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JAHRESBERICHTE
DES
PHILOLOGISCHEN VEREINS
ZU
BERLIN.
DREISZIGSTER JAHRGANG.
BERLIN.
WEIDMANNSCHE BUCHHANDLUNG.
1904.
1. Griechische Schriftsteller.
H er o d o t
von
H. Kallenberg.
ßlaydes, F. H. M., Adversaria in Herodotnm 1901 (3)1) 233
Broschmann, M., Supplementum lexici Herodotei alterum. Zwickau,
Progr. 1904 (6) 240
ßnry, J. B., The epicene oracle coocerning Argos aod Miletus. ßeitr. z.
alt. Gesch. 1902 (12) 246
Fuchs, A., Die Temporalsätze mit den Koojunktioqen „bis" und „solange
als" (Beitr. z. hist. Synt. d. giiech. Spr. v. M. v. Schanz XIV) 1902 (9) 243
Grenfell and Hunt, The Amherst Papyri. 1901 (4) 239
— , The Oxyrhynchos Papyri I 1898 (5) 239
Helbing, R., "Die Präpositionen bei Herodot und andern Historikern
(ßeitr. z. hist. Synt. d. griech. Spr. VI) 1904 (8) 241
Helm, Fr., Materialien zur Herodotlektüre II. 1903 (17) 252
Hock, A., Herodot und sein Geschichtswerk (Gymn.-Bibl. 37) 1904 (16) 251
Hunt, s. Grenfell.
Lehmann, C. F., Zur Geschichte und Überlieferung des römischen Auf-
standes, ßeitr. z. alten Gesch. 1902 (13) 247
— , Babyloniens Kulturmission einst und jetzt. 1903 (11) 244
Lipsius, J. H., Der Schluß des Herodotischen Werkes. Leipz. Stud. z.
klass. Philologie XX. 1902 (10) 244
Möller, C, Die Medizin im Herodot. 1903 (18) . 252
Munro, J. A. R., Some observations on the Persian wars. II. The cam-
paign of Xerxes. The Journal of Hell. stud. 1902 (14). ... 248
Nestle, E., Zu Herodots Erklärung der Namen Darins und Xerxes.
Berl. ph. WS. 1901 (20) 254
— , W., Untersuchungen über die philosophischen Quellen des Euri-
pides. Phil. Suppl. VIII (21) 254
Olsen, W., Die Schlacht bei Platää. Greifswald, Progr. 1903 (15) . . 250
Schmitt, H., Präparation zu Herodot B. VII in Auswahl, 1901 (7) . . 241
Sitzler, J., Herodotus f. d. Schulgebrauch erklärt. » B. VII. 1903 (2) . 232
Stein, H., Herodot erklärt »I 2: ß. II. 1902 (1) 225
Verrall, A. W., Zu 1X76 und VIII 114. The. class. rev. 1903 (19). 254
*) Die in Klammern beigesetzten Zahlen bezeichnen die Nummern,
unter denen die Schriften besprochen sind.
14GI20
IV Inhalt.
Seite
Nene Auflagen (Abicht, Franke, Hintner) 283
H. Kalleaberg, Anhang
1) Zwei Exzerpte aus Herodot 255
2) 'Eg ov bei Herodot 256
Xenophon
1898—1900
von
R. üllrioli.
Vorbemerkungen 63
I. Allgemeines.
Bauer, A., Die Forschungen zur griechischen Geschichte 1888 — 1898.
1899 (7) 84
Bruns, J., Die Persönlichkeit in der Geschichtschreibung der Alten.
1898 (5) 80
Christ, W., Geschichte der griechischen Literatur, • 1898 (1) . . . 65
Delbrück, H., Geschichte der Kriegskunst I (Altertum), 1900 (11) . 93
Gercke, A., Griechische Literaturgeschichte, 1898, 2 1903 (2) . . . 68
Gomperz, Th., Griechische Denker II, 1902, a 1903 (3) 69
Lange, E., Xenophon (Gymn.-Bibl. 9), 1900 (10) 89
Malfertheimer, A., Realerkläruog und Anschauungsunterricht, I.
Xenophon usw., 1899 (8) , 87
Norden, E., Die antike Kunstprosa I, 1898 (4) 79
Pauly-Wissowa, Real-Encyklopädie 2 III 1899 (12) , 96
Richter, E., Bericht über Xenophon (1889—1898), 1899 (8) . ... 87
Seeck, O., Die Entwicklung der antiken Geschichtschreibung, 1898 (6) 81
II. Anabasis.
A. Ausgaben, Kommentare, Präparationen, Wörterbücher.
Bachof,E., Wörterverzeichnis l(B.l— III) *1899; 2(B.IV— VII)» 1899(17) 101
Gemoll, W., Expeditio Cyri. Editio maior 1899 (22) 108
Ge mo 11, W., Schultext, a 1902 (23) 133
Hansen, R., Vokabeln und erste Präparation 3 (B. III) » 1897; 4 (B. IV)
a 1897 (15) 101
Köhler und Simon, Präparation 1 (B. I) »1898; 2 (B. II--IV) »1899;
3 (B. V) 1901; 4 (B. VI. VII) 1901 (19) 101
Matthias, A., Xenophons Aoabasis f. d. Schulgebrauch, • 1897 (13) 97
Sachs, H., Wörterschatz zu Xenophons Aoabasis 1 (B. I) s 1900 . . 101
Sickinger, A., Wörterverzeichnis, B. I 8 1903 (20) 101
Simon s. Köhler 101
Voll brecht, F. nnd W., Wörterbuch 9 1899 (21) 106
Wagner, R., Präparation 1 (B. 1) 1898 (16) 101
Werra, J., Xenophons Anabasis in verkürzter Form 1899 (14) ... 98
B. Beiträge zur Kritik uod Erklärung der Anabasis.
Cauer, P., Grammatica militans, 1898, 2 1903 (24) 135
Fickelsc herer, M., Die Königsstandarte bei den Persern, Neue JB.
1898, 1 (30) 164
Hodermann, M., Vorschläge zur X.-Obersetzuog, 1900 Progr. (27) . 151
Kuthe, A., Xenophons Anabasis als Grundlage des griechischen Elementar-
unterrichts, 1909 Progr. (28) 154
~N
Inhalt V
Seit«
Sorof,F.G., Zur Texteskritik der Anabasis, WS. f. klass. Phil. 1900(29) 157
Sorof, G., Nöfiog und (pvoi g in Xenophons* Anabasis, Herrn. 1899(26) 146
Taine, H., Die Aoabasis. Obersetzt von Kühn und Aall, 1898 (25) . 138
C. Vermischte kleinere Beiträge zur Kritik und Erklärung
der Anabasis.
Blaß, F., Bakchylides Ged. XII (vgl. An. IV 2, 26), Rh. Mus. 1898 (31 d) 165
Lincke, K., Miscellanea. I 7, 10—12. Philologus 1900 (31 f) ... 165
Radermacher, L., Varia. Zu IV J, 26 und V 3, 4, Rb. Mus. 1900 (Sie) 165
Schubert, R., Der Tod des Kleitos. Zu I 8, 15, Rh. Mus. 1898 (31c) 165
Tücke r, T. G., Various emendations. Zu VII 6, 38 und 7, 24, The
class. rev. 1898 (31 b) . . 164
Weidner, A., Altera miscellanea critica. Zu III 2,33, 1898 Progr.(31a) 164
III. Hellenika.
A. Ausgaben, Präparationen, Wörterbücher und ähnliches.
Braun, W., Präparation 1 (B. 1 u. II); 2 (III u. IV), 1901/2 (33). . 166
Grund mann, M. E., Vokabeln und Präparation zu B. 1— III, 3 Hefte,
1898 (32) 166
Thiemann, K., Wörterbuch, * 1898 (34) 168
Wernicke,K., Xenophons Griechische Geschichte übersetzt, 1900 (35) 169
ß. Zur Kritik und Erklärung der Hellenika.
Busolt, G., Aristoteles oder Xenophon?, Herrn. 1898 (36) 171
Busolt, G., Zur Chronologie Xenophons, Herrn. 1898 (37) 179
Lammert,E., Die geschichtliche Entwicklung der griechischen Taktik,
Neue Jahrb. 1899, 1 (38) 180
Niese, B., Ober einige neuere Erscheinungen der griechischen Ge-
schichtschreibung, Neue Jahrb. 1899, I (40) 184
Rühl, F., Zu den Papyri von Oxyrhynchos. Zu Hell. V 2, 13—34,
Rh. Mus. 1899 (39) 182
Stein, H., Zur Quellenkritik des Thukydides. Zu Hell. I 1, 26—31,
Rh. M. 1900 (42) 187
Swoboda, H., Zur Geschichte des Epameioondas, Rh. Mns. 1900 (41) 185
C. Vermischte kleinere Beiträge zu den Hellenika.
Hense, O., Zu Bakchylides Ged. XI (vgl. Hell. IV 1, 30), Rh. Mus.
1898 (45 c) . 192
Lincke, K., Miscellanea. Hell. V 3, 8. Philologus 1900 (43 a). . . 189
Richards, H., Varia. Hell. I 7, 8, Class. Rev. 1898 (44 b) . . . . 191
Robert, C, Die Ordnung der olympischen Spiele und die Sieger der
75.-83. Olympiade. Zu Hell. VII 7, 29, Herrn. 1900 (43 b) . . 190
Solmsen, F., Navxoaqog vavxXagog vavxhr\Qog (vgl. Hell. I 4, 3), Rh.
Mus. 1898 (45 a) 191
Stahl, J. M., Zum Sprachgebrauch des Thukydides (vgl. Hell. VI 3, 11),
Rh. M. 1899 (45 e) . 192
Steup, J., Der Thukydides-Papyros von Oxyrhynchos. Hell. II 2, 2;
V 4, 35, Rh. M. 1898 (45 b) 191
Tucker, T. G., Various emendations, III 2, 9; VI 4, 24. The class. rev.
1898 (44 a) 190
Usener, H., Göttliche Synonyme. Hell. V 4, 8, Rh. Mns. 1898 (45 d) 192
YI Inhalt.
Seite
IT. Memorabilien.
A. Ausgaben und ähnliches.
Gloth,C.M.; Kellogg, M.F.,IndexinXenophontisMemorabilia,1900 (47) 195
Rosiger, F., Xenophons Memorabiliea in Aaswahl, 1899 (46) . . . 192
B. Abhandlangen.
Dörwald, P., Gliederung von I 1 und 2, Lehrpr. and Lehrg. 1899 (48) 197
Lincke, K., Sokrates and seine Apologeten, Z. f. d. GW. 1898 (50) . 200
fioemer, A., Zu Mem. I 2, 58, Blatt, f. d. GSW. 1900 (51) ... . 205
Rosenberg, E., Xen. Mem. I 1 and 2 in ihren Beziehungen zur Gegen-
wart, Neue Jahrb. 1899, 1 (49) 198
C. Kleinere Beiträge zu den Memorabilien.
Lincke, K., Miscellanea. Mem. I 1, 2 und 7, Philologus 1900 (52a) . 207
Roemer, A., Zu Mem. I 2, 1, Blatt, f. d. GSW. 1900 (52 b) . . . 208
IV a. Cyropädie.
Radermacher, L., Earipides und die Mantik. Zu Cyr. I 6,2, Rh. M.
1898 (53) 209
V. Zu den kleineren Schriften.
a)*Ayr\alkaos 209
ß) *Anokoyta ZtoXQaTovg.
Immisch, O., Die Apologie des Xenophon, Neue Jahrb. 1900, I (54) . 209
y) 'Iiquv 212
Radermacher, L.,Euripides und die Mantik. Zu 9, 8. Rh. Mus. 1898(55) 212
€) Ü€Ql 1717UXTJS 212
Ö Kvvrjyettxos.
Leeuwe n, J. van, Ad Xen. de venat. VIII 1, Mnemos. 1900 (57). 213
Richards, H., The Gynegeticus. The class. rev. 1898 (56) . . . .212
17) AaxtSaifiovtMV nolireta, &) Olxovofiixog, *) Uoqoi,
x) 2vfxn6ai>ov 213
Anhang.
l'A&rivaCav nolirela].
Kaiinka, E., Xenophontis de re publica Atheniensium qui inscribitur
liber, ed. min. 1898 (58) 214
Meyer, E., Forschungen zur alten Geschichte II. 1899 (59) .... 215
Verzeichnis der für den nächsten JB. zurückgestellten
Schriften 166. 171. 192. 208. 214
Verzeichnis der Schriften, welche dem Berichterstatter
nicht vorgelegen haben 218
Verzeichnis der besprochenen Stellen.
A. Aus Xenophon 221
B. Aus anderen Schriftstellern 224
^
Inhalt. vir
IL Lateinische Schriftsteller.
Cioeros Briefe
1901—1903
von
Th. Sohiohe.
A. Ausgraben und Hilfsmittel.
Seif
Bar dt, C, Ausgewählte Briefe ans ciceroniseher Zeit. Hilfsheft: Zur
Technik des Übersetzeiis 1901 (3) 376
De tt weil er, P., M. Tulli Ciceronis epistnlae seleetae. Nach Text
uod Kommentar getrennte Ausgabe für den Schulgebrauch * 1901 j
I. Text. II. Kommentar (7) 380
Frey, J., Ausgewählte Briefe Ciceros. Für den Schulgebrauch erklärt,
2 Teile, • 1901 (6) 380
G schwind, E., Ausgewählte Briefe Ciceros. Herausgegeben und er-
klärt. Text und Kommentar. 2 Hefte, 1903 (4) 377
Gurlitt, L., Präparation zu Ciceros Briefen in Auswahl (8) . . . . 381
Lange, A., Auswahl aus Ciceros Briefen für den Schulgebrauch mit
sachlichen Einleitungen a 1901 (5) 379
Purser, L. C, M. Tulli Ciceronis epistulae. L Ad familiäres 1901;
II. Ad Atticum (1: libri I-VIII, 2: libri IX— XVI) 1903; III. Ad
Qointum fratrem; comm. petitionis; ad Brutum; Pseudo-Ciceronis
epistula ad Octavianum; fragmenta 1902 (1) 367
Schmidt, O. E., Briefe Ciceros uod seiner Zeitgenossen I. Briefe aus
den Jahren 67—60 v. Chr. Text und Erklärungen. 2 Hefte, 1901 (2) 371
B. Abhandlungen.
Boissevain, U. Ph., Ad Cic. ad Att. 12,1. Feestbundel Prof. Boot,
1901 (9) 382
Breccia, Cicerone ad Atticum I 1,2. Boll. di fil. class. 1900/1 (10) . 382
Bücheier, F., Coniectanea. Rh. Mos. 1902 (11) 382
Cesano,L., L'Amaltheum di Cicerone. Atene e Roma 1901 (12) . . 383
Clark. A. C, Anecdota Parisiensia ad libros epistularum ad Atticum
Toroaesianum et Crusellinum. Phil. 1901 (13) 384
Gurlitt, L., Die Entstehung der ciceronischen Briefsammlungen. Neue
Jahrb. 1901 (14) 385
— , Textkritisches zu Cic. ad Quintum fr., Rh. Mus. 1901 (15) ... 389
-, Zu Ciceros Briefen. N. phil. Rdsch. 1901 (16) 391
— , Zu Ciceros Briefen. Phil. 1901 (17) 39]
— , Cruces Tullianae (ad Att. XV 17,1; 20,1), ßerl. phil. WS. XXI
(1901) (18) 394
— , Operam et oleum perdidi, ebenda Sp. 731 ff. (19) 401
— , Cicero ad Att. VI 2, 3; V 16, 3. Berl. ph. WS. XXII (1902) (20) . 401
— , Cicero ad Att VIII 14,3, ebenda (21) 401
— , Cicero ad Q. fr. II 8 (10), 2, ebenda (22) 402
— , Facetiae Tullianae. Rh. Mas. 1902 (23) 402
— , Cber das Fehlen der Briefdatei in den ciceronischen Korrespon-
denzen. Festschr. f. O. Hirschfeld, 1903 (24) 405
— , Textrettungen zu Ciceros Briefen. Phil. 1903 (25) 407
VIII Inhalt.
Seite
Hendrickson, G. L. , Cicero's judgment of Lncretius; Amer. journ.
of phil. 1901 (26) 408
Ihm, M., Zu Cicero ad Att. XIV 10,2. Rh. Mas. 1901 (27) .... 408
Kellog, G. D., Gritical notes on Cicero's Letters; Americ. phil.
assoc, proceediDgs of special Session 1900 (28) 408
Kirn er, G., Contribnto alla critica del testo delle epistole ad fami-
liäres di Cicerone. Stud. ital. di fil. class. 1901 (29) .... 410
Mooney, W., Cic. ad Att. XIII 23, 2. The class. rev. 1902 (30) . .410
Pease, E. M., The greeting iu the letters of C; Stud. in hon. of
Gildersleeve, 1902 (31) 410
Peter, H., Der ßrief in der römischen Literatur, 1901 (32) . . . .411
Platner, S. ß., The mannscripts of the letters of C. to Atticus in the
Vatican library. Amer.' journ. of phil. 1900 (33) . . . , . 415
Purser, L. C, Notes on C.'s. correspoBdence duripg his proconsulate.
Royal irish Acad. 111 6 (34) 415
Sander, ; J., Bemerkungen zu den Cicero-Briefen. Progr. Wittenberg
1901 (35) 418
Schoene, J., Zu Ciceros Briefen. Herrn. 1903 (36). ...... 419
S ihler, E. G., Oeiixmcgov. Cic. ad Q. f. III 3,4. Amer. journ. of
. phil. 1902 (37). 420
Steele,R.B., The GreekinCicero's epistles. Amer. journ. of phil. 1900(38) 421
— , Chiasmus- in the epistles of Cicero, Seneca, Pliny and Fronto. Stud.
in hon. of Gildersleeve, 1902 (39) 422
Sternkopfr W. , Ciceros Briefwechsel mit D. Brutus und die Senats-
sitzung vom 20. Dez. 44. Phil. 1901 (40) 422
— , Noch einmal die correctio der lex Clodia de exilio Ciceronis. Phil.
1902 (41) 426
-, Zu Cic. ad Q. fr. II 3. Rh. Mus. 1902 (42) 427
— , Zu Cic. Phil. XIII 17, 36. Herrn. 1902 (43) . . . 428
— , Die Senatssitzung vom 1 4. Januar 56 (zu Cic. ad fam.1 2, 2) Herrn. 1903 (44) 428
.— , Zu. Ciceros . epistulae ad familiäres. Phil. 1904 (45) 428
Trabandt, A., Ciceros Briefe als Schullektüre. I. Progr. Graudenzl90j (46) 430
Vliet,I. van der, Aedes Opis explicata. Feestbundel Prof. Boot. 1901 (47) 431
Vogel, F., Ipse etiam. Arch. f. lat. Lex. 1902 (48) 431
Wolf f lin, E., Fufidius. Arch. f. lat. Lex. 1902 (49) 432
Horatius
von
H. ROM.
I. Ausgaben und Kommentare.
Breithaupt, K. Ö.,.Q. Horatii Flacci satirae f. d. Schulgebr. erklärt,
* 1903 (5) . . 34
Francis, Ph., The Ödes in latin a. english 1902 (1) 29
— , Satires and Epistles ia lat. a. engl. 1902 (6) 35
Keller, .0., Pseudacronis scholia in Horatium vetustiora recensuit.
I. Scholia AV in carm. et epod. 1902 (3) 31
Ludwig, H., Präparation zu den Oden 1 (B. 1. 2); II (B. 3. 4 und
carm. saec.) 1903 (4) 32
Tentori, T., Q. Orazio Flacco. I: odi ed epodi 1902 (2) .... 30
~b
Inhalt. IX
Seite
II. Übersetzungen.
Vgl. I Nr. 1 und 6 (Francis).
Bino, T. del, Sei epodi d'Orazio tradotti, 1903 (8). 35
Hey, 0., Obersetzungen a. lat. Dichtern. Bl. f. d. GSW. 1902 (7) . 35
III. Abhandlungen.
Allen, S., Ob Horace, Epode XV 1—10. The class. rev. 1902 (22) . 42
Bentivegna, S., Tre lezioni della poetica Oraziaoa, 1902 (12). . . 37
Cartault, A., L'inexprime dans les Satires d'Horace, Rev. de phil.
1902 (17) 39
— , Horace, Sat. II 3, 274, Rev. de phil. 1902 (18) 40
Corssen, P., Horatiana. Progr. Dt. Wilmersdorf 1903 (32) . ... 46
Ensor, £., On Horace, Od. II 17 and 120. The class. rev. 1902 (20) 41
Fritzsche, Th., Die Wiederholungen bei H. 1903 (40) 58
Götz, G., C. Maecenas; Rede. 1902 (10) 36
G r o fs, £., Beiträge zur Erklärung alter Schriftsteller vornehmlich
durch Hinweise auf die deutsche Literatur. X. Zu Horatius.
Progr. Nürnberg, K. Neues Gymo. 1902 (11) 36
Hei uze, H., Aufgaben aus den Gedichten des Horaz (Sammlung Heinze-
Schröder H. 20) 1903 (31) 46
Hendrickson, G. L., The literary form of H. Serm. 16. Amer. journ.
of phil. 1902 (15) .39
Heraeus, W., Sprachliches aus den Pseudakronischen rlorazscholien.
Rh. Mos. 1903 (41) 59
J äger, O., Horaz i. Gymoasialunterricht. Monatschr. f. höh. Seh. 1903 (37) 54
Kost er, Ober die Persönlichkeit des Horaz in seinen Oden. 1903 (38) 55
Kreppel, F., Der Zyklus der Horazischen Römeroden, I. Progr.
Kaiserslautern 1903 (42) 59
LamsoD, M. £., Ad serm. 11,15 sqq. Mnein. 1902 (16) 39
— , On the first ode of H., The class. rev. 1902 (23) 42
Leo, F., Coniectanea. (Carm. I 20, 10), Herrn. 1903 (28) ..... 45
Meiser, K., Eine mißverstandene Horazstelle (Sat. I 6, 18). Bl. f. d.
GSW. 1902 (25) 43
Ogorek, J., Quae ratio intercedat inter Ciceronis Parad. Stoic. et
Horatii Stoicismum, qui satiris epistulisque eius continetur. II.
Lemberg, Progr. d. 2. Obergymn. (9) 36
Sachs, H., Alliterationen und Assonanzen in den carmina des H. I.
Berlin, Progr. d. 13. Realsch. 1903 (33) 48
Sargeaunt, J., On Horace, Ödes III and IV. The class. rev. 1902 (19). 40
Schleusner, Die Reisen des Kaisers Augustus in Geschichte und
Dichtung. Barmen, Progr. 19U3 (29) 45
Schmid t , M. C. P., Altphilologische Beiträge I. Horaz-Studien, 1903 (36) 52
Seeck, O., Horaz an Pollio, Wien. Stud. 1902 (13) ....... 38
Slaughter, M. S., Notes on the collation of Paris. 7900 A. Amer.
journ. of phil. 1902 (14) , 39
Stemplinger, £., Studien über das Fortleben des Horaz, Bl. f. d.
GSW. 1902 (26) 44
Stadler, K., Horaz-Kommentar I. Die Gedichte an (für) Mäcenas.
Berlin, Progr. d. Margaretenschule 1903 (35) 50
Teichmüller, F., Grundgedanke und Disposition von Sat. II. Rh. Mus.
1903 (39) 56
Thiele, R., Philologische und archäologische Studien: Horaz und der
pergamenische Gigantenfries. 1903 (30) .45
Thompson, E. S., Notes on H., Ödes B. I. The class. rev. 1902 (21) 41
Tiedke, H., Anklänge an Horaz bei Geibel; Berlin, Gymn. z. grauen
Kloster, Progr. 1903 (34) • ... 50
X Inhalt.
Seite
Weyman, C. Bemerkungen zu den lyrischen Gedichten des Horaz.
Bl. f. d. GSW. 1902 (24) 43
Wölfle, Neuer Erklärungsversach von Sat. 117,97. ßl. f. d. GSW.
1902 (27) 44
Publikationen, welche dem Referenten nicht vorgelegen
haben , 61
Li viu S
von
H. J. Müller.
Rezensionen früher besprochener Schriften 1
I. Ausgaben.
Fügner, F., Kommentar zu der Auswahl aus der 1. Dekade. 1903 (2) 6
— , Auswahl aus der 1. und 3. Dekade. Text 1903 (3) 6
- , Kommentar zu J\r. 3 in 2 Heften (I— X, XXI— XXX) 1903. (4 u. 5) 6
Weißenborn, W., a. u. c. libri. Pars I (I— VI), ed. II cur. M. Müller
1902 (1) 1
IL Beiträge zur Kritik und Erklärung.
a) Abhandlungen.
Fügner, F., Liv. B. 43 von A. Zingerle, Berl. ph. WS. 1903 (9) . . 16
Heraeus, W., Liv. ß. 43 v. A. Zingerle, WS. f. klass. Phil. 1903 (10) 19
Novak, R., Liviana. Ceske mus. fil. 1902 (6) 8
— , Liviana. Ceske mus. fil. 1903 (7) 14
Zingerle, A., Zur 5. Dekade des Livius. Wien. Stud. 1903 (S) .16
b) Zerstreute Beiträge.
Heraeus, W., Zu 23, 17, 4. WS. f. klass. Phil. 1903 20
— , Zu 43, 2, 6. Arch. f. lat. Lex. 1903 20
Lupit G., Zu 23, 2, 1. Boll. di fil. class. 1903 19
IU. Schriften gemischten Inhaltes
(Sprachgebrauch, Quellen u. s. w.).
Bild des Livius in Padua (21) 27
Dessau, H., Die Vorrede des Livius. Festschrift für O. Hirschfeld
1903 (11) 20
Du§anek, J., De formis enuntiationum condicionalium apud Livium.
Ceske mus. fil. 1903 (18) 26
Grenfell and Hunt, Hinweis auf The Oxyrhynchos Papyri IV (1903),
Auszug a. Liv. 37—39 und 49—55; WS. f. klass. Phil. 1903 (16) 25
Hunt s. Grenfell 25
Jonas, R., Übungsbuch zum Obersetzen in das Lateinische für U. II.
1903 (20) 27
KrascheninBikov, M.; De Gitanis Epiri oppido, Herrn. 1902 (15) . 25
Luckow, R., Vorlagen zum Obersetzen ins Lateinische für die oberen
Klassen. Progr. Stolp 1903 (19) 27
Luterbacher, F., Die Chronologie des Hannibalzuges, Phil. 1903 (14) 24
Meyer, E., Die Alliaschlacht. Apophoreton. 1903 (13) 23
Inhalt. XI
Seite
Richter, 0., Beiträge zur römischen Topographie, Progr. Berlin, Prinz
Heinrichs-Gymn. 1903 (12) 21
Schmidt, A., Beiträge zur Liviaoischen Lexikographie IV. Progr.
St. Polten 1903 (22) 28
Steele, R. B., The ablativus absolutus in Livy. Amer. journ. of phil.
1902 (17) 25
Ausländische Literatur, die dem Berichterstatter nicht
vorgelegen hat 8
Tacitus
(mit Ausschluß der Germania).
Ober das Jahr 1903/1904
von
G. Andresen.
I. Ausgaben.
Alten bürg, O., Agricola (Teubners Schülerausgaben) 2 Hefte, Text
und Erklärungen, 1904 (1) 313
Heraeus, C, Historiarum libri qui supersunt. Schulausgabe," I. Buch
1 und 2. 5 1904 bes. von W. Heraeus (3) ....'.. . 315
Knaut, K., Historiarum libri qui supersunt, für den Schnlgebrauch er-
klärt II. Bdchn. Buch 2. 1902 (2) 314
Mueller, J., Taciti opera rec. J. M.; ed. minor. Vol. I: libros ab
excessu Divi Augusti cootinens 2 1903 (9) 323
Pitman, H., Annalium libri XIII— XVI with introduction and uotes.
1904 (6) 321
Ramsay, G., The Annais, books I — VI. An Englisch translation with
introduction, notes aod maps, 1904 (4) 317
Rossi, S., ab excessu Divi Augusti liber XV. Rezensione e note. 1904 (7) 321
Stegmann, C, Annalen in Auswahl und der Bataveraufstand unter
Civilis. Hilfsheft, 1903 (8) 321
Weidner, A., Annalen und Historien in Auswahl. Mit einem Anhange:
Drei Briefe des jüngeren Plinius und des Trajan und Monumentum
Ancyranum, bearbeitet von R. Lange, 3 1905 (5) 320
Anzeigen älterer Ausgaben: Agricola (Smolka, Gudeman), Histo-
rien I (Knaut), Historien (Müller-Christ) (10) 323
IL Tacitus als Schriftsteller.
Consoli, S., La 'Germania' comparata con la 'Naturalis Historia' di
Plioio e con le opere di Tacito, 1903 (16) ; 325
Dienel, R., Quae rationes inter libellum tisqI vipovg et Taciti dia-
logum de oratoribus intercedere videantur, 1903 (15) .... 325
Fabia, Ph. , La lettre de Pompeius Propinquus ä Galba et l'avenement
de Vitellius en Germanie, Beitr. z. alt. Gesch. IV (21) . . . 328
— , L'adbision de rillyricum ä la cause Flavienne, Rev. des et. anc. V (22) 329
— , Tacite, Histoires IV 68, Mälanges Boissier 1903 (23) 332
Hak er, W., Claudii apud Tacitum Ann. XI 24 oratio, Progr. Malchin,
Realgymn. 1904 (19) 327
Krozel, J., Quo tempore Taciti Dialogus de oratoribus habitus sit
quaeritur, Progr. Tarnopol 1904 (14) 324
Mirmont, H. de la Ville de, Notes sur Tacite (Hist. livre IV); Rev.
des et. anc. VI (1904) (20) 327
XU Inhalt.
Seite
Nolte,H., De Corneli Taciti qui fertor Dialogo de oratoribus. Progr,
Gleiwitz 1903 (13) . . * . 324
Schmidt, L., Geschichte der deutschen Stämme bis zum Ausgange der
Völkerwanderung T. 1. (Quellen und Forschungen zur alten Gesch.
und Geogr. von W. Sieglin) 1904 (17) 326
Simioni, L., Del carattere morale di Cornelio Tacito (12) (hat dem
Berichterstatter nicht vorgelegen) . . . . 324
Stein, A., Die Protokolle des -römischen Senates und ihre Bedeutung
als Geschichtsquelle für Tacitus. Progr. d. 1. deutschen Staats-
realschule in Prag, 1904 (18) 326
Thomas, £., La critique de Tacite (Melanges Boissier) 1903 (11) . . 323
Anzeigen älterer Schriften (Boissier, Hendrickson, Borenius) . . 334
III. Historische Untersuchungen.
Bartels, £., Die Varusschlacht und deren Örtlichkeit, 1904 (28) . . 337
BÖmer, A., Ein neuer Versuch zur Alisofrage. 'Zeitschr. f. vaterl.
Gesch. u. Altertumskunde 60 (1902) (27) 336
Bunte, B., Beiträge zur Geschichte der Friesen und Chauken, Jahrb.
d. Gesellsch. f. bild. Kunst u. vaterl. Altertümer z. Emden XIV
(1902) (34) . . . . 341
Chapot, V., Inschrift des [P.] Marius Gelsus. Bull, decorr.hell. 1903 (40) 345
Cramer, F. , Der vicus Ambitarvius — sein Name und seine Lage.
Westd. Z. f. Gesch. u. Kunst 1904 (25) 335
Dahm, O., Kritik einer Ausgrabung auf dem Hahnenkamp bei Rehme.
Ravensberger Blätter 1904 (29) 338
Devrient, E., Die Sweben und ihre Teilstämme, Histor. Vierteljahrs-
schr. 1903 (32) 339
Fabia, Ph., L'incendie de Lyon sous Neron. Revue d'hist. de Lyon
1904 (36) • 342
Ferrara, G., La forma della Britannia secondo la testimooianza di
Tacito (Reale Istituto Lombardo di scieoze e lettere 1904) (44) . 346
Helmke, F., Die Wohnsitze der Cherusker und der Hermunduren.
Progr. Emden 1903 (33) 340
Henderson, B. W., The life and principate of the emperor Nero (35) 342
Hofbauer, K., Die ,, erste" Christenverfolgung. Beiträge zur Kritik
der Tacitusstelle. Progr. Oberhollabrunn 1903 (37) .... 343
Jones, H. St., La Chronologie des salutations imperiales de Neron.
Rev. archeol. 1904 (38) 344
Klinkenberg, Die ara Ubiorum und die Anfänge Kölns. Korr. d.
Gesamtvereins d. Deutschen Gescbichts- u. Altertumsvereine 51 (26) 336
Knoke, Fuodberichte. Mitt. d. Vereins f. Gesch. u. Landesk. v. Osna-
brück 1903 (31) 339
Koch, W., Warum mißlang den Römern die Unterwerfung Deutsch-
lands? Festrede. Progr. Siegen 1903 (30) 338
Kornemann, E., Wann wurde Trier römische Kolonie? Westd.
Zeitschr. f. Gesch. u. Knust 1903 (42) 345
Marra, G., Cassii Severi vita oratiooes libelli. 1903 (45) .... 347
Ritterling, E , Epigraphische Beiträge z. röm. Gesch. I. Rh. Mus.
1904 (39) ' • . 344
Valmaggi, L., Forum Alieui, 1903 (41) 345
Willrich, H., Caligula 111. Lehmanns Beiträge z. alten Gesch. 1903 (43) 346
Anzeigen älterer Schriften (Dahm, Delbrück, Knoke, Spengel,
Tarver, Viertel, Willems, Winkelsesser) 347
O
Inhalt Xjll
Seite
IT. Sprachgebrauch.
Levi, D. R., La sintassi di Tacito esposta oelle sue regole principali
ad uso dei licei, 1903 (48) 348
Moore, F. 6., Studies io Taciteaa ellipsis, Amer. phil. assoc. 1903 (49) 348
Wimmerer, R., Zwei Eigentümlichkeiten des Taciteischen Stils,
Ztschr. f. d. öst. Gymn. 1903 (47) 348
v.Wblfflin, E. Enervisund der Redner Calvus. Arch. f. lat. Lex. XIII (50) 349
Anzeigen älterer Schriften (Fabia, Gaffiot, Lexicon Taciteum (51) 349
Y. Textkritik und Erklärung.
Hartman, J. J., Tacitea. Mnemos. 1903 (52) 350
— , Tacitea. Mnemos. 1904 (53) . . • 352
— , Tacitea. Mnemos. 1904 (54) 353
Herwerden, H. van, Ad Tacitara, Mnemos 1904 (55) 355
Siesbye, O., Ann. 141, Nord, tidsskr. f. fil. 1903 (56) 356
Ussani, V., L' ultima voce di Lucano, Riv. di fil. 1903 (58) .... 357
Zöchbauer, F., Stadien z. d. Annalen d. Tacitus III. Progr. d. Gymn.
d. k. k. Theres. Akad., Wien 1903 (57) . . 356
Verschiedene kleinere Beiträge (Andreseu, Diene], Fowler, Val-
maggi, Wbrpel) (59) 357
... TL Tacitus in der Schule.
Strobl, A., Zar Schallektüre der Annalen des Tacitns. Programme
- des k. k. deutschen Ober-Gymu. Prag (Kleinseite) 1904 und des
k. k. Staatsgymn. Innsbruck 1904 (60) 359
Übungsbücher (Hammelrath und Stephan, Uppenkamp) nebst An-
zeigen (61) 359
Nachtrag.
Cichorius, €., Zur Familiengeschichte Sejans, Herrn. 1904 (63) . . 361
Constans, L., Corrections au texte de Tacite, Mel. ßoissier (65) . . 362
Mommsen, Th., Das Verhältnis des Tacitus zu den Akten des Senats.
Sitzungsb. d. Kön. Preuß. Ak. d. Wiss. 1904 (62) 360
Parmeggiaui, L., Claudia Atte, liberta di Nerone. Riv. di stör. ant.
VIII (64) 362
Tacitus' Germania.
Beiträge zur Kritik und Erklärung
von
U. Zernial.
1. Die Bedeutung des codex Toledanus für die Germaniakritik . 363
2. Einzelne Stellen (XI 11; XVII 11; XXII 14): Frederking,
Phil. 1902 , .... 366
jyt Inhalt.
Seite
III. Altertumskunde.
Archäologie
von
R. Engelmann.
Altmaon, W., Architektur und Ornamentik der antiken Sarkophage.
1902 (27) • 295
Afsmann, E., Das Floß des Odysseus, sein Bau und sein phönikischer
Ursprung. 1904 (15) 285
Birt, Tb., Laienurteil über bildende Kunst bei den Alten. 1902 (21). 289
Cherbuliez, V., Athenische Plaudereien über ein Pferd des Phidias,
übers, von I. Riedisser, mit einem Nachwort begleitet von
W. Amelung. 1903(23) 290
Cichorius, C, Die römischen Denkmäler in der Dobrudscha. 1904 (13) 283
Conradt, C., Amytis. Drama in 5 Aufzügen (47). ....... 312
Cybul ski, St., Tabulae quibus antiquitates Graecae et Romanae
illustrantur (40) 305
Dieter ich, A., Eine Mithrasliturgie. 1903 (38) . 304
Döring, A., Eine Frühlingsreise nach Griechenland. 1903 (4) ... 276
Dörpfeld, W., Troja und Ilion. 1902(1) '. . 259
Engelmann, R., Pompeji. Trans! ated by Talfourd Ely (Famous Art
Cities 1) 1904 (11) 281
Flic kinger, R. C, The meaning of inl rrjg axrjvrjs in writers of the
fourth Century. 1902 (16) 285
Förster, R., Moritz von Schwinds Philostratische Gemälde. 1903 (46) 311
Furtwängler, A. und Urlichs, H. L., Denkmäler griechischer und
römischer Skulptur. Handausgabe. * 1904 (20) 288
Gau ekler, Tete de poete grec decouverte ä Carthage. 1903 (25) . . 292
— , La mosaique antique. 1904 (28) 295
Gruppe, O., Griechische Mythologie und Religionsgeschichte (I. v.
Müllers Handbuch V 2) (30) 297
Guhl, E. et Kon er, W., La vie antique, manuel d'archiologie grecque
et romaioe, traduit sur la 4« edition de E. Guhl et W. Koner
par F. Trawinski, 1902 (14) 284
H annig, F., De Pegaso (Breslauer phil. Abhandlungen VIII 4) 1902 (34) 300
Haussoullier, B. , Etudes sur l'histoire de Milet et du Didymeion.
1902 (3) 275
Hense, O., Die Modifizierung der Maske in der griechischen Tragödie.
1902 (17) 286
Koner, W., s. Guhl.
Lucas, H., Zur Geschichte der Neptunsbasilika in Rom. Berlin,
Progr. d. Kaiser Wilhelm-Realgymn. 1904 (9) 280
Luckenbach, H., Kunst und Geschichte, » I. 1904 (42) 309
— , Olympia und Delphi. 1904 (43) 310
Maaß, E., Die Tagesgötter in Rom und den Provinzen aus der Kultur
des Niederganges der antiken Welt. 1902 (37) 303
1
Inhalt. XV
Seite
Marchi, A. de, II culto privato di Roma aotica II. La religiöse gen-
tilizia e collegiale. 1903 (36) 302
Mau, A., Führer durch Pompeji, * 1903 (10) 281
Müller, A., Jugendfürsorge in der romischen Kaiserzeit. 1903 (18) . 287
JVoack, F., Homerische Paläste. 1903 (2) 273
Pilling, K., Pergamenische Knlte. Progr. Naumburg 1903 (33) . . 300
Prix, Fr., Pompeji, ßegleitworte zu einer Reihe von Projektionsbildern
1899 (12) 282
Pnglisi,S.M.,Il Colosseo nel sioroo dell'iaangnrazione, I.Testo. 1904(8) 280
Reinhardt, 6., Italienische Herbsttage II. Progr. Dessau 1904 (39) . 304
Richter, O., Beiträge zur römischen Topographie. I. Alliaschlacht und
Serviusmauer. II. Gapitolium und Clivus Capitolinus. Berlin,
Progr. d. Prinz Heinrichs-Gymn. 1903 (6) 278
— , Beiträge zur römischen Topographie II. III. Die römische Redner-
bühne, 1903 (7) 279
Röscher, W. H., Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen
Mythologie, 47 —51. Lfg., Peirithoos bis Phoinissa. 1904 (29) . 297
Sauer, B., Der Weber-Labordesche Kopf und die Giebelgruppen des
Parthenon. 1903 (24) 291
Schanz, M., Geschichte der römischen Literatur bis zum Gesetz-
gebungswerk des Kaisers Justinian IV 1 (I. v. Müllers Handbuch
VIII 4, 1) 1904 (45) 311
Schulteß, C, Herodes Atticus (101—177 n. Chr. Geb.), Progr. Ham-
burg, Wilh.-Gymo. 1904 (44) 310
Sybel, L. v., Weltgeschichte der Kunst im Altertum, 2 1903 (19). . 287
Tarbeil, F. ß., A Greek. Hand-mirror. A Cantharus from the factory
of Brygos 1902 (26) 293
Thiele, R., Das Forum Romanum, mit besonderer Berücksichtigung der
neuesten Ausgrabungen (1898—1903) geschildert. 1904 (5) . . 277
Urlichs, s. Furtwängler
Visser, M. W. de, Die nichtmenschengestaltigen Götter der Griechen.
1903 (31) 298
We i ck e r , G. , Der Seelenvoll in der alten Literatur und Kunst. 1902 (32) 298
Weißmann, K. , Beiträge zur Erklärung und Beurteilung griechischer
Kunstwerke. Progr. Schweinfurt 1903 (22) 289
Wolf, H. , Einführung in die Sagenwelt der griechischen Tragiker,
1902 (35) 300
^\
1.
L i v i u s.
Von den in meinen früheren Jahresberichten über Livius
besprochenen Ausgaben oder auf Livius' Geschichtswerk bezüglichen
Schriften sind einige nachträglich auch an anderer Stelle be-
urteilt worden. Ich weise im folgenden auf diejenigen Rezen-
sionen hin, die zu meiner Kenntnis gekommen sind.
Livius Bach 21—25, Textaasgabe von Zingerle (WS. f. klass. Phil.
1903 Sp. 597—598). — Livius Buch 24, erklärt voo H. J. Möller (V.Thoresen,
Nord. Tidsskr. f. fil. XI S. 185). — Livius Buch 43, kritische Ausgabe
voo Zingerle (M. A. Schmidt, ZeiUchr. f. d. österr. Gyma. 1903 S. 215—
216; E. T., Rev. crit. 1903 S. 96— 97; Lit. Centralbl. 1903 Sp. 983— 984;
F. Luterbacher, IN. Phil. Rdsch. 1903 S. 251— 252). — Livius, Auswahl
aus der ersten Dekade, herausgegeben von Füg ü er (E. Wolff, WS. f. klass.
Phil. 1903 Sp. 545—547). — Livius, Auswahl aus der ersten und dritten
Dekade, herausgegeben von Meyer (J. Golling, Zeitschr. f. d. Österr. Gyno.
1903 S. 176—177).
I. Ausgaben.
1) T. Li vi ab urbe condita libri. Kditioaem primam curavit Guilelmus
Weißenborn. Editio altera, quam curavit Mauritius Müller.
Pars I. Libri I— VI. Lipsiae 1902 in aedibus B. G. Teubneri. LIV
u. 396 S. kl. 8. 1 Ja-
Vorliegende Neubearbeitung der ersten sechs Bücher des
Livianischen Geschichtswerkes ist M. Müllers letzte wissenschaft-
liche Arbeit gewesen. Der Tod hat ihn abgerufen und seiner
emsigen, zuletzt fast ausschließlich der Kritik und Erklärung des
Livius gewidmeten Tätigkeit ein plötzliches Ende bereitet. Um
diesen Schriftsteller hat sich M. Müller nicht geringe Verdienste
erworben; er hat zur genaueren Erkenntnis seines Sprachgebrauches
viel beigetragen und in gediegenen Abhandlungen und Ausgaben
das Verständnis des Werkes sehr gefördert. Seine Stärke lag
auf dem Gebiete der Textkritik: zahlreiche Lesarten sind von ihm
als verkehrt erwiesen, manche Stellen in glücklichster Weise ge-
heilt, häufig die Worte der Oberlieferung mit Erfolg in Schutz
genommen worden. Unter den Liviusforschern wird Moritz Müller
zu aller Zeit mit Ehren genannt werden; seine Arbeiten über
Livius werden für klassische Philologen noch lange eine Quelle
der Belehrung sein.
Jahresbericht« XXX. \
2 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Die Revision der Bücher 1 — 6 zeugt von derselben Gewissen-
haftigkeit und Gründlichkeit, die ich an allen Veröffentlichungen
H. Möllers rühmend hervorzuheben Anlaß gehabt habe (vgl. Jß»
1900 S. 1). Dem Text geht vorauf: Scripturae editionis Weid-
mannianae ßerolinensis a nostra discrepantis index addito apparatu
critico (51 S. lang). Ich könnte hieraus manche interessante
Bemerkung über den Sprachgebrauch anfuhren, muß aber wegen
Raummangels darauf verzichten; es steht ja zu erwarten, daß
niemand, der sich grundlicher mit diesen Buchern beschäftigen will,
M. Mullers Ausgabe unbeachtet lassen wird. Aus demselben Grunde
muß ich es mir versagen, die von meiner Ausgabe abweichenden
Laa. zu verzeichnen. Es handelt sich durchweg um Stellen, die
ifl den Livius-Jahresberichten mehr oder weniger ausführlich be-
sprochen worden sind (M. Müller zitiert diese auf jeder Seite)»,
und daher linden diejenigen, welche die Jahresberichte lesen und
vielleicht gar exzerpieren, in der Ausgabe wenig ihnen Unbekanntes.
Aber hier und da ist doch ein 'fort, recte', 'non injuria' u. drgl.
neu hinzugefügt, was in der Regel Beachtung verdient, und häufig
begegnet an desperaten Stellen ein (possis etiam: . . .', wo das
Vorgeschlagene regelmäßig hinsichtlich des Ausdrucks und der
Livianischen Diktion einwandsfrei ist. Diese Verbesserungsvor-
schläge hat M. Müller fast alle in meinen Jahresberichten begründet;
daß er die meisten von ihnen nur im kritischen Apparat erwähnt»
nicht in den Text aufgenommen hat, spricht für die Besonnenheit
seines Verfahrens. An manchen Stellen muß freilich von vorn-
herein an einer alle Welt befriedigenden Emendation verzweifelt
werden, anderswo geht M. Müller in der Annahme von Lücken
augenscheinlich zu weit, zuweilen entscheidet sozusagen das
subjektive Empfinden, ob man diese oder jene La. wählen soll;
aber dort, wo Sinn, Logik und Sprachgebrauch die Entscheidung
geben, ist zwischen M. Müllers Ausgabe und der meinigen keine
große Verschiedenheit. Ich zähle z. ß. im ersten Buche 24 Ab-
weichungen bei ihm; wäre ich in der Lage gewesen, eine neue
Auflage herauszugeben (die letzte datiert vom Jahre 1885), so
würde die Übereinstimmung mit M. Müller sogar eine vollständige
sein. Ähnlich steht es bei den Büchern 2 — 6, die in der Weid-
ma mischen Ausgabe lange nicht revidiert worden sind (die Bücher
5 und 6 zum letzten Male im Jahre 1886). Ich möchte hieraus,
den Schluß ziehen, daß der Hsgb. den 'Index addito apparatu
critico' unpraktisch angelegt hat. Da in diesem für die nächsten
Jahre oder Jahrzehnte jede größere Änderung ausgeschlossen ist,,
werden viele Angaben in ihm bald nicht mehr richtig sein, und
warum sich an eine andere Ausgabe so eng anschließen, statt die
selbständige Erwägung, die doch überall vorliegt, auch in selb-
ständiger Form zum Ausdruck zu bringen? Bei Madvig, dessen
Beispiel M. Müller gefolgt ist, lag die Sache etwas anders. Er
gab die Abweichungen seiner Ausgabe von der Weißenborngehen
s~\
Liviuft, von H. J. Maller. g
alle an, weil diese bei ihrem Erscheinen ein gewisses Aufsehen
erregte. Als dann Wßb. in sehr vielen Fällen zu den Madvig-
schen Laa. griff, änderte Mg. seine früheren Bemerkungen ab und
klammerte sie vorn und hinten ein, da aus den Abweichungen
nunmehr Obereinstimmungen geworden waren. Er hat damit
wohl andeuten wollen, daß seine Entscheidungen auf Wßb. von
Einfluß gewesen seien ; richtiger wäre es aber gewesen, die Notizen
alle zu streichen. Umgekehrt habe auch ich in der Weidmann-
sehen Ausgabe auf Mg. Bezug genommen, indem ich die Ab-
weichungen Madvigs alle erwähnte; aber die betreffenden Notizen
sind von Auflage zu Auflage abgeändert oder ganz weggelassen
worden. Die Ausgabe eines Madvig verdiente diese Berücksichtigung
jedenfalls. Weshalb aber eine neuere kritische Ausgabe bloß die
Weißenbornsche Bearbeitung heranzieht, ist nicht einzusehen; in
der Kritik kommen doch weit eher Madvig und (für die dritte
Dekade) Luchs in Betracht. Es hätte sich also meiner Ansicht
nach empfohlen, den Bemerkungen durchweg die Form zu geben,
die sie in der Weidmannschen Ausgabe haben. Sie hätten ja
dann in sehr vielen Fällen ganz übereinstimmend gelautet; aber das
macht doch nichts aus. Im Gegenteil, die Obersicht würde da-
durch bedeutend gewonnen haben, und der Hsgb. wäre ganz von
selbst darauf aufmerksam geworden, daß manches präziser und
äußerlich konsequenter ausgedrückt werden konnte. Wenn es
1, 1, 5 heißt: (Troia codd., Troiae Gron., Drak., Madv.), so lasse
ich mir die Erwähnung Gronovs gefallen, weil er diese La. vor-
geschlagen hat, und auch die Madvigs, weil er sich hierfür ent-
schieden hat; aber wozu wird auch Drakenborch angeführt? Viel-
leicht weil er ähnliche Stellen zitiert; aber das pflegt sonst mit
einem „cf." angefügt zu werden. So steht (1, 7, 12): fartae R1 (?),
Sobius, G ruter, Gronov; es hätte genügt, Sobius zu nennen; so
1, 16, 8: fidei cod. Einside]., Gronov, Hertz, Madvig u. a. m. —
Eine Kleinigkeit ist es, wenn 1, 1,7 eine Klammer vor Laurentem
fehlt, ebenso 1, 4, 5 vor eluvie, 1, 5,6 vor eodem und so an sehr
vielen Stellen; auch am Ende ist sie zuweilen vergessen worden,
und manchmal sind die Klammern überhaupt nicht am Platze,
wie bei forum apte . . (2, 31, 2). Genauigkeit ist aber auch in
diesen Dingen angenehm und wünschenswert. — Ich erwähne
ferner die ungleichmäßige Anwendung der Kursivschrift, die z. B.
schon anfangs bei I, 1 versäumt worden ist; Verschiedenartigkeit
in der Abkürzung von Wörtern und Namen; unmotivierte Zwischen-
räume (z. B. 1, 17, 1; 2, 5, 14 u. a.); verkehrte Interpunktions-
zeichen (1,39,5 Komma hinter R statt Punkt; 2,41,6 Punkt
hinter HIM statt Komma; 2, 32, 10 Punkt hinter Thenn zu tilgen
u. 8. f.). Auch Druckfehler begegnen, z. B. 1, 47,5 revoltiere statt
revolvere; S. XIV Z. 17 steht Donja tius; S. XVI Z. 24 citum statt
eibum; S. XVIII Z. 3 delato statt deleto; S. XL11I steht Morstad u.a.m.
(doch sind mir solche in den handschr. Varianten nicht aufgefallen).
1*
4 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Im folgenden führe ich einzelnes an, das in dem apparatus
criticus hätte erwähnt werden können.
ßuch 1. Praef. tl vermutet Noväk sero, weil Livius dieses
Adverb immer gebrauche, wenn er nicht einen besonderen Grund
habe, zu dem Adjektiv zu greifen. — 2, 1 gravate Noväk; so sage
Livius stets, gravatim finde sich nur bei Lukrez und Solin. —
4, 7 LarerUiae . . . Larentiam] MD; laurentiae . . . laurentiam PFUR ;
vgl. E. Baehrens, N. Jahrb. 1885 S. 777ff. — Wenn zu 8, 5
<stmsfra> est (Jordan) erwähnt wurde, konnte auch mein Vor-
schlag (ad laevam} est angeführt werden. — 9, 7 ist concelebrat
. . . faceret schon vor Mg. von Morstadt vorgeschlagen worden
(1847). — 15, 1 setzt Mg. hinter stimulabat einen Punkt, was
Beachtung verdient; Noväk setzt ihn schon hinter animi. — 18, 4
ist im Text taetrica zu schreiben. — 20, 7 ist das an. elg. atque
curarentur vielleicht auf Rechnung der ersten Dekade zu setzen;
aber Gronovs Konjektur ac procurarentur verdiente Erwähnung,
weil dies der stehende Ausdruck für Sühnung von Prodigien bei
Livius ist und atqxurarentur leicht aus acjpcurarentur verlesen
und verschrieben werden konnte. — 21, 1 pro timore schon Kleine;
vgl. hierzu Ovid Fast. 1, 251. — 26, 5 steht im Text der Druck-
fehler tarnen (statt tarn). — 28, 4 ist hesterno . . . proelio auf Wßb.
zurückzuführen. — 35, 9 wird annui von Grünauer gestrichen,
dem einige Herausgeber gefolgt sind. — 43, 11 ibi si variaret,
quod raro incidebat, (instituttun,) ut secundae classis vocarentur
Noväk, wohl richtig. — 47, 6 steht im Text der Druckfehler
tnonumentum (statt momentum). — 52, 6 sieht Soltau in den
Worten bmosque ex singulis eine Interpolation. — 55, 9 quippe
summam Bekker. — 57, 9 tempus terentem Madvig. — 57, 12
$cbiage ich vor conclamant zu schreiben, wie 30, 11,3 stimulant
(mit 2).
Buch 2. 2, 4 hie schon g (ed. Parm. 1480). — 4, 3 quorum
memoria vetustate abiit Noväk. — 4, 5 cenatum g (Duk.). — 7, 9
vobis g (Gron.). — 7, 12 paedes) Vicae Potae Noväk, nicht ohne
Grund. — 10, 4 hat vor Vielhaber schon Clericus die Streichung
von transitum angeraten. — 10, 5 schlage ich eine Umstellung
vor: e pugna statt pugnae. — 12, 15 ist die Notiz: {ut codd., at
tu Madv.) zu streichen; die angeführte La. ist eine Vermutung
von Tittler. — 13, 8 steht inviolatam (ohne que) in Fg nach
Hertz (fehlt in Frigells Collatio), — 18, 4 (nicht 3) streicht Madvig
natürlich auch nee vor quo anno. — 22, 4 clades auch R*. —
30, 1 Larci putabant sententiam (eam) hat auch Reuß vor-
geschlagen (N. Jahrb. 1896 S. 672); ich hatte mir, um die über-
lieferten Worte zu halten, (eam) sententiam am Rande notiert. —
32, 2 wird der Vorschlag nee dentes quem conficerent mitgeteilt;
ich würde mir das quem gefallen lassen, wenn noch (aeeepissent)
dabeistände. — 33, 2 die Ergänzung (constat} findet sich schon
in Noväks Ausgabe; dieser hat das Verb aber, weniger gut, hinter
Livins, vod H. J. Müller. 5
atuctorem gestellt. — 34, 10 ist Wsbg. statt Wfib. zu schreiben.
Wie aus meinem Anhang ersichtlich ist, hat Weißenborn die
Überlieferung zu erklären gesucht; Wesenberg anderseits bat ante
hinzugefügt, aber an einer anderen Stelle. — 38, 1 venirtt £
(Frob. 1). — 39, 4 ist Labicos zu schreiben nach MVorm.PH
(und so immer). — 40, 3 primo £ (Aid.). — 41, 5 acceperint g
(Frob. 1). — 41, 9 klingt mir suspicionem anitnis hominum insitam
regni erträglicher als was im Text steht. — Die Kapitelzahl XLIII
ist vergessen. — 43, 1 vermute ich agrum quogue Romanum. —
46, 3 ist eine Konfusion untergelaufen: ordinis, wie die Hss., hat
Wßb.; ordines hat M. Muller aufgenommen. — 46, 4 ist 'Madvig'
zu streichen; denn in der neuesten Auflage hat auch er insigne
drucken lassen. — 50, 7 accidebant g (Frob. 2). — 50, 11 ist
als abweichende La. von M dasselbe wie aus den codd. angegeben;
MU haben aber aetate. — 58, 1 additos g (Mog.). — 61, 8 ist nach
der sonstigen Gewohnheit MFF zu schreiben. — 64, 5 erkläre ich
publica für ein Glossem; vgl. Drakenborchs Bemerkung.
Buch 3. 29, 5 dotnos Noväk, wohl mit Recht. — 47, 4 ist
nach meiner Ansicht Appius vor interfatur zu streichen oder in
den nächsten Satz zu stellen (hinter quem oder decreto oder
scrmonem).
Buch 4. 7, 12 etiam V et rell. cod.; das et ist vielleicht
beizubehalten. — 10, 1 dürfte ad eutn dkm zu schreiben sein. —
13, 5 (coeptis} necdum compositis Noväk, was zu beachten ist: ich
würde (captü) vorziehen. — 17, 2 steht Q. (statt C.) Fulcinium
im Texte. — 28, 2 haben MVorm. hinter adortus nur agentes und
bringen das dazugehörende drcum hinter subitos. — 35, 4 ist zu
schreiben: desunt 4 litterae (nicht 6 — 8). — 37, 6 ist bei sorte
Madvigs Name zu streichen. — 49, 6 Deciö] Sextio Aldus, wie
wahrscheinlich gelesen werden muß.
Buch 5. 7, 7 könnte man an (opem) operamque denken.
Das folgende extra ordinem ist möglicherweise die Veranlassung
gewesen, daß dieselben beiden Wörter als Glossem zu voluntariam
hinzugefügt wurden. — 21, 4 currit Noväk (vgl. 38, 56,9); tnter
sei durch Wiederholung aus dem vorhergehenden mterim ent-
standen. — 34, 2 Ambicatus = „großer Krieger" wollen schreiben
Whitley Stokes und H. d'Arbois de Jubainville. — 34, 8 wird
saUusque Iuliae Alpis verteidigt von W. Osiander und H. d'Arbois
de Jubainville. — 37, 5 ist vielleicht effuso zu schreiben; vgl.
Wßb. zu 27,41, 10. — 38,8 ist hinzuzufügen: diffigit Lov. 4,
diflugit Gronov. — 43, 1 sind zwei abweichende Laa. aus P1 und
P* gebracht; die zweite, nach Fügner angegebene, ist aliein
richtig. — 43, 5 wird obsideri als Lemma gesetzt; das ist aber
bei Wßb. ein Druckfehler, wie sich aus dem Anhang ergibt —
46, 2 vielleicht Gabino cinctu (incinctus). — 48, 9 dürfte insolenti
zu lesen sein. — 52, 8 ist in der Parenthese hinter lavinoque
hinzuzufügen: PU.
£ Jahresberichte d. PhilolV^. Vereins.
Buch 6. 1, 10 conparerent] Gronov; conparnrent MPL, non
conparerent V. — 2, 3 haben nicht bloß g, sondern auch roll,
codd. defectione. — 2, 5 schreibt Mg. eisdem mit g und quibus
mit P. — 3, 5 tnoenia fehlt nicht in V, sondern hier fehlt V
überhaupt. — 5, 5 ist mouerant M* nicht sicher; s. Aischefski. —
.6, 10 ist partes] partem V erwähnenswert. — 11, 2 ist a Volscü
zu schreiben; so haben die meisten Hss. (aber ad uuhcis M1
a uuhcis Ma). — 17, 8 durfte a quo in socüs zu lesen sein. —
36, 12 dwnos Noväk, wohl richtig. — 41, 8 durfte nostri den Vor-
zug verdienen.
In Teubners Sammlung von Schulerausgaben sind seit dem
Erscheinen des vorigen JB. folgende Livius betreffende ßändchen
erschienen :
2) F. Fügner, Kommentar zur Auswahl aus der ersten Dekade.
1903. VIII u. 185 S. 8. geb. 1,20 JC.
3) F. Fügner, Auswahl aus der ersten und dritten Dekade.
Text. Mit 6 Karten. 1903. VIII u. 277 S. 8. geb. 2 JC.
4) und 5) F. Fügner, Kommentar zu Nr. 3 in 2 Heften (I— X, XXI—
XXX). 1903. IV u. 154 bzw. IV u. 171 S. 8. geb. je 1,20 JC.
Zu 2. Der Kommentar zu dem im vorigen JB. angezeigten
Textbändchen einer Auswahl aus der ersten Dekade ist ebenso
angelegt und ausgearbeitet wie der zu der Auswahl aus der dritten
Dekade, die inzwischen bereits in zweiter Auflage erschienen ist.
Er bringt also erst eine Anleitung zum Obersetzen und sodann
grammatisch-stilistische Regeln mit Beispielen aus dem betreffen-
den Textbande, und zwar nur aus diesem, nebst beigefügten
Übersetzungen. Auf diese Kapitel wird im nächsten (3.) Kapitel,
den fortlaufenden Erklärungen, verwiesen. Gemeiniglich sind die
Schuler zu bequem, diese zu benutzen; darum ist es gut, daß
der Verf. in ihnen Maß gehalten und Vorverweisungen ganz ver-
mieden hat. Die Erklärungen sind im allgemeinen mit Rucksicht
auf den Standpunkt eines Untersekundaners ausgearbeitet worden,
d. h. es wird nicht eben viel vorausgesetzt. Von unbekannten
Vokabeln hat der Verf. sogleich die Bedeutung angegeben nach
Art der gedruckten Präparationen; auch sonst hat er für Phrasen
und seltenere Verbindungen sofort die Obersetzung geliefert, wo
es sich mit Hinweis auf die Grundbedeutung und die vorliegende
Begriffsentwickelung kurz machen ließ. Dieser Weg ist jedenfalls
praktischer, als wenn man versucht, dem Schuler durch Fragen
das Verständnis zu erleichtern und eine brauchbare Obersetzung
nahezulegen: der Text fragt den Schuler ohnehin genug. Bei
der großen Schwierigkeit der Liviuslekture für den Unter-
sekundaner darf der Kommentar in der Tat nicht zu dürftig
sein, wenn die Lektüre nicht zu einem „schleichenden Übel44
werden soll, für Lehrer und Schuler mehr eine Qual als
eine Lust. Mit Hilfe des Kommenlars kann sich der Klassen-
~s
Livius, von H. J. Müller. J7
Unterricht wohl auch an schwierigere Partieen heranwagen, z. B.
an die schöne praefatio, deren Gedankengang deshalb auch von
dem Verf. — ausnahmsweise — dargelegt worden ist. Sonst sind
die Abschnitte, von denen der Verf. voraussetzt, daß man sie bei
gunstiger Gelegenheit in den oberen Klassen wird lesen lassen
(z. ß. das Ende des Ständekampfes VI 34-42 oder Hätte Alexander
der Große Rom überwunden? IX 17 — 19), mehr dem Standpunkte
dieser Stufen entsprechend, also verhältnismäßig knapper, erläutert
worden. Der Kommentar beschränkt sich grundsätzlich auf die
sprachliche Erklärung und gibt diese ohne jede Abschweifung oder
gelehrte Zusammenfassung; auf die sachliche Erläuterung geht er
our dann ein, wenn sie zum grammatischen Verständnis nötig
erscheint, und auch dann nur mit kurzen Worten. Der wiß-
begierige Schuler findet alles Sachliche in wünschenswerter Aus-
führlichkeit und mit aufklärenden Abbildungen im Hilfshefte, das
zwar in erster Linie für die Lektüre der dritten Dekade berechnet
war, aber auch für die erste Dekade ausreicht. Schließlich unter-
scheidet sich Fugners Kommentar von ähnlichen durch die Be-
zeichnung sämtlicher Längen, auch der in geschlossenen Silben;
nur die Endungslängen hat er nicht bezeichnet, weil hier ein
Irrtum ausgeschlossen sei. „Es wäre dem Herausgeber gerade
recht, wenn auch seine Hilfsmittel die richtige Aussprache des
Lateinischen förderten. Eine fremde Sprache wirkt erst dann
auf die Vorstellung richtig ein, wenn sie annähernd ebenso ge-
sprochen wird wie von denen, die sie als Muttersprache benutzen
oder benutzten; das ist für die Neusprachler Axiom. Mit den
durch die Natur der Sache gebotenen Einschränkungen gilt aber
der Satz auch für die toten Sprachen, und unter diesen für keine
mehr als für die lateinische; denn diese ist sozusagen unter
freiem Himmel geschaffen". So heißt es im Vorwort S. VIII.
Anhangsweise sind eine Anzahl Versehen im Texte berichtigt,
darunter (S. 1 15, 11) die Abirrung des Setzers von einem Quiritium
zu einem andern Quiritium in der nächsten Zeile. X 27, 5 ver-
mutet F. den Ausfall von agro hinter Vaticano; vgl. jedoch 1 11, 4
in Crustuminum.
Zu 3 — 5. Mehrfach geäußerten Wünschen, daß die wert-
vollsten Stücke aus der ersten und dritten Dekade in einem ßande
vereinigt sein möchten, ist der Verf. mit diesen Heften nach-
gekommen. Dem Text ist eine kurze Einleitung über Livius und
sein Werk (S. VI — VIII) vorausgeschickt, die ja zur ersten Be-
kanntschaft mit dem Autor ausreichen mag; daß dazu freilich die
Namen seiner Quellen alle nötig sind, die für den Schüler doch
inhaltslos bleiben, bezweifle ich. Diese kürzere Auswahl enthält
übrigens fast sämtliche Stücke aus I, II, XXI und XXII, die in
der größeren Auswahl stehen. Sonst sind u. a. weggelassen: die
Abschnitte über den Ständekampf, Scipio in Spanien und die
Partieen aus dem 29. Buche. Das Gebotene reicht natürlich für
8 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
die verfügbare Zeit vollkommen aus. Zeittafel, Namenverzeichnis
und Karten sind aus beiden Dekaden zusammengestellt bzw. in-
einandergearbeitet. Außer den am Ende vermerkten Druckfehlern
ist noch zu verbessern S. 130 Z. 20 proiectis, 163, 8 tarn, 164, 3
v. u. extremi, 168, 7 v. u. ac tenore, 179 in der Überschrift XXÜ
und XXIII (st. XII und XIII), 207, 6 P. Cornelius statt Q. Cornelius.
Schulen, denen wenig Zeit für Livius zur Verfügung steht, wird
diese verkürzte Auswahl nicht ungelegen kommen.
Der hierzu gehörige Kommentar ist auf zwei Bändchen verteilt.
Die einleitenden Kapitel unterscheiden sich nicht in der Anlage,
wohl aber in der Ausfuhrung; denn das erste Bandchen enthält
mehr Beispiele, namentlich in der Anleitung zum Übersetzen. Die
Anmerkungen decken sich mit den entsprechenden Partieen des
Kommentars zu der größeren Auswahl, doch sind die Abschnitte
aus der dritten Dekade neu durchgesehen und an manchen Stellen
verbessert, gewissermaßen neu aufgelegt worden.
Damit ist die Schulerausgabe des Livius, wie sie Fugner ge-
plant hatte, abgeschlossen. Wir wollen dem Verfasser wünschen,
daß die große Höhe, die er darauf verwandt hat, die Lektüre
seines Lieblingsautors für die Schule fruchtbar zu machen, recht
vielen Schulern zugute komme.
*.
Ausländische Literatur, die mir nicht vorgelegen hat:
Livius, Books 5 and 6. Translated, witb iotroduction, analysis, notes,
and a special map of Central Italy, by B. Baker. London, Simpkin.
162 S. 8. 3 Sh.
Livius, Book 22 edited by G.G. Loane; vgl. Athenaeom 3936 S. 433.
— 11 22 libro delle Storie aonotato dal dottore L. Pederzolli. Palermo
1902, R. Sandron. 103 S. 16.
— Libri 21 et 22. Texte latio, poblie avec . . des notes critiqnes et
explicatives . . par O. Riemann et E. Benoist, 9. Edition revue.
Paris, Haehette et Cie. XXIV u. 386 S. 16. 2 fr. 50 c.
— Libri 23—25. Texte latio, publik . . . par O. Riemann et £. Benoist,
7. Edition revue. Paris, Haehette et Cie. XXIV n. 533 S. 16.
2 fr. 50 c.
— 30. Bog ved H. Rafn. Vgl. V. Thoresen, Nord. Tidsskr. f. fil. XI S. 42.
— T. Montana ri, Annibale. L'uomo, la traversata delle Alpi e le
prime campagne d'Italia, fino al Trasimeno secondo gli anticbi e la
veritä storica. Rovigo 1901 (Leipzig, A. Twietmeyer). XXIII u.
780 S. gr. 8. 10 L. Vgl. Lit. Centralbl. 1903 Sp. 412—413.
— G. F. Warner, Zum Originalmanaskript der schottisches
Liviasäbersetzung von Bellenden. Vgl. Athenaeum 3898 S. 64.
II. Beiträge zur Kritik und Erklärung.
a) Abhandlangen.
6) R. Novak, Liviana. Ceske mosenm filologicke VIII (1902) S. 443— 451.
3, 5, 7 ist die Richtigkeit des überlieferten Wortlautes durch-
aus zweifelhalt. Die Erklärung, mit der Wfib. sie in Schutt
nimmt, ist gewiß nicht geeignet, sie glaubhaft zu machen, und
Livtns, von H. J. Müller. 9
doch scheint es keine andere zu geben, wenn die Worte unver-
ändert beibehalten werden. Das Bedenkliche liegt in der Auf-
fassung von sustineri potuere im irrealen Sinne, als Hauptsatz zu
tii . . subvenisset-, denn aus deinde scheint deutlich hervorzugehen,
daß mit nulla . . vi sustineri potuere die Tatsache angegeben wird,
welche auf die durch den Tod des Legaten und die Verwundung
des Konsuls veranlaßte Verwirrung der Römer und Ermutigung
der Feinde folgte. Es muß also bei nulla vi sustineri potuere an
die Schlacht gedacht werden; die Römer wurden geschlagen und
ins Lager getrieben (compulsi). sie wurden von neuem belagert
(pbsiderentur), sie waren den Feinden weder an Mut noch an
Streitkräften gleich und hätten das Lager nicht halten können,
wenn ihnen nicht unerwartete Hilfe gekommen wäre. Aus dem
Gesagten ergibt sich, daß für den Sinn der Stelle bei sustineri
potuere ein Gedankenabschluß anzunehmen ist. was obendrein
durch den Vergleich zahlreicher Stellen bei Livius, wo eine ähn-
liche Darstellung in eine ähnliche Form gekleidet ist, bestätigt
wird. Soll man nun von der La. des Harl. 1 und einiger jüngerer
Hss. Gebrauch machen und quin statt cum in den Text aufnehmen,
wie es Gr. und Mg. getan haben? Es scheint auf den ersten
Blick eine Hilfe zu sein, ist es aber nur insoweit, als das cum,
4quod scopas dissolutas reddit' (Gr.), beseitigt wird; denn der
Ausdruck läßt sich schwerlich rechtfertigen ('videtur ratio loquendi
imperare: quin conpulsos in castra Romanos rursus obsiderent' Gr.).
Das quin beweist ebenso wie andere Varianten in jüngeren Hss.
(dum statt cum, quin pulsi statt cum conpulsi, venisset oder venissent
statt venissetquc), daß man schon in uralter Zeit Anstoß an diesen
Worten genommen und Heilungsversuche gemacht hat, und Gr.
selbst war von der Richtigkeit des quin keineswegs überzeugt.
Er macht selbst den Vorschlag: cum conpulsi . . ., venisset in peri-
culum ... (so hat der Voss. 2, nur venissent; desgleichen so der
Portug., nur dum statt cum im Text und quin statt cum am
Rande). Das wäre eine verhältnismäßig leichte Änderung; aber
es wären zwei Haupthandlungen in einen Nebensatz zusammen-
gedrängt, und es hätte das deinde besser nicht zwischen nulla
und vi, sondern vor oder hinter cum seine Stelle gefunden1).
So sagt denn Gr.: 4Ascensius, si forte malis, edidit: Compulsi in
castra Romani rursus obsidebantur\ und dies ist die La., die Noväk
als die allein brauchbare empfiehlt. Daß die Stelle so ohne jeden
Anstoß ist und den besten, natürlichsten Wortlaut gewinnt, liegt
l) Beide Bedenken sind aber nicht ausschlaggebend; vgl. 3, 2, 11;
3,63,4; 34, 39,7. Unter Beibehaltung des que konnte dann wohl eher eine
kleine Lücke angenommen und gelesen werden: Cum conpulsi. . . obsiderentur,
nee spe nee viribus pures (erant), venissetque in periculum summa rerum,
ni . . . subvenisset. Könnte übrigens das hinter eopiis überlieferte, von den
Herausgebern gestrichene cum nicht durch Umstellung (vor peregrinis oder
vor eopiis) gerettet werden?
10 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
auf der Hand. Livius hat sich auch anderswo (N. zahlt 20 solcher
Stellen auf) bei der Schilderung von Schlachtausgängen in über-
einstimmender, fast stereotyper Weise ausgedruckt, was ins Ge-
wicht fällt. Nur die Änderungen sind etwas stark; aber sie lassen
sich so erklären, wie es von N. geschehen ist: cum entstand
durch Dittographie vor con und bewirkte die Veränderung des
Indikativs in den Konjunktiv. So ist z. ß. 43,11,2 fehlerhaft
[cum] conperta aberliefert, und 10, 11,3 ist hinter fuit ein fehler-
haftes ut entstanden, welches dann die Veränderung von deter-
ruerurU in deterruerint zur Folge gehabt hat.
23, 17,7 ist das vor accipi (so P) überlieferte nimis weder
überzeugend erklärt noch ansprechend verbessert worden. Es
liegt nahe, an eine Verstümmelung aus animis zu denken und
eine kleine Lücke anzunehmen, in der die Gesinnung, mit der
die Legionen aufgenommen wurden, charakterisiert war. Daher
schreibt N. legionesque (laetis a)nimi$ accipi. Schon früher hat
J. Miller den Ausfall einiger Worte wahrscheinlich gemacht und
darauf hingewiesen, daß das quoquc im folgenden am besten ver-
standen werde, wenn im ersten Satzteil etwas Ähnliches gestanden
habe. Er selbst schlug dictatorem Romanum legionesquc (jnrofectos
per oppida laetis a)nimis accipi vor, und daß noch etwas mehr
als laetis a in der Lücke gestanden hat, ist glaublich (man ver-
mißt die Angabe, von wem oder wo sie aufgenommen wurden);
die Millersche Fassung profectos per oppida ist allerdings nicht zu
empfehlen.
24, 27, 3 sucht N. die höchst wahrscheinlich lückenhaft über-
lieferte Stelle folgendermaßen zu heilen: praetores dissimilare primo
et trahenda re (in mora) esse. Denselben Gedanken hat früher
M. Müller gehabt, indem er vorschlug: et trahenda re (morae)
esse. Dieser Ausdruck findet sich z. ß. 31, 40,9; gewöhnlich aber
sagt Livius in mora esse. Für diese Ergänzung spricht der Um-
stand, daß das, was in P steht, unverändert beibehalten wird
(trahenda re); gegen sie die Breite des Ausdrucks, da man nichts
weiter als trahere rem erwartet.
24, 39, 7 mißbilligt N. die Einfügung von fore vor deterritos;
es müsse dahinter stehen, weil Livius es so zu stellen pflege und
es sich nicht empfehle, vor und hinter deterritos eine Lücke an-
zunehmen. Er hält aber dieses fore überhaupt für unnötig und
gibt folgende Begründung: 'nam iam tum, cum Hennensium caedis
fama in Sicilia vulgata est, perterrili ceteri Siculi poterant videri
nee ideo iam tum Romanorum praesidia prodituri'. Ma reell us
erklärte sich mit dieser gräßlichen Tat nur deshalb einverstanden,
weil er glaubte, die Furcht vor einem solchen Schicksal werde
künftig die Sicilier von verräterischem Tun abschrecken. Es
könnte heißen : fama cladis deterriti sunt a proditionibus prae-
sidiorum Siculi; aber glauben kann Marrellus wohl nur deterritum
iri oder deterritos fore oder auch deterreri Siculos, nicht deterritos
"N
Livias, ¥•■ H. J. Miller. 11
esse. Luchs hat das bloße timore deterritos im Text stehen lassen,
scheint aber den Ausdruck des Futurums ungern zu missen;
denn er vermutet, daß timore in tarn fore zu ändern sei.
26, 24, 2 ist m fidem gegen den Sprachgebrauch des Livius.
d*»r dafür ebenso wie andere Schriftsteller ad fidem sagt Weißen-
born hat sich mit dem Hinweis auf diese Tatsache begnügt;
Harant nimmt schweren Anstoß daran und ändert in und die
ganze Stelle in der willkürlichsten Weise; Noväk meint, man
müsse ad fidem statt m fidem schreiben, Es läßt sich kaum an«
nehmen, daß dem Schreiber diese moderne Ausdrucksweise so
geläufig gewesen sei oder daß er, wie N. glaubt, das Folgende in
'per neglegentiam' voraufgenommen und zugleich ad übergangen
habe. Obwohl die Stelle mit dem zweimaligen in nicht hübsch
klingt, wird man doch wohl an der Überlieferung festhalten
müssen, da Livius den Zweck nicht selten durch m in. Akk. aus-
drückt, z. B. in demselben 26. Buche 11,5: mittles sub veocillis in
suppletnentum Hispamae profcctos audiü und 29, 10: ut in aus
laudem postremus Romanorum imperatorum cader et.
36, 18,2 tritt IN. für die Schreibung sarisophoros und ebenso
44, 28, 7 für Mppagogos ein. Den Akk. Plur. mit der griechischen
Endung ovq (sarisophorus, hippagogus) habe Livius sonst nirgends
gebraucht, wohl aber hemerodromos, damiurgos, apocletos, synedros
geschrieben. In diesem Sinne hat sich schon Drak. ausgesprochen»
und Herausgeber wie Gr. und Mg. haben nicht daran gezweifelt,
daß jenen Formen bei Livius die lateinische Endung zukomme.
42, 24, 1 0 steht conservata im Kodex, wofür Zingerle servata
geschrieben hat nach dem Vorschlage von Drak., der auch observata
als möglich bezeichnet hatte. Nach N. spricht für comiter con-
servata die 'clausula metrica Livio satis usitata iw-iwiw. quae
clausula eo est h. 1. gratior et fortior, quod accentus quoque
verborum cum pedum ictu concinit. quod non ila sit, si cotnüer
servata (-lwz__l J scripseris. Livius clausulae illius gratia videtur
h. 1. verbum copulatum simplici praeposuisse'. Er fährt fort:
'Eiusdem clausulae (±„**±„±J) causa Livius verbo adaugendi,
quod alibi non adhibet, usus videtur 10,23,6: magnifica verb(a)
adauxit\
42, 26, 6 sucht N. durch Ausscheidung einer 'adnotatio inter-
linearis' in Ordnung zu bringen; ut adirent, meint er, habe über
qui senatum gestanden und sei versehentlich in den Text geraten.
Diese Annahme ist sehr bestechend, da man sich ein solches
Glossem wohl denken kann (vgl. unten zu 44, 6, 5) und die Stelle
hiermit geheilt ist; vgl. 23, 7, 11. Die La. des Grynaeus ist jeden-
falls unstatthaft und die anscheinend leichte Änderung Mg.s, der
qui ut statt ut qui schreibt, nicht ausreichend; denn ut adirent
genügt nicht, es mußte ut adire liceret heißen (N. führt 14 Stellen
aus Livius an). Und hierbei würde man außerdem ein stfrt, ob-
gleich es nicht nötig ist, doch ungern vermissen. Ich habe bisher
12 Jahresberichte d. Philolog. Vereint.
geglaubt, in qui stecke vielleicht das tibi; aber wer möchte den
Mut haben, die Lesung legatis, {gut), ut sibi adire senatum (liceret),
tum postulassent vorzuschlagen?
42, 52, 13 ist Vahlen für die La. animos habendos esse, quos
habnerint maiores eorum eingetreten, und Zingerle hat, ihm folgend,
so in seiner Ausgabe geschrieben. Es könnte ja so heißen: aber
der Singular ist doch mindestens ebenso häufig (z. B. 10, 16,7:
si sit animus Etruscis, qui Porsinnae quondam maioribusque eornm
fuerit), und da muß doch das überlieferte habendum esse quem
den Ausschlag geben. Die Hs. hat animum hos, und N. meint,
hos sei vor habendum durch Nachlässigkeil entstanden wie 23, 1, 1
haec vor hannibal; näher liegt es wohl, an eine Doppellesart zu
denken, mag man nun annehmen, daß um über animos oder daß
os oder tos über animum gestanden haben.
43, 2, 2 beweist N. die Richtigkeit des überlieferten petierunt,
ne se socios foedius spoliari . . . patiantur durch den Hinweis auf
6,10,5 und 38,20,10.
43, 14, 6 tritt N. für die La. quoad hi censores magistratum
habebunt (Harant) ein, weil quoad von dem Sprachgebrauch des
Schriftstellers gefordert werde, nicht quamdiu (VVßb.). Für dieses
lasse sich nur 34, 6, 6 anführen, und doch erkenne man leicht,
daß hier quam diu nur gesagt worden sei, weil es im vorher-
gehenden entsprechend tarn diu heiße.
44, 6, 5 ist es schwer, aus den Schriftzügen des Kodex eine
allseitig befriedigende La. zu entwickeln. Es haben sich viele Ge-
lehrte, auch N. schon früher, an der Verbesserung der Stelle
versucht; aber Überzeugendes hat noch keiner aufgefunden. Einen
ganz neuen Weg hat jetzt N. eingeschlagen, indem er, ebenso
kühn wie geistreich, annimmt, es sei, um anzudeuten, daß Perseus
nur kurze Zeit hätte aushalten sollen, über der Zeile duodeeim
dies übergeschrieben worden und dies, in zwei Teile zerlegt, in
den Text gedrungen. Er vermutet also: itaque si [duo] intrepidus
[decem dies] primam speciem . . . sustinuisset unter Hinweis auf
drei Interpolationen mit Zahlangaben (23, 19, 18; 24, 3, 3; 35,
34, 4) ]). Wer es für möglich hält, daß jemand 'ad exiguum
tempus, quo adventus hostium expectandus Perseo fuerit, denotan-
dum' „zwölf Tage lang" übergeschrieben habe, der wird N.s Ver-
mutung vielleicht mit Beifall aufnehmen; mir scheint das nicht
glaublich. Aber freilich eine Zeitangabe, selbst paucos dies, ist
hei primam speciem sustinuisset überhaupt nicht denkbar, und so
wird man ohne stärkere Änderungen nichts Erträgliches zustande
bringen. Einen Ausweg hat Vahlen gezeigt, welcher schreibt:
itaque si sua intrepidus eustodiens primam speciem . . . sustinu-
isset, nur entwickelt sich eustodiens sehr wenig leicht aus .X. düs.
Löst man das letztere in decem dies auf, so kann man hieraus
l) Hier will N. die Wörter uno die ausmerzen.
~\
Livia«, v*a H. J. Möller. 13
vielleicht defendens machen und dies für eustodiens einsetzen.
Man vermißt den bestimmten Ausdruck des Subjekts ; aber dieses
läßt sich teils aus dem vorhergehenden rcgüs promdns^ teils aus
dem gegensätzlichen kosthm erganzen.
44, 10, 2 bezeichnet N. als eine nachlässige Ausdruckweise,
die dem Schriftsteller unmöglich zugetraut werden dürfe; er
vermutet, daß etwas ausgefallen sei, und will lesen: id ipsum quod
aceidit (providens ei) paenäentiae relinquens locum. Sehr be-
achtenswert; und doch habe ich das Gefühl, daß die vorliegende
Ungenauigkeit bei Livius hingenommen werden darf. Oder könnte
man an pae*üe*di[ae] denken?
45, 7, 2 steht eiu merkwürdiges tunc, das man für unrichtig
hält und wohl auch halten muß, weil die Erwähnung des Zeit-
punktes unpassend ist. Nicht besser aber steht es mit tarnen*
was H. A. Koch, und mit eftam, was Hartel dafür vorgeschlagen
hat, und man würde N„ der es streicht, gern beipflichten, wenn
man für die Entstehung des Wörtchens eine probable Erklärung
hätte; er selbst meint 'extitisse tunc praecepta parte vocis pufttct,
quae sequitur'.
45, 25, 13 steht im Kodex ein unerklärliches adipsos, dessen
überzeugende Verbesserung noch nicht geglückt ist. et tjpst
(Grynaeus) ist eine starke Änderung und ein nichtssagender Zu-
satz, selbst wenn man annimmt, daß eine Vereinigung der Kaunier
und Ciby raten erfolgt sei. ad(versus) ipsos (Hartel) aber ist un-
geeignet; denn wer gekommen ist Euromensium prowneiam
edemptum, von dem kann unmöglich obendrein gesagt werden,
daß er adversus ipsos (näml. Euromenses) gekommen sei, noch dazu
tjpsos. Hier wendet nun N. wieder das Allerweltsheilmittel der
Streichung an; 'fortasse locus dittographia corruptus est et
scribendum: provmäam ademptum jadepto] coniuncto exercitu
venerant'. Es soll also adipsos ursprünglich adepto gewesen sein.
45, 26, 3 will N. bloß dedita lesen, nicht dedita est, weil sich
nicht annehmen lasse, daß est in tot (so hat der Kodex) ver-
schrieben worden sei. Er nimmt folgenden Vorgang an: der
Schreiber habe zunächst, durch et veranlaßt, dedüo geschrieben
und dann zur Verbesserung ta über to gesetzt; hieraus sei deditato
und dann dedüatot entstanden. Ist das nicht ein recht kom-
pliziertes Verfahren? Nach Vahlens Kollation, die sich bisher als
zuverlässig bewährt hat, steht im Kodex bloß dedidat, und das
wird man wohl zu dedita est vervollständigen dürfen {est ist an
dieser Stelle doch sehr erwünscht).
45, 26, 1 2 streicht N. das et vor castetlis, um das Asyndeton,
welches man erwarte, herzustellen. Da im Kodex nicht et, sondern
est geschrieben steht, so hat der Vorschlag viel für sich; doch
verlangt der Punkt eine zusammenfassende Untersuchung (vgl.
Wßb. zu 3, 1, 5). Die an unserer Stelle vorkommenden Begriffe
finden sich häutiger ohne Verbindungspartikeln nebeneinander ge-
14 Jahresberichte d. Philolog. Vereiot.
stellt; s: 37, 56, 6; 38, 38, 4; 38, 39, 14; 45, 29, 6. Noväk sagt:
'dittographia est castellis subesse potest1.
45, 40, 8 fällt das Kompositum praedestinare auf, da Livius
dieses sonst nie gebraucht und in der hier vorliegenden Ver-
bindung sonst immer das Simplex angewandt hat (z. B. 45, 39, 9).
'fortasse etiam 1. 1. simpIex verbum primitus fuerat, eXprae exara-
tum est scriba retro ad praetextato aberrante'. Das kommt mir
sehr wahrscheinlich vor.
7) R. Novak, Liviaoa. Ceske mnsenm filologieke IX (1903) S. 81—87.
3, 16,4 bezeichnet der Verf. die La. quiesse (Hg.) oder qui-
escere (Liesmayer) als nicht sicher, da die überlieferten Wörter
que esse auch aus dem fälschlich wiederholten quiete entstanden
sein könnten. Er selbst zieht die Streichung vor, da der Begriff
der Ruhe schon in sopitum liege. Er verweist auf 3, 63, 5, wo
alle Hsgb. mit Recht que est gestrichen hätten, und erklärt die
Entstehung aus wiederholtem 'freques*. Daß solche Wieder»
holungen in den Liviushandschriften nicht selten sind, steht fest,
und es können dabei aus Unachtsamkeit auch kleine Veränderungen
vorgekommen sein. So ist es möglich, daß an der zweiten Stelle
que est aus fluchtigem Lesen hervorgegangen ist; an der ersten
Stelle aber fehlt es an äußerer Wahrscheinlichkeit. Und wenn
auch der Begriff der Ruhe in sopitum schon genügend zum Aus-
druck gebracht ist, so liegt doch in der Zusammenstellung der
beiden Begriffe m. E. kein Anstoß ; sagt doch Livius 9, 37, 9 sopit*
quies und Lukrez 1, 30: effice, ut interea fera moenera milUiai . .
sopita quiescant. Ich könnte mir eher denken, daß, wie auch
sonst zuweilen, ein que hinzugesetzt worden sei (also: tum[que]
esse peregrino terrore sopitum videbatur); am besten wird es aber
wohl sein, an quiescere festzuhalten. — 44, 6 bezeichnet N. das
Fehlen einer Kopulativpartikel als hart und schlägt vor: manum
miecit (ei) . . . appettans sequi tubebat. Für mich hat das Asyndeton
nichts Anstößiges; anderen wird es vielleicht sogar wirkungsvoll
scheinen. Aber ich glaube nicht, daß man berechtigt ist, die La*
des V als alleinige Oberlieferung anzusehen, und die Nicomachiani,
die von den Herausgebern als die grundlegenden Codices betrachtet
werden, enthalten die vermißte Verbindung. Die Überlieferung
der Nicomachiani ist einwandfrei, nur muß ein, wie es scheint,
ans Dittographie hervorgegangenes esse eliminiert werden. Das se
vor tubebat ist recht brauchbar, und der Partizipialsatz wird dem
Sinne nach wohl besser zu manum miecit gezogen.
4, 31, 2 nimmt N. den Wortlaut der Hss. (aperuenmt ad
oeeasionem locum hosti) in Schutz unter Hinweis auf 4, 54, 6 und
mit der Erklärung: 'aperuerunt locum, quo occasio fieri fortasse
posset'. Obgleich man zunächst zu der Annahme neigt, daß
neben oeeasionem noch ein Genitiv stehen müßte (vgl. 24, 37, 5),
/*\
Li vi as, von H. J. Möller. 15
so wird man sich nach Tac. Agr. 14 doch wohl mit der gegebenen
Erklärung zufrieden geben können.
9, 37, 2 hat N. schon früher vorgeschlagen, den Satz bei
delata zu schließen und mit acies einen neuen Satz zu beginnen.
Er begründet diese Abteilung jetzt durch den Hinweis darauf, daß
Livius wohl castra deferre (conferre, proferre, referre, transferre)
sagt, aber nicht aciem deferre. Ganz stehend heißt es anderseits
bei ihm agmen (exercitum, equos, Afros) demittere und als Gegen-
teil davon aciem (agmen, dextrum cornu) erigere.
33, 2, 3 vermißt N. mit Recht die Angabe eines Ortes, wohin
man den ohnmächtig gewordenen oder von einem Schlaganfall
getroffenen König Attalus brachte. Er vermutet den Ausfall der
Wörter <m hospitium}, was sehr zu beherzigen ist (vgl 1, 6). Er
will die Wörter, wohl um den Ausfall äußerlich zu erklären, hinter
captum einsetzen; für mein Ohr stehen sie besser hinter per-
feruntque.
42, 21, 3 schreiben die Herausgeber paratos ad rebellandum
meüasset. Da aber die Hs. rebellium hat, ist von Wesenberg die
Ansicht geäußert worden, es sei vielleicht ad rebellionem zu lesen.
Dies verwirft N., indem er darauf hinweist, daß sich die Verbindung
ad rebellionem compdlere (ineitare) nur an einer Stelle der ersten
Dekade finde (9, 41,9), sonst aber von Livius stets ad rebellan-
dum eompellere (ineitare) gesagt worden sei, auch in der ersten
Dekade; vgl. 1, 54, 2; 8, 21, 5; 34, 46, 4. 60, 5; 40, 35, 12; 42,
52, 7. — 37, 7 erklärt N. für die beste, von dem Sinn und dem
Sprachgebrauch des Livius empfohlene La.: fremitum in contionibus
movebant (Fügner). — 61, 3 schlägt N. vor: haee per $e (magna)
amplaquc; (nam cum in hoc codice saepius singulae voces una
aut altera syllaba auetae deprehendantur, illud ampletaque =
amplaque esse potest'. Daß sich die Verbindung amplus laetusque
bei Livius nicht findet, wohl aber magnus laetusque und magnus
amplusque, hat doch wohl gar keine Beweiskraft, und der paläo-
graphische Vorgang ist wesentlich einfacher, wenn wir annehmen,
es sei eine ganz ähnlich lautende Silbe übersehen worden. Ich
halte an amp(la) laetaque fest. — 64, 4 versucht N. folgende
Heilung der schwer verderbten Stelle: et [in] cons(pecta diffi-
euüa)te oppugnationis castrorum [et] extemplo circumegit aciem;
das gestrichene in sei aus instmetus wiederholt, et schon von Mg.
getilgt worden. Er verweist u. a. auf 28, 6, 12.
44, 16, 3 ist mit N. zu schreiben: equis . . . opus esse, maxime
Numidi(cis); vgl. 30, 6, 9. 36, 8. Den Volksnamen Numidae
verbindet Livius nur mit Männerbezeichnungen wie equites und
iaculatores.
45, 1, 10 hält N. domus für einen bloßen Schreibfehler und
▼erlangt domos. Ebenso 3, 29, 5 und 6, 36, 12. — 3, 2 stellt N.
die gewöhnliche Form triduum her; die Hs. biete zwar mitunter
16 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Formen mit vo statt vu (parvom, volgus u. a.), aber nicht mit
uo statt uu.
8) A. Zinserle, Zar fünften Dekade des Livius. S.-A. ans Wiener
Studien XXJV (1903), 2. Heft. 6 S. gr. 6.
Anknöpfend an seine früheren Erörterungen über Wort-
wiederholungen und Veränderungen, die unter dem Einflüsse vor-
hergehender oder nachfolgender Wörter entstanden sind, erklärt
sich der Verf. für folgende drei Lesarten.
43, 2, 6 werde recuperatores egerunt (Noväk) vom Sprach-
gebrauch gefordert. Mit Recht weise N. auf das folgende sumpserunt
(Hs.: sü/serunt) hin; die Abirrung auf einen Zeilenschluß sei be-
sonders leicht erklärlich. Auch ich glaube, daß egerunt das allein
geeignete Verb ist und die Wßb.sche Erklärung (nach Mg.)
sich nicht halten läßt. Das folgende sumpserunt mag die Korruptel
veranlaßt haben; aber dann liegt ein merkwürdiger Zufall vor, da
sumpserunt gar zu viel später folgt.
43, 20, 3 erwarte man das maxitne vor captivos eigentlich
nicht. Vergleiche man die von Drak. zu 27, 4, 2 und 40, 13, 4
gesammelten Stellen, so ergebe sich ein Unterschied zwischen
diesen und 43, 20, 3. Darum glaubt Z., daß maoome aus dem
Vorhergehenden fälschlich wiederholt und von Heusinger in der
Übersetzung mit Recht außer acht gelassen worden sei. Es scheint
mir so, als wenn nun tum etwas in der Luft schwebe und man
eher eine Ortsbezeicbnung (wie ibi) erwarte. Ist maxime hier
wirklich anstößig, dann ist vielleicht die Annahme nicht zu kühn,
daß der Abschreiber IAM MAXIME fälschlich wiederholt und dabei
zugleich die ersten drei Buchstaben unrichtig gelesen oder, ent-
sprechend der ihm geläufigen Verbindung tum maxime, ver-
ändert habe.
44, 22, 2 consul tum creatus (Pluygers); die Hs. hat: conpulsus
consulatus, d. h. conpul sei aus consul, sus aus sum entstanden,
und die Wiederholung des Wortes consul habe die Anfangssilbe
von -atus verdrängt. Die nächstliegende Herstellung sei creatus,
9) F. Fügner, Berliner philologische Wochenschrift 1903 Sp. 333—336.
Fugner bespricht an dieser Stelle die kritische Ausgabe des
43. Buches des Livius von A- Zingerle. Aus dieser Rezension
verdienen zwei Bemerkungen herausgehoben zu werden, weil sie
für die Liviuskritik von allgemeinerer Bedeutung sind.
1. Fugner weist darauf bin, daß die Stelle 15, 1 —2 hinsicht-
lich der Verwendung der Kopula auffällig sei, da Livius in solchen
Angaben die betreffenden Formen von esse mindestens doppelt so
oft weglasse als setze und hier eine „böse Häufung44 vorliege.
Darum sagt er von Zingerles Vorschlag, sunt hinter legiones zu
streichen, daß diese Tilgung an sich nicht nötig, aber aus dem
vorher angegebenen Grunde nicht ohne weiteres verwerflich sei.
Livius, voi H. J. Müller. 17
Seine eigene, früher geäußerte Ansicht, daß sunt hinter provincias
unecht sei, gibt er jetit auf, aber doch nur widerstrebend; denn
er bemerkt, daß er „auf 80 Seiten der fünften Dekade14 keine
andere Stelle gefunden habe, an der ein akkusativisches Objekt
zwischen dem Partizip und der sog. Kopula stehe. Sind das
Gründe, die es rechtfertigen, die Überlieferung anzutasten? Ich
sage: nein; ja ich gehe weiter und sage, daß an solchen Stellen,
wie der besprochenen, die Häufung eher für als gegen die Richtig-
keit des Wortlauts spricht Man denke an die Aufzählung der
Prodigien, wo Livius bald das Asyndeton, bald das Polysyndeton
anwendet; ganz ebenso kann ihm gelegentlich, wie hier, die gleich-
mäßige Anwendung der vollen Formen angemessen erschienen
oder unbewußt in die Feder gekommen sein. Wenn der
Schriftsteller § 1—3 scriptae legiones sunt, dilectus est perfectus,
sortüi provincias sunt, sortiti tränt, Figulus est sortitus, extemph
est profectus sagt, so würde es sicher auffällig sein, wenn an
einer von diesen Stellen die sog. Kopula- fehlte. Es ist denkbar
und naheliegend anzunehmen, daß sich der Schriftsteller in der;
Gestaltung des Wortlauts vom Wohlklang hat leiten lassen, und
das ist etwas Individuelles. Somit darf nach meinein Urteil aa
die Streichung von sunt hinter legiones unter keinen Umständen
gedacht werden; ebensowenig an die Streichung des sunt hinter
provincias, zumal auch sonst, wie ich schon früher betont habe,
(es kommt aber m. £. darauf gar nichts an), ein Objekt im
Akkusativ an der gleichen Stelle wie hier gefunden wird, z. B,
10, 24, 10 consules sortitos provincias esse\ 40, 1, 1 consules prae-
toresque sortiti provincias sunt; 40, 44, 6 Scaevola urbanam sortitus
provinciam est.
Im Gegensatz zu unserer Stelle heißt es 1, 5 — 9 ingressum
hoc iter consulem cognovit, responderunt Cassium Aquileiam pro-
fectum, credere Histris bellum inlatum, adfirmare frumentum milüi
datum et duces . . . conquisüos abductosque, indignari consulem ausum
(überall ohne esse). Im Hinblick hierauf bezeichnet Fügner das
esse hinter Macedoniam (1,7) als nicht einwandfrei, weil im Kodex
bloß se stehe, und damit hat er recht. Aber die Entstehung
dieses Wörtchens läßt sich nicht erklären, wenn es unecht ist,
und die Verbesserung in esse ist an sich wahrscheinlich; darum
muß es m. E. beibehalten werden.
2. Fügner hebt die schon von Noväk beobachtete Abneigung
des Livius gegen kretischen Satzschluß hervor, die, wie er sagt,
ausgeprägt genug sei, um auch für die Kritik wertvoll zu werden;
sie müsse einmal in vollem Umfange geprüft werden. Auf diesen!
Grunde beruhe die Wortstellung 2, 6 absolutus est reus (aber hier
ist der Greticus wenigstens in der Mitte stehen geblieben, was
sonst ebenfalls beanstandet wird), ferner 1, 4 est conatus (vgl.
7, 5. 15, 1. 15, 3. 18, 7. 19, 11 u. s. w.), sodann 5,5 sint facta
(vgl. 11, 1. 13, 2 u, s. w.), desgleichen die häufige Auslassung von
Jahresbericht« XXX. 9
18 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
est und sunt bei Partizipien wie f actus und audita; ein Zufall
scheine hier fast ausgeschlossen. Im ganzen 43. Buche blieben
nur folgende „reine Cretici" bestehen1): 11, 13 mortuus est
„mitten im Satze, in einer übrigens zweifelhaften Umgebung".
Die Stelle ist ganz unsicher, und die Schwierigkeit liegt gerade
in dem gewiß unrichtigen mortuus est. Die Stelle verdiente schon
deshalb nicht, erwähnt zu werden, weil mortuus est kein Creticus ist.
— 14, 1 edicta sunt, „in der Handschrift edictas uN geschrieben ";
vielmehr edictas // tiJV, d. h. bei edictas ist am Zeilenende ab-
gebrochen worden; TV ist das gewöhnliche Kompendium für nt, so
daß also edicta sunt überliefert ist, was natürlich nicht angetastet
werden darf. — 18, 7 conatus est, wofür die Hs. conatum est hat.
Fügner sagt: „Es wäre wohl zu erwägen, ob man nicht in conatum
est eine Glosse zu est adortus sehen und lesen darf: oppugnare
(urbem) est adortus et Corona eam capere". Die Einfügung von
urbem hat Mg. angeraten, damit eam eine Beziehung habe; aber
das ist stilistisch nicht unbedenklich, und die Beziehung auf
Uscanam scheint, wenigstens mir, trotz der dazwischenstehenden
Sätze nicht unmöglich zu sein. Der Leser konnte eam kaum
mißverstehen. Livius hat an dieser Stelle etwas nachlässig ge-
schrieben, obwohl daran festzuhalten ist, daß est adortus und
conatus est keineswegs dasselbe besagen, also an ein Glossem
nicht ohne weiteres gedacht werden kann, conatum ist gewift
nur Schreibfehler statt conatus. Da nun oppugnare absolut stehen
kann, halte ich alle weiteren Änderungen für unnötig (er = „und
zwar"). — 21, 6 profectus est et „mitten im Satze, wo ich trotz*
dem am liebsten est streiche"; [dazu aber haben wir, meine ich,
kein Recht.
Aus dem Gesagten ergibt sich, daß Livius weder inmitten des
Satzes noch auch am Satzende den Creticus vermieden hat. Wollte)
man das ganze Werk daraufhin durchmustern, so würden sich
wahrscheinlich viele Beispiele zusammenfinden. Bedenkt man
ferner, daß Livius das Partizip von der sog. Kopula auch sonst
oft trennt, wie z. B. 1, 3 fatigatus miles esset; 21, 5 relictus a
Perseo erat (vgl. 2, 9. 4, 1. 4, 5. 5, 2. 7, 1. 11, 6. 11, 7. 11, 8.
11, 12. 15, 1. 15, 2. 17, 6. 21, 5 u. a.), oder das Verbum finitum
1) Ausdrucks weisen wie facta est (4, 1. 19, 10) und responsum est (5, 4.
7, 2. 11, 13. 14, 5. 19, 7) sollen, wie ich vermute, faetast und responsumst
feleseo werden, dt sie in der Aufzählung keine Stelle gefunden haben. Vgl.
, 7 est orta; 18, 9 victa pertinacia est.
Ich wundere mich, daß Kreyßigs Ergänzung der ersten Zeile diese»
Buches kaec gesta sunt nicht beanstandet worden ist, da ebensogut haec
sunt gesta hätte geschrieben werden könnnen; allein das 44. Buch fängt
ebenso an.
Auch an dem „recht auffälligen" adortus oppugnare est (21, 4) ist
nichts zu verändern; es entspricht ja genau der Theorie. Wenn der Schrift-
steller oppugnare adortus est nicht sagen wollte, so blieb ihm doch nur di«
obige Stellung oder oppugnare est adortus (18, 7) übrig. Fügner möchte
lieber mit Grynaeus et statt est lesen.
^N
Livius, von H. J. Müller. 19
vom Ende des Satzes zurückstellt, wie z. B. 1, 10 tris ex senatu
nominet legatos und qui eo die proficiscantur ab urbe (vgl. 2, 4.
2, 9. 2, 12. 3, 6. 4, 9. 5, 4. 5, 6. 6, 3. 6, 4. 6, 13. 7, 7. 7, 9
u. s. w.), so wird man Bedenken tragen, der Theorie von der
Abneigung gegen kretischen Satzschluß Glauben zu schenken.
Meiner Ansicht nach schrieb Livius so, wie es seinem Ohre gut
klang, vielleicht mit einer gewissen Manier, die er sich angewöhnt
hatte, zuweilen aber auch, um durch ungewöhnliche Wortstellung
einzelnen Wörtern einen größeren Nachdruck zu geben. Hatte er
in der Rhetorenschule wirklich gelernt, gewisse Wortfolgen zu
vermeiden, so wird ihm dieser ßrauch gewiß oft in die Feder
gekommen sein, aber unbewußt und ohne daß er sich von einem
Zwange beherrscht fühlte. Kurz, ich glaube nicht, daß diese
Theorie für die Kritik von rechtem Nutzen sein wird, am ehesten
noch, wenn es sich um Ausfüllung von Lücken handelt. Fehlt
z. B. in einem Satze das Verbum in der Bedeutung „er brach
auf44, so habe ich nichts dagegen, wenn man am Satzende lieber
est profectus als profectus est (21, 6) ergänzt; aber man darf nicht
sagen, daß Livius die Wörter sicher so geordnet haben würde.
10) W. Heraeus, Wochenschrift für klass. Philologie 1903 Sp. 680— 694.
Der Verf. bespricht an dieser Stelle Zingerles kritische Aus-
gabe des 43. Buches des Livius und nimmt zu vielen von Z. teils
aufgenommenen, teils verschmähten Lesarten Stellung.
4, 1 sei vielleicht mit Umstellung von extitit vor tantum zu
helfen und pavor in pavorem (so die Vulgata) oder pavoris zu andern.
7, 10 vermutet er: (manubias) sacriügi sui (oder eins) unter
Hinweis auf 29, 8, 9; 33, 47, 3.
11, 11 glaubt er, daß acceperunt durch das vorhergehende
aceeptam verdorben sei. Bei dieser Annahme brauche der Emendator
nicht ängstlich auf Buchstabenähnlichkeit zu sehen; anderseits
habe die Erwägung mitzusprechen, ob als Subjekt patres oder,
was ihm wahrscheinlicher dünke, die referierenden Gesandten zu
denken seien. Er ist geneigt zu schreiben: elevare eo (apud)
patres studuerunt, quod . . .
13, 3 vermutet er eine größere Lücke mit etwa folgendem
Wortlaut: bovem feminam locutam; publice ali(menta ei praeberi
haruspices iusserunt); vgl. 35, 21, 5. Gewöhnlich treffe der
Senat Anordnungen zur Sübnung eines solchen Prodigiums.
15, 8 genüge es vielleicht, stipendiis, das hinter causas keine
Stelle haben könne (vgl. 14, 9), hinter cuius zu stellen, so daß
euius ano xowov zu stipendiis („nach seinen Dienst jähren44: tuis
stipendiis nondum roittendus eras) und zu missio gehöre.
b) Zerstreute Beiträge.
23,2,1 schlägt G. Lupi im Boll. di fil. class. IX (1903)
S. 231 — 233 vor, maxime tum (statt maxime tarnen) zu schreiben.
2*
20 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
23, 17,4 nimmt W. Heraeus, WS. f. klass. Phil. 1903
Sp. 597, die Oberlieferung pottquam obstinatos inde videt in Schutz
iinde wird von den Herausgebern entweder getilgt oder an eine
andere Stelle gesetzt). „Das Ungewöhnliche der Stelle besteht
m. E. nur darin, daß der Satz mit primum partizipial gegeben
ist statt in einem Hauptsatze (er suchte zunächst sie zu verlocken,
als er sie dann verstockt sah u. s. w.)".
43,2,6 nimmt W. Heraeus, Arch. f. lat. Lex. Xltl (1903)
S. 288 — 290 die überlieferte La. cum M. Titinio primum . . .
recuperatores sumpserunt gegen alle Änderungen in Schutz. Er
stimmt der von Wßb. (nach Mg.) gegebenen Erklärung zu und
findet eine entsprechende Parallele bei Val. Max. 8, 2, 1 in einer
ganz ähnlichen technischen Wendung : Catonem . . . arbitrum cum
Claudio adduxit. „Vielleicht verdiente dieser eigentümliche Ge-
brauch der Präposition cum zur Angabe der Gegenpartei eine
nähere Untersuchung. Es ist im Grunde, wie Mg. erkannt hat,
derselbe wie in den Wendungen agere, queri, expostulare cum
aliquo".
HL Schriften gemischten Inhaltes
(Sprachgebrauch, Quellen o. s. w.).
11) H. Dessau, Die Vorrede des Livius. Beitrage zur alten Geschichte
and griechisch-römischen Altertumskunde. Festschrift zu Otto Hirscb-
felds sechzigstem Geburtstage (Berlin 1903, Weidmanosche Buch-
handlung) S. 461—466.
1. Verf. weist darauf hin, daß Livius bei remedia (§ 9) an
bestimmte Heilmittel gedacht haben müsse, da er sie für zu
schwer erkläre. Es könne natürlich nur an Mittel gegen die
Sittenverderbnis gedacht werden, und unter diesen seien die Ge-
setze zu verstehen, durch die Augustus der Ehelosigkeit und dem
ausschweifenden Leben der Jugend der besseren Stände vorbeugen
.wollte. Und zwar habe Livius vornehmlich ein Gesetz im Sinne
gehabt, mit dem der Alleinherrscher im Jahre 28 v. Chr. hervor-
trat, als er von Aktium und Alexandria nach Rom zurückgekehrt
war. Dieses Ehegesetz stieß auf den schärfsten Widerspruch, so
daß der Kaiser sich zur Zurücknahme entschloß, wie aus Properz
(2, 7) zu folgern ist1).
„Die über die ganze Vorrede verstreuten Klagen sind nicht
der Erguß eines bekümmerten Idealisten oder gar eines frondieren-
den Politikers, sondern das Echo der Parole, die von oben aus-
gegeben war. Wie immer, hat Livius auch hier Takt und Mäßigung
walten lassen; aber den Zeitgenossen war die Anspielung deutlich,
und dem Kaiser mochte diese Vorrede, die die Berechtigung der
neuen Sittengesetze nicht ausdrücklich, aber nachdrücklich vor
1) Die lex Julia de maritandis ordinibus erlangte erst zehn Jahr spater
Gesetzeskraft, und gegen diese lex dauerte der Kampf bis in die letzten
Lebensjahre des Kaisers.
^
Livius, von H. J. Müller. 21
Augen führte und den Widerstand, der dem einschneidendsten der-
selben, dem Ehegesetz, entgegentrat, beklagte, mehr genehm sein
als eine direkte Huldigung'4.
2. Man nimmt an, daß Livius die ersten Bücher nicht vor
27 und nicht nach 25 v. Chr. publiziert oder geschrieben habe,
da er den Kaiser Augustus unter diesem Namen erwähne, der
ihm erst im Jahre 27 erteilt worden sei, und von der im Jahre
29 erfolgten Schließung des Janustempels rede, nicht von der im
Jahre 25 erfolgten. Dieses zweite Argument erklärt Dessau für
nicht stichhaltig. „Livius bemerkt, daß nach Numa der Janus
nur noch zweimal geschlossen gestanden habe, einmal nach Be-
endigung des zweiten Punischen Kriegs, zum zweitenmal als
Augustus nach der Schlacht bei Aktium den allgemeinen Frieden
hergestellt hatte. Hier war es nicht geboten und kaum angemessen,
darauf hinzuweisen, daß der Friedenszustand bald wieder eine
Störung erlitten hatte, im Jahre 26 der Janus wiedergeöffnet
worden war und im Jahre 25 von neuem hatte geschlossen werden
können. Vielmehr hat Livius so, wie er geschrieben hat, aucb
in späterer Zeit schreiben können. Aber ist auch das Argument
hinfällig, so mag doch die Annahme, der es dienen sollte, un-
gefähr richtig sein. Frisch war auch, als Livius schrieb, die Er-
innerung an die Bürgerkriege. Die Vorrede dürfte ungefähr zu
derselben Zeit geschrieben sein, wie das Gedicht von Horaz 111 6,
das ebenfalls bald nach 27 v. Chr. entstanden ist".
12) O. Richter, Beiträge zur römischen Topographie. 1. Allia-
sehlacht und Servinsmaner. II. Capitoiiom und clivus Capitolious.
Progr. des Prinz Heinrichs-Gymnasiums in Berlin 1903. 31 S. 4.
Die Frage, auf welchem Tiberufer die Alliaschlacht statt-
gefunden hat, ist von Mommsen (R. F. 2, 297 ff.) und später von
Hülsen und Lindner (s. JB. 1891 S. 191) dahin beantwortet
worden, daß mit Diodor, der ausgesprochenermaßen die Römer
über den Tiber gehen läßt, die Schlacht auf das rechte Ufer zu
verlegen sei, etwa gegenüber der Einmündung des Alliaflüßchens.
In demselben Sinne spricht sich E. Meyer (Gesch. d. Alt. 5, 155)
aus. Diese Ansicht wird in der vorliegenden Abhandlung von
0. Richter unter kräftiger Hervorhebung der topographischen Ver-
hältnisse angefochten.
1. Auf der rechten Tiberseite war keine Heerstraße; alle
von Norden kommenden Feinde rückten auf derselben Straße an,
der einzigen, die es damals gab, der uralten via Salaria am linken
Tiberufer. Feindliche Angriffe richteten sich auf den Punkt Roms,
der in allen Kriegen bis in die Zeil Oktavians und bis zum gänz-
lichen Verfall der Servianischen Mauer stets das Angriffsobjekt
bildete, die porta Gollina (vgl. 0. Richter im Hermes 17, S. 436).
2. Die Befestigung des republikanischen Roms ist durch die
zahlreichen Reste und durch Beschreibungen bis in die Einzel-
22 Jahresberichte d. Philolog. Vereint.
heiten bekannt; die so gut wie uneinnehmbare Befestigung war
an der Tiberseite am stärksten. Das Ufer war aufgemauert, und
der tiefe, breite und reißende Strom machte jede Annäherung
unmöglich (vgl. 0. Richter, Topographie Roms S. 40 ff.). Eine
einzige Brücke, der pons sublicius, vermittelte den Verkehr mit
den am rechten Tiberufer gelegenen örtern; sie war aber darauf
eingerichtet, beim Herannahen von Feinden abgeworfen zu werden.
3. Von Rom aus ging die via Salaria über Fidenae an der
linken Seite des Tiber nach Norden. Von Veji führte eine Straße
an den Tiber, den sie Fidenae gegenüber erreichte. Eine Brücke
ist hier nie gewesen, man setzte mit Kähnen über den Fluß. Auf
diesem Gebiete spielen sich die Kriege zwischen Rom und Veji
oder Fidenae ab, und alle haben denselben Verlauf: die Vejenter
gehen bei Fidenae über den Tiber und fallen, mit den Fidenaten
verbündet, in das römische Gebiet ein, oder die Römer gehen
über den Anio, bemächtigen sich der Stadt Fidenae und dringen
von da in das vejentische Gebiet ein (S. 8). Das ist die topo-
graphische Voraussetzung, die einen direkten Angriff auf Rom vom
rechten Tiberufer ausschließt. Nie ist es den Römern in den
Sinn gekommen, diese Seite der Stadt durch Obersetzen eines
Heeres aufs jenseitige Ufer zu schützen oder zu verteidigen. Durch
den Abbruch des pons sublicius war hier alles getan, was nötig
war (S. 10). Der Versuch, die Römer vor Abbruch dieser Brücke
zu überraschen und so in die Stadt einzudringen, ist nur einmal
gemacht worden, von Porsenna, und ist mißglückt.
4. Offenbar denkt Diodor bei den Worten i^sl&ovteg nav-
dtjfAel xal diaßävteq top TißsQiv naqä %6v notafiov ijyayov
%r\v divapiv an das Rom seiner Zeit mit der via Flaminia, das
Rom jener Zeit, in der die nach Norden ausziehenden Heere sich
auf dem campus Martius sammelten und über den pons Mulvius
auf der via Flaminia dem Feinde entgegenzogen. Das aber war
erst anderthalb Jahrhunderte nach der Alliaschlacht der Fall. Von
dieser Notiz bei Diodor ist also Abstand zu nehmen und daran
festzuhalten, daß die Schlacht auf dem linken Tiberufer stattfand,
wie Livius angenommen hat1).
5. Aber ganz verkehrt ist der von Livius erzählte Ausgang
der Schlacht und durchaus glaubhaft, was Diodor berichtet. Das
ganze römische Heer wurde an und in den Tiber gedrängt, und
dort kam die Mehrzahl ums Leben. Diejenigen, welche sich durch
1) Verf. glaubt, daß Diodors Bemerkung ol nXeTotoi rtov dtaow&ävraiv
noliv Brjtovg xatelaßovto nicht anders verstanden werden könne, als daß
die Mehrzahl derer, die sich durch den Tiber hindurchretteten, nach dem
auf dem rechten Tiberufer gelegenen Veji flohen, daß also Diodors Angabe
i&X&ovres usw. (Nr. 4) „wie hineingesprengt sei in eine Schilderang, die
sonst in allen Punkten auf das linke Ufer führe". Allein Diodors Beriebt
enthält keinen Widerspruch; dutotod-ivrwv darf nicht im Sinne von diä xov
norafiov diaota&tvrcov genommen werden, sondern heißt einfach „sich glück-
lich gerettet hatten".
^
Livius, von H. J. Müller. 2.3
Schwimmen über den Tiber gerettet hatten, eilten nach Veji,
einige wenige gelangten ohne Waffen nach Rom. Das römische
Heer wurde an der Allia nicht geschlagen, sondern vernichtet.
So erklärt es sich, daß der dies Alliensis als ein Schreckenstag
sondergleichen der Nachwelt in der Erinnerung blieb.
13) E. Meyer, Die Alliaschlacht. Mit einer Karte. Apophoreton (der
47. Versammlung deutscher Philologen and Schulmänner überreicht
von der Graeca Halensis), Berlin 1903 Weidmannsche Buchhandlung;,
S. 136-161.
In dieser Abhandlung sucht der Verf. die von 0. Richter
gegen die Ansetzung der Alliaschlacht auf dem rechten Tiberufer
erhobenen Einwände zu entkräften. Er unterzieht die Berichte
über diese Schlacht und über die Ereignisse vor und nach ihr,
wie sie bei Diodor und den Späteren (besonders Livius) vorliegen,
einer eingehenden Kritik und weist nach, daß, abgesehen von der
fundamentalen Differenz hinsichtlich der örtlichkeit, zwischen
Diodor und Livius Obereinstimmung bestehe. Die Überlieferung
gehe auf einen einzigen Urbericht zurück, den die Annalisten in
dieser oder jener Weise abgeändert hätten. Demgemäß sei es
die Aufgabe des Geschichtschreibers, zu ermitteln, welcher Schrift-
steller die Überlieferung in der reinsten Form erhalten habe und
Ms der glaubwürdigste anzusehen sei. Das Ergebnis, zu dem der
Verf. gelangt, lautet: Der Diodorische Bericht erweist sich durch-
weg als klar und unanstößig, während die späteren Erzählungen
nichts als Verschlechterungen des von Diodor Berichteten sind.
Dies wird an vielen Einzelheiten überzeugend bewiesen1). Daher
behauptet Meyer, daß man lediglich Diodor zu folgen habe, daß
man nur in seiner Darstellung eine geschichtlich brauchbare Über-
lieferung anerkennen könne und demgemäß auch die Verlegung
der Schlacht auf das linke Ufer als eine willkürliche Abänderung
ansehen müsse. Begreiflich sei es, daß die Späteren die clades
Alliensis um des Namens willen an den Bach selbst auf das linke
Tiberufer verlegten, auch wenn sie in Wirklichkeit gegenüber der
Alliamfindung am rechten Ufer stattgefunden hatte; der umgekehrte
Hergang wurde unerklärlich sein.
Hierauf bespricht Verf. die topographischen Verhältnisse und
sucht zu erweisen, daß Richters Einwände nicht stichhaltig seien.
Einen Punkt hebe ich hervor. Der Verf. sagt S. 154: „Die
Gallier kamen von Clusium, und da dies westlich vom Tiber lag,
Rom am Ostufer des Flusses, müssen sie auf dem Zuge gegen
Rom irgendwo den Tiber haben überschreiten wollen" [d. h. es
ergibt sich aus ihrem Marsch zum Tiber und ihrem eventuellen
Marsch am rechten Ufer des Tiber nicht, daß sie von diesem
Ufer aus einen Angriff auf Rom beabsichtigt haben]. S. 155:
„Die Römer und Vejenter haben bei den ununterbrochenen Fehden
>) S. 149 Z. 24 muß es dutvr\£afitvot, heißen.
24 Jahresberichte d. Philolog. Vereius.
des fünften Jahrhunderts regelmäßig den Tiber an der Cremera-
mündung gegenüber von Fidenae überschritten; warum sollten
die Gallier nicht denselben Punkt in Aussicht genommen haben?"
S. 156: „Die via Flaminia existierte damals noch nicht; aber gab
es darum auf dem rechten Tiberufer überhaupt keine Straßen,
auf denen sich ansehnliche Heere bewegen konnten? Die Römer
haben gerade in den letzt vorhergegangenen Jahren hier ununter-
brochen Krieg geführt und wären seit sechs Jahren Herren des
Vejentergebietes. Die natürliche Heerstraße (die später, als das
Land längst pazifiziert war, durch den abgekürzten Weg der via
Flaminia quer über die Höhen ersetzt wurde) ging im Tibertal
aufwärts, und hier ist sie in dem von den Regionen erwähnten
Namen der via Tiberina erbalten und in ihren Resten als un-
gepflasterte Straße noch erkennbar. Auf dieser Straße werden,
wie die Römer, so auch die Gallier gezogen sein". [Es ist mög-
lich, daß Diodor gemeint hat, die Römer seien bei ihrem Auszuge
aus der Stadt sogleich auf das rechte Flußufer hinübergegangen.
Sachlich scheint aber der Annahme nichts im Wege zu stehen,
daß die Römer zunächst auf dem linken Ufer vorgerückt sind,
weil sie hier ein Anrücken der Gallier erwarteten, dann aber bei
bestimmter Kunde den Fluß überschritten haben, vielleicht bei
Fidenae, und den Feinden am rechten Ufer entgegengezogen sind.]
14) F. Luterbacher, Die Chronologie des Haonibalzuges (zum
3. Bach des Polybius). Phil 1903 S. 306—319.
Die Frage nach dem Wege, auf welchem Hannibal die Alpen
{überschritten hat, ist von den Forschern der Neuzeit mit großem
Eifer wiederaufgenommen und übereinstimmend dahin beant-
wortet worden, daß an den KL Bernhard nicht gedacht werden
dürfe. Es ist das Verdienst W. Oslanders, diese Theorie zuerst
erschüttert zu haben; jetzt kann sie, obwohl sie noch Anhänger
hat, als widerlegt und abgetan gelten (vgl. JB. 1903 S. 22 ff.).
Dagegen ist noch keine volle Einigkeit darüber erzielt worden,
über welchen Paß Hannibal gegangen ist. Mit großer Entschieden-
heit sprach sich J. Fuchs für den Genevre aus, ebenso bestimmt
W. Oslander für den Cenis, und die Anhänger jener Theorie
halten nocb heute an ihrer Ansicht fest, obwohl Osiander immer
neue Argumente gegen sie vorgebracht hat. Daß in einzelnen
Punkten Verschiedenheit der Auffassung herrscht, ist nur natür-
lich, da ja der Hypothese ein großer Spielraum verbleibt; manches
läßt sich aber durch genauere Untersuchungen zu größerer Klar-
heit bringen. So hat Luterbacher früher darzulegen versucht, wie
die 15 Tage des Alpenübergangs zu zählen sind und daß der
Obergang im Oktober stattgefunden bat. Hiergegen erhob Osiander
im Phil. 1902 S. 473—476 Einwendungen, und gegen diese richtet
sich wieder die vorliegende Abhandlung Luterbachers. Für ihn
„liegt kein Grund mehr vor, die Angaben des Livius über den
^>
Livius, voo H. J. Müller. 25
Weg Hannibals anzuzweifeln44, wie er in seiner Schulausgabe des
21. Buches des Livius (7. Auflage 1902) getan hatte.
15) M. Kraschecianikov, De Gitaois fipiri oppido. Hermes 37
(1902), S. 489-500.
Bei Polybios 27, 14, 5 bietet der codex Peirescianus, wie
Verf. bei seiner Kollation gesehen hat, deutlich die La. slg Hxava,
wodurch alle Verbesser ungs vorschlage der früheren Herausgeber
hinfällig werden. Dieselbe Namensform stellt er bei Livius 42, 38, 1
her, wo die Herausgeber gleichfalls die mannigfachsten Vermutungen
geäußert haben. Der Vorschlag ist überzeugend, und es zeigt
sich, daß in dem überlieferten adgitanae/eripi nur ein doppelt ge-
schriebenes e auszumerzen ist, welches am Zeilenende leicht durch
Unachtsamkeit entstehen konnte.
Der Verf. setzt zugleich hinter mari ein Komma, wofür ihm
der hier in der Hs. stehende Punkt zu sprechen scheint. Doch
haben die Punkte in der Hs. als Interpunktionszeichen keine Be-
deutung. Es wird also besser das Komma wegbleiben (vgl. 44, 30, 7),
wenn man nicht annehmen will, daß durch die fälschlich wieder-
holte Zahl X (ich denke mir, daß die Vorlage auch X milia oder
X gehabt und der Schreiber die Zahlzeichen durch Zahlwörter
ersetzt bat) nicht bloß (a), sondern (situm a) verdrängt worden ist.
Er erklärt also die Stelle folgendermaßen: Martins et Atilius
ad Gitana, Ejriri oppidum, quod decem milia <a> mari abest, a
mari, seil. Onchesmo, cum escenderent, in hoc (inter Onchesmum
et Gitana) itinere concilio Epirotarum habüo cum magno omnium
adsensu auditi sunt, was mit Ausnahme des kurzen Ausdrucks
decem milia (a) mari im Sinne von 'quod decem milia (a) mari
abest' Beifall verdieut.
Das alte Gitana nimmt der Verf. an der Stelle an, wo heut-
zutage Dhelvinon (Delvino) liegt.
16) Wochenschrift für klassische Philologie 1903 Sp. 964.
An dieser Stelle findet sich folgende interessante Notiz:
Grenfell und Hunt geben den Inhalt des vierten Bandes der
Oxyrbynchus-Papyri, der die Ausbeute der 1903 vorgenommenen
Ausgrabungen enthalten wird, schon jetzt bekannt. Das beste
Stück der Sammlung ist ein lateinischer Papyrus aus dem dritten
Jahrhundert n. Chr., der Teile eines Auszugs von Livius —
Buch 37 — 39 und 49—55 — enthält. Dieser Auszug weicht
von einem andern, uns erhaltenen hinsichtlich der Auswahl der
behandelten Ereignisse beträchtlich ab.
17) R. ß. Steele, The ablative absolute io Livy. Tbe American
Journal of Philology 1902 S. 295—312.
Eine eingehende, sorgfältige Studie über das Vorkommen der
Konstruktion des ablativus absolutus bei Livius, die von einem
bewunderungswürdigen Fleiße zeugt. Er hat 6457 Beispiele ge-
26 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
zählt, wobei die Fälle, in denen sich ein Nomen mit zwei
Partizipien oder zwei Nomina mit einem Partizip verbunden
finden, von ihm nur als ein Beispiel gerechnet und alle Ausdrücke,
die eine andere Erklärung zulassen (als Dativ, als ablativus in-
strumenti oder als ablativus modi), überhaupt nicht mitgezählt
worden sind. Der Verfasser unterzieht sodann die Form dieser
Konstruktion einer näheren Betrachtung und stellt zum Beispiel
fest, von welchen Deponentien Livius die Partizipien im ablativus
absolutus angewandt hat, wie oft das Neutrum eines participium
perf. pass. so vorkommt und wie oft das Subjekt, das aus einem
folgenden Relativsatze zu entnehmen ist, fehlt. Ferner werden
die Fälle hervorgehoben und zahlenmäßig belegt, wo das Subjekt
des Hauptsatzes von Teilen des ablativus absolutus eingeschlossen
ist oder die beiden Hauptteile des ablativus absolutus durch andere
Satzteile voneinander geschieden werden. Steele hat Nepos, Sallust
und Cäsar zur Vergleichung herbeigezogen und für Livius er-
mittelt, daß bei einem Drittel der 6457 absoluten Ablative andere
Satzteile zwischen dem Nomen und dem Verb stehen.
18) F. Dus&oek, De forrais euuntiationum con dicionalium apud
Livium. Ceske* rauseum filologicke IX (1903) S. 88—110 (Schloß
folgt).
Verfasser hat die Aufgabe, die er sich gestellt ('omnes
locos, quibus apud Livium enuntiata condicionalia inveniuntur,
quam diligentissime congeram et disponam atque tempora modos-
que suspensarum enuntiationum accurate traclabo'), mit entsagungs-
vollem Fleiße gelöst und wirklich keinen einzigen Kondizionalsatz
bei Livius unberücksichtigt gelassen. Die Zusammenstellung ist
nach dem Grundschema der sogen, realen, potentialen und irrealen
Bedingungsperioden gemacht worden; das Material liegt, in drei
Kapiteln gesondert, vor. Folgen werden in einem späteren Artikel
noch drei Kapitel, und zwar sagt der Verfasser: 'quarto eapite
eas enuntiationes condicionales tractabo, quarum apodosis de
particula quadam pendet, quinto de iis, quarum apodosis a verbo
quodam sentiendi vel dicendi pendet, sexto de mancis et imper-
fectis disseram'.
Einzelne Stellen werden kurz besprochen, wobei zuweilen
die Auffassung anderer verworfen oder berichtigt wird. Zu 6, 41, 3
bemerkt er: 'sie (nämlich necesse erit) scribenduin puto pro necesse
sit, cum Livius si quidem in oratione reeta semper cum indicativo
iunxerit (cf. 9, 15, 8; 22, 50, 7; 30, 26, 7 ; 34, 17, 7; 40, 14, 6)
et sententia indicativum desideret1. necesse sit steht allerdings
im Text der Hertzschen Ausgabe, die der Verf. benutzt hat; aber
Wßb. hat die von ihm selbst herrührende Verbesserung necesse
erit in den Text aufgenommen.
Um Raum zu sparen, hat der Verf. nur den Anfang und das
Ende der Beispiele verzeichnet. Das ist für den Leser sehr un-
übersichtlich und unbequem.
Livius, von H. J. Müller. 27
19) R. Luckow, Vorlagen zum Übersetzen aus dem Deutschen
ins Lateinische für obere Klassen. Beilage zum Jahresbericht des
Gymnasiums zu Stolp i. Pomm. 1903. 39 S. 8.
Die Grundsätze, nach denen diese Vorlagen ausgearbeitet
worden sind — 1) richtiges und klares Deutsch, 2) möglichste Aus-
nutzung des Gelesenen nach Inhalt und Form, 3) unausgesetzte
Wiederholung der grammatischen Regeln, 4) Einübung der haupt-
sächlichsten Eigentümlichkeiten des lateinischen Stils — , können
nur als richtig und nachahmenswert bezeichnet werden, und die Art
und Weise, wie der Verf. sie befolgt hat, verdient Anerkennung.
Wir haben es mit der Arbeit eines erfahrenen Schulmannes zu
tun, dem sich in langjähriger Praxis der Blick für das Unerläßliche
und im lateinischen Unterricht besonders Wichtige geschärft hat.
Die Schüler, welche diese Stücke mit Sorgfalt und ernstem Denken
durcharbeiten, werden keinen geringen Nutzen davon haben. Sie
sind im ganzen leicht gehalten und eignen sich daher auch zum
Privatstudium.
Enthalten sind in dem Heftchen: 1) 16 Stücke zu Livius1
Buch XXX, 2) 19 Stücke zu Ciceros Cato maior, 3) 13 Stücke
zu Tacitus' Annalen Buch I. Die Liviusslücke beziehen sich auf
die Kapitel 1, 4—7; 11—15; 20, 28—32; 35; 37 des erwähnten
30. Buches.
20) R. Jonas, Übungsbuch zum Übersetzen aus dem Deutschen
ins Lateinische für Untersekunda auf Grund der preußischen
Lehrpläne von 1901. Leipzig 1903, G. Freytag. VI u. 115 S. gr. 8.
geb. 1,60 Jt.
Das Buch enthält: 1) Stücke zur Übung und Wiederholung
in der Grammatik (S. 1 — 16); 2) der Lektüre entnommene Stücke
(S. 16 — 97). Die letzteren schließen sich an die Reden Ciceros
pro Sex. Roscio, de imperio Cn. Pompei, in Catilinam I — IV und
an Livius an. Von den Stücken zu Livius (zu Buch I und II je
26 Stücke, S. 62 — 97) kann man nur sagen, daß sie mit Sach-
kenntnis und Geschick gearbeitet sind. Der sachliche Anschluß
an den lateinischen Text ist hier und da vielleicht etwas zu eng;
manches dürfte für den Schüler nicht so interessant sein, daß es
wiederholt zu werden brauchte.
21) Bild des Livius.
Titus Livius ist von seiner Vaterstadt Padua fast 2000 Jahre
nach seinem Tode durch ein Denkmal geehrt worden. Dieses
Denkmal, das in Garraramarmor ausgeführt ist, setzt sich aus
einer in die Wand eingelassenen Platte und einer Büste zusammen.
Reiche Renaissanceornamente winden sich um die zwei Meter
hohe Platte, während eine Ausbuchtung den Sockel mit der Büste
aufgenommen hat. Bei der Einweihung hielt Professor Laudi die
Festrede; er sprach von der zivilisatorischen Bedeutung des großen
Historikers.
28 Jahresbericht« d. Philolog. Vereins.
22) Adolf M. A. Schmidt, Beiträge zur Livianischen Lexiko
graphie. Vierter Teil. Progr. St. Polten 1903. 22 S. gr. 8.
In dieser vierten lexikographischen Untersuchung des Ver-
fassers1) werden die Präpositionen eis, citra, extra und infra be-
handelt, wobei die Vorgänger und Nachfolger des Livius sowie
parallele sprachliche Erscheinungen Berücksichtigung linden.
1. Cis und citra haben bei Livius nur örtliche Bedeutung und
stehen bei Verben der Ruhe und Bewegung besonders vor Fluß-
und Gebirgsnamen: eis findet sich nur so (mit Ausnahme von
40, 28, 1); citra steht zuweilen auch vor Städtenamen und Appella-
tiven. Livius scheint citra vor Dentalen gemieden zu haben;
daher ist die einzige Ausnahme 38, 48, 1 citra Tauri iuga auf-
fallend, zumal der Schriftsteller vorher wiederholt eis Taurum und
47, 6 citra iuga Tauri gesagt hat. Adverbial steht citra nur
10, 25, 5. Das von demselben Namen gebildete Adverb citro hat
Livius nur in der Verbindung nitro citroque; asyndetisch erscheint
es an einer Stelle (9,45,2), die der Verf. deshalb für ver-
dächtig hält.
2. Extra. Das reiche Material wird nach folgendem Schema
behandelt: A. Adverb, 1. in örtlichem, 2. in übertragenem Sinne.
B. Präposition, 1. örtlich (a. Ortsruhe, b. örtliche Bewegung),
2. übertragen (a. den Ausschluß bezeichnend a. von Personen,
ß. von einer bestimmten Gemeinschaft oder Gruppe; b. bei Be-
griffen, von denen zwar abgesehen wird, die aber tatsächlich mit-
einbegriffen werden). Bemerkenswert ist hier besonders der über-
tragene Gebrauch. Als Adverb erscheint es in der Verbindung
extraquam qui (oder si) „ausgenommen diejenigen welche4' (oder:
„ausgenommen wenn . ."), eine der Gesetzessprache angehörende
Formel, die Livius vermutlich seiner Quelle entnommen hat. Sie
findet sich an drei Stellen, wo gesetzliche oder vertragliche Be-
stimmungen angeführt werden (zu 39, 18,7 liegt als Parallelstelle
das senatus consultum de Bacchanalibus vor: extrad quam sei quid
ibi sacri est). Auch die Präposition extra „außer44 erscheint in
gewissen formelhaften Wendungen, die dem Kurialstil anzugehören
scheinen, sehr häufig in den Verbindungen extra ordinem und
extra sortem; zweimal findet sich extra periculum sum.
3. Infra. Livius gebraucht dieses Wort selten (dafür oft sub)y
und zwar fast ebenso oft als Adverb wie als Präposition. Über-
tragen steht es als Adverb, den Rang bezeichnend: 1, 43, 11; als
Präposition von der Anordnung beim Mahle, wobei zugleich ein
.Rangunterschied angenommen wird : 39, 43, 3 ; vom Altersunter-
schiede und daher den niederen Rang mitbezeichnend: 28,43,5.
Berlin. v H. J. Müller.
*) Vgl. JB. 1889 S. 63; 1890 S. 220; 1893 S. 43.
2.
Horatius.
I. Ausgaben und Kommentare. .
1) Horaee. The Ödes in latin and english. The esglish version by
Philip Francis. London and New York, 1902, Unit Library,
Limited, Leicester Square. 274 S. 8.
Dies Buch ist eine höchst anerkennenswerte Leistung des
englischen Buchhandels. Den lateinischen Text der Oden, der
Epoden und des Säkularliedes, eine gegenübergedruckte englische
Übersetzung und ein Register der Eigennamen, alles haltbar
und hübsch in Ganzleinen gebunden, erhält man für elf Pence
(= 0,92 Jt).
Bei dem Abdrucke des Textes hat der von L. Müller als
Grundlage gedient. Zu diesem Texte stimmt nicht durchweg die
gegenüberstehende Übersetzung; es ist dies die Francissche, die
zuerst im Jahre 1747 erschien. Vorwiegend sind dabei Jamben
mit gepaarten Reimen verwendet; doch finden sich auch andre
Versmaße, gekreuzte und sonstwie verschränkte Reime (ganz ver-
einzelt Reimlosigkeit), so daß eine vergnügliche Mannigfaltigkeit
, entsteht. Übergangen sind in der Übersetzung Epod. 8 und 12,
sowie aus nicht recht ersichtlichem Grunde Epod. 14; offen*
bar durch irgend ein Versehen fehlt die Obersetzung von Od. III
,1, 1 — 4. Als Probe wird vielleicht die Wiedergabe von Od. III 9
interessieren:
While I was pleasing to your arms,
Nor any youth, of happier charms,
Thy snowy bosom blissful prest,
Not Persia's king like me was blest.
While for no other fair you burn'd, . .
Nor Lydia was for Chloe scorn'd,
What maid was then so blest as thine?
Not llia's fame could equal mine.
Now Chloe reigns; her voice and lyre
Melt down the soul to soft desire;
Nor will I fear even death, to save
Her dearer beauties from the grave.
30 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
My heart young Calais inspires,
Whose bosom glows with mutual fires,
For whora I twice would die with joy,
If death would spare the charming boy.
Yet what if Love, whose bands we broke,
Again should tarne us to the yoke;
Should I take off bright Chloe's chain,
And take my Lydia home again?
Though he exceed in beauty far
The rising lustre of a star;
Though light as cork thy fancy strays,
Thy passions wild as angry seas,
When vext with stör ms; yet gladly I
With thee would live, with thee would die.
2) Tullio Tentori, Q. Orazio Flacco. Le opere con introdoziono
metrica e note. Volume primo: odi ed epodi. Müano 1902, Vallardi.
LXXV u. 285 S. 8.
Diese Ausgabe gehört zu der collezione di classici latini,
annotati per le scuole, und muß also aus diesem Gesichtspunkte
beurteilt werden.
Die introduzione enthält 1) eine Biographie und Charakteristik
des Dichters (S. V— XLM11) und eine Metrik (S. IL— LXXI), beides
ziemlich ausfuhrlich. In den Gedichten sind sowohl einige ganz
ausgelassen, Epod. 8 und 12, als auch von anderen Stücke,
nämlich Od. III 6, 25—32, Od. 111 11, 9—12, Epod. 3, 19—22,
Epod. 14, 9—16, Epod. 15, 12—16, Epod. 17, 50—52. Der Text
ist im wesentlichen der von Lucian Muller; auffallig und bei uns
auch in Schulausgaben nicht üblich sind die hier und da hinzu-
gefügten Quantitätsbezeichnungen, z. B. UlixU, ingeni. Jedem Ge-
dichte ist eine Inhaltsangabe und eine Notiz über die Personen,
die Abfassungszeit und dergleichen vorausgeschickt. Für die An-
merkungen sind italienische und deutsche Ausgaben benutzt; ziem-
lich oft werden dabei mehrere Meinungen vorgetragen, ohne daß
eine Entscheidung gegeben würde. Einen eigentlichen Fortschritt
im Verständnis bringt, soviel ich gesehen habe, dieser Kommentar
nicht, und das ist ja auch nicht zu verlangen; dem Schüler aber
mag er gute Dienste leisten.
Wir beben weniges hervor. Od. I 27, 10 f. Opuntiae frater
Megillae; Megilla doveva essere un' etära. Gewiß nicht; wie käme
der Bruder einer solchen Griechin in diese Gesellschaft? Es ist
ein Pseudonym wie Xanthias Phoceus. — Od. II 1. Orazio lo
spinge a riprendere la storia delle guerre civili. Hier ist der
Zweck des Gedichtes gänzlich mißverstanden; vgl. JB. XXV III S. 41
und JB. XXIX S. 48. — Od. II 11, 13 f. Cur tum sub alta vel
platano vel hoc ptnti, iacentes etc. Eine wunderliche Interpunktion.
— Od. II 16, 21 — 24. Diese Verse klammert Tentori, der sonst
Horatins, von H. RS hl. 31
mit Athetesen sparsam ist, mit manchen Herausgebern ein; vgl.
dagegen Friedrich, Philol. Untersuchungen zu Horaz S. 188 ff. —
Od. II 20, 6. Quem vocas. A meno che il testo non sia guasto ....
bisogna interpretare vocas nel senso d'invitare e supporre che il
P. risponda con questo carme ad un invito a cena rivoltogli dall*
amico. Daß dies keine Lösung der noch ungelösten Schwierig-
keit ist, liegt auf der Hand. — Od. III 9, 20. Ianua Lydiae. Lydiae
infatti pu6 essere genetivo, ma forse meglio e considerato dat. di
commodo. Es ist zweifellos Dativ; vgl. u. a. Friedrich a. a. 0.
S. 192 f., Kiefiling-Heinzes Ausgabe, JB. XXVIII S. 35 und meinen
Kommentar. — Od. III 19, 15. Tres supra = ultra tres. Schwer-
lich richüg; vgl. JB. XXIV S. 66, JB. XXVIII S. 32 f. und meinen
Kommentar. — Od. III 24, 18. Anche temperat (col dativo seguente)
indica precisamente che ad essi non nuoce o non cerca di nuocere.
Auch nach meiner Auffassung ist das Verbum so aufzufassen;
leider begegnet in einzelnen Ausgaben eine andere, dem Sprach-
gebrauche und dem Zusammenhange widerstrebende Deutung. —
Epod. 9. Tentori läßt den Horaz nicht bei Aktium anwesend sein;
dieser Ansicht neigt auch Referent zu (vgl. unten die Anzeige der
Abhandlung von Corssen). — Epod. 9, 17. Ad hoc frementes etc.
Tentori, der mancherlei Lesungen und Deutungen anfuhrt, läßt
gerade die seines Landsmannes Ussani fort, ad hunc = ad solem,
die wenigstens mir besser als alle anderen gefällt; vgl. JB. XXVII
S. 50. — Das Verzeichnis der Eigennamen ist zu fluchtig ge-
arbeitet: Brymantus, Idomerieus, Kaünda, Mitylene, Orphfou, Penthius,
Urtica.
3) Pseudaeronis scholia in Horatium vetustiora receosuit Otto
Keller. Vol. I. Scholia AV in carmioa et epodos. Leipzig 1902,
B. G. Teuboer. XIII n. 480 S. 8.
Im Jahre 1894 hatte Holder die Scholien des Porphyrion im
Verlage von Wagner in Innsbruck erscheinen lassen (vgl. JB. XXI
S. 231); als eine Fortsetzung dieses Werkes kann Kellers Acron-
ausgabe, deren erster Band jetzt vorliegt, betrachtet werden, wenn-
gleich Verleger und Format gewechselt haben. Bei dieser neuen
Ausgabe ist nun für die Konstituierung des Textes eine möglichst
sichere Grundlage geschaffen worden durch konsequente Benutzung
eines ausgedehnten handschriftlichen Materials, ganz besonders
der beiden Handschriften A = Parisinus 7900 und V = Vaticanus
Ursinianus 3527 ; so bedeutet diese Ausgabe einen schönen Fort-
schritt gegen die bisher zu benutzenden von Pauly und auch von
Hauthal, die von ihr sicherlich werden abgelöst werden. Daß die
Ausgabe mit der denkbar größten Akribie in bezug auf den text-
kritischen Apparat gearbeitet ist, bedarf bei diesem Verfasser
keiner Versicherung. Nur der Wunsch mag hier noch seine Stelle
finden, daß der nächste Band dieses umfassenden Scholienwerkes
nicht so lange wie dieser zweite auf sich möchte warten lassen.
32 Jahresberichte d. Phiiolog. Vereins.
4) SchülerpräparatioueD zu lateinischeo und griechischen Schriftstellern.
Präparation zu Q. Horatins Flaccus' Oden von H. Ludwig.
1. Heft, Buch I und II, 44 S. 8; 2. Heft, Buch III und IV (und carm.
saec), 31 S. 8. Leipzig 1903, B. G. Teubner.
Vorausgeschickt ist im ersten Hefte ein knapper brauchbarer
Abriß der Metrik der Oden.
Bei der dann folgenden Präparation sind nachstehende Oden
nicht berücksichtigt: I 13, 16, 17, 19, 23, 25, 27, 30, 33, 36, II 4,
5, 8, 11, 12, 19, HI 7, 10, 11, 12, 14, 15, 19, 20, 26, 27, 28,
IV 1, 6, 10, 11, 13. Diese Ausmerzung halte ich für höchst be-
dauerlich; sie kann, meine ich, nicht verfehlen, der Verwendung
des Buches Abbruch zu tun. Gewiß sind darunter nicht wenige
Oden, auf die die allermeisten Lehrer gern verzichten werden,
aber doch auch andere, die mancher ungern mißt; so Referent
namentlich folgende: I 16 O matte pulchra filia pulchrior, I 17
Velox amoenum saepe Lucretilem, 1 27 Natu in usum laetitiae scyphis
und HI 19 Quantum distat ab Inacho (diese beiden wegen der
eigenartigen Form der Darstellung), I 36 Et iure et fidibus mvat,
Hl 11 Mercuri, nam te docilis magistro, Hl 26 Vixi puellis nuper
idoneus (wegen der überraschenden Pointe), IV 6 Dive, quem proles
Niobea magnae (als Proömium zum Säkulargesange). Es wäre
wohl ratsamer gewesen, weniger oder nichts wegzulassen, um den
Lehrer nicht in der Auswahl unangenehm zu beschränken.
Viele von den Oden (doch keineswegs alle) haben Überschriften
prhalten, durch die der Inhalt charakterisiert werden soll. Gegen
solche Überschriften muß ich mich nun grundsätzlich erklären;
sie bringen zu leicht einen fremden Geschmack hinein, nament-
lich wo eine pointierte und interessante Form angestrebt wird.
So lautet zu Od. 1 4 Solvitur acris hiems die Überschrift: „Nun,
da der Lenz ins Land gekommen, Besingt die Liebe und den
Wein"; entspricht denn das dem Inhalte des Horazjschen Gedichtes?
Ähnlich bei Od. I 9 Vides, ut alta stet nive candidum „Was kümmert
mich draußen der Regen, Wenn im Herzen die Sonne scheint44.
Was besagt und nützt eine Überschrift wie „Aber diesmal!11, von
der die wenigsten ahnen mögen, zu welcher Ode sie gehört; sie
steht nämlich über Od. II 13 Ille et nefasto te posuit die.
Dann kommt ein Hinweis auf das Metrum und eine kurze
Angabe über die Abfassüngszeit ; beides kann man vom didakti-
schen Standpunkte aus gutheißen.
Dagegen vermag Referent die demnächst folgenden Dispositio-
nen des Inhalts nicht zu billigen. Dergleichen sollte man den
Schülern nicht fertig in die Hand geben, sondern durch gemein-
same Arbeit in der Klasse finden lassen; sonst ist der geistige
Gewinn dabei gering. Als fernerer Übelstand kommt hinzu, daß
gerade hinsichtlich des Aufbaues Horazischer Oden die Ansichten
überaus oft differieren; ein tüchtiger Lehrer wird da. kaum dem
jSchulbuche zuliebe mit seiner persönlichen Überzeugung zurückr
Horatjos, von H. Röhl. 33
halten, und es kommt dann dahin, daß sich Gedrucktes und Ge-
sprochenes in den Schulerköpfen auf unerquickliche Weise be-
kämpfen.
Wir kommen zu dem Hauptbestandteile dieser Hefte, der
Erklärung des Horaztextes, und freuen uns, gerade bei diesem
wesentlichen Punkte, dem eigentlichen nahrhaften Gerichte, uns
mit dem Herausgeber in größerer Übereinstimmung zu finden als
bei den kleinen Zutaten. Diese Präparation bietet (ähnlich wie
manche der neueren Schulkommentare) in faßlicher Form dem
Schüler, was er zum vorläufigen Verständnisse des Textes nötig hat.
Aber einige Ausstellungen möchte Referent sich auch hier
gestatten.
Die erste trifft nicht den Herausgeber, sondern den Plan
dieser „Schülerpräparationen", demzufolge den Schulern das Auf-
schlagen der Vokabeln erspart werden soll. Ich halte es nicht
für richtig, wenn dem Schüler Vokabeln wie „verro, verri,
3. legen" „quassus von quatere schütteln, schüttern : leck" dar-
geboten werden; es ist ihm nützlicher, dergleichen aus dem Lexikon
sich zu erarbeiten, von dessen Benutzung er überhaupt nicht
entwöhnt werden soll.
Zweitens: in den Zitaten von Parallelstellen ist wohl mit-
unter etwas zu weit gegangen. Z. B. zu Od. IV 4, 41 ille dies,
qui primus alma risit adorea „vgl. Stumme von Portici: hell und
golden strahlt der Morgen".
Drittens: einige Versehen würde man fortwünschen. Es sind
mir bei der Durchsicht besonders folgende aufgefallen. Zu Od. I
12, 56 „Serae chinesische Mongolen", statt Seres. — Zu Od. I
18, 9 und III 25, 9 „ei?oe"", statt evoe. — Zu Od. I 28, 11 „re-
fingere", statt refigere. — Zu Od. 1 28, 19 „densentur gemilderte
Behauptung" ; daß der Indikativ vorliegt, kann doch nicht zweifel-
haft sein. — Zu Od. I 28, 32 „vices superbae debüorum iurum",
statt debiti iuris. — Zu Od. II 15, 9 „laurea, orum das Lorbeer-
gebüsch", statt laurea, ae; schon excludet V. 10 muß den Schüler
auf das Richtige führen. — Zu Od. III 29, 41 avvccQXfjg, statt
avTccQXfjg. — Zu Od. 1 1, 15 und III 23, 5 „Africum den Süd-
wind", statt Südwest oder, wie es zu Od. III 29, 57 heißt, West-
südwest. — Zu Od. I 4, 16 „Epikuräer", statt Epikureer. — Zu
Od. I 4, 18 „auch bei Knabenspielen lost man um das regnum,
s. Ep. I 1, 59 rex eris si rede facies"; gerade diese Worte zeigen
ja, daß bei den Knabenspielen eben nicht gelost wurde, sondern
der Vorrang von der Tüchtigkeit abhing. — Zu Od. I 7, 32
„iterare wieder befahren (französisch doubler un cap)"; die beiden
Ausdrücke sind ganz verschiedenartig. — Zu Od. I 28, 8 „Eros",
Druckfehler für Eos. — Zu Od. III 9, 20 „Lydiae Genit. (nicht
Dat.)". Aber siehe oben zu Nr. 2). — Zu Od. IV 2, 2 „Me,
C. Julius Antonius", statt Julie, Julius Antonius. Vgl. die Ausgabe
von Kießling-Heinze und JB. XXVIH S. 33.
Jahresberichte XXX. 3
34 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
5) Q. Horatii Flacci satirae, für den Schalgebrauch erklärt von
K. 0. Breithaupt. Zweite Auflage. Bibliotheca Gothana. Gotha
1903, F. A. Perthes. IV u. 165 S. 8. 1,80 Jt.
Daß die Breithauptsche durchaus brauchbare Schulausgabe
der Satiren erst nach 16 Jahren es zu einer neuen Auflage ge-
bracht hat, erklärt sich sehr einfach. Von den Satiren können
in den Schulen teils aus Zeitmangel, teils mit Rücksicht auf den
Inhalt nur wenige Stucke gelesen werden; da werden wohl die
meisten Lehrer den Schülern nicht gern die Anschaffung einer
Gesamtausgabe der Satiren zumuten, sondern, falls sie überhaupt
die Benutzung einer kommentierten Ausgabe wünschen, sie lieber
eine der bereits zahlreichen kommentierten Horazausgaben be-
nutzen lassen, die nur eine Auswahl der Satiren und Episteln
enthalten. Für andere als Schulkreise aber ist die Breithauptsche
Ausgabe nicht berechnet.
In der neuen Auflage hat der Herausgeber an manchen Stellen
die Anmerkungen gekürzt, an anderen den Text und die An-
merkungen mit sorgsamer Benutzung anderer, inzwischen er-
schienener Ausgaben und in Anlehnung an sie geändert. Dies
verdient anerkannt zu werden; dagegen ist, was in neuerer Zeit
außerdem für die Satiren geleistet ist, von ihm großenteils un-
benutzt gelassen.
Auf wenige Stellen gehen wir kurz ein. I 6, 17 f. Quid
oportet no8 facere a volgo longe longeque remotos? Schade, daß
die unten anzuzeigende, für mich wenigstens völlig überzeugende
Deutung von Meiser nicht berücksichtigt ist; sie ist allerdings
nicht lange vor Abschluß der Breithauptschen Ausgabe publiziert.
— 16, 25. Die Darlegung von Mommsen im Hermes 1898 war
zu verwerten. — 19, 26 f. Über den Sinn der Frage est tibi maier,
cognati, quis te salvo est opus vermißt man eine Aufklärung; es
ist aber, nachdem mehrere darauf hingewiesen haben, wohl nicht
mehr zweifelhaft, daß der abergläubische Gedanke zu Grunde liegt:
eine so große Vollkommenheit läßt für deine Lebensfähigkeit
fürchten; vgl. Sat. II 7, 3. — I 10, 27. Diese Stelle hat meines
Erachtens Cartault (Revue de philologie XXI 1897 S. 240 ff) gut
erledigt, indem er schreibt: patrisque, latine. — II 2, 29. Breit-
haupt schreibt jetzt: carne tarnen quamvis distal nil hac avis iUa.
Diese Stelle ist ja eine der bösesten; aber so viel, meine ich, muß
man Cartault (fitude sur les satires d'Horace, 1899 S. 111) zu-
geben, daß Horaz nicht sagen konnte, das Fleisch der beiden
Vögel unterscheide sich nicht. — II 5, 90 f. Samuelssons Inter-
pretation dieser Stelle (Upsala 1899, vgl. JB. XXVI S. 66) gehört
zu dem Besten, wodurch neuerdings das Verständnis der Satiren
gefördert ist: ultra 'non' 'etiam' sileas „über die Worte Nein und
Ja hinaus beobachte Stillschweigen". Leider ist dies dem Heraus-
geber entgangen. — II 7, 96 ff. Cum Fulvi Rutubaeque aut
Pacideiani contento poplite miror proelia. Vielleicht hätte sich
^N
Horatius, von H. Röhl. 35
Breithaupt von Wölfle (siehe unten) überzeugen lassen, wenn er
dessen Auffassung schon gekannt hätte.
6) Horace. Satire s and Epistles in latin and english. The english
versioo by Philip Francis. London and New York 1902, Unit
Library, Limited, Leicester Square. 322 S. 8.
Die Anzeige des die Oden enthaltenden Bandes dieser Aus-
gabe war bereits gedruckt (siehe oben n. 1) als auch die Satiren
und Episteln dem Referenten zugingen. Es ist diesem Bande
dasselbe Lob zu spenden; der Preis beträgt in Ganzleinen
1 Schilling.
Der Text basiert auf der Teubnerschen Ausgabe von L. Müller.
Die Obersetzung läßt obscöne Stellen weg, oder sie verkürzt oder
mildert sie wenigstens. Sie verwendet fünffüßige, seltener vier-
füßige Jamben mit gepaarten Reimen. Als Proben mögen dienen:
Sat. I 1,1—3. Maecenas, what' s the cause, that no man lives
Contented with the lot which Reason gives,
Or chance presents; yet all with envy view
The schemes that others variously pursue?
Sat. II 6, 1—3. I often wisht I had a farm,
A decent dwelling snug and warm,
A garden, and a spring as pure
As crystal running by my door,
Besides a little ancient grove,
Where at my leisure I might rove.
II. Übersetzungen.
Eine englische Übersetzung siehe oben bei Nr. 1) und Nr. 6).
7) 0. Hey, Übersetzungen ans lateinischen Dichtern. In den
Blättern für das Gymnasialschalwesen XXXVIII 1902, S. 243.
Horaz ist hier mit einer Ode (III 13) vertreten. Die Über-
setzung ist nicht übel, doch auch nicht das Beste, was es in
diesem Genre bei Horaz schon gibt:
Morgen kriegst du ein Zicklein,
Dem die Stirne von Hörnern kaum
Schwillt und brünstige Lust, männlichen Mut verspricht.
8) T. Del Bino, Sei epodi d'Orazio tradotti. Padova 1903, R. Stab.
P. Prosperini. 15 S. 8.
Folgende sechs Epoden sind hier übersetzt: 1, 6, 7, 13, 15,
16. Die verwendeten Metra sind Nachbildungen der Horazischen.
Bei den ersten drei Epoden ist auch der Reim angewandt, und
zwar reimt sich bei Epqd. 1 und 7 die Hälfte der Zeilen, bei
Epod. 6 alle Zeilen. Die Übersetzung der sechsten Epode ist also
in dieser Hinsicht die kunstvollste, und deshalb entnehmen wir
auch aus ihr eine Probe:
3*
36 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Tu al queto passager latri infuriando,
e vil dinanzi al lupo volgi il pie:
perche, le vane grida in me drizzando,
non sfldi il dente ch' io digrigno a te ?
HI. Abhandlungen.
9) Jos. Ogorek, Qaae ratio intercedat inter Ciceronis Paradoxa
Stoicorum et Horati Stoicismum, qui Satiris Epistulisque
ei us cootioetar. Pars posterior. Im Jahresberichte des zweiten
Obergymnasiums in Lemberg. 1902. S. 3 — 33.
Der früher erschienene erste Teil der Abhandlung ist bereits
im JB. XXVIII S. 64 erwähnt, wo leider der Name des Verfassers
einen Druckfehler enthält. Den Inhalt des vorliegenden zweiten
Teiles gibt der Verfasser selbst folgendermaßen an (S. 5): Primum
nobis demonstrandum erit re vera doctrinam Stoicam a poeta in
Satiris atque Epistulis propositam inveniri, deinde ostendend um,
quo animo quove sensu ac ratione Stoicismus ille in Sermonibus eius
tractetur; quod si confecerimus, nostrum erit denique comparatio-
nem quandam inter Ciceronis Paradoxa Stoicorum et Horatii
Stoicismum instituere, ut appareat, utrum nexus aliquis aliquave
ratio inter hunc et illa obtineatur necne.
10) Georg Götz, G. Maecenas. Rede, gehalten zur Feier der akademi-
schen Preisverteilung. Jena 1902, Universitats buchdruckerei G. Neuen -
haho. 26 S. 4. 1,60 JC.
Es ist in der Hauptsache eine Rettung des Mäcenas gegen-
über dem ungunstigen Urteile, das Wieland und Beule über ihn
gefallt haben. Auf Horaz beziehen sich namentlich die Seiten 17 ff.
und 22 ff., wo die Frage erörtert wird, inwiefern Horaz durch
die Beziehungen zu Mäcenas und Augustus von seiner ursprung-
lichen dichterischen Richtung abgedrängt sei.
11) Eduard Groß, Beiträge zur Erklärung alter Schriftsteller
voruehmlich durch Hinweise auf die deutsche Literatur. X. Zu
Horatius, S. 53 — 66. Beilage zum Jahresberichte des K. Neuen Gym-
nasiums in Nürnberg. 1902. 8.
Mehr als die Parallelstellen, die Groß zu Horazischen Ge-
danken aus anderer Literatur beibringt, interessieren uns die
Interpretationen einzelner Stellen. Od. I 15, 3. Zu ingrato sei
nicht nur hinzuzudenken: für die Winde, sondern auch: für Paris.
Aber wenn Horaz eine solche Doppelbeziehung gemeint hätte, so
hätte er das meines Erachtens ausdrucken müssen. Ist nun nur
eine Ergänzung zulässig, so kann wohl schon wegen des Gegen-
satzes zu celeres nicht zweifelhaft sein, daß Porphyrion und mit
ihm die meisten Erklärer mit Recht an den Unwillen der Winde
denken. — Od. II 7, 19. Daß laurus auch zugleich symbolisch zu
verstehen sei, hat Groß mit anderen richtig erkannt. — Epist. I
Horatius, von B. RSkl. 37
20, 24. „Solibus aptus = mit einem Mondschein versehen, wie
man nach deutschem Sprachgebrauche sagen muß". Diese Deutung
schwebt in der Luft, solange kein Beleg dafür gegeben wird,
daß man soles von der Glatze gesagt habe.
12) Saverio ßentivegoa, Tre leziooi della poetica Oraxiana.
Sciacca 1902, Tip. Editrice Bartolomeo Goadagoa. 15 S. 8.
Epist. II 3, 352 f. Der Verfasser nimmt hier an dem Gedanken
Anstoß. Auffallig sei, daß derselbe Horaz, der an andern Stellen
gegen Nachlässigkeit der Dichter stark eifere, sich hier dem über-
lieferten Texte zufolge gegen diesen Fehler (ineuria) so nachsichtig
zeige; und wolle man dem Worte ineuria einen abgeschwächten
Sinn beilegen, so würden die beiden Sätze quas ineuria fudit und
quas humana partim cavit natura inhaltlich einander so ähnlich,
daß die Disjunktion durch aut . . . aut nicht angemessen sei. Er
empfiehlt daher eine alte, aber anscheinend außerhalb Italiens
wenig beachtetete Konjektur von demente Sibiliato: quas haud
ineuria fudit, ast humana parum cavit natura. Dem Referenten
erscheinen die Bedenken gegen die Überlieferung nicht stichhaltig.
Warum soll nicht derselbe Mann Sorgfalt dringend fordern und
doch auch eine Nachlässigkeit neben großen Vorzügen verzeihen?
Beides ist Pflicht des Lehrers. Und das aut . . . aut darf man
nicht zu sehr pressen. Gegen die Konjektur Sibiliatos aber spricht
erstens der Umstand, daß dabei an zwei Stellen zugleich geändert
ist, zweitens auch der Sinn. Liest man die ganze Passage un-
befangen mit der Doppeländerung, so wird man betroffen stutzen
und sich fragen, was denn zwischen den maeulae, quas ineuria
fudit, und den maculae, quas humana parum cavit natura, für ein
so erheblicher Unterschied sei, daß die ersteren dadurch unver-
zeihlich, die letzteren verzeihlich würden. — Epist. II 3, 441.
Tornatos verteidigt Bentivegna auf folgende Weise : Orazio adopera
le due metafore del tornio e delF ineudine con significato diverso,
dando all' ineudine l'ufficio di sgossare e preparare, per dir cosi,
la materia prima, e al tornio, quello di compiere il lavoro. Dies
könnte man, meine ich, ganz wohl akzeptieren; der Vers erhielte
dann den Sinn : „und Verse, bei denen die feinere Überarbeitung
mißglückt ist (und von dir nicht verbessert werden kann) einer
tiefgehenden Umgestaltung zu unterwerfen". Aber die ganze SteHe
V. 438 ff. ist durch diese Interpretation noch nicht verständlich
geworden, da V. 441 sich mit dem vorhergehenden delere nicht
verträgt; denn von vernichteten Versen bleibt kein weiter ver-
wendbares Material übrig, das zuerst durch das gröbere, dann
durch das feinere Werkzeug bearbeitet werden könnte. Vergleiche
über diese Stelle JB. XXVI S. 42 f., wo die Vertauschung von
V. 441 mit V. 442 empfohlen ist:
melius le passe negares
Bis terque expertum frustra: deUre iubebat.
38 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Si defendere delirium quam vettere malles
Et male tornatos incudi reddere versus,
Nullum ultra verbum aut operam insumebat inanem.
— Epist. II 3, 463 f. Opino che le parole dicam, Siculique poetae
Narrabo interitum siano State interpolate da qualche grammatico.
Irgend welche einleuchtenden Gründe für die Streichung vermag
ich nicht anzuerkennen; im Gegenteil durfte das dabei mitweg-
fallende dicam kaum entbehrlich sein.
13) 0. Seeck, Horaz an Pollio. In den Wiener Stadien XXIV 1902,
S. 499—510.
Der Verfasser behandelt die Ode U 1 und gibt mehreren
Stellen eine neue Deutung. Vers 5, arma nondum expiatis uncta
cruoribus, gehe auf das Blut des Crassus und seines Heeres. V. 6,
die Worte periculosae plenum opus aleae seien eine „Anspielung
auf das rhetorische Prachtstuck, mit dem der Anfangsteil des Ge-
schichtswerkes abschloß, das Redeturnier am Rubiko und seinen
kräftigen Schlußeffekt, das ävsQQlcp&co xvßog"; sie bedeuteten:
„ein Werk, dessen Inhalt gefährliches Würfelspiel ist". V. 7. 8
incedis per ignes suppositos cineri doloso „du schilderst eine Zeit,
in der die Feindschaft unter dem trügerischen Scheine der wieder-
hergestellten Freundschaft fortglimmt, um bald in wilden Flammen
hervorzubrechen". V. 21. Audire tarn videor bedeute: „Diesen
Teil deines Geschichtswerkes habe ich noch nicht gehört, hoffe
es aber künftig zu tun"; der Zusammenhang von V. 17 — 24 stelle
sich also so heraus: „Schon jetzt hast du bei deiner Schilderung
von Crassus' Niederlage gezeigt, daß du wildes Schlachtgetümmel
darzustellen weißt; aber dort handelte es sich nur um einen
kleinen Feldherrn. Erst künftig erhoffen wir das Redeutendere
von dir, den Kampf der wirklich großen Feldherren, die Unter-
werfung des Erdkreises und den Tod Catos". V. 28 Iugurthae;
in der Erwähnung dieses verhältnismäßig unbedeutenden Fürsten,
wo man die Nennung der Dido oder Hannibals erwarten könnte,
müsse man eine absichtliche Anspielung auf Sallust erblicken.
Die Ode sei dem Jahre 30 zuzuweisen.
Mit einigen Redenken gegen diese zum Teil überraschenden
Aufstellungen möchte ich nicht zurückhalten. Erstens. Gegen die
übliche, auch bei Kießling vorliegende Interpretation von V. 5,
welche die durch das Rlut von Mitbürgern befleckten Waffen durch
das Rlut auswärtiger Feinde entsühnt und gereinigt werden läßt
und sich auf Od. I 35, 38 o utinam nova incude difftngas retusum
in Massagetas Arabasque ferrum beruft, wendet Seeck ein: „wenn
das im Rürgerkriege stumpf gewordene Schwert gegen Parther
und Araber neu geschärft wird, so ist das wohl eine bessere An-
wendung desselben, aber keine Entsühnung". Doch wohl auch
Entsühnung; so sagt Tacitus (Ann. I 49) nach Schilderung einer
unter römischen Soldaten stattgehabten Metzelei: Truces etiam tum
Horatius, von H. Röhl. 39
animos cupido involat eundi in hostem, piaculum furoris; nee
alüer posse placari commilitonum manes, quam si pectoribus impiis
honesta vulnera aeeepissent. Zweitens. Bei Seecks Auffassung (vgl.
noch S. 507: „Aus der Geschichtserzählung selbst werden dann
in streng chronologischer Reihenfolge nicht mehr als drei Punkte
hervorgehoben ... 1) gravesque prineipum amicitias . . ., 2) et
arma nondum expiatis uneta cruoribus . . . , 3) periculosae plenum
opus aleae traetas") müßte man erwarten, daß die Worte periculosae
plenum opus aleae als neues Glied der Aufzählung an die vorher-
gehenden angeknöpft wären und nicht als Apposition erschienen.
Drittens. Für unzulässig hält es Referent, in den parallelen
Ausdrucken iam nunc . . . iam einen temporalen Gegensatz zu
statuieren.
14) M. S. Slaughter, Notes od the eollation of Parisinos 7900 A.
Io: American Journal of philology XXII 1902, S. 84—86.
Slaughter hat die genannte Handschrift neuerdings durch-
geprüft und gibt einige Abweichungen von der bei Keller be-
nutzten Kollation. Es ist dies ein dankenswerter Beitrag zur
Vervollständigung des kritischen Apparates, wenn auch der Horaz-
text davon keinen unmittelbaren Nutzen hat.
15) G. L Hendrickson, The literary form of Horace Serm. I 6
In: American Journal of philology XXIII 1902, S. 388—389.
Der Verfasser untersucht, inwiefern sich in der obengenannten
Horazischen Satire diejenigen to'tto* der enkomiastischen Biographie
vorfinden, welche die Theoretiker für diese Gattung literarischer
Produkte aufgestellt haben.
16) Mortimer Lamson Earle, Ad Horatii serm. 1 1, 15 sqq. In:
Mnemosyne XXX 1902, S. 347.
In Vers 19 will der Verfasser at quis für das überlieferte
atqui einsetzen, das ihm als nimis abruptum erscheint; also: at,
quis (= quibus) licet esse beatis, quid causae est merito quin Ulis
Juppiter ambas iratus buccas inflet. Eine Verteidigung der hand-
schriftlichen Lesung halte ich für unnötig; nur darauf sei hin-
gewiesen, daß der durch die Konjektur hervorgebrachte Gedanke
keineswegs korrekt ist. Denn Juppiter zürnt, nicht weil jene
Leute die Möglichkeit haben glücklich zu sein, sondern weil sie
diese Möglichkeit törichterweise nicht benutzen.
17) A. Cartaolt, L'inexprime dans les Satires d'Horace. In:
Revue de philologie XXVI 1902, S. 12—30.
Von demselben Verfasser haben wir bereits früher eine sehr
ausführliche, überaus sorgfältige Untersuchung über die Technik
der Horazischen Satiren anzuzeigen gehabt (JB. XXVII S. 84 ff.) ;
hier ein kleiner, aber gleichfalls hübscher und wertvoller Nach-
trag. Die Abhandlung zerfällt in drei Kapitel: 1) Auslassung
40 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
logischer Beziehungen, die durch unus, vel, ipse, usque und der-
gleichen ausgedruckt werden könnten; 2) Gebrauch des bloßen
Substantivs, Adjektivs oder Partizips statt eines Satzes, meist
statt eines Nebensatzes; 3) Verwendung des einfachen Verbs
statt des Kompositums. Am Schlüsse dieses dritten Teiles be-
merkt Cartault: En resume la frequence dans les Satires du verbe
simple, lä oü on attendait le compose, parait provenir surtout
de ce quf Horace se sert de la langue de la conversation, qui a
ses racines dans le passe et qui du reste aime ä sous-entendre
les rapports secondaires pour n'exprimer que ce qui est indis-
pensable. Ganz gewiß, und diese Bemerkung trifft auch noch
manche andere Kurze des Ausdrucks in den Satiren und
Episteln.
18) A. Cartault, Horace, Satire II 3, 274. Iu: Revue de pbilologie
XXVI 1902, S. 30—31.
Der Kern von Cartaults Auffassung des Horazischen Verses
quid, cum balba feris annoso verbapalato liegt in folgenden Sätzen:
Horace veut dire que, pour rendre son langage plus caressant,
le vieil amoureux estropie les mots en faisant predominer la pro-
nonciation palatale, lä oü eile n'a que faire. II est hors de doute
qu'il fait allusion ä une prononciation ridicule et vicieuse, qui,
de son temps, avait cours parmi les galants et qui produisait un
effet deplorable, surtout chez les vieillards. In den Horazischen
Zusammenhang paßt diese Deutung recht gut hinein; nur wäre,
zu völliger Überzeugung, für die vorausgesetzte sprachliche Un-
art eine anderweitige Bestätigung willkommen.
19) J. Sargeaunt, Od Horace, Ödes III and IV. In: Classical review
XVI 1902, S. 121.
Od. III 4, 52. Sargeaunt will, da die Strophe V. 49—52
die Wirkung des Gemäldes der Herrscherruhe verderbe, hinter
Olympo den Punkt tilgen, intulerat für intulisset und den Haupt-
satz V. 53 — 58 als Vertreter eines irrealen Bedingungssatzes auf-
fassen. Ich möchte nicht zustimmen. Die von Sargeaunt an-
genommene Konstruktion (Indikativ im irrealen hypothetischen
Hauptsatze, während für den Bedingungssatz eine rhetorische
Frage eintritt) ist doch mindestens ungewöhnlich. Auch ist der
erzielte Gedanke nicht sehr anmutend: die Titanen hätten dem
Juppiter Schrecken eingeflößt, wenn sie nicht den Göttern gegen-
über ohnmächtig gewesen wären. Dagegen ist der Einwand gegen
die übliche Auffassung wohl hinfallig. Im Sinne der alten Mytho-
logie tut es der Würde des Gottes keinen Abbruch, daß er einen
Schreck bekommt. Und wenn Gefahr nicht einmal befürchtet
würde, so verlöre doch die ganze Titanomachie ihre Bedeutung.
Und endlich mag zu der Strophe V. 49—52 Horaz durch die vor-
schwebende Vergleichung mit August us veranlaßt sein, der sich
~N
Horatius, von H. Röhl. 41
seiner Besorgnisse vor Antonius gleichfalls nicht zu schämen
brauchte, wenn selbst der oberste Gott vor seinen Feinden einst
einen Schreck bekommen hatte.
Od. IV 11, 3. Das von den Dichtern jener Zeit viel er-
wähnte apium sei nicht die Petersilie, sondern der wilde Sellerie ;
dessen Verwendbarkeit zu Kränzen sei durch einen Fund bei
einer Mumie erwiesen. Letztere Auffassung ist meines Wissens
die allgemein übliche; immerhin mag man sich über eine hand-
greifliche Bestätigung freuen.
20) Eroest Ensor, On Horace, Ödes II 17 and I 20. Iu: Classical
review XVI 1902, S. 209 ff.
Od. II 17. Ensor meint, Horazens Behauptung V. 21 ff.
utrumque nostrum incredibili modo consentü astrutn finde durch
das, was Horaz demnächst sagt, keine hinreichende Begründung;
all men's careers are alike if escapes from death prove likeness.
Man müsse noch annehmen, daß die beiden Rettungen (Horazens
Rettung vom Baumsturz und das Wiedererscheinen des genesenen
Mäcenas im Theater) an demselben Monatstage, wenn auch ver-
schiedener Jahre, also am 1. März, stattgefunden haben. Aber
wenn dies der Fall war, wie hätte Horaz gerade diese
schlagendste Begründung unerwähnt lassen können?
Od. I 20. Diese Ode beziehe sich auf einen ersten März,
den zwiefachen Erinnerungstag für Mäcenas und für Horaz. Das
vile Sabinum, Od. I 20, 1, sei dieselbe Weinsorte, die in Od. III
8, 10 ff. gemeint werde. Der Sinn von Od. I 20, 10 ff. sei:
after that you shall have Caecuban and Calenan; I don't keep
Falernian or Formian. In den letzten Zeilen sei pocula als
Nominativ zu fassen, und es sei mit zwei Änderungen zu lesen:
mea nee Falerni
temperant vites neque Formiani
pocula collis.
Ich begnüge mich, dies alles zu notieren.
21) £. S. Thompson, Notes on Horace, Ödes, Book I. In: Classical
review XVI 1902, S. 282 f.
Od. I 9, 6. Thompson faßt reponem im Sinne von „nach-
legend", replacing the burnt out logs by new ones, making up
the fire, und vergleicht ansprechend PI. Most. 110 dominus indi-
ligens reddere alias nevolt. — Od. I 20, 10. Der Verfasser schlägt
vor, als Frage zu lesen: tu bibas uvam? und beruft sich auf
Sat. II 6, 30 tu puhes omne quod obstat? Indes hat ja in dieser
Satire die konjunktivische Frage einen Sinn, der in den Zu-
sammenhang der Ode nicht passen würde. Über diese Stelle
wird noch unten in der Anzeige der Abhandlung von Leo zu
sprechen sein. — Od. I 37, 4. Zu erat hatte Page auf Martial
IV 33 verwiesen ; Thompson fügt jetzt noch Livius VI11 5, 3 hin-
42 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
zu; der Sinn sei stets, daß es nun zu spät sei. Auch ich bin
dieser Ansicht und meine, durch die Verschiedenheit des Tempus
bei Horaz (V. 1 est, V. 4 erat) wird ausgedruckt, daß die Auf-
forderung zum Trinken und Tanzen wirklich befolgt werden soll,
daß aber für die Veranstaltung eines allgemeinen religiösen Dank-
festes, auf die der Redende keinen Einfluß hat, die zuständige
Behörde den rechten Augenblick hat vorübergehen lassen.
22) Samuel Allen, On Horace, Epode 15, 1—10. In: Classical
review XVI 1902, S. 305 f.
Epod. 15, 7. Allen hält die Stelle für korrupt und ver-
mutet pecoralibus (cattle-pens, Viehhürden) für pecori lupus. Leider
findet sich das Adjektiv pecoralis „zum Vieh gehörig" nur ein-
mal bei Festus, ein Substantiv pecorale nirgends (nur will Allen
bei Verg. Aen. IX 339 per ovilia ändern in pecoralia). Unter
diesen Umständen ist die Konjektur natürlich abzulehnen. Eine
billigenswerte Interpretation der Stelle hatte kürzlich Housman
gegeben; vgl. JB. XXIX S. 45.
23) Mortimer Lamson Earle, On the first ode of Horace. In:
Classical review XVI 1902, S. 398—401.
Earle setzt mit L. Müller hinter V. 5 nobilis ein Semikolon,
hinter V. 6 deos keine Interpunktion ; er faßt terrarum dominos
in der Bedeutung „die Römer" als Objekt, das dann durch hune
und illum geteilt werde; in V. 29 verlangt er mit Hare und
anderen te für me. Über den Bau des Gedichtes spricht er sich
folgendermaßen aus: There is throughout the ode a regulär series
of contrasts — nation contrasted with nation (Greeks x Romans),
class of men contrasted with class of men (agricola x mercator,
desidiosus x strenuus — the strenui being represented by two
classes: (a) milites, (b) venatores), individuals contrasted (Maecenas
x Horace). Die Verse 3 — 10 sehen dann so aus:
sunt quos curriculo pulverem Olympicum
collegisse iuvat metaque fervidis
evitata rotis palmaque nobilis;
terrarum dominos evehit ad deos
hunc si mobilium turba Quiritium
certat tergeminis tollere honoribus,
illum si proprio condidit horreo
quidquid de Libycis verritur areis.
Earles ganze Darstellung klingt — das läßt sich nicht
leugnen — recht verlockend; doch sind wenigstens dem Refe-
renten noch nicht alle Bedenken geschwunden. Hier zwei der
sich darbietenden Einwände, die ich gern widerlegt sähe. 1) Bei
der üblichen Auffassung werden die Sieger in Wettkämpfen den
Göttern gleichgestellt; das ist ein dem Horaz wie andern ge-
läufiger Gedanke. Aber kann jemand wegen des Besitzes voller
^
Horatins, von H. Röhl. 43
Scheunen sich oder anderen göttergleich vorkommen? 2) Ist die
Annahme der Konstruktion me ad deos evehit si überhaupt bei
Horaz zulässig? — Aber auch wer Earles Interpunktion bei
Vers 5 und 6 nicht billigt, könnte doch der Konjektur te V. 29
zustimmen, für die in der Tat F. A. Wolf in der von Earle
zitierten, meist nicht mehr gekannten Gommentatio ad Hör.
Carm. I 1,29 recht gewichtige Gründe vorgebracht hat. Diese
Konjektur verdient wirklich, wieder ernstlich erwogen zu
werden.
24) C. Weyman, Bemerkungen zu deo lyrischen Gedichten des
Horaz. In den Blättern für das Gymnasialschulwesen XXXVIII 1902,
S. 225—241 u. 337—354.
Schon beim Erscheinen der Kellerschen Odenausgabe hat
Weyman aus seinen eigenen Sammlungen eine Fülle von Nach-
trägen zu den loci similes geliefert (vgl. JB. XXVIII S. 54); hier
gibt er anläßlich der Ausgabe von L. Müller eine ähnliche Zu-
sammenstellung von Parallelstellen und anderen Bemerkungen.
Wir greifen einiges wenige heraus.
Od. I 1, 19. Mit Unrecht nehme Kießling an, daß mit est
qui etwas selten zu Findendes bezeichnet werde; Weyman zeigt,
daß nur das Streben nach Abwechselung diesen Ausdruck ver-
anlaßt hat. — Od. I 13, 8. Belege für lenti ignes = langsam
verzehrendes Feuer. — Od. I 15, 21 f. exitium tuae genti; vgl.
Plaut. Bacch. 1054 fore me exitium Pergamo. — Od. I 35, 26
cadis cum faece siccatis; vgl Sen. epist. 58, 32 Me ultra modum
deditus vino est qui amphoram exsiccat et faecem quoque exsorbet.
— Od. II 1, 6 pericidosae plenum opus aleae; vgl. Tac. bist. I 2
opus aggredior opimum casibus (dies sei nur äußerlich ähnlich)
und Pomp. Mela I pr. 1 orbis situm dicere aggredior, impeditum
opus et facundiae minime capax. — Od. II 6, 6 f. sit meae sedes
utinam senectae, sit modus; vgl. Val. Flacc. IV 475 f. nostrae tan-
dem iam parte senectae, sit modus (= finis). — Od. II 8, 3 f.
deute si nigro fieres vel uno turpior ungut; vgl. Ov. ars am. III
276 ff. scaber unguis . . . niger dem. Weyman zitiert (nach
Zingerle) diese Stelle gegen die Annahme der Konstruktion and
xoivov bei Horaz. Sie spricht außerdem, meine ich, für die von
L. Müller empfohlene, von mir in den Text aufgenommene Kon-
jektur Horkels: unco. — Od. III 8, 26. Weyman belegt den Ge-
brauch von parco mit dem Infinitiv. — Od. IV 3, 21 totum
muneris hoc tui est; vgl. Tac. ann. XIV 55 id primum tui muneris
habeo.
25) Karl Meiser, Eine mißverstandene Horazstelle, Sat. I 6, 18.
In den Blättern für das Gymnasialschulwesen XXXVIII 1902,
S. 355—357.
Verführt durch viele Horazstellen , in denen der Dichter
seinen geistigen Abstand vom Volke hervorhebt, hat man bisher
44 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
allgemein meines Wissens diesen Gedanken auch in den Worten
quid oportet nos facere a volgo longe longeque remotos finden zu
sollen geglaubt. Meiser dagegen läßt das a nicht die Trennung,
sondern die Urheberschaft bezeichnen und übersetzt: Was sollen
da wir (Nichtadelige) tun, die das Volk so weit, so weit zurück-
gesetzt hat? Wohl jeder, der die Stelle im Zusammenhange liest,
wird sich von der zweifellosen Richtigkeit dieser Auffassung mit
dem Referenten überzeugen, den die Überschrift der kleinen
Abhandlung mit Mißtrauen und nachher der Inhalt mit um so
größerer Freude erfüllte. Wir beglückwünschen den Verfasser
zu seinem Funde, der wertvoller ist als manche neue Ausgabe.
26) E. Stemplinger, Studien über das Fortleben des Horaz. In
den Blättern für das Gymnasialschulwesen XXXVIII 1902, S. 357—
365 u. 497—515.
Der erste Teil dieser Schrift ist im wesentlichen eine>
Materialsammlung und Zusammenstellung der bisherigen Literatur
über diesen Gegenstand, und zwar so disponiert: Einfluß auf
die Literatur verschiedener Völker; musikalische Kompositionen;
Illustrationen ; Parodien.
Der zweite Teil behandelt einige Einzelthemen ausführlicher,
nämlich a) historische Zitate aus Horazischen Oden, also Wahl-
sprüche, sowie Anführungen des Horaz durch hervorragende
Männer bei wichtigen Ereignissen; b) die Ode III 30 in ihren
Nachwirkungen; c) desgleichen die Ode 1 3.
Der Verfasser verfügt über eine ganz erstaunliche Masse von
Material (nicht erwähnt finde ich das Buch von Imelmann Donec
gratus eram tibi, Berlin 1899; vgl. JB. XXVI S. 52); überraschend,
ja überwältigend wirkt auf den Leser die unmittelbare An-
schauung der langen, weitverbreiteten, starken Einwirkung, die
Horaz auf das Geistesleben der Völker ausgeübt hat.
27) WölfJe, Neuer Erklärungsversuch von Hör. Sat. II 7, 97. In
den Blättern für das Gyninasialseholwesen XXXVIII 1902, S. 515.
Horaz sagt:
cum Fulvi Rutubaeque
Aut Pacideiani contento poplite tniror
Proelia rubrica picta aut carbone, velut si
Re vera pugnent, feriant vitentque moventes
Arma viri.
Das vielbesprochene contento poplite erklärt Wölfle so : Davus
spannt unbewußt sein Knie, weil er gewissermaßen einem Natur-
gesetz folgend die Stellung der Gladiatoren auf dem Plakate
nachahmt. Die bisherigen Auffassungen waren allerdings sämtlich
nicht frei von Bedenken; diese neueste läßt sich hören.
^
Horatius, vod H. Röhl. 45
28) F. Leo, Coniectanea. Im Hermes XXXVIII 1903, S. 306 f.
Zu der Stelle Od. I 20, 10, die auch ich für verdorben er-
achte, sind schon viele Besserungsvorschläge vorgebracht. Leo
zählt, abgesehen von tum bibes, folgende auf: 1) tu bibas (ver-
gleiche auch oben Thompson), 2) tu liques, 3) tu vides, 4) tu
moves; ich fuge noch hinzu: 5) ut bibas, 6) tu iubes, 7) nan
bibes, 8) tu wies. Dazu kommt nun Leos neue Vermutung:
9) tu dares. Von diesen können als möglich erscheinen Nr. 2. 6.
7 (vgl. JB. XXIX S. 53) und Nr. 9; und unter den vier wiederum
dürften für die wahrscheinlichsten zu halten sein non bibe$ (Fried-
rich vergleicht Epist. I 5, 4 vina bibes Herum Tauro diffusa) und
tu dares (Leo verweist auf Sat. II 6, 85 acinum semesaque lardi
frusta dedit und andere Stellenj. Ja Referent will nicht leugnen,
daß ihm tu dares wegen des verbindlichen Gedankens am besten
gefallt, möchte aber nach Lage der Sache nicht behaupten, daß
ausschließlich dies und nichts anderes der Komische Wortlaut
gewesen sein müsse.
29) Sehleusner, Die Reisen des Kaisers Augustus in Geschichte
and Dichtung. (Zar Hortzlektüre.) Beilage znm Programm des
Gymnasiums in Barmen. 1903. US. 4.
In manchen Ausgaben (so bei Keller- Häußner, Krüger,
L. Müller, Petschenig, Röhl, Schimmelpfeng) finden die Schüler
im Namenregister s. v. Augustus diejenigen Tatsachen aus dem
Leben des Kaisers zusammengestellt, deren Kenntnis zum Ver-
ständnis des Horaz erforderlich ist. Aber das sind naturgemäß
nur kurze Notizen, und es ist deshalb nützlich und dankenswert,
daß der Verfasser eine bestimmte Gruppe solcher Tatsachen,
nämlich die Reisen des Kaisers, in ausführlicherer und auch für
Schüler verständlicher Weise behandelt hat. Neue wissenschaft-
liche Resultate zu gewinnen hat dabei nicht in der Absicht ge-
legen; der Zweck war lediglich eine Förderung des Horazver-
ständnisses auf der Schule.
30) Richard Thiele, Philologische und archäologische Studien;
darin S. 16 — 20: Horaz und der Pergame nische Gigantenfries.
Vortrag, gehalten in der ordentlichen Sitzung der Königlichen Aka-
demie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfnrt, den 11. Februar 1903.
Sonderabdruck aus den Jahrbüchern der Akademie, Neue Folge,
Heft XXIX. Erfnrt 1903, Carl Villaret.
Daß sich in Horazens Gedichten Reminiszenzen an den von
ihm vermutlich betrachteten Pergamenischeu Altar zu finden
scheinen, darauf ist schon wiederholt hingewiesen worden. Erstens
(von Thiele nicht erwähnt) zu Od. II 19, 23 f. ; vgl. Stier, Fest-
schrift zur Begrüßung der 37. Philologenversammlung S. 23 l;
Trendelenburg, Archäol. Anzeiger 1898 S. 127 f. ; JB. XXV S. 60 f.
Zweitens zu Od. III 4; vgl. Stier a. a. O., Trendelenburg a. a. O.,
JB. XXV S. 61. Solcher Beziehungen meint nun Thiele noch zwei
46 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
nachweisen zu können. Zunächst: die Schilderung der Misch-
gestalt zu Anfang von Epist. II 3 gehe zurück auf die Gestalt
Tritons an der Westseite des Altars. Bei mancherlei Überein-
stimmung scheinen mir doch auch die Differenzen nicht uner-
heblich: Horaz spricht von einem Maler und nicht von einem
Bildhauer; variae plumae sind etwas anderes als „flossenähnliche
Flügel"; Horaz redet von einer mulier, während Triton männlich
ist (von Thiele erwähnt); und sollte endlich der Dichter von dem
Altar, den er doch wird bewundert haben, ein Beispiel für einen
Verstoß gegen den gesunden Geschmack (spectatum admissi risum
teneatis, amici?) entnommen haben? Ferner liege auch der
Schilderung vom Kampfe des Adlers mit den Schlangen in
Od. IV 4, 11 f. eine Erinnerung an den Pergamenischen Altar zu
Grunde. Indessen ist ja seit Homers Zeiten (vgl. M 200 ff.) die
Feindschaft zwischen Adler und Schlange ein beliebter Gegen-
stand dichterischer Darstellung gewesen. So vermag Referent
weder für Epist. II 3, 1 ff. noch für Od. IV 4, 11 ff. den Wahr-
scheinlichkeitsbeweis als erbracht zu erachten, daß Horaz bei Ab-
fassung dieser Stellen sich an das kleinasiatische Bildwerk erinnert
habe; ich meine, die vorliegende Ähnlichkeit zwingt nicht zur
Annahme direkter Deszendenz, sondern mag auf ganz weitläufiger
Verwandtschaft beruhen.
31) H. Heinze, Aufgaben aas den Gedichten des Horaz. Zwanzig-
stes Bändchen der Sammlung: H. Heinze and W. Schröder, Aufgaben
aas klassischen Dramen, Epen und Romanen. Leipzig 1903, Wilhelm
Engelmann. VIII u. 80 S. 8. 1 Ji.
Das Buchelchen enthält 51 Dispositionen und noch
347 Themata zu Aufsätzen über Horaz und mag hier erwähnt
werden, weil es geeignet ist, dem Schüler das Eindringen in
Horazens Gedankenwelt zu erleichtern; eine weitere Besprechung
liegt nicht im Rahmen dieses Jahresberichtes.
32) Petras Corsseo, Horatiana. Specimen primam, qaod adicitar ad
programma gymnasii ßismarckiani Wilmersdorfieosis. Berlin 1903.
26 S. 8.
In der Frage, ob die neunte Epode in Rom oder in Aktium
gedichtet sei, scheiden sich bekanntlich die Horazforscher in zwei
Heerlager. Der Verfasser der obengenannten Abhandlung vertritt
die Ansicht, das Gedicht sei in Aktium und zwar vor der Schlacht
entstanden, und wir wollen ihm gern die Gerechtigkeit widerfahren
lassen, anzuerkennen, daß er für seine These an Gründen vor-
bringt, was sich eben vorbringen läßt; wenn trotzdem durch diese
Monographie der Streit schwerlich beendet sein wird, so liegt das
in der Natur der Sache. Denn setzt man die Abfassung des Ge-
dichtes nach Rom, so ist zwar der Hauptinhalt desselben völlig
erklärlich: Horaz hat das Gedicht geschrieben, als in Rom eine
sehr vage Nachricht von der Besiegung und Flucht des Antonius
Horatius, von H. Röhl. 47
und der Kleopatra eingelaufen war, und hat in dasselbe in Er-
mangelung ausfuhrlicherer Nachrichten auch einige unbedeutende,
schon früher bekannt gewordene Details aus der vorhergehenden
Zeit (das Mückenzelt, den Parteiwechsel eines Reitertrupps, die
Lage der feindlichen Schiffe) hineingearbeitet; aber freilich muß
man sich dann darein finden, nausea gerade in einem auf Meer-
fahrt bezuglichen Gedichte von dem durch Weintrinken bewirkten
Erbrechen zu verstehen und dem jungen Dichter einen unserem
Geschmacke zuwiderlaufenden Gedanken zuzutrauen. Denkt man
sich hinwiederum Horaz in Aktium anwesend, so ist allerdings
die nausea in Ordnung, aber es wäre doch ganz unerklärlich,
wenn seine Beteiligung an einem solchen Ereignisse nicht in
seiner Poesie viele und starke Spuren hinterlassen hätte (Epod. 1,
Od. II 6, 5 ff. und Epist. I 20, 23 sind für seine Anwesenheit in
Aktium nicht beweiskräftig). Und ferner wäre der Inhalt der
Epode befremdlich, und zwar sowohl wenn sie nach als auch wenn
sie vor dem Siege gedichtet wäre. Hinsichtlich der ersteren An-
nahme verweise ich auf das unten beizubringende englische Zitat;
bei der letzteren sieht man sich genötigt, die in den Versen
29 — 32 wie eine Tatsache erwähnte Flucht des Feindes als ein
bloßes vor der Schlacht verbreitetes Gerücht anzusehen (Gorssen
S. 15: quid mirum, si per castra rumor serpebat Antonium dam
aufugisse?); jedoch: hatte man denn so wenig Fühlung mit dem
Feinde, daß man fälschlich glauben konnte, er sei abgesegelt?
Recht schade ist, daß Corssen die Horazliteratur nicht voll-
standiger berücksichtigt hat. So ist ihm die gegnerische, sehr
verständige Erörterung von Cartault (Revue de philologie 1899
S. 249—253) anscheinend entgangen; Caecubum V. 36, das Corssen
S. 7. 8 (schwerlich mit Recht) für verdorben hält, hatte schon
L. Muller angezweifelt. Zu seiner Hypothese über die Entstehung
des Gedichtes ist Corssen durch eigenes Forschen gelangt und hat
sie nachträglich in einem aus dem Jahre 1899 stammenden Auf-
satze Kromayers gefunden; indessen ist sie wesentlich älter. Ich
setze den betreffenden Passus aus Gows Ausgabe hierher: Most
recent critics agree that Maecenas took Hör. to Actium (Epode 1),
that this poem (nämlich Epod. 9) was writlen on shipboard on
the day of the battle (Sept. 2, ß. C. 31) and that the fluens nausea
of I. 35 was veritable sea-sickness. There is still a dispute,
however, as to whcther the poem was written before or after the
battle. The confidence with which Hör. speaks of the flight of
Antony (11. 27 — 32) suggests that he was writing after the battle.
Prof. Housman on the other hand, who believes that the poem
was written before the battle, urges the following arguments:
(1) the defection of 2000 Gauis from Antony must have seemed
a trifling event after the battle, though it was a good omen before:
(2) nothing is said of the actual conflict, e. g. the burning of
Antony's ships: (3) the reference to 'aoxiety and fear for Caesar's
48 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
fortunes' (i. 37) is grotesque after such a victory. The last
argument is strongly against Prof. Nettleship's Suggestion that
11. 1 — 20 were written before the battle, the rest after the victory.
Prof. Housman's view (Journ. of Philology, 1882, p. 193) is adopted
in the foilowing notes.
Auf Seite 16 ff. verteidigt Corssen die Lesung Africanum
V. 25, in erfreulicher Übereinstimmung wie mit manchen andern
Ausgaben so auch mit der des Referenten. Aus der dann
folgenden Besprechung einzelner Stellen von Od. 1 37 sei die Er-
klärung von V. 16 hervorgehoben: mihi quidem ab Italia idem
esse atque a Brundisio videtur .... Ut accipiter in columbas
sie in hostes irruit (nämlich Oktavian), cum a Brundisio aecurrens
Antonium et Gleopatram in sinum Ambracium refugere cogeret.
Aber ganz abgesehen . davon, daß die Verbindung von ab Italia
mit adurgens wegen des dann nackten volantem nicht angängig
sein dürfte, kann jenes nicht der Gedankengang des Dichters sein,
der ja schon vorher den Flottenbrand erwähnt hat. Eben hier-
durch erledigt sich auch die von Corssen versuchte Deutung des
ensis V. 23 auf die Schlacht bei Aktium. Was jenes ab Italia
anlangt, so sagt mir am besten L. Mullers Bemerkung zu: „Eigent-
lich floh die Königin von Aktium; doch war ihr Ziel Italien ge-
wesen, von dem sie ihre Flucht gleichfalls entfernte".
Mit Freude sehen wir der in Aussicht gestellten Fortsetzung
entgegen. Wer bei einem so viel behandelten Dichter wie Horaz
böse Kontroversen zu entscheiden oder an anderen Stellen die
rezipierten Auffassungen durch abweichende zu verdrängen ver-
sucht, wird ja nur selten auf Billigung alles Vorgetragenen
rechnen können; aber dennoch wird durch solche immer neue,
von den verschiedensten Standpunkten aus angestellte Betrachtung
das Verständnis allmählich gefördert werden.
33) Hermann Sachs, Alliterationen und Assonanzen in den
carmina des Horatins. I. Wissenschaftliche Beilage zum Jahres-
berichte der dreizehnten Realschule zu Berlin. 1903, Weidmannsche
Buchhandlung. 19 S. 4. 1 i.
Der Verfasser gibt zunächst (S. 3 — 14) eine Zusammen-
stellung von Versen, in denen mehrere Worte mit demselben
Buchstaben anfangen, also z. B. antennaeque gemant ac sine funibus.
Ich gestehe, das Prinzip dieser Zusammenstellung nicht recht zu
verstehen. Einerseits nämlich scheint vieles zu fehlen ; ich schlage
den Horaz aufs Geratewohl auf, IV 9, und vermisse daraus .in der
Sachsschen Aufzählung sogleich nan ante volgatas per artes und
wm sola comptos arsit adulteri, und IV 4, 2 cui rex deorum
regmim in aves vagas. Andrerseits wundre ich mich, dazwischen
auch einzelne (nicht viele) Verse dieser Art zu finden: imbellisque
lyrae Musa potens vetat und vestimenta maris deo und uneus
abest liquidumque plumbum. Wenn nun der Verfasser zum
-">
Horatius, Voo H. Röhl. . 49:
Schlüsse dieses Abschnittes sagt: „Nun ist von vornherein zu-
zugeben, daß ein Teil der angeführten Beispiele seinen konsonanti-
schen und vokalischen Gleichklang nur dem Zufall verdanke . . .
Dennoch bleiben außerordentlich zahlreiche Fälle übrig, bei denen
die Alliteration als bewußtes Kunstmittel vom Dichter angewendet
wurde": so führt er meines Erachtens viel zu wenig auf den
Zufall oder, wie ich lieber sagen würde, auf die naturliche Be-
schaffenheit der lateinischen Sprache und viel zu viel auf Absicht
zurück. Man mache die Probe mit einem beliebigen Prosatexte,
etwa dem Anfange des Livius:
Faeturusne operae pretium stro, si a primordio
urbis res populi JRomani perseripserim,
nee satis scio,
nee si sciam dicere ausim,
quippe qui
cum veterem tum vulgatam esse rem videam etc.
Nunmehr sondert der Verfasser aus der obigen Masse von
Alliterationen drei Kategorien aus, um sie besonders hervorzuheben: .
1) 51 Verse, in denen das erste und das letzte Wort alliterieren,
z. B. at non ter aevo funetus amabilem; 2) 55 Verse, in denen
das erste Wort der ersten und das erste Wort der zweiten Halb-
zeile alliterieren, z. B. per dolum amotas puerum minaci\ 3) 28
Verse, in denen das letzte Wort der ersten und das letzte Wort
der zweiten Halbzeile alliterieren, z. B. splendentis Pario marmore
purins; 4) 15 Verse, in denen die alliterierenden Wörter zwar
nicht symmetrisch stehen, aber durch den Iktus scharf betont
sind, z. B. qui terram inertem, qui mare. temperat; darunter selbst
Beispiele wie pulsa thyias uti concita tympano und ludoque dictus
non sat idoneus. Der Verfasser ist der Ansicht, daß in diesen
vier Fällen „zweifellos bewußte Anwendung der Alliteration als
Kunstmittel vorliegt4'. Es ist wahr, wenn man seine Verzeichnisse
herunterliest, gewinnt man leicht den Eindruck der Absichtlichkeit;
wenn man dann aber bedenkt, daß diese 149 (um sie alle gelten
zu lassen) Verse unter ungefähr 3000 Versen zerstreut sind und
also im Durchschnitt je ein Vers mit dem angeblich bewußten
Kunstmittel auf etwa 19 Verse ohne solches kommt, dann wird
man doch skeptisch und wünscht erst den Nachweis erbracht,
daß bei andern Dichtern eine gleichartige Statistik ein wesentlich
abweichendes Resultat ergibt.
Eine zweite in Aussicht gestellte Abhandlung wird unter-
suchen, welche Folgerungen sich aus den besprochenen Alliterationen !
für die poetische Tätigkeit des Horaz ergeben; wir haben ab-
zuwarten, welchen Grad von Überzeugung diese Fortsetzung zu)
erwecken imstande sein wird.
Jahresbericht« XXX. 4
50 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
34) Heinrich Tiedke, Anklänge an Horaz bei Geibel. Wissen-
schaftliche Beilage zum Jahresberichte des Berlinischen Gymnasiums
zum grauen Kloster. Berlin 1903, Weidmannsche Buchhandlung.
21 S. 4. 1 Jt.
Mit lebhaftem Interesse ersieht man aus Tiedkes Darlegungen
und Zusammenstellungen, wie dieser auf die Ideale gerichtete
deutsche Dichter an Horazens Poesie seine Freude gehabt, sich
mit ihr innig vertraut gemacht und manchen Ton aus ihr in die
seine hinübergenommen hat.
35) Karl Stadler, Horaz-Kommentar I. Die Gedichte an (für) Mäcenas.
Wissenschaftliche Beilage zum Jahresberichte der Margareten schule.
Berlin 1903, Weidmannsche Buchhandlung. 28 S. 4. 1 Jt.
Der Verfasser, unter dessen bisherigen Arbeiten zu Horaz
wir namentlich die überaus gewandten und geschmackvollen Ober-
setzungen zu rühmen hatten, beginnt hier einen „Kommentar",
d. h. er erörtert zu einem jeden Gedichte 1. den vorauszusetzenden
Tatbestand, 2. den Inhalt, 3. die poetisch-metrische Form. (Da-
nach war die Schrift hier unter III, nicht oben unter I, zu be-
sprechen.) In dieser Weise kommen im vorliegenden Hefte folgende
auf Mäcenas bezügliche Gedichte zur Behandlung: Od. I 1, Sat. 1 1,
Sat. I 6, Sat. I 5, Sat. I 9, Epod. 2, Epod. 3, Od. II 5, Sat. I 3,
Epod. 14, Od. II 12, Od. III 16, Sat. II 4, Epod. 1, Epod. 9,
Od. II 20, Od. II 17, Sat. II 6, Od. III 8, Sat. II 8, Od. I 20,
Od. III 29, Epist. I 7, Epist. I 1, Epist. I 19. Hiermit ist eine
chronologische Reihenfolge beabsichtigt; denn nach Stadlers Meinung
hat Horaz ziemlich gleichzeitig angefangen, Epoden, Satiren und
Oden zu dichten. So setzt er Od. I 1 ins Jahr 38; dies seien
„zweifellos die ersten Verse, die Horaz an Mäcenas gerichtet".
Dagegen mit andern Kießling: „Das Gedicht ist selbstverständlich
das jüngste der drei Bucher, . . . Sommer 23 verfaßt"; und aller-
dings ist schwer zu glauben, daß das Gedicht (das ganze, nicht
etwa nur die Verse 3 — 34) nicht sollte ursprunglich für den
Zweck gedichtet sein, den es erfüllt, nämlich Einleitung einer
größeren Sammlung zu sein, ebenso wie Od. Hl 30 deren Ab-
schluß ist
Die Hypothesen über die Situation lesen sich meist flott und
glatt; aber es sind oft eben nur Behauptungen, und man vermißt
die Beweise. Warum soll Od. III 16 Inclusam Danaen gerade bei
der Schenkung des Landgutes, noch vor Einrichtung desselben
und vor dem Hausbau gedichtet sein? Warum Od. II 20 N&n
usitata anläßlich des Todes der Cinara (die Stadler übrigens mit
Lalage und Glycera für identisch erklärt, S. 26)? Wo ist in
Od. III 8 Martiis caelebs eine Andeutung darauf zu finden, daß
Mäcenas gerade damals wegen ehebrecherischer Neigungen seiner
Gattin von Eifersucht gequält worden wäre? Ferner: Die Epistel 1 7
Quinque dies verfolge zum Teil den „Zweck, Mäcen vor Terentias
Zauber zu warnen".
^
Horatins, von H. Röhl. 51
Von vielen hübschen und feinfühligen Bemerkungen zu den
einzelnen Gedichten notiere ich eine zu Od. I 1. Bekanntlich ist
wegen des hier häufigen Widerstreits zwischen Satzende und
Strophenschluß schon vermutet worden, die beiden ersten und
die beiden letzten Verse seien von Horaz erst nachträglich hinzu-
gefügt worden; anders Stadler: „Eigenartig wirken die stoßenden
Sinn ein schnitte in den sechs ersten Strophen gegenüber den
(nach der überleitenden siebenten) weichen Sinn ab schnitten der
zwei letzten, ähnlich einem über Stufen abstürzenden, nachher
in ebenem Bett hinfließenden Wasser: so verworren ist der
andern Menschen Leben und Tun, so ruhig klar das des Dichters'4.
Die letzten Seiten (25 — 28) bieten noch Anmerkungen zu
einzelnen Stellen; hiervon einiges. Zu Sat. I 1,88 ff. stimmt
Stadlers Auffassung mit der Schützschen, zu Sat. I 1, 108 seine
Lesung redeo nunc mit der Ritschlschen (über letztere Stelle ver-
gleiche JB. XXV S. 50, XXV» S. 76 und 87, XXIX S. 43), zu
Sat. I 3, 71 seine Lesung amare mit der von Döring und L. Hüller
überein; und ähnlich an andern Stellen. Aber des Verfassers
Eigentum ist wohl die Konjektur zu Epod. 1, 34 perdat nepos,
wobei dann nepos „Enkel" bedeutet. Was an dem überlieferten
Texte („um es als Geizhals zu vergraben oder als Verschwender
zu vergeuden") anstößig sein soll, ist nicht abzusehen und wird
mir auch aus Stadlers Bemerkung nicht klar: „Die Vernunft ver-
langt, daß der nepos perdens eine andere Person sei als der parans
Horatius". — Zu Od. I 20, 10 hält Stadler S. 20 und 27 an
seiner früheren Konjektur ut bibas (vgl. JB. XXVI S. 51) fest, er-
klärt aber jetzt etwas anders als ehemals: „zu Hause trinkst du
Besseres"; jedoch auch jetzt noch bleibt die Ergänzung des zum
Folgenden einen Gegensatz bildenden Begriffes „zu Hause*4 recht
bedenklich; vgl. zu dieser Stelle oben Nr. 28. — S. 22 und 27 zu
Od. II 11,21. Lyde habe bei Horaz als Hausfrau gewaltet und
heiße ebendeswegen devium scortum, weil sie sich de solita Über-
tinarum via in Horazens Haus zurückgezogen habe. Findet solche
Auffassung des Adjektivs ihre Bestätigung im Sprachgebrauche? —
Zu dem recht dunklen und darum verschieden gedeuteten Verse
Epist. I 7, 24 gibt Stadler folgende neue Übersetzung: „Würdig
(deiner Wohltaten) will ich mich erweisen (durch Sitten und
Taten) auch (schon allein) für das Lob (welches du mir erteilst
als) eines, der (deine Wohltaten) verdient". — Epist. I 19, 18.
Statt pallerem verlangt Stadler polieret, auf exemplar bezüglich;
„das fehlerhafte Vorbild ist ja nicht Horaz selber, von dessen
Nachahmung durch Zeitgenossen überhaupt gar nichts bekannt
ist*4 (natürlich ist dann V. 10 die Lesart edixit zu wählen). . Diese
Vermutung erscheint mir sehr ansprechend, und sie sei zur Be-
achtung und Prüfung empfohlen.
Gern sehen wir den weiteren Teilen dieses „Kommentars"
entgegen, möchten aber den Wunsch aussprechen, daß bei der.
4»
52 Jahresberichte d. Philolog. Ve reios.
Darlegung der Situationen, also bei demjenigen Stöcke, in dem
die Eigenart dieser Publikation besteht, die Begründung sorgfältig
geprüft und vorgelegt werde; denn sonst wird der Verfasser die
Zustimmung der Leser zu seinen Hypothesen schwerlich erreichen
können.
36) Max C. P. Schmidt, Altpbilologische Beiträge. Erstes Heft:
Horaz-Studien. Leipzig 1903, üürr. 82 S. 8. 1,20^.
Eine Anzahl von Horazstellen findet hier aus verschiedenen
Gesichtspunkten eine eingehende Besprechung.
Od. III 4, 1; I 12, 1; 1 1, 32. Horaz sehe in der tibia das
urrömische, in der lyra das urgriechische Instrument; mit der
hfta deute er die griechische Form, mit der tibia den römischen
Inhalt seines Liedes an. Dem Referenten scheint doch zweifel-
haft, ob ein solcher Hintergedanke in einer Stelle stecken könne
wie: „Blase Flöte oder singe oder spiele Leier !u — Od. I 1, 20..
Schmidt handelt weit ausholend über die Begriffe dies, solidus,
demere. — Od. II 7, 21. Der Dichter wolle mit obliviosus auf
oblivio = a\kvn<s%la hindeuten. Ein gewisser Zusammenhang mag
wohl bestehen und der Sinn dieser sein: der Wein wird dir, in
Obereinstimmung mit der allgemein proklamierten oblivio, helfen
auch deinerseits Streit und Leid zu vergessen. — Od. I 22, 19.
In dem Ausdrucke latus mundi folge Horaz der stoischen An-
schauung, derzufolge Norden und Süden die beiden Flanken
der Welt und zwar jener die rechte, dieser die linke sei. —
Od. I 14, 6 f. Carinae seien die Kielhölzer, Kielstücke, Kielteile.
Hinsichtlich der funes schließt Schmidt sich der Aßmannschen
Ansicht an: „sie laufen unten (vno-) um Vorder- und Achter-
steven herum, dann aber über Deck auf Stützen oder Gabeln,
um die Gebrechlichkeit des Kieles zu hindern, besonders das
Herabbrechen der beiden Steven zu verhüten". — Od. I 1, 35.
Der Ausdruck lyrici vates decke sich nicht mit unserm „lyrische
Dichter", sondern sei enger ; er bezeichne Dichter solcher Lieder,
die zum Gesänge für einen einzelnen, zur Begleitung der Leier
verfaßt seien. — Od. I 27. In der Besprechung des Herganges
äußert Schmidt folgende Meinung: „Ebensowenig braucht der
Bruder der Megilla in Wahrheit zu sagen, wie die Liebste heißt.
. . . Jedenfalls ist der Spott um so drastischer, wenn der Gefoppte*
überhaupt keinen Namen nennt, aber einen solchen genannt zu
haben bezichtigt wird. Dann hält der verschwiegene (tutis anribus)
Dichter, wie er gelobt hat, den Namen geheim, weil er gar keinen
Namen weiß". Diese Vermutung scheitert an der Tatsache, daß,
wenn einer einem etwas ins Ohr sagt, der Singular auris stehen
muß; der Jüngling hat vielmehr den Namen laut genannt, vgl:
JB. XXVII S. 61 f. und meinen Kommentar. — Die Ode III 12
betrachtet Schmidt als ein Ständchen; so schon Weidner, vgl.
JB. XXIII S. 36. — Od. II 11. Die Worte Hadria divisus obiecto
^\
Horatins, von H. Röhl. 53
hatte Kießling als eine auf die Gedanken des ängstlichen Quinctius
eingehende Hyperbel aufgefaßt: „der nur durch die Adria ge-
trennte'4; Schmidt, der ihm zustimmt, möchte nun auch noch
bellicosus als ein Zitat aus den Klagen des Quinctius auffassen.
Jene Anschauung Kießlings nun ist ja in der vierten Auflage von
seinem Nachfolger Hei nze bereits wieder aufgegeben; zu dem dort
angegebenen Grunde fuge ich noch folgendes hinzu: Die Furcht,
das dazwischenliegende Adriatische Meer möchte sich als unzuläng-
licher Schulz gegen jene Reiterscharen erweisen, erscheint denn
doch zu töricht, als daß man sie dem Quinctius zutrauen könnte.
Vielmehr furchtet er die Seythen. ebendeshalb, weil er an jenes
natürliche Bollwerk nicht denkt, und wird von Horaz beruhigend
daran erinnert. Für den Ausdruck verweise ich noch auf nach-
stehende Parallelstelle, die ich nirgend zitiert finde, Liv. II 10:
alia muris, alia Tibeii obiecto videbantur tuta. Was nun aber
bellicoms anlangt, so kann dies schlechterdings kein Zitat aus den
Klagen des Quinctius sein, da ja diese Bezeichnung nach all-
gemeinem Urteile den Kantabrern zweifellos zukam. — Od. I
20, 5. Cläre Maecenas eques seien die drei Worte, die man aus
dem Jubel des Volkes immer wieder herausgehört habe. Das
konnte richtig sein und wurde dann sowohl für die Lesart clart
als auch für die mit Unrecht angezweifelte Echtheit der Ode
sprechen. — Od. I 24, 11 f. Heu non ita creditum sei ein Stuck
der Klage des Vergil; demgemäß findet Schmidt in den beiden
Versen folgenden Sinn : „Du forderst in deiner anhänglichen Liebe
den Quintilius umsonst von den Göttern zurück, indem du dich
darauf berufst, daß du ihnen den Freund (in deinen Gebeten,
vielleicht gar in einem Liede) nicht in diesem Sinne anvertraut
habest44. Diese schon bei Porphyrion begegnende Auffassung ist
ja von vielen Herausgebern akzeptiert; aber gibt sie einen be-
friedigenden Sinn? Man vertraut wohl einen Freund, der eine
Seereise unternimmt, dem Neptun an, und mehr dergleichen;
was soll es dagegen bedeuten ,, einen Freund den Göttern an-
vertrauen44? Befindet sich doch der Mensch immer und überall
in ihrer Hand. — Od. II 15,6. Copia narium „Vorrat für die
Nase". Wie überaus anschaulich diese Ode sei, sucht der Ver-
fasser an mehreren Ausdrücken nachzuweisen. — Od. I 1, 10
und 12. Libycis areis und Attalicis condicionibus bilden nach
Schmidts Meinung einen Parallelismus. Indes es ist schwer, da-
bei an Absicht des Dichters zu glauben, da diese beiden Begriffe
ja tiicht in korrespondierenden Sätzen stehen. — „Oft entsprechen
sich Anfang und Schluß eines Liedes4'. Gewiß; aber wenn unter
den Beispielen auch Od. I 4 solvitur actis Atems — tepebunt und
Od. I 28 nutnero carmtis arenae — iniecto ter pulvere angeführt
werden, so muß man dies doch als eine Verirrung des Spürsinns
bezeichnen. — Od. I 1. Über die Absichtlichkeit, mit der Horaz
den Strophenschluß fast beharrlich durchbrochen hat, urteilt
54 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Schmidt ähnlich wie Stadler; siehe oben Nr. 35. — Epist. II 2, 91 ff.
Daß diese Stelle sieb auf Properz bezieht, beweist Schmidt in
ausfuhrlicher Darlegung des Verhältnisses zwischen Horaz und
Properz, wobei freilich manches von der Phantasie ergänzt ist.
Mögen auch nicht alle Darlegungen des Verfassers sich als
stichhaltig erweisen, mag auch einzelnes als übersubtil erscheinen,
so kann man doch dem Schriftchen nachrühmen, daß man es
nicht ohne Freude und Belehrung liest.
37) 0. Jäger, Horaz im Gymoasialanterricht. In der Monatschrift
fdr höhere Schalen 1903, S. 103—111.
Mit lebhaftem Interesse liest man des verehrten Altmeisters
wohlerwogene und wohlbewährte Ratschläge über den Horazunter-
riclit, und mit Genugtuung werden, meine ich, die meisten Horaz-
lehrer ersehen, daß ihr eigenes Verfahren, wenn es auch nicht
ganz das hier gesteckte ideale Ziel erreichen sollte, doch in allem
Wesentlichen dieselbe Richtung innehält.
Wir heben aus Jägers Aufsatz einige Hauptpunkte hervor.
Die Einleitung zur Horazlekture will Jäger kurz haben, sie solle
nur eine oder höchstens anderthalb Stunden füllen (S. 105) ; ich
halte sogar für möglich und nützlich, schon in der ersten Stunde
nach Erledigung der Einleitung noch den Anfang von Od. I 1 zu
lesen. Der beherrschende Gesichtspunkt, unter den die ganze
Horazlekture zu stellen sei, sei der biographische (S. 104); doch
dürfe dieser nicht aufdringlich wirken (S. 107). Auch diese
Direktive verdient zweifellos Beifall; sie ergibt sich übrigens
eigentlich schon mit einer gewissen Notwendigkeit aus dem sub-
jektiven Charakter der Horazischen Poesie. Unter die beiden
Jahrgänge der Prima verteilt nun der Verfasser „nach allge-
meinem Brauch" (S. 106) den Lesestoff so, daß er der Unter-
prima die drei ersten und zwar vollständig zu lesenden Oden-
bücher und, wenn noch etwas vom Arbeitsjahr übrig sei, einige
Epoden (S. 106. 107), der Oberprima eine Auswahl aus den
Satiren, den Episteln und dem vierten Odenbuche zuweist (S. 108).
Hierzu erlaube ich mir doch anzumerken, daß meines Erachtens
das Pensum der Unterprima für unsere jetzigen Schüler zu groß
bemessen ist. Lassen wir selbst die Epoden aus dem Spiele, so
enthalten die drei ersten Odenbücher allein schon 88 Oden, dar-
unter nicht wenige lange und tiefe (Römeroden!); da werden
jetzt ungefähr 80 Lehrstunden nicht ausreichen, um den erforder-
lichen Grad des Verständnisses zu erzielen, selbst wenn, wie
Jäger wünscht, eine Anzahl von Oden (sehr weit wird man das
doch auch nicht ausdehnen dürfen) durch bloßes Vorübersetzen
seitens des Lehrers erledigt wird (S. 106. 107). Dem Referenten
ist eine andere, wohl gleichfalls häufig anzutreffende Stoffver-
teilung geläufig: Unterprima Oden I und II in Auswahl und einige
Satiren; Oberprima Oden III und IV in Auswahl und einige
^
Horatins, tob H. R5al. 55
Episteln ; die Lektüre der in Sprache und Gedanken vielfach noch
der rechten Reife ermangelnden Epoden wurde Besserem den
Raum wegnehmeu. Was dann die Auswahl aus den Satiren und
Episteln anlangt, so freue ich mich sehr der Übereinstimmung
im Urteile mit Jäger, der die literarischen für minder geeignet
erachtet (S. 109); schon die stete Bezugnahme auf ältere Literatur-
werke, von denen die Gelehrten sehr wenig, die Schüler gar
nichts wissen, steht der Behandlung in der Schule entgegen.
„Die Ordnung, in der die Oden gelesen werden, darf nur die
überlieferte, vom Dichter selbst herrührende sein" (S. 106). Ganz
meine Ansicht; in einem Lesebuche, das verschiedenartige Stücke
vieler Autoren bietet, mag man sprungweis bald hier bald da
etwas herausgreifen; aber ein in sich gleichartiges Werk, das sein
Verfasser mit Bedacht und Geschmack geordnet hat, wenn wir
auch die Gründe dieser Ordnung nicht stets im einzelnen auf-
spüren können (JB. XXIX, S. 58 f.), das soll in dieser selben
Reihenfolge durchgekostet und genossen werden. Noch ein Punkt,
die Behandlung der Oden betreffend: der Lehrer soll nach Jäger
darauf hinweisen, daß es sich bei den erotischen Oden nicht um
wirkliche Liebesverhältnisse des Horaz, sondern um An-
empfundenes handelt. Genau in demselben Sinne und wie Jäger
unter Herbeiziehung eines Beispiels aus moderner Lyrik habe ich
gleichzeitig im Jahresbericht XXIX S. 50 f. gegen Stadler pole-
misiert, halte aber die entgegengesetzte Meinung nicht für so
verbreitet wie anscheinend Jäger, der sie einen „unausrottbaren
Gelehrten- und Pedantenwahn44 nennt. Weit fester, meine ich,
sitzt dieser Wahn in den Schülerköpfen, und aus diesen ihn
zu vertreiben wird schwer fallen. Ich wenigstens habe, wenn
ich dergleichen doziere, stets die Empfindung (und Äußerungen
Abgegangener erwiesen diese Empfindung als zutreffend): die
Schüler glauben's doch nicht. Denen ist es viel interessanter
und vorbildlicher, sich den Horaz als Don Juan zu denken, und
sie meinen, der Lehrer, eine amtliche Grimasse ziehend, verdrehe
geflissentlich diese schönen Dinge, damit nicht der vielgepriesene
Horaz getan zu haben scheine, was man ihnen wehre!
Die Horazischen Gedichte für die Geistesbildung der Schüler
nutzbar zu machen ist eine der schönsten Aufgaben des alt-
sprachlichen Unterrichts, und zur Lösung dieser Aufgabe gibt
Jägers Aufsatz eine treffliche Direktive.
38) Köster, Ober die Persönlichkeit des Horaz io seilten Oden.
Vortrag, gehalten am 24. April 1901 in der ordentlichen Versammlung
der Königlichen Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zn Erfurt.
Soaderabdruck aos den Jahrbüchern, Nene Folge, Heft XXIX. Erfurt
1903, C Villaret. 29 S. 8. 0,80 JT.
Dieser Vortrag besteht aus einer Blumenlese von Zitaten
aus Horazens Oden, nach inhaltlichen Gesichtspunkten geordnet
und mit verbindendem, populärem Texte versehen. Dieser Text
56 Jahresberichte d. Philolog. Vereios.
erhebt keine großen Ansprüche und bewegt sich meist in den
gewohnten Gleisen; freilich wenn es S. 15 heißt: „trotz solcher
Lobeserhebungen aber entgebt selbst Augustus den Mahnungen
nicht, die ihm Mäßigung seiner Staatsgewalt . . . empfehlen14, so
ist das eine arge Verkennung der Stellung des Dichters zum
Kaiser. Mehr Wert wird offenbar auf die Obersetzung der
Zitate gelegt, welche die antiken Metra und dazu den Reim ver-
wendet. Aber dies ist — mit geringen Änderungen — dieselbe
unglückselige Obersetzung, die bereits in diesen Jahresberichten
XXIII S. 41 ff angezeigt ist. Durch diesen Hinweis möchte ich
es mir ersparen, nochmals auf ihre sonstigen Mängel einzugehen,
und will hier nur kurz durch ein paar Beispiele erhärten, daß
auch die in diesem Vortrage vorliegenden Zitate von Miß-
verständnissen nicht frei sind. Od. 111 6, 1 delicto, maiorutn
immeritus Ines, Romane, donec templa refeceris, „Rom, unver-
schuldet büßest du die Vergehn der Väter nicht, bis Tempel
dir neu erstehn". Od. HI 4, 1 ff. die age tibia . . . longum . . .
melos, seu voce nunc mavis acuta seu fidibus citharaque Phoebi,
„ein langes Lied zur lieblichen Flöte lehr', auch mag's dein heller
Sang begleiten oder Apollos Gespiel der Saiten41. Od. 111 4, 6 f.
audire et videor pios errare per lucos, „mir ist, ich hör7 sie
irrenden Fußes nah'n im heil'gen Hain44. Od. III 24, 15 defunc-
tum laboribus, „den alternden Arbeitsmann44. Od. HI 24, 22 ff. et
meinem alterius vrri certo foedere castitas, et peccare nefas aut
pretium est mori, „Keuschheit auch, die sich rein ehliches Bünd-
nis schuf, das vor anderen Männern bangt, Bruch der Treue als
Greul, Sterben als Lohn verlangt'4. Od. I 13, 18 ff. nee malis
divolsns querimoniis suprema citius solvet amor die, „das hie die
durch feindliches Ungemach mehr geschwundene Lieb' trennt als
am letzten Tag44.
Wer den Horaz nicht mehr versteht und doch dem Drange,
über ihn etwas zu veröffentlichen, nicht widerstehen kann, der
sollte vorher eine zuverlässige Übersetzung mit Sorgfalt zu Rate
ziehen.
39) F. Teichmüller, Grundgedanke und Disposition von Hör.
8a t. 1 1. Im Rheinischen Museum N. F. LVIII 1903, S. 436—452.
Teichmüllers Ansicht ist folgende. Die Satire I 1 bandelt
über den in der menschlichen Natur begründeten Hang, an Stelle
des Eigenen sich das dem andern ßeschiedene zu wünschen.
Dieser Hang wird einerseits, V. 4 — 22, als Tatsache nachgewiesen
und andererseits, in den übrigen Versen, als Ursache zweier Obel
dargestellt, nämlich erstens der (übrigens nur einen ziemlich
kleinen Bruchteil der Menschen ergreifenden) Habsucht, V. 23 bis
107, zweitens der weitverbreiteten Verfehlung des Lebensglückes,
V. 108 ff. — Von einzelnen Thesen des Verfassers seien noch
diese angeführt. 1) Die vier in V. 28 — 30 eingeführten Personen
^\
Horatins, von H. Röhl. 57
sind, weit entfernt vom Dichter cler Habsucht bezichtigt zu
werden, vielmehr als solche gedacht, durch deren Bekenntnis die
Habsuchtigen beschämt werden sollen. 2) In V. 108 ist entweder
die Überlieferung zu bewahren und ut in der Bedeutung von
sicut aufzufassen (hiergegen schou JB. XXVII 76: trifft denn auf
den avarus zu, daß er landet diversa sequentes?), oder es ist zu
schreiben nemo ut sibi carus oder quia nemo ut (= sicut) avarus,
wonach dann im Indikativ mit probat, tabescit, comparat, laborat,
obstat fortzufahren wäre und inde fit als Nachsatz fungieren
wurde.
Teicbmüller hat auf seine Untersuchung unleugbar großen
Scharfsinn verwandt. Namentlich weist er die Unmöglichkeit
mancher früheren Auffassungen, gegen die auch der Referent in
den Jahresberichten anzukämpfen oft Anlaß hatte, klar und
schlagend nach. In einzelnen Punkten deckt sich Teichmüllers
Ansicht mit der des Referenten in einer diesem sehr erfreulichen
Weise; JB. XXV S. 50: „die an die Spitze des ersten Teiles ge-
stellte Frage qui fit findet in Wirklichkeit keine Beantwortung
(nicht etwa, weil Horaz daran verzweifelte, sie beantworten zu
können, sondern weil es ihm mit der Erforschung des Grundes
überhaupt nicht ernst gewesen ist), und der Dichter beschränkt
sich darauf, die Tatsächlichkeit im einzelnen zu konstatieren";
Teichmüller S. 450: „fragt man aber, an welcher Stelle des Ge^
dichtes in Wirklichkeit die Frage des Eingangs beantwortet wird,
so ist -zu erwidern, daß das an keiner Stelle geschieht; dies
aber wird darin seinen Grund haben, daß der Dichter die Frage-
form bloß als Ausdruck der Verwunderung gemeint hat". Aber
daß nunmehr das Gedicht als „ein wohlgefügtes und einheitliches
Ganzes" (S. 452) nachgewiesen ist, vermag ich nicht zuzugeben.
Allerdings müßte ich, um dies näher darzulegen, wieder
meinerseits eine Abhandlung schreiben, was weder an dieser Stelle
möglich ist noch mir überhaupt reizvoll erscheint. Nur eines sei
gesagt. Sooft ich das Gedicht ohne philologische Absicht, ledig-
lich als genießender Leser gelesen habe, fand ich schon bei dieser
Beschäftigung, neben überaus hübschen Partien, mancherlei An-
stoß im einzelnen; und wenn ich gar den Gesamtbau zu sezieren
versuchte, wurde die Sache immer mißlicher. Und was ich an
Erörterungen über dieses Gedicht gelesen habe, läßt mich glauben,
daß es manchem andern ähnlich gegangen ist. Das scheint doch
an dem Gedichte selbst zu liegen. Der junge Epoden- und
Satirendichter bat zwar verstanden allerliebste Einzelbildchen z\x
malen; aber er ist des Stoffes noch nicht so weit Herr gewesen,
daß er überall die wünschenswerte Glätte zu erreichen und das
Ganze zu gruppieren und in klaren Zusammenhang zu bringen
vermocht hätte; für solche Mängel liefern ja nicht wenige seiner
Gedichte aus dieser Zeit Belege. Das halten sich, meine ich;
manche Ausleger nicht genug gegenwärtig; sie konstruieren sich
58 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
einen gar zu idealen jungen Horaz. Bei der Satire I 1 wird nun
freilich die Schwierigkeit, zu einem klaren Urteil zu gelangen,
außerordentlich erhöht durch den unglückseligen Vers 108. Wenn
man den argen Anstoß, den die überlieferten Lesungen bieten,
nicht mit vielen Erklärern in Abrede stellt, soll man ihn noch
auf Konto des Dichters setzen oder durch Änderung (aber durch
welche?) beseitigen? Hier ist der Schlüssel anzusetzen; aber bis
jetzt hat noch keiner geschlossen.
40) Th. Fritzsche, Die W iederholuogeo bei Horaz. Aas dem
Nachlaß herausgegeben. Güstrow 1903, Opitz und Co. 107 S. 4. 3 JC.
In den ersten vier Abschnitten handelt der Verfasser von der
Setzung derselben Wörter an derselben Versstelle in lyrischen
Metren, also von Fällen wie:
Od. III 5, 26 miles redibit? flagitio additis
Od. IV 9, 50 peiusque leto flagitium timet.
So werden gesonderte Sammlungen dargeboten: I. für die
alcäische Strophe, und zwar 1. für den Hendecasyllabus, 2. für
den Enneasyllabus, 3. für den Decasyllabus, II. für die sapphische
Strophe, und zwar 1. für den Hendecasyllabus, 2. für den Adonius,
III. für die asklepiadeischen Verse, und zwar 1. für den Ascle-
piadeus (hieraus sei folgende Beobachtung mitgeteilt, S. 64: „Kein
asklepiadeisches Gedicht weist eine solche Fülle von gleichartigen
Wortstellungen, End- und Binnenreimen, Alliterationen und Asso-
nanzen auf wie I 1, und das kann unmöglich bloßer Zufall sein,
sondern es wird dem Dichter die Absicht zugeschrieben werden
müssen, in dieser an die Spitze seiner Liedersammlung gestellten
Dichtungen die formellen Feinheiten, die er für das askle-
piadeische Maß ersonnen, dem Leser recht deutlich vor Augen
zu führen4'), 2. für den Glyconeus, 3. für den Pherecrateus,
IV. für die iambischen Verse, und zwar 1. für den Senarius,
2. für den Dimeter.
Der fünfte Abschnitt beschäftigt sich mit dem Hexameter;
doch werden hier nur diejenigen Fälle verzeichnet, wo je zwei
Wörter übereinstimmen, z. B.:
Sat. 1 4, 81 ab s entern qui rodit amicum
Sat. I 5, 15 absentem ut cantat amicam.
Im sechsten Abschnitt wird die Wiederkehr derselben Wörter
in verschiedenen Versarten oder an verschiedenen Stellen der-
selben Versart nachgewiesen, z. B. :
Od. I 7, 9 aptum dicet equis Argos
Cpist. I 7, 41 non est aptus equis Ithace locus.
Der siebente Abschnitt endlich enthält eine Zusammen-
stellung von mancherlei Wiederholungen im Satzbau, in der Kon-
struktion und Wortstellung.
^
Horatias, von H. Röhl. 59
Es steckt ein gewaltiger Fleiß in diesen Sammlungen des
verstorbenen verdienstvollen Horazforschers, und mit staunendem
Interesse mustert man die langen, langen Reihen der Parallel-
stellen. Nur glaube man nicht, daß hiermit nun eine individuelle
dichterische Eigenheit des Horaz nachgewiesen sei. Meiner An-
sicht nach ist das meiste auf den (auch von Fritzsche S. 1 er-
wähnten) Zwang des Metrums zurückzuführen. Natürlich: je
strenger das Metrum ist, d. h. je weniger es die syllaba anceps
oder den Ersatz zweier Kurzen durch eine Länge oder die Wahl
zwischen verschiedenen Cäsuren oder die Anwendung von Elt-
sionen u. dgl. zuläßt und je weniger es Wörter von einer be-
stimmten Länge an bestimmten Versstellen gestattet, um so enger
wird die Auswahl für den Dichter und um so eher kommt er zu
Wiederholungen. Ganz ähnliche Beobachtungen, wie sie hier an
Horazens Gedichten, namentlich den lyrischen, angestellt sind,
kann man an Ovids Pentametern machen.
4]) W. Heraeos, Sprachliches aus den Pseodoa cronischen
Horazscholie o. Im Rheinischen Museum N. F. L VW '(1903),
S. 462-467.
Heraeus handelt anläßlich der Kellerschen Ausgabe nament-
lich über folgende Stellen der Scholien. Zu Epod. 2, 47; eine
Bestätigung für eine Glosse des Cyrillglossars CGJL. II 320, 64,
wo i<p£reioq mit hocannivus annotinw interpretiert wird, findet
Heraeus in diesem Scholion: huius anni, quod plebei dicunt
hocannium; Heraeus bessert: hocannivum. Zu Od. III 17, 1;
Lamnitium. Zu Od. I 8, 11; posinaclum, eine Art Diskus. Zu
Epod. 2, 57; lapa, für lapathus. Zu Od. III 18, 10; Faunorwn
culta. Zu Od. III 28, 12; trimorfa. Zu Epod. 12, 16; das Wort
maulistriae , wofür Keller m^ala) aulistriae einsetzte, schützt
Heraeus mit zweifellosem Rechte. Zu Od. I 23, 12; viripotens.
Zu Od. 11 19, 17; pergiras, wie Heraeus für per giras liest. Zu
Od. I 4, 5; Heraeus verteidigt überzeugend die Überlieferung
voluptate fadente. Zu Od. I 1, 11; für das verdorbene griechische
Wort vermutet Heraeus oQvyiov oder xtyitiov. Zu Od. I 9, 18;
der Scholiast habe falschlich das spätlateiniscbe Wort mörosus
interpretiert statt mörosus. Zu Od. I 15, 21; filiutn sei einfach zu
streichen. Zu Od. II 1, 6; die Worte cogit alea belli erweist
Heraeus als Zitat aus Lukan VI 60 coit area belli. Zu Od. II 15,
17; für curatas liest Heraeus paratas. Zu Od. III 3, 28; auosiUo
Hectorü (pri)mti oder {or}bati.
42; Friedrich Kreppe 1, Der Zyklus der Horazischen Römer-
öden. Erster Teil. Programm des Gymnasiums in Kaiserslautern.
1903. 59 S. 8.
Diese Abhandlung, die die Frage behandelt, ob und welche
Zusammengehörigkeit zwischen den Oden 111 1—6 bestehe, unter-
scheidet sich in recht erfreulicher Weise von vielem Wunderlichen,
50 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
das auf diesem Tummelplätze ethisch-poetisch-rhetorischer Er-
örterungen im Laufe der Zeit schon begangen worden ist. Zweierlei
muß dem Verfasser lobend nachgesagt werden: erstens, daß er
die bisherige Literatur über sein Thema weit mehr, als sonst
üblich, kennt und berücksichtigt; zweitens und hauptsächlich, daß
er ein ruhiges und nüchternes Urteil bekundet, sich von aller
Phantasterei fern hält und die Tragweite seiner Gründe vor-
sichtig abschätzt.
Die ganze Arbeit ist auf einen großen Umfang angelegt. Das
vorliegende Programm enthält zuerst eine Ablehnung der Hypo-
thesen von Gruppe und Peerlkamp über Od. III 1—6, ferner den
Nachweis, daß die Gleichheit des Metrums dieser Oden in der
Konzinnität des Tones und des Inhaltes ihren Grund findet, und
dann die ersten Teile des Hauptstückes der Untersuchung, dessen
Aufgabe darin besteht, eine möglichst deutliche Vorstellung von
dem Wesen eines jeden der sechs Gedichte zu gewinnen; und
zwar werden hier nur Od. 111 1 (S. 16—33) und 2 (S. 33—59)
behandelt. Die nachfolgenden herausgehobenen Sätze werden den
Standpunkt des Verfassers charakterisieren.
Od. III 1. Zurückzuweisen sind die Hypothesen, welche die
Einleitungsstrophe in Beziehung zu der Gesamtheit des dritten
Buches setzen. Die beiden Einleitungsstrophen setzen nicht nur
die Existenz der folgenden Gedichte voraus, sondern sie zeigen
auch, daß die ganze Reihe oder doch wenigstens eine Reihe von
mehreren Gedichten vom Dichter selbst absichtlich nebeneinander
gestellt ist. Die Verse 5 — 8 deuten auf Augustus hin. Der Gang
der Ode ist dieser: Nachdem in feierlicher Einleitung Juppiter
und unter seinem Namen versteckt auch Augustus gepriesen ist,
weist Horaz darauf hin, wie alle Herrscher dem Juppiter, so seien
alle Menschen, so verschieden sie auch sein mögen, der Necessitas
gleichmäßig unterworfen. Aber, so fährt der Dichter fort, trotz
dieser Gleichheit der Necessitas gestallet sich das Leben doch ganz
anders für den Gottlosen, Unzufriedenen, als für denjenigen, der
sich fromm zu bescheiden weiß. Denn dieser wird auch in engen
Verhältnissen glücklich sein, jener trotz allen Reichtums im Kampf
mit dem Geschick ein unseliges, ruheloses Leben führen. Da
wird es nicht schwer sein, mir gleich zu wissen, für welche
Lebensweise man sich zu entscheiden hat.
, Od. III 2. Die fortitudo des ersten Teiles und das fidele
silenlium des letzten Teiles sind beide KoefOzienteh der virtus; im
mittleren Teile des Gedichtes aber wird uns eine weitere Art ge-
schildert, wie sie sich zeigt, ihre Stellung zu innerpolitischer
Tätigkeit. Das fidele silentium darf nicht neben die virtus ge-
stellt werden, sondern es bildet ebenso wie die fortitudo einen
Teil der virtus, die als einziges Thema des ganzen Gedichtes
erscheint. Die Ode hat folgenden Gang: Im Felde möge die
virtus sich zeigen zum Schrecken der Feinde, dort soll sie sich
Horatius, vop H. Röhl. ßf
ihre Lorbeeren holen; auf tätige Teilnahme am Regiment des
Staates aber muß und kann sie jetzt verzichten. Solcher Tugend
wird der Lohn der Unsterblichkeit. Aber freilich noch weiter
muß die Enthaltsamkeit reichen: auch fürwitzige Reden; über
Staatsangelegenheiten muß man lassen, sonst folgt schlimme
Strafe.
Das sind etwa die Resultate Kreppeis, soweit sie bis jetzt
vorliegen ; freilich wird durch sie kaum alle Meinungsverschiedenheit
über Inhalt und Bau dieser Oden beseitigt werden. Aber gern
erwartet man die Fortsetzung, die ja auch auf minder mißliches
Gebiet fuhren wird.
Anhangsweise sei noch erwähnt, daß der Verfasser in einer
Anmerkung zu S. 13 eine inhaltliche Zusammengehörigkeit der
metrisch gleichen Oden II 13 — 15 zu erweisen sucht. Hier,
fürchte ich, wird er seinem sonst so vorsichtigen Charakter für
einen Augenblick untreu. Von den Oden gleichen Metrums, die
nebeneinanderstehen (abgesehen von Od. III 1 — 6), gehören ja
zweifellos zusammen I 34 und 35, IV 14 und 15; aher bei den
übrigen Gruppen läßt sich innerer Zusammenhang doch nicht
überzeugend nachweisen.
Folgende Publikationen haben dem Referenten noch nicht
vorgelegen :
J. Neß, Horaz, übertragen in deutsche Dichtung, Gießen 1903, E.Roth.
35 S. 8.
E. Sabbadini, Varia, Orazio Garm. III 5. In: Rivista di filologia e
d' istrnziooe classica XXX 1902, S. 446.
G. Curcio, Le iovocaziooi nell' Arte poetica. In: Rivista di
filologia e d' istruzioue classica XXX 1902, S. 593 ff.
P. Sandford, Notes od two passages of Horace (Ep. I 1,53 — 69,
Sat. I 1, 88—109). In: Hermathena XXVIII 1902, S. 44—47.
£. Ensor, Notes ou the ödes of Horace. Jn: Hermathena XXVIII 1902,
S. 105 ff.
Cb. Knapp, Oo Horace, ödes III 30, 10-14. lu: Classical Review XVII
1903, S. 156—158.
O. Basiner, Ludi saeculares. Drevnerimskija sekuljaroyja igry.Varsava
1901. 7 Bl., 326, CXV p. m. 12 Taf.
V. Löwenthal, Ober die Säkularfeier des Augustüs und das
Carmen saeculure. Programm. Czernowitz 1901.
£. Menozzi, Manuale dimetrica oraziaua. Palermo, Reber.
Gr. Senigaglia, Ancori sull' ode Oraziana I 28. Feltre 1902.
A. Viola, l'Arte poetica di Orazio nella critica italiana e straniera.
Vol. I. Napoli 1901, Pierro e Veraldi. VIII u. 435 S.
G. Tarnassi, Da Orazio (ital. Obers, von Od. III 29). lu: Atene e Roma,
anno VI S. 39—41.
CG. Botting, Horatius, Ödes, Book 2. London 1902, Bell. 18.
G. Cardncci, I primi tre epodi di Orazio. In: JNuova Antologia 1902,
16. Dicembre.
Ch. Collard, La campagne dans Horace. In: Bulletin bibliographique
et peMagogique du Musle Beige 1903 S. 119—128.
Pv Possataro, Orazio. In: Studi di letteratura classica.
62 Jahresberichte d. Philolog. Vereios.
P. Lejay, La date et le bat de l'art poltique d'Horace. In: Revue
de Instruction publique en Belgique XLV S. 361—386 uod XL VI
S. 153—185.
P. Rasi, Di Lucilio rudis et Graecis intacti carminis auctor.
In: Rivista di fildlogia e d' istruzione classica XXXI 1903, S. 121—125.
V. Ussani, Per od veno di Orazio (Epod. 16,52). Id: Bollettino di
filologia classica IX S. 157—159.
S. Allen, Od Horace, Epist. I 11, 31. Id: Classical Review XVII,
1903, S. 261.
C. C. Bushbell, The first four feet of the hexametera of
Horace's Satircs. Io: Procecdiogs of the AmericaD Philological
Associatioo, vol. XXXIII.
A. Chambalu, Präparatioo zu Horaz' Oden, Buch III und IV nebst
dem Jahrhuodertlied (Krafft uod Rankes Präparationen für die Schul-
lektüre, 40. Heft), zweite, verbesserte Auflage. Hannover. Nord-
deutsche Verlagsanstalt, 0. Gb'del.
W. S. Eiden, Zu den Bedingungssätzen bei Horaz. In: Procee-
dings of the American Philological Association, vol. XXXII.
E. Ensor, On Horace, Ödes IV 8, 13—22. In: Classical Review XVII,
1903, S. 256—258.
E. Ensor, On the allusions in Horace, Ödes I 14. In: Classical
Review XVII 1903, S. 158- 159.
E. M. Pease, Zu Hör. Sat. I 5, 16 nauta atque viator. In: Proceedings
of the American Philological Association, vol. XXXII, S. LIII — LIV.
R. S. Radford, Reste der Synapheia bei Horaz und den römischen
Tragikern. Io: Proceedings of the American Philological Association,
vol. XXXII, S. IX— XII.
L. J. Richardson, Od certain sound properties of the Sapphic
Strophe as empioyed by Horace. Io: Transactioos of the American
Philological Association, vol. XXXIII.
L. J. Richardson, Der kleinere Asklepiadeus bei Horaz. In:
Proceedings of the American Philological Association, vol. XXXII
S. LXIV— LXV.
W. C. F. Walters, Note on Horace, Epist. I 2,31. In: Classical
Review XVII, 1903, S. 203.
W. E. Waters, Eine Horazische Glosse (zu Od. I 20). In: Procee-
dings of the American Philological Association, vol. XXXII.
M. L. Earle, De Horatii Serm. I. In: Revue de philologie XXVII
1903, S. 233 ff.
Q. Horatii Flacci carmina selecta, für den Schulgebrauch heraus-
gegeben von Joh. Huemer. 6. Auflage. Wien 1904, A. Holder.
XXIV und 204 S. 8.
E. Ensor, Notes on the Ödes of Horace (Od. IV 14, 13; II 9, 19
bis 22; IV 2, 29; II 8, 21-24). In: Hermathena XXVIII S. 105
bis 110.
H. St. Johnstone, Notes on passages in the satires of Hoxace.
In: Hermathena XXVIII, S. 29. 39.
H. Willenbücher, Bemerkungen zurLektüre des ersten Buches
der Oden des Horaz. In: Lehrproben und Lehrgänge, Heft 76.
Halberstadt. H. Röhl.
3.
Xenophon.
1898—1900.
Es sind mehr als zwanzig Jahre verflossen, seit der letzte
Jahresbericht ober Xenophon in dieser Zeitschrift erschienen ist.
Die Literatur der Jahre 1873—1876 hat W. Nitsche besprochen
iZeitschr. f. d. GW. 1874, 1876, 1877 = JB. I S. 851—867, 933
bis 972; II S. 21—68; III S. 257—299). Der letzte Bericht (über
das Jahr 1881 mit Berücksichtigung der vorhergehenden Jahre
sowie des nächstfolgenden) ist von dem früh verstorbenen H. Zurborg
geliefert worden (Z. f. d. GW. 1883 = JB. IX S. 198—240).
Neben und nach diesen Berichten ist die Xenopbonliteratur
fortlaufend verzeichnet und besprochen worden in dem Bursian-
schen Jahresbericht über die Fortschritte der klassischen Alter-
tumswissenschaft für die Jahre 1874—1877 (z. T. auch noch für
1878) von W. Nitsche (XV, 1877, I, S. 14— 80 b), für die Jahre
1879 und 1880—1888 von K. Schenkl (XVII, 1879, I, S. 1—32;
LIV, 1888, 1, S. 1—128), endlich für 1889—1898 von E. Richter
(C, 1899,1, S. 33-91).
Der vorliegende Bericht beginnt dort, wo der letzte Bursiansche
Bericht abgeschlossen hat. Doch ist das Jahr 1898, welches bei
Bichter etwas zu kurz gekommen ist (vgl. u. Nr. 8), noch mit in
den Kreis der Betrachtung gezogen worden.
Die ersten Berichte werden sich über einen Zeitraum von
mehreren Jahren erstrecken, um der Forschung der Gegenwart mög-
lichst schnell nahe zu kommen. Von 1906 ab werden sie dann
nur je ein Jahr umfassen. Der vorliegende enthält die Literatur von
1898 — 1900; doch ist in einigen Fällen (Matthias, Hansen, s. u.
II. Anabasis) noch auf 1897 zurückgegriffen, andrerseits die Be-
richterstattung zuweilen schon auf die Jahre 1901 — 1903 aus-
gedehnt worden, wenn inzwischen von dem einen oder anderen
Werke (Gomperz, Gercke, Gemoll) wenig veränderte neue Auflagen
erschienen waren oder eine Zusammenfassung aus inneren Gründen
und zur Vermeidung von späteren Wiederholungen (so z. B. bei
den zahlreichen „Schülerpräparationen") sich empfahl. Außer zu-
sammenfassenden Werken wird besonders alles auf die Schul-
64 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Schriften Anabasis, Hellenika und Memorabilien Bezügliche be-
sprochen werden; doch sollen auch die Cyropädie (über die in
den Berichtsjahren übrigens nichts von Bedeutung erschienen ist)
und die kleineren Schriften nicht unberücksichtigt bleiben. Der
vorliegende Bericht zerfällt in fünf Abschnitte: I. Allgemeines,
IL Anabasis, 111. Hellenika, IV. Memorabilien, V. Kleinere Schriften.
Je nach Bedarf wird am Schlüsse der Berichte eine knappe In-
haltsübersicht bzw. ein Verzeichnis wichtiger, in einem bestimmten
Zusammenhange erwähnter oder besprochener Stellen gegeben
werden. — Einiges, was mir zwar bekannt, aber z. Z. nicht zu-
gänglich war, mußte für den nächsten Bericht zurückgestellt
werden.
Im übrigen bemerke ich, daß besonderer Wert darauf gelegt
wird, außer den Ausgaben, Aufsätzen in Zeitschriften u. ä. auch
die von Xenophon handelnden zusammenhängenden Abschnitte,
sowie mehr gelegentliche Bemerkungen größerer Werke über Literatur-,
gescbicbte, Geschichte, Philosophie u. s. w. zu besprechen, die
denjenigen leicht unbekannt bleiben, denen größere Bibliotheken
nicht zur Verfügung stehen. Nur so läßt sich eine annähernd
vollständige Übersicht dessen gewinnen, was in einem bestimmten
Zeitabschnitt über einen Autor geleistet ist. Die im letzten Jahr-
zehnt zahlreich erschienenen Präparationen, Schulausgaben ver-
schiedener Art und Ähnliches werde ich in diesem ersten Bericht
etwas eingehender behandeln und die Grundsätze meiner Be-
urteilung darlegen, um mich später mit Beziehung hierauf durch-
weg kürzer fassen zu können und mehr Raum für anderes zu
gewinnen. Schriften, in denen einzelne Stellen aus verschiedenen
Werken behandelt sind, werden entweder unter I (Allgemeines)
oder unter derjenigen Rubrik besprochen werden, welcher die
betr. Arbeiten vorzugsweise angehören.
Vollständigkeit ist zunächst nicht beabsichtigt, soll aber all-
mählich, soweit möglich, angestrebt werden, wenigstens für die
inländische Literatur. In bezug auf die ausländische wird sie sich
so lange auch nicht annähernd erreichen lassen, als unsere öffent-
lichen Bibliotheken, wenigstens auf dem philologisch-historischen
Gebiete, in der Beschaffung ausländischer wissenschaftlicher Lite-
ratur so überaus zurückhaltend verfahren, wobei obendrein über
vielem Minderwertigen auch manches Gute übersehen wird. Es
ist mir z. B., um nur aus dem Gebiete der Xenophonliteratur
einiges anzuführen, von älteren Arbeiten die wichtige Schrift von
0. Riemann: Qua rei criticae tractandae ratione Hellenicon Xeno-
pbontis textus constituendus sit (Paris 1879), von neueren Holdens
englischer Kommentar zum Oikonomikos (1895), für den es eine
deutsche erklärende Ausgabe aus neuerer Zeit überhaupt nicht
gibt, nicht zugänglich gewesen. Ich muß in dieser Hinsicht also
um die Nachsicht der Leser bitten. In ausländischen Wissenschaft- ,
liehen Zeitschriften liest man öfters die Klage, daß deutsche
Xenophoo, von B. Ullrich. 65
Gelehrte die Arbeiten des Auslandes nicht genügend berücksich-
tigten. Das ist, wenigstens auf philologischem Gebiete, oft in der
Sache selbst begründet; aber andrerseits lassen ausländische Ver-
fasser und Verleger selbst denjenigen deutschen Zeitschriften,
welche regelmäßig Berichte herausgeben, ihre Werke nur sehr
spärlich zugehen. Für den hier zu besprechenden Zeitraum hat
dem Berichterstatter von Erscheinungen des Auslandes nur eine
einzige (Index zu den Memorabilien von zwei amerikanischen Ver-
fasserinnen; s. u. IV) vorgelegen.
I. Allgemeines.
1) Wilhelm Christ, Geschichte der griechischen Literatur bis
anf die Zeit Jostiniaos. Dritte, vermehrte und verbesserte Auf-
lage. München 1898, G. H. Becksche Verlagsbuchhandlung (Oskar
Beet). XIV u. 945 S. Lex. 8. Mit 28 Abbildungeo. 16,50 M,
geb. 18,50 JC.
Anzeigen: M.Maas, WS. f. klass. Phil. 1898 Sp. 1025— 1031. —
A. Haavette, Rev. crit. 1898, IT, S. 317. — J. Golling, Ztsch. f. d. öst.
G. 1899 S. 277 f. - J. Sitzler, IN. phil. Rdsch. 1899 S. 465—467. —
R. Peppmuller, Berl. phil. WS. 1899 Sp. 1121—1130. — A. B. Cook,
Class. Rev. 1899 S. 53 f. — J. Bruns, Preufi. Jahrb. 95, II, S. 343 f. —
D. Bassi, Riv. di fil. XXVffl S. 337—342.
Der Abschnitt über Xenophon in Christs schon unentbehr-
lich gewordenem Werke ist in der neuen Auflage (S. 345 — 357)
im Verhältnis zur vorhergebenden (1890, S. 296—307) natur-
gemäß nur wenig umfangreicher geworden, zeigt aber überall die
sorgfältig nachbessernde Hand des Verfassers, dem Wesentliches
hier nicht entgangen ist. Die neue Literatur ist nachgetragen,
der Text vorsichtig durchgesehen, auch manche Anmerkung schärfer
gefaßt.
Die Lebenszeit Xenophons wird in der Oberschrift „Um 434
bis um 355" angesetzt. Man darf jetzt wohl besser sagen : „Um
430 bis nach 355". Die Bemerkung, die Verbannung scheine vor
die Schlacht von Koronea gesetzt werden zu müssen, ist jetzt
gestrichen, wohl mit Recht. Wenn im Texte (S. 345) das von
Laertius Diogenes kolportierte Geschichtchen von der Begegnung
des Sokrates mit Xenophon auf der Straße erwähnt wird, so
konnte wohl auch das aus der Anabasis (HI 1,5 ff.) bekannte Zu-
sammentreffen beider Männer berichtet werden, an dessen Richtig-
keit zu zweifeln wir keinen Grund haben. S. 345 Anm. 4 wäre
noch An. HI 2, 37 hinzuzufügen. Neu, wenigstens hier, ist S. 347
die treffende Bemerkung, daß dem mystischen Zuge, welcher in
der römischen Kaiserzeit die Geister zu beherrschen anfing, gerade
Xenophons religiöse Anschauungen besonders entgegenkamen, ein
Umstand, welcher zur Erhöhung seines Ansehens nicht wenig bei-
getragen hat. Die Ergebnisse von Schachts Untersuchung (De
Xenophontis studiis rhetoricis, Diss. Berlin 1890), wonach auch
JakNaberiehto XXX. 5
gß Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Xenophon, was bisher wenigstens nicht genügend beachtet worden
war, sich dem Einflüsse der Rhetorik nicht ganz bat entziehen
können, hätten vielleicht auch im Texte eine kurze Er-
wähnung verdient (vgl. dazu jetzt besonders Norden, Att. Kunst-
prosa I S. 101 ff., wo auch die Stellung, welche ßlaß, Att. Ber.
II8 S. 479 Schachts Untersuchungen gegenüber einnimmt, kritisch
gewürdigt ist). Statt „manches Unechte" (S. 347) sollte es heißen:
„nur weniges Unechte4'. S. 350 (Abschn. 244 Z. 11 ff.) kann die
Bemerkung über den Abschluß der Hellenika entsprechend ein-
geschränkt werden, da Verf. ja das Leben des X. bis gegen 355
hinabgeruckt hat. Mit Recht tritt Christ für die Echtheit des
Agesilaos ein, dessen sprachliche Form im Verhältnis zu den
Hellenika er kurz bespricht. Die kleineren sokratischen Schriften
sind zweckmäßig jetzt so geordnet: Oikonomikos, Apologia, Sym-
posion; in der Notiz über Birt (S. 353 Anm. 1, Schi.) ist die
Jahreszahl „1893" hinzuzufügen. Am Schluß der Besprechung
des Oikonomikos ist eine kurze, aber treffende Charakteristik
dieser von Christ sehr geschätzten Schrift hinzugekommen; die
Frauen werden dabei merkwürdigerweise nicht erwähnt. Bei
der Besprechung des Symposion (S. 354) hätten die allerdings
mißlungenen Versuche, auch dieses Werk als unecht zu erweisen,
vielleicht kurz erwähnt werden können; Christ registriert der-
artiges sonst auch bei den kleineren Schriften sorgfältig. In der
Frage der Priorität Piatons bzw. Xenophons gibt er keine be-
stimmte Antwort — nach Lage der Dinge mit Recht; anders
Gomperz (s. u. No. 3).
Die Besprechung der unter Xenophons Namen überlieferten
yu4&t}valcov noforeia, jener sprachlich wie sachlich so merk-
würdigen Schrift, gestaltet Christ in der vierten Auflage vielleicht
etwas ausführlicher und räumt auch der ausgezeichneten Ab-
handlung von R. Scholl, welche S. 356 Anm. 4 nur kurz erwähnt
wird, etwas mehr Platz ein (vgl. Gomperz, Griech. Denker I1 S. 398
und I8 S. 471). Die Bemerkung S. 428 Anm. 2, 2. Hälfte über
den Charakter dieser Schrift (vgl. auch Kaiinka in seiner Ausgabe
S. 3) halte ich nicht für zutreffend. Die Angabe über den zer-
rütteten Zustand des Textes wird nach Kalinkas Forschungen vom
Verf. jetzt wohl zu ändern sein (vgl. auch Ztsch. f. d. GW. 1899
S. 234 ff.). Auch würde es sich vielleicht empfehlen, diese Schrift
aus dem xenophontischen Zusammenhange überhaupt heraus-
zunehmen und ihr den richtigen Platz an der Spitze der attischen
Prosa anzuweisen, wie es z. B. Gercke in seinem Abriß getan hat
(s. Nr. 2). Den Kynegetikos rechnet Christ im Anschluß an Rader-
machers Untersuchungen jetzt ziemlich bestimmt zu den unechten
Schriften; vgl. auch Norden, Att. Kunstprosa I (s. Nr. 4), anders
Gomperz, Griech. Denker II2 S. 542. In der Zusammenstellung
der Hss., Ausgaben etc. am Schlüsse (S. 357) werden die Cobet-
schen Ausgaben in ihrer Eigenart kurz charakterisiert.
Xeaophoii, vod R. Ullrich. 67
Ich möchte für die nächsten Auflagen des vielbenutzten Buches
noch einen Wunsch äußern. Der Band, der das unermeßlich
reiche Gebiet der griechischen Literatur bis auf Justinian um-
schließt, fängt an, unhandlich zu werden, und ich möchte den
Herrn Verfasser bitten, ihn in zwei einzeln käufliche und mit be-
sonderem Register versehene Teile zu zerlegen; die Abgrenzung
(klassische, nachklassische Literatur) ist durch die gegenwärtige
Einteilung schon gegeben. Es wurde dann vielleicht auch möglich
sein, die Behandlung etwas ausfuhrlicher zu gestalten, so daß
z. B. der Student in die wichtigsten Probleme wirklich eingeführt
werden kann (mehr Bibliographie wünscht auch Hauvette a. a. 0.),
wie dies in dem im gleichen Verlage erschienenen Werke über
die römische Literaturgeschichte von Schanz in sehr glücklicher
Weise geschehen ist. Immerhin hat auch der jetzige Zustand
seine großen Vorteile (s. Bruns a. a. 0.), und man sollte, anstatt
die naturgemäß noch an mancherlei Ungleichheiten leidenden Ab-
schnitte des Werkes (zumal die späteren) allzusehr zu tadeln,
lieber immer aufs neue freudig anerkennen, daß Christ hier eine
Arbeit geliefert hat, die nicht nur für die klassische Zeit eine
zuverlässige, auf der Höhe der Forschung stehende Obersicht bietet
(im Gegensatz z. B. zu dem in vieler Hinsicht auch vortrefflichen
Werke von Sittl, das aber mit der Zeit Alexanders des Großen
abbricht), sondern auch für das weite und so mannigfaltige Ge-
biet der nachklassischen Zeit zum ersten Male eine immerhin
brauchbare Grundlage bildet, die noch vor fünfzehn Jahren völlig
fehlte.
Nachdem uns die letzten Jahrzehnte auf dem Gebiete der
eigentlichen Literaturgeschichte sowohl wie auf dem der Geschichte,
Philosophie und Religionswissenschaft so viele vortreffliche Mono-
graphien gebracht haben (um nur Blaß, Bruns, Diels, E. Meyer,
Norden, Rohde, Usener, Wachsmuth, v. Wilamowitz, Zeller zu
nennen), wäre es vielleicht an der Zeit, daß eine diese reichen
Ergebnisse verwertende Darstellung versucht würde, die in mäßigem
Umfange und in künstlerischer Form das ganze Gebiet dieser
Literatur, welcher die unsrige so viele Anregungen zu danken hat,
einem „weiteren Kreise der Gebildeten'1 darböte, wie sie, wenn auch
als Bruchstück, Otfried Müller, für seine Zeit und in vieler Hin-
sicht auch für die unsrige vorbildlich, vor nun schon zwei Menschen-
altem gegeben hat. Was für das Ganze oder wenigstens wichtige
Teile der römischen, deutschen, englischen, französischen und
italienischen Literatur z. T. schon mehrmals mit Erfolg versucht
worden ist, sollte auch für das Gebiet der griechischen Literatur
nicht mehr unmöglich sein; denn das z. B. von J. Geflcken
(DLZ. 1898 Sp. 79311.) geäußerte Bedenken, daß es noch an
Monographien fehle, trifft doch wenigstens für die klassische Zeit
nicht mehr zu. Und an „Berufenen" fehlt es ja nicht.
5*
§8 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
2) Alfred Gercke, Griechische Literatargeschichte mit Berück-
sichtigung der Geschichte der Wissenschaften. Leipzig 1898, G. J.
Göschensche Verlagshandlung (Sammlang Göschen Bd. 70). 176 S.
kl. 8. geb. 0,80 JC. (Zweite, umgearbeitete Auflage 1903. 190 S.)
Anzeigen: J. Geifcken, DLZ. 1898 Sp. 793—795. — ßl. f. d.
GSW. 1898 S. 799. — F. Luterbacber, N. phil. Rdsch. 1898 S. 164 f. —
H. Jorenka, Ztschr. f. d. öst. G. 1899 S. 881 ff. — P. Cauer, Ztschr.
f. d. GW. 1900 S. 494—501.
Es ist ein erfreuliches Zeichen, daß nun auch die „Sammlung
Göschen'4 ihre griechische Literaturgeschichte hat, erfreulicher noch,
daß schon nach fünf Jahren eine neue Auflage des allenthalben
willkommen geheißenen und gunstig beurteilten Büchleins nötig
geworden ist.
Der dem Xenophon gewidmete Raum (S. 111, 113 f., 153 =
3 111, 113 — 115, 162) ist knapp, vielleicht etwas zu knapp im
Verhältnis zu seiner Bedeutung. Erquickend ist, was im Gegen-
satz zu andern Beurteilern (z. B. Gomperz; s. Nr. 3) über die
Anabasis gesagt wird (S. 114): »„Diese militärischen Memoiren ge-
hören in ihrer einfachen klaren Darstellung und der ungesucht
schönen Sprache zu einem unveräußerlichen Besitze der Welt-
literatur, auch durch Cäsars „Kommentare über den Gallischen
Krieg" nicht übertroffen". Daß- der Agesilaos eine Leichenrede ge-
nannt wird, kann für weitere Kreise des Publikums, an die sich
diese Bändchen doch auch wenden wollen, irreführend sein, und
daß er aus den Hellenika entlehnt sei, ist nicht richtig. Daß
auch hier wieder Xenophon an Thukydides und Piaton gemessen
wird, stimmt zwar mit der Weise aller griechischen Literatur-
geschichten, ist aber m. E. nicht zu billigen (vgl. das zu Seeck
unter Nr. 6 Bemerkte). Und daß er sich im Symposion mit
Piaton habe messen wollen, ist nicht erwiesen (s. oben S. 66 zu
Christ). Daß der Oikonomikos neben „Hieron" als unbedeutend
bezeichnet wird, ist schwer zu verstehen. Schon Zeller (II4 1
S. 240) hatte richtiger geurteilt, und Hodermann (s. am Schlüsse
dieses Berichts) und selbst der unserm Autor wenig geneigte
Gomperz haben treffliche Worte über diese Schrift gesagt; man
muß sie nur nicht einseitig von der philosophischen Seite be-
trachten. Wo die taktischen Arbeiten Xenophons und selbst seine
„Schrift über Jagdhunde" erwähnt werden, vermißt der moderne
Leser, der sich für alles Soziale interessiert, einige Worte über
die Abhandlung „Von den Staatseinkünften" ungern (vgl. Gomperz,
Griech. Denker II2 S. 108 f. und u. Nr. 3). Der Verf. wird ent-
gegnen, das Büchlein wäre leicht um mehrere Bogen stärker ge-
worden, wenn ähnliche Ansprüche auch für seine übrigen, z. T.
noch bedeutsameren Teile erhoben worden wären. Doch das
hätte dieser Arbeit gewiß ebensowenig geschadet, wie der im
gleichen Verlage erschienenen deutschen Literaturgeschichte, die
gleich billig und doch sechs Bogen stärker ist. Mit der einfachen
Aufzählung oder kurzen Charakteristik von Autoren und Werken
Xenophon, von R. Ullrich. 69
(vgl. die letzteo 50 Seiten und das Register), die für den Gelehrten
oft sehr interessant sind, ist weiteren Kreisen nicht gedient, da
diesen solche Werke meist nicht zugänglich sind; wichtiger ist
es hier, daß über die Werke derjenigen Autoren, die seit langer
Zeit gutes Burgerrecht in der Literatur hahen, vielen zum Teil
auch noch von der Schule her in gutem Andenken stehen, aus-
fuhrlicher gehandelt und so zur Lektüre angeregt wird, die alte
Freude erneuen kann. Zu diesen gehört sicher Xenophon.
Die Schrift „Vom Staate der Athener4' ist mit Recht wie bei
Gomperz (a. a. 0. Bd. I S. 397 ff.) an den Anfang der Entwicklung
der attischen Prosa gestellt worden.
In der zweiten Auflage sind die auf X. bezuglichen Stellen
unverändert geblieben; der berechtigte Wunsch von Luterbacher
(a. a. 0. S. 615), Arrians Anabasis erwähnt zu sehen, nach meiner
Meinung am besten gleich im Anschluß an die Xenophons, ist
nicht erfüllt worden. Aber wenn Onesikritos1 Alexandergeschichte
als Gegenstuck zur Cyropädie herangezogen wurde (S. 162), so
hätte die uns erhaltene Nachahmung der Anabasis durch Arrian
(dessen philosophische Abhandlungen S. 184 berührt werden; im
Register s. v. Arrianos ist die Zahl 157 zu streichen) viel eher
Erwähnung verdient, schon um zu zeigen, daß der Einfluß des
alten Klassikers auch in der Kaiserzeit noch bedeutend war.
Die zweite Auflage hat auch ein Register erhalten, dessen die
erste entbehrte; in dem knappen Literaturnachweise (S. 4) sind
die inzwischen erschienenen Bände 4 und 5 von Ed. Meyers „Ge-
schichte des Altertums" nachzutragen; dafür kann die von G.
selbst als „unbedeutend und stellenweise schlecht" bezeichnete
Literaturgeschichte Nicolais gestrichen werden.
Dem Buchlein ist auch in der neuen Auflage die weiteste
Verbreitung zu wünschen.
3) Theodor Gomperz, Griechische Denker. Eine Geschichte der
antiken Philosophie. Sechste bis zwölfte Lieferung, 1 897— 1902
(= Band II). Leipzig 1902, Veit & Comp. VIII u. 616 S. gr. 8.
13 Jt. (Zweite, durchgesehene Auflage 1903.)
Anzeigen: J. Bidez, Rev. crit. 1897, II, 392—394. — Österr.
Lit. Bl. 1899 S. 423. — Goedecke-Meyer, Theol. LZ. 1903 S. 289—294.
— P. Barth, Vierteljahrschr. f. wiss. Philos. 1893 S. 353—355. —
Vgl. auch die Besprechung des ersten Bandes von A. Schmekel, DLZ.
1898 Sp. 101—104.
Das groß angelegte Werk des Wiener Altmeisters der Philo-
logie und Philosophie, in dem er „aus seiner Lehensarbeit die
Summe zieht", ist freudig begrüßt worden. Man hat seiner im
Verhältnis zu dem gewaltigen Stoffe knappen und doch ein-
dringenden, von großen Gesichtspunkten beherrschten Darstellung
das höchste Lob gezollt, den glänzenden Stil gerühmt und sie ein
notwendiges Gegenstück zu Zellers Werk genannt. Andrerseits
ist bei aller berechtigten und verdienten Anerkennung für den
70 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
ersten Band besonders von Scbmekel (a. a. 0.) auf den unsicheren
Charakter mancher Ergebnisse des Werkes des „geistreichen
Positivisten" (G. hat bekanntlich auch die Werke von John Stuart
Mill herausgegeben) hingewiesen worden.
Für Xenophon kommt außer gelegentlichen Bemerkungen,
die sich zerstreut auf den ersten hundert Seiten des 2. Bandes
sowie in den Abschnitten über Piaton finden (vgl. besonders 16,
43ff., 49ff., 61 ff., 70ff. u. ö„ 307 f., 318, 419), der kurze zu-
sammenhängende Abschnitt S. 96 — 112 nebst den entsprechenden
Anmerkungen, hauptsächlich S. 542 f., in Betracht, in welchem X.
als Mensch und Schriftsteller gewürdigt wird.
Das Urteil lautet ungunstig. Schon die gelegentlichen
Äußerungen in den ersten Kapiteln ließen darauf schließen. X.
ist „eitel" im Dienste des Seuthes (S. 16), seine Wahrheitsliebe
wird angezweifelt (S. 50), S. 59 heißt es: „Eine jener Ausführungen,
die viel zu gehaltreich sind, als daß wir in ihnen ein Erzeugnis
des xenophontischen Geistes erblicken dürften", er ist „trivial",
„unerquicklich breit" (61), „eines jener stechenden Worte, die
der Verf. der Memorabilien zu erfinden ganz und gar unfähig
war" (64); er ist „der geringwertigste aller Zeugen" (72), „die
Schriften des vielgewanderten Kriegsmanns sind kein treues Spiegel-
bild des athenischen Lebens und Empfindens" (308), seine „ziem-
lich plumpe Weise" wird getadelt (318) u. s. f. Die zusammen-
hängende Charakteristik S. 96 — 112 ist aber noch viel ungünstiger
geworden, als man nach alledem erwarten durfte. Zwar über die
abfällige Beurteilung der Sokratischen Gespräche, besonders der
Memorabilien, will ich mit dem Verfasser, der als Herausgeber der
Werke St. Mills ganz auf dem Boden modernen Empfindens steht,
nicht rechten. Das merkwürdige Buch (dessen Darlegungen nach
G. Mißbehagen im Geiste des modernen Lesers zurücklassen, S. 61)
hat von jeher die verschiedensten Beurteilungen erfahren, reich-
liches Lob und schärfsten Tadel; wieweit X. originell ist, ob er
Sokratische Gedanken wiedergibt, ob und wieweit er den Meister
richtig verstanden hat, ja endlich was von dem uns Vorliegenden
echt ist, was nicht — über all dies wird noch immer gestritten,
und die Arbeiten auch der letzten anderthalb Jahrzehnte (Dümmler,
Lincke, Döring, E. Richter, Joel, Bruns u. a.) haben so verschiedene
Ergebnisse gebracht, daß an eine Einigung (außer in der Frage
der Interpolationen, gegen die auch Gomperz S. 111 sich mit
Recht erklärt) vorläufig nicht zu denken ist. Xenophon war kein
Philosoph (so schon Schleiermacher), der ein System ausgebildet
hat; G. meint zwar (103), er habe sich für einen solchen ge-
halten; doch mit welchem Rechte? Er war auch kein „Denker"
im höchsten Sinne des Wortes, und man wundert sich fast, daß
G. ihm so viel Platz in seinen „Denkern" eingeräumt hat. Aber
er war, trotz aller Lakonenfreundlichkeit, ein echter Athener,
beweglich und vielseitig, und wenn G. dies „Anpassungsfähigkeit"
Xeoophon, von R. Ullrich. 71
nennt, im üblen Sinne, und dabei auf etliche Widersprüche in
seinen Schriften — es sind wieder die sog. philosophischen —
hinweist, so darf man wohl sagen, daß er diesen Mangel mit
größeren Zeitgenossen teilt, die ihr Leben bis an die achtzig ge-
bracht und ihre Ansichten bewußt oder unbewußt geändert haben.
Und wenn 6. seinen Abschnitt (S. 112) mit den Worten schließt:
„Alles in allem darf es als eine der zugleich heitersten und be-
trübsamsten Fügungen des in literarischen Dingen waltenden Zu-
falls gelten, daß Schriften des wackeren Landjunkers, Reisläufers
und Sportsmanns (1), des humorvollen und plastischen, aber keines-
wegs gedankenreichen Schilderers abenteuerlicher Erlebnisse und
kriegerischer Begebenheiten für uns zu einer Quelle der Philo-
sophiegeschichte geworden sind44, so ist das ein Urteil, das ich
nicht unterschreiben kann.
Natürlich mußte G. bei dem Plane seines Werkes die sog.
philosophischen Schriften vor allem berücksichtigen; aber da X.
auch außerdem noch manches „gedacht" und geschrieben hatte,
war es geraten, auch dies in den Kreis der Betrachtung zu ziehen,
um vielleicht von dieser Seite her den unsicheren Boden, den die
Memorabilien dem Beurteiler bieten, gangbarer zu machen. So
zieht denn G. die Anabasis, die Hellenika, die Cyropädie und auch
die kleineren Schriften fast alle geschickt heran. Die Hauptfrage
hierbei scheint mir die zu sein: Ist das, was X. uns in diesen
Werken als Geschichte seines eigenen Lebens und seiner Zeit
oder als Frucht seines Denkens mitteilt, wahr oder stellt er es
unbewußt nicht getreu dar und gibt er sich da, wo er von sich
handelt, so, wie er wirklich war, oder haben wir sichren Grund
zur Annahme, daß er oft mala fide geschrieben hat? Gomperz
ist sehr häufig geneigt, das letztere anzunehmen; aber wenn der
Philosoph den „Philosophen*', wie andre vor ihm, vielleicht nicht
mit Unrecht tadelte, so ist, glaube ich, der Philologe dem Historiker
und der Mensch dem Menschen nicht gerecht geworden.
Die Hellenika beurteilt G. verhältnismäßig günstig. Er sagt
mit Recht (105): „Wir würden nicht weise handeln, wenn wir
athenischer als die Athener selbst sein wollten", nämlich in der
Verurteilung des Mannes, der seiner Vaterstadt den Rücken kehrte.
Auch die Anklage, daß X. seinen großen thebanischen Zeitgenossen
nicht gebührend gewürdigt habe, findet er grundlos und hebt so-
gar seine panhellenische Gesinnung gegenüber den griechischen
Beust, Borries u. s. w. hervor. Wenn er ferner den Umstand,
daß X. den Epaminondas von Mantinea — derselben Schlacht, die
ihn seines hoffnungsvollen Sohnes beraubte — mit warmem An-
teil feiert, treffend einen der schönsten Züge nennt, die wir von
ihm kennen, so hätte ihn schon das abhalten sollen, in dem
Führer und dem Erzähler des Zuges der Zehntausend einen eitlen
Prahler und tendenziösen Macher zu sehen. Daß X. sich im Bann-
kreise des Agesilaos befunden hat, ist für G. ein Beweis, daß er
72 Jahreiberichte d. Philolog. Vereins.
kein großer Mann gewesen ist. Doch wer hat das je behauptet?
Bewußte Entstellung der geschichtlichen Wahrheit will er, wenig-
stens in den Hellenika, X. nicht zutrauen; er brauchte aber,
wenigstens in der zweiten Auflage, nicht mehr hinzuzufügen, daß
das übergehen der Gründung von Megalopolis und der Stiftung
des zweiten athenischen Seebundes nicht für die Weite seines
Gesichtskreises spreche, seitdem E. Schwartz und inzwischen auch
Ed. Meyer (Gesch. d. Alt. III S. 278 ff.) eine richtigere Würdigung
Xenophons als Geschichtschreiber und insbesondere seiner Hellenika
angebahnt haben. Und daß die politischen Gedanken des Er-
zählers in den letzten Buchern von großem Selbstgefühl zeugen,
mußte erst wirklich bewiesen werden. Wenn G. (S. 103) im
Zusammenhang mit der Charakteristik des „Gastmahls4 das „Genre-
hafte" als dem Talente des X. gemäß bezeichnet und diese Art
in einigen „Glanzslellen" der Hellenika wiederfindet (Agesilaos und
Pharnabazos IV 1,30 ff., Die Brautwerbung des Olys IV 1, 3 ff.,
Die Rettung des Sphodrias V 4, 25 ff.), so klingt dabei doch wieder
leiser Tadel durch. Ohne Einschränkung rühmt Gomperz die er-
greifende Darstellung des Todes Alexanders von Pherä (VI 4, 36f.)
und der Kämpfe um Phlius (VII 2). Dann findet er aber wieder,
daß X., „der sich für einen Philosophen hält'4 (s. o.), hier nicht
genug Reflexion habe. Zwar fehle es nicht an Reden, die dem
Zweck trefflich angepaßt seien (Theramenes, Kritias, Prokies),
aber hier habe X. wieder aus anderen Quellen geschöpft und wenig
selbständig gestaltet. Endlich bot seine „Götterfurcht ihm aus
mancher Verlegenheit den rettenden Ausweg. Die Niederlage von
Leuktra ist ihm so das Werk der strafenden Gottheit für die
widerrechtliche Besetzung der thebanischen Burg".
So lobt G., um alsbald wieder zu tadeln, spendet Anerkennung
im Vordersatze, um sie im Nachsatze wieder zurückzunehmen, so
daß wir zu keiner rechten Gesamtanschauung gelangen. Doch
bleibt allenthalben mehr Schatten als Licht. Wenig erfreulich ist
auch der Ton in dem Abschnitt, aus dem ich soeben einiges
zitierte. Wenn G. die Frömmigkeit des Xenophon für echt hält,
warum sie dann in dieser Weise heruntersetzen? Wie würde G.
über das urteilen, was Gustav Freytag und Treitschke über das
Ende des russischen Feldzuges Napoleons ausgesprochen haben —
Männer, die über den Verdacht der Beschränktheit gewiß erhaben
sind! Mir will scheinen, als wäre der Verfasser hier seinem Grund-
satz (Band I S. V) nicht ganz treu geblieben.
Ungünstiger und schärfer als alle Gelehrten vor ihm, in der
Sache wie in der Form, urteilt Gomperz über den Charakter des
Verfassers der Anabasis. Und wenn wiederholte Lektüre mich
nicht getäuscht hat, so kann ich mich dem Eindruck nicht ent-
ziehen — und vielleicht ergeht es andern Lesern ähnlich — , daß
der ganze Abschnitt über Xenophon von vornherein unter einem
ungünstigen Stern gestanden hat. Gomperz beginnt nämlich so:
Xenophon, von R. Ulirieh. 73
„Xenophon war mit Schönheit reich begnadet. Es war dies kein
ungemischter Segen. Pflegt sich an Männerschönheit doch gar
häufig Dünkel und Selbstgefälligkeit zu heften. Dieses Los ward
auch dem „wunderschönen" Sohn des Grylos (vgl. Schenkt, Jahresb.
f. Alt. 1888, I, S. 2) nicht erspart. Ist er doch sein Leben lang
ein Dilettant geblieben, im Goetheschen Sinne des Wortes, d. h.
ein Mann, der sich allezeit an Dinge zu wagen pflegt, denen er
nicht völlig gewachsen ist. Ein Feld seiner vielartigen Tätigkeit
müssen wir freilich ausnehmen". Nach diesem Eingang hofft de!1
Leser, von X.s militärischer Tätigkeit zu hören, der praktisch in
der Katabasis ausgeübten, und von ihrer Beurteilung durch Sach-
verständige (Philologen, Historiker und, was hier besonders wichtig
ist, auch Militärs). Statt dessen nennt G. hier den Sport, rühmt
die drei dahin gehörenden Schriften („Jagd-1) und Reitbuch4' und
das Buch „Vom Reiterobersten") und meint, hier, wo X. es am
wenigsten sein wolle, sei er am meisten Philosoph, ebenso in den
besten Teilen seines „Wirtschaftsbuches", „aus denen uns das Be-
hagen am Landleben und an ländlicher Arbeit so erquickend an-
weht, wie der Brodem, der aus einer frisch angebrochenen Erd-
scholle aufsteigt". Das ist gewiß richtig und die letzte Äußerung
sogar vortrefflich, aber der Zusammenhang, in den das Ganze
gestellt wird, verstimmt den Leser. Und daß die Notiz des
Laertius Diogenes an die Spitze gestellt ist und die Bemerkungen
über die verderblichen Polgen der ,, Schönheit" für den Charakter
des Mannes daran geknüpft werden, ist auch der übrigen Dar-
stellung verhängnisvoll geworden.
Nach G.hat ,.Xenophons Charakter sein Talent geschädigt, indem
selbstgefällige Eitelkeit ihn dessen Grenzen verkennen ließ und zu
einer den Wert der Leistungen schmälernden Vielgeschäftigkeit ver-
führte" (S. 101); „der Grund liegt in dem Mangel eines festen, wider-
standsfähigen Kernes, welcher der denkenden und darstellenden Per-
sönlichkeit nicht minder als der wollenden und wirkenden abgeht"
(S.102); ,.die Kunst des Verschweigens hat er (wie dem delphischen
Orakel) sicherlich auch den Menschen und zumal seinen Lesern gegen-
über in reichem Maße zu üben nicht verschmäht. Und der Weg vom
Verschweigen zum Irreleiten ist ein gar abschüssiger". Dies lehre
uns, meint G., ein flüchtiger Blick auf Xenophons berühmtestes
Buch, die Schilderung seines „persischen Abenteuers". Die Szene
in Delphi wird man mit Sokrates und Gomperz nicht billigen,
aber vielleicht entschuldbar finden bei dem Jüngling, der zur Er-
reichung seines Zweckes lieber angewandte Sophistik trieb als dem
geraden Wege des Meisters folgte, dann aber „nach dem schnell
zerronnenen Zukunftstraum" in den heißen Kämpfen des Rück-
zuges, wo* er dem Tode hundertmal begegnete, zum Manne reifte
s) G. halt an dar Echtheit dag Kynegetikos fest; vgl. Radermacher
. s. Nr. 4 S. 80.
74 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
und jene Jugendtorheit vergessen machte. Wer behauptet, daß
ihm hier der „feste, widerstandsfähige Kern fehlte, welche der
denkenden und darstellenden Persönlichkeit nicht minder als der
wollenden und wirkenden abgeht44, der muß in der Tat eine neue
Auffassung der Anabasis begründen, und dies versucht 6. wirklich.
Zwar der „Darstellung" kann auch er sein Lob nicht versagen
(S. 97 f.); er findet außerdem, daß wir durch sie manchen wert-
vollen Beitrag zur Kenntnis der Sitten und Gebräuche der asiati-
schen Völkerschaften erhalten; im übrigen aber — um es kurz
und deutlich zu sagen — ist nach Gomperz hier gerade das, was
Xenophons Ruhm begründet hat, Lug und Trug, Berechnung und
Verstellung. Der eitle Mann hat sich in seinen Memoiren so sehr
selbst beräuchert, daß die Glaubwürdigkeit des Werkes und das
Verdieost des Verfassers erschüttert wird. Und der Beweis? Bis-
her hat man die Zurückhaltung bewundert, mit welcher der Autor
seine eigne Person bei der Beschreibung dieses Zuges behandelt,
an dessen glücklichem Gelingen er selbst so wesentlichen Anteil
gehabt hatte; G. sieht darin kluge Berechnung. Nach der Gefangen-
nahme der Generale tritt X. „aus seinem bis dahin kunstvoll ge-
wahrten Dunkel hervor, der Sonne gleich, deren Glanz die nächt-
lichen Schatten zu zerstreuen bestimmt ist". Ist das wirklich der
Eindruck? „Dann legt er — man merkt den auf seine Wohl-
gestalt stolzen und diese zur Geltung zu bringen begierigen
Mann — den schönsten Kriegsschmuck an" u. s. f. Ist das aber
nicht ganz natürlich? Wer die Menge kennt, weiß, wieviel ihr
der äußere Eindruck gilt, und es war klug, daß X. ihn benutzte.
„Es gibt eine Kunst der Täuschung, die falsche Eindrücke hervor-
ruft, ohne viele falsche Tatsachen zu melden. Diese Kunst übt
X. als Meister". Xenophon habe die Darstellung absichtlich so
gruppiert, daß der Leser den Eindruck empfange, er sei der Ober-
befehlshaber gewesen, was doch mit keinem Worte gesagt sei,
und aus dieser seiner Kunst sei denn auch eben diese in alter
und neuer Zeit weitverbreitete Vorstellung erwachsen (wohl zuerst
bei Pausanias, meint G., IX 15, 5: SevoqxSvTog . . . xcci oniaw
TÖig *EXXq<fiv in\ &aXctzTccv iiYqöapivov). Aber wenn Leser
alter und neuer Zeit diese Vorstellung hatten und haben, so
waren sie von der richtigen Empfindung geleitet, daß Xenophon,
wenn auch nicht dem Namen nach Oberbefehlshaber (das fand
ja jeder mit deutlichen Worten gesagt), so doch tatsächlich die
Seele des Ganzen war. Wenn etwas klug war, so war es dies,
daß X., was vielleicht bei seinem Einflüsse und unter dem Ein-
druck des alle überwältigenden Unglücks möglich gewesen wäre,
nicht auf seine eigene Wahl zum ersten Führer hinarbeitete,
sondern den Cheirisophos vorschlug — ineidij xal Aaxsdaip6vi6<z
iaxi, — ; einen Athener hätte das zum größten Teil aus Pelo-
ponnesiern bestehende Heer sich auf die Dauer schwerlich ge-
fallen lassen. So führte er denn selbst die Nachhut, hatte aber
Xenophon, von R. Ullrich. 75
den auf dem Röckzug schwierigsten und wichtigsten Posten; und
wer unbefangen an die Darstellung herantritt, für den ergibt es
sich aus der Natur der Verhältnisse von selbst, daß ihm in der
Sache die erste Rolle zufallen mußte. Wohin kämen wir hier
wie bei Cäsars Memoiren, wollten wir überall mala fides annehmen?
Auch die kleinen Zuge, die G. zur Unterstützung seiner Auf-
fassung noch beibringt, scheinen mir wenig beweiskräftig — »Züge
von der Art", meint der Verfasser (S. 99), „wie man solche nur von
großen führenden Männern zu berichten pflegt und die übrigens
kaum jemals ein großer Mann von sich selbst berichtet hat". In
den Bergen Armeniens übrigens war Xenophon wirklich „groß".
Ein stark demoralisiertes Söldnerheer mitten im fremden Lande,
von Feinden umgeben, des Weges unkundig, den Unbilden der
Witterung ausgesetzt, Mangel leidend am Nötigsten, so zu leiten,
daß nicht alle Bande sich lösten, war etwas Großes und forderte
einen ganzen Mann, „wollend und wirkend" zugleich. Und die
kleinen Züge, die X. von sich berichtet, sind nur ein Beweis ein-
mal für die Besonnenheit des Führers, der weiß, daß in der Ge-
fahr Worte wenig bedeuten, das Beispiel alles, und dann für die
Objektivität des Schriftstellers, der auch kleine Züge, gleichviel
von wem, berichtet, wenn sie von Bedeutung für die Sache sind;
So zeigt uns IV 4, 12 den Holz spaltenden Führer, der die ver-
drossenen Kameraden wieder ermutigt, und III 4, 46 bringt er
die unlustige Menge durch sein Beispiel vorwärts, indem er vom
Pferde steigt, einem Soldaten den Schild entreißt und zu Fuß
den Berg hinanstürmt — zwei lebenswahre Episoden, in denen
der Sokratiker die empfangenen Lehren ins Praktische umsetzt.
Auch in der Pseudonymen Veröffentlichung der Anabasis sieht G.
einen egoistischen Zweck ; ich meine, diese vielbesprochene Frage
bietet so wenig positiv Greifbares, daß bestimmte Schlüsse nur
auf Abwege führen; wir müssen uns hier mit dem „Non liquet"
begnügen. Und daß Ephoros-Diodor den Namen Xenophons,
dessen Anabasis sie doch gut gekannt haben, vor seiner Ankunft
bei Seuthes nicht einmal nennen, was G. sehr bestimmt so er-
klärt: „Sie haben Xenophons Ansprüche gekannt und haben sie
verworfen", ein solches argumentum ex silentio will wenig sagen,
wenn es aus einem Schriftsteller [genommen wird, der unselb-
ständig und ungleich arbeitet und in diesem Falle das Wesen der
Sache so wenig begriffen hat.
Für begründet kann ich also die so gefundene ungünstige Auf-
fassung von dem Leiter und Erzähler des „persischen Abenteuers"
nicht halten; ebensowenig andres, das zum Widerspruch heraus-
fordert.
Wenn z.B. (S. 105) die Besprechung der Cyropädie mit
den Worten begonnen wird: „Allein X. hat nicht nur ein wenig
Geschichte gemacht und viel Geschichte geschrieben, er hat auch
Geschichte erfunden", so ist diese Ausdrucksweise gleich wieder
75 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
geeignet, das Urteil des Lesers aus dem „weiteren Kreise der Ge-
bildeten" ungünstig zu beeinflussen; und statt der Bemerkung
(S. 107): „Xenophon wäre nicht er selber gewesen, wenn nicht
der Sport, vor allem die mit einem ungemein beredten Lobe be-
dachte Reitkunst, darin eine bedeutende Rolle spielte", hätte man
lieber die schlichte Notiz gelesen, daß Ausfuhrungen über Rosse
und Reiter in einem Werke, das persische Verhältnisse behandelte,
nur natürlich waren.
Von den Bemerkungen G.s über Xenophons politische
Schriftstellerei (die 'A&ijvaicov nofoxsia ist zweckmäßig schon
im ersten Bande des Werkes besprochen worden, s. o. S. 66) möchte
ich besonders die vortreffliche Skizze der Uoqoi (S. 108 f.) hervor-
heben. Vieles in dieser Schrift mutet den Leser ganz modern an.
Das Neue und Eigenartige wird mit ein paar Worten glücklich zu-
sammengefaßt (Idee der wechselseitigen Versicherung, der rakidale
Anspruch „Entweder alles und alles zugleich oder gar nichts'4),
und zu der Kritik des weniger Gelungenen (Idee der Verstaat-
lichung, Währungsfrage) möchte ich hinzufügen, daß doch nicht
zu vergessen ist, wie manche dieser den gewiegten Sozialpolitikern
von heute phantastisch erscheinenden Vorschläge doch von X. als
dem ersten oder einem der ersten gemacht worden sind. Wer
die trefflichen Bemerkungen des Verfassers zu diesen Dingen liest,
wird mit dem Berichterstatter bedauern, daß er auf den Oikonomikos
nicht näher eingegangen ist, welchem Hodermann (vgl. u. gegen
Ende des Berichts) eine so liebevolle Behandlung gewidmet hat.
S. 543 hält es G. „jetzt für ausgemacht", daß das xeno-
phontische „Gastmahl" dem platonischen nachgefolgt sei. Die ent-
gegengesetzte Anschauung wird aber nach Böckh doch noch von
Hug, Dummler und Hirzel vertreten. Vielleicht ist es richtiger, diese
schwierige Frage unbeantwortet zu lassen; vgl. Christ a. a. 0. S. 354.
Bemerkenswert ist es, daß G. seinen Helden, der nach ihm
doch so gar keiner ist, S. 107 mit andern Gleichgesinnten von
dem Dilettantismus der damaligen Staatsleitung in allem angewidert
sein läßt (gewiß ein gutes Zeichen für X. als Politiker!) und ihn
doch selber von vornherein unter das Zeichen des Dilettantismus
stellt (S. 96) — wenn auch im Goetheschen Sinne. Auf der einen
Seite wird über die Rolle, welche die Frau bei X. spielt (im
Gegensatz zh Thukydides), gesagt, daß die Schriften des „viel-
gewanderten Kriegsmanns kein treues Spiegelbild des athenischen
Lebens und Empfindens sind" (S. 308), während es S. 419 heißt,
daß X. in seinem „Wirtschaftsbuch44 ein „sicherlich treues Bild
von dem Geisteszustand und der Lebensweise athenischer Frauen
entwirft'*.
Wenig befriedigen wird viele Leser das, was Gomperz über
Xenophons Stellung zu den göttlichen Dingen sagt, und besonders
die Art, wie er es sagt. Man kann nicht (S. 104) von seiner
„ohne Zweifel echten Gottesfurcht*' spreche^ und (S. 109) diese
Xeuophon, von R. Ullrich. 77
doch „eher Aberglauben als Religiosität4' nennen. Daß Spieler in
ihrer Leidenschaft und Jäger dem Aberglauben huldigen, ist ja
richtig, aber es durfte doch auch gesagt werden, daß bei den
mit ihnen (S. HO) nicht glucklich zusammengestellten Soldaten,
Berg- und Seeleuten (und ein guter Soldat war X. gewiß) in
ihrem gefahrvollen Berufe, der höheren Zwecken dienstbar ist,
auch viel echter Glaube zu finden ist. Wer Klearch die herrlichen
Worte (die sich mit Ps. 139 ebenso zufällig wie eigenartig be-
rühren) sprechen ließ Anab. II 5, 7: Tov yctq &€(Sv noXspov
otV otda and noiov av %a%ovg ovtb onoi av %ig (pevywv
ano<pvyoi ovt' slg noXov av tfxoTog änoÖQaiij u. s. w., der
hatte sicher ein inneres Verhältnis zur Gottheit, und wenn X.
trotzdem durch Opfergaben „sich ihres Wohlwollens versichert,
nach dein Standpunkte des Do, ut des", so ist er doch darum
nicht ausnahmsweise der Beschränktheit zu zeihen. Er war darin
ein Kind der Zeit, die wie das ganze Heidentum selbst in seinen
erhabensten Gestalten ober diesen Konflikt nicht völlig hinaus-
gekommen ist, bis das Christentum ihn löste.
Der Wortschatz des Verfassers, im allgemeinen wie in bezug auf
die Person des Xenophon, ist eigenartig. Das in München und Wien
gebräuchliche „nur mehr44 (S. 100), das unsere Zeitungen aufgegriffen
haben, gehört nicht in die gute Schriftsprache (Wustmann 8 S. 41011.),
und den „Fußsoldaten" (S. 99), der in unsern Schulgrammatiken
noch sein Wesen treibt (statt „Soldat" oder „Hoplit") empfehle
ich Wustmanns Beachtung; er ist noch nicht vertreten, ebenso-
wenig wie (S. 51) die „Vorfallenheitent( des Kanzleistils. Warum
„Panacee, Ingerenz" (S. 109)? Ob das auch jeder gebildete Leser
versteht? Und mit „Reisläufer, wackrer Landjunker, Sports-
piann (!)" u. ä. wird das Wesen dieses Mannes umschrieben?
Die zweite Auflage des Bandes ist in unserm Abschnitt
nicht oder nicht wesentlich verändert; auch die Seitenzahlen
stimmen überein. Nur ist S. 105 an die Stelle- des hannoverschen
Reaktionärs Borries der hessische Dalwigk getreten.
Noch eine Äußerlichkeit will ich erwähnen, die im Grunde
keine ist. Dem Bande fehlt ein (recht ausfuhrlich zu wünschen-
des) Register. Zwar wird ein Gesamtregister am Schluß des noch
ausstehenden dritten Bandes versprochen; doch damit ist den
Benutzern der einzelnen Bände, die auch gesondert käuflich sind,
nicht gedient.
Ich fasse meine Ausfuhrungen noch einmal kurz zusammen.
Die hier besprochenen Abschnitte des Buches von Gomperz
sind, wie das ganze Werk, glänzend geschrieben, temperamentvoll
und packend, und nehmen den Leser, der sich zuversichtlich
dem bewährten Fuhrer und Meister anvertraut, gewiß gefangen.
Aber es ist nach m. £. neben vielem Alten, was Gemeingut
der Wissenschaft geworden ist, und manchem fein und klar
herausgearbeiteten Neuen doch auch gar zu viel Subjektives darin
78 Jahreiberichte d. Philolog. Vereioi.
enthalten, was nach dem Plane des für die weiteren Kreise
der Gebildeten bestimmten Werkes nicht näher begründet werden
konnte und darum lieber fehlen sollte. Weniger Neues wäre hier
vielleicht mehr gewesen. Die schon von Schmekel in der Be-
sprechung des ersten Bandes gemachte Bemerkung (a. a. 0. S. 104),
das Werk fordere kritische Leser, trifft, wie man gesehen hat,
für unsern Abschnitt vollends zu. Interessant wäre es übrigens,
könnte man durch eine Statistik einmal feststellen, wer außer
Philologen, Philosophen und Historikern eigentlich ein solches
Werk kauft und liest. Ich fürchte, die Zahl ist nicht groß, schon
des Preises wegen; bleiben also doch fast nur die Fachgelehrten,
und ich glaube, diese würden zufriedener sein, wenn sie z. B. irt
der ruhigen Weise Zellers in die Dinge eingeführt würden, wo
Altes gewissenhaft registriert, Neues sorgsam abgewogen, Gutes
aufgenommen, Zweifelhaftes deutlich als solches gekennzeichnet,
Unsichres, und sei es noch so bestechend, abgelehnt und so dem
Leser ein beruhigendes Gefühl der Sicherheit gegeben wird, was
doch nicht -hindert, auch an der künstlerischen, wohlgebildeten
Form seine Freude zu haben.
Insbesondere scheint mir der Nachweis, daß wir es hier mit
einem innerlich unwahren Schriftsteller zu tun haben, zumal was
den Leiter und Erzähler des Zuges der Zehntausend betrifft, nicht
gelungen. Wenn die Notizen der Alten glaubwürdig sind, daß
auf den Heldentod des jungen Grylos bei Mantinea zahlreiche
Enkomien gedichtet wurden — G. nimmt es an, und überaus be-
zeichnend sind sie jedenfalls — , so wäre diese Ehrung dem Vater
(den jungen Offizier kannten wohl wenige) gewiß nicht zuteil
geworden (vgl. S. 101), falls der gefeierte Mann und Schriftsteller
von solcher Art gewesen wäre, wie G. ihn schildert.
Nicht bloß die Wissenschaft, auch die Schule hat ein Interesse
daran, daß diese Charakteristik Xenophons durch einen so be-
deutenden Gelehrten, wie G. es ist, nicht zu Recht bestehen bleibt.
Xenophon beschäftigt uns auf dem Gymnasium zwei Jahre oder
noch länger, und da wir doch nicht nur gute attische Formen
und Sätze, sondern auch tüchtige Charaktere jener alten Zeit, von
deren Vorlrefllichkeit so viel große Worte gesagt worden sind,
den Schülern zeigen und, wenn wir selbst innerlich davon über-
zeugt sind, auch sie überzeugen wollen, so könnte ein Lehrer,
der sich von G. überzeugen ließe, schwerlich mit Gewinn einen
solchen Autor noch lesen und erklären. Er müßte alsbald dafür
eintreten, daß der Schriftsteller, von dem der preußische Patriot
und große Geschichtsforscher B. G. Niebuhr 1828, zu einer Zeit,
in der wenigstens in den Besten der Nation die Begeisterung von
1813 noch fortlebte, gesagt hat: „Wahrlich einen ausgearteteren
Sohn hat kein Staat jemals ausgestoßen als diesen Xenophon"
(Kl. Sehr. I S. 467), den A. v. Gutschmid 1856 kräftig als „wider-
lichen Patron" (jetzt Kl. Sehr. IV S. 217; vgl. S. 328 ff.) charak-
Xonophon, von R. Ullrich. 79
terisiert hat und der nun von Gomperz feiner als „Meister der
Täuschung" hingestellt wird, nie wieder die Wege der Klassiker
kreuze.
4) Eduard Norden, Die antike Kunstprosa vom 6. Jahrhundert
v. Chr. bis in die Zeit der Renaissance. Leipzig; 1898, B. G.
Teubner. Bd. I: Will u. 450 S., Bd. II: S. 451—969. gr. 8. je 14 Jt.
Anzeigen: L. Radermacher, DLZ. 1S98 Sp. 996—999. —
A. Martin, Rev. crit. 1898, II, S. 401 f. — W. Schmid, Berl. phil. WS.
1899 Sp. 225—239. — W. Kroll, Hist. Viert eljahrschr. 1899 S. 83—86.
— G. Ferrari, Riv. di fil. 1899 S. 351—357. — E. Z(arncke), Lit.
Zentralbl. 1899 Sp. 1033—1038. — Tb. Reinach, Rev. des et. gr. 1899
S. 139f. — G. Landgraf, Bl. f. d. GSW. 1899 S. 618— 620. — Kraut,
Wiirtt. Korr. 1899 S. 143—150. — J. E. Sandys, Class. Rev. 1900
S. 135—138.
Die Ansicht, welche H. Schacht in der früher zitierten Disser-
tation aufgestellt und gut begründet hat, daß X. nicht, wie man
früher fast allgemein angenommen hatte, im Gegensatz zur Rhetorik
einfach und „kunstlos" geschrieben, sondern im Gegenteil von
ihren Mitteln einen wenn auch maßvollen Gebrauch gemacht habe,
beginnt allmählich durchzudringen. Blaß hatte sich (Att. ßer. II a
S. 479 ff.) vorsichtig und nur teilweise zustimmend geäußert,
Norden ist jetzt weitergegangen und hat Schachts Ergebnisse nicht
nur anerkannt, sondern auch durch neue Beobachtungen gestützt
(in dem Abschnitte „Die Beziehungen der Geschichtschreibung zur
Rhetorik", Bd. I S. 8t ff.; vgl. besonders 101 ff. und S. 103, Anm.
1 und 2), auch weitere gut ausgewählte Literaturnachweise gegeben.
Er faßt seine Ansicht von dem Verhältnis von Natur und Kunst
bei X. treffend so zusammen : „Bei X. ist die natürliche Schlicht-
heit des einzelnen Ausdrucks wie des Satzbaues stark und ab-
sichtlich (beides leugnet Blaß; vgl. Seeck u. Nr. 6) beeinflußt durch
Anwendung aller Mittel der zeitgenössischen Rhetorik, und nur
darin unterscheidet er sich sehr zu seinem Vorteil von manchen
gleichzeitigen Schriftstellern, daß er mit seinem gesunden Gefühl
für das Einfache und Schlichte die Natur nicht durch die Kunst
verdrängt, sondern beide zu einem harmonischen Ganzen ver-
bunden hat".
N. weist dies dann an einer Reihe von Beispielen aus der
Aaxedaiixoviwv noXixeia nach und vergleicht damit, um den
großen Gegensatz recht deutlich zu machen, den Stil der noch
nicht von der sophistischen Kunstprosa beeinflußten pseudoxeno-
phontischen ^A^rjpaicav noXneia (vgl. auch S. 387, Anm. Z. 11 ff.).
Freilich forderten ja auch Schriften abhandelnder Art (heute ver-
öffentlicht man sie in einer wissenschaftlichen Zeitschrift), in
denen etwas bewiesen werden soll, am meisten dazu auf, sich
gewisser rhetorischer Kunstmittel zu bedienen, um die Gedanken
desto klarer und schärfer heraustreten zu lassen, ähnlich wie die
Reden in den geschichtlichen Werken.
Im Anschluß an die Erörterung des Polybius über den Gegen-
80 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
satz von i/xcipiop und lözoQia (S. 81 IT., besonders S. 82 Anna. 2)
erklärt sich N. mit Recht für die Echtheit des Agesilaos, die man
früher wegen der ccrjfy <r*g %&v ngayfiattov im Unterschiede von
den Hellenika angezweifelt hatte; vgl. S. 87 Anm. 2.
Die zweite Sophistik (Bd. I S. 394 ff.) brachte Xenophon aufs
neue zu Ehren, Arrian kopiert seine aytleia, der Historiker
Herodian (mehr als Dio) lehnt sich an ihn an.
Der Kynegetikos ist in den letzten Jahren (vgl. Sittl,
Gesch. d. griech. Lit. II S. 461 ff.) vielfach behandelt worden, am
eindringendsten von L. Radermacher (Rh. Mus. 1896 S. 596—629
und 1897 S. 13—41), der dieses ganze Werk (bis auf Kap. 1)
hauptsächlich aus stilistischen Gründen für untergeschoben hält
und es einem Zeitgenossen zuschreibt, während er das ganz anders
stilisierte Proömium (Kap. 1) bis ins 3. nachchristliche Jahrhundert
hinabrückt. Norden (S. 431 u. A. 1 — 3) stimmt in bezug auf
den Hauptteil der Schrift Radermachers Ergebnissen im wesent-
lichen zu, das Proömium dagegen nimmt er in eingehender Unter-
suchung, die viel Bestechendes hat und mit zahlreichen Beispielen
gestutzt wird (S. 298 oben, S. 386 f. Anm. 2, besonders S. 431 ff.)
noch für die Zeit der zweiten Sophistik (Commodus) in An-
spruch. Vgl. auch oben S. 66 u.
Seltsam bleibt immerhin, daß ein Schriftsteller wie Arrian,
dessen Leben fast ein Abbild desjenigen Xenophons ist und der
sich in die Schriftstellerei seines literarischen Vorbildes so sehr
eingelebt hatte, diese Unterschiede von den übrigen Schriften
Xenophons so wenig bemerkt haben sollte, daß er nicht bloß
eine Anabasis, sondern auch einen Kvvtjystixog schrieb, den
xenophontischen (der übrigens als solcher schon lange vor ihm
durch Tryphon bezeugt wurde) also kannte und anerkannte.
Ich glaube, daß in dieser Frage das letzte Wort noch nicht
gesprochen worden ist; vgl. auch Gomperz, Griech. Denker II1
S. 542.
Überall aber sehen wir in Nordens Werke das Bestreben,
lange Entwicklungen zu verfolgen, bedeutsame Zusammenhänge
aufzudecken und durch treffend gewählte Beispiele zu begründen.
Wer auf diesem Gebiete arbeitet, wird an seinem Werke nicht
vorbeigehen dürfen.
5) Ivo Bruns, Die Persönlichkeit in der Gescbichtschreibuog
der Alten. Untersuchungen zur Technik der antiken Historiographie.
Berlin 1898, W. Hertz. VIII u. 102 S. 8. 2,40 Jt.
Anzeigen: F. Luterbacher, N. pbil. Rdsch. 1898 S. 487— 489. —
A. Hauvette, Rev. crit. 1898, I, S. 406 f. — F. Koepp, Berl. phil. WS.
1898 Sp. 1443—1447. — A. Bauer, Ztschr. f. d. Ost. G. 1899 S. 760—
762. — Lit. Zentralbl. 1898 Sp. 1488 f. — O. E. Schmidt, N. Jahrb.
f. Phil. 1898 S. 635. — Hesselbarth, Ztschr. f. d. GW. 1899 S. 393 ff.
In seinem größeren Werke (Das literarische Porträt u. s. w.,
Berlin 1896) hatte Bruns gezeigt, wie sich selbst einem so oft
Xenophon, von R. Ullrich. gl
behandelten Zeitraum wie dem 5. und 4. vorchristlichen Jahr-
hundert durch Stellung neuer Fragen nicht unbedeutende Er-
gebnisse abgewinnen lassen, und gerade für Xenophon war die
Ausbeute nicht gering gewesen1).
B. hatte damals zwei verschiedene Methoden der griechischen
Geschichtschreiber des 5. und 4. Jahrhunderts in der Art der Be-
handlung des Individuums nachzuweisen gesucht, die sog. indirekte
Charakteristik (Thukydides und Xenophon als sein Fortsetzer in
den Hellenika) und die direkte (Xenophon in der Anabasis).
In der vorliegenden kleineren Arbeit des der Wissenschaft
leider so früh entrissenen Verfassers wird diese Unterscheidung
an einigen Geschichtschreibern der späteren Zeit erprobt
(Polybius, Livius, Tacitus u. a.), und es wäre eigentlich kein
Anlaß, in diesem Berichte des Buches zu gedenken, wenn nicht
auch in ihm einige treffliche Bemerkungen über unsern Historiker
sich fanden (S. V f., 43 f., 62 f., 67). Abgesehen davon, daß der
Verfasser das Ergebnis des größeren Werkes für X. hier mehr-
mals kurz zusammenfaßt, hebt er ein „eigentümliches Ergänzungs-
mittel" der indirekten Methode, wie schon bei Thukydides, so
Doch mehr bei X. hervor, daß nämlich bei dem ersten oder be-
deutungsvolleren Hervortreten einzelner Personen kurze, charak-
terisierende Vermerke gemacht werden, besonders bei solchen,
welche die Erzählung sonst gar nicht oder nur wenig berück-
sichtigt. Bei Hauptpersonen wie Agesilaos fehlen sie (s. a. Haupt-
werk S. 43 ff.).
6) Otto Sc eck, Die Entwicklung der antiken Geschichtschreibung
und andere populäre Schriften. Berlin 1898, Siemenroth & Troschel.
VIII u. 339 S. 8. 5 JC.
Anzeigen: F. Cauer, Bert. phil. WS. 1899 Sp. 338-— 342. —
R. v. Scala, OLZ. 1899 Sp. 1105 f. — J. Jung, N. phil. Rdsch. 1899
S. 134 ff. — Erhardt, Mitt. a. d. hist. Lit. 1899 S. 129—134. —
A. Bauer, Ztschr. f. d. Ost. G. 1899 S. 757 ff. — Rev. crit. 1900
S. 382 f. — K. J. Neumaun, Hist. Z. 1900 S. 162.
Von den sechs Aufsätzen, die in diesem Sammelbande ver-
einigt sind, bietet der erste „Die Entwicklung der antiken Ge-
schichtschreibung'4 in seinem sechsten Abschnitte „Memoiren und
Tendenzgeschichte" (S. 89 — 103 — zuerst erschienen in der
Deutschen Rundschau 1896 S. 108 ff., 199 ff. — ) willkommene Bei-
träge zu Xenophon (vgl. besonders S. 89 ff., 94 ff.). Diese sind
frisch geschrieben und, wenn sie auch dem Fachmann nicht viel
Neues sagen, doch recht nutzlich, besonders deshalb, weil sie den
Schriftsteller nicht für sich allein, sondern im Zusammenhange
*) Vgl. hierzu besonders F. Spiro, DLZ. 1897 Sp. 1730—1734; Lit
Zentralbl. 1897 Sp. 95—97; O. Weißenfels, Ztschr. f. d. GW. 1897 S. 347—
352; O. Jager, Hum. Gymn. 1897 S. 50; Ztschr. f. d. öst. G. 1897 S. 757 ff.;
O. Immisch, ßerl. phil. WS. 1898 Sp. 1009—1017. Vgl. auch u. Nr. 6 und 7.
Jfthfwberiehte XXX. 6
82 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
mit den Bestrebungen seiner Zeit und ihrer Wirkungen auf ihn
betrachten. Der Titel mit den in der Xenophonliteratur der letzten
Jahrzehnte oft gebrauchten Scblagworten scheint schon anzudeuten,
um was es sich handelt; doch geht Verf. viel weiter als andere
und rechnet (S. 95 ff.) außer der Anabasis die ganze Schrift-
stellerei Xenophons zum Gebiet der Tendenzgeschichte. Dem
Memoiren werk der Anabasis spendet S. Worte des höchsten
Lobes. Im Gegensatz zu neueren Versuchen (Gomperz u. a., vgl.
Nr. 3), auch an diesem Werk des Xenophon, das seit langer Zeit
im Schulunterricht eine hervorragende Stelle einnimmt, herum-
zumäkeln, nennt er es (S. 95) „das höchste Muster der Memoiren-
literatur, das neben unzähligen anderen selbst ein Cäsar seiner
Nachahmung würdigte, ohne es übertreffen zu können". Vgl.
Nr. 2 (Gercke2 S. 114). Er rühmt die reizvolle Schmucklosigkeit
des Ausdrucks, die an Lysias erinnere (vgl. jedoch auch Blaß,
AU. ßereds. II a S. 477), geht jedoch zu weit in der Annahme,
daß sie überall beabsichtigte Kunst sei. Daß Einflösse der Rhetorik
(welcher Schriftsteller um die Wende des 5. und 4. Jahrhunderts
hätte sich dieser mächtigen Bewegung entziehen können?) auch
in der Anabasis anzunehmen sind, hat man ja neuerdings immer
mehr erkannt (vgl. besonders die schon mehrmals erwähnte Disser-
tation von H. Schacht, Norden a. a. 0., Bruns a. a. 0. und
unten Nr. 7), doch hat das seine Grenzen, und so bestimmte all-
gemeine Grundsätze, wie sie Verf. S. 90 ausspricht, werden sich
schwerlich beweisen lassen. Die Bedeutung der Anabasis als des
besten Werkes griechischer Memoirenliteratur tritt besonders her-
vor, wenn man sie mit den allerdings spärlichen, aber charakteristi-
schen Resten der 'Enidr] piat, des Ion von Chios vergleicht, die
von Seeck S. 91 ff. gut gewürdigt werden.
Alle übrigen Werke Xenophons gehören nach ihm mehr oder
weniger in das Gebiet der Tendenzgeschichte. Das ist im gewissen
Sinne ja richtig, nur darf man nicht sagen (S. 95), die früheren
Historiker hätten alle „ohne jeden Hintergedanken44 geschrieben,
nur „um der Mit- uud Nachwelt das Geschehene bekannt zu
machen44, und mit „Xenophon trete nun ein Umschwung ein,
wofür die Schuld wohl in erster Linie die sokratische Philosophie
treffe4. Seeck selbst gibt schon Ausnahmen zu, die sich leicht
vermehren ließen. Doch kommt es ja überhaupt hier weniger
auf Einzelheiten an als auf die Gesamtauffassung, und da ver-
leugnen auch Herodot und besonders Thukydides ihre „Tendenz44
nicht — im guten Sinne, wie kein rechter Historiker, der die Ge-
schichte und die Geschicke seines Volkes miterlebt hat. „Bis zur
bewußten Unwahrheit44, sagt Seeck (S. 98), „ist X. vielleicht noch
nicht fortgeschritten, aber er weiß sehr geschickt bald zu ver-
hüllen, bald ins rechte Licht zu setzen, wie es ihm für seine
Zwecke paßt4; ähnlich urteilte Gomperz (s. Nr. 3 zur Anabasis).
.Auch das bedarf der Berichtigung, ebenso wie die allgemeine Be-
Xeoophon, von K. Ullrich. 83
merkung (S. 89), daß man Herodot und Thukydides durch Zu«
sammenstellung mit Xenophon großes Unrecht tue. Mir will eher
scheinen, daß Xeuophons Beurteilung infolge der Zusammen-
stellung mit jenen auf falsche Wege geraten ist. Herodot und
Thukydides waren ausschließlich Historiker, im strengeren Sinne
eigentlich nur der letztere; Xenophon war vielseitiger, und er hat
in der Anabasis und in mehreren der kleineren Schriften Eigen-
artiges und Vorzugliches geleistet. Wenn man aufhören wollte,
die Hellenika, auf die jene abfälligen Urteile der Neueren sich
hauptsächlich gründen, deshalb, weil sie nur ungefähr da einsetzen,
wo Th. aufhören mußte, als „Geschichtswerk" mit dem des großen
Vorgängers in Parallele zu setzen, und sie vielmehr als das nähme,
was sie tatsächlich sind, eine schlichte Erzählung dessen, was der
Verfasser der Zeit nach größtenteils miterlebt hatte und für mit-
teilenswert hielt — mit starker Hervorhebung des Persönlichen
und allgemein Menschlichen — , so wäre unser m Erzähler besser
gedient. Hat doch gerade dieser Umstand im Verein mit der
klaren, flussigen Sprache auch dieses Werk — man könnte es im
besten Sinne „populär" nennen — so geeignet für die Jugend
gemacht. Kann man Xenophon mit Kratippos und Theopomp
wegen der dürftigen Reste, die uns von ihren Werken geblieben
sind, nicht ernstlich vergleichen, so scheint mir die Zusammen-
stellung mit Thukydides, des Erzählers mit „dem" Historiker,
wenig fruchtbar. Heute würde es gewiß niemandem einfallen,
eine selbst gute populäre Geschichtserzählung, die etwa da anfinge,
wo einer der großen Historiker aufhörte, an diesem zu messen.
Ob unsere Nachkommen so geschmackvoll sein werden, es zu tun,
wenn vielleicht die slavische oder mongolische Flut die abend-
ländische Kullur vernichtet hätte und von Geschichtlichem nur
etwa Treitschke, Sybel und eine xenophontische Darstellung der
Zeitgeschichte von 1848 oder 1871 ab übrig geblieben wäre?
Über die ganze Frage, wie X. als Historiker aufzufassen und
zu beurteilen sei, vgl. jetzt besonders Ed. Meyer, Gesch. d. Alt. III
S. 278 ff., dessen sachliche und fast überall den Kernpunkt treffende
Ausführungen sich hoffentlich allmählich durchsetzen werden. Viel
zu wenig gewürdigt war bisher besonders der Umstand, daß —
a. a. 0. S. 278 — ,,das Bestehen einer historischen Literatur über
die Zeitgeschichte den Untergrund der Hellenika bildet". Für
Xenophons philosophische Literatur — ich gebrauche der Kürze
halber diesen Ausdruck — besonders für die Memorabilien, ist
freilich Ähnliches in nächster Zeit schwerlich zu erwarten und
bei der Eigenart dieser dialogischen Literatur auch kaum möglich
(vgl. Nr. 3 Gomperz). — Wie man sieht, bietet der Aufsalz von
Seeck manche Anregung und fesselt den Leser auch durch ge-
fällige Form.
Warum sind übrigens die einzelnen Aufsätze unseres Samuiel-
bandes nicht nach Ort und Zeit ihres ersten Erscheinens gekenn*
6*
$4 Jahresberichte, d. Philolog. Vereins.
zeichnet? Es ist das doch nicht ganz bedeutungslos (vgl. auch
unten Nr. 25 zu Taine, Die Anabasis),
Diejenigen übrigens, welche das merkwürdige Buch „Rem-
brandt als Erzieher44 kennen, das im Jahre 1890 ein gewisses
Aufsehen erregte, will ich bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen,
daß Seecks vielfach sehr treffende, mit Humor gewürzte Kritik
(U. d. T. „Zeitphrasen44 1891 zuerst veröffentlicht) hier S. 243—
331 wiederabgedruckt ist
7) Adolf Baner, Die Forschungen zur griechischen Geschichte
1888 — 1898 verzeichnet und besprochen. München 1899, Beck-
scher Verlag. IV u. 574 S. gr. 8. 15 Jt.
Anzeigen: Schneider, WS. f. Mass. Phil. 1899 Sp. 903—906. —
Francotte. Ball. Beige 1899 S. 212—214. — H. Swobodi, N. phil.
Rdsch. 1899 S. 509—513. — E. Heidenreich, Mitt. a. d. bist. Lit.
1899 S. 392—395. — A. Hauvette, Rev. crit. 1899, II, S. 427—428.—
B. Niese, N. Jahrb. f. d. klass. Alt. 1899, I, S. 438 f. — V. Costanzi,
Riv. di 61. 1900 S. 115f. - Lit. Zentralb]. 1900 Sp. 361. —
£. Schmidt, Ztschr. f. d. GW. 1900 S. 32—40. — J. Kaerst, Hist.
Z. 84, 1900, S. 469 f. — J. Melber, Bl. f. d. GSW. 1900 S. 331—334.
— P. Perdrizet, Rev. des et. anc. 1900 S. 269—271. — Whibley,
Class. Rev. 1900 Sp. 368 f.
Bauers Bericht, ursprünglich für den Jahresbericht über Alter-
tumswissenschaft bestimmt, dann aber wegen zu großen Umfang»
als besonderes Buch gedruckt, hat (mit Ausnahme des Rezensenten
im Class. Rev.) große Anerkennung gefunden und verdient sie
auch. Was in den genannten Besprechungen, die auf Einzelheiten
aur wenig eingehen, im allgemeinen gelobt worden ist, gilt auch
von den Abschnitten, die der Besprechung der Xenophonliteratur
gewidmet sind.
Das größere Werk von Bruns (s. o. S. 80) wird S. 181 ff. nach
Gebühr gewürdigt, besonders Xenophons Eigenart in den Hellenika
im Gegensatz zu Thukydides (S. 183 f.), der Einfluß des isokrati-
schen Euagoras auf den xenophontischen Agesilaos und zwei
Porträts der Anabasis (des Proxenos und Menon) (S. 187 f.). Zu
billigen ist, daß auch Hirzels Werk (Der Dialog, Leipzig 1895),
wiewohl nicht geschichtlich im engeren Sinne, herangezogen wird»
Hervorgehoben wird daraus der wichtige Gedanke, daß für Xenophons
literarische Tätigkeit nacheinander Sokrates, Kyros und Agesilaos
maßgebend gewesen sind. Von den sokratischen Schriften ist
nach H. das Symposion das bedeutendste (hierüber urteilen fast
alle Neueren anders), durch das die Symposienliteratur eröffnet
wird. Seecks Werk (s. o. S. 81 ff.) wird gelobt, Nordens „Kunst-
prosa" (o. S. 79) nur eben erwähnt (S. 193), aber doch der künst-
mäßige Charakter der antiken Geschichtschreibung und der Einfluß
der Rhetorik auf sie richtig hervorgehoben, ebenso sehr glücklich
(S. 229 ff.) das Ergebnis der Forschungen von Bruns (a. a. 0.)r
daß die Vielseitigkeit von Xenophons Schriftstellerei und die ver-
Xenophon, von R. Ullrich. 85
schiedenartigen Muster, denen er folgte (Thukydides, Sokrates,
Isokrates) uns erst den „ganzen Menschen14 richtig kennen lehre
und viele Seltsamkeiten einzelner Stellen wie ganzer Schriften in
das rechte Licht rücke. So ist B. auch von der Echtheit des
Agesilaos durch ßruns überzeugt worden (231 f.); nur darf man,
fuge ich hinzu, die Abfassung mit ihm nicht bald nach 374 an-
setzen, wenn auch ein Einfluß des „Euagoras" unverkennbar ist.
S. 231 Z. S v. o. muß es übrigens „Koronea" statt „Haliartos"
heißen.
Bedeutungsvoll, weil heute noch lange nicht genug gewürdigt,
ist ferner S. 182 A. 262 der Hinweis auf das schon von andern
beobachtete Fehlen der modernen Anmerkungen bei antiken
Schriftstellern und manche dadurch bedingte stilistische Eigen-
heilen des Textes selbst.
Eingehend beschäftigt sich B. mit den Untersuchungen von
E. Schwartz über die Hellenika (S. 229 ff.), deren „Verschweigungen*'
dieser Gelehrte richtig erklärt hat (vgl. jetzt auch E. Meyer, Gesch.
d. Alt. III S. 277 ff.); B. stimmt hier meist zu, während er sich
über Schwartz1 Ansicht, X. habe die Hellenika in den fünfziger
Jahren in einem Zuge verfaßt, zurückhaltender äußert (S. 232).
Diese seit Niebuhr oft, am eingehendsten von Nitsche (Progr. des
Sophien-G. z. Berlin 1871) behandelte Frage ist nach Lage der
Dinge schwerlich je bestimmt zu beantworten; vgl. die Übersicht
voirL. Langer (Eine Sichtung der Streitschriften über die Gliederung
der Hellenika von Xenophon, Progr. Brunn 1897) und Kitsches
Bemerkungen dazu Berl. phil. WS. 1898 S. 229 f.
Daß die Anabasis eine Tendenzschrift „zur Bechtfertigung in
eigener Sache" sein soll (S. 235), kann ich nicht zugeben; ein-
zelne Stellen mögen so ausgelegt werden, an die Schrift als
Ganzes muß man unbefangener herantreten. Kalinkas schon 1898
erschienene Ausgabe der Iti&tjvaicov nolixeia hat B. (S. 238 f.)
noch nicht benutzt; Scbölls Aufsatz (s. o. S. 66) wird mit Becht
gerühmt, wenn B. auch nicht überall zustimmen kann; vgl. zum
Charakter der Schrift jetzt auch Ed. Meyer, Forschungen z. alt.
Gesch. II 1899 S. 40lff.
im Zusammenhang mit der Besprechung der Schriften zur
aristotelischen li^rjyaicov noXwsia (S. 26811.) macht B. die Be-
merkung (S. 274), daß „die Geschichtswerke des Herodot, Thukydides
und Xenophon wie die aller wirklichen Geschichtschreiber von
bestimmten politischen Anschauungen getragen werden und, in-
sofern also Geschichtschreibung und Politik zusammengehören, auch
einen politischen Charakter haben". Das ist zweifellos richtig und
würde, immer recht beachtet, auch in der Xenophonforschung
manche irrige Hypothese nicht haben aufkommen lassen.
Im Gegensatze zu v. Wilamowitz, welcher (Aristoteles und
Athen I S. 1 65 ff.) die Verwandtschaft von Hell. H 3, 19 und Arist.
*A&. noX. 36, 2 so erklärte, daß Aristoteles die Programmschrift
86 Jahresberichte d. Philologe. Vereins.
des Theramenes, nicht die Hellenika des X. benutzt habe, stimmt
B. den Ausführungen von ßusolt (Herrn. 1898 S. 71 ff., s. auch
unten Nr. III „Hellenika") zu, wonach Xenophon selbst sein Ge-
währsmann gewesen ist. Vielleicht hatte Busolts Aufsatz eine
eingehendere Besprechung verdient.
Bekanntlich hatte Bauer selbst bald nach der Wiederauffindung
und ersten Veröffentlichung der^i&rjvaiodv noXixeia des Aristoteles
(1891) in einem besonderen Buche (Literarische und historische
Forschungen zu Aristoteles' ^d-tjraioop noXireia, Mönchen 1891,
S. 148 ff.) auch über das Verhältnis von Aristoteles1 Schrift zu
Xenophons Hellenika gehandelt und dabei unter lebhafter
Polemik gegen Schwartz ein wenig gunstiges Urteil über die
Glaubwürdigkeit Xenophons in den Hellenika wie überhaupt ge-
fällt. Um so mehr ist die Ruhe und Unparteilichkeit anzu-
erkennen, die er in allen X. betreffenden Abschnitten seines Werkes
bewahrt. So ist sein Bericht, dessen Reichhaltigkeit hier nur an-
gedeutet werden konnte, auch auf diesem Sondergebiete als ein
zuverlässiger Führer anzusehen und allen sehr zu empfehlen, die
sich mit griechischer Geschichte beschäftigen; er kann in vieler
Hinsicht als eine Ergänzung von Wachsmuths „Einleitung" (1895)
betrachtet werden.
Da aber solche Berichte nicht nur zum Lesen — und Bauers
Bericht ist wirklich auch in dieser Beziehung anregender, als
Literaturberichte sonst zu sein pflegen — , sondern auch zum
Nachschlagen bestimmt sind, wurde es sich für eine nach etlichen
Jahren hoffentlich erscheinende Fortsetzung empfehlen, die Namen
der Verfasser im Druck hervorzuheben, wie dies in den Bursian-
schen Berichten üblich ist, und dem Register der modernen Autoren
ein sachliches hinzuzufügen. Die Brauchbarkeit des Ganzen würde
so erheblich erhöht werden.
8) Ernst Richter, Bericht über die Xenophon betreffenden
Schriften, welche in den Jahren 1889 — 1898 erschienen sind (Jahres-
bericht über die Fortschritte der klassischen Altertumswissenschaft,
Bd. C 1899, I, S. 33—91). Leipzig 1899, Reisland. gr. 8.
Den früher von W. Nitsche und K. Schenkl bearbeiteten
Bericht über Xenophon (vgl. o. S. 63) hat jetzt E. Richter über-
nommen, dem es gelungen ist, die Arbeiten eines zehnjährigen
Zeitraumes in knapper Form zusammenzufassen. Sein Bericht
orientiert gut über die in den bezeichneten Jahren erschienenen
Schriften, unter denen eine Anzahl recht bedeutsamer sich be-
findet, und sei den Fachgenossen, die ihn noch nicht kennen,
hiermit empfohlen. Manche Schriften, besonders des Jahres 189S,
konnten nach den Grundsätzen der Jahresberichte über Alter-
tumswissenschaft bei Richter gar nicht oder nur kurz erwähnt
werden.
Xenophon, von R. Ullrich. 87
9) Anton Malfertheimer, Real erklär an g und Anschauungs-
unterricht bei der Lektüre der griechischen Klassiker. Teil I:
Xenophon, Homer, Herodot. Wien 1899, A. Pichlers Witwe & Sohn.
VIII u. 98 S. 8. 2 Jt.
Anzeigen: L. Gorlitt, WS. f. klass. Phil. 1900 Sp. 125 ff. — .
W. Gemoll, Ztschr. f. d. GW. 1900 S. 361. — A. v. Bamberg, Jahresb.
üb. d. höh. Schul w. 1899, VII, S. 19f. — J. Kubik, Berl. phil. WS.
1900 S. 950—952. — J. Oehler, Ztschr. f. d. öst. Gynin. 1900 S. 932 f.
— L. Koch, N. phil. Rdsch. 1901 S. 155—157. — M. Seibel, ßl. f.
d. GSW. 1901 S. 291 f.
Die Ansicht, daß zur Erklärung der antiken Schriftsteller
Denkmäler der Kunst heranzuziehen seien, bricht sich immer
mehr Bahn; die Schulergenerationen von heute haben es besser
als die vor 20 und 30 Jahren. Wir hörten wohl in der Prima
im deutschen Unterricht von der Laokoongruppe und beim Homer
vom Zeus von Otricoli (Abbildungen wurden freilich nicht gezeigt),
aber in der Tertia und Sekunda waren dergleichen Dinge aus-
geschlossen, und wer nicht für Xenophon z. B. aus den Tafeln
Vollbrechts sich unterrichten konnte oder mehr zufällig irgend
eine Anschauung erhielt, bekam weder einen griechischen noch
einen persischen Soldaten im Bilde zu sehen. Das ist nun anders
geworden; eine Fülle von Anschauungsmitteln steht zu Gebote.
Aber einerseits entsprechen diese nicht immer den Zwecken der
Schule, andrerseits liegt die Gefahr vor, daß gegenüber dem
früheren Mangel der jetzige Reichtum im Unterricht Verwirrung
stifte und (S. 5) „das Interesse der Schuler von dem Wesent-
lichen auf Äußerliches, Nebensächliches abgezogen, der Fortgang
der Lektüre gehemmt und das Eindringen in den Gedankengehalt
derselben erschwert wird". Der Verf. hat nun auf Grund öster-
reichischer Schulverhältnisse — was für den „reichsdeutschen"
Leser wohl zu beachten ist — umfangreiche statistische Unter-
suchungen darüber angestellt, welche Werke bzw. Bücher der ge-
nannten Schriftsteller vorzugsweise gelesen werden, danach das
erforderliche Anschauungsmaterial zusammengestellt und es mit
manchen nützlichen Erläuterungen versehen, die nicht bloß dem
Anfänger gute Dienste leisten werden.
Xenophon wird behandelt auf S. 1 — 14 (Anabasis B. I— IV),
78—80 (Memorabilien I 4; II 1,21—34; III 5), 14-17 (Cyro-
pädie, welche in Österreich bekanntlich noch gelesen wird; Aus-
wahl nach Schenkls Chrestomathie). Die Hellenika fehlen ganz.
Die Auswahl aus den Memorabilien ist für deutsche Verhältnisse
zu knapp; die Cyropädie kommt bei uns nicht mehr in Betracht.
Der Abschnitt über die Anabasis bietet viel Nützliches, wenn auch
zu bedauern ist, daß die letzten drei Bücher nicht berücksichtigt
sind; Buch I und IV sind mit Recht am ausführlichsten behandelt.
Der Verf. bespricht in den drei Abschnitten „Kriegswesen, Mytho-
logie und Kultus, Verschiedenes'4 teils zusammenfassend, teils zu
einzelnen Stellen alles, was zur Förderung der Anschauung nütz-
88 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
lieb zu verwenden ist. Hier einige Beispiele. Den griechischen
Hopliten will M. in dem polychromen Modell Langls vorgeführt
wissen; das ist aber ziemlich umständlich. Soll der Hoplit in
einer Tertia aufbewahrt oder jedesmal herbeigeholt werden? Der
Preis (12/1.) ist zu hoch; hier werden wir uns mit einfacheren
Mitteln begnügen müssen. Sehr zweckmäßig wird die „Alexander-
Schlacht" zur Erläuterung herangezogen, die in einer guten und
hinreichend großen Abbildung eine ganze Reihe von Einzel-
darstellungen ersetzt, ganz abgesehen davon, daß der Schuler hier
gleichzeitig eines der eigenartigsten Kunstwerke kennen lernt, das
wir aus dem Altertum besitzen. Außerdem interessieren den
Schuler Schlachtenbilder auf dieser Stufe immer. Andrerseits
zeugt es von ebenso richtiger Erkenntnis dessen, was einem
Tertianer frommt und was nicht, wenn z. ß. auf die Vorführung
der Gruppen der Dareiosvase verzichtet wird. Auch Münzen
werden zur Erklärung herangezogen. Den einzelnen Abschnitten
hat M. knappe methodische Bemerkungen hinzugefügt (S. 6, 12,
16), die besonders dem jungen Lehrer manchen Dienst leisten
werden; vgl. z. B. das S. 6 und 13 über die Schülerkommentare
und -Präparationen Bemerkte. Mehrfache Hinweise auf die Lektüre
des Curtius erklären sich wieder durch die Besonderheiten öster-
reichischer Schulverhältnisse.
Wenn die Anschauungsmittel in so zweckmäßiger Auswahl
und mit weisester Beschränkung auf das wirklich unmittelbar
Förderliche der Schriftstellerlektüre dienstbar gemacht werden,
wird diese selbst sicher gewinnen, und dem Verf. gebührt das
Verdienst, bedeutsame Anregungen nach dieser Richtung hin ge-
geben zu haben. Ob freilich alle Anstalten über ein so gutes
Anschauungsmaterial auch auf diesem Gebiet verfügen, wie es dem
Verf. vorschwebt — er hebt mit Stolz hervor, daß seine Anstalt
in Mährisch- Trübau ein eigenes archäologisches Kabinett besitzt! — ,
ist mir zweifelhaft. Eine mäßige Zahl gut gewählter und, was
bei der heutigen Stufe der Technik eigentlich selbstverständlich
ist, auch gut ausgeführter Abbildungen, auf ein paar Tafeln den
Schultexten hinten beigefügt, könnte neben der Vorführung
von Modellen in der Schule gute Dienste tun, soweit nicht für
Xenophon z. B. das Vollbrecbtsche Wörterbuch zur Anabasis zum
Gebrauche empfohlen wird. Die Abbildungen in dem der Schenki-
schen Chrestomathie angehängten Lexikon sind gar zu dürftig.
Der Preis des Buches, 2 M für sechs Druckbogen, ist für ein
solches Hilfsmittel, ungebunden dazu, recht hoch und würde sich
nur dann rechtfertigen, wenn der Verf. seine Ausführungen über
Anschauung auch durch eine Anzahl guter Wiedergaben unter-
stützt hätte. Auch hätte es sich empfohlen, die benutzten oder
empfohlenen archäologischen Hilfsmittel am Schlüsse zusammen-
zustellen und mit einigen erläuternden Bemerkungen zu versehen,
um denjenigen, die nicht Archäologen von Fach sind, die Auswahl
Xenophoo, von R. Ullrich. 89
des ihnen passend Erscheinenden zu erleichtern. Vielleicht ent-
schließt sich der Verf. auch dazu, was Xenophon betrifft, in einer
neuen Auflage die späteren Bucher der Anabasis, sowie die hier
ganz fehlenden Hellenika mit in den Kreis seiner Betrachtung zu
ziehen, um dem Buche auch außerhalb Österreichs zu weiterer
Verbreitung zu verhelfen. Diese ev. Vermehrung braucht ja nicht
allzuviel Platz einzunehmen, da es sich oft nur um Verweisungen
auf früher schon vorgekommene Anschauungsmittel handeln wird,
sie würde aber die Brauchbarkeit des Buches gewiß erhöhen.
Und falls der Preis nicht herabgesetzt werden kann, würde ich
empfehlen, den Abschnitt über Homer, der mehr Platz einnimmt
als die über Xenophon und Herodot zusammen, als besonderes
Heft erscheinen zu lassen.
10) Edmund Lange, Xenophoa. Sein Leben, seine Geistesart und seine
Werke (Gymnasial- Bibliothek, herausgegeben von Hugo Hoflmaoo,
Heft 9). Gütersloh 1900, C. Bertelsmann. VIII u. 88 S. gr. 8. 1,20 Jt.
Anzeigen: 0. Güthling, WS. f. klass. Phil. 1900 Sp. 315 f. —
Österr. Litbl. 1900 S. 504. — J. Sitzler, Gymnasium 1900 Sp. 487—
489. — K. Lincke, Berl. phil. WS. 1900 Sp. 1477—1479. — P. W.,
JN. phil. Rdsch. 1900 S. 492 f. — P. Cauer, DLZ. 1902 S. 215f.
Seinem „Thukydides" (1893, Gymnasial-Bibl. Heft 16) bat
der Verf. nun die lange angekündigte Darstellung des Xenophon
folgen lassen, und nachdem inzwischen (1904, Heft 37) auch
„Herodot44 von A. Hock erschienen ist, haben wir „die" drei griechi-
schen Geschichtschreiber (ich bediene mich dem Brauche folgend
hier dieser Bezeichnung, doch s. o. S. 83) in der „Gymnasial-
bibliothek44, die uns schon manche vortreffliche Gabe geboten hat,
vollständig beisammen.
Der Verf. spricht die Hoffnung aus, daß sich seine Arbeit
zur Einführung der Tertianer und Sekundaner1 in die Lektüre
Xenophons brauchbar erweisen werde. Das kann ihr Zweck nicht
sein; vollends nicht für Tertianer, für welche die Darstellung zu
hoch ist. Eher wird sie dazu mithelfen können, bei reiferen
Sekundanern neben und nach der schulmäßigen Unterweisung das
„Verständnis der Persönlichkeit Xenophons und seiner Schrift-
stellerei4' zu erweitern und zu vertiefen. Für diese ist der Ton
in der Tat sehr glücklich getroffen, die Ausführung nach Inhalt
und Form so wohl gelungen, daß das Heft sich als eins der
besten der Sammlung darstellt und durchaus empfohlen werden
kann. Wenigstens alle Gymnasialbibliotheken sollten es an-
schaffen. Ich glaube sogar, daß es jüngere Lehrer und überhaupt
solche, die zum ersten Male Xenophon mit ihren Schülern lesen,
mit Nutzen verwenden können.
L. bat seinen Stoff in sechs Abschnitte geteilt: I. Xenophons
Leben (S. Iff.). II. X.s Lebensanschauungen: 1) X. und seine
Zeit, 2) X.s religiöse Anschauungen, 3) X. als Mensch und Feld-
herr. III. X. als Schriftsteller; seine nicht im Gymnasium ge-
90 Jahresberichte d. Philologe. Vereins.
lesenen Werke (S. 8 ff.). IV. Die Anabasis: 1) Zur Einführung,
2) Inhalt, 3) Das Heer der Zehntausend und seine Organisation
(S. 30 ff.)- V. Die griechische Geschichte: 1) Zur Einführung,
2) Inhalt (S. 52 ff.). VI. Die Denkwürdigkeiten: 1) Zur Einfuhrung,
2) Inhalt (Disposition), 3) Persönlichkeit und Grundanschauungen
des Sokrates (S. 67 ff.)- Schlußbemerkung (S. 88).
Die Darstellung ruht überall, wie von L. nicht anders zu er-
warten war, auf wissenschaftlicher Grundlage; auch die Forschungen
der letzten Jahre sind gewissenhaft benutzt. Schade, daß der
Verf. sie nicht in einein Anhange kurz zusammengestellt hat.
Die Hefte der Sammlung werden doch tatsächlich nicht nur und
vielleicht nicht einmal meist von Schulern benutzt, andrerseits
auch nicht bloß von „Kennern", von denen hier (S. VI) wie auch
in ähnlichen Arbeiten häufig gesagt wird, „daß sie ohne Schwierig-
keit herausfinden werden" u. s. w. Jüngere Lehrer aber z. B.,
die sich auf der Universität selten mit X. beschäftigt haben (und
das sind die meisten — Xenophon zählt da nicht recht mit, auch
bei den Dozenten nicht), wurden sehr dankbar dafür sein, wenn sie
die Hauptschriften der letzten 20 — 30 Jahre in einem Anhange kurz
zusammengestellt fänden, der ihnen sehr nützte, ohne die jugend-
licheren Leser irgendwie zu stören; ich glaube, die Redaktion der
Sammlung würde vielen einen Dienst erweisen, wenn sie das
nicht bloß zuließe, sondern geradezu forderte. In Hachtmanns
„Pergamon" übrigens (1900, Heft 32) ist wenigstens ein Versuch
damit gemacht worden.
Den Versuchen, xenophontische Schriften ganz oder teilweise
für unecht zu erklären, ist L. mit Recht abgeneigt. Er hält alles
unter X.s Namen Oberlieferte für echt, mit Ausnahme natürlich
der *A&rjvaitov noXixsia (S. 22). Den Kynegetikos setzt er allzu
sicher (S. 23, 30) in die Zeit kurz vor 401. Zu billigen ist, daß
die nicht in der Schule gelesenen Schriften (S. 24 ff.) nur kurz
behandelt werden, doch immerhin so, daß ein deutliches Bild von
ihnen entsteht. Am ausführlichsten sind natürlich Anabasis,
Hellenika und Memorabilien besprochen, am eingehendsten hier
wieder mit Recht die Anabasis.
Die vorausgeschickte Übersicht über das Leben Xenophons
ist klar geschrieben, unterscheidet genau und doch ungezwungen
zwischen guter und schlechter Oberlieferung und hebt die Haupt-
momente richtig hervor. Die Anordnung der übrigen Abschnitte
wäre vielleicht gerade mit Rücksicht auf den Kreis der Leser,
welchen Verf. im Auge hat, besser so zu treffen gewesen, daß
zuerst die Übersicht der einzelnen Werke gegeben und daraus
die Folgerungen gezogen wurden. Auch das, was über Xenophons
religiöse Anschauungen, über seine Eigenart als Mensch wie als
Feldherr gesagt wird — Dinge, die sich doch zumeist aus den
Werken selbst ergeben — , ständen besser in einem Schlußabschnitt
statt vor der Besprechung der Werke. Doch der Verf. ist kein
Xeoophon, von R. Ullrich. 91
Schulmann. Inhaltsübersichten der einzelnen Werke in Ausgaben
der Schriftsteller selbst sind ja im allgemeinem vom Obel, weil
dem Unterriebt so das Beste vorweggenommen wird; hier waren
sie wohl zu gestatten, besonders für den größten Teil der Hellenika
und die in Gymnasien immerhin seltener gelesenen letzten Bucher
der Anabasis. So aber, wie sie der Verf. gibt (S. 35 — 49 und
59 — 67), Kapitel für Kapitel, wirken sie etwas trocken; ich glaube
kaum, daß das Interesse der Schuler dabei rege bleibt. Eine um
die Hälfte kürzere, aber den Fortschritt der Erzählung und wichtige
Wendepunkte nachdrücklicher hervorhebende Darstellung wäre
eindrucksvoller geworden. Ansätze dazu sind gemacht, aber es
sind wenige. Bei der Übersicht der Memorabilien (S. 73 — 81)
hat L. auf zusammenhängende Darstellung ganz verzichtet und die
Form einer ausführlichen Disposition gewählt; ich verkenne nicht
die Schwierigkeit, die darin liegt, gerade von dieser lose gefügten
Schrift eine zusammenhängende Übersicht zu geben; aber ein
Versuch, ev. mit Auslassung des einen oder andern Stückes, hätte
wohl gemacht werden können und wäre sicher auch fruchtbringender
für die Lektüre. Mit vielen anderen halte ich so ausführliche
Dispositionen für unzweckmäßig, ja schädlich (vgl. z. B. H. Meusel,
Vorwort zur Cäsarausgabe S. IV).
Am gelungensten erscheinen mir die allgemeinen Abschnitte
II 1—3; III; IV 1 und 3; V 1 und besonders 3. Der Verfasser
ist hier überall bestrebt, Licht und Schatten richtig zu verteilen;
er hält sich von Überschätzung Xenophons frei und verkennt
seine Mängel nicht, ist aber ebensowenig geneigt, denen zu folgen,
die selbst die Anabasis ihrem Helden nicht lassen wollen; vgl.
oben S. 72 IT.
Im einzelnen bemerke ich noch folgendes: S. 1 hätte ich
lieber mit Z. 2 v. u. begonnen; das vorher Gesagte nimmt dem
Schüler wenigstens schon etwas den Geschmack und wäre besser
am Schlüsse untergebracht worden Und als schriftstellerische
Leistung ist die Anabasis wirklich eine schöpferische Tat. S. 2:
Laertius Diogenes ist dem dritten Jahrhundert zuzuweisen. S. 7:
eyevysv = „er fühlte sich als Verbannter'4 ist unmöglich. Der
Abschnitt über die religiösen Anschauungen Xenophons (S. 9 ff.)
ist vortrefflich. Die „Inkonsequenzen" (S. 11) sind nicht bloß
menschlich, sie sind auch antik. Was über die Bedeutung der
Frömmigkeit des Feldherrn für ihn selbst und für sein Heer ge-
sagt wird (S. 13), ist wohl zu beachten, ebenso die vielen kleinen,
feinen Züge, die L. beibringt, um S. 14 ff. den Menschen und
Feldherrn zu charakterisieren (gutes Beispiel, Kameradschaft,
Humor u. a.), Züge, die nur dem entgehen, der verlernt hat,
Menschen und Dinge unbefangen zu beobachten und zu schätzen.
Auch in bezug auf das Verhältnis des Atheners zu seiner Vater-
stadt hat der Verf. zumal für jugendliche Leser die rechten Worte
gefunden (S. 19 ff.). Von den Schriften, die nicht epochemachend
92 Jahresberichte d. Philologe Vereins.
zu nennen sind (S. 21), ist wenigstens die Anabasis auszunehmen.
Daß wir „von weiteren, etwa verloren gegangenen Schriften nichts
wissen'4 (S. 22 Z. 4 v. u.), ist wohl nicht ganz richtig; vgl.
0. Immisch in Comment. Ribbeck., 1888, S. 73—98. Das S. 32
über Sophainetos und Diodor Gesagte ist viel zu unsicher, um
eine längere Darlegung zu rechtfertigen; treffend ist bez. des
Schweigens Diodors über Xenophon der Hinweis auf den welt-
geschichtlichen Charakter seines Werkes, wogegen das persönliche
Element in einem Memoirenwerke stärker hervortreten mußte.
Die Anabasis wird S. 34 f. zweckmäßig in drei größere
Abschnitte zerlegt (I und II; 111— IV; V — Vll), die jeder in seiner
Eigenart sehr gut charakterisiert werden. Wenn ein Rezensent
(Güthling a. a. 0.) das erste Buch höchst langweilig findet und
meint, man solle endlich aufhören, es mit Schülern zu lesen, so
wird er damit wohl keine Nachfolge finden; dem Gebäude wurde
ja so das Fundament fehlen. Daß Cheirisophos „nur als erster
unter Gleichen" nach der Ermordung der Feldherren zur Fuhrung
berufen worden wäre (S. 42), ist nicht richtig. Der Abschnitt über
„Das Heer der Zehntausend und seine Organisation44 (S. 49 — 52)
gibt einen in seiner Knappheit vortrefflichen Überblick über die
ganz besonderen Verhältnisse dieser Söldnertruppen.
Was man bei den Hellenika gewöhnlich „Tendenz" genannt
hat, im üblen Sinne des Wortes, hat L. S. 54 ff. richtig auf seinen
Wert zurückgeführt; die „Verschweigungen" (s. o. S. 72 und 85)
beurteilt er noch zu einseitig. S. 56 — 58 wird, um verschiedene
Seiten der Darstellung der Hellenika zu charakterisieren, eine
große Zahl von Stellen angeführt und mit zwei Worten gekenn-
zeichnet, z. B. „allzu lehrhafter Ton militärischer Urteile" (folgen
fünf Stellen, nur mit Zahlen angegeben), „Gegensätzliche Art des
Lysander und Kallikraddas" ([ 6, 2. 3), „die anmutige Episode"
(IV 1, 3 — 15), die „hübsch ausgemalte Erzählung" u. a. m. Soll
der Schüler alle diese Stellen, von denen ihm doch nur wenige
im Unterricht begegnet sind, aufschlagen? Oder glaubt Verf.,
daß er es tun wird? Ich halte es in solchem Falle für zweck-
mäßiger, wenige charakteristische Stellen entweder auszuschreiben
oder ausführlich wiederzugeben; die Darstellung wird so lesbarer
und das Interesse mehr angeregt. Und am Schluß der langen
Inhaltsübersicht der „Hellenika" angekommen (S. 67), verlangt
man geradezu nach einem Rückblick, einer Würdigung des
Ganzen.
Bei den Memorabilien (S. 67 ff.) verzichtet L. darauf, die
zahllosen Behauptungen oder Vermutungen über Komposition,
Zweck, Echtheit u. s. w. um eine neue zu vermehren, und äußert
sich über die Möglichkeit, hier zu bestimmten Resultaten zu
kommen, mit Recht zurückhaltend. Was über den Wert des
Buches als schriftstellerischer Leistung mit einiger Sicherheit zu
sagen ist, spricht er sine ira et studio in schlichter Form aus.
Xenophoo, von R. Ullrich. 93
Ober die (S. 73 ff.) gegebene ausfuhrliche Disposition habe ich
schon oben gesprochen. Ein glucklicher Gedanke war es, zum
Schluß (S. 80 ff.) mit wenigen kräftigen Strichen ein ßild des
Sokrates zu zeichnen, nicht bloß auf Grund der einseitigen Charakte-
ristik Xenophons, sondern mit'Benutzung auch der übrigen Nach-
richten aus dem Altertum. Was über Sokrates1 Verhältnis zu
Xanthippe, über die Ausübung auch seiner bürgerlichen Pflichten,
seinen Einfluß auf die Jugend gesagt ist, wird einen vorgeschrittenen
Schüler sicher fesseln. Aber warum werden die „herrlichen
Worte44, die Fla ton im „Gastmahl" den Alkibiades sprechen läßt,
nicht mitgeteilt? Und wer mit steigendem Interesse den letzten
Absatz über Sokrates gelesen hat, wird bedauern, daß dem Manne,
der auf Mit- und Nachwelt so bedeutsamen Einfluß geübt hat,
nicht längst ein besonderer Band in der „Gymnasial-Bibliothek"
eingeräumt worden ist, in der auch kleinere Geister schon ihren
Platz gefunden haben.
Zu verbessern sind folgende Druckfehler: S. 3t Z. 7 das
fehlende Komma hinter Athener; S. 47, VII, Z. 2 Naarch; S. 80
Z. 16: III, 7 (IV, 7); stilistisch nicht gut ist S. 41 Z. 8—10 v. u.
„über Agias und Sokrates begnügt sich X. mit wenigen sympathi-
schen Worten".
Für eine Neuauflage des Büchleins wäre also hauptsächlich
zu wünschen, daß die allgemeinen Abschnitte über die drei Haupt-
werke hinter die Inhaltsübersichten gestellt, diese selbst erheb-
lich gekürzt und die Hauptpunkte darin mehr hervorgehoben
würden; so bliebe auch reichlich Platz, die eine oder andere
Stelle, auf die jetzt nur hingewiesen wird, ihrem wesentlichen
Inhalt nach wiederzugeben. Unter solchem Vorbehalt ist Langes
„Xenophon" eine erwünschte Gabe und dem Gebrauche derjenigen,
denen sie dienen soll, wohl zu empfehlen.
11) Hans Delbrück, Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der
politischen Geschichte. Erster Teil: Das Altertum. Berlin 1900,
G. Stilke. XVI u. 533 S. gr. 8. 10 J6.
AoMigeo: J. Kromayer, DLZ. 1900 Sp. 3183—3191. — R. Oehler,
Berl. phil. WS. 1901 Sp. 81—83. — Lit. Zentralbl. 1901 Sp. 886f. —
A. Bauer, Hist. Z. 1901, II, S. 284—291. — Ber. d. Fr. Deutsch.
Höchst, z. Frkf. a. M. 1901 S. 96—115. — B. Niese, Gott. gel. Adc
1901, II, S. 596—628. — J. Fochs, Hist. Vierte] jähr sehr. 1901
S. 377—380.
Für unsere Kenntnis der Kriegskunst der Hellenen vom Aus-
gang des 5. bis in die Mitte des 4. Jahrhunderts, im allgemeinen
sowohl wie besonders für die Beurteilung gewisser Fortschritte,
die sich in diesem Zeitraum teils vollzogen, teils vorbereiteten,
ist Xenopbon, der Stratege wie der Erzähler, die wichtigste Quelle;
das hat nach Köchly-Rustow, K. F. Hermann, H. Droysen, M. Jahns
und A. Bauer jetzt H. Delbrück aufs neue gezeigt. Besonderen
Wert erhält seine Arbeit dadurch, daß hier nicht bloß der
94 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Historiker, sondern auch der Militär zu Worte kommt, und was
in der Vorrede und später (z. ß. S. 120 Anm. 2) über die ein-
seitige Beurteilung militärischer Operationen durch Laien gesagt
wird, ist beachtenswert. Während nun in den eben genannten
Werken das Material sorgfältig zusammengetragen und nach sach-
lichen Gesichtspunkten geordnet worden war, wobei auch alle
Einzelheiten erwähnt werden konnten, wird hier zum ersten Male
der Versuch gemacht, Fortschritt und Entwicklung auf diesem
Gebiete zu zeigen.
Für Xenophon kommen aus dem 2. Buche „Die Griechen
auf ihrer Höhe" hauptsächlich in Betracht die Kapitel „Söldner"
(S. 109 ff.), „Feinere Ausbildung des bestehenden taktischen Systems
im vierten Jahrhundert44 (114 ff.), „Theorie. Xenophon" (123 ff.),
,;Epaminondas" (130 ff.); aber auch iii dem 3. Buche, „Die
Macedonier" (S. 139 ff.) finden sich manche gute Bemerkungen,
und die Darstellung von „Altrom4' (S. 219 ff.) gibt Gelegenheit,
hier und da einen Rückblick auf griechische Verhältnisse zur Zeit
Xenophons zu tuu und treffende Vergleich ungen anzustellen.
Der Verf. ist bemüht, den Schriftsteller X. gerecht zu be-
urteilen; er nennt ihn (S. 135) einen „gewissenhaften Schriftsteller
und einsichtigen Soldaten44; er findet z. B., daß die Schilderung
der Schlachten von Leuktra (S. 132 ff.) und Mantinea (135) bei
Xenophon vertrauenerweckender ist als bei Plutarch hzw. Diodor,
und seine kurzen Erörterungen darüber und die Kritik von Köcbly-
Rüstow sind überzeugend; andrerseits findet er gegenüber den
mehr theoretischen Ausführungen in der Cyropädie (124 ff.) das
richtige Wort und zeigt (S. 127) in einem besonderen Falle
(Frage des Zusammenwirkens der Hopliten mit den Fernwaffen)
uuter Heranziehung einer seltsamen Bemerkung [Napoleons 1. zum
Siebenjährigen Kriege, daß „nicht bloß der gute Homer, sondern
auch die größten Generale zuweilen schlafen44.
Am interessantesten, wenn auch nicht immer ueu (vgl. die
knappe Übersicht bei Jahns, Gesch. d. Kriegswissenschaft I, 18S9,
S. 20 ff.; S. 30), ist natürlich das, was über Xenophons eigene
praktische Tätigkeit in der Katabasis bemerkt wird. Nach dem
Beispiel von Jahns (a. a. O. S. 20 f.) werden besonders zwei Vor-
gänge der Anabasis gebührend hervorgehoben, welche ebensosehr
für die Fähigkeit Xenophons sprechen, veraltete Formen der
Taktik im gegebenen Falle mit sicherem militärischen Blick weiter-
zubilden (Aufgeben der geschlossenen Phalanx und Formierung
der öq&ioi, "koyoi zum Angriff auf einen von den Kolchern be-
setzten breiten Höhenzug, IV 8, 9 — 10), ja mit schöpferischem
Geiste (wonach die Bemerkung S. 125 Z. 2 ff. einzuschränken ist)
bedeutungsvolle Neuerungen einzuführen (Aufstellung einer Reserve
— X6%oi, (pvlaxsg — in dem Gefecht mit einer Abteilung des
Pharnabazos, VI 5, 9), wie sie es andrerseits bedauern lassen, daß
die „geniale Improvisation44 und „der Gedanke von der aller-
^\
Xeoophon, voo R. Ullrich. 95
größten Tragweite" nicht „Ansätze zu einer prinzipiellen Fort-
bildung der griechischen Taktik geworden sind". Daß dies nicht
eingetreten ist, zunächst wenigstens nicht, war darin begründet,
daß X., was D. nicht hervorhebt, nach 399 seine Feldherrnrolle
ausgespielt hatte.
Ober den Wert der theoretischen Erörterungen X.s in der
Cyropädie (abgesehen von dem oben erwähnten Falle) an sich wie
in ihrer Bedeutung für die Folgezeit urteilt D. wohl etwas zu
ungunstig; vgl. dagegen Jahns a.a.O. S. 24 f. Auch hätten die
bedeutsamen Kapitel (11; 12; 13,6) der Actxsdcutiovloov no forstet,
denen Köchly und Rüstow in den „Griechischen Kriegsschrift-
stellern'' (II 1, S. 104 — 111) die verdiente Stelle eingeräumt
haben, vielleicht etwas eingehender behandelt werden sollen, als
es (S. 129) geschieht. Von einzelnen Stellen, in denen X. gut
charakterisiert wird, will ich noch anfuhren die Bemerkung (S. 124),
daß er zuerst betont hat, das „Kriegfuhren sei nicht eine Wissen-
schaft, sondern nehme den ganzen Menschen mit allen seinen
Fähigkeiten in Anspruch", die Hervorhebung der Überlegenheit
des Nahkämpfers (S. 128), die Erkenntnis der Wichtigkeit der
Reiterei im Zusammenwirken mit dem übrigen Heere durch
Epaminondas (S. 140 f.; vgl. auch Jahns a. a. 0. S. 24 f.), aber
auch die richtige Einsicht X.s, daß die Bedeutung des Epaminondas
nicht bloß in der neuen, von ihm erfundenen Taktik gelegen
habe, sondern vor allem in der Erkenntnis von dem Werte
der moralischen Eigenschaften der Soldaten (S. 132; Hell. VII
5, 19), die wenigstens in der Theorie erkannte Notwendigkeil der
Verfolgung des Feindes nach dem Siege (Cyr. VI 3, 57), die
erst später in den Schlachten Alexanders rechte praktische Be-
deutung gewann (S. 197 u. Anm. 1) u. a. m.
Andrerseits wird (S. 181) die übertriebene Furchtbarkeit der
Sichelwagen auf ihren wirklichen Wert zurückgeführt (hierbei ein
interessanter Hinweis auf Lionardo da Vinci), und bei der Er-
örterung der Topographie der Schlacht bei Issus wird (S. 164)
festgestellt, daß X. an der entsprechenden Stelle der Anabasis
(1 4, 1 ff.) die Entfernungen vom Pyramus bis Myriandos fast um
das Poppelte überschätzt hat. Interessant ist auch die Parallele
zwischen römischer und griechischer Disziplin unter Hinweis auf
einige Stellen bei Xenophon (S. 252 ff.). — So wird Altes in
neuen Zusammenhang gebracht, Neues herausgearbeitet, Falsches
richtig gestellt, und man kann höchstens bedauern, daß ein so
wichtiger Abschnitt der antiken Kriegskunst verhältnismäßig so
kurz bebandelt worden ist.
Dem Bande fehlt ein Index; sowohl ein Sach- wie ein Stellen-
register würde seine Benutzung sehr erleichtern; die Verleger
sollten Werke von größerem Umfange bzw. deren einzeln käuf-
liche Bände gar nicht ohne ein solches ausgehen lassen. Zu
wünschen wäre auch, daß die Herkunft von Zitaten, die mit Recht
96 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
nicht selten ausgeschrieben werden, genauer bezeichnet würde
(z. B. S. 132 = Hell. VII 5, 19; S. 164 = An. I 4, lff.), auch
daß die benutzte Literatur in einem schon durch den Preis mehr
für Fachmänner bestimmten Buche nicht bloß im allgemeinen
(S. 2 f.) und mehr gelegentlich hier und da angegeben, sondern
auch für einzelne Fragen bei den betreffenden Stellen reichlicher
verzeichnet würde, als dies bis jetzt geschehen ist; denn auf
diesem noch in vieler Hinsicht der Aufklärung bedürftigen Gebiete
wollen doch nicht bloß Kenner neu aufgezeigten Zusammenhängen
gern nachgehen, sondern auch Unkundige sich belehren lassen.
Doch das sind Dinge, die der Freude über das wirklich Ge-
botene keinen wesentlichen Eintrag tun können. Niemand wird
D.s Buch ohne Förderung aus der Hand legen, und auch die
Xenophon betreffenden Abschnitte werden dazu beitragen, manche
entstellten Züge im Bilde des Strategen wie des Schriftstellers zu
berichtigen.
Am Schluß dieses Abschnittes sei noch kurz hingewiesen auf
12) Paolys Real-Eocy klopädie der klassischen Altertoms-
wissenschaft. Nene Bearbeitung. Unter Mitwirkung zahlreicher
Fachgenossen herausgegeben von Georg Wissowa. Dritter Band
(Barbaras- Claudius). Stuttgart 1899, J. B. MeUlerscher Verlag.
2908 Sp. Lex. 8. 30 JC
Anzeigen: Fr. Härder, WS. f. klass. Phil. 1900 Sp. 89—92 und
1901 Sp. 488—492. — O. Schaltheß, N. phil. Rdsch. 1899 S. 562—
564 und 1900 S. 584-586. — J. E. Sandys, Glass. Rev. 1900 Sp. 76.
— S. Wide, Berl. phil. WS. 1900 Sp. 417—420. — J. Melber, Bl. f.
d. GSW. 1900 S. 476-478. — Cultura 1900 S. 37f. — F. C, Rev.
de l'instr. publ. en Belg. 1900 S. 328-330 und 1901 S. 333—335. —
J. L. Heiberg, Nord. Tidskr. f. Fil. 1900 S. 125.
Wie die ersten beiden Bande der rühmlichst bekannten Neu-
bearbeitung von Paulys Real-Encyklopädie, so enthält auch der
dritte eine Reihe von Artikeln, die der Xenophonforschung dienen
können. Ich hebe folgende hervor : Basileus (Basileis v. Sparta
II i 2) (v. Schoeffer) Sp. 64 ff., Befestigung (Droysen) 191, Bisanthe
(Oberhummer) 500 f., Biihynia (Ed. Meyer) 507—524, Baiotia
(F. Cauer), bes. 649—654, Byzantion (J. Miller) 1031 ff., Chabrias
(1) (Kirchner) 2017—2021, Chairephm (2) (Natorp) 2028, Chaldam
(2) (Baumstark) 2061, Chalos (2) (Benzinger) 2099, Chalybes (Rüge)
2099 f., Chores (3) (Kirchner) 21 25 (f., Charmande (Fränkel) 2173,
Charmides (Judeich) 2174, Cheirisophos (1) (Niese) 2220 f., doch
ist hier die Bedeutung von Anab. 111 2, 37 nicht gebührend ge-
würdigt,, und Xenophon wird mit Unrecht zu oft bewußter Ent-
stellung der Tatsachen beschuldigt.
Die Fachgenossen seien hiermit auch auf diese Artikel hin-
gewiesen, in denen teils das Quellenmaterial kurz zusammengestellt,
teils zweckmäßige Zusammenfassung geschichtlicher Vorgänge ge-
geben wird, für die ganz oder teilweise X. zu verwerten ist.
n>
Xenophon, von R. Ullrich. 97
IL Anabasis.
A. Ausgabeo, Kommentare, Präparationeo, Wörterbücher.
13) Xeoophoos Anabasis. Für den Schalgebrauch herausgegeben von.
Adolf Matthias. Mit eiuer Karte und drei lithographierten Tafeln.
Zweite, verbesserte Auflage. Berlin 1897, J.Springer. IV u. 172 S.
gr. 8. 1,20 J[f geb. 1,60 J(.
Anzeigeu: Cramer, Gymnasium 1897 Sp. 727 — 729. — A. v. Bam-
berg, JB. üb. d. höh. Schnlw. 1897, VII, S. 10. — Wismeyer, Bl. f. d.
GSW. 1899 S. 736. — R. Hansen, IN. phil. Bdsch. 1898 S. 411—412.
Nach 13 Jahren erst erscheint eine neue Auflage dieser
schönen Ausgabe der Anabasis, nicht wesentlich verändert, aber
sorgfältig durchgesehen und „verbessert". Erwünscht wäre es
übrigens, daß solche „Verbesserungen" in neuen Auflagen in
einem Verzeichnis kurz zusammengestellt würden. Das macht
einem Herausgeber gar keine Mühe und zeigt dem Benutzer gleich,
in welcher Richtung die Verbesserungen sich bewegen. So ist
z. B. Sorof (in seiner Auswahl B S. 270 ff.) und, um auch aus
einem andern Gebiete ein Beispiel anzuführen, Krüger in den
letzten Auflagen von Horaz' Satiren und Episteln verfahren, sehr
im Interesse des Käufers, der unmöglich jede neue Auflage von
Anfang bis zu Ende durchlesen kann. Die drei der ersten Auf-
lage beigegebenen Tafeln sind geblieben (auf der dritten, in der
Skizze zu IV 1, 20—2, 20, oben Druckfehler a statt q). Die Karte
ist neu hergestellt, umfaßt jetzt auch das griechische Mutterland
und ist zwar technisch nicht so schön wie die der ersten Auflage,
dafür aber klarer und übersichtlicher und darum für Schüler
brauchbarer. Einige Berichtigungen gibt Hansen (a. a. 0. S. 412).
Kurz vor dem Erscheinen der ersten Ausgabe hatte sich M.
in der Abhandlung „De lituris et correctionibus quae inveniuntur
in Xenophontis Anabasis codice C (Parisino 1640)" über seine
Auffassung von der Feststellung des Textes ausgesprochen. Zwischen
der ersten und dieser Ausgabe liegen weitere Erörterungen des
Verfassers über den Gegenstand, „Beiträge zur Kritik und Erklärung
von Xenophons Anabasis" (in der „Festschrift zur 50 jährigen
Gedenkfeier des Realgymnasiums zu Düsseldorf4, 1888, S. 173 —
184), wo eine Anzahl von Lesarten der Ausgabe von 1884 be-
sprochen werden, die auch in die neue übergegangen sind.
III 2, 36 ist fj trotz der Bemerkung iu Beitr. S. 179 stehen
geblieben. Ebenda S. 179 wird II 4, 17 ticcqcc ttjp ysyvQccv (det.
inl) gerechtfertigt; III 4, 10 hätte nach der Erörterung S. I80f.
xsipevov wieder in sein Recht eingesetzt werden sollen (so jetzt
Gemoll); IV 5, 35 ist GTQairjywv xal dem Zusammenhange nach
nicht gut möglich; M., der (S. 182) die Unechlheit vermutet, hat
es dennoch im Texte belassen; jetzt hat es Gemoll (vgl. Beiträge II,
1889, S. 26; s. u. S. 108) mit Recht eingeklammert (Hug s. Z.
[xctl Xox<xy(*>v])\ IV 8, 27 wird die Auslassung von ed-tov (schon
Jahresberichte XXX. 7
98 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
1884) und die Konjektur *AQxddeg begründet (S. 182); auch hier
folgt ihm Gemoll (vgl. Nr. 22, 111).
Da die Ausgabe nicht so bekannt ist, wie sie es verdient,
und wohl deswegen auch, von der Reklame wenig gefördert, so
viele Jahre bis zu einer neuen Auflage gebraucht hat, sind hier
vielleicht einige Worte ober ihre Einrichtung am Platze.
Sie bietet einen vollständigen Text (über einige gering-
fugige Auslassungen vgl. das Vorwort der ersten Auflage); von
der in den letzten zehn Jahren hervorgetretenen Neigung, auch
die kürzesten und einfachsten alten Klassiker in beschnittener
und vielfach mundrecht gemachter Form herzustellen, ist M. un-
berührt geblieben. Das Format, größer, als wir es sonst bei
Schultextcu gewohnt sind, ermöglicht es, größere Abschnitte gut
zu übersehen. Durch vielfache Absätze im Text (s. jetzt auch
Gemolls Ausgaben, unten Nr. 22 und 23) ist die Übersichtlichkeit
gesteigert, Reden sind eingeruckt, einzelne Worte durch Sperr-
druck hervorgehoben; doch betrifft dies meist nur Tatsächliches
und greift der gemeinsamen Feststellung des Inhalts durch Lehrer
und Schuler nirgends so vor, wie dies in manchen neueren Aus-
gaben der Fall ist. Inhaltsangaben in Überschriften oder am
Rande finden sich nicht. M. hat bekanntlich auch einen Kommentar
zur Anabasis (drei Hefte, in demselben Verlage) und eine Wort-
kunde im Anschluß daran verfaßt. Beide Arbeiten (vor 20 Jahren
erschienen) enthalten viel treffliches Material für den Lehrer, sind
aber für den Schüler zu umständlich zu benutzen (vgl. K. Schenkl,
Kurs. JB. 54, 1888, I, S. 41), wohl auch zu teuer und haben
darum einen äußeren Erfolg nicht gehabt.
Der Textausgabe ist aber die weiteste Verbreitung zu
wünschen. Vielleicht entschließt sich auch der Herausgeber, in
einer neuen Auflage auf die wichtigsten Ergebnisse der Inschriften-
forschung, die nun in Gemolls Ausgaben von 1896 (2 1902) und
1899 für den Anabasistext methodisch nutzbar gemacht worden
sind (s. u. Nr. 22 u. 23), mehr einzugehen als bisher, damit Text
und Grammatik der Schüler sich nicht zu oft widersprechen. Auch
A. v. Bamberg hat in den letzten Auflagen seiner Grammatik —
es ist interessant, das zu verfolgen — in dieser Hinsicht, wenn
auch vorsichtig abwägend, so doch in immer weiterem Umfange
geändert.
14) Xeuophoos Anabasis. Für den Schulgebrauch in verkürzter Form
herausgegeben von Joseph Werra. Mit einer Karte. Münster i. W.
1899, Aschendorff. XVI u. 160 S. 8. geb. 1,25 JC.
Anzeigen: J. Sitzler, Gymnasium 1899 Sp. 743. — W. Gemoll,
WS. f. klass. Phil. 1899 Sp! 1161 — 1164. — J. Golling, Ztschr. f. d.
öst. Gymu. 1900 S. 123.
W. hatte im gleichen Verlage schon früher eine verkürzte
Vergil- und Herodotausgabe erscheinen lassen. Für einen Dichter
wie Vergil kann man dies vielleicht billigen, da er den Schülern
^
Xcnophon, von R. Ullrich. 99
recht schwer wird und verhältnismäßig wenig Zeil für ihn zur
Verfügung steht, obgleich der Preis solcher Auswahlen, zu denen
meist noch ein Kommentar kommt, oft höher ist als eine
schlichte, aber vollständige Textausgabe, die dem Lehrer sein
Hecht läßt. Für Herodot scheint mir eine Auswahl schon ent-
behrlicher; hier kann es sicli in dem einen Jahre, welches seiner
Lektüre neben anderer gewidmet ist. nur darum handeln, dem
Obersekundaner zusammenhängende Abschnitte aus der Glanz-
zeit der Perserkriege (Marathon, Salamis) in Verbindung mit dem
geschichtlichen Unterricht der Klasse zu geben, und Buch 6—9,
ja auch die einzelnen ungekürzten Bücher, sind in guten und
billigen Textausgaben vorhanden. Wozu also dem Lehrer vor-
greifen?
Für ganz unnötig halte ich aber eine Auswahl aus der
Anabasis. Da in Obertertia, abgesehen etwa von den ersten sechs
Wochen, in denen nach den Lehrplänen noch ein Lesebuch zu
gebrauchen ist, das ganze Jahr ausschließlich diesem Werke ge-
widmet ist und in Untersekunda neben Homer in der Regel noch
ein halbes, so kann man unter normalen Verbältnissen recht gut
fünf Bücher bewältigen (in Obertertia drei und in Untersekunda
zwei; das erstere habe ich selbst erprobt und schließe aus dem
günstigen Ergebnis auf das andere), bleiben also nur zwei übrig,
die sicher nicht gelesen werden. Da rechtfertigt sich eine ge-
druckte Auswahl nicht, die den Lehrer von Anfang an bindet;
und auch vor dem Erscheinen verkürzter Ausgaben hat man doch
nicht in der Regel, wie der Herausgeber meint, „die Griechen auf
ihrem Rückzuge in den kar du einsehen Bergen oder im Schnee
Armeniens stecken lassen oder ist ihnen höchstens bis Trapezunt
gefolgt44, soudern auch von <len späteren Büchern — denen er
aufhelfen will — ist das eine oder andere gelesen worden. Mau
wird sich das schon wegen der Verknüpfung mit der folgenden
Lektüre der Helleniku nicht entgehen lassen.
Werras Auswahl reduziert den Inhalt der Anabasis fast auf
die Hälfte. Sie enthält: I 1; 2, 1—10; 3; 4, 11—18; 7, 1 und
10-20; 8; 9; 10. — II 1; 2; 3, 1—10, 14; 4, 1—14, 24-28;
5, i_4, 15, 16, 25—42; 6, 1—27, 29—30. — DI 1, 1 -26, 32—
47; 3; 4, 1—18; 5, 7—17. — IV 1—5; 6, 1—3; 7, 19—27;
8, 1—19. — V 1, 1-4; 3; 4, 1—2; 5, 1—23. — VI 1, 14—33;
2; 3; 4, 1 und 9-11; 6, 1—5 und 35-38. — VII 1; 2, 1-22;
6, 1—10 und 39—44; 7, 48—57; 8, 1—8 und 24.
Die Verbindung zwischen den so ausgewählten Partieon wird
durch einen knappen deutschen Text hergestellt, der aber auch
öfters fehlt, so nach I 7,9; II 4, 14; III 1,26; VI 4, 1; VII
6, 10 u. ö. Nicht zu billigen ist, daß an einigen Stellen, wo
mehrere Paragraphen herausgeschnitten sind, die Wunden einfach
verbunden werden, so 11 5, 4 i&loifiw %^v aniGtictv ohne
weiteres mit 15 xal ^tf*oV äv äxovöcufi* %o ovopcc, ebenso
7*
100 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
16 mit 25; IV 7, 19 ist der Text der Verknüpfung halber sogar
leise geändert.
Es ist naturlich, daß man in der Auswahl manches vermissen
wird, so, um nur einiges zu erwähnen, die merkwürdige Parade
und den Zug durch die kiiikischen Pässe nach Tarsus (I 2, 11 — 27),
Land und Leute, Flora und Fauna am Euphrat, charakteristische
Beispiele persischer Unterwürfigkeit, Feindseligkeit gegen Klearch,
Verrat des Orontas (I 5 und 6), die bedeutsame Rede Xenophons
(Niesen, Handaufheben) und das Ergebnis, die Wahl des Cheirisophos
zum Oberfeldherrn wie des Xenophon selbst zum Fuhrer der
Nachhut (III 2), Stellen, welche z. T., wie der Schluß von Kap. 2,
für die weitere Entwicklung überhaupt nicht zu entbehren sind
und doch nicht einmal in dem verbindenden Texte (S. 65, aber
wenigstens in der Einleitung S. XII) genügend hervorgehoben
werden. Und so auch in den späteren Büchern. Das alles zeigt
eben, daß man den Zusammenhang einer an sich nicht allzu
umfangreichen Schrift nicht durch willkürliche Streichungen stören
soll. Viel besser ist es, zweimal ein ganzes Buch auszulassen —
die Späteren haben in der Bucheinteilung eine im ganzen glück-
liche Hand gehabt, und X. selbst hätte es schwerlich sehr viel
anders gemacht — den Inhalt den Schülern zu erzählen und
dafür das übrige in dem Zusammenhange zu lesen, wie der Schrift-
steller es entworfen und in der Anabasis auch am geschicktesten
ausgeführt hat.
Den Text hat W. nach richtigen Grundsätzen festgestellt,
auch die formalen Neuerungen, welche in Geuiolls Ausgaben
(s. u. Nr. 22 und 23) durchgeführt sind, aufgenommen. Daß den
einzelnen Abschnitten deutsche Überschriften gegeben sind, wie-
wohl nach meiner Meinung zu reichlich (oft Seite für Seite), wird
sich in Ausgaben dieser Art nicht ganz vermeiden lassen, spricht
aber, weil es didaktisch nicht unbedenklich ist, ebenso gegen sie
wie die anderen Gründe.
Das Buch ist mit einer Einleitung versehen, in der gehandelt
wird über: 1) Xenophons Leben, 2) X. als Mensch und Schrift-
steller, 3) Xenophons Schriften, 4) die Anabasis im besonderen.
Ein Verzeichnis der wichtigeren geographischen Eigennamen macht
den Beschluß. — Seite V hätte die Anekdote von dem jungen
Xenophon, der auf der Straße mit Sokrates zusammentrifft, als
solche gekennzeichnet werden sollen. Daß „sehr gewichtige
Gründe" gegen die Ansetzung des Geburtsjahres Xenophons vor
440 sprechen, ist richtig, brauchte aber in einer Schulausgabe
überhaupt nicht erwähnt zu werden, wenn die Gründe doch nicht
genannt wurden. W. läßt den X. noch die meisten seiner Schriften
in Skillus verfassen. Der kurze Abschnitt über X. als Mensch und
Schriftsteller ist gut, besonders was über den ihm vorgeworfenen
Mangel an Vaterlandsliebe gesagt wird. In dem Verzeichnis der
Schriften konnten viele der kleineren getrost fehlen; wenn aber
^N
Xenophon, von R. Ullrich. 101
*InnaQ%ixoq Xoyog und IJsqI In/ztxijg erwähnt werden, vermißt
man die Aaxedaipoviwv nolixtia ungern. Von dem Abschnitt 4
über die Anabasis hätte der erste Absatz und der letzte genügt;
die ausfuhrliche Inhaltsangabe der einzelnen Bücher dazwischen
ist entbehrlich. Dergleichen ist aus der Lektüre selbst heraus-
zuarbeiten.
Die Ausstattung ist gut, der Druck vorzüglich.
15) Vokabeln und erste Präparation zu Xenophons Aoabasis
von Reimer Hansen, a) 3. Heft, Bach 3. Zweite, verbesserte
Auflage. Gotha 1897, F. A. Perthes. 46 S. 8. 0,60 JC. — b) 4. Heft,
Buch 4. Zweite, verbesserte Auflage. Ebenda 1897. 57 S. 8. 0,60 JK.
Vgl. M. Hodermann, N. phil. Rdsch. 1899 S. 436 f.
16) Präparation zu Xenophon, Anabasis von R. Wagner. I. Heft,
Buch I. Leipzig 1898, B. 6. Teabner. 34 S. gr. 8. 0,50 M-
Vgl. A. v. Bamberg, JB. üb. d. höh. Schulw. 1898, VII, S. 18 f.
17) Wörter-Verzeichnis zu Xenophons Anabasis, nach der Reihen-
folge der Paragraphen zusammen gestellt von £. Bachof. a) Heft I.
Buch 1— III. Vierte Auflage. Paderborn 1899, F. Schöningh. 80 S.
gr. 8. 1 JC. — b) Heft IL Buch IV- VII. Zweite Auflage. Ebenda
1899. 106 S. gr. 8. 1,20^.
Anzeigen: A. v. Bamberg, a. a. O. 1899, VII, S. 16 f. — J. Golling,
Ztschr. f. d. öst. Gymo. 19u0 S. 560 f.
18) Wörterschatz zn Xenophons Anabasis von Hermann Sachs.
Erstes Heft, Buch I. Dritte, verbesserte Auflage. Berlin 1900,
Theodor Fröhlich. 35 S. gr. 8. 0,50 JH.
19) Präparatioo zu Xenophons Anabasis, a) Buch I. Wortkuode.
Dritte Auflage. Neu bearbeitet von Köhler. Hannover 1898, Nord-
deutsche Verlagsanstalt (0. Goedel). 36 S. gr. 8. 0,60 JC. —
b) Buch II— IV. Wortkunde. Zweite Auflage. Ebenda 1899. 40 S.
gr. 8. 0,65 JC. — c) Buch V, von J. Simon. Ebenda 1901. 20 S.
gr. 8. 0,50 JC. — d) Buch VI und VII, von J. Simon. Ebenda
1901. 32 S. gr. 8. 0,60 JC. (Krafft und Rankes Präparationen für die
Schullektüre, Heft 5, 9, 55, 59).
Anzeigen: WS. f. klass. Phil. 1898 Sp. 1287. — Wismeyer, Bl. f.
d. GSW. 1899 S. 736 f. — F. Müller, öerl. phil. WS. 1899 Sp. 893. —
J. Golliog, Ztschr. f. d. Ost. Gymo. 1900 S. 124 f.
20) Wörterverzeichnis zu Xenophons Anabasis. Buch I: Zur
Einführung in die griechische Prosalektüre, zusammengestellt von
A. Sickinger. Fünfte, verbesserte Auflage. Berlin 1903, G. Grote.
VI u. 57 S. gr. 8. 0,60 JC.
Die Zahl der Präparationen, Wortkunden, Wörterverzeichnisse,
oder wie diese Hilfsmittel zur Vorbereitung der Schuler auf
griechische und lateinische Schriftsteller sonst heißen mögen, ist,
wie obige Obersicht zeigt, immer noch im Wachsen; zu den
„altbewährten** treten immer noch neue, nach „wissenschaftlichen
und didaktischen Grundsätzen" bearbeitete, so daß es selbst dem
Fachmann kaum noch möglich ist, von allen Kenntnis zu nehmen.
Es ist nach meiner Ansicht auch nicht nötig; denn sie sehen
alle einander ungemein ähnlich. 90 Prozent davon gehören
sicher zu den „unnötigen" Buchern, welche Paulsen (DLZ. 190$
102 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Sp. 2984 f.) treffend charakterisiert hat. Worin die „wissenschaft-
lichen" Grundsätze eigentlich bestehen, sieht man nicht recht;
die didaktischen freilich, die in der Tat von manchen Schul-
männern, auch älteren, noch verfochten werden, mögen zunächst
bestechend sein, hei denjenigen aber, die ihre Schuler dauernd
fördern und zu wissenschaftlicher Arbeil erziehen wollen, werden
sie ihre Anziehungskraft bald einbüßen. Ich wenigstens halte
diese Hilfsmittel, welche den Schüler von Tertia bis Prima gängeln
und der Fähigkeit selbständigen Arbeitens, die ihm doch auf der
Universität so sehr nötig ist, systematisch entwöhnen, für schäd-
lich; was die oben verzeichneten Arbeiten dieser Art uberXenophon
betrifft, so vermag ich nur in der unter Nr. 20 genannten ein in
seiner Beschränkung vielleicht nützliches, wenn auch nicht not-
wendiges Hilfsmittel zu erkennen.
Übrigens mehren sich glücklicherweise die Stimmen, welche
die Beseitigung dieser ,. Eselsbrücken " verlangen, die sich von den
altbekannten und noch nicht ausgestorbenen ,, Freunden" der
älteren Generation eigentlich nur durch glänzenderes Geländer
auszeichnen. Man vergleiche u. a. Lechner und Vollbrecht (Hum.
Gymn. 1899 S. 151 ff.; vgl. Uhlig ebenda 1902 S. 220); Wehr-
mann, Stier u. a. in Verh. d. Direkt.- Vers., 66 (Pommern 14),
1903 S. I29f., 168 f.. Knapp und klar und für jeden, der hören
will, auch überzeugend hat jüngst die ganze Frage im Zusammen-
hang mit zwei anderen behandelt L. Spreer: „Drei Schäden des
höheren Schulunterrichts", in Zeilschr. f. d. GW. 1903 S. 625 —
635, vgl. bes. S. 630—632, ein Aufsatz, welcher jedem zu
empfehlen ist, der bei den mancherlei Unklarheiten, die über
Wege und Ziele des Unterrichts in der altsprachlichen Lektüre
bestehen, sich der Führung eines einsichtigen älteren Praktikers
gern anvertrauen möchte.
Ich mußte an dieser Stelle meine Meinung über diese Hilfs-
mittel im allgemeinen ein für allemal deutlich aussprechen und
werde später, wenn es nötig ist, einfach darauf verweisen.
Ich wende mich zu einer kurzen Besprechung der Arbeiten
dieser Art über Xenophon, die oben genannt sind, im ganzen wie
im einzelnen. Wenn ich versuche, mich einmal auf den Stand-
punkt der Verfasser zu stellen, daß ihre Präparationen das „lästige
und unfruchtbare Wälzen des Lexikons" vermeiden, die Sicherheit
in der Kenntnis des Wortschatzes erhöhen, die Lektüre schneller
fördern, ja auch durch äußere Wohlfeilheit sich empfehlen sollen,
so scheint mir zunächst das letztere nicht zutreffend.
Der Preis der einzelnen Hefte ist ja nicht hoch, 50 bis 65
Pfennig; wenn man aber in Obertertia und Untersekunda drei
bis vier Bücher der Anabasis mit solchen Präparationen lesen läßt,
so muß der Schüler schon 2 JC und mehr ausgeben. Den die
Xenophonhefte der Sammlung von Krafft und Ranke benutzenden
Schülern wird sogar noch die Erwerbung eines besonderen syntakti-
XenophoD, von R. Ullrich. 103
sehen Heftes zu Buch I zugemutet (0,70 «^), über welches schon
Schenkl (Jahresb. üb. Alt. LIV, 1888, S. 42 f.) sich so treffend
geäußert hat, daß ich nur darauf zu verweisen brauche. Für
solchen Preis erhält er aber auch das vortreffliche Speziallexikon
von Vollbrecht (vgl. u. Nr. 21), das ihm auch von der Seite der
mit Recht heute so betonten Anschauung (s. o. Mr. 9) antiken
Lebens reiche Förderung bietet. Ich bin immer noch der Meinung,
daß auch für die erste zusammenhängende Schriftstellerlektüre
ein Wörterbuch, das weise Beschränkung übt und so den Be-
dürfnissen der Schule angepaßt ist, das beste Hilfsmittel häuslicher
Vorbereitung ist. Wann soll denn überhaupt der Schüler ein
Lexikon ordentlich gebrauchen lernen, wenn er bis zur Reife-
prüfung mit gedruckten Präparationen versorgt wird, in denen
z. B. „Maecenas atavis" Wort für Wort so wohl verzeichnet steht,
daß es nur einiger Übung bedarf, die fertige Übersetzung ab-
zulesen, ohne daß das Nachdenken irgend erheblich in An-
spruch genommen wird ? Ob sofort Benseler-Kaegi, Menge (ein
Wörterbuch, das freilich, so gut es dem Inhalte nach ist, mit
seiner Diamantschrift geradezu augenzerstörend wirkt) oder lieber
ein gutes Speziallexikon gebraucht wird, ist nicht von so sehr
wesentlicher Bedeutung, wiewohl letzteres auch aus Gründen des
„Gewichtes44 annehmbarer ist. Denn für wesentlich freilich halte
ich es, daß der Lehrer den Schüler zum richtigen Gebrauche dos
Wörterbuches einige Zeit hindurch anleitet. Ich denke noch mit
großer Freude an die Art und Weise zurück, wie uns als Quartanern
die Präparation des Nepos (wir lasen ihn noch unredigiert) und
später die der Anabasis mit Hilfe von Haacke und Vollbrecht
gezeigt wurde; als Lehrer habe ich es später ähnlich zu machen
gesucht und großes Entgegenkommen gefunden.
Natürlich müssen auch die Präparationshefte der Schüler in
den ersten Wochen regelmäßig und später gelegentlich kontrolliert
werden; dann ist nicht zu fürchten, daß der Schüler so sehr
viel Falsches aufschreibe und lerne — was gewöhnlich als wesent-
licher Beweisgrund gegen sie angeführt wird. Dabei wird fast
immer übersehen, daß man das, was man nicht bloß gelesen,
sondern auch geschrieben hat, besser und sichrer behält und daß
dieses schriftliche, recht geleitete Präparieren doch auch eine recht
wesentliche Unterstützung der Grammatik ist, die man wenigstens
in Obertertia noch nicht verachten sollte (vgl. im übrigen Spreer
a. a. 0. 632 o.). Gewiß kann man zugeben, daß diese Art des
Betriebes zunächst zeitraubender ist, auch die Lektüre in den
ersten Wochen vielleicht langsamer fortschreitet; das will aber
wenig sagen, wenn man dagegen hält, daß der Schüler so stetig
zum Nachdenken, zur Sammlung angehalten wird und vielleicht
spätere, aber echtere Früchte erntet, während die gedruckten
Präparationen der Oberflächlichkeit und Zerstreuung nur zu leicht
Vorschub leisten, zumal wenn man daran denkt, wie leicht und
(04 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
bequem sie in den Pausen, auch während der Stunden, in großen
Städten in der elektrischen Bahn auf der Fahrt zur Schule u. s. w.
sich handhaben lassen. Vgl. über die ganze Frage auch die ein-
sichtigen Bemerkungen von W. Vollbrecht, WS. f. klass. Phil. 1 898
Sp. 865 ff.
Die Xenophonpräparationen nun, Hansens sowohl als die der
übrigen Verfasser, ließen sich leicht auf die Hälfte ihres Um-
fanges zurückführen. Wenn Wörter wie noisa), iv, Stiog, ava-
ßaöig, yiyvofjbcu, pccxVf 0't"'> EXXtiv, oiQccTevfia, nozccfiog, ogog,
alldi el u. a. m. wieder und wieder angeführt werden, so ist das
auch dadurch nicht zu rechtfertigen, daß (Hansen, Präp. zu Buch I
S. III) gesagt wird, der Vokabelschatz der Eiementarbücher weiche
so sehr voneinander ab, daß man auch solche Dinge aufnehmen
müsse. Nun muß aber das Lesebuch, daß in U. III gebraucht
wird, seinen Wortschatz in der Hauptsache aus der Anabasis
nehmen; das sollte nach Kaegi und Kohl heute selbstverständlich
sein. Auch wird nicht selten übersehen, daß die Lehrpläne
(schon die von 1892) die Lektüre auch in 0. III zunächst noch
nach dem Lesebuche betrieben wissen wollen. Es ist dies durch-
aus zu billigen; denn da die U. III mit griechischem Lehrstoffe
überlastet ist, so kann man die ersten sechs Wochen in 0. III
sehr zweckmäßig dazu verwenden, nicht bloß die in U. III schnell
gelernten verba muta und liquida gründlich zu wiederholen,
sondern auch die verba auf pt und die wichtigsten unregel-
mäßigen so weit zu fördern, daß die beginnende Xenophonlektüre
nicht durch zu viel Anstöße gehemmt wird und in den gedruckten
Präparationen, wer sie denn durchaus nicht entbehren will (so
bei Bachof, Wagner, Sachs, Köhler, Simon), die immer wieder
abgedruckten löxi^i mit transitiven und intransiliven Formen,
fiiyvv[ju (sollte heißen iieiyvvixi, s. u. Nr. 22, Abschnitt IV) u. a.,
ebenso wie die gebräuchlichsten Anomala verschwinden können;
desgleichen zahlreiche Konstruktionsvermerke, wiesie z. B. beiWagner
gegeben sind, dessen Präparation sich in vieler Hinsicht der Form
des Kommentars und des Lexikons nähert und auf sparsam an-
gebrachte etymologische Hinweise und stufenmäßige Bedeutungs-
entwicklung Wert gelegt hat. Daß er die Eigennamen ausschließt,
ist nicht zu billigen; auch Bachof, bei dem sie früher ganz
fehlten, bietet sie nur spärlich.
Die äußere Einrichtung der Hefte ist nur bei Hansen und
Bachof so, daß eine Auswahl von Vokabeln sich bequem memorieren
läßt, das Format aber wiederum bei dem ersteren zu klein, als
daß ein Mißbrauch bei der Benutzung ausgeschlossen wäre. Bei
den vor 1899 erschienenen Heften ist naturgemäß der Text von
Hug zugrunde gelegt; Simon hätte Gemoll benutzen müssen, wie
es Wagner und Sickinger mit Recht getan haben.
So geleiten Hansen, Bachof, Köhler, Simon, Wagner und
Sachs (von diesen beiden sind inzwischen noch weitere Hefte er-
XeoophoD, von R. Ullrich. 105
schienen, die dem Berichterstatter nicht vorgelegen haben) den
Schüler mit ihren Wörterverzeichnissen getreulich von Kapitel zu
Kapitel, von Buch zu Buch, von Obertertia bis an die Schwelle
von Obersekunda. Daß die Unterstützung in den späteren Heften
allmählich spärlicher wird, ist von dem Standpunkte ihrer Ver-
fasser nur dann zu billigen, wenn die Lektüre stets mit Buch I
begonnen wird. Das geschieht aber nicht immer. Auch Buch [V
macht nicht selten den Anfang, und da bietet Köhler z. B., wie
mir scheinen will, nicht ausreichendes Material.
Nur Sickinger, zu welchem ich mich nun zuletzt wende, hat
den wenigstens annehmbaren Grundsatz ausgesprochen und durch-
geführt, daß nur für die Anfangsleklüre eine gedruckte Prä-
paration zu empfehlen sei. So ist seine Bearbeitung von Buch I
entstanden (ebenso die von Buch IV, welche ich nicht gesehen
habe). Sie ist reichhaltiger und vornehmer ausgestattet als die
übrigen, hat es in wenigen Jahren bis zu der eben er-
schienenen fünften Auflage und besonders in Baden zu einer Art
kanonischer Geltung gebracht (vgl. Wendt in Baumeisters Hdb.
d. Erz. u. Unterr. I 2 S. 177). Demjenigen, der gedruckte Prä-
parationen liebt, kann die vorliegende als die beste empfohlen
werden. S. hat den Text von Gemoll zugrunde gelegt, zeigt die
Vokabeln möglichst in lebendiger Verbindung, knüpft an Bekanntes
an, sucht überall Zusammenhänge herzustellen und will so den
Schüler energisch und allseitig fördern. Eine Anzahl der wichtig-
sten syntaktischen Regeln (mit Recht sparsam bemessen, zwölf
bis zum Anfang von Kap. 3) werden herausgearbeitet und durch
die Druckeinrichtung noch besonders hervorgehoben. Mir will
freilich der vom Verf. gebotene Stoff viel zu reichlich erscheinen,
und H. Fritzsche, der sich 1888 eine ähnliche Aufgabe gestellt
hatte, scheint mir in seiner Beschränkung mehr zu geben. Leider
hat seine Bearbeitung von Buch I (Mülheim a. d. Ruhr, H. Bädeker)
nicht die Verbreitung gefunden, die sie verdiente. Sickinger
meint nun (S. V), nach Durcharbeitung seines Heftes werde der
Schüler „in höherem Grade als durch manches andere Mittel die
Fähigkeit erworben haben, nunmehr selbständig an die Lektüre
des zweiten oder eines anderen Buches der Anabasis heranzutreten,
vorausgesetzt natürlich, daß er bei besonderen Schwierigkeiten
die nötigen Winke und Erläuterungen im voraus erhall". Von
einem Lexikon scheint der Verf. (seine Bemerkung darüber S. III
wird hinfallig, wenn in der oben S. 103 angedeuteten Weise ver-
fahren wird) auch dann freilich noch nichts wissen zu wollen.
Aber wird man es im Ernst entbehren können? Der Lehrer kann
doch eben nur einige Winke im voraus geben, über Zusammen-
hang, Konstruktion, Anspielungen und ähnliche Dinge; für alle
Einzelheiten wird er den Schüler auf das Lexikon verweisen
müssen. Und ist das Lesebuch in U. III und 0. III zweckmäßig
eingerichtet, hat der grammatische Unterricht in U. III auch in
106 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
bezug auf die einfachsten syntaktischen Dinge, besonders soweit
sie an das Lateinische sich anknöpfen lassen, seine Schuldigkeit
getan, so wird der Schüler, nachdem er in 0. III noch einige
Wochen hei dem Lesebuche verweilt hat, so wohlausgerüstet an
die Lektüre der Anabasis herantreten, daß er bei gleichzeitiger
Gewöhnung an den rechten Gebrauch eines Lexikons durch den
Lehrer erheblich früher auch selbständig präparieren kann (S. will
das nur gelegentlich als Ausnahme gelten lassen, S. IV), als bis
er ein ganzes Buch mit Hilfe einer gedruckten Präparation durch-
gearbeitet hat.
In Sachsen hat 1899 die Direktorenkonferenz (Spreer a. a. 0.
S. 632) den Satz angenommen: „Gedruckte Präparationen sind von
0. III an verderblich. Es sind alle Mittel anzuwenden, ihre Benutzung
zu verhindern". Ich meine, diese Mittel werden, abgesehen von
dem Verbot ihres Gebrauches, am wirksamsten darin bestehen,
daß die Lehrer selbst sich den ,,ehrenvollen Aufforderungen" zur
Abfassung solcher Zusammenstellungen von Seiten der Verlags-
handlungen, die damit augenscheinlich ein ebenso gutes Geschäft
machen wie die Schüler es zu machen glauben, sich widerstands-
fähiger zeigen, damit der Eindruck, „das erregende Moment liege
nicht in der Schule, sondern anderswo" (Spreer S. 635), nicht
aufs neue entstehe.
21) Wörterbuch zu Xeoophons Anabasis. Für den Schalgebrauch
bearbeitet von Ferdinand Vollbrecht. Neunte, verbesserte Auf-
lage, besorgt von Wilhelm Voll brecht. Mit 68 Abbildungen im
Texte, 2 Tafeln und einer Übersichtskarte. Leipzig 1899, B. G. Teuboer.
IV u. 252 S. gr. 8. geb. 2,20 JC.
Anzeigen: J. Sitzler, WS. f. klass. Phil. 1899 Sp. 1142. —
J. Golling, Ztschr. f. d. öst. Gymn. 1900 S 123 f. — Gymnasium 1901
Sp. 245 f.
Das seit mehr als 30 Jahren ruhmlichst bekannte Wörter-
buch (die erste Auflage erschien 1866) bedarf keiner besonderen
Empfehlung mehr. Während die letzten Auflagen von den beiden
Vollbrecht, Vater und Sohn, gemeinsam herausgegeben waren»
hat diese neunte nach dem Tode des Vaters der Sohn allein
bearbeitet.
Äußerlich zeigt sich das Buch jetzt bedeutend stattlicher.
Der Druck ist zwar etwas kleiner, aber schärfer als in der achten
Auflage; dafür sind die Zwischenräume zwischen den Zeilen größer
geworden, so daß das Auge trotzdem weniger angestrengt wird.
Das Format ist in Höhe wie Breite etwas gewachsen; das Ganze
ist dadurch um 12 Seiten kürzer geworden.
Der Inhalt ist im wesentlichen der gleiche geblieben; Er-
weiterungen an dieser oder jener Stelle, soweit neue Forschungen
dazu nötigten, sind durch knappere Fassungen an anderen Orten
wieder ausgeglichen worden. Die Textausgabe Gemolls (1896r
vgl. u. Nr. 23), die sich von der Hugschen bekanntlich recht er-
Xeoophoo, von R. Ullrich. 107
heblich unterscheidet, ist gebührend berücksichtigt. Der Verf.
würde übrigens vielen einen Dienst erweisen, wenn er in künftigen
Auflagen die bedeutsameren Änderungen kurz verzeichnen wollte
(vgl. oben S. 97).
Besondere Aufmerksamkeit ist diesmal den Abbildungen zu-
gewendet worden, die von jeher einen besonderen Vorzug des
Buches gebildet haben, schon zu einer Zeit, als man in Schul-
büchern auf Anschauungsmittel noch wenig Wert legte. Der
Berichterstalter gedenkt noch heute dankbar des Nutzens, den
ihm s. Z als Obertertianer die Vollbrecbtschen Illustrationen ge-
währt haben. Eine Anzahl kleinerer Abbildungen der früheren
Auflagen (vgl. z. B. £c6prj, &vw, lötiov, rtcoxoQog, oivoxoog,
nvypfj u. a.) sind weggefallen oder durch größere und schönere
ersetzt worden (äfjMfogsvg, ^Apa^oveq, daQeixoc, dtyQoq, &qovoq,
xUv?], xrJQvi, xqioc, ndXfj, nrjdaXiov, nvQQixy* (5%sdia, %Xapvq
u. a.), ganz neu hinzugekommen sind u. a. einige charakteristische
Darstellungen auf Münzen u. ä. (vgl. z. B. öaTQdTtfjg, tmxqo); be-
sonders hervorheben möchte ich die Vollbilder (auf S. 95 und 182)
der sog. Diana von Versailles (Art. sv&vog) und der Alexander-
schlacht (Art. IliqtSfig). An die Stelle der früheren drei litho-
graphierten Tafeln, die mit der Menge des Dargestellten leicht
verwirrten, sind die zwei Tafeln der neunten Auflage von Voll-
brechts erklärender Anabasisausgabe getreten, die wenige, aber
charakteristische Bilder (darunter auch z. B. den Apoxyomenos)
in solider Technik bieten.
Notwendig ist es aber, daß man bei den einzelnen Figuren
der Tafeln einen kurzen Hinweis auf den betr. Artikel des Wörter-
buchs findet, nicht bloß umgekehrt, ev. auf einem besonderen
Blatte, damit die Tafeln nicht bei jeder Auflage neu zu drucken
sind. Ein strebsamer Schuler betrachtet auch wohl einmal die
Tafeln für sich und wird, wo die Beziehung nicht ganz deutlich
ist, nach Aufklärung verlangen. Vielleicht gibt auch der Verf. in
der nächsten Auflage ein Verzeichnis aller Abbildungen mit Be-
zeichnung der Herkunft und, wo nötig, mit kurzer Beschreibung.
Ich glaube, daß damit nicht nur dem Schüler, sondern vielleicht
auch manchem Lehrer ein Dienst erwiesen würde.
Die neue Auflage, die in einen schönen, für Schüler viel-
leicht zu zarten, grauen Ganzleinenband gekleidet ist, vorn ge-
schmückt mit einem Ausschnitt aus der „Alexanderschlacht", legt
rühmliches Zeugnis davon ab, wie Verfasser und Verleger bestrebt
sind, ein seit langem bewährtes Buch nach Inhalt und Ausstattung
stets auf der Höhe zu erhalten, und wird gewiß auch der jungen
Generation von heute bei rechter Anleitung (s. o. S. 103) gute
Dienste leisten.
108 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
22) Xeoophootis Cxpeditio Gyri. Reeensuit Gailelmus Geraoll.
Editio maior. Lipsiae 1899, io aedibus B. G. Teuboeri. VIII a. 305 S.
kl. 8. 1,20 Jt, geb. 1,60 JC-
Anzeigen: F. Reuß, WS. f. klass. Phil. 1899 Sp. 1217—1226. —
H. G., Rev. des et. gr. 1899 S. 435 f. — E. Richter, DLZ. 1899 Sp. 1789—
1791. _ R. Hilde, Nord. Tidskr. f. Fil. 1900 S. 185-188. — D. Bassi,
Riv. di fil. 1900 S. 129f. — A. Martin, Rev. crit. 1900 S. 62f. —
B , Lit. Zentralbl. 1900 Sp. 274 f. — F. Golliug?, Ztechr. f. d. Sst.
Gymn. 1900 S. 122f. — W. Witsche, Berl. phil. WS. 1900 Sp. 897—
903. — G. Valletot, Rev. de phil. 1901 S. 72 f.
Gemolls Ausgabe ist die bedeutendste Leistung auf denn Ge-
biete der Anabasisliteratur der letzten Jahre; sie wird für lange
Zeit die Grundlage der Forschung bilden müssen. Denn sie faßt
nicht nur alles zusammen, was von anderer Seite seit Hugs Aus-
gäbe (1878) für die Anabasis geleistet worden ist, sondern stellt
sich auch als die reife Frucht langjähriger eigener Arbeit des
Herausgebers auf diesem Gebiete dar. Und wer immer ihre Be-
deutung ganz würdigen will, muß vor allem Gemolls Arbeiten
zu Rate ziehen, deren Ergebnisse hier verwertet sind. Da auch
im folgenden mehrfach auf sie Bezug genommen ist, stelle ich
sie hier zusammen. Es sind: 1) Beiträge zur Kritik und Er-
klärung von Xenophons Anabasis (Progr. Kreuzburg 1888). 2) Dsgl.
Teil II (Progr. Kreuzburg 1889). 3) Dsgl. Teil III (In „Kritische
Blätter14, Festschr. z.25jähr. Jubil. d.Gymn. in Jauer; Slriegau 1890).
4) Xenophons Anabasis, Textausgabe f. d. Schulgebrauch, Leipzig
1896 (vgl. Nr. 23). 5) Bemerkungen zu Xenophons Anabasis
(23. Supplementband d. Jahrb. f. klass Phil. 1897 S. 539—578).
Die letzte Abhandlung enthält das Wichtigste, was nach Ansicht
Gemolls für die Feststellung des Textes in Betracht kommt, in
tibersichtlicher Zusammenstellung. Ursprunglich zur Erläuterung
der Textausgabe bestimmt, leistet sie auch für die Würdigung
der editio maior, welche nur wenig abweicht (doch vgl. praef.
p. VII) die wesentlichsten Dienste. Hier hat G. auch viele der in
die Ausgabe übergegangenen Änderungen kurz begründet; es sei
daher auf diese Abhandlung ein für allemal verwiesen.
Der Wert der Ausgabe beruht besonders auf vier Vorzügen:
I. Die beste Handschrift C (Parisinus 1640) ist neu verglichen
worden; das Ergebnis war, daß eine Reihe falscher Lesarten der
früheren Herausgeber berichtigt werden konnte. II. Im Gegen-
satz zu L. Dindorf und A. Hug ist Cpr. (erste Hand des Cod. C)
entschiedener zugrunde gelegt worden; die übrigen Handschriften
(„nulla ratione familiae, sed opis habita, quae inde ad textum
scriptoris constituendum redundaret" praef. p. V) sind nur im
Notfalle herangezogen. So konnten an vielen Stellen die guten
Lesarten von Cpr. wieder eingesetzt, Streichungen oder Konjekturen
der Herausgeber beseitigt, andrerseits Zusätze der anderen Hss.
gestrichen werden. Zugleich hat G. auf Grund von Cpr. auch will-
kürliche Änderungen des Sprachgebrauchs, den man seit Cobet
^
Xcnophon, von R. Ulirieh. 109
(„sedulo dedi operam, ut Xenophon ccTTixMftl loqueretur") mög-
lichst attisch hatte gestalten wollen, wieder beseitigt III. Da
selbst die beste Handschrift Cpr. manche Mängel aufweist, hat G.
fremde und eigene Konjekturen aufgenommen. Die Auswahl
konnte nach meiner Meinung hier noch strenger sein. IV. Für
Orthographie und Grammatik sind die Ergebnisse der attischen
Inschriftenforschung (vgl. auch schon den Schultext vom Jahre
1896) in sehr glucklicher Weise verwertet.
I. Durch Vermittlung des Unterrichtsministeriums hat G. die
Handschrift C an seinem Wohnorte im Sommer 1898 aufs
neue vergleichen können. Diese Vergleichung war insofern
lehrreich, als sie deulich zeigte, daß selbst bei einer so viel gelesenen
Schrift, von deren hs. Nachprüfung man kaum noch erhebliche
Ergebnisse erwartete, Männer wie Dübner (der für L. Dindorf s. Z.
eine Vergleichung besorgt hatte) und Hug dem „errare humanuni
est" in vielen Fällen nicht entgangen sind. Freilich bereitet die
Lesung von C große Schwierigkeiten. Doch hat G. nach Cpr.
u. a. folgende Lesungen sichrer festgestellt bzw. sichrer ergänzt:
1^ 3, 17 op doiti (Hug o) doifi)\ I 8, 21 ijfd? wg ßatoXevg (H.
fjdfj om. cet.); II 5, 7 vno%a (H. vno%tiQia nach Dindorfs Kon-
jektur; vgl. G. z. St.); III 1, 9 (Druckt 19 bei G. p. VI) anontyty**
(Döhner dnontfilpsiv); III 1, 30 apa&iPTag (D. apa&ia&cu);
IV 5, 4 Aiy£a» (H. wegen unrichtiger Lesung D.s coni. äpsipcu);
VII 3, 22 rovg iavtw nagaxsifiipovg aqxovg (D. rovg naga-
xtipivovg avrw Sqrovg). Hierzu hätte auch IV 3, 1 (avinvevoav)
gefügt werden können, was G. als Konjektur H.s gelten lassen
will (Cpr. apen . . aap). Dagegen hätte er II 5, 28 (Xa&Qq)y
wo/u weder die hs. La. noch der Sinn Anlaß bietet (övyysyepij-
pevov (C) allein gibt den Zusammenhang völlig ausreichend), nicht
so bereitwillig mit H. aufnehmen sollen, ebensowenig IV 6, 19
id-eiovisg äya&ol statt des hs. e&sXovaiot, (so mit Recht Schenkl),
ein Wort, das auch sonst gerade bei X. hinreichend belegt ist,
und IV 7, 12 äviTjyü)vi£ovTO statt ditjycovi&VTO (so zwar nur
C, — über die Sigla vgl. praef. VIII — , doch dem aXXyXovg
gemäßer). Die Bemerkungen zu II 4, 3 und II 6, 10: „H. fortasse
rede (Svpxay^a et (fvPtdyfjHXTOQ pro GxQaxtvpa et atqaxsvi»,axogu
entbehren genügend sichrer Grundlage; G. hat daher (anders als
1896 in der Textausgabe) auch die Formen von aiQccxevpa im
Texte belassen. Vgl. auch I 8, 1 %qi\<s%bg (Hug las in Cpr., praef.
p. XV, tQiatog und vermutete ägtaxog), was G., der 1896 ägiöxog
aufgenommen halte, jetzt nach Cpr. wieder anerkennt.
II. Mit Recht sind wieder eingesetzt die besten hs. Laa.
von Cpr. II 5, 13 yiyvwöxcj (H. pvp — C, i. marg. — oldd)\
II 6, 2 ntlaag (so auch Dind. u. Seh., H. äpantlaag)', III 1, 21
vnoipia (H. aaäifsux, vgl. G. z. St.); III 2, 13 (iccqtvqiop (H.
pptjpeTop); IV 5,4 Irfeai (H. avtlvcu\ s. oben); IV 8,6 öu
ifielg .... €QX£<f&€ (H. add. xal ante vp. et pro Sq%ea^6 con'-
110 Jahresberichte d. Philolog. Ve reins.
XcoQstie; 1896 und 1897 in dem „Schultext" bzw. iu den „Be-
merkungen" las und empfahl G. noch 6n xai vfxttg, sig %r\v
fj(A€i€Qccv [%wQ(*v\ %&qsXi;s)\ VII 3,7 Niwv Ö€ xai . . . . (H. ngo-
'ioviiäv). Die Ruckkehr zur wirklichen oder sehr wahrscheinlichen
La. von Cpr. wird zu den einzelnen Stellen knapp und gut ge-
rechtfertigt.
1) Den Grundsatz, daß die Anabasiskritik sich von Cpr. nur
im äußersten Notfalle zu entfernen habe, bringt G. an einer Reihe
von Stellen zur Anschauung (etwa 40 an der Zahl), wo frühere
Herausgeber Streichungen vorgenommen haben, bei
denen ein Notfall nicht vorliegt (besonders Cobet und Rehdantz
und oft nach ihnen Hug, trotz der treffenden Bemerkungen
Scheukls über Xenophons Stil, Ztschr. f. d. öst. Gymn. 1860 S. 866,
die davon hätten abhalten sollen); vgl. hierzu „Beiträge" I S. 4 ff.,
„Bemerkungen" S. 565 ff. Hier einige besonders charakteristische
Beispiele. Gemoll behält mit Recht bei (vgl. auch schon die Text-
ausgabe) 1 2, 6 oixoviiivtjv xai (H. oixovfJbSpfjv); 1 4, 17 fin.
vno rov novapov (Cub. u. H. []); 1 8, 21 (s. o. S. 109); II 3, 19
svS-a ßaüiXsvg oufixeco bis niGtotaxot — 3 Zeilen — (Hug
setzt die ganze Stelle in Klammern, vgl. seine ed. mai. p. XX sq.);
HI 4, 10 xeiiievov (gegen Col». u. H., vgl. o. S. 97); IV 3, 16
navva (gegen Dind. u. H.); V 6, 20 cog oixade dnsl&ovvag;
VI 1, 8 xai %6 &vyog, 3, 24 (in „Bemerkungen" u. s. w. S. 565
fehlt 3) %i\v inl Kalntjg odov, 6,29 avdqag\ VII 1, 17 nagd
lijv XflMj*/ T*> v*?%og u. ö. Die gesperrten Worte bezeichnen
die Streichungen Hugs, die er teils selbständig, -teils nach dem
Vorgang Gobets vorgenommen hat. An allen diesen Stellen waren
die Kritiker immer durch das Bestreben geleitet worden, dem Stil
des Schriftstellers die nach ihrer Meinung notwendige Knappheit
zu geben, jede behagliche Breite, und bestände sie auch nur in
Wiederholung desselben Wortes kurz hintereinander, zu beseitigen.
Sie standen alle unter dem alten Vorurteil, X. müsse in jedem
Falle „musterhaft" sein, wobei denn auch viel zu wenig der
Memoirencharakter des Werkes berücksichtigt wurde, dem manches
naturgemäß ist, was zu einem gedrungenen Stil nicht passen will.
Hierzu kam, daß die beste hs. Überlieferung damals noch nicht
gehörig gewürdigt wurde. So wissen wir G. Dank, daß er nicht
bloß ihr, sondern damit auch gewissen Stileigeulümlichkeiten des
Schriftstellers wieder zu ihrem Rechte verholten hat.
2) Ebenso ist zu billigen, daß er Cpr. da wieder zur Geltung
gebracht hat, wo diese Handschrift einen kürzeren, aber
wohl verständlichen Text bietet gegenüber längeren
Fassungen der Hand des Korrektors bzw. der anderen
Hss., welche als willkürliche Zusätze abzuweisen sind (wiederum
gegen 40 Stellen; vgl. „Bemerkungen" u. s. w. S. 565 f.) Ich
setze einige dieser Fälle hierher: 1 7, 2 jjxop[zeo\ avcopokot,
ticcqcc [leyäkov ßaGiM cog [änijyyelXop Kvqm nsQl zqg ßaöiXicog]
^
Xenophon, vodR. Ullrich. Hl
Gzqaxiaq, vgl. z. St.; II 5,7 ndvtiav [navca%^\ iaov; HI 3,9
%ovg ne&vg [ix noXXov] tpsvyovzag; IV 8, 7 &eoi)g 6' ins-
fitxQTVQavto [äiMpozegoi]', V 2, 15 dotite ^Ayadiag 2zv(Jb<pdX*og
[xai OhXo^evog fleXXqvsvg] xaza&ipevog zd onXa iv %iT&vt,
fiovov dvißri\pav\ xai [äXXog] äXXov bIXxs (vgl. Schenkl z. St.);
VI 2, 16 nXeiovq % zhzqaxiGx^Xioi [xai nsviaxoGtoi], onXXzat
n dv reg (so seh od Schenkl); VII 8, 26 naqatidyyai, x*Aio» sxazov
nerzijxovza [nivze], Gxddia tqiG[avqicc xtzqaxiQxiXia diaxoGta
(H. €%axo<na nach Hutchinson) nsvz^xovxa nivze {nevzs del.
edd.)* Die Lesarten der anderen Hss., die G. beseitigt hat, sind
hier in eckige Klammern gesetzt. Die letzte Stelle ist besonders
lehrreich, weil „wir hier selbst die falschen Zahlen, die der Autor
zu verantworten hat, nicht ändern dürfen".
3) Eine dritte Gruppe von Abweichungen von den Laa. der Hs.
Cpr. waren durch den oben erwähnten Cobetschen Grundsatz
veranlaßt (dem Hartman in den Analecta Xenophontea, Lugd. Bat.
1887, folgte, ebenso andere Holländer), Xenophon dzzixiazl
reden zu lassen, wobei man teils willkürlich änderte, teils den
det folgte. Ich setze ihre Lesungen im folgenden in Klammern.
G. hat mit Recht („Bemerkungen'' u. s. w. S. 566 f.) eine große
Anzahl Formen von Substantiven, Adjektiven, Adverbien, Pro-
nomina, Präpositionen, Konjunktionen und Verben nach Cpr.
wiederhergestellt (im ganzen etwa 50), z. B.: 1 3, 7 den Dativ
iazqazonsdevGavzo naqä KXedgxw (so noch Dindorf; Seh. u. H.
KlsctQxov nach Kappeyne); III 1, 26 ol dt doxijyoi (D. u. H.
Xo%ayoi mit den det., Cob. streicht das Subst., ihm folgt Seh.);
I 2, 21 dfiijxccvov tiaeX&etv (d(A^xccV0^)''i V 6» 2 zd xdXXtGia
ZvpßovXsvsiv (zd ßiXziGza)\ dagegen hat G. die Adverbialformen
xai aXXoog (I 9, 14) und Ixav&g (II 6, 19), welche er in den
„Bemerkungen" S. 567 nach Cpr. gesetzt wissen wollte, in die
vorliegende Ausgabe nicht aufgenommen (er liest aXXoig und
\xavog)\ in dem Schultext von 1896 hat er nur an der zweiten
Stelle das Adverb; man vermißt eine Notiz darüber im Apparat.
Und unter derselben Rubrik (a. a. 0. S. 567) setzt er (übrigens
mit Recht) VII 7,43 Xoyovg ndvxag xatavoqaov wieder ein
(ndvuag)\ III 2,20 vpZv (^iZV); H' 5,5 fjdq vybsziqap (ype-
TSQav)\ II 1, 7 äfjMpl nXijd-ovGav dyooäv (tz€qI)\ VII 6, 37 ozi
noXXij v[Att> evnoola (paivexat (pze) ; VII 7, 31 (die Bezeichnung
der Stelle fehlt in den „Bemerkungen") dXXä firjv ovds nXrj&€i
ys fjfxoop Xeiq&ivteg (pvdh)\ 1 4, 7 e^eivev ruxiqag imd
(stiewav); II 5, 37 gvv aXXoig iniGizi&fjbfroig (ent(Sii^6fi€Pog);
II 6, 6 siQtjvrjp ayeiv (exsip); III 2, 35 &aviid£oi[jL€V (&avfjLd£oi[ii)\
V 7, 5 ovzcog aviotg xQqad-ai (XQVa^€)'
Auch die Wortstellung wird mehrmals nach Cpr. wieder-
hergestellt: I 2, 1; II 4,27; VI 4,6; VII 7,31 (idr phv ol
ÖZQaZMäiai).
4) Im Verhältnis zu den vielen Stellen, an denen so die La.
112 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
von Cpr. wieder zu Ehren gebracht werden konnte, ist die Zahl
derjenigen, die a) an der Hand von C, (des Korrektors von
Cpr.; Hug hatte mehrere correctores angenommen, G. glaubt auf
Grund seiner Vergleichung versichern zu können — praef. p. VIII — ,
daß es nur einer gewesen ist, b) aus den cod. det, c) durch
Vermittlung der indirekten Überlieferung, d) „durch
Nachhelfen mit leiser Hand" („Bemerkungen" S. 568) von
G. hergestellt sind, verhältnismäßig klein (etwa 30).
Ich hebe folgende hervor:
a) Aus C,: I 9,23 xal o<fa tw Goiftat* avvov xocrpov
nipnoi t*£ rj cog elg noXspov tj wg elg xaXXconKtfiöv; xoapov,
das in Cpr. fehlt, beseitigt die Härte des Ausdrucks, wofern es
im allgemeinen Sinne gefaßt wird, was viele Herausgeber nicht
beachteten und es darum (außer Schenkl) mit Rucksicht auf
xaXXconuffidv ausschieden (vgl. Gemoll, Beitr. I S. 18 f.); II 3, 13
vnomevwv (jbij cclsl ovtco nXqgstg elvai tag rd(pQovg (H.
av%6 io).
b) I 3, 17 prj rjfiäg avratg tqujqsG* xazadvGfi (v8^ z- St.);
II 3, 7 anfrdowxo („Bern." S. 568 und Schultext) ist wieder
durch an&vdono ersetzt; II 4, 12 siaco, dessen Klammern wohl
beseitigt werden können.
c) VII 3, 21 ovxoir 6' (oöov slxoaw) rjcav xqscov psavol
nach Athenaeus.
d) I 1,67 vgl. „Bemerkungen" S. 568. Das dort ebenfalls
(s. „Beiträge" 1, S. 1 Anm. u. 5) vorgeschlagene und in den „Schul-
text" aufgenommene (rovg) ist entbehrlich; in der edit. mai.
erwähnt G. es nur im Apparat.
I 3, 8 hätte av {besser av&ig Kappeyne) wie im „Schul-
text" im Texte belassen werden sollen, da der Satz, wie G. a. a. 0.
S. 568 ganz richtig sagt, sonst „inhaltsleer" wird; I 4, 2 wird
durch Änderung der Interpunktion ein befriedigender Sinn her-
gestellt und Cobets von Hug angenommene Atbetese wieder be-
seitigt; I 4, 11 ist mit Cpr. spswsv zu lesen (so G. jetzt wieder
richtig; in „Bemerkungen" S. 569 und „Schultext" $ntivav)\ die
berühmte Stelle II 5, 7 (vgl. oben S. 77) lautet mit der leisen
Änderung von ovx in ovx9 und richtiger Worttrennung jetzt so:
tqv ydo d-swv noXepov ovt' otda and noiov av %a%ovg ovts
ort oi, av ttg (pevywv anotfvyoi sq., nach ähnlicher Methode
die nicht minder bekannte Stelle IV 6, 15 onwg di oog %a%ia%a
xXinrovreg xal neiqaa&e Xavd-avstv {xX&ntsiv %e xal
nsiQati&ai C); V 4, 26 xal ivTSvd-sv eXemov (Cpr.) atpavrsg
(dnavzsg Hss.) rö %wqiov.
Diese Beispiele, welche sich leicht vermehren ließen, zeigen,
wie G. mit einfachen Mitteln und wiederum unter häufiger Wahrung
der Lesarten von C. Vermutungen früherer Herausgeber ver-
meidet, die sich oft sehr weit von dem Wortlaute der guten Über-
lieferung entfernen.
"S
Xenophon, von R. Ullrich. 113
111. Oft reichen so einfache Mittel nicht aus, die Schäden
zu heilen, und ich komme damit zur Besprechung der Kon-
jektural kritik des Herausgehers. Es liegt in der Natur der
Sache, daß sich hier am ehesten Anfechtbares herausstellen wird,
sowohl was die fremden von ihm in den Text aufgenommenen
Konjekturen betrifft als auch seine eigenen. Daß ihrer (das Ver-
zeichnis in den „Bemerkungen44 S. 569 — 578 weist etwa 150 auf)
verhältnismäßig viele sind, zeigt einmal, -wie viele Schäden die
Oberlieferung der Anabasis erlitten hat, andrerseits aber auch, wie
notwendig es war, mit der Benutzung der besten Hs. Cpr. Ernst
zu machen, wollte man nicht jeden festen Boden unter den Fußen
verlieren und der Willkur Tür und Tor öffnen.
1) Zunächst die fremden, von G. in den Text aufgenommeneu
Konjekturen:
a) a) Einige davon kann man sichere E inend al i one n
nennen, von der Art wie die S.l 12 unter d) verzeichneten, so
I 2, 23 (ich setze jedesmal die hs. Lesung in Klammern bei) ov
(£*tf); I 4, 15 ipiXov ((piXoi); 1 9, 15 ä^ioag (ä&iov öbergeschr.
<Sah)\ 111 1, 25 tccttst' spt {lazTszai pe); 111 2, 14 vpwv aircov
{fipwv avT&v)', VI 4, 18 nXoiw (nXoiov), 22 dso* (ßiov). —
Sicher erscheinen mir auch folgende Konjekturen: 1 3,21 iv
na ye (faveqü) (iv tcö xote (pavegwg); I 4, 4 nvqyoi {nvXai)\
4, 18 aaipdog xal (xal aa(pwg); I 5, 11 tcov tov KXeagxov (tcov
tov K.) ; I 9, 18 ei yi %ig t* {ei zig yi ti); H 3, 3 ix^tog^
twv onXiov, II 4, 26 oaov d' ovv xqopov (d* äv\ weniger gut
wäre hier cty', was G. z. St. vorschlägt unter Verweisung auf
II 5, 10, wo die Sache aber anders liegt); II 5, 5 olda äv&gai-
tcovq o%i (poßfj&evTsg (o*): III 1,34 xal vvv (xal av);
III 2, 33 axoneXv [noieZv); III 4, 23 ol Xoxoi (Xoxayol), um-
gekehrt IV 8, 12 o Xoxayog (6 Xdxoc); 111 4, 24 fjaav al xcofiat
iijv i\ xcofjM])* 30 (iv) Tfj od«; IV 1, 11 ovvefiowv (avvecogaw) ;
IV 7, 2 aXV anoxopov (äXXd nozapog); IV 8, 12 nquoiov
(nqwTOv)\ V 4, 34 inoiovv aneg (av) aXXot iv igijiiiq nonj-
aeiav {ävoi = av&gwnoi; vgl. Gemoll z. St.; erheiternd wirkt
Hartmans Bemerkung z. St. Anal. Xenopb. S. 86: ,,Non credo
Xenophontem, hominem lenem et moderatum, Mossynoecos, quam-
vis sint feri et inculti. in bestiarum numero habere44); V 8. 20
iv evdiq yäg ogdo vpäg (övzag), 25 x€iflt^pa eTrenoi^iaa
(ejiexovQTjGcc, was grammatisch unmöglich ist); VI 2, 10 wg
alaxQOV av sir\ agxetv ^A&ijvatov lleXönovvtjGiwv [xal Aaxe-
daifjtovivov] (ifjdefiiav dvvapiv nagexdfievov eig ztjv argartciv
(xal jlaxedaipoviov) etc. (Umstellung von xal yiaxedaifiovicav
mit Änderung von -oiv in -ov); VI 4, 7 eig dt %6(novy noXiopa
av yev6(ievov\ VI 5, 24 iv olg (rig) i&iXei\ VII 2, 29 ttXtjv
(anöy Niwvog. — In allen diesen Fällen handelt es sich um
zweifellose Verderbnisse auch in Cpr.; der Herausgeber
hat aus der umfangreichen Literatur hier mit sichrem Takt das
Jahresberichte XXX. 3
114 Jahresberichte d. Philolog. Vereias.
Beste herausgefunden und es in den Text gesetzt, der in der
überlieferten Form schlechterdings nicht zu verstehen ist. Kleine
Ergänzungen sind in der Regel durch ( ) gekennzeichnet.
ß) Nicht zu billigen sind dagegen folgende
Änderungen (ich setze die gute und meiner Meinung nach
beizubehaltende hs. La. in Klammern bei): 1 2, 5 yiq>vQcc dt
in^v hn(räy i&vyp&nj nloioig (inyv ins^evyfbivij); 1 8, 1
äotöxog, das Hog (der xQtötog in Cpr. zu lesen glaubte) praef.
8. XV empfahl und G. im Schultext 1896 angenommen hatte, ist
jetzt von ihm selbst zugunsten des (sicher?) in Cpr. gelesenen
XQijöTog aufgegeben worden. — I 10, 5 sl nepnoiiv (so übrigens
C, und schon Schenk!) rxrag <«$) napxi e&evsi (Htig)
€7ll TÖ ÖTQCCTOTtsdoV CCQfj^OVX CC $ (fl 7l€ [4,710 *€ XIV Ctg. TTCLVX . . .
ini %6 ovoaxonsöov . . . |oit . g; der Zustand des Textes von Cpr.
fordert eine Ergänzung. Das navxl a&evei will aber zu xivag
wenig passen. Das y in C, (vgl. G. z. St.) scheint mir den Schlüssel
zum Verständnis zu bieten. Klearch ist zweifelhaft, was zu tun
sei; er läßt darum den Proxenos rufen und beratschlagt mit ihm,
ob nur er, K., eine Abteilung abschicken soll oder ob sie alle
dem Lager zu Hilfe eilen sollten. Die schlechte Vorlage von C,
(Gemoll praef. VHI) scheint in diesem Falle das Richtigere ge-
boten zu haben. -114,3 und II 6, 10 vgl. o. S. 109. — II 4, 12
äns%x€ (ani%s*); die Notiz G.s in den „Bemerkungen" (S. 571),
besonders der Hinweis auf 1 2, 22 stimmt nicht mehr, und G.
hätte, wie tatsächlich an dieser Stelle (f€Qti und neqitX%sv. so
II 4, 12 iliyeto und äni%ei nicht beanstanden sollen. — 111 1, 43
iv xotg nolsfioig (nolepixoZg). — III 2, 26 nlovaiovg (niov-
<fia>g, abh. von nolixevovxag). — VI 4, 22 ßovv (ßovg). —
VII 2, 2 (ovtwc) ist unnötig, ebenso 13 (iaxl), erwünscht viel-
leicht, aber nicht erforderlich VII 5, 2 ixiXeve XafkZv {&)> —
VII 3, 14 S7iiipti(pt£(o iyd tarnet (det. richtig: imifn/ipitia&w).
y) Für wahrscheinlich wenigstens können gehalten werden
folgende Konjekturen: I 1,8 wv TicaayiQvyg <«r*) hvy-
%ccv£V e%<av. — I 4, 15 elg <pQOVQaQ%iag xal eig Xo%ayiag
,<Pqovqhz C). — Die schwierige Stelle III 4, 21 omo* Si noQtv-
ifkevoi onoxe /niv Gvyximxoi %ä xeqaxa vnepsvov, (ot psv)
vaxsqoi [ol Xoxctyoi], waxe fiij hoyXtlv xoXg xigaüt,, xovg df
nccQtjyop s^ood-ev xcov xtqaxiüv, welche in der überlieferten Form
dem Verständnis unüberwindliche Schwierigkeiten bereitet, ist
durch die bezeichneten Änderungen wenigstens lesbarer geworden.
— Ansprechend, wiewohl nicht sicher, ist auch VII 4, 18 'Isqw-
pvfiov x€ [xal] ^EnixaXisa (Schenkl nach Hell. III 2,25;
evodia C). Ich möchte Evßoia vorschlagen, vor allem, weil es
der besten Überlieferung ganz nahe kommt. Freilich muß dieser
H. ein andrer sein als der sonst stets nur als *HXeZog bezeichnete
und immer irgendwie ausgezeichnete Lochage des Croxenos
(111 1, 34; VI 4, 10; VII 1, 32). Das 'HXeVog hat ja naturlich
Xenophoo, voo R. Ullrich., |}5
4i tif Konjekturen wie ''EnnaXisa oder^Hntiia (Gemoll z. St. nach
Hell. MI 2, 30) gefuhrt, aber es ist nicht einzusehen, wie daraus
«in EvoSia hätte entstehen sollen, was sich dagegen aus Evßoia
ungezwungen ergibt. Der hier begegnende H. (der Name ist sehr
häufig) wäre dann eben einer von vielen, wie Theogenes der Lokrer,
sein Leidensgefährte, der auch nur an dieser Stelle vorkommt.
Und daß ein Locbage aus Euböa nur hier begegnet, ist keines-
wegs befremdlich; auf den Lokrer trifft übrigens dasselbe zu. —
Ob der Stelle VII 8, 7 noqevoiitvov tf^q 'Affiaq (so C) eig
Grjßijg nsdiov durch die Emendation ifjg Mvaiag (so Schenkl
nach Kruger) aufzuhelfen oder in rrjg ^Aciaq eine geographische
blosse zu erkennen ist (Rehdantz), ist mit Sicherheit schwerlich
zu sagen; G. entscheidet sich für das letztere.
b) Schwieriger liegt die Sache da, wo es sich um wirkliche
Ciosseme zu handeln scheint, welche auch in der besten Über-
lieferung sicher schon vorliegen. Es ist ja nun sehr leicht, an
vielen Stellen, wo die angebliche Glätte des xlnophontischen Stils
durch eine gewisse Breite gestört scheint, Ausscheidungen vor-
zunehmen, und besonders die Holländer (Cobet, Hartman u. a.)
haben von dieser Methode reichlich Gebrauch gemacht, zuweilen
von richtigem Empfinden und feiner Sprachkenntnis geleitet, öfter
aber auch zu sehr ihrer subjektiven Neigung folgend und gegen
die Überlieferung mit einer Freiheit verfahrend, die am Ende
kein Wort mehr bei dem andern läßt. Nur die umfassendste
Beobachtung des Sprachgebrauchs einerseits, wie die Rucksicht
auf die beste Überlieferung andrerseits wird in den nicht seltenen
Fällen den rechten Weg zeigen, wo dem modernen Leser eine
gewisse Fülle des Ausdrucks zunächst störend erscheinen mag.
Auf diese Weise wird sich mit ziemlicher Sicherheit unterscheiden
lassen, wo wirkliche Glosseme in den Text eingedrungen sind
tmd wo es sich um Worte des Schriftstellers selbst bandelt, die
an ihrer Stelle uicht immer nur eigenartig, sondern oft geradezu
nötig sind. Mir will scheinen, daß G. in dieser Beziehung, so
sehr er selbst („Bemerkungen" S. 566) die Anschauungen Cobets
und Hartmans grundsätzlich verurteilt, ihnen (und andern) doch
häufiger gefolgt ist, als nach der besten Überlieferung und den
Anforderungen des Zusammenhangs nötig gewesen wäre. Gut
ist, daß derartige Ausscheidungen, als solche durch eckige Klammern
gekennzeichnet, im Texte belassen sind.
er) Einverstanden bin ich mit folgenden Aus-
scheidungen: I 1, 2 [aveßrj] nach dem vorangegangenen
araßaber, G. vergleicht (a. a. 0. S. 569) treffend VI 2, 1 naqa-
nXiovtss . . .[nccQanXevöavisg], wo es sich überhaupt um eine
größere „lokale44 Interpolation handelt (vgl. z. St.). — I 2, 1
Xotßivxa [rovc aXXovg] nXi\v onoaot. — I 2, 3 [Sotpaivtioq
&& 6 StVfHfdliog onXiraq sxwv %iX'tovg\, vgl. 1 2, 9; mit
Änderungen des Eigennamens ist der Stelle schwerlich aufzuhelfen.
8»
1 IG Jahresberichte <J. Philolog. Vereins.
— 1 2, 20 eiegop xiva [twp vndgxoop] dvpdaxtjp. — I 4, 9
[ovde xäg negiGctgdg] ; 12 [nagd top naxega xov Kygov]. —
I 6, 10 [ey^]. — I 7, 12 iitiav dgyppteg [xai tixgaxfiyol xai
fjyefjbopeg] xeixageg. — 1 7, 13 ol aicofioXijaapxeg ix twp
noÄsfjbicop [nagd peydXov ßaöiXewg], nicht [ix xcop noXefilcop]r
so Hug nach Cobet; vgl. G. a. a. 0. S. 570; ebenso 1 8, 9 ndpxeg
d' ovtol xaxd e&pq iv nXatcim nXijgei äp&goinwp [e'xaaxov
xo e&pog] inogevopxo (inogevexo C). In diesen beiden Fällen
haben wir eine Doppelrezension anzunehmen. — 1 8, 4 Mevoov
de [xai] xo axgaxevfiaxog eiaipvfjbOP xegag. — l 10, 3 rj de
[MtXr^ia ijp pewxiga y] Xfjqtd-eHaa, wogegen das vorhergehende
Xafjbßdpet sicher echt ist. — II 3, 8 xdc anopddg noveXad-av
%a%v [xe] xai, vgl. das Folgende. — II 4, 6 %&v de noXepitop
Innelg eiatv [ol] nXetaxot. — II 5, 11 ti\p aavxov [zwqcip]. —
II 5, 27 xai idp (so mit Wahrscheinlichkeit die La. von Cpr.)
iXeyx&coäi diaßdXXopxeg [xwp *EXXijpo)p]; Dobree strich xwp
'EXXtjpwp als Glosse zu dem im folgenden Salze stehenden nqo-
äoxag\ bei der Lesung idp (die früheren Herausgeber nach C,
in rasura: ov dp) ist an sich unmöglich. — 111 4, 43 cvpinea&at,
d} ixeXevaep [avxovg] xai. — 111 5, 4 fjvixa (ol) and %r[q
ßofjXaaiag (vgl. den nächsten Abschnitt) dnijpztjOap [ol "EXXtjpeg]*
— IV 2, 19 ndpxeg ol ix xovxov xov xonov avpeggvfjo'ap £p-
xav&a [ol noXifjbioi]. — IV 4, 14 oaoi de ngoxegop änrjaap
[xai] xdg olxiag ifjbngtjaapzeg. — IV 6, 1 xovg de olxixac
xaxaXeinei [iw xwfiidgxjl], vg'* $• 128 B. — V 1, 11 [av]*cr
nqddXia. — V 2, 6 [o de rjyetxo xoig onXixaig], — V 4, 15 ngo
[xijg noXewg] xijg MfjxgonoXewg; über V 7, 2 vgl. den nächsten
Abschnitt (S. 117). — VI 4, 2 xai ovg dp laß codi xwp 'EXXiJpüop
ixninxopxag % äXXcog noag deivd vßgi&w Xeyopxat [xovg
"EXXfjpag], — VII 3,46 KXedpwg d' tjyetxo twp dXXoap ^EXXijpcop]*
An allen diesen Stellen ist der echte Text, sei es durch harm-
lose Randglossen, die der Abschreiber dem Autor zuschrieb, oder
durch absichtliche „Verschlimmbesserungen" (so G. a. a. 0. S. 569)
verunstaltet worden, und G. hat aus den Arbeiten vieler
Menschenalter das Fazit gezogen, indem er sie aus dem Texte
entfernte.
ß) Gegen G. und seine Vorgänger sind dagegen mit
der besten Überlieferung nach meiner Meinung im
Texte zu belassen (die betr. Worte werden hier in Sperrdruck
gegeben): 1 2, 9 fjzxij&elg xfj i*>d%ri\ so konnte Salamis sehr
wohl bezeichnet werden. — 1 7, 3 ovx dp&gwnitiP dnogoip
ßag ßdg(üp\ 5 dtd xö iv xoiovim eipav xov xipdvvov nqoa-
iOPxog\ 8 Elafiaap de nag1 avxop ol xe öxgaxijyol xai
twp dXXwp 'EXXijpüop xipeg\ 16 xavifjp (xavxji G. nach Hartman)
drj xtjp ndgodop Kvgög xe xai ij Gxgaxid nagrjX&ep. Wa&
Hartman (a. a. 0. S. 65 f.) und G. selbst (Beitr. 1 S. 16 f.) gegen
die Verbindung von ndgodop nageX&eZp anführen, rechtfertigt
Xeoopbon, von R. Ullrich. 117
<lie Änderung nicht. Der Sinn bleibt derselbe, aber die beste
Überlieferung ist vorzuziehen. Vgl. zu I 4, 4 übrigens noch Hell.
VI 6, 51. 52. Naturlich heißt naqiqxscd-ai, (G. a. a. 0. gegen
Hansen) eigentlich „vorbeigehen an*', aber an einem „Paß" (so
wird ndqodog am besten wiedergegeben) „geht" man nicht
^vorbei", sondern man „passiert" ihn. — I 9, 31 s%wv xal xö
tsxqdxevpa. — II 5, 15 ^d*oV av dxovGaipi ro övopa, xig
ovxwg iöxl d€ivog Xiysiv. — II 6, 11 xai ydq tsxvyvov xöxf
qaidqov avxov iv xoXg aXXoig itqotiwno ig sifaöav
tfctivsG&ai, was einen vortrefflichen Gedanken gibt (vgl. Hug
praef. S. XXV nach Madvig und Rehdantz). Gemoll, Cobet folgend
{der übrigens noch avvov hinter axvyvov stellt), sieht (a. 0.
S. 571) in den Worten eine doppelte Glosse und legt Wert auf
die durch die Streichung hergestellte Übereinstimmung mit dem
zweiten Gliede xal zö yjuXvizov sqq., scheint mir aber hier wie
in der vorigen Stelle, um einen glatten Stil herzustellen, selbst
in den Fehler zu verfallen, den er sonst bekämpft. — III 4, 48
rijv ätinida äqtsXöpsvog dg idvvaxo xdxMfxa s'xwv inoqevexo\
liier ist s/cöv geradezu notwendig. — IV 7, 19 ix xavxtjg zrjg
%uiqag äqxoov. Aber Tavxtjg xr\g x^Qa^ ,s* unmittelbar hinter
der noXig Tvpvidg nicht möglich; und geht man von der besten
Überlieferung aus, die ix bietet, so wird man nicht umhin können,
ravrfjg auf noXig zu beziehen und zu dqxoav das in keinem Falle
(auch bei G.s Lesung nicht) zu entbehrende 6 zu ergänzen, das
€, tatsächlich hat, aber statt hinter xavxrjg hinter %<»£«£ ein-
fügte. Ich glaube, daß schon Schneider mit der Verbindung ix
ravxijg 6 ztjg x°*q&g aqx(*>v das Richtige getroffen hatte. — Auf
die Stellen V 2, 17 xal scpsvyov ol psv xal sxovxeg, a sXaßov,
"21 xai Toov onXizcov zö nXtjd-og xaxaXmovxsg ol Xox^yol
olg Ixatixog iniöxsvev, an denen Gemoll wieder Hartman, und
V 3, 7 xaxoixovvxog qdfj avxov iv 2xiXXovvxi, vno xcov Aaxs-
daipoviatv oixiö&ivxog naqd xi\v ^OXv^niav , wo er Kühner
folgte, trifft das zu II 5, 15 und 6, 11 Bemerkte zu. — V 7, 2
*al [idXa (poßegoi jjöav, [iij n oiriG siccv, ota xal xovg
rcov K6X%tAV xqqvxag inoifjöav xal xovg ayoqavo -
fiovg* oGoi iirj elg xi\v S-dXaxxav xaxiqvyov, xaxs-
Xevrt&Tjoav. G. streicht mit Hartman die ganze Stelle. Daß
<\\e Dinge, auf die hier angespielt wird, erst später (immerhin
aber nur einige Seiten nachher in der Rede Xenophons) erzählt
werden, ist richtig; aber sie waren tatsächlich früher geschehen,
und es war wenigstens nicht unmöglich, eine kurze Anspielung
7.vl machen, wenn sie alsbald in der Rede X.s erläutert wird. Ich
tialte die Erklärung, die Rehdantz-Carnuth z. St. geben, für aus-
reichend. Daß hier nicht alles in so tadelloser Ordnung ist,
-wie wir es wünschten, ist zuzugeben. Man darf auch nicht ver-
gessen, wie es bei der Abfassung und Herausgabe von Memoiren
«u gehen pflegt, zumal wenn auch Reden eingelegt sind, über
|1 g Jahresberichte«]. P h i I o 1 o g. V« r c i u s.
deren Verhältnis zu den ursprunglich gehaltenen (wenn dieser
letztere Fall überhaupt vorliegt) wir wenig Genaues sagen können.
Der kleine Anstoß ist in den Kauf zu nehmen — wenn man
nicht an den dormitans Homerus denken will, dem sogar Größere
als Xenophon ihren Tribut gezollt haben (vgl. z. B. oben S. 94).
Es ist aber wohl zu beachten, daß die Stelle wenigstens bis
äyoQavofjbovg in der besten Überlieferung vorliegt; nur der Zu-
satz oaoi, sqq. wird durch die fehlende Verbindung und ihre Her-
stellung durch yccQ in den det. verdächtig. Ich bin mit Gemolis
meisten Vorgängern der Meinung, daß hier tatsächlich ein Glossem
vorliegt. Ein Schreiber, nicht zufrieden mit der etwas dunklen
Anspielung, schrieb sich das Ergebnis, das xavafavsc&at, aus
§ 19 und 25 an den Rand, so kam es später in den Text und
wurde von den det. schicklich eingefugt. Weiter aber hätte G.
nicht gehen sollen. Übrigens scheint mir schon bei der Aus-
lassung auch nur des ersten Satzes der Übergang von dem Vor-
hergehenden zu dem insl de ^ad^dvero und zu X.s Maßnahmen
weniger gut motiviert. Die kurze Anspielung gibt nach den all-
gemeinen Ausdrucken tyXXoyoi syiyvovro und xvxloi ^witixavio
der Darstellung eine sehr gluckliche Steigerung und rechtfertigt
weil dringende Gefahr im Anzüge, das «£ jaxiöxa %vvayaytXy
avz&v ayoqdv. — VI 5, 19 wird durch die Umstellung der
beiden Sätze &av(j>d£co . . . ywqitov und nwg yccQ dij . . . icftmanai
(G. nach Hartman) die Verbindung verschlechtert; denn das i}y
di firj (20) schließt sich dem mit itpsnmvjat schließenden Satze
viel enger an. — VI 6, 34 xal $v ol &col naoadidwöiv ist
zu belassen, ebenso VII 4, 16 xal sv(dov nur com'.)- Te&woa-
xMfliivov ol nfQl top Ssvotfwvia svdov n<sav in der Über-
lieferung von Cpr., so bestechend auch Schimmelpfengs Vermutung
ist, daß die Entstehung des iv&wQaxi&c&ai, (änag Xtyofievovi) auf
das ursprunglich vor dem v. simpl. stehende svdov zurückzuführen
sei. 'Ev&wQaxl&o&ai ist hier sogar besonders anschaulich.
Bei VI 2, 17 xal anoßaivovGiv elg KäAnyg liptva xata
piaov 7t(>)$ r^q OQqxfjg kann man zweifelhaft sein; die
Schwierigkeit ist hier ähnlich wie bei VII 8,7 (vgl. o. S. 115). —
Ich erwähne endlich noch die nach der hs. Überlieferung schwierige
Stelle IV 8, 27, die des doppelten Mittels der Annahme eines
Glossems und der Einfügung eines ganz neuen Begriffs bedurft
hat, um verständlich zu werden. Matthias hat (a. a. 0. S. 182;
vgl. oben S. 9 7 f.) die Heilung versucht, und Gemoll folgt ihm:
dofa%ov da KQfjieq nXaiovg ij €<£ijxovTa, [ü&eov] ndfajv de xal
nvyfi^p xal 7iayxQdtiov ^Aqxddeq) (Hsqoi C), xal xaXfj &ta
lysvszo* Diese Lösung ist eine von vielen; als sicher kann sie
nicht gelten.
2) Nach dieser Musterung des Ergebnisses der Konjektural-
kritik früherer Gelehrten, wie es in Gemolis Ausgabe sich dar-
stellt, komme ich zur Besprechung dessen, was er seihst
-*>
Xeoophon, von R. Ullrich. Jf9
auf diesem Gebiete beigesteuert hat. In seinen Schultext
von 1896, der lesbar sein mußte, hatte G. eine verhältnismäßig
große Zahl fremder und eigner Konjekturen aufgenommen und
viele derselben in den „Bemerkungen" (S. 573—578) genauer
begründet. Inzwischen aber hat er nach erneuter Prüfung und
(z. T. auch durch die Neuvergleichung von Gpr.) „melius in-
formatus" manche davon — mit Recht — verworfen oder in die
adnotatio critica verwiesen, ebenda auch einige neue Vermutungen
geäußert (praef. S. VII sq.). Welches ist nun das Ergebnis und
wie ist es zu beurteilen?
Die Konjekturen G.s lassen sich etwa in drei Arten scheiden:
Ausscheidungen von Glossemen, Ergänzungen von
Lücken, Herstellung verschriebener Lesarten. Vielfach
treffen auch zwei oder alle drei Fälle zusammen.
a) Ich kann dem Herausgeber nur in verhältnismäßig wenigen
Fällen beistimmen. Für besonders glücklich und für
beinahe sicher halte ich die Heilung der Stellen 110,18
et no%€ G(pödqa zo azqdievfxa laßoi xig {Xaßoizo G) evdeia.
— II 1, 17 o (Soi Tifirjv oloet, slg %iv sneixa xqovqv ävay-
ysXXofievov (avaXeyQpwov), eine vortreffliche Änderung, die
G. aber wieder aus dem Texte zurückgezogen hat. — 111 5, 4
än^dav ix xijg ßotjXaaiag (ßorj&siag C)* r\vixa (ol)
anö T^q ßorj Xaaiag (ßoq&tiag C) änyvxtjaav [ol "EXXfjvec],
iXtyev 'Ooäze, <a ävdgeg "EXXtjvsg, wo z. T. schon Schenkt
vorgearbeitet hatte. — IV 2, 4 hvy%avov äi xal avaqiaio*
ovzsg [avtoüv ol 07ti(S&0(pvXax€Q]. — VI 4, 18 d>g yag iyd . . .
jjxovad zivoq o ye (or* C) KXeavägog . . . [idXXei vjfeew. —
VII 1, 17 äXXoi di of {szt) ixvyyavov hdov ovzsg, wo «V*
nicht zu entbehren ist und vor izvy%avov viel leichter ausfallen
konnte als dahinter, wie Hartman wollte. — VII 2, 18 snsl ö'
iyyvg i\v avzov (ijöav C), wo der Singular unbedingt notwendig
ist; diese Konjekturen hätten alle in den Text aufgenommen
werden können.
Für sehr wahrscheinlich halte ich die Änderungen bzw.
die Erkenntnis einer vorliegenden Verderbnis an den Stellen
113,10 aXX* enoiovvzo diaßdaeig (mit den det.) ix züv
(foivixcüv, o* tjv giaxovzo ixnenzooxozeg, falls in G wirklich
noch ein Rest des Verbums svgitixsw zu lesen ist (vgl. den
Apparat und Beitr. 1 S. 20), für möglich auch II 6, 25 statt des
schlecht überlieferten aaxovtiiv die Fassung zolg d£ oaioig xal
&Xti$£mxv &rjQ€vov(y tv, obgleich mir die zur Begründung („Be-
merkungen" S. 575) angeführten Stellen nicht geeignet scheinen. —
IV 5, 30 ist überliefert onov de Tzagioi xwfAjjv, izginezo nqöq
zovg iv zatg xoipaig. Die letzten Worte sind unmöglich.
G. hält sie für ein Glossem zu einem ursprünglichen svdov\ doch
scheint mir dies zu unbestimmt, da es sich nur um die in
Quartier liegenden Truppen handelt. Ich möchte nach dem hs.
120 Jahresberichte d. Philo log. Vereins.
Befunde eher vermuten sv&a axrjvovvxaq (vgl. IV 5, 23). —
Viel für sich hat auch die Herstellung von V 3, 4 xai xi\v dsxdxtjv
[ijv, so schon Schenkl] reo ^AnolXoavi s^stXov xai rfj ^Etpsaitc,
\Aqtsih6v xai \ßi\eXaßov ol axQaxfjyoi xo peQoq txaaxoq
(pvXdxxsw xotq &soTq (vgl. jetzt auch Radermacher, Rhein. Mus. 55
(1900) S. 150). — V 8, 1, wo zwischen den Worten oxi alge&sig
und xaxtjfiilsi sicher etwas ausgefallen ist, wird irtiazdirjc scharf-
sinnig ergänzt.
Auch darin stimme ich G. hei, daß er folgende frühere Ver-
mutungen (freilich teilweise mit dem Vorbehalt, S. VII, „non quo
eas falsas esse putarem, sed ne ipse quoque a criticis sagacior
vel potius sagacitatis studiosior quam cautior nominarer") teils
ganz aufgegeben, teils aus dem Text in die adnotatio verwiesen
hat: l 1, 7 (xovq) tv MiXijvw. — I 2, 21 Tafico $%ovxoq (jetzt
richtig Tapiiv s'xovxa). — 1 3, 16 wensq vavai xöv axoXop
Kvqov noiQvp&VQv (jetzt mit C näXtv). — I 4, 8 Izwv (lizuMSav,
vgl. Kühner-Blaß3 I 2, S. 216, Anm. 1); 12 inl iaox&V (C,
in ras. fidxtjv). Übrigens sollte man bei radierten Stellen in Hss.
nicht immer gleich an Interpolationen denken. Die Veranlassung
ist oft gerade wie bei uns eine ganz menschliche, und wenn, wie
hier bei fidxyv, der durch den Zusammenhang geforderte Sinn
sich ergibt und kein begründeter Verdacht einer Fälschung vor-
liegt, so darf man im Text wohl nichts ändern. — I 9, 19 o
in£naxo ndq xlc (jetzt wieder das hs. av, das nicht zu ent-
behren ist. Doch scheint mir die Stellung des av vor tjc un-
möglich, da es zu sxqvttxsv sachlich gehört. Man muß wohl
entweder av und xtq umstellen oder, was mir wahrscheinlicher
vorkommt, annehmen, daß ursprünglich av&iq dagestanden habe
und demgemäß, wie in den Verbalformen vorher, die Plurale
sninavro (vgl. HI 3, 30 ninawai) mit dem Objekt a und
exqvnxov. Nachdem einmal die Trennung des av&iq erfolgt
war, war die Einführung der Singularformen die nächste Folge).
— 11 2, 1 (faifj drj 6 ^AqiaXoq (jetzt wieder ohne djy statt des
überlieferten av, das aber augenscheinlich irrtümlich aus der
nächsten Zeile hierher geraten ist). — II 2, 3 und 13 dvvxoq
tind dvvu (dvvovioq und dvvovxt)\ vgl. unten S. 129). —
II 3, 28 edoaav dij (av). — II 4, 8 'ÖQÖvxag (xiq}; die von
Hug praef. S. XXIII vermutete Lücke „videtur excidisse brevis
de hoc Oronta, qui nunc primuin inducitur, notitia" wird aber
durch xtq nicht hinreichend ausgefüllt, wie G. („Bemerkungen"
S. 575) meint; denn III 1, 4 steht doch noch *A&qvaZoq bei dem
Namen. Dieser Orontas war eben eine so bekannte Persönlichkeit,
daß er selbst bei der ersten Erwähnung eines erklärenden Zusatzes
nicht bedurfte. An späteren Stellen, und nicht einmal gleich an
den nächsten (II 4, 9; 5, 40), sondern erst III 4, 13; 5, 17;
IV 3, 4 ist er dann näher gekennzeichnet. — II 4, 24 diaßai-
vopxcov [isvzoi 6 rXovq avxov (Adv. ; avx&v) insffdv^, wo
Xenophon, von R. Ullrich. J2l
mir aber avxov ohne rechte Beziehung zu sein scheint. Ent-
weder ist avTwv, das hinter p&vxoi gehört, an eine falsche Stelle
geraten, oder, was wahrscheinlicher, es ist Glossem eines Ab-
schreibers, dem der unbestimmte und doch so häufige Genitiv
des Partizips einer Erklärung bedürftig schien. — II 5, 10 xov
lityiöTOV äx&QOv nolepijöOfisv (das anschauliche sipsÖQov aus
den det.). — II 6, 21 xolq [iäXi(fxa dvvapivoig (jisyiöxa). —
III 1, 30 cog öovXm (zoiovxcp d. i. oxevocpoQw, das aus dem
Vorhergehenden sich ohne Anstoß ergibt). — IV 1, 24 dy xavxa
{dia, was nicht zu entbehren ist). — IV 5, 3 snoqsvovxo diä
Xwvoc nolkijg dnav nsdlov (xai nedlov, was wohl nicht un-
möglich ist). — V 1, 4 vavaQ%wv ds xai (apr*) Tvy%dvst. —
V 4, 6 sisrtriv vfitv ypccg laßetv %vßfiaxovg xai xifjbüyQijtfaöd-ai,
h xi noxs Vfiag ovxoi qdixTjöav, xai {noistv) xo Xoinov ificov
vnijxoovg slvai, xovxovg; noistv ist unnötig, wofern man nur
nicht übersetzt („Bemerkungen41 S. 577) „es ist euch erlaubt,
daß diese künftig euch untertänig sind", sondern etwa „ihr könnt4',
„es liegt in eurer Hand" o. ä. — VII 7, 3 ist (ngod'Vfitog) mit
Hecht wieder beseitigt.
b) Die übrigen Änderungen G.s, von denen er die
meisten in den oben genannten Abhandlungen näher begründet
hat, sind meiner Meinung nach nicht zu billigen, be-
sonders wenn man in Betracht zieht, wie konsequent er sonst,
und mit vollem Recht, den Grundsatz vertreten hat, es dürfe von
(j nur im äußersten Notfalle abgewichen werden (vgl. oben S. 11 Off.,
113 ff.). Dieser Notfall kann aber nur da vorliegen, wo die gute
Überlieferung entweder, wie ja tatsächlich zuweilen (vgl. oben
8. 113 f.), wirklich unverständlich ist und dem Zusammenhange
nicht entspricht, oder gegen bestimmte grammatische Gesetze ver-
stößt, nicht aber da, wo eine gewisse Fülle des Ausdrucks einem
konstruierten Attizismus nicht zu entsprechen scheint.
a) So sind, nach meinem Dafürhalten , nicht zu
billigen folgende von G. angenommene Glosseme:
I t, 10 yAQi<Sxi,7znog . . . . £Q%€xat, iiQog xöv Kvqov xai alxsl
avxov elg di<s%i,}.iovg %ipovc [xai] xqicop fifjvcov (iiG&ov. Aller-
dings verlangt A. nicht von K. „gegen 2000 Söldner44 („Bemerkungen"
S. 573), sondern „Sold für 2000" u. s. w. (vgl. Rehdantz-Carnuth
z. St.). — I 2, 20 <fvp€7Z€[iifJ6v avxfi [(fzQaxicizag], ovg Msvwv
si%€. — I 2, 21 [666g] äfia&zdg sqq., (ebensowenig I 4, 15
[mözozaxoig] zu fiovotg nBiÜotisvoig, IV 2, 3 [a(ia%iaioyg] zu
oloizQÖxovg und VI 4, 12 [dg so ms] zu dtikov oxi). Ändert
man der Abrundung des Ausdrucks wegen solche Stellen, so
würde man den Memoirenstil der Anabasis kaum auf einer Seite
unangetastet lassen können, und selbst Cpr. gälte dann nichts
mehr. — I 4, 5 onoag onlixag anoßißdosiev [stow xai] e%(o xwv
nvk(ov, vgl. Bern. S. 574. G. zieht bei der Streichung von
slam xai die Kopflosigkeit der Barbaren zu wenig in Rechnung.
122 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Wenn zwei Sparüaten auf den Tei%r} gesessen hätten, entschlossen,,
um .jeden Preis den Durchgang zu wehren, so war das eterco
anofiißcx&iv allerdings ein gewagtes Stuck. Anders hier. Kyros
kannte seine Landsleute und kannte die Hellenen (vgl. I 7, 3)_
Daß die beiden Kastelle schon damals mit Geschützen besetzt ge-
wesen sein sollen, ist nicht anzunehmen; vgl. II. Droysen, Heerw.
u. Kriegf. S. 188 u. Anm. 1; und die Treue des Syennesis war
doch nicht über jeden Zweifel erhaben, wie aus allem hervorgeht*
was X. über ihn berichtet. Auf andre Weise rechtfertigt Sorof
die Worte; vgl. WS. f. klass. Phil. 1900 Sp. 808. — 1 7, 2 äfia
tjj [iniovarj] tjpiqq; die hier notwendige Bedeutung ist möglich
(Beitr. I S. 14), und daß fünf Zeilen vorher slg ti}v smovtiar
&0 steht — alles in der besten Überlieferung — , ist keineswegs
störend. Etwas schwieriger scheint die Stelle II 3, 3 inei da
%axi(S%r\(Se %o (StqdtsvfAcc mg [xalcoc s%ei,v\ oqäG&ca naviff
(pdXayya nvxv^p (Beitr. I S. 19 f.), vgl. aber Plat. Crat. 396, W
iin. f} ig tq ävm oifsig xaXcog ex€t tovto %6 ovopa xaXaXö&cty
Ovqavia und Kruger, Gr. Spr. I 2 5 § 61, 6 Anm. 8. Die Kon-
struktion ist nicht häufig, aber doch möglich, und unsere Stelle
bleibt besser unangetastet. — Ebenso verhält es sich mit II 5, &
nsqi fJttv öfj xmv &soüv \ts xai xwv\ öqxcov ovtw yiyvtaGxWy.
naq' ovg rjfisZg xi\v qiXiav owdipsvoi xax&d-ifie&a (Beitr. I
S. 20); Klearch wolle, meint G., ja gar nicht von den Göttern
sprechen, sondern nach § 7 init. von den d-emv oqxoi. Gewiß»
Aber der Schwerpunkt liegt in dem § 7 auf der Macht der Götter
(vgl. oben S. 77). Daß die Beziehung von naq ovg über i&v
oqxoov hinweg auf &€cov schwerfällig ist, kann zugegeben werden;
aber daß sie nicht ungewöhnlich ist, zeigt wieder Kruger, dessen
sorgsame Beobachtung auch seltenerer Erscheinungen des griechi-
schen Sprachgebrauchs man immer aufs neue schätzen lernt,.
§ 58, 3, 9 ^mit Berufung u. a. auf Dem. IX 72. — 11 6, 6 ßovkticck
noveXv [oiffr« noXtpfXv]. G. will mit Bucksicht auf die Kon-
zinnität der drei Satzglieder, von denen dieses das mittelste ist, die
eingeklammerten Worte, die im Etonensis nicht stehen, streichen.
Aber auf dem Verbum noXepeZv scheint mir gerade bei dieser
Charakteristik des KXsaq%og (fiXonoXtpog der Nachdruck zu
liegen; es erscheint in allen drei Gliedern der Periode, wird im
mittelsten durch die besten Hss. ebenfalls bezeugt und fugt sich
der Konstruktion gut ein. — III 1, 35 i\p,Xv 64 ys oipcu ndvvu
noitjTsa, dg \ki\noxe inl zotg ßaqßdqoig yevto{ie&a, dXXcc
fiäXXov [ixtXvoi] itp iiiiXv. G. findet (Bern, S. 575 f.) den Ton
der letzten Worte bramarbasierend und nicht passend zu der
augenblicklichen verzweifelten Lage der Griechen. Aber diese wie>
manche andre Bede ist schwerlich so geschrieben, wie sie —
wenn überhaupt — gehalten war; und, wenn wirklich, so redete
der Grieche von Barbaren, das ist wohl zu beachten. G. will
nun erklären: „Wir wollen unsre eignen Herren sein'*, mit Ver-
Xenophon, von R. Ullrich. 123
Weisung auf V 5, 20 oncog juij enl xdo vpexiqw äq(ioöx{i watv
ol xdfivovxsg fjfiooy, u"kü i<py riptv fi xopitfaif&ai, oxav ßovXoi-
{is&a. Aber hier findet der (notwendige) Obergang aus der per-
sönlichen in die unpersönliche Konstruktion statt, während an
unsrer Stelle die persönliche bleibt, die den von G. gewollten
Sinn nicht geben kann. — IV 3, 17 snsidri Ai fjaav xaxd xrjv
didßaöiv [xal xäg ox&ag] xov noxapov. Mit Kruger das xaxd
in doppelter Bedeutung zu nehmen („bei" und „gegenüber"') i>t
allerdings mißlich. Man muß es in möglichst allgemeinem
Sinne fassen, etwa „in der Gegend von'*, dann ist nichts ein-
zuwenden (vgl. die Ausführungen von Rehdantz-Carnulh zu I 10, 4).
— V 6, 18 ovg naqd Kvqov sluße [xq^ax^iovg] daqeixovg.
G. (Beitr. I S. 17 f.) streicht die Zahl, „da für X. wenigstens
kein Beispiel eines in den Relativsatz mitsamt seinem Substantiv
gezogenen richtigen Attributs existiert". Aber einmal laßt sich,
wie oben bei II 5, 8, aus Üemosthenes (XX 142) ein Beispiel
nachweisen, und ferner darf man doch nicht eine eigenartige
Konstruktion, wenn sie auch wirklich nur einmal vorkommt, allein
deswegen schon ausscheiden — wofern sie nur dem Sprach-
gebrauch im allgemeinen sich einfügt; und dies trifft doch wohl
hier zu. — Auch V 7, 6 hätte G. einer Anregung Cobets nicht
folgen und die eigenartige Verbindung von ptv . . . dt, de ... de
nicht aus dem Grunde beseitigen sollen, weil eine Parallele dazu
bisher nicht gefunden sei. Auf diesem Gebiete herrscht so große
Mannigfaltigkeit (vgl. auch Sauppe, Lexilogus s. v. und Rehdantz-
Carnulh zu VI 6, 16), daß es mir nicht geraten scheint, dem
gewöhnlicheren Sprachgebrauche zuliebe eine gut bezeugte Über-
lieferung zu ändern. Eher hätte auch ein Interpolator eine selten«;
Konstruktion in die gewöhnliche umgeformt als umgekehrt. —
VI 5, 30 snel di sfdov ol *ElXfjvfg xo xs ®aqvaßd£ov Innixbv
IV* GVPsGxrjxdg xal xovg Bt&vvovg lixniag nqbg xovxo <svr-
ad-qo^o\isvovg [xal and lotpov xivög xaxa&eojfis^ovg xd yiyvd-
l*£va], wo ich einen Widerspruch zwischen den beiden Dingen,
die von den bithynischen Reitern ausgesagt werden, nicht erkennen
kann; sie sind zum Korps des Pharnabazos gestoßen und sehen von
einem Hügel den Vorgängen unten zu (vgl. IV 2, 15). Der Erzähler
will sagen, daß sie eine abwartende Haltung eingenommen haben,
aus der sie dann bald («c fitj xe&aqqtjzoxeg dvanavtsawxo)
vertrieben werden. — VII 3,9 ofäa xwfiag noXXäg d&qoa[g
xal] ndvxa i%owfag xä inix^dsia anhfovaag rjfiwp. Daß
aO-qoog den Begriff des Sammeins hat, ist richtig, und es wird
daher in der Regel in Beziehung auf Personen gebraucht (vgl.
die Lex.); aber dieser Begriff liegt auch hier noch vor, da die
dicht beieinander liegenden Dörfer wohl nicht zufallig so angelegt
sind. Außerdem ist dieser Umstand gerade hier von großer Be-
deutung für die Erhaltung einer bequemen Verbindung zwischen
den einzelnen Truppenteilen, eine Änderung der guten Über-
124 Jahresberichte d. PhiJolog. Vereins.
lieferung also nicht zu empfehlen, ebensowenig VII 6, 37, wo
xal yccQ ovv (C) zu lesen ist, das durch das vvv der det. weder
vermehrt (Hug) noch wie bei G. verdrängt werden darf.
ß) Ich komme zu den Stellen, wo ich Änderungen der
überlieferten Worte oder Zusätze, die G. vorgenommen
hat, nicht für nötig halten kann. I 9, 4 rifiODfisvovg (sviovg),
wo die freie Verbindung mit dem äXXovg im zweiten Gliede nicht
stören darf; 10 xal ydq SQyui ineösixvvto <o> xal s'Xsysv;
31 vnsQ ctvTQv (vtvsq Kvqov C). — H 6, 6 ixtlvog de wansq
(tiq) fig naidixd fj slg äXXijp tivd tjdopijv ij&sXs danavav
tlg nole^ov. — III 4, 13 slg tovrov ds xov tita&pov TiCöcc-
(pSQPfjg eneyctvri ovg te avvog inniag qyayev (fad-ev C) s%(av
xal zfjv *Oqovtcc övvapiv sqq. G. nennt den Umstand, daß bei
der überlieferten Fassung s'xaw zugleich zum Hauptsatz und zum
relativischen Nebensatz gehört, eine handgreifliche Unmöglichkeit
(Bern. S. 576); man kann nur sagen, die Konstruktion sei selten,
und wenn man wieder Kruger z. St. und dazu Her. VII 190 ver-
gleicht (sv tovtm tw novcp viag oV iXayitixag XsyovGi dia-
ip&aqi]vai xtTQaxoatsüav ovx eXdoGovag, dvdgag ts sqq., vgl.
Stein z. St.), so verhält es sich mit dieser Stelle, wo eben für
e'x(ov doppelter Bezug anzunehmen ist, nicht anders als mit II 3, 3
und II 5, 8; vgl. oben S. 122. — IV 5, 27 xal ndvv tjdi) (tw)
tfvppad'QVTt, %6 nwfia \v. — Nicht ganz einfach ist IV 8, 1 1
(vgl. oben S. 94) ovdlv av ely -d-aruatiTÖp sl diaxoneirj q
ipdXay% tj/ucov vnö av&Qtönoav [nfj] xal ßeXtav noXXcov ipits-
govküv. So liest Gemoll nach Baumms Konjektur (vgl. Beitr. III
S. 27); aber Cpr. bietet vno äü-goatv (übrigens a&Qooov zu
schreiben, vgl. unten S. 128) nr[ xal ßsXcov noXX&v i^ine^ovrcov,
und erst C, fugt am Rande noch hinzu xal ar&gconoov (vgl.
Schenkte Text). Daß in dem so erweiterten Texte a&qowv und
noXXmv sich nicht vertragen, hat Schenkl richtig gezeigt und
noXXaw entfernt; Hug ist ihm darin gefolgt. Gehen wir aber
von Cpr. aus, so ist alles in bester Ordnung, auf die ad qooi
K6X%oi kommt es gerade an im Gegensatz zu dem in1 tXiyow
der Griechen; xal ßsX&v noXXwv SfjbnstfövToap möchte ich dabei
lieber nicht als parallel zu d&gooov, sondern als untergeordnet
fcissen, so daß sich folgender Sinn ergibt: „Und es wäre kein
Wunder, wenn unsre Ph. an einer Stelle von ihren geschlossenen
Massen durchbrochen wurde, während zugleich ein Hagel von
Geschossen auf uns eindringt". Übrigens möchte ich itf[% das
alle Herausgeber auf die Autorität von A (Valic. 987) hin als
Glossem betrachten, entstanden aus dem nr\ der folgenden Zeile,
nicht missen, bin viel eher geneigt, zu glauben, daß es an der
zweiten Stelle Glossem ist. Denn wäre es dort echt, so könnte
man im Nachsalze oXjj oder etwas ähnliches vor (pdXayyi kaum
entbehren, was denn auch C, wirklich zugesetzt hat. — V 5, 17
xaineg ßaaiXioag ov% vnfjxoovg ovxag [Sfuag] xal fidXa
Xenophon, von K. Ullrich. 125
<poßeqovg (,Sfi(og\ C. opxag) noXs^iovc £xirj(fd[jb€&a. G. streicht
also das zweite ovxag nnd setzt das oben weggenommene fifitog
an die Stelle, da (Bern. S. 577) bei der jetzigen Wortstellung
der Konzessivsatz hinter öf*ü)g, wo er aufhören sollte, von neuem
anfängt. Die überlieferte Fassung, so viel gebe ich G. zu, ist
wohl etwas umständlich, darin liegt aber kein Grund zur Änderung.
— Vll 8, 11 dsinv^aag ovv inoQevero xovg xe Xox&yovg xoig
<*£> pdXiöxa cpiXovg Xccß(av xcci niöxovg ysyepfjfisvovg did
navxog, oncog ev noHJGcu ccvcovg. Hug (praef. S. LV111) hatte
vor niöxovg eine Lücke angenommen, in der aXXovg oder aiqa-
xtwxag gestanden hätte, und meinte: „Erant trecenti nuaiero
cf. § 9 qui non poterant esse omnes locbagi", und G. teilt (Bern.
8. 578) diese Bedenken. Aber man vergegenwärtige sich un-
befangen, iu welcher Weise § 9 von den Dreihundert geredet
wird. Hellas beredet den Xenophon zu einem Anschlag auf
Asidates und sagt, wenn er des Nachts mit 300 Mann hinzöge,.
könnte er ihn und die Seinen aufheben und reiche Beute machen.
Die Zahl soll doch nur ein Hinweis auf die Bedeutung des Unter-
nehmens sein, den X. je nach seinem Ermessen benutzen konnte
oder nicht. Daß er nun zu diesem nächtlichen Streifzug außer
den erprobtesten und neuesten Lochagen (natürlich konnten da»
nicht 300 sein) auch eine Anzahl Soldaten ordnungsmäßig mit-
genommen hat, ist selbstverständlich (§16 ist ja auch von den
GtgaiHtiicu die Rede), brauchte aber nicht besonders gesagt zu
sein und war, wie sonst oft, in dem noqevsxo schon enthalten.
Die Fortsetzung des xovg xs Xo%ayovg aber ist, wie längst er-
kannt, in dem Gvvs£>sQ%ovxca, dt ccvtm xcci des folgenden Satzes
enthalten. Und daß X. außer den Lochagen noch andere ihm
besonders Nahestehende (etwa wie Vll 7, 2, worauf Gemoll a. a. 0.
hinweist) mitgenommen und hier genannt habe, ist mir des-
wegen nicht wahrscheinlich, weil die Lochagen, die er durch Be-
vorzugung bei der Beute auszeichnen wollte, hinterher allein als
diejenigen genannt werden, die das selbständige Mitziehen von
weiteren sechshundert Leuten zu verhindern suchten, um nichts
von ihrem Anteile zu verlieren. Ich sage „zu verhindern suchten"
(anrjXavvovl), denn es ist mir fraglich, ob nach dem bestimmten
ovvi%SQ%ov%ai ßiaadfievot, das ansXavvsiv der Lochagen wirk-
lich Erfolg hatte und ob nicht unter den axQccxuioxcu von § 16
sich manche (groß war die Zahl der Griechen nicht, vgl. § 17>
dieser Freibeuter befunden haben, diu nur von der Gewinnsucht
gelockt waren, aber in ernstlicher Gefahr nicht standhielten.
Doch dies nur nebenbei. Was die Hauptfrage angebt, so ist die
Notwendigkeit einer zweiten durch te anzufügenden Gruppe von
Auser wählten nicht erwiesen.
Hat sich nun auch nach meiner Meinung ergeben, daß von
den fremden Konjekturen, die G. in seinen Anabasistext auf-
genommen hat, sowie von seinen eigenen nur ein verhältnismäßig
126 Jahresberichte d. Philolog. Vereius.
geringer Teil zu billigen ist, so erwächst doch dem verdienst
vollen Herausgeber, der wie kein anderer in den letzten Jahren
auf diesem Gebiete den Gedanken des Autors von den ver-
schiedensten Seiten her mit kritischem Sinn und unter fort-
währendem Nachprüfen der eigenen Aufstellungen nahe zu kommen
versucht hat, daraus kein Vorwurf; um so weniger, wenn man
bedenkt, daß er zuerst den hohen Wert von Cpr. nachdrücklich
betont hat. Es war nur naturlich, daß die erste Ausfahrung
dieses Grundsatzes nicht gleich vollständig gelang. Daß Cpr.
selbst schon mannigfache Schäden aufweist, ist nicht zu leugnen;
aber sie sind doch erheblich geringer, als man angenommen hat,
davon hat mich die Durcharbeitung des Anabasistextes an der
Hand von G.s Ausgabe aufs neue überzeugt. Ich glaube, daß G.,
wie er hier schon mehrere der in dem Text von 1896 vor-
genommenen Änderungen gemildert hat, bei erneuter Revision
noch häufiger zu Cpr. zurückkehren wird. Wünschen möchte
ich auch, daß zumal in einer solchen Ausgabe, der nur ein knapper
Apparat beigegeben werden konnte, mit der Aufnahme nicht ganz
evidenter Konjekturen in den Text selbst noch sparsamer ver-
fahren würde; und solcher gibt es doch, wie ich gezeigt zu haben
glaube, nicht wenige. Und wenn schon die Großen in der Wissen-
schaft manchmal in die Irre gingen, weil sie sich um die hand-
schriftliche Gewähr der von ihnen ausgenutzten Texte nicht
kümmerten (vgl. M. Kränkel in Böckh, Staalshaush. d. Ath. * I
S. XVI), so müssen die Herausgeber von kritischen Textausgaben,
deren erste Bedingung nicht wie hei Schulausgaben die Lesbarkeit
ist, mit größter Strenge darauf halten, daß nichts in den Text
gesetzt werde, wovon nicht auf der Stelle ersichtlich ist, ob es
handschriftliche Gewähr hat oder nicht. Auch G.s Ausgabe würde,
glaube ich, durch noch strengere Innehaltung dieses Grundsatzes
bei einer hoffentlich bald notwendigen Neuauftage erheblich ge-
winnen.
Fast durchweg zustimmend kann ich mich verhalten zu den
Grundsätzen, nach denen Genfioll die
IV. Orthographie und Grammatik in seiner Ausgabe
geregelt hat. Bekanntlich herrscht auf diesem Gebiete in den
Hss. große Verwirrung; sie herrschte naturgemäß auch in den
Ausgaben der Schriftsteller und in den Grammatiken, doch ist
in letzter Zeit auch hierin ein Wechsel zum Besseren eingetreten,
da man angefangen hat, nach Cobet, der die griechischen National-
grammatiker über Gebühr vorzog (vgl. Gemolls richtiges Urteil
über ihn Beitr. 11 S. 2), die Ergebnisse der Inschriftenforschung
^systematisch zu verwerten. Für Xenophon hatten W. Gilbert in
der Ausgabe der Memorabilien (1888) und 0. Keller in seiner
Helleuikaausgabe (1890) den Anfang gemacht. Die italienischen
Herausgeber einiger der kleineren Schriften sind nur teilweise
Xenophoo, von R. Ullrich. 127
gefolgt1). Am vollständigsten aber hat Gemoil, wie schon 1896, so
auch in der vorliegenden Ausgabe alles wirklich ausgenutzt, was
wir nach dem heutigen Stande der Forschung auf diesem Gebiete
wissen können; seine Ausgabe kann also hier in gewissem Sinne
als abschließend gelten.
Da er selbst seine Ansichten über Laut- und Flexionslehre
und Syntax, die nun in die Ausgabe übergegangen sind, ausfuhrlich
dargelegt und begründet hat (besonders in „Beiträge IIU (1889)
und den schon oft zitierten „Bemerkungen44 S. 539 — 565), wobei
«ine große Zahl einzelner Stellen kritisch gewürdigt werden, ver-
weise ich für alle Einzelheiten auf die beiden genannten Schriften
und begnüge mich hier, die hauptsächlichsten Ergebnisse, soweit
sie der Ausgabe zugute gekommen sind, kurz zusammenzufassen.
Zunächst ist hervorzuheben, daß Gemoil die überreiche ein-
schlägige Literatur ausgiebig benutzt bat. Außer dem Corpus
Itiscriptionum Atticarum selbst, den Zeugnissen der alten Gram-
matiker, den neueren kleineren Inschriftensammlungen von Kaibel*),
Dauer8) und Dittenberger4) und den bekannten größeren Gram-
matiken neuerer Zeit sind die Arbeiten von Cobet5), Wecklein6),
v.Bamberg7), P. Cauer8), 0. Biemann9), Veiten10), Butberford11),
Stahl12), Lautensach18), K. P. Schulze14), Joost15) und Meisten-
hans16) — um nur die wichtigsten zu nennen — stets herangezogen
und für den Anabasistext kritisch verwertet worden. Wo die
Inschriften den alten Grammatikern und der Verwirrung der Hss.
gegenüber einheitlichen Sprachgebrauch zeigen, ist dieser mit
Becht als maßgebend angesehen worden; wo die Inschriften
schwanken und also auch Xenophon eine gewisse Freiheit zu-
gestanden werden muß, sind unter vorsichtiger Benutzung auch
*) Hippar chicas sive de magistri equitum officio, rec. Pius Cerocchi,
tterotioi 1901. — De re equestri libelliis, rec. Viucentius Touiuiasiui,
lierolini 1902. — Cynegeticus, rec. Ginus Pierleooi, Beroliui 1902.
2) Epigrainmata Graeca ex lapidibus collecta, ßerolioi 1878. — 3) De-
lectus iuscriptiouuni Graecaruin propter dialectum memorabiiiuin, Lipsiae 2
1883. — 4) Sylloge ioscriptioiium Graecarum, Lipsiae 1883 (jetzt 2 1898 —
1901). — 6) JNovae lectiones, Lugduni Bat. 1858. — 6) Curae epigraphicae,
Lipsiae 1869. — 7) Zar attischen Formenlehre, Zeitschr. f. d. GW. 1874
2>. 1 — 40; Tatsachen der attischen Forme u lehre ebda. S. 016 — 625; Jahresb.
«I. Phil. Vereins 1877 S. 1—17; 1882 S. 190—210; 1886 8. 1—59. — 8) De
dialecto Attica vetustiore, in Cortius' Studieo 1875 S. 223—302; 399—443.
— 9) Vgl. obeu S. 64 und Notes sur l'ortograpbe attiqoe, Bull, de corr.
bell. III S. 492— 507; IV S. 146—153; Le dialecte attique dap.es les iu-
scriptions, Rev. d. pbil. 1881 S. 45—180; 1885 S. 49—99. - 10) Greek
verbs irregulär and defective, Oxford 1879. — u) The new Phrynichus,
London 1881. — ia) Quaestiones grammaticae ad Thucydidem pertinentes,
Lipsiae* 1886.— 1S) Verbalflexion der attischen Inschriften, Gotha 1887. —
") Quaestiones grammaticae ad Xeoophoutein pertiaeotes, Berolini 1888. —
l5) Was ergibt sich aus dem Sprachgebrauch Xenophons in der Anabasis
für die Behandlung der griechischen Syntax in der Schule?, Berlin 1892. —
M) Grammatik der attischen Inschriften, Berlin 2 1888 (jetzt • 1900 von
£. Schwyzer mit erheblich erweitertem Material).
128 Jahresberichte d. Philo log. Vereins.
der Grainraatikerzeugnisse die Lesungen der besten Hss., beson-
ders Cpr., zugrunde gelegt worden. Danach ergeben sich gegen-
über der bisherigen falschen oder schwankenden Praxis, ins-
besondere Cobets und Hugs (ich füge die Schreibungen dfs
letzteren, wenn nötig, in Klammern bei), folgende Resultate:
A. Lautlehre. 1) Lesezeichen: Zu schreiben ist
a&qoog und ä&Qoi£(x> (bisher ä&Q.)> avium; o3 rj, oi\ ai mit
Akzent, wenn pronominal gebraucht; mit Wahrscheinlichkeit
Taprig, -w, -wv\ dvxevnoitXv (früher 3 W.); ovo* wc (*»$)•
<f(pi(n enkl. — 2) Vokalismus: M i&q a 6 dx «/$, 2vQaxo<fioc+
Id&tjpala und ^Ax^fjvä. sXäa (ikaia), alsxog (dsxog), xaioi
(xomö), xXaioa (xXdw), jedoch aiei und dei, die erstere Form
aber nur da, wo die guten Hss. sie haben. Tj{ii co ßsXtov (o und
o). Mit €i zu schreiben: fiei^co, tsIgw, OXsidaiog, zQstg xcci
6 ixet (bisher *), mit *: oixriQco, MaQwvixfjg, dvdxiov (bisher **);
nur mit v: vog und ög/vd (vi). Ohne * subscr. ngdog und
rtuiog, dagegen Ö-vfiaxw, XjjCopai, tuifiprJGx<tiy o~a>£o0, %QJl£<*>. —
3) Elision: Hier ist bei dem Schwanken der Inschriften
(Meisterhans 8 S. 69 f.) den besten Hss. zu folgen, welche die
Elision recht oft meiden, während Cobet (weniger Hug), dem
späteren Attizismus folgend, sie allzu reichlich in den Text ein-
führte. 4) Krasis: xäXXa (VI 1, 33 xd d'aXXa), weitere Einzel-
heiten s. Bemerkungen S. 541, xd avxo (xavxo) und xd avxov
(xavxov) sind gleichberechtigt, im Plural ist xavxd viel häufiger
atexdavxd. 5) Ausstoßung eines Vokals im Worte: olopai,
woprjv u s. w. sind, wo die guten Hss. sie haben, zu behalten,
ebenso aber oipat u. s. w. an ihren Stellen. 6) Konsonan-
tismus: 2r]lv[ißQLcc; yLdqhG a^Aögafivx iov (keine Gemination);
das v iysXxväxixöv vor Vokalen und am Ende der Sätze all-
gemein durchzuführen ist unstatthaft. Es ist nach den besten
Hss. zu setzen oder nicht, gleichviel ob vor Vokalen oder Kon-
sonanten. Im allgemeinen steht es so, daß in den Hss. das v
vor Vokalen seltener ausgelassen, vor Konsonanten häufiger
gesetzt wird. Es steht meist vor Sinnesabschnitten. In den
Inschriften nimmt sein Gebrauch zu, je näher wir der römischen
Zeit kommen; mit eixotii steht es ähnlich, ovzooe nicht vor a.
Fälle von Buchsta ben Verwechselung: nXfMT&evfjg (IV 6,
1 u. 3; 0Enic&€Vtig), Java (ßoava I 2, 20), Aedvvpog
(KXsoivvfiog IV 1, 18).
ß. Flexionslehre. 1) Deklination. Substantiva:
xcufAaQXog (Hss. -rjg), axdöioi und axddia, Gixia und aXxa%
vavXov V 1, 12, -wi>, aber auch -iatp im Gen. Piur. der Neutra
auf -og der 3. Dekl., -4ag, aber auch -etg im Acc. Plur. der
Wörter auf -evg; Adjekliva: &av[iaGxog und Öav[idoiog+
dnaqdaxevog, aber auch dnaQaGxevadioc, oqsivog, d&QOog*
Bvvooh (II 4,6), sonst tvvoi, <piXaix€QOf (<piXz€Qov); die kürzeren
Formen der Komparative auf -w und -ovg sind dreimal so häutig
Xeoophon, vod R. Ullrich. 129
als die auch zulässigen längeren auf -ova, -oveg, -opag, manch-
mal stehen kürzere ufld längere unmittelbar nebeneinander;
nXiovog u. s. f., aber auch et möglich, vor langem Vokal nur
**, Neutr. nur nXiov. Pronomina: Die Reflexivformen hamov^
avrov mit ihren Kasus, auch avzov je nach der besten Über-
lieferung, nag und anag (38 : 8). — 2) Konjugation. Verbal-
endungen: 2. P. Sing. Pass. Med. -# (nicht ei)\ Opt. Aor. Act.
3. P. Sing, -ca und -*#« (5:17), 2.P. Sing, -atg, 3. P. Plur.
-8HXV und -cuev (12:3); bei den Optativformen auf -eiri^sv
u. s. w. bezw. -tTpev überwiegen die unkontrahierten Formen
(5:3), -aiijfjLev u. s. w. und -atfisv (6:3), -olfjfisv u. s. w.
-otpsv (2:14), dagegen nur -ww und -<»*i>; I 4,8 schlägt G.
Itav vor (Hug I6vt(av)j läßt aber Urwtiav im Texte stehen;
vgL oben S. 120. — ■ Augment: st wird #, ev und av wird lyv,
von cdioxofiai nur idXco (mit den Inschriften gegen die National-
grammatiker, die auch ylw zulassen), txqo + e durchgehen ds
mit Krasis ttqov (die Hss. oft auch nqoa). Präsensstamm:
inipeXtta&at und intiis'lsti&cu, d-iloo und id-SXw, 112,3 und
13 will 6. statt der Formen övvovTog und övvovti die von dvofiav
(dvvrog und dvvtt) setzen, nach Meisterhans 8 178. Aber dessen
kategorische Erklärung: „dvoficci, nicht dvvw heißt untergehen"
läßt sich doch bei der Menge von Stellen auch bei andern Schrift-
stellern, die in guter Überlieferung Formen von dvvw haben,
nicht aufrecht erhalten, und ihr Fehlen in den Inschriften be-
rechtigt noch nicht, sie bei den Schriftstellern zu streichen; s.
daher oben S. 120; xccTaxaivco, xzeivco, äiroxTsivw, arcoxxivvvnv
nebeneinander, ebenso xvXivdoo, xvXi,vd£(x), xccXwdsoficu, qmtso)
und qimto nebst Komp., nqoataxsvacct V 6, 21 (ttqogtcczijgcu),
nizovTa* I 5,3 (nhavtcu). Futurstamm: Die Verba auf -dC(o
haben nur -crcn» (ikavwa hat iÄoo), nXsvaovfxai, nvevaoviicu,
(fsv^ovfiat neben nXeväOficci u. s. w. Per f. II Act.: diäoixu und
didtcr, idsdieaav V 6, 36 (ßdedtaav). Per f. Pass.: ai<ra)pai
(atöaxfiiai). Aor. I Pass: dnsxQi&rj, auch ansxqivaxo (II 1,22
u. 23 hintereinander). Unregelmäßige Verba: jjdsiv und ijdi],
dnjja (VII 6, 33); antiQ%ovTOt das von Cobet für unattisch gehalten
wurde (daher Hug &%ovro mit den det.) ist IV 6,22 zu belassen.
G. Syntax. Fehlen des Prädikats: In kurzen Sätzen
fehlt häufig iariv, besonders bei ärdyxr], dagegen nur selten
TJP, und G. ist geneigt (Bern. S. 552), es dann wiedereinzusetzen,
ebenso V 2, 26 den fehlenden Plural r\<sav mit den det. Ich
glaube nicht, daß wir dazu berechtigt sind, wo Cpr. das Prädikat
nicht hat; die Bemerkung von Meisterhans, welche G. an die
Spitze dieses Abschnitts stellt (jetzt in etwas genauerer Form 3
S. 195, §80, 1.3) hilft hier wenig; denn „Aufschriften unter
Statuen, auf Wegweisern u. s. f.u haben ihren eigenen, von dem
literarischen abweichenden Stil; vgl. daher oben (S. 114) zu
VJI 2, 13. Singular des Verbs beim Neutr. Plur. des
Jahresbericht« XXX. 9
130 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Subjekts kann nicht allgemein durchgeführt werden; Heister-
hans8 S. 198, §83, B, 5 bedarf der Ergänzung. Dualis des
No mens: ovo mit dem Dual des Subst. ist selten, meist steht
der Plural. Präpositionen werden oft vertauscht (Beispiele
Bern. S. 553), elq ist gewöhnlich, aber auch ig erlaubt, ebenso
verhält es sich mit avv und £rV, Ivtia und Zvextv. Der
Artikel: a) bei Eigennamen: Hier herrscht bei X. große Will-
kür, die besten Hss. müssen entscheiden; Hug war hierin nicht
konsequent. Auch bei der Apposition in Verbindung mit Personen-
namen ist der Gebrauch sehr mannigfaltig, teils stehen beide
ohne, teils beide mit Artikel, oder der Eigenname ohne, die
Apposition mit Artikel; G. hat (Beitr. II S. 21 f.) eine Einteilung
versucht. Jedenfalls hat man sich auch hier vor mechanischer
Gleichmacherei zu hüten; ebenso bei den Namen von Göttern,
Völkern, Ländern, Städten, Flössen und Festen (a. 0. S. 22—23),
b) bei Appellativen. Auch hier ist der Gebrauch sehr mannig-
faltig; interessant ist, wie verschieden der Artikel bei dem oft
begegnenden GTQCCTtjyoi xal Xo%ayoi gebraucht wird (Bern.
S. 556). — "ExaöTog muß den Artikel haben. Im Gebrauch von
Simplex und Kompositum finden sich viele Abweichungen
in den verschiedenen Hss.; nur die besten in Verbindung mit
der Beobachtung des Sprachgebrauchs können entscheiden. Tem-
pora: Das Imperfekt statt eines Aorists oder Plusquamperfekts
findet sich nicht selten bei X. gebraucht, ist aber oft gegen die
besten Hss. geändert worden und muß in seine Rechte ein-
gesetzt werden, ebenso nicht selten der Konjunktiv des Präsens
statt des Konj. des Aorists. Seltener ist der ursprungliche
Aorist von seinem Platze gedrängt worden. Modi: Hervor-
zuheben ist der von schlechten Hss. oft vernachlässigte Gebrauch
des Indikativs nach einem historischen Tempus in abhängigen
Aussagesätzen und indirekten Fragesätzen (Beispiele Bern. S. 558),
der seltene des Konjunktivs nach einem Nebentempus in Final-
sätzen (G. sammelt a. a. 0. S. 559 27 Beispiele aus Buch 1), desgl.
der des Imperfekts für den iterativen Optativ in hypothetischen
Relativsätzen (Joost a. a. 0. S. 250), der häuGge Gebrauch des
Infinitivs praesentis mit äv, des Infinitivs aoristi auch nach Verben
wie vnHSxvsXc&cu, sXni&iv u. ä., wo Hug oft gegen die guten
Hss. zum Futurum neigte, des InGnitivs aoristi an Stellen, wo
wir den des Präsens erwarten, desselben in Verbindung mit äv,
ebenso des Partizips mit äv (iterativ, IV 7, 16). JJqIv fj c. inf.
wird IV 5, 1 aus dem hs. nQwq (Cpr.) glucklich geschlossen und
konnte durch Meisterhans (8 S. 251, 13) gestutzt werden. Der
Gebrauch von idv, ijv, äv bezw. ineidäv, irnjv, inär muß sich
wieder nach den besten Hss. regeln (doch vgl. Beitr. II S. 31 f.);
Joosts Sammlungen zu insi und instar} (a. a. 0. S. 214 f.)
werden (Bern. S. 563) berichtigt. Jy wird statt ds in seiu
Recht mehrmals wiedereingesetzt, ebenso treffend darauf hin«
Xenophon, von R. Ullrich. 131
gewiesen, wie leicht es Verwechselungen mit ijdij bezw. iy, sowie
iu Majuskelschrift mit av und ccv ausgesetzt war, woraufhin
manche Stellen gebessert werden konnten, doch zu II 2, 1, II
3,28 und IV 1,24 (Bern. S. 564) vgl. oben S. 120 f.; ts und
yi konnten in Majuskel- wie Minuskelschrift, 16 und de bei
Minuskeln verwechselt werden; auch diese Beobachtung ist nicht
ohne Frucht geblieben.
So hat sich Gemoll auch um die Herstellung der echten
sprachlichen Form der Anabasis die größten Verdienste erworben,
indem er die Einseitigkeiten Cobets, der vor ihm dasselbe leisten
wollte, vermied und die Ergebnisse der Inschriftenforschung mit
der auch hier mit Recht hervorgehobenen besten hs. Ober-
lieferung aufs glücklichste verband. Die Bedeutung* dieser nun
geleisteten Arbeit kann kaum hoch genug angeschlagen werden.
Nicht allein daß wir jetzt einen erheblich besseren Text der
Anabasis haben als bisher, auf welchem Sprachwissenschaft wie
Geschichte sicherer forlbauen kann; auch der griechische Unter-
richt des Gymnasiums, der im ersten Jahre auf die Anabasis vor-
bereitet, im zweiten und z. T. noch im dritten an sie anknöpft,
wird sich der Pflicht nicht entziehen dürfen, aus den Resultaten
dieser Ausgabe nach der sprachlichen Seite hin die notwendigen
Folgerungen zu ziehen. Die grammatischen Lehrbücher
müssen noch mehr, als dies bisher (z. B. besonders bei
Kaegi) geschehen ist, einer gründlichen Durchsicht
unterworfen werden, die feststellt in der Formen-
lehre, was noch als richtig gellen kann, in der Syntax,
was gebräuchlich, was selten, aber doch nicht
schlecht ist. Die Steine reden eine zu deutliche Sprache, und
wenn» wie jetzt schon vielfach der Fall, Gemolls Text als der
iieste vorhandene allgemeiner in Gebrauch genommen wird, müsssen
die Grammatiken ihm folgen.
Konnte ich so in der Sache in diesem vierten und letzten
Abschnitt meiner Besprechung Gemoll fast überall zustimmen, so
bin ich andrerseits nicht ganz einverstanden mit der Form der
Kritik, welche er an Hug übt. Gewiß hat Hugs Ausgabe ihre
Mängel; aber was besonders die grammatische Seite der Texles-
rezension betrifft, so darf nicht vergessen werden, wie viel bequemer
wir es heute mit den handlicheren Inschriftensammlungen, statisti-
schen Zusammenstellungen aller Art und Verarbeitungen des in-
schriftlichen Materials nach den verschiedensten Seiten hin haben
als vor 25 Jahren Hug, der alle Einzelheiten aus den Bänden
des Corpus, soweit es eben vorlag, herausgraben mußte. Wo
waren da die Riemann, Diltenberger, Meisterhans und die andern
guten Freunde alle, die es uns jetzt so leicht machen! Freuen
wir uns also der Fortschritte, die wir inzwischen gemacht haben,
und lassen Hug die Ehre, auf die er Anspruch hat; denn seine
Ausgabe war für seine Zeit eine tüchtige Leistung.
9*
132 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Zum Schluß noch einige Äußerlichkeiten, Berichtigungen,
Wunsche, Die Ausstattung der Ausgabe verdient alles Lob. Die
Druckeinrichtung ist gut, durch häufiges Absetzen wird die Über-
sicht erleichtert, eine zweckmäßige Interpunktion kommt dem
Leser zu Hilfe. Eine kleine Nachlese von Druckfehlern ist schon
in früheren Besprechungen geliefert worden, ich fuge noch %(aqa
(VI 4, 7) hinzu. Der knappe kritische Apparat ist nicht vorr
sondern unter dem Text gegeben, entschieden ein Vorzug. Gern
sähe ich den Apparat etwas reichlicher, besonders nach der gram-
matischen Seite hin, doch wäre die Grenze des Zuzulassenden
freilich dann schwer zu ziehen. Sehr wünschenswert aber wäre
es, wenn der gelehrte Herausgeber, der auf dem Gebiete der
Xenophonliteratur bewandert ist wie wenige, bei einer hoffentlich
bald notwendigen Revision der Ausgabe sich entschließen könnte*
die Ausgaben, Abhandlungen u. s. w., auf die er sich zu den ein-
zelnen Stellen meist mit bloßer Namensnennung beruft, am Schluß
der Praefatio in chronologischer Ordnung kurz zusammenzustellen.
Die Benutzer der Ausgabe, und es sind doch nicht nur Spezial-
forscher, können sich dann etwas leichter weitere Belehrung holen«
als dies jetzt möglich ist.
Es liegt in der Natur der Sache, daß die zweite Oxforder
Ausgabe Dindorfs (1855), die Ausgaben Schenkls (1869) und Hugs
(1878) auch jetzt noch nicht entbehrlich geworden sind. Darum
hoffen wir, der Herausgeber werde seine Arbeiten über Xenophon
mit einer größeren kritischen Ausgabe der Anabasis abschließen,
die in der Tat notwendig ist. Hier wäre der Text wohl noch
erheblich enger, als es in der vorliegenden Ausgabe schon ge-
schehen ist, und unter Ausschließung aller nicht völlig sicheren
Vermutungen an Cpr. anzuschließen und das gesamte handschrift-
liche und gelehrte Material vorzulegen; ein ausführlicher Index
verborum hätte dann den an vielen Mängeln leidenden, überdies
hinsichtlich des Textes veralteten Dindorfschen zu ersetzen und
könnte ein Gegenstück zu dem in Kellers großer Ausgabe der
Hellenika vorliegenden und dem von zwei gelehrten Amerikanerinnen
für die Memorabilien jüngst gelieferten (vgl. u. Nr. IV) bilden.
So würde uns, nachdem wir auch für eine Anzahl der kleineren
Schriften gute Indices erbalten haben (s. o. S. 127, A. 1), annähernd
der ganze Wortbestand Xenophons, wie er auf Grund kritischer
Prüfung des Materials sich ergeben hat, vorliegen und dem Neu- .
bau eines Lexicon Xenophonteum, zu dem das alte, aber in Er-
mangelung eines besseren doch noch nicht ganz veraltete von
Sturz (1801 — 1804) noch manchen Baustein liefern würde, nichts
mehr im Wege stehen. Den Pessimismus des Herausgebers, der
in der Vorrede zu seinem kleineren Wörterbuch zu Anabasis,.
Hellenika und Memorabilien (Leipzig 1901, vgl, den nächsten
Jahresbericht) die Vorbedingungen für ein solches Unternehmen
nicht günstig findet, teile ich nicht in einer Zeit, die uns so viele
Xenophon, von B. Ullrich. 133
vortreffliche Werke auf dem Gebiete der griechischen Altertums-
wissenschaft teils geschenkt hat, teils schenken wird. Der klassische
lateinische Prosaiker hat seinen mustergültigen Lexikographen ge-
funden; es wäre schade, wenn der entsprechende griechische
noch Jahrzehnte darauf warten sollte, nachdem die Erkenntnis
seines Sprachgebrauchs, nicht am wenigsten von G. selbst, in den
letzten Jahrzehnten durch so viele treffliche Arbeiten gefördert
worden ist. Einem so sachkundigen Bearbeiter wie G. würde ein
verständnisvoller Verleger nicht fehlen. Daß eine wissenschaft-
liche, erklärende Ausgabe unseres Autors (an Schulausgaben
ist kein Mangel) ebenfalls ein dringendes Bedürfnis ist, soll hier
nur angedeutet werden.
23) Xeoophons Anabasis. Textansgabe für den Schulgebranch von
W. Gern oll. (Schultexte der ßibliotheca Teubneriana.) Leipzig und
Berlin 1902, B. G. Teubner. Zweite (Titel-) Auflage. XXXIV u.
297 S. 8. geb. 1,60 JfC.
Anzeige: F. Müller, Berl. phil. WS. 1898 Sp. 1181.
Gemolls „Schultext" der Anabasis vom Jahre 1896 hat in
den Fachzeitschriften, wie die einzige oben verzeichnete, zudem
ganz kurze Anzeige beweist, nicht die Beachtung gefunden, die
er verdient, sowohl was die Textesgestaltung selbst angeht wie
die Beigaben, welche die Brauchbarkeit in der Schule zu erhöhen
bestimmt sind. Ich gehe deshalb aus Anlaß des (unveränderten)
Neudrucks etwas näher auf die Ausgabe ein, indem ich für viele
Einzelheiten auf meine Besprechung der editio maior (S. 108 IT.)
verweise.
G. bietet einen vollständigen Text der Anabasis, was
durchaus zu billigen ist. Der Lehrer wird, wenn er nicht ganze
Bücher lesen will, selbst am besten eine Auswahl treffen und
darf nicht von vornherein gebunden werden. Deutsche Über-
schriften im Texte oder am Rande sind nicht gegeben, dagegen
hat G. versucht, am Rande die Chronologie durch Angabe der
Daten zu bezeichnen (vgl. auch S. XXX — XXXIV). Reichliche
Interpunktion, ebenso reichliche Absätze erleichtern die Übersicht
und das Verständnis; die Hauptpunkte sind durch Sperrdruck
hervorgehoben. Doch ist von diesem Mittel, wie mir scheint, zu
häufig Gebrauch gemacht worden (vgl. z. B. S. 1,6, 23, 26.) Ich
würde auch darauf lieber ganz verzichten; bei der an sich schon
splendiden Druckeinrichtung heben sich übrigens die gesperrten
Worte, besonders wo sie sehr zahlreich zwischen anderen vor-
kommen, nicht immer deutlich genug ab, und das Auge wird
nicht angenehm berührt.
Der Text selbst, dessen Gestaltung G. in den oben (S. 108
unter t — 3) erwähnten Abhandlungen vorbereitet und in den
„Bemerkungen1' (ebenda 5) begründet hatte, ist illcht etwa nur
ein wenig veränderter Abdruck des Hugschen, sondern eine
nach selbständigen, durchaus zu billigenden Grundsätzen des
134 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Herausgebers durchgeführte Neubearbeitung, die auf jeder Seite
einen Fortschritt bezeichnet. Durch genaue Prüfung der Hss»
und ihres Abhängigkeitsverhältnisses voneinander, besonders durch
die Erkenntnis der Bedeutung und auch wirkliche Verwertung
von Cpr. (Parisinus 1640) ist die Kritik auf eine neue Grundlage
gestellt worden; die Versuche Cobels und anderer, der Sprache
Xenophons durchgehends die attische Reinheit zu geben, werden
zurückgewiesen und so unter Hervorhebung der Lesungen von
Cpr. und Heranziehung der attischen Inschriften für Fragen der
Orthographie und Grammatik ein erheblich richtigerer Text der
Anabasis gewonnen. Hoffentlich wird auch alimählich erreicht,
daß die Neuerungen der letzten Art (vgl. oben S. 128 ff.) in den
Schulgrammatiken, die neben der Anabasis gebraucht werden r
Berücksichtigung finden. Übereinstimmung hierin ist auch im
didaktischen Interesse notwendig.
G. hat 1898, zwei Jahre nach Erscheinen des ersten Drucks
dieser Ausgabe, Cpr. noch selbst verglichen und dadurch, sowie
durch wiederholte Nachprüfung fremder und eigener Konjekturen
in seiner größeren Ausgabe (vgl. Nr. 22) einen in vieler Hinsicht
noch besseren Text gewonnen. Es wäre zu wünschen, daß der
Verleger sich bereit finden ließe, dessen Vorzüge auch dem „Schul-
text" bald zugute kommen zu lassen. Da ich jene Ausgabe obent
ausführlich beeprochen habe, kann ich hier darauf verzichten,
mich zu einzelnen Stellen, bei denen ich abweichender Meinung
bin, zu äußern; ich will nur dies auch hier noch besonders her-
vorbeben, daß G. nach meiner Meinung unter Ausschluß vieler
fremder und eigener Vermutungen sich vielleicht noch enger, als
er es getan bat, an Cpr. anschließen könnte. Natürlich muß die
Schulausgabe, darin stimme ich dem Herausgeber durchaus bei,
einen lesbaren Text bieten und sich in verzweifelten Fällen
einer, wenn auch unsicheren Vermutung bedienen (z. B. III 4, 21 ;
IV 8, 27; VII 4, 18 u. ä.; vgl. Nr. 22 zu den St.). Ich glaube
aber, daß wir selbst unter diesem Gesichtspunkte an einer ganzen
Reihe von Stellen, wie ich oben gezeigt habe, der Änderungen
völlig entraten können.
In der Einleitung (S. VII— XXXIV) gibt G. zunächst (S. VII
— IX) eine knappe Übersicht über Xenophons Leben. Hier ist
S. VII Z. 2 v. u. „Leuktra" zu schreiben. Der Ton scheint mir
in diesem Abschnitt für einen Obertertianer zu hoch, auch könnte
das persönliche Moment etwas mehr hervortreten. S. IX — X!
folgt eine Obersicht über X.s Schriften, die G. in historische*
philosophische, nationalökonomische und technische gliedert. Die
Anabasis trägt ein einheitliches Gepräge; bei den Hellenika denkt
G. an Abfassung nach Partieen. Den Themistogenes läßt er eine
besondere Anabasis verfassen. Über die Abfassungszeit der ein-
zelnen Schriften gibt G. bestimmtere Daten, als wir nach Lage
der Dinge wissen können. Der „Agesilaos" sollte nicht mehr für
Xenophon, von R. Ullrich. 135
unecht erklärt werden. Vielleicht konnten in einer Schulausgabe
iiie zahlreichen kleineren Schriften überhaupt beiseite gelassen
und dafür die drei Schulschriften etwas eingehender behandelt
werden, mehr in bezug auf ihre Bedeutung nach Inhalt und Form
als nach der literarhistorischen Seite, die hier zu sehr in den
Vordergrund tritt. Für vortrefflich und bei aller Knappheit doch
für genau genug halte ich den Abschnitt über das griechische
Kriegswesen zu Xenophons Zeit, der über Bewaffnung, Truppen-
gattungen, Elementartaktik, Söldnerheere, Märsche, Lager und
Schlacht (S. XI — XXIII) handelt. Der Schüler hat hier ein Gegen-
stück zu dem Abriß von Rudolf Schneider in Meusels Cäsarausgabe.
Auch die taktischen Neuerungen Xenophons (X6%oi, oq&ioi,
Reserve; vgl. oben S. 94) haben S. XVI ihre Stelle gefunden.
Dieser Abschnitt wird durch eine Waffentafel am Schluß veran-
schaulicht. Die nach Kapiteln gegebene Obersicht des Inhalts der
ganzen Anabasis (S. XXIV — XXIX) halte ich für entbehrlich; vgl.
oben S. 101. Endlich gibt G. am Schlüsse der Einleitung (S. XXX
— XXXIV) eine Zeittafel; daß hier manches unsicher bleibt, ist
natürlich; man darf aber Xenophon keinen Vorwurf daraus machen,
daß er in seinem Werke Ausdrücke wie fjpiQag Ttlslovg ij
slxotit, äfupi rag tqmxxovtcc u. ä. gebraucht; Memoiren sind
keine Annalen. Das Verzeichnis der Eigennamen (S. 274 — 297)
ist sehr ausführlich; die Zusammenstellungen aller Stellen über
die einzelnen Heerführer u. ä. (vgl. z. B. Bevocpwv, 'EXXtjvsg u. a.)
sind sehr nützlich und geben Biographieen in nuce. Zu i€Q<avvpog
vgl. oben S. 114 f. Die übliche Karle ist beigefügt.
Ich stehe nicht an, diese Schulausgabe der Anabasis als die
beste zu bezeichnen, die wir zur Zeit haben. Ausstattung und
Druck sind gut.
B) Beitrage zur Kritik und Erklärung; der Anabasis.
24) Panl Cauer, Grammatica militans. Erfahrungen und Wünsche
im Gebiete des lateinischen und griechischen Unterrichts. Berlin
1898, Weidmannsche Buchhandlung. VIII u. 168 S. gr. 8. geb. 3,60 Jt.
(Zweite, vielfach verbesserte und zun Teil umgearbeitete Auflage
1903. VIII u. 182 S.)
Anzeigen: M. Wetzel, Gymnasium 1899 Sp. 11—15. — 0. Weißen-
fels, WS. f. klass. Phil. 1899 Sp. 76—81. — Meltzer, Württ. Korr.
1899 S. 68—71. — F. Müller, Berl. phil. WS. 1899 Sp. 532—536. —
0. Weißenfels, DLZ. 1899 Sp. 536. — H. Ziemer, Ztschr. f. d. GW.
1899 S. 395—403. — A. Dittmar, N. Jahrb. f. d. klass. Alt. 1899.
II, S. 142—150. — A. Frank, Ztschr. f. d. Ost. Gymn. 1899 S. 319—
321. — E. Martinak, Österr. Litbl. 1899 S. 174. — K. Rück, Bl. f. d.
GSW. 1900 S. 82— 8S. — 2 0. Weißenfels, WS. f. klass. Phil. 1904
Sp. 300 f.
Anlage und Bedeutung von Cauers Schrift, als Ganzes be-
trachtet, sind in den angeführten Besprechungen gewürdigt worden,
und besonders die von Meltzer und Ziemer haben, wie C. S. VI
,136 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
selbst sagl, fördernd auf die neue Auflage eingewirkt. Daß die
Grammatik bei dem ersten griechischen Schriftsteller, der den
Schulern des Gymnasiums in die Hände kommt, bei Xenopbon,
als Vorkämpferin geistiger Bildung eine Rolle zu spielen hat,
ist selbstverständlich, und Verf. hat denn auch sieben Stellen der
Anabasis (Hl 1, 12, sowie mehrere Stellen des Thukydides fehlen
übrigens im Index 2 III) und drei der Memorabilien (die dritte,
II 6, 31, ist in der zweiten Auflage hinzugekommen) behandelt.
Da sie in den genannten Anzeigen keinen Platz gefunden haben,
mögen sie hier kurz besprochen werden.
In Abschnitt VII (Tempora) werden S. 95 (2 99) im An-
schluß an die übliche Unterscheidung der Handlung des Aorist-
und Präsensstammes (Eintreten, Dauer) einige Fälle der Anabasis
besprochen, für welche diese Erklärung nicht mehr genügt: I 1, 8
rjfyov do&rjvai ol tavvccg rag noletg päkkov jj TiöCCKpeQVTjv
iiqi%iv avtäv ist die „schnell sich vollziehende im Gegensatz
zur dauernden" gemeint (C. zieht zur Erläuterung a S. 168 Anm. 63
treffend noch Thuk. I 103,3 heran: xQijfjLara, oaa sdst,, äno-
dovvcti ccvvixa Ta£d(t€poi> aal %6 Xomöv ipig€iv)\ 111 3,5
d i iy-d- siqov nqcxnovveg Tovg fSiqaxtdxag xal %va ye Xoxayöv
6i£(p&€iQav bezeichnet der Aorist den Abschluß der Handlung.
Beim Infinitiv und Partizip des Präsensstammes sind die Schuler
daran zu gewöhnen, daß beide nicht auf die Zeitstufe der Gegen-
wart beschränkt sind, sondern sich auch auf etwas Vergangenes
beziehen können, so Mem. 116, 31 ninsiGfia* and %qg 2xvXXyg
dtä tovto (psvye&v rovg av&QWTtovc, or* tag %€%qag avzolg
7TQoa£(psQ€, wo das benachbarte 7tQoüiq>eqe deutlich in die Ver-
gangenheit weist.
Auch die übliche Regel, daß abhängige Aussagesätze unver-
ändert so bleiben, wie sie als direkte Rede waren, wenn das
regierende Verbum präsentisch ist, dagegen nach einem Präteritum
in den Optativ treten, erleidet manche Einschränkung, da die
unveränderten Modi auch in der „Sphäre der Vergangenheit4' sich
finden (Abschnitt VIII, Modi), so z. B. (S. 107 f., 9 114) II 1, 3
eXsyov oxi Kvgog fisv ri&vrixsv, *AqiaTog di 7t swevy (og iv
im GTctd-fjbM €%tj, II 4, 16 ÜQo&vog einevy oxt aviog slp& ov
ZfjxsTg; bei der Frage, wie diese Abweichung zu erklären sei,
ergibt sich, daß hier wie in allen ähnlichen Sätzen zwei Vor-
stellungsweisen vermischt sind. Wenn im Nebensatze die Form
des Hauptsatzes beibehalten wird, so ist er eben noch nicht völlig
zum Nebensatz geworden, vielmehr schreibt der Erzähler vom
Standpunkte der andern Person aus, in „deren Seele er sich so
lebhaft versetzt, daß er sich dieser Verschiebung gar nicht bewußt
bleibt". Ebenso ist VII 6, 23 idsi %ä ivi%VQa xoxe XaßeTv, tag
fAfjd' el ißovXero iSvvaro e^anaxäv der von den Grammatiken
meist als etwas Absonderliches behandelte Indikativ des Prä-
teritums im Finalsätze (S. 109, 2 115 f.) durchaus normal, weil
XenophoD, vod R. Ullrich. 137
der regierende Satz eine Aussage enthalt, die mit dem Bewußt-
sein des Gegensatzes zur Wirklichkeit ausgesprochen wird.
Im Abschnitt X (Bedingungssätze) wird zu Mem. 1 3, 5
Zo)xQcitt]g ovx enivsv, rf fiij diipwt] darauf hingewiesen, daß
Zeitsätze, die eine wiederholte Handlung ausdrucken, im Griechi-
schen das Gepräge von Bedingungssätzen tragen (S. 133, ' 140),
und zum Gebrauche von ov im Bedingungssatze An. f 7, 18
(andere Stellen bei Rehdantz-Carnuth) ei iv xavxatg ov payßXxai
%atg qfitQcug S. 144 (2 151) im Gegensatz zu gewaltsamen Er-
klärungsversuchen mit Recht der ältere, gelegentlich wieder auf-
tauchende Sprachgebrauch zur Erklärung herangezogen, dessen
ov erst durch Angleich ung an die wunschartigen Bedingungssätze
zu pij wurde.
In dem Kapitel IV endlich, welches der Logik und Psycho-
logie gewidmet ist, erscheint als besonders bezeichnender Fall,
in dem von grammalischer Korrektheit scheinbar hart, aber aus
psychologischer Wirkung heraus mit Recht abgewichen ist, die
Steile Mem. I 2, 32 ort rtavpaatov ol doxoirj elvcu, ei %ig
yevofievog ßocbv äyilyg vopevg xal rag ßovg iXdtxovg %e xal
Xeioovg noioov fit] opoXoyoii] xaxog ßovxoXog elvai, hi 6i
&av(ia0tÖTeQOV, ei xig 7iqo(Sxaxr\g yevofievog noXeoag xal noicav
zovg noXixag Harro vg %e xal %eioovq firj alö%vv€tai, xtL
(S. 57). Von dem Parallelismus der beiden Glieder ist ab-
gewichen, damit der Leser merken soll, daß der zweite Fall etwas
Wirkliches ist.
Der Verf. hat S. 4 den hohen Gedanken ausgesprochen, daß
die Syntax (und die griechische gewiß nicht weniger als die zu-
nächst hervorgehobene lateinische) nicht bloß Mittel zum Zweck
der Lektüre sein soll, sondern beide vielmehr Mittel zu dem
„gemeinsamen, höheren Zwecke, der Durchbildung und Ausbildung
des Geistes" sein sollen. Die Besprechung der obigen Stellen
hat, glaube ich, gezeigt, wieviel ein feinsinniger Interpret erreichen
kann, wenn er sich von dem Schematismus, welcher den gram-
matischen Unterricht so in Verruf gebracht hat, ebenso frei hält,
wie andrerseits den Schlagwörtern mancher Neueren, welche die
Grammatik höchstens als Magd der Lektüre noch gellen lassen
wollen, eine Behandlungsweise im Unterricht entgegensetzt, die
mit psychologischen Erwägungen gelegentlich auch eine historische
Betrachtung zu verbinden weiß, welche die geistigen Kräfte in
hohem Grade anregt und so ungemein bildend zu wirken im-
stande ist Es ist natürlich, daß derartiges, was Xenophon angeht,
seine Stelle hauptsächlich in der Obersekunda finden wird, in der
ja, wie in den oberen Klassen überhaupt, seit 1901 wieder ein
etwas größerer Raum für grammatische Unterweisungen auch im
Griechischen gewonnen ist. Indessen wird manches von dem,
was z. B. S. 55 über die Attraktion, S. 61 (* 63) über den passivi-
schen Aorist der einen Affekt bezeichnenden Deponentia gesagt
138 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
wird, auch schon in Obertertertia und Untersekunda mit Nutzen
zu verwerten sein, um auch auf dieser Stufe die syntaktischen
Belehrungen immer mehr der bloß mechanischen Aneignung zu
entziehen und sie einem tieferen Verständnis entgegenzuführen.
Wie alle Arbeiten des Verfassers ist auch diese sehr anregend
und wird besonders denen, die von der Universität — nicht bloß
durch ihre Schuld — gründlichere Kenntnisse in der griechischen
Grammatik und lebhafteres Interesse für sprachliche Betrachtungen
nicht in das Schulamt mitbringen, reiche Förderung bieten und
zum Studium Lust machen, um so mehr, als die Anmerkungen
(S. 153—161; 2 160—175) nicht bloß auf die allbekannten Haupt-
werke, sondern auch auf eine Beihe vortrefflicher grammatischer
Einzeluntersuchungen hinweisen und des Verfassers Stellung zu
ihnen kennzeichnen.
25) Hippolyte Taine, Xenophon. Die Anabasis. (In: H. T., Studien
zur Kritik and Geschichte, autorisierte Übersetzung von Paul
Kühn und Agathon Aal), mit einem Vorwort von Georg Brandes.
Paris, Leipzig, München 1898, Albert Langen. r XXVIII u. 551 S.
gr. 8. 10 JC. S. 24—49.)
Anzeige: \V. Koepp, BerlTphil. WS. 1900 Sp. 205—209.
36 Aufsätze des großen französischen Historikers und Philo-
sophen sind in diesem Sammelbande vereinigt; nur drei gehören
dem Gebiete des klassischen Altertums an, außer der Abhandlung
über Xenophou noch die über Piaton und Mark Aurel.
Der Aufsatz aber X. ist eine der ersten Arbeiten Taines; er
erschien kurze Zeit, nachdem dieser auf der Ecole normale
superieure die Grundlage philologischer und historischer Bildung
erhalten hatte. Das Original ]) ist in Deutschland, wie ich aus
derXenophonliteratur der letzten Jahrzehnte ersehe, wenig bekannt;
vielleicht trägt die nun vorliegende Obersetzung dazu bei, dem
abzuhelfen. Denn der Aufsatz zeigt schon alle Vorzuge, die den
späteren Hauptwerken eigen sind, liebevolles Versenken in den
Stoff und die so gewonnene Erkenntnis des Wesentlichen und
Charakteristischen, packende Erzählung, glänzenden Stil. Taine
sieht das Memoirenwerk der Anabasis mit dem Auge des Künstlers
an; er hat sein Wohlgefallen an vielen kleinen, feinen Zügen der
Erzählung selber, die ungesucht und darum wirksamer als lange
Reflexionen fesseln, und sucht auch seine Leser davon zu über-
zeugen. Mit Erfolg, wie ich glaube. Denn obwohl ein halbes
Jahrhundert seit dem ersten Erscheinen dieses Aufsatzes ver-
gangen ist, scheint er mir nicht nur nicht veraltet, sondern gerade
jetzt, wo nach den Jahrzehnten der Kleinarbeit die größeren
Fragen nach der Kunst in der antiken Prosa wieder in den
') Bequem zugänglich z. B. in den Essais de critique et (Fhistoire par
Ji. T, deuxieme edition (Paris 1866, Hachette) S 127—173.
Xeuophon, von R. Ullrich. 139
Vordergrund des Interesses getreten sind, erst recht geeignet,
seine volle Wirkung zu tun — besser freilich im Originale als
in dieser Übersetzung (s. darüber unten S. 143 fl.). Die künftige
wissenschaftliche erklärende Ausgabe der Anabasis wird von dieser
Seite durch Taines Gedanken reiche Förderung erfahren. Um
der Person wie der Sache willen scheint es mir daher gerecht-
fertigt, im folgenden etwas mehr ins einzelne zu gehen, als
es sonst bei einem Aufsatze gleichen Um langes notig und er-
wünscht wäre.
T. gibt (S. 25 d. Obs.) in anspruchsloser Weise als Zweck
seiner Abhandlung über die Anabasis an: ,.Je demande la per-
mission d'en citer et d'en commenter quelques pages" (S. 128
d. Orig.). Er sieht ihren Vorzug in zwei Dingen, in dem Interesse
des Berichts und noch mehr in der Schönheil des Stils. Dies
nachzuweisen, gibt er in zwei Abschnitten eine Übersicht über
die ersten vier Bücher, indem er teils selber den Inhalt kurz zu-
sammenfaßt, teils, und besonders an wichtigen Stellen, Xenophon
zu Worte kommen läßt. In letzterem Falle dient ihm entweder
die genaue Übersetzung selbst als bester Kommentar zur Be-
zeichnung der Verschiedenheit „der beiden Zivilisationen4', oder
er knüpft — hier selbst ein natürliches Kind seiner Zeit — an
die Wiedergabe der Gedanken Xenophous eigene Beobachtungen
der verschiedensten Art. Und wenn der heutige kritische Leser
vielleicht hier und da von der Begeisterung des phantasie vollen
Romanen etwas abziehen wird, der in der Tat oft mehr Lob-
redner als Kritiker ist, so wird ihm doch der Blick geschärft für
viele Dinge, die Taines feine Beobachtungsgabe ebensosehr wie
sein Bestreben, große Zusammenhänge aufzudecken, erst in die
rechte Beleuchtung gerückt hat.
Von Einzelheiten möchte ich folgende hervorheben. Daß X.
keine allgemeine Betrachtungen anstellt, sondern die Tatsachen
selbst reden läßt, ist dem Verf. mit Recht als ein charakte-
ristischer Zug unseres Erzählers erschienen, so in der Einführung
I 1 (S. 26), dem Schlachtbericht l 8, 1—3, 8-29 (36 fT.), der
knappen Erzählung von der Ermordung der Generale II 5,32 t.
(36), dem „merkwürdigen und belebten44 Bericht über die Aben-
teuer bei den Karduchen IV 1,7—2,23 (41 ff.), der Schilderung
der Not in Armenien IV 5, 16 — 18 (45) und dem Überfluß
29 — 33 (46 f.), wo X. „nicht auf den Gegensatz aufmerksam
macht, sondern nur berichtet; wir haben die unter der Natur
verborgene Kunst und den Gegensatz der Gemälde, der unter
der Gleichmäßigkeit des Berichts verhüllt ist, herauszufühlen'4;
ähnlich in der Schilderung der Szene im Gebiet der Taochen
IV 7, 13. 14, wo die Weiber ihre Kinder von der Mauer stürzen
und der habsüchtige Hauptmann Äneas von einem Feinde mit in
die Tiefe gerissen wird, in den kurzen Notizen über die gräßlichen
Chalyber IV 7, 16, die uns „die wilden Gesichter dieser un-
140 Jtthresbcrich te d. Phiiulog. Vereius.
bekannten Rassen in der Vorstellung, in Verkürzung und gleich-
sam im Vorbeigehen sehen lassen" (47).
Eigentümliche Züge des hellenischen National-
charakters, von denen uns manche unvorteilhaft scheinen
mögen, und ihre Schilderung in der Anabasis geben Taine Anlaß,
sie in ihrer Besonderheit zu kennzeichnen ; so die freimütige Art,
wie f 4, 12 von der Beruhigung der aufgebrachten Soldaten
durch Sold gesprochen wird (28) (vgl. auch S. 40), die groß-
artige Freiheit selbst der einfachsten, an republikanische Sitten
gewöhnten Soldaten 1 5, 11 — 17 in besonderem Gegensatz zu
der Unterwürfigkeit der vornehmsten Perser 1 5, 7 f. (29); in der
Antwort des jungen Theopomp auf die durch Phalinos überbrachte
Aufforderung des Königs zur Übergabe II 1, 12 findet T. nicht
mit Unrecht „eine Spur des denkenden Geistes, den die Meister
der Beredsamkeit und der Weisheit in den jungen Leuten zur
Entwickelung gebracht hatten" (33), und daß die Griechen nach
den überstandenen Mühseligkeiten gleich nach der Ankunft in
Trapezunt IV 8, 26 — 28 Spiele veranstalten, ist ihm bezeichnend
dafür, daß „körperliche Übungen und der Ruhm, öffentlich zu
siegen, die erste Freude und das erste Bedürfnis dieses Volkes
von Athleten und Künstlern waren" (48). Von der reizenden
Episode der Frauen und Mädchen am Brunnen in dem Armenier-
dorfe IV, 5, 9 meint er (S. 45), ein Römer würde sie weggelassen
haben; X., in der Liebe zu den Dichtern erzogen, erzähle sie
mit ebensoviel Sorgfalt wie Homer die seine von Nausikaa, und
in den charakteristischen Worten Xenophons zu seinen Soldaten
im Kampfe gegen die Kolcher IV 8, 14 "Avdqeq, ovzol slow
ovg ogäze ftopoi eu rmtv epnodiÄv %6 fiy qdtj elvat, evd-ct
TtccXai i<fnevdo[i€V tovTOvg, r\v ncog dvvuifie&a, xni ooftovs dt*
xavt€(pay€tp findet er „das Wort Achills" wieder, „als er seinen
Fuß auf die Brust Hektors setzte44 (48).
Seine Neigung und Fähigkeit, Altes und Neues in Be-
ziehung zu setzen, verleugnet T. auch hier nicht. Die Griechen
gehen ihm nach Asien „wie die ersten Schiffahrer (s. u. S. 145)
in die neue Welt" (27); der furchtbare Eindruck der griechischen
Truppe auf die Barbaren 1 2, 17 f. läßt ihn der abergläubischen
Furcht gedenken, mit der Mexikaner und Peruaner die Cortez
und Pizarro ansahen (26)'; die Versprechungen des Kyros an die
Griechen I 7, 5 — 7 bringen ihn auf die märchenhaften Ver-
heißungen Atahualpas an die Gefährten Pizarros, und zu der
berühmten Stelle IV 7, 22 — 26 (GcHarra, &älctiTcc) bemerkt
er, so „glaubten heute die Engländer zu Hause zu sein, wenn
sie das Meer sähen". Und handelt es sich an diesen Stellen
mehr um einzelne Züge, die dem Leser lebendiger werden, wenn
er sie mit denen anderer Menschen und Völker vergleicht, so
unternimmt er es, in der Charakteristik der denkwürdigen Rede
Xenophons III 2 den ganzen Gegensatz antiken und
Xenopboo, von R. Ullrich. 14[
modernen (wir dürfen wohl hinzufügen, romanischen, ins-
besondere französischen) Denkens und Redens zu entwickeln,
mit solchem Freimut und solcher Offenheit, ja Schärfe (T. schrieb
dies unter Napoleon 111. und hatte wohl seinen großen Oheim
besonders im Auge), daß wir nicht bloß seinen Geist, sondern
auch seinen Charakter bewundern. Hier militärische Prahlerei,
gewaltsame Erregung der Phantasie („l'accompagnement naturel
de l'eau-de-vie qu'on vewe aux soldats avant la balaille" !), hohles
Pathos, schöne Lügen — dort Tatsachen, bündige Gründe, ein-
fache Wahrheiten gegenüber praktischen Leuten, die „dank ihrer
republikanischen Erziehung daran gewöhnt sind, selbst zu urleilen".
Er sagt hier treffend (S. 39 der Obers.): »Die modernen Menschen
gelten als positive Menschen, und man spricht zu ihnen wie zu
Dichtern; die Griechen gelten als Dichter, und man spricht zu
ihnen wie zu positiven Menschen".
Vortrefflich ist auch, was T. über die Art sagt, in der X.
seine Erzählung durch kleine Züge belebt, die den Neueren (doch
wohl wieder mit der eben bemerkten Einschränkung !) oft lächer-
lich erscheinen, weil (35) „eine große Unternehmung aus großen
Entschlüssen und großen Ereignissen bestehen sollu, die aber
gerade „zur Einbildungskraft sprechen, ihr die Gegenstände nahe
bringen und dem Bericht seine romanhafte Färbung nehmen4*;
so I 5, 1 — 3, wo von Flora und Fauna Arabiens die Rede ist
(darum vgl. o. S. 100, Z. 6 v. o.), Bildern, „in denen die Zeichnung
mehr betont ist als die Farbe" (29), II 2, 8 f., 20 f., wo seltsame
Opfergebräucbe und das köstliche Wort Kiearchs erwähnt werden,
es solle der ein Talent zur Belohnung erhalten, welcher den an-
zeige, der „den Esel zwischen die Waffen habe laufen lassen"
(35). Taine erklärt, es sei ihm vorgekommen, als habe er aus
solchen und hundert ähnlichen Dingen zum ersten Male erkannt,
was der Marsch eines Heeres bedeute, gleichwie „jedermann (tout
le monde aujourd'hui connait et admire...!) heute" aus Beyle-
Stendhäls Bericht über Waterloo in der Chartreuse de Parme
(der deutsche Leser wird Treitschke dafür einsetzen) das Wesen
einer Schlacht; und was er endlich über die Klarheit der Porträts
der ermordeten Generale, insbesondere das Kiearchs (II 6, 1 — 15)
sagt (36 ff.), ist nicht bloß deswegen interessant, weil es zeigt,
wie der moderne Künstler mit feiner Nachempfindung die Formen
des antiken zu schätzen weiß, sondern enthält in der Erkenntnis
einer Eigentümlichkeit xenophontischen Stils (das Porträt Kiearchs
ist voll von Zügen, die mit liebenswürdiger Nachlässig-
keit wiederholt werden u. s. w.) auch ein wichtiges Ergebnis,
das, wenn gekannt und recht beachtet, manche irrigen An-
schauungen neuerer Gelehrter nicht hätte aufkommen lassen;
vgl. oben S. 110 und 115. T. möchte hier den Stil X.s mit dein
Commines' vergleichen, wenn ein „Barbar des 15. Jahrhunderts,
ein Burgunder und Ratgeber Ludwigs XL" dazu geeignet wäre.
142 Jahresberichte d. Pbilolog. Vereius.
im einzelnen ist manches von dem, was T. hier ausfuhrt (37
d. Übers., z. B. : „X. ist hier wie ein Mann, der ein neues Land
entdeckt") nach Schacht, Bruns und Norden (a. a. 0.) einzu-
schränken. Das Wesen des Stils griechischer Künstler (S. 46;
er hätte aber etwa hinzufügen sollen, des Tbukydides und Xenophon
in der Anabasis und, wenn die bildende Kunst eingeschlossen
wird, der ihrer Zeitgenossen) umschreibt er in der Hauptsache
richtig mit den Worten: „Sie beschäftigen sich weniger damit,
eine starke als eine gerechte Wirkung hervorzubringen. Sie
denken daran, die Natur wiederzugeben und nicht einen Eindruck
auf die Leser zu machen".
Von der Persönlichkeit X.s selbst spricht T. nur selten.
Was er aber darüber sagt (z. B. S. 38 zu III 1 ff.), ist gerechter
und vorurteilsfreier als das Urteil mancher Gelehrten nach ihm
(vgl. besonders oben zu Nr. 3).
Dieser Überblick über den Aufsatz Taines, dessen Ergebnisse
mit Absicht mehrfach wörtlich wiedergegeben sind, hat wohl ge-
zeigt, worauf seine bleibende Bedeutung beruht; manche Einzel-
heiten mögen, wie schon betont, anfechtbar sein *), manche Auf-
fassung auch, weil sie zu einseitig an französischen Kulturzuständen
in Taines Zeit gemessen wird und so durch die Wucht des Kon-
trastes einen extremen, für eine unbefangene Würdigung griechischer
Kunstprosa damaliger Zeit zu günstigen Charakter erhält, der Be-
richtigung bedürfen, auch auf einen kritisch gesicherten Text legt
der Verf. wenig Wert — als Ganzes angesehen erscheint mir aber
diese Charakteristik der ersten vier Bücher der Anabasis zu dem
Besten zu gehören, was über X. überhaupt geschrieben worden ist.
Was über Inhalt und Form des französischen Originals gesagt
worden ist, gilt nicht in dem gleichen Maße von der deutschen
Übersetzung und dem, was sonst geschehen oder vielmehr
nicht geschehen ist, deutschen Lesern die Benutzung dieses uud
der andern in dem Sammelbande vereinigten Aufsätze zu er-
leichtern.
Den Mangel eines Registers zwar teilt der Band mit manchen
andern; nicht zu rechtfertigen ist aber die vornehme Art, mit
der Herausgeber und Übersetzer hier dem deutschen Publikum
einen verdeutschten Text vorlegen, ohne etwas darüber mitzuteilen,
wo und wann diese zu ganz verschiedenen Zeiten erschienenen
und die mannigfaltigsten Stoffe behandelnden Aufsätze zuerst ge-
druckt sind2) (die kurze S. VIII eingestreute Bemerkung genügt
nicht), noch auch welchen Druck sie zugrunde gelegt haben.
Ferner bedurfte vieles von dem, was gebildeten französischen
1) So werdeo z. B., um our eios zu erwähnen, militärische und manche
■andere Leser wenig eiu verstanden seio mit dem, was (S. 40; 156 d. Orig.)
von der Ehre des Soldateu gesagt wird: Iis ne soat poiut soutenus par eette
vanite geuereuse qu'on anpeile l'honoeur etc.
2) Bei einigen gibt f. selbst eine Notiz darüber.
Xeaophoo, von R. Ullrich. 143
Lesern vielleicht ohne weiteres geläufig war, auch in dem Aufsatze
über X. für den deutschen Leser der Aufklärung, die ja ganz
kurz auf ein paar Seiten am Schlüsse des Buches gegeben werden
konnte. Denn in der französischen Memoiren- und Romanliteratur,
die T. naturgemäß gern zur Vergleichung heranzieht, pflegen selbst
Historiker nicht so genau orientiert zu sein, daß sie näherer Be-
Belehrung entbehren könnten, zumal die gebräuchlichsten Aus-
kunftsmittel, die jedem zur Hand sind, hier vielfach völlig ver-
sagen. Ober Commines (S. 37) und Beyle-Stendhal (S. 35) ist
«in deutscher Leser wohl noch unterrichtet; ob auch über Madame
de Launay (S. 25; warum nicht Delaunay, wie Taine selbst und
andere schrieben?) und Montluc1), den französischen Frundsberg
aus den Kriegen Karls I. und Franz* I und seines Nachfolgers
(S. 24), seine Tätigkeit bei Cerisola und in Siena (warum in der
Übersetzung die französischen Formen Cerisole(s) und Sienne?)
und seine Memoiren? — Dinge, deren Kenntnis T. bei seinen
Landsleuten ohne weiteres voraussetzte. Erwünscht wäre es
auch gewesen, wenn zu den zahlreichen Stellen, die Taine aus-
schreibt und übersetzt, Buch, Kapitel und Paragraph kurz ver-
merkt worden wären.
Und nun die eigentliche Übersetzung. Da Taine in seinem
Aufsatze zur Hälfte Xeoophon selbst reden läßt, konnte vielleicht
die Frage entstehen, ob ein deutscher Übersetzer der französi-
schen Wiedergabe oder dem griechischen Originale folgen sollte.
Nun gibt aber T. den griechischen Text (nach einer jetzt naturlich
veralteten Ausgabe, die er leider nicht bezeichnet) oft ziemlich
frei wieder, gewiß nicht ohne Absicht, läßt bei längeren Zitaten
manchmal Einzelheiten aus (z. B. I 2, 17 ot di xavxa nqoelnov
zotg (TTQccTiakcuc, I 8, 4 — 7, 11, 13 erste Hälfte, 21 z. T und
22; II 1,21 Schluß; III 1,3 Anfang; III 2,9 z.T.; IV 2,15
Schluß) oder zieht längere Auseinandersetzungen zusammen (so
IV 5, 25 — 33). Ich halte es för das einzig Richtige, wenn der
Übersetzer in solchen Fällen sich genau an seine Vorlage hält;
denn hier will der Leser doch eben wissen, was Taine übersetzt
hau Statt dessen geben die Übersetzer an den bezeichneten
Stellen den vollständigen Xenopbontext wieder und halten sich
auch da an ihn, wo Taine eine freiere Ausdrucks weise anwendet
(oft sehr zum Vorteil modernen Sprachgebrauchs, z. B. 1 -8, 2
7tdv& fjfiZv nsnoitjTcu — tout sera /int — K. und A. steif so
ist von uns alles getan). Wenigstens durfte man dann aber er-
warten, daß sie ihre Abweichungen von Taine irgendwie kenntlich
machten. Geradezu geboten war dies in Fällen, wo dieser den
Text entweder wirklich falsch übersetzt hatte, wo die Herausgeber
l) Näheres über ihn findet mau z. B. bei W. Riislow, Militärische
Biographien I. David, Xenophon, Montluc, Zürich 1858, vgl. besonders
S. 279 IT., 310 ff.
144 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
eine andere Auffassung vertraten, oder wo neuere, gesicherte
Lesarten auch den Sinn völlig änderten. So I 8, 10 rj di yvwft^
\v — T. falsch le bruit couraü — K. und A. richtig die Absicht
war; II 6,2 naqipBVtv — T. resta en Grece — Obers;, blieb
er gehorsam (besser: harrte er aus); IV 1, 11 avvsßowv (cvv-
ecoQCöv C), vgl. oben S. 113 — T. se voyaient les uns les autres
— Üb. schlecht riefen einander herbei (besser: zu oder zu-
sammen); IV 2, 4, wo eine Notiz über das von Taine noch be-
achtete Glossem qofiovfisroi dijkov oti (montrant qu'ils avaient
peur), das von den Übersetzern mit Recht unterdruckt wird, am
Platze war, u. s. f. Umgekehrt fehlen in der deutschen Über-
setzung einige Steilen, die sich bei Taine finden, so IV 2, 6 der
Salz scpodog iiivtov ixd&rjvio (T. celle-ci . . . . apparente),
14 inl im nvql (T. dominait le feu etc.), S. 47 (T. S. 170) et
de feroctte. Konsequenz ist also nicht beobachtet worden.
Sodann scheint mir die Übersetzung selbst nicht den An-
forderungen zu entsprechen, welche gelehrte oder gebildete Leser
an eine Verdeutschung Taines stellen dürfen. War sie überhaupt
nötig? Für gelehrte Leser kaum; sollte sie aber weiteren Kreisen
der Gebildeten dienen, so waren Erläuterungen der oben (S. 142 t.)
bezeichneten Art kaum zu entbehren, und die Übersetzer hätten
vielleicht zweckmäßig gehandelt, sich auch über Art und Zweck
ihrer Arbeit im allgemeinen zu äußern. So wie sie nun vorliegt,
gibt sie zu so vielen Bedenken Anlaß, daß sie kaum ohne Vor-
behalt empfohlen werden kann.
Unrichtig, sowohl im Hinblick auf X. wie auf Taine, auch
durch abweichende Laa. nicht zu erklären, sind übersetzt, z. T.
mit völliger Umkehrung des Sinnes: I 7, 7 (S. 30) Wenn ich
aber siege, so mufs ich meinen Bruder über dieses setzen (T.
S. 139 il faudra bien que vous, qui etes mes amis, en soyez
les maitres — r^iäg öet rovg ruistiqov g (pilovg tovtwv
iyxgccTslg noitjocti); S. 30 (T. S. 139) Atahualpa versprach den
Gefährten des Pizarro, ihnen eine Kammer voll von goldenen Ge-
fäßen zu geben, die so hoch war, wie sie mit ihrem ausgestreckten
Arm berühren konnten [une chambre remplie de vases d'or aussi
haut qu'il etc.); II 1, 10 „...so soll er sagen, was den Soldaten
geschehen soll, wenn sie dies mifsbilligen4i (T. S. 144: .... lors^
quils lui auront fait ce present — bccv ccvtm tavta xaqi-
awvvai). Die Übersetzung S. 33 Z. 9: Sie näherten sich, und
niemand bemerkte sie, ist ebensowenig klar wie Taines (S. 143»
Z. 2) . . . et personne ne les attendit; zu keinem von beiden
bietet der griechische Text Anlaß. Dies sind nur die auffallendsten
Stellen. — Gallizismen finden sich eine Menge; so der fast durch-
gängige Gebrauch des unbestimmten Artikels, wo er im Französi-
schen abweichend vom Deutschen steht, z. ß. in einer grofsen
Verwirrung (III 1, 3) u. ö.; verkehrte Stellung der Konjunktion.
aber in denen (S. 29 Z. 7), unrichtiges Adjektiv (S. 47 Z. 8 v. u.)
-- X^BopJion, v(vn R.'Ullrich. <: • • 145
.#. stießen sie gro/se Schreie aus {de: grands cm). Wieder-
holung des Personalsubjekts (S. 25 Z. 17 v. u.) Ick werde ihn
Wart für Wort übersetzen, und ich werde ihn fast immer selbst
sprechen lassen; das Verb sagen wird fast grundsätzlich mit dem
Dativ konstruiert (sehr oft) statt mit der Präposition zu. Auch die
Konstruktion folgt viel zu oft der französischen bzw. griechischen
und wird undeutsch, so 8. 41 Z. 8f< v. u. (IV 1, 16) Daher waren
die Griechen genötigt, weil sie ihnen nachsetzen und sich daton wieder
zurückziehen mufsten, nur langsam vorzurücken; 42 Mitte (IV 1, 26)
ob einer von. ihnen Lust habe, ..... hinzugehen* freiwillig* sich dazu
erbietend. Dergleichen begegnet auf jeder Seite. Der oft beliebte
Wechsel des Numerus bei Personen bezeich uungen ist nicht immer
eine Verbesserung, so S. 27 Z. 4 v. o. Den Pisidier zh bekriegen
(«Utf Ksidiens); Z* 29 M. Kein Dienst wer in den Augen der Perser1-
niedrig, wenn er von deti Fürsten auferlegt wurde (par iepririce)\]
ebensowenig S. 40 (Z.tl v . Ui) die Anhöhe (les hauteurs).
• Dazu kommt eine Fülle von einzelnen ungenauen, steifen^
oder schiefen Ausdrucken und anderen Seltsamkeiten, vgl. S> 27
(£-.-10 f.) dierersten Schiff 'ährer, gleich: danach ein Gehölz pflanzen,
ebenda ein Land, das angefüllt ist mit berühmten Stätten, S. 28
(Äf .) sie begaben sich wieder auf Reisen (ils se remirenten marche),
&29 (& 9-v. o;) sie durchschritten die Wüste, S. 31 (I 8, 11)
mit der möglichsten Stille, S. 32 (I 8, 20)- die Wagen rannten
{itfiQöpto, furent empörtes), S. 39 <Z. 2v. ö.) auf das allgemeine
Heil bedacht sein, S. 40 (Z. 2 v. o.) Eigenschaft (vakitel), S. 43
(£. 19 v. o. u. ö.) sie klimmten ist mindestens ungewöhnlich*
S. 44 (M.) mehrere Pässe erzwingen-, & 45 (Z. 1) nackt (yvfivoi;, •
Taine selbst 'unrichtig.* nu); Huri Fringat (frz. fringale, S. 45) für
Heifshunger weiß der deutsche Leser nichts anzufangen, fc. 45
(iL. 12 v. h.} um die Sehkraft zu schonen, mußte man etwas Schwarzes'
vor die Angen stellen (h%ow, mettant, IV 5, 13) ü. a. m:
"- Druckfehler enthält die Cbersetzung für einen deutschen
Text auffallend viele, darunter mehrere sinnstöivnde. ; Ich selze :
die wesentlichsten hierher und fuge das Richtige kl Klammern '
bei. S. 30 (Z. 9 v. o.) tou/ir (wißt), Sv 32 (Z. 9 v. o») den Linie
(der), (Zi 5 v. u;) kttagates (p), S. 33 (Z. 3 v. o.) einer (seiner),
(Zv45) Ariöos (ä), S. 34 • (Z. 18 v. u.) (wenn) [wir]- (ihr hier),
S.« 3& (Z. 15 v. o.) anscheint ich so lächerliche Züge (anscheinend) '),
S. 37 (Z. 6 v. u.) den Klearchos (dem), S. 48 (Z. 12iv. u.) Spanier
(Spartaner). _ -.
Die Interpunktion ist mit größerer Freiheit behandelt; als
wir es im Deutschen gewöhnt sind; zumal in längeren Perioden, ;
dte an sich vom Übel sind, besonders bei eingeschobenen Sätzen
voT„und'y fehlt zu häutig das Komma.
* *) Ein lehrreicher Fehler,. der auch in Hss. nicht selten begegnet: Die
Bi1<fangs$i1be efees 'folgenden- Wortes verdrangt die richtige eines vorher-
gehenden: ' ' ■ ' • - - •■••» ■ t L .,'- ;
Jahresberichte XXX. XQ
]4(5 Jahresberichte d. Philolog. Verein«.
Aus dem Gesagten gebt also hervor, daß die Übersetzer ihrer
Aufgabe nicht voll gewachsen, waren und ihre Arbeit mit Vor-
sicht zu gebrauchen ist; sie ist nicht so, daß sie das Original;
ersetzen könnte. Immerhin mag sie, wo dieses fehlt, bei rechtem
Gebrauch nutzlich sein können. Das Verdienst wenigstens bleibt
den Obersetzern, auf eine halb in Vergessenheit geratene und
doch durch ihre Ergebnisse so bedeutsame Untersuchung Tainea
wieder die Aufmerksamkeit gelenkt zu haben.
26) G, Sorof, Nouos »od wvois io Xenophon« AuakaaU. Hermas
XXXIV (1899) S. 568—589.
Der Gegensatz von vopog und <pvoig begegnet schon bei
Demokrit (vgl. jetzt DieJs, Fragmente der Vorsokratiker, Berlin
1903, S. 418 ff.), Spuren finden sich bei Euripides, bei Thukydide»
(HL 82, 83) und in den von Blaß dem Sophisten Antiphon gut-
geschriebenem Fragmenten (Diel* a. a. 0. S. 577 ff. unter Anonymm
Jamblichi> doch s. u. S. 148 Anm. 2), die wichtigsten Belege aber
liegen in Piatons Gorgias vor.
Bei X. fiqdet nun S. in den Pqrträts des Proxenos und
Menon (Anab. II 6, 16—29) denselben Gegensatz; X. habe sie,
wie der Vergleich mit Piaton lehre, ak typische Vertreter von
vöpog und (pvöig charakterisieren wollen. In der Ausführung
ist er 1) von Piaton, 2) Thukydides und 3) den sog, Antiphon-
fragmenten abhängig, die von Bruns (s. u. S. 84) behauptete An-
lehnung an Isokrates' Euagoras (K. 19) wird also hinfällig. §.
sucht dm durch Neheneinanderstellung und sehr eingehend«
Prüfung der betr. Stellen zu erweisen.
1) a) Zunächst findet er (S. 568—571) in Piatons Jttenon
71 E iatlp avägäg olqsijj bis na&sjv, 73 C %i alXo / $ äq%fi*y
bis ndvjiav — Bedeutung des aQX^y, g>U{W£ ev noislv, ix&fovg
xaxdog; 78 C *Aya&ä dl bis &Q%ag — Arten der äy#$d: Ge-
sundheit, Reichtum, Ehre« Macht; 91 A aoificcg xai aQ£tijg, jy ol
äv&Qwno* bis avöqog äya&ov — freundschaftlicher Verkehr und
belehrender Umgang; 73 B, 78 D Erfordernis der dtxcuoavvq,
G<o<f<io<svvfi und oaioTtjg zum tugendhaften Handeln; 78 E ovdsv
ccqcc fxäkkoy bis ndvvuxv tcop TOiovrwVy xaxia; 11 B das xaXöy —
Obereinstimmung, in 78 E wörtliche, mit Xenophons Charakteristik
des Proxenos (§§ 17 f.), der gleich Menon Gorgias' Schüler war,
aber, ein würdigerer.
b) Noch größer ist nach S. die Übereinstimmung mit Piatons
Gorgias (S. 571 — 576). Zunächst ließen sich im ganzen in
der Erörterung und Gegenüberstellung der äya&ij und xaxrj tfwxßj
(Gorg. 507 ff.), des äyad'ög und novijQÖg ävijQ die Grundzüge
der beiden Charakterbilder Xenophons mit Leichtigkeit nach-
weisen.
Dazu kämen unverkennbare Anklänge im einzelnen. S.
stellt gegenüber Xen. 16 sv&vg per /xsigcixior äv und Plat.
XeoophoD} von H. Ullrich. 147
Gorg; 5f ODcäfög in yiou dstsnox^ was wieder zu Proxenos*
(17)ito?£ nQditotg und Menons (21) tolq ptyiCiov ditvaybivoig
stimme, ebenso 491 E— 492 B (die Erörterungen des Kallikles)'
zu der GuHfQOövvfi des Proxenos (18) und dem Gegenteil bei«
Menon, 527- B äoxstv und elwu aya&ov zu 20; die Freundschaft
der xaXol xaya&ol des Proxenos, die Anschläge der ädixo*
gegen ihn (20), die, wie Menon (25), die dixcuoovvtj der Guten
(die ihnen ävavdqia scheint) ausbeuten, entsprächen der Gegen-
überstellung des Kallikles (485 D (psvyovtsg avavÖQOi, 486 B st
Tig bis axhywv t^v h %jf\ noXsi) und Sokrates (508 ü ov wfjfit,
w KaXUxXtog bis adixovpivw). Die im&vpiai des Menon (21 ff.)
berühren sich nach ihm mit der ratio vivendi des Kallikles (491 f.,
492 C), man. dürfe die Begierden nicht zugein, die Richtung des
ini&vfi&v Menon» (2!) auf nXotrtetv Ig%vqw<;, &Q%e%v und
tijk&G&ai mit dem xQeitzco %ov qztovog aq%€%v des Kallikles
(483 D). und seiner nXeovetya (508 A) im Gegensatz zur löortjg,
Meson» Iva adixäv pt) diäoitj dixqv (21) mit dem Tadel des
Sokrates (479 C) wste dlxtjv ^ didovcu und 510 E ädixovvra
pj} dtdovcu dl*qv. Metneid, Lug und Trug sind Menons Mittel,
die Gerechten sind ihm Toren (22); den Nutzen der Mittel, gleich-
viel, welcher* hebt Polos an dem Beispiel des Archelaos hervor
(471), die Schilderung de» nctvovQyog und des änaidsvtog bzw.
rtli&ioq (26. 22) entspricht der des ävorjTog (527 C) und der
rjU9ioi (491 E), das GisQywv ovdiva Menons (23) der Ausführung
de» Sekretes von dem Mangel der novtjQoi an Freunden (507 E),
ihre Bezeichnung als XjjGtal (ebenda) wiederum dem Xapfidvew
%ä %itfp<**a Menons (24), womit noch 486 B, 488 B, 508 A, D,
511 A zu vergleichen sind; nnd die ävdqia derer, die sich als
dg aXy&dig avdqtg (512 E) von konventionellen Sittlichketts-
vorstellungen, den xaXXianlOfiaia, är&Quinav cpXvagia, tänaQa
<pv<tw aw&ypma (492 C) frei machen, wie die avavÖQia der
Beschränkten (512 E) will S. leicht in dem diaysXäv xovq <piXovg
des Menon (23. 26) wiederfinden. Beziehungen sieht er auch
zwischen dem Schluß des Berichtes über Menon (29), seiner selt-
samen Todesart (atxiö$elq dg novtjQog) und dem Schuldbewußt-
sein des novijQog bei Sokrates (479 E öatiaovv bis didovtog,
480 E und besonders 481 A säv di sX&y bis äXX' ä&dratog
iöicu nopfjgog mV, ei di ftty oncog wg nXtlöxov %qovov ßHaöttcct
TOiovtog äpf Gedanken, die X. möglicherweise mißverstanden
habe, insofern er von einer körperlichen Strafe rede.
Aus diesen Berührungspunkten schließt nun S. (576 (f.) auf
Abhängigkeit Xenophons von Piaton; er habe seine Charakteristik
des Menon im Hinblick auf den Kallikles des Gorgias entworfen,
vielleicht auch deshalb, um (vgl. xal %a ptv dfj aupartj ff.,
28 Anfg.) die verhältnismäßig milde Beurteilung Menons bei Piaton
durch eine wahrere aus eigener Erfahrung zu ersetzen. So wären
denn Proxenos und Menon Typen des im Gorgias vorliegenden
10*
148 Jahresberichte d. Philo.log. Vereins.
Gegensatzes von vopog und (fvötg, Proxenos, X.s Freund, Ver-
treter des vdfiog, Menon Vertreter der (pvaig, letzterer zwar nicht
Kallikles (Druckfehler Kallikrates, S. .578), aber „nach seinem
JMpdell gearbeitet".
2) Thuk. III 82. 83 scheint dem Verf. dieses Ergebnis wahr-
scheinlicher zu machen (S. 578-581). Es sind die Kapitel, in
denen T. ein Bild von den Wandlungen des hellenischen Volks-
charakters entwirft, die der Peloponnesische Krieg herbeigeführt
hatte* Auch hier treten die oben bezeichneten Gegensätze hervor,
im allgemeinen 82, 6 und 8, wie im besondern äydgia und
äyavÖQfa (82, 4; vgl. Gorg. 485 D, 491 ß, Xen. 25 im Gegensatz
zu 18), Verherrlichung der adixia als naideia (82, 5; 7 vgl.
Xen. 22, 26; Gorg. 471 und 491 E; s. o.), Gesetzmäßigkeit und
Gesetzwidrigkeit (82,6; 8, vgl. Xen. 18 und 26, Gorg. 482 C ff.
in der Erörterung über (pvaig und vopog), Anschläge auf den
Nächsten unter dem Deckmantel der Freundschaft (82, 7; Xen. .
2H; Gorg, 507 E., 486 B, 488 B), die nXeovs&a (Thuk. 82,8;
Xen. 21 ; Gorg. 508 A), Verspottung der svj&shx (Tb. 83, 1 ; Xen. •
22. 26; Gorg. 491 E bis 492 C), Nachstellung als Notwehr (Thuk.
82, 4 äöcpaXtia und imßavXav<ta<r&cu, vgl. z. St. die Anna.
Sorofs, Xen. 25 dg sv (hnXiöpivovg und imoQxovg bzw. ädixovg);
also ..wiederum große Ähnlichkeit, hier sogar zwischen den d|rei
Autoren. . Ist sie auf eine gemeinsame Quelle zurückzuführen?
Vielleicht; denn
/ 3) In den von Blaß entdeckten und dem Sophisten Antiphon
zugeschriebenen Fragmenten l)r deren Standpunkt .sieb von dem
gewöhnlichen sophistischen entfernt und dem somatischen nähert,
finden sich dieselben Gedankenverbindungen (S. 581 — 587). Das
Streben nach dem ßSXtiavov im allgemeinen (frgm. A)*), die Not-
wendigkeit, früh mit der Übung zur Tüchtigkeit zu beginnen, der
ekrjjche Mann und der Betrüger, Sein und Schein (frgm. B),
rechte. Verwendung der Güter, xctxia und ccqstij (C), iyxQatata ■.
gegenüber XQWa*a u0(* tyvxy (D)« nXeove1*ia, Bedeutung des
ropog und des dlxcuov (E), evvopla und avopia und ihre Folgen
(F)^ alles dies begegnet hier in ähnlicher Weise wie bei Thukydides,
Xenophon und Piaton. Auch die Form ist verwandt; die seit
Gprgias geübte Figur der Antithese wird, was zuzugeben ist, aus-i
giebig gebraucht. S, legt auch Wert darauf, daß das vor Piaton
nur selten und nie. in übertragener Bedeutung vorkommende Wort
adapaviwog, das bei Piaton selbst ebenso selten, aber einmal
l) Vgl. De AotiphoBte sophista etc., Kiliae 1889, und Att. ßereds. I*
S. 11.0 ff.;. S. weist «ach auf eine Abhandlung Dummlers hin {Prolegomena •
%u Piaton* Staat, Basel 1891), der ebenfalls (a. 0. S. 9 f.) auf die Bedeutung
der Fragmente aufmerksam gemacht hat.
') Die Fragmente werden hier der Einfachheit halber nach Blaß bzw.
Soröf zitiert; vgl. jetzt auch die Sammlung bei Diels (s. o.) und Gomperz,
Griech. , Denier a I S. 350 f. . .,
t - Xeftöphoo, von R. Ütlricii. ' f49>
in übertragenem Sinne sich findet, in derselbeft Auslegung zwei-
mal in den Fragmenten begegnet. Xenophon hat also nicht bloß
Piatons Menon und Gorgias und wahrscheinlich den Thukydides,
sondern gleich Thukydides und Piaton „in einer Art kontaminieren-
den Verfahrens44 auch die Fragmente benutzt und ist also auch
hier seiner Neigung, sich „von fremden Anregungen beeinflussen
zu lassen44, gefolgt. r ,
Daß Berührungspunkte zwischen den beiden Porträts Xenophons
und den Ausführungen der drei genannten Autoren bestehen, Ist
unzweifelhaft, und S. gebührt das Verdienst, das bis ins einzelne
nachgewiesen zu haben. Eine andere Frage ist die, ob wir uns
X. wirklich als abhängig von den beiden zu denken haben. Idh
glaube, daß doch stärkere Beweise dazu gehören, um solche und
ähnliche, gewöhnlich mißliche Fragen nach literarischen Abhängig-
keitsverhältnissen zu bejahen. Im allgemeinen scheint mir &•
selbst schon (S. 581) den richtigen Standpunkt mit den Worten
bezeichnet zu haben: „...wenn auch die Erwägung, daß alle
diese Gedanken damals gleichsam als Schlagworte von Mund z,u
Mund gingen, zur Vorsicht mahnen muß44. Aber hier sprechen
sogar ganz bestimmte Gründe gegen ihn, innere und noch meljr
äußere.
Von der behaupteten Abhängigkeit von Thukydides, auf die
S. selbst geringeren Werl legt, sehe ich hier ab. Was jedoch
die sog. Antiphonfragmente und Piaton betrifft, so machen nach
meiner Empfindung die beiden Charakteristiken Xenophons, für
sich betrachtet, einen so geschlossenen Eindruck1), daß es mir
schwer glaublich ist, ihr Verfasser habe sie aus den über zwei
Dialoge Piatons und die Fragmente verstreuten Gedanken zu-
sammengeflickt. Daß Xenophon hier, wie S. es (S. 578) treffend
ausdrückt, „Schulter an Schulter mit Piaton gegen den ausgeartete»
Subjektivismus kämpft44, darf man ebenso zugeben, wie man hin-
zufügen wird — worauf S. fast gar nicht eingebt (doch vgl-
S. 582' Z. 10) — , daß die hitfr begegnenden Züge des. vopog uud
die entgegengesetzten der (pvöig beiden Autoren aus der Schule des
Sokrates geläufig waren, der die einen empfahl und die anderen,
den Sophisten eigentümlichen, bekämpfte. So war es kein Wunder,
daß gewisse „Schlagworte44 in dem diese Dinge behandelnden,
Zweige der Literatur sich wiederholten; wir würden sicher eine
*) Eine andere Frage ist die, ob sie gerecht uod, was eng damit zu-
sammenhängt, ob sie vollständig sind, ob nicht das Prexenosbild, für welches
in der vorangegangenen Erzählung 1 5, 14 und II 1^ 10 schon erfreuliche
Züge vorlagen, die Hand des Freundes zu liebevoll gezeichnet and andrer-
seits bei der Charakteristik Menbns außer der Nontosnatnr ^Cenophons nicfct
persönlich* Antipathieen mitgewirkt haben, die hier von' denv Schriftsteller
nicht völlig überwunden worden sind. Doch wir können das eben nur ver-
muten, weil uns die genauere Kontrolle fehlt. , Eher scheint mir das
rhetorische Element und das Beispiel des Isokrate* hier schädigen^ gewirkt
zu haben. • • ! ;'
150 Jahreffcerhshte d. Ph-iUlaf. Vereint.
noch stattlichere Liste haben, wenn uns von der sophistischen
Literatur selbst — Hippias war es je, der nach Piat. Prot. 337 D
das Thenna von vifiog und qtwug recht eigentlich in die Debatte
einfahrte — mehr erhalten wäre. An Entlehnung der betr. Worte
Xenqphons — der ja übrigens auch sonst z. B. Mem. I, 2 41 ff.
und IV, 4 verwandte Erörterungen anstellt — gerade aus Piaton
unmittelbar ist also nicht zu denken. Übrigens war die Termino-
logie von poftog und (pvatg und besonders ihre Gegenüberstellung
als des Guten und Schlechten keineswegs feststehend — nament-
liche Gegenüberstellung im Gorgias nur 482 E — , ließ vielmehr
an sich und tatsächlich so verschiedene Auslegungen zu, daß mir
der Titel unserer Abhandlung für die Erklärung der beiden
Charaktere als Typen dieser entgegengesetzten Gattungen als viel
zu weit gefaßt erscheint. Es waren entgegengesetzte Naturen,
gewiß, aber auch in dem Bilde des Proxenos fehlen die Züge der
<pvöig nicht; die Grenzlinie ist überhaupt hier nicht so scharf zu
ziehen, und die Ausführung und Gegenüberstellung dieser beiden
Porträts, anders als der vorhergehenden des Kyros (I 9) und
Klearch (II 6,1 — 15), war wohl überhaupt mehr durch stilistische
Gesichtspunkte als durch sachliche bestimmt worden. In dem
Maße aber, wie sie sich von Piaton entfernen, nähern sie
sich Isokrates, auch zeillich. Die von Bruns (Das liter. Porträt
S. 138 ff.) behauptete und in seiner Beweisführung unter sehr
sorgsamer Abwägung der Worte, bei Hervorhebung auch der
Mangel beider Porträts (beides ist von S. nicht immer beachtet)
mindestens sehr wahrscheinlich gemachte Abhängigkeit Xenophons
von Isokrates' Euagoras (Kap. 19, §§ 41 — 46) ist von Sorof
S. 588 f. nicht widerlegt worden.
Ich komme damit zu den äußeren Gründen, die gegen S.
sprechen. Die von ihm angenommene Art der Abhängigkeit der
beiden Charakteristiken X.s von den beiden Dialogen Piatons hat
nur dann rechte Bedeutung, wenn sie, wie S. selbst sagt (S. 578),
zeitlich bald nach ihnen gesetzt werden können, also bald nach
390, da die beiden Dialoge jedenfalls gegen Ende der neunziger
Jahre zu setzen sind1). Dagegen spricht aber zweierlei. Zunächst
ist es nicht wahrscheinlich, daß der Verbannte bald nach 390
eine so eingehende Kenntnis der platonischen Dialoge gehabt hat,
wie eine derartige Benutzung voraussetzen würde; ferner wären
wir genötigt, um dieser Annahme willen die glücklich gewonnene
Erkenntnis der späten (Ausgang der siebziger Jahre oder noch
später) und einheitlichen Abfassung der Anabasis*) wieder auf-
zugeben oder, wie S. ebenfalls ratsam findet, die beiden Dialoge
Piatons später anzusetzen. Für beides sprechen aber so gewichtige
Gründe, daß wir schon deswegen Sorofs Ansetzung mit Vorsicht
*) Die wichtigste Literatur darüber stellt Sorof S. 578 susannta.
') Vgl. besonders E. Schwartz, Rh. Mas. 1889 S. 161 ff.
Xenophon, vo* R. Ullrich. 151
aufnehmen müssen; er hat die chronologischen Gesichtspunkte
*fcu wenig beachtet1). Dagegen ist von dieser Seite gegen Bf uns'
Annahme nichts einzuwenden; vielmehr schließen sich zeitlich die
Charakteristiken des Proxenos und Menon an das 19. Kapitel des
bald nach 374 verfaßten „Euagoras", diese Sondercharakteristik
hn Rahmen der großen, aufs beste an, wenn man auch hinsicht-
lich des Maßes der Anlehnung Xenophons, welche wesentlich eine
formelle ist, im einzelnen von ßruns abweichen mag.
11) Max ffodermann, Vorschlafe zur Xenophon-Übersetzung im
Anschluß an die deutsche Armeesprache. Sonderab druck
aas der Pestschrift zur 350jährigen Jubelfeier des Fürstlich Stolberg-
schen Gymnasiums zu Wernigerode a. H. Wernigerode 1900, B. Anger-
stein. 25 S. gr. 8.
Anzeigen: W. Gemoll, WS. f. klass. Phil. 1900 Sp. 1334—1335. -
W.Schwarze, Ztschr. f. d. deutsch, ünterr. 1900 S. 786— 790. — R. Hansen,
JN. phtl. Rdsch. 1900 S. 560. — R. Öhler, Berl. phil. WS. 1901
Sp. 516—517. — F. Fröhlich, DLZ. 1901 Sp. 1238. — Vgl. auch Kr.,
Heeressprache und Klassikerübersetzung, Ztschr. d. allg. deutsch.
Sprachvereios 1902 Sp. 161—167.
Der Verfasser hatte bekanntlich in seiner Arbeit „Unsere
Armeesprache im Dienste der Cäsar Übersetzung" (Leipzig 1899;
▼gl. dazu besonders Meusel, JB. 1899 S. 260—262) die Ansicht
▼ertreten, daß bei der Obersetzung und Erklärung kriegsgeschicht-
licher Werke des Altertums die militärische Sphäre in Termino-
logie und Phraseologie mehr Berücksichtigung verdiene, als ihr
bisher zuteil geworden sei. Mit ebensoviel Recht als Glück, wie
mir scheint. Das damals gefundene Entgegenkommen hat ihn
ermutigt, den in Anwendung auf Cäsar gemachten Versuch auf
Xenopbon zu übertragen. Er hat damit nicht bloß für den
nächsten Zweck, die Übersetzung militärischer Ausdrücke mehr
mit dem heute im Heere geltenden Gebrauch in Einklang zu
bringen, bedeutsame Anregungen gegeben, sondern auch die Er-
klärung des Schriftstellers selbst vielfach gefördert8), um so mehr,
als er sich hier von mancherlei kleinen Übertreibungen der ersten
Arbeit fast völlig freigehalten hat.
Es ist ihm darum zu tun (S. 25), „die Methode zu veran-
schaulichen, nach der gerade unter den gegenwärtigen Verhältnissen
ein Kriegsschriftsteller des Altertums behandelt werden muß, wenn
1) Gegen die Anlehnung X.s an die sog. Antiphonfragmente sprechen
noch erheblichere Bedenken zeitlicher Art, auch dann, wenn man sie, wie
ich glaube, aus sachlichen Gründen (sok ratische Gedanken) und stilistischen
(Antithesen) viel weiter hinabrückeu tnnfl, als S. tut, der sie (vgl. S. 582 f.)
sehoo in die zwanziger Jahre des 5. Jahrhunderts setzen möchte, also in die-
selbe Zeit wie die ji&tivaCw nolvnfa, die noch nicht die Einflüsse der
Rhetorik aufweist; vgl. o. S. 79 und Zeitschr. f. d. GW. 1899 S. 234 ff.
2) Gemoll hat daher in seinem Schulwörterbuch (s. o. S. 132 u.) Hoder-
VMis Ergebnisse mit Recht schon verwertet; vgl. den nächsten Jahres-
bericht. ,
)132 Jahresbericht* d. Philologie rein s.
aftders Leben in die tote Masse kommen uno1 das Werk desselben
.mehr sein soll als ein Phantom für grammatische Sezierübungen4'.
Zu dem Zwecke bespricht er nach der Ordnung der Stammwörter
(wobei nur d&Qoi&o nicht unter # hätte eingeordnet werden
sollen) die Kapitel : Marsch einschließlich Sicherung, Aufklärung
und; Gelände. . -•• .. -
Von der Besprechung solcher Artikel, über die das Wörter-
buch befriedigende Auskunft erteilt, ist mit Recht abgesehen; ich
glaube, daß auch die zu ayco, keine*), avanavopcu, Ottos, <™-
,<fx€va£o[iai, avvd-fj/Accy ixTQ6no[icu, oäog Otavij gegebenen Übe?-
Setzungsvorschläge fehlen konnten, da sie nicht eigentlich Neues
bieten. Alle übrigen Artikel aber sind denen, welche Xenophon
zu erklären haben,, sehr zu empfehlen. H. ist dem Fehler der
Einseitigkeit glücklich entgangen; er hat sich die Muhe genommen,
außer den schon für die Cäsarübersetzung benutzten militärischen
Quellen (Felddienst-Ordnung, Exerzier- Reglement, Geschichte des
Krieges 1870 — 71, Band 3 von Moltkes gesammelten Schriften)
auch die Geschichte des Deutsch- Dänischen Krieges 1864, die des
Zweiten Schlesischen Krieges, in denen „das Bestreben, gegen die
Fremdwörter zu Felde zu ziehen, zuerst1) mit Entschiedenheit
zum Ausdruck gebracht sei4', und mit Recht auch die überaus
frisch geschriebenen Darstellungen von Karl Tanera heranzuziehen,
und mit emsigem Fleiße alles zusammengetragen, was für die
Xenophonüberselzung, zunächst der Anabasis, mit Nutzen verwertet
werden kann. Die hier entgegentretende, fast überraschende
Mannigfaltigkeit des Ausdrucks (man vgl. z. B. dvvapig, int-
Tfjdsux, xsoctq, X^Qa) hält den Verf. davon ab, die Übersetzung
irgendwie pedantisch auf bestimmte Ausdrücke festzulegen, hl
dem Streben, entbehrliche Fremdwörter zu vermeiden (vgl. z. B.
zu lx[ifiQvo[*cü {heraustreten, sich entwickeln; Moltke oft: de-
bouchieren), nXctlaiov (Viereck statt Karree u. ö.), wird er doch
nicht grundsätzlicher Purist; passierbar wird neben gangbar be-
lassen (ßccoifjbog), alarmieren neben zu den Waffen rufen (nag-
äyyiXXew eig rä onXa)y Signal empfohlen (atiiictivw), rekognoszieren
neben aufklären gestattet (äximofiai, Gxoniw). Für zahlreiche
Stellen, die von Übersetzern und Erklärern und demgemäß auch
von Schülern nicht bloß unmiiitärisch, sondern auch undeutsch
wiedergegeben zu werden pflegen, schlägt er treffendere Über-
setzungen vor, vgl. ävaßaivstv inl top tnnov aufsitzen, nQotr-
ylysa$cu stofsen zu, iXavvtav ävä xodtog u. a. im Galopp (Rehdantz-
Carnuth auch in der sechsten Auflage hoch aus Leibeskräften),
£(fsnofACu sich ahscMiefsen, xata&ioa streifen (wobei, wie häufig,
auf den entsprechenden lateinischen Ausdruck hingewiesen wird),
ä&Qoog geschlossen (vgl. oben S; 124), ilsinovxo Nachzügler,
*) Hier hat Verf. aber einen Hinweis auf die mühevollen und erfolg-
reichen Bestrebungen des Allgemeinen deutschen Sprachvereins vergessen.
.- Xenophon, v;otf R. jUJ:lri«lir • • . ". 2153
-itstoq Fußvolk (Fvfssoldat ^ — vgl. o. S; 77 — wird mit Recht
vermieden), anoanatförjvai die Fühlung verlieren u. ä, >
Und vielfach werden nicht bloß der oder die treffendsten
Ausdrucke gefunden, sondern durch scharfe Begriffsbestimmung
und Unlerscheidung jeder Gedankenlosigkeit entgegengetreten und
die Erklärung selbst gefördert. Ich hebe hervor die mannig-
faltige, dem jeweiligen Zusammenhange entsprechende Wiedergabe
Von eQxofiat (jJxoo), noQevo^xai (sich begeben, eintreffen, von
Standespersonen im Unterschiede von der gewöhnlichen Über-
setzung in Beziehung auf Truppenmassen), xooXvoo (verlegen, ver-
zögern, es gab eine Stockung statt des „farblosen14 hindern), ä-ÖQvßog
bzw. xQavyr} (Alarm, Lärm, Hurra), die Erörterung über xiQaq
(besonders S. 11 u.), avyxvmto, diaXeina) (wichtige Unterscheidung
der Begriffe Zwischenraum und Abstand), äipodog (Abmarsch und
Rückzug), ö%olfi, worin das Unfreiwillige zum Ausdruck kommt
(s. v, noQ€voiuca)\ zu V 2, 32 (s. v. x^qiiio) wird die seltsame
Interpretation mehrerer Herausgeber richtig gestellt. Zu III 3,20
(s. v. iifiaTrjfjn) wünscht man eine treffende Übersetzung vop
idoxipccG&rjGav; Menge hat es (in seinem neuen Lexikon, s. o.
S. 103) wohl richtig durch ausmustern wiedergegeben. ?
Das von Meusel (a.a.O. S. 261) geäußerte Bedenken gegen
die Verwendung moderner militärischer Kunstausdrucke, die auf
antike Verhältnisse nicht passen, ist hier nur selten geltend zu
machen. Doch begegnet noch einiges derartige; vgl. s. v. t£*$j&
zu I 7, 20, wo nicht ganz klar wird, wie H. wirklich übersetzen
will (Gleichtritt und ohne Tritt ist selbst als Erklärung nicht un-
bedenklich), und die Ausdrucksweise die Gewehre zusammensetzen
(s. v. TiS-r/tii). Von der Verwendung von Ausdrücken, die zwar
in der Regel gut militärisch, aber dem gebildeten Historiker und
Laien weniger geläufig sind (Meusel a. a. 0.), hat Verf. diesmal
fast ganz abgesehen; doch würde ich Verbindungen vermeiden,
die z. T. als Vergleich herangezogen werden, wie nach Roye auf*-
scMiefsen (s. v. äyoo); Zapfenstreich (cji^aivoo), sich eilends abziehe!*
(rQ&X<*>)> auch das gezierte sich verfügen (noQevoficu) wie das
burschikose schleunigst (s. v. oigo/uc**)* mag es immerbin auch in
Bismarckschen Erlassen und sogar in v. Wilamowitz' Verdeutschung
der „Medea" des Euripides begegnen.
Doch das sind nur geringfügige Ausstellungen. Im übrigen
sind der Arbeit üodermanns zahlreiche Leser, besonders unter
den Lehrern des Griechischen, zu wünschen. Die große Mannig-
faltigkeit, die geboten, und der weite Spielraum, der dem einr
zelnen gelassen ist, wird sicher znr weiteren Belebung des Unter-
richts beitragen; denn die Grundsätze des Verf. sind nicht bloß
zeitgemäß, sondern zeugen auch von klarer Einsicht und von gutem
Geschmack. Zu wünschen ist freilich hier wie in ähnlichen
Fällen, daß über diese Dinge eine gewisse Einhelligkeit der An-
schauung anter den beteiligten Lehrern des Lateinischen und
'154 Jahresberichte d. Philoleg. Vereins.
Griechischen derselben Anstalt besteht; sonst zahlen die Schäfer
die Kosten.
98) A. Käthe, Xeoophoiu Anab'asis als Grundlage des griechi-
schen Elementarunterrichts. Beilage zum Programm des Gym-
nasiums zu Wismar 1900. Leipzig 1900, B. G. Tenbner. 39 S.
gr. 8. 0,50 Jt.
Anzeigen: WS. f. klass. Phil. 1900 Sp. 681-683. — A. v. Bamberg,
JB. Üb. d. höh. Sehttlw. 1900, VII, S. 2 7 f. — M. Baltzer, Ztschr. f. d.
GW. 1901 S. 233—235. — J. Sitz I er, Gymnasium 1901 Sp. 502. —
Fr. Müller, Berl. phil. WS. 1901 Sp. 1499—1500.
Der Verf. ist mit dem bisher üblichen Betrieb des griechi-
schen Anfangsunterrichts nicht zufrieden; er findet, daß er weder
mit dem Lehrziel (Verständnis der bedeutenderen klassischen
Schriftsteller) im Einklang steht noch mit den Anforderungen,
die der Tertianer „an die geistbildende Kraft des ihm gebotenen
Unterrichtsstoffes stellen kann und soll". Er kritisiert nach-
einander die Übungsbücher von Jacobs, Koch, Destinon (Lesebuch
nach Arrian), Kohl, Albert Müller, den Aufsatz von 0. Hoffmatih
(Eine Neugestaltung des griechischen Unterrichts, Göttingen 188Ö)
und kommt, im Herzen eigentlich ein Anhänger der Ahrensschen l)
Methode, aus mehr praktischen Gründen in Obereinstimmung mit
A. Gronau1) zu dem Schluß, es sei das einzig Richtige, den
griechischen Elementarunterricht von vornherein — also in U. III —
an die Lektüre der Anabasis anzuschließen. Auf induktivem Wege
wird nicht bloß Syntaktisches, sondern auch die Formenlehre —
die Formen müssen zuerst im Zusammenhange geschaut werden —
aus der Lektüre abgeleitet, der Schüler freut sich, wenn er auf
Bekanntes stößt, die Einzelerscheinungen werden bei passender
Gelegenheit zusammengefaßt u. s. f.
Was zunächst das induktive Verfahren angeht, so gibt es
Aber seinen Wert in Beziehung auf syntaktische Dinge wohl nur
eine Stimme. Wenn es aber auch auf die Formen der Deklination,
Konjugation und Komparation im Anfangsunterricht angewendet
werden soll, so führt das viel zu weit, kostet unendliche Zeit,
und der Erfolg, d. h. das Können, steht in keinem Verhältnis zu
dem umständlichen Lehrverfahren8). Viele, die anfänglich dafür
*) A. ging bekanntlieh von Homer uns. Das Wichtigste, was sich für, aber
weit mehr noch, was sich gegen ihn sagen läßt, ist schon von Eckstein (Lateini-
scher und griechischer Unterricht, Leipzig 1S87, S. 371 f.) hervorgehoben
worden. Vgl. Über neuere Versuche in dieser Richtung A. v. Bamberg, JB.
üb. d. höh. Schulw. 1889, V, S. 27 ff .; 1890, V, S. 28 ff.; 1892, VIT, S. 36 ff . ;
1895, Vif, S. 34 ff.; 1896, VII, S. 29 ff. und P. Cauer, Ztschr. f. d. GW. 1903
S. 689—699; 0. Kohl eben*. S. 762-769; P. Hartmann ebend. 1904 S. 82—87.
*) Ein Versuch zur Änderung des griechischen Unterrichts, Progr.
Schwätz 1893; vgl. dazu die kurze, aber treffende Kritik von A. v. Bamberg
a. i. 0. 1893, VII, S. 34.
*) Vortrefflich ist, was hierüber ein alter Praktiker, der aber für alle
vernünftigen Neuerungen ein offenes. Ohr hat, sagt, J. Rothfucbs in „Beitrüge
Xenophon, von R. Ullrich. |55
schwärmten, besonders in den ersten Jahnen nach Einfuhrung der
Lehrpläne von 1892, sind daher, wie der Schreiber dieser Zeilen,
sogar im lateinischen Anfangsunterricht davon wieder znrück-
gekommen. Warum müssen z. B. die Zahlwörter unbedingt (S. 7
— welche?) dem Schuler zuerst in einem sprachlichen Zusammen-
bange erscheinen? Wenn in den Übungsbüchern der „alten
Methode41 hier und da schon das eine oder andere begegnet, so
ist das gut und naturlich, und wenn ein neues kommt, wird der
einsichtige Lehrer an die alten erinnern und „immanente Repetition"
treiben: zu sichrem Besitz, und darauf kommt alles an, werden
sie doch erst, wenn sie der Schüler systematisch nach der Gram-
matik lernt. Daß der Schüler bei diesem Verfahren, wo ihm auf
Schritt und Tritt eine verwirrende Fülle von immer neuen sprach-
lichen Erscheinungen entgegentritt, wirklich dieselbe oder gar
größere grammatische Sicherheit erreichen soll wie bei dem Be-
trieb der „alten Methode44 *), eine Sicherheit, die auf einer wissen-
schaftlichen Vorbildungsanstalt entschieden zu fordern ist (gegen
Raterei erklärt sich auch Verf. S. 11), davon haben mich des Ver-
fassers Darlegungen, die nicht eingehend genug sind, nicht über-
zeugt. Ich vermag ihm noch weniger beizustimmen, wenn ich
sein Ziel ins Auge fasse: verständnisvolle Lektüre der Anabasis.
Was ist das noch für eine „Lektüre", die es in einem ganzen
Jahre (und bei sieben Wochenstunden in Mecklenburg!) auf acht
Kapitel des ersten Buches bringt, wobei Verf. noch andeutet
(S. 10), das Orontas-Kapitel sei unter ungünstigen Verhältnissen
ev. auszulassen; und bei Gronau (a. a. 0.) ist der Umfang der
Lektüre noch geringer. Hier ist das Prinzip selbst sein größter
Feind.
Dazu kommen andere Gründe, didaktische, ästhetische und,
wenn ich so sagen darf, soziale. Der „alten Methode" ist mit
Recht vorgeworfen worden, daß sie die Lektüre zu einem Tummel-
platz grammatischer Exerzitien mache. Und hier? Kommt der
Schüler wirklich zur Freude am Inhalt, wenn ihm jeder Schritt
vorwärts ein neues Hindernis zeigt? Der Text eines Schrift-
stellers, und wäre es auch nur der oft sehr tief eingeschätzte
Xenophon, ist mir zu schade dazu, die Formenkenntnis zu ver-
mitteln; syntaktisches Verständnis, das lehrt der Zusammen-
bang des Schriftstellers am besten, die Kenntnis der Elemente
muß vorher erledigt sein. Ich meine also, es wird besser bei
dem üblichen Anfang der Xenophonlektüre in 0. IH, die dann
wirklich annähernd diesen Namen verdient, verblieben. Es
scheint mir auch wenig rätlich, nebeneinander im Lateinischen
zur Methodik des altsprachlichen Unterrichts", Marburg 3 1892, S. 135 f.
Anm. 1 ; vgl. «ach die Bemerkungen von Waldeck in Lehrpr. u. Lehrg. 31
(1892) S. 80 ff.
') Diese Bezeichnung ist aar der Kürze halber zu rechtfertigen; tat-
sächlich ist diese Methode dojjh selbst eine andere gewordeo.
J56 Jahresberichte <h Philologe Vereins.
in die Cäsarlektüre und im Griechischen in die des Xenophon
einführen zu wollen. Die U. III ist mit Lehrstoff reichlich be-
lastet4, dagegen wird der Schuler, der sich in U. III in seinen
Cäsar etwas eingelesen und daneben rm Griechischen eine ich
will einmal sagen mehr grammatische Schulung durchgemacht hat
(die darum keineswegs so sextanerartig auszusehen braucht wie
Verf. S. 4 annimmt), sachlich und formell sichrer ausgeröstet in
0. III an den neuen Schriftsteller herantreten. K. scheint mir
diesen Gesichtspunkt, den er nicht einmal erwähnt, doch etwas
zu unterschätzen. In andrer Hinsicht wird seine Methode ver-
ständlicher; er hat mecklenburgische Gymnasiakerhältnisse im
Auge. Da aber dort, wie er sagt (S. 12), schriftliche Übersetzungen
aus dem Deutschen nicht mehr gefordert werden, andrerseits, was
immerhin nicht ganz unwesentlich ist, dem Unterricht eine Wochen-
stunde mehr zur Verfugung steht als in Preußen1), so ist es er-
klärlich, daß ebenso von sicherem grammatischem Wissen — wie-
wohl dies Verf. mehrmals gerade sehr betont — etwas nachgelassen
werden, wie dem Betriebe eine gewisse Ruhe zuteil werden kann,
während bei uns gerade im griechischen Unterricht der Tertien
mit jeder Stunde gerechnet werden muß. Und da nach den
neuesten Lehrplänen von 1901 schriftliche Übersetzungen in das
Griechische bis 0. 1 (übrigens 1900 nach den Lehrplänen von 1892
immerhin noch bis U. II) gefordert werden, kann auch im Griechi-
schen auf systematisch anzueignende grammatische Kenntnisse
nicht verzichtet werden. Die Methode des Verf. hat auch den
Nachteil, daß Schuler, die nur einige Zeit dem Unterrichte fern
bleiben müssen oder auf andere Art vorgebildet neu eintreten,
sich wohl nicht immer leicht hineinfinden werden; auch hier be-
rücksichtigt Verf. im Hinblick auf seine engere Heimat mit seß-
hafterer Bevölkerung zu wenig andere Verhältnisse ; sie macht es
ferner beinahe zur Bedingung, daß sie auch von den folgenden
Lehrern des Faches geteilt wird, da sie sonst um ihre besten
Früchte käme. Das wird nur unter besonders günstigen Ver-
hältnissen zu erreichen sein. Lehrern aber, die einer von der
üblichen so grundsätzlich verschiedenen Methode innerlich ab-
geneigt sind, ihre Befolgung aufzunötigen, wäre bedenklich. Daß
auch die große Zahl der Schüler (in Wismar ist sie mäßig, in
Parchim, wo jetzt Verf. wirkt, noch geringer) ein Hindernis ist,
das schwer ins Gewicht fällt, ist schon öfters betont worden und
braucht hier nur eben erwähnt zu werden.
Wenn ich mich also grundsätzlich und auch im Hinblick auf
preußische Verbältnisse mit den Vorschlägen des Verf. nicht be-
freunden kann, so ist mir seine Arbeit doch darum wertvoll, weil
sie (Lehrgang, S. 12 — 14, Vokabular, 15 — 37; vgl. dazu oben
S. 105; Anhang, 38 f.) zeigt — um mit einem Altmeister unseres
*) Vgl. dazu auch G. Julia* in Baumeisters Hdb. I 2 S. 204 f.
Xeoophon, von R. Ullrich; - 157
Faches zu reden — , „nicht, wie man es machen müsse, sondern
wie er, der sachkundige Mann, es wirklich gemacht hat"; ich
glaube, aus den knappen Bemerkungen S. 12 ff. und der Ordnung
des Anhangs wird auch derjenige, der in jüngeren Jahren ohne
längere Praxis in 0. III zuerst Xenophonunterricht zu erteilen bat,
mancherlei lernen können. Nur wäre zu wünschen gewesen, daß
K« unter Ausschluß längerer Erörterungen, wie der auf S. 4 — 10,
seine eigenen Erfahrungen in größerer Ausführlichkeit mitgeteilt
hätte. Vielleicht entschließt er sich bei ähnlicher Gelegenheit
dazu; des Dankes der Fachgenossen ist er gewiß.
Daß auch in Preußen, nicht nur in Schwetz, hier und da
schon in II. III seit 1892 mit der Lektüre der Anabasis begonnen
wird, ist mir wohl bekannt. Und wo die oben erwähnten Vor-
bedingungen vorhanden sind, ist die Fortsetzung der Praxis durch-
aus erwünscht. Es erscheint mir aber zweifelhaft, ob sie nach
dem vorübergegangenen Pessimismus der neunziger Jahre, der «
im Griechischen die Parole ausgab: „Retten, was zu retten ist'4,
noch am Platze ist Daß die Anhänger der „neuen" des Rühmens
kein Ende finden — auch Verf. ist nicht ganz frei davon; vgl.
S. 6, 11, 12 — , ist ebenso natürlich^ wie es notwendig ist, daß
in den schäumenden Most von den Anhängern der „alten4' etwas
Wasser gegossen wird. Das Gute hat jene jedenfalls gehabt, daß
diese ihr Verfahren immer aufs neue auf seine Brauchbarkeit
geprüft hat. -
2U) Friedrich Gustav Soraf, Zur Texteskritik der Aosbtsis
Xenophoos. WS. f. klass. Phil. XVII (1900) Sp. 721-728; 755—
758; 808— 814; 851— 862.
Gemolls Ausgabe der Anabasis vom Jahre 1899 (vgl. Nr. 22)
fängt an, ihre Wirkung zu tun. Gleich dem Programm von Reuß
(Saarbrücken 1900; vgl. den nächstea Jahresbericht), stellen sich
audj die ßeiträge des allen Xenophonforschern wohlbekannten
F: G. Sorof hauptsächlich als eine Revision des Gemollschen Textes
dar, wenngleich der Verf. auch an die Arbeiten anderer gelegent-
lich anknüpft Sorof mußte in seiner Auswahl aus der Anabasis
(M9G0, B 1903) auf nähere Begründung seiner eigenen Stellung-
nahme zum Texte und seiner Abweichungen von Gern oll natur-
gemäß verzichten (doch vgl. das Verzeichnis a. a. O. S. 270—272);
hier hat. er dagegen eine ganze Reihe von Stellen, darunter nicht
wenige viel umstrittene, eingehend und, wie gleich zu bemerken
ist, so sachgemäß behandelt, daß Kritik und Erklärung nicht
wenig gefordert wird*
Cpr. ist bekanntlich die beste, aber nicht allein maßgebende
Hs. der Anabasis. Einerseits ist ihr Wert verkannt worden, und
Gemoll gebührt das Verdienst, ihr grundsätzlich wieder zu ihrem
Rechte verholfen zu haben, andrerseits bedürfen aber ihre Les-
arten der Ergänzung durch Ausnutzung besonders von C, und
158 Jahresberichte <L Philolof. Vereins.
den übrigen Hss., wie der Emendation. Beiden Gesichtspunkten
sucht S., stets vorsichtig abwägend, zu dienen.
Zunächst behandelt er (S. 721 ff.) eine Anzahl von Stellen,
an denen die Laa. von Cpr. entweder überhaupt noch nicht
beachtet oder aus unzureichenden Gründen wieder aufgegeben
worden sind.
Einverstanden bin ich mit seiner Rechtfertigung folgender
Laa.: 1 3, 19 avayy&Xa* (det. und Gemoll änayyelXai). —
II 5, 18 6n6aoi$ ay ipäv ßovldfia^a (Gemoll nach Hartman
ßovlops&a), 27 ixikeve (ixiXevtfs). — III 1, 3 und IV 2, 12
i%iy%avov und idivavxo neben Ixaöxog (G. setzt den Sing.)»
nur durfte in diesem Zusammenhange I 8,9 Sxaaxov vo iövog
nicht herangezogen werden, Worte, die alle Zeichen des Glossems
zeigen (vgl, o. S. 116). — III 1, 43 noXeputotg (nolipai^ s. o.
S. 114). — IV 6, 11 xai dondaai (G. nach Hartman ij; G.»
Apparat ist hier nicht ausreichend). — V 4, 21 onmg . . . dotyre
. . . xai . . . dtjXciayTe (G. setzt mit den det das Futurum), unter
Heranziehung der merkwürdigen Stelle ßlat. Gorg. 36 (4802?).
— V 8, 13 xai vfiwv (xai ypiSv). — VI 1, 32 &Q%ew avvs&s-
Xqccu (det. und G. <svvdq%6iv i&ekijcai). — VI 3, 10 xccra-
&ioyieg (nQaxava&ioyTss), wozu ich noch VII 3, 44 vergleichen
möchte, wo auch G. xaza&stv hat. — VI 6, 19 ino^sv^ro (G.
Plur.), 34 naqadidäaw (i$dmü§^)9 vgl. o. S. 118.
Dagegen kann wohl nicht aufrechterhalten werden I 4,15
(pQOVQia (richtig wohl mit G. (fQovoaoxlag). — I 5, 9 fin. inoi-
etro (notwendig not oho); denn I 2, 21 rf xig ixwXvey liegt die
Sache doch etwas anders. — II 1, 23 änayyeXw (anayysiXm).
— II 3, 16 i&avfiaoav (i&avficc£ov). — II 4, 12 naqa<sdyya*
(naQaaayyäv, wo es doch näher liegt, pijxog als Akk. zu nehmen).
— II 5, 10 äv (G. []). — III 3, 12 jjtHwto, wofür Poppos
ahupvio im Zusammenhang mit (iccQtvQoifi durchaus gerecht-
fertigt ist; denn der Gegensatz der Anschauung, wie z. B. U 1,2
zwischen nSpnei (wofür Krüger mit Unrecht n&pnoi schrieb)
und (faivono, liegt hier nicht vor. — III 4, 33 dttyeoov . . .
OQfjwyreg • . • f noosvotterot; die von S. hier mit C und Dindorf
empfohlene persönliche Konstruktion von öka<f£om mit folgendem
q laßt sich durch die von ihm angeführten Beispiele, die sämtlich
andere Verbindungen zeigen, nicht stützen; sie kommt bei X.
ebensowenig wie in der übrigen Gräzität vor. Es muß also,
glaube ich, bei der La. dhitfsqsv . . . oq^vrag . . . ^ nooevopi-
rovg der det. sein Bewenden haben. — IV 1, 11 GvreciQW (pvv-
eßotop; vgl. o. S. 113 und 144). — IV 5 und 6 (10 mal)
xcopdoxis, das S. als eine aus der Volkssprache entlehnte Amts-
bezeichnung auffaßt, doch sind hier die Inschriften maßgebend;
s. o. S. 128 B. — V 4, 29 vovtcov xai nXsiötM atoq>f was sprach-
lich unmöglich scheint (iowtp). — V 7, 8 ipßißm, was eben-
falls aus der Umgangssprache nicht zu rechtfertigen ist, wogegen
Xenophoji, von R. Ullrich. 159
wiederum die Inschriften bei den Verben auf -afr» allgemein
die Futurform -dum bieten (o. S. 129). — Vll 6, 37 xazaxcclviuv
(mtaxav&v).
Ob IV 3, 10 ovo veaviaxw (C), worüber Sorof S. 727 eine
längere Darlegung gibt, oder vtavlaxo* zu schreiben ist, kann
zweifelhaft sein. — V 4, 27 kommt der von S. hergestellte Text
lov di viov szi alxov £tV sqq. der in Verwirrung geratenen
Oberlieferung in C %bv de vsav i%i %ov %vv sqq. verhältnis-
mäßig nahe und kann einen ziemlichen Grad von Wahrscheinlich-
keit beanspruchen (Gemoll weniger gut top d' avdov cltov sqq.).
S. 755 ff. werden zunächst, teils mit, teils gegen C, einige
Stellen besprochen, an denen die Ordnung der Worte, wie es
sqheint, in Verwirrung geraten ist. Dabei folgt S. I 9, 18 mit
Recht der von Gemoll vorgeschlagenen Stellung sl yd %ig %i\
s. o. S. 1 13. — Nicht billigen kann ich aber, wenn er an der
von Madvig auf die einfachste Weise geheilten Stelle 1 5, 11 (tojv
vi %ov . . . %&v %ov — C beide Male tov) umstellen will %&v %§
Mivmvog zov (hernach %ov KXectQxov), weil rlg zwar bisweilen
bei Herodot und den späteren Prosaikern, wie Arrian, nicht- aber
bei den Attikern der besseren Zeit zwischen den Artikel und den
dazu gehörigen Genitiv eines Substantivs trete. Das Nicht vorkommen
derartiger Stellungen ist kein zwingender Beweis; S. unter-
scheidet hier zu fein. Anstößiger scheint mir, daß nach seiner
Herstellung im zweiten Gliede %ov ergänzt werden soll; das geht
eben nicht. — II 6, 11 ist die Umstellung von ccviov (vgl, oben
S. 117) unnötig, V 5, 17 die Anerkennung von Gemolls Streichung,
des zweiten ovtag und seine Ersetzung durch das vorhergehende
oficog (s. S. 124 f.) nicht zu billigen. — An der Stelle IV 1, 22
ist mit Gemoll zu lesen onsQ [xal] rjpäg xal avanvsifSa*
inoiycs; das zweite xal ist an seiner Stelle nötig, das erste
ebenso matt wie störend. Der Erklärung für die Entstehung des
Schreibfehlers (mehr ist es nicht), die S. gibt (S. 756), läßt sich,
glaube ich, mit fast noch größerem Recht die andere Tatsache
entgegensetzen, die uns bei Abschriften alle Tage begegnet,
daß wir nämlich, in Gedanken vorauseilend, ein nur wenig später
folgendes Wort schon vorher einmal an ungeeigneter Stelle hin-
schreiben.
Über Streichungen von Worten handelt S. dann S. 756 ff.,
808 ff. Hier kann ich seinen Ergebnissen nur selten folgen.
I 2, 21 TccfMov i%avva ist dem Wortlaut nach richtig und auch
echt (s. o. S. 120). — I 3, 7 ©V* av (paitj nccQa ßaaXia no-
Q€V£<f&a* nicht anzufechten, ebensowenig wegen der behaglichen
Breite, wie wegen des Gebrauchs von nccQa, wofür nach S. ini
oder TTQog hätte stehen müssen; es bedeutet das Ziel der Be-
wegung. — Umgekehrt ist I 2, 1 %ovg äXXovg vor nXqv nicht
zu halten. Die von S. als Stützen herangezogenen Stellen sind
anders gebaut, auch IV 2, 17, wo es sich (S. liest (o*> äXXo*
]4Q0: Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
mit Schenk!) um etwas Bestimmtes handelt, das vorhergeht.
Auch der Hinweis auf Kruger, Sprach!. 50, 4 A. 10 (Tbuk.
IV 111, 1) kann unsrer Stelle nicht helfen, da die Verbindung
eine ganz andere ist. — Zutreffend dagegen ist das ober I 1, 10
([xal] Gemoll), I 2,9 ([rjfj fidxfl G.) und I 4, 5 {\eldw xal]
«?» G.) Bemerkte; vgl. oben S. 121, 116, 121. Hier sind S. und
i6h vielfach zusammengetroffen. Vgl. zur letzten Stelle noch die
Skizze in Sorofs Ausgabe * S. 16.
An zahlreichen Stellen nimmt S., was meist zu billigen ist,
die Überlieferung von Cpr. gegen unberechtigte Streichungen in
Schutz, teils gegen, teils mit Gemoll, teils noch über ihn hinaus-
gehend. Manche davon sind auch von mir oben behandelt (vgl. :
Nr. 22 und das Stellenregister am Schluß des Berichts). Ich'
hebe folgende hervor, wobei die von S. mit Gluck verteidigten
Worte in Sperrdruck gegeben sind: I 5, 9 mg (fnevdwv. —
17, 2 äfiec tj iniovaji qfitQcc, 5 tov xivdvvov Ttqoti^
tovxog. — I 9,31 sxoov xal, wo schon Kruger das Richtige
sah; ohne, wie oft, die nötige Beachtung zu finden (ähnlich
I 10, 18 dog iUyopro und III" 4,-48 ix<ov). — II 5,8 wqI
[i$p dy twv &s(av xs xal twv oqxwv, wozu eine besonders
trteffende Auseinandersetzung gegeben wird. — II 6,6 wtfT?
nälepstv. — III 1, 35 sxetvoi, womit III 1, 17 und VII 1, 28
gut verglichen werden. — IV 2, 3 äpalgiaiovg. — IV 3, 17
nix-l rag öx&ag. — Dagegen wird IV 5, 20 olov mit Recht
nach G, aufgenommen, wie IV 6, 12 $ rj oficclrj aus den det.,
wo ^ nach 17 leicht ausfallen konnte, während an derselben Stelle
Wiederum xo Tg noaiv festgehalten wird. — IV 7, 19 ix %av-
rf[g 6 (nach C,) t^g Xwqag aQxoav. — IV 8, 11 a&QOiov, wo-
gegen mit Unrecht das folgende xal avd-Qwnwv aus C, auf-
genommen und das im nächsten Satze stehende okrj verteidigt
wird (vgl. die längere Ausführung ober diese Stelle oben S. 124),
wie auch III 3, 11 olrjg (C,) hinter ^iqag vielleicht möglich,
aber nicht nötig ist. — V 6, 18 TQiGx*>M>ovg (dem V 3, 8 als '-
Stutze dient).
Dagegen ist, wie Rehdantz richtig ausgeführt hat/ IV 6, 1
t(» xoofidgxM nicht zu halten, desgl. nicht V 4, 15 rrjg rtolsöag. — ;
Auch den Versuch, die umstrittene Stelle V 3, 4 (vgl. 0. S; 120)
mit Beibehaltung des ' yv unter Änderung der Interpunktion (Punkt,
statt hinter ysvoiievov, vor xal SXaßov) zu heilen, vermag ich
nicht als geglückt anzusehen.
* S.- 81 3 ff., 851 ff. bespricht S. eine große Menge von Stellen - —
auf deren vollständige Anführung hier verzichtet werden muß — , an •
denen in Cpr. kleinere Wörter, wie Artikel, Präpositionen, Kon-
junktionen n. ä. nach seiner Meinung ausgefallen sind. Fragen
dieser Art sind im Anabasistext wegen der eigentümlichen Be-
schaffenheit der Hss. am schwersten mit Sicherheit zu beantworten;
oft müssen wir uns mit Wahrscheinlichkeiten begnügen. Im -
X-eoophoD, vod R. Ullrich.- - 161
allgemeinen dürften die von Gemoll (s. o. S. 130) befolgten Grund-
sätze richtig sein. S. scheint mir in seiner Neigung, den Artikel
z. B. einzusetzen, wo er in Cpr. fehlt, oft viel zu weit zu gehen,
und ich vermag z. B. seiner feinen Unterscheidung der Stellen
I 4, 4, wo er %6 tvqö ttj$ KiXixiag lesen will, III 5, 1 und be-
sonders IV 3, 1, wo er taXq vniq tov nediov naqa xov
KsvTQiTfjv noTccfiöv gelten läßt, nicht zuzustimmen. — I 7, 6 ist
aber rj aQxy % nargoia zu schreiben (mit Ct), wogegen S. den
Artikel vor dem Substantiv für entbehrlich hält. Sprachgebrauch
und die besten Uss. müssen entscheiden, und das von S. oft
benutzte Mittel, aus einer der Artikelform gleichlautenden Endung
auf Ausfall des Artikels in der Überlieferung zu schließen, ist, so
nahe es liegt, doch mit einiger Vorsicht zu gebrauchen. Recht
deutlich sieht man das an der Stelle IV 4, 16, wo S. aus xal
auf ein vor IdpaZopeg (hier Statuen) ausgefallenes al schließt, das
vor dem typischen Gattungsbegriff nicht fehlen dürfe. Ich kann
nur sagen, es ist möglich, aber nicht nötig (vgl. unser wie man
es bei Amazonenstatuen sieht).
Anders steht es natürlich um Fälle wie I 10, 19, wo S. aus
der doppelten Überlieferung (avTÜv *EXXqviov C, twv 'EXXyvcov
det.) überzeugend ccvtcov als echt, xü>v 'EXXfjvwv als Glosse nach-
weist, V 1, 16, wo snl <rö) axqaTonsdov mit S. zu lesen
ist, und V 2, 23, wo in den Worten xal y vv% (foßeqä qv ^
irtiovtsa der in C enthaltene Artikel vor imovcra von Gemoll
nach den det. ausgeschieden, von S. aber mit Recht wieder ein-
gesetzt wird, während er umgekehrt an der Stelle VI 1, 5, wo C
den Artikel vor csnovdai nicht bietet, dieser Hs. gegen die det.
folgt. An einigen dieser Stellen gewinnt man aus Gemolls Apparat
übrigens kein hinreichend deutliches Bild der Überlieferung (vgl.
auch oben S. 132). Ebenso wird einerseits VII 6, 37 xai yaq
ovv (C) mit Glück verteidigt, andrerseits III 4, 30 iv und V 2, 1
ix gegen die Überlieferung von C mit Recht empfohlen. Über
liiv, %ai, nov endlich handelt der Verf. S. 853 f., meist richtig,
immer lehrreich.
S. 854— 858 bespricht S., z.T. ziemlich ausführlich, eine
Anzahl solcher Stellen, wo, teils ohne, teils mit Recht, Lücken
im Texte angenommen und von den Gelehrten ausgefüllt worden
sind, und legt seinen Standpunkt dar.
Eine Reihe zwar bestechender (dies gibt auch S. zu), aber
nicht nötiger Ergänzungen bzw. in Verbindung damit stehender
Konjekturen Gemolls werden mit guten Gründen abgelehnt, so
I 8,26 <os> (treffender Hinweis auf I 1,2); I 9,4 (hiovg},
10 (o); I 10, 1 (&»#«>>; IV 5,27 (rw). Unzureichend scheinen
mir diese aber zu l 10, 18, wo das Xdßoiro svdsia (C) nicht zu
halten ist und durch Gemolls Xdßot ng evdsia aufs glücklichste
verbessert wird; S. denkt es sich aus Gedankenlosigkeit des Schreibers
unter dem Einfluß des vorangegangenen nctqscxavdaaxo entstanden.
Jahresberichte XXX. [ \
162 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Andrerseits wird an der für die Erklärung schwierigen Stelle
III 4, 16, wo scbou Madvig und Rehdantz eine Lücke an-
genommen hatten, während Matthiae zuerst durch Änderung de»
ol t€ (C) in ol ys zu bessern suchte, in längerer Ausfuhrung
(Sp. 856f.) der ganze Zusammenhang und seine Mängel scharf-
sinnig dargelegt und aus der Ähnlichkeit von io|orc3v mit einem
anderen Worte, etwa xo&vovxeq, der Ausfall einer ganzen Zeile
vor peydka dk xal ff. angenommen, die etwa gelautet hätte ol
Kqtjt€$, a%€ [A€i£oaw ijfcfy xqwpsvoi, to%oiq, noXv nsQifjcccr
to&vovzeg, und die Einklammerung des folgenden %&v to£m?~
fidtcop (Gemoll) für ungerechtfertigt erklärt. Leider fehlt un»
jeder Anhalt, den Wortlaut der Lücke, deren Annahme auch mir
wahrscheinlich ist, in bestimmter Weise festzustellen. Den Sinn*
hat S. wohl richtig getroffen. Die Stelle VII 3, 7 liest er mit
Recht in Gemolls Fassung, doch kann man hier geradezu von hs.
La. reden. — I 3, 8 wird die Notwendigkeit von av oder etwas
Ähnlichem ebenfalls mit G. richtig erkannt (dieser hätte es in den
Text aufnehmen dürfen), aber seine Stellung vor ixekevsv an-
genommen. S. hätte seinem oben (S. 161) oft benutzten Er-
gänzungsgrundsatz hier mit Recht folgen dürfen; die Kakophonie
von ai&tg oder av neben avzov, die auch sonst bei X. nicht
selten begegnet, brauchte nicht davon abzuhalten (vgl. o. S. 110 o.
und 112 M.). — Dagegen scheint mir die Annahme des Potentialis
fisifro av yiyvec&cu VI 1, 20 (C. mit Verschreibung fA€i£covr
entstanden vielleicht aus dem bald folgenden fi€Z£ory edd. f»£i£<»}
unnötig, ebenso IV 8, 6 das Impf, infjze für das wahrscheinlich .
richtige, wenn auch an einer radierten Stelle stehende sgxsa&e
(vgl. o. S. 109 u. und 120 M.), besonders aber V 1, 10 die Ein-
schiebung von äycop (so übrigens schon Kiehl, e%wv Schenkt p
vgl. dessen Apparat), während Gemoll nach Eberhard das über-
lieferte iÄ&fi (C) in ayr\ verwandelt hatte. Ich halte hier jede
Konjektur für überflüssig (abgesehen natürlich von dem an zweiter
Stelle längst in äyr\ geänderten ayot,) und sk&fi ohne wörtliche
Ergänzung für durchaus korrekt; es entspricht dem y&t, drei
Zeilen vorher, und das dort stehende aymv ist ohne weiteres
wiederum in Gedanken zu ergänzen; daß dann in der verneinten»
Gegenüberstellung äyfi steht, ist nicht zu tadeln. — Von der
Konjektur intfAeX^g (vor xcctrjfitksi!) V 8, 1 (Gemoll iniG%äzrig\.
s. o. z. St.) darf man Notiz nehmen.
Zum Schluß (S. 858—862) bespricht S. mehrere Stellen, bei
denen die Frage, ob zu ändern ist oder nicht, wohl verschieden-
beantwortet werden könne. Die große Vorsicht, mit der er hier
zu Werke geht, ist besonders hervorzuheben; aber an einigen-
Stellen darf man, glaube ich, vielleicht schon bestimmter urteilen.
So halte ich für sicher richtig, nicht bloß für wahrscheinlich wie
S., die Lesungen von Cpr. an folgenden Stellen: II 4, 6 oXöafisv
(Gemoll eldopw). — III 2, 26 nlovaicog (G. nlovaiovg nach.
Xenopbon, von R. Ullrich. 163
Ci). — VII 6, 30 tovto di} to g%4%Xiov sqq. (G. cfy' %i)\ ebenso
andrerseits die schon von Dindorf vorgenommene Änderung xatar-
xavQvxsq IV 2, 5 (G. xataxalpoptsg nach C). Schwieriger ist
eine bestimmte Entscheidung schon bei den Stellen IV 4, 11 (ob
nach <5<fT€ der Indikativ anixqvxps — so G. nach C, — oder
mit S. der Infinitiv änoxQvipai aus dem ohne Akzent über-
lieferten dnoxQvipciv von Cpr. herzustellen ist) und VI 2, 13,
wo statt [*€%' ccvtwp (C) der schon von Bachof gemachte Vor-
schlag p€t' avtov (Hug fASta x&v ((isivdvTcov), dem G. folgt)
von S. ansprechend begründet wird. — II 6, 25, wo das an sich
sehr übliche aöxoixsiv nur durch Rasur, und zwar gerade der
entscheidenden drei ersten Buchstaben, verdächtig wird, schlägt S.
(der hier zufallig mit Reuß zusammentrifft) aiiQyovaiv vor,
während G. (s. o. S. 119) ü-tiQsvovaiv empfahl. Das eine ist
ebenso möglich wie das andere. Die Sache wird wohl so liegen,
daß der Abschreiber eigenmächtig die erste Hälfte eines ihm un-
gewöhnlich erscheinenden Verbs — das sind u. a. auch die
beiden vorgeschlagenen — durch das in solchen Verbindungen
sehr geläufige (atix)ov<fiv ersetzte. — Die Ausführungen S.s zu
V 4, 26, wo er das in Cpr. überlieferte eXemov schon als eine
alte Änderung der Vorlage ansieht, anavreq festhält und xal iv-
Tsv&sp zu syevyov zieht, haben mich nicht überzeugt; Gemolls
Änderung aipavteg (o. S. 112) ist ebenso einfach wie einleuchtend.
— I 4, 8 ist iitaMSav, wenn auch ungewöhnlich oder gerade des-
halb, mit C festzuhalten (S. XtwCccv). — VII 3, 14 haben die
det. in intiprjcpi&o&co das Richtige bewahrt (intiprj<pi&ra) C
durch Verschreibnng, wenn nicht — ohne die Konstruktion und
Bedeutung zu würdigen — mit eigenmächtiger Änderung in An-
lehnung an keyfroo; intipfjcfl^a) iyco G. nach Rehdantz; S. Fut.
i7iiiprj(piw). — I 8, 26 ist läa&at nicht zu halten, wie S. (S. 855)
will, vielmehr Idaaa&cu mit G. nach Cobet einzuführen. — Die
schwierige, von mir oben S. 120 behandelte Stelle I 9, 19 endlich,
besonders das vor %%q unmögliche av, sucht S. durch die An-
nahme eines ursprünglichen aviog zu erklären = für sich, als
sein Privateigentum. Mir scheint die Entstehung aus av&tg sehr
viel einfacher; die notwendigen Konsequenzen für den Numerus
ergeben sich in der Überlieferung dann ebenso selbstverständlich,
wie heute die notwendige umgekehrte Operation.
Ich habe aus der reichen Fülle der von Sorof auf 26 eng-
gedruckten Spalten behandelten Stellen nur die wichtigsten zu-
sammenstellen können. Vielfach konnte ich zustimmen; aber auch
da, wo man, wenigstens was das Ergebnis anlangt, andrer Meinung
ist, wird man in der eigenen Erkenntnis durch seine Beweis-
führung immer merklich gefördert. Besonders sympathisch berührt
die ruhige Sachlichkeit, mit der alle Probleme behandelt werden.
Dergleichen ist selten heute, gewinnt und überzeugt aber noch
immer. Wo die Schwierigkeiten nicht gelöst werden, sind sie
11*
1(54 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
doch aufgedeckt, und man wundert sich immer aufs neue, wie-
viel doch in dieser von ganzen Generationen von Gelehrten,
Lehrern und Schülern behandelten Schrift immer noch zu tun
übrig bleibt. Wer immer die Anabasis zu erklären hat, gleich-
viel wo, wird Sorofs gelehrte und feinsinnige Erörterungen mit
Erfolg zu Rate ziehen.
30) Martin Fickels cherer, Die Königsstandarte bei den Persern.
Neue Jahrbücher für das klassische Altertum 1898, I, S. 480—481.
Die Stelle An. I 10, 12 xal %6 ßaailsiov arjfisXov oqav
etpatiav aisxov thva xqvcovv inl niXtri [inl %vXov\ avars-
tctfisvov hat der Erklärung lange Schwierigkeit bereitet. Da
TiskTtj Schild bedeutet und diese Bedeutung für unsere Stelle
nicht passend schien, dachte man entweder an Verderbnis des
Textes oder nahm das Wort, verleitet u. a. durch Cyr. VII 1, 4
ijp d£ ccvtm xö GrjfisTov alsxoq xqvaovg inl doQccvog fACcxQOV
imtsTapivog, hier in dem besonderen Sinne von öoqv; vgl. Krüger
z. St. Eine einfachere Erklärung gibt F. (vgl. übrigens schon
Krüger) nach dem bekannten Mosaik der „Alexanderschlacht44, das
auch die Königsstandarte zeigt. Danach ist nilttj ein mit einem
Schilde vergleichbares Brett, das an einem Speere unmittelbar
unter der Spitze befestigt war und den Adler aufwies, der nach
F. auf dem Mosaik noch deutlich zu erkennen ist. Das Glossem
inl %i>lov scheint noch durch dieselbe Vorstellung veranlaßt.
Erklärende Ausgaben und Wörterbücher hätten also von dieser
einfachen Berichtigung Notiz zu nehmen, haben es übrigens z. T.
(z. B. Vollbrecht wenigstens beiläufig) schon getan.
C) Vermischte kleinere Beiträge zur Kritik und Erklärung
der A nabasis.
31) a) A. Weidner, Altera miscellanea critica. Progr. Dortmund
1898. 7 S. 4.
Im Anschluß an eine Stelle des Dio Chrvsostomus bespricht
W. S. 3 Anab. III 2, 33 Msrä tavrcc Xsigiaocfog sinsv *Akl'
si \i£v zivog cckkov dst nqog tovroig olg Xeyei Sevocpcov, xal
avzixcc i^idrav axonstv (so Gemoll nach Schwartz bei Hartman,
Anal. Xen. S. 76; noistv C). W. schlägt, indem er noieXv und
sin et v in Majuskeln nebeneinanderstellt, letzteres statt noieXv vor.
Die Majuskeln helfen, scheint mir, hier wenig; Elfi und TTOI
sind so unähnlich wie möglich. Daß noitXv nicht paßt, ist bei
, Hartman a. a. 0. ausgeführt. Der Gedanke des suadere aber,
welchen W. in einsXv sucht, ist viel zu matt; GxoneTv (prüfen)
entspricht allein dem geforderten Zusammenhange.
b) T. G. Tucker, Various emendations. Tbe Classical Review XII
(1898) S. 23—27.
Zur Erläuterung einer eigenartigen Verschreibung bei Theokrit
Xenophoo, von R. Ullrich. JßQ
(XIV 51 yevfjbd ze — yevfiaxs — ysvpe&a) zieht T. S. 24a
heran Anab. VII 7, 24 qv xi tm %v vmayy^vxai (C. %6%h), desgU
zur Stütze einer Emendation bei Herodot (I 33 o ts Xoyov sqq.;
codd. ovz€) An. VII 6, 38, wo seit langem ov fiijv ozs ye sqq.
für ovis (C) gelesen wird. Hier wie dort hat eine vorhergehende
Negation die zweite, unrichtige herbeigeführt.
c) R. Schubert, Der Tod des Kleitos. Rhein. Mus. 53(1898)
S. 98- 120)
will S. 109 zur Erläuterung des Renommierens gewisser Persön-
lichkeiten aus dem Gefolge Alexanders des Großen mit dem Ver-
trauen des Königs in der bekannten Stelle der An. I 8, 15, der
Erzählung der Begegnung des Kyros mit Xenophon, etwas Ähn-
liches finden — schwerlich mit Recht.
d) F. Bin ss, Bakchyiides' Gedicht auf Pytheas von Aigin a. Rhein.
Mus. 53 (1898) S. 283—307.
S. 293 wird im Gegensatz zur Erklärung von neige*) (vgl.
Blass zu Bakchyl. XII [XIII] 52), das mit der Waffe als Subjekt
in der Bedeutung unseres gehen durch etwas nicht belegt ist, der
entsprechende Sinn für xohqsü) (so Anab. IV 2, 28) — %ä di
%o%svpa%a 8%(aq6i> diä tcov aanidtov sqq. — hervorgehoben.
e) L. Radermacher, Varia. Rhein. Mus. 55 (1900) S. 149—151.
Jux in Compositis (S. 150) ist häutig in die Texte da ein-
gedrungen, wo ein xal vorhergeht, so IV 1, 26 xal [d^iqwjäv
(Suidas); V 3, 4 xal [di\ilaßov\ vgl. o. S. 120 o. und 160.
f) K. Lincke, Miscellanea. Philologus LIX (IN. F. XÜI) 1900
S. 186—200.
S. 189 untersucht L. I 7, 10—12 und will (während Reuß
die ganze Stelle, andere den Satz olxoi <T av sqq. Xenophon
absprechen) das ganze Mittelstück (§11) tcov ds nohfilcov iXi-
yovxo stvcu . . . xsxaypsvoi rjoav als Interpolation nachweisen;
nach ihm hätte sich 12 xov de ßaaiXicog 0TQaT€V[ACccoQ sqq.
unmittelbar an 10 %&v piv 'Elkrjvwp und xov di fisia Kvqov
anzuschließen; denn bei der hs. La. würde den Truppen des
Kyros zuerst das Heer der Feinde, dann das des Königs entgegen-
gesetzt. Die Zahl 1 200 000 habe ein scriptor tiro aus den Teilen
erschlossen, und die 6000 (Korps des Artagerses) seien aus I 8, 24
bierhergeraten. Die Interpolation (ebenso wie I 2, 9 fin. die Worte
xal iyivovxo sqq.) sei von der Art, wie sie ein homo scribendi
imperitus ignarusque in den ersten beiden Büchern der Hellenika
verübt habe, wobei sich L. dann auf die bekannte Abhandlung
von G. F. Unger (Die historischen Glosseme in Xenophons Hellenika,
Sitzungsber. d. bair. Akad. d. Wiss. 1882 S. 237 ff.) beruft. Nach
1*66 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
meiner Meinung ist hier ebensowenig wie I 2, 9 ein Grund, die
Überlieferung zu verdächtigen. Denn es findet gar nicht eine
doppelte Gegenüberstellung statt; vielmehr wird, wie naturlich,
zunächst die Gesamtzahl der Feinde der Menge der Kyreer entgegen-
gesetzt und, wie ebenso naturlich, das Elitekorps des Artagerses
besonders aufgeführt (die Stelle I 8, 24 weist deutlich, wie auf
I 8, 13, so auf die unsrige zurück). Mit %ov di pBydkov ßaatlimq
sqq. aber macht X. noch nähere Angaben über die persische
Fuhrung; schließt man dies unmittelbar an 10 an, so wird die
Verbindung verschlechtert. Naturlich hätte X. statt ßa<siXi&$
GTQai€V(Aato$ auch noXspimv sagen können; er knöpft aber,
was sachlich auf eins hinauslief, in der Form an nqö aviov
ßa<t*X4a>$ in 11 an. Ober die hohen Zahlen, die mit dieser
Frage an sich nichts zu tun haben, vgl. z. B. Delbrück (a. a. 0.,
— s. oben Nr. 11 — S. 119 f.).
Die der Anabasis in den Jahren 1898 — 1900 gewidmeten
Arbeiten von Karbe, Leyhausen (1898), Zucker (1899 und 1900),
Reuß (1900) und die Abhandlungen von Orszulik (1898, 1902,
1903) und Klett (1900) werden im nächsten Jahresbericht ihre
Stelle finden.
III. Hellenika.
A. Ausgaben, Präparationen, Wörterbücher und Ähnliches.
32) M. E. Grandmann, Vokabeln und Präparation zu Xenophons
Hellenika für den Gebrauch zu allen Ausgaben eingerichtet.
3 Hefte: Buch 1-3 (42, 42, 48 8.). 8. Gotha 1898, F. A. Perthes.
Je 0,b0Jt.
Anzeigen: M. Hodermann, N. phil. Rdsch. 1899 S. 64 f. — J. Sitzler,
Gymnasium 1899 Sp. 124 f. — E. Althaus, WS. f. klass. Phil. 1899
Sp. 915f. — J. Goiling, Ztschr. f. d. b'st. Gymn. 1900 S. 125. —
J. Sitzler, Gymnasium 1900 S. 125.
33) W. Braun, Präparation zu Xenophons Hellenika. 2 Hefte:
Buch I und II (Auswahl), III und IV (Auswahl). Hannover 1901 und
1902, Norddeutsche Verlagsanstalt (O. Goedel) Je 32 S. gr. 8.
0,60 JCj 0,65 JC. (Krafft uud Rankes Präparationen für die Schul-
lektüre, Heft 61 und 71).
Anzeigen: WS. f. klass. Phil. 1903 Sp. 156 f. — F. Kunz, Ztsehr.
f. d. Ost. Gymn. 1903 S. 466 f.
Was von gedruckten Präparationen zur Anabasis wenigstens
für den Beginn der Lektüre oben (S. 101 ff.) noch Günstiges ge-
sagt werden konnte, trifft für ähnliche Hilfsmittel zu den Hellenika
nicht mehr zu. Xenophon ist den Schülern, wenn sie an diese
neue Schrift herantreten, mindestens seit einem Jahre vertraut,
und ich bin der Meinung, daß ihnen in einem Alter, in dem sie
zu Torheiten mancherlei Art besonders neigen, etwas solidere
Arbeit zugemutet werden muß als die bequeme Benutzung dieser
die Wörter und Phrasen der Beihe nach verzeichnenden Prä-
Xenophon, von R. Ulirieh. J 67
parationen: sie müssen für die Prosalektüre von jetzt an auch
nicht mehr zu einem Speziallexikon greifen, sondern in einem
größeren heimisch werden, das ihnen bis zum Ende der Schul-
zeit in den Händen bleibt.
Vom didaktischen Gesichtspunkte kann ich also die Prä-
parationen von Grundmann und Braun für Schüler höherer Lehr-
anstalten nicht für geeignet halten und nur feststellen, was sie
Tatsächliches bieten. Grund mann gibt eine vollständige Prä-
paration zu den drei ersten Büchern, Braun eine Auswahl, und
zwar fehlt von Buch I nur Kapitel 2, dagegen ist in Buch III
und IV eine strengere Scheidung vorgenommen. Berücksichtigt
sind III 1; 2, 12—31; 3,4—11; 4,1—29; 5; IV 1—3; 4, 1—14;
5; 8 (im Inhaltsverzeichnis Druckfehler: 6). Da nichts Erhebliches
weggelassen ist, so kann man das Verfahren hier wohl billigen.
Auf das kleine Format der Hefte von Grundmann trifft dasselbe
zu, was ich oben (S. 101 unten) zu Hansens Anabasispräparation
bemerkt habe, andrerseits sind sie praktischer gedruckt als die
Braunschen. Grundmanns Arbeit ist einfacher gehalten, Braun
erhält durch etymologische Hinweise u. ä. einen gelehrteren An-
strich. Ein Drittel der Vokabeln würde ich ruhig streichen. Wer
zwei bis zweieinhalb Jahre griechischen Unterricht gehabt hat und
Wörter wie GzQaxonsdov, dicoxu), lipijr, tUiy, (pgovQcc, ccqxoo,
doxetv, ßoTj&stv (Grundmann), d-voa, ixxlfjaia, dixopai, alqstv,
&£qoq, x€lfia>v (Braun) — um nur einiges zu erwähnen — nicht
kennt und die einfachsten Präpositionen, die er doch schon in
O, III im Zusammenhange gelernt hat, sich hier immer wieder
einzeln Vordrucken lassen muß, wird mit ihnen nie vertraut
werden.
Und wenn auch in gedruckten Präparationen für Obersekunda
und Prima (auch von diesen werden wir bald ein wohlassortiertes
Lager haben) die einfachsten Dinge wieder und wieder gedruckt
werden und man nur bedauern kann, wieviel Zeit darauf ver-
wendet wird, so spricht dies am lautesten gegen das ganze Ver-
fahren, das Sicherheit der Kenntnisse zu fördern meint und, weil
es am einzelnen haftet, statt das Ganze im Auge zu behalten, das
Gegenteil schafft, Unsicherheit, Oberflächlichkeit, Zerstreuung, kurz
das Gegenteil von dem, was den Schülern eine Propädeutik wissen-
schaftlicher Arbeit werden soll.
Wo es sich um den Unterricht Erwachsener handelt, die er-
hebliche Vorkenntnisse und größere Reife mitbringen und sich in
einen Schriftsteller rasch einlesen wollen, mögen gedruckte Prä-
parationen am Platze sein, allenfalls auch wo tüchtige Primaner,
soweit sie heute noch Zeit und Interesse dafür haben, privatim
fremdsprachliche Schriften lesen wollen, die außerhalb des Be-
reiches des Obligatorischen liegen, — für die Vorbereitung auf die
Klassenlektüre sind sie nach meiner Meinung ungeeignet und
schädlich.
168 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
34) K. Thiemann, Wörterbuch zu Xeuophons Hellenika mit be-
sonderer Rücksicht auf Sprachgebranch and Phraseologie. Für den
Schulgebrauch bearbeitet. Vierte Auflage. Leipzig 1898, B. G. Teubner.
VI u. 124 S. gr. 8. 1,50 JL.
Anzeigen: E. Althaus, WS. f. klass. Phil. 1899 Sp. 262— 264. —
F. Müller, ßerl. phil. WS. 1899 S. 893. — J. Golling, Ztschr. f. d.
öst. Gymn. 1900 S. 124. — S. Herzog, Württ. Korr. 1900 S. 443.
Die vierte Auflage des Thiemannschen Wörterbuchs ist der
dritten in noch kürzerem Zwischenräume gefolgt als diese der
zweiten, gewiß ein Beweis für die Brauchbarkeit des Buchleins.
Auch sie ist wiederum sorgfältig durchgesehen, in einer ganzen
Reihe von Artikeln ist die Anordnung und der Ausdruck gebessert,
die eine oder andere Stelle oder Zahl ist neu hinzugekommen;
mau vergleiche z. B. dyad'og, algico, ahido^ai, ccpco, ä£iog, .
ctmoöxediä^aii ßovlij, yiyvopai, ygcccpoo, drjjtoc, dix^ dvvw
(vgl. o. S. 129), id(o, elfii, sxxXfjtiia, ilavTOw, sQXOficu, sx<a+
xav£%(i), Tragl/w, i£tao/ucu (Madvig), itpitipu, äcpiMtofiai, xgcttico,
naQCcaxtvij, n4[A7Z(o, neqi, nols^co, rcgog, GijfAalpco, 0vvidvTCor
Tvxyccvto, (piquii (p&dvco, ^aAcTrdg, %dqig u. a. (Ich richte bei
dieser Gelegenheit an die Herausgeber der Neuauflagen von Texten,
Wörterbuchern und ähnlichen Arbeiten und ebenso an ihre Verleger
die schon oben (S. 97) ausgesprochene Bitte von neuem, sie
möchten die wesentlichsten Änderungen besonders verzeichnen.)1
Andrerseits ist Entbehrliches gestrichen worden, so daß der Um-
fang im Vergleich zur vorigen Auflage nur um zwei Seiten ge-
wachsen ist; vielleicht ist es möglich, darin noch etwas weiter zu
gehen, auch deswegen, damit der Preis von 1,50^ für das un-
gebundene Exemplar etwas herabgesetzt werden kann; Vollbrechts
Anabasislexikon kostet mit seinem doppelten Umfange, seiner
besseren Ausstattung, der Fülle von Abbildungen und dem statt-
lichen Einbände nur um die Hälfte mehr. Wenn anders das :
Wörterbuch für Schüler bestimmt bleiben soll, die schon zwei
Jahre oder länger griechischen Unterricht und mehrere Bücher
der Anabasis hinter sich haben, wird in der Tat manches hier
Verzeichnete, z.T. der elementarsten Art, entbehrlich; auch die
Angaben der Stellen können erheblich eingeschränkt werden, da
sie die Schüler zur Gedankenlosigkeit verleiten, die der Verf.
gerade bekämpft. Für den gelehrten Benutzer und den Studenten
ist das alles sehr schätzenswert und gewiß vielfach mit Dank be-
nutzt worden; seit uns aber der ausführliche Index verborum in
Kellers großer Ausgabe zur Verfügung steht, kann dieses Wörter-
buch überall da noch mehr in den Dienst seiner eigentlichen
Bestimmung treten, wo man für Unter- und Oberseluindaner noch
Spezial Wörterbücher für nötig hält.
Von Einzelheiten habe ich mir als veränderungsbedürftig an-
gemerkt: aptnnog hinten aufsitzend und Fußsoldaten,
yvpvog nackt, xtavegov = Hsqov, iupsazdvcu slg abtrünnig
wohin gehen, xal Z. 21 urgieren, iv xalto (s. v. xalog) xo%
Xenophon, vod R. Ullrich. 169
%6Xnov günstig gelegen mit Rucksicht auf den Meer-
busen, iavgtiJqux Geheimkulte, vo&oq von einem Kebs-
weibe geboren. Warum gerade bei Iva nur auf die Grammatik
verwiesen wird, während andere Konjunktionen, auch die ein*
fachsten, ausfuhrlich behandelt werden, ist nicht recht einzugehen ;
bei &&k& konnte auf i&ikco verwiesen werden; hinter 6 atQccTrjyög
mit Angabe der Stelle 1 4, 21 durfte trotzdem nicht einfach fort-
gefahren werden: „In Athen die oberste Militärbehörde4*; (ftjfii
3) = negare bedurfte einer Erläuterung; bei den Übersetzungs-
vorschlägen zu ds (s. v. (i£v) fehlt die einfachste: Auslassung der
Partikel unter gleichzeitiger Betonung des zugehörigen Wortes.
Die noch in der vorigen Auflage manchmal gestörte alpha-
betische Wortfolge ist jetzt, wie es scheint, überall berichtigt, die
Laa. der Kellerschen Ausgabe sind vollständiger berücksichtigt,
auch der griechischen Orthographie ist volle Sorgfalt zugewendet
worden, vgl. z. B. Xrj&tiai, cr(»£ar, avvxw u. ä., doch durfte dann
auch ccd-qooq eingeführt werden, und xaico war neben xaoo (beides
fehlt übrigens in Kellers Index) wenigstens zu nennen. Nachdem
Gemoll in seinen Anabasisausgaben diese früher sehr vernach-
lässigten Dinge wieder herangezogen und in der Hauptsache
richtig behandelt hat (vgl. oben S. 126 — 131), wäre es sehr zu
wünschen, daß auch die Hellenika daraufhin aufs neue durch-
gesehen würden.
Von stehen gebliebenen Druckfehlern habe ich mir notiert
tvdaiiiovwoq, ovtisq, Qcoyvvfn stärken (!); mehrere Komposita
unter P sind im Druck nicht eingerückt.
Von seiner von der ersten Auflage an befolgten, vielfach
aber mit Recht bemängelten Methode, die Verba composita nicht
für sich, sondern unter den simplicia aufzuführen, ist Verf. auch
in dieser Auflage nicht abgegangen, so unpraktisch sie auch ist.
Aber es läßt sich leicht denken, daß er einen lange mit eben-
soviel Liebe gehegten wie mit Überlegung durchgeführten Ge-
danken nicht gern aufgeben wird. Wir müssen also die kleine
Unbequemlichkeit in Kauf nehmen und uns der sonst gebotenen
guten Gabe freuen.
35) Xenophons Griechische Geschichte. Übersetzt von Konrad
Wer nicke. Mit einer Karte vod Griechenland und der Küste von
Kleiuasien zur Zeit Xenophons. Leipzig (1900), Philipp Reclam jun.
(Universalbibliothek N. 4061—4063). 296 S. 16. 0,60 JC, geb. 1 JC.
Anzeige: R. Pöhlmann, DLZ. 1901 Sp. 2838—2839.
Es ist ein erfreuliches Zeichen, daß der bekannte Reclam sehe
Verlag in seinem Bestreben, fremdsprachliche Werke in guten
deutschen Übersetzungen zu billigem Preise allgemeiner zugänglich
zu machen, auch jetzt noch Werke aus dem klassischen Alter-
tum berücksichtigt. Der Übersetzung der „Wirtschaftslehre44 von.
M. Hodermann (vgl. u. Abschnitt V) ist die der „Hellenika" bald
gefolgt.
170 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Eine Einleitung (S. 5 — 9) orientiert über Inhalt und Be-
deutung der Hellenika; sie gibt die bekannten Tatsachen im
ganzen richtig wieder und sucht auch der „Tendenz" gerecht zu
werden. Daß X. schon 422 (!) bei Delion mitgekämpft habe (S. 6),
glaubt heute freilich niemand mehr. Auch daß er Epaminondas
ungerecht, ja feindlich beurteile, ist, so allgemein ausgesprochen,
nicht richtig; die hohe Bedeutung des Feldherrn hat niemand so
richtig erkannt wie gerade Xenophon, der Soldat; vgl o. S. 95 M.
Die Obersetzung „ist bestimmt für gebildete Leser, die
das Werk als solches zu genießen wünschen, denen es aber ver-
sagt ist, das Original zu lesen". Auf gute deutsche Form, nicht
auf wörtliche Anlehnung an das Original kommt es dem Verf.
also an. Die Tatsache, daß er deshalb „sich nicht gescheut hat,
bisweilen selbst das Satzgefüge des Originals umzugestalten",
brauchte also nicht erst betont zu werden. Sie ist für jeden,
der griechische oder lateinische Texte in gutes Deutsch über-
tragen will, selbstverständlich. Mit allzu hohen Ansprüchen wird
man demnach an W.s Obersetzung nicht herantreten dürfen. Sie
ist zwar im ganzen richtig und kann dem des Griechischen un-
kundigen Leser die Kenntnis des von X. erzählten Abschnittes
griechischer Geschichte treu vermitteln, ästhetisch angesehen erhebt
sie sich aber nicht über den Durchschnitt derartiger Arbeiten;
der griechische Text mit seinen Eigentümlichkeiten schimmert
überall zu sehr durch; dem Verf. sind überhaupt die wesentlichen
Unterschiede beider Sprachen zu wenig zum Bewußtsein gekommen,
als daß er zugleich mit dem richtigen Erfassen des Sinnes auch
die Form mit der nötigen Freiheit hätte handhaben können. Hier
einige Proben: Gleich S. 1: „mit wenigen Schiffen ausgerüstet",
ein Kampf zwischen den Schiffen und dem Strande;
„stach in See" ist, wenn auch oft gebraucht, doch nicht Fach-
ausdruck. S. 2: er warf sich zu Pferde; 25 geringere Geister
hätten ihm nachgestellt; 44 starb schließlich vor Hunger; 86
Sobald dies geschehen, 121 Damals jedoch, 128 daß der größte
Teil seines Heeres so beschaffen sei, 180 Da fuhr mancher
übel ab; fast auf jeder Seite findet sich derartiges. Die Ober-
setzung müßte also nach der Seite der Form einer sehr gründlichen
Durchsicht unterzogen werden, um als eine gut deutsche gelten
zu können. — Welchen Text W. zugrunde gelegt hat, sagt er nicht
Auch über die Benutzung seiner Vorgänger erfahren wir nichts.
Hier und da sind Fußnoten gegeben, um das Verständnis
zu erleichtern. Aber sie lassen kein rechtes Prinzip erkennen,
ebensowenig das erklärende Verzeichnis fremdsprachiger
Ausdrücke S.286 — 290. Wer ein solches Buch überhaupt zur Hand
nimmt — etwa ehemalige Schüler von realen Bildungsanstalten,
die alte Geschichte aus einer Quelle kennen lernen möchten — ,
weiß über Einzelheiten aus den Bealien wie über Spartas Lage am
Eurotas, gemeinsame Mahlzeiten der Spartaner (S. 192), Hand-
Xenophon, von R. Ulirick. 171
aufheben (38), Sichelwagen (117), Archonten (286), Ephoren,
Heloten (287), Kotbarn, PelUsten (288), Phalanx, Talent (290)
entweder Bescheid oder kann sich leicht aus allgemeinen Hilfe-
mitteln Rat holen. Wesentlicher ist es, daß öfters auf Schwierig-
keiten des Zusammenhanges, wirkliche oder vermeintliche Lucken
<Jer Darstellung der Ereignisse und der Charakteristik der Personen
und ähnliches (z. B. S. 15, 16, 20, 51, 78 u. ö.) kurz, aber zu-
verlässig hingewiesen wird; denn in diesen Dingen bedarf der
unkundige Leser am ehesten des Rates und sucht ihn ander-
wärts leicht vergeblich. Derartige Hinweise, besonders knapper
Art, wie sie hier nur sein können, sind schwieriger zu geben,
aber viel forderlicher als jene andern.
Erwünscht wäre es gewesen, Buch und Kapitel am Kopf, die
Paragraphen am Rande jeder Seite angegeben zu finden. Eine
Übersicht des Ganzen, nach den Kapiteln geordnet, findet der
Leser S. 291 — 296. An die beigefügte Karte darf man natürlich
keine hohen Ansprüche stellen, was die Ausführung anlangt; viel-
leicht konnten aber, soweit es der kleine Mafistab zuliefi, die in
den Hellenika vorkommenden und der Lage nach annähernd be-
stimmbaren örtlichkeiten vollständiger verzeichnet werden, als es
geschehen ist.
Über den Kommentar zu Sorofs Hellenikaausgabe (1899)
wird in Verbindung mit der zweiten Auflage seines Textes (1901)
im nächsten Jahre berichtet werden.
B. Zur Kritik and Erklärung der Hellenika.
36) Georg Bosolt, Aristoteles oder Xenophon? Hermes XXXIII
(1898) S. 71—86.
Nach der Wiederauffindung der *A&nvai&v nolweia des
Aristoteles ist die Frage nach den Quellen des Schriftstellers im
«raten Teile, dem geschichtlichen Abriß (K. 1 — 41), und die nach
dem Maße der ihm zukommenden Glaubwürdigkeit lebhaft er-
örtert worden und bat eine kaum noch zu übersehende Literatur
hervorgerufen.
B. unterzieht hier den Abschnitt 34, 3 — 38, von der Ein-
setzung der Dreißig bis zur Versöhnung, und den entsprechenden
Teil in Xenophons Hellenika II 3 und 4 einer eingebenden Unter-
suchung mit besonderer Rücksicht auf die Reihenfolge der
Ereignisse und sucht zu beweisen, daß Aristoteles, bzw. seine
Quelle, sie richtiger dargestellt habe als Xenophon.
Auch diese besondere Frage ist im einzelnen schon häufiger
behandelt worden, und die Verfasser der größeren geschichtlichen
Handbücher haben, so oder so, zu ihr Stellung genommen. Von
ihnen geht B. aus. U. v. Wilamowitz (Aristoteles und Athen
I 122 f., 165 f.; II 218 A. 2) und Pöhlmann (Griechische Ge-
172 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
schichte ' S. 147 f., in Iwan Müllers Handbuch III 4) geben Aristoteles
den Vorzug (letzterer nimmt nur die Besetzung Phyles aus), wo-
gegen A. Börner in einer ergebnisreichen Götlinger Dissertation
von 1894 (De rebus a Graecis inde ab a. 410 usque ad a. 403 a. Chr.
n. gestis S. 55 ff.; doch vgl. die einschränkenden Bemerkungen
A. Bauers, WS. f. klass. Phil. 1895 Sp. 319—323) und J. Beloch
(Griech. Gesch. II 116 ff.) sich im wesentlichen für Xenophon ent-
scheiden. B. hätte zu den Fürsprechern des Aristoteles noch
A. Bauer fugen können (Literarische und historische Forschungen
zu Aristoteles' Id&rjvaiunr Txolixeia, Mönchen 1891; vgl. oben
S. 86), um so mehr, als dieser (vgl. besonders S. 151 ff.) z. T.
schon skizziert hat, was B. nun im einzelnen ausfuhrt. Ent-
schieden für Xenophon ist dagegen neuerdings noch eingetreten
Eduard Meyer (Gesch. d. Alt. V, besonders S. 18—25, 36—41),
dessen klare und, wie ich glaube, im ganzen auch richtige Aus-
führungen Busolt gewiß manche Bedenken erregt hätten, wären
sie ihm schon bekannt gewesen.
Ausgehend von der Behauptung von v. Wilamowitz (a. a. 0.
165f.), daß die Übereinstimmung einer Einzelheit, Xen. Hell.
II 3, 19 und ld&. n. 36, 2, auf gemeinsame Benutzung einer
schriftlich verbreiteten Rede des Theramenes zurückzuführen sei 1)f-
schreibt B. beide Stellen mit Recht in etwas weiterem Umfange
aus (Hell. II 3, 17—19 und U&. n. 36, 1—2) und weist nach,
daß Aristoteles hier X. selbst benutzt hat, indem er den Worten
des Theramenes nur eine schärfere Fassung gab (vgl. schon
A. Bauer a. a. 0. S. 152 o.). Und wiederum in Anknöpfung an
v. W.s Meinung, daß Aristoteles den „Wert eines selbständigen
Zeugen habe" (a. a. 0. I S. 122) unterzieht er (S. 73 ff.) das Ver-
hältnis von Diodor XIV 3—5 und 32 — 33 zu der gesamten
Darstellung *A&. n. 34 — 38 einer eingehenden Prüfung. Diodor
hat schon in Buch XI — XIII Thukydides und Xenophon mit einer
andern Quelle verarbeitet; ebenso findet sich in XIV 3 — 5 (was
B. im einzelnen ausführt) xenophontisches Gut neben anderem.:
Dabei ergibt sich nun die merkwürdige Tatsache, daß Aristoteles
von den xenophontischen Stücken abweicht, mit den nicht-
xenophontischen aber ziemlich genau, oft bis auf den Wortlaut,
übereinstimmt. So entsprechen sich die Wahl der Dreißig (Diod.
XIV 3, 7 und *A&. n. 34, 3), Besetzung der Ämter (I). 4, 2^
A. 35, 1), Beseitigung der novfjgoi und Beifall der Bürger (D. 4, 2;
A. 35, 3), Konfiskationen (D. 5, 5; A. 35, 4), erfolgloser Vorstoß-
der Dreißig gegen Phyle (D. 32, 3; A. 37, 1) — dies vor dem
Tode des Theramenes — ; danach: wachsende Willkür (D. 5,6;
A. 37, 2), Bitte um Hilfe in Sparta (D. 32, 6; A. 37, 2)*), Ein-
*) B. (S. 73 Anm. 1) vermutet in Archinos, dem Freunde des Therameues,.
den Verfasser einer solchen Parteischrift.
*) Doch ist zu bemerken, daß D. die (pQovqd des Kallibios schoo-
vorher (XIV 3, 3 und 4) erwähnt (wie Xenophon), wahrend der Ausdruck
Xeuophou, von R Ullrich. 173
«ahme von Munychia (D. 33, 2; A. 38, 1), Einsetzung der Zehn
(D. 33,5; A. 38,1). Und wenn auch, wie ich hinzufuge, mehrere
der Stellen (z. B. D. 32, 3 und A. 37, 1; & S. 172 A. 2) sich in so
allgemein üblichen Ausdrucken bewegen, daß auf eine Entlehnung
nicht gleich zu schließen ist, so ergibt sich doch aus den übrigen
mit Sicherheit, daß (S. 75) Aristoteles wenigstens zum Teil aus
einer von Diodor oder dessen Gewährsmann benutzten Quelle
geschöpft bat. Und noch näher als Diod. XIV 4, 2 totg int-
€&x€0za%oi$ xmv noXixüv £vtjQ€<tte& %ä yiyvopsva und den
anderen Ähnliches berichtenden Quellen (Hell. II 3,12; Lys. XII
(g. Eratosth.) 5. XXV 19 und zwei Plutarchstellen) steht den
Worten l<4&. n. 35,3 ig? ©fc €%aiQtv 17 noXic ^»/vo/icvok,
jjyovpevo* xov ßeXviazov %dqiv itoitXv avxovg die
bekannte Äußerung des Sallust (Cat. 51, 29) ea populus laeiari et
merüo dicere fitri. Sallust bat nun, so folgert B., .«natürlich"
Dicht den Aristoteles benutzt, wohl aber den Eplioros, dessen
Werk Diodor, wie sonst, so auch in der Geschichte der Dreißig
ausgeschrieben bat, was ansprechend begründet wird. Da nun
aber (nach v. Wilamowitz a. a. 0. I 306) weder Ephoros aus der
*A&~ n. noch Aristoteles für diese aus jenem geschöpft haben
kann1), so müssen beide derselben Quelle gefolgt sein. Als
solche möchte B. eine Atthis, und zwar, wie sonst oft, so auch
hier, die Androtions*), annehmen und sucht dies zu begründen,
soweit es bei dem spärlichen Materia) möglich ist, das uns hierfür
zur Verfügung steht.
Bis hierher (S. 77 o.) kann man B. im wesentlichen bei-
stimmen : die Abhängigkeit des Aristoteles in der Stelle *A&. n.
36, 1—2 Ton Xen. Hell. II 3, 17 — 19 scheint mir unzweifelhaft,
die Benutzung einer gemeinsamen Quelle mit Ephoros- Diodor
sicher und diese in Androtions Chronik zu sehen, wenigstens
wahrscheinlich oder doch möglich, und es stehen bei der Frage
nach der Zeitfolge der Ereignisse etwa des letzten Drittels des
Jahres 404 und des ersten Drittels von 403 in der Tat eigent-
32, 6 allgemeiner ist aad zu der von Aristoteles erst zu der späten Stelle
.37, 2 erwähnten Sendung des Kallibios nicht stimmt. Entweder sind also
zwei Gesandtschaften anzunehmen, oder, was wahrscheinlicher, D.s Chrono-
logie ist, wie oft, in Verwirrung geraten. B. (S. Sl) meint, die auxilia in
32, 6 seien ein Versuch des Ephoros, zwischen Xenophon and der Chronik
Androtions (s. o.) zn vermitteln.
') Die von Baaer früher angenommene (a. a. O. S. 155; vgl. aneh die
weitere dort angefahrte Literatur über den Gegenstand) and von Basolt be-
kämpfte Abhängigkeit des Aristoteles voo Ephoros ist von jenem inzwischen
wesentlich eingeschränkt worden; vgl. die „Forschungen zur griechischen
Geschichte" o. s. w. (s. o. Nr. 7) S. 271 und 272 o. Basolt weist nach noch
darauf hin, daß sich im Falle einer Benützung des Ephoros durch A. bei
diesem mehr xenophon tische s Gut finden maßte.
*) Vgl. Basolt, Griech. Gesch. II J S. 8, 32 ff., 54 and außer der dort
angeführten Literatur noch M. Heller, Quibus auctoribus Aristoteles in re-
pabliea Atheniensium eonscribeada et qua ratione usus sit. Diss. Berol. 1893.
174 Jahresbericht« d. Philolog. Vereins.
lieh nun Xenophons Hellenika nicht mehr dem Aristoteles in der
*A$. 7TM sondern der Chronik gegenüber.
Wenn nun aber B. hier aus äußeren und inneren Gründen
der Chronik vor Xenophon — trotz wechselnden Ausdrucks im
einzelnen; vgl. S. 77, 78, 81, 86 — im ganzen doch den Vorzug
zu geben geneigt ist, so vermag ich ihm darin nicht mehr zu
folgen. Die Bedeutung des Umstandes zwar, daß X. wahrschein-
lich unter den Dreißig als Ritter gedient hat1) und so die er-
zählten Ereignisse wohl alle aus eigener Anschauung kannte8),
verkennt auch B. nicht. Daß aber die hier geschilderten Er-
eignisse in seiner Erinnerung zurückgetreten und verdunkelt sein
sollen, so daß sich ihm ihre Reihenfolge bei der Niederschrift
nach 394 (wohl noch viel später; vgl. die mehrfach zitierten Unter-
suchungen von E. Schwartz) verschob, daß nur die mit anschau-
licher Lebendigkeit — das gibt B. zu — geschilderten militärischen
Ereignisse für ihn Interesse gehabt hätten, während, abgesehen
von dem Gegensatz zwischen Kritias und Theramenes und seiner
Sympathie für dessen tragisches Ende, das übrige ihn nur wenig
interessiert habe, kann ich nicht zugeben; handelte es sich doch
hier nicht um langweilige Parlamentsakte, sondern um eine zwar
kurze, aber furchtbare Schreckensepoche athenischer Geschichte,
die der junge X. miterlebt hatte und bei der sein eigenes Leben
— dessen damals niemand sicher war — gewiß auch auf dem
Spiele gestanden haben mochte. Dergleichen Eindrücke junger
Jahre, scheint mir, haften auch im höheren Alter. Daß ferner
niemand bezweifelt habe, daß in der l4& n. das Verfahren gegen
Theramenes klarer dargestellt sei als bei X«, ist doch auch vor
Ed. Meyer nicht richtig; auch die Reden (vgl. Thukydides und
Xenophon in der Anabasis) möchte ich nicht mit B. gegen X.
verwerten. Und die „Detailkenntnis" von Androtion-Aristoteles
(Müller FHG. I 372, frg. 11), bestehend in der Nennung des
Namens (Molpis) eines der Zehn, der sonst nicht überliefert ist,
scheint mir wirklich zu minimal, um ernstlich gegen X. verwertet
zu werden.
Wichtiger sind nun die in der Tat bestehenden Unterschiede
in der Zeitfolge der Ereignisse zwischen X. und Aristoteles bzw.
der Chronik des Androtion. Bei X. ist die Reihenfolge des
hier in Betracht Kommenden diese: 1) Aufnahme der lakoni-
schen Besatzung unter Anaxibios am Anfang der Regierung
der Dreißig (Hell. II 3, 13 f.) als „Voraussetzung des Obergangs
zu einem tyrannischen Regiment", 2) die Entwaffnung der *£«
tov xarcdoyov (II 3,20; vgl. die Rückbeziehung in der Rede des
Theramenes 40 f.), 3) die Hinrichtung des Th. (54 ff.), 4) die
*) B. Schwarte io seinen auch sonst grundlegenden Untersuchungen,
Rhein, lins. 44 (1889), S. 161—193, bes. 165 für diese Frage.
*) Beloeh a.a.O. S. 116 Anm. 3: „Die Angaben des Augenzeugen X.
müssen selbstverständlich allen anderen Berichten vorgehen u.
Xenophon, vod R. Ullrich. 175
Ausschließung der ££<b %ov xatakoyov aus der Stadt (U 4, 1),
5) die Besetzung Phyles durch Thrasybul (II 4, 2). Anders bei
Aristoteles: 1) Die Besetzung Phyles (37, 1), 2) Tod des Theramenes
(ebenda), 3) die Entwaffnung der e%co xov xaxaXoyov (37, 2),
4) Aufnahme der lakonischen Besatzung. B. konstatiert, daß in
der *Ad-. n. die Ausschließung aus der Stadt fehlt (S. 79); aber
vielleicht liegt das bei X. an vierter Stelle erwähnte und aus-
geführte Dekret, aber nur als Dekret, in den Worten *Ad-.n.
37, 1 x&v nolitwv änoxTetvat tov$ py %ov xatcdoyov [*€-
rsxovTctg täv tqkS%iU(x>v (vor dem Tode des Th.) vor. Wer hat
nun die richtige Folge, Xenophon oder Androlion-Aristoteles?
Sachliche Erwägungen und etwaige unabhängige Zeugnisse, meint
B. S. 78, müssen den Ausschlag geben, und er entscheidet sich
in seinen nun folgenden Ausfuhrungen, denen ich im Interesse
junger Studenten z. B., die sich in derartige sehr lehrreiche
Untersuchungen einführen lassen möchten, nur eine etwas durch-
sichtigere Gliederung gewünscht hätte, für Aristoteles.
Besonderer Zeugnisse für die Richtigkeit der xenophontischen
Reihenfolge der Ereignisse bedarf es nicht (die dahinzielenden
Erörterungen Börners a. a. 0. S. 58 ft'., 61 ff. erledigen sich durch
Busolts Auseinandersetzungen S. 78 f.), wofern nur einerseits der
von B. allzuschnell (S. 77) erledigte, aber von Beloch mit Recht
so sehr hervorgehobene Grundsatz recht beachtet wird, daß der
Erzähler die Begebenheiten aus eigener Anschauung kannte, und
man andrerseits die von E. Schwanz und Ed. Meyer in den Vorder-
grund gestellte Tatsache berücksichtigt, daß X., gegen dessen
Schwächen gerade in den Hellenika diese Forscher durchaus nicht
blind sind, zwar manches übergangen hat1)» aber in dem, was er
berichtet, „sich überall als ein sehr gut unterrichteter und wahr-
heitsgetreuer Berichterstatter erweist"*). Wie Aristoteles bzw. die
Chronik zu der von X. abweichenden Folge der Ereignisse ge-
kommen ist, ob ihnen solche urkundlichen Zeugnisse zu Gebote
gestanden haben, die Richtigeres boten als die Angaben des Augen-
zeugen X., oder ob gar Aristoteles bzw. seine Quelle, wie Meyer
anzunehmen geneigt ist (vgl. a. a. 0. V S. 18 und 40), die Dar-
stellung in bestimmter Tendenz gefälscht hat, ist bei der Dürftig-
keit dessen, was wir von dieser Chronik wirklich wissen können,
mit Sicherheit oder auch nur großer Wahrscheinlichkeit nicht zu
ermitteln; und so gern heute aus Fragmenten, die Spätere oft
nach formellen Gesichtspunkten aus dem Zusammenhang gerissen
und uns so erhalten haben, mit ebensoviel Scharfsinn wie geringem
bleibendem Ergebnis alles Mögliche erschlossen wird, man wird
wohltun, gegenüber allzu kühnem Fluge der Phantasie Zurück-
l) — und übergehen konnte: vgl. besonders Ed. Meyer, Gesch. d. Alt.
III S. 278.
') Ebenda S. 281.
176 Jahresberichte d. Philolog. Vertins.
haltung zu üben, auch auf die Gefahr hin, hart gescholten zu
werden. Der Pflicht, auch die xenophontische Darstellung genau
nachzuprüfen, können wir freilich auch so nicht entraten, und
.innere Widerspruche oder Unmöglichkeiten müßten bedenklich
stimmen; ich glaube aber nicht, daß wir hier in diese Lage
kommen. Im einzelnen kann ich mich hierbei kürzer fassen, weil
neuerdings Ed. Meyer (a. a. 0.) gerade auch diese chronologischen
• Unterschiede treffend behandelt hat.
X. beginnt also mit der Aufnahme der lakonischen Besatzung
unter Kallibios (II 3, 13 f.), während sie bei A. erst gegen Ende
(37, 2) erwähnt wird. Was ist gegen ersteren einzuwenden?
JB. (S. 81 f.) meint, die Dreißig würden sich wohl erst dann zur
Einholung einer lakonischen Besatzung entschlossen haben, als sie
derselben zur Ausübung ihrer Herrschaft durchaus zu bedürfen
glaubten, ferner hätte diese Besatzung den Unwillen der Bürger
gesteigert und die habgierigen Machthaber viel Geld gekostet.
Zudem hätten sie ihrer zu Anfang (nach "Ad-, n. 35, 1 %axs%%ov
%r\v niXiv dC savräiv) nicht bedurft, und bei X. sei das Gesuch
um eine Besatzung nicht genügend begründet, weder (S. 82) „durch
das wirkliche Motiv, das er, ihre Gedanken lesend, ihnen zu-
schreibt, noch durch das formelle'4. Ed. Meyer (a. a. 0. V S. 24 o.)
hat diesen Teil der Frage, wie ich glaube, endgültig durch den
Hinweis auf die faktische Notwendigkeit der Sache im Sinne
Xenophons erledigt (vgl. auch oben 8. 172 A. 2)1). Hinzufügen
darf man noch, was zuerst Kaibel2) bemerkt hat und auch B.
zugibt, daß die Stelle ("Ad-, n. 37, 2) nq^aßetq nipipavtsq sqq.
ohne rechten Zusammenhang mit dem Vorhergebenden steht. Ob
sie nun tatsächlich einmal an der richtigen Stelle in Kap. 36
von Aristoteles geschrieben war und nur in der Überlieferung
möglicherweise an eine falsche geraten ist (so Leeuwen in seiner
Ausgabe; vgl. jedoch Kaibel a. a. 0.), ob eine Tendenz (Ed. Meyer)
oder ein Irrtum des Aristoteles bzw. seiner Quelle vorliegt, ist
zunächst nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Den Nachweis
aber, daß die Worte bei A. an ihrer richtigen Stelle stehen, hat
B. nicht geführt, auf die zweite Stelle des Ephoros bei Diodor
(XIV 32, 6) durfte er sich aber bei seiner Charakterisierung dieser
Stelle (S. 81) nicht berufen, um Aristoteles zu stützen. Ephoros-
Diodor haben (vgl. o. S. 172 A. 2) die Sache nach Xenophon
XIV 3, 3 f. an der richtigen Stelle erzählt. Auch die Stelle in
der Rede des Theramenes (Hell. N 3, 42), aus der wir erfahren,
daß dieser gegen eine lakonische Besatzung gewesen sei (vgl. die
treffende Bemerkung Breitenbachs z. St.) darf nicht einfach beiseite
gelegt werden.
l) Seine weiteren Folgerungen betreffs der Tendenz des Aristoteles
scheinen mir allerdings mit Vorsicht aufgenommen werden zu müssen.
*) Stil und Text der %A$riva((ov nohTÜa des Aristoteles, Berlin
1893, S. 195.
Xenophon, von R. Ullrich. 177
Nicht anders steht es mit den übrigen Unterschieden. Bei
X. folgen nun, was die strittigen Punkte angeht, die Entwaffnung
und Ausschließung der ££w %ov xazaXoyov, dazwischen der Tod
des Theramenes, bei A. steht der Tod des Th. zuerst, die Ent-
waffnung folgt; über die Ausschließung s. S. 175. Wenn die
letztere bei A. fehlt, ebenso die Entwaffnung bei Diodor, spricht
das gegen die Treue des Berichtes des Augenzeugen X.? Folge-
richtig müßten die Verteidiger das A. und der Chronik schließen,
er hätte dieses Stadium in der Entwicklung der Ereignisse in
tendenziöser Weise erfunden. Aus welchen Gründen? Als Ketter
des Aristoteles bezw. der Chronik erscheint nun hier — Justin,
der beides, Entwaffnung und Ausschließung (V 9, 11) nach dem
mißglückten Auszuge der Dreißig gegen Phyle erzählt, und zwar
„in einem aus Ephoros entlehnten, nichlxenophontischen Stücke.
Folglich stimmte in bezug auf die Entwaffnung und die darauf
folgende Ausschließung der Entwaffneten die von Xenophon un-
abhängige Quelle des Ephoros, also die Chronik, mit der °A&. n,
übereinu. Die Sicherheit, mit der das letzte ausgesprochen wird,
ist erstaunlich.
Die Differenz reduziert sich also im Grunde auf die Ent-
waffnung; für den Umstand aber, daß A. in seinem sehr knappen
Abriß sie, wie gewöhnlich gesagt wird, nach dem Tode des Th.
erzählt, ist doch der Umstand nicht ganz gleichgültig, daß der
Beschluß der Entwaffnung und der Beseitigung des Th. (37,1
synadav tcov per akkcav tä onXa nagskicfS-at^ GfiQapivfjv
6i dicup&etQat, zovds <tw> %qonov) gleichzeitig gefaßt wird ;
wenn die Ausführung dann in umgekehrter Folge unmittelbar
darauf erzählt wird, mit wenigen Worten, so scheint mir das
für den Inhalt der Politik der Dreißig nicht so sehr von Belang,
sondern ich möchte beinahe den Grund in formellen Gesichts-
punkten suchen; an die ganz kurze spezielle Notiz avaioed'£v%og
de Grjga^vovg %d ts onXa naqMovxo tkxvtwv nkrjv tcöv
TQiax^Ltav ließ sich der ebenso kurze allgemeine Gedanke xai
Iv folg äXXoig noXv nqog tofiOTfjra xai novfjgiav inidoöav
besonders gut anknüpfen. Im Gegensatz zu der Art Xenophons,
die Dinge, die ihn interessieren, dem Inhalte nach treuherzig zu
erzählen und in der Form behaglich auszumalen — eine Art,
die ja oft sogar unberechtigterweise zur Annahme von Glossemen
geführt hat — , hat Diodor — das gibt B. selbst zu — das Be-
streben zu kürzen, zusammenzufassen, in derselben Weise natür-
lich auch Ephoros bezw. seine Quelle, die Chronik; und die
letztere mußte es haben, weil sie sich — so viel ist aus den
spärlichen Fragmenten erkennbar — in den ersten Büchern
der Darstellung noch kurz fassen wollte, um erst ausführlicher
zu werden, je näher sie der eignen Zeit (Mitte des 4. Jahrb.)
kam. Daß also bei Aristoteles die eine Erzählung Xenophons
ganz fehlt, während die andre mit zwei Worten in einem be-
Jakrosbericfete XXX. 12
178 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
stimmten Zusammenhange abgemacht wird, findet eine naturliche
Erklärung. Ein Abriß ist etwas andres als eine Geschichte.
Wenn endlich Busolt (S. 83) die Entwaffnung bei Xenophou
nicht genügend motiviert findet und über die mehrfach wieder-
kehrenden Ausdrucke wie wg €%öv fjdfj noistv ccvrotg o, %i
ßovXoivto (II 3, 21), i(i7todü)v voiii^ovieg avxov (Th.) etvai
TW noievv o, zi ßovXoLvro (23), dg £%6v fjdij avvotg xvqav-
vtiv ädswg (II 4, 1) spottet, die auf den letzten Ausdruck
folgende Ausschließung der e%co tov %a%aX6yov aus der Stadt
einen zwecklosen Akt der Machthaber nennt und (S. 84) hinzufügt:
„jedesmal glauben sie, daß sie so weil seien, und doch sind sie
dann noch nicht so weit", so scheint mir vielmehr jedesmal ein
Fortschritt der Entwicklung vorzuliegen. Nach der Entwaffnung
hatten die Dreißig freie Hand, mordeten und rauhten; aber sie
hatten mit Th. nicht genügend gerechnet; er mußte fallen und
fiel; jetzt erst war ein %vqclvvg%v ädscog möglich — Tyrannen
sind immer furchtsam und feige — , und als letzte Maßregel
(bisher hatten sie sich vor Th. scheuen müssen) folgte nun die
Ausschließung der £§<». Von dieser Folge kann man mit mehr
Recht sagen: „sie ist durchaus folgerichtig, man kann keinen Stein
aus ihrem Aufbau [herausnehmen und an eine andre Stelle
setzen" (S. 83), während diese von B. mit Bezug auf Aristoteles
getane Äußerung schon bei der Frage nach der Stelle der lakoni-
schen Besatzung eine wesentliche Einschränkung erfahren mußte.
Über den richtigen Platz für die Einreihung der Besetzung
Phyles durch Thrasybui, was daran in der von X. abweichenden
Überlieferung bestechend scheint und was die Wahrheit für sich
hat, vgl. Ed. Meyer a. a. 0. V S. 37. A.
Damit erledigen sich auch die im einzelnen viel Treffendes
enthaltenden Ausführungen B.s S. 85 f., aus der ich besonders
die richtige Deutung von Isokr. IV 113 (S. 86) hervorheben
möchte, eine Stelle, die Börner1) a. a. 0. S. 72 ff. unter Billigung
von A. Bauer (WS. f. klass. Phil. 1895 Sp. 321) auf die ganze
Dauer der Herrschaft der Dreißig bezieht (danach hätte sie nur
3 Monate gewährt), während sie in Verbindung mit den übrigen
guten Nachrichten nur auf die Zeit nach dem Tode des Thera-
menes gehen kann. Im ganzen haben sie etwa acht Monate
regiert.
Busolt hat also für eine Stelle die direkte Abhängigkeit des
Aristoteles von Xenopbon (wiewohl er selbst seiner Sache hier
nicht ganz sicher scheint), für die Hauptmasse der Erzählung von
der Regierung der Dreißig die gemeinsame Abhängigkeit des
Epboros-Diodor und des Aristoteles von einer Chronik, vielleicht
l) Vgl. die Auseinandersetzung von J. Beloch, Die attische Politik
seit Perikles, Leipzig 1884, S. 340 ff. E. Meyer (a. a. 0. S. 46 A.) will die
Stelle überhaupt nicht auf Athen beziehen, sondern allgemeiner gefaßt wissen,
was ich nicht für möglich halte.
Xenophoo, voo R. Ullrich. 179
war es die des Androtion, nachgewiesen. Der Nachweis der
Überlegenheit dieser im ganzen nach Lage der Dinge doch ziemlich
wesenlosen und wenig greifbaren Quelle gegenüber der Erzählung
Xenophons kann nicht als gelungen gelten. Der große Name
Aristoteles hat hier wie schon öfter dazu beigetragen, das viel
näher liegende Gut zu vernachlässigen. Wäre X. selbst ein Zeit-
genosse des Androtion und Aristoteles gewesen, so wurde ich
seiner Darstellung noch den Vorzug geben, den sie so als eine aus
lebendiger Anschauung der erzählten Ereignisse erwachsene un-
bedingt verdient. Es ist mit besonderer Freude zu begrüßen,
daß gerade Eduard Meyer in seinem über die Kreise der Fach-
genossen hinaus zu Bedeutung gelangten Werke an Xenophons
Darstellung festgehalten hat.
37) Georg Busolt, Zur Chronologie Xenophons. Hermes XXXIII
(1898) S. 661—664.
Die Chronologie in den beiden ersten Buchern der Hellenika
hat von jeher Schwierigkeit gemacht und die Gelehrten auch im
letzten Jahrzehnt vielfach beschäftigt; die wichtigste Literatur
verzeichnet Ed. Meyer, Gesch. d. Alt. IV S. 616 ff. Hier handelt
es sich um die 5 Stellen, wo der Beginn eines neuen Jahres
mit den Formeln tm dt äXlca erst, (I 2, 1), rov (T ßmoviog
srovg (l 3, 1), tw cf iniovxi hsv (I 6, 1; II 1, 10; II 3, 1 )
bezeichnet wird. Vorher geht bis auf eine Stelle die Formel
xai 6 iviavvoq eXtjysv^ es folgt jedesmal die Angabe der Olym-
piade, des Archontats und Ephorats. Daß die letzteren, von
denen mehrere falsch angegeben werden, interpoliert sind, nimmt
man allgemein an, aber auch die vorhergehenden festen Formeln
und die dreimal diesen angefügten Notizen über einzeln stehende
Vorgänge (Befestigung von Thorikos I 2, 1, Tempelbrand in
Phokaia I 3, 1, Mondfinsternis und Tempelbrand in Athen l 6, 1)
hat man verdächtigt, nach Brückner1) besonders Beloch2), mit
dessen Ausstellungen zu I 2, 1 sich B. S. 663 näher beschäftigt.
In Kellers großer Ausgabe (1890) sind die einzelnen Versuche
dieser Art sorgfältig registriert. Zu den drei mit der Formel
eingeführten Jahren (rückwärts gerechnet) 404/3 (II 3, 1), 405/4
(II 1, 10) und 406/5 (I 6, 1) hat der Interpolator die Archonten
richtig verzeichnet. Für 407/6 und 408/7 fehlt die Formel, sie
kehrt erst zu 409/8 (I 3, 1) und 410/9 (I 2, 1) wieder, aber
bei beiden sind Archon und Ephor um zwei Jahre verschoben ;
der Interpolator setzte hier die Beamten von 407/6 und 408/7
*) De ootationibus anooruni in historia Graeca Xenopbontis suspectis.
Schweidoitz 1839.
2) Philologus 43 (1884) S. 261— -296; vgl. auch die obeo S. 165 zitierte
Abhandlaug von G. F. Unger; Belocb, Griecb. Gesch. II S. 74 ff. und neuer-
dings Busolt, Griech. Gesch. 1112 (1904) S. 698 f. und Anm. 4. Eine knappe
und doch alles Wesentliche bietende Übersicht über die ganze Frage gibt
Ed. Meyer a. a. O. IV S. 616—619.
12*
180 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
ein, weil er in fluchtigem Verfahren sich offenbar nur nach den
Formeln richtete; er muß diese also im Texte vorgefunden
haben.
Zu I 2, 1 hatte Beloch (a. a. 0. S. 270) die Notiz über die
Befestigung von Thorikos wegen „ihrer annalistischen Kürze^
gegenüber dem „Reste der Erzählung'4 verdächtigt. Der letztere
Grund wird von B. (S. 663) durch Hinweis auf Ed. Schwartz
(a.a.O. S. 164) erledigt, der sehr wahrscheinlich gemacht hau
daß X. selbst an dem Feldzuge des Thrasyllos teilnahm und die
betr. Ereignisse daher breiter erzählte; und die einzeln stehende
Notiz der Befestigung von Thorikos, welche ihm vielleicht beson-
ders interessant war (vgl. JJöqoi IV 43), stellte er an den Jahres-
anfang — etwas „ungeschickt allerdings"; denn die Befestigung,
die wohl über den Sommer sich hingezogen haben mochte, über
die X. aber Näheres nicht zu sagen hatte, konnte anderwärts
nicht gut untergebracht werden, ebenso I 3, 1 die Notiz über
den Tempelbrand von Phokaia; an beiden Stellen wird dann mit
dgxofievov rov &€qovs bezw. sccqoq die Erzählung der Kriegs-
operationen aufgenommen. Und der scheinbare Anstoß, daß
II 3, 1 der Jahresanfang 404/3 erst unmittelbar nach der Ein-
nahme Athens vermerkt wird, die doch selber schon in das neue
Jahr fiel, wird durch den Hinweis beseitigt (S. 664), daß für
X. hier der sachliche Zusammenhang maßgebend war und die
bedeutungsvolle 27jährige Dauer für den Krieg nicht gestört
werden sollte. Vgl. auch Ed. Meyer a. a. 0. S. 618 oben.
B. hat, wie ich glaube, eine vielumstritlene Frage scharf-
sinnig mit verhältnismäßig einfachen Mitteln gelöst, und es darf
mit Genugtuung darauf hingewiesen werden, daß seine über-
zeugende Beweisführung und ihr Besultat inzwischen schon in
Meyers oft zitiertes Werk übergegangen ist.
38) Edmnod Lammert, Die geschichtliche Entwicklung der
griechischen Taktik. Neue Jahrbücher für das klassische Alter-
tum 111 (1899 Teil 1) S. 1—29.
Die geschichtliche Entwicklung der griechischen Kriegskunst
könnte gerade für die bewegten Kämpfe gegen Ende des 5. und
die erste Hälfte des 4. Jahrhunderts gar nicht dargestellt werden*
lägen uns nicht in Xenophons Schriften zuverlässige militärische
Zeugnisse ersten Ranges vor. Während Delbrück (s. o. N. 11)
eine Darstellung für das ganze Altertum begonnen hat, gibt L.
hier nach einigen einleitenden Bemerkungen über die Homerische
Zeit, welche schon alle Elemente der späteren Taktik zeigt, in
drei Abschnitten eine Obersicht der Entwicklung der Taktik im
5. und besonders im 4. Jahrhundert bis auf Epaminondas. Der
Aufsatz ist klar geschrieben, und wenn er auch nicht viel Neues
bietet, hebt er doch die Hauptmomente der Entwicklung in an-
ziehender Darstellung gut hervor. Erklärer des Xenophon werden
XenophoD, von R. Ullrich. \Si
aus den hier gegebenen Überblicken manchen Nutzen ziehen können.
Besonders kommen natürlich die Hellenika in Betracht, Stellen
aus der Anabasis, dem Agesilaos, den politischen und taktischen
Schritten werden aber ebenfalls herangezogen.
Das demokratische Vorurteil hat (S. 5) die Verwendung einer
geschulten Reiterei lange gehindert. Die Ausbildung der Reiterei
der Lacedä monier ist mangelhaft (bei Leuktra, Hell. VI 4, 10),
die Hellenen schätzen Reiter überhaupt gering (An. 111 2, 18);
dem entspricht ihre Verwendung; sie geschieht in Asien immer
nur unter dem unmittelbaren Beistande der Hopliten (vgl. die
Kampfe bei Lampsakos, bei Ivalchedon und am Paktolos, Hell. I
2, 14—17; I 3, 1—13; III 4,22); wo sie allein oder nur in
Verbindung mit Peltasten auftreten, ziehen sie den kurzem
(Thrasyllos bei Ephesus, I 2,5—11; Thibron in der Ebene des
Mäander, IV 8, 18 f.); die Reiterei muß sich vor der wohlaus-
gebildeten persischen furchten (Thibron, III 1, 5); selbst der
große Agesilaos sieht sich infolge des Mangels an Reitern sehr
in seinen Bewegungen gehemmt, versucht aber wenigstens, dem
abzuhelfen (Ages. I 23 f.)
Nicht viel anders stand es mit den Leichtbewaffneten
(S. 9 ff.). Sie stehen in geringer Achtung, werden geworben;
in der Schlacht am Nemeabache (394) erscheinen zuerst 300
kretische Bogenschützen und 400 fremde Schleuderer im Gefolge
der Spartaner (IV 2, 16). Die Taktik war und blieb im wesent-
lichen Hoplilentaktik.
Hierin zeigen sich am bedeutendsten die Spartaner (S. 15 ff.),
was Xenophon (udax. n. XI 7) der Erziehung seit Lykurgs Tagen
zuschreibt. Ihre moralische Tüchtigkeit hält sie noch zusammen,
wenn auch die Reihen in Unordnung geraten; auch bei geringerer
Anzahl nehmen sie den Kampf auf, während man fhnen selbst
gern größere Zahlen entgegensetzt; am Nemeabache (IV 2, 16)
kämpfen 24000 Athener mit ihren Verbündeten gegen 13500
Peloponnesier1).
Wie in der hauptsächlich zur Verwendung kommenden
Gattung von Truppen, so blieb auch in der Gefechtstaktik lange
die geheiligte Praxis des ersten Vorstoßes des beiderseitigen
rechten Flugeis lange bestehen, bis die tbebanische Taktik des
Epaminondas Wandel schuf.
Die Thebaner hatten noch eine tüchtige Reiterei, während
sie den Athenern und Spartanern lange abhanden gekommen
war. Sie haben es (S. 23) mit dieser — gleich der persischen
Taktik — auf den Massenstoß abgesehen, zur Unterstützung des
Fußvolkes. Die Bedeutung dieser Gefechtsweise, meint L., mochten
l) Diod. XIV 83 zeigt etwa das umgekehrte Verhältais. L. nimmt, viel-
leicht mit Recht, an, daß die Zahlen irrtümlicherweise vertauscht sind;
vgl. E. Meyer a. a. O. V S. 236 A.
182 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
sie 381 vor Olynth zuerst kennen gelernt haben, wo die dicht-
geschlossen ansturmende olynthische Reiterei (V 2, 41 cvcnsiqa-
d-ivtsg sußaXXovöi) das Korps des Teleutias in ernste Gefahr
bringt. Die Nordgriechen scheinen zuerst von allen auf die orien-
talische Stoßtaktik eingeübt gewesen zu sein. Ähnliche Zwecke
verfolgten die Thebaner mit den von den Thrakern überkommenen
Leichtbewaffneten wie mit den Hamippen, die erst bei Mantinea
erwähnt werden, aber wohl schon früher bestanden haben
mögen. Am Ende lief es aber auch bei ihnen doch hauptsäch-
lich auf eine Verbesserung der Hoplitentaktik hinaus. Da die
Umklammerung des Gegners nicht in Frage kam (was L. S. 24
gut begründet), so blieb nur das Durchstoßen übrig. So war
die Praxis von Delion bis Leuktra, schmale Front, größere Tiefe,
und die moralische Wirkung war nicht gering (vgl. den ersten
Teil der Schlacht bei Koronea, IV 3, 17. 18), bis endlich die
beiden Neuerungen des Epaminondas (Kerntruppen auf dem linken
Flügel, schräge Linie) den Abschluß dieser Kntwicklung bildeten
S. 26 ff.). Leuktra und Mantinea werden hier anschaulich ge-
schildert.
L. bemerkt gegen Ende seiner Übersicht, dem „großen
Denker und Lenker44 dieser Schlachten seien keine Schüler ge-
folgt, selbst eine militärische Autorität wie X. habe keinen Hauch
seines Geistes verspürt. Dagegen ist zunächst zu sagen, daß
dieser in der Praxis dazu nach 399 kaum mehr Gelegenheit hatte,
und ferner, daß ihm manches, was Alexander später in die
Praxis umsetzte, Verwendung der Reiterei und Taktik der Ver-
folgung, in der Theorie wenigstens schon vollkommen deutlich
gewesen ist; vgl. das oben S. 95 zu Delbrück Bemerkte.
Als diese Taktik dann unter den Diadochen den tiefsten
Standpunkt erreicht hatte, erlag sie der römischen Manipulartaktik
auf ihrer Höhe.
39) Franz Rühl, Zu den Papyri von Oxyrhynchos. Rhein. Mus.
N. F. UV (1899) S. 152—155.
R. untersucht ein von Grenfell und Hunt (The Oxyrhynchos
Papyri, 1 1898, N. XIII, S. 36 f.) mitgeteiltes Bruchstück" eines
Briefes, der auch für die Xenophonforschung von Interesse ist.
Es ist darin die Rede davon, daß die Thebaner im Verein
mit den Olynthiern versucht haben, den Amyntas, Philipps Vater,
vom Throne zu stoßen, ohne daß sie doch vorher von ihm ge-
kränkt worden wären. Es handelt sich nun darum, auf Grund
dessen einen König von Makedonien gegen die Thebaner aufzu-
hetzen. Welcher König ist es? Die Herausgeber hatten gemeint,
Antigonos oder sein Sohn Demetrios Poliorketes, und der Brief
sei historisch wertvoll, da bei dem so bezeugten Bündnis der
Thebaner mit den Olynthiern die Besetzung der Kadmeia durch
die Lacedämonier unter Phoibidas weniger grundlos scheine. R.
Xeoophon, von R. Ullrich. 183
bestreitet beides. Zunächst macht er wahrscheinlich, daß der
Adressat Alexander ist (S. 152 — 154); die Echtheit des Briefes
sei allerdings zweifelhaft. Doch wie man darüber auch denken
möge (R. äußert S. 154 mehrere Vermutungen), historisch wert-
voll ist er nicht. Ein Bündnis zwischen Olynth und Theben
war aus den Hinweisen bei Xenophon (Hell. V 2, 15. 17. 34)
schon bekannt, wobei nur unentschieden blieb, ob es schon ab-
geschlossen war oder ob man noch darüber verhandelte1), als
Phoibidas zu seinem Gewaltakte schritt. Aus Xenophon geht auch
hervor, daß die Angaben des Briefes falsch sind. Die Verhand-
lungen zwischen Theben und Olynth begannen erst, als Gesandte
von Apollonia und Akanthos die Spartaner um Hilfe gegen die Chal-
kidier baten (V 2, 15). Ein wirklicher Vertrag kann erst nach dem
Entschluß der Spartaner zum Kriege gegen Olynth abgeschlossen
sein (V 2, 34). Die Olynthier haben nicht zusammen mit den
Thebanern, sondern schon vorher im Bunde mit den lllyriern di^
Vertreibung des Amyntas besorgt (V 2, 13. 38; s. a. Diod. XV 19).
Der den Thebanern hier gemachte Vorwurf der Beteiligung ist
also tendenziöse Fälschung.
Bestand aber ein Bündnis mit Olynth, so brauchte Theben
im Kriegsfall nicht dieselben Feinde zu haben wie Sparta, man
beobachtete eine „wohlwollende Neutralität". Die Thebaner taten
offiziell keine Schritte gegen Phoibidas und untersagten nur den
Bürgern, Dienste in seinem Heere zu nehmen. Die Auffassung in
Sparta aber war — offiziell — ähnlich (Hell. V 2, 32 ff.), und die
Worte des Leontiades (33 f.) sind, wie B. im Vergleich mit der
Vergewaltigung der Hansestädte durch Napoleon I. richtig bemerkt,
für die völkerrechtliche Frage irrelevant. Das Bündnis zwischen
Theben und Olynth ist auch für L. kein wirklicher casus belli. Buhl
fügt noch treffend hinzu, X. würde seinen Lesern gewiß nicht ver-
schwiegen haben, was sich etwa zur Bechtfertigung der Spartaner
hätte sagen lassen. Die öffentliche Meinung in Griechenland war
gegen den Urheber der Tat, sogar in Sparta selbst, und das
tovq fjbiv icfüQovg xal zijg noXscog io nX^og %aXsn<ag syovxag
t<» Ooißidq wohl nicht erheuchelt. Freilich muß sich Phoibidas
andrerseits, wie die Folgezeit lehrte, gedeckt gefühlt haben.
Aus B.s Untersuchung geht einmal hervor, daß man sich vor
Überschätzung von Papyri gegenüber guten Klassikertexten hüten
muß (vgl. auch die Mahnungen von J. Steup, Bh. Mus. 1898
S. 308 ff.2) und 0. Schultheß, WS. f. klass. Phil. 1899 Sp. 1053),
und sie beweist, was der nicht befangenen Forschung immer
deutlicher wird, daß X. ein zuverlässiger Berichterstatter ist.
*) Hierüber Näheres bei £. v. Stern, Geschichte der spartanischen und
thebanischen Hegemonie vom Königsfrieden bis zur Schlacht bei Mantinea,
Dorpat 1884, S. 37.
2) Vgl. unter S. 191, Nr. 45b; F. Blass, Lit. Ztbl. 1897 Sp. 1462f.
1S4 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
40) ß enedictus Niese, Ober einige neuere Erscheinungen der
griechischen Geschichtschreibung. Nene Jahrbücher f. d.
kiass. Altertum 1899 I S. 419—439.
Niese gibt hier in knapper, das Wesentliche gut hervor-
hebender Darstellung eine Obersicht über fünf bedeutsame, in den
Jahren 1897 — 1899 erschienene Werke über griechische Ge-
schichte: Griechische Altertümer I (Das Staatswesen) von G. F.
Schoemann, neu bearbeitet in 4. Auflage von J. H. Lipsius (Berlin,
Weidmann, 1897), Georg Busolt, Griechische Geschichte III 1
Pentekontaetie (Gotha, F. A. Perthes, 1897), Julius BeJoch, Grie-
chische Geschichte II (Straßburg, Trübner, 1897), Adolf Holm,
Geschichte Siziliens im Altertum III (Leipzig, W. Engelmann, 1898)
und Adolf Bauer, Die Forschungen zur griechischen Geschichte
1S88 — 1898 (Mönchen, C. H. Beck, 1899).
Busoll und Holm kommen für Xenophon nicht in Betracht.
Bei Schoemann-Lipsius (S. 230) vermißt N. (S. 420) eine Be-
merkung darüber, daß nach Herodot und Xenophon schon in der
Lykurgischen Verfassung das spartanische Königtum durch die
Ephoren beschränkt war. reqovvia (oder ysgovTsia, Xen. Aax.
n. X 1) ist (zu S. 235 Anm.) nicht gleich ysQOvaia, sondern be-
deutet Gerontenschaft (S. 420 Anm.); ebenda ein Hinweis
auf Hell. III 5, 25 (Verurteilung des Königs Pausanias). Hervor-
gehoben ist auch der bedeutsame Einfluß der Aristotelischen
Schrift vom Staate . der Athener; über einige Einschränkungen
des Wertes ihres historischen Teils im Verhältnis zu Xenophons
Hellenika vgl. oben S. 174 ff.
Besonders anziehend ist N.s Besprechung von Bei ochs Buch
IS. 429—434). Er billigt es, daß dieser wiederholt den Wert
Xenophons gegenüber Späteren Quellen betont, und bedauert, daß
er den Agesilaos (S. 230) für unecht hält. So ist der asiatische
Feldzug des Königs nicht zu seinem Rechte gekommen, und die
Stelle Ag. I 7 konnte nicht, wie sie doch sollte, dessen wahre
Absichten den Persern gegenüber beweisen. Das Kriegswesen (vgl.
oben S. 93 ff., 180 ff.) findet N. zu dürftig besprochen. Von seiner
sonst hochgeschätzten Quelle Xenophon ist B. Hell. VI 2, 10
(Koute des Strategen Ktesikles) abgewichen, ohne darauf hinzu-
weisen; VI 2, 7 heißt %ei[imv nicht Winter, sondern Wetter.
Die Zeit der thebanischen Hegemonie ist lückenhaft dargestellt;
sie mußte vollständiger sein, wenn sie auch dem Verf. nicht sym-
pathisch war. Zu erwähnen war auch (Xen. Hoqoi, V 9) der
schon vor den Phokern von den Thebanern gemachte Versuch,
das delphische Heiligtum mit einer Besatzung zu versehen. Aus
seinem früheren Werke „Die attische Politik seit Perikles" (1884,
vgl. o. S. 178 A. 1) hat Verf. manches berichtigt, so die Datierung
der Schlacht bei Mantineia (früher 361, jetzt wieder 362), im
übrigen aber zu viel daraus in seine Darstellung herübergenommen.
Die Besprechung von Bauers „Forschungen" (S. 438 f.) geht
Xeoophon, von R. Ullrich. Ig5
auf Einzelheiten nicht ein; vgl. o. N. 7. Hervorheben will ich
nur das Bedenken, welches N. hinsichtlich der neuerdings ge-
legentlich hervortretenden und auch von B. vielleicht nicht ganz
vermiedenen Überschätzung der Urkunden gegenüber den literari-
schen Denkmälern äußert. Auf die letzteren kommt doch das
meiste an. Und um sich an ihrer Kritik und Erklärung zu be-
teiligen, „braucht man nicht Ausgrabungen zu unternehmen oder
an den Zentren der monumentalen Studien zu sitzen. Alle die-
jenigen sind berufen, die es gelernt haben, unsere allen Quellen
mit Verständnis zu lesen und zu benutzen" (S. 439).
41) Heinrich Swoboda, Zur Geschichte des Epamein ondas. Rhein.
Mas. N. F. LV (1900) S. 460—475.
S. behandelt den Prozeß des Epameinondas und seiner Kollegen
nach ihrem ersten Feldzug in den Peloponnes (Winter 370/369).
Er skizziert zunächst die Oberlieferung über das Zeitalter des
Epameinondas im allgemeinen, dessen Beurteilung besonders durch
E. v. Stern er anerkennt *), stellt die (späten) Quellen über seinen
Prozeß zusammen, weist nach8), wie wenig dessen bisher übliche
Begründung (Führung des Feldherrnamtes über die zulässige Dauer
hinaus) genügt, und sucht den Ausweg in einem andern Rechts-
grunde zu finden. Seine Beweisführung ist ebenso methodisch
wie geschickt und, wie ich meine, in der Hauptsache, der Auf-
findung des Rechtsgrundes, auch erfolgreich.
Xenophons Darstellung des Epameinondas in den Hellenika
ist, wie bekannt, nicht eben ausführlich und läßt manche Frage
offen. Dennoch hat die spätere Tradition, wo sie die Lücken
ausfüllte, eher verwirrend als klärend gewirkt, und es ist eine
eigenartige Fügung, daß die geschickten Kombinationen, auf denen
8. seine Darstellung aufbaut, und die ziemlich sicheren Resultate,
zu denen er gelangt, fast alle auf X. zurückgehen und nur ge-
legentlich durch spätere Nachrichten ergänzt werden.
S. geht aus von der Stelle VII 5, 18, wo von den Er-
wägungen des Epameinondas (nach X.s Auffassung) die Rede ist,
die zur Schlacht von Mantiuea 362 führen. Von den bisherigen
Deutungen findet er diejenige A.Schäfers3) der Stelle am entsprechend-
sten, wonach die Thebaner dem Feldherrn eine bestimmte Frist
gesetzt hätten, nach welcher er das Heer zurückführen sollte
(vgl. Diod. XIII 88, 7 über ein Analogon aus sizilischen Verhält-
nissen), eine Frist, die auch durch die schlechte Finanzlage Thebens
wohl zu erklären war, das z. B. 370 beim Beginn des Zuges zehn
Talente von Elis borgen mußte (Hell. VI 5, 19). Dennoch hält
er es für rätlicher, nicht an Beschränkungen zeitlicher Art zu
]) „Geschichte der spartanischen und thebaoischeu Hegemonie vom
Königsfrieden bis zur Schlacht bei Mantioea", Dorpat 1884, und „Xenophons
Hellenika und die bö'otische Geschieb tsüberliefernog", ebenda 1887.
*) Vgl. J. Belocb, Griech. Gesch. II S. 266 und Anin. 1.
3) Demosthenes uud seine Zeit l III 2, 8.
186 Jahresberichte <l. Philolog. Vereins.
denken, sondern an andere. Zu dem Zwecke faßt er das recht-
liche Verhältnis Thebens zu seinen Bundesgenossen ins Auge (466 ff).
Die Thebaner brachten nach der Schlacht bei Leuktra Phokis,
Ätolien und die Änianen in ein festes Bundesverhältnis zu
Theben (VI 5, 23; Ages. II 24). Andere traten bei. Grundlage war
(VII 5, 4) das Verhältnis der Epimachie (vgl. aber VI 5, 23). Ein
avvidqiov der Symmachen wird eingesetzt1). Nach welchen
Grundsätzen war nun der Bund Thebens mit den peloponnesischen
Mittelstaaten geschlossen (Arkadien, Argos, Elis, Messenien; vgl.
Vll 5, 5)? Ebenfalls auf der Grundlage der Epimachie, doch war
das Bundesverhältnis lockerer als jenes erste (vgl. im einzelnen
noch VII 4, 40; VII 3, 11 ; VII 1, 39; VII 1, 33; VII 4, 35. 39).
Daraus ergibt sich, auf welchen Bechtsgrund hin das Eingreifen
der Thebaner im ersten Feldzug des Epameinondas erfolgte; es
war die Verletzung des Gebiets von Arkadien durch Agesilaos
(VI 5, 10 f.). Der zweite Zug (Diod. XV 68) hatte ähnliche Grunde.
Anders der dritte (wohl 367), der gegen die peloponnesischen
Bündner gerichtet war und auf die Gewinnung Achajas als eines
festen Stützpunktes (VII 1, 41) und einer untertänigen Land-
schaft (42) abzielte; dennoch leisteten jene Zuzug. Korinth und
Phlius verpflichteten sich im Frieden nicht zur Heeresfolge (366
oder 365; gegen Curtius, Gr. Gesch. ■ III 359; vgl. Hell. VII 4, 10).
Den Grundsätzen der Epimachie entsprach also der erste Zug:
Verteidigung Arkadiens gegen Spartas Angriff, eine Aufgabe, die
mit der Ankunft des Epameinondas vor Mantinea schon erfüllt
war, da Agesilaos abgezogen war (VI 5,20(1.). Jede weitere
Offensive lag nicht im Plane des Zuges, erst die Vor-
stellungen der Arkader und der anderen Verbündeten veranlaßten
E. zum Einfall in Lakonien (VF 5, 23 (f.). Vorauszusetzen ist, daß
ihm beim Ausmarsch nach dem Peloponnes eine Instruktion mit-
gegeben war, welche den Umfang (nicht die Zeit, s. o.) seiner
Aufgabe näher bestimmte (vgl. Thuk. VI 8, 2), und diese kann
nur dahin gelautet haben, das Gebiet der Arkader gegen sparta-
nischen Angriff zu sichern (vgl. Thuk. I 45, 3 und 57, 6). Diese
Instruktion überschritt Epameinondas; seine Kollegen folgten ihm
und wurden so seine Mitschuldigen, und deswegen wurden alle
in Anklagezustand versetzt. Der Ausgang ist bekannt.
Die Erhebung der Anklage setzt übrigens das Bestehen einer nicht
un verächtlichen Friedenspartei voraus, welche der Expansionspolitik
widerstrebte und in der antiken wie modernen Tradition ziemlich
schlecht weggekommen ist, die in der Verherrlichung des Epamei-
nondas zu weit ging. Es war wohl, wie S. richtig bemerkt, nicht
taktlose Opposition des als Muster eines schlimmen Demagogen er-
scheinenden Menekleidas, sondern es gab gewichtige Beweggründe
J) Hell. VII 3, 11; vgl. U. Köhler, Hermes XXIV (1889) S. 643, Ditten-
ber&er Syll. * flr. J20 und auch Hell. VII 3, 1.
Xenophoo, von R. Ullrich. 187
gegen die kriegerische Politik der thebanischen Heerführer, vor
allem die gewaltige finanzielle Belastung, welche — von den Neueren
meist übergangen — dem weder durch Handel noch durch In-
dustrie hervorragenden Staat kaum zu tragende Opfer auferlegte.
Vgl. über die Frage jetzt auch Ed. Meyer, Gesch. d. Alt. V
S. 437, der aber — was indessen für die hier behandelte Frage
nicht von so wesentlicher Bedeutung ist — den Prozeß nicht
nach dem ersten peloponnesischen Feldzug (Frühjahr 369), sondern
erst nach dem zweiten (Herbst 369) setzt.
42) H. Stein, Zur Quellenkritik des Thukydides. Khein. Mus. LV
(1900) S. 531-564.
Ausgehend von der Meinung, die Rede des Syrakusiers Hermo-
krates vor dem Städtetag in Gela (Thuk. IV 59—64) läge ganz
,, außerhalb der Linie, auf der sich die Geschichte des Peloponnesi-
schen Krieges bewegt" (S. 539), hatte St. versucht, die Annahme
wahrscheinlich zu machen (S. 538 ff.), Thukydides habe hier wie
an mehreren Stellen der drei letzten Bücher eine Biographie über
diesen Hermokrates aus den letzten Zeiten des Krieges benutzt;
Piaton habe sie, wie aus dem Kritias (108 A — D) und Timäus
(19 B, 20 A) hervorgehe, gekannt (S. 564), und endlich sei sie (so
linden wir die drei Autoren wieder einmal beisammen; vgl. o.
S. 148) auch Quelle Xenophons in den Hellenika (S. 559 — 564).
Das zeigt nach ihm in I 1, 29 die größere Vollständigkeit der
Namen gegenüber Thuk. VIII 85, und dasselbe beweisen die andern
in Buch I über Hermokrates enthaltenen Angaben 1, 26 — 31. St.
legt dabei auch Wert darauf, daß von der dialektischen Spur
des Originals noch das von Suidas genügend' bezeugte ave^vvovzo
(I 1, 30, äpexoivovzo Keller mit den Hss.) haften geblieben sei,
(womit er dpcexdog Qovgw Thuk. VIII 102 auf eine Linie stellt).
Die in Betracht kommenden Stücke des Exzerptes, die nicht in
geschlossenem sachlichen oder zeitlichen Verbände stehen, sind
nach ihm folgende:
I. Hilfe der Syrakusaner in Antandros und ihre Ehrung (26),
IL Botschaft von der Verbannung der syrakusanischen Feldherrn (die
bisher weder nach Zahl noch mit Namen erwähnt sind), versöhnliche
Rede des Hermokrates an die syrakusanischen Soldaten, Erinne-
rung an ihre ruhmvolle Vergangenheit (oaa zs fisxa twv uXXwv
dfjiTrjTOt, ye/ovccxs); Erklärung, den Oberbefehl behalten zu wollen,
bis die neuen Feldherrn (3, mit Namen genannt) ankommen
(27 — 29). S. findet, daß das äqrTfjzoi, yeyovccTs nicht paßt,
wenn die Nachricht von der Verbannung der Strategen und der
Ernennung der Nachfolger erst während des Schiffsbaues in An-
tandros eintrifft; denn seit Abydos (l 1,6) und Kyzikos (18)
durften sie so nicht mehr genannt werden. Diese ist vielmehr
von Abydos nach Antandros verlegt — um ein halbes Jahr zu
spät — nicht aus Versehen, irrtümlicher Überlieferung oder infolge
ISS Jahresberichte d. Philolog. Vereios.
von Interpolation, sondern — meint St. — infolge nachlässiger
Verknüpfung der beiden aus verschiedenen Stellen derselben Schrift
entnommenen Stucke. Dagegen ist zu bemerken, daß auch zu
der Situation in Antandros die Worte aqiTtjioi ysyovccTe vor-
trefflich passen, nur muß man beachten, wie sie dem Zusammen-
hange eingefügt sind. Zunächst ist im allgemeinen zu sagen, sie
stehen in einer Rede, einer Rede vor Soldaten, in der Nieder-
schrift eines Schriftstellers reichlich ein Menschenalter nach den
Ereignissen. Und der Feldherr sagt ja gar nicht: ihr seid bis
jetzt nie besiegt worden, sondern er erinnert seine Leute nur
daran, wie oft sie unbesiegt geblieben sind. Das ist hier psycho-
logisch ganz begreiflich, wo es darauf ankam, an die Mannszucht
zu appellieren. Von einem Anstoß kann also gar keine Rede sein.
III. Zu dem Abschnitt (29) %&v de tqiijqccqxoop opoaavves
ndvxag Inawovvisq bemerkt S., der Ort der Entlassung,
ob Antandros oder ein anderer, hätte erwähnt werden müssen.
Ich halte das nicht für wesentlich. Will man nicht 27 (f. (kv ös
rw XQÖvco tovtü)) mit dem Vorhergehenden so eng verbinden,
daß Antandros als Lokal ohne weiteres sich ergibt, so würde die
Stelle, wie viele andere, zu denen gehören, wo X., wenn er sich
für eine Persönlichkeit besonders interessiert, Zeit und Ort bei-
seite läßt, um das Porträt möglichst charakteristisch zu entwerfen.
Und das triflt ja doch gerade hier auf Hermokrates (30. 31) zu.
Schlüsse auf die von dem Verf. angedeutete Art der Quellen-
benutzung sind also hier nicht zulässig. — Ganz eigenartig vollends
ist die Auffassung Steins von der Bedeutung der §§ 30. 31 (bis
ßovXevsiv %ä xq dz Lötet):
IV. Er meint nämlich, Hermokrates habe hier nach Art eines
Gorgias oder Protagoras gleichsam rhetorische Schule gehalten und
dabei, was der von X. benutzte Biograph nicht erkennt oder ver-
schweigt, persönliche Zwecke verfolgt, zum Zwecke des Sturzes
der heimischen Demokratie Anhänger zu werben. Ich meine,
der unbefangene Leser wird nichts weiter herauslesen, als daß li.
eben seine Stabsoffiziere, an die ihn und seine Mitteidherrn viele
gemeinsame kriegerische Erlebnisse immer enger gefesselt hatten
i27 oaa . . . rjixojv tjyovfiivcov), zu möglichst tüchtigen Führern
heranzubilden suchte, ein Gedanke, der natürlich gerade dem X.
besonders sympathisch sein mußte. Was weiter geschlossen wird,
ist ganz unsichere Vermutung, ebenso wie die Auslegung des ix
tovxiav (31 Anfg.). Es kann natürlich nichts anderes heißen,
als daß eben diese besondere Art des Hermokrates ihm großes
Ansehen verschaffte; vgl. einen höheren Generalstabsoffizier von
heute, mutatis mutandis. S. stellt es auf gleiche Linie mit iv
iovim (31), wonach der Ausschreiber „seine aus dem Ganzen ge-
lösten Berichtstücke mit einer Wortformel wieder aneinanderreihte1'.
V. VI. Über die endlich von S. behandelten Schlußstücke
xavijyoQqaccg dt Tiaaatfiqvovg . . . xal tqujqsis und iv xoviv*
Xenophoo, von R. Ullrich. 189
de fjxor . . . xal xo aTQccrev^a vgl. die treffenden Bemerkungen
von Breitenbach (in seinem deutschen Kommentar8 1884 z. St.),
die S. nicht einmal erwähnt. Das erste Stück, welches ich als
eine Art Anmerkung bezeichnen möchte, die ein moderner Schrift-
steller nicht in den Text setzen würde, wird ziemlich allgemein
und, wie mir scheint, auch richtig als Begründung gefaßt, und
iv xovTUi kann nur an 29 anknüpfen. Es liegt hier nicht „YVirrnis
zusammengestoppelter Daten" vor, sondern wir haben die auch
von Thukydides beliebte Manier, Dinge, die erst später geschehen,
in einen früheren Zusammenhang einzufügen, wenn dieser selbst
dies nahe legte. Dergleichen wird um so natürlicher, je weiter
die Niederschrift von den Ereignissen selbst sich entfernt.
Wo anders hätte denn X. speziellere Nachrichten über die
ihn interessierende Persönlichkeit des Herrn okrates geben sollen,
wenn nicht hier? Es ist keine „erste beste Stelle" (Stein S. 559),
sondern die beste. Das Ganze macht mir viel eher den Eindruck
persönlichen Erlebnisses oder mindestens zuverlässiger Mitteilung
als den eines von X. aufgegriffenen, anekdotenhaften Exzerptes
einer tendenziösen Biographie des Herrn okrates. Dieser Biograph
selbst teilt das Geschick manches Genossen; nicht einmal die Um-
risse seines Bildes werden uns deutlich. Steins Kritik an diesem
Teile der Hellenika scheint mir in der Hauptsache verfehlt.
C. Vermischte kleinere Beitrage zu den Hellenika.
43) a) K. Lincke, Miscellanea (s. o. S. 165) S. 190.
Hell. V 3, 8 ovtco 6s yvovxsq rjysfiopa psv ^Ay^dinoXtv
top ßaciXea sxnfynovöi, /ist* avxov de wansq *Aytj<fi>ldov
eig xriv *Ati iav tqiccxovtcc ZnaQTiaxodV.
L. hält die im Druck hervorgehobenen Worte für die
Reminiscenz eines Lesers an III 4, 2, wo von der Aussendung
des Agesilaos mit Gefolgschaft der kontrollierenden Dreißig die
Rede ist. Es sprechen aber weder handschriftliche noch gram-
matische Gründe, die L. andeutet, gegen die Echtheit. Die beste
Hs. B (Paris. 1738) hat mit Abkürzung äytjGi, was nach dem
Zusammenhange nur der Genitiv sein konnte und schon von
dem alten Leonclavius richtig so gelesen wurde. Die Endungen
-o) bezw. -ov der anderen Hss. beweisen nichts; vgl. die Zu-
sammenstellung derartiger Abkürzungen in Kenyons neuester Aus-
gabe der yA&ijpai(ßv noXmeia des Aristoteles, Berolini 1903,
S. IX ff. Grammatisch ist die Auslassung der Präposition nach
(xhstisq hier möglich (vgl. Krüger Gr. Spr. 68, 8 und Breitenbach
z. St., der noch V 1, 20 — ähnliche Verbindung mit ij —
heranzieht), so daß auch Cobets Einfügung des fierd vor 'Ayrjdi-
Xdov unnötig ist.
]90 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
b) Carl Robert, Die Ordnung der olympischen Spiele uod die
Sieger der 75.-83. Olympiade. Hermes XXXV (1900)
S. 141-195.
Das von Grenfell und Hunt unter den Papyri von Oxyihynchos
gefundene und publizierte Fragment einer olympischen Siegerliste
(II 1899, N. CCXXIl, S. 85—96) weist 13 Agone auf, deren Ver-
teilung auf fünf Spieltage R. versucht. Mit dem Fragment stimmen
die übrigen bisher bekannten Zeugnisse (Pindar Ol. V, Phlegon
u. a.) überein, besonders was die Reihenfolge der Agone betrifft. Zu
widersprechen scheint die wichtige Stelle Hell. VII 7, 29. Arkader
und Pisaten sind zur Festfeier in Olympia versammelt und werden
von den Eleern gestört: xal ttjv piv InnoÖQOfiiav fjöfj ine-
Tioiqxstiair xal rä ögopixä tov nsvTad-Xov ol <f slg ndXi\v
cupixofjiepoi ovxeti iv na ögöpo), aXXd (1€tcc%v tov doopov
xal tov ßwpov IndXaiov sqq. Während nun nach dem Frag-
ment und der andern guten Überlieferung die hippischen Agone
nach dem nivva&Xov stattgefunden haben, müßte es nach X.
umgekehrt gewesen sein. R. nimmt nun an (S. 158 f., vgl. auch
148 und 156), und ich glaube mit Recht, daß bei der Überein-
stimmung der andern guten Zeugen der Widerspruch nur ein
scheinbarer sein könne. Nicht daß im 4. Jahrhundert zeitweilig
eine andere Ordnung bestanden habe oder Arkader und Pisaten
von der üblichen abgewichen seien. Vor nivTa&Xov gehört aber
d6Xi%og\ da nun in Athen und anderwärts ein dem d6Xi%og
sehr ähnlicher dycov — was inschriftlich belegt wird — Inmog
oder \nntx6g oder icpinmog hieß, hat wahrscheinlich X. statt
dessen den Ausdruck Innodgopia gebraucht.
44) a) T. G. Tucker, Varioas emendations. The Classical Review
XII (1898) S. 23— 27.
Zur Stütze einer Konjektur bei Herodot (II 8, 1 in* ccqxtov;
codd. an') zieht T. S. 26b Hell. III 2, 9 heran, wo alle Hss. statt
des notwendigen in' *Etf>&tiov (Grote) an" haben. — S. 26a
sucht er Hell. VI 4, 24 ** <T sniXa&iadai,, sifq, ßovXea&s
tö YeytvrHisvov nd&og unter Ablehnung von Madvigs allerdings
ziemlich gewaltsamer Konjektur i^idaaöd-ai (so auch Keller) durch
inava&sa&ai herzustellen. Welcher Sinn erforderlich ist, liegt
auf der Hand; Hartman hatte ihn treffend ausgedrückt: 'si cladem
acceptam victoria compensare vultis'. (T. nicht ganz richtig: Ho
retract the false move'). Nun kann zwar ava&sad-ai, wie T. be-
merkt, diesen Sinn haben, und er gibt ihn an sich schon voll-
ständig, wogegen inavaMad-ai, (T. 'back') sich für diesen Gebrauch
nicht belegen läßt. Da die vorgeschlagenen Konjekturen (vgl.
Kellers Apparat) sämtlich ebensowenig an sich voll befriedigen,
wie sie sich von dem überlieferten Texte sehr weit entfernen,
schlage ich avaXaßiad-at vor, das sich in seinem Ruchstaben-
bestande der Überlieferung ziemlich eng anschließt und, weil es
Xeoophou, von R. Ullrich. 191
im Aktiv die geforderte Bedeutung an zahlreichen Stellen hat, sich
gerade in diesem Zusammenhange in engstem Anschluß an das
Subjekt wohl auch im Medium rechtfertigen läßt. — Eigenartig
endlich behandelt T. a. a. 0. III 2, 18, wo es am Schlüsse des
Satzes 6 fispzoi TiaöacpsqvTjg heißt ovx eßovke to [ndxsa&cu,
C. bietet dafür snolsfifjatv. Er bemerkt dazu: kDoes not this
divergence almost certainly point to the true reading being ovx
inolefiiijösisv, %he had no taste for fighting'? 'The desiderative
verb is glossed in the other Mss. and corrupted in ü (!). Dafs
ein Desiderativ hier möglich war, wie denn z. B. Thukydides I 33,3
(vgl. Classen-Steupt z. St.) noXs^asioa und an andern Stellen
ähnliche hat, ist nicht zu leugnen, ebensowenig aber ein Grund,
die La. der besseren Überlieferung als Glosse anzusehen.
b) Herbert Richards, Varia. The Classical Review XII (1898)
S. 27—29.
Hell. I 7, 8 fisicc de xavia iyiyveto ^Anaiovqia, bv olg ol
z€ natsqeg xal ol GvyysvsZg avveiGi atpitiiv avtoXq. R. findet
es seltsam, daß die Väter als eine Klasse für sich genannt und
von der Verwandtschaft unterschieden werden; er schlägt deshalb
in bezug auf den Charakter des Festes tpqdzsqsq vor. Aber
erst so wurde die Gegenüberstellung seltsam, da dann disparate
Begriffe verbunden wurden. Denkt man dagegen daran, daß ge-
rade die Väter an den Apaturien, wo sie sich mit der Verwandt-
schaft versammelten, eine besonders wichtige Rolle spielten (wahr-
scheinlich kommt ja der Name des Festes daher; vgl. jetzt Toepffer
bei Pauly-Wissowa 1 Sp. 2672), so wird man die Verbindung, an
der meines Wissens bisher noch niemand Anstoß genommen hat,
ganz natürlich finden und jede Änderung der Oberlieferung ablehnen.
45) a) F. Solmsen, Na v x q « (> o g vavxkccqog vavxkrjqog. Rhein.
Mus. 53 (1898) S. 153—158.
NccvxItjqoq hängt nicht mit xlrjqog zusammen (S. 154); das
ist um so weniger anzunehmen, da die früher nur durch Hesychios
bezeugte und von M. Schmidt mit „nihili estu abgefertigte Form
vavxXaqog durch inschriftliches NccmX[ccqoc] — die von S. an-
geführte Stelle CIA IV 1, 373264 (S. 202) ist nicht auffindbar —
festgestellt ist. Das führt auf vavxqaqog (Schiffshaupt, Schiffs-
oberster) zurück, und aus Xen. Hell. I 4, 3 xaransfinco Kvqov
xaqavov sqq. ist die in jüngerer Zeit erscheinende Bedeutung von
vavxXi\qog =. Schi f fseigentümer, Schiff s kapitä n sofort
verständlich.
b) J. Steup, Der Thukydidcs-Papyros von Oxyrhyochos. Rhein.
Mus. 53 (1898) S. 308—315.
Wie bei Thuk. V 46, 3 ein mit oxi beginnender Satz im Inf.
fortgesetzt wird, so findet sich pleonastisches ort oder cog bei
Xen. Hell. II 2, 2; V 4, 35 (wo aber Keller (s'xoi) einschiebt); vgl.
auch Cyr. VIII 1, 25. "Oxi ist also nicht anzutasten (S. 314).
192 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
c) 0. Heuse, Zu Bakchylides XI. Rheio. Mas. 53 (1898) S. 318—322.
H. vermutet v. 112 (S. 321 f.) noiav (Trift, Grasplatz,
Weideplatz) für noliv und vergleicht Hell. IV 1, 30 /a/ua* iv
7t6q %wl XCtTCCXSlflSVOl.
d) H. Usener, Göttliche Synonyme. Rhein. Mos. 53 (1898) S. 329
-379.
Hell. V 4, 8 u. o. ist das unterhalb der Kadmeia innerhalb
der Mauern gelegene Heiligtum, das in der Überlieferung in der
Formld [i<petov und "Afitptov auftritt, wohl ^Afitfistov zuschreiben.
Dies wurde verderbt, gerade wie bei lapbieTov der spatere Itazis-
mus auf rapeTov führte (S. 345 u. Anm. 1).
e) J. M. Stahl, Zorn Sprachgebrauch des Thukydides. Rhein.
Mas. 54 (1899) S. 150—151.
Der im Lateinischen geläufige Gebrauch eines Partizips in
Sätzen wie post urbem conditam, angebaut Hamilcarem Sicilia Sar-
diniaque amissae u. ä. ist im Griechischen selten. Bei Thukydides ist
diese Ausdrucksweise verhältnismäßig häufig; hingewiesen wird
dabei auch auf die Stelle Xen. Hell. VI 3, 11 (S. 151) J>v (sc. tav
dyvcofiovcog nqax&ivttov) r\v xal q xazalrjcp^sTaa iv Gqßatg
Kad[Ji€ia = rj Kadpeictg iv 0ijßcug xataXtjlpig oder %6 xotxa-
Xfjfp^ijvat iv @ijßcug Kadfisiar.
Über die auf die Hellenika bezüglichen Arbeiten von Dippei
(1898), G. Fritzsche (1898) und Römpler (1898, auch für Ana-
basis und Agesilaos wichtig), sowie über die hierher gehörigen
Teile der Funde von Oxyrhynchos (edd. Grenfell and Hunt, I If,
1898 und 1899) vgl. den nächsten Bericht. — Zu Hell. I 6,2,
s. Anhang ['A&ijvaicov noXwsia] unter Ed. Meyer, Forschungen
zur alten Geschichte II.
IV. Memorabilien.
A. Ausgaben und Ähnliches.
46) Xenophons Memorabilien in Auswahl herausgegeben von Ferdi-
nand Rosiger (B. G. Teubners Schüleransgaben griechischer und
lateinischer Sehr ifs teil er). Leipzig 1899, ß. G. Teubner. VII u. 107 S.
gr. 8. geb. 1 JC.
Wie ich über Auswahlen klassischer Werke geringeren Uni-
fanges — und zu diesen gehören zweifellos die Memorabilien —
denke, habe ich schon oben S. 99 ausgesprochen. Und wenn
der Herausgeber (S. III) meint, wer sonst eine Auswahl den
Schulern nicht in die Hand geben wolle, wurde seine Forderung
nicht auf X.s Memorabilien ausdehnen, so ist nach meiner Mei-
nung genau das Gegenteil richtig. Gerade von einer Schrift, deren
Bild so „von der Parteien Gunst und Haß verwirrt schwankt",
ist es am wenigsten angebracht, eine Auswahl vorzulegen, die hier
Xenophon, von R. Ullrich. 193
besonders subjektiv ausfallen muß. Auch was R. zur Rechtfertigung
der in üblicher Weise reichlich angebrachten Überschriften der Kapitel,
der Bezeichnungen des Inhalts am Rande (Ober Sperrdruck im
Texte vgl. oben S. 133 N. 23) u. s. w. sagt (S. IV): „wenn
solche philosophische Schriftsteller (z. B. ?), denen ein größeres
Publikum ungewöhnlich gern folgt, mit diesen Mitteln sich die
Aufmerksamkeit zu sichern lieben, so haben Schulausgaben ge-
wiß keinen Grund, sich dagegen zu verschließen'4, beruht auf
einer Verkennung des Unterschiedes zwischen dem, was Er-
wachsenen, und dem, was Schulern frommt. Ein Lehrer, der sich
der schwierigen Aufgabe unterzieht, junge Leute zuerst in „philo-
sophische44 Probleme einzuführen, wird des besten Teils der Frucht
beraubt, wenn diesen hier die nach und nach herauszuarbeiten-
den Gedanken schon schwarz auf weiß fertig geboten werden, so
daß sie selber keine mehr zu fassen brauchen. Was sonst, zu-
nächst in aller Kürze, über die Bedeutung der Schrift, ihre Be-
ziehung zur Gegenwart überhaupt wie zu andern Gegenständen
des Unterrichts gesagt wird, ist sachgemäß. Der inzwischen
(1903) erschienene Kommentar (vgl. den nächsten Jahresbericht)
weist auf das „Hilfsheft44 hin, das „philosophische Erläuterungen
verschiedener Art44 enthalten soll.
Zugrunde gelegt ist natürlich der Text von W. Gilbert
(1888). Der Herausgeber hat es aber „für richtig gehalten,
konsequenter Lesarten der Stobäushandschriften aufzunehmen, die
nicht etwa nur in unkritischer Auswahl heranzuziehen sind44.
Mir ist sehr zweifelhaft, ob eine Schulausgabe, zumal eine Auswahl,
der rechte Ort für derartige Abweichungen von den im Schul-
gebrauch meist mit Becht kanonisches Ansehen genießenden un-
gekürzten Ausgaben der Bibliotheca Teubneriana ist; wenigstens
hätte aber R. seine abweichenden Lesarten kurz verzeichnen
sollen, wie es Sorof in der entsprechenden Anabasisausgabe ge-
tan hat. Dasselbe gilt von den mit der „Mehrzahl der Kritiker44
angenommenen Interpolationen. Wenn er dazu bemerkt (S. V):
„Die Untersuchungen haben ja mindestens gelehrt, daß der über-
lieferte Text unnötige Längen besitzt14, so muß gegen ein
derartiges „kritisches44 Verfahren immer aufs neue Einspruch er-
hoben werden. Was uns unnötig erscheint (vgl. z. B. den be-
haglichen Memoirenstil der Anabasis, an dem sich auch viele
Kritiker versündigt haben), ist oft gerade charakteristisch für einen
antiken Schriftsteller, und ein Werk wie die Memorabilien ver-
langt in dieser Hinsicht eine doppelt vorsichtige Behandlung.
Im einzelnen bietet die Auswahl R.s, von kleineren Aus-
lassungen innerhalb der §§ abgesehen, folgenden Text:
I 1, 1— 4a; 2,1—3, 5b— 10, 12—16, 24— 29a, 32—48,
56a, 58—61, 64; 3,1—4; 4,2—19; 6, 1— 10a.
II 1, 1—3, 7-34; 3; 4, la; 6, lb— 30, 33b— 35, 37
bis 39; 7.
Jahresberichte XXX 13
194 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
III (5); 1, lb— 9a, 11; 2, l u. 4: 3,8-9; 4; 6; 9, 10
—13; 10, lb— 8; 12,1—6; 13,2; 13, 4, (6), 5.
IV 2,1— 10a, 11—25, 30-40; (6, lb— 4, 10—15); (III 9,
1-7); 4, 5-20a, 24—25; 8,1—3, 11.
Dem gegenüber steht der Ausfall von:
I 1, 4b— 5; 2, 4— 5a, U, 17—23, 29b— 31, 49-55,
56b— 57, 62—63; 3,5—15; 4,1; 5; 6, 10b— 15; 7.
II 1,4—6; 2; 4, lb— 7: 5; 6,1a, 31— 33a, 36; 8; 9; 10.
III 1, la, 9b— 10; 2, 2—3; 3, 1—7, 10—15; 7; 8; 9, 8—9,
14—15; 10,1a, 9—15; II; 12,7—8; 13,1 und 3; 14.
IV 1; 2,10b, 26—29; 3; 4, 1— 4, 20b-23; 5; 6,1a,
5—9; 7; 8, 4-10.
So wird der Inhalt der „Denkwürdigkeiten" um reichlich ein
Drittel des überlieferten Bestandes gekürzt, und ich habe mir ab-
sichtlich die Mühe genommen (die der Herausgeber auf die schon
öfters von mir bezeichnete Weise sehr hätte erleichtern können),
Geduldetes und Verwiesenes einander gegenüberzustellen, um
deutlich zu machen, wie heute mit dem überlieferten Gute eines
antiken Schriftstellers verfahren wird. Man betrachte die Zer-
stückelungen, die sich z. B. I 2, II 6, IV 2 und 4 haben gefallen
lassen müssen! Demgegenüber berührt es sympathisch, dann und
wann wirklich einmal den überlieferten Zusammenhang ohne
künstliche Unterbrechung abgedruckt zu erhalten, wie in II 3,
und 7, III 4, 5 und 6. Wenn wirklich gestrichen werden soll,
so ist es, meine ich, noch am erträglichsten, wenn ganze Kapitel
ausgelassen werden, wie es bei 112 und 5,8, 10, III II und 14,
IV 1, 3 und 7 geschehen ist; dann mag der Inhalt des Ausgelassenen
durch ein paar Worte verbindenden Textes angedeutet werden (so z.B.
in Werras Auswahl aus der Anabasis; s. o. S. 99 u.), und der Zusam-
menhang des übrigen wird nicht gestört. Unbedingt zu verwerfen
aber ist es, daß der Text des Schriftstellers selbst, was R. mehrmals
unternommen hat, infolge von Streichungen korrigiert wird, und
handelte es sich auch nur um verbindende Partikeln und Ähnliches
(so 12,24 und 58; 4,2; II 1,7; 6,33; 1111,11; 10,1; IV 6,1).
Und die mehrfach vorgenommenen Umstellungen — sie sind oben
durch runde Klammern gekennzeichnet — über die nicht entfernt
Einigung erzielt ist, gehören nicht in eine Schulausgabe, so nahe
auch manche, wie die von III 5 und III 13, 6 z. B. liegen mögen.
Was wird nun durch all dies erreicht? Den wenigen, die
den Standpunkt des Verfassers teilen und sich die Marschroute
vorschreiben lassen wollen, wird diese Auswahlausgabe erwünscht
sein. Sie ist übrigens glänzend ausgestattet. Papier, Einband
und Druck splendid (von Druckfehlern sind mir nur aufgefallen
S. 21 — Überschrift — I 3 statt I 4 undjS. 35, Z. 3 (pgopi&iv),
auch Absätze und Interpunktionen sind praktisch eingeführt (der
Gedankenstrich oft im Obermaß; vgl. S. 80, 94 u. ö). Es steckt
auch viel Scharfsinn, ohne daß er besonders hervorgekehrt wird,
Xenopkon, vou Ei, Ullrich. J95
hinter den hier durchgeführten Grundsätzen, und das ehrliche
Bestreben, den Schulern zu dienen, ist zweifellos anzuerkennen.
Aber solche Dinge wollen nicht bloß mit Gelehrsamkeit behandelt
werden, sondern auch mit Geschmack und der schuldigen Rück-
sicht, die auch diesem Autor gebührt. Man denke nur einmal
daran, daß man in späteren Jahren unsre Klassiker so zurecht-
schneiden und ihre Texte eigenmächtig ändern wollte! Darum
werden alle, die den hyperkritischen Grundsätzen Krohns, Linckes
und andrer (denen Gilbert oft noch viel zu willig gefolgt ist)
ebenso abhold sind, wie sie sich in der Selbständigkeit der zu
tretenden Auswahl nicht beschränkt sehen wollen (ganz abgesehen
von den oben geäußerten didaktischen Bedenken), diese Aus-
gabe ablehnen, lihrer sind nicht wenige, besonders der von
R. in der Einleitung genannte Dörwald (vgl. u. N. 48), der
so eifrig für die Lektüre der von ihm hochgeschätzten Memorabilien
«ingetreten ist. Das Gegebene, weil künstlich zurechtgemacht, ist
-nicht mehr Xenophon, und das Fehlende (so II 2 Cltern und
Kinder, III 14 Sokrates bei Tische mit den Seinen, wie er Be-
gabten und Reichen den rechten Weg zeigt IV 1, die eigentüm-
liche antike Auffassung von des Menschen Verhältnis zur Gottheit
IV 3 u. a. m.) wird mancher ungern missen. Auch das rein
äußere Moment des Preises kommt der Ausgabe nicht zugute;
die vollständige Gilbertsche editio minor ist gebunden noch
billiger.
47) Index in Xeuophontis Meinorabilia. Confecernnt Catharint
Maria Gloth, Maria Fraucisca Kellogg. (Coruell St u dies in
Classical Philology edited by Charles Edwin Beunett aud George
Prentice Bristol, Ithaca, New York, No. XI) (New York) 1900, publisued
for the university by the Macmillan Company. VIII u. 96 S. gr. 8.
kart. $ I.
Anzeigen: W. Vollbrecht, WS. f. klass. Phil. 1900 Sp. 1256—1257.
— K. Lincke, Berl. phil. WS. 1901 Sp. 200. — Atheoaeum 1900, II,
S. 546. — My., Rev. crit. 1901 S. 186—167. — B., Lit. Zentralbl.
1901 Sp. 251. — H. St. Jones, Class. Rev. 1901 Sp. 173—174. —
D. Bassi, Boll. di fil. class. 1901 S. 268-269. — G. Fraccaroli, Riv.
di fil. 1901 S. 333—334.
Den „Gorneli Studies" verdanken wir schon viele tüchtige
Arbeiten, die zeigen, daß sich die philologischen Studien jenseit
des Wassers immer erfreulicher entwickeln. Die durch Haies auch
in Deutschland bekannter gewordenen „Cum-constructions" (1 1887)
aufs glucklichste inaugurierte Sammlung hatte in Band V (Index
Antiphonteus von van Cleef, 1895; vgl. u.a. K. Fuhr in WS. f.
klass. Phil. 1896 Sp. 566 — 570) schon eine der vorliegenden
ähnliche Arbeit geboten. Hier haben sich nun zwei gelehrte
Damen vereinigt und mit dem Index zu den Memorabilien eine
Arbeit geleistet, die von entsagungsvoller Hingebung und uner-
müdlichem Fleiße rühmendes Zeugnis ablegt und jedem, der
auf diesem Gebiete arbeitet, hinfort unentbehrlich sein wird.
13*
196 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Denn wenngleich ausführliche, wissenschaftlichen Ansprüchen ge-
nugende Lexika zu den einzelnen Attikern uns noch willkommenere
Gaben wären, so dürfen wir vorläufig schon mit Indices, die auf
Grund der neuesten kritischen Ausgaben und unter Berücksichtigung
ebenso abweichender Lesarten wie der evidentesten gelehrten
Besserungen mit peinlichster Sorgfalt hergestellt sind, als einem
wesentlichen Hilfsmittel der Forschung wohl zufrieden sein, und
nach den Indices zu Thukydides von v. Essen (1887; vgl. R. Steig,
JB. XIV S. 49 f.) und den zu den meisten xenophontischen Schriften
aus den letzten Jahren nun vorhandenen (s. o. S. 132), ist der
vorliegende freudig zu begrüßen. Er füllt tatsächlich eine „Lücke"
aus. Denn der Schneider-Dindorfsche, der mehr ein (allerdings
dürftiges) Lexikon darstellt, war unvollständig, ist überdies (zuletzt
1862 erschienen) veraltet.
Ober die Grundsätze der Bearbeitung geben die Verfasserinnen
in einer kurzen Vorrede Aufschluß. Zugrunde gelegt ist mit Recht
Gilberts Ausgabe (natürlich von 1888, nicht 1895, wie die Damen
annehmen, wohl durch die bei Neudrucken ebenfalls neu ein-
tretende Jahreszahl der Teubnerschen Bibliothek verleitet); die
zahlreichen daselbst vorgenommenen Einklammerungen sind als
nicht vorhanden angesehen worden, was nicht ganz zu billigen
ist. Auch in der Orthographie schließen sie sich an G. an. Die
wichtigsten hdschr. Abweichungen sind durch eckige Klammern
kenntlich gemacht. Verba verschiedenen Stammes sind jedes
unter seiner besonderen Wurzel verzeichnet, Nomina und Infinitive,
die mit dem Artikel verbunden sind, durch den Druck ausge-
zeichnet. In der Aufnahme von Partikeln u. a., der mühseligsten
Arbeit bei derartigen Zusammenstellungen, sind die Verfasserinnen
ziemlich weit gegangen, ptv und d£ in Verbindung mit dem
Artikel sind aufgenommen, auch fiiev=(Atjv. Aber wenn „einzeln-
stehendes" fjtip verzeichnet wurde — das doch meist, auch an
den von G. und K. angegebenen Stellen, ein de im Gefolge hat — ,
so durfte auch auf ös nicht verzichtet werden, ebensowenig auf
xai. Denn statistische Untersuchungen wünschen auch hier eine
sichre Grundlage zu haben, und bei einer Schrift von verhältnis-
mäßig kleinem Umfange war auch diese Arbeit ohne allzu große
Entsagung zu leisten. Einen Mangel sehe ich darin, daß ab-
weichende Lesarten der Neueren nicht berücksichtigt worden sind.
Nicht daß etwa alle Konjekturen angeführt werden sollten, von
denen viele noch schneller vergessen werden als sie gemacht
sind; aber eine Auswahl der besseren durfte nicht fehlen. Da das
Beste auch auf diesem Gebiete in Deutschland geleistet ist, so
hätten die Verfasserinnen, wenn sie sich an Gilbert anschlössen,
schon aus dessen praefatio critica vieles entnehmen können, und
ein weiteres Studium der einschlägigen Literatur, besonders der
ja gerade in Amerika viel benutzten Bursianschen Jahresberichte
(zumal Schenkls; s. o. S. 63), hätte Förderliches geboten. An
Xeuophon, voi R. Ullrich. 197
ausgezeichneten Mustern für die Methode der Verarbeitung fehlte
es außerdem ja nicht. Für eine Neuauflage des Büchleins wäre
also eine Erweiterung nach dieser Seite hin zu wünschen, und eine
Vermehrung des Ganzen um einen bis zwei Bogen würde ja wohl
nicht zu schwer ins Gewicht fallen ; auch ein Verzeichnis der ein-
schlägigen Literatur, das im Texte selbst nur Angabe der Namen
nötig machen würde, wäre eine nützliche Zugabe.
Die Ausstattung des Buches ist, wie wir es bei englischen
und amerikanischen Ausgaben gewohnt sind, glänzend, Papier
und Druck vorzüglich, der Preis mäßig.
ß. Abhandlungen.
48) P. Dörwald, Gliederung von Xenophons Memorabilien 1 1
und 2. Lehrproben und Lehrgänge 58 (Januar 1899), S. 86 — 94.
Dörwald gehört zu den eifrigsten und erfolgreichsten Ver-
teidigern der oft angegriffenen Memorabilienlektüre. In zahl-
reichen Aufsätzen1) hat er ihre Bedeutung immer aufs neue her-
vorgehoben, durch Behandlung einzelner Abschnitte schätzenswerte
Beiträge zu ihrer Behandlung in der Obersekunda des Gymnasiums
gegeben, auch ihre Verwertung für den Religionsunterricht2) in
ansprechender Weise erörtert.
Die in dem vorstehenden Aufsatz gegebene Gliederung der
ersten beiden Kapitel des ersten Buches bildet den Schlußstein
der vielseitigen Arbeiten des Verfassers über den Gegenstand.
Sie ist doppelt wertvoll. Einmal deswegen, weil sie sich gerade
auf die Kapitel bezieht, deren Behandlung sich schwerlich ein
Lehrer entgehen lassen wird, der seinen Schülern ein möglichst
vollständiges Bild der Persönlichkeit des Sokrates geben will, und
ferner, weil hier durch eine bis ins einzelne gehende Aufzeigung
des inneren Zusammenhangs, ohne besondere Polemik, durch die
schlichte Macht der Tatsachen allein, aufs deutlichste bewiesen
wird, wie wenig gerechtfertigt die Einwände sind, die man gegen
den angeblich „aphoristischen Charakter" des Buches und seinen
,, Mangel an Einheitlichkeit" vorgebracht bat. Was wir bei E. Lange
(s.o. Nr. 10), dem Plane seines Büchleins entsprechend, in knappster
1) Vgl. Der didaktische Wert des xennphonlischen Agesilaus im Zu-
sammenhange mit der Cvropädie und den Memorabilien untersucht, JXeue
Jahrb. f. Phil. u. Pädag. 1891 S. 331—341 u. 369—408; Xenophons Memora-
bilien 112 im Unterricht, Lehrpr. u. Lehrg. 40 (1&94) S. 89-101; Xeno-
phons Memorabilien und die neuere Kritik, Gymnasium XV (1897) S. 1 — 8 u.
S. 41 — 52; Sokrates und der jüngere Perikles (Xen. Mem. IH 5), Lehrpr. u.
Lehrg. 50 (1897) S. 45—52; Die Memorabilienlektüre in Obersekunda,
Lehrpr. u. Lehrg. 51 (1897) S. 36 — 70 (über alle vier Bücher); Xenophons
Memorabilien als Schullektüre, Ztschr. f. d. GW. 1897 S. 666—673.
2) Eine Religionsstunde im griechischen Unterricht (Xen. Mem. I 4),
Lehrpr. u. Lehrg. 44 (1895) S. 106—116.
198 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Zusammenfassung erhielten, wird hier mit liebevollem Eingehen
auch auf feinere Zöge zur Anschauung gebracht. Auf den ersten
Blick könnte es scheinen, als ob diese Gliederung mit ihren
1) a) a) aa) u. s. f. zu kompliziert sei und der Übersichtlichkeit
ermangele; bedenkt man aber, daß das einzelne ja doch nach
und nach in den Unterrichtsstunden mehrerer Wochen erarbeitet
wird, die Steine allmählich sich fugen, bis der Bau Gestalt
erhält und im Anschauen des Ganzen die Teile in der Rück-
erinnerung von neuem in ihrem Verhältnis zueinander und zur
höheren Einheit sich darstellen, so ist alles einfach und naturlich.
Eine so erarbeitete Übersicht über einen wertvollen Gedanken-
gehalt hat Anwartschaft auf bleibenderen Besitz als die den
Schülern in manchen Ausgaben (s. o. Nr. 46) fertig gegebenen
Dispositionen; und gerade aus der des Verfassers wird recht deut-
lich, daß durch Auslassungen, Streichungen u. ä. besonders in
Kap. 2 (s. o. S. 194) der Zusammenhang nicht gefördert, sondern
geschädigt wird; dem Bilde würden wesentliche Züge fehlen,
wenn man z. B. § 11 (Gewalttat und Macht der Überzeugung),
19 — 23 (Übung der Sittlichkeit und der sittlichen Erkenntnis),
49 — 55 (Wahres Verhältnis von Sokrates7 Schülern zu Vätern,
Verwandten und Freunden) und von dem Schlußwort (62 — 64)
einen Teil fortnähme. Und den Hesiodvers (56. 57, eqy. *. fjfi.
311) wird man um seiner selbst willen (auch in Erinnerung an
einen andern desselben Dichters, der den Schülern in dieser Zeit
bekannt zu werden pflegt) wie in Verbindung mit der folgenden
(übrigens auch von Rosiger aufgenommenen) Homerstelle (II. II 188
bis 191; 198 — 202) nicht missen mögen.
Dörwalds Übersicht sei ebenso wie seine übrigen Aufsätze
zu den Memorabilien (besonders die in den „Lehrproben und
Lehrgängen'4 veröffentlichten) dem Studium der Fachgenossen
angelegentlich empfohlen. Besonders wer durch längeres Ver-
bleiben an derselben Anstalt und an kleineren Orten des lebendigen
Gedankenaustausches mit andern, die es anders machen, entbehren
muß und leicht einer gewissen Einseitigkeit verfällt, wird aus
des Verfassers Erörterungen manchen Nutzen ziehen.
49) £. Rosenberg, Xenophons Memorabilien Kap. I uod H io
ihren Beziehaugen zur Gegenwart. Neue Jahrbücher für das
klassische Altertum 1899 (I. Abt.) S. 94—104.
Rosen bergs Aufsatz ist ein Gegenstuck zu Dörwalds Ober-
sicht (Nr. 48). Bei D. schlichte Gliederung des Tatsächlichen,
hier ein Versuch, denselben Stoff mit der Gegenwart zu ver-
knöpfen.
Der Verf. wirft die Frage auf, ob Kap. 1 und II des ersten
Buches geeignet sind, ein Vierteljahr des Unterrichts der Ober-
sekunda (unter Umständen auch mehr) in Anspruch zu nehmen,
Xeoophoo, von R. Ullrich. 199
und bejaht sie. Und er setzt an Stelle des oft mißbrauchten
Satzes, daß für die Schuler gerade das Beste gut genug sei, „das
Geeignetste'4. Er findet, eine Generation, die nach Prima
komme, ohne diesen „Elementarunterricht in der Philosophie441)
genossen, ohne sich an diesen „damals wie heute modernen
Fragen44 gebildet zu haben, habe etwas Wesentliches verloren.
Mit Recht. Und zwar müssen die Schüler, wie ich meine —
und wie auch aus des Verfassers Ausfuhrungen hervorzugehen
scheint — , diese Kapitel im Zusammenhange kennen lernen, ohne
Auslassungen, ohne „Verbesserungen44, ganz so, wie der ehrliche
Berichterstatter die Gedanken des Meisters wiedergegeben hat.
R. gibt mehr Anregungen als Ausfuhrungen, und so gern
besonders derjenige, der die bezeichnete Aufgabe zum ersten Male
zu lösen hat, etwas Näheres über das „Wie44 der Sache erfahren
möchte (die vorhandenen Kommentare bieten herzlich wenig), so
hat doch andrerseits die Darstellung, weil sie kurz ist und sich
auf das Wesentliche beschränkt, an Lebendigkeit und Frische
ungemein gewonnen, und man folgt gern dem belesenen und
vielseitig gebildeten Fährer, der jedem doch etwas bringen wird.
Zwar die Darstellung des ersten Kapitels (S. 95—99) befriedigt
weniger; R. übt hier zu viel Kritik an dem Schriftsteller, und der
eigentliche Zweck, die Beziehungen zur Gegenwart aufzuzeigen,
tritt weniger hervor. Die Probleme sind, scheint mir, zu schwierig,
die Anstöße zu groß, um bei dem meist noch recht unreifen
Publikum eine einheitliche Wirkung hervorzubringen und einen
bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Vortrefflich aber ist, was
über das zweite Kapitel gesagt wird (S. 99 — 104). Es ist ein
Stuck Pädagogik, was wir hier erhalten. „Lehrer und Schuler4'
will es R. überschreiben. Und der Verfasser weist mit Geschmack
einen Weg, den man gehen kann. Die Ausfuhrungen über die
ideale Aulfassung des Lehrerberufs ebenso wie über die wahren
Zwecke des Lernens (Gegenbild: Die Auffassung des Kritias und
Alkibiades), über die Wichtigkeit der Übung der Tugend auch tür
die Besten, die sonst vor dem Falle nicht sicher sind, das alles
ist zeitgewäß und wird, taktvoll und mit der nötigen Vorsicht (es
sind eben noch Obersekundaner) in die Praxis umgesetzt, seine
Wirkung tun. In der Erklärung des exxvXio&ivtag (I 2, 22) ver-
mag ich freilich dem Verf. nicht zu folgen; so vortrefflich das
Bild (Sturz aus dem Wagen; vgl. Homer) an sich ist, es paßt
doch nicht in die grammatische Fügung, und wir müssen bei dem
iyxvfo<T&£vTa$ der besseren Überlieferung verbleiben. Mit Paris,
gewissermaßen als modernem Babel, würde ich Thessalien auch
nicht vergleichen. Rom und Korinth liegen da viel näher (vgl. den
2) Verf. hat neuerdings, durch die neuen Lehrplane veranlaßt, die Frage
der Memorabilienlektüre noch einmal erörtert (Ztschr. f. d. GW. 1903
S. 225—233). Vgl. den nächstes Jahresbericht.
200 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Religionsunterricht der Klasse), zumal wenn man, wie der Verf.,
Fricks didaktischen Katechismus wiederholt heranzieht. Auch das
Bild vom breiten Wege (Ev. Matth. 7, 13) lag nahe; R. weist mit
Recht sonst gerade auf biblische Gedanken mit Vorliebe hin; vgl.
z. B. S. 103 zu dem „Laß die Toten ihre Toten begraben" (Matth.
8, 22; vgl. Luc. 9, 60) und (ebenda) zu dem „auf daß4' des vierten
Gebots (Exod. 20, 12). Berührungspunkte und Gegensätze antiken
und modernen Lebens treten deutlich hervor, und das ewig Bleibende
Somatischen Lebens und Sterbens steht immer im Mittelpunkte.
Auch über den nächsten Zweck hinaus enthält R.s Abhand-
lung manche zwar mehr gelegentliche, doch sehr zeitgemäße Be-
merkungen. Was z. ß. von der Hauslehrertheorie, dem Segen des
Lehrerwechsels, der Gefahr der Presse und der Warnung X.s an
die Eltern, ihre Söhne allzu oft und tief in ihre eigenen Gedanken-
kreise einzufuhren, gesagt und wie es begründet wird, ist be-
herzigenswert und kann, wenn es auch nicht neu ist, doch nicht
oft genug wiederholt werden.
Zum Widerspruch wird manchen Leser die Bemerkung des
Verfassers herausfordern (S. 94), daß er diesen beiden Kapiteln
das ganze Vierteljahr von Michaelis bis Weihnachten zu widmen
pflege. Er sagt nicht, ob ausschließlich oder neben poetischer
Lektüre; die Praxis ist darin ja verschieden. Doch gleichviel. Es
sind nur I8V2 Seiten Teubnerschen Textes; und so fruchtbringend
die bezeichnete Art der Einführung in die Elemente der Philo-
sophie auch ist, man darf doch billig fragen, ob das noch griechi-
scher Unterricht ist. Die Memorabilien bieten doch noch mehr
geeigneten Stoff (vgl. besonders Dörwalds Aufsätze), und ein etwas
rascheres Tempo der Lektüre ist im Interesse der sprachlichen
Ausbildung wohl zu wünschen.
50) K. Liocke, Sokrates und seioe Apologeten. Zeitschr. f.d.
GW. LH (1898) S. 417— 441.
Für Xenophon kommen aus Linckes Aufsatz — einer Er-
weiterung eines auf der Dresdener Philologen-Versammlung 1897
gehaltenen Vortrages *) — hauptsächlich in Betracht S. 418, 419,
421, 427—441.
Ausgehend von dem klassischen Zeugnis für die Lehre des
Sokrates von dem Unterschiede des Wissens und Meinens (Xen.
Mem. I 1, 16) gibt L. zunächst eine von Begeisterung getragene
Darstellung der Bedeutung des Sokrates, hauptsächlich nach Piaton.
Ein wesentlicher Zug seines Eudämonismus ist die Selbstlosigkeit.'
Sie betont Sokrates im Gespräch mit Hermogenes, sie schildert
der Sokratiker Xenophon in dem Perser Pheraulas der Cyropädie,
und er verdankt diese tiefere Auffassung von dem Werte des
a) Vgl. den kurzen Bericht in deo „Verhandlungen" S. 53—55.
Xenophoo, vod R. Ullrich. 201
Lebens dem Sokrates. Pia Ion, Her mo genes *) und Xenophon (der
Ältere) sind seine wahren Apologeten.
S. 427 gibt L. nun eine eigenartige Skizze über Leben und
Schriftstellerei Xenophons, aus der wir erfahren, daß er die
Spartaner in der Hoffnung, er werde etwas gegen die verhaßten
Demokraten schreiben, täuschte. Denn er war nicht der Mann,
ein politisches Sendschreiben zu verfassen von der Art, wie er ein
solches in der „Thukydideischen Schrift vom Staate der Athener*
besaß. Er hat auch den Nachlaß des Thukydides in den ersten
zwei Büchern der Hellenika bearbeitet. Man sieht, längst abgetane
Dinge kehren wieder. Vor 393 begann er dann mit dem apo-
logetischen Versuch über den Prozeß des Sokrates, der als Ein-
leitung zu den Memorabilien erhalten ist. Hier vermittelt er
zwischen Sokrates und der Mantik — ein wichtiges Moment in der
athenischen Kulturgeschichte. Aber entschiedene Gegner wollen
keine Vermittlung. Hermogenes, des Hipponikos Sohn, unterstützt
ihn in seinen Ausführungen (wichtig ist besonders I 2, 48 ff.).
Aber schon im ersten Buche der Memorabilien tritt ein
neuer Sokrates auf, der den Standpunkt der Gläubigkeit gegen-
über Aristodemos dem Kleinen vertritt (1 4), das Gute und Schöne
dem Nützlichen gleichstellt. So auch in Buch IV, wo klar be-
wiesen wird, daß die Überzeugung der studierenden Jugend von
dein unbedingten Werte der Gerechtigkeits-, Wissenschafts- und
Glückseligkeitsidee auf einer Irrlehre beruht. Der natürliche Zu-
sammenhang des Guten oder Schönen mit dem Sittlichen, den
X. zu würdigen wußte, ist dem Verf. bei seiner Nützlichkeitslehre
entgangen. Diesem „Pharisäer" (S. 430) kommt es auf die Menge
der Gaben an die Götter an; der Glaube, daß sie sich auch an
geringen freuen, ist geschwunden. So stehen wertvolle An-
knüpfungspunkte So k ratischer Philosophie und gemeine Handels*
moral nebeneinander.
L. charakterisiert nun Isokrates in seinem Verhältnis zu
Piaton (430 f.) und meint, nach dem Muster seiner Rede xccta
%<av aoipiaxäv (XIII) habe sich der Verfasser des Dialogs
„über das Daimonion" in den Memorabilien „durch unterwürfige
Mantikgläubigkeit gegen den Verdacht zu decken gesucht, als hätte
der gute Lehrer Sokrates jemals eine eigene Meinung in religiösen
Dingen gehabt oder eine höhere Autorität in der Schule aufkommen
lassen neben dem göttlichen Homeros'* (Mem. I 4). Dieser Ver-
fasser ist der jüngere Xenophon, der Sohn des Diodoros. Er
fühlte sich berufen, gegen die Akademie zu kämpfen, als Lehrer
und Leiter einer Somatischen Schule, in der die Werke Xeno-
phons, des Älteren, einen wertvollen Bestand an Lehrmitteln
bildeten. Der Enkel erntete die Früchte des weitgereisten Groß*
J) Hier verteidigt L. (S. 427, A. 1) Mem. IV 8, 4—10 gegen Zeller
Hl4 194, 1 und 195, 1 und spricht sich gegen dessen Begründung der Unecht-
heit der xenophontischen Apologie ans.
202 Jahresberichte d. Philolog. Verein*.
vaters. Die Cyropädie diente zur Einfuhrung in die Staatslehre;
Hellenika und Anabasis führten in die Geschichte ein. Und damit
der gunstige Eindruck der Königsherrschaft in der Cyropädie ab-
geschwächt wurde, erhielt das Werk nun den Nachtrag über die
Entartung der Perser (Cyr. VIII 8), für den die IltQöixcc des
Herakleides von Kyme ergiebig gewesen sein mochten. So kamen
auch Zusätze in die Hellenika über ionische, persische und sizilische
Geschichte aus Ktesias und Timaios, mit der Tendenz, das Ganze
zu einer chronologischen Weltgeschichte nach dem Muster von
Ephoros-Theopomp zu machen. Als Ersatz für die umfangreiche
Kyropädie reichte ev. der Fürstenspiegel des „Agesilaos" aus, wozu
dann noch die „erweiterte Ausgabe16 des Oikonomikos1) kam. Die
Schrift flcqoi, von X. noch selbst verfaßt, bot einen Einblick in
die athenische Verwaltung. Durch praktische Schriften, wie der
„Reiteroberst", wurde die Sammlung ergänzt. X. selbst hatte
fast nichts veröffentlicht; so verfügte der Enkel über einen reich-
haltigen pädagogischen Nachlaß.
Die Memorabilien insbesondere wollten nun in zeitgemäßer
Weise alles Wissenswerte zu Nutz und Frommen der bildungs-
bedürftigen Jugend zusammenfassen. Da gab Sokrates auch Proben
von Rede- und Vortragskunst (Mem. I 5 und 7); er geht nicht
in die Tiefe, der Lehrer muß darauf bedacht sein, zu gefallen.
So ergeben sich (nach Birt und Klett) zwei, vielleicht drei Aus-
gaben. Beim vierten Buche zeigt sich ein Fortschritt: der Sokrates
des dritten Buches hat zu arge Blößen geboten, jetzt tritt er in
Wettbewerb mit der Akademie.
Wir werden weiter (nach Holm, Griech. Gesch. IV 77 ff., den
L. überhaupt sehr bevorzugt) in die Zeit des Demetrios von
Phaleron geführt, des gelehrten Lebemannes und Zuchtmeisters,
des „Solon im Kleinen". Ebenso zweifelhaften Charakters ist der
jüngere X., der „kleine Sokrates", der einträgliche literarische
Tätigkeit, laxe Moral und kynische Kernworte für die Zucht der
Jugend liebt, nach welchem großstädtische Bildung auch einen
Beisatz von Pikantem haben mußte. Seine „Bürgerkunde", die
ersten drei Bücher der Memorabilien, dieser „Lehrgang des höheren
Unterrichts", wußte sich den bestehenden Verhältnissen anzu-
passen. Der Verfasser schmeichelt der Eitelkeit des Demetrios,
der selbst einen „Sokrates" geschrieben hatte, dessen Einfluß im
vierten Buche der Memorabilien und im Symposion vielleicht noch
zu spüren ist (S. 435).
Auch eine „Apologie" ist der Sammlung einverleibt worden,
eine Kontamination im kleinen, wie es die Mem. im großen sind.
Benutzt ist der Bericht des Hermogenes und die Trilogie des
Sokrates bei Piaton, und die Kontamination schließt sich inhalt-
lich an die seit diesem maßgebend gewordene Auffassung an, wo-
]) Vgl. Xeoophoos Dialog ITegl oixovofxlag in seiner ursprüglichen
Gestalt. Text und Abhandlungen von Karl Liocke, Jena 1879.
Xenophon, von R. Ullrich. 203
nach dem Daimonion nur eine vom Bösen abmahnende, nicht
auch eine zum Guten antreibende Wirkung eigen war, wie dies
X., wahrscheinlich im Einverständnis mit Hermogenes, berichtet.
Isokrates und Xenophon der Jüngere sind die falschen Apologeten
des So k rat es. X. der Jüngere, der Schuler des Isokrates, setzt
mit I 4 als Programm ein. Dies wie die Apologie und das Sym-
posion (vielleicht auf den Geschmack des Demetrios berechnet}
sind fremde Tropfen im xenophon tischen Blute.
Der Verfasser der jüngeren Memorahilien hat aus Piatons
Protagoras manches entlehnt (S. 437). Das Geschick der Zu-
sammenfassung und Ordnung des Unterrichtsstoffes (was L. S. 438
im einzelnen ausführt) ist anzuerkennen; es ist ein „Schulbuch"
entstanden für die Söhne solcher Familien, in denen man zwar
vom Geiste der Akademie nichts verstand, aber doch den Anspruch
auf allgemeine Bildung nicht aufgeben wollte. Der Protagonist
wechselt darin mit überraschender Geschwindigkeit die Rollen.
Die Überlieferung Xenophons bietet ein stark übermaltes Bild,
dessen echte Farben behutsam wiederzugewinnen sind. L. erklärt
sich in dieser vermittelnden Auflassung ebenso gegen Chr. Härder1,)
der die Memorahilien für philosophische Erörterungen nicht ver-
wenden will, wie gegeu Dörwald 2), der in ihnen den geschicht-
lichen Sokrates erblickt; von des letzleren Erörterungen erkennt
er aber immerbin manches an (S. 439). Besonders das Zeugnis
des Hermogenes wird betont. Piatons Darstellung des Sokrates ist
„fesselnder und ergreifender", die Xenophons treuer im einzelnen.
So Lincke. Seit seiner Dissertation3) hat er seine wissen-
schaftliche Tätigkeit besonders in den Dienst Xenophons gestellt, und
bei aller Verschiedenheit im einzelnen steht immer der Grundsatz
der „Interpolation4' im Mittelpunkt seiner Arbeilen; erst kurz vor
diesem Aufsatz halte er wiederum Ähnliches behandelt4). Man
bewundert wohl seine kühnen Kombinationen, gibt sich auch dem
Zauber seiner Darstellung gern bin, die sich hier, z.B. 432 ff.,
434 ff., wie ein Roman liest, aber das wirkliche Ergebnis ist doch im
ganzen hier wie in den meisten früheren Arbeiten des Verfassers
nur gering. Die Phantasie muß ersetzen, was die Überlieferung
schuldig bleibt. Besonders der jüngere X. kommt mir auch nach
H. Beckhaus5), v. Wilaroowitz6) und den Ausführungen des Ver-
1) Ein Vorschlag zur Erweiterung der griechischen Lektüre io Ober-
sekonda. Zeitschr. f. d. GW. 1896 S. 673-685.
*) Xenophons Memorahilien als Schallektüre. Zeitschr. f. d. GW. 189T
S. 666—673; vgl. oben S. 197 Arno. 1.
3) De Xenopbontis Cyropaediae interpolatioaibus. Diss. Berol. (Jena
1*74).
*) Vgl. Sokrates and Xenophon 1—1 V, Fleckeisens Jahrb. 1896, I S. 447
—456 und 741—752; 1897, I S. 481—498 and 705—720.
5) Xenophon der Jüngere und Isokrates. Progr. Poseo 1872.
*) In „Antigonos von Karystos" (Philologische Untersuchungen IV) 18S],
S. 330 ff., vgl. auch S. 110, Anm. 15.
204 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
fassers so schattenhaft vor, seine von L. geistreich skizzierte
•/Tätigkeit44 so problematisch, daß ich vergebens nach Wesen und
Gestalt suche. Ungeheuerlich ist auch geradezu die Vorstellung
(S. 432) von der Tendenz der angeblichen Interpolationen der
Hellenika, die eine Weltgeschichte aus dem Ganzen machen sollten.
Da mußte man ja am Anfang eine „Interpolation'4 annehmen, die
den ganzen Hellenika an Ausdehnung mindestens gleichkam; denn
mit 411 konnte eine „Weltgeschichte'4 doch nicht gut einsetzen.
Wir müssen uns bescheiden. Daß das Memorabilienproblem im
ganzen alsbald eine allseitig befriedigende Lösung linden wird,
glaube ich nicht, und auch die staunenswerte Leistung, die Joel
in seinem dreibändigen Werke1) geliefert hat, ist neben mancher
Anerkennung großem Widerspruche begegnet. Warum aber,
das wenigstens darf man doch sagen, sollen wir den Verfasser,
dessen „Geschick in der Zusammenfassung und Ordnung des
Stoffes44 auch L. gerade (S. 438) anerkennt, in so weiter Ferne
suchen, der doch so viel näher steht und es verstanden hat, wie
viele gezeigt haben, den mannigfaltigen Inhalt so zu gruppieren,
daß er eine gewisse Einheit bilden konnte? Anstöße bleiben ge-
wiß, aber ihr Grund ist, glaube ich, nicht in der Zeit der Ab-
fassung und der Verschiedenheit der Verfasser zu suchen, sondern
in dem Unterschiede der Natur des Schälers von der des Meisters,
der Unvollständigkeit und der Widerspruche seiner Gewährs-
männer — soweit er nicht aus eigener Kenntnis schrieb, — und
anderen Dingen, die wir nur noch vermuten, nicht mehr nach-
weisen können. Was übrigens L. von Seiten der Sprache —
natürlich ein sehr wichtiges Moment — beibringt, um spätere
Entstehung zu rechtfertigen (S. 433, Anm. 1 ; er hofft von weilerer
Untersuchung noch mehr), reicht nicht aus oder trifft nicht zu;
(fxolji 2. B. = schwerlich, kaum (III 14, 3; IV 2, 24; 4, 25) kommt
in dieser Bedeutung auch schon in der Tragödie (Sophokles) wie
in der rednerischen Prosa (Andokides I 90) vor, nicht bloß bei
Piaton, aus dessen Nachahmung es stammen soll.
In der Hauptsache halte ich also L.s Ausfuhrungen, soweit
sie wenigstens die Überlieferung X.s betreffen, für verfehlt. Im
einzelnen habe ich manche feine Bemerkung notiert, die Beachtung
verdient, so z. ß., daß (S. 432) die „Anabasis44 dazu beigetragen
habe, das Prestige der persischen Macht zu zerstören und eine
Erhebung des Nationalgefühls gegen die Königsherrschaft vorzu-
bereiten, daß ferner (S. 435, Anm.) die Vollständigkeit der Über-
lieferung der Gesamtausgabe X.s vielleicht aus dem Interesse des
Demetrios zu erklären sei, der sich ja um die alexandrinische
Bibliothek besondere Verdienste erworben hat, und so wird der
aufmerksame Leser noch hier und da manch gehaltvolles Korn
finden unter der Spreu, die der Wind bald verweht.
x) Der echte und der xcoopbootische Sokrates, I und II 1, 2. Berlin 1893
and 1901.
XeoophoD, van R. Ullrich. 205
51) Adolf Roemer, Zu Xenophons Memora bil ieo I 2, 58. Blatt,
f. d. GSW. 36 (1900) S. 640—646.
R. beklagt die Rückständigkeit der Exegese der Memorabilien
(sie gilt m. E. auch für andere Schriften Xenophons); die Hilf-
losigkeit der Studenten sei hier ganz besonders hervorgetreten.
Das führt ihn auf eine Bemerkung in dem Programm von F. Bey-
schlag (Die Anklage des Sokrates; Kritische Untersuchungen, Neu-
stadt a. H. 1900, S. 9), daß es eine Besonderheit X.s gewesen sei,
beim Zitieren rücksichtslos wegzuschneiden, was für die jeweilige
Sache nicht oder wenig in Betracht komme, so Mem. I 2, 58, wo
er aus der Mitte des Homerzitats sechs Verse der liias hinausgeworfen
und den noch bleibenden Rest II. II 188 — 191 und 198—202 als
ein Ganzes angeführt habe.
I. Die Stelle bei X. lautet:
"Ovxiva fisp ßaöiXrfa xai s^o%ov avdqa xi%siiii
top <T ayapoTg snisGGiv iQtjTVoaöxs ncegaardg'
190 datpovi1, ov Gs soixs xaxop alg dsidiGGsG&ai,
aXV ccvtoc x€ xd&fjGo xai äXXovg tägvs Xaovg.
198 Sp (T av dijfiov t' dvdqa Xdoi ßoöoovvd t} stpsvgoi,
TOP <fXfjnTQ(p sXdCatiXSP ,6[iOxXlj(faOXS T€ (AV&(p*
äaifjbovi\ aiqsfiag fjGo, xai äXXooP (iv&op äxovs,
ot <s£o ipioTsqoi sltff av d1 dnToXsfiog xai äpaXxig,
ovts not* si> noXipw svaoid-piog ovt' ipl ßovXfj.
Nun hatte Aristarch (nach Aristonikos) die Verse 193 — 197
gestrichen und 203 — 205 hinter 192 versetzt. Und Heyne hatte
zu 203—205 das Fehlen von 193—197 bei X. bemerkt und selt-
sam erklärt: 'Quae saltern docent locum olim a rhapsodis varie
fuisse constitutum*, und zu 193 — 197: 4Habent utique inter-
polationis artem etiam in hoc, quod plurium interpolatorum operam
sententiis singulis abruptis produnt'. Danach urteilte Ludwich1),
die hei X. fehlenden Verse (192 — 197) seien die von Aristarch
mit dem Obelos versehenen, so daß man erkenne, wie dieser sich
bei seinen Athetesen nicht bloß auf innere, sondern auch auf
äußere, urkundliche Gründe gestützt habe. R. weist nun erstens nach,
daß v. 192 bei A. überhaupt nicht gestrichen ist (nach Aristonikos),
und zeigt, daß dieser Vers geradezu entscheidend dafür ist,
daß X. aus dem Homertexte überhaupt nichts weggeschnitten hat.
Sokrates kann nur diese Verse gesagt haben (vgl. § 56 xavxa di\
avtop ityysZa&a* d>g o 7TOifjT7jg inawoitj naisa&aiTOvg dijfjiOTag
xai nspfjzag); er mußte den Vers weglassen, „der ihn an die in
der Ilias vorliegende Situation band und für seinen Zweck voll-
ständig unverständlich war44, und so auch 193 — 197 und 203 —
205. Auf willkürliche Behandlung der Verse durch X. ist also
1) „Aristarchs homerische Textkritik*' II (1885) S. 136 ff. und „Die Homer-
vulgata als voralexandriaisch erwiesen" (1898) S. 74.
206 Jahresberichte <1. PhiloJog. Vereins.
nicht zu schließen, wie schon von Heyne wenigstens angedeutet
wurde (scriptoris consilio non conveniebant!).
II. Danach erweist sich die von Forchhammer (Die Athener
und Sokrates (1837) S. 52 ff.) gerade auf die weggelassenen Verse
gestutzte Meinung, die Anklage habe nicht die Verbreitung anti-
demokratischer Gesinnung betroffen, sondern die Aufforderung
zur Einführung einer uligarchischen Verfassung, als irrig (eine
ausführlichere Widerlegung bei Zeller II 1 * S. 200 f. Anm. 6).
III. (S. 643-646). Hier streift R. die Polykratesfrage. Er
findet, daß von den fünf von Xenophon 1 2, 9 ff. behandelten
Punkten, die auf Polykrates zurückgehen sollen, keiner mit diesem
übereinstimme; drei von ihnen (worüber er sich nicht näher
ausspricht) seien von Neueren konstruiert, nur zwei an der
Hand der Überlieferung auf ihn zurückzuführen, frgm. 10 und 1 1
(Sauppe, Grat. Att. S. 222 b), hätten aber mit dem von X. Ge-
schriebenen wenig zu tun. So ergibt sich a) aus der Homerstelle
§ 58 nichts anderes, als was X. selbst 59 — 60 ausführt, d. Ii. aus
dem angeführten Zitate {nolXdx ig avxov kiyeiv) erhält man
keinen Beleg für den (jbia6öfj(Aog Sokrates, sondern nur für seine
vahg, den xöafiog. 1>) Dagegen kommt Polykr. frgm. 11 (222b S.)
all sTtsidri olds sqq. nur auf die Rechnung dieses Sophisten.
Danach stimmt Sokrates (nicht im Gedanken der dijfiov xaxd-
Xvaiq) dem Odysseus zu, weil dieser eben auch an die Herstellung
der Ordnung gedacht habe. Den unverständlichen Schluß des
Fragments denkt sich R. ansprechend etwa so: ovdev liyoov
(Lysias) <pQovxi£siv äXXo avxöv ($) xqg xd^soag' diä tovxo ovv
xai avxog (avp)xi^fjai (für avvxi&sxai). Für Xenophons
Darstellung ergeben sich die wichtigen Schlüsse: 1) Wäre er hier
dem Polykrates gefolgt, so hätte er, wie dieser, von der öiifiov
xaxdXvöig sprechen müssen, während sein xaiijyoQog die Verse
für das fjbKTÖdfjfioy des Sokrates ausnutzt. 2) X. ist I 2, 58 dem
Polykrates nicht gefolgt. Er hat die Sache nicht abgeschwächt,
indem er jenen Punkt im Sinne der dijfiov xccxdXvaig § 9 als
ersten und wichtigsten voranstellt: (xwv xad-eoxuixoav vöfjbcov . . .
xvjg xa^eaxoiarjg nokixsiag). Und dieser Punkt war nicht fiktiv
(vgl. Mem. HI 5, 21; 9, 10 u. a.). 3) Der Sophist hatte die Verse
Homers angeführt, doch welche? Mit 200 f. xal äklwv pv&ov
axove | o$ aio (fsqxsQoi slai, was sich regelmäßig in der
Demokratie bei Volksversammlungen abspielte, konnte Polykrates
eine Anklage auf drjpov xaxdkva ig nicht stützen, wohl aber, wenn
zu der harten Behandlung der Leute aus dem Volke noch die
Worte 204 und 205 ovx äyct&op nokvxoiQaviTj sqq. kamen.
An diese hat er sich gehalten. Seine Darstellung konnte also
X. nicht als Grundlage dienen.
Ebenso steht es, meint R., bei Anwendung der Grundsätze
strenger Exegese mit der bekannten Stelle in der isokrateischen
Schulrede Bovaigig (XI 4 ff.), § 5 2(axqdxovg ds xaxn\yoqhiv
Xenophoo, von R. Ullrich. 207
int>X€t,Qij(lag, oiorcsQ iyxodfiidacu ßovXopevog s£Xxißidät]v
sdoaxag avtco [ict&fivqv , ov vn* ixsivov fitv ovdslg jja&€TO
naidevopevov, oti dt noXv d^veyxt xmv äXXaw, dnavxtg av
ofxoXoyjjöeiav in Verbindung mit Mem. 12, 12 *AXX\ etpri ye 6
xaTijyoQog, Süixodrsi, ogAiXfjvd ytvopspM Kgitiag rt xalldX-
xißiddfjg TiXetdza xaxd trjv noXw €7roiij(fdrfjp. Man hat
versucht, den Kritias auch in die Rede des Polykrates „einzu-
schmuggeln". Aber R. zeigt: 1) Der Wortlaut bei Isokrates schließt
diese Annahme aus; dieser hätte sich die Gelegenheit zu einer
schönen Periode mit [i£v und dt schwerlich entgehen lassen,
wenn Polykrates den Kritias wirklich angeführt hätte; 2) hält er
Mem. 9 {ovvoviag) und 12 (dfj^Xijtd) für wörtliche Anfuhrungen
im Stile des Sokrates und der Sokratiker und hier, im Munde des
Anklägers, für bedeutungsvoll, Anführungen, die sich von dem popu-
lären Jargon (Aa&fjTcd entfernen, während Polykrates den Alkibiades
jua&rjTijc nannte, wogegen Isokrates remonstriert. Umänderungen
Xenopbons sind nicht glaublich. 3) Daß Kritias in der wirklichen
Anklage eine Rolle spielte, hat Zeller (II 1 * 210) in einer schlichten
Anmerkung (1) durch richtige Verbindung von Plat. apol. 33 A
aXk* iyw öid nav%og ovts dXX(p oiiie vovtcov ovdsvi, ovg
ol diaßdXXovztg spt q>aa iv tfiovg [Aa&fjzdg tlvai, mit
32 C ff. gezeigt. R. geht noch einen Schritt weiter; der Kreis ist
ihm mit ovit äXXow ovit tovtcov ovötvv „als ein weiterer und
engerer gezogen", und das folgende pluralische ovg mache die
Annahme von der Ausnutzung auch des Alkibiades gegen Sokrates
wahrscheinlich. Die spätere „ultrademokratische44 Tradition ließ
den Alkibiades fallen und führte nur den Oligarchen Kritias an (Aesch.
Tim. § 173), und R. findet dasselbe in einem Komikerfragment
(Adespota 111 S. 431, frgm. 121 K.):
olti d' ktaioag %6v GOfpiGTijv dicccpsQtiv
TMudevofisv d1 ov %t%QOV fjfjitTg xovg vsovg.
(tvyxqtvov, d xdvt AtinaGiav xal JScoxodt fjp'
tijg [isv ydo ölptt, JlsgixXta, Kotviav dt xov
ittgov lAccd-fjTijv.
C) Kleinere Beiträge zu den Memo rabilieo.
52) a) K. Lincke, Miscellanea. Phil. N. F. XIII (1900) S. 190—191
(vgl. o. S. 165 f. und 189).
L. bespricht die beiden Stellen Mem. 11,2 und 6 f. An der
ersten Stelle dirtttd-qvXtiTo ydg cog ifait\ Scoxgdirjg %6 dcupoviov
iavTio arj^aivsLV findet er seinen früher („Sokrates" (1896) im
Texte S. 61) gemachten Vorschlag rf' dg zu lesen, durch Cyr. I
3, 9 fin. gestutzt, wo einige Hss. d' ägcc (so auch Hug), andere
ydg haben, und hebt Breitenbachs Bemerkung „es könnte für ydg
auch ds stehen44 rühmend hervor. Eine Verwechselung von ydg
und d' dg' war naturlich möglich und ist oft zu konstatieren;
208 Jahresberichte d. Philoleg. Vereiei.
yaQ ist aber hier gut bezeugt und sinngemäß, gibt also keinen
Anlaß zur Änderung.
Dasselbe gilt von § 7; hier will L. die Worte xal %ovg (iiX-
Xovzccg ölxovg tb xal noleig xaXcog olxijösw (j,avuxjjg sfprj
nQocdeZad'CM als absurde Interpolation nachweisen . . . eum vero
vatum gregi turbaeque hominum superstitiosorum totum apparet
adhaesisse (S. 192). Der innere Widerspruch, in welchem nach L.
diese Worte mit den vorhergebenden %a fiip yaQ avayxata . . .
fiavrevaoixivovg inspn&v, sl noujztct und den folgenden xsxtovi-
xov (isv yaQ . . . cor ovdiv drjXov slva* xolg ap&Qconoig stehen
sollen, ist aber nicht vorhanden. Die verdächtigte Stelle gibt zu-
nächst allgemein an, wer die Mantik brauche; es wird dann ge-
sagt, was durch menschliche Einsicht gewonnen werden könne,
hierauf aber durch die Einschränkung %a de ptyioxa xmr iv
tovzoig der Anteil der Götter sicher gestellt.
b) A. Roenier, Zu Xeoophons Memorab ilieo I 2, 1. Bl. f. d.
GSW. 36 (1900) S. 412—413 (vgl. o. N. 51).
Dem prophetischen Worte Piatons (Apol. 38 C), wonach die
Gesamtheit der Athener für den Tod des Sokrates verant-
wortlich zu machen ist, entspricht Xen. Mem. I 1, l *Adr\vaiovq
und 20 U&ijrccTo i\ merkwürdig sei und im Widerspruch damit
stehe aber I 2, 1 Oavpatizop ds (paiveicci poi xal tö 7teus$j[vai
vivag oo g 2(axQdtijg tovg piovg discpftsiQev, also ein Bruchteil,
eine Minderheit, ein Ausschuß; der oQ&ög Xoyog verlange die
Streichung des xivag. So darf man aber, meine ich, das Wort
nicht pressen; es dient nur dem Wechsel des Ausdrucks. Der-
selbe Grund, der uns man für eine bestimmte Gesamtheit ge-
brauchen läßt (die doch auch, zumal wenn sie auf die Bewohner
einer großen Stadt bezogen wird, sich mit der wirklichen Gesamt-
heit selten deckt), war, wie sonst oft im Griechischen, so auch hier
bestimmend. Und gerade weil unmittelbar vorher (1 1, 20) !^#^-
vatot gesagt war, lag eine andere Formel desto näher, die darum
keinen Unterschied des Gedankens begründet. Die Stelle ist also
unangetastet zu lassen.
Über die Programme von M. Wetzel (Haben die Ankläger des
Sokrates wirklich behauptet, daß er neue Gottheiten einführe?
Braunsberg 1899) und F. BeyschJag (Neustadt a. H. 1900, s. o.
S. 205) vgl. den nächsten Bericht.
IVa. Cyropädie.
Ober die Cyropädie ist in den Berichtsjahren nichts Zu-
sammenhängendes von Bedeutung erschienen; über einzelne in
diesem Bericht herangezogene Stellen (Vi 3, 57; VII 1, 4, VIII
Xenoplion, voo R. Ullrich. 209
1, 25 u. a.) vgl. S. 95, 164, 191, 200, Abschnitt V (bes. S. 215
A. 2) und das Stellenregister. In dem Aufsatze von
53) L. Raderinacher, Euripides und die Mantik. Rh. Mas. 53
(1898) 497—510
findet sich S. 503 die Bemerkung: „Auch X. hat seine Zeit be-
griffen, wenn er dem Kyros Unterricht in der Weissagekunst er-
teilen läßt, damit er sich selbst zurechtfinde und nicht in der
Hand der Seher sei, „falls sie ihn hintergehen wollten, anderes
kündend, als was von den Göttern angezeigt wird14 (Cyr. 1 6, 2).
V. Zu den kleineren Schriften1).
(Alphabetisch geordnet.)
a) 'AyrjatlLaog.
Vgl. S. 66, 68, 84 f., 202 uod 215 A. 2.
ß) *AnoXoyta Zadxqcltovs.
54) Otto Immisch, Die Apologie des Xenophon. Neue Jahrbücher
für das klassische Altertum 1900 (I) S. 405—415.
Räumlich unmittelbar an Wetzeis Aufsatz (vgl. S. 214) an-
schließend, verstärkt nicht nur Verf. in dieser „Deuterologie" die
Grunde für die Verfasserschaft Xenophons durch Erforschung des
sprachlichen Bestandes, sondern erhebt diese „nahezu zur Ge-
wißheit'4 — „so leid es einem44 (I. fuhrt das nicht näher aus) „um
X. tun kann1'. Von dem historischen Werte des Her mögen es-
Xenophon sieht er dabei ab.
Immisch hebt zunächst die eigentümlichen Schwierigkeiten
hervor in bezug auf die richtige Erkenntnis dessen, was attisch,
was xenophon tisch sei2), besonders was die Wortgeschichte anlangt:
die schwankende Übergangsform der attischen Prosa zwiscbeu
Thukydides- Antiphon und Lysias- Isokrates3), die persönlichen
Lebensschicksale der Schriftsteiler, besonders Xenophons4), seine
sprachlichen Eigenheiten und die gleichwohl geübte Nachahmung
der Attizisten *). Dann geht er zur Beurteilung der Sprache X.s über.
Für sie sind besonders wichtig die poetischen Elemente
oder vielmehr die lonismen6), die nicht bloß auf seinen
l) Aus inneren und äußeren Gründen mußte eioe Anzahl von Ab-
handlungen, die sich auf die kleineren Schriften Xenophons beziehen und
im Manuskript schon fertig vorliegen, für den nächsten Jahrgang zurück-
gestellt werden. Näheres vgl. S. 214.
*) Vgl. G. Kaibel, Stil und Text der lloliitla. lifhjvatajv des Aristo-
teles, Berlin 1893, S. 37 ff.
*) Hierbei wird auch der Fragmente des Sophisten Antiphon mit Recht
Erwähnung getan (vgl. oben S. 148 u. Anm.) und auf Blass' sprachliche Zu-
sammenstellungen (a. a. O. S. 4 — 9) verwiesen.
*) Hierüber schou die Alten, Helladios bei Photios Bib). 533b 25 (vo/jfTg
statt vo/u€as\) und Phryoichos (über 68(1% S. 89 u. 123 Lobeck).
b) W. Schmid, Der Attizismus in seinen Hauptvertretern usw. III S. 347
und IV 655 (f.
«) Kutherford, The new Phrynichus, London 1881, S. 165—174, der
die Abweichungen vom Attizismus verzeichnet; vgl. auch Sauppes Lexilogu*
Xenophonteus (1869) und Band V (S. 298) seiner Ausgabe.
Jahresbericht« XXX. ]4
210 Jahresberichte des Pbilolog. Vereins.
Aufenthalt in Gegenden ionischer Zunge zurückzuführen, son-
dern wohl auch mit den Vorgängen in Verbindung zu bringen
sind, deren Ergebnis die östliche literarische Kotvij1) ist. Eine
Erforschung ihrer Ursprünge würde, bemerkt Verf. richtig,
über Epikur-Theophrast-Aristoteles hinaufzugehen und besonders
X. ins Auge zu fassen haben, was er an einem Beispiel
zeigt (iniXoyi&ad'cu, Aristoteles Ps. Dem. XLIV 34. 54 und auch
schon Xen. Hell. Vll 5, 16). Besonders wichtig wäre zur rich-
tigeren Würdigung sprachlicher Eigenheiten X.s die Vergleichung
mit den IleQGixd des Ktesias, dessen Verlust für die Altertums-
forschung vielleicht gleichgültig, für die Sprachgeschichte aber um
so mehr zu bedauern ist, als man aus den spärlichen Notizen
der Späteren (Demetrios9), Alian8), Photios4)) über seinen Dia-
lekt ersieht, daß sich gerade bei ihm — vom attischen Stand-
punkte aus — eine Menge von vereinzelten Ausdrücken linden,
die zu Xenophons Wortschatz stimmen {iniQQVTog, (xox&og, ixis-
XsTv, ßkaxaveiv, XmaQsXv), so daß nicht mit Unrecht Dionys
von Halikarnaß6) aus beiden ein Schriftstellerpaar macht6).
Dazu gesellt sich der dem Xenophon „geist- wie spracbverwandte"
Taktiker Aeneas. Das alles ist von Bedeutung, wenn man be-
denkt, daß die dem „Hellenismus zustrebende Mischsprache" der
Inschriften loniens im 4. Jahrhundert schon bei dessen Be-
ginn in einem geschichtlichen Werke als Literatursprache auf-
getreten ist.
Diese einleitenden Bemerkungen (sie nehmen fast die Hälfte
des Aufsatzes ein) waren nötig — man wird hier 1. durchaus
beistimmen — , um die sprachlichen Eigenheiten in die „historische
Beleuchtung44 zu setzen, da es mit statistischen Tabellen . allein
nicht getan ist. Jetzt wendet sich Verf. zur xenophontischen
Apologie selbst (S. 41 Off.). In ihr finden sich nun tatsächlich
Xenophontea der bezeichneten Art nicht wenige, so daß man
•geradezu ein Raffinement der Stilnachahmung annehmen müßte,
wollte man die Schrift Xenophon absprechen. Auch I. weist
nicht mit Unrecht (vgl. Schanz, Kommentar zur Apologie S. 83) auf
die berühmte Beurteilung Cobets7) (suavissimum Xenophontis scrip-
tum) hin, der doch einer der besten Kenner griechischer Prosa
war und — vielleicht gerade deshalb — die Überlieferung mit
*) Meister, Dialekte II S. 82 ff., Hatzidakis, Einleitung in die neugrie-
chische Grammatik S. 169 ff. ; K. Dieterich, Untersuchungen zur Geschichte
der griechischen Sprache (1898) S. 271 ff. und die Besprechung von A. Thumb,
Byz. Ztschr. IX (1900) S. 231—241, bes. S. 239.
a) IleQl iQMV. 215.
») Nat. anim. VII 1.
*) Bibl. S. 45 a 7.
*) ütQl awfr. 6v. 53 R.
6) Ober Xenophons Verhältnis zu Ktesias vergleicht I. auch R. Hirzel,
Der Dialog I S. 166.
7) Variae lectiones * S. 379.
Xeoophoo, von R. Ullrich. 211
so souveräner Willkur behandelte. Ich hebe aus f.s Zusammen-
stellung folgendes hervor:
Zu beachten ist öiaaacffjvi^co (§ 1), das gerade bei Xenophon
hier wie sonst (Mem. III 1, 11 ; Hep. Lac. IV 3) völlig sicher steht;
xvÖQÖg (29), sonst nur bei Dichtern vorkommend, findet sich in
Prosa ausschließlich bei X. (r. equ. X 15 u. 16). Mit yeivctpivoig
(20; vgl. Mem. I 4, 7) steht er wiederum in der Mitte zwischen
Herodot und Aristoteles; XmaqtXv (vgl. o.), sonst nur vereinzelt
nachweisbar, hat gerade X. wieder mehrmals (23; Oik. II 16 ;
Hell. III 5, 12; s. a. Cyr. I 4, 6). Nicht anders steht es mit dem
sehr häutigen sv&vfisZa&ai und seinen Ableitungen (wiederum
auch in Apol. 27), evipQoavvri (8), dem Substantiv evixivfua, das
bei sonst seltenem Gebrauch doch außer Apol. 7 wenigstens noch
Cyr. III 3, 22 begegnet, dem Verbum äpcpiXiyco *) — andere
Ableitungen auch sonst häufig — Anab. I 5, 11 und Apol. 12.
Dazu kommt vnsqifiqüa rvvoq hervorragen (15; Mem. III 5, 13,
rep. Lac. XV 3. 8),. 7tQ0G€&i£ü) (statt des Simplex) 25; rep. Lac.
II 4; Hipp. I 17; Cyr. VIII 1, 36), ßioxevw2) (6; auch sonst bei X.
sehr häufig, vgl. Sturz s.. v.). Hierher gehören auch seltene Ver-
bindungen wie vqlea&ai xivt mit Inf. = sich bescheiden gegenüber
einer R o. S; (5; Oik. XII 14; Anab. VI 6, 31; Hell. VII 4, 9),
roTg ifiotg evvoig (27; vgl. Sauppe Lexil. S. 19) u. a. m. In dem
an sich auffälligen, § 23 dreimal hintereinander begegnenden
vnotipäa&cu (Schätzung des Strafmaßes; klassisch simpl., &v%i-
oder %i\iäv eavxw) sieht I. einen Beweis dafür, daß der seiner
Heimat früh entfremdete Schriftsteller sich von dem „Strome
des östlichen Hellenismus" hat mitfortziehen lassen (Rhet. ad AI.
30, 1437 a 16).
Mögen die vorstehenden Untersuchungen übrigens wirklich
in Einzelheiten irren, was Verf. selbst, wie natürlich, nicht ab-
weist, den Nachweis, daß die angezweifelte Apologie den sicher
echten xenophontischen Schriften gerade in sprachlichen Eigen-
heiten durchaus entspricht, hat I. mit Erfolg geführt, so daß die
Konsequenzen für den Autor sich geradezu aufdrängen müssen.
Hervorheben will ich auch noch die sorgsame Benutzung und An-
gabe der einschlägigen Literatur; außer der oben (S. 209u.210 Anm.)
') Vgl. Suidas s. v. und G. Kaibel, De Phrynicho sophistt, Gott. 1899,
8. 17. Eine Anzahl der hier besprochenen Eigentümlichkeiten sind übrigens
schon von H. Richards (The Class. Rev. 1898 S. 193 ff.) hervorgehoben, wenn-
gleich ohne nähere Nachweise; vgl. u. S. 214.
2) I. findet es auch bezeichnend, daß der „Fälscher" von Mem. IV 8, der
ja die Apologie benutzt hat (vgl. auch Schanz a. a. O. S. 86), statt des Idiotismus
das gewöhnliche £rjv (8) gebraucht, ebenso für das kühne öixaöTTjQia (4) das
„zahmere" Sixaaxal (IV 8, 5), während IV 8, 7 der ungewöhnliche Ausdruck
der Selbstzufriedenheit aydptvog tfxavrov (Apol. 5) vermieden ist, der aber
ia der „echten" Stelle II 1, 19 steht. I. will darin einen weiteren Beweis
'für die Uoechtheit von IV 8 sehen (vgl. Buresch, Schanz u. a.), gegen v. Wila-
Bowitz, Herrn. 1897 S. 105. Vgl. noch oben S. 201 Anm. 1 und 202 unten.
14*
212 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
angegebenen findet der Leser noch manche Schrift verzeichnet,
die ihn tiefer in die sprachlichen Probleme dieser Zeit einführt.
y) 7l(>6Jf.
Vgl. S. 214, 215 A. 2.
Vgl. S. 73, 202 u. 215 A. 2.
55) L. Radermacher, Kuripides and die Mantik. Rhein. Mas. 53
(1898) S. 497-510 (vgl. o. Nr. 53).
R. stellt Herodot (VIII 77, wahrscheinlich gegen Protagoras'
xataßdXXovve<; loyoi, vgl. Anm. 4) und Xenophon als die Ver-
treter der gebildeten Frommen nebeneinander und schreibt den
Schluß des Hipparchikos (9, 8 f.) aus, „das Glaubensbekenntnis"
des Mannes, den die Erfahrungen seines Lebens zu dieser Ober-
zeugung geführt haben. Ich setze die Stelle in R.s Wiedergabe
vollständig hierher, weil sie für den „frommen Mann" besonders
charakteristisch, auch weniger bekannt ist als ähnliche Äußerungen
in den häufiger gelesenen Schriften: „Wenn sich einer darüber
verwundert, daß ich so oft geschrieben habe mit Gott zu handeln1),
so möge er wohl wissen, daß er sich weniger verwundern wird,
wenn er oftmals in Gefahr geschwebt und gelernt hat, daß im
Kriegsfall die Gegner Ränke widereinander schmieden und nur
selten wissen, wie es mit den Anschlägen steht2). Da vermag er
denn keinen Ratgeber zu finden außer den Göttern. Die wissen
alles und künden es vorher an, wem sie wollen, in Opfern und
Vogelzeichen und Sprüchen und Träumen. Sicherlich aber sind
sie mehr gewillt, denen Rat zu spenden, die sie nicht bloß im
Notfalle befragen, was zu tun, sondern auch im Glücke nach
Kräften den Göttern sich erkenntlich zeigen"3). Verstehen übrigens
die Leser wissenschaftlicher Zeitschriften kein Griechisch mehr?
t) JltQi inmxijs.
Vgl. o. Seite 73 und 215 A. 2.
£) KvvriytTixos.
(Vgl. auch oben S. 66 n., 73, 80, 90 u. 215 A. 2.)
56) Herbert Richards, The minor works of Xeoophon. XI. T;he
Cynegeticas. The Class. Rev. XII (1898) Sp. 382—391.
R. setzt (vgl. S. 211 A. 1) seine kritischen Bemerkungen zu
den kleineren Schriften Xenophons fort. Er gibt eine Fülle von
Erklärungen und Verbesserungsvorschlägen zu der neuerdings viel
umstrittenen Schrift4), im ganzen gegen 70, von denen aber kaum
einige sich Bürgerrecht im Texte erwerben werden. Immerhin
>) Deutsch?
2) Doch wohl richtiger: wie ihre Anschläge ausfallen.
*) Einfacher : ehren.
<) Vgl. besonders G. Kaibel, Herrn. 1890 S. 581—597 und L. Rader-
macher, Rheio. Mos. 1896 S. 596—629 ood 1897 S. 13—41.
Xenophon, von B. Ullrich. 213
werden diejenigen, welche sich mit diesem Buchlein beschäftigen,
aus R.s Bemerkungen hin und wieder Anregung schöpfen, sei es
auch nur, um zu dem Schlüsse zu kommen, wie unnötig Ände-
rungen sind. Ich notiere die wichtigsten Stellen: I 3. 7. 17. 18;
III; III 3; IV 4; VI 8. 17; Villi; X 4; XII 6. 15.21. Am
brauchbarsten sind hier wie in der oben (S. 211 A. 1) angeführten
Abhandlung R.s aber die Apologie die sprachlichen Nachweise.
Der Verf. ist in der griechischen Prosa belesen und weiß geeig-
nete Stellen andrer Schriftsteller geschickt zu verwerten. Am
Schluß wird ein weiterer Artikel versprochen, der R.s Bemerkungen
zu Xenophon vorläufig abschließen soll1).
Der neuste Herausgeber der Schrift (G. Pierleoni, Berlin
1902, Weidmann) hat von der Arbeit des Verf. keine Notiz ge-
nommen.
57) J. van Leeuwen, Ad Xenoph. de venat. VIII 1. Mnemosyne N. S.
XXVIII (1900) S. 435.
Man soll die Hasen aufspüren, wenn Schnee die Erde zu-
deckt; schwarze Stellen erschweren die Suche. Dann heißt es
weiter: satt 64 j oiav pev iniviyfi xal jj ßoqeiov, tä %xVfl €%<o
noXvv xqovov örjXa, ov ydg xa%v avvwjx€Tai • iäv de voxiov rs
jl xal ijXiog iniXdfmri, oXlyov xqovov, %a%v yäo dict%$T%cu. orav
<T imvicpri ovv€X<*>$, ovdiv det* imxaXvmst ydq.
v. L. weist auf die Schwierigkeit bin, die das erste imviyri
dem Verständnis bereitet; sie ist wohl bemerkt (so von Richards,
vgl. o. Nr. 56, Sp. 389, welcher (iq für (icv lesen wollte), aber
bisher nicht gehoben worden. L. schlägt enivicpfi vor, was
dann zu qXiog iniXdfjbnfi einen in gleicher Weise passenden
Gegensatz gäbe wie ßooeiov zu votiov. Die Änderung ist ebenso
einfach wie einleuchtend und darf einen hohen Grad von Wahr-
scheinlichkeit beanspruchen. Pierleoni (s. o. u. Nr. 56) hat sie
auch im Anhange nicht erwähnt.
rf) Aaxtdaipovltov nokixeta.
Vgl. oben S. 79, 95, 215 A. 2 und das Stellen Verzeichnis.
&) Oixovofiixog.
Vgl. oben S. 64 n., 66, 68, 73, 76, 202 und Anhang S. 218.
t) UoQOt.
Vgl. S. 76, 180, 184, 202 und Anhang S. 215 A. 2 u. 218.
x) Zvpnooiov.
Vgl. S. 66, 84 und 202.
') Vgl. The Class. Rev. XIII (1899) 198—200 und 342—349; s. dta
nächsten Jahresbericht.
214 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Über die Abhandlungen bzw. Bemerkungen zum Agesilaos
von A. Stockmair (1900), zur Apologie von H. Richards (1898)
und M. Weizel (1900), zu Hieron von K. Lincke (1899), zum
Oikonomikos von L. Ziehen, F. Cauer (1899), M. Hodermann
(1899) und J. Bruns (1900), zu den flogot von A. Pintschovius
(1900) und zum Symposion von A. Graf (1898), J. Bruns,
G. Fahnberg und L. Parmentier (1900) vgl. den nächsten Bericht.
Anhang.
C/£d-rjva£tov noXirtia],
Vgl. oben S. 66, 69, 151 Anm. 1.
58) Xeoophootis de re publica Atheniensium qui ioscribitur
li bell us. Recensuit, apparatu critico iostruxit, indice verbonun
adanxit Ernestus Kaiinka. Editio minor. Viennae 1898. In
aedibus Alfredi Hoelderi. II u. 51 S. 8. 1,10 JC.
Anzeigen: A. Martin, Rev. crit. 1899 S. 42 f. — B. Büchsenschütz,
WS. f. kiass. Phil. 1899 Sp. 179—180. — Wiesenthal, N. phil. Rdsch.
1899 S. 82 f. — S. Schoeider, Eos 1899 S. 79 f. — W. Nitsche, Berl.
phil. WS. 1901 Sp. 129—133.
Da ich Kalinkas Ausgabe der früher dem Xenophon zu-
geschriebenen Id&qvaiwv nolvzsia in der Ztschr. f. d. GW. 1899
S. 234 — 237 eingehend besprochen habe, kann ich mich hier
kurz fassen.
Die vorliegende kleine Ausgabe der interessanten Schrift
$oll die Vorläuferin einer größeren, mit Kommentar auszustattenden,
sein. Die Einleitung orientiert kurz über den Zweck der Schrift,
der nach K. ein rhetorischer ist (doch vgl. a. a. O. S. 235 und
Nr. 59 S. 215 f.), und handelt dann eingehend über die hs. Ober-
lieferung wie über den gegenwärtigen Zustand des Textes. Den
neueren Versuchen gegenüber, durch allerlei philologische Künste
den angeblich arg zerrütteten Text wiederherzustellen, verhält sich
der Herausgeber mit Recht ablehnend. Indem er den Umstand,
daß die Schrift wahrscheinlich das älteste uns erhaltene literarische
Denkmal attischer Prosa ist (zwischen 430 und 424 v. Chr.), wohl
beachtet, hat er an zahlreichen Stellen (an etwa 60 weicht er
von Kirchhoff ab) die hs. Lesart wieder zu Ehren gebracht.
Andrerseits verkennt er tatsächliche Schäden der Überlieferung
nicht und hat auch selbst einige Stellen in glücklicher Weise ge-
bessert, >von denen ich auch hier die ansprechend gestaltete I 2
Z. 1 f. oti dixaioag aviod-i (tf*)xeu(o*) ol nivyveg .... ix^v
hervorheben möchte.
Außer dem reichhaltigen Wörterverzeichnis (S. 30 — 51) ist
eine besonders erwünschte Zugabe, die ich in manchen neueren
Sonderausgaben auch xenophontischer Werke ungern vermisse,
die S. 8 — 15 gegebene chronologische Übersicht der Literatur zur
l4&Tjvai(ov nolnela (bis zum Schlüsse des Jahres 1897). Der
von K. angekündigte Kommentar, dem man mit Interesse ent-
gegensehen darf, ist inzwischen noch nicht erschienen.
Xeuophoo, voo R. Ullrich. 215.
59) Eduard Meyer, Forschungen zur alten Geschichte. Zweiter
Band: Zur Geschichte des fünften Jahrhunderts v. Chr.
Halle a. S. 1899, Max Niemeyer. VIII u. 554 8. gr. 8. 15 JC.
Anzeigen: Athenaeuin 1900, I, S. 168 f. — H. Pö'htmauu, Lit.
Zentralbl. 1900 Sp. 1325—1327. — E. Heydenreicb, Mitt. a. d. hist.
Lit. 1901 S 45. — S. Schneider, Eos 1901 S. 137—140. — H. Swoboda,
N. phil. Rdsch. 1901 S. 271—276. — E. M. Walker, Class. Rev. 1901
Sp. 223—225. — H. Francotte, Bull. bibl. et ped. du Mus. beige
1902 S. 55.
Der zweite Band von Meyers ,, Forschungen" bildet gleich dem
ersten (1892) eine notwendige Ergänzung zu den entsprechenden
Bänden der „Geschichte des Alterturas". Vieles von dem, was
wir dort in abgerundeter Darstellung finden, wird hier in kritischer
Untersuchung geprüft und bildet z. T. die Grundlage des größeren
Werkes.
Für uns kommt hier in Betracht der kleine zusammen-
hängende Abschnitt S. 401 — 406: „Zur Schrift vom Staate der
Athener" (vgl. auch S. 187 A. 2 zu I 19), ferner die Behandlung
einer Anzahl von Stellen aus den echten Werken: Hell. I 6, 24
(S. 161), nÖQOi IV 25 (S. 187), Oik. XVI 10 f. (S. 189 A. 2), die
einem größeren Zusammenhange eingereiht werden und so an
Interesse gewinnen. Aus praktischen Gründen bespreche ich auch
sie in diesem Abschnitt.
In seiner Behandlung der Schrift vom Staate der
Athener geht M. (S. 401) von der Beschaffenheit des Textes
aus, den er (gleich Kaiinka, s. o. S. 214) für im wesentlichen
richtig überliefert hält, nur die Stellen I 5 fin., II 17 (der zweite
Satz) u. a. sind unheilbar1). Der leitende Faden tritt überall
deutlich hervor. Auch am Eingang (1 1) fehlt nichts, wozu M.
auf die entsprechenden Anfänge der echten xenophontischen
Schriften hinweist2). Das de braucht nicht einmal durch die hs.
Anknüpfung an die Aaxsöaiiioviwv noXizeia entstanden zu sein.
Der Autor geht gleich in medias res.
In der Frage der Tendenz der Schrift (S. 402 ff.) neigt M.
zur Ansicht Müller ~Strübingss), nur sei sie nicht ironisch zu nehmen,
i) Vgl. Ztschr. f. d. GW. 1899 S. 237.
2) So Aax. n. (äkÜ) (so auch 2: vuti.), Olx. {64 nort «i)tow), *Anol. (öV), die
M. gegen Wilamowitz für echt hält — s. auch o. S. 210 ff. — . Meinorabilien,
Hieroo, Anabasis, Agesilaos, Helleuika, Hipparchikos und Kynegetikos (über
dessen Verf. M. nicht urteilen will) geben in medias res. Nur die jüngsten
Schriften, Cyrop'ädie, Reitkunst und IIoqoi, haben eine Art Prob'inium. Diese
Anfänge sind also mit allerlei kritischen Versuchen zu verschonen. Es darf hier
auch daran erinnert werden, wie die Attizisten X.s Brauch, Schriften mit dilcc
oder Sa anzufangen, nachgeahmt haben; vgl. W. Schund, Der Attizismus in
seinen Hauptvertretern von Diooys von Halikarnaß bis auf den zweiten
Philostratus Bd. 1 S. 180 f. (Dio Chrysostomos), 423 (Luciao, dazu Krüger
zu Xen. An. IV 6, 10); II 301 und 304 (Aristides, Krüger zu An. V 6, 12);
III 329 (Älian); IV 54« ff. (Philostratus II).
3) 'A&rjvcttov nolntto. Die attische Schrift vom Staate der Athener.
Untersuchungen über die Zeit, die Tendenz, die Form und den Verfasser
216 Jahresberichte d. Philolng. Vereins.
wohl sarkastisch, aber durchaus ernsthaft, von praktischer, politischer
Tendenz. Die oben (S. 66) zitierte Abhandlung von R. Scholl1),
der den „wissenschaftlichen" Charakter der Schrift betont hatte,
berührt M. nicht. Der Gedanke III 8, daß die Ordnung des
Staates — die Demokratie vorausgesetzt — nicht anders sein
könne, als sie ist, zieht sich durch die ganze Schrift. „Sit, ut
est, aut non sit". Eine sivo^ia ist bei demokratischer Grund-
lage unmöglich, die ihrem Wesen nach xaxovofiia ist (I 8. 4 u. ö.).
So ist die Broschüre gerichtet gegen Leute von der Art des Theramenes
oder Thukydides, die „Bewunderer der ephemeren Verfassung
vom Herbst 411 nach dem Sturz der Vierhundert". Wer nicht
aus dem Volke hervorgegangen ist und doch für die Demokratie
eintritt, trägt sich mit schlimmen Absichten (II 19 f.). Die Hoffnung,
durch eine Revolution, mit Hilfe der widerrechtlich ihrer bürger-
lichen Rechte Beraubten eine Verfassungsänderung herbeizuführen,
ist aussichtslos (III 10 in Ergänzung von I 14: vgl. Thuk. VIII 48
und 64 *)); denn die wenigen xq^azoi reichen dazu nicht aus;
mit der Masse der Demokraten aber, denen durch die Verurteilung
ihr Recht geschehen ist, ist nichts auszurichten. Verbindung mit
dem Landesfeind8) ist das einzige, zwar nicht offen ausgesprochene,
aber als notwendige Konsequenz aus den Erörterungen des Verf.
sich ergebende Mittel zum Sturz der Demokratie (II 14 ff. Land-
angriff, Verrat). Es ist das Programm der radikalen Oligarcben
von 411 (Antiphon, Phrynichos) und 404 (Kritias). Im Grunde
steht M. dem Standpunkte von R. Scholl nicht sehr fern; politische
Literatur, mag auch ihr wissenschaftlicher Charakter betont werden,
hat immer die Tendenz, praktische Wirkungen zu erzielen.
Über die Zeit der Schrift (s. o. S. 214) äußert M. eine von
der bisherigen Annahme abweichende Vermutung. Vielleicht be-
zieht sich II 17 (die Leichtigkeit, mit welcher der Demos die
Verträge bricht und die Verantwortung auf die Unterhändler ab-
wälzt) auf das Verhalten Athens zu dem von JNikias und Laches
vermittelten Frieden und Bündnis mit Sparta. Zu beweisen ist
dies natürlich nicht; vgl. daher auch die vorsichtige Ausdrucks-
weise Meyers in der Gesch. d. Alt. III S. 250, wo er die Bedeutung
der Schrift nachdrücklich hervorhebt und sie geistvoll zu der
Leichenrede des Perikles (Thuk. II 35—46) in Parallele setzt.
derselben. Nene Textrezension und Paraphrase. Göttingen 1880 (Philologus
Suppl. IV ] und 2). Vgl. dazu A. Holm in Bars. JB. XXIII S. 348 9*. und
K. Schenkl ebenda LIV 8. 118 ff.
1) Die Anfänge einer politischen Literatur bei den Griechen. Festrede.
Mönchen 1890, Verlag der Kgl. bayer. Akademie. Vgl. besonders S. 14 ff, 23 ff.
2) M. folgt hier v. Wilamowitz (Ind. Goettiog. aest. 1885 S. 6 Anm. 2),
der § 5 mit Dionys t^v vnovlov evvofxiav liest (Hss. uvrovo/niav), und findet
den Gedanken von Mülier-Strübing (a. a. O.), in Phrynichos (dem Führer der
Vierhundert) den Verfasser zu sehen, „gar nicht so übel, da sie seine An-
schauungen in der Tat wiedergibt". S. a. Gesch. d. Alt. IV S. 578.
3) Vgl. dazu oben S. 176.
Xeoophoo, vod R. Ullrich. 217
Zum Schluß (404 ff.) bespricht M. noch drei Stellen. II 1
xai luv psv noXefiloav ^ttovq ts Gtpäq avrovg fjyovvTai xai
pel£ovg ist nicht, wie meist angenommen, korrupt und wird
durch die bei Her. I 202 6 ös 'Aqü^s XtysTCu xai fjbs^cov xal
sicca Gwv elvai %ov "Iötqov begegnende entsprechende Redensart,
die eine „ungefähre Gleichheit41 bezeichnet, gestutzt (Stein z. St.
nicht richtig); auch das xai zu Anfang, das M. streichen möchte,
halte ich für echt; die Stelle wird dann (S. 405) mit einigen
Worten treffend umschrieben. — Über I 13, eine Stelle, die mit
II 10 im Widerspruch zu stehen scheint, äußert sich M. mit
Recht sehr vorsichtig: „Sie wird sich auf eine uns unbekannte
Maßregel beziehen, durch die sich die vornehmen Herren chikaniert
fühlten44. — An II 18 endlich (xüopMÖeTv xai xaxäg Xeysw) ist
kein Anstoß zu nehmen, da die Worte nicht im Widerspruch mit
den uns erhaltenen Komödien stehen, was mit Hinweis auf Arist.
Ach. 515 ff. und Equ. (im allgemeinen wie besonders auf den Schluß)
kurz und gut begründet wird. Die anschließende Bemerkung
übrigens (II 18 Mitte: oXiyoi de xiveq rcov ttsviJtcov xai ran>
drjpoTixwv xcofiMÖovvTai xai ovo1 ovxoi iav fiij diä noXv-
nQayiioavvijp (Wichtigmacherei!) xai dtä %6 XßixeXv nXiov t*
V%«*v zov öyfiov) möchte Verf. auf Sokrates beziehen, der ja
423 von Aristophanes und Ameipsias auf die Bühne gebracht
worden war. Wenn diese Vermutung richtig ist (ansprechend ist
sie mindestens und gewiß wahrscheinlicher als die zu II 17 ge-
äußerte), würde man tatsächlich die Schrift zeitlich etwas weiter
hinabrücken müssen, indessen nur um wenige Jahre, so daß von
Seiten der sprachlichen Form Bedenken nicht entgegenstehen
würden (vgl. auch o. S. 151 A. 1).
Ich schließe die Besprechung der oben angegebenen Stellen
aus den echten xenophontischen Werken an. In dem Abschnitt
über „Wehrkraft, Bevölkerungszahl und Bodenkultur'1 Anikas (S.149
— 1 95) kommt M. unter Nr. 1 (Die Armee und die drei oberen Klassen,
S. 149 — 168) S. 161 darauf zu sprechen, wie die Athener in der
Auswahl ihrer Truppen immer anspruchsloser werden mußten, je
größer die Not im Verlaufe des Krieges wurde1). Die Kriegs-
rüstung für die Arginusenschlacht 406, „das Ende der Entwicklung4',
bringt alles als Matrosen auf die Schiffe, auch Angehörige der
oberen Klassen (slasßijaav de xai tcov Inneoav nolXoi, Hell.
I 6, 24). Unter diesen war gewiß auch Xenophon, der „deshalb
die Arginusenschlacht ebenso anschaulich schildern kann wie den
ionischen Feldzug des Thrasyllos (Schwartz a. a. O.) und die Vor-
gänge in Athen unter den Dreißig" (s. o. S. 179). — In dem-
selben Abschnitt, Nr. 4 (Die Sklavenzahl, S. 185—189) bandelt es
sich, hauptsächlich im Zusammenhang mit den Forschungen von
!) Dabei Hinweis auf Hell. I 1, 34 und I 5, 20.
218 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
J,. Beloch1) und Ciccotti8) um die schwierige Feststellung der
Sklavenzahl in Attika. M. warnt vor Überschätzung. Xenophon,
aus Anlaß seines bekannten Vorschlages (354), der Staat solle
Sklaven aufkaufen und für die laurischen Bergwerke in Pacht
geben, rät, damit bis zu 10 000 zu gehen; doch könnten die
Bergwerke noch ,,sebr viel mehr als diese4' (nollanldöia tqv-
tcov, IIoqoi IV 25) beschäftigen. IV 14 werden Beispiele an-
geführt, welche Mengen von Sklaven reiche Männer in den Bergwerken
beschäftigten. Es gab also wohl viele Tausende, aber keinesfalls
viele Zehntausende von Sklaven damals — im 5. Jahrhundert — ,
während die Zahl im vierten gewaltig gesunken war. Die Theten
besaßen im allgemeinen keine Sklaven, von den Zeugiten wenig-
stens die Mehrzahl mindestens je einen, wozu *A&. nol. I 19
verglichen wird : Die Burger lernen rudern . . . xai avxov xal
xov oIxsttjv (S. 187 u. A. 2). — Unter Nr. 5 endlich (Die Boden-
kultur, S. 189 — 195), wo sich ergibt, daß Boeckh (Staatshaushalt
I2 108 ff.)8) die landwirtschaftlichen Verhältnisse Anikas nicht
richtig beurteilt hau wird auf Oik. XVI 10 ff. hingewiesen, wonach
Brache und Saat jährlich wechselten.
Meyers Untersuchungen, besonders die zu Hell. I 6, 24 und
zur Id&qvaiüiv noXneia, tragen, wie fast alles, was dieser aus-
gezeichnete Forscher in den Kreis seiner Betrachtung zieht,
wiederum dazu bei, unser Wissen von den hier behandelten
Fragen teils weiter zu fuhren, teils wenigstens zu klären. Und
auch da, wo nur Vermutungen geäußert werden, wie besonders
bei der Behandlung der schwierigen Probleme der politischen
Flugschrift, sind sie ebenso ansprechend begründet, wie sie andrer-
seits nicht mit dem Anspruch der Unfehlbarkeit auftreten, der
uns oft bei anderen Gelehrten unserer Tage begegnet. Man hat
auch hier das Gefühl, einem Fuhrer zu folgen, auf den man sich
verlassen kann.
Folgende Schriften (vorwiegend ausländische) haben dem
Berichterstatter nicht vorgelegen :
I. Allgemeines.
A. Texte.
:1) Xenophon. Opera omnia. Recognovit brevique adnotatione critica
instroxit E. C. Marchan t. Toinus 1. Historia Graeca. Oxonii
1900, Clarendon Press. 8. 3 sh.
Anzeigen: L. Parmentier, Rev. de l'iostr. pnbl. eo Belg., 1900
p. 336. — H. Richards, Class. rev. 1900 Sp. 415—417.
1) Die Bevölkerung der griechisch-römischen Welt, 1886, S. 84 ff.
2) Del numero degli schiavi oell' Attica, Reodiconti dell' Istituto
Lombardo, 1897 Ser. II, vol. 30.
VIS. 97 ff.
Xenophon, von R. Ullrich. 219
2)X6nophon, CEuvres completes. Trad actio n nouvelle, avec uoe
introduction et des notes, par E. Tal bot. 6« edition. 2 voll.
Paris 1900, Hachette et Co. LIX, 588 u. 548 S. 16. 1fr.
B. Abhandlu ugen.
3) L. Venturini, Alcuoi appunti intorno alla donna io Seno-
foote. Read. d. R. Ist. Lombardo di scienze e lettere. Ser. II,
vol. 31, fasc. 9.
4) E. Michelangeli, La doona io Senofonte. Bologna 1899, L. Ad
dreoli, 133 S. — Vgl. V. Costaazi, Riv. di fil. 1900 S. 319. — G. Tropea^
Riv. di stör. ant. 1900 S. 145-147.
II. Anabasis.
5)* Xenophon Anabasis. Book 4. Edited with introduction, notes, voca-
bulary by G. M. Edwards. London. J. C. Clay. 144$. 12.
1 sh. 6 d. — Book 5, ebenda, 1900. 128 S. 12. 1 sh. 6 d.
6) Xenophons Anabasis, für den Schulgebrauch herausgegeben von
R. Hansen. 1. Bändchen. Buch 1 und II. 5. Auflage. Ausgabe B:
Text und Kommentar getrennt in 2 Heften. Gotha 1900, F. A.
Perthes, III, 47 und 56 S., mit einer Karte, gr. 8. 1,20 JC.
7) Xenophon Anabasis. Books I, II. Ed. by E. C. Marchant.
London 1900, Bell. 18. je 1 sh. 6 d.
8) Xenophon Anabase. Livre I. Texte grec, revu et annote, ä l'usage
des classes, par E. Per r in. 3® edition. Paris 1900, Hachette et Co.,
83 S. et uoe carte de l'Anabase, 18. 75 c.
, 9) F. F. G. Fischer, Vocabularium op Xenophons Anabasis,
met een kaartje. Groningen 1899, J. B. Wolters. 136 S. 1 fl. 40 c.
III. Hellenika.
A. Ausgaben, Übersetzungen.
10) Books I., IL, III. Literally traoslated into Eoglisch proseby R. Monga n.
London lb98, Cornish. 12. 2 sh. 6 d.
1 1 ) X e d o p h o b H e 1 1 e n i c a. Books 1. II. Edited, with introduction, notes
by G. M. Edjwards. Cambridge. Univ. Press. 216 S. 12. 3 sh. 6 d.
— Vgl. Atbenaeum 1899 I, S. 272. — J. P. Postgate, Class. Rev.
1899 Sp. 409. — A. Martin, Rev. crit. 1900 S. 62—63. — M. Hoder-
mann, N. phil. Rdsch. 1900. S. 145—146. — G. Valetot, Rev. d.
phil. 1901 S. 72.
12) Xenophons Hellenika, für den Schulgebrauch von R. Grosser.
2. Bdch. Buch HI und IV, 2. Auflage besorgt von E. Ziegeler. Aus-
gabe B. Text und Kommentar getrennt in 2 Heften. Gotha 1900,
F. A. Perthes. VI, 60 und 33 S. gr. 8. 1,20 Jt. — Vgl. M. Hoder-
mann, N. phil. Rdsch. 1900 S. 50.
13) linder hi 11, G. E., Acommentary with introduction and appendix oo
the Helle nica of Xenophon. Oxford 1900, Clarendon Press. XCVI,
378 S. 7 sh. 6 d.
Anzeigen: H. Richards, Class. Rev. 1900 Sp. 415— 417. — W. Voll-
brecht, WS. f. klass. Phil. 1900. Sp. 1276-1279. — H. G., Rev.
des etud. gr. 1900 S. 414—415.
14) Xenophftntis Historia Giaeca rec. E. C. Marchant. Vgl.
s. n. I 1.
220 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
ß. Abhandlungen.
15) Arturo Solari, Senofonte, Hellenica 1 6,29. Riv. di stör. ant.
IV (1899) S. 466—469.
16) A. Solari, L'elezione di Agesilao e i partiti politlci in
Sparta, ßibliot. delle scuole italiane IX (1900).
IV. Memorabilien.
17) Le memorie Socratiche, comnientate da A. Corradi e C. Landi.
Parte II, libri IN et IV (Collezione di classici greci e iatini con note
italiane), Torino 1900, Loescher. 168 S. 8.
Anzeigen: J. Bridez, Rev. de l'instr. pobl. en ßelg. 1900 S. 108.
— A. Hauvette, Rev. crit. 1900 S. 253. — O. Güthling, WS. f. klass.
Phil. 1900 Sp. 375—376. — A. Bersano, Riv. di fll. 1900 S. 342—
344. — P. Cesareo, Boll. di fil. class. VII (1900/1901) S. 196—198.
18) Af en ßrevvexling. Meddelt af O. Siesbye. Mein. 1116,4.
Nordisk Tidsskriit für Fiiologi 1900 S. 100 f.
19) C. Piat, So c rate (Les grands philosophes). Paris 1900, Alcan.
270 S. 5 fr. — Vgl. L. Parmentier, Rev. de l'instr. publ. en ßelg.
1900 S. 330—333.
20) P. Landormy. Les philosophes. Socrate. Paris 1900 Delaplane,
141 S. — Vgl. L. P(armentier), Rev. de l'instr. publ. en Belg. 1901
S. 46—47.
IVa) Cyropädie.
21) Losschaert, R. P. B. Cyropedie de Xenoph(on, livre I. Paris
1898, Ch. Poussielgue. 96 S. 16. 1 fr. 20 c.
22) Xenophon, Cyropedie par Ragoo. Livre II. Paris, Ch. Poussielgue.
72 S. 75 c.
V. Kleinere Schriften.
1. Agesilaos.
23) Senofonte, Agesilao, teste con note italiane di C. Canilli. Milano,
Albrighi, Segati e Co. 67 S. 8. — Vgl. V(almaggi), Boll. di fil. class.
VI (1899/1900) S. 68-69. —Vgl. O. Güthling, WS. f. klass. Phil. 1900
Sp. 59—60. — A. Levi, Riv. di fil. 1900 S. 114.
2. Oikonomikos.
24) Xenophon, Ecooomique. Texte grec, accompagne d'une introduction,
d'une aoalyse de l'ouvrage complet et de notes en francais par
Ch. Graux et A. Jacob, 2° tirage. Paris 1900, Hachette et Co.
180 S. 16.
25) Xenophon, Ecooomique. Explique litteralement et annote par
M. de Parnajon. Traduit eu francais par M. Talbot. Paria
1900, Hachette et Co. 317 S. 16. 3/r. 50 c.
26) Xenophon, Ecooomique. Traduction francaise, avec le texte en
regard, par E. Talbot, revue et annotäe par M. de Paraajon.
Paris 1900, Hachette et Co. 154 S. 16. 1 fr. 25 c.
Xeoophon, von R. Ullrich.
221
Verzeichnis der besprochenen Stellen1).
A. Aus Xenophon.
aj
Auabasis.
Buch I.
Seite
Buch II.
Seite
5,14
149
Seite
1,1 139. 215
6,
100.
155
1,2
158
2 115. 161
10
116
3
136
6. 7 112
7,2 110.122
.160
7
111
7 120
3
116.
122
10
144. 149
8 114. 136
5
116.
160
12
140
10 121*. 160
5—7
140
17
119
2, 1 111. 115.
6
161
21
143
159*
7
144
22
129
3 115
8
116
23
129. 158
5 114
9
99
2,1
120. 131
6 110
10-12
165
3
120. 129
9 115.116.160.
12
116
8
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165. 166
13
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13
120. 129
11—27 100
16
116
20
141
17 140. 143
18
137
8,3
113. 122*.
20 115. 121.
20
153
124
128
8, 1-3
139
7
112
21 111. 120.
1
109.
114
8
116
121. 158. 159
2
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119
22 114
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23 113
4—7
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158
8,7 111. 159
8— 2S
139
19
110
8 112. 162
9
116.
158
28
120. 131
16 120
10
144
4, lff.
95. 96
17 109. 112
11
143
3
109. 114
19 158
13
143.
166
6 116.128.162
21 113
15
165
8*
120
4,2 112
20
145
9
120
4 113. 117.161
21 109.110.143
12
112.114.158
5 121*. 160
22
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14
99
7 111
24
165.
166
16
136
8 120. 129. 163
26
161.
163
17
97
9 116
9,
150
24*
120
11 112
4
124.
161
26
113
12 116. 120*.
10
124.
161
27
111
140
14
111
5,4
99
15 113. 114.
15
113
5
113
121. 158
18
113.
159
7 "i
7.109. 111.
17 110
19*
120.
163
112
18 113
23
112
8*
122f.
5, 100
31
117.
160
124. 160
1—3 141
10,1
161
10
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3 129
3
116
11
116
7 140
5*
114
13
109
9 158. 160
12
164
15
99. 117
11 113. 159*.
18
119.
160.
16
100
211
161
18
158
11—17 140
19
161
25
100
Seite
5, 27 116. 158
28 109
32 f. 139
37 111
40 120
6, 1—15 141. 150
2 109. 144
6 111. 122*.
124. 160
10 109. 114
11 117*. 159
16—29* 146 ff.
19 111
21 121
25 119. 163
Buch III.
1, 142
3 143.144.158
4 120
5 ff. 65
9 109
12 136
21 109
25 113
26 99. 111
30 109. 121
34 113. 114
35 122*. 160
43 114. 158
2, 100. 140
9 143
13 109
14 113
18 181
20 111
26 114. 162
33 113. 164
35 111
36 97
37 65. 96
S, 5 136
9 111
11 160
12 158
20 153
30 120
4, 10 97. 110
*) Die ausführlicher behandelten siod mit * bezeichnet.
222
Jabreiberichte d. Philolog. Vereins.
Seite
Seite
Seite
Seite
4,13
120.
*124
5, 4 (bis) 109
2,26
129
4,12
121
16
162
9 140
32
153
18
113. 119
21
114.
134
13 145
3,4 120.160.165
22
113. 114
23
113
16—18 139
7
117
5,9
94
24
113
20 160
4,6*
121
19. 20 118
- 30
113.
161
23 120
15
116. 160
24
113
33*
158
25—33 143
21
158
30*
123
43
116
27 3124. 161
26
112. 163
6,16
123
46
75
29—33 139
27
159
19
158
-48
117.
160
30* 119
29
158
29
110
M
161
35 97
34
113
31
211
■■■■4
116.
119
6, 158
5, 17
124. 159
34
118. 158
: • :5 •
111
1 116.128.160
20
123
17
120
3 128
10 215
6,2
12
111
215
Buc
h vn.
11 158
18
*123. 160
1,17
110. 119
, ßac
h IV
12 160
20
110
32
114
i,7
139
15 112
21
129
2,2
114
> 11 113.144.158
19 109
36
129
13
114. 129
r 16
145
22 129
7,2
116. *117
18
119
20
97
7,2 113
5
111
29
113
22*
159
12 109
6*
123
»,?
HO. 162
24
121.
131
13 f. 139
8
158
9*
123
26
145.
165
16 130. 139
19
118
14
114. 163
2,3
121.
160
19 100. *117.
25
118
21
112
4
119.
144
160
8,1
120. 162
22
109
5
163
22—26 140
13
158
44
158
6
144
8, 6 109. 162
20
113
46
116
12
158
7 111
25
113
4,16*
118
14
144
9. 10 94
18*
114. 134
15
123.
143
11 *124. 160
5»*
114
17
159
12 113
Böen Yl.
6,10
99
19
116
14 140
1,5
161
23
136
20
97
26—28 140
8
110
30
163
23
139
27 97.118.134
20
162
33
129
28
165
32
158
37
111. 124.
3,1
109.
161
Buch V.
33
128
159. 161
4
120
1,4 121
2,1
115
38
165
10
159
10 162
10
113. 158
7,2
125
16
110
11 116
13
163
3
121
17
*123.
160
12 128
16
111
24
165
4,11
163
16 161
17
118
31 (bis) 111
, 12
75
2, 1 161
3,24
HO
43
111
14
116
6 116
4,1
99
8,7
115. 118
16
161
15 111
2
116
9
125
5,
158
17 117
6
111
11*
125
l
130
21 117
7
113. 132
16
125
3
121
23 161
10
1141 26
111
i
b) Hellenika.
11,1
215
I 1, 29 188. 189
I 3,1
179. 180
I 6,24
192.215.
6
187
30 187
1-
-13 181
217. 218
18
187
30.31 188
4,3
191
7,8
191
26-
-31
187
34 217
21
169
n 1,10
179
27
188
2,1 179. 180
5,20
217
2,2
191
27-
-29
187.
5—11 181
6,1
179
3,*
171 f.
188
14—17 181
2.,
S 92
1
179. 180
Xenophoo, voo R. Ullrich.
223
Seite
Seite
Seite
Seite
II 3,12 173
[112,20 115
V 2,22ff.
183
VI 6, 51.52 117
13f. 174.176
25 114
34
183
VII 1,33 186
17. 18 172.
4,2 189
41
182
1,39 186
173
22 181
3,8*
189
41 f. 186
19 85. 172.
5, 12 211
4,8
192
2, 72
173
25 184
4,25
72
3,1 186
20 174
IV 1,3 72
35
191
11 186
21 178
3—15 92
VI 2, 7
184
4,9 211
40 174
30 ff. 72
10
184
4,10 186
42 176
30 192
3,11
192
35. 39 186
54 174
2,16 181
4,10
181
40 186
4,* 171 ff.
3,17.18 182
24
19U
5,4.5 I8fc
1 175. 178.
8,18 181
. 36 f.
72
16 210
. 2 175
V 1,20 189
5, 10 f.
186
18 185
1111,5 181
2,13 183
19
185
19 95. 96
2,9 190
15 183
20 ff.
186
7, 29 190
18 191
17 183
23 ff.
186
c) Memorabilieo.
I 1, 197 f. 199.
I 2, 48 ff. 201
II 3,
I94f.
III 13, 6 194
1 208. 215
49—55 198
5,
194 f.
14, 194 f.
2 207.
56 205
6,
194 f.
3 204
6 f. 207
56.57 198
31
136
IV 201
. 16 200
58 205 f.
33
194
1, 194
20 208
59. 60 206
7,
194
2, 194
2, 194. 197 f.
62—64 198
8,
194
24 204
199
3,5 137
10,
194
3, 194 f.
1 208
4, 87.201. 203.
1111,11 194.211
4, 150. 194
9 ff. 206
2 194
4,
194
25 204
11 198
7, 211
5, 8'
r. 194
6, 1 194
12 207
5, 202
13
211
7, 194
19—23 198
7, 202
21
206
8, 211
22 199
II 1,7 194
6,
194
4-10 201
24 194
19 211
9,10
206
5.7.8. 211
32 137
21—34 87
10,1
194
41 ff. 150 2, 194 f. 11,
194
d) Cyropädie.
I 1,1 215
I 6, 2 209
VII 1, 4
164
VIII 1,36 211
3, 9 207
1113,22 211
VIII 1, 25
191
8, 202
4,6 211
VI 3, 57 95
e) Zu deo kleineren Schri
ften.
Seite
Seite
Seite
Seite
Seite
a) IdyijaiXaog.
15 211
€) Dfgl
6,8.
17 213
11,7 181
1, 1 215
20 211
tnnixijg.
8, 1 (bis) 213
12, 95
7 184
23 (bis) 211
1 215
10,4
213
13, 6 95
23 f. 181
25.27.29 211
15.16 211
12,6.
15.21
15,3.8 211
2, 24 186
y) 'Mqiov.
C)Kwrjy(Tixog.
1, 80
213
rj) Aaxtöaifio-
&) Oixovo-
ß) *dnoloyCa
1,1 215
1 215
vCmv noXneCa.
[11X0$.
ZwxQajovg.
3.7.17.18
1,1
215
1, 1 215
1 211. 215
dflnnctQXixoQ.
213
2,4
211
2,16 211
4 211
1,1 215
2, 1 213
4,3
211
12,14 211
5.6.7.8 211
17 211
3, 3 213
10,1
184
16, 10 ff. 215.
12 211
9,8
f. 212
4,4
213
11,
75
218
224
Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Seite
*) TIoqoi.
1,1
4,14
25
43
5,9
215
21S
215.218
180
184
Seite
x) 2v[m6giov.
1,1 215
Anhang.
TioXireta.]
1, 1 215
1,2
4
5fin
8
13
14
Seiee
214
216
215
216
217
216
1,19
2,1
10
14 IT.
Seite
218
217
217
216
17 215.216.
217
Seite
2, 18 (bis) 217
19f. 216
3, 8 216
10 216
Seite
Aeliao. nat. an.
VII 1 210
Aesch. Tim. 173
207
Andok. 1 90 204
Antipb. soph.
frgm.A— F 148 f.
Aristoph. Ach.
515ff. 217
Ar ist. *A&. noX.
34,3—38 171 ff.
34, 3 172
35, 1 176
3 172. 173
4 172
36,1 172 f.
2 85. 172 f.
37,1 172. 175.
177
2 172.173.175
38, 1 173
[Arist] Rtaet. ad
Alex. 30, 1437a 16
211
Bakchvl.
XI 112 192
XII 52 165
Com. frgm. 121 K.
(Adesp.) 207
Deraetr. nsfii tQfi.
215 210
Dem. IX 72 122
XX 142 123
[„] XLIV 34. 54
210
B. Aus anderen Schriftstellern.
a) aus griechischen:
Seite
Demoer. frgm. 146
Diod.
XI-XI1I 172
XIII 88, 7 185
XIV 3-5 172
XIV 3, 3. 4 172.
176
7 172
4,2 172.173
5,5 172
6 172
32. 33 172
32,3 173 f.
6 172 f.
176
33, 2 173
83 181
XV 19 183
68 186
Dion. Hai. d. comp.
verb. 53 210
Herod.
1 33 165
202 217
II 8,1 190
VII 190 124
VIII 77 212
Hes.?py«311 198
Hom. K.
II 188—202 198.
205 ff.
204 f. 206
Isokr.
IV (Paneg.) 113
178
Seite
Isokr.
IX (Euag.)
19,41-46 150f.
XIII (Soph.) 201
Pausao.IXl5,5 74
Phlegon 190
Phot. bibl.
45a 7 210
533 b 25 209
Pind.
Ol. V 190
Plat. Apol.
32 C 207
33 A 207
38 C 208
Gorg*
471 147 f.
479 C.E 147 f.
480 E 147f. 158
481 A 147 f.
482 C ff. 148
E 150
485 D 147
486 B 147 f.
488 B 147 f.
491 E. F bis
492 B.C 147 f.
507 ff. 146. 148
508 A. D 147.148
510 D. E 147
511 A 147
512 E 147
527 B. C 147
Krat. 396B 122
Krit.l08A-D187
Seite
Menon*
71 F, 73 B. C,
77 C, 78 C-E,
91 A 146
Prot. 337 D 150
Tim. 19 B 187
20 A 187
Polykr.
frgm. 10 206
11 206
Theokr.
XIV 51 165
Thok.
133,3 191
45, 3 186
57,6 186
103, 3 136
(1 35—46 216
III 82.83* 146ff.
IV 59—64 187
111, 1 160
V46,3 191
VI 8,2 186
Vin 48 216
64, 216
5 216
85 187
102 187
Anhang:
Ans Papyris.
Oxyrh. pap.
In. XIII
II n. CCXXII
182
190
b) ans lateinischen:
Justin V 9, 11 177 Sali. Cat. 51, 29 173
c) aus der Bibel:
A. T.: Exod. 20, 12 200 ( N. T.: Ev. Matth. 7, 13
Ps. 139 77 I „ „ 8, 22
| „ Luc. 9, 60
200
200
200
Berlin.
Richard Ullrich.
4.
Herodot.
1) Herodot erklärt von H. Stein. Erster Band, zweites Heft: Bach II.
Mit erklärenden Beiträgen von H. Brugsch und einem Kärtchen von
H. Kiepert. Fünfte, verbesserte Auflage. Berlin 1902, Weidmannsche
Buchhandlung. 205 S. 8. 2,20 Jl.
Auch für die neue Auflage dieses Bändchens hat St. die
Überlieferung von neuem geprüft und sich dabei, wie auch sonst,
noch enger an die Hss. ABC angeschlossen. In manchen Fällen,
wie in der Wortstellung oder da, wo der Inhalt oder die Sprache
keinen Anhalt bietet, wird man dies ohne weiteres billigen. Hier-
her gehören Kap. 100 doXto diaw&eXgai, st. diacp&eTQcu, doXtp,
108 iovaa anaca nsdiag st. iovcfa nediäg näöa, 34 duz
ndaqg [vrjg] ^iißvijg, 70 jj i* cqp ipol (st. spoiye) doxtei, 82
zäoMfi (st. ÖtsoiGi) iyxvgijcfoo, 118 w$ ovx icpaivero [rj] 'EXipq, 100
sp zoöavTfjGi \d£\. Entschieden besser ist 4 äorgcov für aGTiQWv,
notwendig 120 paxqs yspo^ipvjg für päxys ywopipqg. Zweifel-
los richtig erscheint mir auch 6 nag' j$p %o Kätiiov oQog [teivsi,
om. ABC], wie jetzt St. nach dem Vorgange von v. Gutschmid
(bei Wiedemann) schreibt. Er bemerkt dazu: „ÖQog, sc. icfri
(wie IX 97, 3)" und „Das vom Korrektor der geringeren Hss.-
Klasse ergänzte reivsi erzeugt die falsche Vorstellung eines Gebirgs-
zuges entlang der Südseite des Sees. Richtig dagegen III 5 naqy
rp %6 Kdciov ÖQog xeivei ig &äXccaaap". Wahrscheinlicher ist
es, daß 25 (ai&giov ts [ioiTog om. ABC] xov f[iQog . . xal äXs-
€ivijg zfjg x^QV^ sovaijg) ioptog in PRsv zugesetzt als in ABC
ausgelassen ist. Auch 181 dürfte KvQtivaioMf* 6' ig aXXyXovg
(ABC) mehr Anspruch auf das Ursprüngliche als die andere Lesart
K. di vA\ka<sig machen können. Bemerkt wird hierzu: „sg
äXXijXovg „gegenseitig" gehört zu (fiXoTfjza und av[Afjbaxirjvu*
Auch gegen insiva di (st. snetia di) 52, das nachher durch
insl cop wieder aufgenommen wird, und gegen tqotim d£ Coyg
TOMpde dfj xg&iavtai 77 (st. %. d. £. roicfde diaxqiwvtai) wird
sich wenig einwenden lassen. Dagegen erscheinen mir folgende
Änderungen bedenklich: 15 %6 äs and &aXaaarig Xeyovnwp ig
peooycuav zsivtiv avicov (avtrjv Rd). Ein avrwp neben Xsyov-
tcop ist weniger notwendig als der sonst fehlende Subjekts-
Jahresberichte XXX. |5
226 Jahresberichte d. Philolop. Vereins.
akkusativ. Es entspricht sich dann Xsyoviwv fjbiv — Xsyovx&v
d€, bezogen auf 'Irivcov zu Anfang des Satzes, wenn auch piv —
öi zu anderen Wörtern zugesetzt sind. — 53 sv&sv di iyivsxo
(st. iyivovzo) ixaaxog xcov &€&v\ hier steht iyivsxo nur in BC,
nicht auch in A. — 96 xä nXoXa dvvavxai (st. dvvaxcu), trotz-
dem dann folgt nao4Xx€xcu und xopi&Tcu, mit dem Hinweis
auf V 112 und VI 41, wo ein ähnlicher Wechsel stattfindet. Doch
schwanken V 112 auch die Hss. (rsv GvvijX$ov st. cfvvijX&sv). —
109 änocpoQTjv änoxsXiew (st. änocp. imxsXiew). Nach Steins
editio maior steht anoxeXiew nur in AGd; da aber in der hier
vorliegenden Bedeutung bei Herodot inixeXeXv das übliche ist
(vgl. Schweigh. Lex., wo sich nur die Verbindung xä näxgta
änoxsXäv findet), wird änoxeXsXv in ACd durch Einwirkung des
vorhergehenden änocpoorjv entstanden sein. — 121/9 ivdvvxog
(Rd iödvvvog), obgleich wenige Zeilen später von derselben Sache
iodvvxa steht. Vgl. hierüber meine Commentatio critica in
Herodotum S. 26. Hinzufugen möchte ich hier, daß in späterer
Zeit, als wieder Komposita mit ig (slg) statt mit iv (eiaßdXXsiv
st. ipßdXXsiv u. a.), z. T. in Nachahmung der Sprache Herodots,
üblich wurden, derselbe Unterschied im Gebrauch von iv- und
igdveiv wie bei Herodot zu bemerken ist, d. h. daß ivdvsiv „an-
ziehen4', itsdvsw „eindringen in eine örtlichkeit" bedeutet. So
Pausanias VI 20, 5, Herodian 16, H 12, VII 9, Joseph. VI 43,
IV 571, Septuag. Jerem. 4, 29 (slaidvoav slg xä an^Xeia),
Zosimus IV 11, Procop. 511 A, Agathias 101 D und so noch bei
Anna Comnena. — 122 xsiQ&ikaxxoov st. %8iQ6{xaxxQ0v. Die-
selbe Variante steht IV 62. Im Zitat Athen. 410 steht aber o,
wie sonst überall. — 177 o&sv ßsßloaxai (st. ßtovxai) hat nur
den Wert einer Konjektur, wenn auch einer alten; denn es steht
nur in A' marg., während A ßeßcuovxcu, B ßeßcuovica und
C ßeßcuovxs haben. Anderseits wird die Lesart ßiovxat. durch
Suidas bezeugt.
Umgekehrt sind jetzt Lesarten von Rsv, meist in Überein-
einstimmung mit den andern Herausgebern, an folgenden Stellen
bevorzugt: 2 gegen Ende ncudlcov st. neeideov, 28 ovxog (st.
ovxod) piv dij 6 yQccpiJbaxMfxsvg („ovxog: dazu o yg., weil eben
vorher ^Pa/jb^xixog Subjekt war44), 79 cccoqov (Rd Eust.) st.
ävonQOV, 97 oöot di ovx (st. ovo') ovxog, 144 olxiovxag st. ovx
iovxccg. Letzteres würde, wie Wiedemann bemerkt, einen sach-
lichen Fehler ergeben. — 66 noXXäv di iovxtav {xmv d) opo-
xq6<pg>p xoZcfi är&QoonoHU örjoieov. Notwendig ist der Artikel
gerade nicht.
Zurückgekehrt zur Überlieferung ist St.: 12 2vqioi st. 2vqoi,
wie in Buch I (vgl. JB. 1902 S. 72). — 39 nvQip xaiovai st.
der Schäfer$chen Konjektur nvg ävccxaiovcf*, „nvoyv, die auf
dem Altar aufgebauten Holzscheite44. — 62 schrieb St. früher
(1884) ineäv avXXsx&iwGi, xrLg &voifjg (Schweigh.) iv xg (PR)
Herodot, von H. Kalleuberg. 227
vvxxi, jetzt schreibt er wieder wie in der editio maior, aber mit
veränderter Interpunktion eneäv avXlex&ewai xrpfi, &valr\Gi, ev
%i,vi (ABC) vvxii mit der Erklärung „für die Festfeier". Ähnlich
erklärt Krüger „zu den", ich bin Kruger gefolgt, möchte aber
dem Dativ temporale Bedeutung beimessen, wie IV 180 oqxjj de
iviavcflfi 'A&qvaifjg. — 123 aQxqysTSvew nach den Hss.; 1884
aQxW£t^€lv nacn Dindorf und Cobet. „aQXHyexevew, eine nur
hier gelesene, durch Analogie des synonymen ijyefiovevew er-
klärliche Form, das normale äQX^yexietv hat andern Sinn (ägxy-
yixrjg elvat,, aQxscf&at, Soph. El. 83). Vgl. IdioßovXevetv Vli 8
d, 6". Hier haben aber Rsv Idwßovkisw.
Fremde Konjekturen sind jetzt an folgenden Stellen auf-
genommen: 11 xöv piv ix xtjg ßoQfjifjg S-aXdaafjg [xoXnov]
(Krüger). — 20 tag ptv ovo [xäv odmv] (Krüger). — 42 ano
di Alyvnxiaav 'AfipcivMH (/la&ovxegy (Krüger). — 55 xai
ncpecc (st. atpeag) ix xovvov noiTJaat, (Krüger), mit der Bemerkung
„der Plural ist formelhaft". — 73 oaov xi, (st. xe Schweigh.)
<fvvaxog iaxi, (pigeiv. — 80 rode pivxoi aXXo (st. äXXoKfi
H. St^phanus). — 93 [elal de ol xiyxQOt ovxot ix$vec] (van
Herw«). — 114 \avxbni\knei nqog xavxa 6 IJgcoxevg X&y&v (st.
Xiyovva van Herw.) xccds. — 143 [inl xjj äQi&pyaei] (Gomperz);
„war ein Randzusatz zu (pafievoi". — 156 ovxog (st. ovxco
Bekker) \*kv vvv 6 vtjog und ebenda Jiovvöov xai JtjfitjxQog
(st.7ö'*og, van Herw.).
Sehr zahlreich sind wieder die eigenen Vermutungen: 4 [ip-
ßoXipov] ({jbtjva, dies nach Cobet) inefißaklovöi. — 8 [xo d1
iv&evisv avxig evQ&a jilyvnxog iaxi] „Die Worte xo d' iaxi
sind zugesetzt worden, nachdem oben xai dexa (nach ^egecov
x€CfcfiQ(ov) ausgefallen war, um die anscheinende Lücke über den
oberen Teil des ägyptischen Niltals zu ergänzen. Sie widersprechen
der wirklichen Dimension des Tales, die H. aus Autopsie bekannt
war, und dem bündigen Urteile im Eingange des Kapitels". Doch
siehe dagegen Wiedemann. — 10 coöneg [ye] xä neql "Ifaov.
Rsv haben dafür passend maneq xä xe n. 7. — Ebenda x&v
4yd> cpQccacu sx(ti (jct) ovvopaxa. — 11 [cog sqxo[acu (pqdaoav]
„Nach dem lebhaft ankündigenden ovxw («d«) dy xt,, xoiovxog
(xotoade) dij xbg läßt H. die Ausführung unmittelbar asyndetisch
folgen (I 178, 8; III 12, 7; 108, 9; V 92«, 12) oder mit
konsekutivem artxe (aSs?), oder mit relativem Anschluß (zu
HI 120, 14)". — Ebenda avv{eni)xexQaivovxag. — 13 xpeva&sv-
xag xoxe iXnidog peydXcog (st. gieydXfjg) [xaxäg] newijaew. —
15 ei (jov ßovXoipe&a (st. ßovXofie&a) entsprechend dem Nach-
satz dnodeixvvoigiev av. Krüger „ßovXoipe&a ist nicht nötig".
— 20 nXri&vew xov noxapov, xcoXvoviag ig d-dXatitSav ixqieiv
[xöv NelXov]. Allerdings ist x. N. recht überflüssig. — 31 [£&*
de ano ianiQijg xs xai ijXlov dvopeoov]. Diese Annahme stammt,
wie St. schon früher bemerkt hat, aus der erst später mitgeteilten
15*
228 Jahresberichte d. Philolog. Vereios.
Erzählung der Nasamonen. Jetzt setzt er hinzu: „Der Satz kann
also nicht bereits hier, mit Störung des Zusammenhangs, aus-
gesprochen sein. Der Ausdruck ist dem Gebrauch Herodots (zu
I 20t) nachgebildet'1. — 35 fii^co naoi%£xai noög <*ijv äXXTjv}
ndtsav %dq^v\ »xdqriv = y^v (III 116, 8)4t. — 42 änd xov
J*6g st. and xovdi G(fi\ „auch ihren Namen haben die Ammonier
von (dem des) Zeus hergenommen". — 43 elneo xal (arnoi).
— 47 xovg vg . . . äneGxvyijxaöi, (^vbiv), iv di xavxfl d-vova*.
Nach meiner Meinung ist &v€iv nicht supplendum, sondern sub-
audiendum. — 51 [xccl naoa xovxcav Sapo&gijixeg rä ogyicc
7zaoaXa\kßavov<si\ und am Ende [xä iv xotai iv JSaiAO&Qtjixfi
pvtfrijQioiOi dedtjXcaxcu]. „Den Relativsatz xd iv xotöi . . hat
man bisher auf Xoyov als Inhaltsangabe bezogen. Daß aber diese
freie Anwendung des Relativs nur bei wirklicher Exegese zulässig
ist, zeigen die Stellen zu III 48, 10. Auch macht dedrjXcoTa*
st. dslxvvxai (zu c. 171, 2) den Satz verdächtig. Er gehört wohl
zu der oben ausgemerzten Redenotiz". An dem Tempus dedijXwiai,
wie vorher an naoaXa^ßdvovGi, nahm schon van Herwenden
mit Recht Anstoß. — 65 iovtia [di] AXyvnxog. Dieselbe Streichung
habe ich schon in der Teubnerschen Ausgabe vorgenommen. —
75 GcoqoI di tjaav (xdv) äxav&iwv, ferner iaßoXij i% doiwv
azsirrj (st. axsiv&v) (Krugers Erklärung „axewdv mit einem
Engpaß" durfte kaum möglich sein) und ig xijv iaßoXrjv xavxqv
(st. xavxqg) xijg %dgr\g. — 76 (iyo**> ipiXij xijv xs(paX^v\ so
schon Cobet, van Herwenden und Schweighäuser. — 99 ano-
ye(pvQ<5<scu . . . xccl . . . xtjv Meptpiv st. omoysipvQ&aai xi\v
Mifxcpiv] „da H. die Bautätigkeit des Min in zwei Gruppen teilt
und die erste, die er durch xovxo piv (wiederholt 17) in Ggs.
zur zweiten {xovxo di 22) stellt, wieder in zwei Abschnitte teilt,
1. die Abdämmung des Nil (8—11), 2. die Gründung von Memphis
auf dem abgedämmten Boden und die Anlage eines Sees (16 — 22),
so müssen hier einige Worte fehlen, etwa xov noxapov und
xxiaaS\ Trotzdem, glaube ich, kann man sich bei der Über-
lieferung beruhigen. — Ebenda 6 ayxdv ovxog xov JSeiXov dg
cmeQYikivog [§tei] iv (pvXaxjjai ixeydXr\ai s%€tcu, besser als
früher dg . . §2$ (final) und og . . £&* (dj, wie ich nach Krügers
Vorgang geschrieben habe. — 100 r« Xoyco [vom de äXXa jwjp-
Xaväa&ai], der Gegensatz wäre SQyw, nicht vo'«". — 102 GxQaxiijv
xäv (fiQX^y Xaßoov, wie er schon früher sach- und sprachgemäß
vorgeschlagen hatte. Gleich darauf nav s&vog xd ipnoddv
(yiv6(i£Vov) xata<fTQ€(p6ii€Vog. — 108 oxtog xs anioi 6 noxa-
fiög . . ., „in der Lücke stand etwa xal änotyQalvoixo xd nsöia'*.
110 V7T€QßaX6(l€VOV St. V7I€QßaXX6[ieVOV. — 111 xov notafiov
xaxsX&ovxog fjbsylcfxov (st. piyitixa). Dies oder ig xd piyiaxa
auch Krüger. — 113 ig (xe) xd vvv Kavwßixöv xaXevfievov
atofia tov NeiXov xal ig TaQixsiag. — 114 avdoa xovxovr
otixig xoxs iatiy avotiia i(jya<f(i4vov (st. iqyaGfxivog mit ver-
Herodot, von H. Kallenberg. 229
änderter Interpunktion), wo Kruger gleich gut 6 avoöia iqya-
apivog schrieb. — 118 xov avxov Xoyov [t<p nqoxiQO)] invvd'd-
povxo, ovxco dif niOxsvaavxsg [xm Xoyw xm nQuoxw] ol *EXXijveg.
Das zweite, zugleich mit dem folgenden ol "EXXqveg tilgt auch
van Herwerden. Vorher, am Anfang des Kapitels, ist Xiyovcfi
nach xd nsql vlXwv in den Text gesetzt; wie es St. schon früher
vorgeschlagen hatte. — 120 viivdvvsvsiv [ißovXovxo]. — 121 y
dianeiXieitV, avxij (st. dianeiXisiv avxtjv) tag. — 121 f nqo-
x€XQi(f$cu (aocpifi). — 122 oqxtjv J^rjTQt (sf. dy) ävdysiv;
recht ansprechend. — 124 diwqv%a (&*) xov NtiXov icfayaywv.
— 125 xd iniyaia [xal xd xarcoxdxco]. — 126 [iv xoXtii SQyoufi].
So schon Valckenaer. — 127 [ixopivfjv xtjg psydXfjg], „die Worte
stören die Verbindung xcovxo piya&og oixodofAfjGs und sind
wegen inl Xoyov xov avxov überflüssig". Damit scheint mir
die böse Stelle noch nicht geheilt zu sein; es bleibt der Wider-
spruch zwischen vnoßdg und xawxo fiiya&og. — 128 xavxa . . .
££ xe xal ixaxov, „In der Lücke stand etwa cov xd hsa tiqog-
x*$4vxsg xotai nsvxqxovxa xov Xionog. Vgl. VII 185, 13". —
129 x<j> ämpsfjMpofiivw <r*). — 134 nach inslxs ydg eine
Lücke; „in der Lücke muß der Anlaß der notv^ die Tötung des
Aisopos, die H. nicht als bekannt voraussetzen konnte, erwähnt
gewesen sein, etwa dned-avs vnö xtovJsXywv (oder ivJsXtpotöi)".
— 135 [fivrjfMJiov avxijg iv xfi 'EXXddi xaxaXin4a&ai\ schon
früher wegen der ungewöhnlichen Epanalepse im folgenden an-
gezweifelt; jetzt wird noch zugesetzt: „Gegen die Echtheit zeugt
auch avxyg (st. scovxijg)". Freilich steht dies nur in ABC. —
Ebenda (aXXrjy, xfi ovvofia rjv^Qxidixtj. Ähnlich van Herwerden
(hiQtiy, wie früher Stein. — 137 xaxd p&ya&og xov ädtxfjfiaxog
ixaavov (st. exdaxta, ABC sxdaxov) dixd&iv. — 139 Xiysiv
avxov [dg] nootpavGiv (st. nQotpaöiv) ol doxhw (nach ABC
st. doxiot). „Die La. ngocpccöiv hat erst den Zusatz wg und
dann in den geringeren Hss. doxiot st. doxisiv veranlaßt4. Auch
1 156 verlangt St. jetzt nqoyavöiv, denn nqocfaaig ist „Vor-
wand, Anlaß, Grund". — 142 dqxisqiag (xe) xal ßaGtXiag. —
143 [icag ov dnide^av dndöag avxdg]; „&»£ ov st. ig 6 (17),
pexot ov (VII 60, 11). Bei H. nur hier, häufig in der hellenisti-
schen Literatur von Polybios an". Seit Struve schreibt man hier
gewöhnlich ig o; vgl. hierüber den Anhang. — 146 xovxwv wv
ä(*(pox€Q(ov (niQ^y. — 149 in7 JjpiQfi kxdaxfi st. in' ^giiQfjv
ixdaxtjv. Letzteres ist freilich ganz ungewöhnlich. — 152 [dvay-
xaitj] xaxiXaßs. Doch vgl. III 75. — Ebenda am Ende xotai xs xd
icovzov ßovXopivoiöi, st. xolGi pex eoovxov ßovXopivoitii,. Andere
streichen pex* ioovxov. — 154 dno lPafAfitjxixov ßaöiXiog &q-
Igdfievoi ndvxa [xal xd vatsqov] intGxdgis&a. — 155 xov ds
XQTjGxtjQiov xov iv Bovxot (st. Alyvnxtio) und [xö ydo XQV(fTVQi0y
xovxo xö iv Alyvnxw]. „Die Hss. iv Alyvnxw. Dies läßt eine
Erörterung über das ägyptische Orakelwesen überhaupt, nicht eine
230 Jahresberichte d. Pliilolog. Vereins.
Lokalbeschreibung erwarten. Der Textfehler hat weiter den aus-
gleichenden Zusatz xo yäq — Alyvnxw veranlaßt". Wie sollte
aber jemand darauf kommen, iv Atyvnxw st. iv Bovxot zu
schreiben? Auch die Wendung ovvopa di xjj noXi xavxfi xxX.
weiter unten spricht dagegen. Vielleicht reicht es aus, xov(de}
di {xov) XQfjGtijQiov zu schreiben. Die vorhergehende Wendung
tPapptiTixos {*& vvv ovxdo €üx€ Alyvnxov ist nur eine Wieder-
holung des Anfangs von 153 xQccxtjöag de Alyvnxov naa^g,
veranlaßt durch den Einschub von 153 und 154. Mit xovde di
xov XQfiaxriQlov geht dann H. auf das 152 Erwähnte ein. —
155 Lücke nach avanXiovx* ano &aXäcr<ftig ävco', „ausgefallen
ist inl de&d oder ähnl. Die Stadt lag am westlichen Ufer de»
Armes (Strabon 802)". — 161 xavxa äy (st. di) dewä noiev-
pevoi. — 170 x€xo<f(Ati[i4voi [xal iQyaa^iytj] evxvxXtp (st. ev
xvxXco). — 176 dvo (äXXoi) xoXoaaoi. Nimmt man die vod
Stein verworfene Lesart Al&ionixov (R) st. xov avxov an, dann
dürfte der Zusatz überflüssig sein. — 177 ig (xode) ahl. —
178 Lücke nach xotat dk fiij ßovXopivoMSi avx&v oixieiv avxov \
„ausgefallen ist etwa ig Alyvnxov (5, 3; III 6, 1) o&ev xax*
ifinoQifjv (III 139, 5)", gehörig zum folgenden di vavxiXXoiki-
vomTi. Sonst bezog man avxov im Sinne von avxotis, was
van Herwerden mit Unrecht in den Text gesetzt hat, auf vavxiXXo-
pivoiGi.
In den Anmerkungen: 2 gegen Ende zu yvvaix&v xäg
yXwttoag: „Bei yvvaixwv fehlt wohl xtvcop oder xeozvu. — 22 zu
Xefodovsq di heog iovxeg: „Richtiger etwa imdtiftiovxeg oder
fievovrsg, falls nicht ixet ausgefallen". — 44 zu piyadog: „Wahr-
scheinlich ist die Angabe der Größe hinter piya&og ausgefallen"»
So schon Krüger. — 70 „Hinter xvnxet fehlt wohl rj de xot&*
(quiekt) oder (pwvrjv Ut". Das folgende inaxovttag xtfg (pcovijg
macht den Hergang auch ohne diese Ergänzung deutlich. — 86
Hinter (isfiififjfiiva war schon früher von St. eine Lücke an-
genommen worden, die etwa durch die Worte xqia Saat tvsq
xal raq^vatsg xaxeaxäai auszufüllen sei. Dies wird jetzt
wiederholt, aber mit der Änderung, daß xQla unter Tilgung des
Artikels xfj vor ygacp^ gesetzt wird. Der Artikel ist schwer zu
erklären.— 110 Zu laxdvei, wird bemerkt: „Seine Statue. Fall»
nicht Xaxavah zu lesen". — 111 „Hinter nsiQaö&ai fehlt ig S
dii avißXeipe". — 121 y wird xopielxcu, für xo/uttf vermutet. —
122 (paqog di <«i>>. — 138 Zu odog Xi&ov\ „Bei Xiöov fehlt
wohl AlSionixov oder eine andere Bezeichnung (vgl. 124, 18)".
— 32 zu inel cov: „Falls inel (wofür slnetv, ixsivovg, xoxs
vermutet worden) echt ist, wird dazu mindestens ein Verb, etwa
noQsveo&cu (wie III 26, 4) herzustellen sein".
In sprachlicher Hinsicht erscheinen mir folgende Zusätze er-
wähnenswert. 43 wird zu ig "Apacfw ßaaiXevaavxa bemerkt»
daß die Worte nicht den Anfang der Regierung, sondern die
Herodot, von H. Kallenberg. 231
abgeschlossene Dauer bezeichnen. In der Tat scheint dies der
Inhalt der Stelle zu verlangen ; ob aber an den hierbei angeführten
Stellen dieselbe Bedeutung überall zutrifft, scheint mir doch
zweifelhaft. — 66 wird zu äfAsltjöavtsg eine Reihe von Stellen
angeführt, an denen das Part. aor. steht, während man das Präsens
erwartet. Diese Sammlung ist recht dankenswert und fordert zur
Prüfung dieser Stellen auf. Meistens wird man dann einen Grund
für das auffällige Tempus finden. Ich greife nur eine heraus,
VII 46. Hier steht (Artabanus) (fqaad-elg E4q%ijp daxovaavta
eiqexo rdde ganz richtig in bezug auf das vorhergehende fisrä
d£ zovxo iddxQvtfs „hierauf brach er in Tränen aus". Dieselbe
Bedeutung hat dann auch das Partizip daxovöavta. Damit ist
nicht gesagt, daß Xerxes noch weinte, als Artabanus ihn fragte.
Noch häufiger findet bei Herodot das Umgekehrte statt, wozu St.
zu 69 eine reichhaltige Beispielsammlung gibt. Cobet hat hier
nicht selten geändert; van Herwerden ist ihm darin wiederholt
gefolgt, macht aber anderseits zu II 41 die treffende Bemerkung:
„Ubi agitur de actione identidem repetita, saepius apparet parti-
cipium praesens pro praeterito". Damit scheidet ein großer Teil
der anstößigen Stellen aus; für andere ist die Erklärung noch
zu finden. — II 8 wird zu ip t» al Xi&OTopicu svetGi, bemerkt:
„Der Artikel bei li&OTOfiicu aus der anschaulichen Erinnerung
des Berichters oder als den Lesern aus populärer Kunde schon
bekannt44. Es gibt noch eine dritte Erklärung für den Artikel.
Es folgt al ig rag nvQapidag navaTfitj^etaat, was die Geltung
eines Relativsatzes hat, und gerade in Beziehung auf einen folgen-
den Relativsatz steht der Artikel nicht selten auch bei einer zum
ersten Male erwähnten Sache. Dies dürfte auch der Grund für
die Setzung des Artikels an mehreren anderen Stellen sein, die
hier von St. als Belege angeführt werden. — 121 ß ist die Er-
klärung von insl noog %6 ayyog nooo'fjl&e: „rö ayyog, das sie
diesmal leeren wollten", wo Krüger nqog xi, ayyog vermutet,
wohl richtig; doch scheint mir der Hinweis auf III 96 nlrjcccg
di %o ayyog nicht zu passen. Der Artikel bedeutet hier wohl
„jedes Faß'4.
Andere Bemerkungen weisen auf sprachliche Unebenheiten
hin, die durch nachträgliche Zusätze entstanden sind. 91 „Das
Kapitel ist nachgefügt, denn tavxa navxa 92, 1 schließt an 90
an44. Ähnlich 129 „Da xovxov an 127 anschließt, werden die
nebenläufigen Angaben in 128, 2 ff. erst später nacbgefügt sein44.
Endlich auch 98. „Das Kapitel enthält eine beiläufige Reisenotiz
ohne inneren Verband mit dem Vorhergehenden44.
Am zahlreichsten und umfangreichsten aber sind die Zusätze
und Änderungen sachlichen Inhalts, die hier nicht aufgeführt
werden können. Sie bekunden eine gewissenhafte Benutzung der
neuesten Forschung; es genüge die Nennung der Namen Naville,
Petrie und Wiedemann.
232 Jahresberichte d. Pbilolog. Vereins.
2) Herodotos. Für deo Schulgebraach erklärt voo J. Sitzler. Buch VII.
Dritte, verbesserte Auflage. Gotha 1903, F. A. Perthes. 191 S. 8.
2 Jft.
Gegen die Umformung des Dialektes auf Grund der Inschriften
und der Sprache der ionischen Dichter verhält sich Hsgb. wie
bisher ablehnend; nur in den Dativen nXij&si,, hsv u. s. w. ist
jetzt die Kontraktion zugelassen. Ferner schreibt jetzt Hsgb.
ocpfew, aber wie bisher änod-vqaxsifV (134. 139) und ava-
$Qw<fx€iv (18) ohne *. Ebenso ist die alte, jetzt doch allgemein
verworfene Schreibung in Iloxidcua, OXiovg, xtöct*, qut^a,
olxxsXgat beibehalten. Sonst ist noch zu bemerken: die Schreibung
ohne ov in ogog, "OXvpnog, ^OXvfMtfjroi, ^OXv^nix^ dogaxcc,
voodoo, dvofxdCcd, dvofiaöxog; ferner ßoi\&£<a st. ßco&ta), ijaoov
für ttiGoy, xg£nstv st. xoaneiv, Aufnahme von stvexa neben
slvexsv, Änderungen, die sämtlich auf handschriftlicher Grundlage
beruhen.
Außerdem habe ich noch folgende Änderungen im Texte be-
merkt: 9 iiiXQi Maxedovifjg [yijg] nach Rsv, wie jetzt wohl all-
gemein geschrieben wird, 124 diä (r^g) Mvydovi^g xd^g
(Kallenberg d&a Mvydovitjg xijg xcogifg), nsgl (toV) vA&mv
(Kallenberg), 20t [ptfgg* Tgtjxtvog] (Kallenberg), 214 saxi, de
sxsgog Xoyog Xeyopevog (Rsv) st. saxt di hegog XsyofAevog X6yogy
wo von mir noch der Zusatz von oÖ€ vor Xöyog vorgeschlagen
worden ist. Zurückgekehrt zur Überlieferung ist Hsgb. 89 in
JSvQioMfi st. 2vQ0t<fi>, wie das Stein in den neuesten Auflagen
von B. I und II getan hat, und 140 in imxidvaxs st. snt, xidvaxs.
Aus eigener Vermutung schreibt Hsgb. 96 61 aXXot (ol) axga-
xevöfievot mit dem Verweis auf 52, wo folgende Regel aufgestellt
ist: „Wenn äXXog zu einem substantivierten Begriffe tritt, wird
es ebenso wie dieser mit Artikel versehen4'. Krüger (Gr. Spr.
59, 9, 2) gibt die Regel in folgender Fassung: „Wenn o aXXog
sich mit einem substantivierten Begriffe verbindet, pflegt auch
dieser den Artikel zu haben", bemerkt aber zur Herodotstelle
nichts. Der Sprachgebrauch ist hier noch genauer zu unter-
suchen. — 143 ig *A&fjvaiovg sty* *b snog (xo) sigfjfisvov,
wo Krüger elgijfiSvov verdächtigt. Beides wohl ohne Grund;
denn elgqps'vop ist eng mit slxs zu verbinden; vgl. auch Steins
Anmerkung. — 179 6 de vavxixog (6) Ssg^eco axgaxog mit
der Bemerkung: „Beide Attribute vavxtxog und 3ig£sw sind der
gleichmäßigen Betonung wegen, jedes mit Artikel, vor das Sub-
stantiv öxgaxog gestellt41. Hier hat Krüger dasselbe vermutet
und auch Belege dafür gebracht. — 187 endlich hatte Hsgb.
schon früher, um den Rechenfehler Herodots zu beseitigen, xal
££ dsxddag nach xelsoixivag zugesetzt und dann x°'w*xaS st.
fisdifivovg geschrieben, wobei aber die nicht mehr passenden
männlichen Formen xg&fjxotflovg xs aXXovg stehen geblieben
waren. Jetzt sind die entsprechenden weiblichen Formen dafür
Herodot, von H. Kaileoberg. 233
eingesetzt und der Zusatz xal $£ dexddag hat passender seinen
Platz hinter (iVQiddag erhalten. Dazu als Erklärung: „Herodot
rechnet die %oivixeq nur bis auf die Zehner in Medimnen um
und fugt dann die übrigen 340 %oivixe<;, die weniger als zehn
Medimnen ergeben und außerdem bei der Umrechnung in
Medimnen nicht ohne Rest aufgehen, jener Zahl unverändert bei".
Das sind der Änderungen doch zu viel, um sie für wahrscheinlich
halten zu können. Lassen wir Herodot die Verantwortung für
seinen Rechenfehler tragen.
In dem trefflichen, den Bedürfnissen der Schule angepaßten
Kommentar haben die einzelnen Abschnitte der Erzählung Über-
schriften mit kurzer Angabe des Inhaltes erhalten. Einige Stellen
sind berichtigt, an andern sind Zusätze gemacht, z. ß. 5 zu zd
jjfisQa und 6 zu acfavi^olaxo, wo ich in der Anzeige der vorigen
Auflage eine Erklärung vermißt habe. Zum Schluß noch folgende
Bemerkungen. 101 ist, wie früher, zu si "EXXtjveg vnoptviovöi,
%s%qag ifiol dviastqoiisvot bemerkt: »inopsviova* mit dem
Hart, ist selten". Ich denke, schon Schweighäuser hat in seinem
Lexikon diese Erklärung mit dem Hinweis auf 209 mit Recht
abgelehnt. — 135 Die Erklärung von ytjg 'EXXddog „über ein
Hellas, d. h. ein Land wie Hellas", die auch Abicht hat, scheint
mir sprachlich unmöglich und auch vom Sinne nicht verlangt. —
182 ,Mox£XXei, landen". Ein einfaches „Landen" scheint mir
der Lage nicht entsprechend, „auflaufen", ein absichtliches Stranden
muß im Verb liegen. — 203 zu ^ SdXaaad xi atpi sfy sv
ifvXaxfi vn' 'Adyvaid&v re (fQovQfo^vrj xal Aiytv^zeoov wird
bemerkt: „tfcpi = tW avctov". Schwerlich richtig; cfq>i ist
dativus commodi, entsprechend dem folgenden xal <scpi bXtj deivov
oidiv. — 224 doqata piv vvv „in poetischer Weise ohne Artikel,
obwohl bestimmte Lanzen gemeint sind". Wir haben hier einen
der nicht seltenen Fälle des Sprachgebrauchs, von dem Stein zu
IX 88 und ich JB. 1897 S. 207 gehandelt haben.
In neuen Auflagen sind ferner noch erschienen:
V. Hintner, Herodots Perserkriege. Griechischer Text mit er-
klärenden Anmerkungen für den Schulgebrauch. IL Teil: Anmerkungen.
Vierte, od veränderte Anfluge. Wieu 1902, A. Holder. 78 S. gr.8. 1,30 JL.
Herodot. Eine Auswahl des historisch Bedeutsamsten aus sämtlichen neun
Büchern. Kommentar, bearbeitet von J.Franke. Zweite, umgearbeitete
Auflage. Münster 1902, A sehend or ff. 8. 1,50 JC.
K. Abicht, Herodotos. Für den Schulgebrauch erklärt. Erster Band,
erstes Heft: Buch I. Fünfte Auflage. Leipzig 1903, B. G. Teubner.
247 S. gr. 8. 2,40 Jt.
3) F. H. M. Blaydes, Adversaria in Herodotum. Halle a. S. 1901,
Buchhandlung des Waisenhauses. 160 S. 8. 3,80 ,/#.
Mit den Worten „Quadraginta fere anni sunt ex quo has in
Herodoti Historias sive Musas observationes maximam partem
criticas scribere coepi, postea identidem eas auxi, supplevi, et
234 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
correxi" beginnt Verf. seine Vorrede. Wenn man dann weiter
liest, daß die Gaisfordsche Ausgabe zugrunde gelegt ist, im Dialekt
vor allem W. Dindorf gepriesen wird, möchte man mißmutig das
Buch beiseite legen. Die ganze Schrift, wie auch ein Verzeichnis
der Ausgaben, das sich an die Vorrede anschließt, beweist, daß
Verf. Steins kritische Ausgabe nicht kennt. Am Ende jenes Ver-
zeichnisses werden die zweite Auflage von Steins kommentierter
Ausgabe (1864—1866), die ersten Hefte der Abichtschen Ausgabe
(1861 — 1863), B. I und II von Wood (1873) aufgezählt, worauf
dann van Herwerden den Schluß des Verzeichnisses bildet. Die
Schrift selbst wiederum zeigt, daß Verf. van Herwerdens Aus-
gabe nur oberflächlich angesehen haben kann; sonst wurde er
nicht so oft Konjekturen als eigene anführen, die bei jenem zu
lesen sind.
Bezeichnend ist schon der Anfang: ^AhnaQP^aa^og] lAfo-
xagvccarjog SPbcd. stkMaQVtjtfotoog (sup. 6) F. ^AlixaQvaGGioq
Aristid. IdfoxaQvcKföiaQ Plutarch. Restituendum, ni fallor,
€AlixaQVti<f(f£os". Das Verzeichnis der Varianten ist nicht ganz
fehlerfrei aus Gaisford entnommen. Ein Wiedereinsetzen der
Form UlixccQvrjGösog ist nicht nötig; denn seit Struve (1829)
steht die Deklination der Wörter auf -svg bei Herodot fest, und
eine andere Form durfte sich seit 50 — 60 Jahren kaum noch in
irgend einer Ausgabe finden. Endlich hat Verf., da er Steins
kritische Ausgabe nicht kennt, nicht gewußt, daß die richtige
Form in A1 überliefert ist Gleich darauf wird in ebenso über-
flüssiger Weise die Form ßaaiXiog für die richtige erklärt, und
das wiederholt sich, sooft bei diesem oder einem andern Kasus
dieses Wortes Varianten überliefert sind. Bei diesen Formen ver-
teidigt Verf. wenigstens noch das Richtige, aber gar oft ist es
auch das Falsche, was er einfuhren will (z. B. eaav, Dualformen
in der Deklination). Lassen wir nun alle auf den Dialekt bezüg-
lichen Bemerkungen beiseite, so fällt damit die Hälfte der Schrift,
vielleicht noch mehr. Von dem Rest ist wieder etwa die Hälfte
zu streichen, weil sie Vorschläge enthält, die bereits von andern
gemacht sind. Zuweilen wird auch hier als Verbesserung vor-
gebracht, was, weil handschriftlich überliefert, bereits in den
Texten steht. Von dem nun bleibenden Rest möge der auf B. I
fallende Teil erwähnt werden. Verf. setzt häufig für das über-
lieferte Imperfekt den Aorist, so in B. I l/tefiips (21), scpjjve
(116) und S(p6v€V<f€ (211); ohne Grund, genau so steht z.B.
€7t€fjb7t€ I 110. Ferner will er 119 iyivsxo für yivsxai haben,
wohl weil vorher der Aorist steht. Es ist aber bekannt, daß
Herodot im Tempus wie im Modus nicht selten Wechsel eintreten
läßt. Nach ovt€ nuQeXdsg (108) verlangt er <pvla%6i*€&d %e (statt
(pvlaüöops&a d£) . . ig top (lerdnsna %qovov. Das Präsens
kann hier statt des Futurums stehen, weil ersteres zugleich mit-
ausgedrückt werden soll: auch 64 nach %€ ist ohne Anstoß und
Herodot, von H. Kallenberg. 235
kommt wiederholt bei Herodot vor; vgl. Stein. Umgekehrt
werden für die Futura äxpovxay (198) und änodoxifxq (199) die
Präsensformen verlangt. Über diesen Gebrauch des Futurums bei
Beschreibung von Sitten handeln Kruger zu I 173 und Dial.
53, 7, 2 und Stein zu I 173. In 3 (ovdi yaq ixslvovg didovai)
soll dovva* für didovcu stehen, das Stein richtig als Infinitiv des
Imperfekts erklärt. Nach iv vom 8%siv und ähnlichen Ausdrucken
wird der Infinitiv des Futurs verbannt; darum nimmt Verf. I 10
aus der Aldina riaaa&ai an, ändert 86 xaxayistv in xavayi&w
und ändert in derselben Weise auch die betreffenden Stellen in
den übrigen Buchern. Es genügt dagegen, auf die Bemerkungen
Krügers und Steins zu I 10 und auf Krüger und Classen-Steup
zu Thuk. I 27 zu verweisen. Umgekehrt soll 91 xaTcclvöcu für
xaraXvtfstv stehen, wohl wegen der gleichlautenden Stelle I 53.
Hier aber liest man jetzt nach den besseren Hss. xazaXvasiv.
Ebenso ungerechtfertigt sind die Änderungsvorschläge im Gebiet
der Moduslehre. Bei mg und oxmg av mit dem Optativ in Final-
sätzen, die ja eigentlich Relativsätze sind, wird av gestrichen
(I 91, 99, 152) oder der Konjunktiv gesetzt (110). Nach ov yäg
r\v deivhv [Aij (84) soll äXolfj für dXm eintreten, wohl wegen
des historischen Tempus, obwohl doch dieser Konjunktiv auch bei
andern Schriftstellern häufig ist. Herodot liebt den Wechsel
zwischen Optativ und Konjunktiv, zuweilen auch zwischen Indikativ
und Optativ in abhängigen Sätzen (siehe oben). Auch das ist ihm
nach Verf.s Ansicht nicht erlaubt; er schreibt deshalb zu axonmv
oxwg . . %8 noiiJGüo . . pijte elyv „Leg. noiijöoipi (!) nisi mox
pro strjv corrigendum sm". Ebenso schreibt er 196 ayotvxo
(nach ädixotev) für aymvxai und 86 mg e'X&oi, für mg ijX&€
oder ctneipXavQiGs für anotfXavQiasis. Zu latogimv tovg av
'EXXyvmv . . ngoöxTijaaiTO (56) wird bemerkt: „tovg 'EXXijviov S,
Recte". Gewiß könnte av fehlen; da es aber nur in S, nicht
auch in den ihm verwandten RV fehlt, hat diese Lesart keine
Bedeutung. Zu tzq\v di rj yivfjtai (136) schreibt er: „aut ttqIv
3i av ytvrjiai, aut nglv öi yevfo&m" ; ähnlich 140 und an den
betreffenden Stellen der übrigen Bücher. Er verbannt also nqiv
ij mit dem Konjunktiv aus Herodot. Der Sprachgebrauch des-
selben ist aber nicht so einzuengen; vgl. Schwidop, Zur Modus-
Jehre im Sprachgebrauch des Herodot; außerdem spricht dagegen
der Sprachgebrauch der Späteren (vgl. Kallenberg, Textkritik und
Sprachgebrauch Diodors II S. 12). — 7 an' otsv ixXr^fj] Leg.
in' otev\ so auch an andern Stellen; zuweilen verlangt er aber
auch äno statt ini bei Verben des Benennens. Bekanntlich kann
beides stehen. — 19 {tov) Xrjiov ifinmQafjbivov] exciderat rov
post simile srei. Unnötig: es heißt „ein Stück des Getreide-
feldes". — 27 no^aaav ini tov voov. Fort, rgaipetav. Das
Ungewöhnliche des Ausdrucks ist kein Grund zur Änderung.
Außerdem steht dasselbe auch I 71. — 31 iv tiXet, tovtm
236 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
sa%ovro\ Verba vix sana. Fort. xiXovg xovxov hv%ov. Wie
gewaltsam! Außerdem unnötig. — 32 näv toxi dvd-qmnog
ovpifOQq] Leg. näöcc. Wenn zu ändern ist, dann doch lieber
näg nach Aa, Theon und Clemens Alexandrinus. — 33 ovrs
Xoyov [aw noitjadfAevog] Usitatior structura fuisset ovrs Xoyov
avxov noirjGdfjbsvog, quod restituendum videtur. Zu beurteilen
wie oben 31. — 37 xavxa äpeiipaxo] Fort, xotcde (aut potius
xotaide). Aber ebenso steht xavxa II 174, VII 135; vgl. Rallen-
berg, Gommentatio critica in Herodotum S. 15. — 43 ig xov
OvXvpnov xo ÖQog] Lege ig tö OvXvpnov ovoog. Es ist zu-
zugeben, daß die Stelle Bedenken erregt, aber die Änderung ist
sehr unglücklich; vgl. hierüber Kallenberg, Studien über den
griechischen Artikel II S. 20. Man beachte auch das ov in
OvXvfinog und ovqog als Probe von Verf.s Dialektkenntnis. —
43 xa&aqSelg xov tpovov] Lege xov (povov. Gewiß überflüssig. —
46 dsvxsoa nifincnv) Annon devxeoovt Der Plural bedeutet bei
Herodot nicht selten „demnächst". Siehe Krüger. — 50 xxtjvscc . .
xd &v<uiia ndvxa xQiaxlXia] Lege xxijvta — Svaipa %d ndvxa.
Der Artikel vor d-vaifia ist nicht anstößig, siehe Stein; über
ndvxa vgl. JB. 1897 S. 210. — 51 oj ydq xd [gvv]xv%6v . .
eqyov aut xov vv%6vxog. Der Ausdruck ist ungewöhnlich, wie
die Erklärer anmerken; aber darum zu ändern? — 54 i&Tvai
tw ßovXop&vto avxwv yivsa-3-ai JsXyov] Malim Jelcpdo. Ebenso
ändert er I 129 naqeov avxco ßaadi'C (st. ßaöiXia) ysviad-a*
und III 85 iv xovvcp xol iaxi rj ßaaiU'i (st. ßaaiXia) ävai q
ftij. Ganz unnötig; vgl. Krüger, Sprachlehre 55,2,7. — 55
insixs ydq drj naqiXaßs xov [xavxrjiov aX^&elfjv] Lege xaxiXaßs
(percepit, cognovit). Schwerlich dürfte xaxaXapßdvsiv bei Herodot
sich in diesem Sinne finden. — 56 iXni^cov yfilopov ovdccfid
(dp) avx' dvdoog ßaatXevoew. Wozu das beim Futurum so
zweifelhafte äv einführen? — 58 ig nXij&og [xdiv] i&vicav. Der
Artikel wird genügend bei Krüger und Stein erklärt — 67 enspnov
avx ig zijv sg &aov] Lege ig xtjv ^d-sov vel xwag ig xijv &€OV.
Man fragt sich vergeblich, welche weibliche Gottheit gemeint sein
soll; etwa die Pythia? Ein xtvdg ferner ist neben intiQuaopi-
vovg ganz überflüssig. — I 67 <oi> i^iövxsg. Die eigentümliche
Konstruktion wird dadurch nicht gefälliger. — 76 Svqiovg xe]
Lege Svqiovg dL Auch sonst zeigt sich Verf. als ein Feind des
bei Herodot sehr beliebten xey fast immer ohne Grund. — 78
tnnov öi noXipiov] lmo noXspixov (bellicum). Daß noXipiog
st. noXspixog auch V 78 und 111, in einigen Hss. auch III 4
wiederkehrt, macht Verf. nicht stutzig. Anstatt daraus Herodots
Sprachgebrauch zu erkennen, ändert er überall. — 80 inetyc
iXXdfAipsa&ai] lmo rjXni& (vel potius SXnfe). Ganz unnötig
(vgl. Krüger) und gewaltsam. — 82 Gvqifjg] Annon Gvqiatv^
Es folgt xäg ydq Qvqiag xavxag iovaag xijg ^AqyoXldog fiolqrjg.
Auch Stein bezeichnet es als auffallend, daß Herodot hier beide
Herodot, voo H. Kailenberg. 237
Formen nebeneinander braucht, indes ohne zu ändern. — 84
(tö) nqog top Tfnolov (nach Reiske für %ov TfioiXov). Kroger
erklärt wohl richtig, daß das folgende trjg noXtog von einem
noch vorschwebenden tomo abhängt. — 86 ^vgstcu %ov \ir\ . .
xazaxav&fjpai] Lege %b py. Nicht notwendig. — 88 xotsqop]
xoxsqa nach der Aldina; ebenso III 32. Es wird beides zu er-
tragen sein. — 90 inapfjXoyfjas] Gewöhnlich schreibt man
inaXtlloyrjas nach Pollux. Verf.: „Aliud quid, ni fallor, latel,
fortasse vnaviw^e aut aliquid simile". Schwerlich besser, ent-
fernt sich auch zu weit von der Überlieferung. — 91 spsq&s
iwv [totäi] ccnaai. Auch sonst findet Wechsel zwischen näp
und %6 näp im adverbialen Sinne statt. — 102 ovx ane%oäto
(t«) povpwp &Q%eip, nisi pro ao%sip reponendum aoxcop.
Ersteres wegen I 37, wo doch der Dativ eines Nomens folgt. —
104 iniaxop] An xax£c%opt Vgl. dagegen Kruger und Stein. —
105 (oaz€ apa X&yovöi] Fortasse x<ov t€X[xtjqkx. Liegt doch zu
weit ab. — 108 nccQaßdlfl] Annon diaßakq*! (noli me decipere).
Nach Stein kann dasselbe auch naoaßdkkea&ai, heißen. Vgl.
auch Krugers Erklärung „aufs Spiel setzen". — 109 ov ol] An
ovx oll I 132 will er ol streichen. Die andern Stellen mit ov
ol (II 120, IV 43) hat er übersehen. — 111 fiyve xots ysvio&ai]
Corrigendum, ni fallor, nv&ia&ai. Wohl deshalb, damit nicht
io zuerst Objekt zu IdsXv und dann Subjekt zu yepia&at, sein
soll. Dergleichen kommt doch auch bei andern Schriftstellern
vor. — 111 xQccvyapofispop] Malim xQavya£6[Atvop. Eine Ver-
mehrung der schon vorhandenen unsicheren Konjekturen. —
111 ansikyäag] Imo dnsilijoavja; also auf ^Aaxvdysa bezogen,
wodurch bessere Obereinstimmung mit HO hergestellt wird. Ist
das aber nötig? — 112 näad ys äpdyxfj] Lege näad 6(fs.
Bedenklich, da o<p€ nur III 52, wo man es in aepecc geändert
hat, bei Herodot vorkommt. Übrigens fehlt ys in ABC. — 114
ooyjj <ag £l%s\ Fort, doyfjg cbg «fy«. Ebenso ändert Schäfer
1 61; an sich richtig, aber schwerlich notwendig. — 114 apdqaia
[nQijy fiava] nsnop&ipai,. Wohl möglich. — 115 ig o elaße
%i[P dlxtjp] id est quapropter cf. VIII 60. An letzterer Stelle ist
diese Bedeutung ausgeschlossen; man liest jetzt gewöhnlich [ig]
%6. I 115 ist ig 6 natürlich temporal. — 115 sl <op dtj]
Malim ei drj wv. Diese Bemerkung wiederholt sich, sooft sich —
und das ist recht häufig — diese Partikelverbindung findet. Siehe
dagegen Hoffmann, Über den Gebrauch der Partikel dop bei Herodot
(Schneidemuhl 1884). — 120 bXqsto . . tj sxqwap] Lege xfj.
Auch sonst verlangt er in indirekten Fragesätzen das Interrogativum
für das bei Herodot gar nicht seltene Relativum. Siehe Stein zu
I 56. — 129 nooGrag, Schweigh. nqoaaxdg] Malim inititäg.
Und doch billigt er I 119 Schweighäusers nooGorapteg, das dort
in derselben Bedeutung steht wie hier, für nooeraptsg. — 133
7tQO%h&iatak] Lege naqa%i&ia%ai. Aber kurz vorher steht
238 Jahresberichte d. Philolog. Vereios.
nqozi&ea&ai ebenso. — 141 nX^d-oq noXXov [zcov] tyd-vwv.
Der Artikel hat seine Berechtigung in bezug auf das vorher-
gehende l%&vq. — 141 oqxiov] Annon oqxiat conf. ad I 143.
Der Singular ist herodoteisch, I 143 steht der Plural nur in 92. —
142 ykcoGOfip (?) di ov zijp avzijv . . vsvofiixaai] Lege yXcSötifi
di ov ifj avzfj. Beide Kasus sind gleich häufig. — 145 an'
ozsv Schäfer für an' ozov. Corrigendum and zov. Gegen
Herodots Sprachgebrauch, der an ov verlangt. Doch ist dies
nicht nötig. — 152 <or*> nXetazoi. Exciderat oxt post praec.
-voi. Aber Herodot kennt oti beim Superlativ nicht. — 152
xazaozdc] Lege avaötdq. Siehe dagegen Stein zu [II 46. —
153 [än]iqqtipe. Venit fortasse an a vicino aq. Ebenso ändert
er IV 142, übersieht aber VII 13. Aber warum überhaupt? —
162 ret^geag noirjosie] An noujasiavt Mir unverständlich. —
167 sXa%6v %s avzcov noXXw nXeiovq] Latet, ni fallor, numerus
aliquis ut (ivqicov. Stein schreibt nXsiazovq. — 168 nqozsqog
zovzoov] Lege nqovsqov. Bezieht man tovtcov auf die Teler, so
ist alles in Ordnung. — 171 <poqov vnozsXiovzeg] Malim äno-
zsXiovzeg. Warum nur? — 171 neqixslpsvoi] Fort. neqisipivoi.
Ebenso überflüssig; siehe Krüger. — 174 ivzog di (äv} näad
Gifk iyivezo Dobree. Malim näaa av. Liest man nach AB
iylvsxo, so ist av überflüssig. Vgl. Stein und van Herwerden. —
179 niqi% zov T€i%eoq] Imo zo zstxog. Die Sache bleibt streitig.
Auch II 19 und IV 152 steht der Genitiv, aber beidemal mit
Varianten. — 181 heteix^zo] Fort. ezsztixqxo. Verbum enim
xsix^v (sensu zov zet%i&iv) legitur V 23, VIII 40, IX 7, 8.
Dagegen steht IX 8 lvecsl%rtto und änszezslx^zo neben heixsov.
Die Formen von zsipoo scheinen nur im Aktiv gebraucht zu
sein. — 181 er zw ijev oder ehv] Lege rjv aut eoxe. Dann
aber billigt er Gronovs fiiv. — 181 (övv aut dpa) neqißoXw.
Schwerlich. — 181 dvdßaa ig . . exovtsa] Malim ayovaa aut
(f€Qovoa. Doch siehe Steins Erklärung. — 181 ovdi vvxza
ovdelg ivavXi£ezai] Annon vvxxogt Der Akkusativ steht mit
demselben Recht wie 182 xäq vvxzag. Siehe Stein. — 183 eazi
di xa* aXXoq (xdXxeogy ßoopog piyag. Warum? — 185 avrfj
di] Lege avzq dq. Verf. scheint den Gebrauch des di im Nach-
satz von Doppelperioden nicht zu kennen. — 186 zonjvds [i%\
avx&v naqsv&fjxfjv inonjoazo. Die Erklärung des i% gibt Verf.
selbst durch den Zusatz „nisi quidem sensus est perfectis his
operibus". — 187 pij [ov] Xaßstv, unter Verkennen des Negativen
im vorhergehenden dsivov. — 190 inei <r«) di. Weshalb nur?
— 192 Inno* di ol avzov tjaav Idlfj] Annon o\ avztirt Krüger
streicht avzov, Stein erklärt es lokal: „in Babylon". Was der
Dativ avi(ß soll, verstehe ich nicht; ol ist doch auch Dativ. —
196 %6 di av XQvai°v fylvtzo] Annon %6 di XQ> <** fy^ Die
Stellung ist auch Krüger auffällig. — 200 dze] An ooaze? Siehe
dagegen Krüger und Stein. — 202 xaro»xigf<röa»] Lege xazoixia&ai.
Herodot, von H. Kallenberg. 239
Siehe dagegen Krüger und Stein zu I 27. — 204 oxi} yoco
i&vasie] Lege oxoi. Auch hier begründen Krüger und Stein die
Überlieferung. — 205 ^V yvvaXxa s%ew] Imo k^v (aut zr/v)
yvvaXxa. Das erstere ist so falsch wie ?yi>, da diese Possessiv-
formen bei Herodot nicht vorkommen. Man streicht es deshalb.
Übrigens ist yvvaXxa fjv überliefert. Höchstens könnte amijv
oder, wie Cobet will, fiw stehen. — 210 tvsqi,%(x)q6oi] Lege neQi,-
XWQtjasiv (ut relevTijcsw paullo ante) aut ntqtxonQfi^Oh. Wahr-
scheinlicher Schweighäuser neoixwoijaei. — 212 äpTteXivco
xaqmjö ifAntnXdfieyoq] Imo apneXivov xaqitov. Der Dativ,
nachher wiederaufgenommen durch toiovtw (pag^axa), gehört zu
doXriaaq. Höchstens könnte man über das folgende twksq
zweifelhaft sein. — 214 avvoq (o> Kvooq. Die angeführte Stelle
VI 69 avioq 6 *AqIg%wv ist kein Beweis. Außerdem ist der
Artikel dort nicht sicher überliefert.
Sitzlers Anzeige dieser Schrift besteht aus einem einzigen
Satz (Jahresber. über die Fortschritte der klassischen Altertums-
wissenschaft 1903, II S. 76) : „Ein Buch, in dem Altes und Neues,
Eigenes und Fremdes in bunter Fülle geboten wird. Unter vielem
Überflüssigen und Unbrauchbaren findet sich auch manches Gute".
Von letzterem habe ich so gut wie nichts gefunden.
4) Grenfell and Hunt, The Amherst Papyri. II. Loodoo 1901.
Auf S. 3 findet sich ein Fragment einer Schrift (vndfAVfjfJba)
des Aristarch über Herodot, von der man bisher nichts gewußt
hat, das aus dem dritten Jahrhundert n. Chr. stammt. Am be-
merkenswertesten ist die zweite Zeile = ovoq £«£ £Gt[i]p oioi
xai sv xoiq nXoioiq, Damit erhält an der betreffenden Herodot-
stelle (I 194 iv sxdazm di nXolto ovoq foog svstixi in den
Texten) die Form ^ciq in den Hss. Rsvd eine bedeutende Stütze.
Vgl. damit O. Hoffmann, Die griechischen Dialekte III S. 504.
Gleich darauf folgt : avi7in[oi, . .] dsi[.]tda ct(j,in[noi in bezug
auf Her. I 215, womit, wie von den Hsgh. bemerkt wird, auf
eine in unseren Hss. nicht vorhandene Variante apmnoi zu
avmnoi Bezug genommen wird. Weiter unten ist von der an
derselben Stelle von Herodot erwähnten aayaqiq die Rede: aayaqiq
neXexvq 2xv&ix[oq ot] ov [a]i Afia&vsq (f[oq]ovatp.
Im Anschluß hieran mögen nachträglich die beiden kurzen
Fragmente aus Herodot erwähnt werden, die sich finden bei
5) Grenfell and Hont, The Oxyrhyochus Papyri I (London 1898)
S. 44—46.
1) Her. I 105 — 106 (iv Kynqin Iqov — tu ndvxa acptv
vno t€ vßqiog). Hier ist das Wichtigste ivio'xfji/jsp y &[6]6q
sUitiviaxTjips 6 feoq in den Hss. Damit stimmt das Fragment
mit Longin n. Zip. 28 und Tiberius n. crg^p. S. 605 überein.
240 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Die übrigen Abweichungen, [evxsv^ev st. iv&evxev und Ocpiv am
Ende st. acfi sind unwesentlich.
2) Her. I 76 (KvQog dt äyslgag . . . dU<s%i\Gav vvxTog
insl^ovafjg). Es hat die Fehler dcplxszo und ivzav&a (vgl.
oben ipTw&ev), ferner insiq&ovxo st stisiqcovto. Sonst ver-
meidet es aber einige Fehler der Hss., es hat nicht iyslgag (Rsv)
st. äysigag, stellt sich mit xijQVxag auf die Seite dieser Hss.
gegen ABC (xrJQVxoc) und hat [noX]lcov äfig>OT^Q(ov, während ABC
afKpOT^Qoov noXXwv haben und Rsv aptpOTiQwv auslassen. Der
Vollständigkeit wegen sei endlich elxoai (ohne v) erwähnt, wofür
Aß tixoöiv haben; vgl. dagegen sviaxr\\psv und Gcpiv im ersten
Fragment.
6) M. ßroschmaon, Supplementum lexici Herodotei alterum.
Accedit novum lexici Herodotei specimeo. Sonderabdruck ans dem
Jahresberichte des Gymnasiums zu Zwickau Ostero 1904. Leipzig
1904, B. G. Teubner. 24 S. 4.
In seinen „Lexikalischen Beiträgen zu Herodot" (Zwickau
1 898) hatte Verf. Ergänzungen zu Schweighäusers Lexikon für die
Buchstaben A—0 geliefert (vgl. JB. 1900 S. 72). Hier gibt er
zunächst „Additamenta" zum Buchstaben A, dann folgen als
Fortsetzung der lexikalischen Beiträge die Buchstaben / — 3, wobei
mehr auf die Überlieferung und die Textkritik geachtet ist als in
der ersten Schrift. Hieran endlich schließt sich ein novum
specimen lexici Herodotei. „Qua in re tractanda id spectavi, ut
quae Herodoteae dictionis propria essent aut rarius obvenirent,
diligentissime conferrem et verbis exscriberem, quae essent omnis
Graecitatis communia, paucis locis allatis absolverem". Gewählt
wird hierfür äv, 66 und die Verba ßccXlew und yivsG&tth
mit ihren Komposita und den von ihnen abgeleiteten Nomina.
Dieses Specimen kann wirklich als ein Muster einer lexikalischen
Arbeit hingestellt werden. Schade, daß wir so wenig Aussicht
haben, ein ganzes Lexicon Herodoteum in dieser Form zu be-
kommen.
7) H. Schmitt, Präparation zu Herodot. Buch VU in Auswahl. Kräht
und Rankes Praparationen für die Schullektüre. Heft 65. Hannover
1901, Norddeutsche Verlagsanstalt O. Gödel. 36 S. 0,70 JC.
Die Auswahl umfaßt die Kapitel 1—46, 53—60, 87—89,
100—105, 131—145, 157—162, 172—178, 196, 198-239.
Zugrunde gelegt ist die Teubnersche Textausgabe. Zu loben ist,
daß sich Verf. nicht damit begnügt hat, ein gedrucktes Prä-
parationsheft, d. b. eine Reihenfolge von Vokabeln, zu liefern,
sondern auch auf Konstruktionserklärungen viel Muhe verwandt
hat. In manchen Punkten bleibt sich Verf. nicht gleich; er
schreibt gewöhnlich yiyvcoöxto und ytyvopai, läßt aber 10 und
10 & yivaitixo), 103 und 157 yivopcu stehen. Er schreibt axqa-
xrilaaia (14), r\lixia (18), Oocfia (23, 102), av^cfOQq, alitx
Herodot, von H. Kallenberg. 241
(134, 231), opoXoyia (139), aupla (158), advvaoia (172),
oQQwdia (173), ah luv (214), während in den übrigen Fällen das
ionische tj unverändert stehen geblieben ist. Einen Hinweis auf
die attische Form vermisse ich bei ntvzrixovxtgog (31), xa-
zaQQQod^w (38) und Xayog (57). 18 heißt es „xat og wie bei
Homer = xal ovzog". Das igt doch ebenso gut attisch. 38 „?ö
idsyd-q herodoteisch für vov idey&fj". Der Akkusativ eines Pro-
nomens im Neutrum bei diopcu ist auch attisch; anderseits ist
auch bei Herodot der Genitiv üblich. Endlich 60 „ovdctpog
keiner44. Bekanntlich ist nur der Plural im Gebrauch.
In demselben Verlag sind von demselben Verfasser noch er-
schienen: Präparation zu Herodot V, VI und IX in Auswahl.
$) R. Helbing, Die Präpositionen bei Herodot uud aodereu
Historikern. Beiträge zur historischen SyoUx der griechische u
Sprache, herausgegeben von M. von Schauz. Heft 16. Würzburg
1904, A. Stabers Verlag. 159 S. 8. 5 JC.
Verf., der sich schon durch zwei treffliche Abhandlungen
über den Dativ bei Herodot bekannt gemacht hat, hat sich dies-
mal ein höheres Ziel gesteckt. Was er schon beim Dativ ver-
einzelt getan hat, fuhrt er jetzt bei den Präpositionen in großem
Maßstabe aus; es kommt ihm darauf an, „nicht nur den Gebrauch
zu registrieren und Verschiedenheit von der Atthis festzustellen,
sondern auch der weiteren Entwicklung ober die Atthis hinaus
nachzugehen, um auf diese Weise dem ersten Historiker, der auf
uns gekommen ist, seine Stellung innerhalb der Literatur in
sprachlicher Beziehung auf einem bestimmten Gebiet zuzuweisen".
Alle Historiker sind herangezogen bis auf Zosimus, z. T. auch noch
Prokop. Vorausgeht ein allgemeiner Teil, der einen statistischen
Überblick über die Geschichte der Präpositionen in Hinsicht auf
die Frequenz bringt. Zu dem besonderen Teile, in dem die ein-
zelnen Präpositionen der Reihe nach behandelt werden, sei folgen-
des angemerkt. Auf die handschriftliche Überlieferung wird im
allgemeinen geachtet, zu Varianten wird Stellung genommen. So
will Vert (S. 37) II 147 nach Rsv ig vor dvcodexcc poigag
da(fd(jb€V<n beibehalten; nach meiner Meinung ist beides möglich.
IX 98 (S. 51) will Verf. iv (so Rsv) vor änoglfiot &i%ovxo als
Dittographie der vorhergehenden Silbe oov streichen. An sich
kann wohl Herodot beides schreiben, aber die größere Wahr-
scheinlichkeit ist für iv. Er hat <x7iogir}Oi, ivtysc&cu I 190
und VIII 52, aber iv dnogir[Ci sxeadcu IV 131, also doch wohl
auch an der fraglichen Stelle iv neben dem Simplex €%sg&cci,
wie Rsv haben. Mit Recht dagegen verlangt er VJ1 164 vnö (so
PRsv, ano ABC) dixayocvvrig, „zumal dnö bei Bezeichnung der
inneren geistigen Ursache doch wohl erst seit Dionys nachweisbar
sein dürfte". Nicht beachtet dagegen ist (S. 44) da, wo er vom
temporalen ig o spricht, daß doch daneben auch ig ov sicher
überliefert ist. Es ist dies um so auffälliger, als doch von ig ov
JahrMbtriehte XXX. 16
242 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
bei Appian die Rede ist und dabei Krebs (Die Präpositions-
adverbien in der späteren historischen Gräzität II 8), der auch
von Herodot spricht, zitiert wird. Auch sonst vermißt man noch
zuweilen die Angabe von Varianten, doch geschieht es meist an
solchen Stellen, an denen es wenig darauf ankommt. Am meisten
vermisse ich sie (S. 38) Thuk. 1 137 iani^insi yQcifJifiaTcc ig
ßaaiXia IdQTCcSiotyv; denn ig steht in ABEF, ngög aber in CG,
a>€ endlich hat nach Bekker eine Pariser Hs. Wenn aber diese
Stelle schwindet, gibt es kein einziges sicher überliefertes Beispiel
für ig bei Personen im Singular bei Thukydides. Denn Moloeis
(III 2 ig top MoXoevva) ist auch Ortsname; vgl. Her. IX 57,
wo MoXosig als Fiußname erscheint. So bleibt aus dem ge-
samten Gebiet des Attizismus nur eine Stelle übrig, Isäus VII 14
(iX&wv elg zrjv ifirjv /u^rlga), wo man doch wohl mit Reiske a>g
einsetzen muß, wie auch bei Bürmann zu lesen ist. Im Herodot
ist Verf. die Variante in Rsv ig *An6XXcova für ig *An6XXcovog
(VI 57) entgangen. Dieser Fehler in Rsv hat mich einst auf die
Vermutung gebracht, daß II 18 in ig "Aftpcova derselbe Schreib-
fehler vorliegt. Dagegen das fast unpersönliche ig d-eov snepnov
(V 79) gebe ich zu. — In IV 113 ig rijv [xtaafißQifjv, IV 181 ig
fisaag vvxxag und IX 46 ig rjoo soll ig die ungefähre Zeitangabe
(= 7t€Qi, vnd) bezeichnen (S. 46). Am ersten könnte dies noch
an der ersten Stelle möglich sein, wo auch Stein „um die Mitte
des Tages1' übersetzt. Doch liegt an allen drei Stellen der Begriff
des Zieles zugrunde; IV 181 heißt ig ganz deutlich „bis", IX 4&
liegt das Ziel in dem im futurischen Sinne gebrauchten Präsens
yivexai. — S. 49 heißt es: „Die seltenste Bedeutung (von iv)
ist wohl „an" von der Lage an Flüssen und Meeren IV 78 olxicc
iösificcTO iv Boavad-ivei, wie iv xoXnta IX 92*'. Aber an der
ersten Stelle ist offenbar die dem Flusse gleichnamige Stadt (vgl.
Strabo S. 306) gemeint, wie schon das Fehlen des Artikels be-
weist. Der zweite Ausdruck, iv reo ^Ioviw xoXnco, dagegen ist
stehend bei Städtenamen, wie iv too IJovtw, und das noch vom
Verf. angeführte iv 'EXXtjtrnovTGi. Mit Recht tritt er daher VI 140
für die Lesart von Rsv f( iv 'EXXqanovTW gegen das in den
übrigen Hss. überlieferte i\ in* 'EXXrfGnovxw ein. — Beim tempo-
ralen Gebrauch von iv wird zugleich der bloße Dativus temporis
besprochen und damit eine Ergänzung zu den beiden Programm-
abhandlungen über den Dativ bei Herodot geliefert. — Bei in*
c. acc. im temporalen Sinne ist auch V 120 (Aaxe<fd(A€Vo* inl
nXiov rj nqovsoov htsomd-^aav aufgeführt; aber inl nXiov ge-
hört offenbar zu idadd-fiaav^ ist also nicht temporal. Dagegen
hätten VII 167 inl roaovro yäq Xiyexai eXxvCat tqv övcxadiv
und doch wohl auch IV 130 tccvtcc piv vvv inl 0[juxq6v vi
icfSQovxo xov noXifiov erwähnt werden müssen. Ungenau ist
hier auch V 94 %qovov inl avxvöv, da dies nur die Lesart der
Aldina ist, während die Hss. ini %oovov <sv%vov haben. — Für
Herodot, voo H. Kallenberg. 243
das temporale ix tovxov ist (S. 73) auch I 157 Ix xovxov d£
xsXsvGpaTog aufgeführt, wo doch in zu xslsvöpatog gehört.
Ausgelassen dagegen ist das in demselben Kapitel stehende ix
nalaiov. — S. 107 wird von ano im Sinne von nsQi xivog
beim Gegenstand der Rede gebandelt. Doch trifft dies nur für
IV 54 und 195 zu; in den drei andern Beispielen, VII 168, be-
sonders aber VII 195 und VI II 94, zeigt sich deutlich die ursprüng-
liche Bedeutung des Ausgangspunktes von einem Orte; vgl. Krüger
zu VII 168. Doch mögen diese Stellen den Übergang zu dem
absonderlichen Gebrauch in den ersten beiden Stellen bilden. —
Bei vno im temporalen Sinne ist II 36 vno xovg d-aväxovq aus-
gelassen und II 81 (muß heißen II 181) in' ixslvqv %i\v vvxxa
ist nicht beachtet, daß vno von Schäfer für das überlieferte in9
eingesetzt ist.
9) A. Fachs, Die Temporalsätze mit den Konjunktionen „bis"
und „solange als". Beiträge zur historischen Syntax der griechi-
schen Sprache, herausgegeben von M. von Schanz. Heft 14. Würz-
barg 1902, A. Stäbers Verlag. 130 S. 8. 3,60^.
Aus dem hierher gehörigen Teile (S. 66 — 80) sei folgendes
erwähnt: 1) Am ausgedehntesten ist bei Herodot der Gebrauch
von ig o. Während aber Homer nur elg o xe braucht, und zwar
nur, wenn der Inhalt des ganzen Satzes auf die Zukunft hinweist,
steht ig o bei Herodot auch bei Tatsachen und stattgehabten
Ereignissen, aber nur in der Bedeutung „bisu. 49 mal steht der
Ind. aor., 4 mal der InOnitiv (in indirekter Rede) ; 9 mal der
Konjunktiv, wobei 7 mal äv zugesetzt ist, einmal endlich der
Indikativ des Futurums (IX 58). 2) Viel seltener steht £cog, 7 mal
bedeutet es „solange als", 3 mal „bis". Einmal folgt der Infinitiv
in indirekter Rede, sonst stets der Indikativ eines Präteritums,
da immer von Tatsächlichem die Rede ist. 3) Auch saxs steht
einmal mit dem Infinitiv in indirekter Rede, sonst regelmäßig
mit äv und dem Konjunktiv im futurischen Sinn; 5 mal bedeutet
es „solange als", 3 mal „bis4'. 4) fiixQ1' ohne °" ste^1 nur
2 mal, einmal mit dem Indikativ „solange alsu, einmal mit dem
Konjunktiv ohne äv („bis") im futurischen Sinne; 6 mal dagegen
/*£#(>* ov, einmal auch p£%Qi> oaov, mit dem Indic. aor.; nur
einmal steht der Optativ, um die Wiederholung zu bezeichnen.
Einmal endlich (1 117) kommt auch ä%qi ov vor, und zwar mit dem
Konjunktiv ohne äv. Verf. ist überall in der Abhandlung bestrebt
zu zeigen, wie sich die temporalen Konjunktionen aus ursprung-
lichen Demonstrativen entwickelt haben, wobei auch auf das zu-
weilen vorkommende di im Nachsatz hingewiesen wird.
Zu IV 160 ('AgxsaiXsoog sin st o (fsvyovai, ig S iv Asvxcovi
xb xyg AißvTjg iyivsxo sntdicoxwv xal sdo%s xotat Aißvat,
im&iö&a* ol) wird bemerkt: „Für das Imperfektum iyivexo
läßt sich an dieser Stelle keine passende Rechtfertigung finden,
und deswegen durfte besser iyivsxo, der Aorist, einzusetzen sein,
16*
244 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
zumal auch im koordinierten Satze der Aorist (sSo^s) gesetzt ist**.
Das iyivszo laßt sich doch rechtfertigen, es kann eine Dauer be-
zeichnen, in die das Mdo^e hineinfällt. Endlich muß noch er-
wähnt werden, daß Verf. zu wenig auf die Oberlieferung geachtet
hat. So ist es gekommen, daß von dem in den Hss. überlieferten
ig ov für ig o gar nicht die Rede ist.
10) J. H. Lipsius, Der Schluß des Herodotiscben Werkes. Leip-
ziger Studien zur klassischen Philologie XX. Leipzig 1902. 8. 195
bis 202.
Mit von Wilamowitz und Wachsmuth hält Verf. die Gründung
des Attischen Seebundes für den beabsichtigten Schluß von Herodots
Werk. Daß das Werk nicht in abgeschlossener Gestalt vorliegt,
geht nach ihm schon allein aus den Worten xai %a%a %o
hog xovto oidev inl nXiov zovzcjv iyivsto (IX 121) hervor.
„Es kann doch nicht bestritten werden, daß, wer so schreibt,
noch nicht an das Ziel, das er sich gesteckt hat, gelangt ist,
sondern eine Weiterfuhrung seiner Darstellung in Aussicht nimmt".
Er betont dabei besonders das tovtoov, das sich auch in den
Parallelslellen findet und daselbst unverkennbar auf eine Fort-
setzung hinweise. Die 'Aaavgioi X6yoi werden, wie auch von
anderen, für ein besonderes Buch gebalten, das aber auch wirk-
lich geschrieben sei, wie aus Aristoteles Tierkunde VIII 18
S. 601 *>, wo aus Da die Lesart 'Hgodovog statt 'Haiodog auf-
zunehmen sei, hervorgebe. Denn der Ausdruck iv rjjf ditiyiJGe*
weise auf einen Historiker, nicht auf einen Dichter hin, und
Hesiod könne doch nicht gut eine Erzählung von der Belagerung
von Ninive (etwa in der 'Ogvid-Ofiapreia) gegeben haben. Zum
Schluß warnt Verf. vor der neuerdings mehrfach hervorgetretenen
Neigung, Dionysius von Milet, von dem man so wenig wisse, als
Quelle für Herodot heranzuziehen.
11) C. F. Lehmann, Babylooiens Kulturmission einst und jetzt.
Ein Wort der Ablenkung und Aufklärung zum Babel-Bibel-Streit.
Leipzig 1903, Dieterich. 88 S. 8. 1,20 JC.
Im letzten Teil der Schrift und in einem Nachtrage verteidigt
Verf. Herodot gegen unberechtigte Angriffe von seiten der Assyrio-
logen1). In erster Linie haben sich diese gegen Herodots An-
gaben über die gewaltigen Mauern Babylons gerichtet, weil von
diesen keine Spur mehr zu finden ist. Hiergegen bemerkt Verf.:
1) Die Bauart — nur die Außenseite bestand aus gebrannten
festen Ziegeln, das Innere war durch ungebrannte Ziegelsteine
ausgefüllt — begünstigte ein vollständiges Verschwinden derselben.
2) Herodots Angaben über die äußere Mauer, die zu seiner Zeit
nicht mehr bestand, da sie von Xerxes zerstört war, konnte nur
l) Wie ungerecht dieselben sein können, ist im vorigen Bericht (1902
8. 87) in der Besprechung von C. Niebnhrs Schrift „Einflüsse orientalischer
Politik auf Griechenland im 6. und 5. Jahrhundert" gezeigt worden.
Herodot, von H. Kalleoberg. 245
aus einer älteren, sehr exakten Quelle, d. h. aus Hekatäus stammen.
Zufügen möchte ich hier, daß die Übernahme aus einer älteren
Quelle es auch erklärt, wie es gekommen ist, daß Herodot eine
nicht mehr vorhandene Mauer als noch bestehend beschreibt, ob-
wohl er an einer andern Stelle von ihrer Zerstörung berichtet
Auch Ungleichheiten im Ausdruck, auf die ich in den „Studien
über den griechischen Artikel" II S. 5 (Progr. des Fr. Werder-
schen Gymnasiums, Berlin 1891) hingewiesen habe, können als
Beweis für nicht genügend verarbeitete Entlehnungen aufgefaßt
werdem 3) Die Größe der inneren Mauer nach den Angaben
des Ktesias und anderer wird durch eine Stelle Strabos bezeugt,
in der eine Umrechnung von babylonisch-persischem in ägyptisch-
ptolemäisches Maß vorliegt, die nur auf Ptolemäus L, den glaub-
würdigsten Augenzeugen in Alexanders Umgebung, zurückgehen
kann. ' „Aus all dem ergibt sich m. £. die Notwendigkeit, einmal
nach ev. Oberresten dieser äußeren Mauern noch genauer zu
forschen und sodann, selbst wenn sie spurlos verschwunden sein
sollten, zu erwägen, ob sie nicht gleichwohl einstmals existiert
haben können". — Bierauf greift Verf. noch zwei recht auffallige
Nachrichten Herodots heraus, die trotz ihres auffälligen Inhalts
ihre Bestätigung finden, die wunderlichen runden Fahrzeuge auf
dem Euphrat, zu denen eine assyrische Originaldarstellung ge-
funden ist, und den 200— 300 fältigen Ertrag des Getreides in
Babylon. Für letzteres führt er eine Mitteilung von Dr. Badde
in Tiflis an, der ihm berichtet hat, daß er in Merw einen aus
einem einzigen Getreidekorn entsprungenen Büschel von Halmen
gefunden habe, die zusammen 600 Körner enthielten.
Im Nachtrage wendet sieh Verf. ausschließlich gegen Delitzsch1
Vortrag „Im Lande des einstigen Paradieses". Es handelt sich
hierbei um die 20 monatliche Belagerung Babylons unter Darius,
die niemals stattgefunden hat, und um die merkwürdige Kranken-
behandlung in Babylon. In betreff des ersten Punktes verweist
Verf. im wesentlichen auf seinen Artikel in der WS. f. klass. Phil.
1900 S. 959 ff. „Xerxes und die Babylonieru. In betreff der
Krankenbehandlung, die Delitzsch eine törichte Folterung nennt,
weist Verf. auf Strabo XVI 1, 20 hin, wo dasselbe, nur kürzer,
nach Hekatäus berichtet wird. Dieser Brauch wird mehr in
kleineren Städten und auf dem Lande, wo es an Ärzten mangelte,
als in Babylon selbst bestanden haben. Daß die Babylonier über-
haupt keine Ärzte gehabt haben, wie Herodot zusetzt, berichtet
Strabo nicht.
In seinem früheren Aufsatze „Xerxes und die Babylonier"
(WS. f. klass. Phil., Berlin 1900 Sp. 959—965) bringt Verf. die
Aufstände der Babylonier gegen Xerxes in Verbindung mit dem
Zuge dieses Königs nach Griechenland. Nach ihm brach nach
dem ersten Besuche des Königs in Babylon, bei dem er in die
Mysterien des toten Bei eindrang und die Beseitigung der Personal-
246 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
union zwischen Assyrien und Babylonien vorbereitete, im Jahre
484 ein Aufstand aus. Ein zweiter 480, von dem er zur Zeit
der Schlacht von Salamis Nachricht erhielt. Daher der eilige
Ruckzug des Königs mit einem großen Teile des Heeres. Im
Winter oder Frühjahr 479/478 fiel Babylon nach langer Be-
lagerung, worauf die äußere Mauer geschleift wurde. Die Dauer
dieses Aufstandes (19—20 Monate) findet er bei Herodot (III 153)
in der Angabe von der 20 Monate langen Belagerung der Stadt
durch Darius.
»
12) J. ß. Bury, The epicene oracle conceroing Argos and Miletns.
Beitrage zur alten Geschichte II. Leipzig 1902. S. 14 — 25.
Für die rätselhafte Tatsache, daß die Pythia in einer an die
Argiver gerichteten Antwort zugleich auch den Milesiern, die gar
nicht gefragt haben und auch nicht anwesend sind, einen "Spruch
erteilt (Her. VI 19 und 77), hat Bury eine treffliche Lösung ge-
funden. Aristagoras von Milet wird sich bei seinem Hilfsgesuch
in Griechenland nicht auf Sparta und Athen beschränkt, sondern
sich auch noch an andere Staaten, vornehmlich aber an Argos,
gewendet haben. Bei der von Sparta drohenden Gefahr werden
nun die Argiver gefragt haben (tisqI trjg awTtjQlfjg xijg noXiog
zrjg G<psr4Qi]g), ob ihr Staat gerettet werde, wenn sie eine Truppen-
abteilung nach Milet schickten. Da das Orakel eine Bedrohung
Milets voraussetzt, könnte man meinen, es wäre kurz vor der
Schlacht bei Lade gegeben. Indes nach Plutarch (De malign.
Her. 24) wurde die Stadt schon 498 belagert, und diese Bedrohung
Milets, die die Veranlassung zum Zug der Griechen nach Sardes
gab, war die vom Orakel gemeinte. — Was die Pythia mit ihren
dunklen, an Argos gerichteten Worten gemeint hat, versucht Verf.
nicht zu deuten, wohl aber, wie die Argiver sie aufgefaßt haben.
Die auf das Orakel folgenden Worte ravva drj itavxa GvveX&ovta
ToTai ^AqyuouSi, tpoßov 7taq&%%& bezieht er auf gewisse im Orakel
angegebene Zeichen, die die Argiver als eingetreten ansahen, als
sie im Lager bei Sepeia sich befanden. 1) Die o<ptg äiXiKtog,
„die Schlange, die keine ist*', bezieht sich auf Sijnsicc (von
öT}n£g), also der Schlangenplatz war in Gefahr. 2) Am Erasinos
waren die Spartaner unter Kleomenes umgekehrt. Der männliche
Erasinos wird aber nach Her. VI 76 als ein Abfluß des weiblichen
Sees von Stymphalos betrachtet; darauf soll sich oxctv rj d"qXsia
xov ccQOsya vv%r\(5aaa i&Xdat} bezieben. Dazu paßt doch schwer-
lich vwqöaGa. Die Beziehung auf Telesilla weist er ab, indem
er diese Legende als eine späte Erfindung bezeichnet. Denn
wenn dieselbe geschichtliche Wahrheit wäre, wäre sie gewiß zu
Herodots Ohren gekommen und hätte auch in der spartanischen
Überlieferung des Feldzuges vorkommen müssen. Letzteres be-
streitet mit Recht C, F. Lehmann (Beiträge zur alten Geschichte II
S. 339). In dem an Milet gerichteten Teil des Orakels erkennt
i
Herodot, von H. Kallenberg. 247
.Verf. mit Recht Feindschaft gegen die Stadt und Fürsorge für
«las Heiligtum in Didyina. Hieraus schließt er, daß man in Delphi
wußte, daß die Priester dieses Heiligtums fürchteten, die Milesier
möchten willens sein, den ursprunglich zurückgewiesenen Vor-
schlag des Hekatäus, von den Schätzen des Heiligtums Besitz zu
^ergreifen, auszuführen, und daß sie schließlich in ihrer bedrängten
Lage Delphi in ihr Vertrauen gezogen hätten. Eine vollständige
Aufklärung dieser dunklen Geschichte hält er aber für unmöglich;
Niebuhrs phantastische Kriminalgeschichte (vgl. JB. 1902 S. 88)
weist er zurück.
13) C. F. Lehmann, Zur Geschichte und Überlieferung des ioni-
schen Aufstaodes. Beiträge zur alten Geschichte IL Leipzig
1902. S. 334—340.
Verf. erweist die Unmöglichkeit der Bemerkung Herodots
<V 113), daß der Gastfreund Solons Philokypros der Vater des
im Kampfe gegen die Perser im Jahre 498 gefallenen Aristokypros
gewesen sei. Herodot begegnete in der Tradition über den ioni-
schen Aufstand einem Philokypros von Soloi, und „ohne weitere
Untersuchung, in objektive Form kleidend, was rein subjektive
Schlußfolgerung ist, fügt er bei 'und zwar desjenigen Philokypros,
•den u. s. w.' In Wahrheit werden beide Philokyproi Großvater
und Enkel gewesen sein4'. Hierbei verweist er auf einen ganz
ahnlichen Vorgang Her. VI 127, auf den er Hermes 35, 648 auf-
merksam gemacht hat. Dort wird unter den Freiern der Agariste
•auch Leokedes, ein Sohn des Tyrannen Pheidon von Argos, er-
wähnt, der dann dem bekannten, viel älteren, mächtigen Herrscher
von Argos gleichgesetzt wird. „Herodots chronologisch ganz sinn-
lose Angabe erklärt sich sehr einfach dadurch, daß das Tatsächliche
über Pheidon, die Worte ®eidcovog 34 bis tovtov d& natg, ein
Einschub ist, den Herodot aus einer schriftlichen Quelle eingefügt
hat, in die rein novellistische, auf mündlicher Tradition beruhende
Mär von der Werbung um Agariste. Die Einfügung ist deutlich
erkennbar an dem zweimaligen de: 0eidcovog ds %ov xä [iStqcc
« . . tovtov di nalq". Auf die Form der Anknüpfung, zumal
V 113, möchte ich kein Gewicht legen; denn die ist bei Herodot
sehr beliebt (vgl. Stein zu I 64) und ist oft angewendet, wo von
einem Einschub keine Rede sein kann; in der Sache hat aber
Verf. an beiden Stellen sichtlich das Richtige getroffen. Was
aber weiter folgt über die Quelle Herodots für den ionischen Auf-
sland, ist doch nur eine Vermutung, die nicht gerade widerlegt,
aber auch nicht bewiesen werden kann. Verf. nimmt Dionysius
von Milet an, für dessen JIsqgixcc er Marathon und Darius' Tod
als Ende ansetzt, worauf dann in den xä fisxä Jaqttov die Er-
zählung etwa bis 478 fortgesetzt sei. Das soll dann auch der
Grund für Herodot gewesen sein, mit diesem Zeitpunkt zu schließen,
weil seine Hauptquelle versagt habe. Auch die Heereslisten, sowie
248 Jahresberichte d. Philoiog. Vereins.
manches, was Spätere (Ephorus) mehr als Herodot haben, wird
auf Dionysius zurückgeführt. Dagegen ist nur zu sagen, daß wir
von diesem gar zu wenig wissen. — Der Zug nach Sardes wird
nicht als unüberlegtes Abenteuer aufgefaßt, sondern mit Grote
und Bury als Diversion zur Befreiung von Milet, das zum ersten
Male schon 498 belagert wurde oder werden sollte (Plut. de
malign. Herodoti 24).
14) J. A. R. Mooro, Some observations oo the Persian wars.
II. The campaign of Xerxes. The Journal of Helleoic studies XXII-
London 1902. S. 294—332.
Den Anfang macht Verf. mit der Beantwortung der Frage,
wie Herodot zu der Gesamtziffer des persischen Heere», 1 800 000,
gekommen ist. Herodot hat in der Heeresliste 29 aQxovtes ge-
funden, aber nicht die Zahlen der ihnen unterstellten Truppen;
dazu kam als dreißigster Hydarnes, der Führer der Unsterblichen.
Aus VII! 26, IX 96 (I 189) schließt er auf 60000 Mann für die
Stärke der persischen Armeekorps, was er mit der Normalzahl
der Flotte, 600 Schiffe (IV 87, VI 9, 95), vergleicht. Über sechs
Korps standen sechs Kommandierende Generale (VII 82). Indem
nun Herodot die aQ%ovze<; eine Stufe zu hoch gestellt und zu
Kommandierenden Generalen gemacht hat, ist er zti der gewaltigen
Zahl 1800000 gekommen; in Wahrheit waren die aqxortsg
Myriarchen, wie das ja Herodot selbst von Hydarnes berichtet»
Somit bestand das persische Heer aus 360 000 Mann, von denen
60 000 Reiter waren. Aber nicht das ganze persische Heer folgte
Xerxes, sondern nur drei Armeekorps; denn 1) werden nur drei
Hipparchen erwähnt, 2) zieht das Heer in drei Divisionen dmreh
Thrakien, 3) werden nur drei besondere Kommandos erwähnt,
Mardonios, Artabazos, Tigranes. Von diesen drei Armeekorps
nimmt Xerxes nach der Schlacht von Salamis das des Tigranesv
das später bei Mykale focht, mit nach Asien, während das zweite
unter Artabazos die Verbindung in Thrakien bewachte und im
nächsten Sommer Mardonios verstärkte. Mir scheint diese Be-
rechnung, die die Stärke des in Griechenland einfallenden Heeres
demnach auf 180000 Mann angibt, recht annehmbar; sie ist der
beste Teil der Abhandlung.
Die persische Flotte schätzt er etwa 800 Schiffe stark, bei
Salamis 600; denn 1) hatte die griechische Flotte 310 Schiffe
und die persische nach Her. Vif 236 300 Schiffe mehr, 2) er-
scheinen bei Mykale nur 300, 3) wäre bei größerer Obermacht
die Strategie der Perser eine andere gewesen.
Der Schwerpunkt in der griechischen Verteidigung lag nach
Verf.s Ansicht von vornherein auf der See. Für die führende
Macht, die Spartaner, war die Hauptsache die Verteidigung des
Isthmus, die aber nicht gesichert war, solange die Perser die See
beherrschten. So kam es darauf an, für die Flotte in einem
engen Sunde eine Stellung zu suchen, in der der Feind von
Herodot, von H. Kallenberg. 249
seiner Übermacht zu einem direkten Angriffe keinen Gebrauch
machen und somit leicht verleitet werden konnte, einen Teil zu
einer Umgehung zu verwenden. Dann sollte nach Themistokles1
Plan der Angriff auf die geschwächte feindliche Flotte erfolgen,
bevor die Umgehung vollendet war. So wurde die Thermopylen-
Stellung nur gewählt, um Xerxes so lange aufzuhalten, bis es der
Flotte gelang, sich mit der feindlichen zu messen. Die Vorgänge
bei Artemision werden meist in Obereinstimmung mit ßury (vgl.
JB. 1900 S. 87) erklärt. Nur 53 Schiffe, nicht die ganze Flotte,
gehen nach dem Euripus zurück; die 200 persischen Schiffe
werden nicht von Aphetä, sondern schon von Sepias abgeschickt.
Die Meldung an die Griechen bezieht sich nicht, wie Herodot er-
zählt, auf die 10 persischen Schiffe, sondern auf diese 200. Diese
endlich — und das ist im wesentlichen das Neue bei M., — scheitern
nicht auf der Westseite Euböas, sondern schon auf der Ostseite
beim ersten Sturm. Herodot soll aber dies auf die Westseite,
nach den KotXcc, verlegt haben, weil sich dorthin der Rest unter
den Schutz der Küste gerettet hatte, aber von den 53 griechi-
schen Schiffen am Tage nach dem Sturme vernichtet wurde.
Diesen Kampf findet Verf. Her. VIII 41 in der Vernichtung der
kilikischen Schiffe, die einen Hauptteil der Umgehungsflotte ge-
bildet haben sollen, wieder. Damit sind wir in das uferlose Meer
der Vermutungen hinausgetrieben.
Den Grund daför, daß Xerxes nicht den Weg ober Trachis
das Asopustal hinaufgezogen ist, findet er darin, daß er vermut-
lich von den Lokrern besetzt war. In der Legende von der
Selbstaufopferung des Leonidas findet er drei Motive, 1) den
Wunsch, die Katastrophe durch das Orakel zu erklären, 2) den
Wunsch, die Verbündeten gegen den Tadel, Leonidas preisgegeben
zu haben, zu verteidigen, 3) Haß gegen Theben. Das Orakel ist
eine offizielle Erklärung der Niederlage und soll zur Beschwichtigung
der Gemuter dienen. Die Thebauer kamen und blieben auch
freiwillig. Leonidas endlich blieb, um der Flotte eine Schlacht
zu ermöglichen, da die Perser sie vermieden hätten, wenn der
Paß frei gewesen wäre. Der plötzliche Abstieg des Hydarnes, den
er nach der Meldung der Boten auf dem Wege nach Phokis ver-
muten mußte, schnitt ihm den Ruckzug ab.
Die persische Abteilung soll nach Delphi nicht zum Plündern
des Tempels, sondern zu seinem Schutze geschickt und vielleicht
von schwärmerischen Zeloten fiberfallen sein. — Sehr kunstlich
ist dann die Berechnung der 380 Schiffe Herodots bei Salamis.
Äschytas (v. 340) gibt 300 an und dazu noch 10 auserlesene.
Diese letzteren werden den äginetischen Schiffen, die zur Be-
wachung Äginas dienen sollten (Her. VIII 46), gleichgesetzt. Von
Herodot sind diese 10 aber zu der Gesamtzahl 310 des Äscbyhis
zugezählt, so daß daraus 320 werden. Die noch fehlenden 60
sollen die kerkyräischen Schiffe sein. Von diesen letzteren Ter-
250 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
mutet Verf., daß sie von Haus aus nicht verpflichtet waren, im
Ägäischen Meere mitzukämpfen, sondern die Süd- und Westküste
des Peloponnes decken sollten.
Aus Her. VIII 70 schließt Verf., daß nach Herodots Ansicht
die Perser am Nachmittag vor der Schlacht bereits den Griechen
gegenüber an der Küste Attikas aufgestellt waren, so daß also
zur Einschließung ihre Flügel nur herumzuschwenken brauchten
(VIII 76). Daß dies unglaublich ist und im Widerspruch mit
dem Hauptzeugen Äschylus steht, wird man Verf. gern zugeben;
doch vgl. hierüber JB. 1893 S. 305, 1900 S. 90 und 1902 S. 86.
Äschylus 366 erklärt Verf. die Worte iv axoixoig tqigIv „ranged
in three lines", fährt aber dann fort „to guard the three Channels
1) between Attica and Psyttaleia 2) between Psyttaleia and Salamis
3) between Salamis and Megarid, while other ships were be
stationed round about [the southern coaste of] Salamis to complete
the semicircle". Diese fortlaufende Linie von Schiffen auf dir
Außenseite der Insel beschränkt er auf einige Kreuzer, die zur
Verbindung der Hauptgeschwader dienen sollen. Wie sind aber
aus drei Linien auf einmal drei getrennte Geschwader geworden?
Nicht übel dagegen wird die angebliche Flucht der Korinther er-
klärt Sie sind nach der westlichen Enge abgesandt, um das dort
aufgestellte persische Geschwader aufzuhalten. Den dabei er-
wähnten Tempel der Athene Skiras ist er geneigt in der Nähe
des Klosters Pbaneromene zu suchen. Im übrigen urteilt er wie
E. Meyer, daß es nicht darauf ankam, die Griechen zum Schlagen
zu bringen, sondern die Perser, die ja ohne Schlacht vorbeifahren
konnten, zum Angriff zu bestimmen. Indem Themistokles in
seinem Briefe dem König die Überzeugung beibrachte, daß die
Griechen uneinig seien, ging dieser in die Falle.
15) W. Olsen, Die Schlacht bei Platää. Wissenschaftliche Beilage
znm Jahresbericht des Gymnasiums zu Greifswald, 1903. 16 S. 4.
Verf. wendet sich gegen zwei Behauptungen Delbrücks, 1) daß
die Perser qualitativ, nicht quantitativ überlegen waren, und
2) daß Herodots Bericht über Platää reich an Einzelheiten, aber
voller Widersprüche ist, die sich nicht entwirren lassen, und daß
man ohne Marathon nicht imstande sein würde, einen historischen
Kern herauszufinden Für die erste Behauptung führt Delbrück
eine Stelle Herodots selbst als Beweis an, IX 62 lij^avi p&v vvv
xal Qcififi ovx foaovsg r\<sav ol IlSgaat. Hiergegen bemerkt
Verf., daß sich dies nur auf die Perser selbst, nicht auf das
ganze persische Heer bezieht. Er fügt zur Erklärung dafür, daß
die Griechen trotz ihrer geringen Zahl doch Sieger blieben, den
Mangel an Ordnung auf Seiten der Perser gegenüber der besseren
taktischen Ausbildung der Griechen, vornehmlich der Spartaner,
die bessere Bewaffnung der Griechen für den Nahkampf und end-
lich ihr Bewußtsein, für die Freiheit zu kämpfen, hinzu. Das ist
Herodot, vod H. Kallenberg. 251
alles ganz richtig, wird aber auf Delbrück, wenn er es liest,
wenig Eindruck machen. Wie ich über ihn denke, habe ich JB.
1902 S. 83 ausgesprochen. — Die zweite Behauptung Delbrücks
sucht Verf. dadurch zu widerlegen, daß er eine Darstellung
der Vorgänge vor dem Kampfe und beim Kampfe selbst nach
Herodot gibt, um zu beweisen, daß man unter Ausscheidung
einiger Erzählungen, wie die vom Stellungswechsel der Spartaner
und Athener, die Vorgänge ohne Marathon sehr wohl verstehen
kann. Verf. hat ganz recht, sich gegen die Heranziehung von
Marathon zu wenden, da Delbrück unter Marathon das Schlacht-
bild versteht, das er erst geschaffen und, obwohl es wichtigen
Zügen der Überlieferung widerspricht, für zweifellos richtig hält.
Hervorzuheben ist dabei, daß Verf. Delbrücks Ansicht, daß die
Opfer durch Beeinflussung der Priester von Seiten des Pausanias
anfänglich ungünstig ausfielen, eingehend zu widerlegen sucht.
Daß aber sonst in Herodots Darstellung nicht alles klar ist, wird
wohl auch Verf. zugeben müssen. Im übrigen verweise ich auf
JB. 1900 S. 91 ff.
16) A. Hock, Herodot und sjeio Geschichtswerk. Mit eioem Titel-
bild. Gymnasial-Bibliothek. Herausgegeben von H. Hoffmaon. 37. Heft.
Gütersloh 1904, C. Bertelsmann. 144 S. 8. 1,60 Jt.
Nach einer Einleitung über die Vorgänger Herodots folgen
zwei Abschnitte über sein Leben und seine Forschungsreisen,
wobei sich Verf. mit den neuesten Forschungen wohlvertraut
zeigt. Der folgende Abschnitt, der mehr als die Hälfte das Buches
einnimmt, handelt von Herodots Werk. Verf. handelt zuerst von
dem Plan und der Entstehung des Werkes, dann von seinem
unvollendeten Zustand. Der letzte Punkt ist bekanntlich noch
eine Streitfrage; Verf. glaubt nur so viel behaupten zu dürfen,
daß Herodot wenigstens noch die Gründung des Attischen See-
bundes hat schreiben wollen. Hierauf folgt eine sehr eingehende
Inhaltsangabe des ganzen Werkes (beinahe 70 Seiten). Diese
dürfte auf den Leserkreis, für den sie berechnet ist, ermüdend
wirken. Es werden da eine Menge Einzelheiten erwähnt, die,
obwohl an und für sich interessant genug, doch den der alten
Geschichte ferner Stehenden weniger anziehend erscheinen
werden. Der vierte und letzte Abschnitt handelt von Herodots
Bedeutung als Geschichtschreiber, von seinem Charakter und
seiner Weltanschauung. Hierbei werden neben seinen glänzen-
den Seiten auch die Mängel — eine Folge seiner Unkenntnis
fremder Sprachen, des Fehlens einer festen Chronologie und des
Mangels an historischer Kritik — nicht verschwiegen. Endlich
sei noch erwähnt, daß die Darstellung des Verf.s das Buch wohl
geeignet macht, einen Platz in einer Gymnasial bibliothek, wozu
es ja bestimmt ist, einzunehmen und Begeisterung für den Schrift-
steller zu erwecken.
252 Jahresbericht« d. Philolog. Vereins.
17) Fr. Helm, Materialien zur Herodotlektäre mit Rücksicht auf
verwandte Gebiete und im Sinae des erziehenden Unterrichts. II. Teil.
Bingen 1903. 87 S. 8.
Verf. behandelt ia diesem zweiten Teil B. VIII und IX nach
denselben Grundsätzen wie die früheren Bächer im ersten (vgl.
JB. 1902 S. 93). Der historische Standpunkt tritt hier mehr
hervor, wobei es nur zu billigen ist, daß auch andere Schrift-
steller zur Erklärung herangezogen werden. So z. B. der Boten-
bericht über die Schlacht von Salamis in Äschylus' Persern oder
Plutarchs Leben desThemistokles zur Vervollständigung der Charakte-
ristik des Helden, den Herodot infolge der Abhängigkeit von seinen
Quellen in mancher Beziehung mißgünstig behandelt. Auch aus
diesem Bande wird sich der Lehrer manche Anregung holen
können, vielleicht mehr, als es sich mit dem Zweck des Unter-
richts verträgt. Bisweilen wird des Guten zu viel getan, z. B.
in den historischen Parallelen. Was soll (S. 21) der Vergleich
Artemisias mit Maria Theresia? „Wir lernen Artemisia, die kluge
und tatkräftige Fürstin von Halikarnaß, kennen. Wie Themistokles
durch Scharfblick auf griechischer Seite hervorragt, so Artemisia
auf persischer; vgl. Friedrich II. und Maria Theresia44. In einem
Schlußwort wird noch einmal zusammenfassend auf die vielseitige
Anregung hingewiesen, die Herodot, wie kaum ein anderer Schrift-
steller, als Schullektüre bieten kann. Noch vor kurzem war
Herodot an manchen Gymnasien von der Lektüre gänzlich aus-
geschlossen, und auch heute noch mag es manchen Lehrer geben,
der ans Mangel an Verständnis nur verdrossen an ihn herangeht.
In dieser Hinsicht kann Verf.s mit großer Begeisterung für seinen
Schriftsteller verfaßte Schrift recht vorteilhaft wirken.
18) C.Möller, Die Medizin im Herodot. Für Mediziner and Philologen.
Berlin 1903, Karger. 36 S. 8. 1 Jt.
Zweck der kleinen Schrift ist, die medizinischen Angaben
Herodots gesammelt vorzulegen, durch ihre Einreihung in eine
bestimmte Ordnung von der Medizin bei Herodot ein zusammen-
hängendes Bild zu geben und damit einen Beitrag zur Geschichte
der Medizin der ältesten Zeiten und zur Erklärung mancher Stellen
des Schriftstellers zu liefern.
Nach einigen wenigen Worten über die grausame Behandlung
von Kranken und alten Leuten bei einigen ßarbarenstämmen
fPadäer in Indien, Massageten), über den Mangel an eigentlichen
Ärzten bei den Babyloniern, über das Spezialistentum der ägypti-
schen Ärzte und die zwei griechischen Schulen, die krotonische
und kyrenäische, werden die einzelnen Angaben Herodots nach
folgenden Rubriken vorgelegt und besprochen: 1) Anatomie,
2) innere Krankheiten (Aussatz, Pest, Phthisis, Wassersucht,
Krämpfe bei Kindern, Epilepsie, Säuferwahnsinn, Androgynie),
3) Chirurgie, 4) Augenheilkunde, 5) Gynäkologie, 6) Heilmittel,
Herodot, voa H. Kallenberg. 253
7) Hygiene. An zwei Stellen ist Herodots Erzählung unrichtig
aufgefaßt; III 35 soll Prexaspes nach dem Herzen eines Knaben
gezielt haben (S. 7), während dies Kambyses tut, und VI 75 sollen
die Verwandten des Kleumenes diesen an einen Pfahl gebunden
haben (sdrjaccv iv %vltp), während sie doch offenbar seine Fuße
in einen Block gelegt hatten (S. 15). Erwähnt sei folgendes zur
Erklärung einzelner Stellen. Herodots Erklärung (III 13) über
die verschiedene Härte der persischen und ägyptischen Schädel
gibt Verf. nicht zu, meint vieiraehr, Herodot habe vor einem
Gräberfeld gestanden, auf dem Schädel der verschiedensten Zeiten
gesammelt waren. Die Kinnlade mit den Zähnen aus einem Stuck
(IX 83) vermag Verf. nicht zu deuten; er nimmt an, sie rühre
gar nicht von einem Menschen her. Was machen wir aber dann
mit den ähnlichen Zähnen des Pyrrhus (Plut. Pyrrh. 3) ? Die
Kahlköpfigkeit der Argippäer (IV 23) hält er für einen Irrtum,
der daraus entstanden sei, daß dieses tatarische Volk sich den
Kopf rasierte. Zu I 139 wird bemerkt, daß unter den Haus-
tauben eine Gruppe sei, die Warzentauben, deren Gesicht mit
dem eines an der Lepra erkrankten Menschen Ähnlichkeit habe.
Darum erklärt sich auch Verf. gegen Steins Annahme, daß hinter
nsQMttsQdg eine Lücke sei. Das Vorhandensein von weißen
Tauben in Mardonius' Heer (Athen. 394) will er damit erklären,
daß diese von den Persern mitgenommen seien, um die Feinde
anzustecken. Dieser aus verschiedenen Gründen recht bedenk-
lichen Erklärung ziehe ich doch die Steins vor, der diese Notiz
auf das phönikiscbe Schiffsvolk im persischen Heere bezieht. Die
Krankheit der Pheretime (IV 205) hält Verf. für Wassersucht des
Herzens und der Nieren, bei der der Körper aufgequollen er-
scheint. Durch das Liegen entstehen dann Geschwüre, in denen
bei mangelhafter PQege, besonders im heißen Klima, sich an
diesen Stellen leicht Würmer ansiedeln können. Die Enarer
(I 105) hält er für Urninge. Recht gewagt ist hierbei die Ab-
leitung dieses Wortes von der ^Aipqodlxri oigavirj, gegen die
jene Skythen gefrevelt haben sollen. Darms' Verletzung (III 129)
war nach Verf. s. Ansicht nicht nur eine Verstauchung, wie die
ägyptischen Ärzte annahmen, sondern auch ein Knöchelbruch.
Dies erkannte Demokedes und brachte dem Kranken zunächst
durch kühlende Kräuterumscbläge Linderung. Die Augenkrankheit
der Arbeiter bei Knidos (I 174), die man göttlicher Einwirkung
zuschrieb, hält Verf. für Hornhautgeschwüre, die auch heute noch
bei Steinschlägern zur Erblindung führen können. Ebenso erklärt
er auf ganz natürlichem Wege die wunderbare Erblindung des
Epizelos in der Schlacht bei Marathon (VI 117); sie ist durch
eine Augennervenentzündung, die nach Überanstrengung und Er-
hitzung eintreten kann, herbeigeführt. Die plötzliche Heilung der
Taubstummheit beim Sohne des Krösus (I 85) wird dagegen als
nichtvorkommend in das Gebiet der Sage verwiesen. Über den
254 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Bart der Priesterin der Athene in Pedasos oder Pedasa (I 175)
wird bemerkt: „Entweder war die Priesterin tatsächlich im Be-
sitze eines Bartes, den sie wachsen ließ, wenn sie es für an-
gebracht hielt, oder diese Priesterin war ein verkleideter schlauer
Priester". Diese Erklärung wurde annehmbar erscheinen, wenn
es sich nur um eine Person handelte. Dies scheint aber aus
dem Wortlaut nicht hervorzugehen.
19) A. W. Veriall, The classical review 1903.
Nach Ansicht des Verf. liegen der Anrede der Koerin an
Pausanias (IX 76) und der des spartanischen Herolds an Xerxes
(VIII 114) metrische Inschriften zugrunde, die er in folgender
Weise wiederherstellt:
IX 76: yQ ßaaiXev Sndqxctq, Xvocu p* txirw [dogiXijnrov]
dovXoövvfjg. öv yäq ig rod' ov^tsag tovady änoXtüGag,
Tovg ov& [tjqcooov], ov &€(£p bntv [ovtw'] e%ovxag.
Kwtj d' eifil yivog, d'vyaTfjQ 'HyijTogidao
^Avxayoqao9 ßii\ 6s Xccßwv Kto p bI%bv 6 ntQötjg.
VW 114:^42 ßatiiXsv Mijdcov, jtaxedaipovioi %s (fovoio
ahsvaiv (Ts dixctg ^nagTTjg ano &' ^HqaxXsldcu,
'EXXdda §v6(i£v6v a<pw oxi xtstvag ßaöiXrja.
20) E. Nestle, Zu Herodots Erklärung der Namen Darios und
Xerxes. Berl. phil. WS. 1901 Sp. 1115.
Herodot hat (VI 98), meint Verf., wohl nur griechische Wörter
gesucht, die an die persischen Namen anklingen, aq^iog zu
JaqsXog und ig^lrjg zu Xerxes. Indem er aber zugibt, daß das
folgende ^qro&qfyg piya äqrjiog beweist, daß die Überlieferung,
in der doch eq^itjg zu Jctqsiog und ävijtog zu Sigt^g gehört,
richtig ist, hebt er seine Behauptung wieder auf.
21) W. Nestle, Untersuchungen aber die philosophischen Quellen
des Euripides. Philologus Snpplementband VIII 577 ff.
Am Ende des Artikels kommt Verf. auf Anklänge an Herodot
bei Euripides. Fragm. 449 (Kresphontes) ist nach ihm aus Her.
V 4 (Sitten der Trauser) entnommen. Als bewußte Anspielungen
werden ferner betrachtet Hiket. 447 (Her. V 92), Theseus' Worte
ebenda über die Tyrannis und die Isonomie (Her. III 80), womit
noch Med. 119, Ion 621, Fragm. 76 und 605 verglichen werden.
Ferner Hiket. 410, Fragm. 8 und 362 über die gemäßigte Monarchie
(Her. III 82), Hiket. 714 (Her. VII 9), Fragm. 574 (Her. II 33),
Alk. 802 (Her. I 32). Bei den Anklängen an Solons Worte, daß
niemand vor dem Tode glücklich zu preisen sei und daß die
Gottheit neidisch sei, wird zugestanden, daß auch populäre Vor-
Stellungen zugrunde liegen können.
Herodot, von H. Kallenberg. 255
Anhang.
1) Zwei Exzerpte aus Herodot.
fn den Excerpta historica iussu Imperatoris Constantini
Porphyrogeniti confecta, ed. Boissevain, De ßoor, Büttner-Wobst
I 2 (Berlin 1903, Weidmann) S. 435 und 436 befinden sich zwei
kleine Stücke aus Herodot, V 73 und IX 4 und 5. Abgesehen
von unbedeutenden Änderungen zu Anfang der ganzen Stücke
oder in der Mitte wegen Auslassungen einzelner Sätze geben diese
Stücke unveränderte Sätze aus Herodot. Damit haben sie für
uns den Wert einer handschriftlichen Quelle, die noch dadurch
an Wert gewinnt, daß sie mindestens ebenso alt, wenn nicht
noch älter als unsere älteste Herodothandschrift (A) ist. Ein
Vergleich mit dem kritischen Apparat Steins läßt ziemlich genau
erkennen, welche Stellung die Ausgabe Herodots, aus der diese
Exzerpte genommen sind, zu den uns vorliegenden Hss. einnimmt.
Die in R(sv) stehende Namensform MovQixtöys statl MovQVxtäfjg,
ysaav (IX 5 am Ende) statt qiaav und die Akkusative Movqi-
%idsa und Avxidea (statt in -qp) hat das zweite Exzerpt nicht
und beweist damit, daß es mit jener Handschriftenklasse nichts
zu tun hat. Dagegen stellen zwei falsche Formen, die eine im
ersten, die andere im zweiten Exzerpt, die sich auch in ABC
finden, beide Stücke an die Seite dieser Hss. Es sind V 73
not y^g, wo sv (R fehlt hier, über seinen Vertreter r wird nichts
berichtet) das ebenso falsche nij yrjg haben, und IX 5 rovg
avrovg Xoyovg ovgy wo Rsv die richtige Form des Relativums
xoig haben. Nicht in Betracht kommt V 73 ßctlkofisvoi (= Absvz,
die übrigen ßaX6(jt€vot)\ denn hier steht A zusammen mit sv
gegen B und andere, d. h. Hss. derselben Klasse stehen sich
feindlich gegenüber. Die Form yiyvopsvov (IX 5) wird dem
Excerptor zuzuschreiben sein, wie auch wahrscheinlich das v
ephelkystikon in ix&Xevosv (V 73) und disnoQ&psvasv (IX 4),
vielleicht auch Sdodsig st. 2dgdig (V 73), obwohl diese Form auch in
der Hs. d steht« Von Wichtigkeit dagegen ist es, daß das erste
Exzerpt mit d allein die Namensform ^Aozcupioviig gemein hat.
Diese Schreibung findet sich einmal auch in Rsv (V 25) und ein-
mal in AB (VII 8 /?), sonst haben alle Hss. außer d lt4QTa<po£vt]g,
d dagegen hat durchweg, d. h. an 22 Stellen, 'AqTcafiQvrjg. Dem-
nach scheint das erste Exzerpt und wahrscheinlich auch das
zweite von einem der Vorfahren von d (d selbst ist im Jahre
1318 vollendet worden) entnommen zu sein. Endlich erhält in
dem zweiten Exzerpt eine Vermutung neuerer Kritiker ihre Be-
stätigung. Alle Hss. haben IX 5 töv Xoyov top G<pi Movqv%iörig
(oder MovQi%idfig) nQOtpiqsi,. Krüger und, unabhängig von ihm,
auch Cobet haben dafür TtQogqiqsi, vermutet, was auch in den
neuesten Texten Aufnahme gefunden hat. Diese Vermutung hat
nun in unserem zweiten Exzerpt ihre handschriftliche Bestätigung
256 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
erhalten. Nach Steins Stemma (Praefatio XXV) stammt d nicht
direkt von AB ab, sondern von einem Vorfahren dieser Hss.
Leider liegt für Buch IX aus dieser Hs. keine Kollation vor, da
Stein (vgl Praef. XU) nur sieben Bücher verglichen hat. Genauer
gesprochen reicht die Vergleichung bis VIII 27; von da an tritt b,
der Nachkomme von d, für diesen ein1). Es ist demnach noch
nicht ausgeschlossen, daß sich nqoacpiqsi auch in d findet. Von
den Fehlern, die b für sich allein hat, ßovlevzcov statt ßovlev-
xiwy, d€%d(A€Vog statt de^apivovq und ijöav statt iJHfccv ist
unser Exzerpt frei.
2) *Eg ov bei Herodot.
Daß ig ov neben viel häufigerem ig o in der Oberlieferung
Herodots, aus der unsere Hss. stammen, vorhanden gewesen ist,
beweisen die von Stein zu I 67 angeführten Stellen; die Varianten
mit ig 6 sind sichtlich Korrekturen. Die Frage ist nun zunächst,
ob ig ov zu erklären ist. Portus Lex. Ion. erklärt ig exelvov
top %qovov <Wt Pro <?' *v V- Unmöglich; findet sich doch
adverbiales ov (= dem deutschen „wo") überhaupt nicht im
Ionischen und auch sonst im Griechischen nicht in temporaler
Bedeutung; man mußte denn iatw ov (= sgtw ots) bei Anna
Komnena (XIV 9; XV 3 (2), 5) dafür anführen wollen. Schweig-
häuser führt zu I 67 Portus1 Erklärung an, setzt aber dann hinzu
„quidni dicamus ig in ista formula pro $cog usurpari, adeoque
regimen huius particuiae aemulari". An sich recht unwahrschein-
lich; außerdem hätte er wenigstens [ity0* statt £<*>£ sagen müssen,
da letzteres als Präposition mit dem Genitiv bis auf eine Stelle
(II 143 $cog ov, das sicher nicht herodoteisch ist) bei Herodot so
wenig wie im Attischen vorkommt. Gegen dieses ig ov hat sich
nun zuerst Struve (Quaestiones de dial. Her. spec. I S. 41 ff.)
energisch erklärt. Es findet sich dann noch in den Texten bis
auf Krüger, der es aber nur mit schweren Bedenken stehen ge-
lassen hat, dann verschwindet es. Von Stein, der es auch zuerst
beseitigt hatte, ist es aber in der kleineren kritischen Ausgabe
(1884) wiederaufgenommen und seitdem auch in der kommentierten
Ausgabe beibehalten worden. Hierbei ist er sichtlich nur durch
die handschriftliche Überlieferung beeinflußt worden; eine Er-
klärung für diese merkwürdige sprachliche Erscheinung gibt er
nicht. Es fragt sich nun weiter, ob für den Fall, daß ig ov
nicht herodoteisch ist, sich eine Erklärung dafür finden läßt, wie
es in die Überlieferung gekommen ist. Das Nächstliegende wäre,
nachzuforschen, ob etwa hiermit ein späterer Sprachgebrauch sich
eingeschlichen hat, wie man das bei 3o>£ ov (II 143) ohne weiteres
1) Allerdings findet sich auch nach VIII 27 noch gelegentlich, meiner
Beobachtung nach sechsmal, in B. VIII d erwähnt. Sind das Druckfehler
für b?
Herodot, von H. Kallenberg. 257
annehmen kann1). Nun ist aber elg (ig) o speziell ionisch. Es
findet sich vor Herodot nach Fuchs (vgl. oben S. 243) nur in der
Homerischen Formel elg 5 xe, die auch von der späteren Epik
nach diesem Muster gern gebraucht ist. Im Attischen findet sich
keine Spur von elg o in der Bedeutung „bis". In dem verein-
zelten ig o ipsfivqro (Thuk. V 66), das Helbing (Die Präpositionen
bei Herodot S. 44) anfuhrt, ist zwar ig 6 temporal, sonst aber
doch anderer Art. Aber auch bis zum Beginn der Kaiserzeit
findet sich meines Wissens keine Spur von ig o. Erst bei den
Schriftstellern, die sich wieder mit der ionischen Literatur be-
schäftigt und besonders Herodot nachgeahmt haben, taucht es
wieder auf. So vor allem bei Pausanias, der es nicht weniger
als 35 mal verwendet, aber immer nur in der Form ig o. An
drei Stellen (I 11, 5; 23, 10; 27, 11) finden sich Varianten, aber
auch unter diesen gibt es kein ig ov. Schon vor ihm hat es
Nikolaus Damascenus verwendet, Fragm. 65 zweimal (Dind. Hist.
graeci minores S. 61, 28 und 63, 30) in der Geschichte des Kyros,
die sicher aus einer in ionischer Sprache geschriebenen Quelle
stammt. Ebenso Fragm. 53 (Dind. S. 38, 2). Nicht hierher gehört
die offenbar lückenhaft überlieferte Stelle Dind. S. 24, 32 slg S
avveriXovv ol Xomoi. Außerdem im Leben des Augustus 22,
24, 25, 30. Wie es scheint, hat Nikolaus es in seinen ionischen
Quellen gefunden, beibehalten und so liebgewonnen, daß er es
zu seinem eigenen Sprachgut gemacht hat. Weiterhin finden wir
es bei Josephus Antiqu. XIV 429, XVII 78, XVIII 61 ; fraglich
bleibt XVII 196 ndvxa %6v xotipov nooxofiicavxog slg o (ov E)
GVfxnofjLnevaeie im vsxqm, wo Ernesti elg to av^noginevaai
vorschlägt. Auch bei Nikolaus und Josephus findet sich kein elg
ov. Aus der ausgedehnten Verwendung von ig o bei Pausanias,
der es doch nicht aus dem Sprachgebrauch seiner Zeit, sondern
nur aus Herodot entlehnt haben kann, könnte man versucht sein
zu folgern, daß er nur ig o, nicht auch ig ov bei Herodot ge-
lesen hat. Nun hat aber sein Zeitgenosse Appian neben ein-
maligem ig o (Illyr. 22) zweimal ig ov (Iber. 18 und 21).
Wenigstens schreibt so Mendelssohn an beiden Stellen ohne An-
gabe von Varianten; Schweighäuser schreibt beidemal ig 6 im
Text, bemerkt aber zur ersten Stelle ig ov Medic. und zur zweiten
ig ov Vat. AB. Krebs (Präpositionsadverbien S. 15) hat noch
eine vierte Stelle, Punic. 117 ig o riy per ezeqovg neoiinefine,
zrj d' avTÖg . . ißddi&, wo doch ig 6 lokal ist und sich auf das
l) Stein streicht den Satz mit %ws ov als unecht. Krebs (Präpositions-
adverbien S. 15) will e<os ov bei Appian (Proöm. 12) als Nachahmung
Herodots hinstellen. Und doch sagt er selbst kurz vorher, daß tcug c. gen.
sich zuerst bei Aristoteles und Theophrast, die den Übergang zur Kowr\
hilden, finde. "Etog ov haben vor allem Polybius, dann Dionys, Josephus,
die Septuaginta und das Neue Testament, vereinzelt Pausanias (X 33, 3),
Parthenius, Ghariton (Plut. Institut. Lac. 240 A.).
Jahresberichte XXX. 17
258 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
vorhergehende %t&qiov bezieht. Gehört nun ig ov Appian an,
so wird man im Gegensatz zu Pausanias aus ihm schließen müssen,
daß er es aus seinem Herodot entnommen hat. Die späteren
Schriftsteller kennen das temporale ig o nicht. Vielleicht steht
es bei Prokop 324 C (ig rode . . ig ovov atpstiqq iniswelq
if)vla£oa<Si %6 Tijg jtqeaßeiag ätycopa), wo Maltretus ig 6 tjj
geschrieben hat. Wie es scheint, mit Recht; denn der Artikel
Ttj ist notwendig. Das wäre dann eine Reminiszenz aus Herodot,
wie sich dergleichen bei Prokop auch sonst findet. Endlich steht
Zosimus I 43 ig a Sfj TQtaxMovg anoßaXovtsg . . xoXg letno-
pevotg 7zqoq %r\v ovaav apa tw ßuatXeX dtrjycovl^ovro dvva(j,iv.
Hier vermutet Bekker Iwg; näher liegt vielleicht ig o. Vereinzelt
findet sich bei Späteren eig (ig) oaov in der Bedeutung „solange
als", wobei es zweifelhaft ist, ob man oaov als Neutrum zu fassen
hat oder ob %oovov zu ergänzen ist. Xenophon Eph. hat V 4
eig oaov amy falyast, und daneben II 13 eig oaov av xqovov.
Sonst ist mir slg oaov im temporalen Sinne noch Lucian Gallus 28,
Pisc. 36, Appian b. civ. I 99, V 72 und 109, Herodian II 11, 4,
IV 15, 3, VI 5, 10 und VII 3, 4 aufgestoßen. Ob die Byzantiner
nach Prokop und Agathias das temporale eig o haben, weiß ich
nicht, glaube es aber kaum; nur von Anna Komnena weiß ich,
daß sie es nicht hat. Damit glaube ich erwiesen zu haben, daß
ig o nur ionisch gewesen ist und in der späteren Zeit nur in
Nachahmung des Ionischen oder als einzelne Reminiszenz vor-
gekommen ist; zugleich ist aber auch erwiesen, daß ig ov durch
Einwirkung eines späteren Sprachgebrauchs nicht in den Text
Herodots gekommen ist. Die Sache wird endlich noch dadurch
verwickelter, daß wir nicht genau wissen, ob Herodot ig ov und
ig 6 in der Schrift überhaupt getrennt hat. Vereinzelt ist ja
schon vor Herodot der unreine Diphthong ov ebenso wie der
reine geschrieben. Das älteste Beispiel findet sich auf einer In-
schrift von Teos (Bechtel N. 156), die man etwa in das Jahr 475
setzt. Hier steht ßaoßdqovg, aber daneben wird ebenda der
Genitiv der O-Deklination immer mit einfachem 0 geschrieben,
und im allgemeinen scheint doch um die Mitte des fünften Jahr-
hunderts und weit darüber hinaus dieser Genitiv in derselben
Weise geschrieben zu sein. Dann hat aber Herodot, wenn er
der gewöhnlichen Schreibweise seiner Zeit gefolgt ist, zwischen 6
und ov in der Schrift keinen Unterschied gemacht, und die
Trennung zwischen ig o und ig ov ist erst nach Herodot, aber
vor Appian, in seinen Text gekommen. Sollte sich bei der Um-
formung der Schreibweise auf irgend eine, für uns freilich nicht
erklärliche Weise das ov eingeschlichen haben? An ein echtes
ig ov kann ich nicht glauben.
Berlin. H. Kallenberg.
5.
Archäologie.
1) W. Dörpfeld, Troja und Ilioo, Ergebnisse der Ausgrabungen in den
vorhistorischen und historischen Schichten von llion 1870 — 1894,
unter Mitwirkung von Alfred Brückner, Haus v. Fritze, Alfred Götze,
Hubert Schmidt, Wilhelm Wilberg, Hermann Wionefeld. Mit 471 Ab-
bildungen im Text, 68 Beilagen, 8 Tafeln. Athen 1902, Beck & Barth.
2 Bande. (XVIII u. 652 S.) gr. 4. geb. 40 JC.
Das Werk zerfällt in 11 Abschnitte, deren erster die Ge-
schichte der Ausgrabungen gibt, während der zweite die Bauwerke
der verschiedenen Schichten schildert; beide röhren von W. Dörp-
feld her. Die Keramik der verschiedenen Schichten wird von
H. Schmidt, die Kleingeräte aus Metall und anderen Stoffen von
A. Götze, die Bildwerke aus Marmor und Ton von H. Winnefeld
behandelt. Der sechste Abschnitt, die Inschriften, hat A. Brückner,
der siebente, die Münzen, H. v. Fritze zum Verfasser; die Gräber
und Grabhügel dagegen sind von H. Winnefeld beschrieben. Der
neunte Abschnitt, die Geschichte von Troja und llion enthaltend,
ist von A. Brückner, der zehnte, das homerische Troja, wieder
von W. Dörpfeld geschrieben. Den Schluß bildet ein Verzeichnis
von Photographien der Buinen und Funde von Troja und llion.
Bevor ich auf den Inhalt der Bücher näher eingehe und auf
die Frage : Ist auf dem Hügel Hissarlik das homerische Troja ge-
funden? eine Antwort zu erteilen versuche, wird es nötig sein,
kurz uns die Geschichte der Ausgrabungen ins Gedächtnis zurück-
zurufen. Schliemann ist nicht der erste, der den Hügel Hissarlik,
die Stätte, wo sicherlich Uium novum gelegen hatte, den Aus-
läufer einer von Ost nach West streichenden Bergkette von geringer
Erhebung, für Troja in Anspruch genommen hat. Darin hat er
Vorgänger gehabt; aber er ist jedenfalls derjenige gewesen,
der, im Gegensatz zu Moltke, Gurtius und andern, die sich für
den strategisch wichtigeren Hügel Bunarbaschi entschieden hatten,
gleich bei seinem ersten Besuche sich mit aller Bestimmtheit für
diese Stelle ausgesprochen und erkannt hat, daß ihre Lage in der
Skamandrosebene und ihre geringe Entfernung (5 km) von dem
17*
260 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
zwischen den Vorgebirgen Sigeion und Rhoiteion anzusetzenden
Lager der Griechen, die ein mehrmaliges Hin- und Herwogen des
Kampfes zwischen Stadt und Lager an demselben Tage als möglich
erscheinen läßt, in ganz anderer Weise der Dichtung entspricht,
als dies bei dem über 13 km entfernten, auf steilem, von drei
Seiten unzugänglichem Felsen gelegenen Bunarbaschi der Fall ist.
Deshalb setzte er sofort auf Hissarlik seinen Spaten ein und grub,
unbekümmert um die Reste aus späterem Altertum, bis in die
untersten Lagen hinein, in denen seiner Meinung nach das
homerische Troja zu suchen war. Daß dabei viele antike Reste,
deren Erhaltung für die Altertumswissenschaft äußerst wertvoll
gewesen wäre, zerstört worden sind, ist zu bedauern, anderseits
freilich kann und muß man sich mit dem Gedanken trösten, daß
bei anderem Vorgehen wahrscheinlich keine Spur von den in
größerer Tiefe verborgenen Bauwerken ans Licht gekommen wäre.
Den Vorwurf kann man allerdings nicht zurückhalten, daß Schlie-
mann in der ersten Zeit ganz allein, ohne jede Beihilfe eines
sachverständigen Architekten oder Archäologen, vorgegangen ist;
hätte er sich eine derartige Hilfskraft beigesellt, so wurde es einer-
seits möglich gewesen sein, von den vielen jetzt zerstörten Resten
genaue Aufnahmen zu erhalten und sie dadurch für die Wissen-
schaft zu retten, anderseits würden ihm viel Ärger und viele An-
griffe wegen unklarer Berichterstattung erspart worden sein. Seit-
dem Prof. Dörpfeld, der erste Sekretär des Deutschen archäologi-
schen Instituts in Athen, als treuer Berater und Mithelfer ihm zur
Seite gestanden hatte (1882), seitdem war natürlich auch die
Berichterstattung eine andere, klarere und zuverlässigere geworden,
bei der die Mitteilung der Tatsachen und die Folgerungen, die
daraus zu ziehen waren, schärfer, als es früher der Fall war, aus-
einander gehalten wurden.
Nur einem Manne gegenüber hat auch das Eintreten Dörpfeld»
keine Änderung in der Beurteilung der Schliemannschen Aus-
grabungen gebracht: das war der Hauptmann a. D. E. Bötticher,
der im Jahre 1 884 die Behauptung aufstellte, daß die auf Hissarlik
gefundenen Ruinen nicht die einer alten Stadt seien, sondern daß
der ganze Hügel erst künstlich infolge von Bestattungen allmählich
aufgeschüttet sei. Um den Streit, der lange in den Blättern und
Zeitschriften getobt hatte, zu Ende zu bringen, lud Schliemann
1889 den Hauptmann Bötticher und unparteiische Zeugen nach
Hissarlik ein; aber auch angesichts des Tatbestandes glaubte
Bötticher seine Behauptungen aufrecbthalten zu müssen, obwohl
die Sachverständigen und eine im März 1890 zusammentretende
Reihe von Gelehrten aus den verschiedensten Ländern sich voll-
ständig auf Schliemanns und Dörpfelds Seite stellten, indem sie
in den vorhandenen Anlagen die Reste von Befestigungen, Häusern
u. s. w. erkannten und die Nekropolentheorie zurückwiesen. Um
den Widerspruch E. Böttichers ein für allemal zu beseitigen, blieb
\
Archäologie, von R. Engelmann. 261
deshalb nur ein Mittel übrig, die Ausgrabungen wieder aufzu-
nehmen und dadurch für jeden, der Augen hat, zu sehen, und
Ohren, zu hören, die Sache klarzulegen, und dazu ließ sich
Schliemann gern bereit finden. Aber leider war es dem verdienten
Mann nicht beschieden, die Sache zu Ende zu führen. Nachdem
er 1890 wieder die Ausgrabungen aufgenommen und für das
nächste Jahr alle Vorbereitungen getroffen hatte, da trat plötzlich
auf der Heimreise nach Griechenland der Tod an den eifrigen
Mann heran und nahm ihm, so könnte man sagen, den Spaten
aus der Hand. Am 26. Dezember des Jahres 1890 starb Schlie-
mann in Neapel infolge eines sich plötzlich entwickelnden Ohren-
leidens. An seine Stelle trat seine Gattin, die erklärte, es als
ein heiliges Vermächtnis ihres Gatten zu betrachten, die Aus-
grabungen in Troja in seinem Sinne zum Abschluß zu bringen.
Die Ausführung dieses Versprechens hat sich durch die Cholera,
die 1892 ausgebrochen war, bis 1893 verzögert; in diesem Jahre
ist sie aber nicht bloß in der geplanten Weise, sondern dadurch,
daß das preußische Kultusministerium auf seine Kosten eine Reihe
von Mitarbeitern stellte und auch im folgenden Jahre, 1894, reich-
liche Nachforschungen anstellen ließ, weit über das ursprünglich
gesteckte Ziel hinaus ausgeführt worden. Wer heute die Ruinen,
die gewaltigen, mit großer Kunst ausgeführten Mauern, die Haus-
und Brunnenanlagen betrachtet, wird es als unverständlich be-
zeichnen, daß jemals den Einwürfen des Nekropolen-Böttichers
irgend ein Schwergewicht beigelegt worden ist. Aber eigentlich
ist man ihm doch zu Danke verpflichtet; denn wenn er nicht
diese heute allgemein als nichtig anerkannten Einwände erhoben
hätte, würde die Ausgrabung auf dem Hügel Hissarlik schwerlich
so weit geführt worden sein, wie sie jetzt in Wirklichkeit geführt
ist. Ich will hier noch bemerken, daß das von Major Steffen
geschriebene Protokollbuch über die in Troja zwischen Schliemann
und Dörpfeld einerseits und Bötticher anderseits geführten Unter-
handlungen, deren Veröffentlichung nachträglich von Bötticher als
unrichtig angegriffen wurde, von mir nach dem Tode Steffens der
Königlichen Bibliothek in Berlin überwiesen worden ist, damit
jeder bequem die Möglichkeit hat, sich davon zu überzeugen, daß,
abgesehen von einigen nur stilistischen Änderungen, die von
Niemann veranlaßte Veröffentlichung genau mit der Urschrift über-
einstimmt. Heute wird dies allerdings wohl kaum noch bestritten
werden, nachdem durch die Ausgrabungen von 1893 und 1894
solche hervorragenden Reste an das Tageslicht gefördert und da-
mit alle Einwände Böttichers als nichtig abgetan worden sind.
Allerdings nach einer Seite hin hat die trojanische Frage
jetzt ein ganz anderes Gesicht bekommen. Während Schliemann
zuerst die dritte Schicht von unten und dann, von Dörpfeld darauf
aufmerksam gemacht, daß die scheinbaren Brandspuren nicht der
dritten, sondern der zweiten Schicht angehörten, die zweite Schicht
262 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
von unten als diejenige ansah, die das von den Griechen eroberte
und verbrannte Mos enthielte, hat sich bei den Ausgrabungen
der Jahre 1893 und 1894 herausgestellt, daß die sechste Schicht
von unten als das homerische Troja zu bezeichnen ist, ein Um-
stand, der natürlich bewirkt, daß die vorausgehenden Lagen 1—5
einer weit älteren Zeit zugeschrieben werden müssen. Eine der-
artige Veränderung in den Ansichten, ein solches Schwanken
zwischen der mit aller Energie auf das homerische Trojä bezogenen
zweiten Schicht und der hoch darüber liegenden sechsten Schicht
ist natürlich zunächst auffällig und mag manchen Leser zu Zweifeln
an der Richtigkeit der Ansichten bewogen haben ; aber wenn man
die Fundumstände ins Auge faßt, wird jedem die Sache begreiflieb
und die aufgestellte Ansicht richtig erscheinen. Hören wir des-
halb, wie man zu dieser Sinnesänderung gekommen ist!
Da Schliemann in Mykenä dicht bei dem Tore die sogenannten
Königsgräber gefunden hatte, glaubte er auch in Troja neben der
mit Steinplatten belegten Rampe, die er für den Hauptaufgang
zur Rurg hielt, die gesuchten Gräber finden zu können. Er ließ
deshalb schon 1890 ein großes Stück der von dem Südwesttor
noch unangerührt stehenden Schuttmassen von oben herab all-
mählich abtragen, in der stillen Hoffnung, unten tief im Felsen
alte Gräber (möglichst natürlich mit reichem Goldschmuck, wie in
Mykenä) zu finden. Auf diese stieß man allerdings nicht, aber
man fand sieben nach der Zeit der zweiten Schicht dort über-
einander erbaute Lagen von Bauwerken, von denen die mittelste
zahlreiche Vasenscherben des mykenischen Stils enthielt, während
die darüber folgenden die wohlbekannten griechischen Topfscherben
von der archaischen bis zur hellenistischen Periode und in der
obersten Lage römisches Rauwerk und römische Einzelfunde auf-
wiesen. Die schon damals nahe liegende Reziehung der sechsten
Schicht mit den mykenischen Vasen auf die homerische Pergamos
war deshalb nicht möglich, weil vorläufig nicht feststand, daß zu
der entsprechenden Schicht überhaupt eine Burg- oder Stadt-
anlage gehörte, da Schliemann ausdrücklich versicherte, daß er in
dieser Schicht keine Bauwerke gefunden habe, und eine zu diesen
Rauten gehörige Burgmauer bis dahin nicht entdeckt war. Bei
den neuen Ausgrabungen des Jahres 1893 und noch mehr bei
der Schlußuntersuchung des Jahres 1894 hat sich der Grund für
diese Tatsache deutlich erkennen lassen. Die ältesten Anlagen
auf dem Hügel hatten nur einen kleinen Umfang gehabt; durch
die Schuttmassen der zerstörten Häuser und Rurgmauern war der
Hügel aber allmählich größer geworden; dadurch entstand im all-
gemeinen eine terrassenförmige Anlage, bei der die Mitte am
höchsten emporragte, die Teile in der Höhe der Umfassungsmauern
dagegen auf etwas tieferen Terrassen lagen. Als die sechste Rurg
zerstört war, bekam der Hügel wieder die abgerundete Form, die
er früher gehabt hatte; aber darin wurde bei den Anlagen der
\
Archäologie, von R. Eogelmann. 263
hellenistischen oder hesser der römischen Zeit eine grundliche
Umänderung bewirkt: als es galt, die Burg zu einer Akropolis
der neuen Stadt und zu einem prächtigen Heiligtume der Athene
umzubauen, da wurde der ganze Hügel in der Weise geebnet, daß
der höhere mittlere Teil abgetragen und die Erdmassen zum Auf-
höhen der Ränder und damit zur Verbreiterung der Burgterrasse
benutzt wurden. Auf diese Weise wurden in der Mitte nicht nur
die Häuser der siebenten und achten Schicht, sondern auch die
stattlichen Bauwerke der mykenischen Epoche zerstört, während
in der Nähe der Burgmauern, also außerhalb der Mitte, diese
Bauten in ihren Resten erhalten blieben. Daher findet man in
der Mitte der Burg, unmittelbar unter den römischen Bauten, die
Reste der fünften Schicht, während näher dem Rande zu noch
die Mauern der mykenischen Schicht teilweise bis zu ganz statt-
licher Höhe erhalten sind; ganz nahe der Burgmauer kommen
dazu noch die Häuser der siebenten und achten Schicht. Be-
trachten wir nun die Reste der sechsten Schicht, in der das
eigentliche homerische Troja zu sehen ist, so erblickt man dort
wohlerhaltene Reste einer stattlichen Ringmauer, dazu großartig
angelegte Tore, und innerhalb eine große Zahl von Gebäuden,
die meist gleichen Grundriß verraten. An eine durch das Vor-
springen der Mauer gebildete Vorhalle schließt sich ein offener
Saal an, hinter dem mitunter ein zweiter Saal vorauszusetzen ist.
Sie ähneln also dem Megaron von Tiryns und Mykenä in hohem
Maße, sind aber in ihren Raumverhältnissen ebenso wie in ihrer
Bauweise bei weitem den erwähnten Bauwerken überlegen; während
z. ß. in Tiryns der größte Saal nur 116 qm, in Mykenä 149 qm
mißt, hat man in Troja Säle von 175 qm gefunden, und dabei
fehlen noch die Hauptbauten der Mitte, wo man noch größere
Verhältnisse voraussetzen darf. Auch sind sie besser und sorg-
faltiger erbaut; in Tiryns und Mykenä bestehen die Wände aus
wenig bearbeiteten Steinen mit Lehmmörtel oder aus Lehmziegeln
und vereinzelten Hausteinen, während in Troja nur die Fundamente
aus rohen Steinen, die aufgehenden Wände aber aus ziemlich gut,
mitunter sogar sehr gut bearbeiteten Steinen hergestellt sind.
Die große Zahl der in der sechsten Schicht mit gleichem
Grundriß aufgefundenen Gebäude zwingt zu der Annahme, daß
es sich hier nicht um Tempel, deren Anlage sonst ganz ähnlich
ist, sondern um Wohnhäuser handelt, die je aus einem ge-
schlossenen Zimmer mit einer Vorhalle bestanden; wie es scheint,
waren die Wohnungen in konzentrischen Kreisen um den höher
gelegenen Mittelpunkt herumgelegt, der seinerseits den eigentlichen
Königspalast und, wenn man die Beschreibung des homerischen
Troja zugrunde legen darf, einige Tempel enthielt.
Eine ganz besondere Wichtigkeit kommt der neu aufgefundenen
Burgmauer zu; es ist ein wirklich stattliches Bauwerk von teil-
weise 5 m Dicke, aus flachen, sauber bearbeiteten Steinen, mit
264 Jahresberichte d. Philolog. Vereius.
s.tarken Böschungen der Außenseite und in einzelnen hintereinander
zurücktretenden Streifen errichtet; über die ursprungliche Höhe
läßt sich naturlich nichts sagen ; wegen ihrer großen Dicke und
ihrer soliden Bauweise darf diese Mauer als eine der stärksten
Festungsmauern bezeichnet werden, die diesseit und jenseit des
Ägäischen Meeres erbaut worden sind. Leider ist die Mauer an
der Nordseite und Nord Westseite der Burg völlig zerstört; das
stimmt zu der von Sirabo überlieferten Nachricht, daß Archäanax
von Mitylene mit den Steinen von Troja die Mauern der Stadt
Sigeion erbaut habe. Sigeion lag nordwestlich von Bios, unweit
des heutigen Forts Kum Kaleh, also an einer Steile, für welche
die jetzt fehlenden Mauerstucke sich bequem zur neuen Ver-
wendung darboten.
Eine besondere Hervorhebung in der Stadtmauer verdient der
große Nordostturm, der die Stelle zu schützen hatte, wo die
Burgmauer von dem Plateau, auf dem die Burg und Stadt liegt,
zur Simoeisebene sich hinabwendet. Die Arbeit ist so ausgezeichnet,
daß die Entdecker erst gar nicht wagten, dem Turm ein so hohes
Alter zuzuschreiben, bis die vollständige Übereinstimmung seiner
Bauart mit derjenigen der Gebäude im Innern der Burg und die
Überbauung, die an dem Turme in griechischer und römischer
Zeit offenbar vorgenommen worden ist, dazu führten, den Turm
den Bauten der sechsten Schicht als gleichzeitig anzunehmen.
Solange die Trümmer der zweiten Schicht von unten auf
das homerische Troja gedeutet wurden, habe ich immer und
immer mit Entschiedenheit hervorgehoben, daß diese Reste unter
einer tiefen Schuttschicht begraben sein mußten, als Homer seine
Gedichte verfaßte, daß er also von ihnen keine Kenntnis haben
und infolgedessen sie auch nicht in seinen Gedichten berück-
sichtigen konnte. Das ist heute, wo nicht mehr die zweite,
sondern wo die sechste Schicht von unten für das Ilios Homers
in Anspruch genommen wird, entschieden anders; man kann zu-
geben, daß zwischen dem durch die Ausgrabungen nachgewiesenen
Befund und den Schilderungen der homerischen Gedichte eine
größere Übereinstimmung stattfindet, als man früher anzunehmen
geneigt war; die Lage der Stadt sowohl, wie sie für die sechste
Schicht anzunehmen ist (sie stieg nach der Mitte terrassenförmig
an bis zu dem höchsten Funkt, der von den Tempeln der Götter
und dem Palast des Königs eingenommen war), als auch die Bau-
weise aus behauenen Steinen (gsOTOto li&oto) stimmen bei dem
Dichter und den Funden wohl überein; auch die große Zahl
Einzelhäuser, die gefunden sind, lassen eine gewisse Überein-
stimmung erkennen. Es wäre also immerhin möglich, daß Homer
noch Reste der Ruinen gesehen hat, so daß er bei der Abfassung
seiner Gedichte sich einigermaßen an die Wirklichkeit anschließen
konnte. Das war aber bei der zweiten Schicht nicht der Fall;
bei dieser lehrte der Augenschein, daß sie zu Homers Zeiten tief
Archäologie, vou R. Engelmann. 265
unter dem Schutte der nachfolgenden Ansiedelungen verborgen
sein mußte. Auch daß Teile der Ringmauer abgetragen und in
Sigeion zum Mauerbau benutzt werden konnten, läßt deutlich
erkennen, daß auch einige Jahrhunderte nach der Zerstörung
durch die Griechen wenigstens die Burgmauern noch sichtbar
waren.
Daß also zu der Zeit, wo Mykenä blühte und wo von der,
wenn auch sagenhaften Geschichte der Troische Krieg angesetzt
wird, an der Stelle, wo nachher llium novum angelegt wurde,
eine Königsburg mit stattlichen Festungsmauern und zahlreichen
Wohnsitzen bestand, die durch ein gewaltsames Ereignis zerstört
und mit aller Bedachtsamkeit bis in das einzelnste ausgeraubt
wurde, das ist durch die Ausgrabungen jetzt unstreitig bewiesen;
auch das ist sicher, daß diese Burg auf eine lange Vorgeschichte
allmählicher Entwickelung zurückblickte, der es an zahlreichen
gewaltsamen Umwälzungen nicht gefehlt hat, und auch das steht
fest, daß nach der Vernichtung, die innerhalb der mykenischen
Zeit (also der sechsten Schicht) erfolgte, der Hügel wiederholt von
Ansiedlungen besetzt worden ist, deren vorletzte und letzte ohne
Zweifel für sich den Ruhm in Anspruch nahm, das von Homer
gefeierte Ilios zu sein, und mit seinen Heiligtümern so sehr an-
erkannt und gefeiert wurde, daß es als Mittelpunkt einer weit
verbreiteten Festgenossenschaft betrachtet wurde. Nimmt man
ferner dazu, daß diese Burg durch ihre geographische Lage den
Anforderungen, die man nach der homerischen Dichtung an die
Lage von Troja stellen muß, auf das vollkommenste entspricht,
sowohl was die Lage zu den Flüssen Skamandros und Simoeis,
als auch was die Lage zu dem zwischen Sigeion und Rhoiteion
anzusetzenden griechischen Lager betrifft, so kann man infolge
des Zusammentreffens aller dieser verschiedenen Umstände gar
nicht umhin, zuzugestehen, daß die Behauptung Schliemanns und
seiner Mitarbeiter, das wirkliche homerische Troja gefunden zu
haben, auf Wahrheit beruht, ja man kann noch weiter gehen und
ihnen beistimmen, wenn sie den Trojanischen Krieg als eine wirk-
liche geschichtliche Tatsache erweisen wollen.
Aber diese Übereinstimmung der Tatsachen, wie sie aus den
Ausgrabungsfunden hervorgehen, mit der homerischen Dichtung
ist doch nur eine bedingte. Vor allem in bezug auf die Größe.
Jedesmal wenn heute ein Forscher aus Kieinasien zurückkommt,
der die Ruinen von Troja gesehen hat, äußert er sich verwundert
über die Kleinheit der Verhältnisse. Auch bei Homer scheint ja
die troische Mannschaft weit an Zahl hinter der griechischen
zurückzustehen. Die griechischen Schiffe sind in runder Zahl
1100; davon ist ein Teil mit je 50, der andere, größere, mit je
120 Mann bemannt, so daß man als griechische Kriegsmacht die
Zahl 100000 sicher nennen darf. Dagegen ist die Zahl der
troischen Krieger weit kleiner:
266 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Wenn die Achaier sich in Abteilungen zu je zehn teilten und
je einen Troer als Weinschenken wählten, dann würden viele
Abteilungen des Weinsebenken entbehren, das heißt, die Griechen
sind mehr als zehnmal so stark wie die Troer (IL II 123). Immer-
hin wird man bei dieser Berechnung auf 10 000 kriegstüchtige
Troer schließen müssen, was eine Bewohnerschaft von mindestens
50 — 60000 Mann voraussetzen läßt. Aber die Burgruinen der
sechsten Ansiedelung enthalten einen Raum von ungefähr 20000 qm,
das ist also ein Raum, der kaum größer ist als der sogen. Lust-
garten in Berlin vor dem Schloß. Daß ein derartiger Raum, der
von einstöckigen Häusern besetzt ist und noch Raum für Straßen
und Plätze enthält, nicht imstande ist eine Bevölkerung von gegen
50 000 Mann aufzunehmen, bedarf weiter keiner Ausführung. Also
würde ohne weiteres bei der homerischen Dichtung eine gewaltige
Reduktion vorzunehmen sein. Wenn aber einmal die Verhältnisse,
um aus der homerischen Dichtung auf die Wirklichkeit zurück-
geführt zu werden, eine mindestens fünfzigfache Reduktion sich
gefallen lassen müssen, wohin kommen wir da mit der homeri-
schen Dichtung? Schließlich bleibt nichts übrig als ein kleiner
Krieg, eine Rauferei von unbedeutenden Verhältnissen, die nur
durch die homerische Dichtung zu der Bedeutung emporgewachsen
ist, die sie jetzt in aller Augen einnimmt, die aber ursprünglich
zu denen gehörte, Von denen Horaz sagt (nach Bardt):
„Denn manchen Krieg schon weckte Fleischeslust,
Eh Paris noch von Helena gewußt,
Doch sanglos war der Tod in solcher Schlacht;
Wem unstet schnöde Brunst den Mut entfacht,
Der sank durchbohrt vom Stärkeren zur Erde,
Ruhmlos verendend wie der Stier der Herde."
Mit einem solchen Resultat sind allerdings die Verfasser des
vorliegenden Buches, vor allem Dr. Brückner, nicht einverstanden.
Brückner nimmt an, daß nach der Zerstörung von Troja die
Achaier als Eroberer oder Zerstörer die Burg, vor allen Dingen
den Tempel der Athena, festgehalten und den Kultus weiter ge-
führt haben. Dafür findet er den Beweis besonders in der Über-
lieferung, daß die Lokrer der Göttin Dienerinnen geschickt haben,
die, wenn bei der Landung oder dem Eindringen in die Stadt
ergriffen, getötet wurden, während sie, wenn sie unbemerkt bis
zum Tempel der Athena gelangt waren, dort als Dienerinnen, die
den Tempel säuberten, selbst aber nie der Göttin vor Augen
kommen durften, behalten wurden. Brückner meint, daß Aias
schwerlich ursprünglich ein Feind der Athena gewesen sei, als
welcher er doch bei Homer erscheint, sondern daß „der Vater
des Aias, Oileus oder Ileus, mit dem Stifter des Palladions, Hos,
wohl zusammengehört, welcher letztere danach erst der weiteren
Entwickelung der Ilias seine Entstehung verdanken würde, als
man die Ilische Athena als Stadtgöttin in die versunkene troische
Archäologie, vou R. Engelmaiin. 267
Königstadt hine inprojizierte'4. Er meiot also, nach der Zerstörung
Trojas sei der Besitz des Hügels an die Griechen, speziell die
Lokrer, übergegangen; ein Nationalheld dieser, namens Ileus, der
Vater des Aias, habe dann die Veranlassung gegeben, der Stadt
Troja den zweiten Namen, unter dem sie bei Homer bekannt ist,
Ilios, zu geben; von dem Ileus sei auch der Kult der Atbena ein-
geführt, die demnach als Iiische Athena verehrt wurde. Diese
Vermutungen werden ja als Vermutungen, denen vorläufig nur
bedingter Wert zukommt, bezeichnet, wir brauchen deshalb auch
vorläufig keinen Kriegszug dagegen zu eröffnen, aber anders steht
es mit der Behauptung, daß der Kult der lüschen Athena und
die Verpflichtung der Lokrer, der Göttin Dienerinnen zu schicken,
Bestand gehabt habe. Hier muß ich etwas weiter ausholen.
Nach der gewöhnlichen Erzählung hat der jüngere Aias, der
Lokrer, sich gegen die Göttin Athena vergangen, insofern er die
Kassandra, die wunderschöne Tochter des Priamos, die sich in
den Tempel der Athena bei der Einnahme der Stadt durch die
Griechen geflüchtet hatte, von dem Bilde wegriß, um sie als
Sklavin fortzuführen. Da die Jungfrau das Bild der Göttin fest
umklammert hatte, wurde bei der Gewalt, die Aias brauchte, das
Götterbild umgerissen. Wie es weiter heißt, wurde Aias von den
Griechen, welche die Verletzung des Götterbildes nicht dulden
durften, um nicht selbst dadurch Schaden zu erleiden, beinahe
gesteinigt; er reinigte sich aber durch den Eid, durch den er
beschwor, daß er sich nicht an der Jungfrau vergangen habe; bei
der Rückkehr nach Griechenland fand er aber infolge seiner Gott-
losigkeit, weil er sich rühmte, auch gegen den Willen der Gott-
heit zu entkommen, durch den Unwillen des Poseidon, der den
Felsen zerschmetterte, an den er sich angeklammert hatte, seinen
Tod. Einige Zeit darauf sei in Lokris eine Hungersnot oder Pest
ausgebrochen; das Orakel, das man um die Mittel gefragt habe,
sich dagegen zu schützen, habe erwidert, daß die Lokrer die
Schuld des Aias sühnen müßten, „und so hätten die Frauen der
hypoknemidischen Lokrer zuerst je zwei Jungfrauen, dann einjährige
Kinder mit ihren Ammen, zuletzt nur ein Mädchen entsendet.
Diese landeten bei Rhoiteion, und nun begann für sie eine Jagd
auf Leben und Tod. Denn die Hier zogen ihnen entgegen, und
jeder iiische Mann lauerte ihnen auf, einen Stein in der Hand
oder welche Waffe er nur hatte, Messer, Axt oder Speer; wer sie
tötete, ward vom Volke belobt, denn die Lokrer mußten dann
neue Buße senden. Gelangten aber die Mädchen unter dem
Schutze der Nacht auf geheimen Pfaden zum Heiligtum der Athena,
so war ihnen ihr Leben geschenkt, und sie gehörten der Göttin
als Sklavinnen. Des Schmuckes der Haare beraubt, im un-
gegürteten Chiton, barfuß taten sie ihren Dienst; sie mußten das
Heiligtum sprengen und fegen, durften aber vor der Göttin selbst
nicht erscheinen und doch nicht das Heiligtum verlassen, außer
268 Jahresberichte d. Philolog. Ve reins.
bei Nacht. Starb eine, so trug man Sorge, daß die Leiche das
Land der Göttin nicht beflecke. Mit unfruchtbarem Holze wurde
sie verbrannt und die Asche vom Berg Traron aus ins Meer
gestreut*'.
Zunächst ist es wohl klar, daß diese Erzählung in direktem
Widerspruch zu der Brucknerschen Vermutung steht, daß die
Lokrer selbst die troische Burg besetzt und den Kultus der
Ilischen Athena eingeführt hätten. Die ganze Erzählung von dem
immer sich erneuernden Opfer der Lokrer wäre nur verständlich,
wenn die Bewohnerschaft von Ilion als direkte Nachkommen der
den Lokrern feindlichen Troer, nicht aber als Lokrer selbst auf-
zufassen wären. Vielleicht weist jemand darauf hin, daß solche
Feindschaften nicht von den Individuen, sondern von dem Lokal
abhängen. So sind die Orchomenier seit den frühesten Zeiten
Feinde der Thebaner; wenn die Thebaner einen Überschuß von
Kraft in sich spuren, ziehen sie vor Orchomenos, um diese Stadt
zu zerstören und die Einwohner in die Sklaverei zu verkaufen;
umgekehrt, wenn es einem Staate gelingt, Thebens Herr zu werden,
so ist es das erste, daß er, um die Stadt auch weiter niederzu-
halten, Orchomenos und andere als Erbfeinde von Theben be-
kannte Städte wiederherstellt. Bei solcher Neuaufrichtung mag
es oft schwer gewesen sein, viele von den alten ursprunglichen
Einwohnern wieder zusammenzubringen; aber das tut nichts;
auch die neuzugezogenen Leute fühlen sich sofort und handein
als Orchomenier, das heißt sie suchen Theben nach Möglichkeit
Schaden zu tun. Solche am Orte, nicht an den Personen hängen-
den Rivalitäten wären auch aus neuerer Zeit durch zahlreiche
Beweise zu stützen. Also mit Vertrauen auf dieses Gesetz der
lokalen Vererbung könnte man auch behaupten, daß die neuen
Trojaner mit den neuen Wohnsitzen auch den alten Haß der
Vorgänger übernommen hätten. Aber dagegen spricht doch, daß,
wie Strabo berichtet, die Bewohner von Ilion den griechischen
Heroen, die im Kampfe gefallen und in Troja begraben waren,
Totenopfer darbrachten. Das läßt doch darauf schließen, daß sie
sich als Griechen, nicht als Troer fühlten. Aber auch ein zweiter,
sehr gewichtiger Grund kann dagegen angeführt werden. Nach
Dörpfeld (S. 570) ist der Zustand der Ruinen der sechsten Schicht
ein derartiger, daß man auf eine längere völlige Verödung nach
der Zerstörung schließen muß. Dann hat sich dort eine Völker-
schaft niedergelassen, welche die teilweise noch erhaltenen Burg-
mauern und' Hausreste benutzt hat; ihre Häuser oder Gemächer
lehnten sich meist im Innern an die noch erhaltenen Reste der
Burgmauer an; diese war zwar nicht mehr so stattlich wie früher,
denn die Untermauer lag zum Teil unter den Trümmern begraben
und die Obermauer hatte vermutlich nur eine notdürftige Reparatur
erfahren, aber sie war wohl noch zu verteidigen. Auch die Tore
waren zum Teil noch wohlerhalten. Aber diese Ansiedlung hat
Archäologie, von R. Engelmano. 269
nicht lange bestanden; warum sie ihre hinter der alten Burg-
mauer errichteten Wohnungen verlassen haben, wissen wir nicht,
aber das wissen wir, daß eine Bevölkerung ganz anderer Art an
ihre Stelle getreten ist, die sich über den ganzen Hügel aus-
breitete und teils die alten Häuser benutzte, teils neue anlegte.
Die dabei sichtbare Bauweise läßt erkennen, daß es sich um ein
ganz anderes Volk handelt; was für ein Volk dies war, ergeben
die in den entsprechenden Ruinen gefundenen Gegenstände, Buckel-
vasen, Äxte usw. von ungarischem Typus; es handelt sich hier
entschieden um eine fremde eingewanderte Völkerschaft. Fraglich
bleibt dabei, ob dieser fremden Völkerschaft auch die Häuser zu-
zusprechen sind; es ließe sich ja denken, daß die Besitzer der
Buckelkeramik auf den Ruinen nur ihre primitiven Hütten aus
Holz und anderen vergänglichen Materialien errichteten, die keine
Spur hinterlassen haben; aber wie man sich auch in bezug hier-
auf entscheidet, daß der ganze geschichtliche Zusammenhang auf
Troja durch das Dazwischentreten eines fremden, einer ganz
andern Kultur angehörigen Volkes durchbrochen ist, das bleibt
über allen Zweifel hinaus sicher. Welches Volk dies gewesen,
läßt sich aus den geschichtlichen Nachrichten mit ziemlicher
Sicherheit vermuten. Es waren jedenfalls Kimmerier. .
Über das Erscheinen der Kimmerier in Kleinasien gibt es
eine doppelte Überlieferung; nach Strabo sind sie von Thrakien
aus in der Troas erschienen; Herodot dagegen berichtet, daß sie
von ihrer Heimat aus über den Kaukasus gezogen und so von
Osten her nach Kleinasien gelangt sind. Gewöhnlich hat man nun
die Ansicht Strabos für die richtige, die des Herodot dagegen als
nur auf Kombinationen beruhend angesehen; aber aus neuerdings
aufgefundenen Keilschrift notizen geht hervor, daß beide Über-
lieferungen richtig sind, daß die Kimmerier also sowohl über den
Hellespont als auch über den Kaukasus nach Asien eingedrungen
sind. Diesen Kimmeriern oder einem mit ihnen verbündeten
Volke scheinen nun die Reste anzugehören, die in der siebenten
Schicht gefunden sind und die ihre Analogie in den prähistori-
schen Überbleibseln Ungarns finden. Mit der vorausgesetzten Zu-
gehörigkeit der Kimmerier zu Ungarn stimmen übrigens auch alle
darüber erhaltenen Nachrichten auf das beste überein.
Daß, während die Kimmerier den troischen Hügel besetzt
hielten, d. h. von der Mitte des 8. Jahrhunderts bis wahrschein-
lich Ende des 7. Jahrhunderts, wo diese barbarischen Völker-
schaften durch Alyattes, den König von Lydien, vernichtet wurden,
an ein Festhalten des griechischen Kultus, also vor allem der
Verehrung der Athena, und eine Fortsetzung der lokrischen Tribut-
sendung von Mädchen als Dienerinnen der Athena nicht zu denken
ist, leuchtet ohne weiteres ein. Daß Troja überhaupt damals als
Stadt nicht bestand, dafür ist der beste Beweis, daß die Bewohner
von Sigeion die Nord- und Nordwestseite der troischen Burg-
270 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
mauer einfach abtragen und die Steine zum Bau ihrer Ringmauer
verwenden konnten. Und ein endgültiger Beweis, dessen Gewicht
Brückner umsonst beiseitezuschieben sucht, ist die bekannte
Stelle des Strabo über Troja, wo er erzählt, das heutige llion
sei früher ein Dorf gewesen mit einem kleinen, unbedeutenden
Heiligtum e der Athena. Erst Alezander habe bei seinem Besuche
das Heiligtum beschenkt und das Dorf zur Stadt gemacht und
Auftrag gegeben, kostbare Bauten auszuführen, und habe der Stadt
die Freiheit von Abgaben verliehen; nach seinem Siege über den
Perserkönig habe er einen leutseligen Brief herabgesandt, in dem
er das Versprechen gegeben habe, die Stadt zu vergrößern und
das Heiligtum ansehnlich zu machen und heilige Festspiele dort
einzurichten. Nach seinem Tode sorgte Lysimachus für die Stadt;
damals wuchs es tüchtig an; später bat es auch eine römische
Kolonie erhalten und ist dadurch in die Reihe der bedeutenden
Städte getreten. Ais die Römer aber zum ersten Male nach Asien
kamen, bei Gelegenheit des Krieges mit Antiochus, König von
Syrien, da war llion mehr Dorf als Stadt. Demetrius von Skepsis
habe erzählt, als er zu jener Zeit einmal als Knabe Troja besucht
habe, da sei die Stadt so heruntergewesen, daß die meisten
Häuser nicht einmal Ziegeln gehabt hätten. Und Hegesianax be-
richtet, als die Galater aus Europa herübergekommen seien, da
seien sie nach der Stadt hinaufgezogen, weil sie sich hinter einer
Befestigung decken wollten, sie hätten sie aber sofort verlassen,
weil sie unbefestigt war, das heißt doch, weil ihnen die vorhandene
Befestigung nicht genügend schien. Ein neues Ungemach erfuhr
die Stadt durch die Römer unter Fimbria (im Kriege gegen
Mithridates); als ihn die Hier nach seinem Aufstand gegen seinen
Konsul Yalerius Flaccus nicht in die Stadt ließen, legte er sich
vor ihre Mauern und nahm sie nach 11 Tagen, indem er sich
rühmte, in 1 1 Tagen erreicht zu haben, was der oberste Feldherr
Griechenlands an der Spitze einer großen Flotte und der ganzen
Streitmacht des Landes kaum in zehn Jahren vollbracht habe.
Die größte Förderung erhielt die Stadt durch Cäsar, der einmal
als Nachahmer Alexanders und anderseits, weil er sich als Nach-
komme des Aineias fühlte, der Stadt große Vorteile zuwandte;
er teilte ihnen großen Länderbesitz zu und bestätigte ihnen die
Selbständigkeit und Abgabenfreiheit, die ihnen bis zum heutigen
Tage erhalten ist. So ungefähr lauten die Worte des Strabo im
Auszuge. Dabei kann man ganz übergehen, daß er überhaupt die
Identität des zu seiner Zeit llion genannten Ortes mit dem homeri-
schen llion leugnet; man kann zugestehen, daß er darin irrt, wie
ja neben und nach ihm viele andere das homerische Troja
anderswo hinsetzen wollen, und kann und muß dennoch das, was
er als Augenzeuge oder auf Grund verläßlicher Schriftsteller über
die Stadt seiner Zeit sagt, als richtig anerkennen. „Freilich4*,
fährt er fort, „behaupten die heutigen Hier auch dies, daß ihre
Archäologie, von R. Eogelmann. 271
Stadt nie ganz von den Griechen zerstört wurde und nie ganz
aufgegeben wurde. Wenigstens wurden die lokrischen Jungfrauen,
mit deren Sendung man kurz nach dem Kriege begann, jährlich
gesendet. — Doch die Sendung der lokrischen Jungfrauen begann
erst, als das Land schon in die Macht der Perser gekommen war".
Und, fügen wir aus anderer Quelle nach Timaios hinzu, hörte mit
dem Phokischen Kriege, 346 v. Chr., auf. Dagegen versucht zwar
Brückner, die Sendung der lokrischen Jungfrauen sowohl für die
frühere Zeit als auch für die spätere zu erweisen, ohne doch da-
mit das Ziel zu erreichen. Es ist nämlich bei einem zum Athena-
heiligtum gehörigen Brunnen eine unterirdische Anlage gefunden,
die mit dem heimlichen Dienste der lokrischen Mädchen in Ver-
bindung gesetzt wird. Aber das beweist nichts. Sobald die
Sendung lokrischer Mädchen überhaupt einmal stattgefunden hat
und die geretteten als Dienerinnen im Tempel der Ilischen Athena
verwendet wurden (und das wird man wohl zugeben müssen, so
seltsam und widersinnig uns die ganze Geschichte auch scheint),
dann konnte die Einrichtung im Tempel getroffen werden, daß sie
Wasser aus dem Brunnen holen konnten, ohne doch mit dem
Tempel selbst in Berührung zu kommen, und die einmal getroffene
Einrichtung konnte auch bei Umbauten aufrecht erhalten werden,
besonders wenn ein derartiger Brauch so in den Kultus sich ein-
geführt hatte, daß er auch festgehalten werden mußte, nachdem
die Ursache dafür aufgehört hatte zu existieren. Ich meine: wenn
der Dienst der lokrischen Jungfrauen Jahrhunderte lang bestanden
hatte, dann konnte die spezielle Art und Weise, wie diese den
Dienst versehen hatten, für den Kultus auch notwendig scheinen,
selbst nachdem die Lokrer aufgehört hatten, Mädchen zu schicken;
es wurde also von den auf irgend eine andere Weise herbei-
geschafften Dienerinnen die Reinigung des Tempels, also auch das
Herbeiholen des Wassers in der Weise besorgt, die ursprünglich
für die Lokrerinnen erfunden war. Auch die Inschrift, die in
Lokris gefunden ist (S. 562), scheint mir nicht maßgebend zu
sein, da ausdrücklich hervorgehoben wird, daß die Buchstaben-
formen in Lokris nicht genau über die Entstehungszeit schließen
lassen. Wir müssen mit Bezug darauf warten, bis uns Genaueres
vorliegt.
Als Beweis für das ununterbrochene Bestehen des Athena-
kultus auf Ilicn wird aber auch eine auf Münzen des 2. Jahr-
hunderts sich findende besondere Art des Opfers aufgefaßt: die
Rinder werden an einem Baume oder an einer Säule in die Höhe
gezogen und dann mit einem Messerstich getötet, also geschachtet.
Das scheint ein altes Verfahren zu sein, wie man daraus schließen
darf, daß es schon auf einem der sogenannten Inselsteine dar-
gestellt ist (S. 564). Und mit Troja wird es in Verbindung
gesetzt, indem man von diesem Verfahren schon bei Homer eine
Andeutung finden will. In der Uias XX 402 wird geschildert,
272 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
wie Hippodamas, in das Röckgrat getroffen, seinen Todesschrei
aushaucht:
Und er verhaucbte den Geist und stöhnte dumpf, wie ein Stier oft
Stöhnete, umgeschleppt um den helikonischen Herrscher,
Wenn ihn Junglinge schleppen; es freut sich ihrer Poseidon. '
So übersetzt Voß; doch soll das nicht richtig sein: sXxofierog
'Ekixcoviov äfitpi avaxxa soll heißen: „der am Pfeiler des Gottes
emporgezogen wird und im Schmerze mit seinem Brüllen die
Luft erfüllt, daß der Gott seine Freude daran bat". Doch das
kann äfi(pi avaxxa nicht heißen, da äftcpi = auf beiden Seiten,
ringsum, hier nicht verwendbar ist und auch der 'Efoxoiviog ava%
= Poseidon hier nicht für den Pfeiler des Gottes (was ist das
übrigens?) gesetzt werden kann. Daß das Schächten der Tiere
beim Opfer schon in alter Zeit üblich war (der Kopf wird in die
Höhe gezogen, um die Halsmuskeln zu spannen und dadurch den
Schäcbtschnitt zu ermöglichen), wird durch die mykenische Gemme
bewiesen, — daß in späterer Zeit dieses Verfahren auch bei den
Opfern der Uischen Athena üblich war, muß man den ilischen
Münzen glauben, aber daß dieses Verfahren auch in Troja auf die
ältesten Zeiten zurückgebe, dafür fehlt jede Hindeutung.
Übrigens pflegten auch zu anderer Zeit Opfertiere in die
Höhe gezogen zu werden, zu bequemerer Zerstückelung, wie bei
uns beim Schweineschlachten (vgl. Longus past. II 22) so daß
daraus, daß ein Tier in die Höhe gezogen ist, noch gar nicht
ohne weiteres folgt, daß ein so seltsamer Opfergebrauch vorliegt,
wie er in Ilion bestanden zu haben scheint. Also auch dies kann
nicht dafür angeführt werden, daß der Athenakultus ohne Unter-
brechung in Ilion bestanden habe. Vgl. auch noch die Erzählung
bei Xenoph. Ephes. II S. 250, daß als Opfer an Artemis ein
Mensch an einem ßaume aufgehängt und so erschossen wird.
Auch die Münzen und Inschriften stimmen mit den Resultaten,
die meiner Meinung nach aus den Fundtatsachen sich ergeben,
wunderschön überein. Die Münzen beginnen mit der Zeit nach
Alexander, wo sich die Stadt als autonom fühlte; auf ihnen wird
der Athenakultus besonders betont, aber keineswegs kann daraus
geschlossen werden, daß dieser Götterkultus unmittelbar aus der
alten zerstörten Stadt übernommen ist, sondern er kann ebenso-
gut erst mit der äolischen Gründung eingeführt sein. Diese aber
gleich nach der Zerstörung der Stadt anzusetzen, dazu fehlt jeder
Grund. Brückner sagt selbst S. 569: „Unsere historischen Mach-
richten beginnen erst mit der Zeit, als man die Barbaren wieder
vertrieb, sie schließen nicht aus, daß die Griechen schon vorher
in die Troas eingedrungen waren. Nur so viel ist sicher, daß
die früheren Gründungen nicht stark genug gewesen waren, um
den Angriffen der nordischen Barbaren zu widerstehen*4. Aber
eine so geringe Möglichkeit, der die Ausgrabungen, die Schrift-
steller, kurz eigentlich alles widerspricht, ist doch kein geeignetes
Archäologie, von R. Engelmann. 273
Fundament, und darauf ein so schwer lastendes Bauwerk, wie
Brückner will, zu errichten.
Was ist also das Resultat der langjährigen Ausgrabungen auf
Hissarlik? Man kann Dörpfeld und seinen Mitarbeitern einräumen,
daß sie die Richtigkeit der von Schliemann immer vertretenen
Meinung nachgewiesen haben, daß also das Troja Homers von
ihnen gefunden ist, man darf aber auch nicht vergessen hinzu-
zufügen, daß die Maße dieses Trojas so klein sind, daß man für
die Größe und Bedeutung des Krieges nicht die Wirklichkeit,
sondern die dichterische Ausschmückung des Homer verantwort-
lich machen muß; mit anderen Worten, die Würdigung und das
Verständnis Homers beruht nicht auf den von Schliemann bloß-
gelegten Ruinen, hierfür wird man kaum aus den Ausgrabungs-
berichten irgendwelche Förderung erfahren. Wohl aber sind die
Ausgrabungen von unschätzbarer Bedeutung, insofern sie den Blick
in weit vor dem troischen Kriege liegende Zeiten eröffnet haben ;
sie sind für die ganzen prähistorischen Forschungen, denen man
sich nach Schliemann in neuerer Zeit hingegeben hat, von geradezu
epochemachender Bedeutung. Und darum soll den Männern,
welche die Ausgrabung geleitet und in so eingehender Weise
darüber Bericht abgestattet haben, auch hier herzlicher Dank ge-
sagt werden.
2) F. Noack, Homerische Paläste, eine Studie zu den Denkmälern
und zum Epos. Mit 2 Tafeln und 14 Abbildungen im Text. Leipzig
1903, B. G. Teubner. 104 S. 8. 6,10 JC.
Die Ausgrabungen in Kreta, sowohl die von Arthur J. Evans
als die von F. Halbherr geleiteten (beiden Entdeckern ist das vor-
liegende Buch gewidmet), haben Palastanlagen wieder vor uns ent-
stehen lassen, die von den in Troja, Tiryns, Mykenai gefundenen
sich wesentlich unterscheiden. Mehrfach ist infolgedessen schon
die Meinung ausgesprochen, daß man für den homerischen Palast
aus den neugefundenen kretischen, nicht aus den griechischen
sich Beweise holen müsse. Das ist aber ein unberechtigtes Ver-
fahren. Die kretischen Palastanlagen sind in sich so angeordnet,
daß kein Raum für sich steht, sondern daß sie, in größeren und
kleineren Gruppen angeordnet, unmittelbar aneinanderstoßen, so
daß man aus dem einen Gemach direkt durch die Tür in das
Nachbarzimmer tritt. Dadurch stehen sie in strengem Gegensatz
zu den griechischen Anaktenhäusern, bei denen die Propyläen
und Säle isoliert stehen; hier ist jeder Baum ein Ganzes für sich,
er kann leicht ausgelöst werden, ohne daß das Ganze darunter
leidet; dort, in Kreta, dagegen würde durch das Wegnehmen eines
einzelnen Raumes das Ganze als solches gestört werden. Dazu
kommt ferner noch, daß in Mykenai und Tiryns die Front drei-
teilig, in Kreta dagegen zweiteilig ist und die Säule in die Mitte
gestellt ist; auch sind die Räume in Kreta stets breiter als tief,
Jtkroiberiehte XXX. 18
274 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
d. h. die größere Ausdehnung wird der Frontseite gegeben; bei
den griechischen Bauten dagegen überwiegt die Tiefenausdelinung,
bei ihnen ist die schmale Seite zur Frontseite gemacht. Aus
diesen wesentlichen Unterschieden ergibt sich, daß es unmöglich
ist, die in Mykenai, Tiryns und Arne übliche Art des Saalbaues
aus den kretischen Anlagen abzuleiten, ebenso wie es nicht an-
geht, die kretischen Anlagen etwa als eine reichere Ausgestaltung
des griechischen Palastes zu erklären. Für diesen kann man.
ausgehend vom Palast in Arne, wo dasselbe Schema zweimal
wiederholt ist, als Regel die Wiederholung desselben Raumes vor-
aussetzen; man konnte dazu schreiten, den Saal, das Megaron,
das ursprünglich allein das Haus gebildet hatte (in dieser Gestalt
lebt es in der Tempelcella noch weiter fort), zu vervielfachen, als
die Ausdehnung der Familie, das Heranwachsen der Söhne und
Töchter zu ihrer Selbständigmachung führte. Bei Homer ist in
den älteren Partieen das Megaron als einziges Gemach noch zu
erkennen; in ihm vollzieht sich das Leben bei Tage, in einem
Winkel wird auch das Lager für das Ehepaar bereitet, während
für die Gäste die Vorhalle, die ai&ovGa, als Schlafraum dient.
Man könnte hier an die modernen Verhältnisse, wie sie so häufig
in griechischen oder sardinischen Reisebeschreibungen geschildert
werden, erinnern; auch hier dient häufig ein Zimmer, das einzige
Zimmer des Hauses, als Aufenthaltsort und auch als Schlafzimmer
für die ganze Familie. Es scheint fast, als ob der Unterschied
zwischen dem griechischen und dem kretischen Hause noch tiefere
Gründe hat; es wird vermutet, daß das griechische Haus in seiner
Urform aus dem Norden nach Griechenland gewandert ist, während
der kretische Palast mit seiner breitstirnigen Front an die in
Ägypten und im Orient üblichen Hausformen erinnert; demnach
wäre der Unterschied zwischen dem nordisch- troisch-mykenischen
und dem kretisch-südlichen Bautypus vielleicht auf den Unter-
schied des Klimas zurückzuführen. (Dagegen ist allerdings ein-
zuwenden, daß der Hauptunterschied zwischen der nördlichen und
südlichen Bauweise, die durch das Klima bedingt wird, vor allem
im Dach liegt. Das nordische Haus braucht des Regens und
anderer klimatischen Erscheinungen wegen ein schräg ansteigendes
Dach, während das südliche Haus sich mit einer flachen, ebenen
Abdeckung genügen lassen kann. Bei dieser letzteren ist deshalb
auch bequem eine Vervielfältigung der Räume nebeneinander
möglich, oft je nach der Größe des Raumes in verschiedener Höhe,
so daß man auf dem Dache von einem Räume zum andern hin-
auf- und hinabsteigen muß; ein schräg ansteigendes Dach dagegen
bedingt eine Unterordnung der einzelnen Räume unter das ge-
meinsame Dach.) Um ein Bild von der Urform des homerischen
Hauses zu gewinnen, geht Verf. von dem Zelt des Achilleus aus,
wie es in 12 geschildert wird. Ein eigenes Frauengemach, wie
man es vielfach aus der Dichtung hat konstruieren wollen, hat
Archäologie, vou R. Eugelmann. 275
in Wirklichkeit in dem ältesten Hause nicht existiert. — An den
Hauptteil knöpfen sich eine Reihe vou Exkursen an: 1. Zu den
kretischen Palästen. 2. Zum Kultbau des knossischen Freskobildes.
Da die Ausgrabungen in Kreta noch nicht abgeschlossen sind und
jeder Tag neue Funde und neue Aufklärungen erwarten läßt, ist
es noch nicht möglich, über die hier ausgesprochenen Vermutungen
ein zustimmendes oder abweisendes Urteil zu fällen.
3) B. Haussoulli er, Etudes sur l'histoire de Milet et du Didv-
meion. Paris 1902, Bouillon. XXXII u. 324 S. gr. 8. 13 fr. ~—
Bibliotheque de l'ecole des bautes etudes (Scieoces hist. et phil.,
138. fasc).
Das dem Andenken Olivier Rayets gewidmete Buch darf als
ein wertvoller Beitrag zur Geschichte Milets und des Didymeiou
betrachtet werden; es wird um so mehr Aufmerksamkeit linden,
je näher uns die Stadt Milet durch die Ausgrabungen des Berliner
Museums geruckt wird. Einzelne der Kapitel, die hier zu einem
Ganzen vereinigt geboten werden, sind (4, 5, 6, 7, 9) schon in
der Revue de Philologie veröffentlicht worden; aber durch die
neu hinzugefügten ist ein einheitliches Buch entstanden, das über
die Geschichte des Heiligtums unter den Macedoniern (von Alexander
bis Seleukus I.) (334—281), den Seleuciden (an deren Stelle sich
öfter die Ptolemäer setzen) (281 — 190) und den Römern wert-
vollen Aufschluß erteilt. Die Milesier hatten den Wiederaufbau
des Apolloheiligtums beschlossen, um den angeblichen Verrat der
Branchiden vergessen zu lassen und den Zusammenhang mit dem
Hellenismus wiederherzustellen; und gerade um ihre Ergebenheit
gegen Alexander zu zeigen, dem sie törichterweise Widerstand
geleistet hatten, unternahmen sie es, das Didymeion größer, als
die andern Tempel waren, aufzubauen. Damit hatten sie sich
freilich eine Last aufgeladen, der die Stadt allein nicht gewachsen
war; da es nicht gelang, auswärtige Gönner zu gewinnen, die au
Stelle Milets sich die Vollendung des Tempels angelegen sein
ließen, oder mit andern Worten da Delphi auch in der späteren
Zeit den Vorrang behauptete und sich durch das Didymeion nicht
verdrängen ließ, so folgt am Didymeion ein mageres Jahr auf das
andere; nur Caligulas Wahnsinn, dem das Tempelungeheuer bei
Milet für seine Person gerade groß genug zu sein schien, hätte
fast noch dem Bau die Vollendung gebracht, wenn seine Ermordung
nicht auch diesen Bauplänen ein Ende gemacht hätte. S. 140:
Bei der Inschrift, die den Berl. Sitzungsber. 1901 S. 905 ent-
nommen ist, hätte dem Metrum zuliebe wohl avvFade (von äv-
ddvw) statt GW ad s und S. 141 Z. 1 1 ngsaßsä %' eiq ßaailfjag
statt ßccöikeiag gedruckt werden müssen. Und warum glaubt
der Verf. den Tempel als Hypäthraltempel, d. h. als einen solchen,
der von vornherein dazu bestimmt war, dachlos zu bleiben, auf-
fassen zu müssen, trotzdem doch Strabo XIV 634 deutlich sagt:
18*
276 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
diifASwe ds %<*)q\<; dgocfrjg öiä %6 [xsye$oc, d. h. weil er zu
groß angelegt war, ist er nie vollendet worden? Die Hypäthral-
frage sollte doch jetzt nach Dörpfeld als gelöst gelten. Der
folgende Band soll die Inschriften bringen, die über die ver-
schiedenen Teile des Tempels sowie über die Arbeit in den
Werkstätten Aufschluß geben; man darf hoffen, dadurch neue
Resultate zu gewinnen.
4) A. Döring, Eine Frühlingsreise nach Griechenland. Frank-
furt a. M. 1903, Neuer Frankfurter Verlag 6. m. b. H. 199 S. 3 Jt-
Der Verf. hat in den Monaten März, April und Mai 1900
eine Reise nach und durch einen Teil von Griechenland unter-
nommen und die dabei gewonnenen Eindrucke und Erfahrungen
in Zeitschriften stückweise veröffentlicht und dann in dem vor-
liegenden Bande zusammengestellt. Der Verf. ist nicht Archäologe,
man darf deshalb auch nicht sachliche Förderung auf archäologi-
schem oder antiquarischem Gebiete erwarten. Er ist aber mit
Liebe an die Reise herangegangen, hat mit großer Ausdauer seinen
Jahren Trotz geboten und weiß, was er gesehen und erlebt hat,
ganz anschaulich zu schildern. Wer also archäologische Studien
in dem Buche sucht, wird es enttäuscht aus der Hand legen; wer
den Verf. bequem auf seiner Reise begleiten und kennen lernen
will, wie in seinen Augen sich Griechen und Griechenland ge-
stalten, der wird mit Interesse seine Schilderung lesen und dabei
auf seine Rechnung kommen.
Einige Irrtümer sind aber mituntergelaufen. Beim Anblick
der Trümmer des Löwen von Chäronea sagt der Verf. S. 46:
„An eine Wiederherstellung dieses denkwürdigen Monumentes des
Unterganges der griechischen Freiheit scheint bis jetzt noch
niemand gedacht zu haben". Die Sache ist anders. Im Gulii
und Koner 6. Aufl. S. 213 würde er über die Geschichte des Denk-
mals und die wiederholten Versuche seiner Wiederherstellung da»
Nötige gefunden haben; beiläufig sei gesagt, daß jetzt endlich mit
allem Eifer an der Ausführung der Pläne gearbeitet wird. S. 52:
Daß er in Attika keine Schildkröten gesehen, ist merkwürdig; der
kleine See beim Kloster am Fuße des Pentelikon wimmelt fast
davon. Übrigens sind diese Schildkröten zur Gewinnung des
Schildpatts nicht zu verwenden. S. 99: Thersition 1. Thersilion,
zweimal, so daß der Gedanke an einen Druckfehler ausgeschlossen
ist. S. 115: Der Apollotempel in Delphi soll in der zweiten Hälfte
des sechsten Jahrhunderts erbaut sein. Aber dieser von den
Alkmäoniden erbaute Tempel ist ja 372 wiederum durch Brand
erheblich beschädigt und dann in den Jahren 360—330 von
neuem erbaut worden; auf ihn also, nicht auf den früheren Baut
sind die jetzt noch erhaltenen Reste zurückzuführen. Die Spuren
eines Artemistempels und eines Arsenals (einer Chalkothek) auf
Archäologie, von R. Eogelmaiin. 277
<Jer Akropolis von Athen sind durch die Angaben „rechts von der
Stelle, wo das Bild der Athena Promachos gestanden, gegen die
Umfassungsmauer hin" eigentlich wenig genau bestimmt. Und
warum das Parthenon? und was sind das für „drei mächtige
Schutzreifen1', die bei dem Helm der Parthenos angebracht sein
sollen? Auf dem Westgiebel des Parthenon soll nach S. 120 der
Götterwettstreit um die Herrschaft Athens dargestellt gewesen sein.
Das ist aber ein Irrtum. Auf dem Westgiebel ist ebenso wie aut
dem Ostgiebel nur ein Akroterion aufgestellt gewesen. Daß der
Tempel in Ägina, dessen Giebelfiguren in Mönchen sind, nicht ein
Athenatempel war, könnte heute auch Nichtarchäologen bekannt
sein. S. 161: Die Entlohnung der Musikanten dadurch, daß man
ihnen ein Geldstuck an die Stirn druckt, ist nicht bloß in Griechen-
land, sondern auch im ganzen Donautal von Wien ostwärts üblich,
so daß es bedenklich ist, diesen Brauch auf antike Sitte zurück-
führen zu wollen. S. 177: Das Buch von Dörpfeld über Troja
ist 1902 erschienen, durfte also in dem 1903 veröffentlichten
Buche nicht als ein zukünftig erscheinendes erwähnt werden.
Der Verf. hat hier offenbar unterlassen, in seinem früher nieder-
geschriebenen Aufsatze Nachträge und Abänderungen einzufügen.
Aber trotz allen diesen Ausstellungen im kleinen, das frisch
und mit Hingebung geschriebene Büchlein wird sich sicher manche
Freunde erwerben und für den einen oder andern Veranlassung
werden, gleichfalls zum Wanderstabe zu greifen und Griechenland
zu besuchen. Ein neues Buch braucht deshalb ja nicht gleich ge-
schrieben zu werden.
5) R. Thiele, Das Forum Rouianum, mit besouderer Berücksichtiguug
der oeuesteo Ausgrabungen (1898 — 1903) geschildert. Erfurt 1904,
C. Villaret. 24 S. 8. 0,60 JC.
Als Leser denkt und wünscht sich Verf. „in erster Linie
unsere Primaner und dann auch den weiteren Kreis der Ge-
bildeten, da meine Arbeit durchaus nicht den Anspruch erhebt,
eine wissenschaftliche Forschung zu sein, sondern nur eine an-
spruchslose Schilderung des selbst in freudiger Bewunde-
rung Geschauten ist4'. Wenn ich den Satz richtig verstehe
(der Verf. macht es im allgemeinen dem Leser nicht leicht, das,
was er sagen will, aus den Worten herauszufinden), will Thiele
das, was er selbst gesehen und bewundert hat, in seinem Schrift-
chen auch andern zum Genuß und zum Gewinn mitteilen. Man
könnte fragen, ob die Zeit einer solchen Mitteilung scheu ge-
kommen war, da die Ausgrabungen noch nicht beendet sind und
immer wieder neue unerwartete Resultate gemeldet werden, so
<Jaß ein Buch, wie das vorliegende, fast schon in dem Augenblicke
seines Erscheinens als veraltet betrachtet werden könnte. Aber
warum soll man nicht, auch ohne wissenschaftlich mitarbeiten zu
wollen, das, was bis jetzt erreicht ist, schildern dürfen? An der
278 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Existenzberechtigung des Buches ist also nicht zu zweifeln, ich
glaube auch, daß es vielen erwünschte Aufklärung über das, was
bis 1903 auf dem Forum erreicht war, geben wird. Aber etwas
größere Genauigkeit wäre doch zu erreichen gewesen. Zunächst
in der Angabe der Himmelsgegenden. Es ist ja sehr zu bedauern,
daß die Römer bei Anlage des Forums nicht genau die Richtung
von Norden nach Süden oder die von Westen nach Osten zu-
grunde gelegt haben. Dann wäre die Bezeichnung der einzelnen
Teile des Forums und der angrenzenden Gegenden viel leichter
und unzweideutiger; aber wir müssen uns doch heute an die Tat-
sachen halten. Das tut Verf. nicht, wenn er den Kapitolinischen
Hügel sudöstlich vom Quirinal und Esquilin gelegen sein läßt,
oder das Marsfeld im Nordosten von Rom ansetzt u. dgl. mehr.
Auch die Etymologie kommt schlecht fort, wenn forum mit &6log
(„Tiefbau, Grube") und deutschem „Tal44 zusammengebracht und
als „Grübe" oder „Graben", d. h. das durch einen Graben ent-
wässerte Abhangstal bezeichnet wird. Die Säulen des Severus-
bogens sind nach Durm, Baustile II S. 350 aus prokonnesischem,
nicht pentelischem Marmor und tragen Komposit-, nicht
römische Kapitale. (Auch hätte vielleicht genauer ausgeführt
werden können, was eine sieggekrönte Statue des Kaisers be-
deutet Der Kaiser selbst kann ja unter Umständen sieggekrönt
sein, aber doch nimmer seine Statue.) Die neue Rostra als
Singular S. 10 macht auch einen eigentümlichen Eindruck, ebenso
die Bemerkung „die beiden reliefgeschmückten Schranken, welche
jetzt Anaglypha heißen44. S. 21 wird erzählt, daß die Vestali-
schen Jungfrauen sich zu 30 jährigem Dienste verpflichteten, „auf
dessen Verletzung die schreckliche Strafe des Lebendigbegraben -
werdens stand44. Aber doch nicht jede Verletzung des Dienstes
wurde so bestraft. Der Name Atrium Vestae rührt (ebenda) davon
her, daß den Hof „eine zweischossige Halle von einst mit Efeu
und Immergrün bekleideten Säulen41 umzog, ohne daß jedoch ge-
sagt wird, worin nun der Grund für diese Namengebung eigent-
lich liegt. Und derartiges ließ sich noch mancherlei anführen.
Aber dennoch mag das Buch zu dem Zwecke, eine erste Ein-
führung in das Forum in seinem jetzigen Zustande zu geben,
wohl verwendbar sein. Vielleicht findet Verf. Gelegenheit, bei
einer Neubearbeitung die kleinen, wohl der etwas eiligen Abfassung
entspringenden Mängel (ich vermute, daß es sich ursprünglich um
ein schnell entstandenes Schulprogramm handelt) zu beseitigen und
dadurch das Buch auch für weitere Kreise brauchbar zu machen.
6) 0. Richter, Beiträge zur römischen Topographie. 1. Allia-
schlacht and Serviusmauer. II. Capitolium uod Clivus Capitolious.
Beilage zum XIII. Jahresbericht des Königlichen Prioz Heinrich-Gym-
nasiums. Berlin 1903. Progr. Nr. 94.
Ob die Alliaschlacht auf dem rechten oder dem linken Tiber-
ufer stattgefunden hat, darüber waren wir bisher infolge der aus-
Archäologie, voo R. Engelmann. 279
ei nandergeh enden Berichte des Livius und des Diodor noch zweifel-
haft. 0. Richter sucht hier Klarheit zu schauen, indem er darauf
hinweist« daß die Römer bis zur Allia, der Grenze ihres durch den
Acker der Fidenaten vergrößerten Gebietes, vorgerückt waren und
dort die Gallier erwarteten; die Schlacht selbst war keine Nieder-
lage, sondern eine Ve r n i c h t u n gs seh lacht ; die Römer wurden ent-
weder niedergehauen oder in den Tiber gestürzt. Nur wenige,
die schwimmend das andere Ufer erreichten, konnten sich nach
Veji retten, das ihnen hier am nächsten lag. Nach Rom zu ge-
langen, wie es doch unter andern Umständen das naturlichste
gewesen wäre, haben sie noch nicht einmal den Versuch gemacht.
Mit dem Einfall der Gallier hängt auch die Errichtung der noch
heute sichtbaren Befestigung, des sogenannten Serviuswalles, zu-
sammen; er ist erst nach dem Abzug der Gallier im Jahre 378
in opus quadratum errichtet und zwar streckenweise zum Bau in
Verding gegeben worden; auch die noch heute sichtbare Be-
festigung des Palatin gehört der gleichen Zeit an. Naturlich hat
auch unter den Königen Rom schon ordentliche Mauern gehabt,
aber welcher Art, steht nicht fest. Der zweite Teil des Programms
beschäftigt sich mit dem Clivus Capitolinus und seiner Einmündung
in die Area des Jupitertempels; auch hier wird man nicht umhin
können, den Polgerungen des Verf.s beizustimmen.
7) 0. Richter, Beiträge zur römischen Topographie II. III. Die
römische Rednerbühne. Mit 22 Abbildungen and Pläoen. Berlin 1903,
W. ßiixenstein. 31 S. 4.
Das der 47. Versammlung deutscher Philologen und Schul-
männer in Halle a. S. gewidmete Heft gibt Rechenschaft über die
Resultate, zu denen der Verf. infolge der neueren Ausgrabungen
auf dem Forum in bezug auf die Rednerbuhne gelangt ist. Seine
früheren Annahmen haben sich teilweise als nicht richtig erwiesen;
das sog. Hemicyclium bildete ursprünglich die Vorderfront der
cäsarischen Rednerbühne, die also, entsprechend der Münze des
Palikanus (die schon vor der eigentlichen, 44 v. Chr. erfolgten
Dedikation des Gebäudes geschlagen sein muß), nach vorn bogen-
förmig endete, während sie nach dem Kapitol zu in eine breite
Treppenanlage auslief. Die Treppe sollte mit ihren Stufen wohl
nicht bloß zum Besteigen der eigentlichen Rednerbühne, sondern
zugleich als Zuschauertribüne dienen für die auf jenem wichtigen
Platze sich abspielenden Ereignisse; dort fanden die Opfer an
Volcanus auf dem jetzt wieder aufgefundenen Volcanal statt, dort
machten die Triumphzüge Halt, um nach Hinrichtung der Ge-
fangenen im Karzer ihren Weg nach dem Kapitol fortzusetzen. —
Der Quader bau, der vor dem sog. Hemicyclium liegt, rührt von
der Erneuerung der Rostra unter Trajan her, die wohl erst unter
Hadrian vollendet worden ist; damals müssen auch die Schranken,
die Richter früher auf den Treppenwangen angebracht sein lassen
280 Jahresberichte d. Philolog. Vereios.
wollte, zur Aufstellung gelangt sein; ihre ehemalige Anordnung
ergibt sich nun aus der Darstellung des Forums, das man auf
ihnen einmal von rechts nach links, das andere Mal von links
nach rechts zur Anschauung gebracht sieht, fast von selbst, sie
können nur parallel zn den Seitenfronten der Hednerbühne auf-
gestellt gewesen sein, wohl um den Platz für das Auftreten des
Kaisers auf der Rednerbuhne abzugrenzen. Damit scheint das
Problem der Rostra gelöst.
8) S. Puglisi Marino, 11 Colosseo nelgiorno dell'inaugurazione
(Ricerebe d' archeologia e storia). Vol. 1. Testo. Catania 1904. 46 S.
Das Kolosseum ist per la febbrile attivüd di cento braccia
errichtet, jedenfalls ist mila ausgefallen. Doch trotz aller Be-
schleunigung konnte die Weihung erst unter Titus erfolgen, aber
wann? Gewöhnlich wird angenommen: an dem Tage, da er sein
achtes Konsulat zusammen mit Domitian begann (15. Nov. 80);
doch das ist falsch. Dio LXVI 26 berichtet, daß Titus nach
Vollendung der Einweihungszeremonieen offen geweint habe, ortte
nccvxa top dtjfjbov IdeZv; daraus folgert der Verf., daß Titus atv
dem Tage, an dem er das Hauptwerk seines und seines Vaters
Lebens vollendet sah, nicht aus einem andern Grunde habe Tränen
vergießen können, als weil das Andenken an seines Vaters Tod
ihn überwältigte; d. h., das Kolosseum wurde an dem Tage ein-
geweiht, an dem ein Jahr vorher Vespasian gestorben war. Es
liegt auf der Hand, daß diese Tränen des Titus ein zu feuchtes,
unsicheres Element bilden, als daß man darauf solche Schlösse
aufbauen könnte. Im folgenden bemüht sich der Verf., die ein-
zelnen Teile des Gebäudes zu bestimmen und namentlich nach
der Arvaleninschrift die Verteilung der Plätze zu erkennen; auch
darin wird man mehrfach sich zum Widerspruch herausgefordert
linden. Z. B. wenn er sagt, daß in Herculaneum und Pompeji
vor den Häusern Pfeiler standen, die wahrscheinlich zur Unter-
stutzung der Maeniana gedient hätten. Wo sind derartige Pfeiler
zu finden? Auch daß der ehemalige Platz des Kaisers dadurch
bestimmt werden soll, daß an einer Stelle des Gebäudes im Mittel-
alter und in der Renaissancezeit (wegen der vorausgesetzten
besseren Ausführung dieser Teile) mehr abgebrochen ist, wird
schwerlich Beifall finden. So ist das Resultat des ganzen Buches
ein verhältnismäßig geringes, nicht über allen Zweifel erhabenes.
9) H.Lucas, Zur Geschichte der Neptunsbasilika in Rom. Pro-
gramm des Kaiser- Wilhelm-Realgymnasiums zu Berlin. Berlin 1904.
Progr. Nr. 103. 28 S.
Die sog. Neptunsbasilika auf der Piazza di Pietra ist schon
vielfach besprochen und auf ihre ursprüngliche Bestimmung hin
untersucht worden. Der Verf. kommt zu dem Resultat, daß der
Tempel der von Antonius erbaute Hadrianstempel ist, der vermöge
Archäologie, von R. Engelmann. 281
seiner riesigen Größe und prachtvollen Ausstattung mit der weiten,
ihn umgebenden Halle aus bunten, kostbaren Marmorsäulen einst
einen imposanten Eindruck gemacht haben muß. Er ist in ge-
wisser Weise dazu bestimmt, eine Art Fortsetzung der Forums-
anlagen zu bilden, genau so wie der Tempel der Venus und Roma
unter den Bauten des Hadrian eine Art Fortsetzung der kaiser-
lichen Forumsarbeiten bildet.
lU) A. Mau, Fährer durch Pompeji, auf Veranlassung des Kaiserlich
Deutschen Archäologischen Instituts verfaßt. Vierte, verbesserte und
vermehrte Auflage. Mit 35 Abbildungen und sechs Plänen. Leipzig
1903, W. Engelmann. 123 S. 8. 3 Jt. (Vorrätig in Neapel bei
Emil Prass.)
Auch die neue Auflage hat wie die vorhergehenden Ver-
besserungen und Vermehrungen erfahren; namentlich insofern, als
der neugefundene Tempel gleich hinter der Porta della Marina
und das Haus des Lucretius Fronto eine Beschreibung erfahren
haben. Der Tempel ist jedenfalls der Venus Pompejana gewidmet,
der Gottheit, die wir schon lange als besondere Schutzgottheit
der Stadt kannten, für die aber ein Tempel bisher nicht nach-
weisbar war, nachdem der früher Venustempel genannte unzweifel-
haft als Apollotempel erkannt worden war. Das Haus des Lucretius
Fronto, als solches durch verschiedene Inschriften erkennbar, wird
als „gutes Beispiel einer kleinen, aber eleganten Wohnung eines
angesehenen Bürgers" bezeichnet. Das Haus verdient besondere
Beachtung einmal, weil man hier über dem Atrium das Dach her-
gestellt hat, so daß hier ungefähr die antike Lichtwirkung be-
obachtet werden kann, anderseits aber auch wegen der inter-
essanten Bilder. Darunter ist die Tötung des Neoptolemos, nach
der Andromache des Euripides, und die sog. Caritä romana, Pero,
die ihren Vater Mikon im Gefängnis durch die Milch ihrer Brust
ernährt, besonders hervorzuheben. Das Epigramm, das den Vor-
gang erläutert („mit einem nicht vollständig lesbaren lateinischen
Epigramm") dürfte wohl in folgender Weise zu lesen sein:
Quae parvis mater natis alimenta parabat,
Fortuna in patrios vertu iniqua cibos.
Supplicii locus est; tenui cervice seniles
Aspice quam venae lacte dato tumeant.
Languentemque simul voltu fricat ipsa Miconem
Pero: tristis inest cum pietate pudor.
Doch ausführlicher darüber an einer andern Stelle. Maus Buch
wird, wie die früheren Auflagen, auch weiter fortfahren, den
Freunden des Altertums gute Dienste zu erweisen.
11) R. Engelmann, Pompeii. Translated by Talfourd Ely, M. A., F.
S. A.; London, H. Grevel & Co.; New-York, Charles Scribner's Sons,
1904. A. u. d. T. Famous Art Cities No. 1. Pompeii. 112 8. 8.
Mein Buch, das in den „Berühmten Kunststätten" Nr. 4 bildet,
ist in englischer Übersetzung als Nr. 1 einer gleichen Unternehmung-
2S2 Jahresberichte d. Philologe. Vereins.
erschienen; auf „Pompeii" soll Venice, l>y Dr. Gustav Pauli, weiter
Florence and Nuremberg erscheinen. Rome, Siena, Ravenna and
Cairo will represent a continuation. Leider ist das Buch gleich
von vornherein etwas ungenau geworden, insofern, ais durch Pais
als Direttore degli Scavi di Pompei der Eingang von der Porta
della Marina nach der Porta Stabiana verlegt ist. Pais wird ja
wohl seine Grunde zu dieser Veränderung gehabt haben, ebenso
wie für die andern Maßregeln, die er in bezug auf die Fuhrer
und andere Dinge in Pompeji getroiTen hat, aber dennoch kann
man sein rasches Vorgehen bedauern; sieht es doch vielfach so
aus, als ob er überall ausgeschaut habe, nicht, ob etwas ver-
ändert werden muß, sondern ob etwas verändert werden kann.
Man darf darauf gespannt sein, ob der Nachfolger nun nicht ohne
weiteres alle Maßnahmen seines Vorgängers kassiert, wie in andern
Ländern, in denen die Haupttätigkeit jedes neuen Beamten darin
besteht, to undo that has been done, um seine Macht und sein
Besserwissen zu zeigen. Die Ungenauigkeit, auf die ich an-
spielte, besteht hier darin, daß auf der ersten Seite gesagt wird,
daß man durch das Seetor die Stadt betritt. Das wird ja wohl
noch zu ertragen sein. Ich denke, daß auch, trotzdem der Ein-
gang nach der Porta Stabiana verlegt ist, das Buch weiter guten
Fortgang nehmen wird.
12) Fr. Prix, Pompeji. Begleitworte zu einer Reihe von Projektions-
bildern. (Sonderabdruck aus den Jahresber. des Theresia nischen
Gymnasiums 1899.) Wien 1899. 22 S. 0,80 Jt.
Daß Pompeji für höhere Schulen ein gewohntes Vortrags-
thema geworden ist, kann man begreifen und mit Freuden be-
grüßen. Je unmittelbarer auf den, der das Glück hat, den Boden
der alten Stadt zu betreten, das Altertum zu wirken pflegt, um
so mehr versteht man. daß die Lehrer ihren Schülern, wenn ihnen
auch der Besuch von Pompeji selbst unmöglich ist, durch Vor-
führen von Skioptikonbildern denselben Eindruck zu verschaffen
wünschen. Für die Beschaffung solcher Bilder hat, wie die Anm.
auf S. 1 meldet, die k. k. Hofmanu Faktur für Photographie
R. Lechner (Wilh. Müller), Wien I, Graben 31, besondere Vor-
bereitungen getroffen: sie liefert bei Abnahme einer größeren An-
zahl das Stück für 50 Kreuzer. Aber auch von anderen Firmen
sind zu ähnlichen Preisen gute Diapositive zu beziehen. Doch das
Vorführen der Bilder allein tut es nicht, es muß auch eine Er-
klärung dazu gegeben werden. Ist nun keiner unter den Lehrern
selbst in Pompeji gewesen, so könnte der begleitende Vortrag
Schwierigkeiten verursachen; in einem solchen Falle vermag das
hier besprochene Heftchen „Begleitworte41 einzutreten, das auf
Grund von Maus Führern und eigener Anschauung entworfen
worden ist. Ein paar kleine Versehen, die mit untergelaufen sind
(S. 3 wird in Bild 1 die Sorrentinische Halbinsel als östlich auf
Archäologie, von R. Engelmann. 283
der Karte liegend bezeichnet; das ist nicht gut möglieb. S. 4:
del7 Anfiteatro, 1. dell' Amfiteatro. S. 14 beißt es, daß nur zwei
Thermenanlagen gefunden seien: da sind die Zentralthermen nicht
mitgerechnet; sie waren allerdings noch nicht fertig, als der Aus-
bruch stattfand, aber ebensogut wie die Thermae M. Crassi Frugi
hätten sie auch eine Anführung verdient), können leicht korrigiert
werden.
13) C. Cichorius, Die römischen Denkmäler in der Dobrudscha.
Ein Erklärungsversuch. Berlin 1904, Weidmannsche Buchhandlung.
42 S. 1 JC.
Daß um das von Tocilescu in der Dobrudscha aufgefundene
große Denkmal (ein massiver steinerner Hundbau, der rings mit
Zinnen- und Metopenreliefs geschmückt war, die teils gefangene
Barbaren, teils Kriegsszenen mit Römern und Barbaren zeigten;
oben war das Denkmal von einem steinernen Tropäum gekrönt,
an dessen Fuße sich eine große, auf Trajan bezügliche Inschrift
befand) sich ein gewaltiger Krieg zwischen ßenndorf einerseits und
Furtwängler andrerseits entwickelt hat, dürfte allgemein bekannt
sein ; ist doch der Krieg wenigstens teilweise mit solcher Energie
geführt worden, daß man sich fragen mußte, wer in diesem so
schonungslos geführten Kampfe um das Tropäum nun seinerseits
ein Tropäum aufzurichten in der Lage sein werde. Da kommt
das Schriftchen von Cichorius gerade zur rechten Zeit. Er weist
nach, daß aus den beiden andern Denkmälern, die in unmittel-
barer Nähe des großen Tropäum stehen (ein viereckiger Altar,
der auf seinen vier Seiten die Namen der in einer Schlacht ge-
fallenen Römer, darunter auch zahlreicher Prätorianer, trug, und
ein rundes Grabdenkmal, in dessen Innerem noch Reste von ehe-
maligen Opfern aufgefunden wurden), sich eine andere Zeitbestim-
mung ergibt. Unter Domitian, im Jahre 86/87, war der Praefectus
praetorio Cornelius Fuscus mit seinem Heere, zu dem auch Prä-
torianer gehörten, über die Donau gegangen und von den Dakern
geschlagen worden; eine noch bedeutendere Niederlage hatte er
nach seinem Rückgang über die Donau auf dem rechten Ufer bei
Adamklissi erlitten; er selbst war gefallen, mit ihm mehrere
tausend Soldaten, und ein Legionsadler war von den Feinden
erbeutet. Dem Praefectus praetorio errichtet darauf Domitian bei
seinem Aufenthalt in iMösien ein Grabmonument, zugleich erbaut
er zum Andenken der gefallenen Soldaten einen Grabaltar. Erst
zwischen 101 — 106 unterwirft Trajan in den beiden dakischen
Kriegen ganz Dakien und gewinnt den unter Fuscus verlorenen
Adler wieder, den er wahrscheinlich im Tempel des Mars Ultor
zu Rom weiht; 107—109 erbaut Trajan sein Tropäum als Sieges-
denkmal und weiht es dem Mars Ultor.
Auf diese Weise werden alle Schwierigkeiten behoben, nament-
lich wird auch die von Furtwängler gegen Benndorf vorgebrachte
284 Jahresberichte d. Philolog. Vereius.
Tatsache verwendet, daß das Grabdenkmal und der Grabaltar aus
einem muschelhaltigen Stein aufgebaut ist, während bei dem
Tropäum ein festerer marmorartiger Stein verwendet wurde. Beide
Steine stammen aus demselben Steinbruch, man konnte zu dem
festeren Stein aber erst gelangen, nachdem der darüber anstehende
muschelhaltige Stein abgebaut war. Dadurch ergibt sich die Tat-
sache, daß Grabaltar und das Grabdenkmal älter sein müssen als
das Tropäum. Es scheint mir, daß durch die Aufstellung von
Cichorius allen Bedenken Furtwänglers die Basis entzogen ist, so
daß sein Gedanke, auf die Kämpfe des M. Licinius Crassus in
dieser Gegend (im Jahre 28 v. Chr.) das Tropäum zu beziehen,
endgültig zurückzuweisen ist.
14) E. Guhl et W. Koner, La vie autique, maauel d'archeologie grecque
et romaine, tradnit stir la 4« editioo de E. Guhl et W. Koner par
F. Trawioski, Chef du Secretariat des Musees Nationaux. Intro-
ductioa par Albert Duinoot, Membre de l'lostitut. Premiere partie —
La Grece. Deuxieme editioii, ornee de 578 vigoettes. Ouvrage
couroone par l'Acadeinie Franchise. Paris 1902, Librairie J. Roth-
schild, Lucien Lavenr, Editeur. 472 S. 8.
„Es gibt mehr Ding7 im Himmel und auf Erden, als eure
W ellweisheit sich träumt, Horatio4'. Wer sollte es für möglich
halten, daß, während hier in Deutschland von Guhl und Koner
Das Leben der Griechen und Römer im Jahre 1893 die sechste
Auflage in ganz neuer Form erschienen ist, in Paris im Jahre
1902 eine durchaus auf der vierten Auflage beruhende Über-
setzung in zweiter Auflage erscheint? Und daß der Übersetzer
sich damit entschuldigt, daß ihm von neueren Auflagen des Guhl
und Koner nichts bekannt geworden sei? Daß die bibliographi-
schen Verbindungen zwischen Deutschland und Frankreich in
diesem Maße abgebrochen seien, hätte wohl niemand vermutet. —
Die neueren Ausgrabungen in Olympia, Pergamon, Tiryns, Mykenai
sind in einem kurzen Anhange berücksichtigt, aber nur bis zum
Anfang der achtziger Jahre; selbst die eigenen Arbeiten der
Franzosen scheinen dem Hrsgb. unbekannt geblieben zu sein; so
sind z. B. die französischen Ausgrabungen in Delphi damit ab-
gefunden, daß vor der Preface de la deuxieme Üdition ein schlechtes
Bild des Aurige de Delphes gegeben wird. Es scheint, daß man
einfach den Druck der ersten Auflage wiederholt und zum Schluß
durch einen dürftigen Anhang auf die Höhe der Zeit (NB. 1885Ü,
während das Buch 1902 veröffentlicht ist) gebracht hat, und auch
in diesem dürftigen Anhang fehlt es nicht an Irrtümern. Und
dazu ist dies noch nicht la seconde Edition, sondern la deuxieme,
die also nach französischem Sprachgebrauch eine troisieme usw.
erwarten läßt. Que le bon Dieu nous en preserve. — Um dem
Hrsgb. Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, erwähne ich, daß er
am Schlüsse seiner Preface ausdrücklich auf die Weglassung der
neugefundenen Resultate aufmeiksam macht. Veutiire nous re-
Archäologie, vou R. Engelmann. 285
prochera-t-on d'avoiroublie bien des choses interessantes. Ce reproche
nous serait (res penible si l'oubli rietait pas volontaire:
il nous a semble, en effet, qu'il serait superflu sinon dangereux de
surcharger cet ouvrage de toutes les trouvailles archeologiques de
ces dernieres annees. Ce serait lui donner un air d'erudition
touffue qu'il ne doit pas avoir et lui enlever le caractere de livre
d'enseignement que nous desirons lui conserver. Damit ist die Sache
für alle Verständigen erledigt; die andern, die damit nicht zu-
frieden sind, um die kümmert sich eben der Hrsgb. nicht.
15) E. Aßmann, Das Floß des Odysseus, sein Bau und sein phöoiki-
scher Ursprung. Berlin 1904, Weidiiia ansehe Buchhandlung. 31 8.
8. 0,60 JC.
Daß die verschiedenen Versuche, nach der homerischen
Schilderung ein brauchbares, seetüchtiges Floß zu konstruieren,
bis jetzt nicht zum Ziele geführt haben, wird jeder dem Verf.
gern einräumen; auch wird niemand, denke ich, „anstehen, die
Art, wie Aßmann das Floß konstruieren läßt, für einen ent-
schiedenen Fortschritt zu halten. Nach Aßmann bringt Odysseus
zunächst eine Reihe von Rundstämmen ins Wasser, die unter-
einander durch querüber gelegte starke Bohlen, die Floßbänder,
vermittelst kräftiger, durch gebohrte Löcher geschlagene Holz-
pflöcke, yofMpoi, verbunden werden. Darüber errichtet er die
iKQia, eine Plattform oder einen von den aufsteigenden Rippen
getragenen Bretterboden; wenn also auch die Wellen über das
eigentliche Floß sich ergießen, sind sie doch außerstande, wenn
sie nicht durch Sturm zu ungewöhnlicher Höhe emporgetrieben
werden, dem Helden zu schaden, der hoch über ihnen auf einem
Sturmdeck dahinfährt. Damit ist den Worten der Kalypso: drao
IxQia nrfeai sti> avrijg vxpov (Sq <Ss tpiquatv ett* fieqoeidsa
novxov die richtige volle Bedeutung zuteil geworden. Das
andere bedarf keiner besonderen Ausführung. Während man dem,
was Verf. über das Floß des Odysseus sagt, beistimmen muß,
wird der zweite Teil vielfach Anfechtung finden. Verf. möchte,
auch auf sprachlichem Gebiete, nachweisen, daß die <r%eöii] und
mit ihm vieles andere, das jetzt für rein hellenisch gilt, den
Phönikern entstammt. Doch darüber gilt der Spruch: Adhuc sub
iudice lis est.
16) Roy C. Flickinger, The in eaning of inl rrjg oxrjvrjg in writers
of the fourth Century. S. A. aus Vol. VI der Decenuial Publi-
catioos der Uoiversity of Chicago, founded by Jobn D. Rockefeiler.
Chicago 1902. 4.
Hat Dörpfeld recht, wenn er behauptet, daß die griechischen
Schauspieler nicht auf einer erhöhten Bühne, sondern im Proskenion
vor dem Bühnenhaus gespielt haben? Die schon so vielfach be-
handelte Frage, die nicht zur Ruhe kommen kann, wie es scheint,
wird auch jenseil des Ozeans mit großem Ernst und Nachdruck
286 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
behandelt. Ein nicht unwesentlicher Beitrag wird in dem vor-
liegenden Schriftchen geleistet. In der Classical Review V (1891)
S. 97 hatte Mr. H. Richards gesagt: Aristotle several times uses
inl rijg axfjpfjg in a way very hard to reconcile wüh the new
theory . . . These passages appear to be decisive, unless any one
will maintain that Gxtjvij came to be applied to the orchestra or
some part of it. Und in der Tat, wenn ini nur bedeuten kann
auf, und also inl tfxrjvfjg heißt „auf der Bühne41, so ist die
Sache für das vierte Jahrhundert entschieden, da bei Aristoteles
mehrere Male inl (jxijvrjg vorkommt; danach wurde also Dörpfelds
Theorie für das vierte Jahrhundert abzuweisen sein. Wenn
das so ist. Der Verf. untersucht auf den vorliegenden Blättern
die Stellen, in denen Aristoteles den Ausdruck inl xrJQ (fxtjpyg
gebraucht, und kommt zu der Oberzeugung, daß die Worte nicht
in einem Sinn gebraucht sind, der Dörpfeld widerspricht. *Eni
bedeutet nicht notwendig auf. Wenn axrjwj = Bühnengebäude
ist, dann heißt inl tfjg axrjvrjg nicht auf dem Bühnengebäude,
sondern bei oder vor dem Bühnengebäude, bezieht sich also auf
den Raum, der vor oder dicht bei dem Hause ist. Im Gebrauche,
den das vierte Jahrhundert von den Worten macht, ist immer
ein Gegensatz hervorgehoben; mitunter ist der Chor unzweifel-
haft miteingeschlossen (und damit ist die Bedeutung auf der
Bühne ja deutlich verworfen), nie dagegen ist er sicher aus-
geschlossen. *Enl rijg axijvijg ist fast gleichzusetzen dem Aus-
druck iv ?cr> Ö-eccTQM. Man darf also daraus nicht Belehrung
über spezielle Einrichtungen der Bühne erzwingen wollen.
17) O. Hense, Die M odifizieruog der Maske in der griechischen
Tragödie. Aus der Festschritt der Universität Freibarg zum fünfzig-
jährigen Regierungsjubiläum Seiner Königlichen Hoheit des Groß-
herzogs Friedrich von Baden. Freiburg 1902. 4.
Eine Untersuchung, die bei der Lektüre des Sophokles recht
gründliche Beachtung verdient. Wir sind von unserem Theater
her gewöhnt, alle Veränderungen, die der Gang eines Stückes mit
sich bringt, sofort in den Zügen der Schauspieler zum Ausdruck
gebracht zu sehen. Wie ganz anders war dies im Altertum, wo
die vorgebundenen Masken eine willkürliche, sofort herzustellende
Veränderung ausschlössen! Es wird hier gezeigt, wie die Dichter
ursprünglich jeder Veränderung der Maske aus dem Wege gehen
und, wo der Zuschauer eine Veränderung des Gesichtsausdruckes
erwarten muß, durch äußere Hilfsmittel, durch Verdecken der
Person durch andere usw. ihm darüber hinweghelfen, wie aber
auch bei andern, die auf der Höbe dramatischer Kunst stehen,
notwendig eine Veränderung der Maske vorausgesetzt werden muß.
Den Anfang dazu, einen noch schüchternen Versuch, dürfte man
wohl in dem Agamemnon des Aischylos voraussetzen, wo Klytai-
mestra mit einem Blutstropfen auf der Stirn auf die Bühne her-
austritt und wo man „aus dem dreimaligen geflissentlichen Hin-
Archäologie, von R. Engelinann. 287
weis auf den Blutstropfen auf der Stirn Klytaimestras noch die
Genugtuung des Dichters herauszuhören meint, welche er seihst
über den damals noch unverbrauchten Kunstgriff empfand". In
bezug auf das von Lessing behandelte Beispiel des Thamyris.
dessen Maske zwei verschiedene Augen, ein schwarzes und ein
graublaues gehabt habe, von denen er das eine vor, das andere
nach der Blendung gezeigt habe, ist übrigens noch zu bemerken,
daß selbst eine „ängstlich zu wahrende Profilstellung'4 noch nicht
genügt haben wurde, den gewollten Zweck zu erreichen, da ja
der Schauspieler nie für das Halbrund des Theaters gleiche Stellung
hätte zeigen können; d. h., während die in der Mitte des Zu-
schauerraumes Sitzenden ihn im Profil gesehen hätten, wurde er
den nach der einen Ecke des &so.tqov zu Sitzenden fast en face
erschienen sein, während man auf der andern Seite nur seinen
Rucken erblickt hätte.
18) A. Müller, Jugendfürsorge in der römischen Kaiserzeit.
Hannover und Berlin 1903, C. Meyer (G. Prior). 28 S. 8. 0,75 JC.
Das Schriftchen ist aus einem Vortrag erwachsen, den der
Verf. im Historischen Verein für Niedersachsen in Hannover ge-
halten hat. Er weist darin nach, wie die Kaiser, besonders Nerva
und Trajan, für die Kinderalimentation gesorgt haben, durch die
in den italischen Landstädten unbemittelten Eltern eine Beihilfe
zu den Kosten der Aufziehung ihrer Kinder gewährt wurde. Wer
in dem Büchlein neue Funde suchen wollte, wurde es enttäuscht
aus der Hand legen. Wer aber nur Belehrung über das inter-
essante und besonders auch für die humanitären Bestrebungen
der Neuzeit wichtige Gebiet sucht, wird wohl auf seine Rechnung
kommen. Es wird gezeigt, wie sich die Fürsorge für die Kinder
aus der römischen Frumentation, der Verteilung von Getreide an
die ärmeren römischen Bürger, entwickelt hat und klargelegt, daß
der Zweck der Alimentation die Vermehrung der Bevölkerung
und Hebung der Wehrkraft Italiens war.
19) L. v. Sybel, Weltgeschichte der Kunst im Altertum. Grund-
riß von L. v. S. Zweite, verbesserte Auflage. Mit drei Farbentafeln
und 380 Textbildern. Marburg 1903, N. G. Elwertsche Verlagsbuch-
handlung. XII u. 484 S. 8. 10 Jt.
Das Werk, das nun schon in zweiter Auflage vorliegt, bedarf
keiner weiteren Empfehlung. Wie schon die erste Auflage sich
allgemeinen Beifall errungen hat, wird auch die neue, zweite, in
der die Ausgrabungen und Forschungen der neuesten Zeit ein-
gehend berücksichtigt sind und neue Tafein zugefügt andere durch
bessere ersetzt sind, sich sicher gleiche Beliebtheit erwerben. Der
Plan des Werkes geht nicht darauf aus, eine Denkmälerbeschreihung
oder eine Künstlergeschichte zu liefern, sondern Kunstgeschichte,
in der Weise, daß die verschiedenen Epochen der Weltgeschichte
in gleicher Weise berücksichtigt werden, ist der Zweck des Buches,
288 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
das zeillich und geschichtlich Zusammengehörendes zusammenfaßt.
„In solcher epocheweisen Zusammenfassung der gleichzeitigen Er-
scheinungen gestaltet sich die Weltgeschichte zu einem großen
Schauspiel, in welchem ein zahlreiches Personal über die Buhne
geht und ein buntes, doch immer geordnetes und übersichtliches
Bild vor Augen fuhrt. Im ersten Zeitraum, als in der Exposition,
treten die Völker einzeln auf, um bereits im zweiten das Zusammen-
und Gegenspiel zu eröffnen. Dadurch wird die Handlung immer
einheitlicher, bis sie den Leser auf breitem Strome gemächlich
dahinträgt". Im einzelnen sind einige Ausstände wohl zu machen,
doch sind sie nicht von wesentlicher Bedeutung.
20) A. Furtwängler nnd H. L. Urlichs, Denkmäler griechischer
und römischer Skulptur. Im Auftrage des Kgl. Bayer. Staats-
ministeriums des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten her-
ausgegeben. Handausgabe. Zweite, vermehrte Auflage. Mit 101 Ab-
bildungen. München 1904, Verlagsanstalt F. Bruckmann A.-6. J83 S.
8. 4,50 J5f.
Daß von der „Handausgabe", die das wegen seines großen
Formates und der teueren Ausstattung weniger verbreitete Werk
der „Denkmäler griechischer und römischer Skulptur, Auswahl
für den Schulgebrauch aus der von H. Brunn, P. Arndt und
Fr. Bruckmann herausgegebenen Sammlung14 für weitere Kreise
zu ersetzen bestimmt ist, schon die zweite Auflage nötig geworden
ist, zeigt deutlich, daß mit dem Werk einem wirklichen Bedürfnis
abgeholfen worden ist. Man findet darin nicht bloß die Haupt-
werke vertreten, die für die Geschichte der antiken Skulptur
wichtig sind, sondern man findet auch allgemeine Übersichten, so
daß das Buch fast als ein Handbuch der Kunstgeschichte
verwendet werden kann. Und dabei ist man nicht auf die Reihe
der überall abgehandelten Kunstwerke beschränkt, an denen man
sich fast müde gesehen hat, sondern die Aufmerksamkeit wird
auch auf diejenigen Kunstwerke hingelenkt, die erst seit kürzerer
Zeit bekannt geworden oder durcb neuere Forschungen in den
Vordergrund geruckt worden sind. Namentlich der Alexander-
sarkophag aus Saida, jetzt in Konstantinopel, verdient unter den
neueren Denkmälern hervorgehoben zu werden; ihm sind 10 Ab-
bildungen gewidmet. — Gegen die frühere Auflage zeigt die neue
wesentliche Verbesserungen, teilweise darin, daß weniger gelungene
Abbildungen durch bessere ersetzt, teilweise darin, daß neue
Tafeln eingesetzt sind. Auch der Text ist neu durchgesehen und
vielfach neu gestaltet worden. Die Tafel, die früher den Ägineten
gewidmet war, ist jetzt in Wegfall gekommen und durch eine
andere ersetzt worden, weil infoige der bayerischen Ausgrabungen
auf Ägina, durch die der bekannte Tempel als Tempel der Aphaia
nachgewiesen ist, eine Neubearbeitung der äginetischen Skulpturen
nötig geworden ist. Dieser hätte hier vorgegriffen werden müssen,
sollte anders die Tafel beibehalten werden. Die Meduse Rondanini
Archäologie, vou H. Engelmann. 289
ist hier zum ersten Male ohne die Unterlage veröffentlicht; auf
diese Weise wird der Eindruck, den sie macht, gewaltig erhöht.
— Daß jeder Leser mit allen Erklärungen einverstanden ist, die
von den Verfassern aufgestellt werden, ist nicht zu verlangen, so
2. ß. wird mancher den Gott im Fries der Ostseite, den Furtwängler
als Apollon benennt, lieber als Dionysos bezeichnen oder auch
für die drei liegenden Frauengestalten des Ostgiebels, die von
Furtwängler Molqai genannt werden, lieber einen andern Namen
wählen; aber das sind Nebensachen, in denen die Bedeutung des
Buches nicht liegt. Im allgemeinen kann man nur sagen, daß
beide Herausgeber mit den einfachsten Mitteln den Text so ge-
staltet haben, daß jeder Leser ihnen mit Vergnügen folgt und
sich von ihnen belehren läßt.
2]) Tb. ßirt, Laienurteil über bildende Kunst bei deo Alten.
Ein Kapitel zur antiken Ästhetik. Rektoratsrede, gehalten am
19. Okt. 1902. Marburg 1902, N. G. Elwertsche Verlagsbuchhandlung.
47 S. 8. I Jt.
Der Umstand, daß die Aula der Marburger Universität mit
Gemälden, Erinnerungen an Marburgs Geschichte enthaltend, aus-
geschmückt werden soll, hat dem derzeitigen Rektor die Gelegen-
heit geboten, der Frage näherzutreten, wie ein Kunstwerk über-
haupt beurteilt wird, und speziell die Frage zu untersuchen, wie
der Laie im klassischen Altertum ein Kunstwerk beurteilte. Und
da stellt sich die interessante Wahrnehmung heraus, daß, während
bei Homer deutliche Kunstfreude hervortritt, die nachfolgenden
Jahrhunderte, in denen wir mit Recht die Blütezeit der Kunst
erblicken, den Laien den Kunstwerken gegenüber völlig stumm
erscheinen lassen. Der Grund ist von ßirt wohl richtig erkannt:
„Bei Homer war die Kunst nur Kleinkunst, diente als Ornamentik
nur dem Privatgebrauch; die große Kunst des fünften Jahrhunderts
dagegen diente ausschließlich nur den öffentlichen Stätten; da
stand sie in neuer und fremder Erhabenheit, in regloser Schön-
heit, drang aber nicht ins Bürgerhaus, das Privathaus blieb noch
jedes ßilderschmuckes bar". Das ist im allgemeinen richtig; ob
aber nicht doch die Kunst schon früher auch ins Bürgerhaus
getreten ist, als Birt annimmt, kann fraglich erscheinen, man
müßte denn die Geschichte von Alkibiades, der den Agatharchos
zwingt, sein Haus mit Gemälden auszuschmücken, für eine aller-
dings recht früh entstandene Dichtung halten. Interessant ist es.
dem Redner durch das ganze Altertum hin zu folgen und zu
sehen, wie man über die Kunstwerke urteilte.
22) K. Weifsmann, Beitrage zur Erklärung und Beurteilung
griechischer Kunstwerke. I. Das sogenannte Harpyleomonument
von Xanthos. II. Der Ostfries des Athena- Niketempels auf der Burg
von Athen. IH. Zur Rekonstruktion des Erechtheionfrieses. Pro-
gramm des Kgl. humanistischen Gymnasiums Schweinfurt für das
Schuljahr 1902/1903. Schweinfurt 1903. 50 S. 8.
Die Übereinstimmung zwischen der Zahl der sitzenden Männer
Jahresberichte XXX 19
290 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
und Frauen (2 Frauen, 3 Männer) und der Zahl der von den
sog. Harpyien entführten oder auf Wegführung wartenden „Seelchen"
zwingt wohl zu der auch von Weicker, Der Seelenvogel, vertretenen
Ansicht, daß es sich beide Male um dieselben Persönlichkeiten
handelt, daß also einmal dargestellt wird, wie die Seelchen von
der Oberwelt weggeführt werden und wie anderseits die heroisierten
Toten in der Unterwelt von ihren Angehörigen Opfer und Gaben
empfangen. Weniger beistimmend kann man sich zu Nr. II ver-
halten. Von Eros auf der linken Seite des Ostfrieses ausgehend,
erkennt Verf. in den beiden Frauengestalten links Aphrodite und
Peitho, die, anders als Eros es will, Unheil säen. Ihre Tätigkeit
gilt dem Protesilaos (Fig. 7) und der Laodarneia (23), deren Ehe
durch den Ausbruch des Krieges getrennt wird. Aber ob Nr. 7
einem Manne angehört, ist doch sehr fraglich, und wie kann man
Nr. 7 mit Nr. 23 so eng verbinden wollen, trotzdem die beiden
Figuren durch so viele Zwischenfiguren getrennt sind? Auch die
Bedeutung der zwischen 7 und 23 stehenden Figuren scheint mir
nicht richtig erkannt zu sein. Weißmann möchte in den rechts
von der Mittelgruppe der Götter (Zeus, Athena, Apollon) stehenden
Figuren die Sage von der Opferung bezuglich den Selbstmord
der Töchter des Erechtheus (vgl. Lyc. c. Leokr. 101) dargestellt
sehen; dementsprechend soll die Gruppe links von den Göttern
die Opferung der Hyakinthiden oder der Töchter des Leos ent-
halten. Aber wie kann man zwei solcher Gruppen, die sich doch
ganz parallel laufen und sich gegenseitig ausschließen, nebenein-
ander auf demselben Denkmal vereinigen wollen? Dazu kommt,
daß nichts Charakteristisches in den Figuren enthalten ist, das
irgendwie zu einer Deutung nach dieser Seite hin nötigte. Auch
bei Nr. III (auf dem Erechtheionfries will der Verf. gleichfalls
athenische Sagen, die Anschirrung der Rosse durch Erichthonios
und das Opfer der Erechtheustochter dargestellt sehen) scheint
mir wenigstens der Beweis noch nicht erbracht zu sein, wenn-
gleich man die Möglichkeit an sich zugeben kann.
23) Viktor Cherbuliez, Athenische Plaudereien über eio Pferd
des Phidias. Obersetzt von Ida Riedisser, mit einem Nachwort
begleitet von Walther Amelung. Mit einer Tafel und 75 Abbildungen
im Text. Straßburg 1903, Heitz. 325 S. gr. 8. 8 JC.
Die bekannte, seit längerer Zeit in den Schulen als Lesestoff
eingeführte reizende Plauderei von V. Cherbuliez erscheint hier in
neuer Gewandung nach der Übersetzung von Ida Riedisser und
mit einem Nachwort von Walther Amelung, in dem die Frage
nach dem Herkommen der Parthenonrosse auf Grund sorgfältiger
Vergleich ungen, die durch zahlreich eingestreute Abbildungen er-
läutert werden, ausführlich behandelt wird. Die Übersetzung liest
sich gut und flüssig, so daß man meist gar nicht gewahr wird,
daß es sich um eine Übertragung aus fremder Sprache handelt.
Daß W. Amelung in seinem Nachtrag große Monumentenkenntnis
Archäologie, von R. Engelmann. 291
verrät, braucht nicht erst besonders hervorgehoben zu werden;
dessenungeachtet wird mancher mit dem Schlußresultat, daß die
griechischen Pferde nicht auf dem Wege über Kleinasien, sondern
auf dem über Ägypten eingeführt seien, sich nicht ganz einver-
standen erklären; wenigstens durfte wohl die Vermittlung über
Libyen mehr zu betonen sein. Man kann einräumen, daß die
ältesten griechischen Pferdedarstellungen in vielen Dingen mit
den altägyptischen übereinstimmen; allein viel von dieser schein-
baren Übereinstimmung ist doch auf das Ungeschick der Künstler
zu setzen. Auch scheint dem Ref. der Unterschied zwischen
Fahren und Reiten und der Übergang von einem zum andern
nicht genügend hervorgehoben zu sein. Wahr ist es ja (S. 255),
„daß in jener Zeit (bei Homer) die Kunst des Reitens bekannt
war", aber das Reiten, wie es sich bei Homer findet, kann doch
nicht als wirkliches Reiten bezeichnet werden. Ist ein Acker-
knecht, der, nachdem er den ganzen Tag gepflügt hat, seine
Pferde nach Hause reitet, oder ein Bursche, der auf dem Rücken
der Pferde zur Schwemme reitet, deshalb ein Reiter und sein
Pferd ein Reitpferd? Wie Hehn richtig hervorhebt, ist die Be-
nutzung des Pferdes als Reittier eigentlich nur zu begreifen bei
den Völkern der turanischen Tiefebene, und es liegt nahe, von
ihnen das Reitpferd weiter nach Westen gelangen zu lassen. Die
Vermutung (S. 280), daß die Alexanderstatuette des Neapler
Museums mit dem einzelnen Pferde zu einer größeren Darstellung
zusammengehöre, scheint Ref. nicht annehmbar, weil der äußere
Schmuck der beiden Rosse ganz verschieden ist. Man darf dabe-
freilich nicht von dem Zustand ausgehen, in dem sich die Alexander-
statuette jetzt befindet; der silberne Schmuck, der am Pferde
angebracht war, namentlich ein schön getriebener silberner Kopf,
der vorn die Brust zierte, ist, wie Ref. zu seinem Erstaunen im
Jahre 1896 wahrgenommen hat, inzwischen verloren gegangen,
ohne daß einer der Kustoden von dem Verbleib der Ornamente
etwas gewußt hätte.
24) Br. Sauer, Der Weber-La bordesche Kopf und die Giebel-
gruppen des Parthenon. Progr. Sr. Kgl. Hoheit dem Großherzog
von Hessen nnd bei Rhein znm 25. Aug. 1903 gewidmet von Rektor
und Senat der Landesuniversit'ät. Mit drei Tafeln. Berlin 1903,
G. Reimer. 117 S. 4. 4 Jt.
Ein schon lange bekannter, häufig abgebildeter Kopf, der aus
dem Besitz des Kunstfreundes David Weber in Venedig in das
Eigentum des Grafen Leon de Laborde übergegangen war, wird
hier eingehend gewürdigt. Die Zugehörigkeit zum Parthenon war
schon immer allgemein zugegeben; an welche Stelle er aber ge-
hörte, darüber gingen die Meinungen weit auseinander. Der Verf.
der vorliegenden Abhandlung sucht die Frage grundlich zu be-
19*
292 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
antworten; nachdem er die Geschichte des Kopfes berichtet, gibt
er eine eingehende Würdigung, bei der auch die alten und neuen
absichtlichen und unabsichtlichen Verletzungen zu ihrem Rechte
kommen, und gewinnt dadurch mannigfache Anhaltspunkte, um
über den Giebel, dem er einst angehörte, und den Platz im Giebel
Genaueres festzustellen. Nach Sauer gehört der Kopf in den Ost-
giebel, der nach ihm folgende Gestalt annimmt: In der Mitte sitzt
Zeus, sozusagen seine Stunde erwartend, um ihn sind die bevor-
zugten Götter versammelt; um ihn ist Eileithyia bemüht, ihm
gegenüber tritt Hephaistos, der ihn mit kurzem Schmerz von
langer Pein befreien soll. Jetzt schwingt er das Heil, und aus
dem Haupte des Zeus springt Athena im Schmuck der Waffen.
Hephaistos prallt zurück, Eileithyia weicht mit ausgebreiteten Armen
zurück; mit Staunen sehen den Vorgang zunächst Poseidon als
Nachbar des Zeus, und Apollon, neben der Athena Leto mit
Artemis. Und nun erregt den ganzen Olymp das Unerhörte.
Während Ares erstaunt näher schreitet, enteilt Hebe wie ein
scheues Reh; Demeter, die, auf ihr Zepter gestützt, sich an Köre
lehnt, lenkt ihrer Tochter Blick auf das Wunder, nur der junge
Gott, der weichlich bequem neben ihnen ruht, nimmt sich Zeit
dazu, gleich den Nachbarinnen zu bewundern. Von der andern
Seite naht sich die Siegesgöttin mit der Binde, um Athena zu
krönen, Hermes eilt in die Welt hinaus, und drei herrliche
Göttinnen, die eng aneinander geschmiegt sitzen, wenden dem Er-
eignis der Mitte ihre Aufmerksamkeit zu. Und zu beiden Seiten
da wandeln ungestört, fast teilnahmlos, die Himmelsgötter ihre
ewige Bahn.
Ob der Vorschlag allseitig angenommen wird? Es ist bei
einer derartigen Untersuchung mit so vielen Einzelheiten, so
vielen Unbekannten oder nicht sicher Bekannten zu rechnen, daß
man sich nicht wundern darf, wenn dem einen oder andern die
Rechnung nicht ganz zu stimmen scheint. Aber immerhin kann
man doch behaupten, daß Sauer die Sache sehr wahrscheinlich
gemacht hat und daß er sich durch seine feinsinnige Unter-
suchung um den Weberschen Kopf und die ganze Parthenonfrage
große Verdienste erworben hat.
25) Gauckler, Täte de poete grec decouverte aCarthage. Mit
einer Tafel. Coostaotioe 1903. HS. 8.
Es ist eine Freude, zu sehen, mit welcher Schnelligkeit die
Ergebnisse der Ausgrabungen in Tunis der Öffentlichkeit mitgeteilt
werden. Während z. B. heute noch die delphischen Ausgrabungen
nur bruchstückweise veröffentlicht sind, läßt Gauckler die von ihm
gefundenen Altertümer sofort an das Licht treten und gibt dadurch
allen sich dafür Interessierenden die Möglichkeit, gleichsam an
der Fundarbeit mitteilzunehmen und der Resultate sich zu er-
freuen. Und dabei findet er nocb Zeit, andere Arbeiten, die viel
K
Archäologie, von R. Engelmann. 293
Zeit und Sorgsamkeit erfordern, zu übernehmen und zur An-
erkennung aller auszuführen. Der Kopf, um den es sich hier
handelt, ist 1899 dicht bei dem Theater von Karthago gefunden,
jetzt aber von seinem Besitzer an das Bardom useum abgetreten
worden. Es ist eine Kopie des früher als Seneca bezeichneten
Typus, der durch den Efeukranz (in einem auf dem Palatin ge-
fundenen Exemplare) als Dichter bezeichnet wird. Der Umstand,
daß der Kopf von Karthago dicht bei dem römischen Theater
gefunden wurde, läßt Gauckler einen Augenblick daran denken,
daß es sich um einen im Theater aufgestellten Dichter, einen
tragischen Dichter, handeln könnte, doch legt er selbst keinen
Wert auf diese Vermutung. Im allgemeinen bleibt nur die Be-
ziehung auf Kallimachus und Philetas übrig; daß an Seneca nicht
zu denken ist, wird durch die in das Berliner Museum übergegangene
Doppeiherme bewiesen, die neben Sokrales den mit Namen be-
zeichneten Seneca aufweist, einen vom unsrigen gänzlich ver-
schiedenen Typus, in der Villa Albani ist der in Frage stehende
Kopf mit einem andern gepaart, der nach Heibig (Führer durch
die Sammlung klassischer Altertümer in Rom, 2. Aufl., II S. 4
Nr. 754) als Menandros erklärt werden soll; doch ist der erwartete
Beweis bis jetzt nicht geführt. Wenn, wie man bisher annahm,
mit dem zweiten Kopf der Villa Albani Propertius gemeint ist,
dann wäre der sog. Senecakopf ohne weiteres als der entsprechende
griechische Dichter, d. h. Kallimachus oder Philetas, aufzufassen;
vgl. Propert. II 34, 31 und III 1,1
Callimachi manes et Coi sacra Philetae,
In vestrum, quaeso, me sinke ire nemus.
Aber zwischen diesen beiden wird freilich wohl die Wahl zweifel-
haft bleiben, solange nicht eine Kopie mit Inschrift die Sache
entscheidet.
26) Fr. B. Tarbell, A Greek Hand-mirror. A Cantharus frora the
factory of Brygos. S. A. aas Bd. VI The deceanial Publications of
the Uoiversity of Chicago, foanded by John D. Kockef eller. Mit drei
Tafeln. Chicago 1902, the University of Chicago Press. 4.
Ein Spiegel, der im Kunstmuseum von Chicago niedergelegt
ist und für den griechischer Ursprung nicht ohne Wahrschein-
lichkeit geltend gemacht wird, und eine Vase, die dem Museum
of Fine Arts in Boston gehört, werden hier in wohlgelungenen
Abbildungen dem Publikum vorgeführt. Es ist oft genug Klage
geführt worden, wie heutzutage die interessantesten Altertümer
ihren Weg über das Meer antreten, und wenn das so geschieht,
wie in dem Falle Pierpont Morgan, über den vor kurzem in den
Zeitungen berichtet wurde (in Italien waren mehrfach wertvolle
Gegenstände aus Kirchen und anderswoher gestohlen worden; kurze
Zeit darauf wurden sie in London im Burlington Fine Arts Club
als Besitz von Pierpont Morgan ausgestellt. Dagegen hat Corrado
294 Jahresberichte d, Philolog. Vereins.
Ricci im Giornale d'Italia vom 14. Juli d. J., vgl. Kunstcbron. 1904
S. 526, eine wohl berechtigte Philippika losgelassen), dann ist
natürlich mancherlei dagegen einzuwenden. Aber weshalb sollen
auf anderem Wege die Amerikaner nicht als Mitbewerber auf-
treten? Es ist ja eine wahre Freude, zu sehen, wie in dem meist
als durchaus materiell verschrienen Volke Kunst und Wissenschaft
und auch die alten Sprachen gepflegt werden, die bei uns nun
ja bald aus den höheren Schulen hinauskomplimentiert sein
werden, und wie man die Museen allseitig pflegt und fördert.
Und wie liberal wird die Verwaltung geführt! Da gibt es in
Italien zahlreiche Museen, die interessante Sachen in sich bergen;
der Direktor ist vielleicht auch willig, die Sachen, die nicht aus-
gestellt sind (damit hat es immer meist gute Wege), dem zu-
reisend en Gelehrten zu zeigen, weil er ein Interesse daran hat,
die Bedeutung seines Museums in das hellste Licht gesetzt zu
sehen; aber sobald man nur Miene macht, sich für die Veröffent-
lichung des betreffenden Stückes zu interessieren, dann läßt der
Direktor es schleunigst in der Versenkung verschwinden, obgleich
er für seine Person vielleicht für viele Jahre durchaus nicht in
der Lage ist, selbst an die Übernahme der Veröffentlichung zu
denken. Wie süß muß es doch sein, wenn man selbst etwas
nicht machen kann, doch wenigstens dafür zu sorgen, daß auch
andere es nicht machen können! In Italien, sagte ich? Wozu
in die Ferne schweifen? Es soll auch anderwärts Museen geben,
wo ein nur wenig abweichendes Verfahren beobachtet wird. Da
bildete das British Museum eine wohltuende Ausnahme, wo der
kürzlich verstorbene A. S. Murray erklärte, daß er, wenn gewünscht,
das ganze Museum zur Veröffentlichung bereit stellte (vgl. Rev.
arch. 1904, I, S. 270: You are aJt liberty to get the whok Museum
photographed). Und er handelte auch wirklich nach diesen Grund-
sätzen. Aber fast noch größer ist die Liberalität der amerikani-
schen Museen, wenigstens habe ich dies bei zweien, dem von
Boston und Bryn Mawr, selbst erprobt. Man bittet um die Er-
laubnis, irgendein Stück, von dem man weiß, daß es in das
dortige Museum gelangt ist, zu veröffentlichen, und man erhält
nach kurzer Zeit nicht nur die erbetene Erlaubnis, sondern auch
kostenlos noch wohlausgeführte Photographieen des betreffenden
Gegenstandes, kurz, es wird mit der größten Liberalität verfahren.
Unter solchen Umständen hat man gar keinen Grund, den amerika-
nischen Museen eine Erweiterung zu mißgönnen, geben sie doch
jedem sich für die Veröffentlichung Interessierenden die Möglich-
keit, die Antiken ihres Besitzes zu veröffentlichen. Und gehen
sie doch selbst ihrerseits kräftig vor, um die in ihrem Besitz be-
findlichen Gegenstände allgemein bekannt zu machen. Dafür sind
die vorliegenden Abhandlungen Mr. Tarbell's ein neuer Beweis.
Die Vase, deren Bilder zwei Liebesverfolgungen des Zeus dar-
stellen, wird mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit auf den Maler
Archäologie, voo R. Engelmann. 295
Brygos zurückgeführt und dadurch die Vase als ein besonders
wertvolles Monument erwiesen.
27) W. Altraaoo, Architektur and Ornamentik der antiken
Sarkophage. Mit 33 Abbildungen im Text und 2 Tafeln. Berlin
1902, Weidmannsche Buchhandlung. 112 S. S. 4 JC.
Die Arbeit, deren erster Teil schon als Dissertation (De
architectura atque ornamenüs sarcophagorum) erschienen war, ist
von C. Robert angeregt worden, der bei seiner Sarkophagarbeit
den Wunsch hatte, unabhängig von der Darstellung das rein
Formale der Sarkophage untersucht zu sehen; Verf. geht, wie
natürlich, vom Orient aus, wo die anthropoide Form zuerst uns
entgegentritt, behandelt darauf die Hausform, die Theke, die
xllvai (der Verf. schreibt immer xXivai), die Altarform, die ge-
riefelten Sarkophage und die Säulensarkophage. Ein Hauptergebnis
ist, daß die griechischen Sarkophage von den griechisch-römischen
eigentlich nicht gesondert werden dürfen, wie man bis jetzt immer
zu tun pflegt; es scheint, daß wir es bei den griechischen mit
dem vornehmen Typus zu tun haben, während die griechisch-
römischen dem vulgären Geschmack Rechnung tragen, vielleicht
für römische Käufer gearbeitet sind. Die Viktorien auf dem
Sarkophag von Porta Salaria tragen übrigens keine Tropäen,
sondern sie halten jede eine axvXlg, wie die Nike von Samothrake,
den Flaggenstock, dessen Wegnahme beim Erobern eines Schiffes
als Siegeszeichen galt.
28) Gauckler, La mosaique antique. Extrait du Dictionnaire des
Aotiquites. Paris 1904, Hachette & Gie , editeurs. 45 S. 4.
Der Mann, dessen Verdienste um die Altertümer der Regent-
schaft Tunis wiederholt auch hier hervorgehoben worden sind,
hat trotz der Unsumme von Arbeit, die sein Amt von ihm ver-
langt, noch die Zeit und die Lust gefunden, der mühseligen
Arbeit sich zu unterziehen, welche die Geschichte des Mosaiks ver-
langt. Allerdings ist niemand gerade mehr zu dieser Arbeit be-
rufen als derjenige, dem die Altertümer von Tunis unterstellt
sind; gibt es doch kein Land, wo so zahlreiche Reste von Mosaiken
sich erhalten haben und mitunter fast unversehrt sich erhalten
haben, wie gerade die Regentschaft Tunis. Der Grund davon
ist leicht einzusehen. In den andern Ländern, die fortwährend
unter Kultur gestanden haben, sind die Mosaiken durch den Pflug
und die Menschenarbeit meist bis auf traurige Trümmer zerstört;
Pompeji, das unter der Asche des Vesuv wohlerhalten ist, hat
zwar hervorragende Reste von Mosaiken erhalten (ich denke vor
allem an die Alexanderschlacht), aber auch hier war durch das
Erdbeben von 63 n. Chr. mancherlei zerstört, und ferner ist die
Stadt zugrunde gegangen, bevor eine solche allgemeine Verwendung
des Mosaiks stattgefunden hat, wie wir es in Nordafrika kennen
296 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
lernen. In der Regentschaft Tunis dagegen ist sozusagen die
Blute der Mosaikzeit über das Land gegangen; aber noch bevor
die Menschen Zeit gehabt haben, die Reste des Altertums zu zer-
stören, hat der alles bergende Sand sie verhüllt und bis auf
unsere Tage fast unverletzt aufbewahrt, so daß der Spaten des
Ausgräbers den Boden fast in dem Zustande bloßlegt, in dem der
Mosaikarbeiter ihn verlassen hat. Es kommt noch dazu, daß
nicht, wie in Italien und den andern römischen Provinzen, in
Afrika immer dieselben hundert- und aberhundertmal wiederholten
Gegenstände wiederkehren, sondern daß auch dem Stoffe nach
höchst interessante und eigentumliche Darstellungen zum Schmucke
des Bodens gewählt sind. Alles das bietet sich dem Direktor der
Ausgrabungen in der Regentschaft Tunis in erster Hand, und so
ist es erklärlich, daß er für diese Art von Denkmälern ein großes
Interesse gefaßt hat. Daß er aber auch mit dem ernstesten Fleiß
an sie herangetreten ist, das zeigt das vorliegende Buch, wenn
man den längeren Artikel des Dictionnaire des Antiquites so nennen
darf, auf jeder Seite.
In einer Besprechung, die in der Berliner phil. WS. ver-
öffentlicht wird, habe ich ausgeführt, daß er die Bezeichnung
lithostrota nicht richtig auffaßt, wenigstens nicht nach dem ursprüng-
lichen Sinne, der in dem Worte liegt. Lithostroton bedeutet
eigentlich nur einen Steinbelag; während man bis zu Sullas Zeit
aus kleinen Steinchen, oder auch aus Glasfluß (das Material war
eben Nebensache, die Kunst Hauptsache), förmliche Gemälde zum
Schmuck des Fußbodens herstellte, mußte von da ab die Kunst
dem Material weichen; die bisher beliebten Arten der Technik
wurden in den vornehmen Häusern aufgegeben; an Stelle der mit
Ornamenten und Figuren geschmückten Mosaik wurde der Boden
mit kostbaren, aus der ganzen Welt zusammengesuchten Platten
von bunten Marmorarten und anderen Steinen bedeckt. Noch
spät zeigte man in Präneste im Tempel der Fortuna das erste
derartige Paviment, das Sulla dort hatte ausführen lassen, und
zwar waren die Steine immer noch klein, zum Zeichen, daß man
auch damals, beim Beginne des Luxus, noch Maß zu halten suchte
oder wegen Beschränktheit der Mittel zum Maßbalten gezwungen
war, während man sich später nicht scheute, die kostbarsten
Marmorplatten in großen Stücken auf den Fußboden zu legen.
(Plin. n. h. 36, 189 lithostrota coeptavere jam sub Sulla, parvulis
certe crustis, extat hodieque quod in Fortunae delubro Praeneste
fecit.) Das sind also lithostrota; durch ihre Einführung wurde
es möglich (abgesehen davon, daß man natürlich vielfach die alte
Einrichtung auch noch auf dem Fußboden beibehielt), die bunt-
farbigen Würfel von Marmor und Glas, deren man sich bis dahin
zum Ausschmücken des Fußbodens bedient hatte, nunmehr für
die Wände zu benutzen. Aber auch hier wird das Mosaik bald
von dem Marmor verdrängt; vgl. M. Annaeus Seneca controv.
Archäologie, von R. Engelmano. 297
II 1, 12 in hos ergo exitus varius ille secatur lapis et tenui fronte
parietem tegit und L. Annaeus Seneca cp. 86 pauper sibi videtur
ac sordidus, nisi parietes magnis et pretiosis orbibus refulserunt,
nisi Alexandrina marmora Numidicis crustis distincta sunt. Da-
mals wurde das eigentliche Mosaik für die camarae, d. h. die ge-
bogenen Flächen der Wölbung, verwendet, bei denen wegen der
Krümmung der Fläche Schmuck aus Steinplatten unmöglich war.
Daß später der Unterschied zwischen lithostrota und opus vermicu-
latum und tessellatum sich verwischte, kann man leicht zugeben,
aber für die Geschichte des Mosaiks ist die ursprüngliche Be-
deutung entschieden festzuhalten, wie die Worte des Plinius deut-
lich zeigen.
29) W. H. Röscher, Ausführliches Lexikon der griechischen
and römischen Mythologie, im Verein mit Th. Birt, L. Bloch,
0. Crusias u. a. herausgegeben. Mit zahlreichen Abbildungen. 47. bis
51. Lieferung, Peirithoos — Phoinissa. Leipzig 1904, B. G. Teubner.
Lex. 8.
Das „ausführliche Lexikon der Mythologie44 hat seit dem letzten
Bericht wieder tüchtige Fortschritte gemacht; der erste Teil des
dritten Bandes ist abgeschlossen und von der zweiten Hälfte schon
ein tüchtiges Stück gefördert, so daß man den endlichen Ab-
schluß sich wenigstens nahen sieht. Von ausführlicheren Artikeln
sind hervorzuheben : Patroklos, Pegasos, Peirithoos, Peleus, Pelias,
Pelops, Penates, Penelope, Perseus, Personifikationen, Phaethon,
Phaiaken, Phaidra, Philoktetes, Phineus. Eine Besprechung im
einzelnen ist natürlich hier ausgeschlossen.
30) O.Gruppe, Griechische Mythologie und Religionsgescbichte.
A. u. d. T. Handbach der klassischen Altertumswissenschaft in syste-
matischer Darstellung mit besonderer Rücksicht auf Geschichte und
Methodik der einzelnen Disziplinen, herausgeg. von Iwan v. Müller.
Bd. V, 2. Abteilung.
Jetzt fehlt uns nur noch ein kleiner Teil. „Bogen 1 — 48
war bereits früher ausgegeben, die vorliegende Lieferung umfaßt
die Bogen 49—72, was am Abschluß des Werkes noch fehlt, wird
in einer letzten Lieferung von etwa gleichem Umfange nach Zu-
sicherung des Herrn Verfassers bis Anfang 1904 erscheinen können",
heißt es in der Vorbemerkung der Verlagsbuchhandlung auf der
zweiten Umschlagseite. Das hat sich zwar nicht ganz erfüllt, aber
man darf sich billig nicht darüber wundern, daß ein so mühseliges
gelehrtes Werk wie die Gruppesche Mythologie nicht ganz in der
ursprünglich festgesetzten Zeit beendigt werden kann. Vielleicht
hat auch die Abfassung des Index, der mit der Schlußlieferung
ausgegeben werden soll, die Ausgabe des Werkes etwas verzögert.
Erst mit dem Index wird das Werk recht brauchbar werden; ich
darf mir bis dahin wohl auch ein näheres Eingehen sparen, da
man vorläufig nur schwer aus der Fülle des Gebotenen sich her-
298 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
ausfindet. Hoffen wir, daß der Verf., dessen unendlichen Fleiß
schon jetzt jeder anerkennen und bewundern muß, das Ziel,
das er sich gesteckt hat, bald erreicht.
31) M.W. de Visser, Die nichtmenschengestaltigen Götter der
Griecheu. Leiden 1903, Buchhandlung vormals E. J. ßrill. X u.
272 S. 8. 5 JC.
Das Buch ist im ganzen eine Neubearbeitung der 1900 er-
schienenen Dissertation des Verfassers: De Graecorum diis non
referentibus speciem humanam. Die Materialiensammlung, worin
ja der Hauptwert des Buches bestand, ist dieselbe geblieben, da-
gegen ist der erste und dritte Teil jetzt zu einem verschmolzen.
Die Prinzipien, von denen Verf. ausgeht, sind sicherlich zu billigen,
„die Haupttriebfeder der Stein-, Klotz-, Baum- und Tierverehrung
scheint mir der Glaube zu sein, daß sie beseelt seien oder Geister
in ihnen hausen, welche dem Menschen schaden oder nutzen
können, und deren Gunst er sich durch Opfer und Gebete zu
erwerben sucht". Erfreulich ist es auch, daß er den Versuch
der sogenannten „vergleichenden Mythologen", alle Mythen aus
Naturerscheinungen zu erklären, verwirft: „die Verschiedenheit
ihrer Deutungen zeigt schon die Schwäche ihrer Theorie". Nur
dadurch, daß man die heutigen Naturvölker studiert und in ihr
primitives Leben und Denken eindringt, kann es uns gelingen,
das Dunkel des Hintergrundes zu lichten, aus dem die klassischen
Religionen erwachsen sind. Durch die sorgfältige Zusammen-
stellung all des Materials, das uns in bezug auf die einschlägigen
Fragen aus dem Altertum überliefert ist, hat Verf. sich um die
mythologische Forschung ein großes Verdienst erworben.
32) Georg Weicker, Der Seelenvogel in der alten Literatur
und Kanst. Eine mythologisch-archäologische Untersuchung. Mit
103 Abbildungen im Text. Leipzig 1902, B. G. Tenbner. VII u.
218 S. gr. 4. kart. 28 JC.
Das Buch, eine Weiterausführung der schon 1895 in Leipzig
erschienenen Dissertation des Verf.s: De Sirenibus quaestiones
selectae, kann als vorzuglicher Beweis dienen, was emsiger Fleiß
und ernstes Bemühen trotz allen in den Weg gelegten Schwierig-
keiten zu leisten vermag. Man wird dem Buche mit seiner um-
fassenden und erschöpfenden Gelehrsamkeit nicht ansehen, daß es
in einer kleinen, fast aller literarischen Hilfsmittel entbehrenden
Stadt (der Verf. ist Lehrer in Annaberg i. S.) entstanden ist.
Weicker entwickelt einen schon von Crusius und Rohde aus-
gesprochenen Gedanken weiter, daß die Sirenen Totengeister sind,
aus der großen Schar der namenlos umherschwirrenden Seelen
losgelöste und mit speziellen Funktionen versehene Dämonen,
völlig wesensgleich den andern Gestalten der niederen griechischen
Mythologie, den Keren, Erinyen, Harpyien und stymphalischen
Archäologie, von R. Engelmaoo. 299
Vögeln. Die Seelen der Verstorbenen brauchen zu ihrer Fort-
existenz Blut und Liebesgenuß; wird ihnen beides versagt (auch
Täuschung ist nicht ausgeschlossen, denn selbst die Geister lassen
sich betrugen oder mit einem Scheinbild abfinden), dann steigen
sie aus dem Grabe auf, um als blutsaugendes und buhlendes Ge-
spenst sich den ihnen gebührenden Tribut selbst zu holen; jede
Seele hat das Bestreben, andere nachzuziehen, am meisten natur-
lich dann, wenn jemand gewaltsam dem Leben entrissen ist;
seine Seele folgt als Erinys dem Mörder nach und ruht nicht,
bevor sie sich an seinem Blute satt getrunken und ihm die Seele
entfährt hat. Mit der Einführung des Glaubens an den alles
bergenden Hades hätte natürlich dieser Glaube eigentlich schwinden
müssen; aber daß das Volk vielfach ältere Vorstellungen festhält,
die in den Verhältnissen nicht mehr begründet sind, ist ja eine
ganz gewöhnliche Erscheinung. Ob dieser als Vogel mit Menschen-
kopf erscheinenden Seele der Name Sirene mit Recht zukommt,
dafür scheint die Weickersche Beweisführung nicht bindend: „Da
bei gleichem Ursprung und Wesen allen Todesdämonen dieselbe
Gestalt, die des menschenköpfigen Vogels, in gleicher Weise zu-
kommt, können alle derartigen Darstellungen mit vollem Recht
für die Sirenen, denen durch die Darstellungen des Odysseus-
abenteuers jene traditionelle Gestalt gesichert ist, in Anspruch
genommen werden'4. Da könnte man doch ebensogut schließen:
Da nach Homer (in der Sage von den Töchtern des Pandareos)
die Harpyien als menschen wegraffende Wesen deutlich bezeichnet
werden und ihre aus Mensch und Vogel zusammengesetzte Gestalt
mit Namensbeischrift auf Denkmälern vorliegt, ist es geboten,
diese Mischwesen, sobald sie Menschen forttragend dargestellt sind,
als Harpyien zu benennen. Aber in Wahrheit kommt darauf
nichts an, weil diese Todesdämonen untereinander fast gleich-
wertig sind und so einer für den andern eingesetzt werden können;
vgl. S. 32 A. 3. Das Mosaik aus Pesaro, auf dem die Lamien als
Vögel mit Menschenköpfen erscheinen (S. 33 Fig. 14), ist mit Un-
recht hier angezogen worden; es ist nicht, wie der Verf. nach
Carducci meint um das Jahr 500 anzusetzen, sondern es gehört
dem karolingischen Zeitalter oder dem zunächst darauf folgenden
Jahrhundert an, wo nicht die Ausklänge des Altertums, sondern
die ersten Anzeichen einer Wiederbelebung des Altertums sicht-
bar werden, vgl. „Im neuen Reich" 1872, I, S. 407 fg.; damit
fallen natürlich auch die Folgerungen, die S. 208 aus dem in
Frage stehenden Bild gezogen werden. Doch tut das dem Erfolge
des Buches keinen Eintrag, das wegen der Vollständigkeit der
Materialiensammlung und wegen der eingehenden und sorgsamen
Behandlung der Frage einen ehrenvollen Platz in der mythologi-
schen Literatur verdient.
300 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
33) K. Pillin g, Pergameoische Kulte. Beilage zum Jahresbericht des
Domgyinuasiams zu Nanmbnrg a. S. 191)3. Progr. Nr. 284.
In einem apollinischen Orakel, das nach Fränkel von dem
Apollo Chresterios bei Ägä in der Äolis erteilt ist, werden vier
Götter als Hauptgötter von Pergamon genannt, Zeus, Athena,
Dionysos und Asklepios. In bezug auf diese Götter ist von dem
Verf. alles, was sich auf ihren Kult in der Stadt der Attaliden
bezieht, mit großer Sorgfalt gesammelt und hier zusammengestellt
worden. Wo Szenen des sog. Telephosfrieses zur Begründung
ausgesprochener Ansichten mitherangezogen werden, wird man
gut tun, vorläufig sich einer festen Meinungsbildung zu enthalten,
da auch nach den Schraderschen Anordnungsversuchen, ja selbst
nach den neuesten Brücknerschen Studien nur das eine als sicher
zu bezeichnen ist, daß vorläufig noch keine sichere Deutung ge-
jungen ist. Daß mit der Zeit auch hier noch eine sichere Lösung
zu erhoffen ist, scheint mir unzweifelhaft, aber bis jetzt ist das
Ziel noch nicht erreicht.
34) Fr. Hanoig|, De Pegaso. A. o. d. T. Breslauer Philo!. Abhandlungen,
herausgegeben von R. Förster. VIII. Bd., 4. Heft. Breslau 1902, M. u. H.
Marcuse. 162 S. 8. 6 JC.
Es liegt hier der volle Abdruck der Abhandlung vor, deren
erster Teil schon als Dissertation ausgegeben war. Das Buch,
R. Förster gewidmet, zerfallt in drei Teile: I. De fabulis quae ad
Pegasi ortum pertinent. II. De fabulis quae ad Pegasum cum
Bellerophonte conexum pertinent. III. De fabulis in quibus Pegasus
fontium auctor fertur. Man kann dem Verf. nachrühmen, daß er
fleißig gesammelt hat, es sind nur wenige Monumente nach-
zutragen (z. B. ein Wandgemälde des Hauses des Lucretius Fronto
in Pompeji, das ich in einem Berichte über die neuesten Aus-
grabungen von Pompeji in der Zeitschrift f. bildende Kunst 1901
erwähnt habe). Auf die Bellerophonsage näher einzugehen, lehnt
Hannig ab, sonst wären da verschiedene neu hervorgetretene Denk-
mäler zu erwähnen. Ich hoffe, die betreffenden Vasenbilder, denn
um solche handelt es sich, bald im Jahrb. d. Inst, veröffentlichen
zu können. S. 51 ist Medusa irrtümlich anstatt Minerva gedruckt;
andere Druckfehler sind als »solche leicht zu erkennen und zu
verbessern.
35) H. Wolf, Einführung in die Sagenwelt der griechischen
Tragiker. Leipzig 1902, H. Bredt. 165 S. 8. I,b0 JC.
Das Buchlein ist, nach der Vorrede, in erster Linie für die
Schuler der Oberklassen bestimmt, nicht nur auf dem Gymnasium,
sondern noch mehr auf dem Realgymnasium und der Oberreal-
schule, wo die griechischen Tragiker in deutscher Übersetzung
gelesen werden. Ob es dann nötig war, so wie es Verf. tut, in
die Urbedeutung der Mythen einzugehen und alles sozusagen in
Archäologie, von R. Engelmaoo. 301
den Kampf des Lichtes mit der Finsternis aufzulösen, kann frag-
lich erscheinen, besonders solange die Mythendeutung immer noch
als etwas Zweifelhaftes, nicht allseitig Anerkanntes bezeichnet
werden muß. Aber davon abgesehen, läßt sich dem Verf. nach-
rühmen, daß er gutes Verständnis zeigt und die Entwicklung der
Heldensage seinen Lesern klar vor Augen fuhrt, so daß sie mit
großem Nutzen das Werkchen studieren können. Ganz ohne
Versehen ist es nicht abgegangen. Mir ist folgendes aufge-
fallen. S. 22 heißt es, die Kämpfe des Bellerophon gegen die
Lykier, Solymer und Amazonen seien ausfuhrlicher berichtet
als seine Besiegung der Chimaira. Wie kann man aber
so etwas behaupten? Die Erzählung von der Chimaira steht
11. VI 179 — 183; dem Kampfe mit den Solymern sind zwei Verse
gewidmet, 184 — 185, dem mit den Amazonen nur einer, 186,
dem mit dem Hinterhalt der Lykier drei, 188 — 190. Also ist
doch entschieden der Chimaira der größte Raum eingeräumt.
8. 56 heißt es, Peirithoos und Theseus seien im Hades an einen
Felsen gekettet. Warum wird nicht geradezu gesagt, daß sie
sitzen mußten? S. 57: Herakles soll aus Trauer um seinen
vermißten Sohn Hylios vom Argonautenzug zurückgeblieben sein.
Gemeint ist natürlich nicht der Sohn, sondern der Liebling des
Herakies, Hylas, nicht Hylios. Die Entführung des Hylas durch
die Nymphen bildet ja einen beliebten Stoff für antike Maler, so
daß man den Mythus auch für das Verständnis antiker Kunst-
werke braucht. S. 73: Theseus soll auf Skyros durch einen
Sprung ins Meer seinen Tod gefunden haben. Wie konnte dann
Kimon darauf ausgehen, seine Gebeine nach Athen zurückzuholen,
wenn er nicht gleich Taucher mitnahm, um den Theseus aus dem
Meere herauszuholen, so wie es die Griechen heute mit den ver-
sunkenen Statuen bei Antikythera machen? S. 77: Von den zwei
Harpyien, die den Phineus quälten, kann doch kaum gesagt werden,
die Boreaden hätten sie teils getötet, teils verjagt. S. 94 ist
das Rätsel der Sphinx in einer deutschen Fassung gegeben, die
leicht zu Mißverständnissen führen kann : „Was hat eine Stimme,
ist am Morgen vierfüßig, am Mittag zweifüßig, am Abend drei-
füßig?" Wer das Rätsel nicht in der griechischen Fassung kennt,
wird annehmen, daß als Kennzeichen des verlangten Lebens-
wesens auch das Vorhandensein einer Stimme angegeben wird,
während es im Griechischen heißt, daß das Wesen trotz aller Ver-
schiedenheit eine, d.h. immer dieselbe Stimme hat, ov pia
(fo)Vfj. S. 130: Der Kyklop legt einen Stein vor die Höhle, „den
kaum zweiundzwanzig Menschen wegrücken konnten'*. Dann hätte
Odysseus mit seinen zwölf Begleitern eine zwar schwere, aber in
der Todesnot doch leicht zu bewältigende Aufgabe vor sich gehabt.
Aber der Dichter sagt nach Voß: „Die Gespanne von zweiund-
zwanzig starken und vierräoerigen Wagen, sie schleppten ihn nicht
von der Stelle". Jetzt sind wir beruhigt, unmöglich kann Odysseus
302 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
mit seinen Begleitern dieses Ungetüm von Stein wegrucken, sondern
er sitzt in der Höhle gefangen, — wenn ihm seine List nicht
heraushilft. S. 132: Eurylochos soll die Kirke herausgerufen haben
und doch nicht mit in ihr Haus hineingegangen sein. Nein.
Polites führt hier das Wort; er fordert zum Rufen auf. toI 6'
€(p&6YYOvto xaXevvteg. S. 139: „Dem Dichter, der dies (die
Geschichte des Zepters, II. B 100) schrieb, konnte nichts bekannt
sein von dem Bruderzwist zwischen Atreus und Thyestes". Das
möchte ich doch nicht behaupten, im Gegenteil, mir scheint, daß
der Dichter jener Verse sehr wohl in der sogenannten Geschichte
des Atridenhauses bewandert war. "Hcpcuczog dcoxs, Zeig dcoxe,
'Egpeiag dcoxe, IHXoxp dcoxe, überall ein freiwilliger Verzicht auf
den Besitz des axijnTQOv, so daß der Nachfolger mit Zustimmung
seines Vorgängers Herr des Zepters wird. Dagegen 'Argeig
&vrjöxcov eXmev, Ovitiz* ^Ayape'fAVOvi Xetne (pOQfjvai,, d. h., da
Atreus und Thyestes bei ihrem Tode das GxrjnTQOv nicht mit-
nehmen konnten, fällt es natürlicherweise ihrem Nachfolger zu,
auch wenn dieser sehr gegen ihren Willen sich der Herrschaft
bemächtigt. Der Wechsel zwischen dwxs und Xetne (fOQjjvai,
je nachdem freundschaftliche Übergabe oder notgedrungener Erb-
gang stattfindet, ist doch nicht zufällig. S. 141: Für Klytaimnestra
sollte heute die Schreibung Klytaimestra doch überall durch-
geführt sein.
36) A. de Marchi, II culto privato di Roma aotica. II. La religione
gentiliziu e collegiale. Con 9 tavole. Milano 1903, Ulr. Hoepli.
IX u. 189 S. 9Jfc.
Der erste Teil, La religione nella vita domestica, iscrizioni
ed Offerte votive, ist 1893 erschienen; daß so lange Zeit bis zur
Herausgabe des zweiten verstrichen ist, daran sind, wie der Verf.
schreibt, ragioni non dipendenti dalla mia volontä schuld. Der vor-
liegende Band zerfällt, wie schon der Titel erkennen läßt, in die
beiden Teile II culto gentilizio und II culto collegiale; im
ersten scheint mitunter weniger sicheren Nachrichten eine zu
schwerwiegende Bedeutung gegeben zu sein ; es ist aber verdienst-
lich, daß hier alle einschlagenden Nachrichten zusammengestellt
und im Zusammenhang behandelt sind. Noch interessanter werden
die meisten den zweiten Teil, über den Kollegienkult, finden.
Mit Unrecht freilich werden auch die aus pompejanischen In-
schriften bekannten seribibi usw. hier hereingezogen; denn das
liegt doch auf der Hand, daß das nur scherzhafte Bezeichnungen
von Leuten sind, die es nicht einmal zu einem ernsthaften „Klub"
gebracht hatten. Aber dafür nehmen die aus dem Ausland ein-
geführten Kulte, die solchen gewaltigen Einfluß auf das römische
Leben gewonnen haben, mit um so größerem Recht die Auf*
merksamkeit der Leser in Anspruch. Hier sind auch reichlich
Abbildungen eingestreut, die an sich ja nicht gut gelungen sind,
^
Archäologie, von R. Engelmanu. 303
die aber doch immerhin genügen, um das Gesagte zu erläutern
und langwierige Beschreibungen überflüssig zu machen.
37) £. Maafs, Die Tagesgötter in Rom uud den Provinzen aus der
Kultur des Medei ganges der antiken Welt. Mit 30 Abbildungen.
Berlin 1902, Weidmanosche Buchhandlung. 311 S. 8. U) JC.
Seit wann besteht unsere Woche und die Namen der Tage?
Auf diese Frage sucht das vorliegende ßuch Antwort zu geben.
£. Maaß geht von dem bekannten Bau des Severus am Ende der
Via Appia, zwischen Palatin und Cälius, dem sog. Septizonium,
aus; er weist die verschiedenen Annahmen, die man über den
Zweck des Gebäudes aufgestellt hat, zurück und zeigt, daß es ein
Unterbau war, der etwas sehr Bedeutendes zu tragen hatte. Um
herauszufinden, was dies war, muß zunächst der Name richtig
gestellt werden. Nicht Septizonium kann der ursprüngliche Name
sein, sondern Septizodium; die andere Benennung ist nur einem
etymologischen Mißverständnis entstammt, indem man sich be-
mühte, für ein unverständliches Wort ein scheinbar leicht ver-
ständliches einzusetzen. Septizodium bedeutet nun nachweislich
die sieben Planeten, und zwar in ihrer Funktion als Tagesgötter ;
der kolossale Bau des Severus trug also, weither von der Via
Appia sichtbar, die sieben Statuen der Planetengötter. In einem
zweiten Abschnitt untersucht Verf. die Frage nach den Tages-
göttern in den Thermen und dem Zirkus, in dem dritten die
nach den Tagesgöttern an den gallisch-rheinischen Siegessäulen.
Weiterhin wird gezeigt, wie die Tagesgötter immer mehr in den
Kultus eindringen. In bezug auf die Entstehung der Woche
nimmt er eine Verschmelzung jüdischer und assyrischer Elemente
an. Die Woche von sieben Tagen ohne die Planeten, meint er
S. 278, gehört bekanntlich den Juden eigentümlich an, dagegen
sind die zu den sieben Tagesheiligen erhobenen Planeten als
Schicksalsgötter anerkannt assyrischen Ursprungs. Aus der Ver-
bindung des jüdischen und des assyrischen Elementes sei im
Hellenismus des Orients die Planeten woche entstanden. Das will
mir nicht recht glaubhaft erscheinen. Die Einführung der Woche
von sieben Tagen und die Benennung der einzelnen Tage nach
dem Planeten, unter dessen Schutz die erste Stunde steht, hängt
auf das engste mit der Einteilung des Tages in 24 Stunden zu-
sammen; eine solche scheint aber bei den Assyriern und Babyloniern
vorhanden gewesen zu sein, während die Juden sie entschieden
nicht hatten. Danach ist es wahrscheinlicher, daß die Juden aus
dem Euphrattale die Wocheneinteilung mitgebracht haben. Doch
über diese Frage werden die neuen orientalischen Forschungen
sicherlich bald helles Licht verbreiten. — Das Schlußkapitel (VII)
dient dazu, die Vermutung zurückzuweisen, daß auch das Pantheon
des Agrippa ein Planetentempel gewesen sei. Die Zahl der sieben
Nischen scheint ja für die Siebenzahl der Planeten zu sprechen,
304 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
es wird aber nachgewiesen, daß auch bei andern Völkern die
Siebenzahl ohne Rücksicht auf die Planeten eine allgemein bevor-
zugte ist.
38) A.Dieter ich, Eine Mithra sliturgie, erläutert von A.D. Leipzig
1903, B. G. Teubaer. X u. 230 S. S. 6 JL
Das Buch ist Fr. Cumont gewidmet. Dieterich hat aus dem
großen Pariser Zauberbuch eine ganze Liturgie herausgelöst, die
einzige Liturgie eines antiken Gottesdienstes, die uns im wesent-
lichen vollständig erhalten ist, und hat diese durch Übersetzung
und Erläuterungen dem Leser näher zu bringen gesucht. Es ist
eine ganz fremdartige Weit, die sich dadurch vor uns auftut.
Natürlich muß eine Masse von Einzelheiten dabei noch im un-
klaren bleiben, aber schon jetzt fällt auf manche Dinge ein un-
geahntes Licht. Auch die Archäologie trägt einen Gewinn davon.
Auf einem Relief, das aus Virunum in Noricum stammt und sich
heute in Klagenfurt befindet, ist auf einer der sieben Szenen ab-
gebildet, wie Helios vor Mithras kniet, der in der rechten Hand
einen bis dahin nicht gedeuteten Gegenstand emporhält (nach
Cumont un objet bizarre qui ressemble d une outre ä moitie
deganflee). Nach der Mithrasliturgie ist es keine Frage, daß der
Gegenstand eine Rinderschulter ist; der Gott hält nach der Liturgie
in der rechten Hand „eines Rindes goldne Schulter44 (xati%ovt;a
tjl de^iq %eiq\ fioaxov cofjbov xqvaeov, og sGtw ScQxzog %
xivovaa xal avxMSxQtyovtia top ovqccvov), die nach äpyptischem
Glauben das Siebengestirn, den Bären, bedeutet, der den Himmel
bewegt und zurückwendet. Und so ließe sich des Interessanten
noch viel berichten, das in dem Buche geboten wird. In einem
Anhange sind die Reste antiker Liturgieen verzeichnet, die
aus den Mysterien erhalten sind. Man darf hoffen, daß auch diese
Gebiete durch die vielen Funde der Neuzeit noch eine Aufklärung
erhalten, auf die man fast schon verzichten zu müssen ge-
glaubt hatte.
39) G. Reinhardt, Italienische Herbsttage (II). Erinnerungen an
den zwölften archäologischen Kursus (1902) deutscher Gymnasiallehrer
in Italien. (Progr. des Herzogl. Friedrichs-Gymnasium in Dessau 1904.
Nr. 796.) 25 S. 4.
Die archäologischen Kurse sind seit langem eine ständige
Einrichtung geworden; fast ebenso regelmäßig kehrt aber auch
eine gedruckte ßerichterstattung über diese Kurse wieder. Man
darf wohl fragen, zu welchem Zweck? Denn daß jemand, selbst
gute Vorbereitung vorausgesetzt, nach einem Aufenthalt von nur
wenigen Wochen in Italien dort so viel bedeutende Entdeckungen
gemacht haben sollte, daß er sie unbedingt urbi et orbi mitteilen
muß/ist wenig wahrscheinlich. Geschieht die Reiseberichterstattung
in Form eines Programms, dann mag es noch sein, denn das
Programm hat zunächst nur einen beschränkten Leserkreis, es
■\
Archäologie, voo R. Engelmano. 305
mag den Primanern Aufklärungen geben und auch in den Familien
der Eltern, die mit Interesse ihren Herrn Doktor auf seiner Reise
begleitet haben, mit Teilnahme gelesen werden. Im vorliegenden
Falle kam noch dazu, daß es galt, einen früheren mit allgemeinem
Interesse gelesenen Bericht (über den fünften archäologischen
Kursus), der mit Rom abbricht, fortzusetzen und zu ergänzen.
So ist uns der vorliegende Bericht über den Teil der Reise, der
Neapel und Pompeji gilt, zuteil geworden, auf Grund der täglich
eingetragenen Tagebuchnotizen. Neuigkeiten darf man nicht er-
warten, der Verf. hat bei den Vorträgen von Petersen und Mau
gut aufgepaßt und alles meist richtig verstanden. Die Geschichte
mit der Stephanostigur (S. 4) ist ihm allerdings nicht ganz klar
geworden. Die Vergleichung des Apoll von Belvedere mit dem
Aristogeiton der Neapler Gruppe ist ein ganz äußerlicher; be-
hauptet doch Furtwängler nicht ohne Grund, daß das Gewand
überhaupt erst vom Marmorkopisten zugefügt sei. Unverständlich
ist mir S. 5 der Satz, daß ein Torso des Neapler Museums er-
kennen läßt, „daß das Werk ziemlich früh an der Bahn nackter
Frauenbilder gestanden hat". S. 6: Eine Landung in Marina,
1. in der Marina, das ist kein Nomen proprium, sondern ein
Appellativum. S. 14: Von Pompeji heißt es: „Auch wurde es uns
bald klar, wie es für die Wagen möglich war, solche Stellen mit
Trittsteinen zu passieren; dazu gehörten hohe Räder und gewandte
Tiere", vor allem aber, und das hat Verf. vergessen, gehörte dazu,
daß die Tiere nicht wie bei uns durch Stränge in einer parallelen
Richtung zur Deichsel gehalten wurden, sondern daß sie nur vorn
mit dem Kopfe an das Joch gefesselt, sonst aber frei waren.
Doch das sind ja nur Kleinigkeiten. Sonst kann man dem
Verf. das Zeugnis ausstellen, daß er mit Lust und Liebe gesehen
und beobachtet und mit Geschick geschildert hat.
40) Tabulae quibus aoti quitates Graecae et'Romaoae illastran-
tur. Bd. Steph. Cybulski. Leipzig, Köhler.
Über den Nutzen der für den Schulgebrauch bestimmten
Wandtafeln von Cybulski brauche ich mich hier nicht weiter zu
verbreiten ; wie brauchbar sie sind (oder, richtiger gesagt, geworden
sind; denn die ersten Auflagen ließen mancherlei zu wünschen
übrig) und wieviel sie im allgemeinen nützen, um die Schüler
über bestimmte Gebiete des Altertums aufzuklären, ist längst
anerkannt und wiederholt hervorgehoben worden. Mir liegen
jetzt vor:
Tab. I. Arma et tela Graecorum. II. Milites graeci. Ed. III
emendatior. Erklärender Text von Cybulski. 2. A. mit 13 Abb.
kn Text. Leipzig 1904, Köhler. Es ist schade, daß man nicht
bei T. I mit dem Loben anfangen und dann gleichmäßig fort-
fahren kann. Sowohl die beiden Tafeln als auch der Text stehen,
das läßt sich nicht verschweigen, hinter den andern Tafeln
Jahresberichte XXX. 20
3 ()6 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
des Unternehmens weit zurück. Daß reichliche Anlehen bei Guhl
und Koner (Das Leben der Gr. u. R., 6. Aufl.) gemacht sind, ohne
daß irgendwie eine Hinweisung darauf erfolgt ist, sei nur neben-
bei erwähnt; aber es sind trotz aller Anlehnung eine ganze Reihe
von Irrtumern stehen geblieben, oder es haben sich Mißverständ-
nisse eingeschlichen. Ich habe eine Reihe derartiger Dinge in
einer Besprechung, die in der Berl. philol. WS. erfolgt ist (1904
Sp. 1109), hervorgehoben und mag nicht hier von neuem die Ver-
sehen autzählen; es ließe sich die Zahl aber leicht vermehren.
Daß selbst der Verleger in dies Tohuwabohu hineingezogen ist,
indem er als bibliobola, d. h. als Bücherschleuderer, auf der Tafel
bezeichnet wird, sei nebenbei erwähnt. Ceterum censeo usw.
Da sieht doch Tab. III ganz anders aus.
Tab. III b. Nummi romani auctore Eugenio Pridik. 1. Nummi
ab imperatoribus romanis quarto vel tertio a. Ch. n. s. in Campania,
in Samnio, in Apulia flati vel cusi. 2. nummi vere romani.
3. nummi argen tei et aurei Romae III, II, I s. cusi. 4. nummi
Imperatorum et Caesarum usque ad Titum. 5. nummi imp. a
Domitiano usque ad Gord. tertium. 6. nummi imp. a Philippo
Arabi usque ad Valeutinianum tertium. Gerade da ich früher
über die erste Auflage der Münztafeln mich absprechend geäußert
habe, halte ich es für meine Pflicht, hier hervorzuheben, daß
jetzt die Münzen alle deutlich und klar zum Ausdruck gebracht
sind; auch die Auswahl wird sicherlich allseitig befriedigen.
Tab. XII und XIII sind dem &4clzqov gewidmet; hier wird
man auch in den Tafeln wohl darüber klar, daß die Frage noch
nicht allseitig geklärt, noch nicht zu einem Ruhepunkt gelangt ist.
Auf T. XII bietet Nr. 1 %6 ikXfjyixdv &4atQOv ccQXccioifQOV, das
Skenenhaus mit vier Säulen und rechtem und linkem Flügel, in
der Höhe der Orchestra, nur daß das Mittelstück um eine Stufe
erhoben ist. Nr. 2 gibt das ÜeacQov QWfia'ixcov xqovoov pulpito
iu.structum; hier führt eine Treppe in der Mitte hinauf; während
das untere Geschoß ohne Schmuck gelassen ist, zeigt das obere
Geschoß Verzierung mit Säulen und Hallen; das ist so nicht
römisch. Auf T. XIII ist der vnoxQitijg tgccyixog, die elfen-
beinerne Statuette eines Schauspielers, in der Färbung weniger gut
geraten. Bei den oqyava ist die XvQa und xid-aga mit je sechs
Saiten bespannt, während die Siebenzahl doch die Regel ist.
Falsch ist die Zeichnung des xqovnidvov\ hier kann nicht der
obere und untere Teil zusammengedrückt werden, sondern die
Abbildung zeigt nur in der Mitte der Höhe einen Einschnitt, der
auf die Beweglichkeit des Instrumentes keinen Einfluß übt.
Aber warum mußte bei dem Theater überhaupt dieses für unsere
Schuljugend völlig gleichgültige Instrument abgebildet werden?
War nicht Zeit genug, bis sie in der Tribuna in Florenz die be-
treffende Statue zu sehen bekommen? Und das xvpßctXovl
Warum nicht xvpßaXa, da der Plural doch durchaus nötig ist?
Archäologie, von R. Kngeluiano. 3Q7
Und inwiefern gehört auch das Sistrum zu den im Theater
nötigen Instruinenten? Denn mag auch dieses Lärminstrument
hier und da einmal in später Zeit im Theater gebraucht sein,
für unsere Schuljugend spielt es doch sicher keine Rolle. Zur
Darstellung der einzelnen Theaterdinge sind auch Vasenbilder
und Mosaiken herangezogen. An den farbigen Vasenbildqrn
würde Flasch ohne Zweifel große Freude gehabt haben, ihm
selbst hat man die polychromen Vasenbilder so sehr verdacht.
T. XIV a und b, darauf erscheint ^Ad-ffvat,, ed. II emendatior,
quam curavit R. Loeper. Mit dem emendatior ist das so eine
Sache, jedenfalls ist damit nicht Freiheit von Druckfehlern garantiert;
vgl. Xccqitwv Isqov. Sonst alle Achtung. Neben dem Über-
sichtsplan von Athen und Umgebung erscheint unter Nr. 1 die
Akropolis mit den Ausgrabungen am Pnyxhügel, ferner der Firaus
und die Langen Mauern. Große Anschaulichkeit und Deutlichkeit
darf man dieser Karte nachrühmen, doch ist die Möglichkeit zu
Verbesserungen nicht ganz abgeschnitten. Die Eetioneia ist nicht
bezeichnet. lO sv Zsa Xifiijv bedarf einer Ausbaggerung, da das
Iota subscriptum sich im Schlamm verloren hat. Das ^EQsx&tTov
ist nicht ganz klar, da die SdtXacca in die Nord halle verlegt ist,
wo doch gewöhnlich nur die Dreizackspuren angenommen werden.
Zu T. XV a wird geboten: Urbs Roma antiqua. Septimontium.
— Roma quattuor regionum. Roma Servii Tullii. •-— Roma liberae
reipublicae aetate. Forum Romanum et aedificia continentia liberae
reipublicae aetate; dasselbe imperatorum temporibus. Roma quadrata.
Mons Palatinus imperatorum temporibus. Capitolium. Dazu kommt
T. XV b Urbs Roma antiqua. Roma imperatorum temporibus inde
ab Augusto usque ad Saeculum IV p. Chr. n. Die Karten sind an
sich recht gut und deutlich. Via Ardear tina ist trotz allen
Korrekturen stehen geblieben.
Ganz besonders zu empfehlen sind die Tafeln, die von der
Kleidung der Griechen und Römer handeln: XVI— XVIII Vestitus
Graecus, XIX — XX Vestitus Romanus. Erklärender Text von
W. Amelung. Mit 35 Abbildungen im Text. Leipzig 1903. Gerade
hier läßt sich durch einen Blick auf die Tafeln schneller Klarheit
schall en und besseres Verständnis erreichen, als wenn mau noch
so viele Worte machen wollte. Natürlich ist vorausgesetzt, daß
die Abbildungen sorgsam ausgewählt und sorgsam ausgeführt sind.
Daß das hier der Fall ist, dafür bürgt schon ohne weiteres der
Name dessen, dem ihre Besorgung und Erklärung anvertraut ist.
W. Ameluug hat aus der Fülle der Denkmäler, die ihm zu Gebote
standen, mit großem Geschick die geeignetsten Typen ausgesucht
oder, soweit es nötig war, zusammengestellt und in seinen Er-
läuterungen deutlich die Entwicklung der einzelnen Gewänder
nachgewiesen, so daß jeder sich ein deutliches Bild von dem ein-
zelnen Gewände verschaffen kann. Auf diese Weise werden sich
die Tafeln XVI — XX nicht nur in der Schule äußerst nützlich
20*
30S Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
erweisen, sondern können noch einen anderen Wunsch des Hrsgb.s
erfüllen, nämlich auch den bildenden Kunstlern und vor allem
den ßühnen zugute kommen. Wenn man sieht, in welcher Weise
oft auf den Buhnen mit der klassischen Tracht umgesprungen
wird, offenbar aus Unkenntnis, insofern man sich ja streng an
die wirkliche antike Tracht halten und doch jede individuelle
Stimmung darin zum Ausdruck bringen könnte, dann wird man
das Erscheinen dieser Tafeln, welche über die antike Gewandung
Klarheit verbreiten, als äußerst willkommen bezeichnen. Einige
Punkte, die vielleicht einer Verbesserung bedürfen, habe ich in
einer in der Berl. philol. WS. 1904 Nr. 21 erschienenen Be-
sprechung hervorgehoben.
41) H. Muzik, Ein archäologischer Schujlatlas. Sonderabdruck
aus dem Jahresberichte über das k. k. Elisabetbgymnasium in Wien.
Wien 1904, R. ßrzezowsky 8c Söhne.
Der Verf., der sich schon mehrfach um den archäologischen
Anschauungsunterricht verdient gemacht hat (vgl. Lehr- und An-
schauungsbehelfe zu den lateinischen Schulklassikern, Wien 1904),
zeigt die Notwendigkeit, für die archäologischen Bedürfnisse der
Schule einen Atlas zusammenzustellen, indem er auf die Natur-
wissenschaften hinweist, wo außer den Lehrmitteln der Schule
auch durch Abbildungen in den Lehr- und Lern buchern dafür
gesorgt wird, daß der Schüler jederzeit die Möglichkeit hat, die
Objekte wenigstens im Bilde zu sehen. Ein derartiger „archäo-
logischer Schulatlas soll nichts bieten, was einer Illustrierung
irgendeines Textes gleich sähe, denn dazu hat der Schüler seine
frei schaffende Phantasie, er soll nur gleichsam die Elemente
liefern, mit denen die Phantasie arbeiten kann, er soll zur Ver-
anschaulichung und Erläuterung antiquarischer Dinge dienen, die
bisher abseits vom Gesichtskreis des Schülers lagen und die er
sich nicht ohne weiteres aus dem Texte eines gelesenen Autors,
rekonstruieren kann; er soll demnach Abbildungen von Bauten,
Trachten, Waffen, Geräten, kurz Bilder zur Verfügung stellen, die
tlem Verständnis des Schülers die einzelnen Zweige der Altertums-
wissenschaft erst voll erschließen, damit er sich ganz in die alte
Welt versetzen, gewissermaßen mit den Alten leben könne; dann
aber auch Darstellungen des Schönen, Werke der Kunst". Um
zu zeigen, wie ein solcher Atlas beschaffen sein möge, stellt Verf.
aus den römischen Altertümern zusammen was er der Aufnahme
für wert hält. Darunter sind natürlich eine ganze Reihe von
Dingen, die nie dargestellt sind und deshalb nicht in den archäo-
logischen Atlas aufgenommen werden können, andere, die hart
an die verpönten Illustrationen erinnern, kurz, man kann nicht
mit allen Ausführungen des Verf.s einverstanden sein, und dennoch
kann man sich freuen, daß er der Verwirklichung der ja auch
von andern früher ausgesprochenen Idee näher getreten ist; darf
Archäologie, von R. Enge Im an o. 309
man sich doch der Hoffnung hingeben, daß die Ausführung selbst
dem Ausführenden Schranken ziehen und ihn vor einem Zuweit-
schreiten bewahren wird.
42) H. Lücke abach, Kunst und Geschichte. Mit Unterstützung des
Großh. Badischen Miuisteriuius der Justiz, des Kultus und Unterricht«
und des Großh. Badischen Oberschulrats herausgegeben. I. Teil. Ab-
bildungen zur alten Geschichte. Fünfte, vermehrte Auflage. München
uud Berlin 1904, R. Oldenbourg. 4. geh. 1,50 Jt, geb. 1,80 JC.
Das Luckenbachsche Werk, das nun schon in fünfter Auflage
vorliegt, bedarf keiner besonderen Einfuhrung mehr. Auch die
neue Auflage zeigt gegen die vorhergehende wieder bedeutenden
Zuwachs; davon fallen auf Delphi allein fünf Seiten. Auch die
Wandmalerei ist reichlicher bedacht worden, und ebenso ist
die Ära Pacis, die neueste Erungenschaft in Rom, hier vorgeführt
worden. Wie in der Vorrede mitgeteilt wird, ist jetzt auch ein
knapper Text von Luckenbach zu den Tafeln veröffentlicht, er ist
in das Lehrbuch der Geschichte von Martens (Geschichte des
Altertums, Hannover 1903) aufgenommen worden.
Das Buch hält sich frei von jedem Schwulst, jeder Über-
treibung. Wie verständig ist z. B. das, was darin über Troja
gesagt wird (S. 3) : „Troja VI kann als das Troja der Sage gellen,
aber größere Übereinstimmung zwischen Dichtung und Funden
herrscht nicht. Homers Troja ist eine Stadt, und das Skäische
Tor suchen zu wollen, ist vergebliches Bemühen". Wie vorteil-
haft unterscheiden sich diese Worte von dem sonst üblichen
Bombast (vgl. oben S. 273). — Wenn es gestattet ist, für die folgen-
den Auflagen Wünsche auszusprechen, möchte ich bitten, auf
S. 17 Fig. 43 das Bild des Zeus von Otricoii durch eine Neu-
aufnahme zu ersetzen. Das Bild ist sehr flau, wahrscheinlich ist
es nach einem Gipsabguß gemacht, wie das in den Seemannschen
Wandbildern. Es gibt aber gute, tadellose Photographieen nach
dem Original, nach denen ein Bild gegeben werden könnte. Auf
8. 65 Fig. 156 und 157 sind die beiden Bezeichnungen vertauscht.
Demosthenes ist in Wahrheit Sophokles und umgekehrt. Vielleicht
wäre es vorsichtiger gewesen, mit der Rekonstruktion der Ära
Pacis (S. 74) noch etwas zu warten; die neuen Ausgrabungen
unter dem Palazzo Fiano bringen doch, wie es scheint, mancherlei
Neues, wodurch die bisherigen Annahmen mehrfach verändert
werden. Und warum wird auf S. 90 Fig. 226, der Opferung der
Iphigeneia, gesagt, Kalchas sei im Begriff, mit Hilfe von zwei
Dienern das Mädchen zu opfern? Der Künstler hat doch durch
die verschiedene Charakterisierung der beiden angedeutet, daß er
nicht beliebige Diener, sondern griechische Helden als Teilnehmer
des Opfers sich denkt.
ich wünsche dem Luckenbachschen Werke weite Verbreitung
und fröhlichen Fortgang.
310 Jahresberichte d. Philulog. Yereius.
43) H. Luckenbach, Olympia und Delphi. München und Berlin 1904,
R. üldeoboarg. 4. 2,50 Jt-
Wenn man einmal zu der Überzeugung gekommen ist, daß
unsere Jugend über die Topographie von Olympia und Delphi
genauer unterrichtet werden muß, dann kann man sich für diesen
Unterricht kein besseres Hilfsmittel wünschen als die beiden von
Luckenbach herausgegebenen Wandtafeln, zu denen das hier an-
gezeigte Buch den Text bildet. Mit großer Sorgfalt ist hier alles
z n sa mm enges teilt, was über Olympia und Delphi (soweit es für
dieses bei der Zurückhaltung der Franzosen möglich ist) zu wissen
nötig ist, ja Verf. geht in seiner Gewissenhaftigkeit fast weiter,
als nötig scheinen könnte; denn wozu wird hier nach Weichardts
Bild die Trendclenburgsche Altarhypothese wiederholt, über deren
Unzulänglichkeit doch wohl allgemeines Einverständnis herrscht
(vgl. JB. 1902 S. 232). Ebenso unnötig scheint mir freilich auch
<lie Wiederholung der Adlerschen Rekonstruktion, die sicherlich
unzulässig ist. Die Zusammenstellung der Delphica wird auch
über die Kreise der Schule hinaus Interesse erregen und Beifall
finden, da hier zum ersten Male eine Übersicht über die Haupt-
funde geboten wird. Die nach Pomtow gegebene Rekonstruktion
der Schlangensäule (der Dreifuß ist auf ein Podium gesetzt, das
auf dem Stabe stehend gedacht ist, um den die Schlangen sich
ringeln) wird sicherlich zunächst Widerspruch hervorrufen, aber
nach den Ausführungen von Pomtow in der Beii. phii. WS. 1903
S. 269 — 274 kann man doch nicht umhin, ihm recht zu geben.
— Die großen Wandtafeln sind im kleinen in dem Text wieder-
holt, so daß jeder, der das Buch besitzt, auch damit den großen
Plan gleichsam vor Augen hat.
44) C. Schultess, Herodes Atticus (101—177 n. Chr. Geb.). Wissen-
schaftliche Beilage zum Jahresbericht des Wilhelms-Gymnasium* in
Hamburg. Ostern 1904. Progr. Nr. 850.
Unter den hervorragenden Männern des zweiten nachchrist-
lichen Jahrhunderts ist Herodes Atticus ohne Zweifel einer der
bedeutendsten; hat er doch durch freigebige Benutzung seines
ungeheuren Reichtums bewirkt, daß sein Name mit fast allen
wichtigen Kulturstätten Griechenlands, mit Athen, Olympia u. a.
durch gewaltige Bauwerke, die er dort gestiftet hatte, auf das
engste verbunden war. Sein Leben wird in dem vorliegenden
Programm in einer Reihe von Kapiteln vorgeführt, wir werden
über seine Heimat und seine Familie unterrichtet, wir erfahren,
was über seine Kindheit überliefert ist und welchen Unterricht
er genossen hat, wir lernen seine öffentliche Tätigkeit bis zum
Tode des Vaters kennen; weitere Kapitel handeln von der Erb-
schaft des Vaters, seiner Lehrtätigkeit und der Feier der Pan-
athenäen, ferner von seiner Heimat und dem Aufenthalt in Italien,
es werden uns die glucklichen Zeiten geschildert, die er in der
Archäologie, vod R. Kngeluiann. 311
Heimat verbrachte, ebenso aber auch (He Unglücksfälle, die ihn
heimsuchten, das heißt die Todesfälle in seiner Familie; wir lernen
die Bauten kennen, die er in Athen und in Rom ausführte, und
sehen, wie er schließlich den gegen ihn gerichteten Angriffen
unterliegt und stirbt. „Das meiste tat er als echter Hellene für
Griechenlands klassische Stätten und für seine Vaterstadt Athen,
wo die hochragenden Ruinen des Odeion und der Marmorschmuck
des Stadion dafür sorgen, daß sein Name nicht vergessen wird.
Man wurde ihm unrecht tun, wollte man sagen, daß er diesen
Ruhm allein oder vorwiegend seinem Reichtum verdanke; zu
dessen richtiger Verwendung gehört auch der feste Charakter und
die hohe Bildung, die ihn befähigten, den Wünschen der Menge
zu widerstreben und zur rechten Zeit seine eigenen Wege zu
gehen".
45) M. Schanz, Geschichte der römischen Literatur bis zum
Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian. IV. Teil: Die
römische Literatur von Konstautin bis zum Gesetzgebuugswerk
Justinians. Erste Hälfte: Die Literatur des vierten Jahrhunderts.
Mit alphabetischem Register. München 1904, C. H. Becksche Verlags-
buchhandlung (Oskar Heck). (Handb. d. kl. Alt., hrsgb. von Iwan von
Müller. VIII. Bd., 4. Abt., 1. Hälfte.) 8,50 J£, geb. 10 Jli.
Mit dem Erscheinen dieses Bandes ist das Handbuch der
klassischen Altertumswissenschaft wieder ein tüchtiges Stück seinem
Abschluß nähergeführt worden; man darf hoffen, daß das ganze
Werk im Jahre 1905, genau 20 Jahre nach dem Erscheinen des
ersten Halbbandes, zum Abschlüsse gelangt.
Was das vorliegende Buch betrifft, so ist es ein Werk,
welches auf jeder Seite verrät, daß es mit unendlichem Fleiße,
eindringendem Scharfsinn und erstaunlicher Gelehrsamkeit zu-
sammengetragen ist. Man kann aufschlagen, wo man will, überall
wird man finden, daß der Verf. auf das beste unterrichtet ist
und daß ihm selbst kleine Gelegenheitsschriften nicht entgangen
sind. Durch seine Behandlung einer im allgemeinen so vernach-
lässigten und wenig anziehenden Periode hat er sich den Dank
aller Literaturfreunde erworben.
46) R. Förster, Moritz von Schwinds Philostratische Gemälde,
im Namen des Vereins für Geschichte der bildenden Künste zu Breslau
herausgegeben. Leipzig 1903, Breitkopf 8c Hartel. fol.
Das Buch ist der „Schlesischen Gesellschaft für vaterländische
Kultur4' zu ihrer Hundertjahrfeier am 17. Dez. 1903 dargebracht.
Die Schwindschen Gemälde, im Jahre 1842 in der Akademie, der
jetzigen Kunsthalle, in Karlsruhe ausgeführt, sind fast ganz in
Vergessenheit geraten, und doch verdienen sie alle Aufmerksamkeit,
nicht bloß als Werke von Schwind, sondern auch ganz besonders
wegen der Stoffe, die in ihnen behandelt sind. Offenbar angeregt
von Goethe, hat Schwind eine Beihe der Philostratischen Gemälde
312 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
zu bearbeiten unternommen. Je mehr die Frage, ob Philostrat
wirklich vorhandene Gemälde zu beschreiben versucht hat oder
nur eine rhetorische Aufgabe ausgeführt hat, Gemälde, die nie
vorhanden gewesen sind und vorhanden sein können, zu erdichten,
seit einer Reihe von Jahren die Archäologen beschäftigt hat, um
so mehr verdienen die Schwindschen Gemälde, in denen eine
Reihe der von Philostrat aufgegebenen Probleme gelöst sind, die
Aufmerksamkeit aller Fachgenossen. Aber nicht bloß Archäologen
durften sich dafür interessieren, sondern auch weiteren Kreisen
wird das Buch willkommen sein. „Ich gestehe", sagt R. Förster
S. 4, „daß mich das Interesse, welches ich an der Philostratfrage
nehme, auf die Beschäftigung mit dem Karlsruher Gemäldezyklus
geführt hat, daß ich aber, nachdem ich mit ihm bekannt ge-
worden, auch so tief in seinen Zauberbann geraten bin, daß ich
mit einer Reproduktion desselben nicht nur den Fachgenossen,
sondern auch den Verehrern der Schwindschen Muse, ja allen
Freunden künstlerischer Grazie einen Schatz zuzuführen glaube4'.
47) C. Conradt, Amytis, Drama io fünf Aufzügen, aufgeführt von
früheren Mitgliedern des Gymnasial-Lesevereins. Festspiel zur
50jährigen Jobelfeier des Königlichen Friedrich- Wilhelms-Gymaasiums
zu Greifenberg i. Pom. 72 S. S.
Das läßt man sich doch gefallen! Feiert das Gymnasium
von Greifenberg seinen Erinnerungstag, dann stellt es nicht nur
die Schauspieler, sondern auch den Dichter und Komponisten
selbst, während andre Schulen sich damit begnügen müssen,
höchstens die Schauspieler zu liefern, in bezug auf die Dichtung
aber auswärts Anleihen machen, bei Sophokles oder wie die
Dichter sonst heißen mögen. Amytis, nach der das Stück den
Namen hat, ist die Tochter der Artane, der Schwester des
Pharnabazos; die Hauptperson ist aber Alkibiades, um dessen
Untergang es sich handelt. Daß der Tragödie „Amytis" eine
«zroße Zukunft bescheert ist, glaube ich nicht, aber bei der
Schulfeier wird sie, gut aufgeführt, wohl ihre Schuldigkeit
getan haben und für alle Teilnehmer eine bleibende angenehme
Rückerinnernng bilden.
Berlin. R. Engelmann.
\
6.
Tacitus
(mit Ausschluß der Germania).
Ober das Jahr 1903/1904.
I. Ausgaben.
1) P. Cornelius Tacitus, Agricola. Herausgegeben von Oskar Alten,
bürg (B. G. Teubuers Schüleransgaben griechischer und lateinischer
Schriftsteller). Zwei Hefte: Text (mit einer Karte) 47 S. 8, Er-
klärungen 71 S. 8. Leipzig und Berlin 1904.
Die Abweichungen von Halms Text beruhen größtenteils auf
einer verständigen Auswahl der neuen Lesarten des Toletanus;
einige wenige sind durch besondere Erwägungen veranlaßt, z. B.
die Umstellung von Kap. 12, 7 caelum bis zu Ende nach Kap. 10,
die Einschiebung von pari vor superstttionum 11, 11 nach Heraeus,
die Streichung von fecundum 12, 16 nach Scheffer. Der Text ist
korrekt gedruckt; nur fehlen 15, 7 die Worte praepositorum, aeque
concordiam. Überschriften trennen die Abschnitte der Biographie,
Inhaltsangaben begleiten den Text am Rande, Leitworte sind ge-
sperrt gedruckt. Dem Texte folgt ein mit orientierenden Angaben
ausgestattetes Verzeichnis der geographischen und geschichtlichen
Namen, welches außer den im Agr. genannten Namen Ergänzungen
aus Tacitus' großen Werken, Cäsar und Sueton enthält. Die An-
gaben, die man hier findet, sind nicht alle richtig. So heißt es
von London 'Londinium, Kolonie nahe der Mündung der Tarn esis,
cognomento non insigne, sed copia negottatorum et commeatuum
maxime celebre. . . Ann. XIV 33'; zugleich irrtumlich und im Zitat
lückenhaft. S. 46 wird am Schlüsse des Artikels 'Vespasianus'
sogar behauptet, daß dieser Kaiser nach Agr. 9 dem Agricola die
Würde des Pontifex Maximus übertragen habe.
Die 'Erklärungen' beginnen mit einer Einleitung in drei Ab-
schnitten, in denen über die Entstehung und das schriftstellerische
Gepräge von Tacitus' Agricola, über die Tugenden Agricolas und
über 'Britannien und Rom' gehandelt wird. Die Erwartung, daß
der Herausgeber in dem ersten Abschnitt zu der alten Streitfrage
über den literarischen Charakter der Schrift Stellung nehmen
werde, bleibt unerfüllt; er beschränkt sich hier vielmehr darauf,
Jahrobtrieht« XXX. 21
314 Jahresberichte d. Philoleg. Vereins.
den Gedanken auszuführen, daß die Schrift ein Produkt der mit
der pietas des Herzens vereinigten eloquentia des wahren Redners
sei. Was die 'Erklärungen' betrifft, so ist anzuerkennen, daß sie
viel brauchbares Material namentlich für die Begriffsdeutung und
die Klarlegung der Gedankenfolge, auch gute Winke für die Über-
setzung enthalten; aber die von Anfang bis zu Ende durchgeführte
abgerissene (ich möchte sagen: atemlose) Form, in der sie an-
einander gereiht sind, wirkt ermüdend. Als Beispiel mag der
Kommentar zu dem letzten Satze von Kap. 1 dienen: ' At nunc —
tempora; Gegensatz zu dem vorherigen Gedanken, vitam defuncti
hominis, beschwichtigend: der Mann lebt nicht mehr, man kann
ihn jetzt ohne Schaden würdigen, aber mihi venia opus est (denke
an Hör. Od. II 1,1 f., es werden alte Wunden aufgerissen!), m-
cusaturus, die Biographie wird unvermeidlich eine Anklage wider
die tempora saeva et infensa virtutibus (saevus den Vernichtungs-
trieb bezeichnend, crudelis die Art der Vernichtung; infestus, s. zu
Germ. 24, nicht bloß feindlich gesinnt, sondern = feindselig vor-
gehend gegen; virtutibus wie oben konkret zu fassen = Helden)
Zeiten, wo Helden, tüchtige Männer vernichtet und feindlich be-
kämpft wurden7. Die Frage, ob alles hier Gegebene richtig sei,
lasse ich dabei unberührt, will aber nicht verschweigen, daß ich
in den Erklärungen hier und da bedenkliche Dinge gefunden
habe. Zu in nostram usque ripam 28, 15 ergänzt A. Oceani statt
Rheni. 9, 6 ist obtusior nicht 'entgegengestoßen, d. i. kurz an-
gebunden, rasch entschieden1, sondern 'stumpfer, für schärfere
Unterscheidungen minder geeignet'. Felicibus 15, 18 kann nicht
heißen 'wenn ihr erst Erfolge habt, werdet ihr erst recht wacker
kämpfen1, sondern geht auf die Feinde, die augenblicklich im
Vorteil sind. Einzelne Schwierigkeiten läßt der Kommentar un-
berührt, z. B. den merkwürdigen Gebrauch des part. perf. ictus
29, 1; 16, 9 wird propius erklärt, während im Texte proprius steht.
Die Ausgabe wird gelobt Gymnasium 1904 S. 254.
2) Coroelii Taciti Historiarum libri qui supersunt. Für den
Schulgebrauch erklärt vou K. Knaut. II. ßändchen. Buch II. Gotha
1902, F. A.Perthes. 97 S. 8.
Eine kurze Einleitung orientiert über die Lage der Dinge zu
Beginn des Krieges zwischen Otho und Vitellius; danach sind die
dem ersten Bändchen vorausgeschickten 'Sprachlichen Bemerkungen'
unverändert wiederabgedruckt: selbst das Zitat senescens exercitus
H. II 24 (s. JB. XXIX S. 206) ist unberichtigt geblieben. — Für
die Textgestaltung sind die in neuerer Zeit gewonnenen und be-
kannt gegebenen Ergebnisse wiederum nur zum Teil verwertet.
II 4,5 ist sacerdotis, 10,5 delationes, 38,18 venio überliefert:
diese untadelhaften Lesarten hätte Kn. an die Stelle der Ände-
rungen des Halmschen Textes (sacerdoti, delationem, redeo) setzen
sollen. Auch uxoremque II 20, 5 hat gar keine Gewähr: wir
\
Tacitus, von G. Andresen. 315
haben nur zwischen uxorem autetn und uxorem quoque die Wahl.
68, 20 ist omni», 100, 4 duoetvicesima nach dem Mediceus zu
schreiben; auch regetur 87, 8 und quietis 86, 17 lassen sich halten.
Andrerseits muß 32, 2, wie ich ebenfalls nachgewiesen zu haben
glaube, qua in quia und 8t, Zinservientium mit JN'oväk in servi-
entiutn geändert werden, während die probabelste Gestaltung von
65,11: exemplo L. Arruntii. Sed Arruntium Tiberius etc. von
Haase herrührt. So viel des bereit Liegenden hat Kn. nicht ge-
würdigt.
Die Hauptquellen des Kommentars sind wiederum Heraeus
und Wolff, der letztere in noch höherem Grade als der erstere.
Auf Einzelfragen der Erklärung gehe ich diesmal nicht ein und
bemerke nur, daß der schematisch-scholaslische Charakter der
sprachlichen Erklärung in diesem Bändchen weniger hervortritt
als in dem ersten.
3) Coroelii Taciti Historiaruni libri qai supersunt. Schulausgabe
voo Carl Heraeus. Erster Band. Bucb I und II. Fünfte, zum
Teil umgearbeitete Auflage, besorgt voo Wilhelm Heraeus. Leipzig
uod Berlin 1904, B. G. Teubner. VIII u. 242 S. S.
Das Werk seines Vaters fortsetzend, hat W. Heraeus dem
zweiten Bande der rühmlichst bekannten Historienausgabe (vgl.
JB. XXVI S. 220) jetzt auch den ersten in neuer Gestalt folgen
lassen. Der in den bisherigen Auflagen etwas schwankenden Text-
gestaltung ist jetzt in der handschriftlichen Überlieferung, welche
in der neuen Autlage fast nirgends ohne zwingenden Grund auf-
gegeben ist, eine zuverlässige Grundlage gegeben. Viele unnötige
oder gar schlechte Konjekturen sind ausgemerzt, z. B. 1 9, 13
virtutibus st. viribus, 51, 3 expeditionum et aciei praemia st. ex-
peditionem et aciem, praemia, 63, 3 terruit. raptis . . . rabie (iere)y
causis st. terruit, raptis . . . rabie, causis, II 11, 16 robora st. corpora,
82, 12 melior st. meliore, 86, 10 rapti st. raptor. Von dem, was
meine Neuvergleichung der Mediceischen Handschriften an sicheren
Ergebnissen geboten hat, hat der Herausgeber nichts übersehen 1)
und darüber hinaus de suo einige schätzenswerte Beiträge zur
Textgestaltung geliefert, namentlich iu der Schreibung der Eigen-
namen. So schreibt er, auf inschriftliche Zeugnisse gestützt,
I 31, 5 Amullio st. Ämulio nach der Handschrift, 37, 14 Betui
Cilonis st. Chilonis, 60, 2 Roscius Coelius st. Caelius, II 15, 10
Albingaunum st. Albigaunum, 16, 7 Claudium Pyrrichum (=IIvqqixop)
st. Pyrrhicum, 23, 10 Martio (st. Marcio) Macro. Ob Dessau mit
Saevinio Proculo I 77, 15 den richtigen Namen hergestellt hat,
scheint mir nicht ganz sicher; an Ofonius Tigellinus 72, 2 ist kein
M Doch hat er sieb, wie Koaut, nicht entschließen können, II 4, 5 mit
dem Med. sacerdotis zu schreiben; er hat ferner die Konjekturen redeo
II 38, 16, quaestus 86, 15 und regeretur 87, 7 festgehalten uod meine Änderung
von qua in quia II 32, 1 zwar erwähnt, im Texte aber qua stehen lassen.
21*
316 Jahresberichte d. Philolpg. Vereins.
Zweifel; Aegiali 37, 21 (Med. egialii) läßt sich ertragen. 11 4,18
finden wir als neuen Heilungsversuch inexperti belli casus unter
Verzicht auf Anlehnung an das nach belli überlieferte labor, welches
in der Tat aus dem Vorhergehenden irrtümlich wiederholt zu sein
scheint. Neu ist auch clamor vel gemitus II 46, 13, wo allerdings
vel dem vorausgehenden ut flexerat voltutn aut induraverat Otho
besser entspricht als das überlieferte et. II 21, 6 ist H. zu;
Puteolanus' Schreibung dum regerunt zurückgekehrt, mit Recht,
81, 3 hat er mit Noväk inservientium in servientium geändert
ebenfalls mit Recht.
Mit derselben Umsicht, Sorgfall und Gelehrsamkeit, wie der
Text, ist auch der Kommentar umgestaltet worden. Die sachliche
wie die sprachliche Erklärung bietet viel Neues. Jene ist ver-
mehrt um Bemerkungen, die auf der Vergleichung der Berichte
Suetons und Plutarchs oder auf epigraphischen und topographi-
schen Ergebnissen neueren Datums beruhen, diese ist durch die
ausgedehnte Belesenheit des Herausgebers vielfach bereichert worden»
So finden wir jetzt bezeichnende Parallelstellen zu den Ausdrücken
ne territus fueris I 16, 15, non ultra verba ac voces errasse I 18, 9,
zu dem Gebrauch von opus I 2, 1, von et in den Worten et caeles-
tes minae I 18, 2, zu den Verbindungen prope a 1 10, 5 und
suspectus in 1 13, 15, zur Auslassung von gern I 15, 4; wir er-
halten lexikalische Nachweise über das Vorkommen von turbamenta
1 23,7, intus in dem Sinne von intro 1 35, 3, sustinere = 'über
sich gewinnen9 I 37,2, diffugia I 39,11. Andere Zusätze be-
rühren die Textkritik; so wird das vielfach verdachtigte tribunorum
I 31, 11 und elanguescet (gegenüber relanguescet) 1 33, 9 vortreff-
lich gerechtfertigt. Höchst selten sind Zusätze, die ein Schwanken
in der Auffassung verraten, z. B. I 15, 24 die Bemerkung zu
ceteri libentius cum fortuna nostra quam nobiscum: 'sc. loquuntur
oder erunt?' Sicherlich loquuntur oder vielmehr loquentur; denn
diese Ergänzung wird durch suadere und adsentatio nabegelegt.
Häufiger ist ein Hinweis auf abweichende Auffassungen eingefügt,
z. B. I 4, 7, wo die Ergänzung von apud zu omnes legiones duces-
que mit Beispielen belegt und hinzugefügt wird, daß andere diese
Akkusative von coneiverat abhängen lassen, und I 31,4, wo der
Vorschlag, den Satz missus . . . tendentes umzustellen, in empfehlen-
der Weise erwähnt wird. Einzelne Noten sind aus Wolffs Kom-
mentar mit Nennung seines Namens herübergenommen, z. B.
I 5, 3. 22, 10. 30, 7. Hier und da ist eine gut gewählte Über-
setzung eingefügt, z.B. I 16,1 corpus 'Organismus', 36,11 et
omnia serviliter pro dominatione: 'kurz, ganz Diener, um Herr zu
sein1; oder der Ausdruck verbessert, z. ß. I 22, 14 'mahnende
Stimme' st. 'Mahnstimme'.
So ist der Kommentar bedeutend reichhaltiger geworden*
jedoch ohne Vergrößerung des äußeren Umfangs. Denn viele
Parallelstellen sind, wo sie entbehrlich schienen oder im Lex. Tac.
'\
Tacitus, von G. Andresen. 317
leicht zu finden sind, gestrichen worden (während sie in einzelnen
Fällen durch schlagendere ersetzt worden sind); auch durch das
Nichtausschreiben der verglichenen Stellen ist Raum gewonnen
worden. Von Grammatiken wird nur noch Madvig zitiert; häufig
wird auf Mommsen R. G. V, Pauly-Wissowa und besonders oft
auf die Prosopogr. Imp. R. verwiesen, in der der Leser des Tac.
die Nachrichten über alle von diesem erwähnten bedeutenderen
Persönlichkeiten zusammengestellt findet.
Änderungen der Erklärung sind häufig und stets beifallswert.
Pluribus I 1, 6 wird nicht mehr mit compluribus, audens I 3, 3
Dicht mehr mit audax identifiziert, pacis artes I 8f 3 in erweitertem
Sinne gefaßt, in secretum Asiae I 10, 4 richtig 'nach dem fernen
Asien' statt 'nach einer abgeschiedenen Gegend Asiens ' übersetzt,
die Deutung von merito \perire I 21,14 schärfer formuliert, der
Ausdruck postero Iduum die 1 26, 4 auf den Tag nach den Iden,
nicht auf die Iden bezogen1), nobüitas I 30, 1 im eigentlichen
Sinne gefaßt und zu sed tradito more I 32, 5 nicht mehr postula-
bant, sondern 'es geschah' ergänzt. Hierzu wäre zu vergleichen
Ann. I 3 sed quo pluribus munimentis insisteret, wie für animum
sumere 'Mut schöpfen', 'einen mutigen Entschluß fassen' (Heraeus
zu I 27, 15) außer Liv. VI 23, 3 wohl auch Tac. Agr. 31 tandem
sutnite animum anzuführen wäre. Daß mcertum quem I 29, 2 in
verächtlichem Sinne stehe, vermag ich nicht zuzugeben. Die An-
merkung zu unius familiae I 16, 5, in welcher es heißt, daß
Drusus, der Rruder des Tiberius, in die Julische Familie adoptiert
worden sei, und der Sohn der jüngeren Agrippina Nero Domitius
genannt wird, bedarf der Revision. In der Anmerkung zu I 8, 11
heißt es: 'aber häufiger bezeichnen die älteren Schriftsteller durch
dubito an. . . eine wirkliche Ungewißheit'. Offenbar ist gemeint
4 die späteren Schriftsteller1. — In der Quellenfrage stellt sich der
Herausgeber nicht auf die Seite derer, weiche meinen, Plutarch
habe den Text des Tacitus vor sich gehabt. Wenigstens hat er
die Anmerkung zu I 41, 9, wo es heißt, Plutarch schöpfe aus
derselben Quelle wie Tacitus, unverändert übernommen.
Die Neubearbeitung eines fremden Werkes ist eine schwierige
Aufgabe; die Art, wie W. Heraeus diese Aufgabe gelöst hat, sein
gesundes Urteil, seine Akribie, sein umfassendes Wissen, auch
der absolut korrekte Druck gereichen ihm zu- hohem Ruhme.
4) The Aooals of Tacitus books I — VI. An Eoglish translatioo with
introduction, notes and maps by George Gilbert Ramsay. London
1904, John Murray. LXXX u. 439 S. 8. 15 sh.
In der Einleitung erörtert R. diejenigen Gesichtspunkte, unter
denen die Annalen des Tacitus in den ersten drei Jahrhunderten
*) Die Einschiebuog von Ian. = Ianuariarum, an welcher H. festhält,
ist zwar, wie ieh selbst eiomal ausgeführt habe, dem Sprachgebrauch des
Tacitus angemessen, aber doch nicht notwendig; und die Behauptung, daß
318 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
nach ihrer Entdeckung eifrig studiert und in alle zivilisierten
Sprachen übersetzt wurden. Er würdigt sodann die Leistungen
seiner Vorgänger, namentlich die italienischen und die französi-
schen Obersetzungen, hebt die vielfachen Berührungen hervor,
welche den Gesichtskreis des Tacitus mit modernen Ideen auf
politischem, militärischem, sozialem und ökonomischem Gebiete
verknüpfen, und andrerseits die Schwierigkeiten, welche durch die
lateinische Ausdrucksweise und insbesondere durch die Eigen-
tümlichkeiten der taciteischen Diktion (die er mit gründlichem
Verständnis erfaßt hat), jedem Übersetzer, im höchsten Maße aber
dem bereitet werden, der eine Übertragung ins Englische versucht.
Das Französische und namentlich das Italienische (wie Davanzati
zeige) könne dem Original näher kommen als das Englische, be-
sonders in den Sentenzen. Wie unbeholfen in der Tat wenigstens
dem deutschen Leser bisweilen die englische Ausdrucksweise er-
scheinen muß, zeigt z. B. folgender Satz aus I 9: 'Justice had
been dispensed at home; consideration had been shewn to the
allies; the city itself had been sumptuously adorned ; and, if some
few acts of violence had been committed, it had been in order
to secure the general tranquillity', wo im Deutschen wenigstens
an zweiter und an dritter Stelle die Wiederholung vermieden
worden wäre. Ein anderer dem Leser dieser Übersetzung auf-
fallender Mangel der englischen Sprache ist das Fehlen der Formen
zur Bezeichnung der indirekten Rede, die man, wenn nicht durch
die einleitenden Worte (und durch den kursiven Druck) auf sie
hingewiesen würde, als solche gar nicht erkennen könnte.
Über den Wert der Ramsayschen Übersetzung steht mir ein
kompetentes Urteil natürlich nicht zu, doch habe ich den Ein-
druck, als sei sie im ganzen wohl überlegt und mit Erfolg darauf
angelegt, den Gedankeninhalt des Originals zu erschöpfen. Be-
sonders leicht und glücklich scheint dem Verf. die Arbeit in solchen
Partien vonstatten gegangen zu sein, in denen die Ausdrucks-
weise des Originals minder gedrängt ist, namentlich in den direkten
Reden. Ein Beispiel ist die vortreffliche Übersetzung der Rede
des Germanicus I 42. 43. Aber auch in der Erzählung sind viele
Sätze ausgezeichnet wiedergegeben, z. B. I 13: 4For when Augustus,
in bis last days, was discussing what men were. fit to fill the
highest place, but would decline it; or being unequal to the
Position, might aspire to it; or possessed alike the ambition and
the ability: he had described Manius Lepidus as capable but in-
different, Gallus Asinius, as having the ambition, but not the
capacity: but Lucius Arruntius was not unworthy, and if the
chance were oflered him, he would embrace it'.
Im einzelnen ist freilich manches ungenau oder unrichtig
sich nur durch die An nähme des Ausfalles von Ianuariarum die Entstellung
von die in dierum erklären lasse, geht, scheint mir, zu weit.
Tacitas, von G. Androgen. 319
übersetzt; so I 9 mari Oceano aut amnibus longinquis saeptutn Im-
perium: the frontiers had been pushed forward to the Oceaa
or to distant rivers; 17 promptis tarn et aliis seditionis ministris:
having secured a following ready to join in an outbreak; 22 quid
pararet intentos: who hung eagerly on bis ups; 26 filios familiarum:
sons of the Imperial house; 28 denique pro Neronibus et Drusis
Imperium populi Romani capessent: are tbey to take the places of
Nero or of Drusus as rulers of the Roman people; 32 numerum
centurionum: the number of the centuries; 37 nihil cunctatas
sacramento adigit: quartadecimani paullum dubitaverant. Pecunia . . .
oblata est: the oath of allegiance was taken without hesitation by
the 2nd, 13 th, and 16th legions. The 14th hesitated for a
moment; so the money etc., wo die falsche Interpunktion und
das unrichtige Tempus in hesitated das folgende so unverständlich
machen. Unrichtig ist die Ergänzung 1 3 and yet so anxious
was Augustus to strengthen his position that he appointed Ger-
manicus etc. = At hercule Germanicum etc., und die Obersetzung
4 differebant: pulled to pieces, 22 plures . . . duces (ein echter
Komparativ): several leaders; 24 ceteris periculorum pracmiorum-
que ostentator: was to . . . hold out expectations of reward or
punishment to the army; 27 militiae flagitia: the monstrous
demands of the soldiers; 38 bono . . . exemplo: salutary as this
example was (denn daß die Maßregel des Ennius in dem gegen-
wärtigen Falle heilsam war, ist schon durch repressi sunt be-
zeichnet); 39 regressum iam apud aram Ubiorum Germanicum
adeunt: reached Germanicus on his return to the altar of the
Ubii; 41 induebatur: he used to wear boots etc., als ob 4to please
the men' (= ad concilianda vulgi studio) die Absicht des Knaben
selber gewesen wäre; 61 semiruto vallo: the half-completed rampart;
62 auguratu et vetustissimis caerimoniis praeditum: who held the
Augurship and other ancient priesthoods.
Der Text, den R. übersetzt, ist, abgesehen von einzelnen
Abweichungen, der von Furneaux, und zwar, wie es scheint, der
ersten Auflage vom Jahre 1884. So sind ihm die nach 1884
gewonnenen Besserungen unbekannt geblieben; er liest z. ß. 1 10
noch Mos statt Iullos (und II 16 finde ich gar 'a level piain...
called Idiavisus); doch übersetzt er I 49 chance ruled all, als ob
er cuncta und nicht cetera vor sich gehabt hätte.
Die Anmerkungen, welche den Text begleiten, geben historische
und staatsrechtliche Erläuterungen; hier und da dienen sie der
Kritik taciteischer Urteile, selten erörtern sie ein textkritisches
Problem. Oft werden moderne Verhältnisse zum Vergleich heran-
gezogen; hier gibt R. manches Eigene und Selbsterkundete. Vier
Karten und ein Namenindex beschließen das Werk. — Versehen:
im Text I 10 augurs (pontifices), in den Anmerkungen S. 20, 4
Quinta statt Quarta (denn die Legionen, die der junge Cäsar ver-
führte, waren die vierte und die des Mars); S. 118,1 from the
320 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Elbe to the Weser statt from the Weser to the Elbe. Druck-
fehler: S. 16 Anm. 1 quingentos st. quingenos, S. 46 Anm. 1
Marquhardt st. Marquardt.
Bei uns in Deutschland wurde ein Werk wie dieses schwer-
lich Erfolg haben; Ramsays Übersetzung wird — und sie verdient
es — in England, wo die Verhältnisse anders liegen, ihr Publikum
finden und die Kenntnis des Tacitus über die gebildeten Kreise
ausbreiten helfen.
5) Tacitus' Annaleo und Historien in Auswahl. Für den Schul-
gebrauch herausgegeben von Andreas Weidner. Dritte Auflage.
Mit einem Anhang: Drei Briefe des jüngeren Plinius und des Trajan
und Monumentum Ancyranum, bearbeitet von Rudolf Lange. Mit
4 Karten und 24 Abbildungen. Leipzig 1905, 6. Frey tag. XIV u.
230 S. 8. 1,80 JC.
Die neue Auflage bringt eine ebenso grundliche wie gluckliche
Umgestaltung. Die Auswahl ist insofern geändert, als nicht bloß
der Agricola und diejenigen Teile der Annalen, welche die Kämpfe
der Römer mit den Britanniern schildern, weggefallen sind —
beides war schon in der 1902 erschienenen zweiten Auflage ge-
tilgt worden — , sondern auch die Germania ausgelassen ist und
einige kleinere Stücke aus der ersten Hälfte der Annalen hinzu-
gefugt sind. — Von größerer Bedeutung ist die Aufhebung der
sonderbaren Anordnung, die Weidner gewählt hatte: die Stacke
folgen einander jetzt in der Ordnung, in welcher sie bei Tacitus
stehen. Die wichtigste Neuerung aber ist die Säuberung des
Textes, den Weidner durch seine zahlreichen Erfindungen (s. JB.
XXI S. 196 ff., XXII S. 145 ff.) verunstaltet hatte. Auch die
neuesten Ergebnisse des Ref. hat Lange gewissenhaft verwertet
und unter ihnen z. B. auch meine Konjektur zu XV[ 22, 25 st
Imperium everterint aufgenommen. Zu monieren bliebe höchstens
die von Weidner übernommene Streichung des zweiten $ui H. V
16, 12 und die (früher allerdings allgemein gebilligte) Änderung
der Worte et populi Romani virtutem armis adfirmavi H. IV 73, 2
in et populus Romanus v. a. adfirmavit.
Was ich seinerzeit an der Einleitung getadelt habe, ist ge-
tilgt; das Verzeichnis der -wichtigeren Abweichungen1 vom Texte
der vierten Auflage Halms ist weggelassen; der Anhang ist um
den Brief des Plinius über den Ausbruch des Vesuvs und um das
gewiß manchem willkommene Monumentum Ancyranum (nach
Mommsens Ausgabe 1883) bereichert; das Verzeichnis der Eigen-
namen ist vielfach vervollständigt und umgestaltet worden. Hierzu
nur eine Bemerkung: die jüngere Agrippina heißt S. 185 die
Mutter des 4L. Domitius Nero1.
*
Tacitus, von G. Andresen. 321
6) Cornelii Taciti Annalium libri XIII— XVI with Introduction and
Dotes abridged from the larger work of Henry Faroeaux by H. Pitman ,
M. A., Jecturer in classics at university College, Bristol. Oxford 1904,
at the Clarendon press.
Wie der Titel sagt, ist die einzige Quelle dieser Ausgabe der
zweite Band der großen Annalenausgabe von Furneaux (erschienen
1891, vgl. JB. XVIII S. 240). Die seit 1891 gewonnenen neuen
Ergebnisse, welche in erster Reihe die Textgestaltung berühren,
sind unverwertet geblieben. Hervorgegangen ist die Ausgabe aus
der Erwägung, daß Tacitus* Geschichte der Regierung Neros ein
passender Gegenstand für die Schullektüre und daß die Herstellung
eines 'less copious and advanced commentary than Mr. Furneaux'
large edition of the Annais' ein Bedürfnis sei. De suo hat der
Herausgeber in den Kommentar, welcher 146 Seiten umfaßt, nur
einige den minder hohen Zielen der Ausgabe entsprechende Er-
klärungen und Übersetzungen eingeschoben.
7) Cornelii Taciti ab excessu Divi Augusti liberXV. Rezensione
e note di Salvatore Rossi. Torino 1904, G. B. Paravia. XXI u.
80 S. 1,40 L.
Nach der Anzeige von Vincenzo Ussani, Boll. di fil. class. X
S. 246 hat Rossi in der Textgestaltung die mit Hilfe der Sijthoff-
schen Reproduktion neugewonnenen Resultate unberücksichtigt
gelassen; auch der Kommentar sei nicht besser vorbereitet, und
die Einleitung enthalte manches Falsche und Unzureichende.
Milder urteilt Concetto Marchesi, Atene e Roma VII S. 183: die
Ausgabe entspreche im allgemeinen den Bedürfnissen der Schule.
3) P. Cornelius Tacitus' Annalen in Auswahl und der Bataver-
aufstand unter Civilis, herausgegeben von Carl Stegmano.
Hilfsheft. Mit einem Titelbild, sowie 22 Abbildungen im Text und
auf 3 Tafeln. Leipzig und Berlin 1903 (B. G. Teubners Schüler -
ausgaben griechischer und lateinischer Schriftsteller). IV u. 190 S. 8.
Dieses sehr reichhaltige und zuverlässige Hilfsheft behandelt
in gewandter Darstellung in sieben Kapiteln, denen die taciteischen
Belegstellen eingefugt sind: das Leben, die Werke, die Welt-
anschauung und die Geschichtschreibung des Tacitus, die Geschichte
des julisch-klaudischen Kaisergeschlechts, die Verfassung der ersten
Kaiserzeit, die innere und die äußere Politik der julisch-klaudi-
schen Kaiser, das Heerwesen der Kaiserzeit und die Bauten des
kaiserlichen Rom.
Das Hilfsheft bildet den dritten Band der Stegmannschen
Auswahl. Ober den ersten Band (Text) vgl. JB. XXIV S. 284,
über den zweiten (Kommentar) XXV S. 281. Die Sichtung, Be-
grenzung und Zusammenstellung des gewaltigen Stoffes, sowie die
Verteilung der taciteischen Zeugnisse über die einzelnen Kapitel
verdienen volle Anerkennung. Führer und Hilfsmittel waren für
Stegmann bei der Herstellung des Werkes außer der Nipperdey-
322 Jahresberichte d. Phüolog. Vereins.
sehen Ausgabe und diesen Jahresberichten die bekannten Werke
von Mommsen, Schiller, Gardthausen, Friedländer, 0. Richter,
Asbach, Knoke.
In dem Bestreben, über die mannigfaltigen Gebiete, die er
zu berühren hatte, grundliche Auskunft zu geben, ist Stegmann,
wie mir scheint, durchweg ein wenig mehr ins Detail gegangen,
als es mit Rucksicht auf die Bestimmung des Buches ratsam ge-
weseij wäre. Am ehesten hätte wohl das zweite Kapitel, nament-
lich die Geschichte und Charakteristik des Tiberius, für welche
Viertel, Tiberius und Germanicus (s. JB. XXVII S. 313) eine Haupt-
grundlage bildet, eine Kürzung vertragen. Das Bedürfnis, das
Buch nicht zu sehr anschwellen zu lassen, hat St. selber empfunden
und deshalb einzelne ursprünglich geplante Abschnitte ganz weg-
gelassen, so namentlich eine eingehendere Darstellung des tacitei-
schen Sprachgebrauchs.
Ein paar Ungenauigkeiten sind zu berichtigen. S. 3 heißt
es unrichtig, daß Tacitus in demselben Jahre, in welchem ihm
die Prätur verliehen wurde, auch Mitglied des Kollegiums der
quindeeimviri sacris faciundis wurde (denn er war es bereits, als
er Prätor wurde). S. 8 wird zur Charakteristik der Anschauungen
des Tacitus bemerkt, daß er Ann. II 85 den Tod von 4000 nach
Sardinien verbannten Juden ein vile damnum nenne. Genau
genommen liegt in diesem Ausdruck nur ein Urteil des Senats,
nicht des Tacitus. S. 27 lesen wir, Livia habe zwei Söhne aus
erster Ehe, Tiberius und Drusus, mit in das Haus des Kaisers
gebracht, und S. 28, Augustus habe seine beiden Stiefsöhne
adoptiert. Beides ist unrichtig: Drusus war am Tage der Ver-
mählung seiner Mutter mit Augustus noch nicht geboren; auch
hat sein früher Tod die Adoption gehindert; denn als er starb,
hatte Augustus noch leibliche Nachkommen. Zu S. 135 und 136
ist zu bemerken, daß Aliso heute nur noch von wenigen an der
oberen Lippe gesucht, das praesidium in tnonte Tauno aber von
niemandem mehr mit der Saalburg identifiziert wird; zu S. 190,
daß Vaticani H. II 93 der Genitiv von Vaticanum ist, nicht von
Vaticanus; vgl. JB. XXVII S. 332.
Die Ausdrucksweise ist durchweg korrekt. S. 5 wäre. * Mäßigung'
oder 'Maßhaltung', von Agricola gesagt, richtiger als 'Mäßigkeit'.
Eine Pisonische 'Empörung' (S. 123) hat es nicht gegeben, sondern
nur eine 'Verschwörung'. S. 38 ist 'den germanischen Aufstand'
in 'den pannonischen Aufstand', S. 121 'externae suspiciones' in
'externae superstitiones', S. 178 'lag die rostra' in 'lagen die
rostra' zu ändern. S. 15 lies 'Zuverlässigkeit' statt 'Zulässigkeit',
S. 55 'Cbaerea' st. Charea', S. 79 'jährlich', S. 134 'das heutige
Borkum', S. 190 'errichtete'. Im Titel steht P. Cornelius Tacitus,
im Texte P. Kornelius Tacitus, und nach demselben Prinzip auch
Cirkus und Ap. Klaudius Caekus.
Tacitus, von G. Andresen. 323
9) Taciti opera rec. Joannes Mueller. Editio minor. Vol. I: libros
ab excessu Divi Augustt continens. Editio altera cmendata. Lipsiae
1903, G. Freytag. 350 S. 8.
Der Text ist derselbe wie der der editio maior, über welchen
ich JB. XXIX S. 209 berichtet habe. Beigefugt sind Breviarien
und drei Karten: Rom zur Zeit Neros, das Römerreich, Alt-
germanien.
Angezeigt von Th. Opitz, WS. f. kl. Phil. 1904 Sp. 183, der
mehrere Konjekturen mit guten Gründen bekämpft (so I 79, 12.
XI 23, 17. XV 50, 20); L. Valmaggi, Riv. di fil. 32 S. 316, der
die Neuerungen des Textes aufzählt, und von E. Wolff, Berl. phil.
WS. 1904 Sp. 944 ('der Text ist in erfreulicher Weise verbessert').
10) Anzeigen älterer Ausgaben: Agricola von Smolka (JB.
XXVIII S. 262): Bl. f. d. GSW. 1903 S. 650 von Ammon (als Text-
ausgabe in den Händen der Schuler brauchbar), Berl. phil. WS.
1904 Sp. 220 von Fr. Muller (anerkennend, doch lasse die Karte
manches vermissen); Agricola von Gudeman, Berlin, Weidmann-
sehe Buchhandlung (JB. XXVIII S. 263): Riv. di ß). 31 S. 495
von L. Valmaggi (anerkennend), Class. Rev. XVII S. 265 von F. T.
Richards (desgl.), Bl. f. d. GSW. 1903 S. 648 von Ammon (desgl.),
Gymnasium 1904 S. 47 von Fr. Müller (desgl.; insbesondere weise
die Einleitung überzeugend nach, daß die Schrift ein in allem
Wesentlichen der antiken Theorie angepaßtes biographisches
Enkomium sei), Bull. crit. 1903 S. 231 und 252 von R. Caben;
Knaut, Historien I (JB. XXIX S. 206): N. phil. Rundsch. 1903
S. 339 von E. Wolff (im allgemeinen anerkennend; W. berührt
manche Einzelheiten und gibt einige Nachträge zum Kommentar);
Müller-Christ, Historien (JB. XXIX S. 208): Ztschr. f. d. öst.
Gymn. 1903 S. 746 von J. Golling (anerkennend; G. tritt für das
überlieferte iubet praecepüque statt praecipitque IV 83 ein), Gym-
nasium 1904 S. 11 von Fr. Müller (lobend, doch verwirft dieser
Rezensent die Abbildungen).
IL Tacitus als Schriftsteller.
11) Emile Thomas, La eritique de Tacite. Melaoges Boissier (Paris
1903, A. Footemoing) S. 431—434.
Ungeachtet der großen Fortschritte, welche das Studium des
Tacitus in der zweiten Hälfte des verflossenen Jahrhunderts ge-
zeitigt habe, offenbare sich in gewissen Erscheinungen der jüngsten
Zeit, namentlich in der Erneuerung der Diskussion über die
Authentizität der kleinen Schriften, eine Verirrung der Kritik, ein
Fehler, der dadurch hervorgerufen sei, daß man das Wesentliche
an Tacitus, das Gesamtbild seiner literarischen Eigenart, nicht
erkenne oder aus den Augen verliere. Sein Porträt zu zeichnen,
mit Unterscheidung dessen, was wir wissen, von dem, was wir
324 Jahresberichte d. Philologe Vereins.
nicht wissen und was wir vermuten, sei freilich eine schwierige
Aufgabe, und wäre sie gelöst, so wurde sich doch Tacitus selbst
das letzte Wort vorbehalten.
12) L. Simioni, Del carattere inorale di Cornelio Tacito. L'Ateoeo
Veneto, anoo 26 vol. I fasc. 1.
Diese Arbeit hat mir nicht vorgelegen.
13) HansNolte, De Corneli Taciti qui fertur Dialogo de oratori-
bus. Progr. Gleiwitz 1903 (Progr. Nr. 218). 25 S.
Die in 60 kleine Abschnitte zerlegte Abhandlung Noltes, deren
Latein arge Fehler enthält, gibt eine Geschichte des Streites über
die Authentizität des Dialogs und eine Zusammenstellung der von
ihren Verteidigern und ihren Gegnern vorgebrachten Argumente.
Da neue Gesichtspunkte fehlen, so darf ich auf eine Wiedergabe
des einzelnen verzichten. Eigentümlich ist jedoch das Schluß-
ergebnis, welches lautet: Die Schrift ist von Tacitus und zwar
unter Domitian verfaßt, aber erst nach Tacitus' Tode herausgegeben,
vielleicht vom Kaiser Tacitus, der, wie sein Bruder Florianus und
der praefectus praetorii Polemius, zu den Nachkommen des Ge-
schichtschreibers zählte. Man darf somit mit Nolte von Tacitus
sagen: * prüden ter se gessit in eligendis posteris'.
14) Joannes Kro&el, Quo tempore Taciti Dialogus de oratoribus
habitus sit quaeritnr. Progr. Tarnopol 1904. 23 S.
K. bringt, was man kaum erwarten sollte, eine neue Auf-
fassung der für die Lösung der Frage, die er behandelt, ent-
scheidenden und bisher vielfach, jedoch ohne sicheres Ergebnis,
erörterten Stelle Kap. 17. Oberzeugt, daß die Zahl 120 nicht als
runde Zahl angesehen werden dürfe, faßt er den militärischen
terminus statio als einen Ausdruck, der auf der Teilung des
Prinzipats des Vespasian, eines Kriegsmannes, der an der Dyarchie
festgehalten und die konsularische Eponymie wiederhergestellt
habe, nach seinen einzelnen Konsulaten beruhe. So seien
von dem Beginn der Regierung des Vespasian bis zum Ende
der sechsten statio 8 Jahre vergangen (69 — 76); die Summe von
56 + 23 + 4 + 28 + 1 + 8 aber ergebe 120. Ein librarius,
der den rhetorisch-poetischen Gebrauch von statio nicht verstand
und dieses Wort gleich annus setzte, habe, um zu der Summe von
120 zu gelangen, in der Zahl der Regierungsjahre des Augustus
sex in novem geändert, nicht in octo, weil er der Meinung war,
daß der Ausdruck sextam iam nur 5, nicht 6 Jahre bezeichne.
Somit sei das Gespräch im Jahre 77 gehalten worden, und diesem
Ergebnis stehe weder das, was wir über den Tod des Mucian
wissen, noch sonst irgend etwas im Wege.
Gegen diese Deutung erheben sich sogleich zwei Einwände.
Erstens muß es auffallen, daß Aper, nachdem er die Regierungs-
Tacitus, vod G. Andresen. 325
Zeiten der vorhergehenden Kaiser in der gewöhnlichen Weise nach
Jahren berechnet hat, die seit dem Regierungsantritt des Vespasian
verflossene Zeit nach dessen 'konsularischen Stationen', die sich
mit den Jahren nicht decken, angibt und somit heterogene Posten
zu einer Summe addiert; zweitens kann das Ordinalzahlwort in
Verbindung mit tarn schwerlich bezeichnen, daß die Zahl bereits
voll ist. Ist sie aber nicht voll, so ergibt sich das Jahr 76, in
welchem Yespasian zum sechstenmal Konsul war, nicht 77, und
als Summe nicht 120, sondern 119.
15) Ricardus Dienel, Quae rationes inter libellum 71sq\ vxpovg
et Ttciti diaiogum de oratoribus intercedere videaotur.
K. K. Staatsgymnasiom io Mähr.-Trübau. Festschrift zur Feier des
hundertjährigen Bestandes. Mähr.-Trübau 1903. S. 107—120.
D. setzt die Abfassung der Schrift nsgl vipovg in die Zeit
vor Claudius und bemüht sich zu zeigen, daß Tacitus, als er den
Dialog schrieb, jene Schrift vor Augen gehabt habe. Insbesondere
führt er aus, in welchem Maße Tacitus den Inhalt des Kapitels 44
der Schrift, dessen Thema die von Fabius Justus an Tacitus ge-
richtete Frage ist, sich zu eigen gemacht, ergänzt, umgestaltet
oder weiter ausgeführt zu haben scheine.
Eingehender besprochen von E. Wolff, WS. f. kl. Phil. 1904
Sp. 872.
16) Santi Gonsoli, La 'Germania' comparata con la 'Naturalis
Historia' di Plinio e con le opere di Tacito. Ricerche
lessicografiche e sintattiche. Roma 1903, Loescher. 171 S. 8.
Consoli, der Urheber einer neuen Hypothese über den Ursprung
der Germania (s. JB. XXIX S. 218), verzeichnet in diesem Buche
die lexikalischen und syntaktischen Berührungen einerseits zwischen
der Germania und der N. h. des Plinius, andrerseits 'zwischen
der Germania und den Werken des Tacitus \ Hierbei wird unter-
schieden, ob eine Erscheinung schon aus den älteren Schriftstellern
zu belegen ist oder erst in der Literatur des 1. Jahrh. n. Chr.,
bzw. in der Germ, und in der N. h. zum erstenmal begegnet.
Daß durch diese mit großem Fleiß gesammelten Parallelen
für die Hypothese des Verf. nichts bewiesen wird, bemerkt mit
Recht E. T., Rev. crit. 1903 Nr. 49 S. 456; vgl. F. R., Riv. stör.
Ital. 1904 S. 18, Joh. Müller, WS. f. kl. Phil. 1904 Sp. 63, E. Wolff,
N. phil. Rundscb. 1904 S. 122 und Berl. phil. WS. 1904 Sp. 973.
Wolff hebt aus der Zitatenfülle eine kleine Anzahl solcher Bei-
spiele heraus, die teilweise wenigstens für die sprachliche Er-
läuterung der Germania verwendbar sind.
Jene Hypothese Gonsolis wird ferner abgelehnt Rev. de l'instr.
publ. en Beig. 46 S. 297, Riv. di fil. 31 S. 600 von Amatucci,
DLZ. 1903, Sp. 3134, G. Tropea, Riv. di storia antica N. S. VII 2/3
S. 628, F. R., Riv. stör. Ital. 1904 S. 18, am gründlichsten von
C. John, WS. f. kl. Phil. 1904 Sp. 92.
326 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
17) Ludwig Schmidt, Geschichte der deutsche n Stämme bis zum
Ausgange der Völkerwanderung 1 1. la: Quellen und Forschungen
zur alten Geschichte und Geographie, herausgegeben von W. Sieglin.
Heft 7. Berlin 1904, Weidmannsche Buchhandlung.
Für uns kommt aus dieser Publikation nur ein Passus aus
der über die Quellen handelnden allgemeinen Einleitung in Be-
tracht. Von Tacitus' Historien und Annalen heißt es S. 9, daß
die die germanischen Beziehungen behandelnden Abschnitte wahr-
scheinlich größtenteils aus Plinius geschöpft und daher von ganz
besonderem Werte seien. Auch die Germania beruhe nur auf
abgeleiteten Quellen und sei ein Ausfluß der sentimentalen Be-
wunderung der vermeintlich paradiesischen Zustände eines Natur-
volkes, wie solche bei hoch kultivierten Nationen häufig wieder-
kehre. Tacitus sei mehr Rhetor als Historiker; Unparteilichkeit
habe er zwar angestrebt, dieses Ziel aber nicht erreiche.
18) Arthur Stein, Die Protokolle des römischen Senates und
ihre Bedeutung als Geschichtsquelle für Tacitus. Jahres-
bericht der 1. deutschen Staatsrealschule in Prag 1904. 33 S.
Das letzte Drittel dieser Abhandlung ist der Frage gewidmet,
ob Tacitus, der die Senatsakten einmal (Ann. XV 74) ausdrücklich
als von ihm eingesehen anfuhrt, diese nur an der einen Stelle
benutzt oder durchgängig verwertet hat. S. beschränkt die Er-
örterung dieser Frage auf die Annalen, hauptsächlich deren erste
Hälfte, und fuhrt zugunsten der zweiten Alternative folgende Be-
obachtungen an: die Kenntnis nebensächlicher Details, die Genauig-
keit des Berichtes in solchen Fällen, wo derselbe Gegenstand auf
die Tagesordnung mehrerer Sitzungen gesetzt ist, die Wiedergabe
von Reden und Anträgen, die abgelehnt wurden, auch bei Gerichts-
verhandlungen, deren Kenntnis nur aus den Senatsakten zu
schöpfen war, und die nach ethischen Gesichtspunkten getroffene
Auslese der abgegebenen sententiae, die darauf schließen läßt, daß
ihm ein reiches Material zur Verfügung stand. Es sei freilich
nicht zu leugnen, daß auch Dinge berichtet werden, die nicht aus
einer offiziellen Quelle stammen können, sondern in letzter Heihe
auf die Zeugnisse von Augenzeugen zurückgehen müssen. Diese
Beobachtung sei jedoch der Annahme, daß der Schriftsteller den
größten Teil der Tatsachen selbst amtlichen Quellen verdanke,
ebensowenig hinderlich, wie der Umstand, daß er die Tatsachen
in ein für Tiberius ungünstiges Licht zu rücken pflegt. II 88
zitiere er statt der Senatsprotokolle die zeitgenössischen senatori-
schen Schriftsteller, um seine Befriedigung darüber kundzugeben,
daß auch diese von altem Römerstolz erfüllt sind und sich in der
Geschichtschreibung von ähnlichen Prinzipien, wie er selbst, leiten
lassen (?). Auch in der Erwähnung der Todesfälle bedeutender
Männer außerhalb des Zusammenhangs der Erzählung sei eine
Spur der Benutzung der Senatsprotokolle zu erblicken. Denn
\
Tacitus, von G. Aodresen. 327
Tacitus habe diese Mitteilungen, die er, zwölf an der Zahl, regel-
mäßig an den Schluß der Jahresgeschichte stelle, weil sie sonst
nicht unterzubringen waren (während er nur in fünf von den
zwölf Fällen ausdrucklich sage, daß der Todesfall am Ende des
Jahres stattgefunden habe), vermutlich deshalb seinem Geschichts-
werke eingefügt, weil den Verstorbenen durch Senatsbeschluß ein
funus publicum zuerkannt worden war.
Man wird, wie Hirschfeld angekündigt hat, nächstens hören,
wie Mommsen über das Verhältnis des Tacitus zu den Senatsakten
geurteilt hat. Steins Argumente reichen nicht aus, um von der
Richtigkeit der von ihm vertretenen Ansicht zu überzeugen.
19) W. Haker, Claudii apud Tacitum Aon. XI 24 oratio et una
cum eapite praecedeote commeotario critico et exegetico enarratur et
cum oratione vere habita ita comparatur, ut, quid iode de omoi
oratiooum Tacitearum indole colligatur, eluceat. Progr. Malchin,
Stadt. Realgymo. 1904. 21 S.
Der Bericht über den Inhalt dieser Arbeit wird nicht viel
mehr Raum einnehmen als der Titel. Für seinen historisch-
kritisch-sprachlichen Kommentar hat Verf. Nipperdeys Ausgabe
stark benutzt, auch einige Erklärungen Pfitzners sich zu eigen
gemacht. Von Einzelheiten ist nur erwähnenswert, daß er 23, 17
an moreretur festhält (?) und dann im Anschluß an Urlichs ver-
mutet qui Capüolio et arce Romana (als Ablative der Trennung)
manubias deorum olim praedati sint.
Der Vergleich der Reste der echten Rede des Claudius, die
Tacitus ohne Zweifel bekannt gewesen sei, da er aus den Senats-
akten geschöpft habe, mit der ihm von Tacitus in den Mund ge-
legten führt den Verf. zu dem Ergebnis, daß auch die übrigen
Reden bei Tacitus der Mehrzahl nach nicht völlig frei erfunden,
aber in ähnlicher Weise wie die des Claudius umgestaltet worden
seien.
20) H. de la Ville deMirmont, Notes surTacite (Histoires livre IV).
Revue des etudes ancienoes VI (1904) 2 (Avril-Juio) S. 103—130.
Der erste Abschnitt dieses Aufsatzes ist dem Lebenslauf des
älteren Helvidius Priscus gewidmet (Ann. XVI 28), den Verf. mit
dem Legionslegaten des Jahres 51 (Ann. XII 49) und dem Volks-
tribunen des Jahres 56 (Ann. XIII 28) identifiziert. Hiergegen
vgl. Nipperdey zu XII 49. — Die Äußerung des Marcellus H. IV 8
se . . .bonos imperatores voto expetere, qualescumque tolerare, die man
vielfach als einen Ausspruch des Tacitus ausgegeben habe, sei von
Tacitus nicht dem Marcellus in den Mund gelegt, sondern den
Acta senatus entnommen, die überhaupt als die Hauptquelle des
Rerichts über die Senatssitzung c. 6 — 10 anzusehen seien (dies
ist schwer zu beweisen). Dagegen sei die Rede des Vocula c. 58
ein rhetorisches Erzeugnis des Tacitus selber, der manche Ge-
danken aus Sallust und Livius geschöpft habe (man findet diese
328 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Reminiszenzen bei Heraeus). — Die c. 70 erwähnte da Singularium
unter Julius Briganticus sei von Vitelüus gebildet worden; die
Cadres habe vermutlich jene ala der Armee des Otho geliefert,
welche von demselben Briganticus befehligt wurde (II 22) und
ohne Zweifel aus Batavern bestand. Die Bedeutung der Bezeichnung
Singulares bleibt zweifelhaft. — Der Ertrag der Abhandlung ist,
wie man sieht, gering.
21) Philippe Fabia, La lettre de Pompeins Propinqnns ä Galba
et l'avenement de Vitelüus en Germanie. Beiträge zur alten
Gesehiehte IV S. 42—67.
Fabia deckt eine Differenz zwischen H. I 12 und 55 auf:
dort heißt es, Pompeius Propinquus habe gemeldet, daß alle drei
Legionen des obergermanischen Heeres revoltiert hätten; hier wird
dies nur von den beiden Mainzer Legionen, der 4. und 22., be-
richtet, während von der 21., die in dem entlegenen Vindonissa
stand, überhaupt nicht die Rede ist. Daß an der ersteren Stelle
eine Ungenauigkeit nicht des Propinquus, sondern des Tacitus
oder seiner Quelle vorliegt, gehe daraus hervor, daß Galba sich
I 16 (duae legiones) und 18 (quartam et duoetvicensimam legiones)
über den wahren Tatbestand unterrichtet zeigt — neue Nach-
richten erhielt er erst nach der Adoption: 1 19. 50 — , ferner
daraus, daß, wenn Propinquus mit seinem Schreiben gewartet
hätte, bis er erfahren hatte, daß die 21. Legion sich der Bewegung
angeschlossen habe, er sicherlich die in Köln erfolgte Erhebung
des Vitelüus zum Imperator ebenfalls gemeldet haben wurde; denn
diese mußte in Trier früher bekannt sein als dort eine Nachricht
aus Vindonissa eintreffen konnte. Die 21. Legion habe sich ver-
mutlich am 3. Januar gegen Galba, ein wenig später für Vitelüus
erklärt. Dieselbe Ungenauigkeit wie I 12, wo der Schriftsteller
sich deshalb mit einer allgemeinen Angabe1) begnüge, weil diese
ausreichte, um hervorzuheben, welchen Einfluß die IN ach rieht auf
die Entwickelung der Dinge in Rom hatte, liege I 57 (superior
exercitus und stires . . . fuisse), I 56 (superiorem exercüum, wo
Vitelüus die Ausdehnung der Revolte im eigenen Interesse über-
*) Summarische und ebendeshalb ungenaue Angaben findet man auch
in den Annalen. Man vergleiche I 63 legiones classe, ut advexerat, reportal
mit I 70 legionum, quas navibus vexerat, seeundam et quartam. deeimam
üinere terrestri P. ViteVUo ducendas tradit; I 13 omnesque praeter Lepidum
variis mox criminibus struente Tiberio circumvenÜ sunt mit VI 47 invalido
ac fortasse ignaro fieta pleraque ob inimicitias Macronis notas in Arruntium;
III 19 una omnium Agrippae liberorum tniti obüu mit IV 71 Iulia mortem
obiit, wo einer Gewalttat nicht gedacht wird; IV 71 mit VI 4, woraus her-
vorgeht, daß incolumi Tiberio allein auf Lucanins Latiaris, nicht auf seine
Genossen bezogen richtig ist. Auch facta et de mafkematicis . . . senatus
eonsulta U 32 ist, wie wir aus einem Fragment des Ulpian wissen, eine
summarische Angabe, deren Ungenauigkeit darin besteht, daß die hier ge-
meinten Senatsbeschlüsse sich auf zwei Jahre verteilen. Vgl. auch Nipperdey
zu a Cheruscis Langobardüque II 46.
Tacitus, von G. Andreseo. 329
treibe) und wahrscheinlich auch I 50 (superioris Gtrmaniae ex-
ercitus) vor.
In bezug auf den Charakter der Revolte bestehe zwischen
I 12 und 55 — 57 Übereinstimmung: die Mainzer Legionen wollten
nicht etwa die Republik wiederherstellen; sie erhoben sich nur
gegen die Person des Galba; ihr Standpunkt war der vor kurzem
von Vindex, Galba und Verginius vertretene. Somit seien die
Worte in dem Briefe des Propinquus senatui ac populo Romano
arbitrium eligendi permittere ein guter Kommentar zu dem Bericht
I 55 senatus popultque Romani . . . nomina sacramento advocabant,
und mit Unrecht nenne Tacitus diese Namen oblitterata. Die
Absicht der Mainzer Legionen, an Senat und Volk, sobald sie sich
der Stimmung der übrigen germanischen Legionen versichert
hätten, eine Gesandtschaft zu schicken (deren Ankündigung in
dem Schreiben des Propinquus enthalten sei in den Worten
imperatorem alium flagitare), sei durch ihren Anschluß an Vitellius
hinfällig geworden. Die Eile, womit sie diesen Anschluß voll-
zogen, beweise, daß ihr Eid auf Senat und Volk, denen sie nur
eine Scheinwahl einräumten, nicht ernst zu nehmen war (inane
I 56 'ohne Bedeutung') und einen Hintergedanken in sich barg,
wie einst der des Vindex, Galba und vielleicht auch des Verginius.
Denn dem Sohne des L. Vitellius (id satis videbatur I 9) gehörten
die germanischen Heere schon vor dem 1. Jan. 69; in ihm glaubten
sie, nachdem ihnen früher ein Führer gefehlt hatte (dux deerat
1 8), ihren Mann gefunden zu haben.
Durch einen Vergleich des taciteischen Berichts über die Er-
hebung des Vitellius mit dem der andern Zeugen, besonders des
Plutarch, sucht Fabia sodann zu zeigen, daß die Darstellung de»
Tacitus zwar einiger Berichtigungen und Ergänzungen bedarf, im
ganzen aber der der andern Berichterstatter überlegen ist, sowie
daß Tacitus und Plutarch aus derselben Quelle schöpfen. Die
wichtigste Ergänzung sei in dem enthalten, was Plutarch von
einer Beratung der Offiziere und einer Rede eines derselben nach
der Eidesleistung arn 1. Januar erzählt. Dieser Bericht müsse als
beglaubigt gelten; in der Rede des Offiziers habe Plutarch einen
Teil der Gedanken der Anrede des Valens an Vitellius (H. I 52)
entlehnt. Der Bericht sei kein Einschub: er stehe im Zusammen-
hange mit dem Vorhergehenden und mit dem Folgenden. Da-
durch, daß Tacitus ihn unterdrückte, habe er die Sendung des
Adlerträgers eines Teils ihrer Begründung, seine Meldung eines
Teils ihres Inhalts und die Handlungsweise des Vitellius eines
wichtigen Momentes in ihrer Motivierung beraubt.
22) Philippe Fabia, L'adhesion de rillyricom a la cause
Flavieooe. Revue des etudes aocieooes V S. 329 — 382.
Die Abhandlung enthält ein 'examen critique' der Kapitel
H. IV 85. 86 und gelangt zu Ergebnissen, die dem Ansehen des
Tacitus nicht günstig sind. Ihr Inhalt ist folgender.
J»kr«*b«richte XXX. 22
330 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Interim, das im Einklang mit der gleichmäßig überlieferten
Chronologie, nach welcher die Revolte der orientalischen Truppen
der der illyrischen vorausging, die Gleichzeitigkeit der Ereig-
nisse, die jetzt erzählt werden, mit den jüngsten der eben er-
zählten bezeichnet, gehört logisch nicht zu accelerata — denn
die Wirkungen des Ereignisses traten erst später ein — , sondern
zu dem Part, transgressi1), welches eigentlich den Hauptsatz bilden
sollte8). Im zweiten Satze sollen die Worte imbutae . . . inter-
fuissent, wie auch die folgenden Aquileiam progressae . . . egerant,
die grammatisch nur von den beiden zuletzt genannten Legionen
ausgesagt sind, von allen dreien gelten8). Das zur Insurrektion
treibende Motiv war bei allen illyrischen Truppen dasselbe: anstatt
es durch eine einzige, für alle Truppen gültige Aussage zu be-
zeichnen, hat Tacitus es für die mösischen und die pannonischen
Truppen gesondert angegeben, für die dalmatischen verschwiegen.
Ebenso fehlt eine zusammenfassende Bemerkung über die gleich-
artige Haltung der drei Befehlshaber und deren Begründung; ferner
die ausdrückliche Angabe, daß unter den illyrischen Heeren zuerst
das mösische sich erhob, und die Antwort auf die Frage, warum
die dritte Legion die Initiative ergriff. Man findet diese Antwort
II 74, wo aber, um sie ausreichend zu machen, aus Sueton zu
transisset zu ergänzen ist sub exitu Neronü. Auch die Darstellung
des Vorfalls in Aquileia bedarf einer Ergänzung aus Sueton; denn
Tacitus verschweigt, daß die mösischen Truppen den Namen des
Vespasian auf die Feldzeichen setzten. Außerdem wäre diese
Episode besser an ihrer chronologischen Stelle, 11 66, erzählt
worden, wo, wie Sueton vermuten läßt, die Quelle sie hatte, zumal
da so der kausale Zusammenhang des Ereignisses von Aquileia,
das gegen Ende April stattfand, mit der Proklamation des Ti.
Alexander gewahrt worden wäre. — Am Schlüsse des nächsten
Satzes wäre ostendebant oder minüabantur angemessener als para-
bant4). Daß das mösische Heer auch an die dalmatische Legion
ein Schreiben richtete, darf man vermuten, obwohl Tacitus es
nicht sagt. Wie sich Aponius bei der mösischen Revolte benahm,
erfahren wir erst c. 96. Die Erzählung von dem Attentat des
Aponius auf Julianus und dessen abenteuerlicher Flucht ist hier
recht gleichgültig und hätte im vierten Buch (c. 39. 40) nach-
geholt werden sollen. — C. 86 scheint haud cunctanter zu be-
1) Vgl. crebra post haec fama fuü Aon. XI 34 nod XII 62 rnissas
postkac copias, wo post haec zu prolocutum, posthac zu memorabant gehört.
z) Vgl. JNipperdey zu exerciti Aoo. III 55, elaptam IV 64, quin et . . .
apposäum XII 57.
3) Es muß in der Tat auffallen, daß die Herausgeber ao diesem un-
leugbar vorhandenen Fehler in der Ausdrucksweise des Tacitus bisher vor-
beigeglitten sind.
4) Parabant steht vielleicht in dem Sinne von non modo minüabantur,
verum etiam parabant und drückt somit aus, daß die Drohung nicht nur
erfolgte, sondern auch keine leere war.
Tacitus, von G. Androgen. 331
deuten: 'sobald das Beispiel und die Aufforderung der mösischen
Legionen sie dazu einluden'. Die Worte vi praecipua Primi Antonii
erhalten ihren Kommentar erst aus III 2 — 4: er war der einfluß-
reichste Agitator, der sogleich nach dem Eintreffen des Schreibens
des Vespasian offen und ohne Hintergedanken hervortrat, während
andere sich erst entschieden, als die Insurrektion der mösischen
Legionen gemeldet wurde. In der nun folgenden Lebensskizze
des Antonius will Tacitus sagen, daß er zwar als Legat der
siebenten Legion, nicht aber als dux partium an dem Kriege des
Otho gegen Vitellius teilgenommen hatte. Die Bezeichnung seiner
Schuld durch eine Verdoppelung des Ausdrucks1) (is legibus nocem
et . . . damnatus) ist gehässig; eine Differenz besteht zwischen crede-
batur, das eine Ungewißheit ausdrückt, und a quo neglectus, das
eine Tatsache enthält. Überhaupt werden die Fehler des Antonius
übertrieben, hervorragende Tugenden aber, die wir erst im Anfang
des dritten Buches kennen lernen, verschwiegen. Auch, von welcher
Provinz Cornelius Fuscus Prokurator war, auf wen er einwirkte
und wie das Verhalten des Tampius Flavianus war, erfahren wir
erst aus der Digression III 4. Hätte dies alles in dem Bericht
über die Insurrektion II 86 seinen Platz gefunden, so wäre dieser
Bericht präziser, der über den Eintritt in den Feldzug rapider
und freier von impedimenta geworden. Tacitus hat offenbar sein
Material nicht genügend übersehen: als ihm die ergänzenden Tat-
sachen bekannt wurden, hatte er den Bericht über die Insurrektion
schon abgeschlossen. — Die Worte, durch die Tacitus den Beitritt
der dalmatischen Legion bezeichnet, lassen die Auffassung zu, als
ob sie sich nur gezwungen der Sache des Vespasian angeschlossen
hätte, was nicht richtig ist. Der Ausdruck Delmaticum tnilitem,
welcher gewählt ist, um die Form der Bezeichnung zu wechseln und
um durch den Singular hervorzuheben, wie schwach dieser Heeres-
teil war (?), läßt die Angabe der Zahl der Legionen (1) und der
Nummer (XI) vermissen; das Wort exercitus ist in dem ganzen
Bericht in drei verschiedenen Bedeutungen gebraucht. Ober Pom-
pe ius Silvanus können wir uns wiederum erst aus dem dritten
Buch (c. 50) unterrichten; die Dürftigkeit des Berichts über Dalmatien
wird verdeckt durch das über Cornelius Fuscus Angefügte, und
zwar auf künstliche Weise nur für das Auge des oberflächlichen
Lesers; denn die Erwähnung des Mannes führt uns, was Tacitus
nicht sagt, nach Pannonien zurück3). — Das Subjekt zu ad-
grediuntur sind die Führer der illyrischen Insurrektion, nicht
Vespasian und die Häupter der orientalischen Revolte, die man
in diesen Plural hat einbegreifen wollen. Unter den Briefen, die
2) Ober solche Doppelwenduogen vgl. Nipperdey zu III 59. XIII 42. 46.
a) Augenscheinlich erstreckte sich die agitatorische Tätigkeit des Fuscus
damals auch auf die dalmatische Legion. Dies mag auch der Grand sein,
weshalb Tacitus es hier nicht für notwendig hielt anzogeben, von welcher
Provinz er Prokorator war.
22*
332 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
diese schrieben, wird nicht erwähnt der Brief des Antonius an
Julius Civilis (IV 13. V 26), der doch in dieser Zeil geschrieben
sein muß, vermutlich weil Tacitus, als er II 86 schrieb, noch
keine Kenntnis von der Tatsache hatte. Die Zirkularnote der
Fuhrer des illyrischen Heeres blieb in Gallien, Spanien, Britannien
insofern ohne Erfolg, als die dortigen Heere sich erst nach der
Schlacht bei Cremona dem Vespasian anschlössen. Dies deutet
Tacitus auch durch die Worte ceteris fortunam secuturis an, aber
in diskreter Weise, um seinem Bericht durch den Ausblick auf
einen allgemeinen Brand l) einen dramatischen Abschluß zu geben.
Denn in Wahrheit waren jene späteren Anschlüsse ein Element
des Friedens und geeignet, den Krieg zu ersticken: es hätten
somit die beiden absoluten Ablative am Schlüsse von c. 86 nicht
koordiniert werden dürfen.
Man wird diesen Ausführungen, auch wenn man den darin
enthaltenen Vorwürfen gegen die Darstellung des Tacitus nicht
durchweg zustimmt, nachrühmen dürfen, daß sie in den Zusammen-
hang der Dinge Licht und Klarheit bringen.
23) Philippe Fabia, Tacite, Histoires IV 68. Melanies ßoissier
(Paris 1903, A. Fontemoing) S. 191—196.
Der Zweck dieser scharfsinnigen Abhandlung ist, zu zeigen,
daß H. IV 68, wo Tacitus uns über die mit dem Reiseprojekt des
Mucian verbundenen Umstände unterrichtet, die Darstellung mehr-
fach uneben und lückenhaft ist. Schon im ersten Satze entspreche
der grammatische Aufbau nicht dem logischen Verhältnis der Ge-
danken, welches erst durch folgende Umgestaltung zu klarem Aus-
druck gelange: 4nec relinquenda urbs sine rectore, praesertim cum,
uti diximus, et Domitiani libidines timerentur et magis etiam
suspecti essent Primus Antonius Varusque Arrius72). — In dem
zweiten Satze, aus dem wir erfahren, wie Mucian eins der
2) Dies erinnert an Ann. 131, wo durch die Worte quanto plures, tarda
violentius in dem Leser die Erwartung erweckt wird, daß er von einer In-
surrektion aller acht germanischen Legionen lesen wird, bis er alsbald er-
fährt, daß die Hälfte eine abwartende Stellung einnahm, und hernach (c. 37),
daß sie den Treueid leistete, wodurch diese Hälfte zu einem Element des
Friedeos wurde (vgl IV 18).
2) Zu dieser Kritik seien zwei Bemerkungen gestattet. Der abl. abs.
suspectus Primo Antonio f^aroque Arrio enthält allerdings nicht einen dem
unmittelbar vorhergehenden Hauptsatze untergeordneten, sondern einen ihm
gleichgeordneten Gedanken. Aber Tacitus hat solche absoluten Ablative,
die nicht eine nähere Bestimmung zu dem Vorausgehenden, sondern einen
Fortschritt in der Darstellung enthalten, auch sonst, z. B. H. I 63, 3 raptis
('und sie ergriffen'), Ann. II 18,3 repertis ('und man fand'). Zweitens: die
von Fabia geradelte Beschränkung des uti diximus auf den Fall des Antonius
und Varus wird dadurch entschuldigt, daß Tacitus c. 39 von der Furcht des
Mucian vor diesen beiden Männern mit besonderem Nachdruck, von dem
Treiben des Domitian aber nicht bloß an dieser Stelle, sondern auch c. 2
und 51 gesprochen hatte.
Tacitus, vod G. Andresen. 333
drei Hindernisse seiner Reise beseitigte, entsprächen der voran-
gestellten Zweckbestimmung ul Domitiani animum deleniret in vollem
Maße nur die Worte gratissimum Domitiano; denn in den Worten
domui Vespasiani. . . innexum liege, selbst wenn man in ihnen
eine Rücksicht auf die Empfindungen des Domitian suche, doch
daneben noch ein besonderes, von jener Rücksicht unabhängiges
Motiv, das den Mucian zur Wahl des Clemens bestimmte, in-
sofern er in ihm einen sicheren, loyalen Mann erkannte. Die
durch dictüans eingeleitete Rechtfertigung der Wahl aber sei nicht
an Domitian gerichtet, sondern — und dies sei nicht aus-
gedrückt — an andere Personen, welche gegen diese Wahl Re-
denken erhoben1).
Im folgenden lese man, nachdem die in der Person des Varus
liegende Schwierigkeit erledigt ist, plötzlich, daß Mucian seine Vor-
bereitungen zur Reise trifft, ohne daß gesagt werde, wie er die
von Antonius und von Domitian drohenden Gefahren überwunden
hat. Was den letzteren betrifft, so er ehe man allerdings —
wenn auch ein wenig zu spät — aus den Worten simul Domitianus
Mucianusque accingebantur, daß Mucian ihn mit auf die Reise
nehmen will; aber über die Art, wie er des Antonius ledig wurde,
gebe uns Tacitus erst c. 80 die erwünschte Aufklärung, ohne
durch die Zeitfolge der Ereignisse zu dieser Zerreißung des Zu-
sammenhanges gezwungen zu sein. Als einzigen Ersatz für diesen
Schaden habe Tacitus einen passenden Übergang nach Alexandria
durch die Erwähnung der Reise des Antonius zu Vespasian ge-
wonnen. Weiter werde als Motiv der Zögerung Mucians (moros
nectens) allein seine Besorgnis vor den Folgen der Anwesenheit
Domitians beim Heere angegeben. Man frage sich, warum als
solches nicht auch die Furcht vor der Gefahr, die in dem Zurück-
bleiben des Antonius lag, genannt werde. Wenn man, den Kom-
positionsfehler des Tacitus berichtigend, die Kapitel 68 und 80
miteinander verschmelze, so erledige sich jene Frage. Aber auch
so sei für Mucian die Besorgnis vor Torheiten Domitians doch
nur das hauptsächlichste, nicht das einzige Motiv des Zögerns
gewesen; denn daneben habe er Bedenken getragen, die Haupt-
stadt sine rectore zu lassen, ein Bedenken, das durch die Be-
seitigung der drei hauptsächlichsten Elemente der Unordnung sehr
gemindert, aber nicht ganz aufgehoben war2).
l) Was Fabia aber das Verhältnis der Gedanken dieses zweiten Satzes
sagt, ist alles richtig. Man kann ihm höchstens entgegenhalten, daß der
Zusammen ha og es dem Leser nicht allzuschwer macht, zu erraten, an wen
Mncian seine die Wahl des Clemens rechtfertigenden Worte richtet, nicht
viel schwerer jedenfalls, als zu erkennen, wen Mncian c. 80, 2 durch die
mit obtendens eingeleitete Rechtfertigung zu beschwichtigen sacht.
*) Daß der Zeitpunkt, in welchem Mucian den Domitian hinderte, den
Antonius in die Zahl seiner Begleiter aufzunehmen (c. 80), identisch ist mit
demjenigen, in welchem er clarüsimum quemque e civitat* . . . adsumpsit
(c. öS), wie F. meint, scheint mir nicht sicher. Der Verlauf der Dinge
334 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
24) Anzeigen älterer Schriften: Boissier, Tacite (JB.
XXVIII S. 268): Lit. Zentr. 1903 Sp. 881 von A. ('alles verrät
Geist und Können'), Bull. crit. 1903 S. 341 von R. Cahen (aus-
führliche Anzeige), Rev. crit. 1903 (24) S. 472 von P. Lejay, DLZ.
1903 Sp. 1961 und ebd. Sp. 2200 von F. Münzer ('genußreich, ob-
wohl dem Fachmann nicht viel Neues bietend'), Berl. phil. WS.
1903 Sp. 1319 von E. Wolff (das Bild der geistigen Persönlichkeit
des Tacitus, wie es ß. gezeichnet habe, sei an innerer Wahrheit
und an Lebendigkeit kaum zu übertreffen; unter den Personen
des Dialogus sei Matemus eher als Messalla diejenige, mit deren
Lebensanschauungen sich die des Tacitus decken), Atene e Roma
VI 59 S. 341 von F. Ramorino (dieser tritt am Schlüsse seiner
Anzeige mit Rücksicht auf die Art, wie Agr. 3 von Trajan ge-
sprochen wird, dafür ein, daß der Agricola erst Ende 99 oder
Anfang 100 geschrieben sei), Class. Rev. XVIII S. 223 von T.R.
Glover, Museum XI S. 335 von J. J. Hartman, Journ. des Savants
1903 (8) S. 452—464. (9) S. 482—489 von Th. Fabia (die Auf-
fassung, die Tacitus von den Aufgaben der Geschichtschreibung
habe, entferne sich nicht weit von der des Sallust und Livius,
sowie des Cicero; die Mittel, die Wahrheit zu finden, habe er
nicht vermehrt und das Bedürfnis, zu den Originaldenkmälern
aufzusteigen, sei ihm ebenso fremd wie den früheren. Boissier
behaupte, Tacitus habe sich von Männern wie Silius Italicus und
Verginius Rufus informieren lassen. Dem widerspreche H. III 65,
wo er sich über einen Vorgang, bei dem Silius Zeuge war, mängel-
haft unterrichtet zeige. Auch die anonyme Tradition kenne er
meist nur durch die Vermittelung seiner Quellen. Daß er, wie
alle römischen Geschichtschreiber, stets einer einzigen Hauptquelle
folge, werde für den erhaltenen Teil der Historien durch sein
Verhältnis zu Plutarch bewiesen. Und hätte er in den Annalen
alle seine Quellen gleichmäßig ausgebeutet, so würde er, getreu
dem XIII 20 gegebenen Versprechen, in dem Bericht über das
Verhältnis zwischen Nero und Poppaea XIII 45. 46 die H. I 13
erwähnte Version, die sich auch bei Plutarch, Sueton und Dio
findet, nicht übergangen haben. Dadurch, daß er sie übergangen
habe, werde bewiesen, daß er auch hier eine Hauptquelle hatte.
könnte folgender gewesen sein: Als Antonius sich bei der Auswahl der Be-
gleiter von Mucian übergangen sah, wandte er sich, während Mucian und
Domitian sich zur Reise rüsteten, deren Antritt der erstere immer wieder
hinausschob, an Domitian, um als dessen Gefolgsmann auf den Kriegsschau-
platz zu gelangen. Diesen Plan vereitelte Mucian im letzten Augenblick,
d. l. kurz vor der Abreise, in denselben Tagen, wo er einen bisher noch
nicht erwähnten Keim der Unruhe durch £rmorduog des Sohnes des Vitellius
erstickte. Aber auch bei dieser Auffassung klafft die Darstellung im c. 68,
insofern sie dem Leser eine Auskunft, die er erwartet, vorenthält. Sie
würde vor dem mit adsumunlur beginnenden Satze einzufügen sein und
etwa lauten: 'wie er die von Antonius drohende Gefahr beseitigen solle,
darüber gelangte Mucian zu keinem Entschlüsse'. Auch Fabias Urteil über
das von Tacitus angegebene Motiv seiner Zögerung bliebe bestehen
Tacitus, von G. Andresen. 335
Wo es scheine, daß er sich auf viele Quellen berufe, seien seine
Ausdrucke meist so unbestimmt und unpersönlich, daß sie die
Annahme einer Hauptquelle nicht widerlegen; und die Quellen,
die ihm zur Kontrolle seiner Hauptquelle dienten, habe er nur
dann und wann herangezogen. Seine Quellenkritik sei die seiner
Vorgänger: sein Hauptgesichtspunkt sei die Wahrscheinlichkeit.
Er habe sich bemüht, die früheren durch seine Unparteilichkeit
zu übertreffen. Aber seine unvollkommene Methode der Erforschung
und Kritik, die der ganzen römischen Geschichtschreibung eigene
rhetorische Tendenz, dazu seine Vorurteile und Leidenschaften
hätten seinem Streben nach Wahrheit im Wege gestanden. Der
Beifall, den er bei seinen Zeitgenossen fand, sei kein Beweis für
die Unparteilichkeit seines Urteils über die Cäsaren; denn das
Publikum der Zeit Trajans habe nicht aufgehört, den Domitian
und seinesgleichen zu hassen. Die Ähnlichkeit des Urteils eines
Sueton und Dio erkläre sich aus der Erwägung, daß diese ent-
weder aus denselben Quellen geschöpft oder den Tacitus reproduziert
haben. Alle zusammen repräsentieren die feindselige Tradition,
die Tacitus nicht geschaffen, sondern vorgefunden habe. Aller-
dings mache er wiederholt den Versuch, sie einzuschränken; aber
sein Pessimismus nnd seine aristokratische Voreingenommenheit
hätten ihm nicht gestattet, seine Quellen in ausreichendem Maße
zu korrigieren. Zwar sei er kein Feind des Cäsarenlums, aber
ein Feind der einzelnen Cäsaren, und so sei er, ohne sich dessen
bewußt zu werden, daß seine Versicherung, unparteiisch schreiben
zu wollen, eine Illusion sei, auf den Weg getrieben worden, den
seine Quellen ihm wiesen); Hendrickson, The proconsulate of
Julius Agricola (JB. XXIX S. 219): Berl. phil. WS. 1903 Sp. 1043
von E. Wolff (zustimmende Analyse des Inhalts), Rev. crit. 1903
Nr. 30 S. 72 von E. T. (4nous avons constate plus d'une fois la
sterilite de toutes les discussions de ce genre'), Ztschr. f. d. öst.
Gymn. 55 S. 42 von J. Golling; Borenius, De Plutarcho et Tacito
inter se congruentibus (JB. XXIX S. 222): Berl. phil. WS. 1903
Sp. 867 von H. Peter (anerkennend, obgleich nicht allen Deutungen
des Verf. zustimmend), Rev. de philol. 27 S. 260 von Pb. Fabia
('nicht überzeugend'), DLZ. 1903 Sp. 2079, auch 1904 Sp. 988
von W. Kroll ('wenn uns fortwährend zugemutet wird zu glauben,
daß ein Kapitel des Plutarch zwar ganz dem Tacitus entnommen
sei, gewisse Zusätze aber der Quelle des Tacitus, so werden wir
es vorziehen, uns ausschließlich an diese Quelle zu halten und
den Tacitus zu eliminieren') und Sp. 2151.
III. Historische Untersuchungen.
25) Franz Gramer, Der vicus Ambitarvius — sein Name und seine
Lage. Westd. Ztschr. f. Gesch. u Kunst 1904 S. 274—286.
Der vicus Ambitarvius supra confluentes (Suet. Cal. 8) im
Lande der Treverer, bei denen Agrippina, die Gemahlin des
336 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Germanicus, im Jahre 14 d. Chr. Schutz suchte (Tac. Ann. I 40),
hat Bodewig mit einer Siedelung im Koblenzer Stadtwalde iden-
tifiziert (s. JB. XXVI S. 241), die 'um den Tarvos herum', d.i.
um einen Tempel des gallischen Gottes Tarvos, gelegen gewesen
sei. Cramer hat beobachtet, daß, wo ambi in der ursprunglichen
Bedeutung 'um — herum' erscheint, es sich stets mit einem Ge-
wässernamen verbindet, und vergleicht deshalb den vicus Ambi-
tarvius mit dem pagus Ambitrebius CIL. XI 1147. Nun läßt sich
das Flußnamenwort Tarv mehrfach auf einst keltischem Boden
nachweisen; danach würde der vicus Ambitarvius zu einem Gau
gehören, der zu beiden Seiten eines Baches namens Tarva oder
Tarvos lag. Dieser Bachname lebt heute als Bezeichnung der an
seinem Ufer gelegenen Ortschaft Zerf weiter. Der Bach, der diese
Ortschaft durchfließt, mündet in die Ruwer, diese in die Mosel,
und zwar unterhalb Trier. Trotzdem konnte der geographischen
Lage nach ein vicus im Gebiet des Zerfbaches durch die Bezeich-
nung supra confluentes (Zusammenfluß der Saar und Mosel) näher
bestimmt werden. Die Lage abseits des Rheines im Herzen des
Trevererlandes wird dadurch bestätigt, daß Tacitus die Leute, zu
denen Agrippina floh, als Gallier und als fremdländisch bezeichnet,
wonach es unmöglich erscheint, daß sie innerhalb der Militär-
grenze in der Gegend von Koblenz Schutz gesucht hat.
Desselben Verfassers Aufsatz 'Aliso, sein Name und seine
Lage1 (s. JB. XXIX S. 231) ist angezeigt DLZ. 1904 Sp. 1701.
26) Kliokenberg, Die ara (Jbiorum und die Anfänge Kölns. Korr.
des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine
51 I S. 2—6.
K. sucht zu zeigen, daß die ara Ubiorum schon in früher
Zeit als Augustusaltar der Ubier entstanden ist, daß ihr aber
später von den Römern eine bedeutsamere Stellung und Aufgabe
zugedacht wurde. Sie hatte ihren Standort an einem hervor-
ragenden Platze im oppidum, wahrscheinlich auf dem Neumarkt;
das Legionslager nahm den östlichen, das oppidum den westlichen
Teil der späteren colonia Agrippinensis ein. Im Jahre 50 dehnte
man das Stadtgebiet über den Raum des verlassenen Lagers aus.
27) A. Bö'mer, Ein neuer Versuch zur Alisofrage. Ztschr. f. vaterl.
Gesch. u. Altertumskunde 60 (Münster 1902) S. 101—107.
B. meint, daß die gräzisierte Gestalt der ältesten Namensform
der Stever, Stibirn, SrlßiQvog, wenn sie in der Majuskelkursive
geschrieben war, die man zu Cassius Dios Zeit anwandte, leicht
Elison verlesen werden konnte1) Mehr kann man nicht verlangen.
Vgl. DLZ. 1903 Sp. 2836.
*) Ober den Fortgang der Ausgrabungen in Haltern vgl. Fr. Koepp,
Korr. der Westd. Ztschr. f. Gesch. u. Kunst XXIII (1904) 1, S 13; ferner
Fr. Koepp, A. Bömer, P. Wilski, Mitteil, der Altertums -Kommission für
Westfalen III S. 1—50.
Tacitu3 , von G. Andresen. 337
28) Eduard Bartels, Die Varusschlacht und deren Örtlichkeit.
Mit einer Karte. Hamburg 1904, W. Mauke Söhne. 67 S. S.
Es ist die zuerst in den 'Mitteilungen des Vereins für Ge-
schichte und Landeskunde1 XXVI, Osnabrück 1901, erschienene
Abhandlung (vgl. JB. XXIX S. 230) in ergänzter Gestalt. Ihr
Zweck ist der Versuch, 'mit Hilfe der durch persönliche An-
schauung erworbenen Landes- und Ortskunde der Lösung der
großen Streitfrage neue Seiten abzugewinnen'. Diese Ankündigung
klingt wenig vertrauenerweckend (denn auch die Vorgänger des
Verf. haben das Gelände aus eigener Anschauung gekannt), und
der Ertrag der Untersuchung selber entspricht ihr durchaus nicht,
man müßte denn etwas Neues darin erblicken, daß B. mit größtem
Nachdruck betont, daß unter paludes nur die Moore der nord-
deutschen Ebene verstanden werden und daß demnach die Truppen
des Varus nur in einem solchen Moore zugrunde gegangen sein
könnten. Damit ist die Frage der örtlichkeit so gut wie gelöst:
der Ort der Katastrophe ist Barenau.
Im einzelnen führt B. folgendes aus : Der Name saltus Teuto-
burgünsis umfaßt das ganze gebirgige Waldgebiet von Hameln und
der Lippequelle an bis über Osnabrück hinaus. Dieses Gebiet
weist nirgends ein Moor auf; in sein Inneres ist nie ein römisches
Heer eingedrungen. Demnach kann Varus, nachdem er durch die
Dörenschlucht oder über Bielefeld die Werra entlang an die Weser
gelangt war und in der Gegend von Rehme während des Sommers
gelagert hatte, von dort aus nicht nach Osnabrück, noch weniger
auf Iburg zu marschiert sein, sondern, da auch alle andern
Richtungen, insonderheit der Weg, den er gekommen war, durch
Erwägungen allgemeiner oder besonderer Art ausgeschlossen sind,
nur nach Nordwesten hin, um, durch die Porta und an den Ab-
hängen des Wiehengebirges entlang ziehend, an die mittlere Ems
zu gelangen, von wo 'bekannte Wege1, insonderheit die pontes
longi, zum Niederrhein führten. Die Schilderung des Dio, dessen
Bericht dem des Florus vorzuziehen ist, zwingt nicht dazu, an
einen Marsch durch ein schluchtenreiches Gebirge zu denken.
Mommsen hat nur insofern unrecht, als er annimmt, daß Varus,
nachdem er tagelang seinen Weg von den Germanen unbehindert
verfolgt habe, erst an der Hase bei Bramsche angegriffen worden
und dann umgekehrt sei; zudem ist es verkehrt, den Münzfunden,
die lediglich eine bestätigende Kraft haben, eine entscheidende
Bedeutung beizulegen ; denn diese gehört allein den paludes. Varus
gelangte am dritten Marschtage in die Geländeenge bei Barenau;
hier erfolgte 'zwischen Mooren, Heiden und waldigen Höhen1 die
Katastrophe, wenn auch nur an den Abhängen des saltus Teuto-
burgiensis, dennoch in saltu. Vacuae legione* (Ann. II 46) sind
die durch den Selbstmord des Varus und vieler Offiziere 'der
Führung beraubte' Legionen; Flüchtlinge gelangten, quer durch
die Wälder fliehend, nach Aliso = Haltern. Die superstites cladis
338 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
führten das Heer des Germanicus im Jahre 15 denselben Weg,
den sie unter Varus von Westfalen her zum Sommerlager und
von da zum Todeskampfplatz durchzogen hatten. Das bekannte
haud procul Teutoburgiensi saltu, in quo etc. bezeichnet zwar, daß
Germanicus, als er sich bei den äußersten Brukteren an den
Quellen der Ems und der Lippe befand, jenem saltus nahe war,
nicht aber, daß der Weg zum Ort der Niederlage nur noch kurz
war. Auf dem Feldzuge gegen die Cherusker im Jahre 16 be-
rührte man das Schlachtfeld nicht. Denn man wählte für den
Hinweg zur Weser wie für den Rückweg die Südseite des saltus.
Die Schlacht des Jahres 15 fand in der Nähe des Schlachtfeldes
vom Jahre 9 statt; denn trotz in avia secutus kann man nicht
glauben, daß Germanicus dem Arminius in ein unwegsames Gebiet
hinein gefolgt sei. Max (d. h. 'bald', einige Zeit darauf) erreichte
Germanicus die Ems, d. h. die mittlere Ems, von wo aus der
Feldzug begonnen war: er hatte also von der Weser aus das Ziel
erreicht, welches Varus auf demselben Wege hatte erreichen
wollen. An der Ems teilte er sein Heer: Caecina zog über die
pontes longi, die mit Dahm auf der Linie Emsbüren-Bentheim zu
suchen sind.
29) 0. Dahm, Kritik einer Ausgrabung auf dem Hahuenkamp bei
Rehme. Sooderabdruck aus den Ravensberger Blättern IV 6 (Juni
1904). lü S. 8.
Delbrück1) und Schuchhardt glauben durch eine sechstägige
Grabung auf dem Hahnenkamp bei Rehme festgestellt zu haben,
daß dort unmöglich ein großes Römerlager gestanden haben
könne. Gegen diese Beweisführung richtet sich Dahm, indem er
zu zeigen sucht, daß das Sommerlager des Varus eine solche
Ausdehnung gehabt habe, daß seine Figur jene ganze Ausgrabung
auf dem Hahnenkamp in jeder Richtung umschließen könne.
Auch spreche die Nichtauf findung römischer Scherben nicht gegen
die Annahme der Existenz eines Römerlagers an jenem Platze.
30) W. Koch, Warum mißlang den Römern die Unterwerfung
Deutschlands? Festrede. Progr. Siegen 1903. 12 S.
K. führt aus, daß die Unternehmungen der Römer trotz der
geringen Volkszahl (zwei Millionen zwischen Rhein und Elbe nach
Kochs Schätzung), der mangelhaften Bewaffnung und anderer
Nachteile der Gegner an dem Klima des Landes, seinen Wäldern
und Sümpfen, an der Tapferkeit, Freiheitsliebe und Gefolgstreue
*) Delbrücks Vortrag ' Römerfeldzüge in Germanien', Korr. des Ge-
samtvereins der deutschen Geschichts- und Altertums vereine 1902, XII,
S. 227 gipfelt in den Sätzen: 'Die Römer hatten zwei Verkehrswege: die
Nordsee und die Lippe. An der oberen Lippe wurden große Magazine an*
gelegt; in einigen Tagemärschen waren sie an der Weser, und dort hatten
sie ja wieder einen Schiffahrtsweg'.
^
Tacitus, voo G. Aodresen. 339
der Deutschen, besonders aber an der Größe Armins scheitern
mußten.
31) Kooke, Fuodberichte. Mitteil, des Vereins f. Geschichte u. Landes-
kuode voo Osnabrück XXVIII (1903) S. 238—254. Mit vier Tafeln.
Knoke sucht die Unrichtigkeit der (neuerdings von Bartels —
s. oben — vertretenen) Vorstellung nachzuweisen, daß das Osna-
brücker Land noch Jahrhunderte unserer Zeitrechnung hindurch
eine Waldwildnis gewesen sei. Aus den Funden auf einer der
neolithischen Entwicklungsstufe angebörigen Grabstätte zu Hüter
ergebe sich, daß dort bereits in grauer Vorzeit eine ansässige
Bevölkerung gelebt hat. — Ferner werde durch die auf und neben
den Moorbrücken zwischen Brägel und Mehrholz gefundenen
Scherben bewiesen, daß der Ursprung der Brücken in die Zeit
der Römerkämpfe fällt Ebenso sei ein großer Teil der im
Habichlswalde gefundenen Töpferware als die Hinterlassenschaft
römischer Soldaten anzusehen. Ebendahin seien auch Funde
anderer Art zu rechnen, z. B. das Bruchstück einer eisernen Schnell-
wage, und die Holzkohlen, die in dem weiten Raum überall zer-
streut liegen.
32) Ernst Devrient, Die Sweben und ihre Teilstämme. Sonder-
abdruck aus Historische Vierteljahrsschrift 1903 (1). 18 S.
D. verteidigt seine Aufstellungen in den N. Jahrb. 1900 und
1901 (s. JB. XXVII S. 306 und 310) betreffend die Wohnsitze
der Hermunduren und Cherusker gegen die Einwände Ludwig
Schmidts (Hist. Vierteljahrsschr. 1902 S. 79) und andere gegnerische
Stimmen. Er gibt zu seinen früheren Ausführungen ein paar
unwesentliche Berichtigungen und Ergänzungen, deren eine die
Zeit des Zuges des L. Domitius, der über die Elbe vordrang, be-
trifft. Er setzt diesen Zug, den Tacitus (Ann. IV 44) ohne Zeit-
angabe erwähnt, in die Zeit nach 5 n. Chr., da die Ausdrucks-
weise des Velieius in seinem Bericht über den Zug des Tiberius
im Jahre 5 n. Chr. erkennen lasse, daß dieser Zug des Tiberius
vor den des Domitius falle. Über die wechselnde Bedeutung des
Suebennamens heißt es S. 12: 'Um das Jahr 8 v. Chr. ist der
Swebenstamm im Maingebiet in die Brüche gegangen, und seit-
dem gibt es nur noch Sweben im weiteren Sinn: eine Gruppe,
die sich von der Ostsee bis zur Donau erstreckt. Tacitus nennt
Sweben im engeren Sinne nur in seinen historischen Schriften,
wo er Vorgänge aus der Zeit der Julier berichtet (Ann. I 44.
II 26. 44. 62. XII 29. H. I 2. III 5. 21). In der Germania
führt er eine Gruppe von Swebenstämmen auf, aber keinen, der
diesen Namen im besonderen trage'. Die hierdurch versuchte
Fixierung des zeitlichen Unterschiedes in der Bedeutung des
Suebennamens ist nicht klar.
Angezeigt DLZ. 1904 Sp. 1188.
340 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
83) Fritz Helmke, Die Wohnsitze der Cherusker und der Her-
mundaren. Progr. Emden 1903. 43 S.
Verf. nimmt, abweichend von Devrient (s. JB. XXVII S. 306)
an, daß unter der Bacenis Silva, welche nach Cäsar die Sueben
von den Cheruskern schied, nicht bloß die Rhön, sondern auch
deren nördliche Fortsetzungen zu verstehen seien, d. h. daß zu
Cäsars Zeit das Eichsfeld und der Harz die nordwestliche und
nördliche Grenze der Sueben gegen die Cherusker bildeten. Das
obere Werratal und Thüringen waren suebisch, während die Chatten
an der Eder wohnten und sich erst später nach Süden aus-
breiteten. Aus den Berichten über die Feldzuge des Drusus er-
sieht man, daß ein Teil des Cheruskerlandes links der Weser lag.
Im Jahre 11 v. Chr. erreichte er die Weser (in der Gegend von
Karlshafen), nicht die Werra, wie Devrient glaubt; im Jahre 9
überschritt er die Werra (nicht die Weser), und zwar nördlich des
Thüringer Waldes, und durchzog von hier aus das Cheruskerland.
Die Gegend südlich vom Harz war also damals cheruskischer Be-
sitz. In der Zeit zwischen Cäsars und Drusus1 Feldzügen haben
nämlich die Cherusker, wie es scheint, dieses Land erobert; das
hier von ihnen unterworfene oder von hier verdrängte Volk sind
die Hermunduren, ein suebischer Stamm, ausgegangen von dem
suebischen Kernvolk der Semnonen an der mittleren Elbe.
Domitius siedelte die vertriebenen Hermunduren in Franken an;
sie sind mit den Donau -Hermunduren in Tacitus' Germania
identisch. Einen anderen Teil der Hermunduren finden wir
19 n. Chr. in Böhmen; diese sind die Elbe aufwärts dorthin ge-
zogen, nachdem sie einige Jahre zu beiden Seiten der Elbe im
heutigen Königreich Sachsen gesessen hatten (Vell. II 106).
In der Darstellung der Kriegszüge des Germanicus schließt
sich H. im wesentlichen an Dahms Ergebnisse (s. JB. XXIX S. 227)
an; insonderheit entscheidet er die wichtige Frage nach der Lage
des Grenzwalles der Angrivarier in demselben Sinne wie dieser.
Zu dem Kampfe zwischen Marbod und Arminius vermutet er,
daß mit Inguiomerus, der vielleicht im cheruskischen Thüringen
seinen Wohnsitz hatte, wo die Mehrzahl der Bevölkerung aus
unterworfenen Hermunduren bestand, Scharen thüringischer Her-
munduren zu Marbod übertraten. Die Hermunduren, welche unter
Vibilius den Catualda und später den Suebenkönig Vannius, dessen
Reich an der March lag, stürzten, sind die oben erwähnten böhmi-
schen Hermunduren; in ihrem Gebiete, im südlichen Böhmen,
entspringt die Elbe, d. i. die Moldau. Den thüringischen Hermunduren
gelang es, während der inneren Wirren unter den Cheruskern
nach dem Tode des Arminius sich von der cheruskischen Herr-
schaft zu befreien; sie kämpften mit den Chatten im Jahre 58
um den heiligen Salzfluß, die Werra. Durch das Vorrücken der
Chauken und Angrivarier nach Süden wurden die Cherusker auf
Tacitus, von G. Andresen. 34X
den Westrand des Harzes und die Gebiete nördlich davon begrenzt,
bis sie in den Nachbarvölkern untergingen.
34) ß. Bunte, Beiträge zur Geschichte der Friesen und Chauken.
Jahrbuch der Gesellsch. f. b. K. and vaterl. Altertümer zu Emden
XIV (1902) S. 104—146.
Diese Schrift bildet den [zweiten Teil der JB. XXVII S. 305
besprochenen Untersuchungen. Daß Tacitus das rechtsrheinische
Deutschland nicht mit eigenen Augen gesehen haben könne, sucht
B. durch eine Kritik dessen, was er Germ. 35 über die Chauken
erzählt, zu erweisen. Hier offenbare sich eine rhetorische Ideali-
sierung des Charakters der Chauken, und in implent liege eine arge
Übertreibung (unrichtig übersetzt B. adsequuntur 'geltend machen*
und st res poscat * sobald es die Umstände erlauben')*
Eine Nachricht aus dem 13. Jahrhundert erwähne einen Ort
Fle, der in einem untergegangenen Teile des friesischen Westergo
gelegen zu haben scheine. Es sei daher glaublich, daß das castellum
Flevum (Ann. IV 72) im südlichen Teile der heutigen Zuidersee,
südlich von Staveren, gestanden habe.
Nach Plin. N. H. 25, 6 hatte Germanicus im Jahre 15, ehe
er seine Fahrt nach der Ems unternahm, ein Lager in Friesland.
Dieses sei wahrscheinlich im nördlichen Teil der jetzigen Provinz
Friesland, am Borndiep, anzusetzen. Hierhin habe sich Germanicus
auch im Jahre 16 begeben, nachdem er die Sturmflut überstanden
hatte; ebendahin sei der Zug des Vitellius im Jahre 15 gerichtet
gewesen, nicht an die Weser, wie Knoke meint (denn Ann. I 70
sei mit Lipsius ad amnem Vidrum = Borndiep zu schreiben).
Die hiberna castra duarum cohortium H. IV 15 seien im
Lande der Kannenefaten, nicht weit von dem batavischen Lugdunum,
zu suchen.
Die Existenz eines Kastells Amisia lasse sich aus Tacitus nicht
erschließen. Ann. II 8 sei mit Seyffert zu schreiben classis Ämisiae
(vre) relicta laevo amne, d. i. 'in dem Mündungsgebiete der Ems,
und zwar an der linken Seite1, in der Gegend von Weener. Der
von Ptolemäus II 11, 28 erwähnte, nach der Ems benannte Ort
Amisia habe jedenfalls weit von der Emsmündung und den Wohn-
sitzen der Chauken gelegen.
An das praesidium in Chaucis Ann. I 38 könne man nicht
glauben, weil ein Detachement in dem weit entfernten Ostfries-
land nicht denkbar sei. Es müsse in Chattis heißen (vgl. G. Zippel,
JB. XXH S. 168): die Vexillarier hätten als ein Detachement der
Mainzer Truppen in Heddernheim gelagert; hier habe auch das
Kastell iv Xdttoig gelegen (Dio 54, 33). Der längst erhobene
Einwand, daß diese Änderung an den Worten discordium legionum
scheitere, insofern sie zeigen, daß es sich um ein Detachement
des unteren Heeres handelt, scheint Bunte nicht bekannt geworden
zu sein. — Aliso verlegt er nach Hamm.
342 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
35) B.W. Henderson, The life and priocipate of the emperer
Nero. With three maps and sixteen illustratioos. London, Methueo.
XIV u. 528 S. 8.
Nach Athenaeum 3978 S. 106 trotz einzelner Mängel, be-
sonders in dem Urteil über Sueton und Cassius Dio, eine wert-
volle Leistung. Nach F. T. Richards, Class. Rev. 1904 S. 57 ent-
hält das Buch eine günstige Beurteilung des Kaisers, soweit die
Überlieferung eine solche irgend gestatte.
36) Philippe Fabia, L'iaceodie de Lyon sous Neron. Revue
d'histoire de Lyoo III 1 (1904) S. 5—23.
Nach dem Vorgange Hirschfelds (Hermes 52, 294 und CIL.
XIII S. 252) sucht Fabia die Schwierigkeiten zu lösen, die ein
Vergleich zwischen Sen. ep. 91 und Tac. Ann. XVI 13 ergibt.
Nipperdeys Annahme einer Lücke in der Tacitusstelje sei hinfällig;
denn durch den Ausdruck urbis casibus, womit der Brand Roms
vom Jahre 64 gemeint ist, gebe Tacitus dem Leser deutlich genug
zu verstehen, daß der Ausdruck cladem Lugdunensem denselben
Sinn habe. Den Brand von Lyon habe Tacitus nicht bloß des-
halb nicht erzählt, weil Lyon eine Provinzialstadt war (erzähle
er doch z. B. das Erdbeben in Asien II 47), sondern auch weil
er nach der Beschreibung des Brandes von Rom, deren Einzel-
heiten z. T. auf jeden Brand einer großen Stadt passen, Wieder-
holungen vermeiden wollte, die um so eintöniger gewirkt hallen,
als die Katastrophe Lyons sehr bald auf die Einäscherung Roms
folgte. Er habe daher auch nur einen Brand Roms beschrieben,
wie nur ein Erdbeben, und wurde den Brand Lyons vermutlich
gar nicht erwähnt haben, wenn Nero die Abgebrannten nicht
unterstützt hätte.
Nach Seneca ging Lyon im 100. Jahre nach seiner Gründung
unter, d. i. 58 n. Chr., während Neros Schenkung nach Tacitus
erst 65 erfolgte. Da es nun gleich schwer begreiflich ist, daß
diese Unterstützung sieben Jahre auf sich warten ließ, wie daß
die Lugdunenser Rom unterstutzten, ehe ihr eigener Schaden aus-
geglichen war, so vermutete Nipperdey, daß bei Tacitus ein zweites
Unglück der Lugdunenser zu verstehen sei. Nun erzählt aber
Seneca, daß das Unglück von Lyon sich ereignete ubique armis
quiescentibus. Daraus schließt Fabia (wie Hirschfeld), daß der
Brief 91 nicht vor Mitte 63 geschrieben sein könne, d. h. nicht
vor dem Ende des Partherkrieges, der von Anfang 58 bis in den
Sommer 63 dauerte. Da ferner der Brand von Lyon zwischen
den Brand Roms und Senecas Tod (April 65) zu setzen ist, d. i.
in das Ende des Jahres 64 oder in den Anfang des Jahres 65,
so könne Senecas Brief nicht vor 65 geschrieben sein, im 107.
Jahre nach Lyons Gründung. Man hat daher vorgeschlagen, bei
Seneca septimus nach centesimus einzuschieben, zumal da die Wahl
des Ordinalzahlworts die Ungenauigkeit noch auffälliger mache.
\
Tacitus, von G. Aodreseo. 343
Nach Fabias Ansicht ist Senecas Zeitbestimmung wissentlich und
absichtlich ungenau. Denn erstens entspreche die runde Zahl
dem Bedürfnis des oratorischen Stils; zweitens verschärfe die
Verringerung der Zahl den Gedanken, daß die Dauer des Bestehens
der Stadt nicht einmal die äußerste Grenze des menschlichen
Lebens (120 Jahre) erreiche.
Senecas Brief enthalte zwar leise Anspielungen auf den Brand
Roms, meide aber eine offene Parallele zwischen beiden Kata-
strophen. Durch eine solche habe Seneca gefürchtet, bei Nero
anzustoßen, den man vom ersten Augenblick an der Brandstiftung
beschuldigt hatte.
Wenn man vorgeschlagen habe, durch Änderung von quadragies
bei Tacitus in quadringenties die Summe, die Nero der Stadt Lyon
schenkte, zu verzehnfachen, so entspreche eine solche Erhöhung
allerdings dem Maße der bei anderen Gelegenheiten ähnlicher Art
gewährten kaiserlichen Geschenke; trotzdem sei die Änderung ab-
zuweisen. Denn abgesehen davon, daß die Finanzen Roms da-
mals zu stark in Anspruch genommen waren, als daß man an-
nehmen könnte, Nero hätte eine so große Summe hergegeben,
wäre die Konsequenz jener Änderung, daß die Lugdunenser ihrer-
seits 40 Millionen für Roms Wiederaufbau beigesteuert hätten,
was nicht glaublich sei.
37) Karl Hofbauer, Die 'erste' Christe n Verfolgung. Beiträge zur
Kritik der Tacitusstelle. Progr. Oberhollabruon 1903. 47 S.
Die Abhandlung bringt zwar nichts Neues, doch lohnt es
sich, ihren Inhalt kurz zu skizzieren. Die Glaubwürdigkeit des
Tacitus in seinem Bericht XV 44 ist durch den Zwiespalt der
Anschauungen über seine Quellen und über die Art, wie er sie
benutzt hat, nicht erschüttert worden. In subdidit reos liegt kein
Anstoß; denn Nero hatte Ursache, den Volksunwillen zu be-
schwichtigen. Auch der Name Christiani ist bei Tacitus nicht
auffällig, da der in Syrien zuerst gebrauchte Name im Jahre 64
bereits in Italien und Rom populär sein konnte. An der Ver-
breitung der Vorstellung von den flagitia der Christen, wobei man
an thyesteische Mahlzeiten und ödipodeische Verbindungen zu
denken hat, waren die Juden sicherlich stark beteiligt. Der
römische Haß gegen die Juden wurde auf die Christen, deren
Heimat Judäa war, übertragen; er wurde genährt durch die be-
leidigende Absonderung der Christen, die unpatriotisch und anti-
national erschien, und durch die geheimen nächtlichen Versamm-
lungen: man sprach von Incest und Kindermord, von Zauberei
und magischen Künsten. Alle diese Anklagen fassen sich zusammen
in dem Schlagwort odium generis humani, welches die Gemein-
gefährlichkeit der Christen bezeichnet; hierauf bezieht sich auch
sontes. Zu fatebantur ist zu ergänzen Christianos se esse: in dem
Bekenntnis der Zugehörigkeit zum Christentum lag das Geständnis
344 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
des Verbrecherischen, das man untrennbar damit verbunden dachte.
Coniuncti sunt ist nicht zu ändern und heißt 'wurden zugesellt1;
convicti würde ein ordentliches Gerichtsverfahren voraussetzen,
wovon bei Tacitus keine Rede ist : man schritt ein auf Grund der
magistratischen Koerzition. Die Beschuldigung der Brandstiftung
lag um so näher, als die Christen den baldigen Weltuntergang
durch Feuer erwarteten. Multitudo ingens enthält keine Über-
treibung: Rom war schon damals neben Judäa der Hauptherd des
Christentums. Für die Aburteilung dispensierte man sich von der
Beweisführung für das Verbrechen der Brandstiftung; die Christen-
qualität galt als hinreichend für die Verdammung. So wurde aus
dem BrandprozeS ein Christenpiozeß gemacht. Die Verfolgung
blieb nicht auf Rom beschränkt, obwohl Tacitus von einer Aus-
dehnung über Italien und die Provinzen schweigt und eigene
Gesetze gegen die Christen nicht erlassen wurden. So über-
dauerte die Christen Verfolgung als Polizeimaßregel selbst Neros
Regierung.
Dasselbe Thema bebandelt der mir unbekannt gebliebene
Aufsatz von V. Smialek, Des Tacitus Aussage über die
ersten Christen, Eos VIII S. 22— 37.
38) H. Stuart Jones, La Chronologie des salutatioos imperiales
de Nero n. Rev. archeol. 1904 Mars-Avril S. 263—272.
Jones nimmt die von Ed. Maynial in der Rev. archeol. 1901
S. 167 ff. (s. JB. XXVIII S. 303) behandelte Frage wieder auf, da
er nicht mit allen Ergebnissen Maynials übereinstimmt.
39) £. Ritterling, Epigraphische Beiträge zur römischen Ge-
schichte 1. Rhein. Museum 1904 8. 55—62.
R. macht es auf Grund einiger Carnuntiner Grabschriften
und ihrer sprachlichen Eigentümlichkeiten wahrscheinlich, daß im
Jahre 63 n. Chr., nachdem die legio XV Apollinaris, die seitherige
Garnison von Carnuntum, in den Orient abgegangen war (Tac.
Ann. XV 25), die legio X gemina aus Spanien nach Carnuntum
versetzt worden ist. Dort befand sie sich noch zur Zeit von
Galbas Erhebung, der damals nur eine einzige Legion, die legio VI
victrix, unter sich hatte (Tac. H. I 16. V 16). Nach seinem Ein-
züge in Rom verlegte Galba die leg. X gemina in ihre alte Provinz
zurück, und hier finden wir sie H. II 58 im April 69. Sie wurde
an der Donau ersetzt durch die legio Hispana (H. I 6), welche
den Galba nach Rom begleitet hatte, d. h. durch die legio septima
Galbiana (H. II 11), die mit ihrem Legaten Antonius Primus
(H. II 86) das Carnuntiner Lager bezog. In der zweiten Hälfte
des Jahres 69, nachdem die VII Galbiana mit den übrigen illyri-
schen Legionen nach Italien gezogen war, scheinen Vexillarier des
orientalischen Heeres, die Mucian herangeführt hatte, vorüber-
gehend die Grenzwache an der Donau gehalten zu haben, bis eine
■\
Tacitus, von G. Andresen, 345'!
der vittae legiones (per lUyricUm dispersae H. III 35), wahrschein-
lich die XXII primigenia, nach Pannonien gelegt wurde. In der
zweiten Hälfte des Jahres 71 wurde das Lager von Carnuntum
wieder von der aus Alexandria zurückgekehrten XV Apolliparis
besetzt.
40) Victor Chapot, Inschrift des [P.] Marias Celsos. Bali, de
corr. hell. XXVI (Paris 1903) S. 206.
Nach der hier veröffentlichten, in Commagene gefundenen
lateinischen Inschrift ist ein Marius Celsus Legat von Syrien ge-
wesen, und zwar, wie die Titulatur des Vespasian und Titus er-
gibt, sogleich nach L. Caesennius Paetus (Ann. XIV 29), der Syrien
70 — 72 verwaltete, und bis höchstens 76, wo M. Ulpius Traianus,
der Vater des Trajan, diese Provinz erhielt. Marius Celsus muß,
wie es scheint, identifiziert werden mit P. Marius Celsus, cos.
ord. 62 (Ann. XIV 48), cur. aq. 64—66, nicht mit dem jüngeren
Marius Celsus, den Tacitus XV 15 als Legionslegaten, H. I 14 als
cos. design. und sonst oft in den beiden- ersten Buchern der
Historien erwähnt.
41) L. Valmaggi, Forum Alieni (Nozze de Saoctis-Rosmini S Sett. 1903).
Tori uo, Stab. tip. Bagliooe e Momo. 15 S.
Valmaggi weist in dieser strategisch-topographischen Studie
nach, daß das von Tacitus in der Darstellung des Krieges zwischen
den Flavianern und den Vitellianern H. III 6 erwähnte Forum
Alieni weder mit Ferrara noch mit Legnago identifiziert werden
könne. Auch Montagnana komme kaum in Betracht. Wahr-
scheinlich habe Jung recht, der Forum Alieni am Tartaro (Tac.
H. III 9) suche. Genauer lasse sich freilich die Lage des Ortes
nicht bestimmen. Das Nähere über die Beweismittel Valmaggis
ist aus der Anzeige seiner Schrift in der WS. f. kl. Phil. 1904
Sp. 65 zu ersehen.
42) E. Kornemano, Wann wurde Trier römische Kolonie? Westd.
Ztscfar. f. Gescb. u. Kunst 22 (1903) S. 178—183.
Augusta Treverorum war im Jahre 70 n. Chr. Kolonie (Tac.
H. IV 62. 72. 77). K. macht es im vorstehenden Aufsatz wahr-
scheinlich, daß die Zuerkennung des Reichsbürgerrechtes an die
Trevirer und die Erhebung von Trier zur Kolonie nicht, wie man
gewöhnlich annimmt, durch Claudius erfolgt ist, auch nicht durch
Otho, welcher die dem Galba feindlichen Lingonen mit dem
Burgerrechte beschenkte (und zwar vor der Kunde von ihrer dem
Otho feindlichen Haltung) — vgl. H. I 78 — , denn Tacitus spricht
ausdrucklich nur von den Lingonen, und Trier war zur Zeit der
Thronbesteigung des Otho schon von den Vitellianern in Besitz
genommen — , sondern von Vitellius, und zwar bald nach dessen
Schilderhebung, nachdem sie von Galba durch Verlust der libertas
Jahresberichte XXX. 23
346 Jahresberichte d. Philolog. Vereius.
gemaßregelt worden waren (I 53). Um das latinische Recht, mit
welchem Vitellius gegen Ende seiner Regierung freigebig war
(H. III 55 Latium externis dilargiri), könne es sich bei dieser
Vergünstigung nicht gehandelt haben; denn Cerialis sage zu den
Liogonen und Trevirern von Rom IV 74 quam victi victoresque
eodem iure obtinemus. Aus dem Zusatz von universis zu Lingonibus
I 78 sei zu schließen, daß in der Regel die Bürgerrechtsverleihung
im Anschluß an das von Cäsar und Claudius beliebte Verfahren
nicht an die Gesamtheit, sondern wohl nur an die Bewohner des
Vororts erfolgte.
43) H. Will rieh, Caligula. III. Lehmanns Beitrage zur alten Geschichte
III 3 (1903).
W. bespricht S. 436 den Fall des Julius Graecinus Agr. 4
und die darin enthaltene, längst erkannte chronologische Schwierig-
keit. Die Behauptung des Tacitus, daß die Weigerung des Graecinus,
den M. Silanus anzuklagen, die Veranlassung seines Unterganges
gewesen sei, streife hart an Unwahrhaftigkeit; denn schwerlich
habe Gajus zweieinhalb Jahre mit der Bestrafung gewartet. Der
Tod des Graecinus falle in die letzte Schreckenszeit unter Gajus;
vermutlich sei er wegen Majestätsbeleidigung verurteilt worden.
Man könne höchstens zugeben, daß Graecinus sich schon lange
in Ungnade befunden und dieser Umstand bei seiner Verurteilung
mitgesprochen habe.
44) Giovanni Ferrara, La forma della Britannia secoodo la
testim onianza di Tacito. Nota letta oell' adonaoza del 7 lnglio
1904 al Reale Istituto Lombardo di scieoze e lettere. Milaoo 1904,
tipo-iit. ftebeschini di Tarati e c. 16 S. 8.
F. bespricht Agr. 10 formam totins Britanniae Livius veterum,
Fabius Rusticus recentium eloquentissimi auetores oblongae scutulae
vel bipenni assimulavere. Von Livius stamme wahrscheinlich der
Vergleich mit der scutula, einem Worte, das hier vermutlich eine
rautenförmige Figur bezeichne, von Fabius Rusticus der mit der
Doppelaxt. Der letztere Vergleich entspreche annähernd der Ge-
stalt des südlichen, nicht bis zur Clota und Bodotria, sondern
nur bis zum Humber reichenden Teiles von Britannien, d. h. des-
jenigen Teiles, der vor Agricola bekannt war, mit den Einschnitten
Sabrina (westlich) und Metaris (östlich). Tacitus berichtige die
Vorstellung seiner beiden Vorgänger, welche mit Unrecht von dem
ganzen Britannien sprächen, insofern, als der nördliche Teil der
Insel in die nördliche Klinge der Doppelaxt nicht einbegriffen sein
könne (et est ea facies citra Caledoniam etc.).
Die ältere Tradition, vertreten durch Eratosthenes, Hipparch,
Cäsar, Diodor, Strabo, Mela und Plinius, vermutlich auf Pytheas
zurückgehend, gebe der Insel eine dreieckige Gestalt, die jüngere,
die wir bei Isidor, Orosius, Julius Honorius, in der Tabula
\
Tacitus, von G. Androgen. 347
Peutiogeriana und bei dem Geogr. Ravennas finden, eine rauten-
förmige. Die letztere gehe mutmaßlich auf Livius und seinen
Vergleich mit der scutula zurück.
45) Ginseppe Marra, Cassii Severi vita oratiooes Übel 1 i. Gala-
tinae in Apulis 1903, ex officina Salvatoris Mariaoi.
Nach Boll. di fil. class. X S. 117 enthält diese kurze Mono-
graphie eine Sammlung der wenigen auf uns gekommenen Notizen
über den Redner Gassius Severus, den Tacitus in den Annalen
und im Dialogus je zweimal erwähnt.
46) Anzeigen älterer Schriften: Viertel, Tiberius und
Germanicus (JB. XXVII S. 313): Riv. storica Italiana 1903 Luglio-
Settembre S. 318 von G. de Sanctis; Delbrück, Geschichte der
Kriegskunst II 1 (JB. XXV1H S. 290): Hist. Vierteljahrsschrift 1904
S. 6 — 7 von Jos. Fuchs ('etwas leichte Behandlung des Tacitus');
Tarver, Tiberius the tyrant (JB. XXVIII S. 290): Hist. Ztschr.
91, 2, S. 267 von Ad. Bauer (die wissenschaftliche Forschung
dürfe an dem Buche nicht vorübergehen; denn es biete eine auf
guter Kenntnis der Quellen ruhende, selbständige Darstellung des
Gegenstandes), N. Jahrb. 1904 S. 459 von W. Schott (das Buch
sei nicht streng wissenschaftlich, sondern eher für ein größeres
Publikum geschrieben, jedoch die Frucht wissenschaftlicher Studien,
obwohl es im ganzen keine wesentlich neue Anschauungen bringe
und im einzelnen manches Anfechtbare enthalte. Verf. bezeichne
seine Tendenz durch eine feine Antithese: 'Tacitus has killed
Tiberius by style; I determined to revive him by style'); Willems,
Le senat romain en Tan 65 (JB. XXVIII S. 302): N. phil. Rund-
schau 1903 S. 444 von Ed. Wolff, Museum X 7 von Boissevain,
Rev. crit. 1903 Nr. 47 S. 409 von J. Toutain, La Cultura XXII 12,
Rjv. di fil. XXXII S. 144 von G. M. Columba, WS. f. klass. Phil.
1904 Sp.711 von J., Berl. phil. WS. 1904 Sp.72l von W. Liebenam
("sorgsam durchgearbeitetes Material, fuhrt aber nicht wesentlich
über das Bekannte hinaus'); Winke lsesser, De rebus divi
Augusti auspiciis in Germania gestis (JB. XXIX S. 231): Berl.
phil. WS. 1904 Sp. 109 von Fr. Cauer; Spengel, Zur Geschichte
des Kaisers Tiherius (JB. XXIX S. 232) : N. phil. Rundsch. 1903
S. 487 von E. Wolif, DLZ. 1904 Sp. 359 (ablehnend); Dahm, Die
Feldzüge des Germanicus (JB. XXIX S. 227): Bl. f. d. GSW. 1904
S. 122 von A. Spengel; Knoke, Gegenwärtiger Stand der
Forschungen über die Römerkriege (JB. XXIX S. 230): WS. f. kl.
Phil. 1903 Sp. 943 von E. Wolif (W. möchte zwar nicht allen
Folgerungen Knokes zustimmen, findet aber, daß er in der Deutung
der Schriftstellertexte seinen Gegnern regelmäßig überlegen ist.
Vacuas Ann. II 46 ist W. geneigt im Sinne von 'sorglos1 zu
fassen und vergleicht Agr. 37 vacui spernebant), Lit. Zentr. 1903
Sp. 1751 (der Rezensent behauptet, ohne seinen Namen zu nennen,
23*
348 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
auch diese neueste Schrift des unermüdlichen 'Osnabrücker
Pamphletisten' habe keinen wissenschaftlichen Wert), N. phil. Rund-
schau 1903 S. 556 yon 0. Wackermann, Museum XI S. 224 von
J. J. M. Valeton, Hist. Ztschr. 91, 3, S. 538, Mitteil, aus der bist.
Lit. 32 S. 133 von Th. Preuß, Ztschr. f. d. öst. Gymn. 55 S. 365
von J. Oehler.
IV. Sprachgebrauch.
47) R. Wimmerer, Zwei Eigentümlichkeiten des Taciteischea
Stils. IL Ztschr. f. d. öst. Gymo. 1903 S. 673—713.
Dieser Teil behandelt eine bei Tacitus besonders häufige, von
ihm aber nicht geprägte, sondern schon vorgefundene sprachliche
Besonderheit, nämlich die hypothetischen Perioden, in welchen
neben irrealem Konjunktiv im Vordersatz im Nachsatze der Indikativ
steht. Ihre Erklärung findet diese Erscheinung, wie W. zu zeigen
sucht, ausschließlich in der durativ-konativen Bedeutung des Im-
perfekts, welches dem Präsensstamm, dem Träger der durativen
Aktionsart, angehört, und des ihm gleichwertigen Plusquamperfekts,
sowie der dem zuständlichen Imperfekt nahestehenden coniug.
periphr. activa. Unter die Fälle der zuletzt genannten Form
stellt W. — diese eine Bemerkung zu der auf das Wesen der
nicht indikativischen modi und andere verwandte theoretische
Fragen eingehenden Abhandlung sei mir gestattet — außer H. III
54, 6. 56, 16. Ann. III 66, 13 auch Ann. 1 46 ire ipsum et opponere
maiestatem imperatoriam debuisse cessuris, übt prineipem . . . vidissent,
wo schon der Umstand, daß der Vordersatz mit ubi, nicht mit st
angeknüpft ist (ein Umstand, der W. nicht entgangen ist), zeigt,
daß hier das part. fut., welches W. S. 710 als 'unzweifelhaft
irreal' bezeichnet, nicht irreal aufzufassen ist. Es gibt nicht ein
Urteil der mit der Haltung des Tiberius Unzufriedenen an über
das, was die Aufrührer getan haben würden, wenn sie den Kaiser
vor sich gehabt hätten, sondern diejenige Voraussetzung, auf
Grund deren er sich nach dem Urteil der Unzufriedenen den
Soldaten hätte entgegenstellen sollen: 'er hätte seine kaiserliche
Würde ihnen entgegenstellen sollen in der Voraussetzung, daß sie
nachgeben würden, sobald sie den Kaiser ... sähen1.
48) Levi, Dario Riso, La siotassi di Tacito esposta nelle soe regole
priocipali ad uso dei lieei. Pisa 1903, tip. Mariotti. 48 S. 8.
Dieses Buch ist nach dem Urteil von L. Cisorio, Boll. di fil.
class. X S. 114 zwar keine Originalarbeit und ohne wissenschaft-
liche Bedeutung, aber, weil aus den besten Quellen kompiliert,
ein sehr brauchbares Lehrbuch.
49) F.G.Moore, Studies in Tacitean ellipsis. Descriptive passages.
Transactions and proeeedings of the American phil. assoc. Vol. 34 (1903).
Verf. sammelt die signifikantesten Beispiele jener bei Tacitus
so häufigen Art der Skizzierung, durch die mit scheinbarer
^
Tacitus, von G. Andresen. 349
Ellipse des Verbs Völker und einzelne Personen und ebenso Zu-
stände, Situationen und Stimmungen in kühnen Zügen, wie auf
einem Gemälde, charakterisiert werden. Vorbereitet ist der Ge-
brauch dieses prädikatslosen nominativus 'adumbrativus' schon
bei Cicero, Saliust und Livius, besonders aber bei Vergil (An.
II 368 crudelis ubique Lucius, ubique pavor et plurima mortis
imago); bei Tacitus findet er sich am häufigsten in der Germania
und den Historien, d. h. in der Periode, wo der Einfluß der
Rhetorik auf seinen Stil am größten war. Im ersten Buch der
Historien gehören hierher die Charakteristiken des Mucian, Vinius,
Galba, im vierten Buch der Annalen die des Sejan; an Beispielen
der Situationsmalerei Agr. 38 vastum ubique silentium etc., H. I 40
neque populi aut plebis ulla vo$ etc., Ann. I 49 diversa omnium etc.,
61 medio campi etc., besonders kühn 41 nan florentts etc. H. II 6
Septem legiones etc. haben wir einen Katalog, der grammatikalisch
so unvollständig ist wie jeder Index, aber rhetorisch effektvoll.
Auch in H. I 2 — 3 sei keine Erzählung, sondern ein großes Ge-
mälde enthalten, in welchem eine starke Interpunktion nur an
einer Stelle, nämlich zwischen den beiden Kapiteln, berechtigt
sei (?). Faces in manibus H. III 33 sei ebenfalls als Nominativ
zu fassen, der dem voraufgehenden Infinitiv parallel stehe.
50) E. Wölfflio, Enervis und der Redner Calvus. Arcb. f. lat. Lex.
XIII S. 438.
Die Stelle Dial. 18 bezeuge zwar nicht mit Sicherheit, daß
Calvus von Cicero gerade das Wort enervis gebraucht habe; sei
dies aber der Fall, so werde dadurch bewiesen, daß der Brief-
wechsel unecht war. Denn enervis komme weder im ciceroni-
schen (Cicero sage enervatus) noch im augusteischen Zeitalter vor,
sondern erst bei Valerius Maximus. Die Entstehungszeit der
Briefe wäre also zwischen die Zeit des Tiberius und die des
Tacitus zu setzen.
51) Anzeigen älterer Schriften: Fabia, Onomasticon Taci-
teura (JB. XXVI S. 328): Riv. di fil. 1903 S. 606 von Giov. Ferrara
(»äußerst sorgfältig'); Lexicon Taciteum XVI (JB. XXIX S.239):
Arch. f. lat. Lex. XIII S. 291; Gaffiot, Le subjonctif de repetition
(JB. XXIX S. 241): DLZ. 1903 Sp. 1592 von H. Lattmann1), Boll.
di fil. X S. 17 von L, Valmaggi, Rev. de l'instr. publ. en Belg. 46
:S. 298, WS. f. kl. Phil. 1903 Sp. 1033 von O. Weißenfels, Berl.
phil. WS. 1904 Sp. 468 von J. Schmalz. Alle Rezensenten er-
kennen zwar die Sorgfalt und Eigenart der Arbeit an, erheben
aber z. T. wesentliche Einwände gegen die Auffassungen Gaffiots.
l) Vgl. Gaffiots Antwort io dem Aufsatz ' Le subjonctif aprds quotiens',
Rev. de pbil. XXVII S. 273.
350 Jahreiberichte d. Philolog. Vereins.
V. Textkritik und Erklärung.
52) J. J. Hartman, Tacitea. Mnemos. XXXI S. 365—407.
Die Leser und Herausgeber des Tacitus werden von Hartman
in dieser Serie seiner Tacitea darüber belehrt, daß sie in ihrer
Harmlosigkeit über genau gerechnet hundert Stellen der großen
Werke hinweggelesen haben, ohne zu merken, daß sie in unserer
Überlieferung durch die in den Text eingedrungenen Anmerkungen
eines magistellus oder 'sciolus' entstellt worden sind.
Denn erstens dürfe man einem Stilisten wie Tacitus nicht
zutrauen, daß er jemals Überflussiges sollte gesagt haben,
zumal da er auf denkende Leser rechnen durfte. Überflüssig
aber sei z. B. A. I 55, 14 gener invisus mtmtct saceri neben quae-
que . . . erant, 61, 17 er suo ictu neben infelici dextera, 66, 8 quia
per corpus legati eundum erat neben proiectus in limine portae
miseratione demum, XI 31, 10 ut saerificantes vel imanientes Bacchae
neben feminae pellibus acdnctae, XIII 10, 6 kalendarum lanuari-
arum inchoando anno neben veterem religionem, 43, 4 publicae
ptcuniae neben peculatum, XIV 8, 20 non imperatum parricidium
neben nihil se die filio credere (jenes sei rusticana simplicitate,
dieses verecunde gesagt), 27, 8 sine posteris neben orbas, 54, 9 in
tuam fortunam recipi neben per procuratores tuos administrari,
XVI 2, 11 servilia neben adulatione, 17, 10 administrandis principis
negotii» neben procurationes; H. II 78, 6 arbor neben cupressus,
III 31, 21 comul neben praetexta lictoribusque insignis, IV 67, 5
fusi Lingones neben fortuna meUoribus adfuit. — Was jeder Leser
wußte, kann Tacitus, wie H. meint, nicht ausgesprochen haben;
deshalb sei z. B. ut mos oraculis und ut Romanus mos A. II 54, 16.
XVI 6, 5 zu streichen. Ebensowenig könne man glauben, daß er
dem Erinnerungsvermögen seiner Leser mißtraut habe; also
müßten die Worte quibus sedecim stipendiorum finem eospresserant
A. I 78, 7, libertus Vüellii H. II 95, 8, quae se Narniae dediderant
III 67, 7 fallen. Der Inhalt der Worte sciUcet ut. .. quaereretur
A. II 30, 14, qui domo non excedebant III 3, 9 ergebe sich aus
dem Zusammenhange von selbst; sie seien somit interpoliert. Den
bekannten Satz factum esse scelus loquuntur faciuntque H. III 25, 22
verstümmelt H. durch Streichung von factum esse und nimmt ihm
dadurch seine Pointe; pavidos periculorum III 41, 11 nennt er die
Ausdrucksweise eines Schwätzers und streicht deshalb periculorum,
ohne zu bemerken, daß der Gegensatz, der zwischen pericu-
lorum und dedecoris, ebenso wie zwischen pavidos und securos
besteht, jeden der beiden Genitive unentbehrlich macht.
Zweitens sei der Text des Tacitus von einer großen Menge
solcher Interpolationen zu befreien, die sich als solche dadurch
verraten, daß sie den Zusammenhang stören. Ein derartiger
Einschub sei gnarum id Caesari A. I 5, nach dessen Entfernung
alles in Ordnung sei; denn das Gerücht sagte, Livia habe, nach-
"\
Tacitu*, vod G. Andresen. 351
dem ihr das Geheimnis von Marcia mitgeteilt sei, zuerst den Fabius,
den einzigen Zeugen der Unterredung des Augustus mit Agrippa,
dann den Augustus selber vergiftet. In Wahrheit ist der Zu-
sammenhang dieser: Als Augustus, so kombinierte man, erfahren
hatte (natürlich durch die Li via selbst), daß seine Gattin um das
Geheimnis wisse, habe er dem Fabius Vorwurfe gemacht, welche
dieser sich so zu Herzen nahm, daß er seinem Leben ein Ende
machte (dubium an in affirmativem Sinne wie incertum an XI 18, 16
quae nimia et incertum an falso iacta). Nachdem der vermutete
Selbstmord durch die Äußerungen der Witwe bestätigt worden
sei, habe Livia, die aus der Verzweiflungstat des Fabius erkannte,
wie ernst ihrem Gatten der Gedanke an eine Versöhnung mit dem
Enkel sei, den Entschluß gefaßt, durch Ermordung des Augustus
die Zurückberufung des Agrippa, welche die Aussschließung des
Tiberius vom Throne zur Folge gehabt haben wurde, zu verhindern.
Somit ist gnarum id Caesari im Zusammenhang unentbehrlich. —
An die eigentumliche Malice, die nach Nipperdeys Erklärung in
den Worten ut numerum centurionum adaequarent I 32 steckt,
mag H. nicht glauben. Seine Leser aber werden ihm nicht
glauben, daß ein 'homo semidoctus1 sie am Rande hinzugeschrieben
habe, ebensowenig, daß der Sinn der nun übrigbleibenden Worte
sexageni smgulos identisch sei mit dem Gedanken, daß jede
Centurie ihren Genturio geschlagen habe (suum cuique centuriae
milites centurionem). — Den Ausdruck matrimonii sui ignarus
XI 13 (Nipperdey richtig: • blind inbetreff seiner Ehe1) erklärt H.
für prorsus sensu vacuum und nimmt zugleich Anstoß an der
echt taciteischen Anknüpfung der Worte munia censoria usurpans
durch et. Er vermutet, matrimonii sui sei aus matrimonii SiHi
entstanden, das ein Leser am Rande notiert habe, ohne sich
darüber zu äußern, daß die Streichung die Art der Anknüpfung
der folgenden Worte nicht ändert. — XV 47, 3 bezeichnet semper
einen zweimaligen Fall, wie saepe XIII 6, 2, wo man Nipperdey
vergleiche. H. entzieht sich dieser Auffassung von semper dadurch,
daß er Neroni streicht, um den Gedanken zu verallgemeinern;
denn zu den Worten sangume illustri semper expiatum habe der
Leser ab eo qui Imperium tenebat zu ergänzen. Ebenso gewalt-
sam ist die Streichung von dedecori XV 65, 6, und von re~
spondentesve H. III 73, 20 ; denn nicht bloß in dem rogitare, sondern
auch in dem respondere verrät sich die audacia, wenn auch nitro
nur zu rogitantes paßt. — Daß die Worte spe victoriae inducti
sunt ut vineerentur A. II 52 so nicht richtig sein können, hat man
lange vor H. erkannt. Die von ihm empfohlene Streichung des
ganzen Satzes ist deshalb verfehlt, weil wir eine Mitteilung darüber,
daß unmittelbar vor dem Treffen die Vereinigung der bis dahin
getrennten Streitkräfte der Feinde erfolgte (ut iungerentur), nicht
entbehren können. — Ebensowenig ist ihm bekannt geworden,
daß die Stelle H. IV 12, 9, wo er opibus Romanis streicht und
352 Jahresberichte 4. Philolog. Verein 8.
nee soeietate validiorum attriti — viros tantum armaque imperio
ministrabant — diu etc. schreibt, durch Tiedkes schlagende Emen-
dation längst in Ordnung gebracht ist.
Zur Aufzählung aller Reinigungsversuche Hartmans fehlt der
Raum; aber man darf mir glauben, daß die von mir übergangenen
nicht überzeugender sind als die mitgeteilten.
53) J. J. Hartma.0, Tacitea. Moemos. XXXII S. 49—80.
Warum in der ersten Hälfte dieser Abhandlung die bereits
Mnemüs. XXXI S. 318-336 (s. JB. XXIX S. 250—251) veröffent-
lichten Vorschläge zu den ersten sechs Büchern der Annalen
wiederholt werden, ist nicht zu erkennen. Denn von 'neuen Be-
weismitteln', die H. zu geben verspricht, ist nicht viel zu ent-
decken.
Die zweite Hälfte bringt Vermutungen zu den letzten sechs
Buchern der Annalen. Annehmbar ist Caesari st. Caesaris XI 33, 4
und hat auch handschriftliche Gewähr (vgl. WS. f. kl. Phil. 1902
Sp. 667); doch ist dieser Dativ wohl nicht von adfirtnat, wie H.
will, sondern von dem zu ergänzenden esse abhängig zu denken.
Einen gewissen Grad von Probabilität haben auch die Änderungen
von permitti in remitti XI 10, 22, corrupto in cmsumpto XV 8, 8,
eins verbis in meis verbis XV 63, 19, ut in qui XVI 5, 13; doch fehlt
der überzeugende Beweis ihrer Notwendigkeit. XV 55, 14 schreibt
H. vita amoena et . . . probata als abl. abs., 59, 2 dubius st. dubitat,
XVI 22, 21 quid Thrasea novi fecerit, 24, 8 quod übt non invenit,
28, 11 Senatoren* st. censorem. An diesen fünf Stellen ist die
Vulgatä einwandfrei: zu vitam amoenam et . . . probatam ist nur
fuisse zu denken; an der zweiten Stelle rechtfertigt sich dubitat
durch die Erwägung, daß Scävinus, obgleich erschreckt durch
die drohende Folter, doch erst gestand, nachdem Natalis bekannt
hatte und ihm von dessen Bekenntnis Mitteilung gemacht worden
war (c. 56); an der dritten liegt in non fecerit eine besondere
Pointe: in dem Falle des Thrasea war alle Welt begierig, zu er-
fahren, nicht was er getan, sondern was er nicht getan habe;
an der vierten würde man zu invenit als Objekt quae statt quod
verlangen (vgl. scripsisse per quae); an der fünften wird senatorem
durch das Folgende geschützt: als Senator hat Thrasea die ob-
trettatores principis in Schutz genommen (XIV 48), als Senator
(hat er zu den Sitzungen zu erscheinen (veniret) und seine Vor-
schläge zu machen (censeret). — Auch die Konjunktive uteretur
XI 34,7, spectaretur XIII 1, 9 (vgl. Nipperdey), faceret XV 67, 14
(Hartman utebatur, spectabatur, fecerat) anzutasten, liegt kein Grund
vor. Wie hier um den Modus, handelt es sich an drei anderen
Stellen um das Tempus. XII 66, 10 ist diu habita = quae diu
habita est; vgl. über adeptus SB. XXIX S. 250 (Hartman inde.. .
habita, d. i. 'infolge ihrer Verurteilung zur Hofgiftmischerin er-
nannt'). XIII 43, 23 nimmt H. Anstoß an toleravisse und verlangt
^
Tacitus, von G. AndreseD. .353
tolerare. Mit dieser Stelle steht es nicht anders als mit credibile
erat Ann. I 6 und ähnlichen Ausdrucken, worüber JB. XXIX
S. 250. XIV 52, 12 will er reperiri in probari ändern, weil ihm
das. Präsens mißfallt. Durch die Wahl dieses Tempus läßt Tacitus
die Gegner des Seneca den Gedanken aussprechen, daß Seneca
seine Tätigkeit als Erfinder ununterbrochen fortsetze.
Gewaltsam sind die Änderungen XIV 6, 6 intellegerentur,
(rata) misit[que], XV 16, 2 contra quam prodidit Corbulo und
XV 10, 17 sustentare potuisset, wo die Angabe, es sei sustentavisset
et überliefert, unrichtig ist; s. WS. f. kl. Phil. 1902 Sp. 775. XIII
15,6 mußte, wenn. man mit H. sortientibus schriebe, aequalium
fehlen; XV 10, 2 darf qua nicht getilgt werden, weil Tacitus tarnen
nie an die Spitze eines Satzes stellt. XV 40, 3, wo H. vorschlägt
necdum posito metu redibat haud levius rursum grassaturus ignis,
hat Madvig im engsten Anschluß an das Überlieferte in Ordnung
gebracht. Ungewöhnlich, aber deshalb nicht zu verdächtigen, sind
die Ausdrücke viam Miseni st. viam Misenensem XIV 9, 6, domitis
.perdueUibus XIV 29, 12 und porrectis utriusque brachii venu
XVI 35, 4, wo H. Miseni viam propter, perdomitis rebellibus und
sectis statt der letzten beiden Silben von porrectis vorschlägt.
XIII 17, 5 wären tarn st. etiam und XIV 11, 10 iamque st. namque
gleich unverständlich; zu der ersteren Stelle ist außerdem zu be-
merken, daß Tacitus die Vorstellung des Volkes in der Tat nicht
teilt; vgl. XIV 12, 12. H. I 86, 18. IV 26, 6—9, wo apud mperitos
und ira deum vocabatur den Worten vulgus iram deum portendi
crediderit XIII 17 genau entspricht. Völlig haltlos endlich ist die
Änderung von perite XIV 20, 21 in pueri und der Einschul) von
secura nach longinqua XV 38, 19, wo sich aus dem Zusammen-
hang ergibt, daß die entfernten Orte ebendeshalb von den
Flüchtigen aufgesucht wurden, weil sie sie für sicher hielten.
54) J. J. Hartman, Tacitea. Mnemos. XXXII S. 129—150.
Ein paar Vorschläge dieser letzten Serie verdienen Erwägung:
H. II 3 sed scientiam artemque haruspicum accitum e Cilicia Tamiram
intulisse, 70,7 species viae> III 56,18 ut asper (n)a(retury quae
utilia. Die übrigen halten einer unbefangenen Prüfung nicht
stand. H. I 58, 14 permittenti (als Gegensatz zu postulantibus)
st. punienti. Capitos Schuld war zweifelhaft (I 7, 7); indem
Vitellius seinen Mörder der Rache der Soldaten preisgab, strafte
er ihn. I 64, 10 civium oder municipum st. militum. Die milites
sind die Masse der Leute, welche Partei ergriffen, nachdem der
Streit zwischen einzelnen entstanden war. II 2, 4 ex ea st. des
unverdächtigen ex eo. II 32, 25 magnam ipsa fama. Da müßte
magnam in dem Sinne von validam stehen; durch ipsamy das II.
für beziehungslos erklärt, wird die Legion den sie begleitenden
Moesicae copiae entgegengestellt, wie III 50, 17 durch tpsos, das H.
.in ipsa ändert, die Lage der Flavianer den eben erwähnten Maß-
354 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
regeln ihrer Gegner. II 59, 1 7 prolatum, unmöglich. Denn der
Befehl an die Truppen, dem Kinde entgegenzugehen, ist undenk-
bar, wenn das Kind erst nach diesem Befehl 'hervorgeholt' wird;
perlatum ist ' hingebracht1, nämlich zum Vater. II 60, 12 crebra
fatna: zu creditum fama vgl. Ann. III 44 cuncta, ut mos famae, in
maius credita. II 63,10 cunctantem <entm>: seram wird durch
post scelus genügend erklärt. II 64, 12 ut gaudium evecta: zu in
gaudium evicta vgl. Ann. XV 64 blandimentis vitae evicta. II 76, 28
novo, sinnwidrig. II 82, 6 cogere st. eoercere, welches in der
Bedeutung Einschreiten gegen' zu segnes ebensogut paßt wie
castigare Agr. 21, 5. II 87, 6 mter severos st. inter servos, dessen
durchaus befriedigender Sinn ist 'selbst in der Umgebung von
Sklaven' (nämlich von calones). II 88, 16 et st. aut, welches
offenbar zwei Fälle scheidet: wenn sie ins Gedränge gerieten, ver-
breiteten sie Schrecken; wenn sie stürzten, kam es zu Streit und
Tätlichkeiten. II 99, 15 admone(ns horta)batur, als ob die gleich-
zeitige Abhängigkeit der Genitive und des ut von admonebatur
nicht zu ertragen wäre. HI 63, 7 e victricibus legion(ibus cohort)e$,
wo schon validae das Überlieferte schützt. III 72, 6 civiuin st.
principwn: allerdings bilden den Gegensatz zu den externi host»
die Borger; aber principum verschärft diesen Gegensatz, insofern
es ausdruckt, daß es sich in dem Kampfe, dessen Opfer das
Kapitol wurde, nicht um die widerstreitenden Interessen ver-
schiedener Bevölkerungsklassen, sondern um die zweier Machthaber
handelte. III 84,23 terrent, unnötig. IV 12,14 studio (ut}...
perrumperet, minder gefallig als perrumpere (solitus}. IV 34, 20
iamque: über nam vgl. Wolff. IV 80, 11 provocare, wo zuzugeben
ist, daß die zur Verteidigung von vocare angeführten Parallelstellen
nicht völlig ausreichen. V 3, 10 Lücke vor sei nihil, zu erschließen
aus Umgarn olim famem und raptarum frugum c. 4. Aber daß
die Juden auf ihrer Wanderung nicht bloß gedurstet, sondern
auch gehungert haben, geht aus der ganzen Darstellung c. 3 her-
vor. V 4, 10 retinetur: zu detinetur 'wird beibehalten1 vgl. Ann.
XIV 39, 11. V 16, 11 fusos Germanos: quod roboris fuerit, (ctci-
disse), superesse etc. Zu fundi = prosterni vgl. H. IV 33, 20.
Ann. XII 13, 14.
Unnötige Umstellungen: I 83, 27 sui nach tribuni: zu im-
peratoris sui vgl. Ann. II 76, 10. H. I 40, 8. III 53, 14. III 85, 6.
IV 25,6. — II 16,10 imperatorum nach ignara; H. übersieht,
daß ignara neben imperitorum turba nicht tautologisch ist: die
imperiti sind die große Masse, das vulgus im Gegensatz zu den
principes; ignara bezeichnet, daß diese Masse von den Plänen des
Pacarius nichts wußte. II 74, 14 esse privatis cogitatimibus pro-
gressum prout velint, et plus minusve sumi ex fortuna, während
doch prout velint von den beiden Komparativen nicht getrennt
werden darf. III 83, 7 Umstellung der vier in den Worten aUbi
proelia . . . similes enthaltenen Satzglieder in der Reibenfolge 1. 4.
"\
Tacitus, von G. Andresen. 355
3. 2, wobei jedoch alibi, alibi, simul, iuxta ihre Stellen behaupten.
V 5, 20 summum . . . inleriturwn vor profams.
Alle diese Vorschläge werden an Verwegenheit noch über-
troffen durch folgende: I 13, 10 pater ac socer, obgleich nicht
Galba und Vinius — denn diese meint H. — , sondern Vinius und
Otbo die beiden zuletzt genannten Personen sind. I 37, 17 prae-
sidia st. provincia, während doch die Provinzen Spanien, Gallien
(mit Germanien) und Afrika in der voraufgehenden Aufzählung
genannt sind. I 50, 8 sed vulgus quoque (indignari et priora)
palam maererc, weil maerere nicht auf einen gegenwärtigen Zu-
stand gehen könne, sondern nur auf einen vergangenen, der
besser gewesen sei als der gegenwärtige. Hiergegen vgl. Ann. I
28, 7. III 44, 5. — III 2, 25 auctor actorque, als ob suasor irgend-
wie verdächtig wäre. III 41, 18 Gallias et exercitus Germaniae
novumque bellum eieret. III 46,11 ignarus mit der Begründung:
4 pro „certior factus de Cremonensi victoria" Latine vix dici posse
videtur: „Cremonensis victoriae gnarus"'. Wäre diese Behauptung
richtig — daß sie nicht richtig ist, zeigt z. B. Ann. I 36, 5 — ,
so müßte sie auch ignarus treffen. III 61, 12 eerta fides. Dann
wäre praemüs Dativ, an dessen Stelle der Genitiv stehen müßte.
III 66, 7 ita perkulum et <e natu et e) misericordia, jenes auf
die Fla vianer, dieses auf die Vitellianer bezogen. Die richtige
Deutung der Worte ita periculum ex misericordia findet man bei
Heraeus. IV 49, 9 et pace suspecta tutius bellum, weil in der
Vulgata der Komparativ der Beziehung entbehre. Sie ergibt sich
von selber in einem Satze wie diesem: 'Da man im Frieden Ver-
dacht gegen dich hegt, so ist es sicherer für dich Krieg an-
zufangen1.
Hiermit habe ich die Besprechung der über 10 Aufsätze und
20 Abschnitte verteilten Konjekturen Hartmans glücklich zu Ende
gebracht. Hoffentlich ist der von ihrem Urheber nicht erstrebte
Gewinn größer als der erstrebte.
55) H. van Herwerden, Ad Tacitom. Mnemos. XXXII S. 95— 97.
Verf. konjiziert H. I 6 tamquam nocentes, 33 se tuen» oder
tuens se st. lentis, II 13 ostendms (in se) lotete respondit, 38 ad
verum ordinem revenio, III 68 Piso et Galba (et Otho) tamquam
m acie cecidere, 77 iuberet. (hoc iubet.) Quod salutare etc., V 17
ut illicerent, lacessentibus. Man erkennt zwar die Motive dieser
Vorschläge; aber keiner von ihnen ist geeignet, die Autorität
des Oberlieferten zu erschüttern. Zu V 7 bemerkt Verf., fetus
segetum seien die verschiedenen Getreidearten, die früh im Sommer
reifen, autumni fetus Obst, Oliven, Trauben. In excedere deos
und motus excedentium V 13 findet er einen Widerspruch mit der
Angabe V 5 mente sola unumque numen intellegunt.
356 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
.56) 0. Siesbye, Nord. tidsskr. f. fil. XI (1903) S. 149,
verteidigt in überzeugender Weise das Ann. I 41 überlieferte et
externae fidei. Der gen. quäl, finde sich zuweilen ohne ein
regierendes Wort, besonders wenn er durch eine beiordnende
Konjunktion oder auf eine ähnliche Weise an eine andere Be-
stimmung geknüpft sei. Suet. Caes. 75 medios et neutrius partis
suorutn sibi numero futuros pronuntiat, Tac. XV 54 quam inter
diversi generis ordinis aetatis sexus, dites pauperes taciturnitate
amnia cohibita sint. Das et stehe epexegetisch, wie Cic. Sest. 55
censoria notio et gravissimum iudicium sanctissimi magistratus ; vgl.
in Verr. V 184 dignum Capüolio atque ista arce omnium gentium,
Tac. Germ. 29, H. IV 26. 53.
57) Franz Zö'chbauer, Stadien zu den Anoaleo des Tacitus III.
Sonderabdruck aus dem Jahresberichte des Gymnasiums der k. k.
Theresianischeo Akademie in Wien 1903. 10 8. 8.
Z. verteidigt XIV 54 das überlieferte cetera invidiam agent in
dem Sinne von 'das Weitere, das mit dem fortwährenden Geben
und Empfangen im Zusammenhange steht (die hieraus sich er-
gebenden Folgen), wird den Neid wachrufen7. Diesen Gebrauch
von cetera und agere hat er nicht ausreichend belegt* — XIV 58
erklärt er famae für einen von credentium abhängigen Dativ, hält
auch hier an agere fest und übersetzt: 'diese Dinge, an denen
nichts Wahres war, wurden nach der Sitte solcher, die Gerüchten
zu glauben pflegen, in der freien Zeit lebhaft erörtert oder be-
sprochen1. Der Satz befriedigt weder dem Gedanken noch dem
Ausdruck nach; agere otio 'in der freien Zeit besprechen' ist wohl
kaum lateinisch. Gegen die Vulgata erhebt Z. zwei nichtige Ein-
wände: er verlangt credulorum für credentium, weil er nicht er-
kennt, daß Tacitus hier nicht von einer Eigenschaft redet, sondern
von der Tatsache, daß das Publikum an die Realität jener vana
glaubte. Ferner erklärt er augebantur für unpassend, weil eine
Steigerung der erwähnten Beschuldigungen unmöglich sei. Aller-
dings wohl unmöglich, soweit diese Beschuldigungen die ver-
meintlichen Absichten des Plautus trafen, jedoch möglich, soweit
sie die zu ihrer Verwirklichung bereits begonnenen Unternehmungen
berührten. — In demselben Kapitel versucht Z. die überlieferten
! Worte effugere segnem mortem otium zu retten, indem er esse er-
gänzt und übersetzt: 'dem langsam sich nahenden Tode sich
zu entziehen sei genügend Muße'. Nicht minder auffallend ist
Zöchbauers Gestaltung der folgenden Sätze: mffugium et magni
Hominis miserationem reperturum, bonos consociaturum audaces,
nullum interim subsidium aspernantium. Das letzte Wort würde
kein Leser verstehen, wenn Z. nicht die Obersetzung hinzufügte:
'nichts gebe es, was einstweilen eine Stütze der Gegner (derer,
die von Plautus nichts wissen wollten), bilden könnte". — XIV 61
schlägt er repetitum venerationem vor, wobei in principis laudes
Tacitui, ven G. Andreien. 357
überflüssig wäre. — XV 38 macht er artü . . . vicis als Dative
von obnoxia abhängig = 'da die Stadt engen und winkligen
Straßen . . . unterworfen war\ indem er gegen die gewöhnliche
Deutung (der Gefahr ausgesetzt infolge* usw. den Einwand erhebt,
daß diese Gefahr auch von der ersten Ursache der Unzulänglich-
keit der Gegenmaßregeln, der velocitas malt, gelte. Z. übersieht,
daß die zweite Ursache sich von der ersten dadurch unterscheidet,
daß sie dauernd vorhanden war, während die erste dem Ereignis
eigentumlich war, das hier erzählt wird. — XV 45 faßt Z. prospere
modal: 'das Gelöbnis des Goldes hatte Gluck gebracht oder (aut)
war in Zeiten der Not geschehen \ Das sind * keine Gegensätze,
wie sie aut verlangt. — XV 48 entscheidet er sich dafür, das
Komma nach amicos, nicht nach quoque zu setzen. — XVI 30
bedeute pro clarüate 'zugunsten des glänzenden Rufes', d. h. um
sich (in der Provinz) einen Namen zu schaffen.
Zöchbauers Programmschrift von 1902 (s. JB. XXIX S. 243)
bespricht J. Golling, Gymnasium 1903 S. 864. Oft sei Zöchbauers
Interpretation zu fein; manches sei gutzuheißen, so die Aus-
führung über causam discordiae et initium armorum Ann. I 27.
58) Vinceozo üssaoi, L'ultima voce di Lncano. Rivista di filologia
e d'istruzione classica 1903 S. 545 — 554.
Ussani will die Verse, welche nach Tac. Ann. XV 70 der
sterbende Lukan rezitierte, im vierten Buche der Pharsalia (ins-
besondere V. 566—570) wiederfinden, wo der Untergang des
Tribunen Vulteius Capito und seiner Genossen geschildert wird,
während man sie gewöhnlich mit Phars. III 635 — 645 identifiziert,
die den langsamen Tod des Lycidas beschreiben. Der neue Vor-
schlag hat wenig Überzeugendes; vgl. die Anzeige WS. f. kl. Phil.
1904 Sp. 42.
59) Gustavus Wörpel, N. phil. Rundsch. 1903 S. 553. —
Dienel, Beiträge zur Textkritik des taciteischen Rednerdialogs
(s. JB. XXIX S. 254), angezeigt von E. Wolff, N. phil. Rundsch.
1903 S. 530 und von C. John, WS. f. ki. Phil. 1904 Sp. 153. —
W.W. Fowler, Note on Tac. Agr. 33,2, Class. Rev. XVIII Nr. 1.
— L. Valmaggi, Sur quelques passages du troisieme livre des
Histoires de Tacite, Melanges Boissier S. 449 — 450. — Derselbe,
Tacito Storie III 23, 12 sq., Boll. di fil. class. X S. 133—134. —
G. Andresen, Neue Lesungen bei Tacitus, WS. f. kl. Phil. 1903
Sp. 1382. 1904 Sp. 142.
Wörpel empfiehlt Dial. 27, 5 im Anschluß an den Codex
Ottobonianus, welcher aperte hat, ape te herzustellen, mit Berufung
auf eine Notiz bei Festus: ape apud antiquos dicebatur prohibe,
eompesce. Er hält es für ausgemacht, daß Maternus, der Dichter
und Liebhaber des Alten, obsolete Wörter gern angewendet habe.
358 Jahresberichte d. Pbilolog. Vereins.
Wolff entscheidet sich Dial. 7, 10 für Michaelis' Vorschlag
quod non in alio oritur, empfiehlt Dieneis Konjektur zu 11, 16
statum viri civisque ernstlicher Beachtung und akzeptiert aus den
Erörterungen Dieneis über 17, 15 die Deutung von statio = ' Reichs -
wacht', die der Kaiser alljährlich am Gedenktage seiner Berufung
beziehe, so daß sexta tarn statio fünf vollendete Regierungsjahre
bezeichne. — John lehnt alle Textesneuerungen Dieneis ab, ebenso
die Deutungen einzelner Stellen, soweit sie von ihm zuerst vor-
gebracht worden sind, und erklärt die neu herangezogenen Parallel-
steilen aus Quintilian für belanglos.
Fowler verteidigt das überlieferte virtute et auspiciis imperii
Romani, fide atque opera nostra. Hier sei virtute et auspiciis nicht
vom Kaiser, sondern in allgemeinerem Sinne zu verstehen : es
bezeichne die Verbindung menschlicher Tüchtigkeit mit göttlicher
Approbation. Tacitus habe hier an Verg. Aen. VI 781 gedacht:
En huius, nate, auspiciis illa incluta Roma Imperium terris,
animos aequabit Olympo (?). Auch Liv. XXX 14 Syphax auspiciis
populi Romani victus captusque est stehe auspicia im allgemeinen
Sinne. Ein Beispiel der Verbindung virtus imperii Romani in
ähnlichem Sinne wie virtus populi Romani (z. B. H. IV 73) hat
Fowler offenbar nicht auffinden können.
Valmaggi konjiziert H. III 5 gens fidei, commissi patientior,
indem er patiens mit 'constant1 und commissum mit 'entreprise'
wiedergibt und das Asyndeton angemessen findet. 111 7 sei die
überlieferte Namensform Municius nicht in Minucius, sondern in
Mimcius zu ändern, coli. Plin. Ep. VII 11, 4. CIL. VI t0229, 19.
III 10 sei vielleicht die richtige Erklärung der Worte mox con-
versus ad signa et bellorum deos: 4ensuite s'elant tourne vers
les drapeaux et invoquant les dieux miiitaires'. III 23 wäre es
wohl kaum nötig gewesen, die Worte ul in corpora gegen Hart*
mans Athetese (Mnemos. 31, 376), an die doch niemand glaubt,
zu verteidigen.
Ann. XI 27 ist, wie ich a. a. 0. gezeigt habe, tradam in
trado zu verwandeln. Diese Änderung rührt von dem Schreiber
des Mediceus selber her und wird durch die Erwägung bestätigt,
daß Tacitus in diesem Satze von dem Berichte spricht, den er
eben jetzt gibt, nicht von den Berichten, die er geben werde.
XIII 14 ist das vom Schreiber der Handschrift gestrichene rursus
als eine Art Dittographie von Burrus zu tilgen. H. IV 14 be-
stätigt die Korrektur im Med. Halms Konjektur impubes et forma
conspicui. Ann. III 74 und H. IV 50 (an zwei Stellen) ist die
überlieferte Form Lepcitani, die man allgemein in Leptitani ge-
ändert hat, wiederherzustellen, da die Namensform Lepcis = Leptis
durch eine jüngst gefundene und von Clermont-Ganneau ver-
öffentlichte amtliche Inschrift sichergestellt ist.
*\
Tacitus, von G. Andresen. 359
VI. Tacitus in der Schule.
60) A. Strobl, Zur Schullekture der Annalen des Tacitus. Progr.
des k. k. deutscheii Obergyranasiums der Kleioseite in Prag 1904
S. 11 — 17. Progr. des k. k. Staatsgymnasiums in Innsbruck 1904
S. 3—22.
Das 14. Buch der Annalen empfiehlt sich, wie S. ausfuhrt
(Tgl. JB. XXIX S. 256), für die Schullektüre auch dadurch, daß
es treffliche Beispiele von Reden bietet, wie sie dem psychologi-
schen Charakter der ganzen Darstellung eigen sind, und viele
Belege für die persönlichen Anschauungen des Tacitus enthält.
Minder geeignet seien das 13., das 15. und das 16. Buch.
S. überlegt sodann, ob sich aus dem zweiten Teil der Annalen
Partien ausheben lassen, die in innerem Zusammenhange der Er-
eignisse und Personen oder der Kulturbilder stehen. Die Partien,
welche Kriegsgeschichte enthalten, sind schon deshalb zu ver-
werfen, weil es verkehrt wäre, dem Schuler Tacitus von seiner
minder günstigen Seite zu zeigen. In dem Thema 'Recht und
Gericht' wäre der Stoff einerseits zu umfangreich, andrerseits zu
zersplittert und der Inhalt zu eintönig. Auch das Thema 'Der
Senat unter Claudius und Nero1 hat für den jugendlichen Sinn
zu wenig Reiz, und die Stücke sind wieder zu verzettelt. Das
Kapitel 'Die Staatseinrichtungen unter Claudius und Nero, ins-
besondere die Neuerungen im Staatsleben' ist zu umfangreich.
Gegen alle diese Gegenstände zusammen spricht auch der Um-
stand, daß sie die Person des Princeps nicht in sich schließen.
Ein sehr abwechslungsreiches und interessantes Material bietet
dagegen 'ein Durchblick durch die Regierungstätigkeit Neros und
seinen persönlichen Charakter1, vorausgesetzt, daß man von den
hierher gehörigen Partien einen Teil ausscheidet. Ein solcher
Durchblick würde nicht bloß eine Charakteristik Neros und der
ihn umgebenden Personen darbieten, sondern auch die Stimmung
des Publikums und mancherlei anderes erkennen lassen, darunter
die persönlichen Anschauungen des Tacitus und seine Eigenart
als Geschichtschreiber, wozu die Anschaulichkeit seiner Darstellung
gehört, wie S. sie an dem Beispiel der Schicksale der Octavia
nachweist.
Über Strobls Programm von 1902 berichtet J. Golling, Gym-
nasium 1903 S. 832.
61) Die Übungsstücke von Hammelrath und Stephan (s. JB.
XXIX S. 253) sind ferner angezeigt von E. Krause, N. phil. Rund-
schau 1903 S. 402 und Berl. phil. WS. 1903 Sp. 1628 von
Fr. Müller; Uppenkamps Aufgaben (s. JB. XXIX S. 254) vom
Referenten, WS. f. kl. Phil. 1903 Sp. 1010, von Weißenberger, Bl.
f. d. GSW. 40 S. 98, von Jos. Fritsch, Ztschr. f. d. öst. Gymn.
1903 Sp. 1022, von Fr. Müller, Berl. phil. WS. 1903 Sp. 1597.
360 Jahreiberichte d. Philoiog. Vereins.
Nachtrag.
62) Theodor Mannten (t), Dag Verhältnis des Tacitus zu den
Akten des Senats (vorgelegt von Hirschfeld). Sitzungsberichte
der König). Preoß. Ak«d. d. Wiss. 28. Juli 1904. S. 1146—1155.
Für Mommsen steht es fest, daß Tacitus für die Epoche der
julisch-claudischen Dynastie die Senatsprotokolle, wenn überhaupt,
nur beiläufig eingesehen hat. Selbst das Zitat XV 74 sehe aus
wie eine nachgetragene Notiz. Andrerseits lasse sich zeigen, daß
die Geschichte der Kaiserzeit von Zeitgenossen und Senatsmitgliedern
an der Hand der Senatsprotokolle zuerst schriftstellerisch fixiert
worden ist. Einen Beweis, wie sehr die römischen Annalen-
schreiber unter dem Einfluß des senatorischen Protokollbuchs
stehen, liefere z. ß. die Darstellung des Jahres 22 im dritten Buch
der Annalen des Tacitus, wo mit Ausnahme der Todesfälle des
Jahres (c. 75. 76) keine Tatsache erzählt wird, welche nicht nach-
weislich im Senat verhandelt worden wäre und von diesem Ge-
sichtspunkt aus zur Darstellung kommt, wo ferner sogar die Folge
die chronologische der Senatsbeschlüsse ist, so daß, wo Anklage
und Prozeß in zwei Jahrgänge fallen, auch hier darüber an zwei
Stellen gehandelt wird, von einer staatsrechtlichen Kontroverse
zuerst das Aufwerfen, dann die Entscheidung berichtet, endlich
die Kriegserzählung nicht nach der Zeit der Aktion, sondern nach
der des Rapports eingestellt wird. Wie die Folge, so sei auch
die Auswahl der Tatsachen durch den Einfluß der Senatsakten
bedingt. Mit Kriminalprozessen vor dem Senat seien viele Blätter
von Tacitus1 Annalen gefüllt; Prozesse vor dem Kaiser seien da-
gegen kaum zu finden. Ebensowenig würden Verwaltungsangelegen-
heiten, welche die kaiserlichen Provinzen betreffen, berührt. Die
Kriegsberichte der romischen Annalen seien in der früheren Zeit
regelmäßig den Berichten entnommen worden, welche die Feld-
herren dem Senat einsandten, und teilweise gelte dies auch für
die Annalen der Kaiserzeit, nur daß in dieser die Berichte an den
obersten Kriegsherrn gingen und von ihm nach Befinden dem
Senat vorgelegt wurden. Z. B. was über den Armenischen Krieg
unter Nero berichtet wird, stamme wahrscheinlich aus den Rapporten
des Corbulo und insofern aus den Senatsakten. Aber auch wo
eigentliche Kriegserzählungen die Grundlage unserer Berichte sind,
erkenne man in diesen mehrfach Einlagen in die den Senatsakten
folgende Darstellung. So gehöre offenbar die aus den Senatsakten
stammende Angabe I 55 in. mit der gleichartigen I 72 in. zu-
sammen: sie bilden den Anfang des chronologisch geordneten
Auszugs der Senatsakten dieses Jahres, und die Ehrenbeschlüsse
für Germanicus und seine Offiziere seien gleich in der ersten
Sitzung des Jahres gefaßt worden auf Grund der Erfolge des
Jahres 14. Für Germanicus sage Tacitus dies auch geradezu.
Dann aber sei der zwischen jenen beiden Notizen stehende Be-
">
Taeitns, von 6. Aadresen. 36t
rieht über den Feldzug des Jahres 15 eine Einlage, und zwar
eine an sehr ungeschickter Steile eingefugte.
Nicht aus den Senatsakten stamme z. ß. das II 88 Erzählte,
nicht bloß weil die Notiz am Schluß des Buches und der Zeit
nach am falschen Platze stehe (denn Arminius' Tod gehöre ins
Jahr 21) und offenbar nachgetragen sei, sondern vor allem, weil
die eigentumliche Berufung auf die scriptores senatoresque eorundem
temporum keinen Sinn haben wurde hei einem im Senatsprotokoll
verzeichneten Aktenstück. Die rhetorische Literatur sei Tacitus
ohne Zweifel geläutig gewesen: z. B. rühre sicher ein großer Teil
der detaillierten Schilderung von Pisos Auftreten vor und nach
dem Tode des Germanicus aus der, wie Plinius bezeugt, publizierten
Rede des Vitellius her. Die Unterredung zwischen Tiberius und
Agrippina IV 53 entstamme den Memoiren der jüngeren Agrippina,
den Acta diurna die Verzeichnisse der in jedem Jahre vor-
gekommenen Todesfälle namhafter Personen, mit denen Tacitus
den Jahresbericht zu schließen pflegt.
Man sieht, daß die Ausführungen Steins, über die ich oben
berichtet habe, in gewissen Punkten von Mommsen bestätigt und
ergänzt werden, während dieser die Frage, ob Tacitus selber die
Senatsakten eingesehen habe, im entgegengesetzten Sinne beant-
wortet.
63) Conrad Cichorius, Zar Familiengeschichte Seja«s. Hermes
1904 S. 461— 471.
In Voisinii hat man eine Inschrift gefunden, an deren Anfang
der Name des als Präfekt von Ägypten gestorbenen L. Seins Strabo,
des Vaters des Sejan, mit Sicherheit ergänzt wird. Hier wird als
Mutter des Seius Strabo Terentia, A. f., als seine Gattin Cosconia
Lentuli Malug[in. f.] Gallitta genannt. Unter Terentia A. f. ist
nach Cichorius die Schwester des A. Terentius A. f. Varro Murena,
cos. 23 v. Chr., und der Gemahlin des Mäcenas, sowie des
C. Proculeius zu verstehen. Diese verwandtschaftlichen Beziehungen
erklären die glänzende Karriere des Seius Strabo. Die Mutter
des Sejan hat man bisher vielfach Iunia genannt, weil Tacitus
den Q. lunius Blaesus, cos. 10 n. Chr., als avnnculus des Sejan
bezeichnet. Da der neue Fund diese Vermutung widerlege, so
habe man, meint Cichorius, vielleicht anzunehmen, daß Blaesus
mit einer Schwester von Sejans Mutter verheiratet gewesen sei.
Cosconia Gallitta aber, die Mutter des Sejan, deren Name sich
durch Adoption oder Benennung nach mütterlichen Verwandten
erklären möge, stammle aus einem der allervornehmsten römi-
schen Geschlechter, was mit der Angabe des Vellejus über Sejans
mütterliche Herkunft stimmt. Denn Brüder der Cosconia waren
die Konsularen Cossus Lentulus, cos. 1 v. Chr., P. Lentulus Scipio,
cos. 2 n. Chr., und Ser. Lentulus Maluginensis, cos. 10 n. Chr.,
den Tac. Ann. 111 58. 71. IV 16 nennt. Der Vater dieser vier
Jahresbericht« XXX. 24
362 Jahresberichte cL Philolog. Vereins.
Geschwister, Cn. Lentulus. muß, wie die Inschrift bezeugt, bereits
den Beinamen Maluginensis geführt haben. Vettern des Sejan
{eonsobrinos consulares Vell. II 127) waren P. Lentulus Scipio, cos.
24, Ser. Cethegus, cos. 24, Cossus Lentulus, cos. 25, Cn. Lentulus
Gaetulicus, cos. 26, und Q. lunius Blaesus, cos. 28.
Demnach war Sejan, der schon durch seine Mutter und Groß-
mutter in die Kreise der ersten Gesellschaft Roms gehörte, kein
Parvenü, und seine Bewerbung um die Hand der Witwe des
Drusus erscheint nicht mehr als abenteuerliche Vermessenheit.
64) L. Parmeggiani, Claudia Atte, liberta di Nerone. Rivista di
storia aotica VIII 3/4 $ 455—465.
Eine Zusammenstellung dessen, was uns über Acte, die Frei-
gelassene des Nero (welche, inschriftlichen Zeugnissen zufolge, die
letzte Zeit ihres Lebens in Sardinien verbracht zu haben scheint),
überliefert ist, und ein Versuch, über die Natur ihres Verhältnisses
zu Nero, über die Frage, wie weit sie auf den Gang der Ereignisse
Einfluß hatte, und ihren Charakter Klarheit zu gewinnen: sicher-
lich habe sie ihren Einfluß auf Nero niemals mißbraucht.
65) Leopold Constans, Corrections aa texte de Tacite. Mllanges
Boissier S. 133—134.
C. empfiehlt, Ann. I 51, da der Gebrauch der Dative itineri
et proelio ohne ausreichende Parallelen sei, mit F. W. Otto paratus
einzuschieben, das vor pars leicht habe ausfallen können. H. II 11
schlägt er vor sei lorica ferrea usui et ante signa pedes ire.
Berlin. Georg Andresen.
7.
Tacitus' Germania.
Beiträge zur Kritik und Erklärung.
1. Die Bedeutung des codex Toledanus für die Germania-
kritik.
Abbott entwirft in seiner Abhandlung über die Toledohand-
schrift der Taciteischen Germania (JB. 1903 S. 276—280) zwei
Stammbäume der wichtigsten Hss. der Germania. In dem einen
bildet die Hs. Cnochs von Ascoli (der cod. Hersfeldensis), mit der
er 1455 aus Deutschland nach Born zurückkehrte, ein Mittelglied
zwischen ihr und der Hs. B (Vat. 1862) und dasselbe Mittelglied
auch zwischen ihr und Hs. E, dem Archetypus der von Müllenhoff
so benannten E-Klasse der Hss., von dem die Toledaner Hs. ab-
stammt; in dem andern wird B als der direkte Abkömmling von
Enochs Hs. betrachtet, und in diesem Falle wird dann auch E
zu einem direkten Abkömmling von Enochs Hs.
Zieht man nun auch nur das eine oder das andere in Be-
tracht, so muß man die Lesarten dieser Toledaner Hs. als wert-
voll ansehen für die Behandlung des Germaniatextes an den
Stellen, wo die beiden vatikanischen Hss. 1862 und 1518 nebst
der Leidener (b) und der Neapolitaner (c) schwanken; aber man
darf auch mit Hecht vermuten, daß der Stammkodex aller fünf
Hss. jene Hersfelder Hss. gewesen ist.
Zunächst möchte ich über den Schreiber der Toledohs. eine
kurze Bemerkung machen. 1, ll1) hat er und zwar Ta, d. h.
der zweite Korrektor, septimus in septimum korrigiert und darüber
.IV., d. h. mim, hinzugefügt. Dies ist unbedingt eine eigene Kon-
jektur. Im Anschluß hieran muß man darauf achten, ob etwa
noch mehr Konjekturen nachzuweisen sind, oder ob durch solche
Konjekturen der Text im Sinne des Schreibers beeinflußt worden
ist. 12, 10 lesen vier Hss. conciliis, T allein hat comitiis — viel-
leicht verlesen oder verschrieben, oder ob er seine Kenntnis der
römischen Staatsaltertümer zeigen wollte? Vgl. 13, 8 adoleseentibus
statt adulescentulis. — 1 4, 2 findet sich wieder eine Konjektur
von T : virtutem principis adaequare hat er in vrrtute principem ad-
aequare umgewandelt; die Konstruktion adaequare aliquem aliqua re
scheint er allein für richtig zu halten. — 18,12 schreibt T statt
1) Ich zitiere nach Halm, ed. 4.
24*
364 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
der Lesart der andern Hss. sie vivendum, sie pereundum (B hat
pariendum): sieviventes, sie parientes; die Partizipien ergeben aber,
wenn sie zu dem folgenden aeeipere bezogen werden sollen, keinen
rechten Sinn, namentlich das parientes nicht. — 29, 21 schreibt
T collati, wo die andern Hss. collocati haben : er hat also conferre
vor collocare den Vorzug gegeben, wahrscheinlich aus Versehen,
da es nicht paßt. — 29, 12 bieten die andern Hss. cetera similes;
T2, d. h. der dritte Korrektor, hat über das a von cetera ein t
geschrieben; er hat also den Akkusativ der Beziehung nicht ver-
standen. — 29, 20 schreibt T par statt pars — sollte er auch
diese Stelle nicht verstanden und an das Adjektiv par gedacht
haben? — Auch das schöne Wort tarn diu Germania vincitur
(37, 10) hat T nicht verstanden, denn er schreibt tarn diu in
Germania vincitur, was ja eine äußerlich leichte Änderung sein
mag, aber den eigentlichen Sinn völlig vernichtet. — 45, 22
haben die andern Hss. feeundiora igitur; T allein schreibt ergo
statt igitur: warum, ist nicht einzusehen; sollte er die vorher-
gehenden Buchstaben ora als ergo gelesen und dann das folgende
igitur als überflüssig weggelassen haben? Übrigens steht ergo in
der Germania — 19, 1 und 22, 13 — stets an erster Stelle und
ebenso fast immer in den anderen Werken. — 46, 13 schreibt
T sola spes, während die andern Hss. solae spes lesen. Meiser
hat hier opes für spes konjiziert; aber in einer wertvollen Hs.
steht der Singular, wonach opes nicht in dem Stammkodex ge-
standen haben kann; T aber schrieb sola, weil er lieber von der
einzigen Hoffnung spricht, die in den Pfeilen liegt, als von den
dichterisch verstandenen einzigen Hoffnungen.
Bei den angeführten Beispielen liegt die Abweichung von der
La. der maßgebenden Hss. in dem Verlesen oder Verschreiben
oder in dem mangelnden Verständnis; einige Male hat der Schreiber
eigene Konjekturen aufgenommen, überall so durchsichtig und
klar, daß man weitere Betrachtungen darüber nicht anzustellen
braucht.
Was aber sonst in dem Toledaner Kodex als Randbemerkung
zu finden ist, die Varianten und die Fehler, die dem T mit den
vier Hss., BbCc, gemeinsam sind, das muß alles auch in dem
gemeinsamen Stammkodex gestanden haben. Bestätigt wird dies
durch folgende Tatsachen. Es fehlt 2, 21 etiam; 25, 8 est; 33, 5
invidere; 37, 8 st; 37,22 versae; 45, 24 terrisque inesse crediderim
quae vicini solis; 46, 10 sunt; 46, 24 ego; aber an fünf anderen
Stellen ist das ausgelassene Wort hinzugeschrieben, das völlig mit
der La. der anderen Hss. übereinstimmt, so 13, 15 cuique (an
den Rand geschrieben von Ta); 14, 3 ac (von Ta); 14, 16 et (von
Ta); 16, 4 et (über die Zeile geschrieben von Ta); 45, 26 litora
(an den Rand geschrieben von T1). Abbott ist der Ansicht, daß
die dreierlei Korrekturen, welche sich in der Toledaner Hs. finden,
und die schon nach der verschiedenfarbigen Tinte deutlich zu
^
Tacitus' Germania, von U. Zeroial. 355
-erkennen sind, alle von dem eigentlichen Schreiber Angelus Crullus
Ruders, Stadtsch reiber zu Foligno (1474), herrühren. Er meint,
bei der mehrjährigen Arbeit habe er noch eine andere Hs. als
den Archetypus von T, wahrscheinlich sogar zwei solche Hss. im
Gebrauch gehabt. Das wäre ja möglich; nur bleibt es dann
wuuderbar, daß er die oben angeführten acht Lucken gar nicht
bemerkt haben sollte. Ferner: alle fünf Hss. (TBbCc) lesen
3, 6 nee tarn voces ille (= illae) quam virtutis concentns videntur: so
stand also in der Hs. Enochs von Ascoli, dem codex Hersfeldensis;
von dort war diese La. in alle von ihr abgeschriebenen Hss. hin-
übergenommen, und doch erkannte schon Rhenanus die Unnah-
barkeit des Plurals videntur nach dem Singular concentus, und so
vollzog sich auch die Wandlung in vocis. — 6, 10 lesen alle fünf
Hss. yaleae, was Rhenanus in galea verbesserte; denn obgleich
Tacitus den Wechsel von Singular (cassis) und Plural (gahae) an
und für sich liebt, so ist doch der Plural nach der distributiven
Teilung uni alterive unmöglich. Das e stammt für alle fünf Hss.
wieder aus der Hs. Enochs und ist von dem folgenden equi her-
übergenommen. — 40, 9 steht in allen fünf Hss. ea, Rhenanus
hat es in eo, auf nemus bezüglich, verbessert, und auch 41, 1 hat
Rhenanus das Richtige erkannt, indem er das in allen Hss. be-
findliche verborum in Sueborum veränderte. — 16, 12 steht in
allen fünf Hss. hiemi; 46, 16 heißt es ferarum imbriumque suffugium,
A. IV 66,11 malornm suffugium, und Tacitus liebt den Wechsel
der Kasus; darum hat Reitlerscheid hiemis vorgeschlagen: suffugium
hiemis (vor..), reeeptaculum frugibus (für..). — 21, 14 steht in T
ebenso wie in den vier anderen Hss. victus inter hospües comis,
und diese La. hat Rhenanus ebensowenig angetastet wie die vorige
(16, 12); dies tat erst Lachmann, der sein vinetum inter hospües
tomitas als 'unice verum1 empfahl. Endlich steht 44, 9 in allen
fünf Hss. ministrantur; aber da beide Sätze durch nec-nec gleich-
gestellt und verbunden sind, so ist ein solcher Wechsel, bei dem
naves zu ministrantur Subjekt wäre und Suiones zu adiungunt9
auch bei Tacitus nicht zu rechtfertigen. Daher muß mau die
Verbesserung des Lipsius ministrant als richtig anerkennen. Auch
35, 6 steht in T implet~, wo nicht implentur, sondern implent zu
lesen ist, und 37, 2 tencnt~, wo nicht tenentur, sondern tenent zu
iesen ist.
Die oben genannten sieben Stellen waren so, wie sie selbst
in dem cod. Hersfeldensis gestanden haben, der Verbesserung be-
dürftig, und für fast alle fand sich diese auch leicht. Erheblicher
aber und erfreulicher ist der Gewinn, der der Germania des
Tacitus dadurch zuteil wird, daß an einer Anzahl von Stellen,
wo die Laa. in fast allen fünf Hss. übereinstimmen, an denen
aber auch der Ausdruck korrekt ist, die Unsicherheit beseitigt
wird, die man bisher in bezug auf den Text annehmen mußte
oder wenigstens annehmen zu müssen glaubte. Ich hebe aus
366 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
dieser Zahl die wichtigsten 25 heraus: 2, 20 victore; 3, 3 bardi-
tum\ 3, 12 nominatutnque ^AaxinvQyiov; 8, 6 nobiles; 10, 19 ex-
plorant; 11, 10 turbae; 12, 7 jwenarwm; 13, 7 %naftonem; 14, 11
tueare\ 19, 8 invenerit; 20, 12 er animum; 26, 3 m mces; 26, 5
praebent; 28, 1 auctorum; 30, 11 ratione; 36, 4 nomine; 38, 10 m
tpso «©Z© vertice; 38, 13 compft tif : 38, 13 ornantur; 39, 12 ÄaW-
fantor; 42, 5 peragitur; 45, 3 ortus; 45, 5 egworuwi; 45, 18 pro-
fectus; 46, 24 in medium.
2. Einzelne Stellen.
Im Philologus LXI (1902) bespricht Frederking folgende
Stellen der Germania:
1. 11, 11 ff. mox rex vel princeps, prout aetas cuique, prout
nobilitas, prout decus bellorum, prout facundia est, audiuntur,
auctoritate suadendi magis quam iubendi potestate. Er meint,
daß auctoritas hier nicht in der Bedeutung „Gewicht4' verstanden
werden dürfe, also auctoritas suadendi „Gewicht des Rates (Raters)44
oder „gewichtiger Rat44 bedeute, sondern daß man dem Genitiv
gerundii bei auctoritas wie bei dem vorausgehenden ius coercendi
und dem nachfolgenden potestas iubendi den größten Einfluß auf
die Bestimmung der Bedeutung von auctoritas beilegen müsse.
Wie z. B. bei Cic. in Verrem II 121 auctoritas legum dandarum
die Vollmacht, die Befugnis zum Geben der Gesetze bedeute, so
heiße es auch bei Tacitus auctoritas suadendi „die Vollmacht,
die Befugnis zum Raten'4. Ich bin mit dieser Erklärung ein-
verstanden.
2. 17, 11 partemque vestitus superioris in manicas non ex-
tendunt. Man verlangt superiorem: „den oberen Teil des Hemdes
lassen sie nicht in Ärmel auslaufen". MüilenhofT hat superioris
für ungewöhnlich erklärt, Peder Voß (Tidsk. for phil. VII 112)
hat superiorem geschrieben; man muß sich also entschließen zu
sagen, daß nach dem vestitus das unverständliche superioris aus
superiorem entstanden und in die Hs. hineingekommen ist durch
Assimilation.
3. 22, 14 ff. salva utriusque temporis ratio est: deliberant,
dum fingere nesciunt, constituunt, dum errare non possunt. Fr. ist
mit den gewöhnlichen Obersetzungen und Erklärungen des ersten
Satzes nicht einverstanden. Er will ratio in der objektiven Be-
deutung „Art, Beschaffenheit, Natur'4 genommen wissen und über-
setzt: „die Art beider Zeiten bleibt gewahrt, kommt zu ihrem
Recht". Indes wenn man sagt „unverwehrt ist die Rucksicht auf
beide Zeiten44 oder „beiderlei Zeiten geschieht ihr Recht", d. h.
sie haben noch freie Hand gegenüber dem Gestern und dem
Heute, so ist meiner Ansicht alles klar.
Groß-Lichterfelde b. Berlin. U. Zernial.
8.
Ciceros Briefe.
1901—1903.
A. Ausgaben und Hilfsmittel.
1) M. Tulli Cicer onis epistalae. Recognovit brevique adnotatione
critica iostruxit Ludovicus Claude Pur sei*. Oxodü e typoprapheo
Clarendoniaoo. (Scriptorum classicomra bibliotheca Oxoniensis. Oxodü
e typographeo Clareodoniaoo. Loodini et JVovi Eboraci apud Henricnm
Frowde.) Vol. I: Epistulae ad familiäres, 1901. Vol. II: Epistulae
ad Atticum, 1903 (pars prior, libri 1 — VIII; pars posterior, libri
IX — XVI). Vol. JII: Epistulae ad Quiotum fratrem; commeotariolum
petitioois; epistulae ad M. Brutuui; Pseudo-Ciceronis epistula ad
Octavianum; fragmeota epistularum ; 1902. 8.
Nach C. F. W. Müllers Gesamtausgabe der Cicerobriefe, deren
beide Teile in den Jahren 1896 und 1898 erschienen, war eine
neue derartige Arbeit so bald danach nicht gerade ein Bedürfnis,
falls nicht neues und wichtiges bandschriftliches Material geboten
werden konnte, was hier nicht der Fall ist. Dagegen war durch
Müllers treuliche Leistung die Herstellung einer neuen Ausgabe
im Vergleich zu der Zeit vor ihm bedeutend erleichtert. Wenn
nun in der Sammlung klassischer Schriftsteller, der die vorliegende
Ausgabe angehört, die Briefe Ciceros nicht fehlen sollten, so
konnte dies jetzt ohne erhebliche Schwierigkeiten erreicht werden.
Nicht leicht aber konnte hierfür eine geeignetere Persönlichkeit
in Betracht kommen als die des Herausgebers. Denn L. C. Purser
ist nach seiner Mitarbeit an der großen erklärenden Ausgabe, die
er zusammen mit R. Y. Tyrrell hat erscheinen lassen *), auf diesem
Gebiete einer der berufensten und urteilsfähigsten Kenner. So
ist denn auch die Ausgabe als eine wohlgelungene zu bezeichnen,
und sie leistet in der Kritik des Textes im allgemeinen durchaus,
was hierin nach dem gegenwärtigen Stande der Forschung ge-
leistet werden kann.
Die Einrichtung der Ausgabe ist folgende. Jeder der drei
ßände enthält zunächst eine kurze, über die handschriftlichen
Verhältnisse Auskunft gebende Vorrede, sodann den Text der
J) The correspoodeuce of M. Tollius Cicero, edited by R. Y.
Tyrrell and L. C. Purser. 7 voll. Dublin, London 1885—1901.
368 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Briefe, wobei am Fuß der Seiten die wichtigsten Verschieden-
heiten der Lesart angegeben werden, und zuletzt ein Namen-
verzeichnis. Nicht allzubequem für die Benutzung ist also ein
gesondertes Namenverzeichnis vorhanden für die Briefe ad fam.
und für die ad Att. Das dritte Bändchen enthält sogar gesondert
eins für die Briefe ad Qu. fr. und das comment. petit., und ein
zweites für die Briefe ad Brut., ad Octav. und die Fragmente.
Die Vorrede zu den Briefen ad fam. faßt sich sehr kurz und
beruht ganz und gar auf der Einleitung Mendelssohns zu seiner
kritischen Ausgabe dieser Briefe. Ausführlicher gebt Purser in
der Einleitung zu den Atticusbriefen auf deren Geschichte und
Überlieferung ein. Er vertritt hierbei, indem er mit anderen auf
das Schweigen des Asconius verweist die Ansicht, daß die Atticus-
briefe erst um 60 n. Chr. veröffentlicht worden sind. Aber auf
das Schweigen des Asconius beruft man sich mit Unrecht. Asconius
hätte, meint Bücheier (Rh. Äf. 34,353), nicht daran zweifeln
können, daß Cicero den Ca tili na in dessen Repetundenprozeß ver-
teidigte, wenn er ad Att. I 2 (hoc tempore Catilinam competüorem
nostrum defendere cogüamus; iudices habemus, quos voluimus, summa
accusatoris voluntate) gekannt hätte. Aber „ich denke zu ver-
teidigen44 (defendere cogüamus) ist nicht dasselbe wie „ich habe
verteidigt*4. Hätte Asconius jene Briefstelle gekannt und auf Grund
von defendere cogüamus behauptet, daß Cicero den Catilina ver-
teidigt hat, so würde dies seiner sonstigen Gewissenhaftigkeit
widersprechen. Wer eine Schlechtigkeit zu begehen im Begriff
war, sie aber doch nicht begangen hat, ist keineswegs dem gleich zu
achten, der sie wirklich begangen hat, und es kann nicht in Betracht
kommen, was Bücheier behauptet: qui paratus stat ac propemodum
surgit ad dicendum, sive sidere lingua eius adflatur sive fortuita res
quaelubet orationem moratur vel tollit, sine dubio perinde aesti-
mandus est ac si dicendi facultate usus sit. Nicht auf die Be-
urteilung des Charakters, sondern auf die Entscheidung darüber,
ob eine Tatsache stattgefunden hat oder nicht, kommt es an. Die
Tatsache aber, daß Cicero den Catilina verteidigt hat, war aus
ad Att. I 2 nicht zu entnehmen, weder für andere noch für
Asconius. Wenn dieser sie also dort nicht entnimmt, so ist dies
kein Beweis dafür, daß er die Atticusbriefe nicht gekannt hat
F. Leo aber meint, Büchelers Beweis hierfür ein zweites argu-
mentum, et genere et firmitudine compar, an die Seite stellen zu
können (Ind. schol. Gotting. 1892 S. 4). Cicero sagt in der Rede
für Milo (37): üaque quando illius (Clodii) postea sica illa, quam
a^Catilina acceperat, conquievü? haec intentata nobis est, huic ego
vos obici pro me non sum passus, haec insidiata Pompeio est, haec
viam Äppiam, monimentum sui nominis, nece Papiri cruentavü, haec
eadem longo intervallo conversa rursus est in me: nuper quidem,
ut scitis, me ad Regiam paene confecü. Die Erklärung des Asconius
zu den Worten haec eadem longo intervallo conversa rursus est
Ciceros Briefe, von Th. Schiebe. 369
in me: nuper quidem, ut scitis, me ad Regiam paene confecit hat
nach anerkannter Emendierung' folgenden Wortlaut: Quo die peri-
culum hoc adierit, ut Clodius eum ad Regiam paene confecerit, nus-
quam inveni; non tarnen addueor, ut putem Ciceronem mentitum,
praesertim cum adiciat ut scitis. Sed videtur mihi loqui de eo
die, quo consulibus Domitio et Messalla, qui praecesserant eum
annum, cum haec oratio dieta est, inter candidatorum Hypsaei et
Milonis manus in via Sacra pugnatum est multique ex Milonis ex
improviso ceciderunt. De cuius diei periculo suo ut putem loqui
eum, facit et locus pugnae (nam in Sacra via traditur commissa,
in qua est Regia), et quod adsidue simul erant cum candidatis
suffragatores, Milonis Cicero, Hypsaei Clodius. Hierzu bemerkt
Leo: Haec probabiliter disputata esse nemo negabit. nimirum ab
eo quod Cicero dixit longo intervallo Glodi sicam in se rursus
co 11 versa m et nuper se ad Regiam paene confectum esse, ab ea
igitur temporis notatione profectus ad ultima Clodi facinora rem
rettulit; pugnam aliquant in Sacra via commissam invenit; pugnae
Ciceronem interfuisse coniecit. coniecturae probabilitatem item
agnosceremus, si de re qualem Ciceronis verba describunt testi-
monium nullum superesset. Leo verweist dann auf ad Att. IV 3,
wo Cicero aus dem Jahre 57 berichtet: itaque ante diem HL idus
Novembres, cum Sacra via descenderem, insecutus est (Clodius) me
cum suis: clamor, lapides, fustes, gladii, haec improvisa omnia.
discessimus in vestibulum Tetti Damionis. Diesen Vorfall soll Cicero
im Jahre 52 an der obigen Stelle seiner Rede für Milo gemeint
haben. Wenn nun Asconius diese Stelle der Rede nicht mit Leo
auf den Vorfall aus dem Jahre 57 bezieht, sondern auf einen
ahnlichen aus dem Jahre 53, so soll daraus folgen, daß er die
Briefe an Atticus nicht gekannt hat. Wieder läßt sich umgekehrt
sagen: wenn Asconius die Briefe an Atticus kannte, so mußte
ihm seine Gewissenhaftigkeit verbieten, die Stelle der Rede für
Milo auf jenen Vorfall vom Jahre 57 zu beziehen. Denn die Be-
rechtigung des Schlusses, den Asconius aus Ciceros Zeitangaben
an jener Stelle der Rede zieht, wird dadurch nicht hinfällig, daß
mehrere Jahre zuvor etwas Ähnliches vorgefallen ist. Asconius
verstand unter longum intervallum die Zeit von Ciceros Ver-
bannung bis zu den Wahlkämpfen des Jahres 53, Leo versteht
darunter die Zeit von Ciceros Verbannung bis III. id. Nov. des
Jahres 57. Welche Auffassung von longum intervallum hier die
größere Wahrscheinlichkeit für sich hat. braucht nicht gesagt zu
werden. Mit nuper aber greift Cicero nach Asconius in das vor-
hergehende Jahr zurück, das Jahr 53, nach Leo in das Jahr 57.
Auch hier drängt sich das Wahrscheinlichere von selber auf. Nun
macht aber Leo geltend, daß nuper bisweilen sogar von viel aus-
gedehnteren Zeiträumen gebraucht werde, als es nach seiner Auf-
fassung hier geschehe. Indessen sagt Cicero an unserer Stelle
der Rede nicht bloß nuper, sondern nuper quidem und stellt zu
370 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
weiterer Hervorhebung diesen Ausdruck nuper quidem an die
Spitze des Satzes. Durch diese starke Betonung von „erst kürz-
lich'4 wird einerseits die Zeitdauer zwischen dem in Frage kommen-
den Ereignis und dem Augenblick der Rede so eingeschränkt, als
es ohne genaue Angabe der Zwischenzeit nur geschehen kann.
Andrerseits hat Cicero seine Zuhörer mit longum intervallum dazu
aufgefordert, zwischen der Verbannung und dem in Frage kommen-
den Ereignis einen größeren Zeitraum zu denken. Hierdurch
wird der Schluß unausweichlich, daß die Zeit zwischen der Ver-
bannung und dem fraglichen Vorfall länger ist als die zwischen
dem letzteren und dem Augenblick der Rede. Auch Asconius
also hat es mit Recht so angesehen, und nur mit Bezug auf ein
solches Ereignis der näherliegenden Vergangenheit gilt sein nus-
quam inveni. Daneben könnte die Möglichkeit sehr wohl bestehen,
daß er aus ad AU. IV den Vorgang vom Jahre 57 kannte, aber
wegen longo intervallo und nuper quidem es unterließ, ihn zu der
Stelle der Rede heranzuziehen, wie er denn hierzu in der Tat
auch nicht herangezogen werden kann. Es konnte sich für
Asconius nur noch fragen, ob sich möglichst nahe vor dem Prozeß
des Milo ein Vorfall nachweisen ließ, bei dem geschehen sein
könnte, was Cicero berichtet: nuper quidem me ad Regiam paene
confecit. Und Asconius weist ihn nach, erfüllt also alle An-
forderungen einer strengen Methode. Es kann noch hinzugefügt
werden, daß Ciceros kurzes ut scitis auch besser auf einen Vorfall
bezogen wird, der sich erst im vorangehenden Jahre zugetragen
hat, als auf einen, für den er an das Gedächtnis seiner Zuhörer
und an ihr Interesse für seine Person erheblich stärkere An-
forderungen machen würde.
Nach alledem ist es unzulässig, daraus, daß Asconius in den
von Bücheier und Leo geltend gemachten Fällen die Briefe an
Atticus nicht berücksichtigt, schließen zu wollen, er habe diese
Briefe überhaupt nicht gekannt. Purser aber stimmt Leo zu, ob-
gleich auch er die Beziehung von nuper auf den Vorfall des
Jahres 57 für nicht recht möglich hält.
In der Übersicht über die Fragen, die die handschriftliche
Überlieferung der Atticusbriefe betreffen, verweilt P. besonders
bei Cratander und dem Tornaesianus. Cratanders Lesarten im
Text und am Rande seien großenteils auf Hss. zurückzuführen;
vom Tornaesianus seien alle wichtigeren Lesarten durch Lambin
und Bosius bekannt und von Wert. Gegenüber Cratander und
dem Tornaesianus (und den geringen Resten der Würzburger Hs.)
bilden die sogenannten italischen Hss.. denen noch einige Hss. in
Paris und der Harleianus 2491 zuzuzählen sind, eine Klasse für sich.
Ihr gehört der Med. 49, 18 an und bildet für uns schon deshalb die
Hauptquelle des Textes, weil unter allen bekannten Hss. er allein
vollständig verglichen und bekannt ist. Purser schließt sich in der
Beurteilung und Klassifizierung der Hss. an C. Lehmann an und
*>
Ciceros Briefe, von Th. Schiene. 371
bezeichnet das Ziel, das er sich für die Atticusbriefe gesteckt hat,
mit folgenden Worten: in textu ut potui constituendo nullam
novam viam ingressus sum, rationera Lehmanni fere semper
secutus: nil nisi parvis indieiis unde lectio quaeque dubia originem
duxerit quoque modo Codices adhuc noti inter se constent mon-
strare sum conatus.
Die Auswahl der Lesarten am Fuß der Seiten ist ziemlich
knapp. In der Regel wird da, wo die jetzt giltige Lesart nicht
überliefert ist, sondern auf Konjektur beruht und dem Heraus-
geber nicht völlig gesichert erscheint, ihr Urheber und die hand-
schriftliche Überlieferung angegeben, oft auch eine oder die andere
sonstige Vermutung, die dem Herausgeber beachtenswert erscheint.
In solchen Fällen, wo Überzeugendes noch nicht gefunden zu sein
scheint, steht die Überlieferung im Text, und der Heilungsversuch
oder einige solche in der adnotatio critica. Bei einem solchen
Verfahren, bei dem keinerlei feste Norm maßgebend, vielmehr
alles von dem willkürlichen Ermessen des Herausgebers abhängig
ist, wird der eine dies, der andere jenes vermissen oder für über-
flüssig halten, und es ist sicher, daß diese adnotatio rritica mit
C. F. Muliers reichhaltigen Angaben über die Eigentümlichkeit der
Überlieferung und über die Arbeit der Herausgeber und Erklärer
sich nicht vergleichen kann. Daß aber die Einrichtung der Aus-
gabe übersichtlich und anregend ist, insofern sie die verschiedenen
Überlieferungsquellen und die gegenwärtigen Ergebnisse der Kritgk
anschaulich vor Augen führt, wird jeder gern zugeben.
2) Briefe Ciceros und seiner Zeitgenossen. Heft I. Briefe ans
den Jahren 67— 60 v. Chr. Von Otto Ednard Schmidt. Leipzig
1901, B. G. Tenbner. Einleitung und Text: VI n. 64 S. Erklärungen:
48 S. 8. 1 .€.
Die Herstellung einer neuen Auswahl von Cicerobriefen neben
den vielen derartigen Sammlungen, die wir schon haben, sucht
der Herausgeber damit zu rechtfertigen, daß er aus gewissen
enger begrenzten Lebensabschnitten Ciceros die wichtigeren Briefe
annähernd vollständig geben will, während andere vorziehen, aus
dem gesamten Briefwechsel des Cicero das Wichtigste und An-
ziehendste, sei es nach gewissen Gesichtspunkten oder in chrono-
logischer Folge, zusammenzustellen. Schmidt meint, daß bei
seinem Verfahren dem Schüler ein deutlicherer Begriff der Per-
sönlichkeit Ciceros und der antiken Humanität erwachse, die in
Cicero ihre höchste Blüte erreiche, als bei dem anderen Verfahren,
bei dem gewöhnlich das ganze Leben Ciceros in jähem Fluge
durchmessen werde, der Blick an einigen großen historischen
Momenten hafte und das Beste unbeachtet zu Boden falle. Daß
diese dem anderen Verfahren zugeschriebenen Mängel notwendig
mit ihm verbunden seien, werden die Vertreter desselben wohl
nicht zugeben. Das Leben des Cicero tritt ja den Schülern, die
die Briefe lesen, hiermit nicht zum erstenmal vor Augen. Sie
372 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
haben vielmehr aus den Reden und vielleicht auch aus den philo-
sophischen Schriften schon einiges gelesen und sind deshalb schon
bekannt mit hervorragenden Wendepunkten aus Ciceros Zeit- und
Lebensgeschichte, sowie mit manchen Zögen seiner Denkweise.
Wenn nun ein halbes Jahr darauf verwendet wird, aus den letzten
25 Jahren von Ciceros Leben, die wir aus seinem Briefwechsel
so genau kennen lernen, diejenigen Briefe zu lesen, die vorzugs-
weise geeignet sind, bedeutende Wendungen in der Geschichte
der Zeit und in Ciceros Lebensschicksalen, sowie die Denkweise
Ciceros und seiner Zeitgenossen und ihre Beziehungen zueinander
in helles Licht zu setzen, so wird es gewiß möglich sein, sich
zur Erweiterung und Klärung der bisher gewonnenen Anschauungen
der Schuler so weit zu vertiefen und bei den Einzelheiten so
lange zu verweilen, daß von jähem Fluge keine Rede zu sein
braucht. Ebensowenig ist zuzugeben, daß hierbei das Beste un-
beachtet zu Boden fällt. Vielmehr kann gerade nur bei diesem
den gesamten Briefwechsel berücksichtigenden Verfahren das Wert-
vollste herausgehoben und den Schülern nahegebracht, das minder
Bedeutende beiseite gelassen werden. Es heißt in der Tat das
Interesse des Schülers mit dem des Geschichtsforschers und Philo-
logen verwechseln, wenn man den Schuler den Briefwechsel ein-
zelner Zeitabschnitte will „annähernd vollständig" lesen lassen.
Es kann nicht ausbleiben, daß dabei mancherlei Wiederholungen
und mancherlei für die Zwecke des Unterrichts Unwesentliches
und Unerhebliches mitgelesen und Zeit verbraucht wird, die auf
Besseres verwendet werden könnte. Dies gilt denn auch von
dem vorliegenden, die neue Sammlung eröffnenden Hefte. Es
enthält 26 Briefe aus der Zeit von 67 bis 60 v. Chr. Ob der
Herausgeber meint, daß diese Anzahl von Briefen für die Lektüre
eines halben Jahres genügt, ist nicht zu ersehen. Ebensowenig
erfahren wir, wieviel weitere Hefte noch geplant sind und was
jedes enthalten soll. Dem Textheft geht ein Heft „Erklärungen"
zur Seite.
Die Einrichtung des Textheftes ist folgende. Auf eine Ein-
leitung in sechs Abschnitten folgt der Text der 26 Briefe, darauf
eine Zeittafel für die Jahre 67 bis 60, zuletzt eine Liste der Ab-
weichungen des Textes von der C. F. W. M ü Hers che n Ausgabe.
Die sechs Abschnitte der Einleitung behandeln: 1. Cicero und die
Seinen, 2. T. Pomponius Atticus und die 16 Bücher der Briefe
ad Atticum, 3. Die antike Humanität, 4. Das Briefwesen in Ciceros
Zeitalter, 5. Das Arpinas, 6. Das Tusculanum. Was S. im ersten,
zweiten und vierten dieser Abschnitte über Cicero und sein politi-
sches Ideal, über seine Angehörigen und Verwandten, über Atticus
und das Briefwesen sagt, findet sich im ganzen auch sonst in den
Einleitungen solcher Sammlungen, doch ist anzuerkennen, daß S. auf
Grund seiner eindringlichen Beschäftigung mit den Briefen in der
Lage ist, aus dem Vollen zu schöpfen und manches Eigene zu
Cieeros Briefe, von Th. Schiehe. 373
geben. Der Abschnitt über die antike Humanität beruht auf
Schneidewins bekanntem Werk und soll anregen zum aufmerk-
samen Einblick in diese Denkweise, die, wie S. in Übereinstimmung
mit Schneide win meint, in Cieeros Zeitalter ihren Höhepunkt er-
reicht hat und besonders in seinen Briefen sich bekundet. Auch
in den erklärenden Anmerkungen ist oft von der antiken Humanität
die Rede. Aber derartige Anregungen werden besser dem
Lehrer überlassen. Ebenso kann das wenige, was wir von Cieeros
Villen bei Arpinum und Tusculum sicher wissen und zwar haupt-
sächlich aus seinen Briefen wissen, bei den durch die Lektüre
gegebenen Anlässen zur Sprache kommen. Charakteristisch für
den Mangel an Tatsächlichem, das sich, abgesehen von den nach-
her in den Briefen vorkommenden Einzelheiten, darüber sagen
ließe, sind die Phantasien, in denen sich S., um seinen Mitteilungen
doch einige Bedeutung zu geben, hinsichtlich des Arpinas ergeht
(S. 14 f.): „Das Arpinas hat Cieeros Entwickelung beeinflußt wie
kein anderes seiner Landgüter. Die liebliche Umgebung des Vater-
hauses mit ihren lauschigen Plätzen lockte den feinsinnigen, hoch-
begabten Knaben frühzeitig zu stiller Gedankenarbeit, der Gesang
der Nachtigallen und das Murmeln des Wassers machten sein Ohr
empfänglich für den Wohlklang und den Rhythmus der Rede,
weckte die lebhafte Empfindung für Schönheit und Harmonie, die
kühnen Felshäupter aber, die den Horizont umsäumen, riefen den
leicht Erregbaren nach des Marius Vorbild zu befreiender Tat,
außerdem aber pflanzte der stete Verkehr mit arbeitsamen Land-
leuten und ehrsamen Matronen in ihn den unermüdlichen Fleiß
und die unverrückbaren Ideale von Zucht und Sitte, und der An-
blick ragender Denkmale altitalischer Geschichte, der zyklopischen
Mauern im nahen Arpinum, in Verulae und Aletrium u. a. wob
jene innige Vaterlandsliebe hinzu, die ein Grundzug seines
Wesens war".
Über den Mangel an uns bekannten sicheren Tatsachen können
auch die illustrierenden Beigaben nicht hinweghelfen, die S. zur
Beleuchtung dessen, was er über die beiden Villen sagt, seiner
Einleitung beigegeben hat. Da ist zunächst ein Situationsplan
zum Arpinas. Er ist hier (wie auch die obigen Äußerungen über
Cieeros Arpinas) wiederholt aus Schmidts Abhandlung über Cieeros
Villen in den Neuen Jahrbüchern f. d. klass. Alt., Gesch., u. dtsch.
Lit. Bd. 3 (1899). Darin ist Cieeros Villa mit ihrer räumlichen
Einteilung eingetragen und zwar an zwei Stellen, an deren einer
Cieeros Villa nach Schmidt gelegen haben soll. Tatsächlich ist
die Lage der Villa nicht bekannt, und ebensowenig läßt sich über
ihre Einrichtung etwas Sicheres sagen. Was S. in jener Ab-
handlung darüber glaubt sagen zu können, ist nur eine Anhäufung
von angenommenen Analogieen und willkürlichen Vermutungen
ohne jedes zwingende Ergebnis. Z. B. versichert Schmidt nach
dem Vorgange von Sternkopf (Cieeros Korrespondenz aus den
374 Jahresberichte des Philolog. Vereins.
Jahren 68—60 v. Chr., Elberfeld 1889, S. 22), daß Cicero auf
dem Arpinas ein AmalLheum gebaut habe, und bringt dies in
seinem Situationsplan der arpinatischen Villa an. Wenn Cicero
sich im Dezember 60 in einem Briefe an Atticus über gewisse
Ausstellungen äußert (A II 3, 2), die dieser an einem Bau des
Cicero gemacht habe, so beziehe sich dies auf den Bau des
Amaltheums. Und so heißt es denn jetzt Einleitung S. 14: „Einen
besonderen Schmuck erhielt das Arpinas durch die Anlage eines
Amaltheums, von der uns Cicero in dem Briefe A I 16,18 be-
richtet. Darunter ist ein Heiligtum der Nymphe Amalthea zu
verstehen, die der Sage nach einst den Zeusknaben genährt hatte. . .
Sicherlich enthielt das Heiligtum auch ein Bild der Nymphe44.
Dementsprechend wird dann auch eine Abbildung von einem Relief
gegeben, das sich im Lateranischen Museum in Rom befindet und
von S. für Amalthea mit dem Zeusknaben erklärt wird. Schreiber
(Die hellenistischen Reliefbilder, Tafel XXI) bezeichnet es als
„Pflege des Pankindes", und Heibig (Fuhrer durch die öffentlichen
Sammlungen klassischer Altertümer in Rom S. 440) sagt: „Dar-
gestellt ist eine Nymphe, welche einem vor ihr auf einem Felsen
sitzenden Satyrknaben aus einem großen Hörne zu trinken reicht4'.
Jedenfalls wird der Anblick dieses Bildes dem Schuler Vergnügen
machen. Aber ob Cicero auf dem Arpinas ein Amaltheum hatte,
ist doch sehr fraglich. Er schreibt zwar an Atticus mit Bezug
auf dessen Besitzung in Epirus im Jahre 64 (A I 16, 18): Velim
ad me scribas, cuius modi sü 'ApakSelov tunm, quo ornatu, qua
vonod-eoicfi et, quae poemata quasque historias de ^AiiaX&sia hohes,
ad me mittas; lubet mihi facere in Arpinati. Aus lubet mihi facere
folgt aber doch keineswegs, daß es wirklich auch geschehen ist.
Im Jahre 60, bevor Atticus nach Italien zurückkehrte, schreibt
ihm Cicero: Amalthea mea te eocrpectat et indiget tui (A II 1, 11).
Dieser Ausdruck legt es nicht gerade nahe, daß um diese Zeit
das „Heiligtum der Amalthea44 fertig ist. Wäre dies der Fall, wie
sollte da Amalthea des Atticus noch bedürfen? Dagegen paßt der
Ausdruck sehr gut, wenn aus dem beabsichtigten Bau eines
Amaltheums bisher noch nichts geworden ist. Wie die Ausfuhrung
dieser Absicht noch auf den demnächst aus Griechenland zurück-
kehrenden Atticus warten und seiner noch bedürfen kann, ist auf
mancherlei Weise denkbar. So viel aber zeigen die Worte deut-
lich, daß Cicero bei der Ausfuhrung dieses Planes auf irgend-
welche Mitwirkung des Atticus rechnete. Daraus folgt dann so-
gleich, daß es sich durchaus nicht empfiehlt, die oben erwähnte
Kritik des Atticus an einem Bau des Cicero, über die sich dieser
etwa ein halbes Jahr später gegen Atticus ausspricht, auf den
fertigen Bau des Amaltheums zu beziehen; die nachträgliche Kritik
des Atticus an einem Bauwerk, an dessen Herstellung er mit-
gewirkt hat, ist nicht wahrscheinlich. Irgendwelche weiteren
Äußerungen über ein zu erbauendes oder erbautes Amaltheum
^s
Ciceros Briefe, voo Th. Schiche. 375
liegen nicht vor. Wer es also mit Ciceros Worten genau nimmt,
wie z. ß. W. S. Teuffei in Paullys Realenzykl. I 1 (1864) S. 825,
der kann nur davon sprechen, daß Cicero Lust hatte, sich ein
Amaltheum auf seinem Arpinas anzulegen. Ob es wirklich dazu
kam und gar, wie es ausgesehen hat und welchen Platz es in
Ciceros arpinatischer Villa einnahm, muß zum mindesten durch-
aus dahingestellt bleiben. Es fehlt nun aber nicht an einem sehr
bestimmten Anzeichen dafür, daß Cicero die beabsichtigte Anlage
nicht ausgeführt hat. Wenn irgendwo, so hatte er in den ein-
leitenden Gesprächen zu den Büchern de legibus Veranlassung»
das Amaltheum zu erwähnen, wenn es ein solches auf dem Arpinas
gab. Cicero ist hier außer mit seinem Bruder Quintus auch mit
Atticus im Gespräch, der ja an der Herstellung des Amaltheums
irgendwie beteiligt gewesen sein sollte. Man unterhält sich eingehend
über die Landschaft, in der das Arpinas liegt, und über dieses
selbst. Was lag da näher, als im Gespräch mit dem Freunde
auch des Almatheums zu gedenken, des Ergebnisses gemeinsamer
Erwägungen und Bemühungen, das, wenn es vorhanden war, von
Cicero doch gewiß sehr wertgeschätzt wurde? Statt dessen
hören wir nichts davon. Dagegen sagt Cicero zu Atticus mit Bezug
auf dessen obenerwähnte epirotische Besitzung am Thyamis (de
leg. 11 7): huic amoemtati, quem ex Quinto saepe audio, Thyamis
Epirotes tuus ille nihil, opinor, concesserit. Die Antwort hierauf
gibt Quintus: Est ita, ut dicis; cave mim putes Attici nostri Amaühio
platanisque Ulis quiequam esse praeclarius. Also das Vorbild, nach
dem Cicero ein Amaltheum anzulegen Lust hatte, erwähnt er,
und das eigene sollte er neben allem, was er hier von seinem
Arpinas sagt und sagen läßt, unerwähnt lassen?
Weitere Abbildungen, die S. gibt, sind: die Kirche von San
Domenico bei Isola del Liri; „Gymnasium bzw. Palästra im Garten
einer römischen Villa4' (nach einem pompejanischen Wandbilde);
der Kopf des Cn. Pompeius (Marmorbüste in Paris); ferner noch
aus Pompeji (nach 0 verbeck- Mau) : eine Doppelherme des Bacchus
und der Ariadne, Herme am Apollotempel, Plan der sog. Villa des
Diomedes, Palästra (Overbeck-Mau 4 S. 150), Atrium im Hause
des sog. tragischen Dichters, Atrium im Hause des Cornelius
Rufus.
Die 26 Briefe, die der Text bietet, sind in der Weise in
vier Kapitel eingeteilt, daß in jedem Kapitel den in ihm zusammen-
gefaßten Briefen eine gemeinsame, sachlich einführende und zu-
sammenfassende Einleitung vorausgeschickt wird, wie dies in ähn-
licher Weise auch in anderen derartigen Auswahlen geschieht; nur
ziehen es die Herausgeber der letzteren im allgemeinen vor, die
sachlichen Einführungen den einzelnen Briefen beizugeben. Die
Zeittafel (S. 61 und 62) gibt kurz die Daten der wichtigsten
politischen Ereignisse jener Jahre und der hier aufgenommenen
Briefe. Im letzten Abschnitt des Textheftes (S. 63 und 64) werden
376 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
die Abweichungen des Textes von dem der C. F. W. Müllerschen
Ausgabe angeführt. Da S. die Begründung dieser Abweichungen
später zu geben verspricht, nämlich im ersten Bande seines „Brief-
wechsels des M. Tullius Cicero4* usw., so muß man diese Begründung
abwarten, so gespannt man auch hierauf für manche der auf-
genommenen Lesarten ist. So schreibt z. B. Schmidt A I 1, 2
quae (via Flaminia) cum erit absoluta, sane facile ei ac libenter muni-
cipes ceteri consuli acciderint (Müller: facile eum ac libenter muni-
cipia consulem acceperint); fam. V 6, 2 Omnino semissibus tum
magna copia est (Müller: fOmni semissibus magna copia est)\
A 1 13, 1 quae fuerunt omnes rhetoris, tarn pure loquuntur (Müller:
quae fuerunt omnes, ut rhetorum pueri loquuntur).
Das Heft „Erklärungen" ist in »achlichen Erörterungen reich-
haltig und meist zutreffend. Die sprachliche Erklärung dagegen
reicht insofern nicht aus, als vieles unerklärt bleibt, was der Er-
klärung bedarf. Wo sie gegeben wird, geschieht es vorzugsweise
in der Form, daß für einzelne Worte oder Wortkomplexe einfach
die fertige deutsche Übersetzung angegeben wird.
Im ganzen wird, wenn man gerade die hier gegebenen Briefe
mit seinen Schülern lesen will, die vorliegende Bearbeitung dieser
Briefe gute Dienste leisten.
3) Ausgewählte Briefe ans cicer oaische r Zeit. Herausgegeben
vod C. Bar dt. Hilfsheft: Zar Technik des Obersetzeos. Leipzig
1901, B. G. Teubner. IV a. 67 S. 8. 0,60 Jt-
Den von G. Bardt ausgewählten und kommentierten Briefen
(vgl. JB. XXV S. 317 «F. und XX VII S. 222 ff.) schließt sich als
dritter Bestandteil des ganzen Werkes dieses Hilfsheft an. Es
hat jedoch einen allgemeineren Inhalt, als der Anschluß gerade
an diese Briefsammlung voraussetzen läßt. Jene Briefe und die
von B. für sie gegebenen Erklärungen und Verdeutschungen geben
nämlich nur die Beispiele her für eine kurze Darlegung der Grund-
sätze, die man zweckmäßigerweise beim Übersetzen befolgen wird,
wenn aus klassischem Latein gutes Deutsch werden soll. In der
Tat wird denn auch nicht bloß jeder, der die Briefe Giceros mit
seinen Schülern liest, sondern überhaupt jeder, der aus dem
Lateinischen ins Deutsche übersetzen läßt, das vorliegende Heft
mit Interesse und mit Vergnügen lesen und für seine Arbeit in
der Schule daraus Gewinn und Anregung schöpfen. Auch kann
es als Muster dafür gelten, wie man aus der Lektüre dasjenige
stilistische Material gewinnt, das für die Übersetzung aus dem
Deutschen ins Lateinische erforderlich ist. Denn mit Recht be-
merkt der Verf. im Vorwort: „Lateinische Stilistik kann zur Zeit
auf preußischen Schulen nur noch so gelehrt werden, daß der
Ertrag der Lektüre direkt in den Dienst des Lateinschreibens
gestellt wird, aber das wird auch geschehen müssen, wenn die
lateinischen Scripta mehr sein sollen als grammatische Repetitionen,
Ciceros Briefe, von Th. Schiche. 377
wenn sie vielmehr durch Umgestaltung des Satzbaus und des
Ausdrucks eine der Prima würdige Geistesgymnastik darbieten
sollen".
4) Ausgewählte Briefe Giceros. Herausgegeben nod erklärt von Einil
G seh wind. Leipzig and Berlin 1903, B. G. Teabuer. Einleitung
and Textheft. IV a. 99 S. Kommentar und Verzeichnis der Eigen-
namen and Abbildungen. 75 S. 8. \,20 JC.
Vorliegende Auswahl von Briefen Ciceros gehört einer Samm-
lung an, die von dem Teubnerschen Verlag herausgegeben wird
unter der Bezeichnung „Meisterwerke der Griechen und Römer
in kommentierten Ausgaben14. Als Zweck dieser Sammlung wird
auf dem Umschlag angegeben: nicht nur den Schülern der oberen
Gymnasialklassen, sondern auch angehenden Philologen sowie
Freunden des klassischen Altertums, zunächst zu Zwecken privater
Lektüre, verläßliche, nach gemeinsam vereinbarten Grundsätzen
verfaßte und die neuesten Fortschritte der philologischen Forschung
verwertende Texte und Kommentare griechischer und lateinischer,
von der Gymnasiallektüre selten oder gar nicht berücksichtigter
Meisterwerke darzubieten. Von den zwei Heften, in die die vor-
liegende Auswahl zerfallt, enthält das eine die Einleitung und den
Text der Briefe, das andere den Kommentar. Die Einleitung
handelt vom Brief nach der Anschauung der Alten und von den
inhaltlich verschiedenen Arten der Briefe, sodann von der bei
Cicero üblichen Form ihrer Abfassung, ferner von den Äußerlich-
keiten des Briefwesens. Ein vierter Abschnitt ist überschrieben:
Sammlung der Briefe Ciceros. Hier gibt der Herausgeber die Zahl
der erhaltenen Briefe an, sowie, welche Sammlungen uns erhalten
und welche verloren gegangen sind. In Mitteilungen darüber, wie
sich die Briefe auf die einzelnen Jahre verteilen, finden sich auf-
fallende Unrichtigkeiten. Man liest hier die Sätze: „Der älteste
datierbare Brief (ad fam. V 1) stammt aus dem Jahre 62" ;
„es sind demnach nur aus den letzten 18 Lebensjahren Briefe er-
halten" ; „am stärksten ist das Jahr 46 (mit 86 Briefen)
und die letzten sechs Monate seines Lebens (mit 75 Briefen),
dann die Jahre 51 und 50 (mit 39 und 40 Briefen) vertreten".
Der Herausgeber spricht hier von den Briefen im allgemeinen,
während die Zahlenangaben nur auf die Briefe ad fam. allenfalls
passen, wenn die von Koerner und 0. E. Schmidt herrührende
chronologische Tabelle in Mendelssohns Ausgabe zugrunde gelegt
wird. Nur wenn man es außer acht läßt, daß die elf ersten Briefe
an Atticus noch vor dem Konsulatsjahr liegen und daß der älteste
dieser Briefe (A I 5) im Jahre 68 geschrieben wurde, kann man
behaupten, daß nur aus den 18 letzten Lebensjahren Ciceros Briefe
erhalten sind. Ebenso sind bei den Zahlen für die Jahre 51, 50
und 46 die Briefe an Atticus unberücksichtigt geblieben. Und
nur wenn man die Zeit vom Januar bis Juli 43, der bei Mendels-
sohn die letzten 75 Briefe zugewiesen sind, für Ciceros letzte
Jahresbericht« XXX. 25
378 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Lebenszeit hält, kann man behaupten, daß 75 ßriefe in die letzten
sechs Monate von Ciceros Leben fallen. Doch sind dann hier
wieder die Briefe an und von M. Brutus aus dieser Zeit nicht
mitgerechnet, die vielmehr Gschwind ebenso in Rechnung zu setzen
verabsäumt, wie vorher die an Atticus. Diese Dinge werfen ein
eigentümliches Licht auf des Herausgebers Kennerschaft und Sorg-
falt, ihre Erklärung aber finden sie in folgendem: er hat nicht
selbst in Mendelssohns Tabelle nachgezählt — es hätte sich ihm
sonst die Wahrnehmung aufdrängen müssen, daß diese Tabelle
nur für die Briefe ad familiäres gilt — , sondern aus einem weiter-
hin zu besprechenden Aufsatz L. Gurlitts „über die Entstehung
der Ciceroniscben Briefsammlungen" geschöpft, dabei aber die
Kleinigkeit übersehen, daß der Abschnitt, den er zum Teil auch
im Ausdruck übereinstimmend exzerpiert, bei Gurlitt (Neue Jahr-
bücher 1901 S. 533) beginnt mit den Worten: „Sehen wir zu-
nächst von den Epistulae ad Atticum ab"!
Ausführlicher, als man es für eine kleine Auswahl von Briefen
erwarten würde, geht G. auf die Frage ein, wie die vorhandenen
Briefe Ciceros gesammelt wurden, und teilt aus den Erörterungen,
die darüber neuerdings gepflogen worden sind, einiges mit. Auch
hier findet sich eine auffallende Ungenauigkeit. Als Beispiel
dafür, daß Cicero von wichtigeren Briefen Atticus Abschriften
geschickt habe, führt G. außer einem Brief an Pompeius (A III
8, 4) auch einen an Lucceius an. Es heißt nämlich A IV 6, 4:
Epistulam, Lucceio [nunc] quam misi, qua meas res ut scribat, rogo,
fac ut ab eotsumas (valde bella est) eumque, ut adproperet, ad-
horteris cet. Man sieht, daß Cicero dem Atticus nicht eine Ab-
schrift seines Briefes an Lucceius übersendet, sondern ihn auf-
fordert, sich den Originalbrief von Lucceius zum Lesen geben zu
lassen. Auch hier erklärt sich die Sache dadurch, daß Gschwind
einen Irrtum Gurlitts in derselben Abhandlung (S. 539) wieder-
holt, statt selbst nachzuprüfen.
Das Textheft bietet dann 44 Briefe, und zwar nur solche
Ciceros, nicht auch Briefe an ihn. Wenn dies für eine weniger
umfangreiche Sammlung im ganzen das Richtige ist, so ist es
doch ein fühlbarer Mangel, wenn der Herausgeber zwar Ciceros
Antwort auf des Servius Sulpicius berühmtes Beileidsschreiben
vorlegt, dieses selbst aber nicht. Die Anordnung ist die historisch-
biographische. Am Schluß des Heftes sind die ziemlich zahl-
reichen Abweichungen vom Texte C. F. W. Müllers zusammen-
gestellt.
Der Kommentar befleißigt sich einer gewissen Knappheit, ohne
deshalb dürftig zu sein. Er ist vorzugsweise auf das Sachliche
gerichtet, wie denn auch der Erklärung eines jeden Briefes kurze,
in seinen Inhalt einführende Vorbemerkungen vorausgeschickt
werden. Was dem Herausgeber besonders beachtenswert erscheint,
hebt er durch fetteren Druck hervor. Daß er für die Erklärung
Ciceros »riefe, von Th. Schiche. 379
die besten Hilfsmittel benutzt, ist naturlich. Insbesondere ist der
Einfluß einer so guten Arbeit, wie es Bardts „Briefe aus cicero-
nischer Zeit" sind, unverkennbar. So zeigt sich auch eine gewisse
Verwandtschaft mit diesem Werke in der Hervorhebung wichtigerer
Stellen der Brieftexte durch gesperrten Druck, sowie darin, daß
acht Münzbilder, die schon bei Bardt zu sehen sind, auch von G.
an verschiedenen Stellen des Kommentars vorgelegt und, wie bei
Bardt, am Schluß des Kommentarheftes kurz beschrieben werden.
Dieses Heft enthält auch noch ein Verzeichnis der Eigennamen
mit sehr kurzen Erklärungen.
Es läßt sich annehmen, daß die vorliegende Arbeit den Zweck,
für den sie bestimmt ist, erfüllen wird. Die Ausstattung des
Werkes ist vorzuglich. Sie wird dazu beitragen, den Benutzern
dieser Sammlung die Beschäftigung mit ihr angenehm zu machen.
5) Aaswahl aas Ciceros Briefen. Für deu Schulgebrauch mit sach-
lichen Einleitungen zu allen Schreiben herausgegeben von Adolf
Lange. Zweite Auflage. Paderborn 1901, F. Schöningh. 184 S. 8.
geb.
Die Auswahl enthält 83 Briefe, und zwar solche, die einen
wichtigen Beitrag für die Charakteristik des Cicero selbst, seiner
bedeutendsten Zeitgenossen oder der Zeitverhältnisse liefern. Sie
sind chronologisch geordnet, beginnen also mit ad fam. V 2 vom
Anfang des Jahres 62 und schließen mit ad fam. XU 10 aus dem
Juli 43. Nicht alle Briefe jedoch werden vollständig gegeben.
Vielmehr ist minder Wichtiges und Unverständliches weggelassen,
soweit es ohne Schaden für den Zusammenhang geschehen konnte.
Den einzelnen Briefen sind, wie schon der Titel angibt, sachliche
Einfuhrungen beigegeben, und dem Ganzen ist eine Einleitung
vorausgeschickt, die von der Herstellung und Beförderung der
Briefe zur Zeit Ciceros handelt, ferner von seinem Briefwechsel,
von seiner Persönlichkeit, seiner Familie und seinen Vermögens-
verhältnissen, von seinen Schriften, von seinem Bruder Quintus,
von Atticus und von den üblichen Formeln des lateinischen Brief-
stils: alles zwar kurz, aber für die Einleitung zu einer solchen
Auswahl von Briefen ausreichend. Nimmt man hinzu, daß im An-
hang eine tabellarische Übersicht über die wichtigsten Ereignisse
in Ciceros Lebenszeit und ein Namensverzeichnis mit kurzen Er-
klärungen gegeben wird, so bestätigt sich die Vermutung, zu
welcher der im Jahre 1900 erschienene Kommentar zu dieser
Auswahl Anlaß gab (s. JB. XXVII S. 226 f.), daß das Textheft
reichlich sachliche Beigaben enthält. Die Ausstattung, besonders
des Textheftes, ist gut, und vermutlich wird sich diese Auswahl
ebenso gut bewähren wie manche andere von gleicher Art.
25*
380 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
6) Aasgewählte Briefe Cieeros. Für den Schulgebrauch erklärt von
Joseph Frey. Sechste Auflage. Leipzig und Berlin 1901, B. G.
Teubner. Textheft VI II u. 166 S. Anmerkungen 130 S. 8. 2,20 JL.
Vorliegende Auswahl gehört zu den älteren Sammlungen, die,
-wie das Erscheinen der sechsten Auflage beweist, fortdauernd ge-
schätzt werden. Sie unterscheidet sich von den neueren Arbeiten
dieser Art insofern, als diese fast ausnahmslos die Briefe in chrono-
logischer Folge bieten, Frey dagegen sie nach den Empfangern
geordnet vorlegt und erst in zweiter Linie die chronologische Folge
berücksichtigt, So werden die hier ausgewählten Briefe in vier
Bucher geteilt. Das erste betrifft Cicero und seine Familie und
enthält demgemäß 11 Briefe an Terentia, die zum Teil gleichzeitig
an Sohn und Tochter gerichtet sind, dann fünf durch den Tod
der Tuliia veranlaßte Briefe, einen Brief des jüngeren M.Cicero
an Tiro, drei Briefe Cieeros au seinen Bruder, endlich 11 Briefe,
die den Tiro betreffen, nämlich zehn an ihn gerichtete und den
Brief des Q. Cicero an Marcus, der Tiros Freilassung betrifft (ad
fam. XVI 16). Unter den drei Briefen Cieeros an seinen Bruder
befindet sieb auch ad Qu. fr. I 1, das Sendschreiben über Pro-
vinziaiverwaltung, das man nicht leicht in einer andern derartigen
Sammlung finden wird. Das zweite und dritte Buch zeigt uns
Cicero im Verkehr mit Freunden und Staatsmännern. An der
Spitze des zweiten Buches stehen 12 Briefe an Atticus, es folgen
solche an Trebatius, Curio usw. Das dritte Buch wird eröffnet
mit C. Julius Caesar; wir erhalten drei Briefe Cäsars an Cicero
und einen Cieeros an Cäsar. Es folgen Briefe an Paetus, Varro,
Nigidius Figulus u. a. Das vierte Buch ist überschrieben: „Cicero
und die Gegner der cäsarianischen Partei"; es enthält Briefe an
D. Brutus, Munatius Plancus, Q. Cor nitidus und C. Cassius. Vor
jeder an eine dieser Personen gerichteten oder doch sie be-
treffenden Briefreihe erhalten wir eine Charakteristik der betreffen-
den Persönlichkeit und Angaben über Cieeros Beziehungen zu ihr.
Im ganzen sind es 131 Briefe, so daß der engeren Wahl des
Lehrers reichlich Spielraum gelassen ist. Gewissermaßen als Er-
satz für die chronologische Anordnung ist dem Text der Briefe
eine nach Jahren geordnete, ziemlich eingehende Übersicht über
die Zeitgeschichte von Cieeros Konsulat bis zu seinem Tode vor-
ausgeschickt. Eine das Textheft eröffnende Einleitung enthält die
üblichen Angaben über Cieeros Briefwechsel mit besonders ein-
gehenden und guten Bemerkungen über den Wert dieses Brief-
wechsels. Die mit Becht in einem besonderen Hefte gedruckten
Anmerkungen sind, wie die sachlichen Einführungen des Text-
heftes, zweckmäßig und zuverlässig.
7) M. Tulli Ciceronis epistulae selectae. Nach Text nnd Kommentar
getrennte Ausgabe für den Scbulgebrauch von P. Dettweiler. Dritte
Auflage. Gotha 1901, F. A. Perthes. Erste Abteilung: Text X u.
98 S. Zweite Abteilung: Kommentar. IV u. 120 S. 8.
Die zweite Auflage dieser Sammlung von Cicerobriefen habe
Ciceros Briefe, von Th. Schiehe. 381
ich angezeigt JB. XXV (1899) S. 321 f. mit dem Ergebnis, daß
sich das Buch im Unterricht als recht brauchbar erweisen dürfte.
Die Veränderungen, die die dritte Auflage erfahren hat, bestehen
zunächst in einigen Erweiterungen, die auf Anregung von Peters
Werk über den Brief in der römischen Literatur in der (dem
Kommentarheft vorgedruckten) Einleitung vorgenommen sind. Die
Zahl der aufgenommenen Briefe ist dieselbe geblieben, nur ist
statt des Briefes des Matius und Trebatius an Cicero vom
23. März 49 (A IX 15 A) jetzt der Brief Ciceros an Cäsar vom
20. März 49 (A IX IIA) aufgenommen, was gewiß zu billigen ist.
Der Kommentar weist einige Zusätze, sonst aber nur geringe, zum
Teil durch neue Lesarten hervorgerufene Veränderungen auf. So
liest D. jetzt A XIV 14, 1 de rhetorum more Puteolano (mit Gurlitt,
s. JB. XXVI! S. 235 f.; früher: de more Puteolano); ad fam. IX
16,7 Quem tu mihi Popilium, quem denarium narrasl (mit den
Hss.; früher: quem tu mihi Pompilum, quem thynnum narras?);
A X 8, 5 Omnino potuimus? (mit den Hss. ; früher : Omnino non
potuimus.); A IV 1, 1 nee etiam pro praeterita mea in te observantia
(mit Bosius; früher: me etiam propter meam in te observantiam);
ad Q. fr. I 4, 1 amicorum aut cautum meum consilinm defuit (mit
Frederking, s. JB. XXVII S. 232; früher: amicorum paueorum, in-
cautum meum consilium fuit).
8) Präparatiou |zu Ciceros Briefeu in Auswahl. Von L. Gurlitt.
Hannover 1902, Norddeutsche Verl a^sa ostalt. (Krafft und Raokea
Praparatiouen für die Schullektüre, Heft 72.) 49 S. 8. 0,80 JC.
„Diese Präparation'4, sagt der Verfasser, „schließt sich an
keine bestimmte Schulausgabe an, umfaßt aber nur solche Briefe,
die in den verbreitetsten Schulausgaben Aufnahme gefunden haben41.
Es sind 87 Briefe ausgewählt. Die Form der Präparation ist,
wie bei den andern Arbeiten derselben Sammlung, die des Voka-
bulars mit einzelnen sachlichen Bemerkungen. Ein derartiges
Hilfsmittel dürfte für die Vorbereitung der Schüler zweckmäßiger
sein als so mancher erklärende Kommentar. Denn es ist besser,
dem Schüler in elementarer Form gleichmäßig das nötige Wort-
verständnis an die Hand zu geben und ihm so das eigene Ein-
dringen in den zu lesenden Text zu ermöglichen, als entweder
mit allzu ausführlichen Kommentaren neben dem Eindringen in
den Text ihm die Bewältigung der Anmerkungen aufzuerlegen
oder, wenn Kürze angestrebt wird, mit fertigen Übersetzungs-
bruchstücken ihm für einen Teil des Textes das eigene Eindringen
zu ersparen, für den Best aber ihn im Stich zu lassen. Übrigens
wird in der vorliegenden Arbeit bei einer neuen Auflage hier
und da eine Vokabel hinzuzufügen, manches einzelne aber nach-
zuprüfen sein, z. B. ob ad fam. IX 2, 1 (dem et idem die richtige
Lesart ist, ob ebenda § 4 mit ibidem das Tusculanum gemeint ist,
ob ad fam. VII 3, 6 longius fit bedeuten kann „es wird zu um-
fangreich44, ob ad fam. VI 6, 7 sinister „unglücklich14 bedeutet, u. a.
382 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
B. Abhandlungen.
9) U. Ph. Boissevaio, Ad Cic. ad Att. I 2,1. Feeatbuadel Prof. Boot.
Leiden 1901, S. 199-202.
Ad Att. i 2, 1 will B. lesen: Z. Mio Caesare C. Marcio Figulo
consulibus (et} filiolo me auctum scito. Salva Terentia. Abs te tarn
diu cet. Kurz zusammenfassend habe Cicero so die Wahl der
ihm für 64 erwünschtesten Konsuln und die Geburt seines Sohnes
dem Freunde angezeigt. Im vorangehenden Brief (A I 1, 2) hatte
er Cäsar und Thermus als die ihm für 64 erwünschten Konsuln
bezeichnet, Thermus aber und C. Harcius Figulus seien identisch.
Der eine Konsul des Jahres 64 habe nämlich vollständig C. Marcius
Figulus Thermus geheißen, indem Minucius Thermus von C. Marcius
Figulus adoptiert worden sei; bei dem Chronographen vom Jahre
354 laute die Angabe der Konsuln für 64 v. Chr.: Cesare et Turmo.
Vgl. JB. XXVII S. 245.
10) E. Breccia, Cicerone ad Attico I 1,2. Bollettioo di filol. class.
VII (1900—1901) S. 254—256.
Im Jahre 65 äußert sich Cicero A I 1, 2 über sein Interesse
an den Bewerbern um das Konsulat für 64 in folgender Weise:
Nostris rationibus maxime condueere videtur Thermum fieri cum
Caesare. Nemo est enim ex iis qui nunc petunt, qui, si in nostrum
annum reciderit, firmior candidatus fore videatur, propterea quod
curator est viae Flaminiae. Quae cum erit absoluta, sane facile
eum ac libenter municipia consulem acceperint. So C. F. W. Müller
„duce fere Kochio progr. Futb. 1855 p. 11 (fortasse melius erat
absoluta sane facile, eum libenter)". Überliefert ist aber: que cum
(tum Z) erit abs. sane fac. eum libenter nunc ceteri (nuntiteri M
in marg., nuntiteri Z) consuli (conciliZ) acciderim (acciderunt Z) M.
Unter den mancherlei Verbesserungsversuchen, die Müller angibt,
lautet der des Manutius: quae tum erit absoluta sane facile; eum
libenter nunc Caesari consulem addiderim. Breccia vermutet: Quae
tum erit absoluta sane facile. Eum libenter nunc altert consuli
addiderim. Diese Lesung dürfte vor allen anderen Vermutungen
den Vorzug verdienen, weil sie einen guten Sinn gibt und sich
von der Überlieferung nur wenig enfernt. Nur wird es zweck-
mäßig sein, den Relativsatz eng an das Vorhergehende anzu-
schließen.
11) F. Bücheier, Couiectanea. Rhein. Mas. LVII (1902) S. 326 f.
Kurz bevor Varro durch Atticus das Widmungsexemplar von
Ciceros Academica posteriora amt dem uns erhaltenen Begleit-
schreiben erhielt, schreibt Cicero als dieses Begleitschreiben Atticus
schon zugegangen war, an Atticus (XIII 25, 3): Sed, quaeso,
epistula mea ad Varronem valdene tibi placuit? Male mi sit, si
umquam quicquam tarn enitar. Ergo ne Tironi quidem dictavi, qui
totas n€Qio%äq persequi solet, sed Spintharo syllabatim. So nach
Ciceros Briefe, von Th. Schiebe. 383
der Ausgabe von C. F. W. Möller. Es ist aber statt enitar ergo
ne überliefert: enüar ergo at ego ne. B. meint: Miratur Cicero,
amico suam ad Varronem epistulam perplacuisse. Von einer
solchen Verwunderung ist in den Worten Ciceros nichts zu finden.
Dieser schreibt vielmehr: „Doch wie ist es mit meinem Brief an
Yarro? Hat er dir nicht sehr gefallen ?" In der Tat mußte Cicero
erwarten, daß ein Schreiben, welches er Silbe für Silbe diktiert,
damit der Schreiber an seinen Worten nichts andere, des Freundes
Beifall finde. Er hat lange geschwankt und gezweifelt und mit
Atticus darüber verhandelt, wie Varro wohl das Werk aufnehmen
werde. Nun soll die Übergabe vor sich gehen, und das Begleit-
schreiben soll möglichst zu einer guten Aufnahme beitragen. Daß
er sich da mit diesem Schreiben viele Muhe gibt, ist doch einzig
naturlich, und jenes genaue Diktieren ist der Beweis dafür, daß
er es tat. So ist mir denn unverständlich, was B. in der Stelle
finden will, wenn er fortfährt: adfirmat se non multum laboris
aut operae in eam impendisse, und wenn er diese Auffassung in
die Stelle hineinemendiert mit der Vermutung, es sei zu lesen:
male mi sit, si umquam quicquam tarn iv naQ&Qyw. at ego ne
Tironi quidem — . Vielmehr hat Möller mit Recht Boot zugestimmt,
der at ego als in den Text gedrungene Angabe einer Variante für
ergo (at ego = at ego = alias ego) ausmerzte, und Cicero schrieb:
„Hol mich der ... ., wenn ich mir je wieder mit etwas so viel
Mühe gebe. Dementsprechend habe ich den Brief auch nicht dem
Tiro diktiert, der ganze Perioden zusammenzufassen pflegt, sondern
Silbe für Silbe dem Spintharus".
12) Lorenzioa Cesano, L'Amaltheum di Cicerone. Ateoe e Roma
IV (1901) Sp. 310— 313.
Mit 0. E. Schmidt (N. Jahrb. 1899 S. »40 ff.) hält die Ver-
fasserin es für selbstverständlich, daß sich auf Ciceros arpinati-
schem Landgut ein Amaitheum befand. Wie wenig wir zu dieser
Annahme berechtigt sind, ist oben (8. 374 f.) gesagt. Wenn sich
aber Cicero nach dem Amaitheum des Atticus auf dessen epiroti-
schem Landgut und nach der zoito&sata dieser Anlage erkundigt
(A I 16,18). so lehnt die Verf. mit Becht die Vorstellung ab,
die sich Schmidt (S. 341 und 342) von einem solchen Amaitheum
macht; es sei nicht zu denken ad una basilica in una villa,
basilica poi di una forma specialissima colla nicchia di sfondo
dipinta ed altri accessori del tutto estranei ad una tale costruzione
in ogni senso bene caratterizata nelT edilizia romana, auch nicht
an Landschaftsmalereien an den Wänden eines solchen Baues, wie
denn in der Tat die Platanen, von denen Cicero de leg. II 7
spricht (s. oben S. 375) nicht gemalte, sondern wirkliche Platanen
waren. Die Verf. selbst erklärt die Frage Ciceros: qua xonoSsaiq
sit *ApaX&sTov tuum mit den Worten: dove Thai costrutto e
come ne hai disposte le parti?
384 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
13) A.C. Clark, Anecdota Parisiensia ad libros epistalarnm ad
Atticam ToroaesiaDam et Crusellinum. Philologos LX (1901)
S. 195— 216.
Diese sehr dankenswerte Arbeit zur Überlieferungsgeschichte
der Atticusbriefe zerfällt in drei Teile.
Der erste Teil behandelt die Frage, inwieweit Simeo Bosius *)
in seinen Angaben über die Lesarten des Tornaesianus (= Z) ge-
wissenhaft ist, und zwar auf Grund einer Vergleichung der in Paris
aufbewahrten Handschrift des Bosius von einem Teil seiner An-
merkungen zu den Atticusbriefen mit seiner im Druck erschienenen
Ausgabe und mit den Angaben Lambins. Das Ergebnis ist folgen-
des (S. 198): Summa religione egisse videtur Bosius in lectionibus
e Z afferendis, ut par erat iu codice, quo alii usi erant quemque
ipse ad Io. Tornaesium, typographum clarissimum Lugdunensem,
cuius erat, mox redditurus erat.
Im zweiten Abschnitt teilt C. diejenigen Lesarten des Tornaesianus
mit, die sich Turnebus in einem Exemplar der editio Stephaniana
zu den Buchern XIV bis XVI notiert hatte. Es ergibt sich
folgendes (S. 207): Cum lectiones gravioris momenti plerumque e
Lambini et Bosii testimoniis iam notae sint, sequi tur eos diligentius
rem egisse neque multum quod bonae frugis esset reliquisse, adeo
ut codicis deperditi desiderium aequiore animo ferre possimus.
C. hebt einige besonders bemerkenswerte Lesarten des Tor-
naesianus hervor. So ist XVI 7, 4 mit Z zu lesen: nam si a
Phaedro nostro esses (esse M), expedita excusatio esset, eine Lesart,
die man unbeachtet gelassen hat, obgleich Turnebus sie in den
Adversarien veröffentlichte. Ferner hat Z XIV 9, 1 0 Socrate
(Socrates M) et Socratici viri; 10, 1 haec et talia (alia M) ferre
non possum; XV 4, 1 idem (om. M) mihi duas a te epistulas; 15, 2
Reginam odi. id me (Reginam odit me M) iure facere; 26,1
Tabellarius Me quem tibi dixeram me ad Rrutum esse missurum
(missum M).
Zu den Lesarten des Tornaesianus fugt Turnebus bisweilen
eigene Vermutungen hinzu. Auch von diesen hebt C. einige her-
vor. Ich führe davon folgende an: XV 26, 4 paucos pedes (so
auch Madvig; paucos spe M, paucos pe Z); ib. 5 neque mihi aquam
(quam M Z) esse tanti; XVI 7, 5 intellegebant (sonst intellegebam)\
11,1 sine allio (vaüo cod.) Luciliano.
Zu den Büchern I — XIII hat Turnebus Lesarten des Tor-
naesianus nicht notiert, wohl aber einige Vermutungen, von denen
er die besten in den Adversarien veröffentlicht hat. Von den
nicht veröffentlichten teilt C. eine Anzahl mit.
Der dritte Teil von Clarks Arbeit betrifft den Stephanus
Baluzius. Dieser hatte in einem Exemplar der Ausgabe des Simeo
]) Ciceroiris epistulae ad Atticam ed. Simeo Bosius. Ratiasti Lemovi-
cum 1580.
Ciceros Briefe, von Tb. Schiehe. 385
Bosius für Gracvius die Bemerkungen ausgeschrieben, die Bosius
selbst noch in einem Exemplar seiner Ausgabe beigeschrieben
hatte. Graevius bat, wie sich herausstellt, jene Bemerkungen
sorgfältig abdrucken lassen, und zwar meist in den Addenda et
corrigenda. Jene Arbeit des Baluzius aber ist in Paris erhalten.
Und hier erklärt Baluzius zu der Stelle des Bosius, wo dieser
▼on seinem über Crusellinus spricht („in pagina secunda anno-
tationum" Clark): „Hirne Crusellii codicem ego vidi Ratiasti
Lemovicum inter libros Sim. Bosii". Nach der eigenen Angabe
des Bosius war sein Crusellinus ein codex excusus Lugduni, also
ein Exemplar der editio Gryphiana, die 1545 /um erstenmal er-
schien; Crusellius aber hatte darin angeblich Lesarten aus einer
sehr wertvollen Hs. an den Rand geschrieben. Nun ist in dem
Katalog der Bibliothek des Baluzius unter Nr. 8665 verzeichnet:
Ciceronis epistolae ad Atticum, Lugduni 1545, cum notis et
emendationibus mss. manu Simeonis Bosii. Also, schließt Clark,
hat sich entweder nachträglich bei Baluzius selbst oder doch bei
demjenigen, der nach seinem Tode den Katalog seiner bächer
anfertigte, die Erkenntnis eingestellt, daß jene angeblichen Rand-
notizen des Crusellius von Bosius selbst herröhrten.
14) L. Garlitt, Die Entstehung der cicerooischen Briefsamm-
luogea. Neue Jahrbücher 1901 S. 532—558.
Während H. Peter (Der Brief in der römischen Literatur,
s. unten) die Briefe ad fam. als ursprunglich nach bestimmten
Gesichtspunkten ausgewählt und geordnet ansieht, sucht G. in der
vorliegenden Abhandlung zu erweisen, daß Tiro für die Veröffent-
lichung aller der Briefe, die er abgesehen von den an je einen
Adressaten gerichteten Sondersammlungen habe aufbringen können,
ebenso wie für diese Sondersammlungen Vollständigkeit erstrebt
habe, und daß das Ergebnis seiner Bemühungen für uns in dem
corpus ad familiäres vorliege. Daß dies dem Ideal von Vollständig-
keit so wenig zu entsprechen scheint, sucht G. zu erklären, in-
dem er zunächst die Annahme, daß Cicero von seinen Briefen
Konzepte angefertigt oder Abschriften genommen und diese Ab-
schriften oder Konzepte der von ihm geschriebenen Briefe ebenso
wie die Briefe seiner Korrespondenten in einem Hausarchiv auf-
bewahrt habe, erheblich einschränkt. ,,Wäre es die Regel ge-
wesen, daß Cicero Briefkonzepte schrieb, seine Briefabschriften
lange Zeit aufhob, auch Briefe von seiner Korrespondenten Hand
in seinem Archive bewahrte, so würde Tiro imstande gewesen
sein, auch aus den vor 46 liegenden Jahren reiche Bestände zu
publizieren. Es wäre unerfindlich, weshalb er aus dem Jahre 48
nur sieben, aus dem Jahre 52 nur fünf, darunter zwei Empfehlungs-
briefe, in unsere Sammlung aufgenommen haben sollte" (S. 544).
Ob nun aber Tiro das Streben nach Vollständigkeit wirklich immer
gehabt hat, wird zweifelhaft, wenn man ad fam. XVI, die Tiro-
386 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
briefe, ins Auge faßt. G. meint freilich, auch hier habe Tiro
alles mitteilen wollen, „was erreichbar war" (S. 550), also doch
wohl alles, was er irgend an Briefen besaß, die Cicero an ihn
gerichtet hatte. Denn diese Briefe waren ihm doch wohl alle
„erreichbar". Daß aher wirklich Cicero nur diese 22 Briefe —
so viele sind in jenem Buch von M. Cicero an Tiro gerichtet —
an seinen Tiro geschrieben haben sollte und sonst keine, ist ganz
undenkbar, selbst wenn man nur die Zeit von Tiros Freilassung
im Jahre 53 bis zu Ciceros Tod in Anschlag bringt. Es kämen
so durchschnittlich nur zwei, höchstens drei Briete aufs Jahr. G.
geht freilich in der Annahme, daß wir alle Briete Ciceros an Tiro
haben, so weit, zu behaupten : „Wir lernen aus dieser Vollzählig-
keit genau die Zeiten kennen, in denen Tiro von Cicero getrennt
war'4. Daß jene Annahme aber nicht zutrifft, sieht man aus
Fällen folgender Art. Ende Juli 50 schreibt Cicero in Cilicien
an Atticus (VI 7, 2): Tiro ad te dedisset litteras, nisi eum graviter
aegrum Issi reliquissem. Sed nuntiant melius esse. Ego tarnen
angor; nihil mim illo adulescente castius, nihil diligentius. Daß
Cicero, von dem wir eine Anzahl höchst liebevoller und teil-
nehmender Briefe an Tiro haben, die in Krankheiten des letzteren
geschrieben wurden, auch in jener Zeit der Trennung und Krank-
heit an ihn geschrieben habe, darf man mit Sicherheit annehmen.
Und doch liegen Briefe Ciceros an Tiro aus dem Juli oder August 50
nicht vor. — Ad fam. XVI 24, 1, gegen Mitte November 44,
schreibt Cicero an Tiro: Etsi mane Harpalum miseram, tarnen,
cum höherem, cui rette darem litteras, etsi novi nihil erat, isdem
de rebus volui ad te saepius scribere. Also am Morien des Tages,
an dem dieser Brief geschrieben wurde, hatte Cicero schon mit
Harpalus einen Brief an Tiro abgehen lassen, der uns nicht er-
balten ist. Cicero war damals vom 10. November bis um die
Nonen des Dezember in Arpinum, Tiro aber in Rom (A XVI 13a, 1 ;
ad fam. XVI 24; A XVI 15, 5), in Anspruch genommen durch
Ciceros wirtschaftliche Sorgen und beauftragt mit genauer Bericht-
erstattung auch über die öffentlichen Angelegenheiten (ad fam.
XVI 24, 2). Wenn wir nun, wie soeben bemerkt, sehen, daß
Cicero am Abfassungstage von ad fam. XVI 24 an Tiro zwei
Briefe schreibt, so können wir mit Sicherheit annehmen, daß auch
noch an so manchen anderen Tagen dieser Zeit nicht bloß Briefe
yon Tiro in Arpinum eingetroffen sind, wie dies z. B. A XVI 15, 5
bezeugt ist, sondern auch von Tiro an Cicero abgingen, während
uns nur der eine Brief ad fam. XVI 24 erhalten ist. — Hat Tiro
aber bei den Briefen, die Cicero an ihn geschrieben hatte, unter-
schieden zwischen solchen, die ihm zur Veröffentlichung geeignet
erschienen, und solchen, bei denen dies nicht der Fall war, so
ist die Möglichkeit dieses an sich so naheliegenden Verfahrens
auch für andere Briefe zuzugeben.
Wann beginnt nun Tiros Sammeltätigkeit und womit?
Cicero« Briefe, von Th. Schiebe. 387
Gurlitt macht darauf aufmerksam, daß vom Jahre 46 ab die
Zahl der erhaltenen Briefe wesentlich größer ist als in allen vor-
angehenden Jahren, und erklärt dies damit, daß Tiro erst 46 be-
gonnen habe, Briefe des Cicero zu sammeln. Dem Jahre 46 weist
man 86 Briefe ad fam. zu, darunter 36 Empfehlungsbriefe, und
diese Zahl der Briefe ist in keinem anderen Jahre erreicht worden.
Dem Jahre 45 werden 36 Briefe zugeteilt, darunter 11 Empfehlungs-
briefe, dem Jahre 44 vierzig, darunter ein Empfehlungsbrief.
Wenn sich diese höheren Zahlen von Briefen aller Art nun wirk-
lich dadurch erklären, daß Tiro erst seit 46 sammelte — und
diese Annahme hat sehr viel für sich — , so muß doch sein
Sammeleifer sich auf jede Art Briefe erstreckt haben, nicht bloß
auf eine einzige Briefgattung. Nun schreibt Cicero im Juli 44 an
Atticus (XVI 5, 5): Mearum epistularum nulla est (fvvayaiyij; sed
habet Tiro instar septuaginta; et quidem sunt a te quaedam sumendae.
Eos ego oportet perspiciam, corrigam. Tum denique edentur. Wenn
also Tiros Sammlung in den Jahren 46, 45 und 44 bis Juli so
weit angewachsen ist, daß er etwa 70 Briefe beisammen hat, so
müssen dies Briefe der verschiedensten Art sein. Es ist an sich
das Wahrscheinliche, und Ciceros obige Worte geben nicht den
geringsten Anlaß, es anders zu verstehen. Gurlitt aber versteht
unter den 70 Briefen, von denen Cicero spricht, nur Empfehlungs-
briefe und meint (S. 535): Tiro „begann im Jahre 46 zu sammeln
und hatte im Juli 44 an Empfehlungsbriefen eben das beisammen,
was er uns im Buch XIII überliefert hat". Diese Ansicht kann
nicht richtig sein. Denn nicht bloß die Menge der Empfehlungs-
briefe ist seit 46 größer als früher, sondern sie wird, wie wir
sahen, durch die Anzahl der anderen Briefe beträchtlich überboten.
Ferner liegen in ad fam. XIII nicht 70 Empfehlungsbriefe vor,
sondern 82; also schon die Ungleichheit dieser Zahlen läßt es
nicht zu, jene 70 Briefe mit ad fam. XIII ohne weiteres zu
identifizieren. Wenn ferner Cicero Tiros bisherige Sammlung
durch von Atticus zu entnehmende Briefe vervollständigen will, so
ist es am wahrscheinlichsten, dies auf solche Briefe zu beziehen,
die Cicero für wichtig genug gehalten hatte, um seinem Freunde
davon Abschriften mitzuteilen, und auf Empfehlungsbriefe trifft
dies am allerwenigsten zu. Endlich sind nur solche wichtigeren
Briefe, nicht aber Empfehlungsbriefe, bedeutend genug, um vor
ihrer Veröffentlichung von Cicero durchgesehen und verbessert zu
werden.
Wenn die Briefe ad Quintum fr. nur der Zeit von 60 oder
59 bis Ende 54 angehören, so liege dies, meint G., teils daran,
daß man die vor dem Jahre 46 geschriebenen Briefe überhaupt
nur vereinzelt habe wieder erlangen können, teils daran, daß
Quintus die Veröffentlichung der späteren Briefe in Bücksicht auf
Cäsar und zugunsten seines Sohnes endgültig untersagt habe.
388 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Was die Briefe an Alticus betrifft, so erklärt sich G. mit
Recht gegen die Annahme, daß außer und nach Atticus noch
jemand auf den Umfang dieser Briefsammlung Einfluß gewonnen
habe, und hält es mit Recht für nicht unmöglich, daß aus der
Hand des Atticus diese Sammlung ebenso hervorging, wie wir sie
besitzen. Diese Ansicht, die früher allgemeine Geltung hatte, hat
man neuerdings vergeblich zu erschüttern versucht durch eine die
Worte pressende Ausdeutung der Nachricht, die Nepos von der
Sammlung der Cicerobriefe gibt, die er bei Atticus sah. Nepos
(Att. 16, 3) spricht von undeeim volumina epistularum ab conmlatu
eius usque ad extremum tempus ad Atticum missarum. Was Nepos
sah, so behauptet man, könne nicht dasselbe sein wie die XVI Bucher,
die uns vorliegen. Denn nicht mit dein Konsulat beginne unsere
Sammlung, und aus dem Konsulatsjahr liege kein einziger Brief
an Atticus vor, dagegen beginne die Sammlung mit 11 Briefen,
die vor dem Konsulatsjahr liegen. Auch reiche sie nicht bis an
Ciceros Lebensende; vielmehr sei der letzte uns erhaltene Brief
an Atticus (XVI 15) fast ein Jahr vor Ciceros Tode geschrieben.
Endlich sei unsere Sammlung niebt in 11, sondern in 16 Bucher
eingeteilt. Hierauf ist folgendes zu erwidern. Schon P. Manutius
hat undeeim als unrichtig überliefert angesehen und sedeeim daraus
gemacht. Will man dies nicht gelten lassen, so wird man doch
die Möglichkeit nicht leugnen können, daß irgendwelche Gründe
der Zweckmäßigkeit, vielleicht der größeren Gleichförmigkeit, dazu
veranlassen konnten, aus den 11 volumina des Atticus für die
Veröffentlichung 16 libri zu machen. Sodann beginnt der erste
uns vorliegende Brief an Atticus mit Auseinandersetzungen Ciceros,
die sein Konsulat betreffen; es ist die Rede von seiner Bewerbung,,
seinen Mitbewerbern und seinen Aussichten. Da sich dies alles
also wirklich auf Ciceros Konsulat bezieht, so ist die Möglichkeit
nicht von der Hand zu weisen, daß dies auch für Nepos der erste
Brief war, den er sah und den er meint, wenn er sagt: ab con-
sulatu eins. Man muß dies sogar für das allein Wahrscheinliche
halten, wenn man bedenkt, daß aus Ciceros Konsulatsjahr Briefe
an Atticus gar nicht vorliegen konnten, weil Atticus doch wohl
damals in Rom war (wie auch G. vermutet). Wenigstens ist dies
an sich sehr wahrscheinlich und für die Zeit der Katilinariscben
Verschwörung ausdrücklich bezeugt. Endlich der Ausdruck usque
ad extremum tempus ist mit dem uns vorliegenden Bestand sehr
wohl vereinbar, sobald man es auch hier unterläßt, den Worten
des Nepos größere Bestimmtheit beizulegen, als sie haben. Der
späteste uns vorliegende Brief des Cicero an Atticus ist Anfang
Dezember 44 geschrieben (A XVI 15). Man wird zugehen müssen,
daß diese Zeit, ein Jahr vor Ciceros Tode, als extremum tempus
habe bezeichnet werden können, sobald man berücksichtigt, daß
Cicero jenen Brief schließt mit den Worten adsum igitur, dann
auch gleich nach Rom ging und bis zu seiner letzten Flucht dort
*>
Ciceros Briefe, von Th. Schiebe. 389
blieb, daß also nach jenem letzten Briefe an die Stelle des Brief-
wechsels der persönliche Verkehr mit Atticus trat.
15) L. Gurlitt, Textkritisches zu Cicero ad Quintum fratrem.
Rhein. Mus. LVI (1901) S. 596—606.
II 7 (9), 1 Placiturum tibi esse librum meum suspicabar; tarn
valde placuisse, quam scribis, valde gaudeo. Quod me admones de
inon curantia suadesque, ut meminerim Iovis orationem, quae est
in extremo Mo libro, ego vero memini et illa omnia mihi magis
scripsi quam ceteris. Mit in extremo Mo libro sei dasselbe gemeint,
wie vorher mit librum meum, in dem letzteren aber sahen schon
Tyrrell-Purser ein Buch von den dreien, aus denen Ciceros Ge-
dicht de temporibus meis bestand. G. vermutet, daß das zweite
Buch gemeint sei, das Cicero in einem späteren Briefe an seinen
Bruder erwähnt (111 1, 24 mirificum embolium cogito in seeundum
librum meorum temporum includere, dicentem Apollinem in concilio
deorum cet.). Statt non curantia sei zu lesen de mun. curatione
(= de munerum curatione) oder wahrscheinlicher und sachlich
damit zusammenfallend: de nfä curatione (= de nostra curatione).
Quintus habe unter Berufung auf seines Bruders Dichtung de
temporibus, speziell auf die Schlußrede des Juppiter im zweiten
Buche, gebeten, Cicero möge, seinem Versprechen gemäß, für die
curatio des Tellustempels und der porticus Catuli sorgen. Man
habe anzunehmen, daß mit dem Ehrenamt der Wiederherstellung
dieser Baudenkmäler M. und Q. Cicero betraut gewesen seien.
II 3,2 (l'ompeius) ut surrexit, operae Clodianae clamorem
sustulerunt, idque ei perpetua oratione contigit, non modo ut ad-
clamatione, sed ut convicio et malediclis impediretur. Qui ut per-
oravil (nam in eo sane fortis fuit; non est deterritus; dixit omnia
atque int er dum etiam silentio, cum auetoritate peregerat) sed ut per-
oraviu surrexit Clodius. Hier soll das letzte sed auffällig sein, aber mit
Becht erklären Tyrrell-Purser, daß es hier, wie oft, eine begonnene,
aber unterbrochene Auseinandersetzung wiederaufnimmt. Schon
dies spricht gegen Gurlitts Änderung von peregerat sed in per-
seuerasset. Und wenn G. cum auetoritate perseverasset wiedergibt
mit „da er mit Wurde ausgeharrt hatte44, so ist fraglich, ob das
bloße auetoritate bedeuten könnte „mit Würde". Freilich ist
peregerat ebensowenig zulässig, wie das anderweitig vorgeschlagene
perfregerat. Vielleicht ist zu lesen perfecerat sc. süentium. Pom-
pejus ließ sich durch den Lärm der Clodianer nicht abschrecken,
seine Bede zu Ende zu bringen. Bisweilen herrschte sogar Buhe,
nämlich immer dann, wenn er durch die Bedeutung seiner Per-
sönlichkeit sie durchsetzte. Das Plusquamperfekt ist (wie auch
Sternkopf Bhein. Mus. 57, 631 bemerkt) normal. Denn interdum
deutet eine Mehrheit von Fällen an, in denen Buhe herrschte,
jedesmal aber mußte der herrschenden Buhe ihre Durchsetzung
vorausgegangen sein. — In demselben Brief § 5 ist ohne Sinn
390 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
überliefert C. Cornelium ista ei. G. vermutet C. Cornelium Statiutn,
bemerkt aber selbst: „Nachweisbar ist mir ein C. Cornelius Statius
freilich nicht44.
Der Brief II 10 (12) beginnt Gaudeo tibi iucundas esse meas
litteras, nee tarnen habuissem scribendi nunc quidem ullum argu-
mentum, nisi tuas aeeepissem. Nam pridie Idus, cum Appius senatum
infrequentem coegisset, tantum fuit frigus, ut populi convicio coactus
sit nos dimittere. Der Schluß des Briefes lautet: Reliqua singulorum
durum scribemus ad te, si modo tabellarios tu praebebü. Quam-
quam eius modi frigus impendebat, ut summum periculum esset, ne
Appio suae aedes urerentur. Dieser ietzte Satz (Quamquam eius
cet.), meint G., sei hierher verschlagen. Er gehöre an den An-
fang des Briefes, wo zu lesen sei: Nam pridie Idus, cum Appius
senatum infrequemtem coegisset, (quamquam eius modi frigus im-
pendebat, ut summum periculum esset, ne [Appio] suae aedes ureren-
tur,) tantum fuit frigus, ut populi convicio coactus sit nos dimittere.
Zu streichen sei Appio, weil dies erst nach Herausreißimg des
Satzes aus seinem ursprunglichen Zusammenhang zur Erklärung
hinzugefugt worden sei. Frigus bedeute „Ungunst", „Ungnade",
und der Sinn sei: Appius hatte gesetzwidrig eine Senatssitzung
angesetzt; darüber war das Volk so entrüstet, daß es drohte, sein
Haus in Brand zu stecken; wenn es nun auch nicht zum Äußersten
kam, so zwangen ihn doch die Schmährufe der erregten Volks-
menge, die Sitzung abzubrechen. Hierin ist zunächst nicht zu-
zugeben, daß des Appius Ansetzung einer Senatssitzung auf prid.
Id. Febr. gesetzwidrig war; denn die lex Gabinia hielt ihn dazu
an, ex K. Febr. usque ad K. Martias legatis senatum cotidie dare.
Sodann fragt sich einerseits, ob der Satz mit quamquam nach und
mit Bezug auf Reliqua singulorum dierum scribemus nicht doch den
Sinn hat: „obgleich ich kaum etwas zu schreiben haben werde",
also mit dem Vorangehenden in gutem Zusammenhang steht,
andrerseits, ob Cicero zur Begründupg des Satzes, mit dem der
Brief beginnt, nach der Einschaltung von quamquam . . . urerentur
sich so ausgedrückt haben würde, wie es jetzt geschieht: tantum
fuit frigus.
Wenn G. III 1,23, wo überliefert ist: soleo admirari . . . .
nihil te recordari de se, statt se vermutet s. c. (= senatus consulto),
so sind irgendwelche Beziehungen zwischen den Privata Darlegen-
des T. Anicius, um die es sich hier handelt, und eitern Senat**
beschluß schwer denkbar. Weiterhin soll hier mit Bezug auf
denselben Anicius zu lesen sein: Totum denique vultum, sermontm,
animum eius quem ad modum conicio yvaiasi (statt ^-^"S ist
quasi überliefert), was G. deutet: „Kurz, du wirst (= * »"t
doch) seinen Gesichtsausdruck, seinen Unterhaltung
Charakter, soviel ich vermute, kennen lernen", i
forderung „Du solltest kennen lernen" verträgt si
„soviel ich T
Cictros Briefe, von Th. Schiche. 391
II 6 (8), 1 teilt Cicero seinem Bruder mit, daß der Antrag
auf eine supplicatio für Gabinius im Senat abgelehnt worden sei,
und setzt hinzu: Mihi cum sua sponte iucundum tum iucundius,
quod me absente; est enim sihxgivig iudicium, sine oppugnatione,
sine gratia nostra -feram ante. Quod Idibus cet. G. vermutet
sine gratia nostrorum. Ante quod Idibus cet. und sagt zur Er-
klärung seiner Auffassung : „Es war für Cicero wichtig, daß seine
Parteigenossen einerseits ohne einen heftigen Angriff davon ge-
kommen waren, gegen den sein Beistand erwünscht gewesen wäre,
andrerseits auch keinen Beifall geerntet hatten, um den er sie
beneiden müßte". Aber oppitgnatio und gratia nostra bedeuten
doch wohl in diesem Zusammenhange: „ohne daß eine Bekämpfung
meinerseits notwendig war und ohne daß ich die Rücksicht anderer
auf mich meinerseits in Anspruch zu nehmen brauchte".
16) L. Garlitt, Zu Ciceros Briefen. Neue philo!. Rundschau 1901
S. 601 f.
Ad Att. V 10,4 ist überliefert: Nee hercule umquam tarn diu
ignarus rerum mearum fui, quid de Caesaris, quid de Milonis
nominibus actum sit; ac non modo nemo modo ne Roma quidem
quisquam, ut sciremus, in re publica quid ageretur. Für ne Roma,
meint G., habe man irrtümlich gelesen non modo und nemo modo,
beides aber und überdies das richtige ne Roma in den Text über-
nommen. Er streicht also non modo nemo modo. Aber schon
Nachrichten darüber quid de Caesaris, quid de Milonis nominibus
actum sit hätten aus Korn kommen müssen. Cicero kann also
nicht fortfahren: „Auch aus Rom schreibt fmir niemand4' usw.
Kayser vermutete: ac non modo nemo domo, (sed) ne Roma qui-
dem quisquam, ut cet. Auch domo aber ist von Roma nicht ver-
schieden. Ich selbst vermutete mit Benutzung einer alten Kon-
jektur (sed ne rumor quidem für modo ne Roma quidem): ac non
modo nemo meorum (sed) ne rumor quidem, quiequam ut sciremus
(Prg. 1895 S. 15 f.). Hierin ließe sich meorum unbedenklich durch
das sachlich gleichstehende domo ersetzen, wenn man der Meinung
ist, daß domo paläographisch leichter erklärbar wäre als meorum.
Da aber Cicero A IX 1, 1 schreibt mirabar nihil allatum esse ne
rumoris quidem, so liest man vielleicht noch besser: ac non modo
nemo meorum (oder domo), sed ne rumoris quidem quiequam, ut
sciremus cet.
17) L. Gurlitt, Zu Cicejro« Briefen. Philologus LX (1901) S. 601— 627.
Mit Recht sucht G. ad fam. VII 33, 2 (ne pluribus legerem
tuas litteras) und XI 14, 1 (tantam spem attulerat exploratae
victoriae tua . . . eruptio . . ., ut omnium animi relaxati sint) das
Überlieferle gegen die letzten Herausgeber zu schützen. Fraglich
erscheint es, ob ad fam. XVI 17,2 die Lesart von FHD (Demetrius
venit ad me aquo quidem comitatu d(fcafjblkfjaa satis scite; tu eum
392 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
videlicet non potuisli videre) und ad fam. XVI 23 a. E. die von D
(cras expecto Leptam, et enim ad eins rutam puleio mihi tui sermonis
utendum est) mit G. zu halten ist. Zu jener Stelle bemerkt
Mendelssohn mit Recht: ipsum verbum Graecum valde displicet, an
dieser macht die Erklärung von etenim (nach G. = „und so muß
ich denn" . . .) Schwierigkeiten. Auch A XV 13, 4 sucht G. die
Überlieferung zu schützen. Es heißt hier Res Hispanienses valde
bonae. Modo Balbüium incolumem videam, subsidtum nostrae sene-
ctutis. De Anniano item, quod me valde observat Visellia. Sed haee
quidem humana: „betreffs des Annianus wünsche ich auch, daß
er gesund aus dem Kriege zurückkehren möge, und zwar, weil
mir Visellia so große Aufmerksamkeit erweist14 (== seiner Gattin
zuliebe). — An zwei Stellen deutet G. ein überliefertes yL als
griechisches Zahlzeichen. A XV 3, 2 (De Q. filio, ut scribis, A.
M. C.) sei A (oder A). M. C = 30 Myriaden Sestertien (M =
(ivQidg und C oder C = 2), und hiermit sei die Summe be-
zeichnet, die Quintus als erforderlich bezeichnet haben könnte,
um sich über Wasser zu halten. A XV 17, 1 (Ego de itinere nisi
explicato A nihil cogito) bezeichne vielleicht A allein 30 Myriaden
= 300 000 Sestertien, die Summe, die er erst beschaffen (explicare)
müsse, ehe er sich auf die Flucht begebe. — Ad Q. fr. II 14
(15 b), 2 liest G.: ... quaeris, cuiusmodi illum annum, qui sequitur,
expectem. Plane aut tranquillum nobis aut certe munitissimum,
quod cotidie domus, quod forum, quod theatri significationes declarant
nee laboranti, quod meä conscientiä copiarum nostrarum, quod Caesaris,
quod Pompei gratiam tenemus, haec me, ut confidam, faciunt. Statt
nee laboranti (G. deutet es: „ohne daß ich mir nur etwas daraus
mache, mich darum bemühe14) ist nee laborant überliefert. Wie
das, was sich hieran anschließt, quod meä cet., grammatisch ver-
standen werden soll, läßt G. unerörtert. — Ad Q. fr. II 8 (10), 3
vermutet G.: habemus hanc philosophiam non ab Hymetto, sed ab
aiaqa^ia. Oberliefert ist statt dieses letzten Wortes araxira oder
araysira. — Ad Q. fr. III 9, 8 ist überliefert: Quas enim tabulas
(Felix) se putavit obsignare, in quibus in uneiis firmissimum tenes
vero lapsus est, per error em et suum et Sicurae servi non obsignavil;
quas noluit, eas obsignavit. G. ändert tenes in levis ab: tabulas. . ,
in quibus in uneiis firmissimum (sc. est), levis vero lapsus est, per
errorem . . . non obsignavit, „eine testamentarische Urkunde, in der
Zwölfteilung des Vermögens völlige Sicherheit hat, aber ein nur
geringfügiges Versehen ist**. Das Versehen „mochte ein ungenauer
Name sein, der leicht abzuändern war". Ad fam. XI 13a, 4
glaubt G. mit der Abänderung des überlieferten adroganter in
adrogantes auskommen zu können: quos (den Antonius und Lepidus)
tpsi adhuc satis adrogantes Aüobroges equitatusque omnis, qui eo
praemissus erat a nobis, sustinebant, „diese haben die bisher selbst
reichlich anmaßenden Allobroger und die gesamte Reiterei...
abzuhalten versucht4'. — A I 16, 13 (Lurco autem tribunus pl,
Ciceros Briefe, von Th. Schiebe. 393
qui magistratum insimul cum legt oMa tntft, solutus est et lege
Adia et Fufiä) ersetzt G. insimul cum lege alia, nachdem schon
andere Aelia für aUa vermutet haben, durch infimus civium lege
Aelia: „der Volkstribun Lurco ist, obgleich er als der geringste
unserer Mitbürger der lex Aelia sein Amt verdankt, sowohl dieser
lex Aelia als der lex Fufia entbunden worden4'. — A II 22,7
möchte G. in Numerium Numestium Dittographie annehmen und
Numerium streichen, weil Cicero A If 20, 1 und 24, 1 den Mann
nur Numestius nennt. — A V 11,7 ist überliefert ülam NOMANAPIA
me excusationem ne aeeeperis. G. vermutet: illam 'nolvavdgla
me (sc. prohibitum esse)' excusationem ne aeeeperis: „laß dir'a
nicht weismachen, daß ich mich durch den Menschenschwarm
hätte abhalten lassen, an dich zu schreiben44. Daß Cicero pro-
hibitum esse der Ergänzung des Lesers sollte überlassen haben, ist
nicht wahrscheinlich. — A VI 1,23 (Berte mehercule potuit Lucceius
Tusculanum, nisi forte (solet enim) cum suo tibieine) setzt G. pro-
luit (d. i. hat verpraßt, vertrunken) für potuit: „Prächtig, bei Gott,
hat Lucceius sein Tusculanum weggeschwemmt, er müßte es denn
etwa in Gesellschaft seines Flötenspielers getan haben, mit dem
er zu kneipen liebt'S — A VIII 11, 4 hält G. die Worte vel non
oecurrimus, die unverständlich sind, für eine fehlerhafte erste
Lesung der darauf folgenden Worte vel hoc fuit rectius, die also
zu tilgen seien. — A X 12 a, 2 ist
im Med. überliefert
Quote vi aut dam agendum est et
si vi forte ne cum pestate clamant
emistis in quo si quod aydXpcc
vides quam turpe est trahimur
nee fugiendum si quid violentius.
nach Gurlitt zu lesen:
Quare vi aut dam agendum est,
et si w\ fortuna suppeditantti
clam autem istis (sc suppeditanti-
bus). In quo si quod GcfäXpa,
vides, quam turpe extrahimur)
Nee fugiendum (sc. est fortuna
suppeditante), si quid violentius.
„Zu deutsch etwa: Deshalb muß gewaltsam oder heimlich ver-
fahren werden und, wenn gewaltsam, dann unter Beistand des
Glückes, wenn mit List, dann unter Beistand deiner Leute. Siehst
du hierbei irgendeine Möglichkeit des Mißlingens, welche Schande
(entdeckt und) herausgeschleppt zu werden! Aber auch dann ist
die Flucht unmöglich, wenn sich irgend ein stärkerer Widerstand
bietet44. Extrahimur ist nicht Druckfehler für extrahamur — es
begegnet in Gurlitts Erörterung mehr als einmal — , soll sich
also, wie es scheint, als selbständiger Ausruf an vides anreihen.
Wie das möglich sein soll, ist um so weniger zu ersehen, als es
sich hierbei nach G. nicht um eine schon stattfindende Wirk*
lichkeit, sondern mm eine erst noch bevorstehende Möglichkeit
handelt.
A XIII 23, 3 zieht G. mit anderen exspecto zum Vorher-
gehenden (Dicaearchi librum aeeepi et xataßdötiog exspecto), er-
gänzt die dann folgende Lücke: (De decem L Mummi Ugatis
Jakrwberiehte XXX. 26
394 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Antiocho) negotium dederis: reperiet ex eo libro usw. und sucht
hierdurch die von ihm im folgenden schon früher (s. JB. XXV
S. 334) befürwortete Lesart Tu de Antiocho scire poteris vide(licety
etiam, quo anno usw. zu stützen.
A XV 2, 1 (vgl. JB. XXVII S. 257) liest G. devertissemque
accubans in Vesciano accepi . . . lüteras. Hierin accubans mit de-
vertissem zu verbinden, ist sachlich unmöglich; soll es aber zu
accepi gehören, so ist devertissem ohne nähere Bestimmung auch
unwahrscheinlich.
A IV 19 (Müller) sieht G. die Worte nostrae rei publica*
germane putavi de nummis ante comitia tributim uno loco divisis
palam inde absolutum Gabinium als von anderswo hierher ver-
schleppt an. Was in den Ausgaben auf Gabinium folgt, dictaturam
fruere usw. — die handschriftliche Überlieferung ist durch Blatt-
versetzungen zerrüttet — sei unmittelbar an das anzuschließen,
was vor nostrae steht: Quin tu huc advolas et invisis illius, so daß
man erhält: Quin tu huc advolas et invisis illius (= Pompei)
dictaturam? Fruere iustitio et omnium rerum licentia. In den
nun folgenden Worten, die in der Überlieferung lauten: Perspice
aequitatem animi mei et ludum et contemptionem . . . provinciae et . . .
cum Caesare . . . coniunctionem, sei, um das zweigliedrige Asyndeton
fruere . . . perspice zu vermeiden, an der Stelle von et ludum eine
Lücke anzunehmen für einen ausgefallenen Akkusativ und ein
dritter Imperativ herzustellen, also Fruere iustitio et omnium
rerum licentia, perspice aequitatem animi mei et {Lücke1)), illude
meam et contemptionem . . . et . . . coniunctionem. Die oben als ver-
schleppt bezeichneten Worte seien unterzubringen zu Anfang von
18,1 (Müller): Nunc ut opinionem habeas\\ nostrae (vielleicht sei
nostram zu lesen) rei publicae: germane . . . Gabinium; || verum
ferendum est, „damit du dir nunmehr ein Urteil über unsern
(lieben) Staat machen kannst, so höre: Es ist meine ehrliche
Überzeugung betreffs des Geldes, das vor den Komitien unter die
einzelnen Tribus an einem einzigen Orte verteilt wurde, daß da-
von vor aller Augen Gabinius freigesprochen sei. Aber . . ."
18) L. Garlitt, Cruces Tullianae (ad Att. XV 17, 1; 20,1). Berl. phil.
WS. XXI (1901) Sp. 922—925.
A XV 17, 1 heißt es nach C. F.W. Müller: De consulum ficto
timore cognoveram. Sicca enim cpiloaxogycog ille quidem, sed
tumultuosius ad me etiam illam suspicionem pertulit. Quid tu
autem? kxa ptr didopsva — '? Nulluni enim verbum a fSiregio.
Non placet. De Plaetorio, vicino tuo usw. Über diese Stelle habe
ich mich aus Anlaß einer Vermutung von 0. E. Schmidt geäußert
in den JB. XXV (1899) S. 376 f. G. sagt, ich hätte dort Schmidts
Vermutung mit Recht „widersprochen", aber „mit unzureichenden
J) G. meint: „etwa levüatem (?)" and setzt selbst das Fragezeichen.
Seineu Intentionen würde vielleicht lenüatem besser entsprechen.
Ciceros Briefe, voo Th. Schlehe. 395.
Gründen". G. gibt nicht an, weshalb meine dortige Begründung
für die Ablehnung von Schmidts Konjektur unzureichend ist; ob
die Gründe, die er seinerseits für die Verwerfung von Schmidts
Konjektur geltend macht, andere und besser sind als die meinigen,
wird sich zeigen. Jedenfalls übernimmt er meinen Vorschlag,
nach nullum enim verbum einen Punkt zu setzen und das, was
unmittelbar darauf folgt, mit non placet zusammenzunehmen.
Von diesen unmittelbar darauf folgenden Worten a Siregio hatte
ich gesagt: a Siregio „enthält vermutlich den Namen eines jetzt
für eine Anleihe in Betracht kommenden Geldmannes (XV 15, 3,
cogor mutuari)". Wer nicht durchaus den Willen hat, mich miß-
zuverstehen, muß hieraus entnehmen, daß nach meiner Meinung
nicht in dem Worte Siregio, wie es dasteht, der Name des Geld-
mannes zu sehen ist, sondern daß dieser Name zwar darin steckt,
aber in der Oberlieferung verdunkelt ist; „a Siregio enthält den
Namen" ist doch nicht dasselbe wie: „Siregius ist der Name14. G.
aber tut, als hätte ich behauptet, daß Siregius der Name des
Geldmannes ist, denn er wendet mir ein : „der Name Siregius ist
nicht nachweisbar". Weiter macht G. gegen meine Vermutung
geltend, es sei weder in den sogleich folgenden Sätzen noch über-
haupt in diesem Brief von einer Anleihe des Cicero die Rede.
Hieraus folgt durchaus nicht, daß auch die in Rede stehenden
Worte nichts davon enthielten. Im Gegenteil. Wenn Cicero erst
weiterhin nach Auseinandersetzungen anderen Inhalts von auf-
zunehmenden Anleihen spräche, könnte man einwenden: er wird
nicht an zwei gesonderten Stellen hiervon gesprochen haben,
sondern von ein und derselben Sache nur an einer Stelle. Ferner
wendet G. gegen meine Vermutung a f Siregio non placet (sc.
mutuari) ein: ,,Ein neues Thema setzt auch vermutlich erst mit
De Plaetorio ein, wie in diesem Briefe überhaupt die einzelnen
Punkte fast jedesmal in dieser mechanischen Weise eingeführt
werden: § 1 De D.Bruto; De consulum ficto timore; De Plaetorio;
De Syro; Ego de itinere. § 2 De regina; De Buciliano". Hierauf
ist zu erwidern: Ein schnelles Oberspringen von einem Punkte
zum andern findet ebenso wie hier in vielen andern Briefen an
Atticus statt, und es folgt daraus gar nichts für die Frage, ob
nicht auch mit a t Siregio non placet ein neuer Gegenstand kurz
berührt und erledigt ist. Wenn aber G. bei diesem Satze die
mechanische Weise der Einführung mit de vermißt, so steht
zwischen den Beispielen mit De, die G. anführt, so manches nicht
mit De eingeführte neue Thema. Die einzelnen Themen und
ihre Einführung in diesem Brief ist (nach dem Text von C. F. W.
Müller), abgesehen von dem in Rede stehenden Satze a f Siregio
non placet, folgende : De D. Bruto . . . De consulum ficto timore . . .
De Plaetorio ... De Syro . . . L. Antonium . . . Antroni . . . Quod
scribis tibi desse . . . Arabioni . . . Ego de itinere ...Tu vero facis . . .
De regina . . . Erotis rationes . . . Gratmimum quod . . . De Buciliano
26*
396 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
. . . Ego si Tiro . . . Tu vero quic^uid . . . Man sieht hieraus, daß
die Fälle, in denen Cicero das neue Thema nicht mit de einfuhrt,
ebenso zahlreich sind, wie die, in denen es mit de geschieht, und
Gurlitls Behauptung, die einzelnen Punkte würden in diesem Briefe
„fast jedesmal'4 in derselben „mechanischen Weise44 wie De Plaetorio
eingeführt, ist mindestens sehr ungenau. Es kann nach alledem
nicht als eine zulässige Schlußfolgerung aus diesem letzten oder
auch aus den angegebenen vorhergehenden Einwänden gelten,
wenn G. fortfährt: „Es dürften deshalb die zweifelhaften Worte
doch noch zu dem vorausgehenden Gedankenkreise gehören".
Sehen wir also von dem „deshalb44 ab, nehmen wir vielmehr diese
Ansicht für sich und prüfen wir, was G. zu ihrer Erläuterung
sogleich hinzufügt: „zwar nicht zu der Frage, wie über die Mission
des Brutus und Cassius zu urteilen sei; diese war schon in älteren
Briefen erörtert worden, so in XV 9, 2 vom 2. Juni, in 10 vom
5* oder 6. Juni, in 11 vom 8. Juni44. Was G. hier verneint, be-
zieht sich ebenso auf 0. E. Schmidts Auffassung der Stelle wie
auf die meinige. Schmidt liest nullum mim verbum a Circeio.
Non placet . . . und meint, mit a Circeio sei der damals nach
seiner Berechnung am Kap der Circe weilende Brutus bezeichnet.
Die ganze Stelle übersetzt dann Schmidt: „Was meinst aber du?
Werden Brutus und Cassius das Geschenk annehmen? Ich bin
in Zweifel, denn ich habe vom Kap der Circe keinerlei Botschaft
erhalten: das mißfällt mir4'. Hiergegen hatte ich eingewendet:
„Cicero ist ja aber gar nicht im Zweifel, was Brutus und Cassius
tun werden. Er schreibt einige Tage zuvor an Atticus: De nostris
Antiatibus (d. i. Brutus und Cassius) satis videbar plane scripsisse,
uX non dubitareSj quin essent otiosi futuri usurique beneficio Antoni
contumelioso (A XV 12, 1), und ist nun begierig zu hören, was
Atticus davon hält. „Wie stellst du dich dazu? Bist du der
Meinung: dem geschenkten Gaul — ? Denn du schreibst nichts
darüber44. Cicero beantwortet nämlich, wie der Anfang des Briefes
lehrt, zwei Briefe des Atticus, in denen er wider Erwarten keinerlei
Äußerung des Atticus über das beneficium des Antonius fand.
Nach verbum ist also ein Punkt zu setzen44. — Während alsa
nach Schmidts Ansicht von Quid tu autem bis non placet, nach
der meinigen von Quid tu autem bis nullum enim verbum von
jenem beneficium des Antonius die Rede ist, d. h. von dem Senats-
beschluß, daß Brutus und Cassius in Asien und Sizilien Getreide
kaufen sollen, ist nach G. hiervon in keiner Weise die Rede.
Warum nicht? Weil schon in älteren Briefen, so in XV 9, 10 und
11, „die Frage, wie über die Mission des Brutus und Cassius zu
urteilen sei, erörtert worden war4*. Wie wenig dieser Einwand
zu bedeuten bat, liegt für jeden auf der Hand, der sich erinnert,
in wie zahlreichen Fällen irgendein Gegenstand immer wieder
von neuem in aufeinanderfolgenden oder doch wenig voneinander
abliegenden Briefen an Atticus zur Sprache kommt. Und daß
^
Ciceros Briefe, von Th. Schiche. 397
gerade auch in dem Falle, um deu es sich hier handelt, Gurlitts
Einwand unberechtigt ist, zeigt die Stelle, die ich Schmidt gegen-
über angeführt habe (XV 12, 1; s. oben). Der Brief, dem sie an-
gehört, ist nach den drei Briefen geschrieben, auf die G. hinweist,
und vor XV 17. An dieser Stelle wird wiederholt und in den
darauffolgenden Sätzen wird des weiteren ausgeführt, was Cicero
schon in dem Bericht über seine Zusammenkunft mit Brutus und
Cassius in Autium (XV 11) an Atticus geschrieben hatte, daß
Brutus und Cassius dem durch Antonius bewirkten Senatsbeschluß
nachkommen würden, und dieses beneficium des Antonius wird
von neuem als contumeliosum beurteilt. Wie also Cicero nach
jenen drei Briefen in diesem vierten Brief (XV 12) wieder auf
diese Angelegenheit zu sprechen kommt, so konnte es auch in
einem ferneren Briefe geschehen, wenn der Briefwechsel mit seinem
Freunde es mit sich brachte. Gerade dies aber ist der Fall.
Cicero hat zuerst in jenem Bericht über die Zusammenkunft in
An tili m (XV 11) seinem Freunde geschrieben, was Brutus und
Cassius tun werden, und schreibt dann zum zweitenmal in dem
schon angezogenen Brief XV 12; De nostris autem Antiatibus satis
videbar plane scripsisse, ut non dubitares, quin essent otiosi futuri
usurique beneficio Antoni contumelioso. Cassius frummtariam rem
aspernabatur; eam Servilia sublaturam ex senatus consulto se esse
dicebat. Noster vero xai pccXa as^vcog in Asiam, posteaquam mihi
est adsensus tuto se Romae esse non posse (ludos enim absens facere
malebat), statim ait se iturum, simul ac ludornm apparatum iis, qui
curaturi essent, tradidisset (XV 12, 1). Nachdem also Atticus auf
Ciceros Bericht über die Beratung in Antium, d. i. auf XV 11, so
geantwortet hatte, als ob es noch ungewiß wäre, was Brutus und
Cassius tun würden, deshalb aber auch mit einer Meinungsäußerung
über deren tatsächlich schon feststehende Entschließung zurück-
gehalten hatte, benimmt ihm Cicero hier (XV 12,1) noch einmal alle
Zweifel und darf nunmehr erwarten, daß auch Atticus sich äußere,
wie er über die Entschließung des Brutus und des Cassius denke.
In den beiden Briefen des Atticus, die Cicero am 14. Juni, dem
Abfassungstage von XV 17, mit diesem Briefe beantwortet, und
von denen der eine am 13., der andere am 14. Juni geschrieben
war (A XV 17, 1 : Duas accepi postridie Idus, alteram eo die datam,
alteram ldibus), hätte sich eine solche Äußerung finden müssen.
Denn die Zusammenkunft in Antium fand statt am 8. Juni
(A XV 11,1), der Bericht darüber (= A XV 11) ist spätestens
am neunten geschrieben, und XV 12, der Brief mit jener zweiten
ausfuhrlichen Mitteilung darüber, spätestens am 11. Juni. Aber
Cicero sah seine Erwartung nicht erfüllt. Die Themen, die Atticus
in seinen beiden Briefen berührt hatte, gehl Cicero XV 17 ja
dann der Reihe nach durch; die Angelegenheit des Brutus und
Cassius ist nicht darunter. Er hatte also allen Grund, in dem
von mir angenommenen Sinne bei Atticus anzufragen: Quid tu
398 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
autem? 'tot fiiv didopsva — '? Nullum enim verbum, und Gurlitts
Meinung, weil schon in früheren Briefen von der Mission des
Brutus und Cassius die Rede war, könne hier nicht davon die
Rede sein, ist nicht hallbar. G. fährt fort: „Im besonderen
konnte dem Cicero nicht zweifelhaft sein, wie Brutus sich zu
dieser Frage stelle, da er ja an dem Familienrate des Brutus zu
Anlium am 8. Juni teilgenommen und darüber ausführlich in
XV 11 berichtet hatte". Hiermit macht G. einen Einwand geltend,
der schon von mir vorgebracht war. Ich hatte gegen 0. E. Schmidt
bemerkt: „Cicero ist ja aber gar nicht im Zweifel, was Brutus und
Cassius tun werden4'. Ein Unterschied besteht nur darin, daß G. sich
auf XV 11 beruft, während ich (s. oben S. 396) darauf hinwies, daß
Cicero einige Tage vor XV 17, nämlich XV 12, an Atticus schreibt:
De nostris Antiatibus satis videbar plane scripsisse, ut non dubitares,
quin essent otiosi futuri usurique beneficio Antoni contumdioso.
Diese Äußerung liegt zwei Tage später als XV 11, der Bericht
über den Familienrat in Antium. An diesen ist mit de nostris
Antiatibus erinnert, mit nostri Antiates sind Brutus und Cassius
gemeint, und eine Beweisstelle, die dem Brief XV 17 näher liegt
als jener Bericht, hat ^für den hier zu führenden Beweis dafür,
daß Cicero an den Absichten des Brutus und Cassius nicht zweifelt,
größeren Wert als die in XV 11 enthaltenen ersten Äußerungen
über die Absichten des Brutus und Cassius. Cicero konnte ja
inzwischen hierüber zweifelhaft geworden sein, da seitdem fünf
oder sechs Tage vergangen sind. Es kommt aber noch etwas
anderes hinzu, das die Stelle aus XV 12 für den hier zu er-
bringenden Beweis ganz besonders geeignet erscheinen läßt. Sie
enthält ja die Wendung ut non dubitares. Wenn Cicero dem
Atticus die Zweifel benimmt, so ist er doch wohl vor allem selber
von diesen Zweifeln frei, und deshalb erschien diese Stelle zur
Widerlegung von 0. E. Schmidts Deutung „Ich bin im Zweifel"
besonders brauchbar.
Die Erörterung der beiden letzten Punkte hat gezeigt, daß
die Einwände, die G. gegen Schmidt geltend macht — und wir
hatten uns ja vorbehalten, deren Wert festzustellen — , soweit sie
nicht schon von mir vorgebracht waren, nicht haltbar, soweit sie
.aber mit dem schon von mir Gesagten übereinstimmen, in weniger
geeigneter Weise begründet sind, und man ersieht hieraus, was
davon zu halten ist, wenn G. erklärt, ich hätte 0. E. Schmidt mit
unzureichenden Gründen „widersprochen".
Seinerseits nun bezieht G. die fraglichen Worte (Quid tu
autem? *tä fisv dtdopeva' — P Nullum enim verbum.) darauf,
daß Cicero in demselben Briefe, in dem er über den Familienrat
in Antium berichtet, Atticus auch mitteilt, daß der Konsul Dolabella
ihm, Cicero, die Stelle eines Legalen gegeben habe, und zwar in
der Form einer legatio libera (A XV 11, 4). G. meint: „Auf diese
mit einer gewissen Freudigkeit gemachte Anzeige durfte Cicero,
^
Ciceros Briefe, von Th. Schiche. 399
der in Antium weilte, von Atticus aus Rom am 14. Juni, also
sechs Tage später, sehr wohl dessen Meinungsäußerung mit Un-
geduld erwarten; denn der Bote machte den Weg in einem
Tage. Aber in dem Briefe des Atticus vom 12. Juni [vielmehr
vom 13.], auf den unsere Stelle Bezug nimmt, stand kein Wort
davon". G. nimmt also an, Atticus habe sich auf jene Mitteilung
Ciceros, die die legatio libera betrifft, bis zum 14. Juni noch nicht
geäußert. Das ist aber ganz unwahrscheinlich. Der Brief, in
welchem Cicero über die Zusammenkunft in Antium berichtet
(A XV 11), enthält nach diesem Bericht nur noch jene Mitteilung
mit einigen auf sie sich beziehenden Bemerkungen Ciceros. Ist
dieser zweite Teil des Briefes auch nicht so ausfuhrlich wie der
erste, so ist er doch für den Gegenstand, um den es sich handelt,
eingehend genug gehallen. Daß Atticus in seiner Antwort auf
diesen Brief, die XV 12 vorliegt, nur den ersten Teil berück-
sichtigt haben sollte, was, wie wir sahen, der Fall ist, den zweiten
aber nicht, ist nicht denkbar. Wenn Cicero XV 12 auf diesen
Punkt, betreffend die legatio libera, nicht wieder eingeht, so ist
dies nicht zu verwundern. Schon Mitte Mai schrieb er an Atticus:
cogites, quid agendum nobis sit super legatione votiva (A XIV 22, 2).
Vor dem 1. Juni war dann Atticus bei Cicero (A XV 8, 1 Post
tuum discessum), und sie hatten sich naturlich auch über diese
Frage ausgesprochen. Den Widerhall dieser Aussprache haben
wir vor uns, wenn Cicero A XV 11, 2 schreibt: Votiva ne tibi
quidem placebat. Und nach des Atticus Weggang schreibt ihm
Cicero (A XV 8, 1 ) : atque etiam seripsi ad Antonium de legatione,
ne, si ad Dolabellam solum scripsissem, iracundus hotno commoveretur.
Quod autem aditus ad eum difficilior esse dicitur, seripsi ad
Eutrapelum, ut is ei meas litter as redder et; legatione mihi opus esse.
Honestior est votiva, sed licet uti utraque. Die Angelegenheit war
also zwischen den Freunden reichlich erörtert, als Cicero Atticus
XV 1 1, 4 die Mitteilung machte, daß er die Legatenstelle erhalten habe.
Atticus wird in seiner XV 12 vorliegenden Antwort natürlich sein
Interesse an dem erwünschten Abschluß der Sache bekundet haben;
hierauf aber aufs neue einzugehen hatte Cicero keinen Anlaß. —
Wenn G. meint, auf die kränkenden Beschlüsse für Cassius und
Brutus würde der Ausdruck tcc ptv didopeva schlecht passen, so
paßt darauf dieser Ausdruck genau ebensogut wie das von Cicero
mehrfach dafür verwendete Wort beneficium (A XV 10; 12,1).
Daß in der Tat an Gurlitts Auffassung der Sache nicht zu
denken ist, sieht man schließlich aus seiner Obersetzung und Er-
klärung von %a fjbip didopcva. Er übersetzt: „Wie stellst du
dich dazu? Bist du der Meinung: 'Das Angebotene..'? Denn
du schreibst kein Wort darüber/4 und findet in %a piv didofxeva
den Gedanken: „Soll ich die legatio libera bei Dolabella in Syrien
annehmen?44 Die Legatenstelle ist Cicero nicht angeboten, sondern
er bat, wie die soeben angeführte Stelle aus A XV 8, 1 unzwei-
400 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
deutig lehrt, den Konsul Dolabella darum ersucht, und dem-
entsprechend ist er auch nicht mehr zweifelhaft, ob er die Stelle
annehmen soll; denn wenn man um etwas gebeten und es be-
willigt erhalten hat, kann nicht mehr die Frage sein, ob man es
#uch annimmt. Wenn G. dann für a Siregio non placet lesen
will an regio non placet („Oder gefallt dir die Gegend nicht44), so
beruht dies auf seiner unmöglichen Deutung der unmittelbar vor*
angehenden Worte, und es bedarf darüber keiner weiteren Er-
örterung.
A XV 20,1 liest G.: Dolabellae mandata sint quaelibet, mihi
filiquid, vel quod Niciae nuntiem. Quis enim haec, ut scribis, ante
Nonas [statt ante Nonae ist überliefert anteno]? Nunc dubitare
guemquam prudentem, quin mens discessus desperationis sit non
legationis? und übersetzt: „Die Aufträge des Dolabella mögen wie
auch immer sein — mir irgend ein Auftrag, sogar einer, den ich
an Antonius ausrichten soll! Denn wer hätte das, wie du schreibst,
yor den Nonen (des Juni) geglaubt ?u Cicero wolle damit sagen:
„In dem Benehmen des Dolabella und Antonius ist ein Wandel
eingetreten. Wer hätte noch vor dem 5. Juni einen solchen Auf-
trag des Dolabella an mich für Antonius überhaupt für möglich
angesehen! — und nun habe ich ihn in Händen!4' Woran sich
dann wirksam anschließe: „Jetzt soll noch irgend ein vernünftiger
Mensch daran zweifeln, daß meine Entfernung von Rom das Er*
gebnis der Verzweiflung, nicht einer Legation sei!" Ich müßte
wieder sehr ausführlich werden, wenn ich alles, was hiergegen
einzuwenden ist, auseinandersetzen wollte. Ich begnüge mich
deshalb mit folgendem. Wie wir sehen, setzt G. in der Über-
setzung „Antonius" für Niciae ein. Niemand hat bisher daran ge-
zweifelt, wer hier mit Niciae gemeint ist. Aber G. erklärt: „Die
Steigerung vel quod . . nuntiem beweist, daß Nicias eine hoch-
stehende Person war. A XIV 9, 3 ita mihi videtur bellum illud
imtare, sed Dolabella et Nicias viderint beweist, daß es ein Pseu-
donym für Antonius ist4'. Eine derartige Beweisführung kann
picht überzeugen. Die Worte vel quod Niciae nuntiem können
nur den Sinn haben: „und wenn es nur eine Bestellung an Nicias
sein sollte". Der Krieg ferner, von dem XIV 9, 3 die Rede ist,
ist ein möglicherweise drohender Partberkrieg, und ein solcher
geht nicht den Antonius an, sondern nur den Dolabella als den
demnächstigen Statthalter der Provinz Syrien. Nicias aber ist
einer von jenen Griechen, die sich durch Bildung und Gewandtheit
den römischen Großen so empfahlen, daß sie deren Vertrauen
genossen und selbst zu ernsten Geschäften zugezogen wurden.
Das bekannteste Beispiel hierfür ist Tbeophanes bei Pompejus.
So ist jetzt Nicias der Vertraute des Dolabella, und man nimmt
mit Recht an, daß er von Dolabella zur Zeit des Briefes A XV 20
schon nach dem Osten vorausgeschickt war. Bis Syrien brauchte
er darum nicht schon gekommen zu sein.
^
Cicero« Briefe, von Th. Schiebe. 401
19) L. Garlitt, Operam et oleum perdidi. Berl. pbil. WS. XXI (1901)
Sp. 731 ff.
Cicero sagt ad fam. VII 1,3 in quibus (gladiatoribus) ipse
Pompeius confitetur se et operam et oleum perdidüse, ferner AU 17, 1
ne ei opera et oleum philologiae nostrae perierit, und A XIII 38, 1
Atite lucem cum scriberem contra Epicureos, de eodem oleo et opera
exaravi nescio quid ad te. Diese letzte Stelle zeigt deutlich den
Ursprung der Wendung et oleum et operam perdere, daß dies also,
wie G. richtig erklärt, ursprunglich bedeutet: das öl der Lampe,
bei der man arbeitet, und die Arbeit selbst vergeblich aufwenden.
20) L. Garlitt, Cicero ad Att. VI 2, 3; V 16, 3. Berl. phil. WS. XXII
(1902) Sp. 125 f.
A VI 2, 3 ist überliefert Communicavi cum Dionysio. Atque
is primo est commotus, deinde, quod de deo cum isto Dicaearcho
non minus bene existimabat quam tu de C. Vestorio, ego de M. Cluvio,
non dubitabat, quin ei crederemus. G. tilgt deo cum isto, als „eine
Dittographie, eine am Rande gegebene falsche Lesung des voraus-
gehenden Dionysio". — A V 16, 3 berichtet Cicero aus der ersten
Zeit seiner Provinziaiverwaltung Itaque incredibilem in modum con-
cursus fiunt ex agris, ex vicis, ex domibus Omnibus. Mehercule
etiam adventu nostro reviviseunt. Iustitia, abstinentia, dementia tut
Ciceronis itaque opiniones omnium super avit. Appius, ut audivit nos
venire, in ultimam provinciam se coniecit usw. Statt ex domibus
Omnibus, das von Victorius herrührt, steht inM: ex nominibus ex
Omnibus. G. liest zwar auch ex domibus für ex nominibus, nimmt
aber an, daß ex omnibus „als Dittographie des verdorbenen ex
nöibus (= ex domibus) zu tilgen" ist. — Statt des itaque nach
Ciceronis liest G. aeque mit der Erklärung: nicht nur hat seine
Gerechtigkeit, Mäßigung und Milde die Meinung aller übertroffen,
sondern bei allen auch in gleicher Weise, im selben Maße".
21) L. Gar litt, Cicero ad Att. VIII 14, 3. Berl. phil. WS. XXII (1902)
Sp. 349f.
Überliefert ist (die Kreuze bei C. F. W. Müller) : De Domitio
varia audimus f modo esse in Tiburti aut lepidi quo cum lepidus
accessisse ad urbem, quod item falsum video esse. Axt mim Lepidus
eum nescio quo penetrasse itineribus t oecultandi sui causa an maris
apiscendi, ne is quidem seit. Gurlitt nimmt an, daß die Sitte der
Abschreiber oder Leser, die man in den Hss. oft wahrnehmen
kann, an den Rand des Textes Eigennamen im Nominativ aus-
zuschreiben, hier dadurch zu einem Fehler Anlaß gegeben habe,
daß ein späterer Abschreiber den Nominativ lepidus vor accessisse
in den Text hineinsetzte. Er liest also: De Domitio varia audimus;
modo eum esse Tiburtino Lepidi, quocum [lepidus] accessisset ad
urbem; quod item falsum video esse. Ait enim Lepidus eum nescio
quo penetrasse, itineribus oecultandi causa an maris apiscendi, ne
402 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
is quidem seit. Das bedeute: „Über den Domitius verlauten bunte
Gerüchte, nur lebe er auf dem Tiburtinum des Lepidus, mit dem
er an Rom herangekommen wäre. Aber ich sehe, daß auch das
falsch ist. Denn Lepidus sagt, er (Domitius) hätte sich irgend-
wohin verschlagen. Ob er sich durch Reisen unsichtbar machen
oder das Meer erreichen wolle, das, sagt Lepidus, wisse er selbst
nicht4*. Es mußte doch wohl in Tiburtino und, wie in der Über-
lieferung, oecultandi sui heißen. Es ist aber fraglich, ob modo
„nur" so viel enthalten könnte, wie es hier nach G. enthalten soll:
„Der Gerüchte sind zwar mancherlei, darin aber stimmen sie
überein, daß . . .u. Es fragt sich auch, ob quoeum accessisset ad
urbem sachlich zulässig ist, da Lepidus jetzt Prätor war. Endlich
muß man bezweifeln, ob Reisen, im Plural, das geeignete Mittel
sind, sich zu verbergen.
22) L. GurJitt, Cicero ad Quin tum fr. II 8 (10), 2. Berl. phil. WS.
XXII (1902) Sp. 1276—1278.
Überliefert ist und bisher unerklärt: Video te ingemuisse sie
fit 6IA6NAIA6ZHCAC numquam enim dicam 6AI1ACAC- Gurlitt
macht einen interessanten Versuch, dadurch, daß er die griechi-
schen Buchstaben anders verbindet und deutet, als man bisher
getan hat — man las el d' iv ala s^rjeag und sa ndaag — ,
die Stelle verständlich zu machen. Er liest: video te ingemuisse,
scilicet eldtvcu a etyaag, nunquam enim dicam edqaoaq und
deutet: „Ich sehe dich seufzen..., wissen was dir 'passiert' ist;
denn niemals möchte ich sagen: was du 'pekziert' hast". Es
fragt sich, ob der Sprachgebrauch a s^fjaag in dem Sinne von
„was du erlebt hast4*, „was dir widerfahren ist4*, sich auch ander-
weitig nachweisen läßt.
23) L. Gurlitt, Facetiae Tulliaoae. Rheio. Mus. f. Philol. N. F. LVI1
(1902) S. 337-362.
Der Brief Ad fam. IX 22 beginnt nach der Überlieferung:
Arno vereeundiam vel potius libertatem loquendi. Atqui hoc Zenoni
placuit, homini me hercule acuto, etsi Academiae nostrae cum eo
magna rixa est — sed, ut dico, jplacet Stoicis suo quamque rem
nomine appellare. Dieser Satz der Stoiker wird dann ausführlich
in ihrem Sinne erörtert und diese Erörterung abgeschlossen mit
dem Satze: Habes scholam Stoicam: 6 (foepög ev&VQQTjftovrjosi.
Quam multa ex uno verbo tuol Also durch eine Wendung in
einem Briefe des Pätus, dem Cicero hier antwortet, ist jene ganze
Erörterung hervorgerufen, und Cicero kennzeichnet sogleich den
beiderseitigen Standpunkt, wenn er fortfahrt: Te adversus me
omnia andere gratum est, ego servo et servabo (sie enim adsuevi)
Piatonis vereeundiam. Mit Recht betont G., daß von dieser ab-
schließenden, zusammenfassenden Stelle aus der ganze Brief und
besonders der Eingang zu beurteilen ist. Ego servo et servabo
^s
Cicero« Briefe, von Tb. Schiebe. 403
Piatonis vereeundiam steht gleich mit amo vereeundiam. Nun gibt
Cicero im Eingang des Briefes den Sinn dieser beiden Wendungen
vermittelst eines vel potius noch etwas anders an. Daß dies nun
geschehen sei mit den Worten amo libertatem loquendi, wie die
Überlieferung lautet und G. mit anderen annimmt, ist nicht glaub-
lich. Arno libertatem loquendi ist nicht etwas Ähnliches wie amo
vereeundiam, sondern ist das Gegenteil davon, uud die Annahme,
daß etwas ausgefallen ist, ist nicht von der Hand zu weisen.
Gegen Lehmanns Ergänzung vel potius libertatem loquendi (odt)
wendet G. mit Recht ein, daß sie für Pätus verletzend wäre.
Dasselbe gilt von Wesenbergs und von Pursers Vermutungen, von
denen jener (tu impudentiam) vel potius..., dieser (tu invere-
eundiam) vel potius . . . lesen wollte, uud schon C. Lehmann hat
darauf aufmerksam gemacht, daß es gegenüber einem nachfolgen-
den tu vorher lauten wurde: Ego amo vereeundiam. Auch ist in-
vereeundia erst ein spätlateinisches Wort. Besonders aber be-
friedigen die Vermutungen Wesenbergs und Pursers deshalb nicht,
weil sie das nachfolgende Atqui nicht genügend beachten. Nur
wenn Cicero vorher sagt, daß er irgend etwas nicht billige, kann
er gegensätzlich fortfahren: „Und doch hat Zeno das gebilligt44.
Vielleicht ist also etwas mehr ausgefallen und Cicero hat etwa
geschrieben: Amo vereeundiam vel potius libertatem loquendi {in-
finüam nolo adhibert), „ich bin nicht für uneingeschränkte Frei-
heit in der Ausdrucksweise".
Auch ad fam. IX 16, 7 verteidigt G. die Überlieferung. Man
findet diese auch in älteren Ausgaben in der Form: Quem tu mihi
Popilium, quem Denarium narras, quam tyrotarichi patinam, und
noch Metzger bemerkt in einer Anmerkung zu seiner Übersetzung,
daß diese Lesart sich festhalten ließe, wenn man unter Popilium
und Denarium zwei ältere, jetzt aber nicht mehr genügende Tisch-
freunde des Pätus und Cicero verstehen wollte. G. hält in diesem
Sinne nur an Popilius fest, bleibt mit quem denarium narras
beim Denar und deutet, es habe in einer Einladung des Pätus,
an den Ciceros Brief gerichtet ist, etwa geheißen: „Sei mein
Gast, lieber Cicero! Aber ich kann dazu nur noch den biederen
Popilius einladen; denn infolge der cäsarischen aestimationes bin
ich so verarmt, daß ich auch höchstens einen Denar für das Diner
aufwendet! kann. Du mußt dich also mit Fischragout begnügen'4.
Dem Popilius entspreche in Ciceros weiterer Ausfuhrung Hirtius,
dem denarius die Erwähnung des Vermögens, dem Fischragout die
Angabe der cenae mit Charakteristik der Speisen: Nee tarnen eas
cenas quaero (§ 8) usw. Dem ist entgegenzuhalten, daß Ciceros
nachfolgende Erörterung keineswegs eine dreiteilige Gliederung
zeigt, sondern scherzhaft den einheitlichen Gedanken durchfuhrt,
daß Pätus mit der einfachen Bewirtung, die er dem Cicero bei
dessen demnächst zu erwartendem Besuch in Aussicht stellt, nicht
davonkommen werde. Diesem Gedanken dient auch die Erwähnung
404 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
des Hirtius und Dolabella und der Vermögensverhältnisse des Pätus.
Durch Hirtius und Dolabella, sagt Cicero, sei er jetzt gewöhnt,
hohe Ansprüche an ein Diner zu machen, und der angebliche
Verrnögensverfall des Pätus sei kein ausreichender Grund, bei der
Bewirtung zu kargen. Man nimmt neuerdings gewöhnlich an,
daß in popilium und denarium Gerichte von ähnlicher Einfachheit
stecken, wie die tyrotarichi patina. Wenn G. meint, es könnten
hier von Cicero nicht drei Gerichte genannt sein, weil er nachher
nur eines nennt (§9: tu vero . . . ad tyrotarichum awtiquum redt),
so konnte Cicero sich doch wohl hier mit der Nennung des einen
besonders bezeichnenden und typischen begnügen und brauchte
nicht pedantisch wieder alle drei zu nennen. Daß er vielmehr
in dem Satze Quem tu mihi usw. wirklich mehrere von Pätus
ihm angekündigte Gerichte nannte, zeigen doch wohl deutlich die
Worte, mit denen er nachher auf jenen Satz zurückweist (§ 8):
volo videre animum, qui mihi audeat ista, quae scribis, apponere aut
etiam polypum miniati lovis similem. Er sagt nicht istud quod
scribis, sondern ista quae scribis. — § 7 a. E. wird von G.r mir
in Sache und Ausdruck nicht verständlich, gelesen und gedeutet:
Tu autem quod mihi bonam copiam emres, nihil est; tum mim,
cum rem habebas, quaesticulis (in einer Fußnote quaesticulus) te
faciebat attentiorem, nunc, cum tarn aequo animo bona perdas, non
eo fit consilio, ut, cum me hospüio recipias, aestimationem te aliquam
putes accipere — „Denn damals, als du Vermögen hattest, machte
dich das auf kleine Profite erpicht, jetzt, da du dein Vermögen
leichten Sinnes preisgibst, geschieht das (sc. Knausern) absicht-
lich nicht, damit du dir einbildest, daß dir eine Bewirtung irgend
eine aestimatio einbringen könnte".
Ad fam. IX 18, 3 ist überliefert: Veni igitur, si vir es, et
disceam nqoleyoiisvag (disce änQolsyofASPag D) quas quaeris etsi
sus Minervam sed quomodo video si (si om. D) aestimationes tuas
vendere non potes neque ollam denariorum implere, Romam tibi
remigrandum est. Boot (s. Mendelssohn) hatte vermutet disce a
me nQoriyii6va quae quaeris, weiterhin Orelli sed quoniam ut video,
aestimationes . . und statt dessen Mendelssohn st, quomodo video,
aestimationes . . Jetzt G.: et disce a me anonqotiyiiiva quae quaeris,
etsi sus Minervam. Sed si, quomodo video, aestimationes . . In äno-
nqofiYiiiva kann ich eine Verbesserung der schon vorgebrachten
Konjekturen nicht sehen. Denn eine gute Mahlzeit, um die es
sich hier handelt, ist in stoischem Sinne ein nQorjyfjtivov, wie
.Boot vorschlägt, nicht ein änonQOijyfiipov. Beispiele des letzteren
sind bei Cic. de fin. III 51 dolor, morbus, sensuum amissio, paupertas,
ignominia. Und um den Sinn zu erhalten: Sed si, quomodo
video, aestimationes tuas vendere non potes, würde es doch wohl
nicht nötig sein, st anders zu stellen, als es überliefert ist.
Ad fam. IX 20, 2 schützt G. das überlieferte artolagyni,
während allgemein artolagani gelesen wird, vermutet i^äxtg statt
Ciceros Briefe, von Tb. Schiche. 405
des unverständlichen ex artis und liest also: dediscendae tibi (d.i.
Pätus) sunt sportellae et artolagyni tut: nos tarn egdxig tantum
habemus, ut Verrium tuum et Camillum — qua munditia komines,
qua elegantial — vocare saepius audeamus. Sportella sei „als
Kuchengeschirr ein Gerät, in dem man Speisen leicht aufkochen
oder braten ließ (Apic. 6, 248; 8. 364 und 374)", und artolagyni,
nach seiner Zusammensetzung, „Brotkrug, etwa unseren Kakes-
büchsen entsprechend44. Jedenfalls wolle Cicero zwei bescheidene
Geräte nennen: „An deine Kasseröllchen und Brotbuchsen ist jetzt
nicht mehr zu denken11. Mit i^dxig tantum sei das lateinische
sexies tantum gemeint und der Sinn sei: „Bescheidene Herrichtungen
reichen für so verwöhnte Gäste nicht aus, es müssen größere
Mengen bereitgehalten werden". Man sieht nicht recht ein, wes-
halb Cicero e^dxic gesagt haben sollte statt des sich damit völlig
deckenden sexies. Und wie paßt diese Deutung zu habemus und
zu dem sich daran anschließenden Satze: ut Verrium tuum et
Camillum vocare saepius audeamus?
Des weiteren sucht G. gewisse früher von ihm vorgetragene
Vermutungen und Deutungen gegen 0. C. Schmidt zu rechtfertigen
und widerlegt die Konjekturen Schmidts, über die ich JB. XXVII
S. 2551f. berichtet habe.
24) L. Gurlitt, Über das Febleo der Briefdaten in den ciceroni-
schen Korrespondenzen. Festschrift für Otto Hirschfeld, Berlin
1903, S. 16—29.
Empfehlungsschreiben wurden nicht datiert, gewöhnlich auch
solche Briefe nicht, die noch an demselben Tage ihr Ziel er-
reichten. Nicht so sicher dagegen sind drei weitere Thesen, die
Gurlitt (S. 22 fT.) aufstellt. 1) ,. Wichtige politische Briefe tragen
stets ein Schlußdatum, wenn sie direkt und durch eigene Brief-
boten an den Empfänger überbracht wurden'4. Das 15. Buch ad
fam. enthält wichtige politische Briefe, keiner aber trägt ein
Schlußdatum, und es ist kein Grund anzunehmen, daß sie nicht
direkt und nicht durch eigene Briefboten überbracht wurden.
2) „In Freundesbriefen fugte man das Datum bei, wenn man
aus der Ferne und von der Reise schrieb44. Die 21 Briefe des
5. Buches an Atticus sind teils auf der Reise nach Cilicien, teils
in der Provinz geschrieben, das Datum ausdrücklich beigefügt ist
aber nur einem von ihnen (V 3). Sowohl im XV. Buch ad fam. wie
im V. Buch ad Att. konnten die Empfänger die Abfassungszeit der
betreffenden Briefe mehr oder weniger deutlich aus deren Inhalt
ersehen, und das genügte dem Absender der Briefe. Mit welcher
Willkür aber hierbei verfahren wurde, zeigt gerade jener Brief ad
Att. V 3. Denn auch wenn Cicero das Datum am Schlüsse nicht
hinzugefügt hätte, wäre dem Empfänger die Abfassungszeit im all-
gemeinen ebensowenig zweifelhaft gewesen, wie bei vielen anderen
Briefen, denen das Abfassungsdatum nicht beigefügt ist. 3) „Briefe,
406 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
die man Freunden und Vertrauten überließ oder mitgab, wurden
nicht datiert4'. Warum nicht? „Das hätte sonst ausgesehen wie
ein Mißtrauen, wie eine Kontrolle [der Beförderungszeit], die
offenbar gegen den guten Ton verstoßen hätte'4 (S. 18). Diese
Begründung setzt voraus, daß der Freund oder Vertraute den
Brief, den er überbrachte, jedenfalls auch las; diese Voraussetzung
trifft doch aber gerade bei einem solchen zuverlässigen Manne am
wenigsten zu. Für den Empfänger des Briefes konnte es nicht
anstößig, sondern nur von Wert sein, aus dem Briefe zu ersehen,
wie lange es her war, seit der Brief geschrieben wurde. So fehlt
es denn auch in der Tat nicht an Fällen, in denen der Empfänger
die Beförderungsdauer des einem befreundeten Manne übergebenen
Briefes sehr wohl zu kontrollieren vermochte. So konnte z. ß.
Atticus aus dem von Cestius beförderten Brief A V 13 ersehen, daß
er diesem am Ende eines naturgemäß nur kurzen Aufenthalts in
Ephesus übergeben war; zwei oder drei Tage mehr oder weniger
kommen für diese weite Entfernung nicht in Betracht. Besonders
schlagend aber ist der Brief A V 15. Gegen den Schluß desselben
schreibt Cicero dem Atticus, er werde diesen Brief spät erhalten1),
dafür aber von einem zuverlässigen Freund (und das ist nicht
unwichtig für einen Brief, in dem sich Cicero über seinen der-
zeitigen Statthalterberuf sehr offenherzig äußert), nämlich C. An-
dronicus aus Puteoli. Und doch heißt es wenige Zeilen vorher:
Iter Laodicea faciebam a. d. III Non. Sextiles, cum hos litteras
dabaml Auch was G. sonst an Normen für das Weglassen des
Datums aufstellt, sind Vermutungen, für die es an Beweisen fehlt.
So soll in Abschriften von Briefen, die man einem zweiten znr
Kenntnisnahme zuschickte, nach einem ,, scheinbar festen Brauch"
das Datum weggelassen worden sein, auch wenn das Original es
enthielt (S. 2t). Von den Beispielen, die G. hier anführt, sagt
G., es seien zum Teil höchst wichtige politische Briefe, die un-
möglich im Original des Datums hätten entbehren können, aber
nicht einer sei uns mit dem Datum überliefert. Dies letztere
ist ein Irrtum; der Brief A X 8 B, den G. mit anführt, ist am
Ende datiert. Und daß wichtige politische Briefe immer ein Datum
gehabt haben müßten, ist, wie schon bemerkt, gleichfalls ein
Irrtum. Daß tatsächlich zwei von den Briefen, die G. anführt,
auch im Original kein Datum hatten, können wir feststellen auf
Grund der zufälligen Tatsache, daß sie in der Sammlung ad fam.
nicht als Abschriften, sondern als Originale überliefert sind und
dort kein Datum haben (A X 9 A = ad fam. VIII 16; A XIV 17 A
= ad fam. IX 14). Wie bei diesen zwei Briefen, können auch
l) Hieran läßt die Überlieferung, weoo sie auch lückenhaft ist, keinen
Zweifel. M1 hat plura scribam iarde tibi redüuro, Ma plura scribebam t. 1.
reddüu ire (redditu tri Z nach Lambin). Cicero schrieb vielleicht: plura
scribam < cum habebo cui dem; hat dabam > tarde tan reddüuro, sed dabam
famiUari homini ac domestico, C, Andronico Puteolano.
">
Cicero« Briefe, voo Th. Schiche. 407
bei vielen anderen die Verfasser eine besondere Datierung für
überflüssig gehalten haben, besonders wenn der Inhalt des Briefes
seine Abfassungszeit mit ausreichender Deutlichkeit ergab. Eine
weitere, nicht beweisbare Annahme Gurlitts ist folgende: Wenn
jemand außer einem Brief für sich auch einen solchen für einen
andern erhielt, dem er ihn abgeben sollte und der zu dieser
Zeit bei ihm war, so soll nur der erste das Datum erbalten
haben (S. 17). Das wird gewiß oft so gewesen sein, ob aber auch
nur in der Regel, darüber läßt sich durchaus nichts feststellen.
Es ist eben mißlich, Normen aufstellen zu wollen in einer Sache,
die so sehr von der Willkür des Schreibenden und von allerlei
Zufälligkeiten abhängt. Deshalb aber ist es auch ungewiß, wie
viele von allen den Fällen, in denen das Datum fehlt, auf Rechnung
derjenigen zu setzen sind, die die Sammlungen für die Veröffent-
lichung zurechtgemacht haben, und insofern ist es berechtigt,
wenn G. der Ansicht H. Peters (Der Brief in der römischen
Literatur, S. 91) widerspricht, nach der das Datum, wenn es bei
in die Ferne gesandten Briefen fehlt, vom Herausgeber weggelassen
worden ist.
25) L. Gurlitt, Textrettnngen zu Ciceros Briefen. Philologus
LXII (1903) S. 87—90.
Mit Recht hält G. ad fam. IX 6, 6 das überlieferte iure in
den Worten iure enim, si quid ego stirem, rogarat, quod tu nescires
für richtig, wie auch schon Baiter. An zwei weiteren Stellen
meint G. durch abgeänderte Interpunktion die Oberlieferung halt-
bar machen zu können. Ad fam. VIII 17, 1, in einem Briefe, der
nicht an Curio, sondern von Cälius an Cicero gerichtet ist, liest
G.: Ergo me potius in Hispania fuisse tum, quam Formiis, quom
tu profectus es ad Pompeium! — quod utinam! — aut Appius
Claudius in ista (sc. fuisset) parte, C. Curio, quoius amicitia me
paulatim in hanc perditam causam imposuit und erklärt dies: „Wäre
doch dieser Appius Claudius an deiner Stelle gewesen und hätte
durch seinen Einfluß mich, statt zu Cäsar, zu Pompejus geführt!
So aber habe ich mich deiner Freundschaft, C. Curio, zuliebe ins
Verderben locken lassen". Ad fam. IX 7, 2 liest und deutet G.:
Sed, quod quaetis, quando, qua, quo, nihil adhuc (sc. est allatum).
Sosinus*) istuc ipsum de Bans (sc. nuntiat, scribü, dicit; d. h. S.
sagt genau dasselbe wie du, von Bajä). nonnulli dubitant, an
per Sardiniam veniat (illud enim adhuc praedium suum non in-
spexit, nee ullum habet deterius, sed tarnen non contemnit), ego
omnino magis arbitror per Sieiliam; vel iam sciemus [wir werden
es sogar bald (sicher) wissen]. Diese Vermutungen unterliegen
erheblichen Bedenken, besonders aus sprachlichen Rücksichten.
Denn jener Vokativ C. Curio, die Wendung in haue causam im-
l) Oberliefert ist sosmus. „Mao kö'aate ja auch", meint G. in einer
Fofliote, „mit größerem Rechte an G. Sosios deokea".
r^
408 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
posuit, die Verbindung vel tarn sciemus sind sprachlich doch wühl
wenig wahrscheinlich.
26) G. L. Hendrickson, Cicero's judgment of Lueretins. Americ.
journ. of philol. 22 (1901) S. 438 f.
Ad Quint. frat. II 9, 3 : Lucreti poemata ut scribis ita sunt
multis luminibus ingenü multae tarnen artis. Sed cum veneris.
Das Wort tarnen, meint H., diene nicht dazu, den Gegensatz zu
ingenii hervorzuheben, sondern zu ita sunt, und mache den Punkt
geltend, in dem Cicero von Quintus in . der Beurteilung des
Lucreti us abweiche. Des weiteren wolle man sich nach der An-
kunft des Quintus über diese Meinungsverschiedenheit unterhalten.
27) M. Ihm, Zu Ciceros ad Att. XIV 10,2. Rhein. Mus. LVI (1901)
S. 148 f.
Die überlieferte Lesart hat hier Frangones. Für den Namen
Frango finden sich keine Belege., wohl aber für Fango, bei Dio,
Appian und in Inschriften. Also zu lesen Fangones.
28) G. D. Kellog, Critical notes od Cicero's Letters. Americaa
Philological Association, proceedings of special Session 1900 S. IV f.
Zu der Frage, ob und wie Cicero den Konjunktiv in unab-
hängigen Sätzen gebraucht, erklärt K., volo ut komme nicht vor,
velim mit nachfolgendem Konjunktiv der 2. Pers. Sing, ohne ut
finde sich in mehr als 300 Fällen, velim ut aber in sieben Fällen
bei Cicero und in je einem bei Lentulus und Dolabeila. Zu jenen
sieben Fällen zählt K. auch ad fam. XVI 9, 3. wo ut einem ita
entspricht : scio te omnia facturum, ut nobiscum quam primum sis,
sed tarnen ita velim, ut ne quid properes. Hier kann von velim ut
keine Rede sein; denn die regelmäßige Form des Ausdrucks wäre
nicht velim ne quid properes, sondern velim nobiscum sis. Auch
A V 21, 9 hat mit velim ut gar nichts zu schaffen. Mit der 3.,
nicht mit der 2. Pers. Sing, steht velim ut A XVI 1, 2 (Velim, ut
tibi amicus sit. Hoc cum tibi opto, opto ut beatus sit; erit enim
tarn diu). Mit Unrecht nimmt K. hier einen Einfluß des nach-
folgenden opto an wie A II 1, 12 einen Einfluß des vorausgehenden
cura (Si me amas, cura ut conserventur et ad me perferantur
(libri sc); hoc mihi nihil potest esse gratius. Et cum Graecos tum
vero diligenter Latinos ut conserves velim) und ad fam. IV 1, 2
eine Einwirkung von mandavi (Trebatio mandavi, ut si quid tu
eum velles ad me mittere7 ne recusaret, idque ut facias velim autr
si quem tuorum fidelium voles, ad me mittas). Dagegen hätte K.
darauf hinweisen können, daß in den beiden letzten Fällen die
Voranstellung des abhängigen Satzes als Milderungsgrund für velim
ut gelten kann, wie dies auch ad Qu. fr. II 8, 1 der Fall ist (Tu
vero ut me et appeUes et interpelles et obloquare et conloquare velim).
Als mildernd sieht K. mit Recht es an, wenn ad fam. XI 18, 3
Giceros Briefe, von Tb. Schiebe. 44)9
zwischen velim und ut andere Worte stehen : Quare velim equidem,
id quod spero, ut plane abiectus et fractus sit Antonius. So bleibt
mit velim ut und der 2. Pers. Sing, bei Cicero selbst nur übrig
ad fam. IV 14, 4 De tuis velim ut eo sis animo, quo debes esse, id
est ut ne quid tibi praeeipue timendum putes. Lentulus schreibt
ad fam. XII 14, 4 De nostra dignitate velim tibi ut semper curae
sit et, quocumque tempore occasionem habueris, et in senatu et ceteris
rebus laudi nostrae suflragere. K. hält es hier für möglich, daß
ut aus einem et verdorben sei, dem dann et . . . suffragere ent-
spreche. In einem Briefe des Dolabella (ad fam. IX 9, 3) endlich
heißt es: Quare velim, mi iueundissime Cicero, si forte Pompeius
pulsus his quoque locis rursus alias regiones petere cogatur, ut tu te
vel Athenas vel in quamvis quietam redpias civitatem. Wir sehen
also wieder dort velim ut (die Richtigkeit dieser Lesart voraus-
gesetzt) mit der 3. Pers. sing, verbunden, hier velim und ut durch
einen Zwischensatz getrennt.
Im Zusammenhang mit diesen Tatsachen erklärt sich K. für
folgende Lesarten : A XI 25, 3 velim id possit adservari {velim ut
possim adversas M, velim ut possit adservari Boot); A XVI 7, 8
ita plane velim (sc. sit) et ei dicas (so Baiter); A XV 25 ex te
etiam velim scire, cf. A XV 23 etiam ex te velim . . . cognoscere (et
tu etiam scire M); A IV 13, 1 velim scribas (mg. Crat.; rescribas M)
ad me; A I 17, 1 1 multa sunt, sed in aliud tempus (sc. differo)
Expectare (davor also wohl ein Punkt : tempus., der im Druck aus-
ausgefallen ist); velim (mit anderen; velis M, mg. Crat.) eures
ut sciam.
Da ein für sich allein stehender Coniunct. praes. in der
2. Pers. sing, im Sinne einer Aufforderung nicht gebraucht wird,
so liest Kellog A XII 37, 4, wo scribas überliefert ist: scribe igitur
si quid usw. oder noch lieber mit Wesenberg scribas igitur (velim)
si quid usw.; scribe sei gewöhnlicher (?) als scribes, aber scribas
igitur velim sei gefälliger. A IV 19, 2 ist überliefert Quo die ad
me venies ut si me amas apud me cum tuis maneas; nur in Boots
Rav. fehlt ut. Ohne zu sagen, was mit diesem ut werden soll,
will K. lesen (fac) apud oder (fac) maneas; einem Wohllauts-
gesetz zufolge stehe fac fast immer vor einer Silbe, die ein a
enthält. Aus diesem Grunde sollen wir auch A IV 4 lesen: utique
cum tuis (fac) apud me sis. Zu den Fällen dieser Art zählt K,
auch A V 15, 3 adsis tu ad tempus in den Worten: Sed feremus,
modo, si me amas, si te a me amari vis, adsis tu ad tempus und
will (fac) adsis lesen. Hier ist aber modo adsis tu = dummodo
adsis tu. Wenn endlich K. in ad fam. XV 12, 2 a te peto ut
operam des efficias und A VIII 6, 2 dabis operam . . . venias Parallel-
stellen sieht, so ist darauf hinzuweisen, daß dort auch ejficiasque,
hier auch dabis operam ut . . . venias handschriftlich überliefert ist
(s. C. F. W. Muller).
Jahresberichte XXX. 27
410 Jahresberichte d> Pbijolog. Vereins.
29) G. Kiroer, Cpotributo alla. critica del testo delle epistole
' ad ' fanjiliar'es di Cicerone. Studi italiaoi di. Filologia classic»,
vol. IX', S, 369-^433. ' Ff rette 1901.
'.• ' ' < •. • . . ' f • ■ .' ..."
Diese Arbeit fyat mir ni,cht vorgelegen und ist mir nur be-
kannt aus. einer Anzeige Gurlitt* in der Berl. phil. WS. XXÜ
(1902) Sp. 522— 5(27. , GurUtt kommt hier, zu dem Ergebnis,
daß Kirners mühsame und methodisch, besonnene Untersuchung
im Grunde zu einer Anerkennung von Mendelssohns kritischem
Verfahren geführt und nur der Oberlieferungsgeschichte einen
Zuwachs an Erkenntnis eingebracht hat.
30) W\ Moooey, Cicero ad Att. XIII 23,2. The classical review XVI
(1902) S. 121a; / ' '
Libri ad Varronem non morabantur. Sunt enim fdeffecti, ut
vidisti: tantum Jibrariorum rrienda tolluntur. Mooney vermutet de-
fdecati. Er meint, dieses bei Plautus öfter vorkommende Wort
scheine für literarische Durchsicht (literary revision) regelmäßig
gebraucht worden zu sein, und verweist auf Sidon. Apoll. I 1, 3:
tuat examinationi has (Jlüterulas) non recensendas (hoc enim purum
est)seddefaecandasyut aiunt, limändasque commisi Der Zusatz
ut vidisti weist auif etwas äußerlich leicht Wahrnehmbares hin,
paßt also nicht auf eine Durchsicht nach literarischen Gesichts-
punkten. Es ist wohl zu lesen perfecti..
31) E, M- Pease, The greetiog in the letters of Cicero. Studie« in
hoooiir of Gild'ersleeve, Baltimore 1902, S. 395—404.
Wie in unsern Briefen die mancherlei Formen von Anrede
und .Briefschluß charakteristisch sind für das gegenseitige Ver-
hältnis von Schreiber und Empfänger des Briefes, so im römischen
Brief die ,den Gruß enthaltende Überschrift. Die große Einförmig-
keit der Überschrift in den Briefen an Atticus und an Brutus
(Cicero, Attico sah und Cicero Brufo sal.) laßt es fraglich erscheinen,
ob diese Überschriften von Cicero selbst herrühren. Wird deshalb
von den Oberschriften dieser Briefe abgesehen, sowie von den-
jenigen, die auf Konjektur beruhen, sp bleiben 374 Überschriften,
deren mannigfaltige Formen durch eine entsprechende Verschieden-
heit der Empfindung des Briefschreibers gegenüber dem Empfänger
bedingt sind. Sie lassen ebenso die herzliche Freundschaft und
verwandtschaftliche Liebe erkennen wie die kühle, ganz äußerliche
Förmlichkeit, und nicht minder die verschiedenen Zwischenstufen.
Von den. letzteren unterscheidet P. drei, so daß er im ganzen
fünf Hauptklassen erhält, jn denen er die Überschriften einordnet.
Beispiele verwandtschaftlicher Zuneigung und enger, vielleicht
noch aus der Knabenzeit herrührender Freundschaft sind: Marcus
Quinta fratri salutem (praenomen und praenomen); Cicero Servio s.
(cognomen und praenomen). Da das bloße praenomen des
Empfangers ein Zeichen vertrauter Freundschaft ist, so zweifelt P.
Ciceros Briefe, von Tb. Schiche. 4]{
die Richtigkeit der Überschrift ad fam. X 29 Cicero Appio s. an
und macht darauf aufmerksam, daß hier jüngere Hss. Cicero
Ampio 8. haben. Die Intimität der Familie oder die Freundschaft
reiferer Jahre zeigt sich in der Form Tullius s, d. Terentiae suae
(nomen und nomen) oder Cicero Cornißcio s. (cognomen und
nomen). Die am häufigsten vorkommende Form ist Cicero Varroni
(cognomen und cognomen): herzlich und freundlich, aber nicht
persönlich intim. Sehr häufig sind auch die Formen D. Brutus
s. d. M. Ciceroni oder M. Cicero s. d. C. Memmio, gebräuchlich bei
nur geschäftlichen oder politischen Beziehungen. Rein formell
und offiziell sind Formen wie folgende: M. Tullius M. f. Cicero s.
d. Cn. Pompeio Cn. f. Magno imperatori. Wenn also P. Volumnius
Eutrapelus an Cicero schrieb: Volumnius s. d. TulUo, so ist Cicero
(ad fam. VII 32) höflich genug, diese Vertraulichkeit gelten zu
lassen, während wohl zu erwarten war, daß Volumnius schrieb:
P. Eutrapelus M. Tullio s.
Der Verf. hofft, daß die genaue Beachtung der hier erörterten
Unterschiede nicht bloß psychologisches Interesse hat, sondern
siph auch für die Textkritik und für die Unterscheidung von
Personen mit gleichem Namen nützlich erweisen wird.
32) H. Peter, Der Brief in der römischen Literatur. Literar-
geschichtliche Untersuchungen und Zusammenfassungen. (Aus den Ab-
handlungen der Königl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften.)
Leipzig 1901. ß. G. Te üb ner. 259 S. gr. 8. i\ Jt.
In der Einleitung geht der Verf. davon aus, daß sich bei den
Griechen und Römern erst spät die Individualitat geltend gemacht
habe. Ein hervorragendes Beispiel des freien Hervortretens einer
solchen sei erst Cicero, und zwar auch nur in den Briefen an
Atticus, die aber ebendeshalb auch keine Nachfolge gefunden
hätten. Die Literatur des römischen Briefes habe vielmehr ihren
Ausgang genommen von Ciceros Briefen ad familiäres. Das Herum-
künsteln an der Form, das von den Griechen übernommene
Theoretisieren und die Neigung zum Allgemeinen und Typischen
machte dann aus Briefen und Briefsammlungen eine besondere
Literaturgattung, die sich in prosaischer und poetischer Form
entwickelte.
Das erste Kapitel behandelt „die Anfänge der Briefliteratur
bei den Alten und die Gattungen der Briefe nach ihren Vor-
stellungen und Lehren'4. Bei den Griechen hatten die Anfänge
der Briefliteratur zunächst den Zweck, an die, Stelle der münd-
lichen Mitteilung zu treten, und zwar sowohl an die Stelle der
privaten Mitteilung, wie an die der öffentlichen Rede, dann aber
hatten Briefe, die veröffentlicht wurden, vorzugsweise den Zweck
der Belehrung, besonders über wissenschaftliche Gegenstände. Zu
den Briefen dieser letzteren Art gehörten die philosophischen
nQOTQSTVTwoi, soweit sie Briefform hatten, und die Trostschriften.
In den griechischen Rhetorenschulen entwickelte sich die Theorie
27*
412 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
des Briefes, soweit er mündliche Mitteilung ersetzen sollte, und
so sind denn auch bei Cicero Anzeichen dafür vorhanden, daß
ihm eine solche Theorie vertraut war. In der späteren Theorie
des Briefes seit Quintilian spielen die Vermeidung des Hiatus und
der Rhythmus ihre Rolle. Der letztere ist beobachtet bei Seneca,
dem jüngeren Plinius, Fronto, er ist von Symmachus in bestimmter
Regel formuliert und wurde auch weiterhin festgehalten, nur daß
an die Stelle der Messung nach der Silbenlänge seit dem 5. Jahr-
hundert die Akzentuierung tritt.
Das zweite Kapitel ist überschrieben : „Die äußere Form und
Beförderung, das Sammeln und Veröffentlichen der Briefe nach
den Angaben Ciceros". Es ist darin die Rede von Konzept und
Reinschrift, von eigenhändiger Niederschrift und vom Diktieren
der Briefe, von ihrer Datierung und Adressierung, sowie von einer
Art von Hausarchiven, in denen man die empfangenen Briefe und
die Konzepte oder Abschriften der ausgefertigten aufbewahrt habe.
Daß an die Veröffentlichung von Briefen Ciceros schon dieser
selbst gedacht hat, geht hervor aus der viel behandelten Stelle
ad Att. XVI 5, 5 Mearum epistularum nulla est avvayo^y^ usw.
Nicht zur Veröffentlichung bestimmt waren jedenfalls die Briefe
an Atticus. Was nun aber zu ihrer Veröffentlichung geführt hat
und wann diese erfolgt ist, sind viel erörterte Fragen, auf die
jetzt (im dritten Kapitel) auch P. ausführlich eingeht. Er meint,
diese Briefe seien unter Nero, etwa um 60 n. Chr., veröffentlicht
worden; den Anlaß dazu habe vielleicht die damalige, auf Cicero
gegründete Reaktion gegen den modernen Stil, möglicherweise
auch Vorgänge unter den Nachkommen des Atticus gegeben, die
von Neros Vorgänger Claudius schwer verfolgt worden sind. Auch
der Tätigkeit des Herausgebers spürt P. nach und setzt dabei
voraus, daß das, was Nepos an Briefen des Cicero an Atticus bei
dem letzteren sah, nicht ganz dasselbe ist wie das, was uns, in
16 Bücher geteilt, vorliegt. Nepos sagt (vit. Att. 13,7): undecim
volumna epistularum ab consulatu eius usque ad extremum tempus
ad Atticum missarum. Diese undecim volumina hätten die elf
ersten Briefe, die vor Ciceros Konsulat geschrieben sind, nicht
enthalten, auch nicht das XII. und XIÜ. Buch, wohl aber die
Briefe aus Ciceros letztem Lebensjahr. Diese letzteren und ver-
einzelte Briefe aus früherer Zeit habe Atticus persönlich oder
durch seine literarischen Testamentsvollstrecker aus politischen
Gründen beseitigt. Jener nachmalige Herausgeber habe dann das
XII. und XIII. Buch, sowie die 11 ersten Briefe hinzugefügt und
diesen Gesamtbestand in 16 Bücher neueingeteilt. Für die un-
decim volumina des Atticus nimmt P. im allgemeinen Pausen im
Briefwechsel als Teiiungsgrund an. So erhält er für die vier
ersten und das 11. Buch je ein volumen, und diese fünf volumina
habe auch der letzte Herausgeber so gelassen. Buch XIV, XV
und XVI trenne nur je ein Tag; sie hätten bei Atticus ein ein-
^
Ciceros Briefe, vod Tfa. Schiebe. 413
ziges volumen gebildet. Dagegen sei für die Korrespondenz in
V — X schon an Atticus die Notwendigkeit herangetreten, mehrere
Rollen anzulegen, drei im Verhältnis zu den herausgegebenen
Werken Ciceros. Die nachher der Öffentlichkeit entzogenen Briefe
aus Ciceros letztem Lebensjahr hätten wieder drei Rollen gefüllt.
Das macht doch aber zusammen 12 Rollen, nicht 11. Und die
Annahme, daß Buch XII und XIII erst vom letzten Herausgeber
hinzugefügt worden seien, ist mit dem Hinweis darauf, daß die
Briefe in diesen beiden Büchern ungeschieden überliefert sind,
also nicht die übliche Oberschrift Cicero Attico sal. tragen, daß
ferner im 12. Buch oft Grüße an die Angehörigen des Atticus fehlen
und daß im 13. Buch die chronologische Folge der Briefe stark
verwirrt ist, keineswegs genügend erhärtet. Daß ferner die elf
volumina des Atticus die elf ersten Briefe nicht enthalten hätten,
ist ganz unwahrscheinlich (s. oben S. 388). Vollends die An-
nahme, daß des Atticus Sammlung aus Ciceros letztem Lebens-
jahr, in welchem die Freunde doch miteinander in Rom lebten
(s. ebenda), Briefe Ciceros an Atticus in einem Gesamtumfange
enthalten habe, der mehr als doppelt so groß gewesen sei als der
in den drei Büchern XIV, XV und XVI vorliegende Briefwechsel
der vorhergehenden acht Monate, ist mir unverständlich. So
sind also Peters Vermutungen in betreff der undeeim volumina des
Atticus weit davon entfernt, zur Zustimmung zu nötigen. Wenn
aber Peter meint (S, 52), daß durch seine Ansichten von der
Veröffentlichungszeit der Sammlung ad Atticum (s. oben S. 412) das
argumentum ex silentio Asconii eine Stütze erhalte, so verweise
ich hinsichtlich der Wertlosigkeit dieses letzteren auf S. 368 ff.
Nicht weniger eingehend als für die Atticusbriefe behandelt
P. dann auch für die übrigen Cicerobriefe die Frage, warum die
uns vorliegenden Sammlungen gerade die Gestalt haben, in der
sie uns vorliegen. Für die Briefe ad fam. seien zunächst vier
verschiedene Prinzipien zu erkennen: 1. ein rein ästhetisches in
XIII, 2. ein für Cicero Partei nehmendes historisch-ästhetisches
in I und III, 3. ein rein historisches in X — XII 16, und 4. Familien-
rücksichten in XIV und XVI. An die zweite dieser Gruppen
schließe sich Buch II als den Orient betreffend, an dieses wieder
Buch VIII, die Briefe des M. Caelius Rufus während Ciceros Pro-
konsulat und während des Bürgerkrieges. So wird auch für die
übrigen Bücher auf vorherrschende Gesichtspunkte hingewiesen,
die wenigstens für die Hauptgruppen in ihnen maßgebend seien,
während andere, diesen Gesichtspunkten sich nicht fügende Briefe
mehr oder weniger anhangsweise und nach äußerlichen Veran-
lassungen untergebracht seien. Daß nun wenigstens der Grund-
stock der Sammlung ad fam. auf Tiro zurückgeht, dem man bisher
die Herausgabe der ganzen Sammlung zugeschrieben hat, ist auch
Peters Meinung. Auf von Tiro herausgegebene Sammlungen seien
die Empfehlungsbriefe des XIII. Buches zurückzuführen, ferner die
414 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Familienbriefe des XIV. und XVL Buches, endlich solche Gruppen
der Bücher I — IX und XV, die ein historisch-ästhetisches und der
Verherrlichung Ciceros dienendes Interesse erkennen ließen und
nicht über den Juli des Jahres 44 hinausgingen. Ein späterer
Herausgeber habe diese Bestandteile zusammengestellt, mit Bei-
fügungen aus älteren Sammlungen (Peter S. 88); insbesondere sei
X — XII 16 von ihm eingefugt worden. Denn diese Briefe gingen
um ein Jahr über den Juli 44 hinaus und es werde in ihnen
über Cäsar mit rücksichtsloser Offenheit und Schärfe geurteilt,
im Gegensatz zu der vorsichtigen Haltung der übrigen Bücher.
Dieser Herausgeber sei vielleicht derselbe wie der der Briefe an
Atticus; wenigstens seien die beiden Sammlungen einander möglichst
angeglichen, z. B. in der Zahl der Bücher. Wahrscheinlich sei es
dann auch, daß die Briefe ad fam. ungefähr zu derselben Zeit
veröffentlicht wurden wie die an Atticus. — Die Briefe ad Quinttim
fratrem ließen die Rücksicht auf Cicero erkennen und hätten eine
Cäsar günstige Färbung, seien also wohl von Tiro in der Zeit
Oktavians herausgegeben. — Das uns erhaltene Bruchstück des
Briefwechsels mit Brutus geht über die spätesten Briefe in der
Sammlung ad familiäres nicht wesentlich hinaus, also nicht über
die Erzwingung des Konsulats durch Oktavian, das dieser am
19. August 43 antrat. Und doch darf man mit Sicherheit an-
nehmen, daß Cicero auch über diesen Zeitpunkt hinaus mit Brutus
Briefe gewechselt hat. „Aus demselben Grunde, der zur Be-
seitigung anderer Briefe über diesen Termin hinaus geführt hatte,
müssen auch diese unterdrückt worden sein" (Peter S. 93). Dies
spricht deutlich dafür, daß ebenso die Briefe ad familiäres wie
die Brutusbriefe unter Oktavian veröffentlicht wurden. P. meint
aber, die Auffrischung der Erinnerung an Brutus sei unter Oktavian
mißliebig gewesen, und ist deshalb geneigt, die Herausgabe der
Brutusbriefe in die gleiche Zeit zu verlegen wie die der beiden
großen Sammlungen. 1 16 und 17 hält P. mit andern für Übungs-
stücke eines Bhetors.
Auf Peters weitere Darstellung der prosaischen und poetischen
Briefliteratur bei den Bömern kann hier nicht eingegangen werden.
Die Fülle der Einzeluntersuchungen, die der Verf. vornimmt,
ruft auch weiterhin bisweilen den Eindruck hervor, als ob die
Erörterung der Einzelheiten und Zufälligkeiten vor der Berück-
sichtigung allgemeinerer, mehr innerlicher Gesichtspunkte stärker
hervortritt, als man von einer Geschichte der römischen Brief-
literatur erwarten würde. Aber eine solche hat sich der Verf. ja
auch gar nicht zur Aufgabe gemacht. Er bezeichnet schon auf
dem Titel seine Arbeit ausdrücklich als „literar- geschichtliche
Untersuchungen und Zusammenfassungen41, und es ist sicher, daß
jeder Leser, auch wenn er mit manchen Ansichten des Verf.s nicht
einverstanden ist, das Buch aus der Hand legen wird mit der Empfin-
dung, dem Verf. reiche Belehrung und Anregung zu verdanken.
Cioeros Briefe, vod Th. Suhiche. 4-1 &
33) S. ß. Platner, The nunuscripts of thö Letters *f Cicero to
Atticas in the Vatjican librarv. Aineric. jouroal. of philo}. XXI
r (1900) S. 420—432. '
In der vatikanischen Bibliothek. sind 14 Hss., die die Briefe
an Atticus enthalten. PI. beschreibt, sie and. bestimmt ihren Werl.
Sie stammen sämtlich aus dem 15. oder dem Anfang des 16. Jahr-
hunderts und enthalten nicht bloß die Briefe an Atticus, sondern
folgende Bestandteile: 1) epp. ad Brutum über I; 2) epp. ad Q.
fratr. libri III; 3) ep. ad Octavjanum; .4) epp. ad A'tticum libri XVI.
Am Schluß kommen hier und da noch unerhebliche .Bestandteile
hinzu, die mit Cicero nichts zu tun haben. Die Briefe ad Q. fr.
und ad Att. sind nicht überall vollständig. Eine von diesen Hss.
ist schon durch C. Lehmann (De Giceronis ad Atticum epistulis
recensendis et emendandis, S. 42 — 44) genauer bekannt, der
Urbinas 322. Was deq Wert dieser Hss. betrifft, so sind sie sehr
nahe Verwandte von M, jedoch meist mehr oder weniger durch-
setzt mit Lesarten, die aus der Handschriftenklasse -£ stammen.
Nur eine von ihnen hat selbständigen Wert, der. codex Palatinos
1510. Er enthält von den Briefen an Atticus: I — III; IV 1— -4;
-.14; 16,1 — 4 und 10—12; 18t 1 — 3 bis auf zwei oder drei
Zeilen; V 1—8; 10; IX 2; 3; 4; 6, 4— 6 A. Diese Hs. stimmt
in allen Fällen mit 2 überein, ist also eine der wenigen Hss.,
die diese Klasse rein darstellen. Eine vollständige Vergleichung
-dieser Hs. wäre deshalb erwünscht.
34) L. C. Parser, Notes oo Cicero's co rrespoodence during bis
procoosalate. Royal Irish Academy, ser. III, vol. VI, S. 390 — 414.
Vorliegende Bemerkungen können als Beweis dafür gelten,
daß Purser bei der Vorbereitung der oben S. 367 ff. besprochenen
Textausgabe von Ciceros Briefen es nicht einfach bei den Ergeb-
nissen wollte bewenden lassen, die in der großen, mit Tyrrell zu-
sammen bearbeiteten kommentierten Ausgabe vorliegen; sondern
daß er sich eine genaue Nachprüfung der dort gegebenen Lesarten
und Erklärungen zur Aufgabe gemacht hat. Hierzu gab ja freilich
auch die inzwischen erschienene Ausgabe von C. F. W. Müller
reichliche Anregung, da dessen Briefe ad fam. bei Tyrrell- Purser
erst vom fünften Bande ab, die ad Att. nur im sechsten, dem
letzten Bande, berücksichtigt werden konnten.
Da die in der vorliegenden Abhandlung empfohlenen Lesarten
in der Textausgabe berücksichtigt nämlich zum Teil in den Text
aufgenommen, mindestens aber fast sämtlich in der adnot. crit.
vermerkt sind, so kann ich mich darauf beschränken, aus den
vielen von P. berührten Einzelheiten folgendes hervorzuheben:
A V 6 beginnt die Überlieferung mit den Worten: Tarentum veni
a. d. XV Kai. Iunias (= 18. Mai) und bietet im folgenden Briefe
den Satz : Ego cum triduum cum Pompeio et apud Pompeium fuissem,
proficiscebar Brundisium a. d. XHH Kai. Junta» (= 19. Mai). Wenn
416 Jahresberichte d. Pbilolog. Vereios.
fcicero in Tarent am 18. Mai ankommt und von dort am 19. ab-
reist, so bleibt kein Platz für das triduum des Verkehrs mit
Pompejus. Man hat deshalb in A V 7 die Zahl XIIII in ver-
schiedener Weise abgeändert, in XI, XII oder XIII. Auch P. liest
XI, nimmt aber an, daß die überschüssige III eine Verderbung
von HI (= bora prima) sei. Dies habe ursprünglich hinter lunias
gestanden, sei vom Abschreiber für III angesehen und deshalb
mit der vorangehenden Ziffer vereinigt worden. Die Annahme
einer solchen Umstellung hat wenig Wahrscheinlichkeit, und da
wir wissen, daß Cicero XI Kai. (== 22. Mai) in Brundisium ein-
traf (ad fam. III 3, 1), so mußte er die Reise von Tarent nach
Brundisium nach P. in einem Tage gemacht haben. P. verweist
darauf, daß Cicero nach A III 6 und 7 auch im Jahre 58 diese
Reise in einem Tage gemacht habe. Aber A III 6 ist nicht in
Tarent, sondern de Tarentino geschrieben; Cicero ist, wie der
Inhalt dieses Briefes zeigt, über Tarent schon hinaus. Und da-
mals war er ein Flüchtling, der so schnell wie möglich Italien
verlassen mußte: jetzt reist er als Statthalter mit Gefolge. P. be-
merkt selbst gelegentlich (S. 390), daß er jetzt sehr langsam reist,
und die Entfernung von Tarent nach Brundisium betragt in der
Luftlinie 9 bis 10 deutsche Meilen. Doch durfte P. damit recht
haben, daß bei der Lesung XIII Kai., der ich im Programm des
Friedr. Werd. Gymnasiums von 1895 S. 8 gefolgt war, die Dauer
des Aufenthalts in Tarent zu kurz und die der Reise nach
Brundisium zu lang wird. Wenn wir nun bedenken, daß Cicero
für die Reise von Venusia bis Tarent vier Tage brauchte, nämlich
die Zeit vom 15. (A V 5, 1) bis 18. Mai (A V 6, 1), und daß diese
Wegstrecke etwa doppelt so groß ist wie die von Tarent nach
Brundisium, so müssen wir für die letztere zwei Tage rechnen,
also mit Malaspina lesen XII Kai. (= 21. Mai). Cicero kam also
am 18. Mai in Tarent an und reiste am 21. Mai ab. Wie dann
das triduum des Zusammenseins mit Pompejus in Tarent zu
rechnen ist, bleibt ungewiß. Cicero schreibt nämlich noch am
Tage der Ankunft in Tarent: commodissimum duxi dies eos quoad
Ule (Pomptinus) veniret cum Pompeio consumere eoque magis quod
et gratum esse id videbam, qui etiam a me petierit, ut secum et
apud se essem eotidie. Quod concessi libenter. Hier sind videbam
— petierit — concessi die Kennzeichen eines persönlichen Verkehrs
noch am Tage der Ankunft Ciceros. Aber er fährt fort: Multos
enim eins praeclaros de re publica sermones accipiam, instruar etiam
consiliis idoneis ad hoc nostrum negotium» Am Tage der Ankunft
.also wurde mehr nur eine Pflicht der Höflichkeit erfüllt; die in-
haltsvolleren Gespräche sollten erst noch folgen, und die Möglich -
' keit, daß Cicero auch noch am Tage der Abreise mit Pompejus
zusammen war, ist nicht auszuschließen. Ob also Cicero mit dem
triduum den 18., 19. und 20. Mai meint oder den 19., 20. und
21., muß dahingestellt bleiben.
•^
Ciceros Briefe, von Th. Schiebe. 417
Auch A V 12 muß man P. recht geben hinsichtlich seiner
Auffassung der Worte in § 1: ltaque erat in animo nihil festinare
nee me Delo movere nisi omnia äxga rvqionv pura vidissem
(äxgee rvqiwv pura liest P. mit L. Dindorf; der Med. hat:
AKPATHPEON iura). Zwar lautet die Überlieferung festinare Delo
nee me movere, und erst Lambin hat Delo umgestellt, Faernus es
als Glossem gestrichen. Welche Bewandtnis es aber auch mit
Delo haben mag, so lassen die Worte doch deutlich den Vorsatz
erkennen, nicht eher weiterzufahren, als bis das Wetter ganz gut
ist. Ein solcher Vorsatz wird im sicheren Hafen gefaßt, nicht
auf der Fahrt, also sind jene Worte, auch wenn Delo zu streichen
ist, auf Delos geschrieben, da es vorher heißt inde Delum ....
cursum confeeimus. Nun schließt der Brief allerdings mit den
Worten Nunc eram plane in medio man und ich glaubte deshalb
(Progr. von 1895 S. 17) annehmen zu müssen, daß der ganze Brief
auf der Fahrt zwischen Delos und Ikaria geschrieben sei. Aber
es läßt sich doch wohl so ansehen, daß diese Worte bedeuten:
„ich befinde mich mitten im Meere", was man auf Delos wohl
sagen kann, und nicht notwendig: „ich befinde mich mitten auf
dem Meere". Es bedarf also auch nicht der Vermutung, die P.
ausspricht, daß § 1 und 2 dieses Briefes auf Delos, § 3 aber
später auf der Fahrt geschrieben sei. Tatsächlich schließt sich
das letzte Drittel des Briefes sehr eng an das Vorhergehende an,
und es ist nicht zutreffend, wenn C. F. W. Muller (und mit ihm
jetzt P. in der Textausgabe) es durch Absetzen vom Vorher-
gehenden trennen. Cicero schreibt in § 2 tuas . . . omni de rei
publicae statu litteras exspecto noAmxcSTtQOv quidem scriptas . . .
etusmodi inquam litteras, ex quibus ego non quid fiat . . . sed quid
futurum sit sciam, und nun als weitere Ausführung dieser Worte,
also nicht durch Absetzen zu trennen: Cum haec leges, habebimus
consules. Omnia perspicere poteris de Caesare usw. Auch das
Weitere reiht sich in engem Zusammenhange an und der Brief
ist unverkennbar in einem Zuge geschrieben, und zwar wahr-
scheinlich, wie ihn Baiter und Wesenberg ansetzten, am Tage der
Ankunft auf Delos, am 11. Juli.
Ausfuhrlich äußert sich P. über den Zinswucher, den Brutus
durch seinen Agenten Scaptius gegenüber den Bewohnern der
Stadt Salamis auf Cypern trieb und mit dem Cicero als Statt-
halter von Cilicien zu tun bekam. Es ist hiervon in diesen Be-
richten schon wiederholt die Rede gewesen (XXV S. 325 IT.; XXVH
S. 278 fT.). Ich führe deshalb nur folgendes an. Daß sich das
ursprünglich dargeliehene Kapital nicht ermitteln läßt, meint auch
P. (vgl. JB. XXVII S. 279), hält dies aber hinsichtlich des Betrages
des letzten Schuldscheins (proxima syngrapha, A VI 2, 7) für
möglich. Setze man nämlich voraus, daß dieser letzte Schuld-
schein im Februar 52 ausgestellt wurde, 22 Monate vor Ciceros
Behandlung der Sache, und berücksichtige man, daß die Salaminer
418 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
bei Ansetzung von 12°/o Zinsen jährlich ihre Schuld nach diesen
22 Monaten auf 106 Talente berechnen, Scäptius dagegen bei
Ansetzung von monatlich 4% auf fast 200 Talente, so komme
man auf etwa 84 Talente als den Betrag jenes letzten Schuld-
scheins.
Daß A VI 1, 3 in dem Satze Prrmum ab Ariobarzane sie cm-
tendi, ut talenta, quae mihi pollicebatur, Uli daret zu lalenta eine
Zahl hinzuzusetzen ist, haben Tyrrell-Purser in der großen Aus-
gabe mit Recht angenommen. Sie vermuteten dort VI, wohl
wegen der Ähnlichkeit mit VT, jetzt Purser C wegen A VI 3, 5:
Bruto cur ata hoc anno talenta circiter C.
Zu A VI 1, 4 (faenus et impendium recusare) erklärt sich P.
gegen die Deutung von faenus als Kapital und nimmt es vielmehr
in der gewöhnlichen Bedeutung von „Zinsen"; impendium seien
anderweitige, mit der Geldbeschaffung ja oft verbundene Kosten
oder Spesen.
A VI 1, 21 heißt es: De M. Octavio Herum iam tibi rescribo
te Uli probe respondisse. Dann ist überliefert: Caelius libertum ad
me misit et litteras aecurate scriptas et de pantheris et (sed M) a
civitatibus. Purser schlägt vor et de pantheris et (de avfißoXatc)
a civitatibus, scheint aber diese Vermutung aufgegeben zu haben,
da er sie in der adnot. crit. der Textausgabe nicht mehr erwähnt,
und gibt jetzt: et de pantheris et fa civitatibus. Vielleicht ist zu
lesen : litteras aecurate scriptas et de pantheris et (ut) a civitatibus.
So kurz konnte sich Cicero fassen, weil vermutlich Atticus in dem
-Brief, auf den Cicero hier antwortet, die Wunsche des Cäliits
ebenso wie die des Octavius erörtert hatte.
35) Julias Sander, Bemerkungen zu den Cicero-Briefen. Beilage
zum Programm des Melanchthon-Gymnasiums in Wittenberg 1901.
28 S. 4.
Der Verfasser gibt eine [Zusammenstellung sprachlicher Be-
sonderheiten in den Cicerobriefen, lexikalischer und grammatischer.
Der lexikalische Teil zählt zunächst „äußergewöhnliche" Wörter
auf, und zwar nicht in einer gemeinsamen alphabetischen Folge,
sondern nach verschiedenen, meist der Wortbildung entnommenen
Gesichtspunkten in Abschnitte geteilt, innerhalb deren die Wörter
alphabetisch aufgereiht sind. So erscheinen z. B. in einem be-
sonderen Abschnitt die substantivischen Deminutiva und in einem
andern die adjektivischen. Als zweiter Abschnitt des lexikalischen
Teils folgen „Besonderheiten im Sprachgebrauch ". Wir erhalten
hier, in alphabetischer Folge, eine Zusammenstellung von Wörtern,
die zwar auch sonst vorkommen, aber hier in einer bemerkens-
werten Verwendung, sowie von solchen, die eben schon hier vor-
kommen, nicht erst später. Die grammatischen Besonderheiten,
die den zweiten Teil der Arbeit bilden, werden nach den üblichen
grammatischen Kategorien aufgezählt. Das Ganze ist veranlaßt
Ciceros Briefe, von Th. Schiche. 419
durch des Verfassers Mitarbeit an Stowassers lateinisch-deutschem
Handwörterbuch und berührt sich zum Teil mit der Schrift von
Paul Mayer, De Ciceronis in epistolis ad Atticum sermone (Bayreuth
1887), die zwar ein engeres Gebiet umfaßt, dafür aber in anderer
Hinsicht mehr bietet, besonders interessante Nachweise über das
sonstige Vorkommen der betreffenden Wörter.
36) J. Schoeoe, Zu Ciceros Briefen. Hermes XXXVW (1903) S. 316 f.
Daß in ad fam. V 8 zwei Rezensionen desselben Schreibers
vorliegen, Konzept und verbesserte Reinschrift, hält S. für be-
wiesen. Die dagegen erhobenen Einwände (JB. XXV S. 323 f.)
kennt S. nicht, oder er hält es nicht für nötig, auf sie einzugehen,
glaubt vielmehr eine neue Entdeckung dieser Art gemacht zu
haben. Auch ad fam. V 5 soll aus Konzept und Reinschrift des-
selben Briefes bestehen; das Konzept reiche bis zu den Worten
sed ea, quae ad me delata sunt, malo te ex Pomponio, cui non
minus molesta fueru/nt, quam ex meis litteris cognoscere. Zur Be-
gründung sagt S.: „Beide Teile enthalten dieselben Gedanken44.
Das wäre naturlich auffallend, wenn es wirklich der Fall wäre.
Und daß es der Fall ist, sucht S. zu beweisen, indem er fort-
fährt: „erstens will Cicero dem Antonius vorrücken, was er,
Cicero, jenem Gutes getan und wie umgekehrt Antonius gut mit
böse erwidert habe; sodann läuft es auf eine Empfehlung für
Atticus hinaus. Soll diese einfache Sache Cicero seinem Feinde
Antonius zweimal zu hören gegeben haben?44 So S.; tatsächlich
aber gibt Cicero weder jenen Vorwurf noch die Empfehlung für
Atticus dem Antonius zweimal zu hören, und es kann gar keine
Rede davon sein, daß die zwei Briefe, die S. hier glaubt finden
zu sollen, dieselben Gedanken enthalten. Vielmehr zeigt der Brief
einen mit gutem Bedacht eingehaltenen einheitlichen Gedanken-
gang und eine wohlüberlegte Stilisierung. Der eigentliche Zweck
des Schreibens ist für Cicero, C. Antonius zu erklären, daß, wenn er
sein feindseliges Verhalten gegen ihn, Cicero, nicht ändere, auch er,
Cicero, künftig gegen ihn anders verfahren werde als bisher. Der
Überbringer dieses Schreibens ist nicht der erste beste Briefbote,
sondern T. Pomponius Atticus, Ciceros intimer Freund, der aber
auch mit Antonius in gutem Einvernehmen steht, also ein für
ernste Auseinandersetzungen sehr geeigneter Mittelsmann. Er soll
den Inhalt des Briefes mehrfach durch mündliche Mitteilungen
ergänzen. Es muß dahingestellt bleiben, ob das Geschäft, das
Atticus in Mazedonien zu besorgen hatte, wirklich von der Art
war, daß er deshalb notwendig mit Antonius, dem Statthalter
dieser Provinz, persönlich in Verbindung treten mußte, oder ob
dies nur der schickliche Vorwand war, unter dem er von Cicero
zu Antonius gesandt wurde. Daß aber das letztere der Fall ist,
möchte man daraus schließen, daß Cicero bei der Angabe des
Anlasses für diesen Brief (§ 1) die Tatsache der Reise des Atticus
420 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
in den Vordergrund stellt, den Wunsch des Atticus aber, ein
Schreiben an Antonius zu erhalten, nur beiläufig miterwähnt
(praesertim cum aliter ipsi Pomponio satisfacere non possem),
und ferner daraus, daß am Schlüsse des Briefes die Empfehlung
der Sache des Atticus in kühlen, konventionellen Formeln ge-
halten ist (Atque ipsum tibi Pomponium ita commendo, ut, quam-
quam ipsius causa confido te facturum esse omnia, tarnen abs te
hoc petam, ut, st quid in te residet amoris erga wie, id omne in
Pomponi negotio ostendas. Hoc mihi nihil gratius facere potes).
Antonius wird sicher herausgefühlt haben, daß der Zweck des
Briefes nicht die Förderung der Sache des Atticus ist — diese
Sache würde Antonius auch ohne die Fürsprache des Cicero ge-
fördert haben — , sondern in den Erklärungen liegt, die Cicera
ihm in dem Briefe macht und die Atticus mündlich vervoll-
ständigen soll«
Diesem Zwecke des Briefes entsprechend ist von der Per-
sönlichkeit und der Sache des Atticus nur in der Einleitung und
am Schlüsse die Rede, dort, um den wirklichen oder angeblichen
Anlaß des Schreibens anzugeben, hier, um dieser Angabe durch
die herkömmliche Empfehlung der Sache des Atticus einige Wahr-
scheinlichkeit zu geben. Keineswegs aber hat man an beiden
Stellen „dieselben Gedanken44 vor sich; in der Einleitung ist von
der Reise ies Atticus die Rede und von seinem Wunsch, ein
Schreiben mitzunehmen, am Schluß von der Förderung der Sache
des Atticus.
Der Hauptteil aber läßt deutlich drei Abschnitte erkennen.
Im ersten (von Ego si abs te bis lüteris cognoscere) stellt Cicero
die Verdienste, die er sich um Antonius erworben habe, dem
Verhalten des letzteren gegen ihn, Cicero, gegenüber. Im zweiten
(von Meus in te bis ceteri existimant) beruft er sich, damit Antonius
diese Gegenüberstellung nicht für leere Worte erklären könne,
die den Tatsachen nicht entsprächen, auf die Zeugen ebenso für
sein Verfahren gegen Antonius wie für die Größe der Verpflichtung
des letzteren ihm gegenüber. Während sich aber in jedem der
beiden Abschnitte der Gedanke in dem Gegensatz von ego und tu
entfaltet, geschieht dies im dritten in dem Gegensatz von „bisher*4
{antea) und „künftig" (reliqua): „Bisher habe ich in deinem Inter-
esse gehandelt; künftig aber werde ich mein Verfahren ändern,
wenn du fortfährst, dich gegen mich so undankbar zu beweisen
wie bisher. Das Nähere wird dir Pomponius eröffnen44. So
spitzt sich der Brief in die Erklärung zu, die seinen eigentlichen
Zweck bildet; keiner der drei Teile aber ist in einem der beiden
andern zum zweitenmal enthalten.
37) E. G. Sihler, GeTixajTSQov. Cicero adQuintuin fratrem III 3,4.
American Journal of philology XXIII (1902) S. 283—294.
Im Gegensatz zu der Unterweisung, die Ciceros Neffe Quintus
bei dem sonst tüchtigen Rhetor Paeonius erhielt und deren Ziel
Ciceros Briefe, von Th. Schiebe. 421
M. Cicero als declamatorium genus bezeichnet, schreibt der letztere
an seinen Bruder Quintus: Sed nostrum instituendi genus esse paulo
eruditins et &sxmu>tsqov non ignoras, und er nimmt sich vor,
diese Art Unterweisung gelegentlich selbst seinem Neffen zu er-
teilen. Was ist &€Tix(tiTeQovs? Sihler weist zunächst nach, daß
die bisherigen Erklärungen und Übersetzungen dieses Wortes un-
zulänglich sind, und zeigt dann in genauer und ausführlicher
Untersuchung, was Cicero meinte. Er zieht hierbei die rhetorische
Überlieferung vor und nach Cicero heran, vor allem aber natürlich
Ciceros eigene rhetorische Schriften. Der letztere gibt Or. 46
folgende Erklärung von dsöig: quaestio a propriis personis et
temporibus ad universi generis rationem tradueta appellatur &&<siq.
Im Gegensatze also zu der Übung einen, wenn auch fingierten, so
doch ganz bestimmten einzelnen Fall (vno&etfig = causa) dekla-
matorisch zu behandeln, wie sie in den Rhetorenschulen her-
kömmlich war, wünscht und beabsichtigt Cicero für seinen Neffen
einen rhetorischen Unterricht, der mehr wissenschaftlich gehalten
(eruditins), mehr auf die Erörterung allgemeiner, abstrakter Fragen
gerichtet ist (&€tix<6t£qop). Durch die Fähigkeit zu solchen Er-
örterungen erreicht der Redner ut quod in universo Sit probatum,
id in parte sit probari necesse. Eine Anzahl Beispiele von solchen
&€G€ig, und zwar auf dem Gebiete der praktischen Politik, er-
halten wir von Cicero selbst in einem Briefe an Atticus (IX 4).
38) R. B. Steele, The Greek in Cicero's epistles. American Journal
of philology XXI (1900) S. 387—410.
Wenn Cicero de off. I 111 auf Reinheit der Sprache dringt,
weil man sich mit der Einmischung griechischer Wörter lächer-
lich mache, so scheint hiermit die häufige Anwendung griechischer
Wörter und Wendungen in seinen Briefen nicht vereinbar. Sieht
man aber genauer zu, so zeigt sich, daß er jene Anforderung
auch seinerseits überall da erfüllt, wo Strenge der Form und
äußere Würde geboten war. Je vertrauter dagegen das Verhältnis-
zu demjenigen ist, an den er schreibt, desto mehr entbindet er
sich von jener Vorschrift So ist es denn ganz natürlich, daß
er sich mit der Zulassung griechischer Ausdrücke nirgends mehr
gehen läßt, als in den Briefen an Atticus. Der leichte Plauderton
dieses Gespräches in Briefen brachte es mit sich, daß das zu
Ciceros Zeit gesprochene Griechisch, der Niederschlag einer so
außerordentlich reichen und vielseitigen Literatur, für die Beweg-
lichkeit und wechselnde Färbung des Gedankens rascher den ge-
eigneten Ausdruck bot als die vergleichsweise ärmere und weniger
durchgebildete lateinische Umgangssprache. Wenn also St. meint,
Ciceros Anwendung des Griechischen erkläre sich zum Teil daraus,
daß Cicero seine Kenntnisse in dieser Sprache habe auskramen
wollen (S. 390) und daß somit seine Eitelkeit die Bedingungen
einer herzlichen, ungezwungenen Korrespondenz untergraben habe
422 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
(S. 389), so ist dem nicht zuzustimmen. Einem Atticus gegen-
über griechische Kenntnisse auskramen zu wollen, lag Cicero fern.
Dagegen war allerdings wohl keiner seiner Korrespondenten für ,
alles Griechische so feinfühlig und verständnisvoll ausgestattet als
gerade Atticus, und alle Regungen in Ciceros Seele, die in dem
beimischen Idiom nicht so leicht und fein ihren völlig ent-
sprechenden Ausdruck fanden wie in dem Cicero so geläufigen
und so vertrauten griechischen, k fanden bei dem Freunde vollen
Widerhall.
Mit mehr Recht als Ciceros Eitelkeit macht St. für einen Teil
der griechischen Ausdrucke, die er verwendet, als Erklärungsgrund
die Tatsache geltend, daß viele von diesen Ausdrucken sich nach-
her im Lateinischen eingebürgert haben. Es geht daraus hervor,
daß Cicero damit Mängel oder Lücken ausfüllt, die sich in dem
zu seiner Zeit gesprochenen Latein tatsächlich fühlbar machten.
Eine besondere Stellung nehmen die griechischen Zitate ein,
deren Verwendung besonders nahegelegt war, wenn die lateinische
Literatur Ähnliches nicht bot.
St. gibt eine geordnete Übersicht über alle bei Cicero vor-
kommenden griechischen Zitate, Wendungen und Worte, mit dem
Nachweis ihrer Quellen oder ihrer sonstigen Verwendung. Bei
den Einzelausdrücken zeigt sich, daß viele von ihnen hei Cicero
allein oder bei ihm zum erstenmale vorkommen. Zum Schluß r
teilt St. einige fremde und eigene Vermutungen zu solchen Stellen
mit, an denen das Griechische schlecht überliefert ist. So ver-
mutet er A X 12, 2 naQaXoysvtiov (C. F. W. Müller gibt naqa-
xXenTsov); vgl. A VI 4, 3 äkoysvofjbsrog; A IV 18, 4 ov <foi,
"Aqsc, aXXä JIctcpirj; A X 12a, 4 q&og okxipov, vgl. Plat. Jegg.
2, 659 D (oAxV) und rep. 7, 521 D (<tt*oV).
39) R. ß. Steele, Chiasmus io the epistles of Cicero, Seneca,
Pliny and Fronto. Studies io hooour of Gildersleeve, Baltimore
1902, S. 339—352.
Zusammenstellung von Beispielen des Chiasmus in den Briefen
der vier genannten Schriftsteller mit Bemerkungen darüber, Wie
der eine von ihnen diese, der andere jene Form vergleichsweise
bevorzugt.
40) W. Sternkopf, Ciceros Briefwechsel mit D. Brutus und die
Senatssitzuog vom 20. Dezember 44. Philologas LX (19Q1)
S. 282—306.
St. behandelt zunächst die Senatssitzung vom 20. Dez. 44.
An diesem Tage war unmittelbar vor der Senatssitzung das Edikt
des D. Brutus öffentlich angeschlagen worden, in welchem dieser
erklärte, die ihm vom Senate überwiesene Provinz Gallia cisalpina
behaupten zu wollen. Auf Antrag Ciceros wurde, wie St. aus den
philippischen Reden beweist, eine senatus auctoritas herbeigeführt,
in der D. Brutus wegen seines Edikts belobt, seine Absicht, Gallien
Ciceros Briefe, von Th. Schiche. 423.
zu behaupten, gebilligt wurde, ferner die Statthalter angewiesen
wurden, auf ihrem Posten zu bleiben, bis der Senat ihnen Nach-
folger schicke, endlich erklärt wurde, daß Oktavian, sowie seine
Veteranen und die von Antonius abgefallenen Legionen samt ihren
Fuhrern Ehren und Belohnungen verdient hätten und daß darüber
die demnächst am 1. Januar ihr Amt antretenden Konsuln möglichst:
bald referieren sollten. Von dieser Senatssitzung berichtet Cicero
dem D. Brutus mit unverkennbarer Genugtuung in dem Briefe ad
tarn. XI 6, der, wie man allgemein und mit Recht annimmt, noch
am Tage jener Senatssitzung geschrieben ist. Dann aber kann*
wie St. in Übereinstimmung mit Ruete (Die Korrespondenz Ciceros
in den Jahren 44 und 43, S. 38) weiter ausfuhrt, der Brief ad
fam. XI 7 nicht nach XI 6 geschrieben worden sein. Denn in dem
ersteren finden sich die Sätze: caput est hoc, . . . ut ne in libertate
et salute p. R. conservanda auctoritatem senatus expectes nondum
liberi, und weiterhin: voluntas senatus pro auctorüate haberi debet,
cum auctoritas impedüur metu. Der Ansetzung von XI 7 vor
XI 6 scheint nun im Wege zu stehen, was über Lupus, den Be-
auftragten des Brutus, in beiden Briefen zu lesen ist. Beide
Briefe schreibt Cicero unmittelbar nach einem Zusammensein mit
Lupus. Das in XI 6 findet mane (§ 1), also am Morgen vor der oben
erwähnten Senatssitzung, statt, nachdem Lupus tags zuvor, also
am 19v Dezember, nach sechstägiger Reise aus Mutina in Rom
eingetroffen ist. Das in XI 7 erwähnte Zusammensein des Cicero
und Lupus kann nicht an demselben Tage, sondern muß vor der
Reise des Lupus stattgefunden haben, von der er am 19. Dezember
wieder in Rom eintraf, also, wenn man der Reise von Rom weg
dieselbe Dauer zu geben hätte, wie der nach Rom zurück, spätestens
am 8. Dezember; Lupus wäre dann nach der in XI 7 erwähnten
Konferenz mit Cicero noch an demselben Tage zu Brutus ab-
gereist. Hiermit wäre es nun unvereinbar, wenn Cicero XI 5, 1
D. Brutus mitteilt, er sei von seinem bisherigen, ihm Sicherheit
gewährenden Aufenthaltsorte am 9. Dezember wieder nach Rom
gekommen. Ruete (& 39) suchte dem Übelstand damit abzuhelfen,
daß er XI 5, 1 veni a. d. V Kai Dec. {= 27. November) las statt
veni a. d. V Idus Dec. Mit Recht lehnt Bardt (Ausgewählte Briefe
aus ciceronischer Zeit. Kommentar II S. 408) dies ab und ebenso
jetzt Sternkopf (S. 299). Am 27. November war M. Antonius
noch in Rom, das er erst in der Nacht vom 28. zum 29. November
verließ, und es ist Cicero nicht „zuzutrauen, daß er sich in die:
Höhle des Löwen begeben habe, ehe Antonius sie verlassen hatte'4
(Bardt). Das ist aber nicht bloß „unglaublich" (Sternkopf) oder
Cicero nicht zuzutrauen, sondern es läßt sich der sichere Nach-
weis fähren, daß Cicero noch eine Reihe von Tagen nach dem
27. November nicht in Rom War. Nachdem nämlich M. Antonius
Rom verlassen hatte, kam Oktavfan nach Rom. Wieviel Zeit
zwischen des Antonius Abgang und dem Eintreffen Oktavjans ver*
424 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
ging, ist nicht bekannt. Aber Cicero erhielt von einer Rede, die
Oktavian am Tage seines Eintreffens in Rom hielt, noch fern von
Rom Kenntnis. Oktavian erinnerte in dieser Rede „an Cäsars
Verdienste und an die Beleidigungen, wodurch der Konsul (M. An*
tonius) ihn gezwungen habe, zu seiner Sicherheit und zur Ver-
teidigung des Vaterlandes die Waffen zu ergreifen44 (Drumann I *
S. 158). Mit Bezug auf diese Rede schreibt Cicero an Atticus
(XVI 15, 3), nachdem vorher von Oktavian die Rede war: At quae
contio! nam est missa mihi. Iurat ita sibi parentis honores con-
seqni liceat, et simul dextram intendit ad statuam. Mijds öGo&sirjv
vno ys roiovzov. Die Art, wie Cicero hier auf die Rede zu
sprechen kommt {at quae contio! nam est missa mihi) läßt er-
kennen, daß zwar auch Atticus ihm von dieser Rede des Oktavian
geschrieben, Cicero aber von anderer Seite eine Abschrift der
Rede erhalten hat. Eine Reihe von Tagen muß also seit dem
Abgang des Antonius verstrichen sein. Wir kommen somit dem
für Ciceros Rückkehr nach Rom in XI 5, t überlieferten Datum
immer näher, und es wäre wünschenswert, es unangetastet zu
lassen oder doch mit einer leichteren Änderung auszukommen
als die ist, die Ruete vorschlug. Um nun dieses Datum ungeändert
zu lassen, zerlegt St. XI 6 in zwei Briefe. § 1 sei die Antwort
Ciceros auf des D. Brutus Brief XI 4. Diesen Brief habe Brutus
im September geschrieben, Cicero dann XI 6, 1 Ende September
oder Anfang Oktober. Des Lupus Eintreffen am 19. Dezember,
an dem kein Zweifel ist, wenn XI 6, 1 mit § 2 und 3 denselben
Brief bildet, ist damit allerdings beseitigt. Lupus könnte dann
an einem beliebigen Tage zwischen dem 9. und 20. Dezember in
Rom sein, um mit Cicero die Beratung zu halten, die XI 7 er-
wähnt ist.
Aber die Grunde, aus denen St. XI 6, 1 als besonderen Brief
von § 2 und 3 abtrennen will, sind nicht entscheidend. XI 6, 1
lautet: Lupus noster cum Romam sexto die Mutina venisset, postri-
die me mane convenit; tua mihi mandata diligentissime exposuit
et litteras reddidiu Quod mihi tuam dignitatem commendas, eodem
tempore existimo te mihi meam dignitatem commendare, quam me-
hercule non habeo tua cariorem. Quare mihi gratissimum facies,
si exploratum habebis, tuis laudibus nullo loco nee consilium nee
Studium meum defuturum. Ein gewisser Mangel an Zusammen-
hang zwischen § 1 und dem Rest des Briefes läßt sich dadurch
erklären, daß Cicero vermutlich sogleich nach der Besprechung
mit Lupus und noch bevor er in die Senatssitzung ging, den § 1
niederschrieb. Dieses Stück des Briefes ist dann also nicht als
Einleitung zu einem Bericht über die nachfolgende Senatssitzung
anzusehen und brauchte nicht die Andeutung zu enthalten, daß
schon etwas geschehen sei. So fällt es auch weniger auf, wenn
Cicero in dem nachfolgenden Hauptstück des Briefes sagt: Itaque
in senatum veni mane, ohne bei diesem mane auf das mane in
Ciceros Briefe, von Th. Sehiehe. 425
4 1 irgendwie Bezug zu nehmen. Und wenn es in § 2 heißt:
cum eo die ipso edictum tuum propositum esset, so ist es doch wohl
nicht gerade notwendig, mit St. anzunehmen, daß Cicero mit eo
die ipso habe andeuten wollen, die Veröffentlichung von des Brutus
Edikt sei eine für ihn überraschende Zufälligkeit gewesen. Endlich
ist nach der Versicherung am Ende von § t Quart mihi usw.
eine ähnliche Äußerung in § 3 keineswegs nur eine lästige Wieder-
holung. Während Cicero in § 1 im Anschluß an die Verhand-
lungen mit Lupus den Brutus in ganz allgemein gehaltenen
Wendungen seiner Ergebenheit versichert, steht die ähnliche
Äußerung in § 3 im engsten Zusammenhang mit dem, was Cicero
an diesem Tage im Senat und auf dem Forum für Brutus getan
hat. Es heißt hier : Quae de te in senaiu egerim, quae in contione
maxitna dixerim, aliorum te litteris malo cognoscere; illud tibi per-
suadeas velim, me omnia, quae ad tuam dignitatem augendam per-
tinebunt, quae est per se amplissima, summo semper studio suscepturum
et defensurum. Es liegt hierin das Gelöbnis, die Konsequenzen
des heutigen Auftretens im Senat und auf dem Forum ziehen zu
wollen, also die Folgen der heute beschlossenen Maßregeln tragen
(suscepturum) und auch künftig für sie eintreten zu wollen (de-
fensurum). Eben diese Entschlossenheit, für das an diesem Tage
zugunsten des Brutus Geschehene in erster Linie selber die Ver-
antwortlichkeit übernehmen und auch künftig dafür einstehen zu
wollen, läßt Cicero noch hinzufugen: Quod quamquam intellego
me cum multis esse facturum, tarnen appetam huius rei principatum.
Während also einerseits nichts dazu zwingt, XI 6, 1 als be-
sonderen Brief von § 2 und 3 zu trennen, zwingt andrerseits
nichts dazu, XI 6, 1 als Antwortschreiben auf XI 4 anzusehen.
Dieses letztere Schreiben ist ein Gesuch des D. Brutus, Cicero
möchte im Senate für die supplicatio stimmen, auf die Brutus
nach seinem Feldzuge im Sommer dieses Jahres Anspruch zu
haben meinte. Es wird übereinstimmend von Nake und von
Stern köpf auf den September oder Anfang Oktober 44 angesetzt.
Daß Cicero hierauf mit XI 6, 1 antwortet, wird durch die hier vor-
kommende Wendung Quod mihi tuam dignitatem commendas nicht
erwiesen. Cicero stellt ja die hier gemeinte dignitas des Brutus
(s. oben den Text von XI 6, 1) als völlig gleichartig mit seiner
eigenen dignitas hin, kann also hierbei nicht an die supplicatio
denken. Vielmehr erkennen wir deutlich, daß Brutus durch Lupus
und in seinem Briefe versichert hat, seine Ehre gebiete ihm, seine
Provinz gegen Antonius zu behaupten, und daß Cicero ihm zu-
stimmend erwidert, seine eigene Ehre stehe ihm nicht höher als
die des Brutus.
Endlich aber machen die Eingangsworte von XI 6, 1 die An-
nahme, daß dies ein Brief aus dem September oder Anfang
Oktober sei, geradezu unmöglich. Lupus kommt von Mutina, und
Mutina besetzte Brutus erst, als er vor dem in Oberitalien ein-
lahrMlericnu XXX. 28
426 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
dringenden M.Antonius zurückwich. Er besetzte es naQodsvoov
(App. JI1 49), war also vorher nicht in Mutina. Wenn Cicero
aber hier den Abgangsort des Lupus nennt, so will er hiermit
dem Brutus erklären, warum auf die Eröffnungen des Lupus und
auf den Brief, den er von Brutus überbrachte, bei diesem nicht
schon früher von Cicero Antwort eingetroffen war. Cicero will
also sagen: „Lupus hatte dich erst verlassen, als du Mutina be-
setzt hattest, brauchte dann sechs Tage zur Reise nach Rom und
suchte mich nicht sogleich am Tage seiner Ankunft, sondern erst
am folgenden Tage auf". Die Nennung von Mutina also verbietet
es, XI 6, 1 als besonderen Brief aus dem September oder Anfang
Oktober anzusehen. Vielmehr bildet dieses Stück mit § 2 und 3
einen einzigen Brief, der am 20. Dezember 44 geschrieben wurde.
Wie steht es nun mit deu Schwierigkeiten, die die Reisen des
Lupus bereiten? Sie bestehen nur unter der Voraussetzung, daß
Lupus von Rom zu Brutus ebensoviel Zeit gebraucht hatte, wie
darauf zur Reise aus Mutina nach Rom. Daß dies notwendig
vorausgesetzt werden muß, ist nicht ganz sicher. St. gibt die
Möglichkeit zu, daß Eilboten von Rom bis Mutina nur vier. Tage
brauchten. Nehmen wir an, daß auch Lupus einmal mit Eilboten-
geschwindigkeit reiste. Dann könnte sich die Sache folgender-
maßen abgespielt haben. Cicero trifft am 9. Dezember in Rom
ein (XI 5, 1 Romam veni a. d. V Uns Dec), besucht sogleich den
Pansa (XI 5, 1) und schreibt unmittelbar danach den Brief XI 5.
Nach Absend ung dieses Briefes trifft noch an demselben Tage
Lupus in Rom ein und hält, gleichfalls noch an diesem Tage, mit
Cicero die Beratung, von der XI 7, 1 die Rede ist. Am folgenden
Tage, dem 10. Dezember, reist Lupus wieder ab und kommt am
13. bei Brutus an. Am 14. verläßt Lupus Mutina und trifft am
19. in Rom ein. So betrachtet, würden wir es besonders gut
verstehen, wenn Cicero zu Anfang von XI 6 es für nötig hält,
dem Brutus in der oben angegebenen Weise zu erklären, warum
er nicht schon früher auf sein Schreiben und Anliegen von Cicero
Antwort erhalten habe; Lupus hätte dann im Vergleich zur Reise
zu Brutus auf die Reise nach Rom eine wider Erwarten lange
Zeit verwendet. Wenn man indessen darauf besteht, es dem
Lupus auch für seine Reise aus Rom zu Brutus bequemer zu
machen und auf die angegebenen Vorgänge mehr Zeit zu rechnen,
so kann man in dem Datum XI 5, 1 aus der V eine VI oder VII
machen.
41) W. Sterokopf, Noch einmal die correctio der lex Clodi« de
exilio Ciceroois. Philologus LX1 (1902) S. 42— 70.
Der Verf. verteidigt eingehend und überzeugend seine Auf-
fassung jener correctio, die er Philologus L1X (1900) S. 272 ff.
vorgetragen hat, gegenüber den Bemängelungen und Vermutungen,
die L. Gurlitt (ebenda S. 578 ff.) ihr entgegengestellt hat (s. JB.
Ciceros Briefe, voo Th. Schiche. 427
XXVII S. 282 ff.). In der Tat enthält Ciceros Äußerung (A III 4
quod correctum esse audieramus, erat eiusmodi, ut mihi ultra
quadringenta milia liceret esse, illuc pervenire non liceret) das,
worauf es ihm ankommt, in den Worten illuc pervenire non liceret,
denen nur des rhetorischen Gegensatzes wegen die Worte ut mihi
ultra quadringenta milia liceret esse vorausgeschickt werden. Die
correctio habe, fuhrt St. aus, insofern eine Verschärfung der
Strafe bedeutet, als sie innerhalb eines Umkreises von 400 Meilen
über die Grenzen von Italien hinaus nicht bloß jeder Konnivenz
einen Riegel vorschob, sondern auch den Aufenthalt in föderierten
Staaten unmöglich machte (S. 52), während die erste Fassung
wahrscheinlich einfach die aquae et ignis interdictio ausgesprochen
und somit eo ipso für das ganze römische Untertanengebiet, also
für Italien und den gesamten ager Romanus der Provinzen ge-
golten, aber den Aufenthalt in den föderierten Staaten, auch den
in der Nähe Italiens gelegenen, nicht verboten habe. Wenn übrigens
Gurlitt der von Boot vorgeschlagenen und von Sternkopf mit
Recht angenommenen Abänderung von quadringenta in quingenla
in der obigen Äußerung des Cicero entgegenhält, es sei nicht
wahrscheinlich, daß man D und CCCC verwechselt habe, so macht
St. die Möglichkeit geltend, daß ursprünglich CD geschrieben ge-
wesen sei, und weist, was schon in der ersten Abhandlung (S. 292)
berührt war, jetzt (S. 63 f.) mit noch genaueren Angaben darauf
hin, daß aus einer Andeutung Ciceros auf quingenla geschlossen
werden könne. Denn bald nachdem dieser von dem Wortlaut des
ihn betreffenden Verbannungsdekrets und somit auch von der
darin vorgenommenen correctio, um die es sich hier handelt,
Kenntnis erhalten hatte, sagt er von Athen (A III 7, 1): veremur,
ne interpretentur, illud quoque oppidum ab Italia non satis abesse.
Er selbst also hält Athen für so weit von Italien entfernt, daß dem
Gesetze Genüge geschah, wenn er sich dorthin begab; er fürchtet
aber, Clodius möchte die Entfernung zu gering befinden. Nach
keiner antiken Berechnung aber war Athen von Italien weniger
als 400 Millien entfernt, sondern nach allen Berechnungen ent-
weder zwischen 400 und 500 Millien oder noch weiter als 500
Millien, und da man sich zwischen quadringenta und quingenta zu
entscheiden hat, so ist klar, daß von einem Einwand des Clodius
gegen Athen nur dann die Rede sein konnte, wenn er die Ent-
fernung auf weniger als 500 Millien berechnete, während Cicero
über 500 Millien rechnete. Also muß er A III 4 geschrieben
haben: ut mihi ultra quingenta milia liceret esse.
42) W Sterukopf, Zu Cicero ad Q. fr. II 3. Rhein. Mus. LVII (1902)
S. 629—631.
Der Brief beginnt: Stripsi ad te antea superiora; nunc cognosce,
postea quae sint acta. A Kai. Febr. legationes in Idus Febr. re-
iciebantur. Eo die res confecta non est. St. schlägt vor, das A
28*
428 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
vor Kai. als durch Dittographie entstanden zu streichen und er-
klärt die Stelle: „Am 1. Februar wollte man die Gesandtschaften
auf den 13. Februar hinausschieben, aber die Debatten verliefen
an diesem Tage (dem 1. Februar) resultatlos". Es wäre gewiß
angenehm, wenn es Kai. Febr. hieße. Aber auch A Kai. Febr.
hat doch noch Sinn („Vom 1. Februar wollte man44 usw. mit
Sternkopf), und daß Cicero nicht so geschrieben haben könnte,
läßt sich nicht erweisen.
In demselben Briefe § 2 hält St. in den schon oben S. 389
zur Sprache gekommenen, den Pompejus betreffenden Worten die
Lesart cum auctorüate perfregerat für richtig: „wenn seine Autorität
durchschlug14. Perfringere steht Brut. 8 im Gegensatze zu per-
fundere (animos) und Or. 97 im Gegensatze zu irrepere (in sensus)
und hat an unserer Briefstelle in Verbindung mit auctorüate für
die Situation, um die es sich handelt, doch wohl etwas zu Gewalt-
sames. In der Rede post red. ad Quir. 10 schwankt die Ober-
lieferung zwischen perfregit und perfecit, und C. F. W. Muller hat
hier mit Recht perfecit aufgenommen: (serntus) de me*...ut
aliquando proficeret, cum primum licuit, frequentia atque auctorüate
perfecit.
43) W. Stern köpf, Zu Cicero Phil. XIII 17,36. Hermes XXXVII (1902V
S.485f.
Cicero verliest hier aus einem Briefe des Antonius folgendes:
Concordiae factam esse mentionem scribitis in senatu et legatos esse
consulares quinque. Dijficile est credere eos(que)> qui me prae-
cipitem egerint aequissimas condiciones ferentem et tarnen ex iis
aliquid remitiere cogüantem, puXare aliquid moderate aut humane
esse facturos. Die Einsetzung des que nach eos röhrt von St. her
und ist eine einleuchtende Verbesserung.
44) W. Sternkopf, Die Senats Sitzung vom 14. Januar 56 (Zu Cicero
ad fam. I 2, 2). Hermes XXXVII (1903) S. 28—37.
St. liest: Consules .... diem consumi volebant, id quod est
factum; perspiciebant enim in Hortensi sententiam multis partibus
plures ituros, quamquam aperte, (ut) Volcatio adsentirentur, multi
rogabantur, atque id ipsum consulibus invitis, nam ei Bibuli sen-
tentiam valere cupierunt (oder mit Madvig cupierant). Das ein-
gesetzte ut hat eine handschriftliche Stutze, da in M hinter aperte
am Ende der Seite vi steht, von der Hand des Schreibers, aber
ausgestrichen. Bisher las man: . . . quamquam aperte Volcatio ad-
sentirentur. Multi usw. Die Darlegungen Sternkopfs, mit denen
er die vorgeschlagene Lesart begründet, sind überzeugend.
45) W. Sternkopf, Zu Ciceros epistulae ad familiäres. Philo-
loge LXHI (N. F. XVII), 1904, S. 104-115.
Ad fam. I 9, 4 Ego me, Lentule, inüio rerum atque actionum
tuarum non solum meis, sed etiam rei pubUcae restitutum puta-
Ciceros Briefe, von Th. Schiebe. 429
bam usw. St. will nach initio einsetzen beneficio oder noch lieber
initio durch beneficio ersetzen. Die Beseitigung von initio ist aber
wohl nicht zulässig, da doch Cicero nachher mit ille darauf ver-
weist (§ 5): Etsi tarn primis temporibus Ulis multis rebus mens
offendebatur animus usw. Andrerseits ist zu bedenken, daß Cicero
hier nicht beabsichtigen kann zu sagen, er habe anfangs eine
dankbare Besinnung gegen den Staat gehegt, später aber eine
andere. Er versichert vielmehr ausdrücklich, daß er an jener
dankbaren Gesinnung festgehalten habe (§ 6: in omnibus meis
sententiis de re publica pristinis permanebam). Den hier bestehen-
den Schwierigkeiten hilft man vielleicht am besten dadurch ab,
daß man ab vor initio einsetzt.
Ad fam. 1 9, 18 Atque hanc quidem ille (Plato) causam sibi ait
non attingendae rei publicae fuisse, quod, cum offendisset populum
Atheniensem prope iam desipientem senectute eumque cum nee per-
suadendo nee cogendo regi posse vidisset, cum persuaderi posse dijfi-
deret, cogi fas esse non arbitrareXur. Daß posse vor vidisset ge-
strichen werden müsse, wird man St. nicht zugeben. Es ist in
dem Satze cum offendisset . . , eumque . . . vidisset nicht schlechthin
die Unmöglichkeit einer Lenkung des athenischen Volkes aus-
gesprochen, sondern nur für die Zeit, wo Plato sich an der Leitung
des Staates beteiligen wollte. Das Ergebnis weiterer Erfahrungen
war es dann, wenn Plato überhaupt die Möglichkeit, das Volk
persuadendo zu lenken, für ausgeschlossen hielt, und das Ergebnis
philosophischen Nachdenkens, wenn er die Ausübung von Zwang
nicht für erlaubt hielt.
Ad fam. VII 26,1 liest St.: Ego autem cum omnes morbos
reformido, tum (quod Epicurum tuum Stoici male aeeipiunt, quia
dicat aiQayyovQixä mal dvtfevveQixä nd&fj sibi molesta esse,
quorum alterum morbum edacitatis esse putant, alterum etiam turpioris
intemperantiae) sane dvasvteqiav pertimueram. St. schützt also
das überlieferte quod und nimmt es für „weil", während es die
Herausgeber mit Manutius in quo oder mit Ernesti in in quo ab-
ändern und dann mit Sane einen neuen Satz beginnen. Man
liest also : tum quo (Mendelssohn, in quo Müller) Epicurum ....
intemperantiae. Sane dvtisvtBqiav pertimueram. Jenes quo der
Herausgeber nimmt St. als Masc. und bemängelt die unklare Be-
ziehung des Sing, quo auf den Plur. morbos; indessen wird doch
wohl quo von den Herausgebern als Neutrum angesehen und in
allgemeinem Sinne verstanden: „ich scheue alle Krankheiten, be-
sonders aber das, hinsichtlich dessen die Stoiker deinem Epikur
übel mitspielen". In der Tat scheint der natürliche Gang der
Rede zu erfordern, daß das entsprechende Glied zu cum omnes
morbos reformido, wenn einmal tum gesetzt ist, auch sogleich
ausgesprochen wird, nicht erst nach einer langen begründenden
Einschaltung. Auch scheint, wenn quod kausal genommen wird,
als Grund für Ciceros Furcht vor der Dysenterie zu bestimmt nur
430 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
das Verbalten der Stoiker gegen Epikur hingestellt zu werden.
Vielleicht aber ist es möglich, quod so zu verstehen, wie die Her-
ausgeber in quo verstanden haben, also = „hinsichtlich dessen4'.
Dieses quod ist dann kein anderes als das, welches in quod st
erscheint, und das Neutrum des Pronomens ist dann ebenso ver-
wendet wie das Neutrum anderer Pronomina in folgenden Bei-
spielen bei R. Kuhner, Ausfuhr]. Gramm, d. lat. Spr. II S. 212:
Plaut. Poen. 4, 2, 89: numquid aliud me morare? Ter. Heaut.
982: neque me quicquam consilio adiuvas; 150: id . . . adiuta me.
Caes. B. G. 1 40, 5: quos aliquid usus ac disciplina sublevarent.
Dann ist also zu lesen : . . . reformido, tum quod Epicurum . . .
intemperantiae. Sane dvaevTSQiav pertimueram.
Ad fam. X 18, 3 und X 23, 1 spricht Plancus von den
Folgen, die eintreten mußten, wenn er sich mit Lepidus nicht
vereinigte. Und zwar lauten in der Überlieferung die Worte, in
denen diese negative Bedingung enthalten ist, an der ersten Stelle
nisi uno loco me teuerem, an der zweiten st uno loco essem. St.
stimmt mit Recht denjenigen Herausgebern bei, die wegen des
entgegengesetzten Sinnes dieser beiden Wendungen die Über-
lieferung an einer der beiden Stellen für unrichtig halten, und
ändert lieber mit Madvig an erster Steile nisi in si ah. als mit
andern an zweiter si in nisi. Der Sinn ist: „wenn ich an ein
und derselben Stelle (uno loco = eodem loco) bliebe, meine
Stellung nicht veränderte14.
46) A. Tra bandt, Ciceros Briefe als Schallektüre. Beilage zum
Osterprogramm des Gymnasiums ia Graudeoz. Erster Teil. 1901.
Mit einer Wärme und Lebhaftigkeit, die sehr angenehm be-
rührt, legt der Verf. dieser Schrift „im Interesse und zur Orien-
tierung seiner Schuler'' seine Ansichten über Cicero und seine
Schriften im aligemeinen und über die Briefe im besonderen dar.
Er weist darauf hin, wie die Beurteilung, die Cicero bei Drumann
und Mommsen gefunden hat, von denen, die Cicero kennen, mehr
und mehr aufgegeben werde, und wie namentlich die Schriften
von Zielinski (Cicero im Wandel der Jahrhunderte, 1897) und
Hübner (in der Deutschen Rundschau 1900) ihm gerecht würden.
Der Verf. hätte in diesem Zusammenhange auch die Schrift von
O. Weißenfels (Cicero als Schulschriftstelier, 1892) nennen können
und sollen. Den Wert der Briefe erkennt der Verf. mit Recht
vorzugsweise darin, daß sie uns geschichtliche Einblicke im
weitesten Umfange gewähren, und hebt aus dem Briefwechsel bis
zur Rückkehr aus der Verbannung einzelnes heraus, was zu einer
günstigen oder doch minder ungünstigen Beurteilung Ciceros bei-
tragen kann. Ähnliche Studien für den weiteren »Briefwechsel
werden uns für später in Aussicht gestellt.
Ciceros Briefe, von Th. Schiche. 43^
47) I. van der Vliet, Aedes Opis explicata. Feestbundel Prof. Boot,
Leiden 1901, S. 21—24.
Was nach Cic. ad Att. XVI 14, 4 damals der jüngere Q. Cicero
an seinen Vetter Marcus schrieb: se ex Nonis iis, quibus nos magna
gessimus, aedem Opis explicaturum , idque ad populum, erklärt
van der Vliet in folgender Weise: Habebat in animo Q. filius
rationes pecuniae in templo Opis conditae diligenter excutere, eas
scilieet, quae confectae essent a Non. Dec. a. 63 usque ad Non.
Dec. a. 44 (die Nonen des Dez. seien mit dem Amtsantritt der
neuen Quästoren immer der Anfang eines neuen Rechnungsjahres),
. . . deinde explicationem illam ad populum proferre, publici iuris
facere, ita ut omnibus pravitas Caesarianarum partium luculenter
pateret.
48) F. Vogel, Ipse etiam. Archiv für lat. Lexikographie und Grammatik
XII (1902) S. 422—424.
Der erste Brief, den Cicero nach der Ruckkehr aus der Ver-
bannung an Atticus schrieb (A IV 1), beginnt folgendermaßen:
Cum primum Romam veni fnitque, cui rede ad te lilteras darem,
nihil prius faciendnm mihi putavi, quam ut tibi absenti de reditu
nostro gratularer. Cognoram enim, ut vere scribam, te in consiliis
mihi dandis nee fortiorem nee prudentiorem quam me ipsum nee
etiam pro praeterita mea in te observantia nimium in custodia
salutis meae diligentem, eundemque te, qui primis temporibus erroris
nostri aut potius furoris partieeps et falsi timoris socius fuisses,
acerbissime diseidium nostrum tulisse plurimumque operae, studti,
diligentiae, laboris ad conficiendum reditum meum contulisse. So
bei C. F. W. Müller. Vogel hält es nicht für wahrscheinlich, daß
Cicero seinem Freunde geschrieben haben sollte, er, Atticus, sei
in der Fürsorge für Ciceros Wohlfahrt nicht allzu eifrig gewesen. -
Daß Cicero das aber doch getan hat, daran läßt die Stilisierung
des Satzes Cognoram — contulisse keinen Zweifel. Der Satz führt
nämlich einen wohlgegliederten Gegensatz durch, und zwar in der
Weise, daß das erste Glied te in consiliis — diligentem eine Miß-
billigung von des Atticus früherem Verhalten, das zweite aber,
das mit eundemque te dem ersten deutlich gegenübergestellt wird,
die Anerkennung für das spätere Verhalten des Freundes enthält.
Daß das erste Glied eine Mißbilligung enthält, läßt zum Überfluß
auch das ihm vorausgeschickte, halb entschuldigende ut vere scribam
erkennen. Jedes der beiden Glieder besteht aus zwei Hälften.
Was im ersten gesagt ist mit cognoram te in consiliis mihi dandis
nee fortiorem nee prudentiorem quam me ipsum, wird im zweiten
aufgewogen mit te, qui primis temporibus erroris nostri aut potius
furoris partieeps et falsi timoris socius fuisses, acerbissime, diseidium
nostrum tulisse, wobei chiastisch mit erroris nostri aut potius furoris
partieeps erinnert wird an non prudentiorem quam me ipsum, mit
falsi timoris socius aber an non fortiorem quam me ipsum. Und
432
Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
was im ersten Glied lautet: cognoram te pro praeterita mea in te
observantia non nimium in custodia salutis meae diligentem, wird
im zweiten wieder gutgemacht mit den Worten: te plurimum
operae, studii, diligentiae, laboris ad conficiendum reditum meum
contulisse, wobei salus, die Erhaltung der noch bestehenden
bürgerlichen Wohlfahrt, der Wiedereinsetzung in dieselbe gegen-
übersteht. Wenn man also sieht, wie Cicero das, was er an dem
früheren Benehmen seines Freundes mißbilligt, durch dessen
späteres Verhalten für ausgeglichen erklärt, und wenn man über-
dies bedenkt, daß in der Durchführung solcher Gegensätze das
erste Glied oft nur rhetorisch durch die Absicht hervorgerufen
wird, das zweite um so stärker hervortreten zu lassen, daß also
das Wesentliche des Gedankens im zweiten Gliede liegt, so wird
man mit dem Vorwurf, Cicero sei gegen Atticus undankbar,
zurückhaltend sein. Ich brauche hiernach nicht weiter auszu-
führen, was sich alles einwenden läßt gegen Vogels Annahme, daß
das letzte nee zu streichen, hinter me zu interpungieren und statt
pro praeterita mea in te observantia, das von Bosius herrührt, die
handschriftliche Lesart propter meam in te observantiam beizu-
behalten sei.
49) Ed. Wolf li n, Fufidius. Archiv für lat. Lexikographie und Grammatik
XII (1902) S. 280.
Ad fam. VII 5, 2 zitiert Cicero im Jahre 54 aus einem Briefe
Cäsars an ihn: M. -fitfimum, quem mihi commendas, vel regem
Galliae faciam, vel hunc Leptae delega. Tu ad me alium mitte quem
ornem. W. vermutet: M. Fufidium; es sei vielleicht ein Mann
aus Arpinum gewesen, aus derselben Familie wie Q. Fufidius, der
im Jahre 46 in Gallia cisalpina Gelder einziehen wollte und des-
halb mit zwei anderen ad fam. XIII 11 von Cicero an Brutus
empfohlen wird. R. Ellis (Hermathena VI, 1888, S. 134) hatte
Fufitium vermutet (Catull LIV 5).
8eite
1. Ad fam.
I 2,2
428
9,4
428
9,18
429
V 6, 2
376
8
419
VII 5, 2
432
26,1
429
32
411
IX 6, 6; 7, 2
407
16,7
403
18,3
404
20,2
404
22, 1
402
Stellenverzeichnis.
Seite
X 18, 3 u. 23, 1 430
29 411
XI 5, 1. 6. 7 423 ff.
13 a, 4 392
XII 14, 4 409
XVI 17, 2 391
23 392
XVI 24, 1 386
2. Ad Qu. fr.
II 3, 1 427
3, 2 389. 428
6(8), 1 391
7 (9), 1 389
8 (10), 2 402
9 (11), 3
8 (10), 3
10C12), 1; 5
14 (15b) 2
III 1,23
3,4
9,8
3. Ad AU.
Seite
408
392
390
392
390
420
392
11,2
2,1
13,1
16,13
16,18
17,11
376. 382
382. 36S
376
392
374. 383
409
•>
Ciceros Briefe, von Th. Schiebe.
433
II 1,11
3,2
III 4
7,1
IV 1,1
3,3
4
13,1
18,1
18,4
19,1
19,2
V 6,1;
7
10,4
11,7
12,1
15,3
Seite
Seite
Seite
374
16,3
401
XIV 9, 1
384
374
VI 1,3; 4; 21 418
10, 1
384
427
1,23
393
10,2
408
427
2,3
401
XV 2, 1
394
431
2,7
417
3,2
392
369
7,2
386
4,1
384
409
VII 33, 2
391
13,4
392
409
VIII 11,4
393
15,2
384
394
14,3
401
11, 1
394. 392
422
X 12,2
422
20,1
400
394
12a, 2
393
25
409
409
12a, 4
422
26, 1; 4;
5 384
415
XI 14, 1
391
XVI 5, 5
387
415
25,3
409
7,4; 5
384
391
XII 37, 4
409
7,8
409
393
XIII 23, 2
410
11,1
384
417
25,3
382
14,4
431
406
33,2
393
Berlin.
Th. Schiche.
Inhalt.
Archäologie, von R. Engelinaon 259
Ciceros Briefe, voo Th. Schiche 367
Herodot, von H. Kallenberg 225
Horatius, von H. Röhl 29
LiviuSy von H. J. Müller 1
Tacitus mit Ausschluß der Germania, von G. Andre seu 313
Tacitus' Germania, von U. Zernial 363
Xenophon, von R. Ullrich 63
Druck von W. Pormet ter in Berlin.
*"\
JAHRESBERICHTE
DES
PHILOLOGISCHEN VEREINS
zu
BERLIN.
EINUNDDREISZIGSTER JAHRGANG.
BERLIN
WEIDMANNSCHE BUCHHANDLUNG.
1905.
""N
1. Griechische Schriftsteller.
Homer
(hebere Kritik)
1903 und 1904
von
G. Rothe.
I. Yorfragen,
A. Ursprung und Heimat der Sage.
a) Die troi sehe Sage. Seit«
Bethe, Die trojanischen Ausgrabungen und die Homerkritik. Neue
Jahrb. 1904,1 (2) 0 145
Brückner, A., Geschichte von Troja und Ilion (aus Dö'rpfelds „Troja
und Ilion") (1) 144
Drerup, E., Homer (Weltgeschichte in Charakterbildern I) (4) . . . 149
Noack, F., Homerische Paläste (3) 146
b) DieOdysseussage.
Afsmann, E., Das Floß der Odyssee, sein Bau und sein phoinikischer
Ursprung (7) 161
Berard, V., Les Pheniciens et l'Odyssäe (5) 155
Fries, C, Griechisch - orientalische Untersuchungen. L Homerische
Beitrage. In: Beitrage zur alten Geschichte III (6) 156
Jensen, M. P., Das Gilgamisepos. Zeitschr. f. Assyr. 1902 (8) . . 162
B. Die Ithakafrage.
Oraheim, Die Ithakafrage. Progr. Berlin, Wilh.-G. 1903 (9) . . . 162
GSfsler, P., Leukas-Ithaka, Die Heimat des Odysseus (10) .... 165
Caner, P., Erfundenes und Überliefertes bei Homer. Neue Jahrb.
1904, I (11) 174
Pritsche, R., Die Anfänge des Hellenentoms. Nene Jahrb. 1904, 1 (12) 174
Immisch, O., Die innere Entwickelung des griechischen Epos (13) . 175
Zuretti, A., Omero l'Iliade, vol. VI (14) 176
II. Die Komposition der Gedichte«
Altendorf, K., Homer. Ästhetischer Kommentar zur Odyssee (24) . 188
Blafs, F., Die Interpolationen in der Odyssee (26) 191
Bit rem, S., Die Phäakeuepisode in der Odyssee (25) 190
*) Die in Klammern beigesetzten Zahlen bezeichnen die Nummern, unter
denen die Schriften besprochen sind.
IV Inhalt.
Seite
Gern oll, A., Der Homerische Schiffskatalog. Progr. Striegau 1904 (18) 181
Groeger, Der Einflufs des 41 auf die Komposition der Odyssee. Rhein.
Mas. 1904 (21) 184
Härder, Chr., Homer. Ein Wegfuhrer zur ersten Einführung in die
Ilias und Odyssee (15) 176
Hentze, C, Die Monologe in den homerischen Epen. Philol. 1904 (30) 197
Jaeger, 0., Homer und Horaz im Gymnasialonterricht (16). . . * 176
Jörgensen, 0., Eine neue Strömung in der höheren Homerkritik.
Nord. Tidsskrift for Fil. 1904 (27) 195
— , Das Auftreten der Götter in den Büchern i — p der Odyssee.
Hermes 1904 (28). ................ 195
Kretzschmar', 0., Beitrage zur Charakteristik des Homerischen
Odysseus. Progr. JMeunkirchen 1903 (29) ........ 197
Muelder, D.'Exrogog avaigeoig. Rhein. Mus. 1904 (19) .... 181
— , 'OqxCw ovyxvmg. Neue Jahrb. 1904, 1 (20) 182
— , Das Kyklopeoabenteoer der Odyssee. Hermes 1903 (23) .... 187
Röfsuer, O., Untersuchung«* zur Komposition der Odyssee. Progr.
Merseburg 1904 (22) 185
Wecklein, N., Studien zur Ilias (17) 179
Anhang«
Verzeichnis der dem Berichterstatter nicht zugänglich gewesenen Arbeiten 198
Anzeigen früher besprochener Schriften . / 198
Homer
(mit Ausschluß der höheren Kritik)
1903-1904
von
E. Naumann.
I. Anggaben.
Ameia, K. F., und Hentze, C, Homers Ilias. Für den .Schulgebrtoch
erklärt. I, 1 ; Gesang I — III. 6. Aufl. (1) 200
— Odyssee. Für den Schulgebraaoh erklärt 11,2$ Gesang XIX— XXIV.
9. Aufl. (2) . . ; 200
Christ, A. Th., Honers Odyssee in verkürzter Ausgabe. Für den Schul-
gebrauch. 4. Aufl. (3) 201
. . II. Übersetzungen.
Ho ff mann, F., Homers Ilias. Für den Schulgebrauch ausgewählt und
erklärt (A sehen dorffs Ausg. f. d. deutschen Unterricht) (5). . . 204
Hubatsch, O., Homers Odyssee und Ilias im Auszuge. In neuer
Übersetzung (Velhagen und Kissing) (11). . 206
Joris, H., Über Homerübertragung mit neuen Proben. Progr. Limburg
(Lahn) 1901 (4). . , 201
Klee, G., W. v. Goethe, Achilleis. Für den Schulgebraneh heraus-
gegeben (G. Freytag) (12) 206
Primozid, A., und Schmidt, K. A., Homers Ilias (in verkürzter
Form). Nach der Übersetzung von J. H. Voß (Teubner) (6) .. . 204
Stehle, 0., Homers Odyssee. Nach der Übertragung von J. H. Voß.
. Für.denScbuIgebrauehherausgegeben(G.FreytagundF.Tepi»sky)(9) 206
Vockeradt,H., Homers Odyssee, nach der ersten Ausgabe der deutschen
. Übersetzung von J. H. Voß. Für des Schulgebrasch verkürzt und
eingerichtet (Schöningh) (7) 204
Inhalt. y
Seite
Weineck, F., Homers Odyssee in der Übersetzung von J. H. Vofl.
Schulausgabe (Cotta) (8) • 205
Weißeaborn, E., Homers Ilias und Odyssee in verkürzter Form nach
J. H. Voß bearbeitet; II. Odyssee (Teubner) (10) 205
III. Homer im Schulunterricht.
Agabd, EL, Hemer als Grundlage des griechischen Elementarunterrichts.
MS. f. höh. Seh. 1903 (22) 212
— , Griechisches filementarbuch aus Homer. Auf Grundlage des Ele-
mentarbuches von H. L. Ahrens bearbeitet (27) 216
Bauek,L., Ein Kaoon für die Lektüre der Ilias. Z. f. d. GW. 1901 (14) 207
Cauer, P., Homer als Anfangsunterricht Z. f. d. GW. 1903 (23) . . 212
Hartmann, P., Ober den griechischen Anfangsunterricht an Reform-
schulen. Z. f. d. GW. J904 (25) . 212
Heinze, H., und Schröder, W., Aufgaben aus klassischen Dramen,
Epen und Romanen zusammengestellt Bd. 18: Aufgaben aus
Homers Ilias, von H. Heinze. — Bd. 19: Dgl. aus Homers
Odyssee, von H. Heinze (18) 209
Horhemann, F., Der griechische Unterricht im neuen Gymnasium. Neue
Jahrb. 1903, II (21) 212
— , Griechische Schulgrammatik zum Gebrauche beim griechischen Unter-
richt aller Stufen nach der Methode H. L. Ahrens. I. Homerische
Formenlehre 216
Kohl, O., Kanon f. d. Lesung der Odyssee nach den neuen Lehr-
planen. Z. f. d. GW. 1902 (15) 207
Müller, P., Entwurf zu einem Iliaskanon. In der Festschrift des
Gymn. zu Leobschütz 1902 (13) 207
Preller, F., d. A., Bilder zur Odyssee. Gemälde im Museum zu
Weimar. Nach den farbigen Kopien F. Prellers d. J. herausgeg.
vom Kunstwort (19) > 211
— , d. J., Bilder zur Ilias. Nach den Originalzeichnungen herausgeg.
▼om Kunstwart (20) 211
Schmidt, K. Ed., Vokabeln und Phrasen zu Homers Odyssee. Heft 6
und 7, Gesang VI und VII (F. A. Perthes) (16) 2Ö7
W o 1 f ,♦ H.-, Homers O-d y ss e e, erläutert und gewürdigt f. höhere Lehr-
anstalten sowie zum Selbststudium (in: Hau und Wolf, Die
ausländischen Klassiker, Heft 2; H. Bredt) (17) 208
— , Homers Hias, desgl. Heft 3 (18) 208
IV. Sprachliches.
Autenrietbs Wörterbuch zu den Homerischen Gedichten. 10. Anfl.
v. A. Ka^jgi (30). - 219
Gurtius, Georg, Griechische Schulgrammatik, bearb. v. W. v. Harte!.
23. Aufl. von R. Meister (29) 219
Gerth, B., Griech. Schulgrammatik. 6. Aufl. (28) .219
Kaegi, A., s. Autenrietb. .
Meister, R., s. G. Curtius.
Waehner, W., Ober r}, äg (fdio, wg iinwv und verwandte epische
Formeln. III. Progr. Göttiogen 1904 (31) 219
V. Homerstudien bei den Alten.
Walter, G., De Lycophroue Homeri imitatore. Pisa, inaug. Basel
1903 (32) 220
YI. Sacherklärung.
Afsmann, E., Das Floß der Odyssee usw. (s. o. u. Rothe) (37) . . 225
Bloch, L., Alkestisstudien. Neue Jahrb. 1901, 1 (39) 227
raQÖtxag, T. K./H ywr\ iv to) 'EXlrjvixtji nokriopqj. A ' . *H 'EXXrplg
iv t% 'OpriQixrj Ino/rj (40) 228
vi lohalt.
Seite
Härder, Chr., Homer (s.o» ü. Rothe) (33) . . . k . . . . . 22t
Hoff mann, Auf der Saujagd bei Homer. MS. f. h. Seh. 1904 (38) . . 227
Michael, H., Das homerische aod das heutige Ithaka. Progr. Jauer
1902 (35). ................... 222
Havlärto g, Nix. K.9 *H ctXrftrjs 'ISaxij roxi 'Q/utjqov, dgx^oloytxti
fieUtn- 2. Aufl. (34) 222
— , lH ofifjourj 'I&dxtj xal 6 ctyQog iov Aaiqxov. Zeitschr. At Movffai
1902 (36) 224
Schneidewin,M., Zur homerischen Psychologie. Neue Jahrb. 1901,1 (41) 228
Cauer, P., Beigaben zu Ilias und Odyssee. Stimmen des Alter-
tums, Inhaltsangaben, sachliches Register . 229
Literaturnachweis * 229
Verzeichnis der Ausgaben und Schriften, die dem Berichterstatter nicht
vorgelegen haben 229
Hennings, P.D. Chr., Über A 488— 492 . 230
Herodot
von
H. Kallenberg.
Archibald, H. T., The Fable in Archilochus, Herodotus, Livy and
Horace. Proceediogs of the Thirty-Fourth Annaal Session of the
American Philological Association 1902 (23) 374
Bechtel, s. Dialektinschriften.
Brack eth, H. D., Temporal clauses in Herodotus. Proceediogs of the
Americ. Academy of Arts and Sciences 1905 (18). . . . 369
Clerc, Michel, La prise de Phocee par les Perses et ses conse-
quences. Rev. des etudes grecques 1905 (10) 358
Dialektinschriften, Sammlung der griechischen, herausg.
von H. Colli tz und F. Bechtel 111,2, Heft 5: Die ionischen
Inschriften, bearb. v. F. Bechtel (15) ... 367
Grenfell and Hunt, The Oxyrhinchus Papyri. Part. IV (16) ... 368
Hall, H. R., Nitokris-Rhodopis. Journal of Hell. stud. 1904 (2) . . 350
Hammer, Br., De J€ particulae usu Herodot« o, Thucydideo, Xeno-
phonteo. Diss. inaug. Lips. 1904 (20) 373
Hunt s. Grenfell.
Laird, A. G, Her. VIII 2. The class. Rev. 1904 (17) ...... 369
Mulvany, C. M., Her. VI 129 and a Buddhist Birth story. The class.
Rev. 1905 (25) 375
Muuro, J. A. R., Same observations on the Persiao wars. HL The
campaign of Plataeae. The Journal of Hell. stud. 1904 (7) . . 355
Oppert, L., L'eteodue de Babylone. Acad. des Inscr. et belles-lettres
1903 (11) 358
PraSek, J. V., Hekataios als Herodots Quelle zur Geschichte Vorder-
asiens. Beitr. z. alten Gesch. 1904 (1) . . . 348
Rasse, H., Ein Beitrag z. Darstellung der Schlacht bei Salamis. Diss.
Rostock 1904 (6) 353
Reufs, Fr., Ktesias' Bericht über den Angriff der Perser auf Delphi.
. Rh. Mus. 1905 (9) 358
Richards, Herbert, Notes on Herodotus. The class. Rev. 1905 (12) 360
Roose, W. H. D., Greek and eastern Parallels to Herodotus III 119.
The class. Rev. 1904 (24) 375
Inhalt* VII
Seite
Schaefer, H., Die Auswanderung der Krieger unter Psammetich I
und der Söldneraufstand io Elephantine unter Apries. Beitr. z.
alt. Gesch. 1904 (3) 350
Scott, J. A., Additional notes on the yocative. The Americ. Journ.
of PhiL 1905 (21) 373
Tolman, H. C, The Persian ßaodrpoi &soC of Herodotus III 65, V 106.
Proceediogs of the Thirty-Fourth Annual Session of the Americ.
Philological Association 1902 (22) , 374
Westberg, F., Zur Topographie des Herodot. Beitrage zur alten
Geschichte 1904 (4) ..... . 351
Wheeler, Benj. Ide, Herodotus' Account of the Battle of Salamis.
Transactions of the Americ. Phil. Association 1902 (5). . . . 353
y. Wilamo witz-Moellendorff, U., Satzungen einer milesischen
Sängergilde. Sitzungsber. d. preuß. Akad. d. Wiss. 1904 (13) . 366
-S Zu Herod. II 145 (14) .- ... 367
Wr igh t, H. B., The Campaigo of Plataeae. Diss. Yale Univcrsity 1904 (8) 356
Wandt, M., De Herodoti elocutione cum sophistarem comparata. Diss.
Lips. 1903 (19) 372
Aufsatze und Schriften, die dem Berichterstatter nicht, vorgelegen haben
(Klinger, Laird, Migliazza, Oddo, Roberti) .... 359
Neue Auflagen von Herodotausgabeo u. ä. (Fr. Härder, Hintuer,
Sitzier, Tournier) 375
Xenophon
1898—1900
(Nachträge zum Berichte des Vorjahres)
von
R. Ullriok
IV) Zu den kleineren Schriften.
Vorbemerkung 333
ß)*) *AnoloyCa ^(DXQatovq.
Richards, H., Apologia Socratis. The Class. Rev. XII (1898) (1). * 333
Wetzel, M., Die Apologie des Xenophon. Neue Jahrb. 1900, I (2) . 334
y) 'Hqmv*
Lincke, K., Xenophons Hieron und Demetrios von Phaleron. Philolog.
1899 (3) 337
<F) Olxovo pixog.
Bruns, J., Fraaenemsnzipation in Athen. Kieler Rede. 1900 (6) . . 344
Gauer, F., Die Stellung der arbeitenden Klassen in Hellas und Rom.
Neue Jahrb. 1899, I (4) 343
Ziehen, L., Die Drakontische Gesetzgebung. Rh. Mus. 1899 (5) . . 344
x) 2vjbMoeriov.
P(armentier), L., Zu VI 7. Rev. de l'instr. publ. en Belgique (1900) (7) 346
Verzeichnis der besprochenen Stellen 347
) Zahlen' und Buchstaben entsprechen denen des vorigen Berichts.
VIII Iah alt.
Seit»
IL Lateinische Schriftsteller.
Ciceros Reden
1903—1905
von
F. Luterbaener.
a) Ausgaben1). Seit»
Bardt, C, Verrinen, io Auswahl herausgegeben. Text 24&
Deiter, H„ De imperiö Co. Pompei. Text (O. Goedel) (7) . . . 253
^-, Gegen Katilina I. III. IV. Text (ebenda) (8) .25»
— , Cato maior de senectute. Text (ebenda) (9) 253
Drenckhahn, 0., Für Muren*. Für Schüler erklärt. Text und Er-
klärungen (Weidmann) (10) ..... . 253
— , Für Sestios. Für Schäler erklärt. Text und Erklärungen
(ebenda) (14> . . . 25ft
Eberhard s. Richter.
Graf s. Jordan.
Hachtmann, K, Gegen Verres. Buch IV: De sigais. Für den Schul-
gebrauch erklärt. 3. Aufl. (F. A. Perthes) (4) 249
Jordan s, W., Ausgewählte Stücke aus Cicero in biographischer Folge.
Mit Anmerkungen für den Schulgebrauch von W. Jordan und
R. Graf. 6. Aufl. von H. Schüttle (Metzler) (1) 247
JNohl, H., Ober den Oberbefehl des Cn. Pompejus. Für den
Scbulgebrauch herausgegeben. 3. Aufl.2) (Frey tag) (5) . . . . 250
— , Für den Dichter Archias. Für den Sehulgebrauch herausgegeben.
3. Aufl. (Freytag) (13) 255
Novak, R., Pro Sex. Roscio Amerino, de imperio Gn. Pompei,
pro Archia poeta. K potrebS gkolni vydal R. N. Treti vydani (2) 247
Richter, Fr., und A. Eberhard, Für Marcellus, für Q. Ligarius
und für den König Deiotarus. Für den Schul- und Privat-
gebrauch herausgegeben. 4. Aufl. (Teubner) (16) 25£
Schüttle s. Jordan.
Stegmanu, C, Auswahl aus den Reden des M. Tullius Cicero. I.Ober
den Oberbefehl des Cn. Pompeius und die Katilinari-
schen Reden. Text, 4. Aufl.; Text B, 4. Aufl. (Teubner) (6) . . 252
Strenge, J., Für den Dichter A. Licinius Archias. Für den Schul-
gebrauch erklärt. 3. Aufl. (F. A. Perthes) (12) ....... 255
Thümen, F., pro P. Cornelio Sulla. Für den Schulgebrauch erklärt
(F. A.Perthes) (11) 254
— , pro M. Mar eil o. Für den Sehulgebrauch erklärt (ebenda) (15) . 257
b) Abhandlungen, Erklärnngsschriften, Übersetzungen,
Präparationen.
Banz, Romuald, Die Würdigung Ciceros in Sallosts Geschichte der
Catilinarischen Verschwörung (27) 280
Binder, W., Für M. Caelius Rufos, übersetzt. 2. Aufl. revid. von
H. ühle (Langenscheidt) (30) 285
*) Nach den Herausgebern alphabetisch geordnet.
a) Vgl. dazu die Erklärung von Nohl S. 332.
Inhalt. IX
Seit»
Cauer, F., Ciceros politisches Denken. Ein Versuch (28) 282
Costa, E., Le orazioni di diritto privato di M. Tollio Cicerone (24) . 277
Deiter, H., Ciceros Leben und Schriften (Goedel) (20) 270
— , Übungen zum Übersetzen im Anschluß an Ciceros Reden pro Roscio
Amerino ond de imperio Cn. Pompei (Goedel) (21) .... 270
— , Desgl. im Anschloß an Ciceros Tnskalanen, Buch I and V
(Goedel) (22) 270
Gramme, A., Kritisches and Exegetisches za Ciceros Sestiana (29) 282
Hachtmano, K., Die Verwertung der 4. Rede gegen Verres (de
signis) für Unterweisungen in der antiken Kunst; (2. Aufl.)
(F. A. Perthes) (25) 279
Nohl, H., Schülerkoramentar zu Ciceros Rede für T. Aonius Milo
(Freytag) (31) 286
Pflüger, H. H., Ciceros Rede pro Q. Roscio eomoedo rechtlich be-
leuchtet and verwertet (23) 271
Rohde, F. (t), Cicero qaae de inventione praecepit qoatenas secatas
sit in orationibas gener is iudicialis. Diss. Königsberg
1903 (17) • 260
Von einem Schalmann, Präparation nebst Übersetzung zu Ciceros
1. Rede gegen Katilina (26) .279
Uhle, H., s. Binder.
Wetzel, Th., Präparation zu Ciceros Rede fürA. Ligarias (Teabnir) (32) 286
— , Desgl. zur Rede für den Köoig Dejotaras (ebenda) (33) .... 286
Ziegel er, E., Zwölf Reden Ciceros disponiert. 2. Aufl. (19) . . .270
Zielinski, Th., Das Clauselgesetz in Ciceros Reden. Philologus,
Suppl. IX (1904) und Separatdruck (18) 263
c) Anhang: Quintus Cicero.
Hendrickson, G. L., The . Commentariolum petitioois attribnted to
Quiotus Cicero. Authenticity, rhetorical form, style, text.
Decennial Publications VI, Chicago 287
Ver gil
von
P. Deutioke.
I. Za den ländlichen Gedichten«
Carreri, F., Pietole, Formigada e il fossato di Virgilio. Atti e
memorie della R/Accademia Virgiliaui di Maotova. Anno accade-
mico 1903— 1904 (Mantova 1904) (2) .105
Dali o cm (daü' Oca), G., Pietole, Atti e memorie usw. Biennio accade-
mico 1899—1900 (Mintova 1901) (1) .... • 105
Göhriag, W., Übersetzungsproben ans lateinischen Dichtern. Progr.
Brandenburg a. H., Stadt. G. 1903 (7) 112
Jacobi, F., Zur Entstehung der römischen Elegie. Rhein. Mus. 1905 (4) 107
Jahn, P., Die Quellen and Muster des ersten Buches der Georgica
Vergils und ihre Bearbeitung durch den Dichter. Rhein. Mus.
1903 (5) .108
— , Aus Vergils Dichter Werkstatt. Philologus 1904 (6) 110
Warde Fowler, W., Observations on the fourth eclogue of Virgil.
Harvard Stud. 1903 (3) 106
II. Ineis-Ausgaben.
Bros in, O., Erklärende Schalausgabe, za Ende geführt von L. Heit-
kamp: I. Bqch 1 u. II, 9. Aufl. (F. A. Perthes) (8) 112
X Inhalt.
Seite
Brosin-Heitkamp, V. Bach X— XII, 2. Anfl. (ebenda) (12) . ... 127
Deuticke s. Ladewig.
Fickelscher er s. Kappes.
Heitkamp s. Brosin.
Kappes, K., Vergils Aeneide für den Schulgebrauch erklärt. I. Boch
I— III. 6. AaO. von M. Fickelscherer (Teubner) (9) . . . » 112
Lad ewig, Th., and C. Seh aper, Vergils Gedichte erklärt. 3. Bändchen:
Buch VII— XII der Aeneis; 9. Anfl. von P. Deuticke (Weid-
mann) (11) 125
Norden) K., Aeneis Boch VI erklärt (10) . 115
Sander, J., Schülerkommentar zu Vergils Aeneis in Auswahl. Erste
Aufl. (zweiter Abdruck), Frey tag (13) ...... , . . » 130
III. Einzelne Beiträge zur Ineis.
Bayard, L., Le motte atque facetum de Vergile d'apres Horace Sat.
1 10, 44. Rev. de Phil. 1904 (27) 139
Draheim, H., II 325. WS. f. klass. Phil. 1904 (18) 133
Endt, J., Botenbericbte bei Vergil und Ovid. Wiener Stod. 1903 (26) 139
Groß, E., Studien zu Vergils Aeneis, z.T. mit Hinweisen auf die
deutsche Literatur. Progr. Nürnberg, Neues G. 1904 (17) . . . 131
Ihm, G., Vergilstudien III. Progr. Gernsheim R. 1904 (19) .... 133
Karsten, H. T., De Aeneidos libro III. Herrn. 1904 (20) 133
Kirk, W.H., Notes o'n the first book of the Aeneid. Americ. journ.
of Phil. 1904 (15) 130
Labande, L. H., und Heron de Villefosse, Les mosaiques romaines
de Villelaure (Vanclose). Bull, archeol. 1903 (22) 136
Nestle, E., Zur Erklärung des Wortes Sibylle. Berl. phil. WS.
1904 (23) , ... 136
Pascal, C, Vergiliana. Boll. di fil. class. 1904 (16) 131
Ra derma eher, L., Das Jenseits im Mythos der Hellenen (24) . . . 136
Vassis, S. («= Z.Bdorig), Ad Vergili Aee. lib. I. li&rjvä 1904 (14) 130
Verrall, A. W., The metrical division of Compound words in Vergil.
The class. rev. 1904 (28) 139
Villefosse s. Labande.
Volkmann, W., Die Nekyia im VI. Buche der Aeneide Vergils. Jahresb.
d. schles. Ges. für vaterl. Kultur 1903 (auch im Sonderdruck) (25) 136
Wa geningen,J. van, De Mercnrio, qui ipu^ono/unos dicitur. Mnemos.
1904 (21) 135
IT. Znr Appendix Vergiliana und Serviana.
Curtio, Gaetano, Emendamenti al testo dei „Catalepton" della „Copa"
e del „Moretum". Riv. di fil. 1905 (31) 141
Sabbadini, R., Emendamenti ai Catalepton. Boll. di fil. class. 1903 (29) 139
— , [P. Vergili Maronis] Catalepton Priapea et epigrammata edidit R. S.
in usum scholae Mediol. (30) 139
— , Partenio e il „Moretom". Riv. di fil. 1903 (32) 142
— , Per ua glossario Vergiliano. Riv. di fil. 1903 (33) 142
Horatius
von
H. ROM.
I. Ausgaben und Kommentare.
Häußner s. Keller.
Huemer, Joh., Carmina selecta, für den Schulgebrauch herausgegeben.
6. Aufl. (Holder) (6) 63
I aha lt. X|
Seite
Keller, 0., Pseudacronis scholia in H. vetustiora recensuit. . VoL II:
scholia ia. sermones, epistulas artemque poeticam (8) 64
— , und J. Häußner. Q. Horatias Flaccus. Für dem Schulgebrauch
herausgegeben. 3. Aufl. (Freytag) (1) 56
Krüger, G. T. A., Satireo uBd Epistel d, für den Schalgebrauch er-
klärt. I. Satiren, 15. Aufl. v. G. Krüger (Teubner) (4) .... 58
L e j a y s. Plessis.
Ludwig, H., Präparatiao zu Q. Horatius Flaccus' Satiren. 1. Heft.
ß. 1. .(Teubner) (7) . . . . 63
Plessis, F., et Lejay, P., Oeuvres d'Horace (3) ,5t
Rosenberg, E., Die Oden und Epoden, für den Schulgebrauch erklärt.
4. Aufl. (F. A. Perthes) (5) 62
Schulze, K. P., Horaz. Auswahl f. d. Schulgebrauch. II. Anmerkungen.
2. Aufl. (Weidmann) (9) £5
Wickham, E. C.% Horace, vol. If, The Satires, Epistles and de arte
poetica, with a commentary (2) .... 57
II. Übersetzungen.
van Hoffs, s. Vogt.-
Lehmann/ O., Ausgew. poetische Übersetzungen, Progr. Wittstock
1904 (15). 73
Ludwig, H., Satiren, übersetzt (10) 68
Menge, H., Die Oden und Epoden des H. für Freunde klassischer
Bildung, besonders für die Primaner uoserer Gymnasien bear-
beitet. 3., durch erklärende Anmerkungen vermehrte Auflage (14) 71
Pasini, F., Una versione Oraziana inedita di Clementino Vannetti.
Progr. Capodistria 1903 (12) 70
Puccianti, G., Saggio di traduziooi da Catullo, Orazio e Tibullo (13) 70
Vogt, E. und F. van Hoffs, Satiren des H., im Versmaß des Dichters
übersetzt. 2. Aufl. von F. van Hoffs (16) 73
Wickhain, E. C, Horace for English readers, being a translation of
the poems of Q. Horatius Flaccus ioto English prose (11). . . 69
III. Abhandlungen.
Allen, S., Ep. I 2,31. Class. Rev. 1903 (33) ......... 84
Boissier, G., Nouvelles promenades archeologiques. Horace et Virgile.
5« 6d. : p. 1 — 62: La maison de campagne d'Horace (53) ... 99
Bulle, C, Die Archytas-Ode und der Mons Matinus. Philol. 1898 . . 78
Caccialanza, Ph., Zu Hör. Od. II 7, 10. Riv. di fil. 1902 (24) . . 81
Curcio, C, Le invocazione nell' arte poetica. Riv. di fil. 1902 (26) . 81
Domaszewski, A. v., Der Festgesang des H. und die Begründung des
Prinzipates. Rh. Mus. 1904 (51) 98
Dorsch, J., Mit H. von Rom nach Brindisi. Progr. Prag- Altstadt,
Staats-G. 1904 (47) 93
Earle, Mort. Lamson, De Hör. serm. I 1. Revue d. phil. 1903(28) 82
—, Zu Hör. Od. I 2; ebenda 1903 (29) . 83
Ensor, E., On the allusions in Horace, Od. I 14. Class. Rev. 1903 (31) 83
— , On Horace, Od. IV 8, 13—22. ebenda 1903 (37) 86
Gilbert, W., Zu Horaz' Oden. Rh. Mus. 1904 (57) . . 101
Heraeus, W., Zur Kritik und Erklärung von Porphyrios Horazscholien.
Philol. 1900 (20) 79
Hoffmann, O. A., War Horaz Jäger? MS. f. höh. Seh. 1904 (55) . . 100
Jurenka, H., Zur Würdigung der Römeroden des H.; Philol. 1898(17) 76
Kampfhenkel, O., Die Symmetrie als Kunstgesetz bei Horaz. Progr.
Friedeberg Nrn., 1904 (45) .90
Kieroriski, L., Quid Horatius de sua carininum et sermonnm compo-
oendorum ratione praedieavisset exposuit L. K.< Progr. Buczacz,
G. 1902 (23) . 81
xn Inhalt.
Seite
Knapp, Gh., On Horace, Od. III 30, 10—14. Class. Rev. 1903 (30) . . 83
Kreppel, D., {Der Zyklus der Horazischen Römeroden. II. Die dritte
Ode. Progr. Kaiserslautern, G. 1904 (48) . .94
Leo, F., Livias und Horaz über die Vorgeschichte des römischen
Dramas; vgl. Livias N. 19. Herrn. 1904 (46) 93
Lucas, H., Die Herkunft Bions und Horazens. Philo 1. 1899 (19) . . 78
— , Die Neunzahl bei H. und Verwandtes. Ebenda 1900 (21) .... 79
Matschky, Tb., Bemerkungen zur Lektüre des Horaz. Progr. Kroto-
schin, G. 1904 (44) •. . . 89
Meiser, K., Zu Hör. sa4. I 4, 35. ßl. f. d. GSW. 1904 (54) .... 9»
Plüß, Tb., Das iambenbuch des H. im Lichte der eigenen und unserer
Zeit (50) 95
Psichari, M., Index raisonne" de Ja mythologie d'Horace (52) ... 98
Rasi, P., Di Lucilio rudis et Graecis intacti earminis auctor. Riv. di
■ iL 1903 (27). . . . • 82
Sabbadioi, R., Orazio «. III 5. Riv. di fil. 1902 (25) ...... 81
Schloßmann, S., Zu Hör. serm. II 1, 79 ff. Rh. Mus. 1904 (58) . . 101
Sonnenburg, P. £., De Horatio et Pollione. Rh. Mus. 1904 (56) . . 100
Sonnenschein, £. A., The Latin Sapphic. Class. Rev. 1903 (34) . . -85
Stadler, K., Horaz - Kommentar ; U. Die Gedichte auf sich selbst.
Progr. Berlin, Margareten-Scb. 19U4 (43) 88
Stemplinger, E., Ronsard und der Lyriker Horaz. Eine Quellen-
studie. Z. f. frz. Spr. u. Lit. 1903 (39) ....*..... 87
— , Herder und Horaz. Bl. f. d. GSW. 1903 (40) ......... 87
— , Joachim du BeJlay und Horaz. Archiv f. d. Stud. d. neueren Spr.
u. Lit. 1904 (41) 87
— , Horaziscbe Motive in der Flucht der Zeiten. Stnd. z. vergl. Litg.
1904 (42) . 88
Thompson, E. Seymer, The Latin Sapphic. Class. Rev. 1903 (36) 85
[Vahlen, J.,] Zu Od. IV 4. Ind. lect. Berol. hib. 1904/5 (49) .... 95
Ve rra 11 , A. W., The Latin Sapphic. Class. Rev. 1903 (35) .... 85
Walters, W. C. F., Note on Horace. Class. Rev. 1903 (32) .... 84
W.illenbüchcr, H., Bemerkungen zur Lektüre des ersten Baches der
Oden des Horaz. Lehrpr. u. Lehrg. 1903, H. 76 (38) .... 86
Winterfeld, P. v., Wie sah der Codex Blandinius vetustissimus des
Horaz aus? Rh. Mos. 1905 (59) 102
Zielinski, Th., Marginalien. Philol. 1901 (22) . ....... 80
Verzeichnis der Schriften, die dem Berichterstatter nicht vor-
gelegen haben 102
L. Reinhardt (Wohlau), Was heißt vinci dolentem c. IV 4,62? . .
L i viu s
von
H. J. Müller.
Verzeichnis von Anzeigen früher besprochener Schriften. ... 1
I. Ausgaben.
Abrens, F. J., Auswahl aus der V.Dekade (B. 42/45), Der Krieg mit
Perseus (F. A. Perthes) {7) . 10
Deiter, H., Übungen zum Übersetzen im Anschluß an Buch XXII
(O. Goedel) (2) 4
Grenfell, B. G., and A. S. Hunt, The Oxyrhynehos Papyri Part IV (11) 24
Uli alt. XIII
Seite
Jordan, V., Aasgew. Stacke ans d. 3. Dekade. MitJAnmerkuogen f. d.
Schulgebranch herausgegeben. Neubearbeitet von C. Mino er
und H. Planck (Bonz) (5); 6
Kornemann, E., Di« neue Livius- Epitome aus Oxyrhynchos. Text
und Untersuchungen (ßeitr. z. alten Geschichte 1904, Heft 2 und
in Sonderausgabe) (12) 30
Luterbacber, F., T. Livi au. c. Hb. XXIf. Für den Schulgebrauch
erklärt. 6. Aufl. (F. A. Perthes) (1) 1
— , N. phil. Rundschau 1904 (8) 17
Min ner s. Jordan.
Planck s. Jordan.
Scheindler s. Zingerle.
Schmidt, A., Schülerkommentar zn Liv. B. I, II, XXI, XXII nnd den
Partes Selecta* (nach der 4. Aufl. der Ausgabe von A. Zingerle)
2. Aufl. (F. Tempsky) (4) 5
"T raube, L, Paläographische Forschungen. IV: Bamberger Fragmente
der 4 Dekade. Anooymns Gortesianus (6) . , 8
Zingerle, A., T. Livi au. c. libri I. II. XXI. XXII. Adiunctae sunt
partes sei. ex libr. III— VI. VIII. XXVI. XXIX. Unter Mitwirkung
von A. Scheindler für den Schulgebrauch herausg. v. A. Z. ;
6. Aufl. (G. Freytag) (3) 4
— , Zum 44. Bncbe des Livius. Sitzungsber. d. Kaiserl. Akad. d. Wiss.
z. Wien, phil.-bist. Kl. Bd. CXLVJfl und in Sonderausgabe (9) .19
— , T. Livi a. u. c. libri. Pars VII, fasc. IV. Liber XXXXIV. Bd.
minor (F. Tempsky u. G. Frey tag) (10) 23
Ausländische Literatur, die dem Berichterstatter nicht vorge-
legen hat 34
II. Beiträge zur Kritik nnd Erklärung:.
Azan, P., Annibal dans les Alpes (22) 42
BdorjcZ, Zu XXXIV 32, 13. \4&vva 1904 (13) 35
Dusanek, F., De formis enuntiationum coodiciooalium apud Livium
(Gonclusio). Ceske* mus. filologicke* 1904 (16) 37
Fuchs, J., Haanibal in Mittelitalien. Wien. Stud. 1905 (23) ... 43
Lease, E. B.„ Livy's use of arunt, erunt and ere. Amer. Journ. of
Phil. 1903 (17) .38
Leo, F., Livius und Heraz über die Vorgeschichte des römischen
Dramas. Herrn. 1904; vgl. Horaz N. 46 (19) 40
JLuter bacher, F., Der Prodigenglaube und Prodigienstil der Römer.
Progr. Burgdorf (Schweiz) G. 1904 (21) 41
Reissinger, K., Ober Bedeutung und Verwendung der Präpositionen
ob nnd propter. Teil I. Progr. Landau 1897. — Teil II. Progr.
Speyer 19Ü0 (15) • . . 36
Steel e, H. B., The historkal attitude of Livy. The Amer ic. Journ. of
Phil. 1904 (18) 39
Thesauras Linguae Latinae Vol. I: affinere und afluere (14) . . 35
Wüekler, L.» die geschichtliehe Entwicklung des Prodigienwesens bei
den Römern. Studien z. Geschichte und Überlieferung 4er Staats-
prodigien. Diss. Leipzig 1903 (20). ." 40
R. Oefcler:
Azan, P., vgl. N. 22 49
JStraehan-Davidson, J. L., The passages of the Alps by Pempey
. and Hanoibai (Appendix seiner Appianausgabe) 54
XIV Inhalt
Seit«
Tacitus
(mit Ausschluß der Germania)
über das Jahr 1904/1905.
von
0-. Andresen.
I. Ausgaben.
Andresen s.' Nipperdey.
Anzeigen älterer Ausgaben (Heraeus, Koaut, J.Müller, Müller-
Christ, Ramsay, Rossi, Weiduer-Laoge) (3) 296
Loiseau,L., Tacite. Les Annales, traduction nouvelle mise au coufant
des travaux recents de la philologie par L. L. : preTace de J. A.
Hild (2) 295
Nipperdey, K., P. Cornelias Tacitus erklärt. I. Ab exe. Divi Augusti
I— VI. 10. Aufl. von 6. Androgen (Weidmann) (1) .... 29a
.II. Tacitus als Schriftsteller.
Anzeigen älterer Schriften (Boissier, Consoli, Fabia (bis), Kröfce),
Stein) (9) . 305
Bauer, W., Die Verfasser- und Zeitfrage des dialogus de oratoribns.
Frogr. Hattingen (Rohr) 1905 (4) 297
Bretschneider, C, Quo ordine ediderit T. singulas Aonalium partes.
Diss. Argentor. 1905 (8) 301
Cima, A., La tragedia roiuaoa Octavia e gli Annali di Taoito (5) . . 299
Lengsteiner, J., Zn Tacitus. Progr. Kalksburg 1903 (6) .... 299
Profumo, A., Le fonti ed i tempi dello incendio Neroniano (7) . . 300*
III. Historische Untersuchungen.
Anzeigen älterer Schriften (Bartels, Ferra ra, Henderson, Hof-
bauer, Valmaggi, Willems) (27) . 31»
Chabert, S., Le tremblement de terre de Pompäi et sa date vcritable
(5 ftvr. 62 ap. J. C). Melanges Boissier (19) 3*5
Domaszewski, A. v., Die Heimat des Cornelius Fuscus. Rh. Mus.
1905 (21) 315
— , ßatavodurum. Korr.-Bl. d. Westd. Z. f. Gesch. n. Kunst 1904 (25) . 317
Düozelmann, E., Aliso und die Varusschlacht (12) 308
Fabia, Ph., Domitien ä Lyon. Revue d'histoire de Lyon 1905 (26) .317
Farel, A., Seoeque d'apres Tacite. Rev. chrätienne 1904 (17) . . . 314
Gardthausen, V., Augustus und seine Zeit. I 3. II 3 (10) . ... 306
Hülsen, Chr., Konsularfasteo aus Kampanien. Mitt. d. Kais. Deutsch«
arch. Inst, Rom. Abt. 1904 (15) 311
Kappelmacher, A., Eprius Marcellus und Quintilian. Wien. Stud.
1905 (22) 316
Knox, R. Mc. Eldery, Some notes upon Roman Britain. Class. rev.
1904 (28) 316
Koepp, F., Die Römer in Deutschland (Monographien znr Weltgeschichte
XXII) (11) 806
Kolbe, W., Die Grenzen Messeniens in der ersten Kaiser zeit. Athen.
Mitt. 1904 (14) 310
Körber, Römische Inschriften und Skulpturen. Westd. Korr. 1905 (20) 315
Maynial, E., A propos des salutations imperiales de Neron. Rev.
archeol. 1904 (18) 314
Inhalt. X¥
Saite
Moritz, E., Die geographische ßenntnis von «Jen Nord- and Ostsee-
käste d bis zum Ende des Mittelalters I. Progr. Berl. Sophien-
schule 1904 (24) 816
Schott, W., Studien zur Geschichte des Kaisers Tiberius. Progr.
Bamberg. K. neues Gymn. 1904 (13) 309
Ta übler, E.? Die Partheroachrichten bei Josephus (16) . , . , , f 31?
IT. Sprachgebrauch.
Macke, R., Die römischen Eigennamen bei Tacitus. V. Ejoe sprach-
liche Untersuchung. Progr. Königshütte 1905 (28) . . . . .319
. , . . .Y. Handschriftliches.
Philipp, G., Ober die Mailänder und die Venediger Hb. zum Dialog
des Tacitus. Wien. Stud. 1905 (31) 322;
Ramorino, F., De codice Taciti Aesino nuper reperto. Atti del
congresso ioternazionale di scienze storiche. Estratto del Vol. II.
Sezione 1: Storia antica e fil. classica (29) 32Q
Sabbadini, R., Spogli Ambrosiani latini. Studi italiani di fil. class.
1908 (30) 321
W i s s o w a , G., Zur Beurteilung der Leidener Germaniahandschrift.
Festschr. d. phil. V. in München (32) 322
Tl. Textkritik und Erklärung:.
Anzeigen älterer Schriften (Dienel, Ussani, Zöchbauer) (46) 332
Aodresen, G., Zu Tacitus1 Annalen. WS. f. klass. Phil. 1905 (42) . 329t
Bücheier, F., Lepcis. Rh. Mus. 1904 (44) 33fr
Fabia, Ph., Tac. Ann. XIV 10. WS. f. klass. Ph. 1905 (43) ... 330
Heraus, W., Tacitus und Sallust. Arch. f. lat. Lex. u. Gramm. 1905 (39) 327
— , Lepcis neben Leptis. Ebenda 1905 (44) 330t
Knapp, Gh., Note on Tacitus Agr. 31,5. Proceedings of the thirty-
fourth annual session of the Americ. phil. association 1902 (33) 324
Kr6zel, J., Ad Taciti Ann. I 35, 14. Eos XI (37) 326.
Musotto, G., Intorno alla tradizione della morte di Germanico, figlio
di Druso, presso Tacito, Dione Cassio e Suetonio. — Una nuova
contraddizione negli Annali di Tacito al libro I 40 und 41. Riv.
di stör. ant. IX (38) 32fr
Stangl, Th., Zur Textkritik der Annalen des Tacitus. WS. f. klass.
Phil. 1905 (40) 827
Valmaggi, L., Tacitiana. Estr. dagli Atti della R. Accademia delle
Scienze di Torino vol. XI 1905 (35) 324
— , Di uo passo interpolato nelle Storie di Tacito. Atti d. R. Accad.
di sc. di Torino XXXIX (36) 32&
Walters, W. C. F., Agric. 46. Class. Rev. 1905 (34) 324
Waltz, R , Zu Ann. XI 4, XII 65, XIII 26. Rev. de phil. XXIX (41) 328
Wolff, E, Bericht über die Tacitusliteratur 1896—1903. Bursians JB.
1904 (45) 331
TU. Tacitus in der Schale.
Strobl, A., Zur Schullektüre der Annalen des Tacitus. Fortsetzung.
Progr. Innsbruck. Staats- G. 1905 (47) . . . • 332
xvi loh alt.
Seit«
Tacitus' Germania.
yoo
U. Zernlal.
Krause, E., Übungen zum Obersetze q im Anschloß an Tacitus' Germania
(0. Goedel) (2) 876
Macke, R., Die römischen Eigennamen bei Tacitns. V. Eine sprach«
liehe Untersuchung. Progr. Kb'uigshütte 1905. Vgl. Andresen
N. 2« (1) ............ ; . 376
Ram-ori no, F., De codice Taciti Aesino usw. (s. o. Andresen N. 29) (4) 380
Wissowa, G,, Zur Beurteilung der Leidener Germania -Hs. (s.
Andresen N. 32) (3) . . . . . . 379
1.
Livius.
Von den in meinen früheren Jahresberichten besprochenen
Livius -Ausgaben und auf Livius' Geschichtswerk bezuglichen
Schriften sind einige inzwischen auch an anderer Stelle besprochen
wordeu. Ich erwähne im folgenden diejenigen Rezensionen, die
zu meiner Kenntnis gelangt sind.
Livius Bach 7—10, Textaasgabe von M. Müller (W. 0., Württ. Korr.
ßl. X S. 351). — Li via s' Römische Geschichte im Auszüge herausgegeben
vod Fügner (F. Müller, Berl. pbil. WS. 1903 Sp. 1660; J. Golliog, Zeitschr.
f. i. österr. Gyma. 1904 S. 638—640; W.O., Württ. Korr. ßl. X S. 351;
L. Frey tag, Päd. Archiv 1904 S. 484). — Livius Bach 21, herausgegeben
vod Luterbacher, 7. Auflage (W. 0., Württ. Korr. Bl. X S. 351). — Li vius
Buch 41—43, herausgegeben von Ziogerle (Lit. Zeotralbl. 1903 Sp. 983—
984). — Livius, Auswahl aus der 1. and der 3. Dekade von P. Mever
(F. Müller, Gymo. XXI S. 19; Berl. phil. WS. 1903 Sp. 1660). — Deiter,
Übungsstücke zum Übersetzen im Anschluß an Livius Buch 21 (F. Müller,
Berl. phil. WS. 1903 Sp. 1501; A. Reckzey, WS. f. klass. Phil. 1904 Sp. 773).
— Schmidt, Beiträge zur Livianischen Lexikographie IV (Archiv f. lat.
Lex. XIII S. 588; K. Strecker, N. Jahrb. 1904, II S. 478—480; A. Zingerle,
Zeitschr. f. d. österr. Gymn. 1904 S. 412).
I. Ausgaben.
1) T. Livii ab urbe condita über XXII. Für den Schalgebrauch erklärt
von F. Luterbacher. Sechste, verbesserte Auflage. Mit einer
Karte. Gotha 1904, F. A. Perthes. IV u. 123 S. 8. 1,20 Jt.
An vier Stellen hat der Herausgeber neue Lesarten in den
Text gesetzt. 12, 6 liest er jetzt prudentiam quidem not am die-
tatoris (nach eig. Verm.), indem er in notam den Gegensatz zu
hauddum expertus sieht und hinzufugt: „Hannibal wußte längst,
daß Fabius den Tib. Sempronius und C. Flaminius an Besonnen-
heit weit übertraf". Nach dieser Erklärung wird der Leser ge-
neigt sein, notam im Sinne von „allgemeinbekannt" zu nehmen,
nicht als Gegensatz von hauddum expertus; auf letzteres weist aber
der Zusammenhang hin. Denn Hannibal hat Fabius1 Verhalten bei
Arpi (§ 4) sofort richtig gewürdigt. Sehr ansprechend war not)i,
was Gr. vorschlug, nur daß der Begriff „neu", auf den die Über-
JfthrMberiehte XXXf. 1
2 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
lieferung (nonuim) fuhrt, zu dem Ausdruck „Diktator" nicht recht
passen will. Wölfflin nimmt hieran keinen Anstoß und liest
novi dictatoris* Gr. vermutete novi auctoris (vgl. 61, 5); ich habe
an novi imperatoris extemplo gedacht und angenommen, ein zur
Erklärung übergeschriebenes dictatoris habe die Korruptel verur-
sacht; Luchs hat die Wörter non vim 'ut insitiva' gestrichen, und
vermißt wird nach ihrer Entfernung allerdings nichts. — 17, 2
schreibt Ltb. nach eig. Verm. calorque tarn ad vivum ad inti-
maque cornua veniens = an die Wurzeln der Hörner, wo man
doch eher infimaque erwartete, was den Gegensatz zu dem obersten
Teil, den Spitzen, der Hörner richtiger bezeichnen würde. Es ist
auch, glaube ich, an der Wiederholung der Präposition Anstoß
zu nehmen, da man nicht recht erkennt, inwiefern mit ad . . .
cornua etwas Besonderes, „Steigerndes" hinzugefügt wird, und
der Gedanke liegt nahe, daß die unverständlichen Buchstaben diu
eine fälschliche Wiederholung aus dem unmittelbar vorhergehenden
adutuom seien. Nach deren Streichung ließe sich aus atimaque
cornua vielleicht atque ima cornua machen. — 21, 4 liest Ltb.
nach eig. Verm. ut tumultariam manum fudere, multis occisis,
quibusdam captis . . ., klar und verständlich; sicher könnte Livius
so geschrieben haben. Aber die Überlieferung (P ') lautet momnis,
und daraus entwickelt sich multis nicht gerade einfach. In dem
ersten Buchstaben das Zahlzeichen für 1000 zu sehen (Mg.), hat
doch viel für sich, weil der Schriftsteller gern so bestimmte An-
gaben macht, während hominibus (Hwg.) unsicher und wohl durch
P2 (omnibus) veranlaßt worden ist. Sollte an mitte omnino occisis
zu denken sein? — 27,8 nimmt Ltb. die Überlieferung des P in
Schutz, die von den neueren Herausgebern nach dem Vorgange
von Burmann und Mg. abgeändert worden ist. Bei diesen liest
man: omnia fortunam eam habitura, quamcumque temeritas collegae
habuisset, dem Sinne durchaus entsprechend ; denn Fabius will auf
den Vorschlag des Minucius (§ 6 — 7) nicht eingehen, weil dann
zeitweilig das Schicksal des Ganzen {omnia steht mit Betonung
an der Spitze des Satzes) von der Unbesonnenheit des Kollegen
abhängen würde. Dazu paßt, was er § 8 hinzufügt: er wünsche
die Teilung des Heeres, damit er, da er das Ganze nicht zu retten
vermöge, wenigstens das rette, was zu retten ihm möglich sei.
Bei Ltb. steht im Text: omnia enim fortunam habituram, quae-
cumque temeritas collegae habuisset (enim fortunam nach g; P hat
fortunam enim), und dazu wird als Erklärung gegeben: „alles, was
dem unbesonnenen Minucius gegeben wird, ist dem Glück über-
geben, dessen Laune alles beherrscht". Der Gedanke wird manchem
Leser etwas dunkel vorkommen. Wenn, worauf Ltb. verweist,
fortuna in omni re dominatur (Sali. Cat. 8, 1), so steht doch auch
das, was einem besonnenen Feldherrn übergeben oder was von
ihm auf Grund des ihm übergebenen Imperiums unternommen
wird, unter dem Einfluß der dominierenden fortuna, und wie ver-
Li vi us, von H. J. Müller. 3
steckt liegt das alles in den Worten fortuna omnia habebit, quae-
cumque . . . ? Daß forlunam an dieser Stelle Subjekt ist, ergibt
sich nach Ltb. „bestimmt aus 29, 1, wo Fabius sich auf diese
Worte beruft"; zu 29, 1 ita est merkt er an: „Da haben wirV4,
nachdruckliche Bestätigung einer schon früher (nämlich 27, 8)
ausgesprochenen Behauptung. Allein man kann eigentlich nicht
sagen, daß etwas früher Ausgesprochenes bestätigt werde; hier
handelt es sich nur darum, daß eine Befürchtung von ihm sich
frühzeitig erfüllt, eine Befürchtung, die Fabius natürlich von An-
fang an gehegt, aber doch nicht bestimmt ausgesprochen hat. Freilich
diesen Sinn („ich habe gefürchtet, daß das Unheil so schnell die
Unbesonnenheit ereilen werde") will Ltb. an dieser Stelle nicht zu-
lassen und glaubt ihn dadurch auszuschließen, daß er hinter temeri-
tatem ein Fragezeichen setzt. Nach ita est erwartet man aber eher
einen Aussagesatz als einen Fragesatz, in einem Fragesatz eher
nonne als non (trotz 5,53,8); am besten würde non fehlen, und Lipsius
hat es getilgt, um Übereinstimmung mit Plutarch herbeizuführen.
Für den Schüler ist auch die Bemerkung zu 27, 9 : „daher ist
der lateinische Ausdruck richtiger" nicht recht verständlich und
sicher entbehrlich. Kurz, an diesen beiden Stellen wären einige
weitere Worte zur Aufklärung und Förderung des Verständnisses
erwünscht.
Den Kommentar hat der Hsgb. von neuem durchgesehen und
dabei besonders auf den zweiten Band von Nissens Italischer
Landeskunde Bücksicht genommen. Sehr zu billigen ist das
Streben nach Kürze in den Anmerkungen; aber hier und da
sollte doch etwas hinzugefügt werden, um einer verkehrten Auf-
fassung vorzubeugen. 1, 1 könnte der Schüler die Worte „wie
Pyrenaeus, die Pyrenäen" so verstehen, als wenn auch Pyrenaeus
stets Singular sei, während er doch 21,23,1 Pyrenaeis montibus
gelesen hat. — 1, 8 pluribus] = compluribus. Aber der Schüler
hat plures von complures unterscheiden gelernt, und pluribus kann
auch hier Komparativ sein („mehreren" = mehr als einem). — 3, 1
kann das „wie Cicero" so aufgefaßt werden, als wenn in beiden
Beziehungen zwischen Livius und Cicero Übereinstimmung herrsche;
darum wird „wie Cicero" besser umgestellt : seltener, wie Cicero,
pro certo habeo (7, 10). — 4, 4 „da es . . . Tag war"; besser
„als . . .", da es sich um eine bloße Zeitangabe handelt. — 6, 3
zu „sc. et" würde als Lemma besser nomen erat als Ducario passen.
— 11,4 „an vier anderen Stellen" : „vier" wird besser gestrichen,
da auf die Zahl nichts ankommt. — 14, 9 könnte das im Text
stehende in rebus adfectis als Lemma beibehalten werden. — Daß
21,5 cedentem dem Sinne nach Präteritum sei (=qui cesserat),
wird dem Schüler nicht einleuchten, und es kann auch wohl
(trotz 20, 12) =qui cedebat genommen werden. — 29, 3 statt
„besser wäre" würde ich vorziehen: „gewöhnlich heißt es" oder
dergl. Solcher Kleinigkeiten ließen sich noch viele anführen; sie
1*
4 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
sind von geringer Bedeutung, aber für den Schuler nicht ganz
ohne Wichtigkeit.
Die neueste deutsche Rechtschreibung ist eingeführt worden,
aber, wie es scheint, von den Setzern nach Anleitung des soge-
nannten Buchdrucker- Duden oder von einem Korrektor nach dem
Wörterverzeichnis „zum Gebrauch in den preußischen Kanzleien4'.
So ist denn das z kräftig verwandt (an „Auspizium, Zensor, Zen-
turiou muß man sich erst gewöhnen), aber das c in „die Caudiner"
beibehalten worden, „gleich kommen" in zwei Wörtern, „die ägati-
schen Inseln4* mit kleinem Anfangsbuchstaben geschrieben worden
u. a. m.
Druckfehler: bei Kap. 32 stehen am Rande die Paragraphen-
zahlen 6 und 8 (statt 8 und 9).
2) H.Deiter, Übungen zum Übersetzen imAnschluß an Titas
Livius, Buch XXII. Hannover 1904, Norddeutsche Verlagsanstalt
0. Goedel. 22 S. 8. 0,40 Jt.
Das Heft enthält 33 teils längere, teils kürzere Stucke, von
denen die Mehrzahl sich an ein Kapitel des Livius-Textes anlehnt,
einige aber auch an zwei oder drei Kapitel angeschlossen sind.
Unberücksichtigt gelassen hat der Verf. die Kapitel 8 — 11; 13;
19—23; 31—33; 36—38; 56—57. Inhalt und Form der Stücke
sind durchaus ansprechend. Vielleicht hätten aber noch etwas
mehr syntaktische und stilistische Regeln verarbeitet und manche
Partieen etwas schwerer gestaltet werden können, wenigstens
wenn diese „Übungen" Obersekundanern vorgelegt werden sollen.
3) T. Livii ab urbe condita libri I. II. XXI. XXII. Adiunctae sunt partes
selectae ex libris |H1. IV. V. VI. VIII. XXVI. XXXIX. Unter Mit-
wirkung von A. S o h e i o d 1 e r für den Schulgebrauch herausgegeben
von A. Ziugerle. Sechste Auflage. Mit 3 Karten, 2 Schlachtplänen
und 1 Abbildung. Leipzig 1903, G. Frey tag. VII u. 352 S. kl. 8.
geb. 2 Jt.
Diese 6. Auflage ist als Nachfolgerin der 4. Auflage anzusehen,
die ich Jß. 1897 S. 2 — 4 besprochen habe. Es genügt, auf diese
Anzeige hinzuweisen, da die 6. Auflage ohne Wissen und Mit-
wirken des Herausgebers, wie mir dieser auf meine Anfrage mit-
geteilt hat, veranstaltet, d. h. ganz unverändert geblieben ist. Die
5. Auflage, die ich ebensowenig wie der Hsgb. selbst jemals zu
Gesicht bekommen habe, ist, wie mir die Verlagsbuchhandlung
schreibt, 1900 „nur bei F. Tempsky in Wien und Prag" erschienen.
Die 6. Auflage der österreichischen, bei F. Tempsky erschienenen,
Ausgabe trägt auf dem Titelblatt den Vermerk: „Inhaltlich unver-
änderter nach der neuen Rechtschreibung hergestellter Abdruck
der mit Ministerial-Erlaß vom 24. September 1899 approbierten
5. Auflage". Ein ähnlicher Vermerk fehlt auf dem Titelblatt der
Leipziger Ausgabe, wäre aber auch hier, soviel ich sehe, berech-
tigt gewesen.
Li vi os, von H. J. Möller.
4) A. Schmidt, Schülerkommentar zu Livius' Buch I, II, XXI,
XXII und den Partes selectae (nach der 4. Auflage der Aus-
gabe von A. Zingerle). Zweite Auflage. Wien 1903, F. Tempsky.
248 S. kl. 8. geb. 2 K. — Vgl. E. Wolff, WS. f. kl. Phil. 1904
S. 871; A. Zingerle, Zeitschr. f. d. österr. G. 1904 S. 410.
Die zweite Auflage ist eine gründliche Überarbeitung der
ersten. Manche Unrichtigkeiten und Ungenauigkeiten sind ent-
fernt, einige überflössige Bemerkungen, namentlich die sprach-
geschichtlichen, gestrichen und dafür in einem Anhange syntakti-
sche und stilistische Regeln zusammengestellt worden (S. 242 —
248), auf die bei der Übersetzung einzelner Wendungen Rück-
sicht genommen und hingewiesen wird. „In erster Linie galt es
auch diesmal als Ziel, dem Schüler eine Vorpräparation zu bieten,
mit deren Hilfe er eine glatte Übersetzung liefern kann". „Hier
muß noch erwähnt werden, daß die Schüler bei fast allen be-
handelten Stellen kaum imstande sind, mit den in den Schul-
wörterbüchern angegebenen Bedeutungen eine glatte Übersetzung
herzustellen". Diesem Zwecke entsprechend, enthält das Buch viel
mehr Übersetzungen und Übersetzungshilfen als Erklärungen und
unterscheidet sich daher von den sogenannten „Präparationen"
nicht wesentlich. Als Beispiel gehe ich die Bemerkungen zum
25. Kapitel des 2. Buches auf S. 73 (ohne Wahl herausgegriffen).
§ 1. castra temptare, si einen Angriff auf das Lager machen,
um zu versuchen, ob nicht — qua (ratime) irgendwie — frustra
esse fehlschlagen. — § 2. reliquum noctis, s. Nr. 11 [der partitive
Genitiv beim Neutrum substantivierter Adjektiva, wie reliquum
aestatis der Rest des Sommers usw.] — prima luce (=sole, die)
oft bei Liv. : mit Tagesanbruch, am frühen Morgen — fossas ex-
plere die Gräben ausfüllen, zuwerfen. — § 3. munimenta vettere
die Pfahle (des Walles) niederreißen — cum consul . . . moratus
(Relativsatz) . . dato signo beiordnen zu emittit — et und zwar —
experiendi militum animos causa um den Mut der Soldaten auf die
Probe zu stellen — ardor Kampfeslust (s. Nr. 22) [mit Vorliebe
verwendet Livius nach dem Vorgänge der Dichter Tropen; be-
sonders oft sind diese Bilder dem Feuer entlehnt, wie iuvenem
flagrantem cupidine belli usw.] — militem, yedes s. Nr. 2 [kollek-
tiver Singular]. — § 4. fugientibus Dat. incomm. — terga caedere
s. 11,9 [alicui (Dat. commodi, gemeint ist wohl incomm odi) terga
caedere jmdm. in den Rücken fallen] — agere vor sich hertreiben,
jagen — § 5. capitur, captnm (und dann) — aliquid praedae
(Zweck) dare etwas zur Plünderung überlassen — inde Grund:
hierdurch — recreari seh erholen — § 6. sua persönlich —
victor exercitus, s. Nr. 1 [ein Substantiv tritt zu einem zweiten
attributiv in gleichem Kasus, wie exercitus victor das siegreiche
Heer usw.] — decedentem während seines Abzuges, seiner Rück-
kehr — rebus suis timere für ihren Staat, für sich besorgt sein.
Man kann aus dieser Probe zugleich erkennen, daß das Ganze
6 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
sehr kurz und knapp gehalten ist, ohne daß das Verständnis
darunter leidet. Denn mit Ausnahme der Parenthese (= sole, die)
wird dem Schüler alles deutlich sein. In dieser Kürze ist jedoch
etwas zu weit gegangen, wenn es z. B. S. 1 heißt: „tota mente
mit ganzer, voller Seele, Herzen" oder S. 166 „insidiator jemand, der
einen H. legt, Hinterhalt" u. a. m. Dagegen hätte durch Streichung
einiger allzu elementarer Bemerkungen Raum gespart werden
können. Übrigens ist es kein gutes Vorbild für die Schüler, daß
am Ende der Erklärungen und Übersetzungen nirgends ein
Punkt steht.
Der Druck soll gefälliger und übersichtlicher geworden sein.
Vom Vorwort ist das, trotz der kleinen Typen, anzuerkennen; im
ganzen übrigen Buche stehen aber die Zeilen gar zu eng.
5) Ausgewählte Stücke aas der dritten Dekade des Livius. Mit
Anmerkungen fdr den Schulgebrauch herausgegeben von V. Jordan.
Neu bearbeitet von C. Minner und H. Planck. Stuttgart 1904,
A. Bodz & Comp. XII u. 199 S. 8. 1,50 Jt. — Vgl. 0. Weißenfels,
WS. f. klass. Phil. 1904 Sp. 1066 f.
Jordans Livius- Auswahl, in 4. Auflage 1891 noch vom Verf.
herausgegeben (vgl. JB. 1899 S. 4), ist nach seinem Tode von
zwei württembergischen Schulmännern einer Neubearbeitung unter-
zogen worden, die sich bei näherer Betrachtung als sehr gründ-
lich und sachkundig erweist. Beide hatten das Bueh jahrelang im
Unterricht benutzt und so Gelegenheit gehabt, die praktische
Brauchbarkeit der Anmerkungen unmittelbar zu erproben. Solche
Erfahrungen bilden die beste Unterstützung einer Revision.
Das Buch ist ein wenig erweitert und umfaßt jetzt folgende
Partieen: XXI 1 — 5 Anf. (Paragraphenzahlen sind am Rande über-
all weggelassen worden); 9 — 11 (von Kap. 9 nur § 3 — 4, von
Kap. 11 nur § 1 — 2; so sind auch weiterhin nach Bedürfnis Weg-
lassungen und Kürzungen eingetreten); 12 — 15; 18; 22; 26—28;
12; 30—38; 42—47; 52—57. - XXII 2—10; 12; 14—18; 25
—30; 34—35; 38; 40; 43—51; 53—55; 61. — XXIII 7—13;
44_46. — XXIV 33—34. — XXV 30—31. — XXVI 7-11;
14—16; 18—19; 45—46; — XXVII 1; 19—20; 26—27; 43
—51. — XXVIII 9; 12; 35; 38. — XXVIIII 26—27. — XXX
3—6; 20; 28—37; 40—44. Der Text ist in Abschnitte zerlegt
mit besonderen Überschriften; es sind 50 Stücke (statt der bis-
herigen 46), und die Reihenfolge ist zum Teil geändert, um sach-
lich Zusammengehörendes nicht, wie es bei Livius der Fall ist,
zu zerreißen. Hier und da sind zum besseren Verständnis des
Folgenden orientierende Bemerkungen, teilweise von großer Aus-
dehnung, vorangestellt worden. Alles wohlerwogen und zweck-
entsprechend.
Bei der Textgestaltung schlössen sich die Hsgb. an die Aus-
gabe von Luchs an; doch „wirkten bei manchen Stellen auch
Livius, von H. J. Müller. 7
pädagogische ErwäguDgen mit, wenn durch eine leichte Text-
änderung eine wertlose Schwierigkeit beseitigt oder eine umständ-
liche Anmerkung entbehrlich gemacht werden konnte44. Dieses
Verfahren ist in einer Schulausgabe durchaus berechtigt; es hätte
vielleicht noch weiter Platz greifen sollen, als es geschehen ist.
Ich glaube z. B. nicht, daß 21, 33,4 der Wortlaut in den Hss.
richtig überliefert, daß vielmehr ein Buchstabe hinzuzufügen ist
(nach Ungers geistvoller Vermutung). Soll invia ac devia adsueti
zusammengenommen werden, so wird der Schüler mit der Über-
setzung „ohne Weg und wegab" nicht recht etwas anzufangen
wissen und der Untersekundaner von der Erklärung „Der Akkusativ
bei adsueti ist ein Gräcismus" keinen Nutzen haben.
Voraufgeschickt ist eine Einleitung über Livius' Leben und
Werke, die alles Wissenswerte enthält1); ein Anhang (S. 194 —
199) gibt eine Zeittafel der Ereignisse des zweiten Punischen
Krieges (synchronistisch nach Ländern geordnet), soweit sie in
dem Buche zur Darstellung gelangt sind.
Die Haupttätigkeit der Hsgb. war den Anmerkungen zu-
gewandt: manche der alten Anmerkungen sind gestrichen, nur
ganz wenige sind unverändert beibehalten, bei allen übrigen ist
wenigstens die Fassung geändert, sehr viele Erläuterungen sind
neu hinzugefügt worden. So hat der Kommentar ein ganz anderes
Aussehen erhalten und ist gegenüber dem früheren als wesentlich
verbessert zu bezeichnen. Es finden sich zahlreiche sehr gute
sachliche und sprachliche Erläuterungen, die früher fehlten, und
es sind viele neue Obersetzungshilfen gegeben. Hierunter sind
einige sehr frei (z. B. S. 20 Nr. 9 migrantium modo „mit Sack
und Pack44); ob und inwieweit sich die einzelnen bewähren, muß
die Praxis lehren. In den Lemmata ist wohl an manchen Stellen
eine Erweiterung wünschenswert. „Die schließlichen Sieger" ver-
langt das Lemma qui vicerunt, nicht bloß vicerunt (S. 1). Wenn
es S. 10 heißt: „hominum] nach dem Sprachgebrauch des Livius
sind zweierlei Nominative dieses Ausdruckes denkbar44, so muß
das Lemma sicherlich (omnis generis) hominum heißen (S. 10).
So müßte auch S. 11 Nr. 5 zu „alle Gerechtigkeit erfüllen44 das
Lemma omnia iusta facere heißen, nicht bloß iu&ta u. a. m. —
Im ersten Teile des Buches finden sich viele Abkürzungen, deren
Beseitigung sich empfiehlt, da sie der Klarheit nicht dienen und
nicht einmal Raum ersparen. S. 49 Nr. 1 weiß man nicht, ob
in der Klammer das erste i. = iumentorum und U i. Schreibfehler
statt l t. ist oder ob itinere toto iumentorum p. gelesen werden
soll. S. 9 Nr. 3 „st anstatt quod enthält eine halbironische Litotes"
wird einem Untersekundaner ohne weitere Erklärung kaum ver-
ständlich sein. S. 51 Nr. 3 wird immo erklärt als entstanden aus
]) S. X könnte in der letzten Zeile das Wort „jedenfalls" gestrichen
werden.
g Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
„memo ich nehms an, laß es gelten", was als ungewiß besser
fehlte (auch ist wohl „nehm's" zu schreiben, wie S. 109 Nr. 7
„zu Livius5 Zeiten") u. a. m. Auch hier wird die Praxis vermut-
lich den einen oder anderen Wunsch nach Abänderung zeitigen.
6) Ludwig Traube, Palaographische Forschungen. Vierter Teil:
Bamberger Fragmente der vierten Dekade des Livius. Anonymus
Cortesianus. Mit 7 Tafeln. München 1904, Verlag der K. Akademie,
in Kommission des G. Franzschen Verlags (J. Reth). J56 S. 4. — Aus
den Abhandlungen der K.Bayer. Akademie der Wissenschaften, III. Klasse,
XXIV. Band, I. Abteilung.
Auf S. 14 steht „viereinhalb" (statt „viertehalb"); sonst ist
in dieser Schrift alles eitel Wahrheit und Klarheit, Scharfsinn
und profunde Gelehrsamkeit.
Auf der Kgl. Bibliothek zu Bamberg entdeckte man in dem
Einbanddeckel einer theologische Traktate enthaltenden Handschrift
des 15. Jahrhunderts kleine Pergamentstreifen mit lateinischen
Worten in Uncialschrift, 31 an Zahl. Traube fand, daß hier
Livius-Fragmente vorlagen, und zwar ergab es sich, daß 16 Stücke,
6 davon mit kleinen Überresten, zu einem Blatt aus dem 33. Buche,
6 Stucke zu einem Blatt aus dem 35. Buche und 9 Stücke zu
einem Blatt aus dem 39. Buche gehörten.
S.6— 14 handelt der Verfasser von den Klassiker-Handschriften
in Bamberg und ihrer Herkunft. Mit der sehr alten Handschrift
F, den jetzt gefundenen Fragmenten, trifft zusammen der be-
kannte codex Bambergensis (B), eine aus F, als diese Handschrift
noch unversehrt war, in Deutschland im 11. Jahrhundert genom-
mene Abschrift. Demnach lag F im 11. Jahrhundert noch voll-
ständig erhalten in Bamberg. Nach den vorhergehenden Unter-
suchungen des Verfassers ergibt sich zweitens, daß F vordem in
Piacenza lag, dort in den Besitz des Kaisers Otto III. kam (um
das Jahr 1000) und dann durch Heinrich II. nach Bamberg in
die Bibliothek des Domes gelangte.
S. 14 — 18 wird von der Überlieferung des Livius in den
einzelnen Dekaden gehandelt. Wir haben weder von der ersten
noch von der vierten Dekade eine erschöpfende kritische Ausgabe.
„Für beide brauchen wir ein so mühsames und umsichtiges Werk
wie das von Luchs für die dritte". Hinsichtlich der Hss. der
1. Dekade sagt Traube (S. 15): ,',Es gab keine Nicomachianische
oder Victorianische Rezension, sondern nur eine einzige von den
Nicomachi und Victorianus durchgesehene Handschrift. Es ist
aber sehr wohl möglich, daß die so überaus zahlreichen mittel-
alterlichen Hss. nicht alle von diesem einen Exemplar abhängen,
sondern daß auch eine dem Codex der Nicomachi und des Victo-
rianus verwandte Hs. in ihnen fortgepflanzt wird. Diese war
dann nicht von den drei Männern durchgesehen oder irgendwie
von ihrer Arbeit beeinflußt, sondern umgekehrt, die drei benutzten
als Text eine auch sonst verbreitete Fassung. Auch eine vierte
Li vi us, von H. J. Müller. 9
Urhandschrift kann bestanden haben, die dem Yeronensis näher
stand. Doch kann hier und in anderen Hss. die Hinneigung zum
Veronensis auch so gedeutet werden, als liege nur die Bestätigung
einer zwischen der Hs. von Verona, der Hs. der drei Männer und
der vorher angesetzten dritten Urhandschrift vorhandenen Ver-
wandtschaft vor, die uns stellenweise dadurch verdunkelt wird,
daß vom Rand der Hs. der drei Männer Lesarten in den Text
der mittelalterlichen Abschriften drangen".
S. 18 — 26: Die Probleme der vierten Dekade. Ich kann
mich auch hier auf wörtliche Anfuhrungen aus der Schrift be-
schränken. B ist eine getreue Abschrift von F; B nimmt wohl
die Korrekturen, die sich in F finden, ohne weiteres an; er be-
müht sich sonst aber, nicht nur den Wortlaut, sondern auch
die Orthographie aufs genaueste nachzubilden. Aber in B sind
mehrere Hände tätig, und es könnte leicht sein, daß eine von
ihnen weniger sorgsam verfuhr als die beiden, deren Treue wir
jetzt an F abschätzen können. Auch wäre der Fall zu denken,
daß diese beiden selbst auf verschiedenen Strecken der Arbeit
verschieden verfuhren. Es konnte F zum Beispiel nicht überall
gleich leicht zu entziffern sein. Und diese Annahme muß zu-
treffen, wenn der Stammvater der jüngeren Hss. (0) aus der Vor-
lage von B (also aus F) und nicht aus B selbst stammt. Madvig
hat das zur vollen Sicherheit gebracht, und Luchs hat im be-
sonderen darauf hingewiesen, daß 0 im 31. und 32. Buche oft
genauer ist als B1). In 0 sind zahlreiche Lucken richtig aus-
gefüllt, welche die Schreiber von B da gelassen hatten, wo sie
die Vorlage nicht deutlich lesen konnten oder aus Unachtsamkeit
einzelne Wörter übersprangen. An solchen Stellen oder auch da,
wo sonst B von F abweicht8), muß dann 0 mit F gegen B stimmen.
Auch muß auf diese Weise notwendig ein scheinbarer Zusammen-
hang von 0 mit der Mainzer Hs. (M) sich herstellen; denn weder
B noch 0 können zu M irgend welchen Zutritt gehabt haben.
Wo B und 0 sich von F entfernen, nähern sie sich M nur da,
wo der Zufall sie zusammenfuhrt oder ein ganz an der Oberfläche
*) Vgl. JB. 1890 S. 190 ff.
2) Die Abweichungen sind, entsprechend den unbedeutenden Resten in
F, nicht zahlreich, nämlich folgende: Buch 33. 34,9 redditae F (in den Text
einzufahren), reddita B. — 35, 2 L. Stertinius F, P. Stertinius B (unrichtig).
— 35, 3 mandatus F, mandatis B (eine naheliegende Verbesserung). — 35, 4
se acturum F, secacturum ß (der Schreiber hat die vordere Hälfte von a
zweimal geschrieben). — 35, 8 jrilaicum conuentus F, pilai conuentus B {cum
vor con überschlagen ; conuentus philaicum M). — 35, 9 monuit ut constanter
F (in den Text aufzunehmen), monuit constanter B. — 36, 13 carpentaria
capta capta (ria und das zweite apta durch übergesetzte Punkte getilgt) F,
carpenta capta a B (er hat sich versehen und a statt c geschrieben ; von dem
zweiten capta in F sind die letzten vier Buchstaben getilgt). — 37, 6 adepti F,
adeptos B (durch das vorhergehende quos veranlaßt). Buch 35. 5,11 proelio
et dubio F, fehlt in B. — 8, 5 auctoribus F (ebenso *), auribus B.
10 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
haftendes Emendieren; Die aber dort, wo wirklich eine andere
Überlieferung vorliegt.
0 stammt aus einer Minuskelhandschrift, wie auch S, die
Speierer Hs. des Gelenius. B dagegen, die feste Stutze der Ober-
lieferung in der 4. Dekade, stammt aus P, d. h. aus einer alten
Hs. in Unciale. „Der Vorbereiter einer neuen kritischen Ausgabe
wird nicht umhin können, hier kräftig einzusetzen. Es geht nicht
an, 0 immer nur nach den sporadischen Angaben von Hearne
und Drakenborch sporadisch zu verwerten. Es scheint einmal
der langweilige Versuch gemacht werden zu müssen, die jungen
Hss. der 4. Dekade auf einzelne entscheidende Stellen hin zu
prüfen, einige gute Vertreter herauszusuchen und diese neben B
zur Rekonstruktion von F fortlaufend heranzuziehen".
Die Lesarten, in denen man jetzt M und F sich unmittelbar
gegenüberstellen kann, zeigen, daß M die Abschrift aus einem
von F wesentlich verschiedenen Originale ist. So ergibt sich
auch dem Verfasser das Stemma der Hss., welches die Livianer
als sicher festgestellt ansehen und ihren kritischen Versuchen zu
Grunde legen:
1) M 2) F
B x (verlorene
verstümmelte Abschrift)
S * 0
(Gelenius) (Stammvater der jüngeren Hss.).
Das letzte Kapitel ist der Beschreibung der Hs. gewidmet
(vier vorzügliche Lichtdrucke erleichtern das Verständnis). Es war
einst ein stattlicher Kodex von etwa 187 Pergamentblättern, jede
Seite hatte 3 Kolumnen. Die Schrift ist eine zierliche Unciale.
„F ist eine Hs. des ausgebenden Altertums, die so gut älter sein
kann als das fünfte Jahrhundert, wie sie nicht jünger sein kann
als das sechste".
S. 31—44 enthält eine Ausgabe der Fragmente: In einer
Mittelkolumne wird F in großen Buchstaben wiedergegeben, die
Ergänzungen in kleinen Buchstaben. Links am Rande stehen die
Laa. der Handschriften B und 0, rechts am Rande die der Hand-
schrift M, welche vom Text der Mittelkolumne abweichen.
7) Auswahl ans der V. Dekade des Livins (Über 42/45) l). Der
Krieg mit Perseus. Für den Schul gebrauch, erklärt von F. J. Ahrens.
Gotha 1904, F. A. Perthes. 99 S. 8. 1,10 JC.
Nach einer kurzen, inhaltlich ausreichend orientierenden,
„historischen Einleitung" (S. 1 Z. 5 empfiehlt es sich vielleicht
die Periode mit „Das Herz" zu beginnen; S. 2 am Ende muß es
l) Warum nicht „Bach 42/45", wie mau im Deutschen kurz zu sagen
pflegt? Lateinisch muß es wohl „Libri" heißen, mag man „42/45" übersetzen
wie man will.
"\
Livius, von H. J. Müller. H
172 statt 173 heißen) folgt von S. 3 an der Text, welcher die
wichtigsten Teile aus der Darstellung des Krieges mit Perseus
enthält. Alles Nebensächliche (so z. B. das [ganze 43. Buch) ist
weggelassen und das, was etwa zum Verständnis notwendig schien,
als Zwischenbemerkung eingeschaltet. Das Heftchen bietet: aus
BuchXLII die Kapitel 11—18. 25. 30—32. 36. 38—43.46—53.
55—59. 63. 65—67; aus Buch XLIV die Kapitel 5— 7. 22—27.
33—46; aus Buch XLV die Kapitel 1. 2. 4. 6—9. 17—18. 35.
40 — 42, wobei noch weiter einzelne oder mehrere Paragraphen
von manchen dieser Kapitel in Wegfall gekommen sind. Die Aus-
wahl ist mit Umsicht getroffen und verdient Beifall. Daß der
gegebene Lesestoff für die Schuler fesselnd und lehrreich ist,
unterliegt keinem Zweifel; ich habe wiederholt Gelegenheit gehabt,
diese Partie des Livianischen Geschichtswerkes als für die Klassen-
lektüre geeignet zu bezeichnen, zuletzt bei der Besprechung der
mißlungenen Ausgabe des 45. Buches von Pflüger (JB. 1901 S. 8 ff.),
auf die ich auch hinsichtlich der Grundsätze, die nach meiner
Meinung in einer Scbülerausgabe zu befolgen sind, verweise. Der
Kommentar ist nach der bekannten Weise der Perthesschen Aus-
gaben gestaltet: er enthält wenig sprachliche, mehr sachliche Er-
läuterungen, zahlreiche auf den Inhalt bezügliche Bemerkungen,
die sich hier nicht wie anderswo als Randnotizen, sondern in
fetterem Druck zu Anfang der entsprechenden Abschnitte finden,
und viele Obersetzungen. Letztere sind aber so gehalten, daß
sie den Schüler zum Nachdenken zwingen und ihn, wenn der
Lehrer den Unterricht geschickt handhabt, trefflich fördern können.
Somit glaube ich, daß diese Ausgabe gut zu gebrauchen ist und
der Aufmerksamkeit der Facbgenossen empfohlen zn werden ver-
dient.
Text. Obgleich es für eine Schülerausgabe genügt, wenn
sie einen Text bietet, der lesbar, lückenlos und frei von sprach-
lichen Anstößen ist, so hat der Verf. es doch verschmäht, einfach
den Text irgend einer Ausgabe abdrucken zu lassen. Er geht
vielmehr seine eigenen Wege, zeigt sich in der Literatur bewandert
und entscheidet sich mit klarem Urteil für oder gegen die hand-
schriftlichen oder von anderen Herausgebern gewählten Lesarten.
Einige von diesen mögen hier kurz besprochen werden.
Buch XLII. 11, 5 schreibt A. hereditate a patre relictum
bellum, was völlig einwandfrei ist. Auch von mir wurde früher
hereditate als eine schlagende Verbesserung angesehen, weil Wßb.
die irrige Meinung verbreitet hatte, daß hereditatem im Kodex
überliefert sei. Davon steht aber weder bei Hertz noch bei Madvig
etwas zu lesen, und Zingerle gibt ausdrücklich an, daß die band-
schriftliche La. heredüarium ist. Das muß natürlich festgehalten
werden (vgl. Curt. 6, 3, 12). — 15, 5 liest A. escendentibus, was
ich billige (vgl. 38, 1); aber im Kommentar steht Grynaeus' La.
ascendentibus, sogar in der Form adscendentibus: was ist nun ge-
12 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
meint?1) — 16, 5 adgressi . . . sunt consulte audacter, coeptum
inconsulte et timide reliquerunt] so der Hsgb., dem Sinn ent-
sprechend. Aber an der hinteren Stelle (vor reliquerunt) ist nee
consulte et timide näher liegend (es ist nur ein c vor consulte
ausgelassen worden), und das scheint mir darauf hinzuweisen,
daß auch vorher die beiden Adverbia durch korrespondierende
Partikeln verbunden waren. Ich ziehe daher meiner von Zingerle
aufgenommenen Vermutung die Heusingersche vor und möchte
lesen: ut (non) inconsulte, ita audacter. Zum Ausdruck vgl. 44,
6, 4. — 41, 2 partim quae fateri non erubescam] hier ist partim
hinzugesetzt, ea getilgt und non eingefügt; hat das Wahrscheinlich-
keit? Ich glaube, daß der Schriftsteller partim nur zweimal ge-
setzt und den ersten Gedanken durch einen zweiten eingeschränkt
hat: (certe non) ea, quae fateri erubescam. — 43, 2 gravate et
ut magnam gratiam petenti] dieses ut, eine Konjektur des Hsgb.s,
wenn ich recht sehe, gefällt mir sehr, ebenso der Dativ petenti
neben concessif, aber ich weiß nun mit dem et nichts anzufangen,
und die Veränderung von iam in ut nimmt nicht für sich ein.
Grynaeus' La. gravate et in magnam gratiam petenti läßt sich
halten; aber ut, eine leichte Änderung aus et, scheint mir an-
gemessener zu sein. Ich möchte also lesen: gravate ut magnam
gratiam petenti, wobei ich annehme, daß iam aus dem folgenden
magnam gratiam entstanden ist, das dem Schreiber bereits im
Ohre klang, als er gravate et schrieb. Also: „Zögernd (unter
Schwierigkeiten), da er um . . . bitte (wg dsopivw), gestand er
es ihm zu". — 51, 1 hat die Hs. dis, und das muß bleiben,
auch im Interesse der Schüler, die in den Texten wohl meist nur
die Formen dt und dis zu sehen bekommen. Ebenso 44, 22, 8.
— 57, 8 Mysi ac Cretenses] es fehlt nicht an augenfälligen Aus-
nahmen davon, daß ac vor Gutturalen vermieden wird; aber wo
in solchen Fällen die Handschriften nicht klar und deutlich ac
bieten oder wo eine Verbindungspartikel fehlt, ohne entbehrlich
zu sein, da wird, glaube ich, von ac besser abgesehen (vgl. JB.
1888 S. 102 ff.)- Hier hat der Kodex aut, woraus sich et nicht
schwerer herstellen läßt als ac (von äußerer Wahrscheinlichkeit
ist ja beide Male nicht die Rede); vgl. 42, 65, 2. Ebenso 44, 39, 8
besser {et) crebris oder crebris(que) und 45, 7, 3 besser sanguine
et genere (die Hs. hat ut statt et, wofür seit Grynaeus in den Aus-
gaben ac gelesen wird). — 58, 9 ist die Wortfolge sacraeque alae
equitum vorzuziehen nach Fr. Schmidt bei Fügner Lex. Liv. I
Sp. 830, 50. — 66, 7 wird per praeeeps übersetzt mit „in den
Abgrund hinab44; diese Obersetzung paßt besser zu in praeeeps,
*) 44, 6, \ 5 steht im Text paulo, im Lemma des Kommentars paullo,
was zu verwerfen ist und auch wohl nicht gemeint ist. Allerdings wird in
der Ausgabe der Name des Konsuls Paulus stets mit U geschrieben, was
sich jetzt kaum noch irgendwo in den Texten findet (vgl. Georges). —
44, 22, 7 steht im Text contemptor, im Kommentar contemtor.
Li vi us, von H. J. Müller. 13
wie nach dem Vorschlage von W. Heraeus wohl zu lesen ist (die
Präposition fehlt in der Hs. und muß ergänzt werden); vgl. 5, 47, 5.
Buch XL1V. 5, 13 schreibt A. nach eigener Vermutung:
posnerunt castra. (castra) [peditum], quorum pars magna tumulos
tenebat, (at)ibi vallo campt quoque partem, übt eques tenderet, am-
plectebantur. Aber campt partem bildet zu tumulos einen so klaren
Gegensatz, daß alibi überflüssig und ungeeignet erscheint. Auch
erwartet man bei amplectebantur dasselbe Subjekt wie bei posuerunt.
— 6, 6 schreibt A., wie mir scheint, nach eigener Vermutung:
üaque si ad Dium intrepidus ipse rex primam . . ., eine La., in
der ad Dium Beachtung verdient, ipse mir aber nicht nötig zu
sein scheint (für ad Dium hat der Kodex dua, für ipse rex bloß
x . dies); vgl. unten über d. St. — 6, 12 ist das Komma nicht hinter
reditu, sondern hinter ipsis zu stellen. — 22, 4 ist die Verände-
rung von habeo in habere nicht ratsam, vielmehr Mg. zu folgen
(vgl. 43, 1, 8). Auch Vahlen sieht in habeo nur den gedankenl-
osen Zusatz eines Schreibers, und ebenso hat sich W. Heraeus
ausgesprochen. — 24, 1 ist die Hinzufügung von data, so leicht
auch dieses Wort hinter mandata ausfallen konnte, nicht nötig;
es genügt, sunt zu mandata zu ergänzen, wie sich aus § 7 ergibt
(vgl. 31, 11, 7). — 24, 5 ist ab vor Aegypto, das längst aus den
Texten verschwunden war. wiederhergestellt, was ich nicht billigen
kann. — 25, 5 schreibt Ahrens suam operam vendere ad recon-
ciliandam gratiam magno cupiit, sehr hübsch und durchaus sach-
und sprachgemäß, aber vendere ist wohl nur Druckfehler. Mich
dünkt, gerade bei der Oberlieferung der Hs. erklärt sich der Ausfall der
ergänzten Silben gut: venditare (ad re)conciliandam ... — 26, 1
schreibt Ahrens : cum pecunia tutam aut pacem habere . . . posset.
Ich halte das bloße pecunia für brauchbar und ebenso tutam
pacem (vgl 1, 15, 7; 42, 13, 5), obwohl tutam nicht ohne Bedenken
ist, da Eumenes nur vermitteln soll. Aber aut steht doch nicht
richtig, es müßte wohl vor tutam gestellt werden. Ich halte ein
Partizip statt tutam (z. B. soluta) für besser. — 38, 9 paßt die
Übersetzung „die Kehle trocken von Durst" besser zu arentibus
als zu ardentibus. Jenes ist auch wohl im Texte herzustellen;
vgl. die Zitate bei Wßb., zu denen W. Heraeus noch hinzugefügt
hat: Amm. 18, 7, 9 und Hieronymus comm. in Ies. 9, 29 (S. 329
Migne), wo sich dieselben Worte wie bei Livius finden. — 40, 8
wird zu genus tenus angemerkt: „tenus findet sich sehr selten
mit dem Genitiv'4; bei Livius meines Wissens nur an zwei
Stellen: 26, 24, 10 (wo mit Sabellicus Corcyra zu schreiben sein
wird) und an unserer Stelle, wo nach Noväks Darlegung der
Plural erwartet, wird und also wohl genibus zu lesen ist. — 41,4
elephanti in ade] die Hs. hat dafür elepantomace, woraus Hartel
elephantomachoe, Harant einleuchtender elephantomachae hergestellt
hat; meine bei Wßb. hiergegen geäußerten Bedenken sind augen-
scheinlich nicht stichhaltig. — 43, 4 Eulaeus Euctusque] der Aus-
14 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
fall erklärt sich leichter, wenn Eutins (Eulaeus}que geschrieben
wird; vgl. bei Plutarch: Evxtov xal Evlcuov. — 45, 13 zu
Cretenses spem pecuniae secuti wird angemerkt: „Der König hatte
ihnen wohl Versprechungen gemacht, durch die sie sich hatten
bestimmen lassen (secuti)"; ähnlich Wßb.: „sie ließen sich durch
die Aussicht auf . . . bestimmen (ihm zu folgen)". Beide Er-
klärungen legen die Veränderung von spe in spe nahe. — 40, 8
ist das Kompositum praedestinantes eine spätlateinische Bildung,
die Livius sonst nicht kennt. Vermutlich entstand es unter der
Nachwirkung des vorangehenden praetextatos, das dem Schreiber
noch vorschwebte oder ihm kurz vor dem Niederschreiben des
Wortes in die Augen fiel. Das Simplex wird durch 39, 9 empfohlen
(Noväk).
Es ist zu bedauern, daß der Hsgb. sich nicht in einem Vor-
wort oder in einem Anhange über seine Textgestaltung aus-
gesprochen und nicht wenigstens die seiner Ausgabe eigentüm-
lichen Lesarten hervorgehoben hat. Es fehlt mir an Zeit, diese
Stellen selbst aufzusuchen, ich bin aber durch das, was ich auf-
gefunden habe, aufs angenehmste zu erneuter Erwägung angeregt
worden und würde dem Hsgb., der sichtlich zu den Wissenden
gehört, gern noch weiter auf seinen Pfaden gefolgt sein. Ich
habe nicht alles, was mir an dem Texte aufgefallen ist, besprochen,
um nicht schon oft von mir Gesagtes zu wiederholen. Es ist ja
in diesen Büchern 42 — 45 vieles ganz unsicher, und an vielen
Stellen muß man sich mit einer einigermaßen wahrscheinlichen
Herstellung zufrieden geben; aber gerade weil hier noch viel zu
tun bleibt, ist jede weitere Mitarbeit willkommen.
Was die Orthographie betrifft, so sollten dem Schüler nur
die gebräuchlichen Formen vorgeführt werden; also quicquam (42,
25, 13. 36, 5); vgl. 42, 50, 11 ; 44, 25, 1. — ab treptdo (42, 66, 6).
— Paeligna (44, 40, 50). — Thracia (statt Thraecia) mag für die
Schüler geeigneter sein. — 84, 2 und 8 ludi scaenici. — 92, 3
0„ nicht Qu. (98, 5). — 94, 7 discribi. — 42, 49, 9 Manli als
Pluralform ist mindestens für Schüler ungeeignet.
Kommentar. Hier sind mir nur Kleinigkeiten aufgefallen,
die von ganz geringer Bedeutung sind ; vielleicht verdient die eine
oder andere Notiz Beachtung und trägt zur Verbesserung des
Ausdrucks bei (der Kürze wegen zitiere ich Seite und Paragraph
und gebe hier und da den Wortlaut so an, wie er mir praktisch
brauchbarer zu sein scheint).
S. 4 § 4 sind die modernen geographischen Bezeichnungen
ganz am Platze, machen aber einen auffallenden Eindruck in ihrer
Verbindung mit den alten Verhältnissen; Philipp hatte die Bastarner
aufgerufen, „um die Dardaner in Serbien zu vernichten" (S. 86
§ 3, besser: „im heutigen Serbien"). Übrigens wäre nach der
sonstigen Weise dieses Kommentars das Wort Bastarnae in der
Erklärung nicht kursiv zu drucken gewesen; ebenso nicht 73,7
Livius, von H. J. Müller. 15
historicum, temporale usw.: 96 servus y ublicus; 97, 1 imagines usw.
Ähnlich hätte man 54, 9 statt des Sperrdrucks bei compedes
Graeciae Anführungsstriche erwartet, — 4 § 5 paßt wohl „fördern"
nicht recht zu „Krieg". — 5, 5 Achaja. — 6, 10 „(Thrakien)
stehe . . .". — 7, 9 der <alten> Schuldregister. — 8, 3 würde
ich den großen Anfangsbuchstaben vermeiden und entweder ,,Akk.
m. Inf." oder „Acc. c. inf." schreiben. Ebenso 10, 8 a c. ablativo;
26, 2 Coniunctivus perfecti; 47, 2 Inflnitivus passivi; 68, 14; 73, 8;
79, 1; 83, 10; 92,7. — 9, 3 ist die Erwähnung der Kasusformen
von Praxo überflüssig; es genügt, wenn Praxo hier als Akkusativ
mit griechischer Endung bezeichnet wird. — 9, 9 die Erwähnung
der Patavinitas ist brauchbar; aber der hier angeführte Grund
soll doch wohl nicht der einzige gewesen sein, und dem Schüler
wird es kaum einleuchten, daß nicht auch Cicero im Gebrauch
superlativischer Ausdrücke, wenigstens der Adjektiva im Superlativ,
ziemlich weit gehe. — 11,7 Lechaion oder Lechaeum; ebenso
57,7 Maedi oder die Mäder. — 12,1 Genitive; so müssen wir
doch jetzt nach dem „Gebrauch in den preußischen Kanzleien"
schreiben1); ebenso Adjektiv, Plusquamperfekt und Verb (27,7;
30, 7; 56, 9; 57, 6; 58, 9; 72, 1). — 12, 3 Illyrien oder Illyricum;
es ist kaum zu glauben, daß der Schüler die Form Ulyris bei
Ovid kennen gelernt hat — 12, 4 dürfte eine Reminiscenz vor-
liegen und auspicibus populis nach Hör. Carm. 1,7,27 zu erklären
sein. — 13, 2 sind die Deklinationsformen von Perseus, die sich
bei Cicero finden, überflüssig, die Livianischen sind nicht voll-
ständig angegeben ; es findet sich auch der Dativ Perseo (40, 5, 5)
und der Akkusativ Perseum (40,22, 13). — 17,5 die vielen „sc."
(== scilicet) würde ich durch „näml." ersetzen und ebenso „etc."
(50, 9) vermeiden. — 19, 4 seltene Ablativform {dieses Wortes);
auf diese Stelle könnte 83, 7 verwiesen werden. — 21, 2 empfiehlt
es sich für die Übersetzung, fateri mitaufzunehmen. — 26, 1
Iuppiter (28, 6). — 38, 2 wenn der Kommentar auf eine andere
Stelle verweist, wie hier mit „vgl. 60, 2", so wird zu verlangen
sein, daß der Schüler diese Stelle wirklich ansieht. Was soll er
aber machen, wenn die zitierte Stelle in seiner Ausgabe nicht
vorhanden ist? Ahrens hat Kap. 60 — 62 weggelassen. Der Schüler
würde auch dann in Verlegenheit kommen, wenn er in der Lage
wäre, eine andere Ausgabe einzusehen; denn Wßb., Mg. und Hertz
haben an der betr. Stelle hastis ergänzt (rumpns ist Vermutung
Drakenborchs). Und wie paßt zu ingentibus gladiis die Erklärung
„den sogen, rumpiae", da nach Gellius die rnmpiae Wurfgeschosse
waren? — 40, 2 ist das zu in certaminibus ludicris Gesagte wohl
überflüssig. Daß dies „die Übersetzung von iv roig yvfivixoTg
äywaiv aus der griechischen Quelle des Livius" ist, wird der
*) Der Hsgb. bat dem Kanzleigebrauche seine Aufmerksamkeit nicht
versagt, und so begegnen uns Zirkus, Zitadelle u. a.; aber mit „Cbalzidize"
scheint er mir zu weit zu gehen.
16 Jahresberichte d. Philolog. Verein«.
Sehüler aufs Wort glauben ; aber weshalb luditris = yvppixoig
sein soll, wird ihm doch nicht sogleich einleuchten. — 40, 5
absolut gebraucht, wie häufig. — 42, 6 trepido] das Wort hat hier
die Bedeutung „eilig", wie sonst nur bei Dichtern. — 46,11 quem
(hat sich) in . . . — 47, 3 Alexanders d. Gr. (82, 15; 90, 3;
92, 4). — 49, 2 den Zeitpunkten gegenüber. — 52, 3 wird die
Stadt Medeon „Medunu genannt. — 57, 3 „den Pferden beiblieben*4
ist wohl ein Provinzialismus. — 57, 4 ist nicht 20 Drachmen =
24 Mark zu hoch gerechnet? — 58, 12 der Begriff „umständlich"
liegt wohl nicht eigentlich in imitiere. — 62, 10 wo wir (das)
Adverb erwarteten. — 63, 8 unter dem Kinn zusammengebunden
wurden. — 63, 9 wurde ich gladiis zu micare hinzufugen. —
67, 10 „circumagatur] „hingebracht wurde44; wiederholt braucht
sonst Livius das Verbum extrahere". Hier scheint ein Irrtum
vorzuliegen; die Erklärung würde passen, wenn annus oder ein
anderer Zeitbegriff Subjekt zu circumagatur wäre, hier ist es aber
hostis. — 69, 5 daß Sulpicius auch ein gefeierter Redner war, ist
wohl für den Schüler nicht wichtig genug, um erwähnt zu werden.
— 70, 12 würde ich lieber „das rote vexillura" schreiben als
vexillum russeum; das Adjektiv russeus ist dem Schüler wohl
bisher unbekannt gewesen. — 71, 6 = et scitis . . . non; non
gehört in den abhängigen Satz. — 71, 6 die Feigsten. — 72, 3
muß hier wegen des Gegensatzes zu pugnando ... — 73, 1 aus
welchem Grunde auch immer. — 77, 4 mit diesem in gleichem
Kasus. — 77, 6 die <Pest) (Krankheit) heißt ... — 78, 1 am
Thermaischen Busen (das Adjektiv ist Bestandteil des Namens);
ebenso 37, 8; 79, 8; 80, 5; 77, 2 Kambunischen Berge (vgl. S. 34
Z. 2). — 79, 3 um die früher angegebenen Verhältnisse . . ., in
dem das Ereignis eintritt ... — 79, 1 setzt Livius zuweilen . . .
(oder: häufig, statt „gern44). — 79, 1 die aus . . . bekannte Stadt . . .
(auf den Akkusativ braucht in der Erklärung nicht Rücksicht ge-
nommen zu werden). — 84, 2 hätte sich die Hinzufügung einer
Notiz empfohlen, welchem Datum der 4. September des vor-
julianischen Kalenders entspricht; vielleicht aber ist hier mit Ab-
sicht dem Lehrer nicht vorgegriffen worden. — 85, 1 aus Cäsars
Gallischem Kriege bekannt. — 85, 2 anderer Ausdruck für „zu-
sammen habe44 erwünscht. — 85, 4 wie häufig (bei Livius). —
86 „natürlich44 kann fehlen. — 85, 12 kal. Nov. (das große K
empfiehlt sich nicht, wenn im Text idus mit kleinem Anfangs-
buchstaben gedruckt ist). — 86, 2 dies muß am Ende des
44. Buches gestanden haben, wo in der Oberlieferung eine Lücke
ist. „Die Lücke44 muß doch dem Schüler auffallig sein. Hier hätte
übrigens der Zweck der Ausgabe, in der so vieles ausgelassen ist,
die Streichung der Wörter ut supra dictum est im Text gerecht-
fertigt. — 89, 9 anderer Ausdruck für „harter Druck44 erwünscht,
und hinter „dasselbe zu tun" des Verständnisses wegen hinzuzu-
fügen: „(§ 10)". — 92, 4. 5 ist praktischer: 359—336 und 336
Livius, von H. J. Müller. 17
—323. — 93, 7 daß Livius „der Regel Ciceros" folgt, darf man
wohl nicht sagen. — 97, 8 amtlich] gemeint ist wohl „recht-
lich". — 98, 8 „bekannte" kann wohl fehlen. — 99, 4 Dienste
leistete.
Manche Fremdwörter müssen dem Schuler selbst erst wieder
erklärt werden. „Distrikt" mag er vielleicht kennen ; zweifelhaft
ist mir das bei „sollennen Worten44 (87,2); mehr noch bei 51,16
des hegemonischen Stammes; 62,1 Generalappell; 74,6 Pikett;
75,4 Theorie (etwa: in dem scbönklingenden Namen); 81,12
Feluke (88, 2); 84, 6 Staffette; 93, 3 Regal.
In einer Schulerausgabe ist eine schulmäßige Interpunktion
wünschenswert; ich würde ein Komma, bzw. zwei, hinzufügen:
29,1; 32,11 vor „ist44; 33,14 vor „ist44; 34 hinter „Wider-
stände44; 43,2; 43,6; 44 vor „nach44; 47,1 vor „durch"; 48,12
vor dem Gleichheitszeichen; 54,4; 61,6 vor „als"; 68,1 vor
„findet"; 79,3 hinter „Adverb"; 89,9 hinter „Druck44; 89,11
vor „nach44; 90,4 vor „steht44; 92,3 vor „im"; 92,5 vor „wie44;
94,6 hinter „Punkt44; 94,7 vor „enthält"; das Komma ist zu
streichen 94, 7 hinter „setzt44.
Druckfehler: 29, 9 ist im Text durch ein Versehen Acidini
eine Zeile zu tief geraten; es gehört hinter das erste Manli
in Z. 4. — 49, 4 muß es im Text pro certo heißen, wie im
Kommentar steht. — 51, 12 ist im Text rebus eine Zeile tiefer
hinter gerendis zu stellen. — 78, 3 ist im Text errore vor ex-
pedita zu entfernen. — 91, 7 zerschmet-tert. — 92, 4 ist im Text
amplexa zu lesen ; desgleichen 93, 7 im Text laceratis viribus.
6) F. Luterbacher, N. Phil. Rundschau 1904 S. 219— 223,
spricht sich in einer Anzeige der Ahrensschen Ausgabe über den
Wortlaut mehrerer Stellen ebenso aus, wie ich es getan habe:
Außerdem äußert er folgende beachtenswerte Vermutungen:
42, 59, 3 sei über die Thrazier Genügendes berichtet, und
über die Mazedonier auf dem rechten Flügel werde sonst nichts
gesagt; deshalb möchte er die lückenhafte Stelle: tur || bareturire
[oder tre] sis hastas pe || tere pedites tnquei ||
nunc succidere crura . . . is nunc [| ilia suffodere folgendermaßen
ergänzen oder verbessern: turbaretur. inde Meno gladiis hastas
pe || tere pedites iussit eqvitumque || nunc succidere crura equites,
nunc || ilia suffodere. Es scheint mir aber kein zwingender Grund
zu der Annahme vorzuliegen, daß auch die Mazedonier erwähnt
sein müßten; das hastas petere ist ein auffallender Befehl, des-
gleichen das equitum succidere crura und besonders das ilia suf-
fodere. Letzteres ist wohl nur von den Pferden zu verstehen
(vgl. Tac. Ann. 2, 11), und so wird in der vierten Zeile am zweck-
mäßigsten equis geschrieben (für equit ist kein Raum, und es ist
is, nicht es überliefert). Auch in die zweite Zeile, wo nur 6 Buch-
staben fehlen, geht Meno gladiis nicht hinein, selbst wenn man
J»hresberiefaU XXXI. 2
18 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
die Schreibung gladis voraussetzt, und das gleiche ist von der
dritten Zeile zu sagen.
In Ahrens' Lesart: tur \\ baretur. ingentibus gladiis Thracespe \\
tere pedites nunc, || nunc succidere crura equis, nunc || ilia mffbdere
ist in der zweiten Zeile ingentibus und die Verwandlung von hastas
in Thraces nicht wahrscheinlich. In der dritten Zeile, die viel
zu kurz geraten ist, wurde man sich die beiden nebeneinander
stehenden nunc gefallen lassen, wenn sie überliefert wären; für
eine Konjektur bilden sie aber einen gar zu harten Ausdruck,
und die letzten Buchstaben sind unberücksichtigt geblieben. Da
der Name der Thrazier im Vindobonensis sehr häufig in der
ersten Silbe mit e geschrieben ist, was auf die Form Thraecia
hinweist (s. JB. 1901 S. 12), so fing die Lücke vielleicht mit Vre,
d. h. mit Thraeces an (vgl. den Gitlbauerschen Vorschlag). Um
weiteres Nachdenken über die Stelle anzuregen, stelle ich folgendes
als möglich hin : tur || baretur. re(gii lori)gis hastis pe || tere pedites
(iussi gladi)isque || nunc succidere crura (equ)is, nunc || Uta suf-
fodere.
44, 22, 2 empfiehlt Ltb. : consul sum renuntiatus. Schon
Zingerle hat die Ansicht geäußert, daß consul wiederholt und da-
durch der Anfang des Verbs verzehrt worden sei, was sehr wohl
möglich ist. Er entscheidet sich für creatus (Pluygers). — 22, 6
verwirft Ltb. mit Recht die La. von Ahrens und gibt als unge-
fähren, dem Sinn entsprechenden Wortlaut an: vos, quae scripsero
senatui aut vobis (nuntii mei exposuerint [vgl. 45, 2, 6], eis moneo
ut acquiescatis nee ru)mores . . alatis. Ähnlich Noväk, nur daß er,
kürzer als Ahrens, auch vobis mit scripsero verbindet : vos .. vobis,
(iis modo credite et cavete ru)mores . . alatis. Was zu ergänzen
ist, bleibt im einzelnen natürlich unsicher; vgl. meine Bemerkung
bei Weißenborn. — 24, 7 schreibt Ahrens: suspectum Romanis
Eumenem falsis gravabant probris, während die Hs. statt der letzten
beiden Wörter gravioribus hat. Eine Belastung mit Vorwürfen
scheint aber Ltb. zum Folgenden nicht zu passen; der Sinn sei,
die Verhandlungen machten Eumenes durch falsches Gerede ver-
dächtig: falsis rumoribus (. .). — 25, 1 ist, wie Ltb. mit Recht
betont, die handschr. Oberlieferung festzuhalten; auch von Harteis
Umstellung quia non tarn . . quam kann ruhig abgesehen werden.
Ahrens' La. (non tantum . . etiam) und die meinige (non tarn . .
etiam) sind nicht zu gebrauchen. — 33, 2 ist mancherlei zur Ver-
besserung des Verbs vorgeschlagen worden. Merkwürdig, daß
keiner der Hsgb. an dem Konjunktiv Anstoß genommen hat.
Diesen verlangt Ltb. und schreibt emittebant (Noväk früher emitte-
rent). Der Ausdruck ist brauchbar (s. 21, 37, 5; 32,13,3), die
Wortform liegt aber von den Zügen der handschr. La. (euergentt)
etwas weit ab. — 36, 1 ergänzt Ltb. (gravissimum tempus} anni
. . erat, es war die drückendste, heißeste Zeit des Jahres (vgl. Ovid
Met. 6,339: cum sol gravis ureret arva)\ ganz ansprechend. —
Livius, von H. J. Müller. 19
36,2 hebt Ltb. hervor, daß Grynaeus' La. accessurum utrumque
gegen die Grammatik verstoße, welche accessuram utramque ver-
lange. Ob er dies in den Text gesetzt wissen will, ist nicht er-
sichtlich. In der Überlieferung scheint aestum zu liegen (vgl. $ 5
und 7) und adcesserunttum als adcesserunt mit Korrekturvariante
tum (= vel um) aufgefaßt werden zu können. Dann wurde an
meridie aestum magis accessurum mox apparebat nur anstößig sein,
daß mox hinter dem Infinitiv steht, ein Anstoß, der sich durch
Umstellung von mox beseitigen ließe. JNoväk ist für diesen Wort-
laut, streicht aber mox. — 39, 1 verwirft Ltb. die Streichung von
habentes (Mg.) und meint, man müsse es korrigieren, „etwa zu
habebamm". Besser, glaube ich, wird mit Vahlen eine Lücke an-
genommen: „Nun ja, wird man mir antworten, wir hätten aller-
dings ein Heer gehabt, das ungeordnet war und nicht in Reih'
und Glied stand, aber [Komma hinter habuissemus] (wir hätten)
doch ein befestigtes Lager (gehabt), eine geordnete Wasserzufuhr,
den Weg dorthin gesichert durch aufgestellte Posten, alles rings-
umher wohlausgekundschaftet; — oder hätten wir vielmehr, nichts
unser eigen nennend als das kahle Feld, auf dem (...), fechten
sollen? Eure Vorfahren waren der Ansicht" usw. — 43,4 weist
Ltb. darauf hin, daß „nach der Hs." zu lesen sei: difficultatibus
viae est vexatus. in regia..., wozu ich bemerke, daß est im
Kodex fehlt und von Noväk vor vexatus eingeschoben worden ist,
während es in den Ausgaben seit Grynaeus hinter vexatus gelesen
wird. Die Vermutung Wßb.s, die sich in Ahrens' Text findet,
hat niemals Anklang gefunden.
45, 7, 5 streicht Ltb. et hinter consul, „wie es der Gedanke
und der Satzbau fordern", worin ich ihm beistimme. — 18, 6
hat Ahrens sich insofern an Mg. angeschlossen, als er improbatum
aufnahm, wozu Ltb. in der Annahme, daß Ahrens „doch wohl est
ergänze", sagt: „Besser wäre improbabant". Ich habe mich bei
Wßb. gegen improbare mit abhängigem Acc. c. inf. ausgesprochen,
kann also auch improbabant nicht für besser halten. Der Sinn
der Stelle ist ja deutlich, und an Herstellungsversuchen, welche
sachgemäß sind, fehlt es nicht; eine überzeugende Ergänzung ist
aber noch nicht gefunden worden. Ich will einer Idee Ausdruck
geben, die darauf fußt, daß man möglichst nur an einer Stelle
Wörter einfügen soll und daß sich eine Einteilung im vorher-
gehenden erkennen läßt (§ 1 omnium primum; § 3 quoque): defore.
(denique ne, si) commune concilium gentis (oder genti) esset, in-
probus vulgi adsentatar . . traheret, in quattuor regiones discribi
Macedoniam, ut suum quaeque concilium haberet, placuit.
9) A. Zingerle, Zum 44. Buche des Livius. Wien 1904, Carl Gerold's
Sohn. 14 S. gr. 8. (S.-A. aus den Sitzungsberichten der Kaiserl.
Akademie der Wissenschaften in Wien , philosophisch - historische
Klasse, ßand CXLVIII.)
1, 5 schlägt Z. vor, das überlieferte iunctam zu (in}iunctam
2*
20 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
zu vervollständigen; „die Hervorhebung, daß der Befehlshaber die
Soldaten von ihrer völligen Zügellosigkeit zu der ihnen wieder
aufgebürdeten strengen Zucht zurückgebracht habe, scheint im
ganzen Zusammenhange gut passend". Das vom Verf. eingefugte
Attribut „streng4' bildet wohl zu effusa licentia einen besseren
Gegensatz und ist auch wohl bezeichnender als das ziemlich nichts-
sagende „aufgebürdet44; denn zügellose Soldaten müssen selbst-
verständlich zur Ordnung gezwungen werden. Das Verb an sich
ist mir nicht anstößig; aber man erwartet den Begriff hier nicht
neben (ad militarem disciplinam) formato, welches der mildere
Ausdruck für coacto ist und in einfacher Weise die Tatsache des
Erfolgs, den der Feldherr hatte, angibt. Die Änderungen cunctam,
unicam, iustam und intentam sind nicht treffend, auch mit dem
Sprachgebrauch schwer zu vereinbaren; am natürlichsten hieße es
bloß ad militarem disciplinam (Noväk). Aber die Entstehung des
fehlerhaften iunctam läßt sich, wie Z. richtig hervorhebt, nicht
erklären. Ich habe, ohne daß ich damit eine wirkliche Emendation
gefunden zu haben glaube, mir angemerkt: ad (d)iu n(egle)ctam
militarem disciplinam.
2, 10 wird das schon von Crevier beanstandete und von mir
für ein Glossem erklärte iuvenum als unechter Zusatz eingeklammert
und zur Begründung auf Stellen hingewiesen, wo die velites als
levis armatura bezeichnet werden. „Hieraus könnte es sich er-
klären, daß einst ein nicht ungeübter Abschreiber dem levis arma-
turae am Rande die Glosse uel uelitum beischreiben zu sollen
glaubte, woraus wohl ein iuuenum entstehen und allmählich in
den Text dringen konnte'4.
3, 1 schreibt Z. im Anschluß an Hartel: dux regius castra
(habebaty, womit man einverstanden sein kann. Er versucht auch
hier eine Erklärung, wie man sich die Entstehung der Korruptel
denken soll : „nach vielen Beispielen ähnlicher Abirrungen konnte
aus ursprünglichem duxregius leicht duxiusregius entstehen und
daraus zur Herstellung einer Wortform die Änderung duximus regis
sich entwickeln, wobei auch der Zeilenschluß (die Hs. hat: duxi\\
mus regis) einiger Beachtung wert sein dürfte'4, regius scheint
von Z. herzurühren und ist besser als regis.
6,6 schreibt Z. nach meinem Vorschlage: itaque si [du] in-
trepidus rex primam speciem . . ., eine La., die auf kühnem Pfade
gewonnen und keineswegs über allen Zweifel erhaben ist. Aber
durch Z.s paläographische Erörterungen hat sie eine Stütze er-
halten und an Wahrscheinlichkeit etwas gewonnen (vgl. JB. 1892
S. 25). Mit Recht weist Z. darauf hin, daß falsche Wort- und
Buchstabenwiederholungen nicht nur zu Entstellungen des ur-
sprünglichen Wortlautes geführt, sondern sogar den Ausfall von
Wörtern veranlaßt haben. Dieser Vorgang ist meiner Meinung
nach auch 27, 1 anzunehmen, wo vielleicht das fälschlich wieder-
holte multitudinem das ursprüngliche und, wie auch Z. urteilt, un-
Livius, von H. J. Müller. 21
entbehrliche eum verdrängt hat. Unmöglich scheint mercedum
(eum) multitudinem, wie Hartel vorgeschlagen hat. — 6, 15
könnte, wie Z. behauptet, spatii allerdings unter der Einwirkung
des vorhergehenden passum (so die Hs.) zu spatium geworden sein;
aber zu jener La. darf doch erst dann gegriffen werden, wenn
die Unhaltbarkeit von spatium erwiesen ist. Drakenborchs Er-
klärung möchte ich mir nicht aneignen; sie spricht mehr für
spatii als für spatium. Aber ich sehe nicht ein, warum plus mit
diesem Begriff und nicht mit dem Zahlwort verbunden werden
soll. Hätte Livius quam ausgelassen,, was er anderswo oft getan
hat, so könnte es ja gar nicht anders als spatium heißen. Hier-
nach halte ich Weißenborns Erklärung für richtig.
7, 1 spricht sich Z. für Grynaeus' La. aus. der nur von der
überlieferten Wortform segnitia nicht hätte abgehen sollen, und
gibt beachtenswerten Aufschluß darüber, wie die stark verderbte
La. hat entstehen können. Zum Ausdruck vergleiche ich 34,
25,10. — Ebenso erklärt und befürwortet er: 9,4 (ad) op-
pugnationem (Vahlen); 9,6 decursu (l)oujat); 13,3 (ab) necopi-
nato (Noväk); 18, 4 gestum (Gronov); 35, 4 castra (Romana)
(Harant).
9, 5 teilt Z. das von Weißenborn geäußerte Bedenken und
fragt: „Wurde etwa dadurch (durch inductio) instructio verdrängt?
Letzteres Wort würde in der Bedeutung „Aufstellung1'. „Anord-
nung" wohl passen und wäre auch gut nachweisbar4'. Ich glaube,
daß Weißenborn hier befangen war und an der Oberlieferung
nichts auszusetzen ist.
15. 1 scheint Z. geneigt, (ut) sciret indicatum ((ut) nach
Sigonius) zu lesen, und fragt: „Sollte aber dann vielleicht statt iudi-
catum geradezu iudicium herzustellen sein?" Trotz der Erklärung
Mg.s ('causam a populo Romano tamquam domino iudicatam esse')
kann ich an den durch Konjektur hineingebrachten Gedanken (die
Hs. hat indicatum) nicht recht glauben, der nach dem Vorher-
gehenden sehr blaß und eigentlich nichtssagend ist. Man erwartet
nicht mehr als etwa cum senalus consulto, und fehlten die Worte
ganz, so würde gar nichts vermißt. Eine unrichtige Wiederholung
sah in ihnen Hartel. der nach der Angabe bei Hertz glaubte und
glauben mußte, daß screcitatum in der Hs. überliefert sei; das
war aber ein Versehen bei Hertz (von ihm später als 'er rat um'
berichtigt). Im Kodex sieht tatsächlich sciretindi \\ catum, und das
ist ohne allerlei Änderungen nicht zu gebrauchen. Ich habe von
je her in diesen Worten eine falsche Wiederholung von sc. red-
tatum gesehen, das vom Abschreiber verwässert, vielleicht durch
Hineinziehen eines zur Erklärung oder Emendation überge-
schriebenen indicatum [recitatum paßte hier ja nicht) verunstaltet
wurde, und empfehle noch heute ihre Entfernung aus dem Texte.
18, 1 würde vielleicht, meint Z, allem Genüge geleistet durch
die Kombination praeterquam quod ali(as agil)is vir erat. Bei
22 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
solcher Verbindung dürfte der Zweifel Mg.s an alias und agilis
sich schwächen. An agilis wird man aber doch zweifeln müssen
angesichts der sonstigen, abweichenden Verwendung dieses Wortes
und des Substantivs agilitas bei Livius.
19, 9 lesen die Herausgeber nach dem Vorschlage Weißen-
borns: navali proelio (superior) fuerat, und daran dürfte nichts
auszusetzen sein. Der Verf. aber sagt: „Man könnte vermuten,
daß aus fuerat einfach vicerat herzustellen und auch hier wieder
der häufige Fall anzunehmen sei, daß eine Silbe aus der Nähe
die richtige verdrängte'4. Diese „Silbe aus der Nähe44 steht aber
ziemlich fern; daher gibt Z. noch eine zweite Erklärung der Ver-
derbnis: „Es konnte das fuerat des vorangehenden Paragraphs
herabwirken oder möglicherweise unter Einfluß des unmittelbar
sich anschließenden et tumultuario zunächst ein tuerat entstanden
und dies dann zu fuerat gemacht worden sein44. — 19, 10 schreibt
Z. nach Weißenborn: imperio (Romano), da „dieses Wort, respec-
tive die Kürzung f nach dem vorhergehenden regno regibusque
und beim dann gleich folgenden populi Romani doppelt leicht
ausfallen konnte44. Es gehört doch eine starke Phantasie dazu,
sich diesen Vorgang plausibel vorzustellen. Ist Romano unent-
behrlich, so kann man es ohne weiteres hinzusetzen; denn auch
das versehentliche Auslassen einzelner Wörter gehört zu den
Eigentümlichkeiten des Schreibers des cod. Vindobonensis1). Un-
entbehrlich ist aber Romano nur dann, wenn an imperio fest-
gehalten wird, und dieses Wort ist hier mindestens auffallend.
Erstens ist der Zusatz überflüssig (vgl. 37, 54, 8. 9; 40, 17, 5
u. a.); zweitens ist der Ausdruck ungewöhnlich (statt populo Ro-
mano); drittens kann der Dativ neben regno regibusque nach opem
ferrent mißverstanden werden (wäre amicus imperii Romani ein
gangbarer Ausdruck, so würde ich vorschlagen, imperir = imperi
Romani zu schreiben). Danach scheint mir die Sache keineswegs
sicher zu sein und die Erklärung Weißenborns, der in imperio
sogar einen scharfen Gegensatz zu regno witterte, vor Noväks
Änderung impigre den Vorzug nicht zu verdienen.
20, 4 hält Z. an der Ergänzung dierum fest, erklärt aber die
Zahl sex für zu klein; er ist geneigt, ui(ginti dierum) zu schreiben,
und das gefällt mir recht wohl.
21, 10 teilt Z. mein gegen Macedoniam geäußertes Bedenken,
möchte aber nicht bloß Illyrieum dafür einsetzen, sondern pro-
vinciam Illyrieum (vgl. §4); „nach einer unter Einwirkung des
nahen Macedoniam (§ 8) erfolgten Korrumpierung des Wortes pro-
vinciam in Macedoniam sei vielleicht in der Folge naheliegend
Illyrieum von einem Schreiber weggelassen worden44.
]) So schreibt Z. 6,17 (patefactisque) omnibut (adüibus) nach Novak
(vgl. §2); eunetis adüibut früher Vahlen; saltibus Drechsler, der advUbus
wegen der Form beanstandete, zugleich aber fragte, ob mau nicht ohne eine
Hiazufügung auskommen und Omnibus als Subjekt zu nudatü und patefactis
nehmen könne. So Ahreos in seiner Ausgabe.
Livius, von H. J. Möller. 23
10) T. Livi ab urbe condita libri. Edidit Antonius Zingerle. Pars VII.
Fasciculus IM. LiberXXXXlIIl. Editio maior. Vindobonae, F.Tempsky;
Lipsiae, G. Freytag 1904. VIII u. 69. kl. 8. 1 K 50 h (1}50 Ji).
Das Erscheinen eines neuen Teilchens von Zingerles Ausgabe
der 5. Dekade des Livius ist für die Livianer regelmäßig ein
freudiges Ereignis. Jeder weiß, und das bestätigt sich auch
dieses Mal, daß man 1) eine authentische Kollation der Wiener
Handschrift erwarten darf und 2) einen kritischen Apparat von
solcher Fülle und Vollständigkeit, wie er nach eigenen Aufzeich-
nungen schwerlich jemandem zur Verfügung steht. Nimmt man
hinzu, daß, wie es auch in dem vorliegenden Hefte wieder der
Fall ist, in allen Angaben die größte Zuverlässigkeit herrscht
(nirgends ein Versehen oder auch nur ein Druckfehler), so stellt
sich die Ausgabe als das Werk eines bewunderungswürdigen
Fleißes dar, für das man dem Bearbeiter nebst seinem Sohne1)
vielen Dank schuldig ist.
Bei der Auswahl der Lesarten ist Z. mit der bei ihm be-
kannten Umsicht und gründlichen Erwägung zu Werke gegangen.
Über manche Lesarten wird Übereinstimmung der Ansichten
schwerlich jemals erzielt werden. An einigen Stellen bin auch ich
anderer Ansicht als der Herausgeber. Im allgemeinen, glaube ich,
wird der Name Harteis und der meinige im Apparat öfter genannt,
als sie es verdienen.
Über manche Lesarten habe ich mich oben bei der Anzeige
der Ahrensschen Ausgabe und der Zingerleschen Akademie -Ab-
handlung geäußert. Folgende Kleinigkeiten füge ich hinzu.
6, 8 verdiente ein Vorschlag von E. Thomas Erwähnung, der
nicht recht bekannt geworden ist (Schedae criticae in Senecam
rhetorem selectae, Diss. von Berlin 1880, Thesis 5): nam praeter
angustias — per quinque milia . . . oculorum animique possit —
terret et tonitus et altitudo usw. — 6, 17 ist das Fehlen des rich-
tigen Subjekts immerhin anstößig. Wird eine Lücke angenommen,
so kann in dieser auch noch rex (hinter aditibus) gestanden
haben. — 17, 3 statt receptas möchte Luterbacher lieber dllatas
lesen, und dies verdient den Vorzug, da jene Verbindung bei Liv.
überhaupt nicht begegnet. Die in litteras allatas a consule liegende
Undeutlichkeit des Ausdrucks ist ja nur scheinbar; vgl. außerdem
22, 56, 1; 27, 39, 1. Um kenntlich zu machen, daß das Auge
des Schreibers von consulem zu consule abgeirrt sei, wird die
angegebene Wortfolge in der Ergänzung am besten beibehalten;
sonst könnte es auch litteras a consule allatas und natürlich auch
litteras eonsulis allatas usw. heißen (vgl. 29, 10, 1). — 24, 1 hätte
das überlieferte regem doch wohl im Text stehen bleiben sollen.
— 25, 5 ist Cobets (ad) conciliandam gratiam schon früher von
l) Der Sohn des Herausgebers, Josef Zingerle, hat den Kodex aufs
sorgfältigste verglichen. Bei einer Reihe von Varianten beschreibt er des
handschriftlichen Befand mit minutiöser Genauigkeit (S. IUI — VIII).
24 Jahresberichte d. Phiiolog. Vereins.
.Wesenberg vorgeschlagen worden, der freilich selbst seiner anderen
Vermutung conciliandae gratiae den Vorzug gibt Ob Harteis
Vorschlag Aufnahme verdiente, ist mir zweifelhaft. Freilich magis
bleibt unerklärt, in magni (Mg.) ist es jedenfalls nicht zu ändern.
Vgl. oben S. 13. — 27, 3 durfte die Form Threciam wohl nicht
unverändert beibehalten werden. — 28, 11 empfehle ich die
Streichung von que; denn die Korresponsion von que und et in
der hier vorliegenden Weise findet sich sonst bei Livius nicht,
vielmehr erst bei Tacitus, wenn die Angabe Drägers (II * 79)
richtig ist. — 35, 14 scheint mir das Asyndeton höchst auffällig
und (et) Q. wünschenswert zu sein. — 35, 18 hat Mg. mit der
Annahme, daß etwas mehr ausgefallen sei, wohl recht; wenigstens
läßt es der folgende Zusatz cum suis legionibus vermuten. Um
das Abirren des Schreibers zu verstehen, möchte ich schreiben:
hinc (rege cum phalange, Mnc) consule cum suis legionibus. —
37, 5 zu der Namensform Gallus vermißt man eine Notiz, wenig-
stens den Hinweis auf Mommsen im Rhein. Mus. 16, 355. —
38, 7 wurde ich Dükers Vermutung nicht unerwähnt gelassen und
auf den Vorschlag Rupertis (adfuerimus) empfehlend hingewiesen
haben. Auch daß Vahlen eine Lücke in der Gedankenreihe auf-
weist und welche Ergänzung er beispielsweise anführt, sollte nicht
verschwiegen sein. Vahlens Ansicht über die ganze Rede wird
überhaupt nicht recht deutlich, wenigstens nicht das, was er in
den Sitzungsberichten der preußischen Akademie (1889) geäußert
hat. Den Vorschlag, 39, 1 habuissemus zu wiederholen, hat er,
glaube ich, aufgegeben; er hat ihn a. a. 0. nicht erwähnt und
sich statt dessen erst für (sed), dann für das Asyndeton aus-
gesprochen. Auch die Versetzung von 39, 5 sine ulla . . . dimi-
caremus und 38, 7 partum hoc . . . iuvantibus sumus? hinter 39. 1
in quo pugnaremus, (so!)* welche mir sehr durchdacht erscheint,
finde ich nirgends angeführt. — 42, 6 ich glaube, daß (ex}, nicht
(e) vor scaphis einzufügen ist; eine Untersuchung, zu der mir
jetzt die Zeit fehlt, wird wahrscheinlich ergeben, daß Livius ex
oder e vor s nicht ohne Unterschied anwendet. — 43, 4 wird
die La. wohl richtig sein; aber um nur eine Lücke anzunehmen,
könnte man an Euctus (et Eulaeus at)que regii . . . denken.
11) The Oxyrhynchiis Papyri Part IV. Edited with Translatious aod
Notes by B. G. Greafell and A. S. Hunt With eight Plates.
London 1904, The Offices of the Egypt Exploration Fond. XII u.
306 S. 4. geb. — Vgl. Athenaeum Nr. 4002 S. 39; F. B., Lit.
Zentralbl. 1904 Sp. 927— 931; J. S. Reid, The Class. Rev. XVIII
(1904) S. 290—3001; O. Rossbach, Berl. phil. WS. 1904 Sp. 1020—1022
und 1319—1320; B. Kornemanu, Berl. phil. WS. 1904 Sp. 1182— 1183;
K. Fuhr, Berl. phil. WS. 1904 Sp. 1183.
Die Einrichtung des vierten Bandes der Oxyrhynchus-Papyri
ist die nämliche wie in den früheren Bänden; die Urkunden
sind, wie im dritten Bande, nach dem Inhalte gruppiert; die er-
^
Livius, von H. J. Müller. 25
klärenden Bemerkungen stehen, wie früher, hinter dem Text. In
dem Buche zu studieren ist ein Genuß; man fühlt sich in gleicher
Weise durch das, was veröffentlicht wird, angezogen wie durch
die Art, in der die Herausgeber ihres Amtes gewaltet haben.
Grenfell und Hunt bewegen sich auf diesen so ganz verschiedenen
Gebieten mit einer Sicherheit und zeigen überall eine Gelehrsam-
keit und einen Scharfsinn, die bewundernswert sind. Es ist
überflüssig, darüber ein weiteres Wort zu verlieren. Man kann
den unermüdlichen Forschern nur wünschen, daß das Glück ihnen
hold bleibe und sie in den Stand setze, uns mit noch vielen
solchen interessanten Funden zu überraschen und zu erfreuen.
Das Wichtigste von dem, was sich in diesem Bande ver-
öffentlicht findet, ist folgendes: 1) theologische Fragmente (neues
Stück der Logia, Bruchstücke von einem unbekannten und un-
benannten Evangelium, von dem Buche Genesis in der Septua-
ginta-Übersetzung, von dem Brief an die Hebräer u. a.); 2) neue
klassische Fragmente (llaQ&Speia des Pindar aus vorchristlicher
Zeil, ein Päan, einige Epoden, Epigramme u. a. m. von geringerer
Bedeutung); 3) Fragmente erhaltener Klassiker (Homer, Hesiod,
Sophokles, Thukydides, Xenophon u. a.) mit zum Teil interessanten
Varianten; 4) Urkunden mannigfaltigster Art und Addenda zu den
früher veröffentlichten Funden.
An dieser Stelle ist genauer über den Papyrus Nr. 668 zu
berichten (S. 90 — 116), der eine Epitome Livii enthält, und zwar
Auszüge aus den Büchern 37 — 40 und 48 — 55. Es sind 8 Papyrus-
blätter; je auf der Vorderseite steht der lateinische Epitome-Text,
je auf der Rückseite der griechische Text des erwähnten Hebräer-
briefes. Zwischen dem 3. und 4. Blatt fehlen 9 — 10 Blätter,
zwischen dem 6. und 7. Blatt fehlt 1 Blatt (mit einem Teile der
Epitome des 54. Buches), und auf dem 4. und 6. Blatte sind
nur die Anfänge der Zeilen mit je 6 — 10 Buchstaben erhallen.
Geschrieben sind die Blätter etwa im Anfange des 4. Jahr-
hunderts, vielleicht schon im 3. Jahrhundert unserer Zeitrechnung'1)
in großen Uncialen, untermischt mit Minuskelformen, die, soweit
es der Zustand der Blätter nicht erschwert, meist deutlich zu
lesen sind. Aber sämtliche Zeilen zeigen Lücken, manche Buch-
staben sind nicht sicher zu erkennen, und in den einzelnen
Wörtern treten uns viele, zum Teil — namentlich in den Eigen-
namen — sehr starke Verderbnisse entgegen ; z. ß. Z. 3 Lepidinus
(st. Licinius), Z. 7 Rhodmta (Bononia). Z. 25 Metellis (FßtilUis),
Z. 56 lanatone (M. Colone). Z. 57 uastaita (basilica), 75 Nerylli
(Petillii), 78 L Liuius (L. Villius), 120 miliaannum (AemilianumU
123 socius (occisus), 145 Mumanus (Mummius), 176 Salasso
(Sapiente), 178 Uemilius [Manlius), 182 Assümm (Asellum), 191
C. Foll^p \M. Fopült[o), 203 decemuiru[tn (Decimum Bru[tum)r
*) L. Traube hält den Papyrus für jünger als die englischen Heraasgeber.
26 Jahresberichte des Philolog. Vereins.
214 Suriague (Syriaque) u. a. m. So stößt die Emendation des
Textes auf nicht geringe Schwierigkeiten. Aber diese lassen sich
gerade bei den Eigennamen am leichtesten heben, da wir in den
meisten Fällen die richtigen Namensformen nachzuweisen ver-
mögen, und viele Yerschreibungen sind die auch sonst in den
Hss. uns häufig begegnenden, welche durch Hörfehler, durch
Verlesen oder aus Unachtsamkeit entstanden sind. Gebräuchlich
und stehend sind die Abkürzungen: cos. für consul und consules
in allen Kasus, pr. für praetor, trib. pl. für tribunus plebis, in
den Überschriften Hb. für Über.
Andere Abbreviaturen lassen sich nicht nachweisen1). Auch
eigen mächtige Änderungen finden sich nicht, ebensowenigGlosseme8).
Aber häufig sind kleine Fehler wie Manilius statt Manlius (21. 113),
Rutilius statt Rutilus (38), umgekehrt Manlio statt Manilio und
Marco statt Marcio (103), filis statt /S/w, Annio statt Arno, Lussi-
tani, Chartago u. drgl. finden sich oft; auch pass st. passa (15),
funeribus st. fmebribus (60), coniurium st conübium (17), com-
posito st. proposito (9); oft falsche Endungen, zum Teil, wie es
scheint, durch Assimilation an ein in der Nähe befindliches Wort
entstanden u. a. m.
Für die Emendation des Textes ist natürlich möglichst das
Original zum Vergleiche heranzuziehen, sonst die Feriochae und
diejenigen Schriftsteller, die nach den Ergebnissen gelehrter Unter-
suchung aus der zuerst von Mommsen nachgewiesenen Epitoma 8),
welche im 1. Jahrhundert n. Chr. verfertigt worden ist, geschöpft
haben. So sind die beiden Herausgeber verfahren, so auch die
Gelehrten, die sich seither mit diesen Fragmenten beschäftigt haben
(Fowler, Fuhr, Gundermann, Kornemann, Reid, Rossbach, Wissowa),
und man muß gestehen, daß von diesen vieles endgültig verbessert
und für viele Lesarten auf Grund geistvoller Kombination eine
große Wahrscheinlichkeit erzielt worden ist.
Es erhebt sich die Frage, in welchem Verhältnis die Epitoma
zu dem als Periochae uns erhaltenen Auszuge steht. Wie wenig
sie übereinstimmen, läßt sich aus der Gegenüberstellung eines be-
liebigen Abschnittes deutlich erkennen (s. S. 28 u. 29).
Obgleich die hier(S.28)gedrucktenErgänzungen keineswegs alle
sicher sind, so ergibt sich (loch klar, daß im 39. Buche (in allen
übrigen Büchern tritt uns das gleiche entgegen) Epit. und Per.
voneinander sehr verschieden sind und als selbständige, voneinander
unabhängige Elaborate angesehen werden müssen. Epitome und
J) Nor Z. 207 omnib (ohoe Pookt dahinter) für Omnibus.
») Rossbach ist geneigt, Z. 16S im Hinblick anf Aar. Vict. 60, 3 statuas
für ein Glossem zu halten and nach dessen Tilgung tabulas(que) zu schreiben.
Doch vgl. Plin. Ep. 1, 20, 5: vides, ut statuas, signa, picturas . . . amplitudo
commendet; Cato bei Gell. 3, 7, 19: decoravere monumentis: signis, statuta,
elogiis, historiis . . . gratissimum id eins factum habuere.
>) Vgl. JB. 1899 S. 20. 24. 25; 1900 S. 37; 1902 S. 26; 1903 S. 20.
Livius, von H. J. Müller. 27
Periocha haben ja ganz verschiedene Ereignisse für erwähnenswert
gehalten, und wo sie dieselben Begebenheiten anführen, stimmen sie
im Wortlaut so gut wie nirgends überein. Besonders in die Augen
fallend ist aber die abweichende Darstellungsform: Epit. kurz und
knapp, wenigstens in der Angabe der historischen Tatsachen; Per.
gesprächiger, mehr erzählend und mehr auf Nebenumstände ein-
gehend, die Epit. nur vereinzelt bringt. Man gewinnt den Ein-
druck, daß die Verfasser verschiedene Zwecke verfolgt haben
(Epit. sieht mehr wie eine Geschichtstabelle, Per. mehr wie ein
Geschichtsleitfaden aus). Charakteristisch für Epit. ist besonders
die chronologische Anordnung, indem unter Voranstellung der
Konsulnamen (diese Zeilen ragen auf den Papyrusblättern um
4 Buchstaben über die anderen Zeilenanfänge nach dem linken
Rande hinaus) die Ereignisse nach den Jahren gruppiert werden;
Per. erzählt, indem einfach von Buch zu Buch vorgeschritten
wird.
Mehr noch als Epit. trägt die erste von den zwei Periochae
zum 1. Buche des Livius das Gepräge einer Tabelle, und daher
hat Rossbach die Vermutung ausgesprochen, daß Epit. und Per. Ia
von ein und demselben Verfasser herrührten. Die Verwandt-
schaft zwischen beiden hatte auch Kornemann erkannt; er glaubt
aber aus gewissen Verschiedenheiten nur zugeben zu sollen, daß
Epit. und Per. Ia auf dieselbe Vorlage zurückgehen.
Z. 175 wird eine bisher unbekannte Niederlage der Römer
in Illyrien i. J. 141 verzeichnet. Noch wertvoller sind die Be-
merkungen, die sich auf den spanischen Krieg, besonders auf die
Feldzüge gegen Viriathus beziehen. Der Papyrus berichtet von
einem Siege der Römer i. J. 147, von einer Niederlage des
L. Metellus i. J. 142 und dem Versuch eines Volkstribunen, den
Abmarsch des Konsuls Q. Gaepio nach Spanien zu verhindern (i.
J. 140); überhaupt ist es jetzt zum ersten Male möglich, die
richtige Chronologie der Statthalter von Südspanien in den Jahren
145 — 139 und der sich an ihren Namen knüpfenden Ereignisse
festzulegen.
Was den historischen Gewinn betrifft, der aus dem neuen
Fund gewonnen wird, so ist die Zeit des Krieges gegen Pseudo-
philippus (Andriscus), die früher etwas unsicher war, jetzt genauer
bestimmt; die Erhebung fand i. J. 149 statt, die Niederwerfung
nebst der vorhergehenden Niederlage des Prätors P. Iuventius i.
J. 148. Die Erwähnung der i. J. 149 nach Bithynien geschickten
Gesandten ermöglicht es, den verderbten Namen des einen von
ihnen (L. Manlius Volso) bei Polybius 37, lh zu verbessern.
Bisher waren die wenigen Bezugnahmen auf den spanischen
Krieg bei den Epitomatoren nicht ausreichend, um den Bericht
bei Appian, dessen Text ^teilweise lückenhaft ist, zu verbessern.
Eine ins einzelne gehende Prüfung der Änderungen, die in die
Zeitbestimmung dieses Krieges eingeführt werden, und des neuen
28 Jahresberichte d. Philolog. Vereint.
Epitome.
[lib. XXXV]I1II.
30 per C. F\am\[nium, M. Aemiliu]m cos. Ligures
31 perdomiti. u[iae Flaminia e]t Aemilia munitae sunt.
32 Latinorum [XII milia do]mura coacta
33 ab Roma re[dire . Manlius cu]m de [<?]allo-
34 graecis im[merito triumph]av[et, pe]cunia,
35 quae trans [/a(a eraU toga]t\s p[e]r[s]oluta.
36 Sp. Postum[t|o [Q. Marcio co]s.
37 Hispala Fa[ecenia meretri]ce et pupillo
38 Aebutio, qu[em T. Sempronius] Hutil(i)us
39 tutor et ma[ier Duronia ctjrcumscripserant,
40 indicium re[ferentibus 2fo]ccha<n>-
41 aüa sublaffa in Italia. 2fi*]pan(t)
42 subacti. al[hletarum cert]amina
43 primum a ¥u[luio Nobilior]e edita.
44 Galli in ltal[tam ducti. his Äfojrcellus
45 persuasit, [ut domum redire]nt. L. Cornelius
46 Scipio pos[i bellum Antiochi] ludos uoti-
47 uos conl [ata pecunia fect\t.
48 App[t]o Claudio M. Semproni\o cos.
49 Ligures fu[gati clade ab tjllis accepta.
50 P. Claudio Pulchr[o L. Porcio Ii]cin(i)o cos.
51 hominum ad i [oooo a Naeuio t*en]efici(t> damnati.
52 L. Quintius V\d[mininus cos. in] Gallia
53 quod Philippo [Poeno, scorto] suo, deside-
54 rante gladia[torium specla]culum
55 sua manu Boiu[w nobilem occiderat,
56 a M. Catone ce\\[sore senatu motus est.
57 basilica Porcia [facta.
58 M. Claudio Marcello [Q. Fabio Labeone cos.
59 P. Licini<i> Crassi po[ntificis maximi
60 ludis fune(b>ribus [epulum factum, in quo
61 tabernaculis po [stfts in foro id quod
62 uate[s c]eci[ne]rat [euenit tabernacula
63 in foro futura. \[n Celtiberia prospere
64 dim[tcata]m. Han[nibal per T. Quintium
65 ¥[laminin]\im e[xpostulatus se occidit.
Lirins, von H. J. Maller. 29
Periocba.
Ex lib(ro) XXXVIIIL
M. Aemilius cos. Liguribus subactis viam Placentia usque
Ariminura perductam Flaminiae iunxit initia Juxuriae in urbem
introducta ab exercitu Asiatico referuntur. Ligures, quicumque
citra Appenninum erant, subacti sunt. Bacchanalia, sacrum Graecum
et nocturnum, omnium scelerum seminarium, cum ad ingentis
turbae coniurationem pervenisset, investigatum et multorum poena
sublatum est. a censoribus L. Valerio Flacco et M. Porcio Catone,
et belli et pacis artibus maximo, motus est senatu L. Quintius
Flamininus, T(iti) frater, eo quod, cum Galliam provinciam consul
obtineret, rogatus in convivio a Poeno Philippo, quem amabat,
scörto nobili, Gallum quendam sua manu occideral sive, ut qui-
dam tradiderunt, unum ex damnatis securi percusserat rogatus a
meretrice Piacentina, cuius amore deperibat. extat oratio M.
Catonis in eum. Scipio Literni decessit et, tamquam iungente
fortuna circa idem tempus duo funera maximorum virorum,
Hannibal a Prusia, Bitbyniae rege, ad quem victo Antiocho con-
fugerat, cum dederetur Romanis, qui ad exposcendum eum T. Quin-
tium Flamininum miserant, veneno sibi mortem conscivit; Philo-
poemen quoque, dux Achaeorum, vir maximus, a Messeniis occi-
sus veneno, cum ab iis bello captus esset coloniae Potentia et
Pisaurum et Mutina et Parma deductae sunt, praeterea res ad-
versus Celtiberos prospere gestas et initia causasque belli Mace-
donici continet. cuius origo inde fluxit, quod Philippus aegre
ferebat regnum suum a Romanis imminui et quod cogeretur a
Thracibus aliisque locis praesidia deducere.
30 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Lichtes, das auf Appian geworfen wird, ist in der Anmerkung zu
Z. 167 gegeben. Besonders interessant ist, was der Papyrus über
innere Angelegenheiten berichtet. Was die schon früher be-
kannten Ereignisse anlangt, so ist am bemerkenswertesten das
Datum der bekannten von P. Scipio Africanus gegen L. Aurelius
Cotta erhobenen Anklage, die von dem Papyrus in das Jahr 138
verlegt wird, während sie nach Cicero später erfolgt ist (vgl. GH.
zu Z. 210). Unter den Einzelheiten, die neu sind, befinden sich
ferner die wichtige Militärreform (eingeführt durch Appius Claudius
i. J. 140), ein Streit zwischen dem Konsul Q. Caepio und den
Tribunen in demselben Jahre, sowie die Notiz über die Ab-
stammung des A. Gabinius, des Urhebers der Lex Gabinia, der
in Epit. als vern[ ] (was GH. zu verna[e nepos] ergänzt haben),
bei Cicero als homo ignotus et sordidus bezeichnet wird. Von
Wichtigkeit ist auch, daß wir jetzt mehrere Nachrichten späterer
Autoren (Cassius Dio, Valerius Maximus, Frontin und Obsequens)
mit Livius verknüpfen können.
10) £. Kornemann, Die neue Livi us-Epitome aus Oxyrhy nchns.
Text und Untersuchungen. Mit eiuer Tafel. Leipzig 1904, Dieterichsche
Verlagsbuchhandlung (Theodor Weicher). IX u. 131 S. Lex.-8. S JC.
(Beiträge zur Alten Geschichte, herausgegeben von C. F. Lehmann
und £. Kornemann. Zweites Heft.)
Der vortrefllicbe Eindruck, den man von dieser Schrift schon
beim Lesen der ersten Seiten gewinnt, bleibt bis zum Ende un-
verändert. Alles ist wohlerwogen und bis ins kleinste so gründ-
lich durchforscht, daß man sich nirgends zu ernstem Widerspruch
geneigt fühlt und schwerlich jemand in der Beweisführung des
Verfassers etwas vermissen wird. Mangel an Raum verbietet es
mir, über alle Teile der Untersuchung so ausführlich zu berichten,
wie es angemessen wäre.
Was den Zweck dieser Epitome betrifft, so hebt K. hervor,
daß der Inhalt verbiete, an ein Schulbuch zu denken (S. 9). Es
sei eine kurze chronologische Arbeit, für Erwachsene gefertigt,
wie deren schon mehrere, bis jetzt allerdings nur in griechischer
Sprache, in Ägypten gefunden worden seien, „wie z. B. die
6 Kolumnen eines chronologischen Werkes (O. P. I Nr. 12) oder
der von Keil herausgegebene Auszug aus einer Geschichte Athens
oder endlich der neuerdings zu Tage gekommene kleine Best
eines solchen Auszugs aus einer Geschichte Siziliens (0. P. IV
Nr. 665)".
Das Verhältnis des Papyrus zum Livius-Original wird S. 68
bis 87 besprochen. Der Inhalt des Papyrus stammt nicht direkt
aus Livius, auch nicht direkt aus der oben (S. 26) erwähnten
Epitome, sondern aus einem frühestens im 2. Jahrhundert n. Chr.
verfertigten Chronikon, das G. Reinhold nachgewiesen hat (s. JB.
1899 S. 24). Dieses Chronikon war unter Zugrundelegung jener
Epitome verfaßt worden, der Verfertiger hatte sich aber „ebenso
Livius, von H. J. Müller. 31
wie die Epitome selbst nicht sklavisch an seine Vorlage gehalten,
sondern ein antiquarisch-chronologisches Handbuch nebenbei zu
Rate gezogen". Indem K. zugleich alle vorhandenen Livius-Epi-
tomatoren und Livius- Benutzer berücksichtigt, ist er in der Lage,
das von Reinhold aufgestellte Stemma der Abhängigkeit zu erweitern
und zu spezialisieren. Nach Kornemann sind aus dem Chronikon
geflossen: Per. Ia, Papyrus, Obsequens, Eutrop, Festus, Eüsebius-
Hieronymus, Cassiodorius.
Wichtig ist S. 87—121 das 5. Kapitel: Die Geschichte der
Jahre 150 — 137 v. Chr. auf Grund des neuen Fundes (eine inter-
essante und lehrreiche Abhandlung) nebst einer Zeittafel für diese
Jahre, in welcher folgende bisher unbekannte oder unrichtig
datierte Ereignisse als solche gekennzeichnet werden.
148: Tod des Masinissa und Teilung seines Reiches durch
Scipio. Niederlage des Prätors luventius in Thessalien. Besiegung
und Gefangennahme des Pseudophilippus durch Q. Metellus.
147: Niederwerfung der Lusitaner durch den Prätor C. Ve-
tilius. Wahl des Viriathus zum Oberfeldherrn der Lusitaner.
146: Mehrere Niederlagen der Römer durch Viriathus, sicher
die des Prätors C. Vetilius, wahrscheinlich auch die des Prätors
C. Plautius.
145: Niederlage des Prätors Claudius Unimanus durch
Viriathus.
144: Niederlage des Prätors C. Nigidius im [Diesseitigen
Spanien (?).
142: Heldentaten des Q. Occius im Diesseitigen Spanien.
Niederlage des Konsuls L. Metellus durch die Lusitaner. Während
der Zensur des Scipio Aemilianus und L. Mummius Verteilung
der korinthischen Beute durch L. Mummius in Rom und Italien.
141: Niederlage der Römer im Skordiskerlande. Q. Fabius
Maximus Servilianus Prokonsul im Jenseitigen Spanien. Heldentat
des C. Fannius ebendaselbst.
140: Q. Fabius Maximus Servilianus Prokonsul im Jenseitigen
Spanien. Heldentat des Q. Occius ebendaselbst. In der zweiten
Hälfte des Jahres Q. Servilius Caepio Konsul ebendaselbst. Antrag
des Appius Claudius gegen zweimalige Aushebung in einem Jahre.
Interpellation des Volkstribunen Ti. Claudius Asellus beim Aus-
marsch des Konsuls Caepio nach Spanien. Bau der aqua Marcia
auf das Kapitol hinauf.
139: Ermordung des Viriathus.
138: Ablehnung einer Belohnung an die Mörder des Viriathus.
Die Volkstribunen S. Licinius und C. Curatius. Tod eines sehr
populären Volkstribunen. Anklage Scipios gegen L. Cotta.
Der erste Teil der Schrift bildet die Beschreibung und Wieder-
herstellung des Papyrus. Der Verfasser hat an der Hand von
Photographieen und auf Grund von Nachfragen bei Grenfell den
überlieferten Text, namentlich auch die Anzahl der fehlenden
32 Jahresberichte d. Philologe Vereins.
Buchstaben, genauer mitgeteilt, als es in der englischen Ausgabe
der Fall ist. Die Ergänzung und Emendation des Textes hat
Kornemann sehr gefördert, und sein Kommentar enthält alles,
was der Philologe sich ohne diese höchst willkommene Hilfe müh-
sam zusammensuchen mußte. Folgende Kleinigkeiten mögen Er-
wähnung linden.
Z. 3 ist data unrichtig; hier muß wohl ein Abschreiber-
versehen angenommen und (ne)gata gelesen werden; vgl.
Z. 202. — Z. 3 ist maximus allerdings wohl durch das Z. 4
folgende maximus veranlaßt worden, aber dieses Wort hat meiner
Meinung nach nur den Schreiber, als er den dritten Namen ver-
zeichnen wollte, zu dem Versehen verleitet. Zu P. Licinius Crassus
vgl. Z. 59. — Z. 6 ist, wenn 6 Buchstaben fehlen, prohib]uit eine
ziemlich sichere Ergänzung. — Z. 7 kann ich an die Ineinander-
schachtelung zweier Sätze nicht recht glauben. Vielleicht ist
Bononia de sc.ti(s) deducta zu lesen (de sc. Rossbach); das Senats-
konsult wird zweimal bei Livius erwähnt: Kap. 47, 2 und 57, 7.
— Z. 9 wird proposito das Richtige sein; auf die Verschreibung
hat wohl der Anfang des dem Schreiber noch im Ohre tönenden
vorhergehenden Wortes eingewirkt. Nach Z. 163 könnte es auch
abstüi\t heißen; aber bei Livius steht desistere se petüione Glabrio
dixit. — Z. 14 hat Gundermann mit der Annahme, daß der
Schreiber Or(i)giacontis als Name der Frau gefaßt habe, vielleicht
recht, aber wahrscheinlich ist es nicht gerade, und vielleicht hat
uxor vor Or(t)giacontis gestanden und das zweimalige or den Aus-
fall mitveranlaßt. — Z. 15 ist wohl an der Infinitivkonstruktion
Anstoß zu nehmen, wenn sie nicht dem Epitomator aufs Konto
gesetzt werden soll. Eine überzeugende Ergänzung ist nicht ge-
funden und läßt sich auch wohl nicht finden. Ich dachte an
aurutn ad eam [missum] poscentem und nahm an, der Centurio
habe davon gehört, daß an die Frau Lösegeld geschickt worden
sei, und habe es für sich gefordert. — Z. 17 scheint mir re
nicht gerade angezeigt; aber [suum portauit] sind 2 Buchstaben zu
viel, [suum tulit] 1 Buchstabe zu wenig; vielleicht ist mit Grenfell
[secum tulit] zu schreiben. — Z. 20 ist, wie Kornemann vorge-
schlagen hat, permagna p]raeda ex Gallograecia per Thra[eciam]
recht brauchbar, aber Z. 21 vielleicht [abacta] zu ergänzen,
nur ist dieses Wort um 1 Buchstaben zu kurz. — Z. 26 ist durch
ein Versehen in aus der englischen Ausgabe beibehalten worden;
der erübrigte Baum ist durch et zu füllen: Africanus a Quintis
Petilli(i)s die(s) [ei dicta Li]ternum abi(i}t; vgl. Periocha 38. —
Z. 31 Flaminia (via) bezieht sichj aut Liv. Kap. 2 § 6. — Z. 32
ist das Wort hominum an sich und wegen seiner Stellung auf-
fallend; da das t unsicher ist, hieß es vielleicht Latinorum [XII
milia do]mum coacta ab Roma redire; vgl. Livius: domos redierurU.
— Z. 34 habe ich an cum de [G]allograecü im[merito triumph]ar[et\
gedacht, indem ich annahm, zu diesem Urteile (vgl. Liv. 34, 52, 3)
Livius, von H. J. Müller. 33
sei der Epitoraator durch den Bericht des Livius veranlaßt worden
(Kap. 6, 4 — 7,5), wonach dieser Triumph militari magis fävore*
quam populari celeber war und die Freunde des Manlius ad populi
gratiam conciliandam die Ruckzahlung der tributa veranlaßten.
Man ist zunächst geneigt, int[. . . zu in t[riumpho triumph]ar[et] zu
ergänzen, was zu der Buchstabenzahl so ziemlich stimmen wurde
(14 B.), aber nur bei der kühnen Vermutung annehmbar ist, daß
die Worte in triumpho zu früh gebracht, d. h. vor translata erat
(Z. 35) zu stellen sind. Bei translata erat vermißt man diesen
Zusatz nicht gerade (vgl. L. 28, 38, 5 ; 34, 52, 4; 40, 59,2 ; 42,7, 2);
aber er steht doch gewöhnlich daneben. Bei L. 23, 14, 4 ist ver-
mutlich <7n> triumpho zu schreiben. — Z. 41 ist in Italia
überflüssig; es könnte dafür auch ab senatu heißen.' Möglich
wäre auch ab Acidino (oder a L. Manlio) His]pani subacti. — Z. 44
ist der Sachverhalt auf dem Papyrus unzutreffend dargestellt (per- >
suasit ist in keinem Falle ein passender Ausdruck); aber der
Senat bleibt hier wohl besser unerwähnt. Ich glaube an einen
unrichtigen Akkusativ und vermute: his Ma]rcellus persuasit, [ut
domum redirent], — Z. 49 ist K.s Ergänzung sehr brauchbar, nur
daß der absolute Ablativ, um versländlich zu sein, den Zusatz
antea oder paulo ante oder prius erhalten müßte. Wenn nicht
in der Chronologie ein Bedenken liegt, würde ich vorziehen:
Ligures fu[gati. clades ab i]llis accepta. — S. 60 stört f actis, wenn
auch der Schmaus post ludos stattfand; man erwartete cum ludi
funebres fierent,. d. h. das bloße ludis funebribus. Vielleicht hieß,
es: ludis funebribus [epulum factum, in quo] tabernaculis usw. Zu
der relativen Anschließung, aus Livius genommen, vgl. Z. 26, 99(?),
119, 139, 201 (?). — Z. 63—65 scheinen jeder Herstellung zu
spotten. Daß hier der Tod der drei großen Heerführer erwähnt
worden sei, ist eine sehr naheliegende Vermutung (das war ein .
fetter Bissen für einen Epitomator!), und Hannibal, das einzige
Wort, das sich sicher ergänzen läßt, steht in der zweiten Zeile,
also an der zweiten Stelle, wo man ihn erwartet, mag nun,
Philopoemen oder Scipio an erster Stelle genannt gewesen sein.
Aber Z. 64 wird in dim m schwerlich etwas anderes stecken *
als dim[icatu]m, und sieht man bei Livius nach, so findet man im
Kap. 56 nicht nur glückliche Kämpfe mit den Celtiberern, sondern»
auch den Tod Hannibals abermals und allein erwähnt unter Her-
vorhebung des Namens des T. Quinctius Flamininus, cuius in ea
re celebre est nomen. Dies ergibt folgende Ergänzung: t[n Celtiberia
prospere] dim[icatu]m. Han[nibal per T. Quintium] F[laminin]um '
e[xpostulatus se occidit] (den letzten Satz nach dem Vorschlage
von Fuhr). Zum ersten Satz vgl. Z. 125. — Z. 71 ist aus dem
Original wohl deiecit beizubehalten. — Z. 73 empfiehlt sicli, der
Deutlichkeit wegen, venenum statt poculum. — Z. 82 vielleicht
[finitae simultates] nach Livius Kap. 46, 7 ut in isto templo finiatis
simultates und § 11 non modo simultates, sed bella quoque finiuntur.
Jahresberichte XXXI. 3
34 Jahresberichte d. Philoloj. Vereins.
— - JL 90 ist es ein vengebliches Bemühe», aus dem überlieferten
locant auxüiate ttw&s Siangiemäßes heraus telien; es wird wohl
nichts, anderes dArin? steck*« als lotuti auütique (Reid). Dje Ge-
sandtschaft, war grata pätribusi, U daher Auch benig**e audita est («gl.
L«: 1^,9,5); und häufig flautet bei solchen Gesandtschaften das
benigne re$pondere*Mt(L. 27; ,4^7;- 39,.55;;i).. Obige Verbindung
flÄdet -sich .Jtei Urius. 43; 17, 4; ,*-m>Z. 92 vielleicht wioffc tra. —
&95 vialletcht /Hein flösmea?/jer*t. — *Z: 111 gebe ich: der Ergänzung
Rossbfccbs demVoraug, und Z* 113 könnte inan, um einen Buch-
stajbeö au. ersparen, itito «threilitin (mehr als acht Buchstaben
dürfen wahr nicht als fehlend; angenommen werden). — Z. 114 ff.
ist' vieles , unsicher Zu Anfang- fehlen woh I nur- acht Buchstaben ;
vielleicht [bonam eam])legationemdixertint. M« CcAo respondü (von
htar an fehlen am Zeilenanfang Je zehn Buchstaben) [eam nee
copuf]. ne<> ptdesi nee cor habere(nt).> M.Sca[n]tius [grauem pom]am
tulü in istupro deprekentfus]. ■ Die .Annahme einer' ausgefallenen
Zeile (1 Iß a): ist nicht probabel.,—: Z: 118 'würde die vorgeschlagene
Ergänzung besagen, daß Masinissa 44 unechte Kinder hinterlassen
habe; notiko* scheint mir also nicht haltbar zu sein. Etwas
Brauchbares weiß ich zum Ersatz nicht vorzuschlagen; vielleicht
könnte mar* an numer]o danken, da dieser Ausdruck, wenn auch
in anderer Konstruktion, bei Valörius Maximus steht. — » Z. 123
ist die -unter dem Text stehende Vermutung bei weitem vor-
zuziehen.—" 2. 125 [a M.' Mantlio) in Afriea(m) pr[os)pere dimica*
mm [e»]^ DieÄnderung eines Buchstabens ist der Annahme, daß
es 'ein Deponens dimicari gegeben habe, wohl vorzuziehen. Auch
scheint .•«£ tnir r unbedenklich T Z. 88 den richtigen Vornamen
(JMS statt; Af.)> Herzustellen.' — Z. 141 ßcbeint mir iaeta nicht gut
möglich) eher (im Anschluß an Fuhr) fih\is in ineendium se iecit,
m in]poteticUe[m umtvrisumiret], -*- Z. 158 ist ein Ausdruck mit
dem Substantiv contewtio oder contentiones vorzuziehen. — Z. 180
wohl eademque. ~ Z. 2ft4 ist wohl zu lesen: in car$er]e(m)
[c]all[ocarent, utrique] pteeibus populi mü^t]a re\missa]. Freilich
wenn wirklich nur vier Buchstaben fehlen, ist utrique zu lang,
ebenso amböbus, selbst wenn man wie Z. 207 bei omnib die
Abbreviatur ambob annimmt. — * Z. 217 war die Ergänzung der
englischen Forscher trantfiuit] wohl nicht beizubehalten.
Ausländische Literatur, die mir nicht vorgelegen hat.
Livius Book 1, edited by Allkroft «od Mason. Introdaction, text, notes,
vocabulary, and translation. London, Clive. 4,6 Sh.
— Book 6, edited by H. Marshall. Cambridge, University Press. XXXIV
u. 171 S. 12. With maps. 2,6 Sh.
— Libri 21, 22. Tradazione di L. Mabil, rivedata etc. da T. Gironi.
Vgl. Riv. di fil. XXXII S. 339.
Liviavvod H. i*. MäHer. » * 35
II. Beiträge zur Kritik und Erklärung .*\'
13) 2". Betone, j^y« 1904 S. 242. * . ' , i , ■ >
34, 32,13 habe ich JB, 1903 S; 19 die von Bd<s*i<;> Vor-
genommene Änderung von vos in nos ab unnötig bezeichnet, zu-
mal das zweifelnde ut tarn ila stnt haec nicht recht dazu passe.
Diesen zweifelnden Sinn will aber Baurjg hier, wie er jetzt her-
vorhebt, nicht annehmen; er verwaist auf die von 'FÖTCellini-
de Vit unter iam zitierten Stellen,' besonders auf Ovid A.A. 3, W
(verglichen mit V. 31). i
14) Die V erba affinere ond afluere. •,.. ,
Der 1. Band des Thesaurus bringt Sp. 1250 das Verb afluere
in der eigentlichen und einzigen Bedeutung = dnofäsZ» mit' der
Bemerkung, daß dieses Wort 4propter confusionem cum adfluere '■
außer Gebrauch gekommen und durch effluere, defluere und &tin->
liehe Ausdrucke ersetzt worden sei. Unter ajfluere wird gesagt:
4non confudendum est cum afluo änofätco'; endlich heißt 4s
am Schluß des Artikels afluo> die angeführten Beispiele seien
nicht 'extra omnem dubitationem positaV In der Bedeutung von
abundare wird nur die Form afluere angenommen und also
Stöcklein recht gegeben, der im Programm von Dillenburg 1894
S. 31 ff. sich gegen die Ansicht Dombarts (N. Jahrbucher 1877"
S. 341 ff.) ausgesprochen hat. Auf Sp. 1242 ff. wird das gesamte
Stellenmaterial vorgeführt und dabei angegeben, wo das Wort mit'
einem f geschrieben erscheint. Daß dies läuter Verschreibtingen
sind, ist ja möglich; aber auch das umgekehrte Verhältnis läßt sich
denken, ja dieses ist von vornherein eher denkbar; weil die An-
nahme näher liegt, daß das seltene Wort dem häufiger angewandten
zum Opfer gefallen sei. Bemerkenswert ist jedenfalls, daß bei
Livius die Hss. entweder adfluere = „zuströmen44 oder afluere =
„reichlich vorhanden Sein" bieten. Ich kann Fugner nur bei-
stimmen, wenn er im Lexicon Livianum I Sp. 532 und 729 diese
Scheidung beibehalten und ein Verb affinere überhaupt unerwähnt •
gelassen hat, und ich glaube nicht, daß die zuerst von Aischefski ur
den Livius- Text eingeführte und von späteren Herausgebern bei-
behaltene Schreibweise wieder verschwinden wird. Mich hat
Dombart, der diese Frage mit großem Scharfsinn behandelt hat,
überzeugt, daß afluere^ genau ebenso gebildet wie ab-undare, in
gleichem Sinne wie dieses gebraucht worden ist. Aber es scheint,
daß eine schlechte Aussprache und häufige Verschreibüng schon ,
früh (etwa zu Ciceros Zeit) das Bewußtsein von der Verschieden- ,
heit der beiden Verha getrübt und zu der Vorherrschaft von
affinere im Sinne von abundare geführt hat. Das schließt natürlich •
die Möglichkeit nicht aus, daß der Unterschied manchem Schrift- j
steiler bewußt geblieben und im Ausdruck von ihm festgehalten
worden ist, wie ich es z. B. für Livius annehme. Darum wird *
3*
3ß Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
es wohl das richtigste sein, den Hss. zu folgen und trotz der
an sich wahrscheinlichen Vermutung, daß nur gedankenlose Ab-
schreiber hier und da das richtige afluere festgehalten haben, von.
der Abänderung eines überlieferten affinere in der Bedeutung von
abundare Abstand zu nehmen1).,
15) Nachträglich habe ich eine ausgezeichnete lexikalisch- sema
siologische Untersuchung zu erwähnen, die auf einem begrenzten.
Gebiete den Sprachgebrauch der Schriftsteller von der ältesten
Zeit bis Apulejus endgültig feststellt:
K. Reissinger, Ober Bedeutung und Verwendung der Prä-
positionen ob und propter. Teil I. Progr. Landau 1807, 82 S.
8. — Teil II. Progr. Speyer 1900, 63 S. 8.
Von Livius im besonderen wird II S. 4—11 und S. 48 ge-
handelt und weiter im Zusammenhange mit den anderen Schrift-,
stellern in dem ganzen zweiten Teile.
1. Die Grundbedeutung (räumlich, ob = entgegen, propter =
neben) findet sich bei ob, außer obviam, in der Formel ob oculos
an zwei St., propter an fünf St.
2. Die „geschäftliche" Bedeutung von ob (Begriff der Ver-
geltung: zum Lohn für, zum Dank für, zur Strafe für usw.) an
43 St (2, 23, 1 zeigt den Unterschied zwischen diesem ob und
dem rein kausalen propter recht deutlich); daß diese Bedeutung
aber allmählich verblaßte, erhellt aus 10, 44, § 4 verglichen mit
§ 5, wo wir das ob nicht, wie gewöhnlich, durch pro, sondern
durch propter ersetzt finden.
3. In kausaler Bedeutung gebraucht Livius propter 153 mal
neben zahlreichen Fällen, wo er ob gewählt hat. Eine auch
wegen der Wortstellung auffallende Ausdrucksweise ist 23,15,9
ob eins gratiam meriti*), ein Pleonasmus (statt ob id meritum), der
als Vulgarismus anzusehen ist und nach Ansicht des Verfassers
zu dem gegen den Schriftsteller erhobenen Vorwurf der Patavinität
mit Anlaß gegeben hat. Bemerkenswert ist auch 5, 4, 11 ob unam
mulierem als erstes Beispiel für kausales ob bei einer Personen-
b$zeichnung ohne beigefügtes Part. Perf. Pass. (letztere Ausdrucks-
weise, bei Cicero nur in der Formel ob res gestas begegnend,
findet sich bei Livius häufig, mit ob und propter gleich oft). Eine
Erklärung für obige Ausnahme findet der Verf. in der vom Schrift-
steller „offenbar beabsichtigten Alliteration oppugnala ob".
') Im Thesaurus-Artikel werden Sp. 1242, 25 zwei Livius-Stellen ge-
nannt, an denen ßffluo mit nur einem /"überliefert ist. Dennoch wird die
erste Stelle (3, 26, 7) anf derselben Spalte Z. 80 mit der La. affluant, die
zweite auf der folgenden Spalte Z. 23 mit der La. affluü zitiert (versehent-
lich Z. 54 noch einmal, hier aber in richtiger Schreibweise). Ebenso wird
Sp. 1242, 80 das dritte Beispiel (23, 4, 4) mit der La. adßuenti gegeben, wo
der Pnteaoeus aßuenti hat.
*) Diese gesuchte Wortstellung rührt vielleicht von einem Abschreiber
her (statt ob eixu merüi causam);. doch ygl. z. B. 39, 56,7.
Livius, von H. J. Müller. 37
Reissinger hat den Gesichtspunkt der historischen Eütwicke-
lung streng durchgeführt und so eine großartige Vorarbeit für
den Thesaurus geliefert.
16) F. Dusaoek, De formis enantiationam condicioaalium apad
Liviam (ConcJasio). Ceske museum filolegicke IX S. 162 — 221.
Den ersten Teil dieser vortrefflichen Abhandlung habe ich im
vorigen Jahrgange dieser Zeitschrift (JB. 1904 S. 26) angezeigt;
alles, was ich dort gesagt habe, findet auch auf den vorliegenden
Schlußteil Anwendung. Überall wird die einschlägige Literatur
genau berücksichtigt und sogar sorgfältig nachgeprüft, ob die von
den Grammatikern und Herausgebern zum Vergleiche angeführten
- Beispiele passen. Das führt zu zahlreichen Berichtigungen (Streichun-
gen und Ergänzungen), namentlich auch in dem Kommentar von
Weißenborn, der ja umfangreiche Stellensammlungen liebt und,
wie bekannt, es häufig dem Benutzer seiner Ausgabe überläßt,
sich aus dem ihm gebotenen reichhaltigen Material das wirklich
Passende auszusuchen. Ich habe in den von mir bearbeiteten
Teilen dieser Ausgabe vieles als nicht hingehörig getilgt; anderes
war infolge Änderung der La. im Text überflüssig und hinfällig
geworden; aber es blieb doch noch einiges zu verbessern, und
darauf hat D. in dankenswerter Weise aufmerksam gemacht. Auch
manche von den Herausgebern festgehaltene auffällige Verbalform,
die eine gezwungene Erklärung nötig machte, hat er kurzer Hand
berichtigt, wozu er auf Grund seiner Sammlungen und Dar-
legungen an den meisten Stellen, wie es mir scheint, berechtigt
war. Er glaubt, daß geschrieben werden muß:
2, 15, 4 velit. — 10, 39, 9 laxamenti esset. — 22, 32, 8 iudica-
vissent oder: dnxissent; dignos se iudicarent. — 23, 15, 4 re-
mansissent. — 24, 48, 3 referrent. — 28, 34, 10 malint. — 32,7, 11
vellet; 34,11 possint. — 33,12,4 velit. — 34,57,7 vellet;
8 possessio esset; Antiochus sit. — 35, 12, 8 transmitterent. —
38, 8, 10 velint. — 40, 55, 3 insidiis sü. — 42, 23, 4 pellant;
36, 3 revocarentur; 62, 6 factum esset. — 43, 5, 6 satis fieret. —
44,37,7 mirentur. [Das Verzeichnis auf S. 217 ist weder voll-
ständig noch in den Zahlen genau, auch vermißt man eine An*
gäbe der Seiten, wo von den einzelnen Stellen die Rede ge-
wesen ist.]
Die Abhandlung ist klar disponiert, so daß man sich leicht
in ihr zurechtfindet und sich schnell über das, was man sucht,
orientieren kann. Sehr gut wird z. ß. über den Nachsatz einer
irrealen Bedingungsperiode, der zu einem abhängigen Nebensatze
geworden ist, gehandelt (S. 174 f.), und bemerkenswert ist die
Tatsache, daß Livius nur an drei Stellen den Infinitiv des Futurums
durch fore tu oder futurum esse ut umschrieben hat: 4,7,6 fore
' ut postmodo gaudeant; 27, 17, 4 fore ut suäe res fluerent; 41, 8, 7
f%Uurum ut deserti agri nullum militem dare possint. Am Schluß
; 38 JahresfrerS^hUtfl.iPbiLalog. Vereins.
-^rdvin^ T^feeüenflaPrti über das VorJtömm^n der einzelne^ Aus-
<drutk$airteri z^hienniaßtge Auskunft gegeben, zum. Teil unter
Scheidung nach Dekaden. ; /. ; »: t .>\,
Störend ist, daß die runden und eckigen Klammern nicht in
gWcbifläßlffet- Weise angewandt' und im Text- ziir Bezeichnurig
ergänzter ; W&rter oder Silben nicht '^-> gebraucht * worden sind.
17) E, ß. Lease. Livy äuse qf arüni, eruht
1 1 a n d ere. American Journal
t! •'"" "•■■ " ' 'r r '" ' ' ' 7" •'"' " '"
.Pil .. ., ....
,h : ..JNene UJ8SV.19^. ist, [^zureichend;-, ^r ^beröcksitßbtjgt für ^ere
ji^IqÄ*, B-l^JI ,':• ,|«PV/ "4iexv a^oiTiin ,ihu>4i> 4?i7# kder möglichen Fälle e*;-
/scheint,, während Jn B« 2:, 73,6,%, in B, 3; 77,2lrin B, 4; 6441
j7in Br'6k;^7^ ,ztt>, gelegen, ^4r Sejne Statistik, ist ^ußerdefi
iDJcht fz«verlässjg,M ..,/u .1 •.;, .-,.■». ■,.iV.ll»:»Mt r,f rv ., :■;> ».;..-,
V.: . liivius? Stil haj;,,^ich vog;i der ^;;a.lDekftcte ab geändert (Arch.
ii'tiUt. L^x, 4t >#Q71- >und JQ, 64Q» auch ia,bezug :auf _«re* in
;^r;f^»el|.:,.ar^^^H!'i*'4flr 3.* 25,7% ja der 4.;,13£-&
..(^q, immer i um die, Hälfte weniger), Eine Tafel für dief: einzelnen
/, ., JBGme,rkenswt Jst;> K YQriiehe für ßre in B- l — 6:ä?,65,9#
f(inr 7^J0,nur38,l^ ; , ,. ■:: .-^. o; ./.,,.?:■ >f .'.•-.. v,....
"; „ ^ i? B- 1: 73,ßl; ia B. $: 77a%%J-^m B. ?6; 6$1 in
;JB,39; 4& in B. 41: nur. 3,31 ,, : -, ■.» i .-•..»
,(1 3lVin der 5. Dekade .nicht um die Hälfte weniger, im Vsr-
. jiSItois „zur 4* (313,5 ^), sonder n=^j 10,1,1 » , ; •
4. der Verf. der Perjochae brauch! ere gelten« in der 1. Dek. :
JW?., 54,71 Per.: 17,61,111,^ 2Jr-45k:^iv- 19^*M Per. nicht
ejnmal; ; Per. hat ypn 9-rl43 es iiür einmal ja .116:/ pratstitere.
t r : I, Allgemeine Bemerkungen. Föf, das Nachlassen, sind drei
Faktoren in Betracht zuziehen; \;-: v \.,,,H rj f (. , *^"
^^^^^j^^cb^r^iD^ß der /Quellen .läßt nacfe; gtigtei.Q^ die
^n ßejr/po^tisjhe Einfluß ,{GfWU9* ?upd JtergjU *Ygl* Anibjv
(JO,170 .wird ^ ^n)ji4lim4hl}plt.0^^ndeQ4\Pg«i{|i Stil wird
prosaischer njadkl^isqher,, c ;tA'S n*i< ,,. -^r ;-.%'j':
?,y , 3.; Ö^gegeij, isp 4er Einfluß tdes sermo famiUacis^b^leUqei};
das Bellum Africanum, das Bellum Hispaniense und Petron be-
• ^WW?eH»:;^ d^R- i^iWt.f^iB." voUp* -fVl?™ . vorgewogen r wuwlv/sq.,(taß die
..^ien^erß W Anfang7<l^ü picfets^zw |qa habejn.;. ,1/0 » «t ,.
V," (.:".. .Uv^9V.^ts^^^wcli\Kla««i^t . des * Ausdrucks ist a^.d^s
,,En^pbe4denn>. ,, Das, ^.tr^n.» nacfe Atwe$iUqhun$ iteni, zuliebe
>tor ere iangewan^t^atte, tritt d9gege^h.ro^r:^nd-^ehr<^iirji^.
^ueh^^r fth^b,miUÄ £Cjfirden,,Kujr^tprps^ .93§),up4 der Anf§n^s-
Hbach6tab% d es, ifQlgeijde^, Wurfes ^tt^n, keipea JSinflLuß,^ >k. Dngeg^n
-will LjLviu^^dfi^r.Reim yve$mejde$ aiqd ^seUt. dam ,W 4fäßnte*in*r
ii^eriod^^ie 1^405^, wyt.J .v,v4^ c— r.;,-^ . , ■: • >»?. - •
Li vi üb, rai H. J:MülUc j^Q
II. Gebrauch im: mmelnw* 1. 1 1 Yerba; der t.'Jton}- haben
«fcenWr48& artmt 25 <& \avvre 27% :[abdico,.crko, comparo, con-
tlamo, impetro,* curüy hco,.muio^ nuntio, pugnoi tarfo], desgl., hat
tttfgueo drei Formen, audia yiQr/[audweruiUAn^\ißudieruntlm&\^
a**dn?«r? 5 mal, atcdteri Am*}]; *. :. /( V' : j ^ ^ » -L
2. Verba auf Zo und ro ziehea die Endung rwn* per. nvr
3. JNach der t. Dekade ist arfcitf häubger<als averunts
4; In der 1. Kqnj;, weiden Formen des Perfekts vermiede«,
die mit.vdeni inünitiv • glekhjauteny iwjht ab«iHn der 2. Und: 3.
[so wtkre> JO mal, movere, und Komposita' &mz\^ irividere;'incideYt,
5. Bimge Verba Kp/oo* owttö) kbrocneü ifrdilesen Jfonnehinur
ab Komposita von; O r» • •;{'/*. >. -'..-t ?! . i .-. i?v ;;;:£ •?>'??•? ^- J
.. 6, Volo und »seine -KtätnpoaiW haben nui*. die F*ttn auf jtaftf
(volo 7mal, noZo 2mal, wa/o 6 mal). e.-»-:
... . - ?* - Kömposita zidieu die, rollere Form vöF(nameniüch bei
ntrofro, judOi ducOr ÄH*fy>, «o,- 'Wfriia)& > ■ <• w -.5 j mj; 'i ^ ,i v.:.
' 8*:r-Ääwr«ia i&t bau-bg^l- ai*/!Htie^,außer.<;bpii7we3nfo^ </-::,
••; 9/ Perfekta miü *• (bs,.a?) <riöhe«to,enmt vor; ^> l.:,^'4
■V • - 10, 'futore ist ?die. häufigste #or» auf <?re. * » ••> v; ■»., /.v ^ i
18);R.,B. SU«Je, TJie, M5t^rr»c*l:,»tt^»d^i^t<Ü.v^ Xhe Anbriet«
, . . Jouraal^f ^»fl|f «J-juif *Y «X1^4): , ^Mp**-. : ..*: ,^J /. t- ,,* » ';
Tief religiös, Meipeugter ,Replublifcai^r, ßiekt 'phöe ürätikiifi
fe*zug auf eiAige^Purikte? dfenaltesten G^chichte»(I{ 1^,^; % 40, 1 1 ;
2, 14, 3), KönsUer ; aber doeh io öiiteE linie -ffisteürike^iiüiiMiJt
ohne Ahnung, welcbe-iAiudehnung «eiB'WeffksnebmjBB,^vftrde,i-^-
so tritt uns Livius entgegen. Originale Dokumente hat er wenig
benutzt; der ^and ftoms und später die ^Bürgerkriege : haben das
meiste vernichtet. Er "war sich dJer- Unsicherheit und 'teil weisen
Unwahrheit der anua]isMsc)ie{i Überiie&^un^iVoJ Hemmen bewußt:
e* wußten daß Ppssia (fraef- 6), falsche* llrt<# 1^:8^),. ErfinnJiuipg
(8, &, 3),, foniihqotradition (8, 4Q, A); ^^.ÜierlÄeferoiig' trflbt^,
dijß Statuen , und Ityonumen^ noch: keine Fakta , verbürgen, JMjid
erfundene fledeß an die Stelle wirklieh gehaltener treten kgqngn
{38,, 56, 3) und da$ die Anpalisjtea^icb wider&precbepi . ..;■,,;.,
livius. zitiert ii»mer.^nur ^apn» ,wijnn^ ent\v«der -g^p& b$r
sondere einzfJn. s^hepde Fakta(,,z0: er wähnen, sind,, V>ü?r mm
^eine Quellea au^nanderge^eji nnd( er selbsi d^ V6Tan^or(ung
nicbt, überne^Hi^-will; seiq^e Zitate sind kw^w.egs eiaM^ß^b
der Abhängigkeit. Er bemüht sieb, :6d^|äridig^u uj^t^efl,trrr
aber in Zweifelfällen mit Vorsicht. Daher seine vielen, besonders
in cter: W,Dek9de[;lQ61 m Ä1r(Mn4*I und;2*inrde^ an4wenidr«i
Dekaden; vgl. Arohnv '10 v 80/^1] hervori#et©r»deri Selbsteitate : sie
beweiset den ZVerfeÜr'n tJetZuv^rlä^sigkefft det-Ö^llen;
seia ßigeneß Urteil > muß einfrete»..' Dieses' .pensöalifcheTüteil tritt
oft:< ia urtperäQnUohQn' Auarfrufcßken irehriwS <Ue «iSiea<(skflptrschen
40 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Anstrich geben sollen (dicitur, fertur, traditur, memorare, prodere,
credere u. a.). Eine positive Begutachtung des Quellenbefundes
liegt in constat oder discrepat mit Negation, eine kritische in partim
certum est (parum liquet) und quis pro certo adfirmet? Andere
Nuancen ergeben die Adjektiva probabile, proximum vero, propim
vero, magis veri simile, verius u. a.
Besonders behandelt werden nun Zitat-Einleitungen und eigene
Urteilsnuancen, die bestimmt werden durch fabula, fama, memoria,
annales, auctor und auctores, scriptores, alü, quidam, sunt qui, plerique,
alibi. .alibi. Dann werden die einzelnen Autoren und die Art, wie
sie zitiert werden, besprochen, und zwar: Pabius, L. Cincius Ali-
mentus, C. Acilius, Cato, L. Calpurnius Piso, Censorius Frugi,
L. Coelius Antipater, P. Rutilius Rufus, Q. Claudius Quadrigarius,
Valerius Antias, Macer, Q. Aelius Tubero, C. Clodius Licinius,
Cincius.
Als ein weiteres Mittel, eigenes Urteil einfließen zu
lassen, gebraucht Livius: 1. ho die, nunc (zum Unterschied in geo-
graphischen, religiösen, politischen Dingen, — denselben Zweck
verfolgen aetas und saeculum und oft der Ind. Praes. — ), nuper
tum, tune, primus, primum, ante, antea (mit Negation), tempus
tempestas; — 2. parenthetische Vergleiche: ut fit, ut solet, mos est
u.a.; — 3. rhetorische, an den Leser gerichtete Wendungen im
Präsens, Perfekt, Imperfekt: er will ihn dadurch gewissermaßen
zum Bekräftigen des eigenen Urteils stempeln.
Alle diese Dinge zeugen von der Einsicht des Livius in die
Dürftigkeit und Unzuverlässigkeit seiner Quellen und für seinen
Mut, es einzugestehen, statt es zu bemänteln.
19) F. Leo, Livius und Horaz über die Vorgeschichte des römi-
schen Dramas. Hermes 1904 S. 63— 77.
Der Amerikaner Hendrickson hat in zwei sehr grundlichen
Abhandlungen den Nachweis geführt, erstens daß der Bericht des
Livius (VII 2) mit Aristoteles und der peripatetischen Literar-
geschichte zusammenhängt, und zweitens daß weder Livius noch
Horaz (Ep. II 1, 139 (f.) Varronische Lehre wiedergibt. Die Ho-
razische Darstellung sei vielmehr vorvarronisch. Diesem Resultat
stimmt Leo zu. Auch der Inhalt des Livius-Kapitels kann vor-
varronisch sein, und Hendrickson versucht darzutun, daß dies der
Fall sei, indem er die beiden Berichte identifiziert und beide
direkt auf Accius' Didascalica zurückführt. Dies erweist Leo als
einen mißglückten Versuch.
20) L. Walker, Die geschichtliche Entwicklung des Prodigien-
wesens bei den Römern. Studien zur Geschichte und Ober-
lieferung der Staatqprodigien. Diss. Leipzig 1903. 103 S. 8.
Ein Prodigium ist ein naturwidriges oder außergewöhnliches
Vorkommnis, das als Zeichen göttlichen Zornes gilt {ein ,.gutes"
Livius, von H. J. Möller. 41
Prodigium ist also ein Widerspruch in sich selbst; prodigium von
einem guten Vorzeichen gesagt, ist ungenauer Sprachgebrauch; eine
farblose Auffassung des Prodigienbegrifles ist der späteren Zeit eigen).
Ein Staatsprodigium (prodigium publicum) weist darauf hin, daß
das normale Verhältnis zwischen Gottheit und Gemeinde gestört
ist ; es ereignet sich in agro publico (vom ursprünglichen ager Ro-
manus auf die italischen Burgergemeinden ausgedehnt und seit
dem Bundesgenossenkriege ganz Italien umfassend) und wird von
Staats wegen gesühnt. Bei dieser Festsetzung des Begriffes „Staats*
prodigium'4 vermag der Verf. die Prodigien nichts laatlichen Cha-
rakters und prodigienähnlicbe Wunder in klarer Weise abzusondern.
Der Inhalt der Abhandlung ist folgender: Verzeichnis der
Staatsprodigien (S. 6 — 26) ; Behandlung der Staatsprodigien (S. 26
—29); Gutachten betreffs der Sühnung (S. 29-37); die Sühn-
mittel (S. 39— 50); Aufzeichnung und Überlieferung der Staats-
prodigien (S. 50 — 70); Geschichte des Prodigienglaubens (S. 70
— 75); die Schriftsteiler in ihrer Bedeutung für die Prodigien-
überlieferung (S. 76—85); chronologisches Verzeichnis der Pro-
digienberichte (S. 86 — 92); Register der Stellen, wo Prodigien an-
geführt werden (S. 92 — 94); Verzeichnis der Orte, wo Staats-
prodigien vorgekommen sind (S. 94 — 101); Anhang: Die Ent-
stehung der Sibyllinischen Bücher (S. 101 — 103).
Das ungeheure Material bat der Verf. mit großem Fleiße zu-
sammengetragen, gesichtet, geordnet und mit gesundem urteil
besprochen. Manche Bemerkung und Auffassung anderer Ge-
lehrten wird berichtigt oder ergänzt oder widerlegt und das Ganze
so gründlich und sorgfältig behandelt, daß der Leser den Aus-
führungen mit großem Interesse folgt und aus ihnen viel Be-
lehrung schöpft.
Die beste Quelle ist Livius; sein Wert liegt in der regel-
mäßigen Berichterstattung, die indirekt (durch die Annalisten) auf
die pontifikale Chronik zurückgeht. Seine Angaben reichen von
218—167 v. Chr.; für die folgende und einen Teil der vorher-
gehenden Zeit bieten die Schriftsteller, die aus der sogenannten
Epitome Liviana geschöpft haben, Ersatz.
S. 84 Z. 15 steht Caelius (st. Coelius).
21) F. Lnterbacher, Der Prodigieoglaube und Prodigienstil der
Römer. Eioe historisch -philologische Abhaodluog io neuer Be-
arbeitung. Beilage zum Jahresbericht über das Gymnasium in Burg-
dorf. Burgdorf 1904, C. Laoglois ft Cie. 69 S. 8.
Die vorliegende Schrift ist die zweite Auflage einer im Jahre
1880 erschienenen Programmabhandlung, die seit Jahren ver-
griffen, aber immer aufs neue verlangt worden war. Eine seltene
Ausnahme von der Regel, daß die in Schulprogrammen nieder-
gelegte wissenschaftliche Arbeit vergraben und der Vergessenheit
geweiht ist. Freilich die gediegene Abhandlung fand bei der Kritik
allseitige und verdiente Anerkennung (vgl. JB. 1881 S. 184 f.).
42 Jahr e sb e ri t h t e I. P h i l ö \<*g. • V^e r e i n s.
Jetzt hebt der Vecf, selbst hervor; daß täele Angaben des Sehnft-
chens nicht >mehr antreffend gfeweäe» seien nnd daß er aufe- der
Benutzung der DisseKation von L. Wölket ,;g#riten Nutzen ' tiöii
infrnche Berichtiguiag gezogen habe*, Wölker* Angabe« fibertfnister-
nisse entbehren dei* Zuverlässigkeit, weil w das Progr&ttHn Von
Tri est 1884: „Sämtliche bei griechischen und lateinischen Schrift-
stellern des Altertums erwfihnteSoiineh- iind Mondfiöstörnisse, nftti
berechnet von 'G. Hofma*nu nicht kannte (HofitfiaM0lrat seifet
n^ mehrere Erwähnungen voü Finstermdseri übersehen). *' Luter-
bacher hat „jene/ Marksteine . der Antiken Chronologie'* äuöftifttt-
licher mitgeteilt,' als es eigentlich für die ^rodigienkunde nötig
war, wie er auch ' son«t öbei* die Stäatsßrodigien hinausgegangen
i^t, um Ansichten der Gelehrten über bestimmte Pitnktölzü be-
leuchten;- .'<-■ ■' ^ ■■■ : ■'■■•' •'■ "^ "'" '-J '••■> ■'•"•' ■"' '■'■
Die Abhandlung ist folgendermaßen gegliedert: Bedeutung
fder Prodigien (S.<&*^9J; Aufzeichnung und Überlieferung der Pi'q-
dtgim (S »—18); die wichtigsten Prodigieh (S. 1«— 29); Unter-
scheidung der Prodigien in staatliche und private (S* 29^3&);
Sühnung der Prodigien (S. 33—43); der Prodigiensül (S. 43^-605;
Liviu*" Quellen für die Pfödigien (S. 60— 69). • ^
- Dre äußerst reichhaltige Abhandlung nimmt vielfach auf
Wülkers Aufstellungen Bezug, beistimmend öder ablehnend (iL ß.
wird Wülkers Abgrenzung* de* Begriffes „Staatsprddigiurn1' an-
gefochten). Beide Schriften ergänzen sich zu einer Darstellung
des gesamten Prodigienwesenö, in der man schwerlich etwas ver-
missen wird, Alle schwierigen Stellen finden eine- sachgemäße
Erörterung, wobei voirLtb. auch der Stil und die Attsdrufcksweiee
unter die Lupe genommen und an vielen Steifen eine einleuchtende
Änderung des überlieferten Wortlautes, namentlich bei Livius und
Öbsequens^ vorgeschlagen wird. '• •-..: '
$2) P. AzaD, Aaoibal dans 1 es Alpes» Ouvraffe reufermaot dix-sept
car,tes et <six Photographie s. Paris 1 902, Picard , et fils» * 234- S.
•'' '/ £r. 8. 6 fr. v ; ' '; • ( , ' *. ' ;■
' Über diese Schrift, die mir nicht vorgelegen hat, urteilt der
Beferent im Lit. Zentralbl. 1904 Sp.7Ö9, daß; ihr Verfasser ' nicht
nur in militärischen Dingen gute Sachkenntnis' beweise, sondern
auch in phiioJogicis .sich, gut beschlagen .: zeige. Auch er ent-
scheidet sich wie W/ Oslander, dem er aber "in Einzelheiten wider-
spricht, für den 'Mp Cenis, indem er Polybius zum Führet nimmt.
Schwierigkeiten machen ihm die ' Worte riccg ayxov %bv nozapov,
und er sieht sich gezwungen, diesen Worten zum Trotz tiannibal
die Isere aufwärts marschieren zu lassen,. ,,Diesen Widerspruch
Hii lösen, wagt er'dle terä^
eben die Rbohe gewesen". Der Begründung dieser cbnjecture, ist
'der zweite teit des Buches . gewidmet (S. ; 1 59—2 18) *). ? ' '
i ; ;*i) Wäbr^d de^ Kot i'ektai1 ^iesW Berichtet t*t tfüe JBe4j>refebi*ag der
,23) Jopef Fuchs, H*;flnih«L inf Miitejitftlieifc Mit eio^m Plan der
Schlacht am Trasiinenersee., Wien 1904^ Selbstverlag. 36 S. Vj8.
;'■ ' (S.-A. aus den Wiener Studien $CVI, Heft \.) , "," .. ,,.i
' *", Seit Nissen vor vierzig Jahren die, Frage, über die Vorgänge
am Träsimenischea See im $hejnischen Museum aufgerollt b^t,
kann sie nicht zur Ruhe kommen; jede Publikation bringt ejn
neues Schlachtfeld oder . eine nei^e Kombination in der SteUunig
der Truppen, wobei entwedec Liviiis oder Pojybius als , unmaß-
geblich zurückgewiesen oder» wenn, mau Wide heranzieht, , e}ne
subjektivet Auswahl 'ihrer Notizen getrofleji wird. Dieses Ergebnis
de> Forschung ist unerfreulich für die Üeschjchtschreibung nic|it
weniger als für die Schule und für die Kriegsgeschichte. D^r
Verfasser1) aber sucht zu erweisen, daß zwischen Polybias uijd
Xivius Übereinstimmung herrscht, und fuhrt, dies in. geistvoller»
den Stemper der Wahrheit an sich tragender Weise durch.! Ich
£ebe im folgenden ein ausfuhrliches Referat) damit die Leser in
der Lage sind, dep Ausführungen des Verfassers* der daß Gelände
zu wiederholten Malen persönlich- untersucht haj, bis ins kleinste
zu folgen. Die Abhandlung ist lebendig geschrieben, sie zeigt
überall die durch Autopsie und ernstes Nachdenken gewonnene
•Sicherheit und ist allep, die sich mit topographische*! Frage,u
dieser Art beschäftigen, ernstlich zu empfehlen. ,i,
Der See liegt ca. 40 km südlich von.Arezzo; e,r ist von
einem kränze von Bergen, umgebep, die im Westen bedeutend
niedriger sin^ und die nordwestliche Ecke völlig freigehen; ejn
eheher Streifen von wechselnder Breite im Norden verbindet mit
der starken Eirisattelu.no; des Passes Colognola im, Nordosten d$s
TqT dejr Chiana mit der Caina und dem Tiber, mit der via
Fläminia und so militärisch mit Rom. Zum Verständnis dafür,
wie der genannte See der Schauplatz der römischen Katastrophe
wurde, wird vom Verf. der Agenninü herging gestreift;, auch hier
könne man sich mittelen Annahmen der, heutigen Ueschicty-
r Schreibung nicht befreunden, sie seien den Quellen zuwiderlaufend
und den Lehren der Kriegskunst verdächtig. Die heutigen G^-
^schichlschreiber behaupten, Hännibal habe den Apennin auf einem
der, westlichen Pässe überschritten, weil er, um den Übergang
nicht durch Kämpfe zu; erzvvingen* ihn «möglichst fern vom Feinde
bewerkstelligen mußte. Dies.e MQtivieri|hg paßt für die Westalp^n
."mit den ' konzentrisch .mündenden Tälern, und dem steilen F^ll
gegen Osten, nicht aber für den Apennin, der, in seiner Gestaltung
dien Defensivraum teilt und auch durch seinen flachen Verlauf* den
. Angrj/T auf Mittelitalien erleichtert, x Djese Erwägung Ut, kein Beweis,
sie verpflichtet nur zu genauerei; Betrachtung der« Quellen. - ■ . \
Attänsthlo Schrift hei 'der Redaktion* der Z.' f. *. GW. eingegangen, fch
bringe sie1 als Anhang dieses1 Jahresberichte* zum Abdruck. ' , ■ -' . ,ft
r [ V l) Pemse]be,a Verfasser,, verdaikea., wir, die, erste au.sfiibrlajhe BehqQtl-
lung der' Frage, auf welchem Wege Hännibal die Alpen überschritten hat;
vgl. JB. 1898 S. 21-29/ " l «^ ' - ' «■-' «
44 Jahresberichte d. Philolog. Vereios.
Nach der Bemerkung des Polybius III 77, 1, daß der eine
Konsal bei Arezzo stehe, ist die Notiz 78, 6, daß Hannibal einen
kurzen Weg ins feindliche Gebiet gewählt habe, gewiß auffallend;
denn je westlicher der Weg führt, um so länger ist er. Die
weitere Notiz, daß die Leute Uannibals mit Schrecken an die
bodenlosen Stellen auf dem Wege dachten, deutet auf das Sumpf*
gebiet des westlichen Toskana hin. Hannibal aber hatte einen
andern Weg im Auge, einen Weg, der wohl unter Wasser
stand, doch festen Grund hatte: nag %iq vqtoQcipwog ßaQa&Qjx
xal rovg fopyadeig x&v tonw *Awißag 31 inifjLsXcog ifyra-
xdg zeyaycodeig xal dteqeovg vnaqxovtag rovg xaxa %i\v
diodov Tonovg. Nach Überwindung der Sumpfe sodann gewinnt
Hannibal Fühlung mit dem Feinde, der bei Arezzo stand, ohne
daß des Arno erwähnt wird. Dieser um jene Jahreszeit an-
geschwollene Fluß hätte aber, zumal nach dem anstrengenden
Marsche durch die Sumpfe und in der Nähe des Feindes, ohne
genaue und umständliche Vorbereitung nicht überschritten werden
können, er durfte also nicht ohne Erwähnung bleiben und hätte
mindestens die Bemerkung duxßäg %ov noxapiv veranlassen
müssen. Hannibal erhält ferner 80, 1 — 2 nach der Überwindung
der Sümpfe und ohne weiter zu marschieren genaue Kunde von
der Anwesenheit der Römer bei Arezzo und schlägt daraufhin
an den Sümpfen ein Lager auf; das ist nicht möglich, wenn das
Ende der Sümpfe bei Fiesole (Florenz) liegt, es ist nur möglich,
wenn die Sümpfe in der Nähe und vor Arezzo enden. Auch die
Absiebt Hannibals, die Römer vom Lager aus genauer zu be-
obachten, ist nur verständlich, wenn das Ende der Sümpfe nahe
bei Arezzo gesucht wird. Das Sumpfgebiet fallt also mit dem
Inundationsgebiet des oberen Arno zusammen.
Hiermit stimmt Livius. Dieser führt die Sümpfe auf eine
ungewöhnliche Überschwemmung des Arno zurück XXII 2 ; aber
der Arno wird nicht überschritten, Livius spricht sofort vom
Flusse, nicht erst von den Sümpfen, er spricht nur von Kot und
Morast, nicht vom tiefen Flußbett, nicht von Ertrinkenden. . Er
kündigt aber auch einen Marsch längs der Sümpfe, nicht quer
durch die Sümpfe an; denn der abl. viae viam petit, qua Arnus
solito magis inundaverat gibt die Linie der Überschwemmung an,
per voragines ist = von einer bodenlosen Stelle (am Rande der
Überschwemmung) zur andern, und omnia obtinentibus aquis geht
auf die Stauung vor den Talengen. Damit harmoniert auch XXU 3
oum tandem de paludibus emersisset.
Demnach marschierte Hannibal von den Ligurern in der
Richtung auf Rimini bis Forli, von da südwärts über Galeata und
S. Sofia in das obere Tal des Savio, dessen Schwierigkeiten so ver-
mieden sind, steigt über den 1175 m hohen Paß Mandrioli in das
überschwemmte Tal des oberen Arno und erscheint etwa 7 km
nördlich von Arezzo bei Giovi auf dem Trockenen.
^
Livius, von H. J. Müller. 45
Dieser Weg entspricht auch den darauffolgenden Berichten
der beiden Schriftsteller, die nun sowohl in sich als auch mit-
einander übereinstimmen. Hannibal marschiert von Giovi aus
nicht direkt gegen den Feind, sondern den Arno hinab bis Le-
vana-Bucine — laeva relicto hoste Faesulas petens — , bricht ins
Tal der Ambra süd- und südostwärts ein und überflügelt allmählich
den römischen Feind — medio Etruriae agro praedatum . . . ad
ipsa Romana moenia ire oppugnanda — ; die Vorteile desselben
Flankenmarsches erwögt Hannibal nach Polybius 80, 4 avveXo-
yi£sxo diöxi nagalXd^apxog avxov xfjv ixeivcav axqaxo-
nedelav, dieser rechtfertigt das gewagte Unternehmen (81) und
läßt es ausführen 82, t wg ydg &atxov noifjödfievog ava^vyijv
dno x&v xaxd (buHSohuv xonwv . . .; indem Hannibal von Bucine
süd- und südöstlich gegen das Chianatal operiert, fallt er in dieses
(xovg ngoxeifiivovc xcoy xonav, €lg xovg üttngoü&sv xönovg) nicht
von Giovi aus, sondern die Operationslinie wechselnd aus der
Richtung von Fiesole (Florenz) ein; mit dem Lineale auf der Karte
kann man nachprüfen; daß die YVorte dno zw xaxd xfjv 0ai-
aohxv %6n<AV nur die Richtung angeben, aus welcher der Einfall
in das vom Feinde beherrschte Gebiet erfolgt, zeigt Polybius selbst
in II 32, 4 dno xeov xaxd xdg "Akneig xoizwv.
Da Hannibal von Sinalunga aus, wo er etwa ins Chianatal
einbricht, seine Truppen nicht nordwärts gegen Arezzo, sondern
südwärts gegen Gracciano dirigiert, von wo der nächste und be-
quemste Weg an den Trasimenischen See führt, ist die strategische
Niederlage des Flaminius vollzogen, der Gegner steht zwischen ihm
und Rom, zwischen ihm und seinem Kollegen; die Nachricht
hiervon hat nun naturgemäß in der dramatisierenden Darstellung
der beiden Schriftsteller den plötzlichen Befehl zum Aufbruche
zur Folge, und im Einklänge mit dem Gelände und den Ent-
fernungen erzählen jetzt beide Autoren einerseits den Abmarsch
der Römer von Arezzo, anderseits den östlich gerichteten Marsch
Hannibals gegen den Nordrand des Trasimenischen Sees, Cortona
zur Linken, den See zur Rechten: Pol. III 82, 7—9 und 10,
Liv. XXII 3 Ende und 4 Anfang.
Auf dem Wege, den Hannibal einschlug, lag ein ebenes Wald-
tal ovxog 6s xaxd xi\v öioöov aiXävog ininidov . . ., seine Längs-
seiten sind von hohen und zusammenhängenden Hügelketten be-
grenzt, von den Breitseiten ist die vordere durch einen hohen
und schwer gangbaren Berg gegeben, der sich in die Ebene des
Tales eindrängt, die rückwärtige aber durch den See, der nur
einen schmalen Zugang in das Tal am Fuße der Höhen übrig-
ließ (83, 1); diodog ist nicht gleich Defilee, sondern bezeichnet hier
wie immer (ebenso 79, 1) jeden Weg, insofern er den Raum
durchschneidet, also hier in unverkennbarer Beziehung auf das
82, 9 vorausgehende *Avvißag ngofoi did xtjg Tv§gtjvlag, wor-
auf auch der Artikel xi\v hinweist, der sinnlos ist, wenn man
4ß Jahresberichte d. Philo log. Vereins.
dfadog als Deßjee nimmt; x<xtcc ist niemals = (jmtü post; wozu
man e* stempeln will, sondern s» in der Erstrecküng, * im Ver-
läufe des We$es, am Wege, Der aiXcov ist die Strandebene von
Tuoro, Polybius steht ungefähr in der Mitte des die Ebene süd-
lich begrenzenden Seeufers, sudlich von der Station Tuoro mit
denn Gesicht gegen Norden, wo ein west-östlich streichender Rücken
vpn nahezu 800 m Höhe den Abschluß bildet und sich mit dem
Absätze von Tuoro in die Ebene eindrängt; die Längsseiten,
welche sieb von jenem Rücken südwärts abzweigen und im Westen
als, Monte Gualandro, im Osten als Moniige to an den See heran«
treten, sind fredlieh, rivenn sie nicht vom Rücken aus gemessen
werden, ein wenig kürzer als =■ die Breitseiten ; die Breite eines
Tales kann aber immer nur nach dem Abstände der Talwände
gemessen werden, die Länge des Tales nur nach den Talwänden
oder der Flußrinne. , ■.
Nach der Beschreibung des Geländes läßt Polybius das Heer
einmarschieren und Stellung nehmen, ohne den eigenen Standort
zu ändern, da hier die beste Übersicht wie für die Beschreibung,
so für die Verteilung istr disX&tatf top avXäpa nccqä typ
XipvTjV top fisv xavd nQoötimop tifg noQstag Xotpop avtög xat~
sXäßsTO . . . Hannibal durchquert das Tal und besetzt den in
der Marschrichtung gelegenen Hügel, welcher etwa 2 km vor
Passignano den östlichen Abschluß des Tales bildet, er lagert
also nicht auf dem Absatz von Passignano und noch weniger auf
dem von Tuoro, welcher in der Forschung Unheil angerichtet hat.
TWG de BaXiagstg xai Xoy^oqiOQOVgxata %ip * nqtoxonoQBiav
ixntQidycöv vno roig iv ds^iä ßbvpovg tcop Tcaqä top avlcopa
x£i(jk4v(op9 iixX noXv TtaQccreivag vTtiötsiXs: die Balearen und
die Speerträger nimmt er aus - der Tete der Kolonnen heraus
(xaid distributiv,, wie in mxtcc -pijva jeden Monat) und stellt sie
am Fuße, der zur Rechten die Talebene umgebenden Hügel in
weitem Bogen auf, d. h. er postiert sie in den nordöstlichen
Winkel der Talebene, so daß der Bogen einerseits in der Nähe
des Lagers, anderseits bei Tuoro endigt; in gleicher Weise er-
folgt die Postierung der Reiter und Kelten im nordwestlichen
Winkel, doch nicht mehr inl noXv neegateirag, weil dieser Winkel
viel enger ist. Diese Verteilung ist einfach, die Reihenfolge zweck-
mäßig, die Beschreibung und Postierung dureh den Schriftsteller
anschaulich und klar; es ist nicht seine Schuld, wenn er miß-
verstanden wurde.
Auch Livius führt Hannibal sengend und brennend an den
Trasimenischen See. Die Worte Kap. 4 et tarn pervenerat ad loca
nata insidü's, übt maxime montes Cortonenses Trasumennus subit
schließen jeden Zweifel aus, nur der westliche Teil des Nord-
randes ist gemeint. Via tantum interest perangusta . . ., deinde
paulo latior patescit campus, inde colles adsurgunt, ibi castra in
aperto locat; während Polybius den engen Eingang erst am Schlüsse
Li vi us, van H. J. Müller. 47
der Beschreibung erwähnt, nennt ihn Livjus an erster Stelle, er
gebt also mit dem Leser durch das DeGlee, den engen Eingang;
hat das Gericht gegen Osten gerichtet, sieht, am Ende des Defilees
arigekomiften, dessen Erweiterung,, zur Ebene durch das Zurück-
treten J der Kottoneosischen Berge« schaut im Hintergrunde den
Abschluß. der Ebene,, die aufsteigenden Hügel, und läßt auf diesen
Hannibal offen lagern, Baliares ceteramque Uvem armaturam po&
mmtes cirmmducit, die Kortonensischen Berge treten bei Tuoro
in die Ebene hinein, und hinter diese Berge stellt Hannibal die
Balearen und die ftbcigen leichten: Truppen, vom Standorte des
Livius zum i Teil durch den Absatz ton Tuoro verdeckt, also in
den nordöstlichen Winkel der Ebene. Die Heiter werden an den
Eingang postiert und sind durch Terrainschwellungen passend ge-
deckt: tmnutis apto tegentibus.
? Die beiden Autoren zeichnen also von verschiedenen Stand-
punkten aus dasselbe1 Gelände und verteilen die Truppen in der
gleichen «Weise, nur mit dem Unterschiede, daß Livius die vor-
springende Hohe .von Tuoro nicht erwähnt, weil sie eben keine
andere taktische Bedeutung bat als die Höhen zur Aechten und;
zur Linken; für Polybius war sie zur Orientierung notwendig,
nicht aber für Livius, welcher die Lage der Ebene durch die
strenge Beziehung auf Kortona. und den See schon unzweideutig
fixiert hatte.
Ebenso erzählen beide Schriftsteller den Einmarsch und die
Postierung der römische!) Truppen in gleicher Weise; in den
Worten des Livius XXII 4, 7 et ante in frontem lateraque pugna-*
ri coeptum est bezeichnet der Plural latera nur die linke Flanke
wje 1 27,7; wo der plurale Charakter sich nicht unzweideutig
aus dem Zusammenhange ergibt, muß utrimque hinzutreten wie
in I 37, 3 und XXII 28.
Der Kaum- der Ebene ist groß genug für die Affäre. Da
Hannibal nur mit der schweren Infanterie in der Ebene vor dem
sie abschließenden Hügel steht, so bleibt für die nur in der
kleineren Hälfte zur acies aufmarschierte, zum Teil im Aufmarsch
begriffene, zum Teil noch im Defilee steckende römische Armee ein
genügender Raum von mindestens 6 km in der Tiefe übrig, zumal
die Breite kein Hindernis des Aufmarsches war.
Auch die Schlacht wird in übereinstimmender Weise ge-
schildert, nur daß Polybius den Kampf in der Ebene in ausdrück-
lichen Worten unterscheidet. Die 6000 Mann primi agminis stehen
vor dem östlichen Ausgange und kommen, in der Frontrichtung
ausbrechend per adversos hostes eruptione impigre facta, natur-
gemäß auf den Riegel von Passignano.
So haben Polybius und Livius die Operationen im Einklänge
mit sich und miteinander und in der Weise geschildert, daß keiner
der Ergänzung durch den andern bedarf. Diese Operationen,
der Weg über den Apennin, der Flankenmarsch, die Aufstellung
48 Jahresberichte d. Philolng. Vereins.
und Verteilung der Trappen, halten jetzt auch jedem militärischen
Räsonnement stand; denn an die Stelle der Unbegreiflichkeiten
und der Unordnung sind jetzt Zweckmäßigkeit und Ordnung getre-
ten. Indem Hannibal aus Ligurien nach Forli vorstößt, hält er die
römischen Heere, von denen das eine hei Arezzo steht, das andere
aller Wahrscheinlichkeit nach erst im Anmärsche gegen Rimini ist,
auseinander, schon dieser Zug zeigt den Meister; den Spielraum von
einigen Tagen, den er durch den überraschenden Marsch gegen
Arezzo gewinnt, benutzt er, den Feind von der schutzenden
Festung abzuziehen ; durch die Bedrohung der Rückzugslinie zwingt
er ihn zum Kampfe auf ungünstigem Boden. So ist die taktische
Entscheidung strategisch mit strengster Folgerichtigkeit vorbereitet:
durch die Trennung vom Kollegen, durch die Trennung von der
Festung1, durch die Konsternierung infolge strategischer Über-
flügelung. Die Schlacht selbst zeigt in Anlehnung an die Er-
fahrungen am Trebia rationelle Verwertung des Geländes und kluge
Verwendung der Truppen nach Charakter und Leistungsfähigkeit.
Der römische Legionär war unwiderstehlich in der Front, un-
beholfen nach der Flanke; darum lähmte Hannihal den frontalen
Stoß des Gegners am Trebia durch die Bedrohung der Flanken
und des Rückens, aber 10 000 Mann durchbrachen seine Frönt
und entkamen. Er zog die Konsequenzen. Er wählte einen ge-
schlossenen Raum und gab seiner schweren Infanterie eine feste
Stütze durch einen Hügelrücken, auf dem sie lagerte und vor dem
sie Stellung nahm; indem er ferner die Vollendung des römischen
Aufmarsches hinderte und ihn nur der kleineren Hälfte gestattete,
übergab er diese vollkommen seiner schweren Infanterie, er über-
gab sie dieser in der breiten und massierten Gefechtsform, da
die minder bewegliche schwere Infanterie ihr Opfer gesammelt
und gebunden vor sich haben mußte ; der leichten Infanterie und
der Kavallerie hingegen mit ihrer geringen Kraft gegenüber einer
starken Infanterie übergab er den Feind in der .Flanke und in
der Unordnung des Aufmarsches mit dem See im Rücken. Und
dennoch durchbrachen 6000 Mann seine gefestigte Front, wenn sie
auch nicht entkamen. Es mußte noch eine wirksamere Form
gefunden werden, die römische Unbeholfenheit in der Flanke aus-
zunutzen; er fand sie bei Kannä.
Das reale Ergebnis der Untersuchung, der Obergang über den
Apennin, der Ort der Schlacht, Aufstellung und Verteilung der
Truppen, wurde lediglich durch Interpretation der Quellen ge-
funden, ohne Unterstützung durch militärische Argumentation;
diese „trübt die Untersuchung, sie führt direkt zum militärischen
Irrtum. Denn jede militärische Operation ist eine Resultante
vieler Komponenten", von denen die Persönlichkeit des Feldherrn
die ausschlaggebende ist; sie allein entscheidet über möglich und
unmöglich, notwendig und erläßlieb, über schnell und langsam.
Wer nun bei der Lösung eines kriegsgeschichtlichen Problems sich
Livius, von H. J. Müller. 49
selbst an die Stelle des denkenden und entscheidenden Feldherrn
setzt, „schiebt eine andere Komponente unter"; er bringt wohl
eine mögliche, aber nicht die historische Lösung, von welcher er
ebensoweit entfernt ist wie seine Individualität von der des Feld«
herrn, Daher ist der strengste Anschluß an die ernsten Quellen
unbedingte Notwendigkeit; denn sie bieten den festen Rahmen der
Wirklichkeit ; der militärische Takt hat nur die falsche Auffassung
der Quellen zu verhüten und positiv die Vervollständigung des
aus ihnen gewonnenen Bildes zu ermöglichen.
Berlin. H. J. Muller.
Anhang.
Paul Azao, Aonibal dans les Alpes. Ouvrage renfermant dix-sept
cartes et six photographies. Paris 1902, A. Picard et fils. 234 S.
gr. 8. 6 Fr. Deux questioos historiques. Tome I*r.
Der Verfasser der vorliegenden Schrift, Paul Azan, früher
Leutnant im 2. Zuavenregiment, ist jetzt Generalstabsoftizier und
hat sich den Doktortitel, wie es scheint, mit dieser Schrift erworben.
Sie verdient es, in Deutschland recht bekannt zu werden; denn
der Verf. ist nicht nur mit dem in Betracht kommenden Gelände
gründlich vertraut, sondern hat sich auch Kenntnisse in den
klassischen Sprachen erworben, die über die den Offizieren sonst
zu Gebote stehenden hinausgehen. Das tritt weniger hervor in
der von ihm herrührenden 'Traduction litterale' der einschlägigen
Kapitel des Polybius, die von Ungenauigkeiten nicht frei ist, als
in den kritischen Bemerkungen zu einzelnen Stellen der Ober-
lieferung. Er erhebt z. B. S. 38 mit Recht Einspruch gegen
Oslanders (Der Hannibalweg S. 28 A. 4) Auffassung des Wortes
prope in Liv. XXI 31,5 und bekämpft S. 103f. dessen Ansicht,
daß Hannibals Kavallerie durch die „Inselu marschiert sei, mit
philologischen und militärischen Gründen (vgl. ebenda seine ein-
leuchtenden Bemerkungen über Hannibals Marschordnung auf dem
Wege von der „Insel4' bis zum Anfange des Aufstiegs zu den
Alpen). Beachtenswert sind ferner seine Ausführungen auf S. 111 f.
über die vielbesprochene Stelle Liv. XXI 31, 9: auch er glaubt,
daß hier ein Irrtum des Schriftstellers vorliege. Während aber
Wickham und Gramer (Dissertation on the passage over the Alpes
S. 52 ff.) u. a. vorschlugen, den ganzen Satz an den Anfang des
Kapitels zu setzen, meint Azan mit der Streichung der drei Worte
sedatis certaminibus Allobrogum den angeblichen Irrtum beseitigen
zu können. Alsdann, fährt er fort, tout s'eclaire, tout devient
logique: Tite-Live präsente un resume de Vitineraire avec des noms
de peuples d Vusage de ses lecteurs latins. Ich teile freilich, wie
oben angedeutet wurde, Azans und seiner Vorgänger Meinung,
Livius habe sich hier ein Versehen zuschulden kommen lassen,
Jahresberichte XXXL 4
50 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
nicht, muß vielmehr Oslanders Ausführungen in den Göttingischen
Gel. Anz. 1903 S. 24 beipflichten (vgl. auch J. Fuchs, Hannibals
Alpenübergang S. 107 f.): die Deutung, die Osiander (Der Hannibal-
weg S. 99) den Worten non recta regione iter instituit, sed a d
laevam in Tricastinos flexü gibt, halte ich für völlig ausreichend,
um jede Textänderung auszuschließen; sie scheint mir noch
natürlicher als die von Fabri, die z. B. J. Fuchs angenommen hat.
Dagegen gebe ich ihm recht, wenn er S. 40 Th. Mommsen und
W. Osiander in der Frage der Datierung der Ankunft Hannibals
auf der Paßhöhe entgegentritt. Nur bemerke ich, daß dia %6
avvdmsiv T^v Tfj$ nXsiädoq dvtiiv bei Polyb. HI 54, 1 wirklich
heißt: le moment du coucher hiliaque des Heiades approchait.
Und wenn Liv. XXI 35,6 schreibt: occidente tarn sidere Vergilt-
arum, so scheint er, wenn wir Fr. Härders (WS. f. klass. Phil.
1901 Sp. 323) Deutung „als die Plejaden sich dem (Früh-) Unter-
gange bereits zuneigten" annehmen, ungefähr denselben Zeitpunkt
vorauszusetzen, „wodurch man immerhin eine ganze Reihe von
Tagen gewinnen würde". Aber auch derjenige, der hier nur
Polybius folgt, darf den Zeitpunkt von Hannibals Ankunft auf der
Paßhöhe doch nicht auf die Mitte September zurückverlegen, wie
Osiander (a. a. O. S. 18 ff.), oder gar auf den Anfang September,
wie Mommsen will, darin ist Azan beizustimmen und. ebenso
darin, daß gerade die Ungunst der Jahreszeit, in der der Alpen-
marsch stattfand, es war, die die Bewunderung für Hannibal her-
vorrief; trotzdem scheint mir das von ihm gewählte Datum
(26. Oktober) zu spät. Diese Proben mögen genügen, um mein
oben geäußertes Urteil zu begründen, der Verf. verdiene es, daß
man sich mit seinem Werke auch bei uns eingehend beschäftige.
Es zerfällt in zwei Hauptteile: L'itineraire und [Une conjecture
Auf ein einleitendes Kapitel: La question et le$ auteurs folgen im
IL und III. Kap. die in Betracht kommenden Partieen des Polybius
und Livius, erstere, wie erwähnt, in eigener Übertragung, letztere
in der Übersetzung Gauchers (Paris 1890). Kap. IV: Obscuritis,
donnies, points de repere prüft die Überlieferung; die folgenden
Kapitel kritisieren die verschiedenen „Systeme", wie sie Azan
nennt, oder „Theorieen", wie wir gewöhnlich sagen — eine aus-
führliche Widerlegung wird hier den „Systemen" von Hennebert1)
(Histoire d'Annibal, Paris 1878 ff. mit Atlas) und Chappuis (Annibal
dans les Alpes, Grenoble 1897) zuteil; auch W.Osianders Werk wird
eingehend gewürdigt. Damit ist der negative Teil der Aufgabe er-
ledigt; der positive bringt das eigentliche Itiniraire in Kap. XI — XIII,
während der Bestimmung des von Hannibal gewählten Paßüber-
]) Auf S. 72 f. dieser Widerlegung möchte ich besonders aufmerksam
machen; gibt es doch auch bei ans noch immer Leute, die, um sich von
einer unbequemen Forderung zu entbinden, gleich Hennebert erklären,
Hannibal habe es fertig gebracht, seine tief entmutigten Leute durch ein
Phantasiebild seiner Rhetorik wieder aufzurichten!
Livius, von H. J. Müller. 51
ganges das ganze X. Kapitel gewidmet ist. Das den ersten Teil ab-
schließende Kap. XIV enthält in der Hauptsache die Erörterung von
zwei Einwürfen, die zum zweiten Teile des Werkes überleitet.
Was Azans Methode anlangt, so geht er ähnlich wie Osiander
(a. a. 0. S. 38 ff.) vor: er stellt in Kap. IV kritisch aus den An-
gaben der beiden Hauptgewährsmänner die points de repere des
Zuges, und zwar zunächst seinen Anfangs- und Endpunkt und
dann die points intermediaires fest (S. 38). Diese sind: un par-
cours en plaine apres flfo, puis un defile d l'entree des Alpes,
un autre defile oü Annibal a ete attaque et a du passer la nuit sur
un rocher denude, puis la vue d'Italie pres d'un campement
et pres du col de passage, enfin, d la descente, un es-
carpement de trois demi-stades. Durch Sperrdruck sind
die bedeutendsten dieser Punkte hervorgehoben; vor allem wichtig
sind die letzten : mit ihnen beschäftigt sich das X. Kapitel, Le
Systeme du Ciapier, in dem Azan in ausfuhrlicher Erörterung seine
Ansicht begründet, daß von allen Pässen der Westalpen
nur der Col du Glapier allen genannten Forderungen
entspreche. In diesem Punkte und in der Ansetzung des
eigentlichen Alpenmarsches stimmt er mit dem besten Kenner der
Westalpen, dem Obersten Perrin (Marche d'Annibal des Pyrenees
au Pö et description des vallees qui se rendent de la valläe du
Rhone en Italie, Paris 1887, Dubois) überein; er weicht dagegen
mit Recht von ihm ab in dem Teile des Zuges, der von der
„Insel" bis zum Alpenanstiege reicht (S. 100 A. 1). Was Azan
in diesem Abschnitt und den vorangehenden Kapiteln gegen die
von Osiander (a. a. 0. Fig. 9 auf S. 141) in einer Skizze fixierte
Aussicht vom Großen Cenis, was er (mit Perrin) gegen einen
Übergang Hannibals über den Großen Cenis geltend macht,
scheint begründet zu sein — ein bestimmter formuliertes Urteil
darf sich meines Erachtens nur der erlauben, der sämtliche in
Frage kommenden Pässe selbst gesehen hat. Auch das, was Azan
und Perrin für den Col du Ciapier ins Feld führen, die einzig
in den Alpen dastehende Aussicht auf die ober-
italienische Ebene in unmittelbarer Nähe eines aus-
reichenden Lagerplatzes, lasse ich voll gelten und ver-
kenne die Bedeutung dieser Umstände für die Frage der Bestimmung
des Oberganges durchaus nicht; aber ich muß Osiander recht
geben, wenn er darauf hinweist, daß Perrins eigene Schilde-
rung der ungemeinen Schwierigkeiten des Abstiegs
vom Col du Ciapier dagegen spricht1), daß Hannibals Heer
x) Damit die Leser in dieser Frage sich bequem ein Urteil bilden
können, lasse ich die hauptsächlichsten Stellen beider Schriften folgen : Perrin
— den Azan (S. 132f.) wörtlich zitiert — schreibt a. a. 0. S. 63 f.: Apres
avoir quitte cette arete ro eherne, les pentes sont tres raides, on marche sur
une espece de dos d'dne, ayant ä droite et ä gauche des precipices, pas une
herbe, nulle Vegetation, pour peu que vous glissiez, ou que vous manquiez le
4*
52 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
diesen Paß benutzt habe. Gelingt es Azan nicht, die Bedenken
Oslanders zu entkräften, so durfte der Col du Ciapier neben den
zwei wesentlich niedrigeren und bequemeren Cenispässen schwer-
lich in Betracht kommen; und wenn wir auch Azans und Perrins
Argumente gegen den Großen Mont Cenis gelten lassen, so bliebe
noch immer der Kleine Mont Cenis, den schon R. Ellis in seinem
(Treatise on Hannibal's passage of the Alps in which bis route
is traced over the little Mont Cenis' (Cambridge 1853) als Paß
Hannibals in Anspruch genommen hat.
Eine Kombination dieses Endpunktes mit den ersten der
genannten points intermediaires ergibt ihm mit Notwendigkeit ein
ltinerar, das dem Istoetal folgt, um dann in das Arctal einzubiegen
(S. 100). Seine Hauptpunkte faßt das 'Resume generaP am Ende
des Werkes (S. 223, vgl. S. 136) so zusammen: „Hannibal ist in
der Nähe von Roquemaure über die Rhone gegangen (dagegen
Oslander, G. G. A. S. 23). Er ist das linke Ufer dieses Stromes,
dann das linke Ufer der Isere und schließlich das Tal des Are
aufwärts gezogen. Von da ist er zum Kleinen Mont Cenis ge-
langt und hat das Tal der Dora Riparia aber den Col du Ciapier
sentier, vous roulez dans les preeipices. En ete\ avec de bons souliers de
montagne, on ne risque rien, mais cependant il faut faire attention. Apres
avoir descendu 6 ä 700 metres, vous arrivez ä un petit plateau, oü sont les
ruines de un ou deux chalets et un moulin. Ce sont, je crois, les chalets du
Bonkomme; de tous les cot es les preeipices vous entourent, et en avant, un
clapier effrayant de 200 metres de hauteur; c'est bien le defile (Tun stade
V2 de Polybe. Vous prenez un sentier (res etroit qui (S. 64) lange la paroi
de gneiss ecroulee; au milieu de ee chaos, vous ne savez oü placer le pied, les
chevres et les jeunes genisses seules y passent. On peut se briser une Jambe
ä chaque instant; Annibal fit camper la portion qui etait dejä descendue sur
ce plateau, oü etait une legere couche de neige usw. Dazu sagt Oslander
(Götting. Gel. Aoz. 1903, I S. 31): „All dies schon im August, bei guter
Jahreszeit, wie aber Ende Oktober! Ist anzunehmen, daß auf solchem Pfade
Haaoibals Pferde, Troß und Elefanten abstiegen, und dies unter landes-
kundigen Führern, oder daß Gallierheere, deren Spuren Hannibal folgte, mit
Weib und Kind diesen Weg einschlugen, während ganz nahe wesentlich
niederere und bequemere Pässe nach Perrin einen völlig gefahrlosen Abstieg
geboten hätten. Perrin, der vergißt, daß das Abstieghindernis für Hannibal
und seine Führer ein unvorhergesehenes war, bedauert sogar, daß Hannibal,
der bis auf 100 m vertikale Erhebung der Paßhöhe des Kleinen Cenis nahe
kam, dieselbe nicht vollends erstiegen habe, da er in diesem Falle keinen
Mann und kein Tier verloren hätte, uneingedenk, welches Zeugnis er hier-
mit nicht allein den gallischen Führern, sondern auch der ' unvergleichlichen
Umsicht' (ngovoia) Hannibals ausstellt. Nur einmal soll ein größerer Trapp
Waldenser über den Clapier gezogen sein, da ihm sämtliche andern Ober-
gänge versperrt waren und nicht anzunehmen war, daß sie diesen hals-
brecherischen Pfad einschlagen könnten". Welche Verluste sie dabei in
der guten Jahreszeit, trotz genauer Kenntnis der Pässe, erlitten, betont
Perrin S. 64 A., freilich in ganz anderer Absicht: Vhistoire nous a transmis
cTune facon certaine, les grandes vertes que dans la belle saison et sur le
memo point, y eprouverent en 1689, les Vaudois deportes en Suisse et revennat
par une marche audacieuse, exectttee au milieu de leurs ennemis, reprendre
possession de leurs vaUees.
Li vi as, von H. J. Müller. 53
erreicht. Die ' Insel \ der Drac (='Druentia des T. Livius'), das
Graisivaudantal, der Col du Grand Cucheron ('Beginn des Alpen-
anstiegst erster Kampf; dagegen Osiander a. a. 0. S. 27), das Tal
des Are (auf dem 1. Ufer bis Ja Chambre, dann auf dem rechten),
die Stellung von Amodon ('Leukopetron'; am rechten Ufer in
der Nähe des Esseilion; dazu Osiander a. a. 0. S. 28 f.), der Col
du Ciapier mit seinem zum Lagern geeigneten Plateau, seiner
Aussicht nach Italien und seinem steilen Abstiege bilden die
Richtpunkte des Marsches, dessen Beschreibung uns Polybius
hinterlassen hat".
Von der Übereinstimmung dieses (Itineraire d'Annibal' mit
Polybius' Darstellung ist Azan ganz befriedigt, nur einen wunden
Punkt habe sein System: wenn Polybius dreimal (III 39, 9;
47,1; 50,1) nccQa %bv notapov schreibe, so könne er unter
„dem Fluß" schlechtweg nur die Rhone verstehen, während nach
seinem System Hannibal nur 600 Stadien der Rhone, 800 Stadien
der heutigen Isere entlang gezogen sei. Diesen Widerspruch
sucht er dadurch zu beseitigen, daß er annimmt, Isere und Rhone
hätten noch zu Polybius' Zeit durch das Becken des Lac du
Bourget in direkter Verbindung gestanden, sb daß die Isere zu
dieser Zeit einen Teil des Mittellaufes der Rhone gebildet habe.
Dieser 'conjeeture' stehen aber zunächst die Ansichten der sämt-
lichen von Azan selbst befragten geologischen Autoritäten entgegen:
diese geben zwar auf Grund der geologischen Verhältnisse zu,
daß eine solche Verbindung der beiden Flusse einmal bestanden
habe, weisen sie aber einer viel früheren Epoche zu; auch sei
damals nicht, wie Azan will, die Rhone zur Isere, sondern um-
gekehrt die Isere zur Rhone abgeflossen. Osiander hat aber auch
bereits darauf hingewiesen, daß Azans * conjeeture' gar nicht nötig
ist; einmal weil sie schon durch Polybius1 Beschreibung der „Insel"
(Hl 49, 7) ausgeschlossen sei und dann weil der Marsch „den
Fluß entlang" einfach im Gegensatz zum früheren wie zum
folgenden Marsche stehe (vgl. Oslanders ausfuhrliche Darlegung
a.a.O. S. 14 f.).
Zum Schlüsse noch ein paar einzelne Bemerkungen. In der
zweiten Anmerkung auf S. 6 erwähnt Azan ganz kurz die bekannte
Polybiusstelle III 39, 8 über die via Domitia; er betrachtet sie
wie Osiander (Der Hannibalweg S. 9 A. 2) als interpoliert. Die
Interpolation läßt sich aber niebt nachweisen, wie erst jungst Otto
Cuntz in seiner Schrift „Polybius und sein Werk" (Leipzig 1902,
Teubner) ausfuhrlich dargelegt hat (Abschnitt IV: Die via Domitia
und Abschnitt XIII: Das Leben des Polybius). Versehen sind es
wohl, wenn Azan S. 10 P. Cornelius Scipio Aemilianus als 'le fils
de Publius Scipion, le premier adversaire d'Annibal en Italic' und
S. 12 Polybius als 'conteraporain' von Hannibals Zug bezeichnet:
Polybius lebte nach dem eben genannten empfehlenswerten Buche
von 0. Cuntz (S. 77 f.) sehr wahrscheinlich 198—117/6 und nicht
54 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
206—128, wie Azan S. 10 annimmt, und der jüngere Africanus
war der Sohn des L. Aemilius Paulus und Adoptivsohn vom Sohne
des älteren Africanus.
Druck und Ausstattung sind gut; beigegeben sind zwei aus-
führliche, alphabetisch geordnete Literaturnachweise, 17 einfache,
zur Orientierung ausreichende Kartenskizzen, eine Skizze der
Aussicht vom Col du Ciapier (zwischen S. 98/99) und sechs
Photograpbieen in Autotypiedruck, von denen die vier, zum ersten
Teile gehörigen darstellen: 1. Vallee du Planais et montee du
Petit Mont Cenis, 2. Col du Petit Mont Cenis, 3, Vallon de Savine
et route du Ciapier, 4. Col du Ciapier; die zwei letzten geben
Ansichten von 5. Notre-Dame de Myans und 6. Les Abfmes de
Myans.
Mit Hannibals und Pompejus' Alpenübergängen beschäftigt
sich auch der englische Gelehrte J. L. Strachan-Davidson in
der „Appendix'4 zu seiner für die Oxforder Studenten bestimmten
Ausgabe von Appian, Civil Wars, Book I. Seine kleine 'The
passages of the Alps by Pompey and Hannibal' betitelte Ab-
handlung benutzt, nach des Verfassers eigenen Angaben, von der
englischen und französischen Literatur das eben besprochene
Azansche und das ebenda mehrfach erwähnte Perrinsche Werk,
von der deutschen nur die ebenfalls genannten Bücher von J. Fuchs
und 0. Cuntz. Dagegen scheinen die Schriften W. Osianders dem
Verfasser nicht bekannt gewesen zu sein; das hat viel mehr zu
bedeuten, ' als wenn er die neusten italienischen Vertreter dieser
Literatur, Montan ari und Giacosa, auch nicht berücksichtigt; denn
die von dem Verfasser erörterten Fragen (Druentia des Livius =
Drac, lateinischer Name des Mont Cenis u. a. m.) werden von
Osiander in der oben genannten, seine früheren Aufsätze zu-
sammenfassenden Schrift und in dem Programm des K. Gym-
nasiums zu Cannstatt (1897): „Der Mont Cenis bei den Alten"
ausführlich behandelt.
Den Hauptinhalt seiner Schrift faßt Strachan-Davidson auf
S. 142 f. in folgenden Worten zusammen: „Um das Gesagte zu-
sammenzufassen — nehmen wir Livius" Erzählung von der Druentia
als Tatsache an, dann können wir nur die Cottischen Alpen ')
wählen (?); aber wir haben oben (S. 139) gesehen, daß dieser
Weg mit Polybius' Angabe, Hannibal sei zehn Tage lang die Rhone
!) „Ich habe es Dicht für nötig gehalten, die Ansprüche der verschiedenen
Nebenpässe zu erörtern, die zum selben System gehören: der Col du Ciapier
zum Beispiel ist eine bloße Variation des Mont Cenis-Weges, und der Col
des . Echelles verhält sich ebenso zum Wege über die Cottischen Alpen.
Andererseits muß der Col de l'Argentiere, der am äußersten Ende der Cotti-
schen Alpen auf der anderen Seite des Monte Viso liegt, verworfen werden,
da er für das Land der Tauriner zu weit südlich mündet. Dies kann in-
dessen sehr wohl Hasdrubals Weg gewesen sein" (?).
Livius, von H. J. Müller. 55
aufwärts marschiert, sieb nur sehr schwer in Einklang bringen
läßt. Weder der Weg aber den Mont Cenis noch der Weg über
den Kleinen St. Bernhard ist auch nur annähernd in demselben
Grade diesem Einwände ausgesetzt. So wie zwischen Mont Cenis
und Kleinem St. Bernhard würde auch der Streit über die Er-
klärung der die zwei Doratäler betreffenden Polybiusstellen aufs
neue entbrennen. Der Mont Cenis ist insofern im Nachteil, als
er in keinem alten Autor erwähnt ist, so daß wir nicht einmal
seinen lateinischen Namen kennen (?), während der Kleine St. Bern-
hard eine Stutze in Coelius Antipater hat.
Um zu der Appianstelle (B. C. I 109, 1), von der wir ausgingen,
zurückzukehren, so scheint es, als ob wir keine genügende Beweis-
stelle haben, um sagen zu können, unser Autor habe unrecht, wenn
er angibt, Pompejus habe (beim Überschreiten der Cottischen Alpen)
einen neuen, von dem Hannibals verschiedenen Weg ausfindig
gemacht. Hatte Appian aber wirklich unrecht, so teilte er nur
den Irrtum, in dem sich Pompejus' Zeitgenossen befanden. Appians
andere Angabe über die Quellen der Rhone und des Eridanus ist
zwar irrig, findet aber, wie ich glaube, eine genügende Erklärung
in dem Umstände, daß die Quellen der Durance auf dem Wege
über den Mont Genevre in «nächster Nähe der Quellen der Dora
Riparia liegen.
Groß-Lichterfelde. Raimund Oehler.
2.
Horatius.
I. Ausgaben und Kommentare.
1) Q. H oratio 8 Fl accus. Für den Schulgebrauch herausgegeben von
O. Keller und J. Häußner. Mit zwei Abbildungen und drei Kärt-
chen. Dritte Auflage. Leipzig 1903, G. Freytag. XXXV u. 317 S. 8.
2JC.
In diesen Jahresberichten kann nicht jede neue Auflage eines
Schultextes zur Besprechung kommen; doch soll auf das Er-
scheinen dieser dritten Auflage des Werkes der beiden trefflichen
Horazforscher wenigstens kurz hingewiesen werden.
Daß die Einleitung „Leben und Werke des Horaz" und
„Metrische Übersicht44 lehrreich und geschmackvoll ist, versteht
sich bei dieser Ausgabe von selbst; nur könnte man sie für
unsere preußischen Gymnasien wesentlich knapper wünschen.
Im Texte habe ich bei einer Vergleich ung mit der von den-
selben Herausgebern besorgten Ausgabe scholarum in usum vom
Jahre 1892 nur einzelne unerhebliche Änderungen der Inter-
punktion gefunden. So erwünscht auch diese Stetigkeit in mancher
Hinsicht sein mag, so ist es doch sehr bedauerlich (ich muß
wiederholen, was ich im vorigen Jahresberichte anläßlich einer
andern Ausgabe sagte), wenn das wenige wirklich Gute, das zu
Horaz produziert wird, in den neuen Ausgaben keine Beachtung
findet. Ich hebe als eklatantes Beispiel Sat. II 5, 90 hervor, eine
Stelle, deren Verständnis im Jahre 1899 Samuelsson ohne Ände-
rung des Textes in zweifelloser Weise erschlossen hat (JB. XXVI
S. 66): ultra 'non9 'etiam7 sileas; aber auch diese neue Ausgabe
bietet wieder: ultra non etiam sileas. Ich könnte noch ein paar
andere Stellen hinzufügen, wo m. E. die neuerdings gefundene
Wahrheit nicht zur Geltung gekommen ist, möchte aber das obige
Beispiel nicht durch irgendwie bestreitbare abschwächen.
Aus dem Namen- und Sachverzeichnis merke ich einige Ver-
sehen und Druckfehler an, die zum Teil von einer Ausgabe in
die andere übergehen. Bibulus, nicht Sat. 1 10, 87, sondern 86.
— Bistonis, nicht Od. II 2, 20, sondern II 19, 20. — Bupalus,
nicht Maler, sondern Bildhauer. — Bupalus, nicht Epod. 6, 44,
sondern 6, 14. — Cydoneus, nicht Kydon, sondern richtiger
Horatias, von H. Röhl. 57
Kydonia. — Dossennus, nicht Epist. II 1, 273, sondern 173. —
Hebrus, nicht Od. Hl 12, 2, sondern III 12, 6. — Lernens, nicht
stijvcciog, sondern ^ifjvatog. — Lycambes, er wird hier und
anderweitig oft als Thebaner bezeichnet; woher stammt diese An-
gabe? Jedenfalls bezeichnen sich in dem Epigramme des Dios-
korides die Töchter des Lykambes als Parierinnen. — Minos, nicht
Od. I 38, 9, sondern I 28, 9. — Mucius, nicht (?., Konsul im
Jahre 133, sondern P. — Persius, nicht Sat. I 7, 23, sondern 33.
— Pierius, nicht Od. III 19, 15, sondern III 10, 15. — Trivicum
wird im Namenverzeichnis nach Apulien, auf der beigefugten Karte
nach Samnium gesetzt. — Ähnlich Venafrum dort nach Kampanien,
hier nach Samnium.
An Abbildungen enthält die Ausgabe: eine Augustusstatue
und die sogenannte Marsyasstatue auf dem Forum; an Karten:
Tibur und Horazens Landgut, Rom, Mittelitalien, Umgebung von
Rom, Umgebung von Neapel.
2) Horace, Vol. II, The Satires, Epistlcs and De arte poetica,
with a commentary by E. C. Wickham. Oxford 1903, Clarendon
Press. Einleitung und Text ohne Seitenzahlen, dann 383 S. Kom-
mentar. 8.
Die äußere Einrichtung der Ausgabe ist diese: dem Texte
a) der Satiren, b) des ersten Buches der Episteln, c) des zweiten
Buches der Episteln und dann noch speziell d) der Ars poetica
ist je eine General Introduction vorausgeschickt; unter dem Text
ist ein kurzer kritischer Apparat gegeben; den zweiten Teil des
Buches bildet der 383 Seiten umfassende Kommentar. Beigegeben
ist eine Karte der Umgegend von Horazens Landgut.
Daß die Ausgabe für den Gebrauch der Jugend bestimmt ist,
ersieht man, obwohl es nicht ausdrucklich angegeben ist, daraus,
daß Anstößigkeiten ausgemerzt sind, so Sat. I 2, 28 ff., Sat. I
5, 82—85, Sat. II 5,75—83, Sat. II 7, 46—71.
Der Text ist konservativ; der Kommentar zeigt das bei engli-
schen Ausgaben, die in Schule und Universität dienen sollen,
übliche Gepräge: ruhige Verständigkeit, Verzicht auf Entscheidung
in zweifelhaften Fällen und nicht mehr an Erörterungen und
Verweisungen, als ohne allzu große Hemmung der Lektüre be-
wältigt werden kann. Über mangelnde Benutzung der neueren
Horazliteratur gilt auch hier das bei der vorher (Nr. 1) be-
sprochenen Ausgabe Gesagte; vgl. z. B. Sat. II 5, 90 f. (JB. XXVI
S. 66) und den Kommentar zu Sat. I 9, 69 (JB. XXVII S. 96).
3) Frederic Plessis et Paul Lejay, Oeuvres d'Horace, publiees
avec une introduction philologique et litteraire et des notes. Paris
1903, Hachette et Cie. LXXVI1I u. 644 S. 8.
Die beiden Herausgeber haben sich in die Arbeit so geteilt,
daß Plessis die Oden und Epoden, Lejay die Satiren und Episteln
übernommen hat.
58 Jahresberichte d. Philolog. Vereioi.
Die Einleitung enthält folgende Kapitel : Vie d'Horace (S. V—
XIX), Etüde litteraire, I Les ödes et les epodes (S. XX — XXIX),
Les satires et les epltres (S. XXX — XLI), Notice bibliographique
(S. XLII— L), Notes critiques (S. LI— LXXIV), Mtetrique (S. LXXV
— LXXVIII.
Der Text ist mit Rucksicht auf die Jugend, die ihn benutzen
soll, in einer unseren deutschen Anschauungen widerstrebenden
Weise zurechtgemacht (wie bei französischen Ausgaben oft, vgl.
JB. XXIII S. 33, XXVII S. 46; die dort angezeigten Ausgaben gehen
darin sogar noch weiter als die vorliegende). Gegen die Aus-
lassung ganzer Gedichte sei nichts eingewendet, wiewohl auch
hierbei mitunter die Ängstlichkeit etwas weit geht; es fehlen
Od. I 5. 13. 19. 23. 25. 33. II 4. 5. 8. III 7. 9 (Donec gratus). 10.
12. 15. 20. 26. IV 1. 10. 13. Epod. 8. 11. 12. 14. 15. Aber be-
dauerlich sind die Verstummelungen einiger Oden; es fehlen
folgende Verse: I 4, 19—20; I 6,17—20; I 36,17—20; II 11,
21—24; II 12,25—28; III 6,25—32; III 11,9—12; III 19,
25—28; IV 11,21—36; Epod. 3,19 — 22; Epod. 5,69—70;
Epod. 16, 29—32; Epod. 17, 20 und 50—52. Die Ausmerzungen
in Sat. I 2, I 5, II 7 sind zu billigen; die Satire I 8 wäre besser
ganz weggeblieben, statt daß nur die Verse 5 und 37 — 39 aus-
gelassen sind. Sonst sind noch folgende Verse getilgt: Sat. II
3,238; II 5,73—83; Epist. I 7, 28 (inter vina fugam Cinarae
maerere protervae) ; Epist. I 14, 33 (quem sei* immunem Cinarae
placuisse rapaci; durch die Tilgung dieses Verses wird eine
Änderung des folgenden nötig: quem noras bibulum media de luce
Falerni)\ Epist I 18, 72 — 75. Einzelne böse Worte werden durch
mildere ersetzt: so Epist. I 18, 34 scorto durch vitio, Sat. I 3,107
eunnus durch mulier.
Der Kommentar gibt das zum Verständnis für den Schüler
Nötige und bietet, soweit ich gesehen habe, nichts von andern
Ausgaben besonders Abweichendes. Ein wunderliches Versehen
findet sich zu Od. III 16, 13, wo zu urbium angemerkt wird:
„Potidee, Olympie, Amphipolis, Pydna", und auf Juven. 12, 47
verwiesen wird: „callidus etnptor Olympiu\ natürlich ist beidemal
Olynth gemeint.
4) Des Q. Horatius Flaccns Satiren und Episteln. Für den Sehni-
ge brauch erklärt von G. T. A.Krüger. Erstes ßändchen: Satiren.
Fünfzehnte Auflage, besorgt von Gustav Krüger. Mit zwei Karten.
Leipzig und Berlin 1904, B. G. Teubner. XVI u. 221 S. 8. 2,30 JC.
Obwohl diesmal sieben Jahre zwischen der vorletzten (vgl.
JB. XXV S. 39 ff.) und dieser neuesten Auflage liegen, ist die
Krugersche Satirenausgabe doch diejenige, in der die Auflagen am
schnellsten aufeinanderfolgen. Und sie verdient diese ihre Be-
liebtheit; denn wie durch «ruhiges und besonnenes Urteil, so
zeichnet sie sich auch namentlich aus durch Berücksichtigung
dessen, was die neuere Horazforschung fortlaufend Gutes oder
Horatias, von H. Röhl.i 59
doch Erwägenswertes zutage bringt. Wer daher den derzeitigen
Stand der Kontroverse über irgend eine Stelle kennen lernen
will, wird gar nicht umhinkönnen, nach der Krügerschen Ausgabe
zu greifen. „Für den Schulgebrauch" durfte sie allerdings nicht
mehr geeignet sein.
Die Abweichungen gegen die vorige Auflage sind zwar recht
zahlreich, aber meist nicht erheblich; auf einige derselben und
auf ein paar andere Stellen soll im folgenden kurz eingegangen
werden.
Sat. II. Die im Gedankengange liegenden Schwierigkeiten
sucht Kruger jetzt dadurch zu erledigen, daß er in den Worten
qui nemo ut avarus (V. 108) das Wort avarus in weiterem Sinne
auch auf die in den Versen 4—12 geschilderten Personen bezieht,
welche nach einem andern Stande verlangen. Daß der Anstoß
dadurch geschwunden sei, vermag Ref. nicht zuzugeben. Erstens:
immer noch steht innerhalb der Frage qui etc. die darauf zu
gebende Antwort ut (= utpote) avarus. Zweitens: von V. 23
bis 107 und von V. 110 an ist von der eigentlichen Habsucht
die Rede; wenn nun dazwischen auf einmal avarus in einem
weiteren Sinne verstanden werden sollte, so mußte der Dichter
das deutlich sagen, etwa: Im Grunde läßt sich auch die Un-
zufriedenheit mit dem Stande auf den Begriff der Habsucht zu-
rückfuhren. — Neuerlich habe ich mir, vielleicht nicht al& der
erste, folgende Auffassung zurechtgelegt. Man nehme an, daß die
Sätze qui fit ut V. 1 und qui V. 108 gar nicht im Ernste nach
dem Grunde fragen sollen, sondern nur die Konstatierung der
Tatsache enthalten, so daß also in V. 1 für qui fit ut auch
mirandum est quod stehen könnte und in V. 108 für qui cum
coniunctivo der accusativus cum infinitivo. Dann rekapituliert
also Horaz V. 108 ff. die beiden Teile, von denen der erste über
die Unzufriedenheit mit dem Stande, der zweite über die Hab-
sucht handelte, und hebt bei der nur kurzen Rekapitulation des
ersten Teiles (V. 108 — 109) beiläufig durch ein in parenthesi hin-
zugefugtes ut avarus (ut = wie; ähnlich Knapp und Weißenfels)
hervor, daß in der Unzufriedenheit mit sich selbst der nach einem
andern Berufe Schielende des ersten Teiles mit dem Habsüchtigen
des zweiten Teiles Ähnlichkeit habe. Etwas länger fällt die
Rekapitulation des zweiten Teiles aus (V. 110 — 116). Auf beide
Teile bezieht sich dann das inde, mit dem aus den beiden Leit-
sätzen: „Niemand ist mit seinem Berufe zufrieden", „Viele sind
habgierig", für die der Grund nicht gesucht ist, nun vielmehr
eine Folgerung gezogen wird. — Zu Sat. I 1, 92 cumque habeas
plus, seil, quam antea habebas, eine Besserung gegen die frühere
Ergänzung: seil, quam necesse est. — Sat. I 4, 15. Jetzt: aeeipe
iam, früher: aeeipiam. Das Bedenken anderer Herausgeber gegen
tarn ist doch wohl nicht unbegründet. — Zu Sat. I 4, 124. Das
Zitat aus der Grammatik von Ellendt-Seyffert muß sich auf irgend-
60 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
eine sehr alte Auflage beziehen. — Zu Sat. I 4, 126. Avidos wurde
früher auf die Eßlust gedeutet, jetzt in allgemeinerem Sinne auf
das Verlangen der Kranken nach Dingen, welche, weil für die
Genesung nachteilig, ihnen noch nicht zukommen. Das erstere war
meines Erachtens richtiger; denn die Vorstellung, daß Kranke
trotz ihrer Eßlust besser tun zu hungern, war den Alten ge-
läufiger als uns. Ich setze zwei Ovidstellen her, die meines Wissens
noch nicht herangezogen sind: Rem. am. 228 et oranti mensa
negata mihi; Ars am. II 335 neve cibo prohibe (nämlich der Lieb-
haber soll der Kranken, um sich einzuschmeicheln, gewähren, was
ihr eigentlich versagt werden müßte). — Zu Sat. I 9, 69. Die
von verschiedenen gefundene überzeugende Lesung und Deutung
von tricesima, sabbata ist erfreulicher Weise akzeptiert. — Zu
Sat. II 1, 86. Auf S. XVI gibt Kruger eine neue, von H. Erman
herrührende Auffassung dieses Verses, die ihm als sehr beachtens-
wert erscheint; tabulae beziehe sich „auf die von dem Prätor dem
iudex oder dem Kläger gegebene formula" usw. Mir ist aus dem
Exzerpte die Deutung nicht soweit klar geworden, daß ich über
sie urteilen könnte. — Zu Sat. II 5, 90 f. Krügers Ausgabe ist
die erste, welche Samuelssons einleuchtende Lesung ultra lnon'
'etiam' sileas (vgl. JB. XXVI S. 66 und oben Nr. 1 und 2) in den
Text aufgenommen hat. Obwohl dieser glückliche Fund schon
im Jahre 1899 publiziert ist, war er seitdem von den Heraus-
gebern noch nicht beachtet worden; aus Krügers Ausgabe wird
die schone Entdeckung ja nun allmählich ihre weitere Verbreitung
finden. — Sat. II 5, 103. Subinde, das in der vorigen Auflage
nicht erklärt war, wird jetzt gedeutet: „unmittelbar darauf'. Ein
„darauf " wäre ja dem Zusammenhange angemessen; aber das
starke „unmittelbar darauf44 erscheint unmotiviert und störend.
Ref. würde die übliche Auffassung „wiederholentlich** vorziehen.
So erklärt Pseudacro sparge subinde durch frequenter dicito; ihm
stimmt Orelli-Mewes bei; L. Müller: „gelegentlich"; Wickham:
„from time to time"; Fritzsche: „wiederholentlich*4, unter Be-
rufung auf Suet. Cal. 30: tragicum illud subinde iactabat: odermt,
dum metuant; mehr Beispiele bieten die Lexika. — Zu Sat. II 6, 67.
Libatis dapibus, früher mit den meisten: = mit dem Abhub des
Mahles: jetzt mit Kießling: = nach Darbringung des Speisopfers.
Leicht ist die Entscheidung nicht; von folgenden beiden Stellen
scheint die eine für diese, die andere für jene Auffassung zu
sprechen: Liv. XXXIX 43 libare diis dapes\ Ovid. amor. I 3, 33 f.
si tibi forte dabit, quod praegustaverit tpse, reite libatos ittius ore
cibos. Vorziehen würde ich allerdings die von Krüger jetzt ver-
lassene Deutung; denn der Ausdruck „mit dem Abhub44 steht in
innerlicherer Beziehung zu pasco vernas als der Ausdruck „nach
dem Speisopfer44; auch pflegt wohl das absolute vemas pasco zu-
nächst zu heißen „ich halte mir Sklaven4* (vgl. Sat. I 6, 103 f.). —
Zu Sat. II 7, 20 qui tarn contento, tarn laxo fune laborat, „ob die
Horatius, von H. RöhJ. 61
Metapher von den Seiltänzern oder sonst irgendwoher entlehnt
sei, ist ungewiß**. Von den Seiltänzern gewiß nicht; dem Seil-
tänzer schadet Straffheit des Seiles nicht; auch ist dieses Gebiet
zu entlegen, als daß Horaz ohne besondere Erwähnung des Tanzens
ein Bild daher entnehmen könnte. Auch auf das Heben einer
Last und das Bugsieren eines Bootes paßt laborare nicht in beiden
Fällen. Am nächsten kommt der Wahrheit wohl Kießling: „wie
ein Tier am Stricke, welches bald kurz gehalten wird, bald freieren
Spielraum zu Bewegungen hat, um schließlich durch einen un-
sanften Ruck wieder zurückgerissen zu werden**; noch genauer,
meine ich, wurde man sagen: wie ein Tier, das bald von dem
straffen Stricke schmerzlich gehemmt wird, bald in dem lockeren
sich verwickelt. Ein solcher Vergleich war dem Horaz und andern
geläufig; vgl. Epist. I 10, 48 tortum digna sequi potius quam ducere
funem, wo die Herausgeber nicht hätten schwanken sollen. —
Zu Sat. II 7. Auf die obscönen Verse 48—50 geht Krüger gar
nicht ein, den Vers 64 hat er völlig mißverstanden, wie denn
überhaupt zu diesen Versen die Herausgeber viel Seltsames pro-
duziert haben. Und dabei sind sie ganz leichtverständlich; denn
sowie man V. 48—50 richtig aufgefaßt hat, sieht man, daß sich
der Vers 64 mit seinen andeutenden Ausdrücken genau auf jene
Verse zurückbezieht. Zwei Dinge gefallen dem Davus an der
meretricula im Gegensatz zur matrona: 1) daß er jene nudam ge-
nießen kann, während die matrona se non mutat habitu, d. h.
dabei angekleidet bleibt; 2) daß er der meretricula auf zwei ab-
sonderliche Weisen beiwohnen darf, zu denen die matrona sich
nicht versteht. Nämlich a) meretricula excipit turgentis verbera
caudae clunibus ; dagegen matrona se non mutat loco, d. h. sie läßt
in bezug auf die Stelle des Körpers keine Abweichung vom Ge-
wöhnlichen eintreten (zu der speziellen Bedeutung von locus ver-
gleiche z. B. Priap. 2 : quod virgo prima cupido dat nocte marito^
dum timet alterius minus inepta loci, Ovid. ars am. 799: infelix,
cui torpet hebes locus ille, puellast). Und b) meretricula agitat
equum lasciva supinum; dabei kommen, wie aus Horaz und andern
hervorgeht, nicht die clunes, sondern der cunnus in Betracht; aber
matrona non peccat superne.
Neu hinzugekommen sind in der fünfzehnten Auflage zwei
Karten: 1) eine Karte von Mittelitalien, mit einer Nebenkarte,
welche die Gegend von Tibur und von Horazens Landgut bietet,
2) ein Stadtplan von Rom.
Zum Schlüsse sei dem Ref. noch gestattet, einen Wunsch
auszusprechen. Die Absonderung eines Anhanges vom Kommentare
erfolgte im Jahre 1875 im Schulinteresse; jetzt nun, wo die Be-
nutzung der Ausgabe durch Schüler gewiß sehr abgenommen hat,
dürfte es zweckmäßig sein, den übrigen Benutzern die Mühe
durch eine Wiederverschmelzung von Kommentar und Anhang zu
erleichtern.
62 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
5) Emil Rosenberg, Die Oden und Epoden des Q. Horatius Flaccus,
für den Schal gebrauch erklärt. Vierte Auflage. Gotha 1904, Perthes.
272 S. 8.
Sechs Jahre nach der dritten Auflage (vgl. JB. XXV S. 45 ff.)
erscheint nun die um zwölf Seiten gewachsene vierte. Kleine
Änderungen sind zahlreich; aber die Einrichtung des wohlbekannten
Buches ist im wesentlichen unverändert geblieben, so daß ich
mich mit wenigen Bemerkungen und einzelnen Wünschen für die
nächste Auflage, wie sie sich beim Durchblättern der vorliegenden
vierten ergeben haben, werde begnügen können. Verhältnismäßig
zahlreich sind Druckfehler, die in einer Schulausgabe stören;
darum sei auch von diesen kurz notiert, was mir unangenehm
auffiel.
S. 19 — 24. Neu hinzugekommen ist eine Zusammenstellung
viel gebrauchter Wendungen und Sentenzen aus Horazens lyrischen
Gedichten; sie kann zur Repetition gute Dienste leisten. — S. 25 ff.
Wiederabgeschafft ist der gesperrte Druck einzelner Textworte,
was mir als entschiedene Verbesserung erscheint; die Zahlen-
schemata, durch die der symmetrische Bau der Gedichte veran-
schaulicht werden soll, sind leider (vgl. JB. XXV S. 46) großenteils
auch in dieser Auflage geblieben. — Zu Od. I 4, 5 „auf Kythera".
Daß Venus nur dort tanze, wird Horaz nicht meinen. — Zu
Od. I 4,10 „aut flore terrae]" (schon in der dritten Auflage).
Terrae, ist ja doch Subjekt des Relativsatzes. — Zu Od. I 16, 5 — 24.
üavd'ov (schon in der dritten Auflage), statt üav&oov. — Zu
Od. I 16, 8 und Od. II 6, 14. Die Formen aeribns bzw. mellibus
(beide schon in der dritten Auflage) würden besser vermieden. —
Zu Od. I 23, 1 — 8, vkrjg xsqoiaar\Q (schon in der dritten Auflage),
statt vXfig xsQoiöötig. — Zu Od. I 27, 18 „ftifis auribus] Es
werden alle verschwiegen sein". Richtig; früher falsch: „Dem
des Dichters allein". Vgl. JB. XXIII S. 29 und XXVII S. 61 f. —
Zu Od, I 31, 18 Adxva und Afjico (schon in der dritten Auflage),
statt Aatw und AtjToi. — Zu Od. I 34, 2 tuotf (schon in der
dritten Auflage), statt tacit. — Zu Od. I 35, 26 %s% %vtqa, Ul
cpMa (schon in der dritten Auflage), statt &Z xviqa, . £jjf q>$Xicc.
— Zu Od. II 2, 18 flebis (schon in der dritten Auflage), statt
plebi. — Zu Od. II 3, 18. Da man nicht von der „grünen4' Spree,
sondern vom grünen Strand der Spree spricht, so ist dies keine
Parallele zu flavus Tiberis. — Zu Od. II 6. In den Anmerkungen
wird diese Ode der Zeit nach der Schlacht bei Philippi zugewiesen,
in der Einleitung S. 3 aber die drei ersten Bücher den Jahren
30—23. — Zu Od. II 18, 3 Hymeltiae; „bläulich-weißer Marmor
wie der pentelische, parische und italische". Der hymettische Marmor
ist bläulich, der pentelische und der parische sind weiß. — Zu
Od. III 3, 40 vTtfjvoQsovTwv (schon in der dritten Auflage), statt
vnsQTjvOQSovtcov. — Zu Od. III 4, 3 Xiysla (in der dritten Auf-
lage Lysux), statt Xlysta. — Zu Od. III 8, 12 „erster Jahrgang
Horatius, von H. Röhl. 63
seines eigenen Weinbaus'4; dagegen zu Od. I 20,1: „nicht von
seinem Gute, wo er vielleicht keinen Wein zogu. — Zu Od. III
8, 15 „Die Alten trugen Bedenken, eine brennende Lampe auszu-
löschen". Wunderlich; jedenfalls nicht hierher gehörig. — Zu Od. III
9, 20. Sehr richtig jetzt: „reiectae ist Dativ"; wenn aber in
Klammern mein Name hinzugesetzt wird, so geschieht mir un-
verdiente Ehre, da ja diese Erkenntnis sehr alt ist. — Zu Od. III
24, 18. Temperat ermangelte bisher der Erklärung; jetzt heißt
es: „gebietet". Diese in manchen Ausgaben begegnende Bedeutung
streitet sowohl gegen den Sprachgebrauch als auch gegen den
Sinn. Letzteres, weil das Fehlen zweier in Rom häufiger Ver-
brechen hervorgehoben werden soll; das zweite Verbrechen ist
der Ehebruch, und dem entspricht als erstes der Giftmord; vgl.
Ovid Metam. I 147: Lurida terribiles miscent aconüa novercae. —
Zu Od. III 27, 33 ixzatofinoXiv (schon in der dritten Auflage),
statt hxatounoXw. — Zu Od. III 27,41, oVq* klscpaiQOVTai,
statt ot $ eXscp. — Zu Od. IV 6, 9, ovqsgi. xixiovsq (schon in
der dritten Auflage), statt ovqsci, Tixtoveg. — Zu Od. IV 1 4, 25,
%aV al^rjdov (schon in der dritten Auflage), statt %dV altycSv. —
Zu Epod. 1, 30, „tangat] es handelt sich um Schönheit und Größe
des Landhauses". Worauf stützt sich das? Den Sinn des tangat
legen ja die meisten erklärenden Ausgaben ganz deutlich dar. —
Zu Epod. 16, 60, noXXcc d' 6/ iv novvw (schon in der dritten
Auflage), statt <P 6 / iv.
Wenn die nächste Auflage dieses brauchbaren Schulbuches
in solchen Kleinigkeiten noch etwas akkurater ausfällt, so wird
sie zu den schon vorhandenen guten Eigenschaften eine weitere
hinzugewinnen.
6) Q. Horatii Flacci carmina selecta, für deo Schulgebrauch heraus-
gegeben vod Johann Hu einer. Sechste, durchgesehene Auflage.
Wien 1904, Alfred Holder. XXIV u. 204 S. 1,55 Jt.
Nach einer Notiz auf dem Titelblatte ist die vorliegende sechste
Auflage ein inhaltlich unveränderter, nach der neuen Recht-
schreibung hergestellter Abdruck der fünften; diese letztere hat
im JB. XXVII S. 44 f. eine empfehlende Besprechung gefunden.
Leider sind ein paar Fehler mit herübergenommen; so steht
immer noch Od. III 12, 22 hinter veni ein Fragezeichen, und
immer noch fehlt Sat. I 1, 96 vor ita das Komma.
7) H. Ludwig, Präparation zu Q. Horatius Flaccus' Satiren.
1. Heft: Buch I (Aus der Sammlung der Schülerpräparationen zu
lateinischen und griechischen Schriftstellern). Leipzig und Berlin
1904, B. G. Teubner. 35 S. 8. 0,60 Jt.
Der Präparation zu den Oden, die in diesen JB. XXX S. 32
angezeigt wurde, ist nun die zum ersten Buche der Satiren
gefolgt.
64 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Ausgeschlossen sind die zweite und die achte Satire, was
durchaus angemessen erscheint; aber daß auch die fünfte fehlt,
wird vielleicht mancher bedauern; eher könnte man auf die
siebente verzichten. Eine Druckseite dient als ausreichende Ein-
leitung zu der Satirendichtung. Die Inhaltsangabe zu jeder Satire
wurde Ref. wegwünschen; vgl. JB. XXX S. 32 f.
Der „Präparation" selbst kann bei diesem Hefte dieselbe An-
erkennung gespendet werden wie beim Odenhefte: sie enthält,
was ein Kommentar zu enthalten hat. Aber auch diesmal müssen
einige Einschränkungen des Lobes gemacht werden. Zunächst
erachte ich die Angabe von bloßen Vokabeln wie limus Schlamm
(Sat. I 1, 60), olus Ms n. Gemüse (Sat I 1, 74) usw. und von
Ableitungen wie triverit Fut. ex. von terere (Sat. I 1 , 45), securi
von securis (Sat. I 1, 99) usw. für unpädagogisch. Ferner hätte
eine Revision einige Versehen herausschaffen sollen; mir fiel
folgendes auf: Zu Sat. 1 1,27 „=serie rem tractemus"; dieses Adverb
zu serius ist ganz unklassisch. Zu Sat. I 1, 49 „quid refert (res
fert)"\ vielmehr re ferU Zu Sat. I 1, 75 „== quae st sibi (naturae)
negata erunt\ statt des regelrechten ei. Zu Sat. I 3, 70 „plura
haece" (zweimal), statt haec. Zu Sat. I 4, 30 „durch Nöten", statt
durch Nöte (siehe unten die Anzeige der Satiren Übersetzung von
Ludwig). Zu Sat. I 4, 48 „(Ufert sermoni == d. sermone"; viel-
mehr = d. a sermone. Zu Sat. I 9,70 „Epikuräer", statt Epikureer.
Endlich sind auch Druckfehler für den Schüler störend: zu
Sat. I 1, 45 teurere, statt terere; zu Sat. I 1, 55 cyathus = 0,456
Liter, statt 0, 0456 Liter; zu Sat. I 1,78 Epanalaphe, statt Ep-
analepse; zu Sat. I 3,11 Canephörae, statt Canephoroe; zu Sat. I
3, 45 (fqivetg statt (fqiv€g\ zu Sat. I 4, 19 hircinus statt hiränus.
S) Pseudacronis scholia io Horatium vetnstiora, receosait Otto Keller.
Vol. II schol. ia sermones epistulas artemqae poeticam. Leipzig 1904,
B. G. Teuboer. XVI u. 512 S. 8. 12 Jt.
Nachdem im Jahre 1894 die Scholien des Porfyrion von
Holder (vgl. JB. XXI S. 231) und im Jahre 1902 die Pseudakroni-
schen Scholien zu den Oden und Epoden von Keller (vgl. JB. XXX
S. 31) herausgegeben waren, ist jetzt mit erfreulicher Schnelligkeit
der zweite Band der Pseudakronischen Scholien gefolgt, zu welchem
Keller schon früher Vorarbeiten (vgl. JB. XXIX S. 41) veröffent-
licht hatte. Nun sehen wir noch einer früher (obwohl nicht mit
Bestimmtheit) in Aussicht gestellten Ausgabe der scholia minora
von Holder entgegen.
Über den Charakter dieser vortrefflichen Ausgabe des Pseudakron
ist das wesentlichste schon bei der Besprechung des ersten Bandes
gesagt, so daß jetzt nur weniges hinzuzufügen ist. Namentlich
interessant ist, daß Keller (praef. S. III ff.) in Hamburg ein Frag-
ment des Codex A entdeckt hat, das auf zwei Blättern die Scholien
zu Epod. 16, 33—17, 50 enthält; die hieraus sich ergebenden
Horatius, von H. Röhl. 65
Nachträge zum ersten Bande haben in Band II S. 510 f. ihren
Platz gefunden. Beachtenswert ist ferner die Erörterung über die
Geringwerligkeit des Commentator Cruquianus (praef. S. Xff.).
Den Schluß dieses Bandes bilden: 1) Glossarum f appendix,
2) Iudex auctorum, 3) Index generalis sive nominum, rerum
elocutionumque memorabilium; daß letzterer gegenüber dem Index
verborum der Porfyrionausgabe sich auf Wichtigeres beschränkt,
kann nur Beifall finden.
Der lebhafte Dank aller Benutzer gebührt dem Herausgeber
dafür, daß die schöne Pseudakronausgabe nun fertig vorliegt.
9) K.P. Schulze, Horaz. Auswahl für den Schulgebrauch. Zweiter Teil,
Anmerkungen. Mit zwei Tafeln. Zweite, erweiterte Auflage. Berlin
1904, Weidmannsche Buchhandlung. 206 S. 8. 1,80 Jft.
Die erste, im Jahre 1895 erschienene Auflage dieser Schul-
ausgabe, die entschieden zu den besseren ihrer Art gehört, ist im
JB. XXIII S. 29 ff. besprochen worden. Jetzt liegt der zweite, die
Anmerkungen enthaltende Teil in zweiter, erweiterter Auflage vor,
d. h. es sind nunmehr Anmerkungen zu vielen, vorher unberück-
sichtigten Gedichten hinzugekommen, so daß sie nur noch zu
folgenden Gedichten fehlen: Epod. 3. 5. 8. 11. 12. 17, Sat. I 2. 7.
8, II 2. 3. 4. 5. 7. 8, Epist. I 8. 17, II 3. Die Auswahl des Dar-
gebotenen ist also für eine Schulausgabe überreich. Leider ist
der erste, den Text enthaltende Teil nicht gleichfalls in zweiter
Auflage erschienen, so daß, wenn die Schüler Gedichte lesen
sollen, für die der Kommentar erst in der zweiten Auflage des
zweiten Teiles hinzugekommen ist, sie mit dem Schulzeschen Text-
bändchen nicht ausreichen, sondern einen andern Text benutzen
müssen.
Die Lebensbeschreibung des Horaz, die in der ersten Auflage
dem Textbändchen vorgedruckt war, ist nun bei der zweiten dem
Kommentar vorausgeschickt. Im übrigen ist Einrichtung und
Charakter des Bändchens unverändert geblieben, so daß das früher
demselben gespendete Lob auch der neuen Auflage zukommt und
wir auf jene Anzeige verweisen dürfen. Die Überschriften und
Inhaltsangaben behagen dem Ref. allerdings nicht sonderlich, wofür
die Gründe dort dargelegt sind. Aber der Herausgeber bringt
eben vieles und daher jedem etwas; so am Schlüsse des Bändchens
noch 1) eine Zeittafel, 2) eine „zur Wiederholung'* überschriebene,
recht brauchbare Zusammenstellung von Belegstellen aus Horaz
über allerlei bei der Horazlektüre interessierende Gegenstände,
3) eine Metrik, 4) sprachliche Bemerkungen, 5) eine Windrose,
6) ein Kärtchen der Umgegend des Landgutes, 7) ein Verzeichnis
der Weinsorten, 8) zwei Tafeln mit Abbildungen von Realien.
Auch diese Zutaten weisen gegen die erste Auflage mehrfach kleine
Besserungen und Erweiterungen auf.
Gehen wir nun zu dem Hauptstück dieses Bändchens, dem
Jahxtiberiehte XXXL 5
66 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
eigentlichen Kommentar, über, so müssen wir anerkennend kon-
statieren, daß die neue Auflage nicht unwesentliche Berichtigungen
bietet. Dazu gehören z. B. folgende Stellen. Od. II 19. 23, die
Löwengestalt wurde früher dem Bacchus zugeschrieben, jetzt dem
Rhötus; auf die Frage, ob (wie Schulze will) Ablativus qualitatis
vorliegt oder horribilem zu schreiben ist, gehen wir hier nicht
ein, vgl. JB. XXIX S. 61. — Od. III 9, 20, reiectae Lydiae früher
Genitiv, jetzt Dativ. Es ist erfreulich, daß von jener wunder-
lichen Verirrung jetzt ein Herausgeber nach dem andern wieder
zurückkommt. — Od. IV 7, 11, damna caelestia, früher: „vom
Abnehmen des Mondes"; jetzt: „vom Absterben in der Natur'4
— Sat. I 9, 42, jetzt: „ut durum (schwer) etf"; früher hieß es
unverständlich: „ut durum fest", was vermutlich nur Druckfehler
war für: „ut durum (esf)". — Epist. I 1, 32, früher: „est, es ist
schon etwas'*; jetzt: „est {ia%tv) = licet'. — Epist. I 2, 23,
nostiy früher: „aus eigener Erfahrung kennst du die Verlockungen
der Sinnlichkeit und Wollust"; jetzt: „du kennst diese Er-
zählungen".
Wenn ich nun auf einige Stellen des Kommentars eingehe,
wo mir das Richtige nicht getroffen scheint, so geschieht das
keineswegs in dem Sinne, als sollte unbilligerweise dadurch der
Wert der trefflichen Ausgabe geschmälert werden, sondern ledig-
lich, um zu erneuter Nachprüfung bzw. Berichtigung Anregung
zu geben. Od. 1 7, in der Inhaltsangabe: „Komm auch du, Plancus,
nach deinem Tibur". Das steht aber doch nirgends in dem
Horazischen Gedichte. — Od. I 9, in der Inhaltsangabe: „Sorge
für Wein im Krug". Mit dem „Kruge" meint der Herausgeber
die diota, die Amphora; aber die diota setzt Horaz als voll voraus
und fordert nicht erst zu ihrer Füllung auf. — Od. I 17, 9,
„Wölfe, vor denen Faunus und Lupercus die Herden schützten".
Faunus und Lupercus sind dem Horaz ein und dieselbe Gottheit.
— Od. I 35, 35, „nefasti nom. plur.". Kießling und L. Müller
hatten diese Auffassung abgelehnt, weil nefastus von Personen
anscheinend nicht gebraucht werde, und ich habe dieses Bedenken
nirgends widerlegt gefunden. — Od. II 3, 6 f., „per dies festos in
ewigem Festtag". Diese Bedeutung darf weder den überlieferten
Worten aufgezwungen, noch mit L. Müller durch Konjektur erzielt
werden. Horaz stellt eben, ohne sich an einen schematischen
Gedankengang zu binden, in der zweiten Strophe dem Fehler der
übermäßigen Trauer nicht den Fehler der übermäßigen Genuß-
sucht, sondern den richtigen, heitern Lebensgenuß gegenüber,
und zwar tut er das mit bewußter Absicht, um dann von letzterem
weiter handeln zu können. Dies habe ich gegen L. Müller im
JB. XXVII S. 60 hervorgehoben und konnte dann im JB. XXVIII
S. 35 konstatieren, daß inzwischen Heinze in der vierten Auflage
des Kießlingschen Horaz sich genau ebenso geäußert hatte; man
vergleiche auch u. a. die Ausgaben von Gow und Smith. —
Horatios, von H. Röhl. 67
Od. II 13, 34, „demittit auris indem er nicht seines Wächteraoates
waltet". Es ist vielmehr Zeichen der Freude, vgl. Hercher im
Hermes XII S. 391 und 513. — Od. II 17,21, »nostrum genet.
plur.". Daß nostrum Nominativ ist, hat Chr. Fr. Ernst Meyer be-
wiesen, vgl. JB. XXIV S. 84. — Od. II 19, 26 f., Judo pugnae das
grausame Spiel des Kampfes". Meines Erachtens wird durch das
hinter ludoque stehende dictus eine solche Konstruktion unmöglich ;
sondern ludo gehört zu aptior, und pugnae als Dativ zu idoneus.
Also: „obwohl es von dir, der du als geeigneter für Reigentänze
und Scherze und Spiel galtest, hieß, du seiest zum Kampfe nicht
recht geeignet". — Od. III 14, 1, »Herculis ritu wie Herkules
siegreich über die Pyrenäen nach Italien zurückkehrte". Mithin
verbindet Schulze: Herculis ritu Caesar Hispana repetit penates
victor ab ora; aber ist das ein besonderer ritus, siegreich aus
Spanien nach Italien zurückzukehren? Richtiger ist doch wohl
die übliche Auffassung, daß der ritus Herculis darin bestehe, nach
Heldentaten in selbstgewählter Todesart (als ob das bei der Krank-
heit des Kaisers der Fall gewesen wäre !) zur Unsterblichkeit ein-
zugehen. — Od. HI 16, 8, »pretium Geld, um den Wächter zu
bestechen. Sonst nahte Juppiter der Sage nach der Danae in
Gestalt eines goldenen Regens". Dieses „sonst" erweckt die Voiv
Stellung, als wiche Horaz von der üblichen Sage ab, während er
sie doch voraussetzt und nur frivol deutet. — Od. III 19, 15,
»supra zu fra"; also meint Schulze mit vielen Herausgebern:
„mehr als drei". Indes widerstreitet dies dem Zusammenhange,
da ja Horaz bereits neun Cyathus gefordert hat und doch nicht
von seinem eigenen Votum sagen kann, daß es dem Wesen der
Grazien zuwiderlaufe. Einen passenden Sinn gibt nur die Über-
setzung: „drei darüber (nämlich über neun) hinaus"; ich habe
über diese Stelle ausführlicher in meinem Kommentare und Jß.
XXIV S. 66 und XXVIII S. 32 gehandelt. — Od. III 24, 18,
„temperat c. dat. gebieten". Das verstößt gegen den Sprachgebrauch
und gegen den erforderten Sinn; vgl. L. Müller. — Od. IV 4, 68,
»coniugibus, weil ihre Männer gefallen sind". Schwerlich! Da
das römische Volk vorher Subjekt ist, kann auch coniuges ohne
Härte nur die Gattinnen der Römer bezeichnen; auch paßt nur
auf diese loqui; von den Karthagerinnen wäre ein Begriff wie
deflere zu erwarten. — Od. IV 11,15, zu Aprilem: „Aphrilis von
ä<pQog". Mindestens sehr unsicher. — Od. IV 14, 36, »vacuam
aulam, die Königsburg in Alexandria stand nach dem Tode der
Kleopatra verlassen da". Bei der Übergabe von Alexandria war
Kleopatra noch nicht tot. — Sat. I 3, 59, »latus obdit apertum
sich eine Blöße geben". Das ist die altherkömmliche Auffassung;
indessen hatte Postgate (vgl. JB. XXIX S. 44) mit Grund auf die
Mißlichkeit hingewiesen, dem Verbum eine singulare Bedeutung
zu geben. Also wohl: „und deckt seine Seite, so daß sie keinem
Feinde bloßsteht". — Sat. I 6, 18, „a volgo remotos die wir uns
5*
68 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
voo der Menge fernhalten". Durch den Gedankengang wird,
meine ich, in evidenter Weise die kurzlich von Meiser (vgl. JB. XXX
S. 44) vorgetragene Deutung als richtig erwiesen: „die das Volk
so weit, so weit zurückgesetzt hat". — Sat. I 6, 24, „Tillius, wohl
der Bruder des Tillius Cimber, eines der Mörder Cäsars, war aus
dem Senat ausgestoßen worden, später aber wieder eingetreten".
Es hätte die abweichende Darlegung Mommsens (vgl. JB. XXVI
S. 54) berücksichtigt werden sollen. — Sat. I 6, 75, „octonos
(nummos) aeris} 8 Kupferas, etwa 50 Pf.; nur achtmal im Jahr,
da vier Monate Ferien waren". Hier liegt eine Verwirrung vor;
das letzte Stuck der Erklärung paßt nur zu der Lesart octonis
referentes idibus aera. — Sat. I 9, 26 f. Zu dieser früher sehr
umstrittenen Stelle vermißt man bei Schulze eine Erklärung, die
ja jetzt zum Glück nicht mehr zweifelhaft ist, vgl. JB. XXX S. 34.
— Epist. I 2, 65. Schulze interpungiert im Texte: »ire viam, qua
monstret eques" und erklärt in der ersten Auflage: „qua ratiane,
von der Gangart", in der zweiten: „qua via". Aber es wird
beides abzulehnen und vielmehr zu lesen sein: „tre, viam qua
monstret eques"; vgl. Livius XXXII 11,7: iubet pedites, qua dux
tnonstraret viam, ire, JB. XXVIII S. 28. — Epist. I 6, 51, , frans
pondera, so daß er beim Händeschütteln fast das Gleichgewicht
verliert". Aber die Bedeutung „Schrittsteine" steht jetzt inschrift-
lich fest, vgl. Heinze im Hermes XXXIII S. 447 Anm. 2. —
Epist. I 18, 105, „rugosus, die Kälte macht ihre Haut förmlich
runzelig". Es dürfte heißen: „wegen der Kälte eine Grimasse
schneidend", vgl. JB. XXIX S. 53 f.
In der Schreibung der Eigennamen wäre etwas mehr Gleich-
förmigkeit zu wünschen. Jetzt wechseln miteinander ab: Alcaus
Alkaios, Odysseus Ulixes, Tusculum Tuskulum, Aelius Älius,
Minturnae Karrhä, Pompeius Pompejus, Tyndareos Tyndareus;
desgleichen griechische und römische Namen der Götter: Zeus
Juppiter, Here Hera Juno, Poseidon Neptun, Artemis Diana, Hermes
Merkur, Aphrodite Venus, Leto Latona.
Unter den Druckfehlern sind mir einige als störend auf-
gefallen: Od. II 2,10 Lybiam\ Od. II 7,7 paX6ßQ(x$ov\ Od. IV
1, 11 commissari; Sat. I 5, 63 Galathea.
II. Übersetzungen.
10) Qointus Horatius Flaccos' Satiren, übersetzt von Hermano
Ludwig. Karlsruhe o. J., Friedrich Gatsch. 82 S. 8. 1,20 JC.
Deutsche Hexameter zu bauen ist an sich schon ein schwer
Ding; die Aufgabe wird noch schwerer, wenn sie inhaltlich Horazi-
schen Hexametern entsprechen sollen. Daß die Lösung dieser
schwierigen Aufgabe in der vorliegenden Übersetzung einigermaßen
geglückt sei, vermag ich nicht zu finden. An den Versbau stellt
Ludwig meines Erachtens zu geringe Anforderungen; hier einige
Proben :
Horatius, von H. Röhl. 59
Sat. I 1,23
Weiter — um nicht wie der Possenreißer mit Lachen die Sache
Abzumachen.
Sat. I 2, 62
Als des Vaters Geld zu vergeuden! Was für ein Unter-
schied ist's, ob usw.
Sat. I 6, 85
Um so größerer Ruhm und Dank gebührt ihm jetzt von mir.
Sat. I 9, 8 f. Ich plage mich elend
Loszukommen, geh schneller jetzt, bleib9 dann wieder stehen.
Sat. II 6, 37
Und sie baten dich, Quintus, heute dabei nicht zu fehlen.
Dazu kommen sonstige Härten wie: Sat. I 6, 18 würd' lieber;
Sat. I 6, 19 würd' der Censor. Auch finden sich Ausdrucke, die
vielleicht suddeutsch, aber nicht allgemeindeutsch sind: Sat. I
1, 32 wus'lig, Sat. I 2, 45 verbrinzeln, Sat. I 2, 39 Nöten als
Nomin. plur. (siehe oben Nr. 7), Sat. I 6, 23 was halfs dich,
Tillius, wieder anzulegen den Purpurstreif, Sat. I 6, 33 sich um
etwas annehmen.
11) E. C. Wickham, Horace for Eoglish readers, being a translation of
the poems of Quintos Horatius Flaccns ioto English prose.
Oxford 1903, Clarendon Press. 363 S. 8.
Der vorausgeschickte Abschnitt Horace's Life and Writings
bietet den üblichen biographischen Stoff und gibt zu Bemerkungen
wenig Anlaß. Nur wenn der Verf. S. 2 über Horazens Fortleben
sagt: he has found a special home in the hearts of Frenchmen
and Englishmen, so wollen wir uns freilich nicht vermessen,
jemandem ins Herz zu sehen ; wenn aber die Zahl der Publikationen
über Horaz als Maßstab für die Beschäftigung eines Volkes mit
diesem Dichter dienen darf, so sind zweifellos die Deutschen den
Franzosen weit voraus. Angemerkt sei noch, daß Wickham der
Meinung zuneigt, Horaz sei bei Actium anwesend gewesen, und
daher von der neunten Epode sagt: it was written, it is suggested
with high probability, on board Maecenas's galley (S. 2; vgl. S. 137
und 147); in diesen Jahresberichten ist diese Kontroverse zuletzt
XXX S. 46 behandelt worden.
Der Übersetzung eines jeden Gedichtes ist eine kurze Angabe
der Situation und des Inhalts vorausgeschickt ; auch Fußnoten sind
vorhanden, doch spärlich. Die Übersetzung ist in Prosa gegeben;
dies dürfte für mehrere Zwecke recht nützlich und empfehlens-
wert sein. Mit ihr wird sich der Lernende leichter zum Ver-
ständnis verhelfen als mit einer poetischen; und auch der Nicht-
philologe, dem lediglich daran gelegen ist, Horazens Gedankenwelt
kennen zu lernen, wird so besser zum Ziele gelangen, als wenn
durch die (oft stark mißlungene) Nachahmung der Kunstform die
Wiedergabe der Gedanken ungenau oder unbeholfen ausgefallen ist.
70 Jahresberichte d. Philolog. Vereint.
Die Übersetzung ist überaus dezent. Natürlich soll gegen
die Auslassung von Epod. 8 und 12, Sat. 1 2, 25 fT., Sat. I 5, 82
—85, Sat. II 5, 75— 83i Sat. II 7, 46— 74 nichts eingewendet
werden; auch Od. I 25 Parcius iunctas quatiunt fenestras, Od. II 5
Nondum subacta ferre iugum valet kann man leicht missen. Aber
Od. III 6 wird durch die Tilgung der Verse 21—32, d.h. des zweiten
Unterteiles des ersten Teiles, verstummelt; und die Ode IV 10
0 crudelis adhuc und nun gar die hübsche Epode 11 Petti, nihil
the sicut antea iuvat zu unterdrücken, sehe ich keinen Anlaß.
Auch bei der Wahl des Ausdrucks behängt der Übersetzer dea
Dichter gern mit Feigenblättern: Od. II 4, 21 teretes suras =
shapely ankles; Od. II 11, 21 devium scortum = the truant; Epod.
3, 21 f. manum puella savio opponat tuo extrema et in sponda cubet
= may you find, that you cannot get a kiss when you ask for
one; Sat. I 4, 111 a turpi meretricis amore = from base amours;
Sat. I 8, 5 obscaenoque ruber porrectus ab inguine palus = red
pole (hier wäre wohl die Tilgung des Verses besser gewesen als
die unklare Übersetzung); Sat. II 3, 325 mitte puellarum, puerorum
mitte furores = a thousand frenzies of foolish passion; Epist. I
14, 21 fornix = the arch; Epist. I 14, 25 meretrix tibicina =
flute-player.
Korrekt und sinngemäß ist die Übersetzung, wie man das
von dem gelehrten Verfasser nicht anders erwarten konnte; aber
die Resultate neuerer Forschung sind ihm zum Teil unbekannt
geblieben; vgl. die Anzeige seiner gleichzeitig erschienenen Aus-
gabe der Satiren und Episteln, oben Nr. 2.
12) Ferdinando Pasini, Una versione Oraziana inedita di Cle-
mentino Vannetti. Gymnasialprogramm. Capodistria 1903. 30 S. 8.
Pasini veröffentlicht eine von Vannetti (Ende des achtzehnten
Jahrhunderts) herrührende Übersetzung von Sat. II 3; sie befindet
sich in der ßiblioteca Civica in Trient. Hier der Anfang:
Si rado scrivi, che la pergamena
quattro volte non chiedi in tutto 1' anno,
mentre ciascun de' tuoi scritti ritessi,
con te medesmo irato, perche al vino
dedito e al sonno, nessun canto sciogli
degno di plauso. E che sarä? fuggito
qua sei dai Saturnali : adunque sobrio
degna di tue promesse or qualche cosa
scrivi. Usw.
13) G iuseppe Puccianti, Saggio di tradnzioni da Catullo, Orazio
e Tibullo. Firenze 1903, Successori Le Mopnier. 289 S. 16.
Auf den Seiten 29—211 finden sich Übersetzungen folgender
Horazischer Gedichte: Od. 1 3. 4. 5. 9. 11. 14. 17. 19. 20. 21. 23.
26. 30. 31. 38. III 13. IV 3; Epod. 2. 3. 6. 10. 13; Sat. I 1. 8;
Horatius, von H. Röhl. 71
Epist. I 1. 4. 5. 7. 8. 10. 13. 14. II 3. Die angewandten Metra
sind: gereimte zweizeilige Verse (Epod.), vierzeilige Strophen mit
verschiedenen Reimstellungen (Od., Epod., Epist.)» sechszeilige
Strophen mit verschiedenen Reimstellungen (Od., Epist.), Sonett
(Od. I 26), Terzine (Sat., Epist.). Die Übersetzungen scheinen
mir — soweit ich italienische Poesie in ihrem ästhetischen Werte
zu beurteilen vermag — feinen Geschmack und einen hohen Grad
von Gewandtheit zu bekunden. Als Probe möge dienen
Od. I 30: 0 di Gnido e di Pafo alma Regina,
Fra gl' incensi da Glicera invocata,
Lasciando Cipro, all' ara che t' ha ornata,
Vieni, o divina.
E teco il tuo fanciul che accende i petti,
Le Grazie scinte, Ermete e Ninfe a gara
E Giovinezza, senza te men cara,
II passo affretti.
Und der Anfang von Sat. I 1:
Come va che nessuno e mai contento,
0 Mecenate, della condizione
Di vita o che si scelse a suo talento,
0 gli venne li li dalF occasione,
E mai non rifinisce di lodare
Chi s' e dato ad un' altra occupazione?
In Anmerkungen, S. 251 — 282, gibt Puccianti einige Er-
läuterungen und rechtfertigt die Übersetzung einzelner Stellen.
14) Hermann Menge, Die Oden und Epoden des Horaz für Freunde
klassischer Bildung, besonders für die Primaner unserer Gymnasien
bearbeitet. Dritte, durch erklärende Anmerkungen vermehrte Auflage.
Berlin 1904, Langenscheidt. XVI u. 504 u. 74 S. gr. 8. 7,50 Jt.
Die zweite Auflage dieses Buches ist im JB. XXVI S. 48 IT.
besprochen worden, und es mag auf das dort über seinen Zweck
und Wert Gesagte verwiesen werden. Nur die wichtigste Eigen-
heit dieser Bearbeitung (oder in der Hauptsache Übersetzung) sei
nochmals kurz charakterisiert: für jedes Gedicht wird eine Dis-
position, eine Orientierung über die Situation, der lateinische
Text, eine prosaische Übersetzung, eine Übersetzung in antiken
Maßen und eine Übersetzung in modernen Formen dargeboten.
Das Buch durfte ganz geeignet sein, in breiteren Schichten
des Publikums das übrigens an sich schon oft recht lebhafte In-
teresse für Horaz zu fördern und diesem Interesse, das meist
mit falschem Stolze gepaart zu sein pflegt, auch zu einem ge-
wissen Grade von Verständnis zu verhelfen, Aber in den Händen
der Primaner möchte ich es nicht sehen. Wenn der Verf. S. XIII
den sicheren Beweis dafür, daß seine Arbeit die von ihm gehoffte
Wirkung an vielen Stellen geübt habe, darin findet, daß Primaner
72 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
aus fast allen Gauen Deutschlands eigene poetische Übertragungen
Horazischer Oden an ihn eingesandt haben: so wird diesen Er-
folg mancher vielleicht nicht einmal für besonders wünschenswert
erachten. Eine andere Wirkung aber ist die: zweifellos können
die Primaner die Mengeschen Prosaubersetzungen viel besser zur
unselbständigen Präparation benutzen als die sonst üblichen poeti-
schen und können dann die Benutzung des Buches noch durch
bemäntelnde Ausreden zu verteidigen suchen, dasselbe sei doch
ästhetisch sehr interessant, sei von einem Schulmann für Primaner
bestimmt, usw. Auch das ist wenig wünschenswert.
Der Hauplteil des Buches, S. 1 — 505, hat in den von mir
verglichenen Partieen keinerlei Veränderung erfahren; und ich
glaube das gleiche auch für die nicht nachgeprüften Partieen mit
Sicherheit annehmen zu können, da, nach der Bewahrung der
alten Orthographie (im Gegensatz zu dem neu hinzugekommenen,
unten zu besprechenden Anbange) und nach Einzelheiten des
Druckes zu urteilen, überhaupt kein Neudruck vorliegt. Was da-
her in der Anzeige der zweiten Auflage über die Widersprüche
zwischen dem Texte und den verschiedenen Übertragungen gesagt
ist, gilt auch für diese dritte. Ein paar weitere Anstöße mögen
hier noch angemerkt werden. Zuerst aus der prosaischen Über-
setzung. S. 21 „Venus, die der Gott des Scherzes und der Liebe
umschweben"; das ist grammatisch unzulässig. S. 232 „wenn ihn
die Gattin und die Tochter des kriegführenden Gebieters von den
feindlichen Mauern aus erblickt, müsse sie bang seufzen"; danach
würde es sich nur um eine Person handeln. Aber es muß aus-
drucklich anerkannt werden, daß, von solchen vereinzelten Stellen
abgesehen, diese prosaische Übersetzung sorgsam und korrekt ist.
Noch zwei Notizen zu den Nachdichtungen. S. 79 „in Ustika's
gedehntem Tal"; in diesem jambischen Verse enthält der Eigen-
name einen metrischen Fehler; im Anhang ist richtig betont
Ustlca. Desgleichen ist S. 265 der letzte Eigenname in dem
Verse „bezwangen uns Honäses und Pakor" falsch gemessen.
Neu sind in dieser Auflage die erklärenden Anmerkungen,
die einen 74 Seiten langen Anhang bilden. Daß zu den Epoden
8 und 12, wie die Übersetzungen, so auch die Anmerkungen
weggelassen sind, ist bei einem populären Buche gewiß nur zu
billigen; aber warum auch für die Epoden 3. 5. 10. 11. 14. 17,
denen doch Übersetzungen beigegeben sind, die Anmerkungen
fehlen, ist schwer einzusehen. Die Anmerkungen selbst sind über-
wiegend sachlicher, nur selten sprachlicher Art und auf Leser
berechnet, die nur geringe Kenntnis des Altertums besitzen. In-
haltlich erfreuen sie, wie bei Menge nicht anders zu erwarten,
durch Klarheit und Richtigkeit; an kontroversen Stellen natürlich
wird man mitunter anderer Ansicht sein; übrigens läßt Menge
an solchen oft die Wahl zwischen mehreren Deutungen. Also
nur noch ein paar Einzelheiten, die mir auffielen. Zu Od. I 4, 14
■^
Horatius, von H. Röhl. 73
„höbe, vierstockige Häuser"; doch wohl vielstöckige. Zu Od. I
17, 9 „Eaedäia, eine Berg- und Waldgegend"; diese Auffassung
ist jetzt nicht mehr statthaft, vgl. JB. XXVI S. 61. Zu Od. I 19, 5
„bimum: junger (eigentlich vorjähriger) Wein"; vorjähriger ist
doch nicht zweijährig. Zu Od. I 27, 9 „jetzt, in vorgerückter
Stunde, war man im Begriff, zu der herben Sorte überzugehen";
ein Wechsel der Sorten ist aus Horazens Darstellung nicht zu
entnehmen. Zu Od. II 13, 26 „Alcäus hat eine goldene Leier";
nein, nur ein goldenes Piektrum. Zu Od. III 19, 6 „quis: nicht
servus oder j>uer, sondern sodalis, in dessen Hause bei der ersten
besten Gelegenheit ein neues Gelage veranstaltet werden kann".
Was Menge mit den Worten „bei der ersten besten Gelegenheit"
und „neues" meint, ist mir nicht recht deutlich; aber jedenfalls
hätte überhaupt nicht an einen sodalis gedacht und von Kießlings
Auffassung nicht abgegangen werden sollen. — In manchen Äußer-
lichkeiten wäre etwas mehr Gleichmäßigkeit zu wünschen. So
werden griechische und lateinische Götternamen bunt gemischt:
S. 6 Athene, Venus, Mars; S. 9 Zeus, Castor, Pollux. Ferner S. 6
Goras, Tiburnus und Gatillus; S. 26 Tiburtus, Coras und Catillus.
S. 9 Tyndäreos, S. 11 TYndareus (unrichtig); S. 21 Britten, S. 66
Briten; und ähnliches mehr.
Die Verlagsbuchhandlung hat das Buch trefflich ausgestattet:
das Papier ist schön, der Druck sauber und von Fehlern frei, der
Einband geschmackvoll; ein leeres Blatt mit der Überschrift
„Widmung" fordert dazu auf, das Buch als sog. Präsentgegenstand
zu verwenden.
15) Otto Lehmann, Ausgewählte poetische Übersetzungen. Pro-
gramm des Gymnasiums zu Wittstock, 1904.
Darin finden sich S. 62 ff. die Übersetzungen zweier Horazi-
scher Oden, II 3 und III 26. Den Vorzug geben wir der letzteren,
die folgendermaßen beginnt:
In der Liebe leichtem Kriege
Hab' ich manchen Buhm errungen,
Gar von manchem Minnesiege
Hat die Leier mir geklungen.
16) Edmund Vogt und Friedrich van Hoffs, Satiren des Horaz,
im Versmaß des Dichters übersetzt. Zweite Auflage, vielfach ver-
bessert und mit erklärenden Anmerkungen versehen von F. van Hoffs.
Berlin 1904, Weidmannsche Buchhandlung. 145 S. 8. 2,40 Jt.
Zu der oben Nr. 10 angezeigten hexametrischen Satirenüber-
setzung gesellt sich noch eine in demselben Jahre, doch diese
von gutem Schrot und Korn.
Die augenfälligsten Abweichungen dieser zweiten Auflage von
der im Jahre 1885 erschienenen ersten sind folgende: hinzugefugt
hat van Hoffs die Übersetzung der Satiren II 4 und II 8, dagegen
74 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
die der Oden (es waren in der ersten Auflage ihrer 26 über-
tragen, z. T., namentlich bei Anwendung moderner Form, recht
geschickt) weggelassen; außerdem hat er Sacherklärungen in Fuß-
noten beigegeben. Die neue Auflage enthält also nunmehr alte
Satiren außer I 2, I 8 und II 7.
Zuerst vom Versbau. Die Schwierigkeit, welche vielen Über-
setzern die größere Kürze des lateinischen Ausdrucks bereitet, ist
hier verständig und glücklich dadurch umgangen, daß, wo dies
wünschenswert war, eine größere Zahl von Versen angewandt
wurde, als deren der lateinische Text bietet; so hat z. 6. die Satire
I 3 bei Horaz 142 Hexameter, in dieser Übersetzung 157. In-
folge dieses Kunstgriffes, sowie infolge der Sorgfalt, die auf den
Bau der Verse verwendet ist, lesen diese sich größtenteils hin-
reichend glatt, und der saloppe Charakter, der ihnen mit wohl-
erwogener Absicht verliehen ist, steht ihnen recht gut Verhältnis-
mäßig selten begegnen Verse, die ich für weniger gelungen er-
achte, z. B.:
Sat. I 4, t „Eupolis und Aristophanes, auch Kratinus und
andre4',
Sat. I 6,43 „Mit Musik auf dem Forum44 usw., an welcher
letzteren Stelle der durch den Sinn nicht geforderte Sperrdruck
dem Versanfange nicht aufhilft. Daß das Versende oft zwischen
eng zusammengehörige Satzteile fällt, z. B. zwischen die Prä-
position und den von ihr regierten Kasus, paßt durchaus zu dem
leichten Tone dieser Verse; etwas bedenklicher ist mir allerdings
die häufige, wohl auf Horazens einmaligem Vorgange (Sat. II 3, 117)
fußende Zerschneidung eines Kompositums durch das Versende:
I 1, 36 „Wasser || mannes44, I 3,89 „vor || lesen", I 5,63 „Schäfer ||
tanz44, 1 10, 63 „wildbach || ähnlich", 1 10. 90 „Blaustrumpf || chöre44,
II 3, 111 „Getreide || berg'4, II 3, 117 „neunund || siebzigjähriger44,
II 3, 243 „Zwillings || brüder44, II 6;111 „Türen || klappen44, II 8^22
„Ehren || gastes44. Auch die Betonung und Messung „Tjndareus",
I 1, 100, muß beanstandet werden.
Fast noch größeres Lob als der Versbau verdient bei dieser
Übersetzung die Sprache, die durch ihre flotte Gewandtheit, durch
ihren frischen, burschikosen Ton eine Vorstellung von der Sprache
des Originals zu erwecken sucht und an die allerdings nicht leicht
zu übertreffende oder auch nur zu erreichende jambische Über-
setzung von Bardt erinnert; namentlich wirken auch kleine Ana-
chronismen des Ausdrucks belustigend. Nur ein paar solcher
Wendungen will ich zur Probe herausgreifen : I 3, 17 (und sonst
oft) „Dukaten44; I 3,137 „Dreier44; I 5, 7 f. ventri indico bellum
„schnitt ich dem Bäuchlein die Zufuhr ab44; I 5, 62 fadem „die
Visage44; I 6, 37 omnes mortales „Hinz und Kunz44; I 6, 48 legio
„Feldregiment44, tribunus „Oberst44 ; I 9, 35 f. quarta tarn parte diei
praeterita „neun Uhr schlug's44; 1 10,91 discipularum „Blaustrumpf-
chöre44 (doch trifft dieser Ausdruck, der auf einen Kießiingschen
Horatius, von H. Röhl. 75
zurückgeht, wohl nicht ganz den Sinn); II 3,143 festis diebus
„am Sonntag"; II 3,215 vestem paret „in Seide kleidete"; 11 6,69
legibus insanis „durch tollen Komment". — Nur hie und da ein-
mal mußte ich einen Ausdruck für mißglückt halten, so I 6, 6
libertino patre natum „den Sohn des Gefreiten". Das Wort „Ge-
freiter" hat bei uns schon einen andern Sinn, und dieser drängt
sich dem Leser störend dazwischen. — Um der leichteren Ver-
ständlichkeil willen wird mitunter auf archäologische Details ver-
zichtet: I 3,90 f. catillum Euandri manibus tritutn „ein Näpfchen,
ein Hauptkabinettstück"; I 9, 11 f. o te, Bolane cerebri felicem
„o glückliche Tugend der Grobheit"; II 3, 69 scribe decem a
Nerio etc. „der Gläubiger läßt vorsichtig das Darlehn nur durchs
Bankhaus zahlen, damit's in den ßüchern bezeugt ist"; II 3, 83
Anticyram omnem „den ganzen Vorrat", nämlich an Nieswurz;
hier freilich scheint mir der zum Ersatz gewählte Ausdruck unklar,
und ich würde eine Wendung wie „ganze Plantagen" (vgl. Schiller
in der Vorrede zu den Räubern) vorziehen. — Interessant ist
auch, wie hier die schwierige Aufgabe gelöst wird, das Wortspiel
II 6, 14 f. pingue pecus domino facias et cetera praeter ingenium
zu übersetzen:
„Segne mir Vieh und Land! Laß Kohl mir gedeihn auf der
Flur, doch
Nicht im Kopf".
Zur Vergleichung füge ich zwei ältere Übersetzungen derselben
Stelle bei:
Blümner: „Mach mein Herden vieh
Recht fett, und alles andre gleichfalls ( — nur
Behüte vor Verfettung mein Genie — )";
Bardt: „Korn laß gedeihn auf Fluren nah und fern,
Stroh überall, nur nicht im Kopf des Herrn!"
Nun ein paar Stellen, an denen mir der Sinn nicht getroffen
scheint. I 1, 49 qui nil portarit „der schlau sich den Rücken
freihielt"; ob ein Sklave ßrotträger sei oder nicht, das hängt
nicht von seiner Schlauheit, sondern vom Belieben des Herrn ab.
I 1, 105 est inter T anain quiddam socerumque Viselli „zwischen dem
Tanais und des Visellius Schwiegerpapa gibt's doch eine Kluft
noch"; nicht sowohl eine Kluft als vielmehr ein Mittelding.
I 5, 11 f. tum puerinautis, pueris convicia nautae ingerere „neckenden
Scheltruf wechseln die Schiffer und Sklaven"; sie schimpfen im
vollsten Ernste. Auf kontroverse Stellen einzugehen wäre hier
natürlich nicht angemessen; aber zu solchen gehören heutzutage
nicht mehr I 9, 27 (vgl. JB. XXX S. 34) und II 5, 90 f. (vgl. JB.
XXVI S. 66), an welchen Stellen die vorliegende Übersetzung
doch noch die alten erledigten Auffassungen bietet.
Noch eine Bemerkung zur deutschen Orthographie: die
Schreibungen „verfemt" und „Haarscherkünstler" (beides S, 49)
sind unstatthaft.
76 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Und zum Schlüsse als Probe ein paar zusammenhängende
Verse, I 3,1 ff.:
„Unart ist's durchweg hei den Sängern, im Kreise der Freunde
Niemals herzlicher Bitte ein Liedchen zu spenden, doch ohne
Ende zu singen, wenn keiner es wünscht. Auch Tigellius hatte
Diese Marotte. Wenn Cäsar, der Herr, bei des Vaters und seiner
Freundschaft bitten ihn wollte, er hätte vergebens gebeten.
Faßte ihn aber der Kitzel, so legte er los von der Suppe
Bis zum Dessert: „Juchheißa !" im höchsten Falsett und im tiefsten
Basse".
III. Abhandlungen.
Es sollen zunächst einige ältere Abhandlungen aus dem Philo-
logus nachträglich besprochen werden.
17) Hugo Jurenka, Zur Würdigung der Römeroden des Horaz.
Im Philologus LVII (N. F. XI) 1898 S. 289—306.
Diese Abhandlung geht nicht darauf aus, alle sich an die
Römeroden knüpfenden Fragen durchzusprechen, sondern sie will
in der Komposition dieser Oden manches aus psychologischen
Eigenheiten des Horaz, aus einer gewissen Schwäche auf dem
Gebiete der höheren Lyrik und aus Anlehnung an griechische
Vorbilder erklären. Der Standpunkt des Verfassers unterscheidet
sich angenehm von dem mancher Interpreten, die von vornherein
annehmen, bei Horaz müsse alles großartig, tief und vollkommen
sein, und dann lieber zu gekünstelten Deutungen und Unter-
schiebungen greifen, als daß sie von jenem Phantasiebilde etwas
aufgeben möchten. Natürlich aber muß man sich vorbehalten,
in einzelnen Punkten auch von Jurenkas Meinung abzuweichen.
Einiges sei aus seiner Abhandlung besonders angemerkt.
Zu Od. III 1. Von der zweiten, dritten und vierten Strophe
sagt der Verfasser: „Da weise mir einer ein logisches Band nach!"
Ich meinerseits habe hier nie Anstoß genommen, sondern den
Zusammenhang so aufgefaßt: „V. 5—8, alle Menschen stehen
unter der Gottheit; V. 9 — 16, alle Menschen stehen unter der
Gewalt des Todes". Den Begriff „alle Menschen" veranschaulicht
der Dichter das erste Mal, indem er uns übereinander liegende
Schichten vorführt, das zweite Mal, indem er wie beim Induktions-
beweise die Richtigkeit seiner Behauptung an einer ziemlichen
Anzahl nebeneinander bestehender Fälle nachweist. Zusammen-
genommen handeln also die Verse 5 — 16 über die Stellung der
Menschen in der Welt, worauf dann die Verse 17 — 40 die Frage
beantworten, inwieweit es den verschiedenen Menschen (dem
Gottlosen, dem genügsamen Armen, dem maßlosen Reichen) ge-
lingt, glücklich zu werden. — Zu Od. III 3. Sehr beifallswert
erscheint mir folgende Bemerkung zu V. 16 ff.: „Es ist durchaus
"*
Horatius, von H. Röhl. 77
nicht nötig, zwischen dieser Rede und dem Vorhergehenden ein
logisches Band ausfindig zu machen, daß nämlich der tenacitas
propositi die Treulosigkeit Trojas entgegengestellt werde. Die Er-
wähnung des vergöttlichten Romulus leitet in den Olymp, und ein
solches äußerliches Band genügt der Lyrik vollauf, ganz neue
Betrachtungen anzuschließen". (Vgl. unten zu Kampfhenkels Ab-
handlung.)
Zu Od. III 4. Jurenka denkt bei V. 1 und 4 mit manchen
andern an Lieder zur Flöte und Leier. Aber stimmt das zum
Sprachgebrauche? Tibia dicere kann doch wohl wie das prosaische
tibiis canere nur „Flöte blasen" bedeuten; „zur Flöte singen"
wäre ad tibias canere. — Recht auffällig ist Jurenkas Bemerkung zu
Od. III 4, 5: „Auditis geht, wie Burmann zu Val. Place. Argon. 178
dem Acron nacherklärt, nur an die Musen". (Acrons Scholion
lautet: dum ad solam Calliopen loqueretur, dixit 'auditis'). „Ferner
ist videor mihi (wie doxco poi) s. v. a. puto, und davon hängt ab:
a) Musas (Subj.) me (Obj.) audire, b) me (Subj.) per pios lucos
errare". Statt solche unerhörten Konstruktionen anzunehmen,
empfiehlt es sich doch, bei der üblichen, schlechthin unanstößigen
Auffassung zu verbleiben.
Zu Od. III 5. Jurenka übersetzt V. 1 ff. „Im Himmel
irgendwo, so glaubten wir, herrsche ein donnernder Jupiter:
aber — was viel mehr ist — als ein gegenwärtiger Gott wird
Augustus gelten, wenn er einmal . . ." und zeiht den Dichter arger
Gottlosigkeit. Indes liegt die Schuld doch wohl nur an der Ober-
setzung. Man fasse die Stelle so auf: „Wir haben bisher ge-
glaubt, daß der donnernde Jupiter nur im Himmel herrsche; aber
wir werden andrer Ansicht werden und den Augustus für den
auf Erden erschienenen Gott Jupiter halten, wenn er . . .", und es
liegt eben nur eine dem Zeitgeiste entsprechende Schmeichelei vor.
Zu Od. III 5. Die erste Strophe ist von der zweiten nach
des Verfassers Ansicht durch eine Kluft getrennt. Aber der Gang
der Ode scheint mir ganz klar; sie handelt, chronologisch rück-
wärts schreitend, über das Verhalten der Römer in Kriegen mit
Barbaren, und zwar in drei Teilen: 1) über bevorstehende Groß-
taten des Augustus, 2) über unmännliche Haltung von Römern
in der letzten Zeit der Republik, 3) über ein Beispiel von Helden-
mut aus älterer Zeit. Und zwar sind der erste und zweite Teil
gekuppelt durch die Identität der Feinde (Parther), der zweite
und dritte Teil durch die Identität der Situation (Gefangenschaft
von Römern). Von einer Kluft kann also nicht die Rede sein.
Zu Od. III 6, 25 ff. „Es ist begreiflich, daß sie sieb durch
jüngere Hausfreunde entschädigt, mit denen sie den damals schon
alten Spaß aufführt, daß plötzlich die Lichter auslöschen". Hier
liegt ein Mißverständnis vor. Durch die Worte donare impermissa
raptim gaudia luminibus remotis wird ja eine minder schlimme,
verschämte Form des Ehebruchs charakterisiert, die eben neuer-
78 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
dings durch eine ganz arge, freche Form abgelöst ist; die jetzige
Ehebrecherin non eligit, non donat, non removet lumina.
18) Constantin Balle, Die Archytas-Ode und der Moos Matious.
Im Philoiogus LVII (N. F. XI) 1898 S. 340—343.
Die Ansicht des Verf. liegt hauptsächlich in folgenden Sätzen.
Wir hätten zwei Gedichte (V. 1—16, V. 17—36) vor uns, die
Horaz auf der Seefahrt, die ihn nach der Schlacht bei Philippi
nach Italien zurückbrachte, gedichtet habe, oder deren Motive
doch auf diese Seefahrt zurückgingen. Die Leiche des Schiff-
brüchigen, dem die herbstlichen Sudsturme in den illyrischen
Fluten den Tod gebracht, werde dem Dichter in der Gegend von
Neretum, demjenigen Punkte, wo ein Schiff, das in die hesperi-
schen Gewässer steuerte, sich allein den illyrischen Fluten näherte,
vor Augen gekommen sein. Das litus Matinum habe man am
ehesten nahe bei Tarent zu suchen. Mir sind bei der Auffassung
des Verf. sowohl die Teilung des Gedichtes als auch die geographi-
schen Verhältnisse bedenklich; doch scheint es nicht zweckmäßig,
hier auf diese Ode ausführlicher einzugehen.
19) Hans Lucas, Die Herkunft Bioos*und Horazens. Im Philologus
LVIII (N. F. XII) 1899 S. 622—624.
Lucas sticht zu erklären, woher die Oberlieferung entstanden
sei, daß sowohl Bions Vater als auch der des Horaz Salzfisch-
händler gewesen seien. Durch die Angaben, daß die beiden Väter
sich mit dem Ellbogen geschneuzt hätten (Diog. Laert. IV 7, 46,
Suet. Vit. Hör.) seien diese nur als Leute niederen Standes charak-
terisiert; die Deutung auf Salzfischhändler beruhe auf dem törichten
Zusätze des Diogenes oder seiner Quelle, bzw. auf falscher Aus-
legung der Schneuznotiz seitens des Sueton.
Soweit ich die antiken Schneuzgebräuche beurteilen kann,
muß ich glauben,- daß Lucas dem Diogenes und Sueton unrecht
tut. Die in Betracht kommenden Stellen lauten: Auct. ad Herenn.
IV 54 : Per consequentiam significatio est, cum res quae sequantur
aliquant rem dicuntur, ex quibus tota res relinquüur in suspüione;
ut st salsamentarii filio dicas: quiesce tu, cuius pater cubito se
emungere solebat. Plut. quaest. conv. 631 D: cO ydq elnwv %a-
QtyoncAlijV, amo&sv iXotdoQijtiev 6 de (pqöag, MspvqfAS&d
as Tta ßqa%iovi, anoiivxxoiievov, e'axwipe. Suet. Vit. Hör.: Patre
ut ipse tradit libertino et exactionum coactore, ut vero creditum est
salsamentario, cum Uli quidam in altercatione exprobrasset: quotiens
ego vidipatrem tuum brachio se emungentem. Diog. Laert. IV 1, 46:
*Epol o nazijQ fiiv ijv ansXBvd-eqoq, zw äyxoovi äno(Ava<s6[A€Vog
— disdijXov de* xov xaqix^iJL7l0Q0V — yhfoq BoQVG&evlzqs.
Macrob. Sat. VII 3, 6: Est autem loedoria huius modi 'oblitusne es
quia salsamenta vendebas?' scomma autem, quod diximus satpe
contumeliam esse celatam, tale est 'meminimus quando brachio te
Horatius, von H. Röhl. 79
emungebas\ Aus diesen Stellen, meine ich, geht deutlich hervor,
daß es eine Eigentümlichkeit ausschließlich der Salzfischhändler
war, sich mit dem Unterarm (nicht „mit dem Ärmel1', wie Lucas
yon Leuten niederer Herkunft an einer Stelle fälschlich sagt) die
Nase zu wischen, derart, daß man witzig für „Salzfischhändler"
sagen konnte „einer, der sich die Nase mit dem Arme wischt"
(ähnlich wie bei uns statt „Seiler": „einer, der ein rückwärts-
gehendes Geschäft treibt"). Und das war eine wohlberechtigte
Eigentümlichkeit; denn da der Salzfischhändler seine Hände fort-
während in die Fischlake tauchte, so konnte er mit Rücksicht
sowohl auf seine eigene Nase als auch auf heikle Kunden sich
nicht wie andere Leute mit den Fingern oder dem Handrücken
die Nase wischen, sondern mußte dazu den Arm benutzen; vgl.
Eust. U. S. 723.9: ov XQ^Gig iv tw 'navrjq reo äyxoovi ano-
fjbvaa6[i€Pog\ diu to py s%ew drjladij tovto notstp tjj %biqI
ms%okov^ivr[ rtsgl aXinaGvct, und bei Forcellini: huiusmodi arti-
fices, cum sordentes habeant semper rnanus, si quando nares emungere
opus est, cubito id facere coguntur.
Sonach ist die Oberlieferung, daß Horazens Vater Salzfisch-
händler gewesen sei, noch nicht als ein Mißverständnis seitens
des Sueton erwiesen.
20) Wilhelm Heraeus, Zur Kritik und Erklärung von Porfvrios
Horazscholien. Im Philologus LIX (N. F. XIII) 1900, S. 158—160,
317—320, 477—480, 630-633.
Von den zahlreichen Bemerkungen des Verf. führen wir nur
einige interessantere an. Zu Od. III 5, 23. Das verdorbene sacer-
dotes ändert Heraeus in socordes (Petschenig und Holder in se-
curiores). — Zu Od. III 5, 39. Für donis malis setzt Heraeus
pugnis malis (Petschenig und Holder: damnis magnis). — Zu Sat.
I 6, 49. Desgl.: nisi virtute in se probata, statt msi virtute in se
provocatam. — Zu Sat. I 6, 120. Desgl.: vultuosus, statt tumultuosus.
— Zu Epist. II 1,171. Desgl.: Dosennus et ipse pravus habetur;
Holder ganz anders. — Zu Epist. II 1, 206. Zu dixit sei nicht
Horaz Subjekt, sondern dixit sei das von Horaz gebrauchte Wort,
und durch quasi werde die Nichlwirklichkeit angedeutet; Holder
hätte also dixit gesperrt drucken sollen. — Zu Epist. II 1, 267.
Heraeus: accepli, statt aeeepta.
21) Hans Lucas, Die Neunzahl bei Horaz und Verwandtes. Im
Philologus LIX (IN. F. XIII) 1900 S. 466—469.
Der Verf. will, wie das von anderen schon Epist. II 3, 388
geschehen ist, an noch einigen Stellen, Sat. I 6, 61 revocas nono
post mense, Od. IV 1 1, 1 est mihi nonum superantis annum plenus
Albani cadus und «** h 7, 118 accedes opera agro nona Sabino,
das Zahlwor' le einer runden Zahl fassen. An der
erstgenannt es „einige Monate", „eine gehörige
SO Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Zeit"; eine Zwischenzeit von neun Monaten wurde den dankenden
Verzicht auf so vorsichtige Freundschaft zur Folge gehabt haben.
Und an der letzten Stelle würde bei acht Gutssklaven der fundus
Sabinus weit größer erscheinen, als man sich das Gütchen nach
der sonstigen Schilderung des Dichters vorzustellen habe.
Solche Fragen werden sieb nicht in jedem Falle in evidenter
Weise erledigen lassen. Natürlich, wenn Horaz sagt nonum
prematur in annum, so würde ja für die Ablagerung der Gedichte
eine etwas kleinere Zahl ziemlich dieselben Dienste leisten; aber
er wählt die Zahl neun, um recht streng zu sein und um durch
die geheiligte Zahl dreimal drei seiner Vorschrift eine Art von
religiösem Klange zu verleihen. Und auch bei seinem Albaner-
wein, dessen Alter ihm niemand nachrechnen konnte, mochte er
nach Belieben eine volle, runde Zahl greifen. Anders aber steht
es doch mit jener von Mäcenas verhängten Wartezeit. Um deren
Dauer wußten zu viele, als daß Horaz in ihrer Angabe eine stärkere
Abweichung von der Wahrheit wagen durfte. Und die neun
Monate sind doch nicht etwa wegen einer gewissen Verpflichtung
zur Empfindlichkeit innerlich unglaubwürdig; dabei kommt es
eben auf Personen und Umstände an. Ebenso wird man, meine
ich, an die (mit dem Bedrohten) neun Gutssklaven glauben müssen.
Mit den sonstigen Angaben des Dichters und mit den antiken
Sklavenverhältnissen ist diese Zahl durchaus vereinbar; eine Über-
treibung aber hätte keinen vernünftigen Zweck gehabt, sondern
würde denjenigen, die die Verhältnisse des Dichters kannten, als
unpassende Flunkerei erschienen sein.
22) Th. Zieliuski, Marginalien. Im Philologus LX (N. F. XIV) 1901
S. 1 und 2.
S. 1. Bei den Worten Epist. II 3, 199 iustitiam legesque et
apertis otia portis hat Horaz nach Zielinskis Vermutung einen be-
stimmten, uns nicht erhaltenen, Sophokleischen Chorgesang im
Auge gehabt, der dem Lobe der drei Hesiodischen Hören Jixij,
Evpo/xia, ElQtjvtj galt.
S. 2. Am Ende der Pyrrhaode I 5, 16 verlangt Zielinski
deae für deo, da hier diejenige Gottheit herpasse, der die beiden
im vorhergehenden genannten Elemente, das Meer und die Liebe,
Untertan seien. Lucian Müller hat in seiner großen Ausgabe
diese Konjektur wegen der Möglichkeit obseönen Nebensinnes ab-
gelehnt; und auch davon abgesehen, läßt sich eine innere Not-
wendigkeit für den Dichter, hier zum Schlüsse in dem allegori-
schen Ausdrucke auch noch den wirklichen Sinn mitanzudeuten,
nicht erweisen.
Ho rat i us, von H. Röhl*. 8 t
23) L. KieroBski, Quid Horatias de sua carininuoi et sermonum
compo neu doruin ratioae praedicavisset, exposuit L. K. Pro-
gramm des Gymnasiums zu Buczacz, 1902. 16 S. 8.
Den Inhalt der Abhandlung gibt der Verf. selbst so an: Ac
primum videamus, quid Horatius de sua indole et arte poetica
censuerit, deinceps quas res, quo modo, quo consilio carminibus
tractaverit, tum quod extremum erit, quas laudes sibi ipse, quas
ei veteres artium iudices tribuerint, quibus denique laudibus, si
ad nostra arlis praecepta referatur, dignus sit. Eine eigentliche
Förderung der Horazforschung ist wohl nicht angestrebt; aber das
Schriftchen wurde geeignet sein, von Schülern der obersten Klassen
durchgearbeitet zu werden, wenn es nur von allerlei Versehen
und von Druckfehlern wäre gesäubert worden.
24) Philippus Caccialanza, Zu Hör. Od. II 7,10. In der Rivista di
filologia e d' istruzione classica XXX (1902) S. 340—343.
Caccialanza führt aus, daß Horaz in Od. II 7, 10 ff. die Feig-
heit der bei Philippi Besiegten habe tadeln wollen.
25) ftemigio Sabbadini, Orazio Carm. III 5. In der Rivista di filo-
logia e d' istruzione classica XXX (1902) S. 446.
Sabbadini faßt den Zusammenhang der Ode III 5 so auf:
Giove regna in cielo (e ha a cuore le cose nostre) e Augusto in
terra: e intanto resta invendicata I' onta di Carre, che si perpetua
nei soldati romani schiavi del nemico. Ma quei soldati potevano
ben evitare di perpetuar 1' onta, seguendo 1' esempio di Regolo.
Meines Erachtens ist hier namentlich die erste Strophe stark miß-
verstanden; wie ich (nicht als der erste) diese Strophe und den
ganzen Gang der Ode glaube auffassen zu sollen, ist oben bei
Nr. 17 dargelegt worden.
26) Gaetano Curcio, Le invocazioni nell' arte poetica. In der
Rivista di filologia e d' istruzione classica XXX (1902) S. 593 — 596.
Der Verf. untersucht die in der ars poetica vorkommenden
Anreden daraufhin, ob dieselben sieb auf einen fingierten Zwischen-
redner oder auf einen bestimmten Adressaten beziehen, und
kommt zu dem Resultate, daß von V. 366 an alle Anreden auf
den maior iuvenum gehen. Daher vermutet er, daß das Stück
V. 366 — 476 geschrieben sei, ohne in genaue Beziehung zu den
vorhergehenden Stücken gesetzt zu sein, und erblickt hierin einen
Beitrag zur Entstehungsgeschichte der Ars poetica. — An Curcios
Beobachtung ist natürlich nicht jede Einzelheit neu, wohl aber,
soviel ich sehe, die Zusammenstellung und die Schlußfolgerung;
mir erscheint Curcios Gedanke recht anmutend, und so sei er
weiterer Erwägung und Prüfung warm empfohlen.
Jahresbericht« XXXI. ß
82 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
27) Pietro Rasi, Di Lucilio rudis et Graecis intacti carminis
auctor. In der Rivista di iilologia e d' istruzione classica XXXI
(1903) S. 121—125.
Vor einigen Jahren hatte Rasi in einem kleinen Aufsatze,
über den im JB. XXVIII S. 52 f. referiert ist, seine Ansicht über
Sat. I 10, 66 dahin ausgesprochen, daß dem Worte auctor gleich-
zeitig ein allgemeiner Sinn und ein spezieller (also auf Lucilius
hindeutender) Sinn zu geben sei. Jetzt glaubt er, dieser Inter-
pretation eine Stütze geben zu können durch den Hinweis aut
Y. 59, wo in st quis gleichfalls jener Doppelsinn liege. Es ist
aber zu befürchten, daß die Parallele nicht jedem so schlagend
erscheinen wird wie dem Verfasser. An der letzteren Stelle steigt
der Dichter von dem individuellen Begriffe LuciJius zu dem
Gattungsbegriffe quis auf, um nun wieder zu einem andern, der-
selben Gattung angehörigen individuellen Begriffe, Cassius, 'hinab-
steigen zu können; das ist ebenso natürlich, wie der in auctor
gesuchte Doppelsinn gekünstelt.
28) Mortimer Lamson Earle, De Horatii serm. I 1. Io der Revue
de philologie XXVII (1903) S. 233—235.
Die böse Stelle Sat. I 1,1 08 ff. will Earle so schreiben und
interpungieren:
Illuc unde abii redeo. Quia nemo, ut avarus,
se probat ac potius laudat diversa sequentis
quodque aliena capella gerat distentius über
tabescit neque se maiori pauperiorum
turbae comparat, hunc atque hunc superare laborat —
sie festinanti temper locupletior obstat — ,
ut, cum carceribus missos rapit ungula currus,
instat equis auriga suos vincentibus, illum
praeteritum temnens extremos inter euntem;
inde ß ut raro qui se vixisse beatum
dicat et exacto contentus tempore vita
cedat, uti conviva satur, reperire queamus.
Also im wesentlichen wie Teichmüller im Gnesener Gym-
nasialprogramm 1865 und im Rheinischen Museum 1903 (vgl.
JB. XXX S. 56 ff.). Sehr richtig bemerkt Earle selbst: Atqui ne
nunc quidem prorsus iustum ad interrogationem suam responsum
reddit Horatius In diesem Jahresberichte ist schon oben bei
Nr. 4 über diese Stelle gehandelt worden, so daß von einem er-
neuten Eingehen auf dieselbe abgesehen werden kann.
Weiter bespricht Earle andere Stellen dieser Satire, teils
fremden Konjekturen zustimmend, teils eigene aufstellend. Wir
verzeichnen nur die letzteren. In V. 4 verlangt Earle auf An-
regung eines Kollegen: o fortunatos mercatores! Sehr unnötig;
nichts hindert, fortunati mit Kießling prädikativ zu fassen; man
vergleiche Stellen wie O fortunata mors, quae, naturae debita, pro
Horatius, von H. Röhl. g3
patria est reddita Cic. Phil. XIV 31, 0 magna vis veritatis, quae se
per se ipsa defendat Cic. Cael. 63. — In V. 12 sei vielleicht direkte
Rede anzunehmen: „Solos felices viventes" clamat »in urbe"l Dann
wäre aber doch der Nominativ soli zu erwarten. — V. 23 ff. Die
Parenthese läßt Earle vor quamquam beginnen und hinter tarnen
schließen; eine wunderliche Künstelei statt der einfachen Ver-
bindung sed tarnen amoto quaeramus seria ludo. — V. 40. Das ne
sei völlig überflüssig; entweder habe sich Horaz versehen, oder es
sei für dum ne zu schreiben dummodo. Es liegt ein offenbares
Mißverständnis der Stelle vor.
29) Mortimer Lamson Earle, Zu Hör. Od. I 2. In der Revue de
Philologie XXVII (1903) S. 270.
Earle meint, bei der Abfassung von Od. I 2 habe dem Horaz'
Cat. 11 vorgeschwebt. Die Ähnlichkeit besteht allerdings nur
darin, daß in beiden Gedichten die Worte altus, visere, monimenta,
aequor begegnen.
30) Charles Knapp, On Horace, Ödes III 30,10—14. In der Classical
Review XVII (1903) S. 156—158.
Knapp hatte schon früher vorgeschlagen, in Od. III 30, 10 ff.
die lokalen Nebensätze mit dicar zu verbinden. Jetzt verweist
er, um zu zeigen, welchen Wert die Römer darauf legten, gerade
in ihrer Heimat berühmt zu sein, auf Martial I 62 und in diesem
Gedichte namentlich auf die Verse:
duosque Senecas unicumque Lucanum
facunda loquitur Corduba.
te, Liciniane, gloriabitur nostra
nee me tacebit Bilbilis.
Auch Cic. Plane. § 19—22 zieht er heran. Jenes Epigramm ist
allerdings wohlgeeignet, Knapps Auffassung der Horazstelle zu be-
stätigen, und in der Tat dürfte diese Auffassung die einzige sein,
bei der man der Annahme einer Lücke (vgl. E. Schulze und
L. Müller) entraten kann.
31) Ernest Ensor, On the allusions in Horace, Ödes I 14. In der
Classical Review XVII (1903) S. 158—159.
Nach Ensor ist die Ode I 14 in das Jahr 31 und zwar in
die Mitte des Dezembers zu setzen. Augustus hatte auf seiner
Fahrt von Samos nach Brundisium zweimal Unwetter durch-
gemacht, so daß sein Schiff beschädigt war; dieses Schiff rede
nun Horaz an. Die Erwähnung der Cykladen beziehe sich darauf,
daß Augustus nach kurzem Aufenthalte in Brundisium nach dem
Orient zurückzukehren beabsichtigte. — Aber das Horazische Ge-
dicht stimmt nicht zu dieser Annahme. Erstens ist die Situation
eine andere; die Worte refermt in mare te novi fluetus, fortiter
oecupa partum usw. treffen nicht zu für ein Schiff, das nach einer
6*
84 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
bösen Fahrt im Hafen liegt und nun eine neue Fahrt antreten
soll. Zweitens paßt der ernst warnende Ton nicht für Horaz dem
Augustus gegenüber. So paßt auch nicht das von den Cykladen
Gesagte; es ist nicht richtig, wenn Ensor meint: Horace adjures it
to be careful on its way to Asia of the dangerous seas around
the Cyclades; vielmehr sagt Horaz geradezu: Fahre nicht dorthin,
vites aequora interfusa nüentes Cycladas. Es ließe sich noch
manches Argument hinzufügen.
Auch in den Versen Od. I 3, 17 — 20 sieht Ensor eine Hin-
deutung auf die oben erwähnte Seegefahr des Augustus im Jahre 31
beim Akrokeraunischen Vorgebirge. Aber dann würde ja auch
Augustus von dem Vorwurfe der impietas gestreift. — Und ähn-
lich steht es mit Od. II 14, 13 ff., wo Ensor gleichfalls eine solche
Beziehung wittert. Wollte man hier bei Krieg, Hadriameer und
herbstlicher Krankheit an Augustus denken, so käme man zu dem
unziemlichen Sinne: auch der Kaiser kann dem Tode nicht ent-
gehen.
32) W. C. F. Walters, Note on Horace, Ep. I 2, 31. In der Classical
Review XVII (1903) S. 203.
33) Samuel Allen, ebendort S. 261 und S. 327.
Walters will lesen: cessatam ducere curam; dabei faßt er
curam = their business und bemerkt zum Verständnis des von
ihm gewünschten Sinnes: The Phaeacians' idea of correct conduct
in life was to sleep to midday and then to have a long spell of
the other forms of indulgence, their real business, that sleep had
interrupted. — Allen, S. 261, merkt an, daß cessatam schon von
Scaliger konjiziert sei; er selbst schlägt vor: cessatam ducere cenam.
Aber auf S. 327 trägt er nach, daß die Konjektur cenam schon
von Richards in Band XIII (1899) der Classical Review aufgestellt
sei. — Und um in dieser Art von Nachweisungen fortzufahren,
fuge ich hinzu, daß (wie ich aus JB. X VIII, 1892, S. 206 ent-
nehme) dies cenam schon von A. S. 0. in der Classical Review
1891 S. 27S vermutet worden ist. Aber auch A. S. O. hat schon
einen Vorgänger gehabt; denn Keller in den Epilegomena (1879)
S. 604 fuhrt cenam als einen Vorschlag Withofs an.
Mit Fug ziehen die allermeisten Herausgeber die Lesart der
Blandinier somnum der minder bezeugten Lesart curam und den
Konjekturen vor. Zu den in manchen Ausgaben gegebenen
Gründen sei noch folgendes hinzugefugt: curam tritt in eine sehr
mißliche Konkurrenz mit dem vorhergehenden curare; somnum
dagegen leitet in echt Horazischer Weise leise zu dem mit V. 32
beginnenden zweiten Teile über, in dessen erstem Gedanken auch
der Begriff des Schlafens vorkommt (dies ähnlich bei Kießling).
Ob man bei somnum mit cessatum glaubt auskommen zu können
oder Bentleys cessantem für erforderlich hält, ist dann eine unter-
geordnete Frage.
Horatius, von H. Aöhl. 85
34) £. A. Sonnenschein, The Latin Sapphic. In der Classical Review
XVII (1903) S. 252—256.
35) A. VV. Verrall, The Latin Sapphic. Ebendort S. 339—343.
36) E. Seymer Thompson, The Latin Sapphic. Ebendort S. 456- 458.
Diese drei Aufsätze knüpfen an die Arbeit von Eickhoff (vgl.
JB. XXII S. 26 ff.) an, der die These aufgestellt hatte, daß Horazens
sapphische Verse neben dem metrischen auch einen rhythmischen
= akzentuierenden, auf dem Wortton beruhenden Bau hätten.
Sonnenschein stimmt der EickhoiTschen Hypothese zu, jedoch
mit zwei Abweichungen. Erstens will er den sapphischen Vers
nicht so auffassen: l J JJJM'IIL sondern
&0W | && I 0000 I & & |
so: h M I J J I h h h fc I J J I. Zweitens ist er der
Ansicht, daß Horaz seine Verse für Rezitation und nicht für
Musik schrieb.
Aus Verralls Erörterung hebe ich den folgenden befremdlichen
Gedanken heraus: Suppose it known to Horace by experiment,
that, whatever he intended, many would take the stanza saepius
t n i
veiüis agitatur tngens etc to have naturally tbe rhythm here given,
and would read it so as a matter of course In such
circumstances the Romanae fidicen lyrae might well think that,
until the Aeolii modi should become generally known to his
countrymen, the best way to get a hearing for Sapphics was to
write them so that people who did not know Sappho, and had
no natural disposition for the 3-time rhythm, might at any rate
be able to read them.
Schließlich Thompson. Horazens Vorstellung von dem normalen
lateinischen Sapphicus sei diese gewesen: | I M 1,11 I
I II I I I . Die Römer seien aber geneigt gewesen, solche
&' 0 | & & |
Verse mit dem Tone auf der ersten, vierten, sechsten und zehnten
Silbe zu lesen. Dem habe Horaz entgegentreten wollen und zu
diesem Zwecke z. B. im ersten Buche bei drei sapphischen Oden
(I 10. 12. 30) im ersten Verse die weibliche Cäsur angewandt,
und da diese Vorsichtsmaßregel noch nicht den gewünschten Er-
folg gehabt hätte, habe er später im vierten Buche und beim
Säkularliede die weibliche Cäsur häufiger als früher benutzt.
Ich meinerseits stehe auf völlig anderem Standpunkte und
bin der Ansicht, daß die ganze Eickhoffsche Hypothese auf irrigen
Schlüssen beruht, wie ich dies im JB. XXII S. 26 II. nachzuweisen
verglicht habe,
86 Jahresberichte des Philolog. Vereins.
37) Eraest Ensor, Od Horace, Ödes IV 8, 13—22. In der Classicai
Review XVII (1903) S. 256—258.
Durch das einfache Mittel zweier Athetesen und zweier Wort-
änderungen gewinnt Ensor folgenden Text:
Non incisa notis marmora publicis,
per quae spiritus et vita redit bonis,
reiectaeque retrorsum Hannibalis minae
illum, qui domita nomen ab Africa
lucratus rediit, clarius indicant
laudes quam Calabrae; Pieridum neque
si chartae sileant quod bene feceris,
mercedem tuleris.
Daß freilich damit die Stelle endgültig erledigt sein sollte,
ist mehr als zweifelhaft,
38) Hugo Willenbücher, Bemerkungen zur Lektüre des
ersten Buches der Oden des Horaz. In den Lehrproben
und Lehrgängen 1903, Heft 76, S. 17—30.
Der Verf. erachtet es für „verfehlt, bei der Besprechung der
Oden die bunte Reihenfolge, in der sie überliefert sind, beibehalten
zu wollen11. Nun sind ja aber die Oden in der Reihenfolge über-
liefert, die ihnen Horaz selbst gegeben hat, und ,in der er sie
gelesen wissen wollte; warum soll es also verfehlt sein, der Ab-
sicht des Dichters gemäß zu verfahren? Der Willenbücherschen
Meinung genau entgegengesetzt ist, um von anderen zu schweigen,
das Urteil Oskar Jägers: „Die Ordnung, in der die Oden gelesen
werden, darf nur die überlieferte, vom Dichter selbst herrührende
sein", vgl. JB. XXX S. 55, wo ich ihm völlig beipflichtete. Willen-
bücher will mit Rücksicht auf Metrum und Inhalt dem Schüler
die Oden des ersten Buches in folgender Ordnung vorführen:
1. 6. 19. 33. 16. 9. 27. 7. 24. 36. 29. 3. 34. 10. 21. 14. 37. 2. 22.
31; die übrigen Oden dieses Buches könnten jederzeit zur Er-
klärung der genannten zwanzig herangezogen werden.
Über die Art, in welcher Willenbücher jede einzelne Ode
behandelt wissen will (grammatisch, sachlich, ästhetisch), dürften
heutzutage keine stärkeren Meinungsverschiedenheiten bestehen.
In Od. I 7, 10 verlangt der Verf., um einen Zusammenhang
zwischen den beiden Teilen herzustellen, te statt des überlieferten
me. Diese Konjektur meine ich ablehnen zu sollen; meines Er-
achten s kommt es ganz wunderlich heraus, wenn Horaz dem
Plancus vorträgt, daß ihm, dem Plancus, Lacedämon und Larissa
weniger gut gefallen hätten als Tibur. Aber sei dem, wie ihm
wolle: jedenfalls ist keine Änderung nötig, und ich möchte, wie
schon an anderer Stelle, über den Anlaß der Ode meine eigene
Ansicht vortragen, die, wenn auch nicht die einzig notwendige,
so doch wohl eine mögliche Erklärung des Baues der Ode bietet.
Plancus hatte also an Horaz geschrieben: „Sage, welche Stadt
^
Horatius, von H. Bohl. 87
rühmt ihr Poeten am meisten? Denn mir ist die Trübsal des
Lagerlebens zu arg; ich will mir einen beglückenden Wohnsitz
suchen". Darauf erwidert Horaz: „Die Dichter preisen verschiedene
Städte; mir gefällt am besten Tibur". Hätte Horaz nun das, was
er noch weiter zu sagen beabsichtigte, anknüpfen wollen, so
hätte er fortfahren müssen: „Aber nachdem ich deine Frage be-
antwortet habe, muß ich dich darauf aufmerksam machen, daß
die ganze Anschauung, in der du von einer Veränderung des
Aufenthaltsortes dein Wohlbefinden erhoffst, falsch ist, vielmehr
usw.". Indes läßt der höfliche Dichter diesen Übergang weg, und
so stehen nun die beiden Teile verbindungslos nebeneinander.
Über die Archytasode urteilt Willenbücher, sie sei ein Dialog;
die Verse 1 — 15 bis verique spreche Horaz, die Verse 15 — 36 von
sed an der Geist des Archytas. Es bietet sich natürlich sofort der
Einwand dar, daß ja dann ein Widerspruch entsteht, indem in
V. 2 ff. Horaz den Leichnam des Archytas als beerdigt bezeichnen,
in V. 23 ff. hingegen der Geist des Archytas erst noch um Be-
erdigung bitten würde. Diesen Einwand schiebt Willenbücher in
etwas seltsamer Weise beiseite durch die Bemerkung, daß aller-
dings Horaz zunächst die Bestattung als erfolgt annehme, aber
durch die Erscheinung des Geistes eines andern belehrt werde.
In der Ode ist ja aber keine Spur von solcher Korrektur der
ersten Anschauung zu finden. Und ferner: welch ein Gedanke,
daß der Leichnam des Archytas drei Jahrhunderte lang unbeerdigt
dagelegen hat und nun den Horaz um Bestattung bittet! Und
woher erkennt denn Horaz von vornherein die Knochenreste als
die des Archytas?
Zu Od. I 16: „Es liegt in deiner Hand, meinen Schmäh-
gedichten in der Weise ein Ziel zu setzen, daß du mich veran-
laßt, sie ganz nach deinem Wunsch entweder ins Feuer oder ins
Meer zu werfen .... Der Zorn bricht freilich oft mit elementarer
Gewalt hervor und ist durch eine gewisse Naturnotwendigkeit be-
dingt, aber er ist etwas Verderbliches und paßt für ein so schönes
Mädchen, wie du bist, gar nicht; drum gib ihn auf!" Ich begnüge
mich mit diesem Referate.
Minder revolutionär ist, was Willenbücher zu Od. I 8 vor-
trägt, und namentlich kann nicht zweifelhaft sein und ist wohl
auch nur von wenigen bezweifelt worden, daß amando perdere
hier „durch Liebe zugrunde richten" heißt, und nicht etwa „sterb-
lich verliebt machen14.
39) E. Stemplinger, Ronsard und der Lyriker Horaz. Eine Quellen-
studie. In der Zeitschrift für französische Sprache und Literatur
XXVI 1 (1903) S. 70-91.
40) E. Stemplinger, Herder und Horaz. In den Blättern für das
Gymnasialschulwesen XXXIX (1903) S. 705—712.
41) E. Stemplinger, Joachim du Bellay und Horaz. Im Archiv für
das Studium der neueren Sprachen und Literaturen CXII 1. 2 (1904)
5. 80-93,
88 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
42) £. Stemplinger, Horazische Motive in der Flucht der Zeiten.
In den Studien zur vergleichenden Literaturgeschichte IV 1 (1904)
S. 104—115.
Von Stemplinger, der über Horazens Nachwirken ganz ge-
waltige Kollektanea, wie wohl kein zweiter, besitzt, hatten wir
schon im vorigen Jahresberichte S. 44 eine Schrift über diesen
Gegenstand anzuzeigen. (Gern sei hier berichtigt, daß ein dort
in Stemplingers Verzeichnissen vermißtes Buchlein doch vom Verf.
S. 500 A. 3 erwähnt ist.) Hier liegen nun wieder vier Mono-
graphien von ihm aus demselben Gebiete vor; wir begnügen uns
aber mit einem kurzen Hinweise, da der Stoff nicht eigentlich in
den Rahmen dieser Berichte hineingehört. Der Inhalt der drei
ersten Abhandlungen ist aus ihren Titeln ersichtlich; in der vierten
wird das Nachleben folgender Horazstellen behandelt: aes triplex,
Od. I 3,9; iustum et tenacem propositi virum—ruinae, Od. III
3, 1 ff. ; tristitiam et metus tradam protervis in mare Creticum
portare ventis, Od. I 26, 1 ff. Den Schluß bildet eine Sammlung
von Dichterstellen, in denen der Gedanke, welchen Horaz Od. I
26, 3 ff. und Od. II 11, lff. ausdruckt, eine moderne Einkleidung
erhalten hat.
43) Karl Stadler, Horaz - Kommentar; II, die Gedichte auf sich
selbst. Wissenschaftliche Beilage zum Jahresberichte der Margareten-
schule zu Berlin, 1904. Weidmann sehe Buchhandlung. 23 S. 4. 1 JC.
Das erste Stuck dieses Kommentars ist bereits im JB. XXX
S. 50 ff. angezeigt; was dort über die Einrichtung desselben ge-
sagt ist, gilt auch für die jetzt vorliegende Fortsetzung. In dieser
werden folgende Horazische Dichtungen behandelt: Od. I 28,
Sat. I 4, Od. I 32, Sat. I 10, Od. II 18, Sat. II 2, Od. II 13, Od.
I 34, Od. I 31, Sat. II 1, Sat. II 7, Od. I 38, Od. III 18, Od. III 13,
Od. III 30, Epist. I 14, Epist. I 20, Od. IV 6, Od. IV 3. Dies ist
nach Stadlers Ansicht die chronologische Reihenfolge. Manche
der hier mit großer Sicherheit vorgetragenen Hypothesen über
die Gedichte sind dem Ref. wieder, wie beim ersten Teile, zu
kühn; ich führe einige derselben an, ob sie vielleicht für andere
überzeugender sind; auch was sonst an Bemerkungen über ein-
zelne Stellen auffällt, sei miterwähnt.
Od. I 28. Die vier ersten Strophen sind hinter die fünf
letzten zu stellen; in V. 14 ist te in me zu ändern. Der Schiffer
spricht nur die sechs Verse Te maris .... morituro? (als ver-
wunderte Frage), das übrige Archytas. — Od. I 32, 15. Lies:
mihi cumque „salveu rite vocanti = wann immer ich die Lyra
grüßend (salve) nach rechtem Dichterbrauch anrufe; vgl. schon
JB. XXVI S. 51. — Od. I 34. In dieser Ode findet Stadler einige
Dunkelheit; in den Versen 5 ff. habe Horaz sagen wollen: „Zwar
vom Blitz, diesem Hauptschrecken der Abergläubischen, wußte und
weiß ich, daß er nimmer aus den Händen eines Gottes stammt,
sondern lediglich aus den Wetterwolken; nun aber usw.". Ich
^
Horatius, von H. Kohl. 89
verstehe nicht, wie man das aus dem Horaztexte herauslesen und
überhaupt die Ode für dunkel halten kann; über den Zweck der
Ode sei auf Friedrichs bekanntes Buch S. 150, sowie auf JB. XXI
S. 223 und XXIX S. 47 f. verwiesen. — Sat. II 1, 86. Solventur
tabulae = die Schreibtafeln wird man freisprechen; risu: er mußte
und wollte sagen ritu = wie es Rechtens ist, ändert aber, wie
durch einen zufälligen lapsus linguae, ritu in risu. — Sat. II 7.
Der Cäsar verlieh ihm, indem er die mangelnde Ingenuitäl von
Vater und Großvater ergänzte, den Ritterrang mit dem Rechte
des goldenen Ringes und der Eintragung in das album iudicum;
überdies bewirkte er die notwendige Erhöhung seines Vermögens
auf den Ritterzensus (400000 Sesterzien) durch eine Schenkung,
vermutlich des Hauses in Tibur, das noch zu Suetonius' Zeiten
stand. — Od. III 18. Das Jahr 727 hat ihm endlich die Gefährtin
zugeführt, die seine ländliche Zurückgezogenheit teilen will: Lyde,
die scheue, ernste. — Od. III 13. Über Horazens Besuch in
Venusia handelt Stadler hier ähnlich wie in einer früheren Publi-
kation, vgl. JB. XXIX S. 52. Die Ankunft ihres berühmten Sohnes
versetzt die kleine Stadt in freudige Aufregung; Horaz begegnet
noch manchem Alten, der sich gar wohl des Knaben erinnert,
mit dem einst der Vater zur Verwunderung vieler nach Rom zog.
Ober diese Hypothesen habe ich absichtlich um der Objektivität
willen nach Möglichkeit mit des Verfassers eigenen Worten be-
richtet; für mich haben sie keine innerliche Beweiskraft.
44) Theodor Matschky, Bemerkungen zur Lektüre des Horaz.
Beilage zum Programm des Gymnasiums zu Krotoschio, 1904. 22 S. 4.
Das Schriftchen läßt durchweg den warmen Freund des
Horaz und den erfahrenen Schulmann erkennen und wird jedem
Leser Freude bereiten, auch wenn er über diesen oder jenen
Punkt anders denkt.
S. 5 ff. Die Metrik will Matschky nicht bei den einzelnen
Gedichten, sondern zusammenfassend (also doch wohl gleich zu
Anfang) lehren, indem zuerst die in den sieben häufigsten Strophen
vorkommenden Versarten, dann deren Zusammensetzung zu jenen
Strophen vorgeführt wird. Das könne leicht in drei Stunden er-
ledigt werden. Ich fürchte aber, schon drei Stunden Metrik werden
manchem Horazlehrer bedenklich erscheinen. — S. 9 ff. Über den
Umfang der Horazlektüre handelnd, tritt der Verf. dem Idealismus
Oskar Jägers entgegen, der für die Unterprima die Lektüre sämt-
licher Oden der drei ersten Bücher, sowie eventuell auch einiger
Epoden verlangt hatte. Eine solche Leistung erklärt Matschky für
unmöglich und befindet sich dabei in völliger Übereinstimmung
mit dem Ref., der in diesen JB. XXX S. 54 über Jägers Forderung
ebenso geurteilt hatte. — S. 13 f. Bei der zu treffenden Auswahl
will Matschky nicht alle erotischen Oden ausgeschieden wissen
(diese Prüderie ist in Frankreich häufiger als in Deutschland),
90 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
sondern nur die unschönen. Mit der schwarzen Liste, die er
S. 14 und S. 22 aufstellt, wird man im ganzen einverstanden sein
können; ich für meine Person bin noch etwas weitherziger als
Matschky, indem ich aus den von ihm verworfenen Oden folgende
nicht beanstande: I 13 Cum tu, Lydia, Telephi; I 16 0 matre
pulchra filia pulchrior; I 23 Vitas hinnuleo me similis, Chloe; III 26
Vixi puellis nwper idoneus. — S. 14 ff. Hinsichtlich der Reihen-
folge der Lektüre ist Matschky nicht mit Oskar Jäger und dem
Ref. für die überlieferte Ordnung der Oden, sondern für eine
Zusammenstellung in inhaltlich zusammengehörige Gruppen. Was
ich für jenes Verfahren anzuführen habe, ist bereits im JB. XXX
S. 55 und sonst gesagt und soll hier nicht wiederholt werden ;
auch auf die von Matschky vorgeschlagene Anordnung möchte ich
nicht näher eingehen. Nur eine Einzelheit, die gleich beim Be-
ginn entgegentritt, sei erwähnt: nach Matschky soll von den Oden
zuerst I 1, dann III 30 gelesen werden. Dazu würde ich mich
nun niemals entschließen können, Horazens Rückblick auf seine
Odendichtung mit den Schülern zu lesen, ehe diese die Oden
selbst kennen gelernt haben.
Zum Schluß noch eins: auf S. 3 und S. 12 klagt der Verf.
darüber, daß der Horazunterricht durch das heutzutage schwächere
Gedächtnis der Primaner erschwert werde. Mir ganz aus der Seele
gesprochen! Der Hbrazunterricbt (ich erteile ihn seit 21 Jahren)
ist ein Gebiet, auf welchem man besonders deutlich und mit
verhältnismäßig geringer Gefahr der Selbsttäuschung die Beob-
achtung machen kann, daß das Gedächtnis der jetzigen Schüler-
generationen wesentlich geringer ist als das der früheren.
45) Otto Kampfhenkel, Die Symmetrie als Kunstgesetz bei
Horaz. Beilage zum Programm des Gymnasiums zu Friedeberg
Nrn., 1904. 24 S. 4.
Der Verf. gibt Dispositionen zu einer Anzahl Horazischer
Oden. Er weiß (S. 3), daß ähnliche Versuche Früherer nur selten
zu übereinstimmenden Resultaten geführt haben, und muß darauf
gefaßt sein, daß auch seine Ansichten über die Komposition ein-
zelner Oden nicht allgemeine Billigung erlangen.
In der Tat, wer bezweifelt, daß sich bei Horaz mitunter eine
schöne äußere Symmetrie findet? Sie ist ja stellenweise ganz
augenfällig. Wer nun aber versucht, sie auch da nachzuweisen,
wo sie eben nicht augenfällig ist, gerät in Gefahr, dem Dichter
Gewalt anzutun. Der Dichter beherrscht all derartige Kunst-
mittel, nicht sie ihn ; er wendet sie an, wo er dadurch ungezwungen
dem Inhalte einen äußeren Schmuck verleihen kann, und er ver-
zichtet darauf, wo die Benutzung jener Kunstformen unbequem
ist. Denn höher steht immer der Inhalt.
Zwei Beispiele aus dem vorliegenden Programme. Die Ode
III 3 besteht nach Kampfhenkel (S. 9) aus 2x9 Strophen; er
findet in ihr folgende Disposition:
Horatius, von H. Röhl. 91
„I. Empfehlung der auf iustüia sich gründenden constantia:
Str. 1-4.
IL Der Mangel dieser Tugend (die periuria)" — (NB. so auch
vorher: „Die periuria hat usw.44) — „hat Troja den Unter-
gang bereitet. Str. 5—9.
III. Durch die empfohlene Tugend hat Rom sich die Herr-
schaft über die Welt erobert. Str. 10—14.
IV. a) Warnung vor dem Wiederaufbau Trojas. Str. 15 — 17.
b) Rückrufung der Muse. Str. 18."
Die Inhaltsangabe von Str. 10—14 scheint mir schlechter-
dings unzutreffend; von der „empfohlenen Tugend'4 spricht floraz
hier ja gar nicht; auch nicht von dem, was Rom getan hat,
sondern von dem, was es tun wird oder soll. Und die Warnung
vor dem Wiederaufbau Trojas, die Kampfhenkel als Inhalt von
Str. 15—17 bezeichnet, liegt doch auch schon in Str. 10 und 11.
Endlich: der Gedanke der Verse 30—36 findet in Kampfhenkels
Disposition gar keinen Platz.
Den Versuch, die Ode in 2x9 Strophen zu gliedern, halte
ich für mißglückt und möchte, auf die Gefahr hin auch meiner-
seits andere, namentlich die Symmetriker, nicht zu überzeugen,
nun auch meine Ansicht vortragen.
Der Dichter hat sich gestattet, zwei sehr verschiedenartige
Stoffe in dem Rahmen eines Gedichtes zu vereinigen. Der erste
Teil, V. 1—16, handelt von der Beharrlichkeit im Guten. Der
zweite Teil, V. 37—68, behandelt eine Frage der Tagespolitik.
Nämlich man darf annehmen, daß das sehr alle Projekt einer
Verlegung des Sitzes der Regierung nach Troja wiederaufgetaucht
war und von manchen dem Augustus empfohlen, von diesem aber
aus politischen Erwägungen abgelehnt wurde. Da sucht nun Horaz
(wie auch sonst oft) mit seinen eigenen poetischen Mitteln dazu
mitzuwirken, daß die Anschauung des Herrschers populär werde,
und zwar hier dadurch, daß er ihr einen von ihm erfundenen religiös-
mythologischen Grund als weitere Stütze unterschiebt. Die Verse
17 — 36 enthalten lediglich die Zwischenglieder, die von dem ersten
zum zweiten Gegenstande hinüberleiten; und zwar ist dieser Über-
gang recht eigentümlich (vgl. oben Nr. 17). Der erste Teil zerfiel
in zwei Unterteile; im ersten Unterteile (V. 1 — 8) sprach Horaz
von dem Wesen der Beharrlichkeit im Guten, im zweiten Unter-
teile (V. 9 — 16) von ihrem Lohne. Für den letztere nwerden drei
Beispiele angeführt, erstens Pollux und Herkules (in parenthesi
wird hier darauf hingewiesen, daß auch dem Augustus der gleiche
Lohn bevorsteht; ein beweiskräftiges Beispiel wie die der Ver-
gangenheit angehörigen ist dies natürlich nicht), zweitens
Bacchus, drittens Romulus. An dieses anscheinend zufällig die
letzte Stelle einnehmende Beispiel im zweiten Unterteile des ersten
Teiles wird nun mittels des Zwischenstückes V. 17—36 der zweite
Teil angeknüpft. Denn die Apotheose des Romulus leitet auf die
92 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Erwähnung der Juno, und Juno muß nun nach einem Ruckblicke
auf die Vergangenheit (V. 18 — 30) zunächst von der Zukunft des
Romulus sprechen (V. 30—36), um dann auf die Hauptsache, die
Zukunft Roms, zu kommen, für dessen großartige Weiterentwickelung
sie die Bedingung stellt, daß Troja nicht wiederaufgebaut werde.
Für jene äußerliche Art des Oberganges, die manchem so anstößig
scheint, einem Dichter aber nicht verargt werden darf, findet sich
bei Horaz ein zweites Beispiel. Wie hier absichtlich als letztes
Beispiel für den Lohn der Beharrlichkeit im Guten Romulus ge-
wählt ist, um daran die Rede der Juno anknüpfen zu können,
so wird in Od. III 11 unter den Wunderwirkungen der Leier an
letzter Stelle die Wirkung auf die Danaiden erwähnt, damit nun
Gelegenheit sei, den ganzen Danaidenmythus vorzutragen. — Der
zweite Teil der Ode III 3 steht in ethischer Hinsicht viel niedriger
als der erste; der Gedanke ist ungefähr von dem Schrot und
Korn, wie man es bei Orakeln und wahrsagenden Priestern ge-
wöhnt ist. Und obwohl derselbe den hier vorliegenden Zweck
erfüllt, so genügt er doch als zu äußerlich dem tiefer blickenden
Dichter nicht, der sich sagt, daß Bestand oder Untergang des
Reiches doch nicht nur von einer solchen Ortsfrage abhangig ge-
macht werden können. Diesen Übelstand sucht Horaz zu mildern
durch Einschaltung der Verse 49 — 52, in denen Juno unter der
Form des Lobes noch eine zweite, nicht so äußerliche, sondern
auf den Geist der Bürger bezügliche, ernst-moralische Bedingung
stellt: daß sich Rom freihalte von Habsucht. Man fühlt es dieser,
durch den Gedankengang nicht geforderten, aber doch geflissent-
lich eingefügten Strophe an, daß Horaz diese Tugend für mindestens
ebenso wichtig erachtete wie die Lage der Hauptstadt. — Bei
solcher Auffassung der Ode III 3 kann man, meine ich, aller ge-
künstelten Deutungen des Inhaltes und der Form entraten.
Das zweite Beispiel sei Od. HI 6. Nach Kampfhenkel ist die
Disposition diese:
„I. a) Die Gottesfurcht. Str. 1 und 2.
b) Die Gottlosigkeit. Str. 3 und 4.
II. Die Sittenlosigkeit der Gegenwart. Str. 5 — 8.
III. a) Die Sittenreinheit der Vergangenheit. Str. 9 — 11.
b) Schluß: Traurige Aussicht für die Zukunft! Str. 12.
Das Gedicht ist durchaus symmetrisch angelegt und in seinem
Aufbau klar und schön44. Auch ich meine, daß der Aufbau klar,
aber nicht der obige ist, und daß die obige Zahlensymmetrie in
der Ode nicht vorliegt. Wir haben, von V. 9 beginnend, zwei
Hauptteile mit je zwei Unterteilen: la das jetzige Elend in der
Stellung nach außen hin (8 Verse), I b die jetzige sittliche Ver-
derbtheit (16 Verse), Ha die frühere Höhe der äußeren Macht-
stellung (4 Verse), II b die frühere sittliche Trefflichkeit (8 Verse).
Ich sehe, daß auch Leuchtenberger so disponiert, und es scheint
mir überhaupt schwer, diese Einteilung zu verkennen. Nun zu
Horatius, vod H. Röhl. 93
dem Gedankengange der beiden Strophen, die diesen Hauptteilen
vorausgeschickt sind, V. 1 — 8. Zunächst macht Horaz wieder für
eine Regierungsmaßregel des Kaisers Stimmung: die Tempel
müssen repariert werden; sonst suchen die Götter die Sünden
der Vorfahren an uns heim. Dieser Gedanke, der einem Pontifex
oder Haruspex besser ansteht als dem Horaz, ist eben wieder
einmal eine Konzession, die er seiner Hofpoetenstellung macht.
Er eilt, diesen Gedanken in eine höhere, reinere Sphäre zu er-
heben, indem er (V. 5 und 6) für Tempelreparatur Ehrfurcht vor
den Göttern einsetzt; dabei stellt sich auch neben die Strafe als
Gegenstück der Lohn. Nach diesen beiden Zeilen könnte man
nun erwarten, daß im folgenden die Macht und Ohnmacht Roms
auf seine Frömmigkeit bzw. Gottlosigkeit werde zurückgeführt
werden, und zu dieser Erwartung stimmen auch noch die beiden
folgenden Zeilen, V. 7 und 8, die anscheinend die propositio eines
ersten Teiles enthalten: alles Leid kam von der Gottlosigkeit her.
Indessen, der Dichter hat eine andere Absicht und leitet uns un-
vermerkt auf einen andern Weg. Nur in den Worten non ampicatos
V. 10 kommt noch einmal der in den Anfangsstrophen behauptete
Kausalnexus zum Ausdruck; dann treten die Tempel und die
Götterverehrung ganz zurück. Schon in der folgenden Strophe
wird als Grund für den nahezu erfolgten Untergang Roms der
innere Zwist angegeben, und ähnlich im zweiten Hauptteile als
Grund für die großen Siege die sittliche Tüchtigkeit. Das ist des
Dichters wahre Herzensmeinung.
Wohl verspürt man in der Komposition der Horazischen Oden
die überaus mühevolle Arbeit des Denkers, des Rhetors, des
Dichters; aber die Voraussetzung Neuerer, daß er gewohnt ge-
wesen sei, Zahlenschemata zugrunde zu legen, tut ihm unrecht.
46) Friedrich Leo, Livius und Horaz; über die Vorgeschichte des
römischen Dramas. Im Hermes XXXIX (1904) S. 63— 77.
Über den literarhistorischen Abschnitt Epist. II 1, 139 ff.
urteilte Kießling, daß Horazens Darstellung auf den durch die
Varronische Forschung ermittelten Tatsachen fuße, während
L. Muller kurz bemerkte: Quelle unbekannt. Leos Resultat (S. 72)
ist nun dies: die Berichte des Livius und des Horaz sind beide
unvarronisch, aber nur Horaz trägt nachweislich vorvarronische
Anschauung vor; Livius und Horaz haben, was die Herkunft ihrer
Berichte angeht, nichts miteinander gemein.
47) Josef Dorsch, Mit Horaz von Rom nach Brindisi; Reisebild.
Sooderabdruck aas dem Jahresberichte 1903/1904 des Staatsgymnasiuma
Prag-Altstadt. 16 S. 8.
Von seinem italienischen Aufenthalte im Jahre 1895 hat
Dorsch uns schon früher ein Reisebild zugute kommen lassen (Bei
Horaz in den Sabinerbergen; vgl. JB. XXVI S. 57 f.); hier erhalten
94 Jahresberichte d. Pbilolog. Vereins.
wir ein zweites. Er ist mit der Bahn, eine Strecke lang auch
zu Wagen, von Rom nach Brindisi gefahren und hat dabei, wie
manches andere, so auch Horazens Satire I 5 sich durch den
Kopf gehen lassen. Wer nach dem Schriftchen greift, wird es
mit Vergnügen lesen, darf aber nicht erwarten, daraus Gewinn
für das Verständnis des Horaz zu ziehen.
48) Friedrich Kreppel, Der Zyklus der Horazischen Römeroden.
Zweiter Teil (die dritte Ode). Programm des Gymnasiums zu Kaisers-
lautern, 1904. 63 S. 8.
Nachdem Kreppel in einem früheren Programme die beiden
ersten Römeroden behandelt hat (vgl. JB. XXX S. 59 ff.), gibt er
hier als Fortsetzung eine Erörterung über Anlage und Tendenz
der dritten.
Die Arbeit zeichnet sich — was schon dem ersten Teile
nachgerühmt werden konnte — durch eine umfängliche Kenntnis
und Berücksichtigung der bisherigen einschlägigen philologischen
Literatur aus. Wer die Fülle der über diese Ode vorgebrachten
Ansichten bequem überblicken will, der wird gut tun, zu Kreppeis
Abhandlung zu greifen.
Des Verf.s eigene Auffassung ist nun folgende. Die Ode
bilde einen einheitlichen Organismus (S. 61). Schon in der ersten
Strophe denke Horaz an Augustus (S. 30); die Erwähnung des
tyrannus enthalte eine Anspielung auf Antonius (S. 32). Einen
lockeren Übergang vom Vorhergehenden zu der Rede der Juno
anzunehmen, sei unzulässig (S. 25 f.). In den Versen 9 — 16 lägen
zwei einander parallele Gegenüberstellungen vor: 1. Pollux-Herkules
und Augustus, 2. Bacchus und Quirinus (V. 27). Was Juno bei
Gelegenheit der Apotheose des Quirinus ausspreche, müsse im
Hinblick auf Augustus gesagt sein. Und so faßt Kreppel die ganze
Rede der Juno allegorisch, wie dies seine eigene Rekapitulation
(S. 61) zeigt: „Gerechtigkeit und Ausdauer sind unbesiegbar; sie
werden, wie vor alters den Helden der Sage, und wie in unserer
eigenen Geschichte dem Quirinus, so auch dem Augustus den Sitz
im Olymp verschaffen. Mit ihm hat nach der Götter Spruch eine
neue Zeit für Rom angefangen, wie eine solche mit Quirinus für
unsere Vorfahren begonnen hat. Damit aber diese neue Zeit uns
zu Glanz und Größe führe, ist es nötig, daß wir auf Erneuerung
veralteter Zustände verzichten und uns, entschlossen wie der
Princeps, der neuen [Zeit widmen, wie unsere Väter aufhören
mußten, Trojaner zu sein, um Römer zu werden. Wie solches
Hineinleben ins Neue eine machtvolle Zukunft verbürgt, so wird
Rückschritt zum Alten ins Verderben führen'4.
Ich kann nicht glauben, daß eine Auffassung, die dem Dichter
einen solchen geheimen Sinn unterschiebt, zutreffend sei und An-
klang finden werde. Wer in aller Welt soll das aus Horazens
Worten herauslesen? Meines Erachtens liegt das nqätov ipsvdog
Horatius, von H. Röhl. 95
bei Kreppel wie bei manchen andern in der unberechtigten Vor-
aussetzung, die Ode müsse ein einheitliches Ganzes sein. Wer
konnte aber dem Horaz verwehren, zwei verschiedenartige Stoffe
in einem Gedichte zu vereinigen? Dabei ist unerheblich, ob man
sagen will, das Gedicht bestehe aus zwei disparaten Teilen, oder
es habe gleichsam einen Schwanz, der länger sei als der eigent-
liche Körper. — Wie ich die Ode auffasse, ist schon oben (Nr. 45,
vgl. auch Nr. 17) ausfuhrlich vorgetragen.
49) [J. Vahlen], Zu Od. IV 4. Im Index lectionum der Berliner Universität
für das Wintersemester 1904/1905. 10 S. 4.
Der Verf. behandelt die Frage, ob die letzte Strophe von
Od. IV 4 dem Hannibal oder dem Dichter gehöre, und weist sie
dem ersteren zu. Die Gründe dafür sind: 1) die Worte Claudias
manus curat sagaces expediunt per acuta belli entsprächen ganz
genau den Ereignissen des Jahres 207; 2) die letzte Strophe
enthalte die unentbehrliche Begründung für die vorletzte.
Diesem Urteile und dieser Beweisführung muß ich durchaus
zustimmen, wie ich denn auch in meiner eigenen Ausgabe die
Strophe dem Hannibal gegeben habe. Mich bestimmte dazu schon
ein äußerlicher Grund: wären dies nicht mehr Worte Hannibals,
so hätte der Dichter in Ermangelung unserer Gänsefüßchen das
irgendwie deutlich machen müssen; das Fehlen jeder Andeutung
zeigt, daß die Rede weitergeht.
50) Theodor Plüß, Das Jambenbuch des Horaz im Lichte der
eigenen und unserer Zeit. Leipzig 1904, B. G. Tenbner.
141 S. 8. 4 Jt.
Horazens Epoden bieten dem Verständnisse noch eine große
Menge ungelöster Schwierigkeiten, vielleicht weil manche derselben
unlösbar sind, zum Teil gewiß aber auch deshalb, weil gelehrte
Forschung, wie sie für andere Dichtungen des Horaz, namentlich
für die Oden, in reichem und überreichem Maße aufgewandt ist,
den Epoden bisher weit spärlicher zuteil wurde. Eine Spezial-
arbejt über die Epoden wird man daher freudig begrüßen; nur
zeigt bei der vorliegenden der Zusatz auf dem Titel: „im Lichte
der eigenen und unserer Zeit", daß sie sich doch ein etwas anderes
Ziel gesteckt hat und wir eine Behandlung der noch nicht be-
friedigend beantworteten Fragen der Kritik und Exegese nur
nebenbei zu erwarten haben. So gibt denn der Verf. auf S. 7
als seinen Zweck an: „Es sollen die siebzehn Gedichte einzeln je
auf ihre logische Gliederung, ihren poetischen Inhalt und Zweck,
ihre Form und ihr Wesen, ihre Abfassungszeit geprüft werden".
1. Die Behandlung jeder Epode beginnt mit einer Disposition.
Bei den Oden herrscht ja über die Disposition einzelner bekannt-
lich eine wunderliche Meinungsverschiedenheit; aber bei den Epoden
liegt im ganzen die Sache doch einfacher, und so kann man dem
96 Jahresberichte d. Philolög. Vereins.
Verf. in seinen Angaben des Gedankenganges meist zustimmen.
Nur hätte Ref. — was freilich Geschmackssache ist — die Fassung
knapper gewünscht und z. B. bei Epod. 8 etwa geschrieben : „Daß
ich gegen dich kalt bleibe, ist erklärlich. Denn 1) dein Körper
(Zähne, Stirn, Hintrer, Brüste, Bauch, Oberschenkel, Waden) ist
häßlich, und 2) deine anderweitigen Vorzuge (Reichtum, Abkunft,
kostbarer Putz, Schöngeisterei) können die Sinnlichkeit eines
Mannes nicht anregen. Um das zu erreichen, mußtest du schon
zu einem wenig beneidenswerten Mittel greifen". Plöß ver-
braucht dazu 2—3 mal so viel Worte, ohne dadurch der Klarheit
zu nutzen.
2) Über Wesen und Zweck der Epoden befindet sich aber
Ref. leider in einer nicht zu vermittelnden Meinungsverschieden-
heit vom Verfasser. Mir — und manchem andern — sind die
Epoden die noch sehr unreifen Erstlingsdichtungen eines jungen
Mannes, schon Spuren von Talent aufweisend, aber vielfach noch
an Ungeschicklichkeiten und Geschmacksverirrungen leidend; Pluß
glaubt, viel mehr und Besseres darin zu finden. Um die Differenz
der Anschauungen zu verdeutlichen, wähle ich als Beispiel wieder
die achte Epode. Ich würde über diese ungefähr sagen: „Der
junge Dichter, noch unter allerlei Stoffen herumtastend, hat Lust
verspürt, sich auch als Pornograph zu versuchen, und macht's,
um Aufmerksamkeit zu erregen, möglichst derb. In formeller
Hinsicht spürt man die Wirkung der Rhetorenschule an der Art,
wie für parallele Gedanken mannigfache Fassungen gesucht werden
(1. cum . . . sed; 2. esto . . . nee sit . . . quid quod), auch an dem
Kunstgriffe, mit dem die kräftigste Zote für den Schluß aufgespart
wird". Ganz anders Plüß. Er selbst sagt S. 5, es sei ihm wegen
seiner Arbeiten über alte Dichter „mit einer fast erheiternden
Regelmäßigkeit der Vorwurf phantastischer Paradoxie gemacht
worden". Statt mir diesen Ausdruck anzueignen, möchte ich
lieber, mich möglichster Objektivität befleißigend, die betreffende
Stelle aus dem Buche selbst hersetzen, ob dieselbe etwa bei einem
oder dem andern Leser einen empfänglichen Boden findet. Also
S. 52: „Es gab auf jenem Gebiete des wirklichen Lebens auch
Kämpfe des Willens, mit tragischen und komischen Wider-
sprüchen und Peripetien, z. B. den Fall, daß eine robuste, aber
in gewissem Sinn gesunde Sinnlichkeit sich mit robuster Derbheit
gegen jene krankhafte Begehrlichkeit wehren mußte, die den Ge-
setzen der Lebensentwickelung und ebenso der Ehe- und Gesell-
schaftsordnung widersprach. Eine solche Abwehr künstlerisch,
d. b. zugleich typisch und rhythmisch wirkend darzustellen, konnte
einen Dichter von scharfem Auge für Widersprüche des Lebens,
von stark dramatischem Sinne und von humoristischem Tempera-
ment wohl reizen. So gefaßt, als Kampf der Natur gegen Un-
natur, kann der Gegenstand des Dichters sogar ethisch ein höheres
Interesse beanspruchen. Der Zynismus der Aussprache gehört
Horatius, von H. Höhl. 97
dann zu der dramatischen Person und Situation des Sprechers;
die Roheit gegenüber der andern Person mildert sich, wenigstens
für Zeit- und Lebensgenossen des Dichters, gerade durch die
Übertreibung, also dadurch, daß das Häßliche und Widerwärtige
in der Richtung des Unmöglichen gesteigert wird. So dürften
dann auch Dichter und Hörer sogar ihr Wohlgefallen haben —
nicht an einem Schaden, welcher einer bestimmten Person vom
Dichter zugefügt würde, sondern an dem unschädlichen Bilde, in
welchem Dichter und Hörer gemeinsam Empfindungen und Willens-
kämpfe der aktuellen Wirklichkeit mit überlegener Stimmung
reproduzieren". Wenn nun weiter Plüß den Sinn der beiden
Schlußverse: quod ut superbo provoces ab inguine, ore adlaboran-
dum est tibi folgendermaßen wiedergibt (S. 49): „Um diese an-
zufeuern, mußt du freilich auch noch deine Beredsamkeit an-
strengen" (vgl. auch S. 50 unten), so hat er — mit einigen Er-
klärern — in dieser Frage der Interpretation leider fehlgegriffen
und dem Gedichte die Pointe geraubt; denn daß die Stelle bei
Orelii mit „linyendo" richtig erklärt ist, kann keinem Zweifel
unterliegen (vgl. neben zahlreichen anderen Stellen namentlich
Martial III 75 und Schol. luven. VI 298).
Ich verzeichne noch kurz, ohne eine Kontroverse daran an-
zuknüpfen, die Ansichten des Verfassers über einige andere Epoden.
In Epod. 4 (S. 24) sei es nicht Horaz in Person, der in leiden-
schaftlicher Entrüstung das Bild des reichen Parvenü zeichnen
wolle, sondern der Sprecher sei eine dramatische Person, mit dem
Ich des Dichters immerhin verwandt, aber durch die weite Ver-
wandtschaft des Allgemein- und Allzumenschlichen, und auch hier
sei die Stimmung des Dichters dem leidenschaftlichen Willen des
Sprechers überlegen. Die Worte der sechsten Epode (S. 40) will
Plüß zwischen zwei Sprecher verteilen. Die 16. Epode (S. 106 f.)
sei parodisch; der Fluchtgedanke des prophetischen Ratgebers sei
vom Dichter selber als unrömisch empfunden; seine Leser und
Hörer sollten die Flucht demgemäß ebenfalls als unrömisch, als
selbstsüchtig, feig und würdelos statt als 'mannhaft', als Pietät-
losigkeit statt als ' Pietät' empfinden. (?)
3) Was die Beziehungen zwischen den Metris und dem Inhalt
anlangt, so bekundet Plüß eine außerordentliche — meines Erachtens
irreführende — Feinfühligkeit. Selbst wo so stark verschiedene
Gedichte wie Od. 17, I 28 uud Epod. 12 in demselben Versmaße
verfaßt sind, sucht er nach einer gemeinsamen Begründung.
4) Aus des Verf. Erörterungen über die Chronologie der
Epoden möchte ich den Versuch hervorheben, in Epod. 7 die
Verse 9 und 10 zur Zeitbestimmung zu verwerten. Diese beiden
Verse passen nach Plüß nicht auf eine Zeit, wo die Parther sieg-
reich vordrangen, sondern wo sie zurückgedrängt waren uud
dauernd gedemütigt schienen. Das halte ich allerdings für eine
richtige Beobachtung.
Jahresberichte XXXI. 7
98 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Von dem reichen Inhalte des Buches hat nur weniges hier
vorgeführt werden können; es steckt eine sehr intensive geistige
Arbeit darin. Km ganzen zwar schwebt es — nach dem Urteile
des Ref. — in zu hohen Regionen und verliert dabei den festen
Roden; aber auch wer den Resultaten des Verf. öfters nicht zu-
stimmt, wird aus der Fülle der erörterten Fragen vielerlei An-
regung schöpfen.
51) A. v. Domaszewski, Der Festgesang des Horaz auf die Be-
gründung des Prinzipates. Im Hheinischen Museum N. F. LIX
(1904) S. 302—310.
Der Verf. handelt über die Oden III 1 — 6. Die Beziehung
auf den Princeps sei hier das einigende Band. Die vier Tugenden
des Augustus, die das Monumentum Ancyranum aufzähle, würden
in diesen Römeroden behandelt, und zwar virtus in III 2 und
III 5, dementia in III 4, iustitia in III 3, pietas in III 6. Die
Verse III 2, 17 — 24 virtus repulsae nescia sordidae etc. bezögen
sich auf die Verwaltung des Konsulates durch Augustus in den
Jahren 27—23, die Verse III 2, 25 IT. est et fideli tuta silentio
merces etc. auf den Treubruch des Cornelius Gallus.
Dies in Kürze die wichtigsten Resultate, die mir (der letzte
Satz vielleicht etwas weniger) einen hohen Grad von Probabilität
zu besitzen scheinen. Nach all dem Phantastischen, das schon
über die Römeroden geschrieben ist, freut man sich, wenn einmal
eine einschlägige Abhandlung sich auf dem realen Boden der Ge-
schichtsanschauung bewegt und eine wirkliche Förderung des
Verständnisses erzielt.
52) Michel Psichari, Eleve de philosophie an Lycee Condorcet, Index
raisonne de la mythologie d'Horace. Paris 1904, H. Welter.
48 S. 8.
Es ist die Arbeit eines strebsamen und fleißigen Schülers.
Die Haupteinteilung in zwei Teile, Horace interprete d'autrui (d. h.
Stellen, wo Horaz eine seiner Personen sprechen läßt), und Horace
son propre interprete (d. h. Stellen, wo Horaz selbst spricht), ist
allerdings wenig fruchtbar und oft mißlich. Innerhalb eines jeden
dieser Teile ist die Disposition folgende: 1. Divinites etrangeres.
1. Grecques. A. Divinites Celestes, B. Divinites marines, C. Divinites
terrestres, D. Heros; 2. Non grecques. II. Divinites nationales.
1. Locales; 2. Non locales; Comparaison des Lyrica avec le Sermo
pedestris (d. h. Angabe der Stellen, wie oft ein mythologischer
Name in den lyrischen Gedichten einerseits und in den hexa-
metrischen anderseits vorkommt). Hier und da sind kleine Exkurse
eingestreut.
Horatius, von H. Höhl. 99
53) Gaston Boissier, Nouvelles promenades archeologiques;
Horace et Virgile; ouvrage cootenaut deux cartes. Ciaquieme
editioo. Paris 1904, Hacbette et Cie. 376 S. 8. Darin S. 1—62:
La maison de cainpagoe d' Horace, mit einer Karte.
Die neueren Philologen, die sich mit der Lage von Horazens
Landhaus beschäftigt haben, haben sämtlich (soweit es mir be-
kannt geworden ist) sich für die ältere der beiden Annahmen
entschieden und es in die Vigne di S. Pietro gesetzt; vgl. JB. XXI
S. 228, XXIII S. 52, XXIV S. 86, XXVI S. 57 f. Boissier hingegen
neigt S. 31 f. zu der Ansicht von Pietro Rosa, daß es auf der
Hochebene Capo le Volte gelegen habe. Indes behandelt er diese
Streitfrage nur ganz kurz; im übrigen beschäftigt sich die Ab-
handlung, deren Titel zu eng gewählt ist, in geistreicher, populärer
Darstellung mit vielem, was sich auf Horazens Lebensverhältnisse
bezieht. Darunter begegnen nicht wenige feine Bemerkungen, so
S. 14 über das seltsame Vergnügen, das Mäcenas und seine Freunde
an plumpen Clownspäßen finden (vgl. meinen Kommentar zu Sat.
I 5,70). Ferner S. 19 über die Tendenz der Epode 2: il etait
impatiente de voir tant de gens admirer ä froid la campagne; il
voulait rire aux depens de ceux qui, n'ayant aucune opinion per-
sonelle, croient devoir prendre tous les goüts de la mode, en les
exagerant. Dann S. 40 die Darlegung, daß Horaz in Tibur kein
eigenes Haus besessen habe. Anderes wiederum ist mir bedenk-
lich. Die Worte rugosus frigore, Epist. I 18, 105, bezieht Boisson
S. 20 auf das durch die Lufttemperatur hervorgerufene Schaudern;
doch durfte es gemäß der Schultheßschen, vom Ref. ein wenig
modifizierten Deutung auf die wegen der Kälte des Getränkes ge-
schnittene Grimasse gehen; vgl. JB. XXIX S. 53 f. Auch hält
Boisson S. 35 an der Ansicht fest, daß Horaz Wein gebaut habe;
man vergleiche dagegen die Darlegungen im JB. XXV11 S. 93 f.
54) Karl Meiser, Zu Horatius Sat. I 4,35. la deu Blattern für das
Gymuasialschulwesen XL 1904 S. 696 f.
Statt der allgemein üblichen Lesung dummodo risum excutiat
sibi, non hie cuiquam parcet amico verlangt Meiser: dummodo risum
excutiat, sibi non, non cuiquam parcet amico. Auch ein Teil der
Überlieferung spricht hierfür (vgl. Keller, Epilegomena S. 457);
aber dies war unbeachtet geblieben, doch wohl weil sibi non parcet
keinen in den Zusammenhang recht passenden Sinn zu geben
schien. Und doch kann an der Richtigkeit der Lesung kein
Zweifel sein, da, wie Meiser erkannt hat, Horaz die Aristotelische
Charakteristik des ßcopoloxog im Gedächtnisse hatte, welche in
der Nikomachischen Ethik 4, 14 (1128a 34) lautet: 6 de ßcopo-
Aoxog tnxtav saxlv %ov ysXoiov xal ovts kavTOv ovzs iwv
äXÄoov ansxofisvogj sl yikwta notfjaei. So ist durch den glück-
lichen und wertvollen Fund Meisers, dem wir schon neulich die
evidente Interpretation eines bisher dunklen Verses verdankten
(JB. XXX S. 44), wieder eine Horazstelle klar geworden.
7»
100 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
55) O.A. Hoffmann, War Horaz Jäger? Zur Ergänzung seines Lebens-
und Charakterbildes. In der Monatsschrift für höhere Schulen III (1904)
S. 665- 674.
Der Verf. will nachweisen, daß Horaz ein Jäger war, und
wohl auch, daß er selbst ein solcher ist. Uns interessiert nur
der erstere Nachweis, und dieser ist natürlich mißlungen. Die
Schriftsteller von Homer bis Zola haben nicht all die Tätigkeiten
ausgeübt, von denen sie Kenntnis zeigen. Und wenn Horaz die
Jagd als echt römische, mannhafte Beschäftigung empfiehlt, so
folgt daraus für seine Person gar nichts, ebensowenig wie aus
seinem Lobe der Che und des Familienlebens. Mit welchen Dingen
Horaz sich wirklich abgab, das berichtet er oft und unzweideutig;
nirgends aber sagt er, daß er gejagt habe; also lag ihm diese
Tätigkeit fern.
56) P. E. Sonnenburg, De Horatio et Pollione. Im Rheinischen
Museum N. F. LIX (1904) S. 506—511.
Sonnenburg handelt über Od. II 1 im Anschluß an die im
JB. XXX S. 38 f. besprochene Arbeit Seecks und an eine Abhand-
lung von E. Kornemann (Beiträge zur alten Geschichte III 3, 1903,
S. 550 f.). Einzelne Ansichten dieser Vorgänger stellt er richtig,
so wenn er darlegt, daß zu arma V. 4 nicht principum zu er-
gänzen sei (gegen Kornemann), und daß vitia belli nicht Fehler
der Feldherren, sondern aller Zeilgenossen seien (gegen denselben),
und daß der Ausdruck arma nondum expiatis uncta cruoribus nicht
gerade auf die Schlacht bei Karrhä gehe, sondern auf all das in
den Bürgerkriegen vergossene Bürgerblut (gegen Seeck). Aber in
andern Punkten schließt er nach meinem Urteile mit Unrecht
sich der Seeckschen Anschauung an, so namentlich in der An-
nahme eines temporalen Gegensatzes zwischen tarn nunc perstringis
und audire tarn videor. Wer diese Verse unbefangen liest, kann,
meine ich, zu audire iam videor nicht ergänzen: „obgleich du diese
Partie noch nicht ausgearbeitet hast", sondern nur: „so lebhaft
schilderst du die Vorgänge". Auch folgenden Satz bei Sonnen-
burg halte ich für irrtümlich: „facere vix poterant" (sc. amici)
„quin cum Horatio ab auctore peterent, ut paulum cetera inter-
mitteret studia ac totus incumberet ad historias perficiendas".
Horaz bittet nicht darum; dem Pollio einen solchen Rat über eine
zweckmäßige Einteilung der Arbeitszeit zu geben, hätte ihm übel
gestanden. Der Konjunktiv desit bezeichnet hier keine Bitte,
sondern ein Zugeständnis: „So müssen wir denn eben für einige
Zeit auf Leistungen von dir auf einem andern Gebiete verzichten4'.
Das ist aber nur eine geschickte Form, um den Lesern zu sagen,
daß der Verfasser des demnächst erscheinenden Geschichts-
werkes sich bereits auf einem andern Felde der Literatur aus-
gezeichnet hat.
Horatius, von H. Röhl. \Q\
57) Walther Gilbert, Zu Horaz' Oden. Im Rheinischen Museum N. F
LIX (1904) S. 628-630.
Od. I 2. Diese Ode sei zwar ums Jahr 28 gedichtet, aber
mit Ruckversetzung in eine ältere Zeit, so daß sie älter erscheinen
sollte, als sie ist. Dies beweisen nach Gilberts Meinung V. 21 ff.
„die gegen die Parther mobilisierten Legionen, welche Truppen
des Brutus und Cassius wurden44 (sagt Horaz das?), V. 25 f. ruens
Imperium und V. 29 und 44 das Auftreten Oktavians als Caesar is
ultor. Daß diese Stellen zu einer so merkwürdigen Folgerung
zwingen, kann Ref. nicht zugeben. — Od. I 23, 5 f. Die natur-
geschichtlichen Bedenken, die zur Anzweiflung der überlieferten
Lesung geführt haben, sucht Gilbert zu widerlegen. — - Od. I 28.
Horaz führe V. 7 — 9 Beispiele derer an, denen der griechische
Volksglaube eine höhere persönliche Fortexistenz zuerkannte als
den übrigen 'Schatten7; diesen Volksglauben lehne Horaz ab und
leugne jede wirkliche Fortexistenz. Aber dem Dichter kommt es
doch nur auf die allgemeine Notwendigkeit des Sterbens an; auf
den Streit über den Zustand nach dem Tode einzugehen liegt
ihm fern. — Od. II 15,12. Auspiciis bedeute: „unter der mit
göttlicher Segensverheißung angetretenen Staatsleilung". — Od. II
15, 17. Der Verf. denkt an „den natürlichen Rasen, mit dem
man sich in einfacheren Zeiten zum persönlichen ländlichen Lust-
wandeln begnügte".
58) S. Schloßmann, Zu Horaz Senn. II 1, 79 ff. Im Rheinischen Museum
N. F. LIX (1904) S. 630—634.
Über die oben (S. 60) erwähnte Ermansche Erklärung be-
richtet Schloßmann folgendermaßen: (Tabulae bedeutet nach Erman)
„die formula des Formularprozesses, jenes kleine Schriftstück, in
dem nach der allgemeinen Annahme der Rechtshistoriker der
Magistrat, nach beendigtem Verfahren in iure, den für den Prozeß
bestellten Geschworenen (iudex) ernennt und mit Anweisung für
die Verhandlung und Entscheidung der Sache versieht. H. Erman
will mit Rücksicht auf die in V. 81. 82 stehenden Worte: ius est
iudiciumque die tabulae auf die Schriftformel beziehen und erblickt
in ihnen eine versiegelte Wachstafel, die der Geschworene, nach-
dem er sie empfangen, im Reginn der Verhandlung eröffne (sol-
ventur tabulae); und er glaubt so in der Stelle einen klaren Re-
weis für difr bisher ohne sichere Reglaubigung dastehende Annahme
der Schriftlichkeit der formula gefunden zu haben1'. Dieser Er-
klärung ist, wie Schloßmann angibt, bereits Trampedach (Zeitschr.
der Sav. St. XVIII S. 141 f.) entgegengetreten, und auch er selbst
führt juristische Gründe dagegen an. Trampedach seinerseits
interpretierte: die die carmina enthaltenden Rücher werden frei-
gesprochen werden. Dabei findet Schloßmann mit Recht die
Gegenüberstellung von tabulae und tu unverständlich. Schloßmann
bezieht jene Worte auf die Freigabe der vorläufig mit Reschlag
102 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
belegten Schriften; aber die von Horaz nicht erwähnte Beschlag-
nahme sich hinzuzudenken ist mißlich. Auch macht bei beiden
Auffassungen das Wort risu Schwierigkeit. Ganz befriedigend er-
scheint mir lediglich die ßergksche Konjektur solventer bis sex
tabulae.
59) Paul v. Win terfeld, Wie sah der Codex Blandinius vetu-
stissiinus des Horaz aus? Im Rheinischen Museum N. F. LX
(1905) 8. 31—37.
Der Verf. sucht zu erweisen, daß die älteste Blandinische
Handschrift von Iren herrührte; diese hätten um die Mitte des
neunten Jahrhunderts den Horaz ins Frankenreich gebracht, wo
er bis dahin unbekannt gewesen sei.
Folgende Publikationen haben dem Referenten noch nicht
vorgelegen:
0. Keller, Gommeot les scolies non por phyrioniennes sur
Horace ont-elles pris le noin d'Acron? Extrait des melanges
Boissier. Paris 1903, Libr. Fonteinoing. 4 S.
P. Knapp, Bemerkungen zu Horaz. Im Korrespondenzblatt für die
Gelehrten- uod Realschulen Württembergs 1903 (XI) S. 411—416.
£. Kornemann, Pollios Geschichtswerk und Horaz Carm. II 1.
In den Beiträgen zur alten Geschichte III 3 (1903) S. 550—551.
L. Ricci, Syntaxis Horatiana. Pars prior: de casuum usu. Pontedera
1903, Ristori. 84 S.
R. Sciava, La terza satira d'Orazio e gli schiavi. In: Atene e Roma,
anno VII 1904 S. 69—82.
F. M. Austin, Cacophony in Juvenal, Horace and Persius. In:
Americao Journal of Philology XXIV (1903 S. 452.
F. Collard, Les auteurs latins au College. 8. Horace. In: Bulletin
bibliographique et pedagogique du Musee Beige 1903 (IX) S. 439 — 448.
G. Olivieri, Le favole mitologiche delle odi di Orazio, coo-
fr on täte con le pitture di Pompei ed Ercolano. Palermo 1903, Fiore.
88 S.
Br. Kruczkiewicz, Obvia II, zu Hör. Epist. II 1, 69 — 71. In: Eos IX
(1903) S. 153—156.
P. Fossataro, Horatiana; iu carmeu III 7, 10 sq. In: Bollettino di
filologia classica XI Nr. 4.
M. Jourdain, Horace, Ödes, translated, collected and arranged. London
1904, Dent. 208 S. 12.
E. Anzalone, Appunti Oraziani. Gastrogiovanni 1903. 22 S.
P. Rasi, Di un esempio errato di sillesi iu latino. In: Bollettino
di filologia classica X 10 S. 228— 230.
Halberstadt. H. Röhl.
Was heißt vinci dolentem Horat. carm. IV 4,62?
Die lateinische Sprache ist arm an Adjektiven, die die Un-
möglichkeit eines Geschehens bezeichnen, und läßt darum stell-
vertretend partizipiale Bildungen, die eigentlich nur das Nicht-
geschehen bezeichnen, eintreten (infans, invictus). Horaz liebt
"1
Zu Horatios, von L. Reinhardt. 103
solche Stellvertretung nicht, ohne sie ganz zu meiden (invicti Iovts
carm. III 27,73, vielleicht auch immensus Pindarus IV 2,7; vgl.
Hl 12, 3 neque pugno neque segni pede victus) und läßt selbst für
das sonst allgemein angenommene infans die genauere Umschreibung
nescios fori pueros eintreten IV 6, 18. Mit Hilfe desselben Ad-
jektivs wird auch die Unnachgiebigkeit des Peliden ausgedruckt
(cedere nescii 1 6, 6), während doch auch immitis zur Verfügung
stand. Für „unnahbar41 könnte wohl intactus angewendet werden,
aber davor hat sich die lateinische Sprache überhaupt, nicht nur
die des Horaz, gescheut. Dieser umschreibt den Begriff und sagt
asperum tactu leonem III 2, 10 und metuitque tangi HI 11, 10.
Beide Ausdrücke entsprechen nicht genau dem, was gesagt werden
soll; der erste nicht, weil er das Unmögliche nur als etwas Miß-
liches, der zweite nicht, weil er es als etwas Furchtbares hinstellt.
Mit jenem hat Ähnlichkeit Fsnelopen difficilem procis Hl 10, 11,
wo die Unverführbarkeit der Penelope gemeint, aber nur die
Schwierigkeit der Sache ausgesprochen ist, mit diesem pinna
metuente solvi. In jenem Falle wird ein objektives Hindernis, in
diesem ein subjektives eingesetzt an Stelle der Unmöglichkeit.
Solch ein subjektives Hindernis benutzt Horaz auch an andern
Stellen, um damit die Unmöglichkeit zu ersetzen. Wenn die
wahre Tugend, meint er III 5, 29, einmal entschwunden ist, so
ist sie unwiderbringlich dahin-, aber er sagt statt dessen: „sie
sorgt nicht wiederhergestellt zu werden", nee . . . curat reponi. Dort
hatten wir die Furcht, daß etwas Negatives geschehe, hier die
Sorglosigkeit das Unbekümmertsein darum, daß etwas Positives
zustande komme. In dieser Richtung ist der Dichter noch einen
Schritt weiter gegangen, indem er zur Furcht und Sorge als
Drittes den Schmerz gesellte und die Unbesiegbarkeit des Herkules
ausdrückte als Schmerz über die in Wahrheit gar nicht eingetretene
Niederlage. Danach würde also vinci dolentem . . . Herculem den
unbezwinglichen Herkules bezeichnen. Wer könnte verkennen, daß
der Ausdruck eine kühne Neubildung ist, und wer sollte nicht
eine andere Erklärung, wenn sie aus den Worten des Dichters
einen dem Zusammenhang entsprechenden Sinn hervorlockte, be-
vorzugen? Aber einerseits sehen wir doch, daß es dem Ausdruck
bei Horaz nicht an Analogien fehlt, anderseits kann, was von den
Herausgebern als Erklärung geboten wird, nicht den Anspruch
erheben, eine befriedigende Antwort auf die Frage zu geben: wie
kann von Herkules behauptet werden, daß er Schmerz darüber
empfinde, besiegt zu werden, während er tatsächlich gar nicht
besiegt wird? Hören wir wenigstens einige Erklärer. Obbarius
sagt: dolentem „wütend sein, weil Herkules von der Hydra beinahe
besiegt wäre". „Beinahe" ist ein Zusatz des Erklärers; läßt man
ihn weg, so fällt die Erklärung in sich selbst zusammen. Ähnlich
Orelli-Baiter: 'prae dolore atque indignatione frementem, quod se
a tali monstro prope vinci videret '. Dillenburger meint, es werde
104 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
die Heftigkeit des Kampfes mit vinci dolentem bezeichnet; denn
wem die Niederlage starken Schmerz verursache, der strenge
seine Kräfte an. Er wurde es also etwa übersetzen: der heftig
kämpfende Herkules.
Eigentümlich sagt Rosenberg: „dolere hat fast die Bedeutung
einer Negation: am Siege verzweifelnd". Auch zu dieser Erklärung
kann man wohl nur kommen, indem man stillschweigend etwas
Wesentliches ergänzt, wie es schon Obbarius und andere getan
haben. Und so nimmt denn auch Kießling direkt dessen Er-
klärung wieder auf: „vinci dolentem, da er beinahe den kürzeren
zog'\ Was Lucian Müller bemerkt: „vinci dolentem, nämlich se\
im Indikativ würde es heißen vinci dolebat" kann kaum eine Er-
klärung genannt werden, da eben nicht gesagt ist, was vinci dolebat
bedeuten soll. Was er aber außerdem hinzufügt: „ein bei dem
Hercules invictus natürliches Gefühl", zeigt wohl, daß er auf dem
Wege zum richtigen Verständnis war, aber das Ziel nicht erreicht
hat. Ähnlich steht es mit L. W. Nauck: „vinci dolens ist all-
gemeines Beiwort wie cedere nescius". Es fehlt die Angabe, welche
Bedeutung das allgemeine Beiwort hat. Möglich, daß Nauck an
„unbezwinglich" gedacht hat, aber aus dem Vergleich mit cedere
nescius kann man das nicht ohne weiteres schließen; denn hier
ist ja die Unmöglichkeit in nescius deutlich ausgesprochen, während
es für die Erklärung unserer Stelle gerade darauf ankam, den in
dolentem nur angedeuteten Sinn ans Licht zu ziehen.
Wohlan. Leopold Reinhardt.
3.
Ve r g i 1.
I. Zu den ländlichen Gedichten.
1) Gaspare Dalloca, Pietole. Atti e memorie della R. Accademia
Vir^iliana di Mantova. Bienoio accaderaico 1899 — 1900. Mantova
1901 S. 89— 102.
2) FerruccioCarreri, Pietole, Formigada eil fossatodi Virgilio.
Atti e memorie . . . Anno accademico 1903 — 1904. Mantova 1904
S. 19—82.
Beträchtliche Bodenerhebungen, Felsen und Grotten, wie sie
in B. 1 und 9 erwähnt sind, linden sich bei Pietole nicht. Daher
hat man seit dem Anfang des vorigen Jahrhunderts öfters be-
zweifelt, ob die herkömmlichen Angaben über Vergils Geburtsort
richtig seien. Gegen solche Zweifel wendet sich da IT Oca (so
schreibt C. den Namen wie schon die Mitgliederliste der Accad.
Virg. 1901 S. IV) und sucht nachzuweisen, daß weder Andes mit
Bande bei Cavriana und Volta gleichzusetzen noch V. in Mantua
selbst geboren und bei Bialta, in dessen Nähe die Überlieferung
Bianors Grab (B. 9, 59 f.) verlegen will, begütert gewesen sei.
Wenn man eingewendet hat, daß es im Gegensatz zu der Angabe
B. 1, 47 f. in Pietole keine Steine gebe, so weiß er dagegen, daß
man nach einer Urkunde vom J. 1444 in territorio Hetularum
Kies grub wie in der Nachbarschaft noch heute. Überdies könnten
und würden wohl Vergils Worte einen besonderen und mit den
Unruhen des Krieges vorübergehenden Zustand bezeichnen.
Carreri setzt die Widerlegung fort, mit etwas genauerer An-
gabe der italienischen Vorarbeiten, aber nicht bekannt mit fremden;
Vgl. Sonntag, Vergil als bukolischer Dichter S. 121 Anm. 1, und
Cartaults Etüde sur les Bucoliques de V. Kap. I, X, XI und XI1L
Namentlich verwertet er viel neugefundene Urkunden, deren der
Anhang S. 54 f. einige 40 wiedergibt oder auszieht. Ich verstehe
nicht, wozu sie alle nötig waren. Mir genügt z. ß. die eine An-
gabe aus dem J. 1387: in territorio Formigate seu Pletularum
(S. 42), um die Identität der beiden Namen anzunehmen. Die
älteste Urkunde (Nr. 27 S. 68, abgefaßt zwischen 1015 und 1036)
nennt einen Hof Fornicata . . a Larione qui vocatur Padus (S. 43 :
vermutlich ein alter Arm vom Po) usque in lacuin qui vocatur
106 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Mantuanum (aequor 9, 57? S. 32) samt einer Insel quae vocatur
aita (einer der colles 9,7? S. 26 und 43), zu dessen Eckpunkten
eine pelra pertusi (S. 53: pietra pertosa) gehört. Dieser Hof
(später vilia Formigade genannt, so S. 75 Urkunde Nr. 40 v. J.
1472) wird begrenzt per fossatum quod vocatur fornicatula *), quod
percurrit usque ad fossatum quod vocatur Virgilii, und zwar auf
der Bergseite, wie die Zweitälteste Urkunde (Nr. 26 v. J. 1072)
hinzusetzt, welche außer der fossa quae vocatur fornicata [über-
wölbt?], dem Lario und dem See noch Humen quod dicitur
Mintius (G. III 15) als Grenzlinie angibt; das wären also nach
S. 54 die flumina nota von B. 1, 51. Der sog. Graben Vergils
wird S. 22 mit Pseudo-Donat § 3 in Verbindung gebracht, nach
welchem V.s Mutter in subiecta fossa partu levata est. Ich kann
C.s Annahmen keineswegs überall folgen. Er hält es S. 52 sogar
für möglich, daß B. 1, 75 f. ein Garten mit künstlichen Felsen und
Grotten gemeint und eine solche Grotte noch in jenem durch-
lochten Felsen der ältesten Urkunde bezeugt sei. Einflüsse von
Vorbildern aus Theokrit haben ihm früher Bedenken gemacht; jetzt
bezeichnet er S. 21 es als Fehler, der echten Überlieferung miß-
traut zu haben. Aber ein Übelstand, den auch die zum Teil
recht kühnen Etymologieen nicht beseitigen oder mildern, ist und
bleibt, daß die Lokalsage, welche nach S. 26 und 30 auch einen
Berg und ein Häuschen V.s kennt, im ganzen ersten Jahrtausend
unserer Zeitrechnung keine Stütze findet, die bei der Gleich-
setzung von Andes und Pietole jeden Verdacht willkürlicher Er-
findung ausschlösse.
3) W. Warde Fowler, Observation od the fourth eclogue of
Virgil. Harvard Stadies XIV (1903) S. 17— 35. — Vgl. R. Helm,
DLZ. 1903 Sp. 2626.
Der vorliegende Band der zu Cambridge in Massachusetts er-
scheinenden altphilologischen Zeitschrift ist dem Andenken ihres
am 11. Okt. 1901 verstorbenen Begründers J. ßr. Greenough ge-
widmet und mit seinem Bilde geschmückt. Ihm gilt außer einer
kurzen Totenklage in Hexametern eine Lebensbeschreibung von
G. L. Kittredge, die seine Verdienste um lateinische Grammatik,
Etymologie, Prosodie betont und zuletzt seine Werke aufzählt,
unter denen sich auch mehrere Ausgaben von Vergil befinden,
wie von andern Klassikern Cäsar, Cicero, Sallust, Livius, Horaz
und Ovid.
Der Aufsatz über B. 4 befaßt sich hauptsächlich mit den vier
letzten Versen des Gedichts, holt aber weiter aus, indem er zwei
nach Cartaults Studie erschienene Veröffentlichungen näher be-
trachtet. Zunächst W. H. Ramsays ' Meeting of Horace and VirgiT
(Proceedings of the Franco-Scottish Society 1898), der gegenüber
Horazens verzweiflungsvollem Rate, vor den Schrecken eines neuen
*) Sollte hier nicht vielmehr foroicatum stehen?
Vergil, von P. Deuticke. 107
Bürgerkrieges nach den glücklichen Inseln im Westen auszu-
wandern (Epode 16), den Vergil lehren läßt: sucht das Glück
nicht draußen ; es ist daheim zu finden, da hier eine neue, goldene
Zeit naht. W. F. fände das annehmbar, wenn nur nicht 'der
bereits geborene Knabe' eine Abstraktion sein sollte, mit der sich
die vier letzten Verse nicht zusammenreimen ließen. Sie widerstreben
auch der Deutung S. Heinachs, die schon im JB. 1903 S. 171 an-
gegeben ist; von einem mystischen Dionysos-Zagreus könne da
nicht die Rede sein, zumal die Frage nach der Mutter durch eine
unannehmbare Vermutung beantwortet werde. W. F. selber be-
zieht V.s Hoffnungen auf das im J. 40 erwartete Kind des Augustus
und der Scribonia, also wie neuerdings Skutsch, dessen Aus-
führungen er aber so wenig kennt wie die von Sudhaus und
Rasi; s. JB. 1903 S. 141 und 170 f. Das ganze Gedicht betrachtet
er wie Seaton (vgl. JB. 1895 S. 266) als Spruch einer weisen
Pflegerin, gesungen zu denken während des Geburtsaktes (vgl. V. 8
und 48), nach dessen Vollendung vor V. 60 eine Sinnpause und
dann in anderem Tone, piano, der Schlußgesang folge. Der letzte
Vers erinnere, wie ein richtiges Ammenlied, an älteren Volks-
glauben, demzufolge nobilibus pueris editis in atrio domns Iunoni
(Lucinae addit Philarg.) lectus, Herculi mensa ponebatur; so DServ.
in Thilos Anm. III S. 53 zu Z. 18, ähnlich auch Scaliger zu Cat.
61, 219, nur daß er genius für Hercules sagt. Für den vorletzten
Vers endlich wird Scaligers ebendort aufgestellte, bei Ribbeck
schon verzeichnete Vermutung qui non risere parentes = ad p.
befürwortet und Plaut. Capt. III 1, 21 (481) me rident verglichen.
Auf die Frage nach dem Ergebnis der ganzen Erörterung ist leider
zu sagen: kaum etwas Neues und nirgends etwas Sicheres.
Nützlicher sind, um das kurz hinzuzufügen, die beiden andern
Arbeiten des Bandes. Karl E. Weston bespricht S. 37 — 54 die
Bilder der vier Terenzhandschriften Vatic. Paris. Ambros. und
Dunelmensis (in Oxford), welche, wie die vatikanischen Vergilbilder,
auf alte Vorlagen zurückgehen. Die Arbeit war schon im Druck,
als 1903 in Leyden das photographische Faksimile des Ambrosianus
mit Bethes Vorwort erschien. Auch John Calvin Watson be-
handelt S. 55 — 172 die Bilder zu Terenz, und zwar nach ihrem
Verhältnis zu den Szenenüberschriften: bis auf einige Ausnahmen
entspreche die Beihe der hier angegebenen Namen der Anordnung
der Figuren; diese seien älter als jene, folglich die Handschriften
der Familie y, welche Text und Minialuren zugleich aufweist, nicht
jünger als 6, wo die Bilder fehlen. Auch für Watsons Aufsatz
sind die 96 Bilder nutzbar, welche Weston auf 25 Tafeln am
Ende des Bandes aus seinen vier Hss. verkleinert beigibt.
4) F. Jacobi, Zur Entstehung der römischen Elegie. Rhein. Mus.
LXI (1905) S. 38—105.
J. kommt mehrfach, besonders S. 71 f., auf B. 10 zu sprechen
und findet darin wie Skutsch (s. JB. 1903 S. 142 f.) Anlehnung
108 Jahresberichte des Philolog. Vereins.
an Vorbilder von Gallus, 'dem Archegeten der römischen Elegie'
(S. 58). Naturlich handle es sich nicht um wörtliche Übernahme
(▼gl. Nordens Kommentar zu A. VI S. 359 f.), auch nicht um einen
Übergang oder eine Mischung von Elegieen und bukolischen Ge-
dichten, sondern die Verse 46—49 z. B. geben den Gedanken
einer Elegie wieder, wie 42 f. und 55—60 den Inhalt anderer,
die auch gelegentlich anderwärts anklingen, wie bei Properz
I 18, 19 f.
5) Paul Jahn, Die Quellen uud Muster des ersten Buches der
Georgica Vergils und ihre Bearbeitung durch denDichter.
Rhein. Mus. f. Pnilol. N. F. LVIII (1903) S. 392—426.
Während V. bei den Eklogen ein Hauptmuster vor Augen
hat, benutzen die Georgika eine ganze Reihe Vorbilder, welche
Jahns letzte Liste S. 426 für I 1 — 350 übersichtlich zusammen-
stellt. Lukrez kommt hier zu kurz weg; um so reichlicher werden
seine sprachlichen Einflüsse vorher behandelt. In der ersten Über-
sicht der als Stoffquellen oder formale Muster (gelegentlich auch
als beides zugleich, wie Varros R.r. I 3 f. und 44, 1 für G. I 50f.)
benutzten Vorlagen zeigt S. 393 namentlich L. V stark verwendet,
dessen V. 207 — 217 nicht weniger als sechsmal vorschweben sollen*
Nächst Lukrez und Varro kommen besonders Hesiods Werke und
Tage in Betracht, seltener Theokrit und Arat, verhältnismäßig
wenig Cato und — Homer. Ob V. den Homer ganz kannte, be-
zweifelt J. (S. 419 sogar: kein Gedanke) und möchte manchen
Anklang lieber aus einer Sammlung von Memorierversen, einem
Auszug von Vergleichen und ähnlichen Hilfsmitteln herleiten oder,
wie bei Versen aus Sophokles, Menander u. a., an Vermittelung
lateinischer Vorgänger glauben, so bei flava Ceres I 96 ^ JE 500.
Nur mittelbar ausgebeutet sah er ja auch schon den Theophrast
(Hermes 1903 S. 244 f.; s. JB. 1903 S. 174 f.), über den er hier
das Erforderliche wiederholt und einiges nachtragt, z. B. daß V.s
Angaben I 208—250 der Hist. pl. VIII 1 parallel laufen. Weiter
stutzen sich die V. 208 f. auf Varro I 34, 1 so stark, daß sogar
die Verbindung severe usque wiederkehrt, wie sonst im Ausdruck
dividit orbetn wörtlich zu Lucr. V 684 stimmt und medium lud
atque umbris frei zu 688 f. Für 212 — 230 ist die unmittelbare
Quelle nicht zu ermitteln (ebensowenig für 287 — 96), während
es für den Anfang der dann folgenden Digression Eratostheues
ist, auf welchen der Dichter durch Varro 1 2, 3 f. geführt wurde.
Auch für 84 — 93 kennt J. keine Stoffquelle; Muster sind Varro
I 27, 2 ^ 89 (wie schon zu 63 f.), Lucr. VI 155 flamma crepitante
n^ 85, I 494 calor . . penetraleque frigus ^ 92 f. und V 215 f. mit
der Dreiteilung der Feldschäden. Das mittelste Glied V.s (rapidiv*
potentia solis) ist umgestellt gegen L. und entspricht, auch metrisch,
dem tievog o^ioq tfelioio bei Hes. 414, dessen Verse 420 f. Vergil
169 — 175 ersetzen, nicht übersetzen will, während er Hes. 51 1 f.
^
Vergil, von P. Deuticke. 109
zur Ausmalung des Unwetters 330 f. heranzieht, die sich haupt-
sächlich an Lucr. VI 246 f. anschließt.
Unter dem bunten Ausputz, bei welchem mancherlei Stucke
aus Catull, besonders Ged. 66, und einzelne aus Afranius, Attius,
Ennius, Kallimacbos u. a. auftauchen, bucht J. auch Erinnerungen
aus den Eklogen. So soll V. I 154 'mit vollem Bewußtsein* auf
B. 5, 37 anspielen; zu welchem Zwecke wohl? Und vollends ge-
wisse Worte und Verbindungen an bestimmten Stellen des Verses,
namentlich am Ende — was sollen die beweisen? Daß V. solche
Formeln nach seinen trüberen Gedichten, nach Lukrez und andern
wieder braucht, kommt mir ganz selbstverständlich vor [vgl. J.
selber S. 418] und so wenig beweiskräftig wie etwa der deutsche
Beim Herz : Schmerz. Sonst sucht J. das wirkliche Gewicht der
Anklänge vorsichtig festzustellen. Daher seine Bemerkung zu 120:
Theophr. h. VII 11, 3 braucht nicht .. . benutzt zu sein, zu 176:
verglichen Lucr. I 400 — ohne zwingenden Grund, zu 178 f.:
benutzt sind Varro I 51 und 57, 1 und Cato 129 (comtninuito
terram et cylindro mit pavicula coaequato ^ aequanda cylindro,
was bei Varro fehlt), nicht aber Cato 91. Er weiß (S. 425), daß
in dergleichen Schilderungen Ähnliches sich wiederholen muß;
um so weniger aber verstehe ich, wieso und wofür er manche
mir zufällig erscheinende Entsprechung verwerten zu können
glaubt. Zu den 'Ähnlichkeiten, die sich nicht wiederholen mußten,
sondern Bekanntschaft erwiesen', rechnet er auch V. 325 rw
Apollon. Bhod. IV 1280 f. öpßgov äanszop, oöte fiocov xaxä
livqia sxkvasv sgya und meint, V.s Bekanntschaft mit Apollonios
stehe auf Grund anderer Benutzungen fest, während er sie S. 400
nur als möglich und S. 394 sogar als fraglich bezeichnet. Zu
V. 158 schreibt er 'hier einmal deutlich bloße Erinnerung1, nämlich
an Lucr. II 2. Das soll jedenfalls ein Gegensatz sein zu den
* förmlichen Sammlungen7, die sich V., wie J. noch immer an-
nimmt (vgl. JB. 1899 S. 172), über die Bezeichnungen für Kälte
und Hitze, die fünf Zonen [mortalibus aegris 237 = Lucr. VI 1;
und doch als einziger Zug aus Homers Beschreibung (l 19) ent-
lehnt?], den rauschenden Bach u. dergl. anlegte.
Der Nachweis, wie der Dichter seine Quellen und Muster
bearbeitet hat, ist also, wie mir scheint, nicht vollständig geglückt.
Die Einleitung sagt: die Worte werden oft poetisch, und zwar oft
wahrhaft poetisch, paraphrasiert; und S. 409 zu 178 f.: die Vor-
schriften der Ackerbau Schriftsteller in durchaus dichterischer Weise
umschrieben. Wem genügen dergleichen Allgemeinheiten? Jeden-
falls aber spricht J. hier wie im Hermesaufsatze vorsichtiger über
V.s Gaben und Leistungen als früher in seinen Programmen. Zu
V. 58 sagt er: Wir würden erwarten nur von Pflanzen, nicht von
allen möglichen Erzeugnissen zu hören. In Horcus Eumenidesque
satae 277 f. soll V. Hesiods W. 803 f. mißverstanden haben [vgl.
Conington-Haverfield] und 304 durch eigne oder eines Abschreibers
HO Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Schuld Arats iniOTQiipaxfi 345 als intatiipcoöi wiedergeben,
wobei ein Wortspiel mit xoqcovij und corona herausgekommen
sei, das er wie andere (s. JB. 1899 S. 173) für eine besondere
Feinheit halten mochte. Jahns ßelesenheit, Scharfsinn und Sorg-
falt sind wieder aller Ehren wert.
6) Paul Jahn, Aus Vergils Dichterwerkstatt. Philol. 63 (1904)
S. 66—93.
Diese Zergliederung von G. IV 1 — 280 entspricht dem eben
besprochenen Aufsatze ziemlich genau. Zunächst schon äußerlich:
nur kommen zu den eckigen und runden Klammem, kursiven
Buchstaben und eingestreuten Ziffern (in deren Reihe übrigens
manchmal, z.B. bei 243 f., einzelne auffallen; etwa durch nach-
trägliche Kurzungen?) innerhalb der Abschnitte des Textes noch
senkrechte Striche und unterstrichene Worte, womit mir fast das
wünschenswerte Maß der Zusammendrängung überschritten zu
sein scheint. Sachlich scheidet J. wieder Quellen und Muster.
Bis auf wenige Ausnahmen wie 103 f., 208 f. und 260 f. ergeben
sich zwei Hauptquellen, Aristot. Hist. anim. IX 40 und Varro R. rust.
III 16, welche J. nebeneinander benutzt findet [wie H. Morsch,
nur viel reichlicher; also anders als A. Knoche in der Dissert.
Leipzig 1877 S. 13 und auch als J. van Wageningen, Diss. Utrecht
1888 S. 168]. Als Muster verwertet V. außer sich selbst [s. d.
vor. S.] besonders den Lukrez und nur vereinzelt Homer, Arat
(1028 f. bis auf die Form des Satzes ^ Vergil 191 f.), Kallimachos,
Cato, Ennius (vielleicht in der Schilderung des Kampfes 67 f., den
V. statt des Schwarmauszugs aus Varros Vergleichen ut in exercitu
vivunt und ut imitatione tubae § 9 herausspinnt) u. a. Nebenher
soll man beobachten, wie V. aus Prosa Poesie macht, z. B. V. 15
aus x%kid(üv bei Arist. § 16 oder 153 f. aus imperium bei Varro
§ 6 oder 230 aus fumigans bei Varro 17. Ausführlichen Bescheid
erhalten wir über 231 f. Hier entlehnte V. die Sache aus Arist. 21:
rfj dt xoi fiilitog iqyaaia dirtoi xcuQoi slaw, sag xai ptz-
6ttcoqop und Varro 34: antequam totus exoriatur arcturw, die
Form aber aus Arat 263: Ttjvyha, vielleicht auch 59t: yoVr
xai noöa Xdtov ovtkü xvpaivovrog vno(S%qi(f€i dxeavoto, ferner
aus Theokrit 18, 26: äcog <T ayiiXXoiöa xaXov diitpaive nqog-
umov und Hesiods Werken u. T. 619: svz* av IlXfj^ääsg a&ivog
oßQipop ^ßgioopog (psvyovöat, nlmwöiv ig tjsQOsidScc novxov.
'Wahrscheinlich fand er nun bei irgend einem Dichter Piscis und
Orion in enger Verbindung und meinte deshalb, den einen für
den andern setzen zu können1. So wird das Dach der Dichter-
werkstatt, ja des Dichterhirnes aufgedeckt.
J.s Ergebnisse mag ich einzeln um so weniger aufzählen, als
er behufs einer Gesamtübersicht auch wiederholt, was andere schon
gefunden haben. Nur zur Probe etliche Einzelheiten. Mellis aerii
1 ^ (A&ki, . . ninxov ix xov aiqog Arist. V 22, 4, fuco 39 [oder
Vergil, von P. Denticke. \\\
suco nach Madvig?] = flirr* Ar. IX 40, 5, limo 45 'wegen der
Quantität' [?] statt fimo Varro § 16, melior 90 = Varro 18 und
Ar. 9 : 6 fisv ßsXxioov tivqqoc, lalam trahens alvom 94 = nXaxv-
ydöTWQ Ar. 9. Die Episode 116 f. findet J. durch Varro 10 ver-
anlaßt, der von zwei Brüdern hörte, quibus cum a patre reitet a
esset parva villa et agellus non sane maior iugero uno (vgl. Verg.
127 f.), hos . . alvaria fecisse et hortum habuisse; auf 118 f. und sub
125 soll Varro I 16,3 eingewirkt haben: st« b urbe colere hortos
late expedil, sie violaria ac rosaria. Wiederholt sträubt sich der
naturliche Sinn, unmittelbaren Einfluß anzunehmen; schon bei
haedique petulei 10 ^ agnique petulei Lucr. II 368, verum
ubi 88 = L. VI 100, daedala 179 = L. I 7 und bei ira metum
supra est 236 rw itd%ovTat, fidXiaxa Ar. 1 1, erst recht bei . . frenaret
aquarum 136 ^ . . aquarum et mora quae fluvios passim refrenat
euntis L. VI 530 oder morsibus (st. punctibusl) . . adfixae . . volnere
237 f. ^ L. V 1318, wo Sinn und Satzbau ganz verschieden ist.
Doch hat J. immer bestimmte Grunde für sich und merkt z. B.
zu 151 wieder ausdrücklich an: Callim. in Iov. 48 f. oder Apollon.
Rhod. I 508 resp. II 1236 oder Arat 33 f. brauchen nicht nach-
geschlagen [!] zu sein. Aber muß wirklich Hellespontiaci Priapi
111 (und ebenso ostriferi Abydi I 207) auf Catuils 'Muster' im
Priapeenfragment zurückgeführt werden? Solche Namen und
Dinge liegen doch sozusagen in der Luft und fliegen dem Dichter
zu, ohne daß er's weiß und will.
Schließlich noch einige andre Bemerkungen. 158 — 164 be-
handelt V. in etwas anderer Reihenfolge, was Arist. 23 angibt:
dirJQTjrai, de xä sQya.., xal al fiiv iqyd^ovxai [i6Xi, al dt
yövov, al de §Qi&dxi]V> xai al fisv nlditovtfi xfjgia . . , al dt
sti* sqyov sQXovxai. Hierzu sagt Jahn 'für al ö£ yovop ist edueunt
fetus eingetreten', so daß also wohl edueunt wie sonst öfters
(s. Kochs Wörterbuch zu V.) = educant sein soll; dagegen siehe
Conington zu 163 und Brosin zu A. I 431. Für das dreifache
Gleichnis 261 f. verweist J. außer auf Hom. II. XXIV [gemeint ist
XIV] 394 f. noch auf Lucr. VI 142 f., dessen Begriffe murmur
aestus Stridor Vergil mit überraschender Verschiebung als Prädikate
für die aus Homer entnommenen Subjekte Wind. Meer, Feuer
verwendet. Die Verse 20/4 [s. schon Unger, Neue Jahrb. 1890
S. 497 Anm. 75] unterbrechen den sonst an Varro 27 ange-
schlossenen Bericht; sie scheinen daher später eingeschoben zu
sein, wie auch 231/5 [und 241/7?]. Quo magis exhaustae fuerint
248 bezieht J. auf die Beseitigung der 242/7 erwähnten Schädigungen,
was befremdlich klingt; doch vgl. Waltz z. St. Sollte die Unklar-
heit etwa von einer Lücke herrühren? Nach der Aufzählung der
Schädlinge könnte widerraten sein, notleidende Stöcke einfach zu
töten. Anders erklärt die Verse Mayers fachlicher Sachkommentar
S. 88 f. Dieser erwähnt S. 77 auch ein Heulen, das 260 m. E. in
Frage kommen könnte. Wenn Vergil 257 die Bienen statt vor
112 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
dem Schwärmen (so richtig Varro 30) sich bei Paulbrut am Flug-
loche zusammenballen läßt, so möchte J. das aus einem Miß-
verständnis von ot* anoXeixjJsi to OfjtTJvog bei Arist. 26 herleiten.
Ähnlich suflrre thymo 241 aus x^-vfjbicifjbsvai bei Arist. 2, schwer-
lich richtig, da es sich um eine Art Desinfektion handelt; s. Mayer
S. 96. Somit ist nicht zu erweisen, daß V. hier eine griechische
Quelle vor sich hatte. Bei apibus felis 139 würde ich lieber auf
apes magis fructuosas Varro 33 und fecunda alvos 34 verweisen;
der Schluß von § 10 lehrt nichts Besonderes.
7) W. Gb'hring, Übersetzungsproben aus lateinischen Dichtern.
Beilage zum Jahresberichte des städt. Gymn. Brandenburg a. H. 1903
(Nr. 72). 20 S. 8.
Außer mehreren Gedichten von Catull und Tibull verdeutscht
G. zuletzt drei Stuckchen aus Vergil, nämlich G. II 490 — 540,
IV [gedruckt steht S. 17 II] 51—66 und A. I 81—119. Der
Ausdruck ist glatt, das Metrum meist trochäisch, im Seesturm bei
stärkerer Bewegung daktylisch, die Verse teils lang und reimlos,
teils kurz und gereimt. Der erste Abschnitt aus V. beginnt
* Glucklich, wer der Dinge Urgrund forschend wohl erkennen kann'
und schließt 'Nimmer tönte Schwerterklang
Klirrend auf der Amboßbank'.
Wie weit manchmal die freie Ausmalung geht, zeige A. I 119
'Und die Schätze Iliums,
Letzte Reste einsogen Ruhms,
Schwammen in dem Tanz der Wellen'.
II. An eis-Ausgaben.
8) Von Brosin-Heitkamps Äneis ist eben (1905) das erste
Bändchen, Buch 1 und II, in neunter Auflage erschienen, auch
diesmal nur wenig geändert. ,
9) Virgils Aeueide. Für den Schulgebrauch erläutert von Karl
Kappes. Erstes Heft: Aeneis I — III. Sechste Auflage, bearbeitet
von Martin Fickelscherer. Leipzig und Berlin 1904, B. G.
Teubner. XII u. 120 S. 8.
Neu ist außer der Schreibung Virgil besonders eine acht
Seiten lange Einleitung über den Dichter und seine Werke, die
: meist ganz lesbar ist. Doch überrascht S. V: Er fand in dem
Land hause seines ehemaligen Lehrers Siron in Rom mit den
. Seinigen eine Zuflucht. Einen gewissen Widerspruch ergibt auch
'die Tatsache, daß V. niemals mit mehreren Entwürfen gleich-
zeitig beschäftigt war' (S. VI), und die Angabe S. VIII, er habe
schon, während er an den Hirtengedichten arbeitete, sich mit
dem Gedanken getragen, die sturmbewegte, ereignisvolle Gegen-
wart in einem Heldenliede zu besingen. Verunglückt ist ein Satz
S. XI Z. 4 und auffällig ebenda Z. 19 die Form 'Eneit', da doch
Vergil, von P. Deuticke. \\Z
Heinrich von Veldecke selber zweimal (26, 37 und 254, 21 E.)
Eneide sagt und auf war hei de reimt.
Wie geschickt F. sonst 'die Lebensarbeit des treuverdienten
Vergüforschers' weiterfuhrt, habe ich im JB. 1903 S. 159 f. am
vierten Hefte gezeigt. In seinen Textänderungen folgt er laut
Vorwort wesentlich Ribbeck8, und zwar der größeren Ausgabe.
Daher jetzt hier I 2 Lavina, 548 Punkt hinter metus, II 333
oppositie, 445 tota, 503 ampla, III 146 temptare st. fenf., 484
honore, 558 haec st. hie, 685 Komma hinter inter und 686 m.
Dagegen steht deripiunt 211 nur in der kleinen Ausgabe und
proram I 104 gar nicht bei Ribb. Im ganzen ist wenig geändert
und orthographische Seltsamkeiten wie sueeepit I 175, polUcitus
237 oder ec II 546 mit Recht vermieden; ebenso Ribbecks
Klammern um I 109, 389, 711, 744, 755, III 348, 595 und 690f.
Doch äußert F. gelegentlich selber allerlei Bedenken, wie schon
Kappes gegen II 792/4. So zu I 483—484 : Falls die Verse echt
sind, so enthalten sie einen erklärenden Zusatz . . wie 472 — 473,
hätten dann aber besser nach 487 ihre Stelle gefunden. Oder zu
II 399 — 401: Verse, die, wenn sie überhaupt von unserem Dichter
stammen, vielleicht eine Überarbeitung erfahren hätten. Denn —
(nun folgen drei Gründe der Bemängelung). Auch den Wider-
spruch von II 334 gegen 266 hebt F. noch schärfer hervor als K.
Umgekehrt verteidigt er die in den besten Handschriften fehlende
Stelle II 567—587 ausdrucklich: Widerspruche seien in der Äneis
nichts Ungewöhnliches und die folgende Szene 588 f. bleibe sonst
unverständlich. Wenn ich mich nicht täusche, greift das von F.
zuerst bearbeitete vierte Heft wissenschaftlich tiefer als dies erste,
vielleicht weil der Anfang zunächst auf die Bedürfnisse der An-
fanger berechnet ist.
Der Kommentar ist trotz mancher Zutat, namentlich über
prosodische und metrische Eigenheiten, um mehr als vier Seiten
gekürzt, besonders in Buch III, und überhaupt stark verändert.
Gegen Kappes entscheidet sich F. bei I 1 primus Elativ, 114
ipsius = Aeneae, 145 levat: Obj. ist navis, 174 süici Dativ, 213
aena Teller, nivaxeq bei Hom. a 141, 237 polUcitus — quae . •
vertu Anakoluth, 395 videntur: nicht passivisch, sondern weil man
aus der Ferne nicht genau sehen kann, über welchem Punkte ein
Vogel in der Luft schwebt, 455 inter se miratnr: er bewundert
bald den Gesamtbau (operum laborem), bald die künstlerische
Ausführung aller Einzelheiten (artificum manne), 534: unvoll-
ständige Verse keine beabsichtigte Neuerung; II 31 Minervae Gen.
subj., 199 hie temporal, 433 Danaum verb. mit manu, 504
barbarico ausländisch: Trojaner nie von den Griechen als ßoQßaQoi
bezeichnet, 512: Atrium und Peristylium vermengt; III 374: nam
begründet nicht die vorausgehende Anrede wie 362, 470 duces
Lotsen u. d. m. Vielfach findet man sachliche Ergänzungen wie
I 159: der spätere karthagische Hafen Kothon mit dem vor-
JakiMbcrielite XXXL 8
114 Jahresberichte d. Philolog. VereUs.
gelagerten Inselchen wird . . ähnlich beschrieben wie die Phorkys-
bucht, 244 Timavus . . Fortsetzung der bei St. Canzian in den
Tiefen des Karsts verschwundenen Recca, 319 diffundiere: Neben-
sätze mit Konjunktionen erspart und in daktylischen Metren gut
verwendbare Verbalformen gewonnen, 353 f. allerlei Zöge des
Traumlebens, 531 terra antiqua ein Land, das schon lange sich
menschlicher Kultur erfreut, 727: die Erwähnung der Beleuchtung
an dieser Stelle soll vermutlich andeuten, daß jetzt erst Licht
angezündet wird. Ferner II 23 : als geographische Bemerkung des
Dichters . . nicht aufzufassen, weil die Insel zur Römerzeit als
wichtige Flottenstation bekannt war, 321 ad limina: er sucht bei
Äneas wegen der versteckten Lage des Hauses (299 f.) vorläufigen
Schutz, 476 ingens Periptias: JIsQlcpag nsXcoQiog in der Ilias er-
wähnt, aber E 482 von Ares getötet; III 543 die Deutung des
Omens ist chiastisch geordnet: Behauptung, Begründung, Be-
gründung, Behauptung.
Parallelen aus deutschen Dichtern begegnen gelegentlich, so
zu I 48 Iunonis aus Schillers Teil I 3 'Der Teil holt ein ver-
lornes Lamm vom Abgrund' und zu I 572 aus Chamissos Riesen-
spielzeug 'Du fragest nach den Riesen, du findest sie nicht mehr'.
Seltener lateinische, während F. in seiner Schulerausgabe Ovid gern
heranzieht. Sonst könnte I 179 torrere aus G. I 267 und saxum
aus Mor. 26 erläutert werden. Außerdem wünschte man vielleicht
noch Aufschuß über den Kasus von genu I 320 und rupibus 429,
über sorte trahebat 508, das Präsens venit 697, amor 716, protecti
II 444, dngor 747 oder gravid III 464 u. ä. Der Ausdruck ist
durchgesehen und viel flüssiger geworden. Aber was soll 'das
Lächeln der Gesichtszüge' I 254 und 'noch näher' II 12? Auf-
fällig finde ich neu eingesetzt 'das Truggebäu' für insidias II 36,
auch die Konstruktion II 463 a. E. und unverständlich den Satz-
bau III 612. Vielleicht liegt hier ein Druckfehler vor wie bei dem
Lemma II 136 und III 82 und der Ziffer II 435 st. 436. Sach-
lich zweifelhaft ist mir, ob Äneas I 188 das Schießzeug des Achates
ohne diesen selber bei sich haben soll, ob 1 448 die beiden Tür-
pfosten gleich dem Querbalken darüber aus Stein bestehen und
nur durch Metallklammern verbunden sind, ob II 480 postis =
trabsy Seitenbalken des Türflügels, ist und ob aus Ov. Met. IV 135
folgt, daß inhorrescere III 195 das leise Kräuseln der Wellen als
Vorzeichen des Sturmes bezeichnet. Zu ändern ist auch I 707
nee non et = quogue in etiam. Auf einem Versehen bei der
Redaktion beruht die doppelte Deutung des Plurals furiae I 41,
die wiederholte von ruunt 83 und Ende 85, die sich wider-
sprechende II 802 und 804. Und wenn III 9 iubebat Vordersatz
zum cum invers. ist, sehe ich keinen Grund, es aus der Analogie
der griechischen Verba des Fragens und Befehlens zu erklären,
die selbst bei einmaliger Handlung oft im Imperf. (de conatu?)
stehen. Doppelte Auskünfte von K. hat F. in der Regel beseitigt,
Vcrgil, von P. Deuticke. 115
aber I 65 ein 'oder' eingesetzt, wo der zweite Vorschlag (namque
= ja) sich mit der voraufgehenden Annahme einer Ellipse 'dich
rufe ich an' bequem verträgt. Ähnlich II 116: Die Sage von der
Rettung Iphigeniens durch Diana wurde entweder im Altertum
nicht allgemein geglaubt [das ist sicher aus Lucr. I 84 f. zu er-
sehen] oder hier von dem Betruger absichtlich verschwiegen.
10) P. Vergilius Maro, Aeneis Buch VI. Erklärt von Eduard Norden.
Leipzig 1903, B. G. Teubner. XI u. 484 S. gr. 8. geh. 12, geb.
13 JL* — Vgl. Arcb. f. lat. Lex. u. Gramm. XIII 1903 S. 448; W. K(roll),
Lit. Zentralbl. 1903 Sp. 1187; R. Helm, Berl. phil. WS. 1904 Sp. 392;
J. Ziehen, N. Jahrb. f. d. klass. Alt. 1904 S. 644; A. Cartanlt, Rev.
de phil. 1904 S. 304; A. Primoäid, Zeitschr. f. d. öst. Gymn. 1904
S. 129; H. Ziemer, Monatschr. f. höh. Seh. 1904 S. 606.
In Teubners Sammlung wissenschaftlicher Kommentare zu
griechischen und römischen Schriftstellern liegt nun der mit
Spannung erwartete Norden glücklich vor, ein vorzügliches Seiten-,
Gegen- und Ergänzungsstuck zum Heinze. Das Friedrich Leo
zugeeignete Buch bietet nach einer Einleitung von 48 Seiten den
Text und eine neuartige Übersetzung von A. VI nebeneinander,
dann S. 105—355 ausgiebige Erklärungen über V.s Vorlagen und
Leistungen in sachlicher, grammatischer, metrischer Hinsiebt und
bis S. 458 eine Reibe bald längerer, bald kürzerer Anhänge, von
welchen sechs über die Sprache und fünf über den Vers wichtige
Einzelheiten zusammenfassen. Den Schluß bilden Nachträge und
mehrere Register, deren letztes etwa 500 Stellen aus den andern
Büchern des Dichters verzeichnet, die nebenbei behandelt werden.
Das Ganze verrät die gründlichste und vielseitigste Gelehrsamkeit,
vor der man staunend sagen möchte labor omnia vicit improbus.
Allerdings erscheint mir der Genuß von dieser Sammelarbeit,
offen gesagt, nicht ganz so unmittelbar und einheitlich stark wie
bei Heinzes abgerundeten Ausführungen ; die Fülle des Gebotenen
wirkt manchmal mehr beklemmend als erlösend.
Der Text gründet sich auf die Majuskelhandschriften und
einzelne Angaben bei Servius oder andern Grammatikern, unter-
scheidet sich aber nur bisweilen vom herkömmlichen, namentlich
durch Averni 126, agnovit 193, limina 255 (so außer M auch die
Photogravüre von F), consilium 433 (vgl. Mommsens Rom. St. R.
214 f.) und emovet 524. Mit Ribbeck bietet er gentis und urbes 92
(auffällig sagt dazu der Kommentar: wo P beidemal die nach
Vergils sonstiger Praxis besseren Formen {auf w> überliefert),
Cocytus 132, super 241. 750. 787, tristis undae 438, Polyboten
484, tun 845, haec und päd 832, qui 865 wie auch das Komma
hinter flentes 427, die Parenthese 524 und die Athetese 901.
Gegen Ribbeck liest man wie bei Ladewig Gnosius 23 und 566,
quam 96 (Kommentar: auch Seneca muß so gelesen und den Vers
wie Servius verstanden haben; also sind seine und nicht V.s
Handschriften leicht verderbt), sepulcri 177, super 254 (mit irra-
8*
116 Jahresberichte d. Philolog. Vereios.
tionaler Lange; S. 441 vergleicht vnslq aka), dahinter natürlich
keine Lücke, ebensowenig hinter 361, Komma vor terrae 358;
außerdem die Abweichungen 528, 559, 586, 602, 724, 806, 848,
890 (exin) und 897, endlich gegen Ribb.8 frequentes 486 und
Lunae 725. Von Ribb. und Lad. weicht ab Euadne 447 (die
Schreibung Euh. bezeichnet der Kommentar als fraglich), das Komma
hinter st. vor eques 858 und nee 869 (S. 445: weil u folgt). Ver-
mutungen, Umstellungen (325 f. 743 f.), Atbetesen (586. 702) und
sonstige Maßregelungen der Überlieferung kommen weder im Texte
noch in dem kurzen Apparate vor und werden im Kommentar
ausnahmslos zurückgewiesen. Bemerkenswert ist höchstens noch,
daß N. wesentlich im Anschluß an die Hss. F und M rhetorisch,
rezitativisch, psychologisch interpungiert, nicht logisch, wie wir
gewöhnlich verfahren. Daher keine Trennung bei Vokativen und
Appositionen, wohl aber bei Partie, conj. oder absol. wie 6 hinter
flammae, 47 hinter fores, 112 hinter iter, 241, 330, 738 und
143, 236 [nicht 857?], bei entsprechenden Adj. oder Subst. (also
hinter 91 und 645) und bei parallelen Gliedern wie 107 nach
dicitur, 130 nach luppiter, 180 f., 662, 840, auch 88 vor und
hinter nee Xanthus, aber nicht 129 hinter opus. Der Anhang S. 377 f.
gibt hierzu noch an, daß N. abweichend von den Handschriften
die kleinste Pause, nämlich die zwischen zwei durch die Kopula
verbundenen Begriffen, nicht bezeichnet habe. Diese Inkonsequenz
verstehe ich kaum vor atque 13 und ambagesque 29, geschweige
denn vor et 27, das auf die regelrechte Penthemimeres folgt. Der
Gelehrte wurde doch auch diese Fälle richtig auffassen. Für An-
fanger aber, denen unsere logische Interpunktion wohl besser
dient als diese romanische, ist die vorliegende Ausgabe doch so
wie so nicht bestimmt und geeignet.
Die Übersetzung soll ein Stück des Kommentars sein
(S. VII). Das trifft entschieden zu bei den griechischen Um-
schreibungen, namentlich der langen Stelle 724—751 auf S. 15.
Hier verdeutlicht N. den Ausdruck quisque suos patimur manis 743
frei : dlxtjv didoatiw al %pv%al tcov naXcuabv [jwjviijlcct(ov, xcerd
%6v deeipova og kxdtsxfiv &Xvi%sv (vgl. Piatos Phädo 107 D und
113 D), wörtlicher S. 32: top iavtov ixafäog xig daipovec nd<s%o-
fisv, indem er mit Servius dem Menschen zwei Genien zuschreibt,
einen guten Engel und einen bösen (Strafgeist, wie Maaß im
Orpheus S. 231 schon richtig sage). Die deutsche Übersetzung
lautet einfach, aber nicht sonderlich erleuchtend:
Ein jeder büßt, wie es sein Dämon heischt.
Im Kommentar begegnen sogar eigene griechische Verse, die von
hoher Kunst zeugen. So für 32 f. und 392:
dlg [A&v icpcoQiAij&r] dianXdöGsw JaidaXog vlov>
cbg enstieVy %slqsg dlg d' ensaov ndi^ay
und ovii \*hr lB(>ctxXfja %aQslg dexoprjv txtxiovxa,
Vergil, tob P. Dentick«. 117
wo das belieble Wortspiel zwischen Xccqcöv und x<*{0«v deutlich
zum Ausdruck kommt. Dafür lautet *lie deutsche Übersetzung:
— er hatte zweimal
Die Hand geröhrt, den Sturz in Gold zu bilden,
Zweimal ließ sinken er die Vaterhand;
und mit noch stärkerer Ausweitung:
Gut ist mir's wahrhaftig nicht bekommen,
Daß ich einst zum Strome zugelassen
Selbst (?) die reckenhaften Göttersöhne
Herkules, Pirithous und Theseus.
Schon aus diesen Pröbchen ersieht der Leser, daß Ton und
Versmaß wechseln. Vom Hexameter hat N. abgesehen, jedenfalls
mit Recht. Aber er verzichtet auch auf die 'wundervolle Ein-
heitlichkeit des Metrums1, um die Vielheit der Stimmungen wieder-
zugeben, welche V. durch die Wahl besonderer Cäsuren und den
Wechsel von Daktylen und Spondeen verrät. Diesen Feinheiten
soll es entsprechen, wenn den ruhigen Fluß der erzählenden
Blankverse trochäische Fünf- oder Achtfüßler, anapästische Vier-
fußler mit regelrechter Cäsur in der Mitte, bisweilen mit Stab-
reim und freien Senkungen nach dem Muster W. Jordans oder
F. Dahns, ja einmal (bei dem Märchenmotiv 136 f.) neue Nibelungen-
verse mit Endreim unterbrechen. So treffend auch manches klingt,
stört mich doch die Unruhe des Ganzen etwas: V. 54 f. ergeben
drei, 155 und 398 je einen Blankvers zwischen andern Maßen.
Auch der Ausdruck ist ungleich. Manches atmet überkühnen
Schwung, namentlich breiten Fittichs = praepetibus pinnis 15,
Horst = sedem 283, trog mich = delusit 344, unsern Höllen-
wart = Tartareum custodem 395, Spruch der Feme = crimen
430 u. ä. Dagegen klingt nüchtern 164: Man kannt' ihn an dem
Speer, der Kriegstrompete, 254: Er ließ die Eingeweide glühn in
Öl, 349: Fest hing ich am Steuerruder, dem als Huter überwiesen
Ich den Kurs des Schiffes lenkte; plötzlich ward es losgerissen.
Anderswo ist Stellung oder Ausdruck zu steif; so 148: Auch nicht
mit hartem Eisen ihn loszureißen gelingt und 820: Die eignen
Söhne für Rebellion dem Tode weihn. Befremdlich erscheint mir
209: es knisterten linde mit dem Metall die Winde; und vollends
469: die Wimpern stier am Boden, 501: sich ahnden = poenas
sumere, 654: blanker Rosse Züchten . . . durften hegen sie im
Erdenschoß, auch 318 frug und 696 often = saepius, wenn kein
Druckfehler vorliegt 1). Hier hätten die S. X genannten germanisti-
schen Berater Einspruch erheben sollen. Erst recht bei der un-
l) Druckfehler finden sich gelegentlich, aber stärker stören nur wenige.
Man schreibe im Texte hinter 186 ein Kolon und hinter 807 ein Frage-
zeichen, im Kommentar S. 148 Z. 11 G. I 499, zu 208 f. XI 851, S. 220 Z. 1
A. IV 154, S. 222 Z. 11 IV 233, S. 240 Z. 9 XI 469, S. 256 letzte Z. ad-
gnovü, S. 285 Z. 28 Gellius IX 10, S. 386 Z. 31 assiduo und S. 439 Z. 2
wie 441 Z. 3 VI 254.
Hg Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
gebrochenen Verbalform 'ihr gebeut ' = quibus Imperium est 264,
die doch nur in der 3. Pers. des Sing, möglich ist, mögen auch
6. Ebers und W. Gebhardi sogar den Infinitiv 'beun' und 'gebeun'
verbrechen. Kein Gewicht lege ich auf die schwebende Betonung
von Simois 88, Briareus 287, Vater Anchises 679, und auf kleine
Lucken, z. B. daß nee neqniquam 117, quod 363, hoc 466, Septem
646, dira 721, ordine 723 fehlt. Auch Ungenauigkeiten mögen
hingehen, wie 315: der finstre Ferge ließ nicht jeden zum
Kahne, omnia 565 = das Gericht der Götter, aliquos 664 = die
Welt, has omnis 748 = die meisten. Aber Bedenken erweckt
mir sachlich vestigia 30 = ihren Schritt [soll Ariadne mit ins
Labyrinth gegangen sein?], navis 354 = Flotte, require 366 =
segle wieder heim [verdruckt st. hin ?] und femina 448 = Jung-
frau. Dem Texte widerspricht die Übersetzung traxi mecum 351
= es zog mich [vgl. zu Lad. 1S Anh. meine Vermutung praecijritem
traxit secum] und eris 883 = du wurdest; wohl auch Fhoebo
digna 662 = deren Lieder Phöbus wert befunden [hat, da Phöbus
doch schwerlich Genitiv sein soll], also nicht = ä&cc vfjg Ixeivov
Xvqccq, wie der Kommentar mit seiner Parallele aus Menander
Rhet. Gr. III 437 Sp. annehmen läßt. Auch der Riesenstern der
Sonne = Titania astra 725 könnte vielleicht etwas auffallen,
wenn solche Piurale rein metrisch zu erklären sind, was Anhang V
annimmt wie P. Maas [s. JB. 1903 S. 191]. Nicht als Muster,
sondern zur Anregung für andere Übersetzer soll N.s nicht ohne
Bedenken veröffentlichtes dycoviGpa dienen. Wer wird wohl
folgen?
Dem Kommentar voraufgesebickt ist ein kurzes Verzeichnis
der öfters zitierten Ausgaben und Abhandlungen (andere Vor-
arbeiten sind zahlreich bei den einzelnen Versen angegeben, auf
die dann etwas umständlich zurückverwiesen wird) und eine Dis-
position des VI. Buches, dessen dritter, ungleich größerer Haupt-
abschnitt außer dem Proömium 264/7 und Schluß in sechs Teile
zerlegt ist, die beiden ersten in drei, natürlich mit den erforder-
lichen Unterteilen, meist triadisch, bisweilen in zwei oder vier,
einmal (426 — 547) in fünf Gliedern, von denen aber 1 — 3 unter
sich enger zusammengehören (so S. 109; etwas anders in der
Einleitung S. 14). Die Periodisierung der einzelnen Abschnitte
nach xdoXa und xopfiava wird dann im Kommentar selbst an-
gemerkt. Die Epiphanie des Apollo 45 — 55 z. B. erfordert nicht
weniger als 10 Zeilen, das Gebet und Gelübde des Äneas 56 — 76
mehr als 20. Zu 98 — 123 wird nicht nur die formelle Gliederung
angedeutet, sondern auch die sachliche: Proömium, Propositio
106/9, Probatio und Conclusio, die wieder in Commiseratio 1 16/8
und Amplificatio zerfallt. Rhetorische Gesichtspunkte werden auch
sonst nachgewiesen, besonders in dem großen Xoyog nqoxQBnmxoq
des Anchises mit seinen drei nccQcuvfosig 806 £ 832/5 und 851/3
auf Grund der panegyrischen naqadsiyiiata, neben denen auch
^
Vergil, von P. Deotickc. 119
der xpoyoq vertreten ist, offen 826 f. und versteckt 815 f. und
822 f. Die technischen Fremdwörter erzielen wohl Klarheit und
Kurze des Ausdrucks, häufen und wiederholen sich aber manch-
mal unnötig reichlich; so ließe sich in der Schlußbetrachtung
S. 342—353 der im vorhergehenden genügend aufgeklärte Begriff
sxcpQccGig wie auch dgäfioc, preces, va<pq Miöqvov, xaräßctGig,
rjQwixov nQogoonoVy olxovopia, vikog, eldoola, nXatipa des
Dichters, Musarum sacerdotes, Hybris, inwqdsiov MaQxiXXov
wohl auch gut deutsch wiedergeben. In diesem Schlußteile be-
trachtet N. nach den von Heinze neu gewonnenen Gesichtspunkten
die Gesamtkomposition des sechsten Buches, nämlich wie die drei
Grundmotive (Befragung der Sibylle, Bestattung des Misenus und
Abstieg zur Unterwelt) verbunden sind und wie die Höllenfahrt
ihrerseits angelegt, gesteigert und zur Einheit abgerundet ist.
Das Gesamturteil lautet: im einzelnen manche Fehler, Mißgriffe,
Widerspruche, vergebliche oder künstliche Versuche, die Vielheit
der benutzten Quellen zu verbinden, und dennoch im ganzen ein
bedeutendes Kunstwerk, würdig der großen Zeit, in der es ent-
standen ist.
Im eigentlichen Kommentare bildet neben der Quellenanalyse
das formal-technische Element die Hauptsache. Von den zahl-
losen Einzelheiten und Kleinigkeiten kann ich höchstens einige
zur Probe anfuhren. So behandelt N. die Stellung der Apposition 6,
das hellenistische antrum 11, que — que 64: bei Ennius beliebt,
also 'wohl formelhaftes älteres Gut', wie überhaupt älteres, be-
sonders ennianisches Kolorit oft aus ungewöhnlichen Formen,
Wortverbindungen, Verschränkungen (883 f.), Cäsuren, Versschlüssen
und andern Eigenheiten erschlossen wird. Ferner die in Paren-
thesen sich spiegelnde aufgeregte Stimmung im Orakel 83/6, die
Wortbildung auricomos 141, den Ersatz für das unedle, nur
VIII 264 gebrauchte cadaver 149, die zweisilbige Aussprache von
calidos 218 und validas 833 (s. Quint. I 6, 19), das behufs
malerischer Wirkung stark gehäufte a und u 237 f., V.s Ober-
tragung der Synizese auf den Versanfang 280 [VII 609 in der
zweiten Arsisl], den Gebrauch von ast 316, die chiastische Ordnung
der Glieder 399 f., den griechischen Hiatus te amice 507, der viel-
leicht auf relativ frühe Abfassungszeit dieses Abschnitts schließen
läßt, die spielerische Wiedergabe von Tisiphone durch utirix 570,
den Hypermeter 602 (zu Kießlings Anm. für Hör. Sat. I 4, 96
vgl. schon Gell. XII 2, 10 über Ennius), die zierliche Diktion
703 f., wo fast alle Substantivs Attribute haben, und die hart an
xaxotykia streifende Rhetorik der Worte 795 f. Gewisse Mängel
im Ausdruck oder Inhalt spricht er offen, aber in wohlwollendem
Tone aus. So findet er störend die retardierende sxtpQaöig der
Kunstwerke auf der Tempeltür 14 f. und verfehlt manche Kon-
tamination heterogener Motive: Sibylla 76. 106. 125 Prophetin,
später aber Führerin durchs Jenseits; zum Goldzweig 135 f. doch
120 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Doch Opfer 153 (ohne Anknüpfung!), aus Homer entlehnt wie
weiterhin das Schwert 260 und 290; die Sitze der Eumeniden
280. 374. 555. 570. 605; Cerberus am Eingange 417 und im
Inneren 396 (s. 541 und 630). Daß Vergil dergleichen geändert
hätte, wenn er länger lebte, nimmt N. im allgemeinen nicht an.
Ebenso denkt er über die Inkonvenienzen 125 f. und die Ent-
gleisungen in der Form 119 f. wie im Gedanken 442 f. (Sychäus
ist I 344 heiß geliebt) und 456 f. (gegen V 1). Auch die gehäuften
ax^ficcta duxvolag, welche 760 — 882 eintönige Aufzählung ver-
meiden, können 'modernem Empfinden nicht entsprechen1, wie
die Gesamtwirkung der Verse 595 f. verletzend ist.
Sachlich bringt N. viel neue willkommne Belehrung. Vgl. zu
223: aversi (tenuere facem), wohl um das eldwlov des Toten, das
jetzt den Leib verläßt, nicht zu erblicken. Ferner 298: portüor
ist der Hafenzöllner, ikXifispiatqg, der oft zugleich Fährmann sein
mußte; die Angleichung von portüor an portare vollzog sich fast
mit Notwendigkeit, und wenn Charon 326 f. als portüor trans-
portare soll, ist das fast eine Obersetzung von noQ&psvg, das
andere, weniger puristische Dichter gern beibehalten. Die Tränen
468 soll Äneas selber weinen, nicht der Dido entlocken; diese
Erklärung widerspräche der Sachlage und dem durch Cat. 64, 131
bedingten Sprachgebrauche Vergils G. III 517 und A. 111 344.
Den Gen. caeli 579 zieht N. wie Henry zu suspectus = der Auf-
blick gen Himmel; es sei hinzugesetzt zum Kontrast mit dem
vorhergehenden umbras, vgl. 719 und 896. Den V. 613 deutet er
auf pflichtvergessene Sklaven, indem er zu Servius noch Hör. Ep.
4, 19 und Mon. Ancyr. 5, 1 f. vergleicht. Auf anderes wie superne
658 = empor, superum 780 als Akkus. = wie einen der Ober-
welt an gehörigen, die dreifache Auffassung von den spolia opima
859, welche Wunsch im Nachtrage S. 464 schon modifizieren
möchte, und instar 865 urspr. Bezeichnung des Gleichgewichts sei
nur kurz hingewiesen. Zweifelhaft ist mir die Deutung corripü
ligna für rapit Silvas 6, zumal das Holz doch da sein muß, ehe
man Feuer schlägt, und schwerlich nur im dichten Walde zu haben
ist; super 17 als Adverb, trotzdem Pindars Fragment 101 B. zitiert
wird; sit 266 = liceat; capita 360 = radices mortis; castigare
567 = feststellen; der Indikativ der indirekten Frage 615 nach
der Praxis des Griechischen, nicht des Altlateinischen; die Er-
gänzung eines Begriffs wie psallü zum ersen Satzgliede aus pulsat
647, obgleich auch die zitierte Stelle aus Phiiostratus nXyx%s*
toZg daxtvloig tovg filrovg sagt; genis 686 = aus den Augen
(-höhlen) und ac velut 707 entstanden durch Ausgleichung zweier
Vorstellungsreihen: animae strepunt atque apes + animae strepunt
velut apes [ohne Nachsatz nur in den drei angeführten Beispielen;
vgl. JB. 1889 S. 331]. Endlich ultoris Bruti 818, das man ge-
wöhnlich nach der Interpunktion von M (hinter reges 817 und
Bruti) zu animam zieht, während N. hinter superbam ein Komma
^
Vergil, von P. Deuticke. 121
setzt, wie Servius und Donat es meinen. Er findet den Vers bei
Lukan V 207 paraphrasiert : regnaque ad ultores iterwn redeuntia
Brutos und beruft sich für das dem dritten Worte angebängte que
auf Leo, Nacbr. d. Gott. Ges. 1895 S. 429 Anm. 3, was mir für
meinen Anhang zu Lad.-Sch. 9 XI 511 gegenüber Wagners Anm.
zu G. I 142 ganz willkommen erscheint. N. umschreibt den Satz
prosaisch 'Brutus Tarquinii superbiam ultus est fascibus recuperatis
populoque restitutis' und S. 99 übersetzt er die Verse frei:
Willst du auch sehen des Tarquinierkönigs
Hoflfärt'ge Seele, seh'n die Rutenbündel,
Die Brutus ihm, der Rächer, wieder nimmt?
Aber die grammatische Konstruktion und Bedeutung von Bruti
fasces receptos bleibt unbesprochen.
Wesentlich aufgeklärt hat N. nach Beloch und Cocchia auch
dje von Vergil nach seiner Gewohnheit [vgl. 273 f.] undeutlich ge-
lassenen örtlichkeiten des Sibyllenorakels, wenn auch noch nicht
alles ins reine gebracht ist. Der Apollotempel (41) lag auf der
kleineren östlichen Anhöhe der Burg (arces 9). Aus diesem konnte
man, wie in Delphi und anderwärts, xaraßccivew elg %6 ädvxov,
in die Orakelhöhle des Gottes (antrum 42), und zwar auf einem
unterirdischen Gange, den Beloch im Oktober 1900 von unten
aus erstiegen hat, soweit er nicht verschüttet war. Unten ist
nämlich der ganze Fels von Grotten durchhöhlt, die sich in drei
Stockwerken verzweigen; in diese fuhrt unterhalb des Apollo-
tempels und des Aufgangs zur Burg auch ein besonderer Eingang
(S. 117 Z. 6: auf der Sudostseite, S. 133 Z. 10: auf der Sudseite
und ebenda Z. 10 v. u. in Belochs letzter Angabe, vermutlich
richtig: an der Westseite des ßurgfelsens, dem Meere zu). Eine
dieser Grotten heißt noch heute 'grotta della Sibilla'; jedenfalls
die geräumige, an deren Decke Beloch ein Beil, ein Messer und
andere Opfergeräte flach eingemeißelt fand. Unmittelbar neben
dieser liegt eine zweite mit dem scharf aufwärts fuhrenden Treppen-
gange, in welche die Sibylle den Äneas durch den Tempel (s. 41)
hinabgeführt hat, wie Beloch sagt. Sie selbst mußte dann wohl
über die Schwelle (45) in die erstgenannte Grotte getreten sein,
während Äneas vor der Tür (47) betete (56 — 76); jedenfalls ist
sie 77 in antro, aus welchem lati aditus centum, Ostia centum 43
= ostiorum centum totidem aditus, keine Eingänge, sondern nur
Schallöcher mit Verschluß (s. 44. 52. 81), ihre dröhnende Stimme
herausklingen lassen (99 antro remugit). Wo der Befrager des
Orakels steht, wird nicht ganz deutlich. N. sagt 'außerhalb der
Grotte' und scheint die beiden von Beloch genannten Räume sich
als einen zu denken, wenn er nicht anzugeben weiß, wo man
sich den 124 erwähnten Altar denken soll. Nähme man nicht
am einfachsten an, daß Vergil den unterirdischen Gang übergeht
und das pavxsXov unmittelbar hinter oder unter dem Tempel
ansetzt? An eine unterirdische Verbindung vollends zwischen
122 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
der Orakelstätte im Burghügel und der Wohnung am Avernersee
(211. 237 f.), aus der Achates 34 die Seherin holt, ist nicht zu
denken, wie Cocchia annehmen mochte: 'vielmehr ist die topo-
graphische Dublette als der äußerliche Ausdruck einer Dublette
des Kults aufzufassen7. Bei dieser Gelegenheit sei noch angemerkt,
wie N. S. 255 zwei verschiedene Versionen über den Tod desDeiphobus
verbunden findet, ohne daß sie sich ausschließen: V.s eigenem
Berichte 523 f. steht 502 f. die fama gegenüber, daß Deiphobus
im Kampfe gefallen sei; vgl. Hom. & 517 f. und etwas anders
Dares 28.
Aus diesen wenigen Beispielen schon ist hoffentlich zu er-
kennen, wie scharfsinnig, gründlich und vielseitig die Erklärung
ist. Zu berichtigen findet man höchstens Kleinigkeiten, wie zu
S. 143, daß pectore 78 (vgl. Ov. Met. II 641) beweist, daß nicht
alle Ausdrücke aus der Sphäre der Bereiterkunst entnommen sind,
oder daß die beiden Scijriadae 842 nicht Cn. und P. heißen
können, wie S. 306 andeutet, wenn es nach S. 326 die beiden
Afrikaner sind. Auch nachzutragen ist selten etwas. Allenfalls
zu bidens 39 der frühere und reichhaltigere Aufschluß von Spengel;
s. JB. 1889 S. 420. Und vielleicht ein Wort über den von Röhl
im JB. 1895 S. 227 besprochenen Kunstgriff, daß 180 f. [wie
VII 394 f. XI 135 f. 6. IV 158 f.] die Prädikate neben den eigentlich
gleichstehenden Subjekten fortschreitende Handlung ergeben. Auch
super 203, simul 335, tw seram mortem 569, völvere 748, arx
Monoeci 830 vertrüge wohl eine kurze Besprechung wie dispicere
733 und manes 743 einen Hinweis auf die Einl. S. 25 und 32.
Gar zu kurzen Prozeß macht mir N. mit den schwierigen Versen
601 f., über die er kein bestimmtes Urteil abzugeben wagt, als
daß die Überlieferung intakt, vielleicht aber die letzte Hand noch
nicht angelegt sei1), und mit der im Altertum vielbehandelten
Stelle 763 f., deren 'Akten' bei Gellius II 16 von dem Wider-
spruch des longaevo gegen cadat ante diem IV 620 (s. Serv.) doch
nichts enthalten.
Auf seine früheren Erörterungen bezieht er sich selbstver-
ständlich nur mit wenigen Worten, zumal er nicht viel zu wider-
rufen findet. Über Pasiphae und Eriphyle 445 f. wie über die
Dardania prohs und Itala gens 756 f. bleibt er bei seiner Meinung;
s. JB. 1895 S. 253 und 1903 S. 152. Nur seine irrtümliche Auf-
fassung von V. 406, welche Skutsch 'Aus Vergils Frühzeit ' S. 117
veröffentlicht bat, berichtigt er, indem er auf Apoll. Bhod. hinweist,
dessen Medea III 867 ihr Wunderkraut övcodei xdr&sro pitQfl
und 1013 xtvcidsog s^sle fAiiQfjg (pägpccxor. V. 409 auf eine
Höllenfahrt des Orpheus zu beziehen scheint ihm S. 168 nicht
mehr rätlich, da dieser sich den Eintritt durch seine Kunst ver-
!) Daß V. die beiden hier genannten Strafen VIII 668 f. anf Catiliia
übertrage, kann ich nicht zugeben; vgl. Lnc. Prom. 1 XQefxtcfxevos.
Vergil, von P. Deutickc. 123
schaffte, seine Erlebnisse sonst genügend bekannt waren und das
Wiedersehen der Rute hier nur der Situation zuliebe betont sein
wird. In den V. 740/51 findet er jetzt S. 17 f. keine Dittographie
mehr: jede Korrektur der Oberlieferung sei eine Verschlechterung,
da die Fortsetzung der Läuterung im Elysium nicht ungehörig
erscheine, wenn Plato (Phädr. 249 A und Rep. 614 C— 615 A) die
relativ Guten ebenfalls in einen Vorhimmel versetze wie Pindar
Ol. II 61 — 68 ins Jenseits. Und S. 14 gibt er gegenüber den
Einwänden, welche Dieterich und ich erhoben haben, nun ohne
weiteres zu, daß dem von V. hauptsächlich aus Plato übernommenen
Unterweltsystem keine einheitliche Vorstellung, sondern ein Kom-
promiß zwischen volkstumlichem Glauben und theologischer Lehre
zugrunde liegt.
Übrigens ist die Quellenfrage wieder wesentlich gefördert.
Außer Homers Nekyia (nach S. 196 Anm. 1 eigentlich vielmehr
eine vBKvo^avtsia = necromantia bei DServ. III 67) benutzte V.
die *axaßa<$%g des Orpheus z. B. schon für Thraeicia fretus cithara
120 r^ tjpstiQti niavvog xid-aQfi in Vers 42 der orphischen
Argonautica; ferner für 306/8 = G. IV 475/7 (Orpheus in der
Unterwelt!), 392 f. nach Serv. lectutn est in Orpheo (Abels Fr. 158;
vgl. Ettigs Acheruntica 376,1 und 410) und 548 f., besonders
558 nu [JbaGTiywG&vca, öTQsßXaiösTcci, dedijdttai, in Piatos Rep.
II 361 E (nach der orphischen Apokalyptik; s. 363 C). Auf den
Abstieg des Herakles gebt zurück 131 f. ^ Aristoph. Frösche 469f.,
wo Dionysos-Herakles belehrt wird, und 669 f. ^ Ar. Fr. 431 f.,
wo Dionysos ähnlich fragt; 260 rw Bacchyl. 5, 71 f. und Apollodor
II 5, 12, 4 (123 Wagner), womit auch V. 489 f. zu vergleichen ist.
Ebenso die zwei Gleichnisse 309/12, die nicht erst V. aus Hom.
E 146 f. und r 2 f. auf die Unterweltler übertragen hat, da das
erste schon Bacchyl. 5, 64 f. und das zweite Soph. K. Öd. 1 75 f.
verwendet, also jedenfalls beide nach derselben Vorlage. Auch
das Sophoklesfragment 794 N. ßopßsZ 6k vsxq&v G^vog ~ V. 709
führt in Verbindung mit der 'aus erlesensten Quellen7 geschöpften
Zugabe des Porphyrios, daß die Alten die elg y&vsötv kommenden
Seelen als Bienen bezeichneten (Über die Nymphengrotte 18 f.
S. 69 N.), auf eine alte Unterweltbeschreibung zurück. Woraus
N. für 395 f. außer der xccraßaaig 'HQaxliovg nach Apollod.
II 5, 12, 8 (125 W.) noch die des Orpheus erschließt, ist mir
nicht klar; der Vers aus dem orphischen Hymnus 18,8 Sc &qovov
iatfJQt^ag inö £o<poei,d4a %<üqov soll doch wohl keine Stütze
dieser Ansicht sein ? Auch über den Bereich der Klassiker hinaus
verfolgt N. seinen Gegenstand weiter, wenn er S. 162 und 165
in einer Anmerkung babylonische Sagen nach A. Jeremias heran-
zieht. S. 162, 170, 211, 219 benutzt er keltische und deutsche
Märchenpoesie; hier und fast nur hier finden sich entsprechende
Züge: pfadweisende Vögel, Seelen wesen in Vogelgestalt (vgl. die
Träume unter den Ulmenzweigen 282 f.) und die wundersame
124 Jahresberichte d. Fhilolog. Vereins.
Miste). V. 205 vergleicht freilich nur den goldenen Zweig mit
der immergrünen Schmarotzerpflanze wie 311 die sich über den
Acheron sehnenden Seelen mit Zugvögeln. Aber solche Gleich-
nisse bedeuten, wie S. 162 ausfuhrt, öfters das Herabsinken einer
Vorstellung von der höchsten Stufe, auf der zwei Begriffe sinnlich
ineinander geschaut werden, zu der tieferen, auf der sie bereits
verstandesmäßig auseinandergelegt und bloß noch verglichen
werden.
Ob Yergil zuerst diesen Volksglauben literarisch verwertet
oder schon eine Vorlage gehabt hat, ist unsicher. Jedenfalls
kommen für das Mistelmotiv die beiden sonst von ihm benutzten
Nekyien nicht in Betracht, eher die Persephonemysterien; s. V. 142
und Serv. zu 136 Z. 11 und 24 f. Auf Zauberliteratur, die V.
auch IV 478 f. und in der 8. Ekloge kennt wie die Dirae und
Horazens Ganidiagedichte, geht das Opfer 236 f. und das Gebet
264 f. zurück, wahrscheinlich auch noch manches andre in unserem
Buche (S. 195). Wenn die Personifikationen 273 f. sich teilweise
schon in Hesiods Theogonie 211 f. und 758 f. und anderwärts
finden, rühren sie jedenfalls auch a genealogis antiquis her (Gic.
de naL d. II 44). Züge hellenistischer Erotik zeigen sich 440 —
476 mehrfach wie Einflüsse Varronischer imagines bei der Dar-
stellung der berühmten Helden 760 — 825. Für die spezifisch
eschatologischen Stücke, welchen die Einleitung S. 9 Dicht weniger
als 23 christliche Apokalypsen zu vergleichen weiß, findet N. jetzt
V.s Quelle in einer Traum vision des Posidonius, auf den schon
Schmekel, Agahd u. a. geraten haben; s. S. 20. Er mustert eine
Reihe schwieriger Stellen, unter denen er zuerst aeris campt 887
erklärt als %6v vno asX^ptjv %6nov, wo die Seelen dicc vjjv
slXnqivsictv tov atgog länger weilen (s. Posidonius bei Sext.
Emp. IX 71 f. Cic. Tusc. I 42 f. und Plut. de fac. in orbe lun.
28, 943 C: fisra^v ytjg xal aslijvTjg. . %ö nqao%a%ov tov ä4oog,
ov Xsipcovag qdov xcdovöi), also als Purgatorium zwischen irdi-
scher Atmosphäre und himmlischem Äther, mythologisch gesprochen
das Tal 679 und 703 im Hintergrunde des Elysiums. Es ist un-
möglich und nach meinen früheren Andeutungen kaum nötig, alle
Gründe N.s näher zu betrachten. Übrigens redet er selber mehr-
fach nur von Vermutungen. Vgl. z. B. S. 43 über die Verteilung
der Apokalypse auf zwei Propheten, die Sibylle und Anchises:
Da in der zweiten Apokalypse Plutarchs (De genio Socr. 22, 591 A.)
Posidonius benutzt ist, so kann das Motiv ihm gehören; das
scheint durch Giceros Somnium Scipionis bestätigt zu werden.
Je schwieriger der Beweis war, um so begreiflicher ist die Freude,
mit der S. X nachgetragen wird, daß W. Volkmann {s. u. Nr. 25]
seinerseits zu dem gleichen Ergebnis über den Gewährsmann V.s
gelangt ist.
Auf den Inhalt des Anhangs (Ennianische Reminiszenzen,
Periodik, Wortstellung, gleichen Auslaut, Synekdoche, griechische
Vergil, von P. Deu ticke. 125
Deklinationsformen, Malerei durch Buchstaben und Rhythmen,
spondeischen Versanfang, unregelmäßigen Versschluß, irrationale
Längungen und endlich bemerkenswerte Synalöphen) gehe ich nicht
näher ein. Ebensowenig auf die zahlreichen Seitenblicke in andre
Bucher wie S. 238 über tendens G. II 296, S. 255 über die Inter-
polation A. II 567f., S. 263 die Periphrasis IV 584 f. vor 586
und S. 265 über et IX 403. Höchstens sei noch angegeben, daß
N. S. 45 Teile von HI und V später geschrieben findet als VI,
insbesondere S. 110 den Schluß von V nach dem Anfange von VI,
S. 128 V 588 f. nach VI 25—29, S. 155 III 441 f. nach VI HOf.
ohne endgültige Einordnung (s. V 731f.) und S. 44 f. HI 458 f.
nach VI 83 f., während die Dublette VI 890/2 nebst der zugehörigen
Proposition (te tua fata docebo 759; vgl. die andere V 737) habe
beseitigt werden sollen. Auch die Palinurusepisoden in V und VI
sind nach S. 225 noch nicht endgültig redigiert; ja wenn man
Hisenus und Palinurus als Doppelgänger betrachtet, sei nach S. 177
eher die Palinurusgeschichte sekundär zu nennen, da Misenus aufs
engste mit der Gewinnung des goldenen Zweiges zusammenhänge.
Wenn N. S. 206 vermutet, daß V. seine Gleichnisse im allgemeinen
«rst einlegte, wenn das betreffende Buch in seinem Rohbau fertig
war (in dem besonders unfertigen B. III finde sich nur eins, 679 f.),
so geht er damit noch weiter als ich im JB. 1889 S. 332. Von
nachträglichem Einschub in die Seelenschau dagegen, z. B. der
V. 826 f., und späterer Zutat der Marcellusepisode will er nichts
wissen. Ihm scheint die Absonderung dieses tragischen Finales
(s. Serv. zu III 718 und dazu den Schluß von XI und XII) von
vornherein geplant, d. h. also die ganze Heldenschau erst nach
dem Tode des Marcellus verfaßt zu sein. Die Heldenseelen sind
nicht eintönig aufgezählt: nur die drei großen Gruppen der Albaner,
römischen Könige und Republikaner folgen sich chronologisch,
während die Leute sonst in mehr zufälliger Reihe vorüberwallen;
s. 754 f. Auch für die Bußen im Tartarus fand der Dichter den
Ausweg, daß er die beiden Quellen ineinanderschiebend Sünder
der Sage (580—607. 616—620) und Sünderklassen des Lebens
(608 — 614. 621 — 624) zweimal und im Einteilungsprinzip (scelera
und poenae 560 f. 626 f.) wechselnd Strafen (580/1. 595—607.
616—620) und Sünden (582—94. 608—15, 621/4) dreimal sich
ablösen läßt. Diese weitherzige Würdigung der Anlage könnte
gegenüber den nüchternen Urteilen über weniger gelungene Einzel-
heiten etwas überraschen, verdient aber um so mehr Beachtung,
als sie der Auffassung Leos und Heinzes genau entspricht.
11) Vergils Gedichte. Erklärt von Th. Lad ewig und C. Schaper.
Drittes fiäodchen: Buch VII — XII der Äoeis. Mit einer Karte von
H.Kiepert. Nennte Auflage, bearbeitet von P. Den ticke. Berlin
1904, Weidmannsche Buchhandlung. VI u. 308 S. 8. 2,40 J£.
Dieses dritte Bändchen ist nach denselben Grundsätzen be>.
arbeitet, die ich schon beim zweiten zweimal befolgt und zuletzt
126 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
im JB. 1903 S. 156 kurz angedeutet habe. Seit 1886, wo die
achte Auflage erschien, ist auch für die zweite Hälfte der Äneis
mancherlei geleistet worden, was es jetzt vorsichtig zu verwerten
galt. Doch bleibt der alte Bestand möglichst gewahrt, vielleicht
mehr, als neue Leser billigen: die Verlagshandlung wünschte, daß
das Buch auch ferner im Schulgebrauch nutzbar bliebe. Es ist
nur um 17 Seiten gewachsen.
Abgesehen von neuen Absätzen und einigen Änderungen der
Orthographie und Interpunktion ist der Text wesentlich derselbe
geblieben. Neu ist z. B. ein Komma vor st. hinter rerum VII 37
und hinter plura 117, eine Parenthese 307, ein Kolon hinter domos
394, ein Gedankenstrich vor sie 668, ein Kolon vor in IX 238,
eine Parenthese um non..Rutidos X 333 f. Ferner findet man
jetzt domos VII 126, Latinorum 160, äuget 211, an 363, iacerem
427, sie 546, torqums 666, lote legio 681 (nach M); VI11 46 ein-
geklammert, et recto 57, ae 98 st. per; animis IX 123, tantum;
fortuna seeunda aut adversa cadat 282 f., adversi 412, cum 513
für quos; moerorum X 24, Cinyre, et 186 st. ignarus, diripü 475,
fatur 621, insignis 754; praecesserat XI 94, gerebat 552, erat 114;
endlich Thybrina XII 35, saetigeri 170, fatales 232, subeunt 408
ohne que, 582 ohne das zweite iam, 612/3 eingeklammert, tardata
746, in 773 ausgelassen, ne st. nee 801. Namentlich sind so
Schapers meist aus überfeinen metrischen Erwägungen entsprungene
Vermutungen beseitigt wie auch seine Athetese der zweiten Vers-
hälfte XII 26.
Im Kommentar sind wieder mancherlei sprachliche Be-
merkungen weggefallen, die nicht streng der Sache dienten. Da-
gegen findet man anderes eingesetzt, was V.s Quellen und Vor-
bilder, Sprachgebrauch und Nachwirkung erläutern soll. Dazu
kommen Hinweise auf Bildwerke, Altertümer u. dergl., namentlich
bei Luckenbach 4 und Guhl und Koner. Auch sachliche Unklar-
heiten, Widersprüche, Lücken und andere Unebenheiten werden
nicht einfach übergangen, sondern unparteiisch zugestanden, aber
möglichst maßvoll und sachlich besprochen.
Am meisten verändert ist der Anhang. Die mageren kriti-
schen Noten sind bis auf besonders begründete Ausnahmen be-
seitigt, dafür aber reichhaltige Literaturnachweise eingetreten, die
der Erklärung weiter helfen sollen. Das Schlußregister zu den
drei Bändchen ist durchgesehen, berichtigt und mehrfach ergänzt,
die Kiepertsche Karte vergrößert und lesbarer gemacht worden.
Außer mehreren abgesprungenen Lesezeichen sind einige
Druckfehler zu verbessern. So ist zu lesen im Texte XI 694
agitata und in der Anm. zu VII 715 Danuvium, VIII 382 a. E.
XII 146, VIII 717 Z. 7 v. o. digne, X 534 Mus, XI 594 letzte
Zeile 'des Pallas1 und im Anh. zu XI 1 Teuber. Unter VII 647—
• 817 muß die Klammer vor, nicht hinter ol di beginnen.
Vergil, von P. Dcutickc. 127
12) P. Vergil i Maronis Aeneis. Erklärende Schulausgabe, begründet von
Oskar Brosin, nach seinem Tode zu Ende geführt von Ludwig
Heitkamp. V. Bändchen: Buch X — Xu. Zweite, umgearbeitete Auf-
lage. Gotha 1905, Fr. A. Perthes. IX u. 187 S. 8. 1,80 JC.
Der Text ist nur im zehnten Buche leicht geändert Da
finden wir jetzt 186 Cinyra et wie bei Heyne statt der Konjektur
Ricina, vor 278 einen Stern als Zeichen der Unechtheit (nicht
eingerückt, anders noch 872 und XI 773), 366 keine Parenthese
mehr, hinter 498 ein Ausrufezeichen (die Anmerkung betont des
Dichters Empörung über die schreckliche Tat), 790 ein Komma
vor st. hinter Lausus, 809 detonet trotz P2 M^b1, 838 in pectora
nach Madvig (Anm. noch: auf der Brust ausgegossen) und 857
tarda est nach Schaper. Das Komma hinter immota 696 ist wohl
ein Versehen wie in der ersten Auflage der Punkt hinter XI 622,
der jetzt in ein Komma verwandelt ist.
Auch der Kommentar ist am stärksten bei Buch X um-
gearbeitet, das 11 Seiten weniger umfaßt als früher. Gestrichen
sind außer zahlreichen Einzelheiten wie zu X 11 ne arcessite, 15
sinite, 32 peccata besonders die Hinweise auf die allgemeinen Be-
merkungen, deren Inhalt durch kurze Winke wie Prolepsis,
Parallelismus u. dergl. angedeutet wird ; nicht sonderlich klar klingt
XI 69 languentis Dehnung vor einem Fremdwort. Hier hätte
m. E. noch mehr aufgeräumt werden können ; denn wer die letzten
Bücher der Äneis zu lesen bekommt, wird doch wohl von selber
die Kopula ergänzen (XII 156/60: dreimal fehlt die Kopula), ein
Yerbum des Sagens hinzudenken, Adjektiva wie Neptunia XII 128
oder Macas 861 mit einem Genitiv wiedergeben, appositionelles
et oder que wie XI 433 weglassen und proles Sproß, nurus Schnur,
sacer Schwäher übersetzen können. Entbehrlich wäre wohl auch noch
anderes wie X 782 Argos Accus. Plur. [neben dulces nichts anderes
möglich], XI 117 apparat statt des gewöhnlichen parat und XII 107
die Angabe, daß die Ausrüstungsstücke des Turnus auf gar ver-
schiedene Weise zusammengekommen sind. Sonst sind die An-
merkungen oft glücklich gekürzt, z. B. die X 264 zu quales „wie":
das Tertium comparationis ist das Freudengeschrei, mit dem die
Trojaner den Kampf wieder aufnehmen, die Kraniche ihre nörd-
liche Heimat aufsuchen. Fragen sind meist durch kurze Angaben
ersetzt, daher jetzt X 618 nomen = genus, XI 438 contra sc. eum;
aber von XI 309 an bleiben wieder mehr erhalten, absichtlich?
Verwiesen werden könnte noch kurz, wenn nicht X 159 auf I 50
und XI 112 auf II 54, so doch XI 133 auf X 213 und XI 382
auf X 23, sowie unmittelbar von X 473 auf 20 statt umständ-
lich erst auf 404 und 390. Lange Anführungen aus V. fehlen
jetzt X 53, 81, 551 u. ö. wie XI 18 die Stelle aus Cäsar, 27 die
Erklärung der Litotes aus Bergers Stilistik, 41 die Erläuterung
aus Goßrau, der X 313 wenigstens verdeutscht wird wie andere
lateinische Angaben 255 u. ö. Weggefallen sind endlich auch
128 Jahresberichte d. Philolfrg. Vereins.
längere Betrachtungen über den Sinn X 109 f. und 250 f., die
Anstöße 215 f., die Vergleichungspunkte 272 f. und besonders über
die abgesessenen arkadischen Reiter 362 f. und 372 f.
Neu sind außer fettgedruckten Inhaltsangaben und regelmäßig
ausgeschriebenen Lemmata einige dichterische Parallelen wie Psalm
33, 14 zu X 4 adspectat, Ps. 90, 10 zu XI 183 opera atque labores,
die grausamen Scherze des Waltharius zu X 592, Schillers flöchtiger
Gemsbock ^ X 724, Körners 'Vater, ich rufe dich' rw XII 181
und ähnliches aus Goethe, Mölty, Stolberg u. ä. Gelegentlich ist
auch der Wortlaut jetzt ganz ausgeschrieben, wo früher nur die
Stelle angegeben war, wie XI 532. Ferner findet man sachliche Er-
klärungen nachgetragen, wie zu X 148: Der mit ut eingeleitete
Vordersatz hat fünf Verba, 162: der indirekte Fragesatz steht
auch hier parallel mit einem Objektsakkusativ (vgl. XI 256 f.)»
169: goryti für das gewöhnliche pharetrae, 185: Die Apostrophe
zeigt die Teilnahme des Dichters für den [die?] Tapferen, 288 f.
servare, credere Inf. hist. Hervorzuheben ist besonders, daß 339f.
die Partizipien die Hauptsache enthalten sollen: 'da kommt eine
Lanze geflogen, durchbohrt ihm den Arm, dann . . .', ohne daß
jedoch erklärt wird, wen die Lanze (1. Auflage: natürlich eine
zweite) traf, ßei 434 f. verdeutlicht eine Zugabe (sed quis wird
im D. Hauptsatz), wieso nee . . aetas selbständiger Satz werden
soll. 641 heißt es: Die lose Verbindung ist im D. nachzuahmen,
676 repressit drängte zurück, wenn er über Bord springen wollte,
704 in lucem genitori dedit eine Vereinigung unserer beiden Aus-
drucke: zur Welt brachte und . . schenkte. Ferner wird besprochen
XI 112 der Indikativ veni nach griechischer Weise, 132 der Unter-
schied der Tempora dixerat und fremebant, 133 f. die Stellung
der ßaumnamen am Anfang und Ende der Verse, 153 ut veües
rw te crederes 'du hättest dich v. sollen7 und XII 382: die Per-
fekte bezeichnen wie 159 einen Abschluß in der Erzählung.
Im Gegensatz zur ersten Auflage deutet H. jetzt X 80: Sie
machen mit der Hand Friedenszeichen, während am Achterdeck
Waffen befestigt sind; 179: Pisae, urbs Alpheä ab origine, Etrusca
solo; 266: Hier am Ende des Satzes ist das Geschrei ausdruck-
lich als freudiges bezeichnet; 308 totam aciem, soweit es nicht
zur Einschließung des Lagers zurückbleiben mußte; 345 CuribuSy
Abi. orig. zu Clausus9, 371 patriae subit aemula laudi naht wett-
eifernd dem Ruhme des Vaters; 441 pugnae Genetiv; 458 ausum
passiv [?]; 488 terram petit ore beißt in die Erde (aber XI 418
noch nach Voß); 675 quid ago im zweifelnden Sinne, nicht eines
Futurs; 766 ornum: Sie soll ihm als Waffe dienen; 815 legunt
spinnen; XI 174: st aetas par et robur idetn esset ab awiis (in-
folge der J.); 312 potwt..fuit = virtus tanta fuit, quanta esse
potuit; 828 frigida 'erstarrend' mit toto corpore zu verbinden,
exsolvit se 'rang sich los1, nämlich aus den Banden des Leibes
(Subjekt also jetzt?]; XII 45 dividit getrennt hält; 235
Vergil, vod P. Deuticke. 129
fama 'wird eingeben durch den Nachruhm' und 753 Umber: vgl.
unsere Bezeichnungen Dalmatiner, Bologneser, Neufundländer.
Dazu kommen zahlreiche Obersetzungen einzelner Worte: X 84
aliquid etwas st. ein wenig, 50S cum während, 629 rata = certa,
635 orae = fines, etwa 'Marken1, 659 rumpü da kappt, 745
oculos Lider, XI 190 lustravere in equis umkreisten zu Roß, 667
abies Tannenspeer und XII 267 cornus Schaft. Naturlich gibt H.
auch neue Stabreime wie für iurgia iactas X 95 ' Scheltworte
schleuderst du' und technische Ausdrucke, für rotes 165 Kiele,
Barken, Galeeren, prorae 223 Buge, Steven, puppis 226 Achter-
deck, Hinterschiff u. dgl. Wenig gefällt mir X 748 praedurum
viribus den baumstarken Recken; und concurrere XI 293 über-
setzte ich lieber 'kreuzen' wie et XII 846 'samt', schon wegen
bequemerer Fortsetzung des Satzes. Vor Eigennamen ist der Artikel
beseitigt; nur XI 507 steht noch 'von der Johanna1. Wie weit die
Sorgfalt geht, zeige zum Schluß X 752 die Quantitätsbezeichnung
Valerus, XI 403 f. dieser st. derselbe, 751 f. der Zoologe st. Linne
und XII 404 kneifend st. kneipend. Allerdings, ober den un-
mittelbaren Schulbedarf hinaus will offenbar auch die neue Aus-
gabe nichts liefern, ja sie verfährt vielleicht etwas zu konservativ.
Neuer Erwägung empfehle ich besonders X 455 proelia, mit
einem andern Stiere; 856 aegrum fetnur: die Wunde saß imä
inguine 785 f.; 861 $i = $i quidem [nicht st modo?]; 894 eiecto
sc. equiti, von incumbit abhängig, und armo Abi. zu cernuus; XI 47
Imperium, Elruscorum [in steht final wie VI 812]; 340 uditiene,
in Zeiten der Parteiung; 544 ipse sinu, am eigenen Busen; 551
sedit, stand bei ihm fest [vielmehr = sedet VII 611, weil von
sido abzuleiten]; XII 144 ingratum cubile, weil Juppiter die Sterb-
lichen . . nicht belohnt, sondern der unversöhnlichen Rache Junos
preisgibt [Juno redet ja selber!]; 158 aut tu: Du mußt es tun,
ich darfs nicht [unbetontes tu neben aut wie VI 365 f. zweimal;
s. zu Lad. lä V 457]; 434 summa delibans oscula, in leichtem Kuß
seine Lippen berührend [vgl. Lad. 9, auch zu den Stellen vorher].
Daß 'alles nicht helfen werde', sagt Äneas XII 891 f. nicht,
sondern meint er nur. Auch sonst verträgt der Kommentar
noch einige Feile. Namentlich klingt der Satzbau steif X 10
unter ferrum lacessere, 205 unter patre Benaco, 699 unter occupat,
und der Ausdruck breit X 497 unter impressum und XI 195
unter ferentes. Verdruckt ist vielleicht X 281 'Turnus erklärt.,
-(für) gefährdet'; kehren doch alte Druckfehler auch sonst wieder:
S. Hl Z. 7 v. u. XI st. XII 96, S. 49 unter ventum est 710 Keuler
st. Keiler, S. 103 unter 552 f. Z. 4 haec st. kuic, S. 104 unter
578 f. Anab. III 4 st. III 3, 18 und S. 178 in V. 803 Terris st.
terris. Das alte Evander fällt neben dem neuen luno u. dgl. nun
«ist recht auf. Unter den Neuerungen verstehe ich nicht sieber
X 62 regia 'im D. besser umzustellen' sowie die Abkürzung 579
Jahresbericht« XXXI. 9
130 Jahresberichte des Philolog. Vereins.
ßdversa hasta 'gegen sie gew. die L.' und gar nicht 702 nee non
'und nicht wieder'.
13) Schüler kommeu tar .zu Vergils Äoeis in Auswahl. Für den
Schulgebrauch herausgegeben von J.Sander. Erste Auflage (zweiter
Abdruck): Leipzig 1903, G. Frey tag. geb. 1,50 ,/£.
Sachlich ist so gut wie nichts geändert; nur etwas gekürzt z. ß.
die Anm. zu I 193 S. 20, N 645 f. S. 46 und vor VI 753 S. 105
(die Buchzahl fehlt noch am Kopfe der Seiten). Statt c wird jetzt
überall z und k geschrieben, also Zyklop; auch Weidmann 1 192
S. 20 st. Waidmann. Die Interpunktion ist neu zu I 34 S. 6
(Komma hinter lSee\ kein Semikolon mehr); noch nicht S. 140
zu IX 392 f. * kehrt! gemacht7, S. 146 zu X 364 und S. 166 zu
XII 763. Auch andre Druckfehler kehren wieder, z. B. S. 53 zu
III 147f. phrygii Penates, S. 73 zu IV 349 4da<s)\ S. 89 die Vers-
ziffer 798 st. 698, S. 147 zu X 435 4im deutschen'; auch das
Lemma zu XII 947 S. 171 ist noch unvollständig.
111. Einzelne Beiträge zur Äneis.
14) S. Vassis (== X Bdoijg), Ad Vergili Aeneidos librum I. *ui&tjva
VI 1904 S. 225-229.
Ein paar Bemerkungen mit unglaublich vielen Druckfehlern.
A. I 1 soll primus mit genus unde . . 6 f. eng verbunden werden
= prineeps et auetor generis Latini; die Partie, iaetatus und
passus 3 f. seien aoristisch zu fassen wie commotus 126, elisos
VIII 261 u. a. Für die La. Lavina 2 wird auf Laurentes Lavi-
nates verwiesen, was auch eine kurze Namensform Lavinum st.
Lavinium voraussetze [vgl. Norden zu VI 33], In V. 58 soll ni
faciat irreal sein = nisi ventis custos appositus esset Aeolus; vgl.
Liv. VI 26, 7. 40, 7 u. a. Trotz Hom. A 529 [und dem schon
vorhandenen Attribute divinum] soll ambrosiae 403 als Gen. zu
odorem gehören wie G. IV 415. Endlich sei vera 405 in vero zu
verändern, da et vero = atque etiam sei wie bei Cic. Brut. 80
und 107 oder = et vero etiam bei Cic. an Att. XVI 16, 9.
15) W. H. Kirk, Notes on tbe first book of the Aeneid. Amer.
journ. of philol. XXV 3 (1904) S. 274—284.
I 8 quo deutet K. adverbial und vergleicht das indefinite quem
I 181 und aliquod II 81 = forte, auch Cic. Rep. I 56 quo love
und de or. I 105, zu numen = voluntas A. II 123 ^ Cäs. B. civ.
III 109 und zum ganzen Satze Rose. Am. 145 qua in re tuam
voluntatem a me laedi putas? — 148 gehört saepe zum Vergleich,
ist aber umgesprungen hinter cum wie, freilich leichter, deinde
195 und nisi Ov. Met. IX 707. Des (Deutero-) Servius Erklärung
ut fieri solet scheint Munro zu Lucr. V 1231 f. bestochen zu haben.
— 156 ist curru seeundo = c. sequente; vgl. Ov. M. I 647 und
IV 54. — Zu 455 f. führt K. gegen kvicala aus, daß sich laborare
Vergil, von P. Deuticke. 131
intet doch sagen lasse (vgl. schon G. IV 174 = A. VIH 452), und
umschreibt den Gedanken, indem er das lateinisch gleichgeordnete
manus unterordnet: artifices (manibus) inter se in operibus faciendi»
laborantes mirantur. Vgl. die folg. Seite. — 737 endlich soll attigit
ore verbunden und summo terms für sich genommen werden: Dido
berühre mit ihrem Munde lediglich die Oberfläche; vgl. Lucr.
JU 261 summatim attingere in übertragenem Sinne, Com. Nep.
Pelop. i 1 tantummodo summas (virtutes) attingere und das Gegen-
teil faece tmus bei Hör. III 15, 16.
Die sinnigen Erwägungen und die ebenso lehr- wie zahlreichen
Beispiele dazu verdienen im Zusammenhange gelesen und beachtet
zu werden.
16) C. Pascal, Vergiliana. Boll. di filol. class. X 1904 S. 89—90.
P. deutet A. I 82 impulit in latus = er schlug in die Seite;
vgl. 114 und Quint. Smyrn. XIV 481: oQog iiiya xvxfjs %qiaivi\.
— 206 fa$ nicht = fata 205, wozu vgl. Hör. III 3, 58 f. — 233
ob = gegenüber; s. Vers 2 bei Cic. Tusc. III 39. — 248 will P.
für Antenors Ansiedelung aus der Parallele 276 f. (suo de nomine!)
den Namen Antenoridae erschließen.
17) Eduard Groß, Studien zu Vergils Aeneis, zum Teil mit Hin-
weise u auf die deutsche Literatur. Beilage zum Jahresberichte des
K. Neueu Gymnasiums. Nürnberg 1904. 34 S. gr. 8. — Vgl. J. Zieheu,
WS. f. klass. Phil. 1904 Sp. 1375.
Eine feinsinnige Nachlese zu den Schulausgaben von ßrosin,
Fickelscherer und mir, die selbständig in den Sinn eindringt und
zur Erklärung und Übersetzung treffende Parallelen aus der Bibel,
Homer, Ovid und anderen Klassikern, vor allen aber aus Schiller,
Goethe, Körner, Uhland und sonstigen neueren Dichtern heran-
zieht. Zunächst behandelt Groß A. I und II, aber nebenher auch
manche Stelle aus späteren Büchern. Meist mit Glück. So zeigt
er, wie I 126 f. commotus und placidum (= ' sonst fr.') sich ver-
trägt und sachlich dem quos ego — und sed . . praestat 135 ent-
spricht. So deutet er I 376 diversa = kreuz und quer, hin und
her, II 783 f. res laetae = öaXiai bei Homer l 603 und parta
(schon) errungen = gesichert. In mehreren Einzelheiten, nament-
lich II 99 und 453, verbessert er Erklärungen meiner Schulaus-
gabe ähnlich, wie ich selber schon in der neusten (12.) Auflage
des Ladewigschen Kommentars; auch für copia II 564 möchte
ich auf V 100 verweisen, wo klar ist, was ich mit dem 'Gegen-
satz zu moptV meine. Zu den Beispielen eines erläuternden que
S. 15 (II 60 = ' nämlich' oder >d. h.') und atque S. 18 (II 146
steht der deutliche Ausdruck vorher) lohnt es vielleicht noch ein
doppeltes que anzumerken: pugnae nodumque moramque X 428.
Nicht einverstanden bin ich mit der Auffassung von ut II 283
S. 12 = 'nach wie vielen Opfern' und von orae IX 528 = Haupt-
punkte wie fastigia I 342. Zweifelhaft bleibt mir auch, ob das
9*
132 Jahresberichte d. Philolog. ereins.
im Gegensatze zu trimm völlig attributlose arma 1 1 (wie XI 124,
wo fama, der bloße Ruf, wirklichen Waffentaten entgegengesetzt
ist) auf die zweite Hälfte des Inhalts der Äneis hinweist: bell*
VI 86 und VII 41 hat doch sein Gegenstuck in V. 5. Vgl. auch
Norden S. 362 *).
Vom weiteren Inhalt sei noch folgendes hervorgehoben.
II 557 f. bezieht Gr. geistreich, aber gewagt regnator und fronen*,
caput, corpus nicht auf Priamus, sondern auf Pergama 556, also
den Riesenleichnam Trojas; vgl. Schillers Übersetzung, deren 'jetzt'
statt 'bald' freilich verrät, daß da die Schlußbemerkung des Aneas
etwas anders aufgefaßt ist. Ähnlich überrascht I 455 artificum
manus inter se = die Arbeiten der Kunstler, welche sie für ein-
ander, Hand in Hand, in schöner Wechselwirkung der einzelnen
Künste geschaffen haben; anstatt manus passivisch zu fassen, würde
ich eher mirantur schreiben (wie Schenkt bei Kloucek) und IX 457
adgnoscunt inter se nebst SU. VIII 197 inter se mirantur vergleichen.
Kühn ist auch die Doppelbeziebung von densis armis II 383, das
zu inruimus als Dativ und zu circumfundimur als Ablativ gehören
soll. Eigenartig klingt ferner II 75 quid ferat = was er zu tragen
habe, worin sein Unglück bestehe (vgl. III 609 quae agitet fortuna),
und memoret, quae (nämlich memorare) sit fiducia capto = er solle
nur so viel sagen, als er ungesclieut [?] auch als Gefangener sagen
könne; 'nun paßt auch 76 trefflich in den Zusammenhang'.
Kritische Fragen streift Gr. noch II 226, wo er effugiunt befür-
wortet, und I 223, wo er nee dum finis erat vermutet und dazu
besonders III 511 f. vergleicht, aber mich nicht überzeugt, daß
die Änderung nötig ist.
Endlich erhalten wir einige lehrreiche Sammlungen, welche
die neueren Grammatiken auch über V.s Sprachgebrauch hinaus
ergänzen. So über Oxymora bei I 514, Adjektiva im Sinne eines
Partizips {praeeipites II 516 = praeeipitatae, recentia VI 674 =
frisch erhalten), die Vertauschung des unter- und übergeordneten
Zeitworts I 629 (iaetatum demum voluit = bis..; unter diesen
Gesichtspunkt wird auch V 207 gerückt: magno clamore morantw
= sie fluchen Jaut über den Aufenthalt) und über präsentisch
[nicht lieber aoristisch?] gemeinte Part. Perf. wie II 563 direpta
domus (vgl. Hom. X 63 &aXa(iovg xeQa'i&iiivovg hinter ikxfj-
Üeitiaq &vyazQag und Liv. 25, 11, 11: propius inopiam erant
obsidetites quam obsessi), die gelegentlich geradezu proleptisch
stehen wie entschieden protecti II 444, mir weniger sicher con-
cussam IV 666, wo Gr. selber bequem übersetzen lehrt 'die er-
schütternde Kunde eilt wie ein Lauffeuer durch die Stadt1. Bei
seiner Erklärung von intaetae VII 808 hat er S. 28 das folgende
nee laesisset übersehen oder wenigstens die sich für ihn ergebende
Tautologie nicht besprochen. Seine Beispiele unter B würde ich
lieber vor oder hinter den andern Gruppen statt zwischen ihnen
behandelt sehen, wenn solche Perf. Medii, wie ich Fälle wie
Vergil, von P. Deuticke. 133
I 481 und 561 kurz nennen möchte, überhaupt abgesondert
werden sollten.
J8) H. Drabeim, WS. f. Mass. Phil. XXI (1904) Sp. 166.
A. II 325 ist Troes und Ilium Subjekt, also Prädikat fuitnus
und fuü = oktokapsv und ölcokev: wir Troer sind gewesen . . .
Vgl. dazu das entsprechende Futurum bei Lucr. 111 915: iam futrit
(hie fruetus homullis) = bald wird's mit dem Genuß zu Ende sein.
19) G. Ihm, VergiJstudieo III. Progr. der Realschule Gerusbeim 1904
(Nr. 752). 6 S. 4.
Teil II dieser Studien (s. JB. 1903 S. 149) bebandelte zuletzt
Einzelheiten aus A. 1 und IL Nun folgt Buch III. Da sind die
Ereignisse weniger ausfuhrlich dargestellt als die entsprechenden
Abenteuer des Odysseus ; aber ohne besondere Würze wurden sie
dennoch leicht ermüden. Die anfangliche Inhaltsübersicht Ihms
wird unvermerkt zu einer gedrängten Darlegung der Eigenart V.s.
Landschaften, Seefahrten, homerische Motive, römische Recbts-
und Religionsvorstellungen spiegeln sich mehr oder minder deut-
lich und ansprechend; Zeit Raum Wirkung, Teilnahme Stimmung
Empfindung steigert V. vielfach, sogar bis ins Unheimliche und
Häßliche. Doch stehen ihm neben pathetischen auch lyrische, ja
idyllische Töne zur Verfügung. Von Homer, dessen Vorbilder Ihm
nach Benoist durchgeht, weicht V. eigenmächtig ab, nicht immer
zu seinem Vorteile, z. B. nicht bei der Begründung des Cyklopen-
geschreis 672. Nicht unterschreiben möchte ich, daß V. 490 mehr
das Auge eines Porträtmalers voraussetze, während Homer 6 149
an den Ton eines Reisepasses erinnere.
Wie auf Goethe, Schiller und W. von Humboldt wird auch
bisweilen auf Norden und Heinze Bezug genommen. Das hätte
noch öfter geschehen können (vgl. Heinze S. 238 f. zu 551 und
S. 359 f. zu 588 f.), wenn Ihm nicht möglichst kurz sein wollte.
Zwecklos erscheint mir der Hinweis 'Geologie!1 zu 533 und die
doppelte Aufzählung der Fundstellen von litus curvum S. 5. Druck-
fehler fehlen nicht; s. namentlich S. 4 Sp. IK Z. 2 v. u. 'brachte1
st. 'beachte'. Zu ihnen gehört wohl auch S. 4 Sp. II Z. 9 v. u.
4 durch den Penaten' und S. 7 I Z. 26 v. u. 'durch das Erscheinen
des Penaten', da V. 148 Phrygii penates nennt.
20) H. T. Ktrsteo, De Aeneidos libro III. Hermes XXXIX (1904)
S. 259—290.
K. wendet sich gegen die von Heinze wieder verfochtene, in
der Hauptsache auch von Norden S. 45 vertretene Annahme
Schülers, daß A. III erst spät verfaßt worden sei ('als das ganze
Gedicht mindestens zu etwa zwei Dritteln bereits geschrieben
war' H. S. 92), und erklärt es vielmehr für den ältesten Bestand-
teil unseres Gedichts (wie zuletzt mit weitergehenden Schlüssen
134 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Sabbadini; s. JB. 1901 S. 112). Wenn Heinze S. 87 sagt, es er-
scheine unbegreiflich, weshalb Vergil nachträglich seine einheitliche
Erfindung (in III) wieder umgestoßen haben sollte, mit der das
ganze Buch steht und fällt, so beruft sich K. dagegen auf Donats
Angabe Aeneida prosa prius oratione formatam digestamque in XII
libros, mit der er selbst sich kühn und künstlich so abfindet, daß
er Buch III ausnimmt: dies sei vor dem prosaischen Entwürfe
verfertigt, dann nach einer Pause particulatim etwa seit dem Jahre
27 oder 26 die erste Hälfte der Äneis (auch V vor VI; s. S. 288 f.)
und endlich seit 24 oder 23 bis 19 die zweite.
Im einzelnen mustert er zunächst die Gründe, welche* Heinze
zu seiner Annahme führen, und findet sie nicht zwingend. Die
seit Conrads betonten Widersprüche seien weder der Zahl noch
dem Umfange nach wesentlich: so die Führung der Venus I 382
und das lykische Orakel IV 345. Wichtiger erscheine im Gegen-
satze zu III 7, 88, 181 der Hinweis der Kreusa II 781, welchen
Heinze selber S. 61 als künstlerisch erforderten Abschluß bezeichne,
so daß er nicht als vorläufiger Versuch (H. 87) gelten dürfe.
Wenn H.s Anm. S. 87 ein Versehen des Dichters darin erblickt,
daß ausnahmsweise III 500 der Thybris genannt wird, während
das Buch sonst nur die allgemeinen Namen Hesperien und Italien
anwendet, möchte K. hieraus lieber das Gegenteil schließen, nämlich
daß V. die deutliche Bezeichnung im ältesten Stücke absichtlich
gemieden habe, nachher nicht mehr. Wie er sich mit dieser Ab-
sicht die Ausnahme III 500 als bewußtes Gifancofisvov zusammen-
reimt, verstehe ich nicht recht. Aus der doppelten Fassung des
Tisch- und Sauprodigiums zieht K. seinerseits den Schluß: III ist
älter; die in den späteren Büchern berichteten Tatsachen ent-
sprechen dem ursprünglichen Bericht in III, nur ist VII 123,
wieder xcctcc rö Giamayfispov, Ancas für Celano genannt und
Apolls Eingreifen übergangen, VIII 43 f. aber das berühmte Orakel
(samt dem V. 46!) am unrechten Orte verwendet worden, weil
es den Lesern nicht vorenthalten werden sollte, der richtige Platz
aber, nach der Landung Anfang VII, schon vom Tischorakel in
Beschlag genommen war. Endlich befriedigen K. weder die Gründe,
weshalb V. die Ausführung der Irrfahrten immer wieder verschoben,
noch die, weshalb er bei der Ausarbeitung von III keine Rücksicht
auf das vorher Geschriebene genommen haben soll (H. 81 und
92 f.): Stoff und Vorbilder hatte er reichlich so viel wie sonst
und einen gefährlichen Vergleich mit Homer gerade hier weniger
zu furchten; der Einheitlichkeit eines einzelnen Buches aber die
des ganzen Werkes zu opfern war um so weniger Anlaß, als er
viel einfacher umgekehrt Buch III dem Vorhandenen halte an-
passen können.
Nach der Betrachtung der Beweismittel Heinzes, dem er auch
einige Widersprüche in seinen Ansichten nachsagt, bringt K. nun
Gründe dafür bei, daß Buch III vor allen übrigen verfaßt sei.
VergiJ, von P. Deuticke. 135
Es beginnt mit einem Eingang, der nicht kurz rekapituliere wie
der von VIII und XII (so Heinze S. 444), sondern Erlebnisse der
Uiupersis wie neu vortrage, undeutliche Augurien beibringe und
fast ein Jahr Zwischenzeit voraussetze. Es bezeichnet aJs Leiter
der Fahrt den Apollo, der sonst nur noch VII 241 und irrtümlich
IV 345, 376 und VI 59 ähnlich walte, und weiß noch nichts von
der Hilfe der Venus, dem Haß der Juno und dem Widerspiel
beider. Es enthält keinen Hinweis auf die Didoepisode, die Rück-
kehr nach Sizilien und die Höllenfahrt — lauter später erfundene
Stoffe. Konnte V. die Weissagung der Kreusa II 780 f. bis zur
Farblosigkeit des dritten Buches verändern, was Heinze S. 62 an-
nimmt? oder die Verteilung der Aufschlüsse VI 83 f. und 888 f.
an Deiphobe und Anchises rückgängig machen zugunsten der
Sibylla? K. bezweifelt das und findet in II( 457 f. lediglich einen
Besuch in der Höhle am Avernus, nicht in der Unterwelt voraus-
gesetzt. Weiter vermißt er Acestes, Eryx, die Bestattung de?
Anchises, den Sturm auf dem Tyrrhener Meere u. a. All das
könne nicht etwa III 379 f. gemeint sein; da handle es sich all-
gemein um Erlebnisse, welche den Helenus die Parzen nicht wissen
lassen oder Juno trotz seines Wissens nicht aussprechen läßt.
Im Schluß aber knüpfe V. 715 an 1 34 und die beiden folgenden
an II 1 an, während der letzte zu IV 1 überleite. Vorher 708 L
klinge der Bericht vom Verluste des Vaters nicht so eingehend
und warm, wie man es erwarte, wenn man z. B. die sorgsam
ausgearbeiteten Gegenstücke II 635 f. und 735 f. vergleiche. Auch
an manchen Einzelheiten sachlicher und sprachlicher Art nimmt
K. Anstoß, namentlich an hie labor extremus 714, was er nicht
als Unglück verstehen [vgl. X Ulf. den Gegensatz laborem fortu-
namquel], sondern auf eine letzte Fahrt von Drepanum nach Cumae
beziehen möchte, die in ein paar Versen hinter 707 ursprünglich
besprochen sein werde. Außer 714 sei der ganze Schluß von
808 an neue Zutat, wie — nebenbei gesagt — auch V. 341, vor
welchem der Vers quem tibi iam Troia — nicht von V. unvollendet
gelassen, sondern verstümmelt worden sei.
Meines Erachtens ist Heinzes Annahme durch solche sub-
jektiven Erörterungen und Gegengründe nicht endgültig widerlegt.
Dazu kommt, daß schon K.s Darstellung als solche wenig ein-
nimmt: sie klingt manchmal breit und eintönig und der Ausdruck
keineswegs immer klassisch. Namentlich fällt mir auf versus
peculiarem traetationem postulant, manet repugnantia m verbis
Creusae . . cum tertio libro, zweimal nihil quam st. nisi und tandem
st. denique, ja S. 276 dum st. des adversativen cum.
21) J. van Wa^eninff en, De Mercurio, qui \pvxonofinog dicitur.
Moemos. XXXII (1904) S. 43—48.
A. IV 244 werden die Worte lumina motte resignat aus Plin.
Nat. Hist. XI 150 erklärt: morientibus illos (oculos) operire rursus-
136 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
que in rogo patefacere Qmrüium magno ritu sacrum est. Es
sei alter Brauch, dem Toten zuletzt die Augen wieder zu offnen,
und zwar, damit er im Jenseits richtig den Weg erkennen könne,
wie Caland im Museum 1902 S. 37 aus den Bestattungsgebräuchen
anderer Völker schließt. Daß nicht ein Mensch, sondern ein Gott
der Sitte Genüge tut, brauche kein Bedenken zu machen, da V.
IV 696 f. die Haarweihe auch einer Gottheit überträgt.
22) L.H. Labande und Heron de Villefosse, Les raosaYqnes roma.ines
de VilleUare (Vaaclase). Ball, arcbeol. 1903 S. 1 — 32 und
Tafel II.
Im Jahre 1900 hart man im Dorfe Villelaure, südwestlich von
Ca den et in der Provence (Arrond. d'Apt), vier Mosaikpflaster auf-
gedeckt, deren zweites, das am besten erhalten ist, die Faust-
kämpfer Dares und Entellus aus A. V zeigt: der graubärtige Entellus
steht links, breitgesprefzt, dem Beschauer entgegenblickend, und
der jugendliche Dares rechts, ein wenig zurück, mit abgewandter
Vorderseite ; hinter ihm der auf die Vorderbeine gesunkene Stier,
dessen blutender Kopf zwischen den beiden Männern hindurch
sichtbar ist. Nach Labande S. 8 f. wäre das Bild eine Kopie eines
1790 in Aix gefundenen, jetzt nicht mehr vorhandenen, aber
durch Abzeichnung bekannten Mosaiks (s. Atlas des mosafques de
Lyon ... pf. XXXXVII), doch weist Villefosse S. 20 f. mehrere
Unterschiede nach. Er erwähnt dann auch noch kurz ein Mosaik-
bild von Dougga, das nach Gaucklers Deutung die Cyklopen bei
der Arbeit am Schilde des Äneas darstellt; s. Bull. arch. 1902
S. CCXVf.
23) K. Nestle, Zur Erklärung des Wortes Sibylle. Berl. phil. WS.
1904 Sp. 764/6.
Nach einer kurzen Übersicht über andere Deittungsversuche
verweist N. auf die ziemlich unbekannt gebliebene Abhandlung
Postgaites im Amer. Journ. of Philol. III 333 f., der das Wort
Sibylle mit safere und öotfoo, zusammenrücken will, wie schon
früher Bergk.
24) L. Radermacher, Das Jenseits im Mythos der Hellenen. Bodo
1903, A. Marcos und E. Weber. 152 S. 8. — Vgl. W. K(roll), Lit.
Zeotralbl. 1903 Sp. 1187; O. Gruppe, Berl. phil. WS. 1904 Sp. 945.
25) W. Volkmann, Die Nekyia im VI. Boche der Äneide Vergils.
Jahresbericht der schlesischea Gesellschaft für vaterlaarfiscte Roitar 81
(1903), Ahteatea; IVa: Fhilolopsch-archaolafische Sektiaa & 1—11.
Aach im Sonderdruck. — Vgl. B. Winther, WS. f. kUss. Phil. 1903
Sp. 1009; R. Helm, Berl. phil. WS. 1904 Sp. 521.
Von Radermachers 10 Untersuchungen über antiken Jenseits-
glauben, deren ziemlich lockeren Zusammenhang das Vorwort
daraus erklärt, daß meist nur Locken in den Ausführungen anderer
auszufüllen waren, mehrfach durch Heranziehung entlegener Sagen
und Bräuche, selbst von neueren Naturvölkern, behandelt die
Vergil, vod P. Deuticke. 137
zweite S. 13—31 Vergils geschlossene Darstellung der Unterwelt.
Hier sind volkstümlich mythologische und spekulativ religiöse Zöge
vereinigt, z. B. wenn Äneas im Besitz der märchenhaften Zauber-
ritte doch nicht seinen Weg altein geht, sondern von der apokalypti-
schen Sibylle durchs Jenseits geleitet wird. Die Seelenläuterung
bespricht R. vom höheren Standpunkte aus, abschließend, indem
er die Forschungen von Schmekel, Hirzel, Heinze, Rohde u. a. als
bekannt voraussetzt. Volkmann nimmt auf die Vorgänger wieder-
holt Bezug und geht selbständig auf die alten Quellen zurück, die
ihm die Einleitung 724 — 34 bis in die kleinste Faser mit stoischem
Geiste getränkt zeigen und besonders den Posidonius als Gewährs-
mann verraten. Manis 743 deutet er als dalfiwp (s. S. 6 und
Norden S. 16. 32 u. ö.) und übersetzt S. 3: jeder muß büßen
für seine sündige Seele (S. 10: entsprechend der Schuld seiner
sündigen Seele); dann werden wir durch das weite Elysium ge-
sendet und bewohnen in geringer Zahl die seligen Gefilde, bis — .
In der Annahme einer doppelten Reinigung der Seelen, die man
in letzter Zeit meist ablehnte, begegnen sich V. und R. mit
Nordens ungefähr gleichzeitig erschienenem Kommentare.
Volkmann unterscheidet nach den Lehren der in den Kreisen
des Augustus besonders gesehatzten mittleren Stoa (vgl. besonders
Plutarcb, De facie in orbe tanae 26 — 29) drei Teile des Menschen:
(tcüfia, iftvxiji vovg und drei Reiche (s. Norden S. 23 f.): auf Erden
trennt Demeter schnell und gewaltsam Leib und Geist, worauf jede
Seele eine Zeitlang (xq6vov ovx Xaov, suos manis patiens) um-
herirrt; auf dem Monde löst Persephone leicht, aber in langer
Zeit (longa dies) die tfJi^xv von ^em ^ovg, dem Feuerodem, aetherius
sensus 747, der dann verklärt sig htgov trmov itjg ccQiGTTjg
ivaXXuyqg sich aufschwingt, um verzückt den Weltgeist zu schauen
bis zum Weltenbrande. Auch die Namen ^Exctrijg fjv%6g und
*HXvoiov nsdiov kennt Plutarch a. a. 0. Noch deutlicher scheidet
er De def. orac. 10 Ende (vgl. Norden S. 39, 6) die wenigen zum
Elysium berechtigten Seelen (<V ägsTtjg xa&ctQ&eTGcci) von der
Menge der zur Wiederverleiblichung bestimmten, denen es nicht
geglückt ist xQaveTv kccviwv, weil sie von den irdischen Leiden-
schaften (733) bedeckt sind.
Radermacher erklärt die doppelte Läuterung daher, daß die
Seele auch doppelt belastet erscheine, einmal in einer Art Erb-
sünde durch ihren Eintritt in den Körper und dann durch die
persönlicher Verantwortung unterliegende Versündigung im irdi-
schen Leben; vgl. Norden S. 18. Diese corpareae festes (737)
werden im Tartarus gebüßt, je nach der Schwere der Verfehlung,
nicht etwa gerade nach der Reihe 740 f. Dann folgt die Läuterung
von der nicht persönlich verschuldeten Befleckung, in der Regel
am Lethefluß 748 f. und für wenige Auserwählte im Elysium 745 f.
Sie bedeutet keine Strafe, sondern erfolgt ohne Schmerz, lediglich
durch die Länge der Zeit (S. 24: anscheinend 1000 Jahre), bis
J38 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
nach Abstreifung der concreta labes der reine Feuerhauch zurück-
bleibt (746 f.). Aus pauci tenemus und has omnis ubi. .volvere
einen Gegensatz zu folgern liegt nahe; 'aber daß dieser Gegensatz
bestehen muß, ist eine durchaus subjektive Voraussetzung' heißt
es S. 25. Wir haben keine Veranlassung, Vergil von seinen Vor-
gängern zu trennen. Und so läßt R. alle Seelen, nicht nur die
bevorzugten, durch das Eiysium ins Lethetal ziehen und selbst die
letzteren nicht dauernd im Eiysium bleiben, sondern gleichfalls
mit dem Lethewasser Vergessenheit trinken und zur Oberwelt
zurückkehren. 'Eine ewige Wanderung hat darum Vergil wohl
ebensowenig angenommen wie die anderen; das Ende war, daß
der Seelenstofl" sich auflösend in die ätherischen Elemente des
Himmels zurückkehrte. Davon braucht der Dichter bei einer Unter-
weltsbeschreibung nicht zu reden1.
Einzelne Meinungsverschiedenheiten bleiben. Daß auch die
bevorzugte Minderheit im Lethetale Vergessenheit trinkt,, nimmt
weder Norden noch Volkmann mit an. Dieser läßt auch, wenn
ich ihn recht verstehe, die Bewohner des Elysiums dauernd 'als
Sieger einherwandeln' (S. 9), indem er per Eiysium mütimur
gleichsetzt mit der Angabe bei Seneca ad Marc, de conso). 25:
paulum supra nos commoratur, dum expurgatur . . . deinde ad ex-
celsa sublatus inter felices currit animas. Norden sagt zwar S. 19:
wenige bleiben dauernd im Eiysium und erlangen hier im Kreis-
lauf des großen Weltjahrs (= 10000 Erdenjahre) die ursprüng-
liche volle Reinheit wieder, ergänzt aber in der Paraphrase S. 16
ähnlich wie R. den Schluß: ro ts nvevpa kernora-top xal tivq
fiXixQivtg Xaßovöca TtsQatTiqva %(jüqovöiv slg top al&iQcc, o&sv
ijl&op. Vgl. auch S. 28: das Eiysium als Zwischenstation. Ich
wage dies nicht ohne weiteres in V. 746 f. hineinzulesen und
möchte noch immer an eine eigenmächtige Abweichung des Dichters
lieber glauben als an eine so undeutliche, voraussetzungsvolle,
lückenhafte Darstellung.
Unklar ist mir, wie neque auras dispictunt 734 heißen soll
4 sie atmen fröhlich der Erde Hauch'; gegen V. S. 3 vgl. jetzt
Norden 25 *) über diidetp. Den sonst nur die fliehenden, nicht
die ankommenden Schatten bedrohenden Cerberus, der 417 f. vor
dem Aufenthaltsorte der unreifen Seelen wohnt, welche ander-
wärts bei der wilden Jagd als Irrgeister (aldöTogeg) der Hekate
folgen, setzt V. S. 11 der dreiköpfigen Hekate %3-opia gleich, der
Türhüterin des Hades, deren Hunde im Dunkeln bellen (254), der
man Honigkuchen (vgl. 420) mit Vorliebe darbrachte.
Aus einem späteren Vortrage Volkmanns wird S. 12 noch
kurz protokolliert, daß A. VI 363 — 371 zvlVHqccxXsovq xatdßaaig
zurückgehe und XU 715 f. der Kampf zwischen Äneas und Turnus
dem zwischen Herakles und Acheloos entspreche, wie auch die
Schilderung IV 215 f. und 259 f. der Sage von Herakles und
Omphale.
Vergil, von P. Deuticke. 139
26) Joh. Endt, Botenbericht e bei Vergil und Ovid. Wiener Stud.
XXV (1903) S. 292—307.
Homers Boten berichten volkstümlich breit, fast wie Kinder
ihre Aufträge wörtlich ausrichten. Anders verfährt Vergil, wie
zum Teil auch Ovid. Er bezeichnet die Person, welche Botschaft
bringt, nicht oder wenigstens nicht sogleich; s. V606f. IX 6 f.
Nur IV 268 f. war das nötig, weil es 356 f. gegenüber der Dido
geltend gemacht wird und auch auf Äneas so mehr Eindruck er-
zielt. Übrigens klingen in V. 265 f. die V. 223 f. nicht wörtlich
wieder. Ähnlich wird auch IX 188—196 in V. 236—245 nur
frei wiederholt. Wenn V. im Ausdrucke wechselt und kürzt
(XI 226), nimmt er Rücksicht auf den Geschmack seiner Leser
(s. Serv. IX 801. XI 244), während Homer nirgends fürchtet, seine
Hörer zu langweilen. Auf Heinze S. 352 f. und 399 f. kann nur
noch die Anm. S. 306 f. verweisen. Ein höchst bedenklicher Fall
fehlt ganz; s. meine Anm. zu Lad.-Sch.9 VII 435 f.
27) L. Bayard, Le molle atque facetum de Virgile d'apres Horace
Sat. I 10, 44. Rev. de phil. XXVII (1904) S. 213—217.
B. ergänzt zu m. atque f. aus V. 43 epos und deutet das
ganze Wort auf Vergils daktylischen Hexameter, der glatt fließe
und fein klinge. Vgl. JB. 1903 S. 143.
28) A. W. Verrall, The metrical division of Compound words in
Virgil. The class. rev. XVIII 6 (July 1904) S. 288-290.
Verrall erörtert die Verhältnisse im 3. Fuße des Hexameters,
wo abgesehen von griechischen Worten und Eigennamen Cäsur
oder Tmesis stattfinden müßte. In A. VI haben keine Penthe-
mimeres 36 Verse; davon enthalten 11 (wie 30. 40. 176) Eigen-
namen und 24 (wie 99. 100. 143) Zusammensetzungen; Ausnahme
nur 327, wo horrendas zwar nicht etymologisch zu teilen ist, aber
doch in der Aussprache getrennt werden kann. Vorher sind
* abnormal' in A. I 2 Verse (25. 540), in II 3 (137. 222. 300),
in IV 6 (99. 201. 405. 431. 538. 633), in V 5 (170. 250. 316.
468. 608). — Ich verweise hierzu auf JB. 1903 S. 189 über
P. Sandfords Quasicäsur.
IV. Zur Appendix Vergiliana und Serviana.
29) R. Sabbadini, Emendamenti ai Catalepton. Boll. di filol. class.
IX 8 (1903).
30) [P. Vergili Maronis] Catalepton Priapea et epigraromata ed.,
R. Sabbadini in usuui scholae Mediolanensis. Leonici apud Bisazzaf
et Carretta (oliin J. Gaspari) 1903. 23 S. 8.
Im Februarhefte des Boll. di fil. class. zeigen drei Seiten
kurz an, daß S. an neun Stellen handschriftliche Lesarten ver-
teidigt, an zweien die Interpunktion ändert an je dreien fremde
Vermutungen stutzt oder vervollständigt und zwölf eigene Ver-
140 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
besserungen vorbringt. Als Grundlage für die kritische Arbeit
wird die Texlrevision von Bährens PLM. II 158 f. und von
Bücheier im Rh. Mus. 1883 S. 507 f. angegeben, Ribbecks zweite
Ausgabe der Appendix (1895) aber übersehen. So trifft es sich
nun sonderbar, daß S. zu IX 43 wörtlich genau wie Ribb. 2 an-
merkt: knie addidi, om. 0. Im Titel faßt er die drei Priapeen
und die 14 oder vielmehr 16 Epigramme unter dem Gesamtnamen
Catalepton zusammen. Und dieses Wort soll, aus den vorge-
dmekten Testimonia zu schließen, Gen. Plur. sein, kein Neun*.
Sing, xatä Umov; vgl. Schanz RLG. II » § 241 S. 72f.
Die saubere Ausgabe bietet einen lesbaren Text, der gewisse
Verbesserungen nicht verschmäht; namentlich folgt er in Pr. II 14
Döring, III 4 und 8 Bährens, 7 L. Muller, 9 Schrader, 17 Bücheier,
in Ep. V 2 Aldus, IX 15 Markland, 30 Aldus, 51 Bährens, XIII 6
Wagner und 19 Haupt. Im ganzen aber hält er sich mehr an die
Überlieferung. So fehlt Lachmanns Umstellung Pr. I 1 und bleibt
III 3 formicata, das ein Deminutiv zu formare sein soll, gebildet
wie fodico und vellico, = aliquantulum formata oder italienisch
lavoricchiata. So gilt qui Ep. 1 6 als varietä grafica von cui und
heißt es II 4 min et psin ut male illisit (dies Verbum sei von der
schlechten Aussprache gesagt wie frangere bei Hieron. ed. Paris.
1706 IV 2 S. 70), indem von Bährens nichts weiter angenommen
ist als ut st. et. Ferner finden wir nicht nur IX 50 meminisse
und XI 19 utrumque (näml. animal; vgl. Pascal, Riv. di fil. 1902
S. 556 f.) wie bei Ribbeck2, sondern auch III 2 et (= etiam, wie
IX 54) und VII 2 pötus nach allen Handschriften, IX 22 quaeque
und 30 quod nach den jüngeren, gegen ß, und IX 43 castra [das
dritte im Verse!] nach B st. solitos J. Auch XII 8 wird hirnea
einfach als orthographische Variante bezeichnet, nicht verbessert
wie gegen B nach J in V. 9 und XIII 16 talasio. Neu inter-
pungiert ist II 2 rhetor namque als Parenthese, XI 7 dicite zwischen
Kommata und hinter XII 6 ein Fragezeichen. Um sed 1 1 zu
halten, setzt S. Delta saepe tibi venu 1 (= conata est venire)
nebst Delia saepe tibi 3 und venerit 5 in Anfuhrungsstriche als
Worte, die der nuntius 5 dem verliebten Sprecher, nicht dem
Tucca berichte. Pr. II 9 lautet hier mihi coaeta (vgl. Georg. IV 36)
glauca oliva frigore, also wie bei Bährens, nur daß das in den
Handschriften auch stehende glauca für duro eingesetzt ist, in
welchem ein Glossem zu coaeta (dura = durata) gewittert wird
— mir zu kühn. Eigne Vermutungen S.s sind III 4 das frequen-
tativ gedachte tutitor st. nulrior> Ep. III 10 hora adedit, IV 10
prae te st. carte, so daß das handschriftl. non bleiben könne,
IX 29 et zwischen diu und multum eingeschoben, 32 immitis st.
similis, 61 humili, si et st. humilis si (B) oder sed (J), XIII 7 ad
st. et, 21 caculam (pro quovis milite abiecto; also mit langem a?),
während der Versanfang nach B und Bucheler nee deinde bleibt
und nur lumbos vor te movere gestellt ist, 29 ac salivosis sapü
*\
Vergil, von P. Deuticke. 14t
(vom Nom. sapa; salivosus =5 salivam movens), 35 Luccei im An-
schluß an Buchelers Einwand gegen Bahren»' Vorschlag Lucci,
XIV 7 seu st. et, um hos zu halten, und 9 ceu st. aut. Auch den
ersten Vers des aus den jüngeren Handschriften beigegebenen
Epigramms XV [s. Ribb. 1 IV S. 49] sucht S. zu heilen : paUida
imago sub hoc caeli est iniuria sede9 wo caeli iniuria Apposition
sein und an XI 1 erinnern soll.
Schon in dem bisher Gesagten' zeigte sich, daß nebenher auch
Winke zur Erklärung gegeben sind. Davon noch ein paar Proben:
IX 29 defensa, näml. Hippodamia a patre contra procos, 51 miUte
ugentis = iter facientes, 61 Cyrenas =• Callimachum Cyrenaeae
elegiae principem, XIV 7 hos = arae Surrentinae focos. Der
knappe Apparat läßt Ribbecks X und Y mit Recht beiseite, wie
die Liste S. 5 auch den Cod. A deutlicher zu den jüngeren setzt;
aber warum nicht alphabetisch vor H? Hinzuwünschen ließe sich
wohl ein Hinweis auf Catull 4 zu Ep. X und auf Sonntags Buch
* Vergil als bukolischer Dichter' S. 220 f. oder auf Einzelheiten bei
W. Fröhner, Rh. Mus. 1892 S. 303, und Th. Mommsen, Hermes
1893 S. 605, der in Sabinus, ante Quinctius X 8 den P. Ventidius
erkennt. P. von Winterfelds Annahme im Pbil. LV 1896 S. 189
ist vielleicht gemeint, wenn auf S. 6 ein Zeugnis aus 'De dubüs
jiom.' kurz zurückgewiesen wird.
31) Gaetano Curcio, Eroendamenti al testo dei 'Catalepton'
delia <Copa' e del <Moretum'. Riv. di filol. XXXIII (1905)
S. 14—31.
Im Gegensatz zu Sabbadinis wenigen Beigaben bespricht C.
ausfuhrlich seine Vorgänger und mustert z. B. für das erste Epi-
gramm die Erklärungen von Scaliger an bis auf Crusius (Lit.
Zentralbl. 1891 Sp. 1661 in der Besprechung von Sonntags Annahmen
in ' Vergil als bukolischer Dichter'), um dann, an Sabbadini an-
knüpfend, seine eigne Ansicht vorzutragen. So deutet er Cat.
I 6 qui auch als Dativ, bezieht es aber auf einen andern Lieb-
haber, wie jetzt auch Sabbadini (brieflich; s. S. 18 J), nicht den
Gatten der Delia. Das ganze Gedicht ist ihm ein Zwiegespräch
des Dichters mit Freund Tucca, das sich in den drei Distichen
etwa der Sachlage in drei Elegieen Tibulls (12, 5 £ 5, 67 f. 6,34)
entsprechend aufbaut. Der Dichter sage: Du erfreust dich oft
der Delia, aber du kannst sie nicht sehen, weil sie vom Gatten
eingeschlossen wird; darauf Tucca: nicht ich, sondern du hast
den Genuß, da die verschlossene Tür nicht hindert, Delia zu
sehen, wohl aber sie anzurühren; drittens folge auf den scherz-
haften Trost des Dichters, daß sie kommen werde, Tuccas Ant-
wort: was hilft mir diese Kunde? sag es jenem, dem sie zurück-
gekehrt ist, also ihrem wirklichen Liebhaber. Ich kann diese
Gedankenreihe nicht besonders glatt und witzig finden. Auch die
andern Neuerungen C.s leuchten mir nicht unbedingt ein.
142 Jahresbericht© d. Philolog. Vereins.
Cat. II 4 schreibt er tau gallicum, min et psm? ut male illisit,
ita . . und meint, der schwulstige Hhetor (s. Bucheler, Rhein. Mus.
1883 S. 507) habe von mine und psine das e elidiert; auf
T. Annius Cimber (s. Quintil. VIII 3, 29) ziele vielleicht gallicum
= gabalicum; vgl. Kaibel im Rh. Mus. 1889 S. 316 über das rav
<fTctvQa>iJi,aTi,x6v. Cat. V 2 empfiehlt C. et ore st. rore und XIII 32
05 atque: die Konjunktion sei beidemal nachgestellt zu denken.
Nach genauer Erörterung des schlüpfrigen Kotyskultes kommt er
für XIII 21 auf nee deinde lumbos te movere scortulum d. h. als
cinaedus; vgl. Plaut. Cure. IV 1, 12 und Poen. Prol. 17.
In der Copa findet er, ähnlich wie Heyne, die Freuden einer
Landschenke lebhaft geschildert, die sich für ein Ruhestündchen
bei des Sommers Glut und Staub empfehle; daher frage V. 5
quid? iuvat aestivo defessum pulvere abesse? Die Worte pone
merum et talos 37 sollen keinen Widerspruch ergeben, sondern
eine starke Aufforderung zu epikureischem Lebensgenuß bilden.
Im Moretum 59 will C. fiscis st. fascis lesen: Simylus habe
zwei Sorten Käse, frischen mit einem Pfriemengrashenkel mitten
durchbohrt und alten trockenen in Fenchelhalmkörbchen [nicht
umgekehrt zu erwarten? s. Copa 17: caseoli, quos iuncea fiscina
siccat]. Den Gegensatz zwischen Kosten und Freuden des Gärt-
chens 66 finde ich in C.s Fassung nee sumptus erat illud opus,
sed recula curae nicht so ungezwungen ausgedrückt wie bei
Ribbeck a mit der freilich nicht so gut bezeugten Lesart nee s. e.
ullius, sed r. c. Zur Herstellung von V. 77: et quae pervellit eres-
citque in acumina radix wird auf Hör. Sat. II 8, 7 f. verwiesen;
aber hier scheinen Lattich und Rettich in gleicher, nicht in ent-
gegengesetzter Richtung auf die Verdauung zu wirken.
32) R. Sabbadini, Partenio e il 'Moretum'. Riv. di fil. 31 (1903)
S. 472.
Die landläufige Meinung, Parthenius habe ein Moretum ver-
faßt, das dann Vergil übersetzte, gründet sich auf eine junge Er-
weiterung von Macr. Sat. V 17, 18 mit Eustath. Perieg. 4, 20, die
nicht zu halten ist. Wenn P. fitTapoQipcoöeig yqaxfjat Xdyeca*,
könnte das eher auf eine Ciris führen.
33) R. Sabbadini, Per un glossario Vergiliaao. Riv. di fil. 31 (1903)
S. 470/1.
Das auf S. 527 f. der Appendix Serviana Hagens wiedergegebene
Glossarbruchstück bat Mommsen im Hermes 8 (1874) S. 67 — 74
schon mit einem andern aus einer Vatikan -Hs. des 15. Jahr-
hunderts identifiziert. S. führt es auf den Veronesen Guarino
zurück, welcher 1414/8 ein Vergilglossar erweiterte, das auch ab
integro anfing, aber mit uxorius schloß. Näheres in Sabbadinis
Buche La scuola e gli studi di Guarino (Catania 1896) S. 54.
Berlin. Paul Deuticke.
^
4.
Homer.
Höhere Kritik (1903 und 1904).
In den letzten Jahren sind die Fragen, die uns hier haupt-
sächlich beschäftigen, zurückgetreten hinter andere, auf die wir
bisher nur nebenbei eingehen konnten: nicht mehr die Kom-
position der beiden großen Gedichte steht im Vordergrunde des
Interesses, sondern man geht darüber hinaus und sucht den Ur-
sprung der troischen wie der Odysseussage zu ergründen
und erörtert ausführlicher und gründlicher denn je die Frage,
welches die Örtlichkeit war, wo die Sage entstand, ob der Dichter
sie aus eigener Anschauung kennt und welche Wandlungen diese
Anschauung im Laufe der Jahrhunderte erfahren hat. Veran-
lassung dazu haben nicht nur die reichen Ergebnisse der Aus-
grabungen gegeben, die in den letzten Jahren von sachkundiger
Hand an den wichtigsten Kulturstätten der vorhomerischen und
homerischen Zeit veranstaltet worden sind, sondern auch eine
immer wachsende Kenntnis der Völker, welche vor den Griechen
die Träger der Kultur waren und die Griechen stark beeinflußt
haben.
Über diese Untersuchungen hier zu berichten, gebietet ebenso-
sehr die Wichtigkeit, die ihre Ergebnisse für die Kenntnis homeri-
schen Lebens haben, als die Bedeutung, die sie im besonderen
auch für die Abfassung der Gedichte im ganzen wie in ihren
Teilen beanspruchen. Denn fast jeder der Forscher streift die
Fragen der höheren Kritik der Homerischen Gedichte oder setzt
bestimmte Annahmen als allgemein zugestanden voraus. Wir
halten es deshalb für notwendig, von der bisherigen Anordnung
unserer Berichte abzuweichen und diese Untersuchungen nicht
kurz im Anhange, sondern ausführlicher an erster Stelle zu be-
handeln. Da ferner nicht selten derselbe Gelehrte in derselben
Schrift zu ganz verschiedenen Fragen Stellung nimmt, so muß
auch, obwohl dies mancherlei Unbequemlichkeiten im Gefolge hat,
über dieselbe Schrift an verschiedenen Stellen gesprochen werden.
Endlich empfiehlt es sich, bei den Hauptfragen die Literatur zu-
sammenzustellen und z. T. einzelnes aus den vorangehenden Jahren
nachzuholen.
144 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
1. Vorfragen.
A. Ursprung und Heimat der Sage.
a) Die troische Sage.
1) A. Brückner, Geschichte von Troja and Ilioo. IX. Abschnitt
aus Dörpfelds Troja und Iliou. S. 549—600.
2) Bethe, Die trojanischen Ausgrabungen und die Homerkritik.
N. Jahrb. f. d. klass. Altert. 1904, I, S. 3—13. — - Vgl. Berl. phil.
WS. 1905 Sp. 209—211 (Zilinski).
3) F. Noack, Homerische Paläste. Eine Studie zu den Denkmälern
und zum Epos. Mit 2 Tafelu und 14 Abbildungen im Text. Leipzig
1903, B. G. Teubner. 100 S. 8. — Vgl. Journ. of Hell. Stud. 1903,
II, S. 365; Zeitschr. f. d. österr. Gyinn. 1904 (55, H. 6/7) S. 581
(R. Münsterberg).
4) E. Drerup, Homer. Weltgeschichte in Charakterbildern. I. Abt.:
Altertum. Die Anfänge der hellenischen Knitor. Mit 105 Abbildungen.
München 1903, Kirchheims Verlag. 145 S. gr. 8. — Vgl. Lit.
Zentralbl. 1904 Sp. 369 (E. Martini); WS. f. klass. Phil. 1904 Sp. 337
—341 (A. Hock); DLZ. 1904 Sp. 853—855 (H. Schenkl); Gymnas. 1904
S. 686 (Sitzler).
Durch eine Reihe scharfsinniger Kombinationen1) kommt
Brückner zu der Annahme, daß Achäer in rnykenischer Zeit
sehr wohl die Burg von Troja, deren Überreste in der „sechsten
Schicht" vorliegen, zerstört haben können. Der Platz blieb dann
in ihrem Besitz, und zwar im Besitz der Lokrer, während die
einheimischen Fürsten sich nördlich vom Ida ansiedelten und
von der Gegend von Skepsis aus das Binnenland beherrschten.
„Es scheint nicht, daß sie in haßerfüllter Feindschalt den Griechen
gegenübergestanden haben. Das mag man daraus schließen, daß
der Griechenfreund Poseidon selbst den Nachkommen des Aineias
das Fürstentum erhält (F300), und im allgemeinen spricht eben
die ritterliche Achtung vor den troischen Ahnen, die Huld der
Götter, an der Troer und Griechen teilhaben, nicht dafür, daß
man während der Ausgestaltung des Epos bittere Erfahrungen in
der Landschaft gemacht habe44 (S. 570). Nach der Zerstörung der
Burg wurde vielleicht die Stätte der Athene nsqdinokvq geweiht
und zwar von den Lokrern. Der Vater des lokrischen Aias heißt
Oileus oder, seit Hesiod nachweisbar, ^Iksvg; von ihm würde der
Doppelname im Epos Mos neben Troja abzuleiten sein. Aias
aber war ursprünglich nicht ein Feind der Athene, sondern ihr
Verehrer und stiftete ihr hier ein Heiligtum. Gegen diese An-
nahme aber spricht sehr viel, so daß man sie kaum noch als „mög-
lich" bezeichnen kann, wie es vorsichtig der Verf. tut. Ist es
schon nicht leicht zu begreifen, wie aus einem Verehrer der Athene,
dem Gründer ihres Heiligtums an wichtiger Stelle, in der Sage
ihr Verächter werden kann, so ist vollends dabei die Sendung der
l) Ich brauche darüber hier nicht zn berichten, da R. Engelinanu in
dieser Zeitschrift {1904 JB. S. 266- 273) sie ausführlich angegeben und
meiner Ansicht nach richtig beurteilt, d. h. als nicht stichhaltig erwiesen hat.
•^
Homer, von C. Rotfae. 145
lokriscben Mädchen und ihre Behandlung durch die Bewohner von
llion unbegreiflich. Man mußte vielmehr erwarten, daß die
Priesterin der Göttin noch in der spätesten Zeit von den
Lokrern geholt wurde. Die Art aber, auf welche die Mädchen
verfolgt und später behandelt werden, weist auf die bitterste, töd-
liche Feindschaft der Bewohner von llion mit den Lokrern hin,
womit wieder gar nicht stimmt, daß auch die ursprünglichen
Herren von Troja nach Brückner gar nicht in Feindschaft mit den
Siegern gestanden haben sollen (s. o.). Nehmen wir hinzu, daß
sehr lange Zeit durch das Eindringen fremder Völkerstämme im
8. und 7. Jahrhundert die Troas und mit ihr doch wohl llion —
obwohl Brückner das Fortbestehen des Athenaheiligtums für mög-
lich hält — den Griechen, falls sie dort schon festsaßen, wieder-
entrissen worden ist, so müssen wir sagen, daß die Erzählung
von der Sendung der lokrischen Mädchen, die ja auch ganz ver-
schieden überliefert wird, dunkel bleibt und zur Aufklärung der
vorgeschichtlichen Verbältnisse Griechenlands und der Troas kaum
etwas beiträgt. Trotzdem wird diese Erzählung auch von anderer
Seite verwertet.
Bethe nämlich, der der Ansicht ist (vgl. JB. 1902 S. 178—
180), daß alle trojanischen wie griechischen Heldengestalten der
Ilias im Mutterlande wurzeln, daß ihre Kämpfe ursprünglich nichts
als Kämpfe zwischen Nachbaren im Mutterlande waren, hat nun
in einem zweiten Vortrage, den er auf der Philologenversamm-
lung in Halle gehalten hat, versucht, den Punkt nachzuweisen, von
dem aus man die Übertragung dieser Kämpfe vom Mutterlande
nach der Troas begreifen kann. Aias, der Telamonier, ursprüng-
lich mit dem Lokrer Aias ein und dieselbe Person (so auch Robert
und Brückner), bat sich einst im Rhoiteion, der einzigen Stelle,
wo eine Flotte unbemerkt landen konnte, festgesetzt und von hier
aus einen Kampf auf Leben und Tod mit dem Herrscher von
Troja (Hektor) geführt, der natürlich die Ansiedlung nicht dulden
wollte. Dieser Kampf endete mit dem Tode Hektors bei den
Schiffen und der Zerstörung von Troja. Darauf folgte die Gründung
einer neuen, viel kleineren Ansiedlung (7. Schicht auf dem Hügel
Hissarlik) unter dem Schutze und der Abhängigkeit von Aias, dem
Herrscher in Rhoiteion. Daher Kult der Athene in llion, welcher
dem alten Kern der Ilias fremd war (??)-, daher die Verbindung
zwischen Lokris und Troja, die Brückner bis in die mykenische
Zeit hinaufgerückt hat. Die Begründung des Mädchenopfers in
der Uiupersis (weil Aias die Kassandra vom Altar der Athene weg-
gerissen habe) stammt aus späterer Zeit, die das ursprüngliche
Menschenopfer durch eine bestimmte Tatsache erklären wollte.
Nach Bethes Erklärung ist seinem Vortrage lebhafter Wider-
spruch gefolgt — und das mit Recht. Denn wenn auch einzelnes
in bestechender Weise für die Vermutung spricht (Aias verteidigt
in der Ilias allein die Schiffe, er kämpft am häufigsten mit Hektor
Jahresberichte XXXI. * 20
J,46; Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
und hat ihn vielleicht auch ursprünglich erlegt), so bleibt doch
noch mehr unerklärlich oder spricht entschieden gegen diese An-
sicht. Zunächst bleibt die Sendung der Jokrischen Mädchen bei
dieser Erklärung ebenso dunkel wie bei der Brückners. Denn
dienten sie ursprunglich nicht zur Sühne für ein Verbrechen, wie
Brückner annimmt, sondern waren ein einfaches Menschenopfer,
so wurde die Beibehaltung dieses Opfers in der späteren Zeit erst
recht unbegreiflich sein. Wie die Griechen in dieser Beziehung
beim Fortschritt der Gesittung dachten, zeigt ja gerade das Opfer
des Heerkönigs Agamemnon: die Göttin nimmt, nach der späteren
Sage, das Opfer nicht an, sondern schiebt eine Hirschkuh unter
und macht die Jungfrau zu ihrer Priesterin. Warum sollte man
bei Aias anders verfahren sein? Im übrigen aber läßt sich gegen
diese Annahme alles das sagen, was ich gegen Brückner eben
vorgebracht habe; Aias ist auch in den ältesten Teilen der Jlias
kein Schützling der Athene, wie er es denn doch sein müßte;
selbst in der höchsten Not bleibt die Hilfe aus.
Wichtiger aber ist, daß es nicht nur unverständlich ist, wie
aus einem Verehrer der Göttin ihr Verächter werden konnte,
sondern auch, wie der Held, der ursprüngliche Mittelpunkt der
Sage, so sehr hinter andern achäischen (äolischen ?) Helden zurück-
treten konnte, wie es jetzt in der Ilias geschieht, und dennoch
sein Kampf mit Troja bewirken konnte, daß alle Kämpfe
von ursprünglichen Nachbaren im Mutterlande nach
der troischen Ebene verpflanzt wurden. Ich meine, eins
schließt das andere aus, und es hätte entweder Aias zum Heer-
könig aller Griechen in der Sage werden müssen, oder die
Sage hätte, wenn sie sich aus nicht mehr ersichtlichen Gründen
von ihm und seiner Tat abwandte, einen andern Schauplatz für
ihre Lieblingshelden gefunden. Der Verf. wird also noch ge-
wichtigere Gründe anführen müssen, ehe mit seiner Hypothese
ernstlich gerechnet werden kann.
Die Schrift Noacks zerfällt in zwei Kapitel, denen zwei Ex-
kurse und ein Nachwort folgen. Über das erste Kapitel, das den
auffallenden Unterschied der in Kreta ausgegrabenen Paläste von
den bisher bekannten behandelt, und ebenso über die Exkurse hat
R. Engelmann in dieser Zeitschr. 1904 JB. S. 273— 275 berichtet.
Uns interessiert hier nur das zweite Kapitel, in welchem N. zu
dem Ergebnis kommt, daß die Dichter des Homerischen Epos
unendlich einfachere Formen des Herrenhauses voraussetzen, als
die Paläste in Tiryns und Mykene und auch Troja VI zeigen.
Das große Gemach, das in den ausgegrabenen Palästen nur
Empfangs- und Speisesaal war, diente bei Homer auch als Schlaf-
und Wohnraum für die Familie. Nur die erwachsenen Kinder
hatten ihre eigenen Schlafräume, die dem Hauptgemache ähnlich
waren; aber ein besonderes Frauengemach existierte, wenigstens
für die älteren Dichter, nicht; nur das Haus des Odysseus kennt
Homer, yoo C. Kothe. 147
ein besonderes Schlafgemach, mit dem es auch eine ganz eigene
Bewandtnis hat, und das „Hyperoon", das hier allein erscheint,
hat der Dichter des <p (V. 3561!'.) zuerst eingeführt; von ihm haben
es dann die andern Dichter entlehnt, in z. T. recht ungeschickter
Weise. Ebensowenig kennt das Homerische Haus ein „Fremden-
zimmer", die Gäste nächtigen vielmehr im Vorräume vor dem
Hauptsaale.
Ist der Beweis für diese auf den ersten Blick überraschende
Ansicht erbracht? Mir scheint die Grundlage, auf der sich der
ganze Beweis aufbaut, sehr unsicher zu sein. Prüfen wir die
wesentlichsten Gründe für diese Ansicht. N. geht aus von S2 643
u. ff., wo dem greisen Priamus im Zelte des Achilleus ixzög des
Raumes, in dem er eben mit Achilleus verhandelt hat, die Lager-
stätte bereitet wird vrt at&ovfffi (644) oder iv ngodopay döpov
(675), während der Held selbst pvxw xlMfirjc schläft. N. glaubt
mit Recht, daß die hierbei gebrauchten Verse formelhaft von dem
gewöhnlichen Herrenhause auf das Blockhaus des Achilleus über-
tragen, hier jedenfalls nicht „original" seien, sondern, wenn irgend-
wo in den Gedichten, dann d 296 ff., wo Telemach bei Nestor,
oder fj 336 ff., wo Odysseus bei den Phäaken ähnlich gebettet
wird und der Hausherr mit seiner Gattin ähnlich schläft. Aber,
meint N. weiter, der Dichter von ß ist ein Epigone, der eine
alte Sitte nicht mehr versteht. Denn er sucht es zu entschuldigen,
daß der Greis ixvog schlafen muß, aber — die Entschuldigung
ist verkehrt. Achill will ihn nicht im Hauptraume schlafen lassen,
da er fürchtet, die Fürsten der Achäer könnten, wenn sie etwa
zu ihm kämen, ihn hier sehen — obwohl sie ihn doch ebenso,
und zwar noch früher, sehen müßten, wenn sie durch die Vor-
halle in den Hauptraum träten. Dies ist aber eine Vorstellung
von dem Unverstände eines Rhapsoden, die ich nicht teilen kann;
vielmehr meine ich, daß dann dem Dichter eben ein anderes Bild
von dem Hause vorschwebte, ein solches nämlich, wo der Vor-
raum nicht völlig offen war, sondern abgeschlossene, nicht ohne
weiteres sichtbare Räume zeigte. Daß aber „das vornehmste Ge-
mach, das Megaron, das doch beim Herd den geeignetsten Platz
zum Übernachten für den Fremdling geboten hätte, nachtsüber
nicht frei, sondern von dem Herrn des Hauses besetzt gewesen41
sei, folgt daraus, sowie aus den ähnlichen Stellen der Odyssee,
noch nicht. Denn Achilleus entschuldigt sich ja des Platzes wegen
nicht damit, daß er selbst und Patroklos ihn brauche, sondern
daß die Fürsten der Achäer hierher kommen könnten.
Gegen die Annahme N.s spricht aber auch, daß nirgends ge-
sagt wird, sie seien fivx<o psydQoio zu Bett gegangen, sondern
entweder fiv%^ dopov vifJtjloTo (y 402, ä 304, fj 346) oder
(ß 675) fjbvxtß xkiolyg ivnrjxrov oder (e 226) (iv%(p (fnelovg
flcupVQOto. Ebensowenig wird nach dem Aufstehen gesagt ix
fisyaqov fjkfre, sondern, wo die Örtlichkeit ausdrücklich erwähnt
10*
148 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
wird (<? 310), heißt es ix &ccXd(ioio. Aus dieser Stelle muß
jeder Unbefangene den Schluß ziehen, daß auch nach der Vor-
stellung des Dichters die Ehegatten ein besonderes Schlafgemach
und zwar iiv%u> dopov hatten. Wenn N. sich diesem Schlüsse
dadurch zu entziehen sucht, daß er annimmt, der Dichter habe
in verkehrter Nachahmung von ß 5, einer Stelle, die er selbst
gedichtet habe, den d-dXapog eingeführt, so wird er hoffentlich
nur wenige finden, die dem Dichter eine solche Verkehrtheit zu-
trauen, zumal da diese Stelle eine Stutze findet in d 121, wo es
von Helena heißt : ix <T 'EXivq 6-aXdfioto &vaÖ€og vxpOQoyoio
jjXv&ev UgTipid* %QV(tviXaxd%<a iixvTcc. Sie kommt in das
fieyccQoVy in welchem Menelaos sich bereits befindet und sich
mit Telemach und Pisistratos unterhält. Durch diese Stelle wird
ganz offenkundig, für den Dichter der Telemachie wenigstens, das
Vorhandensein eines &dXct[iog neben dem ptyccgov bewiesen.
Freilich N. will auch dies nicht zugeben und meint, es läge auch
hier wieder Nachahmung vor und zwar von t 51/52:
fj d* Xsv ix &aXdfAOio nsQiwQoav HqvsXorteHx
A{n&\kidi IxiXti jji xqvasr\ AcpQodiTr\.
Ich halte eine Nachahmung für ausgeschlossen, da Wortlaut und
Sachlage ganz verschieden sind; aber gleichviel, ob Nachahmung
vorliegt oder nicht, daß bei d 121 an ein besonderes Frauen-
gemach zu denken ist, läßt sich doch nicht ableugnen.
Und wäre es nicht auch im höchsten Grade auffällig, daß
zwar die erwachsenen Kinder, wie N. zugibt, ein eigenes Zimmer
gehabt hätten, die Eltern aber in demselben Räume auch ge-
schlafen hätten, in welchem Gäste empfangen wurden, in welchem
gegessen und getrunken wurde und überhaupt die ganze Familie
wohnte? Dies wäre an sich unglaublich und selbst dann nicht
anzunehmen, wenn das Frauengemach und der Ehethalamos nicht
so bezeugt wären, daß N. durch alle Interpretierungskunst sie
nicht beseitigen kann, nämlich im Palaste des Odysseus. N. frei-
lich möchte beides als etwas Besonderes hinstellen, das der „Viel-
gewandte" sich gegen die allgemeine Sitte erlaubt habe. Aber
auch dies stimmt nicht; denn auch Kirke hat ihren besonderen
&dXapog (x 340 ig &dXa\iov Mvai), und es mutet uns wunder-
lich an, wenn N. in diesem „keinen einwandsfreien Zeugen41 dafür
sieht, daß der Hausherr ein besonderes Schlafgemach besessen
habe, weil „sein Vorbild ebensogut der Thalamos der erwachsenen,
unverheirateten Tochter des Hauses (vgl. Nausikaa) gewesen sein
könne4'. Wir glauben dies nicht, sondern folgern hieraus viel-
mehr auch ein besonderes Schlafgemach bei der Nymphe Kalypso,
das mit /uu/co öneiovg {s 226) bezeichnet ist und unserer An-
sicht nach deutlich von dem dniog yI<*<P*>q6v (e 196), in welchem
sie mit Odysseus ißt und trinkt, unterschieden wird. Denn wie
x 340 ig &dXapop livai steht, so heißt es auch s 226,
daß Odysseus und Kalypso, nachdem sie gegessen und getrunken
^
Homer, von C. Rothe. 149
hatten, iX$6v%s<; <T aqa toi ys fw/o» önelovg . . . TSQniti&fjv
(piloTijii.
Wir müssen hier abbrechen und können es auch ohne Schaden
für die Homerforschung. Denn was N. weiter über den Thalamos
der erwachsenen Kinder und über das insq&ov im Hause des
Odysseus schreibt, ist nicht besser begründet. Entschieden zurück-
weisen muß ich z. B. die Behauptung, die er S. 58 aufstellt: „Das
Hyperoon ist erst spät in einer ganz bestimmten Schicht in die
Odyssee eingedrungen. Von dieser Schicht sind die übrigen Er-
wähnungen abhängig". Der Verf. hat offenbar weder meine Schrift
„Die Bedeutung der Wiederholungen f. d. H. Fr." noch die Ein-
wände gelesen, die ich in diesen JB. 1887 S. 320 gegen die An-
sicht Nieses, v. Wilamowitz' und Seecks vorgebracht habe, nach
der die Unterredung der beiden Gatten in % zu ihrer Wieder-
erkennung geführt haben soll.
Von ungleich größerer Bedeutung ist die Arbeit Drerups.
Sie behandelt mit Gründlichkeit und Sachkenntnis einen über-
reichen Stoff auf verhältnismäßig geringem Räume und mit reicher
Illustration, die die mykenische Kultur Griechenlands und die
Ergebnisse der neuesten Ausgrabungen in z. T. noch unpublizierten
photographischen Aufnahmen zur Darstellung bringt. Sie zerfällt
in drei Abschnitte: t) Die Homerische Frage, 2) Die mykenische
Kultur, 3) Ilias und Odyssee. Diese Einteilung wird manchem
auffallend erscheinen, da man auf den ersten Blick die Trennung
von 1) und 3) nicht versteht und meint, daß es naturgemäßer
sei, mit 2) zu beginnen. Es dient indes die Homerische Frage
in 1) nur als Oberschrift; in Wirklichkeit wird, nachdem D. kurz
eine geschichtliche Obersicht über die Frage gegeben und sich
dabei entschieden für ein großes Dichtertalent als Verfasser der
beiden Epen ausgesprochen hat, das Wesen und die stufenweise
Entwickelung des Volksgesanges und die Entstehung großer Epen
auf breitester Grundlage durch eine Vergleichung des Volksgesanges
bei den verschiedensten Völkern (Griechen, Germanen, Kelten,
Franzosen, Serben, Großrussen, Finnen, Kirgisen und Tataren)
erörtert und dabei gezeigt, wie verschieden eine bloße Sammlung
von Liedern von einem planmäßig geschaffenen Dichterwerke ist.
Es werden hier die Gedanken Jakob Grimms, Steinthals und
Erhardts weitergeführt und in dem wesentlichsten Punkte be-
richtigt: nicht das Volk schafft die Einheit, sondern ein Dichter.
„Im Volke selbst", schreibt D. S. 36, „ist das Bedürfnis einer
Zusammenfassung der Volkssage nicht vorhanden; und der echte
Volkssänger denkt an eine große Komposition ebensowenig als
daran, daß die von ihm gesungenen Lieder die Teile eines großen
Ganzen sind. Die künstlerische Komposition des Volksepos aber,
die in der Erfindung einer einheitlichen epischen Handlung
gipfelt, ist ohne das Walten einer dichterischen Individualität nicht
denkbar44.
150 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Der Volksgesang kann sich nur so lange erbalten, als das
Volk ohne höhere Kultur ist, als wirklich das ganze Volk noch
singt Bildet sich erst ein bestimmter Stand von Sängern, er-
halten die einzelnen Lieder durch schriftliche Aufzeichnung erst
feste Gestalt, „kanonische Geltung44, dann ist das Ende des Volks-
gesanges besiegelt Wie aber einerseits der Schriftgebrauch dem
Volksgesange schädlich ist, so ist er anderseits für die Schaffung
größerer Epopöen unentbehrlich, weil nur bei schriftlicher Auf-
zeichnung eine bestimmte Anordnung und regelmäßiger Fortschritt
der Handlung ermöglicht wird, der ausgeschlossen ist, solange die
einzelnen Lieder ohne Rücksicht aufeinander sich nur im all-
gemeinen Rahmen der Handlung oder Sage halten (vgl. Radioff,
Proben der Volksliteratur S. XXII: „Ich halte es für unmöglich,
daß ein so umfangreiches Werk, wie die Gedichte Homers, auch
nur ein Jahrzehnt hätten forterben können, wenn sie nicht auf-
gezeichnet wären44). Die Möglichkeit der Aufzeichnung war ge-
geben, nachdem im 10./ 9. Jahrhundert v. Chr. die phönizische
Buchstabenschrift von den Griechen übernommen worden war.
Da nun die Zusammenfassung und Verarbeitung der Einzellieder
zum großen Epos nicht wesentlich früher angesetzt werden darf
als seine erste schriftliche Fixierung, so darf die Entstehungszeit
der Homerischen Epen etwa in das 9./8. Jahrhundert gesetzt
werden (S. 37). Zwischen der Blüte des Einzelliedes und der
Entstehung größerer Epopöen liegt aber stets eine längere Frist,
wie dies besonders die Geschichte des serbischen und germani-
schen Heldenliedes zeigt Diese ist auch für die griechischen
Epen anzunehmen; sie sind, wie der Dialekt zeigt, Schöpfungen
der lonier, während das Einzellied den Äolern angehörte. Die
Blüte desselben gehört der mykenischen Zeit an.
Diese schildert D. wesentlich im Anschluß an die Ergebnisse
der neueren Forschungen und ihrer wissenschaftlichen Verwertung
in größeren Geschichtswerken (E. Meyer, Busolt und Beloch) im
zweiten Kapitel, aus dem für uns nur die Ansicht wichtig ist
wegen ihrer Bedeutung für die Entstehung der Sage (s. o.), daß
wirklich eine dorische Wanderung, obwohl ernste Geschichts-
forscher es bestreiten, stattgefunden und eine blühende Kultur
zerstört hat. Sie machte Halt vor den Bergwällen Attikas und
Arkadiens. „Die neue Misch bevölkerung, die zunächst zu einem
selbständigen Kulturscbaffen unfähig war, mußte das fremde Blut
erst in sich verarbeiten und zu einem neuen, einheitlichen Volks-
tum sich durchringen, bis sie in der Kulturentwickelung wieder
eine selbständige, führende Rolle übernehmen konnte, wie die
Italiener der Renaissance4' (S. 46). Die Sprache der Griechen in
der mykenischen Zeit war das Äolische, doch so, daß sich Diffe-
renzierungen zeigten. „Denn die Erfahrung lehrt, daß es absolut
dialektlose Sprachen nicht gibt" (Kretschmer, Einleitung i. d. Gesch.
d. gr. Spr. S. 9). Die Äoler wurden im Feloponnes in die Berge
Homer, von C. Rothe. l5l
Arkadiens zurückgedrängt und wahrten ihr Idiom, währehd die
unterworfene Küstenbevölkerung den Dialekt der Eroberer annahm.
In Thessalien dagegen nahmen die Sieger die Sprache der Be-
siegten an, wie später die Normannen in Frankreich, während sie
den Angelsachsen ihre Sprache aufdrängten.
Neben dem Äolischen bestand nicht nur in Attika, sondern
auch in den Kästenstädten des Peloponnes der ionisch-attische
Dialekt, der aber noch nicht die spezifischen Merkmale des späteren
Ionisch (Schwund des ß und Umlaut des A) zeigte; vielmehr ist
diese Weiterbildung erst auf den Inseln des Ägeischen Meeres und
auf dem asiatischen Festlande erfolgt. Dies beweist besonders
die Form „/a/=0)>«£", unter der die Asiaten und Ägypter den
Ioniernamen übernommen haben und mit dem sie später alle
Griechen bezeichneten. Der äolisch-ionische Mischdialekt aber,
der sich im Grenzgebiet des Äolischen und Ionischen an der klein-
asiatischen Küste gebildet hat, ist eine ganz junge Bildung, die
aus der Berührung und Durchdringung der beiden bereits fest-
stehenden Mundarten hervorgegangen ist. Hier in Kleinasien fand
auch die weitere Ausbildung des Heldengesanges und die all-
mähliche (nicht mechanische) Umwandelung des äolischen Dialekts
in den ionischen statt, den die Sprache der Lieder zeigt. Die
Heimat aber der Heldensage ist das Mutterland, und zwar, wie
besonders der Olymp als fester Göttersitz beweist, Thessalien.
Der Übergang fand über Athen und Argos statt.
Diese Ansicht begründet D. ausführlicher im dritten Ab-
schnitte, während der zweite der Darstellung der mykenischen
Kultur, Religion und Kunst gewidmet ist. D. wendet sich zunächst
gegen die Auffassung, daß die Heldensage im Göttermythos wurzele,
und glaubt, daß nur geschichtliche Ereignisse ihr zugrunde liegen,
der Göttermythos aber allein der religiösen Poesie angehöre. „Für
die weitere Entwickelung aber der Heldensage ist es gleich-
gültig, ob ein historischer Held durch Angleichung an ein gött-
liches Wesen in eine übermenschliche Sphäre emporgehoben wird
oder ob eine ursprüngliche Gottheit aus dem Rahmen des Mythos
in die Heroensage hineingestellt und zum Repräsentanten eines
im Volke lebenden Ideals gemacht wird (vgl. Sigurd und Achilleus).
Daß die meisten Helden einen Kult in den verschiedensten Ge-
genden Griechenlands haben, ist noch kein Beweis ihres göttlichen
Ursprungs, da diese Tatsache durch den Ahnenkult sich hinläng-
lich erklärt.
Dies führt zur Hauptfrage: Liegt eine große geschichtliche
Begebenheit, ein großer Heereszug der Achäer gegen Troja der
Sage vom Trojanischen Kriege zugrunde, wie £. Meyer glaubt,
oder nicht? D. bemerkt zunächst, unter Hinweis auf die Nibelungen-
sage, die den Zug der Burgunden in das Heunenland auch nur
erfunden habe, um eine Verknüpfung der burgundisch-fränkischen
Siegfriedssage mit der ostgotischen Dietrichssage zu ermöglichen,
152 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
daß ein solcher großer Zug durchaus nicht notwendige Voraus-
setzung der Sage sei, sondern daß, wenn wichtige Grunde dagegen -
sprächen, man unbedenklich an eine bloße Erfindung glauben
könne. Solche Grunde aber gebe es. Auffällig sei zunächst die
Abfahrt von dem kleinen Hafenorte Aulis, der nicht in den Be-
reich von Mykene gehörte. Sodann hatten die Herrscher von
Mykene, deren Machtgebiet mehr im Süden des Ägeischen Meeres
lag, kein so großes Interesse an der Propontis, um einen solchen
Zug ins Werk zu setzen. Vielmehr ist die troische Sage zurück-
zuführen auf die Kämpfe der Thessaler mit den Bewohnern der
Troas, die lange vor der endlichen Besiedelung der Troas (im
7. Jahrh.) durch die Äoler stattgefunden haben können, ja lange
schon vor der Wanderung der äolischen Stämme in den Peloponnes
(denn sie brachten dahin schon die Sage mit). Mittelpunkt und
Träger dieser Kämpfe ward allmählich der mythische Achilleus
(ursprünglich vielleicht Aias?). Beim Vordringen dieser Stämme
nach dem Peloponnes wurde diese Sage mit dem peloponnesi-
schen Helenamythos verschmolzen, in dem ursprünglich Theseus
der Räuber der Helena war. Trat an Stelle des Theseus der
troische Königssohn, so war der Kriegszug gegeben, der mit der
Zerstörung des Räubernestes und der Rückkehr der Helden enden
mußte. Denn Helena mußte in den Peloponnes zurück, wo ihr
Kult festbegründet war.
So hat schon Dümmler den Ursprung des Trojanischen Krieges
gedeutet und eine sehr lange Entwicklung der Sage vorausgesetzt;
D. tritt dieser Ansicht bei und meint, daß die ersten Kämpfe der
Äoler sehr wohl schon im dritten Jahrtausend vor unserer Zeit-
rechnung erfolgt sein könnten, und sicher sei die mehrmalige
Vernichtung der prähistorischen Stadt vor der Blüte des mykeni-
schen Reiches erfolgt. Wir begeben uns damit in ein Gebiet, wo
es leicht ist, Vermutungen aufzustellen, aber sehr schwer, sie zu
begründen. So sehe ich nicht, wie diese Annahme die Abfahrt
von dem kleinen Aulis besser begründet, noch wie es gekommen
sei, daß die Stadt trotz der wachsenden Macht der Äoler immer
wieder verloren worden sei und immer von neuem erobert werden
mußte. Auch die Verbindung des Helenamythos mit diesen
Kämpfen ist dunkel; indes hier gibt es ähnliche auffällige Wande-
lungen und Verbindungen in anderen Sagengebilden. D. selbst
weist auf das Rolandslied hin, „das die Taten fränkischer Helden
mit germanischen Namen, germanische Sitten und Kullurzustände
schildert'4, obwohl das Volk ein anderes geworden war, und auf
die Verbindung der rheinfränkischen Nibelungensage mit dem Sieg-
friedsmythos. Auch die Artus- und Gralssage, ihre Verbindung
und ihre Wandelung im Laufe der Zeit läßt sich heranziehen, so
daß die Möglichkeit der von D. angenommenen allmählichen Aus-
gestaltung der troischen Sage zugestanden werden muß.
Die letzte Ausbildung hat bei den loniern stattgefunden.
Homer, von C. Rothe. 153
Aber eine reinliche Scheidung der verschiedenen Elemente, wie
sie zuletzt noch Robert versucht hat, ist ganz unmöglich. Wie
die Sprache, so ist auch „die homerische Kultur ein Gemisch von
archaisch-konventionellen und modernsten Zögen, von typischen
Überresten einer älteren Kultur . . . und unmittelbarer Anschauung
des Lebens der Gegenwart, des ionischen Adelstaates mit seiner
höfischen Sitte un<J aristokratischen Gesellschaftsordnung" (S. 119).
Dies begründet D. durch Anfuhrung bezeichnender Beispiele. Ich
stehe auf demselben Standpunkte.
Um den Bericht über dieses bedeutende Werk nicht zu unter-
brechen, erwähne ich sofort auch Drerups Ansicht, über
b) die Odysseassage.
Diese ist völlig anderen Ursprungs und Wesens als die
troische: es ist nicht Heldensage, sondern Märchenpoesie, die rein
äußerlich durch die Heldengestalt des Odysseus mit dem troischen
Sagenkreis verknöpft ist. Es ist eine andere Welt, ein anderer
geographischer Horizont, in den uns der Dichter hineinführt. Vom
Heldenhaften ist kaum eine Spur. Trotzdem verlegt D. den Ur-
sprung dieser Dichtung auch in die mykenische Zeit. Dies zeigt
nicht nur die gleiche Bewaffnung, sondern namentlich auch das
geographische Bild des Peloponnes. Denn auch die Odyssee kennt
nur die vordorischen Städte (Mykene, Argos, Sparta, Ephyra, Pylos,
Pherai), und in beiden Gedichten werden die Meere noch von
Sidon beherrscht, nicht schon von Tyros, das Sidon jedenfalls
vor dem 1 0. Jahrhundert überflügelt hat.
Wo ist aber der Ursprung der Dichtung zu suchen? Die
Erzählung von den Lotophagen, den Kyklopen, der Kalypsoinsel
weist unzweifelhaft nach dem Westmeere hin, während die
Wohnungen und Tanzplätze der frühgeborenen Eos nach dem
Osten weisen. Ist nun die Sage, wie v. Wilamowitz mit dem
Pergamener Krates will, im Osten heimisch und Ausdruck der
ionischen Handels- und Kolonialzüge, die vom 8. Jahrhundert an
vornehmlich das Ostmeer bis zu den Ufern des Pontus in den
Bereich des griechischen Einflusses einbezogen haben, und haben
sich dann die Westfahrten mit dem Vordringen der Korinther und
Chalkidier in den Westen erst angegliedert, oder ist das Verhältnis
umzukehren und sind die Fahrten nach dem Westen das Ursprüng-
liche? D. ist der letzteren Ansicht. Es spricht dafür schon das
hohe Alter der Sage und der Umstand, daß die Hauptgestalten
der Odyssee im Peloponnes ihren Kult haben. Bei den Äolern
des Südens kann also nur die Sage entstanden sein, natürlich
aber nicht im Binnenlande, sondern an der Küste oder auf einer
Insel. Die Schilderung aber des ganzen üppigen Lebens, der
reichgeschmückten Paläste, die mitten in der Stadt, nicht
auf Burghöhen liegen, weist nicht nach Mykene, Tiryns oder
154 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Athen hin, sondern — auf Kreta. Die hier ausgegrabenen
Paläste in Phaistos und Knosos sind ohne die gewaltigen Mauern
der sonstigen mykenischen Burgen und zeigen reichen Schmuck.
Offenbar fürchtete man den Feind nicht im Vertrauen auf die
Flotte — wie heute die Engländer. Nun ist sagenberühmt die
Seeherrschaft des Minos; nirgends aber werden große Taten von
ihm erzählt: Kaufleute erfreuen sich eben mehr an Scbiffermärchen
als am Ueldensange. Dem entspricht, daß im fleldenliede Kreta
nur schwach (durch Idomeneus) vertreten ist, während in der
Odyssee Kreta eine ganz auffällige Rolle in allen Teilen der Dich-
tung spielt. Vor allem wird uns % 172 u. ff., in der Zwiesprache
zwischen 0. und P., eine packende Schilderung des Landes ge-
geben. Ferner spricht für den Ursprung der Sage auf Kreta, daß
die Flora in der Odyssee einen ausgesprochen südlichen Charakter
trägt (veredelte Feigenbäume, Lorbeerbäume, Palme, Lotospflanze,
Byblos), während die Ilias nur die altheimischen Laub- und Nadel-
hölzer, darunter den wilden öl- und Feigenbaum kennt.
In lesenswerter Ausführung wird diese Auffassung dann weiter
begründet und dabei auf die großen Verschiedenheiten zwischen
Ilias und Odyssee hingewiesen, die sich aus diesem Ursprünge
erklären, und schließlich betont, daß auch die Ausbildung der
Odyssee zur Epopöe in Ionien erfolgt sei. Diese Annahme habe
keine Schwierigkeit. Denn kretische Auswanderer sind nach der
Überlieferung an der Besiedelung Ioniens beteiligt gewesen. Ein
überlegener Dichtergeist hat zuletzt aus dem reichen Sagen- und
Märchenschatz ein wundervolles Ganzes geschaffen, das uns ein
Bild allgemein menschlichen Lebens gibt: „Die Menschen (in dieser
Dichtung) fühlen, denken und handeln, wie der moderne Mensch
in ähnlicher Lage fühlen, denken und handeln würde" (S. 136).
Wenn aber der Verf. am Ende schreibt: „Wie kräftiger Erdgeruch,
wie ein Hauch der Heimat weht es uns aus dem zweiten Teile
der Dichtung entgegen, der auf griechischem Boden, auf Ithaka
spielt. Hier ist in Wahrheit „Homer44 zum ersten Wirklichkeits-
dichter geworden. Und so hoch wir den poetischen Wert der
Dichtung in der dramatisch verschlungenen Komposition, in der
psychologisch feinen Charakterschilderung anschlagen mögen: den
höchsten Ruhmestitel verleiht dem Odysseusepos seine Art als
erstes, echtestes und ursprünglichstes Werk bewußter Heimat-
kunst44, so stimme ich zwar darin unbedingt dem Verf. bei, meine
aber zugleich, daß er damit am schärfsten gegen seine eigene
Annahme, nämlich daß in Kreta die Heimat der Odysseussage zu
suchen sei, spricht. Nicht ein kretischer Seefahrer, sondern ein
lthaker ist Mittelpunkt der Handlung. Im W. Griechenlands also,
nicht auf Kreta, ist, wie man annehmen muß, auch der Ursprung
der Sage zu suchen; wie Kreta % 176 ff., so wird Ithaka * 22—26
mit besonderer Teilnahme geschildert. Wir kommen später auf
diese Frage zurück.
"\
Homer, von C. Rothe. 155
Ganz anders denken die folgenden Gelehrten über diesen
Ursprung, und zwar zunächst:
5) Victor Berard, Les Pheniciens et l'Odyssee. T. IL Paris 1903,
Armand Colin. 630 S. gr. 8. 25 fr. — Vgl. diese JB. 1903 S. 30S
—311, I Hell. St. 1903, II, S. 363/364, Mns. belg. VIII, 2, S. 154—166
(H. Francotte); Riv. d. Stör. ant. VIII, 2, S. 286—291 (G. Tropea);
Class. rev. 1904, 3, S. 165—169 (W. M. Ramgay); Atena e Roma 1904
Nr. 4/5 S. 126—134 (Brngnola, I Phenici e l'Odissea); N. Jahrb. f. d.
klass. Altert. 1904, XIII. und XIV. Bd., H. 8, S. 598/599 (P. Caoer);
Rev. crit. 1905 S. 61 ff. (Hubert).
Dieser Band, dessen Hauptinhalt schon im letzten Bericht
kurz angedeutet ist, zeigt dieselbe vornehme Ausstattung und noch
mehr Beigaben in sorgfältigen kleineren und größeren Karten,
darunter am Schluß ein Gesamtbild der Irrfahrten des Odysseus
unter Bezeichnung der Punkte, welche der Verf. als sicher ermittelt
zu haben glaubt. Die Darstellung ist von der ersten bis zur
letzten Seite genußreich, und wenn wir auch häutig den Kopf
schütteln über die kühnen Kombinationen und Vergleiche, so
haben wir es hier doch nicht mit einem Dilettanten zu tun, wie
es Schliemann einst war, sondern mit einem philologisch geschulten
Gelehrten, der die eingehendsten Vorstudien gemacht hatte, ehe er
an die Ausarbeitung des großen Werkes ging, der die Literatur,
namentlich alle Reiseberichte, welche sich auf die Gegenden, die
er persönlich durchforscht hat, beziehen, im weitesten Umfange
gelesen hat, von den Berichten des Skylax und Hanno an bis auf
die jüngsten „Instructions nautiques" der französischen Flotte.
Wir gewinnen aus dieser Darstellung, die durchgehends auf eigenen
Wahrnehmungen beruht oder auf den Berichten von Augenzeugen
oder „amtlichem" Material, das reichlich im Wortlaut mitgeteilt
wird, ein überraschendes Bild von dem Leben an den Küsten und
der Inselwelt des Mittelmeeres, sehen, in welchen Beziehungen es
heute noch so ist wie vor mehr als 3000 Jahren trotz aller
großen Veränderungen des Seeverkehrs, welche die Jahrhunderte
herbeigeführt haben, und finden so Goethes Wort bestätigt, daß
man den Dichter nur in des Dichters Lande verstehen kann.
Kurz, wir können das Buch allen besser ausgestatteten Schul-
bibliotheken angelegentlichst zur Anschaffung empfehlen.
Und die Ergebnisse dieser Untersuchung? Der Verf. hat die
Ansicht gewonnen und vertritt sie mit großer Bestimmtheit, daß
der eigentliche Nostos des Odysseus, von dem ersten Abenteuer
(Kikonen) abgesehen, sich im westlichen Mittelmeer, d. h. in
Gegenden bewege, welche die Griechen zu der Zeit, als die Ge-
dichte abgefaßt wurden, noch nicht gekannt hätten. Die Quelle für
den Dichter könnten also nicht Erzählungen griechischer Kaufleute
sein, sondern nur Berichte anderer Seefahrer. Als solche kommen
für diese Zeit allein die Phönizier in Betracht. Diese aber hätten
ihm auch wirklich den Stoff geliefert, wie schon Strabo (III S. 150/151)
156 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
behauptet hat. Verständlich sei unter dieser Annahme die Tat-
sache, daß alle diese Abenteuer im Westmeere ganz schrecklicher
Natur seien (Kyklopen, Lästrygonen, Kirke, Totenreich, Sirenen,
Scylla und Charybdis, Insel des Sonnengottes); denn nicht erst
die Schiifsleute der Venetianer und später die Portugiesen und
Spanier hätten durch gräßliche Erzählungen andere Völker abzu-
schrecken versucht, ihren Pfaden in unbekannte Meere zu folgen,
sondern schon die Phönizier und später die Griechen. Der Handels-
neid ist uralt, und alle Mittel, Mitbewerber abzuwehren, gelten als
erlaubt. Berichtet doch Strabo (III 175), daß ein phönizischer
Pilot, welcher römische Schiffe über Gades hinausführen sollte,
absichtlich die Schiffe habe scheitern lassen, um den Römern die
Weiterfahrt unmöglich zu machen und sie für immer davon ab-
zuschrecken.
Auf semitischen Ursprung weist ferner die Sprache der Ge-
dichte hin, nicht nur die Doppelnamen (Kyme-Hypereia, Oenotria-
Kyklopie), über die schon im ersten Teile gesprochen wurde (vgl.
den letzten Bericht 1902 S. 310), sondern auch einzelne Worte
ungriechischer Wurzel (z. B. yavXog „Lastschiff", fidoXv, mit dem
selbst der Dichter so wenig anzufangen weiß, daß er es als ein
Wort der Göttersprache bezeichnet) und Wortverbindungen, z. B.
oqxuz tapvsw = sem. karat berit; denn bei den Griechen war
es nicht üblich, wohl aber bei den Semiten, das Opfertier „mitten
entzwei zu schneiden'4 (vgl. Genesis XV, wo Abraham, als er den
Bund mit Gott schließt, unter anderem befohlen wird (V. 9/10),
eine dreijährige Kuh u. a. herbeizubringen und sie „mitten ent-
zwei zu teilen44).
Diesen von B. nur kurz berührten Gedanken behandelt aus-
fuhrlicher
6) C. Fries, Griechisch-orientalische Untersuchungen. I. Home-
rische Beiträge. Beiträge zur alten Geschichte von C. F. Lehmann
und £. Koruemann. Bd. III, H. 3, S. 372—396.
F. leitet eine große Zahl Homerischer Redewendungen und
Ausdrucksformen aus egyptisch-jüdisch-assyrischen Vorbildern ab;
doch halte ich, mit einer Ausnahme, den Nachweis fremden Ur-
sprungs für nicht erbracht. Oder sollen wir wirklich glauben,
daß, wenn sich z. B. auf einer assyrischen Inschrift bei der
Schilderung eines Königsmahles die Worte finden: „Der erste
Zungenmeister — nicht die Schätzerin — steht mit dem
Wasser der Hände, hebt hoch das Wasser, gießt aus das Wasser,
schüttet es auf die Handu die häufige Schilderung eines ähnlichen
Vorgangs bei Homer auf dieses Vorbild zurückgeht? Wie die
Handlungen gleich sind, so mußte sie der Dichter doch auch völlig
unabhängig von Vorbildern ähnlich schildern. Dabei ist die Ähnlich-
keit, wie jeder, der die Homerischen Stellen vergleicht, sofort
merkt, nicht einmal vollständig. Möglich ist allein die Einwirkung
Homer, von C. Rothe. 157
defiguren (Antithese, Paronomasie, Parechese), da diese ein
leres Zeichen altorientalischer Poesie sind und von hier aus
Weg zu den griechischen Dichtern gefunden haben können,
an einigen Beispielen (S. 381) treffend zeigt. Auch eine
ie Handlung, wie z. B. das Wägen der Todeslose vor dem
eidungskampfe zwischen Achilleus und Hektor, kann, wie
Gruppe glaubt, auf ägyptischen Ursprung zurückgehen.
'n andern sehr zahlreichen Fällen von ähnlichen Zügen, die
Reicht, halte ich jedoch die Entlehnung nicht für wahr-
ich, da der Dichter sehr wohl von selbst auf solche Dar-
? kommen konnte.
nen weiteren Grund für die Annahme, daß der Dichter im
ostos phönizische Quellen benutzt habe, sieht Berard darin,
ns die örtlichkeit überall vom Standpunkt und Gesichts-
eines Seefahrers, nicht von Landbewohnern geschildert
Die Phönizier seien nirgends in das Land eingedrungen,
n hätten entweder nur kleinere, schwer zugängliche Inseln
Nähe des Festlandes oder steile Klippen oder Anhöhen auf
estlande für ihre Faktoreien benutzt und von hier aus mit
nwohnern Handel getrieben, während griechische Kolonisten
<as umliegende Land bebaut hätten (vgl. das alte, phönizische
mit Neapolis). Daraus erkläre es sich, daß das Land auch
so geschildert sei, wie es von der See aus gesehen werde,
für den Landbewohner wichtige Punkte ganz unerwähnt
en; ja auch einzelne Unrichtigkeiten der Homerischen Dar-
mg bei örtlichkeiten, die im übrigen ganz naturgetreu ge-
idert seien, erklärten sich aus dieser Quelle, wie B. ganz be-
ders an dem Sunde von Ithaka nachweist (S. 483 ff.). Wir
mmen weiter unten bei der Ithakafrage darauf zurück. Diese
uelle aber war nicht mündliche Überlieferung, sondern schrift-
iche Darstellung. Nur so erklärt sich die peinlich genaue Über-
einstimmung Homerischer Schilderung mit der Wirklichkeit; ander-
seits beweisen einzelne Irrtümer, daß der Dichter die Gegend
nicht selbst gesehen hat, weil er sich sonst nicht so hätte irren
können. B. betont immer wieder: le poöte a lu, il n'a pas vu.
Es muß aber jeden, der die Gegenden, in denen die Handlung
des Nostos spielt, nicht aus eigener Anschauung kennt und des-
halb nicht nachprüfen kann, im äußersten Grade überraschen,
wie wunderbar genau die Homerische Darstellung zu der örtlich-
keit, welche ß. als Ort der Handlung gefunden zu haben glaubt,
bis auf die kleinsten Einzelheiten stimmt. Wir wollen hier als
Beispiel die Umgegend von Kumä anführen und die davorliegende
Insel, die den Schauplatz der Kyklopie nach der Ansicht des Verf.s
bildet. Die „Einaugen", zahlreiche Krater in den Phlegräischen
Gefilden, gaben Veranlassung zur Sage von den Kyklopen; auf
diese Naturerscheinung führt B. alles zurück, was in der Odyssee
über die Kyklopen gesagt wird. Sie leben allein, wie die Krater
15S Jahresberichte 4* Philolog. Vereins.
alleinstehende Bergkuppen sind; wie der Kyklop sich rülpst und
dann alles ausspeit, so rumort es in diesen Kratern, bevor der
Ausbruch erfolgt (!). Wie der Kyklop riesige Bergstöcke in das
Meer schleudert, so haben es auch diese Krater getan. Selbst
eine geschichtliche Tatsache verwertet B., um einen individuellen
Zug bei Homer zu erklären. Bei der Einnahme von Kumä er-
zählt Dionys von Halikarnaß (VII 10 — 12), daß wilde Barbaren
sich durch eine List der Stadt bemächtigt hätten, indem eine
Anzahl riesig starker Männer „vetus de peaux comme des bergers4'
mit gewaltigen Holzlasten, in denen sie Waffen verborgen hatten,
abends in die Stadt eindrangen unter dem Vorwande, das Holz zu
verkaufen — ebenso erscheint der Kyklop am Abend, <peQs <f
SßgifAOV äx&og vXtjg a&Xtyg (!!).
Auch die „Ziegeninsel'4 vor dem Lande der Kyklopen, bei der
Odysseus seine zwölf Schiffe ließ, hat B. gefunden. Es ist dies
Nesida (= vifiig „kleine Insel") in der Bucht von Puteoli, öst-
lich vom Kap Misenum. Diese Insel ist stets wenig (in alter Zeit
gar nicht) vom Festlande aus besucht gewesen, da sie keinen
Hafen dem Festlande zugekehrt hat, wohl aber diente sie den
Seefahrern, da sie einen äußerst geschützten Hafen, der ganz der
Homerischen Schilderung auch heute noch entspricht, auf der Seite
des offenen Meeres hat. Selbst in klassischer, römischer Zeit
fanden sich hier nur wenig Villen; wurde doch wegen der un-
bedingten Einsamkeit hier von den Verschwörern die Ermordung
Cäsars beschlossen (Cic. ad Att. XVI 2, 3). Der größte Teil
der Insel bietet auch heute noch Jagdgelände, und daß hier be-
sonders „Ziegen14 heimisch waren, beweist der Name der in der
Nähe befindlichen Insel „Capri". Zwei gewaltige Felsblöcke, die
wie „Obelisken44 aus dem Meere zwischen Nesida und dem Fest-
lande aufragen, gaben Veranlassung zur Erfindung der beiden
Wurfe des Kyklopen. Dabei erklärt sich sehr gut auch der Aus-
druck nqondqoi&E und iasxotiig&s veoq aus der semitischen
Quelle; denn die Semiten haben für ,,vor44 und „Osten44 dasselbe
Wort, ganz wie für „hinter" und „Westen". Diese beiden
„Obelisken" befinden sich aber der eine im Osten, der andere im
Westen von der Insel Nesida (!).
Genau so weist B. am Festlande die Stelle nach, wo Odysseus
sein Schiff barg, ehe er zur Höhle des Kyklopen hinaufstieg, und
naturlich auch diese [selbst. Es ist dies die „Grotte des Sejan"
der klassischen Zeit. Diese entspricht mit der geräumigen Vor-
halle (ccvXy bei Homer) genau der Schilderung des Dichters. Die
Stelle, die einst Polyphem mit einem riesigen Felsblock versperrte,
ist jetzt durch eine Mauer mit einem kleinen Tor verschlossen,
an welchem die Besucher das Eintrittsgeld bezahlen müssen. Hier-
bei macht B. freilich die wichtige Bemerkung und führt dazu eine
Reihe treffender Beispiele an, daß es ähnliche Grotten an den
Küsten des Mittelmeeres viele gibt, ja daß bis in die neueste Zeit
^
Homer, von C. Rothe. 159
hinein noch Hirten sich finden, die ganz ähnlich wie der Kyklop
leben, ihre Herden so halten (z. B. die jungen Lämmer und Ziegen
im Gehöft lassen und nur mit den alten ausziehen), von ihrer
Milch allein leben und sich um die übrige Welt nicht im ge-
ringsten kümmern, sondern ganz ihr eigener Herr sind. So
könne der Dichter sehr wohl aus eigener Anschauung
wesentliche Züge dieses Hirtenlebens dem „periple
original" hinzugefügt haben (S. 174). Denn daß der Dichter
nicht bloß sklavisch entlehnte, sondern auch schöpferisch gestaltete,
das nimmt auch B. an. Er schreibt darüber am Schluß dieses
Kapitels (S. 178) die bemerkenswerten Worte: Et peut-etre, en
cette histoire du Kyklope, mieux qu'en l'histoire de Kalypso,
pourrions-nous saisir sur Je vif, en plein travail, son ordinaire
procede. Gar il semble que nous puissions ici voir les etapes
successives que parcouraient ses figures entre la verite geographique
du periple et ranthropomorphisme de ses vers. L'Oeil Rond, dans
le periple, n'etait que „le sommet d'un pic isole, qui se dresse ä
T6cart des autres"; le Kyklope du poete, tout en prenant la forme
humaine et en se degageant de la montagne, est encore „moins
semblable1) ä un homme mangeur de ble qu'ä un sommet chevelu
des monts eleves". Polypheme reste ainsi engage ä demi dans la
verite prosaique et reelle comme ces statues demi-prisonnieres
que nos sculpteurs nous montrent engagees encore dans le bloc
de roarbre d'oü leur fantaisie les tira . . . . Sans le bloc du periple,
qui lui fournissait la matiere, je crois que ranthropomorphisme
du poete n'eüt pas reussi ä dresser les inoubliables figures de
Polypheme et de Kalypso44.
Wie hier, so tritt B. auch sonst sehr lebhaft für den echten
Dicbtergeist des Schöpfers der Odyssee ein; sein Verdienst bleibt
es, aus dem spröden, z. T. durchaus prosaischen Stoff ein Kunst-
werk allerersten Ranges geschaffen zu haben, und wenn er auch
reichlich überlieferten Stoff benutzt und viele Vorgänger auf diesem
Gebiete gehabt hat, so gebührt ihm doch für sein Kunstwerk
dieselbe Anerkennung wie dem Pbidias bei seinen höchsten Kunst-
leistungen, obwohl auch diese ohne viele Vorgänger nicht denkbar
sind, oder wie Ghateaubriand für seine kunstvollen „poemes en
prosea (leVoyage en Amärique, le genie du Christianisme, Atala usw.),
obwohl er fast nichts getan hat, als die kunstlosen Darstellungen
anderer (Charlevoix, Bartram u. a.) in seine wundervolle Sprache
umzusetzen. Ich habe wiederholt denselben Gedanken ausgesprochen
und dabei z. B. auf Goethes Götz von Berlichingen oder Schillers
Teil hingewiesen.
Daß die Odyssee einzelne Zusätze, die aber die Gesamt-
i) Od. IX 190—192: ^ ovtä ifauv
avSql OiTOifttyh), aXXä gt(p vXrjivri —
vxprjkdtv ogttov vre (faliziai oiov ari aXlary.
160 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
komposition nicht beeinflußten, in späterer Zeit erhalten habe,
glaubt auch ß. und bezeichnet als den wesentlichsten das 24. Buch,
weil hier eine Kenntnis Siziliens hervortrete, die dem Dichter
fremd sei. Denn B. setzt die Abfassung des Gedichtes erhebliche
Zeit nach 1050 (vgl. den letzten JB. 1902 S. 310) und vor die
Besiedelung Siziliens (also vor 740). Denn nach der Besiedelung
hätte der Dichter nicht wagen dürfen, solche Abenteuer wie bei
der Scylla und Charybdis seinen Landsleuten zu erzählen (??).
B. sieht also das 9. Jahrhundert als die wahrscheinliche Lebens-
zeit des Dichters an. Diese Zeit, die schon Herodot für Homer
angenommen hat, hallen auch wir für die wahrscheinlichste, wenn
auch die Grunde B.s nicht stichhaltig erscheinen.
Als Vaterland für den Dichter nimmt B. die Küste Kleinasiens
an, da Euböa für den Dichter die „entfernteste14 Insel (Od. VII 322
%f(V nsq tTjloTccToo q>ao' €[i[A€Vcu) und Syra jenseits über Delos
hinaus nach Westen liegt. So kann nur ein in Asien wohnender
Grieche sprechen, nicht ein Europäer. Unter den Städten am
Fesllande von Asien ist wiederum keine, die mehr Anspruch auf
den Dichter erheben könnte, als Milet, die bedeutendste Handels-
stadt im 9. und 8. Jahrhundert, wo ganz besonders auch Fremde
zusammenströmten. Hierher waren nach Herodot auch Kadmeer,
gräzisierte Phönizier, mit den Pyliern ausgewandert. Thaies, der
erste griechische Philosoph, soll nach Diogenes Laertius (1 22)
einer solchen Familie angehört haben. Die Pylier aber haben
stets die Verbindung mit dem Mutterlande aufrecht erhalten; sie
kannten auch die westlichen fnseln Griechenlands, als deren letzte
Ithaka (s. u.) vor dem weilen, insellosen Meere galt, und mochten
gern die Sage verbreiten, daß nur einmal ein kuhner, verschlagener
Ithakesier aus diesem Meere zurückgekehrt sei nach bis dahin
unerhörten Abenteuern. Wenn an ihren Höfen die Odysseuslieder
gesungen wurden, dann begreift man auch die große Rolle, welche
Nestor und seine Söhne in der Odyssee spielen.
Das Gedicht wurde vom Dichter sofort aufgeschrieben. Denn
daß die Schrift im 9. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung schon
bei den Griechen bekannt und in umfangreicher Weise verwendet
worden ist, daran läßt sich nach den neuesten Funden nicht
mehr zweifeln. War sie doch schon viel länger bei den Ägyptern
und Phöniziern in Gebrauch, deren starke Einwirkung auf die
kleinasiatischen Völker B. im engsten Anschluß an Maspero (Bist,
ancienne II p. 220 u. ff.) in dem Schlußkapitel seines umfang-
reichen Werkes schildert. Wenn auch in allen diesen Fragen
noch lange nicht das letzte Wort gesprochen ist, wir im Gegen-
teil eher am Anfange einer neuen Betrachtungsweise des homeri-
schen Lebens stehen, so verdient dieses Werk des Verfassers
doch trotz vieler Wunderlichkeiten Beachtung unter allen Homer-
forschern.
^
Homer, von C. Rothe. 161
7) E. Aßmano, Das Floß der Odyssee, sein Bau and sein phoinikischer
Ursprung. Berlin 1904, Weidmaunsche Buchhandlung. 31 S. gr.8. 0,60^.
— Vgl. Lit. Zentralb). 1904 Sp. 722 (Drerup); JH. Jahrb. f. d. klass.
Altert. 1904, 13. und 14. Bd., H. 8, S. 599 (P. Cauer); Marine-Ruodsch.
1904 S. 610-615; WS. f. klass. Phil. 1904 Sp. 617—621 (Chr. Härder);
Berl. phil. WS. 1905 Sp. 81—86 (M. C. P. Schmidt); Rev. crit. 1905
S. 63 (Hubert).
A. verwirft die bisherigen Erklärungen der Homerischen o%edia,
namentlich die Auffassung von Breusing, der darin ein „Block-
schiff" sieht, und glaubt, daß es ein wirkliches Floß, bestehend
aus roh zusammengefügten Balken mit einem erhöhten „Verdeck"
zum Schutze gegen überschlagende Wellen, gewesen sei. Solche
Flöße seien bei den Griechen nicht üblich gewesen, wohl aber in
alter wie in neuerer Zeit am Persischen Meerbusen und an den
Küsten des Roten Meeres, d. h. im Landgebiete der Semiten,
deren hervortretendste Vertreter zur See die Phönizier waren. Das
Floß des Odysseus weise also auf phönizischen Ursprung wie so
vieles in der ältesten griechischen Sage und, was noch bezeich-
nender sei, in der Sprache. A. führt eine große Zahl griechischer
Wörter an, für die eine griechische Wurzel nicht vorhanden sei,
wohl aber eine semitische (s. o.). Wichtig ist, daß dabei nicht
nur Aphrodite, was man längst angenommen hat, sondern auch
ihr Gatte, Hephaistos, zu einem Semiten gemacht wird, da seine
Attribute allein durch semitische Wörter (z. B. das Homerische
nvqinvooq = sem. phuach, im Hiphil „hephiach" = anblasen)
eine Erklärung finden. Auch Poseidon wird den Phöniziern zu-
geschrieben: er ist der Baal von Sidon, d.h. ein Fischergott.
Denn Sidon war im Altertum berühmt durch seinen Fischreichtum.
Die enge Verbindung aber zwischen Poseidon und Sidon wird
durch die Sage bezeugt; denn Poseidon ist der Vater des Königs
Agenor von Sidon, Großvater des Kadmos. Auch der bisher un-
erklärte Beiname r*latog, den er auf einer rhodischen Inschrift
trägt, weist auf semitischen Ursprung. Denn gillu heißt im Assyri-
schen die Meeresflut, Welle, und gallu „wogend" ist ein Beiwort
des Meeres.
Die Sage weist ferner die Erfindung des Floßes dem König
Erythras auf den Inseln des Roten Meeres zu: von hier gelangte
es nach Tyrus und Arados, an der Ostküste des Mittelmeeres, von
wo wieder der tyrische Herakles auf einer öx^dia ins Ionische
Meer fuhr und in Erythrä, gegenüber der Insel Chios, landete.
„Dort ward noch in späten Zeiten das von allen griechischen
Typen abweichende, ägyptisierende Götterbild auf hölzerner <s%€dia,
auch ein Tau derselben, aufbewahrt (Paus. 7, 5, 5—8)". Und so
führt A. noch eine Reihe Sagenzüge an, um die Ansicht zu be-
gründen, daß die Griechen nicht nur das Floß des Odysseus,
sondern auch vieles andere den Phöniziern entlehnten. Ihren
Einfluß leugnen zu wollen, ist schon bei dem jetzigen Stande
der Untersuchung unmöglich; freilich darf man ihn auch nicht
Jahimberieht« XXXI. \\
162 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
übertreiben. Ich kann diese Schrift den Fachgelehrten nur
empfohlen.
Ähnlich ist der Standpunkt von
8) M. P. Jensen, Das Gilgamisepos. S.-A. aas der Zeitschr. f. Assyrol.
XVI, 1 Sp. 125—133. Straßburg 1902* — Vgl. DLZ. 1902 Sp. 988/989
(£. Maaß).
Auch J. weist auf die auffallenden Ähnlichkeiten der griechi-
schen Odysseussage mit semitischen Sagen, namentlich dem
Gilgamisepos, hin, doch ist er vorsichtig genug, nicht ohne weiteres
„Entlehnung" zu behaupten: „Die Annahme einer Parallelität
zwischen Gilgamisepos und Odyssee bedingt durchaus nicht
eine weitere, daß die Gestalten der Odyssee fremden,
babylonischen Ursprungs sind. Vielmehr schließt sie deren
griechischen Ursprung in keiner Weise aus. Ich sage darum
z. B. nur: die Kalypso entspricht der Siduri, sage aber nicht:
die Kalypso ist aus der Siduri geworden, wenn dies auch recht
wohl möglich ist. Wie Babylonisches durch echt Griechisches er-
setzt worden ist, zeigt recht deutlich die Charybdis der Straße
von Messina, die einfach an die Stelle eines Skorpionmenschen
getreten ist, während in dem Phantasiegebilde der Scylla der
zweite fortlebt .... Das griechische Pantheon, der griechische
Kultus und damit Zusammengehöriges sind in erheblichem Maße
von den Babyloniern beeinflußt worden. Die Vermittler sind ver-
mutlich die Phönizier gewesen .... Die starke Wucherung und
Differenzierung der Gilgamissage auf griechischem Boden weist
auf ein hohes Alter ihrer Entlehnung hin".
Dieser Standpunkt wird durchaus auch denen gerecht, welche
(wie z. B. M. Schmidt in der Besprechung von Aßmanns Schrift)
vor zu starker Vorliebe für die Phönizier warnen und der Dichtung
mindestens griechischen Geist und griechisches Gestaltungsvermögen
außer Sprache und Metrum wahren wollen.
B. Die Ithakafrage.
Der Streit um Ithaka als Heimat des Odysseus ist in den
letzten Jahren mit ungewöhnlicher Heftigkeit geführt worden.
Wir wollen hier näher darauf eingehen, da diese Frage auch die
höhere Kritik berührt. Denn einzelne Kritiker berechnen danach
das Alter einzelner Teile der Gedichte, und es spielt weiter die
Frage eine Rolle, ob der Dichter die Örtlichkeit, die er schildert,
selbst gesehen hat oder nicht. Ich gebe zunächst eine kurze
Obersicht über diese Frage, wesentlich im Anschluß an die Zu-
sammenstellung von
9) Draheim, Die Ithaka-Frage. Wisseosch. Beil. des Jahresb. d. Kö'nigl.
Wilhelms-Gyninasiams in Berlin 1903. 4 S. gr. 4.
Die Alten haben Ithaka, soweit wir Kunde haben, ausnahms-
los als die Heimat des Odysseus angesehen. Auch die neueren
**
Homer, von G. Rothe. 163
Reisenden, die es besucht und beschrieben haben, sind dieser
Ansicht gewesen, besonders lebhaft Menge1), Homer und das
Ithaka der Wirklichkeit, Zeitschr. f. d. GW. 1891 S. 52—62, und
in der Schrift: Ithaka nach eigener Anschauung geschildert, Güters-
loh 1891.
Den ersten entschiedenen Zweifel an der Übereinstimmung
der Homerischen Schilderung mit dem wirklichen Ithaka sprach
Hercher aus in dem Aufsatze: Homer und das Ithaka der
Wirklichkeit (Hermes I, 1866, S. 263—280, wiederholt in den
„Homer. Aufsätzen", Berlin 1881). H. leugnete, daß der Dichter
überhaupt die Insel gekannt habe: so wenig passe seine Schilderung
zur Wirklichkeit. Draheim schloß sich in der Besprechung von
C. Jebb (WS. f. klass. Phil. 1894 Sp. 63 ff.) dieser Ansicht insofern
an, als die Beschreibung Homers nicht auf Ithaka passe, sprach
aber meines Wissens zuerst die Vermutung aus, daß wesentliche
Züge (awri de x^cc^al^ navvneqidxri slv all xeixcci) auf Leukas
paßten. „Ich habe mich immer gewundert, daß noch niemand
au der Identität von Ithaka selbst gezweifelt hat. Ihrer Lage
nach kann die später mit diesem Namen bezeichnete Insel nur
das „langhingestreckte" Dulichion gewesen sein: dann haben wir
JovXi%iov T€ 2dfjLfj xe xai vXrieaaa Zdxvv&og beisammen. Die
bisher vergeblich gesuchte Insel Aaxeqiq ist die etwa eine deutsche
Meile von Kephallenia und S. Haura entfernte, und S. Maura eben
Ithaka, napvnsQxdifj nqoq £6(pov, in angemessener Nähe von
Thesprotien {% 270)".
Bald darauf erschien ebenfalls in der WS. f. klass. Phil.
Sp. 697 — 700 ein kurzer Aufsatz von Theodetes Kuruklis aus
Kephalonia, in dem der Verf. ebenfalls entschieden bestritt, daß
das heutige Ithaka die Heimat des Odysseus sei; vielmehr nahm
er dafür das heutige Kephalonia an, während das Homerische Samos
das heutige Ithaka sein solle. „Es wäre nicht unwahrscheinlich,
daß die Nachfolger des Laertiaden ihre Macht verloren, daß die
Ithaker vertrieben wurden und daß sie, um den Namen ihres
Vaterlandes zu bewahren, Same umtauften — oder umgekehrt (?)".
Dulichion war dann Leukas. Für diese Ansicht führt er ebenfalls
eine Reihe von Gründen an, die später von anderen (s. u.) wieder-
holt worden sind. Zu diesem Aufsatze macht Draheim S. 698
die Anmerkung, daß auch er für einen Namenswechsel sei, aber
für den, den er S. 63 angegeben und begründet habe.
1) Von Vorgängern nennt Draheim: Gell, The geography of Ithaka,
London 1807; Schreiber, Ithaka, Leipzig 1829; Thiersch, Briefe aus Griechen-
land, Stuttgart und Tübingen 1832; Rühle von Lilienstern, Über das home-
rische Ithaka, Berlin 1832; Bowen, Ithaka, Corcyra 1850; Gandar, De (Jlyssis
Ithaca, Paris 1854; Schliemaun, Ithaka, der Peloponnes und Troja, Leipzig
1869; Warsberg, Das Reich des Odysseus, Wien 1879; Partseh, Kephallenia
und Ithaka, Petermanns Mitteilungen, Gotha 1890; dazu Reisch in Baedekers
Griechenland und in der Schrift „Ithaka", Wien 1896.
11*
164 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Diese Stimmen wurden zunächst wenig beachtet. Da kam
1900 W. Dörpfeld nach Durchforschung von Thiaki zu dem-
selben Ergebnis wie Draheim und teilte ihm dies zunächst brief-
lich mit, dann entwickelte er seine Ansicht näher in einer Sitzung
des Archäologischen Instituts in Athen. Einen Bericht darüber
erstattete P. Eis n er in der Schlesischen Zeitung (13. April 1900,
Der Herrschersitz des Odysseus) und J. Gallina (Die Theorie
Leukas -Ithaka, Zeitschr. f. d. österr. Gymn. 1901 S. 97—118).
Nach Besprechung der Stelle bei Strabo teilt letzterer Dörpfelds
Ergebnis mit: Ithaka ist Leukas, Dulichion Kephallenia, Samos
Thiaki, Asteris Arkudi. Wie diese beiden Gelehrten, äußerte
sich auch zustimmend W. Bar dt (Das Homerische Ithaka, Idq^ovict
1900 S. 401 ff., mit sechs Ansichten) und Reissinger in
einem Vortrage vor der bayerischen Gymnasiallehrerversammlung
(vgl. Bl. f. d. GSW., 39. Bd., 1903, S. 369 ff.). Ein Referat gab
ferner S. Rein ach (La question d'Ithaque, Revue archäologique
1900, Nov.-Dez., S. 464—466).
Dieser Ansicht widersprach und hielt am alten Ithaka fest
K. Pavlatos (eff älfj&^g^I&dxfj tov'0[iqQov, Patras 1901, zweite
Auflage 1902). G. Lang (WS. f. klass. Phil. 1902 Sp. 1086) tritt
in der Besprechung dieser Schrift der Ansicht des Verf.s bei und
vermutet, daß die unbequeme Insel Dulichion vielleicht inzwischen
landfest geworden sein könnte. Ähnlich äußern sich N. Sa bat
(Ithaka oder Leukas? Symbolae in honorem L. Czwiklinski,
Lemberg 1902, 38 S. mit zwei Karten), H. Michael (Das homerische
und heutige Ithaka; vgl. JB. 1903 S. 311/312).
Diesen gegenüber hat Dörpfeld seine Ansicht noch einmal
entwickelt: 1) in einem Vortrage in der Julisitzung der Archäo-
logischen Gesellschaft zu Berlin 1902 (vgl. den Bericht darüber
in der WS. f. klass. Phil. 1902 Sp. 924—927 und im Sitzungs-
bericht der Arch. Ges. Juli 1902 S. 24—28); 2) schriftlich in
einem Beitrage zu den Melanges Perrot (Paris, Fontemoing 1902
S. 79—93). Mundlich wie schriftlich begründet D. nicht nur seine
Meinung, sondern sucht auch die Namensänderung durch die
Dorische Wanderung und das Vordringen der Kephallenen zu er-
klären. Er erfuhr aber eine scharfe Abfertigung von U. v. Wila-
mowitz, welcher in der Januarsitzung der Archäologischen Gesell-
schaft zu Berlin 1903 ihm vorwarf, „er ignoriere alle Grammatik,
alle Kritik, alle Geschichte, es sei denn, es passe ihm einmal etwas
in seinen Kram" (vgl. den Bericht darüber in dem Sitzungsbericht
d. Arch. Ges. 1903 Nr. 28 S. 5—10).
Darauf hat Dörpfeld in einem längeren Aufsatze (abgedruckt
in den Ber. d. Arch. Ges. Jan. 1904 S. 59—86) geantwortet, in
welchem er die Einwürfe und Gegengrunde von v. W. zu widerlegen
versucht. Im engsten Anschluß an ihn hat die ganze Frage noch
einmal behandelt:
*
Homer, von C. Rothe. 165
10) P. Gößler, Leukas-Ithaka, Die Heimat des Odyssens. Mit
zwölf Laodscbaftsbildero io Lichtdruck and zwei Karte u. Stattgart
1904^ Metzlers Verlag. SO S. gr. 8. 4JC. — Durchaus zustimmend be-
sprochen von W. Becher, Berl. phil. WS. 1904 Sp. 128—134; vgl. ferner
IN. Korrespondenzbl. f. Gelehrten- u. Realschulen Württembergs 1904,
XI 8—10, S. 391 (JNestle); Beil. z. Miinch. Ailg. Ztg. 1904 Nr. 148;
DLZ. 1904 Sp. 1999—2004 (E. Loch); WS. f. klass. Phil. 1904 Sp. 824
—828 (O. Rößner).
Wie Gößler, so stimmen auch P. Cauer (s. u.) und Drerup
(Homer S. 122/123) Dörpfeld unbedingt zu, während V. Berard
(s. o.) in zwei Kapiteln (Le royaume d'UJysse und Periples et
Realites S. 405—540) dieser Ansicht entschieden widerspricht und
das jetzige Ithaka als die Heimat des Odysseus in ausführlichster
Weise und unter Beigabe einer großen Anzahl von Karten und
Kärtchen zu erweisen versucht. Auch B. wirft Dörpfeld willkür-
liche und fehlerhafte Erklärung und Auslegung der Dichterstellen
vor: Je ne puis taire cependant Petrange impression que me
causent les traductions de cet archeologue. Soit pour l'explication
materielle des mots, soit pour Interpretation rationelle des faits,
il semble que M. Doerpfeld ait moins l'habitude de manier les
textes et qu'il merite un peu trop souvent la critique adressee
par Strabon (III 157) „ä ceux qui traitent le Poete comme un
simple terrassier" (S. 409). Als Beispiel führt er an X^sveg
ä[A(fLdv[ioi, das nicht „zwei Häfen" bedeute, sondern einen „Doppel-
hafen'4 (des „ports jumeaux"), der nur eine Bai bilde, nur einen
Zufluchtsort gewähre (vgl. TUtqui, didvpoi); ebenso sei entschieden
zurückzuweisen die Auffassung der homerischen Redensart ov
fiep yag %i er« ns £ö*> dioficu sv&dd' ixstf#a*, die D. im eigent-
lichen Sinne auffasse, während sie doch nur eine „plaisanterie"
sei, wie Pavlatos (s. o.) deren noch mehrere aus dem modernen
Griechisch anführe (Jev tugtsvo) vä tjl&sg (is to &€qo<s%a-
top . . . Mijnoog tjl&sg ry XsyQacptxdigt), und wie sie ähnlich
die wilden Nachbarn der Ägypter noch heute an einen Fremden
richten (Comment avez-vous atteint cette terre? Etes-vous des-
cendus par la voie du ciel ou avez-vous navigue par eau
sur la mer de Tonoutri?). Dieser Ansicht sind alle Erklärer
Homers und auch Michael (a. a. O. S. 13).
Wie ist es nun möglich, daß so verschiedene Ansichten über
eine, wie es scheint, doch nicht so schwierige Frage sich bilden
konnten? Der Grund liegt darin, daß die Darstellung des Dichters,
wie alle, die mit dieser Frage sich beschäftigt haben, zugeben,
in wesentlichen Punkten mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt.
Es sind dies folgende:
1) Der Dichter sagt von Ithaka navvneQxaTri slv all xetTcci
nqog £6(pov — das paßt nicht auf Ithaka, wie ein Blick auf die
Karte lehrt.
2) Der Dichter spricht von vier größeren Inseln, die nahe
beieinander liegen und von einem Kranz kleinerer Inseln um-
166 Jahresberichte d, Philolog. Vereins.
geben sind — es liegen aber in Wirklichkeit nur drei größere
Inseln (Kephallenia, Ithaka und Zakynthos) nebeneinander, die
vierte (Dulichion) ist jetzt nicht mehr nachzuweisen.
3) Der Dichter nennt Ithaka %#a^a^' und verlegt es nahe
an das Festland, da von dort her täglich Vieh (namentlich Ziegen)
herübergebracht werden — Ithaka aber ist jetzt eine felsige Insel,
ziemlich weit vom Festlande entfernt.
4) Der Dichter erwähnt eine kleine Insel (Asteris) mit einem
Doppelhafen, bei welcher die Freier dem von Pylos zurückkehrenden
Telemach auflauern — eine solche ist jetzt weder südlich von
Ithaka noch in dem Sunde zwischen Ithaka und Kephallenia nach-
weisbar.
Zu diesen wesentlichen Abweichungen von der Wirklichkeit
kommen noch mehrere geringere, die nicht so schwer ins Gewicht
fallen und diese oder jene Erklärung zulassen. Den Hauptunter-
schieden gegenüber aber haben die einzelnen Gelehrten nun folgende
Standpunkte eingenommen:
1) Das heutige Ithaka ist nicht das vom Dichter geschilderte,
sondern hat seinen Namen erst später erhalten. Das ursprüng-
liche Ithaka war Leukas (Draheim1), Dörpfeld, Gößler) oder
Kephallenia (Kuruklis; s. o.).
2) Der Dichter kennt den Westen Griechenlands nicht per-
sönlich; er hat davon nur eine ganz unklare Kenntnis, die meisten
Schilderungen sind reine Gebilde der Phantasie, denen die Wirk-
lichkeit nicht entspricht (Her eher, v. Wilamowitz).
3) Der Dichter kennt zwar die geschilderte örtlichkeit nicht
aus eigener Anschauung, hat aber für seine Darstellung eine
genaue Beschreibung aller dieser Gegenden benutzt und bei dieser
Benutzung einige begreifliche Irrtümer begangen (V. Berard).
4) Die Gegend, in welcher die Handlung spielt, hat sich,
vielleicht infolge von vulkanischen Erschütterungen, im Laufe der
Zeit erheblich verändert, Inseln sind teils verschwunden, teils
Festland geworden (G. Lang, z. T. auch Michael).
5) Die Schilderung rührt nicht von einem Dichter her,
sondern von verschiedenen, die nicht alle gleiche Kenntnis von
den wirklichen Verhältnissen hatten (Michael, z. T. auch Dörpfeld
und Drerup).
Wie es bei diesen grundverschiedenen Ansichten möglich sein
soll, zu einer Einigkeit über die beiden Hauptfragen zu kommen
(nämlich : Kennt der Dichter die örtlichkeit, die er schildert, oder
nicht? Ist Ithaka die Heimat des Odysseus oder Leukas?), ist
vorläufig nicht abzusehen, und ich kann den Optimismus Gauers,
der glaubt, daß Dörpfelds Ansicht bald allgemeine Auffassung sein
werde, nicht teilen. Denn zu den so verschiedenen Möglichkeiten,
*) Es muß Draheim durchaas das Verdienst bleiben, diese Vermutung
zuerst aufgesprochen zu haben; Dörpfeld hätte dies mehr betonen sollen.
*
Homer, von C. Rothe. 167
die Abweichung der dichterischen Schilderung von der Wirklich-
keit zu erklären, kommt noch eine, die kaum einer dieser Ge-
lehrten mit voller Schärfe betont hat, obwohl sie doch durch das
Verfahren aller Dichter, alter wie neuer Zeit, sicher erwiesen ist:
es ist das gute Recht des Dichters, die Örtlichkeit, die er genau
kennt und auch im allgemeinen richtig schildert, nach den Be-
durfnissen der Handlung zu gestalten. Wenn z. B. (vgl.
o. 4) der Dichter eine Stelle zu einem Hinterhalte braucht, so
kann er sich sehr wohl eine solche erfinden und eine kleine Insel
annnehmen und benennen, obwohl er weiß, daß diese in Wirk-
lichkeit nicht vorhanden ist.
Sehen wir nun, wie Dörpfeld und, ganz in Übereinstimmung
mit ihm, Gößler die von Draheim aufgestellte Vermutung näher
begründet haben. Um Wiederholungen zu vermeiden, werden
wir bei jedem Punkte sofort auch die Einwendungen, die v. Wila-
mowitz und Berard gemacht haben, und was wir selbst für un-
richtig halten, vorbringen1). Der Dichter, der nach Dörpfelds
wohlbegründeter Ansicht den Westen von Griechenland genau
kennt, nennt an der wichtigsten Stelle * 22 — 27 vier Inseln, und
zwar in folgender Reihenfolge: fthaka, dann ein Inselpaar Dulichion
und Same und zuletzt Zäkynthos. Ithaka soll zuoberst nach dem
£6(pog hin liegen. Der toifog ist der Westen (Berard genauer
der Nordwesten): alles stimmt, wenn Leukas als die am weitesten
nach Westen liegende Insel angenommen wird. Die Auffassung
der Alten ging dahin, daß Griechenland vom Korinthischen Meer-
busen aus sich genau nach Westen erstrecke. Dann ist Leukas
wirklich die „westlichste" Insel. Insel sei aber Leukas in alter
Zeit gewesen; erst später habe sich eine „Nehrung" vorgelegt,
welche von den Korinthern durchstochen sei. Während Gößler
durch eine Reihe von Karten und sorgfältige Beschreibung des
Geländes diese Behauptung zu stützen versucht, bekämpft sie
Berard und meint, daß Leukas immer nur als Vorsprung von
Akarnanien gegolten habe, daß eine Durchfahrt hier nie vorhanden
gewesen sei, daß der Kanal, der hier durchstochen sei, nie der
Hochschiffahrt gedient habe, sondern wahrscheinlich nur ein Graben
zum Schutze der Einwohner gegen die räuberischen Festlands-
bewohner gewesen sei. Tatsächlich hätten auch die Handelsstädte
nie etwa in der Mitte des Kanals, sondern im Altertum im Süd-
hafen, im Mittelalter (seit der Blütezeit der Venetianer) im Nord-
hafen gelegen. Für unsere Frage ist dies ziemlich gleichgültig, da
Leukas sehr wohl, wie v. Wilamowitz unter Hinweis auf die
„Pelopsinsel" richtig bemerkt, „Insel" genannt werden konnte, ob
l) Meine Einwände decken sich zum größten Teile mit denen, die
P. Corssen in einer Versammlung des Philo 1. Vereins zu Berlin gegen D. er-
hoben hat; da ein Referat darüber nicht besteht, ist es mir in jedem ein-
zelnen Falle unmöglich zu sagen, was von C. und was von mir herrührt;
jedenfalls will ich C.s Verdienst nicht schmälern.
16g Jahresberichte d. Philolog. Vereint,
es einen schmalen Isthmus hatte oder nicht, oh der Kanal zur
Durchfahrt benutzt wurde oder nicht. Auf navvnequcnfi nqöc
£6(pov geht aber v. W. gar nicht weiter ein, während Berard
eine äußerst künstliche Erklärung gibt. Er glaubt, daß Ithaka in
allen Punkten genau der Homerischen Darstellung entspricht, weist
im besondern die vier in der Odyssee erwähnten Häfen genau
nach (s. u.) und hält auch den Ausdruck narvnsQiccTtj für voll-
kommen berechtigt vom Standpunkt der Schiffer, die vom Süden
kamen (Phönizier) und hier im Nordhafen von Ithaka (am Nord-
ende des Sundes zwischen Kephallenia und Ithaka) die letzte Rast
machten, ehe sie sich in das große Meer (nach Italien hinüber)
hinauswagten. Denn Korfu lag außerhalb der Route.
Ebenso glaubt Berard die vierte Insel sicher in dem heutigen
„Meganisi", östlich von der Südhälfte von Leukas, zu erkennen.
Der langgezogene Südrand der Insel rechtfertige die Bezeichnung
„Dulichionu (vgl. dofaxoaxiov syxog), sie sei noch heute reich an
Getreide (heißt doch ein Dorf Je Bourg des moissons" S. 441),
da sie nicht felsig, sondern nur hügelig und mit fruchtbaren
Ebenen gesegnet sei. Indes diese Insel ist, wenn auch größer
als die einzelnen Inseln der Echinaden, doch sehr klein im Ver-
hältnis zu den drei „größeren" Inseln — und doch soll gerade
Dulichion nach Homer (n 247 — 251) beinahe ebensoviele Freier
gestellt haben als die übrigen drei Inseln zusammen-
genommen (52:56), viermal soviele als das wenigstens noch
einmal so große Ithaka. Und wenn B. diese auffällige Tatsache
einigermaßen dadurch zu erklären sucht, daß Ithaka mehr Krieger
geliefert habe, die Fürsten von Dulichion dagegen aus Bequemlich-
keit lieber zu Hause geblieben wären, so findet diese Erklärung
bei Homer keine Stütze, widerspricht vielmehr der Homerischen
Naivität; denn der Dichter, der Dulichion bei weitem die größte
Anzahl Freier gibt, dachte sich sicher auch Dulichion als die
größte der vier Inseln. Deshalb ist auch Michaels Ansicht, daß
Dulichion ursprünglich der kleine westliche Vorsprung von Kephallenia
gewesen sei, nicht ausreichend zur Erklärung, wenn man nicht
größere Veränderung durch Naturgewalt annimmt.
In dieser Beziehung ist also jedenfalls die Dörpfeldsche An-
nahme, daß Leukas Ithaka und Kephallenia, die größte der vier
Inseln, Dulichion sei, der Annahme B.s weit vorzuziehen. Wie
aber steht es mit der oben unter 2) angegebenen Abweichung?
Ithaka soll y^a^oXri sein, es ist aber bergig und der höchste
Gipfel fast 800 m hoch. B. sucht auch diese Bezeichnung durch
die Schiffersprache zu erklären: Ithaka ist zwar an sich nicht
niedrig, wohl aber im Vergleich mit der nur durch einen schmalen
Sund getrennten Insel Kephallenia, deren höchste Gipfel fast noch
einmal so hoch sind (1590 m). Noch in den neuesten Instructions
nautiques wird Same-Kephalene das „hohe" genannt — freilich
nur, wenn man von Südosten in den Kanal von Ithaka eintritt;
^
Homer, von G. Rothe. 169
für die, welche von Nordwesten kommen, wird umgekehrt Ithaka
als das hohe, Kephalene als das niedrige bezeichnet. Nun gibt
aber Odysseus die Erklärung von dem Ithaka x#a^aAiy gerade
den von Norden (nach B. von Korfu) kommenden Phäaken, mußte
sie also geradezu irreführen. Besser ist die Erklärung von
Partsch, der Michael S. 8 zustimmt, daß, von der Nord Westküste
des Peloponnes gesehen, Ithaka „neben den Bergen des nahen
Zante und dem hohen Berge Kephalonias niedrig'4 erscheine.
Dörpfeld findet dagegen für %^a\k,ak^ eine Erklärung, die nur
Gößler unbedenklich angenommen hat, die aber Berard wie
v. Wilamowitz entschieden zurückweisen1). Er glaubt, daß %&a-
lialrj xsZtcu „im niedrigen, d. h. flachen Meere gelegen44 heißt,
also „nahe dem Festlande44. Diese Auffassung verteidigen D. und
G. gegen die gemachten Einwände nicht nur durch den Hinweis
auf Strabo (S. 454, 12 i^fjyovvtai ov xaxoog* ovxb yctq x&apatyv
d£%ovxcu TansivijV ivTCtvd'a, älld 7Tq6<;%(x>qov t$ fjnsiQW
iyyvrdvco ovöav avtijg), sondern auch durch den Gebrauch der
heutigen Volkssprache: die griechischen Inselbewohner sollen noch
heute von einem Schiffe, das sich dicht an der Küste befindet,
sagen, es fahre %atir{ka, und als Gegensatz dazu vipfjXd, wenn
es im hohen Meere ist. Doch beweist diese Ausdrucksweise nicht
viel, da bei diesem Ausdruck weniger die Seichtigkeit oder Tiefe
des Meeres in Betracht kommt als die bekannte Erscheinung, daß
das Meer in der Ferne anzusteigen scheint (vgl. „in altum vehi"
und unser „fahret auf die Höhe44). Noch unglücklicher aber ist
der Hinweis auf x 196 und seine Begründung (Sitzungsb. der Arch.
Ges. 1903, H. 1, S. 70/71 und Gößler S. 35/36). Hier wird von
der Insel der Kirke dasselbe gesagt wie von Ithaka: avzrj de
X^-ccfialfj xeTicci. Dörpfeld fragt: „Was wissen wir von der Insel?
Odysseus ist, vom Sturme verschlagen, nach achttägiger Fahrt,
also über die hohe See, zum Lande der Lästrygonen gekommen.
Von dort fährt er abends ohne Sturm ab und verläßt somit die
Küste nicht, denn das tut der antike Schiffer bekanntlich ohne
Not nicht. Noch in derselben Nacht kommt er an die Insel der
Kirke, die mithin nicht auf hoher See, sondern nahe an der
Küste, nicht weit vom Lande der Lästrygonen sein muß44. An
dieser Darstellung ist so ziemlich alles irrig. Denn 1) ist Odysseus
ins Land der Lästrygonen nicht „vom Sturme verschlagen44, sondern
bei völligster Meeresslille gekommen; 2) ist nirgends gesagt, daß
sich „des Lamos hohe Stadt44 auf dem Festlande befindet; 3) segelt
Odysseus von da nicht „abends44, sondern am Vormittage oder
spätestens um die Mittagszeit ab, und nirgends ist gesagt, daß er
„die Küste entlang fährt44, sondern man muß annehmen, daß er,
wie an den vorangehenden sechs Tagen, über das offene Meer
l) Ebenso Corssen (s. o. S. 167 Anm.) unter Zustimmung der Ver-
sammlung.
170 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
fährt1). Endlich beweisen die Verse x 196 u. f. gerade das Gegen-
teil von dem, was D. will, nämlich daß x&tputy offenbar „niedrig",
wie v. W. will, d. h. sich wenig über das Meer erhebend, heißt,
nicht aber „nahe am Lande". Denn von einer steilen Warte
kann Odysseus die ganze Insel übersehen: zrjv niqi, novtoq
äneiQirog iöTecpccvcoto' ccvvij de %d,aiiaX'q xetrcu. Wie man
diese Worte deuten kann: „die Insel ist vom weiten Meere um-
geben, aber mit einer Seite nahe am Lande'S ist mir unverständ-
lich. Denn nsgieöTscpavooio kann gar nicht anders aufgefaßt
werden als „von allen Seiten umgeben", und die nächsten Worte
fügen eine weitere Eigenschaft der Insel hinzu: die Insel ist flach,
im Gegensatz zu der Warte, die Odysseus besteigt. Diese Be-
zeichnung ist nicht „überflüssig", wie D. glaubt, sondern sie be-
gründet, daß Odysseus von der Warte aus, trotz des Waldes, Rauch
von der Mitte der Insel hat aufsteigen sehen.
Wie wir so die Deutung D.s von x#c*fMxA«f ablehnen müssen,
so folgt auch aus andern Stellen nicht sicher, daß der Dichter
sich die Insel Ithaka, wie Dörpfeld glaubt, ganz nahe am Fest-
lande denkt. Nach £ 100 befanden sich die meisten Herden des
Odysseus auf dem Festlande, und noo&fiijeg vermittelten den
Verkehr mit der Insel (v 187). Da nun Philoitios eine Kuh
bringt, während auf Ithaka nur Ziegen und Schweine Nahrung
fanden, dieser aber auf einer Fähre übergesetzt wird, so folgert
Dörpfeld allerdings mit Recht gegen v. Wilamowitz, der dies
leugnet (a. a. 0. S. 7: „Woher Philoitios kam, das steht da: aus
der Gemeinde der Kephallenen. Daß die auf dem Festlande
wohnten, ist nirgend bezeugt"), daß er vom Festlande kam. Zur
Bestätigung dieser Ansicht weist D. noch auf die Worte v 219
hin, in denen der Dichter die Überlegung des Philoitios schildert,
mit seinen Herden zu fremden Menschen zu ziehen. „Auf dem
Festlande war dies leicht möglich, auf einer Insel wie Kephallenia
aber schwerlich" (S. 74). Berard (Bd. II S. 452 u. f.) behauptet
dagegen, daß alle diese Angaben gerade gut auf Ithaka paßten,
das heute noch im Norden Ziegen, im Süden Schweine nähre2),
und daß bis heute die Gemeinden von Ithaka wie der übrigen
Ionischen Inseln Land auf dem Festlande besäßen und von dort
ihr 'gros betau' bezögen. Derselben Ansicht ist auch Michael,
der noch auf 6 637 hinweist, wo der Ithaker Noemon erzählt, er
habe zwölf Stuten in Elis auf der Weide, also etwa 90 km von
Ithaka entfernt. Freilich dürfe man Ithaka nicht noch weiter
nach Norden, nach Leukas, verlegen, weil für dieses andere Weide-
l) Dies nimmt auch Berard an, der das Land der Lästrygonen an der
Meerenge von Bonifacio anf Sardinien, die Insel Kirke aber am Kap Cireei
sacht.
3) Er will deshalb v 246 ßovßorog in ovßoiog ändern, freilich mit
einem metrischen Fehler, da av- sonst als Kürze in diesen Verbindungen ge-
braucht wird.
Homer, von C. Rothe, \PJ[
platze näher lägen. So läßt sich in dieser Hinsicht eine sichere
Entscheidung nicht fallen.
Als Hauptstutzpunkt für seine Ansicht fuhrt aber Dörpfeld
folgendes an : 1) £ 334 u. ff. erzählt Odysseus, daß er auf seiner
Fahrt von Thesprotien nach Dulichion an Ithaka vorbeigekommen
sei und hier den Seeräubern entflohen sei; dies stimme sehr gut,
wenn Leukas Ithaka und Kephallenia Doulichion sei; 2) d 844
— 47 wird die Insel Asteris, bei der die Freier Telemach auf-
lauern, als zwischen Ithaka und Same liegend bezeichnet, und
zwar als eine nicht große Insel, aber doch mit einem Doppelhafen,
der Schiffe aufnehmen kann, versehen. Eine solche Insel läßt
sich im Sunde zwischen dem heutigen Ithaka und Kephallenia
nicht nachweisen, wohl aber im Sunde zwischen Ithaka und Leukas,
nämlich Arkudi. Auf diese Insel als bedeutungstoll hat bereits
Draheim (s. o.) hingewiesen, und ihre Bedeutung betonen auch
Gößler (S. 50/51) und Drerup (S. 122/23); ja selbst Berard sagt
(S. 483): (c'est) le seul argument solide . . . que Ton puisse in-
voquer ä l'appui des theories de M. Doerpfeld, und was er da-
gegen vorbringt, ist allerdings wenig überzeugend. Es soll näm-
lich die kleine Insel Daskalio im Nordsunde von Ithaka das homeri-
sche Asteris sein, der „Doppelhafen" aber der Hafen Guiscard auf
Kephallenia in der Nähe von Daskalio sein, und deshalb entweder
d 846 ipl in snl (=in der Nähe von A.) verändert oder ein Irr-
tum des Dichters in der Benutzung seiner Quelle angenommen
werden. Wir wurden dieser Erklärung gegenüber Dörpfeld un-
bedingt beistimmen, wenn nicht Michael (a. a. 0. S. 14) zeigte,
daß Arkudi durchaus ungeeignet sei, um sich hier auf die Lauer
zu legen, Daskalio dagegen sehr geeignet (s. auch S. 67 o.). So
ist auch danach eine sichere Entscheidung nicht zu treffen.
Wie soll man sich endlich die Vertauschung der Namen und
die auffallige Tatsache erklären, daß Ithaka in so vielen Punkten,
wie Michael und Berard, in Übereinstimmung mit der ausfuhrlichen
Beschreibung von Partsch, u. a. nachweisen, mit der homerischen
Schilderung der Insel übereinstimmt? Wie in letzterer Beziehung
Dörpfeld die Lage der Stadt, das Landgut des Laertes, die Be-
hausung des Eumaeus mit Koraxfelsen und Arethusaquelle auf
Leukas verlegt, vermag mich gegenüber den Darlegungen seiner
Gegner nicht zu überzeugen. Die Änderung der Namen aber wird
so erklärt: die Kephallenen wohnen nach v 211 (s. o.) nur auf
dem Festlande gegenüber von Ithaka; erst später finden wir sie
auf Dulichion, dem heutigen Kephallenia. Sie sind während der
Dorischen Wanderung aus ihrer Heimat vertrieben und nach der
Insel Dulichion hinübergewandert (warum nicht nach Ithaka?).
Zugleich wurden vermutlich auch die Bewohner des alten Ithaka
(Leukas) von den Doriern aus ihrer dem Festlande nahen Heimat
vertrieben und fuhren nach Same (Ithaka) hinüber und gründeten
dort die Stadt Ithaka, welche später der ganzen Insel den Namen
172 Jahresberichte d. Philo log. Vereins.
gab. Die alten Bewohner von Same bauten auf der Nachbarinsel
Dulichion die Stadt Same, nach der im Schiffskatalog (B 634) die
ganze Insel Sa mos genannt ist. Denn der Schiffskatalog hat,
ebenso wie co (355, 37S, 429), das geographische Bild nach der
Dorischen Wanderung vor Augen, während, nach D., die älteren
Teile der Ilias und Odyssee die vor dorische Zeit schildern.
Auch gegen diese Annahme erheben sich schwere Bedenken.
Die ältesten Teile der Odyssee nicht nur, sondern so ziemlich die
ganze Odyssee mit Ausnahme von « werden damit in außer-
ordentlich hohe Zeit, nämlich vor die Dorische Wanderung hinauf-
verlegt. Wenn wir aber auch von dem eigentlichen Nostos ab-
sehen wollten, dessen Erzählungen auf uralte Schiffermärchen
(phönizische, wie Berard, kretische, wie Drerup a. a. 0. S. 131
annimmt) zurückgehen könnten, so machen doch alle übrigen
Teile der Odyssee (die Telemachie und besonders Odysseus auf
Ithaka) einen ganz „modernen41 Eindruck: von dem alten epischen
Stil ist hier wenig mehr zu merken. Es tritt, wie Römer aus-
geführt hat (vgl. JB. 1902 S. 304) und wie besonders auch
Zuretti (Hom. 11. VI. Bd. S. VIII u. ff.) betont, um den Vorzug der
Ilias vor der Odyssee zu beweisen, das bürgerliche Leben, der
„kleine Mann" ganz unverhältnismäßig gegenüber den gewaltigen
Erscheinungen des alten Epos hervor. Es scheint deshalb un-
möglich, die Odyssee in so frühe Zeit zu verlegen, ganz abgesehen
davon, daß, wie Michael S. 10 bemerkt, der Name der Insel
Kephallenia vollständig unerklärt bliebe. Denn Dulichion, das später
nach Dörpfeld Kephallenia genannt worden sein soll, gehörte nach
dem Schiffskatalog ja gerade nicht zum Kephallenenreiche, über das
Odysseus herrschte. Um diesen Schwierigkeiten zu entgehen,
versucht Cauer (N. Jahrb. S. 16) einen anderen Ausweg, der frei-
lich meiner Ansicht nach nur die Schwierigkeiten erhöht: der Verf.
des Schiffskataloges soll auch noch die vordorischen Verhältnisse
voraussetzen. Danach umfasse das Reich des Odysseus: Ithaka
(Leukas), Krokyleia, Aigilips, Zakynthos, Samos (Ithaka). Zwar
wird die sehr anstößige Bezeichnung *ld-ä*riv xai Nfanov rfvotii-
ipvXlov (B 632) dabei als Koordinierung des Ganzen mit seinem
Teile (vgl. B 615 BovnqdfSiOvcs xaV'Hhda) gewiß ansprechender
als von Dörpfeld erklärt, der NiJqiiov hier als Bezeichnung von
Leukas auffaßt, aber es bleibt nun vollends unerklärlich, welche
Ereignisse den Namenswechsel der Inseln hervorgerufen haben,
und wenn Kephallenia (-Dulichion), wie Cauer will, zum Reiche
des Meges (B 627), des Herrn der Echinaden, gehört, so erhält
dieses Reich eine ganz auffallende Form, weil sich Ithaka (-Samos)
dazwischenschiebt. So täte man besser, mit Drerup hier eine
auf Unkenntnis des Verf.s des Katalogs beruhende Verwirrung der
Namen anzunehmen; indes darf doch nicht verschwiegen werden,
daß auch der Verf. des Hymnus auf Apollo Pythius (V. 250 ff.)
nach Dörpfeld noch die vordorische Lage und Bezeichnung der
Homer, von C. Rothe. 173
Inseln kennt, wenn er sagt, daß für den Beschauer, der auf der
Küste von Elis steht, sichtbar wurde Ithakas steiler Berg: xai
Gtpiv vnix V€(p6(av 'I&dxtjg %' oqog alnv n&yavTO JovXi%i,6v %s
Zapfl %€ xai vkijeööa Zäxvv&og. Diese Worte sollen nur ver-
ständlich sein, wenn unter dem oqog alnv, der unter den Wolken
auftaucht, der von Leukas gemeint sei; des heutigen Ithakas
Berge seien von Elis aus kaum von denen Kephallenias zu unter-
scheiden. Ist dies so, so ist die Stelle, auch wenn sie, wie v. W.
meint, „notorisch erst am Ende des siebenten Jahrhunderts ent-
standen ist4', doch äußerst merkwürdig; freilich wird dann die
Namensvertauschung immer auffälliger; deshalb legt Gößler S. 46
kein Gewicht auf diese Stelle.
Fassen wir nun all das Gesagte zusammen, so können wir
wohl nicht anders als erklären, daß bis heute die Sache noch
„sub iudice" ist. Gern möchte man als eine der vier Inseln
Leukas betrachten, und zwar die, welche navvnsqxdxri slv all
xeTxai, nqog £6(pov. Andrerseits aber spricht gegen diese An-
nahme nicht nur die Schwierigkeit, sich die Namensänderung zu
erklären, sondern auch die genaue Übereinstimmung des heutigen
Ithaka mit der homerischen Darstellung in einer solchen Fülle
von Einzelheiten, daß man gar nicht an Leukas denken kann.
Ich hebe nur hervor: die Lage der vier Häfen, die in der Odyssee
von der Insel erwähnt werden, die Behausung des Eumäus (mit
dem Koraxfelsen und der Quelle Arethusa), die Entfernung dieser
Behausung von den beiden Häfen, an denen Odysseus und
Telemach gelandet sind, und ebenso von der Stadt, die Lage dieser
Stadt im Norden der Insel und, nur durch einen Bergrücken
davon getrennt, das Ackerland des Laertes, die Entfernung der
ganzen Insel von Pylos (am Alphäus gelegen, nicht das bekannte
Pylos, vor dem die Insel Sphakteria liegt, wie B6rard bewiesen
hat), eine Entfernung, die noch heute „eine Segelbarke bei be-
sonders günstigem Winde in der (von Homer bei Telemachs Reise)
angegebenen Zeit zurücklegen kann*4 (Michael S. 16), während sie
für das 30 km nördlicher gelegene Leukas viel zu groß wäre,
ferner die Epitheta, von denen Michael besonders äpcfialog,
TQfjxela und naiTtaXosGGa hervorhebt, da diese auf Leukas gar
nicht passen, ebenso wie die Schilderung, die Telemach dem
Menelaos von der Insel gibt, um zu begründen, weshalb er das
Gespann Rosse nicht annehmen will, und einiges andere. Jeden-
falls geht aus dieser Obereinstimmung hervor, daß der Dichter
die Lage der Inseln kennt, und wenn nicht alles stimmt, so ent-
schuldigt ihn die Freiheit, die der Dichter hat, die Örtlichkeit
nach den Bedürfnissen der Handlung zu gestalten. Ich würde
dahin z. B. auch die auffallende Tatsache rechnen, daß Odysseus
von den Phäaken im Phorkyshafen und nicht, wie es natürlich
wäre, im Nordhafen gelandet wird.
174 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Über die bisher behandelten Schriften gibt eine gute Über-
sicht und stellt die Ergebnisse zusammen:
11) P. Cauer, Erfundenes und Überliefertes bei Homer. N. Jahrb.
f. d. klass. Altert. 1904, 13. u. 14. Bd., H. 1, S. 1—18.
Auf sprachlichem Gebiete ist der äolische Grundstock der
Gedichte unbestreitbar. Aber auch die örtlichkeit weise auf
die Äoler hin. Daß die Sage im Mutterlande ihren Ursprung
habe, beweise schon der Olymp, der durch die ganze folgende
Zeit Göttersilz geblieben sei. Die Weiterbildung sei an der klein-
asiatischen Küste erfolgt, und wenn die Besiedlung der Troas auch
wirklich vor dem 7. Jahrh. nicht stattgefunden habe, so spreche doch
nichts gegen die Möglichkeit, daß auch schon vorher von Tenedos
aus erbitterte Kämpfe mit den Festlandsbewohnern geführt worden
seien. Die Kultur und das ganze Leben weise auf die mykenische
Zeit. Es sei ein Fehlschluß von Noack, wenn er glaube, daß die
einfacheren Wohnungsverhältnisse auf nachmykenische Zeit hin-
wiesen, statt anzunehmen, daß das „frühmykenischeu Haus als
fester Typus von den homerischen Dichtern, wie viele Zuge aus
älterer Zeit, beibehalten sei. Schwer sei es, über den Westen zu
urteilen, über die Heimat der Odyssee. Jedenfalls sei der Kern
auch hier im Mutterlande, nicht in Kreta, wie Drerup glaubt, und
auch nicht in Kleinasien naturgemäß zu suchen. Im übrigen
schließt sich Cauer rückhaltlos der Ansicht Dörpfelds an, daß
Leukas das ursprüngliche Ithaka sei (s. o.). Hieran wollen wir
die kurze Erwähnung von zwei Aufsätzen schließen, die mit den
hier behandelten Fragen nur in losem Zusammenhange stehen:
12) R. Fritsche, Die Anfänge des Hellenentnms. N. Jahrb. f. d.
klass. Altert. 1904, 13. u. 14. Bd., H. 8, S. 545 — 565, und H. 9
S. 609—634.
Der Aufsatz enthält eine Reihe geistreicher, aber nicht be-
wiesener Bemerkungen über die Anfange des Hellenentums, seine
Kultur und allmähliche Entwickelung. Reichlich wird dabei auf
die Ansichten anderer Gelehrten hingewiesen. Von diesen haben
zwei eine gewisse Bedeutung für unsere Frage. Einmal sollen
uns (nach R. Turneysens „Sagen aus dem alten Irland" 1901)
die Sagen der Iren die altertümlichsten Kulturbilder geben, in
denen ein indogermanisches Volk sich selbst geschildert hat. „Da
bewirtet der König seinen Schwertadel mit Bier oder Met aus
Trinkhörnern, mit Brot und Fleisch in der geräumigen, aus
Baumstämmen gezimmerten Halle, die den Gästen zugleich
zum Übernachten dient; sie schlafen auf Pritschen, deren
Zahl in einem Falle auf 400 angegeben wird (das ist verständ-
licher, als Noacks Ansicht über Homerische Paläste). Derselbe
Gelehrte weist darauf hin, wie genau das irische Epos in
den Ortsangaben ist. Auffallender aber ist, was Fritsche an
■*\
Homer, vou C. Rotbe. 175
einer anderen Stelle (in Übereinstimmung mit Gruppe, Griech.
Mythologie S. 754) behauptet: Hofdichter im VIII., VII. und
VI. Jahrh. haben aus den Priesterlegenden der (griechischen) Kultur-
stätten eine weltliche Dichtung geschaffen, in der sie die Taten
solcher Fürsten wie Pheidon in Fabelhülle verherrlichten. Das
ist die homerische Welt. Aus einer großen Zahl chthonischer,
den Hades bewohnender Dämonen wurde eine kleine Zahl auf
die Oberwelt, schließlich durch lokrisch-thessalische Sänger auf
den Olymp versetzt. Das sind die homerischen Götter;
denn die Ilias ist erst nach 580 v. Chr. entstanden.
Da Beweise nicht vorgebracht sind, brauchen auch wir uns keine
Mühe zu geben, diese Ansicht zu widerlegen.
13) 0. Inimisch, Die innere Entwickeln ng des griechischen Epos.
Leipzig 1904, B. G. Teubner. 34 S. 8. 1 Ji. — Vgl. Lit. Zentralbl.
1904 Sp. 720 (Drerup).
Immisch denkt sich die Entwickelt! ng des griechischen Epos
insofern ähnlich wie Drerup, als auch er einen Volksgesang als
das ursprungliche annimmt: „Die Zuhörer erwarten vom Dichter
auch gar nicht das Neue, das Unerhörte, das Ureigene. Ein jeder
weiß alsbald, was, und er weiß in der Hauptsache auch, wie der
Sänger singen wird ... Die eigentliche Schöpferin solcher Poesie
ist wirklich die Volksgemeinschaft als solche, und dies ist auch
der Grund für das bekannte Stilgesetz des griechischen Epos,
wonach der Dichter völlig hinter seinem Stoffe verschwindet und
so gut wie niemals in eigener Person das Wort nimmt44. Aber
von Drerup unterscheidet er sich dadurch, daß er einmal als
Stoff des Volksgesanges nur den Mythos „ohne allen geschieht-
liehen Einschlag'4 gelten lassen will, sodann nirgends einen
großen Dichter erwähnt, der schließlich die Epen als Ganzes ge-
schaffen habe, sondern nur von „Sammlern44 oder „Ordnern44
spricht. Neu ist an der ganzen Abhandlung eigentlich nur der
Gedanke, daß das Epos sich fortwährend nur in einer aufsteigen-
den, nicht allmählich wieder absteigenden Bahn, wie allgemein
angenommen wird, befunden habe. Der mehr und mehr sich
geltend machende „Individualismus44 habe den „biotischen1) Stil44
im Gegensatze zu dem heroischen eingeführt und allmählich die
starren Fesseln des Epos gesprengt, bis es auch die Form ver-
lassen und zur lambendichtung übergegangen sei. Es ist schwer,
hierüber ein Urteil abzugeben, da uns die nachhomerischen Dich-
tungen bis auf ganz dürftige Trümmer verloren gegangen sind
und wir uns so auf das Urteil des Altertums verlassen müssen.
Dieses spricht zwar im allgemeinen nicht für die Ansicht des
Verfassers, da Homers Gedichte allen andern vorgezogen werden,
bemerkenswert aber bleibt die Tatsache, daß die Tragiker fast
l) Nach Marius Victorinus, der biotisch nennt „quod in usu vitae et
cotidiana conversatione taxatur".
176 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
ausschließlich ihre Stoffe den kyklischen Epen entlehnten, woraus
man schließen kann, wie auch I. an einem Beispiel zeigt (dem
Waflenstreit zwischen Ajax und Odysseus), daß die Kykliker ihre
Stoffe mehr den Anschauungen einer fortgeschrittenen Zeit an-
paßten, „mehr im realistischen als im heroischen Stil" dichteten.
Ob dadurch aber ihr künstlerischer Wert erhöht wurde, ist doch
zweifelhaft.
Entschieden bestreitet dieses
14) A. Zuretti, Omero L'Iliade. Vol. VI. S. XXI— XXIV. Rom 1905,
Löscher & Co. XI u. 212 S. 8. — Vgl. meine Besprechung in der
WS. f. klass. Phil. 1905 Sp. 113—115.
Zuretti behandelt in der Einleitung die Frage, ob die Uias
oder die Odyssee das künstlerisch wertvollere Gedicht sei und
gibt der Ilias den Vorzug, weil hier Inhalt und Form am vollendet-
sten zusammenpasse. Denn Kampf und Streit, das Eingreifen
der Götter in die Handlung, die Verbindung des Wunderbaren
mit dem Menschlichen bilde echt epischen Stoff, und dies sei der
Inhalt der Ilias; die Odyssee dagegen lasse das Gewaltige vordem
rein Menschlichen zurücktreten und stehe so dem Ende des Epos
und dem Beginn des Romans näher. In der Ilias herrsche mehr
Idealismus, in der Odyssee praktischer Realismus (man brauche
nur Achill mit Odysseus zu vergleichen); aber das sei kein Vor-
zug der Odyssee. Denn für den Wert einer Dichtung komme es
nicht auf ihren praktischen Nutzen an, sondern auf die Begeisterung,
die sie erwecke. — Hierüber werden die Ansichten sehr ausein-
ander gehen, je nach dem persönlichen Empfinden; sicher ist im
Altertum die Odyssee das weniger geschätzte Gedicht gewesen
(vgl. Blaß, Die Interpolationen bei Homer S. 4).
II. Die Komposition der Gedichte.
15) Chr. Härder, Homer. Bin Wegführer zur ersten Einführung in
die Ilias und Odyssee. Mit 96 Abbildungen und 3 Karten in Farben*
druck. Leipzig, G. Freytag und Wien, F. Tempsky 1904. VII u. 282 S.
8. 4,60 JC. — Vgl. Lit. Zentral«. 1904 Sp. 1657/58.
Der Verf. hat bei der Abfassung seines Buches in erster
Linie die Lehrer des Deutschen an Realanstalten und höheren
Mädchenschulen im Auge gehabt, denen er für die Erklärung der
Homerischen Gedichte ein bequemes Hilfsmittel bieten will. Diesen
Zweck hat er insofern erreicht, als er in äußerst gedrängter, im
ganzen klarer Darstellung ein Bild gibt von der Örtlichkeit und
Zeit, in der die Gedichte spielen. Er schildert die Götterwelt
der Griechen in der ältesten Zeit, das Leben des Volkes im Hause,
im Staate, im Kriege und seine Anschauungen und Gebräuche
und hat dabei die meisten Schriften, die in neuerer Zeit über
dieses Gebiet erschienen sind, fleißig benutzt und den Text durch
reichlich beigegebene Abbildungen erläutert, die teils nach beson-
^
— —
Homer, von G. Rotbe. 177
deren Zeichnungen, teils nach den Veröffentlichungen der grund-
legenden Werke über diese Fragen (z. B. Schliemann, Ilios,
Mykene; Perrot- Chipiez, Art de l'antiquite; Baumeister, Denk-
mäler; Heibig, Das Homerische Epos) hergestellt sind. Nötig war
wohl nicht, den Inhalt der beiden großen Epen in diesem Um-
fange (S. 23 — 60) anzugeben, noch weniger aber war eine
„Geschichte der Homerischen Dichtungen" (S. 226—251) erforder-
lich, da Erklärer der Gedichte an den bezeichneten Anstalten
sicher nicht mit den verschiedenen Hypothesen ober die Ent-
stehung der Gedichte, um sie richtig zu erklären, vertraut zu
sein brauchen. Ja ich halte diese Angaben für geradezu gefähr-
lich. Denn wenn einer mit diesen Fragen nicht vertraut ist,
so muß die Ausfuhrung des Verfassers verwirrend wirken, da
er auf der einen Seite als sicher (nicht als bloße Vermutung)
hinstellt, was die zersetzende Kritik (in der Odyssee besonders
v. Wilamowitz, in der Ilias Niese und Christ) glaubt erwiesen zu
haben, auf der anderen Seite aber alle wichtigen Gründe, welche
für die Einheitlichkeit der Gedichte sprechen, ebenso anführt.
Was soll z. B. der in diese Fragen nicht Eingeweihte denken,
wenn er S. 239 liest: „Ilias und Odyssee sind weder das Werk
eines einzigen Dichters noch eine Verarbeitung völlig selbständiger
Lieder. Aber (?) die Arbeitsweise ist in beiden Epen ver-
schieden. Bei der Schöpfung (?) der Ilias hat sich an einen
Kern von geringem Umfange eine Menge Erweiterungen ange-
schlossen, die im Laufe von Jahrhunderten beständig umgestaltet und
zueinander in Beziehung gebracht wurden. Die Odyssee be-
steht aus mehreren größeren Gedichten, die einander beeinflußten
und zuletzt Verschmelzung zu einem großen Epos erfuhren; aus
schon planmäßig angelegten Stucken zusammenge-
arbeitet, ist sie einheitlicher als die Ilias, kunstvoller in
der Schilderung; ihre Sonderung im einzelnen unterliegt größeren
Schwierigkeiten als die der Ilias. Beide Dichtungen sind
zu einem vollkommenen Aufbau nicht geführt worden".
Wie ist es möglich, daß die Einheit in der Odyssee besser durch-
geführt ist, wenn sie aus drei selbständigen planmäßig angelegten
Stücken zusammengesetzt ist, als in der Ilias, die aus einem
Kern enstanden sein soll? Und was soll der unkundige Leser
weiter denken, wenn er an anderen Stellen (S. 244, 250, 251)
von der „einheitlichen" Idee hört, die durch beide Gedichte
hindurchgeht, und von der großen Kunst des Dichters in der
„Gruppierung des Szenen" und seiner „hohen dramatischen Kraft",
während die Erweiterungen des Kerns durch viele erfolgt sind
und der Odyssee drei selbständig angelegte Gedichte, die
doch jedes einen leitenden Grundgedanken gehabt haben müssen,
zugrunde liegen sollen? Wie ließen sich diese drei wieder
unter einen Gesichtspunkt bringen? Den Gipfel der Unklarheit
aber erreicht die Darstellung, wenn S. 243 die Dichtungen mit
Jahresbericht« XXXI. 12
178 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
der „Märchenpoesie, an der zahlreiche unbekannte Kräfte arbei-
teten", verglichen werden. Denn die Märchenpoesie ist schwankend
wie das unendliche Meer, während wir es hier mit einem Strom
zu tun haben, der einen Anfang und ein Ende hat und in be-
stimmten, festen Ufern dahingleitet.
Noch unverständlicher und gleichzeitig unrichtiger ist freilich
S. 243 die Bemerkung: „Die erste Niederschrift, von der
wir wissen, geschah auf Veranlassung des Tyrannen Pisistratos
von Athen im sechsten Jahrhundert und ward die Grundlage für
die späteren Ausgaben". Es genügt, auf unsere Bemerkungen
S. 150 hinzuweisen, um das Verkehrte dieser Behauptung klar zu
machen. Es wäre sicherlich ein Vorteil für das Buch, wenn
solche unerwiesene Behauptungen weggeblieben wären, zumal da
sie für den Zweck des Buches ganz unnötig sind. Denn wenn
auch in der Prima eines Gymnasiums die Frage nach der Ent-
stehung der Gedichte nicht ganz zu umgehen ist, so wird doch
schon hier besser die Kunst des Dichters in der Abfassung be-
tont als auf kleine Unebenheiten hingewiesen; für Realanstalten
und höhere Mädchenschulen aber, die den Dichter nur in einer
Übersetzung lesen, hat die Schilderung des „Flickpoeten1', die
noch dazu nur auf unbewiesener Annahme einzelner Gelehrten
beruht, gar keinen Zweck.
Auf dem von mir eben als richtig bezeichneten Standpunkt
steht:
16) O. Jaeger, Homer und Horaz im Gymnasialunterricht.
München 1905, ßecksche Verlagsbuchhandlung. 211 S. b JC.
Der hochverdiente Schulmann gibt hier jüngeren Kollegen
Anweisung, wie Homer und Horaz fruchtbar auf der Schule be-
handelt werden können. Der Abschnitt über Homer (S. 1 — 153)
ist eine Erweiterung des früheren Aufsatzes des Verf.s „Homerische
Aphorismen" (in Pro Domo S. 177—233; vgl. JB. 1895 S. 16—
18). Er zerfällt in drei Teile: 1) Der Lehrer und die Homerische
Frage (S. 1—33); 2) Gang des Unterrichtes (S. 33-100); 3) Der
Dichter (S. 100—153). Im ersten Abschitte wird in kurzer ge-
schichtlicher Übersicht das Wesen der Homerischen Frage dar-
gestellt, die Bedeutung des Dichters für die Griechen und Römer
und für unsere Literatur hervorgehoben, sein Verhältnis zur Sage
und zum Einzellied (Ballade) an einigen bezeichnenden Beispielen
anschaulich gemacht und gezeigt, wie wenig Widersprüche gegen die
Einheit der Gedichte sprechen. Der Verf. entscheidet sich schließ-
lich für die von Christ für möglich gehaltene, von uns seit langem
vertretene Ansicht, nach der Homer nicht der „Schöpfer des alten
Kernes der Ilias ist'S sondern ein jüngerer, welcher die älteren
und jüngeren Sagen, Erzählungen, Lieder mit allem, was an
Kenntnissen, Anschauungen und Ideen seine Zeit und sein Volk
bot, mit seiner Geisteskraft zusammenfaßte und daraus die beiden
^
Homer, von G. Rothe. 179
großen Epen, Ilias und Odyssee, „zum Abschluß brachte, d. h.
schuf'. Das Wesen der Homerischen Kunst wird dann im zweiten
Abschnitte erläutert, in welchem eine Übersicht über die Hand-
lung der beiden Epen und ihre meisterhafte Entwickelung gegeben
wird, und weiter im dritten Abschnitte, in welchem der Reichtum
Homerischer Welt- und Menschenkenntnis, wie sie besonders die
Gleichnisse verraten, und die Kunst der Charakterisierung der
einzelnen Personen glänzend geschildert wird. Der Verf. macht
hierbei eine Reihe feinsinniger Bemerkungen, die tiefes Verständnis
für die Dichtung verraten. Da diese durchaus meiner Auffassung
entsprechen, wie auch der Verf. wiederholt hervorhebt, so brauche
ich hier nicht weiter darauf einzugehen, sondern bemerke nur,
daß der Verf. allein die zweite Nekyia m 15 — 202 für unhomerisch
hält. Er sieht darin eine plumpe Nachahmung des 11. Buches,
gemacht von einem, der die EmpOndung hatte, „daß der Schluß-
gesang stark gegen das Frühere absticht, verhältnismäßig matt
und dürftig ist'S und deshalb die Wirkung durch dieses Motiv
erhöhen wollte: „eine weitere Tendenz und poetische Absicht,
wie von manchen geschieht, ist darin nicht zu suchen" (S. 63).
Ich habe auf diese Absicht noch einmal im JB. 1902 S. 167 hin-
gewiesen und kann auch jetzt noch nicht finden, daß diese Verse
so sehr von der homerischen Darstellung abweichen, daß wir darin
einen „ganz sicheren Maßstab" für eine Interpolation haben.
17) N. Wecklein, Studien zur Ilias. Halle a. S. 1905, M. Niemeyer.
61 S. lfiOJC.
Wie Römer in dem Verfasser des zweiten Teiles der Odyssee
einen hochbegabten Dichter sieht, der alle Vorgänger in der Kunst
der Darstellung weit überragte, so Wecklein in dem Dichter der
Achilleis. Diese umfaßt die Gesänge A II1—X und bildet nicht
den Kern, der allmählich durch die übrigen Gesänge erweitert
wurde, wie die meisten Kritiker annehmen, sondern ist erst nach
der eigentlichen Ilias, d. h. den Gesängen B— 0, A-—0 gedichtet
worden. Die Ilias hatte durchaus geschichtlichen Inhalt. „Mag
auch die Sage vom Raube der Helena durch Paris und ihre
Wiedergewinnung durch das Brüderpaar Menelaos und Agamemnon
ursprünglich rein mythisch sein, so hat sich jedenfalls ein
historischer Kern von der Belagerung und Eroberung einer Stadt
an den Mythos angesetzt" (s. o.). Der Hauptheld dieser Dichtung
war Aias, der Hektor bei den Schiffen erlegte (vgl. S 409. u, ff.)
und dann die Stadt einnahm. Der Dichter der Achilleis brachte
zu diesem volkstümlichen Stoff einen neuen Geist. Dieser liegt
„in der psychologischen Idee und in der Darstellung inneren
Lebens: die Leidenschaft gegen Agamemnon wird unterdrückt
(vgl. 2 113) durch eine größere Leidenschaft, durch das heftige
Verlangen den Freund zu rächen" (S. 56). Später haben dann
Nachdichter (Diaskeuasten) diese Dichtung durch Zusätze ergänzt
12*
180 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
und die alte Ilias zur Achilleis in engere Beziehung gebracht,
aber auch neue Rhapsodieen, z. B. "ExroQog xcci IdpdQOgidxyg
optXicc, die Sarpedonszenen, die *OnXonoi>ia u. a. hinzugesetzt.
„Danebenher gingen als Interpolatoren die Rhapsoden, welche in
die Gesänge, die sie vortrugen, das einfugten, was ihnen für das
Verständnis ihrer Zuhörer förderlich ... zu sein schien".
Das Ergebnis dieser Untersuchung entspricht in der Haupt-
sache der Ansicht, die ich bereits (Bed. d. Widerspr. S. 35) ent-
wickelt habe, jedoch mit dem Unterschiede, daß ich dem, der die
Achilleis geschaffen, auch im wesentlichen die Tätigkeit zuschreibe,
die W. den Diaskeuasten gibt; ich kann es nicht verstehen, wes-
halb erst Diaskeuasten die Achilleis mit dem älteren Gedicht in
nähere Beziehung gebracht haben sollen, da doch der Dichter
zwischen A und / notwendig Kämpfe braucht. Weniger noch
als diese Tätigkeit der Diaskeuasten kann ich die Methode billigen,
durch die W. zu seinem Ergebnis gelangt. Diese widerstreitet
dem, was ich Bed. d. Wiederholungen glaube sicher bewiesen zu
haben, und wenn irgend etwas meine dort entwickelte Ansicht be-
stätigen kann, so ist es gerade die vorliegende Arbeit des Verf.s.
Er weist nämlich wie Erhardt und Schultz auf die stetigen Wechsel-
wirkungen zwischen den einzelnen Gesängen hin, auf das „Hin-
einsingen", wie es Schultz nennt, von späteren Liedern in ältere
und gibt unumwunden zu (S. 53 Anm.), „daß diese Wechselwirkung
auch die aus den Entlehnungen gezogenen Schlösse auf die Ent-
stehungszeit einzelner Gesänge und Partieen sehr unsicher mache"
— und doch werden fortgesetzt diese Wiederholungen allein be-
nutzt, um die wichtigsten Schlüsse dieser Art zu ziehen. Noch
lehrreicher aber ist folgendes. Mit dieser Methode ist es möglich,
Gesänge, welche bisher von Kritikern, die doch gerade auch
die Wiederholungen als Hauptstütze ihrer Ansichten benutzten, als
die ältesten angesehen wurden, wie A und Jl — X, als jünger zu
erweisen als B — 0, Gesänge, die gewöhnlich als junge Bestand-
teile der Dichtung gelten. Dies allein zeigt das Unzulängliche
dieses Hilfsmittels, das ich auch aus andern Gründen a. a. 0. als
unbrauchbar bewiesen haben.
Wenn ich trotz meines abweichenden Standpunktes dennoch
diese Arbeit allen Homerforschern zum Studium empfehle, so be-
stimmt mich dazu die Fülle feinsinniger Bemerkungen, die sie
nicht nur im ersten Kapitel enthält, in welchem über die Kunst-
mittel der Sprache gehandelt wird (S. 1 — 14), sondern auch im
zweiten, in welchem die psychologische Feinheit des Dichters der
Achilleis (besonders S. 22 — 28) geschildert wird. Auch das dritte
Kapitel, in welchem die angegebene Ansicht entwickelt wird, ist
anregend geschrieben, wenn es auch zum Widerspruche heraus-
fordert, und zeigt große Vertrautheit mit der reichen Literatur
über Homer.
Homer, von C. Rothe. 18t
18) A. Gemoll, Der Homerische Schiffskatalog. Programm Striegaa
1904. 8 S. 4.
Der Verf. beginnt in der vorliegenden Abhandlung eine neue
Untersuchung über den Schiffskatalog; er hält diese trotz Nieses
sorgfaltiger Arbeit für notwendig, da in den 30 Jahren, die seit
Nieses Untersuchung verflossen sind, die Archäologie außerordent-
liche Fortschritte gemacht hat. Ganz besonders wertvoll für
unsere Frage erweisen sich die sabbaitischen Apollodorfragmente
(Rhein. Mus. 1891 S. 161), die Papadopulos entdeckt hat. Diese
Fragmente enthalten bei der Ausfahrt von Aulis ein Verzeichnis
der GTQaTsvGctvreg sni %i\v Tgoictv und im zehnten Jahre ein
Verzeichnis der cXt^/ja/ot ix %&v nsqioixoov noXscov. Indem
nun G. dieses Verzeichnis sorgfältig in bezug auf die Zahl und
Anordnung der Namen und die Angaben in den Proklosexcerpten,
Tzetzes und Hygin mit dem Homerischen Schiffs- und Troerkatalog
und dem Griechen- und Troerkatalog in den Kyprien vergleicht,
kommt er zu dem Ergebnis (S. 5), daß „die Kyprien doch wohl
einen Griechenkatalog hatten, der nach dem Homerischen
verfaßt war und Homer im einzelnen ergänzte, daß aber der
Homerische durch sein größeres Ansehen ihn völlig verdunkelte".
Ähnlich denkt er sich das Verhältnis des Homerischen Troer-
katalogs zu dem der Kyprien. Dies stimmt zu der Ansicht, die
wir immer vertreten haben (zuletzt JB. 1903 S. 289), daß nämlich
die kyklischen Gedichte keinen Einfluß auf die Gestaltung der
Handlung in den Homerischen Gedichten gehabt haben.
Zuletzt (S. 6 u.f.) zieht G. noch den Freierkatalog aus Apollodor
zur Vergleichung heran; denn da die früheren Freier später Fuhrer
im Trojanischen Kriege sind, so muß der Freierkatalog naturlich
dem Fürstenverzeichnis sehr ähnlich sein. G. macht es wahr-
scheinlich, daß dieser aus den Kyprien (nicht Hesiod) stamme und
(besonders wegen des Amphiaraossohnes Amphilochos) junger sei
als der homerische Schiffskatalog.
19) Dietrich Muelder, "Extooog avatpsoig. Rhein. Mus. f. Phil. 1904
S. 256—278.
Zwei Motive, meint der Verf., sind in dem Gesänge, der
Hektors Tod behandelt, verschmolzen. Nach dem ersten erwartete
Hektor als nqoiia%oq seinen Gegner unter dem Schutze der Mauern
(X 97), aus deren Bereiche er sich nur wenig entfernte (vgl.
/ 352 — 355). Achill als Fuhrer der Belagerer geht dem Heere
voran. Hektor kann sich in die Stadt zurückziehen (vgl. auch
Z 72 und 433), aber er wird nicht beim Herannahen des Gegners
um die Stadt fliehen, wenn ihn plötzlich Schrecken erfaßt. Indes
selbst wenn er in Verwirrung um die Stadt flöhe, könnte ihm Achill
nicht gefährlich werden, da dieser, ohne sich selbst zu gefährden,
nicht bis auf Schußweite an die von den Feinden besetzte Mauer
herankommen könnte. Die Verfolgung aher, wie sie in X ge-
J82 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
schildert ist, setzt eine ganz andere Lage voraus: Hektor hat sich
aus der Stadt hinausgewagt und ist abgeschnitten worden; er
will sich in den schützenden Bereich der Mauern zurückziehen
(tqsö€ tetxog vno Tqdoav) und wird daran von Achill, der sich
zwischen Hektor und der Mauer befindet, verhindert.
Hier ist die Erwägung, ob er sich zum Kampfe stellen soll, be-
rechtigt. Er entscheidet sich für den Kampf, Zeus wägt die
Todeslose, und Hektor fällt.
Nach einer sorgfältigen Analyse des ganzen Gesanges kommt
nun der Yerf. zu dem Ergebnis (S. 272): „Hektors Erlegung ist
weder ein ursprüngliches Einzellied noch ein Teil einer alten
originalen Ur-Menis, sondern eine Komposition des Verfassers der
Ilias unter Benutzung zweier altepischer Bruchstücke" (warum
nicht Lieder?). Ich halte den Nachweis für gelungen und meine,
daß der Dichter ähnlich in allen Gesängen verfahren sein wird.
Einzellieder über Hektors Fall kann es viele gegeben haben, ganz
wie über die Heldentaten der hervorragenden Kämpfer. Der
Dichter benutzte davon, was ihm brauchbar erschien an Versgut
wie an Gedanken und Bildern, unbekümmert um einzelne sach-
liche Widersprüche, wenn er nur Eindruck machen und neue
packende Bilder schaffen konnte. Wer aber wird leugnen, daß
es in diesem Falle ein ebenso packendes Bild ist, Hektor dem
gefürchteten Gegner allein, trotz der herzzerreißenden Bitten der
Seinen, entgegentreten, wie später beide tvsqI ipvxijs um die Stadt
laufen zu sehen? Keiner wird eins von beiden missen wollen,
obwohl beide der ganzen Lage nach kaum vereinbar sind.
Weniger stimme ich mit dem Verf. in dem folgenden Auf-
sätze überein:
20) D. Muelder, 'OQxttov <fvyxv<**s- 'N. Jahrb- f- d- klass- Altert. 1904,
13. Bd., H. 9, S. 635-643.
Lachmann hielt den Anfang von J (1 — 222) für ein Einzel-
lied. Muelder glaubt umgekehrt, ganz in Obereinstimmung mit
meiner Ausführung in diesen JB. 1887 S. 296, daß die Darstellung
des Vertragsbruches gerade dem Dichter der ganzen Ilias angehörte,
der damit zeigen wollte, „wie die Troer in das unzweifelhafte Un-
recht gesetzt und die Strafe der Götter auf die Häupter der
Schuldigen herabgerufen wurde". Die Anstöße aber in der Dar-
stellung, besonders den, daß Menelaos' Verwundung bald ganz un-
bedeutend, bald schwer erscheint, sucht er dadurch zu erklären,
daß der Dichter eine alte Vorlage benutzt habe, in welcher der
Pandarosschuß, völlig unabhängig von dem jetzigen Zusammen-
hange, eine große Tat war. Warum sollte dies nicht möglich
sein? Aber der Verf. geht nun weiter und glaubt „nicht un-
schwer" das alte Lied aus den Versen 105 — 126, 134 — 140 (mit
Ausnahme von 136 und 139), 141—150, 169—219 wiederher-
stellen zu können, und diesen Versuch halte ich nicht für gelungen.
Homer, von C. Rothe. 183
Zunächst ist die Veränderung des Liedes im einzelnen sehr auf-
fällig, sodann vermissen wir Zwischenverse (denn 136 reiht sich
nicht glatt an 126 an und ebensowenig 169 an 150); vor allem
aber ist der Unterschied in der Auffassung keineswegs so groß,
daß man zwei verschiedene Verfasser annehmen mußte. Agamemnon
schwankt zwischen Furcht und Zorn ganz nach dem Bibelwort:
„Es ist das Herz ein trotzig und verzagt Ding" (vgl. auch Ibsen:
„So sind die Menschen: sie zweifeln und glauben zu gleicher
Zeit*4). Deshalb ist er einmal fest davon überzeugt, daß er Rache
erhalten wird (stfcter«* ^(iccq nth\ und dann wieder zweifelt er,
ob nicht Menelaos an der Wunde sterben und so der Rachezug
sein Ziel verfehlen werde. Genau so wünscht im 6. B. Hektor,
daß sein Sohn noch viel berühmter als er selbst werden möge
(nuiQÖs df oye noXXov &iisivoav Z 479), während er doch kurz
vorher (Z 447 ff.) zur Andromache die bestimmte Befürchtung
ausgesprochen hat (ev rode olda\ daß Troja hinsinken werde
und ihr und ihrem Sohne ein überaus trauriges Schicksal be-
vorstehe1). Hier ist es also ebensowenig nötig, eine Verquickung
x) J. Imelmann machte in einer Sitzung des Philolog. Vereins in Berlin
auf einen ähnlichen schroffen Widersprach, der sich in Shakespeare (Julias
Cäsar V 2) findet, aufmerksam. Hier fragt Cassios den Brutus, was er zu
tun gedenke, wenn das Treffen verloren gehe. Darauf antwortet Brutus:
Ganz nach der Vorschrift der Philosophie,
Wooach ich Cato um den Tod getadelt,
Den er sich gab — ich weiß nicht, wie es kommt,
Allein ich find' es feig und niederträchtig
Aus Furcht, was kommt, des Lebens Zeit zu kürzen —
Will ich mich waffnen mit Geduld, erwartend
Den Willen hoher Mächte, die das Irdische
Regieren.
Als ihn darauf Cassius fragt, ob er es sich also gefallen lasse, daß man ihn
durch die Straßen Roms im Triumphe führe, antwortet er:
Nein, Cassius, nein! Glaub mir, du edler Römer,
Brutus wird nie gebunden gehn nach Rom;
and tatsächlich stürzt er sich (V 5) ohne alles Bedenken in das Schwert, ja
er muß es tun nach der ganzen Anlage des Stückes. Wenn I. in diesem Falle
zu erwägen gab, ob nicht die Quelle (Plutarch in englischer Übersetzung)
Veranlassung zu dem kaum glaublichen Widerspruch sei, so habe ich diese
Annahme abgelehnt. Denn im Plutarch erwidert Brutus auf die gleiche Frage
des Cassius, daß er in seiner Jugend {v£oq dir) den Tod des Cato getadelt
habe, jetzt aber denke er anders darüber. Es liegt nicht der geringste
Grund vor, weshalb Shakespeare nicht genau ebenso hier Brutus antworten
lassen konnte, wenn er nicht eben als großer Menschenkenner den Wider-
spruch im Meoschenherzen hervorheben wollte, nämlich daß die bewährtesten
Grundsätze selbst charakterfeste Naturen im besonderen Falle im Stich
lassen, wie hier den Brntus, als ihm die letzten Folgen seiner stoischen
Gesinnung durch Cassius entgegengehalten werden. Solche Widersprüche
finden wir nicht nur bei schwankenden Charakteren, sondern selbst bei den
größten Männern in Wahrheit und Dichtung bis in die neueste Zeit hinein.
So nimmt z. B. bei Stilgebauer (Götz Kraft I) ein entschiedener Verächter
des Duells, dessen Lebensauffassung eine ganz andere ist als die der An-
hänger desselben, ohne Bedenken ein Dnell an, trotz der dringendsten Abrede
des Freundes, und findet dabei den Tod.
184 Jahresberichte d, Philolog. Vereins«
zweier Vorstellungen anzunehmen wie bei der Verwundung, die
einerseits schwer genug erscheinen muß, um den Vertragsbruch
klar zu erweisen, andererseits nicht zu schwer sein darf, weil —
Menelaos ein Grieche ist und für die Handlung weiterhin nötig
ist. Die Vermittelung übernimmt Athene.
21) Groeger, Der Einfluß des ii aof die Komposition der Odyssee«
Rhein. Mus. f. Phil. 1904 S. 1—33.
Die Verwandtschaft von S2 mit der Odyssee in sprachlicher
Hinsicht gilt seit Peppmüllers umfassender Arbeit allen Homer-
forschern als eine ausgemachte Tatsache; daß aber auch eine
weitgehende Verwandtschaft in bezug auf inventio und compositio
zwischen diesen Dichtungen stattfindet, weist Groeger in fast über-
raschender Weise nach. Die Götterversammlung in a, der Auf-
bruch Telemachs und Odysseus', die Gefahren der Reise, der
Schutz vor diesen Gefahren, Ankunft bei den Fremden, Empfang,
Bewirtung, Nachtlager, Abreise, dieses alles und noch viel Neben-
sächliches soll in der Odyssee Si nachgebildet sein, da die Be-
gründung der Handlung und ihr Verlauf überall in der Ilias natür-
licher ist als in der Odyssee. Besonders groß sind die Ähnlich-
keiten zwischen ß und der Telemachie, und hier findet der Verf.
eine Erklärung für den allgemein beanstandeten Anfang von o;
er schreibt nämlich S. 16, nachdem er Bergks und Kirchhoffs An-
stoß daran, daß die Göttin in der Nacht und nicht am Morgen
erscheint, erwähnt hat: „Die Erklärung finde ich wieder in dem
unbewußten Einfluß, den sein Vorbild auf diesen Dichter aus-
geübt hat. In ß kann der Gott zu gar keiner andern Zeit er-
scheinen, weil sich die heimliche Abreise daran anschließen soll
und wirklich anschließt. Auch dies letztere Motiv, das doch für
seine Bedürfnisse gar nicht paßt, hat unsern Dichter noch auf
einen andern Abweg gelockt; denn daher rührt wahrscheinlich (?)
Telemachs Einfall, „mit polnischem Abschied" durchzugehen, wofür
weder er einen Grund angibt noch Peisistratos einen zu hören
verlangt, weil das in J2 auch nicht geschieht; aber dort handelt
es sich um Herr und Diener". Die Übereinstimmung liegt auf
der Hand, und zuzugeben ist, daß in 42 die Lage natürlicher und
alles zusammenhängender ist als in o. Danach muß man S2 für
ursprünglicher halten als o, und wir hätten einen neuen Beweis
für die von den meisten Kritikern gebilligte Annahme, daß die
Ilias in ihrem ganzen Umfange älter ist als die Odyssee; in dieser
Beziehung stimme ich dem Grundsatze bei, den G. (S. 26) im
Anschlüsse an Kirchhoff entwickelt. Denn es handelt sich hier
nicht um einzelne nachgeahmte Verse, sondern um eine aus-
geführte Handlung, die in dem einen Falle glatt verläuft, im
andern viele Fugen erkennen läßt.
Auch der Schluß der Arbeit ist lesenswert, in welchem sich
der Verf. nach andern Quellen für die Odyssee umsieht und
Homer, von G. Rothe. 185
diese nicht nur in alten Schiffernlärchen (* — (i) findet, sondern
auch in der alten Vorlage von tf r. G. vergleicht im besonderen
% 52 u. ff. mit f] 186 u. ff. und sieht in % das Original, so daß
hierdurch meine (Bed. d. Widerspr. S. 33/34) ausgesprochene An-
sicht über die eigentümliche Stellung der Arete eine Bestätigung
erhält. Seine scharfsinnigen, durchaus beachtenswerten Aus-
fuhrungen, in denen er auch der Kunst des Dichters der Odyssee
gerecht wird, schließt er mit der Bemerkung, der ich ebenfalls
zustimme, daß man wohl nach Quellen suchen könne, daß sich
aber, sobald man „eine eingehendere Rekonstruktion des all-
mählichen Bildungsprozesses dieser Gedichte" versucht habe, „von
all den vorgetragenen Theorieen, so bestechend sie immer zu-
nächst erschienen, bei näherer Prüfung bis auf den heutigen Tag
nicht eine bewährt hat".
In der Hauptsache ähnlich urteilt auch
22) O. Rö'ßner, Untersuchungen zur Komposition der Odyssee.
Progr. Merseburg 1904. 58 S. 4. — Vgl. N. Jahrb. f. d. klass. Altert.
1904, H. 10, S. 735/736 (P. Cauer).
Der Verf. glaubt die in der Odyssee hervortretenden Wider-
sprüche neben der ebenso offenkundigen, kunstvollen Einheit durch
folgende Annahme erklären zu können (S. 4/5): „Die Odyssee be-
steht aus Elementen, die von verschiedenen Verfassern herrühren;
diese Verfasser unterscheiden sich nach Zeit, Ort, dichterischer
Begabung, ja im einzelnen nach künstlerischen Absichten, aber
sie sind darin gleich, daß sie das ihnen Zugehörige auf gemein-
samer Grundlage, mit gemeinsamen Voraussetzungen und mit dem
bewußten Streben geschaffen haben, in keiner Weise gegen die
vorgefundene Einheitlichkeit des Grundstockes zu verstoßen,
sondern unverbrüchlich daran festzuhalten. Nach Ablauf dieser
Entwickelung hat durch einen Bearbeiter eine selbständige dichte-
rische, organische Zusammenfassung stattgefunden". Dieser Ge-
danke wird vom Verf. in der Weise ausgeführt, daß er im ersten
Teile ( — S. 19) die Entwickelung der Odysseedichtung wesent-
lich im Anschluß an Niese schildert, dann im zweiten Teile (19
— 57) den „Plan und Grundgedanken der Odyssee" entwickelt
und näher begründet. Während der erste Teil nichts Neues ent-
hält, versucht der Verf. im zweiten Teile nachzuweisen, daß der
„Bearbeiter" (öfters auch „Dichter" genannt) in den ihm über-
lieferten reichlichen Sagenstoff einen tiefen Grundgedanken hin-
eingebracht und danach die Handlung durch Zusätze und Aus-
lassungen einheitlich gestaltet habe. „Nicht ästhetische Gründe
allein konnten unseren Bearbeiter zu einem solchen Verfahren
bestimmen, die ganze reflektierende Art der Zeit drängte ihn dazu
und unterstützte ihn dabei". Der Bearbeiter soll nämlich in der
zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts gelebt haben. Der Grundgedanke
aber ist kein anderer als der, den Sophokles am Ende der Anti-
186 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
gone ausspricht: nolkw %o cpQovsTv svda^ovlaq tvqcotop V7T-
ccq%€i xiL Frevelnder Übermut fuhrt die Strafe der Götter her-
bei, und diese lehrt den Menschen zuletzt die Besonnenheit.
Ist dies wirklich der Grundgedanke der Odyssee? Der Verf.
weist selbst auf Goethes Wort hin, der angesichts der Kommentare
seines Faust sagte: „Ja, ja, es liegt darin, aber ich habe nicht
daran gedacht44, und gibt zu, daß der Gedanke „schon immanent
dem Stoffe anhaftete und, durch lange eindringende Beschäftigung
mit den Liedern durch die Rhapsoden allmählich vorbereitet, von
unserem Bearbeiter nur klar und bewußt herausgearbeitet wurde44
(S. 18). Was ist also sein Eigentum? Der Bearbeiter hat gleich
im Anfange der Dichtung Zeus auf die Torheit der Menschen hin-
weisen lassen, welche durch ihren Frevelmut (awxö&aXlrioi) selbst
VTC8Q iioqov Unglück erduldeten; er hat dann an einer hervor-
ragenden Stelle, am Ende von v (von V. 500 an), den Helden,
der sonst durchaus der GcoyQOövvrj huldigt (z. B. in dem vom
Bearbeiter erfundenen Kikonenabenteuer), im Siegesrausch und
Rachegefühl die Schranken der Selbstbeherrschung übertreten und
dadurch schuldig werden lassen, schuldig nicht nur an Poseidon,
dessen Sohn er geblendet hat, sondern an allen Göttern, da
diese den Übermut hassen. Deshalb hilft selbst Athene ihrem
Schützling nicht mehr, und Aiolos weist ihn mit entsetzten Worten
zurück. Aber die lange Leidenszeit führt den Helden zur Läuterung.
Am Ende der Dichtung ist diese vollzogen: er, der einst so stolz
und vermessen den Kyklopen gehöhnt hat, verbietet der Eurykleia,
über die erschlagenen Freier zu frohlocken (ovx otity xvctfiipoMfi
in' avdqäöiv svxsTciaad'cu / 4 1 2). Der inneren Läuterung folgt
die äußere; denn dies ist die Bedeutung des Opfers, das Odysseus
nach der Anweisung des Tiresias nach seiner Rückkehr noch dar-
zubringen hat. Dann erst wird er völlig mit den Göttern ver-
söhnt sein und in Ruhe und Glück seine Tage beschließen. So
hat der Bearbeiter die einzelnen Teile geschickt miteinander ver-
bunden, und es finden so manche auffällige Widersprüche (z. B.
Odysseus' Benehmen bei Kirke) ihre Erklärung.
Obwohl R. in z. T. glänzender Darstellung diesen Grund-
gedanken und seine Durchführung näher zu begründen versucht,
hat er uns doch nicht überzeugen können, daß dies das einzige
gewesen ist, das der „letzte Bearbeiter44 zu der Dichtung hinzu-
gebracht hat, und noch viel weniger davon, daß so spät die
Dichtung erst ihren vollen Abschluß gefunden hat. Das mindert
aber nicht den Wert dieser Arbeit. Diesen sehe ich darin, daß
hier von neuem der Beweis geliefert wird, wie viel mehr für
das Verständnis des Dichters durch sorgfältiges Eingehen auf seine
Absichten gewonnen wird als durch oberflächliches Absprechen,
wenn etwas uns auf den ersten Blick nicht verständlich ist Es
kann in dieser Beziehung allen Homerforschern ganz besonders
die Betrachtung über den befremdlichen Schluß von t sowie der
Homer, von C. Rothe. ]g7
folgenden Bucher (S. 33—50) empfohlen werden. Der Verf. hätte
nur den Ausdruck „Bearbeiter44, der durch Kirchhoff und seine
Schuler einen so schlechten Klang bekommen hat, fallen lassen und
dafür ruhig überall „Dichter" sagen sollen. Denn wer aus einem
Stoffe, gleichviel, wie er ihm überliefert ist, dies zu machen ver-
steht, was der Verf. annimmt, der ist ein Dichter, kein Be-
arbeiter.
Vergleichen wir mit dieser Darstellung
23) D. Muelder, Das Ky klopeoabenteuer der Odyssee. Hermes
(1903), 34. Bd., S. 414—455.
Diese Arbeit geht der Zeit nach den beiden oben besprochenen
voran und zeigt uns den Verf. noch am entschiedensten unter
dem Einflüsse seines Lehrers v. Wilamowitz. Er unterzieht das
Kyklopenabenteuer, das allgemein als eins der ältesten und
schönsten gilt, einer scharfen Kritik und weist in demselben
ebensoviele Widersprüche und Unebenheiten nach, als sich nur
in irgendeinem „schlechten" und „späten" Gesänge (etwa in a)
finden können. Insofern ist die Arbeit lehrreich und bildet eine
Ergänzung zu meinen Ausführungen über das Kalypsolied (Bed.
der Wiederb. S. 135 u. ff.), in denen ich den Nachweis erbracht
habe, daß die Wiederholungen gleicher oder ähnlicher Verse in
diesem allgemein als vortrefflich angesehenen Gesänge nicht ge-
ringer sind als z. B. in dem ganz „späten" co. Aber der Verf.
begnügt sich mit dem gefundenen Ergebnis nicht, sondern sucht
nach dem Grunde dieser auffallenden Erscheinung und findet diesen
darin, daß der „Bearbeiter" ein altes Motiv erweitert habe (ganz
wie in seinen beiden folgenden Arbeiten; s. o. S. 181/183). Nach
der alten Darstellung wurde der Kyklop noch in der ersten Nacht
geblendet, und die List mit dem „Niemand" war noch nicht vor-
handen. Diese fügte der Bearbeiter hinzu, um den Zorn des
Poseidon zu begründen; gleichzeitig vermenschlichte er den wilden
Menschenfresser, gab ihm „elegische Züge" und machte ihn zu
einem „harmlosen Hirtentölpel" (??). Gut wird nachgewiesen,
weshalb der „Redaktor" diese Änderungen vornahm und auch
dem Abenteuer grade diesen Platz zuwies; dabei zeigt jener ein
Gestaltungsvermögen, das weit über das mechanische Verfahren
des „Flickpoeten" hinausgeht. Bis dahin kann man also, von
Einzelheiten abgesehen, unbedenklich dem Verf. folgen. Aber M.
gebt weiter. Unbeirrt durch das Mißlingen aller vorangegangenen
Versuche, unternimmt er es, das alte Lied vom Kyklopen in der
ursprünglichen Form wiederherzustellen — und hierbei ist er
genau wie seine Vorgänger gescheitert. Äußerlich zeigt sich dies
schon darin, daß es ihm nicht gelungen ist, einen glatten Anfang
zu ermitteln (die Erzählung beginnt mit i 233, mitten in der
Höhle), daß er ferner in der Mitte zwischen 398 und 415 eine
Lücke und an verschiedenen anderen Stellen „Überarbeitung" an-
188 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
nehmen muß, und daß endlich durch das Auslassen einzelner
Verse unpassende (i 262 u. 269, 305 u. 318), ja unmögliche Ver-
bindungen entstehen, z. B. zwischen 328 und 375. Da M. diese
Verbindung „schön44 findet, so muß ich mit einem Worte darauf
eingehen. Odysseus hat den gewaltigen Olivenstamm zugespitzt
und dreht ihn im offenen Feuer „hin und her" (V. 328: cupccQ . .
87iVQccxz€OP iv nvqi x^w). Darauf soll nach M. folgen 375:
xctl toV iyob %ov iio%kov vno anodov tjXaos nollijg, qog
&£Q[iccipowo, also nachdem Odysseus die Spitze offenbar im
offenen Feuer nicht warm bekommen hat, steckt er sie unter die
Asche, bis sie warm wird; das ist eine Ungereimtheit, der gegen-
über das xXwqos neq lebp (V. 389), an dem M. großen Anstoß
nimmt, gering ist; denn wenn auch die Spitze verkohlt ist, kann
der ganze Stamm immer noch xkoaqog sein. Und nun lese man die
140 Verse, aus denen M. die Kyklopie bestehen läßt, hintereinander
und ergänze sich kurz diese oder jene Lücke — ich denke, jeder
wird sagen, daß aller Zauber, der auf diesem Märchen liegt und
seit Jahrtausenden alt wie jung ergötzt hat, völlig abgestreift ist.
Denn alles, was ergötzt, liegt grade in den ausgelassenen Versen,
in der behaglichen Breite, in der List, mit der der rohe Kyklop
übertölpelt wird. Hat der Dichter wirklich die Erzählung so vor-
gefunden, wie M. es annimmt, dann hat er sie durch den „Gold-
bronnen4' seines Geistes so verschönt, wie etwa Goethe die rohe
Erzählung von dem alten Götz von ßerlichingen. Anders urteilt
freilich M., der zwar die Erfindungskraft des „Redaktors" anerkennt,
aber trotzdem über ihn (S. 448) das vernichtende Urteil fallt:
„Es ist eigentlich schade, daß er seine Gestaltungskraft in den
Dienst einer Dichtungsart gestellt hat, deren stoffliche Voraus-
setzungen und deren Ausdrucksmittel er auch nicht an-
nähernd beherrschte ". Wirklich nicht beherrschte? Weil
er die Erzählung nicht so gestaltete, wie sie ein Kritiker nach
3000 Jahren verlangt? Ich bin etwas ausführlicher, als vielleicht
nötig war, auf diese Arbeit eingegangen, weil sie mir typisch ist
für den Einfluß, den ein so hochverdienter Gelehrter wie v. Wila-
mowitz durch sein absprechendes Urteil auf seine Schüler ausübt.
Nur allmählich klärt sich das Urteil. Man braucht diese Arbeit
nur mit der eben besprochenen Rößners über dasselbe Buch zu
lesen, und man wird den ganzen Unterschied des Anfängers von
dem wirklichen Kenner homerischer Dichtung herausfühlen.
24) K. Altendorf, Homer. Ästhetischer Kommentar zur Odyssee.
Gießen 1904. 77 S. 8. 1,50 Jt. — Vgl. Bull. bibl. d. Mos. belg.
1904 S. 72 (Mallinger); WS. f. klass. Phil. 1904 Sp. 866/68 (J. Sitzler);
Lit. Zentralbl. 1904 Sp. 373 (E. Martini); DLZ. 1904 Sp. 1366/67
(A. Gercke).
Ein anspruchsloses Büchlein, das seinen Zweck, einen ästhe-
tichen Kommentar für die Odyssee zu liefern, besser erfüllt als
das umfangreichere von Sitzler. In der Einleitung (S. 1—12)
Homer, von C. Rothe. 189
wird kurz die Homerische Frage berührt und dabei die Einheit
der Dichtung betont. Darauf wird die Handlung durch die ein-
zelnen Gesänge in der Weise verfolgt, daß zu bemerkenswerten
Stellen kürzere oder längere Anmerkungen gemacht werden,
welche die dichterische Kunst Homers im Ausdruck und Vers-
bau oder in der Charakteristik der Personen oder im Aufbau der
Handlung erläutern, bisweilen auch von der Kritik angefochtene
Stellen verteidigen. Daß dabei viel Neues gesagt werde, ist nicht
zu erwarten. Immerhin findet sich manche beachtenswerte Er-
klärung für das Verfahren des Dichters. So wird z. B. die
Berechtigung der Telemachie als Teil der ganzen Dichtung so
begründet: „Man denke sich einmal die Telemachie weg. Wie
unfolgerichtig würde da die Entwickelung der Erzählung sein.
Nach dem auf Athenes Drängen gefaßten Beschluß der Götter,
daß Odysseus endlich heimkehren soll, würde dieser nur von der
Kalypso zu den Phäaken fahren, worauf die kaum begonnene
Handlung wieder zum Stillstand gebracht würde, und zwar so
gründlich als möglich .... In der Telemachie werden wir, wenn
auch unsere Hoffnung, daß Odysseus heimkehren wird, zuvor
erregt ist, zunächst mit der Lage der Dinge, wie sie sich auf
Grund seiner Abwesenheit gestaltet hat, vertraut gemacht. Wir
gewöhnen uns an die Anschauungsweise, daß Odysseus noch in
der Ferne ist. Wir verlassen Telemach auf einer Erkundigungs-
reise nach ihm — und bis er wieder nach Ithaka zurückkommt,
mag uns denn Odysseus erzählen, was er alles auf seinen Reisen
erlebt hat". Ich halte die Bemerkung für richtig und habe
(Bed. d. Widerspr. S, 25) aus ähnlichem Grunde erklärt, wes-
halb tj 241 u, ff. nicht sofort von den Schicksalen des Odysseus
bis dahin berichtet wird.
Ebenso richtig bemerkt A. zu t 536: „Daß Poseidon das
Gebet erhört hat, erfahrt Odysseus in der Unterwelt von Tiresias
(11, 100 ff.). Man hat es nun auffällig gefunden, daß gerade in
den nächstfolgenden Abenteuern es gar nicht Poseidons Zorn wäre,
der Odysseus verfolge. Dabei übersieht man, daß dem Leser
(Hörer) Poseidons Zorn und seine Bedeutung für das Geschick
des Odysseus bereits genugsam zur Anschauung gebracht ist. Er
tritt uns gleich im Anfange des Gedichtes als die Ursache der
langjährigen Verbannung des Odysseus von der Heimat entgegen.
Ihn lernen wir in seiner ganzen Schrecklichkeit kennen, sobald
wir zum ersten Male Odysseus auf der Meerfahrt begleiten (5. B.).
Wäre es wirklich weise gewesen, wenn uns nun der Dichter auch
in den Erzählungen des Odysseus bei den Phäaken wieder und
wieder den ergrimmten Poseidon gezeigt hätte?" Ich schließe
mich dieser Ansicht an, obwohl ich früher (De vetere .. Nosto
S. 7 u. ff.) anders darüber geurteilt habe und Hennings, Odyssee
S. 277 meiner Ausführung in wesentlichen Punkten auch jetzt
noch beistimmt; es bestimmt mich dazu nicht nur Rößners oben
190 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
mitgeteilte Ansicht über den Schluß von *, sondern auch die Be-
obachtung, daß genau aus demselben Grunde, nämlicb um lästige
Wiederholungen zu meiden, in X nicht bei jedem neuen Helden,
der Odysseus erkennt, das Bluttrinken vorher erwähnt wird, und
daß im zweiten Teile der Odyssee der ganze Apparat der Ver-
wandlung und Röckverwandlung des Odysseus auch nur zweimal
erzählt wird und bei den übrigen ävayrcoQHffiol andere Mittel
erwähnt werden (vgl. Bed. d. Widerspr. S. 28). So erklärt auch
A. im wesentlichen in Übereinstimmung mit meiner Auffassung
das Unterlassen dieser Rückverwandelung am Ende der Odyssee
(S. 72): „Wäre das (die Rückverwandelung) eine Verbesserung?
Keineswegs. Und warum? Weil wir Odysseus, wenn er auch
einmal verwandelt wurde, schon lange nicht mehr als alters-
schwachen Mann vor uns sehen. Und nachdem diese Taten ge-
schehen, wäre irgendwelche Verwandlung gar nicht mehr anzu-
bringen: weil in der Dichtung Handlungen von Personen viel
stärkere Eindrücke erzeugen als irgendwelche körperliche Be-
schreibung, so ist in der Phantasie des Lesers die völlige Rück-
verwandelung des Odysseus bereits vollzogen44.
A. betrachtet die Odyssee als einheitliches Kunstwerk und
läßt dem Dichter selbst Stellen, die von der Kritik allgemein als
späte Zusätze verworfen werden, so z. B. das Tanzlied des Demodokos
in #. Er bemerkt zu # 266, das Lied passe durchaus für die
ein Genußleben führenden Phäaken, und zu der auffälligsten Stelle
(# 334—342): „Großartige Darstellung weiblicher Schönheit!"
Interpolationen größeren Umfanges läßt er nur zwei gelten:
1) X 565 — 627 (vgl. dazu jetzt die ausführliche Behandlung bei
Hennings, Odyssee S. 339—45); 2) v 125—187, und über den
Schluß der Odyssee (etwa von w 361 an) urteilt er (S. 11):
„Er ist vielleicht von Homer gar nicht gedichtet oder von ihm
und seinen Nachfolgern nur selten vorgetragen worden und darum
nicht in der authentischen Form bekannt geblieben'4. Aber die
Begegnung zwischen Odysseus und Laertes ist „echt Homerisch
und liegt auch im Plane des ganzen Werkes. Das traurige Los
des alten unglücklichen Vaters, der sich um den „lange fern-
bleibenden44 einzigen Sohn in Schmerz verzehrt, wird im Verlauf
des Epos immer wieder in Erinnerung gebracht, so daß man das
Wiedersehen beider vermissen würde, wenn es der Dichter
nicht gebracht hätte'4. Daß ich ähnlich denke, habe ich öfters
ausgesprochen.
25) S. Eitrem, Die Phaakenepisode in der Odyssee. Christiaoia
1904, in Kommission bei J. Dybwad. 35 S. gr. 8. 1,50 ,/#. — Vgl.
N. Jahrb. f. d. kl. Altert. 1904, H. 10, S. 736 (P. Cauer); ßerl. WS. 1905
Sp. 181 (Th. Zielinski); Nord. Tidskrift for Filol. XIII (1904) S. 43
—48 (O. Jörgensen); WS. f. klass. Phil. 1904 Sp. 824—826 (Hößoer).
Die in den letzten 20 Jahren yiel behandelte Episode wird
von dem Verf. einer neuen, grundlichen Untersuchung unterzogen.
^
Homer, von C. Rothe. 191
Ausgehend von längst gemachten Beobachtungen (Leukothea—
Athene, Nausikaa — Athene), sie ergänzend und weiterführend,
kommt E. zu der Vermutung, daß in einer Fassung der Sage
Odysseus unmittelbar von der Kalypso in sein Vaterland gelangt sei
(s 114, 144), und zwar in ähnlichem Zustande wie nach Scheria,
hier als Greis sein Vaterland nach langer Abwesenheit nicht
wieder erkannt habe und dann von Athene aufgeklärt und weiter
beraten sei. Die Spuren für diese Annahme erscheinen mir nicht
stark genug, um sie für möglich zu halten gegenüber der Tat-
sache, daß Kalypso nicht einen Greis, sondern einen jugend-
lichen Helden lieb gehabt hat, ja diesem ewige Jugend hat er-
halten wollen. Etwas sicherer sind die Spuren dafür (vgl. Bed.
d. Widerspr. S. 34), daß „es eine Odyssee gegeben habe, in
welcher Odysseus schiffbrüchig zu den Phäaken von Trinakria
aus kam und hier ohne Vermittelung der Nausikaa durch Athene
bis zum Palaste des Alkinoos gelangte44. E. verfolgt diesen Ge-
danken geschickt weiter, zeigt, mit wie einfachen Mitteln Nausikaa
eingeführt wurde, bemerkt, daß ursprünglich die Phäaken gar
nicht das* gastfreundliche Volk waren, als das sie jetzt erscheinen,
daß sie vielmehr als Nachbarn der Kyklopen und Giganten früher
wohl auch gewalttätig und roh waren, so daß der Schutz Athenes
für den Helden wohl notwendig war (ähnlich hat schon Gercke,
Die Analyse . . . N. Jahrb. f. klass. Altert. 1901 S. 19 über Arete
geurteilt; vgl. JB. 1902 S. 133 unten). Aber obwohl E. in sorg-
fältiger Prüfung verschiedene Verse bald der einen, bald der an-
deren Fassung zuweist und z. B. X 335 ursprünglich auf ^155
folgen läßt, wo man in der Tat ein Eingreifen Aretes erwartet
(vgl. Widerspr. S. 34), so hütet er sich doch, aus den vorhandenen
Trümmern ein altes Gedicht wiederherzustellen. Denn „die Ver-
suche, durch Ausscheidung von Versen und Versgruppen einen
klaren und einheitlichen Vorgang herzustellen, werden nicht leicht
zur Nachahmung locken4' (S. 10/11).
Dies ist im ganzen der Standpunkt, den ich ebenfalls ver-
trete. Wenn aber E. am Schluß noch eine Vermutung, zwar „mit
allem Vorbehalt44, macht, daß nämlich Odysseus in einer Fassung
der Sage in den Kleidern der Kalypso (äfxßQoza sl^ava rj 260)
zu den Phäaken gelangt sei und diese die Aufmerksamkeit der
Königin erweckt hätten, so führt diese Vermutung, wie Cauer a.
o. a. 0. zeigt, ebenso zu Widersprüchen wie die am Anfange des
Berichts mitgeteilte und hat deshalb keine Wahrscheinlichkeit.
26) F. Blaß, Die Interpolationen in der Odyssee. Halle a. S. 1904,
M. Niemeyer. 306 S. 8. 8 Jt. — Vgl. WS. f. klass. Phil. 1905
Sp. 57—62 (C. Rothe); Berl. phil. WS. 1905 Sp. 177—181 (P. Hennings).
B. glaubt an einen Dichter als Schöpfer der Ilias und Odyssee
und gibt dafür eine Reihe beachtenswerter Gründe; darunter
192 Jahresberichte d. Philoleg. Vereins.
vor allem den, daß wir aus der ganzen älteren griechischen
Literatur kein Kunstwerk von solchem Umfange haben, das ein-
heitlicher gestaltet sei. Aber in die Dichtung haben sich im Laufe
der Jahrhunderte Zusätze eingeschlichen, die beseitigt werden
müssen, damit der Eindruck der ganzen Dichtung nicht gestört
'werde, und zwar unterscheidet B., außer einer größeren „magischen
Interpolation" (S. 25), zwei Hauptarten: 1) Interpolationen der
Rhapsoden (S. 26 — 213); 2) Interpolationen der Nachdichter
(S. 213—282). Daran reihen sich noch zwei sehr lesenswerte
Kapitel als Anhang: 1) Die troische Sage bei Homer; 2) Das Ver-
hältnis zwischen Wtt und der Odyssee (S. 283—296). Den Schluß
bilden Nachträge und Berichtigungen und ein Verzeichnis der be-
bandelten Stellen. Das Verhältnis der ausgeschiedenen Verse zu
der echten Dichtung macht eine Tabelle (S. 282) klar. Danach
hält B. von den 12110 Versen der Odyssee 1913 für spätere Er-
weiterung, also fast Ys. Dieses Verhältnis wird dadurch so un-
günstig, daß unter den Zusätzen das Ende der Odyssee, der größte
Teil von xp und ganz w (rund 900 Verse), erscheint ; sonst bleiben
etwa Xto unechte Verse übrig. Ich habe aber schon a. a* 0. mein
Bedenken selbst über diese Summe der ausgeschiedenen Verse,
soweit sie „Interpolationen der Rhapsoden*' betreffen, ausgesprochen.
Hier wollen wir etwas näher auf die zweite Art eingehen, weil
diese die höhere Kritik berühren.
B. hält den Schluß der Odyssee von ip 297 an für späteren
Zusatz und kann sich hierbei auf eine Nachricht der Alten stützen,
daß „manche4' die Odyssee mit \p 296 geschlossen hätten. Auch
gibt es eine ganze Reihe von vsx^gia, die dafür sprechen, be-
sonders die auffallende Erwähnung Siziliens, die abweichende An-
sicht über die Unterwelt, die Eigenschaft des Hermes als Toten-
führer u. a. Nun ist aber dieser Schluß, wie längst bemerkt
worden ist, mit dem Vorangehenden „fest verankert", nämlich
durch die Verse ip 110 — 176. Um dieses Band zu lösen, hatte
Kirchhoff diese Verse als Zusatz des Bearbeiters erklärt; aber
v. Wilamowitz hat demgegenüber auf die „Ungeheuerlichkeit" hin-
gewiesen, daß der Dichter dann die schöne Penelope mit dem
schmutzigen, glatzköpfigen, blutbespritzten Bettler „zu Bette schickt",
und weiter auf eine Reihe anderer Bänder, die ip 297 u. ff. mit
dem Vorangehenden eng verbinden, hingewiesen. Deshalb nimmt
v. W. ein besonderes Gedicht, das (p—w umfaßte, als „Quelle*4
für den Flickpoeten an. B. glaubt an diesen „Flickpoeten" nicht1),
l) S. 10: „Wenn nnn das Meisterwerk (die Odyssee) ein Flickpoem
sein soll: mit welchen Schimpfnamen soll man da erst Goethes Fanst be-
legen? Es könnte doch jemand sagen: Ihr Deutschen seid seltsame Leute.
Bei dem alten Homer soll alles einheitlich komponiert sein, bis auf das
Tüpfelchen genau; was so ist, seht ihr nicht, was etwa einmal nicht so ist
oder zu sein scheint, das seht ihr allein, nnd schimpft and schlagt das Werk
in Stücke, und merkt in eurem blinden Eifer nicht, daß all euer Schimpf
^
Homer, von C. Rot he. t93
sondern geht darap, alle Bänder, die xp 297— a> mit. dein Voran-
gehenden verbinden, zu lösen, und tut dies, wie ohne weiteres
zuzugeben ist, mit großem Geschick. Er scheidet nämlich zu-
nächst aus xp 48, 94. 95, 111—176, 218—224, 242— 246, ändert
dabei den Anfang von 247 in sl ^ und versetzt 153 — 156 und
163 nach % 497, endlich beseitigt er im Schluß von v, wo eben*
falls die Sikeler erwähnt werden, 347 — 389.
Wenn auch damit die Verbindung nicht überall glatt ist, so.
ist doch im allgemeinen zuzugeben, daß, wäre uns die Odyssee
in dieser Form überliefert, niemand viel an ihr auszusetzen haben
würde, während der jetzige Schluß unzweifelhaft die Kritik her-
ausfordert. Ist deshalb das Verfahren des Verf.s richtig, und
können wir mit einer gewissen Zuversicht behaupten, daß wirklich
einst unsere Odyssee so geendet habe? Ich muß dies verneinen.
Dagegen spricht zunächst die Überlieferung der Alten. Denn wenn
auch einzelne Kritiker in xp 296 das Ende der Odyssee sahen, ja
in einzelnen Exemplaren die Odyssee vielleicht wirklich mit diesem
Verse geschlossen hat, so haben wir doch nirgends eine Spur,
daß in diesen Exemplaren auch schon xp 111 — 176 usw. gefehlt
oder die Verse xp 153 — 156 und 163 nach % 497 gestanden
hätten. Es ist also rein subjektives Urteil, nicht aber wirkliche
Überlieferung gewesen, die das Ende der Odyssee mit dem Verse
xp 296 annahm. Sodann aber ist es für mich unbegreiflich, wie
ein Rhapsode einen vortrefflichen Schluß in der Weise über-
arbeiten und, wie B. mit vielen andern glaubt, so verschlechtern
konnte und doch diese auffallende Form so allgemein Billigung
finden konnte, daß die echte, gute Form verschwand. Näher lag
es doch für einen schaffensfreudigen Dichter, an die Odyssee als
Fortführung angesponnener, aber nicht vollendeter Fäden eine
neue Dichtung anzuschließen, wie an die Ilias die Iliupersis, an
die Odyssee die Telegonie sich wirklich angereiht hat.
Dazu kommt, daß bei näherem Zusehen der durch den Verf.
hergestellte Zusammenhang keineswegs so glatt ist, wie es auf den
ersten Blick scheint. Odysseus hat / 491 auf die Aufforderung
der Eurykleia, reine Kleider anzuziehen, nur mit den Worten ge-
antwortet: nvQ vvv pot 7iQ(OTMftov . . . yevsa&üo. Hätte er beab-
sichtigt, darauf sofort auch ein Bad zu nehmen, so wäre es natür-
lich, daß er ihr auch sogleich dazu die entsprechenden Anweisungen
gegeben hätte. Dies geschieht aber nicht, sondern Eurykleia
bringt nur, wie befohlen, Feuer und Schwefel und holt dann die
Mägde herbei. Von der Bereitung des Bades ist keine Rede, viel-
mehr folgt der Vers 497 al d' Xdav ix ixsyaqoio dciog p&ä
XSQöir e%ovöcu, von dem Kirchhof? mit Recht urteilt, daß er wohl
aus y 300 (ff 339) hier eingedrungen sei. Ich weiß in der Tat
hundertfach verstärkt auf euch, Dämlich auf das größte Werk eures größten
Dichters, zurückfällt". Dies wird dann am Faust Daher erörtert.
Jahresbericht« XXXI. 13
194 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
auch nicht, was dieser Vers hier bedeuten soll. Hennings (S. 566)
wirft die Frage auf, ob der Dichter vielleicht eine Erinnerung,
daß es inzwischen dunkel geworden sei, für nötig befunden habe,
nennt es aber eine „ungeheuerliche Vorstellung, daß alle 38 Mägde
mit Fackeln kommen". Vor allem aber, was soll ix wsyagoto
hier heißen? Wenn nun darauf folgt, wie B. will, ccwccq Odvacrjja
. . . EvQVvofjktj . . . Xovtiev xvX. (xp 153 u. ff.), so kommt diese An-
gabe ganz überraschend, und al (isv in % 498 hat keine Be-
ziehung mehr, während diese jetzt ganz eng ist. Wollte man
deshalb eine Versetzung der Verse ^153 usw. vornehmen, so
würde es noch besser sein, sie nach ip 87 zu setzen, wie Sittl
vorgeschlagen hat. Indes auch diese Anordnung (xp 85—87,
153—156, 163/164, 88—93, 96—112 mit IlriveXonrpr statt
TykepccxoPy und hierauf 166 u. ff.) ist sehr künstlich und unwahr-
scheinlich (vgl. Bed. d. Widerspr. S. 27 u. f. und Hennings S. 566
und 568, der meine Ansicht billigt).
Die Unterbrechung der Erkennungsszene durch das Bad und
die übrigen Anordnungen ist ja ganz gewiß gegen unser modernes
Empfinden. Wir verlangen einen raschen Verlauf der Handlung,
und mancher Leser überspringt ganze Seiten, wenn ein Dichter
die Lösung einer Spannung zu lange hinzieht. Aber wir haben
Homer nicht nach unserem Empfinden umzumodeln, wir dürfen
nicht verlangen, daß er so erzähle, wie wir es für richtig finden.
Die „Retardation" im kleinen wie im großen ist ein Hauptkenn-
zeichen der Homerischen Dichtung. Wir begegnen ihr in größerem
Umfange schon im 1. Buche der Odyssee, wo die von den Göttern
in Aussicht genommene Heimsendung des Odysseus durch Athenes
Gang nach Ithaka und Telemachs Reise verzögert wird; wir be-
gegnen ihr im 7. Buche, wo Odysseus trotz der Frage der Königin
seinen Namen verschweigt, um ihn erst viel später, im Beginn
des 9. Buches, zu nennen; wir begegnen ihr im ganzen zweiten
Teile der Odyssee, ganz wie in der Rias, wo für unser modernes
Empfinden die Entscheidung durch immer neue Episoden viel zu
lange hinausgeschoben wird. Wenn wir im besonderen sehen, daß
der Dichter im spannendsten Augenblicke, als Eurykleia den Herrn
an der Narbe erkennt, noch die Geschiente von der Eberjagd er-
zählt oder, als der mit Spannung erwartete Bogen von Penelope
geholt wird, in längerer Ausführung sich über seine Herkunft er-
geht, wer wollte da die Hinausschiebung der Erkennung zwischen
den beiden Gatten, die noch im letzten Augenblicke durch das
Bad usw. erfolgt, für unhomerisch halten? Vielmehr verstümmelt
der, welcher solche . Szenen streicht, nur den echten Homer.
Ist aber diese Unterbrechung echter Teil der Dichtung» so
ist es auch alles, was damit eng zusammenhängt, d. h. der Schluß
von xp und der größte Teil von w. Die Abweichungen von
mancher Homerischen Vorstellung, auf die in den letzten hundert
Jahren seit Spohns Abhandlung so großes Gewicht gelegt worden
Homer, von G. Rothe. 195
ist, kommen gegenüber den großen Schönheiten, die dieser Schluß,
die Hadesszene inbegriffen, enthält, nicht in ßetracht. Es durfte
sie vor allem B. nicht so sehr betonen, da er im Anhange zeigt,
wie sehr lVÜ von den übrigen Büchern der Ilias abweichen, und
in der Einleitung auf den auffallenden Schluß von Piatos Staat
hinweist. Andere Beispiele sind in großer Zahl vorhanden, ich
erinnere nur an den fünften Akt von Schillers Teil und an den
Schluß von Maria Stuart (V 11 u. f.). Alles mahnt zur Vorsicht,
und wir glauben, daß die Zeit vorüber ist, in der man, anstatt
in die Eigenart des Dichters einzudringen, ihn nach eigenen
Grundsätzen und Forderungen glaubte umgestalten und verbessern
zu können.
Diese Ansicht begründet näher
27) 0. Jö'rgensen, Eine neue Strömling in der höheren Homer-
kritik. Nord. Tidsskrift for Filol. XIII (1904) S. 1—21.
J. erkennt mit Recht den hohen Wert der Arbeiten von
Zielinski (vgl. JB. 1902 S. 125) und Römer (JB. 1903 S. 283/284
und 302—308) an und glaubt, daß man in der nächsten Zeit
mehr die Arbeitsweise des Dichters oder der Redaktoren studieren
müsse. Wir dürfen für uns das Verdienst in Anspruch nehmen,
diesen Standpunkt nicht nur in diesen Jahresberichten, sondern
auch in unseren kleineren Abhandlungen vertreten zu haben.
Aber auch P. Cauer hat in seinen verschiedenen Arbeiten über
Homer viel zu einer richtigeren Beurteilung Homers beigetragen.
28) 0. Jörgensen, Das Auftreten der Götter in den Büchern
i—fi der Odyssee. Hermes 1904, 39. Bd., 3. H., S. 357—382.
Der Verf. hat die Beobachtung gemacht, daß der Dichter,
wenn er selbst erzählt, stets die Gottheit, die in die Handlung
eingreift, mit Namen nennt, daß dagegen in direkten Reden nur
die allgemeine Bezeichnung für Gottheit d-sog (ß-eol), dal^coy
und merkwürdigerweise auch Zsvg gebraucht wird. Dieser
nimmt eine ganz besondere Stelle in den Homerischen Gedichten
ein. In der Ilias lenkt er zwar die Geschicke der Götler und
Menschen, doch tritt er nie persönlich unter den Menschen auf,
sondern wirkt aus der Ferne durch seine Boten; in den Reden
der Helden aber läßt es sich kaum unterscheiden, ob die un-
bestimmte Gottheit oder der Götterkönig gemeint ist. In der
Odyssee greift er viel weniger in die Handlung ein (außer den
drei olympischen Szenen nur ß 146, v 102, <p 413, w 539),
dagegen spielt er in den Reden eine viel größere Rolle (J. führt
62 Beispiele an), doch darf „man wohl behaupten, daß der Dichter
an keiner einzigen Stelle an den persönlichen, anthropomorphen
Gott denkt" (S. 366). Eine Nachprüfung dieser Stellen bestätigt
im allgemeinen die Richtigkeit dieser Auffassung: Zeus gilt in
der Odyssee nicht als der höchste Gott, sondern geradezu als
13*
196 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Vertreter der Gottheit) welche mit den Menschen spielt „wie das
Heer mit den Steinen der Brandung".
Sehen wir also von Zeus ab, so werden in den Reden die
Götter nicht mit Namen genannt, außer wo es sich um ganz be-
stimmte Attribute der Gottheit handelt. So „wissen die homeri-
schen Menschen, daß Hephaistos die köstlichen Kunstwerke ge-
bildet, daß Apollo oder Artemis den plötzlichen Tod schicken, daß
Poseidon das Schiff scheitern läßt u. a.". Dieser „homerische
Stil" findet sich auch in der längsten zusammenhängenden Rede,
in t — /u, beobachtet, und J. folgert daraus, daß diese Bücher von
vornherein in erster Person gedichtet waren. Die Gründe, die
Kirchhof! vorgebracht hat, um für xp ursprüngliche Abfassung in
3. Pers. wahrscheinlich zu machen, sind ja schon längst als nicht
stichhaltig erkannt worden. Nur eine Stelle gibt es, die auf Ab-
fassung in 3. Pers. hinweist, nämlich p 374—390. Denn hier
wird ein Vorgang im Olymp erwähnt, von dem Odysseus keine
Kunde haben konnte; hier werden auch gegen das Gesetz, das J.
in den Reden sonst überall beobachtet findet, Lampetia, Helios
und Zeus erwähnt. Der Verf. aber glaubt, daß diese Stelle inter-
poliert sei von einem, der den strengen Stil der Reden nicht
kannte und hier eine an sich wahrscheinliche Szene, wenn auch
an unrechter Stelle, anbringen wollte. Daß diese Szene, die schon
Aristarch athetiert hat, entbehrt werden kann, hat der Verf. nach
Hartel u. a. klar dargetan. Ebenso begreiflich ist, weshalb ein
Nachdicbter sie zufügte und weshalb sie von den Rhapsoden als
willkommene Bereicherung des Textes aufgenommen wurde. Wenn
wir also wirklich nur die Wahl hätten (vgl. Hennings, Odyssee
S. 370), entweder diese Verse als späteren Zusatz anzusehen,
oder anzunehmen, daß hier eine mechanische Umsetzung aus der
3. in die 1. Person stattgefunden habe, so dürfte die Entscheidung
nicht schwer sein. Aber ganz so steht es doch nicht. In x er-
scheint Hermes dem Odysseus und wird sofort von diesem erkannt,
obwohl er sich ihm nicht besonders zu erkennen gibt. Der Verf.
entzieht sich dem Einwand, den man auf Grund dieser Tatsache
gegen seine Theorie machen kann, dadurch, daß er annimmt, be-
stimmte Götter seien den homerischen Menschen durch ihre äußere
Erscheinung ohne weiteres bekannt gewesen. So habe man sich
Hermes als unbärtigen Jüngling, wie z. B. Athene als schönes,
hohes Weib vorgestellt, und Odysseus habe ihn daran, da er
„ohne Maske" erschienen sei, sofort erkennen müssen. Dem
widerspricht aber, von allem anderen abgesehen, die Tatsache,
daß derselbe Gott in S2 von Priamus nicht erkannt wird. Auch
sind die Worte genau so gesetzt, wie wenn der Dichter, nicht
Odysseus erzähle. Denn für Odysseus war, wenn Hermes all-
gemein bekannt war, die Angabe nicht nötig: verjvifi ävdqi
iotxdg — fjßrj. Ich meine, daß mit solchen Angaben der Dichter
aus der Rolle der Selbsterzäblung herausfällt. Dieselbe Empfindung
197
habe ich bei * 551 — 555. Hier ist von Zeus nicht in dem all-
gemeinen Sinne von Gottheit die Rede, sondern es werden ihm
ganz persönliche Gedanken untergeschoben (o 6* ovx ifind&To
\qwv, &XV o ys [asq^q^s oncag xtA.), Gedanken, die wohl der
Dichter, nicht aber Odysseus kennen konnte. Rechnen wir dazu,
daß auch sonst Odysseus in den Apologen nicht selten Dinge er-
zählt, die er nicht wissen kann, so ist auch bei (i 374 — 390 die
Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß der Dichter aus der Rolle
des Selbsterzählers herausgefallen sei und die Dinge so erzählt
habe, wie er sie für angemessen hielt. Ursprüngliche Abfassung
in 3. Pers. würde daraus nicht folgen. Übrigens bestreitet der
Verf. (S. 379) nicht, daß der Dichter der Apologe schon ältere,
in 3. Pers. abgefaßte Darstellungen der Irrfahrten vorgefunden
haben kann. „Wenn aber die Apologe eine Umarbeitung einer
Dichtererzählung sein sollen, so sind sie jedenfalls für die Selbst-
erzählung so vorzüglich umredigiert, daß die Vorlage ... für uns
keine Bedeutung hat".
Hieran reihen wir noch zwei Aufsätze, die mit der höheren
Kritik nur lose zusammenhängen:
29) 0. Kretzscfamar, Beiträge zur Charakteristik des Homeri-
schen Odyssens. Progr. Neunkirchen (R. ß. Trier) , 1 903.
Der Verf. bespricht die einzelnen Epitheta, die der Dichter
Odysseus gibt, und sucht nachzuweisen, daß diese stets passend
für die augenblickliche Lage des Helden gewählt seien. Dabei
zeigt er auch in längerer Ausführung (S. 8 — 11), daß noXv^ttg
für den Helden gut passe in der bekannten Szene r 52 u. ff.
Odysseus habe gewünscht, von Eurykleia erkannt zu werden, aber
nicht von Penelope, der er „die Aufregung des Kampfes ersparen
wollte". Deshalb habe er sich ins Dunkle gesetzt und zu ver-
hindern gesucht, daß die Alte in ihrer Freude Penelope die Ent-
deckung verrate. Auch sonst enthält die Ausführung manche
treffende Bemerkung.
30) C. Hentze, Die Monologe in den homerischen Epen. Philol.
LXm (1904) S. 12—30.
Der unermüdliche, erfolgreiche Forscher auf dem weiten
Gebiete Homerischer Dichtung weiß immer neue, interessante
Fragen zu stellen und sie mit gesundem Sinn zu beantworten.
Folgendes ermittelt er in der kleinen Abhandlung: die eigentüm-
liche Kunstform des Monologs findet sich 21 mal in den Homeri-
schen Gedichten, und zwar 11 mal in der Uias, 10 mal in der
Odyssee; in der Uias entbehren die ersten zehn und ebenso die
letzten beiden Gesänge derselben gänzlich, in der Odyssee sind
a — d, i — ji, Kf — (o ohne Beispiel, während s allein sechs Beispiele
bietet. Dem Inhalte nach zerfallen sie in erwägende und be-
trachtende, eine besondere Gruppe bilden die (4) Göttermonologe.
1Q8 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Indem nun der Verf. die Gründe für die Anwendung der Monologe
untersucht und ihren Unterschied von der einfach erzählenden
Darstellungsweise klarlegt, darauf prüft, inwieweit die einzelnen
angemessen verwandt sind und als ursprünglich oder als Nach-
ahmung anzusehen sind, kommt er zu dem Ergebnis, daß von
„der Kritik nicht zu beanstanden in der Ilias nur fünf sind:
A 404ff., 2 6 ff., r 425 ff., O 54 ff. und X 297 ff.; dagegen
haben die Monologe in der Odyssee größtenteils ihre sichere . . .
Stelle*', nur v 119 ff. und v 6 ff. sind beanstandet. Für die
höhere Kritik also kommen sie wenig in Betracht, so interessant
im einzelnen die Beobachtung dieses Kunstmittels ist.
Anhang.
Nicht zugänglich gewesen sind mir folgende Arbeiten:
Mandat-Grancey, Aux pays d'Homere. Paris 1902. 385 S. — Vgl.
Ball. bibl. d. Mos. beige 1903, X, 449—450 (M. Zech).
W. G.Manly, ithaka or Leukas. — Vgl. N. phil. Rundsch. 1904 S. 7—8
(R. Menge).
Wö'rpel, Deuteroskopie bei Homer. Io den ßeitr. zur klass. Philol.
1904.
"H. Francotte, Deux nouveaux livres sur la question Homerique.
Musee beige 1904, VTII 2, S. 154—176.
Petrozziello, L'invidio di Patrocle nella Iliade. Riv. Stör. Ital.
1904, Vn, H. 2/3, S. 562—583.
6. de Sanctis, L'irrazionale nell* Iliade. Riv. di Fil. 1904, I,
S. 41—57.
Von Besprechungen der im letzten Jahresbericht behandelten
Schriften sind mir nachträglich noch bekannt geworden:
A. Römer, Homerische Studien. Bespr. von O. Dingeldein, N. phil.
Rundsch. 1903 S. 289—290; Zielinski, fierl. phil. WS. 1903 Sp. 1121
—1124.
Michael, Das homerische und das heutige Ithaka. Bespr. von
£. Heydenreich, Mitt. a. d. hist. Lit. 1903, 1, S. 1/2; K. Wolf, Berl.
phil. WS. 1903 Sp. 208—213; R. Menge, N. phil. Rundsch. 1903
S. 270—275.
Trenkel, Odysseestudien. Bespr. von J. Sitzler, Gymnasium 1904
S. 653.
Sitzler, Ästhetischer Kommentar. Bespr. von C. Haeberlin, Berl.
phil. WS. 1904 Sp. 449—451.
Hennings, Odyssee. Bespr. von Martini, Lit. Zentralb]. 1904 Sp. 369 —
373; A. Gercke, DLZ. 1904 Sp. 1365—1367; P. Cauer, N. Jahrb. f.
d. klass. Altert. 1904, H. 10, S. 734; Groenboom, Mus. Maandbl. Leiden
12. Jahrg. (1905) Nr. 3; J. Sitzler, WS. f, klass. Phil. 1904 Sp. 785^
788; A. Ludwig, Berl. phil. WS. 1904 Sp. 1313—1322.
In der Berl. phil. WS. 1904 Sp. 1567 weist Hennings A. Ludwigs
Formulierung seines Standpunkts zurück und gibt als eigene Ansicht,
die so bestimmt allerdings in dem Kommentar nicht ausgesprochen ist:
„Eine Odyssee hat es vorher (nämlich vor dem Anfange der Olympiaden
und der von Interpolationen reinen Telemachie) in verschiedener
'*
Homer, von C. Rothe. 199
Gestalt und verschiedenem Umfange schon gegeben, zuerst wahr-
scheinlich (s. S. 598) eine solche, wie sie sich aus den Rhapsodien
tx/4 (in 3. Pers.) s^qnp und % zusammensetzen läßt, darauf ist
wahrscheinlich die Phäakis hinzugekommen, dann die Telemachie
und noch später X und der Schluß der Odyssee. Wann die Ein-
ordnung dieser Bestandteile zu einem Buche stattgefunden hat,
entzieht sich genauerer Bestimmung; daß aber ziemlich große
Stücke wie die zweite Nekyia erst in attischer Zeit hinzugekommen
sind, scheint mir allerdings gewiß (?!). Pisistratus durfte gar
nicht eine Redaktion veranlaßt haben". Wir haben nach dem
vorangehenden Bericht dem nichts hinzuzufügen.
Friedenau. C. Rothe.
5.
Homer
(mit Ausschluß der höheren Kritik)
1903—1904.
I. Ausgaben.
1) Homers Ilias. Für den Sohnlgebranch erklärt von K. F. Am eis. Erster
Band. Erstes Heft: Gesang I — in. Sechste, berichtigte Auflage, be-
sorgt von G. Hentze. Leipzig 1903, B. 6. Teubner. 140 S. 8.
1,20 JC, geb. 1,60 JC
2) Homers Odyssee. Für den Schalgebrauch erklärt von K. F. Am eis.
Zweiter Band. Zweites Heft: Gesang XIX — XXIV. Neunte, berich-
tigte Auflage, besorgt von C. Hentze. Leipzig 1901, B. G. Teubner.
179 S. 8. 1,40 Jt, geb. 1,80 M*
Das Iliasheft weist eine große Anzahl von Bereicherungen und
Berichtigungen auf Grund der seit 1894 erschienenen Homer-
literatur auf. Besonders sachliche Bemerkungen sind an vielen
Stellen teils genauer gefaßt, teils nach dem gegenwärtigen Stande
der Forschung umgestaltet oder hinzugefugt. Auch für sprachliche
Fragen boten neuere Werke Anlaß zu wiederholter Prüfung. Die
benutzte Literatur gibt Hentze in der Vorrede an. Den Text hat
der Bearbeiter nach der 1902 erschienenen kritischen Ausgabe
von Ludwich einer Durchsicht unterzogen, die zu mehrfachen Be-
richtigungen führte; so wird z.B. die Gliederung der Rede erst
klar, wenn A 20 Xvticuts statt Xvtiai xs gelesen wird. Die
Schreibung sddeiöa ist jetzt angenommen (s. Bern, zu ^33). In
den Anmerkungen ist Entbehrliches gestrichen, dagegen hat der
Kommentar an Bemerkungen über die Auffassung einzelner Stellen
wie über den Zusammenhang des Ganzen und an sachlichen Er-
läuterungen reichen Zuwachs erhalten; so wird zu A 7, 31, 94,
122 die Darstellung charakterisiert, zu A 194, 530, 571 die Auf-
fassung gesichert, zu A 14, 39, 62, 80, 361, 584 eine sachliche
Angabe genauer gefaßt, vervollständigt oder neu hinzugefügt, zu
A 103, 113 der Zusammenhang nachgewiesen.
Mit derselben unermüdlichen Sorgfalt und Zuverlässigkeit ist
das Odysseeheft von neuem durchgearbeitet worden.
Homer, von E. Naumann. 201
3) Homers Odyssee in verkürzter Ausgabe. Für den Schulgebrauch von
A.Th. Christ. Mit 1 Titelbilde, 16 Abbildungen und 1 Karte.
Vierte, durchgesehene Auflage. Leipzig 1904, G. Freytag. XLIII u.
340 S. 8. geb. 2,20 Jt.
Von den vorangegangenen Auflagen liegt mir zum Vergleich
nur die erste vor (JB. 1893 S. 47 — 48). Von dieser unterscheidet
sich die vierte dadurch, daß zahlreiche Verse wieder eingesetzt
sind, die ursprünglich ausgeschieden waren, und zwar s 95, 360
—364, 464—474, £ 19, 30, 34—40, 103, 128, 129, 133, 134,
157, 162—167, 262—290, tj 155—166, # 65—66, 146—149,
164—200, 253, 526—530, x 279; neu. gestrichen ist x 226, und
überflüssig wurde nur der von Christ aus & 146 und 149 neu-
gebildete Vers. Am übrigen Bestände wurde so wenig geändert,
daß die Druckformen der ersten Auflage wieder benutzt werden
konnten. In der Einleitung wird S. I — XVIII die homerische
Frage in ihren Grundzügen behandelt, das Namensverzeichnis und
der Anhang über Tracht, Wohnhaus und Schiff sind neu durch-
gearbeitet und vermehrt worden. Die Karte bietet das homerische
Griechenland mit einer Nebenkarte von Ithaka.
II. Übersetzungen.
4) M. Joris, Über Homerübertragung mit neuen Proben. Programm
Limburg a. d. Lahn 1901. Leipzig 1902, G. Fock. 72 S. 8. 1,20 Jt.
Die zahlreichen deutschen Homerbearbeitungen gehen auf
Voß zurück als auf den Bahnbrecher und den ältesten Meister der
Homerübersetzung. Aus äußeren Gründen ist es nicht statthaft,
das Werk eines neueren Übersetzers in gleicher Weise zurecht-
zuschneiden.
Wird aber die Vorfrage gestellt, ob die Vossische Übersetzung
auch heutzutage noch das rechte Gewand ist für den Homer, wie
wir ihn jetzt kennen und verstehen, ob sie in der Sprache zu
uns redet, die wir als Dichtersprache empfinden, so wird ihr Wert
und ihr Verdienst als einer großen literarischen Tat doch mehr
und mehr der Geschichte anheimfallen und die Erwägung, ob
nicht eine Übersetzung möglich wäre, die Homer unserem Fühlen
und Denken näher brächte, nicht abzuweisen sein. So wird es
erklärlich, daß der Verf., in dem Wunsche,' den Realanstalten und
allen denen, die nicht Griechisch verstehen, auch um der Pflege
des Idealismus willen die Bekanntschaft mit Homer zu erhalten,
nach der besten Übersetzung ausschaut. Wras uns an der Vossi-
schen Übersetzung stört, ist, wie 1882 Schroeter nachgewiesen
hat, die oft hausbackene prosaische Redeweise, die doch nicht
•volkstümlich ist, die ungelenke Handhabung des Hexameters, die
häufige Verschrobenheit in der Auffassung des Textes. Daß die
Ilias und die späteren Rearbeitungen der Odyssee gegen deren
erste Übersetzung zurückstehen, ist allgemein zugegeben. Joris
202 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
bestätigt die Ausfuhrungen Schröders durch zahlreiche Beispiele
aus der „Urodyssee" und aus den späteren Auflagen.
Von den Homerübersetzern des 19. Jahrhunderts sind viele
auf Voß' Spuren weitergegangen, eine andere Gruppe hat neue
Wege gesucht und insbesondere andere Versmaße gewählt. Ein-
gehend behandelt Joris zunächst die Nachbildung der Odyssee in
achlzeiligen Stanzen von H. von Schelling (JB. 1899 S. 125 f.).
Bei aller Anerkennung für die edle, klangvolle Sprache, für die
Herrschaft über die an sich schwierige Strophenform, für die
schöpferische Kraft der Nachdichtung werden doch mancherlei
Unebenheiten aufgezeigt. Die Strophenform verlangt jedesmal
Abrundung des Gedankens, das widerspricht der homerischen Dar-
stellungsweise, im Vergleich zum griechischen Ausdruck tritt zu-
weilen ein Überschwang ein (ungewöhnliche Wörter und gewagte
Neubildungen), die Übertragung der Beiwörter hat noch nicht
überall das Fremdartige vermieden. Joris gibt selbst zu, daß man
an solchen Dingen nicht zu viel „nörgeln" soll, und beschränkt
schließlich seine Einwendungen auf die Strophenform ; homerische
Natürlichkeit und Einfachheit gehen bei der schwungvollen Schelling-
schen Form verloren. Zugunsten dieser Form muß aber in Er-
wägung gezogen werden, was Joris übersieht, daß die epische
Sprache, in der Homer den Griechen entgegentrat, für diese auch
nicht die Sprache des täglichen Lebens war, sondern eine der
Verkehrssprache entrückte Rede, die vermöge archaischer, dialek-
tisch verschiedenartiger Wörter, epischer „Dehnungen", uralter
Formeln auch äußerlich den Eindruck des Feierlichen und Er-
habenen machte.
Gegen die niederdeutsche Übertragung von Dühr (JB. 1899
S. 123 f.) verhält sich Joris in Übereinstimmung mit den in zahl-
reichen Besprechungen geäußerten Bedenken ablehnend. Die An-
wendung der niederdeutschen Sprache überhaupt und die Wahl
des Strehlitzer Dialektes insbesondere beschränkt die Wirkung auf
einen engen Leserkreis, das Niederdeutsche verhält sich zum Hoch-
deutschen nicht so, wie der homerische Dialekt zum attischen.
Die Ausdrucksweise steigt im allgemeinen auf ein zu niedriges
Niveau herab. Ähnlich habe ich mich an der angeführten Stelle
geäußert.
Unter denjenigen, welche den Hexameter beibehielten, sind
Jordan und Hubatsch die Bedeutendsten. Jordan hat sich, freilich
noch schüchtern, von der Vorstellung loszureißen gesucht, als
müßte die Übertragung dem Text Vers für Vers entsprechen, er
ist bestrebt, die Sprache zu bereichern, da der Vorrat an deut-
schen Wörtern dem homerischen Sprachschatz nicht gleichkommt,
ist aber in den sprachlichen Neuerungen nicht immer glücklich.
Die eckigen Klammern mit den darauf bezüglichen Anmerkungen
sind in einem deutschen Homer nicht wünschenswert. Die
Schwierigkeiten des Versmaßes erkennt Jordan richtig, ebenso die
ü
Homer, von E. Naumann. 203
Störungen, welche die Beiwörter der poetischen Schönheit und
Wahrheit bereiten, hat aber beides noch nicht überwunden, ob-
gleich er sich in der Behandlung des Verses berechtigte Freiheiten
gestattet; insbesondere hat er sich noch nicht zu einer durch-
greifenden Änderung im Gebrauch der Beiwörter oder zu deren
gänzlichem Aufgeben an Stellen, wo sie störend wirken, ent-
schlossen. An wörtlicher Treue steht Jordan über Voß, aber Stil
und Sprache steht noch im Banne des Obersetzerdeutschs. Der
Hexameter bewirkt bei ihm manche Schwerfälligkeit und Breite
des Ausdrucks, die allerdings in anderen hexametrischen Über-
tragungen, wie an Beispielen gezeigt wird, in noch höherem Maße
hervortreten. Ohne Jordans Dichterruhm und der Wertschätzung
des Mannes Abbruch tun zu wollen, gelangt der Verf. zu dem
Ergebnis, daß wir auch in Jordan den endgültigen deutschen
Homer noch nicht haben. Demselben Urteil entspringen die zahl-
reichen Übertragungsversuche nach Jordan. Joris geht diese nicht
mehr im einzelnen durch.
Der Homerübersetzer darf nach Joris nicht gegen die Gesetze
der Logik und Ästhetik verstoßen. Die letzteren sind veränder-
lich, deshalb ist es u. a. nicht mehr selbstverständlich, daß Homer
nur in Hexametern übersetzt, oder daß das Original bis in Einzel-
heiten getreu nachgebildet werde. Der Übersetzer darf nicht
durch pedantische Vollständigkeit dem nichtphilologischen Leser
den Geschmack am Ganzen verderben. Der Hexameter soll ge-
mieden werden, weil der Vers nicht volkstümlich ist, schon wegen
der unsicheren Messung in den Akzentverschiebungen innerhalb
der Wörter, sodann wegen seines verderblichen Einflusses auf den
Stil. Einen bestimmten Vers zu empfehlen beabsichtigt der Verf.
nicht, er denkt an den fünffüßigen Jambus, hat einen Versuch
gemacht mit dem gereimten achtfüßigen Trochäus, hält aber die
kurzen Reimpaare und den vierfüßigen Trochäus für geeigneter.
Aus den umfangreichen Proben teile ich hier einige Stellen mit.
Ilias r 1 — 9 in kurzen Reimpaaren.
Als nun eine jede Schar
Mitsamt den Führern geordnet war,
Da rückten mit Geschrei nnd Lärmen
Die Troer an gleich Vogelschwärmen.
Es klang, wie wenn ein Kranichheer
Krächzend zieht am Himmel her,
Das glücklich vor des Winters Drohen
Und vor der Regenzeit entflohen,
Lärmend zieht zum Ozean.
Kleinem Zwergvolk künden sie
Unselig Todesschicksal an,
Wenn sie in der Morgenfrüh
Sich zum grausen Kampfe nahn.
Doch schweigend rückten die Griechen an,
Die ßrast mit hohem Mut erfüllt,
In ihrem Herzen festgewillt,
Zu stehen alle Mann für Mann.
204 Jahresberichte d, Philolog. Vereins.
llias 42 695—706 in vierfüßigen Trochäen.
Strahlend wob die Morgenröte
Um die Erde Goldgewandung,
Als die beiden, Weh im Herzen,
Auf den Lippen Klag' und Jammer,
Ihre Rosse stadtwärts trieben,
Mit dem Toten auf dem Wagen.
Aber keiner von den Männern,
Keine von den Frauen Trojas
Hatte noch gewahrt ihr Kommen.
Nur die Seherin Kassa odra,
Priams Tochter, die an Schönheit
Glich der goldnen Aphrodite,
War auf Trojas Burg gestiegen
Und erblickte jetzt den Vater
Auf dem Wagenstuhle stehend.
Uod erblickte auch den Herold.
Und erblickte jetzt den Toten
Hingestreckt auf seinem Lager.
Da erscholl durch Trojas Straßen
Laut und schauerlich ihr Klagruf:
Kommt und schant, ihr M'ainer Trojas,
Kommt, ihr Fraun, und schaut den Hektor!
Grüßtet ihn ja sonst so freudig,
Wenn er lebend aus der Schlacht kam,
Ihn, des Volkes Lust und Wonne.
In kurzen Reimpaaren hatte schon Fahtand Stellen der Odyssee
übersetzt (s. die genaueren Angaben JB. 1902 S. 194). Joris be-
stätigt durch die Übertragung seine eigene Meinung, daß auch
dieses Versmaß nicht von Gefahren frei ist. Die Reime erfüllt:
festgewillt, frechen : rächen, die Dehnung hungerigen, die Kürzung
Todsgeschick, der Gebrauch der Formen jetzo und sonsten, die
Redensart: „nicht weiter... Als du weifend einen Stein magst
schicken" {pöov t' inl Xaav tqaiv V. 12) erscheinen nicht ein-
wandfrei, zum Teil auch nicht vor Joris' eigener Kritik (vgl. ober
Reime S. 24, über Dehnung S. 43, verdorrete Diesteln, S. 48 über
Weitschweifigkeit). Unklar ist in der trochaischen Übersetzung:
„Wenn nicht etwa ein Achäer Dich erfaßt am zarten Ärmchen
Und von eines Turmes Zinnen Dir den zarten Leib
zerschmettert" (S2 734f.).
5) F. Ho ff mann, Homers llias. Für den Schulgebrauch ausgewählt und
erklärt. A sehen dorffs Ausgaben für den deutschen Unterricht. Münster
i. Westf. 1903, Aschendorff. 306 S. 8. geb. 1,45 JC.
6) A. Primoiid und K. A. Schmidt, Homers llias (in verkürzter Form).
Nach der Obersetznng von J. H. Voß. Leipzig 1902, B. 6. Teubner.
Vlll u. 104 S. 8. 0,50 JC.
7) H. Vockeradt, Homers Odyssee, nach der ersten Ausgabe der deut-
schen Übersetzung von J. H. Voß. Für den Schulgebrauch verkürzt
und eingerichtet. Schb'oioghs Ausgaben ausländischer Klassiker mit
Erläuterungen. Paderborn 1902, Schöningh. 170 S. 8. geb. 1,20 JC.
Homer, von E. Naumann. 205
8) F. Weineck, Homers Odyssee in der Übersetzung von J. H. Voß.
Schulausgabe mit Einleitung und Erläuterungen. Stuttgart und Berlin
1902, Cotta. 251 S. 8. geb. 1,20 JC.
9) B. Stehle, Homers Odyssee. Nach der Übersetzung von J. H. Voß.
Für den Sohulgebrauch herausgegeben. Leipzig, G. Freytag, und Wien,
F. Tempsky, 1904. 151 S. und 1 Titelbild. 8. geb. 1 Jt.
10) E.Weißenborn, Homers llias und Odyssee in verkürzter Form
nach J. H. Voß bearbeitet. Zweites B'äodchen: Odyssee. Zweite,
vielfach verbesserte Auflage. Leipzig und Berlin 1904, ß. 6. Teubner.
XVI u. 152 S. 8. geb. 1,40 M.
Diese Ausgaben beruhen alle auf dem Text von J. H. Voß,
auf dessen erste Ausgaben sie mit Recht zurückgehen, und sind
gekürzt. Sie sind für Realanstalten und Töchterschulen bestimmt
und geeignet und enthalten in Einleitungen, Anmerkungen, Registern
die zum Verständnis nötigen Hilfen. Der Umfang des Textes ist
sehr verschieden.
Hoffmann verkürzt die llias „durch Ausscheidung aller un-
echten, angezweifelten, störenden oder für den Gedankengang nicht
unbedingt erforderlichen Stellen'4 auf 6300 Verse, zu einer Er-
zählung, „die alle wichtigen Ereignisse der llias enthält". Die
Einteilung in 24 Gesänge ist beibehalten, diese umfassen auf Grund
der Ausscheidungen 29 Tage. — Primozid und Schmidt (vgl.
JB. 1899 S. 128) greifen tief in das Gefüge der Dichtung ein, die
auf 4333 Verse verkürzt wird. Die llias gliedert sich hier, nach
dem vorbereitenden Gesänge, der Achills Entzweiung mit Agamemnon
enthält, in drei Teile: „Erster Schlachttag ohne Achilleus, zweiter
Schlachttag ohne Achilleus, Achilleus nimmt wieder am Kampfe
teil". Der erste Teil enthält einen Auszug aus B, J 422—432,
E und Z im Auszuge, H 1 — 7, 0 Stucke aus 395 — 565, J im
Auszuge. K — 5 ist übergangen. Der zweite Teil setzt mit O 592
ein, enthält U im Auszuge und Stellen aus P. Der dritte Teil
enthält 2 und T im Auszuge, aus O die Weissagung des Rosses
Xanthos, X im Auszuge, W Vers 1 und 52 ff. im Auszuge. Durch
diese Anordnung ist eine gedrungene Übersicht über die Haupt-
handlung der llias in geschickter Weise hergestellt. Die Einteilung
in 24 Gesänge mußte aufgegeben werden, sie ist durch eine
Gliederung in 12 Abschnitte nach dem Inhalte ersetzt. — In den
Bearbeitungen der Odyssee von Vockeradt werden die Gesänge ßyd
ganz fortgelassen, so daß sie auch bei der Zählung ausscheiden,
und das Gedicht scheinbar nur 21 Gesänge hat, Weineck gibt
ganz kurze Bruchstücke nebst Inhaltsangabe, Stehle lediglich
die letzten. Weißenborn versucht durch zahlreiche Änderungen
im Vergleich zur ersten Ausgabe (JB. 1899 S. 128) „die Aus-
drucksweise moderner und zugleich poetisch klangvoller zu ge-
stalten44. Die Einleitungen enthalten Mitteilungen über Homer
und die Odyssee. Befremdlich klingt bei Weineck S. 14 9 die
Äußerung: „So Euripides, dessen beide Iphigenien . . . allein er-
halten sind44.
206 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
11) 0. Hubatsch, Homers Odyssee and Ilias im Auszüge. In neuer
Übersetzung. Bielefeld and Leipzig 1904, Velhagen & Klasing. VII
n. 165 S. 8. 1,10 ^K.
Dieser Auszug aus beiden Gedichten in einem Bändchen ent-
hält von jedem nur etwa den sechsten Teil; für diese weitgehende
Kürzung scheint nach der Bemerkung: „Der beschränkte Raum,
der für den Auszug zu Gebote steht, gestattet . . ." (S. XVI) mehr
der Wille des Verlegers als die Absicht des Herausgebers verant-
wortlich zu sein. Es wird also eine „Auswahl des Wichtigsten1'
dargeboten, in 7 Abschnitten der Odyssee werden Stücke aus dem
5. — 9., 13., 17., 21. und 22. Buche, in ebensoviel Abschnitten
der Ilias Stücke aus Buch 1, 3, 4, 6, 12, 16, 18, 19, 22 und 24
so vereinigt, daß die Hauptmomente der Handlung in einzelnen
großen Szenen hervortreten, so daß das Buch nur für eine allererste
Kenntnisnahme vom Inhalt der Dichtungen ausreicht. Hubatsch
legt die eigene Übersetzung zugrunde.
Im Anschluß an die Versuche, durch Übertragung die Homeri-
schen Gedichte dem deutschen Volke zu eigen zu machen, mag
hier erwähnt werden
12) W. v. Goethe, Achilleis. Für den Schalgebrauch herausgegeben von
G.Klee. Leipzig 1903, G. Freytag. 48 S. 8. 0,50 ./#.
Goethe beabsichtigte, den Tod Achills zu singen in homeri-
scher Art und in homerischem Vers, aber nachhomerischer Sage
folgend. „Achill weiß, daß er sterben muß, verliebt sich aber in
die Polyxena und vergißt sein Schicksal rein darüber, nach der
Tollheit seiner Natur". Die zum Tode führende Leidenschaft des
Peliden für die trojanische Königstochter ist der Hauptinhalt des
geplanten Gedichts. Seit Erscheinen des 5. Bandes der Weimarer
Goetheausgabe (1900) läßt sich das Fragment im Zusammen-
hange des ganzen Planes, der acht Gesänge umfaßte, betrachten.
Es lohnte sich wohl, dieses Bruchstück von 651 Versen ein-
mal nach den Gesichtspunkten zu untersuchen, denen Joris in
der oben genannten Abhandlung gefolgt ist, und außerdem genau
zu erforschen, aus welchen Gründen Goethe den Plan nicht aus-
geführt hat. Klee berichtet: „Die Rückkehr (von Jena) nach
Weimar (1799, nachdem Goethe das „Schema" entworfen und
den ersten Gesang geschrieben) brachte neue Pflichten und Mühen.
Später drängte besonders der Faust die homerische Welt zurück".
Das ist selbstverständlich keine ausreichende Erklärung, wie denn
auch Klee selbst noch den überquellenden Reichtum seelischer
Bewegungen, der in einem engen Rahmen kaum zu bewältigen
sei, und das Gefühl, daß der tragische Stoff nicht wohl im Tone
Homers erklinge, vermutungsweise als Gründe für den Abbruch
der Arbeit heranzieht.
Homer, von E. Naomaio. 207
III. Homer im Schulunterricht.
13) P. Müller, Entwarf zu einem lliaskanon. In der Festschrift
zur Feier des 150 jährigen Bestehens des Gymnasiums zu Leobschütz
1902. S. 95— 132.
Die Gesichtspunkte, nach denen der Kanon aufgestellt wird,
sind folgende: 1. Der Kanon soll eine Übersicht über den Inhalt,
die Möglichkeit eines Durchblicks gewähren; es ist also zu lesen
der Streit der Könige, die wachsende Not der Achäer, die Gesandt-
schaft an Achill, die Patrokleia, Achills Versöhnung und Eintritt
in den Kampf, Hektors Tod und Auslieferung. 2. Es ist eine
vollständige Charakteristik zu gewinnen, vornehmlich von Achill
und Hektor. 3. Der Schüler ist zum geordneten Denken anzu-
leiten. 4. Die gelesenen Stellen müssen von höchstem poetischen
Werte sein und sollen 5. die Möglichkeit bieten, die Gesetze der
epischen Dichtung aufzuweisen. Nebenher können auch Be-
rührungspunkte mit anderen Unterrichtsfächern, antiquarische und
ästhetische Gesichtspunkte aufgesucht werden. Der hiernach auf-
gestellte Kanon umfaßt 7719 jedenfalls zu lesende und 1674 zur
Wahl freigestellte Verse, und zwar für Unterprima aus A bis 5
3754 + 752 und für Oberprima aus O bis S2 3965 + 922 Verse.
14) L. Bauck, Ein Kanon für die Lektüre der Ilias. Zeitscbr. f. d.
GW. 1901 S. 595— 611.
15) 0. Kohl, Kanon für die Lesung der Odyssee nach den neoen
Lehrplänen. Zeitschr. f. d. GW. 1902 S. 689—700.
Im Sinne der Lehrpläne von 1901 unterscheidet Bauck
Stellen, die regelmäßig gelesen werden sollen, die gelesen werden
können und die nicht zu lesen sind. Er kommt zu dem Schluß,
daß wir imstande sind, die schönsten Partieen der Ilias in der
Klasse zu lesen, es sind nach dem Kanon 6276 Verse. Aus
äußeren und inneren Gründen hält Bauck die Aufstellung eines
ähnlichen Kanons für die Odysse für viel schwieriger. Aber sie
kann nicht umgangen werden; denn es ist selbstverständlich un-
möglich, die ganze Odyssee mit Schülern zu lesen. So veröffent-
licht Kohl den von ihm dem Unterricht zugrunde gelegten Kanon,
der von der Telemachie in Buch 1 — 4 und 15 und von dem
24. Buch ganz absieht und als zu lesen 4166 Verse umfaßt.
Im einzelnen läßt jeder Kanon unbefriedigte Wünsche übrig,
je nach den ästhetischen und erzieherischen Gesichtspunkten, die
den Lehrer leiten, und es ist gut, daß den verschiedenen An-
stalten eine eigene Auswahl gestattet bleibt. Darum soll auch
hier davon abgesehen werden, Abweichungen zu begründen. Man
lese das einzelne an den angeführten Stellen nach.
16) K. Ed. Schmidt, Vokabeln und Phrasen zu Homers Odyssee,
zum Aaswendiglernen gruppiert nebst karzen Anweisungen zum Ober-
setzen. 6. Heft: VI. Gesang. Gotha 1903, F. A. Perthes. 35 S. 8. kart.
0,60 JC. — 7. Heft: Vif. Gesang. Ebenda 1904. 35 S. 8. kart 0,60 ./#.
Die Verzeichnisse enthalten die Vokabeln in der Reihenfolge
208 Jahresberichte d, Philo log. Vereins.
der Verse vollständig, Verweisungen kommen nur sehr selten vor.
Daß eine Gruppierung zum Auswendiglernen nicht stattgefunden
hat, ist schon zu den früheren Heften bemerkt worden (JB. 1899
S. 120).
17) H. Wolf, Homers Odyssee, erläutert and gewürdigt für höhere Lehr*
anstalten sowie zum Selbsstodium. Leipzig 1904, H. Bredt. (Hau
und Wolf, Die ausländischen Klassiker, erläutert und gewürdigt für
höhere Lehranstalten sowie zum Selbststudium. 2. Bändchen.) 118 S.
8. 1 JK.
Diese populäre Behandlung der Odyssee ist wohl geeignet,
den Schüler in die Welt der Homerischen Dichtung einzuführen.
Der erste Teil enthält eine gruppierende Inhaltsangabe der ein-
zelnen Gesänge, von denen je vier zu einem größeren Abschnitt
vereinigt werden, mit Hinweisen auf die kunstvolle Anordnung,
Verbindung und Gliederung der Handlung. Schon hier wird die
Aufmerksamkeit auf die Kulturzustände und den epischen Stil
gerichtet, z. B. in Exkursen über den Phäakenstaat, über Märchen-
geographie und Märchenchronologie. In der Erklärung tritt leb-
hafte Auffassung und stellenweise gesunder Humor hervor. Der
Stand der Kultur wird in Abschnitten über Eheschließung, Religion
Gleichnisse ausführlicher geschildert; dem Verständnis des Dichtungs-
werkes sind Ausführungen über Mythos, Sage, Märchen, über Auf-
bau der Handlung, Entstehung des Epos u. a. gewidmet. Ähnliche
Stoffe und Dichtungen werden besonders aus der deutschen Helden-
sage geschickt zur Vergleichung herangezogen. Im Aufbau der
Dichtung sieht der Bearbeiter keinen einheitlichen, folgerichtig
durchgeführten Plan. Er erwähnt in kurzer Übersicht die „Lieder-
theorie" und von neueren Ansichten die Meinungen von v. Wila-
mowitz, Cauer und Usener, und hält mit v. Wilamowitz einen
großen Teil des Epos für „Flickpoesie", aber nicht die erste
Götterversammlung; mit ebendemselben nimmt er im 7., 11. und
24. Gesang Zudichtungen aus Pisistratos' Zeit an. Dementsprechend
wird eine Auswahl für die Schullektüre vorgeschlagen.
18) H. Wolf, Homers Ilias, erläutert und gewürdigt für höhere Lehr-
anstalten und zum Selbststudium. Leipzig 1905, H. Bredt. (Hau und
Wolf, Die ausländischen Klassiker, erläutert und gewürdigt für höhere
Lehranstalten und zum Selbststudium. 3. Bändchen.) 154 S. 8. 1 JC.
Von den Erläuterungen zur Odyssee ist das Uiasbändchen
wesentlich verschieden. Der Verf. sagt im Vorwprt: „Allenthalben
trat für mich das historische Interesse in den Vordergrund,
insofern ich in den Homerischen Gedichten den Niederschlag einer
jahrhundertelangen geistigen Entwickelung des hochbedeutenden
Griechenvolkes sehe. Bei der Lektüre muß es unsere Hauptauf-
gabe sein, das Entstehen, Werden und Wachsen dieser Dichtungen
zu begreifen und den Primanern das Verständnis dafür zu er-
schließen". Diese Forderung geht zu weit und macht zur Haupt-
Homer, von E. Naumann. 209
sache, was jenseit des Zweckes der Schullektüre liegt. Diese
hat zunächst die Aufgabe, den Schüler mit dem Bestände der
Dichtung bekannt zu machen, ihm deren Inhalt an Charakteren
und Heldentaten, das ganze Weltbild der Dichtung zur lebendigen
Anschauung zu bringen und ihn, wenn es erreichbar ist, zum
ästhetischen Genuß homerischer Darstellungsweise und zu einer
Ahnung dessen emporzuführen, was die Sonne Homers ist. Die
Arbeit, die im vorliegenden Heft dem Schüler aufgelegt wird, hat
der Lehrer für sich zu machen, um eine zweckmäßige Auswahl
zu treffen. Sachlich enthält das Heft eine klare und übersicht-
liche Zusammenstellung der hauptsächlichsten Ergebnisse aus der
neueren Literatur über die homerische Frage und ist für fort-
geschrittnere Schüler, namentlich solche, die Philologie studieren
wollen, nicht ohne Wert.
18) H. Heinze und W.Schröder, Aufgaben aus klassischen Dramen, Epen
und Romanen zusammengestellt. 18. Bändchen: Aufgaben aus
Homers llias, zusammengestellt von H. Heinze. Leipzig 1902,
W. Engelmann. 112 S. 8. 1 Jl. — 19. ßändchen: Aufgaben aus
Homers Odyssee, zusammengestellt von H. Heinze. Ebenda 1902.
83 S. 8. 1 JH.
Nachdem einst Laas eine lebhafte Anregung gegeben hatte,
Aufgaben zu deutschen Aufsätzen aus Homer zu entnehmen —
in der zweiten Abteilung seines Buches über den deutschen Auf-
satz (Berlin 1S94, 3. Auflage, besorgt von H. Imelmann) handeln
allein 75 Seiten über Themata im Anschluß an die Homer-
lektüre — , scheint in den letzten Jahren diese Fundgrube nicht
mehr in gleichem Umfange ausgenutzt worden zu sein. Wie reich
sie ist, zeigt, wenn es noch nötig sein sollte, die vorliegende Auf-
gabensammlung. Sie kommt in diesem Bericht hauptsächlich unter
dem Gesichtspunkt in Betracht, daß die Kenntnis und die richtige
Auffassung der homerischen Welt durch Bearbeitung der vor-
geschlagenen Aufgaben bei den Schülern wirksam gefördert wird.
Und dazu leiten in der Tat die zahlreichen Aufgaben über Gottes-
verehrung, Kulturzustände, örtlichkeiten, Personen, Vergleiche und
einzelne Aussprüche an. Auch unter den nicht durch Disposition
und Stoffsammlung vorbereiteten Themen am Ende der Hefte
finden sich manche, nur eine Episode, ein einzelnes Bild, eine
Situation betreffend, die zu einem Eindringen zunächst in einen
enger begrenzten Stoff führen und dadurch wertvoll sind. Die
in Heft 18 S. 1— 4 und in Heft 19 S. 1—5 vorangestellten
Themen, welche eine Kenntnis der Gedichte im ganzen Umfang
voraussetzen, erscheinen zur Bearbeitung nur nach weiterer An-
leitung des Lehrers geeignet. Aufgaben jedoch wie S. 64 Nr. 34
„Die drei Aufzüge der Odyssee", Nr. 35 „Der 1. Aufzug" (I— IV),
Nr. 37 „Der 2. Aufzug" (V— XII 187), Nr. 38 „Der 3. Aufzug"
(XIII 187— XXIII 296) und gar Nr. 36 „Die sechs Auftritte des
ersten Aufzuges, Nr. 38 „Die sechs Auftritte des zweiten Aufzuges",
Jahresberichte XXXI. 14
210 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Nr. 41 „Die sechzehn Auftritte des dritten Aufzuges'4 halte ich
für verfehlt, weil hier das Epos in ein Schema hineingezwängt
wird, das dafür nicht paßt, und bei dem Schüler über den Unter-
schied der beiden Dichtungsgattungen, die er gerade an den
Mustern kennen lernen soll, von vornherein Unklarheit verbreitet
wird. Im einzelnen bleibt manches zu erinnern, zum Teil schon
deshalb, weil manche Themen aus älteren Sammlungen den gegen-
' wärtig verbreiteten Auffassungen nicht entsprechen. So ist z. B.
die Aufgabe: „Wodurch erscheint in der Ilias der troische National-
charakter dem griechischen Untertan ?" (Heft 18 S. 23) unglück-
lich gewählt. Schon der Ausdruck Untertan in der Oberschrift
(auch im Inhaltsverzeichnis S. VI) ist schief, gemeint ist: unter-
legen. In der Einleitung, die vom Gegenteil ausgeht: „Im ganzen
unterscheiden sich . . . Griechen und Trojaner nicht eben wesent-
lich" und dies noch spezialisiert durch die Ausführung „weder in
bezug auf Religion und Sitte, noch auf Kriegführung und Tapfer-
keil4' wird das Thema von vornherein seiner Bedeutung entkleidet;
es bleiben nur etliche Züge und Vertreter übrig, und auch diese
halten einer näheren Prüfung nicht stand. Das stille Anrücken
der Achäer zur Schlacht, das geräuschvolle der Troer, das Schweigen
der einen bei der Bestattung der Gefallenen, das Weinen der
andern, diese hier nach Lessing angeführten Gesichtspunkte
sind nicht beweiskräftig; denn diese Erscheinungen ergeben sich
nicht aus dem Charakter, sondern aus der augenblicklichen Lage.
Wenn unter den einzelnen Vertretern der Völker Menelaos und
Paris hervorgehoben werden, so darf doch deren Gegensatz nicht
zu einem Gegensatz zwischen beiden Völkern verallgemeinert
werden. Auch des Priamos Fernbleiben vom Kampfe ist kein
Beweis für sittliche Schwäche der Troer, und wenn auf Atbeoe
„die Göttin der geordneten Schlacht" als Helferin der Achäer
verwiesen wird, so ist nicht zu vergessen, daß auch die Troer
auf ihrer Burg Athene verehrten und daß sie, wo es darauf an-
kam, wie bei Erstürmung des Walles, in wohlgegliederten Heeres-
massen vorzugehen verstanden (M 86—107). Nach den in der
Disposition mitgeteilten Tatsachen ist auch der „Schluß" nicht
begründet: „So erscheinen, wenn auch nicht im ganzen, doch in
einzelnen Zügen und in einzelnen Vertretern die Troer den
Griechen gegenüber als ein barbarisches Volk4'. Wenn nun
auch nicht der Sammler, sondern der Verfasser, in diesem Falle
Berndt, für die Einzelangabe verantwortlich ist, so ergibt sich
doch die Forderung, die Themen nur nach genauer Nachprüfung
zu benutzen.
19) Bilder zur Odyssee, Gemälde im Museum zu Weimar von Friedrich
Preller d. Ä. Nach den farbigen Kopien Friedrich Prellers d. J.
herausgegeben vom Kunstwart. Mönchen 1904, Georg D. W. Calhvey,
Kunstwart- Verlag. 16 Tafeln und 4 Druckseiten. Folio. 3 M<
Homer, von E. Naumann. 211
20) Bilder zur llias von Friedrich Preller d. J. Nach den Origioal-
zeichoungen herausgegeben vom Kunstwart. Ebenda. 12 Tafeln and
4 Druckseiten. Folio. 2,50 JC.
Der hundertste Geburtstag des alleren Preller gab dem Kunst-
wart Veranlassung, die beiden Prellermappen zu veröffentlichen.
Er hat damit auch der Schule einen großen Dienst geleistet. In
einer Zeit, wo man sich wieder mehr gewöhnt, auf einen alt-
bewährten erzieherischen Grundsatz zurückzugreifen und die An-
schauung zur Erklärung der Schriftsteller in höherem Grade zu
Hilfe zu nehmen, haben diese Publikationen, denen zufolge des
niedrigen Preises eine weite Verbreitung in Aussicht steht, eine
besondere Bedeutung. Für Homer ist ein reiches Anschauungs-
material durch die Ausgrabungen zutage gefördert worden, und
dieses beginnt in guten Abbildungen bereits in die erklärenden
Schriften und Homerwörterbücher einzudringen. So hoch aber
der geschichtliche Wert dieser Gegenstände für die Kenntnis von
dem Leben und den Sitten der Heroenzeit ist, es tritt doch in
ihm die Anregung zu künstlerischer Auffassung der Dichtungen
stark zurück, um so mehr, als bei angehenden Homerlesern die
Gebilde der archaischen Kunst auf eine richtige Würdigung nicht
rechnen können. In diese Lücke treten die Prellerschen Bilder
ein. Die Odysseebilder sind bekannt und geschätzt, sie zeigen,
wie eine starke Künstlerindividualität sich die Vorgänge des Ge-
dichtes mit ihrem landschaftlichen Hintergrunde ausmalt, und er-
füllen die Phantasie mit lebendigen und nachhaltigen Vorstellungen.
Die Bilder sollten im Farbendruck in jedem Gymnasium den
Wandschmuck der Klassen bilden, in denen die Odyssee gelesen
wird. Nach der farbigen Ausgabe, welche bei Bruckmann in
München erschienen ist, sind die Blätter in Schwarzdruck her-
gestellt. In den zwölf Bildern zur llias, ursprünglich entworfen
für eine Prachtausgabe dieses Gedichtes, reicht der jüngere Preller
nahe an die Kunst des Vaters heran, die Natur ist wilder, un-
ruhiger dargestellt, wie auch die Ereignisse meist stürmischer
sind. Aber auf einzelnen Bildern zeigt sich dieselbe Anmut wie
in den Odysseelandschaften, so bei Hektors Abschied und Sarpedons
Bestattung; von großer Wirkung ist die Darstellung, wie Hera
und Athene auf ihrer Fahrt durch Wolken und Felsen von Iris
gehemmt werden. Wenn auch einzelne Motive Schwierigkeiten
bieten, wie z. B, der Pfeile versendende Apoll in den Wolken und
der durch die Luft hinwandelnde Poseidon, so enthält doch auch
diese Reihe eine reiche Belebung der Phantasie.
Die Druckbeigaben enthalten Mitteilungen über das Leben
der Künstler und zu den Bildern Begleitstellen aus Homer.
Tn den beiden Berichtsjahren ist die Frage, ob im griechi-
schen Unterricht mit Homer begonnen werden könne, lebhaft
14*
212 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
erörtert worden. Es kommen dafür folgende Abhandlungen in
Betracht :
21) F. Horoemann. Der griechische Unterricht im neuen Gym-
nasium. Neue Jahrbücher f. Pädag. 1903 S. 353—367.
22) R. Agahd, Homer als Grundlage des griechischen Elementar-
unterrichts. Monatschrift f. höhere Schalen 1903 S. 433— 446.
23) P. Gauer, Homer als Anfangsunterricht. Zeitschr. f. d. GW.
1903 S. 690—699.
24) 0. Kohl, Zu Hornemanns „Griechischem Unterricht im neuen
Gymnasium". Zeitschr. f. d. GW. 1903 S. 762—769.
25) P. Hartmann , Ober den griechischen Anfangsunterricht an
Reformschulen. Zeitschr. f. d. GW. 1904 S. 82.
Ausgehend von dem an sich selbstverständlichen Satze, daß
die griechische Lektüre auf die durchaus notwendigen Schriftsteiler
zu beschränken und alle anderen, auch wenn sie an sich lesens-
wert wären, zurückzustellen sind, sucht Hornemann aus der Ent-
wickelung des griechischen Geisteslebens ein Urteil darüber zu
gewinnen, welches die durchaus notwendigen Schriftsteller sind.
Es sind nach ihm nicht mehr und nicht weniger als die vier:
Homer, Sophokles, Thukydides, Plato. Geben wir die Beschränkung
auf diese vier Schriftsteller zu, so folgt daraus noch nichts für
die Reihenfolge im Unterricht. Hornemann hält ein hinreichendes
Einlesen auch in die genannten Schriftsteller nur für möglich,
wenn für die Lektüre die beiden Jahre der Tertia voll gewonnen
werden, wenn mit Homer begonnen und das Attische nach Unter-
sekunda verschoben wird. Die Odyssee soll in der Hauptsache in
der Tertia erledigt, die Uias in Obersekunda abgeschlossen werden.
In der Sekunda kommt Thukydides, nachdem ein Elementarbuch
in ihn eingeführt hat, hinzu, in Obersekunda wird er abgeschlossen.
Auf die Prima bleibt Sophokles, auf die Oberprima Plato be-
schränkt. „Durch diese Anordnung der Lektüre entsteht der
weitere Vorteil, daß nun alles au seiner natürlichen Stelle steht,
weil nun sowohl der Gang der griechischen Geistesentwickelung
wie auch die wachsende geistige Kraft der Schüler dem Lehrgang
entspricht".
Die „Homermethode" vermag aber auch die noch bestehenden
Mängel des grammatischen Unterrichts zu beseitigen. Das Charak-
teristische in dem zuerst von Ahrens durchgeführten Lehrgange
war: erstens wurde nur das Allernotwendigste aus der Formen-
lehre vor der Lektüre eingeübt, der größte Teil der Formenlehre
aber im Anschluß an die Lektüre. Dieses Verfahren war vielleicht
zu Ahrens' Zeit neu, es ist aber seit langem in erhöhtem Maße
das Verfahren jedes griechischen Anfangsunterrichts geworden;
hier liegt kein zu beseitigender Mangel mehr vor. Zweitens
wurde die Formenlehre erklärend gelehrt unter Benutzung der
Ergebnisse der Sprachwissenschaft Von den älteren Formen
brauchen die Schüler dann nur einen oder zuweilen einige Schritte
Homer, von E. Naumann. 213
weiter zu machen zu dem Attischen. Demgegenüber dürfte der
umgekehrte Weg, auf dem die Erklärung der dem Schüler zuerst
bekannt gewordenen attischen Forn\ durch einen oder mehrere
Schritte zurück zu der homerischen nicht schwieriger sein, er
entspricht außerdem dem pädagogischen Grundsatz: vom Einfachen
zum Mannigfaltigen, vom Leichteren zum Schwierigeren. Diesen
Grundsatz benutzt H. selbst für die Syntax, die homerische Syntax
sei einfacher als die attische. Endlich biete auch der homerische
Wortschatz die beste Grundlage für die Wörterkenntnis.
Hornemann hofft, den Erfolg für sich zu haben, und beruft
sich dafür auf die Stimmen, die auf der Hannoverschen und auf
der Schleswig-Holsteinischen Direktorenkonferenz von 1891 bzw.
1889 die Ahrenssche Methode empfohlen haben.
Auch Agahd führt diese und andere Gewährsmänner wieder-
holt an und zitiert auch aus den Berliner Verhandlungen von
1890 die zustimmenden Urteile bedeutender Schulmänner. Es
ist für ihn wie für Hornemann ohne Zweifel, daß Ahrens' Methode
schon in Untertertia begonnen werden kann. Abgesehen von der
für ihn noch im Fluß befindlichen Frage nach dem Endziel des
griechischen Unterrichts erscheint ihm als Doppelaufgabe für die
Praxis der Schule die Einführung in die griechischen Schriftsteller
und durch sie in das Griechentum und die Einführung in die
griechische Sprache als in einen Organismus. Homer ist ihm
nicht bloß historisch, sondern auch psychologisch der gegebene
Anfangsschriftsteller; dazu kommt als zweites: „Von ihm aus
allein läßt sich die Sprachentwickelung in Formenlehre und
Syntax beobachten und verstehen und zwar nur dann, wenn wir
direkt von ihm ausgehen". Der an Homer vorgebildete Schüler
bringt nach Agahd den übrigen Schriftstellern ein besseres sprach-
liches Verständnis entgegen. Dem Einwand, daß die homerische
Sprache wegen ihrer unbestreitbaren Formenfülle schon aus
methodischen Gründen zum Ausgangspunkt ungeeignet sei, hält
er die Meinung entgegen, daß die Schwierigkeit überschätzt werde,
sowie eine Äußerung von Ahrens: „Die homerische Sprache bietet
dem Gedächtnis in Wahrheit eine geringere, gewiß keine größere
Fülle des Lernstoffs als das Attische". Die Einfachheit des Satz-
baues betont Agahd ebenso wie Hornemann.
Die „Ahrenssche Methode", um so die von Hornemann und
Agahd vertretenen Ansichten zusammenzufassen, findet in Cauer
und Kohl entschiedene Gegner. Für einen erwachsenen Menschen,
für kleinere Zirkel, deren Unterrichtsbetrieb der Weise des Privat-
unterrichts nahekäme, läßt Cauer sie allenfalls zu, für volle
Schulklassen hält er sie für undurchführbar. „Verschwinden" wird
der grammatische Vorkursus nicht, Ahrens nahm 18 Stunden,
Agahd nimmt sechs Wochen, Hüttemann (Humanistisches Gymnas.
1903 S. 226 ff.) 26 Wochen für ihn in Anspruch. Ahrens unter-
brach die Lektüre mehrfach, um Teile der Formenlehre zu be-
214 Jahresberichte d. Philolog. Verein«.
handeln, und ließ anderseits auch Formen als bloße Vokabeln
lernen, also ohne Erklärung. Die feste Einprägung der zahlreichen
homerischen Formen läßt sich nur durch redliche Übung erreichen;
daraus würde sich die Einführung von Formenextemporalien im
homerischen Dialekte ergeben. Und selbst diese führen bei der
Vielgestaltigkeit der Sprache nicht zum Ziel. Bei Ahrens' Be-
hauptung, daß die homerische Sprache keine größere Fülle des
Lernstoffes biete als das Attische, ist die Menge und das Gewicht
dessen, was immer noch unerklärt bleibt, unterschätzt, und fünfzig
Jahre nach Ahrens macht auf Grund der inzwischen fortgeschrittenen
Forschungen die homerische Sprache den Eindruck größerer Bunt*
heit und Regellosigkeit, als man damals zu erkennen vermochte.
Insbesondere setzt die von Ahrens nicht hinreichend gewürdigte
Tatsache, daß in der homerischen Sprache Äolisch und Ionisch
zu einem untrennbaren Ganzen verschmolzen sind, der Behandlung
in dem grammatischen Anfangsunterricht unübersteigbare Schwierig-
keiten entgegen. Auch die Einfachheit der homerischen Syntax
läßt Cauer nicht ohne Einschränkung gelten. Die Gedanken, die
der Dichter ausdrücken wollte, sind nicht immer so einfach, wie
die Satzformen, die ihm dafür zu Gebote standen: er mußte
vieles, was für den Sinn wesentlich war, im Hintergrunde der
Seele behalten und konnte es nur durch eingestreute Partikeln
oder durch Gebärdenspiel und Betonung andeuten. Um diese
Feinheiten mit den Schülern herauszuarbeiten, hat der Lehrer aber
gerade an der attischen Syntax ein förderndes Hilfsmittel. Ahrens
verzichtet wiederholt darauf, die Partikeln zu übersetzen. Also
Unsicherheit der Formenlehre und Gewöhnung an ein oberfläch-
liches Lesen sind die Folgen jenes Verfahrens.
Im Gegensatz zu Hornemann empfindet Cauer die Verbannung
Homers aus Prima als einen Verlust; selbst nach Ausschluß
Herodots, der wohl fallen mußte, um die Verwirrung sprachlicher
Begriffe nicht zu steigern, würde die Gewöhnung an attisches
Griechisch so viel Mühe machen, daß an ein flottes Lesen nicht
zu denken sei, also eine Bereicherung der Lektüre nicht erzielt
würde.
Kohl nimmt gegen Hornemann den Betrieb der Grammatik
in Schutz; was IL mit Homer wolle, geschehe gegenwärtig gleich-
falls im Anschluß an die Übungsbücher; diese enthalten reichlich
altgriechischen Stoff in den Einzelsätzen und durchweg in den
zahlreichen zusammenhängenden Lesestücken. Ebenso lehnt er
Hornemanns Folgerung ab, daß um der Lektüre in Prima und
Sekunda willen der griechische Unterricht mit Homer begonnen
werden müsse. Zu dem ersten Unterricht in der Grammatik
bedarf es des Homer nicht, ja daß er dazu benutzt werde, wider-
strebe dem ästhetischen Gefühl. Sprachwissenschaftlich behandelt
sei die Elementargrammatik von Gurtius' Anhängern eine Zeitlang
zum Teil im Übermaß ; Untertertianer haben für dieses Verfahren
1
Homer, von E. Naumann. 215
noch kein rechtes Verständnis. In der Beurteilung der homeri-
schen Syntax stimmt Kohl mit Cauer überein, er weist die Mannig-
faltigkeit der syntaktischen Erscheinungen und eine Anzahl um-
fangreicher Satzgefüge im neunten Gesänge der Odyssee nach, der
bei der Ahrensschen Methode zugrunde gelegt zu werden pflegt.
Kohl gelangt zu dem Endurteil: „Daß in Untertertia mit Homer
begonnen werden kann, haben die hannoverschen Gymnasien
bewiesen, daß es der bessere Anfang wäre, ist Hornemann zu
beweisen nicht gelungen".
Der mit so großem Nachdruck auftretende Vorschlag, das
Ahrenssche Lehrverfahren wiederzubeleben, hat seine äußere Ver-
anlassung in der neuesten Entwickelung des Gymnasiums. Die
Reformgymnasien, in denen der griechische Unterricht auf vier
Jahreskurse zusammengezogen ist, waren genötigt, einen neuen
Unterrichtsplan zu entwerfen. Das alte Gymnasium verwendet
sechs Jahre lang je sechs wöchentliche Stunden auf Griechisch,
das Reformgymnasium vier Jahre lang je acht Stunden, also den
neunten Teil an Zeit weniger. Es ist klar, daß dieser Verlust
von zwei Drittel Jahren wieder eingebracht werden kann, wenn
ernstlich darauf Bedacht genommen wird, „belanglose Einzelheiten,
namentlich unnütze Formalien, aus dem Lehrstoff zu beseitigen",
und wenn die Lektüre möglichst bald zu einem Schriftsteller über-
geht. Daß Homer in den Anfangsunterricht verlegt wird, folgt
daraus nicht, ist auch nicht von den Vertretern des Reform-
gymnasiums im Prinzip gefordert worden. Die Vorstellung, als
ob das Reformgymnasium eine schwere Gefahr für das Griechische
bedeute, ist unbegründet, ebenso auch Cauers Vermutung, daß die
Anhänger des lateinischen Unterbaues, die den Vorschlag machten,
im Griechischen mit Homer zu beginnen, damit einen Ersatz für
äußere Verluste suchten. Ahrens hat sein Lehrverfahren ein-
geschlagen und Erfahrungen sind damit gemacht worden, bevor
das Reformgymnasium entstand, und so mag auch ein endgültiges
Urteil darüber ohne Rücksicht auf die Reformanstalten gefunden
werden können. Aber so viel ist sicher, die in dem Schüler-
material liegenden Voraussetzungen für den Erfolg eines so ge-
ordneten Unterrichts sind auf dem Reformgymnasium günstiger
als auf dem alten Gymnasium. Und somit fallen alle diejenigen
Einwände fort, die sich auf das jugendlichere Alter und die ge-
ringere Reife des Tertianers gründen. Demnach gibt denn auch
Kohl die Möglichkeit der Ahrensschen Methode beim Beginn des
Griechischen in Untersekunda zu, zuerst schüchtern, mit der Be-
gründung, daß der Versuch nicht in viele Anstalten störend ein-
greife, sodann unumwunden, indem er seine Freude ausspricht,
in bezug auf die Untersekunda der Reformanstalten mit Agahd
übereinzustimmen.
Der Vorkursus wird nach Hartmann aber Untersekundanern
noch trockener vorkommen als Untertertianern, ein lebendiges
216 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Griechisch wird ihnen in den aus Homerformen zurechtgemachten
Sätzchen nicht vorgeführt. Der Übergang zum Attischen erfordert
wieder Übungsstoff in Sätzen, also der doppelte grammatische
Kursus beseitigt das Obel nicht, das er eigentlich bekämpft. Den
Erfahrungen, auf die Agahd sich beruft, stehen andere gegenüber,
die nicht so günstig sind.
Aus allen solchen Erörterungen ergibt sich, daß bei diesem
Verfahren der griechische Unterricht in ungewohnt hohem Maße
mit Grammatik neu belastet wird. Zwei grammatische Kurse
werden notwendig, einer in homerischer, einer in attischer Gram-
matik. Es ist etwas ganz anderes, wie gegenwärtig, vom Atti-
schen aus bei der Homerlektüre dem Schüler die homerischen
Formen zu erschließen, als die homerische Formenlehre zur Grund-
lage der grammatischen Kenntnisse zu machen. Der Übergang
zum Attischen ist schwerer als der umgekehrte Weg; in der
Kenntnis des Attischen aber muß ein viel höherer Grad von
Sicherheit erzielt werden, als jetzt in der Kenntnis der homeri-
schen Formenlehre nötig ist. Die Homerformen braucht der
Schüler gegenwärtig nur zu erkennen, die attischen muß er
bilden und anwenden lernen. Auf diese Fähigkeit darf man
auch fernerhin nicht verzichten; daneben will die Ahrenssche
Methode aber auch die Kenntnis der homerischen Grammatik bis
zu demselben Grade steigern und das zu einer Zeit, wo die An-
zahl der Unterrichtsstunden für das Griechische an allen Gymnasien
gegen früher herabgesetzt ist und wo in allem sprachlichen Unter-
richt das Bestreben herrscht, die Grammatik von allem irgend
Entbehrlichen zu entlasten.
Man mag indessen, da die Ansichten noch so weit ausein-
andergehen, dem praktischen Versuche Raum geben und sehen,
ob dadurch die schwerwiegenden Bedenken, die diesem Verfahren
sich entgegenstellen, entkräftet werden.
Die von Hornemann versprochenen neuen Lehrbücher sind
erschienen unter dem Titel:
26) F. Hornemann, Griechische Schulgrammatik, zum Gebrauche
beim griechischen Unterricht aTier Stufen nach der Methode
H. L. Ahrens. I. Teil: Homerische Formenlehre. Göttingen
1904, Vandenhoeck Sc Ruprecht. II u. 150 S. 8. 2,40 JC. — Vgl.
0. Kohl, Zeitschr. f. d. GW. 1904 S. 651 ff.
27) R. Agahd, Griechisches Elementarbuch aus Homer. Auf
Grundlage des Elementarbuches von H. L. Ahrens bearbeitet. Ebenda
1904. VI u. 146 S. 8. 2,40 JC. — Vgl. 0. Kohl a. a. 0.
Hornemann will, daß die griechischen Formen von vornherein
nicht nur mit dem Gedächtnis aufgenommen werden, sondern daß
die Schüler ihre Bildungsweise verstehen und sie gewissermaßen
selbst machen lernen. Er setzt mit diesem Ziel und in Anlage
und Einrichtung seiner Grammatik ein hohes Maß von sprach-
wissenschaftlichem Interesse bei dem Schuler voraus, scheint aber
^
Homer, von E. Naumann. 217
selbst zu fühlen, daß dieses nicht auf allen Stufen gleich stark
sein kann. Dem Primaner kann manches „verständlich gemacht
werden", was an „sprachwissenschaftlichen Erklärungen" über den
Gesichtskreis jüngerer Schüler hinausgeht. Es wird also in den
Abschnitten § 24—88, die dem „Elementarunterricht" angehören,
„einfacher und elementarer" verfahren; das kann doch nur heißen:
es wird vielfach auf die genetische Darstellung der Form, mithin
gerade auf das Ziel, um dessen t willen die Methode gewählt ist,
bis zu einem gewissen Grade verzichtet. Um des Elementar-
unterrichts willen ist denn auch manches in Anmerkungen gesetzt,
was bei dem rein genetischen Verfahren im Text oder im Para-
digma stehen müßte. Im Paradigma der Homergrammatik sollte
neben (laxawv [laxswv, vor Xnnov tnnoio stehen; denn diese
Formen finden sich nahezu „ebenso häufig", Inrcoio ist dazu
älter als tnnov. Offenbar zur Entlastung des Anfängers sind sie
in Anmerkungen verwiesen, damit sie später gelernt werden; und
doch muß [xccxicov gewußt werden, ehe die attische Form iia%wv
vorgeführt wird; wann soll es also gelehrt werden? Wer von
der attischen Formenlehre zur homerischen kommt, für den ist
die Anordnung gleichgültig, nicht aber für den entgegengesetzten
Weg. Das Buch ist eben, wie das Titelblatt besagt, zum Ge-
brauche auf allen Stufen bestimmt, also auch auf Stufen, denen
Unterricht in der attischen Grammatik bereits vorangegangen ist,
und läßt daher die für den Elementarunterricht geeignete Form
nicht rein zur Entwickelung kommen. Für diesen ist die von
Ahrens eingeführte Abhandlung des Verbs nach „Systemen"
an sich zu zerstreuend; mit der hier vorliegenden Bearbeitung
wird sich, schon wegen des Fehlens eines zusammenhängenden
übersichtlichen Paradigmas, schwerlich ein festes Schema des
griechischen Verbs einprägen lassen. Wunderlich muß es er-
scheinen, daß der Dualis des Verbs, „eine bei Homer verhältnis-
mäßig seltene Form", nicht bloß fast zwei Seiten lang ausführlich
behandelt und mit den verschiedenen Tempora belegt wird, die
indes nicht bedeuten sollen, „daß sich Beispiele zu ihnen allen
wirklich finden", sondern daß alles dieses geschieht (§ 61), noch ehe
über Endungen und über Tempusbildung gesprochen ist (§ 63, 64).
Es steht zu fürchten, daß mit Einführung dieser Grammatik
der Homerunterricht von seiner nächsten Aufgabe, der Erklärung
der Homerischen Gedichte ab- und in einen propädeutischen Kursus
für sprachwissenschaftliche Studien hineingedrängt werde. Nicht
bloß die Erklärungen S. 139 ff., die dem Primaner vielleicht noch
„verständlich gemacht werden können", enthalten vieles, was mit
Homer nur im losen Zusammenhange steht, z. B. zu § 45, 93,
sondern auch der Text geht in der Aufnahme von Urformen und
konstruierten Zwischenformen über das Bedürfnis der Homer-
grammatik hinaus, z. B. poväcc = *[AOM-jä § 24, ndvr-j-a,
(pccvsvv-ja, xqixpavTJa § 33. Es führt nicht mehr das lebendige
218 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Wort hin zu Homer, sondern, seines Fleisches entblößt, als Stamm
und Wurzel fuhrt es in die Gärten sprachwissenschaftlichen Fach-
studiums. Der Lehrer des Griechischen muß auf diesem Gebiete
bewandert sein; für ihn, darin stimme ich mit Kohl überein, ist
diese Formenlehre ein brauchbares Hilfsmittel; dem Unterricht in
der Schule aber lege man es nicht zugrunde.
Das Elementarbuch ist eine Umarbeitung des von Ahrens
herausgegebenen. Es beginnt mit einem „systematischen Vor-
kursus4' von 37 Paragraphen, der vor der Lektüre durchzunehmen
ist, darauf folgt der „methodische Kursus", neben der Lektüre durch-
zunehmen (§ 38—90). Den Aufbau im einzelnen hat Kohl in
der Besprechung des Buches angegeben. Daran schließt sich der
Text von Od. 9, 39—544, in 24 Abschnitte zerlegt S. 65—85, mit
grammatischen Erläuterungen unter dem Text und einem nach-
folgenden Wörterverzeichnis nach Versen geordnet S. 85 — 104.
Es folgen 38 Übungsstucke zum Übersetzen in das Griechische
S. 105 — 119, ein sachlich geordnetes Wörterverzeichnis S. 120 —
133, eine Zusammenstellung der „Systeme" eines Teiles der vor-
gekommenen Verben S. 134 — 139 und ein alphabetisches Wörter-
verzeichnis S. 140—146. Welche Zeit der rein grammatische
Unterricht des Vorkursus in Anspruch nimmt und wieviel Zeit
auf den abschnittweise durchzunehmenden und die Lektüre unter-
brechenden methodischen Kursus zu verwenden sein wird, entzieht
sich genauer Berechnung; der Anschein spricht nicht dafür, daß
man auf diesem Wege auch nur ebenso schnell zu einer zu-
sammenhängenden Lektüre kommt, wie mit den jetzt gebräuch-
lichen Lesebüchern. Ganz folgerichtig will Agahd die Einübung
der Grammatik nicht bloß durch Einprägung der Formen, sondern
auch durch mündliche und schriftliche Übersetzung deutscher
Übungssätze herbeiführen. Also Übersetzung prosaischer Sätze in
homerische Sprache! Ist denn der sogenannte homerische Dialekt
jemals Umgangssprache gewesen? Wird hier nicht etwas an sich
Unberechtigtes verlangt? Der Übersetzungsstoff soll nur die
homerischen Formen befestigen, er ist so einfach gehalten, „daß
er keine geistige Kraft absorbiert*'. Diese Absicht muß man be-
rücksichtigen, wenn man Sätze findet wie: Ich verließ dich, Ge-
fahrte, und floh in den Hof. Du flohst uns, wir aber zerstörten
dein Haus, Die Helden wurden durch die Worte der Herolde
angetrieben, nicht zu fliehen. 0 Gott, verhülle den Schiffbauern
und Hirten die Sonne nicht! u. a. m., besonders solche, die um
der Vokativformen willen gebildet sind; man wird sie nicht an-
führen dürfen, wenn man beweisen wollte, daß das Elementar-
buch aus Homer einen reicheren Gedankengehalt übermittelt als
die bisher üblichen Lesebücher.
Daß man mit diesem Übungsbuch in die Homerlektüre ein-
führen kann, wenn noch kein griechischer Unterricht vorher-
gegangen ist, muß anerkannt werden.
^
Homer, von E. Naumann. 219
IV. Sprachliches.
28) B. Gerth, Griechische Schulgrammatik. Sechste Auflage. Leipzig
1901, G. Freytag. IV u. 247 S. 8. geb. 2,50 Jf6.
29) Georg Cortius' Griechische Schulgrammatik, bearbeitet von
W. v. Hartel. 23. Auflage, bearbeitet von R. Meister. Leipzig
1902, G. Freytag. VIII u. 266 S. 8. geb. 3,20 Jt.
Die Behandlung der homerischen Formenlehre in der Gram-
matik von Gerth steht unter dem Gesichtspunkt der Kurze, aber
diese geht zu weit. Unter den Suffixen mußte neben -&ev und
-<p in § 346, wenn selbst die andern übergangen werden sollten,
wenigstens noch -d-i als „kasusartige Endung'4 (Koqw&o&i,
'/JUo'^* 7iq6, avio^i) genannt werden, in § 347 wäre der Nach-
weis der drei Stämme von vlog mit ihren Formen erwünscht,
neben den Aoristen ohne Tempuszeichen und den gemischten
Aoristen mußten in § 353 auch die Aoriste von Liquidastämmen
mit Tempuszeichen nachgewiesen werden. Über diese und ähn-
liche Erscheinungen wird der Schüler in einer Formenlehre des
epischen Dialekts immerhin Auskunft erwarten dürfen, wenn auch
die vollständige Aufzählung der Beispiele nicht nötig ist.
Meister wiederholt die ausführliche Darstellung des „homeri-
schen Dialektes" in der Form, zu der v. Hartel die entsprechenden
Anmerkungen in der Grammatik von Gurtius zusammengestellt hat
(zuerst erschienen 1887) mit geringfügigen Änderungen.
30) Autenrieths Schulwörterbuch zu den Homerischen Gedichten.
Zehnte, verbesserte Auflage, besorgt von A. Kaegi. Mit vielen Holz-
schnitten und zwei Karten. Leipzig und Berlin 1904, B. G. Teubner.
XV u. 374 S. 8. geb. 3,60 Jt.
Die Neubearbeitung beschränkt sich auf die Etymologie, die
in möglichster Übereinstimmung mit der gleichzeitig erschienenen
Neuauflage von Benselers Wörterbuch gesetzt worden ist. Eine
durchgreifende Umarbeitung wird für später in Aussicht gestellt.
Bei dieser wird es sich empfehlen, auch auf deutschen Satzbau
und Ausdruck zu achten (vgl. z. B. die Artikel drjdcov, xviöfj,
Kogaxog nr&gf), der gerade in einem Wörterbuch einwandfrei
sein muß.
31) W. Waehner, Ober ij, <og (fdro, ajg eincjv und verwandte
epische Formeln, 111. Progr. Göttingen 1904. 4. 18 S. — Vgl.
E. Bruhu, Monatschr. f. höhere Schulen 1904 S. 521.
Nach den im Jahre 1893 und 1894 erschienenen zwei Teilen
(JB. 1895 S. 376 f.) behandelt Waehner nunmehr die Schluß-
formeln, die ein Partizip enthalten, und den Vers ag ol p&v
roiama nqog aXXrjkovg ayoqsvov. In cog slnoiv bezeichnet
gewöhnlich das Partizip eine Handlung, die völlig zu Ende ge-
kommen ist, ehe die neue, durch das Hauptverb ausgedrückte
Handlung beginnt; zuweilen aber auch eine Handlung, die neben
der Haupthandlung verläuft, ja überhaupt nicht deutlich von ihr
\
220 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
unterschieden ist. Das ist möglich, weil nach Waehner das Partizip
des Aorists der Vergangenheitsbedeutung entbehrt, es ist das
„Momentanpartizip". Spricht man von einer Handlung als Ante-
cedens, so denkt man gewöhnlich nicht mehr an die verschiedenen
Stadien ihres Verlaufs, sie erscheint nur als ein Punkt in der
Reihe der Geschehnisse. Es gibt aber auch Stellen, wo das auf
elnciv folgende Verb eine Handlung bezeichnet, die mitten in der
Rede eintritt ; v 352 dg sinovaa d-sd axidaa' ^iqcc, eitiavo di
X&cov kann nach dem ganzen Zusammenhang nur bedeuten:
während ihrer Rede zerstreute die Göttin den Nebel. In den
Fällen, wo nicht beide Handlungen zeitlich zusammenfallen, be-
richtet das Hauptverb sehr oft eine gleichgültige oder selbstver-
ständliche Handlung, wie: ersetzte sich hin, er entfernte sich. —
Die Formel wg cpdfiepog ist bei Homer ziemlich selten, sie steht,
wo das Metrum cog rfncov ausschließt. — Die Formel cog aqa
<pcavjj<fag gehört fast ausschließlich der Ilias und Odyssee an, sie
ist sinnlicher und lebendiger als die anderen und tritt ein, wo
die feierlichere Formel vog elncov nicht gebraucht werden kann
und eine lebhaftere und gewichtigere Redeausleitung angemessen
erscheint. — Die Redewendung cog ol (isv tomxvtci nqög dlX^-
Xovg ayoQsvov, 8 mal in der Ilias, 16 mal in der Odyssee, ist
nur am Platze, wo das Gespräch wirklich abgeschlossen ist, auch
in dem Sinne, daß die Reden und Gegenreden ohne besondere
Folgen bleiben oder daß der Dichter die Schilderung der Folgen
nicht unmittelbar anschließt. Was auf diese Abschlußformel folgt,
schließt sich gewöhnlich nicht unmittelbar an das Gespräch an.
Das Wort tomxvtcc weist darauf hin, daß das Gespräch nicht wört-
lich mitgeteilt ist.
Aus den Endergebnissen der Untersuchung ist folgendes her-
vorzuheben: 1. q (qa) tritt als Redeabschluß ein, wenn der Redner
sofort nach seiner Rede dieser entsprechend handelt. — 2. dg
(fdzo, dg Sq' scfTj tritt ein, wenn Zuhörer nach einer Rede
sich äußern oder ihr zufolge etwas tun. — 3. oog dnoov, dg
(fd^spog, cog äqa (pcovijoag treten besonders dann ein, wenn der
Redner nichts mehr zu sagen hat und deshalb sich wieder setzt
oder entfernt. — 4. oog ol pev xoiavxa usw. tritt ein, wenn die
Sprechenden sich nichts mehr zu sagen haben oder auch der Dichter
es für unnötig hält, von ihrer Unterhaltung noch mehr mitzuteilen.
Es muß noch bemerkt werden, daß der Verf. die Unter-
suchung auch auf andere Epiker, insbesondere auf Kointos und
Nonnos ausgedehnt hat.
V. Homerstudien bei den Alten.
32) 6. Walter, De Lycophrone Homeri imitatore. Diss. ioaog.
Basel 1903, Berichthaus A.-G. 8. 76 S.
Im Gegensatz zu der verbreiteten Ansicht wird der Nachweis
unternommen, daß Lykophron Homer als Quelle sorgfältig benutzt
_j
Homer, von £. Naumann. 22l
und sogar in einer Handschrift nachgeschlagen habe. Durch ein-
gehende Interpretation der Stellen Alexandra 648—792 und 249
— 306, wo der Inhalt der Odyssee und der llias angedeutet ist,
kommt der Verf. zu dem Ergebnis, daß Lykophrons Erzählung
sich allein auf Homer stützt und andere Sagen nur nebenher er-
wähnt. Ja so eng habe sich der gelehrte Dichter an Homer an-
geschlossen, daß er seltene oder einmal gebrauchte Wörter Homers
gern hervorgezogen habe, zuweilen sogar aus Glossographen. —
Von Einzelheiten hebe ich folgendes heraus: M 37 Jiög padtiyi
d. i. xsqccvvw; vgl. B 781 f. u. Schol. M 37 Jiög ds jwacm? 6
xsqavvog. — N 339 scpQi&v ds [idxfj, nach dem Schol. ist
cfQiaastv von den Halmen des Kornfeldes auf die Speere über-
tragen; vgl. xfj 598. Lykophr. 252 f. niifqixav d\ coöts Xtjiov,
yvtcu Xoy^aig dnodtiXßovxsg. — O 653 äxqai vyeg von Lyk.
295 gleichgesetzt mit atpXaaxa und xoQvpßa. — 77 260. Lyk.
293 läßt die Knaben die Wespen durch Rauch aufstören, was
Schol. / 242 erwähnt wird; er las II 261 s%oviag mit Aristarch,
nicht syjovxsg. — X 360 ivl Sxaiyöi niXtfiiv^ Lyk. 774 ln\
2xcuatg, Schol. Pind. Nem. VIII 58' snl Sxcurjöi nvXrßi. —
X 441 &q6vcc, Lyk. 673 versteht darunter (fdg^axa, Farbkraut
und durch Metonymie gefärbten Stoff. — S2 54 xcotpfjv yatav
aeixit>si, Lyk. 267 nsdov xqaivfl (povw, er versteht also unter
yatav den Erdboden, unter asixi^co mit Blut beflecken. —
Lykophron las wahrscheinlich e 281 hqwov, s 315 avxöv ßaXs
statt avxog n&Ge, s 346, 373 tsxiqvoioi,, s 409 xai dij xods
Xatxfjba diaxfiföag sniqaa(a)a^ t, 344 6ÖQ7tov, nicht dstnvov,
x 124 nsiqovxeg und verstand mit dem Schol. zur Stelle %vXoig
ans^va^ivotg diinsiQOV avxovg xai cog lyftvag ix xijg #a-
XdöGtjg aveiXovxo. — x 242 kannte Aristarch nicht, Kallistratos
schrieb dafür navxoirig vXi\g sxl&si iieXirjöea xaqnov. Es
scheint an der Stelle ein anderer Vers gestanden zu haben, auf
Grund dessen Lyk. 677 f. schreiben konnte yiyaqxi %iXu> övfi-
lispiyp&va xqvyog xai (txifjbtpvXcc ßqv^ovtiw. — Eine Form wie
credebis S. 23 Z. 20 sollte in einer Dissertation nicht vorkommen.
VI. Sacherklärung.
33) Christian Härder, Homer, ein Wegweiser zur ersten Ein-
führung in die llias und Odyssee. Mit 96 Abbildungen und
3 Karten in Farbendruck. Leipzig, G. Freytag und Wien, F. Tempsky
1904. VIII u. 282 S. 8. geb. 4,60 Jt.
Das Buch soll zunächst ein Hilfsmittel für die Lehrer sein,
die an Anstalten, welche nicht Griechisch treiben, also an Real-
anstalten und auf höheren Töchterschulen, den deutschen Unter-
richt, dem die „ Lektüre Homers in ei Der guten Übersetzung" zu-
fällt, zu erteilen haben. Seiner ganzen Anlage und Ausfuhrung
nach enthalt es ' bedungene Einführung in das
Gesamtleben ä ters und beruht auf so ein-
222 Jahresberichte d, Philolog. Vereins.
gehender Kenntnis und Berücksichtigung der wissenschaftlichen
Forschung, daß es auch da, wo die Gedichte im Urtext gelesen
werden, ein willkommener Begleiter des Unterrichts sein wird.
Was sonst in „Hilfsheften" zu den einzelnen Gedichten geboten
wird, ist hier zu zusammenhängender, wohlgegliederter, auch der
Sprache nach lesbarer Darstellung vereinigt. Die Anschauung wird
durch eine große Reihe von Abbildungen unterstützt, von denen
viele aus dem Homerwörterbuch desselben Verfassers (JB. 1902
S. 1 98 f.) wiederholt sind; die Nachprüfung der höchst zuver-
lässigen Angaben wird durch genaue Stellennachweise überall er-
möglicht. Mit Sorgfalt sind sämtliche für die homerische Welt
in Betracht kommenden Lebenskreise behandelt: Privatleben, Staat
und Recht, Krieg und die Verehrung der Götter. In der Ein-
leitung werden die geschichtlichen und erdkundlichen Grundlagen
behandelt und der Inhalt der Ilias und der Odyssee ausführlich,
aber übersichtlich erzählt. Am Schluß folgen Abschnitte über die
Geschichte der Homerischen Dichtungen, die dichterische Kunst
und Homer im Wandel der Zeiten; in dem vorletzten sind die
neuesten Ergebnisse der Homerkritik in besonnener Weise ver-
wertet.
34) Nix. K. üavlaTog, *H dlfid-rjg^Id-ttXfi Tov'OfirjQov, «pjfatoAoytxq
ftttärj. Erste Auflage Paträ 1901. Zweite, vermehrte Auflage Athen
1902. 8. 30 S.
35) H. Michael, Das homerische uod das heutige Ithaka. Progr.
Jauer 1902. 28 S. Mit einer Karte. 1,50 ,M- — Vgl. K. Rothe,
JB. 1903 S. 311 f.; £. Bruho, Mooatschr. f. höhere Schalen 1904 S. 516.
Die Frage nach dem homerischen Ithaka ist durch zwei Vor-
träge, die W. Dörpfeld im Deutschen Archäologischen Institut
zu Athen und im Januar 1902 in der Philologischen Gesellschaft
„Parnassos" ebendaselbst gehalten hat, von neuem lebhaft an-
geregt worden. Dörpfeld spricht darin die Überzeugung aus, daß
das homerische Ithaka das heutige Leukas, das gegenwärtige Ithaka
dagegen Homers Same und daß Kephallenia Homers Dulichion sei.
Veröffentlicht sind, soweit mir bekannt, die Vorträge nicht; über
Dörpfelds Gründe berichtet hat P. Eisner in dem Aufsatz: „Der
Herrschersitz des Odysseus" in Nr. 261 der Schlesischen Zeitung
vom 13. April 1900. Das Zeitungsblatt ist jetzt vergriffen und
hat mir nicht vorgelegen.
Mit Dörpfelds Ansichten beschäftigen sich die obengenannten
zwei Schriften.
Paula tos verweist gegen Dörpfelds Gleichsetzung von Ithaka
mit dem heutigen Leukas auf die Angaben Homers, äpipl di
vvjötH Tcolkccl vaisxaovöi und al d£ %* avsv&s nqoq qä fj£Xi6v
tf v 22 und 26. Die andern Inseln liegen „herum", wie auch
ß 65 f. nsQixziovsg und neQivaisraovGt, bestätigt, nicht „nahe-
bei", wie Dörpfeld das neqi im Widerspruch mit * 26 deutet
Homer, von E. Naumann. 223
Mit den alten Erklärern ist Dulichion als der westliche Teil von
Kephallenia, rj IlalixTJ %eQa6vriGoq, Same als der östliche Teil
derselben Insel anzusehen, welche sich Homer in die beiden Teile
zerrissen dachte. Der zwischen beiden liegende Isthmus ist so
niedrig, daß er zeitweilig vom Meere überflutet wurde. Mit jener
Annahme stimmt c? 669 ff., o 29 überein; denn der hier erwähnte
Ttoqd'iiog findet sich zwischen Kephallenia und Ithaka. Ilqdg qoo
feXiov %s bezeichnet nach M 239 f. und x 190 ff. auch den Süden,
nqog £6<pov auch den Norden, also liegt Ithaka nördlicher als die
anderen genannten Inseln. Paulatos umschreibt demnach die
Stelle * 21 ff. folgendermaßen: Oixco trjv evdfjXov^I&dxfjv, h$a
vipovrai, oqog xo iieyaXonqsnsg xazdtpvxov NtjqiTOp. niqi'S d'
ccvxqg imdq%ov<Si noXXal vtfaoi, nXrjöisöraTai äXXyXaig, to
4ovki%iov, i\ 2dfifj xai rj daaaidfjg Zdxvv&og. Av%t\ iitv
(pvöa) nccwipiOTti xeXxai nXijaiov xijg (ßvavxi) r^nsiqov nqog
Boqqav q xai nqog dvtifidg, ccl 08 noXXaX vrßoi noqqcoitqw
(xijg ijnsiqov) nqog voxov q dvaxoXdg (S. 12). Der Fels Aevxdg,
der niemals mit den anderen Bergen als auf Ithaka liegend er-
wähnt wird, lag außerhalb dieser Insel.
Die Insel ^Aöxsqig, bei welcher die Freier dem heimkehrenden
Telemach auflauern, d 844. 671 ff., o 28 ff., liegt in der Durch-
fahrt zwischen Ithaka und Same; der Mahnung Athenes folgend
o 33 ff., meidet Telemach die Inseln und fährt zwischen den
Echinaden, welche auch Goal heißen, und dem Festlande entlang
und gelangt so ungesehen zu dem Anlegeplatz in Ithaka. Von
der zwischen Leukas und Ithaka gelegenen Insel Idqxovdovijcn,
bei der Dörpfeld den Hinterhalt der Freier annimmt, mußte er
bemerkt werden; auch die kurze Dauer der Fahrt spricht gegen
diese Annahme. Die in jener Durchfahrt gelegene Insel JaöxaXsio,
die im Altertum größer war und nach ApoIIodor eine Stadt
Alalkamenai trug, oder eine zweite, llqcoxij, die jetzt verschwunden
ist, wird die Insel Asteris gewesen sein.
Dörpfeld führt für seine Vermutung die größere Nähe des
Festlandes an, wo die 12 Herden des Odysseus sind, und woher
täglich Schafe in den Palast geliefert werden, £ 100 ff. ; aber aus
£ 103 — 106 ergibt sich, daß die Lieferungen aus den auf Ithaka
selber weidenden 11 Herden bestritten werden. Unter dem Fest-
lande, auf dem die Herden weideten, ist nach Strabo Leukas
miteinbegriffen, wo gleichfalls Kephallenen wohnten (vgl. v 210).
Dörpfeld nimmt das Scherzwort Telemachs ov [i£v ydq xi
<f€ ne£ov öioficu iv&dff lxi<s&m «271 ernst, als ob auf irgend
eine Weise jemand auch zu Fuß nach Ithaka (bzw. Leukas) müßte
kommen können; aber das Homerische Ithaka ist ausnahmslos als
Insel bezeichnet.
Die Angaben über Örtlichkeiten auf Ithaka selbst treffen alle
auf das heutige Ithaka mit seinen charakteristischen Eigentümlich-
keiten zu.
224 Jahresberichte d. Philologe. Vereins.
Die alten Schriftsteller haben niemals Leukas als Ithaka be-
zeichnet, sondern davon sorgfältig unterschieden und als zu Akar-
nanien gehörig bezeichnet (S. 24 — 29).
Paulatos schließt mit dem Wunsche, daß systematische Aus-
grabungen auf Ithaka vorgenommen werden möchten.
Michael war mit Partsch zusammen fünf Tage auf der Insel,
nach der Abhandlung von Paulatos bringt er kaum noch neue
Grunde gegen Dörpfeld vor. — Daß Ithaka trotz seiner Berge
X&a(iccXij genannt wird, erklärt er mit Partsch daraus, daß die
Bezeichnung den Eindruck der Fernsicht und den Vergleich mit
den viel höheren Bergen auf Zante und Kephallenia widergibt; er
möchte aber i 25 f. streichen. — Angaben des Epos über er-
dichtete Fahrten des Odysseus, ? 316 ff., x 270 ff. und £ 324 ff.,
ebenso über die Reisen der Athene-Mentes sprechen gleichfalls
gegen Dörpfeld. Auf die Beschaffenheit der Insel näher eingehend,
weist M. nach, daß die Angaben Homers auf Ithaka zutreffen;
die vom Dichter angegebenen örtlichkeiten werden meist in Über-
einstimmung mit den an Ithaka festhaltenden Forschern nach-
gewiesen, das Gut des Laertes verlegt er zwei Kilometer nord-
westlich von der alten Stadt, die Nymphengrotte nimmt er als
zerstört oder eingefallen an, da die von Thiersch nachgewiesene
nicht die von Homer angegebene Lage habe. Ob ein Nachweis
dieser örtlichkeiten auf Leukas versucht worden ist, ist nicht
bekannt geworden.
36) Nixol. Havlärog, *H o/zfiQixrj^fd-dxrj xal 6 ayqbe tov /laiQtov
io der Zeitschrift AI Movoai, Zakynthos 1902, Nr. 225 und 226.
Der Verf. untersucht die Lage der Gärten des Landes auf
dem heutigen Ithaka. Homer gibt keine ausfuhrliche Schilderung
des ayqoq, gibt aber an, daß er wasserreich und fruchtbar ist,
ein reicher Obstgarten, und fern von der Stadt liegt. Die älteren
Erklärer, auch Schliemann, nehmen ihn mitsamt der Stadt im
mittleren Teil der Insel an, von Warsberg verlegte ihn an den
Berg Nei'on beim Hafen Rbeitron. Letzterer ist allerdings unlös-
lich mit-dem Garten des Laertes verbunden. Nachdem aber Leake
und Partsch die Stadt und das Herrenbaus des Odysseus mit
Sicherheit auf den nördlichen Teil der Insel verwiesen haben,
muß auch dort, und zwar nördlich und nicht südlich von der
Stadt, der Garten gesucht werden. Die Neueren, z. B. Lang und
Menge, wiesen auf die zwei Kilometer von der Stadt entfernten ört-
lich keiten^j^os ^ASavaöioq und 2%oletov tov'O^qov hin, beide
sind jedoch dem angenommenen Herrenhause noch so nahe, daß
von dort aus das Toben der Freier hätte gehört werden können.
Paulatos nimmt daher als Lage für die Gärten den Ort Kdkapog
in Anspruch, unmittelbar am Fuße des Nefon, nur 600 Meter von
dem Busen Aphales, in dem jetzt allgemein der Meerbusen Rheitron
erkannt werde.
Homer, von E. Naumann. 225
37) E. Aßmann, Das Floß der Odyssee, sein Bau und sein phönizi-
scher Ursprung. Berlin 1904, Weidmanosche Buchhandlung. 31 S.
8. 0,60 Jt. — Vgl. P. Cauer, N. Jahrb. f. Phil. 1904 S. 598 f.;
D. Meuß, Marine-Rundschau 1904 S. 610 ff.
Das rätselhafte Floß des Odysseus ist kein „Notkähn", auch
kein „BlockschilT", sondern, wie der Name G^sdir} besagt, tat-
sächlich ein „Floß", wie es auf dem einzigen alten Bilde jener
Meerfahrt, auf einer römischen Tonlampe, auch dargestellt ist.
Odysseus kappt, glättet, richtet die gefällten Bäume und befreit
sie von Ästen, Auswuchsen, Krümmungen, Verdickungen, um gerad-
linige und gleichmäßige Bauzylinder herzustellen; damit ist nicht
gemeint, daß die Bäume zu geradseitigen, vierkantigen Balken be-
hauen wurden, eine Balken- oder Bohlen form paßte für die Floß-
bänder und viele Teile des Oberbaues. Zu diesem ist kein Eisen
verwendet worden; denn £ 162 ist zu verbinden Tupwv %«Xxw,
d. i. mit dem Beile. Das Wort Xxqhx, welches der Erklärung die
größten Schwierigkeiten bereitete, bezeichnet an den neun Stellen,
wo es außer s 163, 252 bei Homer vorkommt, Verdeck, Halbdeck
im Vorder- oder Hinterschiff; auch bei Herodot 5,16 bezeichnet
es einen Bretterboden, eine Plattform, auf der die Hütten der
Pfahlbauten standen und durch welche Falltüren zum Wasser
führten. Ähnlich bei Späteren. Erst die Lexikographen wurden
unsicher und deuten sie unter anderem als Schiffsrippen. Die
ixQicc sind also eine hochbeinige Plattform, eine Art Sturmdeck
oder fliegendes Deck über dem Floß, welches vermittels der
GTctvQoi, der Träger, auf diesem steht; s 252 ist zu konstruieren
Xxqta <ftij<fa<; noiet, er fertigte aufstellend ein Sturmdeck, ägaQcov
&a(i,i<u GTapipsoaiv indem er es an zahlreichen Deckstützen be-
festigte. Die fiaxQctl inrjyxsvideg sind wagerechte Langhölzer,
welche beiderseits die am Rande des Deckes hervorragenden Köpfe
der Träger verbanden und mit ihnen ein Geländer bildeten, das
durch Einfügung von Flechtwerk zu einem sogenannten Schanz-
kleid ausgestaltet wurde. Die aufgehäufte vXtj scheint ein Vorrat
an Weidenruten, Rohr und Reisig zu sein, womit Schäden im
Flechtwerk ausgebessert werden konnten. Die Angaben über die
übrige Ausrüstung sind an sich verständlich, von den drei Arten
Taue (« 260) sind die vTtiqay die Brassen, welche die Stellung
des Segels regeln, nodsg die Schoten, welche die beiden unteren
Zipfel des Segels festhalten, und xccXoi die Gordings, die zum
Raffen des Segels dienen.
Diese von Breusing weit abweichende Erklärung hat die
größere Einfachheit des Baues für sich und zwingt auch nicht,
die ganz unverdächtigen Verse * 249 — 251, „weil sie baren Un-
sinn enthalten", als „von einem Stubennautiker eingeschoben4'
(Breusing, Nautik der Alten S. 140) zu streichen. Das Floß war
«in iNotbau, es hat nichts gemein mit den auf dem Kiel ge-
bauten Schiffen, deren sich sonst die Griechen und auch Odysseus
Jahresbericht« XXXL 15
226 Jahresberichte d. Philolag. Vereios.
zu Seefahrten bedienten; von diesen unterscheidet es sich gerade
dadurch, daß es flach gebaut war, wie eine (fOQzlg svQelij. Diesen
Unterschied verwischt geradezu Pierson zu * 249 in der Be-
merkung: Sdatpog vrjog, la partie fundamentale d'un navire, c'est-
ä-dire une carene. Der Vergleichungspunkt zwischen Floß und
Lastschiff war der breite Boden, daher wird svQsifj V. 251 wieder-
holt. Selbstverständlich hat Odysseus nicht die Größe eines zwanzig-
rudrigen Schiffes gewählt (t 322 f.), sondern ist dem Rate der
Kalypso gefolgt e 163, sich eine svgtta a%sdiri zu bauen, ist
aber — mit Breusing zu reden — „über das Notwendige sicher
nicht hinausgegangen'4.
Fahrzeuge der beschriebenen Art werden noch heutzutage
in Brasilien von den Eingeborenen benutzt. Sie siud im griechi-
schen Altertume nicht gebräuchlich gewesen; aber die griechische
Sage erzählt von der Erfindung des Flosses durch den König
Erythras auf den Inseln des Roten Meeres. Die Sagen von dem
Floß weiter verfolgend, kommt der Verf. zu dem Ergebnis, daß
sie phönizischen Ursprungs sind und daß die Phönizier eine be-
sondere Vorliebe für Sagen mit o%edia und Meeresfahrt gehabt,
wie kein zweites Volk der Erde.
Geschichtlich aber läßt sich im Morgenlande ein scharf ab-
gegrenzter Bezirk nachweisen, wo das Floß nicht einen Notbehelf»,
sondern ein volkstumliches Fahrzeug im Alltagsleben darstellte,
welches man trotz der Bekanntschaft mit regelrechten Schiffe d
beibehielt: eine Zone von der Euphratmündung längs der Küsten
Arabiens bis zur Sinaihalbinsel. In Mesopotamien und Unter-
ägypten war das Floß auch auf Flössen usw. das gewöhnliche
Fahrzeug. Es scheint demnach, daß für das Odysseische Floß der
phönizische Ursprung gesichert ist.
Nach allen diesen Darlegungen wird sich Breusings Vorstellung
des Blockschiffs nicht mehr aufrecht halten lassen.
Der Verf. betrachtet aber die Frage nach dem Ursprung des
Flosses nur als Teil einer allgemeineren Frage, nämlich der, ob
wir die „Dichtung von den Fahrten des Odysseus dem Genius der
Phoiniker verdanken, ob uns hier, wie beim Neuen Testament,
semitischer Geist in griechischer Schale oder Übersetzung vorliegt*4.
Die höchst unglückliche Vergleichung mit dem N. T., welches den
semitischen Geist geradezu aufhebt, mag auf sich beruhen; um
die Frage für die Odyssee einer bejahenden Antwort entgegen-
zufuhren, bringt der Verf. für etwa zwei Dutzend homerischer
Wörter, für die eine Abstammung aus dem arischen Sprachstamm
noch nicht erwiesen ist, semitische Vorbilder bzw. Wurzeln bei,
die als Lehnwörter in das Griechische übergegangen seien. Was
durch bloße Zusammenstellung ähnlich klingender Lautgruppen
errejcht werden kann, haben Baumhofers Homerische Rätsel un-
längst gezeigt. Die Frage nach dem semitischen Einfluß auf
flomerische Vorstellungen wird sjne ira, aber auch sine studio
Homer, von E. Naumann. 227
zum Austrag gebracht werden müssen; nach dem gegenwärtigen
Stande der Forschung ist es noch nicht angezeigt, Homer zu
einem Semiten (S. 19) machen zu wollen; und wenn man auch
schon heute zugeben mag: „Ohne die Phoiniker hätten wir vieles
von der Odyssee nicht14, so kann man doch die Fortsetzung dieser
Behauptung: „wahrscheinlich überhaupt keine Odyssee'4 nicht unter-
schreiben.
38) Hoffmann, Auf der Saujagd bei Homer. Monatschrift f. höhere
Schulen 1904 S. 442—446.
In lebendigster Schilderung entwickelt der Verf. aus Odyssee
19,428 — 454 das lebenswahre Bild einer regelrechten Saujagd,
das in allen Einzelheiten ein neues Zeugnis für die scharfe Be-
obachtung des Dichters ablegt. Es ist eine regelrechte Treibjagd
mit Findermeute; beim ersten Strahl der Morgensonne treffen
Jäger, Treiber {inaxT^qsg) und Meute an der zuvor ausgemachten
Waldschlucht an. Die Treiber gehen mit einem Teil der Meute
voran, die Jäger halten mit dem anderen Teil der Hunde den
Haupt Wechsel besetzt oder gehen behutsam durch. In einer Laub-
holzdickung steckt eine „grobe Sau", psyccs <tvg, ein Keiler, ein
Einsiedler. Treiber und Jäger gehen konzentrisch vor {neQi 444),
nicht in Linie, wie in Schußgefahr bei uns. Der Keiler fährt aus
seinem Waldversteck ihnen entgegen, er ist offenbar von den
Hunden gestellt. Odysseus springt als erster mit der schweren
Stoßlanze (ßoqv), der „Saufeder", ihm entgegen, der Keiler aber
schlägt ihm schräg von unten empor eine tiefe Fleischwunde,
wird jedoch in demselben Augenblick von ihm durch einen Stich
von oben herab dicht an der rechten Schulter (xazd ds^iov (jopov)
zur Strecke gebracht. Also die Todesstelle war dem Jäger genau
bekannt, der Stoß an dieser Stelle mußte Lunge und Herz durch-
bohren. Daß der Keiler hier klagend (fiaxcov) zusammenbricht,
wird gerechtfertigt durch die vielen Jägern noch wenig bekannte
Tatsache, daß bei gewissen Knochenschüssen auch Hauptschweine
entgegen sonst gemachler Beobachtung „vernehmlich" geklagt
haben. Also auch in diesem Punkte hält die weidmännische Er-
fahrung des Dichters Stich.
39) Leo Bloch, Alkestisstudieu. X Jahrb. J901 S. 231f.
Der erste Abschnitt behandelt „Das Weib in der griechischen
Dichtung bis auf Euripides". Es ist in dem ältesten Epos noch
durchaus zur Passivität bestimmt. Der Streit der Heerführer ist
durch ein Weib hervorgerufen; von diesem selbst erfahren wir
kaum den Namen. Die ionische Umgestaltung des Epos schenkt
dem Weibe größere Beachtung, Andromache, Hekabe, Helena
tragen persönliche Zuge; aus seiner Passivität tritt das Weib
aber noch nicht heraus, Helena gehört dem Räuber, wie ein
Beutestück.
15*
228 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
40) r. K. raqSCxag^ 'H ywi\ iv t$ 'ElXrjVixy nolir iafJ,$. A'. *H
'Elltjvti iv tj OptiQUcrj Inoxjj. %Ev *A&qvai£9 ix iov ivnoyQvnpUov
H. J. ZccxtllagCov 1902. 493 S. 8.
Der Verf. behandelt die Stellung der Frau im Heroenzeitalter
unter dem Gesichtspunkte, daß es die höchste ist, welche diese
außerhalb des Christentums jemals gewonnen hat. Er entwirft
ein Bild von dem Familienleben jener Zeit, nicht ohne grelle
Streiflichter auf die Gegenwart fallen zu lassen, gewährt aber den
Heroen mancherlei Nachsicht. Die Schrift scheint im ganzen
mehr der Ermahnung als der Forschung zu dienen; der letzteren
sucht der Verf. durch eine sorgfältige Stoffsammlung gerecht zu
werden, daneben verwertet er einen kleinen Kreis älterer Homer-
literatur. Der homerische Bestand ist nicht immer genau von
Hesiodos geschieden, die Neunzahl der Musen und deren Namen,
die Namen der Chariten, die Gardikas aufführt, kennt Homer noch
nicht, dagegen übergeht der Verf. den Namen Uaöi&ir} (5276);
die Aufstellungen im einzelnen bedürfen vorsichtiger Prüfung. So
hat die Schrift weniger einen wissenschaftlichen Wert als den
einer populären Behandlung eines anziehenden Themas.
41) M. Schneidewio, Zur homerischen Psychologie. N. Jahrb. f.
d. klass. Altert. 1901 S. 439—443.
1. Tg yäq 'A&ijvaiq voov hqansv. So motiviert der
Dichter r 479 den befremdlichen Seelenzustand, der Penelope
verhinderte, den freudigen Aufschrei der Eurykleia zu beachten,
welchen diese bei der Erkennung ihres Herrn ausstieß. Es ist
nicht eine Geistesabwesenheit, die daraus entstand, daß Penelope
traumartig in Gedanken versunken war, sondern ein „einmaliges
Gotteswunder". — 2. *AxqsTov idcov. "AxqsTov cT iyeXccGGev.
Thersites wischt sich B 269 mit „verlegenem Blick" die Tränen
ab, als ihn die Schläge des Odysseus schmerzen. \dxQ&ov =
unnütz, es war nicht nötig, daß Thersites diesen Blick zeigt, er
hätte stoisch den Schmerz hinnehmen können, statt dessen sagt
sein Blick: „Ihr merkt doch nicht, daß ich mich blamiert fühle4',
Penelope hat in ihrer Trauer eigentlich das Lachen verlernt, ihre
Seele bringt das Lachen nicht hervor, sie gibt sich nur den An-
schein einer immerhin aufgeheiterten Stimmung, es „flog in etwas
gezwungener (oder gekünstelter) Weise ein freundlicher Ausdruck
über die Züge der Penelope". — 3. Homer als Kenner der
Suggestion. Die Widersprüche innerhalb der vielbehandelten Stelle
0 158 — 242 sucht Schneidewin durch die Annahme zu heben,
Penelope handle unter einem suggestori sehen oder hypnotisierenden
Einfluß Athenes, so daß sie dem Telemachos etwas ganz anderes
sagt, als sie sich vorgenommen, und daß sie von dem Vorwurf
der Gewinnsucht befreit wird, während es dem Charakter der
Athene „bei aller edlen Weisheit wohl angemessen sei, gewinn-
süchtige Absichten zugunsten ihrer Lieblinge zu spinnen".
Homer, von B. Naumann. 229
Während des Druckes ist mir zugegangen:
P. Cauer, Beigaben za Ilias und Odyssee. Stimmen des Altertums,
Inhaltsangaben, sachliches Register. Leipzig 1905, G. Freytag. 20 S.
8. 0,80 JC.
Das Heft bildet einen in den Sachregistern neubearbeiteten
Sonderdruck aus Anhängen zu des Verf. Homerausgaben.
Literaturnachweis.
Homers Odyssee, erklärt von J. U. Faesi. Erster Band. Gesang I — VI.
Neunte Auflage, neu bearbeitet von A. Kaegi. Berlin 1901, Weid-
mannsche Buchhandlung. XXX u. 188 S. 8. 2,10^. (JB. 1902
S. 192.) — Vgl. J. Tuchhaeodler, Neue Phil. Rundsch. 1902 S. 361—363.
Nicht vorgelegen haben mir folgende Ausgaben und Schriften:
Homers Gedichte. Zweiter Teil: Die Ilias. Bearbeitet von 0. Henke.
Zweiter Band: Buch 14 — 24. Mit Register der Personennamen und
der geographischen Namen. Zweite Auflage. Leipzig 1903, B. G.
Teubner. 332 S. gr. 8. geb. 2 JC.
Homeri carmina. Recensuit et selecta lectionis varietate instruxit
A. Lud wich. Pars prior: Ilias. Volumen prius. Leipzig 1903,
B. G. Teubner. XIX u. 514 S. 8. geh. 16 Jt.
Die Gedichte Homers. Erster Teil: Die Odyssee, bearbeitet von
0. Henke. Text. Zweiter Band: Buch 13—24. Mit einer Karte.
Dritte Auflage. Leipzig 1904, B. G. Teubner. 248 S. gr. 8. geb.
1,60 Jt.
M. Witte, Der erste Gesang von Homers Odyssee, im Versmaß der
Urschrift übersetzt. — Vgl. B. Bruho, Monatschr. f. höhere Schulen
1904 S. 520.
G. Koch, Zur vergleichenden Behandlung von Aneis I 157—222
und Odyssee X 135—186. Progr. Realgymnasium Eisenach 1904.
— Vgl. F. Fügner, Monatschr. f. höhere Schulen 1904 S. 600.
H. Röhl, Zu griechischen Texten. [Aach zu Homer.] Progr. Halber-
stadt 1903. — Vgl. £. Bruhn a. a. 0. S. 520.
Th. Dielitz, Homerische Formenlehre. Ein Repetitionsbuch für
Gymnasien. Zweite Auflage. Altenburg 1902, H. A. Pierer. 24 S.
8. 0,40 Jt.
H. Heubach, Quibus vocabulis artis criticae propriis usi sint
Homeri scholiastae. II. Progr. Eisenach 1903. — Vgl. E. Bruhn,
Monatschr. f. höhere Schulen 1904 S. 519.
B. Leidenrotb, Indicis grammatici ad scholia Veneta A exceptis
locis Herodiani specimen II. Progr. Leipzig 1903. — Vgl.
E. Bruhn a. a. 0. S. 519.
O. Kretsehmar, Beitrüge znr Charakteristik des homerischen
Odyssens. Progr. Neonkirchen 1903. — Vgl. E. Bruhn a. a. O.
S. 520.
K. Euler, Ober die angebliche Farbenblindheit Homers. Progr.
Marburg 1903. — Vgl. E. Bruhn a. a. 0. S. 519.
B. Schmidt, Die Insel Zakyntbos. Erlebtes und Erforschtes. Frei-
burg i. Br. 1899, F. E. Ehrenfeld. 177 S. — Vgl. Fr. Baumgarten,
N. Jahrb. f. d. klass. Altert. 1900 S. 303 f.
Schöneberg b. Berlin. E. Naumann.
230 Jahresberichte d. PhiloJog. Vereins.
Über A 488—492.
Agamemnon rüstet A 308 ein Schiff aus, um von der Küste
des Hellesponts die Ghryseis nach Chryse am Adramyttenischen
Meerbusen heimzuführen. Odysseus wurde der Anführer der Exr-
pedition V. 31t. Die Ankunft des Schiffes erfolgt, nachdem in-
zwischen von den Vorgängen im Lager der Achaer berichtet
worden ist, erst V. 431. Von V. 430— 487 opfert Odysseus in
Chryse eine Hekatombe, versöhnt den Gott Apollo und kehrt nach
Troja zurück. Dann folgen die Verse
488 avxaq 6 fiyvis vrival naq^svog obxvftÖQOMfw,
489 dioyeviis IlfjXsog vlog, nodag wxvg ^AxiXXsvg.
490 ovxe not' sig äyOQqv ncoliöxsto xvdiavGiqav,
491 ovze not' ig noXspov, aXka y&wv&söxs cpiXov xtJQ
492 avd'i ptvcov, nod'ssGxs & avt^v %s molefiop re.
Lachmann hatte sich 1837 darüber so ausgesprochen : „Setzen
wir 430 — 492 unmittelbar an 1 — 348, so paßt alles genau zu-
sammen, und der Ausgang wird auf beiden Seiten völlig zu Ende
gebracht, durch die Auslieferung der Briseis und das Grollen
Achills. Die letzten Verse 488 — 492 sind notwendig hinzuzufügen,
damit die Erzählung zuletzt wieder auf ihren Anfang, den Zorn
des Achilles, zurückkehre. Also A 1 — 348 und 431 — 492 haben
entweder ursprünglich zusammengehört, oder der zweite dieser
Teile ist wenigstens sehr geschickt und im Geiste des ersten hin-
zugedichtet". Ursprünglich schloß Lachmann sein erstes Lied mit
V. 318 (Brief an Lehrs); später aber sah er ein, daß der Hader
der Könige den Raub der Briseis als abschließendes Glied er-
fordere, und daß 430 — 492 wohl ursprünglich noch mit dazu
gehört haben als die beabsichtigte Fortsetzung eines anderen
Dichters. — Die Verschiedenheit der beiden Verfasser hat dann
M. Haupt 1847 weiter begründet, indem er auf die Ungleichheit
des Stils aufmerksam machte. Neben der weitläuGgen Schilderung
des Opfers und des Opfermahles werde der wichtigste Punkt, die
Versöhnung Apolls (457 und 474) nur kurz und knapp behandelt,
die Hälfte der Verse 430 — 492 sei aus Reminiszenzen und Formeln
zusammengesetzt. Selbst Bäumlein erkennt es in der Zeitschr.
f. d. Altertumswiss. 1848 S. 325 an, daß die Verse 430—487
verglichen mit der lebendigen Anschaulichkeit und energisch fort-
schreitenden Darstellung des übrigen A eine gewisse Magerkeit
und einen epitomatorischen Gharakter zeigen. — Hingegen die
zweite Fortsetzung seines ersten Liedes, 348 — 429. 493 — 61t*
vermochte Lachmann ebensowenig als mit der ersten Fortsetzung
430—492 mit der Haupterzählung in 1 — 347 zu vereinigen, sie
könne, wiewohl sie sich mehrfach auf das erste Lied zurückbezieht,
und im ganzen, namentlich in bezug auf Gleichnisse und Anaphora,
durch ähnlichen und trefflichen Stil sich auszeichnet, nicht von
v
Zu Homer A 488— 492, von P. D. Chr. Hennings. ^31
demselben Dichter sein, da sie nicht immer die Anschauungen
des ersten Dichters festhalte und auch die Wiederholung der
beschichte A 370 ff. besser in eine Fortsetzung des ersten
Gesanges passe. Dem Weinen Achills ^L 349 mußte zwar die
Wegnahme der Briseis vorhergehen, aber das erste Lied ist nicht
gerade derjenigen Ergänzung bedürftig, welche das Thetislied 3481f.
bringt, wie wir später sehen werden.
Die erste Forlsetzung, die Erzählung von dem Opfer iti
Chryse 430—487, ist nach den Untersuchungen von Häsecke
(Progr. Rinteln 1881) und von G. Hiqrichs (Hermes XVII), denen
schon K. L. Kayser u. a. vorangegangen waren, in der Tat erst
von einem recht späten Nachdichter verfaßt. Aus dem Nachweis
von Häsecke will ich wiederholen, was mir begründet erscheint:
1. Die Worte tip qa ßir\ a&xovvoq äntivqaav 430 entsprechen
weder der in 321 — 347 dargestellten Situation noch den aus-
drücklichen Worten Achills 298 f.; denn Gewalt wird nicht an-
gewandt, Achill läßt selbst durch Patroklos die Jungfrau den
Herolden des Agamemnon zuführen. Es müßte also schon der
andere Halbvers 348/2 ij <F a&xovo9 afia toXci yvvi\ xiev vor
avxaq °Odvaü€vg gestanden haben. — Ist es ein Mangel, daß
ol di 432 ohne grammatische Beziehung auf ein Substantiv steht?
V. 447 ist es jedenfalls deutlicher, daß mit zol de die Leute des
Odysseus bezeichnet werden. — Aber 2, V. 433 ff. wird das Schiff
abgetakelt. Das geschieht sonst, wenn nicht außerordentliche
Verhältnisse vorliegen, nur dann, wenn das Schiff auf längere Zeit
als eine Nacht außer Dienst gestellt wird. Hier sieht man das
Warum nicht ein, wohl aber hy. Ap. Pyth. 326. — 3. In der Be-
schreibung des Opfers bleibt, wie ausführlich sie auch ist, doch
manches unklar. Sind 458 ff. die Ruderer des Odysseus gemeint,
wie 447—449? Der Greis 462 soll wohl Chryses sein? Sind
die Jünglinge 463 vielleicht seine Assistenten? Jedenfalls sind die
xovqoi 470 seine Diener, da die ol de 473 wieder die andere
Partei bezeichnen müssen. V. 469 scheint voreilig zu kommen;
so wie nämlich jetzt erzählt wird, werden ja die Mischkrüge erst
gefüllt, nachdem der Durst schon gelöscht ist Da uns indessen
nicht berichtet wird, ob auch im Altertum Leser an diesen Versen
sich gestoßen haben, so hat Bernhardi in einem Programm „Über
das Trankopfer bei Homer" sie verteidigt: „Durch ccvtccq inel
Tzoöiog xai id^zvog ££ sqov Ivxo und ähnliche Verse wird ein
/endgültiger Abschluß der Mahlzeit an sich nicht bezeichnet Ein
solcher Abschluß Iritt mit diesen Versen nur in den Fällen ein,
in denen die Teilnehmer durch anderweitige dringende Unter-
nehmungen, z. ß. o 143. oder durch das Bedürfnis des Schlafes,
z.B.*/' 57. $454. n 480, zum Aufbruch veranlaßt werden, oder
aber die Gesellschaft aus Frauen besteht £ 99. In allen übrigen
Fällen wird durch diese Verse nur das Ende des ersten Teils der
Mahlzeit markiert, der ausschließlich für die Befriedigung des
232 r Jahresberichte d. Philolog. Verein».
ersten Hungers und Durstes bestimmt ist. Dieses Geschäft pflegt
nicht durch Unterhaltung unterbrochen zu werden . . . Diesem
ersten Teile des Schmauses schließt sich ein zweiter an, der
wesentlich dem Gespräche und anderen geselligen Freuden ge-
widmet ist Aber aucb während dieses Teiles wird dem Trünke
zugesprochen, und Brot und Fleisch stehen auf den Tischen, um
den im Laufe des Gelages etwa neu sich regenden Appetit zu
befriedigen. Dies ist der eigentlich genußreiche Teil des Mahles
* 5—10". Beweisstellen: / 221 ff. £ 112. a 339. S 1. Q 415«:
456. %20. o 303 und 391. — Erst nach Beendigung des Opfers
471 wird libiert (vgl. 463), und das bei der Spende übliche
Waschen der Hände bleibt unerwähnt. — 4. Das nccvrjfjLtQioi 472
ist an die große Glocke gehängt worden, da nur der Abend noch
übrig gewesen sein kann. Der Verfasser hat aber 458—461 aus
B 421—424, 462 f. aus y 459 f. und 464—469 wieder aus
B 427—432, endlich 470f. aus der Libationsformel (vgl. / 174
—177. a 146 ff. y 338—342. tp 270 ff.) zum Teil gedankenlos
abgeschrieben und die einzelnen Flicken mechanisch aneinander*
gereiht. Seine Unselbständigkeit hat die Unklarheiten veranlaßt. —
5. V. 485 f. sind aus n 325 und hy. Ap. Pyth, 328 entlehnt; denn
sie enthalten einen falschen Gegensatz zwischen ot ye 485 und
amoi di 486. Wie 451 f. aus A 37 f., so sind ferner 453—455
aus 77 236 ff. entlehnt. Überhaupt finden sich zwischen 430 und
487 mindestens 37 wiederholte Verse: 430. 434—437. 446. 450
—455. 457—471. 473. 475-477. 479. 481—483. 485f. Köchly
entblödet sich daher nicht, diese Episode „Hierum consarcinatoris
foetum" zu nennen.
Wenn nun die Zuruckfuhrung der Chryseis 430 — 487 fehlte,
beschränkte sie sich auf 308—312? v. Hoermann (Untersuch,
über die Homer. Frage, Innsbruck 1867) erinnert dagegen S. 80ff.r
der V. 312 ol piv snsit9 ävaßävreg ininlsov vyQCt xifev&a
weise deutlich auf eine spätere Wiederaufnahme dieses begonnenen
Aktes hin, wie ähnlich die Thetis fahrt von Troja zum Olymp in
2 146 mit 148 und 369 sich fortsetze. „Bestände die Ausführung
des Befehls Agamemnons nur in den Versen 308 — 312 und wäre
der Dichter nicht willens, die weitere Ausführung folgen zu lassen,
so halte er statt der Präsentia 390 ni^novat und ayovo* —
natürlich nicht den Aorist — wohl aber das Imperfekt gesetzt,
welches der Grieche von unvollendeten Ereignissen gebraucht,
deren Beginn in die Vergangenheit fällt'4. Allein Achill konnte
390 an demselben Tage, wo Odysseus abfährt, durchaus kein
anderes Tempus gebrauchen als das Präsens; hätte der Dichter
hier erzählt, dann läge die Sache anders. Nachdem 313 ff. die
Reinigung des Heeres von dem Pestgift und die Lustration vor-
genommen ist, war es wirklich ziemlich überflüssig zu berichten*
wie Odysseus die Hekatombe dem Apollo darbringt, da der Seher
Kalchas 98 die Versöhnung des Gottes durch ein Opfer für
Zu Homer A 488—492, voo P. D. Chr. Hennings. 23$
möglich erklärt, da Agamemnon dieses Opfer 147 zu bringen be-
fohlen hat und die Ausführung dieses Befehls 389 f. angegeben
wird, wenn auch erst 457 und 474 ausgesprochen wird, daß der
Gott das Opfer gnädig angenommen hat.
Es ist nun die Frage, ob obige Verse 488—492 ursprunglich
mit der Einlage 430— 487 zusammengehören, wie Lachmann
meinte, oder mit den Versen 348 — 430. 493—611, oder wo sie
sonst ihren Platz zuerst bekommen haben.
Denn zu athetieren sind die Verse 488 — 492 wohl nicht.
Lachmann sagt S. 93 seiner „Betrachtungen41: „Zenodot verwarf
die Verse A 488 — 490. 492: den 491. schrieb er gar nicht...
Aristarch widerlegt die Grunde der Athetese. Er lehrt (Schol. 490),
daß mo&eeaxe <T ävtijv ts nrölsfiop %s bedeute, die Untätigkeit
sei dem Helden schmerzlich gewesen: dem früheren Kritiker
schien also die Begierde zum Kampf der Drohung zu wider-
sprechen, daß er nicht mehr streiten, sondern heimkehren wollte
(V. 169). Und ovrs not' ig nolspov, sagt Aristarch, sei entweder
nQÖXrjipig, oder es beziehe sich auf kleine Heerfahrten in die
Umgegend, die sonst Achill zu fuhren pflegte. Dies scheint et
so ausgeführt zu haben, daß er zeigte, elg äyoQijv sei gerade so
anstößig oder gerechtfertigt als ig nolspov. Ein chronologisches
Bedenken nahm Zenodot an den Versen nicht'4.
Für die ursprüngliche Verbindung von 488 — 492 mit der
Einlage 430—487 könnte das ix toto in 493 sprechen. Denn
dasselbe bezieht sich, wie wenn wir mit dem bestimmten Artikel
sagten „seit dem der zwölfte Tag", auf die vorherige Zeit-
bestimmung V. 425, und die Interpolatoren pflegten ja am Schluß
ihrer Einlagen zu dem Gedanken zurückzukehren, an den sie ihre
Einlage angeknüpft hatten, wie z. B. B 53—86, a 430—435,
ff 7 — 13 und sonst. Es ist also der zwölfte Tag der Götterreise
geraeint. Gleichwohl bezieht sich das ix toto an der Stelle, wo
es jetzt steht, wie Nägelsbach richtig bemerkt, grammatisch zu-
nächst auf das ccvzccq 6 fiyvie 488, auf den Anfang der [irjvig
zurück, d. h. genau genommen auf den 13. Tag nach dem Anfang*
der Götterreise. Die Beziehung des ix toTo ist also dem Inter-
polator, trotzdem daß er 488 aus 421 f. wiederholt hatte, nicht
völlig gelungen, sie ist schief geworden.
Außerdem scheiden sich die Verse 488 — 492 von der vor-
hergehenden Einfügung durch den Inhalt. Den Inhalt von 488 —
492 hält freilich Düntzer für überflüssig und falsch: der Verfasser
habe eigentlich gar nichts von Achill zu sagen, was sich nicht
von selbst verstünde; überdies hätten weder Volksversammlungen
noch Kämpfe in dieser Zeit stattgefunden. Ist das denn selbst-
verständlich, daß der Held sich in dem Gram verzehrt, weder ad
Heeresversammlungen noch an Kämpfen aus eigenem Entschluß
mehr teilnehmen zu dürfen? Und wenn auch weder die einen
noch die anderen aus dieser Zeit berichtet werden, mag sie denn
234 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
so lange gewährt haben, wie die Fahrt nach Chryse oder die
Götterreise erforderte, war es denn ungereimt, wenn Achill irgend-
welche Tätigkeit des Heeres in seinem Herzen voraussetzte? Mit
seinem Gram steigerte sich der Groll gegen Agamemnon. Auch
Thetis setzt die Möglichkeit von Kämpfen voraus, denen Achill
sich fernhalten müsse, indem sie V. 422 den Achill auffordert:
<fv p,iv vvv nokifjbov dnonaveo. Der „zürnende Achill muß
eine gewisse Zeit haben, sich in seine schmerzvolle Stimmung zu
versenken, ehe wir in ihm den grollenden Helden erkennen können,
dessen Groll die angedrohten Folgen herbeiführen soll1', sagt man
und erinnert nicht umsonst an A 81 f.
Ob er den kochenden Zorn auch selbigen Tages verschlucke,
Immer noch trägt er ihm nach den im Herzen verhaltenen Ingrimm.
Auch Häsecke und Heimreich preisen die fünf Verse 488 — 492
oder eigentlich die drei 490 — 492 als „herrlich und ergreifend
im Gegensatz zu der elenden, unselbständigen Flickarbeit der
jChryseisepisodeu. Abgesehen von der Götterreise dauert Achills
(Groll nach der jetzigen Ilias kaum sechs Tage, trotzdem darf der
Dichter versichern : dtjQoy ös (Jbdxys ininavto 2 125. 247.
T 46. Y 43; „lange" unterliegt ja subjektiver Auffassung. —
Kammer schreibt (Gin ästhetischer Kommentar zu Homers Ilias
1889 S. 134) die Verse 488—492 dem Verfasser von 430 — 487
zu, ohne greifbare Gründe zu bringen. Denn wenn er in V. 488
„wegen ganz äußerlicher Verfolgung der Verse 421 f. Unsinn"
spürt, so ist es doch nicht ersichtlich, warum vielmehr 488 f. aus
421 f. genommen sein sollen als umgekehrt. Und damit, daß der
Verfasser „den Achilleus nicht die Volksversammlung besuchen,
nicht am Kampfe teilnehmen läßt", soll er „ohne sich dessen be-
wußt zu werden", wieder „einen Unsinn geschaffen haben; denn
daß irgend eine Volksversammlung, irgend eine Schlacht schon
vor dem vom zweiten Gesänge ab Gemeldeten solle stattgefunden
haben, sei doch unmöglich'4. Nach der jetzigen Erzählung ver-
streichen ja bis zum Tage von B noch elf Tage; der Verfasser
der Götterreise hat sich also wohl die Möglichkeit vor Augen
halten müssen, daß in diesen elf Tagen Volksversammlungen und
Kämpfe stattfanden. Wenn aber die Götterreise verworfen wird,
wie Kammer das tut, so erstreckt sich ja doch die Frist, in
welcher Achill sich nach Versammlungen und Kämpfen sehnen
muß, nach unserer Ilias über eine Zahl von Tagen von B bis J£.
Warum sollten dieselben denn gerade vor B erfolgt sein? warum
können die Verse 488—492 nicht eine Aussage über die ganze
£eit des Grolls enthalten? — G. Hinrichs hat freilich im Hermes
XVII 1882 zu beweisen gesucht, daß 488—492 ebenfalls (wie
430 — 487) einen unselbständigen Flicken abgeben, aber er hat
nach Köchlyscher Weise die Verse in ihre einzelnen Wörter zer-
pflückt und dann die Stellen angeführt, wo diese einzelnen Wörter
sonst noch beim Homer vorkommen, z. B. avtaQ 488 sei aus
Zu Homer A 488—492, von P. D. Chr. Henoiags. 235
430 und 348, pt[vi>s aus 247 oder 421, naqfjpBVog aus der
Odyssee; daß viag in 487 und vqvttt in 488, wxvtzoqoiöi, in
488 und coxvg in 489 vorkommt, wird als Ungeschicklichkeit an-
gerechnet; die Anaphora des ovxs finde sich auch in A 226,
ntoXiaxeto sei aus E 798 genommen usw. Die beiden einzigen
Punkte, die sprachlich in der Tat auffallen könnten, sind in
folgenden Sätzen enthalten, S. 95: 1. Der Verfasser nahm keinen
Anstoß daran, gegen den homerischen Gebrauch, welcher nur eine
[accX*! xvdidveiqa kennt, und zwar nur in der Ilias und immer
im Versschluß, also unter ganz bestimmter Verbindung (!), von
einer äyoQtj xvdydvGiqa zu sprechen". Und doch hat Schol. ß.
schon an / 441 erinnert:
.... ovnca eldod'' opoUov nolifxoio
ovd' äyoQtcov, Iva t? avöqsg aQMQsnisg TeX£&ov<Siv.
Konnte nicht auch eine Heeresversammlung den Ruhm Achills
wiederherstellen, wie dazu / 115 fF. der Anlauf genommen wird? —
2. (p&ivv&etfxe sei sonst intransitiv: Aber bei (p&wv&saxs
braucht man gar nicht mit Heyne den Akk. cfilor xtjq als Akk.
des Bezuges zu rechnen, ebensowenig wie x 485; das Verbum
kommt transitiv vor a 250. n 127 und S 95. Daß die Erwähnung
der äyoQij „entschieden unpassend" sei, darf ich ebenso ent-
schieden bestreiten. Achill muß sich jeder Teilnahme an den
gemeinsamen Angelegenheiten enthalten, sogar der Teilnahme an
Versammlungen, das war besonders hart, das fraß ihm an der
Seele. Und das no&eeaxs noXffiov hat Aristarch durch ix&QÖg
yäq xr(q agyiag 6 tfQwc, (pMti^og 6i neql rag nqd^ug richtiger
erklärt als Hinrichs, welcher so deutet: „Achill sehnte Krieg her-
bei, um durch seine Kampfenthaltung den Achäern Schaden,
seinem Groll aber Genüge zu bereiten".
Also 488—492 gehören ursprunglich weder nach dem Inhalt
noch nach der sprachlichen Form mit der Einlage 430 — 487 zu-
sammen: es entsteht die zweite Frage, ob sie in den Zusammen-
hang des Thetisliedes 348 — 429. 493 if. sich passend einfugen.
Bei der mangelhaften Beschaffenheit des damaligen Schreibmaterials
haben gewiß die Nacbdichter oder Rhapsoden sehr ungern Kor-
rekturen der ihnen überlieferten Lesart, wenn sie überhaupt
schriftliche Exemplare benutzten, vornehmen mögen. Es hat also
an und für sich etwas gegen sich, wenn Köchly und Näke, welche
348 — 429. 493 — 611 als eigenes Lied betrachten, dasselbe mit
488 f. an unrechter Stelle so beginnen lassen:
Köchly: 489 -(-429: ccvtccq 6 xodoixsvoq xovQtjg nodag taxvg
*A%i>XXevg
349: daxqvaag hccQcov &(paQ $£szo v6(5(pi Xiaa&slg xxX.
IMäke: 488: avxdq 6 (Afjvis vt^val naQtjfisvog (oxvnoQoiöw i
489: dioyevijg JlfjXiog vlog, nodag mxvg 'AxtXXsvg'
349: daxQvöag <T evceQcov ätpaQ ££ero voGifi Xyaadsig xtL
236 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Sie haben eine solche willkürliche Änderung und Umstellung nicht
begründet, sondern waren zufrieden, damit einen gefälligen Text
herzustellen, einer denkbaren Möglichkeit nachzugehen. Abgesehen
hiervon wurde ein solches Lied der „notwendigen Abgeschlossen-
heit und Einheitlichkeit ermangeln44 (s. von Hoermann, ferner
Hoffmann, Philo!. III S. 196, und Lauer, Gesch. der hom. Poesie
S. 208).
Bei schriftlicher Vorlage haben aber die Verse 488—492 auch
keinen Anschluß an 348 — 430:
%r\v §a ßifi aixovTog amjvqoap ....
avxäq 6 fiijvis vtjvGi naqijfievog
noch an 428. 429:
<Sg äqa (fwqöaa* aneßriGeio* xbv dy iXm} avxov
Xmofisvov xaxä &vi*dr £v£obvoio yvvaixoq,
avxäq 6 (Jirjvis ....
nicht als ob avxov, d. h. am Meeresstrande, dem vf^vai naqijf*€vos
widerspräche, aber weil der Gegensatz avxäq 6 unerwartet käme:
noch an 428, aus demselben Grunde. Sähen wir aber 488 f. als
des Obergangs wegen notwendige Flickverse an, auch die Auf-
einanderfolge von 429. 490:
xbv <T skm' avrov
429: %(aonsvov xaxä &VfAbv iv£covoio yvvaixog.
490: ovxe nox* eig äyoqijv ncolsaxero xvdiävsiqav
ovxe noiy ig noAepov.
wurde schwerlich befriedigen, man würde wenigstens ein yäq zur
Verbindung vermissen. Was aber wichtiger, ja entscheidend ist.
das ist die Beobachtung, daß die zwölftägige Reise der Götter zu
den Ätbiopen, innerhalb welcher die Verse 488 — 492 jetzt zu
fallen scheinen, an sich den gerechtesten Bedenken unterliegt.
Denn weder die Anwesenheit des Apollo bei der Pest und nach-
her beim Opfer in Chryse, noch die der Athene und Hera während
der Heeresversammlung, wo die beiden Könige sich erzürnen, noch
die der andern Götter auf dem Olymp verträgt sich mit einer
Reise aller Götter ans Ende der Welt, mit welcher jetzt Thetis
ihren Sohn vertröstet. Oberhaupt stellt Homer sonst das Ver-
hältnis der Götter zu einem Opfer nicht anders dar als so, daß
sie den Fettdampf der Opfertiere im Olymp genießen, wie sie
auch der irdischen Lobgesänge im Olymp sich erfreuen. V. 474:
liilnovtsq sxäsqyov 6 d& <pq&va xiqnsx' äxovwv.
Noch ein anderes Bedenken dürfte die Folge der Gedanken
in V. 414 — 430 und 493 ff. erregen. Sie ist offenbar irgendwie
gestört. K. L. Kayser war der erste (1842), welcher mit der
Chryseisepisode 430 — 496 zugleich die Reise der Götter zu den
Äthiopen 423—427 ausschied (Hom. Abh. ed. Usener S. 9: „Die
Reise der Götter zu den Äthiopen dankt vielleicht auch der
Odyssee a ihren Ursprung. Nach V. 429 folgt V. 497 und alles
ist in Ordnung"). Auch Döntzer hat (Allg. Monatschrift f. Liter.
Zu Homer A 488—492, von P. D. Chr. Hennings. 237
1850, II, S. 280) vorgeschlagen, die Verse 421—427 und 493—
496 als interpoliert anzusehen, freilich mit dem Vorbehalte „wenn
der chronologische Widerspruch auf keine Weise zu entschuldigen
wäre". Zu entschuldigen versucht ihn von Hoermann a. a. 0.
S. 73 ff.: „Man könnte mit Nägelsbach S. 97 sagen, daß der Auf-
schub der Thetisbitte zur Ausfuhrung der Charakteristik des
Achilleus diene, indem, wenn zwischen Thetis1 Gang in den Olymp
geraume Zeit vergeht, ohne daß Achilleus während derselben seine
unheilschwangere Bitte zurücknimmt, sein Zürnen um so weniger
als Wallung des Augenblicks und um so mehr als tiefgewurzelier,
nachhaltiger und unversöhnlicher Groll erscheint. Ich (von Hoer-
mann) zweifle, ob der Dichter mit diesem etwas tiefliegenden
psychologischen Motiv seinen Zweck beim Zuhörer erreicht hat;
eher ließe sich vielleicht sagen, daß durch diese unerwartete Ver-
zögerung die Spannung auf den Erfolg der Bitte Achills in wirk-
samer Weise erhöht werde. Noch ein Zweck der Reise könnte
angeführt werden, und vielleicht nicht der unwichtigste; denn er
leitet uns auf die Notwendigkeit derselben als Kunstmittel
für die Einfügung (von 430 IT.) der Chryseisepisode. Es ist die
kurze Dauer von Achills Groll, wenn man den 12 Lägigen Auf-
schub fortläßt. Er währt dann kaum sechs Tage . . . Läßt man
nun nach Ausfall der äthiopischen Reise das Stück 54 — 611 als
den V, 54 eintretenden zehnten Tag der Ilias gelten, so findet
offenbar die ganze Chryseisepisode (430 — 487) keinen Platz mehr
wegen V. 477 . . . Düntzers Konjektur muß somit als un-
statthaft angesehen werden4'. Soweit von Hoermanns Einwand
gegen die Beseitigung der Reise — ein Einwand, der verfehlt ist,
weil die Chryseisepisode auch später von anderer Hand eingelegt
zu sein scheint. Auch W. Ribbeck verwirft 1862 die Reise, dann
tun es auch andere.
Thetis sagt zu ihrem Sohne 420 ff.: „Ich werde zum Olympos
gehen, ob Zeus mich erhört; du (av psv) zürne den Achäern
und enthalte dich gänzlich des Kampfes! Denn Zeus ist gestern
zu den Äthiopen gegangen und alle Götter mit ihm; am zwölften
Tage wird er zum Olympos zurückkehren, und dann werde ich
zum Zeus gehen und ihn anflehen, und ich hoffe ihn zu über-
reden4'. Dieses erklärende oder begründende Denn kann nur dem
durch <si) \kiv „du nun44 421 erforderten Gegensatze zur Ein-
leitung dienen; das noMpov de änonavso 422 ist, wie Nägels-
bach richtig sieht, nur die Fortsetzung des av fiip fiyvis: der
Gegensatz konnte kein anderer sein als iyco di oder amy de rjjf
dwdsxccTfi sffii nQog "Olvftnor, und der steht jetzt vor 421 in
419 f., die sich durch das Demonstrativum xovxo de snoq an die
vorhergehenden Verse anzuschließen scheinen. Zeigen diese nicht,
indem sie zugleich ein ccvTtj styi „ich selbst werde gehen" ent-
halten, an, sie könnten ursprünglich hinter V. 421 gestanden
.haben ?
238 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
417 vvv 9 apa t' (oxvfiOQog xal oi&QÖg tvsqI ndvxayv
418 snXeo' iw ae xaxfj alarj t6xov iv fisyccQOHfiv.
421 dXXd av fiev vvv vf^vol nctQimsvog wxvnoQOiow
422 (AqvS *A%a%o%GiVi noXipov ä* anonaveo nupnav *
419 tovto 64 toi iqiovaa snog Jii zsqnixeqavvtt
420 eüf*' avxi{ nQogvOXvfinov dydvvMfov, ai xe ni&qxai.
Wollen wir die wenigstens dem Sinne nach ursprungliche Reihen-
folge der Verse wiederherstellen, so haben wir die Reise der
Götter zu den Äthiopen aus dem Kontext zu streichen.
Damit fielen denn auch die den Versen 423 — 426 ent-
sprechenden 493 — 495 weg. Da auch der Halbvers 430 rijv qa
ßlfj äixovtog cctttjvqcov (nachgeahmt in 6 646) schon von Häsecke
(s. oben S. 231) gerichtet ist, so bleiben nach
428 (Sg äqa cpcovijaaa1 änsßrjaeto, xov 9 sXin' avxov
429 xwopsvov xaxd &V[idv ivCcovoio yvvcuxog.
495 ©foig 9 ov Xrjd€T% itpstpioav
496 ncudöq kov, &XV q / avsdvaeto xvpa %}aXd<r<x<qg
497 fjeQlq (T ävtßrj piyav ovqavov OvXvfinöv rs.
Offenbar erscheinen in solchem Zusammenhange auch noch V. 429
und 495. 496 als Flickverse. Erhardt (Die Entstehung der hom.
Ged. 1894) denkt sich den ursprunglichen Zusammenhang viel-
mehr so, daß an 420 sich 427 anschloß: xai gjuv yovvdaopcti,
xai [Aiv nsiasc&cu öia> und dann (42 468 statt V. 428):
wg aqcc (pwvijccco' anißt} nqog ficcxqöv "OXv^nov '
498: bvqsv <T svqvona KQOviörjv xtX.
doch scheine ihm V. 557 das TJegirj im Munde der Hera auf das
fjsQitj in 497 zurückzuweisen. Ebendeshalb ziehe ich ja die obige
Versfolge vor: V. 428. 497 ff.; V. 428 braucht, insofern er formel-
haft ist, nicht aus B 35 hergeleitet zu werden. Das tiEQlrj könnte
freilich nicht bedeutet haben „frühmorgens", sondern es wäre
sowohl hier als 557 = ^eqv xsxaXv^iv^ wie es & 562 von
den Phäakenschiffen, und X 15 von den Kimmeriern heißt, und
wie Thetis V. 359 ähnlich einem Nebelgebilde aus dem Meere
emporgestiegen war. In der Tat stimmt die andere Bedeutung
„frühe", die sich aus der eigentlichen des Frühnebels entwickelt
haben dürfte, und die dem Adverb tjqi allein anhaftet, hier kaum
zu dem Verlauf der Götterversammlung in A. Diese geht nämlich
in unmittelbarem Anschluß an die Unterredung des Zeus mit der
Thetis V. 532 in ein kurzes Gezänk der Hera mit ihrem Gemahl
und 569 in ein gemeinsames Gastmahl der Götter mit 602 nach-
folgendem Trinkgelage und dann sofort in den Eintritt der Nacht
über. Dergleichen Gastmäler aber pflegen bei Homer in die Zeit
nach der Mittagshitze zu fallen. Dies ist auch von Hoermaons
Ansicht S. 76; wie K. Brandt dazu gekommen ist (N. J. 1885
S. 664) zu behaupten, V. 600 könne es noch nicht viel später als
um die Morgenröte sein, ist mir unerfindlich: daß nqonav ijpaq OOl
Zu Homer A 488—492, von P. D. Chr. Hennings. 239
nur den Rest des Tages bezeichnen soll, sieht man aus x 424.
x 183. 476. * 161. 556.
Wo bleiben wir nun mit den Versen 488 — 492, nachdem
erstens die Chryseisepisode 430 — 487 und zweitens die Götterreise
423—427 (oder 421—426?). 493—496 (oder 497?) weggefallen
sind? Der Bittgang der Thetis läßt, weil er nun von 348 — 420
und von 496 — 611 in denselben Tag, den Tag der Wegnahme
der Briseis, sich einfügt, 48S — 492 dagegen die ganze Folgezeit
von B bis J? betreffen, eine solche Unterbrechung nicht mehr zu.
„Die einzige Stelle'S sagt Häsecke S. 24, „welche jene Verse in
einem untadelhaften Zusammenbange und deswegen daselbst als
ursprunglich erscheinen läßt, ist nach V. 347, wo sie als passender
Abschluß eines Rhapsodenvortrags stehen, welcher den Streit
zwischen den beiden Fürsten bis zu dessen Abschluß durch die
Wegführung der Briseis umfaßte. . . . Das Verlangen der Zuhörer
war ein natürliches, über den Eindruck etwas zu erfahren, den
die Wegführung der Briseis auf Achill gemacht hatte". Der Ver-
fasser schloß den Gesang nach Häsecke mit der Angabe, wie der
Groll Achills sich im Verlauf der folgenden Lieder, oder sagen
wir: der folgenden Tage äußerte. Auf V. 347 könnte gleich 488
gefolgt sein:
347 tco <$' avxig ixrjv ttccqcc vyccg *A%cuwv
348 avxccQ 6 [Jiijvie vfjvül nagyiievog doxvnoQOHfiv xrA.
Köchly möchte folgende Verbindung herstellen:
348 ii d5 äixovd* apa xolCi yvv^ xlev avxccQ *A%iXlevq
ix xov [MJvi,€ Vfjval naq. cox.
Oder an 348 könnte sich angeschlossen haben:
pr^C *A%<uo%<Siv, noltfiov <F anonctvsxo ndfinav '
490 ovxs no%' elg dyoQijv ncokeaxexo xvdiävsiQav
ovxs nox* ig ndlepov xxL
Ein Schluß, der die Empfindung der Briseis angäbe und auch
die genaue Ausführung oder das Vorbild der Verse 421. 422
brächte, würde mir ganz passend erscheinen, wenn nicht das
av&i pivcov in V. 492 dann einer vorherigen örtlichen Beziehung
zu entbehren schiene. Gegen alle diese Möglichkeiten spricht sich
von Hoermann S. 65 f. aus: „Die Verse 488—492 haben in
1 — 347 keine Motivierung, weil wir darin nirgends von einer Ent-
schließung Achills zu grollen, wie sie uns 488 ff. als vollendete
Tatsache entgegentritt, etwas hören. Seine ursprüngliche Drohung
(169) war ja, nach Phthia heimzukehren44. Etwas muß noclr
zwischen 348 und 488 dazwischen gestanden haben.
K. Brandt (Zur Geschichte und Komposition der Ilias, N. J.
1885 S. 667): „Die Briseis nun ging unwillig mit, Achilleus aber
348 — Nun was muß Achilleus, der rachedürstende, der un-
gestüme, der seines Triumphes gewisse getan haben? Er bedurfte
keiner Vermittlerin, keiner langwierigen und zweifelhaften Ver-
240 Jahresberichte d. Pliilolog. Vereins.
handlungen, er muß seine Hände zum Zeus emporgestreckt und
ungefähr folgendermaßen gefleht haben:
Zsv ävay JwdwvaTe, üsXaoytxiy v^XoS-t palcop,
= n 223—235
Joodwvtjs pedicop dvöx^^QOV apcpi di 2sXXol
<sol palovrf V7tO(ptJTcu avimonodsg %apaisvpah.
aid-1 öcpsXov naqä ptjvüIp ädaxqvtog xal aTtfjfjLcop
= A 415—417
qö&cu, in ei pv fioi altia /lUpvp&cc ttsq, ov %i fidXcc dyy,
pvp <f cifia %* ooxvfiOQog xal oi&qoq tibqI napvcop,
du aber räche mich
tovq di xaxä nqvppag xal apq? aXa sXöai *A%cuovg
= A 409—412
XTSwoptpovg, Iva ndpreg inavQcoyrai ßaöiXrjog,
yp(S di xal ^ATQsidfjg bvqvxqsI&v ^Aya^fipwp
ijp atfjp, ozf ägiGTOP *A%ai(AP ovdip stmTsp.
fl xal xvaptycnp in1 otpqvGi psvös KqopIcop'
i v= ** 528~ 530
äpßgoGiai, <F ccqcc yjalxai, ineQQciaaPTO avaxxog
xQccvög an' ä&avdzoio* piyap <f iX£Xi%6P "OXvftnov.
darauf A 488. 490—492".
Warum V. 489 nicht dazwischen stehen bleiben sollte« sehe
ich nicht ein. Außerdem ist zu bemängeln, daß der V. 528 nach
homerischem Gebrauch nur auf eine Rede des Kroniden folgen
darf, nicht aber auf eine solche des Odysseus. Nur K 454 folgt
auf rj (Diomedes sprach's) xal 6 fiip s'fisXXs (dieser 6 fiep ist
Dolon) . . . 6 di (=Diomedes), und ähnlich ist die Sache ist 446,
ferner <Z> 233 r\ (florapog) xal *A%iXXevg fiip s&oqs ...od*
(= noTafjLog)y endlich ü 643 ij q (Priamos), *A%t,X%vg di
xiXevaep.
Brandt hat a. a. 0. Lachmanns Urteil begründet, daß die Fort-
setzung von A 1-348, nämlich 349—429. 497—611, nicht
ganz im Geiste des ersten Gesanges hinzugedichtet sei und nicht
der ursprünglichen Anlage des Gedichtes ganz entspreche. Nämlich
nach 77 23517., wo Achill zum Zeus betet:
rj pip dq not ipop enog sxXveg ev^apipoio xiX.
hat Achill selbst, ohne die Fürsprache seiner Mutter in An-
spruch zu nehmen, zum Zeus um Rache gefleht, und man kann
darin nicht eine bloß abgekürzte Form der Erzählung finden dafür,
daß er es durch die Vermittlung seiner Mutter getan habe, wie
etwa rj 295 Nausikaa dem Odysseus Brot und Wein gegeben haben
soll, während sie es nur ihren Mägden befohlen hatte, oder wie
T 89 und 273 Agamemnon selbst die Briseis geholt zu haben
scheinen könnte, während doch Achill die Jungfrau gutwillig den
Herolden des Großkönigs ausgeliefert hatte: denn 2 74 ff. sagt
die Thetis selbst: %a pip drj toi xtxkXsöxai ix Atog, mg aqa
Zu Homer A 483—492, von P. D. Chr. Hennings. 241
<5rj nqiv / sv%eo xtL, sie beruft sich also nicht auf ihren eigenen
Bittgang und das Versprechen, das Zeus ihr gewährt habe. 0 72 ff.
ist zwar eine Vermittlung der Bitte Achills durch die Thetis an-
gedeutet worden, allein diese ganze Stelle ist sowohl von Zenodot,
wie von Aristophanes und Aristarch athetiert worden. — Brandt
findet ferner die Zeichnung der Charaktere, sowohl der Götter als
Achills, in der zweiten Hälfte von A schwächlich, die Handlung
ungeschickt und die Darstellung nicht frei von Mängeln und Wider-
sprüchen, die z. T. durch Entlehnung verschuldet seien: 1. Achill
betrachte es V. 234 — 244 und 338—344 als sicher, wenn seine
tapfere Hand dem Heere fehle, werde es dem Feinde nicht ge-
wachsen sein; da bedürfe er also eigentlich einer Fürsprecherin,
ob deren Verdienste etwa den Zeus gunstig stimmen möchten,
nicht. — 2. Dreimal werde die Unehre des Achill beklagt: V. 352 ff.,
365 IT., wo Aristarch die ganze Wiederholung athetierte und woraus
schon allein von Christ Veranlassung nimmt, diese zweite Hälfte
von A einem anderen Gesänge als die erste zuzuweisen, und
503 fT. Freilich Nägelsbach nennt (Anm. S. 85) 366—392 ein
Meisterstuck bundiger Erzählung, aber 371 — 379 sind wörtlich =
12 — 16. 22 — 25, und Chryses wird bis auf sein goldenes Scepter
und seine Stemmata geschildert, während der bemerkenswerte
Umstand ausgelassen wird, daß Achill den Kalchas aufforderte,
die Ursache der Pest zu künden. — 3: Unrichtig sei, daß Achill
dem Agamemnon befahl, den Gott zu versöhnen, vielmehr habe
sich Agamemnon von selbst dazu erboten. — 4. Unrichtig sei es
endlich, daß den Agamemnon Zorn ergriff, weil Achill den Gott
zu versöhnen befahl. — 5. V. 358 sei = 2 36, 362 == 2 73, 365
= d 465, 540 = ä 462, 575 f. = a 403 f., 595 f. sei aus
£ 222 f., 599 = & 326. — 6. Die Scene zwischen Zeus und
Hera sei ähnlich dem Anfang von O (538 = O 34, 570 =
ö 101, 591 = O 23).
Indem also Brandt, ebenso wie Erhardt, nach dem Vorgange
von Lachmann den Bittgang der Thetis einem anderen Verfasser
als dem Dichter von A 1 — 347 zulegt, nimmt er doch aus dem-
selben die Verse 415—417. 409-412 und 528—530 für den
Schluß des Liedes 1 — 347 in Anspruch. Das ist natürlich etwas
bedenklich. Becht mag er darin haben, daß ein Gebet des Achill
zum Zeus um Rache ursprünglich mit dazu gehört hat und erst
durch die Verbindung mit dem Bittgang der Thetis daraus ver-
drängt worden ist. — Die vier Stellen der Ilias, wo der Bittgang
der Thetis erwähnt wird, 0 370 ff. N 350. O 75 ff. und O 598
sucht Brandt S. 665—667 als späte Einschiebsel zu erweisen.
Übrigens sieht auch er in A 488 — 492 mit vollem Rechte
den Schluß des ersten Gesanges; darauf beginnt für ihn der
zweite Gesang der ursprünglichen Achilleis (nicht der Ilias!) mit
neuem Kampf der Achäer und Trojaner B 1 — 41. A 1 — 569,
damit sich die ßovXij des Zeus {B 5 und A 5) erfülle. — Nur
JtkvMberichte XXXI. \ß
242 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
eins möchte ich gegen seine Kombination erinnern, ohne darum
sie für verfehlt zu halten: die Schuld des Agamemnon ist in
A 1 — 347, wiewohl sie später als Verblendung ary gebrand-
markt wird, kaum als groß genug geschildert worden, um den
obersten Gott zu einer durch die folgenden Gesänge gehenden
Parteinahme für die Trojaner zu bewegen. Sie wurde schon
größer erscheinen, wenn Agamemnon etwa selber dem Achill mit
Gewalt die Briseis weggenommen hätte.
Zu erledigen bleibt schließlich die Frage, wie man sich die
Reihenfolge der Veränderungen zu denken hat, welche Homer
oder die Homeriden mit dem Inhalt von A vorgenommen haben
mögen.
I. Der erste Gesang einer Achilleis enthielt vermutlich dies:
Agamemnon schlägt dem Priester des Apollo die Lösung seiner
Tochter aus der Gefangenschaft ab. Dafür straft Apollo das Heer
der Achäer mit der Pest. Achill beruft eine Versammlung, um
über ein Mittel der Entsundigung zu beraten. Der Seher Kalchas
enthüllt, nachdem Achill ihm seinen Schutz auch gegen den Ober-
könig Agamemnon zugesichert, den Grund, warum Apollo zürne.
Agamemnon verlangt vorher Ersatz der Chyseis und kommt
darüber in Streit mit Achill. Er hält sich durch Wegnahme der
Briseis auf Kosten und wider Willen des Achill schadlos und
schickt die Chryseis ihrem Vater zurück. Das Heer wird entsühnt,
aber Achill zürnt dem Heer und Volk der Achäer und fleht zum
Zeus um Genugtuung. Er enthält sich des Kampfes und jeder
Teilnahme an gemeinsamen Interessen. Im folgenden Lied fuhrt
Agamemnon das Heer ohne Achill gegen die Trojaner. „Denn es
widerspricht dem Geist der Dichtung, die im ersten Gesänge dar-
gelegte, auf Fortgang drängende Handlung elf Tage ruhen, den
Agamemnon in seinem Vertrauen, auch ohne Achilleus mit Zeus*
Hilfe zum Ziele zu gelangen, nichts tun zu lasssen" (Kammer). *"
IL An diesem Entwurf des ersten Liedes fiel einem späteren
Dichter auf, daß die Verschuldung des Agamemnon nicht hand-
greiflich und ungeheuerlich genug war, um allein die Erhörung
des Achill von seilen des Zeus zu erklären. Dieser Dichter hielt
vielmehr eine Vermittlung von Achills Bitte durch seine Mutter
Thetis, welche einerseits des Peleus Gemahlin, andererseits aber
eine Göttin, die Tochter des Nereus, war, und durch eine übrigens
seltsame Begründung, warum Zeus sie erhörte, für notwendig.
Er dichtete also mit Beseitigung von Achills Gebet als Fortsetzung
von I die Verse 348—418. 421 f. 419 f. 428 f. 497—530. Ob
A 531 — 611, die Scene zwischen Zeus und Hera, gleich daran
angeschlossen wurden, dürfte fraglich bleiben (da zumal Hera
Ursache hatte, der Thetis günstig zu sein ß 59 ff.). Brandt halt
dafür, daß A 428 aus B 35 entnommen worden sei.
III. Wenn nun aber der Schluß des ersten Gesanges (488
492), worin ausgeführt war, wie der Groll in Achills Herz, während
*
Zu Homer A 488—492, vo» P. D. Chr. Hennings. 243
er bei den folgenden Kämpfen in seinem Zelte blieb, sich ver-
steifte, sein Recht behalten sollte, schien eine Ruhezeit zwischen
dem Anfang dieses Grolls und der infolge von Thetis' Bittgang
eintretenden Entschließung des Zeus (ßovXrj Aiog A 5 und B 5)
nicht unangemessen. Ein Nachdichter wollte wohl durch Ein-
legung solcher Ruhezeit die Möglichkeit finden, den Krieg in B
gleichsam von neuem anfangen zu lassen (Rothe), wonach die
Schilderung des Aufmarsches und die weiteren Verhältnisse in B
bis r sich leichter begreifen wurden als ohne die Pause: „Hatte
der Dichter bei der Einfuhrung eines 12tägigen Aufschubs die
weitere Entwicklung in B im Auge, so konnte für ihn dabei
wohl nur bestimmend sein, daß die dort geschilderten Verhält-
nisse, Agamemnons unsichere Haltung, seine Versuchung des
Heeres, die Stimmung dieses und der Fürsten, nur verständlich
sein konnten, wenn sich die Wirkungen von Achills Groll bereits
fühlbar gemacht hatten4' (Hentze). Die 12tägige Götterreise ist
keineswegs „ein bloß stilistisches Motiv, um die Sendung der
Thetis mit der Rückführung der Chryseis in die Heimat zu ver-
binden" (Erhardt). „Wäre sie eingeführt44, sagt Heimreich, „bloß
um die Chryseisepisode einführen zu können, so würde ein gar
zu starker Kontrast zwischen dem verfolgten Zweck und den zur
Erreichung desselben aufgewendeten Mitteln entstehen44. Fried-
länder dürfte zu flüchtig geurteilt haben (Die Homerische Kritik
von Wolf bis Grote S. 74), daß die Reise der Götter zu den
Äthiopen ganz müßig sei, wenn man mit der Chryseisepisode die
einzige Veranlassung ausscheide, um derentwillen sie erfunden
sein könne. „Es bedarf einer gewissen Zeit44, sagt Hentze, „um zu
erkennen, daß Achill nicht nur von Zorn erfüllt war im ersten
Augenblick, sondern daß er sich in eine schmerzvolle Stimmung
versenkte und grollte; daher die 12tägige Frist als Grundlage
für die Handlung des Epos44 .... „Es ist auch viel wahrschein-
licher, daß der, welcher die 12tägige Götterreise vorfand, sich
aufgefordert fühlte, . dies ereignislose Vacuum durch die Chryseis-
episode, die 311 nur abgebrochen schien, auszufüllen, als daß er
die 12 tägige Götterreise erfand, um eine Erzählung einzufügen,
die nur zwei Tageshälften füllt44. Diese Erwägung ist entscheidend
gegen Brandts Annahme, die Götterreise sei eingeschoben, um
für Odysseus, der in Chryse übernachten und in B wieder-
auftreten sollte, Zeit zu gewinnen. Der Schluß des ersten
Gesanges, eben die Verse 488— -492, der von dem Dichter des
Thetisliedes weggelassen worden war, schien eine ziemliche Zwischen-
zeit zwischen A 1 — 347 und B 1 ff. zu vertragen. Auf 12 Tage
aber hat der betreffende Nachdichter die Abwesenheit der Götter
und den Aufschub von Thetis' Bittgang erstreckt im Anschluß an
lP 205 f. und Poseidons Reise in a, sowie an den 12tägigen,
von Achill selbst bewilligten Waffenstillstand in £ 660—670. 781.
(Nachgeahmt soll unsere Stelle sein im Anfang von Q nach
16*
244 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Peppmüller, Kommentar des 24. Buches der Ilias 1876 S. 25 ff.
Q 31 = A 493). Ob die Frist von 12 Tagen einen astronomi-
schen oder kalendarischen Grund hat, wie Dornedden das ver-
mutet, wage ich nicht zu beurteilen; jener „versteht nämlich
(Neue Theorie zur Erklärung der g riech. Mythologie S. 1 — 70)
unter der 12tägigen Reise der Götter das 12 tägige Aufhören des
aus 354 Tagen bestehenden Mondjahres während der Dauer der
alle zwei Jahre hinzugesetzten Schalttage44 (Hentze). Ob der
märchenhafte Volksaberglaube von einem Sonnentisch bei den
Äthiopen, der immer von dem gekochten Fleisch aller Vierfüßer
voll sei, und über den Herodot III 17 berichtet, hier hineinspielt,
wer vermöchte das auszumachen? — Wie dem auch sei, der
Dichter erhielt so die nötige Frist, um den Zorn Achills zum
Groll aus wachsen zu lassen, wie es 488 — 492 geschildert wird.
Wo also konnte dieser Dichter die Verse 488 — 492 passender
gebrauchen als da, wo Thetis sich von ihrem Sohne entfernt, um
nach 11 Tagen des Zeus Hilfe zu erbitten? Zu dem Zweck setzte
er 421 f. um, hinter 419 f., dichtete 422—427 hinzu und setzte
488—492 vor 493—496. Mit V. 497 kam er wieder in das
Thetislied hinein und hatte für 493 alV oxe dij q ix toXo dvto-
dexairi yivsx^ qcig (= S2 31) den einigermaßen geeigneten An-
schluß gefunden.
IV. Noch ein anderer Nachdichter hängte an 347 a ohne
jegliche Lücke oder Änderung anstatt des Thetisliedes die Chryseis-
episode 430—487 und schloß mit 488—492. Auch la Roche
betrachtet, wie Lachmann, 430 — 492 als ein zusammengehöriges
Stuck. Dasselbe ist gedichtet zur weiteren Ausfuhrung von 308 — 3 1 1 .
Der Verf. stieß sich wohl daran, „daß zwar die Sendung des
Odysseus erzählt war, aber nicht seine Ruckkehr1' (Kammer). Die
Vorgänge V. 308—318 mögen als gleichzeitig mit 430 — 456 an-
gesehen worden sein (vgl. O 220 ff. 168 ff.). Nägelsbach sagt darüber
ganz schön in den Anm. zur Ilias2 1850 S. 96: „Der Dichter erzählt
die Rücksendung der Chryseis und die vollbrachte Söhnung Apollos
zu Ende. Denn es ist des Dichters Art, eine bedeutende Hand-
lung selbst mit Retardation der Hauptereignisse bis in ihre letzten
Nachwirkungen zu verfolgen44, und S. 106 f.: „Freilich glänzt in
diesem Abschnitt keine schwungvolle Poesie. Aber diese wäre
auch nicht am rechten Orte, da erstlich der Stoff, die Fahrt nach
Ghryse, die Röckgabe der ßriseis, das Gebet des Chryses, das
Opfer, die Ruckkehr ins Lager, eine gehobene, reich ausgestattete
Darstellung um so weniger fordert, je weniger er ein selbständiges
Interesse hat, und da zweitens ein schlecht und recht gehaltener
Bericht von dem Endergebnisse der leidenschaftlichen Scene des
Tages vortrefflich dazu dient, in der epischen Darstellung Licht
und Schatten gehörig zu verteilen . . . Daß Chryses' Empfindung
beim Wiederempfang seiner Tochter bloß angedeutet wird, ist
echt künstlerisch, .... schon an sich entspricht V. 446 das o d'
Zu Homer A 488—492, von P. D. Chr. Hennings. 245
söi^axo %al(>wv natSa <piXfjv vollkommen dem % <F dixovrf
a\*a TOto* yvvij xiev 348. Ebenso entspricht mit unverkennbarer
Absichtlichkeit die Fürbitte des Chryses 451—456 in Anrufung,
Motivierung und Bittstellung bis auf die Verszahl seinem Rache-
gebet 27 ff., und indem die beide Male erfolgte Gewährung der
entgegengesetzten Bitten mit demselben Verse berichtet
wird (43. 457), ist gerade die Einfalt dieses Parallelismus schön'4.
Gerlach sucht (Phil. XXX S. 6) in dem zweiten Gebete des Chryses
451 — 456, verglichen mit seinem ersten, einen Beweis dafür, daß
beide Stellen demselben (?) Dichter angehören; die 17 Verse 458
— 474, in welchen der Opferschmaus beschrieben wird, sind ihm
„ein offenbares Gegenbild zur Beschreibung der Pest'4 und als
solches von trefflicher Wirkung. Natürlich hat der Verfasser von
430—487 gerade dies Lied vom Zorne Achills, woran er anknöpfte,
auch vor Augen gehabt, aber er hat auch das Thetislied, das mit
demselben Verse begann (vgl. 348 mit 430), vor Augen gehabt.
Lauer (Geschichte der hom. Poesie S. 207) erblickt in der Ver-
bindung dieses Abschnitts 430 — 492 mit 1 — 347 gar ein Lied
von vollendeter Schönheit. — Vielleicht sind die drei verschiedenen
Ausgestaltungen des ersten Liedes: 1. V. 1—347 ... 488— 492;
2. 1—420. 497-530 (611); 3. 1—347. 430—492 von ver-
schiedenen Rhapsoden nebeneinander zum Vortrag gebracht worden.
V. Häsecke meint nun am Schluß seines Programms, daß
die Episode 430 — 487, die natürlich niemals selbständig gewesen
ist, ursprünglich ihre Stelle nach V. 318 gehabt habe. „Denn
wenn die Veranlassung44, sagt er S. 22, „zur Abfassung dieser Er-
zählung nur in dem einer späteren Rhapsodenpraxis entsprungenen
Bestreben gesucht werden kann, die kurzen Züge der älteren
Dichtung 308 — 312 zu vervollständigen und zu ergänzen, so zeigt
jedem Unbefangenen der Augenschein, daß diesem Zweck hier in
der natürlichsten uhd verständlichsten Weise entsprochen wird.
V. 312 fahrt Odysseus mit den Seinigen nach Cbryse ab ol uiv
aninXeov. Darauf folgt 314 — 317 mit dem Gegensatz oi <f
aneXvfiuivovio die ganz kurze Mitteilung von dem Reinigungs-
opfer des Heeres, welche 318 durch £g ol fiiv xä nivovxo
xaxä cxqccxov (gewissermaßen chiastisch) abgeschlossen wird,
während die nun folgende Chryseisepisode wieder an 312 an-
knüpft und die Fahrt nach Chryse zu dem Reinigungsopfer als
parallellaufend darstellt. Interessant ist hierbei, daß auf diese
Weise das ol 64 in 432 einen passenden Gegensatz zu ol fxiv
in 318 bildet und eine auf den ersten Blick verständliche Be-
ziehung erhält". — Die Möglichkeit, daß ein Rhapsode 1 — 318.
430 — 492 gesungen haben kann, ist ja nicht zu bestreiten, allein
in diesem Liede hätte die Wegnahme der Briseis ganz gefehlt,
und die war wichtiger als das Opfer in Chryse, ebensoviel
wichtiger wie Achills Zorn verglichen mit des Odysseus Fahrt.
Auch scheint es mir viel wahrscheinlicher, daß die Worte ccvxccq
246 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
'Odvtiöevg 430 da angeknüpft wurden, wo dementsprechend
ccvtccq ^Axvllsvg 348 weitererzählt worden war, als da, wo
ovd' IJyaptgAvcov Xrj/ eqidog die wesentlichste Fortsetzung
Gesänge vom Zorn des Acbilleus noch fehlte. — Aber ein Or
welcher die Rhapsodenvorträge 1 — 347. 430—492 und 1—
493 ff. vorfand, konnte kaum einen passenderen Platz für
Episode 430 — 487 finden als da, wo die Thetis wegen Abwc
heit der Götter doch eine Frist von 12 Tagen für erforde
erklärte, innerhalb deren denn die Fahrt des Odysseus nach Gfa
sich vollendete, während die daran sich schließenden Verse
— 492 den Rest dieser Frist auszufüllen geeignet waren.
G. Hinrichs (Hermes XVII S. 122) spricht aus, was i
meine Oberzeugung ist: „Damit die hom. Poesien das wer
konnten, was sie sind, war nicht nur ihre schriftliche Aufzeichni
sondern auch die andauernde Arbeit einer Schule uneriäfMicfa"
Husum. P. D. Chr. Hennings
6.
Ciceros Reden.
1903—1905.
a) Ausgaben.
1) W.Jordans aasgewählte Stacke aas Cicero ia biographischer
Folge. Mit Aoinerkangeo für deo Scbalgebraach voo W. Jordan
aod R. Graf. Sechste Auflage, besorgt von Hermann Schott! e.
Mit Ciceros Bildnis and zwei Anhängen. Stattgart 1904, J. B. Metzler-
seher Verlag. XVI u. 192 S. 8. 2 Jt.
Da dieses treffliche und schön gedruckte Büchlein in der
fünften Auflage (1898) sorgfältig revidiert worden war, so nahm
der neue Herausgeber keine größeren Änderungen damit vor.
S. 135 wurde das Stück über Roms Lage gekürzt und dafür eine
deutsche Auseinandersetzung eingefügt, leider ohne Kärtchen.
8. 181 ist eine Biographie Ciceros bis 77, S. 190 eine Tabelle
zur Berechnung der Monatsdaten, S. 191 eine Tabelle zur Um-
rechnung der römischen Daten in julianische für 63 — 45 eingefügt.
Der Schaltmonat hätte als intercalaris bezeichnet werden sollen,
nichi als tnercedonius (Pachtzinsmonat; vgl. Unger S. 789).
Man lese 40, 9 voluit; 59, 7 Omnibus; 62, 5 loquitur; 126, 29
MtmHo; 132, 19 legum . . . servi sutnus. — Unrichtig ist S. 33 HS
= sestertia. Daß es Sesterztausende sind, wird durch den Strich
über der Zahl bezeichnet. — S. 181 „Die Cicerone stimmten an
den Komitien zu Rom in der tribus Cornelia", die Arpinaten seit
188 (Liv. 38, 36, 9). Cicero diente 89 „unter dem Konsul Cn.
Pomp ejus Strabo", auch 88 unter Sulla bei Nola (de div. 1, 72;
% 65). — Bei größeren Stücken sollten am Rande die Paragraphen
bezeichnet sein, z. B. in Cat. III, um dem Lehrer die Vergleicht] ng
von Ausgaben zu erleichtern. Die Worte „in biographischer Folge44
passen nur auf S. 1 — 77.
2) M.Talli Cicerouis pro Sex. Roscio Amerioo, de imperio Cn.
Pompti, pro Archia poata oratiooes. K potrebg äkoloi vydal
Robert JNovik. Treti vydaai. Prag 1905. VIII u. 87 S. & i K.
In der Rede für Sex. Roscius wurde an 13 Stellen die Lesung
der Hss. hergestellt, wo sie bisher durch Konjekturen ersetzt war,
so 107 und 111 qui (statt quis). § 43 blieb das fehlerhafte
248 Jahresberichte d. Philolog. Vereint.
Komma nach homines; 142 steht animos statt animus. Neue
Lesungen sind: 106 suspicionem adhibendam (nach eigener Ver-
mutung), 110 ficta mora (nach Graevius), 133 enuntiare (Dach
Mommsen).
In der zweiten Rede wurde an sieben Stellen die Lesart des
Cod. Goloniensis aufgegeben (7 litterarum, 23 Tigranis, 26 Muh
45 perfecerit, 46 prope, 57 voluerunt, 62 videmus). Außerdem
schreibt N. jetzt 37 sit, 50 commütamus, 58 socius ohne iure nach
den Hss. Neu ist 34 in Sardiniam nach Hotina n, Hss. inde
Sardiniam.
Pro Archia. Jetzt sind die Formen Gratti und Heraclea auf-
genommen statt Grati und Eeraclia. Unerträglich scheint mir
§ 5 sed hoc non solum ingenii ac litterarum, verum ettam naturae
atque virtutis, ut. Neue Lesungen sind: 1 possemus, 8 quaerere,
15 est certutn quod, 16 colendamque, 21 natura regionis, 26 dedmU
alle nach den Hss.
Die Namen auf ins haben nun überall den Genitiv auf i (in
der zweiten Auflage auf w). Da Noväk sich an vielen Stellen auf
Zielinskis Buch aber die Klauseln beruft, so hätte er diese Änderung
unterlassen dürfen.
3) Cicero s Verrineo. Io Auswahl herausgegeben von C. Bardft. Text.
Mit einer Karte von Sizilien. Leipzig 1903, B. G. Teobner. 136 S.
8. geb. 1,20 JC.
Das Büchlein enthält Abschnitte aus der Divinatio in Q. Caecilium*
der Actio prima, der vierten und fünften Rede der Actio secunda.
„Der Text ist der von C. F. W. Muller, mit den durch die Rucksicht
auf die Schule gebotenen Veränderungen4'. Von der Divinatio
finden sich 31 Paragraphen von 73; der Inhalt der Lücken wird
in Kürze deutsch angegeben. Von den 56 Paragraphen der Actio
prima sind 24 aufgenommen; nebeneinander finden sich expeciare
und exspectare. Von der vierten Verrine ist ein Fünftel aus-
gelassen. § 5 ist ergänzt: et certe (artificio est singulari:). §71
setze man: etiam dt, 109 a (nicht a.) C. Verre. § 33 ist wohl
accesserit . . . coeperit herzustellen. In der Notiz über 50 bis 52
war Archagathus zu erwähnen, damit seine Anführung in § &*
verstanden werde. Ebenso sollte 115 der Satz über Marcellus
im Texte stehen wegen der Worte nunc ad Marcellum revertar
§ 120. § 112 barbari, lingua, et natione sind die Kommata zu
tilgen. Die Schreibungen quom, antiquom, inprobus, optuma, ex
poliare, conparare u. a., die Silbentrennungen mag-nus, hos-pts,
vetus-tus sind veraltet. — Von der fünften Rede ist ein Viertel
weggelassen. Man findet da: vivont, relinquont, locuntur, jn«**»
quoi, quoidam neben cuius, cui, cuiquam. § 128 ist dornt« ersetzt
durch domo, obwohl es auch Phil. 2, 45 überliefert ist. *fl
setze § 103 in litteras, 110 5t.
Eine Auswahl aus den Verrinen sollte nach meinem Dafür-
^
Cicero« Reden, von F. Lnterbacher. 249
halten Proben aus sämtlichen Reden gegen Verres bieten. Ich
sehe nicht ein, warum ßardt nicht auch einige Stucke aus den
drei ersten Reden der Actio secunda aufgenommen hat, zumal
aus der ersten über das Verhalten des Yerres als Quästor, Legat
und Stadtprätor; er hätte dafür nötigenfalls die vierte und fünfte
Rede noch mehr kurzen dürfen. Nur in einer Fußnote zu IV 137
bietet er die Erzählung über den angeblichen Verrucius aus Verr.
II 186 — 188. Dieser Abschnitt sollte im eigentlichen Text vor
der Rede de signis~*Stehen als eine Probe aus der zweiten Rede,
und davor dürfte die schöne Stelle über Sizilien II 2 — 13 Auf*
nähme finden, ebenso II 82 — 101 über Stenius. Im Namen-
verzeichnis sollten bei bekannten Orten (wie Melita, Panhormus,
Valentia) die modernen Namen nicht fehlen. — L. Meteilus folgte
dem Verres schon 70 (nicht 69).
4) Giceros Rede gegen G. Verres. Buch IV: De signis. Für den
Schtilgebranch erklärt voo Karl Hachtmano. Diitte, verbesserte
Auflage. Gotha 1904, F. A. Perthes Aktiengesellschaft. VIII u. 110 S.
8. 1,30.^.
S. VII sind 20 Stellen verzeichnet, an denen der Text be-
richtigt oder sonst geändert wurde. § 97 lese man: reliquit, im-
peratorum. 150 streiche man das Komma nach praebuerint ne. —
Zu § 1 ist bemerkt: „w Sicilia tota] Die Präposition bei Mus
(= innerhalb, im Bereiche von) ist zu beachten! Ebenso am
Ende des Paragraphen". Es ist das Ende des § 2, nicht des § 1.
Deshalb schrieb ich JB. 1898 S. 223: § 1 in Sicilia tota setze
man : Ebenso am Ende von § 2. Ich bedauere, dadurch ein Miß-
verständnis erregt zu haben, indem der Herausgeber im Text von
§ 1 und § 2 sonderbare Doppelpunkte gesetzt hat.
Einleitung und Kommentar wurden hier und da stilistisch
verbessert. Nach S. 1 offenbarte Verres im J. 82 „seine Sitten-
losigkeit". Es sind Handlungen der Perfid ie und Habgier gemeint,
nicht Unsittlichkeiten. Ich wurde sagen : „seine Gewissenlosigkeit".
— S. 8 „vom 15. bis 19. September die ludi Romani in circo":
Vgl. § 6 quadridui causa] die ludi Circenses (15. bis 19. September).
Der fünfte Tag (19. Sept.) wurde später von Antonius zugesetzt;
— § 21 . Isaurien lag „zwischen Lykaonien und Cilicien", Pisidien
und Phrygien. — § 53. vgl. zu 31] Da bei 3t keine Bemerkung
steht, tilge man „zu". — § 54 suos complures habebat, er hatte
mehrere eigene. Die Übersetzung „mehrere der Seinigen" scheint
mir nicht gut. — § 64. „Der Tempel des Juppiter Capitolinus
war i. J. 83 abgebrannt". Wegen § 69 ut üla flamma divinitus
exstitisse videatur etc. sollte gesagt werden, daß der Tempel durch
einen Blitz entzündet wurde. Vgl. Dio Cass. frg. 106, 2 xcqccvpov
enl io KannciXiov ivB%d-4vtoq aXka te noXXä xal ol x&v
SißvlXsicov xQVGpoi öietp&dQqöav. — § 74. „retinebat] sie hatte
den Bogen an sich gepreßt". Das Wort steht im Gegensatz zu
praeferebat: Diana trug in der erhobenen Rechten eine brennende
250 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Fackel vor sich und hielt in der gesenkten Linken einen Bogen
neben sich (nach hinten), ohne ihn (beim Ausschreiten) an sich
eu pressen. — 88 ist drei Zeilen früher zu setzen. — 92 caulura
esse*. — 95 aetate adfecta.
b) Ciceros Rede über den Oberbefehl des Co. Pom pejus. Für de«
Schillgebrauch herausgegeben voo Hermann Wohl. Dritte Auflage.
Leipzig 1905, G. Frey tag. 54 S. 8. steif broschiert 0,60 JC.
Das Buchlein ist ein Abdruck der zweiten Auflage (1894).
In diese hatte Nohl, durch Clark veranlaßt, eine Anzahl Lesarten
aufgenommen, durch die sein Text eine gewisse Sonderstellung
unter unseren Scbultexten der Rede einnimmt. Da er nun eine
Annäherung an die neue Ausgabe von Eberhard (1900) nicht ver-
sucht hat, so gehe ich etwas genauer auf das Büchlein ein.
§ 1. cum anlea [per aetatem] nondum huius auetoritatem loci
attingere anderem. Durch die Weglassung des Grundes per aetatem
scheint mir der Gedanke weniger klar zu werden. Seiner Jugend
wegen besaß er noch nicht die wünschenswerte facultas ad agendum
und auctorüas § 2. — § 3. in hac insolita [mihi] ex hoc loco
ratione dicendi causa talis oblata est. Die Entfernung des mihi
gefällt mir nicht, weil man es ja doch hinzudenken muß. —
§ 7. delenda vobis est illa macula . . . quae penitus [iam] üisedit ac
nimis inveteravit. Es scheint mir, daß die Behauptung quae . . .
mveteravü durch iam in passender Weise gemildert werde. —
§ 7. uno nuntio atque una significatione [litterar um]. Der Befehl,
alle Römer zu erschlagen, war so unerhört, daß es nötig war,
den mündlich erörterten Auftrag durch ein Schriftstück zu be-
kräftigen; significatio könnte Feuer- oder Hornsignale bezeichnen.
— § 11. maiores nostri . . . bella gesserunt wird von Eberhard
richtig auf die Ulyrier bezogen, während Nohl meint, es seien
unter diesen bella wohl Streifzüge der Statthalter gegen unruhige
Grenzvölker zu verstehen. — § 13. ut tt beatissimi esse videantwr,
apud quos ille diutissime commoratur. Nohl setzt commoretur.
Erst wenn Pompejus wirklich da ist und seine Tugenden betätigt,
sehen die Leute ihr Glück ein. Der Indikativ scheint weniger
auffallend, wenn man diutissime wegdenkt. Vgl. §57. — § 14.
quanto vos studio, Nohl studiosius. Nach letzterer Lesung soll der
Eifer der Römer gegen Mithridates noch viel größer sein als gegen
die Punier, Ätoler, Antiochus. Das scheint mir nicht nötig. —
% 23. opinio, quae animos gentium barbärarum pervaserüt. Nohl
schreibt per animos. Dies ist nicht passend, weil es eine örtliche
Bewegung bezeichnet. Vgl. § 44 quo non iUius diei fama jmt-
vaserü, Verr. 3. 66 meendium non solum per agros, sed etiam per
reliquas fortunas aratorum pervasit. Richtig wäre opmo per gentes
barbaras pervasit. Unter diesen gentes ist das Reich des Tigranes
gemeint: Armenien, Syrien, Phönizien, Cilicien, nicht Elymais. —
§ 26. gut iam stipendiis confectis erant. Die Stellen, mit denen
l
Ciceros Reden, von F. Luterbacher. 251
Eberhard diese schlecht beglaubigte Lesart stützen will, beweisen
ihre Unbrauchbarkeit. Der Senat sagt (Cic. fam. 8, 8,7) qui
stipendiä emerita habeant und nicht qui stipendiis emeritis sint.
Cato 49 ist emeritis stipendiis Abi. absolutus. Bei Sallust (Jug. 84)
heißt es homines emeritis stipendiis, nicht qui emeritis stipendiis
erant. Statt stipendiä confeci sagt man doch nicht stipendiis con-
fectis sum ; auch ist stipendiä canficere nicht gebräuchlich. — § 26.
quantum [illud] bellum factum putetis, quod. Das von Nohl ent-
fernte illud weist passend auf die Relativsätze hin und verhindert
die Verbindung quantum bellum, da quantum Prädikativ, bellum
Subjekt ist. — § 32. cum exercitus vestri numquam [a] Brundisio
nisi hieme summa transmiserint. Bei proficisci wäre a überflüssig,
bei transmittere gibt es dem Ausdruck Klarheit. — § 33. in prae-
donum fuisse potestatem Nohl. Es muß potestate heißen wie § 5
totum esse in hostium potestate. Der Akkusativ, der nur in wert-
losen Hss. steht, ist veranlaßt durch den Schluß des vorher-
gehenden Satzes (m praedonum potestatem pervenerint). — § 33.
eius ipsius liberos, qui cum praedonibus antea [ibi] bellum gesserat
Wäre ipsius nicht da, so könnte man erklären: die Tochter eines
Mannes, der . . . und ibi weglassen. Nun heißt es aber: die Kinder
gerade des Mannes, und es kommt ohne ibi der Sinn heraus,
daß bisher nur ein Feldherr gegen die Seeräuber gekämpft hatte.
Ich glaube nicht, daß der Redner M. Antonius (f 87) gemeint sei.
— § 35. Metellus Creticus hatte den Vornamen Quintus (nicht C).
— § 37. Man setze agno-scere. — calamitates adferant ist richtig,
wie § 15 metus adfert calamitatem. Doch scheint f erant erträg-
lich, da man kaum daran denkt, daß es „aushalten" bedeuten
könne. — § 46. Cretensium legati ad Cn. Pompeium in Ultimos
prope terra* venerum. Nohl liest in ultimas terras pervcnerunt,
wodurch die sonst schon vorhandene Übertreibung gesteigert wird.
— § 47. quo de. Dies findet sich in dem Werk de inventione.
Hier empfiehlt es sich nicht; in dieser Rede an das Volk werden
juristische Formeln gemieden. — § 48. velle et optare debstis,
Nohl et velle. Da die Verben velle und optare gleichbedeutend
sind, scheint die Verbindung mit et. . .et nicht passend. — § 50.
Die Gunst des Schicksals fügt es, daß Pompejus in iis ipsis loci*,
gerade an diesen Orten, weilt. Weniger gut scheint Nohls Lesung
in ipsis locis. — § 57. cum ceteri ad expilandos socio* .. .quo*
voluerunt legatos eduxerint, lauter solche Legaten, welche sie
wünschten. Nohl schreibt voluerint, worin mir die Andeutung zu
liegen scheint, daß sie nicht für alle Legatenstellen Vorschläge
machten, wie vorher bei legatum quem velit der Konjunktiv stehen
muß, weil dies nicht der einzige Legat ist. — § 58. Q. CaeUus
Latiniensis. C bietet Q. latiensis. Nohl streicht Caeliu*. Wer
sollte denn diesem unbekannten Manne den Namen Caeliu* bei-
gelegt haben? Cr muß doch so überliefert sein. — § 62. quam
ullum alium magistratum per lege* capere Ucuisset. Nohl tilgt
252 Jahresberichte des Philolog. Vereins.
alium, das mir ganz passend scheint. Aus dieser unklaren Stelle
zieht er S. 39 (nach Mommsen) unhaltbare Folgerungen. Cicero
und Cäsar erlangten mit 31 Jahren die Quästur. Da ist es doch
ungereimt, in Ciceros Worten die Andeutung zu finden, Pompejus
hätte die Quästur erst im 37. Jahre erbalten sollen. Übrigens
glaube ich, daß Pompejus am 29. Sept. 107 geboren war und
damals wirklich im 37. Jahre stand (nach Plut. Pomp. 79, gegen
Vell. Pat. 2, 53).
6) Auswahl ans den Reden des M. Tallius Cicero. I. Die Rede
über den Oberbefehl des Ca. Ponipeius und die Katilina Ti-
schen Heden. Herausgegeben von Carl Stegmann. Text. Vierte
Auflage. Leipzig 1904, B. G. Teubner. Mit Bild und zwei Karten.
IV u. 97 S. gr. 8. geb. 1,10 JC. — Dasselbe, Text B. Vierte Auf-
lage. XXXVII u. 97 S. 8. geb. 1,35^.
Text. Pomp. 33 wurde das richtige anteaibi aufgenommen
(vgl. JB. 1902 S. 104). § 46 blieb der Druckfehler uidicari stehen,
Cat. II 9 fama (aus der dritten Auflage) statt fame, 23 Appennium.
— Cat. II 8, 10, 23 wurden obscöne Dinge ausgelassen. II 19
sollte stehen: sceleris praesentes, da praesentis irreleitet; so finden
sich auch die Akk. complures (III 5), mcolumes (III 25), immortales
(IV 1), sonst -is. 111 25 a Lentulo, Catilina, Cethego, Cassio ist
Catilina durch Gabinio zu ersetzen; dieser sollte das Gemetzel
leiten (nach IV 13).
IV 10 Idem ipsim Lentulum largitorem et prodigum tum putat
. . . etiam appellari posse populärem. Eberhard ersetzte Lenttdum
durch iüum, weil der Gedanke erst im zweiten Teil des Satzes
seine völlige Ausführung finde. Nohl und Stegmann sind ihm
gefolgt; der unbefangene Leser aber versteht unter iüum den
C. Gracchus, da ille nicht leicht von Anwesenden, wohl aber von
Männern aus alter Zeit gebraucht wird (§ 21 Scipio ille, Paulus ille).
S. III — XXXVII. Orthographie und Stil sind nicht einwands-
frei. Gleich der erste Satz „Cicero stammte aus einer alten
Familie der Stadt Arpinum, welche41 läßt den Schiller im Zweifel,
ob der Relativsatz von der Familie oder von der Stadt zu ver-
stehen sei. S. XIII wird gesagt: Nachdem Pompeius 70 Konsul
gewesen, lebte er mehrere Jahre als Privatmann; darauf erhielt
er 67 das Kommando gegen die Seeräuber. Dies geschah auf den
Antrag des Aulus Gabinius, welcher S. XIV mit dem Katilinarier
P. Gabinius verwechselt ist. S. XIV heißt es: Tigranes ergab sich
auf Gnade und Ungnade und behielt sein Reich. In Wirklichkeit
verlor er ganz Syrien, Phönizien und Cilicien und behielt bloß
Armenien (Liv. Per. 101). — S. XV, 87, 97 wird gesagt: Die
Konsuln für 65 Cotta und Torquatus sollten am 31. Dezember 66
ermordet werden. Dieser Mord sollte bei ihrem Amtsantritt den
1. Jan. (julianisch 4. Jan.) stattfinden. Nach S. XVII setzte Cicero
den Senat am 24. Okt. von der Verschwörung in Kenntnis; es
geschah am 21. Okt. (jul. 18. Okt.). — S. XX wird behauptet.
Ciceros Reden, von F. Loterbacher. 253
Cicero habe durch Hinrichtung der Katilinarier die Provokations-
gesetze verletzt; S. XXXI dagegen wird zugegeben, daß ihm durch
•das senatus consultum ultimum „Gewalt über Leben und Tod"
Terliehen war.
S. 93. Praeneste. Zum Verständnis von Cat. I 8 sollte bei-
gefugt werden: 82 warf sich der jüngere Marius dorthin; nach
Eroberung der Stadt ließ Sulla alle Pränestiner (5000) köpfen
und richtete dort eine Kolonie ein, wie in Fäsulä und Pompeji.
7) Ciceros Rede de imperio Cd. Pompei. Text von H. Deiter.
Hannover 1904, Norddeutsche Verlagsaostalt (0. Goedel). 24 S. 8.
Mit steifem Umschlag. 0,55 Jt-
8) Ciceros Reden gegen Katilina I, III, IV. Text von H. Deiter.
Hannover 1904, 0. Goedel. 34 S. 8. 0,55 JC.
9) Cicero, Cato maior de senectute. Text von H. Deiter. Hannover
1904, 0. Goedel. 30 S. 8. 0,55 J£.
Diese Texte sollen nur den Zwecken der Schule dienen.
An zweifelhaften Stellen wurden die Lesarten bevorzugt, welche
am meisten dem klassischen Sprachgebrauch zu entsprechen
schienen. Auf der zweiten und dritten Seite des Umschlages «ines
jeden ßändchens wird in einfacher Form eine Einleitung zu der
darin enthaltenen Schrift gegeben, namentlich deren Inhalt und
Bedeutung kurz dargelegt. Das Papier ist stark, der Druck schön,
die Korrektur gut besorgt (Fehler blieben stehen Cato 41, 78).
Auffallend ist K. (statt C.) Antonius.
In den Reden steht unquam, nunquam, immortalis, im Cato
nmquam, numquam, inmortalis, inmoderatus, inmissio, inbecülus.
Nicht gut sind: Catil. 3,26 postulabo (statt postulo, wie 4,23),
4, 12 praebebo (statt praebeo), Cato 33 humeris (statt umeris).
Pomp. 1 1 lumen, exstinctum sollte das Komma getilgt werden
(vgl. JB. 1895 S. 76).
10) Ciceros Rede für Mure na. Für Schüler erklärt von 0. Drenck-
hahn. Berlin 1903, Weidmann sehe Buchhandlung. Text 44 S. 8.
geb. Erklärungen 36 S. 8. .geh. und in den Textband gelegt. 1 JC.
„Der Text ist im ganzen der von C. F. W. Möller", aus dem
Jahre 1885. Es folgten die Rezensionen von Nohl 1889 und
Laubmann 1893, so daß wohl der Text von Halm-Laubmann das
erste Anrecht auf Berücksichtigung hatte. Danach ist § 84 der
von di faxint, ut abhängige Satz erst bei comprimam zu schließen,
und es ist vielleicht zu lesen : § 7 tum etiam, si (nicht tum,
etiamsi), 35 dies intermissm unus, 38 praerogativae, 42 scriba
damnatus, ordo totus alienatus (Hss. alienus), 60 Uli fortissimo
viro. — § 26—28 und § 57 wurden weggelassen. § 33 steht
praeterero statt praetereo, ferner renovarit. Ac si mihi nunc bellum
statt bellum renovarit. Ac si mihi nunc. — § 69 setze man
prod-itur statt pro-ditur.
254 Jahresberichte d. Philolog. Verein«.
Das erklärende Heft enthält zunächst eine Einleitung über
Ciceros Leben und den Prozeß des Murena. Die Wahl des Silanus
und Murena wird in den Oktober 63 gesetzt (vgl. JB. 1903 S. 126).
Unverständlich ist § 6 die Bezeichnung des Servius als omnium
non eiusdem modo aetatis, sed eorum, qui fuerunt, in iure civili
princeps. Es muß fuerant heißen: er übertraf die Scaevolae.
S. 8—10 bieten die Disposition der Rede; dann folgen kurze
Anmerkungen. § 21 utrique nostrüm] u vor schließendem m ist
wohl kurz. — 36 tempestates saepe certo aliquo caeli signo commo-
ventur] z. B. Wolken. Ich beziehe die Worte auf Gestirne (Caes.
4, 29 luna plena maritimös aestm maocimos in Oceano efficere cm-
suevit). — 51 senatus consultum, ne postero die comitia haberentur]
am 22. September. Für diese Angabe weiß ich keine Begründung.
— § 68. Im Text steht: dum candidatis morem gerit. Nach dem
Kommentar ist candidatus zu lesen: sich fugt, das Gesetz nicht
verletzt. Die Stelle ist bei Laubmann richtig erklärt. Es müssen
doch mehrere Kandidaten gemeint sein, nicht bloß einer; und
der Indikativ gerit kann nur etwas Unzweifelhaftes bezeichnen,
nicht eine Bedingung. Der Satz „der Senat beschließt etwas,
was picht nötig ist, indem der Kandidat sich fügt", ist mir nicht
verständlich.
11) M. Tallii Ciceronis oratio pro P. Cornelio Sulla. Für d«
Schulgebrauch erklärt von F. Thümeo. Gotha 1903, F.A.Perthes
Aktiengesellschaft. 77 S. 8. 1,20 JC.
Die Einleitung handelt kurz und ansprechend von dem Leben
des P. Sulla und seinem Prozeß im J. 62. S. 3 Z. 17 ist nach
den Worten „erklärte der Prätor4' der Name Q. Metellus Celer
ausgefallen (vgl. § 65).
Dem Texte liegt die Ausgabe von C. F. W. Muller (1S85) zu-
grunde; nach dieser sind § 17 und 61 Klammern angewandt.
§ 78 lese man angustiis. § 57 ist mitten in einer Frage ^
ntrum . . .an ein störendes Alinea. Im Texte stehen die Genitiv-
formen Autroni, Hortensi, in der Überschrift dagegen Tulliu § ^
a quo et tarn crudeles insidias rei publicae factas et tne potisttitw*
conmle putarem wurde das erste et von Halm wohl mit Recht
getilgt. § 34 lese man animi virtute, 48 multa cognotrit (fl»1
Zielinski).
Vom Kommentar heißt es: „Das Bedürfnis des sich vor-
bereitenden Schülers ist der leitende Gesichtspunkt". Dieses Be-
dürfnis ist als ein recht großes und die Vorbereitung als eine
gründliche gedacht Auf die Entwicklung der Wortbedeutung, die
Scheidung synonymer Worter und die Erklärung bildlicher Aus-
drücke ist viel Raum verwendet. — § 9 „Das Vorgehen gegeD
die Verschworenen zog ihm . die invidia des Volkes zu". Es *oJjt*
heißen: eines Teiles des Volkes (vgl. § 32). — § 33. Statt Ma§**
setze man: Q. Annius Chilo. — § 49 „Sulla, der Vateru ist *«
Ciceros Reden, von F. Luterbaeher. 255
ersetzen durch „Der Vater Torquatos", § 56 „Sulla war dorthin"
durch „Sittius war dortbin", „Sulla so unschuldig" durch „Sittius
so unschuldig". — § 62. Die Herausgeber vergessen, daß frater
auch die Bedeutung „Vetter" hat (wie Verr. IV 25, 137, 145).
Die Bezeichnung „Halbbruder" (S. 3) ist ganz unsicher. — § 67.
Es ist nicht richtig, daß Pompejus, durch Ciceros Ruhmredigkeit
verletzt, seinen Brief nicht beantwortete. Nach Cic. ad fam.
5, 7, 2 f. fiel die Antwort nicht ganz nach Ciceros Erwartung aus;
doch gab sie ihm den Mut, diesen Brief an Pompejus zu ver-
öffentlichen, so daß Torquatus ihn vorlesen konnte. — § 81. ad-
fuerunt Catilinae, § 83 non adfui] Torquatus behauptete nicht,
daß Konsularen „schon vorher den angeklagten Catilina verteidigt
hätten", sondern bloß, daß sie ihm durch ihre Gegenwart ihre
Sympathie bezeigten. Daß Cicero ihn nicht verteidigte, ist sicher.
Einmal mußte dies in § 81 erwähnt sein; sodann hätte Cicero
nicht bald darauf im Senat in der Rede in toga Candida sagen
können: in iudkiis quanta vis esset dtdicit, cum est absolutus, si
aut illud iudicium aut illa absolutio nominanda est. Ebenso könnte
es § 83 unmöglich heißen: qui Calilinam non laudavi. — § 88.
Mir scheint, daß lateinische Citate aus rhetorischen Schriften, wie
hier der Passus aus Quintilian über die commiseratio, besser durch
deutsche Erklärungen ersetzt worden wären. — § 91. „Ob
omnibus centuriis hier auf Wahrheit beruht oder rhetorische Über-
treibung ist, steht dahin". Diese und manche ähnliche Bemerkung
fördert den Schuler bei seiner Vorbereitung nicht. — § 81 nulla
tum patebat, nulla erat cognita coniuratio bedeutet: es war keine
Verschwörung aufgedeckt und festgestellt. Daß Gerüchte herum-
gingen, sagt Cicero selbst: indicavit se audisse aliquid, non credi-
disse. Daher streiche man die Notiz: Wenn Cicero dies auf das
Jahr 65 bezogen wissen will, so ist dies insofern nicht genau, als
damals schon die erste Verschwörung sicherlich gerüchtweise be-
kannt war.
12) Ciceros Rede für den Dichter A. Licinius Archias. Für den
Schalgebrauch erklärt von Julius Strenge. Dritte, verbesserte
Auflage. Gotha 1903, F. A. Perthes Aktiengesellschaft. VI a. 37 S.
8. 0,60 J^.
Einleitung und Text blieben unverändert. § 6 setze man
Lucullos statt Lucullus. Der Kommentar hat „in Rucksicht auf
das gegenwärtige Schulbedürfnis vielfältige Kürzung erfahren".
Viele rhetorische und etymologische Notizen wurden entfernt und
manche Bemerkungen knapper gefaßt.
§ 5. Studium atque aures] „geneigtes Gehöru, $v Sta dvolv.
Nach meinem Dafürhalten bezeichnet Studium das Interesse, das
geneigte Gehör, aures aber das Verständnis für wohlklingende
Diktion. — 13. üla, quae summa sunt] „jene höchsten Ziele". Ich
beziehe die Worte auf die in § 14 vorgeführten Grundsätze
nikä esse . . . ducenda. — 15. illud nescio quid praeclarum ae
256 Jahresberichte d. Philolog. \ereins.
singulare] „Ich weiß nicht, etwas Vortreffliches und einzig Da-
stehendes". Ich übersetze: jenes Ideal der Vortrefflichkeit und
Vollkommenheit. — § 20 lese man: praeconium facile (mit
Zielinski).
13) Cicero« Rede für den Dichter Archias. Für den Sehnige brauch
herausgegeben von Hermann Nohl. Dritte Auflage. Leipzig 1904,
6. Frey tag. V u. 21 S. kl. 8. steif broschiert. 0,40 J^.
Diese Auflage zeigt gegenüber der zweiten (vgl. JB. 1895
S. 80) keine Änderung. S. 21 ist Mitylene durch Mytilene zu er-
setzen (vgl. § 24 Mytilenaeum).
14) Ciceros Rede für Sestius. Für Schüler erklärt von O. Drenck-
haho. Berlin 1904, Weidmannsche Buchhandlang. Text IV u. 71 S.
8. geb. Anmerkungen 71 S. 8. geb. und in den Textband gelegt.
1,40 Jt.
§ HO— 111, 132—135 sind weggelassen. Der Text folgt
der Rezension von C. F. W. Müller. Man setze § 28 (27) adessc,
$76 meique, 101 a C, 118 pepercerunt. In der Einleitung wird
manches gesagt, das ich nicht für richtig oder nicht für klar halte.
Z. B. nach S. 4 suchte Gatilina „das Konsulat zu erlangen und
dann auf friedlichem und gesetzlichem Wege seine regierungs-
feindlichen sozialistischen Pläne durchzuführen"; ich glaube aber
nicht, daß sich diese Reformplane auf friedliche und gesetzliche
Weise lösen ließen. S. 14 — 18 weisen die Disposition der
Äede nach.
Erläuterungen. § 1 rei p. fürs Vaterland, sonst auch: Staat,
Verfassung etc.] die Notiz ist unnötig. Gemeint ist dasselbe, wie
vorher bei den Worten pro statu civitatis et pro communi libertale.
— unius cuiusque casu] wenn auch der Hörer hier sich an Ciceros
Exil erinnerte, redet dieser doch zunächst von Sestius, Milo,
Lentulus (§ 144). — § 6 his graviss. s. etc.] Lemma (nach Halm)
und Übersetzung stimmen nicht zum Text. — § 8 in quo collega
ßustin. da, wo es sich darum handelte, meinen Kollegen zurück-
zuhalten, zu hemmen, wie § 2 und so oft im folg. (§ 68, 87,
103, 118)] sustinere heißt „aufrechthalten" ; in § 2 kann in
agendis gratiis verglichen werden, die Anführung der andern Stellen
ist mir ein Rätsel. — § 12. eorum qui ... ist Cicero selbst] es
ist auch Silanus gemeint, der die Todesstrafe beantragt hatte. —
§ 15. fuerat ille annus iam] Der Hsgb. glaubt, das überlieferte
fuerat halten zu können, indem er die Worte vom Jahr 63 ver-
steht. Doch scheint das unklare ille auf das Vorhergehende oder
Nachfolgende hinzudeuten, wo von dem Jahre vor dem Tribunat
des Sestius die Rede ist. — § 24 multa eins sermonis indicia viele
Anzeichen dafür, daß Piso dieser Rede entsprechend lebe. Trotz
der Kürze des Ausdrucks zweifle ich an der Echtheil der Worte
nicht. Drenckhahn sagt: „sermonis ist kaum richtig: man erwartet
vielmehr vitae oder ä.u. — § 32. munieipium, colonia, praefectura
~\
Ciceros Reden, von F. Luterbacher. 257
sind die Bezeichnungen für die drei Arten von Städten der socii
in Italien] Seit 30 Jahren gab es in Italien nur noch Bürger und
Fremde; alle Städte hatten das Burgerrecht. — edicere audeas,
ne maererent] Mit der Angabe „du willst dich auch noch erkühnen"
ist nichts erklärt; vor ne maererent kann nur audebas stehen;
Piso hat sich bereits erfrecht. — § 42. effusam illam ac düsvpatam
Catilinae manum] „statt effusam ist vielleicht zu lesen diffusum
zersprengt'1. Dies wäre ein wenig üblicher Ausdruck, während
effusus in der Bedeutung „weit verbreitet44 bei Livius oft vor-
kommt. — § 62 „da auch Cato mit bewaffneten Banden erschien".
Diese Verdächtigung Catos ist nach Dio Cass. 37, 43 nicht be-
gründet. — Im ersten Satz von § 69 ist qui unerträglich; die
Meinung, das zweite cum sei dem dritten (oder vielmehr dem
vierten) untergeordnet, begreife ich- nicht. — § 73 me, qui nulla
lege abessem, non restitui lege, sed revöcari senatus auctorüate
oportere] Der Senat konnte nicht beschließen, der Volksbeschluß
über Ciceros Verbannung sei aufgehoben; er konnte nur das Gut-
achten abgeben, dieser Volksbeschluß sei verfassungswidrig und
ungültig. Drenckhahn meint: „Durch ein bloßes Senatsgutachten,
nicht ein senatus consultum, das in diesem Falle erst durch Zu-
stimmung des Volkes zustande gekommen wäre". Diese Zustimmung
(lex) hielt Cotta für unnötig; sobald aber der Senat erkennt, das
Volk solle befragt werden, liegt ein Senatsbeschluß vor, gegen
den ein Tribun intercedieren kann. — 99 auctores] im Text steht
tutores. — 144. „Antrag Catos". Jedermann denkt hierbei an
M. Cato, während C. Cato gemeint ist.
15) M. Tullii Ciceronis oratio pro M. Marcello. Für den Schul-
gebrauch erklärt von F. Thümen. Gotha 1904, F. A. Perthes Aktien-
gesellschaft. 30 S. 8.. 0,40 JC.
Die Einleitung orientiert auf vier Seiten genügend und klar
über die Veranlassungen zu dieser Rede und ihren Gedankengang,
S. 2 stände besser Mytilene als Mitylene. — Der Text wurde nach
den Ausgaben von C. F. W. Müller (1886) und A. C. Clark (1900)
festgestellt. § 25 setze man aut statt aud. An 17 Stellen weicht
Thümen in Übereinstimmung mit A. Eberhard (vierte Aufl.) von
Müllers Text ab: 5 regum clarissimorum; 6 est prospere gestum;
7 se societatem gloriae; 8 ea tarnen vicisti, quae naturaw, 11 idem
dux es; 15 maluisse se; 17 vis Martis . . . dico; 19 sapientia cogi->
tatis (ohne tua)\ 21 numquam tarnen; 25 addam . . . quäeso, istam
. . . ad meas aures\ 30 erat obscuritas; 32 hodie maxime . . .de me
ipso. Außerdem schreibt Thümen: 11 florestet, 12 quae erant
adempta, 14 privato consilio (nach Klotz), 31 eosdem exilio (ohne
etiam). Ich empfehle: 10 mentem sensusque eos cernimus (nach
Faörnus), 23 credimus AH, 32 ut vitae tuae, ut saluli luae AH.
§ 13 me et mihi et item rei publicae nullo deprecante . . .
reddidit] Cicero fühlte sich nach § 2 durch das Exil des Marcellus
Jahresberichte XXXL 17
258 Jahresberichte d.J'hilolog. Vereins.
in seiner politischen Tätigkeit beklemmt. Dadurch, daß Cäsar
heute den Marcellus auf die Bitten der Senatoren begnadigte, hat
er auch Cicero, ohne daß jemand Fürbitte für diesen einlegte,
wiederhergestellt, so daß er wieder im Senate sprach. Thumen
bemerkt: „nullo deprecante kann eigentlich nur von den reliquos
. . . viros gesagt werden, da für Cicero selbst sein Schwiegersohn
Dolabella eintrat". Diese Bemerkung scheint mir den Sinn des
Satzes zu verdunkeln. — § 14. hominem surrt secutus privato
officio, non publico] Thumen schreibt: consilio. Cicero scheint mir
zu sagen, er habe sich wohl zum Gefolge des Pompejus begeben,
aber in seinem Heere kein Kommando übernommen, keine Rolle
im Kriegsrate gespielt, ein öffentliches Hervortreten gemieden. —
18 nee quid quisque sensisset, sed ubi fuisset, cogitandum esse dicebant]
das Gerundiv cogitandum est bat den Sinn der Zukunft, = cogi-
tabitur. „Sie sagten, man müsse (= man werde) daran denken,
wo jeder gewesen sei'4, scheint mir zutreffend; fuisset steht in
bezug auf die spätere Zeit des cogitare, die Zeit nach dem ge-
hofften Siege. Thumen sagt: „man sollte das Imperfektum er-
warten; das Plusquamperfektum nimmt die Zeit des Sprechenden
als Ausgangspunkt". — § 21 quisnam est iste tarn demenst] Thumen
meint, wohl ohne Grund, in iste liege etwas Feindliches.
Im uhrigen scheint mir dieser Kommentar recht geeignet zu
sein, die Lektüre dieser kurzen Rede wieder mehr in Aufnahme
zu bringen, da der Kommentar von Richter-Eberhard für Schüler
zu weitschweifig ist.
16) Ciceros Reden für M. Marcellus, für Q. Ligarias und für den
König Deiotarus. Für den Schul- und Privatgebranch heraus-
gegeben von Fr. Richter und Alfred Eberhard. Vierte Auflagt.
Leipzig 1904, B. G. Teubner. 113 S. 8. 1,20 ./£.
Den Text der drei Cäsarischen Reden Ciceros bat Eberhard
im Anschluß an die Kollationen und Untersuchungen Clarks neu-
gestaltet. Dazu sind auch die Lesungen der seither ans Liebt
gekommenen Holkhamer Handschrift benutzt worden und eigene
Vergleichungen, namentlich des Ambrosianus. Ein später er-
scheinender Anhang wird hierüber Auskunft geben. Gegenüber
der dritten Auflage (1885) habe ich in der Rede für Marcellus 44,
in der Ligariana 67, in der Rede für Deiotarus 45 Änderungen
gezählt. Pro Marc. 22 steht wieder dum taxat, pro Deiot. 1
dumtaxat.
fn den Einleitungen wurde die neuere Literatur angeführt
und berücksichtigt. Der Charakter der Erläuterungen zu den
Reden für Ligarius und Deiotarus blieb ungeändert; doch ist im
einzelnen überall gebessert und ergänzt. Dagegen die Anmerkungen
zur Rede für Marcellus, die in Gymnasialklassen nur selten ge-
lesen wird, sind für das Privatstudium und junge Philologen neu
ausgearbeitet worden. Das Büchlein ist so um 17 Seiten ge-
wachsen.
1
Ciceros Reden, von F. Luterbacher. 259
Pro Marc. 1 tantum in summa potestate rerum omnium modum]
mit D'Ooge und Thumen glaube ich, daß die Diktatur als summa
potestas rerum omnium bezeichnet sei. Eberhard verbindet rerum
omnium mit modum, Mäßigung in jeder Hinsicht. — 1 0 C. Marcelli,
34 C. Marcello fratri] Da der Bruder des M. Marcellus, der Konsul
von 49, im Sommer 46 kaum mehr lebte (vgl. Pauly-Wissowa
111 2737), so nehmen Eberhard und Thumen wohl mit Recht an,
daß hier der Vetter beider, Konsul 50, Gemahl der Octavia, ge-
meint sei (vgl. Pauly-Wissowa HI 2734).
Pro Lig. 2 legatus in Africam cum C. Considio profectus est]
So hieß es in der dritten Auflage nach allen Hss. Jetzt streicht
Eberhard cum nach den Hss. Quintilians, die Halm mit Recht
korrigiert hat (vgl. JB. 1901 S. 217). Man muß also nach Eber-
hard legatus in Africam C. Considio zusammennehmen; indem er
nach Afrika dem C. Considius unterstellt war. Es ist doch natur-
licher, in Africam mit profectus est zu verbinden. Pro Mur. 20
legatus L.Lucullo fuit beweist nicht, daß cum an unserer Stelle falsch
sei. Aus dem cum geht hervor, daß Ligarius während der ganzen
Amtsdauer des Considius in Afrika war; die Streichung des cum
erzeugt Unklarheit darüber, wann Ligarius dorthin kam. Die
Worte cum esset nulla belli suspicio legen aber Gewicht auf den
Zeitpunkt der Abreise. Denn daß dieser Verdacht bald kam, sieht
man aus diu recusans . ..provinciam accepit invitus. — 33 quodvis
exsilium] „in noch so weiter Ferne, denn exs. steht lokal". Die
Härte einer Verbannung hing doch nicht von der Entfernung des
Verbannungsortes von Rom ab. Ein Aufenthalt in den Ligurischen
Alpen (unter Halbbarbaren) war wohl schwerer erträglich als ein
solcher an der kleinasiatischen Küste. — § 38. Man schließt die
Rede meist mit den Worten: praesentibus his Omnibus daturum.
Andere Hss. bieten: praesentibus te his daturum. Eberhard fühlte
nun richtig, daß die Klausel, mag omnibus stehen oder fehlen,
ohne te beeinträchtigt würde.
Pro Deiot. 34. quem nos liberi, in summa populi R. libertate
nati . . . clementissimum in victoria ducimus] in der dritten Auflage
stand: in victoria ducem vidimus. Eberhard bemerkt richtig, daß
man nach den Worten in summa... nati nicht vidimus* erwarte,
sondern ein Verb des Urteilens. Liberi bedeutet „Republikaner";
daß es in einer guten Hs. fehlt, ist kaum beachtenswert. „Sind
die Worte p. R. echt, so müssen sie bedeuten : wie sie sich nur
beim r. V. fand", ich halte populi Romani für eine angemessene
Einschränkung. Die athenische Volksversammlung war einst freier
als die römische, indem der athenische Rat dem römischen Senat
an Macht nicht gleichkam; über einzelne Staatsmänner urteilte
das Volk zu Athen (Arislophanes) absprechender als zu Rom.
17*
260 Jahresberichte d. Philolog. Verein».
b) Abhandlungen, Erklärungsschriften, Übersetzungen,
Präparationen.
17) Franz Rohde(f), Cicero, quae de inventione praecepit, qoi«
tenus secutus s i t in o rationibus generis iudicialis. Disser-
tation. Königsberg i. Pr. 1903. 176 S. 8.
Kap. 1 handelt de constitutionibus. In Ciceros Gerichts-
reden herrscht der Status coniecturalis vor, indem die Richter
sich eine Vermutung bilden müssen, ob Sextus Roscius, Quinctius,
Quintus Roscius, Fonteius, Cluentius, Murena, Sulla, Archias,
Rabirius Postumus, Scaurus, Caelius, Deiotarus gewisse Handlungen
begangen haben oder geschehen ließen. In den Reden gegen
Verres und für Flaccus verbindet sich damit die constitutio generalis,
indem die Richter auch entscheiden müssen, von welcher Art die
begangenen Handlungen seien, erlaubte Amtshandlungen oder Ver-
brechen. Der constitutio generalis gehört besonders die Rede
gegen Caecilius an, indem die Richter durch Vergleichung der
Eigenschaften des Caecilius und Cicero zu beurteilen haben, welcher
der geeignetere Ankläger des Verres sei. Eine Unterart ist der
Status iuridicialis, speziell die concessio in den Reden für Sestius,
Milo, Ligarius, verbunden mit deprecatio und purgatio (bei Ligarius),
relatio (Entschuldigung durch die Umstände) und compensatio
(Aufwägung durch Verdienste). Die constitutio definitiva, Beweis-
fuhrung durch Begriffsbestimmungen, fand sich in den Reden für
Quinctius, Tullius und Caecina.
Nachdem die Aufzählungen der Teile einer Gerichtsrede in
rhetorischen Schriften vorgeführt worden sind, handelt Kap. U
de exordio, S. 9 — 26. Es soll den Zuhörer wohlwollend, auf-
merksam und gelehrig machen. Bei der captatio benevolentiae
können wir auf fünf Arten vorgehen: a) ab nostra persona, in-
dem der Redner in bescheidener Weise von sich selbst spricht,
wie in den Reden pro Sex. Roscio, Caecina, Archia, Sulla oder
von den Schwierigkeiten, die ihm durch das Geld, die Drohungen,
den Einfluß der Gegner, durch die Zeit und Umstände entstehen*
b) a rei persona. Für den Angeklagten wird wegen seines Un-
glückes, Charakters, Adels, wegen seiner Verdienste um den Staat
oder um den Redner das Mitleid der Richter oder Zuhörer erregt
(besonders in den Reden für Flaccus, Caelius, Scaurus, Plancius,
Milo, Deiotarus). c) ab adversariorum persona. Die Gegner werden
verächtlich gemacht wegen übermütiger und grausamer Handlungen
(wie Castor pro Deiot. 2), dem Neide ausgesetzt wegen ihres Ein-
flusses und Reichtums (wie Naevius pro Quinctio 1), der Ver-
achtung infolge ihrer Dummheit (wie Verres Act. I 5). d) ab
auditorum persona, indem Vertrauen in ihre Weisheit und G«*
rechtigkeit gesetzt wird, e) ab ipsa causa, indem die eigene Sache
gelobt, die gegnerische heruntergesetzt wird. — Aufmerksam wjr(*
der Richter, indem der Redner verspricht, so kurz wie möglich
^
Ciceros Reden, von F. Lnterbacher. 261
zu sein, und die Verhandlung als neu, wichtig, unglaublich be-
zeichnet (wie pro MiL, pro Deiot). — Die Gelehrigkeit des Hörers
wird namentlich in verwickelten Händeln erhöht, indem kurz der
Kernpunkt klargelegt wird. In langen Reden wiederholen sich
diese Zwecke und Kunstmitte], denen das Exordium besonders
dient; z. B. die Gelehrigkeit wird durch Einteilungen und Re-
kapitulationen gefördert.
Es folgt Kap. III de nar ratio ne. Sie soll kurz, klar, wahr-
scheinlich und anmutig sein. Wenn in einzelnen älteren Reden
(wie pro Quinctio und pro Caecina) die narratio eine beträcht-
liche Länge hat, so waren diese Rechtshändel schwer verständlich,
und die Deutlichkeit durfte nicht durch die Kurze beeinträchtigt
werden. Bei Cicero fehlt die narratio oft, besonders wenn er
unter mehreren Verteidigern zuletzt sprach. In längeren Reden
kommen auch mehrere Erzählungen vor, z. B. in den Verrinen.
IV. De partitione. Als ersten Teil davon bezeichnet
Rohde die propositio. Ein Muster bietet die Rede pro Tullio:
zunächst werden die Punkte vorgeführt, worüber die Parteien
einig sind ; dann wird der Streitpunkt festgestellt. Meistens jedoch
gibt Cicero bloß das letztere an, die Frage, welche das Gericht
zu entscheiden habe oder über die er sprechen wolle. Der zweite
Teil ist die Aufzählung der Gegenstände, die erörtert werden
sollen, wie pro Quinctio 36, pro Sex. Rose. 35, Accus. 1, 34, pro
Mur. 11. Die Partitio fehlt zuweilen; manchmal findet sie sich
auch bei einzelnen Abteilungen.
Der wichtigste Teil einer Rede ist die Beweisführung, die
sich in die confirmatio und reprehensio teilt. Kap. V S. 40 — 121
handelt de confirmatione. Es wird erörtert: 1. wie sich
Cicero in den einzelnen Reden mit den äußerlichen Beweismitteln
abfindet, mit Zeugenaussagen, Urkunden, Gesetzen, Senatsbeschlüssen
und Briefen, 2. wie er aus den zur Beurteilung kommenden
Rechtssachen selber Beweise hernimmt. Diese leitet er her:
a) von den Personen, dem Namen, der Nation, Heimat, Familie
und Verwandtschaft, dem Alter, der Körperbeschaffenheit, den
Geistesgaben, Lehrmeistern und Freunden, der Lebensweise, den
Vermögensverhältnissen, dem Charakter, den besonderen Neigungen,
Taten und Worten; b) von den Begleitumständen der Handlung,
Ort, Zeit und Gelegenheit, Art und Weise, den Mitteln und
Helfern; c) de rebus negotio adiunetis. Unter dieser Rubrik
werden Definitionen in Ciceros Reden vorgeführt, die Beweis-
führungen durch Zerlegung eines Ganzen in seine Teile (partitio)»
einer Galtung in die Arten (divisio), die argumenta ex remotione
d. h. durch Ausschließung verschiedener Möglichkeiten, besonders
in Form eines Dilemmas. Ferner werden die Gleichnisse und
Vergleichungen besprochen, die Beispiele aus der Geschichte, aus
Dichtern und eigener Erfindung, die Folgerungen aus dem Gegen-
teil, aus dem, was einer Sache vorhergeht, mit ihr zugleich ist
262 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
und ihr folgt. Ebenso werden die Syllogismen angereiht, die
Schlösse aus Widersprechendem und den eventuellen Folgen eines
Urteils.
Kap. VI behandelt die reprehensio, die Widerlegung. Es
werden die Stellen angeführt, wo Cicero Behauptungen der An-
kläger als unrichtig, unglaublich, unwahrscheinlich hinstellt, Ver-
gleiche und Berufungen auf Gesetze unpassend findet, eine ver-
dächtige Handlung als ordnungsgemäß erweist, von allgemeinen
Sätzen eine andere Anwendung macht oder den Gegner der In-
konsequenz beschuldigt.
Der Schluß einer Gerichtsrede heißt VII. conciusio. Diese
hilft a) dem Gedächtnis des Richters nach durch die enuraeratio,
welche die Hauptpunkte der Beweisführung kurz und nachdrück-
lich rekapituliert, wie in den Reden pro Fonteio 44 — 46 und in
Caecilium 71, jedoch bei Cicero oft fehlt. Sie erregt b) den Un-
willen, indignatio, über einen Menschen oder eine Sache, mehr
bei Anklagen, doch auch oft bei Verteidigungen. Rohde fuhrt
sechs Gesichtspunkte dafür aus Ciceros Reden vor; Cicero zählt
(de inv. 1, 98) 15 auf, über die sich in Volkmanns Rhetorik § 27
Näheres findet, c) Cicero war ein Meister darin, das Mitleid der
Zuhörer und Richter wachzurufen, in der conquestio. Für diese
gibt Cicero (de inv. 1, 106 f.) 16 loci communes an; Rohde weist
9 von ihnen in den erhaltenen Gerichtsreden nach.
Die Schrift erörtert VIII. qui loci in singulis con-
stitutionibus adhibeantur. Es werden die Lehren ober die
einzelnen Status oder constitutiones nach Ciceros rhetorischen
Schriften weiter ausgeführt, und es wird dargetan, welche loci,
Fundstätten der Gedanken, für die Beweisführung nach den ein-
zelnen Grundlagen in Anwendung kommen können. Verschiedene
Teile einer Rede haben oft auch eine verschiedene constituüo.
Bei jeder constitutio werden die Reden vorgeführt, in der sie
sich findet, bei der constitutio coniecturalis namentlich die loci
communes contra testes zusammengestellt. Bei der constitutio
definitiva werden die Definitionsvorschriften an Beispielen aus den
Reden pro Quinctio, pro Tullio, pro Caecina, pro Balbo er-
läutert. Bei dem Status iuridicialis werden die Begriffe comparatio,
concessio, purgatio, deprecatio, controversia ex scripto et sententia
näher erörtert.
Das Büchlein zeigt eine umfassende Kenntnis der Reden und
rhetorischen Schriften Ciceros und einer Anzahl moderner Spezial-
schiff ten, die eifrige Studien während mehrerer Jahre voraussetzt.
Der Index weist etwa 100 erörterte Stellen aus rhetorischen
Schriften und 350 aus Reden auf. Der früh verstorbene Gelehrte
hat eine enorme Arbeit bewältigt und in seiner Dissertation ein
schönes Denkmal seines klaren Geistes hinterlassen.
i
Ciceros Reden, von F. Luterbacher.' 263
18) Th. Zielinski, Das C lauselgesetz in Ciceros Reden. Philo-
logie 1904, Sapplementbaod IX S. 589—844. Leipzig, Theodor
Weicher. Separatdrack 8,40 Jft.
Nach Julius Wolff (vgl. JB. 1903 S. 113) hat sich Z. dem
Studium der Klauseln zugewendet. Er hat seine Untersuchungen
auf die Periodenschlüsse beschränkt, diese aber aus allen Reden
Ciceros gesammelt und sich ein umfassendes System von Gesetzen
für die Ciceronische Klauseltechnik gebildet. Er zerlegt seine
Abhandlung in einen theoretischen und einen praktischen Teil.
I. Die Theorie. Das quantitative Verhältnis der langen
und der kurzen Silben gibt der Sprache ihren rhythmischen Cha-
rakter. In der Regel herrscht zwischen ihnen das Gleichgewichts-
gesetz; in besonderen Stimmungen aber wird das Gleichgewicht
zugunsten der kurzen oder der langen Silben verletzt. Dieser
durchgehende Rhythmus kommt bei den Einschnitten der Rede,
deren Symbol die Interpunktion ist, ins Stocken. Beim Wieder-
beginn der Rede nach einer Pause erhöht sich das Bewußtsein
des Rhythmus. Der Initialrhythmus ist noch nicht untersucht
worden. Man befaßte sich bis jetzt mit dem Schlußrhythmus als
dem eigentlich konstruktiven Rhythmus. Am greifbarsten tritt
uns der Rhythmus der Prosarede im Periodenschluß entgegen;
hier muß also die Untersuchung über die Klauseln beginnen. Wo
ein längerer Fragesatz kurz beantwortet wird, ergeben erst Frage
und Antwort zusammen eine Periode. Wo die Rede sich in
Paaren einander zugekehrter Sätze bewegt, ergibt erst der Schluß
jedes Satzpaares einen Periodenschluß. Wo die Rede aus kurzen
Sätzen besteht, ergibt erst der Schluß des ganzen Gebildes einen
Periodenschluß. „Die Ausgaben genügen sämtlich nicht ... Die
Herausgeber haben von den drei Forderungen der römischen Philo-
logie — distinguere, emendare, adnotare — die erstere vernach-
lässigt; eine neue Ausgabe tut uns dringend not". Der Anfang
der Klausel in der Periode ist „dort, wo die Regelmäßigkeit in
der Gestaltung des Schlusses beginnt44. Z. B. pro Caec. 32 finden
sich die Klauseln: (aci\o)nemque quaeramus, (hom\)nibus et armatis,
(iniuri)am tuam persequar, (te uti in hac) re magistro volo.
Eine Klausel besteht aus einem Creticus als Basis und einer
Kadenz von mindestens einem Trochäus. Die kleinste Klausel-
form 1 ist also: _^_:_a, z.B. vulnerabantur. Durch Auflösung
der Längen ergeben sich sieben Nebenformen, z.B,www-i-a
(1 l nibus et armatis), ^\-^ (l a), „ „ w ^ „\ -^ (1 u), i— „
(l8). Ist vor der Klausel Wortschluß, so ist es Typus la; ist
Cäsur vor der Kürze des Creticus, so ist es Typus 1 ß (also nibus
et armatis l1 ß); ist Cäsur nach der Kurze des Creticus, so ist
es Typus \y (esse dicitur); civitas possit ist der Typus ld, vulne-
ratum sit 1*. Die Verlängerung der Kadenz um je eine Silbe
ergibt die Hauptformen 2 (re magistro volo 2 0«), 3 (momo
religioswn 3 8), 4, 5, 6. In diesen Grundformen hat der Creticus
264 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
der Basis einen Nachfolger in der Kadenz and braucht deshalb
nicht rein zu sein. Er kann zum Moiossus erschwert werden
(zu ), was die Formen fc, 3, 4, 5, 6 ergibt <z. B. hoc nil esse
et fateris 3). Die Längen des zweiten Creticus können ebenfalls
aufgelöst werden, z. B. atque intellegere cogit 38/9£. Ferner kann
sich hier die erste Arsis der Basis zu einem Trochäus entfalten,
so daß der Creticus zum Choriambus, der Moiossus zu in Epitrit
wird, was Z. durch den Exponenten tr bezeichnet, z. B. nunc sum
animo aequissimo ^_ 2 tr, pro Caec. 81 tur, sed id quod
dicitur valebit MSiT6fj.
Jeder Klausel läßt sich einer der Koeffizienten V, L, M, P, S
vorsetzen, um ihre Häufigkeit und somit ihren Wert auszudrucken.
Es gibt in Ciceros Reden 10 485 V-Klauseln, clausulae verae, be-
vorzugte, 4184 Vi, 1991V 2, 1297 V 2, 1787 V 3, 1586 V S.
Dazu kommen 4776 L-Klauseln, clausulae licitae, erlaubte, nämlich
436 L 1 >, 772 L 1 a, 278 LI8, 108 L 1 18, 190 L 2 \ 266 L Z\
127 L Ä2, 239 L 2* 207 L Ätr, 192 L 3 \ 226 L 3\ 243 L 3»,
211 L 38, 161 L 38, 433 L 3tr, 307 L 3tr, 184 L 4, 196 L 4. —
2° bedeutet jede Ableitung der Grundform 2, 300 jede Doppel-
ableitung der Grundform 3. Danach kommen in Ciceros Rede»
1103 M-Klauseln vor, clausulae malae, gemiedene, 29 M 1 ls u.
I188, 52 M 2° u. Ä°, 76M32, 34, 3M61 M 300 u. 300, 270 M 4'
u. 400 etc., ferner 930 S- Klauseln, selectae, gesuchte, 248 I*-
Klauseln, pessimae, verpönte. Z. hat also in Ciceros Reden
17902 Periodenschlüsse festgestellt und klassifiziert. — Durch die
abnorme Entfaltung im letzten Creticus verliert die V-Klausel ibren
Wert, z.B. VI ___-wird zu IM — ^ -_cr> V 3 - -- - _ -
zu P 3 -^ — ^^-t? (der perhorreszierten heroischen Klausel,
Caec. 88 psum locum restituatur). Durch die abnorme Erschwerung
(Cholose) des letzten Creticus bekommt die V-Klausel eine eigen-
tumliche Wucht, V 1 wird S 1 condemnabantur, V 2 wird S 2
_^ *. iudices, audistis. Von der Stelle des Einschnitts hängt
die Harmonie des Klauseliktus mit dem Wortakzent ab; die Ein-
schnittsstelle wird durch den typologischen Index er, ßy y, c?, *, £, y
angegeben, z. B. _ | ^ ^ _ - ^ ~ ist L 2 tr ß x. So sind nm oportere
(1 ß) und sauews factus (1 d) verschiedene Typen der gleichen
Form, dagegen laude tardaret (1 y) und cessit audaetae (2 y) gleiche
Typen verschiedener Formen. O1, O*, O8 bezeichnet alle Klauseln
mit Auflösung der 1., 2., 3. Länge.
Nach diesen allgemeinen Erörterungen wird S. 614 — 651 die
Grundform 1 abgehandelt, von der Cicero (Or. 212) noch keine
klare Einsicht hatte, da er diehoreisch und cretisch auslautende
Klauseln (die Grundformen 3 und 2) zuerst nennt. Normaltypus
für 1 ist y {esse debere; 49,2%); nach ihm wird ß bevorzugt
(non oportere; 27,2 °/0)- Da hei ß die Klausel oft mit der Schluß-
silbe eines Wortes beginnt, stellt Z. auch für diese Anlaufswörter»
für Silben, die nicht zur Klausel gehören, Regeln auf. Die Typen
i
Cicero« Rede«, von F. Luterbacher. 265
ld (Diärese zwischen Basis und Kadenz; 10,2 °/0) und 1 a (12,4%)
treten zurück; s ist sehr selten (1%). Die Bevorzugung des
einen oder andern Typus steht in direktem Verhältnis zur Häufig-
keit der Wörter, die zur Bildung seines zweiten Teiles nötig sind.
Der Klauseliktus harmoniert hier mit dem grammatischen Akzent
der verwendeten Wörter, indem er entweder mit ihrem Haupt-
oder Nebenakzent zusammenfällt. Bei der Seltenheit des Typus s
kommen nur äußerst wenige betonte Monosyllaba am Schlüsse
vor: Mil. 43 impimitatis spetn; Phil. 2, 19 conlocati Stent. Sie er-
regen aber doch einen Zweifel, ob wirklich mit Z. anzunehmen
sei, daß die einsilbigen Formen von esse, wenn sie den Schluß
der weiblichen Klausel bilden, enklitisch seien, z. B. restitüti sint.
Ebenso bin ich nicht überzeugt, daß der Hiat in den Klauseln
durch Elision beseitigt wurde. — Die Typen der sieben Neben-
formen 1\ l8, l3, 1 12, l18, 1", l188 werden einzeln erörtert.
Die Grundform 2,2 umfaßt 3288(2000:1300), mit ihren
Ableitungen 4369 Klauseln in Ciceros Reden. Von der Miloniana
an bevorzugt Cicero den Creticus in der Basis gegenüber dem
Molossus. Bisher hat Z. den Creticus als das ursprüngliche
Element, den Molossus als eine Erschwerung bezeichnet; jetzt
kehrt er die Sache plötzlich um und statuiert das Entwickelungs-
gesetz: die Entwickelung der Klauseltechnik geht im Sinne fort-
schreitender Erleichterung der Basis vor sich. Der häufigste Typus
ist 2y(cessü audaciae) und Z y {possem cognoscere), der Einschnitt
nach dem Trochäus oder Spondeus der Basis. Dann folgt 2 S
(callide feeerint) und Z ö (credatis, postulö), indem die bei 1 d be-
obachtete Scheu vor der Diäresis zwischen Basis und Kadenz
zurücktritt hinter die Häufigkeit dreisilbiger Wörter. Für Z ö und
überhaupt Od wird das Gesetz statuiert: Wo die Basis durch ein
molossisches Wort gebildet wird, verschiebt sich der Hauptiktus
auf die Mittelsilbe. Diese Betonung (creddtis, nicht credatis, wie
callide) ist offenbar richtig, aber damit ist der cre tische Charakter
der Basis vernichtet, während er bei possem cognoscere bewahrt
wird. Für Z. freilich ist diese „leichte Iktenverschiebung" ohne
Belang. Tonwörter als Schlußmonosyllaba sind gestattet, wie
div. 21 lex consuitum esse vult (Z £).
Durch Auflösung der Längen (außer der letzten) ergeben sich
zu 2 und Z je sieben Ableitungen: L 2lv«v — ^-190 mal
(119 mal 21?, manibus effugerint), Lt1. 266 mal
(Zly 145mal), M28 (65 mal), La8 127mal (Z*y 27 mal, Ulis
dominantibus), M 28 (12 Fälle), M23 (16 Beispiele) etc. Die
Klausel Z% läßt die Schwächung der ersten Silbe zu, indem bei
der Auflösung der dritten Länge der Hauptiktus der Mittelsilbe
so stark ist, daß die erste Silbe ihren Nebeniktus verliert und
doppelzeitig wird: ~-l^-lw i, Mil. 80 rapi patiemini (13 Fälle).
Dies gilt dann auch für 3a und überhaupt für O*. Dazu kommen
239 Fälle mit choriambischer und 207 mit epitritischer Basis.
266 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Hier wird die Cäsur hinter der ersten Silbe des Trochäus als ßl
bezeichnet, z. B. (do)Jo malo seiungere L 2 tr ß x y. Ebenso ist
Clu. 18 huius ante videat M2V«1. S. 676 wird auch die Frage
aufgeworfen, ob nicht die Länge des Trochäus in den Entfaltungs-
formen aufgelöst und eine Klausel 2lt*v>~~ (aUa nunc,
Acciy tuast Clu. 85) angenommen werden dürfe; doch werden diese
Formen unter 0 1 eingeteilt. Ober 2* (comproba)tnf ßli temerüas
hat sich Cicero or. 214 mißbilligend ausgesprochen.
Die Grundformen 3 (Schluß der Ligariana: sentibus te bis
daturum - ^ J) und 3 umfassen 3373, mit ihren Ableitungen
5383 Periodenschlüsse. Nach seiner Ruckkehr aus der Verbannung
hat Cicero auch hier die leichteren Basisformen vorwalten lassen.
Diese und die folgenden Hauptformen bevorzugen als Einschnitt
die Diärese, 3d (audeat iudicare); sie findet sich 970 mal ohne,
475 mal mit einer zweiten Cäsur, unter 1787 Klauseln, ebenso
Sä in 181, Sßd in 533, Syd in 140, Bös in 40, 3tff in
42 Fällen von 1586. Vor der Diärese findet sich in der leichten
Grundform 12 mal Hiat (fieri arbitretur) und 163 mal Syllaba
anceps, d. h. eine Kurze statt der Länge (Naevius impetrabat). Bei
31 (memoriam sempiternam) und 31 (monumento collocaras) sind
Hiat und Syllaba anceps nicht gestattet. — Cicero kennt von
diesen Formen nur die Kadenz als Dichoreus (persolutas, com-
probavit).
Die Grundformen 4 und 4 umfassen 380, ihre Ableitungen
270 Klauseln. Von diesen 650 Fällen zeigen 356 den Typus i
(die Diärese). Verhältnismäßig zahlreich sind die Entfaltungs-
formen, 29 mal 4 tr, 76 mal 4 tr.
Die zwei ersten Grundformen bilden die attische Gruppe,
welche den Cäsurtypus (y) liebt; 3 + 3, 4 -f- 4 sind die asianische
Gruppe und bevorzugen den Diäresentypus, durch den die Klausel
in Basis und Kadenz auseinanderfällt Die Hauptformen 5 fg.
sind poetische, daher gemiedene Klauseln. Die Grundform 5 mit
Ableitungen umfaßt 72 leichte und 96 schwere, die 6. Grundform
21 +34 Klauseln; die Form 7 betrifft 30, die Form 8 nur 21,
die Form 9 noch 12 Fälle. Ganz absonderlich sind Act. I 25
sent, ne eiusdem pecunia de honore deicerer (10 eifi) und PhiJ.
14, 37 mä crudelissimaque Servitute Uberatum (11 ^>p).
Die S-Klauseln entstehen aus den entsprechenden V- Klauseln
durch Cholose. Am leichtesten zu erkennen sind an der Diärese
S3d (consuks designati, 501 Fälle) und S3d (audebas appellare,
116 mal). Die Ableitungen davon gehören zu den M-Klauseln.
S 2 (Creticus vor Molossus) kommt 235 mal vor, mit den Typen ö
(iudices audistis), y (esse cognovistis), € (possideri posstnl), a (am-
trucidaverunt), S 2 in 44, S 1 in 34 Fällen. Das sind 930 Bei-
spiele. Dazu kommen 18 MS2tr, 12 M82tr, 14 MS2M, 14
MS2V, 6 MS«1.
Die P-Klauseln entstehen aus den V- Klauseln durch ab-
^
Giceros Redeu, von F. Luterbacher. 267
norme Entfaltung des letzten Fußes. Es finden sich in Ciceros
Reden 54 PI, 87 P 2, 107 P 3.
IL Die Anwendung. Orthographisches und Pros-
odisches. Cicero hat sich bemüht, die Perioden effektvoll zu
schließen; man darf aber deshalb nicht alle seine Periodenschlüsse
in ein metrisches Schema hineinzwängen. Zielinskis System er-
gibt, daß Cicero vielfach inkonsequent gewesen ist. In der Positio
debilis tritt selten Verlängerung ein (Verr. 5, 81 percelebrantur
V 1, Quinct. 2 saltem mediöcria LZ2, Balb. 33 säcrosanctum fuisse
V 3, Verr. 3, 34 quädruplo condemnari S 3, 99 emerent ägri sui
L 2 \ div. 55 et locüples fuit V 2, Clu. 52 ipse pätronus V 1). —
Durch anlautendes s mit Konsonant wird der kurze Endvokal des
vorhergehenden Wortes stets gedehnt. Verr. 5, 48 scriptum pro-
ferre non potes fugt sich dem Schema nicht; es muß heißen:
proferre scriptum V 2. — Das Verb deesse verschleift ee in allen
Formen; in praeesse ist ae kurz; ei, ret, fidei werden kontrahiert.
In coarguo wird oa, in coegi wird oe verschleift (oa in coactum
nicht). Ähala wird Ala gelesen; reprendo und reprehendo kommen
nebeneinander vor. Man schreibe: reccido, recido, redduco, religio,
relliquus, assecla, cubiculum, periculum, deverticlum, spectaclum,
vinclum, disciplus, tabla, cottidie, gratiis (nicht gratis), Habitus
(nicht Avitus), Stettins (nicht Sthenius). — Die Genitive von Sub-
stantiven auf ins und ium gehen auf i aus, die von Eigennamen
auf t und tt; von Adjektiven findet sich nur Phil. 7, 16 pätronus
Iani medii (oder medit). Es war kein glucklicher Gedanke von
C. F. W. Müller, die schwere Bildung bei den Eigennamen durch-
zuführen. Man lese: Caecina; fieri hat meist langes fi, rimus
und ritis im Perf. und Fut. ex. haben stets ri. Weil in objicere
und subjicere die Vorsilbe lang ist, verwirft Z. deicere (mit Synizese)
und schreibt ejcere, cojcere, rejcere, projcere. Mir ist es un-
möglich, die Konsonanten je ohne einen Zwischenvokal auszu-
sprechen.
Textkritik. Das Klauselgesetz kann nur in geringem Maße
dazu dienen, Korruptelen aufzudecken. Wo aber andere Grunde
kritische Bedenken erregen oder die Hss. verschiedene Lesungen
bieten, ist die Klauseltechnik zur richtigen Textesgestaltung zu
verwenden. Dieser Grundsatz wird in einer kritischen Durchsicht
sämtlicher Reden erläutert, S. 778 — 814. Ich muß das genauere
Studium dieses Abschnittes den Herausgebern überlassen. Verr.
3, 77 Pipa wird durch Hippa ersetzt. In Hachtmanns Text der
4. Verrine sind nach Z. folgende Änderungen vorzunehmen: 19 m-
gratiis, 29 gratiis, 43 despoliaretur, si emeras, 55 audiverit, 59
huius modi, 77 fuerit apud Segestanos, 122 pieta praeclare, 144
reeepisset. In den Kalilinarien wird empfohlen: I 15 interficere
voluisti, 16 aliquo casu, 23 iveris; II 1 pertimescemus, 3 crederent;
quam multos, qui propter stultitiam non putarent; quam multos,
qui etiam def ender ent\ quam multos, qui propter improbitatem
268 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
faverent? 12 paruit [ivit]; IV 24 praestare possit. Der Schluß
der Ligariana soll heißen: praesentibus Ms Omnibus te daiurum.
„Nach wie vor bleibt ein vorsichtig abwägender Eklektizismus für
Cicero die beste und fruchtbringendste Methode4*.
Höhere Kritik. Die Prozentsätze der V-Klauseln bei Cicero
sind: 1) in den drei ältesten Reden 52, 2; 2) in den Verrinen
58,2; 3) 68-66 v.Chr. 61,2; 4) in den Konsularischen Reden
63,2; 5) 62—58 v. Chr. 61, 6; 6) in den Reden post reditum
61, 9; 7) 56—52 v. Chr. 62, 9; 8) in den Caesarianae 62, 2;
9) in den Philippicae 61,2; 10) im Gesamtdurchschnitt 60,3,
gegen 26, 5 L; 6, 1 M; 5, 2 S; 1, 4 P. „Cicero trug als un-
bewußten Regulator das Streben in sich, circa zwei Drittel seiner
Clausein streng nach dem Schema -a-:-^, -, ~ zu bauen".
Die Rede de domo sua weist 352 V, 163 *L, 34 M, 26 S, 5 P
auf, ist somit gerechtfertigt. Die Invectiva in Sali, hat in 102
Klauseln 22 V, 28 L, 27 M, 14 S, 11 P, ist also unecht. Die
Marcellina hat in 120 Klauseln 63 V (52,5 °/0), 43 L (35,8 °/0),
5 M, 8 S, 1 P. Dazu bemerkt Z. sonderbarerweise: „Die Echt-
heit der Marcellina beweisen die Clausein nicht, sondern nur die
sorgfältige rhetorische Schulung ihres Autors", womit die Wert-
losigkeit seines Systems für die höhere Kritik zugegeben ist. Für
Plinius' Panegyricus ergeben sich die Prozentsätze: 50,9 V, 30,7 L,
8,5 M, 6 S, 3,6 P.
Zur Akzentlehre. Hier untersucht Z., wie zweisilbige,
dreisilbige, viersilbige, fünfsilbige Wörter in der Klausel betont
werden, und dreht sich dabei im Zirkel herum. Er geht bei
«einer ganzen Untersuchung davon aus, daß die Periodenschlüsse
metrische Schemata haben und nach dem Metrum betont werden.
Auf Grund dieser unbewiesenen Voraussetzung kann er natürlich
zu keinem anderen Schluß gelangen als: „Dieser rednerische Accent
ist identisch mit dem poetischen" (d. h. metrischen). Es war
ferner vorausgesetzt, daß die Ultima der Klausel aneeps sei und
deshalb die Schlußlänge nie in zwei Kurzen aufgelöst werden dürfe.
Demnach sind z. B. forent und fore am Schlüsse gleichwertig, und
Z. bildet nun das Gesetz: Durch Schlußstellung des Wortes wird
dessen kurze Endsilbe positionslang. Cicero erklärt im Orator 58:
natura in omni verbo posuit acutam vocem, nee una plus nee a
postrema syllaba citra tertiam; quo magis naturam ducem ad aurium
voluptatem sequatur industria, Er redet hier nicht von der Volks-
sprache, sondern von der oratorischen Prosa: er ermahnt zur
natürlichen Betonung, die den Hauptakzent nicht über die dritte
Silbe vom Ende setze. Gleichwohl soll er in Wirklichkeit nach
Z. konsequent in plautinischer Weise cönficerent, reficermt, mönu-
erat, beneficium, memoriam, fdmiliam, Siciliam gesprochen haben.
offenbar auch cönficerentur. Z. meint: „Nun ist es selbstverständ-
lich, daß die Lehre vom rednerischen Accent nicht nur für die
Clausein gilt: es wäre sehr merkwürdig, wenn Cicero ein und
Cicero* Reden, von F. Luterbaeher. 269
dasselbe Wort in der Clausel mimoridm und kurz vorher memöriom
betont haben sollte. Sowie wir aus der Klauseltechnik die Lehre
vom rednerischen Accent entwickelt haben, so wird ein spaterer
Forscher auf Grund der nunmehr feststehenden oratorischen Accent-
lehre die Technik des Initial- und durchgehenden Rhythmus zu
entwickeln haben . . . Zur Zeit der Entstehung der Kunstprosa
und Kunstpoesie (um die Wende des dritten vorchristlichen Jahr-
hunderts) war der oratorisch-poetische Accent mit dem Vulgär-
accent identisch; diesen hat die conservative Kunstprosa und
-poesie bis in die spätesten Zeiten hinübergerettet, während die
Umgangssprache sich entwickelte und allmählich ein neues, ein*
facheres Accentuationssystem erzeugte44.
S. 607—614 wird die „Geschichte der Frage", S. 647—651,
677 — 680 etc. die Erforschungsgeschichte der einzelnen Haupt-
formen vorgeführt.
Z. ist überzeugt (S. 592), „daß die hier geführte Untersuchung
von eminentem psychologischem Interesse ist. Als unbewußtes
Werkzeug des sprachschöpfenden Geistes tritt uns Cicero entgegen.
In praxi befolgt er mit peinlicher Sorgfalt eine Reihe Gesetze,
die, obzwar auf einfache Elemente zurückgehend, infolge der
Complication dieser letzteren recht verwickelt aussehn; und wie
er in der Theorie darüber Rechenschaft ablegen will, ist er sich
nicht einmal über die Hauptprincipien klar. Diese auffallige Tat-
sache beweist deutlich, daß wir in dem Clauselgesetz nichts künst-
liches, gemachtes, keine rhetorische Tabulatur haben, sondern
die natürlichen Consequenzen der natürlichen Anlage der lateini-
schen Sprache'4.
Wären jedoch die Formen der Perioden und Clausein ebenso
in der natürlichen Anlage der lateinischen Sprache begründet, wie
die Regeln der lateinischen Grammatik durch den Sprachgebrauch
bestimmt wurden, so würden sie auch bei verschiedenen Autoren
in hohem Maße übereinstimmen. Nun erklärt aber Z. S. 607:
„Auch Li vi us bevorzugt gewisse Clausein und meidet andere; aber
gerade die bei Cicero bevorzugten gehören bei ihm zu den sicht-
lich gemiedenen44. Die Perioden und ihre Klauseln sind demnach
«in rhetorisches Element, das die Autoren in ihrer Sprache auf
verschiedene Weise künstlich anwendeten. Die von Z. gefundenen
Klauselgesetze gelten also zunächst nur für die Reden Ciceros,
und1 Z. geht mit seinen Folgerungen zu weit. Cicero versuchte
im Orator, sich über die von ihm bevorzugten Klauseln Rechen-
schaft zu geben, „jedoch ohne rechte Selbständigkeit gegenüber
den griechischen Lehren und deshalb mit gänzlichem Mißerfolg".
Er stellt § 212 den bei den Asianern beliebten Dichoreus voran:
filii comprobavü 3, ei poenas persolutas & Dann empfiehlt er den
Schlußcreticus, d. h. die Hauptform 2. Seine Klauseln umfassen
nach § 216 zwei oder drei Füße, also 5—8 Silben; er wechselt
bewußt mit den Klauselformen ab (§ 219) und wendet metrische
270 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Satz- und Periodenschlüsse nur sparsam an (§ 215 id crebrius
fieri non oportet. Primum enim numerus agnoscüur, deinde satiat,
postea cognita facilitate contemnitur). Demnach sind die Formen
5, 6 fg. bei Z. keine eigentlichen Klauseln. Ebenso suchte Cicero
offenbar, da er vom Akzente schweigt, in den Klauseln mit der
naturlichen Betonung und Aussprache durchzukommen. Wo also
der Hochton von Z. auf die vierte Silbe gesetzt oder eine Ver-
schiebung (wie in coegit) angenommen wird, liegen wahrscheinlich
ebenfalls keine echten Klauseln vor. Vermutlich ist auch die
häufigste Form 1 nicht gerade die effektvollste, so daß Cicero
nicht ohne Grund von den Formen 3 und 2 ausging. Durch das
geniale Zeichensystem, das Z. auf Grund der Integrationsklausel
_^_-_^, _, w, _ erfunden hat, wird nun die weitere Forschung
bedeutend erleichtert.
19) Zwölf Reden Ciceros dispouiert voo E. Ziegeler. Zweite Auflage.
Bremen 1904, Gustav Winter, gr. 8. 55 S. 1 Jt.
Diese Dispositionen erschienen 1899 in der Festschrift zur
45. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner und
gleichzeitig in Sonderdruck (vgl. JB. 1900 S. 143). „Sie sind
ausschließlich für den Lehrer bestimmt, der gewiß gern einmal
seine eigene Ausarbeitung mit einer fremden vergleicht". Die
neue Auflage zeigt an vielen Stellen Verbesserungen. Ungenau
ist S. 16: „Niemand hat ihn zu freier Haft angenommen". Nach
Cat. 1, 19 tu te ipse in custodiam dedisti hatte sich Catilina bei
H. Metellus (Prätor im J. 69) in „freier Haft4* befunden.
20) H. Deiter, Ciceros Leben und Schriften. Hannover 1904, Nord-
deutsche Verlagsaostalt (0. Goedel). 5 S. 8. steif geheftet. Frei-
beilage zu den Ciceroheften der Bditio Haonoverana.
21) H. Deiter, Übungen zum Obersetzen im Anschloß an Ciceros
Reden pro Roscio Amerino und de imperio Cn. Ponpet.
Hannover 1904, 0. Goedel. 18 S. 8. 0,40 J^.
22) H. Deiter, Übungen zum Übersetzen im Anschluß an Cicero*
Tuskulanen, Buch I und V. Hannover 1904, O. Goedel. 18 S.
8. 0,40 JC.
In Ciceros Lebensbeschreibung ist der Ausdruck an einigen
Stellen nicht recht klar. Z. B. Cicero „hielt 81 seine erste Rede
in einem Privatprozeß und 80 die zweite in einem Strafprozeß44,
Er hatte naturlich früher schon viele Gelegenheiten zum Reden
benutzt; es sollte heißen: seine erste noch erhaltene Rede. —
Daß Cicero 66 die Stadtprätur bekleidete, ist nicht richtig; er
leitete die quaestio de repetundis (p. Cluentio 147).
In den Übungen zum Übersetzen habe ich nichts gefunden,
das mit der richtigen Auslegung des Cicerotextes nicht vollkommen
übereinstimmen würde.
Ciceros Reden, von F. Luterbacher. 271
23) H. H. Pflb'ger, Ciceros Rede pro Q. Roscio comoedo rechtlich
beleuchtet and verwertet. Leipzig 1904, Duocker & Homblot.
160 S. 8. S,$0J6.
Kap. I behandelt die Sache, d. h. den Verlauf der Händel
zwischen C. Fannius und Q. Roscius, und die Klage des Fannius
gegen Roscius auf Bezahlung von 50 000 Sesterzen. Sternkopf
hat 1895 in den Jahrbüchern für Philologie (S. 41 — 56) nach-
gewiesen, daß dieser Prozeß wahrscheinlich 76 v. Chr. stattfand.
Pfluger kennt diesen Aufsatz nicht; er erwähnt nur juristische
Handbücher und Erklärungsschriften. „Die Klage war eine con-
dictio, genaiier eine actio certae creditae pecuniae".
Kap. II erörtert die drei möglichen Klagegründe. Cicero
spricht immer nur von pecunia certa, ohne credita, das die Juristen
aus Gaius ergänzen. Nur drei Klagegründe werden anerkannt:
Darlehen, Expensilatio oder Literalkontrakt und mündliches Ver-
sprechen, § 14 haec pecunia necesse est ant data aut expensa lata
aut stipulata stf. Pflüger handelt ausführlich über diese Worte,
die mit den Lehren der Juristen aus der Kaiserzeit nicht über-
einzustimmen scheinen. Er kommt zum Schlüsse: „Diese Worte
Ciceros, so vielfach mißverstanden und so ungerechter Weise an-
gezweifelt, sind buchstäblich richtig'4.
Er fährt fort: „Es ist gewiß nicht zu kühn, wenn wir nach
ihrem Vorbilde auch für die condictio certae rei einen ähnlichen
Satz aufstellen und sagen: die mit condictio certae rei geforderte
Sache muß sein aut data aut stipulata aut contrectata". Die
Kap. III— VIII, S. 17—100, finden sich mit den Digestenstellen
ab, die dem in Kap. II gewonnenen Ergebnis entgegenzustehen
scheinen. Pflüger erklärt sie insgesamt für interpoliert. „Ciceros
Rede pro Q. Roscio enthält den Schlüssel des klassischen Kon-
diktionenrechts44.
Von der eigentlichen Verteidigung des Q. Roscius sind nur
fünf Kapitel erhalten. Der zweite Teil der Rede Ciceros geht
über den festgestellten Prozeßgegenstand hinaus und wird § 15
als nicht nötig bezeichnet. Ich bezweifle jedoch, „daß Cicero erst
in diesem zweiten Teil seiner Rede auf die Vorgeschichte des
Prozesses und damit auf das ehemalige Gesellschaftsverhältnis
unter den Parteien zu reden kommt" (S. 117). Denn der ver-
lorene Anfang der Rede muß eine Narratio enthalten haben, worin
diese Dinge wahrscheinlich dargelegt wurden. Was nämlich § 16 f.
über die societas, § 27 f. über Panurgus gesagt ist, ist nur
Widerlegung gegnerischer Behauptungen, so daß diese stückweisen
Angaben kaum als Ersatz der narratio betrachtet werden können.
Die eigentliche Beweisführung hatte, wie schon erwähnt, nach
§ 13 drei Teile: a) Fannius hat das Geld weder selbst dem Roscius
geliehen, noch hat ein anderer (z. B. M. Perpenna oder P. Saturius)
auf Fannius' Anweisung hin es dem Roscius gegeben; b) Fannius
hat es nicht auf Anweisung (iussu) des Roscius an einen dritten
272 Jahresberichte d. Pfailolog. Vereins;
ausbezahlt; c) Roscius hat es ihm nicht stipuliert. Der erste Teil
fehlt ganz; auf ihn beziehen sich offenbar die Worte in § 3:
paulo ante M. Perpennae, P. Saturii tabulas poscebamus. Was
Pfluger S. 107 über diese Eintragung in fremde Geschäftsbücher
sagt, ist mir nicht glaublich. Nach ihm war sie „nur eine eigen-
tumliche Form, um die Einwilligung des Schuldners, die zu diesem
Zwecke natürlich dem Dritten gegenüber erklärt sein mußte, zu
bezeugen". Er sieht in dieser Eintragung nicht einen Beweis für
eine Zahlung an den Schuldner, sondern nur für dessen An-
weisung zur Zahlung auf seine Rechnung an einen seiner Gläubiger
(expensilatio). Dem widersprechen die Worte: nunc tuas soliw
flagitamus.
Kap. IX sucht den vermutlichen Klagegrund zu finden. Cicero
erklärt bestimmt, daß der Klager keine stipulatio behaupte (§ 14
qnis spopondisse me dicü? Nemo). Gleichwohl nimmt Pflöger an.
Fannius habe sich auf eine Stipulation berufen. „Weil er den an
erster Stelle vorgebrachten wirklichen Klagegrund, das Süpulations-
versprechen des Roscius, nicht beweisen konnte", versuchte er
dann einen Literalkontrakt zu behaupten (§ 5 hoc nomen m ad-
versariis patere contendü).
Kap. X und XI erörtern den zweiten Teil der Rede. Cicero
nennt ihn eine Ehrenrettung für Roscius: natürlich sollte auch
die Sache selber dabei gewinnen. „Und so ist es denn, als hätte
Cicero gewissermaßen das RJatt Papier, auf dem die Geschichte
des Vergleiches geschrieben stand, in tausend kleine Stöcke zer-
rissen'4. In § 16 soll Cicero dem Richter einen Wink geben, daß
die 50000 Sesterze eine Schuld ex liberalitate seien, mit der er
es nicht genau zu nehmen brauche. In Wirklichkeit erklärt Cicero
4 16, er wolle untersuchen, ob Fannius die 50000 Sesterze als
eine Schuld ex societate fordern könne oder ob sie ihm als Ge-
schenk verheißen worden seien. § 16 — 56 weisen nun nach,
daß eine Schuld ex societate nicht annehmbar sei. Folglich muß
der fehlende Schluß davon gehandelt haben, ob Roscius verpflichtet
sei, die geforderte Summe ex liberalitate zu bezahlen. Hätten
wir noch die vollständige Rede, so wurden Pflöger und die Rechts-
gelehrten über viele Punkte anders urteilen. Nun aber ist es
unmöglich zu erraten, wie Cicero am Schlüsse seiner Rede die
vom Richter zu beantwortende Frage formuliert bat. Daß nicht
bloß eine Geldsumme, sondern auch der gute Ruf des Roscius
auf dem Spiele stand, geht schon aus der Lange des zweites
Teiles der Rede hervor.
Der verwickelte Handel zwischen den beiden Parteien hatte
sich folgendermaßen abgespielt. Einige Jahre vor dem Bundes-
^enossenkriege übergab C. Fannius Chaerea dem Schauspieler
Q. Roscius einen Sklaven Panurgus, der fast 4000 Sesterze wert
war, zur Ausbildung. Die Zahl HS IUI oo steht in § 28 und 29
•dreimal. Pfluger nimmt S. 144 mit Momrnsen (Hermes 1885
"i
Ciceros Reden, von F. Luterbacher. 273
S. 317) an, es sei herzustellen HS I33oo, 6000 Sesterze. Cicero
sagt: Ex qua parte erat Fannii, tum erat HS ////oo, ex qua parte
erat Roscii, amplius erat HS CCCIOOO; nam illa membra merere
per se non amplius poterant duodecim aeris, disciplina, quae erat
ab hoc tradita, locabat se non minus HS CCCIOOO. Wie mir
scheint, wird der Jahreslohn eines guten Schauspielers als Anteil
des Roscius, der jährliche Verdienst eines Arbeiters mit 12 Sesterzen
Taglohn, annähernd 4000 Sesterze, als Anteil des Fannius gesetzt.
Für diesen Wert behielt sich Fannius einen Anteil an dem Gewinn
aus der Schauspieler tätigkeit des Panurgus vor. Nachdem aber
der Sklave von Roscius in dessen Hause ausgebildet worden und
nur kurze Zeit auf der Bühne tätig gewesen war, wurde er von
Q. Flavius ermordet.
Fannius belangte den Flavius für sich und als Vertreter des
Roscius um Schadenersatz, verlangte aber offenbar zu viel. Flavius
fand sich zunächst mit dem verständigeren Roscius ab, indem er
ihm ein Feld übergab, etwa 91 v. Chr., 15 Jahre vor Ciceros Rede
für Q. Roscius, § 37 abhdnc annis XV. Nach 12 Jahren erst er-
hob Fannius den Anspruch auf Miteigentum. Es ist sonderbar,
daß Roscius so lange im Besitze seines Gutes unangefochten blieb
und Cicero, wie es scheint, hieraus nicht den Schluß auf Ver-
jährung der Ansprüche des Fannius zog. Hotmann änderte daher
die Zahl XV in IV. Pflüger S. 153 verwirft diese Änderung mit
Recht, da die Verbesserungen auf dem Gute § 33 lange Zeit er-
forderten und die Sache § 38 schon im J. 79 als tarn vetus be-
zeichnet wird.
Fannius schätzte das dem Roscius übergebene Gut nach § 33
auf 100 000 Sesterze. Diese Zahl soll nach Pflüger S. 152 falsch
sein. Mommsen glaubte nämlich in Hss. noch das Zeichen SD
(= 500000) davor zu bemerken. Es kann jedoch keine Rede
davon sein, daß das Gut bei der Übergabe an Roscius 600000
Sesterze wert war. Denn 1) legt Cicero § 28 — 29 dem Unter-
richt des Roscius dreimal einen Wert von 100 000 Sesterzen bei;
2) behauptet er § 33, Roscius habe decisionem re et veritate
mediocrem et tenuem gemacht; 3) hätte sich Fannius ohne Zweifel
für sich und Roscius zusammen mit diesem Preise begnügt.
Während des Bundesgenossen- und des Bürgerkrieges gelang
es Fannius nicht, etwas von Flavius zu bekommen. Unter Sullas
Diktatur verlangte er Entschädigung von Roscius, dessen Gut
durch allgemeines Steigen der Grundstückspreise infolge Wieder-
herstellung der öffentlichen Sicherheit, durch sorgfältige Bewirtung
und den Bau einer Villa einen viel höheren Wert erlangt hatte.
Fannius rechnete in seinen adversaria nach, daß ihm eine Ent-
schädigung von 100000 Sesterzen vonseiten des Roscius gehöre.
Von dieser Eintragung in die Adversaria bis zu Ciceros Rede
verfloß amplius triennium, wie § 8 und 9 dreimal gesagt wird.
Es kam zu einer schiedsgerichtlichen Entscheidung durch den!
Jahresbericht« XXXL 18
J74 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
bekannten Aristokraten C. Piso (vgl. Pauly-Wissowa III Sp. 1376),
nach § 37 ein triennium vor Ciceros Rede. Piso führte eine Ver-
ständigung herbei, ein compromissum. Pflöger meint S. 122, daß
Cicero § 12 die Zuhörer verwirre (quaero abs te, quid ita de Im
pecunia, de his ipsis HS IOOD, de tuarum tabularum fide coaqiro-
missum feceris, arbürum sumpseris), da die im gegenwärtigen
Judicium geforderten 50 000 Sesterze nicht Gegenstand, sondern
nur die Frucht des früheren arbitrium seien. Da Piso den
Roscius freisprach, so entschied er wirklich, daß die ganze von
Fannius in den Adversaria berechnete Forderung von 100 000
Sesterzen, also auch eine Forderung von bloß 50 000 Sesterzen,
rechtlich nicht begründet scheine. Gleichwohl bat er Roscius
(§ 38), da er durch die Bemühungen seines Vertreters Fannius
zu seinem jetzt so wertvollen Gute gelangt sei, dem Fannius die
100 000 Sesterze zu geben, mit dem Vorbehalt, daß er, wenn
Fla vi us noch einen weiteren Betrag bezahle, hiervon die Hälfte
erhalte. Statt 100 000 vermutete Lambin 15000, Manutius 1000".
Ernesti 5000. Pflüger weist diese Änderungen S. 145 zurück.
Über die Vorgänge bei diesem compromissum hat man sielt
die verschiedensten Meinungen gebildet, zumal sich in § 25 eine
Lücke findet. Cicero meint, da Fannius nicht das arbitrium pro
socio durchführte, habe er den Roscius von frans frei erklärt
nihil hunc pro socio fraudis fecisse iudieavisti. Darauf wird die
Erklärung des Fannius gefolgt sein: Roscius entging der Ver-
urteilung durch den Schiedsrichter, indem er mit mir pactiow*
schloß. Wegen des Folgenden kann es nicht exceptionem geheißen
haben, wie Pflüger S. 125 meint: Hat der Vergleich Zeugen oder
nicht? Testes (Sternkopf, Hss. tabulas) habet an non? Si w
habet, quem ad modum pactio est? si habet, cur non nominas?- ■ •
Venisti domum ultro Roscii, satis fecisti; quod temere commisisti, i»
iudicium ut denuntiaret, rogasti, ut ignosceret; te affuturum negotii*
debere tibi ex societate nihil clamitasti. Iudici hie denuntiatio, A-
solutus est. Nach Pflüger S. 111 schildert Cicero hier, „wie die
beiden vereinbart hätten, Roscius solle dem iudex Mitteilung
machen, Fannius dagegen im Termin ausbleiben, und wie Rosaas
auf diese Weise seine Freisprechung durch den iudex erlangt
habe . . . Roscius hatte dem Fannius sagen lassen, daß er den
Vergleichsvorschlag des arbiter annehme. Ist dies aber richte
dann gehen wir wohl auch nicht fehl mit der Annahme, daß damals.
im Hause des Roscius, auch der von Cicero geleugnete Abschluß
des Vergleichs durch Eingehung der gegenseitigen Stipulation statt-
gefunden hat4*. Demgegenüber bin ich überzeugt, daß dem iudex
die Forderung des Fannius klipp und klar vorgelegt wurde und
Fannius nur deswegen zu Roscius lief, weil er einsah, daß Roscius
von einer Schuld freigesprochen werden würde.
Auf Pisos Bitte versprach Roscius, dem Fannius unter ge'
wissen Bedingungen in zwei Terminen je 50000 Sesterie *"
ii
Ciceros Reden, von F. Luterbacher. 275
schenken. Aber ex iuris peritorum consilio et auctoritate (§ 56)
nötigte er Fannius zur Restipulatio: quod a Flavio abstulero, partem
dimidiam inde Roscio me soluturum spondeo (§ 37). Pfluger meint
S. 113, Fannius habe nach dem Vergleiche „in der Freude seines
Herzens ganz vergessen, sich den Beweis des abgeschlossenen
Vertrages zu sichern. Roscius dagegen, im eigenen Hause und
von Freunden und Freigelassenen umgeben, war vermutlich sofort,
nachdem Fannius davongestürmt war, so vorsichtig gewesen, mit
Hilfe der Anwesenden jene Urkunde aufzunehmen". Das ist un-
glaublich. Roscius bezahlte 50 000 Sesterze an Fannius. Dann
aber vernahm er, daß Fannius 100 000 Sesterze von Flavius er-
halten habe, und verweigerte eine weitere Zahlung. Pfluger meint,
Roscius habe nicht aufrechnen können, da die Aufrechnung erst
lange nachher möglich geworden sei. Nach Cicero § 51 dagegen
hatte er sein Versprechen so verklausuliert, daß für Fannius mit
der Zahlung des Flavius auch der Anspruch auf die erste Zahlung
des Roscius, wenn sie noch nicht erfolgt gewesen wäre, zweifel-
haft war. Da Flavius bald starb und der Ritter Cluvius, der seine
Zahlung an Fannius als Richter vermittelt hatte, nach § 47 nicht
Zeugnis hierüber ablegen durfte, leugnete Fannius den Empfang
der 100000 Sesterze ab.
Nach Pfluger S. 155 untersuchte der Schiedsrichter eigentlich
nicht, ob Roscius zur Teilung mit Fannius verpflichtet sei, sondern
riet einfach zur Teilung unter der Bedingung, daß der damalige
Wert des Grundstuckes auf nicht mehr als 200000 Sesterze an-
gesetzt und Fannius für eine Entschädigung durch Flavius eben-
falls zur Teilung verpflichtet sei. Cicero dagegen sagt, Roscius
sei freigesprochen worden und Piso habe um Vergütung für Fannius
gebeten pro opera ac labore, quod cognitor fuisset, quod vadimonia
obisset.
Da also Roscius, gestützt auf eine durch zwei Senatoren be-
zeugte Aussage des Cluvius, jede weitere Zahlung an Fannius ver-*
weigerte, forderte dieser 76 v. Chr. von ihm durch eine Klage vor
dem Gerichte desselben Piso 50000 Sesterze. Die Klage war
verbunden mit einer sponsio tertiae partis. Ober die Bedeutung
dieser sponsio sind die Juristen uneinig. Sie konnte wohl nur
vom Kläger verlangt werden, und Cicero wirft daher § 12 dem
Fannius vor, er habe den Richter in angustissimam formulam
sponsionis eingeengt. Daraus schloß Kariowa, daß die formula
sponsionis der Angelpunkt unseres Prozesses gewesen sei. Pflüger
dagegen sagt S. 10: „Die sponsio war ohne Zweifel so gefaßt, daß,,
wenn der Beklagte schuldig befunden wurde, auch zugleich die
Bedingung der Sponsion erfüllt war, wogegen die Freisprechung
im Hauptprozeß auch die Freisprechung im Sponsionsiudicium.
nach sich zog". Ehe der Prozeß eingeleitet wurde, mußte der Be-
klagte spondieren; „denn vielleicht ließ er sich durch die drohende
poena noch in zwölfter Stunde vom Prozeß abschrecken44.
18*
276 Jahresberichte d. Philelog. Vereins.
Aus Verrine III § 135 — 140 geht hervor, daß bei der Sponsion
die unterliegende Partei der siegenden die spondierte Summe zu
bezahlen hatte. P. Scandilius als Kläger nötigt den Apronius als
Beklagten zur Sponsion um 5000 Sesterze und muß dann quin-
que illa milia nummum dare atque adnumerare Apronio. Da also
die sponsio dem Kläger ebenso Nachteil bringen konnte wie dem
Beklagten, so war sie nicht bloß eine Schikane, um den Beklagten
einzuschüchtern, sondern auch ein Mittel, um ein genau bestimmtes
Verfahren ohne Verschleppungen zu sichern, und wurde deshalb
von Mommsen (zu Verr. V 141 Halm) mit dem modernen Wechsel
verglichen. Der Richter entschied formell über die sponsio; da-
durch wurde aber klargestellt, wie er die Prozeßsache beurteile.
§ 14 pecunia petita est certa; cum tertia parte sponsio facta
est. Roscius versprach die tertia pars für den Fall des Unter-
liegens, ebenso Fannius; die zwei partes tertiae stritten gegen-
einander; cum scheint zu stehen wie bei pugnare, certare. Pfluger
vermutet S. 10: cuius tertiae partis sponsio facta est. Richtiges
Latein wäre in qua tertiae . . . est (vgl. § 10 in qua legitimae partis
sponsio facta est).
S. 113 liest man: „Man beachte, wie er jene Restipulations-
urkunde zwar verlesen, aber keinen Zeugen darüber aussagen läßt".
Cicero fragt ausdrücklich (§ 38): Quis est huius restipulcUionis
scriptor, testis abiterque? Antwort: Tu, Piso. Pfluger behauptet:
„Piso, der die Stipulation aufgesetzt hatte, wird damit nur als
Zeuge des Wortlautes der Stipulation aufgeworfen, nicht ihres Ab-
schlusses4'. Dafür genügte scriptor; testis meint offenbar, daß der
Richter Piso dieses Versprechen im Einverständnis mit Fannius
niederschrieb. Fannius leugnete es gar nicht ab, und nach Pflüger
konnte er es nicht leugnen; denn er berief sich auf seine ad-
versaria, „wo er Roscius, natürlich als Stipulationsschuldner, mit
100000 Sesterzen angemerkt hatte". Ich glaube freilich nicht,
daß man patere § 5 so auffassen darf.
Das richtige Verständnis unserer Rede ist nur möglich, wenn
man sich klar ist, daß der Richter nicht die Hauptsache zu ent-
scheiden hat, wie Pflüger meint, sondern die Sponsion. Die
angustissima formula sponsionis schrieb dem Richter Schritt für
Schritt genau vor. Daher hatte Cicero bloß zu beweisen, daß
Fannius seine Forderung weder auf ein Darlehen noch auf einen
Literalkontrakt noch auf eine Stipulation gründen könne. Nun
hatte aber Saturius, der Anwalt des Klägers, Dinge vorgebracht,
die hier nicht zu entscheiden waren. Darüber beklagt sich Cicero
§ 25: Der arbiter hat die Frage, ob Roscius eine fraus begangen
habe, nicht definitiv entscheiden können; der durch die formula
sponsionis gebundene iudex aber hat de ea re nullum arbitrium,
er darf sein Urteil hierdurch nicht beeinflussen lassen. Gleichwohl
kann Cicero die seinem Klienten gemachten Vorwürfe nicht un-
beantwortet lassen.
Ciceros Reden, voo F. Luterbacber. 277'
Baron hat richtig erkannt, daß es sich in § 17 — 56 um
nichts anderes handelt als „um die Begründung der klägerischen
Forderung aus der Sozietät4', und wir dürfen über diese Ansicht
keineswegs mit Pflöger S. 117 „zur Tagesordnung übergehen".
Saturius behauptete (nach § 19): Roscius socium fraudavit. Cicero
untersucht 1) qws quem § 17—21; 2) qua de causa § 22—24;
3) cur nm arbitrwn pro socio adegeris Q. Roscium § 25; 4) num
Roscius pactionem fecerit § 25 — 26; 5) quae conditio societatis
fuerit § 27—31; 6) utrum Roscius cum Flavio de sua parte an
de tota societate fecerit pactionem § 32—51; 7) num id, quod
Roscius sibi exegit, commune societatis factum sit § 52—56.
Aus Pflugers Buch ersehe ich, daß die Rechtsgelehrten sich
über diese Rede viele unrichtige Vorstellungen gemacht haben.
Da Anfang und Schluß der Rede fehlen, § 25 eine Lücke bietet,
Ironie häufig und vieles einzelne unklar ist, so muß man das Er-
haltene wiederholt mit gespannter Aufmerksamkeit durchlesen,
um einen Einblick in den Gedankengang zu gewinnen.
24) Emilio Costa, Le orazioni di diritto privato di M. Tullio
Cicerone. Bologna 1899, Ditta Nicola Zanichelli. 109 S. 8.
Dieses erst spät zu meiner Kenntnis gelangte, von H. H. Pfluger
nicht erwähnte Buchlein handelt in vier Abschnitten über Ciceros
Reden pro P. Quinctio, pro Q. Roscio, pro Tullio und pro Caecina.
Bei jeder Rede werden die vorhandenen Erklärungsschriften in
großer Zahl angeführt.
Für die Rede pro Quinctio wurde das Oldenburger Programm
von W. Oetling (1882; vgl. JB. 1883 S. 30—34) von Costa nicht
benutzt; im übrigen scheinen mir seine Auseinandersetzungen
richtig.
Weniger befriedigt seine Abhandlung über die Rede für
Quinctius' Schwager, den Schauspieler Q. Roscius, S. 29 — 51.
Dieser hatte nach Costa S. 34 dem Fannius 100 000 Sesterze
verheißen 'in seguito all' arbitrium pro socio, con che parecchi
anni innanzi (quindici, secondo i manoscritti; quattro secondo
l'emendazione delF Otomanno) Faveva convenuto'. Man erstaunt
über diesen unglücklichen Satz. Vor 15 (nach Hotmann 4) Jahren
hatte Roscius von Flavius ein Landgut erhalten. Vor drei Jahren
aber (§ 37) vermittelte C. Piso zwischen Fannius und Roscius,
nach § 26 als ein von den beiden Parteien berufener arbiter ohne
richterliche Gewalt, nicht als gerichtlich bestellter arbiter pro
socio mit entscheidendem Urteil.
Nach S. 35 verlangte Fannius von Roscius beim arbitrium
50 000 Sesterze als die Hälfte des Wertes der von Flavius dem
Roscius durch Überlassung des Landgutes geleisteten Entschädigung;
Piso aber riet dem Roscius, er solle dem Fannius das Doppelte
geben und ihm das Versprechen abnehmen, wenn Flavius noch
eine weitere Entschädigung leiste, solle sie beiden gleichmäßig
278 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
gehören. Da Roscius hiermit einverstanden zu sein erklärte, lief
Fannius erfreut zu ihm in sein Haus, dankte ihm und verhalf
ihm zur Freisprechung; Roscius aber zahlte ihm nun doch nur
50 000 Sesterze. Cicero erklärt ausdrücklich § 26, daß er frei-
gesprochen wurde, quod erat summa innocentia et integritate. Nach
§ 16 ist die Streitsumme eine solche, quae ex liberalitate Roscii
promissa sit et ostentata. Costa vergißt, daß hierüber in dem
verlorenen Schlüsse ausfuhrlich gehandelt wurde.
Gut ist S. 41 der Hinweis auf einen ähnlichen Rechtshandel
bei Val. Max. 8, 2, 2: C. Aquüius adhibitis in consilium principibui
civitatis erklärte eine Stipulation für nichtig, wahrscheinlich 81
v. Chr., da C. Aquilius Vorsitzender des Gerichtes im Prozeß des
P. Quinctius war.
Unrichtig scheint auch der Satz S. 43: (Nel caso di Fannio,
gl' indizi consistevano appunto, secondo che questi asseriva, nelle
annotazioni del credito sui libri di terzi' samt der daran ge-
knöpften Erörterung. Baron meinte nämlich, Fannius habe be-
hauptet, daß seine Forderung der 100000 Sesterze in die Ge-
schäftsbücher des Perpenna und Saturius eingetragen sei. Nach
Pflüger S. 105 hatte Ciceros Verlangen nach Vorlegung dieser
Codices „nur dann Sinn, wenn Fannius dergleichen nicht be-
hauptet hatte. Denn es wäre doch zu töricht von ihm gewesen,
so etwas zu behaupten, wenn er es nicht beweisen konnte. Konnte
er es aber beweisen, so war der Beweis um so leichter zu er-
bringen, als Perpenna und Saturius beide gegenwärtig waren,
Perpenna als rechtlicher Berater des Piso, Saturius als des Fannius
Fürsprech. Darum ist es sehr unwahrscheinlich, daß Cicero in
die Lage gekommen sein sollte, an die Vorlegung so wichtiger
Beweismittel seitens des in Beweisnöten befindlichen Fannius noch
erinnern zu müssen".
Die beiden langwierigen Prozesse des M. Tullius und des
A. Caecina, die wir nur aus Ciceros Reden bei den Schlußverband-
lungen kennen, veranschaulichen die Mangelhaftigkeit der gesetz-
lichen Ordnung des Eigentumsrechtes. Ist auch die Rede für
Tullius sehr lückenhaft, so sagt doch § 7 deutlicher, als es bei
Costa geschieht, daß das Rekuperatorengericbt den Schaden be-
stimmen sollte, den ihjn P. Fabius durch Verwüstung seines Be-
sitzes in der Centuria Populiana bei Thurii zugefügt hatte. Ich
vermisse bei Costa eine Erklärung der Worte (§ 7) iudicium dato*
est in quadruplum.
Die Auseinandersetzungen über die Rede pro Caecina scheinen
sorgfaltig und überzeugend. Doch hätte das Interdikt des Prätors
Dolabella, das der Sponsio des Aebutius und des Caecina zugrunde
lag und auf dessen buchstäblichen Sinn der Verteidiger C. Piso
sich versteifte, genauer fixiert werden können. Es hieß etwa:
Unde tu, Sex. Aebuti, vi hominibus coactis armatisve aut fawäto
mit procurator tuus A. Caecinam aut familiam aut procuratorem
i
Ciceros Reden, von F. Laterbacher. 279~
A. Caecinae in hoc anno deiecesti, eo restituas. — § 19 cum iste
sextulam suam nimium exaggeraret, nomine heredis arbitrum familiae
kerciscundae postulavit] Es ist unmöglich, mit Costa S. 80 den
Caecina als Subjekt bei postulavit anzunehmen; denn im folgenden
Satz ist Aebutius Subjekt, ohne daß er genannt oder durch ein
Pronomen angedeutet wird. Es war eine Überhebung des Aebutius,
da ihm nur V73 der Erbschaft gehörte, die Teilung per arbitrum
zu fordern. — Mit Costa gebe ich dem Aebutius und seinen Ver-
teidigern entschieden unrecht. Caesennia besaß ein Gut; von
einem anstoßenden Gut gehörte ihr der größere Teil durch ein
Legat des Sohnes, von dem Rest der Ususfructus. Da ist es un-
glaublich, daß sie dieses ganze zweite Gut verkaufte, aber sich
lebenslänglich den Ususfructus vorbehielt. Dieser lebenslängliche
Besitz ist ein Beweis, daß sie den Rest erworben hatte, um für
Verbesserung der Gebäude, Wege, Wasserleitungen freie Hand zu
haben. Dazu hatte Aebutius bei ihrem Tode unterlassen, den
Colonus in Kenntnis zu setzen (§ 94), daß er der Eigentumer
des Gutes sei und jener in keinem Rechtsverhältnis zu Cäcina
stehe (S. 102).
25) Karl Hacbtmann, Die Verwertung der vierten Rede Ciceros
gegen C. Verres (de signis) für Unterweisungen in der
antiken Kunst Zweite, sorgfältig durchgesehene Auflage. Gotha
1904, F. A. Perthes Aktiengesellschaft. XII u. 64 S. 8. 1,20 Jt.
Der Inhalt dieser kunstgeschichtlichen Schrift, die 1895 als
Beigabe zum Programm des Gymnasiums zu Rernburg erschien,
wurde in diesen JB. 1897 S. 75 skizziert. Da die Schrift Anklang
fand und bald vergriffen war, so ist sie nun in kleinerem Format
und mit geringen Änderungen dem Buchhandel übergeben worden.
Sie bietet den Lehrern der oberen Gymnasialklassen ein treffliches
Hilfsmittel, beim Unterricht in der alten Geschichte und den alten
Sprachen in den Schulern Verständnis und Interesse für die antike
Kunst zu erwecken. Ebenso können Studierende an Hochschulen
aus der Lektüre dieser Rede Ciceros unter Benutzung der Schrift
Hachtmanns reiche Belehrung ziehen. — S. 41. Der berühmte
Tempel von Ägina, den Roß für einen Athenetempel hielt, war,
wie die bayerischen Ausgrabungen von 1901 erwiesen haben, der
Aphaia geweiht. — S. 44. Mende lag auf der Halbinsel Pallene.
Kleon siegte auf Sphakleria 425.
26) Pra'paration nebst Übersetzung zu Ciceros erster Rede gegen
Ka tili na. Von einem Schulmann. Düsseldorf 1903, L. Schwannsche
Verlagshandlang. 70 S. 16. 0,50 ./£.
Die Übersetzung und Präparation sind eine selbständige Arbeit,
doch nach einem veralteten Text, zudem durch arge Druckfehler
entstellt. Daß sie anonym erschienen, hat seinen Grund wohl
darin, daß das kleine Format und der geringe Umfang dem Schüler
rinen den Lehrern nicht erwünschten Gebrauch nahelegen.
280 Jahresberichte d. Pbilolog. Vereins.
§ 1. sc iactare „dahinstürmen; das Bild ist vom Rosse ge-
nommen". — § 4. intercessit „sie trat zwischen Beschluß uwi
Ausführung4'. — § 8 noctem illam superiorem „jene vorletzte
Nacht", priore nocte „in der vergangenen Nacht". Die beiden
Ausdrucke sind synonym: es ist die Nacht vom 6. zum 7. November.
— § 20. non referam, id quod abhörtet a meis moribus „Ich werde
nicht berichten, da es meinem Charakter widerstrebt". Der Sinn
dieser Worte ist den Herausgebern (Halm, Eberhard, Hachtmann)
nicht klar. § 2 heißt es von Catilina: in senatum venu, notat ü
designat oculis ad caedem unum quemque nostrum. Cicero hatte
wohl den auf ihn gemachten Mordanschlag abwehren können; er
hatte Truppen zur Verfügung. Die Senatoren dagegen waren
gegen Überfälle nicht geschützt. Wagte einer dafür einzutreten,
daß Catilina in die Verbannung gehe, so gab Catilina Weisung,
diesen Senator zu ermorden. Dem Cicero war es also zuwider,
den gutgesinnten Senatoren unnötigerweise zuzumuten, daß sie
sich Catilinas Zorn zuziehen sollten. — § 24. quid ego te Mm
„coni. concess. zum Ausdruck einer Annahme oder Voraussetzung".
Es ist Coniunctivus dubitativus. — § 25. manum conflatorum m-
proborum ex perdilis. Es soll heißen: manum improbomm cm-
flatam ex perdüis. — § 30. mollibus sententiis „durch milde Urteile,
die sie über ihn fällten, wenn er angeklagt war". Die Worte
beziehen sich wohl auf Verhandlungen im Senat, welche die Ver-
schwörung betrafen.
27) Romuald Banz, Die Würdigung Ciceros in Sallnsts Ge-
schichte der catilinarischen Verschwörung. Eiosiew*
1904, Benziger & Co. 23 S. 4.
Sallust war ein Feind der Aristokraten und der Demokraten.
Er war ein Anhänger Cäsars und blieb diesem auch nach seine®
Untergang ergeben. Die republikanische Verfassung und ihr Ver-
fechter Cicero waren ihm verhaßt. Auch nach Ciceros Tode hat
er es nicht über sich gebracht, seine Verdienste um den Staat
anzuerkennen. Den konservativen Aristokraten Cato, der noch
heftiger als Cicero den Cäsar gehaßt hatte, hat er verklärt und
ins Reich der Ideale erhoben. Dem Cicero dagegen erteilt tf
nirgends ein ehrliches Lob; er setzt ihn neben dem Hauplhdden
Catilina zu einem bloßen Statisten herab und entkleidet ihn jeg-
licher Bedeutung. Er führt ihn Kap. 22 mit der gehässigen Er-
innerung an die Hinrichtung der Catilinarier und dem Vorwurf
hämischer Verleumdung ein und läßt ihn unmittelbar nach ^
Schilderung der Hinrichtung und der Schrecken des Tullianuro*
vom Schauplatz verschwinden. Er hat mehrere wichtige BaD"'
hingen Ciceros geflissentlich übergangen. Er verschweigt, d*0
Cicero im August 63 den Anschlag Catilinas auf seine Milbewerber
um das Konsulat für 62 vereitelte. Er erwähnt nicht, daß Cicero
den Senat und den Ritterstand nach 20 jährigem Hader versöhn^
~*
---H
Ciceros Reden, von F. Luterbacher. 281
Er übergeht, daß Cicero am 21. Oktober dem Senat Aufschlösse
über die Verschwörung gab, daß er am 28. Oktober den Mord-
anschlag auf die Optima ten, am 1. November die Überrumpelung
von Präneste verhinderte. Er erwähnt nicht, daß Cicero nach
dem Auszuge Catilinas durch die zweite catilinarische Rede seine
Anhänger in Rom auf andere Gesinnungen zu bringen suchte und
daß er die Landstädte in Kenntnis setzte und ermahnte. Nach
der Ergreifung der Verschwörer redet er nur vom Beifall des
Pöbels, aber nicht von der großartigen Ehrung und dem mehr-
tägigen Dankfest, wodurch der Senat Ciceros Verdienste anerkannte.
Die vierte catilinarische Rede Ciceros wird mit keiner Silbe be-
rührt, während dem Cäsar, dessen Anteil an der Unterdrückung
der Verschwörung fraglich ist, eine glänzende Rede in den Mund
gelegt wird. Sallust verschweigt auch, daß nach der Hinrichtung
das Volk Cicero als Vater des Vaterlandes begrüßte, ihn im
Triumph heimgeleitete und dadurch die Hinrichtung hilligte.
Sodann hat er die Reihenfolge der Begebenheiten zu Ciceros
Ungunsten gefälscht. Er erzählt die Versammlung in Laecas Haus
und den Mordanschlag auf Cicero viel zu früh, als ob sie haupt-
sächlich das senatus consultum ultimum vom 22. Oktober ver-
anlaßt hätten. Sie waren vielmehr schuld an der Senatssitzung
vom 8. November und an der ersten catilinarischen Rede, die
Cicero nach Sallust unbesonnen, nur aus Zorn oder Furcht wegen
Catilinas Erscheinen, gehalten haben soll. Sallust legt Catilina
(gegen Cic. Or. 129 obmutuit) eine Antwort bei, die er lange vor-
her dem Cato gegeben hatte. Nach ihm hat Cicero den Catilina
ohne Veranlassung gezwungen, Rom zu verlassen und Krieg zu
beginnen, während in Wirklichkeit die erste und zweite catili-
narische Rede dem Catilina die Hoffnung nahmen, sich noch länger
im Hintergrunde halten zu können, Senat und Volk von ihm
trennten, die Verbreitung des Aufstandes über Italien verhinderten
und seine Unterdrückung erleichterten. Die Art, wie Sallust die
allobrogischen Gesandten wegen der Verschwörung mit Cicero
verhandeln läßt, ist nicht glaubwürdig; Cicero hat schwerlich je-
mals mit ihnen über diese Sache gesprochen, bis Murena sie ihm
am Morgen des 3. Dezember vorführte (de domo 134). Die Ober-
gehung der Rede Ciceros in der Sitzung vom 5. Dezember wird
noch gesteigert durch die nur gelegentliche Berührung des An-
trages von Nero, da es doch leicht war, die Reden in ihrer wirk-
liehen Folge (Silanus, Cäsar, Cicero, Nero, Cato) vorzuführen.
Sallusts Catilina ist ein historischer Roman, nicht ein eigent-
liches Geschichtswerk, wie schon die Gründung Roms durch Äneas
verrät (6, 1). Er rückt darin Cicero gewaltsam von seinem ge-
schichtlichen Platze, entzieht seinen wichtigsten Handlungen durch
Umstellung der Tatsachen den Boden, verschweigt seine Verdienste,
soviel er kann, und versetzt ihm, wo er notgedrungen von ihm
reden muß, mit jedem Satz einen Nadelstich. Sein Catilina ist
282 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
ein Meisterstuck in der Kunst, einen großen Gegner unter dem
Scheine historischer Treue erbarmungslos zu vernichten.
Zielinski glaubt (S. 813), daß Sallust Kap. 44 den Lentulus-
Brief in originaler Fassung wiedergebe, Cicero (III 12) ihn klausel-
gerecht zugestutzt habe. Cicero zitiert aus dem Gedächtnis, hat
aber den Brief unmittelbar vorher verlesen hören; Sallust schrieb
20 Jahre später. Die Worte cogita, quem in locum sis progressns
bei Cicero sind passend. Die Worte fae cogites, in quanta calami-
tate sis scheinen nicht original zu sein.
28) Friedrich Cauer, Ciceros politisches Deoken. Eio Versach.
Berlin 1903, Weidmannsche Buchhandlung. VI u. 148 S. gr. S.
3,60 JC.
Ober dieses Buch verweise ich auf die Besprechung von
F. Aly in der Zeitschr. f. d. GW. 1904 Heft 1. Ohne Cauers Buch
zu kennen, hat Banz sich ober die Sache folgendermaßen ge-
äußert: „Cicero hatte auch politische Wandlungen durchgemacht.
Näher betrachtet zeigen sie sich freilich nicht sowohl als Ände-
rungen in seinen Grundsätzen, denn vielmehr als Ruckschläge der
Schwankungen inmitten der ihn umgebenden Parteien. Seine
Gesinnung blieb unentwegt die gleiche. Denn was er wollte,
immer und überall, war das Wohl des Vaterlandes und dessen
historische Grundlage, die republikanische Verfassung. Seine Partei
waren die boni, die Freunde des Vaterlandes, ob er sie nun unter
den Demokraten oder Aristokraten zu suchen hatte . . . Wie er
die politische Laufbahn betritt, droht Sullas Militärherrschaft im
Bunde mit den aristokratischen Koterien die alte Freiheit zu
brechen; und kühn nimmt Cicero seinen Platz unter den eifrigsten
Demokraten. Und wie diese, zum Siege gelangt, kein Maß kennend
die Verfassung im Chaos einer allgemeinen Anarchie zu begraben
sich anschicken, sehen wir ihn an der Spitze einer von ihm ge-
bildeten konservativen Mittelpartei, und als diese dem Demagogen-
tum gegenüber sich zu schwach erweist, in den Reihen des Senates,
der eben noch bekämpften Aristokratie. Während des Bürger-
krieges unentschieden, neigt er sich nach dessen Austrag zu Cäsar,
solange er hofft, dieser werde die republikanische Freiheit wieder
herstellen; gezwungen, seinem Traume zu entsagen, bricht er
entschieden mit dem Usurpator und endet als dessen erklärter
Feind und Gegner4'.
29) Albert tirumme, Kritisches und Exegetisches zo Ciceros
Sestiana. Gera 1902. 8 S. 4.
§ 6 liest Halm nach Mommsen: duobis hü gravissimis <suroma«)
antiquitatis vitis sie probatus fuit. Grumme billigt die Einfügung
des Wortes summae, verwirft aber gravissimis als Glossem tu
summae antiquitatis. Besser gefällt mir Weidners Lesung: gravis-
simis antiquae severitatis viris. Das Substantiv antiquitatis scheint
*i
Giceros Reden, von F. Luterbacher. 283
unhaltbar. — § 15 möchte Grumme lesen: fuerat ille annus tarn
(funestus) in re publica, iudices, cum (vgl. § 59 ittius funesti anni).
Er sucht nachzuweisen, daß das Jahr 58 v. Chr. gemeint sei.
Dann sind aber die Worte „jenes Jahr war bereits unheilvoll ge-
wesen41 unpassend, da erst der Satz mit cum die verderblichen
Begebenheiten erwähnt (und zwar offenbar Vorfalle aus dem
Jahre 59). Deshalb las Koch: funestus ille annus tarn impendebat
rei publicae. Ich sehe keinen andern Ausweg aus diesen Schwierig-
keiten, als daß man unter ille annus das vorher besprochene Jahr
verstehe, 63 v.Chr., da Sestius Quästor war (§ 8 f.). — § 15
quod ilü nefarius . . . parum se foedus violaturum arbitratus est]
Das Wort foedus ist auffallend weit von dem dazugehörigen quod
entfernt. Grumme hält es für überflüssig und fehlerhaft. Wenn
aber auch im vorhergehenden die Maßnahmen des Pompeius gegen
Clodius als cautio, foedus, exsecratio bezeichnet sind, können sie
doch wohl hier in dem Begriff foedus zusammengefaßt werden.
Dieses Wort empfiehlt sich als Objekt zu violare (den Vertrag
verletzen). Das einfache quod ist kein passendes Objekt zu viola-
turum und ein unklarer Begriff, wenn auch Grumme richtig an-
gibt, daß es die Worte hunc Cn. Pompeius omni cautione, foedere,
exsecratione devinxerat nihil in tribunatu contra me esse facturum
zusammenfassen wurde. — § 18 sollen die Worte tamquam fretu
ad columnam nach Grumme interpoliert sein. Gabinius wurde
Tribun, ne in Scyllaeo Mo aeris alieni tamquam fretu ad colum-
nam adhaeresceret, damit er nicht, um mich so auszudrucken, in
jenem Scyllastrudel der Schulden an der columna Maenia hangen
bleibe. Tamquam bezeichnet Scyllaeum fretum als eine kühne
Übertragung: die den Gabinius verfolgenden faeneratorum greges
werden mit den Hundsköpfen der Scylla verglichen. Adhaeresceret
kann nicht mit in Scyllaeo (an dem Scyllafelsen) verbunden
werden, sondern nur mit ad (vgl. Acad. 2, 8 tamquam ad saxum,
adhaerescunt). — § 19. Piso erschien capillo ita horrido, ut Capua
. . . Seplasiam sublaturus videretur. Nach Grumme „wird dies der
Sinn der Stelle sein : Wenn man in Capua den Mann mit seinem
ungepflegten, struppigen Haar sah, so konnte man meinen, er
wolle die ganze Sepiasische Straße, d. h. alle dort befindlichen
Parfümerievorräte — so viel schien er nötig zu haben — aus
Capua mit fortnehmen4'. — § 27 quem enim deprecarere, cum
omnes essent sordidati cumque hoc satis esset signi esse improbum,
qui mutata veste non esset? Hierzu bemerkt Halm: omnes seil.
boni. Grumme hält für notwendig, hont in den Text zu setzen.
Omnes (jedermann) steht übertreibend, um die Minderheit als eine
geradezu verschwindende zu bezeichnen, wie § 25 omnes omnium
generum atque ordinum cives, § 26 vestem mutandam omnes putarunt,
Liv. 21, 18, 13. Ebenso hat Hirschfelder § 8 et omnibus optimus
civis videretur (so P*G) die Änderung et bonis omnibus (cod. det.
et vobis omnibus) nötig erachtet. — § 34 empfiehlt Grumme:
284 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
isdemque consulibus (coniventibus) arma in templum Castorfs palw
comportabantur. Die Spielerei, zwei Wörter nacheinander mit cor
oder überhaupt mit der gleichen Silbe zu beginnen, ist unrömisd
Die Meinung der Herausgeber, daß hier ein Partizip fehle, teile
ich nicht. Man lese doch den Satz zu Ende: nullius erat serutius,
nihil reliqui magistratus etc. — § 36 rechtfertigt Grumme die von
Eberhard und Halm aufgenommene Ergänzung Fr. Richters: tw
parato (ordine equestri). „Der Ritterstand hatte sich der Sachj
Ciceros in ganz hervorragender Weise angenommen (vgl. § 25.
26, 27, 29, 38). In Rucksicht darauf mußte Cicero hier neben
dem Senate, den boni und Italien auch den Ritterstand erwähnet
Durch Nichter wähnen des Ritterstandes hätte er die Richter ao>
diesem Stande geradezu vor den Kopf gestoßen.4' — § 41 (Poro-
peium) domi meae certi homines ad tarn rem positi monuerwti «f
esset cautior, eiusque vitae a me insidias apud me dornt positas esst
dixerunt. Grumme meint, domi sei nach apud me überflüssig und
lästig und darum zu tilgen. Es kennzeichnet die Entrüste
Ciceros über diese elende Verleumdung. — § 44 semel ptrirt
maluissem quam bis vmcere. Bouterwek erklärt: perire] M
bürgerlichen Tod erleiden44. Aber es handelt sich um den Kampf
mit den Waffen, also um den physischen Tod. Halms richtig
Erklärung zu pereundum wird von Grumme irrtümlich „wffl
politischen Tod" verstanden. — § 54. statim me perculso ad fW*
sanguinern hauriendum . . . advolavemnt. An demselben Tage, ®
dem Cicero Rom verließ, wurde die Rogation des Clodius an*
genommen, d. h. bildlich: sobald er getroffen war, eilte man her-
bei, um sein Blut zu vergießen. Dies ist der konstante Sinn &
Worte sanguinern haurire. Grumme übersetzt: um mein Blut fl
verschlingen. Da aber nicht von Tieren die Rede ist und k«fl
Römer je das Blut seines Gegners getrunken hat, so konnte dtf
Zuhörer den Worten nicht diesen Sinn beilegen. — Zu § "*
§ 13 — 15 war vom Tribunat des Sestius im allgemeinen die Bede;
die Ausführung im einzelnen beginnt aber erst § 72 n#&
magislratum tribuni plebis. Dazwischen ist Kap. 7 — 32 eine Digression
über das Jahr 58 eingeschoben und § 70 die Wahl der neuen
Magistrate erwähnt. § 71 ist von einer Reise die Rede, ***
Sestius als designatus zu Cäsar machte; tribunus ergänzt sich an-
dern Zusammenhange von selbst. Die Betrachtungen über ^
Reise sind unterbrochen durch den Satz: ingredior tarn » &*»
tribunatum; nam hoc primum iter designatus rei publica* W*
suseepit. Grumme bemüht sich, diese Interpolation als echt n
erweisen. — § 77 illo Cinnano atque Octaviano die] Halm "°
Bouterwek verstehen hier zwei Tage und glauben, daß die beide»
Adjektiva gegen die chronologische Ordnung stehen: 1) Cn.Od&t**
consul armis expulit ex urbe collegam (in Cat. 3,24; dies Octarjafltf>|
2) superavit postea Cinna cum Mario. Grumme (mit Eberhard
bezieht die Worte nur auf den ersten Tag. Er meint, der w
■\
Ciceros Reden, voo F. Luterbacher. 285
die nötige uns, nur an einen Tag zu denken. Aber der Plural
ist doch nicht möglich; die Worte bedeuten: Mo Cinnano die atque
Mo Octaviano die. Grumme sagt ferner: Das Blutbad nach Marius'
und Cinnas Ruckkehr fand an fünf Tagen statt. Das hindert
nicht, hier den Tag zu verstehen, an dem Octavius erschlagen
wurde. Daß aber Cicero die Reihenfolge der Tage umkehre,
glaube ich nicht. Es scheint mir, daß dies Cinnanus der Tag sei,
an dem Cinnas Leute erschlagen wurden, dies Octavianus der
Todestag des Cn. Octavius. — § 78. Der Satz gladiatores . . . cfe-
fendere ist an Clodius gerichtet, nicht an Albinovanus, wie Grumme
meint. Die Erklärungen Halms, die Grumme nicht erwähnt, lassen
darüber keinen Zweifel übrig.
30) Ciceros Rede für Marcus Caelius Rufus, übersetzt von W. Binder.
Zweite Auflage, revidiert voq H. Uhle. Berlin 1904, Langenscheidtsche
Verlagsbuchhandlung. 53 S. 8. 0,35 JC.
Eine Einleitung gibt über Caelius3 Leben Auskunft. Leider
wurde der treffliche Artikel über Caelius von Müuzer in der
Encyklopädie von Pauly-Wissowa III Sp. 1266—1272 hierfür nicht
benutzt. Seine Geburt wird nach Plinius ins Jahr 82 gesetzt;
Münzer nimmt 88 oder 85 als Geburtsjahr an. Sein Untergang
fiel ins Jahr 48 v. Chr. Uhle gibt falsch 50 v. Chr. als Todesjahr
an. Seine Heimat war nach § 5 das municipium inlustre ac grave
der praetorium. Uhle setzt mit Klotz Praenestini, aber Präneste
war von Sulla in eine Kolonie verwandelt worden. Zudem wurde
Cicero nicht netnini umquam praesenti Praenestini maiores honores
habuerunt, sondern nemini praesenti umquam Praenestini gesagt
haben, um die beiden Wörter mit prae zu trennen. Der Anfang
prae ist also falsch. Puteoli und Pompei waren ebenfalls Kolonien.
Münzer entscheidet sich für TusculanL Für toriani schreibe ich
Formiani. In der uralten Lästrygonenstadt Formiae war also
Caelius Mitglied des amplissimus ordo (nach § 5), des Gemeinde-
rates; Rom und Formiae waren seine gewöhnlichen Aufenthalts-
orte. So versteht man nun Cic. Epist. 8,17,1, wo Caelius be-
dauert, bei Ciceros Abreise zu Pompeius in Spanien gewesen zu
sein statt zu Formiae. Formiae war bis 188 v. Chr. eine prae-
fectura, wie Arpinum und Fundi. 188 wurde der Ort der tribus
Aemilia zugeteilt (Liv. 38, 36, 9) und war nun ein municipium,
wie Arpinum (Cic. de leg. III 36; Mommsen Staatsrecht III 797).
Die heimischen Beamten in Formiae waren drei Ädilen. Danach
verstehe ich die Worte ea non petenti detulerunt, quae multis
petentibus denegarunt so, daß Caelius in Formiae Ädil ge-
wesen war.
Die Übersetzung ist sinngetreu und gut. Das Verständnis
des Inhalts wird außerdem durch 63 Anmerkungen gefördert.
286 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
31) Hermann JNohl, Schiilerk ommeotar zn Ciceros Rede für
T. Annios Milo. Leipzig 1905, G. Frey tag. 52 S. 8. steif brosch.
0,60 Jt.
Schon in seiner Schulausgabe dieser Rede hat Nohl "durch
eine Einleitung und einen Anhang zur Erklärung der Eigennamen
und schwieriger Stellen Hilfsmittel zu ihrer Interpretation geboten.
Hier gibt er nun in kurzer Fassung die übrigen für den Schüler
nötigen Wort- und Sacherklärungen.
§ 19 in templo Castorfs] Die Notiz sollte sieben Zeilen früher
(§ 18) stehen. — § 25 „Die Collina war die jüngste Tribus".
Sie war eine der vier städtischen und ältesten. — § 33 lutnen
curiae „weil seine Klugheit und Geschäftskenntnis vielfach von
Senatoren und Beamten benutzt wurde14 (fehlt bei Halm). —
66. „Cäsar wohnte als Pontifex Maximus in der Regia", befand
sich jedoch seit 58 in Gallien (damals in Oberitalien, BG. 7, 1).
— § 98. Es sollte erklärt werden, daß vom 18. Januar bis zum
8. April 102 Tage sind (Halm S. 11), daß dies die Zeit vom jul.
8. Dezember 53—19. März 52 sei.
32) Th. Wetzel, Präparation zu Ciceros Rede für Q. Ligarias.
Leipzig 1903, B. G. Teubner. 12 S. 8. 0,30 JC.
„Von der Etymologie und Grundbedeutung ausgehend, stellte
der Verfasser die gebräuchlichsten Bedeutungen zusammen; der
Schuler hat so noch reichlich Gelegenheit, durch eigenes Besinnen
die passende Bedeutung zu linden'4. Ein Lexikon scheint daneben
kaum nötig. — § 1 omnis oratio ad müericordiam tuam confercnda
est] „als was kündigt Cic. selbst mit diesen Worten seine Rede
an?" Diese und andere Fragen scheinen mir nicht in ein Prä-
parationsheft zu gehören. — § 11. Der Ankläger bezweckt, ut
Ligarius necetur. Dies ist prodigii simile. Die Angabe „Wunder-
zeichen, Wunder" genügt nicht; prodigium ist eine Verimmg der
Natur, eine Ungeheuerlichkeit. — § 35 „der Dienst, den Q. Ligarius
als Quästor geleistet hat". Die Worte de huius illo quaestorio
officio beziehen sich auf Titus Ligarius.
33) Th. Wetzel, Präparation zu Ciceros Rede für deo Kö'oig
Deiotarus. Leipzig 1903, B. G. Tenboer. 16 S. 8. 0,30 JL.
Die Vokabeln sind reichlich aufgeführt, so daß das Büchlein
vielfach zur Wiederholung des bei Cäsar und Livius erworbenen
Wortschatzes beiträgt. Die Anordnung ist zweckmäßig.
§ 11. senatus consentientis auctorüate arma sumptä] Nach
Wetzel ist senatus auctoritas ein „Beschlus des Senats, aber noch
ohne Beitritt der Volkstribunen, dagegen senatus consultum der
vollgültige, durch Beitritt der Volkstribunen sanktionierte Beschluß".
Wetzel meint also, daß ein senatus consultum von sämtlichen
Volkstribunen unterzeichnet war; nach Mommsen (Staatsrecht 1 '
2S1) genügte es, daß kein Tribun intercedierte. Cäsar sagt über
■\
Ciceros Reden, von F. Loterbacher. 287
diese auctoritas BC. 1, 5, 3: decurritur ad illud extremum atque
ultimum senatus consultum. Mir scheint es, daß es Cicero nicht
darum zu tun sei, die dem Deiotarus gemachte Meldung als dem
geschichtlichen Hergang (nach Eberhard) oder den Regeln des
römischen Staatsrechts entsprechend hinzustellen, sondern daß er
einfach consenlientis consulto als übelklingend vermied.
c) Anhang: Quintus Cicero.
Als M. Cicero nach seiner Prätur 66 darauf bedacht war, das
Konsulat für 63 zu erlangen, soll sein etwa vier Jahre jüngerer
Bruder Quintus gegen Ende 65, da er pleb. Ädil war, eine Schrift
de petitione consulatus an ihn gerichtet haben. Die Echtheit dieser
Schrift ist vielfach bestritten worden (vgl. Gurlitt in Bursians
Jahresberichten 1898, Band 97, S. 2 — 4); sie wird auch neuer-
dings geleugnet von
George Lincoln Hendrickson, The Commen tari oluin petitionis
attributed to Qnintus Cicero. Authenticity, rhetorical form,
style, text. Reprint from the University of Chicago Decennial Publi-
cations, Vol. VI, p. 1—26. Chicago, Illinois, 1903. 28 cents.
Q. Cicero war 62 Prätor und verwaltete darauf die Provinz
Asien; im Jahre 60 wurde ihm diese Provinz auf ein drittes Jahr
übertragen, obwohl über seine Verwaltung mancherlei Klagen laut
geworden waren. In dem Briefe ad Quintum fratrem I 1 teilt
ihm sein Bruder Marcus diese Verlängerung seines proprätorischen
Amtes mit und gibt ihm Ratschläge für eine glücklichere Amts-
führung.
Hendrickson hat sich nun die Ansicht gebildet, das unter
dem Namen des Q. Cicero erhaltene Schriftchen de petitione
consulatus sei eine von einem jungen Rhetor zu ungewisser Zeit
verfaßte Suasorie, und dieser Rhetor habe für sie die Form eines
Briefes des Q. Cicero an seinen Bruder gewählt, um ein Seiten-
stück zu dem Briefe ad Quintum fratrem I 1 zu bieten: „the
Commentariolum is the work of some rhetorical Student, who
chose the epistolary form in which to write a suasoria which
should be a counterpart to Cicero's first letter ad Quintum fratrem".
Als im Jahre 64 Catilina und Antonius, Ciceros Mitbewerber
um das Konsulat, die Ruhe des Staates durch offene Gewalt ge-
fährdeten, beschloß der Senat, dem Volke ein schärferes Gesetz
de ambitu vorzulegen; aber der von Catilina und Antonius be-
stochene Tribun Q. Mucius Orestinus erhob Einsprache gegen
diesen Senatsbeschluß. Bei der Verhandlung über diese Inter-
cession hielt Cicero seine Rede 'in toga Candida1, von der sich
bei Asconius Bruchstücke finden. Er deckte das schmähliche Vor-
leben des Catilina und Antonius auf und verteidigte das Ansehen
des Senates und der Optimaten. Die Bruchstücke der Rede
288 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
zeigen einige Anklänge an die Schrift de petitione consulatus, und
zwar in gleicher Folge.
a) Quintus sagt von Antonius § 8: vocem audivimus iurantis
se Romae iudicio aequo cum homine Graeco certare non posse. Dem
entsprechen bei Marcus die Worte : qui in sua civitate cum peregrino
negavit se iudicio aequo certare posse. Ein peregrinus könnte auch
ein Gallier, Spanier, Afrikaner, Ägypter, Asiate sein; homo Graecus
ist der genauere Ausdruck. Ebenso ist iurantis genauer als negavit.
b) Quintus schildert § 10 die Ermordung des M. Marius durch
Catilina. Macus erwähnt sie kürzer und ohne den Namen des
Gemordeten: cum inspectante populo Collum secuit hominis maxime
popularis.
c) Quintus sagt § 10 von Catilina: qui nullum in locum tarn
sanctum ac tarn religiosum accessio in quo non, etiamsi aliis culpa
non esset, tarnen ex sua nequitia dedecoris suspicionem relinqueret.
Bei Marcus liest man: ita vixisti, ut non esset locus tarn sanctus,
quo non adventus tuus, etiam cum culpa nulla subesset, crimen
afferret. Bei Quintus ist der Verletzung religiöser Gebräuche
(aliis culpa) bestimmter als bei Marcus die Unsittlich k ei t Catilinas
gegenübergestellt.
d) Quintus sagt § 8 : Catilina et Antonius . . . ambo a pueritia
sicarii. Er hofft, Marcus werde den Sieg aber einen dieser Mit-
bewerber um das Konsulat davontragen: § 12 quis enim reperiri
potest tarn improbus civis, qui velit uno suffragio duas in rem
publicam sicas destringere? Die Dolche sind die des Catilina und
Antonius; niemand will diese beide gegen die res publica zücken,
indem er durch eine einzige Stimmabgabe beiden Männern zum
Konsulat verhilft. Hendrickson nimmt Anstoß daran, daß die
Worte uno suffragio aus dem bildlichen Ausdruck herausfallen:
„the antithesis of uno suffragio with duas sicas destringere falls
out of the figure in puerile fasbion". Mir scheint, der bildliche
Ausdruck werde durch die Worte uno suffragio nicht gestört,
sondern in passender und notwendiger Weise verständlich ge-
macht. — Marcus sagt: posteaquam Mo, quo conati erant, Hispa-
niensi pugiunculo nervös incidere avium Romanorum non potuerunt,
duas uno tempore conantur in rem publicam sicas destringere.
Einige Männer (Cäsar und Crassus) hatten durch eine Verschwörung
unter Beteiligung des Cn. Piso auf den 5. Februar 65 non con-
sulibus modo, sed plerisque senatoribus pemiciem bereitet (Sali.
Ca t. 18, 7). Da ihr Anschlag mißlungen war, wurde' Piso als
quaestor pro praetore nach Spanien geschickt. Er oder sein Dolch
heißt daher „jenes spanische Stilett". Da die Verschwörer mit
diesem nichts ausrichten konnten, wollen sie nun die zwei Dolche
des Catilina und Antonius gegen den Staat zücken; nach Asconius
werden Catilina und Antonius selbst als Dolche bezeichnet. Der
Gegensatz pugiunculo nervös incidere civium Romanorum und duas
uno tempore in rem publicam sicas destringere ist rhetorisch wirksam
i
Ciceros Reden, von F. Luterbacher. 289
durchgeführt. Wenn nun aber H. es für einleuchtend hält, daß
dieser Gegensatz das Ursprungliche und die Wendung uno suffragio
duas in rem pubticam sicas destringere erst davon hergenommen
sei, so scheint es mir, daß letztere Wendung auch für sich allein
verständlich ist und recht wohl die Hinzufügung eines entgegen-
gesetzten Gliedes erst veranlaßt haben kann.
Über die Bewerbung um das Konsulat spricht auch Cicero
in der Rede für Murena § 43 — 50. Nach Hendrickson kann ge-
zeigt werden, daß einzelne Gedanken und Ausdrucke in der Schrift
de petitione consulatus nur im Lichte dieser Rede ganz verständ-
lich sind: It can be shown that certain ideas and certain ex-
pressions in the Commentariolum are intelligible, or fully intelligible,
only in the light of the oration pro Murena. Quintus ermahnt
den Marcus § 55, seine Mitbewerber von Bestechungen abzu-
schrecken durch die Furcht, daß sie, wenn sie infolge von Be-
stechung gewählt wären, vor Gericht gezogen werden würden.
Er sagt: fac, ut se abs te custodiri atque observari sciant. Dies hat
Marcus getan, so daß er in der Rede 'in toga Candida' das Treiben
seiner Milbewerber schildern konnte. Quintus fahrt fort: atque
haec ita volo te Ulis proponere, non ut videare aecusationem tarn
meditari, sed ut etc., Marcus soll nicht den Anschein erregen, daß
er wirklich an eine Anklage denke, sondern bewirken, daß von
den Mitbewerbern keine größere Bestechung verübt werde oder
daß sie nutzlos sei. Hendrickson vermißt eine Begründung zu
den Worten non ut videare aecusationem meditari; sie ist selbst-
verständlich, da Marcus grundsätzlich keine Anklage führte (außer
gegen Verres). In der Rede pro Murena § 43 findet sich eine
Erklärung, wie ein Bewerber mit aecusandi terrores ac minae sich
selber schade. Hendrickson meint, der Verfasser der Schrift de
petitione habe diese zutreffende Begründung im Sinne gehabt.
Mir scheint umgekehrt, wenn er sie gekannt hätte, würde er sie
irgendwie angedeutet haben.
Quintus redet § 43 von der assiduüas bei der Bewerbung.
Zwar ist es schon vorteilhaft, während dieser Zeit beständig in
Rom zu sein; doch ist es noch besser, unablässig bei den Bürgern
um ihre Stimme zu werben, so daß keiner sich zurückgesetzt
fühlen kann: Prodest quidem vehementer nusquam discedere; sed
tarnen hie fruetus est assiduitatis9 non solum esse Romae atque in
foro, sed assidue petere, saepe eosdem appellare etc. — Mit dieser
Stelle bringt Hendrickson ungehörigerweise pro Mur. 21 in Be-
ziehung: M. Cicero und Servius Sulpicius haben nach der Prätur
keine Provinz verwaltet, sondern in Rom dem Anwaltsberufe ob-
gelegen. Durch diese assiduitas gelangte Cicero bei der ersten
Bewerbung zum Konsulat, Servius nicht. Dem Cicero war es
nützlich, daß das Beliebtsein auf den Augen beruht: mihi quidem
vehementer expediit positam in oculis esse gratiam, sed tarnen...
utrique noslrum desiderium nihil obfuisset. Die beiden Stellen
Jahresberichte XXX T. 19
290 Jahresberichte d. Philolog. Vereint.
haben freilich die Wörter assiduüas, qmdem vehementer mtd
tarnen gemeinsam. Hendrickson meint daher irrtumlich, was Marcus
speziell von sich sage, sei im Commentariolum als allgemeine
Behauptung hingestellt; es ist aber an den beiden Orten von ver-
schiedenen assiduitates die Rede, und Marcus hält das diseedere
(d. h. das desiderium) für nicht nachteilig.
Quintus sagt § 17, bei der Bewerbung um das Konsulat sei
auch die Liebe der tribules, vicini, clientes, liberti, servi nützlich;
nam fere omnis sermo ad foren&em famam a domesticis enummt
auctoribus. Marcus sagt pro Caelio § 6: mens hie forensis labar
vitaeque ratio dimanavit ad existimationem hominum paulo latiuz
tommendatione ac iudicio meorum. Nach Hendrickson wurde die
Stelle im Commentariolum geschrieben in Erinnerung an diesen
Passus der Rede pro Caelio; der Begriff tnei ist jedoch erweitert,
und fere omnis sermo sagt doch mehr als paulo latius. Zwei zu-
sammen aufgewachsene Bruder durften doch gelegentlich ähnliche
Gedanken aussprechen.
Horaz schreibt Sat. 1,3,58: Hie fugit omnes Insidias nullique
malo latus obdit aperlumy Cum genus hoc inter vitae versetur, übt
actis lnvidia atque vigent ubi crimina; pro bene sano Ac non tn-
eauto fictum astutumque voeamus. Nach Hendrickson hatte der
rhetorical Student of uncertain date diese Verse im Sinne, als er
$ 54 schrieb: Video esse magni consilii atque artis (= hominis
bene sani ac non incauti) in tot hominum cuiusque modi oitüs
tantisque versautem vitare offensionem, vitare fabulam, vitare m-
sidias. Ebenso soll Publilius 469 pars benefici est, quod petüwr si
belle neges Anlaß gegeben haben zu der Ausführung über das
belle negare § 45—46.
Nach Hendrickson ist die Schrift de petitione consulatus
nichts weiter als eine Schulübung, wie die Epislula Sallustü ad
Caesarem senem de re publica. Sie hat nicht die strenge Form
einer Suasoria: 'Deliberat M. Cicero, an consulatum petat'; aber
sie hat den Zweck, zu raten, und entspricht im ganzen den Regeln,
die Quintilian 3, 8, 15 f. für die Suasorien gibt. Ebenso entspricht
die streng durchgeführte Einteilung dem Charakter der Suasorien ;
dagegen stimmt sie weniger zur Form eines Briefes. Der Ver-
fasser nennt denn auch seine Schrift nicht epütula, sondern § 50
oratio, § 58 commentariolum, ein Regelheft, dem eine Bedeutung
für längere Zeit zukommen soll als einem Brief, wie Marcus solche
führte (de or. 1, 5). Er will es nach dem Rate des Bruders
möglichst vollkommen gestalten; es soll also wohl nicht bloß eine
rhetorische Übung sein, sondern veröffentlicht und von dem Ver-
fasser bei seiner eigenen Amtsbewerbung befolgt werden. Die
Annahme, daß unsere Schrift ein Gegenstück zu dem Briefe ad
Quintum fratrem 1 1 sein sollte, scheint unbegründet und un-
zutreffend. Ebenso ist die Meinung, daß der Verfasser die Rede
'in toga Candida' als Quelle benutzt habe, unhaltbar. Schon oben
i
Cieeros Reden, von P. Luterbacher. 291
wurde gezeigt, daß die Sätze, welche in erster Linie aus jener
Rede stammen sollen, genauere Angaben enthalten, als in der
Rede standen. Auch werden Pakta erwähnt, für die in jener Rede
kein Raum war. Z. R. § 19 heißt es: hoc biemio quatluor sodalitates
homnum ad ambitionm gratiosiisimorum tibi oHigasti, M. Fundarm,
Q. Gallii, C. Corneln, C. Orchivu: herum in causis ad te deferundis
quid tibi eerwro sodales receperint et conftrmarint, seio; mm tnter-
fui. Das hat Cicero doch wohl nicht im Senate gerühmt, da die
Häupter des Senates gegen C. Cornelius als Belastungszeugen auf-
getreten waren (Q. Metellus Pius, L. Lucullus, Q. Hortensius,
M\ Lepidus nach Val. Max. VIII 5, 4). Die Behauptung interfui
ist nicht bloß Fiktion eines Rbetors; sie wird beglaubigt durch
die Richtigkeit der Notiz über Q. Gallius. Auf diesen war in der
Rede * in toga Candida' hingedeutet ohne Nennung des Namens.
Asconius bemerkt dazu: Q. Gallium, quem postea reum ambitus
defendity significare videtur; hie enm, cum esset praetnrae candidatus,
dedit gladiatores sub titulo patri se dare. Q. Gallius leitete 65 als
Prätor die Verhandlung über C. Cornelius. Sein Ambitusprozeß
muß also gegen Ende 66 stattgefunden haben. Während der
sorgfaltige Asconius im Anschluß an die Rede 'in toga Candida*
mit den Worten quem postea defendit irrt, ist der Autor von de
petitione wohl unterrichtet.
Aber in dem unklaren und kaum richtig überlieferten § 33
soll (nach Mommsen, Staatsrecht III 484 A. 3) ein Anachronismus
stecken: *a dirtmetion js made between the equiles proper and
the young men who are classed with them in the centuriae eqtti-
t«m\ Es ist die Rede von den 18 centuriae equitnm equo publico,
die 65 v. Chr. noch bestanden und für sich stimmten (v. Doma-
zewski bei Pauly-Wissowa III 1957; Mommsen, Staatsrecht IM
S. 292). Dazu geborten seit Sullas Diktatur namentlich die dienst-
pflichtigen Söbne 4er Senatoren (Mommsen S. 486). Zu diesen
worden, um die Zahl 1800 zu erreichen, junge Ritter hinzugefügt.
Im Jahre 70 hatten die Zensoren L. Gelliue und Cn. Lefftulus die
Ritterliste festgestellt; an sie hatte der Konsul Pompeius sein
Staatspferd abgegeben, weil er die gesetzlichen Feldzöge gemacht
habe (Plut. Pomp. 22). Von diesen Ritter cen tu rien, die aus jungen
Memern (adukscenhtk) bestanden, tttfterscheidet § 33 den equester
ordo, die viel zahlreicheren Titalarrftter aus ganz Italien, die den
Zensus von 400 000 Sesterzen, aber kein Staatspferd hatten trnd
in ihren Tribus stimmten. Es sind hauptsächlich die Pnblicaäi,
die Cicero wohlgesinnt waren (de imp. Pomp. 4) und nach § 33
die Rittercenturien für ihn gewannen. Die Einwendung Mommsen«:
„hier werden die in den centuriae equitum stehenden jungen
Leute bestimmt durch die auetoritas des equester ordo, während
doch eigentlich jene den equester ordo bilden" ist nicht ganz zu-
treffend, da die adulescentuli keineswegs allein den equester ordo
bildeten. Da es in der Kaiserzeit keine andern Ritter mehr gab
19*
292 Jahreiberichte d. Philolog. Vereint.
als equites equo publico, so wurde damals ein Fälscher kaum auf
diese in § 33 gemachte Unterscheidung verfallen sein, während
sie dem Q. Cicero, der den Zensus vom Jahre 70 mitgemacht und
sich selbst bereits um Ämter beworben hatte, nahelag. Stern-
kopf, der Hendricksons Abhandlung in der Berl. Phil. WS. 1904
Sp. 265—272 und 296—301 eingehend besprochen hat, meint:
„Diese jungen Leute sind andere als die vorher erwähnten equites,
mit denen sie Mommsen nur dadurch identifiziert, daß er das
überlieferte deinde in et inde verwandelt" (Staatsrecht III 497).
Mir scheint Mommsen die Stelle richtig aufgefaßt zu haben, ob-
wohl die Änderung et inde unbegründet ist.
Die Schrift de petitione consulatus ist nüchtern und trocken.
Leo meinte, von rhetorischem Stil sei darin keine Spur. Deshalb
fuhrt H. rhetorische Wendungen und Antithesen vor und zeigt
durch Untersuchung der Klauseln, daß der Verfasser auf rhythmische
Effekte achtete. Sternkopf dagegen findet in dem Commentariolum
einen Mangel an rhetorischen Elementen.
Zum Schlüsse bespricht H. einige Stellen des Textes, für den
wir zwei Hss. haben, den Cod. Erfurtensis und den von Bährens
1879 verglichenen Cod. Harleianus, den Müller 1898 zuerst für
seine Ausgabe benutzte. — § 6 praeterea adulescentes nobile* elabora
ut häbeas vel ut teneas studiosos quos habet vermutet H. velut fettes.
— § 9 educatus in sororis stupris] E bietet sororum, H sorore
mit der Korrektur sororum, die in den Text zu setzen ist. —
§ 12 nequaquam sunt tarn gener e insignes quam vitiis nobiles wurde
insignes von Bucheler ohne Grund eingeklammert. — § 23 terthm
iUud genus est studiosorum voluntarium „jene dritte Art der Dienst-
beflissenen ist eine freiwillige" wird von den Herausgebern ver-
ändert; H. vermutet: studiosum voluntate. — § 24 schlägt er vor:
hos ut internosca* omnis curato ne (Hss. catumniatores). — § 33
liest er: denique (Hss. deinde) hohes tecum ex iuventute Optimum
quemque et studiosissimum humanitatis; tum autem, quod equester
ordo tuus est, sequentur alii (Hss. Uli) auctoritatem ordinis.
Ich finde mit Sternkopf, daß durch Hendricksons Ausführungen
die Unechtheit des Commentariolums nicht wahrscheinlich ge-
worden sei. An seine Echtheit glaube ich auch wegen §10, wo
es von Catilina heißt: ex curia Curios et Annios, ab atrüs Sapalas
et Carvilios, ex equestri ordine Pömpilios et Vettios sibi amicisstmos
comparavit. Daß diese sechs Männer als Catilinas beste Freunde
genannt werden, erklärt sich daraus, daß die Schrift vor der Ver-
schwörung verfaßt wurde. Sallust nennt nur die beiden ersten,
Q. Curius und Q. Annius. Woher sollte ein Fälscher die vier
andern genommen haben? Daß sie von Livius (Buch 102) er-
wähnt wurden, ist mir nicht wahrscheinlich. In den atria Licioia
hatten die praecones ihren consessus (pro QuincL 12).
Burgdorf bei Bern. Franz Luterbacher.
v
7.
Tacitus
(mit Ausschluß der Germania).
Ober das Jabr 1904/1905.
I. Ausgaben.
1) P. Cornelias Tacitus erklärt von Karl Nipperdey. Erster Band:
Ab excessu Divi Augnsti I — VI. Zehnte, verbesserte Auflage,
besorgt von Georg Andresen. Berlin 1904, Weidmaansche Buch-
handlung. 443 S. 8. 3 JC.
Die einschneidendste Änderung, welche die neue Auflage in
der Einleitung aufweist, trifft das Verhältnis des Plutarch zu
Tacitus. Ich bin in dieser Frage der Auffassung gefolgt, welche
Fabia in einer für mich überzeugenden Weise vertreten hat, und
habe den Konsequenzen Ausdruck gegeben, welche diese Ent-
scheidung für die Gesamtfrage der Quellenbenutzung des Tacitus
mit sich bringt. Auch in der Frage der Bücherzahl der Annalen
und der Historien, sowie des Schlußpunktes des ersteren Werkes
habe ich mich an Fabia angeschlossen. Ferner ist der Abschnitt,
in welchem dem Vorwurf entgegengetreten wird, daß Tacitus,
namentlich in der Geschichte des Tiberius, die Ereignisse tendenziös
gefärbt und entstellt habe, modifiziert worden. Als Konsulatsjahr
des Tacitus gilt jetzt wieder unbestritten das Jahr 97: dieser
Wendung hat sich die neue Auflage gefügt. Endlich bringt die
Einleitung eine Reihe von Zusätzen verschiedenster Art und ver-
mehrt die Literaturnachweise um die wichtigsten Erscheinungen
der neuesten Zeit.
Die Textgestaltung ist wiederum erheblich konservativer ge-
worden. Von den eckigen Klammern habe ich befreit die Worte
aut gaudium 116, erat . . . pramere II 33, inter intimos aviae et
IV 12 (jedoch bin ich der Schwierigkeiten, welche diese Worte
dem Zusammenhange bereiten, nicht Herr geworden); auch habe
ich das von Nipperdey IV 3 vor q\äa getilgte et wiederhergestellt.
Nach den Spuren der Handschrift habe ich 1 34 seque et proximos
et Belgarum civitates und III 44 an et Sacrovirum geschrieben,
ferner I 35 und II 17 die von Nipperdey eingeschobenen Wörter
obtrent und m (vor campis) gestrichen und I 41 et externae fidei
294 Jahresberichte des Philolog. Vereins.
(nach Siesebye; s. JB. XXX S. 356), III 66 propolluebat, VI 22
sectam (in Halms kritischem Apparat schreibe 'sectas Wurm*)
wiederhergestellt und I 75 causam (Med. causa) in causas, das sich
aus sachlichen und paläographischen Gründen empfiehlt, geändert.
1 8 habe ich Morawskis Konjektur visu, IV 28 Madvigs Vorschlag
vinctus peroranli filio pater comparatur in unveränderter Form
aufgenommen. Die jetzt gewählten Namensformen Faianius I 73
statt Faianius, Vulcacius IV 43 st. Vulcatius, Lucanius Latiaris IV
68. 71. VI 4 st. Latinius Latiaris haben ihre Rechtfertigung bereits
in der Prosopogr. Imp. R. gefunden; die Namen Cietae st. CUtae
VI 41 und Lepcttani st. Leptitani III 74 (s. JB. XXX S. 358) sind
in schriftlich sicher gestellt. Ab habe ich (im Anschluß an Noväk)
) 19. 33. II 62. VI 3. 29 (an allen fünf Stelleu ist ad aberliefert)
in a, ex VI 13 in e (Med. et) geändert. Mehrfach habe ich die
Orthographie der Handschrift hergestellt, z. B. in den Worten
Hispanienses I 3, afluentia, III 30, ufrulique VI 37, in den Namen
Polio I 12, Treveri III 40. 42. 44. 46, Bruttedius III 66. — Eine
neue Konjektur habe ich nur an einer Stelle gewagt: II 8 ausurum
st. ausum, ohne sie in den Text zu setzen.
Im Kommentar ist manches umgestaltet worden, z. B. die
Anmerkungen, welche die Person des lunius Blaesus I 16, Cn.
Lentulus 27, Libo Drusus II 27, Memmius Regulus V 11 und
Furius Camillus VI 1 betreffen, meist auf Anregung der Prosopogr.
http. R. Die Änderung der Anmerkung zu exoita cohorte III 41
geht auf Hirschfeld zurück. Hier und da habe ich es für nötig
gehalten, eine Erklärung einzufügen, z. B. zu insuper IV 60, ot>
cessere VI 7. Änderungen der Erklärung findet man 111: Dis-
position der Satzglieder in den Worten quantum civium etc.,
I 30: Auffassung von pramntia, 32 convulsos, II 5 prompt**
ipsis possessionem, 43 Druso proavus, 46 vagas, 53 vetera warum
facta dictaque, III 33 quadraginta und 44 sexaginta (nicht runde
Zahlen), 57 praeceperant, IV 51 partae victoriae qpet, VI 1 sasoa H
sclüudinem, VI 15 saepius. — Die inschriftlichen Zitate sind, wo
dieses noch nicht geschehen war, bis auf den letzten Rest auf
das CIL. reduziert; grammatische und lexikalische Nachweise, die
mir z. T. von Heraeus, Wolff und John freundlichst zur Verfugung
gestellt worden waren, dem Kommentar in großer Zahl eingefugt
worden. Der Umfang des Bandes ist infolgedessen um 13 Seiten
gewachsen.
Angezeigt Gymuasium 1905 S. 181 und Süd westdeutsche
Schulblätter 1905 S. 140 von R. Hennesthal; ferner von Th. Stangl,
Berl. phil. WS. 1905 Sp. 887—895 (Stangl gibt einige kleine Be-
richtigungen und Nachträge zu den sprachlichen Teilen des Korn*
mentars, deren Ausbeutung er durch Anfügung eines General-
registers an die sechste Auflage des zweiten Bandes zu erleichtern
empfiehlt. Dann wendet er sich zur Textgestaltung, die er noch
konservativer zu gestalten rät. XIV 48, 19 stecke in gut in insuU
^
Tacitus, von G. Aodreaen. 295
nicht quin in insula ((die leidigste aller Kakophonien'), sondern
quin insula; denselben Ablativ habe man XIII 8, 11 quae Cappadma
hiemabant. III 66, 12 sei Walthers proluebat die beste Hilfe. Die
orthographischen Formen derunt IV 35, 10, conuderant I 30, 15,
compo$($)were IV 32, 4 seien nicht mit den gebräuchlichen zu ver-
tauschen. Die zuletzt genannte Form befremde grammatisch nicht
mehr ab an derselben Stelle die Ausdrücke scriptum, ingentia,
memorabant, in arto, inglorius lexikalisch. II 53, 1 sei Urtio nicht
zu beanstanden: hier widmet Stangl der Geschichte des Gebrauchs
der Formen auf -o neben denen auf -um eine eingehende Be-
sprechung. Auch an Gato Caesare ter consule Agr. 44, 1 dürfe
man sich nicht stoßen. Mit Unrecht schiebe man VI 45, 4 ea
nach munifieenUa ein [Stangl konnte nicht wissen, daß in der
Handschrift ea von erster Hand am Rande hinzugefügt ist] und
XIV 53, 13 tuae nach munificentiae; vgl. II 87, 5 dwmas occupationes
ohne ettis. Endlich sei auch II 62, 10 poslremum im Sinne des
klassischen po$tremo richtig. Klassizistische Einförmigkeit der
Darstellungsmittel sei dem Tacitus am wenigsten zuzutrauen);
von E. Wolff, WS. f. klass. Phil. 1905 Sp. 289—294 (W. bedauert,
daß ich in der Quellenfrage, insonderheit in der Frage des Ver-
hältnisses zwischen Plutarch und Tacitus mich durch Fabias Be-
weisführung habe überzeugen lassen; auch mag er nicht glauben,
daß die Geschichte Neros die sechs letzten Bücher der Annalen
umfaßt habe. Hit den Wiederherstellungen der handschriftlichen
Lesart ist er einverstanden. IV 12 habe Job. Müller mit seiner
Konjektur atdae statt amae das Richtige getroffen; IV 34 sei in
opibusque das que zu streichen. II 8 sei ausum unbedenklich, da
Drusus sich ja bereits mitten in der Expedition befinde. Auch
trügt die Anzeige eine Anzahl treffender Parallelstellen nach); von
Pb. Fabia, Rev. de phil. XXIX S. 66; Bull. bibl. et ped. du Mus. b.
IX S. 81 ').
2) Tacite. LesAnnales, traduction ooavelle mise an courant des travaux
receot« de la philologie par L. Loiseau. Preface de J. A. Hild.
Paris 1905, Garoier freres. XII u. 698 S. 8.
In der Vorrede gibt Hild an, in welchen Punkten die vor-
legende Obersetzung ihm denen von Burnouf und Dureau de la
Malle überlegen zu sein scheint. Kurze Fußnoten, teils historisch»
intiquarischen, teils textkritischen Inhalts begleiten die Über-
setzung. Eine bestimmte Ausgabe liegt ihr, wie es scheint, nicht
zugrunde. Aber der Text, den Loiseau wiedergibt, ist durchaus
l) Io der Pitt press series ist Taeitus Historie! boolt III by Walter
\ Sammers erschienen, nach dem Urteil von E. T., Rev. crit. 1905, 9
>. 179, vgl. F. T. Richards, Clnss. Rev. 1905 S. 229, eine gute Schulausgabe.
— Voo G. Decias Agricola- Ausgabe, Torino, Loescher (s. JB. XV S. 22S)
iegt die zweite Auflage vor. Vgl. die Aozeige von Giov. Ferrara, Riv. di
ilol. 1905 S. 406.
296 Jahresberichte d. Philolog. Verein«.
veraltet. Man macht diese mit der im Titel enthaltenen Be-
hauptung in Widerspruch stehende Beobachtung am schnellsten,
wenn man die Schreibung der Eigennamen, wie sie dem Ober-
setzer vorlag, ins Auge faßt. Er hat nicht nur lulios I 10r
Clitarum VI 41, Sofonium Tigeüinum XIV 51, sondern auch Appn-
leiam Variliam II 50 und C. Lutorium Priscum III 49 vor sich ge-
habt Auch andere textkritische Erkenntnisse der neueren Zeil
sind ihm verborgen geblieben. So erklärt sich z. B. die Schwierig-
keit, die ihm der Satz spe victoriae inducti sunt ut vincerentitr
II 52 bereitet. Er gibt ihn so wieder: (on leur donnait l'esperance
d'une victoire pour les pousser ä une lutte dans laquelle ils
devaient succomber'.
Als zusammenhängende Probe der Obersetzung wähle ich
II 13: 'Au commencement de la nuit, il sort de l'äugural par
une porte secrete, ignoree des sentinelles. Accompagne d'une
seule personne, les epaules couvertes d'une peau de böte sau vage,
il parcourt les avenues du camp, s'arrete aupr&s des tentes, et
goüte le plaisir de s'entendre celebrer. L'un vantait l'illosire
naissance du general, Pautre son air marlial, la plupart son courage
ä supporter les fatigues, son affabilite, son humeur toujours egale,
aussi bien dans les occupalions serieuses que dans les amusements
frivoles; tous se promettaient de lui temoigner leur reconnaissance
sur le champ de bataille, d'immoler ä sa vengeance et ä sa gloire
les parjures et les violateurs de Ja paix. Sur ces entrefaites Tun
des ennemis qui connaissait la langue latine pousse son cheval
jusqu'ä la palissade, et, ä haute voix, promet, au nom d'Arminius,
des femmes, des terres et cent sesterces par jour tant que durera
la guerre, ä ceux qui deserteraient. Cette insulte enflamme la
col&re de nos soldats' etc.
Auch wer dieser Obersetzung das Lob der Korrektheit und
Gewandtheit im allgemeinen nicht versagt und davon absieht, daß
am Schlüsse die alte Lesart incendit (statt mtendü) wiedergegeben
ist, wird manche Einzelheit anfechtbar finden, z. B. die Auffassung
der Worte per occulta et vigilibus ignara und die Deutung der
Begriffe decorem und pattentiam.
Angezeigt Bev. de l'instr. publ. en Belg. XL VI II S, 116 von
Jules Feller (F. zeigt an einigen Beispielen, wie L. die Obersetzung
von Burnouf, die ihm als Grundlage diente, retuschiert hat) und
Class. Bev. 1905 S. 126 von F. T. Bichards, der, nachdem er die
schier unüberwindliche und auch von L. nicht überwundene
Schwierigkeit einer Obersetzung des Tacitus hervorgehoben hau
unrichtig hinzufügt: (M. Loiseau has however tbe benefit of the
latest corrections of the latin text\
3) Anzeigen älterer Ausgaben: Müller-Christ, Historien
(JB. XXIX 208): Blatt, f. d. GSW. 1905 S. 70 von G. Amnion;
Knaut, Hist. I (JB. XXIX 206): Boll. di fil. class. XI S. 83 von V.
Tacitus, Vott G. Andresen. 297
(der Text stehe nicht ganz auf der Höbe der bis jetzt erreichten
Ergebnisse der handschriftlichen Forschung); Knaut, Hist. II
(JB. XXX 314): N. phil. Rundsch. 1904 S. 569 von E.WolfT (ähn-
liches Urteil in milderer Form; die Anzeige enthält außerdem
eine bemerkenswerte Rechtfertigung der handschriftlichen Lesart
nam eos quoque Otho praefecerat 23, 18); Heraeus, Hist. 1. Bd.
5. Aufl. (JB. XXX 315): Berl. phil. WS. 1905 Sp. 694 von Th.StangL
(die Verteidigung der Überlieferung I 2 haustat aut obrutae urbes
fecundtmma Campaniae ora, et urbs incendiis vastata gibt Stangl
Gelegenheit zu einer Sammlung ähnlicher Wiederholungen von'
Wörtern bei Tacitus, unter Hinweis auf Nipperdeys Note zu I 81.
1 1 übersetzt er pluribus modis 'auf mehr als eine Weise'. I 6.
sei dux Neronis vielleicht soviel als ' Berater des Nero', vgl. VI 48
Macrone duce = 'unter der Einwirkung des M.'. Auch bespricht,
er die Pluralia tabernacula ducis II 29 (vgl. Verg. Aen. I 469 Rhesi
tentoria), ora singultu quatiens III 10 und datis mitibm responsis
Ann. IV 47); Ramsay, Annais I— VI translated (JB. XXX 317):
Athenaeum 3987 S. 397, und Class. Rev. 1904 S. 407 von
E. Harrison (die Übersetzung sei gut und nutzlich, obgleich an
einzelnen Stellen minder gelungen. Die Anzeige enthält ferner
einige neue Auffassungen, z. B. daß die Worte quamquam trili
sanguine I 76 nicht eine Milderung, sondern eine Verschärfung
des gegen Drusus gerichteten Tadels enthalten ('to rejoice in
bloodshed is bad, and to rejoice in cheap bloodshed is worse'):
III 55 sei per nomen (among his namesakes1, V 8 aegritudine
animi (in a faint' zu übersetzen); Weidner-Lange, Auswahl
3. Aufl. (JB. XXX 320): Wurtt. Korr. 1905 S. 105 von F. Knapp
(empfehlend) und WS. f. klass. Phil. 1905 Sp. 46 von Tb. Opitz-
(die neue Bearbeitung durch R. Lange gereiche der Auswahl zum*
Vorteil; ihr wichtigster Vorzug sei die Gestaltung des Textes, ob-*
gleich nicht jede Lesart gebilligt werden könne); Rossr, Ann. XV:
(JB. XXX 321): Riv. di filol. 1905 S. 406 von Giov. Ferrara
(empfehlend); Joa. M öller, Ann. vol. Is, ed. minor (JB. XXX 323):
Blatt, f. d. GSW. 1905 S. 70 von G. Ammon, Rev. de phil. XXIX
S. 67 von Ph. Fabia und N. phil. Rundsch. 1905 S. 5 von E. Wolff
(wohlwollende Beurteilung der Textgestaltung; besonders hervor-
gehoben zu werden verdient die Empfehlung der Döderleinscbero
Konjektur ubi vivamus XIII 56 und die Ablehnung der Einfügung
von fortunam II 73 hauptsächlich, weil es nicht ratsam sei, die
von Tacitus regelmäßig zusammengestellten Begriffe formam und
aetatem voneinander zu trennen).
II. Tacitus als Schriftsteller.
4) Willy Bauer, Die Verfasser- und Zeitfrage des dialogus de
oratoribus. Progr. Hattiugen-Rubr 1905. 91 S.
Diese auf umfassender Literaturkenntnis beruhende, gewandt
geschriebene Abhandlung, zu deren Abfassung die Publikationen
298 Jahresberichte, d. Pkilolog. Vereins.
von Gudeman, Norden, Leo, John und Kaisei* die Anregung ge-
geben haben, bringt zwar kaum einen neuen Gesichtspunkt, der
für die Entscheidung ins Gewicht fallen könnte, wird auch in
ihren Ergebnissen und in der Art, wie diese erreicht werden, für
manchen nicht überzeugend sein, ist aber nutzlich zur Orientierung
über die immer noch nicht abgeschlossene Entwicklungsgeschichte
des Problems.
Nachdem B. die zugunsten der Autorschaft des Quintiliao
oder Plinius vorgebrachten Gründe widerlegt und den fiktiven
Charakter des Gesprächs festgestellt bat, welches demungeachtet
den Schein einer historischen Grundlage bewahre und insofern
als typisch anzusehen sei, als es ein in den damaligen Rhetoren-
schulen beliebtes Deklamationsthema behandle, sammelt er ^
äußeren und inneren Momente, die för die Autorschaft des Tacitus
sprechen. Zu jenen rechnet er außer dem Zeugnis der Hand-
schriften nicht bloß das sog. Langesche Argument, sondern auch
die Notiz des Grammatikers Pomponius Laelus; diese stellt
er, wo es sich um Ähnlichkeit der Gesichtspunkte und An-
schauungen handelt, nach Gudeman, wo sprachliche und stilistische
Beruhrungen in Frage kommen, nach Weinkauff und John zu-
sammen. Dann wendet er sich dem chronologischen Problem zu,
von dessen Lösung die Erklärung der trotz aller Berührungen
unleugbar vorhandenen Stildifferenz abhängig sei. Da statio un-
bedenklich als * Regierungsjahr ' und die Zahl 120 als eine 'fixe
runde Zahl1 anzusetzen sei, da ferner eine Zwischenzeit von sieben
Jahren (74—81) durchaus genüge, um den Ausdruck iuvenis ad-
modum zu rechtfertigen, da endlich die Schrift unter Domitian,
auch in dessen ersten Jahren, nicht geschrieben sein könne und
der Stilunterschied sich nur durch die Annahme eines längeren,
durch ungewöhnliche Erlebnisse ausgefüllten Zwischenraums und
mit Hilfe der aufklärenden Lehre Wölfllius von der genetischen
Entwicklung des Taciteischen Stils begreifen lasse, so müsse man
die Abfassung der Schrift in den Ausgang der Regierung des Titu»
seUen. Wer sich für die nachdomitianische Zeil entscheide, müsse
die Autorschaft des Tacitus verneinen. Denn die neue, von Norden,
Leo, Wilamowitz, Schanz vertretene Stiltheorie 4 passe vielleicht
auf einen Durchschnittsmenschen', aber (daß ein Historiker, der
mitten im besten Schaffen stand, plötzlich den Seitensprung zu
einem rhetorischen Kabinettsslückchen gemacht haben sollte, spreche
aller Psychologie Hohn', und John habe recht, wenn er es fuf
undenkbar erkläre, daß Tacitus in seinem Dialogus für den Klassi-
zismus und gleichzeitig in seinen Geschieh ts werken dagegen ge-
wirkt habe. Der zuerst von Teuffei beobachtete programmatisch-
persönliche Charakter der Schrift sei wohl zu verstehen, wenn
sie vor Domitian geschrieben sei: unter Domitian hätten sich eben
die Pläne des angebenden Historikers nicht verwirklichen lassen.
Der Hinweis auf die 15 Jahre des Stillschweigens Agr. 3 deute
Tacitui, von G. Andres«*. 299
auf eine vorhergegangene literarische Leistung. Nach dem Agricola
aber, der den Übergang zur Historie bezeichne, könne der Dialogus
nicht zu stehen kommen, weil es unlogisch wäre, plötzlich eise
Absage an die Rednerlaufbahn ergehen zu lassen, nachdem der
Verfasser bereits seit längerer Zeit mit ihr gebrochen und sich
von der Anwaltstätigkeit zurückgezogen hatte.
Versehen: S. 28: 'Q. Corn. Tacitus'; S. 52: 'Casars Erbe tritt
sein Neffe an1.
Angezeigt DLZ. 1905 Sp. 1974.
5) Aot. Cima, La tragedia romaoa Oetavia e gli Anaali di
Tacito. Pisa, Nistri. 36 S. 8.
C. bekennt sich, wie ich der Anzeige DLZ. 1905 Sp. 1245
entnehme, im ganzen und großen zu der Ansicht, daß der Ver-
fasser der Oetavia junger als Tacitus und dessen Geschichtswerk
die hauptsächliche oder die einzige Quelle der Tragödie sei. Zwar
sei man in der Annahme von Nachahmungen des Tacitus im
einzelnen bisher vielfach zu weit gegangen; aber einige schlagende
Reminiszenzen seien genügend, um zu zeigen, daß der Dichter
der Oetavia Tacitus gelesen bat. Seine Zeit könne daher nicht
ins erste Jahrhundert gesetzt werden.
6) Josef Lcngsteiocr, Zu Tacitus. Progr. Kalksborg 1903. 12 S.
L. vergleicht im ersten Abschnitte seiner kleinen Abhandlung,
wie schon andere vor ihm, Plut. Otho 17 ijdti de ianiqag ovöijg
idlifjqös xal mwv iXiyov vdatog, SvoXv ovvtav av%q> &q><av,
ixatiqov xavsfjuip&avt %6 (Sndus^a nolvv %qqvov> xal %o Hsqov
andiwx6> 3-äteQOV di elg zag ayxakag avakaßunv zovg olxfactg
nQO<J€*aXs%TO mit Tac. Hist. II 49 vesperascente die sitim haustu
gelido* aqua* sedavü. Tum adlatis pugiombus (duobus), cum
utrumque pertemptamt, altertim capüi mbdidit. Wölfflin schöpfte
aus diesem Vergleich einen Beweis für die Abhängigkeit des
Plutarcb von Tacitus (Sitzungsber. d. bayer. Akad. d. Wiss. 1901, 1
S. 46), indem er annahm, Plutarcb habe das ihm unverständliche
capiti 'nach freier Phantasie gebessert1. L. dagegen fuhrt die
Obereinstimmung beider Berichte auf die Benutzung einer gemein-
samen Quelle zurück. So auch Borenius, De Plutarcho et Tacito
inter se congruentibus S. 137. Aber während dieser den Aus-
druck tig tag ayxakag auf Bechnung der 'indiligentia' des Plutarch
setzt, vermutet Lengsteiner, daß, während in der gemeinsamen
Quelle abtrofft gladium cubitali subdidit gestanden habe, Tacitus
in seiner vornehmen Manier den trivialen Ausdruck für Kopfkissen
durch capiti ersetzt, Plutarch aber cubital für gleichbedeutend mit
cubitum oder cubitus gehallen und daher dg zag ayxakag über-
setzt habe. Bei dieser Deutung hat L. ebensowenig wie Wölfilin
berücksichtigt, daß die Reihenfolge der Handlungen Othos bei
Plutarch eine andere ist als bei Tacitus, und daß es der Situation,
300. Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
wie Plutarch sie schildert, durchaus entspricht, daß Otho, nach-
dem er den verworfenen Dolch zurückgegeben, den gewählten
unter den Arm nimmt und dort behält, bis er nach der Beendigung
der Verhandlung mit den Sklaven sich in sein Zimmer zurück-
zieht; vgl. WS. f. klass. Phil. 1901 Sp. 437. Wir haben also zwei
Versionen vor uns, von denen jede in dem ihr eigentümlichen
Zusammenhange verständlich ist, und ebendeshalb ist es bedenk-
lich anzunehmen, daß die eine ihren Ursprung einem Mißver-
ständnis verdanke.
Der zweite Abschnitt ist der Erörterung der Vorgänge bei
dem Schiffsunglück der Agrippina und ihrer topographischen
Fixierung gewidmet. L. findet es unbegreiflich, daß Agrippina,
die doch von Baiae nach Bauli zurückkehren wollte, sich in ent-
gegengesetzter Richtung von den Leuten, die die Schwimmende
aufnahmen, in den lacus Lucrinus, d. h. in den durch einen
schmalen Damm von dem lacus Baianus (Golf von Pozzuoli) ab-
geschlossenen See bringen ließ (Ann. XIV 5); und daß eine von
Nässe triefende und außerdem verwundete Frau die weite Strecke
vom Lucriner See bis nach Bauli geschleppt worden sei (villae
suae infertur), könne man nicht glauben. Da aber davon, daß
Agrippina auch am Lucriner See eine Villa besessen habe, sich
bei Tacitus nicht die leiseste Andeutung finde, so bleibe nichts
übrig, als XIV 5 Lucrinum zu streichen oder etwa in vicinutn zu
ändern und unter diesem namenlosen lacus die durch die Worte
flexo mari adluitur XIV 4 bezeichnete kleine Bucht zu verstehen,
an der Bauli lag.
Meine Ansicht über den Verlauf der Dinge habe ich JB. XXVII
S. 343 ausgesprochen. Was L. unbegreiflich findet, wird verständ-
lich durch die der Situation völlig entsprechende Annahme, daß
Agrippina sich den Leuten, die sie auffischten, nicht alsbald zu
erkennen gab, vielleicht weil sie ihnen nicht traute, und daß diese
sie daher nach dem Ziele ihrer Fahrt, dem Lucriner See, mit-
nahmen, woraus sich mit Notwendigkeit ergab, daß sie von dort
in ihr Quartier, d. h. nach Bauli, gebracht wurde. Zu einem so
verwegenen Schritte, wie es die Streichung oder Änderung von
Lucrinum wäre, liegt somit kein Anlaß vor.
Inhaltsbericht von J. Golling, Gymnasium 1904 S. 849.
7) AttiLio Profumo, Le fonti cd i tempi dcllo incendio Nero-
niaao. Roma 1905, Fortan i etc. 748 S. 8.
Über den Inhalt dieses Buches, dessen gewaltiger Umfang in
Erstaunen versetzt, habe ich WS. f. klass. Phil. 1905 Sp. 629— 638
ziemlich ausführlich berichtet. Indem ich die Leser der JB. auf
diese Anzeige verweise, hebe ich hier nur die wesentlichsten Er-
gebnisse der weit ausholenden Untersuchungen Profumos hervor.
Er richtet sein Hauptaugenmerk auf die Frage, wie es zu erklären
sei, daß, während der ältere Plinius, Sueton und Dio den Nero
Tacitus, von G. Andreseo. 301
unbedenklich als den Urheber des Brandes der Stadt im Jahre 64
n. Chr. bezeichnen (womit die Tatsache an sich festgestellt sei),
Tacitus über die Entstehung des Unglücks im Zweifel ist (forte
an dolo principis incertwn, nam utrumque auctores prodidere XV 38).
In der Oberzeugung, daß Tacitus die Möglichkeit einer zufälligen
Entstehung aus keiner der drei Quellen, die er XIII 20 nennt,
selbst nicht aus Cluvius Rufus, entnommen haben könne, und auf
Grund gewisser Beobachtungen, die ihn zu der Ansicht geführt
haben, daß in den drei großen Erzählungen des XV. Buches, vom
Armenischen Kriege, vom Brande der Stadt und von der Pisoniani-
schen Verschwörung, eine offizielle Version herrsche, welche zwar
nicht den Nero persönlich, wohl aber die kaiserliche Regierung
zu entlasten bemüht sei, spricht er die Vermutung aus, daß diesen
drei Erzählungen, also auch jenem forte, persönliche Mitteilungen
des alten Neronianers Cocceius Nerva, des späteren Kaisers, zu-
gründe liegen. An diese unhaltbare Hypothese — denn XV 38
ist, wie sowohl auctores als auch prodidere zeigt, nur von Historikern
die Rede, zu denen Nerva nicht gehörte — knüpft er seltsame
Vermutungen über die Entstehung und Herausgabe der einzelnen
Büchergruppen der Annalen, Vermutungen, die darin gipfeln, daß
Tacitus die Bücher XV und XVI der Annalen etwa zu derselben
Zeit geschrieben habe, wo er mit der Vorbereitung und Abfassung
der Historien beschäftigt war.
Eine ausführliche Besprechung, die den Vorzügen wie den
Schwächen des maßlos angeschwollenen Buches gerecht wird, hat
F. Ramorino, Atene e Roma 1905 Maggio, S. 151, geliefert. Vgl.
ferner R. Ottolenghi, L'incendio di Roma dell' anno 64, Nuova
antologia 1904, 1. Settembre, und P. Allard, Les chretiens ont-iis
incendie Rome sous Neron? Paris J904, Blond ft Co.
h) Carolas Bretschneider, Quo ordine ediderit Tacitus singiilas
Annalium partes (Straßbarger Dissertation). Argen torati MCMV.
Typis expresserunt C. et J. Goeller. 75 S. 8.
Angeregt durch Münzers Versuch, durch eine Musterung der
Rückverweisungen, deren sich Tacitus in den Historien bedient,
zu zeigen, welche Bucher dieses Werkes enger unter sich als mit
<den vorangehenden und folgenden verbunden und demgemäß zu-
sammen veröffentlicht zu sein scheinen (s. JB. XXIX S. 277), unter-
nimmt es der Verfasser dieser an feinen Beobachtungen reichen
Dissertation, durch Feststellung der verschiedenen Methoden, welche
Tacitus befolgt, wenn er auf eine vorher erzählte Begebenheit oder
-auf eine früher erwähnte Person zurückkommt, je nachdem er
vorauszusetzen scheint, daß das Erzählte noch im Gedächtnis des
Lesers hafte oder bereits vergessen sei, zu bestimmen, welche
Bücher der Annalen unter sich ein Ganzes bilden und wo die
-Grenzen zwischen den nacheinander veröffentlichten Teilen anzu-
setzen seien. Es handelt sich hier nicht um zwingende Argumente,
302 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Modern um Andeutungen, deren Beweiskraft verschieden starl
ist, in einzelnen Fällen von manchem Leser vermutlich ganz ge-
leugnet werden wird. Ich wähle aus ßretschneiders Sammlung
die Stellen aus, die ihm selbst als die maßgebendsten er-
scheinen.
Dafür, daß die Bücher, welche die Regierung des Gaius ent-
hielten, nicht zugleich mit den folgenden ediert sind, spricht, sagt
B., XI 29 ac primo Callistus, tarn mihi circa necetn C. Caesaris
mrratus, et Appiauae caedis molitor Narcissus etc. Hier werden
die Umstände, unter denen Gaius ermordet wurde, als bereits
vergessen, die im Jahre 42 erfolgte Ermordung des Appius SiJanus,
auf die auch XI 37 durch florenli ßiae haud Concors angespielt
wird, als dem Leser noch erinnerlich vorausgesetzt. Das Xu. ßucii
hängt nicht bloß mit dem XI. eng zusammen — dies wird be-
wiesen durch die Art, wie im Anfang die Freigelassenen des
Claudius, die uns am Ende des XI. Buches vorgeführt sind, er-
wähnt werden — sondern anch mit dem ersten der Bucher, die
über Claudius handelten, wie daraus hervorgeht, daß XII 8 auf
die im Jahre 41 erfolgte Verbannung des Seneca durch einen
kurzen und dunklen Ausdruck hingedeutet wird.
Mit Buch XIII hebt eine neue Partie der Annalen an: dies
zeigt das ganze Proömium des Buches, insbesondere der Umstand,
daß Tacitus die Vergöttlichung des Claudius sowohl XII 69 als
auch XIII 2 berichtet, an der ersten Stelle, um das, was er über
Claudius zu erzählen hat, abzuschließen, an der zweiten von
Gesichtspunkt des Nero aus an dem Platze, die diesem Beschlüsse
in der Reihenfolge der in die Zeit des Nero fallenden Begeben-
heiten zukam. Die Worte Prima novo principatu mors etc., die
an sich nicht so aussehen, als fange hier eine neue Partie an,
sind gewählt, um an I 6 zu erinnern und dadurch in dem Leser
die Vorstellung zu erwecken, daß Neros Regierung unter dem-
selben omen begonnen habe, wie einst die des Tiberius. Ferner
wird XIII 15 die Giftmischerin Locusta so erwähnt, als ob sie
noch gar nicht genannt worden wäre, und doch finden wir sie
schon XII 66. Es fallt daher auf, daß Tacitus es unterläßt her-
vorzuheben, daß Vater und Sohn von demselben Weibe vergiftet
worden sind. Pallas, Seneca, Burrus werden im XIII. Buche so
eingeführt, daß Tacitus gefürchtet zu haben scheint, die Leser
möchten vergessen haben, was er im XII. Buche über diese Mäaaer
erzählt hat. XIII 1 1 sind die Worte ob adultorum Agrippinat orim
demotum hinzugefügt, weil der Bericht über das hier berührte Er-
eignis im XI. Buche (c. 36), d. h. in einem andern corpus steht.
Auf den Besieger der Britannen A. Plautius wird als auf eine
bekannte Persönlichkeit XI 36 durch die Worte ob patrui egreghtm
meritum hingewiesen, während XIII 32 die Worte quem ovam de
Brüannis rettuli notwendig erschienen, um diesen Sieg wieder in
Erinnerung zu bringen. Was wir XIII 6 über Radamistus lesen:
Tacitus, vod G. Andreaeo. 303
qui satt* regni eins potüm etc., ist eine Rekapitulation des im
XII. Buche Ober ihn Erzählten.
Das 14. Buch leitet kein neues corpus ein: der Schriftsteller
setzt voraus, daß der Leser versteht, welches scelus in den An-
fangsworten des Buches gemeint ist. Über Iturius, Calvisius und
Sabina wird XIV 12 in der Voraussetzung gesprochen, daß die
XIII 19 ff. erzählten Taten und Schicksale dieser Personen in der
Erinnerung des Lesers haften. So erklärt sich auch redditi scamae
pantomimi XIV 21 ohne einen Zusatz wie olim pulst, wenn man
XIII 25 vergleicht. XIV 56 longa parsitnonia setzt XIII 30 prae-
cipuae opes voraus. Den XIII 47 genannten Cornelius Sulla nennt
Tacitus XIV 57 als einen dem Leser bekannten Mann nur mit
Einem Namen und spricht von ihm in ähnlichen Ausdrucken,
wie Ucenter XIV 48 auf licentiam XIII 28 zurückweist und attmeri,
das wir XIII 37 lesen, XIV 25 wiederkehrt. Dagegen erinnert
das XIV 29 über Didius Gesagte nicht an XII 40, d. b. an die
Stelle, auf die er sich mit ut memoram beruft, sondern an Agr. 14.
XIV 46 wird durch meminerant die Erinnerung an das XII 59
über Tarquitius Priscus Berichtete künstlich aufgefrischt.
Auch mit XV fängt kein neues corpus an, schon weil der
Anfang mitten in das Jahr 62 fällt, ebensowenig mit XVI, das
mit dehinc beginnt. XVI 14 verweist mit ut dixi auf den gleich-
lautenden Ausdruck XIV 48, XVI 21 auf XIV 12. Der kurze
Ausdruck de Agrippina ist nur dem verständlich, der das XIV 12
Erzählte im Gedächtnis hat. Die Geschichte des Nero füllte somit
ein einziges corpus, getrennt von der des Claudius.
Im folgenden Abschnitt untersucht B. die Variationen, welche
Tacitus im Gebrauch der Namen bei wiederholter Erwähnung
derselben Person anwendet, sowie die verschiedenen Gelegenheiten,
bei denen er, abgesehen von den Nekrologen, die Charakteristik
einer Persönlichkeit anbringt. Da dieser Abschnitt für den eigent-
lichen Zweck der Schrift, die Scheidung der Annalenteile, weniger
ergiebig ist, so verzeichne ich aus ihm nur zwei Beobachtungen.
Den P. Suillius führt Tacitus zweimal, und zwar in ähnlicher
Weise, ein: IV 31 und XIII 42, das zweite Mal ohne auf XI 5—7
anzuspielen; denn die Worte poena Cinciae legis gehen auf XIII 5
zurück. Rufrius Crispinus wird in XI und XII genannt, aber
XIII 45 als ein Unbekannter eingeführt.
Die Bücher I — III gehören zusammen : sie enthalten die
Tragödie 'Des Germanicus Glück und Ende'. Die enge Verbindung
der Bücher III und II zeigt sich am Anfang von III, die von II
und I u. a. darin, daß II 6 Silius und Caecina nur mit einem
Namen genannt werden. Caecina bezieht sich in seiner Rede
III 33 auf das II 55 geschilderte Treiben der Plancina: wir finden
dieselben Worte, aber nicht den Namen der Plancina. III 20
(a Camillo) weist auf II 52 (Furius Camillns) zurück, während
IV 23 schon der Ausdruck adversum Numidam Tacfarinatem
304 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
zeigt, daß hier die Erinnerung an Entlegenes erneuert wird. III 42
wird C. Silius als aus I 31 bekannt eingeführt, Visellius Varro
dagegen 41 inferioris Germania* legatus genannt.
Mit Buch IV beginnt eine neue Partie: IV 1 wird Sejan zum
erstenmal wieder nach I 24 Aelius Seianus genannt. Daran
schließt sich eine Charakteristik des Mannes und ein Ausblick in
den Rest seiner Lebensgeschichte, die den Inhalt der Bucher
IV — VI bildet. Daß diese ein Ganzes bilden, zeigt ein Vergleich
von IV 57 mit VI 1 ; denn was er an der zweiten Stelle über die
foedae Ixbidines des Tiberius sagt, deren Schilderung er mit Ab-
sicht bis hierher aufgespart hat, schwebte ihm schon an der ersten
vor Augen. Über Arruntius' Tod hatte Tacitus sich, als er VI
(47. 48) schrieb, besser unterrichtet nnd das I 1 3 Behauptete ver-
gessen. An der letzteren Stelle muß unter omnes auch Cn. Piso
mitverstanden werden. Diejenigen nämlich, welche pro Arruniio
Cn. Pisonem tradidere, glaubten, Piso sei nicht spmte extinctum,
verum inmisso percnssore (III 16). IV 18 werden die in I— III
erzählten Taten des Silius rekapituliert. Ein kurzer Hinweis wie
qui fuerat Germania legatus, hätte genügt, wenn I— IV ein corpus
gebildet hätten. IV 21 wird das II 34 über L. Piso und Urgulania
Gesagte wiederholt; auch heißt jener hier nicht L. Piso, sondern
Calpurnius Piso. Allerdings wird L. Libo, dessen Prozeß im 2. Buch
erzählt ist, IV 29. 31. VI 10 als bekannte Person erwähnt. Aber
da Libo ein Verwandter des Kaisers war und Tacitus II 27 seinem
Prozesse eine besondere Bedeutung beilegt, durfte der Schriftsteller
voraussetzen, daß sein Fall noch unvergessen sei. Vielleicht war
er auch durch besondere Darstellungen, die, nach gewissen An-
deutungen zu schließen, ebenfalls dem Tacitus als Quelle dienten,
noch bekannter geworden.
VI 26 glaubt Tacitus die in II und III erzählten Schicksale
der Plancina wiederholen zu müssen; dagegen erwähnt er in VI
mehrere in IV genannte Männer als bekannte Personen; in dem-
selben Sinne weist er in VI auf verlorene Teile von V zurück.
Der I 13 zuerst genannte und im 3. Buche oft erwähnte
M'. Lepidus wird IV 20 zum zweitenmal auf die Buhne geführt
und charakterisiert; in seinem Nekrologe VI 27 wird an das I 13
Gesagte nicht erinnert. Tacitus scheint nach Vollendung der
Bücher I — HI durch neue Nachforschungen ein genaueres Bild
von ihm gewonnen zu haben. Ähnliches gilt von Golta Messalinus,
Fulcinius Trio, Haterius Agrippa. Q. Servaeus wird VI 7, P.Vitellius
V 8 neueingeführt. Den IV 29 erwähnten Brief des Vibius Serenus
an Tiberius kannte Tacitus noch nicht, als er II 30 schrieb, wo
er diesen Mann G. Vibius nennt.
Der Gegenstand der Bücher IV — VI ist (des Seianus Glück
nnd Ende'; am Schlüsse von IV steht er auf dem Gipfel seiner
Macht. Auch diesen Stoff hat Tacitus nach Art einer Tragödie
disponiert. Die Scheidung zwischen den Perioden der Charakter-
Tacitus, vod G. Andreren. 305
entwicklung des Tiberius, in der nach dem Tode des Germanicus
«ine Wandlung eintrat, findet sich auch bei Dio, der außerdem
den Sejan in ähnlicher Weise einfuhrt wie Tacitus im Eingang
des 4. Buches, ein Beweis für die Gemeinsamkeit der Quelle.
Die Bücher VII und VIII mögen die Regierung des Gaius,
IX— XII die des Claudius enthalten haben.
Zuletzt erörtert ß. die Frage des Annalenschlusses, die er in
anderer Weise löst als Fabia, Le point final des Annales de Tacite
(s. JB. XXIX S. 281). Die kurzen retrospektiven Notizen im Ein-
gang der Historien seien nicht ausreichend, um als Ersatz für die
Darstellung der Ereignisse der zweiten Hälfte des Jahres 68 zu
dienen, Schon deshalb sei es nicht wahrscheinlich, daß Tacitus
die Annalen mit dem Tode des Nero abgeschlossen habe, so
wirkungsvoll auch ein solcher Abschluß war. Die auf Nymphidius
bezuglichen Worte nam et ipse pars Romanarum cladium erit XV 72,
womit, wie allgemein zugestanden wird, Tacitus erklärt, daß er
sich an einer späteren Stelle der Annalen mit diesem unheilvollen
Menschen zu beschäftigen haben werde, seien nicht auf seinen
Verrat an Nero, sondern auf seinen Versuch, sich zum Kaiser zu
machen, zu deuten; denn sein Sturz zog den Untergang vieler
angesehener Männer nach sich. Nymphidius gab sich als den
letzten Julier aus: dies verbinde ihn mit den priores domini, und
wie das ganze Werk der Annalen zeige, wieviel Unheil das eine
Haus über den Staat gebracht habe, so habe es geschlossen mit
dem Unglück, das der Sturz des angeblich letzten Sprossen dieser
Familie herbeigeführt hat. Somit sollten sich die Annalen nach
der XV 72 kundgegebenen Absicht bis an den Anfangspunkt der
Historien erstrecken. Dieses Ziel konnte der Historiker in zwei
Büchern, XVI und XVII, erreichen.
^) Anzeigen älterer Schriften: Boissier, Tacite (JB. XXVIII
268): Museum XI, 9 S. 335 von J. Hartman; Gonsoli, L'autore
del libro de ör. et s. Germ. (JB. XXIX 218): Bull, bibiiogr. et
pedag. du Musee beige VIII, 3 S. 111 von J. P. W(altzing), vgl.
Ph. Fabia, Rev. de phil. XXIX S. 67; Krözel, Quo tempore Taciti
dial. de or. babilus sit (JB. XXX 324): Eos X S. 176 von
S. Bednarski, WS. f. klass. Phil. 1904 Sp. 1146 von E. WolfT (in
der Deutung des Wortes statio befinde sich Verf. auf richtigem
Wege; in den Worten sextam tarn Stationen jedoch mißverstehe
er die Kraft des tarn, und seine Berechnung der Jahre vom
Regierungsantritt des Vespasian bis zum Ende der sechsten statio
sei wunderlich); Stein, Die Protokolle des römischen Senats
(JB. XXX 326): Bev. archeolog. 1904 S. 294, DLZ. 1905 Sp. 97,
Herl. phil. WS. 1905 Sp. 354 von H. Peter (P. stimmt der An-
sicht zu, daß Tacitus direkt aus den Senatsprotokollen geschöpft
habe), WS. f. klass. Phil. 1904 Sp. 1174 von E. Wolff (auch dieser
Hezensent sagt, Verf. schließe mit Recht aus der Art der Bericht-
Tahr«ab«Hchte XXXI. 20
306 Jahresbericht« d. Philolog. Vereint.
erstattung des Tacitus über die Vorgänge im Senat, daß diese nur
auf unmittelbarer Einsicht in die Akten beruhen könne); Fabia,
La lettre de Pompeius Propinquus (JB. XXX 928): Riv. di storia
antica IX, 1 S. 146; Fabja, L'adhesion de l'Illyricum etc. (JB.
XXX 329): ebd. VIHf 2 S. 319 von G. Tropea.
HL Historische Untersuchungen.
10) V. Gardthausco, Augustus und seine Zeit. 13. II 3. Leipzig
1904, B. G. Teubner. S. 1035-1378. 8 JC. S. 651-910. 7 Jt.
Dieser Schlußband enthält die Bücher 10—13: Die Söhne
der Li via; Die Söhne der Julia; Rhein, Donau, Elbe (hierin:
Quinclilius Varus und Arminius; Die Varusschlacht); Die letzte»
Jahre des Augustus. Ein großer Teil der Belege für die Dar-
stellung in diesen vier Büchern ist den Annalen des Tacitus ent-
nommen. Die Kombination dieser Belege mit den von ander»
Seiten dargebotenen historischen Zeugnissen sowie die staunens-
werte Reichhaltigkeit der Literaturnachweise, z. B. über die Varus-
schlacht (S. 808 — 815), machen diesen inhaltsreichen Band zu
einem in erster Reihe der Orientierung in allen Einzelfragen
dienenden wertvollen Hilfsmittel für das Verständnis des Tacitus»
Aus der Anzeige von M. Rottmanner, Blatt, f. d. GSW. 1905
S. 279 kann man sich über den Inhalt dieser beiden letzten Teile
des großen Werkes genauer orientieren. Die Frage, wer die Er-
mordung des Agrippa Postumus angeordnet habe, beantwortet
R. im Sinne Gardthausens dahin, daß Livia den Befehl ge-
geben habe.
11) Friedrich Koepp, Die Römer in Deutschland. Mit 18 Karte»
und 136 Abbildungen. Bielefeld und Leipzig 1905, Velhagen 8c Klasiog.
153 S. gr. 8. 3JC. (= Monographien zur Weltgeschichte XXII).
Diese Monographie ist das Werk eines ebenso kundigen wie
behutsamen Mannes. Die Darstellung ist gedrängt, läßt aber den
Leser auf jeder Seite erkennen, daß der Verfasser mit allen Eiozel-
fragen, die sich an sein Thema knüpfen, und mit den bis in die
neueste Zeit vorgeschlagenen Lösungen dieser Fragen wohlver-
traut ist. Seine Behutsamkeit, die ihn das Sichere von de« Un-
gewissen streng sondern läßt und ihn besonders gegen einen Teil
von Knokes Ergebnissen mißtrauisch macht, zeigt sich am deut-
lichsten da, wo es sich um Ortsfragen handelt. Er verzichtet auf
eine Entscheidung der Frage nach der örilichkeit der Varus-
schlacht — Mommsens Hypothese, fügt er hinzu, sei mit des
Tacitus Angaben nicht gut vereinbar — , er erklärt es für ungewiß*
ob der Name Mattium in Maden oder Metze fortlebe, er stellt es
dem Leser anheim, ob er das von Tacitus beschriebene Gelände
der Schlacht von Idisiavisus — so schreibt er statt Mistaviso —
lieber mit Dahin in der Gegend von Rehme oder mit Knoke in
Y
Tacitus, vqd G. Aodresco. 307
der von Eisbergen wiedererkennen will, und der Altar des Drusus
bei Aliso, meint er, könne dem Grunder des Kastells errichtet
worden sein, auch ohne daß er hier starb.
Dagegen spricht er sich mit Entschiedenheit dahin aus, daß
die Cherusker an der mittleren Weser, die Ultimi Bructerorum
zwischen Münster und Paderborn, die pontes longi links der Ems
anzusetzen seien. Daß das castellum Lupine flumini adposüutn mit
Aliso identisch sei, könne nur ein Zweifler von Profession be-
streiten oder bezweifeln, und wenn auch ein durchaus zwingender
Beweis dafür, daß Aliso nun endlich bei Haltern gefunden ist,
schwerlich jemals geführt werden könne, so könne doch auch
kein triftiger Grund dagegen aufgebracht werden. K. spricht
ferner die Vermutung aus, daß der Suebenname ein Spottname
war, den die unter keltischem Einfluß fortgeschrittenen Rhein -
gerroanen, die Istväonen, den in der Kultur zurückgebliebenen
Germanen des inneren Landes gaben, daß das Heiligtum der
Tanfana der sakrale Mittelpunkt der Istväonen gewesen sei, wie
der von Müllen hoff an der Stelle des heutigen Hamburg gesuchte
Hain der Merthus das Heiligtum der Ingväonen war, und daß der
Name Veiera gar nicht das bedeute, was die Volksetymologie ihn
wohl schon früh habe bedeuten lassen: der Name, der an dem
Orte haftete, sei auf das römische Lager übertragen und dann
bald, als ob er lateinisch wäre, verstanden worden.
Über die Quellen für die Varusschlacht ist ihm Mommsens
Urteil maßgebend. Mit den Berichten des Tacitus über die Feld-
zöge des Germanicus stünden, bemerkt er, unzweifelhafte geo-
graphische Verhältnisse und unausweichliche militärische Erwägungen
in Widerspruch; namentlich enthalte der Bericht über den Auf-
marsch zu dem großen Feldzuge des Jahres 16 viel Unbegreif-
liches; eine Textverderbnis stecke jedoch in den Worten pcnctra-
tumque ad amnem Visurgin, wo entweder ein minder geläufiger
Flußname in den der Weser verwandelt oder der Name unver-
ständig hinzugefügt worden sei, während mit dem ungenannten
Fluß, zu dem Germanicus mit der Flotte gefahren war, der Rhein
oder vielmehr die Yssel gemeint war. Dagegen zeichne sich des
Tacitus Kriegsbericht im 4. und 5. Buche der Historien durch
eine ungewöhnliche, sach- und ortskundige Anschaulichkeit aus,
die er seinem Gewährsmann, ohne Zweifel Plinius, zu ver-
danken habe.
Ober Arminius urteilt Koepp folgendermaßen: 4Als der Hort
deutscher Freiheit und Einheit wird Arminius gepriesen . . . und
doch war er ein Bild der gepriesenen deutschen Treue gewiß
nicht, der Cheruskerprinz, der im Dienste des römischen Kaisers
den Ring des Ritters empfing, um dann den Statthalter dieses
Kaisers durch schnöden Verrat zu verderben. Und doch hat
Arminius den vollen Erfolg seiner Tat vielleicht nur dem Zufall
zu verdanken, daß der Germanen Uneinigkeit sie zu einer wirk-
20*
308 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
lieben Gefahr für das Reich nicht werden ließ. Denn wäre sie
das geworden, wie der pannonische Aufstand, so würde auch Rom
sich zur Abwehr zusammengerafft haben, und der Feldherr, der
jenen Aufstand in vierjährigem Kampfe niedergerungen hatte,
würde vielleicht von neuem die Legionen bis an die Elbe geführt
und das vor Jahren abgebrochene Werk vollendet haben'. Ander-
seits sei es, bemerkt K., verkehrt, den Varus als einen ganz Un-
fähigen hinzustellen. Daß sein Auftreten in Germanien nicht
durchaus verwerflich war, werde dadurch bewiesen, daß er unter
den Germanen Freunde hatte; sein Fehler sei gewesen, daß er
verkannte, daß die Germanen keine Syrer waren — und an Ver-
schlagenheit doch Syrer sein konnten.
Angezeigt Hist. Ztschr. 95 S. 344 (in der Darstellung Koepps
überwiege die Schärfe der auflösenden Kritik allzusehr die Kraft
der Anschauung und Gestaltung), Mitt. aus d. hist. Lit. 1905 S. 282
von Ködderitz, Lit. Zentralbl. 1905 Sp. 1118 von F. Schneider
('zugleich gründlich und lesbar1), Beilage zur Münchener Allgem.
Zeitg. 1905 Nr. 39.
12) E. Dünzelmann, Aliso und die Varusschlacht. Bremen 1905,
G.Winter. 24 S. gr. 8. 0,50 ./#.
Die Ausgrabungen bei Haltern an der Lippe und die eifrig
verbreitete Kunde, hier sei Aliso wiedergefunden, sowie das Er-
scheinen des zweiten Bandes von Delbrücks Geschichte der Kriegs-
kunst haben, wie es scheint, dem Verfasser der drei JB. XVI 297.
XX 159. XXVI 241 besprochenen Schriften die Anregung gegeben,
seine Auffassung, die man kurz als die Huntehypothese bezeichnen
kann, wieder in Erinnerung zu bringen. Die Beweisführung zu-
gunsten der Ansicht, daß der Lupia des Tacitus (der Aovniat;
des Strabo) nicht die Lippe, sondern die Hunte sei und daß Aliso
in der Gegend von Hunteburg gelegen habe, ist in der neuen
Schrift dieselbe wie in den drei älteren. Alle an der Lippe für
Aliso vorgeschlagenen Plätze hätten den Fehler, daß sie zu weit
südlich liegen; Haltern1) liege außerdem dem Rhein zu nahe.
Die in der neuen Schrift enthaltenen ModiGkationen der früheren
Ausführungen sind völlig unerheblich, die Ergänzungen sind etwa
folgende: Die Brücke, die Caecina im Jahre 15 über das Diepholzer
Moor schlug, um dem nachfolgenden Germanicus einen Weg zu
der Stätte der Varusschlacht zu bahnen, sei die Brücke VII bei
Prejawa. Daß Aliso-Hunleburg ein großes Proviantmagazin ge-
wesen sei, gehe daraus hervor, daß von der Hase aus mehrere
angeblich römische Straßen nach Hunteburg führen, auf denen
der auf der Hase herangebrachte Proviant nach Aliso geschafft
wurde, von wo er auf der Hunte weit nach Norden gebracht
l) Ober die Ausgrabungen in Haltern im Sommer «1904 berichtet
E. Krüger, Westd. Korr. 1905 S. 7-12. Vgl. WS. f. klass. Phil. 1904
Sp. 1243.
1
Tacitus, von 6. Aodresen. 309
werden konnte. Als das im Jahre 15 neubesetzte Hunteburg im
Frühjahr 16 von den Germanen belagert wurde, erschien es von
so großer Bedeutung, das Kastell zu halten, daß Germanicus mit
sechs Legionen aufbrach, es zu entsetzen. Während die Flotte
ausgerüstet wurde, blieben die Legionen, alle oder zum Teil, bei
Aliso* stellten den Altar des Drusus wieder her, erbauten jene
Straßen zwischen der Hase und Hunteburg (dies sei der Sinn des
Satzes et cuncta inter castellum Alisonem ac Rhenum novis limitibus
aggeribusque permunita) und geleiteten die über See gekommenen
Lebensmittel die Hase aufwärts bis Hunteburg, um von da zur
Weser vorzurücken.
Wer dies liest, fragt sich erstaunlj: Wozu denn der Flotten*-
bau? Wie findet sich Dünzelmann mit der von Tacitus bezeugten
Tatsache ab, daß das gesamte Heer, die sechs Legionen, welche
das Lupiakastell entsetzt hatten, eingeschlossen, auf der zu diesem
Zwecke erbauten Flotte vom Rhein durch die Seen und den Ozean
in die Ems eingefahren ist? Vielleicht entsprang diese Verleugnung
einer bezeugten Tatsache dem Bedürfnis, dem JB. XVI S. 299
gegen seine Ansetzungen erhobenen Einwände zu begegnen, der
darauf hinauslief, daß es töricht gewesen wäre, die Truppen von
der Hunte an den Rhein zurückzuführen, wenn das Ziel die
Weser war.
Aber Dünzelmann selbst hat keine Bedenken : er schließt mit
der Bemerkung, um seine Hypothese über Aliso und die Varus-
schlacht zur Gewißheit zu erheben, bedürfe es nur einiger
Grabungen.
Angezeigt Ztschr. d. Hist. Vereins f. Niedersachsen 1905 Heft 2
von Schuchhardt.
13) Wilhelm Schott, Stadien zur Geschichte des Kaisers
Tiberius. Progr. Bamberg, K. Neues Gymnasium 1904. 48 S.
Angeregt durch J. C. Tarver, Tiberius the tyrant, A. Spengel,
Zur Geschichte des .Kaisers Tiberius, H. Willrich, Caligula, bat
Schott, der den Lesern dieser JB. bereits durch eine Übersetzung
der Schrift von W. lhne, A plea.for the emperor Tiberius (JB.
XVIII S. 259) bekannt geworden ist, sich in diesen 'Studien' die
Hauptaufgabe gestellt, zu prüfen, inwieweit die Ergebnisse der
Bemühungen der letzten fünf Jahrzehnte, die herkömmliche Auf-
fassung von dem Charakter und der Regierung des Tiberius durch
eine richtigere zu ersetzen, in Schulbucher, Jugendschriften und
populäre Werke, in wissenschaftliche Kompendien, Handbücher
und Kommentare Eingang gefunden haben. Unter diesem Gesichts-
punkt werden nacheinander betrachtet: die im Geschichtsunter-
richt an bayerischen Gymnasien zugelassenen Lehrbucher, die
Äußerungen P. Cauers und A. Spengels über das Thema 'Tacitus
in der Schule', J. Asbachs Urteil über Tiberius, die Stellung der
Nipperdey sehen Ausgabe (die unlängst erschienene 10. Auflage des
3t0 Jahreiberiehte d. Philelog. Vereins.
ersten Bandes, in der die Behandlung der Frage wesentlich modi-
fiziert ist, bat Schott nicht mehr einsehen können), Stegmanne
'Hilfsheft', Lübkers Reallexikon, Schwabes Artikel Cornelius Tacitus
bei Pauly-Wissowa, Schanz, Geschichte der römischen Literatur,
die geschichtlichen Werke von Pütz-Asbach, W. Strehl, B. Niese,
A. W. Grube, K. L. Roth, 0. Jager, G. Webers weltgeschichtliche
Werke, Geschichte der alten Welt von Schlosser, Beckers Weh-
geschichte, die Konversationslexika von Brockhaus und Meyer and
die Monographien von Willenbücher, Wachermann und Rösch.
Das Gesamtergebnis der Umschau lautet: (Die Hoffnung, daß die
Geschichte dem ungerecht Verurteilten am Ende werde Gerechtig-
keit widerfahren lassen, ist noch nicht durchaus erfüllt; aber es
ist doch ein guter Schritt vorwärts getan'.
Diesem Hauptteil der Abhandlung sind einige Ausführungen
über das Thema im Anschluß an Tarver und Willrkh angefügt.
Nach dem ersteren wird gezeigt, wie sich die Fabel von Tiberiu*'
Heuchelei aus zwei Umständen herausgebildet habe, seiner von
Natur reservierten Art und der geheimnisvollen Tragödie, welche
die letzten Jahre seines Lebens umdösterte. An beide Gewährs-
männer lehnt sich der Abschnitt, der eine Würdigung der weib-
lichen Mitglieder des Kaiserhauses enthält. Den Memoiren der
jüngeren Agrippina habe Tacitus allerdings nur in einem einzelnen
Falle etwas entnommen, was er bei seinen direkten Gewährs-
männern nicht vorfand, aber gewiß habe er die Memoiren, als er
an seinen Annalen arbeitete, gelesen und sich von dem Geist, der
sie durchdrang, beeinflussen lassen, zumal da sicher schon lange,
ahe Neros Mutter ihre Erinnerungen der Öffentlichkeit übergab,
die Auffassung, die in ihnen waltete, auf dem Wege der münd-
lichen Überlieferung aus dem engeren Bereich der Familie des
Germanicus binausgedrungen war und diese Auffassung sich mit
der in senatorischen Kreisen herrschenden Stimmung deckte, die
in Memoiren, Briefsammlungen und Dichtungen zum Ausdruck
kam. in diesem Vorherrschen des Persönlichen liege der Haupt-
mangel der Taciteischen Geschieht Schreibung. Schließlich gibt
Schott Tarvers Urteil über den Wert der Historia Romana des
Velleius wieder, für den, da er die letzten Zeiten des Tiberius
nicht erlebte, jedenfalls sich über sie nicht geäußert bat, kein
Grund vorhanden war, einen anderen als einen optimistischen
Ton anzuschlagen.
14) W. Kolbe, Die Grenzen Messeoieos io der ersteo Kaieer-
ze it. Atheu. Mitteil. XXIX S. 364-378.
Kolbe bespricht zwei Bruchstücke einer genaue Aufzeichnungen
über den Verlauf der messenischen Grenze enthaltenden Urkunde,
nach deren subscriptio die Grenzsteine im Jahre 78 n. Chr. von
einem Freigelassenen des Vespasian an der Hand ihres Verzeich-
nisses kontrolliert wurden, nachdem Vespasian Neros Verfugung
Tacitas, von G. Androgen. 311
vom J. 67, durch die Griechenland für frei erklärt wurde, auf-
gehoben und auch in Achaia die Grundsteuer wiederaufgelegt
hatte. K. geht dabei auf den Grenzstreit ein, von dem Tac. Ann.
IV 43 berichtet. Die Worte C. Caesarü et M. Antonii sententia
<leutet er auf einen Schiedsspruch der Konsuln des Jahres 44
v. Chr., C. Caesar und M. Antonius. Unter dem rex Antigonus
versteht er mit Beloch, Griech. Gesch. III 2, 304 den Antigonus
4ionatas, von dessen Kämpfen mit Sparta wir durch Justin 24, 1
wissen. Den Atidius Geminus, praetor Achaiae, ist er geneigt, in
<He Zeit des Tiberius hinabzurücken, weil Pausanius berichtet, daß
Augustus sich den Messeniern nicht freundlich gesinnt erwies, und
«s nicht wahrscheinlich ist, daß der Statthalter eine Politik trieb,
<lie im Gegensatz zu der seines kaiserlichen Herrn stand.
15) Chr. Hülsen, Ksnsularfasten aas Kampaoieo. Mitt. des K.
Deutschen arcfa. lost Rom. Abt. 19 S. 322—327.
H. berichtet über ein von James C. Egbert im Amer. journ.
of arch. 1905 S. 67 veröffentlichtes Inschriftfragment aus den
Fasten des kampanischen Munizipiums Teanum Sidicinum. Das
Bruchstuck gehört zum Jahre 46 n. Chr., dessen consules ordinarii
D. Valerius Asialicus (Tac. Ann. XI 1) und M. Iunius Silanus (XIII 1)
aus zahlreichen Zeugnissen bekannt sind. Der munizipale Zu-
sammensteller der Liste hat bei dem Namen des Asiaticus die
Iterationsziffer // ausgelassen und unter den consules suffecti des
Jahres den Sulpicius Camerinus (Tac. Ann. XIII 52) nicht erwähnt,
der nach dem Zeugnis des Claudianischen Dekrets de civitate
Anaunorum mit Silanus zusammen amtierte. Doch erfahren wir
aus der Liste als neue Tatsache, daß am 1. März an die Stelle
des Asiaticus ein Antistius Vetus trat, ohne Zweifel derselbe, der
im Jahre 50 mit M. Suillius Nerullinus consul Ordinarius war
(Tac. Ann. XII 25). Als zweites Konsulat des Antistius wird
letzteres nur CIL. XII 2234 bezeichnet. Ganz neu ist das Konsulat
des am 1. Juli eintretenden D. Laelius Baibus. Schwerlich ist
hier der bei Tac. VI 47 genannte gemeint, der im Jahre 37 ver-
bannt wurde (VI 48); es wird sich um einen andern Nachkommen
des D. Laelius Baibus, cos. ord. 748, handeln. Der suffectus, der
am 1. Oktober antrat, war nach den neuen Fasten C. Terentius
Tullius Geminus. Dieser wird in einer nur aus Marinis Abschrift
bekannten stadtrömischen Inschrift genannt, aus welcher sich zu-
gleich ergibt, daß Geminus bis zum Ende des Jahres im Amte blieb.
Es werde demnach, fügt Hülsen hinzu, zweifelhaft, ob sich
<lie neuerdings ziemlich allgemein angenommene Meinung, daß das
nach Ulpians Zeugnis von den Konsuln M. Silanus und Vellaeus
Tutor eingebrachte senatus eonsultum Vellaeanum gleichfalls in das
Jahr 46 gehöre (s. Nipperdey zu Ann. III 39), noch werde festhalten
lassen; denn es scheine schwer, den Vellaeus Tutor noch neben
den vier anderen consules suffecti des Jahres 46 unterzubringen.
312 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
16) Eugen Tänbler, Die Parthernachrichteu bei Josephus. Bei lio
1904, E. Ebering. 65 S. 8. lfiQJC.
Die Abweichungen der Nachrichten des Josephus von der
durch Tacitus, Sueton und Dio vertretenen Überlieferung über die
parthisch-armenische Geschichte der ersten Kaiserzeit bilden den
Gegenstand dieser Schrift, deren Inhalt ebendeshalb an dieser
Stelle nicht zu übergehen ist. Nach Josephus Am. 18 § 52 wurde
der arsakidische Prinz Orodes nach der Flucht des Vonones von
seinem Vater Artabanus zum König von Armenien erhoben, während
Tacitus II 56 durch die Worte regem illa tempestate non habebans
die Herrschaft des Orodes geradezu eliminiert. Die bestimmte
Angabe des Josephus legt die Vermutung nahe, daß dem Tacitus
bei der Zerstückelung des Stoffes die inhaltslose Regierung des
Orodes entfallen ist, und wenn die Deutung zweier Berliner Münzen
auf Orodes sicher ist, so dauerte die armenische Herrschaft des
Vonones von 11/12 n. Chr. bis spätestens zum Herbst 15, die
des Orodes von Herbst 15 bis in den Anfang des Jahres 16.
Tacitus ist für die chronologische Bestimmung der beiden Regierungen
belanglos; denn nicht das chronologische Interesse bewog ihn, den
in II 1 — 4 enthaltenen Bericht hierherzusetzen, sondern das
Streben, den ersten Satz des 5. Kapitels möglich zu machen 1).
Über die Nachfolger des parthischen Königs Artabanus III
weichen die Angaben des Josephus von denen des Tacitus ab.
Die Entscheidung bringen die Münzen. Eine Münze des Vardanes
vom Jahre 40 zeigt, daß, wie Josephus sagt, auf Artabanus III
sein Sohn Vardanes folgte; eine Münze des Gotarzes vom Jahre 40/41
beseitigt den Widerspruch zwischen Tacitus XI 8 und Josephus
Ant. 20 § 69 dadurch, daß sie ihre Angaben zeitlich trennt3).
Sie bestätigt, daß Vardanes den Gotarzes vom Throne vertrieb,
aber, was wir bei Tacitus nicht lesen, nachdem vorher schon ein-
mal dieser Wechsel zwischen ihnen mit umgekehrten Rollen statt-
gefunden hatte. Mit Hilfe der Münzen ergibt sich folgende Jahres-
liste: 39 Artabanus III, 39/40 Vardanes, 40/41 Gotarzes, 41/42
Vardanes, 42/43 Vardanes, 43/44 Vardanes, Gotarzes aufständig:
Tac. XI 10, 44/45 Vardanes (letzte Münze vom Aug. 45), Gotarzes
aufständig: Tac. XI 10, 45/46 Gotarzes.
Als Nachfolger des Gotarzes, dessen Münzen bis Juni 51
laufen, nennt Josephus dessen Bruder Vologeses, Tacitus, ohne
das Verwandtschaftsverhällnis zu bezeichnen, Vonones II (XII 14)
") Hierzu bemerkt K. Regung iu der Au zeige der Schrift WS. f. Mass.
Phil. 1905 S. 147, nichts hindere, bei Tacitus II 1 die Worte mota Orimtü
regna aof den Ausgang des Orodes zu beziehen; in diesem Falle ergebe sich
eine Übereinstimmung zwischen der anoalistischen Signierung der orientali-
schen Unruhen auf das Jahr 16 bei Tacitus uod dem Zeugnis der Münzen.
') Bei dieser Lösung bleibt, wie Regling a. a. O. mit Recht bemerkt,
die Angabe des Tacitus, daß Gotarzes den Artabanus ermordet habe, unklar,
da doch nach den Münzen nicht Gotarzes, sondern Vardanes auf Artabaaoa
folgt«.
n
Tacitus, von G. Andreseo. 313
und erst als dessen Sohn und Nachfolger Vologeses. Die erste
dem Gotarzes nicht mehr angehörende Münze ist vom September 51,
und wenn Tacitus XII 44 zum Jahre 51 sagt genti Parthorum
Vologeses impetitabat, so ist unter Ablehnung der Erklärung, die
ISipperdey hierzu gibt, der Regierungsantritt des Vologeses wirk-
lich ins Jahr 51 zu setzen, wie dadurch bestätigt wird, daß er
im Jahre 51 Armenien besetzte (Tac. XII 50). Denn wäre Armenien
noch wahrend der Herrschaft des Vonones besetzt worden, wie
Nipperdey meint (zu XII 14), der Vonones bis 52/53 regieren
läßt, so hätte Tacitus dessen Regiment nicht mit den Worten
abtun können brevi et inglorio imperio perfunctus est. Anfang
und Ende der Regierung des Vonones fallen demnach in das
Jahr 51. Die Auslassung der Regierung des Vonones bei Josephüs
erklärt sich, wie Täubler vermutet, aus der formalen Beschaffen-
heit seiner parthischen Quelle, deren Zählweise darin bestand, daß
sie in der Abfolge der Königsnamen und Herrschaftsdaten nur auf
die Frage antwortete, wie die Regentenfolge am Jahresanfänge
stand. Das Verwandtschaftsverhältnis sei vielleicht folgendes*:
Vonones war ein Bruder des Gotarzes. Die Angabe des Josephüs
bleibe dann insofern richtig, als auf Gotarzes sein Bruder folgte;
nur war dies nicht Vologeses, sondern dessen Vater und Vorgänger
Vonones.
Der Bericht über die Kämpfe, die Tacitus VI 33—36 erzählt,
ist bei Josephüs verwirrt und fehlerhaft, und während er erzählt,
die parthischen Verschwörer gegen Artabanus seien von Vitelliu»
bestochen worden und dieser habe befohlen, Artabanus zu er-
morden, sagt Tacitus nur, daß Vitellius die parthischen Große}*
zum Abfall von Artabanus zu bewegen versucht habe; auch spricht
er nicht von einer beabsichtigten Ermordung des Königs, sonderh
sagt nur desererent regem (VI 36). Dies deutet, meint Täubler,
auf einen Gegensatz der Staatsangehörigkeit und der politischen
Zuneigung der ersten Erzähler. Was ferner den Zeitpunkt des
Abkommens mit Artabanus betrifft, so muß Tacitus, da er die
Erzählung der orientalischen Wirren mit VI 44 abbricht, es wie
Sueton und Dio unter Caligula gesetzt haben, während Josephiis
es unter Tiberius setzt. Die römische Tradition muß an innerer
Wahrscheinlichkeit hinter die Erzählung des Josephüs zurücktreten.
In der falschen Angabe, daß der Friede erst nach dem Tode des
Tiberius geschlossen worden sei, zeigt sich die bekannte, dem
Tiberius feindliche Tendenz der römischen Tradition. Diese
Fälschung muß in der nur bei Tacitus erhaltenen reinen Tradition
über die Einleitung der Wirren und über die Motive, die Tiberius
zum Eingreifen bestimmten, einer Tradition, die uns einen ge-
nauen Einblick in die Entwicklung der Ereignisse vermittelt, bereits
enthalten gewesen sein. Die Quelle des Tacitus ist, wie in dem
Bericht über den Feldzug des Jahres 49 und in der Darstellung
der Kriege des Corbulo, in dem Lager und der Umgebung des
i
314 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
römischen Feldherrn iu suchen: der Urheber der Fälschung ist
Vitellius, der die Gunst des Gaius suchte. Auch der Anfang des
Berichtes ist nicht ganz rein. Denn es muß bei den Worten
meto Germanici VI 31 auffallen, daß die Erinnerung an Germanicus
bei Artabanus gerade so lange dauerte, wie Zeno auf dem Throne
von Armenien saß1).
17) A. Farel, Säneque d'apres Taeite. Revue chrltienne 1904 S. 379
—394.
Der Zweck dieses Aufsatzes ist die Rettung des Seneca. Die
Darstellung seines Charakters wird unterbrochen durch lange Zitate
aus Tacitus und aus den Schriften des Philosophen selber, um
zu zeigen, daß er in seinen Handlungen dem in seinen Schriften
enthaltenen Programm stets treu geblieben sei. Der Schluß
lautet: 'Apres cette mort, qui couronna superbement cette vie
d'un sage et qui en rach&te largement les quelques faiblesses, s'il
en eut, Säneque a droit ä tout respect; il a honore l'humanite.
et quand on cite ses ecrits, personne n'a le droit de lever les epaules
et de dire: bei esprit peut-6tre, mais pauvre caract&re'.
18) Ed. Maynial, A propos des salutations imperiale« de Neroa.
Rev. archeol. IV (1904) Sept.-Oct. S. 172 ff.
M. verteidigt seine Anordnung der imperatorischen Salutationen
Neros (s. JB. XXVIII S. 303) gegen die abweichenden Behauptungen
von Stuart Jones (s. JB. XXX S. 344). Er besteht darauf, daß
die Einnahme von Artaxata, der Marsch von Artaxata nach Tigrano-
certa und die Einnahme von Tigranocerta zusammen in den einen
Sommer 59 fallen, und daß diese Erfolge die sechste Salutation
des Nero rechtfertigen. So auch Egli; anders Nipperdey, der die
Identität des von Tacitus XIII 41 erzählten miraculum mit der
von Plinius berichteten Sonnenfinsternis des Jahres 59 leugnet
und seine Ansicht, daß die Einnahme von Artaxata und die darauf-
folgenden Ehrenbeschlüsse für Nero in das Jahr 58 gehören, durch
den Hinweis auf deinde stützt, womit Tacitus ein anderes Ereignis
des Jahres 58, den Prozeß des Suillius, an den eben gegebenen
Bericht anknöpft. Ebendeshalb ist Maynial genötigt zu behaupten,
daß dieses deinde nicht streng annalistisch zu fassen sei: es sei
ein Irrtum des Tacitus, daß er den Prozeß des Suillius nach der
.Diskussion über die Ehrenbeschlusse für Nero setzt. — Die achte
Salutation beziehe sich auf den britannischen Sieg des Suetonius
Paulinus Anfang 61, die zehnte auf den definitiven Sieg des
Corbulo über Tiridates, nicht, wie Jones meint, auf die Ent-
deckung der Pisonianischen Verschwörung.
*) Dem stimmt Regung zu, indem er darauf hinweist, dafi beide
Trübuogeu der reinen Tradition sieh auf dasselbe Motiv zurückfuhr«« lasse«;
•denn Germanicus war ja der Vater des Gaius, um dessen Gunst ea Vitellins
zu tun war.
o
Tacitus, vom G. Aodreseo. 315
19) S. Chabert, Le trenblement de terre de Pompli et sa date
veri table (5 fevrier 62 ap. J. C). M Klanges Boisaier (Paria 1903)
S. 115—119.
Das für die Stadl Pompeji unheilvolle Erdbeben fand nach
Seneca Q. N. VI 1 Nonis Februariis Regulo et Verginio co$s., d. i.
63 n. Chr., statt; Tacitus erwähnt das Ereignis unter dem Jahre 62
am Schlüsse des Jahresberichtes. Die letztere Angabe hat bereits
Fritz Jonas, De ordine librorum L. Annaei Senecae phüosophi
(Berlin 1870) für die richtige erklärt. Dieser Entscheidung stimmt
Cbabert zu. Er erblickt in den Worten Regulo et Verginio coss.
eine Interpolation; Seneca habe, entsprechend dem familiären Ton
seines Werkes, das Jahr überhaupt nicht genannt. Ein oder zwei
Jahrhunderte nach Seneca habe man geglaubt, sich mit der Datierung
auf den 5. Februar nicht begnügen zu können und das vermißte
Jahr bei Tacitus gefunden, bei dem man alles, was am Anfang
des 15. Buches auf den Bericht über die Taten des Corbulo folgt,
dem Jahre 63 zugeteilt habe, während er in Wahrheit das Erd-
beben unter dem Jahre 62 an vorletzter Stelle berichtet Ist die
Vermutung über die Interpolation bei Seneca richtig, so ist das
6. Buch der Q. N. nicht 63, sondern 62 geschrieben.
Angezeigt Riv. di stör, antica IX 1 S. 156 von R. C.
20) Körber, Komische Inschriften und Skulpturen. Westd. Korr.
XXIV 6 (Jani 1905) S. 98—103.
Unter den hier mitgeteilten Funden aus Mainz ist eine In-
schrift, aus* der wir erfahren, daß L. Sulpicius Scribonius Proculus
unter Nero Befehlshaber des obergermanischen Heeres war. Der
Mann war schon bekannt aus Tac. Ana XIII 48; H. IV 41; Dio
LXIII 17. Aber seither wußten wir aus Dio nur, daß von den
beiden Brüdern Scribonius Proculus und Scribonius Rufus der
eine das obergermanische, der andere gleichzeitig das nieder-
germanische Heer befehligte, nicht aber, welcher das eine und
welcher das andere. Das erfahren wir aus der neuen Inschrift,
und außerdem noch den Tollen Namen des Scribonius Proculus,
den Nero später mit seinem Bruder in den Tod trieb.
'21) A. v. Domaszewski, Die Heimat des Cornelias Fascus. Rhein.
Mos. 1905 S. 158.
Cornelius Fuscus war nach H. II 86 pro Galba dux (' militäri-
scher Führer') eohmiae snae gewesen und hatte durch dieses sein
öffentliches Auftreten für Galba den einträglichen Posten eines
kaiserlichen Prokurators erlangt. Cichorius, Die römischen Denk-
mäler in der Dobrudscha S. 35, versteht unter der Kolonie, aus
der Fuscus stammte, Pompeji. Domaszewski wendet ein, man
begreife nicht, wie Fuscus sich, wenn er aus Pompeji stammte,
so hohe Verdienste um Galba erworben haben könne, daß sie
seine Beförderung zu dem hoben Amte eines Prokurators begründen
konnten. Pompeji habe für die Politik jener Zeit keine Bedeutung
-316 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
gehabt. Es könne nur eine Kolonie gemeint sein, die auf dem
einzigen Kriegsschauplatz jenes Burgerkrieges, in Südgallien, Jag,
und deren Beteiligung an diesen Kämpfen so allgemein bekannt
war, daß Tacitus es nicht nötig fand, ihren Namen zu nennen.
Diese Kolonie, die colonia Galbiana Galliens, sei Vienna, die somit
als die Heimat des Cornelius Fuscus zu gelten habe.
22) Alfred Kappelmacher, Eprius Marcellas and QuiotiliaiK
Wiener Stadien 26, 1 S. 67—70.
. Wie kommt es, daß Quintilian von dem Namen des bei
Tacitus so oft erwähnten großen Redners Eprius Marcellus gänz-
lich schweigt? K. findet das Motiv dieses Schweigens in dem
Bestreben des Quintilian, sich bei Domitian in Gunst zu setzen.
Denn das Andenken des Marcellus war bei den Flaviern und speziell
bei Domitian getilgt, weil er sich im Jahre 79 im Verein mit
Alienus Caecina gegen Vespasian verschwören hatte.
23) R. Knox McBldery, Some notes upoo Roman Rritain. Class.
Rev. 1904 S. 398 und 458.
Verf. sucht es wahrscheinlich zu machen, daß die römische
Kolonie zu Lincoln (Lindum) unter Vespasian oder Titus, zwischen
74 und 83 n. Chr., vielleicht durch Agricola, gegründet worden
sei. Ferner bemüht er sich, mit Hilfe inschriftlicher Zeugnisse
die Nummern der vier cohortes Batavorum festzustellen, welche
nach dem codex Toletanus des Agricola an der Schlacht am Berge
Graupius teilnahmen. Dann entscheidet er sich für Asbachs und
Gsells Ansetzung der britannischen Statthalterschaft des Agricola
auf 77—84, während die meisten sie 78 — 85 setzen. Sein Kon-
sulat falle in die Monate Mai und Juni 77. Endlich spreche die
richtige Interpretation von Agr. 24 dafür, daß Agricola im Jahre 81
eine Expedition nach Irland unternommen hat. Dies haben be-
kanntlich schon Pfitzner und Gudeman aus jenem Kapitel heraus-
gelesen.
24) Eduard Moritz, Die geographische Kenntnis von den Nord-
und Ostseeküsten bis zum finde des Mittelalters. I.Teil.
Progr. Berlin, Sophienschale 1904. 29 S. 4. 1 JC.
Im Eingange dieser Abhandlung stellt Verf. die von den
alten Autoren überlieferten Nachrichten über die Nord- und Ost-
seeküsten, darunter auch die des Tacitus, zusammen. Da er sich
neuer Interpretationsversuche enthalten hat, so habe ich keinen
Anlaß, auf Einzelheiten einzugehen, und erwähne nur, daß er die
bei Cäsar begegnende und Von Tacitus, im Widerspruch mit seiner
besseren Kenntnis der Gestalt Britanniens, übernommene An-
schauung von der Lage Britanniens zu Spanien daraus erklärt,
daß die Römer nicht auf dem Seewege um Europa nach jenem
Lande kamen und daher keine Kenntnis von dessen Entfernung
Ton Spanien haben konnten.
Tacitus, von G. Andresen. 317
25) v. Domaszewski, Batavodurum. Korrespondenzbl. der Westf. Zteobr.
f. Gesch. u. Kuost XXIII S. 179—181.
Die Hauptstadt der Bataver heißt bei Ptolemäus Batavodurum,
ebenso bei Tac. H. V 20, während der gleichbedeutende Ausdruck
oppidum Batavorum, der in oppidum Ubiorum seine Parallele findet,
\ 19 erscheint Von den bei Tacitus zusammen mit Batavodurum
genannten Orten ist Arenacum das heutige Rindern am Rhein
östlich von Noviomagus; Grinnes setzt die Peutingersche Tafel
23 Leugen westlich von Noviomagus. Aus Tacitus' Darstellung der
Kriegsereignisse geht hervor, daß Batavodurum sudlich der Waal
lag, und zwar hat es nach den Worten Batavoduri interrumpere
mchoatum pontem den Anschein, als ob es unmittelbar an dem
Strom gelegen hatte. Aber da die Peutingersche Tafel, die den
Lauf der Straße am Südufer der Waal von Noviomagus über
Grinnes nach Tablae verzeichnet, Batavodurum nicht als Station
der Straße bezeichnet, so muß die Stadt, wenn auch nicht allzu-
weit vom Flusse, so doch südlich der direkten Straße gelegen
haben. Zu diesen Indizien kommen einige Inschriften aus der
Gegend von Herzogenbusch, die der Hauptstadt der Bataver an-
zugehören scheinen. Eine von ihnen ist gesetzt von dem sumtnus
magistratus civitatis Batavorum, eine andere von dem staatlichen
Dolmetsch (interpres) der Bataver, dessen sie im Verkehr mit den
römischen Behörden bedurften. — Die Beweiskraft der genannten
Inschriften wird bestritten von W. Vollgraff, ebd. XXIV S. 117.
26) Philippe Fabia, Domitieo a Lyoo. Revue d'histoire de Lyon
IV (1905) 1 S. 5—20.
Fabia erzählt, was über die Reise des jugendlichen Domitian
nach Lyon und die diese Reise vorbereitenden Ereignisse in den
Quellen, unter denen Tacitus (H. IV 85. 86) obenan steht, über-
liefert ist. Die Abreise des Domitian und Mucian aus Rom muß
vor den 22. Juni 70 fallen; denn bei der an diesem Tage er-
folgten Grundsteinlegung des neuen Kapitols (H. IV 53) waren sie
nicht mehr anwesend. Ob Domitian wirklich — Tacitus erwähnt
es als Gerücht — bei Cerialis insgeheim angefragt hat, ob er
bereit sei, ihm, wenn er käme, Heer und Kommando zu über-
geben, bleibt dahingestellt, ist aber an sich nicht unwahrscheinlich.
Von den beiden Motiven dieses Schrittes, zwischen denen Tacitus
schwankt, ist das erste ganz auszuschließen; denn der Gedanke,
meinem Vater gegenüber als Prätendent aufzutreten, konnte dem
jungen Menschen, der zwar ehrgeizig, aber kein Narr war, nicht
kommen ; das zweite bedarf einer wesentlichen Modifikation : seine
Absicht war nicht, sich eine Streitmacht zur Bekämpfung seines
Bruders zu verschaffen, sondern sich Kriegsruhm zu erwerben,
der geeignet wäre,- ihn diesem gegenüber sowohl für den Augen-
blick als auch für die Zukunft, wo die Frage der Thronfolge zu
entscheiden war, besser zu stellen: er wollte der Besieger der
318 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Deutschen werden, wie Titus im Begriff war, der Besieger der
Juden zu werden. Die Anwesenheit des Prinzen in der gallischen
Hauptstadt, wo man ihm vielleicht am 1. August, dem Tage der
offiziellen Versammlung der Delegationen der 60 Gemeinden am
Altar der Roma, eine Gesamthuldigung dargebracht bat, hatte eine
politische Bedeutung, insofern sie das Prestige des Reiches in den
gallischen Ländern sicherte. Das Wesentliche in dieser Richtung
hatten freilich bereits die Waffen, ja schon das Erscheinen des
Cerialis auf dem Kriegsschauplatze getan. Verdrießlich über die
im Vergleich mit Cerialis allzu geringe Rolle, die er spielte, ver-
ließ Domitian Lyon und tat so, als interessiere er sich nicht mehr
für Regierungsangelegenheiten. Indem er sich der Öffentlichkeit
entzog, gedachte er den väterlichen Zorn zu besänftigen.
Es gab über die Reise des Domitian nach Gallien noch einen
anderen, erheblich abweichenden, aber offenbar schmeichlerischen
Bericht, der, da wir ihn bei Josephus finden, schon vor dem
Prinzipat des Domitian entstanden ist. Danach hätte Domitian an
der Unterwerfung der Barbaren einen wesentlichen Anteil gehabt
Diese Erzählung des Josephus, eines Klienten des fiavischen Hauses,
verdient um so weniger Glauben, als sie mit anderen offenbar
verkehrten Angaben belastet ist.
27) Anzeigen älterer Schriften: Willems, Le senat romain
en l'an 65 (JB. XXVIII 302): Riv. di storia antica VIII 2 S. 308
von G. Tropea; Bartels, Die Varusschlacht (JB. XXX 337): Ztschr.
des Histor. Vereins für Niedersachsen 1904 Heft 3 von Schuchhardt,
WS. f. klass. Phil. 1904 Sp. 1423 von E. Wolff, Lit. Zentralbl. 1905
Sp, 10 von A. R(iese) (Rez. erhebt gegen Bartels' Ausführungen
den Einwand, daß Dio, dessen Bericht er dem des Fiorus und
Velleius mit Recht vorziehe, von Sümpfen völlig schweige, während
cfr selbst auf diese das Hauptgewicht lege, und fugt Westd. Korr.
1905 S. 21, wo er diesen methodischen Fehler wiederum hervor-
hebt, hinzu, man habe konsequenterweise von Sumpfen auf dem
Gelände der Schlacht abzusehen: Velleius und Fiorus hätten, um
den Eindruck des Grausigen zu verstärken, die für die Vorstellung
von Germanien nun einmal typisch gewordenen paludes in ihren
sonst so unbestimmten Schlachtberichten anzubringen nicht ver-
säumen wollen), DLZ. 1905 Sp. 160, Berl. phil. WS. 1905 Sp. 579
von G. Wolff; Henderson, The life and principate of the emperor
^Nero (JB. XXX 342): The Engl. Hist. Rev. 76 S. 746 von E. S.
Schuck burgh (anerkennend, wenn auch manchen Urteilen des Verf.
widersprechend); Hofbauer, Die erste Christen Verfolgung (JB.
XXX 343): Gymnasium 1904 S. 849 von J. Golling; Valmaggi,
Forum Alieni (JB. XXX 345): Riv. di storia antica IX 1 S. 158
von D. Olivieri und Rev. crit. 1905, 15 S. 297 von J. T.; Ferrara»
La forma deila Britannia secondo la testimonianza di Tacito (JB.
XXX 346): Rev. crit. 1905, 9 S. 179 von E. T.
Tacitus, von G. Andresen. 319
IV. Sprachgebrauch.
28) Reinhold Macke, Die römischen Eigennamen bei Tacitu*.
V. Eine sprachliche Untersuchung. Progr. Kb'nigshtitte 1905. 14 S.
M. spricht zunächst seine Genugtuung darüber aus, daß wir
nun auch für Tacitus die beiden zum sprachlichen und sachlichen
Verständnis eines jeden Schriftstellers unentbehrlichen Wörter-
bächer und zwar in einer dem Stande der Wissenschaft und den
Forderungen der Lexikographie durchaus entsprechenden Form
besitzen. Freilich bedürfe das eine wie das andere noch einiger
Ergänzungen. Schon 1893 habe er darauf hingewiesen, daß im
Lex. Tac. von den 16 Beispielen des Wortes dictator sechs (sämt-
lich in den Annalen) fehlen. In Fabias Onomasticon wäre es, meint
er, zweckmäßig gewesen, die Stellen, an denen eine schon genannte
Person oder Sache wieder erwähnt, aber nicht mit ihrem Namen
bezeichnet wird, ausgeschrieben in den Text einzufügen, statt in
einer Anmerkung nur die Kapitelzahlen zu sammeln. So würde
z. B. bei Domitia, Neronis amita zu den beiden bei Fabia aus-
geschriebenen Stellen XIII 19 und 21 noch XIII 27 (bei Fabia in
der Anmerkung irrtümlich XIII 20) hinzuzufügen sein, wo dieselbe
Domitia einfach amita genannt wird *). Auch die Stellen, wo
Tacitus eine Person erwähnt, die er nirgends bei Namen nennt,
wie den gleichnamigen Enkel des Tiberius, den Sohn des Drusus.
wären von Fabia, der sie nur mit Ziffern bezeichnet, besser aus-
geschrieben worden. Es fehle auch der Name des Sokrates, der
hinter der Bezeichnung praestantissimus sapientiae VI 6 stecke, der
der Werra oder der fränkischen Saale (flumen gignendo sah
fecundum XIII 57) und der des H. I 67 erwähnten Munizipiums
(tricus Aquemis = Baden in der Schweiz); und wenn pom sublichu
Aufnahme gefunden habe, so hätten außer den von Thedenat
(s. JB. 1901 S. 334) erwähnten örtlichkeiten (von denen übrigens
forum Romanum bei Fabia nicht fehle) auch die rostra und die
pontes longi verdient, nicht ausgeschlossen zu werden, obgleich
sie bereits im Lex. Tac. stehen. Die Geringfügigkeit dieser Nach-
tragswünsche zeigt, daß das Onomasticon mit bewunderungswerter
Sorgfalt hergestellt ist und den höchsten Ansprüchen gerecht wird.
An den Namen des Tacitus selber und die Art, wie er, teils
im Plural, teils im Singular, von sich spricht, anknüpfend, ver-
zeichnet M. sämtliche Stellen, wo bei Tacitus eine redende Person
1) Diese nackte Bezeichnung erschien mir so seltsam, daß ieh eine
Lücke annahm und in der letzten Auflage der Nipperdeyschen Ausgabe
{Jhmüiae, Neronis} mnüae sehrieb. Daß die Deutlichkeit diesen Zusatz
nicht unbedingt erfordert, räume ich ein; von größerer Bedeutung für die
Entscheidung über seine Notwendigkeit ist, wie M. mit Recht bemerkt, der
Sprachgebrauch, den Tacitus bei der Wiederholung des Eigennamens oder
bei dessen Ersetzung durch ein Pronomen, eine Verwandtschaftsbezeichnung
oder irgend eine andere Ausdrucksart befolgt. Ich hoffe aber, daß dieser
Sprachgebrauch, wenn er festgestellt ist, meine Konjektur bestätigen wird.
(
320 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
sich selber bei Namen nennt (vgl. JB. 1893 S. 221), und stellt
sodann zusammen, was sich nach dem Erscheinen seiner vier
Programme durch neugefundene Inschriften und genauere Ver-
gleichung der Handschriften an Berichtigungen Taciteischer Namens-
formen ergeben hat ; zugleich ergänzt er ein paar Lucken in den
Namenslisten dieser Programme. Es folgt eine Übersicht über
diejenigen Doppelnamen bei Tacitus, deren Bestandteile durch ein
Eingeschobenes Wort getrennt sind (vgl. JB. 1893 S. 221). Ein
solches trennendes Wort ist que (fast nur in den Annalen; XIII 25
ist, wie ich berichtigend bemerke, im Mediceus Miusque in Iuliusq;
korrigiert), meist zwischen Gentile und Cognomen oder Cognomen
und Gentile stehend, ferner quoque (meist zwischen Nomen und
Cognomen, jedoch zweimal hinter dem Praenomen), ne-quidem und
autem. Nicht notwendig, aber häufig ist die Nachstellung bei den
Partikeln deinde, dein, inde, welche die Bestandteile eines Namens
kaum häufiger trennen als quondam, interim, At'nc, nämlich außer
deinde (zweimal) nur je einmal. Von Pronomina endlich gehören
hierher hunc Dial. 8, iste Dia). 15, se H. II 72 und Ulis H. III 66.
Hierzu kommt noch Menenium, ut puto, Agrippam Dial. 17, vgl.
ebd. Hirtio nempe et Pansa consulibus. Das einzige Beispiel der
Verbindung der beiden Konsuln durch que ist Agr. 44 Collega
Priscoque consulibus. Unter allen hier genannten Stellen ist nur
die dreimalige Verbindung Primus Antonius Varusque Arrius (im
Gen. und Abi.) auffallend, besonders da sich die Inversion bei dem
Namen Arrius Varus nur in dieser Formel findet.
Schließlich gibt M. eine Ergänzung zu seinem Plöner Pro-
gramm über die Substantive des Tacitus. Danach braucht Tacitus
selbst kein Verkleinerungswort schmeichelnden oder herabziehenden
Charakters, sondern legt die wenigen, die in seinen Schriften vor-
kommen, andern Personen in den Mund. Ausgenommen ist nur
XIII 13 quae princeps furtim mulierculae tribuebat, wo Tacitus
selbst ein Dcminutivum gebraucht. Eine zweite Ausnahme, füge
ich berichtigend hinzu, bildet clientulis XII 36; denn dies scheint
die ursprungliche Lesung des Mediceus zu sein; vgl. mein Pro-
gramm 1892 S. 8.
V. Handschriftliches.
39) Feiice Ramorino, De codice Taciti Aesino nuper reperto.
Atti del congresso internazioaale di scieoze storiehe. Bstratto del
Vol. II. Sezione I: Storia antica e filologia ciassica. Roma 1905,
tipografia della R. accademia dei liocei. 8 8. 8.
In diesen JB. XXIX S. 251 ist mitgeteilt worden, daß in der
Bibliothek des Grafen Balleani zu Jesi bei Ancona eine in ihren
jlteren Teilen angeblich aus dem 9. Jahrhundert stammende Hand-
schrift entdeckt worden sei, welche außer der Ephemeris des
Dictys Cretensis den Agricola und die Germania des Tacitus ent-
halte. Über diesen Fund bringt Ramorino einige nähere Auf-
y^
Ttcitug, von G. Andreseo. 321
schlösse, die jedoch nicht auf Autopsie beruhen, sondern auf Hit-
teilungen des Cesare Annibaldi, dem der Besitzer der Handschrift
die Einsicht gestattet hat. Danach füllen der Agricola und die
Germania in zwiefachen Kolumnen zusammen 24 Blätter der Hand-
schrift, von denen acht die Schrift des 10. oder gar des 9. Jahr-
hunderts aufweisen und den mittleren Teil des Agricola darbieten,
während die übrigen 16 dem Schrifttypus des 15. Jahrhunderts
angehören und den Anfang und das Ende des Agricola sowie
die ganze Germania enthalten. Von den der Schrift Ramorinos
beigegebenen Tafeln, welche Proben der verschiedenen Schrift-
charaktere aus dem Agricola wie aus der Germania bieten, ist
diejenige die wichtigste, welche einen Ausschnitt aus dem älteren
Teil der Handschrift darstellt. Es ist ein kleiner Teil der Rede
des Calgacus Agr. 32. Aber weder aus dieser Tafel noch aus den
übrigen ergibt sich ein Gewinn für die Textgestaltung.
Ramorino vermutet, daß jene acht Blätter des Agricola ein
Rest jenes Kodex sind, den Enoch von Ascoli um die Mitte des
15. Jahrhunderts aus Deutschland nach Italien gebracht hat, und
schließt mit der Bemerkung, es sei Hoffnung, daß man in nicht
zu ferner Zeit durch Cesare Annibaldi vollen Aufschluß über die
Bedeutung des Fundes erhalten werde.
Einen etwas ausführlicheren Bericht über Ramorinos Mit-
teilungen findet man WS. f. klass. Phil. 1905 Sp. 477.
30) Remigio Sabbadioi, Spogli Ambrosiani latini. Studi italiani
di fil. class. XI (1903)..
Dem Tacitus ist der Abschnitt S. 203—229 gewidmet. S. be-
tont, daß alle Anzeichen, die man dafür gefunden zu haben ge-
glaubt hat, daß es für Tac. Ann. XI— XVI und die Historien noch
andere Textesquellen gebe als den Med. II, trügerisch sind, und
daß insonderheit die Spur, die auf eine Handschrift in Venedig
zu führen schien, auf einem Mißverständnis Ernestis beruht, die
durch eine Angabe des Victorius hervorgerufen wurde. Ferner
stellt er mit Hilfe des datierten Apographons cod. Parmensis 861
fest, daß der ßiattverlust, welcher die beiden Lücken im Mediceus
hervorgerufen hat, vor dem Jahre 1452 eingetreten ist, und ver-
mutet, daß die durch den Laur. 68, 5 und die editio princeps
vertretene lückenlose Tradition vielleicht auf die Abschrift Boccaccios
zurückgeht. — Sodann gibt S. eine Kollation des cod. Ambro-
sianus H 29 sup. cart. saec. XV, welcher außer Sueton de gramm.
et rhetor. den Dialogus des Tacitus enthält, nach dem Texte
von ßaehrens. Für die Textgestaltung des Dialogus ist aus dieser
Handschrift nichts zu gewinnen (in einer Anmerkung konjiziert
Sabbadini 5, 11 et ego, ut qua(dam)tenus arbilrum litis huius
inveniri (patiar}, non patiar etc., wo ut konzessiv sein soll) ; aber
die vielen Auslassungen im codex Ambros. und manche seiner
Fehler deuten, meint er, darauf hin, daß seine Vorlage jener alte,
Jahresbericht« XXXL 21
322 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
von Enoch von Ascoli im Original nach Italien gebrachte germanische
Archetypus war, der aus dem 10. oder 11: Jahrhundert stammte
und teils infolge seines Alters, teils infolge starker Benutzung
durch die Humanisten nicht leicht lesbar war. Überhaupt seien
die Differenzen zwischen den Traditionen M und N (nach der Be-
zeichnung bei Baehrens) als Produkte verschiedener Leseversuche
zu betrachten. Der Ambrosianus stehe 96 mal mit AI gegen N,
91 mal mit N gegen M, und auch daraus ergebe sich, daß er
direkt aus dem germanischen Urkodex abgeschrieben sei.
Angezeigt DLZ. 1905 Sp. 88 von W. M. Liudsay, Bull. bibl. et
ped. du Mus. b. von J. P. Waltzing, Rev. crit. 1905 S. 179, WS.
f. klass. Phil. 1905 Sp. 123 von P. Weßner.
31) Ed. Philipp, Über die Mailänder uod die Venediger Haod-
schrift zum Dialog desTacitus. Wiener Studien 26 S. 290 — 308.
Die Mailänder Handschrift, von der Philipp spricht, ist die-
selbe, über welche Sabdadini berichtet. Auch nach seinem Urteil
ist dieser Kodex an sich wertlos, er bringe jedoch insofern einigen
Nutzen, als er in zweifelhaften Fällen die Lesarten der Venediger
Handschrift feststellen helfe; er stehe nämlich zu dieser Hand-
schrift in dem Verwandtschaftsverhältnis eines entarteten Netten
zum guten Oheim. Durch beide zusammen werde eine zwischen
Michaelis1 Urexemplaren X und Y vermittelnde dritte Gruppe ge-
bildet. Philipp nennt diese dritte Gruppe Z und vermutet, ab-
weichend von Sabbadini, Z sei auf Grund von Y unter Vergleichung
des Urkodex, d. i. des Enochschen Exemplars, angefertigt worden.
Hierzu fugt Philipp ein paar Beiträge zur Textkritik des
Dialogus. 1, 16 sei diversas vel easdem sed probabiles causas intakt:
* Die einzelnen Unterredner vertraten teils (ich denke nur an einen)
den entgegengesetzten Standpunkt von dir, lieber Freund, teils
(ich denke an einen zweiten und dritten) den nämlichen (ein-
leuchtenden) Standpunkt wie du'; 3,10 leges tu, quod Maiemus
sibi debuerit (als fut. II); 8, 5 ohne Lücke alterius (= altertus
utrius, 'des einen oder des andern') ter milies sestertium; 21, 17
regulae als Rest eines Glossems zu tilgen ; 27, 1 Appareto, rnquit
Maternus = 'das laß als erwiesen gelten'. Auf Beifall dürfen
diese Vorschläge wohl nicht rechnen, am wenigsten der zweite
und der letzte.
32) Georg Wissowa, Zur Beurteilung der Leidener Germania-
bandschrift. Festschrift des Philologischen Vereins in München
1905. München, J. Lindaner. 13 S.
Jungst hat B. Sepp (s. JB. XXIX S. 252) behauptet, daß der
codex Leidensis XVIII Periz. C. 21 (b), welcher den Dial. und die
Germ, des Tacitus sowie Suetons Fragment de grammaticis et
rhetoribus enthält und zusammen mit dem Vaticanus 1862 (B)
die Handschriftengruppe X repräsentiert, einfach aus diesem ab-
geschrieben und somit aus dem Apparat völlig auszuscheiden sei.
o
Tacitos, von G. Andres en. 323
Diese Behauptung widerlegt Wissowa, gestutzt auf eine sehr ein-
gehende Prüfung der Handschrift, die er in Halle in aller Muße
vornehmen konnte. Sie röhrt nicht, wie Sepp voraussetzte, von
der eigenen Hand des Jovianus Pontanus her, auf den zwei Rand-
notizen der Handschrift zurückgehen ; diese Randnotizen aber ge-
hören derselben Hand, die den Text schrieb, wie schon Michaelis
(Praefatio der Dialogusausgabe S. IX A. 3) erkannte, und stammen
zusammen mit dem Text aus der Vorlage. Da ß diese Rand-
bemerkungen nicht enthält, kann B nicht die Vorlage von b sein.
Sepps Beweisgründe für das von ihm angenommene Abhängigkeits-
verhältnis beruhen auf einer widersinnigen Ursprungserklärung der
beiden Handschriften gemeinsamen Doppellesarten. Die von B
und damit wohl auch von X abweichende Reihenfolge der drei
Schriften wird man vermutlich Pontanus zuzuschreiben haben;
jedenfalls gilt dies für die konsequent durchgeführte von der in
ß beobachteten vielfach abweichende Orthographie. Daraus, daß
Pontanus die Lücken der Vorlage im Dial. (12, 17. 22, 15) un-
ergänzt ließ, ergibt sich, daß er sich gegenüber dem Text der
Vorlage in der Hauptsache eine für die damaligen Verhältnisse
bemerkenswerte Zurückhaltung auferlegte. Der ganze Text von b
ist von Anfang bis zu Ende von ein und derselben Hand außer-
ordentlich gleichmäßig und sauber geschrieben. Manche Versehen
hat der Schreiber während des Schreibens berichtigt, anderes
nach Fertigstellung des Textes bei erneuter Vergleichung der Vor-
lage verbessert, getilgt oder nachgetragen, auch auf Korruptelen,
am häufigsten im Dial., durch ein Zeichen am Rande oder über
dem betreffenden Worte hingewiesen. Die zweite Hand hat im
Leidensis den Dial. mit reichlichen Randbemerkungen versehen,
in denen kurze Inhaltsangaben formuliert, im Texte vorkommende
Eigennamen oder sprachliche Besonderheiten herausgehoben, zu-
weilen auch Parallelstellen zitiert werden. Für den Text ist diese
zweite Hand nirgends von Bedeutung; eine um so größere Rolle
spielt in dieser Hinsicht in allen drei Schriften ein jüngerer
Korrektor, dessen Textkorrekturen sich auch auf die Rand-
bemerkungen der zweiten Hand erstrecken. In der Germania geht
weitaus das meiste, was sich von Text- und Randkorrekturen
findet, unter die erste und die dritte Hand auf.
Man ist neuerdings eifrig bemüht, neben den beiden Apo-
gepha X und T Abkömmlinge eines dritten Apographon nach-
zuweisen; aber der Beweis ist bis jetzt nicht geliefert. Sollte es
aber wirklich ein solches gegeben haben und sollten bestimmte
Handschriften als seine Nachkommenschaft anzusprechen sein, so
wird man doch um die Annahme nicht wohl herumkommen, daß
in diesen Handschriften außerdem noch eine starke Vermischung
der verschiedenen Oberlieferungsströme stattgefunden hat; damit
wird aber der praktische Wert dieser Textquetlen für die recensio
so gut wie ganz aufgehoben.
21*
324 Jahresberichte d. Philolog \ereioa.
VI. Textkritik und Erklärung.
33) Ch. Knapp, Note od Tacitus Agr. 31, 5. Proceediogs of the thirty-
fourth aooual sessioa of the Americaa pbilological association (Jolj
1902) S. XLIX— LI.
Kn. glaubt die viel erörterte Stelle 31, 19 ohne gewaltsame
Änderung in Ordnung bringen zu können. Er streicht nur t*
vor libertatem und liest also et libertatem non in paenitentiam laturi
(ferre davontragen'). Die ganze Stelle gibt er so wieder: 'The
Brigantes (ever after they had been enslaved and their strength
had been tbus impaired, and) though tbey had only a woman to
lead them, were able to burn a (Roman) colony, to storm a
(Roman) eamp, and, had tbey not repented them, had thrown off
the (Roman) yoke ; let us, whose strength is unimpaired and who
have never yet been subdued (who have not a woman but a man
to lead us), who are resolved to win our independence, not that
we may repent of it (as the Brigantes did, but that me may
possess it for ever), let us, I say, ... show, wbat men Caledonia
has had in reserve for its defence'.
34) W. C. F. Walters, Class. Rev. 1905 S. 267 findet in Agr. 46
eine Reminiszenz aus dem Ennianischen Nemo me laerumis decoret,
und deshalb könne Z. 7, wo die Ausgaben zwischen den Lesarten
colamus und decoremus schwanken, nur an das letztere gedacht
werden. Zu den Worten non quia . . . possis vergleicht er noch
Hör. Ep. II 1 , 247 nee magis expressi vultus per aenea signa Quam
per vatis opus mores animique virorum Clarorum apparent.
35) Luigi Valmaggi, Tacitiaoa. Estr. dagli Atti della R. Accadenit
delle Scieoze di Torioo vol. XL Adaoaoza del 12 Febbraio 1905.
20 S.
Die kleine Schwierigkeit, welche die Worte At in Pannonia
tertia decuma legio H. II 86 verglichen mit II 67 tertiadecumani
struere amphitheatra (in Cremona und Bononia) iussi bereiten,
löst V. durch die Annahme, daß die Legion nach Vollendung der
Bauten nach Pannonien zurückgekehrt sei, was Tacitus anzugeben
unterlassen habe. Man findet dieselbe Lösung schon bei Heraeus.
— Daß die beiden Soldaten III 23, die sich durch aufgeraffte
Schilde der Gegner unkenntlich machten, Prätorianer gewesen
seien, hat schon WolfT erkannt. V. fugt hinzu, die Stelle beweise,
daß die Schilde der Prätorianer sich von denen der Legionare
nicht bloß durch die Verzierung, sondern auch durch die Gestalt
unterschieden; denn nur diese letztere war im Dunkel der Nacht
erkennbar. — III 24 sei illic auf vincitis zurückzubeziehen und
= 'im Siege' zu setzen: eine neue und nicht unbedenkliche Er-
klärung. — 25 sei limes viae (im Gegensatz zu agger viae) der
4 Saum der Straße', das Gelände zu ihrer Seite; ebenso 21 per
apertum limitem. — Die fünf Legionen des tlavianischen Heeres
n
Ttcitos, von G. Audreten. 325
müssen zu Beginn des Feldzuges mit den Auxilien und der Reiterei
über 50000 Mann stark gewesen sein, während wir 33 lesen
quadraginta armatorum milia inrupere. Auf die Frage, wodurch
die Verminderung herbeigeführt sei, antwortet V.: nicht bloß durch
die bisher erlittenen Verluste, sondern auch durch die zurück-
gelassenen Etappenposten und Besatzungen, über die Tacitus uns
nur unvollkommen unterrichte. So schweige er z. B. von den
Plätzen Verona und Bedriacum, die auf keinen Fall ungeschützt
bleiben konnten. — 39 bedeute integris rebus nicht: 'als Vitellius
noch keine Nebenbuhler hatte1, sondern genauer: 4als man noch
nicht wußte, daß er Nebenbuhler hatte'; denn Gaecinas Haltung
begann erst nach dem Einzüge des Vitellius in Rom, der am
18. Juli stattfand, schwankend zu werden, nachdem Vespasian
schon am 1. Juli zum Kaiser ausgerufen worden war. — 44 ver-
mutet V., an einen Vorschlag von Urlichs anknüpfend, et Britanniam
inditus secundae legioni erga Vespasianum favor, quod Uli a
Claudio etc., ein gewaltsames Heilmittel einer Korrupte!, die viel-
leicht nur in der Einbildung existiert. Denn daß man unter
Britanniam nicht das Land, sondern dessen Besatzung zu ver-
stehen hat, zeigt der Zusammenhang. — Nach II 93 hatte Vitellius
16 prä torische Kohorten ausgehoben; 111^55 lesen wir, daß Priscus
und Alfenns mit 14 prätorischen Kohorten ausrückten; III 78
jedoch werden nicht zwei, sondern drei Kohorten, unter denen
man prätorische zu verstehen pflegt, als in Rom anwesend er-
wähnt. Die Art, wie man diese Schwierigkeit zu heben pflegt,
findet man bei Wolff und Heraeus zu III 69, 6, wo unter Germanicae
cohortes prätorische verstanden werden, und zu III 78. Gegen
diesen Lösungsversuch wendet sich V. Es sei durchaus nicht
erwiesen, daß die drei 78 erwähnten Kohorten prätorische gewesen
seien. Überhaupt könne das zweite Heer des Vitellius nicht aus-
schließlich aus Prätorianern bestanden haben; denn wenn das der
Fall wäre, so müßte Vitellius, da auch 41, 2 von drei Kohorten
die Rede ist, im ganzen 20 prätorische Kohorten gehabt haben.
Die Dreizahl aber müsse III 78 rhetorisch gefaßt werden, da drei
Kohorten für den Angriff auf das Kapitol nicht ausgereicht haben
könnten: tres stehe hier als indefinites Numerale im Sinne von
pauci. Die Belege, die V. für diesen letzteren Gebrauch anführt,
scheinen mir nicht zu genügen, um ihn für Tacitus annehmbar
zu machen.
36) Luigi Valmaggi, Di uo passo interpolato nelle Storie di
Tacito. Atti d. R. Accad. di sc. di Torino XXXIX 12 S. 959—961.
V. findet, daß H. III 40 die beiden Ausdrücke vitata Ravenna
und per oecultos tramites sich gegenseitig ausschließen, weil die
via Aemilia, welche Valens bis Bononia zu benutzen hatte, um
von da nach Hostilia zu gelangen, eine ganze Strecke von Ravenna
entfernt war. Welcher von den beiden Ausdrücken zu tilgen sei,
(
326 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
könne auf den ersten Blick zweifelhaft sein. Bei genauerer Er*
wägung entscheide er sich für die Ausscheidung der Worte vitala
Ravcnna. Denn diese sähen eher einem Glossem ähnlich als per
occultos tramites; ferner passe cum fidissimis, wenn es auch dem
vüata Ravenna nicht widerspreche, doch besser zu per occultos
tramües; endlich — und das sei entscheidend — könne man
nicht voraussetzen, daß Valens, der kein Heer hatte, sich in die
Mitte der Linien der Feinde zu wagen gedachte, welche, als sich
die Nachricht vom Abfall der ravennatischen Flotte verbreitete,
bereits einen guten Teil des Gebietes zwischen Aquileia und
Ravenna in Händen hatten. Hervorgerufen sei das Glossem durch
die vorangehenden Worte proditam a Lucilio Ba&so Ravennatem
classem . . . accepit. — Diese Argumentation überzeugt nicht. Aller-
dings sind Glosseme in den Historien mit Sicherheit nachgewiesen
worden; aber ihre Kennzeichen sind andere, ihre Entstehung ist
deutlicher sichtbar. Der Rat, der an der besprochenen Stelle dem
Valens gegeben wird, läuft auf das f allere (41, 2 ad fallendum)
hinaus: er solle weder auf der via Aemilia noch auf der via PopiJlia
nach Hostilia oder Cremona zu gelangen suchen, sondern per
occuUos tramües, und schon von Ariminum aus versteckte Pfade
suchen; vor Ravenna wird er noch besonders gewarnt, damit er
nicht die via Popillia auf der Strecke von Ariminum nach Ravenna
benutze und erst von Ravenna ab versteckte Pfade einschlage.
Nur so werde sein Durchzug unbemerkt bleiben.
37) Joannes Krözel, Ad Taciti Ann. I 35, 14. Eos XI S. 11— 13.
Krözel bringt einen neuen Vorschlag zur Verbesserung des
verderbten promptas ostentavere, ein Amendement zu Walthers
Vorschlag promptas <m>, nämlich promptas (vires). Er verweist
auf H. III 10, 2 ostentare vires und bemerkt, dieser Ausdruck
klinge soldatischer als ostentare res. Die einfachste und durch
eine Parallelstelle hinreichend geschützte, wenn auch nicht sichere
Verbesserung bleibt auch nach diesem Vorschlag promptos ostentavere.
38) G. Musotto, In tornoallatradizionedellamortediGermaoico,
figlio di Druso, presso Tacito, Dione Cassio e Suetonio und: Uns
nuova cootraddizione negli Aooali di Tacito al libro I c. 40 e 41.
Riv. di storia aotica IX 1 S. 1—4 und 4—6.
M. glaubt einen Widerspruch zu finden zwischen scelere
Pisonis Ann. II 71 und visus est diluisse Hl 14 und fährt ihn
darauf zurück, daß Tacitus zwei verschiedene Quellen nacheinander
benutzt habe. Der Widerspruch existiert nicht; denn an der
ersten Stelle ist es Germanicus, der seine Überzeugung ausspricht,
daß er vergiftet sei; an der zweiten berichtet Tacitus von seinem
Standpunkt aus das Ergebnis der gerichtlichen Untersuchung. —
Einen anderen Widerspruch findet M. in den Worten cur fütum
parvulum, cur gravidam contugem I 40 verglichen mit 41 tarn
n
Tacitns, von G. Andreseo. 327
infam in castris genitus, in contubemio legionum eductus. Er be-
trifft die Person des kleinen Caligula; aber die Ausfuhrungen
Musottos über diesen Punkt sind zu unklar, als daß ich angeben
könnte, worin der angebliche Widerspruch besteht. Die Worte
in castris genitus sind es nicht, woran er Anstoß nimmt; denn er
erkennt an, daß Tacitus in dieser Angabe dem Volksglauben folgt.
39) W. Heraeus, Tacitns und Sallust. Arch. f. lat. Lex. und Gramm.
XIV S. 273—276.
II. weist eine durchgehende sachliche und stilistische Ober-
einstimmung nach zwischen der Schilderung des nächtlichen An-
griffes der Thraker auf das römische Lager bei Tac. Ann. IV 50
und einer ähnlichen Szene aus dem Feldzuge des Prokonsuls
Servilius gegen die Isaurier bei Sali. Hist. fr. II 87 Maur. Beide
Berichte schließen mit coacta seditio (est). Der von Sallust ge-
schilderte Zwiespalt zwischen den jüngeren und den älteren unter
den Feinden hat sein Analogon bei Tacitus, nur daß dieser ihn
vor den Angriff verlegt. Auch noch an andern Stellen des Tacitus
werden von Heraeus Anklänge an jene Sallustpartie nachgewiesen,
so daß es scheint, daß jene Schilderung sich dem Tacitus tief
eingeprägt hat. Für den Text des Sallust aber ergibt der Ver-
gleich die Emendation plagis aut umbonibus deturbare nach
Tac. 51, 6.
40) Th. Stangl. Zur Textkritik der Annalen des Tacitus. WS. f.
klass. Phil. 1905 S. 754-758 uod 779—783.
Die Auffassungen und Vorschläge, welche dieser Aufsatz ent-
hält, zeichnen sich, obgleich sie nicht alle überzeugend sind, da-
durch aus, daß sie aus einem scharfen Aufmerken auf die
Forderungen des Zusammenhangs hervorgegangen sind und sich
auf eine Fülle von parallelen Gedanken, sowie auf eine umfang-
reiche und genaue Beobachtung der Wortbedeutung und des
Sprachgebrauchs der verschiedensten Perioden stützen. Stangl
bespricht zuerst XIV 20, 19. Er bemerkt richtig, daß Nipperdeys
Note 'egregium ironisch' nicht zutrifft, und schlägt vor, statt mit
Prammer melius nach munus einzuschieben, egregium, das er für
überflüssig erklärt, in egregie zu ändern. Ich habe gegen diesen
Vorschlag zwei Bedenken: erstens erwartet man als 'Parallelbegriff
zu auctum irf ein Adverb in der Form des Komparativs; zweitens
würde egregie nicht an der richtigen Stelle stehen; denn Tacitus
stellt dieses Adverb stets in die unmittelbare Nähe des Verbs
oder Adjektivs, zu dem es gehört. — Eine gelehrte Ausführung
über die Verstärkung eines Positivs mit per und die Ausscheidung
oder Umstellung dieser vermeintlichen Präposition in den Hand-
schriften führt zu der Schreibung canere tibiis perdoctus (oder per
doctus) XIV 60, 7. In Stangls Aufzählung der Neuerungen, die
Tacitus auf diesem Gebiete aufweist, streiche man perscverus; denn
i
328 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
XV 48, 14 ist perseverus ein alter Lesefehler; M hat praeseverus;
vgl. WS. f. klass. Phil. 1902 Sp. 777. — Eine scharfe logische
Analyse von XVI 21 ergibt die vom Sprachgebrauch des Tacitns
bestätigte Emendation dieque quo statt die quoque quo. — Eben-
falls aus Gründen der Logik müsse XVI 4, 3 qua in quo verwandelt
werden ; denn wie ut . . . averteret sich auf den ganzen Satz offert
. . . cantus beziehe, so müsse auch der Relativsatz nicht auf facundiae
coronam, sondern auf den Satz adicit facundiae coronam bezogen
werden. — XVI 22, 6 rät Stangl triennio in septennio zu ändern;
denn der Austritt des Thrasea aus dem Senat werde XIV 1 2, 7
unter dem Jahre 59 berichtet, während die Anklage gegen ihn
im Jahre 66 durchgeführt wurde. Dagegen ist zu bemerken: von
einem Austritt aus dem Senat ist weder an jener Stelle (exiü
tum senatu) noch XVI 21, 4 (senatu egressus est) die Rede, sondern
nur von einem Verlassen der Senatssitzung während der Ver-
handlung. Auch scheint es nicht Zufall zu sein, daß die Wörter
sexennium und septennium bei Tacitus fehlen. — Zu XVI 30, 1 — 5
zeigt Stangl, daß das von Nipperdey beanstandete pro claritate
sich nicht auf den Glanz des asiatischen Prokonsülates bezieht,
der sich von selbst verstand, auch nicht auf die Herkunft des
Soranus, von der Tacitus nirgends etwas zu sagen weiß, sondern
auf die Geltung, die diese sittliche Persönlichkeit sich in der
öffentlichen Meinung errungen hatte, eine Geltung, um derentwillen
Nero den Soranus zur Verlosung jenes Prokonsulates zugelassen
hatte. Um diesen Gedanken zu gewinnen, brauche man nur
accommodatum vor sibi potius zu stellen. Accommodare stehe hier
in der auch sonst von der augusteischen Zeit an nachweisbaren
verblaßten Bedeutung von tribuere oder dare; der Dativ sibi in
dem Sinne von sibi utililiter, wie H. II 26, 7 tamquam fratri pro-
düionem ageret und an anderen Stellen.
t
41) Rene Waltz, Rev. de phil. XXIX S. 51.
W. rät, XI 4 nach praebuissent nur ein Komma zu setzen;
denn At beherrsche beide Satzteile, da der Sinn sei: At, mm
causa necis ex eo esset, quod . . . praebuissent, tarnen . . . obiecta est.
Das ist derselbe Gedanke, der in Nipperdeys Anmerkung zu At
zum Ausdruck kommt. Will man sich bei dieser immerhin ge-
wagten Deutung nicht beruhigen, so liegt die Vermutung, daß at
aus erat verstümmelt sei, nahe. Wir lesen dann: quibus Tetra
cognomentum erat. Causa necis etc. — Was W. sonst noch vor-
bringt, sind Einfalle, wie sie früher häufig waren, jetzt erfreulicher-
weise seltener geworden sind. Sie treffen zwei der schwierigsten
Stellen. XII 65 schreibt er: Convictam Messalinam et Silium:
pares Herum accusandi causas esse. Si Nero imperitaret Britannico
successor, nulluni principi meritum. — At novercae insidiis etc.:
4Si Neron venait ä regner ä la place de Britannicus, Narcisse
n'aurait aucun titre ä la bienveillance imperiale; tandis que
n
Tacitus, von G. Aodreaen. 329
Britannicus, s'il regne, lui devra sa reconnaissance'. — XIII 26
Ille, an auctor conslitutionis fieret, (egit) inter paucos et sententiae
adversos, quibusdam coalitam libertate inreverentiam eo prorupisse
frementibus, ut ne tarn aequo cum patronis iure agerenl, sententiam
eorum consultarent ac verberibus manus ultro intenderent. Impulere
vel poenam [suam] dissuadentes: quid enim aliud elc. Ut ne habe
zwar kein zweites Beispiel bei Tacitus und ut non wäre 'klassi-
scher'; aber in ut ne liege eine Absicht: 'les atfranchis ne se
coutenlaient plus d'etre les egaux de leurs patrons'. Impulere vel
poenam dissuadentes heiße: 4ils ebranlerent meme ceux qui etaient
opposes au principe de la repression', d. b. die, 'dont l'opinion
sera exposee au chapitre suivant et qui feront en elTet une
concession sur ce point: paucorum culpam ipsis exitiosam esse
debere\
42) Georg Andreaeo, Zu Tacitus' Annaleo. WS. f. klass. Phil. 1905
S. 104—110. 163—168.
Der Aufsatz enthält als Nachtrag zu WS. 1902 Nr. 24. 26.
28 die textkritischen Ergebnisse einer neuen Durchsicht der SijtholF-
schen Reproduktion des zweiten Mediceus. Diese sind:
1. Berichtigung alter Lesefehler: XI 34, 1 posthac, nicht post
haec; XV 45, 8 efSecundo, nicht ac Secundo; XV 66, 7 ac maxime,
nicht et maxime.
2. Vermehrung der im Programm des Askanischen Gymnasiums
zu Berlin 1892 gesammelten Stellen, wo man die den ursprüng-
lichen Text herstellende Korrektur bisher auf eine Abschrift des
Mediceus oder auf einen Herausgeber zurückgeführt hat, während
sie in Wahrheit von dem Schreiber der Handschrift selber her-
rührt, wodurch u. a, folgende Lesarten sichergestellt werden:
XI 24,22 mandare (Ritter), XIII 21,2 poenas, 25,10 Iuliusque
(Orelli), 32, 6 quem ovasse de Britannis rettuli (Acidalius), XVI
34, 3 coetus frequentes.
3. Eine Liste von Stellen, wo in der Handschrift die richtige
Lesart nicht erst durch Korrektur hergestellt worden, sondern von
Anfang an vorhanden gewesen ist, so daß die von Ritter irrtüm-
lich verzeichneten Varianten aus dem Apparat zu streichen sind;
darunter XIV 48, 1 £. Afinio (wie Borghesi vermutete), nicht
L. Asinio.
4. Einführung einer neuen Lesart auf Grund einer hand-
schriftlichen Korrektur oder einer im Mediceus erkennbaren Spur:
XIII 40, 12 productior cornu sinistro, 46, 9 imparem cupidini et
(ohne se); ferner XU 53, 11 et fixum est in aere publico, 64, 4
biformes hominum partus, et sus fetum edidit, cui accipitrum
ungues inessent, XIII 5, 1 1 occurrere, endlich XI 28, 3 dum histrio
cubiculum per principis exultaverit, wie Becher vorgeschlagen hat.
5. Verteidigung des Überlieferten: XI 32, 3 dissimulando
metum, XIII 17, 13 id a maioribus institutum referensy 46, 4 saepe
330 Jahresbericht« d. Philolog. Vereins.
audilus est consurgens e convivio Caesaris seque ire ad iUam,
XIV 8, 9 deiecti sunt, 61, 16 et in urbem ipsam pergeret.
6. Konjekturen: XII 22, 4 oraculum statt simulacrum, 37, 16
parti olim statt partim, wie der Med. hat, X1I1 35, 3 Romanarum
als Glossem zu militum Z. 1 zu streichen und vielleicht durch
belli zu ersetzen, XIV 24, 4 eadem pluraque cum gregario milite
tolerantis, 37, 10 Otto (Med. octingenta) milia nach Nipperdey, XV
17,11 a Vologese ad Corbulonem missi nuntii, XVI 2,7 celebrabatur,
oratoribusque praecipua . . . adsumpta est nach Bekker und Ritter.
43) Phil. Fabia, Tac. Ann. 14, 10. WS. f. klass. Phil. 1905 S. 886.
F. weist auf einen offenbaren Widerspruch hin, der zwischen
14, 9 neque, dum Nero rerum potiebatur, congesta aut clausa Humus.
Mox domesticorum cura levem tumulum accepit und 10 qui crederent
. . . planctus . . tumulo matris audiri besteht, einen Widerspruch,
den man zwar schon früher bemerkt, aber wegzudeuten versucht
hat; s. die Anmerkungen von Orelli und Furneaux. Agrippina
hatte, da sie nach Neros Tode nur einen levis tumulus erhielt, bei
dessen Lebzeiten überhaupt keinen tumulus; ihre Asche war ver-
mutlich in einer Urne zu Bauli geborgen. Die Schuld an dem
Widerspruch trage das Streben nach Kürze: nachdem Tacitus das
Wort tumulus in eigentlichem Sinne gesetzt habe, brauche er das-
selbe Wort gleich darauf an einer Stelle, wo statt seiner eine
Umschreibung notwendig gewesen wäre, wie wir sie bei Dio
61, 14,4 linden: ix tov %(aQiovt~M& <» %a tijs *AyQtnnivfi$
data exeno.
44) F. ßuecheler, Lepcis. Rhein. Mas. 1904 S. 638. — W. Heraeus,
Lepcis neben Leptis. Arch. f. lat. Lexikogr. u. Gramm. XIV
S. 276.
In der WS. f. klass. Phil. 1904 S. 142 habe ich auf eine jüngst
gefundene Leptitanische Inschrift amtlichen Ursprungs aufmerksam
gemacht, in der die Stadt Lepcis heißt, und darauf hingewiesen,
daß diese Entdeckung dazu zwinge, die bei Tacitus dreimal über-
lieferte Form Lepcitanu die man allgemein in Leptitani geändert
hat, wiederherzustellen; s. JB. XXX S. 358. Jetzt liefern Buecheler
und Heraeus, ersterer, ohne meinen Artikel zu kennen, eine will-
kommene Ergänzung, indem sie die Spuren der Namensform
Lepcis aus den kritischen Apparaten anderer Autoren sammeln
und den Taciteischen Zeugnissen anfügen. War die neue Form
für Tacitus durch die Übereinstimmung des inschriftlichen Zeug-
nisses mit der Oberlieferung der Medicei bereits früher festgestellt,
so ist jetzt für die römische Literatur überhaupt bewiesen, daß
sie neben der alten Form zu Recht besteht. Heraeus fügt richtig
hinzu, das Beispiel mahne uns, wie große Vorsicht den Eigen-
namen, zumal den fremden, gegenüber geboten sei.
i
-j
Tacitus, von G. Andresen. 331
46) £. Wo! ff, Beriebt über die Tacitusliteratur 1896 — 1903.
Bursiaos Jahresberichte 32 (1904) S. 1—125.
Dieser Bericht beschrankt sich zwar auf die wichtigsten Er-
scheinungen und sieht vom Auslande fast ganz ab; doch sind alle
Besprechungen ebenso eingehend und gründlich wie lehrreich und
anregend, und von ausländischen Publikationen werden z.B. Boissiers
'Tacite' und Fabias Onomasticon Taciteum ausfuhrlich besprochen.
In der Würdigung der die Quellenfrage behandelnden Schriften
präzisiert Wolff sein eigenes Urteil dahin, daß Plutarch Hist. I
und 11 vor sich gehabt habe. Den Beweis findet er u. a. in jenem
von Wölfflin enthüllten Irrtum Plutarchs, der darin bestehe, daß
er, den Tacitus mißverstehend, als Schauplatz der Hist. I 80 er-
zählten Meuterei Ostia bezeichnet. Anderseits betont W., daß ein
gewisser Teil der Parallelen zwischen Plutarch und Tacitus des-
halb der Beweiskraft entbehre, weil es sich bei ihnen um All-
gemeingut handle, um Ereignisse, welche die Fama beschäftigten
und im Gedächtnis der Nachwelt hafteten. Unzweifelhaft Tacitei-
schen Ursprungs sei der Ausdruck comilia imperii transigü H. I 14,
von Plutarch G. 23, 4 durch ctQ%aiQtai,älovux<; nachgeahmt, und
eiusdem desertor ac proditor H. I 72, was Plutarch durch iyxata-
Ximav xal nqodovg wiedergebe. Sehr ausführlich bespricht W.
&ie vier letzten Hefte des lex. Tac. und knüpft daran eine lange
Reihe sprachlicher Beobachtungen, aus deren Fülle einzelnes an-
zuführen unmöglich ist. Doch erwähne ich, daß er Nipperdeys Auf-
fassung von in spem poteniiae XIV 15, 19 verwirft: in spem sei auf
conscripti sunt zu beziehen; dies werde bewiesen durch H. IV 46,3
lectus in eandem spem (sc. praetoriae militiae) e legionibus miles.
Dial. 12, 3 konjiziert er in (isto) strepitu 'in eurem Großstadt-
lärm', wo man gewöhnlich in strepitu (urbis) schreibt. Ferner
rechtfertigt er das absolute expedire (ohne se) in dem Sinne von
'ausrücken', 'zu Felde ziehen' H. I 10, 8. 88, 6. II 99, 2. Auch
das absolute derigere H. IV 58, 30 sei ein militärischer Terminus,
ein forensischer excusare Dial. 5, 3 neben se excusare. Sodann
verwirft er XVI 18, 2 Nipperdeys Auffassung von officia: Petronius
verschlief den Tag und 'lebte' hei Nacht seinen pflichtmäßigen
Verrichtungen und den Vergnügungen, diesen vermutlich mit mehr
Hingebung als jenen, ein rechter Gegensatz zu einem Helvidius
Priscus, von dem es H. IV 5, 13 heißt eunetis vitae offieiis aequabilis.
Aus der Anzeige von Fabias Onom. Tac. erwähne ich Wolffs Ver-
mutung, daß Tacitus H. II 89, 1. III 82, 2 absichtlich Mulvi ge-
schrieben habe, der Abwechslung mit Mulvius halber; er vergleicht
lacus Curlii neben l. Curtius. Er berichtet ferner sehr eingehend
über des Referenten Arbeiten zur Überlieferung und Kritik des
Taciteischen Textes 1899 — 1902, ebenso ausführlich über Noväks
Analecta Tacitea, welche Beobachtungen enthalten, die teilweise
von bleibendem Werte seien, und über dessen Ausgabe der kleinen
332 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Schriften 1902, sowie über Leuzes Mitteilungen aus dem codex
Toletanus des Agricola.
46) Anzeigen älterer Schriften: Diene], Beiträge zur Text-
kritik des Taciteischen Dialogs (JB. XXIX 254): Gymnasium 1904
S. 848 von J. Golling; Zöchbauer, Studien zu den Annalen des
Tacitus III (JB. XXX 356): ebd. 1904 S. 849 von demselben;
Ussani, L'ultima voce di Lucano (JB. XXX 357): Berl. phil. WS.
1904 Sp. 842 von C. Hosius.
VII. Tacitus in der Schule.
47) Anton Strobl, Zur Schallektüre der Annalen des Tacitus.
Fortsetzung. Progr. des k. k. Staatsgynioasiums in Innsbruck 1905.
S. 1—20.
S. skizziert in diesem Teil einige für die ScbuUektüre nach
Inhalt und Umfang geeignete, teils der zweiten Hälfte, teils beiden
Hälften der Annalen entnommene Themata. Sie lauten: Die
Familiengeschichte des kaiserlichen Hauses, die feindlichen und
freundlichen Beruhrungen zwischen Römern und Germanen, die
sozialen Zustände der Zeit. Er ordnet den bunten Stoff jeder
einzelnen Auswahl nach Schlagwörtern und zerlegt einzelne Ab-
schnitte (XII 1-9, die Reden XI 24. XIII 26. XIV 20) durch
detaillierte Dispositionen.
Die Prager Programme von 1902 und 1903 (JB. XXIX 256)
bespricht Zöchbauer, Ztsclir. f. d. österr. Gymn. 1905 S. 185, das
letztere J. Golling, Gymnasium 1904 S. 880.
Berlin. Georg Andresen.
Erklärung zu S. 250.
Die sogenannte dritte Auflage meiner Ausgabe von Ciceros
Rede de imperio Cn. Pompei trägt diese Bezeichnung ohne mein
Wissen und gegen meinen Willen ; der Text ist ein einfacher Ab-
druck der stereotypierten zweiten Auflage, auch Einleitung und
Anhang sind unverändert geblieben, nur mit anderer Schrift ge-
druckt.
Berlin. H. Nohl.
•i
8.
Xenophon.
1898—1900.
Nachträge zum Berichte des Vorjahres.
(JB. 1904 S. 63—224; vgl. besonders S. 209 ff.)
V1). Zu den kleineren Schriften.
Da im Berichte des Vorjahres eine Anzahl von Anzeigen über
die Literatur zu den kleineren Schriften Xenophons, die z. T.
schon druckfertig vorlagen, aus verschiedenen Gründen nicht mehr
zum Abdruck gelangen konnte, so folgen sie hier, mit einigen
neuen vereinigt2), als Nachträge. Den Rest, zusammen mit der
Besprechung der gesamten Literatur über Xenophon in den Jahren
1901 — 1903, wird, wie ich hoffe, der nächste Bericht bringen.
So ist Aussicht vorhanden, daß auch in dieser Zeitschrift nach
längerer Unterbrechung3) die Übersicht der neueren philologischen
Literatur über einen der wichtigsten griechischen Schulschrift -
steiler in absehbarer Zeit bis zur Gegenwart gegeben werden kann.
ß)1) *AnoXoyla Ztax^axovg,
1) Herbert Richards, The minor works of Xenophon. X. Apo-
logia Socratis. The Classical Review XII (1898) Sp. 193—195.
In Fortsetzung seiner kritischen Durchmusterung Xenophon-
tischer Schriften (zuletzt IX, /Togo», The Class. Rev. XI (1897)
S. 418—425) bespricht H. zunächst einige sprachliche Eigen-
heiten der Apologie im Verhältnis zu Xenophons andern
Schriften wie zu denen der übrigen Attiker, so S. 193 f. cog=
uiats (§ 16), jj qqaxaij) u.a., poetische Worte wie tvipQQ-
avvfi (8), evncifrsia (18), doogelcd-ai (17), yeivofiai (20), xvdgog
(29), iieycdfjyoQia (1 u. 2), andre ungewöhnliche Ausdrücke
wie duxaa(ft]vi£co (1), svfxtvsicc (7), aptpiXiYO) (12), cfV[ißovi.€VfAa
(13), syntaktische Eigentümlichkeiten (S. 194 a), Nichtbeachtung
*) Die hier angewandten Zahlen und Buchstaben schließen sich an die
entsprechenden des vorjährigen Berichtes (S. 209 ff.) au.
') Vgl. JB. 1904 S. 214 o.
3) Vgl. ebenda S. 63.
334 'Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
des Hiatus. Er berührt dann kurz gewisse Übereinstimmungen
des Inhalts von Teilen der Memorabilien und der Apologie; an
untergeschobenes Gut denkt er nicht; ein Nachahmer würde z. B.
in 4 nicht olxrlaaprsc, sondern iXeijcfccyTeg geschrieben haben.
Zum Vergleich wird das Verhältnis von Hellenika und Agesilaos
herangezogen. Ton und Geist stimmt zu den übrigen Schriften
Xenophons, was It. unabhängig von M. Schanz (Die Xenopbontische
Apologie, in „Sammlung ausgewählter Dialoge Piatons mit
deutschem Kommentar4' III, Apologia, Leipzig 1893, Abschnitt IV
S. 74>— 89; vgl. besonders 83 ff.) feststellt1). Er erwähnt dabei
auch einige ältere Literatur; Kaibel und v. Wilamowilz (s. u.
Nr. 2) scheint er nicht zu kennen.
Zum Schluß gibt er (unter Hinweis auf die von Schenkl
s.Z.8) bekannt gegebene Neuvergleichung zweier Hss.) einigen
Bedenken über den Wortlaut des Textes Ausdruck und macht
Verbesserungsvorschläge, z. ß. 1 (nQog)€xlij&tiJ zu hvypv sei
ein parlizipialer Ausdruck verloren gegangen, 5 ipot (Hs. ips)
11 xav avTog (xa*)> 14 GO(fooT6Qoy (Gco(pQOV€Oi€QOP), 20 iviovg
(ixeipovg) 22 iggföt] fitv (oiv) oder <o^> vor dqlov, 29 saxa*
(£0Ti); 9 ßccQvvco (ßccQvvoo) findet sich nach Hirschigs Vor-
schlag schon in Dindorfs Oxforder Ausgabe (1862) — in der Text-
ausgabe wieder ßaQvvat — und bei Schenkl (1876).
Von den Vorschlägen sind einige möglich, keiner — nach
dem hs. Befunde — nötig, und der Wert der kleinen Abhandlung
liegt auch nicht in diesen Konjekturen, denen man leicht ein
Dutzend ähnliche an die Seite stellen könnte, sondern in der
sorgsamen Sammlung sprachlicher Eigenheiten (vgl. die Anzeige
der Abhandlung von 0. Immisch, JB. 1904 S. 209—212, besonders
S. 211 u. A.l).
2) Martin Wetzel, Die Apologie des Xenophon. Neue Jahrbücher
für das klassische Altertum usw. 1900 (1) S. 389—405.
Die Echtheitsfrage der Apologie ist im letzten Jahrzehnt
wiederholt behandelt worden, v. Wilamowitz (Hermes 32 (1897)
S. 99 — 106) hat die Schrift für eine wertlose Fälschung erklärt,
Martin Schanz (Piatons Apologie, 1893, S. 76—89) die Echtheft
nachdrücklich und überzeugend verteidigt.
Während nun Schanz aus einer Vergleichung des Schlußkapitels
der Memorabilien (IV 8) mit der Apologie folgerte, daß jenes sich
an diese anlehne8), will W. ähnliche Beziehungen zu anderen Teilen
x) Der neueste Herausgeber der Apologie, Tretter (Graz 1903), nimmt
wieder die Uoechtheit au.
*) Sitzungsber. d. Wiener Akad. 83 (1876) S. 169—176; vgl. ebenda
80 (1875), S. 135 IT., wo die Apologie als ein rhetorisches Kxercitinm ans
einer Schule etwa des 2. Jabrh. v. Chr. bezeichnet wird.
s) „Der Weg fuhrt leicht von der Apologie zu dem Memorabilien-
Kapitel, aber nicht umgekehrt" (a. a. O. S. 86).
Xenophon, von R.Ullrich. 335
der Memorabilien (I, 1; 2, 1—8. 62—64) feststellen, bei deren
Abfassung sich X. an die früher von ihm verfaßte Apologie
(11 — 22) angelehnt habe. Sie kann keine Fälschung sein; denn
sie ist hier genauer als die entsprechenden Abschnitte der Memo-
rabilien, in denen mehrfach Irrtumer vorkommen, die sich nur
aus Mißverständnissen der in der Apologie nach dem Berichte des
Hermogenes wiedergegebenen wirklichen Rede des Sokrates er-
klären lassen. Im einzelnen entspricht sich 1) Apol. 11 und
Mem. I 1, 2 (Hinweis auf die Teilnahme des Sokrates an den
Opfern; fehlt in Piatons Apologie). 2) Hinsichtlich des deu(i6vH»>
(Apol. 12) hat Xenophon in der Ausführung in den Mem. I 1, 3 f.
ein Mißverständnis begangen, indem er, ohne durch die nach
dem Bericht des Hermogenes in der Apologie verzeichneten Worte
des Sokrates dazu gezwungen zu sein, es als „Gottheit44 bezeich-
nete. Vgl. über diese Auffassung, die mir nicht haltbar scheint,
desselben Verfassers1) Hrogrammabhandlung „Haben die Ankläger
des Sokrates wirklich behauptet, daß er neue Gölter einführe ?"
(Braunsberg 1899). 3) Auf Apol. 13 geht zurück Mem. I 1, 4
(Ratschläge der Gottheit). Auch hier, meint W., habe X. den
Sokrates mißverstanden, der nicht Ratschläge meint, die sich auf
die Handlungen der Freunde, sondern solche, die sich auf seine
eigenen beziehen (vgl. Plato Phaedr. 242 D und Zeller II * 1 ,
S. 82); W. schließt aus solchen „Mißverständnissen4' auf nur
oberflächliche Bekanntschaft X.s mit Sokrates2). Endlich gebt
auf Apol. 16 ff. (Enthaltsamkeit des Sokrates) wieder Mem. I 2, 1 — 8
(nicht so bei Piaton). Diese Berührungspunkte zeigen also deut-
lich Anlehnung der Memorabilien an die Apologie, welche somit
von X. verfaßt sein muß.
Andrerseits finden sich wesentliche Abweichungen in beiden
Schriften, die auf einen Einfluß der dem X. inzwischen bekannt
gewordenen Apologie Piatons schließen lassen. 1) Während sich
Sokrates nach Xen. Apol. 24 gegen den Vorwurf des Atheismus
nicht rechtfertigt, verteidigt ihn X., so Mem. 1 2,64, daher
sein Gebrauch der Mantik 11,2 und sein Glaube an die Götter
1 1, 5. Dieser Widerspruch erklärt sich aus dem Einfluß der
Fiktion bei Hat. Apol. 26 C3). 2) In Xen. Apol. ist keine Rede
von theologisch-kosmologischen Untersuchungen, dagegen in den
Mem. I 1, 11—15 nach Plat. Apol. 19 B; I 1, 12 und 15 sind
cum grano salis zu verstehen (vgl. 1 4 und IV 3, die „später ver-
M Vgl. dazu die Bemerkungen von A. Döring, WS. f. klass. Phil. 1899
Sp. 912—915 und den nächsten Jahresbericht.
2) £. Richter war in seinen „Xenophon -Studien" (Jahrb. f. klass. Phil.
Soppl. XIX (1893) S. 57—155) bekanntlich noch weiter gegangen; vgl. be-
sonders S. 152.
') So Verf. schon Gymnasium 1896 Sp. 805—814; s. besonders 813 und
ebenda Sp. 845—858.
336 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
faßt sind als M, als die Erinnerung an Piatons Apologie bereits
verblaßt war"). 3) Nach Xen. Apol. 20 f. erklärt Sokrates die
nmdsia für seinen Beruf, sich selbst also für einen Lehrer,
abweichend Mem. I 2, 3 und auch noch l 2, 9—61, in letzterem
Abschnitte aber doch auch schon Verwandtes (l 2, 15; 17; 31);
vgl. auch 1 6, 3 und besonders Buch IV, wo sich X. „in Wider-
spruch zu sich selbst setzt". W. vermutet, daß X. das vierte
Buch hinzugefugt habe, um den wirklichen Schulern des Sokrates *)
zu zeigen, daß auch er den Meister als Lehrer zu schätzen wisse.
Die Widerspruche leitet W. wieder aus Piaton ab (191); 20 C;
33 A). Was dieser aber fingiert, hat X. „im apologetischen
Interesse, in allem Ernste, wenn auch sicher nicht ganz seiner
Überzeugung gemäß" ihm „nachgesprochen". 4) Ähnlich ist
wiederum der Gegensatz zwischen Mem. I 2, 62 und 64 und
Apol. 18 aus der berühmten Stelle Piatons von dem „Strafantrag"
des Sokrates auf Speisung im Prytaneum zu erklären, die eben-
falls fingiert ist; vgl. Xen. Apol. 23, wonach S. gar keinen „Straf-
antrag" gestellt hat, und dazu K. Lincke, Jahrb. f. klass. Phil.
1897, 1 S. 711. Diese Einflösse der Apologie Plalons auf die
Memorabilien fuhrt W. auf apologetisches Interesse zurück, ebenso
wie noch eine andere Abweichung der Memorabilien von der
(Xenophontischen) Apologie.
Apol. 12 nämlich, das von Sokrates geltend gemachte Argu-
ment über sein dcufiovioy, schien X. wenig beweiskräftig, deshalb
verzichtete er in den Memorabilien darauf, obwohl er alle übrigen
Gedanken von Apol. 11 — 14 in Mem. I 1, 2 — 4 variiert, und be-
nutzte, wie Piaton, das dcupovwv nur, um den Vorwurf des
Atheismus zu widerlegen (vgl. Plat. Euthyphr. 3A). Aus dem Um-
stände, daß X. sich in den Memorabilien einerseits an die Apologie
anlehnt, andrerseits, durch Piatons Apologie veranlaßt, von ihr
abweicht, folgert nun M., daß X. seine Schrift geschrieben hat,
ehe er die Apologie Piatons kannte. Dasselbe schließt er aus § 1
der Xenophontischen Apologie (vgl. besonders die als dipgoveötiqa
bezeichnete fieycdrjyoQia); Piaton habe die ^yaXrjyoQia wirklich
motiviert. Die Apologie Piatons war noch nicht erschienen, als
X. die seinige verfaßte.
Wetzel versucht nun weiter (398 ff.), die von v. Wilamowitz
(a. a. 0.) und Schanz (desgl.) trotz ihrer grundverschiedenen Auf-
fassung des Autors der Apologie doch in gleicher Weise behauptete
Anlehnung an die Schrift Piatons (im Aufbau der Verteidigung
in drei Heden, Erwähnung des Palamedes in der dritten, einer
Prophezeiung in dieser und ihrer Begründung) in andrer Weise
zu erklären; er will sie auf gemeinsame Quelle, nämlich Sokrates
l) W. weist aof Autistheoes hio, dessen Schrift nsgl naiäelaq nach
Birt (Rh. Mas. 1896 S. 155) io Mem. IV 3, 1 berichtigt in der Disposition
vorliegt.
o
Xenophon, von R. Ullrich. 337
selbst, zurückfuhren. Di« „niederträchtige" Prophezeiung Kaibels1)
erklärt er auf natürlichere Weise.
Blicken wir zurück, so ergibt sich m. E., daß W. uns den
schon von Schanz gezeigten Weg von der Apologie zu den Meraora-
bilien durch genauere Nachweise noch gangbarer gemacht hat;
auch der von ihm vermutete Einfluß der Apologie Piatons auf
die Memorabilien hat manches für sich. Von der Richtigkeit der
Behauptung aber, daß X. bei der Abfassung seiner Apologie Piatons
Werk noch nicht gekannt haben soll, hat mich W. nicht über-
zeugt. Schanz (a. a. 0.) hat deren Benutzung durch X., d. h. in
diesem Falle Bekämpfung, mindestens sehr wahrscheinlich gemacht.
Überzeugender ist wiederum, was hier im einzelnen nicht aus-
geführt zu werden braucht (über das 64 am Anfang (t) vgl. noch
Ed. Meyer, Forschungen zur alten Geschichte II (1899) S. 40 t
Anra. 1 und den vorigen JB. S. 215 A. 2), W.s Rechtfertigung der
Echtheit der Apologie gegen v. Wilamowitz (S. 400 f.), Kaibel
(S. 402 f.) und K.Lincke2) (403 f.). In der Tat hat es den Anschein,
daß die Oberzeugung von der Verfasserschaft Xenophons wieder
zur Geltung kommen wird, nachdem man sich, wie Verf. nicht
unzutreffend bemerkt, besonders wegen der Konsequenzen für den
geschichtlichen Wert der Apologie Piatons und die Auffassung des
Sokrates als eines Bahnbrechers der religiösen Aufklärung lange
gegen die Anerkennung gesträubt hat.
Verschwiegen darf freilich nicht werden, daß alle derartigen
Arbeiten über Echtheit der somatischen Schriften Xenophons und
ihr Verhältnis zu gleichartigen Piatons (vgl. z. B. die Symposien-
literatur), soweit sie an den Inhalt anknüpfen, bei der Lücken-
haftigkeit und Unbestimmtheit der Zeugnisse es selten zu aner-
kannten Ergebnissen im ganzen bringen können, soviel Treffendes
sie auch im einzelnen enthalten. Das gilt auch von der vor-
liegenden Untersuchung. Und so erklärt sich denn auch die
seltsame Tatsache, daß selbst Männer von der Bedeutung von
v. Wilamowitz und Schanz über den Verfasser der Apologie zu
ganz verschiedenen Ergebnissen gekommen sind.
Fruchtbringender scheint mir die Untersuchung der Apologie,
auch für die Echtheitsfrage, nach ihrer sprachlichen Seite. Sie
ist von 0. Immisch (s. o. S. 334) mit Erfolg geführt worden.
y) 'Iigtov.
3) K. Lincke, Xenophons Hieron and Demetrios von Phaleron.
Philologus LV111 (N. F. XU) 1899 S. 224—251.
Demetrios von Phaleron hatte schon in der früher (JB. 1904
S. 200 — 204) besprochenen Abhandlung Linckes eine Rolle gespielt.
') Xenophons Kynegetikos, Hermes 25(1890) S. 581— 597; vgl. besonders
S. 581, Aom.
2) Fleckeisens Jahrb. 1S97 I S. 705—720, bes. S. 711 ff.
Jahresberichte XXXI. 22
338 Jahresberichte d. Pbilolog. Vereins.
Und wahrend dort der jüngere Xenophon mit Teilen der „Memora-
bilien" dem Machthaber schmeichelt (er war bekanntlich von 3 IT-
SO? durch Kassander Statthalter von Athen), wird hier versucht, den
„Hieron" seinem Verfasser abzusprechen und in das für ihn ge-
eignetere Milieu der „Dekaetie" zu versetzen, in ebenso fesselnder
Darstellung wie dort, aber auch, wie mir scheint, auf ebenso un-
sicherer Grundlage und daher mit kaum überzeugenderem Er-
folge. Der Verfasser fühlt sich hier als Historiker, der, nach
Goethe, „nicht alles aufs Gewisse zu führen kann und braucht4*;
philologische Kritik, besonders nach der sprachlichen Seite hin,
würde zur Vorsicht gemahnt haben. Seine Beweisführung geht
oft zu sehr ins Weite; wir erhalten z. B. fesselnde Schilderungen
über die Akademie (S. 235 ff.) und das Priestertum (239), die uns
den Hauptgegenstand etwas aus dem Auge verlieren lassen und
als „breitere Grundlage" zur Erklärung der Verhältnisse, in die
L. seinen Verf. des Hieron hineinsetzen will, dennoch wenig helfen.
L. nennt den „Hieron" eins von den Problemen der Xeno-
phonkritik und stellt die verschiedenen „Fragen" zusammen (S. 224).
Das ist wohl zu viel gesagt. In den 31 Jahren, die seit J. Sitz-
lers1), von W. Nitsche3) mit guten Gründen abgewiesenem Ver-
suche, den Dialog Xenophon abzusprechen, vergangen sind, ist
meines Wissens das „Problem" im Zusammenhange nicht be-
handelt worden — und was an gelegentlichen Bemerkungen in
dem einen oder andern Werke vorgebracht worden ist8), reicht nicht
einmal an die über den Agesilaos und Kynegetikos schwebenden
Streitfragen heran, geschweige denn an die noch lange nicht zur
Ruhe gekommenen über die sog. sokratische Literatur Xenophons.
An der Hauptsache, der Echtheit der Schrift, ist seit Jahrzehnten
ein Zweifel nicht aufgetaucht; die Nebenfragen aber, die L. stellt,
sind nach Lage der Dinge mit einiger Sicherheit nicht zu be-
antworten und führen, wenn zu „Problemen" erhoben, nur in
die Irre. Wir müssen uns an den Dialog selbst halten; und aus
seinen Personen wie Sachen läßt sich doch, meine ich, immerhin
so viel gewinnen, um bei rechter Beachtung auch der formalen
Seite Zweifel an der Urheberschaft X.s nicht aufkommen zu lassen.
L. skizziert zunächst den Inhalt, Tyrannenunglück (I — VII)
und Tyrannenglück (VIII — XI), hebt die Neigung des Verfassers für
das Erotische hervor und erklärt dann mit Bezug auf das letztere,
einen solchen Mann, wie der Verf. ihn (14. 26—38; III 3ff.; VI
2; VII 5 f.; VIII 6) schildere, der (S. 227) „selbst der Bürgerschaft
angehört und die Freuden des Privatlebens alle gründlich durch-
gekostet hatte, dann aber bereit war, dieses süße Glück dem
*) De Xeoophonteo qui fertur Hierone. Progr. Tauberbischofsheim 1874.
2) Bursians JB. 1877 I S. 25—28.
s) Z. B. von R.Hirzel, Der Dialog (Leipzig 1595) I S. 16S — 171, ein
Werk übrigens, dem L. als einer „literarischen Fundgrube" — das ist es —
mit Recht volles Lob zuteil werden läßt.
•>
Xeoophon, von R. Ullrich. 339
Wohle seiner Mitbürger zu opfern und sich an ihre Spitze zu
stellen44, weise die Geschichte Athens zu Lebzeiten X.s nicht
auf. Auch in Skillus wäre kein Anlaß zu einem solchen Buche
gewesen, während man doch sonst yon jeder Arbeit dieses frucht-
baren Schriftstellers Ursprung, Anlaß und Zweck mit Bestimmt-
heit angeben könne. Wirklich? Ich dächte, wir fingen eben erst
an, über die eine oder andere Schrift in dieser Beziehung zu
leidlich sicheren Ergebnissen zu gelangen. Vor wem freilich die
ganze Schriftstellerei des Mannes so klar ausgebreitet liegt wie vor
L. (vgl. JB. 1904 S. 201 ff.), für den hat es keine Not. Doch zu.
solcher Sicherheit vermögen sich wenige zu erheben. Der „Hieron44
soll nun davon eine Ausnahme bilden. Xenopbons Arbeiten seien
überdies eine Frucht persönlicher Eindrucke und Beobachtungen;
beliebig ein Thema aus der Ferne aufzugreifen, sei seine Sache
nicht. Nach der Darstellung der Vorzöge der Monarchie in der
Person des Kyros sei der Hieron eine Verirrung, um so mehr,
als das Für und Wider rhetorisch auf die Spitze getrieben sei.
Das letztere kann man gern zugeben; aber schon die Zusammen
Stellung mit der Gyropädie bei L. selbst zeigt doch einen ver-
wandten Stoff und Anlaß. Der Gedanke aber, daß ein Mann, der
doch sonst zu Piaton einerseits wie zu Isokrates andrerseits so
mannigfaltige Beziehungen aufweist, nicht auch wie jene der
Tyrannenveredelung, um es einmal so zu nennen, sein Interesse
sollte zugewendet haben, ist schwer abzuweisen. Ob man an-
nehmen will, daß der Dialog wirklich direkt an die Adresse des
Dionysius II. (also 367 oder bald danach) gerichtet war und so
praktischen Zwecken dienen sollte, oder daß er mehr als eine
„Studie14 aufzufassen ist (so Nitsche a. a. 0. S. 26), darauf kommt
zunächst nicht viel an. Die Hauptsache ist, daß er Gedanken ent-
hält, die X. auch sonst nahelagen. Lincke freilich leugnet das.
Sittlicher Standpunkt und politisches Urteil sollen hier anders sein
(S. 228 ff.); wenn das zum Teil der Fall ist, besonders was den
ersten Punkt anlangt, so liegt das nicht an Xenophon, sondern
an dem geschichtlichen Hintergrunde des Gemäldes, das er uns
entwirft, und was den andern betrifft, so unterscheidet sich sein
„Tyrann44 nicht eben sehr von dem Idealbilde, das sich ihm, dem
Anhänger der aufgeklärten Monarchie, sonst an Kyros und Agesilaos
gebildet hatte. Zwar L. findet, daß die Auffassung des Tyrannen
und seines „Ratefreundes44 materiell, selbstsuchtig, dabei aber,
fugt er hinzu, gar nicht so unpraktisch sei. Freilich, die Schrift
ist, das scheint mir nicht unwahrscheinlich, praktischer Natur,
ein Ffirstenspiegel, anderer Art allerdings als der „Agesilaos44,
ohne die feste Grundlage persönlicher Beziehungen und darum,
das kann gern zugegeben werden, weniger lebensvoll, verschwomme-
ner und gewiß keine der besten Leistungen Xenophons; aber bei
den Mitteln, die der Aufrechterhaltung der Herrschaft des Tyrannen
dienen sollen (S. 229), findet doch der Idealismus des Autors voll
22*
340 Jahresberichte d, Philolog. Vereins.
seine Rechnung, dem das „Herrschen über Willige" als schönstes
Ziel für einen Fürsten vorschwebt. Und wie der Weg dazu von
Athen über Sparta nach Syrakus geführt hat, ist uns von einem
echten Historiker, Ed. Meyer (Gesch. d. Alt. V S. 368 f.), mit wenigen
Strichen vorgezeichnet worden. Vgl. auch ebenda S. 507, wo
die Broschüre X.s in den richtigen Zusammenhang gerückt wird.
So sehen wir hier wie oft den Praktiker X. neben dem Idealisten
Piaton. Daß der Verf. sich einen der „schönsten Züge" im Bilde
Hierons habe entgehen lassen, die Gastfreundschaft, zumal gegen
; Dichter und Philosophen, bemerkt Lincke S. 230 richtig — wie
es scheint. Indessen, ich glaube doch, daß in diesem Zusammen-
hange, wo es sich wesentlich um die Frage handelte, wie der
Herrscher seine Untertanen beglücken und dadurch seine Herr-
schaft festigen könne, das fremde Gewächs der höfischen Dichter
entbehrlicher war. Lincke findet auch die Ansichten, die über das
Söldnerwesen in dem Dialoge entwickelt werden, befremdlich für
X. und seine sonst geäußerten Anschauungen über diese Dinge
und passender für die Zeit nach Demosthenes. Aber ich sehe ge-
rade darin einen Beweis für den praktischen Zweck des Buchleins.
Nicht nur, daß der historische Hieron seine großen Aufgaben,
die, wie die Befreiung Kymes von den Etruskern, eines national-
hellenischen Zuges nicht entbehrten, mit Söldnern löste; auch in
der Zeit der Dionyse war für denjenigen, der die Verhältnisse
praktisch absah, eine andere Art von Truppen für Alleinherrscher
das Übliche und Notwendige1), und es mochte auch bei dem
praktischen Xenophon hier die stolzeste Zeit seines Lebens noch
einmal leise nachklingen; doch dies nur nebenbei. Nachdem L.
dann S. 232 noch zu zeigen gesucht hat, daß der Dialog in keine
Zeit von X.s Leben und auf keinen geeigneten Adressaten passe,
ist es ihm völlig klar, daß „den freien und auf ihre Freiheit eifer-
süchtigen Athenern bewiesen werden soll, daß sie wohl daran
taten, sich einem einzigen Lenker des Staates in die Arme zu
werfen und ihm ihre Freiheit zu opfern"8).
Dieser Mann ist nun Demetrios von Phaleron, dessen viel-
seitige Tätigkeit uns L. S. 233 ff., hauptsächlich nach Holm, so
anschaulich schildert, daß wir (s. o.) den Hieron fast vergessen.
Erst S. 241 lenkt er wieder ein, um an das Ende dieser Ent-
wicklung den Hieron zu setzen, den er für einen Schuldialog aus-
gibt, doch — mit praktischem Zweck (s. o.). Ob I 4 — 6 sich an
Plat. Tim. 45 A, 64 Äff., XI 5—10 an Piatons Staat (465 C) anlehnt,
wie L. annehmen möchte, oder nicht, ist für die Echtheitsfrage nicht
von Bedeutung, da chronologisch auch einer Benutzung durch X.
selbst nichts im Wege steht, und die von ihm weiter behauptete
Anlehnung von VIII 6 an Mem. I 4, 12 steht und fallt mit seiner
*) Vgl. H. Droyseo, Heerwesen n. Kriegführung (1889) S. 76 ff.
2) So schoo A. H. Christiao io der Einleitung zu seiner Übersetzung
des Hieron (Metzlersche Sammlung, Stuttgart).
Xenophoo, vod R. Ullrich. 34t
(nicht bewiesenen) Annahme der „jüngeren Memorabilien". Daß
rhetorischer „Aufputz", der tatsächlich im Hieron vorliegt, sich in
den echten Werken, z. B. in der Anabasis, nicht zeigen soll, darf
doch seit Schachts Untersuchungen (s. JB. 1904 S. 65, 79 u. ö.)
und Bruns' Nachweis des Zusammenhangs von Anab. II 6, 16—29
mit Isokrates Euag. 19 (vgl. ebenda S. 150 f.)1) nicht mehr behauptet
werden, um zu beweisen, daß gerade die in bezug auf Echtheit
verdächtigen Werke rhetorisch ausgestattet seien, um Ersatz zu
bieten für die Mängel des Inhalts (S. 244 f.). Daß Schriften ab-
handelnder Art mehr Rhetorik zeigen als geschichtliche, ist in .
der Sache selbst begründet (JB. 1904 S. 79, Z. 11 v. u.). Verf/ist
unmutig darüber (S. 245 Anm. 14), daß die Theologie der Bibel-
kritik einen Deutero-Jesaia zugestanden hat, die Philologen von
dem Deutero-Xenophon aber nichts wissen wollen. Das ist nicht
eben zu verwundern. Denn dort stehen wir Tatsachen gegenüber,
die sich aus zwingenden Gründen ergeben haben, während hier
eine Vermutung die andere stützen muß (JB. 1904 S. 202f.). Der
Nachweis vorhandener Rhetorik, den L. des näheren S. 246 für
Hieron und andere kleine Schriften Xenophons gibt (Über Ab-
hängigkeit des Hieron I — VII von Isokrates VIII 112 vgl. schon
E. Richter, Xenophonstudien, Fleckeis. Jb. Suppl. 1893 S. 147
bis 149), kommt auch dein echten Xenophon zugute. Nachdem
L. dann S. 248 f. wieder etwas abgeirrt ist (zu den Hellenika; vgl.
auch JB. 1904 S. 204 o. und oben S. 338 u. 340), kommt er zum
Schlüsse.
Daß vieles von dem, was der Verfasser des Hieron ausführt,
zumal daß sein erotisches Element auf Zeit und Ort des Demetrios
von Phaleron passen kann, soll L. nicht bestritten werden. Das
hilft uns jedoch wenig. Den Nachweis aber, daß in dem Dialoge
auf Verbältnisse der Dekaetie deutlicher angespielt werde als auf
syrakusanische zur Zeit des Hieron und Simonides, welche er ver-
mißt, hat er nicht erbracht. Vor allem bleibt unerklärt, wie ein
Verfasser, der nach L. athenische Verhältnisse vor Augen hatte,
am Ausgang des 4. Jahrhunderts gerade dazu gekommen sein
sollte, den sizilischen Tyrannen und einen der an seinem Hofe
sich aufhaltenden Dichter redend einzuführen. Lincke hat (S. 232)
von diesen beiden Personen „einmal" abgesehen, kommt dann
aber auf sie nicht mehr zurück. Zum Schaden der Sache. Wir
werden doch wohl um diese Namen und die mit Notwendigkeit
auf Sizilien weisende Beziehung nicht herumkommen. Und wenn
es uns auch an bestimmtem Nachweise über die Beweggründe X.s,
diese Personen einzuführen (den L. aber auch für Demetrios nicht
erbracht hat), fehlt, so ist doch, ganz abgesehen von dem Rechte
der Überlieferung und der sprachlichen Form, wovon noch zu
x) Vgl. auch zur AaxtSaipovttoV noXaita die entsprechenden Nach-
weise Nordens (vgl. JB. 1904 S. 79), dessen „Attische Kunstprosa" L. wohl
zu niedrig einschätzt.
342 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
reden ist, mancherlei vorhanden, was uns wenigstens einen ge-
wissen Anhalt gibt.
Das Wesentlichste hat schon Nitsche (a. a. 0.) richtig hervor-
gehoben, und besonders dessen Hinweis auf die Abfassungszeit
in dem 'mit Sizilien in lebhafter Verbindung stehenden Korinth
um 367 hätte Lincke in der Orts- und Adressatenfrage (S. 232)
bedenklich stimmen sollen. Naturlich konnte die Broschüre nicht
für die Korinther bestimmt sein (a. a. 0.); aber der lange Auf-
enthalt in dieser Stadt gerade zu der Zeit, wo in Syrakus der
Thronwechsel sich vollzog, mochte in Verbindung mit den politi-
schen und Handelsbeziehungen beider Städte und auch der mehr-
fachen Unterstützung der Spartaner durch die beiden Dionyse
(vgl. Hell. VI 2, 4. 33; VII 1, 20—22. 28 ff.; 4, 12) das Interesse
des Schriftstellers auf Sizilien gelenkt haben. Während seines
Aufenthalts in Skillus werden ihm außerdem die mannigfachen
Zeugen der olympischen Siege sizilischer Herrscher und der Sieges-
helm für den Sieg von Kyme (vgl. Roehl, Inscr. Gr. antiquiss. 510)
nicht unbekannt geblieben sein und Eindruck gemacht haben.
So viel im allgemeinen.
Ob nun X. sich an eins von den Gesprächen angelehnt hat,
die „über Hieron und Simonides im Umlauf waren" (vgl. Hirzel
a. a. 0. I S. 170 u. Anm. 3), oder ob er seinen politischen Rat-
schlägen an den sizilischen Machthaber seiner Zeit den Namen
eines seiner gefeiertsten Vorgänger einfach untergelegt hat, kann
nicht mit Bestimmtheit entschieden werden. Hieron aber, der
nach Pindars Worten (Pyth. I 117 f.) die Stadt Aitna &£od}idz(a
<siv ei.av&sQiq \ 'YXXidog Gid&(iag . . . . sv vdfioig gegründet hatte,
mußte recht ein Mann nach dem Herzen des frommen, für dorische
Einrichtungen begeisterten Xenophon sein. Und wenn nun zu
einem solchen Könige sich der Sänger gesellte, der — woran zu
zweifeln kein Grund ist — auch politischen Einfluß am Hofe des
Hieron gehabt und (476 v. Chr.) zwischen diesem und Theron
von Agrigent den Frieden vermittelt hatte1), wozu Ed. Meyer
(Gesch. d. A. III S. 629 u.) fein bemerkt: „er mochte beiden
Herrschern vorstellen, wie leicht der Kampf die Revolution ent-
fesseln und beide den Thron kosten könne", — konnte es da für
X. geeignetere Personen geben als diese, wenn es sich um die
Frage handelte, wie ein Tyrann seine Herrschaft am festesten be-
gründen könne? Während man also, eine Beziehung des Dialogs
auf Demetrios angenommen, vergebens nach Gründen für die Wahl
gerade dieser Sprecher suchen würde, liegen diese ziemlich nahe,
wenn wir in Xenophons Zeit selbst bleiben.
L. hat noch sprachliche Bedenken beigebracht, im ganzen
zwei. Aber wenn auch tatsächlich Demetrios, wie Holm, G riech.
Gesch. IV 77 ausführt, statt der Choregie die Agonothesie einge-
!) Vgl. ßnsolt, Griecb. Gesch. II ' S. 799 Anm. 1.
Xenophon, von R.Ullrich. 343
fuhrt hat1), so ist doch zu beachten, daß 1X4 nicht vom Amte
des aywvo&hfjg die Rede ist (dieser Name, und nur in der
Substantivform, begegnet in den betr. Inschriften), sondern die
Sache liegt so, daß X. in freier Weise den sonst für Kampfspiel
üblichen verbalen Ausdruck (dieser z.B. XI 5) auf szenische
Agone übertragen hat; gleich hinterher folgt übrigens das übliche
Xowfoq. Sauppe hat daher das Wort im Lexilogus nicht ein-
mal erwähnt. Wie würde L. über aywvodfrcci, Anab. III 1,21
denken? Ebenso werden XI 5 und 7 nqoataxsvsiv und ttqootcc-
zyg nur demjenigen auffallen, der schon mit dem Gedanken an
den TiQoaicxtTjg Demetrios (der übrigens auch im<Sxa%ng oder
inifJksltjTijg hieß) an die Stellen herantritt. Übrigens kommt hier
nicht einmal nQoaiaTtjg direkt vor, sondern nur in der Ver-
bindung TtQQQ äXXovg nqoaxatag noXswv, und Substantiv wie
Verb sind nicht bloß in der übrigen Gräzität, sondern auch bei
X. selbst gar nicht selten (z. B. Anab. V 6, 21; Mem. II 8, 4; Hell. III
3, 6 — TtQoaTdjfjg allein 8 mal in den Hellenika u. ö.).
L. hätte nachweisen müssen, daß sich die Sprache wesent-
lich von der Xenophontischen unterscheide. Die beiden genannten
Tatsachen beweisen nichts. Es würde übrigens ein mißliches
Unternehmen sein, aus dem Wortschatz einer Schrift so kleinen
Umfanges, im Vergleich zu dem größerer, echter Schriften des-
selben Autors eine Erklärung der Unechtheit herleiten zu wollen.
Die Unterschiede müßten gerade so auffallend in die Augen
springen, dazu der Stil so verschieden sein, daß kein Zweifel
möglich wäre. Ober den Stil ist schon oben gesprochen, und
die Sprache zeigt nichts, was gegen den sonst bekannten Gebrauch
des Schriftstellers verstieße. Sogar manche Eigentümlichkeit der
Art, wie sie Richards und Immisch in der Apologie im Verhältnis
zu den übrigen nicht angezweifelten Schriften festgestellt haben
(s. o. S. 333 f. und JB. 1904 S. 209 ff.), kehrt hier wieder; ich
notiere gerade dwQstffd-ai VII 9; evcpQOövvtj I 2 und 18; VI 1;
VIII 3; ßiOTsvco IV 4 u. a. m. — falls es derartiger Nachweise
überhaupt bedürfte.
Aus dem Gesagten geht hervor, daß weder nach Form noch
Inhalt begründete Zweifel gegen die Echtheit des „Hieron" er-
hoben werden können, Linckes Hypothese demnach als verfehlt
anzusehen ist.
&) Olxovopixog.
4) Friedrich Ctoer, Die Stellnag der arbeitenden Klassen in
Hellas and Ron, Nene Jahrb. f. d. klass. Altertum usw. 1899 (l.Teil)
S. 686—702,
kommt S. 691 kurz auf Xenophon und seine Auffassung der
Arbeit zu sprechen. Die Handwerker gewannen ihm keine Achtung
2) Vgl. dazn A. Müller, Lehrb. d. griecb. Bühoenaltertümer (1886)
S. 339—341 nnd die Quellenstellen in den Anmerkungen.
344 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
ab, und der soziale Wert ihres Tuns kam ihm nicht zum Bewußt-
sein. Höher steht ihm die Landwirtschaft. Wichtig ist hier be-
sonders der Umstand, daß nach X. der rechte Landwirt sich um
jede Einzelheit in seiner Wirtschaft kummern und die Strapazen
seiner Leute teilen soll.
X. war, das geht auch aus diesen Bemerkungen wieder her-
vor, ein pädagogisches Talent und auf diesem praktischen Gebiete,
das er wie das militärische aus langer Übung kannte, auch
originell.
5) L. Ziehen, Die Drakontische Gesetzgebung, Rh. Mos. LI V (1899)
S. 321—344,
erinnert S. 331 u. Anm. 1 an den Volksbeschluß von 409/8 CIA
I 61; Dittenberger Syll. 2I n. 52 (»I n. 45) über die neue Auf-
zeichnung des Gesetzes Drakons neql <pdvov und das dadurch
auch in der Literatur wieder wachgerufene Interesse für den alten
Gesetzgeber, auch für die Gesetze, die nicht zum Blutrecht ge-
hörten. Der nächste Zeuge der Zeit nach ist Xen. Oik. XIV 4 IT.,
wo die Bestrafung des Diebstahls von Sklaven im Anschluß an
Bestimmungen Solons oder Drakons zur Sprache kommt. Vgl.
zur Sache im allgemeinen noch F. Cauer, Verhandl. d. 40. Philo-
logen-Vers, zu Görlitz (1890) S. 119 und Busolt, Griech. Gescb.
* II S. 241 u. Anm. 5.
Über Ed. Meyers Bemerkungen zu Oik. XVI 10 IT. vgl. den
Anhang ^A&ipalw nolnsia] im JB. 1904 S. 218.
6) Ivo Bruns, Frauenemanzipation in Athen. Ein Beitrag zur
attischen Kulturgeschichte des fünften 'und vierten Jahrhunderts1)*
Rede zum 27. 1. 1900. Kiel 1900, Universitäts-Buchhandlung. 31 S.
gr. 8. 1,40^.
Wie die Frage nach der Stellung, welche die Frau von Rechts
wegen einzunehmen habe, von den Dichtern und Denkern des
fünften und vierten Jahrhunderts als Wortführern der Debatten
der Gesellschaft ihrer Zeit zuerst mehr gelegentlich angeregt, dann
aber allmählich in immer bestimmterer Weise beantwortet worden
ist, zeigt uns in den Hauptzügen diese akademische Rede des um
die tiefere Erkenntnis der geistigen Strömungen jener Zeit (vgl.
JB. 1904 S. 80; S. 150 f.) so verdienten Gelehrten — eine seiner
letzten Arbeiten. Beziehungen zu ähnlichen Bewegungen unserer
Tage liegen nahe; daher gewinnt sie doppeltes Interesse.
l) Diese Abhandlung des verewigten Verfassers ist mit anderen, be-
sonders solchen, die auch in weiteren Kreisen Interesse erwecken köooeo,
jetzt wieder abgedrückt in den von Th. Birt herausgegebenen „Vorträgen und
Aufsätzen", München 1904, Beck, S. 154—193. Ich komme darauf später
noch zurück.
\
Xenophoo, von R. Ullrich. 345
Daß in einer Übersicht über die geistig bedeutenden Männer
des fünften und vierten Jahrhunderts, welche sich mit der „Frauen-
frage" beschäftigt haben, Xenophon nicht fehlen durfte, war selbst-
verständlich, und so hat ihm denn ßruns nach vorangegangener
Erörterung der Stellung des Euripides, Aristophanes und der
Philosophen des vierten Jahrhunderts zu diesen Fragen S. 27—31
(vgl. auch schon S. 23 und 26) ein besonderes Kapitel gewidmet.
Natürlich handelt es sich hierbei um den „Oikonomikos", vor
allem um das berühmte 7. Kapitel. Die Frage nach der Glaub-
würdigkeit der Ausführungen Xenophons hat ß. mit Recht nicht
berührt ; wir haben in der Tat keinen Grund, an dieser zu zweifeln
(vgl. JB. 1904 S. 76). X. befindet sich in entschiedenem Gegen-
satze ebenso zu grundsätzlichen, extremen Anschauungen Piatons
von der natürlichen Gleichheit der Beanlagung beider Geschlechter
wie zu den daraus von jenem gezogenen Folgerungen. Nur in
wenigen Fähigkeiten und Tugenden sind beide gleich, in den
meisten verschieden. Des Mannes Tätigkeit liegt außerhalb des
Hauses, die der Frau im Hause; er erwirbt, sie erhält. Diese
Gedanken führt Aristoteles weiter, indem er zeigt, daß die Tugenden
beider nicht quantitativ, sondern qualitativ verschieden sind; ein
Freund des weiblichen Geschlechts, weist er die Frau doch in die
Sphäre zurück, die ihr die Volksauffassung von jeher angewiesen
hatte. Und während Piaton im „Staat" jene extreme Auffassung
vertreten hatte, hat es den Anschein, als wäre er in den „Ge-
setzen44 milder geworden. Die Idee der Gleichheit beider Ge-
schlechter verliert so im vierten Jahrhundert an Bedeutung, aber
die von Piaton angeregte Frage der Erziehung der Frauen bleibt
lebenskräftiger; zu ihr hat (in der Zeit zwischen „Staat" und
„Gesetzen14) Xenophon Stellung genommen. Seine Erörterungen
im Oikonomikos haben um so mehr Bedeutung, als er nicht ein
„doktrinärer Junggeselle war, wie Piaton, sondern die Segnungen
der Ehe an sich erfahren hatte44. Ihm verdanken wir die Auf-
fassung der Ehe als der naturnotwendigen Ergänzung zweier ver-
schiedenen und deshalb auf gegenseitige Unterstützung angewiesenen
Naturen — worin ihm wiederum Aristoteles folgt. Nicht als ob
Xenophon in der indirekten Polemik gegen Piaton (Oik. 7, 22)
sich als ein überzeugter Bekämpfer jeder Reform zu erkennen
gäbe; zwar schließt er sich den Forderungen der Frauenbewegung
nicht an, aber in der Kritik der bestehenden Verhältnisse stimmt
er mit ihr fiberein. Der Frau, dem beschränkten, ungebildeten,
auch törichten Wesen, wie es damals war, muß geholfen werden
— das ist der Hauptgedanke, der seine Erörterungen durchzieht.
So wie sie jetzt ist, kann sie auch die ihr von der Natur zu-
gewiesene Aufgabe, Erhaltung des Hauswesens und Erziehung der
Kinder, nicht erfüllen — so auch Piaton, wenigstens in den
„Gesetzen44. Der gottesdienstliche Kult — gemeinsam mit dem
Manne — muß zu diesen zwei Obliegenheiten noch hinzukommen.
346 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Aus der Mißbilligung der bestehenden Art der Frauenerziehung
(oder vielmehr — Nichterziehung) zieht jedoch der praktische X.
die reale Folgerung, man solle der Frau keine größeren Aufgaben
stellen, sondern sie in den Stand setzen, die bisherigen kleineren
zu erfüllen.
Seltsamerweise will er nun aber nicht das Mädchen anders
erzogen wissen — hier zeigt er sich ganz als Mann des Her-
kommens — , sondern erst die Frau. Nicht Eltern und Frauen
tragen die Schuld an den Mißständen, sondern die egoistischen
Männer. Darum gehört es zu den ernstesten Pflichten des Mannes,
die ungebildete und hilflose Frau zu erziehen.
B. ist der Meinung, daß wir in diesen Ausführungen Xeno-
phons mit Wahrscheinlichkeit die Stimme der Majorität des
Publikums über die attischen Emanzipationsbestrebungen zu hören
berechtigt sind.
Die knappen Darlegungen des Verfassers, die z. T. nur mit
seinen eignen Worten treffend wiedergegeben werden konnten,
geben eine ebenso klare Vorstellung bedeutsamer Strömungen
einer von mannigfachen Problemen bewegten Zeit, wie sie uns
zeigen, daß X., Reformen durchaus nicht abhold, aber als Gegner
utopistischer Phantastereien immer auf dem hier allein gangbaren
Grunde realer Verhältnisse sich bewegend, ein Meister der Be-
schränkung gewesen ist, nicht aber der beschränkte Kopf schlecht-
hin, zu welchem manche Neueren ihn haben machen wollen. Und
so fängt denn auch die kleine, von Cicero mit Recht so hoch-
geschätzte, von den Neueren ungebührlich vernachlässigte Schrift
„Oikonomikos" (es gibt nicht einmal eine erklärende deutsche1)
Ausgabe aus neuerer Zeit) allmählich wieder an, einige Beachtung
zu finden8).
x) 2v[A7i6aiov.
7) L. P(armeotier), Revue de l'instruction publique eo Belgique 43 (1900)
S. 244,
bespricht die Stelle VI 7, um an einem Beispiel zu zeigen, wie
oft man unnötige Verbesserungen in klassische Texte eingeführt
hat. Oberliefert ist "Avw&sv [idv ye bvreg (JcxpsXovGiv, ävco&tv
de <päg naQe'xovGiv. Für ovveg haben Herbst und Dindorf
vovzeg gesetzt, besonders wegen der angeblichen Schwierigkeit
der Verbindung von ävco&w mit ovzeq. Es ist aber dem zweiten
ävoo&sv zuliebe vom Autor gewählt, vovreg dazu nicht einmal
sinngemäß, eine Änderung also unnötig.
*) Eine englische hat Holden 1895 herausgegeben; vgl. JB. 1904 S. 64 a.
2) Vgl. besonders M. Hodermann, Xenophons Wirtschaftslehre uater
dem Gesichtspunkte sozialer Tagesfragen betrachtet, Wernigerode 1899;
Näheres darüber im nächsten Bericht.
Xenophoo, von R. Ullrich.
347
Verzeichnis der bes
prochenen St<
sllen.
A1). Aus Xenophon.
a) Antbasis.
8eite 1 Seite 1
Seite
II 6,16-29 341 1 III 1,21 343 | V 6, 21
343
b) Hellenika.
III 3, 6 343 1 VI 2, 33 342 1 VII 1, 28
342
VI 2,4 342 1 VII 1,20-22 342 | 4,12
342
c) Memorabilieo.
Seite
Seite
Seite
Seite
I 1 335. 336
t J, 12 335
12,31 336
II 8,4
343
2 335 (bis)
15 335
62—64 335
IV
336
2—4 336
2,1—8 335 (bis)
62 336
3
335
3 335
3 336
64 336
1
336
4 335
9—61 336
4 335
8
334
5 335
15 336
12 341
11-15 335
17 336
6, 3 336
d) Cyrop'ddie. —
e) Zu den kleineren Schriften.
ß) *AnoXoy£a
16 ff. 335
I 4-6 340
XI 5 (bis)
343
JSaxQdiovg.
16 333
4 338
7
343
1 333. 334
17 333
18 343
2 333
18 333. 336
26-38 338
r\)'Aaxtöaifiovitov
4 334
20 f. 336
III 3 ff. 338
noXutict.
5 334
20 336
IV 4 343
341
7 (bis) 333
22 334
VI 1 343
8 333
23 336
2 338
#) Olxovo/uixog.
9 334
24 335
VII 5 f. 338
VII
345
11—14 336
29 333. 334
9 343
22
345
1 1 334. 335
VIII- XI 338
XIV 4 ff.
344
1 1—22 335
12 333. 335
y) 'tfgow.
VIII 3 343
6 338. 341
XVI 10 ff.
344
13 333. 335
1 — VII 338. 341
IX 4 343
x) Zv/unoöwv.
14 334
I 2 343
XI 5—10 340
VI 7
346
B. Aus anderen griechischen Schriftstellern.
Seite
Seite
Aotisth. nsgl nmdiiag 336
Plat. Apol. 26 C
335
Isoer. VIII (de pace) 112 341
33 A
336
IX (Eaag.) 19 341
Euthyphr. 3 A
336
Piod. Pyth. I 117f. 342
Phaedr. 242 D
335
Plat. Apol/ 19 B 335
Repl. 465 C
340
D 336
Tim. 45 A
340
20 C
336
64 Äff.
340
C. Aus griechischen Inschriften.
C. I. A I 61 (Ditteob. Syll. 2 1 52) 344 | Roehl ioscr. aotiquiss. 510 342
>) Die Bachstaben entsprechen denen des Hauptberichts, JB. 1904 S.22 1—224.
Berlin. Richard Ullrich.
9.
Herodot.
1) J. V.Präsek, Hekataios als Herodots Quelle zur Geschiebte
Vorderasiens. Beiträge zur alten Geschichte IV S. 193— 208.
Leipzig 1904.
Über Kyros' Jugend hat Herodot, wie er selbst sagt, außer
dein von ihm erzählten Bericht noch drei andere gekannt. Von
einem dieser findet Verf. noch Spuren in Herodots Erzählung,
nämlich I 110, 113 und 122. An der ersten Stelle werden Kyros1
Pflegeeltern namhaft gemacht, c. 122 wenigstens die Mutter, während
sonst in Herodots Erzählung die Persönlichkeiten lediglich nur
allgemein bezeichnet werden. Ferner wird hier der medische
Name Spako richtig durch das griechische Kwai gedeutet, was
nicht von Herodot, der weder Persisch noch Medisch verstand,
selbst herrühren kann. Endlich findet sich hier eine richtige geo-
graphische Charakteristik von dem nördlichen Medien, die aber
mit der Schilderung der Landschaft, in der Kyros aufgewachsen
ist, durchaus nicht übereinstimmt. Hier möchte ich nur einwenden,
daß c. 104 die Lage Mediens zu den Saspeiren und zum Schwarzen
Meere ebenso angegeben ist. Richtig ist dann, wie schon Duncker
erkannt und worauf auch Stein in der Anmerkung aufmerksam
gemacht hat, der Widerspruch zwischen c. 113 und 117, indem
c. 113 Harpagos zur Besichtigung der Leiche des angeblichen Kyros
doQVipoQOi abschickt, während es c. 1 1 7 Eunuchen sind. Eunuchen
können nun freilich nicht zugleich doQVipoqoi sein. Daraus aber
zu schließen, daß c. 113 Harpagos als Kronfeldherr, c. 117 aber
nur als Hofmann erscheint, ist meines Erachtens nicht angängig.
Ein und derselbe medische Große kann doch beides, Leibwächter
und Eunuchen, gehabt haben. Hierbei möchte ich auf einen
andern Widerspruch in der Erzählung, den Stein bemerkt hat und
der nicht durch eine Verschiedenheit der Quellen erklärt werden
kann, hinweisen. Harpagos befiehlt c. 1 1 1 dem Hirten Stvahzßivw
tö naidiov olxea&at wiQOVxa, und dementsprechend erzählt
dann der Hirt xai iyco avalaßatv icpsqov. Gleich darauf aber
fährt er fort, daß er unterwegs die ganze Geschichte von dem
Herodot, voo H. Kallenberg. 349
Diener, og ipt nqon^Ttwv i?w noXioc svs%äQMfs %6 ßqitfos,
erfahren habe. Es scheint mir darum noch zweifelhaft, oh man
berechtigt ist, an dieser Stelle die Spuren eines andern Berichtes
zu sehen. Zugeben muß man aber, daß, wie schon Grote und
Bauer erkannt haben, 1 122 die ursprungliche Sage von der Säugung
des Kyros durch eine Hundin, wie sie bei Trogus-Justinus er-
halten ist, durchschimmert.
Den ganzen Mrjdixog Xoyog, in den die Jugendgeschichte
des Kyros eingeschoben ist, teilt Verf. (so schon in seiner Schrift
„Medien und das Haus des Kyaxares", Studien für klassische
Philologie und Archäologie XI, Heft 3. Berlin 1890) in zwei nach
den Quellen verschiedene Teile: 1) I 95—104, 106—122 und
2) 1 123—130. Im ersten erkennt er „eine ursprunglich medische,
aber im Verlauf der Zeit mit fremden Bestandteilen, die ins-
gesamt auf das griechische Kleinasien und auf Delphi hinweisen,
vermengte Quelle, welche mit Vorliebe den durch Harpagos an
Astyages und dem Hederreiche verübten Verrat zu beschönigen
bestrebt ist und auch sonst sehr nahe Beziehungen und reges
Interesse an der bekanntermaßen in Lykien begüterten Harpagiden-
familie an den Tag legt4*. Er nennt diese Quelle Harpagiden-
tradition, den zweiten Teil medische Volks Überlieferung. In der
Harpagidentradition fällt Astyages durch eigene Schuld, indem er
sich den einflußreichen Harpagos verfeindet; sie sucht den Verrat
dieses Hannes zu entschuldigen, während in der Volksüberlieferung
der König ein Opfer des Schicksals ist und Harpagos direkt des
Verrats beschuldigt wird. Die Harpagidentradition „ist an dem
lykischen Furstenhof der Harpagiden entstanden, wurde teilweise
vom persischen Standpunkte aus modifiziert, nachher den loniern
bekannt und der bedeutendste unter den Gebildeten des damaligen
loniens, der milesische Logograph Hekataios, hat sie nieder-
geschrieben, wobei er aber in deren Textlaut auch Bestandteile
einer andern echt persischen, allerdings von seinem Gesichts-
punkte aus rationalisierten Version aufgenommen hat. Diese
llekatäische Umarbeitung der Erzählung hat Herodot vorgezogen,
indem er sie fast wörtlich zur Grundlage seines Mtjdixdg Xiyog
gemacht hatle, ohne aber, der wohlbekannten Art des Altertums
entsprechend, Hekataios als Quelle zu bezeichnen41. Zum Beweis
dafür, daß diese Tradition von einem Griechen niedergeschrieben
ist, fuhrt Verf. folgendes an: 1) die Obersetzung des medischen
cnaxoi durch das griechische xvvci, 2) den Vergleich von Agbatana
mit Athen, 3) die griechische, die „Stadt" Agbatana von dem
medischen „Lande" unterscheidende Vorstellung, 4) die delphi-
schen Spruche, die die Grundlage zur Erzählung von der Ursache
und dem Verlaufe der Katastrophe des Astyages geboten haben.
Auf Hekataios endlich soll die Rationalisierung der persischen Sage
von der Rettung des Kyros durch eine Hundin und die geo-
graphische Kenntnis vom Lande Medien in Her. I 110, die sonst
350 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Herodot abgeht und wozu Verf. wörtliche Anklänge in HekaL
Fragm. 172 findet, hinweisen. Ob er I 123—130 auch aus
Hekataios ableitet, sagt er nicht.
2) H. R. Hall, Nitokris-Rhodopis. Journal of Hellen ic studies XXIV
S. 208—213. London 1904.
Verf. stimmt Piehls (Proceedings of the Society of Biblical
Archaeology XI 221) Ansicht, daß die in Ägypten herrschende
Sage von dem Gespenst der dritten Pyramide, die bei den Griechen
zur Rhodopis, der Rosenwangigen, geworden sei, ihren Ursprung
in der in der Nähe liegenden roten Sphinx habe, zu und weist
Wiedemanns Einwände (Herodots zweites Buch S. 485) dagegen
zurück. Auch über Manelhos Nitokris stimmt er im allgemeinen
seinen Vorgängern Lepsius und Petrie zu, geht aber in einem
Punkte ober sie hinaus, indem er Manethos Nitokris nicht für
historisch hält. Hanetho wußte, daß die dritte Pyramide von
einem Herrscher namens Menkaura erbaut war. Nun gab es aber
zwei Menkaura in den Listen; der erste war der Nachfolger des
Khufn und gehörte in die vierte Dynastie, der zweite an das Ende
der sechsten, wo er dem Namen Neterkara folgt. Manetho glaubte
hier einen Platz für Herodots Nitokris zu finden und zugleich
eine Erklärung für die Geschichte der Rhodopis und der dritten
Pyramide, indem er annahm, daß die Namen Neterkara und
und Menkaura Personen- und Thronname ein und derselben
Person, der Königin Nitakerti, d. h. Nitokris, seien. In diesem
Falle würde die dritte Pyramide in der Tat von Menkaura, Herodots
Mykerinos, erbaut sein, aber von einer Königin, vermutlich Herodots
Nitokris, die dann keine andere sein würde als das berühmte Ge-
spenst der Pyramide, das die Griechen zu Herodots Zeiten der
Buhlerin Rhodopis gleichstellten. So erhielt Nitokris bei Manetho
die Attribute von Herodots Rhodopis, schön und rot. Aber Nitokris
ist als reine Theorie Manethos aus der sechsten Dynastie zu
streichen, Neterkara und Menkaura II sind zwei gesonderte Könige.
3) Heinrich Schäfer, Die Auswanderung der Krieger unter
Psauimetich I und der Sb'ldneranfstand in Elephantioe
unter Apries. Beiträge zur alten Geschichte IV S. 152—163. Leipzig
1904.
Für die Ansicht, daß hinter den Übertreibungen und dem
ausschmückenden Beiwerk der Erzählung vom Auszug der ägypti-
schen Krieger nach Äthiopien unter Psammetich I doch ein histo-
rischer Kern steckt, führt Verf. eine Inschrift auf Statue A 90 in
der ägyptischen Sammlung des Louvre an, die von Neshör, dem
Vorsteher des Tores der Sudländer, den drei Kataraktengöttern
gewidmet ist, an. Auf dieser rühmt sich Neshör, die Besatzung
von Elephantine, die nach S^s-hrt auswandern will, verhindert zu
haben, nach T^-pdtj d. h. Nubien zu ziehen, und sie zum Aufent-
Herodot, von H. Kallenberg. 351
haUsorte des Königs Apries geführt zu haben. Jenes S^s-hrt
findet Verf. im sudlichen Nubien, sudlich vom zweiten Katarakt,
also in der Gegend, wohin nach Herodot die Empörer zu
Psammetichs I Zeit wirklich gezogen sind. „Ganz gewiß kann
man annehmen, daß die beiden Ereignisse nicht ohne einen ge-
wissen Zusammenhang nebeneinanderstehen. Den Söldnern mußte
der Auszug der Ägypter, der seinerzeit, wie die Überlieferung
zeigt, großes Aufsehen gemacht hatte, noch in guter Erinnerung
sein. Das Gerücht von deren Erfolgen in Sudnubien ist sicher
bald nach Ägypten gedrungen und die rund fünfzig Jahre, die
zwischen beiden Ereignissen liegen, haben ohne Zweifel dazu bei-
getragen, diese Erfolge noch durch allerlei Zusätze zu vergrößern".
4) Friedrieb Westberg, Zur Topographie des Herodot. Beiträge
zur alteo Geschichte IV S. 182—192. Leipzig 1904.
1. Die Wohnsitze der König-Skythen. Für diese sind
„der Graben" und der Stapelplatz Kremnoi von Bedeutung (Her.
IV 20, 100, 110). Nach Her. IV 3 reichte „der Graben" vom
Taurischen Gebirge bis zur Maietis. Nun liegt am nordöstlichen
Ende dieses Gebirgszuges landeinwärts östlich von Theodosia am
Fuße des Berges Agirmysch der Ort Alt-Krim. Daselbst sind nach
Harkavy (Russ. Revue IX S. 317, Petersburg 1876) Spuren einer
Befestigung, hinter der sich ein alter Graben hinzieht. Harkavy
erklärt den Namen Krim durch Kirym, d. h. Grube, Graben, Erd-
wall, und verlegt Kremnoi ans Asowsche Meer. Verf. dagegen
leitet Krim von Kremnoi ab, das Herodot irrtümlich an die Maietis
verlegt, weil es nicht im Süden des Gebirges und auch sonst
nicht am Schwarzen Meere lag. Also verdankt die Krim dem
Kremnoi Herodots ihren Namen. Als Fortsetzung des Grabens
kann das Bett des Flußchens, das sich in nordwestlicher Richtung
dem Siwasch zuwendet, angesehen worden.
2. Die Wohnsitze der Issedonen nach Herodot
(IV 21. 116). Nach den Angaben Herodots setzt Verf. die Wohn-
sitze der Sauromaten vom Manytsch bis etwa Kamyschin an der
Wolga an. Dann folgen die Budiner von Kamyschin bis zum
Shigulewschen Gebirge, nördlich von Ssysranj auf dem rechten
Wolgaufer, wo früher die Waldzone weiter nach Süden reichte.
An der Wolgabiegung und der unteren Kama folgen die Tbyssa-
geten, dann die Argimpäer am südlichen Ural, etwa beim heutigen
Ufa. Von ihnen östlich, also in der Steppe östlich vom südlichen
Ural, wohnten die Issedonen, die Tomaschek nach Innerasien süd-
lich vom Tianschan verlegen wollte.
3. Massageten, Akes, Araxes. Nach Her. I 201 wohnten
die Massageten den Issedonen gegenüber. Da nun Herodot die
Lage des Massagetenlandes vom Perserreiche aus bestimmt, muß
avvlov hier nördlich bedeuten. Vom Aralsee und vom Amu-Darja
352 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
weiß Herodot nichts. Die vom Gebirge umschlossene Ebene mit
dem Flusse Akes (III 117) für den Aralsee mit dem Oxus zu
halten, verwirft Verf. „Die Vermutung, es sei mit dem Akes
der Fluß Heri (Tedshen) gemeint, welcher im Altertum Ochus
benannt wurde und in seinem mittleren Laufe, bevor er in die
Ebene hinabströmt, den Arim-Iacus bildete; ist sehr ansprechend.
Die Reste dieses Arim-Iacus haben sich bis heute in Gestalt von
vielen kleinen, in Badchis zwischen den Flössen Kuschk und
Tedshen belegenen Seen erhalten". — Her. IV 1 1 gehen die Skythen,
von den Massageten gedrängt, über den Araxes ins Kimmerierland.
Das kann nur die Wolga sein. Denselben Araxes, d. li. die Wolga
mit ihrem riesigen Delta, beschreibt er I 202 in unverkennbarer
Weise, ohne zu wissen, um was für einen Fluß es sich eigentlich
handelt. Also verwechselt Herodot drei gleichnamige Araxesflüsse.
Die Benennung Araxes für Wolga findet Verf. in den Uoxalanen,
die bei Jordanes noch Aroxalanen, d. h. Wolgaalanen, heißen.
4. Die Issedonen nach Aristeas. Mit Her. IV 13 läßt
sich ein Zitat des Damastes (Steph. Byz. 650), das ein Fragment
des Hekatäus darstellt und wie die Herodotstelle auf Aristeas zu-
rückgeht. Bei Herodot folgen auf die Arimaspen die goldliütenden
Greife und dann die Hyperboreer, bei Damastes dagegen liegen
oberhalb des Arimaspenlandes die Rhipäen, von denen der Nord-
wind weht, und dann erst folgen die Wohnsitze der Hyperboreer.
Diesen Bericht hält Verf. für zusammenhängender und ausführ-
licher; denn bei Herodot ist die Ansetzung des Boreas zu ver-
missen, wodurch die Sitze der Hyperboreer schwankend erscheinen.
Die goldhütenden Greife Herodots scheidet er aus dem Bericht
des Aristeas aus. Die Sage von der seltsamen Goldgewinnung
(Her. III 102—105, Ktesias Ind. 12) ist baktrisch-indischen Ur-
sprungs. „Es lag nahe, die Goldgewinnung im Norden Europas
(im Ural) auf dieselbe Weise, wie sie im äußersten Osten Asiens
geschah, zu erklären". — Nach Her. IV 13 wurden zu Aristeas'
Zeiten oder noch früher die Skythen von den Issedonen verdrängt;
zu Herodots Zeiten waren die Sauromaten die östlichen Nachbarn
der Skythen. Also, schließt Verf., sind Issedonen und Sauromaten
ein und dasselbe Volk. Daraus erklärt es sich auch, daß die
Stellung der Frauen bei den Issedonen des Aristeas dieselbe wie
die der Sauromatenfrauen Herodots ist. Ferner werden die Ari-
maspen den Massageten und die Issedonen endlich den Amazonen
gleichgestellt. Denn nach Herodot sind die Sauromaten ein Misch-
volk von Amazonen und Skythen, d. h. die Issedonen sind mit
den zurückgebliebenen Skythen zum Sauromaten volke zusammen-
geflossen. Die Issedonen aber konnten mit ihren kriegerischen
Weibern in der Phantasie der Griechen sich leicht in ein reines
Weibervolk umwandeln.
\
Herodot, vod H. Kalleoberg. 353
5) Beoj. Ide Wheeler, Herodotus's Account of the Battle of
Salamis. Transactioos of the American Philological Association 1902,
Volame XXXIII, S. 127—188.
Verf. wendet sich gegen Löschke (N. Jahrb. f. Phil. 1877
S. 25 ff.) und Goodwin (the Battle of Salamis, Papers of the
American School of Classical Studies at Athens I 239 ff.), die von
einer Umzingelung der Griechen in der Bucht von Salamis nichts
wissen wollen. Gegen letzteren wendet er vornehmlich ein, daß
er VIII 76 den linken, VIII 85 aber den rechten als den west-
lichen Flügel ansieht, was in einer zusammenhängenden Erzählung
derselben Schlacht nicht angehe, und daß, da nach ihm die Perser
erst am Morgen in die Meerenge eindringen, der c. 76 ä[i<pl Ttjp
Kiov %s xal trjv Kwoaovqav stehende Flügel in Wirklichkeit
nichts tue, während doch nach Herodot etwas Neues geschehen
sein müsse. Dieser Flügel ist vielmehr in der Nacht in die Meer-
enge eingedrungen und hat gegenüber der Bucht von Ambelaki,
in der die griechische Flotte lag, Aufstellung genommen. Hierbei
war Vorsicht nötig; darum ist auch inoisvv 6h Giy^ tavxa zu-
gesetzt. Zur Erklärung der Bezeichnung der Flügel' bemerkt er
folgendes: Antike Seeschlachten wurden von Küste zu Küste ge-
schlagen und nicht so, daß der eine Flügel sich auf Freundesland,
der andere auf Feindesland stützte. Die Perser hatten hinter sich
das von ihnen besetzte Attika, die Griechen Salamis. So kann
auch die Bezeichnung für die persischen Flügel nur von der atti-
schen Küste aus verstanden werden, d. h. VIII 76 und 85 kann
der westliche Flügel nur der rechte sein. Da nun aber Verf. aus
andern Gründen xvxXoviisvoi, (c. 76) nur von einer Fahrt um
Salamis herum verstehen kann, kommt er zu der gezwungenen
Erklärung, xvxXovpevoi sei die natürliche Beschreibung der Be-
wegung, die die Abteilung vom rechten Flügel hinter den linken
Flügel herum ausführte. Wie sollten die Perser dazu gekommen
sein, sich diese Umstände zu machen? Natürlich nahm man für
die Schließung des Sundes bei Megara die Schiffe von dem Flügel,
der diesem Ziele am nächsten stand, d. h. vom linken. Ferner
hat Verf. nicht beachtet, was er doch aus Löschkes Abhandlung
selbst anführt, daß, wenn die persische Flotte der Bucht von
Ambelaki gegenüber Stellung nahm, die lange Fahrt nach dem
Megarischen Sunde überflüssig war. Endlich setzt er sich über
die notwendige Annahme einer ganz unglaublichen Sorglosigkeit
der Griechen leicht hinweg. Wie wiederholt in diesen Berichten
bemerkt ist, befindet sich in Herodots Bericht eine Lücke; er hat
nicht berichtet, wo die Perser nach der ersten Ausfahrt (c. 70)
geblieben sind. Darum können wir auch über die Bewegungen
in der Nacht nicht ganz ins klare kommen.
6) H. Baase, Bio Beitrag zur Darstellung der Schlacht bei
Salamis. Inaugural-Dissertation. Rostock 1904. 56 S. 8.
Nach Verf.s Ansicht ließ Xerxes nach der Meldung des Sikinnos
Jahresberichte XXXI. 23
354 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
die Insel Psyttateia besetzen, den westlichen Flügel seiner Flotte
im Kreise um Salamis herum bis zur Insel Trupika im Megari-
sehen Sunde vorgeben, um hier die Durchfahrt zu sperren, und
das Gros der Flotte nördlich von Psyttaleia in die Heerenge hin-
einfahren und sich dort so aufstellen, daß die Straße zwischen
Psyttaleia und der Endspitze der Kynosura einerseits und der
gegenüberliegenden Rüste Anikas andrerseits völlig eingenommen
wurde. Die Schiffe standen dabei in schräger Richtung, also wenn
auch nicht, wie Herodot sagt, von Westen nach Osten, so doch
von Nordwest nach Südost, so daß in Übereinstimmung mit
Herodot (VIII 85) die Phönizier am rechten Flügel nach Eleusis
zu, die Ionier aber am linken nach dem Piräus zu standen.
Das ist etwa die Stellung, die Goodwin den Persern bei Beginn
der Schlacht anweist. Daß die Perser aber diese schon in der
Nacht vorher eingenommen haben, ist insofern unwahrschein-
lich, als auch diese Annahme dazu zwingt, bei den Griechen
eine recht große Sorglosigkeit vorauszusetzen. Die in der Bucht
von Ambelaki vor Anker liegenden Griechen werden doch bei der
Nähe der Feinde sicherlich einen Außenposten an der Spitze der
Kynosura aufgestellt haben. Natürlich nimmt die Polemik in dieser
Schrift einen großen Raum ein. Dabei wendet sich R. auch gegen
die Änderung xvxlovfievoi hsqI (st. nQog) xijv JSalapTva (VIII 76),
die er Sitzler zuschreibt. Hätte Verf. diese Jahresberichte gelesen,
so würde er gesehen haben, daß dieser Änderungsvorschlag in
Ergänzung der Darstellung Goodwins zuerst von mir JB. 1893
S. 305 gemacht worden ist. Später habe ich ihn auch in den Text
gesetzt. Verf. hält diese Änderung für überflüssig und führt Stellen
für die Konstruktion xvxXstad-ak (xvxXovo&cu) inl x* an. Daß
die Konstruktion xvxX. nqoq (ini) xt überhaupt unmöglich sei,
ist weder von mir noch von Sitzler behauptet worden, sondern
nur, daß sie an dieser Stelle unpassend sei. Schiffe, die bereits
an der Küste von Salamis liegen, können nicht in der Richtung
auf Salamis hin eine Umzingelung ausführen, sondern nur um
die Insel herum. Anders wäre es, wenn die Flotte bei Beginn
dieser Bewegung noch an der attischen Küste gelegen hätte. Doch
Verf. erklärt „einen Kreis beschreibend in der Richtung auf Salamis,
dessen Zentrum Salamis bildet44 und will dies belegen mit Plat.
Politicus 270 b „wo es von dem Zentrum, um das die Kreis-
bewegung des Alls erfolgt, heißt xö xov navxoq xoxs piv i(p' «
vvv xvxXslxat, <pigeo&cu, xoxs df inl xävavxla". Das Zitat ist,
wie es hier gegeben wird, unverständlich, es heißt bei Plato xo xip
xov navxog cpoqäv xxX.; von einem Zentrum ist hier keine Rede,
sondern nur von einer Kreisbewegung nach zwei verschiedenen
Richtungen hin, was selbstverständlich durch ini bezeichnet wird.
— Die Einleitung bildet eine recht anschauliche geographische
Schilderung der Ortlichkeiten, die durch eine gute, nach Curtius-
Kaupert hergestellte Karte unterstützt wird.
S
Herodot, von H. Kalleoberg. 355
7) J. A. R. Muoro, Same observations od the Persian wars. III. The
campaigo of Plataeae. The jouroal of Helleoic stndies XXIV
S. 144—165. London 1904. — Vgl. JB. 1902 S. 84 und 1904 S. 248.
Mardonius' Heeresstärke wird auf 120000 Mann berechnet
(sein eigenes Korps 60000, Artabazus' Korps 40000, dazu etwa
20 000 Griechen). Da aber Artabazus am Kampfe nicht teil-
genommen hat — nach M. befand er sich wahrscheinlich am Tage
der Schlacht noch einige Tagemärsche entfernt — , so bleiben nur
SO 000. Etwa ebenso hoch wird die Stärke der Griechen be-
rechnet. Die Geschichte von dem Zögern der Spartaner (Her.
IX 7 ff.) wird vornehmlich aus dem Grunde verworfen, weil eine
Verteidigung Anikas, in dem es nichts zu verteidigen gab, nicht
«rnstlich ins Auge gefaßt sein konnte. Skolus wird richtig sud-
lich vom Asopus angesetzt. Richtig ist auch wohl, daß die dort
von Mardonius angelegte Befestigung nicht sowohl als Zufluchtsort
(xQfl<fipvy€TOv) im Falle einer Niederlage, als zur Bewachung der
beiden Straßen, die, von Phyle und Eleusis kommend, daselbst
den Asopus kreuzen, dienen sollte. Von d$n von Grundy an-
genommenen drei Paßstraßen über den Kithäron (vgl. JB. 1900
S. 92) streicht Verf. den Weg Athen — Platää, der nie ein Haupt-
weg, höchstens ein Abschneideweg gewesen sein könne. Im übrigen
glaubt er, daß Pausanias nicht den Weg über Eleutherä genommen
habe, da dieser sicherlich von Mardonius besetzt gewesen sei,
sondern über önoe und Panaktum auf Skolus zu marschiert sei,
dann aber, als er die von den Persern errichtete Befestigung vor
sich sah, sich mehr westlich gewandt und so die Perser zum
Freigeben der Kithäronpässe gezwungen habe. Recht annehmbar
ist die Vermutung, daß für die Beschreibung des Kampfes gegen
Masistius' Reiter Lampon, der Sohn des von Herodot erwähnten
athenischen Anführers Olympiodor, der bei der Gründung von
Tburii mitgewirkt hat, die Quelle gewesen sei. In der Topo-
graphie des Schlachtfeldes von Platää schließt er sich meist Grundy
an; so besonders bei der Quelle Gargaphia, deren mehr südliche
Ansetzung er auch noch dadurch begründet, daß 1) die Gargaphia
als ein allgemein bekannter geographischer Punkt (sie hat von
vornherein den Artikel) eingeführt sei, also nicht wie die Quelle
Apotripi, in der andere die Gargaphia suchen, abseits versteckt,
sondern nahe an einer vielbetretenen Straße gelegen haben müsse,
2) sie daselbst leichter von der persischen Reiterei erreicht werden
konnte und 3) die übrigen Angaben besser zu dieser Lage passen.
Doch Gndet er mit Woodhouse das Heroon des Androkrates in
der Kirche St. Johanni und glaubt nicht, daß Herodot den ersten
Nebenfluß des Asopus auch Asopus genannt habe. Ober den Ver-
such, die Vorgänge vor und in der Schlacht zu erklären, der sich
z. T. an Grundy und Woodhouse anschließt und im wesentlichen
darauf hinausläuft, den Athenern die Hauptschuld an der miß-
lichen Lage der Griechen beim Beginn der Schlacht zuzuschieben,
23*
356 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
kann ich nicht anders urteilen, als ich es über seine Vorgänger
JfJ. 1900 S. 95 getan habe.
8) H. ß. Wright, The Campaign of Plataea. New Haven 1904. 148 S.
8. (A Thesis preseoted to the Philosophical Faculty of Yale (Joi-
versity in Gandidacy for the Degree of Doctor of Philosophy).
Für eine Erstlingsschrift eine recht anerkennungswerte Leistung.
Neben der Bedeutung des Sieges und der Schwierigkeit der Er-
klärung der militärischen Vorgänge ist es besonders die ungerechte
Behandlung, die die Spartaner bei Gelegenheit dieses Feldzuges
erfahren haben, die Verf. zu einer neuen Behandlung des Gegen-
standes bestimmt hat. An die Spitze stellt er drei Gesichts-
punkte: 1) 20 — 30 000 griechische Hopliten und eine gleiche Zahl
Leichtbewaffneter standen einer nur wenig überlegenen Streit-
macht gegenüber. 2) Die Schlacht wurde durch die Tapferkeit
und Disziplin der Lakedämonier, neben denen die Athener im
entscheidenden Kampfe eine untergeordnete Rolle spielten, ge-
wonnen. 3) Der glänzende und vollständige Sieg der Spartaner
wurde durch die vollendete Feldherrnkunst des Pausanias er-
fochten. In der Überlieferung unterscheidet er folgende Perioden:
1) die vorperikleische Vulgata, 2) die Perikleische Redaktion,
3) Thukydides und Ktesias, 4) das Wiederauftauchen der vor-
perikleischen Vulgata im vierten Jahrhundert (Plato, Ephoros),
5) die Periode der Iodividualisation (Demetrius, Idomeneus), 6) Cor-
nelius Nepos und Trogus Pompeius, 7) Plutarch (Aristides),
8) spätere Zusätze. Zunächst versucht er nun eine genaue Scheidung
der vorperikleischen und perikleischen Bestandteile in der Er-
zählung Herodots. Das Zeitalter des Kimon war panhelleniscb,
so auch die Dichter Simonides, Pindar und Äschylos. Hierzu
stimmt Herodots Bericht, wenn man die in Perikles' Zeitalter hin-
zugetretenen Züge ausscheidet. Letztere erkennt man in dem
Bestreben, das Ansehen und die Leistungen der Athener zu er-
höhen (Mardonios' doppelter Versuch, Athen auf seine Seile her-
überzuziehen, Pausanias bittet die Athener um Hilfe, die Athener
schlagen die Bresche in den Lagerwall, Sophanes' Heldentaten),
in dem Hervortreten Alexanders von Makedonien, in dem Lob der
Phoker und der gelinden Behandlung der Argiver einerseits und
der gehässigen Behandlung der Thessaler, Thebaner und Äg ine teil
andrerseits, was genau der politischen Stellung dieser Staaten bei
Beginn des Peloponnesischen Krieges entspricht, und in dem Vor-
wurf der Feigheit gegen die Spartaner und ihre Bundesgenossen.
Diesen Vorwurf aber, meint Verf., habe kein griechischer Schrift-
steller vor den Ereignissen bei Pylos gegen die Spartaner zu er-
heben wagen können, woraus er dann folgert, daß die letzten
Bücher Herodots nicht vor 425 endgültig niedergeschrieben sein
können. Ja er geht noch weiter. Da sich in den Acharnern
des Aristophanes (aufgeführt 425) eine Anspielung auf Her. I— III
Herodot, von H. Kaileoberg. 357
findet, in den Rittern (a. 424) eine auf Her. IV — VI und in den
Wespen (a. 422) solche auf Her. VII— IX, vermutet er, daß I— III
426, IV— VI 425 und VII— IX 424 oder 423 erschienen seien.
Diese Ansicht verträgt sich nicht mit der Tatsache, daß Herodot
an sein Werk überhaupt nicht die letzte Hand gelegt hat. — Zur
Erklärung der militärischen Vorgänge sei folgendes hervorgehoben.
Als Grund für die erste Änderung der Stellung der Griechen sieht
er nicht mit Woodhouse und Bury die Absicht an. Ober den
Asopos zu gehen und Theben anzugreifen, wobei die Griechen
sich auf längere Zeit den Angriffen der feindlichen Reiterei hätten
aussetzen müssen, sondern die mit Aufgabe des Dryoskephalä-
passes sich die beiden nächsten Straßen zum Peloponnes, Platää —
Athen und Platää — Megara, und die Stadt Platää zu sichern.
Pausanias' Plan, der die Entscheidung herbeiführte, war eine ver-
stellte Flucht (nach Piatos Laches), die die Gegner auf ein Gebiet
locken sollte, in der sie von ihrer Überlegenheit keinen Gebrauch
machen konnten. Deshalb wurde in der Nacht das Zentrum nach
Platää zurückgeschickt, wodurch das Nordende der Slraße Platää —
Megara gesichert wurde und von wo aus es als Reserve für die
Athener oder Spartaner verwendet werden konnte. Die Athener
sollten hinter der Asoposhöhe, wo sie außer Sicht der Perser
waren, Stellung nehmen, während die Spartaner zurückgingen, so
daß bei Tagesanbruch Mardonios nichts weiter sah als die Nach-
hut derselben unter Amompharetos, die eben in der Senkung
zwischen der Asoposhöhe und der davon östlich gelegenen Höhe
(Long Ridge auf Grundys Karte) verschwand. Daraus mußte
Mardonios schließen, daß der rechte Augenblick zum Angriff ge-
kommen sei. Seine Truppen verfolgten nun nicht die Asopos-
höhe hinauf, sondern teilten sich so, daß der eine Teil durch die
Senkung zwischen den beiden genannten Höhen vorging, der andere
aber, die auf persischer Seite stehenden Griechen, auf der Straße
Theben-Platää. Beide Abteilungen kamen so auf ein Gelände, in
dem sie von ihrer Reiterei keinen Vorteil haben konnten. Im
Fall einer Niederlage hatten die Griechen noch die Straße Platää
— Athen zur Verfügung. Der Sieg war dann ein glänzender
spartanischer Sieg, möglich gemacht durch die Peldherrnkunst des
Pausanias, durch den erfolgreich ausgeführten verstellten Rückzug
der Spartaner, bei dem sie den Angriff der Gegner aushielten,
dabei von den Athenern und dem Zentrum unterstützt. Verf.
vertritt seine Ansicht ganz geschickt, aber natürlich ist der von
ihm geschilderte Hergang nur eine von den vielen Möglichkeilen.
Bemerken möchte ich nur, daß die verstellte Flucht der Spartaner
in Piatos Laches, die genau ihrem Verfahren in den Thermopylen
bei Herodot entspricht, nur eine Episode im Kampfe darstellen
kann, aber nicht einen Rückzug des ganzen Heeres vor der
Schlacht.
Den Schluß bilden drei wertvolle Anhänge: 1) The Ancient
358 Jahresberichte d. Philologe Vereins.
Documents as they haave beeil preserved; their Autbenticityv
Setting and Contents. 2) Modern Critical Discussions of the
Campaign. 3) The Extant Evidence for the Carapaign of PJataea
in Classical Literature arranged Topically and Cbronologically.
9) Fr. Reuss, Ktesias' Bericht über den Angriff der Perser aof
Delphi. Rhein. Mas. XL (1905) S. 144—147.
Ktesias' Bericht von einer zweiten Sendung eines persischen
Heerhaufens zur Plünderung Delphis (29, 27) kann, da sie von
Xerxes ausgeht, als er schon wieder in Asien war, und der An-
fuhrer, Matakas, den König noch während seines Zuges nach
Babylon wiederein holte, sich nur auf einen Tempel in Asien be-
ziehen. Ktesias mag %6 %ov *An6täcovog geschrieben haben,
woraus bei Photius %6 iv JsXcpolq leqov geworden ist. Die»
kann aber nur der Tempel von Didyme gewesen sein, den freilich
Herodot unter Dareios nach der Einnahme Milets zerstören läßt.
In diesem Punkte entscheidet sich Verf. für Ktesias: „Am persi-
schen Hofe war er gewiß eher in der Lage, darüber sichere Kunde
zu erhalten als jener41.
10) Michel Giere, La prise de Phocee par les Perses et ses con-
sequences. Revue des etudes Grecques XVIII (1905) S. 143 — 15$.
In einem Tage konnten die Phokäer, wie Herodot (I 164)
erzählt, nicht ihre Flotte ausrüsten und die ganze Bevölkerung
einschiffen, bemerkt Verf. mit Recht. Offenbar hat die Belagerung
längere Zeit gedauert, und erst nach Erschöpfung ihrer Mittel er-
öffneten die Phokäer Verhandlungen, die sie zur Flucht benutzten.
Eine Auswanderung en masse nach Korsika hält Verf. auch für
sehr unwahrscheinlich, da diese von langer Hand hätte vorbereitet
werden müssen. Sie sind wahrscheinlich längere Zeit in Önussä
gewesen; ein Teil ist von da, und mit ihm die meisten Frauen
und Kinder, wieder nach Phokäa zurückgekehrt. Nur eine Schar
kräftiger Männer wird wirklich ausgewandert sein. Unter den
rovg ncQiolxovg anavxccq, die die Phokäer in Alalia ausplünderten
(Her. I 166), versteht er nicht die Karthager und Etrusker, sondern
die Bewohner des Binnenlandes, die dann die Karthager und
Etrusker zu Hilfe riefen. Schwerlich richtig. Die Phokäer werden
doch wohl Seeraub getrieben haben, wie später Dionysios von
Phokäa (Her. VI 17), und dadurch Besitzungen jener beiden Völker
oder unter ihrem Schutze stehende Städte oder Volksstämme be-
lästigt haben.
11) L. Oppert, L'ltendue de Babylon e.^ Academie des Inscriptions
et belies- lettr es (Paris 1903) S. 611—618.
Gegen die unüberlegten Angriffe auf die Glaubwürdigkeit von
Herodots Angaben über die Ausdehnung Babylons, die von deut-
schen Assyriologen, vornehmlich von Delitzsch, gemacht sind, führt
\
Herodot, von H. Kalleoberg. 35Q
Verf. alle mit Herodot übereinstimmenden Zeugnisse des Alter-
tums, darunter die Angaben des Aristoteles (Politik III 1), ins
Feld. Die 480 Stadien Herodots beziehen sich auf die äußere
Umfassungsmauer, die von Darius zerstört wurde, die 360 bei
Strabo (365 bei Kleitarch) auf die innere. Der gewaltige Raum
war nicht nur mit Häusern besetzt, sondern bestand auch z. T.
aus großen bebauten Feldern, was ein Aushungern der Stadt so
erschwerte. Die von Delitzsch verworfene 20 monatliche Belagerung
verkürzt er auf 14 Monate, indem er als Ausgangspunkt für die
Zahl 20 den Magieraufstand ansieht. In dieser Zeit übte Nabucho-
donosor, der Sohn des Nabonid, in der Stadt die Regierungsgewalt
aus. Urkunden, die sich auf die Belagerung beziehen, sind er-
halten und datiert. Wenn auch die Geschichte von Zopyrus eine
Erfindung ist, so bleibt doch so viel bestehen, daß Babylon nur
durch Überraschung oder durch eine Kriegslist genommen werden
konnte. Verf. schließt mit einem Hinweis auf seinen Bericht in
der „l'Expedition scientifique en Mäsopotamie" und mit der Be-
hauptung, daß die deutsche Expedition nichts gefunden hat, was
die Angaben der Alten über die Größe Babylons widerlegen
könnte.
Bemerkenswert ist die unverhüllte Schadenfreude des Verf.
mit dem echt französischen Namen über die geringen Erfolge der
deutschen Ausgrabungen. Über die Sache vgl. JB. 1904 S. 244,
wo auch von einer anderen Erklärung (C. F. Lehmanns) der 20-
monatlichen Belagerung Babylons die Rede ist.
In demselben Bande S. 470 wird berichtet, daß von Breal
über duxßoXog in Verbindung mit einer Herodotslelle gehandelt
sei. Leider wird nichts weiter zugesetzt. Vermutlich hat es sich
um VII 10 tj gehandelt.
Nicht vorgelegen haben mir:
G. Roberti, Erodote e la tirannide di Pisistrato.
Estratto de IIa 'Rivista Tridentina' Anno 111 (1903) N. 4. 29 S.
8. _ Nach Fr. Cauer (WS. f. klass. Phil. 1905 Sp. 1111) bietet
die Schrift nichts Neues.
Antonio Oddo, Pisistrato. Palermo 1903. 31 S.
D. Migliazza, Data della battaglia di Lade e della
presa di Mileto secondo Herodoto. Sonderabdruck aus der
Rivista di scienze storiche (fasc. VIII). Pavia 1904. — Aus der
Anzeige von A. Bauer (Berl. phil. WS. 1905 Sp. 149) entnehme
ich, daß Verf. die Schlacht von Lade an das Ende des Frühjahrs
495 und die Einnahme von Milet an das Ende des Herbstes 494
verlegt.
. A.G. Laird, Studies in Herodotus. Madison, Wisconsin
1904. — Nach A. Bauer (ebenda) handelt Verf. 1. von der Reihen«
folge der Namen auf der Schlangensäule, 2. von Herodots An-
gaben über die Stärke der griechischen Streitkräfte bei Salamis
360 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
und Platää, die nach ihm auf durchsichtiger Berechnung, nur
selten auf Überlieferung beruhen, 3. von der Schlacht bei Salamis.
Verf. schließt sich im allgemeinen Bauers (Jahresheft des öster-
reichischen Archäologischen Instituts I S. 90 — 111, vgl. JB. 1902
S. 85) Ansicht an, meint aber, daß die Perser schon am Abend
vor der Schlacht ihre Stellung an der attischen Küste bis Kap
Amphiali vorgeschoben haben, und hält es nicht für sicher, daß
Kynosura die lange, schmale, vorspringende Halbinsel von Salamis sei.
W. Klinger, Die Märchenmotive im Geschichts-
werke Herodots. Kiew 1903 (russisch).
12) Herbert Richards, Notes ou Herodotus. The classical review
XIX (1905) S. 290—296, 340—346.
Es sind textkritische Bemerkungen, die sich in den meisten
Fällen auf Stellen beziehen, deren Überlieferung schon von andern
angefochten ist; zuweilen auch sind die hier gemachten Vorschlage
nicht neu. I 24 TsXsvtsovra (st. zsXevviovvog) d£ %ov vopov
(rsXsvtav xivog = navsafral nvog). Möglich, doch schwerlich
notwendig. Ebenda löroqtew st. laroqieö&ai,, weil das Passiv
bei Herodot nicht vorkomme. — 27 [ev%€ad-ai] . . . aq&a&a* (st.
aQoi[A€Voi); also wie Gomperz. — 32 für nav . .. övpcpoQij scheint
Verf. naaa avfitp. empfehlen zu wollen. — 48 didnefitps tcbqI
(st. naqd) xd xqriax^qta. Recht ansprechend, doch hält er selbst
die Oberlieferung für möglich, indem bei xq^xr^iov auch' an den
Gott gedacht wird. — 59 di%Gnaö\k&vov xs xai xarexopevov
st. xax. TS xai disön., weil das folgende vnö IIsMSHSxqdxov sich
nicht auf diean. beziehen könne. Ebenda yev&ö&cu (d€) ol
fi€T<x xavxa. Nach Stein (zu I 11) ist in solchen Sätzen das
Asyndeton oder dij bei Herodot üblich. — 65 im pythischen
Spruch äXXd xi st. aXV hu So Stein 1901. — 67 im Orakel
lim xoi, (st. xtg) *Aqxadirig Teyifjg (st. Teyty), weil ztg zum
bekannten Tegea nicht passe, auch sv&a sich nicht auf ganz Tegea
beziehen könne. Am adjektivischen *Aqxadivjg nimmt er keinen
Anstoß, obwohl er's nicht belegen kann. Ebenda eial (ol) %A>
aöTcov. Der partitive Genetiv findet sich bei Herodot eingeschoben,
aber schwerlich so wie hier. — 77 am Anfang ovtto fjyoiviöxo
(st. Tjyd&viöavo) nach Herodots Sprachgebrauch (?). — 78 ig
{xijv) xcov i^yfitiidv TsXpfjGöitav oder ig xqv x&v [i%qyyx4e>p]
TeXp. Der Zusatz zijv ist überflüssig; x&v ityytjTtoop streicht
van Herwerden. — 84 für dixaffdvxtav entweder dida%avx<*v
nach Reiske oder ds^dvTcov (?). — 90 avaqxriiiivov tf* (nach
Dobree) ev (st. aev) ävdqog ßaötXiog (diä) xq^xä iqya xai
snea noiieiv wegen des anstößigen Genetivus absolutus, des
pointelosen ävdqog ßa<fiX4og und weil man noiqGavxog st notslv
erwarten müsse. Letzteres ist mir unverständlich; ob ävdqog ß.
auf Kyros bezogen sich besser ausnimmt, erscheint mir doch
zweifelhaft. — 105 am Ende xai oqäv ndqa (oder ndqstix* oder
v
Herodot, von H. Kalleoberg. 36]
txccq&x*1') <xvTOt<f& xoXtSh dmxveofiivoto'i. So schon Gomperz,
aber ohne avxoJöi. — 116 für xavxa no^aca erwarte man
xoictvxa 7T., doch finde sich dergleichen öfter bei Herodot. Diese
Bemerkung ist richtig, trifft aber hier nicht zu. Astyages sagt
„ich werde diese Angelegenheit so ordnen, daß". — 132 ina-
ciöe* [&soyoyifjy]. Wer sollte einen solchen Zusatz machen? —
137 pfjdiya xwv (xwa) eoovxov oder ein zweites fjttjdeva vor
TüoviwvTov. Ersteres ergänzt schon Kruger. — 141 ixßaivovxeg
«£X&<röa* st. ixßaiveiv iqxeopevoi. Wenn zu ändern ist, dann
würde ich es vorziehen, mit van Herwerden oqxsopevo* zu
streichen. — 152 zur Verteidigung des überlieferten fäaw gegen
€obets fäpaai, wird bemerkt, es stehe als Simplex für das Kom-
positum omoqqti<hv oder es sei ein Versehen für anoQQtjtnv.
Nur letzteres ist möglich; ein Simplex kann doch nur bei gleicher
Bedeutung für ein Kompositum eintreten. — 160 bei xov di
Idxaqviog wird eine Lücke angenommen. So schon Stein. —
186 inexeiveoxov st. imxeiveöxe, schon wegen des folgenden
anaeiqetixov. Möglich, doch nicht notwendig. — 190 nqoxo-
nxopevov st. nqoxonxope'vwv nach III 56. Das wäre doch ein
auffälliger absoluter Akkusativ. — 195 neqißdkXexcu st. ntqi-
ßaXXSfieyog. Unnötig, wenn man xai in der Bedeutung von
„auch" nimmt. — 196 xo de dq (st. av) xqvdiov. Auch Kruger
nahm an der Stellung von äv Anstoß, Hermann schlug av vor.
Ebenda will Verf. den von vielen gestrichenen Satz Iva py . . .
äywvxcu vorher nach ovxm anayayiGd-ai unterbringen. In dem
yeviti&cu vorher, das Cobet auch streicht, sieht er einen Rest
des änayctyia&cu. — 207 Empfehlung von van Herwerdens
xaxäv (st. xalüov) peydXiav ana&ieg. Ebenda am Schluß Xeltpexat
st. Xeinexat,-, kaum nötig. — 210 Verteidigung der Lesart Im-
ßovXsvsi (Bl Rsv). — U 2 ig xd noipvia (ayovx%)\ schwerlich
notwendig. — Für ^Pafifiijxtxog de hätte Verf. lieber W. ydq.
Ebensowenig nötig; nicht selten steht di, wo wir ydq erwarten.
— 3 oaa (st. ota) rjxovov, entsprechend dem folgenden oaa di
äv&Qamfjia. Doch siehe Stein zu 1 30. — 5 tijg niqt soll aus
xAv niqi durch den Einfluß des vorhergehenden Xifivyg verdorben
sein. Krüger erklärt „xijg bezieht sich auf das in %d (xaxvneq&e)
liegende yv{\ was Verf. bestreitet. Vorher (xaXy Alyvnxog oder
Älyvnxog xe. — 8 tjJ per ydq {nqog) xqg ^Aqaßiyg ent-
sprechend dem weiter unten folgenden xo di nqog udißvfjg xijg
Aiyinxov, weil sonst xijg Idqaßitjg von oqog abhängen müßte,
was ihm unwahrscheinlich erscheint, da ja auch xrjg Alyvnxov
nicht von oqog, sondern von xo nQog Aißvrjg abhänge. Fraglich.
— 32 nach inet, für das alles mögliche vorgeschlagen ist, nimmt
er den Ausfall eines Infinitivs an. Ebenso neuerdings Stein. —
39 eX t* (jbiXXei (nach Rsv für /ttiXXoi), weil der Optativ un-
passend sei (?). — 43 avxol nach ^EXXfjvmv für das von Krüger
gestrichene ovxoi. — 44 <xara> vor dem bösen piya&og. —
362 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
51 van Herwerden schreibt oQ&d %%ovta (st. £%siv vd) aldoTa-,
dazu verlangt Verf. mit Recht (vd) aldota. Im folgenden soll
noisvtit, . . . fi,€fia&t}ic6T€Q für notsvvxeg . • . iA6[ia&ijxa<x* eintreten.
86 iikö&ov (st. (jLia&cp) dfioXoy^aavteg. Doch siehe Kruger. —
93 Erklärung des Optativs in Iva dpaQxouv nach einem Präsens.
Der Schriftsteller denkt zugleich an eine vergangene Zeit mit (so
auch Kruger), er denkt an eine dcupovitj rtg 6q/xij, die den Fisch
zu seinem Tun antreibt. Wenn Verf. aber zu 1110 xsXevei . . .
oxatg äv diacp&aQeitj auch bemerkt „xsXsvsi, refers to past timeu„
so hat er das dv übersehen. Siehe Kruger z. St. — 102 nsgi
tqg iXev$eqlrig (apvveö&ai) , wodurch die Konstruktion r^X*'
ö&ai nsQi nvog beseitigt wird. Auch c. 134 nach insl re yaQ
nimmt er den Ausfall eines Verbums an, hier mit Stein zusammen-
treffend. — 111 fxeyiGxov für pe/iata. So Kruger und Stein. —
116 'EXivtjg pkv xoiavxtjv (st xavx^v) anifeiv . . . yevio&cu, weil
hier keiner von den Fällen vorliege, in denen das Substantiv
„appositional and exploratoryu stehe. Doch vgl. VIII 39 vovtav
p&v vvv x&v ävÖQwv avirj dno xoi Isqov dnaXXayri yivetcu.
125 [in' dXXrjg iifixavng], da die älky ^f\fjuvr\ mit der vorher-
gehenden ei€QTj fjLfjxavtj identisch sei. Stein hat früher in1 ättyy
f4iiX<*vtjv, also „zu einem neuen Gerüst" schreiben wollen. —
135 mit Valckenaer 'Poöc&mog (st. 'Podämv). — 146 tovtovg
aviovg (st. äXXovg). Aber äXXovg kann auch „ebenfalls44 heißen
(Stein). — 156 %ov de devxiqov st. x&v di dsvxiQwv (?). —
172 xal (st. ovx) evyvfopotfvvy (so Aldina st. dyvcofAoavVfj)- Es
ist doch mißlich, bei Textänderungen von der Aldina als Grund-
lage auszugehen. — 178 olxisw avxov (noXXdxig oder# ahi)
<% wodurch avxov von vavxvXXo^kvoiOi gelöst wird. Ähnlich
Stein avxov (ig AXyvntov oder xax' i^no^i^v) dL — 111 10
am Ende xoxs xal st. xal xovs. Ich versiehe nicht, woran Verf.
Anstoß nimmt. Ende c 23 [xal\ to dea^ooxijQtov; hier ist xat
freilich entbehrlich. — 23 am Anfang ergänzt Krüger £<py; dafür
Verf. besser (fdvai. — 25 ijxovs <7r«ßi) r<ov *I%d>vo<paywv>
Ganz verkehrt; der König hat nichts über die Ichthyophagen ge-
hört, sondern sie selbst reden gehört. — 30 i^ayaywv, ol /*iv
Xiyovtit, st. ol fiiv Xiyovci ... USayayovra, indem ol p&
Xiyovd parenthetisch sieht. Zu gewaltsam. — 34 soll vvv &Q&
. . . vofjfAova ein Fragesatz sein, was ja auch geht. — 52 iv tov-
roter* st. iv amoXöh ; ebenso c. 82 ix di xovxcov (st avtav)
9o)lid£€Tai. Doch siehe Stein zu I 9. — 52 GxsiXag nXoty
(sz) st. tfr. TtXoXov. An sich gut; doch siehe Schweighäuser. —
60 zu Anfang ikäXXov (ti), entsprechend der letzten Zeile des
Kapitels. Höchstwahrscheinlich. — 71 laxe [vptv]\ es wird
wegen der ungewöhnlichen Stellung für eine Wiederholung aus
dem vorhergehenden Satze erklärt. — 110 ig dXxijv cfoxtpa
(st. äXxifia). Auch van Herwerden hält aXxipa für unmöglich. —
116 am Schluß (al) avxai, wo andere (xd) ccvxd schreiben
^
Herodot, von H. Kalleoberg. 363
(Rsv avxd, cet. avxai). — 119 (jövv)sXaß6 avxov entsprechend
dem folgenden övXXaßciv. — 126 nQoaiQeopevog st. neoiaioso-
pevog „herausholen4', wie das Aktivum Arist. Thesm. 419. Genügt
nicht van Herwerdens Erklärung „neQHUQsopevog, sc. xo Xivov^l
— 134 Verf. nimmt an ooa vvv Anstoß und schlägt vor Xiysi
vA%oGGam doa vvv xade (oder xade vvv do<jc). — 136 St. ix
faoTwvfjg, das die ungewöhnliche Bedeutung „aus Gefälligkeit4'
haben mußte, ig JHfixwviyv „zur Erleichterung, Unterstützung". —
137 am Ende (pavij noog Jaqetov (st. Jaoeiov); ganz über-
flüssig. — 139 in Sidwfju de aXXwg soll letzteres nicht „gratis",
sondern „only, just", i. e. „no more thanu bedeuten. — IV 1
[KippsQiovg — ig xfjv *A<$ii{v\ weil das folgende xaxanavoavxeg
sich nicht mit diesen Worten verbinden läßt und die Worte selbst
sich weder parenthetisch fassen, noch anderswohin versetzen lassen.
Besser Stein hierüber „Die Worte xaxanavtiavxeg — *A6itjg
ständen richtiger hinter tquJxovicc". — 11 An der viel behan-
delten Stelle wird van Herwerdens fjttjdiv nqog noXXovg empfohlen.
— 18 schreibt man gewöhnlich nach Herold ävut iovxi (äv&omno*
ABP, ccvoi CR); Verf. äXXot. Ebenda nimmt er Anstoß an Steins
Erklärung von inl xosTg ypsoag 6doi\ der odov von ypioag
abhängig macht. Kruger vermutet odov. Die Sache bleibt streitig,
aber richtig ist, daß Steins Beispiele z. St. verschiedenartig sind.
— 36 für ov Xiyaa Xiywv (Xiyoov secl. Reiske, Xeyovxa Schweig-
häuser) wird ov &iXio Xiyetv vermutet. — 53 ovde (a/Jiog}
oddelg 'EXlijvtoV. Ganz gut, aber schwerlich notwendig. — 76
anovoötrjGfi ig {t^v) ewvvov, da nicht „Haus", sondern „Land"
gemeint sei. Warum nicht „Haus"? Das folgende änixexo ig
Ttjv 2xv&ixyv schließt das doch nicht aus. — 79 xobovxov (sl.
xoixov) otixig paivaG&ai ivayei äv&ocinovg. Nach Herodou
Sprachgebrauch nicht nötig. — 85 iovxa öxetvoxyxa (so Schweig-
häuser st- Gxeivoxyxi in ABCP) p£v — pqxog 6£ erklärt Stein
„gewählte Prägnanz st. evoog xfj oxeivoxatoc". Verf. findet dies
unerträglich und schlägt vor iovxa (xd) axetvoxaxa (so nach
Rsv). Der Gegensatz pyxog de verlangt doch ein Substantivum.
99 ovo di Xiymv xavxa noXXd ez& (st Xiym) naoopoia.
van Herwerden nahm auch Anstoß uud vermutete atyica oder
im. — 119 wird die große Zahl der Konjekturen für ov ne*co-
p€&a noch um eine vermehrt, avxov xeiaope&a. — 138 iovteg
(xedy Xoyov; van Herwerden iovxeg Xoyov (noXXov). — 157
zur Vermeidung des Hiatus im Verse ovx (st. fuy) H&<£y. Ein-
facher van Herwerden fnycf. — 159 im Orakel vöxeQog (sl. vöxbqov)
eXdy. Stein vergleicht VI 120 vöxsqov ämxofxevoi xyg tfr/u-
ßoXyg. — 198 evvdoog für das seltene envdoog; van Her werden
und vor ihm Cobet vnvdoog. Beides wohl nicht nötig. — V 3
(ovde) pij xoxe iyyivqxai. Schon Schäfer wollte ov zusetzen.
— 9 äQfMzxfjXaxieiv öij (st. di); ebenso c. 28 xaxvnsQ&e <Jj
(st. d£). — 13 am Ende vermißt Verf. bei avxov yao iv xovxov
364 Jahresberichte d. Philolog. Vereios.
elvexa ein xdde oder ndvxa und will ndvxa st avrov setzen.
— 18 ineäv detnvov nqolx^&cifie&a. Hier nimmt nicht ein-
mal Cobet am Tempus Anstoß. — 24 evnexiwq inerte (st.
snet&e). — 28 yivea&ai [xaxd]. Nach meiner Ansicht ist xaxd
nicht zu entbehren. — 42 ijv %t (st. %e) ov tpqevqqijg äxqofxay^g
64 (st. ts). Das erste ve wird wegen seiner Stellung verworfen;
in V 11 (old %e ov zvqavvog) faßt er otd ze zusammen = <ro,
wie das auch Kruger tut. Aber keine Stelle mit otd re in dieser
Bedeutung ist einwandfrei. — 50 zqmv fiTjVcov odov avdysiv
(st. äyayetv). wo Naber ändyeiv vorschlägt. Da vorher dito
&cdd0(fr]g steht, reicht wohl das Simplex aus. Der Infinitiv des
Aorists steht ebenso vorher in ßovXopevov i£ayayetv. Ebenda
kurz vorher Xoyov evnqenia (st. evenia). — 76 oq&aig av
(jtoX&lbioq) xaX&oixo unter Verwerfung von Krügers und Steins
Erklärung. Naber vermutet nqäxoq st oq&cog und van Herwerden
will das vorausgehende enl Kodqov mit xaXioixo (benennen wo-
nach) verbinden. — 79 xi (ßif) det. — 80 am Schluß crt^-
nifiipetv st. GvtintfATisiv. Das Präsens drückt vielleicht die un-
mittelbare Ausführung aus. — 92/9 (i%)eöiöo(tav. Die sonst
übliche Präposition hat sich Herodot vielleicht wegen des folgenden
i% dXXijXoav gespart. — 99 ov zd>v (st. xyv) ^A&qvaicav %dqiv
iatqaxevovxo aXXd [xyv] avxdov MtXrjaicov oder äXXd avnSv
zqv MiXrjGiwv. Letzteres verstehe ich nicht; beide xtjv ver-
dächtigt auch van Herwerden. — VI 47 xö ovvofia ia%e* (st.
Är/s), Variation zu van Herwerdens e%ei oder ioxyxe. — 52
noiyaaad'ai (st fjyiJGa<f&cu) ßa<nX4ag; Cobet <fxi}<ra<f&ai> ß-
Ebenda xtfiioaav xov $xeqov (st nqoxeqov) ; letzteres sei durch
Einwirken des später folgenden nqoxeqov veranlaßt. Hierüber
Verf. schon Review XVI S. 394. — 57 am Ende [xqix^v öi %ip
eavxov) als Radikalmittel zur Beseitigung aller Schwierigkeiten.
Hätte dann Thukydides (120) die Stelle mißverstehen können? —
64 dtoxi st. diä xd. Einfacher Stein 3S a. — 98 peyagyiog
eine Weiterbesserung Bekkers piya (Hss. fiiyag) aqqioq. Doch
wird diese Stelle schon von Wesseling für unecht erklärt. —
107 ovx. qpexiqti eöxat, (st. iaxi). Das Präsens scheint mir
wirkungsvoller zu sein „Das Land gehört uns (jetzt) nicht noch
werden wir es uns je untertänig machen". Mit iöxcu sagen beide
Satzteile genau dasselbe. Auch c. 109 gegen Ende ist Gobets
Änderung stfra» st. sgti, wenn auch aus anderen Gründen, nicht
angebracht — 121 dfj (st. av) xoxe dvadi^ctt, weil afp hier nicht
am Platze sei und auch an der entsprechenden Stelle c. 123 fehle«
Warum soll sich das Gerücht nicht, wie Stein erklärt, zweifelhaft
ausgesprochen haben? Außerdem hat Plutarch (de malign. Herodoti
862 F), wie Verf. selbst erwähnt, av gelesen. Ebenso will er
c. 129 yafißqov dij st y. av schreiben. Doch hier wird av eher
mit AB Kid zu streichen sein, ebenso wie c. 124 in & ye av (oro.
ABd) xovwov, wo Cobet dij dafür einsetzen will, das doch besser
Sv
Herodot, voo H. Kaileoberg. 365
nach tovvcov stände. — VII 10 nimmt Verf. an %a vneqi%ovxa
£<5a Anstoß, erwartet eher eine Erwähnung von Bäumen oder
Bergen, ohne aber eine Änderung vorzuschlagen. — 23 zu ev-
&avta Xetficov — dXrjXsOfisvog wird bemerkt, der Satz gleiche
a detached note. Das ist richtig, aber soll man deshalb die an
sich unverdächtigen Worte streichen? Am Anfang nöXieg [iiv
avva* [<**]; Dittographie. — 37 am Anfang ol xe %vxol (ol).
Leicht möglich. — 65 am Anfang vermißt Verf. ein jjoay oder
etwas ähnliches. Das ist zuzudenken, aber nicht zuzuschreiben;
vgl. Stein. Man beachte überhaupt die kurze, abgerissene Rede-
weise in diesem Abschnitte. — 106 MaGxdpTjv (vGxeqov) ye-
vopevov wie c. 62. Sinngemäß. — 143 in elyje zb enog eiQtj-
[kivov soll entweder enog oder dgtj^voy weichen, weil die Ver-
bindung von efjeiv nur mit dem Partizipium des aktiven Aoristes
üblich sei; an der von Stein angeführten Stelle 111 48 (etye —
ysvofjbevov) gehöre das Partizipium nicht zu el%e. Das scheint
richtig; auch Krüger verdächtigt elQtjfiivov. — 173 [iexa£v dq
(st. d£). Wozu? Krüger streicht di, Stein idvxa. Beides mög-
lich; im ersten Falle wäre aber dann mit Dobree §&ovxa st. iovia
zu schreiben. — 191 das überlieferte yoijöi wird durch Beispiele
für den instrumentalen Dativ von Personen verteidigt. Aber ab-
gesehen davon bleibt doch die Sache höchst seltsam. — 203
n satt v qdfi (st. av). Gewöhnlich streicht man av. — 220 im
Orakel zur Richtigstellung des Verses dw/ti' st. äaxv, das eine Glosse
sei. Andere Besserungen Stein und van Herwerden. — 229 Steins
ei pip vvv § (st. yv) wird gebilligt, dann aber ein avvißfi ver-
mißt. — VIII 69 vnoxqia st. avaxqiat, (xgiaei Rsv) mit dem
Hinweis auf III 53, wo AB avaxqi<Skogy Rsv dnoxQitivoq, das
Richtige aber vnoxqiGiog sei. Letzteres ist doch nicht allgemein
anerkannt. — 70 inel di naQtjyyeilccp (st. 7taq^yyeXov). Frag-
lich. — 74 iXiyexo naqd (st. neqi) x&v ccvxdiv. Kaum eine
Verbesserung. — 80 i% ipio (iovtot} xd noievpeva. Krüger
tdößy Cobet xavxa für xd, während Naber noievfteva ergänzt. —
86 hält Verf. &emsea&ai (Äldina) st. Öefoctööcu für nötig. —
99 ndvxeg (st. avxoi) ytiav iv &völfi<fi\ van Herwerden [avxoi].
Keins von beiden nötig. (Hierüber auch Review XVII 146). —
111 &eovg peydXag st. &. peydXovg. Unnötig. — 120 van Her-
werden iXvaaxo (avxov); Verf. dafür aixo&i. Soli etwa avxov
nicht ionisch sein? Meines Wissens kommt avxo&i bei Herodot
nicht so oft vor als avtov. — 142 ovxe ye hält Verf. für un-
möglich; entweder ist nach seiner Meinung dafür ovdi ye zu
schreiben oder der Verlust eines dem xoGpov ifiqov entsprechenden
Wortes anzunehmen. An ovts ye haben schon andere Anstoß
genommen; aber warum läßt man ye als Dittographie nach %e
nicht weg, zumal es Rsv nicht haben? Ebenda d%qr\Gxa (xa)
olxexiwp ixofieva. Doch vgl. I 193 xä elq^iiva xaqn&v i%6-
P*va und III 25 ndvxa . . xä el%ov tftxiwv ixopeva. — IX 7
i
366 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
xai st. xal ijdi] (?). Ebenda entweder [ort] x8X%og als falsche
Wiederholung des vorangehenden ort oder to (st. or*) xeX%oq.
Ein %6 kann ausgefallen sein, aber nicht an dieser Stelle. Stein
vermutete früher (tö) diä xov *Iö&[iov. — 9 am Ende (ig}
atpdXfia (f€Qov mit Berufung auf VIU 137, wo in Rsv £%tj riQag
xal ifBQOi ig (om. cet.) fieya %i steht. Aber genau so wie hier
steht VII 6 in allen Hss. ei p&v tv ivkoi acpdkfia <p£(>ov Tto
ßaqßdqw. — 16 am Ende nqbg av&qdnovg (nollovgy; Valckenaer
{älkovg). — 27 nqoaqxst, für das hier in «ungewöhnlicher Be-
deutung stehende nqos'x61- — 51 oaov niqi (st. neq) rqia.
Ungewöhnlich ist otiovnsq, aber ebenso bdov rtsgi; das gewöhn-
liche wäre oöov te, wie wiederholt schon bemerkt ist. — 52 will
Verf. sich nicht anaXXdöösödwi, zu iv vsw sxovusg denken,
sondern glaubt, es sei ein Infinitiv ausgefallen. — 74 i[mim;ovxsq
(st. ixnimovtsg) ix Ttjq xd^iog fisTctxipTJöai, indem ex r. r. mit
fAsiaxwijöcu zu verbinden sei; „if they came in their Tct&g, it
would still be the same tbing". — 92 %6 eqyov nqoGijye „doubt-
fully I have thought rw sqyw nqoG€%%e".
13) U. von Wilamowitz-Moellendorff, Satzungen einer milesi-
schen Sängergilde. Sitzungsberichte der preuß. Akademie der
Wisseosch. 1904 S. 619-640.
Aus dem inschriftlich belegten ivoqxig schließt Verf. auf das
Maskulinum ivoqxijg (statt ivoqxqg nach der ersten Deklination).
Danach verlangt er Her. VIII 105 nach Pz ivoq%£<av (ivoqxi&v
ABC,- woqxis'üov Rsv) und VI 32 iyoQX^ccg (ivdqxutg ABC,
ivoqxccg PRsv). „Ein Lukian (Dial. deor. 4, 2) beweist mit seinem
evoqxw nicht mehr als das Aller der Varianten". Zu dem in
der Inschrift vorkommenden qmcov wird nicht gerade höflich,
aber richtig bemerkt: „Bei Herodot ist IV 71 qixpi rezipiert, ob-
wohl die Florentiner Klasse qiipsi hat. Dagegen folgt die Vulgata
dieser II 96 in &vqij xaveqqafAfjbivfj qinet xccldpcov, und man
schämt sich nicht, ein neues Wort %6 fyinog auf den Itazismus
zu gründen, obwohl das richtige fynl die römische Klasse und
Pollux 10, 43 bezeugen". Das zweifellos richtige §mi haben
übrigens van Herwerden und Holder. Nicht richtig dagegen ist
folgende Bemerkung: ,?Exiog mit dem Genetiv im Sinne von n\i\v
ist dem guten literarischen Griechisch ganz fremd, zumal dem
Attischen; auch hier antizipiert das Ionische die xoivrf\ denn
Xenophon und PJato haben wiederholt ixrog im Sinne von nlijv
gebraucht. Bemerkenswert sind endlich noch die Schlußworte
über das Verhältnis zwischen dem überlieferten Text des Herodot
und der Sprache der Inschriften : „Um so greller ist der Kontrast
zu dem Texte Herodots, den wir und die Gelehrten des 2. Jahr-
hunderts n. Chr. überliefert erhalten haben, der also nach aller
Analogie der Textgeschichte um 200 v. Chr. ziemlich ebenso aus-
sah. Daß über seiner nicht rein ionischen, aber doch im wesent-
Herodot. von H. Kallenberg. 367
liehen ionischen Rede ein haßlicher archaistischer Firnis liegt, ist
unbestreitbar, aber ob dieser Archaismus schon von ihm selbst
herrührt oder von der Reaktion gegen die attische Kultur, die
gleich nach Alexander besonders stark in Asien bemerkbar wird,
das wage ich noch nicht zu entscheiden, glaube aber das letztere".
14) U. von Wilamowitz-Moellendorff, Hermes XL S. 142,
verlangt wie andere vor ihm Her. II 145 die Zahl 1000 statt 1600
und erklärt den Irrtum so: „Herodot schrieb X und meinte
%iXia\ es bedeutete aber später QavLoGia. Genau denselben Irr-
tum habe ich bei Theophrast aufgezeigt (Hermes XXXIII 522)".
15) Sammlung der griechischen D ialekt - Inschriften, heraus-
gegeben von H. Collitz und F. Bechtel. Dritter Band, 2. Hälfte.
5. Heft: Die ionischen Inschriften, bearbeitet von F. Bechtel.
Göttingen 1905.
Gewissermaßen die zweite Auflage der „Inschriften der ioni-
schen Dialekte14 (1887) und der „Thasischen Inschriften ionischen
Dialekts im Louvre" (1884) von Fr. Bechtel, die beide in den
Abhandlungen der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu
Göttingen erschienen sind. „Was für die Geschichte des Dialekts
belanglos ist, habe ich gestrichen, so die meisten Namen der
Plättchen von Slyra und einen guten Teil der thasischen Theoren*
inschriften. Der Zuwachs besteht nicht nur aus Denkmälern, die
erst nach 1887 veröffentlicht sind, es sind auch früher absichtlich
übergangene, wie Vasen in Schriften, für die früher ein besonderes
Heft beabsichtigt war, oder andere, die übersehen sind, aufge-
nommen". Aus dem reichen Schatz von sprachwissenschaftlichen
oder sonst Herodot betreffenden Bemerkungen seien als neu
folgende angeführt. N. 5304 (Eretria) versteht Verf. unter AlyiXltjg
die den Styräern gehörige Insel und vermutet deshalb Her. VI 107,
wo Kül Alyhiitiv, B'PRsv AlyiXeiav haben, Alyilii\v. — 5403
(Keos) „Die Form dixopai, oft in den Handschriften des Herodot,
begegnet hier zum erstenmal auf einem Stein aus ionischem Ge-
biete". — 5493 (Milet) Inschriftliche Beglaubigung des Her. I 97
in den Hss. einstimmig überlieferten Infinitiv des Futurums dixav.
Ferner wird auf die Wortformen ovqodp und anod$%&£vc(av
„deren zweite mit änodexvvvvsg (5653) der ältesten öffentlichen
Urkunde von Chios und mit ansdix&ij, <xnodi%cu bei Herodot
zu verbinden ist". — 5495 (die milesische Sängergilde) xiQvdccccu
ein Beleg für Herodots dvviatcu (II 142); Sgty wie Herodot (in
Eretria soqvtj). Kontraktion von €(a in a> nach einem Vokal:
noHÜtft, besonders aber &v<Zv ixaaniwv. — 5498 (Milet) etg
top inskts xqovov neben dg xov snena %qovov. Verf. macht
auf die Variante snsns (vielmehr inshe) Her. IX 98 in R auf-
merksam. Das ist nicht die einzige (vgl. Gomperz, Herodoteische
Studien II S. 34); aber soll man darum sns$Te oder enenev in
368 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Herodots Text einfuhren? — 5581 (Priene) und 5736 (Magnesia,
Brief des Dareios an Gadatas) weisen nsi&aqxetv twog auf, wo-
mit nBid-Bti&ai ttvog bei Herodot verglichen wird (vgl. Ditten-
}>erger Syll. N. 2). — 5597 (Cphesos) Xaip6(iedta\ bisher war dies
Futurum nur im Milesischen bekannt. — 5605 (Epbesos) OX4wr
Genetiv von &levg (Beiname des Zeus im Kult von Chios), wird
mit dem milesischen Genetiv Uqsw (N. 5495) zusammengestellt;
Mq6coq wird (zu N. 5495) mit Nelken g (Nebenform zu Nqlcvg)
verglichen. — 5653 (Chios) hier wie auf Inschriften von Samos
und Magnesia findet sich das Herodotische yöfiatog (= attisch
vo (M fiog). — 5371 (Amorgos) „Die Verbindungen exdaxov £vyov,
exdaxov Ivtavxov exdavTjg dqai%ov fallen durch das Fehlen des
Artikels hinter exdaxov auf1'. Dann wird auf Meisterhans 8 232
verwiesen. Hier heißt es „Das bei txatixog stehende Substantiv
hat bis 318 v. Chr. beständig den Artikel bei sich. Von 318 an
(Einfluß der Kowij) wird der Artikel vereinzelt und von 300 an
beständig weggelassen". Einen Einfluß der Koivtj vermag ich
hierbei nicht zu erkennen, glaube vielmehr, daß es reiner Zufall
ist, wenn auf attischen Inschriften vor 318 niemals bei ixaaxog
der Artikel fehlt. Denn auch bei Sxaozog gilt doch wohl dieselbe
Regel wie bei näg> ovxog usw., daß das Substantiv, nicht das
Pronomen bestimmend für den Artikel ist. Daneben kann sich
bei häufig wiederkehrenden Wendungen ein besonderer Sprach-
gebrauch herausbilden, wie bei exdaxov eviavzov. Hier fehlt
nun im literarischen Griechisch vorwiegend der Artikel. Neben
zweimaligem xov eteog exdaxov (I 196 und III 6, hier aber nicht
in allen Hss.) und einmaligem xijg y^Qfjg bcdaxfjg steht bei
Herodot fünfmal yptQfjg exdaxtjg, achtmal exeog exdaxov und
einmal prjvdg exdaxov. Bei Plato stehen dieselben Genetive wie
auch XCC& exdaxtjv fjfiiQctv und xad' Ixaaxov sviavxov gar nicht
selten und daneben nur dicht beieinander Leg 760 D rfjg wgag
ixdoTfjg und 761 C xa&' exdaxag xdg doQag. Von den Rednern
läßt Lysias in diesen Wendungen den Artikel weg, während
Demosthenes ihn regelmäßig zu setzen scheint. Bei Isokrates
endlich herrscht bei den Verbindungen mit xUxd nur selten Über-
einstimmung in den Hss.
16) Greofell and Hunt, The Oxyrhynchus Papyri. Part. IV.
London 1904.
S. 140 steht ein kleines Fragment aus Herodot, beginnend
V 104 mit den Worten Kvnqiovg avvaniaxaa&at, und schließend
mit olxiveg ehv ol *A&nvaXo*, (Aexd di im folgenden Kapitel.
Erwähnenswert ist nur, daß es mit ifinenq^a&ai auf die Seite
von ABC gegen Prsv tritt. Der Schrift nach wird es von den»
Herausgebern in das dritte Jahrhundert gesetzt.
\
ßerodot, von H. Kallenberg. 369
17) A. G. Laird, Her. VIII 2. The classical Review 1904 (XVIII) S. 97.
Verf. will die Schwierigkeit der Stelle etqtjtai, dt po* xal
€o g tö nXijd'og l%a<Sxov rwv vsäv naqsi%ov%o dadurch beseitigen,
daß er sXqrj%ai als Plural faßt = elqiata^ wie auf der großen
Inschrift von Oropus (Bechtel N. 18, jetzt N. 5339).
18) H. D. Brackett, Temporal clanses in Herodotus. Proceedings
of the American Academy of Arts and Sciences 1905 S. 171—232.
Absicht des Verf.s ist es, nicht nur den Gebrauch Herodots
festzustellen, sondern auch für die Textkritik auszunutzen. Letzteres
ist in reichem Maße geschehen. Die Abhandlung zerfällt in sechs
Abschnitte:
1. Modi. Sehr selten geht der Indikativ in abhängiger Rede
in den Optativ über. Zu den wenigen Beispielen gehört II 121 £
(o?£ anoyapoh). Hier verteidigt Verf. die Überlieferung gegen
Madvigs Änderung in ou. Eher ist er geneigt, das folgende ort
in ot€ umzuwandeln; schon darum, weil ort im Sinne von „da-
durch daß" bei Herodot nicht üblich sei. Doch führt er selbst
noch VII 137 an. IX 84, wo nach hneiis . . . rupavrfto der Nach-
satz fehlt, hält er wohl gegen Stein mit Recht nicht für ver-
stummelt, sondern anakoluthisch gebildet wie VI 137. — Der In-
finitiv tritt in abhängiger Rede 46 mal ein, 65 mal nicht; darunter
einmal für den iterativen Optativ (II 140 oxcag (foizäv) und zwei-
mal für den Konjunktiv, I 202 eg o ... anixvisG&at, und I 165
nqiv ij . . ävayavfjvat, (Hss. äva<pqvai). Hier schlägt er vor nqiv
% [röv pvdqov xomov% Randbemerkung] ccvacpavfj, weil abgesehen
von IV 42 nur hier in einem Temporalsatz der 'Infinitiv sich auf
ein Futurum beziehe und nach eine Negation auf nqiv folgt.
IV 42 (3o0£ ig tfjv ßoqfjiqv SdlaötSav . . ämxvirt&ai) aber faßt
er icog nicht als Satzkonjunktion, sondern als eng zu ig gehörig.
Das hat nicht nur schon Helbing (Die Präpositionen bei Herodot
S. 44), den Verf. anführt, ausgesprochen, sondern auch Stein
und schon Krüger, letzterer jedoch voll Bedenken, erklären so.
Störend ist nur, daß die Verbindung Scog ig sich sonst bei Herodot
nicht findet. Oder liegt hier eine Diltographie vor, ig ig, woraus
Spätere iimg ig gemacht haben? — V11I 22 schreibt er inBits
4av) avevBfyd'fi, weil damit der einzige Fall schwinde, in dem
av in einem futurischen Satze fehle. I 196 liest er cog oöcu dfj
st. dg av ai, wofür Steins oöai ahi vorzuziehen ist. Bei nqiv
mit dem Konjunktiv will er av nur da fehlen lassen, wo alle Hss.
es nicht haben; wo die Hss. schwanken, will er es aufnehmen.
— VIII108 liest er mit ABC ig o i'Woi, (PRsv &#S) und III 31
ig o (av) ccTto&ctvaxfi, so daß keine Stelle übrig bleibt in der
auf ig o der Konjunktiv ohne av folgt. Wenn man nqiv ohne
av mit dem Konjunktiv zugestehen muß, wird man das bei ig o
auch tun müssen.
Jahresbericht« XXXT. 24
370 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
2. Tempora (Tense System). Hier handelt es sich vor-
nehmlich um eine Anzahl Stellen, an denen das Imperfekt
steht, während wir den Aorist als das Tempus der Vorzeitigkeit
erwarten. Wo die Hss. schwanken, zieht Verf. gern den Aorist
vor, manchmal setzt er ihn auch gegen alle Hss. So VII 146
dg di ntQisovrag avxovg xaxiXaßov xal ijyayop (gegen tjyov
in ABCP) ig oxpiv tijv ßaGiXmg, %6 iv&evxsy nvd-opsvog in*
ottiw rjX&ov, ixiXsvae mit der Bemerkung „it is ciear that the
action of qyov must have been completed before that of either
nv&6(i€Vog or ixiXevas began". Verf. übersieht, daß äysw
zu den Verben gehört, die gern im Imperfekt, dem Tempus
der Entwicklung, stehen. Hierüber hat in bezug auf Polybius
besonders eingehend Hultsch (Die erzählenden Zeitformen bei
Polybios) gehandelt, für Herodot führt Zander (De imperfecti at-
que aoristi apud Herodotum usu, Halle 1882, S. 19) einiges an.
Verf. erkennt diese Talsache bei manchen Verben sonst an, während
er bei anderen Verben als Grund für das Imperfekt das Fehlen
des Aoristes anführt. So 1 47 cog iöijX&ov %a%rtxa • . xal in-
siQWTwv. Hierbei bemerkt er, die Tatsache, daß hier nicht
sXqovto gebraucht ist, spreche gegen Kallenbergs Ansicht, daß
slQopevog und slgiadcu (so geschrieben st. eloecf&ai) Aoriste
seien. Diese Ansicht ist nicht von mir, sondern von Cobet zuerst
ausgesprochen (Mnemosyne 1883 S. 74) und auch außer mir von
andern gebilligt worden. Die hier in Frage stehende Stelle kann
keinen Beweis dagegen abgeben. Zu III 25 cog ijxovs (Rsv) x&v
*IX&voq>ccyaiv, iaxqatevsxo wird bemerkt „rjxovas is almost
certainly the right .reading. The clear supposition is that the
action of rjxov£ (rjxovtfe) was purely antecedent and, secondly,
Herodotus nowhere eise uses the imperfect of this verb with cog".
Dazu werden 21 Stellen angeführt, an denen auf tag der Aorist
folgt. Und trotzdem bleibe ich bei ijxovs. Der leidenschaftliche
Kambyses (pta ifipavfjg iobv xal ov (pQtviJQTjg) faßt beim Hören
schon den Entschluß zur Heerfahrt; das ijxove soll gewissermaßen
gleichzeitig mit dem Beginn des GtqaxtvsG&av sein. Verf. macht
dann richtige Bemerkungen über das Imperfekt in negativen
Temporalsätzen, übersieht aber eine Stelle, I 214 (cog ol KvQog
ovx iotjxovöe), die von mir Philol. 44, 729 korrigiert ist. Dann
beschäftigt sich Verf. mit dem Verb yivopa* im besondern.
Meistens handelt es sich hier um die Verbindung dieses Verbs
mit einer Präposition, wobei es die Bedeutung „wohin gelangen"
annimmt Hier entscheidet sich Verf. in zweifelhaften Fällen
regelmäßig für den Aorist. So I 105 ol di instxs avaxcooiovtsg
onlaoa iyivovto (AB iyivovxo) iv 'AoxdXcovi, zw nXsovwv
2xv&€(üp naQ£%sl&6vTcov atiivioov SXiyoi nvig vnoXsup&irteg
iGvXyöav. Hätten hier alle Hss. den Aorist, würde niemand etwas
dagegen sagen. Aber auch das Imperfekt kann man sich klar
machen, wenn man für i&X&ovrcov ein Hauptverb einsetzt, ot
*v
Herodot, von H. Kalleoberg. 371
fji&v nXiovsg nccQs^fjl&ov, oliyoi xivig. „Als sie sich Askaloü
näherten, zog das Hauptheer (ohne die Stadt zu betreten) vorüber,
einige aber". In II 107 (ineixe iylvexo [hier iyivezo nur in R,
nicht auch in sv] ävaxopt&pavog iv daq>vr[<$i, . . xovxov inl
gsivia avxov xaXiaavxa . . nsQivrjcai) bezieht sich das Imper-
fekt auf das Partizip; „als er sich Daphne näherte, lud ihn
ein". Ebenso haben in 11 103 (ineixe iyivsxo inl Odtii, noxafiw,
ovx 8%<a xo iv&svxsv ccxqsxioag elrcstv, eXxs xaxilme . . elxs
oeaxi^eivav) die Haupthss. ABRsv das Imperfekt und nur CP
den Aorist. Und wenn hier Verf. sagt „the action of both xaxihns
and xaxipeivav could not well take place until the army had
actually arrived at the river", so ist das an sich ganz richtig.
Aber Herodot denkt zunächst nicht an den eigentlichen Nachsatz.
Man vergleiche nur den ebenso gebildeten Salz VI 14 dg o*i
c^Ytov iyivovxo (iyivovxo nur in sv) xal avvifjiioyov äXXijXoiGi,
tö ivd-evxev ovx e%<*> äxQsxicog Cvyygaifjaiy otxivsg xcov Ioovcov
iyivovxo (iyivovxo Rsv) avdgeg xaxol % dya&oi. In I 70, 189,
III 69, IV 173, VIII 37 will Verf. sogar gegen alle Hss. den Aorist
herstellen. An keiner von diesen Stellen kann ich ihm darin
folgen, auch nicht IV 154, wo iyivsxo nur in s steht, und VII 197,
wo PRsv den Aorist haben. Endlich will er auch noch I 196
cog av ccl naQ&ivot, ysvoiaxo (st. yivoiaxo), diesmal mit Stein.
und VI 110 dg sxdaxov avxcov iyivsxo (st. iyivsxo) novxavqiri
schreiben. In beiden Fällen handelt es sich aber um eine Wieder-
holung in der Vergangenheit, bei der das Imperfekt ganz ge-
wöhnlich ist. — In III 150 iv otfw \yaQ 6 xb pdyog fjoxs xal
ol inxd irtaveäXfiGav, iv xovxw navzl xco %qovm . . . naqs-
öxsvddaxo (so CP, naosGxsva"Covxo ABR, naQsaxsvdaavxo d)
hält er das Plusquamperfekt für unmöglich. Im Gegenteil; man
muß nur den Satz mit den vorhergehenden Worten BaßvXoovioi,
äniaxqcav, xdoxa sv [naQsaxsvaafjbivoi zusammenhalten: „in
der ganzen Zwischenzeit hatten sie geröstet4'. Endlich will er
JV 160 mit Fuchs ig o iyivsxo (st. iyivsxo) schreiben. Hiergegen
habe ich mich schon im vorigen JB. (1904 S. 244) ausgesprochen.
Ebensowenig erscheint mir die Änderung IV 196 ig o av nsiacoo**
(st. nsi&wGi) nötig.
3. Hier behandelt Verf. the subject of tense principally iu
regard to its function in expressing the sphere of time, including
also a few other matters which naturally ränge themselves under
this head. Es werden die Stellen aufgezählt, an denen ein Praesens
historicum im Hauptsatz neben einem temporalen Nebensatz steht,
dann die wenigen Stellen mit einem Praesens historicum im
Nebensatz (es sind nur sechs). Dann folgen die wenigen Fälle, in
denen ein Präsens oder Perfekt im Temporalsatz steht, ohne
etwas Allgemeines auszudrücken, und endlich der Gebrauch des
Plusquamperfekts im temporalen Nebensatz. Letzteres kommt
57 mal vor; in mehr als der Hälfte der Stellen aber wird, wie
24*
372 Jahresbericht« d. Philoleg. Vereins.
Verf. bemerkt, die Handlung des Verbs schon im vorhergehenden
beschrieben. Z. B. I 185 xbv QQvGGöfisvop %oiv . • insits di
oqoAqvxto. Nicht beachtet ist, daß das Verb meist im Passiv
steht (im Medium nur die häufig vorkommende Form ikivixaxö).
Im Aktiv stehen nur intransitive Verba, am häufigsten iytyovsi,
{-eoccv), daneben o^cdttfi, inemwxsi, naQtjßijxe*, nccQe&kykdxsi.
Letzteres ist zwar eigentlich kein Intransitivum, aber dem Gebrauch
«ach doch zu dieser Klasse zu rechnen.
4. Konjunktionen. Zwischen insi, ineivs und ins&d^
findet er keine scharfen Grenzen. Richtig bemerkt er, daß sich
eneidfi gern an Relativa anschließt. Es hätte noch bemerkt
werden können, daß die Verbindungen insidrj 6i und insidij äv
nicht beliebt sind. Ob ineiddv neben insdv herodoteisch ist,
läßt Verf. unentschieden. Richtig erklärt er VI 41 äansQ oQfMJ&tj
„wie er sich vorgenommen hatte", indem er vor ix Kagöi^g
nöliog interpungiert. Damit scheidet wötisq als temporale Kon-
junktion für Herodot aus. *Eg ov verwirft er, nach seiner Meinung
ist es durch Spätere unter dem Einfluß von ta>g ov in xlen Text
gekommen. Er macht auch dabei darauf aufmerksam, daß von
den elf Stellen sieben sich in R. IV finden« Über ig ov vgl. JR.
1904 S. 256.
5. Stellung der Temporalsätze.
6. Liste aller Temporalsätze nach Konjunktionen geordnet.
19) M. Wandt, De Herodoti elocutione com sophistarom com-
parata. Dissert. inaug. Leipzig 1903. 63 S.
Zu der schwierigen Frage über den Einfluß der Sophistik
auf Herodots Sprache, die darum schon so schwierig ist, weil wir
von den Sophisten selbst so wenig haben, spricht sich Verf. gegen
denselben aus; im allgemeinen wohl mit Recht. Es gilt hierbei,
wie er richtig bemerkt, zuerst festzustellen, was den Sophisten
im Vergleich mit der den Griechen von Haus aus innewohnenden
Reredsamkeit im besondern eigen ist. Er nimmt sich dazu im
ersten Kapitel, das von der poetischen Redeweise der Sophisten
im Vergleich mit Herodot handelt, den Aristoteles (Rhet. S. 1405 ff.)
zum Fuhrer. Dadurch kommt er zu folgenden Abschnitten: 1. Ge-
brauch zusammengesetzter Wörter statt einfacher. Das Ergebnis
der Untersuchung ist, daß Herodot im Vergleich zu den Sophisten
kein zusammengesetztes Wort gebraucht, das Aristoteles mit dem
Ausdruck tpvxQog bezeichnen wurde. Seine Komposita sind ent-
weder allgemein üblich, oder die Simplicia sind dafür nicht vor-
handen. 2. Glossemata. Von den bei Aristoteles aufgeführten
Wörtern hat Herodot nur ataa&akia, das aber als ionisch an-
gesehen wird. 3. Adjektivs, a) Überflussige Epitheta? die dem
Nomen nichts Neues zufügen, fehlen bei Herodot, abgesehen
von einigen allgemein üblichen Ausdrücken, b) Substantivischer
Gebrauch eines Adjektivs mit folgendem Genitiv anstatt des
K
Herodot, voi H. Kallenberg. 373
attributiven Gebrauchs desselben. Auch hierin gebt Herodot nicht
über das allgemein Übliche hinaus. 4. Metaphern. Berodot ge-
braucht nur die üblichen. Höchstens in der Rede der Tomyris
(I 212) könnte man etwas Gesuchtes finden. Doch Verf. erklärt
sich die poetische, erhabene Ausdrucksweise aus der Erregung
der Königin nnd stellt dem die Weise der Sophisten gegenüber,
die ober die gewöhnlichsten Dinge in erhabener Rede sprechen.
Die Personifikationen Herodots sind meistens die schon Von Homer
an üblichen, ausgenommen etwa VII 104, 19. Aber hier leitet er
den Ausdruck d&m6*if$, von vopog gebraucht, mit Recht aus
Pindar ab. Endlich erkennt er an, daß beide, die Sophisten wie
Herodot, auch sonst noch eine Menge poetischer Wörter gebrauchen,
findet aber, daß die der Sophisten meist ans der Tragödie, die
Herodots aber ans Homer stammen. Was bei Herodot an die
Tragödie erinnert, ist Gemeingut dieser und der ionischen Sprache.
— Das zweite Kapitel handelt Ton den Figuren des Gorgias.
1. Antithesen. Herodot ganz wie Homer. Gorgieische Auswüchse:
a) Antithesen, deren zweiter Teil überflüssig ist, b) solche, in
denen Wörter gegenübergestellt werden, die keinen Gegensatz
bilden, finden sich nicht bei Herodot 2. Isokolen. Gorgias braucht,
um sie zu erreichen, zuweilen seltne Ausdrücke oder fugt über-
flüssige Wörter zu, Herodot niemals. Seine wenigen Isokolen
haben andern Charakter, wie an 11142,18; III 80,28; IV 132, 9
(Zahlen nach Steins kommentierter Ausgabe) gezeigt wird. 3. Paro-
nomasie. Auch hier findet sich bei Herodot nur das allgemein
Übliche ohne Gorgias' Übertreibung. Nur wenige Beispiele der
Parechesis (I 207,6; III 122,15 und 16; VII 171,8; IX 87,7)
und einzelne Homoioteleuta (II 173, 14; III 36, 12; IV 46,13)
könnten vielleicht von Gorgias oder einem älteren herrühren. Doch
ist Verf. mehr geneigt, sie Herodots eigener Erfindung zuzuschreiben,
Ob Herodot in seinen Reden rhetorische Vorschriften befolgt
hat und ob er von gelehrten Studien der Sophisten abhängig ist,
will Verf. ein andermal untersuchen. Bemerken möchte ich noch,
daß eine eingehende Behandlung der Sprache Herodots in seinen
Reden erwünscht wäre. Selbst in einfachen, von der Rhetorik
ganz unberührten syntaktischen Dingen scheint sie sich manchmal
von der Sprache der übrigen Teile zu unterscheiden.
20) Br. Hammer, De t« particvlae qsv Herodoteo, Thncydideo,
XenephoBteo. Dissert. inaue; . Leipzig 1904. 95 S. 8.
Ober diese mit großer Sorgfalt angefertigte Abhandlung vgl.
meine Anzeige in der WS. f. klass. Phil. 1904 Sp. 996—998.
21) J. A. Scott, Addition»! aotes od the vocttive. The America«
Journal of Philology XXVI. Baltimore 1905. S. 32—43.
Verf. gibt statistische Angaben Ober den Gebrauch des Vokativs
mit und ohne öS bei den Lyrikern, Herodot, Curipides, Aristophanes,
374 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Plato. Im allgemeinen wird festgestellt, daß der Gebrauch von
co zunimmt. Bei Herodot bilden die Stellen mit w 60J; 171
Vokative haben <o, 116 stehen ohne diese Interjektion. Bei Personen-
namen pflegt w nicht zu stehen; nur zweimal neben 47 Stellen
steht es, I 32 w KqoZgs (zweimal) und VIII 59 w QsfiHfroxleig.
Hierbei ist nicht beachtet, daß I 32 an der zweiten Stelle ACP
und VIII 59 Rsv w auslassen. Ferner heißt es immer w^A^fjyaZo^
aber äpdQsg^Ad-fjyaZoi ohne w und so in ähnlichen Fällen 38 mal;
nur IX 89 steht da avdqeg SeGtialoi. Verf. hat wohl recht,
wenn er in dem Zusatz von <o Personen gegenüber eine größere
Erregung, die sich bis zur Grobheit versteigt, ausgedruckt sieht.
I 30, wo Krösus Solon zu schmeicheln und von ihm Schmeicheleien
zu hören sucht, redet er den Griechen %sZve *4&ijpaZ€ an; I 32
aber sagt er, da er die gewünschte Antwort nicht erhalten hat,
a> &Zp€ *Ad"nvaT€. In seiner Antwort hierauf sagt nun auch
Solon in größerer Erregung zweimal co KqoZcc.
22) H. C, Tolman, The Persian ßaailrjiot &toC of Herodotus HF 65,
V 106. Proceediügs of the Thirty-Fonrth Annaal Session of the
American Philological Association (July 1902) S. 67—70.
Verf. handelt 1) von dem höchsten Gott, dem Ahuramazda,
der den Achämeniden das göttliche Recht auf das Königtum ge-
geben hat. Herodot stellt ihn dem Zeus gleich. 2) von andern
Göttern. Bei Herodot wie auf den altpersischen Inschriften gibt
es neben dem höchsten Gott noch andere Götter. Herodot hat
1 131 Mithra und Anahita verwechselt. 3) vom Dualismus. Ahriman
ist zwar auf den altpersischen Inschriften nicht erwähnt, aber in
Ahuramazda, dem Wächter der Wahrheit und Rächer des Truges,
sehen wir den Gegensatz zu der in der Lüge verkörperten Macht.
Dazu paßt, was Herodot 1 131 und 138 über ipevdsod-ai, und
äXfjd'itead'cu bei den Persern sagt. Zoroaster kennen weder die
altpersischen Inschriften noch Herodot. Doch will Verf. aus
G. Synkellos I 315 schließen, daß wenigstens der Name Herodot
bekannt gewesen sei (?).
23) H. T. Archibald, The Fable in Archilochus, Herodotus, Li v y,
and Horace. Ebenda S. 88— 90.
In Herodots Fabel vom Pfeifer und den Fischen (I 141) er-
kennt Verf. folgende charakteristische Eigenheiten: 1) aq&Xeia
(Wortstellung, elQO(i£v?i Id&g, gen. abs. of conversational type (?),
ungekünstelten Stil). 2) ivagysia (ÖQifiVTtjg, die oratio obliqua,
die die Wirkung der wenigen Worte in der oratio recta noch er-
höhen, Ironie, Überraschung u. a., genauen Gebrauch der Prä-
positionen und technischen Ausdrücke (?), Zauber des Ionischen
mit zugefügten poetischen Ausdrucken, das Halerische der Szene).
Livius II 32 bildet dazu den schärfsten Gegensat?.
v
Herodot, von H. Kallenberg. 375
24) W. H. D. Ronse, Greek aod eastern Parallels to Herodotus
III 119. The classical Review XVIII S. 386.
Zu der uns auffälligen Wahl der Frau des Intaphrenes fuhrt
Verf. zwei Parallelen an: 1) aus einer Ballade von Kos. Bei
einem Brückenbau in Antimachia auf Kos soll, um den Bestand
der Brücke zu sichern, ein menschliches Wesen unter den Fun-
damenten begraben werden. Den Baumeister trifft das Los, der
nun so überlegt „Soll ich Vater, Bruder, Schwester oder Mutter
opfern? Diese kann ich nicht wiederbekommen. Soll ich mein
Weib opfern? Ein Weib kann ich wiederbekommen". Und er
handelte danach. 2) Pali Jataka vol. I S. 307 wird ein genaues
Gegenstück zu Herodot erzählt. Eine Frau erbittet sich von
einem Könige nicht das Leben ihres Mannes oder Sohnes, sondern
das ihres Bruders.
25) C. M. Mulvany, Her. VI 129 and a Buddhist ßirth Story. The
classical Review XIX (1905) S. 304.
Verf. vergleicht den tanzenden Hippokieides mit dem tanzenden
Pfau in Rhys Davids' Buddhist ßirth Story 292. Der König der
Vögel sagt hier zum Pfau: „Munter ist euer Schrei, glänzend euer
Rucken, aber solch einein Tänzer gebe ich meine Tochter nicht".
In neuen Auflagen endlich sind erschienen:
Val. H int 11 er, Herodots Perserkriege. Griechischer Text mit er-
klärenden Anmerkungen für den Schalgebrauch. I. Teil: Text. Sechste
Auflage. Nach der neuen Rechtschreibung hergestellter Abdruck der
fünften Auflage. Wien 1904, A. Holder. XIV u. 116 S. gr. 8.
Herodote, Morceauxchoisis publies et annotäspar Ed. Tournier.
Neuvieme Edition avec la collaboration d'A. Desrousseaux. Paris
1904, Hachette. XLIV u. 292 S.
Fr. Härder, Herodot. Aas wähl für den Schul gebrau eh. Zweiter Ab-
druck. Leipzig 1905, G. Frey tag. 2 Jt*
J. Sitzler, Praparation zu Herodot B. VII. Erstes Heft (Kap. 1—123)
und zweites Heft (Kap. 124—239). Gotha 1903, F. A. Perthes. Je
72 S. 0,80 Jt.
Berlin. H. Kallenberg.
10.
Tacitus* Germania.
1) Reinhold Macke, Die römischen Eigennamen bei Tacitus.
V. Eine sprachliche Untersuchung. Proar. Kb'nigshiitte 1905. 14 S.
Die früheren Abhandlungen Mackes über die römischen Eigen-
namen bei Tacitus (I — IV) sind von mir im JB. XXIV S. 153 f.
besprochen worden; hinsichtlich des vorliegenden V. Teils verweise
ich auf JB. XXXI S. 319 f., wo 6. Andresen über ihn ausführlich
gehandelt hat. Gegeben wird eine Obersicht über diejenigen
Doppelnamen bei Tacitus, deren Bestandteile durch ein einge-
schobenes Wort getrennt sind: ein solches Wort ist que, meist
zwischen Gentile und Eognomen oder Kognomen und Gentile
stehend; ferner quoque (meist zwischen Nomen und Eognomen,
jedoch zweimal hinter dem Pränomen), ne — quidem und autetn.
Unter den S. 8 aufgezählten Beispielen ist auch eins aus der
Germania und zwar für que; G. 37 lautet Carbone et Cassio et
Scauro Aurelio et Servilio Caepione Gnaeoque Mauio fusis vel captis.
Die Hss. haben Marcoque oder Marco quoque, weshalb Ernesti
Cn. quoque schreibt. Halms Gnaeoque ist aber vorzuziehen, „denn
durch quoque wird die durch das spätere fusis et captts besonders
hervortretende enge Zusammengehörigkeit der drei bei Arausio
geschlagenen Feldherrn sowohl untereinander als auch mit den
beiden vorher genannten Männern stark gelockert". Darin hat
Macke unbedingt recht.
2) E.Krause, Übungen zum Obersetzen im Anschloß an Tacitos*
Germania. Hannover 1905, Norddeutsche Verlagsanstalt, O. Goedel.
50 S. 8. 0,60 JC.
Die Norddeutsche Verlagsanstalt von O. Goedel in Hannover,
die griechische und lateinische Schultexte (editio Hannoverana),
d. b. nackte Schultexte mit einer möglichst kurzen Einleitung,
herausgibt, und zwar alle die Schriften, zu denen Krafft und
Rankes Präparationen in demselben Verlage bereits vorhanden sind,
läßt nun auch eine Sammlung von deutschen Übungsstücken zum
Übersetzen ins Lateinische erscheinen. Das fünfte Heft bilden die
\
Taeitus' Germaoia, von U. ZeroiaL 377
vorliegenden Aufgaben zum Übersetzen im Anschluß an Taeitus9
Germania.
Die 46 Kapitel, die die Germania enthält, behandelt der Verf.
in 57 ungefähr ebenso langen Abschnitten. Nachdem er im ersten
und zweiten Stucke den Zweck der Germania festgestellt hat, und
zwar den, den er im Gegensatze zu andern als den allein richtigen
«rkannt hat, bebandelt er in den nächsten 42 Stucken alle die-
jenigen Zuge, die den Germanen allen eigen sind, so zunächst
ihre Herkunft und ihre Heimatsliebe, und den Namen „Germanen"
selber. Betreffs der Herkunft und Heimatsliebe beurteilt der Verf.
die Grunde des Taeitus und weiß nachher andere richtigere an-
zuführen; in bezug auf die Erklärung des Namens bleibt er bei
der des Taeitus stehen, ohne auf andere einzugehen.
In sehr vielen Abschnitten zieht er zur Belebung und Be-
lehrung die Ansichten und Aussagen anderer Schriftsteller heran,
so daß das, was bei Taeitus in der Germania über diese Punkte
zu lesen ist, sich so in schönstem Zusammenhange und zum
besten Verständnisse abrundet und ergänzt, ohne daß, wenigstens
nach meiner Ansicht, auch nur im geringsten zu viel oder gar
Ungehöriges geboten wird. Was Taeitus von Herkules erzählt,
bezieht sich ja zweifellos auf den deutschen Donar; zum Beweise
dafür wird aber auch ein Stück aus der Edda eingefügt. Daß
nun auch Donar und Thor einander entsprechen, wird ebenfalls
aus der Edda bestätigt, es wird aber auch das ganze bekannte
Lied von dem Hammer des Thor aus der Edda in Prosa angeführt
So ist es ferner, wenn ein Vergleich zwischen den Völkerstämmen
oder Schriftstellern angestellt oder eine genauere Angabe gemacht
werden soll: in bezug auf die Körperbildung aus der freund-
lichen Schilderung in Bedas historia Anglorum (9) oder den Ur-
wald (10) oder die Produkte (11) oder die Bewaffnung und
Kampfesweise (12). Ganz besonders gilt diese Verwertung fremd«*
Angaben bei der Besprechung der Götter Wodan, Tiu, Balder:
-die mythologischen Angaben sind bei Taeitus nur sehr knapp
gegeben, wie das an und für sich nicht anders zu erwarten ist,
«und so wird das Wesen aller drei Götter durch einzelne sagen-
hafte Züge wie durch ganze, teilweis sinnige, gemütvolle Sagen,
die im Volke sich gebildet und gesammelt haben, im klarsten
Lichte dargestellt, nicht zum Schaden der Primaner, die einen
erfreulichen Einblick in die germanische Mythologie gewinnen.
Ebenso ist auch das, was Taeitus über die Gottesverehrung im
allgemeinen — sehr hübsch der Hinweis auf die Perser und Pauli
Wort aus der Apostelgeschichte 17, 24 f. — , über die Losung
und Weissagung erzählt, durch allerlei belebende Züge ausge-
schmückt.
Weiter werden besprochen: das Thing und seine Bedeutung,
die Webrhaftmachung und das Gefolgswesen; die Entwickelung
4les Gefolgswesens (vgl. Caes. BG. VI 23); die Gefolgschaft im
378 Jahresberichte d. Philolog. Vereins.
Kriege; das Gefolge im Frieden; das germanische Haus (vgl.
römische Verhältnisse); Tracht und Kleidung; Heiligkeit der Ehe
(vgl. römische Verhältnisse); die Bräuche bei der Eheschließung
(vgl. römische Verhältnisse) ; Keuschheit der Frauen (vgl. römische
Frauen; Goten und Sachsen); die Wurzeln der germanischen Kraft;
Kindererziehung (vgl. römische Verhältnisse); Erbrecht (vgl. römische
Erbschleicherei); Blutrache und Gastfreundschaft; langer Schlaf
und Unmäßigkeit (vgl. die italischen Bauern); Gelage; Beratungen
beim Gelage; Speisen und Spiele (vgl. römische Gladiatoren u. a»
Lustbarkeiten); Knechte und Freigelassene (vgl. römische Sklaven);
Behandlung der Knechte (vgl. römische Sklaven); Ackerbau; Toten-
bestattung (vgl. römische Pracht; der Epilog zu Tacitus' Agricola,
Kap. 46, enthält das, was den Wünschen der Germanen entspricht).
Von Abschnitt 46 an behandelt der Verf. verschiedene Völker-
schaften, und zwar solche, die in der Germania als die bedeu-
tendsten erscheinen; mit Angaben anderer Schriftsteller, die hier
und da unentbehrlich sind, ersteht ein zusammenhängendes Bild.
Von den Bojern, Ubiern und andern Grenzstämmen ist die Rede;
von den Batavern und Mattiakern; von den Chatten und ihren
Sitten; von den Usipiern und Tenkterern; von den Brukterern;
von der Nordsee und den Chauken; von den Cheruskern; von
den Parthern; von den Germanen, dem Erbfeinde Roms; von den
Sueben, und der letzte (57.) Abschnitt handelt von Nerthus, der
gemeinsamen Stammutter der Ingävonen, der dem Ozean zunächst
wohnenden Stämme, der zu Ehren ein Frühlings- und Friedensfest
in Gestalt eines Umzugs von dem eineq der sieben Völker zu all
den andern gefeiert wurde. In dem 55. Abschnitte aber, in dem,
wie oben bemerkt, die Germanen als die Erbfeinde Roms dar-
gestellt werden, nimmt Tacitus den Kaiser Trajan gegen die in
Schutz, die ihm einen Vorwurf daraus machten, daß er nach
seiner Wahl Rom so lange fernblieb. Tacitus wollte seinen Lands-
leuten sagen, daß der Kaiser recht daran tue, die Sorge für den
Grenzschutz allen städtischen Angelegenheiten voranzustellen. „Aus-
drucklich sagt er es nicht, sondern er ist sorgfältig darauf be-
dacht, den Zweck seiner Schrift zu verbergen, und daher hat er
ihr auch keine Einleitung hinzugefugt, der Schlüssel der ganzen
Schrift aber liegt gewissermaßen in diesem Kapitel (37)".
Es ist kein Wunder, wenn dieses Buch zunächst dem Inhalt
nach einen durchaus guten Eindruck macht, denn es ist der
libellus aureus, dessen Inhalt die Schüler unserer obersten Klasse
auch als einen reichen, wirklich anziehenden durchweg empfinden
und anerkennen werden. Wird nun die Anforderung an sie ge-
stellt, diesen mannigfaltigen, in vieler Beziehung lockenden Stoff
in der Form des Ciceronianischen Lateins erscheinen zu lassen,
das sie in den Lehrstunden zu lernen sich bemühen, so ist es
wenigstens der Inhalt nicht, der nicht frisches Leben brächte und
geradezu doppelte Anziehungskraft hätte. Ich für meine Person
Tacitus' Germania, von U. Zernial. 379
möchte wünschen, daß wie das ähnliche, aber erheblich kürzere,
den gleichen Zweck verfolgende Heft von H. J. Muller auch dieses-
Buch von unsern Primanern benutzt werde.
3) Georg Wissowa, Zur Beurteilung der Leidener Germania-
Handschrift. Festschrift zum 25 jährigen Stiftungsfest des Historisch-
philologischen Vereins der Universität München (München 1905V
S. 1—14.
B. Sepp hat in den Blättern für das GSW. XXVIII (1892)
S. 169 f. und im Philologus LXII (N. F. XVI, 1903) S. 292 ff. be-
hauptet, die Hs. b (Leidensis) sei einfach aus dem erhaltenen
Yaticanus 1862 (B) abgeschrieben, habe also aus dem Apparate
völlig auszuscheiden. Wissowa weist diese Behauptung zurück,
gestutzt auf eine sehr eingehende Prüfung der Handschrift.
Sepp geht, sagt er, von vornherein von einer falschen Vor-
aussetzung aus, nämlich der, daß die Hs. von der eigenen Hand
des Pontanus herrühre. Aber untrügliche Randbemerkungen des
Pontanus aus cod. Monac. lat. 822 beweisen, daß diese Hs. nicht
von Pontanus geschrieben ist, und es entfällt jede Möglichkeit,
daß die Hs. B (Vatic. 1862) die Vorlage von b sein könnte, da
erstere Handschrift diese Randbemerkungen nicht enthält.
Die von Müllenhoff benutzte Kollation des Leidensis, die im
Jahre 1863 im Auftrage 0. Jahns ausgeführt wurde, ist sehr sorg-
fältig gemacht und läßt nur in der Unterscheidung der Korrektoren-
bände für einige Berichtigungen Raum, durch die die Zahl der
Belege für das ursprüngliche Zusammengehen von Bb vermehrt
wird. Der Schreiber (b) des Leidensis hat selbst nicht nur schon
während des Schreibens einzelne Versehen berichtigt, sondern auch
nach Fertigstellung des ganzen Textes in erneuter Durchsicht und
Vergleichung mit der Vorlage vielfach Falsches verbessert, doppelt
Geschriebenes getilgt, Ausgelassenes nachgetragen, auch an einigen
Stellen eine von ihm bemerkte, aber nicht emendierte Korruptel
durch ein Zeichen am Rande oder über dein betreffenden Worte
bezeichnet, so zu G. 11, 10.
Zeitlich nicht weit entfernt vom Schreiber der Handschrift
steht eine andere Hand b\ aber für den Text ist die Hand b1
nirgendwo von Bedeutung; eine um so größere Rolle spielt in
dieser Hinsicht ein jüngerer Korrektor ß. So geht weitaus das
meiste, was sich in der Germania von Text- und Randkorrekturen
findet, unter die beiden Hände b und ß auf; nur einzelne Kor-
rekturen sprechen dagegen.
Diese führt Wissowa nicht um ihrer kritischen Bedeutung
willen an, sondern um deutlich hervortreten zu lassen, wie viele
Faktoren tätig waren, um dem Texte des Leidensis die Gestalt
zu geben, in der er uns heute vorliegt. Man ist neuerdings eifrig
bemüht, neben den beiden durch Bb und Cc repräsentierten
Apographa (x und y) des Archetypus Abkömmlinge eines dritten
Apographon nachzuweisen, das im Falle der Diskrepanz zwischen.
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