
Crispolti 653*.
Cristalli 674*.
Cristiani 1184*,
Cristoforetti 464*.
Crittenden 464*.
Croce 574*, 859.
Crocq 282*, 430*, 611*, 653*,
714*, 723*, 880*, 936*.
Cr oft 282*.
Croner 424.
Crooksbank 936*.
Crossen 625*.
Cr ot her 8 464*, 91 1», 1050*,
1057, 1091*, 1159*, 1184».
Crouzon 360, 417, 756.
Crozier 464*.
Cruchet 282*, 489», 606,
611*, 634, 653*, 657», 666,
717, 826*, 942*.
Crutcher 282*.
Cryer 248*.
Csillag 464*.
Cueto 653*, 843*, 1038*.
Cuille 828*.
Culberston371*,531*,551*.
Cullere 936*, 955, 1203.
Cullum 1184*.
Cumberbatch 489*.
Cuneo 26, 267, 840*.
Cunningham 582*.
Cupler 496.
Cuq 880*.
Curcio 70*, 1060* 1091*,
1159*.
Curl 500, 728*.
Currie 473*, 1033*.
Curschmann 307, 818, 416,
421, 438*, 592, 620, 646, 648,
720, 723*, 737.
Curtis 843*.
Curtius 438*, 449.
Cuscaden 674*.
Cushing 843*. 857, 863.
Cutler 873.
Cutore 11*, 249*.
Cutter 407*, 1184*.
Cuyer 911*.
Cuylltis 1184*.
V. Cyon 11*.
Czarnecki 909*.
Czerny 848*.
D.
Dabney 532*.
Dabout 1159*.
Daddi 149*, 708.
Dagonet 188.
D ahmen 489*.
Dahl 936*.
Daiche 1050*.
Dale 171.
DaU'Acqua 11*.
Dallas 674*.
Daily 626*.
V. Dalmady 778.
Dalne 653*.
Dalrymple 826*.
van Dam 626*.
Damann 464*.
Damaye 206*, 512*, 936*,
946* 956, 1011, 1077, 1078.
Damoglou 880*.
Dana 282*, 556*, 674*, 880*,
936*, 1033*, 1063*, 1184*.
Dancourt 663*.
Dangerfield 464*.
Daniel 1091*.
Daniels 749*.
Danilewskv 123, 149*, 162,
169, 178. '
Danlos 626*.
Dannemann 936*. 1159*,
1168.
Darcane 936*.
Darcanne 1063*.
Darcanne-MuroQx 1063*.
Dargein 611*, 654*.
Darier 464*.
Darkschewitsch 648.
Darnall 936*.
Daubner 1091*.
Dauchez 430*.
Dauriac 911*.
David 986*.
Davidsohn 785.
Davidson 111, 282*, 611*,
674*. 826*.
Davies 911*.
Davis 11*, 206*, 460, 502*,
684, 1091*.
Namenregister.
1265
Dawson 149*.
Day 532*.
Dean 74^.
Debaut-Moncir llö*.
Deb^ve 502*.
Bebove 206*, 723*, 1091*
Debray 285J*, 1184*.
Decherd 371*, 880*.
Decorge 911*, 1091*.
Decroly 282*, 512*, 1091*.
Decsi 936*, 1087.
Dedjurin 723*.
Degallier 932.
Deganello 137.
Degenkolb 1017*.
Dehon 492*.
Deiaco 464*.
Dej ardin 843*.
Dejerine 333, 371*, 407*,
580, 61 1*, 626*, 674*, 1033*.
Deineka 1221.
Deiters 1184*.
De läge 149*.
Delamare 11*.
DeUnglade 626*.
Delattre 880*.
Delbet 843*.
Delcourt 249*, 438*.
Delcros 574*.
Delearde 466*.
Deleilo 206*.
Delestre 1169*.
Delfino 206*.
Delfosse 656*.
Delherm 810*, 814,
Delie 464*, 1091*.
Delille 723*.
Delion 699.
Delius 880*.
Delmas 205*, 1159*
Delmer 674*.
Delneuyille 654*
Delor 826*.
Delsaux 532*, 848*.
Delvoie 843*.
Demaillasson 880*.
Demargue 723*.
Demelin 6*i6*, 880*.
Demetriua 724*.
Demonchy282*,880*,911*.
Dench 532*, 543.
Deniker 1092*.
Deninger 249*.
Denis 531*.
Dennert 249*.
Dent 1207.
Deny 654*, 936*, 956, 1063*,
1184*.
Depage 843*.
Derby 371*.
Dercum 206*, 394,435,576*,
654*, 756, 1082, 1184*.
Dericq 1184*.
Deroubaix 191, 281*, 619,
842*, 936*, 956, 1063*,
1184*.
Dersilie 489*.
Desaunais-Guermar-
quer 937*.
Descarpenties 407*, 575*,
580, 844*.
Deschampes 654*.
DeschmaDn 844*.
Descos 489*.
Desgeorges 1017*.
Desplata 512*.
Desqueyroax 411*.
Dessart 826*.
Dessauer 856*.
Dessoir 911*.
Destarac 753*.
Desteile 844*.
Destot 149*.
Determann 314, 424, 800.
Determeyer 644.
Detre 464*.
Deutsch 369.
Deutschländer 249*, 600*.
Devaux 674*, 1063*, 1188*.
Devay 532*, 674*.
Deve 407*, 844*.
Devraigne 868.
Dewey 880*, 957.
Dewitz 1184*.
Deycke-Pascha 273.
DhaTgalker 810*.
Dias de Barros 937*.
Dibailow 767*.
Dickey 532*.
Dide 281*, 355*, 937*, 1063*.
Dide-Maurice 724*.
Didrichson 430*.
Diefendorf 937*.
Diem 937*.
Djemil Pascha 844*.
Dienst 683, 684.
Diethelm 724*.
Dietz 1207.
Dieulafoy 555. 667.
Digby 911*.
Dignat 810*.
Digue 49'^*, 659*.
Diller 282*, 464*, 507, 654*,
967.
Dimmer 1*.
Dinkler 196.
Dion 937*.
Dionis du Lejour 831.
Dirmoser 688.
Distaso 11*.
Diterichs 654*.
Dixon 11*, 106, 706.
Dizaret 88ü*.
Dmitrenko 438*, 844*.
Dobbelmann 539.
Dobbs 674*.
Doberauer 868.
Döblin 1050*.
Dobrick 1063*.
Dobrochotoff 407*, 420*.
Dobrotworski 1159*.
Dobrovici 415.
Jahresbericht f. Neurologie «. Psychiatrie 1906.
Dobrschansky 206*, 282*
957.
Dobson 282*.
Dochow 1092*.
Dogiel 67.
Dohna 1159*.
Dohrn 11*.
Doleno 1092*.
Dölger 660.
Döllinger da Gra^o 464*.
DöUken 1159*.
Dolsa 6.54*.
Donaggio 11* 188*, 189.
Donaldson 60, 116*.
Donath 106, 282*, 371*, 416,
460, 464*, 476, 616, 684,
674*, 1149.
Donelan 455*.
Doniselli 123.
Donley 116*, 183*.
Donovan 724*.
Dontas 129.
Dood 565.
Dopter 107, 183*, 201, 454.
Dor 107, 371*.
Dorello 11*.
Dorn 283*.
Dornblüth 451, 749*, 905.
Dörrien 724*.
Dosi 881*.
Dotschkow 744, 746.
Dougherty 434.
Douglas 464*, 724*.
Douglas-Crawford 222.
Doumer 724*, 810*.
Doutrebente 206* 1060*,
1063*, 1184*.
Dowden 575*.
Draghicesco 1099*.
Drago 189.
Draper 4H8*.
Drapes 937*.
Dräseke 11*, 116*, 283*,
1078.
Drastich 249*, 1194.
Drein 749*.
Drenkhahn 643.
Dreshfeld 430*.
Drew 911*, 1184*.
Dreyer 724*.
Dreyfoos 844*.
Dreyfus, G. 890.
Dreyfuss, ß. 107, 718*.
Dreyfus-Rose 135*.
Y. Drigalski 444.
Dromard 911*, 937*, 963,
1085, 1086, 1092*.
Drucbert 407*.
Drucker 1092*.
Drummond 568*.
Drüner 249*.
Duane 371*, 551*.
Dube 749*.
Dubocher 1063*,
Dubois, R. 70*, 78, 79, 902,
917*.
80
1266
Namenregister.
Daboi«, S. 780*.
Dubois-DesauUe 109a^
Duboia-Havenith 724*.
du Bois-Reymond, R..
149*, 151*, 168.
D u b o 8 107, 283*, 489*, 1068*.
Dubossarsky 416.
Dubourdieu 1184*.
Dubrandy 937*.
Dubray 911*.
Dubreuil 160, 353, 987*.
DubroTitch 417.
Ducati 724*.
Ducceschi 62, 149*.
Duckworth 11*, 490*, 532*.
Duooeur Joly 724*.
Ducros 787.
Ducrot 108, 116*.
Duel 532*, 844*.
Dufils 206*.
Dufour 206*, 464*, 818*,
937*.
Duggan 438*, 911*.
Dake 674*.
Du Uz 662.
Dumas 207*, 911*, 1092*.
Duraat 1050*.
Dumolard 426*.
Dumore 355*, 870*, 613*.
Dunlop 685, 1063*.
Duoogier 664*.
Dunton 674*.
Dupont 464*, 654*, 1169*.
Dupony 1050*, 1080.
Duprat 926.
Dupre 283*, 297, 333, 391*,
549, 564, 575*, 987*, 1063*,
1089, 1159*.
Dupuy 11*, 664, 945*, 1050*.
Dupuy-Dutemp8ll*,371*.
Duque Estrada 654*.
Durand 844*.
Üurant-Bonual 491*.
Durante 11*, 41, 253*.
Durbesson 844*.
Dürck 476.
Duret 612*, 844*.
Durh 478.
Dürig 834.
Durlacher 228.
Duroux 380, 532*, 534*,
611*.
Durquet 654*. 881*.
Dürr 911*.
Düttmann 844*
Dutton 465*, 626*.
Duval 844*, 875.
Duvergey 844*.
Duvivier 426*.
Duyse 371*.
Dyce 490*.
Dyroff 911*.
Dyvrande 701*.
E.
Eager 911*
Earl 688*.
Earps 826*.
Easterbrook 957.
Gastland 881*.
Ebbinghaus 911*.
Ebeling 391*.
Eberhard 674*.
Ebmeister 206*.
Ebstein 808.
Eccles 1092.*
Eckel 1076.
Edebohls 844*.
Edel 1184*.
Edenhofer 675*.
Edenhuizen 710.
Edes 881*.
Edgell 911*.
Bdgeworth 407*.
Edinger 11*, 12*, 44, 296.
Edgecombe 802.
Edgridge-Green 180.
Edmond 465*.
Edsall 1059.
Edson 753*.
Edwards 407*, 674*, 1050*,
Eggebrecht 451.
Egger 346.
Egli 937*.
Egorow 810*
Ehemann 407*.
Ehmer 551*, 1092*.
Ehreke 891.
Ehrenfest 683, 881*.
Ehret 283*.
Ehrhardt 270.
Ehrmann 724*.
Eichhorst 495.
Eichmann 674*.
Eisath 1064*.
T. Eiseisberg 249*, 602*.
Eisler 911*.
Ekgren 787.
Elfer 626*.
Elias 12*
Eliasberg 1030.
Elkenbary 675*.
Eller 1092*.
Ellerbroek 257.
Elliot 490*, 724*, 957.
Ellis 674*, 911*. 1142.
Ellwood 911*.
Eisberg 635.
Elsenhans 911*.
Eiser 457.
Eisner 459.
Elting 844*.
Emanuel 166.
Emile 724*.
Emile-Weil 477.
Emirze 371*.
Emmerich 407*.
Emmet 249*, 781*.
Emödi 283*, 352.
Enculesco 1033*.
Engel 506.
Engelen 588*, 609. 626*,
718, 753*, 844*, 881*.
Engelhardt 149*.
Engelken 937*, 1172.
English 753*.
Engstier 249*, 32M.
Engzelius 502*.
Enke 465».
Enkelskjön 1184*.
Ensor 490*, 724*.
Ephrussi'92<).
Epstein 691, 802.
Ep-Paalman-Kip 465*.
Erb 102*, 314, 418, 476.
Erb jun, 236.
Erben 333.
Erbes 12*.
Erdheim 226. 264, 519.
Erdös 817.
Erhard 283*.
Erichsen 931.
Brikson 465*. 1064*.
Erlanger 170.
Erlenmeyer 1211.
van Ermengen 438*.
Ernst 206*.
Eschenbarg 844*.
Eschweiler 724*.
Eshner 674*.
Esmonet 749*.
d'Espine 490*.
Bsposito 512*, 550. 611*^
626*, 937*.
Esser 724*.
Esteves 701*.
Estrada 701*.
Etchepare 937*, 1033*.
1064*.
Etcheverry 207*.
Etienne 206*, 422, 746,
1064*.
Bulenburg 664, 674* 762^
792, 822, 833.
Euler 772.
Evans. J. J. 380.
Evans, N. 512*.
Evans, T. H. 283*, 465*,
1050*, 1133.
Evans, W. 288*.
Eve 305.
Evensen 911*, 1064*. 1082.
Ewer 802.
Ewing 598*, 674*.
Exner 71*, 149*.
Everich 256.
Eykman 781*.
Byre 957.
Eysen 911*.
Eabbri 465*.
Fabiani 881*, 1092*.
Fabinyi 203.
Fackler 438*.
Facompre 844*.
Namenregister.
1267
Fagge 53a^
Faguet 356*, 674*, 713*,
934*.
Fairbanks 429.
Faivre 701*, 761.
Falcone 844*.
Faldi 654*.
Fall 283*.
Famechou 937*.
Fano 12*.
Farez 714*, 844*,881*, 1184*.
Farini 154*.
Farrar 1*, 937*.
Faure 71*, 417, 818*, 819*,
823, 881*.
Faure-Beaulieu 632*,
546*.
Fauser 958, 969.
Favarger 283*.
Favaro 12*.
Favre 19*, 727*, 827*, 881*.
Fawcett 12*, 249*.
Faworski 661.
Fedele 881*.
Federmann 577.
Federn 503*, 671.
Fejer 372*.
Feilchenfeld, H. 37-^*,
380, 416.
Feilchenfeld, L. 1081.
Feiler, F. 283*.
Feiler, K. 283*.
Fein 626*.
Feis 781*.
Feisenberger 1092*.
Feiss 249*.
Felgenträger 844*.
Felici 1184*.
Felix 372*, 626*.
Felke 1177.
Fellner 787.
Fells 674*.
Fennel 937*.
Fere 79, 80, 81, 82, 83, 84,
108, 162, 181, 670, 689,
911*, 938*, 960, 961, 1080,
1092*, 1109, 1143, 1157,
1158, 1184*.
Ferenczi 429, 506, 654*,
669, 711, 844*, 881*,
Ferman 932.
Fermi 465*.
Fernandez 654*.
Fernandez de Mendia
881*.
Fernandez Fi^ueira 556*.
Fernandez Sanz426*,568*,
611*, 626*.
Feron 206*.
Ferran 553, 826*.
Ferrannini 391*, 688*,
767*, 1064*.
Ferrari 102*, 149*, 674*,
912*, 1184*.
Ferrarini 12*, 1033*.
Ferrata 701*.
Ferrati 12*.
Ferr6 674*.
Ferreri 249*.
Ferrier 724*.
Ferrio 696.
Ferrüa 430*, 1184*.
Feser 1017*.
Fessler 641.
Fetzner 696*.
Feuerbach 169.
Feuillade 881*, 907.
Fichera 102*.
Fickler 236, 891.
Fjedstad 724*.
Field 749*.
Fielde 150*, 912*.
Fiessinger 719.
Finckh 288*, 696, 781*,
938*, 1176.
Findlay 512*.
Finkeinburg 507.
Finley 675*, 724*.
Finocchiaro 12*, 698*.
Fisac 938*.
Fisch 793. 808.
Fischel 257.
Fischer, B. 116*, 206*, 724*.
Fischer, E. 252*, 774.
Fischer, F. K. 608.
Fischer, H. 710.
Fischer, J. 12*, 63, 465*,
1078, 1160*, 1216.
Fischer, M. 1185*.
Fischer, O. 67, 124, 224,
553.
Fischer, W. 1092*.
Fischler 432, 654*.
Fish 372*, 438*.
Fisher 283*, 372*, 505, 612*,
747*.
Fitch 1047*.
Fitzgerald 961.
Fitzsimmons 881*.
Flach 844*.
Fl ade 465*, 477.
Flamini 283*.
Flammarion 912*.
Flashman 957.
Fla tau, G. 522, 577, 706,
760, 823, 875.
Flechsig 1221.
Fleig 160.
Fleischer 636.
Fleming 183*.
Fiese h 372*, 512*. 576*,
615, 626*, 714*, 830, 906.
Fletcher 465*, 675*.
de Fleury 283*, 654*, 881*.
Fiint 12*.
Flocken 881*.
Floersheim 840.
Flood 675*, 881*.
Florence 767*.
Florian 735.
Flournoy 929.
Fluss 249*.
Foa 532*.
Focke 477.
Foerster 771, 962.
Folet 612*.
Foley 283*, 465*.
Follv 1050*.
Folsom 1160*.
Font de Boter 844*.
Fontaine 283*.
Fontana 85, 781*, 810*.
Fontheim 1160*.
Forbes 597.
Fordyce 430*, 810*.
Forel 40, 881*, 912*, 1126,
1140.
Forez 938*.
Forgeot 16*, 262*, 465*.
Forgue 753*, 844*.
Forli 320, 326, 477.
Fornaroli 283* 626*.
Fornias 355*.
Forns y Romans 12*.
Forsmark 12*.
Forster 012*.
Förster, 0. 429, 512*, 654*,
704, 802.
Förster, R. 660*.
Forssman 108.
Fortuer 466*.
Fortsmann 612*.
Fossataro 503*.
Foster 283*, 457. 734, 844*.
Foucart 116*.
Foucher 749*, a45*.
Fournier 1069.
Foveau de Oourmellea
714*, 810*.
Fowler 845*.
Fox 12*. 372*.
Foy 118*, 355*.
Frachtmann 380.
Fraenkel, A. 697.
Fraenkel, E. 490*, 612*.
Fraenkel, M. 774.
Fraenkel, R. 938*.
Fragnito 31,40, 189,938*.
Franga 190, 462*, 899.
Franceschi 60, 303, 512*,
532*, 845*.
Franceschini 430*.
Franchon-Villeplee810*.
Franck 1081.
Frangois-Dainville 462%
Francotte 767*.
Francoz 264.
Frank, K. 595*, 623.
Frank, M. 566.
Franke, E. 465*, 612*.
Franke, M. 136, 639.
Fränkel, I. 85, 556*.
Frankenburger 724*.
Frankenhäuser 788.
Frankl- Hochwart 204*,
206*. 296, 314. 349, 712,
714*. 719.
Frankling 802.
80*
1268
Namenregister.
Franz 12*, 881*, 931, 938*.
Franze 339, 789, 810*.
Franziss 612*.
Frassetto 249*.
Fratini 407*. 512*.
Frazier 566*, 558, 635, 724*,
845*, 850*, 854*, 867.
Freer 626*.
Freese 171, 540.
Frei 896.
Freitas 810*, 825*.
Fremont 544.
French 675*.
Frenkel 557. 803, 1060.
Frenzel 93b*.
Frese 1160*.
Fressineau 284*.
Freud 666, 903, 912*, 1092*.
Freudenberg 774, 962.
Freund 671, 869, 1092*.
Frey 102*, 150*, 334, 372*,
419, 544, 615, 639, 1109.
Freydenfeldt 64.
Fried 336.
Friedberg 600*.
Friedel 438*.
Friedemann 258.
Friedenthal 170.
Friedenwald 465*.
Friedheim 876.
Friedländer, B. 1143.
Friedländer, G. 407*.
Friedländer, J. 799.
Friedlaender, K. 284*,
421, 819*, 1152.
Friedmann 845*, 962, 1041,
1092*.
Friedrich 465*. 724*, 845*,
875, 1092*, 1210.
Frigyesi 709.
Frischauer 638, 643.
Fritz 12*.
Fritzsche 1185*.
Fröhlich, A. 12*.
Fröhlich, F. W. 157, 159.
Frohmann 571.
Fröhner 560*.
Froin 477, 500.
Froment 618.
Fromme 249*.
Froriep 12*, 34.
Frothingham 465*.
Froussard 664*.
Fry 435, 523.
Fuchs, A. 207» 245, 284*,
309, 812, 372*. 430*, 512*,
522, 551*, 588*, 600» 612*,
620, 654*, 701*, 714*, 724*
1017»
Fuchs, E. 249*, 372*.
Fuchs, H. 12*, 249*.
Fuhrmann 1030, 1216.
Fulconis 284*.
Puld 1185*.
Füller 845*.
Funaioli 1064*.
Funck 465*.
Färbringer 309, 478, 754*,
823.
Füret 845*.
Furham 438*.
Furn 249*.
Fürnrohr 284*.
Fürst, G. 675*.
Fürst, L. 102*, 439*, 799.
Fürstenheim 701*.
Fürstner 845*.
Furuta 724*.
Fusari 13*, 249*.
Füster 871.
Futcher 701*.
Füth 687.
Gabourd 724*.
Gabut 655*.
Gage 13».
Gagniere 177.
Gah 655*.
Gaines 675*.
Galatti 309, 503*.
Galbiati 465*.
Galceran 626*, 853*.
Galeotti 150*.
Galezowski 372*, 407*.
Galippe 250*, 1093*
Galkhausen 1185*.
Gallagher 655*.
Gallerini 150*.
Galli, G. 465*.
Galli, V. 465*
G all US 826*, 1093*.
Galtier 1051*.
Gamble 13*, 912*.
Gandini 881*.
Gandy 284*.
Ganfini 13*.
Gangi 13*.
Ganser 938*, 1160*.
Ganshinsky 284*.
Gairagnani 1093*.
Garbini 512*.
Garcia Fraguas 938*
Garcia Rijo 826*.
Garcia Roura 845*.
Gardner 284*, 781*.
Gareiso 612*.
Garel 845*.
Garipuy 554.
Garnier 284*, 391*, 724*,
963. 1071.
Garr6 512*, 626*.
Garrelon 170.
Garrey 157.
Garrod 701*.
Garten 166.
Gärtner 774.
Gar vi n 675*.
Gasne 293*.
Gaspar 626*.
Gasparini 197, 626*.
Gasti 1097*.
Gates 116*
Gatha 117*.
Gauche 503*.
Gaucher 284*, 407*, 415.
Gauckler 207*. 284*, 571,
580, 600*, 725*, 1033*.
Gaudier 675*,
Gandler 844*.
Gaulejac 677*.
Gault 560*, 912*.
Gaupp 258, 963, 1077. Uli.
G aussei 13*, 284*, 330,332,
342, 355. 503*, 554. 587,
612*, 627*, 655*.
Gautherin 465*.
Gauthier 355», ft45*.
Gautrelet 108.
Gavello 627».
Gavina 465*.
Gay 810*, 1093*.
Geary 439*.
Geay 391*.
Gebecke 595*.
Gehrin^ 800*.
van Gebuchten 40, 51, 52,
202.
Geigel 124.
Geiierstam 881*.
Geiil 1133.
Geiringer 466*.
Geirsvold 600*.
Gcissler 904.
Geist 1038.
Gelle 86, 284*, 369, 91a».
Gellus 881*, 892.
Gemelli 18*, 39, 50, 67.
Gendre 6.
Gendron 326, 380, 637.
Gentes 61, 189,
Gentile 1047*.
Genuardi 13.
Georgii 766.
G^rand 655*.
Gerard 13*, 466*.
Gerber 509, 845*.
Gerhardt 284*, 810*, 1017*,
1093*.
Ger lach 938*.
Gerling 912*.
Germonig 890.
Gero 1169.
Geronzi 13*.
Gerrard 466*, 478.
Gerrier 882*.
Gerstenberg 1160*.
Gertz 178.
Gesell 912*.
Gessner 686, 750*, 846*.
Getzova 1025.
Geyser 810*.
Gheorgov 932.
Ghisellini 826*.
Ghirlarducci 568*.
Ghon 439*, 453.
Giachetti 1064*, 1079.
Namenregister.
1269
Giacchi 356*, 988*
Gianasso 725*.
Giani 624*.
Gi an nein 13*, 102*, 407*.
Giannulli 420, 1064*.
Giano 845*.
Giard 912*.
Gibson 347, 912*, 930.
Gierlich 635, 1040.
Giesbreoht 86.
Gieseler 1072.
Giessler 930.
Gifford 845*.
Giglioli 1093*.
Gignier 490*.
Guardini 656*.
Gilbert 912*.
Gilbert-Ballet 938*.
Giljarowski 183*.
Gill 897.
Gillespie 13*, 612*, 1064*.
Gillet 675*.
Girabal 1051*, 1160*.
Ginestous 372*, 654*.
Ginueken 912*.
Giovanetti 250*.
Giovannozzi 250*.
Giraldi 250*
Girandoux 1064*.
Girard 90.
Giraud 1017*.
Girandet 490*.
Giroux 464*
Giucciardi 912*, 116Ö*.
Giaffrida-Ruggeri 250*,
1093*.
Givens 1034*.
Gladstone 13*.
Glascock 701*, 725*.
Gläser 433.
Gl egg 380, 551*.
Gliman 675*.
Glorieux 284*, 356*, 391*,
560*, 568*, 627*, 655*,
754*.
Gluck 874.
Glück 532*.
Glynn 520.
Goddard 938*, 1064*.
Godlee 846*.
Godlewski 71*.
Goebel 754*
Goenaza 1185*.
Goggia 28t*.
Goidtsnoven 656*.
Goinard 845*.
Goldberg 221, 284*, 373*,
655*.
Goldberger 1072.
Goldflam 418.
Goldsbrough 879*.
Goldscheid 912*.
Goldscheider 315, 532*,
568*, 791, 927.
Goldschmidt 346. 512*.
Goldsmith 912*.
Goldstein, K. 27, 122L
Goldstein, M. 111, 140,
195, 482.
Golla 284*, 688*.
Golling 845*.
Göllner 836.
Golowin 372*.
Gomez Montane 938*.
Gomot 882*.
Gonzälez726*, 1064*, 1185*.
Gonzalez Uruena 431*.
Goodall 963.
Goodwin 464.
van den Goot 845*.
Göppert 448, 507.
Gordinier 512*, 557.
Gordon, A. 285*, 394,466*,
490*, 575*, 725*.
Gordon, H. S. 286*.
Gordon, K. -912*.
Gordon. W. A. 781*.
Gore 912*.
Göres 861.
Goris 845*.
Gorkom 466*.
Görl 810*.
Gorochow 250*.
Gotch 150*.
Goto 938*, 1160*.
Gottgetreu 938*.
Gottschalk 710.
Gottstein 439*, 846*, 848*.
Gotuzzo 750*.
Götz 646.
Götzl 619, 846*.
Gougerot 250* 490*, 656*.
Gouin 675*.
Gould 372*, 675*, 706, 750*.
Gourod 452.
Gowans 810*.
Go wers 408*. 417, 524. 938*.
Graanboom 714*, 1018*.
Grabowski 912*.
Gracieux 938*.
Gradenigo 381, 538.
Gradenwitz 150*.
Gradle 725*.
Graf 381.
Gräfenberg 13*.
V. Grage 725*.
Graham 356*. 912*, 1076.
Gramegna 810*.
Grand-Clement 380, 551*,
754*.
Grande 4.-U*, 725*.
Grande Rossi 751*.
Granger 810*.
Granier 568*.
Granjux 285*, 938*.
Gran't 846*.
Grasset 117. 330, 372*. 391*.
554, 667, 781*, 882*. 912*,
1160*.
Grassl 1168.
Lo Grasso 678*.
Gratzinger 810*.
Grau-Sole 938*.
Graul 882*.
Gravelotte 250*.
Graves 655*, 938*, 1185*.
Gravina 846*.
Grawert 1093*.
Grawitz 463, 478, 882*.
Gray 250*, 466*.
Grazzi 758.
Greco 655*, 912*.
Gredig 207*, 221.
Greeff 846*.
Green 388, 492*, 512*.
Greene 150*, 725*.
Greenless 1186*.
Greenwood 372*.
Greffulhe 471*.
Gregorini 1093*.
Greig 466*.
Grenet 826*, 890.
Grenier de Cardenal408*^
461*, 751*, 846*, 1062*.
Gress 250*.
Greysez 441*.
Griffith, M. 701*, 846*.
Griggs 750*.
Grijns 178.
Grinker 207*, 285*. 391*,
431*, 466*, 512* 560*, 725*,
938*.
Grinuelt 150*.
Grisslich 102*.
Grixoni 882*.
Grober 665, 1093*.
Grocco 655*.
Groenouw 60.
Grohmann 1093*.
Grollet 884*.
Groudone 675*.
Grooss 912*.
Gros, E. 102*.
Grosch 250*.
Gross, A. 1093*, 1160*. 1180,
1185*.
Gross, J. H. 372*.
Gross, H. 889*, 912*. 913*,
1093*, 1208.
Gross, P. 306.
Grosse 250*, 408*.
Grossi 285*.
Grossmann, £. 402.
Grossmann, F. 494, 938*.
Grossmann, J. 102*. 655*,
712.
Grossmann, K. 381.
Grosz 1018*.
Grub er 355*, 356*.
Grüder 846*.
Gruening 532*.
Grünau 938*, 1196, 1202.
Grünbaum 623.
Grünberger 304, 831.
Gründling 810*.
Grundmann 1093^
Grüner 562. 565.
Grunert 551*. 869.
1270
Namenregister.
Grüufeld 681.
Grynfeltt 250*.
Gubbin 1185*.
Gudden 1058, 1181.
Gudowitsch 285*.
Guement 356*,
Guenon 918*.
Guenot 426*, 846*, 897.
Guerive 410*.
Guerriüi 117*, 124, 150.
Guglielmi 675*.
Guibert 71*.
Guicciardi 927. 928.
Guidi 326.
Guignon 431*.
Guikal 250*, 852*.
Guilbaud 846*.
Guillain 250*, 409*, 4*4,
679, 601*, 627*, 630*, 642,
645, 882*.
Guilleminot 810*.
Guillery 180.
Guillois 913*.
Guilloz 615*. 809*.
Guilly 408*.
Guischard 655*.
Guisez 250*, 846*.
Guisy 938*.
Guizzetti 207*.
Gule witsch 108.
GuUand 750*.
Gulistrand 372*, 881.
Gurapertz 627*, 754*, 913*.
Gundermann 285*.
Gundurow 466*.
Gunn 372*, 575*.
Günther 913*, 1098*, 1106,
1160*.
Gunzberg 819*, 1018*.
Gurewitsch 52.
Gushee 503*.
Guszman 319, 422, 432.
Gutbier 529.
Gutbrod 686.
Guth 285*.
Guthrie 207*. 285*, 372*,
426''. r)03*% 545*.
Gutjahr 714*.
Gutkin 512*.
Gutmann 545*, 552.
Guttraann 532*.
Gutzmann 150*, 285*. 359,
360. 627*, 906.
Haa^ 757, 765, 939*.
Haber da 889*, 1208.
Haberkant 989*.
Haberlandt 86.
Habert 675*.
Hachet-Souplet 913*.
Haekenbruch 867.
Hackl 965.
Hackländer 882*.
Haenielinck 150*.
Haenel 725*, 750*.
Hagen 779.
Hagen-Torn 372*.
Haggard 227, 260*.
Hagopoff 882*.
Hahn 359, 765.
Haibe 439*.
Haines 71*, 913*.
Hajös285*,655*,819*, 1093*,
1160*.
Haitz 372*.
Haläsz 286*, B03*.
Halberstadt 896, 1051*.
Halberstaedter 466*.
Halbron 291*, 716*.
Halff 582*.
Hall 532*, 556*, 612*, 655*,
846*, 882*, 1061*.
Hallager 1051*.
Haller 13*. "
Hallett 372*.
Hallion 833.
Hallipre 364.
Hallopeau 250*.
Halsted 741, 846*.
Ham 546*, 1224.
Haman 846*.
Hamburger 71*, 882, 500,
627*.
Hamel 250*.
Hamilton 466*, 725*, 767*,
1093*.
Hammer 556, 777, 804,913*,
1093*.
Hammerschlag 344, 369.
676*, 846*.
Hammond 714*.
Hampel 675*.
Hanau 439*.
Hancock 675*.
Handjian 846*.
Handmann 13*.
Hanke 382.
Hanion 846*.
Hansell 382.
V. Hansemann 207*, 1105,
Hansen 913*, 1185*.
Harburn 898.
Härder 431*.
Hardesty 14*, 56, 61.
Hardin 439*.
Hare 466*, 750*.
Harland 285*.
Harm 250*.
Harman 87.
Harms 1093*.
Harnack 71*, 466*.
Harpeter 846*.
Harrar 683, 826*.
Harries 810*.
Harrington 846*.
Harris, J. E. 347, 408*.
Harris, 31. L. 408*, 675*,
701*.
Harris, T. J. 532* 668*.
Harris. VV., 725*, 846*.
Harrison 846*.
Harry 882*.
Harte 846*.
Hartenberg 655*.
Hartje 600*.
Hartley 846*
Hartmann, F. 40, 512*,
966, 1176.
Hart mann, G. 551*.
Hartmann, K. 6B5*.
Hartoch 725*.
Haryey 466*, 725*.
Hasbrouck 767*
Hasche-Klünder 1053.
Hascovec 150*, 385.
Haskell 373*, 726*.
Hassin 285*, 501, 1185*.
Hastings 260*, 489*, 582*,
627*, 1185*
Hatch 1093*.
Hathaway 863.
Hathcook 285*.
Hatschek 169, 328. 802.
Haudek 846*, 877.
Hauffe 781*.
Hang 644, 754*.
Hauser 285*.
Haushalter 184*, 192,207*,
219, 966.
Hausmann 466*.
Haviland 1185*.
Hawes 560*.
Hawkes 627*.
Hawthorne285* 891*, 424.
Hay 150*, 380.
Hays 882*.
Hay ward 675*.
Hazen 873*.
He ad 168, 650, 701*, 714*,
1224.
Heanley 466*.
Heath 28.
Hebert 292*, 725*.
Hebrant 627*.
Hecht 391*. 439* 719, 1083.
Hecht d'Orsay 725*.
Heckel 533*.
Heddaeus 882.
Hedges 862.
Hedinger 503*.
Hegar 1031.
Heiberg 725*.
Heidenhain 1*.
Heikel 819*.
Heilbronner 311, 334, 859.
925, 967, 968, 969, 970,
1167.
Heilporn 725*.
Heiraan 1018*.
Heimann 544, 683, 831.
Heimberger 1160*.
Heine 14*, 178, 882, 460,
533*, 623. '
Heinrich 408*.
Heitz 201. 425, 791.
Held 32, 1224.
Namenregnster.
1271
flelferich 725*.
Heller, L. 627*.
Heller, T. 367, 882*, 939*,
1185*.
HellmaDD 1064*.
Hellpach 668, 939*.
Hellwig 1130, 1139, 1185*.
Helporn 441*
Heiuian 250*.
Hempel 833.
Hempelmann 466*.
Henderson 171, 408*, 698*,
826*, 846*.
Hendon 512*.
Hendrix 207* 285*, 725*
Henggeler 466*.
Henke 3.
Henneberg 1*, 14*, 518*,
519, 598, 939*.
Hennebert 285*, 846*.
Henninger 356*, 1018*.
Henrotay 675*.
Henrotin 841*.
Henry 408*, 882*.
Henze 160.
Hepburn 250*.
Heraudt 846*.
Herbert 588*.
Herbinet 653*.
Herbst 373*.
Hercourt 513*.
Herdmann 285*, 627*.
Herford 537.
Hering 151*, 168.
Herman, G. 596.
Herman, 0. 165, 250*, 608.
Her na es 595*.
Hermkes 875.
Herrera Vegas 600*.
Herrick 55,285*,551*,913*.
Uerring 136*.
Herrlin 913*.
Herrman 612*, 1018*.
Hersman 151*, 655*.
Herter 740.
Herubel 913*.
Herz, E. 666.
Herz, H. 1113. 1114.
Herz, M. 317, 750*, 783,
785, 797.
Herzfeld 509, 754*.
Herzog 178, H44.
Hes 1160*.
Hess 179, 247, 800, 486%
513*, 1185% 1204.
Heubner 447, 490*, 792.
Heurot 754*.
Heusner 847*.
Heveroch 939*.
Hevesi 847*.
Hewitt 725*.
Heydemann 286*.
Heyn 725*, 913*.
Hevser 1093*.
Heywood 913*.
Hicks 939*.
Hielscher 924.
Higier 1207.
Hilbert 882. '
Hildebrandt 286*, 466*.
Hildesheini 456, 507.
Hill 1160*.
Hilzheimer 258.
Himmelsbach 655*.
Hinsberg 863.
Hinsdale 408*, 578.
Hirose 745.
Hirsch, A. 788.
Hirsch, D. 838.
Hirsch, K. 14*, 263, 731.
Hirsch, M. 870, 882*.
Hirschel 863.
Hirschfeld, B. 644.
Hirschfeld, Magnus 466*,
1094*. 1150.
Hirschfeld, Max 478.
Hirschfelder 408*.
Hirschl 725*, 1047*.
Hirschlaff 882*. 915*, 922,
932.
Hirst 847*.
Hirt 913*.
Hirtz 408*, 420, 882*.
Hitt 408*.
Hitzig 759, 913*.
Hnätek 621, 682.
Hobhouse 401.
Höber 160, 163.
Hoch 609, 882*, 939*.
Hoche 64, 286*, 939*, 971,
1018*, 1205.
Hochsinger 250*, 424, 622,
714*.
Ho de 286*.
Hodges 882*.
Hodgson 972.
Hodskins 675*, 847*.
Hoegel 1094*. 1118.
Hoehl 286*.
Hoenck 627*, 655*.
Hoennicke 250*, 731, 847*.
V. Hoessli 806.
Ho e sslin 627*, 650, 763.
Hoest 767*.
Hofbauer 286*, 347.
Hofer 495.
Höfer 179.
Hoffa 875.
Höffding 913*.
Ho ff er 1094*.
Hoffmann, H. 317, 466*
675*, 1160*.
Hoffmann, R. 533*.
Hofmann, K. B. 810*.
Hoggins 939*.
Hohlfeld 922.
Hoisholt 709.
Hoke 60.
Holden 362, 1076.
Holder 207*.
Holdich-Leicester 675*.
Holemans 714*.
Hollander 14*.
Hollands 913*.
Holmboe 1018*, 1186*.
Holmes 88, 181, 286*, 513*,
612*, 913*.
Hölscher 490*, 496, 754*.
Holst 570.
Holsti 486*.
Holterbach 854, 685, 779,
1150.
Holtzapple 286*.
Holub 1214.
Holz 877.
Holzknecht 802.
Homburger 4, 726*, 788.
Homen 508.
Höniger 873*.
Hoon 847*.
Hoorweg 163.
Hope 725*.
Hoper 490*.
Hopf 1186*.
Hopkins 826*, 847*.
Hoppe 352, 767*, 859, 882*,
904, 939*, 972, 1160* 1202,
1217.
Hopper 490*.
Horand 251*, 613*, 624.
847*, 882*.
Horch 939*.
Hor5i£ka 455.
Horie 251*.
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Hornemann 819*.
Horrix 1186*.
Horsley 14*, 53, 286* 326,
466*, 847*.
Horst 891*.
Horstmann 1176.
Horteloup 939*.
Hospital 1157.
Hotta 14*.
Hougardy 735, 847*.
Ho US e 431* 513*, 939*
Ho uze 913*.
Howard, W. L. 286*, 701*,
725*, 1051*, 1094*, 1186*.
Howard, W. T. 353, 972.
Ho well 490*, 706, 1186*.
Howland 627*.
Hubbard 286*, 882*.
Hubbell 373*.
Hübener 251*.
Huber 439*, 490* 838, 883*,
913*.
Hübner 973.
Huchard 108, 719.
Hudovernig 251*, 326, 419,
422, 432, 633, 738, 834,
1051*.
Hudson-Arakuen 356*.
Huet 632.
Hüfler 1204.
Hugelshofer 251*.
Hughes 286*, H48, 658*,
675*, 768*, 883*, 1186*.
1272
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Huguenin 304.
Huismans 510, 726*, 746.
Hulshoff Pol 466*, 1186*.
Hülst 1*.
Humbert 60.
Hummel 918*.
Hummelsheim 666*.
Humphry 732.
Hunaut 883*.
Hunt 286*, 814, 503*, 568*,
575*, 627*, 656*, 735, 750*,
883*, 1074.
Hunter 190.
Huntington 847*.
Hurd 533*, 1051*.
Hüssy 638.
Hutchinson 251*, 612*,
627* 714*, 750*, 847*.
Hüter 230.
Huygke 859.
Hyde 915*.
Hyslop 883*, 973.
J.
Jaboulay 675*, 726*, 847*.
Jack 503*, 847*
Jackson 373*, 533*, 913*.
Jacobi, A. 457, 675*.
Jacobitz 442.
Jacobsohn, L. 58, 794,
1094*.
Jacoby, A. 750*.
Jacoby, E. 195, 286*, 726*.
Jacomy 1160*.
Jacot 426*.
Jacques 939*.
Jacquet 801.
Jacquin 206*, 370*, 511*
513*, 567*, 672*, 713*.
Jacquinet 538*.
Jacquot 1186*
Jäderholm 14*.
Jagot 827*, 1091*.
Jaeger 443, 1018*, 1094*,
1116, 1134.
Jaekel 251*.
V. Jagemann 1178, 1186*.
Jähling 1094*.
Jakowenko 989*.
Jakunin 901.
Jalaber 560*.
J all and 862.
Jambon 749*, 1080.
J ames 286*, 439*, 847*, 923.
Jamin 286* 656*.
Jaudot 595*.
Jan et 180, 914*, 926, 973,
974.
Jansen 676*.
Jansens 1021.
Janson 513*.
Japelli 827*.
Jap ha 676*.
Jardinfe 248*, 676*.
Jaroschewski 568*.
Jarvis 439*.
Jassinowski 341.
Jastrow 914*.
Jastrowitz 1064*.
J au mann 71*.
Javal 71*.
Jawein 43*.
Jazuta 287*, 847*.
Ibrahim 503*, 608.
Idelsohn 286*.
Jeanbrau 753*.
Jeandin 281*.
Jeandlize 103*, 112, 483.
Jeannel 513*, 696.
Jeanseime 250*, 358, 466*,
478, 726*, 1193.
Jebzina 431*.
Jeffreys 1186*.
Jelgersma 14*, 426*, 989*.
Jelliffe 301,391 *,627*, 883*.
Jellinek 195, 287*. 513*.
Jemtel 503*.
V. J endrassik 72*, 669, 974.
Jenkins 251*, 726*.
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Jennings 72*.
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Jeremy 691.
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Jessen 287*, 808.
Jewell 929.
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Igersheimer 160.
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Jinkins 940*.
Ikenuma 373*.
Ilberg 1186*.
Ilvento 568*.
Imhof 1225.
Impallomoni 655*.
Impens 102*.
Imura 1186*.
Indemans 560*, 833.
Infeld 310.
Ingbert 466*.
Ingegnieros 117*. 356*,
665*, 1075, 1078, 1094*.
Ingeirans 568*, 580, 665*,
675*, 714*.
Inouye 379.
Joachim 151*, 287*.
Joachimsthal 642, 847*.
Joal 287*.
Jobson 747.
Jochmann 451.
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Johansen 287*.
Johansohn 1047*.
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. Johnston 14*. 28,51,251*,
829*, 914*.
J o h n s t o n e 207*, 914*, 1082.
Joire 72*, 914*.
Jolly 115, 940*.
Jona 287*.
Jones 32, 184*, S51*, 334.
612*, 627*, 676*, 708, 726*.
732, 810*, 975*, 1034*^
1186*. 1210.
Jonnesco 712.
Jordan 88, 172. 588*. 914*.
940*.
Jores 490*.
Joske 466*
Jossilewsky 385.
JossB 588*.
Joteyko 71*, 319. 754*.
Jouou 575*.
Jourdan 656*.
Journeanlt 348.
Irigari 490*.
Irimesco 57, 135*.
Irisawa 714*.
Iscovesco 655*.
Ishihara 169.
Ischii 346.
Ishikawa 286*, 300.
Ishiwara 408*.
Isserlin 913*.
Ito 612*.
Iturmenti Casas 883*.
Juda 1051*.
Judd 914*.
Juliusburger 975, lO.^,,
1037.
Jung, 0. G. 62, 914*. 927,
983.
Jung, K. 914*.
Juquelier 358*, 921*, 9fi.1*.
Jurkiny 15*.
Ivanoff 588*.
Ivanyi 207*.
Iwanow 754*, »39*.
Iwasaki 714*
Kadowacki 1186*.
Kaes 47.
Kagi 1065*.
Kahibaum 1204.
Kahn 287*. 676*, 847"-.
KaJer 533*, 1086.
Kalberlah 445, 612*. 883*.
Kaliseher, O. 47, 125. 811*.
Kallionzis 847*.
Kallius 15*
Kallmeyer 726*, 81*1*.
Kallner 1018*.
Kalmus 1094*.
Kanunaka 612*.
V. Kampen 259.
Kampherstein 382.
Kampmann 207*. 57.5*.
Kankarowitsch 726*.
Kann 808.
Kaposi 315, 864.
V. Karas 872.
Karasawa 618*.
Karczewski 640.
Xamenregister.
127$
Karewski 861.
Karlin 261*.
Karplus 1*, 15*.
Karsch-Haak 1094*.
Karzew 827*.
Katolicky 251*.
Katte 1151.
Eattwinkel 229.
Katz, L. 698.
Katz, R. 366, 878*
Katzenstein, I. 117*, 161*.
Kauffmann513*,646*,588*.
Kaufmann 714*.
Kaumheimer 583*.
Kausch 761, 848*.
Kay 503*.
Kays er 297*, 876.
Kazzander 259.
Keen 511*, 513*.
Keene 509.
Kehr 750*.
Keiper 633*
Keith 158.
Kelchner 927.
Keller 676*, 781*.
Kellermann 781*.
Kelling 90, 287*
Kellner 207*, 251*, 895.
Kellog 805. 811*. 940*.
Kelly 883*.
Kelynack 467*, 1094*,
1161*.
Kemp 349, 1186*.
Kempen 467*.
Kemper 337.
Kemsies 914*.
Kendig 513*.
Kendirdju 871.
Kendle 836.
Kennedy 533*, 848*.
Kent 919*.
Kenyeres 1094*.
Kermorgant 467*.
Kern 336, 663. 976*.
Kerr 356*, 940*, 977.
Kerris 1186*.
Kerry 726*.
Kersten 588*.
Ketchen 591.
Ketly 560*.
Key es 1094*.
Keys er 207*, 251*, 287*.
Klär 533*.
Kiefer 628*, 1094*. 1153.
Kielholz 1214.
Kiernan 977, 1065*. 1094*
1135, 1161*.
Kiesow 152*, 914*.
Kilburn 373*.
Kilvington 202.
Kinberg 893.
King 560*, 709*, 726*, 914*.
Kingman 356*.
Kinhead 687.
Kinsman 656*.
Kintzel-Thumm 914*.
Kjolseth 1094*.
Kionka 768*, 775.
Kipiani 72* 157.
Kipp 373*.
Kirby 1051*, 1065*.
Kirchner 454.
Kirkley 676*.
Kirkowid 777.
Kirkpatrick 1018*.
Kisch 352, 782*, 1127
Kitaj 628*.
Klaer 391*, 533*
Klar 760.
Klatt 770, 778.
Klau 737.
Klausner 251*.
Klaussner 300.
Klawitter 467*.
Kleber 883*.
Klein, Fr. 180.
Kleist 363, 940*
Klempner 26, 628*. 706.
Klengel 287*
Klien 356*.
Klieneberger 773.
Klinck 751.
Klincke 977.
Klinkhardt 30.
Klipp 883*.
Klipper 560*, 612*, 1079,
1082.
Klug 726*, 848*.
Kluge 914*, 1186*, 1215.
Klumker 1213.
Knapp, A. 490*, 513*, 529,
533*, 632, 721, 977. 1066.
Knapp, H. 287*, 373*, 848*.
Knapp, L. 896.
Knapp, M. J. 72*.
Knapp, P. 373*, 848*, 940*,
1065*.
Knauer 1094*, 1137.
Knaut 157.
Knerr 1051*.
Knight 533*.
Knochenstiern 490*.
Knoedl 802.
Knöpfelmacher 628* 726*,
1018*.
Knosp 346.
Knott 715*.
Knowlton 513*.
Kob 447. 479, 848*.
Koch, H. 354.
Koch, R. 467*.
Koch, W. 102, 702*.
Koch-Hesse 914*.
Kocher 109, 940*.
Kochmann 102*.
Kochs 768*.
Koda 4.
Köder 872.
Koelichen 467*.
Koenig 1167.
Koerber 331.
Koetter 883*.
Köhler, F. 287*.
Kohn, A. 32.
Kohn, B. 676*.
Köhne 1161*.
Kohn er 848*.
Kohnstamm 51, 166, 914*.
Kojima 726*.
Kokisch 798.
Kolbe 848*.
Kolisch 560*.
Kolischer 1094*.
Kolk 940*, 1021.
Kollarits522,665,669,7ir)*.
Koller 383.
Kölling 1018*.
Kollmann 260.
Kolmer 15*, 66, 67.
Kolozs 494.
Kolpin 15*, 228, 593.
Komoto 378*.
Kompe 1170.
Konarski 490*.
König 575*.
Königsberger 509.
Konrad 260, 523. 698. 1094%
1186*.
Konradi 479.
Koobs 750*.
Koontz 726*.
Kopczynski 138,486^513*.
581, 628*.
Kopetzky 440*, 750*.
Kopke 467*.
Koplik 457.
Koppen 46, 1024,1174,1177.
Koppstein 287*.
Körner 72*.
Kornfeld, H. 978, 168L
1136, 1161*, 1170.
Kornfeld S. 940*.
Korolkow 612*.
Körte 726*.
Kos 383.
Kosaka 55, l52^
Kosog 914*.
Köster 414,417, 612* 1065*.
Kötscher 1101, 1161*
Kouindjv 720, 819*.
Kracht 747*.
Kraepelin 940*, 978. 1186*.
Krafft-Ebing 940*.
Kraft 811*.
Krahn 815.
Krall 848*.
Kramell 676*.
Kramer 628*. 848^\
Krantz 691, 895.
Kraus 287% 551*. 726*,
1051*, 1095*.
Krause, A. 251*.
Krause, F. 676*, 865.^14*.
Krause, P. 451.
Krause, R. 15*, 26.
Krauss, F. 373*. 822, 979.
Kraus8,S.914*,1161M187*.
Krauss, W. C. 575*.
1274
Namenregister.
Krawany 27.
Krebs Ö6, 726*.
Krefft 815.
Krehl 287*, 486*, 575*.
Kreibich 743, 907.
Krenberger 1017*.
Krepuska 533*.
Kress 836, 479,771,778,816.
Kretschmann 174.
Kretz 490*.
Kreuser 1161*, 1187*.
Kriegsmann 1161*.
Krimberg 108.
Krogh 287*, 595*.
Krogius 862.
Krohne 298.
Krome 162.
Krou 301, 324, 525. 597.
Kronecker 152*, 162. 168.
Kronenberg 628*.
Kroner 848*.
Krönig 490*.
Kronthal 72*, 915*. 979.
Krückmann 203, 24«, 378*.
V. Krückner 513*.
Krüger 251*.
Krumbholz 356*, 479.
Krätzner 588*.
Kruyt 1187*.
Kußera 742.
Kuchenbauer 503*.
Kudinzew 533*.
Kuffner 1161*.
Kugelberg 467*.
Kuh 617, 827*.
Kuhlmann 931.
Kuhn 416, 726*.
Kühn 373*, 467*.
Kühnemann 700.
Kühner 697.
Kulesch 447.
Kuliabko 168.
Kulschenko 423.
Kümmel 556*, 863.
Kummer 845*, 1095*.
Kundt 620.
Kuuert 480.
Kunick 1034.
V. Kunowski 1161*.
V. Kupfer 15*.
Kupferschmidt 782*.
Kürbitz 668, 696.
Küre R19*. 883* 1065*.
Kuroiwa 656*.
Kürz 1138.
Kurzwellv 871.
Kuscheff 417, 467*.
Küss 490*.
Küster 15*, 245, 830, 883*.
Kusunioto 513*.
Kutner288*,647, 848*, 1208.
Kutzinski 1161*.
Kyle 251*.
L.
Labevrie 271.
Labhardt 688.
Laborderie 288*.
Labusqui^re 676*.
Lacassagne 467*.
Lache 1*, 16*, 87, 39, 193,
915*.
Lacombe 915*.
Ladd ]63. 373*.
Laederich 342, 499, 538.
Laehr 807.
Laffon 491*.
Lafforgue 458, 491*, 533*.
Lafitte-Dupont 110,491*.
Lafond 750*.
Lagiewski 251*.
Lagriffe 1187*
Lagriffoul 491*.
Lahm an n 102*.
Laho 152*.
Lahy 72*, 181, 915*.
Laignel -Lavastine 15*.
64, 184*, 197, 207*, 242,
288*, 560*, 726*. 740, 1062*,
1065*.
Lajone 568*.
Laitiner 467*.
Lalande 915*.
Lalla 848*.
Lallemand 754*, 940*.
Lamari 715*.
Lamb 1018*.
Lamberger 795.
Lambranzi 898, 1187.
Lambr ior 366*, 431*, 1065*.
Lamorlette 811*.
La Motte 848*
Lamy 162, 684, 715*.
Lancereaux 467*, 702*.
Landau, A. 408*.
Landauer 1159*, 1161*.
Landerer 1051*.
Landmann 383.
Landmann -Kalischer
915*.
Landois-Kosemann 72*.
Landolfi 288*.
Landolt 551*.
Lang, P. 16*.
Langdon 207*, 288*, 572,
633, 750*, 883*.
de Lange, C. 288*.
Lange, F. 848*.
Lange, G. 676*.
Lange, J. 883*.
Lange, V. 349, 533*.
Langelan 166.
Langer 980.
Langevin 883*.
Langlet 656*.
Langlev 117*, 152*, 1B5,
167, 171.
Langlois 170.
Langsdorff 811*.
Langstein 557, 735.
Lannois 274,327,345,891*,
429, 533*, 553, 573, 613*,
617, 628*, 676*, 718, 747*.
779, 883*, 907, 1080.
Lanz 274, 712
Lapage 1018*.
La Pegna 16*, 31.
Lapersonne 715*, 737.
Lapicque, L. 90, 152*, 157,
164.
Lapicque. Mme. 162*. Ui4.
Lapinskv 25, 198, 414, 9S0.
La Place 848*.
Laplaigne 915".
L aquer 778, 782*, 820.
1096*, 1123.
Laqueur 803.
Larin 628*.
Larionoff 656*.
Larkin 768*.
Larned 827*.
de Laroquette 404, 677*.
Larougle 768*.
Larroque 848*.
Lamelle 439*, 715*.
Lasarew 824.
Lauder-Brunton 102*.
Launav 614*, 666*.
Launois 261*, 560*, 738.
Laureat! 467*.
Laurendeau 883*.
Laurens 848*.
Laurent 764*, 915*, 980.
1095*, 1131.
Lauret de Beiioc 782*.
Laureys 676*.
Laurie 491*.
Lavaissi^re 940*.
Lavalle 467*.
Laveran 467* 883*.
Lavrand 533*.
Law 1096*.
Lawford 560*
Lazarews 424.
Lazarus, P. 139, 754*, 808.
Lebar 288*.
Lebeaupin 715*.
Lebedew 701*.
Le Beuf 676*, 883*.
Leborgue 1063*.
Lebram 539.
Lebret 724*.
Lectne 848*.
Lecha-Marzo 467*.
Leche 27.
Ledere 541, 564, 628»
Leclezio 750*.
Lecompte 288*.
Le Damany 91.
Ledenig 1186.
Ledoux 560*.
Leduc 162*, 811*.
Lee 152*, 159, 674*, 676*.
Leedham-Greene 862.
Leegard 615.
Leenhardt 407*, 626*, 674*,
756*.
Leers 764.
Namenregister.
1275
Lees 848*.
Leffevre 1051*
Lefmann 940*.
Lefort 600*
Legel 1215.
Legendre 16*, 36, 184*
883*. 1051*.
Legg 849*.
Legludic 1095*
Legrand 543.
Lehmann 883*, 915*.
Lehmann-Nitsche 251.
Lehndorff 251*, 600*.
Lehnert 373*.
Leicester 685.
Leimbach 849*.
Lejoune 464*, 572.
Lelever 1095*.
Lemaire 283*, 408*, 480.
Lemaitre 440*, 915*, 924,
931.
Le Marc Hadouer 280*.
Lemierre 491* 659*
Lemoine 676*, 754*, 980.
Lemon 533*.
Lemosy d' Orel 467*
Lener 1095*, 1161*.
Lengefeld 908.
Lenhartz 444, 900.
Lenhossek 16*.
Lenkei 798.
Lenoble 383, 719.
Lenormant 849*.
Lentz 1187*.
Lenz 383.
Lenzi 726*.
Lenzmann 467*.
Leon 551*, 560*, 628* 656*,
750*, 754*, 884*.
Leonard 849*.
Leonhardt 1155.
Leonpacher 207*.
Leontowitsch 1*.
Lepinay 884*.
L e p i n e 408*, 467*, 618, 628*,
676*, 761, 1051*.
Leppmann 1095*, 1167,
1170, 1174, 1175.
Lequeux 841*
Lequver 480, 588*.
Lorda 91.
Lerembourne 628*.
Leri 49. 251*, 288*, 409*,
426*, 595*, 1076.
Lericke 253*, 849*.
Lermovez 347, 491*.
Leroui 207*, 533*, 628*.
Leroy 207*. 467*, 656*. 915*,
926, 941*, 1065*.
Le Roy 656*, 676*.
Le Roy y Oassä 676*.
Le Rütte 1187*.
Lesage 849*.
Lesbre 16*, 252*.
Leschziner 454.
Lesem 25.
Leser 676*.
Leßieur 207*, 282*, 827*.
Lesne 702*.
Lesniowski 849*.
Lessing 876.
Leszynski 513*, 898, 1059.
Letessier 7.
Letulle 491*.
Leuba 915*.
Lenbuscher 669.
V. Leupoldt 980. 1161*.
Leuret 491*.
Leyaditi 467*.
Levassort 937*, 1092*.
Leven 467*.
Leyet 1050*.
V. Levetzow 1154.
Levi, B. 768*.
Levi, G. 16*, 36, 60.
Levi, L. 91, 92, 93, 288*,
486*, 561*, 562, 628*, 715*.
718, 719, 751.
Levi-Bianchini 694. 827*.
Levings 849*.
Levinsohn, G. 126.
Levy, L. 356*, 776.
Levy, P. 884*, 906.
Lewandowsky 16*, 420,
546, 562, 722, 1080.
Lewin. A. 491*.
Lewin, C. 726*.
Lewin, L. 468*.
Lewin-Epstein 513*.
Lewis 208*, 533*, 739.
Lewitt 1136.
Lewskowski 748.
Lexer 849*.
Ley 726*, 754*, 868.
V. Ley den 442, 568*, 760,
827* 849*
L'Hermitte 572, 1082.
Lhote 498.
Libensky 347.
Libotte 153*, 568*, 702*,
726*, 750*, 782*.
Lichtenstein 821.
Lichtheim 337, 513*, 559.
Lie 238.
Liebermann 811*.
Liebers 288*, 556*, 707.
Liebmann 884*.
Liebrecht 208*.
Liedlaff 1018*.
Liepe 1187*.
Liepmann, H. 126, 356*.
941*, 981, 983.
Liepmann, W. 676*, 683,
685.
van Lier 873.
Liermberger 778.
Lilienfeld 533*.
Lilienthal 782*.
Lindenau 1095*.
Lindl 628*.
Lindner 600*, 915*.
Lindsav 754*.
Lindström 491*.
Lindt 870, 849*.
Lingbeek 1187*.
V. Lingelsheim 442, 682.
Linguerri 102*, 1065*.
Liniger 759.
Link 160, 288*.
van Lint 376*.
Lipmann 915*. 1180.
Lippmann 726*.
Lipps 181, 915*, 923.
Lipschitz 1035.
Lissauer 252*.
V. Liszt 1161*.
Littlewood 244.
Livingstone 496.
Livini 16*.
Livon HO, 686.
Lloberas Sellar6s 628*.
Lloyd 681.
Lobenhoffer 228.
Lobenstine 677*. 686. 835.
Löbl 468, 480.
Lobsien 915*.
Lob US 288*.
Lochte 236, 356*.
Lockemann 687.
Lockhart 247*.
Locy 16*, 46.
Lodato 171.
Lodholz 117* 153*, 558.
Loeb 16*, 72*, 726*.
Loebel 782*. 787.
Loeper 452.
L'oeser 117*.
Loewenfeld 93, 256, 1145.
Loewenthal 288*.
Loewi 171, 677*.
L'oewy, R. 371*.
Lohmann 178, 373*.
Lohrisch 480.
Lohrmann 252*.
Lohsing 915*, 1095*, 1161*.
Loisel 94.
Loison 849*.
Lombard 849*.
Lombroso 754*, 1095*,
1132, 1161*.
Lomer 834, 941, 981, 984,
985, 986, 987, 1043, 1086.
Lo Monaco 13*, 16*.
Londe 288*.
London 38.
Long 613*, 915*.
Longheed 575*.
Longo 16*.
Longpretz 288*.
Longridge 677*.
Lönnquist 873.
Loomis 779.
Loop 827*.
Looten 355*. 531*.
Lop 468*.
Loquerie 288*.
Lora 884*.
Lorand 72*, 468*, 736.
1276
Namenregister.
Lorenz 616, 752, 849*.
Lorenz! 1054.
Loria 915*.
Lortat 611*.
Lortat-Jacob HO, 715*,
752.
Löscher 551*.
Lossen 692, 806.
Löte 468*.
Lotze 468*.
Love 656*.
Lövegren 604.
Loveland 503*.
Low 846*.
Löwenfeldt 288*.
Löwenstein 46. 1161*.
Löwenthal 764.
Lowinsky 915*.
Löwy, M. 331, 366, 505.
Lubosch 16*.
Luc 849*.
Lucangeli 434.
Lucero 1034*, 1161*.
Luciani 127.
Lucka 1130.
Lücke 533*.
Lücke 480.
Luckett 827*.
Lucksch 110.
Liico 110, 556*.
Ludloff 252*, a69.
Ludluml91,200,568*,628*.
Luengo 656*.
Lugaro 2*, 16*, 38,41, 184*,
1030, 1095*.
Lugiato 16*.
Lahrs 16*.
Lukas 915*.
Luke 768*.
Lund 849*.
Lundborg 988.
Lupu 468*.
Lusini 884*.
Lüthje 103*, 1095*.
Lutz 932, 1187*.
Lux 915*.
Luzenberger 158*, 813,
884*, 1187*.
Luzzani 1062.
Luzzato 884*.
Lyle 373*.
Lyon 811*.
M.
Maas, K. 1061.
Maas, O. 365, 367, 391*,
508, «68.
Maas, P. 368.
Maas, Th. 772.
Maberly 897.
Mabina 1095*.
Macansh 727*.
31accabrunni 1187*.
3Iac Callum 111, 208*, 497,
711, 734.
Mac Dermott 1187*.
Macdonald 17*, 184*,
1095*.
Mach 922.
Machado 884*.
Mac Hardy 1209.
Machol 612*.
Mäckel 440*.
Macke nzie i35*, 159, 732,
849*.
Mackey 559.
Mackintosh 117*, 988.
Macleod 761.
Macnab 827*.
Macnamara 288*, 468*.
Mac Nicholl 468*
Macpherson 941*, 988, 989.
Macri 197.
Madden 468*, 879*.
Maennel 1187*.
31aerker 884*.
Maes 724*, 884*.
Maestre 915*.
M äff ei 849*.
Maffezzoli 468*.
Maggi 252*
Maggioto 1065* 1066*,
1209.
Magne 937*.
Magneval 612*.
Magni 72*.
Magniaux 884*.
Magnin 884*. 916*.
Magnus 171, 827*
Magro 53H*.
Maguin 677*.
Mahaim 38, 50, 1034*.
Maker 459.
Mahillon 754*.
Mahner 925.
Majano 934* 1139.
Majewska 884*.
Mailhouse 440*, 884*.
MaiUet 916*.
Mainzer 715*, 755*, 849*,
876.
Maiorfi 1162*.
Maisonnave 107.
Makuen 1018*.
Malafosse 468*, 575*.
V. Malaise 412.
Malatesta 190.
Malerba 117*.
Malherber 884*.
Mall 17*.
Malleree 1051*.
Malloizel 289*, 504*. 568*.
Mally 404.
Malone 756*.
Maltet 170.
Mamlock 774.
Mammen 941*.
Manaceine 288*.
Manasse. P. 246, 491*.
Manders 811*.
Mnndoul 452.
Manegold 464*.
Mangold 17*, 67.
Manlev 628*.
Mann 17*, 364, 468*, 811*.
Manuel 715*.
Mannheimer 727*, 941*.
Mannheimer- Gomm es
288*, 373*. 916*.
Mannini 468* 941», 1065*.
Manouelian 17*
Manouvrier 252*.
Manschot 48«*.
Mantegazza 915*.
Mantel 677*.
Manteufel 445.
Mapes 727*.
Marage 173.
Maragliano 491*, 849*.
Maramaldi 768*.
Marandon de Montyel
941*, 1065*, 1076, 1084,
1085.
Marassini 129.
Marbe 179.
Marburg 135*, 201. 302,
392*.
Marcarini 208*.
Marcel 782*.
Marchand, L. 5. 203, 206*.
208*, 229, 491*, 677*. 941*.
990, 1018*, 1063*, 1071,
1077.
Marchesi 715*.
Marchesini 916*.
Marchetti 723*,
de Marchis 170.
Marcinowski 288*. 884^
941*.
Marcou 645.
Marcus 619, 644.
Marcase, J. 468*, 481, 795.
Marcuse, M. 288*.
Mare 1187*.
Marek 72*.
Maresch 193.
Margain 990, 1082.
Margolin 288*.
Margulies 184*, 366, 408*,
614*, 1181.
Mariani 503*. 656*.
Marie, A. 111. 168*, 480,
738. 768*, 849*, 942*. 1095*,
1187*, 1202, 1213.
Marie, P. 49, 208*. 357*,
J26*, 513*, 524, «11% 756.
1065*, 1077, 1162*.
Marie, R. 208*, 288*. 409*.
Marie fr^res 811*.
Marikorszky 174.
Marimö 811*
Marina 72*. 1018*.
Marinesco 36, 38, 186. 187.
188, 196, 199, 319, 366.
588*, 711.
Marino 942*.
Marion 859.
Namenregister.
1277
Mariotti 252*, 850*.
Marix 942*.
Mark 245.
Markovac 1162*, 1181.
3Iarkus 440*, 1169.
3Iarqufe8 811*.
Marr 677*.
Marro 17*, 942*, 1018*,
1096*.
Marquardt 1187*.
Marsh 864.
Marshall 103* 656», 811*.
817, 850*, 916*.
Martial 1068.
31 artin 468*.
Martin, C. J. 470*.
Martin, B. 1137.
MartiD, F. S. 677*.
Martin, G. 715*.
Martin, J. T. 677*.
Martin, L. 916*.
Martinl8türizl05l*,1187*.
Martineau 542.
Martineck 1162*.
Martinet 777.
Martinez 727*, 884*.
Martinez Vargas 612*.
Martin Gil 20-»*.
Martini 455, 468*, 1187*.
Martino da Silva 850*.
Martinotti 17*.
Martins 1096*.
31artiu8 1108.
Martv 916*.
3Iarx 317.
Alasing 297, 357*.
Älasini 468*, 916*.
31asland 850*
3Ia80in 688, 1088.
3Ias8abuan 332.
Massalongo 782*.
Massary 409*, 715*.
Masseion 916*.
Massier 534*, 677*.
Masson 768*.
3Iasurke 252*'
Matagrin 942*
Matas 769*.
Mathes 683.
Mathewson 373*.
Mathiea 289*, 473*, 663,
667, 670, 850*.
3iatignon 275.
Matozzi Scafa 827*.
Mattauschek 468*, 628*,
1065*.
Matthews 468*.
Matu§ek 677*, 942*.
Matuszewski 17*.
Mauban 878*.
Maublanc 850*.
Manch 383, 384.
Mauclaire 252* 750*, 850*
Maugeret 233.
Maupetit 110.
Maurel 677*.
Älaurice 656*, 677*.
Mavrakis 129.
Max 264.
Maxweli 468*, 916*.
May 208*.
Mayana Gacitüa 1096*.
Mayendorf 129, 365.
Älayer, A. 727*, 850*.
Mayer, C. 17*, 111, 1096*.
Mayer, H. 491*.
Mayer, M. 468*
Mayering 17*.
Mayerweg 374*.
Maygrier 676*.
Mayon 2*, 208*, 374*
Mayor 481.
Mayou 513*.
Mays 289*.
Mazzeo 409*.
Mc Arthur 252*.
Mc Oarthy 252*, 300, 468*,
503*, 1051*.
Mc Caskey 811*.
Mc Caw 494.
Mc Cav 513*, 523.
Mc Conaghey 1083.
M c () o n n e 1 1 360, 628*, 1066*.
Mc Cool 468*.
Mc Crae 503*.
Mc Cuen 491*.
Mc Cullagh 884*.
Mc Cully 1162*
Mc Donald 568*, 850*.
Mc Dougall 916*, 1187*.
3Ic Gahey 440*, 459.
Mc Gamble 916*.
Mc Garrahan 750*.
Mc Gibbon 750*.
Mc Gory 468*.
Mc Gowan 884*.
Mc Gregor 481.
Mc Guire 628*.
Mc Kee 1030.
Mc Kennan 1096*.
Mc Kernon 534*. 85Ö*.
Mc Kenzie 850*, 884*.
Mc Laughlin 698.
Mc Leod 964.
Mc Murphy 827*.
Mc Murrich 17*.
Mc Nees 884*.
Mc Niell 656*.
Mc Rae 1067*.
Mc Swain 1051*.
M'Donald 240. .
Meacham 885*.
Meachen 715*.
Mead 850*, 916*.
Meara 715*.
Medea 2*, 289*, 337, 551«',
559, 648.
Medeiros 916*.
Meehan 916*.
Meeus 719, 1187*.
Mehl 1137.
Mehuert 368, 369, 885*.
Meier, G. 885*.
Meier, H. 775. 897, 898, 908.
Meige 289*, 716*, 750*, 1194.
Meignant 827*.
Le Meigneu 755*.
Meigs 158.
3Ieilhon 1187*.
Meinert 1124, 1125, 1126.
Meinicke 827*.
Meinong 916*.
de Mois 253*.
Meisl 91h*.
Meisner 260.
Meissner 1096*.
Meixner 1148.
Mekus 252*.
Melia 2*.
Melissinos 2*.
Meli 1017*.
Melius 17*.
Meltzer 111, 161, 1188*.
Melville 677*.
M e n d e 1 , B. 357*, 900, 1 162*,
1206.
Mendel, F. 491*.
Mendel, K. 163*, 426*, 426,
432, 639.
Mendelsohn 1188*.
Mendelson 885*.
Mendez 1051*.
Mendl 649.
Menegaux 916*.
Meneghetti 11*
Menetrier 468*, 668, 745.
Menna 755*.
Mennell 727*.
Menschig 900.
Mense 469*, 850*.
Menzel 825.
Menzies 534*, 1213.
Mercante 1096*.
Mercier 850*, 991, 1096*,
1217.
Meredith 954.
Merimingas 850*.
V. Mering 774.
Merk 469*.
Merkel 17*, 469*.
Merkl 916*.
Merklen 782*, 1188*.
Merlin 629*.
Mermingas 695.
Merril 1018*.
Merrit 17*.
Mertelsmann 1018*, 1188*.
Merton 17*.
Mery 289*, 297, 491*, 656*.
Merzbacher 17*, 201, 289*,
437.
Mesnil 467*.
Mesures 469*.
Metclaf 17*.
Mettler 289*, 392*, 409*,
503*, 613*, 534*, 546*, 600*,
656*, 727*, 885*, 1066*.
Metz 2*.
1278
Namenregister.
Meunier 916*, »91.
Meusy 1188*.
Meyer, A. 208*, 357*, 481,
518*, 942*.
Meyer, B. 916*.
Meyer, C. H. L. 409*.
Meyer, E. 1043, 1072, 1073,
1165, 1176, 1192.
Meyer, H. 177, 752.
de Meyer, J. 72*, 682.
Meyer, L. 208*.
Meyer, M. 916*.
Meyer, 0. 469*, 667, 1096*.
Meyer, P. 297, 905.
Meyer, R. 17*, 629*.
Meyer, V. 768*.
Meyer, \V. 827*.
Meyerowitz 273.
Meyers 469*, 629*, 656*,
991, 1203.
de Micas 629*.
Michael 252*, 677*.
Michaelis 289*.
Michailow 702*.
Michel 992.
V. Michel 208*, 384, 677*.
Michell 885*.
Michels 850*.
Michelsen 624.
Michotte 59, 135*.
Micke 850*.
MiQsowicz 734.
Mignon 613*.
Mignot 473*, 945*, 1190*,
1208, 1217.
Miklas 1183*.
Mildenberger 17*.
Miles 289*.
Milian 409*, 425, 478, 568*.
Milko 850.
Miller 409*, 750*, 811*, 850*,
930.
Millet 702*.
Mills 185*, 357*, 362,392*,
469*, 513*, 558, 561*, 702*,
715*, 850*, 885*, 942*,
1051*, 1162*, 1203.
Milner 252*.
Mine 357*.
Minea 199.
Mingazzini 17*, 117*, 271,
289*, 428, 557, 755*.
Mingus 850*.
Minkema 173.
Minkowski 639, 727*.
Minor 635, 757, 850*.
Minot 462*.
Mintz 384.
Mioni 112, 700.
Miraille 326, 330, 537, 744,
750*, 893.
Miramont 404, 677*.
Miranda 561*.
Mircolo 289*.
Miron 831.
Mirtl 793.
Mirto 546*, 656*.
Misch 252*, 493.
Mislawsky 170.
Mitchell 252*, 634*, 942*,
1188*.
Mittelhäuser 755*.
Mittenzweig 992.
Mitsuno 491*.
Mittermaier 1162*.
Miura 481.
Mix 727*. !
Miyake 942*.
Mizno 374*.
M' Kenzie 72*, 498. :
Mob ins 72*, 252*, 916*, i
922, 1096*.
Mo Chi 252*, 1096*.
Mocquin 520.
3Iocquot 275.
Modena 185*, 198, 646*,
715*.
Iffodigliano 916*.
Moeli 49, 1165.
Moffet 850*.
Moffitt 727*.
Mohr, F. 361, 924.
Mohr, M. 374*.
Moindrot 850*, 853*
Moleen 6 0.
Moll, A. 5, 885*, 916*,
1096*, 1141.
Moll, U 905.
MoUaret 513*. 811*.
Molle 917*.
Moller 469*.
Möller, 0. 917*.
Möller, P. 917*.
Möller. W. 18*.
Monakow 536.
Mo n Corvo 469*, 656*, 727*.
Mondio 1087, 1140.
Monery 111.
Monestie 827*.
Moufrin 677*.
Mongeri 768*, 1051*, 1084,
1188*.
Mongour 111, 885*.
MÖnkemöller 993, 1041,
1071, 1162*, 1167.
Monod 1066*.
Monriquaud 755*.
Monro 699, 1018*.
Monroe 490*, 613*, 917*.
Montagnini 768*.
de Montel 18*. 469*.
Monteli 534*.
Montesi 885*.
Montessori 1096*.
Montgoraery 917*.
Montmerand 917*.
Montuori 72*.
Monturiol 534*.
Monziols 107.
Moody 289*.
Moore 252*, 374*, 431*,
491*, 649, 677*, 819*, 850*,
942*.
Moraes 491*.
Moradi 18*.
Moravcsik 1045. 1162*^
1197.
Morawitz 403.
Mörchen 1175,
Moreau 252*, 411». 1173.
Moreira 885*, 942*, 1034*,
1188*.
M o re 1 81 1*. 850*, 860. 1 096*^
1172, 1203.
Morelli 252*.
Moren 357*, 727*.
Moreno 18*.
Morero 407*, 626*, 674*.
Morestin 850*.
Morgan 117*, 672*, 917*.
Mori 289*, 677*.
Moriarta 682.
Moricbau-Beauchant
511*.
Morisset 885*.
Morita 1162*.
Moritz 289*. 727*.
Morland 85Ö*.
Mornac 656*, 830.
Morre 834.
Morris 741.
Morrison 750*, 851*.
Morrow 374*, 885*.
Morse 819*.
Morseil i 327, 469*, 561*,
613*, 768*, 993, 1162*.
Mort 629*.
Morton 677*, 811*. 816,
847*. 851*, 885*.
Morton Prince 140, 556*.
Morvay -161.
Moschini 469*.
Moser 491*.
Moser 537, 678*.
Mosher 1188*.
Mosny 289*, 504*, 568*
Mosse 744, 746.
Mossier 702*.
Mosso 72*.
Motet 1066*.
Mott 185*, 469*.
Moty 252*.
Mouchard 611*.
Mougneau 411*.
Moura 656*.
Mourek 1051*.
Mouret 851*.
Mourniac 827*.
Mourre 192.
MoussoQS 942*.
Montier 275, 472*, 551*.
Moutot 409*.
Moyer561*,727*,827*.942*.
Mozovielles 727*.
Mroczkowski 861.
Müder 1018*.
Muijs 1018*.
Namenregister.
1279-
Muir 629*.
Müller, A. 178.
3Iüller, B. 777, 851*, 885*,
895.
3Iüller, Ch. 664.
3Iüller, E. iJ89*, 325, 332,
351, a96, 398, 599, 867, 896.
Xüller. F. 289*, 589.
Müller, G. 103*, 623, 823,
917*.
3Iüller, H. 234, 750*.
Müller, J. 870.
Müller, L. 690, 851*.
Müller, M. 252*, 409*, 514*.
903.
Müller, P. 851*,
Müller, K. 153*, 158.
Muls 629*.
Mamford 820.
Munimery 851*.
Muiiaron 827*, 1018*.
Münch 66, 69.
Mundy 252*.
Munu 755*.
Münz er 185*, 738.
Muralt Uli.
Muratet 471*. 535*.
3Iurayama 289*.
3Iurdoch 698.
Murphy 252*.
Murray 733.
Museat 162.
Muscel 656*.
Müsch 813*.
Muselli 290*.
Muskat 252*.
Muskens 135, 290*, 409*,
486*, 575*, 885*, 894.
3Iusmeci 1034*.
.Müssen 629*.
Musser 750*.
Muybridge 72*.
Mya 491*.
Mygind 361.
3Iylks 534*.
Mynlieff 688.
3Iyrdacz 469*.
Näcke 993, 1096*, 1097*,
1103, 1109, 1122, 1123,
1144, 1157, 1188*.
Nadjede 261.
Nadosy 678*.
Naegeli 469*, 1097*.
Nagai 491*
Nagazawa 561*.
Nagel, C. S. 374*
Nagel, W. 172, 182, 252*,
384.
Nageotte 18*, 221, 239, 425.
Nageotte-Wilbouche-
witch 135*, 312.
Nährich 18*.
Naidu 885*
Naka 555, 1074.
Nakaizumi 2*.
Nakayama 597.
Nammack 426*.
Napier 851*.
Napier Close 4»1*.
Narbut 885*.
Nardelli 208*.
Nariman 727*.
Nascimento Gurgel 469*,
534*, 561*, 657*.
Nassau 1097*.
Natier 750*.
Natvig 750*.
Naumann 290*.
Naunyn 505.
Nayrac 917*.
Nebel 504*.
Neble 657*.
Neff 426*, 811*, 885*.
Negri 469*.
Negro 290*, 504*, 598*, 629*.
Ne isser 265, 649, 697, 993,
994, 1047*.
Nelson 917*.
Nerlich 708, 1170, 1174.
Nery 1188*.
Nespos 403.
Nestor Grehant 469*.
Netter 1097*.
Neu 514*, 686.
Neubauer 1097*.
Neubert 727*.
Neuer 819*.-
Neugebauer 267, 871, 877,
1097*.
Neumann, A. 424, 792,885*.
Neuraann, H. 290*, 543.
Neumann, O. 995, 1188*.
Neumann, R. O. 357*, 469*.
Neumayer 2*.
Neurath 602, 606, 678*.
V. Neusser 469*.
Neustätter 95.
Neutra 290*, 321.
Neuville 917*.
Newell 886*.
Newton 290*, 917*
Neyroz 1018*.
Nicard 72*.
Niceforo 253*.
Nicholl 995.
Nicholson 1051*.
Nicod-Laplanche 755*.
Nicola 18*.
Nicolai 153*, 157, 165.
Nicolas 409» 464*, 465*,
469*, 470*, 481, 629*, 727*,
827*,
Nicolavici 1051*.
Nicolet 811*.
Nicoletti 290*.
Nicoll 504*.
Nicolle 469*.
Nicolson 851*.
Niederle 750*.
Niedner 306, 469*.
Niehans 851*.
Nielsen 56.
Nieny 851.
V. Niessl-Mayendorf 529.
Nieto 208*.
Nieweg 942*.
Nikolaides 130.
Nishino 590.
Nissl 942*.
Nissle 469*.
Nitsche 942*.
Noack 1047*.
Nobecourt 253*.
Nobl 354.
Nobles 886*.
Noce 886*.
Nocht 469*.
Nodin 511*.
Noehte 757.
Noel 290».
Noever 629*, 657*, 727*.
Nogier 811*.
Nogueira Lobo 657*.
Nogufes 613*, 657*.
Noica 616. .
Noir 1097*.
Nolan 942*.
Noltenius 491*.
Nonne 208*, 253*, 481* 469*^
498 504*, 521, 558, 575*.
598, 613», 657*, 660,851*,.
1066*.
Noordenbos 253*.
Norbury 290*, 886*, 942*^
1051*.
Nordmann 727*
Norero 889*.
Norman 1043, 1214.
Norris 18*.
Norström 823.
Northridge 851*.
Northrup 290*, 811*.
Nose 18*.
Nouis 678*.
Nouri 471*.
Novaes 117*.
Novak 633, 897, 1188*
Nove- Josserand 613*.
Novy 470*.
Nowikoff 18*.
Noyes 514*, 702*, 727*.
Noyons 178.
Nubiola 851*.
Nuel 917*.
Numa Praetorius 1097*..
N US bäum 18*.
Nussbaum 10*.
Nutriiziano 481.
Nutt 1097*.
Oberndorfer 1180.
Obersteiner 18*, 163, 195,.
917*.
1280
Namenregister.
Oberwarth 266.
Obici 943*.
Obraszow 943*.
Obregia 735, 995.
O'ßrien 1066*.
O'Carroll 588*.
O'Dnniel 851*
Oddo 208*, 576*.
Odier 18*, 202, 728*.
Odiorne 851*.
Ooconomakis 209*, 219.
Oefele 349.
Oehler 514*, 1216.
Oehmke 690.
Oeller 682.
Oettiiiger 1106.
Offergeid 530.
Ogawa 384, 1097*.
Ogg 504*.
Ogilvie 409*, 751*.
Ohl 557*.
Ohm 638.
Ohmann-Dumesnil 253*.
Ohnacker 290*.
Okada 167, 200, 201, 470*,
780
Oku 470*.
Ol ah 943*, 1066*.
Olaso Jordan 812*
OHva 943*.
Oliveira Cesar 253*.
Oliver 374*, 5H8*
Olivier 208*, 1018*, 1050*,
1077.
Olivier. Maurice 1051*.
Ollive 755*.
Olmer 30.
Oltuszewski 867.
O'Neill 812*.
Onodi 385, 728*.
Onorato HO.
Onuf 209*, 678*.
van Ordt 795, 827*.
Oppenheim, E. 290*.
Oppenheim, H. 486, 515,
517, 867.
Oppenheim. R. 917*.
Oreste 470*.
Orlanaki 678*.
Orlow 470*.
Orlowski 1097*.
d'Ormea 218, 886*, 948*,
1066*, 1088, 1188*.
Ormerod 426*, 481*, 499,
561*, 569*, 598*.
Orr 243, 569*.
Ortali 728*.
Ortiz 1132.
Ortolani 657*.
Osawa 917*.
Osgood 886*.
Ossipow 253*, 943*.
Ostermaiin 1097*.
Osterroht 702*.
Ostheimer 350.
Ostwalt886*,897, 898,1097*.
Oswald 733.
Ots 943*.
Otsuba 886*.
Otsuka 728*.
V. Öttinger 154*, 276.
üttolenghi 1097*.
Oulmont nei*.
Ouvrieu 886*.
Ouvry 728*.
Overdüyn 253*.
Overton 160.
Ovio 374*.
Owens 851*.
Oxner 18*,
Oven 534*.
Pacehioni 504*.
Pactet 1162*.
Paddock 209*.
Paderi 678*.
Padovan 917*.
Pagani 886*.
Pagano 117*, 130, 167.
Page 980.
Page May 18*, 218.
Pagel 1097*.
Pagenstecher 617.
Paget 917*.
Paggani 917*.
Pagliari209*.
Pagniez551*,552,5d4,728*.
Pailhasll88*.-
Paiu 851*.
Paine 482.
Paisseau 253*.
Pal 340.
Paladine 111.
Palau 290*.
Palermo 874*.
Pallard 541.
Palm er 534*, 546*.
Pamart 886*, 1183*.
Pandy 1188*.
Panegrossi 431*, 755*.
Panfilow 290*.
Panichi 470*, 482.
Panigazzi 470*.
Pause 290*.
Pausier 374*.
Panting 863*.
Paoli 948*, 1066*, 1188*,
1197.
Papadaki 223.
Papillault 253*.
Papillon 943*.
Papinian 51, 117*, 190,
417, 586.
Paquet 431*, 492*.
Paramore 223.
Parant 768*, 1088.
Parascandolo 258*, 889.
Parham 657*.
Parhon 51, 57, 111, 117*,
135*, 140, 190, 195, 253*,
261, 417, 482, 586, 657*,
735
Pari 117*, 141, 154*.
Paris 943*, 1066*, 1074,
1162*.
Parisot 657*, 1097», 1162»,
Parizeau 851*.
Park 171, 440*, 470*.
Parker 181, 702*, 927, 943*.
Parkinson 557*.
Parlavecchio 2^3*.
Parodi 504*, 514*.
Parot 569*, 1090*.
Parry 290*.
Parsons 253*, 504*. 1097*.
Pascal 358*, 1068*.
Passek 5.
Pässler 409*, 728*.
Passow 173, 851*.
Patek 290*.
Patel 534*, 629*.
Paterson 357% 362, 542.
Patoir 426*, 492*.
Paton 374*. 943*.
Patrick 290*, 514, 613*,
629*, 717, 851*.
Patry 374*.
Pattantyüs 917*.
Patterson 1051*.
Patzschke 629*.
Paukstat 374*, 385.
Paul 374*, 385, 856*.
Paul-Boncour 917*, 943*.
Paulhan 917*.
Paulson 470*.
P a u ly 409*, 492*, 678*, 1052*.
Paunz 374*.
Payiot 409*, 470.
Pavy 492*.
Pawel 2*, 1066*.
Pawlowskaja 917*^
Pays 917*.
Pazeller 819*, 851*.
Peabody 838.
Peachell 708,
Pearce 751*.
Pearl 18*, 24.
Pearson, K. 9*.
Pease 812*.
Pechin 374*.
Peck 440*.
Pedersen 924.
Pce 18*.
Peeters 657*, 886*, 1188*,
1089*.
Pegram 851*.
Pehu 499, 624.
Peiper 429.
Peixoto 678*. 942*. 966,
1084*, 1189*.
Peli 253*, 943*.
Pelicand 828*.
Pellegrini 948*.
Pelletier 849*, 917*, 948*,
1018*, 1077, 1162*, 1187*.
NameiuregiBter.
1281
Pelliaa i 209*. 948*, 1018*,
1019*, 1162*.
Pelon 788.
PeU 1057.
Pemberton 263*, 290*,
892*, 688*.
Penafiel 1066*
Pende 18*.
Pennats 486*.
Pennasza 678*, 1019«, 1116.
Penniogs 470*.
Pennington 828*.
Pensa 63.
Penta 1162*.
Peon del Yalle 1162.*.
Pepaire 696*.
Peraire 851*.
Perazaolo 317.
Percival 651*.
PeregrinoLeited'Aranjo
629*.
Pereira 702*.
Peres 6.
P^rez-Valdes 392*.
Perez-Vento 557*, 629*.
Pergola 828*.
Peridier 1066*.
Perignant 492*.
Perna 18*.
Pernot 290*.
Peroncito 200.
Perosino 470*.
Perrero 209*, 409*.
Perretifere 391*, 628*, 678*.
Perrier 1097*.
Perrin 409*, 492*. 702*,
1064*, 1092*.
Perrugia 290*.
Pcrry 751*.
Pershing 290*, 667*, 1097*.
Perthes 202, 862*.
Peru 81 ni 231, 428, 1033.
Perwaschin 644.
Petchik 606.
Pessler 1162*.
Peter, L. C. 209*, 667*.
Peteri, W. 692, 731, 917*,
928.
Petersen 268, 1100.
Peterson 281*, 728*, 886*,
1189*.
Petges 629*.
Petit 229, 290», 614*, 610*.
687, 768*, 812*, 1189*.
Petitjean 469*.
Petren 272, 290*, 943*.
Petrie 470*.
Petrovic 728*.
Pettey 1062*.
Petzalis 220.
P§tzy-Popovics 18*.
Pewnitzki 1189*.
Pewsner-Neufeld i8*.
Peyton 862*.
Pfahl 291*, 766*.
Pfeifer 392*.
Pfeiffer 862*.
Pfersdorff 943*, 996, 1089,
1066*, 1086.
Pfingst 657*.
Pfister 291*.
Pflanz 470*.
Pflücker 169.
Phelps 367*.
Phelps-Gage 18*.
Philippe 657*, 943*-
Philipps 440*, 492*, 861,
886*, 1189*.
Philippson 73*, 268*.
Picarra 1097*.
Piccinino 629*, 782*.
Pichenot 852*.
Pichler 385.
Pick, A. 366, 366, 867, 386,
630, 918*, 926, 943*, 997,
1207.
Pick, F. 209*.
Pick, G. 204.
Pick, L. 551*
Pickardt 440*.
Picket 678*.
Pickett209*,409,504*,657*.
Pickrell 828*.
Picque 862*, 943*, 1052*,
1060, 1189*, 1209.
Piödallu 768*
Pieraccini 470*.
Pieralini 782*.
Pierce 534*.
Pieri 154*, 546*, 763*.
Pieron 918*, 920*, 931, 933.
Piery 702*.
Pigeon 178.
Pighini 30, 678», 997, 1066*.
Pihl 386.
Pilcz 1019*, 1112, 1206.
Pillement 534*.
Pilliot 886*.
Pilponl 19*.
Piltz 318.
Pinard 470*.
Pineiero 918*.
Pines 374*.
Pinguet 263*
Pini 629*, 768*.
Pinkns, F. 19*.
Pinned 492*.
Pinneo 440*.
Pintaad-DesalUes 291*.
Piper 179, 378, 386, 629*.
Pirie 240, 668*.
Pirone 19*, 409* 629*.
Pirsche 728*
Pisani 111.
Pisarski 770.
Pischel 409*.
Pitassi 812*.
Pitini 613*.
Pitkin 912*.
Pitres 657* 716*.
Pitt 291*, 715*.
JahresberiGht f. Neurologie q. Psychiatrie 1906.
Pittard 253*.
Pi y Suner 103*.
Placzek 1112, 1171.
Platou 600*.
Plauchu 604*, 678*.
Plaut 746, 780*.
Plehn 2*, 392*, 943* 1062*,
1179.
Plenk 886.
Plettner 728*.
Plimmer 470*.
Plumbe 862*.
Pochon 1186*.
Pocock 263*.
Poczobut 682.
Podelne 392*, 404.
Podestii 997.
Poehl 828*, 840.
Poels 766*.
Poensgen 561*.
Pöhlmann 618*.
Poirier 852*.
Poisot 945*.
Poisson 852*.
Poisonnier 862.
Pol 209*.
Polack 179.
Poledne 466*.
Poli 291*.
Polimanti 17*.
Pollack 390, 728*.
Pollak 209«, 886.
PoUigkeit 1166.
Pollitz 998.
Pommer 263*.
Poncet 263*, 613*, 629*.
Poncin 812*.
Ponfick 534*.
Ponzo 19*.
Poole 19*.
Pooler 470*.
Poor 482.
Poots 1019*.
Pope 514*, 812*,886*, 1189*.
Popert 1189*.
Popper 103.
Poppi 492*.
Porak 263*.
Porosz 670, 1097*.
Po rot 429, 573, 618, 628*.
908.
Porter 117*, 469, 618*, 862*.
Portes 374*.
Porto 1163*.
Posey 291*, 375*, 553, 944*.
Possek 756.
Posselt 682.
Postowski 944*, 1089.
Potherat 852*.
Potjan 1189*.
Potter 819*.
Potts 209* 404, 470», 680,
816, 998.
Poucel 852*.
Pouchet 789.
Poulard 375*.
81
1282
Namenregister.
Pouliquem 852*.
PouUon 470*.
Poulton 678*.
Powarnin 918*.
Poynton 458, 482.
Praetorius 746.
Praudi 618*, 702*.
Prara 918*.
Pratt 819*.
Preindlsberger 872,
Preiser 253*
Preleitner 859*.
Prenant 160.
Preobraachensky 316,
392*, 431*, 510, 526, 613*,
627*.
Pressey 1210.
Prestschistenskaja 167.
Prevost 112, 130, 700.
Price 470* «29».
Prieur 470*.
Primer 154*.
PriDce 678*. 918*.
Prineeteau 291*.
Pringle 756*.
Prins 1163*.
Prior 728*.
Prioux 375*.
Prissmann 470*.
Pritchard 667*, 812*.
Prittie Perry 736.
Privat de Fortunie 1206.
Proal 1098*.
Probasco 470*.
Probst 19*, 49, 769*.
Profichet 291*.
Prölls 773.
Pron 657*, 1066*.
Pronger 386.
Proposito 470*.
Propping 678*.
Prout 629*, 640, 843*, 886*.
Proutifere 492*.
Pruszynski 108*.
Puccioni 551*, 1098*.
Puchberger 1066*.
Punton 291*, 576*, 657*,
998, 999.
Pusateri 2*.
Putnam 852*, 918*, 1034*.
Putzer 886*.
Q.
uandt 918*
uehery 852*.
Queirel 685.
Quellien 470*.
Quensel 358*.
Quenu 852», 1189*.
de Quervain 470*.
Qaesada Homero 431*.
Quest 25.
QuiUain 728*
Quincke 253*, 868, 1104.
Quirsfeld 1189*.
Quix 173.
Quodbach 852*.
I Rabaud 220, 1098*.
I Kabek 831.
I Rabfere 862*
I RabiSo Meira 278*.
Rabitsch 375*.
I Rachminow492*,678*,7a8*.
V. Rad 898*. 431*, 539. 1034*.
Radin 657*, 886*.
Radi 95, 177.
Radmann 449.
Radner 1189*.
Radzich 291*.
Radzikowski 154.
Raebiger 762, 901.
Raecke 657*, 1047, 1048.
1054.
Raetber 166.
Raffaeli 291*.
Raffalovich 1098*.
Rageot 918*.
Rahn 470*.
Raia 651*.
Raimann 200, 769*, 1044,
1052*, 1174.
Raines 291*.
Rainy 426*.
Raitz 425.
Rallidis 291*.
Rambotis 886*.
Ramond 477, 500, 947.
Ramos 657*.
Ramsay 678*.
Ramström 19*.
Ramus 534*.
Randall 691, 1019*.
Rane 852.
Ranjard 291*.
Ranke 209*.
Rankin 546*, 782*.
Ranney 886*.
Ranschburg 918*, 1168*.
Ransohoff 862*.
Ransom 588*.
Ranzi 209*, 253*, 852*.
Raoult 534*, 862*.
Raschkow 772, 999.
Rasmussen 918*.
Ratheri 248*, 625*, 700*.
Rathony 291«.
Rattner 852*.
Raubitschek 229, 291*.
Rauch mann 431*.
Rauchwerger 728*.
Rauschke 423, 1059.
Rautenberg 514*, 630*.
Ravallec 291*.
Raviart 426*, 678*, 1017*,
1019*, 1063*.
Ravizza 918*.
Ravogli 4B3, 667*.
Rawitz 253*.
Rawling 861.
Raymond, A. 614*.
Raymond, F. 209*, 291*,
334, 346, 392*, 405, 409*,
427, 431* 482, 486*, 520,
561*, 565, 579, 588*, 600*,
618*, 630*, 632, 645, 657*,
678*, 702*, 710, 715*, 716*,
728*, §86*. »18*, 941*,
1026, 1047*, 1052*, 1066*,
1069, 1079.
Raymond, P. 944*, 1019*.
Raynaud 828*.
Rayneau 886*, 1189*.
Rayneri 1162*.
Razzaboni 185*.
Reading 755*.
Reali 630*.
Reamer 751*.
Keber 751*.
Rebizzi 19*, 65, 232.
Reboul 613*.
Recamier 114.
Reche 269.
Redaelli 291*.
Redikorzew 19*.
Redlich 45, 291*, 330, 392*,
524, 678*.
Redslob 386.
Reeb 685.
Reed 254*, 886*.
Reesor 657*.
Regamey 918*.
Regaud 19*.
Regis 944*, 1001. 1052*.
1060, 1067*, 1098*, 1189*.
Regnault 254*, 918*.
Reh 291*.
Rehfisch 630*.
Rehm 291*, 868.
Reich 19*, 291*, 364, 1163*.
Reichard 853*, 1053.
Reichardt 261, 302, 999.
Reiche 306, 608.
Reichel 875, 1098*, 1181.
Reicherts 2*.
Reichhardt 417.
Reichmann, E. 886*.
Reichmann, M. 514*, 853*.
Reichmann, Y. 386.
Reid 470*.
Reik 630*, 863*.
Reinburg 886*.
Reinhold 1081.
Reinieker 600*s
Rejou 782*.
Reis 538.
Reiss 254*.
Reissig 918*
Reissner 1189*.
Reitler 1098*.
Reitzenstein 19*.
Reko 352.
Re^iak 688*, 722.
Remlinger 470*, 471*, 488,
839.
Namenregister.
1283
Benaud tf.
Renault 291*, 716*.
Kenaut 160, 702*.
Heu du 889*.
Renner 471*.
Rennie 886*.
Renninger 894.
Renon 291*, 425, 471*
Rensi 918*
Renterghem 886*.
Rentoul 1098*.
de Renzi 282*.
Respighi 292*.
Rethi lai, 688.
Retiwow 887*.
Retterer 254*.
Retzius 19*, 40.
Reuling 546*.
Reasner 742.
Reua 812*.
V. Reuss 387.
V. Reusz 19*, 241, 242.
1098*.
Reuter 492*, 576*, 769*, 778.
944*, 1000, 1028.
Reuther 918*.
Reverdin 1098*.
Revesz 1098*.
Revilliod 581.
Rey 108*, 855*.
Reyer 292*.
Reynaud 471*, 1067*.
Reynolds 630*.
Rheaume 576*.
Rheim 812*.
Rhein 422, 482, 504*, 570,
588*.
Rheinboldt 292*.
Rheiner 433.
V. Rhodeo 930.
Rhodes 1189*.
Rhodius 169.
Rhumbler 78*
Ribeiro do Conto 887*.
Ribot 944*.
Ricci 154*.
Ricciotti Gozzini 944*.
Rice 471*, 814.
Richard 680*.
Richards 534*, 538, 751*.
Richardson 103*. 657*,
812*, 954.
Riebet 918*.
Richmond 599.
Riehen 103*, 112, 483.
Richter 19*, 209*. 769*.
Ricketts 828*.
Ricou 209*.
Ricquiet 466*.
Ridewood 25-4*.
Ridlon 576*.
Riebel 853*.
Riedel 588*, 752, 877. 905.
Rief fei 209*, 858*.
Rieger 1001, 1189*.
Rielfinder 292*.
Riemann 918*.
Ries 131.
Riggs 678*, 887*.
Rigot 1098*.
Rigoulet 828*.
Riklin 657*, 1189*.
Riley 918*.
Rille 728*.
Rindfleisch 716*.
Riory 812*.
Ris 1189*.
Rispal 569*, 828*.
Rist 1067*.
Rita 853*.
Ritter 805.
Rius y Matas 409*, 769*.
853*, 944* 1098*.
Riva 191, 483.
Rivers 613*.
Rivet 514*.
Rvifere 782*, 887*, 890.
Rivot 852*.
Rizot 514*.
Roaf 164*.
Roasenda 557*, 728*.
Robb 431*, 614*.
Robbins 292*. 471*, 730.
Robert llSO*.
Robertson 471*, 1067*.
Robinowitsch 816, 1067*.
1103.
Robinson, B. 19*, 20*, 838,
441*, 887*.
Robinson, D. M. 292*.
Robinson, J. A. 534*.
Robitschek 719.
Rocaz 679*.
Roch 177, 699.
Rocha 1034*.
Rochard 858*, 1052*.
de Rochas 944*.
Roche 471*.
Rochelt 805.
Rocher 600*.
Rochon 1189*.
Rockliffe 375*.
Rockwell 812*, 814.
Rodebaugh 887*.
Rodenwaldt 918*, 1002,
1003.
Roderer 678*.
Rodriguez 431*, 1098*.
Rodriguez Ecay 1163*.
Rodriguez Mendez 716*,
1163*.
Rodriguez-Morini 944*,
1067*.
Rodriguez-Pinilla 576*.
Roeder 887*.
Roesing 614*.
Roger 141, 292*, 471*.
Rogers 830, 1189*.
Rogier 897.
Rogues do Fursac 299.
Roguet 1091*.
Rohde 20*, 160, 209*, 455*,
944*, 1189*.
V. Rohden 1117, 1120, 1121.
Rohland 918*.
Röbler 20*.
Rohm er 209*.
Roland 467.
Rolleston 328, 48B.
Romano 668*, 812*.
Rombotis 887'"=.
Romer 751*.
Römer 1151.
Romero 20*, 154*.
Römheld 944*.
Romm 270.
Romme 441*, 658*, 887*.
Rona 662.
Roneali 200*, 1163*.
Roncoroni 20*, 24, 697,
812*, 944*.
Rondani 512*.
Rondot 311.
Roorda Smit 431*.
Roosa 375*.
Roque 668*, 901.
Roques 292*.
Roques de Fursac 944*.
Rorie 944*.
Rörig 262.
Rosalowski 1188.
Rosanoff 891.
Röscher 1098*.
Roschtschewski 471*.
Rose 563. 938*.
Rosenbach 292*, 387, 409*.
Rosenberg 428, 638.
Rosenberger 828*.
Rosenfeld 358*, 508, 589,
630*, 944*, 1003, 1004, 1127.
Rosenhaupt 276.
Rosenheim, 0. 112.
Rosenkranz 874.
Rosenstein 431*, 485.
Rosenthal 376*, 471». 918*,
1127.
Rosenzweig 57.
Roset 601*.
Rossi. A. 44, 676*, 630*,
853*.
Rossi, B. 680*.
Rossi, J. 583, 586, 607.
Rossi, P. 918*, 1098«.
Rossigneux 944*.
Roth 63, 819*, 853*.
Rothamel 1098*.
Rother 1052*.
Rothmann, E. 155*.
Rothmann. M. 142, 143,
210*, 329, 363.
Rottenstein 683.
Roubion 887*.
Rouby 658*, 944*.
Rouge 1004.
Rouge t 471*, 514*.
Roughton 542.
Roumagnac 1098*.
81*
1284
NamenregiBter.
Kouse 96.
Rousseau 911*.
Eoasset 944*.
Roussy 207*, 388, 871*,
524, 671, 600*, 887*.
Routier 868*.
Rouville 858*.
Roux, J. Chr. 201, 289*,
663, 667, 670, 858*, 887*,
1052*.
Rowan 679*.
Rowe 679*, 1189*.
Rowell 668*.
Rowlands 853*.
Rows 243.
Roxo 392, 728*, 887*, 946*,
1034*, 1189*.
Roy, P. 251*, 358*, 425,
658*, 738, 945*. 1067*,
1080.
Royer 658*.
Roy et 292*, 346, 492*,
630, 945*.
Royo Villanova 292*,
658*, 853*, 945*, 1098*.
Royster 658*.
Rozenraad 795.
Rozsa 441*.
Roztocil 1098*.
Ruban-Ellissejewa 254*.
Rubinato 62.
Rubinow 471*. 668*.
Racker 1034*.
Rucko 945*.
Rudaax 751*.
Rudier 311, 1190,* 1194.
Rudnen 658*.
Rudnew 292*.
Rudolf 887*.
Ruet^ 471*.
Ruff 853*.
Ruffini 20*, 67, 292*.
Rugani 630*.
Rüge, G. 162.
Ruheniann 900.
Rühlmann 375*.
Rüling 1152.
Rumpel 254*.
Rumpf 504*, 907.
Runnels 755*.
Rupp 757.
Ruppel 1048.
Ruppert 535.
Rusi 601*, 751*.
Rüssel 871, 1067*.
Russell 292*, 410*, 537,
614*, 645, 679*, 728*, 751*.
Rutherford 658*.
V. Rutkowski 709.
Rutter 945.
Ruzic'ka 2*.
Ryan 103*.
Rybaküw 918*
Rvnberg 73*, 136*.
8.
Saathoff 505.
Sabareanu 110, 752.
Sabbatani 630*.
Sabin 20*.
Sabine 909*.
Sabrazös 7, 210*, 815, 410*,
417, 422, 471*, 585*. 587,
674*, 717, 787.
Saceonaghi 471*.
Saccone 658*.
Sachs, B. 292*, 875*. 410*,
652*, 748*, 824, 858*, 1082.
Sachs. E. 824.
Sachs, H. 132, 859, 375*.
Sachs, W. 442.
Sachsalber 387.
Sacqnepee 1068*.
Sadger 786, 1207.
Sadokow 863*
Sagasser 682.
Sahli 138, 887*.
Saigi 473*.
Sailer 472*, 716*.
Saillant455*, 1067*, 1068*.
Saingery 210*.
Sainton 292*, 492*.
Sajous 472», 728*.
Sakaki 292*, 472*, 918*,
919*, 945*.
Sakorraphos 658*, 788.
Sala 20*, 50, 812*.
Salas y Vaca 601*, 668*,
1067*. .
Saleeby 919*.
Salerni 254*, 630*, 946*.
Saletes 264*.
Salgo 1163*, 1169, 1190*.
Saligue 728*.
Salles 292*, 630*.
Salmon 73*, 784.
Salomon 611*.
Saltykow 194, 227.
Salvator 887*.
Salvendi 546*.
Salvestroni 492*.
Salvetat 887*.
Samajo 679*.
Sambalino 186.
Sambon 472*.
Samiac 569*, 828*.
Sahchez 853*.
de Sanctis 484, 1019*, 1028.
Sand 716*
Sandborg 812*.
Sander 945*.
Sanderson 1084*.
Sandmann 875*.
Sandri 1088.
Sandzen 819*.
Sanford 919*.
Sänger, A. 23*, 387, 504*,
514*, 535*, 557*, 863*.
Sanna Salaris 488, 614*.
Sano 57, 143, 441*.
Santenoise 1071.
Santncei 375*.
Sanz 561*, 614*, 680*, 10a4*
Sanzo 7.
Saradon 853*.
V. Sarbö 392*, 524, 561,
688, 755».
Sartini 919».
Sarvonat 564, 676* 722».
Sarzin 292*.
Sasaki 887.
Sato 514«.
Sauerbeck 210*.
Saundes 1019».
Saupiqaet 658».
Saavaire 292».
Savage 20», 945* 1004,
1058.
Savelli 755».
Savidge 904.
Savill 410», 486».
Savy 678».
Sazinger 919».
Sazl 808, 874.
Sayre 576».
Scaffidi 20».
Scarano 546».
Scarpa 155*.
Scarpini 186», 186», 192,
668*.
Scavonetto Materazzi
186*.
Schacherl 514».
Schaefer, G. 540.
Schaefer, K. 925.
Schaffer 20», 37, 322,323.
1026, 1027, 1109, 1170,
1178, 1179.
Schäffer, £. 582.
Schäffer, 0. 350.
Schaikewitsch 671, 945».
Schanz 1161».
Schapps 254».
Schapringer 716».
Schattenstein 1062.
Schaaffler 819».
Schdanow 812*.
Schechminzew 1099».
Scheiber 688».
Scheimpflug 1216.
Schein 254*.
Schenck, F. 155», 165, 169.
Schenk, A. 254».
Schenk, P. 1163», 1190».
Schepelewitsch 901.
Scherb 892», 408, 410».
492». 888*.
Scherck 828*.
Scherer 945*.
Scherk 814, 1163».
Schermers 945*, 1067».
Sehen 662.
Scheuermann 853».
Schieffer 766.
Schieffer.decker 20*.
•NameDregister.
1285
SchjemiBg 954*.
Schiffmann 198.
Schiffone 20*
Schikele 812*.
Schiller töO* 919*. 1212.
Schilling 472*, 866.
Schimamura 204, 535*.
Schindler 410*.
Schiner 1188*.
Schiotz 292*.
Schirman 292^
Schlagintweit 526.
Schläpfer20^ 648,808,824.
Schlater 20*, 21*.
Schlee 866.
Schlegel 496.
Schleich 919*.
Schleissner 358*, 868.
Schlesinger, A. 749.
Schlesinger, E. 595*, 1021,
Schlesinger, H. 298*, 809.
828, 488, 680*, 679*, 728*
Schliep 788.
Schliz 266.
Schloffer 854*.
Schlöss 1017*.
Schlüter 887*.
Schmähmann 1019*.
Schmaltz 293*, 808.
Schmarda 535*.
Schmaus 288, 569*, 669.
Schmeichler 887.
Schmey 422.
Schmidlechner 711.
Schmidt, A. 716*, 919*.
Schmidt, C. 887*.
Schmidt, E. 278, 802.
Schmidt, F. 887*.
Schmidt, K. 504*, 1034*.
Schmiegelow 540, 864*.
Schmitt 769.
Schmiz 680*.
Schmoll 358*.
Schmolling 862.
Schnabel 875*.
Schnee 441*.
Schneider, G. H. 96.
Schneider, K.C. 21*, 919*.
Schneikert 1099*.
Schnürer 484.
Schnvder 931.
Schofield 919*.
Scholtens 472*
Scholz, A. 375*.
Scholz, W. 493, 1031.
Schönebeck 254*.
Schönemann 254*.
Schönfeldt 030*, 728*.
Schott 919*, 1041, 1084,
1086, 1163*, 1194.
Schottmüller 445.
Schonten 1153, 1163*.
Schrader 919*.
Schrakamp 441*.
Schreiber, L. 301, 388.
y. Schrenck-Nortzing
887*.
Schröder, O. 21* 108*,
186*, 210*, 854*.
Schröder, P. 1055.
Schryver 108*
Schuberg 108*.
Schuchardt 1005.
Schuhl 210*.
Schuldheis 1190*.
Schule 945*, 1212.
Schüler 833.
Schüller 21*, 210*, 254*,
844, 546*, 561*, 601*, 614*,
702*.
Schultheiss 254*.
Schultz, P. 166.
Schultz-Zehden 348,375*,
514*.
Schnitze, K 1163*.
Schultze. F. 576*, 596, 617,
887*.
Schnitze, L. 604.
Schul tze, O. 35, 43, 166,
200, 292*, 945*, 1099*,
Schulz, A. 585*.
Schulz, E. 736.
Schulz, F. N. 170.
Schulze, E. 1190*.
Schulze, K. 772.
Schulze, M. 254*.
Schulze, U. 552*.
Schumacher 61, 64.
Schumann 580, 702*, 765.
Schumkow 1190*.
Schüpach 96.
Schupbach 87.
Schüssler 866.
Schuster, E. 254*.
Schuster, P. 358*, 576*,
764.
Schuster, W. 919*.
Schutt 472*.
Schütz 716*.
Schütze 472*, 823.
Sohuyten 73*, 919*, 932.
Schwab 297, 888, 410*, 492*,
887* 1005.
Schwab ach 535*.
Sehwabe 388. 1192.
Schwalbach 376*, 504*.
Schwalbe, G. 254*.
Schwartz 748*.
Schwarz, E. 746.
Schwarz, H. 683.
Schwarz, J. 1129.
Schwarz, 0. 553.
Schwarz, S. 729*.
de Schweinitz 376* 558.
Schwenk 1190*.
Schwerdt 887.
Sciamana 1005.
Soipiades 679*.
Soiuti 21*.
Scott 37, 244, 755*.
Searcy 1052*, 1163*. ,
Seashore 919*, 928.
Seayer 821.
Sebileau 679*, 854*.
Secheyron 854*.
Secord 854*.
Seele 554.
Seelig 1052*.
Seeligmüller 716*.
Seely 820*.
Seemann 155*, 159, 169,
945*.
Segal 919*.
Seibert 899.
Seidelmann 325.
Seif 919*.
Seifert 410*, 755*, 760, 776.
Seiff er 298*, 851, 892*, 511*,
515*, 945*, 1076.
Seiler 702*.
Seiden 945*.
Seldowitsch 862.
Selenew 21*,
Selenka 254*.
Selka 770.
Seilei 464*.
Selman 679*.
Selvatico-Estense 1190*.
Semb 688.
Semblinoff 515*.
Sendrail 828*.
Senechal 472*.
Senet 919*, 932.
Seppilli 472*.
Serge 1099*.
Sergent 465*, 472*.
Sergi 21*, 161, 254*.
Serieux 945*, 1190*, 1202,
1208.
Serr 559*, 820*.
Sessous 376*.
Severino 410*, 658* 729*,
812*, 887*.
Sevestre 465*.
Sevin 467«.
Seyffert 658*.
Sfameni 66.
Shands 576*.
Sharp 376*, 546*.
Shattock 782.
Shaw 388, 729* 919*, 1163*.
Shbankow 1098*.
Sheffield 1032.
Shekwaua 492*.
Sheldon 812*.
Shelly 919*.
Sherer 376*.
Sherlock 1190*.
Shermann 680*.
Sherren 650.
Sherrington 161.
Shields 431*, 1190*.
Shipp 702*.
Shirres 43, 640, 679*, 888*.
Shively 729*.
Shoemaker 376*, 769*.
1986
Namenreginter.
Shufeldt 1099».
Shumway 6BB, 1027.
Shunda 253*.
Shuttleworth 854*.
Sibelius 584, 1057.
Sicard 281*, 293*, 325, 472*,
493*, 561*, 614*, 630*, 888*.
Siccardi 614*, 715*.
V. Sichart 729*, 1163*.
8 ick 622, 854*.
Sicuriani 658*.
Siding 2*.
Sidis 919*
Siebenraann 535*.
Sieber 828*, 1181.
Siefert 1042*, 1099*.
Sieffert 658».
Siegel 585, 854*, 919*.
Siemerling 234, 588*. 716*,
1052*, 1067*, 1173.
Sievers 441*.
Sigel 1195.
Sikes 679*, 888*.
Silber 906.
Silberschmidt 492*.
Silfast 388.
Sill 836.
SiUado 472*.
Silva Garcia 478*.
Silvagni 492*.
Silver 854*.
Silvestri 472*.
Silvestrini 588*.
Silwinski 472*.
Simmonds 204, 226, 492*.
Simon 64, 210*, 313, 360,
492*, 595*, 614*, 630*,
934*, 935*, 1017*, 1080*.
Simonini 275.
Simpson, I. P. 679*.
Simpson, S. 186*.
Simpson, W. K. 492*.
Sims 1055.
Sinclair 630*.
Singer, A. 451.
Singer, K. 906.
Sinkler 648.
Sioli 1039.
Sjövall 21.
Sipöcz 1071.
Sirol 613*.
Sissingh 1163*.
Siven 178.
Sizaret 888*, 1190*.
Skelton 888*.
Skoda 293*.
SkorzyÄski 108*, 210*,
716*.
Skrobanski 679*.
Skukowski 2*.
Slanski 888*.
Slatineano 835*.
Sliwinski 898.
Smedley 472*.
Smith. A. H. 624, 729*,
1099*.
Smith, B. 945*.
Smith, E. 631*, 679*.
Smith, G. E. 21*, 254*, 504*.
Smith, H. L. 293*.
Smith, R. C. 729*.
Smith, S. M. 492*.
Smith, W. G. 679*, 905.
Smithwick 410*.
Smitmans 161.
Snell 376*.
Snethlage 155*.
Snijders 293*. .
Snow 876*, 751*.
Sobel 1067*.
Sofer 472*.
Sokolow 679*.
V. Sölder 1156.
Sole 1034*.
Soledade 472*.
SoUs 1050*.
Solis 888*.
Solis-Cohen 828*
S o 11 i e r 658*, 774, 902, 919*.
Solowjeff 812*.
Solvay 73*.
Soma 716*.
Somers 751*.
Sommer 97, 155*,^10*, 769*,
794, 802, 815, 919*, 945*,
1099*, 1162*, 1190*.
Sommerville 812*, 814,
815, 816.
Sondaz 888*.
Sondermann 854*.
Sonnenburg 854*, 872.
Soper 293*.
Soprana 155*.
Sorgente 441*, 504*.
Sorokowikow 1067*.
Sorriau 472*.
Sosnowski 166.
Sossinka 636.
Sotiriadea 1006.
Souberian 854*.
Soukhanoff 1052*, 1054,
1076.
Soulie 21*.
Souqnes 417, 486*, 561*,
945*.
Sourd 11*.
Southhard 186*, 205*, 210*,
227, 509, 1017*.
Souza Junio 210*.
Souza Velho 293*.
Spadaro 631*.
Spalding 679*.
Spalitta 21*, 152*.
Spanbock lö4.
Spann 769*.
Spanton 1006.
Sparmberg 679*.
Spearman 136*, 658*, 919*.
Specht 755*, 945*, 1038.
Speer 456
Spencer 210*, 631*, 854*.
Spiegel 598*, 729*.
Spieler 255* 729*.
Spielmeyer 229, 410*, 41d,
504*, 1019*, 1029*.
Spill 441*.
Spiller 145, 210*, 239, 808,
342, 858* 410*, 472*, 486*,
547, 553, 666, 588*, 592, 610,
616, 620, 702*, 854*, 867.
1027, 1047*.
Spillmann 210*, 431*, 588*,
614*.
Spirtoff 97.
Spitzer 1*, 118*.
Spitzka 21*.
Spitzmüller 898.
Spitzy 854*, 874.
Spooner 888*.
Spornberger 1190*.
Spragae 492*.
Spratling 171, 679*, 680*,
695, 699, 892.
Springer 493*.
Springthorpe 1206.
Spurgin 472*.
Squar 1052*.
Sqnier 293*.
Ssacharoff 492*
Sserbinowski 680*.
Stadelraann,H. 1006.1007,
1107, 1190*.
Staderini 21*.
Stadivai 82S*.
Staeps 919*.
Staiger 21*.
Staikoff 680*.
Stainforth 7ö5*.
Stakemann 1008, 1216.
Standish 376*.
Stapleton 716*.
Starch 919*.
Stark 854*.
Starke 729*.
Starlinger 1194, 1 195. 1203,
1205.
Starr 431*.
Stauder 888*.
Staurenghl 255^
Steche 621.
Steele 910*.
Steell 1067*.
Steen 10'8.
Stefani 73*, 15i**, 027.
Stefanowska 754*.
Stefanowski 293*.
Steffens 660.
Steffenson 716*.
Stegmann 854*,888M099*.
Steimann 21C*.
Stein. A. 632.
Stein, L. 731. 888*.
Stein. P. 1209.
V. Stein 2 3*, 855*.
Steinberg 72&*.
Steil. er 2-15, 2öö*, 596%
716*, 755*, 855», 1067*,
1073*.
Namenregister.
1287
Steinert 410*, 615, 623,
680*.
Steinharter 1179.
Steinhaus 544.
Steinitz, B. 21*.
Steinitz, W. 22*.
Stein mann 576*.
Stembo 419.
Sten 1J40.
Stengel 338, 472*.
Stenger 174, 509, 758.
Stenitzer 472*.
Stephan, P. 30, 920*.
Stephens Ä^5*.
Stephenson 729*, 1052*.
Stepp an 293*.
Sterling 240, 320, 1019*.
Stern, C. 920*.
Stern, E. 729*.
Stern, L. 920*.
Stern, R. 118*, 350.
Stern, W. G. 255*, 729*,
855*, 920*.
Sternberg, C. 2*, 504*.
Sternberg, K. 432*.
Sternberg, M. 392*.
Sternberg, W. 172, 324.
Sterne 472*, 601*.
Stertz 577, 596*
Sterzi, G. 22*.
Stetson 920*.
Stevens 47l*, 920*.
Sterenson 813*.
Stewart, C. W, 472*.
Stewart, D. D. 155*T 472*
Stewart, E. 631*.
Stewart, G. 517, 567*.
Stewart, J. 1190*.
Stewart, P. 631*, 668*.
Stewart, R. C. 1190*.
Sticker H16.
Stieda 861, 920*.
Stiefler 618.
Stier 1008, 1164*.
Stieren 293*
Stigler 178.
Still 717.
Stimpson 634*.
Stintziog 668, 759.
Stirling 662*.
Stock 3S9. 1019*.
Stockard 4S4.
Stooker 472*.
Stockmayer 389*.
Stockton 460, 1190*.
Stoddard 293*, 946*, 1009.
Stoeckel 210*.
Stokes 855*.
Stoll ^66*, 472*.
Stolper 766, 1128, 1168,
1191*.
Stolte 888*.
Stölting 389.
Stoltz 813*.
Stöltzner 22*.
Stolz 680*.
Stone 360, 729*.
Stoner 769*.
Stoney 831.
Stoops 920*.
Stoosa 920*.
Stoppato 504*.
Storch 1010.
Slorey 117*.
Storga 948*
Störring 920*.
Storrs 831.
Stossels 441*.
Stölzner 1191*.
Stout 536*
Stransky 186*, 358^, 359,
365, 376*, 392*, 866, 1010,
1011, 1034*, 1066, 1067*,
10S4, 1089.
Strasburger 376*, 783.
Strasser 256*, 361, 702*,
736.
Strassmann 1160*, 1171,
117-1.
Stratz 265*.
Straub 104*, 169.
Strans 696*.
Strauss, M. 623.
Streeter 22*.
Strehl 171.
Streit 441*.
Strelocke 769*.
Stricker 376*.
Strickland-Goodalll66*.
Strisower 416, 729*
Stritter 1215.
Strobel 35S*.
Stroebe 522.
Ströhmberg 472*.
Strohminger 293*.
Strong 813*.
Stroud 7.
Stroux 765.
Strube 441*.
V. Strümpell 428, 631*,
576*, 677*, 598*, 76S*, 793,
89''>
Strumpf 920*.
Studer .376*.
Stuelp 484.
Stupin 783*.
Sturmer 828*.
S turn er 680*.
Stursberg 336.
de Subira -294*.
Subra de Salafa 1062*.
Suchanow 946*.
Suchowa-Ossipowa 112.
Sudnik 813*.
Sugär 813*.
Sujowski 410*.
Sulli 104*.
Sultan 864.
Summons 473*, 492*, 668*.
Sund 22*.
Surbled 1099*.
Surel 294*.
Sutherland 165, 473*, 801*.
Svenson 1191*.
Swahlen 683.
Swain 294*.
Swan 557*.
Swerjewa-Smekowa866*.
Swift 680*. 920*.
Swoboda 432*, 716*, 729*,
920*.
Syers 432*.
Syme 368*.
Symmers 22*.
Symons 294*.
Szabo 888*
Szalardi 683.
Szamoylenkü 166*.
Szäntö 294*.
Szenes 668*.
Szentkirälyi 771.
Szigeti 473*.
Szily 180.
Szymanowski 156*.
T.
V. Tabora 729*.
Tabusso 680*.
Taendler 756*.
Tagliani 22*, 186*.
Taguet 118*, 486*, 561*.
Takabatake 635*.
Takaki 604*.
Takaschima 920*.
Takasu 29, 473*.
Talbot 22*, 97, 1164*.
Tamayo 473*.
Tambroni 218. 1209.
Tamburini 946*, 1164*,
1191*.
Tamura 946*.
Tanasesco 11*, 22*.
Tanca 492*.
Tandler 276.
Taniguchi 492*.
Tanon 477.
Tanton 24^.
Tanzi 946*, 1199.
Tapia 294*, 631*, 856*.
Tarchan off 828*, 840.
Tarohetti 473*.
Tardieu 920*
Tarnowski 866* 946*.
Tartschanimow 856*.
Täte- 680*.
Taty 1011.
Taube 631*.
Tauber 244.
Tauer 820*.
Tauszk 770.
Tavernari 1191*.
Tavers 473*.
Tawara 22*.
Taylor, A. S. 640, 843*,
856*, 920*.
Taylor, C. F. 658*, 920*.
1288
Namenregister.
Taylor, E. W. 294*, 392*,
946*.
Taylor, G. 22*, 376*.
Taylor, H. 537, 668*, 850*.
Taylor, J. 294*, 473*, 515 %
Ö17, 561*, 664, 668*, 828*,
888*.
Taylor, S. J. 376*, 702*,
729*, 761*.
Taylor, W. J. 473*, 920*.
Tchiriev 160.
Teagarden 856*.
Tedeschi 492*.
Tegtmeier 828*, 1066.
Tehitchkine 104*.
Teichmann 1161*.
Teillais 729*, 766*.
Teissier 658*.
Teixeira 658*.
Teile 888*.
Telling 244.
Tello 22*.
Tenchini 266*.
Teran 1099*.
Terman 920*.
Ternuchi 473*.
Terrien 410*, 659*, 1068*.
Terwelp 376*.
Teschemacher 1214.
Tesaier 715*.
Testevin 631*.
Testi 405, 598*, 722, 743.
Tetsner 663, 1011.
V. Teubern 920*.
Teuliferes 714*.
Thalbitxer 920*, 1034.
Thanhoffer 37.
Thanisch 544, 659.
Thaon291*,434, 716*, 726*
882*.
Thatcher 920*.
Thauzi^fl 920*.
Theobald 376*.
Theoktistoff 680.
Theuveny 250*.
Thevenot 282*, 294*.
Thibault 29 r*, 358*.
Thiele 134.
Thielle 813*.
Thienger 835.
Thierfelder 113.
Thimble 711.
Third 729*.
Thirion 432*, 53.5*.
Thiroux 473»
Thivol 1099*.
Thode 1099*.
Thoma 1021.
Thomas, A. 51, 211*, 306,
410*, 756*, 888*.
Thomas, C. J. 358*, 751*.
Thomas, J. J. 631*.
Thomas, L. K. 294*.
Thomas, N. W. 920*.
Thomas, W. J. 920*.
Thomas-Andre 197.
Thomayer 294*.
Thompson, A. 266*
Thompson, C. C. 680*.
Thompson, H. B. 1102.
Thompson, J. 680*.
Thompson, W. H. 829*.
Thomsen 294*, 946*, 1122.
Thomson, H. C. 294*, 410*,
426*, 631*.
Thorel 492*, 493*.
Thorlngton 591.
Thornbill 680*.
Thorndike 865*, 920*.
Thous ia')2*.
Thrap-Mey 829*.
Thresh 473*, 888*.
Thonberg 319.
Thnrston 613* 623.
Tiberti 113.
Tichow 266*.
Tiegel 614*, 855*.
Tiffon 829*.
Tigerstedt 73*.
Tilman 872.
Tilney 579.
Timochina 688*.
Timpato 1012.
Tippel 1191*.
Tirelli 1099*, 1191*.
Tisserand 887*.
Tissie 78.3*.
Tissier 631*.
Tissot 866*, 1057.
Titchener 423.
Titi 813*.
Titiag 10.
Ti.xier 11.5, 306, 499, 636,
667 680*.
Tizzoni 473*, 813*, 817.
Tobler 614*, 716*, 869.
Tod 601*.
Todd 466*.
Toeplitz 535*
Toff 07.
Toldt 265*.
Tomaschny 1211.
Tomasczewski 775.
Tomasini 680*, 1012, 1191*.
Toms 946*
Tonarelli 865*.
Tonello 104*.
Tooth 493*, 864.
Toporkoff 1067.
Torchi 256*
Torday 441*, 854.
Törok 262, 294», 729*.
Torri 22».
Touchard 407», 745.
Touche 716».
Tonfesco 379, 747.
Toulouse 920», 946», 1012,
1099».
Tourgoutes 441».
Tourigny 118».
Tourneux 596.
Toussaint 432».
Tovo 256*, 865*.
Townsend 1058.
Traoy 813*.
Train a 729».
Tramonti 614».
Tranqnilli 688».
Trehet 604».
Treitel 320, 369.
Tr6moli6res 211», 274.
Trendelenbnrgl36» 255».
Tretrop 888».
Trevelyan417, 515», 614*.
Treves 166».
Trevisanello 432^.
Tribondean 114.
Triboulet 473».
Tribot 161.
Tricomi-Allegra 22».
Triepel 2».
Trinci 22».
Tripels-Dentzkof 820».
Tripier 813*.
Trivas 866».
Troin 638.
Trolard 45.
Tröltsch 922.
Trombert 294*.
Trombetta 946*, 1164*.
Trömmer. 68, 563, 588*, 616.
Tromp 166».
Trouessart 1099*.
Trouilliear 843*.
Trzecieski 145.
Tschepourkowski 265»
Tschermak 118*.
Tschistjakow 376*.
Tsuchiya 669*.
Tsutsnmi 441*, 855*.
Tnbben 703.
Tabby 866*.
Tucholske 732.
Tuokett 186*.
Tnckey 888*.
Tuffier 865*, 872.
Tuke 1099*, 1164*.
Tüll 888*.
Tulloch 466*.
Turan 793.
Turenne 888*.
Türkei 1164*.
Türkheim 920*.
Turner, A. 856*.
Turner, G. A. 89,43,432*,
478*, 680*.
Turner, H. M. 1191*.
Turner, J. 478*, 680*.
Turner, W. 680*, 690, 898.
Turney 615*.
Turton 294*.
Twitmyr 186*.
Tyrrell 680».
Tzuboi 569*.
üchermann 868*, 473*,.
586*, 540.
Namenregister.
1289
Uchida 642.
V. üexküll 98.
Uffenheimer 711.
l'golotti 73*. 155*, 211*.
549, 9'J7, 1164*.
Uhart 631*
Uhthoff 376*, 389. 441*.
IJlbrich 680*.
Ulimann 802.
Ullrich 946*.
Ungar 1164*.
Unger, E. 1099*, 1139.
Unger, L. 22*.
Ungewitter 1173.
Unverricht294*,589*,716*.
Upshur 294*, 751*-
Urbach 809. 622.
Urban 921*
Urbantschitsch 182.
Urq uhart 1013, 1191*.
Uspenski 829*.
V.
V'accaro 441*.
Vagüe 703*.
Vaguez 493*.
Vahlen 779.
VrtldfesAnciano561*,589*.
703*. 751*.
Valentin 535*.
Valentine 484, 729*.
Valette 520,
Vali 294*.
Valle 557*. 659*. 921*.
Vallette 211*.
Valobra 255*, 329. 716*,
742.
Valtorta 473*.
Vaney 921*.
Vansteenberghe 441*,
489*.
Vanverts 729*.
Vanj'sek 156*.
Vanzetti 493*, 504*.
Väradi 889*.
Varels de la Iglesia 23*.
Varet 561*.
Variot 255*, W6*. 680*, 946*.
V a s c h i d e 98, 484, 920*, 92 1*.
929, 931, 1013. 1099*.
Vasoin 2*.
Vassal 473*.
Vassale 104*. 832.
Veasev 376*. 389.
Vecchi L>3*. 156*. 211*;
493*, 680*.
della Vedova 171.
Vedrani 946*.
Veit 211*, 411*, 680*.
Velhagen SSO.
Velich 73*, 156*, 339.
Velnielage 769*.
Vennat 629*.
Ventura 12*.
Veraguth 342, 7^5, 904.
Verb eck 0.59*.
Verdeaux 1191*.
Verduzan 511*, 934*.
V erger 751*. 829*.
Vergnolle 946*.
Vermes Co.
V^erneau 23*. 255*.
Vernet 1068*.
Versas 947*.
zur Verth 546*, 614*, 631*.
855*.
Vestea 47.3*.
Vetrani 1164*.
Veyga lO'iS*, 1068*.
Viala 829*.
Viana 211*.
Viasemskv 889*.
Vieille 1099*.
Vifes 23*.
V. Vietinghoff 820.
Vigier 631*.
Vigil 855*.
Vignolo-Lutati 614*.
Vigouroux 211*. 242, 358*.
515, 671,S50*, 921*, 106S*.
1077, 1164*.
Vilain 515*.
Vi IUI ob OS 432*.
Vilches y Gomez 783*.
Villanueva 856*.
Villard .:4'. 856*.
Villaret, 11.5, 264. 306.
499, 536, 560*.
Villemi n 2>5*.
Vilhger 1226.
Villimonte 750*.
Villiot 1099*.
Vinay 808.
Vince 631*.
Vincent, E. 856*.
Vincent, S. 115, 417.
Vincente- Co ron ad o92l*.
Vincenti 6S0*.
Vincenzi 23*. 54.
Vincenzo 756*.
Vi ölet 947*.
Vi oll et 211*, 28S*, 768*.
942*, 947*, 1065*, 1099*.
1187*.
Virenzoni 856*
Vires 294*. 680*
Vitali 23*, 255*.
Vitek 328, 411*, 421, 583.
668, 716*.
Viton 631*, 659*.
Vivenza 659*.
Vi Viani 947*.
de Vlaccos 856*.
Vladär 744.
van Vleuten 358*, 1013.
Voelcker 294*, 377*, 392*,
657*, 843*, 871.
Vogel 3=^0.
Vogt, H. 23*, 212, 222, 390,
1028, 1055. lOSl.
Vogt, K. 211*.
Vogt O. 2*, 23*.
Vogt. R. 931, 947*, 1C68*.
Voisiu, J. 492*, 680*, 691,
703*. 8'^9, «91, 895.
Voisin, R. 889*, 891.
Volck 921*.
Volhard 703*.
Volpi-Ghirardini 61.
Volpino473*.
Voltz 874.
Volz 23*.
V^oorhoeve f59*.
Vorkastner 211*, 562*,
680*, 685, 1037.
Vorobieff 1110.
Vortriede 913*.
Voss, E. 669*.
Voss, F. i538, .539, 866, 869.
Voss, (t. 703*.
Voss. H. 1174.
Voss, V. 493*, 535*.
Vouzelle 829«.
Vram 2;:6*.
Vries Feyens 1100*.
de Vries Reilingh 787.
de Vriese 23*.
Vuithier 631*.
Vulpius F56*, 864. 867.
Vurpas 931, 1038.
W.
AVachs 828*.
Waddington 856*.
Wade 921*.
Waele 2:>*, 5S9*.
Wagemann 116i*.
Wagner, H. Ö. 1210.
V. Wagner 703*.
Wagner v. Jauregg 877,
8Sf.*, 1191*.
VVuhlborg 1191*.
AVahrendorff 1202.
Waijncop 411*.
Wainwright 856*.
AVaite Iba*.
AVaitz 889*.
AVaitzfelder 838.
Wakii 180*.
Walcher 266.
Walker 73*, 486, 569*, 889*,
947*, 1096*.
Walko 51.5*. 1191*.
Wall 473*.
AA'allaschek 921*.
AVallbaum 762.
Wallenberg 12*, 50, 296*
631*.
AValler, A. D. 178, 921*.
AVallor, E. 921*.
AValling 783*.
Wallmann 856*.
AValloux 813*.
Walravens 614*.
Walsh 751*.
Walter 820*.
Walters höfer 255*.
1290
Namenregister.
Walther 947*.
Wal ton 377*, 519. 596*,
618, 856*.
Wandel 680*.
Wanke 947*.
Wann er 360.
Warcollier 92r^
Ward 597, 716*, 730*. 921*
Warda 1014, 1100*.
Warneboldt 162.
Warner 99.
Warren 29, 596*, 922, 1053*.
Warrington 295*. 557*.585.
V. Wart 302, 392*, 659*, 716*.
Wassermann 441*.
Wassermeyer 770.
Wassing 566.
Watarase 379*.
Watermann 390.
Watkins 659.
Watson 24, 473*.
Watt 179, 681*, 921*.
Wätzold 225.
Waugh 889*.
AVay 186*.
Woatherly 1014.
Woaver 474*.
Webb 817, 889*.
Webber 395, 615*, 681*.
Weber, A. 23*. 263, 504*,
631*.
Weber. C. W. 1168, 1191*.
Weber, E. 316, 730*, 921*.
AVeber, F.P. 256*, 341, 618.
Weber, J. 23*.
Weber, L. W. 947*, 1014,
1164*, 1182.
Weber, M. 730*.
Weber, R. 223, 228.
Wechselmann 749.
Weck 947*.
AVecks 889*.
Weddingen 921*.
Wedekind 631*.
Wederhake 776.
Weeks 377*.
AV^egscheider- Ziegler
474*.
Wehmer 1171.
Wehrli 118*, 216, 890.
Wehrlin 1024.
Wehrung 1056.
Wcichardt 115.
Weichselbaum 446, 443.
Weidenhammer 577*.
Weidenhaupt 856*.
Weidner 756*.
Weifenbaoh 1210.
AVeigner 60.
AVeihrauch 474*.
AA^eikal 1100*.
AVeiker 1105.
AVoil 813*, 856*.
AVeiler 295*.
AVeill 499.
AVeill-Halle 659*.
Weiller 61.
Weinberg 23*, 44. 118*.
AA^einberger 515*, 783*.
AV'einrich 921*.
AVeintraud 865.
AVeir 1164*.
Weir Mitchell 856*.
AA^e i s e n b u r g 210*, 295*, 307,
382, 357*, 362, 474*. 535*,
536*. 557*, 558, 563, 567,
591, 659*, 716*, 848*.
AVeiss, G. 164.
AVeiss, J. 295*, 751*.
AVeiss, O. 166, 411*, 536*.
Weiss. R. r43.
Weiss. AV. 1100*.
Weist 681*.
Weisz 752.
Welch 677*.
AA^eljaminow 659*.
AVellmann 474*, 730*.
AVells 345.
AVelt-Kakels 256*, 1019*.
AA'eltz 1164*.
Wende 730*, 1015.
Wendel 621.
AVendenburg 615, 621,
1068*.
Wendriner 762, 915*.
Wenig 295*.
Weniger 1191*.
AV^ennagcl 501.
Wen ts eher 921*.
AV'erner 377*.
AVer nicke 295*, 763. 947*,
1016.
Wertheimer 99, 163, 921*.
We r t heim-Salomonson
156*. 164, 165, 411*, 631*.
Wessely 115.
AVest 256*, 295*, 493*, 889*,
1019*.
Westen ho elf er 453, 454.
Westphal 311, 647. 659*,
703*. 758, 1016, 1047*,
1068*. 1075.
AVetterstrand 889*
AVeygandt 104*, 921*, 929,
931. 947*, 1019*, 1020,
1025, 1068*, 1100*, 1191*.
AA^eyl, B. 447.
Wevll 681*
Weyrauch 707.
Wharton 515*.
Wheelock 493*.
Wherry 890, 947*, 1044,
1164*.
Whitacker 813*.
White, C. J. 730*.
AVhite, R. G. 211*, 1020.
White, AV. H. 295*, 310,327,
631*, 659*, 813*, 1068*.
AVhitehead 536*, 752.
Whiteside 411*.
Whitestone 536*.
AVhiting 295*.
Whitnev 756*.
Wiatt 856*.
Wicart 493*.
Wichmann 299.
Wickman 601.
Widakowich 23*.
AVidal 536*, 659*, 730^^.
AVidenhorn 1164*.
Wiechowski 134.
Wieder 493*, 1053*.
Wiehl 1191*.
Wield 681*.
AVien 813*.
Wiener 515*, 552*. 8.^i(k-
Wiesel 211*.
Wiesinger 681*.
AViesner 432*, 829*.
Wigdortschik 29.5*
Wiggers 104*.
AVight 536*.
AVijk 921*.
AVi^lbrand 23».
Wild 590.
Wilder 23*.
Wildermuth 295*.
Wilev 474*.
Wilh'elm 889*.
AVilkes 1053*.
Willard 857*.
Willems 474*, 557*.
William 820".
AVil Harns 426», 615», 659».
947*, 1164*.
Williamson, E. O. 1053*.
Williamson, R. T. 211*.
238, 320, 411*, 525, 559,
599 857*.
Willson, R. N. 496, 501.
857*.
Wilmanns 1100*.
Wilmart 23*.
Wilson. A. S. 211». 8:>7\
896, 921*.
Wilson, F.AV. 515*.
Wilson, H. A. 857*.
Wilson, J.C. 442», 876.
Wilson, J. G. 66.
Wilson. T. M. 73».
Wilson, T. P. 256*.
W immer 2».
Winckler 889*.
Windle 256*.
Wiudscheid 515», 766.
889*.
Wingate 432*.
Wing 681».
Winkelhausen 211».
Winkler 486*.
AA^inokurow 557*.
AVinter 295*. 474*, 596*.
Winterberg 168.
Winternitz. H. 785, 790.
Winternitz, AV. 807.
Winterstein 99.
Wintrebert 73*, 100. 146.
147, 159.
Namenregister.
1291
Wirschubski 615*, 748.
Wirth 377*.
Wirz 1100*.
Wise 947*.
AV isselink 377'''.
Witherle 504*.
Witt 776.
Witte 377*, 1191*.
Wittenberg 256*.
Witthauer 774. 824.
Wittington 442*.
Wittmaack 345, 346.
Wlotzka 178.
Wojatschek 295*.
Wolf 8.2.
Wolfenstan 889*.
Wolff, A. 730*. 829*, 838
WolfF, B. 681*.
Woiff, M. 24n 39, 66.
WoU'fliügel 569*.
Wolf 1er 874.
Wolfskehl 947*.
Wolf stein 613*, 648.
VVolkenstein 256*.
Wollenberg 525. 671, 1166.
Woltär 659*. 1081." |
Wolters 269. '
Wood 377», 921*. 947*. |
Woodburg 857*. '
Woodruff 659*, 947*, 1164*. '
Woods 681*, 756*.
Woodwark 565.
AVork 358*.
Wormley 889*.
Wormser 628*.
Worobjow 1100*.
Worthington 24*.
Wrav 361, 889*.
Wreden 1227.
AVright 442*. 474*, 659*,
813*. 829*, 889*, 921*, |
1068*.
Wulf 1053*.
Wulffcn 921*, 1115, 1164*, 1
1171. '
AVuUenweber 821.
Wullstein 2.56*.
Wundt 923.
Wünsche 922.
W ü r d e m a n n 536*.
Würth 1203. 1211.
Wurtz 901. •
Wwedenski 946*, 947*.
Wvbauw 783*.
Wvler 1165*.
WVman 1110.
Wynkoop 577*.
AVysmann 631*.
Y.
Yagita 55, 152*.
Yamagiva 485.
Yamanouchi 485.
Yerkes 176, 177.
Yoshikawa 1024.
Young, A. D. 889*.
Young, C. E. 857*.
Young, I. K. 631*.
Young, I. W.. 1100*.
Younger 1191*.
Yourievitsch 921*.
Yumucopulo 582.
Yvert 1100*.
Z.
Zaalberg 536*, 857*.
Zabel 515*.
Zabludowski 783*, 820.
Zaborowski 256*.
Zabriskie 197, 636, 751*.
Zaccaria 474*.
Zacharias 813*.
Zade 390.
Zahn 368.
Zak 432*, 546*.
Zalackas 104*.
Zaleski 1100*.
Zalewski 857*.
Zalplaehta 253*.
Zamboni 211*.
Zancia 24*.
Zancla 569*.
Zangemeister 681*. |
Zangger 823, 1149, 1191*.
Zanietowski 817.
Zappeln 358*.
Zappert 298. 312, 430, 434,
698, 747, 1081.
Zaquelmann 442*.
Zarra 857*.
Zavadskij 921*.
Zbinden 889*.
Zeitlin 5^9*.
Zeitner 733.
Zelionv 211*. .
Zelle 474*.
Zeller 3.
Zeltner 493*.
Zenner 295*, 525, 596*,
659*.
Zentmaver 295*.
Zeri 358\
Zernik 769. 889*.
Zeroni 494.
Zesas 313, 594, 716*.
Ziegenweidt 411*.
Ziegler 73*.
Ziegra 256*.
Ziehen 530, 947*, 1016,
1100*, 1191*, 1227.
Zieler 747.
Ziem 857*.
Ziemann 474*.
Ziernke 474*.
Zietschmann 24*.
Zilgien 392*.
Zillocchi 730*.
Zimmermann, B. F. 296*.
857*.
Zim m erm an n, C. 631 ♦, 789.
Zimmern 813*.
Zingerle 510.
Zinn 712.
Zinninger 296*.
Zirkelbach 894.
Ziveri 857*.
Zondek 730*.
Zoppelli 515.
Zubizarreta 493*.
Zuccala 350.
Zuccarelli 256*, 276. 1131.
Zucker 788.
Zuckerkandl 1227.
Zuelzer 751*, 889*.
Zuntz. N. 100.
Zupnik 683.
Zuzak 1191*.
Zwaardemaker 172, 174.
Zweifel 685.
Zypkin 901.
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