Skip to main content

Full text of "Jahresberichte"

See other formats


This  is  a  digital  copy  of  a  book  that  was  preserved  for  generations  on  library  shelves  before  it  was  carefully  scanned  by  Google  as  part  of  a  project 
to  make  the  world's  books  discoverable  online. 

It  has  survived  long  enough  for  the  Copyright  to  expire  and  the  book  to  enter  the  public  domain.  A  public  domain  book  is  one  that  was  never  subject 
to  Copyright  or  whose  legal  Copyright  term  has  expired.  Whether  a  book  is  in  the  public  domain  may  vary  country  to  country.  Public  domain  books 
are  our  gateways  to  the  past,  representing  a  wealth  of  history,  culture  and  knowledge  that's  often  difficult  to  discover. 

Marks,  notations  and  other  marginalia  present  in  the  original  volume  will  appear  in  this  file  -  a  reminder  of  this  book's  long  journey  from  the 
publisher  to  a  library  and  finally  to  you. 

Usage  guidelines 

Google  is  proud  to  partner  with  libraries  to  digitize  public  domain  materials  and  make  them  widely  accessible.  Public  domain  books  belong  to  the 
public  and  we  are  merely  their  custodians.  Nevertheless,  this  work  is  expensive,  so  in  order  to  keep  providing  this  resource,  we  have  taken  Steps  to 
prevent  abuse  by  commercial  parties,  including  placing  technical  restrictions  on  automated  querying. 

We  also  ask  that  you: 

+  Make  non-commercial  use  of  the  file s  We  designed  Google  Book  Search  for  use  by  individuals,  and  we  request  that  you  use  these  flies  for 
personal,  non-commercial  purposes. 

+  Refrain  from  automated  querying  Do  not  send  automated  queries  of  any  sort  to  Google's  System:  If  you  are  conducting  research  on  machine 
translation,  optical  character  recognition  or  other  areas  where  access  to  a  large  amount  of  text  is  helpful,  please  contact  us.  We  encourage  the 
use  of  public  domain  materials  for  these  purposes  and  may  be  able  to  help. 

+  Maintain  attribution  The  Google  "watermark"  you  see  on  each  file  is  essential  for  informing  people  about  this  project  and  helping  them  find 
additional  materials  through  Google  Book  Search.  Please  do  not  remove  it. 

+  Keep  it  legal  Whatever  your  use,  remember  that  you  are  responsible  for  ensuring  that  what  you  are  doing  is  legal.  Do  not  assume  that  just 
because  we  believe  a  book  is  in  the  public  domain  for  users  in  the  United  States,  that  the  work  is  also  in  the  public  domain  for  users  in  other 
countries.  Whether  a  book  is  still  in  Copyright  varies  from  country  to  country,  and  we  can't  off  er  guidance  on  whether  any  specific  use  of 
any  specific  book  is  allowed.  Please  do  not  assume  that  a  book's  appearance  in  Google  Book  Search  means  it  can  be  used  in  any  manner 
any  where  in  the  world.  Copyright  infringement  liability  can  be  quite  severe. 

About  Google  Book  Search 

Google's  mission  is  to  organize  the  world's  Information  and  to  make  it  universally  accessible  and  useful.  Google  Book  Search  helps  readers 
discover  the  world's  books  while  helping  authors  and  publishers  reach  new  audiences.  You  can  search  through  the  füll  text  of  this  book  on  the  web 


atjhttp  :  //books  .  qooqle  .  com/ 


Über  dieses  Buch 

Dies  ist  ein  digitales  Exemplar  eines  Buches,  das  seit  Generationen  in  den  Regalen  der  Bibliotheken  aufbewahrt  wurde,  bevor  es  von  Google  im 
Rahmen  eines  Projekts,  mit  dem  die  Bücher  dieser  Welt  online  verfügbar  gemacht  werden  sollen,  sorgfältig  gescannt  wurde. 

Das  Buch  hat  das  Urheberrecht  überdauert  und  kann  nun  öffentlich  zugänglich  gemacht  werden.  Ein  öffentlich  zugängliches  Buch  ist  ein  Buch, 
das  niemals  Urheberrechten  unterlag  oder  bei  dem  die  Schutzfrist  des  Urheberrechts  abgelaufen  ist.  Ob  ein  Buch  öffentlich  zugänglich  ist,  kann 
von  Land  zu  Land  unterschiedlich  sein.  Öffentlich  zugängliche  Bücher  sind  unser  Tor  zur  Vergangenheit  und  stellen  ein  geschichtliches,  kulturelles 
und  wissenschaftliches  Vermögen  dar,  das  häufig  nur  schwierig  zu  entdecken  ist. 

Gebrauchsspuren,  Anmerkungen  und  andere  Randbemerkungen,  die  im  Originalband  enthalten  sind,  finden  sich  auch  in  dieser  Datei  -  eine  Erin- 
nerung an  die  lange  Reise,  die  das  Buch  vom  Verleger  zu  einer  Bibliothek  und  weiter  zu  Ihnen  hinter  sich  gebracht  hat. 

Nutzungsrichtlinien 

Google  ist  stolz,  mit  Bibliotheken  in  partnerschaftlicher  Zusammenarbeit  öffentlich  zugängliches  Material  zu  digitalisieren  und  einer  breiten  Masse 
zugänglich  zu  machen.  Öffentlich  zugängliche  Bücher  gehören  der  Öffentlichkeit,  und  wir  sind  nur  ihre  Hüter.  Nichtsdestotrotz  ist  diese 
Arbeit  kostspielig.  Um  diese  Ressource  weiterhin  zur  Verfügung  stellen  zu  können,  haben  wir  Schritte  unternommen,  um  den  Missbrauch  durch 
kommerzielle  Parteien  zu  verhindern.  Dazu  gehören  technische  Einschränkungen  für  automatisierte  Abfragen. 

Wir  bitten  Sie  um  Einhaltung  folgender  Richtlinien: 

+  Nutzung  der  Dateien  zu  nichtkommerziellen  Zwecken  Wir  haben  Google  Buchsuche  für  Endanwender  konzipiert  und  möchten,  dass  Sie  diese 
Dateien  nur  für  persönliche,  nichtkommerzielle  Zwecke  verwenden. 

+  Keine  automatisierten  Abfragen  Senden  Sie  keine  automatisierten  Abfragen  irgendwelcher  Art  an  das  Google-System.  Wenn  Sie  Recherchen 
über  maschinelle  Übersetzung,  optische  Zeichenerkennung  oder  andere  Bereiche  durchführen,  in  denen  der  Zugang  zu  Text  in  großen  Mengen 
nützlich  ist,  wenden  Sie  sich  bitte  an  uns.  Wir  fördern  die  Nutzung  des  öffentlich  zugänglichen  Materials  für  diese  Zwecke  und  können  Ihnen 
unter  Umständen  helfen. 

+  Beibehaltung  von  Google -Markenelementen  Das  "Wasserzeichen"  von  Google,  das  Sie  in  jeder  Datei  finden,  ist  wichtig  zur  Information  über 
dieses  Projekt  und  hilft  den  Anwendern  weiteres  Material  über  Google  Buchsuche  zu  finden.  Bitte  entfernen  Sie  das  Wasserzeichen  nicht. 

+  Bewegen  Sie  sich  innerhalb  der  Legalität  Unabhängig  von  Ihrem  Verwendungszweck  müssen  Sie  sich  Ihrer  Verantwortung  bewusst  sein, 
sicherzustellen,  dass  Ihre  Nutzung  legal  ist.  Gehen  Sie  nicht  davon  aus,  dass  ein  Buch,  das  nach  unserem  Dafürhalten  für  Nutzer  in  den  USA 
öffentlich  zugänglich  ist,  auch  für  Nutzer  in  anderen  Ländern  öffentlich  zugänglich  ist.  Ob  ein  Buch  noch  dem  Urheberrecht  unterliegt,  ist 
von  Land  zu  Land  verschieden.  Wir  können  keine  Beratung  leisten,  ob  eine  bestimmte  Nutzung  eines  bestimmten  Buches  gesetzlich  zulässig 
ist.  Gehen  Sie  nicht  davon  aus,  dass  das  Erscheinen  eines  Buchs  in  Google  Buchsuche  bedeutet,  dass  es  in  jeder  Form  und  überall  auf  der 
Welt  verwendet  werden  kann.  Eine  Urheberrechtsverletzung  kann  schwerwiegende  Folgen  haben. 

Über  Google  Buchsuche 

Das  Ziel  von  Google  besteht  darin,  die  weltweiten  Informationen  zu  organisieren  und  allgemein  nutzbar  und  zugänglich  zu  machen.  Google 
Buchsuche  hilft  Lesern  dabei,  die  Bücher  dieser  Welt  zu  entdecken,  und  unterstützt  Autoren  und  Verleger  dabei,  neue  Zielgruppen  zu  erreichen. 


Den  gesamten  Buchtext  können  Sie  im  Internet  unter  http  :  //books  .  google  .  com  durchsuchen. 


B      945,206 


w 


Aft 


n         * 


los, 

P5^ 


? 


JAHRESBERICHTE 


DES 


PHILOLOGISCHEN  VEREINS 


ZU 


BERLIN. 


DREISZIGSTER  JAHRGANG. 


BERLIN. 

WEIDMANNSCHE  BUCHHANDLUNG. 

1904. 


1.  Griechische  Schriftsteller. 


H er o  d o t 

von 
H.  Kallenberg. 

ßlaydes,  F.  H.  M.,  Adversaria  in  Herodotnm  1901  (3)1) 233 

Broschmann,  M.,   Supplementum  lexici  Herodotei  alterum.     Zwickau, 

Progr.  1904  (6) 240 

ßnry,  J.  B.,  The  epicene  oracle  coocerning  Argos  aod  Miletus.    ßeitr.  z. 

alt.  Gesch.  1902  (12) 246 

Fuchs,  A.,  Die  Temporalsätze  mit  den  Koojunktioqen  „bis"  und  „solange 

als"  (Beitr.  z.  hist.  Synt.  d.  giiech.  Spr.  v.  M.  v.  Schanz XIV)  1902  (9)  243 

Grenfell  and  Hunt,  The  Amherst  Papyri.  1901  (4) 239 

— ,  The  Oxyrhynchos  Papyri  I  1898  (5) 239 

Helbing,  R.,  "Die  Präpositionen    bei  Herodot   und    andern  Historikern 

(ßeitr.  z.  hist.  Synt.  d.  griech.  Spr.  VI)  1904  (8) 241 

Helm,  Fr.,  Materialien  zur  Herodotlektüre  II.  1903  (17) 252 

Hock,  A.,  Herodot  und  sein  Geschichtswerk  (Gymn.-Bibl.  37)  1904  (16)  251 
Hunt,  s.  Grenfell. 

Lehmann, C.  F.,  Zur  Geschichte  und  Überlieferung  des  römischen  Auf- 
standes,    ßeitr.  z.  alten  Gesch.  1902  (13) 247 

— ,  Babyloniens  Kulturmission  einst  und  jetzt.     1903  (11) 244 

Lipsius,  J.  H.,  Der  Schluß  des  Herodotischen  Werkes.     Leipz.  Stud.  z. 

klass.  Philologie  XX.     1902  (10) 244 

Möller,  C,  Die  Medizin  im  Herodot.     1903  (18) .  252 

Munro,  J.  A.  R.,  Some  observations  on  the  Persian  wars.  II.  The  cam- 

paign  of  Xerxes.     The  Journal  of  Hell.  stud.  1902  (14).     ...  248 
Nestle,  E.,    Zu    Herodots  Erklärung   der  Namen    Darins  und  Xerxes. 

Berl.  ph.  WS.  1901  (20) 254 

— ,  W.,   Untersuchungen    über    die    philosophischen    Quellen  des  Euri- 

pides.    Phil.  Suppl.  VIII  (21) 254 

Olsen,  W.,  Die  Schlacht  bei  Platää.  Greifswald,  Progr.  1903  (15)  .  .  250 
Schmitt,  H.,  Präparation  zu  Herodot  B.  VII  in  Auswahl,  1901  (7)  .  .  241 
Sitzler,  J.,  Herodotus  f.  d.  Schulgebrauch  erklärt.    »  B.  VII.  1903  (2)  .  232 

Stein,  H.,  Herodot  erklärt  »I  2:  ß.  II.  1902  (1) 225 

Verrall,  A.  W.,  Zu  1X76  und  VIII  114.     The.  class.  rev.  1903  (19).  254 


*)  Die    in  Klammern    beigesetzten  Zahlen    bezeichnen    die  Nummern, 
unter  denen  die  Schriften  besprochen  sind. 


14GI20 


IV  Inhalt. 

Seite 

Nene  Auflagen  (Abicht,  Franke,  Hintner) 283 

H.  Kalleaberg,  Anhang 

1)  Zwei  Exzerpte  aus  Herodot 255 

2)  'Eg  ov  bei  Herodot 256 


Xenophon 
1898—1900 

von 

R.  üllrioli. 

Vorbemerkungen 63 

I.  Allgemeines. 

Bauer,  A.,  Die  Forschungen   zur  griechischen  Geschichte  1888 — 1898. 

1899  (7) 84 

Bruns,  J.,    Die    Persönlichkeit  in    der    Geschichtschreibung    der  Alten. 

1898  (5) 80 

Christ,  W.,  Geschichte  der  griechischen  Literatur,  •  1898  (1)  .    .    .  65 

Delbrück,  H.,    Geschichte  der  Kriegskunst  I  (Altertum),  1900  (11)     .  93 

Gercke,  A.,  Griechische  Literaturgeschichte,  1898,  2  1903  (2)    .     .    .  68 

Gomperz,  Th.,  Griechische  Denker  II,  1902,  a  1903  (3) 69 

Lange,  E.,  Xenophon  (Gymn.-Bibl.  9),  1900  (10) 89 

Malfertheimer,    A.,    Realerkläruog    und    Anschauungsunterricht,    I. 

Xenophon  usw.,  1899  (8)     , 87 

Norden,  E.,  Die  antike  Kunstprosa  I,  1898  (4) 79 

Pauly-Wissowa,  Real-Encyklopädie  2 III  1899  (12)    , 96 

Richter,  E.,  Bericht  über  Xenophon  (1889—1898),  1899  (8)  .    ...  87 

Seeck,  O.,  Die  Entwicklung  der  antiken  Geschichtschreibung,  1898  (6)  81 

II.  Anabasis. 

A.    Ausgaben,   Kommentare,  Präparationen,  Wörterbücher. 

Bachof,E.,  Wörterverzeichnis  l(B.l— III)  *1899;  2(B.IV— VII)»  1899(17)  101 

Gemoll,  W.,  Expeditio  Cyri.    Editio  maior  1899  (22) 108 

Ge mo  11,  W.,  Schultext,  a  1902  (23) 133 

Hansen,  R.,  Vokabeln  und  erste  Präparation  3  (B.  III)  » 1897;  4  (B.  IV) 

a  1897  (15) 101 

Köhler  und  Simon,  Präparation  1  (B.  I)  »1898;  2  (B.  II--IV)  »1899; 

3  (B.  V)  1901;  4  (B.  VI.  VII)  1901  (19) 101 

Matthias,  A.,    Xenophons  Aoabasis    f.    d.    Schulgebrauch,  •  1897  (13)  97 

Sachs,  H.,  Wörterschatz  zu  Xenophons  Aoabasis  1  (B.  I)  s  1900     .     .  101 

Sickinger,  A.,  Wörterverzeichnis,  B.  I  8  1903  (20) 101 

Simon  s.  Köhler 101 

Voll  brecht,  F.  nnd  W.,  Wörterbuch  9  1899  (21) 106 

Wagner,  R.,  Präparation  1  (B.  1)  1898  (16) 101 

Werra,  J.,  Xenophons  Anabasis  in  verkürzter  Form  1899  (14)   ...  98 

B.    Beiträge  zur  Kritik  uod  Erklärung  der  Anabasis. 

Cauer,  P.,  Grammatica  militans,  1898,  2  1903  (24) 135 

Fickelsc herer,  M.,    Die  Königsstandarte   bei  den  Persern,  Neue  JB. 

1898,  1  (30) 164 

Hodermann,  M.,  Vorschläge  zur  X.-Obersetzuog,  1900  Progr.  (27)     .  151 
Kuthe,  A.,  Xenophons  Anabasis  als  Grundlage  des  griechischen  Elementar- 
unterrichts, 1909  Progr.  (28) 154 


~N 


Inhalt  V 

Seit« 

Sorof,F.G.,  Zur  Texteskritik  der  Anabasis,  WS.  f.  klass.  Phil.  1900(29)  157 

Sorof,  G.,  Nöfiog  und  (pvoi g  in  Xenophons*  Anabasis,  Herrn.  1899(26)  146 

Taine,  H.,  Die  Aoabasis.     Obersetzt  von  Kühn  und  Aall,  1898  (25)     .  138 

C.  Vermischte  kleinere  Beiträge  zur  Kritik  und  Erklärung 
der  Anabasis. 

Blaß,  F.,  Bakchylides  Ged.  XII  (vgl.  An.  IV  2,  26),  Rh.  Mus.  1898  (31  d)  165 

Lincke,  K.,  Miscellanea.    I  7,  10—12.    Philologus  1900  (31  f)  ...  165 

Radermacher,  L.,  Varia.    Zu  IV  J,  26  und  V  3,  4,  Rb.  Mus.  1900  (Sie)  165 

Schubert,  R.,  Der  Tod  des  Kleitos.    Zu  I  8,  15,  Rh.  Mus.  1898  (31c)  165 
Tücke  r,  T.  G.,    Various    emendations.     Zu  VII  6,  38    und  7,  24,    The 

class.  rev.  1898  (31  b)     .     . 164 

Weidner,  A.,  Altera  miscellanea  critica.    Zu  III  2,33,  1898  Progr.(31a)  164 


III.    Hellenika. 

A.    Ausgaben,  Präparationen,  Wörterbücher  und  ähnliches. 

Braun,  W.,  Präparation  1  (B.  1  u.  II);  2  (III  u.  IV),  1901/2  (33).  .  166 
Grund  mann,  M.  E.,    Vokabeln   und  Präparation  zu  B.  1—  III,  3  Hefte, 

1898  (32) 166 

Thiemann,  K.,  Wörterbuch,  *  1898  (34) 168 

Wernicke,K.,  Xenophons  Griechische  Geschichte  übersetzt,  1900  (35)  169 

ß.    Zur  Kritik  und  Erklärung  der  Hellenika. 

Busolt,  G.,  Aristoteles  oder  Xenophon?,  Herrn.  1898  (36) 171 

Busolt,  G.,  Zur  Chronologie  Xenophons,  Herrn.  1898  (37) 179 

Lammert,E.,  Die  geschichtliche  Entwicklung  der  griechischen  Taktik, 

Neue  Jahrb.  1899,  1  (38) 180 

Niese,  B.,  Ober  einige  neuere  Erscheinungen  der  griechischen  Ge- 
schichtschreibung, Neue  Jahrb.  1899,  I  (40) 184 

Rühl,  F.,    Zu    den  Papyri    von   Oxyrhynchos.     Zu  Hell.  V  2,  13—34, 

Rh.  Mus.  1899  (39) 182 

Stein,  H.,    Zur  Quellenkritik    des  Thukydides.     Zu  Hell.  I  1,  26—31, 

Rh.  M.  1900  (42) 187 

Swoboda,  H.,   Zur  Geschichte  des  Epameioondas,  Rh.  Mns.  1900  (41)  185 

C.   Vermischte  kleinere  Beiträge  zu  den  Hellenika. 

Hense,  O.,   Zu    Bakchylides    Ged.  XI    (vgl.   Hell.  IV  1,  30),  Rh.  Mus. 

1898  (45  c)    . 192 

Lincke,  K.,  Miscellanea.  Hell.  V  3,  8.  Philologus  1900  (43  a).  .  .  189 
Richards,  H.,  Varia.  Hell.  I  7,  8,  Class.  Rev.  1898  (44  b)  .  .  .  .  191 
Robert,  C,   Die  Ordnung    der    olympischen  Spiele  und  die  Sieger  der 

75.-83.  Olympiade.  Zu  Hell.  VII  7,  29,  Herrn.  1900  (43  b)  .  .  190 
Solmsen,  F.,  Navxoaqog  vavxXagog  vavxhr\Qog  (vgl.  Hell.  I  4,  3),  Rh. 

Mus.  1898  (45  a) 191 

Stahl,  J.  M.,  Zum  Sprachgebrauch  des  Thukydides  (vgl.  Hell.  VI  3,  11), 

Rh.  M.  1899  (45  e) .  192 

Steup,  J.,   Der  Thukydides-Papyros    von    Oxyrhynchos.    Hell.  II  2,  2; 

V  4,  35,  Rh.  M.  1898  (45  b) 191 

Tucker,  T.  G.,  Various  emendations,  III  2,  9;  VI  4,  24.   The  class.  rev. 

1898  (44  a) 190 

Usener,  H.,  Göttliche  Synonyme.    Hell.  V  4,  8,  Rh.  Mns.  1898  (45  d)  192 


YI  Inhalt. 

Seite 

IT.  Memorabilien. 

A.  Ausgaben  und  ähnliches. 

Gloth,C.M.;  Kellogg,  M.F.,IndexinXenophontisMemorabilia,1900  (47)  195 
Rosiger,  F.,  Xenophons  Memorabiliea  in  Aaswahl,  1899  (46)    .     .    .  192 

B.   Abhandlangen. 

Dörwald,  P.,  Gliederung  von  I  1  und  2,  Lehrpr.  and  Lehrg.  1899  (48)  197 
Lincke,  K.,  Sokrates  and  seine  Apologeten,  Z.  f.  d.  GW.  1898  (50)  .  200 
fioemer,  A.,  Zu  Mem.  I  2,  58,  Blatt,  f.  d.  GSW.  1900  (51)  ...    .  205 
Rosenberg,  E.,  Xen.  Mem.  I  1  and  2  in  ihren  Beziehungen  zur  Gegen- 
wart, Neue  Jahrb.  1899,  1  (49) 198 

C.   Kleinere  Beiträge  zu  den  Memorabilien. 

Lincke,  K.,  Miscellanea.     Mem.  I  1,  2  und  7,  Philologus  1900  (52a) .  207 
Roemer,  A.,  Zu  Mem.  I  2,  1,  Blatt,  f.  d.  GSW.  1900  (52  b)      .     .    .  208 

IV  a.   Cyropädie. 

Radermacher,  L.,  Earipides  und  die  Mantik.    Zu  Cyr.  I  6,2,  Rh.  M. 

1898  (53)       209 

V.  Zu  den  kleineren  Schriften. 

a)*Ayr\alkaos 209 

ß)  *Anokoyta  ZtoXQaTovg. 
Immisch,  O.,  Die  Apologie  des  Xenophon,  Neue  Jahrb.  1900,  I  (54)  .  209 

y)    'Iiquv 212 

Radermacher,  L.,Euripides  und  die  Mantik.  Zu 9, 8.  Rh.  Mus.  1898(55)  212 

€)    Ü€Ql  1717UXTJS 212 

Ö  Kvvrjyettxos. 

Leeuwe n,  J.    van,  Ad  Xen.  de  venat.  VIII  1,   Mnemos.  1900  (57).  213 
Richards,  H.,  The  Gynegeticus.    The  class.  rev.  1898  (56)   .    .    .     .212 

17)   AaxtSaifiovtMV    nolireta,    &)   Olxovofiixog,    *)    Uoqoi, 

x)  2vfxn6ai>ov 213 

Anhang. 

l'A&rivaCav  nolirela]. 

Kaiinka,  E.,  Xenophontis  de  re  publica  Atheniensium  qui  inscribitur 

liber,  ed.  min.  1898  (58) 214 

Meyer,  E.,  Forschungen  zur  alten  Geschichte  II.  1899  (59)    ....  215 

Verzeichnis    der    für    den    nächsten    JB.    zurückgestellten 

Schriften 166.  171.  192.  208.  214 

Verzeichnis   der  Schriften,   welche   dem   Berichterstatter 

nicht  vorgelegen  haben 218 

Verzeichnis  der  besprochenen  Stellen. 

A.  Aus  Xenophon 221 

B.  Aus  anderen  Schriftstellern 224 


^ 


Inhalt.  vir 


IL  Lateinische  Schriftsteller. 


Cioeros  Briefe 
1901—1903 

von 
Th.  Sohiohe. 

A.  Ausgraben  und  Hilfsmittel. 

Seif 
Bar  dt,  C,   Ausgewählte  Briefe  ans  ciceroniseher  Zeit.    Hilfsheft:  Zur 

Technik  des  Übersetzeiis  1901  (3) 376 

De  tt  weil  er,   P.,   M.   Tulli   Ciceronis    epistnlae  seleetae.    Nach  Text 

uod  Kommentar  getrennte  Ausgabe  für  den  Schulgebrauch  *  1901  j 

I.  Text.    II.  Kommentar  (7) 380 

Frey,  J.,  Ausgewählte  Briefe  Ciceros.   Für  den  Schulgebrauch  erklärt, 

2  Teile,  •  1901  (6) 380 

G schwind,  E.,   Ausgewählte  Briefe   Ciceros.    Herausgegeben  und  er- 
klärt.   Text  und  Kommentar.    2  Hefte,  1903  (4) 377 

Gurlitt,  L.,  Präparation  zu  Ciceros  Briefen  in  Auswahl  (8)  .    .    .     .  381 
Lange,   A.,    Auswahl   aus  Ciceros  Briefen   für  den  Schulgebrauch  mit 

sachlichen  Einleitungen  a  1901  (5) 379 

Purser,   L.  C,   M.  Tulli   Ciceronis  epistulae.    L  Ad  familiäres  1901; 

II.  Ad  Atticum  (1:  libri  I-VIII,  2:  libri  IX— XVI)  1903;  III.  Ad 
Qointum  fratrem;  comm.  petitionis;  ad  Brutum;  Pseudo-Ciceronis 
epistula  ad  Octavianum;  fragmenta  1902  (1) 367 

Schmidt,  O.  E.,  Briefe  Ciceros  uod  seiner  Zeitgenossen  I.    Briefe  aus 

den  Jahren  67—60  v.  Chr.  Text  und  Erklärungen.  2  Hefte,  1901  (2)  371 

B.  Abhandlungen. 

Boissevain,  U.  Ph.,   Ad  Cic.  ad  Att.  12,1.    Feestbundel  Prof.  Boot, 

1901  (9) 382 

Breccia,  Cicerone  ad  Atticum  I  1,2.    Boll.  di  fil.  class.    1900/1  (10)  .  382 

Bücheier,  F.,  Coniectanea.    Rh.  Mos.  1902  (11) 382 

Cesano,L.,  L'Amaltheum  di  Cicerone.    Atene  e  Roma  1901  (12)     .     .  383 
Clark.  A.  C,    Anecdota  Parisiensia  ad  libros  epistularum  ad  Atticum 

Toroaesianum  et  Crusellinum.    Phil.  1901  (13) 384 

Gurlitt,  L.,  Die  Entstehung  der  ciceronischen  Briefsammlungen.  Neue 

Jahrb.  1901  (14) 385 

— ,  Textkritisches  zu  Cic.  ad  Quintum  fr.,  Rh.  Mus.  1901  (15)     ...  389 

-,  Zu  Ciceros  Briefen.    N.  phil.  Rdsch.  1901  (16) 391 

— ,  Zu  Ciceros  Briefen.    Phil.  1901  (17) 39] 

— ,  Cruces   Tullianae  (ad  Att.  XV  17,1;   20,1),   ßerl.  phil.  WS.  XXI 

(1901)  (18) 394 

— ,  Operam  et  oleum  perdidi,  ebenda  Sp.  731  ff.  (19) 401 

— ,  Cicero  ad  Att.  VI  2, 3;  V  16, 3.    Berl.  ph.  WS.  XXII  (1902)  (20)     .  401 

— ,  Cicero  ad  Att  VIII  14,3,  ebenda  (21) 401 

— ,  Cicero  ad  Q.  fr.  II  8  (10),  2,  ebenda  (22) 402 

— ,  Facetiae  Tullianae.     Rh.  Mas.  1902  (23) 402 

— ,  Cber   das  Fehlen   der  Briefdatei    in    den    ciceronischen  Korrespon- 
denzen.   Festschr.  f.  O.  Hirschfeld,  1903  (24) 405 

— ,  Textrettungen  zu  Ciceros  Briefen.    Phil.  1903  (25) 407 


VIII  Inhalt. 

Seite 

Hendrickson,  G.  L. ,   Cicero's  judgment  of  Lncretius;    Amer.  journ. 

of  phil.  1901  (26) 408 

Ihm,  M.,  Zu  Cicero  ad  Att.  XIV  10,2.    Rh.  Mas.  1901  (27)   ....  408 

Kellog,    G.  D.,    Gritical    notes    on    Cicero's    Letters;    Americ.   phil. 

assoc,  proceediDgs  of  special  Session  1900  (28) 408 

Kirn  er,  G.,  Contribnto  alla  critica  del  testo  delle  epistole  ad  fami- 
liäres di  Cicerone.    Stud.  ital.  di  fil.  class.  1901  (29)    ....  410 

Mooney,  W.,  Cic.  ad  Att.  XIII  23,  2.    The  class.  rev.  1902  (30)    .    .410 

Pease,    E.  M.,   The   greeting   iu    the   letters    of  C;   Stud.  in  hon.  of 

Gildersleeve,  1902  (31) 410 

Peter,  H.,  Der  ßrief  in  der  römischen  Literatur,  1901  (32)    .     .     .     .411 

Platner,  S.  ß.,  The  mannscripts  of  the  letters  of  C.  to  Atticus  in  the 

Vatican  library.     Amer.' journ.  of  phil.  1900  (33)      .     .     .    ,    .  415 

Purser,  L.  C,  Notes  on  C.'s.  correspoBdence  duripg  his  proconsulate. 

Royal  irish  Acad.  111  6  (34) 415 

Sander, ;  J.,    Bemerkungen    zu    den  Cicero-Briefen.   Progr.  Wittenberg 

1901  (35) 418 

Schoene,  J.,  Zu  Ciceros  Briefen.     Herrn.  1903  (36).     ......  419 

S  ihler,  E.  G.,    Oeiixmcgov.    Cic.  ad  Q.  f.  III  3,4.     Amer.  journ.  of 

.    phil.  1902  (37). 420 

Steele,R.B.,  The  GreekinCicero's epistles.  Amer.  journ.  of  phil.  1900(38)  421 
— ,  Chiasmus-  in  the  epistles  of  Cicero,  Seneca,  Pliny  and  Fronto.    Stud. 

in  hon.  of  Gildersleeve,  1902  (39) 422 

Sternkopfr  W. ,  Ciceros  Briefwechsel  mit  D.  Brutus  und  die  Senats- 
sitzung vom  20.  Dez.  44.    Phil.  1901  (40) 422 

— ,  Noch  einmal  die  correctio  der  lex  Clodia  de  exilio  Ciceronis.  Phil. 

1902  (41) 426 

-,  Zu  Cic.  ad  Q.  fr.  II  3.    Rh.  Mus.  1902  (42) 427 

— ,  Zu  Cic.  Phil.  XIII  17,  36.  Herrn.  1902  (43)  . .     .  428 

— ,  Die  Senatssitzung  vom  1 4.  Januar  56  (zu Cic.  ad fam.1 2, 2)  Herrn.  1903 (44)  428 

.— ,  Zu.  Ciceros . epistulae  ad  familiäres.    Phil.  1904  (45) 428 

Trabandt,  A.,  Ciceros  Briefe  als  Schullektüre.  I.  Progr.  Graudenzl90j  (46)  430 
Vliet,I.  van  der,  Aedes Opis  explicata.  Feestbundel Prof. Boot.  1901  (47)  431 

Vogel,  F.,  Ipse  etiam.     Arch.  f.  lat.  Lex.  1902  (48) 431 

Wolf f lin,  E.,  Fufidius.    Arch.  f.  lat.  Lex.  1902  (49) 432 


Horatius 

von 
H.  ROM. 

I.  Ausgaben  und  Kommentare. 

Breithaupt,  K.  Ö.,.Q.  Horatii  Flacci  satirae  f.  d.  Schulgebr.  erklärt, 

*  1903  (5) .    . 34 

Francis,  Ph.,  The  Ödes  in  latin  a.  english  1902  (1) 29 

— ,  Satires  and  Epistles  ia  lat.  a.  engl.  1902  (6) 35 

Keller,  .0.,   Pseudacronis   scholia   in    Horatium   vetustiora   recensuit. 

I.  Scholia  AV  in  carm.  et  epod.  1902  (3) 31 

Ludwig,  H.,   Präparation    zu   den    Oden    1   (B.  1.  2);   II  (B.  3.  4   und 

carm.  saec.)  1903  (4) 32 

Tentori,  T.,  Q.  Orazio  Flacco.    I:  odi  ed  epodi  1902  (2)     ....  30 


~b 


Inhalt.  IX 

Seite 

II.  Übersetzungen. 

Vgl.  I  Nr.  1  und  6  (Francis). 

Bino,  T.  del,  Sei  epodi  d'Orazio  tradotti,  1903  (8). 35 

Hey,  0.,  Obersetzungen  a.  lat.  Dichtern.     Bl.  f.  d.  GSW.  1902  (7)      .     35 

III.  Abhandlungen. 

Allen,  S.,  Ob  Horace,  Epode  XV  1—10.  The  class.  rev.  1902  (22)     .  42 

Bentivegna,  S.,  Tre  lezioni  della  poetica  Oraziaoa,  1902  (12).  .  .  37 
Cartault,   A.,    L'inexprime    dans   les  Satires  d'Horace,    Rev.  de  phil. 

1902  (17) 39 

— ,  Horace,  Sat.  II  3,  274,  Rev.  de  phil.  1902  (18) 40 

Corssen,  P.,  Horatiana.     Progr.  Dt.  Wilmersdorf  1903  (32)    .     ...  46 

Ensor,  £.,    On  Horace,  Od.  II  17  and  120.     The  class.  rev.  1902  (20)  41 

Fritzsche,  Th.,  Die  Wiederholungen  bei  H.  1903  (40) 58 

Götz,  G.,  C.  Maecenas;  Rede.    1902  (10) 36 

G  r  o  fs,   £.,    Beiträge    zur  Erklärung    alter    Schriftsteller    vornehmlich 

durch   Hinweise    auf  die    deutsche    Literatur.     X.    Zu   Horatius. 

Progr.  Nürnberg,  K.  Neues  Gymo.  1902  (11) 36 

Hei  uze,  H.,  Aufgaben  aus  den  Gedichten  des  Horaz  (Sammlung  Heinze- 

Schröder  H.  20)  1903  (31) 46 

Hendrickson,  G.  L.,  The  literary  form  of  H.  Serm.  16.    Amer.  journ. 

of  phil.  1902  (15) .39 

Heraeus,  W.,    Sprachliches    aus  den  Pseudakronischen  rlorazscholien. 

Rh.  Mos.  1903  (41) 59 

J  äger,  O.,  Horaz  i.  Gymoasialunterricht.  Monatschr.  f.  höh.  Seh.  1903  (37)  54 
Kost  er,  Ober  die  Persönlichkeit  des  Horaz  in  seinen  Oden.  1903  (38)  55 
Kreppel,    F.,    Der    Zyklus    der    Horazischen    Römeroden,    I.      Progr. 

Kaiserslautern  1903  (42) 59 

LamsoD,  M.  £.,  Ad  serm.  11,15  sqq.     Mnein.  1902  (16) 39 

— ,  On  the  first  ode  of  H.,  The  class.  rev.  1902  (23) 42 

Leo,  F.,  Coniectanea.  (Carm.  I  20, 10),  Herrn.  1903  (28)  .....  45 
Meiser,  K.,    Eine  mißverstandene  Horazstelle  (Sat.  I  6,  18).     Bl.  f.  d. 

GSW.  1902  (25) 43 

Ogorek,    J.,    Quae    ratio    intercedat   inter    Ciceronis    Parad.  Stoic.  et 

Horatii  Stoicismum,    qui   satiris  epistulisque  eius  continetur.    II. 

Lemberg,  Progr.  d.  2.  Obergymn.  (9) 36 

Sachs,    H.,    Alliterationen  und  Assonanzen    in  den  carmina  des  H.     I. 

Berlin,  Progr.  d.  13.  Realsch.  1903  (33) 48 

Sargeaunt,  J.,  On  Horace,  Ödes  III  and  IV.  The  class.  rev.  1902  (19).  40 
Schleusner,    Die    Reisen    des   Kaisers    Augustus    in    Geschichte    und 

Dichtung.     Barmen,  Progr.  19U3  (29) 45 

Schmid  t ,  M.  C.  P.,  Altphilologische  Beiträge  I.  Horaz-Studien,  1903  (36)     52 
Seeck,  O.,  Horaz  an  Pollio,  Wien.  Stud.  1902  (13)  .......     38 

Slaughter,    M.  S.,    Notes  on    the  collation    of  Paris.  7900  A.     Amer. 

journ.  of  phil.  1902  (14) , 39 

Stemplinger,    £.,    Studien    über    das  Fortleben    des  Horaz,   Bl.  f.  d. 

GSW.  1902  (26) 44 

Stadler,    K.,    Horaz-Kommentar  I.     Die   Gedichte    an    (für)  Mäcenas. 

Berlin,  Progr.  d.  Margaretenschule  1903  (35) 50 

Teichmüller,  F.,  Grundgedanke  und  Disposition  von  Sat.  II.    Rh.  Mus. 

1903  (39) 56 

Thiele,    R.,    Philologische  und  archäologische  Studien:  Horaz  und  der 

pergamenische  Gigantenfries.    1903  (30) .45 

Thompson,  E.  S.,  Notes  on  H.,  Ödes  B.  I.  The  class.  rev.  1902  (21)  41 
Tiedke,  H.,   Anklänge  an  Horaz  bei  Geibel;    Berlin,  Gymn.  z.  grauen 

Kloster,  Progr.  1903  (34) •    ...     50 


X  Inhalt. 

Seite 

Weyman,    C.    Bemerkungen    zu    den    lyrischen  Gedichten   des  Horaz. 

Bl.  f.  d.  GSW.  1902  (24) 43 

Wölfle,    Neuer  Erklärungsversach  von  Sat.  117,97.    ßl.  f.  d.  GSW. 

1902  (27) 44 

Publikationen,    welche    dem   Referenten    nicht    vorgelegen 

haben , 61 


Li  viu  S 

von 
H.  J.  Müller. 

Rezensionen  früher  besprochener  Schriften 1 

I.  Ausgaben. 

Fügner,  F.,  Kommentar  zu  der  Auswahl  aus  der  1.  Dekade.     1903  (2)  6 

— ,  Auswahl  aus  der  1.  und  3.  Dekade.    Text  1903  (3) 6 

- ,  Kommentar  zu  J\r.  3  in  2  Heften  (I— X,  XXI— XXX)  1903.  (4  u.  5)  6 
Weißenborn,  W.,  a.  u.  c.  libri.    Pars  I  (I— VI),  ed.  II  cur.  M.  Müller 

1902  (1) 1 

IL  Beiträge  zur  Kritik  und  Erklärung. 

a)  Abhandlungen. 

Fügner,  F.,  Liv.  B.  43  von  A.  Zingerle,  Berl.  ph.  WS.  1903  (9)  .  .  16 
Heraeus,  W.,  Liv.  ß.  43  v.  A.  Zingerle,  WS.  f.  klass.  Phil.  1903  (10)     19 

Novak,  R.,  Liviana.    Ceske  mus.  fil.  1902  (6) 8 

— ,  Liviana.    Ceske  mus.  fil.  1903  (7) 14 

Zingerle,  A.,   Zur  5.  Dekade  des  Livius.     Wien.  Stud.    1903  (S)      .16 

b)  Zerstreute  Beiträge. 

Heraeus,  W.,  Zu  23,  17,  4.     WS.  f.  klass.  Phil.   1903 20 

— ,  Zu  43,  2,  6.    Arch.  f.  lat.  Lex.    1903 20 

Lupit  G.,  Zu  23,  2,  1.    Boll.  di  fil.  class.   1903 19 

IU.  Schriften  gemischten  Inhaltes 

(Sprachgebrauch,   Quellen  u.  s.  w.). 

Bild  des  Livius  in  Padua  (21) 27 

Dessau,  H.,    Die  Vorrede  des  Livius.     Festschrift   für    O.  Hirschfeld 

1903  (11) 20 

Du§anek,  J.,    De    formis  enuntiationum  condicionalium  apud   Livium. 

Ceske  mus.  fil.  1903  (18) 26 

Grenfell  and  Hunt,  Hinweis  auf  The  Oxyrhynchos  Papyri  IV  (1903), 

Auszug  a.  Liv.  37—39  und  49—55;  WS.  f.  klass.  Phil.  1903  (16)  25 

Hunt  s.  Grenfell 25 

Jonas,   R.,   Übungsbuch   zum  Obersetzen    in  das  Lateinische  für  U.  II. 

1903  (20) 27 

KrascheninBikov,  M.;  De  Gitanis  Epiri  oppido,  Herrn.  1902  (15)  .  25 
Luckow,  R.,    Vorlagen  zum  Obersetzen  ins  Lateinische  für  die  oberen 

Klassen.    Progr.  Stolp   1903  (19) 27 

Luterbacher,  F.,   Die  Chronologie  des  Hannibalzuges,  Phil.  1903  (14)  24 

Meyer,  E.,  Die  Alliaschlacht.    Apophoreton.     1903  (13) 23 


Inhalt.  XI 

Seite 

Richter,  0.,  Beiträge  zur  römischen  Topographie,  Progr.  Berlin,  Prinz 

Heinrichs-Gymn.    1903  (12) 21 

Schmidt,    A.,    Beiträge    zur   Liviaoischen   Lexikographie   IV.    Progr. 

St.  Polten  1903  (22) 28 

Steele,  R.  B.,   The  ablativus  absolutus  in  Livy.  Amer.  journ.  of  phil. 

1902  (17) 25 

Ausländische    Literatur,    die    dem    Berichterstatter   nicht 

vorgelegen  hat 8 


Tacitus 

(mit   Ausschluß    der    Germania). 
Ober  das  Jahr  1903/1904 

von 
G.  Andresen. 

I.  Ausgaben. 

Alten  bürg,  O.,    Agricola   (Teubners  Schülerausgaben)  2  Hefte,    Text 

und  Erklärungen,  1904  (1) 313 

Heraeus,  C,    Historiarum  libri  qui  supersunt.    Schulausgabe,"  I.  Buch 

1  und  2.     5   1904  bes.  von  W.  Heraeus  (3)    ....'..     .  315 

Knaut,  K.,  Historiarum  libri  qui  supersunt,  für  den  Schnlgebrauch  er- 
klärt    II.  Bdchn.     Buch  2.     1902  (2) 314 

Mueller,  J.,   Taciti  opera  rec.  J.  M.;    ed.  minor.     Vol.  I:     libros    ab 

excessu  Divi  Augusti  cootinens  2  1903  (9) 323 

Pitman,    H.,    Annalium  libri    XIII— XVI  with  introduction  and  uotes. 

1904  (6) 321 

Ramsay,  G.,  The  Annais,  books  I — VI.     An  Englisch  translation  with 

introduction,  notes  aod  maps,  1904  (4) 317 

Rossi,  S.,  ab  excessu  Divi  Augusti  liber  XV.  Rezensione  e  note.  1904  (7)  321 

Stegmann,    C,   Annalen    in  Auswahl    und   der  Bataveraufstand  unter 

Civilis.     Hilfsheft,  1903  (8) 321 

Weidner,  A.,  Annalen  und  Historien  in  Auswahl.  Mit  einem  Anhange: 
Drei  Briefe  des  jüngeren  Plinius  und  des  Trajan  und  Monumentum 
Ancyranum,  bearbeitet  von  R.  Lange,  3  1905  (5) 320 

Anzeigen  älterer  Ausgaben:  Agricola  (Smolka,  Gudeman),  Histo- 
rien I  (Knaut),  Historien  (Müller-Christ)  (10) 323 

IL  Tacitus  als  Schriftsteller. 

Consoli,  S.,   La  'Germania'    comparata  con  la  'Naturalis  Historia'  di 

Plioio  e  con  le  opere  di  Tacito,  1903  (16)    ; 325 

Dienel,    R.,    Quae    rationes  inter  libellum  tisqI   vipovg  et  Taciti  dia- 

logum  de  oratoribus  intercedere  videantur,  1903  (15)  ....  325 
Fabia,  Ph. ,  La  lettre  de  Pompeius  Propinquus  ä  Galba  et  l'avenement 

de  Vitellius  en  Germanie,  Beitr.  z.  alt.  Gesch.  IV  (21)  .  .  .  328 
— ,  L'adbision  de  rillyricum  ä  la  cause  Flavienne,  Rev.  des  et.  anc.  V  (22)  329 

— ,  Tacite,  Histoires  IV  68,  Mälanges  Boissier  1903  (23) 332 

Hak  er,  W.,  Claudii  apud  Tacitum  Ann.  XI  24  oratio,   Progr.  Malchin, 

Realgymn.     1904  (19) 327 

Krozel,    J.,    Quo    tempore  Taciti  Dialogus    de    oratoribus   habitus  sit 

quaeritur,  Progr.  Tarnopol  1904  (14) 324 

Mirmont,  H.  de  la  Ville  de,  Notes  sur  Tacite  (Hist.  livre  IV);   Rev. 

des  et.  anc.  VI  (1904)  (20) 327 


XU  Inhalt. 

Seite 

Nolte,H.,  De  Corneli  Taciti  qui  fertor  Dialogo  de  oratoribus.    Progr, 

Gleiwitz  1903  (13)     .    . *     .  324 

Schmidt,  L.,  Geschichte  der  deutschen  Stämme  bis  zum  Ausgange  der 
Völkerwanderung  T.  1.  (Quellen  und  Forschungen  zur  alten  Gesch. 
und  Geogr.  von  W.  Sieglin)  1904  (17) 326 

Simioni,    L.,    Del    carattere  morale  di  Cornelio  Tacito  (12)   (hat  dem 

Berichterstatter  nicht  vorgelegen)      .     .     .     . 324 

Stein,  A.,  Die  Protokolle  des  -römischen  Senates  und  ihre  Bedeutung 
als  Geschichtsquelle  für  Tacitus.  Progr.  d.  1.  deutschen  Staats- 
realschule in  Prag,  1904  (18) 326 

Thomas,  £.,  La  critique  de  Tacite  (Melanges  Boissier)  1903  (11)   .    .  323 

Anzeigen  älterer  Schriften  (Boissier,  Hendrickson,  Borenius)   .     .  334 


III.  Historische  Untersuchungen. 

Bartels,  £.,  Die  Varusschlacht  und  deren  Örtlichkeit,  1904  (28)    .     .  337 
BÖmer,    A.,   Ein   neuer  Versuch   zur  Alisofrage.     'Zeitschr.  f.   vaterl. 

Gesch.  u.  Altertumskunde  60  (1902)  (27) 336 

Bunte,  B.,    Beiträge  zur  Geschichte  der  Friesen  und  Chauken,   Jahrb. 

d.  Gesellsch.  f.  bild.  Kunst  u.  vaterl.  Altertümer  z.  Emden  XIV 

(1902)  (34)    .     .     .     . 341 

Chapot,  V.,  Inschrift  des  [P.]  Marius  Gelsus.    Bull,  decorr.hell.  1903  (40)  345 
Cramer,    F. ,    Der    vicus  Ambitarvius  —  sein   Name   und  seine  Lage. 

Westd.  Z.  f.  Gesch.  u.  Kunst  1904  (25) 335 

Dahm,  O.,    Kritik   einer  Ausgrabung  auf  dem  Hahnenkamp  bei  Rehme. 

Ravensberger  Blätter  1904  (29) 338 

Devrient,  E.,  Die  Sweben  und  ihre  Teilstämme,  Histor.  Vierteljahrs- 

schr.  1903  (32) 339 

Fabia,  Ph.,    L'incendie  de  Lyon  sous  Neron.     Revue  d'hist.  de  Lyon 

1904  (36) • 342 

Ferrara,    G.,    La   forma  della  Britannia   secondo  la  testimooianza  di 

Tacito  (Reale  Istituto  Lombardo  di  scieoze  e  lettere  1904)  (44) .  346 
Helmke,    F.,    Die  Wohnsitze    der    Cherusker    und    der   Hermunduren. 

Progr.  Emden  1903  (33) 340 

Henderson,  B.  W.,  The  life  and  principate  of  the  emperor  Nero  (35)  342 
Hofbauer,    K.,   Die   ,, erste"  Christenverfolgung.     Beiträge  zur  Kritik 

der  Tacitusstelle.     Progr.  Oberhollabrunn  1903  (37)       ....  343 
Jones,  H.  St.,    La  Chronologie    des   salutations    imperiales  de   Neron. 

Rev.  archeol.  1904  (38) 344 

Klinkenberg,    Die   ara    Ubiorum    und    die  Anfänge    Kölns.     Korr.  d. 

Gesamtvereins  d.  Deutschen  Gescbichts-  u.  Altertumsvereine  51  (26)  336 
Knoke,  Fuodberichte.    Mitt.  d.  Vereins  f.  Gesch.  u.  Landesk.  v.  Osna- 
brück 1903  (31) 339 

Koch,  W.,   Warum   mißlang   den   Römern   die  Unterwerfung  Deutsch- 
lands?   Festrede.    Progr.  Siegen  1903  (30) 338 

Kornemann,    E.,    Wann    wurde    Trier    römische    Kolonie?     Westd. 

Zeitschr.  f.  Gesch.  u.  Knust  1903  (42) 345 

Marra,  G.,  Cassii  Severi  vita  oratiooes  libelli.    1903  (45)      ....  347 
Ritterling,   E  ,    Epigraphische  Beiträge   z.  röm.  Gesch.  I.     Rh.  Mus. 

1904  (39) ' •    .  344 

Valmaggi,  L.,  Forum  Alieui,  1903  (41) 345 

Willrich,  H.,  Caligula  111.   Lehmanns  Beiträge  z.  alten  Gesch.  1903  (43)  346 

Anzeigen    älterer   Schriften    (Dahm,    Delbrück,    Knoke,    Spengel, 

Tarver,  Viertel,  Willems,  Winkelsesser) 347 


O 


Inhalt  Xjll 

Seite 

IT.   Sprachgebrauch. 

Levi,  D.  R.,  La  sintassi  di  Tacito  esposta  oelle  sue  regole  principali 

ad  uso  dei  licei,  1903  (48) 348 

Moore,  F.  6.,  Studies  io  Taciteaa  ellipsis,  Amer.  phil.  assoc.  1903  (49)  348 

Wimmerer,    R.,    Zwei    Eigentümlichkeiten    des    Taciteischen    Stils, 

Ztschr.  f.  d.  öst.  Gymn.  1903  (47) 348 

v.Wblfflin,  E.  Enervisund  der  Redner  Calvus.  Arch.  f.  lat.  Lex.  XIII  (50)  349 

Anzeigen  älterer  Schriften  (Fabia,  Gaffiot,  Lexicon  Taciteum  (51)  349 

Y.   Textkritik  und  Erklärung. 

Hartman,  J.  J.,  Tacitea.    Mnemos.    1903  (52) 350 

— ,  Tacitea.     Mnemos.    1904  (53)  .     .  • 352 

— ,  Tacitea.     Mnemos.    1904  (54) 353 

Herwerden,  H.  van,  Ad  Tacitara,  Mnemos  1904  (55) 355 

Siesbye,  O.,  Ann.  141,  Nord,  tidsskr.  f.  fil.  1903  (56) 356 

Ussani,  V.,  L' ultima  voce  di  Lucano,  Riv.  di  fil.  1903  (58)  ....  357 
Zöchbauer,  F.,  Stadien  z.  d.  Annalen  d.  Tacitus  III.    Progr.  d.  Gymn. 

d.  k.  k.  Theres.  Akad.,  Wien  1903  (57)    .     .  356 

Verschiedene  kleinere  Beiträge  (Andreseu,  Diene],  Fowler,  Val- 

maggi,  Wbrpel)  (59) 357 

...  TL   Tacitus  in  der  Schule. 

Strobl,  A.,  Zar  Schallektüre  der  Annalen  des  Tacitns.  Programme 
-  des  k.  k.  deutschen  Ober-Gymu.  Prag  (Kleinseite)  1904  und  des 
k.  k.  Staatsgymn.  Innsbruck  1904  (60) 359 

Übungsbücher  (Hammelrath  und  Stephan,  Uppenkamp)  nebst  An- 
zeigen (61) 359 

Nachtrag. 

Cichorius,  €.,  Zur  Familiengeschichte  Sejans,  Herrn.  1904  (63)  .  .  361 
Constans,  L.,  Corrections  au  texte  de  Tacite,  Mel.  ßoissier  (65)  .  .  362 
Mommsen,  Th.,  Das  Verhältnis  des  Tacitus  zu  den  Akten  des  Senats. 

Sitzungsb.  d.  Kön.  Preuß.  Ak.  d.  Wiss.  1904  (62) 360 

Parmeggiaui,  L.,  Claudia  Atte,  liberta  di  Nerone.    Riv.  di  stör.  ant. 

VIII  (64) 362 


Tacitus'    Germania. 
Beiträge  zur  Kritik  und  Erklärung 


von 
U.  Zernial. 


1.  Die  Bedeutung  des  codex  Toledanus    für  die  Germaniakritik  .  363 

2.  Einzelne    Stellen    (XI  11;    XVII  11;    XXII  14):    Frederking, 

Phil.  1902 ,    ....     366 


jyt  Inhalt. 

Seite 


III.  Altertumskunde. 


Archäologie 

von 
R.  Engelmann. 

Altmaon,  W.,    Architektur  und   Ornamentik    der   antiken  Sarkophage. 

1902  (27) • 295 

Afsmann,  E.,  Das  Floß  des  Odysseus,  sein  Bau  und  sein  phönikischer 

Ursprung.     1904  (15) 285 

Birt,  Tb.,  Laienurteil  über  bildende  Kunst  bei  den  Alten.    1902  (21).  289 
Cherbuliez,  V.,    Athenische  Plaudereien    über  ein  Pferd  des  Phidias, 

übers,    von    I.  Riedisser,   mit   einem    Nachwort   begleitet  von 

W.  Amelung.     1903(23) 290 

Cichorius,  C,  Die  römischen  Denkmäler  in  der  Dobrudscha.    1904  (13)  283 
Conradt,  C.,  Amytis.    Drama  in  5  Aufzügen  (47).     .......  312 

Cybul  ski,    St.,    Tabulae    quibus    antiquitates    Graecae    et   Romanae 

illustrantur  (40) 305 

Dieter  ich,  A.,  Eine  Mithrasliturgie.  1903  (38)     . 304 

Döring,  A.,  Eine  Frühlingsreise  nach  Griechenland.  1903  (4)      ...  276 

Dörpfeld,  W.,  Troja  und  Ilion.     1902(1) '.     .  259 

Engelmann,  R.,    Pompeji.  Trans! ated    by   Talfourd  Ely  (Famous  Art 

Cities  1)  1904  (11) 281 

Flic kinger,  R.  C,  The  meaning  of  inl  rrjg  axrjvrjs  in  writers  of  the 

fourth  Century.     1902  (16) 285 

Förster,  R.,  Moritz  von  Schwinds  Philostratische  Gemälde.  1903  (46)  311 
Furtwängler,  A.  und  Urlichs,  H.  L.,    Denkmäler  griechischer  und 

römischer  Skulptur.     Handausgabe.    *  1904  (20) 288 

Gau  ekler,  Tete  de  poete  grec  decouverte  ä  Carthage.  1903  (25)    .    .  292 

— ,  La  mosaique  antique.  1904  (28) 295 

Gruppe,    O.,    Griechische    Mythologie   und   Religionsgeschichte    (I.  v. 

Müllers  Handbuch  V  2)  (30) 297 

Guhl,  E.  et  Kon  er,  W.,  La  vie  antique,  manuel  d'archiologie  grecque 

et    romaioe,   traduit   sur   la  4«  edition    de  E.  Guhl  et  W.  Koner 

par  F.  Trawinski,  1902  (14) 284 

H annig,  F.,  De  Pegaso  (Breslauer  phil.  Abhandlungen  VIII  4)  1902  (34)  300 
Haussoullier,    B. ,    Etudes   sur  l'histoire  de  Milet  et   du   Didymeion. 

1902  (3) 275 

Hense,  O.,   Die  Modifizierung  der  Maske  in  der  griechischen  Tragödie. 

1902  (17) 286 

Koner,  W.,  s.  Guhl. 

Lucas,    H.,    Zur    Geschichte    der    Neptunsbasilika    in    Rom.     Berlin, 

Progr.  d.  Kaiser  Wilhelm-Realgymn.  1904  (9) 280 

Luckenbach,  H.,  Kunst  und  Geschichte,  »  I.  1904  (42) 309 

— ,  Olympia  und  Delphi.     1904  (43) 310 

Maaß,  E.,  Die  Tagesgötter  in  Rom  und  den  Provinzen  aus  der  Kultur 

des  Niederganges  der  antiken  Welt.     1902  (37) 303 


1 


Inhalt.  XV 

Seite 

Marchi,  A.  de,  II  culto  privato  di  Roma  aotica  II.  La  religiöse  gen- 

tilizia  e  collegiale.     1903  (36) 302 

Mau,  A.,  Führer  durch  Pompeji,  *  1903  (10) 281 

Müller,  A.,  Jugendfürsorge  in  der  romischen  Kaiserzeit.     1903  (18)   .  287 

JVoack,  F.,  Homerische  Paläste.     1903  (2) 273 

Pilling,  K.,  Pergamenische  Knlte.     Progr.  Naumburg  1903  (33)      .     .  300 
Prix,  Fr.,  Pompeji,  ßegleitworte  zu  einer  Reihe  von  Projektionsbildern 

1899  (12) 282 

Pnglisi,S.M.,Il  Colosseo  nel  sioroo  dell'iaangnrazione,  I.Testo.  1904(8)  280 
Reinhardt,  6.,  Italienische  Herbsttage  II.  Progr.  Dessau  1904  (39)    .  304 
Richter,  O.,  Beiträge  zur  römischen  Topographie.    I.  Alliaschlacht  und 
Serviusmauer.    II.    Gapitolium    und    Clivus   Capitolinus.      Berlin, 

Progr.  d.  Prinz  Heinrichs-Gymn.     1903  (6) 278 

— ,    Beiträge    zur   römischen  Topographie    II.  III.  Die  römische  Redner- 

bühne,  1903  (7) 279 

Röscher,  W.  H.,  Ausführliches  Lexikon  der  griechischen  und  römischen 

Mythologie,  47  —51.  Lfg.,  Peirithoos  bis  Phoinissa.     1904  (29)    .  297 
Sauer,  B.,   Der  Weber-Labordesche  Kopf  und    die  Giebelgruppen    des 

Parthenon.     1903  (24) 291 

Schanz,   M.,    Geschichte    der   römischen    Literatur   bis    zum    Gesetz- 
gebungswerk   des    Kaisers  Justinian  IV  1  (I.  v.  Müllers  Handbuch 

VIII  4, 1)  1904  (45) 311 

Schulteß,   C,   Herodes  Atticus  (101—177  n.  Chr.  Geb.),  Progr.  Ham- 
burg, Wilh.-Gymo.  1904  (44) 310 

Sybel,  L.  v.,  Weltgeschichte  der  Kunst  im  Altertum,  2  1903  (19).    .  287 
Tarbeil,  F.  ß.,  A  Greek.  Hand-mirror.   A  Cantharus  from  the  factory 

of  Brygos      1902  (26) 293 

Thiele,  R.,  Das  Forum  Romanum,  mit  besonderer  Berücksichtigung  der 

neuesten  Ausgrabungen  (1898—1903)  geschildert.     1904  (5)    .     .  277 
Urlichs,  s.  Furtwängler 
Visser,  M.  W.  de,  Die  nichtmenschengestaltigen  Götter  der  Griechen. 

1903  (31) 298 

We  i  ck  e  r ,  G. ,  Der  Seelenvoll  in  der  alten  Literatur  und  Kunst.  1902  (32)  298 
Weißmann,  K. ,    Beiträge  zur  Erklärung  und  Beurteilung  griechischer 

Kunstwerke.     Progr.  Schweinfurt  1903  (22) 289 

Wolf,   H. ,   Einführung   in   die  Sagenwelt   der   griechischen   Tragiker, 

1902  (35) 300 


^\ 


1. 

L  i  v  i  u  s. 


Von  den  in  meinen  früheren  Jahresberichten  über  Livius 
besprochenen  Ausgaben  oder  auf  Livius'  Geschichtswerk  bezüglichen 
Schriften  sind  einige  nachträglich  auch  an  anderer  Stelle  be- 
urteilt worden.  Ich  weise  im  folgenden  auf  diejenigen  Rezen- 
sionen hin,  die  zu  meiner  Kenntnis  gekommen  sind. 

Livius  Bach  21—25,  Textaasgabe  von  Zingerle  (WS.  f.  klass.  Phil. 
1903  Sp.  597—598).  —  Livius  Buch  24,  erklärt  voo  H.  J.  Möller  (V.Thoresen, 
Nord.  Tidsskr.  f.  fil.  XI  S.  185).  —  Livius  Buch  43,  kritische  Ausgabe 
voo  Zingerle  (M.  A.  Schmidt,  ZeiUchr.  f.  d.  österr.  Gyma.  1903  S.  215— 
216;  E.  T.,  Rev.  crit.  1903  S.  96— 97;  Lit.  Centralbl.  1903  Sp.  983— 984; 
F.  Luterbacher,  IN.  Phil.  Rdsch.  1903  S.  251— 252).  —  Livius,  Auswahl 
aus  der  ersten  Dekade,  herausgegeben  von  Füg ü er  (E.  Wolff,  WS.  f.  klass. 
Phil.  1903  Sp.  545—547).  —  Livius,  Auswahl  aus  der  ersten  und  dritten 
Dekade,  herausgegeben  von  Meyer  (J.  Golling,  Zeitschr.  f.  d.  Österr.  Gyno. 
1903  S.  176—177). 

I.   Ausgaben. 

1)  T.  Li  vi  ab  urbe  condita  libri.  Kditioaem  primam  curavit  Guilelmus 
Weißenborn.  Editio  altera,  quam  curavit  Mauritius  Müller. 
Pars  I.  Libri  I— VI.  Lipsiae  1902  in  aedibus  B.  G.  Teubneri.  LIV 
u.  396  S.     kl.  8.     1  Ja- 

Vorliegende  Neubearbeitung  der  ersten  sechs  Bücher  des 
Livianischen  Geschichtswerkes  ist  M.  Müllers  letzte  wissenschaft- 
liche Arbeit  gewesen.  Der  Tod  hat  ihn  abgerufen  und  seiner 
emsigen,  zuletzt  fast  ausschließlich  der  Kritik  und  Erklärung  des 
Livius  gewidmeten  Tätigkeit  ein  plötzliches  Ende  bereitet.  Um 
diesen  Schriftsteller  hat  sich  M.  Müller  nicht  geringe  Verdienste 
erworben;  er  hat  zur  genaueren  Erkenntnis  seines  Sprachgebrauches 
viel  beigetragen  und  in  gediegenen  Abhandlungen  und  Ausgaben 
das  Verständnis  des  Werkes  sehr  gefördert.  Seine  Stärke  lag 
auf  dem  Gebiete  der  Textkritik:  zahlreiche  Lesarten  sind  von  ihm 
als  verkehrt  erwiesen,  manche  Stellen  in  glücklichster  Weise  ge- 
heilt, häufig  die  Worte  der  Oberlieferung  mit  Erfolg  in  Schutz 
genommen  worden.  Unter  den  Liviusforschern  wird  Moritz  Müller 
zu  aller  Zeit  mit  Ehren  genannt  werden;  seine  Arbeiten  über 
Livius  werden  für  klassische  Philologen  noch  lange  eine  Quelle 
der  Belehrung  sein. 

Jahresbericht«  XXX.  \ 


2  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Die  Revision  der  Bücher  1 — 6  zeugt  von  derselben  Gewissen- 
haftigkeit und  Gründlichkeit,  die  ich  an  allen  Veröffentlichungen 
H.  Möllers  rühmend  hervorzuheben  Anlaß  gehabt  habe  (vgl.  Jß» 
1900  S.  1).  Dem  Text  geht  vorauf:  Scripturae  editionis  Weid- 
mannianae  ßerolinensis  a  nostra  discrepantis  index  addito  apparatu 
critico  (51  S.  lang).  Ich  könnte  hieraus  manche  interessante 
Bemerkung  über  den  Sprachgebrauch  anfuhren,  muß  aber  wegen 
Raummangels  darauf  verzichten;  es  steht  ja  zu  erwarten,  daß 
niemand,  der  sich  grundlicher  mit  diesen  Buchern  beschäftigen  will, 
M.  Mullers  Ausgabe  unbeachtet  lassen  wird.  Aus  demselben  Grunde 
muß  ich  es  mir  versagen,  die  von  meiner  Ausgabe  abweichenden 
Laa.  zu  verzeichnen.  Es  handelt  sich  durchweg  um  Stellen,  die 
ifl  den  Livius-Jahresberichten  mehr  oder  weniger  ausführlich  be- 
sprochen worden  sind  (M.  Müller  zitiert  diese  auf  jeder  Seite)», 
und  daher  linden  diejenigen,  welche  die  Jahresberichte  lesen  und 
vielleicht  gar  exzerpieren,  in  der  Ausgabe  wenig  ihnen  Unbekanntes. 
Aber  hier  und  da  ist  doch  ein  'fort,  recte',  'non  injuria'  u.  drgl. 
neu  hinzugefügt,  was  in  der  Regel  Beachtung  verdient,  und  häufig 
begegnet  an  desperaten  Stellen  ein  (possis  etiam:  .  .  .',  wo  das 
Vorgeschlagene  regelmäßig  hinsichtlich  des  Ausdrucks  und  der 
Livianischen  Diktion  einwandsfrei  ist.  Diese  Verbesserungsvor- 
schläge hat  M.  Müller  fast  alle  in  meinen  Jahresberichten  begründet; 
daß  er  die  meisten  von  ihnen  nur  im  kritischen  Apparat  erwähnt» 
nicht  in  den  Text  aufgenommen  hat,  spricht  für  die  Besonnenheit 
seines  Verfahrens.  An  manchen  Stellen  muß  freilich  von  vorn- 
herein an  einer  alle  Welt  befriedigenden  Emendation  verzweifelt 
werden,  anderswo  geht  M.  Müller  in  der  Annahme  von  Lücken 
augenscheinlich  zu  weit,  zuweilen  entscheidet  sozusagen  das 
subjektive  Empfinden,  ob  man  diese  oder  jene  La.  wählen  soll; 
aber  dort,  wo  Sinn,  Logik  und  Sprachgebrauch  die  Entscheidung 
geben,  ist  zwischen  M.  Müllers  Ausgabe  und  der  meinigen  keine 
große  Verschiedenheit.  Ich  zähle  z.  ß.  im  ersten  Buche  24  Ab- 
weichungen bei  ihm;  wäre  ich  in  der  Lage  gewesen,  eine  neue 
Auflage  herauszugeben  (die  letzte  datiert  vom  Jahre  1885),  so 
würde  die  Übereinstimmung  mit  M.  Müller  sogar  eine  vollständige 
sein.  Ähnlich  steht  es  bei  den  Büchern  2 — 6,  die  in  der  Weid- 
ma mischen  Ausgabe  lange  nicht  revidiert  worden  sind  (die  Bücher 
5  und  6  zum  letzten  Male  im  Jahre  1886).  Ich  möchte  hieraus, 
den  Schluß  ziehen,  daß  der  Hsgb.  den  'Index  addito  apparatu 
critico'  unpraktisch  angelegt  hat.  Da  in  diesem  für  die  nächsten 
Jahre  oder  Jahrzehnte  jede  größere  Änderung  ausgeschlossen  ist,, 
werden  viele  Angaben  in  ihm  bald  nicht  mehr  richtig  sein,  und 
warum  sich  an  eine  andere  Ausgabe  so  eng  anschließen,  statt  die 
selbständige  Erwägung,  die  doch  überall  vorliegt,  auch  in  selb- 
ständiger Form  zum  Ausdruck  zu  bringen?  Bei  Madvig,  dessen 
Beispiel  M.  Müller  gefolgt  ist,  lag  die  Sache  etwas  anders.  Er 
gab  die  Abweichungen  seiner  Ausgabe  von   der  Weißenborngehen 


s~\ 


Liviuft,  von  H.  J.  Maller.  g 

alle    an,    weil   diese  bei  ihrem  Erscheinen  ein  gewisses  Aufsehen 
erregte.     Als    dann  Wßb.  in   sehr   vielen  Fällen   zu  den  Madvig- 
schen  Laa.  griff,  änderte  Mg.  seine  früheren  Bemerkungen  ab  und 
klammerte    sie    vorn    und  hinten  ein,    da  aus  den  Abweichungen 
nunmehr    Obereinstimmungen    geworden    waren.     Er   hat   damit 
wohl   andeuten  wollen,    daß  seine  Entscheidungen  auf  Wßb.  von 
Einfluß  gewesen  seien ;  richtiger  wäre  es  aber  gewesen,  die  Notizen 
alle  zu  streichen.     Umgekehrt  habe  auch  ich  in  der  Weidmann- 
sehen    Ausgabe    auf  Mg.  Bezug    genommen,    indem    ich    die  Ab- 
weichungen Madvigs  alle  erwähnte;  aber  die  betreffenden  Notizen 
sind  von  Auflage  zu  Auflage    abgeändert    oder   ganz    weggelassen 
worden.   Die  Ausgabe  eines  Madvig  verdiente  diese  Berücksichtigung 
jedenfalls.     Weshalb  aber  eine  neuere  kritische  Ausgabe  bloß  die 
Weißenbornsche  Bearbeitung  heranzieht,  ist  nicht  einzusehen;   in 
der  Kritik  kommen  doch  weit  eher  Madvig    und    (für   die   dritte 
Dekade)  Luchs  in  Betracht.     Es    hätte   sich    also  meiner  Ansicht 
nach  empfohlen,  den  Bemerkungen  durchweg  die  Form  zu  geben, 
die   sie    in    der  Weidmannschen  Ausgabe    haben.     Sie    hätten  ja 
dann  in  sehr  vielen  Fällen  ganz  übereinstimmend  gelautet;  aber  das 
macht  doch  nichts  aus.    Im  Gegenteil,    die  Obersicht  würde  da- 
durch bedeutend  gewonnen  haben,  und  der  Hsgb.  wäre  ganz  von 
selbst    darauf   aufmerksam  geworden,    daß  manches  präziser  und 
äußerlich  konsequenter    ausgedrückt    werden    konnte.     Wenn    es 
1,  1,  5  heißt:  (Troia  codd.,  Troiae  Gron.,  Drak.,  Madv.),  so  lasse 
ich  mir  die  Erwähnung  Gronovs  gefallen,   weil  er  diese  La.  vor- 
geschlagen hat,    und  auch  die  Madvigs,    weil  er  sich  hierfür  ent- 
schieden hat;  aber  wozu  wird  auch  Drakenborch  angeführt?   Viel- 
leicht weil  er  ähnliche  Stellen  zitiert;    aber  das  pflegt  sonst   mit 
einem  „cf."  angefügt  zu  werden.    So  steht  (1,  7, 12):  fartae  R1  (?), 
Sobius,  G ruter,  Gronov;   es  hätte  genügt,   Sobius  zu  nennen;    so 
1,  16,  8:   fidei  cod.  Einside].,  Gronov,  Hertz,  Madvig  u.  a.  m.  — 
Eine  Kleinigkeit  ist  es,  wenn  1,  1,7  eine  Klammer  vor  Laurentem 
fehlt,  ebenso  1,  4, 5  vor  eluvie,  1,  5,6  vor  eodem  und  so  an  sehr 
vielen  Stellen;  auch  am  Ende  ist  sie  zuweilen  vergessen  worden, 
und   manchmal   sind    die  Klammern   überhaupt  nicht  am  Platze, 
wie  bei  forum  apte  .  .  (2,  31,  2).     Genauigkeit  ist  aber  auch  in 
diesen  Dingen    angenehm    und    wünschenswert.  —  Ich    erwähne 
ferner  die  ungleichmäßige  Anwendung  der  Kursivschrift,  die  z.  B. 
schon  anfangs  bei  I,  1  versäumt  worden  ist;  Verschiedenartigkeit 
in  der  Abkürzung  von  Wörtern  und  Namen;  unmotivierte  Zwischen- 
räume  (z.  B.  1,  17, 1;  2,  5,  14  u.  a.);    verkehrte    Interpunktions- 
zeichen   (1,39,5  Komma  hinter  R  statt  Punkt;    2,41,6  Punkt 
hinter  HIM  statt  Komma;  2,  32, 10  Punkt  hinter  Thenn  zu  tilgen 
u.  8.  f.).    Auch  Druckfehler  begegnen,  z.  B.  1,  47,5  revoltiere  statt 
revolvere;  S.  XIV  Z.  17  steht  Donja tius;  S.  XVI  Z.  24  citum  statt 
eibum;  S.  XVIII Z.  3  delato  statt  deleto;  S.  XL11I  steht  Morstad  u.a.m. 
(doch  sind  mir  solche  in  den  handschr.  Varianten  nicht  aufgefallen). 

1* 


4  Jahresberichte  d.  Philolog.   Vereins. 

Im   folgenden  führe  ich  einzelnes  an,    das  in  dem  apparatus 
criticus  hätte  erwähnt  werden  können. 

ßuch  1.  Praef.  tl  vermutet  Noväk  sero,  weil  Livius  dieses 
Adverb  immer  gebrauche,  wenn  er  nicht  einen  besonderen  Grund 
habe,  zu  dem  Adjektiv  zu  greifen.  —  2,  1  gravate  Noväk;  so  sage 
Livius  stets,  gravatim  finde  sich  nur  bei  Lukrez  und  Solin.  — 
4,  7  LarerUiae . . .  Larentiam]  MD;  laurentiae  .  .  .  laurentiam  PFUR ; 
vgl.  E.  Baehrens,  N.  Jahrb.  1885  S.  777ff.  —  Wenn  zu  8,  5 
<stmsfra>  est  (Jordan)  erwähnt  wurde,  konnte  auch  mein  Vor- 
schlag (ad  laevam}  est  angeführt  werden.  —  9,  7  ist  concelebrat 
.  .  .  faceret  schon  vor  Mg.  von  Morstadt  vorgeschlagen  worden 
(1847).  —  15,  1  setzt  Mg.  hinter  stimulabat  einen  Punkt,  was 
Beachtung  verdient;  Noväk  setzt  ihn  schon  hinter  animi.  —  18,  4 
ist  im  Text  taetrica  zu  schreiben.  —  20,  7  ist  das  an.  elg.  atque 
curarentur  vielleicht  auf  Rechnung  der  ersten  Dekade  zu  setzen; 
aber  Gronovs  Konjektur  ac  procurarentur  verdiente  Erwähnung, 
weil  dies  der  stehende  Ausdruck  für  Sühnung  von  Prodigien  bei 
Livius  ist  und  atqxurarentur  leicht  aus  acjpcurarentur  verlesen 
und  verschrieben  werden  konnte.  —  21, 1  pro  timore  schon  Kleine; 
vgl.  hierzu  Ovid  Fast.  1,  251.  —  26,  5  steht  im  Text  der  Druck- 
fehler tarnen  (statt  tarn).  —  28,  4  ist  hesterno  .  . .  proelio  auf  Wßb. 
zurückzuführen.  —  35,  9  wird  annui  von  Grünauer  gestrichen, 
dem  einige  Herausgeber  gefolgt  sind.  —  43,  11  ibi  si  variaret, 
quod  raro  incidebat,  (instituttun,)  ut  secundae  classis  vocarentur 
Noväk,  wohl  richtig.  —  47, 6  steht  im  Text  der  Druckfehler 
tnonumentum  (statt  momentum).  —  52,  6  sieht  Soltau  in  den 
Worten  bmosque  ex  singulis  eine  Interpolation.  —  55,  9  quippe 
summam  Bekker.  —  57,  9  tempus  terentem  Madvig.  —  57,  12 
$cbiage  ich  vor  conclamant  zu  schreiben,  wie  30,  11,3  stimulant 
(mit  2). 

Buch  2.  2,  4  hie  schon  g  (ed.  Parm.  1480).  —  4,  3  quorum 
memoria  vetustate  abiit  Noväk.  —  4,  5  cenatum  g  (Duk.).  —  7,  9 
vobis  g  (Gron.).  —  7,  12  paedes)  Vicae  Potae  Noväk,  nicht  ohne 
Grund. —  10,  4  hat  vor  Vielhaber  schon  Clericus  die  Streichung 
von  transitum  angeraten.  —  10,  5  schlage  ich  eine  Umstellung 
vor:  e  pugna  statt  pugnae.  —  12,  15  ist  die  Notiz:  {ut  codd.,  at 
tu  Madv.)  zu  streichen;  die  angeführte  La.  ist  eine  Vermutung 
von  Tittler.  —  13,  8  steht  inviolatam  (ohne  que)  in  Fg  nach 
Hertz  (fehlt  in  Frigells  Collatio),  —  18,  4  (nicht  3)  streicht  Madvig 
natürlich  auch  nee  vor  quo  anno.  —  22,  4  clades  auch  R*.  — 
30,  1  Larci  putabant  sententiam  (eam)  hat  auch  Reuß  vor- 
geschlagen (N.  Jahrb.  1896  S.  672);  ich  hatte  mir,  um  die  über- 
lieferten Worte  zu  halten,  (eam)  sententiam  am  Rande  notiert.  — 
32,  2  wird  der  Vorschlag  nee  dentes  quem  conficerent  mitgeteilt; 
ich  würde  mir  das  quem  gefallen  lassen,  wenn  noch  (aeeepissent) 
dabeistände.  —  33,  2  die  Ergänzung  (constat}  findet  sich  schon 
in  Noväks  Ausgabe;  dieser  hat  das  Verb  aber,  weniger  gut,  hinter 


Livins,  vod  H.  J.  Müller.  5 

atuctorem  gestellt.  —  34,  10  ist  Wsbg.  statt  Wfib.  zu  schreiben. 
Wie  aus  meinem  Anhang  ersichtlich  ist,  hat  Weißenborn  die 
Überlieferung  zu  erklären  gesucht;  Wesenberg  anderseits  bat  ante 
hinzugefügt,  aber  an  einer  anderen  Stelle.  —  38,  1  venirtt  £ 
(Frob.  1).  —  39,  4  ist  Labicos  zu  schreiben  nach  MVorm.PH 
(und  so  immer).  —  40,  3  primo  £  (Aid.).  —  41,  5  acceperint  g 
(Frob.  1).  —  41,  9  klingt  mir  suspicionem  anitnis  hominum  insitam 
regni  erträglicher  als  was  im  Text  steht.  —  Die  Kapitelzahl  XLIII 
ist  vergessen.  —  43,  1  vermute  ich  agrum  quogue  Romanum.  — 
46,  3  ist  eine  Konfusion  untergelaufen:  ordinis,  wie  die  Hss.,  hat 
Wßb.;  ordines  hat  M.  Muller  aufgenommen.  —  46,  4  ist  'Madvig' 
zu  streichen;  denn  in  der  neuesten  Auflage  hat  auch  er  insigne 
drucken  lassen.  —  50,  7  accidebant  g  (Frob.  2).  —  50,  11  ist 
als  abweichende  La.  von  M  dasselbe  wie  aus  den  codd.  angegeben; 
MU  haben  aber  aetate.  —  58,  1  additos  g  (Mog.).  —  61,  8  ist  nach 
der  sonstigen  Gewohnheit  MFF  zu  schreiben.  —  64,  5  erkläre  ich 
publica  für  ein  Glossem;  vgl.  Drakenborchs  Bemerkung. 

Buch  3.  29,  5  dotnos  Noväk,  wohl  mit  Recht.  —  47,  4  ist 
nach  meiner  Ansicht  Appius  vor  interfatur  zu  streichen  oder  in 
den  nächsten  Satz  zu  stellen  (hinter  quem  oder  decreto  oder 
scrmonem). 

Buch  4.  7,  12  etiam  V  et  rell.  cod.;  das  et  ist  vielleicht 
beizubehalten.  —  10,  1  dürfte  ad  eutn  dkm  zu  schreiben  sein.  — 
13,  5  (coeptis}  necdum  compositis  Noväk,  was  zu  beachten  ist:  ich 
würde  (captü)  vorziehen.  —  17,  2  steht  Q.  (statt  C.)  Fulcinium 
im  Texte.  —  28,  2  haben  MVorm.  hinter  adortus  nur  agentes  und 
bringen  das  dazugehörende  drcum  hinter  subitos.  —  35,  4  ist  zu 
schreiben:  desunt  4  litterae  (nicht  6 — 8).  —  37,  6  ist  bei  sorte 
Madvigs  Name  zu  streichen.  —  49,  6  Deciö]  Sextio  Aldus,  wie 
wahrscheinlich  gelesen  werden  muß. 

Buch  5.  7,  7  könnte  man  an  (opem)  operamque  denken. 
Das  folgende  extra  ordinem  ist  möglicherweise  die  Veranlassung 
gewesen,  daß  dieselben  beiden  Wörter  als  Glossem  zu  voluntariam 
hinzugefügt  wurden.  —  21,  4  currit  Noväk  (vgl.  38,  56,9);  tnter 
sei  durch  Wiederholung  aus  dem  vorhergehenden  mterim  ent- 
standen. —  34,  2  Ambicatus  =  „großer  Krieger"  wollen  schreiben 
Whitley  Stokes  und  H.  d'Arbois  de  Jubainville.  —  34,  8  wird 
saUusque  Iuliae  Alpis  verteidigt  von  W.  Osiander  und  H.  d'Arbois 
de  Jubainville.  —  37,  5  ist  vielleicht  effuso  zu  schreiben;  vgl. 
Wßb.  zu  27,41,  10.  —  38,8  ist  hinzuzufügen:  diffigit  Lov.  4, 
diflugit  Gronov.  —  43,  1  sind  zwei  abweichende  Laa.  aus  P1  und 
P*  gebracht;  die  zweite,  nach  Fügner  angegebene,  ist  aliein 
richtig.  —  43,  5  wird  obsideri  als  Lemma  gesetzt;  das  ist  aber 
bei  Wßb.  ein  Druckfehler,  wie  sich  aus  dem  Anhang  ergibt  — 
46,  2  vielleicht  Gabino  cinctu  (incinctus).  —  48,  9  dürfte  insolenti 
zu  lesen  sein.  —  52,  8  ist  in  der  Parenthese  hinter  lavinoque 
hinzuzufügen:  PU. 


£  Jahresberichte  d.  PhilolV^.  Vereins. 

Buch  6.  1,  10  conparerent]  Gronov;  conparnrent  MPL,  non 
conparerent  V.  —  2,  3  haben  nicht  bloß  g,  sondern  auch  roll, 
codd.  defectione.  —  2,  5  schreibt  Mg.  eisdem  mit  g  und  quibus 
mit  P.  —  3,  5  tnoenia  fehlt  nicht  in  V,  sondern  hier  fehlt  V 
überhaupt.  —  5,  5  ist  mouerant  M*  nicht  sicher;  s.  Aischefski.  — 
.6,  10  ist  partes]  partem  V  erwähnenswert.  —  11,  2  ist  a  Volscü 
zu  schreiben;  so  haben  die  meisten  Hss.  (aber  ad  uuhcis  M1 
a  uuhcis  Ma).  —  17,  8  durfte  a  quo  in  socüs  zu  lesen  sein.  — 
36,  12  dwnos  Noväk,  wohl  richtig.  —  41,  8  durfte  nostri  den  Vor- 
zug verdienen. 

In  Teubners  Sammlung  von  Schulerausgaben  sind  seit  dem 
Erscheinen  des  vorigen  JB.  folgende  Livius  betreffende  ßändchen 
erschienen : 

2)  F.  Fügner,    Kommentar  zur  Auswahl   aus  der  ersten  Dekade. 

1903.     VIII  u.  185  S.     8.     geb.  1,20  JC. 

3)  F.  Fügner,    Auswahl    aus    der    ersten    und    dritten    Dekade. 

Text.     Mit  6  Karten.     1903.     VIII  u.  277  S.     8.     geb.  2  JC. 

4)  und  5)   F.  Fügner,    Kommentar  zu  Nr.  3  in  2  Heften  (I— X,  XXI— 

XXX).    1903.    IV  u.  154  bzw.  IV  u.  171  S.    8.    geb.  je  1,20  JC. 

Zu  2.  Der  Kommentar  zu  dem  im  vorigen  JB.  angezeigten 
Textbändchen  einer  Auswahl  aus  der  ersten  Dekade  ist  ebenso 
angelegt  und  ausgearbeitet  wie  der  zu  der  Auswahl  aus  der  dritten 
Dekade,  die  inzwischen  bereits  in  zweiter  Auflage  erschienen  ist. 
Er  bringt  also  erst  eine  Anleitung  zum  Obersetzen  und  sodann 
grammatisch-stilistische  Regeln  mit  Beispielen  aus  dem  betreffen- 
den Textbande,  und  zwar  nur  aus  diesem,  nebst  beigefügten 
Übersetzungen.  Auf  diese  Kapitel  wird  im  nächsten  (3.)  Kapitel, 
den  fortlaufenden  Erklärungen,  verwiesen.  Gemeiniglich  sind  die 
Schuler  zu  bequem,  diese  zu  benutzen;  darum  ist  es  gut,  daß 
der  Verf.  in  ihnen  Maß  gehalten  und  Vorverweisungen  ganz  ver- 
mieden hat.  Die  Erklärungen  sind  im  allgemeinen  mit  Rucksicht 
auf  den  Standpunkt  eines  Untersekundaners  ausgearbeitet  worden, 
d.  h.  es  wird  nicht  eben  viel  vorausgesetzt.  Von  unbekannten 
Vokabeln  hat  der  Verf.  sogleich  die  Bedeutung  angegeben  nach 
Art  der  gedruckten  Präparationen;  auch  sonst  hat  er  für  Phrasen 
und  seltenere  Verbindungen  sofort  die  Obersetzung  geliefert,  wo 
es  sich  mit  Hinweis  auf  die  Grundbedeutung  und  die  vorliegende 
Begriffsentwickelung  kurz  machen  ließ.  Dieser  Weg  ist  jedenfalls 
praktischer,  als  wenn  man  versucht,  dem  Schuler  durch  Fragen 
das  Verständnis  zu  erleichtern  und  eine  brauchbare  Obersetzung 
nahezulegen:  der  Text  fragt  den  Schuler  ohnehin  genug.  Bei 
der  großen  Schwierigkeit  der  Liviuslekture  für  den  Unter- 
sekundaner darf  der  Kommentar  in  der  Tat  nicht  zu  dürftig 
sein,  wenn  die  Lektüre  nicht  zu  einem  „schleichenden  Übel44 
werden  soll,  für  Lehrer  und  Schuler  mehr  eine  Qual  als 
eine  Lust.    Mit  Hilfe   des  Kommenlars    kann   sich    der  Klassen- 


~s 


Livius,  von  H.  J.  Müller.  J7 

Unterricht  wohl  auch  an  schwierigere  Partieen  heranwagen,  z.  B. 
an  die  schöne  praefatio,  deren  Gedankengang  deshalb  auch  von 
dem  Verf.  —  ausnahmsweise  —  dargelegt  worden  ist.  Sonst  sind 
die  Abschnitte,  von  denen  der  Verf.  voraussetzt,  daß  man  sie  bei 
gunstiger  Gelegenheit  in  den  oberen  Klassen  wird  lesen  lassen 
(z.  ß.  das  Ende  des  Ständekampfes  VI  34-42  oder  Hätte  Alexander 
der  Große  Rom  überwunden?  IX  17 — 19),  mehr  dem  Standpunkte 
dieser  Stufen  entsprechend,  also  verhältnismäßig  knapper,  erläutert 
worden.  Der  Kommentar  beschränkt  sich  grundsätzlich  auf  die 
sprachliche  Erklärung  und  gibt  diese  ohne  jede  Abschweifung  oder 
gelehrte  Zusammenfassung;  auf  die  sachliche  Erläuterung  geht  er 
our  dann  ein,  wenn  sie  zum  grammatischen  Verständnis  nötig 
erscheint,  und  auch  dann  nur  mit  kurzen  Worten.  Der  wiß- 
begierige Schuler  findet  alles  Sachliche  in  wünschenswerter  Aus- 
führlichkeit und  mit  aufklärenden  Abbildungen  im  Hilfshefte,  das 
zwar  in  erster  Linie  für  die  Lektüre  der  dritten  Dekade  berechnet 
war,  aber  auch  für  die  erste  Dekade  ausreicht.  Schließlich  unter- 
scheidet sich  Fugners  Kommentar  von  ähnlichen  durch  die  Be- 
zeichnung sämtlicher  Längen,  auch  der  in  geschlossenen  Silben; 
nur  die  Endungslängen  hat  er  nicht  bezeichnet,  weil  hier  ein 
Irrtum  ausgeschlossen  sei.  „Es  wäre  dem  Herausgeber  gerade 
recht,  wenn  auch  seine  Hilfsmittel  die  richtige  Aussprache  des 
Lateinischen  förderten.  Eine  fremde  Sprache  wirkt  erst  dann 
auf  die  Vorstellung  richtig  ein,  wenn  sie  annähernd  ebenso  ge- 
sprochen wird  wie  von  denen,  die  sie  als  Muttersprache  benutzen 
oder  benutzten;  das  ist  für  die  Neusprachler  Axiom.  Mit  den 
durch  die  Natur  der  Sache  gebotenen  Einschränkungen  gilt  aber 
der  Satz  auch  für  die  toten  Sprachen,  und  unter  diesen  für  keine 
mehr  als  für  die  lateinische;  denn  diese  ist  sozusagen  unter 
freiem  Himmel  geschaffen".  So  heißt  es  im  Vorwort  S.  VIII. 
Anhangsweise  sind  eine  Anzahl  Versehen  im  Texte  berichtigt, 
darunter  (S.  1 15, 11)  die  Abirrung  des  Setzers  von  einem  Quiritium 
zu  einem  andern  Quiritium  in  der  nächsten  Zeile.  X  27,  5  ver- 
mutet F.  den  Ausfall  von  agro  hinter  Vaticano;  vgl.  jedoch  1  11,  4 
in  Crustuminum. 

Zu  3 — 5.  Mehrfach  geäußerten  Wünschen,  daß  die  wert- 
vollsten Stücke  aus  der  ersten  und  dritten  Dekade  in  einem  ßande 
vereinigt  sein  möchten,  ist  der  Verf.  mit  diesen  Heften  nach- 
gekommen. Dem  Text  ist  eine  kurze  Einleitung  über  Livius  und 
sein  Werk  (S.  VI — VIII)  vorausgeschickt,  die  ja  zur  ersten  Be- 
kanntschaft mit  dem  Autor  ausreichen  mag;  daß  dazu  freilich  die 
Namen  seiner  Quellen  alle  nötig  sind,  die  für  den  Schüler  doch 
inhaltslos  bleiben,  bezweifle  ich.  Diese  kürzere  Auswahl  enthält 
übrigens  fast  sämtliche  Stücke  aus  I,  II,  XXI  und  XXII,  die  in 
der  größeren  Auswahl  stehen.  Sonst  sind  u.  a.  weggelassen:  die 
Abschnitte  über  den  Ständekampf,  Scipio  in  Spanien  und  die 
Partieen  aus  dem  29.  Buche.     Das  Gebotene  reicht  natürlich   für 


8  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

die  verfügbare  Zeit  vollkommen  aus.  Zeittafel,  Namenverzeichnis 
und  Karten  sind  aus  beiden  Dekaden  zusammengestellt  bzw.  in- 
einandergearbeitet.  Außer  den  am  Ende  vermerkten  Druckfehlern 
ist  noch  zu  verbessern  S.  130  Z.  20  proiectis,  163,  8  tarn,  164,  3 
v.  u.  extremi,  168,  7  v.  u.  ac  tenore,  179  in  der  Überschrift  XXÜ 
und  XXIII  (st.  XII  und  XIII),  207,  6  P.  Cornelius  statt  Q.  Cornelius. 
Schulen,  denen  wenig  Zeit  für  Livius  zur  Verfügung  steht,  wird 
diese  verkürzte  Auswahl  nicht  ungelegen  kommen. 

Der  hierzu  gehörige  Kommentar  ist  auf  zwei  Bändchen  verteilt. 
Die  einleitenden  Kapitel  unterscheiden  sich  nicht  in  der  Anlage, 
wohl  aber  in  der  Ausfuhrung;  denn  das  erste  Bandchen  enthält 
mehr  Beispiele,  namentlich  in  der  Anleitung  zum  Übersetzen.  Die 
Anmerkungen  decken  sich  mit  den  entsprechenden  Partieen  des 
Kommentars  zu  der  größeren  Auswahl,  doch  sind  die  Abschnitte 
aus  der  dritten  Dekade  neu  durchgesehen  und  an  manchen  Stellen 
verbessert,  gewissermaßen  neu  aufgelegt  worden. 

Damit  ist  die  Schulerausgabe  des  Livius,  wie  sie  Fugner  ge- 
plant hatte,  abgeschlossen.  Wir  wollen  dem  Verfasser  wünschen, 
daß  die  große  Höhe,  die  er  darauf  verwandt  hat,  die  Lektüre 
seines  Lieblingsautors  für  die  Schule  fruchtbar  zu  machen,  recht 
vielen  Schulern  zugute  komme. 

*. 

Ausländische  Literatur,  die  mir  nicht  vorgelegen  hat: 

Livius,  Books  5  and  6.  Translated,  witb  iotroduction,  analysis,  notes, 
and  a  special  map  of  Central  Italy,  by  B.  Baker.  London,  Simpkin. 
162  S.     8.     3  Sh. 

Livius,  Book  22  edited  by  G.G.  Loane;   vgl.  Athenaeom  3936  S.  433. 

—  11  22  libro  delle  Storie  aonotato  dal  dottore  L.  Pederzolli.    Palermo 

1902,  R.  Sandron.     103  S.     16. 

—  Libri    21    et   22.     Texte    latio,    poblie    avec .  .  des   notes    critiqnes  et 

explicatives  .  .  par  O.  Riemann  et  E.  Benoist,  9.  Edition  revue. 
Paris,  Haehette  et  Cie.    XXIV  u.  386  S.     16.     2  fr.  50  c. 

—  Libri  23—25.    Texte  latio,  publik  .  .  .  par  O.  Riemann  et  £.  Benoist, 

7.  Edition  revue.  Paris,  Haehette  et  Cie.  XXIV  n.  533  S.  16. 
2  fr.  50  c. 

—  30.  Bog  ved  H.  Rafn.     Vgl.  V.  Thoresen,  Nord.  Tidsskr.  f.  fil.  XI  S.  42. 

—  T.  Montana ri,    Annibale.     L'uomo,    la    traversata   delle   Alpi    e   le 

prime  campagne  d'Italia,  fino  al  Trasimeno  secondo  gli  anticbi  e  la 
veritä  storica.  Rovigo  1901  (Leipzig,  A.  Twietmeyer).  XXIII  u. 
780  S.     gr.  8.     10  L.     Vgl.  Lit.  Centralbl.  1903  Sp.  412—413. 

—  G.   F.   Warner,    Zum    Originalmanaskript    der    schottisches 

Liviasäbersetzung  von  Bellenden.   Vgl.  Athenaeum  3898  S. 64. 

II.    Beiträge  zur  Kritik  und  Erklärung. 
a)   Abhandlangen. 
6)  R.  Novak,  Liviana.    Ceske  mosenm  filologicke  VIII  (1902)  S.  443— 451. 
3,  5,  7  ist  die  Richtigkeit  des  überlieferten  Wortlautes  durch- 
aus   zweifelhalt.     Die    Erklärung,    mit   der   Wfib.   sie    in    Schutt 
nimmt,   ist  gewiß  nicht  geeignet,    sie  glaubhaft  zu  machen,   und 


Livtns,  von  H.  J.  Müller.  9 

doch  scheint  es  keine  andere  zu  geben,  wenn  die  Worte  unver- 
ändert beibehalten  werden.  Das  Bedenkliche  liegt  in  der  Auf- 
fassung von  sustineri  potuere  im  irrealen  Sinne,  als  Hauptsatz  zu 
tii .  .  subvenisset-,  denn  aus  deinde  scheint  deutlich  hervorzugehen, 
daß  mit  nulla .  .  vi  sustineri  potuere  die  Tatsache  angegeben  wird, 
welche  auf  die  durch  den  Tod  des  Legaten  und  die  Verwundung 
des  Konsuls  veranlaßte  Verwirrung  der  Römer  und  Ermutigung 
der  Feinde  folgte.  Es  muß  also  bei  nulla  vi  sustineri  potuere  an 
die  Schlacht  gedacht  werden;  die  Römer  wurden  geschlagen  und 
ins  Lager  getrieben  (compulsi).  sie  wurden  von  neuem  belagert 
(pbsiderentur),  sie  waren  den  Feinden  weder  an  Mut  noch  an 
Streitkräften  gleich  und  hätten  das  Lager  nicht  halten  können, 
wenn  ihnen  nicht  unerwartete  Hilfe  gekommen  wäre.  Aus  dem 
Gesagten  ergibt  sich,  daß  für  den  Sinn  der  Stelle  bei  sustineri 
potuere  ein  Gedankenabschluß  anzunehmen  ist.  was  obendrein 
durch  den  Vergleich  zahlreicher  Stellen  bei  Livius,  wo  eine  ähn- 
liche Darstellung  in  eine  ähnliche  Form  gekleidet  ist,  bestätigt 
wird.  Soll  man  nun  von  der  La.  des  Harl.  1  und  einiger  jüngerer 
Hss.  Gebrauch  machen  und  quin  statt  cum  in  den  Text  aufnehmen, 
wie  es  Gr.  und  Mg.  getan  haben?  Es  scheint  auf  den  ersten 
Blick  eine  Hilfe  zu  sein,  ist  es  aber  nur  insoweit,  als  das  cum, 
4quod  scopas  dissolutas  reddit'  (Gr.),  beseitigt  wird;  denn  der 
Ausdruck  läßt  sich  schwerlich  rechtfertigen  ('videtur  ratio  loquendi 
imperare:  quin  conpulsos  in  castra  Romanos  rursus  obsiderent'  Gr.). 
Das  quin  beweist  ebenso  wie  andere  Varianten  in  jüngeren  Hss. 
(dum  statt  cum,  quin  pulsi  statt  cum  conpulsi,  venisset  oder  venissent 
statt  venissetquc),  daß  man  schon  in  uralter  Zeit  Anstoß  an  diesen 
Worten  genommen  und  Heilungsversuche  gemacht  hat,  und  Gr. 
selbst  war  von  der  Richtigkeit  des  quin  keineswegs  überzeugt. 
Er  macht  selbst  den  Vorschlag:  cum  conpulsi .  .  .,  venisset  in  peri- 
culum ...  (so  hat  der  Voss.  2,  nur  venissent;  desgleichen  so  der 
Portug.,  nur  dum  statt  cum  im  Text  und  quin  statt  cum  am 
Rande).  Das  wäre  eine  verhältnismäßig  leichte  Änderung;  aber 
es  wären  zwei  Haupthandlungen  in  einen  Nebensatz  zusammen- 
gedrängt, und  es  hätte  das  deinde  besser  nicht  zwischen  nulla 
und  vi,  sondern  vor  oder  hinter  cum  seine  Stelle  gefunden1). 
So  sagt  denn  Gr.:  4Ascensius,  si  forte  malis,  edidit:  Compulsi  in 
castra  Romani  rursus  obsidebantur\  und  dies  ist  die  La.,  die  Noväk 
als  die  allein  brauchbare  empfiehlt.  Daß  die  Stelle  so  ohne  jeden 
Anstoß  ist  und  den  besten,  natürlichsten  Wortlaut  gewinnt,   liegt 


l)  Beide  Bedenken  sind  aber  nicht  ausschlaggebend;  vgl.  3,  2,  11; 
3,63,4;  34,  39,7.  Unter  Beibehaltung  des  que  konnte  dann  wohl  eher  eine 
kleine  Lücke  angenommen  und  gelesen  werden:  Cum  conpulsi. . .  obsiderentur, 
nee  spe  nee  viribus  pures  (erant),  venissetque  in  periculum  summa  rerum, 
ni  .  .  .  subvenisset.  Könnte  übrigens  das  hinter  eopiis  überlieferte,  von  den 
Herausgebern  gestrichene  cum  nicht  durch  Umstellung  (vor  peregrinis  oder 
vor  eopiis)  gerettet  werden? 


10  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

auf  der  Hand.  Livius  hat  sich  auch  anderswo  (N.  zahlt  20  solcher 
Stellen  auf)  bei  der  Schilderung  von  Schlachtausgängen  in  über- 
einstimmender, fast  stereotyper  Weise  ausgedruckt,  was  ins  Ge- 
wicht fällt.  Nur  die  Änderungen  sind  etwas  stark;  aber  sie  lassen 
sich  so  erklären,  wie  es  von  N.  geschehen  ist:  cum  entstand 
durch  Dittographie  vor  con  und  bewirkte  die  Veränderung  des 
Indikativs  in  den  Konjunktiv.  So  ist  z.  ß.  43,11,2  fehlerhaft 
[cum]  conperta  aberliefert,  und  10,  11,3  ist  hinter  fuit  ein  fehler- 
haftes ut  entstanden,  welches  dann  die  Veränderung  von  deter- 
ruerurU  in  deterruerint  zur  Folge  gehabt  hat. 

23,  17,7  ist  das  vor  accipi  (so  P)  überlieferte  nimis  weder 
überzeugend  erklärt  noch  ansprechend  verbessert  worden.  Es 
liegt  nahe,  an  eine  Verstümmelung  aus  animis  zu  denken  und 
eine  kleine  Lücke  anzunehmen,  in  der  die  Gesinnung,  mit  der 
die  Legionen  aufgenommen  wurden,  charakterisiert  war.  Daher 
schreibt  N.  legionesque  (laetis  a)nimi$  accipi.  Schon  früher  hat 
J.  Miller  den  Ausfall  einiger  Worte  wahrscheinlich  gemacht  und 
darauf  hingewiesen,  daß  das  quoquc  im  folgenden  am  besten  ver- 
standen werde,  wenn  im  ersten  Satzteil  etwas  Ähnliches  gestanden 
habe.  Er  selbst  schlug  dictatorem  Romanum  legionesquc  (jnrofectos 
per  oppida  laetis  a)nimis  accipi  vor,  und  daß  noch  etwas  mehr 
als  laetis  a  in  der  Lücke  gestanden  hat,  ist  glaublich  (man  ver- 
mißt die  Angabe,  von  wem  oder  wo  sie  aufgenommen  wurden); 
die  Millersche  Fassung  profectos  per  oppida  ist  allerdings  nicht  zu 
empfehlen. 

24,  27,  3  sucht  N.  die  höchst  wahrscheinlich  lückenhaft  über- 
lieferte Stelle  folgendermaßen  zu  heilen:  praetores  dissimilare  primo 
et  trahenda  re  (in  mora)  esse.  Denselben  Gedanken  hat  früher 
M.  Müller  gehabt,  indem  er  vorschlug:  et  trahenda  re  (morae) 
esse.  Dieser  Ausdruck  findet  sich  z.  ß.  31,  40,9;  gewöhnlich  aber 
sagt  Livius  in  mora  esse.  Für  diese  Ergänzung  spricht  der  Um- 
stand, daß  das,  was  in  P  steht,  unverändert  beibehalten  wird 
(trahenda  re);  gegen  sie  die  Breite  des  Ausdrucks,  da  man  nichts 
weiter  als  trahere  rem  erwartet. 

24,  39,  7  mißbilligt  N.  die  Einfügung  von  fore  vor  deterritos; 
es  müsse  dahinter  stehen,  weil  Livius  es  so  zu  stellen  pflege  und 
es  sich  nicht  empfehle,  vor  und  hinter  deterritos  eine  Lücke  an- 
zunehmen. Er  hält  aber  dieses  fore  überhaupt  für  unnötig  und 
gibt  folgende  Begründung:  'nam  iam  tum,  cum  Hennensium  caedis 
fama  in  Sicilia  vulgata  est,  perterrili  ceteri  Siculi  poterant  videri 
nee  ideo  iam  tum  Romanorum  praesidia  prodituri'.  Ma reell us 
erklärte  sich  mit  dieser  gräßlichen  Tat  nur  deshalb  einverstanden, 
weil  er  glaubte,  die  Furcht  vor  einem  solchen  Schicksal  werde 
künftig  die  Sicilier  von  verräterischem  Tun  abschrecken.  Es 
könnte  heißen :  fama  cladis  deterriti  sunt  a  proditionibus  prae- 
sidiorum  Siculi;  aber  glauben  kann  Marrellus  wohl  nur  deterritum 
iri  oder  deterritos  fore  oder  auch  deterreri  Siculos,  nicht  deterritos 


"N 


Livias,  ¥•■  H.  J.  Miller.  11 

esse.  Luchs  hat  das  bloße  timore  deterritos  im  Text  stehen  lassen, 
scheint  aber  den  Ausdruck  des  Futurums  ungern  zu  missen; 
denn  er  vermutet,  daß  timore  in  tarn  fore  zu  ändern  sei. 

26,  24,  2  ist  m  fidem  gegen  den  Sprachgebrauch  des  Livius. 
d*»r  dafür  ebenso  wie  andere  Schriftsteller  ad  fidem  sagt  Weißen- 
born hat  sich  mit  dem  Hinweis  auf  diese  Tatsache  begnügt; 
Harant  nimmt  schweren  Anstoß  daran  und  ändert  in  und  die 
ganze  Stelle  in  der  willkürlichsten  Weise;  Noväk  meint,  man 
müsse  ad  fidem  statt  m  fidem  schreiben,  Es  läßt  sich  kaum  an« 
nehmen,  daß  dem  Schreiber  diese  moderne  Ausdrucksweise  so 
geläufig  gewesen  sei  oder  daß  er,  wie  N.  glaubt,  das  Folgende  in 
'per  neglegentiam'  voraufgenommen  und  zugleich  ad  übergangen 
habe.  Obwohl  die  Stelle  mit  dem  zweimaligen  in  nicht  hübsch 
klingt,  wird  man  doch  wohl  an  der  Überlieferung  festhalten 
müssen,  da  Livius  den  Zweck  nicht  selten  durch  m  in.  Akk.  aus- 
drückt, z.  B.  in  demselben  26.  Buche  11,5:  mittles  sub  veocillis  in 
suppletnentum  Hispamae  profcctos  audiü  und  29,  10:  ut  in  aus 
laudem  postremus  Romanorum  imperatorum  cader  et. 

36,  18,2  tritt  IN.  für  die  Schreibung  sarisophoros  und  ebenso 
44,  28,  7  für  Mppagogos  ein.  Den  Akk.  Plur.  mit  der  griechischen 
Endung  ovq  (sarisophorus,  hippagogus)  habe  Livius  sonst  nirgends 
gebraucht,  wohl  aber  hemerodromos,  damiurgos,  apocletos,  synedros 
geschrieben.  In  diesem  Sinne  hat  sich  schon  Drak.  ausgesprochen» 
und  Herausgeber  wie  Gr.  und  Mg.  haben  nicht  daran  gezweifelt, 
daß  jenen  Formen  bei  Livius  die  lateinische  Endung  zukomme. 

42,  24, 1 0  steht  conservata  im  Kodex,  wofür  Zingerle  servata 
geschrieben  hat  nach  dem  Vorschlage  von  Drak.,  der  auch  observata 
als  möglich  bezeichnet  hatte.  Nach  N.  spricht  für  comiter  con- 
servata die  'clausula  metrica  Livio  satis  usitata  iw-iwiw.  quae 
clausula  eo  est  h.  1.  gratior  et  fortior,  quod  accentus  quoque 
verborum  cum  pedum  ictu  concinit.  quod  non  ila  sit,  si  cotnüer 
servata  (-lwz__l  J  scripseris.  Livius  clausulae  illius  gratia  videtur 
h.  1.  verbum  copulatum  simplici  praeposuisse'.  Er  fährt  fort: 
'Eiusdem  clausulae  (±„**±„±J)  causa  Livius  verbo  adaugendi, 
quod  alibi  non  adhibet,  usus  videtur  10,23,6:  magnifica  verb(a) 
adauxit\ 

42,  26,  6  sucht  N.  durch  Ausscheidung  einer  'adnotatio  inter- 
linearis'  in  Ordnung  zu  bringen;  ut  adirent,  meint  er,  habe  über 
qui  senatum  gestanden  und  sei  versehentlich  in  den  Text  geraten. 
Diese  Annahme  ist  sehr  bestechend,  da  man  sich  ein  solches 
Glossem  wohl  denken  kann  (vgl.  unten  zu  44,  6,  5)  und  die  Stelle 
hiermit  geheilt  ist;  vgl.  23,  7, 11.  Die  La.  des  Grynaeus  ist  jeden- 
falls unstatthaft  und  die  anscheinend  leichte  Änderung  Mg.s,  der 
qui  ut  statt  ut  qui  schreibt,  nicht  ausreichend;  denn  ut  adirent 
genügt  nicht,  es  mußte  ut  adire  liceret  heißen  (N.  führt  14  Stellen 
aus  Livius  an).  Und  hierbei  würde  man  außerdem  ein  stfrt,  ob- 
gleich es  nicht  nötig  ist,  doch  ungern  vermissen.    Ich  habe  bisher 


12  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereint. 

geglaubt,  in  qui  stecke  vielleicht  das  tibi;  aber  wer  möchte  den 
Mut  haben,  die  Lesung  legatis,  {gut),  ut  sibi  adire  senatum  (liceret), 
tum  postulassent  vorzuschlagen? 

42,  52, 13  ist  Vahlen  für  die  La.  animos  habendos  esse,  quos 
habnerint  maiores  eorum  eingetreten,  und  Zingerle  hat,  ihm  folgend, 
so  in  seiner  Ausgabe  geschrieben.  Es  könnte  ja  so  heißen:  aber 
der  Singular  ist  doch  mindestens  ebenso  häufig  (z.  B.  10,  16,7: 
si  sit  animus  Etruscis,  qui  Porsinnae  quondam  maioribusque  eornm 
fuerit),  und  da  muß  doch  das  überlieferte  habendum  esse  quem 
den  Ausschlag  geben.  Die  Hs.  hat  animum  hos,  und  N.  meint, 
hos  sei  vor  habendum  durch  Nachlässigkeil  entstanden  wie  23,  1, 1 
haec  vor  hannibal;  näher  liegt  es  wohl,  an  eine  Doppellesart  zu 
denken,  mag  man  nun  annehmen,  daß  um  über  animos  oder  daß 
os  oder  tos  über  animum  gestanden  haben. 

43,  2, 2  beweist  N.  die  Richtigkeit  des  überlieferten  petierunt, 
ne  se  socios  foedius  spoliari  .  .  .  patiantur  durch  den  Hinweis  auf 
6,10,5  und  38,20,10. 

43,  14,  6  tritt  N.  für  die  La.  quoad  hi  censores  magistratum 
habebunt  (Harant)  ein,  weil  quoad  von  dem  Sprachgebrauch  des 
Schriftstellers  gefordert  werde,  nicht  quamdiu  (VVßb.).  Für  dieses 
lasse  sich  nur  34,  6,  6  anführen,  und  doch  erkenne  man  leicht, 
daß  hier  quam  diu  nur  gesagt  worden  sei,  weil  es  im  vorher- 
gehenden entsprechend  tarn  diu  heiße. 

44,  6,  5  ist  es  schwer,  aus  den  Schriftzügen  des  Kodex  eine 
allseitig  befriedigende  La.  zu  entwickeln.  Es  haben  sich  viele  Ge- 
lehrte, auch  N.  schon  früher,  an  der  Verbesserung  der  Stelle 
versucht;  aber  Überzeugendes  hat  noch  keiner  aufgefunden.  Einen 
ganz  neuen  Weg  hat  jetzt  N.  eingeschlagen,  indem  er,  ebenso 
kühn  wie  geistreich,  annimmt,  es  sei,  um  anzudeuten,  daß  Perseus 
nur  kurze  Zeit  hätte  aushalten  sollen,  über  der  Zeile  duodeeim 
dies  übergeschrieben  worden  und  dies,  in  zwei  Teile  zerlegt,  in 
den  Text  gedrungen.  Er  vermutet  also:  itaque  si  [duo]  intrepidus 
[decem  dies]  primam  speciem  .  .  .  sustinuisset  unter  Hinweis  auf 
drei  Interpolationen  mit  Zahlangaben  (23,  19, 18;  24,  3,  3;  35, 
34, 4) ]).  Wer  es  für  möglich  hält,  daß  jemand  'ad  exiguum 
tempus,  quo  adventus  hostium  expectandus  Perseo  fuerit,  denotan- 
dum'  „zwölf  Tage  lang"  übergeschrieben  habe,  der  wird  N.s  Ver- 
mutung vielleicht  mit  Beifall  aufnehmen;  mir  scheint  das  nicht 
glaublich.  Aber  freilich  eine  Zeitangabe,  selbst  paucos  dies,  ist 
hei  primam  speciem  sustinuisset  überhaupt  nicht  denkbar,  und  so 
wird  man  ohne  stärkere  Änderungen  nichts  Erträgliches  zustande 
bringen.  Einen  Ausweg  hat  Vahlen  gezeigt,  welcher  schreibt: 
itaque  si  sua  intrepidus  eustodiens  primam  speciem  .  .  .  sustinu- 
isset, nur  entwickelt  sich  eustodiens  sehr  wenig  leicht  aus  .X.  düs. 
Löst  man  das  letztere  in  decem  dies   auf,    so   kann   man   hieraus 

l)  Hier  will  N.  die  Wörter  uno  die  ausmerzen. 


~\ 


Livia«,  v*a  H.  J.  Möller.  13 

vielleicht  defendens  machen  und  dies  für  eustodiens  einsetzen. 
Man  vermißt  den  bestimmten  Ausdruck  des  Subjekts ;  aber  dieses 
läßt  sich  teils  aus  dem  vorhergehenden  rcgüs  promdns^  teils  aus 
dem  gegensätzlichen  kosthm  erganzen. 

44,  10, 2  bezeichnet  N.  als  eine  nachlässige  Ausdruckweise, 
die  dem  Schriftsteller  unmöglich  zugetraut  werden  dürfe;  er 
vermutet,  daß  etwas  ausgefallen  sei,  und  will  lesen:  id  ipsum  quod 
aceidit  (providens  ei)  paenäentiae  relinquens  locum.  Sehr  be- 
achtenswert; und  doch  habe  ich  das  Gefühl,  daß  die  vorliegende 
Ungenauigkeit  bei  Livius  hingenommen  werden  darf.  Oder  könnte 
man  an  pae*üe*di[ae]  denken? 

45,  7, 2  steht  eiu  merkwürdiges  tunc,  das  man  für  unrichtig 
hält  und  wohl  auch  halten  muß,  weil  die  Erwähnung  des  Zeit- 
punktes unpassend  ist.  Nicht  besser  aber  steht  es  mit  tarnen* 
was  H.  A.  Koch,  und  mit  eftam,  was  Hartel  dafür  vorgeschlagen 
hat,  und  man  würde  N„  der  es  streicht,  gern  beipflichten,  wenn 
man  für  die  Entstehung  des  Wörtchens  eine  probable  Erklärung 
hätte;  er  selbst  meint  'extitisse  tunc  praecepta  parte  vocis  pufttct, 
quae  sequitur'. 

45,  25, 13  steht  im  Kodex  ein  unerklärliches  adipsos,  dessen 
überzeugende  Verbesserung  noch  nicht  geglückt  ist.  et  tjpst 
(Grynaeus)  ist  eine  starke  Änderung  und  ein  nichtssagender  Zu- 
satz, selbst  wenn  man  annimmt,  daß  eine  Vereinigung  der  Kaunier 
und  Ciby raten  erfolgt  sei.  ad(versus)  ipsos  (Hartel)  aber  ist  un- 
geeignet; denn  wer  gekommen  ist  Euromensium  prowneiam 
edemptum,  von  dem  kann  unmöglich  obendrein  gesagt  werden, 
daß  er  adversus  ipsos  (näml.  Euromenses)  gekommen  sei,  noch  dazu 
tjpsos.  Hier  wendet  nun  N.  wieder  das  Allerweltsheilmittel  der 
Streichung  an;  'fortasse  locus  dittographia  corruptus  est  et 
scribendum:  provmäam  ademptum  jadepto]  coniuncto  exercitu 
venerant'.    Es  soll  also  adipsos  ursprünglich  adepto  gewesen  sein. 

45,  26,  3  will  N.  bloß  dedita  lesen,  nicht  dedita  est,  weil  sich 
nicht  annehmen  lasse,  daß  est  in  tot  (so  hat  der  Kodex)  ver- 
schrieben worden  sei.  Er  nimmt  folgenden  Vorgang  an:  der 
Schreiber  habe  zunächst,  durch  et  veranlaßt,  dedüo  geschrieben 
und  dann  zur  Verbesserung  ta  über  to  gesetzt;  hieraus  sei  deditato 
und  dann  dedüatot  entstanden.  Ist  das  nicht  ein  recht  kom- 
pliziertes Verfahren?  Nach  Vahlens  Kollation,  die  sich  bisher  als 
zuverlässig  bewährt  hat,  steht  im  Kodex  bloß  dedidat,  und  das 
wird  man  wohl  zu  dedita  est  vervollständigen  dürfen  {est  ist  an 
dieser  Stelle  doch  sehr  erwünscht). 

45,  26,  1 2  streicht  N.  das  et  vor  castetlis,  um  das  Asyndeton, 
welches  man  erwarte,  herzustellen.  Da  im  Kodex  nicht  et,  sondern 
est  geschrieben  steht,  so  hat  der  Vorschlag  viel  für  sich;  doch 
verlangt  der  Punkt  eine  zusammenfassende  Untersuchung  (vgl. 
Wßb.  zu  3,  1,  5).  Die  an  unserer  Stelle  vorkommenden  Begriffe 
finden  sich  häutiger  ohne  Verbindungspartikeln  nebeneinander  ge- 


14  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereiot. 

stellt;  s:  37,  56,  6;  38,  38,  4;  38,  39, 14;  45,  29,  6.    Noväk  sagt: 
'dittographia  est  castellis  subesse  potest1. 

45,  40,  8  fällt  das  Kompositum  praedestinare  auf,  da  Livius 
dieses  sonst  nie  gebraucht  und  in  der  hier  vorliegenden  Ver- 
bindung sonst  immer  das  Simplex  angewandt  hat  (z.  B.  45,  39,  9). 
'fortasse  etiam  1. 1.  simpIex  verbum  primitus  fuerat,  eXprae  exara- 
tum  est  scriba  retro  ad  praetextato  aberrante'.  Das  kommt  mir 
sehr  wahrscheinlich  vor. 


7)  R.  Novak,  Liviaoa.     Ceske  mnsenm  filologieke  IX  (1903)  S.  81—87. 

3,  16,4  bezeichnet  der  Verf.  die  La.  quiesse  (Hg.)  oder  qui- 
escere  (Liesmayer)  als  nicht  sicher,  da  die  überlieferten  Wörter 
que  esse  auch  aus  dem  fälschlich  wiederholten  quiete  entstanden 
sein  könnten.  Er  selbst  zieht  die  Streichung  vor,  da  der  Begriff 
der  Ruhe  schon  in  sopitum  liege.  Er  verweist  auf  3,  63,  5,  wo 
alle  Hsgb.  mit  Recht  que  est  gestrichen  hätten,  und  erklärt  die 
Entstehung  aus  wiederholtem  'freques*.  Daß  solche  Wieder» 
holungen  in  den  Liviushandschriften  nicht  selten  sind,  steht  fest, 
und  es  können  dabei  aus  Unachtsamkeit  auch  kleine  Veränderungen 
vorgekommen  sein.  So  ist  es  möglich,  daß  an  der  zweiten  Stelle 
que  est  aus  fluchtigem  Lesen  hervorgegangen  ist;  an  der  ersten 
Stelle  aber  fehlt  es  an  äußerer  Wahrscheinlichkeit.  Und  wenn 
auch  der  Begriff  der  Ruhe  in  sopitum  schon  genügend  zum  Aus- 
druck gebracht  ist,  so  liegt  doch  in  der  Zusammenstellung  der 
beiden  Begriffe  m.  E.  kein  Anstoß ;  sagt  doch  Livius  9,  37,  9  sopit* 
quies  und  Lukrez  1,  30:  effice,  ut  interea  fera  moenera  milUiai .  . 
sopita  quiescant.  Ich  könnte  mir  eher  denken,  daß,  wie  auch 
sonst  zuweilen,  ein  que  hinzugesetzt  worden  sei  (also:  tum[que] 
esse  peregrino  terrore  sopitum  videbatur);  am  besten  wird  es  aber 
wohl  sein,  an  quiescere  festzuhalten.  —  44,  6  bezeichnet  N.  das 
Fehlen  einer  Kopulativpartikel  als  hart  und  schlägt  vor:  manum 
miecit  (ei)  .  .  .  appettans  sequi  tubebat.  Für  mich  hat  das  Asyndeton 
nichts  Anstößiges;  anderen  wird  es  vielleicht  sogar  wirkungsvoll 
scheinen.  Aber  ich  glaube  nicht,  daß  man  berechtigt  ist,  die  La* 
des  V  als  alleinige  Oberlieferung  anzusehen,  und  die  Nicomachiani, 
die  von  den  Herausgebern  als  die  grundlegenden  Codices  betrachtet 
werden,  enthalten  die  vermißte  Verbindung.  Die  Überlieferung 
der  Nicomachiani  ist  einwandfrei,  nur  muß  ein,  wie  es  scheint, 
ans  Dittographie  hervorgegangenes  esse  eliminiert  werden.  Das  se 
vor  tubebat  ist  recht  brauchbar,  und  der  Partizipialsatz  wird  dem 
Sinne  nach  wohl  besser  zu  manum  miecit  gezogen. 

4,  31, 2  nimmt  N.  den  Wortlaut  der  Hss.  (aperuenmt  ad 
oeeasionem  locum  hosti)  in  Schutz  unter  Hinweis  auf  4,  54,  6  und 
mit  der  Erklärung:  'aperuerunt  locum,  quo  occasio  fieri  fortasse 
posset'.  Obgleich  man  zunächst  zu  der  Annahme  neigt,  daß 
neben  oeeasionem  noch  ein  Genitiv  stehen  müßte  (vgl.  24,  37,  5), 


/*\ 


Li  vi as,  von  H.  J.  Möller.  15 

so  wird  man  sich  nach  Tac.  Agr.  14  doch  wohl  mit  der  gegebenen 
Erklärung  zufrieden  geben  können. 

9,  37, 2  hat  N.  schon  früher  vorgeschlagen,  den  Satz  bei 
delata  zu  schließen  und  mit  acies  einen  neuen  Satz  zu  beginnen. 
Er  begründet  diese  Abteilung  jetzt  durch  den  Hinweis  darauf,  daß 
Livius  wohl  castra  deferre  (conferre,  proferre,  referre,  transferre) 
sagt,  aber  nicht  aciem  deferre.  Ganz  stehend  heißt  es  anderseits 
bei  ihm  agmen  (exercitum,  equos,  Afros)  demittere  und  als  Gegen- 
teil davon  aciem  (agmen,  dextrum  cornu)  erigere. 

33,  2,  3  vermißt  N.  mit  Recht  die  Angabe  eines  Ortes,  wohin 
man  den  ohnmächtig  gewordenen  oder  von  einem  Schlaganfall 
getroffenen  König  Attalus  brachte.  Er  vermutet  den  Ausfall  der 
Wörter  <m  hospitium},  was  sehr  zu  beherzigen  ist  (vgl  1,  6).  Er 
will  die  Wörter,  wohl  um  den  Ausfall  äußerlich  zu  erklären,  hinter 
captum  einsetzen;  für  mein  Ohr  stehen  sie  besser  hinter  per- 
feruntque. 

42,  21,  3  schreiben  die  Herausgeber  paratos  ad  rebellandum 
meüasset.  Da  aber  die  Hs.  rebellium  hat,  ist  von  Wesenberg  die 
Ansicht  geäußert  worden,  es  sei  vielleicht  ad  rebellionem  zu  lesen. 
Dies  verwirft  N.,  indem  er  darauf  hinweist,  daß  sich  die  Verbindung 
ad  rebellionem  compdlere  (ineitare)  nur  an  einer  Stelle  der  ersten 
Dekade  finde  (9,  41,9),  sonst  aber  von  Livius  stets  ad  rebellan- 
dum eompellere  (ineitare)  gesagt  worden  sei,  auch  in  der  ersten 
Dekade;  vgl.  1,  54,  2;  8,  21,  5;  34,  46,  4.  60,  5;  40,  35, 12;  42, 
52,  7.  —  37,  7  erklärt  N.  für  die  beste,  von  dem  Sinn  und  dem 
Sprachgebrauch  des  Livius  empfohlene  La.:  fremitum  in  contionibus 
movebant  (Fügner).  —  61,  3  schlägt  N.  vor:  haee  per  $e  (magna) 
amplaquc;  (nam  cum  in  hoc  codice  saepius  singulae  voces  una 
aut  altera  syllaba  auetae  deprehendantur,  illud  ampletaque  = 
amplaque  esse  potest'.  Daß  sich  die  Verbindung  amplus  laetusque 
bei  Livius  nicht  findet,  wohl  aber  magnus  laetusque  und  magnus 
amplusque,  hat  doch  wohl  gar  keine  Beweiskraft,  und  der  paläo- 
graphische  Vorgang  ist  wesentlich  einfacher,  wenn  wir  annehmen, 
es  sei  eine  ganz  ähnlich  lautende  Silbe  übersehen  worden.  Ich 
halte  an  amp(la)  laetaque  fest.  —  64,  4  versucht  N.  folgende 
Heilung  der  schwer  verderbten  Stelle:  et  [in]  cons(pecta  diffi- 
euüa)te  oppugnationis  castrorum  [et]  extemplo  circumegit  aciem; 
das  gestrichene  in  sei  aus  instmetus  wiederholt,  et  schon  von  Mg. 
getilgt  worden.     Er  verweist  u.  a.  auf  28,  6, 12. 

44,  16,  3  ist  mit  N.  zu  schreiben:  equis  .  .  .  opus  esse,  maxime 
Numidi(cis);  vgl.  30,  6,  9.  36,  8.  Den  Volksnamen  Numidae 
verbindet  Livius  nur  mit  Männerbezeichnungen  wie  equites  und 
iaculatores. 

45,  1, 10  hält  N.  domus  für  einen  bloßen  Schreibfehler  und 
▼erlangt  domos.  Ebenso  3,  29,  5  und  6,  36, 12.  —  3,  2  stellt  N. 
die  gewöhnliche  Form  triduum  her;  die  Hs.  biete  zwar  mitunter 


16  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Formen   mit  vo  statt  vu  (parvom,  volgus  u.  a.),    aber  nicht  mit 
uo  statt  uu. 

8)  A.  Zinserle,  Zar  fünften  Dekade  des  Livius.    S.-A.  ans  Wiener 

Studien  XXJV  (1903),  2.  Heft.     6  S.     gr.  6. 

Anknöpfend  an  seine  früheren  Erörterungen  über  Wort- 
wiederholungen und  Veränderungen,  die  unter  dem  Einflüsse  vor- 
hergehender oder  nachfolgender  Wörter  entstanden  sind,  erklärt 
sich  der  Verf.  für  folgende  drei  Lesarten. 

43,  2, 6  werde  recuperatores  egerunt  (Noväk)  vom  Sprach- 
gebrauch gefordert.  Mit  Recht  weise  N.  auf  das  folgende  sumpserunt 
(Hs.:  sü/serunt)  hin;  die  Abirrung  auf  einen  Zeilenschluß  sei  be- 
sonders leicht  erklärlich.  Auch  ich  glaube,  daß  egerunt  das  allein 
geeignete  Verb  ist  und  die  Wßb.sche  Erklärung  (nach  Mg.) 
sich  nicht  halten  läßt.  Das  folgende  sumpserunt  mag  die  Korruptel 
veranlaßt  haben;  aber  dann  liegt  ein  merkwürdiger  Zufall  vor,  da 
sumpserunt  gar  zu  viel  später  folgt. 

43,  20, 3  erwarte  man  das  maxitne  vor  captivos  eigentlich 
nicht.  Vergleiche  man  die  von  Drak.  zu  27,  4,  2  und  40,  13,  4 
gesammelten  Stellen,  so  ergebe  sich  ein  Unterschied  zwischen 
diesen  und  43,  20, 3.  Darum  glaubt  Z.,  daß  maoome  aus  dem 
Vorhergehenden  fälschlich  wiederholt  und  von  Heusinger  in  der 
Übersetzung  mit  Recht  außer  acht  gelassen  worden  sei.  Es  scheint 
mir  so,  als  wenn  nun  tum  etwas  in  der  Luft  schwebe  und  man 
eher  eine  Ortsbezeicbnung  (wie  ibi)  erwarte.  Ist  maxime  hier 
wirklich  anstößig,  dann  ist  vielleicht  die  Annahme  nicht  zu  kühn, 
daß  der  Abschreiber  IAM  MAXIME  fälschlich  wiederholt  und  dabei 
zugleich  die  ersten  drei  Buchstaben  unrichtig  gelesen  oder,  ent- 
sprechend der  ihm  geläufigen  Verbindung  tum  maxime,  ver- 
ändert habe. 

44,  22,  2  consul  tum  creatus  (Pluygers);  die  Hs.  hat:  conpulsus 
consulatus,  d.  h.  conpul  sei  aus  consul,  sus  aus  sum  entstanden, 
und  die  Wiederholung  des  Wortes  consul  habe  die  Anfangssilbe 
von  -atus  verdrängt.     Die   nächstliegende  Herstellung  sei  creatus, 

9)  F.  Fügner,  Berliner  philologische  Wochenschrift  1903  Sp.  333—336. 

Fugner  bespricht  an  dieser  Stelle  die  kritische  Ausgabe  des 
43.  Buches  des  Livius  von  A-  Zingerle.  Aus  dieser  Rezension 
verdienen  zwei  Bemerkungen  herausgehoben  zu  werden,  weil  sie 
für  die  Liviuskritik  von  allgemeinerer  Bedeutung  sind. 

1.  Fugner  weist  darauf  bin,  daß  die  Stelle  15,  1  —2  hinsicht- 
lich der  Verwendung  der  Kopula  auffällig  sei,  da  Livius  in  solchen 
Angaben  die  betreffenden  Formen  von  esse  mindestens  doppelt  so 
oft  weglasse  als  setze  und  hier  eine  „böse  Häufung44  vorliege. 
Darum  sagt  er  von  Zingerles  Vorschlag,  sunt  hinter  legiones  zu 
streichen,  daß  diese  Tilgung  an  sich  nicht  nötig,  aber  aus  dem 
vorher  angegebenen  Grunde  nicht   ohne  weiteres  verwerflich  sei. 


Livius,  voi  H.  J.  Müller.  17 

Seine  eigene,  früher  geäußerte  Ansicht,  daß  sunt  hinter  provincias 
unecht  sei,  gibt  er  jetit  auf,  aber  doch  nur  widerstrebend;  denn 
er  bemerkt,  daß  er  „auf  80  Seiten  der  fünften  Dekade14  keine 
andere  Stelle  gefunden  habe,  an  der  ein  akkusativisches  Objekt 
zwischen  dem  Partizip  und  der  sog.  Kopula  stehe.  Sind  das 
Gründe,  die  es  rechtfertigen,  die  Überlieferung  anzutasten?  Ich 
sage:  nein;  ja  ich  gehe  weiter  und  sage,  daß  an  solchen  Stellen, 
wie  der  besprochenen,  die  Häufung  eher  für  als  gegen  die  Richtig- 
keit des  Wortlauts  spricht  Man  denke  an  die  Aufzählung  der 
Prodigien,  wo  Livius  bald  das  Asyndeton,  bald  das  Polysyndeton 
anwendet;  ganz  ebenso  kann  ihm  gelegentlich,  wie  hier,  die  gleich- 
mäßige Anwendung  der  vollen  Formen  angemessen  erschienen 
oder  unbewußt  in  die  Feder  gekommen  sein.  Wenn  der 
Schriftsteller  §  1—3  scriptae  legiones  sunt,  dilectus  est  perfectus, 
sortüi  provincias  sunt,  sortiti  tränt,  Figulus  est  sortitus,  extemph 
est  profectus  sagt,  so  würde  es  sicher  auffällig  sein,  wenn  an 
einer  von  diesen  Stellen  die  sog.  Kopula-  fehlte.  Es  ist  denkbar 
und  naheliegend  anzunehmen,  daß  sich  der  Schriftsteller  in  der; 
Gestaltung  des  Wortlauts  vom  Wohlklang  hat  leiten  lassen,  und 
das  ist  etwas  Individuelles.  Somit  darf  nach  meinein  Urteil  aa 
die  Streichung  von  sunt  hinter  legiones  unter  keinen  Umständen 
gedacht  werden;  ebensowenig  an  die  Streichung  des  sunt  hinter 
provincias,  zumal  auch  sonst,  wie  ich  schon  früher  betont  habe, 
(es  kommt  aber  m.  £.  darauf  gar  nichts  an),  ein  Objekt  im 
Akkusativ  an  der  gleichen  Stelle  wie  hier  gefunden  wird,  z.  B, 
10,  24, 10  consules  sortitos  provincias  esse\  40,  1,  1  consules  prae- 
toresque  sortiti  provincias  sunt;  40,  44,  6  Scaevola  urbanam  sortitus 
provinciam  est. 

Im  Gegensatz  zu  unserer  Stelle  heißt  es  1,  5 — 9  ingressum 
hoc  iter  consulem  cognovit,  responderunt  Cassium  Aquileiam  pro- 
fectum,  credere  Histris  bellum  inlatum,  adfirmare  frumentum  milüi 
datum  et  duces  .  .  .  conquisüos  abductosque,  indignari  consulem  ausum 
(überall  ohne  esse).  Im  Hinblick  hierauf  bezeichnet  Fügner  das 
esse  hinter  Macedoniam  (1,7)  als  nicht  einwandfrei,  weil  im  Kodex 
bloß  se  stehe,  und  damit  hat  er  recht.  Aber  die  Entstehung 
dieses  Wörtchens  läßt  sich  nicht  erklären,  wenn  es  unecht  ist, 
und  die  Verbesserung  in  esse  ist  an  sich  wahrscheinlich;  darum 
muß  es  m.  E.  beibehalten  werden. 

2.  Fügner  hebt  die  schon  von  Noväk  beobachtete  Abneigung 
des  Livius  gegen  kretischen  Satzschluß  hervor,  die,  wie  er  sagt, 
ausgeprägt  genug  sei,  um  auch  für  die  Kritik  wertvoll  zu  werden; 
sie  müsse  einmal  in  vollem  Umfange  geprüft  werden.  Auf  diesen! 
Grunde  beruhe  die  Wortstellung  2,  6  absolutus  est  reus  (aber  hier 
ist  der  Greticus  wenigstens  in  der  Mitte  stehen  geblieben,  was 
sonst  ebenfalls  beanstandet  wird),  ferner  1,  4  est  conatus  (vgl. 
7,  5.  15,  1.  15,  3.  18,  7.  19,  11  u.  s.  w.),  sodann  5,5  sint  facta 
(vgl.  11,  1.  13,  2  u,  s.  w.),  desgleichen  die  häufige  Auslassung  von 

Jahresbericht«  XXX.  9 


18  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

est  und  sunt  bei  Partizipien  wie  f actus  und  audita;  ein  Zufall 
scheine  hier  fast  ausgeschlossen.  Im  ganzen  43.  Buche  blieben 
nur  folgende  „reine  Cretici"  bestehen1):  11,  13  mortuus  est 
„mitten  im  Satze,  in  einer  übrigens  zweifelhaften  Umgebung". 
Die  Stelle  ist  ganz  unsicher,  und  die  Schwierigkeit  liegt  gerade 
in  dem  gewiß  unrichtigen  mortuus  est.  Die  Stelle  verdiente  schon 
deshalb  nicht,  erwähnt  zu  werden,  weil  mortuus  est  kein  Creticus  ist. 
—  14,  1  edicta  sunt,  „in  der  Handschrift  edictas  uN  geschrieben "; 
vielmehr  edictas  //  tiJV,  d.  h.  bei  edictas  ist  am  Zeilenende  ab- 
gebrochen worden;  TV  ist  das  gewöhnliche  Kompendium  für  nt,  so 
daß  also  edicta  sunt  überliefert  ist,  was  natürlich  nicht  angetastet 
werden  darf.  —  18,  7  conatus  est,  wofür  die  Hs.  conatum  est  hat. 
Fügner  sagt:  „Es  wäre  wohl  zu  erwägen,  ob  man  nicht  in  conatum 
est  eine  Glosse  zu  est  adortus  sehen  und  lesen  darf:  oppugnare 
(urbem)  est  adortus  et  Corona  eam  capere".  Die  Einfügung  von 
urbem  hat  Mg.  angeraten,  damit  eam  eine  Beziehung  habe;  aber 
das  ist  stilistisch  nicht  unbedenklich,  und  die  Beziehung  auf 
Uscanam  scheint,  wenigstens  mir,  trotz  der  dazwischenstehenden 
Sätze  nicht  unmöglich  zu  sein.  Der  Leser  konnte  eam  kaum 
mißverstehen.  Livius  hat  an  dieser  Stelle  etwas  nachlässig  ge- 
schrieben, obwohl  daran  festzuhalten  ist,  daß  est  adortus  und 
conatus  est  keineswegs  dasselbe  besagen,  also  an  ein  Glossem 
nicht  ohne  weiteres  gedacht  werden  kann,  conatum  ist  gewift 
nur  Schreibfehler  statt  conatus.  Da  nun  oppugnare  absolut  stehen 
kann,  halte  ich  alle  weiteren  Änderungen  für  unnötig  (er  =  „und 
zwar").  —  21,  6  profectus  est  et  „mitten  im  Satze,  wo  ich  trotz* 
dem  am  liebsten  est  streiche";  [dazu  aber  haben  wir,  meine  ich, 
kein  Recht. 

Aus  dem  Gesagten  ergibt  sich,  daß  Livius  weder  inmitten  des 
Satzes  noch  auch  am  Satzende  den  Creticus  vermieden  hat.  Wollte) 
man  das  ganze  Werk  daraufhin  durchmustern,  so  würden  sich 
wahrscheinlich  viele  Beispiele  zusammenfinden.  Bedenkt  man 
ferner,  daß  Livius  das  Partizip  von  der  sog.  Kopula  auch  sonst 
oft  trennt,  wie  z.  B.  1,  3  fatigatus  miles  esset;  21,  5  relictus  a 
Perseo  erat  (vgl.  2,  9.  4,  1.  4,  5.  5,  2.  7,  1.  11,  6.  11,  7.  11,  8. 
11,  12.  15,  1.  15,  2.  17,  6.  21,  5  u.  a.),  oder  das  Verbum  finitum 

1)  Ausdrucks  weisen  wie  facta  est  (4,  1.  19,  10)  und  responsum  est  (5,  4. 
7,  2.  11,  13.  14,  5.  19,  7)  sollen,   wie  ich  vermute,  faetast  und  responsumst 

feleseo  werden,  dt  sie  in  der  Aufzählung  keine  Stelle  gefunden  haben.    Vgl. 
,  7  est  orta;  18,  9  victa  pertinacia  est. 

Ich  wundere  mich,  daß  Kreyßigs  Ergänzung  der  ersten  Zeile  diese» 
Buches  kaec  gesta  sunt  nicht  beanstandet  worden  ist,  da  ebensogut  haec 
sunt  gesta  hätte  geschrieben  werden  könnnen;  allein  das  44.  Buch  fängt 
ebenso  an. 

Auch  an  dem  „recht  auffälligen"  adortus  oppugnare  est  (21, 4)  ist 
nichts  zu  verändern;  es  entspricht  ja  genau  der  Theorie.  Wenn  der  Schrift- 
steller oppugnare  adortus  est  nicht  sagen  wollte,  so  blieb  ihm  doch  nur  di« 
obige  Stellung  oder  oppugnare  est  adortus  (18,  7)  übrig.  Fügner  möchte 
lieber  mit  Grynaeus  et  statt  est  lesen. 


^N 


Livius,  von  H.  J.  Müller.  19 

vom  Ende  des  Satzes  zurückstellt,  wie  z.  B.  1,  10  tris  ex  senatu 
nominet  legatos  und  qui  eo  die  proficiscantur  ab  urbe  (vgl.  2,  4. 
2,  9.  2,  12.  3,  6.  4,  9.  5,  4.  5,  6.  6,  3.  6,  4.  6,  13.  7,  7.  7,  9 
u.  s.  w.),  so  wird  man  Bedenken  tragen,  der  Theorie  von  der 
Abneigung  gegen  kretischen  Satzschluß  Glauben  zu  schenken. 
Meiner  Ansicht  nach  schrieb  Livius  so,  wie  es  seinem  Ohre  gut 
klang,  vielleicht  mit  einer  gewissen  Manier,  die  er  sich  angewöhnt 
hatte,  zuweilen  aber  auch,  um  durch  ungewöhnliche  Wortstellung 
einzelnen  Wörtern  einen  größeren  Nachdruck  zu  geben.  Hatte  er 
in  der  Rhetorenschule  wirklich  gelernt,  gewisse  Wortfolgen  zu 
vermeiden,  so  wird  ihm  dieser  ßrauch  gewiß  oft  in  die  Feder 
gekommen  sein,  aber  unbewußt  und  ohne  daß  er  sich  von  einem 
Zwange  beherrscht  fühlte.  Kurz,  ich  glaube  nicht,  daß  diese 
Theorie  für  die  Kritik  von  rechtem  Nutzen  sein  wird,  am  ehesten 
noch,  wenn  es  sich  um  Ausfüllung  von  Lücken  handelt.  Fehlt 
z.  B.  in  einem  Satze  das  Verbum  in  der  Bedeutung  „er  brach 
auf44,  so  habe  ich  nichts  dagegen,  wenn  man  am  Satzende  lieber 
est  profectus  als  profectus  est  (21,  6)  ergänzt;  aber  man  darf  nicht 
sagen,    daß  Livius  die  Wörter  sicher  so  geordnet  haben  würde. 

10)  W.  Heraeus,  Wochenschrift  für   klass.  Philologie  1903  Sp.  680— 694. 

Der  Verf.  bespricht  an  dieser  Stelle  Zingerles  kritische  Aus- 
gabe des  43.  Buches  des  Livius  und  nimmt  zu  vielen  von  Z.  teils 
aufgenommenen,  teils  verschmähten  Lesarten  Stellung. 

4,  1  sei  vielleicht  mit  Umstellung  von  extitit  vor  tantum  zu 
helfen  und  pavor  in  pavorem  (so  die  Vulgata)  oder  pavoris  zu  andern. 

7,  10  vermutet  er:  (manubias)  sacriügi  sui  (oder  eins)  unter 
Hinweis  auf  29,  8,  9;  33,  47,  3. 

11,  11  glaubt  er,  daß  acceperunt  durch  das  vorhergehende 
aceeptam  verdorben  sei.  Bei  dieser  Annahme  brauche  der  Emendator 
nicht  ängstlich  auf  Buchstabenähnlichkeit  zu  sehen;  anderseits 
habe  die  Erwägung  mitzusprechen,  ob  als  Subjekt  patres  oder, 
was  ihm  wahrscheinlicher  dünke,  die  referierenden  Gesandten  zu 
denken  seien.  Er  ist  geneigt  zu  schreiben:  elevare  eo  (apud) 
patres  studuerunt,  quod  .  .  . 

13,  3  vermutet  er  eine  größere  Lücke  mit  etwa  folgendem 
Wortlaut:  bovem  feminam  locutam;  publice  ali(menta  ei  praeberi 
haruspices  iusserunt);  vgl.  35,  21,  5.  Gewöhnlich  treffe  der 
Senat  Anordnungen  zur  Sübnung  eines  solchen  Prodigiums. 

15,  8  genüge  es  vielleicht,  stipendiis,  das  hinter  causas  keine 
Stelle  haben  könne  (vgl.  14,  9),  hinter  cuius  zu  stellen,  so  daß 
euius  ano  xowov  zu  stipendiis  („nach  seinen  Dienst  jähren44:  tuis 
stipendiis  nondum  roittendus  eras)  und  zu  missio  gehöre. 

b)    Zerstreute  Beiträge. 

23,2,1  schlägt  G.  Lupi  im  Boll.  di  fil.  class.  IX  (1903) 
S.  231 — 233  vor,  maxime  tum  (statt  maxime  tarnen)  zu  schreiben. 

2* 


20  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

23,  17,4  nimmt  W.  Heraeus,  WS.  f.  klass.  Phil.  1903 
Sp.  597,  die  Oberlieferung  pottquam  obstinatos  inde  videt  in  Schutz 
iinde  wird  von  den  Herausgebern  entweder  getilgt  oder  an  eine 
andere  Stelle  gesetzt).  „Das  Ungewöhnliche  der  Stelle  besteht 
m.  E.  nur  darin,  daß  der  Satz  mit  primum  partizipial  gegeben 
ist  statt  in  einem  Hauptsatze  (er  suchte  zunächst  sie  zu  verlocken, 
als  er  sie  dann  verstockt  sah  u.  s.  w.)". 

43,2,6  nimmt  W.  Heraeus,  Arch.  f.  lat.  Lex.  Xltl  (1903) 
S.  288 — 290  die  überlieferte  La.  cum  M.  Titinio  primum  .  .  . 
recuperatores  sumpserunt  gegen  alle  Änderungen  in  Schutz.  Er 
stimmt  der  von  Wßb.  (nach  Mg.)  gegebenen  Erklärung  zu  und 
findet  eine  entsprechende  Parallele  bei  Val.  Max.  8,  2, 1  in  einer 
ganz  ähnlichen  technischen  Wendung :  Catonem  .  .  .  arbitrum  cum 
Claudio  adduxit.  „Vielleicht  verdiente  dieser  eigentümliche  Ge- 
brauch der  Präposition  cum  zur  Angabe  der  Gegenpartei  eine 
nähere  Untersuchung.  Es  ist  im  Grunde,  wie  Mg.  erkannt  hat, 
derselbe  wie  in  den  Wendungen  agere,  queri,  expostulare  cum 
aliquo". 

HL  Schriften  gemischten  Inhaltes 
(Sprachgebrauch,  Quellen  o.  s.  w.). 

11)  H.  Dessau,  Die  Vorrede  des  Livius.  Beitrage  zur  alten  Geschichte 
and  griechisch-römischen  Altertumskunde.  Festschrift  zu  Otto  Hirscb- 
felds  sechzigstem  Geburtstage  (Berlin  1903,  Weidmanosche  Buch- 
handlung) S.  461—466. 

1.  Verf.  weist  darauf  hin,  daß  Livius  bei  remedia  (§  9)  an 
bestimmte  Heilmittel  gedacht  haben  müsse,  da  er  sie  für  zu 
schwer  erkläre.  Es  könne  natürlich  nur  an  Mittel  gegen  die 
Sittenverderbnis  gedacht  werden,  und  unter  diesen  seien  die  Ge- 
setze zu  verstehen,  durch  die  Augustus  der  Ehelosigkeit  und  dem 
ausschweifenden  Leben  der  Jugend  der  besseren  Stände  vorbeugen 
.wollte.  Und  zwar  habe  Livius  vornehmlich  ein  Gesetz  im  Sinne 
gehabt,  mit  dem  der  Alleinherrscher  im  Jahre  28  v.  Chr.  hervor- 
trat, als  er  von  Aktium  und  Alexandria  nach  Rom  zurückgekehrt 
war.  Dieses  Ehegesetz  stieß  auf  den  schärfsten  Widerspruch,  so 
daß  der  Kaiser  sich  zur  Zurücknahme  entschloß,  wie  aus  Properz 
(2,  7)  zu  folgern  ist1). 

„Die  über  die  ganze  Vorrede  verstreuten  Klagen  sind  nicht 
der  Erguß  eines  bekümmerten  Idealisten  oder  gar  eines  frondieren- 
den  Politikers,  sondern  das  Echo  der  Parole,  die  von  oben  aus- 
gegeben war.  Wie  immer,  hat  Livius  auch  hier  Takt  und  Mäßigung 
walten  lassen;  aber  den  Zeitgenossen  war  die  Anspielung  deutlich, 
und  dem  Kaiser  mochte  diese  Vorrede,  die  die  Berechtigung  der 
neuen  Sittengesetze  nicht  ausdrücklich,    aber   nachdrücklich    vor 


1)  Die  lex  Julia  de  maritandis  ordinibus  erlangte  erst  zehn  Jahr  spater 
Gesetzeskraft,  und  gegen  diese  lex  dauerte  der  Kampf  bis  in  die  letzten 
Lebensjahre  des  Kaisers. 


^ 


Livius,  von  H.  J.  Müller.  21 

Augen  führte  und  den  Widerstand,  der  dem  einschneidendsten  der- 
selben, dem  Ehegesetz,  entgegentrat,  beklagte,  mehr  genehm  sein 
als  eine  direkte  Huldigung'4. 

2.  Man  nimmt  an,  daß  Livius  die  ersten  Bücher  nicht  vor 
27  und  nicht  nach  25  v.  Chr.  publiziert  oder  geschrieben  habe, 
da  er  den  Kaiser  Augustus  unter  diesem  Namen  erwähne,  der 
ihm  erst  im  Jahre  27  erteilt  worden  sei,  und  von  der  im  Jahre 
29  erfolgten  Schließung  des  Janustempels  rede,  nicht  von  der  im 
Jahre  25  erfolgten.  Dieses  zweite  Argument  erklärt  Dessau  für 
nicht  stichhaltig.  „Livius  bemerkt,  daß  nach  Numa  der  Janus 
nur  noch  zweimal  geschlossen  gestanden  habe,  einmal  nach  Be- 
endigung des  zweiten  Punischen  Kriegs,  zum  zweitenmal  als 
Augustus  nach  der  Schlacht  bei  Aktium  den  allgemeinen  Frieden 
hergestellt  hatte.  Hier  war  es  nicht  geboten  und  kaum  angemessen, 
darauf  hinzuweisen,  daß  der  Friedenszustand  bald  wieder  eine 
Störung  erlitten  hatte,  im  Jahre  26  der  Janus  wiedergeöffnet 
worden  war  und  im  Jahre  25  von  neuem  hatte  geschlossen  werden 
können.  Vielmehr  hat  Livius  so,  wie  er  geschrieben  hat,  aucb 
in  späterer  Zeit  schreiben  können.  Aber  ist  auch  das  Argument 
hinfällig,  so  mag  doch  die  Annahme,  der  es  dienen  sollte,  un- 
gefähr richtig  sein.  Frisch  war  auch,  als  Livius  schrieb,  die  Er- 
innerung an  die  Bürgerkriege.  Die  Vorrede  dürfte  ungefähr  zu 
derselben  Zeit  geschrieben  sein,  wie  das  Gedicht  von  Horaz  111  6, 
das  ebenfalls  bald  nach  27  v.  Chr.  entstanden  ist". 

12)  O.  Richter,  Beiträge  zur  römischen  Topographie.  1.  Allia- 
sehlacht  und  Servinsmaner.  II.  Capitoiiom  und  clivus  Capitolious. 
Progr.  des  Prinz  Heinrichs-Gymnasiums  in  Berlin  1903.    31  S.    4. 

Die  Frage,  auf  welchem  Tiberufer  die  Alliaschlacht  statt- 
gefunden hat,  ist  von  Mommsen  (R.  F.  2,  297  ff.)  und  später  von 
Hülsen  und  Lindner  (s.  JB.  1891  S.  191)  dahin  beantwortet 
worden,  daß  mit  Diodor,  der  ausgesprochenermaßen  die  Römer 
über  den  Tiber  gehen  läßt,  die  Schlacht  auf  das  rechte  Ufer  zu 
verlegen  sei,  etwa  gegenüber  der  Einmündung  des  Alliaflüßchens. 
In  demselben  Sinne  spricht  sich  E.  Meyer  (Gesch.  d.  Alt.  5,  155) 
aus.  Diese  Ansicht  wird  in  der  vorliegenden  Abhandlung  von 
0.  Richter  unter  kräftiger  Hervorhebung  der  topographischen  Ver- 
hältnisse angefochten. 

1.  Auf  der  rechten  Tiberseite  war  keine  Heerstraße;  alle 
von  Norden  kommenden  Feinde  rückten  auf  derselben  Straße  an, 
der  einzigen,  die  es  damals  gab,  der  uralten  via  Salaria  am  linken 
Tiberufer.  Feindliche  Angriffe  richteten  sich  auf  den  Punkt  Roms, 
der  in  allen  Kriegen  bis  in  die  Zeil  Oktavians  und  bis  zum  gänz- 
lichen Verfall  der  Servianischen  Mauer  stets  das  Angriffsobjekt 
bildete,  die  porta  Gollina  (vgl.  0.  Richter  im  Hermes  17,  S.  436). 

2.  Die  Befestigung  des  republikanischen  Roms  ist  durch  die 
zahlreichen  Reste  und   durch  Beschreibungen  bis  in  die  Einzel- 


22  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereint. 

heiten  bekannt;  die  so  gut  wie  uneinnehmbare  Befestigung  war 
an  der  Tiberseite  am  stärksten.  Das  Ufer  war  aufgemauert,  und 
der  tiefe,  breite  und  reißende  Strom  machte  jede  Annäherung 
unmöglich  (vgl.  0.  Richter,  Topographie  Roms  S.  40  ff.).  Eine 
einzige  Brücke,  der  pons  sublicius,  vermittelte  den  Verkehr  mit 
den  am  rechten  Tiberufer  gelegenen  örtern;  sie  war  aber  darauf 
eingerichtet,  beim  Herannahen  von  Feinden  abgeworfen  zu  werden. 

3.  Von  Rom  aus  ging  die  via  Salaria  über  Fidenae  an  der 
linken  Seite  des  Tiber  nach  Norden.  Von  Veji  führte  eine  Straße 
an  den  Tiber,  den  sie  Fidenae  gegenüber  erreichte.  Eine  Brücke 
ist  hier  nie  gewesen,  man  setzte  mit  Kähnen  über  den  Fluß.  Auf 
diesem  Gebiete  spielen  sich  die  Kriege  zwischen  Rom  und  Veji 
oder  Fidenae  ab,  und  alle  haben  denselben  Verlauf:  die  Vejenter 
gehen  bei  Fidenae  über  den  Tiber  und  fallen,  mit  den  Fidenaten 
verbündet,  in  das  römische  Gebiet  ein,  oder  die  Römer  gehen 
über  den  Anio,  bemächtigen  sich  der  Stadt  Fidenae  und  dringen 
von  da  in  das  vejentische  Gebiet  ein  (S.  8).  Das  ist  die  topo- 
graphische Voraussetzung,  die  einen  direkten  Angriff  auf  Rom  vom 
rechten  Tiberufer  ausschließt.  Nie  ist  es  den  Römern  in  den 
Sinn  gekommen,  diese  Seite  der  Stadt  durch  Obersetzen  eines 
Heeres  aufs  jenseitige  Ufer  zu  schützen  oder  zu  verteidigen.  Durch 
den  Abbruch  des  pons  sublicius  war  hier  alles  getan,  was  nötig 
war  (S.  10).  Der  Versuch,  die  Römer  vor  Abbruch  dieser  Brücke 
zu  überraschen  und  so  in  die  Stadt  einzudringen,  ist  nur  einmal 
gemacht  worden,  von  Porsenna,  und  ist  mißglückt. 

4.  Offenbar  denkt  Diodor  bei  den  Worten  i^sl&ovteg  nav- 
dtjfAel  xal  diaßävteq  top  TißsQiv  naqä  %6v  notafiov  ijyayov 
%r\v  divapiv  an  das  Rom  seiner  Zeit  mit  der  via  Flaminia,  das 
Rom  jener  Zeit,  in  der  die  nach  Norden  ausziehenden  Heere  sich 
auf  dem  campus  Martius  sammelten  und  über  den  pons  Mulvius 
auf  der  via  Flaminia  dem  Feinde  entgegenzogen.  Das  aber  war 
erst  anderthalb  Jahrhunderte  nach  der  Alliaschlacht  der  Fall.  Von 
dieser  Notiz  bei  Diodor  ist  also  Abstand  zu  nehmen  und  daran 
festzuhalten,  daß  die  Schlacht  auf  dem  linken  Tiberufer  stattfand, 
wie  Livius  angenommen  hat1). 

5.  Aber  ganz  verkehrt  ist  der  von  Livius  erzählte  Ausgang 
der  Schlacht  und  durchaus  glaubhaft,  was  Diodor  berichtet.  Das 
ganze  römische  Heer  wurde  an  und  in  den  Tiber  gedrängt,  und 
dort  kam  die  Mehrzahl  ums  Leben.    Diejenigen,  welche  sich  durch 

1)  Verf.  glaubt,  daß  Diodors  Bemerkung  ol  nXeTotoi  rtov  dtaow&ävraiv 
noliv  Brjtovg  xatelaßovto  nicht  anders  verstanden  werden  könne,  als  daß 
die  Mehrzahl  derer,  die  sich  durch  den  Tiber  hindurchretteten,  nach  dem 
auf  dem  rechten  Tiberufer  gelegenen  Veji  flohen,  daß  also  Diodors  Angabe 
i&X&ovres  usw.  (Nr.  4)  „wie  hineingesprengt  sei  in  eine  Schilderang,  die 
sonst  in  allen  Punkten  auf  das  linke  Ufer  führe".  Allein  Diodors  Beriebt 
enthält  keinen  Widerspruch;  dutotod-ivrwv  darf  nicht  im  Sinne  von  diä  xov 
norafiov  diaota&tvrcov  genommen  werden,  sondern  heißt  einfach  „sich  glück- 
lich gerettet  hatten". 


^ 


Livius,  von  H.  J.  Müller.  2.3 

Schwimmen  über  den  Tiber  gerettet  hatten,  eilten  nach  Veji, 
einige  wenige  gelangten  ohne  Waffen  nach  Rom.  Das  römische 
Heer  wurde  an  der  Allia  nicht  geschlagen,  sondern  vernichtet. 
So  erklärt  es  sich,  daß  der  dies  Alliensis  als  ein  Schreckenstag 
sondergleichen  der  Nachwelt  in  der  Erinnerung  blieb. 

13)  E.  Meyer,  Die  Alliaschlacht.  Mit  einer  Karte.  Apophoreton  (der 
47.  Versammlung  deutscher  Philologen  and  Schulmänner  überreicht 
von  der  Graeca  Halensis),  Berlin  1903  Weidmannsche  Buchhandlung;, 
S.  136-161. 

In  dieser  Abhandlung  sucht  der  Verf.  die  von  0.  Richter 
gegen  die  Ansetzung  der  Alliaschlacht  auf  dem  rechten  Tiberufer 
erhobenen  Einwände  zu  entkräften.  Er  unterzieht  die  Berichte 
über  diese  Schlacht  und  über  die  Ereignisse  vor  und  nach  ihr, 
wie  sie  bei  Diodor  und  den  Späteren  (besonders  Livius)  vorliegen, 
einer  eingehenden  Kritik  und  weist  nach,  daß,  abgesehen  von  der 
fundamentalen  Differenz  hinsichtlich  der  örtlichkeit,  zwischen 
Diodor  und  Livius  Obereinstimmung  bestehe.  Die  Überlieferung 
gehe  auf  einen  einzigen  Urbericht  zurück,  den  die  Annalisten  in 
dieser  oder  jener  Weise  abgeändert  hätten.  Demgemäß  sei  es 
die  Aufgabe  des  Geschichtschreibers,  zu  ermitteln,  welcher  Schrift- 
steller die  Überlieferung  in  der  reinsten  Form  erhalten  habe  und 
Ms  der  glaubwürdigste  anzusehen  sei.  Das  Ergebnis,  zu  dem  der 
Verf.  gelangt,  lautet:  Der  Diodorische  Bericht  erweist  sich  durch- 
weg als  klar  und  unanstößig,  während  die  späteren  Erzählungen 
nichts  als  Verschlechterungen  des  von  Diodor  Berichteten  sind. 
Dies  wird  an  vielen  Einzelheiten  überzeugend  bewiesen1).  Daher 
behauptet  Meyer,  daß  man  lediglich  Diodor  zu  folgen  habe,  daß 
man  nur  in  seiner  Darstellung  eine  geschichtlich  brauchbare  Über- 
lieferung anerkennen  könne  und  demgemäß  auch  die  Verlegung 
der  Schlacht  auf  das  linke  Ufer  als  eine  willkürliche  Abänderung 
ansehen  müsse.  Begreiflich  sei  es,  daß  die  Späteren  die  clades 
Alliensis  um  des  Namens  willen  an  den  Bach  selbst  auf  das  linke 
Tiberufer  verlegten,  auch  wenn  sie  in  Wirklichkeit  gegenüber  der 
Alliamfindung  am  rechten  Ufer  stattgefunden  hatte;  der  umgekehrte 
Hergang  wurde  unerklärlich  sein. 

Hierauf  bespricht  Verf.  die  topographischen  Verhältnisse  und 
sucht  zu  erweisen,  daß  Richters  Einwände  nicht  stichhaltig  seien. 
Einen  Punkt  hebe  ich  hervor.  Der  Verf.  sagt  S.  154:  „Die 
Gallier  kamen  von  Clusium,  und  da  dies  westlich  vom  Tiber  lag, 
Rom  am  Ostufer  des  Flusses,  müssen  sie  auf  dem  Zuge  gegen 
Rom  irgendwo  den  Tiber  haben  überschreiten  wollen"  [d.  h.  es 
ergibt  sich  aus  ihrem  Marsch  zum  Tiber  und  ihrem  eventuellen 
Marsch  am  rechten  Ufer  des  Tiber  nicht,  daß  sie  von  diesem 
Ufer  aus  einen  Angriff  auf  Rom  beabsichtigt  haben].  S.  155: 
„Die  Römer  und  Vejenter  haben  bei  den  ununterbrochenen  Fehden 

>)  S.  149  Z.  24  muß  es  dutvr\£afitvot,  heißen. 


24  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereius. 

des  fünften  Jahrhunderts  regelmäßig  den  Tiber  an  der  Cremera- 
mündung  gegenüber  von  Fidenae  überschritten;  warum  sollten 
die  Gallier  nicht  denselben  Punkt  in  Aussicht  genommen  haben?" 
S.  156:  „Die  via  Flaminia  existierte  damals  noch  nicht;  aber  gab 
es  darum  auf  dem  rechten  Tiberufer  überhaupt  keine  Straßen, 
auf  denen  sich  ansehnliche  Heere  bewegen  konnten?  Die  Römer 
haben  gerade  in  den  letzt  vorhergegangenen  Jahren  hier  ununter- 
brochen Krieg  geführt  und  wären  seit  sechs  Jahren  Herren  des 
Vejentergebietes.  Die  natürliche  Heerstraße  (die  später,  als  das 
Land  längst  pazifiziert  war,  durch  den  abgekürzten  Weg  der  via 
Flaminia  quer  über  die  Höhen  ersetzt  wurde)  ging  im  Tibertal 
aufwärts,  und  hier  ist  sie  in  dem  von  den  Regionen  erwähnten 
Namen  der  via  Tiberina  erbalten  und  in  ihren  Resten  als  un- 
gepflasterte  Straße  noch  erkennbar.  Auf  dieser  Straße  werden, 
wie  die  Römer,  so  auch  die  Gallier  gezogen  sein".  [Es  ist  mög- 
lich, daß  Diodor  gemeint  hat,  die  Römer  seien  bei  ihrem  Auszuge 
aus  der  Stadt  sogleich  auf  das  rechte  Flußufer  hinübergegangen. 
Sachlich  scheint  aber  der  Annahme  nichts  im  Wege  zu  stehen, 
daß  die  Römer  zunächst  auf  dem  linken  Ufer  vorgerückt  sind, 
weil  sie  hier  ein  Anrücken  der  Gallier  erwarteten,  dann  aber  bei 
bestimmter  Kunde  den  Fluß  überschritten  haben,  vielleicht  bei 
Fidenae,  und  den  Feinden  am  rechten  Ufer  entgegengezogen  sind.] 

14)    F.  Luterbacher,    Die    Chronologie    des    Haonibalzuges    (zum 
3.  Bach  des  Polybius).     Phil   1903  S.  306—319. 

Die  Frage  nach  dem  Wege,  auf  welchem  Hannibal  die  Alpen 
{überschritten  hat,  ist  von  den  Forschern  der  Neuzeit  mit  großem 
Eifer  wiederaufgenommen  und  übereinstimmend  dahin  beant- 
wortet worden,  daß  an  den  KL  Bernhard  nicht  gedacht  werden 
dürfe.  Es  ist  das  Verdienst  W.  Oslanders,  diese  Theorie  zuerst 
erschüttert  zu  haben;  jetzt  kann  sie,  obwohl  sie  noch  Anhänger 
hat,  als  widerlegt  und  abgetan  gelten  (vgl.  JB.  1903  S.  22  ff.). 
Dagegen  ist  noch  keine  volle  Einigkeit  darüber  erzielt  worden, 
über  welchen  Paß  Hannibal  gegangen  ist.  Mit  großer  Entschieden- 
heit sprach  sich  J.  Fuchs  für  den  Genevre  aus,  ebenso  bestimmt 
W.  Oslander  für  den  Cenis,  und  die  Anhänger  jener  Theorie 
halten  nocb  heute  an  ihrer  Ansicht  fest,  obwohl  Osiander  immer 
neue  Argumente  gegen  sie  vorgebracht  hat.  Daß  in  einzelnen 
Punkten  Verschiedenheit  der  Auffassung  herrscht,  ist  nur  natür- 
lich, da  ja  der  Hypothese  ein  großer  Spielraum  verbleibt;  manches 
läßt  sich  aber  durch  genauere  Untersuchungen  zu  größerer  Klar- 
heit bringen.  So  hat  Luterbacher  früher  darzulegen  versucht,  wie 
die  15  Tage  des  Alpenübergangs  zu  zählen  sind  und  daß  der 
Obergang  im  Oktober  stattgefunden  bat.  Hiergegen  erhob  Osiander 
im  Phil.  1902  S.  473—476  Einwendungen,  und  gegen  diese  richtet 
sich  wieder  die  vorliegende  Abhandlung  Luterbachers.  Für  ihn 
„liegt  kein  Grund  mehr  vor,    die  Angaben   des  Livius    über    den 


^> 


Livius,  voo  H.  J.  Müller.  25 

Weg  Hannibals  anzuzweifeln44,  wie  er  in  seiner  Schulausgabe  des 
21.  Buches  des  Livius  (7.  Auflage  1902)  getan  hatte. 

15)  M.  Kraschecianikov,    De    Gitaois    fipiri    oppido.      Hermes    37 

(1902),  S.  489-500. 

Bei  Polybios  27,  14, 5  bietet  der  codex  Peirescianus,  wie 
Verf.  bei  seiner  Kollation  gesehen  hat,  deutlich  die  La.  slg  Hxava, 
wodurch  alle  Verbesser ungs vorschlage  der  früheren  Herausgeber 
hinfällig  werden.  Dieselbe  Namensform  stellt  er  bei  Livius  42, 38, 1 
her,  wo  die  Herausgeber  gleichfalls  die  mannigfachsten  Vermutungen 
geäußert  haben.  Der  Vorschlag  ist  überzeugend,  und  es  zeigt 
sich,  daß  in  dem  überlieferten  adgitanae/eripi  nur  ein  doppelt  ge- 
schriebenes e  auszumerzen  ist,  welches  am  Zeilenende  leicht  durch 
Unachtsamkeit  entstehen  konnte. 

Der  Verf.  setzt  zugleich  hinter  mari  ein  Komma,  wofür  ihm 
der  hier  in  der  Hs.  stehende  Punkt  zu  sprechen  scheint.  Doch 
haben  die  Punkte  in  der  Hs.  als  Interpunktionszeichen  keine  Be- 
deutung. Es  wird  also  besser  das  Komma  wegbleiben  (vgl.  44,  30, 7), 
wenn  man  nicht  annehmen  will,  daß  durch  die  fälschlich  wieder- 
holte Zahl  X  (ich  denke  mir,  daß  die  Vorlage  auch  X  milia  oder 
X  gehabt  und  der  Schreiber  die  Zahlzeichen  durch  Zahlwörter 
ersetzt  bat)  nicht  bloß  (a),  sondern  (situm  a)  verdrängt  worden  ist. 

Er  erklärt  also  die  Stelle  folgendermaßen:  Martins  et  Atilius 
ad  Gitana,  Ejriri  oppidum,  quod  decem  milia  <a>  mari  abest,  a 
mari,  seil.  Onchesmo,  cum  escenderent,  in  hoc  (inter  Onchesmum 
et  Gitana)  itinere  concilio  Epirotarum  habüo  cum  magno  omnium 
adsensu  auditi  sunt,  was  mit  Ausnahme  des  kurzen  Ausdrucks 
decem  milia  (a)  mari  im  Sinne  von  'quod  decem  milia  (a)  mari 
abest'  Beifall  verdieut. 

Das  alte  Gitana  nimmt  der  Verf.  an  der  Stelle  an,  wo  heut- 
zutage Dhelvinon  (Delvino)  liegt. 

16)  Wochenschrift  für  klassische  Philologie   1903  Sp.  964. 

An  dieser  Stelle  findet  sich  folgende  interessante  Notiz: 
Grenfell  und  Hunt  geben  den  Inhalt  des  vierten  Bandes  der 
Oxyrbynchus-Papyri,  der  die  Ausbeute  der  1903  vorgenommenen 
Ausgrabungen  enthalten  wird,  schon  jetzt  bekannt.  Das  beste 
Stück  der  Sammlung  ist  ein  lateinischer  Papyrus  aus  dem  dritten 
Jahrhundert  n.  Chr.,  der  Teile  eines  Auszugs  von  Livius  — 
Buch  37 — 39  und  49—55  —  enthält.  Dieser  Auszug  weicht 
von  einem  andern,  uns  erhaltenen  hinsichtlich  der  Auswahl  der 
behandelten  Ereignisse  beträchtlich  ab. 

17)  R.  ß.  Steele,    The    ablative    absolute    io    Livy.    Tbe  American 

Journal  of  Philology  1902  S.  295—312. 

Eine  eingehende,  sorgfältige  Studie  über  das  Vorkommen  der 
Konstruktion  des  ablativus  absolutus  bei  Livius,  die  von  einem 
bewunderungswürdigen  Fleiße  zeugt.     Er  hat  6457  Beispiele  ge- 


26  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

zählt,  wobei  die  Fälle,  in  denen  sich  ein  Nomen  mit  zwei 
Partizipien  oder  zwei  Nomina  mit  einem  Partizip  verbunden 
finden,  von  ihm  nur  als  ein  Beispiel  gerechnet  und  alle  Ausdrücke, 
die  eine  andere  Erklärung  zulassen  (als  Dativ,  als  ablativus  in- 
strumenti  oder  als  ablativus  modi),  überhaupt  nicht  mitgezählt 
worden  sind.  Der  Verfasser  unterzieht  sodann  die  Form  dieser 
Konstruktion  einer  näheren  Betrachtung  und  stellt  zum  Beispiel 
fest,  von  welchen  Deponentien  Livius  die  Partizipien  im  ablativus 
absolutus  angewandt  hat,  wie  oft  das  Neutrum  eines  participium 
perf.  pass.  so  vorkommt  und  wie  oft  das  Subjekt,  das  aus  einem 
folgenden  Relativsatze  zu  entnehmen  ist,  fehlt.  Ferner  werden 
die  Fälle  hervorgehoben  und  zahlenmäßig  belegt,  wo  das  Subjekt 
des  Hauptsatzes  von  Teilen  des  ablativus  absolutus  eingeschlossen 
ist  oder  die  beiden  Hauptteile  des  ablativus  absolutus  durch  andere 
Satzteile  voneinander  geschieden  werden.  Steele  hat  Nepos,  Sallust 
und  Cäsar  zur  Vergleichung  herbeigezogen  und  für  Livius  er- 
mittelt, daß  bei  einem  Drittel  der  6457  absoluten  Ablative  andere 
Satzteile  zwischen  dem  Nomen  und  dem  Verb  stehen. 
18)  F.  Dus&oek,  De  forrais  euuntiationum  con  dicionalium  apud 
Livium.     Ceske*    rauseum    filologicke  IX  (1903)  S.  88—110   (Schloß 

folgt). 

Verfasser  hat  die  Aufgabe,  die  er  sich  gestellt  ('omnes 
locos,  quibus  apud  Livium  enuntiata  condicionalia  inveniuntur, 
quam  diligentissime  congeram  et  disponam  atque  tempora  modos- 
que  suspensarum  enuntiationum  accurate  traclabo'),  mit  entsagungs- 
vollem Fleiße  gelöst  und  wirklich  keinen  einzigen  Kondizionalsatz 
bei  Livius  unberücksichtigt  gelassen.  Die  Zusammenstellung  ist 
nach  dem  Grundschema  der  sogen,  realen,  potentialen  und  irrealen 
Bedingungsperioden  gemacht  worden;  das  Material  liegt,  in  drei 
Kapiteln  gesondert,  vor.  Folgen  werden  in  einem  späteren  Artikel 
noch  drei  Kapitel,  und  zwar  sagt  der  Verfasser:  'quarto  eapite 
eas  enuntiationes  condicionales  tractabo,  quarum  apodosis  de 
particula  quadam  pendet,  quinto  de  iis,  quarum  apodosis  a  verbo 
quodam  sentiendi  vel  dicendi  pendet,  sexto  de  mancis  et  imper- 
fectis  disseram'. 

Einzelne  Stellen  werden  kurz  besprochen,  wobei  zuweilen 
die  Auffassung  anderer  verworfen  oder  berichtigt  wird.  Zu  6, 41,  3 
bemerkt  er:  'sie  (nämlich  necesse  erit)  scribenduin  puto  pro  necesse 
sit,  cum  Livius  si  quidem  in  oratione  reeta  semper  cum  indicativo 
iunxerit  (cf.  9,  15,  8;  22,  50,  7;  30,  26,  7 ;  34,  17,  7;  40,  14,  6) 
et  sententia  indicativum  desideret1.  necesse  sit  steht  allerdings 
im  Text  der  Hertzschen  Ausgabe,  die  der  Verf.  benutzt  hat;  aber 
Wßb.  hat  die  von  ihm  selbst  herrührende  Verbesserung  necesse 
erit  in  den  Text  aufgenommen. 

Um  Raum  zu  sparen,  hat  der  Verf.  nur  den  Anfang  und  das 
Ende  der  Beispiele  verzeichnet.  Das  ist  für  den  Leser  sehr  un- 
übersichtlich und  unbequem. 


Livius,  von  H.  J.  Müller.  27 

19)  R.  Luckow,    Vorlagen   zum  Übersetzen   aus    dem  Deutschen 

ins  Lateinische  für  obere  Klassen.  Beilage  zum  Jahresbericht  des 
Gymnasiums  zu  Stolp  i.  Pomm.     1903.    39  S.     8. 

Die  Grundsätze,  nach  denen  diese  Vorlagen  ausgearbeitet 
worden  sind  —  1)  richtiges  und  klares  Deutsch,  2)  möglichste  Aus- 
nutzung des  Gelesenen  nach  Inhalt  und  Form,  3)  unausgesetzte 
Wiederholung  der  grammatischen  Regeln,  4)  Einübung  der  haupt- 
sächlichsten Eigentümlichkeiten  des  lateinischen  Stils  — ,  können 
nur  als  richtig  und  nachahmenswert  bezeichnet  werden,  und  die  Art 
und  Weise,  wie  der  Verf.  sie  befolgt  hat,  verdient  Anerkennung. 
Wir  haben  es  mit  der  Arbeit  eines  erfahrenen  Schulmannes  zu 
tun,  dem  sich  in  langjähriger  Praxis  der  Blick  für  das  Unerläßliche 
und  im  lateinischen  Unterricht  besonders  Wichtige  geschärft  hat. 
Die  Schüler,  welche  diese  Stücke  mit  Sorgfalt  und  ernstem  Denken 
durcharbeiten,  werden  keinen  geringen  Nutzen  davon  haben.  Sie 
sind  im  ganzen  leicht  gehalten  und  eignen  sich  daher  auch  zum 
Privatstudium. 

Enthalten  sind  in  dem  Heftchen:  1)  16  Stücke  zu  Livius1 
Buch  XXX,  2)  19  Stücke  zu  Ciceros  Cato  maior,  3)  13  Stücke 
zu  Tacitus'  Annalen  Buch  I.  Die  Liviusslücke  beziehen  sich  auf 
die  Kapitel  1,  4—7;  11—15;  20,  28—32;  35;  37  des  erwähnten 
30.  Buches. 

20)  R.  Jonas,    Übungsbuch    zum  Übersetzen    aus    dem  Deutschen 

ins  Lateinische  für  Untersekunda  auf  Grund  der  preußischen 
Lehrpläne  von  1901.  Leipzig  1903,  G.  Freytag.  VI  u.  115  S.  gr.  8. 
geb.  1,60  Jt. 

Das  Buch  enthält:  1)  Stücke  zur  Übung  und  Wiederholung 
in  der  Grammatik  (S.  1 — 16);  2)  der  Lektüre  entnommene  Stücke 
(S.  16 — 97).  Die  letzteren  schließen  sich  an  die  Reden  Ciceros 
pro  Sex.  Roscio,  de  imperio  Cn.  Pompei,  in  Catilinam  I — IV  und 
an  Livius  an.  Von  den  Stücken  zu  Livius  (zu  Buch  I  und  II  je 
26  Stücke,  S.  62 — 97)  kann  man  nur  sagen,  daß  sie  mit  Sach- 
kenntnis und  Geschick  gearbeitet  sind.  Der  sachliche  Anschluß 
an  den  lateinischen  Text  ist  hier  und  da  vielleicht  etwas  zu  eng; 
manches  dürfte  für  den  Schüler  nicht  so  interessant  sein,  daß  es 
wiederholt  zu  werden  brauchte. 

21)  Bild  des  Livius. 

Titus  Livius  ist  von  seiner  Vaterstadt  Padua  fast  2000  Jahre 
nach  seinem  Tode  durch  ein  Denkmal  geehrt  worden.  Dieses 
Denkmal,  das  in  Garraramarmor  ausgeführt  ist,  setzt  sich  aus 
einer  in  die  Wand  eingelassenen  Platte  und  einer  Büste  zusammen. 
Reiche  Renaissanceornamente  winden  sich  um  die  zwei  Meter 
hohe  Platte,  während  eine  Ausbuchtung  den  Sockel  mit  der  Büste 
aufgenommen  hat.  Bei  der  Einweihung  hielt  Professor  Laudi  die 
Festrede;  er  sprach  von  der  zivilisatorischen  Bedeutung  des  großen 
Historikers. 


28  Jahresbericht«  d.  Philolog.  Vereins. 

22)   Adolf  M.  A.  Schmidt,    Beiträge    zur   Livianischen    Lexiko 
graphie.    Vierter  Teil.    Progr.  St.  Polten  1903.     22  S.    gr.  8. 

In  dieser  vierten  lexikographischen  Untersuchung  des  Ver- 
fassers1) werden  die  Präpositionen  eis,  citra,  extra  und  infra  be- 
handelt, wobei  die  Vorgänger  und  Nachfolger  des  Livius  sowie 
parallele  sprachliche  Erscheinungen  Berücksichtigung  linden. 

1.  Cis  und  citra  haben  bei  Livius  nur  örtliche  Bedeutung  und 
stehen  bei  Verben  der  Ruhe  und  Bewegung  besonders  vor  Fluß- 
und  Gebirgsnamen:  eis  findet  sich  nur  so  (mit  Ausnahme  von 
40,  28, 1);  citra  steht  zuweilen  auch  vor  Städtenamen  und  Appella- 
tiven. Livius  scheint  citra  vor  Dentalen  gemieden  zu  haben; 
daher  ist  die  einzige  Ausnahme  38,  48,  1  citra  Tauri  iuga  auf- 
fallend, zumal  der  Schriftsteller  vorher  wiederholt  eis  Taurum  und 
47,  6  citra  iuga  Tauri  gesagt  hat.  Adverbial  steht  citra  nur 
10,  25,  5.  Das  von  demselben  Namen  gebildete  Adverb  citro  hat 
Livius  nur  in  der  Verbindung  nitro  citroque;  asyndetisch  erscheint 
es  an  einer  Stelle  (9,45,2),  die  der  Verf.  deshalb  für  ver- 
dächtig hält. 

2.  Extra.  Das  reiche  Material  wird  nach  folgendem  Schema 
behandelt:  A.  Adverb,  1.  in  örtlichem,  2.  in  übertragenem  Sinne. 
B.  Präposition,  1.  örtlich  (a.  Ortsruhe,  b.  örtliche  Bewegung), 
2.  übertragen  (a.  den  Ausschluß  bezeichnend  a.  von  Personen, 
ß.  von  einer  bestimmten  Gemeinschaft  oder  Gruppe;  b.  bei  Be- 
griffen, von  denen  zwar  abgesehen  wird,  die  aber  tatsächlich  mit- 
einbegriffen werden).  Bemerkenswert  ist  hier  besonders  der  über- 
tragene Gebrauch.  Als  Adverb  erscheint  es  in  der  Verbindung 
extraquam  qui  (oder  si)  „ausgenommen  diejenigen  welche4'  (oder: 
„ausgenommen  wenn  .  ."),  eine  der  Gesetzessprache  angehörende 
Formel,  die  Livius  vermutlich  seiner  Quelle  entnommen  hat.  Sie 
findet  sich  an  drei  Stellen,  wo  gesetzliche  oder  vertragliche  Be- 
stimmungen angeführt  werden  (zu  39,  18,7  liegt  als  Parallelstelle 
das  senatus  consultum  de  Bacchanalibus  vor:  extrad  quam  sei  quid 
ibi  sacri  est).  Auch  die  Präposition  extra  „außer44  erscheint  in 
gewissen  formelhaften  Wendungen,  die  dem  Kurialstil  anzugehören 
scheinen,  sehr  häufig  in  den  Verbindungen  extra  ordinem  und 
extra  sortem;  zweimal  findet  sich  extra  periculum  sum. 

3.  Infra.  Livius  gebraucht  dieses  Wort  selten  (dafür  oft  sub)y 
und  zwar  fast  ebenso  oft  als  Adverb  wie  als  Präposition.  Über- 
tragen steht  es  als  Adverb,  den  Rang  bezeichnend:  1,  43,  11;  als 
Präposition  von  der  Anordnung  beim  Mahle,  wobei  zugleich  ein 
.Rangunterschied  angenommen  wird :  39,  43,  3 ;  vom  Altersunter- 
schiede und  daher  den  niederen  Rang  mitbezeichnend:  28,43,5. 

Berlin.  v  H.  J.  Müller. 


*)  Vgl.  JB.  1889  S.  63;  1890  S.  220;  1893  S.  43. 


2. 
Horatius. 


I.   Ausgaben  und  Kommentare.    . 

1)  Horaee.  The  Ödes  in  latin  and  english.  The  esglish  version  by 
Philip  Francis.  London  and  New  York,  1902,  Unit  Library, 
Limited,  Leicester  Square.     274  S.     8. 

Dies  Buch  ist  eine  höchst  anerkennenswerte  Leistung  des 
englischen  Buchhandels.  Den  lateinischen  Text  der  Oden,  der 
Epoden  und  des  Säkularliedes,  eine  gegenübergedruckte  englische 
Übersetzung  und  ein  Register  der  Eigennamen,  alles  haltbar 
und  hübsch  in  Ganzleinen  gebunden,  erhält  man  für  elf  Pence 
(=  0,92  Jt). 

Bei  dem  Abdrucke  des  Textes  hat  der  von  L.  Müller  als 
Grundlage  gedient.  Zu  diesem  Texte  stimmt  nicht  durchweg  die 
gegenüberstehende  Übersetzung;  es  ist  dies  die  Francissche,  die 
zuerst  im  Jahre  1747  erschien.  Vorwiegend  sind  dabei  Jamben 
mit  gepaarten  Reimen  verwendet;  doch  finden  sich  auch  andre 
Versmaße,  gekreuzte  und  sonstwie  verschränkte  Reime  (ganz  ver- 
einzelt Reimlosigkeit),  so  daß  eine  vergnügliche  Mannigfaltigkeit 
, entsteht.  Übergangen  sind  in  der  Übersetzung  Epod.  8  und  12, 
sowie  aus  nicht  recht  ersichtlichem  Grunde  Epod.  14;  offen* 
bar  durch  irgend  ein  Versehen  fehlt  die  Obersetzung  von  Od.  III 
,1,  1 — 4.  Als  Probe  wird  vielleicht  die  Wiedergabe  von  Od.  III  9 
interessieren: 

While  I  was  pleasing  to  your  arms, 

Nor  any  youth,  of  happier  charms, 

Thy  snowy  bosom  blissful  prest, 

Not  Persia's  king  like  me  was  blest. 

While  for  no  other  fair  you  burn'd,  .  . 

Nor  Lydia  was  for  Chloe  scorn'd, 

What  maid  was  then  so  blest  as  thine? 

Not  llia's  fame  could  equal  mine. 

Now  Chloe  reigns;  her  voice  and  lyre 

Melt  down  the  soul  to  soft  desire; 

Nor  will  I  fear  even  death,  to  save 

Her  dearer  beauties  from  the  grave. 


30  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

My  heart  young  Calais  inspires, 

Whose  bosom  glows  with  mutual  fires, 

For  whora  I  twice  would  die  with  joy, 

If  death  would  spare  the  charming  boy. 

Yet  what  if  Love,  whose  bands  we  broke, 

Again  should  tarne  us  to  the  yoke; 

Should  I  take  off  bright  Chloe's  chain, 

And  take  my  Lydia  home  again? 

Though  he  exceed  in  beauty  far 

The  rising  lustre  of  a  star; 

Though  light  as  cork  thy  fancy  strays, 

Thy  passions  wild  as  angry  seas, 

When  vext  with  stör  ms;  yet  gladly  I 

With  thee  would  live,  with  thee  would  die. 

2)  Tullio  Tentori,  Q.  Orazio  Flacco.  Le  opere  con  introdoziono 
metrica  e  note.  Volume  primo:  odi  ed  epodi.  Müano  1902,  Vallardi. 
LXXV  u.  285  S.    8. 

Diese  Ausgabe  gehört  zu  der  collezione  di  classici  latini, 
annotati  per  le  scuole,  und  muß  also  aus  diesem  Gesichtspunkte 
beurteilt  werden. 

Die  introduzione  enthält  1)  eine  Biographie  und  Charakteristik 
des  Dichters  (S.  V— XLM11)  und  eine  Metrik  (S.  IL— LXXI),  beides 
ziemlich  ausfuhrlich.  In  den  Gedichten  sind  sowohl  einige  ganz 
ausgelassen,  Epod.  8  und  12,  als  auch  von  anderen  Stücke, 
nämlich  Od.  III  6,  25—32,  Od.  111  11,  9—12,  Epod.  3,  19—22, 
Epod.  14,  9—16,  Epod.  15,  12—16,  Epod.  17,  50—52.  Der  Text 
ist  im  wesentlichen  der  von  Lucian  Muller;  auffallig  und  bei  uns 
auch  in  Schulausgaben  nicht  üblich  sind  die  hier  und  da  hinzu- 
gefügten Quantitätsbezeichnungen,  z.  B.  UlixU,  ingeni.  Jedem  Ge- 
dichte ist  eine  Inhaltsangabe  und  eine  Notiz  über  die  Personen, 
die  Abfassungszeit  und  dergleichen  vorausgeschickt.  Für  die  An- 
merkungen sind  italienische  und  deutsche  Ausgaben  benutzt;  ziem- 
lich oft  werden  dabei  mehrere  Meinungen  vorgetragen,  ohne  daß 
eine  Entscheidung  gegeben  würde.  Einen  eigentlichen  Fortschritt 
im  Verständnis  bringt,  soviel  ich  gesehen  habe,  dieser  Kommentar 
nicht,  und  das  ist  ja  auch  nicht  zu  verlangen;  dem  Schüler  aber 
mag  er  gute  Dienste  leisten. 

Wir  beben  weniges  hervor.  Od.  I  27,  10  f.  Opuntiae  frater 
Megillae;  Megilla  doveva  essere  un'  etära.  Gewiß  nicht;  wie  käme 
der  Bruder  einer  solchen  Griechin  in  diese  Gesellschaft?  Es  ist 
ein  Pseudonym  wie  Xanthias  Phoceus.  —  Od.  II  1.  Orazio  lo 
spinge  a  riprendere  la  storia  delle  guerre  civili.  Hier  ist  der 
Zweck  des  Gedichtes  gänzlich  mißverstanden;  vgl.  JB.  XXV III  S.  41 
und  JB.  XXIX  S.  48.  —  Od.  II  11,  13  f.  Cur  tum  sub  alta  vel 
platano  vel  hoc  ptnti,  iacentes  etc.  Eine  wunderliche  Interpunktion. 
—  Od.  II  16,  21 — 24.    Diese  Verse  klammert  Tentori,  der  sonst 


Horatins,  von  H.  RS  hl.  31 

mit  Athetesen  sparsam  ist,  mit  manchen  Herausgebern  ein;  vgl. 
dagegen  Friedrich,  Philol.  Untersuchungen  zu  Horaz  S.  188  ff.  — 
Od.  II  20,  6.  Quem  vocas.  A  meno  che  il  testo  non  sia  guasto .... 
bisogna  interpretare  vocas  nel  senso  d'invitare  e  supporre  che  il 
P.  risponda  con  questo  carme  ad  un  invito  a  cena  rivoltogli  dall* 
amico.  Daß  dies  keine  Lösung  der  noch  ungelösten  Schwierig- 
keit ist,  liegt  auf  der  Hand.  —  Od.  III  9,  20.  Ianua  Lydiae.  Lydiae 
infatti  pu6  essere  genetivo,  ma  forse  meglio  e  considerato  dat.  di 
commodo.  Es  ist  zweifellos  Dativ;  vgl.  u.  a.  Friedrich  a.  a.  0. 
S.  192  f.,  Kiefiling-Heinzes  Ausgabe,  JB.  XXVIII  S.  35  und  meinen 
Kommentar.  —  Od.  III  19,  15.  Tres  supra  =  ultra  tres.  Schwer- 
lich richüg;  vgl.  JB.  XXIV  S.  66,  JB.  XXVIII  S.  32  f.  und  meinen 
Kommentar.  —  Od.  III  24, 18.  Anche  temperat  (col  dativo  seguente) 
indica  precisamente  che  ad  essi  non  nuoce  o  non  cerca  di  nuocere. 
Auch  nach  meiner  Auffassung  ist  das  Verbum  so  aufzufassen; 
leider  begegnet  in  einzelnen  Ausgaben  eine  andere,  dem  Sprach- 
gebrauche und  dem  Zusammenhange  widerstrebende  Deutung.  — 
Epod.  9.  Tentori  läßt  den  Horaz  nicht  bei  Aktium  anwesend  sein; 
dieser  Ansicht  neigt  auch  Referent  zu  (vgl.  unten  die  Anzeige  der 
Abhandlung  von  Corssen).  —  Epod.  9,  17.  Ad  hoc  frementes  etc. 
Tentori,  der  mancherlei  Lesungen  und  Deutungen  anfuhrt,  läßt 
gerade  die  seines  Landsmannes  Ussani  fort,  ad  hunc  =  ad  solem, 
die  wenigstens  mir  besser  als  alle  anderen  gefällt;  vgl.  JB.  XXVII 
S.  50.  —  Das  Verzeichnis  der  Eigennamen  ist  zu  fluchtig  ge- 
arbeitet: Brymantus,  Idomerieus,  Kaünda,  Mitylene,  Orphfou,  Penthius, 
Urtica. 

3)  Pseudaeronis  scholia  in  Horatium  vetustiora  receosuit  Otto 
Keller.  Vol.  I.  Scholia  AV  in  carmioa  et  epodos.  Leipzig  1902, 
B.  G.  Teuboer.    XIII  n.  480  S.    8. 

Im  Jahre  1894  hatte  Holder  die  Scholien  des  Porphyrion  im 
Verlage  von  Wagner  in  Innsbruck  erscheinen  lassen  (vgl.  JB.  XXI 
S.  231);  als  eine  Fortsetzung  dieses  Werkes  kann  Kellers  Acron- 
ausgabe,  deren  erster  Band  jetzt  vorliegt,  betrachtet  werden,  wenn- 
gleich Verleger  und  Format  gewechselt  haben.  Bei  dieser  neuen 
Ausgabe  ist  nun  für  die  Konstituierung  des  Textes  eine  möglichst 
sichere  Grundlage  geschaffen  worden  durch  konsequente  Benutzung 
eines  ausgedehnten  handschriftlichen  Materials,  ganz  besonders 
der  beiden  Handschriften  A  =  Parisinus  7900  und  V  =  Vaticanus 
Ursinianus  3527 ;  so  bedeutet  diese  Ausgabe  einen  schönen  Fort- 
schritt gegen  die  bisher  zu  benutzenden  von  Pauly  und  auch  von 
Hauthal,  die  von  ihr  sicherlich  werden  abgelöst  werden.  Daß  die 
Ausgabe  mit  der  denkbar  größten  Akribie  in  bezug  auf  den  text- 
kritischen Apparat  gearbeitet  ist,  bedarf  bei  diesem  Verfasser 
keiner  Versicherung.  Nur  der  Wunsch  mag  hier  noch  seine  Stelle 
finden,  daß  der  nächste  Band  dieses  umfassenden  Scholienwerkes 
nicht  so  lange  wie  dieser  zweite  auf  sich  möchte  warten  lassen. 


32  Jahresberichte  d.  Phiiolog.  Vereins. 


4)  SchülerpräparatioueD  zu  lateinischeo  und  griechischen  Schriftstellern. 
Präparation  zu  Q.  Horatins  Flaccus'  Oden  von  H.  Ludwig. 
1.  Heft,  Buch  I  und  II,  44  S.  8;  2.  Heft,  Buch  III  und  IV  (und  carm. 
saec),  31  S.   8.     Leipzig  1903,  B.  G.  Teubner. 

Vorausgeschickt  ist  im  ersten  Hefte  ein  knapper  brauchbarer 
Abriß  der  Metrik  der  Oden. 

Bei  der  dann  folgenden  Präparation  sind  nachstehende  Oden 
nicht  berücksichtigt:  I  13,  16,  17,  19,  23,  25,  27,  30,  33,  36,  II  4, 
5,  8,  11,  12,  19,  HI  7,  10,  11,  12,  14,  15,  19,  20,  26,  27,  28, 
IV  1,  6,  10,  11,  13.  Diese  Ausmerzung  halte  ich  für  höchst  be- 
dauerlich; sie  kann,  meine  ich,  nicht  verfehlen,  der  Verwendung 
des  Buches  Abbruch  zu  tun.  Gewiß  sind  darunter  nicht  wenige 
Oden,  auf  die  die  allermeisten  Lehrer  gern  verzichten  werden, 
aber  doch  auch  andere,  die  mancher  ungern  mißt;  so  Referent 
namentlich  folgende:  I  16  O  matte  pulchra  filia  pulchrior,  I  17 
Velox  amoenum  saepe  Lucretilem,  1  27  Natu  in  usum  laetitiae  scyphis 
und  HI  19  Quantum  distat  ab  Inacho  (diese  beiden  wegen  der 
eigenartigen  Form  der  Darstellung),  I  36  Et  iure  et  fidibus  mvat, 
Hl  11  Mercuri,  nam  te  docilis  magistro,  Hl  26  Vixi  puellis  nuper 
idoneus  (wegen  der  überraschenden  Pointe),  IV  6  Dive,  quem  proles 
Niobea  magnae  (als  Proömium  zum  Säkulargesange).  Es  wäre 
wohl  ratsamer  gewesen,  weniger  oder  nichts  wegzulassen,  um  den 
Lehrer  nicht  in  der  Auswahl  unangenehm  zu  beschränken. 

Viele  von  den  Oden  (doch  keineswegs  alle)  haben  Überschriften 
prhalten,  durch  die  der  Inhalt  charakterisiert  werden  soll.  Gegen 
solche  Überschriften  muß  ich  mich  nun  grundsätzlich  erklären; 
sie  bringen  zu  leicht  einen  fremden  Geschmack  hinein,  nament- 
lich wo  eine  pointierte  und  interessante  Form  angestrebt  wird. 
So  lautet  zu  Od.  1  4  Solvitur  acris  hiems  die  Überschrift:  „Nun, 
da  der  Lenz  ins  Land  gekommen,  Besingt  die  Liebe  und  den 
Wein";  entspricht  denn  das  dem  Inhalte  des  Horazjschen  Gedichtes? 
Ähnlich  bei  Od.  I  9  Vides,  ut  alta  stet  nive  candidum  „Was  kümmert 
mich  draußen  der  Regen,  Wenn  im  Herzen  die  Sonne  scheint44. 
Was  besagt  und  nützt  eine  Überschrift  wie  „Aber  diesmal!11,  von 
der  die  wenigsten  ahnen  mögen,  zu  welcher  Ode  sie  gehört;  sie 
steht  nämlich  über  Od.  II  13  Ille  et  nefasto  te  posuit  die. 

Dann  kommt  ein  Hinweis  auf  das  Metrum  und  eine  kurze 
Angabe  über  die  Abfassüngszeit ;  beides  kann  man  vom  didakti- 
schen Standpunkte  aus  gutheißen. 

Dagegen  vermag  Referent  die  demnächst  folgenden  Dispositio- 
nen des  Inhalts  nicht  zu  billigen.  Dergleichen  sollte  man  den 
Schülern  nicht  fertig  in  die  Hand  geben,  sondern  durch  gemein- 
same Arbeit  in  der  Klasse  finden  lassen;  sonst  ist  der  geistige 
Gewinn  dabei  gering.  Als  fernerer  Übelstand  kommt  hinzu,  daß 
gerade  hinsichtlich  des  Aufbaues  Horazischer  Oden  die  Ansichten 
überaus  oft  differieren;  ein  tüchtiger  Lehrer  wird  da. kaum  dem 
jSchulbuche  zuliebe  mit  seiner  persönlichen  Überzeugung  zurückr 


Horatjos,  von  H.  Röhl.  33 

halten,  und  es  kommt  dann  dahin,  daß  sich  Gedrucktes  und  Ge- 
sprochenes in  den  Schulerköpfen  auf  unerquickliche  Weise  be- 
kämpfen. 

Wir  kommen  zu  dem  Hauptbestandteile  dieser  Hefte,  der 
Erklärung  des  Horaztextes,  und  freuen  uns,  gerade  bei  diesem 
wesentlichen  Punkte,  dem  eigentlichen  nahrhaften  Gerichte,  uns 
mit  dem  Herausgeber  in  größerer  Übereinstimmung  zu  finden  als 
bei  den  kleinen  Zutaten.  Diese  Präparation  bietet  (ähnlich  wie 
manche  der  neueren  Schulkommentare)  in  faßlicher  Form  dem 
Schüler,  was  er  zum  vorläufigen  Verständnisse  des  Textes  nötig  hat. 

Aber  einige  Ausstellungen  möchte  Referent  sich  auch  hier 
gestatten. 

Die  erste  trifft  nicht  den  Herausgeber,  sondern  den  Plan 
dieser  „Schülerpräparationen",  demzufolge  den  Schulern  das  Auf- 
schlagen der  Vokabeln  erspart  werden  soll.  Ich  halte  es  nicht 
für  richtig,  wenn  dem  Schüler  Vokabeln  wie  „verro,  verri, 
3.  legen"  „quassus  von  quatere  schütteln,  schüttern  :  leck"  dar- 
geboten werden;  es  ist  ihm  nützlicher,  dergleichen  aus  dem  Lexikon 
sich  zu  erarbeiten,  von  dessen  Benutzung  er  überhaupt  nicht 
entwöhnt  werden  soll. 

Zweitens:  in  den  Zitaten  von  Parallelstellen  ist  wohl  mit- 
unter etwas  zu  weit  gegangen.  Z.  B.  zu  Od.  IV  4,  41  ille  dies, 
qui  primus  alma  risit  adorea  „vgl.  Stumme  von  Portici:  hell  und 
golden  strahlt  der  Morgen". 

Drittens:  einige  Versehen  würde  man  fortwünschen.  Es  sind 
mir  bei  der  Durchsicht  besonders  folgende  aufgefallen.  Zu  Od.  I 
12,  56  „Serae  chinesische  Mongolen",  statt  Seres.  —  Zu  Od.  I 
18,  9  und  III  25,  9  „ei?oe"",  statt  evoe.  —  Zu  Od.  I  28,  11  „re- 
fingere",  statt  refigere.  —  Zu  Od.  1  28,  19  „densentur  gemilderte 
Behauptung" ;  daß  der  Indikativ  vorliegt,  kann  doch  nicht  zweifel- 
haft sein.  —  Zu  Od.  I  28,  32  „vices  superbae  debüorum  iurum", 
statt  debiti  iuris.  —  Zu  Od.  II  15,  9  „laurea,  orum  das  Lorbeer- 
gebüsch", statt  laurea,  ae;  schon  excludet  V.  10  muß  den  Schüler 
auf  das  Richtige  führen.  —  Zu  Od.  III  29,  41  avvccQXfjg,  statt 
avTccQXfjg.  —  Zu  Od.  1  1,  15  und  III  23,  5  „Africum  den  Süd- 
wind", statt  Südwest  oder,  wie  es  zu  Od.  III  29,  57  heißt,  West- 
südwest. —  Zu  Od.  I  4,  16  „Epikuräer",  statt  Epikureer.  —  Zu 
Od.  I  4,  18  „auch  bei  Knabenspielen  lost  man  um  das  regnum, 
s.  Ep.  I  1,  59  rex  eris  si  rede  facies";  gerade  diese  Worte  zeigen 
ja,  daß  bei  den  Knabenspielen  eben  nicht  gelost  wurde,  sondern 
der  Vorrang  von  der  Tüchtigkeit  abhing.  —  Zu  Od.  I  7,  32 
„iterare  wieder  befahren  (französisch  doubler  un  cap)";  die  beiden 
Ausdrücke  sind  ganz  verschiedenartig.  —  Zu  Od.  I  28,  8  „Eros", 
Druckfehler  für  Eos.  —  Zu  Od.  III  9,  20  „Lydiae  Genit.  (nicht 
Dat.)".  Aber  siehe  oben  zu  Nr.  2).  —  Zu  Od.  IV  2,  2  „Me, 
C.  Julius  Antonius",  statt  Julie,  Julius  Antonius.  Vgl.  die  Ausgabe 
von  Kießling-Heinze  und  JB.  XXVIH  S.  33. 

Jahresberichte  XXX.  3 


34  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

5)  Q.  Horatii  Flacci  satirae,  für  den  Schalgebrauch  erklärt  von 
K.  0.  Breithaupt.  Zweite  Auflage.  Bibliotheca  Gothana.  Gotha 
1903,  F.  A.  Perthes.     IV  u.  165  S.     8.     1,80  Jt. 

Daß  die  Breithauptsche  durchaus  brauchbare  Schulausgabe 
der  Satiren  erst  nach  16  Jahren  es  zu  einer  neuen  Auflage  ge- 
bracht hat,  erklärt  sich  sehr  einfach.  Von  den  Satiren  können 
in  den  Schulen  teils  aus  Zeitmangel,  teils  mit  Rücksicht  auf  den 
Inhalt  nur  wenige  Stucke  gelesen  werden;  da  werden  wohl  die 
meisten  Lehrer  den  Schülern  nicht  gern  die  Anschaffung  einer 
Gesamtausgabe  der  Satiren  zumuten,  sondern,  falls  sie  überhaupt 
die  Benutzung  einer  kommentierten  Ausgabe  wünschen,  sie  lieber 
eine  der  bereits  zahlreichen  kommentierten  Horazausgaben  be- 
nutzen lassen,  die  nur  eine  Auswahl  der  Satiren  und  Episteln 
enthalten.  Für  andere  als  Schulkreise  aber  ist  die  Breithauptsche 
Ausgabe  nicht  berechnet. 

In  der  neuen  Auflage  hat  der  Herausgeber  an  manchen  Stellen 
die  Anmerkungen  gekürzt,  an  anderen  den  Text  und  die  An- 
merkungen mit  sorgsamer  Benutzung  anderer,  inzwischen  er- 
schienener Ausgaben  und  in  Anlehnung  an  sie  geändert.  Dies 
verdient  anerkannt  zu  werden;  dagegen  ist,  was  in  neuerer  Zeit 
außerdem  für  die  Satiren  geleistet  ist,  von  ihm  großenteils  un- 
benutzt gelassen. 

Auf  wenige  Stellen  gehen  wir  kurz  ein.  I  6,  17  f.  Quid 
oportet  no8  facere  a  volgo  longe  longeque  remotos?  Schade,  daß 
die  unten  anzuzeigende,  für  mich  wenigstens  völlig  überzeugende 
Deutung  von  Meiser  nicht  berücksichtigt  ist;  sie  ist  allerdings 
nicht  lange  vor  Abschluß  der  Breithauptschen  Ausgabe  publiziert. 
—  16,  25.  Die  Darlegung  von  Mommsen  im  Hermes  1898  war 
zu  verwerten.  —  19,  26  f.  Über  den  Sinn  der  Frage  est  tibi  maier, 
cognati,  quis  te  salvo  est  opus  vermißt  man  eine  Aufklärung;  es 
ist  aber,  nachdem  mehrere  darauf  hingewiesen  haben,  wohl  nicht 
mehr  zweifelhaft,  daß  der  abergläubische  Gedanke  zu  Grunde  liegt: 
eine  so  große  Vollkommenheit  läßt  für  deine  Lebensfähigkeit 
fürchten;  vgl.  Sat.  II  7,  3.  —  I  10,  27.  Diese  Stelle  hat  meines 
Erachtens  Cartault  (Revue  de  philologie  XXI  1897  S.  240  ff)  gut 
erledigt,  indem  er  schreibt:  patrisque,  latine.  —  II  2,  29.  Breit- 
haupt schreibt  jetzt:  carne  tarnen  quamvis  distal  nil  hac  avis  iUa. 
Diese  Stelle  ist  ja  eine  der  bösesten;  aber  so  viel,  meine  ich,  muß 
man  Cartault  (fitude  sur  les  satires  d'Horace,  1899  S.  111)  zu- 
geben, daß  Horaz  nicht  sagen  konnte,  das  Fleisch  der  beiden 
Vögel  unterscheide  sich  nicht.  —  II  5,  90  f.  Samuelssons  Inter- 
pretation dieser  Stelle  (Upsala  1899,  vgl.  JB.  XXVI  S.  66)  gehört 
zu  dem  Besten,  wodurch  neuerdings  das  Verständnis  der  Satiren 
gefördert  ist:  ultra  'non'  'etiam'  sileas  „über  die  Worte  Nein  und 
Ja  hinaus  beobachte  Stillschweigen".  Leider  ist  dies  dem  Heraus- 
geber entgangen.  —  II  7,  96  ff.  Cum  Fulvi  Rutubaeque  aut 
Pacideiani  contento  poplite   miror  proelia.     Vielleicht    hätte    sich 


^N 


Horatius,  von  H.  Röhl.  35 

Breithaupt  von  Wölfle  (siehe  unten)  überzeugen  lassen,   wenn  er 
dessen  Auffassung  schon  gekannt  hätte. 

6)  Horace.  Satire s  and  Epistles  in  latin  and  english.  The  english 
versioo  by  Philip  Francis.  London  and  New  York  1902,  Unit 
Library,  Limited,  Leicester  Square.     322  S.     8. 

Die  Anzeige  des  die  Oden  enthaltenden  Bandes  dieser  Aus- 
gabe war  bereits  gedruckt  (siehe  oben  n.  1)  als  auch  die  Satiren 
und  Episteln  dem  Referenten  zugingen.  Es  ist  diesem  Bande 
dasselbe  Lob  zu  spenden;  der  Preis  beträgt  in  Ganzleinen 
1  Schilling. 

Der  Text  basiert  auf  der  Teubnerschen  Ausgabe  von  L.  Müller. 
Die  Obersetzung  läßt  obscöne  Stellen  weg,  oder  sie  verkürzt  oder 
mildert  sie  wenigstens.  Sie  verwendet  fünffüßige,  seltener  vier- 
füßige  Jamben  mit  gepaarten  Reimen.    Als  Proben  mögen  dienen: 

Sat.  I  1,1—3.  Maecenas,  what' s  the  cause,  that  no  man  lives 
Contented  with  the  lot  which  Reason  gives, 
Or  chance  presents;  yet  all  with  envy  view 
The  schemes  that  others  variously  pursue? 

Sat.  II 6, 1—3.  I  often  wisht  I  had  a  farm, 

A  decent  dwelling  snug  and  warm, 
A  garden,  and  a  spring  as  pure 
As  crystal  running  by  my  door, 
Besides  a  little  ancient  grove, 
Where  at  my  leisure  I  might  rove. 

II.  Übersetzungen. 
Eine  englische  Übersetzung  siehe  oben  bei  Nr.  1)  und  Nr.  6). 

7)  0.  Hey,   Übersetzungen    ans   lateinischen    Dichtern.     In   den 

Blättern  für  das  Gymnasialschalwesen  XXXVIII  1902,  S.  243. 

Horaz  ist  hier  mit  einer  Ode  (III  13)  vertreten.  Die  Über- 
setzung ist  nicht  übel,  doch  auch  nicht  das  Beste,  was  es  in 
diesem  Genre  bei  Horaz  schon  gibt: 

Morgen  kriegst  du  ein  Zicklein, 

Dem  die  Stirne  von  Hörnern  kaum 
Schwillt  und  brünstige  Lust,  männlichen  Mut  verspricht. 

8)  T.  Del  Bino,  Sei  epodi  d'Orazio  tradotti.     Padova  1903,  R.  Stab. 

P.  Prosperini.     15  S.    8. 

Folgende  sechs  Epoden  sind  hier  übersetzt:  1,  6,  7,  13,  15, 
16.  Die  verwendeten  Metra  sind  Nachbildungen  der  Horazischen. 
Bei  den  ersten  drei  Epoden  ist  auch  der  Reim  angewandt,  und 
zwar  reimt  sich  bei  Epqd.  1  und  7  die  Hälfte  der  Zeilen,  bei 
Epod.  6  alle  Zeilen.  Die  Übersetzung  der  sechsten  Epode  ist  also 
in  dieser  Hinsicht  die  kunstvollste,  und  deshalb  entnehmen  wir 
auch  aus  ihr  eine  Probe: 

3* 


36  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Tu  al  queto  passager  latri  infuriando, 
e  vil  dinanzi  al  lupo  volgi  il  pie: 

perche,  le  vane  grida  in  me  drizzando, 
non  sfldi  il  dente  ch'  io  digrigno  a  te  ? 


HI.  Abhandlungen. 

9)  Jos.  Ogorek,  Qaae  ratio  intercedat  inter  Ciceronis  Paradoxa 

Stoicorum  et  Horati  Stoicismum,  qui  Satiris  Epistulisque 
ei us  cootioetar.  Pars  posterior.  Im  Jahresberichte  des  zweiten 
Obergymnasiums  in  Lemberg.     1902.     S.  3 — 33. 

Der  früher  erschienene  erste  Teil  der  Abhandlung  ist  bereits 
im  JB.  XXVIII  S.  64  erwähnt,  wo  leider  der  Name  des  Verfassers 
einen  Druckfehler  enthält.  Den  Inhalt  des  vorliegenden  zweiten 
Teiles  gibt  der  Verfasser  selbst  folgendermaßen  an  (S.  5):  Primum 
nobis  demonstrandum  erit  re  vera  doctrinam  Stoicam  a  poeta  in 
Satiris  atque  Epistulis  propositam  inveniri,  deinde  ostendend  um, 
quo  animo  quove  sensu  ac  ratione  Stoicismus  ille  in  Sermonibus  eius 
tractetur;  quod  si  confecerimus,  nostrum  erit  denique  comparatio- 
nem  quandam  inter  Ciceronis  Paradoxa  Stoicorum  et  Horatii 
Stoicismum  instituere,  ut  appareat,  utrum  nexus  aliquis  aliquave 
ratio  inter  hunc  et  illa  obtineatur  necne. 

10)  Georg  Götz,   G.  Maecenas.     Rede,  gehalten  zur  Feier  der  akademi- 

schen Preisverteilung.  Jena  1902,  Universitats  buchdruckerei  G.  Neuen - 
haho.    26  S.    4.     1,60  JC. 

Es  ist  in  der  Hauptsache  eine  Rettung  des  Mäcenas  gegen- 
über dem  ungunstigen  Urteile,  das  Wieland  und  Beule  über  ihn 
gefallt  haben.  Auf  Horaz  beziehen  sich  namentlich  die  Seiten  17  ff. 
und  22  ff.,  wo  die  Frage  erörtert  wird,  inwiefern  Horaz  durch 
die  Beziehungen  zu  Mäcenas  und  Augustus  von  seiner  ursprung- 
lichen dichterischen  Richtung  abgedrängt  sei. 

11)  Eduard  Groß,    Beiträge  zur  Erklärung  alter  Schriftsteller 

voruehmlich  durch  Hinweise  auf  die  deutsche  Literatur.  X.  Zu 
Horatius,  S.  53 — 66.  Beilage  zum  Jahresberichte  des  K.  Neuen  Gym- 
nasiums in  Nürnberg.     1902.  8. 

Mehr  als  die  Parallelstellen,  die  Groß  zu  Horazischen  Ge- 
danken aus  anderer  Literatur  beibringt,  interessieren  uns  die 
Interpretationen  einzelner  Stellen.  Od.  I  15,  3.  Zu  ingrato  sei 
nicht  nur  hinzuzudenken:  für  die  Winde,  sondern  auch:  für  Paris. 
Aber  wenn  Horaz  eine  solche  Doppelbeziehung  gemeint  hätte,  so 
hätte  er  das  meines  Erachtens  ausdrucken  müssen.  Ist  nun  nur 
eine  Ergänzung  zulässig,  so  kann  wohl  schon  wegen  des  Gegen- 
satzes zu  celeres  nicht  zweifelhaft  sein,  daß  Porphyrion  und  mit 
ihm  die  meisten  Erklärer  mit  Recht  an  den  Unwillen  der  Winde 
denken.  —  Od.  II  7,  19.  Daß  laurus  auch  zugleich  symbolisch  zu 
verstehen  sei,   hat  Groß  mit  anderen  richtig  erkannt.  —  Epist.  I 


Horatius,  von  B.  RSkl.  37 

20,  24.    „Solibus  aptus  =  mit  einem  Mondschein  versehen,    wie 

man  nach  deutschem  Sprachgebrauche  sagen  muß".  Diese  Deutung 

schwebt   in    der  Luft,    solange   kein  Beleg    dafür  gegeben  wird, 
daß  man  soles  von  der  Glatze  gesagt  habe. 

12)  Saverio  ßentivegoa,    Tre   leziooi    della    poetica   Oraxiana. 
Sciacca  1902,  Tip.  Editrice  Bartolomeo  Goadagoa.     15  S.    8. 

Epist.  II  3,  352  f.  Der  Verfasser  nimmt  hier  an  dem  Gedanken 
Anstoß.  Auffallig  sei,  daß  derselbe  Horaz,  der  an  andern  Stellen 
gegen  Nachlässigkeit  der  Dichter  stark  eifere,  sich  hier  dem  über- 
lieferten Texte  zufolge  gegen  diesen  Fehler  (ineuria)  so  nachsichtig 
zeige;  und  wolle  man  dem  Worte  ineuria  einen  abgeschwächten 
Sinn  beilegen,  so  würden  die  beiden  Sätze  quas  ineuria  fudit  und 
quas  humana  partim  cavit  natura  inhaltlich  einander  so  ähnlich, 
daß  die  Disjunktion  durch  aut .  .  .  aut  nicht  angemessen  sei.  Er 
empfiehlt  daher  eine  alte,  aber  anscheinend  außerhalb  Italiens 
wenig  beachtetete  Konjektur  von  demente  Sibiliato:  quas  haud 
ineuria  fudit,  ast  humana  parum  cavit  natura.  Dem  Referenten 
erscheinen  die  Bedenken  gegen  die  Überlieferung  nicht  stichhaltig. 
Warum  soll  nicht  derselbe  Mann  Sorgfalt  dringend  fordern  und 
doch  auch  eine  Nachlässigkeit  neben  großen  Vorzügen  verzeihen? 
Beides  ist  Pflicht  des  Lehrers.  Und  das  aut .  .  .  aut  darf  man 
nicht  zu  sehr  pressen.  Gegen  die  Konjektur  Sibiliatos  aber  spricht 
erstens  der  Umstand,  daß  dabei  an  zwei  Stellen  zugleich  geändert 
ist,  zweitens  auch  der  Sinn.  Liest  man  die  ganze  Passage  un- 
befangen mit  der  Doppeländerung,  so  wird  man  betroffen  stutzen 
und  sich  fragen,  was  denn  zwischen  den  maeulae,  quas  ineuria 
fudit,  und  den  maculae,  quas  humana  parum  cavit  natura,  für  ein 
so  erheblicher  Unterschied  sei,  daß  die  ersteren  dadurch  unver- 
zeihlich, die  letzteren  verzeihlich  würden.  —  Epist.  II  3,  441. 
Tornatos  verteidigt  Bentivegna  auf  folgende  Weise :  Orazio  adopera 
le  due  metafore  del  tornio  e  delF  ineudine  con  significato  diverso, 
dando  all'  ineudine  l'ufficio  di  sgossare  e  preparare,  per  dir  cosi, 
la  materia  prima,  e  al  tornio,  quello  di  compiere  il  lavoro.  Dies 
könnte  man,  meine  ich,  ganz  wohl  akzeptieren;  der  Vers  erhielte 
dann  den  Sinn :  „und  Verse,  bei  denen  die  feinere  Überarbeitung 
mißglückt  ist  (und  von  dir  nicht  verbessert  werden  kann)  einer 
tiefgehenden  Umgestaltung  zu  unterwerfen".  Aber  die  ganze  SteHe 
V.  438 ff.  ist  durch  diese  Interpretation  noch  nicht  verständlich 
geworden,  da  V.  441  sich  mit  dem  vorhergehenden  delere  nicht 
verträgt;  denn  von  vernichteten  Versen  bleibt  kein  weiter  ver- 
wendbares Material  übrig,  das  zuerst  durch  das  gröbere,  dann 
durch  das  feinere  Werkzeug  bearbeitet  werden  könnte.  Vergleiche 
über  diese  Stelle  JB.  XXVI  S.  42  f.,  wo  die  Vertauschung  von 
V.  441  mit  V.  442  empfohlen  ist: 

melius  le  passe  negares 
Bis  terque  expertum  frustra:  deUre  iubebat. 


38  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Si  defendere  delirium  quam  vettere  malles 
Et  male  tornatos  incudi  reddere  versus, 
Nullum  ultra  verbum  aut  operam  insumebat  inanem. 
—  Epist.  II  3,  463  f.   Opino  che  le  parole  dicam,  Siculique  poetae 
Narrabo  interitum  siano  State  interpolate  da  qualche  grammatico. 
Irgend  welche  einleuchtenden  Gründe  für  die  Streichung  vermag 
ich  nicht  anzuerkennen;    im  Gegenteil  durfte  das  dabei  mitweg- 
fallende dicam  kaum  entbehrlich  sein. 

13)  0.  Seeck,   Horaz    an    Pollio.    In  den  Wiener  Stadien  XXIV  1902, 
S.  499—510. 

Der  Verfasser  behandelt  die  Ode  U  1  und  gibt  mehreren 
Stellen  eine  neue  Deutung.  Vers  5,  arma  nondum  expiatis  uncta 
cruoribus,  gehe  auf  das  Blut  des  Crassus  und  seines  Heeres.  V.  6, 
die  Worte  periculosae  plenum  opus  aleae  seien  eine  „Anspielung 
auf  das  rhetorische  Prachtstuck,  mit  dem  der  Anfangsteil  des  Ge- 
schichtswerkes abschloß,  das  Redeturnier  am  Rubiko  und  seinen 
kräftigen  Schlußeffekt,  das  ävsQQlcp&co  xvßog";  sie  bedeuteten: 
„ein  Werk,  dessen  Inhalt  gefährliches  Würfelspiel  ist".  V.  7.  8 
incedis  per  ignes  suppositos  cineri  doloso  „du  schilderst  eine  Zeit, 
in  der  die  Feindschaft  unter  dem  trügerischen  Scheine  der  wieder- 
hergestellten Freundschaft  fortglimmt,  um  bald  in  wilden  Flammen 
hervorzubrechen".  V.  21.  Audire  tarn  videor  bedeute:  „Diesen 
Teil  deines  Geschichtswerkes  habe  ich  noch  nicht  gehört,  hoffe 
es  aber  künftig  zu  tun";  der  Zusammenhang  von  V.  17 — 24  stelle 
sich  also  so  heraus:  „Schon  jetzt  hast  du  bei  deiner  Schilderung 
von  Crassus'  Niederlage  gezeigt,  daß  du  wildes  Schlachtgetümmel 
darzustellen  weißt;  aber  dort  handelte  es  sich  nur  um  einen 
kleinen  Feldherrn.  Erst  künftig  erhoffen  wir  das  Redeutendere 
von  dir,  den  Kampf  der  wirklich  großen  Feldherren,  die  Unter- 
werfung des  Erdkreises  und  den  Tod  Catos".  V.  28  Iugurthae; 
in  der  Erwähnung  dieses  verhältnismäßig  unbedeutenden  Fürsten, 
wo  man  die  Nennung  der  Dido  oder  Hannibals  erwarten  könnte, 
müsse  man  eine  absichtliche  Anspielung  auf  Sallust  erblicken. 
Die  Ode  sei  dem  Jahre  30  zuzuweisen. 

Mit  einigen  Redenken  gegen  diese  zum  Teil  überraschenden 
Aufstellungen  möchte  ich  nicht  zurückhalten.  Erstens.  Gegen  die 
übliche,  auch  bei  Kießling  vorliegende  Interpretation  von  V.  5, 
welche  die  durch  das  Rlut  von  Mitbürgern  befleckten  Waffen  durch 
das  Rlut  auswärtiger  Feinde  entsühnt  und  gereinigt  werden  läßt 
und  sich  auf  Od.  I  35,  38  o  utinam  nova  incude  difftngas  retusum 
in  Massagetas  Arabasque  ferrum  beruft,  wendet  Seeck  ein:  „wenn 
das  im  Rürgerkriege  stumpf  gewordene  Schwert  gegen  Parther 
und  Araber  neu  geschärft  wird,  so  ist  das  wohl  eine  bessere  An- 
wendung desselben,  aber  keine  Entsühnung".  Doch  wohl  auch 
Entsühnung;  so  sagt  Tacitus  (Ann.  I  49)  nach  Schilderung  einer 
unter  römischen  Soldaten  stattgehabten  Metzelei:  Truces  etiam  tum 


Horatius,  von  H.  Röhl.  39 

animos  cupido  involat  eundi  in  hostem,  piaculum  furoris;  nee 
alüer  posse  placari  commilitonum  manes,  quam  si  pectoribus  impiis 
honesta  vulnera  aeeepissent.  Zweitens.  Bei  Seecks  Auffassung  (vgl. 
noch  S.  507:  „Aus  der  Geschichtserzählung  selbst  werden  dann 
in  streng  chronologischer  Reihenfolge  nicht  mehr  als  drei  Punkte 
hervorgehoben  ...  1)  gravesque  prineipum  amicitias  .  .  .,  2)  et 
arma  nondum  expiatis  uneta  cruoribus  . . . ,  3)  periculosae  plenum 
opus  aleae  traetas")  müßte  man  erwarten,  daß  die  Worte  periculosae 
plenum  opus  aleae  als  neues  Glied  der  Aufzählung  an  die  vorher- 
gehenden angeknöpft  wären  und  nicht  als  Apposition  erschienen. 
Drittens.  Für  unzulässig  hält  es  Referent,  in  den  parallelen 
Ausdrucken  iam  nunc  .  .  .  iam  einen  temporalen  Gegensatz  zu 
statuieren. 

14)  M.  S.  Slaughter,  Notes  od  the  eollation  of  Parisinos  7900  A. 

Io:  American  Journal  of  philology  XXII  1902,  S.  84—86. 

Slaughter  hat  die  genannte  Handschrift  neuerdings  durch- 
geprüft und  gibt  einige  Abweichungen  von  der  bei  Keller  be- 
nutzten Kollation.  Es  ist  dies  ein  dankenswerter  Beitrag  zur 
Vervollständigung  des  kritischen  Apparates,  wenn  auch  der  Horaz- 
text  davon  keinen  unmittelbaren  Nutzen  hat. 

15)  G.  L   Hendrickson,    The   literary   form  of  Horace  Serm.  I  6 

In:  American  Journal  of  philology  XXIII  1902,  S.  388—389. 

Der  Verfasser  untersucht,  inwiefern  sich  in  der  obengenannten 
Horazischen  Satire  diejenigen  to'tto*  der  enkomiastischen  Biographie 
vorfinden,  welche  die  Theoretiker  für  diese  Gattung  literarischer 
Produkte  aufgestellt  haben. 

16)  Mortimer    Lamson    Earle,    Ad    Horatii    serm.  1  1,  15  sqq.     In: 

Mnemosyne  XXX  1902,  S.  347. 

In  Vers  19  will  der  Verfasser  at  quis  für  das  überlieferte 
atqui  einsetzen,  das  ihm  als  nimis  abruptum  erscheint;  also:  at, 
quis  (=  quibus)  licet  esse  beatis,  quid  causae  est  merito  quin  Ulis 
Juppiter  ambas  iratus  buccas  inflet.  Eine  Verteidigung  der  hand- 
schriftlichen Lesung  halte  ich  für  unnötig;  nur  darauf  sei  hin- 
gewiesen, daß  der  durch  die  Konjektur  hervorgebrachte  Gedanke 
keineswegs  korrekt  ist.  Denn  Juppiter  zürnt,  nicht  weil  jene 
Leute  die  Möglichkeit  haben  glücklich  zu  sein,  sondern  weil  sie 
diese  Möglichkeit  törichterweise  nicht  benutzen. 

17)  A.    Cartaolt,    L'inexprime   dans   les    Satires   d'Horace.    In: 

Revue  de  philologie  XXVI  1902,  S.  12—30. 

Von  demselben  Verfasser  haben  wir  bereits  früher  eine  sehr 
ausführliche,  überaus  sorgfältige  Untersuchung  über  die  Technik 
der  Horazischen  Satiren  anzuzeigen  gehabt  (JB.  XXVII  S.  84  ff.) ; 
hier  ein  kleiner,  aber  gleichfalls  hübscher  und  wertvoller  Nach- 
trag.    Die   Abhandlung    zerfällt   in    drei  Kapitel:    1)    Auslassung 


40  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

logischer  Beziehungen,  die  durch  unus,  vel,  ipse,  usque  und  der- 
gleichen ausgedruckt  werden  könnten;  2)  Gebrauch  des  bloßen 
Substantivs,  Adjektivs  oder  Partizips  statt  eines  Satzes,  meist 
statt  eines  Nebensatzes;  3)  Verwendung  des  einfachen  Verbs 
statt  des  Kompositums.  Am  Schlüsse  dieses  dritten  Teiles  be- 
merkt Cartault:  En  resume  la  frequence  dans  les  Satires  du  verbe 
simple,  lä  oü  on  attendait  le  compose,  parait  provenir  surtout 
de  ce  quf  Horace  se  sert  de  la  langue  de  la  conversation,  qui  a 
ses  racines  dans  le  passe  et  qui  du  reste  aime  ä  sous-entendre 
les  rapports  secondaires  pour  n'exprimer  que  ce  qui  est  indis- 
pensable. Ganz  gewiß,  und  diese  Bemerkung  trifft  auch  noch 
manche  andere  Kurze  des  Ausdrucks  in  den  Satiren  und 
Episteln. 

18)  A.  Cartault,    Horace,    Satire  II  3,  274.     Iu:    Revue  de  pbilologie 

XXVI  1902,  S.  30—31. 

Der  Kern  von  Cartaults  Auffassung  des  Horazischen  Verses 
quid,  cum  balba  feris  annoso  verbapalato  liegt  in  folgenden  Sätzen: 
Horace  veut  dire  que,  pour  rendre  son  langage  plus  caressant, 
le  vieil  amoureux  estropie  les  mots  en  faisant  predominer  la  pro- 
nonciation  palatale,  lä  oü  eile  n'a  que  faire.  II  est  hors  de  doute 
qu'il  fait  allusion  ä  une  prononciation  ridicule  et  vicieuse,  qui, 
de  son  temps,  avait  cours  parmi  les  galants  et  qui  produisait  un 
effet  deplorable,  surtout  chez  les  vieillards.  In  den  Horazischen 
Zusammenhang  paßt  diese  Deutung  recht  gut  hinein;  nur  wäre, 
zu  völliger  Überzeugung,  für  die  vorausgesetzte  sprachliche  Un- 
art eine  anderweitige  Bestätigung  willkommen. 

19)  J.  Sargeaunt,  Od  Horace,  Ödes  III  and  IV.    In:   Classical  review 

XVI  1902,  S.  121. 

Od.  III  4,  52.  Sargeaunt  will,  da  die  Strophe  V.  49—52 
die  Wirkung  des  Gemäldes  der  Herrscherruhe  verderbe,  hinter 
Olympo  den  Punkt  tilgen,  intulerat  für  intulisset  und  den  Haupt- 
satz V.  53 — 58  als  Vertreter  eines  irrealen  Bedingungssatzes  auf- 
fassen. Ich  möchte  nicht  zustimmen.  Die  von  Sargeaunt  an- 
genommene Konstruktion  (Indikativ  im  irrealen  hypothetischen 
Hauptsatze,  während  für  den  Bedingungssatz  eine  rhetorische 
Frage  eintritt)  ist  doch  mindestens  ungewöhnlich.  Auch  ist  der 
erzielte  Gedanke  nicht  sehr  anmutend:  die  Titanen  hätten  dem 
Juppiter  Schrecken  eingeflößt,  wenn  sie  nicht  den  Göttern  gegen- 
über ohnmächtig  gewesen  wären.  Dagegen  ist  der  Einwand  gegen 
die  übliche  Auffassung  wohl  hinfallig.  Im  Sinne  der  alten  Mytho- 
logie tut  es  der  Würde  des  Gottes  keinen  Abbruch,  daß  er  einen 
Schreck  bekommt.  Und  wenn  Gefahr  nicht  einmal  befürchtet 
würde,  so  verlöre  doch  die  ganze  Titanomachie  ihre  Bedeutung. 
Und  endlich  mag  zu  der  Strophe  V.  49—52  Horaz  durch  die  vor- 
schwebende Vergleichung  mit  August us  veranlaßt  sein,    der   sich 


~N 


Horatius,  von  H.  Röhl.  41 

seiner  Besorgnisse  vor  Antonius  gleichfalls  nicht  zu  schämen 
brauchte,  wenn  selbst  der  oberste  Gott  vor  seinen  Feinden  einst 
einen  Schreck  bekommen  hatte. 

Od.  IV  11,  3.  Das  von  den  Dichtern  jener  Zeit  viel  er- 
wähnte apium  sei  nicht  die  Petersilie,  sondern  der  wilde  Sellerie ; 
dessen  Verwendbarkeit  zu  Kränzen  sei  durch  einen  Fund  bei 
einer  Mumie  erwiesen.  Letztere  Auffassung  ist  meines  Wissens 
die  allgemein  übliche;  immerhin  mag  man  sich  über  eine  hand- 
greifliche Bestätigung  freuen. 

20)  Eroest  Ensor,    On    Horace,    Ödes  II  17  and  I  20.    Iu:    Classical 

review  XVI  1902,  S.  209  ff. 

Od.  II  17.  Ensor  meint,  Horazens  Behauptung  V.  21  ff. 
utrumque  nostrum  incredibili  modo  consentü  astrutn  finde  durch 
das,  was  Horaz  demnächst  sagt,  keine  hinreichende  Begründung; 
all  men's  careers  are  alike  if  escapes  from  death  prove  likeness. 
Man  müsse  noch  annehmen,  daß  die  beiden  Rettungen  (Horazens 
Rettung  vom  Baumsturz  und  das  Wiedererscheinen  des  genesenen 
Mäcenas  im  Theater)  an  demselben  Monatstage,  wenn  auch  ver- 
schiedener Jahre,  also  am  1.  März,  stattgefunden  haben.  Aber 
wenn  dies  der  Fall  war,  wie  hätte  Horaz  gerade  diese 
schlagendste  Begründung  unerwähnt  lassen  können? 

Od.  I  20.  Diese  Ode  beziehe  sich  auf  einen  ersten  März, 
den  zwiefachen  Erinnerungstag  für  Mäcenas  und  für  Horaz.  Das 
vile  Sabinum,  Od.  I  20,  1,  sei  dieselbe  Weinsorte,  die  in  Od.  III 
8,  10  ff.  gemeint  werde.  Der  Sinn  von  Od.  I  20,  10  ff.  sei: 
after  that  you  shall  have  Caecuban  and  Calenan;  I  don't  keep 
Falernian  or  Formian.  In  den  letzten  Zeilen  sei  pocula  als 
Nominativ  zu  fassen,  und  es  sei  mit  zwei  Änderungen  zu  lesen: 

mea  nee  Falerni 
temperant  vites  neque  Formiani 
pocula  collis. 

Ich  begnüge  mich,  dies  alles  zu  notieren. 

21)  £.  S.  Thompson,  Notes  on  Horace,  Ödes,  Book  I.    In:  Classical 

review  XVI  1902,  S.  282  f. 

Od.  I  9,  6.  Thompson  faßt  reponem  im  Sinne  von  „nach- 
legend",  replacing  the  burnt  out  logs  by  new  ones,  making  up 
the  fire,  und  vergleicht  ansprechend  PI.  Most.  110  dominus  indi- 
ligens  reddere  alias  nevolt.  —  Od.  I  20,  10.  Der  Verfasser  schlägt 
vor,  als  Frage  zu  lesen:  tu  bibas  uvam?  und  beruft  sich  auf 
Sat.  II  6,  30  tu  puhes  omne  quod  obstat?  Indes  hat  ja  in  dieser 
Satire  die  konjunktivische  Frage  einen  Sinn,  der  in  den  Zu- 
sammenhang der  Ode  nicht  passen  würde.  Über  diese  Stelle 
wird  noch  unten  in  der  Anzeige  der  Abhandlung  von  Leo  zu 
sprechen  sein.  —  Od.  I  37,  4.  Zu  erat  hatte  Page  auf  Martial 
IV  33  verwiesen ;  Thompson  fügt  jetzt  noch  Livius  VI11  5,  3  hin- 


42  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

zu;  der  Sinn  sei  stets,  daß  es  nun  zu  spät  sei.  Auch  ich  bin 
dieser  Ansicht  und  meine,  durch  die  Verschiedenheit  des  Tempus 
bei  Horaz  (V.  1  est,  V.  4  erat)  wird  ausgedruckt,  daß  die  Auf- 
forderung zum  Trinken  und  Tanzen  wirklich  befolgt  werden  soll, 
daß  aber  für  die  Veranstaltung  eines  allgemeinen  religiösen  Dank- 
festes, auf  die  der  Redende  keinen  Einfluß  hat,  die  zuständige 
Behörde  den  rechten  Augenblick  hat  vorübergehen  lassen. 

22)  Samuel    Allen,    On    Horace,    Epode    15,    1—10.    In:     Classical 

review  XVI  1902,  S.  305  f. 

Epod.  15,  7.  Allen  hält  die  Stelle  für  korrupt  und  ver- 
mutet pecoralibus  (cattle-pens,  Viehhürden)  für  pecori  lupus.  Leider 
findet  sich  das  Adjektiv  pecoralis  „zum  Vieh  gehörig"  nur  ein- 
mal bei  Festus,  ein  Substantiv  pecorale  nirgends  (nur  will  Allen 
bei  Verg.  Aen.  IX  339  per  ovilia  ändern  in  pecoralia).  Unter 
diesen  Umständen  ist  die  Konjektur  natürlich  abzulehnen.  Eine 
billigenswerte  Interpretation  der  Stelle  hatte  kürzlich  Housman 
gegeben;  vgl.  JB.  XXIX  S.  45. 

23)  Mortimer  Lamson  Earle,   On    the    first   ode   of  Horace.    In: 

Classical  review  XVI  1902,  S.  398—401. 

Earle  setzt  mit  L.  Müller  hinter  V.  5  nobilis  ein  Semikolon, 
hinter  V.  6  deos  keine  Interpunktion ;  er  faßt  terrarum  dominos 
in  der  Bedeutung  „die  Römer"  als  Objekt,  das  dann  durch  hune 
und  illum  geteilt  werde;  in  V.  29  verlangt  er  mit  Hare  und 
anderen  te  für  me.  Über  den  Bau  des  Gedichtes  spricht  er  sich 
folgendermaßen  aus:  There  is  throughout  the  ode  a  regulär  series 
of  contrasts  —  nation  contrasted  with  nation  (Greeks  x  Romans), 
class  of  men  contrasted  with  class  of  men  (agricola  x  mercator, 
desidiosus  x  strenuus  —  the  strenui  being  represented  by  two 
classes:  (a)  milites,  (b)  venatores),  individuals  contrasted  (Maecenas 
x  Horace).    Die  Verse  3 — 10  sehen  dann  so  aus: 

sunt  quos  curriculo  pulverem  Olympicum 
collegisse  iuvat  metaque  fervidis 
evitata  rotis  palmaque  nobilis; 
terrarum  dominos  evehit  ad  deos 
hunc  si  mobilium  turba  Quiritium 
certat  tergeminis  tollere  honoribus, 
illum  si  proprio  condidit  horreo 
quidquid  de  Libycis  verritur  areis. 

Earles  ganze  Darstellung  klingt  —  das  läßt  sich  nicht 
leugnen  —  recht  verlockend;  doch  sind  wenigstens  dem  Refe- 
renten noch  nicht  alle  Bedenken  geschwunden.  Hier  zwei  der 
sich  darbietenden  Einwände,  die  ich  gern  widerlegt  sähe.  1)  Bei 
der  üblichen  Auffassung  werden  die  Sieger  in  Wettkämpfen  den 
Göttern  gleichgestellt;  das  ist  ein  dem  Horaz  wie  andern  ge- 
läufiger Gedanke.     Aber   kann  jemand  wegen  des  Besitzes  voller 


^ 


Horatins,  von  H.  Röhl.  43 

Scheunen  sich  oder  anderen  göttergleich  vorkommen?  2)  Ist  die 
Annahme  der  Konstruktion  me  ad  deos  evehit  si  überhaupt  bei 
Horaz  zulässig?  —  Aber  auch  wer  Earles  Interpunktion  bei 
Vers  5  und  6  nicht  billigt,  könnte  doch  der  Konjektur  te  V.  29 
zustimmen,  für  die  in  der  Tat  F.  A.  Wolf  in  der  von  Earle 
zitierten,  meist  nicht  mehr  gekannten  Gommentatio  ad  Hör. 
Carm.  I  1,29  recht  gewichtige  Gründe  vorgebracht  hat.  Diese 
Konjektur  verdient  wirklich,  wieder  ernstlich  erwogen  zu 
werden. 

24)  C.  Weyman,  Bemerkungen  zu   deo  lyrischen  Gedichten    des 

Horaz.   In  den  Blättern  für  das  Gymnasialschulwesen  XXXVIII  1902, 
S.  225—241  u.  337—354. 

Schon  beim  Erscheinen  der  Kellerschen  Odenausgabe  hat 
Weyman  aus  seinen  eigenen  Sammlungen  eine  Fülle  von  Nach- 
trägen zu  den  loci  similes  geliefert  (vgl.  JB.  XXVIII  S.  54);  hier 
gibt  er  anläßlich  der  Ausgabe  von  L.  Müller  eine  ähnliche  Zu- 
sammenstellung von  Parallelstellen  und  anderen  Bemerkungen. 
Wir  greifen  einiges  wenige  heraus. 

Od.  I  1,  19.  Mit  Unrecht  nehme  Kießling  an,  daß  mit  est 
qui  etwas  selten  zu  Findendes  bezeichnet  werde;  Weyman  zeigt, 
daß  nur  das  Streben  nach  Abwechselung  diesen  Ausdruck  ver- 
anlaßt hat.  —  Od.  I  13,  8.  Belege  für  lenti  ignes  =  langsam 
verzehrendes  Feuer.  —  Od.  I  15,  21  f.  exitium  tuae  genti;  vgl. 
Plaut.  Bacch.  1054  fore  me  exitium  Pergamo.  —  Od.  I  35,  26 
cadis  cum  faece  siccatis;  vgl  Sen.  epist.  58,  32  Me  ultra  modum 
deditus  vino  est  qui  amphoram  exsiccat  et  faecem  quoque  exsorbet. 
—  Od.  II  1,  6  pericidosae  plenum  opus  aleae;  vgl.  Tac.  bist.  I  2 
opus  aggredior  opimum  casibus  (dies  sei  nur  äußerlich  ähnlich) 
und  Pomp.  Mela  I  pr.  1  orbis  situm  dicere  aggredior,  impeditum 
opus  et  facundiae  minime  capax.  —  Od.  II  6,  6  f.  sit  meae  sedes 
utinam  senectae,  sit  modus;  vgl.  Val.  Flacc.  IV  475  f.  nostrae  tan- 
dem  iam  parte  senectae,  sit  modus  (=  finis).  —  Od.  II  8,  3  f. 
deute  si  nigro  fieres  vel  uno  turpior  ungut;  vgl.  Ov.  ars  am.  III 
276  ff.  scaber  unguis  .  .  .  niger  dem.  Weyman  zitiert  (nach 
Zingerle)  diese  Stelle  gegen  die  Annahme  der  Konstruktion  and 
xoivov  bei  Horaz.  Sie  spricht  außerdem,  meine  ich,  für  die  von 
L.  Müller  empfohlene,  von  mir  in  den  Text  aufgenommene  Kon- 
jektur Horkels:  unco.  —  Od.  III  8,  26.  Weyman  belegt  den  Ge- 
brauch von  parco  mit  dem  Infinitiv.  —  Od.  IV  3,  21  totum 
muneris  hoc  tui  est;  vgl.  Tac.  ann.  XIV  55  id  primum  tui  muneris 
habeo. 

25)  Karl  Meiser,  Eine  mißverstandene  Horazstelle,  Sat.  I  6,  18. 

In     den     Blättern    für   das     Gymnasialschulwesen    XXXVIII     1902, 
S.  355—357. 

Verführt  durch  viele  Horazstellen ,  in  denen  der  Dichter 
seinen  geistigen  Abstand  vom  Volke  hervorhebt,  hat  man  bisher 


44  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

allgemein  meines  Wissens  diesen  Gedanken  auch  in  den  Worten 
quid  oportet  nos  facere  a  volgo  longe  longeque  remotos  finden  zu 
sollen  geglaubt.  Meiser  dagegen  läßt  das  a  nicht  die  Trennung, 
sondern  die  Urheberschaft  bezeichnen  und  übersetzt:  Was  sollen 
da  wir  (Nichtadelige)  tun,  die  das  Volk  so  weit,  so  weit  zurück- 
gesetzt hat?  Wohl  jeder,  der  die  Stelle  im  Zusammenhange  liest, 
wird  sich  von  der  zweifellosen  Richtigkeit  dieser  Auffassung  mit 
dem  Referenten  überzeugen,  den  die  Überschrift  der  kleinen 
Abhandlung  mit  Mißtrauen  und  nachher  der  Inhalt  mit  um  so 
größerer  Freude  erfüllte.  Wir  beglückwünschen  den  Verfasser 
zu  seinem  Funde,    der  wertvoller   ist  als  manche  neue  Ausgabe. 

26)  E.  Stemplinger,  Studien  über   das  Fortleben  des  Horaz.     In 

den  Blättern  für  das  Gymnasialschulwesen  XXXVIII  1902,   S.  357— 
365  u.  497—515. 

Der  erste  Teil  dieser  Schrift  ist  im  wesentlichen  eine> 
Materialsammlung  und  Zusammenstellung  der  bisherigen  Literatur 
über  diesen  Gegenstand,  und  zwar  so  disponiert:  Einfluß  auf 
die  Literatur  verschiedener  Völker;  musikalische  Kompositionen; 
Illustrationen ;  Parodien. 

Der  zweite  Teil  behandelt  einige  Einzelthemen  ausführlicher, 
nämlich  a)  historische  Zitate  aus  Horazischen  Oden,  also  Wahl- 
sprüche, sowie  Anführungen  des  Horaz  durch  hervorragende 
Männer  bei  wichtigen  Ereignissen;  b)  die  Ode  III  30  in  ihren 
Nachwirkungen;  c)  desgleichen  die  Ode  1  3. 

Der  Verfasser  verfügt  über  eine  ganz  erstaunliche  Masse  von 
Material  (nicht  erwähnt  finde  ich  das  Buch  von  Imelmann  Donec 
gratus  eram  tibi,  Berlin  1899;  vgl.  JB.  XXVI  S.  52);  überraschend, 
ja  überwältigend  wirkt  auf  den  Leser  die  unmittelbare  An- 
schauung der  langen,  weitverbreiteten,  starken  Einwirkung,  die 
Horaz  auf  das  Geistesleben  der  Völker  ausgeübt  hat. 

27)  WölfJe,   Neuer  Erklärungsversuch  von  Hör.  Sat.  II  7,  97.    In 

den  Blättern  für  das  Gyninasialseholwesen  XXXVIII  1902,  S.  515. 

Horaz  sagt: 

cum  Fulvi  Rutubaeque 
Aut  Pacideiani  contento  poplite  tniror 
Proelia  rubrica  picta  aut  carbone,  velut  si 
Re  vera  pugnent,  feriant  vitentque  moventes 
Arma  viri. 

Das  vielbesprochene  contento  poplite  erklärt  Wölfle  so :  Davus 
spannt  unbewußt  sein  Knie,  weil  er  gewissermaßen  einem  Natur- 
gesetz folgend  die  Stellung  der  Gladiatoren  auf  dem  Plakate 
nachahmt.  Die  bisherigen  Auffassungen  waren  allerdings  sämtlich 
nicht  frei  von  Bedenken;  diese  neueste  läßt  sich  hören. 


^ 


Horatius,  vod  H.  Röhl.  45 

28)  F.  Leo,  Coniectanea.    Im  Hermes  XXXVIII  1903,  S.  306 f. 

Zu  der  Stelle  Od.  I  20,  10,  die  auch  ich  für  verdorben  er- 
achte, sind  schon  viele  Besserungsvorschläge  vorgebracht.  Leo 
zählt,  abgesehen  von  tum  bibes,  folgende  auf:  1)  tu  bibas  (ver- 
gleiche auch  oben  Thompson),  2)  tu  liques,  3)  tu  vides,  4)  tu 
moves;  ich  fuge  noch  hinzu:  5)  ut  bibas,  6)  tu  iubes,  7)  nan 
bibes,  8)  tu  wies.  Dazu  kommt  nun  Leos  neue  Vermutung: 
9)  tu  dares.  Von  diesen  können  als  möglich  erscheinen  Nr.  2.  6. 
7  (vgl.  JB.  XXIX  S.  53)  und  Nr.  9;  und  unter  den  vier  wiederum 
dürften  für  die  wahrscheinlichsten  zu  halten  sein  non  bibe$  (Fried- 
rich vergleicht  Epist.  I  5,  4  vina  bibes  Herum  Tauro  diffusa)  und 
tu  dares  (Leo  verweist  auf  Sat.  II  6,  85  acinum  semesaque  lardi 
frusta  dedit  und  andere  Stellenj.  Ja  Referent  will  nicht  leugnen, 
daß  ihm  tu  dares  wegen  des  verbindlichen  Gedankens  am  besten 
gefallt,  möchte  aber  nach  Lage  der  Sache  nicht  behaupten,  daß 
ausschließlich  dies  und  nichts  anderes  der  Komische  Wortlaut 
gewesen  sein  müsse. 

29)  Sehleusner,  Die  Reisen  des  Kaisers  Augustus  in  Geschichte 

and  Dichtung.  (Zar  Hortzlektüre.)  Beilage  znm  Programm  des 
Gymnasiums  in  Barmen.     1903.     US.     4. 

In  manchen  Ausgaben  (so  bei  Keller-  Häußner,  Krüger, 
L.  Müller,  Petschenig,  Röhl,  Schimmelpfeng)  finden  die  Schüler 
im  Namenregister  s.  v.  Augustus  diejenigen  Tatsachen  aus  dem 
Leben  des  Kaisers  zusammengestellt,  deren  Kenntnis  zum  Ver- 
ständnis des  Horaz  erforderlich  ist.  Aber  das  sind  naturgemäß 
nur  kurze  Notizen,  und  es  ist  deshalb  nützlich  und  dankenswert, 
daß  der  Verfasser  eine  bestimmte  Gruppe  solcher  Tatsachen, 
nämlich  die  Reisen  des  Kaisers,  in  ausführlicherer  und  auch  für 
Schüler  verständlicher  Weise  behandelt  hat.  Neue  wissenschaft- 
liche Resultate  zu  gewinnen  hat  dabei  nicht  in  der  Absicht  ge- 
legen; der  Zweck  war  lediglich  eine  Förderung  des  Horazver- 
ständnisses  auf  der  Schule. 

30)  Richard  Thiele,  Philologische  und  archäologische  Studien; 

darin  S.  16 — 20:  Horaz  und  der  Pergame nische  Gigantenfries. 
Vortrag,  gehalten  in  der  ordentlichen  Sitzung  der  Königlichen  Aka- 
demie gemeinnütziger  Wissenschaften  zu  Erfnrt,  den  11.  Februar  1903. 
Sonderabdruck  aus  den  Jahrbüchern  der  Akademie,  Neue  Folge, 
Heft  XXIX.    Erfnrt  1903,  Carl  Villaret. 

Daß  sich  in  Horazens  Gedichten  Reminiszenzen  an  den  von 
ihm  vermutlich  betrachteten  Pergamenischeu  Altar  zu  finden 
scheinen,  darauf  ist  schon  wiederholt  hingewiesen  worden.  Erstens 
(von  Thiele  nicht  erwähnt)  zu  Od.  II  19,  23  f. ;  vgl.  Stier,  Fest- 
schrift zur  Begrüßung  der  37.  Philologenversammlung  S.  23  l; 
Trendelenburg,  Archäol.  Anzeiger  1898  S.  127  f. ;  JB.  XXV  S.  60  f. 
Zweitens  zu  Od.  III  4;  vgl.  Stier  a.  a.  O.,  Trendelenburg  a.  a.  O., 
JB.  XXV  S.  61.   Solcher  Beziehungen  meint  nun  Thiele  noch  zwei 


46  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

nachweisen  zu  können.  Zunächst:  die  Schilderung  der  Misch- 
gestalt  zu  Anfang  von  Epist.  II  3  gehe  zurück  auf  die  Gestalt 
Tritons  an  der  Westseite  des  Altars.  Bei  mancherlei  Überein- 
stimmung scheinen  mir  doch  auch  die  Differenzen  nicht  uner- 
heblich: Horaz  spricht  von  einem  Maler  und  nicht  von  einem 
Bildhauer;  variae  plumae  sind  etwas  anderes  als  „flossenähnliche 
Flügel";  Horaz  redet  von  einer  mulier,  während  Triton  männlich 
ist  (von  Thiele  erwähnt);  und  sollte  endlich  der  Dichter  von  dem 
Altar,  den  er  doch  wird  bewundert  haben,  ein  Beispiel  für  einen 
Verstoß  gegen  den  gesunden  Geschmack  (spectatum  admissi  risum 
teneatis,  amici?)  entnommen  haben?  Ferner  liege  auch  der 
Schilderung  vom  Kampfe  des  Adlers  mit  den  Schlangen  in 
Od.  IV  4,  11  f.  eine  Erinnerung  an  den  Pergamenischen  Altar  zu 
Grunde.  Indessen  ist  ja  seit  Homers  Zeiten  (vgl.  M  200  ff.)  die 
Feindschaft  zwischen  Adler  und  Schlange  ein  beliebter  Gegen- 
stand dichterischer  Darstellung  gewesen.  So  vermag  Referent 
weder  für  Epist.  II  3,  1  ff.  noch  für  Od.  IV  4,  11  ff.  den  Wahr- 
scheinlichkeitsbeweis als  erbracht  zu  erachten,  daß  Horaz  bei  Ab- 
fassung dieser  Stellen  sich  an  das  kleinasiatische  Bildwerk  erinnert 
habe;  ich  meine,  die  vorliegende  Ähnlichkeit  zwingt  nicht  zur 
Annahme  direkter  Deszendenz,  sondern  mag  auf  ganz  weitläufiger 
Verwandtschaft  beruhen. 

31)  H.  Heinze,  Aufgaben  aas  den  Gedichten  des  Horaz.    Zwanzig- 

stes Bändchen  der  Sammlung:  H.  Heinze  and  W.  Schröder,  Aufgaben 
aas  klassischen  Dramen,  Epen  und  Romanen.  Leipzig  1903,  Wilhelm 
Engelmann.    VIII  u.  80  S.    8.     1  Ji. 

Das  Buchelchen  enthält  51  Dispositionen  und  noch 
347  Themata  zu  Aufsätzen  über  Horaz  und  mag  hier  erwähnt 
werden,  weil  es  geeignet  ist,  dem  Schüler  das  Eindringen  in 
Horazens  Gedankenwelt  zu  erleichtern;  eine  weitere  Besprechung 
liegt  nicht  im  Rahmen  dieses  Jahresberichtes. 

32)  Petras   Corsseo,   Horatiana.    Specimen   primam,  qaod  adicitar  ad 

programma    gymnasii   ßismarckiani   Wilmersdorfieosis.     Berlin   1903. 

26  S.     8. 

In  der  Frage,  ob  die  neunte  Epode  in  Rom  oder  in  Aktium 
gedichtet  sei,  scheiden  sich  bekanntlich  die  Horazforscher  in  zwei 
Heerlager.  Der  Verfasser  der  obengenannten  Abhandlung  vertritt 
die  Ansicht,  das  Gedicht  sei  in  Aktium  und  zwar  vor  der  Schlacht 
entstanden,  und  wir  wollen  ihm  gern  die  Gerechtigkeit  widerfahren 
lassen,  anzuerkennen,  daß  er  für  seine  These  an  Gründen  vor- 
bringt, was  sich  eben  vorbringen  läßt;  wenn  trotzdem  durch  diese 
Monographie  der  Streit  schwerlich  beendet  sein  wird,  so  liegt  das 
in  der  Natur  der  Sache.  Denn  setzt  man  die  Abfassung  des  Ge- 
dichtes nach  Rom,  so  ist  zwar  der  Hauptinhalt  desselben  völlig 
erklärlich:  Horaz  hat  das  Gedicht  geschrieben,  als  in  Rom  eine 
sehr  vage  Nachricht  von  der  Besiegung  und  Flucht  des  Antonius 


Horatius,  von  H.  Röhl.  47 

und  der  Kleopatra  eingelaufen  war,  und  hat  in  dasselbe  in  Er- 
mangelung ausfuhrlicherer  Nachrichten  auch  einige  unbedeutende, 
schon  früher  bekannt  gewordene  Details  aus  der  vorhergehenden 
Zeit  (das  Mückenzelt,  den  Parteiwechsel  eines  Reitertrupps,  die 
Lage  der  feindlichen  Schiffe)  hineingearbeitet;  aber  freilich  muß 
man  sich  dann  darein  finden,  nausea  gerade  in  einem  auf  Meer- 
fahrt bezuglichen  Gedichte  von  dem  durch  Weintrinken  bewirkten 
Erbrechen  zu  verstehen  und  dem  jungen  Dichter  einen  unserem 
Geschmacke  zuwiderlaufenden  Gedanken  zuzutrauen.  Denkt  man 
sich  hinwiederum  Horaz  in  Aktium  anwesend,  so  ist  allerdings 
die  nausea  in  Ordnung,  aber  es  wäre  doch  ganz  unerklärlich, 
wenn  seine  Beteiligung  an  einem  solchen  Ereignisse  nicht  in 
seiner  Poesie  viele  und  starke  Spuren  hinterlassen  hätte  (Epod.  1, 
Od.  II  6,  5  ff.  und  Epist.  I  20,  23  sind  für  seine  Anwesenheit  in 
Aktium  nicht  beweiskräftig).  Und  ferner  wäre  der  Inhalt  der 
Epode  befremdlich,  und  zwar  sowohl  wenn  sie  nach  als  auch  wenn 
sie  vor  dem  Siege  gedichtet  wäre.  Hinsichtlich  der  ersteren  An- 
nahme verweise  ich  auf  das  unten  beizubringende  englische  Zitat; 
bei  der  letzteren  sieht  man  sich  genötigt,  die  in  den  Versen 
29 — 32  wie  eine  Tatsache  erwähnte  Flucht  des  Feindes  als  ein 
bloßes  vor  der  Schlacht  verbreitetes  Gerücht  anzusehen  (Gorssen 
S.  15:  quid  mirum,  si  per  castra  rumor  serpebat  Antonium  dam 
aufugisse?);  jedoch:  hatte  man  denn  so  wenig  Fühlung  mit  dem 
Feinde,  daß  man  fälschlich  glauben  konnte,  er  sei  abgesegelt? 

Recht  schade  ist,  daß  Corssen  die  Horazliteratur  nicht  voll- 
standiger  berücksichtigt  hat.  So  ist  ihm  die  gegnerische,  sehr 
verständige  Erörterung  von  Cartault  (Revue  de  philologie  1899 
S.  249—253)  anscheinend  entgangen;  Caecubum  V.  36,  das  Corssen 
S.  7.  8  (schwerlich  mit  Recht)  für  verdorben  hält,  hatte  schon 
L.  Muller  angezweifelt.  Zu  seiner  Hypothese  über  die  Entstehung 
des  Gedichtes  ist  Corssen  durch  eigenes  Forschen  gelangt  und  hat 
sie  nachträglich  in  einem  aus  dem  Jahre  1899  stammenden  Auf- 
satze Kromayers  gefunden;  indessen  ist  sie  wesentlich  älter.  Ich 
setze  den  betreffenden  Passus  aus  Gows  Ausgabe  hierher:  Most 
recent  critics  agree  that  Maecenas  took  Hör.  to  Actium  (Epode  1), 
that  this  poem  (nämlich  Epod.  9)  was  writlen  on  shipboard  on 
the  day  of  the  battle  (Sept.  2,  ß.  C.  31)  and  that  the  fluens  nausea 
of  I.  35  was  veritable  sea-sickness.  There  is  still  a  dispute, 
however,  as  to  whcther  the  poem  was  written  before  or  after  the 
battle.  The  confidence  with  which  Hör.  speaks  of  the  flight  of 
Antony  (11.  27 — 32)  suggests  that  he  was  writing  after  the  battle. 
Prof.  Housman  on  the  other  hand,  who  believes  that  the  poem 
was    written    before   the    battle,    urges    the  following  arguments: 

(1)  the  defection  of  2000  Gauis  from  Antony  must  have  seemed 
a  trifling  event  after  the  battle,  though  it  was  a  good  omen  before: 

(2)  nothing  is  said  of  the  actual  conflict,  e.  g.  the  burning  of 
Antony's  ships:  (3)  the  reference  to  'aoxiety  and  fear  for  Caesar's 


48  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

fortunes'  (i.  37)  is  grotesque  after  such  a  victory.  The  last 
argument  is  strongly  against  Prof.  Nettleship's  Suggestion  that 
11.  1 — 20  were  written  before  the  battle,  the  rest  after  the  victory. 
Prof.  Housman's  view  (Journ.  of  Philology,  1882,  p.  193)  is  adopted 
in  the  foilowing  notes. 

Auf  Seite  16  ff.  verteidigt  Corssen  die  Lesung  Africanum 
V.  25,  in  erfreulicher  Übereinstimmung  wie  mit  manchen  andern 
Ausgaben  so  auch  mit  der  des  Referenten.  Aus  der  dann 
folgenden  Besprechung  einzelner  Stellen  von  Od.  1  37  sei  die  Er- 
klärung von  V.  16  hervorgehoben:  mihi  quidem  ab  Italia  idem 
esse  atque  a  Brundisio  videtur  ....  Ut  accipiter  in  columbas 
sie  in  hostes  irruit  (nämlich  Oktavian),  cum  a  Brundisio  aecurrens 
Antonium  et  Gleopatram  in  sinum  Ambracium  refugere  cogeret. 
Aber  ganz  abgesehen  .  davon,  daß  die  Verbindung  von  ab  Italia 
mit  adurgens  wegen  des  dann  nackten  volantem  nicht  angängig 
sein  dürfte,  kann  jenes  nicht  der  Gedankengang  des  Dichters  sein, 
der  ja  schon  vorher  den  Flottenbrand  erwähnt  hat.  Eben  hier- 
durch erledigt  sich  auch  die  von  Corssen  versuchte  Deutung  des 
ensis  V.  23  auf  die  Schlacht  bei  Aktium.  Was  jenes  ab  Italia 
anlangt,  so  sagt  mir  am  besten  L.  Mullers  Bemerkung  zu:  „Eigent- 
lich floh  die  Königin  von  Aktium;  doch  war  ihr  Ziel  Italien  ge- 
wesen, von  dem  sie  ihre  Flucht  gleichfalls  entfernte". 

Mit  Freude  sehen  wir  der  in  Aussicht  gestellten  Fortsetzung 
entgegen.  Wer  bei  einem  so  viel  behandelten  Dichter  wie  Horaz 
böse  Kontroversen  zu  entscheiden  oder  an  anderen  Stellen  die 
rezipierten  Auffassungen  durch  abweichende  zu  verdrängen  ver- 
sucht, wird  ja  nur  selten  auf  Billigung  alles  Vorgetragenen 
rechnen  können;  aber  dennoch  wird  durch  solche  immer  neue, 
von  den  verschiedensten  Standpunkten  aus  angestellte  Betrachtung 
das  Verständnis  allmählich  gefördert  werden. 

33)  Hermann  Sachs,  Alliterationen  und  Assonanzen  in  den 
carmina  des  Horatins.  I.  Wissenschaftliche  Beilage  zum  Jahres- 
berichte der  dreizehnten  Realschule  zu  Berlin.  1903,  Weidmannsche 
Buchhandlung.     19  S.     4.     1  i. 

Der  Verfasser  gibt  zunächst  (S.  3 — 14)  eine  Zusammen- 
stellung von  Versen,  in  denen  mehrere  Worte  mit  demselben 
Buchstaben  anfangen,  also  z.  B.  antennaeque  gemant  ac  sine  funibus. 
Ich  gestehe,  das  Prinzip  dieser  Zusammenstellung  nicht  recht  zu 
verstehen.  Einerseits  nämlich  scheint  vieles  zu  fehlen ;  ich  schlage 
den  Horaz  aufs  Geratewohl  auf,  IV  9,  und  vermisse  daraus  .in  der 
Sachsschen  Aufzählung  sogleich  nan  ante  volgatas  per  artes  und 
wm  sola  comptos  arsit  adulteri,  und  IV  4,  2  cui  rex  deorum 
regmim  in  aves  vagas.  Andrerseits  wundre  ich  mich,  dazwischen 
auch  einzelne  (nicht  viele)  Verse  dieser  Art  zu  finden:  imbellisque 
lyrae  Musa  potens  vetat  und  vestimenta  maris  deo  und  uneus 
abest   liquidumque  plumbum.      Wenn    nun    der   Verfasser    zum 


-"> 


Horatius,  Voo  H.  Röhl.  .  49: 

Schlüsse  dieses  Abschnittes  sagt:  „Nun  ist  von  vornherein  zu- 
zugeben, daß  ein  Teil  der  angeführten  Beispiele  seinen  konsonanti- 
schen und  vokalischen  Gleichklang  nur  dem  Zufall  verdanke  .  .  . 
Dennoch  bleiben  außerordentlich  zahlreiche  Fälle  übrig,  bei  denen 
die  Alliteration  als  bewußtes  Kunstmittel  vom  Dichter  angewendet 
wurde":  so  führt  er  meines  Erachtens  viel  zu  wenig  auf  den 
Zufall  oder,  wie  ich  lieber  sagen  würde,  auf  die  naturliche  Be- 
schaffenheit der  lateinischen  Sprache  und  viel  zu  viel  auf  Absicht 
zurück.  Man  mache  die  Probe  mit  einem  beliebigen  Prosatexte, 
etwa  dem  Anfange  des  Livius: 

Faeturusne  operae  pretium  stro,  si  a  primordio 

urbis  res  populi  JRomani  perseripserim, 

nee  satis  scio, 

nee  si  sciam  dicere  ausim, 

quippe  qui 

cum  veterem  tum  vulgatam  esse  rem  videam  etc. 

Nunmehr  sondert  der  Verfasser  aus  der  obigen  Masse  von 
Alliterationen  drei  Kategorien  aus,  um  sie  besonders  hervorzuheben:  . 
1)  51  Verse,  in  denen  das  erste  und  das  letzte  Wort  alliterieren, 
z.  B.  at  non  ter  aevo  funetus  amabilem;  2)  55  Verse,  in  denen 
das  erste  Wort  der  ersten  und  das  erste  Wort  der  zweiten  Halb- 
zeile alliterieren,  z.  B.  per  dolum  amotas  puerum  minaci\  3)  28 
Verse,  in  denen  das  letzte  Wort  der  ersten  und  das  letzte  Wort 
der  zweiten  Halbzeile  alliterieren,  z.  B.  splendentis  Pario  marmore 
purins;  4)  15  Verse,  in  denen  die  alliterierenden  Wörter  zwar 
nicht  symmetrisch  stehen,  aber  durch  den  Iktus  scharf  betont 
sind,  z.  B.  qui  terram  inertem,  qui  mare.  temperat;  darunter  selbst 
Beispiele  wie  pulsa  thyias  uti  concita  tympano  und  ludoque  dictus 
non  sat  idoneus.  Der  Verfasser  ist  der  Ansicht,  daß  in  diesen 
vier  Fällen  „zweifellos  bewußte  Anwendung  der  Alliteration  als 
Kunstmittel  vorliegt4'.  Es  ist  wahr,  wenn  man  seine  Verzeichnisse 
herunterliest,  gewinnt  man  leicht  den  Eindruck  der  Absichtlichkeit; 
wenn  man  dann  aber  bedenkt,  daß  diese  149  (um  sie  alle  gelten 
zu  lassen)  Verse  unter  ungefähr  3000  Versen  zerstreut  sind  und 
also  im  Durchschnitt  je  ein  Vers  mit  dem  angeblich  bewußten 
Kunstmittel  auf  etwa  19  Verse  ohne  solches  kommt,  dann  wird 
man  doch  skeptisch  und  wünscht  erst  den  Nachweis  erbracht, 
daß  bei  andern  Dichtern  eine  gleichartige  Statistik  ein  wesentlich 
abweichendes  Resultat  ergibt. 

Eine    zweite    in  Aussicht    gestellte  Abhandlung    wird   unter- 
suchen, welche  Folgerungen  sich  aus  den  besprochenen  Alliterationen  ! 
für    die    poetische  Tätigkeit    des  Horaz    ergeben;    wir  haben  ab- 
zuwarten,   welchen  Grad    von  Überzeugung    diese  Fortsetzung  zu) 
erwecken  imstande  sein  wird. 

Jahresbericht«  XXX.  4 


50  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

34)  Heinrich  Tiedke,    Anklänge   an   Horaz   bei    Geibel.     Wissen- 

schaftliche Beilage  zum  Jahresberichte  des  Berlinischen  Gymnasiums 
zum  grauen  Kloster.  Berlin  1903,  Weidmannsche  Buchhandlung. 
21  S.    4.    1  Jt. 

Mit  lebhaftem  Interesse  ersieht  man  aus  Tiedkes  Darlegungen 
und  Zusammenstellungen,  wie  dieser  auf  die  Ideale  gerichtete 
deutsche  Dichter  an  Horazens  Poesie  seine  Freude  gehabt,  sich 
mit  ihr  innig  vertraut  gemacht  und  manchen  Ton  aus  ihr  in  die 
seine  hinübergenommen  hat. 

35)  Karl  Stadler,  Horaz-Kommentar  I.  Die  Gedichte  an  (für)  Mäcenas. 

Wissenschaftliche  Beilage  zum  Jahresberichte  der  Margareten  schule. 
Berlin  1903,  Weidmannsche  Buchhandlung.     28  S.     4.    1  Jt. 

Der  Verfasser,  unter  dessen  bisherigen  Arbeiten  zu  Horaz 
wir  namentlich  die  überaus  gewandten  und  geschmackvollen  Ober- 
setzungen zu  rühmen  hatten,  beginnt  hier  einen  „Kommentar", 
d.  h.  er  erörtert  zu  einem  jeden  Gedichte  1.  den  vorauszusetzenden 
Tatbestand,  2.  den  Inhalt,  3.  die  poetisch-metrische  Form.  (Da- 
nach war  die  Schrift  hier  unter  III,  nicht  oben  unter  I,  zu  be- 
sprechen.) In  dieser  Weise  kommen  im  vorliegenden  Hefte  folgende 
auf  Mäcenas  bezügliche  Gedichte  zur  Behandlung:  Od.  I  1,  Sat.  1  1, 
Sat.  I  6,  Sat.  I  5,  Sat.  I  9,  Epod.  2,  Epod.  3,  Od.  II  5,  Sat.  I  3, 
Epod.  14,  Od.  II  12,  Od.  III  16,  Sat.  II  4,  Epod.  1,  Epod.  9, 
Od.  II  20,  Od.  II  17,  Sat.  II  6,  Od.  III  8,  Sat.  II  8,  Od.  I  20, 
Od.  III  29,  Epist.  I  7,  Epist.  I  1,  Epist.  I  19.  Hiermit  ist  eine 
chronologische  Reihenfolge  beabsichtigt;  denn  nach  Stadlers  Meinung 
hat  Horaz  ziemlich  gleichzeitig  angefangen,  Epoden,  Satiren  und 
Oden  zu  dichten.  So  setzt  er  Od.  I  1  ins  Jahr  38;  dies  seien 
„zweifellos  die  ersten  Verse,  die  Horaz  an  Mäcenas  gerichtet". 
Dagegen  mit  andern  Kießling:  „Das  Gedicht  ist  selbstverständlich 
das  jüngste  der  drei  Bucher,  .  .  .  Sommer  23  verfaßt";  und  aller- 
dings ist  schwer  zu  glauben,  daß  das  Gedicht  (das  ganze,  nicht 
etwa  nur  die  Verse  3 — 34)  nicht  sollte  ursprunglich  für  den 
Zweck  gedichtet  sein,  den  es  erfüllt,  nämlich  Einleitung  einer 
größeren  Sammlung  zu  sein,  ebenso  wie  Od.  Hl  30  deren  Ab- 
schluß ist 

Die  Hypothesen  über  die  Situation  lesen  sich  meist  flott  und 
glatt;  aber  es  sind  oft  eben  nur  Behauptungen,  und  man  vermißt 
die  Beweise.  Warum  soll  Od.  III  16  Inclusam  Danaen  gerade  bei 
der  Schenkung  des  Landgutes,  noch  vor  Einrichtung  desselben 
und  vor  dem  Hausbau  gedichtet  sein?  Warum  Od.  II  20  N&n 
usitata  anläßlich  des  Todes  der  Cinara  (die  Stadler  übrigens  mit 
Lalage  und  Glycera  für  identisch  erklärt,  S.  26)?  Wo  ist  in 
Od.  III  8  Martiis  caelebs  eine  Andeutung  darauf  zu  finden,  daß 
Mäcenas  gerade  damals  wegen  ehebrecherischer  Neigungen  seiner 
Gattin  von  Eifersucht  gequält  worden  wäre?  Ferner:  Die  Epistel  1 7 
Quinque  dies  verfolge  zum  Teil  den  „Zweck,  Mäcen  vor  Terentias 
Zauber  zu  warnen". 


^ 


Horatins,  von  H.  Röhl.  51 

Von  vielen  hübschen  und  feinfühligen  Bemerkungen  zu  den 
einzelnen  Gedichten  notiere  ich  eine  zu  Od.  I  1.  Bekanntlich  ist 
wegen  des  hier  häufigen  Widerstreits  zwischen  Satzende  und 
Strophenschluß  schon  vermutet  worden,  die  beiden  ersten  und 
die  beiden  letzten  Verse  seien  von  Horaz  erst  nachträglich  hinzu- 
gefügt worden;  anders  Stadler:  „Eigenartig  wirken  die  stoßenden 
Sinn  ein  schnitte  in  den  sechs  ersten  Strophen  gegenüber  den 
(nach  der  überleitenden  siebenten)  weichen  Sinn  ab  schnitten  der 
zwei  letzten,  ähnlich  einem  über  Stufen  abstürzenden,  nachher 
in  ebenem  Bett  hinfließenden  Wasser:  so  verworren  ist  der 
andern  Menschen  Leben  und  Tun,  so  ruhig  klar  das  des  Dichters'4. 

Die  letzten  Seiten  (25 — 28)  bieten  noch  Anmerkungen  zu 
einzelnen  Stellen;  hiervon  einiges.  Zu  Sat.  I  1,88  ff.  stimmt 
Stadlers  Auffassung  mit  der  Schützschen,  zu  Sat.  I  1,  108  seine 
Lesung  redeo  nunc  mit  der  Ritschlschen  (über  letztere  Stelle  ver- 
gleiche JB.  XXV  S.  50,  XXV»  S.  76  und  87,  XXIX  S.  43),  zu 
Sat.  I  3,  71  seine  Lesung  amare  mit  der  von  Döring  und  L.  Hüller 
überein;  und  ähnlich  an  andern  Stellen.  Aber  des  Verfassers 
Eigentum  ist  wohl  die  Konjektur  zu  Epod.  1,  34  perdat  nepos, 
wobei  dann  nepos  „Enkel"  bedeutet.  Was  an  dem  überlieferten 
Texte  („um  es  als  Geizhals  zu  vergraben  oder  als  Verschwender 
zu  vergeuden")  anstößig  sein  soll,  ist  nicht  abzusehen  und  wird 
mir  auch  aus  Stadlers  Bemerkung  nicht  klar:  „Die  Vernunft  ver- 
langt, daß  der  nepos  perdens  eine  andere  Person  sei  als  der  parans 
Horatius".  —  Zu  Od.  I  20,  10  hält  Stadler  S.  20  und  27  an 
seiner  früheren  Konjektur  ut  bibas  (vgl.  JB.  XXVI  S.  51)  fest,  er- 
klärt aber  jetzt  etwas  anders  als  ehemals:  „zu  Hause  trinkst  du 
Besseres";  jedoch  auch  jetzt  noch  bleibt  die  Ergänzung  des  zum 
Folgenden  einen  Gegensatz  bildenden  Begriffes  „zu  Hause*4  recht 
bedenklich;  vgl.  zu  dieser  Stelle  oben  Nr.  28.  —  S.  22  und  27  zu 
Od.  II  11,21.  Lyde  habe  bei  Horaz  als  Hausfrau  gewaltet  und 
heiße  ebendeswegen  devium  scortum,  weil  sie  sich  de  solita  Über- 
tinarum  via  in  Horazens  Haus  zurückgezogen  habe.  Findet  solche 
Auffassung  des  Adjektivs  ihre  Bestätigung  im  Sprachgebrauche?  — 
Zu  dem  recht  dunklen  und  darum  verschieden  gedeuteten  Verse 
Epist.  I  7,  24  gibt  Stadler  folgende  neue  Übersetzung:  „Würdig 
(deiner  Wohltaten)  will  ich  mich  erweisen  (durch  Sitten  und 
Taten)  auch  (schon  allein)  für  das  Lob  (welches  du  mir  erteilst 
als)  eines,  der  (deine  Wohltaten)  verdient".  —  Epist.  I  19,  18. 
Statt  pallerem  verlangt  Stadler  polieret,  auf  exemplar  bezüglich; 
„das  fehlerhafte  Vorbild  ist  ja  nicht  Horaz  selber,  von  dessen 
Nachahmung  durch  Zeitgenossen  überhaupt  gar  nichts  bekannt 
ist*4  (natürlich  ist  dann  V.  10  die  Lesart  edixit  zu  wählen).  .  Diese 
Vermutung  erscheint  mir  sehr  ansprechend,  und  sie  sei  zur  Be- 
achtung und  Prüfung  empfohlen. 

Gern    sehen    wir  den  weiteren  Teilen  dieses  „Kommentars" 
entgegen,    möchten   aber  den  Wunsch  aussprechen,    daß  bei  der. 

4» 


52  Jahresberichte  d.  Philolog.  Ve  reios. 

Darlegung  der  Situationen,  also  bei  demjenigen  Stöcke,  in  dem 
die  Eigenart  dieser  Publikation  besteht,  die  Begründung  sorgfältig 
geprüft  und  vorgelegt  werde;  denn  sonst  wird  der  Verfasser  die 
Zustimmung  der  Leser  zu  seinen  Hypothesen  schwerlich  erreichen 
können. 

36)    Max  C.  P.  Schmidt,    Altpbilologische    Beiträge.     Erstes    Heft: 
Horaz-Studien.     Leipzig  1903,  üürr.     82  S.    8.      1,20^. 

Eine  Anzahl  von  Horazstellen  findet  hier  aus   verschiedenen 
Gesichtspunkten  eine  eingehende  Besprechung. 

Od.  III  4,  1;  I  12,  1;  1  1,  32.  Horaz  sehe  in  der  tibia  das 
urrömische,  in  der  lyra  das  urgriechische  Instrument;  mit  der 
hfta  deute  er  die  griechische  Form,  mit  der  tibia  den  römischen 
Inhalt  seines  Liedes  an.  Dem  Referenten  scheint  doch  zweifel- 
haft, ob  ein  solcher  Hintergedanke  in  einer  Stelle  stecken  könne 
wie:  „Blase  Flöte  oder  singe  oder  spiele  Leier !u  —  Od.  I  1,  20.. 
Schmidt  handelt  weit  ausholend  über  die  Begriffe  dies,  solidus, 
demere.  —  Od.  II  7,  21.  Der  Dichter  wolle  mit  obliviosus  auf 
oblivio  =  a\kvn<s%la  hindeuten.  Ein  gewisser  Zusammenhang  mag 
wohl  bestehen  und  der  Sinn  dieser  sein:  der  Wein  wird  dir,  in 
Obereinstimmung  mit  der  allgemein  proklamierten  oblivio,  helfen 
auch  deinerseits  Streit  und  Leid  zu  vergessen.  —  Od.  I  22,  19. 
In  dem  Ausdrucke  latus  mundi  folge  Horaz  der  stoischen  An- 
schauung, derzufolge  Norden  und  Süden  die  beiden  Flanken 
der  Welt  und  zwar  jener  die  rechte,  dieser  die  linke  sei.  — 
Od.  I  14,  6  f.  Carinae  seien  die  Kielhölzer,  Kielstücke,  Kielteile. 
Hinsichtlich  der  funes  schließt  Schmidt  sich  der  Aßmannschen 
Ansicht  an:  „sie  laufen  unten  (vno-)  um  Vorder-  und  Achter- 
steven herum,  dann  aber  über  Deck  auf  Stützen  oder  Gabeln, 
um  die  Gebrechlichkeit  des  Kieles  zu  hindern,  besonders  das 
Herabbrechen  der  beiden  Steven  zu  verhüten".  —  Od.  I  1,  35. 
Der  Ausdruck  lyrici  vates  decke  sich  nicht  mit  unserm  „lyrische 
Dichter",  sondern  sei  enger ;  er  bezeichne  Dichter  solcher  Lieder, 
die  zum  Gesänge  für  einen  einzelnen,  zur  Begleitung  der  Leier 
verfaßt  seien.  —  Od.  I  27.  In  der  Besprechung  des  Herganges 
äußert  Schmidt  folgende  Meinung:  „Ebensowenig  braucht  der 
Bruder  der  Megilla  in  Wahrheit  zu  sagen,  wie  die  Liebste  heißt. 
.  .  .  Jedenfalls  ist  der  Spott  um  so  drastischer,  wenn  der  Gefoppte* 
überhaupt  keinen  Namen  nennt,  aber  einen  solchen  genannt  zu 
haben  bezichtigt  wird.  Dann  hält  der  verschwiegene  (tutis  anribus) 
Dichter,  wie  er  gelobt  hat,  den  Namen  geheim,  weil  er  gar  keinen 
Namen  weiß".  Diese  Vermutung  scheitert  an  der  Tatsache,  daß, 
wenn  einer  einem  etwas  ins  Ohr  sagt,  der  Singular  auris  stehen 
muß;  der  Jüngling  hat  vielmehr  den  Namen  laut  genannt,  vgl: 
JB.  XXVII  S.  61  f.  und  meinen  Kommentar.  —  Die  Ode  III  12 
betrachtet  Schmidt  als  ein  Ständchen;  so  schon  Weidner,  vgl. 
JB.  XXIII  S.  36.  —  Od.  II  11.    Die  Worte  Hadria  divisus  obiecto 


^\ 


Horatins,  von  H.  Röhl.  53 

hatte  Kießling  als  eine  auf  die  Gedanken  des  ängstlichen  Quinctius 
eingehende  Hyperbel  aufgefaßt:  „der  nur  durch  die  Adria  ge- 
trennte'4; Schmidt,  der  ihm  zustimmt,  möchte  nun  auch  noch 
bellicosus  als  ein  Zitat  aus  den  Klagen  des  Quinctius  auffassen. 
Jene  Anschauung  Kießlings  nun  ist  ja  in  der  vierten  Auflage  von 
seinem  Nachfolger  Hei nze  bereits  wieder  aufgegeben;  zu  dem  dort 
angegebenen  Grunde  fuge  ich  noch  folgendes  hinzu:  Die  Furcht, 
das  dazwischenliegende  Adriatische  Meer  möchte  sich  als  unzuläng- 
licher Schulz  gegen  jene  Reiterscharen  erweisen,  erscheint  denn 
doch  zu  töricht,  als  daß  man  sie  dem  Quinctius  zutrauen  könnte. 
Vielmehr  furchtet  er  die  Seythen.  ebendeshalb,  weil  er  an  jenes 
natürliche  Bollwerk  nicht  denkt,  und  wird  von  Horaz  beruhigend 
daran  erinnert.  Für  den  Ausdruck  verweise  ich  noch  auf  nach- 
stehende Parallelstelle,  die  ich  nirgend  zitiert  finde,  Liv.  II  10: 
alia  muris,  alia  Tibeii  obiecto  videbantur  tuta.  Was  nun  aber 
bellicoms  anlangt,  so  kann  dies  schlechterdings  kein  Zitat  aus  den 
Klagen  des  Quinctius  sein,  da  ja  diese  Bezeichnung  nach  all- 
gemeinem Urteile  den  Kantabrern  zweifellos  zukam.  —  Od.  I 
20,  5.  Cläre  Maecenas  eques  seien  die  drei  Worte,  die  man  aus 
dem  Jubel  des  Volkes  immer  wieder  herausgehört  habe.  Das 
konnte  richtig  sein  und  wurde  dann  sowohl  für  die  Lesart  clart 
als  auch  für  die  mit  Unrecht  angezweifelte  Echtheit  der  Ode 
sprechen.  —  Od.  I  24,  11  f.  Heu  non  ita  creditum  sei  ein  Stuck 
der  Klage  des  Vergil;  demgemäß  findet  Schmidt  in  den  beiden 
Versen  folgenden  Sinn :  „Du  forderst  in  deiner  anhänglichen  Liebe 
den  Quintilius  umsonst  von  den  Göttern  zurück,  indem  du  dich 
darauf  berufst,  daß  du  ihnen  den  Freund  (in  deinen  Gebeten, 
vielleicht  gar  in  einem  Liede)  nicht  in  diesem  Sinne  anvertraut 
habest44.  Diese  schon  bei  Porphyrion  begegnende  Auffassung  ist 
ja  von  vielen  Herausgebern  akzeptiert;  aber  gibt  sie  einen  be- 
friedigenden Sinn?  Man  vertraut  wohl  einen  Freund,  der  eine 
Seereise  unternimmt,  dem  Neptun  an,  und  mehr  dergleichen; 
was  soll  es  dagegen  bedeuten  ,, einen  Freund  den  Göttern  an- 
vertrauen44? Befindet  sich  doch  der  Mensch  immer  und  überall 
in  ihrer  Hand.  —  Od.  II  15,6.  Copia  narium  „Vorrat  für  die 
Nase".  Wie  überaus  anschaulich  diese  Ode  sei,  sucht  der  Ver- 
fasser an  mehreren  Ausdrücken  nachzuweisen.  —  Od.  I  1,  10 
und  12.  Libycis  areis  und  Attalicis  condicionibus  bilden  nach 
Schmidts  Meinung  einen  Parallelismus.  Indes  es  ist  schwer,  da- 
bei an  Absicht  des  Dichters  zu  glauben,  da  diese  beiden  Begriffe 
ja  tiicht  in  korrespondierenden  Sätzen  stehen.  —  „Oft  entsprechen 
sich  Anfang  und  Schluß  eines  Liedes4'.  Gewiß;  aber  wenn  unter 
den  Beispielen  auch  Od.  I  4  solvitur  actis  Atems  —  tepebunt  und 
Od.  I  28  nutnero  carmtis  arenae  —  iniecto  ter  pulvere  angeführt 
werden,  so  muß  man  dies  doch  als  eine  Verirrung  des  Spürsinns 
bezeichnen.  —  Od.  I  1.  Über  die  Absichtlichkeit,  mit  der  Horaz 
den    Strophenschluß    fast    beharrlich    durchbrochen    hat,    urteilt 


54  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Schmidt  ähnlich  wie  Stadler;  siehe  oben  Nr.  35.  —  Epist.  II  2,  91  ff. 
Daß  diese  Stelle  sieb  auf  Properz  bezieht,  beweist  Schmidt  in 
ausfuhrlicher  Darlegung  des  Verhältnisses  zwischen  Horaz  und 
Properz,  wobei  freilich  manches  von  der  Phantasie  ergänzt  ist. 

Mögen  auch  nicht  alle  Darlegungen  des  Verfassers  sich  als 
stichhaltig  erweisen,  mag  auch  einzelnes  als  übersubtil  erscheinen, 
so  kann  man  doch  dem  Schriftchen  nachrühmen,  daß  man  es 
nicht  ohne  Freude  und  Belehrung  liest. 

37)  0.  Jäger,  Horaz  im  Gymoasialanterricht.     In  der  Monatschrift 
fdr  höhere  Schalen  1903,  S.  103—111. 

Mit  lebhaftem  Interesse  liest  man  des  verehrten  Altmeisters 
wohlerwogene  und  wohlbewährte  Ratschläge  über  den  Horazunter- 
riclit,  und  mit  Genugtuung  werden,  meine  ich,  die  meisten  Horaz- 
lehrer  ersehen,  daß  ihr  eigenes  Verfahren,  wenn  es  auch  nicht 
ganz  das  hier  gesteckte  ideale  Ziel  erreichen  sollte,  doch  in  allem 
Wesentlichen  dieselbe  Richtung  innehält. 

Wir    heben    aus  Jägers  Aufsatz    einige  Hauptpunkte    hervor. 
Die  Einleitung  zur  Horazlekture  will  Jäger  kurz  haben,    sie  solle 
nur  eine  oder  höchstens  anderthalb  Stunden  füllen  (S.  105) ;  ich 
halte  sogar  für  möglich  und  nützlich,  schon  in  der  ersten  Stunde 
nach  Erledigung  der  Einleitung  noch  den  Anfang  von  Od.  I  1  zu 
lesen.     Der    beherrschende  Gesichtspunkt,    unter    den    die  ganze 
Horazlekture  zu  stellen  sei,  sei  der  biographische  (S.  104);    doch 
dürfe    dieser    nicht    aufdringlich    wirken    (S.   107).     Auch    diese 
Direktive    verdient    zweifellos    Beifall;     sie    ergibt    sich    übrigens 
eigentlich  schon  mit  einer  gewissen  Notwendigkeit  aus  dem  sub- 
jektiven   Charakter    der   Horazischen    Poesie.     Unter   die    beiden 
Jahrgänge    der  Prima    verteilt    nun    der    Verfasser    „nach    allge- 
meinem Brauch"  (S.  106)  den  Lesestoff  so,    daß    er   der  Unter- 
prima   die    drei    ersten   und  zwar  vollständig  zu  lesenden  Oden- 
bücher  und,    wenn  noch  etwas  vom  Arbeitsjahr  übrig  sei,   einige 
Epoden    (S.  106.  107),    der    Oberprima    eine   Auswahl    aus    den 
Satiren,  den  Episteln  und  dem  vierten  Odenbuche  zuweist  (S.  108). 
Hierzu  erlaube  ich  mir  doch  anzumerken,    daß  meines  Erachtens 
das  Pensum  der  Unterprima  für  unsere  jetzigen  Schüler  zu  groß 
bemessen  ist.    Lassen  wir  selbst  die  Epoden  aus  dem  Spiele,  so 
enthalten  die  drei  ersten  Odenbücher  allein  schon  88  Oden,  dar- 
unter  nicht    wenige  lange   und  tiefe  (Römeroden!);    da    werden 
jetzt  ungefähr  80  Lehrstunden  nicht  ausreichen,  um  den  erforder- 
lichen   Grad    des  Verständnisses    zu    erzielen,    selbst    wenn,    wie 
Jäger  wünscht,    eine  Anzahl  von  Oden  (sehr  weit  wird  man   das 
doch    auch    nicht  ausdehnen   dürfen)  durch  bloßes  Vorübersetzen 
seitens  des  Lehrers  erledigt  wird  (S.  106.  107).    Dem  Referenten 
ist    eine    andere,    wohl    gleichfalls    häufig   anzutreffende  Stoffver- 
teilung geläufig:  Unterprima  Oden  I  und  II  in  Auswahl  und  einige 
Satiren;    Oberprima    Oden  III   und  IV    in    Auswahl    und    einige 


^ 


Horatins,  tob  H.  R5al.  55 

Episteln ;  die  Lektüre  der  in  Sprache  und  Gedanken  vielfach  noch 
der  rechten  Reife  ermangelnden  Epoden  wurde  Besserem  den 
Raum  wegnehmeu.  Was  dann  die  Auswahl  aus  den  Satiren  und 
Episteln  anlangt,  so  freue  ich  mich  sehr  der  Übereinstimmung 
im  Urteile  mit  Jäger,  der  die  literarischen  für  minder  geeignet 
erachtet  (S.  109);  schon  die  stete  Bezugnahme  auf  ältere  Literatur- 
werke, von  denen  die  Gelehrten  sehr  wenig,  die  Schüler  gar 
nichts  wissen,  steht  der  Behandlung  in  der  Schule  entgegen. 
„Die  Ordnung,  in  der  die  Oden  gelesen  werden,  darf  nur  die 
überlieferte,  vom  Dichter  selbst  herrührende  sein"  (S.  106).  Ganz 
meine  Ansicht;  in  einem  Lesebuche,  das  verschiedenartige  Stücke 
vieler  Autoren  bietet,  mag  man  sprungweis  bald  hier  bald  da 
etwas  herausgreifen;  aber  ein  in  sich  gleichartiges  Werk,  das  sein 
Verfasser  mit  Bedacht  und  Geschmack  geordnet  hat,  wenn  wir 
auch  die  Gründe  dieser  Ordnung  nicht  stets  im  einzelnen  auf- 
spüren können  (JB.  XXIX,  S.  58  f.),  das  soll  in  dieser  selben 
Reihenfolge  durchgekostet  und  genossen  werden.  Noch  ein  Punkt, 
die  Behandlung  der  Oden  betreffend:  der  Lehrer  soll  nach  Jäger 
darauf  hinweisen,  daß  es  sich  bei  den  erotischen  Oden  nicht  um 
wirkliche  Liebesverhältnisse  des  Horaz,  sondern  um  An- 
empfundenes  handelt.  Genau  in  demselben  Sinne  und  wie  Jäger 
unter  Herbeiziehung  eines  Beispiels  aus  moderner  Lyrik  habe  ich 
gleichzeitig  im  Jahresbericht  XXIX  S.  50  f.  gegen  Stadler  pole- 
misiert, halte  aber  die  entgegengesetzte  Meinung  nicht  für  so 
verbreitet  wie  anscheinend  Jäger,  der  sie  einen  „unausrottbaren 
Gelehrten-  und  Pedantenwahn44  nennt.  Weit  fester,  meine  ich, 
sitzt  dieser  Wahn  in  den  Schülerköpfen,  und  aus  diesen  ihn 
zu  vertreiben  wird  schwer  fallen.  Ich  wenigstens  habe,  wenn 
ich  dergleichen  doziere,  stets  die  Empfindung  (und  Äußerungen 
Abgegangener  erwiesen  diese  Empfindung  als  zutreffend):  die 
Schüler  glauben's  doch  nicht.  Denen  ist  es  viel  interessanter 
und  vorbildlicher,  sich  den  Horaz  als  Don  Juan  zu  denken,  und 
sie  meinen,  der  Lehrer,  eine  amtliche  Grimasse  ziehend,  verdrehe 
geflissentlich  diese  schönen  Dinge,  damit  nicht  der  vielgepriesene 
Horaz  getan  zu  haben  scheine,  was  man  ihnen  wehre! 

Die  Horazischen  Gedichte  für  die  Geistesbildung  der  Schüler 
nutzbar  zu  machen  ist  eine  der  schönsten  Aufgaben  des  alt- 
sprachlichen Unterrichts,  und  zur  Lösung  dieser  Aufgabe  gibt 
Jägers  Aufsatz  eine  treffliche  Direktive. 

38)  Köster,  Ober  die  Persönlichkeit  des  Horaz  io  seilten  Oden. 

Vortrag,  gehalten  am  24.  April  1901  in  der  ordentlichen  Versammlung 

der  Königlichen  Akademie   gemeinnütziger  Wissenschaften  zn  Erfurt. 

Soaderabdruck  aos  den  Jahrbüchern,  Nene  Folge,  Heft  XXIX.  Erfurt 

1903,  C  Villaret.     29  S.    8.    0,80  JT. 

Dieser  Vortrag  besteht  aus  einer  Blumenlese  von  Zitaten 
aus  Horazens  Oden,  nach  inhaltlichen  Gesichtspunkten  geordnet 
und  mit  verbindendem,   populärem  Texte  versehen.     Dieser  Text 


56  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereios. 

erhebt  keine  großen  Ansprüche  und  bewegt  sich  meist  in  den 
gewohnten  Gleisen;  freilich  wenn  es  S.  15  heißt:  „trotz  solcher 
Lobeserhebungen  aber  entgebt  selbst  Augustus  den  Mahnungen 
nicht,  die  ihm  Mäßigung  seiner  Staatsgewalt .  .  .  empfehlen14,  so 
ist  das  eine  arge  Verkennung  der  Stellung  des  Dichters  zum 
Kaiser.  Mehr  Wert  wird  offenbar  auf  die  Obersetzung  der 
Zitate  gelegt,  welche  die  antiken  Metra  und  dazu  den  Reim  ver- 
wendet. Aber  dies  ist  —  mit  geringen  Änderungen  —  dieselbe 
unglückselige  Obersetzung,  die  bereits  in  diesen  Jahresberichten 
XXIII  S.  41  ff  angezeigt  ist.  Durch  diesen  Hinweis  möchte  ich 
es  mir  ersparen,  nochmals  auf  ihre  sonstigen  Mängel  einzugehen, 
und  will  hier  nur  kurz  durch  ein  paar  Beispiele  erhärten,  daß 
auch  die  in  diesem  Vortrage  vorliegenden  Zitate  von  Miß- 
verständnissen nicht  frei  sind.  Od.  111  6,  1  delicto,  maiorutn 
immeritus  Ines,  Romane,  donec  templa  refeceris,  „Rom,  unver- 
schuldet büßest  du  die  Vergehn  der  Väter  nicht,  bis  Tempel 
dir  neu  erstehn".  Od.  HI  4,  1  ff.  die  age  tibia  .  .  .  longum  .  .  . 
melos,  seu  voce  nunc  mavis  acuta  seu  fidibus  citharaque  Phoebi, 
„ein  langes  Lied  zur  lieblichen  Flöte  lehr',  auch  mag's  dein  heller 
Sang  begleiten  oder  Apollos  Gespiel  der  Saiten41.  Od.  111  4,  6  f. 
audire  et  videor  pios  errare  per  lucos,  „mir  ist,  ich  hör7  sie 
irrenden  Fußes  nah'n  im  heil'gen  Hain44.  Od.  III  24,  15  defunc- 
tum  laboribus,  „den  alternden  Arbeitsmann44.  Od.  HI  24,  22  ff.  et 
meinem  alterius  vrri  certo  foedere  castitas,  et  peccare  nefas  aut 
pretium  est  mori,  „Keuschheit  auch,  die  sich  rein  ehliches  Bünd- 
nis schuf,  das  vor  anderen  Männern  bangt,  Bruch  der  Treue  als 
Greul,  Sterben  als  Lohn  verlangt'4.  Od.  I  13,  18  ff.  nee  malis 
divolsns  querimoniis  suprema  citius  solvet  amor  die,  „das  hie  die 
durch  feindliches  Ungemach  mehr  geschwundene  Lieb'  trennt  als 
am  letzten  Tag44. 

Wer  den  Horaz  nicht  mehr  versteht  und  doch  dem  Drange, 
über  ihn  etwas  zu  veröffentlichen,  nicht  widerstehen  kann,  der 
sollte  vorher  eine  zuverlässige  Übersetzung  mit  Sorgfalt  zu  Rate 
ziehen. 

39)    F.  Teichmüller,    Grundgedanke    und    Disposition    von    Hör. 
8a  t.  1  1.      Im  Rheinischen  Museum    N.  F.  LVIII  1903,    S.  436—452. 

Teichmüllers  Ansicht  ist  folgende.  Die  Satire  I  1  bandelt 
über  den  in  der  menschlichen  Natur  begründeten  Hang,  an  Stelle 
des  Eigenen  sich  das  dem  andern  ßeschiedene  zu  wünschen. 
Dieser  Hang  wird  einerseits,  V.  4 — 22,  als  Tatsache  nachgewiesen 
und  andererseits,  in  den  übrigen  Versen,  als  Ursache  zweier  Obel 
dargestellt,  nämlich  erstens  der  (übrigens  nur  einen  ziemlich 
kleinen  Bruchteil  der  Menschen  ergreifenden)  Habsucht,  V.  23  bis 
107,  zweitens  der  weitverbreiteten  Verfehlung  des  Lebensglückes, 
V.  108  ff.  —  Von  einzelnen  Thesen  des  Verfassers  seien  noch 
diese  angeführt.     1)  Die  vier  in  V.  28 — 30  eingeführten  Personen 


^\ 


Horatins,  von  H.  Röhl.  57 

sind,  weit  entfernt  vom  Dichter  cler  Habsucht  bezichtigt  zu 
werden,  vielmehr  als  solche  gedacht,  durch  deren  Bekenntnis  die 
Habsuchtigen  beschämt  werden  sollen.  2)  In  V.  108  ist  entweder 
die  Überlieferung  zu  bewahren  und  ut  in  der  Bedeutung  von 
sicut  aufzufassen  (hiergegen  schou  JB.  XXVII  76:  trifft  denn  auf 
den  avarus  zu,  daß  er  landet  diversa  sequentes?),  oder  es  ist  zu 
schreiben  nemo  ut  sibi  carus  oder  quia  nemo  ut  (=  sicut)  avarus, 
wonach  dann  im  Indikativ  mit  probat,  tabescit,  comparat,  laborat, 
obstat  fortzufahren  wäre  und  inde  fit  als  Nachsatz  fungieren 
wurde. 

Teicbmüller  hat  auf  seine  Untersuchung  unleugbar  großen 
Scharfsinn  verwandt.  Namentlich  weist  er  die  Unmöglichkeit 
mancher  früheren  Auffassungen,  gegen  die  auch  der  Referent  in 
den  Jahresberichten  anzukämpfen  oft  Anlaß  hatte,  klar  und 
schlagend  nach.  In  einzelnen  Punkten  deckt  sich  Teichmüllers 
Ansicht  mit  der  des  Referenten  in  einer  diesem  sehr  erfreulichen 
Weise;  JB.  XXV  S.  50:  „die  an  die  Spitze  des  ersten  Teiles  ge- 
stellte Frage  qui  fit  findet  in  Wirklichkeit  keine  Beantwortung 
(nicht  etwa,  weil  Horaz  daran  verzweifelte,  sie  beantworten  zu 
können,  sondern  weil  es  ihm  mit  der  Erforschung  des  Grundes 
überhaupt  nicht  ernst  gewesen  ist),  und  der  Dichter  beschränkt 
sich  darauf,  die  Tatsächlichkeit  im  einzelnen  zu  konstatieren"; 
Teichmüller  S.  450:  „fragt  man  aber,  an  welcher  Stelle  des  Ge^ 
dichtes  in  Wirklichkeit  die  Frage  des  Eingangs  beantwortet  wird, 
so  ist  -zu  erwidern,  daß  das  an  keiner  Stelle  geschieht;  dies 
aber  wird  darin  seinen  Grund  haben,  daß  der  Dichter  die  Frage- 
form bloß  als  Ausdruck  der  Verwunderung  gemeint  hat".  Aber 
daß  nunmehr  das  Gedicht  als  „ein  wohlgefügtes  und  einheitliches 
Ganzes"  (S.  452)  nachgewiesen  ist,    vermag  ich  nicht  zuzugeben. 

Allerdings  müßte  ich,  um  dies  näher  darzulegen,  wieder 
meinerseits  eine  Abhandlung  schreiben,  was  weder  an  dieser  Stelle 
möglich  ist  noch  mir  überhaupt  reizvoll  erscheint.  Nur  eines  sei 
gesagt.  Sooft  ich  das  Gedicht  ohne  philologische  Absicht,  ledig- 
lich als  genießender  Leser  gelesen  habe,  fand  ich  schon  bei  dieser 
Beschäftigung,  neben  überaus  hübschen  Partien,  mancherlei  An- 
stoß im  einzelnen;  und  wenn  ich  gar  den  Gesamtbau  zu  sezieren 
versuchte,  wurde  die  Sache  immer  mißlicher.  Und  was  ich  an 
Erörterungen  über  dieses  Gedicht  gelesen  habe,  läßt  mich  glauben, 
daß  es  manchem  andern  ähnlich  gegangen  ist.  Das  scheint  doch 
an  dem  Gedichte  selbst  zu  liegen.  Der  junge  Epoden-  und 
Satirendichter  bat  zwar  verstanden  allerliebste  Einzelbildchen  z\x 
malen;  aber  er  ist  des  Stoffes  noch  nicht  so  weit  Herr  gewesen, 
daß  er  überall  die  wünschenswerte  Glätte  zu  erreichen  und  das 
Ganze  zu  gruppieren  und  in  klaren  Zusammenhang  zu  bringen 
vermocht  hätte;  für  solche  Mängel  liefern  ja  nicht  wenige  seiner 
Gedichte  aus  dieser  Zeit  Belege.  Das  halten  sich,  meine  ich; 
manche  Ausleger  nicht  genug  gegenwärtig;  sie  konstruieren  sich 


58  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

einen  gar  zu  idealen  jungen  Horaz.  Bei  der  Satire  I  1  wird  nun 
freilich  die  Schwierigkeit,  zu  einem  klaren  Urteil  zu  gelangen, 
außerordentlich  erhöht  durch  den  unglückseligen  Vers  108.  Wenn 
man  den  argen  Anstoß,  den  die  überlieferten  Lesungen  bieten, 
nicht  mit  vielen  Erklärern  in  Abrede  stellt,  soll  man  ihn  noch 
auf  Konto  des  Dichters  setzen  oder  durch  Änderung  (aber  durch 
welche?)  beseitigen?  Hier  ist  der  Schlüssel  anzusetzen;  aber  bis 
jetzt  hat  noch  keiner  geschlossen. 

40)    Th.    Fritzsche,    Die    W  iederholuogeo    bei    Horaz.      Aas    dem 
Nachlaß  herausgegeben.   Güstrow  1903,  Opitz  und  Co.  107  S.  4.    3  JC. 

In  den  ersten  vier  Abschnitten  handelt  der  Verfasser  von  der 
Setzung  derselben  Wörter  an  derselben  Versstelle  in  lyrischen 
Metren,  also  von  Fällen  wie: 

Od.  III  5,  26  miles  redibit?   flagitio  additis 
Od.  IV  9,  50  peiusque  leto  flagitium  timet. 

So  werden  gesonderte  Sammlungen  dargeboten:  I.  für  die 
alcäische  Strophe,  und  zwar  1.  für  den  Hendecasyllabus,  2.  für 
den  Enneasyllabus,  3.  für  den  Decasyllabus,  II.  für  die  sapphische 
Strophe,  und  zwar  1.  für  den  Hendecasyllabus,  2.  für  den  Adonius, 

III.  für  die  asklepiadeischen  Verse,  und  zwar  1.  für  den  Ascle- 
piadeus  (hieraus  sei  folgende  Beobachtung  mitgeteilt,  S.  64:  „Kein 
asklepiadeisches  Gedicht  weist  eine  solche  Fülle  von  gleichartigen 
Wortstellungen,  End-  und  Binnenreimen,  Alliterationen  und  Asso- 
nanzen auf  wie  I  1,  und  das  kann  unmöglich  bloßer  Zufall  sein, 
sondern  es  wird  dem  Dichter  die  Absicht  zugeschrieben  werden 
müssen,  in  dieser  an  die  Spitze  seiner  Liedersammlung  gestellten 
Dichtungen  die  formellen  Feinheiten,  die  er  für  das  askle- 
piadeische  Maß  ersonnen,  dem  Leser  recht  deutlich  vor  Augen 
zu    führen4'),    2.  für    den   Glyconeus,    3.  für    den    Pherecrateus, 

IV.  für  die  iambischen  Verse,  und  zwar  1.  für  den  Senarius, 
2.  für  den  Dimeter. 

Der  fünfte  Abschnitt  beschäftigt  sich  mit  dem  Hexameter; 
doch  werden  hier  nur  diejenigen  Fälle  verzeichnet,  wo  je  zwei 
Wörter  übereinstimmen,  z.  B.: 

Sat.  1  4,  81  ab s entern  qui  rodit  amicum 
Sat.  I  5,  15  absentem  ut  cantat  amicam. 

Im  sechsten  Abschnitt  wird  die  Wiederkehr  derselben  Wörter 
in  verschiedenen  Versarten  oder  an  verschiedenen  Stellen  der- 
selben Versart  nachgewiesen,  z.  B. : 

Od.  I  7,  9  aptum  dicet  equis  Argos 
Cpist.  I  7,  41  non  est  aptus  equis  Ithace  locus. 

Der  siebente  Abschnitt  endlich  enthält  eine  Zusammen- 
stellung von  mancherlei  Wiederholungen  im  Satzbau,  in  der  Kon- 
struktion und  Wortstellung. 


^ 


Horatias,  von  H.  Röhl.  59 

Es  steckt  ein  gewaltiger  Fleiß  in  diesen  Sammlungen  des 
verstorbenen  verdienstvollen  Horazforschers,  und  mit  staunendem 
Interesse  mustert  man  die  langen,  langen  Reihen  der  Parallel- 
stellen. Nur  glaube  man  nicht,  daß  hiermit  nun  eine  individuelle 
dichterische  Eigenheit  des  Horaz  nachgewiesen  sei.  Meiner  An- 
sicht nach  ist  das  meiste  auf  den  (auch  von  Fritzsche  S.  1  er- 
wähnten) Zwang  des  Metrums  zurückzuführen.  Natürlich:  je 
strenger  das  Metrum  ist,  d.  h.  je  weniger  es  die  syllaba  anceps 
oder  den  Ersatz  zweier  Kurzen  durch  eine  Länge  oder  die  Wahl 
zwischen  verschiedenen  Cäsuren  oder  die  Anwendung  von  Elt- 
sionen u.  dgl.  zuläßt  und  je  weniger  es  Wörter  von  einer  be- 
stimmten Länge  an  bestimmten  Versstellen  gestattet,  um  so  enger 
wird  die  Auswahl  für  den  Dichter  und  um  so  eher  kommt  er  zu 
Wiederholungen.  Ganz  ähnliche  Beobachtungen,  wie  sie  hier  an 
Horazens  Gedichten,  namentlich  den  lyrischen,  angestellt  sind, 
kann  man  an  Ovids  Pentametern  machen. 

4])  W.  Heraeos,  Sprachliches  aus  den  Pseodoa  cronischen 
Horazscholie  o.  Im  Rheinischen  Museum  N.  F.  L VW '(1903), 
S.  462-467. 

Heraeus  handelt  anläßlich  der  Kellerschen  Ausgabe  nament- 
lich über  folgende  Stellen  der  Scholien.  Zu  Epod.  2,  47;  eine 
Bestätigung  für  eine  Glosse  des  Cyrillglossars  CGJL.  II  320,  64, 
wo  i<p£reioq  mit  hocannivus  annotinw  interpretiert  wird,  findet 
Heraeus  in  diesem  Scholion:  huius  anni,  quod  plebei  dicunt 
hocannium;  Heraeus  bessert:  hocannivum.  Zu  Od.  III  17,  1; 
Lamnitium.  Zu  Od.  I  8,  11;  posinaclum,  eine  Art  Diskus.  Zu 
Epod.  2,  57;  lapa,  für  lapathus.  Zu  Od.  III  18,  10;  Faunorwn 
culta.  Zu  Od.  III  28,  12;  trimorfa.  Zu  Epod.  12,  16;  das  Wort 
maulistriae ,  wofür  Keller  m^ala)  aulistriae  einsetzte,  schützt 
Heraeus  mit  zweifellosem  Rechte.  Zu  Od.  I  23,  12;  viripotens. 
Zu  Od.  11  19,  17;  pergiras,  wie  Heraeus  für  per  giras  liest.  Zu 
Od.  I  4,  5;  Heraeus  verteidigt  überzeugend  die  Überlieferung 
voluptate  fadente.  Zu  Od.  I  1,  11;  für  das  verdorbene  griechische 
Wort  vermutet  Heraeus  oQvyiov  oder  xtyitiov.  Zu  Od.  I  9,  18; 
der  Scholiast  habe  falschlich  das  spätlateiniscbe  Wort  mörosus 
interpretiert  statt  mörosus.  Zu  Od.  I  15,  21;  filiutn  sei  einfach  zu 
streichen.  Zu  Od.  II  1,  6;  die  Worte  cogit  alea  belli  erweist 
Heraeus  als  Zitat  aus  Lukan  VI  60  coit  area  belli.  Zu  Od.  II  15, 
17;  für  curatas  liest  Heraeus  paratas.  Zu  Od.  III  3,  28;  auosiUo 
Hectorü  (pri)mti  oder  {or}bati. 

42;  Friedrich  Kreppe  1,  Der  Zyklus  der  Horazischen  Römer- 
öden.  Erster  Teil.  Programm  des  Gymnasiums  in  Kaiserslautern. 
1903.     59  S.     8. 

Diese  Abhandlung,  die  die  Frage  behandelt,  ob  und  welche 
Zusammengehörigkeit  zwischen  den  Oden  111  1—6  bestehe,  unter- 
scheidet sich  in  recht  erfreulicher  Weise  von  vielem  Wunderlichen, 


50  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

das  auf  diesem  Tummelplätze  ethisch-poetisch-rhetorischer  Er- 
örterungen im  Laufe  der  Zeit  schon  begangen  worden  ist.  Zweierlei 
muß  dem  Verfasser  lobend  nachgesagt  werden:  erstens,  daß  er 
die  bisherige  Literatur  über  sein  Thema  weit  mehr,  als  sonst 
üblich,  kennt  und  berücksichtigt;  zweitens  und  hauptsächlich,  daß 
er  ein  ruhiges  und  nüchternes  Urteil  bekundet,  sich  von  aller 
Phantasterei  fern  hält  und  die  Tragweite  seiner  Gründe  vor- 
sichtig abschätzt. 

Die  ganze  Arbeit  ist  auf  einen  großen  Umfang  angelegt.  Das 
vorliegende  Programm  enthält  zuerst  eine  Ablehnung  der  Hypo- 
thesen von  Gruppe  und  Peerlkamp  über  Od.  III  1—6,  ferner  den 
Nachweis,  daß  die  Gleichheit  des  Metrums  dieser  Oden  in  der 
Konzinnität  des  Tones  und  des  Inhaltes  ihren  Grund  findet,  und 
dann  die  ersten  Teile  des  Hauptstückes  der  Untersuchung,  dessen 
Aufgabe  darin  besteht,  eine  möglichst  deutliche  Vorstellung  von 
dem  Wesen  eines  jeden  der  sechs  Gedichte  zu  gewinnen;  und 
zwar  werden  hier  nur  Od.  111  1  (S.  16—33)  und  2  (S.  33—59) 
behandelt.  Die  nachfolgenden  herausgehobenen  Sätze  werden  den 
Standpunkt  des  Verfassers  charakterisieren. 

Od.  III  1.  Zurückzuweisen  sind  die  Hypothesen,  welche  die 
Einleitungsstrophe  in  Beziehung  zu  der  Gesamtheit  des  dritten 
Buches  setzen.  Die  beiden  Einleitungsstrophen  setzen  nicht  nur 
die  Existenz  der  folgenden  Gedichte  voraus,  sondern  sie  zeigen 
auch,  daß  die  ganze  Reihe  oder  doch  wenigstens  eine  Reihe  von 
mehreren  Gedichten  vom  Dichter  selbst  absichtlich  nebeneinander 
gestellt  ist.  Die  Verse  5 — 8  deuten  auf  Augustus  hin.  Der  Gang 
der  Ode  ist  dieser:  Nachdem  in  feierlicher  Einleitung  Juppiter 
und  unter  seinem  Namen  versteckt  auch  Augustus  gepriesen  ist, 
weist  Horaz  darauf  hin,  wie  alle  Herrscher  dem  Juppiter,  so  seien 
alle  Menschen,  so  verschieden  sie  auch  sein  mögen,  der  Necessitas 
gleichmäßig  unterworfen.  Aber,  so  fährt  der  Dichter  fort,  trotz 
dieser  Gleichheit  der  Necessitas  gestallet  sich  das  Leben  doch  ganz 
anders  für  den  Gottlosen,  Unzufriedenen,  als  für  denjenigen,  der 
sich  fromm  zu  bescheiden  weiß.  Denn  dieser  wird  auch  in  engen 
Verhältnissen  glücklich  sein,  jener  trotz  allen  Reichtums  im  Kampf 
mit  dem  Geschick  ein  unseliges,  ruheloses  Leben  führen.  Da 
wird  es  nicht  schwer  sein,  mir  gleich  zu  wissen,  für  welche 
Lebensweise  man  sich  zu  entscheiden  hat. 

,  Od.  III  2.  Die  fortitudo  des  ersten  Teiles  und  das  fidele 
silenlium  des  letzten  Teiles  sind  beide  KoefOzienteh  der  virtus;  im 
mittleren  Teile  des  Gedichtes  aber  wird  uns  eine  weitere  Art  ge- 
schildert, wie  sie  sich  zeigt,  ihre  Stellung  zu  innerpolitischer 
Tätigkeit.  Das  fidele  silentium  darf  nicht  neben  die  virtus  ge- 
stellt werden,  sondern  es  bildet  ebenso  wie  die  fortitudo  einen 
Teil  der  virtus,  die  als  einziges  Thema  des  ganzen  Gedichtes 
erscheint.  Die  Ode  hat  folgenden  Gang:  Im  Felde  möge  die 
virtus   sich   zeigen  zum  Schrecken  der  Feinde,    dort  soll  sie  sich 


Horatius,  vop  H.  Röhl.  ßf 

ihre  Lorbeeren  holen;  auf  tätige  Teilnahme  am  Regiment  des 
Staates  aber  muß  und  kann  sie  jetzt  verzichten.  Solcher  Tugend 
wird  der  Lohn  der  Unsterblichkeit.  Aber  freilich  noch  weiter 
muß  die  Enthaltsamkeit  reichen:  auch  fürwitzige  Reden;  über 
Staatsangelegenheiten  muß  man  lassen,  sonst  folgt  schlimme 
Strafe. 

Das  sind  etwa  die  Resultate  Kreppeis,  soweit  sie  bis  jetzt 
vorliegen ;  freilich  wird  durch  sie  kaum  alle  Meinungsverschiedenheit 
über  Inhalt  und  Bau  dieser  Oden  beseitigt  werden.  Aber  gern 
erwartet  man  die  Fortsetzung,  die  ja  auch  auf  minder  mißliches 
Gebiet  fuhren  wird. 

Anhangsweise  sei  noch  erwähnt,  daß  der  Verfasser  in  einer 
Anmerkung  zu  S.  13  eine  inhaltliche  Zusammengehörigkeit  der 
metrisch  gleichen  Oden  II  13 — 15  zu  erweisen  sucht.  Hier, 
fürchte  ich,  wird  er  seinem  sonst  so  vorsichtigen  Charakter  für 
einen  Augenblick  untreu.  Von  den  Oden  gleichen  Metrums,  die 
nebeneinanderstehen  (abgesehen  von  Od.  III  1 — 6),  gehören  ja 
zweifellos  zusammen  I  34  und  35,  IV  14  und  15;  aher  bei  den 
übrigen  Gruppen  läßt  sich  innerer  Zusammenhang  doch  nicht 
überzeugend  nachweisen. 


Folgende   Publikationen    haben    dem   Referenten    noch    nicht 
vorgelegen : 

J.  Neß,  Horaz,    übertragen  in  deutsche  Dichtung,     Gießen  1903,  E.Roth. 

35  S.     8. 
E.  Sabbadini,  Varia,    Orazio    Garm.  III  5.     In:    Rivista  di  filologia  e 

d'  istrnziooe  classica  XXX  1902,  S.  446. 
G.   Curcio,    Le    iovocaziooi    nell'    Arte    poetica.      In:    Rivista    di 

filologia  e  d'  istruzioue  classica  XXX  1902,  S.  593  ff. 
P.  Sandford,    Notes    od    two    passages   of  Horace  (Ep.  I  1,53 — 69, 

Sat.  I  1,  88—109).     In:  Hermathena  XXVIII  1902,  S.  44—47. 
£.  Ensor,  Notes  ou  the  ödes  of  Horace.    Jn:  Hermathena  XXVIII  1902, 

S.  105  ff. 
Cb.  Knapp,  Oo  Horace,  ödes  III  30,  10-14.     lu:  Classical  Review  XVII 

1903,  S.  156—158. 
O.  Basiner,  Ludi  saeculares.    Drevnerimskija  sekuljaroyja  igry.Varsava 

1901.    7  Bl.,  326,  CXV  p.  m.  12  Taf. 
V.   Löwenthal,    Ober    die    Säkularfeier    des    Augustüs    und    das 

Carmen  saeculure.     Programm.     Czernowitz  1901. 
£.  Menozzi,  Manuale  dimetrica  oraziaua.     Palermo,  Reber. 
Gr.  Senigaglia,  Ancori  sull' ode  Oraziana  I  28.     Feltre  1902. 
A.  Viola,  l'Arte  poetica  di  Orazio    nella  critica  italiana  e  straniera. 

Vol.  I.    Napoli  1901,  Pierro  e  Veraldi.     VIII  u.  435  S. 
G.  Tarnassi,  Da  Orazio  (ital.  Obers,  von  Od.  III  29).    lu:  Atene  e  Roma, 

anno  VI  S.  39—41. 
CG.  Botting,  Horatius,  Ödes,  Book  2.     London   1902,  Bell.     18. 
G.  Cardncci,  I  primi  tre  epodi  di  Orazio.    In:  JNuova  Antologia  1902, 

16.  Dicembre. 
Ch.  Collard,  La  campagne  dans  Horace.    In:  Bulletin  bibliographique 

et  peMagogique  du  Musle  Beige  1903  S.  119—128. 
Pv  Possataro,  Orazio.     In:  Studi  di  letteratura  classica. 


62  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereios. 

P.  Lejay,  La  date  et  le  bat  de  l'art  poltique  d'Horace.    In:  Revue 

de   Instruction    publique   en    Belgique  XLV  S.  361—386  uod  XL  VI 

S.  153—185. 
P.  Rasi,    Di  Lucilio   rudis  et  Graecis  intacti  carminis   auctor. 

In:  Rivista  di  fildlogia  e  d'  istruzione  classica  XXXI  1903,  S.  121—125. 
V.  Ussani,   Per  od  veno  di  Orazio  (Epod.  16,52).    Id:  Bollettino  di 

filologia  classica  IX  S.  157—159. 
S.  Allen,   Od   Horace,   Epist.  I  11,  31.     Id:    Classical   Review    XVII, 

1903,  S.  261. 
C.    C.    Bushbell,    The    first    four    feet    of   the     hexametera    of 

Horace's    Satircs.    Io:  Procecdiogs    of  the  AmericaD  Philological 

Associatioo,  vol.  XXXIII. 
A.  Chambalu,    Präparatioo  zu  Horaz'  Oden,    Buch  III  und  IV  nebst 

dem  Jahrhuodertlied  (Krafft  uod  Rankes  Präparationen  für  die  Schul- 

lektüre,     40.  Heft),    zweite,    verbesserte  Auflage.     Hannover.     Nord- 
deutsche Verlagsanstalt,  0.  Gb'del. 
W.  S.  Eiden,    Zu    den  Bedingungssätzen    bei  Horaz.     In:    Procee- 

dings     of     the     American     Philological     Association,     vol.    XXXII. 
E.  Ensor,  On  Horace,  Ödes  IV  8,  13—22.   In:  Classical  Review  XVII, 

1903,  S.  256—258. 
E.  Ensor,    On   the   allusions   in  Horace,    Ödes  I  14.    In:  Classical 

Review  XVII  1903,  S.  158-  159. 
E.  M.  Pease,  Zu  Hör.  Sat.  I  5,  16  nauta  atque  viator.     In:    Proceedings 

of  the  American  Philological  Association,  vol.  XXXII,  S.  LIII — LIV. 
R.  S.  Radford,  Reste  der  Synapheia  bei  Horaz  und  den  römischen 

Tragikern.  Io:  Proceedings  of  the  American  Philological  Association, 

vol.  XXXII,  S.  IX— XII. 
L.  J.  Richardson,  Od  certain  sound  properties  of  the  Sapphic 

Strophe  as  empioyed  by  Horace.   Io:  Transactioos  of  the  American 

Philological  Association,  vol.  XXXIII. 
L.  J.  Richardson,    Der   kleinere  Asklepiadeus   bei    Horaz.      In: 

Proceedings    of  the    American   Philological  Association,    vol.  XXXII 

S.  LXIV— LXV. 
W.  C.  F.  Walters,    Note    on    Horace,    Epist.  I  2,31.     In:   Classical 

Review  XVII,  1903,  S.  203. 
W.  E.   Waters,  Eine  Horazische  Glosse  (zu  Od.  I  20).    In:   Procee- 
dings of  the  American  Philological  Association,  vol.  XXXII. 
M.  L.  Earle,   De   Horatii   Serm.  I.      In:   Revue   de   philologie    XXVII 

1903,  S.  233  ff. 
Q.  Horatii  Flacci  carmina    selecta,   für    den  Schulgebrauch  heraus- 
gegeben   von    Joh.  Huemer.      6.  Auflage.     Wien   1904,    A.  Holder. 
XXIV  und  204  S.  8. 
E.  Ensor,    Notes   on    the   Ödes    of   Horace  (Od.  IV  14,  13;  II  9,  19 
bis  22;    IV  2,  29;   II  8,   21-24).      In:   Hermathena  XXVIII  S.  105 
bis  110. 
H.  St.  Johnstone,    Notes    on    passages    in  the  satires  of  Hoxace. 

In:    Hermathena  XXVIII,  S.  29.  39. 
H.  Willenbücher,  Bemerkungen  zurLektüre  des  ersten  Buches 
der  Oden  des  Horaz.    In:   Lehrproben  und  Lehrgänge,  Heft  76. 

Halberstadt.  H.  Röhl. 


3. 
Xenophon. 

1898—1900. 


Es  sind  mehr  als  zwanzig  Jahre  verflossen,  seit  der  letzte 
Jahresbericht  ober  Xenophon  in  dieser  Zeitschrift  erschienen  ist. 
Die  Literatur  der  Jahre  1873—1876  hat  W.  Nitsche  besprochen 
iZeitschr.  f.  d.  GW.  1874,  1876,  1877  =  JB.  I  S.  851—867,  933 
bis  972;  II  S.  21—68;  III  S.  257—299).  Der  letzte  Bericht  (über 
das  Jahr  1881  mit  Berücksichtigung  der  vorhergehenden  Jahre 
sowie  des  nächstfolgenden)  ist  von  dem  früh  verstorbenen  H.  Zurborg 
geliefert  worden  (Z.  f.  d.  GW.  1883  =  JB.  IX  S.  198—240). 

Neben  und  nach  diesen  Berichten  ist  die  Xenopbonliteratur 
fortlaufend  verzeichnet  und  besprochen  worden  in  dem  Bursian- 
schen  Jahresbericht  über  die  Fortschritte  der  klassischen  Alter- 
tumswissenschaft für  die  Jahre  1874—1877  (z.  T.  auch  noch  für 
1878)  von  W.  Nitsche  (XV,  1877,  I,  S.  14— 80  b),  für  die  Jahre 
1879  und  1880—1888  von  K.  Schenkl  (XVII,  1879,  I,  S.  1—32; 
LIV,  1888, 1,  S.  1—128),  endlich  für  1889—1898  von  E.  Richter 
(C,  1899,1,  S.  33-91). 

Der  vorliegende  Bericht  beginnt  dort,  wo  der  letzte  Bursiansche 
Bericht  abgeschlossen  hat.  Doch  ist  das  Jahr  1898,  welches  bei 
Bichter  etwas  zu  kurz  gekommen  ist  (vgl.  u.  Nr.  8),  noch  mit  in 
den  Kreis  der  Betrachtung  gezogen  worden. 

Die  ersten  Berichte  werden  sich  über  einen  Zeitraum  von 
mehreren  Jahren  erstrecken,  um  der  Forschung  der  Gegenwart  mög- 
lichst schnell  nahe  zu  kommen.  Von  1906  ab  werden  sie  dann 
nur  je  ein  Jahr  umfassen.  Der  vorliegende  enthält  die  Literatur  von 
1898 — 1900;  doch  ist  in  einigen  Fällen  (Matthias,  Hansen,  s.  u. 
II.  Anabasis)  noch  auf  1897  zurückgegriffen,  andrerseits  die  Be- 
richterstattung zuweilen  schon  auf  die  Jahre  1901  —  1903  aus- 
gedehnt worden,  wenn  inzwischen  von  dem  einen  oder  anderen 
Werke  (Gomperz,  Gercke,  Gemoll)  wenig  veränderte  neue  Auflagen 
erschienen  waren  oder  eine  Zusammenfassung  aus  inneren  Gründen 
und  zur  Vermeidung  von  späteren  Wiederholungen  (so  z.  B.  bei 
den  zahlreichen  „Schülerpräparationen")  sich  empfahl.  Außer  zu- 
sammenfassenden Werken    wird    besonders    alles   auf  die  Schul- 


64  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Schriften  Anabasis,  Hellenika  und  Memorabilien  Bezügliche  be- 
sprochen werden;  doch  sollen  auch  die  Cyropädie  (über  die  in 
den  Berichtsjahren  übrigens  nichts  von  Bedeutung  erschienen  ist) 
und  die  kleineren  Schriften  nicht  unberücksichtigt  bleiben.  Der 
vorliegende  Bericht  zerfällt  in  fünf  Abschnitte:  I.  Allgemeines, 
IL  Anabasis,  111.  Hellenika,  IV.  Memorabilien,  V.  Kleinere  Schriften. 
Je  nach  Bedarf  wird  am  Schlüsse  der  Berichte  eine  knappe  In- 
haltsübersicht bzw.  ein  Verzeichnis  wichtiger,  in  einem  bestimmten 
Zusammenhange  erwähnter  oder  besprochener  Stellen  gegeben 
werden.  —  Einiges,  was  mir  zwar  bekannt,  aber  z.  Z.  nicht  zu- 
gänglich war,  mußte  für  den  nächsten  Bericht  zurückgestellt 
werden. 

Im  übrigen  bemerke  ich,  daß  besonderer  Wert  darauf  gelegt 
wird,  außer  den  Ausgaben,  Aufsätzen  in  Zeitschriften  u.  ä.  auch 
die  von  Xenophon  handelnden  zusammenhängenden  Abschnitte, 
sowie  mehr  gelegentliche  Bemerkungen  größerer  Werke  über  Literatur-, 
gescbicbte,  Geschichte,  Philosophie  u.  s.  w.  zu  besprechen,  die 
denjenigen  leicht  unbekannt  bleiben,  denen  größere  Bibliotheken 
nicht  zur  Verfügung  stehen.  Nur  so  läßt  sich  eine  annähernd 
vollständige  Übersicht  dessen  gewinnen,  was  in  einem  bestimmten 
Zeitabschnitt  über  einen  Autor  geleistet  ist.  Die  im  letzten  Jahr- 
zehnt zahlreich  erschienenen  Präparationen,  Schulausgaben  ver- 
schiedener Art  und  Ähnliches  werde  ich  in  diesem  ersten  Bericht 
etwas  eingehender  behandeln  und  die  Grundsätze  meiner  Be- 
urteilung darlegen,  um  mich  später  mit  Beziehung  hierauf  durch- 
weg kürzer  fassen  zu  können  und  mehr  Raum  für  anderes  zu 
gewinnen.  Schriften,  in  denen  einzelne  Stellen  aus  verschiedenen 
Werken  behandelt  sind,  werden  entweder  unter  I  (Allgemeines) 
oder  unter  derjenigen  Rubrik  besprochen  werden,  welcher  die 
betr.  Arbeiten  vorzugsweise  angehören. 

Vollständigkeit  ist  zunächst  nicht  beabsichtigt,  soll  aber  all- 
mählich, soweit  möglich,  angestrebt  werden,  wenigstens  für  die 
inländische  Literatur.  In  bezug  auf  die  ausländische  wird  sie  sich 
so  lange  auch  nicht  annähernd  erreichen  lassen,  als  unsere  öffent- 
lichen Bibliotheken,  wenigstens  auf  dem  philologisch-historischen 
Gebiete,  in  der  Beschaffung  ausländischer  wissenschaftlicher  Lite- 
ratur so  überaus  zurückhaltend  verfahren,  wobei  obendrein  über 
vielem  Minderwertigen  auch  manches  Gute  übersehen  wird.  Es 
ist  mir  z.  B.,  um  nur  aus  dem  Gebiete  der  Xenophonliteratur 
einiges  anzuführen,  von  älteren  Arbeiten  die  wichtige  Schrift  von 
0.  Riemann:  Qua  rei  criticae  tractandae  ratione  Hellenicon  Xeno- 
pbontis  textus  constituendus  sit  (Paris  1879),  von  neueren  Holdens 
englischer  Kommentar  zum  Oikonomikos  (1895),  für  den  es  eine 
deutsche  erklärende  Ausgabe  aus  neuerer  Zeit  überhaupt  nicht 
gibt,  nicht  zugänglich  gewesen.  Ich  muß  in  dieser  Hinsicht  also 
um  die  Nachsicht  der  Leser  bitten.  In  ausländischen  Wissenschaft- , 
liehen    Zeitschriften    liest    man    öfters    die    Klage,    daß    deutsche 


Xenophoo,  von  B.  Ullrich.  65 

Gelehrte  die  Arbeiten  des  Auslandes  nicht  genügend  berücksich- 
tigten. Das  ist,  wenigstens  auf  philologischem  Gebiete,  oft  in  der 
Sache  selbst  begründet;  aber  andrerseits  lassen  ausländische  Ver- 
fasser und  Verleger  selbst  denjenigen  deutschen  Zeitschriften, 
welche  regelmäßig  Berichte  herausgeben,  ihre  Werke  nur  sehr 
spärlich  zugehen.  Für  den  hier  zu  besprechenden  Zeitraum  hat 
dem  Berichterstatter  von  Erscheinungen  des  Auslandes  nur  eine 
einzige  (Index  zu  den  Memorabilien  von  zwei  amerikanischen  Ver- 
fasserinnen; s.  u.  IV)  vorgelegen. 


I.  Allgemeines. 

1)  Wilhelm  Christ,  Geschichte  der  griechischen  Literatur  bis 
anf  die  Zeit  Jostiniaos.  Dritte,  vermehrte  und  verbesserte  Auf- 
lage. München  1898,  G.  H.  Becksche  Verlagsbuchhandlung  (Oskar 
Beet).  XIV  u.  945  S.  Lex.  8.  Mit  28  Abbildungeo.  16,50  M, 
geb.  18,50  JC. 

Anzeigen:  M.Maas,  WS.  f.  klass.  Phil.  1898  Sp.  1025— 1031. — 
A.  Haavette,  Rev.  crit.  1898,  IT,  S.  317.  —  J.  Golling,  Ztsch.  f.  d.  öst. 
G.  1899  S.  277 f.  -  J.  Sitzler,  IN.  phil.  Rdsch.  1899  S.  465—467.  — 
R.  Peppmuller,  Berl.  phil.  WS.  1899  Sp.  1121—1130.  —  A.  B.  Cook, 
Class.  Rev.  1899  S.  53  f.  —  J.  Bruns,  Preufi.  Jahrb.  95,  II,  S.  343  f.  — 
D.  Bassi,  Riv.  di  fil.  XXVffl  S.  337—342. 

Der  Abschnitt  über  Xenophon  in  Christs  schon  unentbehr- 
lich gewordenem  Werke  ist  in  der  neuen  Auflage  (S.  345 — 357) 
im  Verhältnis  zur  vorhergebenden  (1890,  S.  296—307)  natur- 
gemäß nur  wenig  umfangreicher  geworden,  zeigt  aber  überall  die 
sorgfältig  nachbessernde  Hand  des  Verfassers,  dem  Wesentliches 
hier  nicht  entgangen  ist.  Die  neue  Literatur  ist  nachgetragen, 
der  Text  vorsichtig  durchgesehen,  auch  manche  Anmerkung  schärfer 
gefaßt. 

Die  Lebenszeit  Xenophons  wird  in  der  Oberschrift  „Um  434 
bis  um  355"  angesetzt.  Man  darf  jetzt  wohl  besser  sagen :  „Um 
430  bis  nach  355".  Die  Bemerkung,  die  Verbannung  scheine  vor 
die  Schlacht  von  Koronea  gesetzt  werden  zu  müssen,  ist  jetzt 
gestrichen,  wohl  mit  Recht.  Wenn  im  Texte  (S.  345)  das  von 
Laertius  Diogenes  kolportierte  Geschichtchen  von  der  Begegnung 
des  Sokrates  mit  Xenophon  auf  der  Straße  erwähnt  wird,  so 
konnte  wohl  auch  das  aus  der  Anabasis  (HI  1,5  ff.)  bekannte  Zu- 
sammentreffen beider  Männer  berichtet  werden,  an  dessen  Richtig- 
keit zu  zweifeln  wir  keinen  Grund  haben.  S.  345  Anm.  4  wäre 
noch  An.  HI  2,  37  hinzuzufügen.  Neu,  wenigstens  hier,  ist  S.  347 
die  treffende  Bemerkung,  daß  dem  mystischen  Zuge,  welcher  in 
der  römischen  Kaiserzeit  die  Geister  zu  beherrschen  anfing,  gerade 
Xenophons  religiöse  Anschauungen  besonders  entgegenkamen,  ein 
Umstand,  welcher  zur  Erhöhung  seines  Ansehens  nicht  wenig  bei- 
getragen hat.  Die  Ergebnisse  von  Schachts  Untersuchung  (De 
Xenophontis  studiis  rhetoricis,  Diss.  Berlin  1890),    wonach   auch 

JakNaberiehto  XXX.  5 


gß  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Xenophon,  was  bisher  wenigstens  nicht  genügend  beachtet  worden 
war,  sich  dem  Einflüsse  der  Rhetorik  nicht  ganz  bat  entziehen 
können,  hätten  vielleicht  auch  im  Texte  eine  kurze  Er- 
wähnung verdient  (vgl.  dazu  jetzt  besonders  Norden,  Att.  Kunst- 
prosa I  S.  101  ff.,  wo  auch  die  Stellung,  welche  ßlaß,  Att.  Ber. 
II8  S.  479  Schachts  Untersuchungen  gegenüber  einnimmt,  kritisch 
gewürdigt  ist).  Statt  „manches  Unechte"  (S.  347)  sollte  es  heißen: 
„nur  weniges  Unechte4'.  S.  350  (Abschn.  244  Z.  11  ff.)  kann  die 
Bemerkung  über  den  Abschluß  der  Hellenika  entsprechend  ein- 
geschränkt werden,  da  Verf.  ja  das  Leben  des  X.  bis  gegen  355 
hinabgeruckt  hat.  Mit  Recht  tritt  Christ  für  die  Echtheit  des 
Agesilaos  ein,  dessen  sprachliche  Form  im  Verhältnis  zu  den 
Hellenika  er  kurz  bespricht.  Die  kleineren  sokratischen  Schriften 
sind  zweckmäßig  jetzt  so  geordnet:  Oikonomikos,  Apologia,  Sym- 
posion; in  der  Notiz  über  Birt  (S.  353  Anm.  1,  Schi.)  ist  die 
Jahreszahl  „1893"  hinzuzufügen.  Am  Schluß  der  Besprechung 
des  Oikonomikos  ist  eine  kurze,  aber  treffende  Charakteristik 
dieser  von  Christ  sehr  geschätzten  Schrift  hinzugekommen;  die 
Frauen  werden  dabei  merkwürdigerweise  nicht  erwähnt.  Bei 
der  Besprechung  des  Symposion  (S.  354)  hätten  die  allerdings 
mißlungenen  Versuche,  auch  dieses  Werk  als  unecht  zu  erweisen, 
vielleicht  kurz  erwähnt  werden  können;  Christ  registriert  der- 
artiges sonst  auch  bei  den  kleineren  Schriften  sorgfältig.  In  der 
Frage  der  Priorität  Piatons  bzw.  Xenophons  gibt  er  keine  be- 
stimmte Antwort  —  nach  Lage  der  Dinge  mit  Recht;  anders 
Gomperz  (s.  u.  No.  3). 

Die  Besprechung  der  unter  Xenophons  Namen  überlieferten 
yu4&t}valcov  noforeia,  jener  sprachlich  wie  sachlich  so  merk- 
würdigen Schrift,  gestaltet  Christ  in  der  vierten  Auflage  vielleicht 
etwas  ausführlicher  und  räumt  auch  der  ausgezeichneten  Ab- 
handlung von  R.  Scholl,  welche  S.  356  Anm.  4  nur  kurz  erwähnt 
wird,  etwas  mehr  Platz  ein  (vgl.  Gomperz,  Griech.  Denker  I1  S.  398 
und  I8  S.  471).  Die  Bemerkung  S.  428  Anm.  2,  2.  Hälfte  über 
den  Charakter  dieser  Schrift  (vgl.  auch  Kaiinka  in  seiner  Ausgabe 
S.  3)  halte  ich  nicht  für  zutreffend.  Die  Angabe  über  den  zer- 
rütteten Zustand  des  Textes  wird  nach  Kalinkas  Forschungen  vom 
Verf.  jetzt  wohl  zu  ändern  sein  (vgl.  auch  Ztsch.  f.  d.  GW.  1899 
S.  234  ff.).  Auch  würde  es  sich  vielleicht  empfehlen,  diese  Schrift 
aus  dem  xenophontischen  Zusammenhange  überhaupt  heraus- 
zunehmen und  ihr  den  richtigen  Platz  an  der  Spitze  der  attischen 
Prosa  anzuweisen,  wie  es  z.  B.  Gercke  in  seinem  Abriß  getan  hat 
(s.  Nr.  2).  Den  Kynegetikos  rechnet  Christ  im  Anschluß  an  Rader- 
machers Untersuchungen  jetzt  ziemlich  bestimmt  zu  den  unechten 
Schriften;  vgl.  auch  Norden,  Att.  Kunstprosa  I  (s.  Nr.  4),  anders 
Gomperz,  Griech.  Denker  II2  S.  542.  In  der  Zusammenstellung 
der  Hss.,  Ausgaben  etc.  am  Schlüsse  (S.  357)  werden  die  Cobet- 
schen  Ausgaben  in  ihrer  Eigenart  kurz  charakterisiert. 


Xeaophoii,  vod  R.  Ullrich.  67 

Ich  möchte  für  die  nächsten  Auflagen  des  vielbenutzten  Buches 
noch  einen  Wunsch  äußern.  Der  Band,  der  das  unermeßlich 
reiche  Gebiet  der  griechischen  Literatur  bis  auf  Justinian  um- 
schließt, fängt  an,  unhandlich  zu  werden,  und  ich  möchte  den 
Herrn  Verfasser  bitten,  ihn  in  zwei  einzeln  käufliche  und  mit  be- 
sonderem Register  versehene  Teile  zu  zerlegen;  die  Abgrenzung 
(klassische,  nachklassische  Literatur)  ist  durch  die  gegenwärtige 
Einteilung  schon  gegeben.  Es  wurde  dann  vielleicht  auch  möglich 
sein,  die  Behandlung  etwas  ausfuhrlicher  zu  gestalten,  so  daß 
z.  B.  der  Student  in  die  wichtigsten  Probleme  wirklich  eingeführt 
werden  kann  (mehr  Bibliographie  wünscht  auch  Hauvette  a.  a.  0.), 
wie  dies  in  dem  im  gleichen  Verlage  erschienenen  Werke  über 
die  römische  Literaturgeschichte  von  Schanz  in  sehr  glücklicher 
Weise  geschehen  ist.  Immerhin  hat  auch  der  jetzige  Zustand 
seine  großen  Vorteile  (s.  Bruns  a.  a.  0.),  und  man  sollte,  anstatt 
die  naturgemäß  noch  an  mancherlei  Ungleichheiten  leidenden  Ab- 
schnitte des  Werkes  (zumal  die  späteren)  allzusehr  zu  tadeln, 
lieber  immer  aufs  neue  freudig  anerkennen,  daß  Christ  hier  eine 
Arbeit  geliefert  hat,  die  nicht  nur  für  die  klassische  Zeit  eine 
zuverlässige,  auf  der  Höhe  der  Forschung  stehende  Obersicht  bietet 
(im  Gegensatz  z.  B.  zu  dem  in  vieler  Hinsicht  auch  vortrefflichen 
Werke  von  Sittl,  das  aber  mit  der  Zeit  Alexanders  des  Großen 
abbricht),  sondern  auch  für  das  weite  und  so  mannigfaltige  Ge- 
biet der  nachklassischen  Zeit  zum  ersten  Male  eine  immerhin 
brauchbare  Grundlage  bildet,  die  noch  vor  fünfzehn  Jahren  völlig 
fehlte. 

Nachdem  uns  die  letzten  Jahrzehnte  auf  dem  Gebiete  der 
eigentlichen  Literaturgeschichte  sowohl  wie  auf  dem  der  Geschichte, 
Philosophie  und  Religionswissenschaft  so  viele  vortreffliche  Mono- 
graphien gebracht  haben  (um  nur  Blaß,  Bruns,  Diels,  E.  Meyer, 
Norden,  Rohde,  Usener,  Wachsmuth,  v.  Wilamowitz,  Zeller  zu 
nennen),  wäre  es  vielleicht  an  der  Zeit,  daß  eine  diese  reichen 
Ergebnisse  verwertende  Darstellung  versucht  würde,  die  in  mäßigem 
Umfange  und  in  künstlerischer  Form  das  ganze  Gebiet  dieser 
Literatur,  welcher  die  unsrige  so  viele  Anregungen  zu  danken  hat, 
einem  „weiteren  Kreise  der  Gebildeten'1  darböte,  wie  sie,  wenn  auch 
als  Bruchstück,  Otfried  Müller,  für  seine  Zeit  und  in  vieler  Hin- 
sicht auch  für  die  unsrige  vorbildlich,  vor  nun  schon  zwei  Menschen- 
altem  gegeben  hat.  Was  für  das  Ganze  oder  wenigstens  wichtige 
Teile  der  römischen,  deutschen,  englischen,  französischen  und 
italienischen  Literatur  z.  T.  schon  mehrmals  mit  Erfolg  versucht 
worden  ist,  sollte  auch  für  das  Gebiet  der  griechischen  Literatur 
nicht  mehr  unmöglich  sein;  denn  das  z.  B.  von  J.  Geflcken 
(DLZ.  1898  Sp.  79311.)  geäußerte  Bedenken,  daß  es  noch  an 
Monographien  fehle,  trifft  doch  wenigstens  für  die  klassische  Zeit 
nicht  mehr  zu.     Und  an  „Berufenen"  fehlt  es  ja  nicht. 

5* 


§8  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

2)  Alfred  Gercke,  Griechische  Literatargeschichte  mit  Berück- 
sichtigung der  Geschichte  der  Wissenschaften.  Leipzig  1898,  G.  J. 
Göschensche  Verlagshandlung  (Sammlang  Göschen  Bd.  70).  176  S. 
kl.  8.  geb.  0,80  JC.  (Zweite,  umgearbeitete  Auflage  1903.  190  S.) 
Anzeigen:  J.  Geifcken,  DLZ.  1898  Sp.  793—795.  —  ßl.  f.  d. 
GSW.  1898  S.  799.  —  F.  Luterbacber,  N.  phil.  Rdsch.  1898  S.  164  f.  — 
H.  Jorenka,  Ztschr.  f.  d.  öst.  G.  1899  S.  881  ff.  —  P.  Cauer,  Ztschr. 
f.  d.  GW.  1900  S.  494—501. 

Es  ist  ein  erfreuliches  Zeichen,  daß  nun  auch  die  „Sammlung 
Göschen'4  ihre  griechische  Literaturgeschichte  hat,  erfreulicher  noch, 
daß  schon  nach  fünf  Jahren  eine  neue  Auflage  des  allenthalben 
willkommen  geheißenen  und  gunstig  beurteilten  Büchleins  nötig 
geworden  ist. 

Der  dem  Xenophon  gewidmete  Raum  (S.  111,  113  f.,  153  = 
3  111,  113 — 115,  162)  ist  knapp,  vielleicht  etwas  zu  knapp  im 
Verhältnis  zu  seiner  Bedeutung.  Erquickend  ist,  was  im  Gegen- 
satz zu  andern  Beurteilern  (z.  B.  Gomperz;  s.  Nr.  3)  über  die 
Anabasis  gesagt  wird  (S.  114):  »„Diese  militärischen  Memoiren  ge- 
hören in  ihrer  einfachen  klaren  Darstellung  und  der  ungesucht 
schönen  Sprache  zu  einem  unveräußerlichen  Besitze  der  Welt- 
literatur, auch  durch  Cäsars  „Kommentare  über  den  Gallischen 
Krieg"  nicht  übertroffen".  Daß-  der  Agesilaos  eine  Leichenrede  ge- 
nannt wird,  kann  für  weitere  Kreise  des  Publikums,  an  die  sich 
diese  Bändchen  doch  auch  wenden  wollen,  irreführend  sein,  und 
daß  er  aus  den  Hellenika  entlehnt  sei,  ist  nicht  richtig.  Daß 
auch  hier  wieder  Xenophon  an  Thukydides  und  Piaton  gemessen 
wird,  stimmt  zwar  mit  der  Weise  aller  griechischen  Literatur- 
geschichten, ist  aber  m.  E.  nicht  zu  billigen  (vgl.  das  zu  Seeck 
unter  Nr.  6  Bemerkte).  Und  daß  er  sich  im  Symposion  mit 
Piaton  habe  messen  wollen,  ist  nicht  erwiesen  (s.  oben  S.  66  zu 
Christ).  Daß  der  Oikonomikos  neben  „Hieron"  als  unbedeutend 
bezeichnet  wird,  ist  schwer  zu  verstehen.  Schon  Zeller  (II4  1 
S.  240)  hatte  richtiger  geurteilt,  und  Hodermann  (s.  am  Schlüsse 
dieses  Berichts)  und  selbst  der  unserm  Autor  wenig  geneigte 
Gomperz  haben  treffliche  Worte  über  diese  Schrift  gesagt;  man 
muß  sie  nur  nicht  einseitig  von  der  philosophischen  Seite  be- 
trachten. Wo  die  taktischen  Arbeiten  Xenophons  und  selbst  seine 
„Schrift  über  Jagdhunde"  erwähnt  werden,  vermißt  der  moderne 
Leser,  der  sich  für  alles  Soziale  interessiert,  einige  Worte  über 
die  Abhandlung  „Von  den  Staatseinkünften"  ungern  (vgl.  Gomperz, 
Griech.  Denker  II2  S.  108  f.  und  u.  Nr.  3).  Der  Verf.  wird  ent- 
gegnen, das  Büchlein  wäre  leicht  um  mehrere  Bogen  stärker  ge- 
worden, wenn  ähnliche  Ansprüche  auch  für  seine  übrigen,  z.  T. 
noch  bedeutsameren  Teile  erhoben  worden  wären.  Doch  das 
hätte  dieser  Arbeit  gewiß  ebensowenig  geschadet,  wie  der  im 
gleichen  Verlage  erschienenen  deutschen  Literaturgeschichte,  die 
gleich  billig  und  doch  sechs  Bogen  stärker  ist.  Mit  der  einfachen 
Aufzählung  oder  kurzen  Charakteristik  von  Autoren  und  Werken 


Xenophon,  von  R.  Ullrich.  69 

(vgl.  die  letzteo  50  Seiten  und  das  Register),  die  für  den  Gelehrten 
oft  sehr  interessant  sind,  ist  weiteren  Kreisen  nicht  gedient,  da 
diesen  solche  Werke  meist  nicht  zugänglich  sind;  wichtiger  ist 
es  hier,  daß  über  die  Werke  derjenigen  Autoren,  die  seit  langer 
Zeit  gutes  Burgerrecht  in  der  Literatur  hahen,  vielen  zum  Teil 
auch  noch  von  der  Schule  her  in  gutem  Andenken  stehen,  aus- 
fuhrlicher gehandelt  und  so  zur  Lektüre  angeregt  wird,  die  alte 
Freude  erneuen  kann.     Zu  diesen  gehört  sicher  Xenophon. 

Die  Schrift  „Vom  Staate  der  Athener4'  ist  mit  Recht  wie  bei 
Gomperz  (a.  a.  0.  Bd.  I  S.  397  ff.)  an  den  Anfang  der  Entwicklung 
der  attischen  Prosa  gestellt  worden. 

In  der  zweiten  Auflage  sind  die  auf  X.  bezuglichen  Stellen 
unverändert  geblieben;  der  berechtigte  Wunsch  von  Luterbacher 
(a.  a.  0.  S.  615),  Arrians  Anabasis  erwähnt  zu  sehen,  nach  meiner 
Meinung  am  besten  gleich  im  Anschluß  an  die  Xenophons,  ist 
nicht  erfüllt  worden.  Aber  wenn  Onesikritos1  Alexandergeschichte 
als  Gegenstuck  zur  Cyropädie  herangezogen  wurde  (S.  162),  so 
hätte  die  uns  erhaltene  Nachahmung  der  Anabasis  durch  Arrian 
(dessen  philosophische  Abhandlungen  S.  184  berührt  werden;  im 
Register  s.  v.  Arrianos  ist  die  Zahl  157  zu  streichen)  viel  eher 
Erwähnung  verdient,  schon  um  zu  zeigen,  daß  der  Einfluß  des 
alten  Klassikers  auch  in  der  Kaiserzeit  noch  bedeutend  war. 

Die  zweite  Auflage  hat  auch  ein  Register  erhalten,  dessen  die 
erste  entbehrte;  in  dem  knappen  Literaturnachweise  (S.  4)  sind 
die  inzwischen  erschienenen  Bände  4  und  5  von  Ed.  Meyers  „Ge- 
schichte des  Altertums"  nachzutragen;  dafür  kann  die  von  G. 
selbst  als  „unbedeutend  und  stellenweise  schlecht"  bezeichnete 
Literaturgeschichte  Nicolais  gestrichen  werden. 

Dem  Buchlein  ist  auch  in  der  neuen  Auflage  die  weiteste 
Verbreitung  zu  wünschen. 

3)  Theodor  Gomperz,  Griechische  Denker.  Eine  Geschichte  der 
antiken  Philosophie.  Sechste  bis  zwölfte  Lieferung,  1 897— 1902 
(=  Band  II).  Leipzig  1902,  Veit  &  Comp.  VIII  u.  616  S.  gr.  8. 
13  Jt.     (Zweite,  durchgesehene  Auflage  1903.) 

Anzeigen:  J.  Bidez,  Rev.  crit.  1897,  II,  392—394.  —  Österr. 
Lit.  Bl.  1899  S.  423.  —  Goedecke-Meyer,  Theol.  LZ.  1903  S.  289—294. 
—  P.  Barth,  Vierteljahrschr.  f.  wiss.  Philos.  1893  S.  353—355.  — 
Vgl.  auch  die  Besprechung  des  ersten  Bandes  von  A.  Schmekel,  DLZ. 
1898  Sp.  101—104. 

Das  groß  angelegte  Werk  des  Wiener  Altmeisters  der  Philo- 
logie  und  Philosophie,  in  dem  er  „aus  seiner  Lehensarbeit  die 
Summe  zieht",  ist  freudig  begrüßt  worden.  Man  hat  seiner  im 
Verhältnis  zu  dem  gewaltigen  Stoffe  knappen  und  doch  ein- 
dringenden, von  großen  Gesichtspunkten  beherrschten  Darstellung 
das  höchste  Lob  gezollt,  den  glänzenden  Stil  gerühmt  und  sie  ein 
notwendiges  Gegenstück  zu  Zellers  Werk  genannt.  Andrerseits 
ist   bei    aller   berechtigten    und    verdienten  Anerkennung  für  den 


70  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

ersten  Band  besonders  von  Scbmekel  (a.  a.  0.)  auf  den  unsicheren 
Charakter  mancher  Ergebnisse  des  Werkes  des  „geistreichen 
Positivisten"  (G.  hat  bekanntlich  auch  die  Werke  von  John  Stuart 
Mill  herausgegeben)  hingewiesen  worden. 

Für  Xenophon  kommt  außer  gelegentlichen  Bemerkungen, 
die  sich  zerstreut  auf  den  ersten  hundert  Seiten  des  2.  Bandes 
sowie  in  den  Abschnitten  über  Piaton  finden  (vgl.  besonders  16, 
43ff.,  49ff.,  61  ff.,  70ff.  u.  ö„  307 f.,  318,  419),  der  kurze  zu- 
sammenhängende Abschnitt  S.  96 — 112  nebst  den  entsprechenden 
Anmerkungen,  hauptsächlich  S.  542  f.,  in  Betracht,  in  welchem  X. 
als  Mensch  und  Schriftsteller  gewürdigt  wird. 

Das  Urteil  lautet  ungunstig.  Schon  die  gelegentlichen 
Äußerungen  in  den  ersten  Kapiteln  ließen  darauf  schließen.  X. 
ist  „eitel"  im  Dienste  des  Seuthes  (S.  16),  seine  Wahrheitsliebe 
wird  angezweifelt  (S.  50),  S.  59  heißt  es:  „Eine  jener  Ausführungen, 
die  viel  zu  gehaltreich  sind,  als  daß  wir  in  ihnen  ein  Erzeugnis 
des  xenophontischen  Geistes  erblicken  dürften",  er  ist  „trivial", 
„unerquicklich  breit"  (61),  „eines  jener  stechenden  Worte,  die 
der  Verf.  der  Memorabilien  zu  erfinden  ganz  und  gar  unfähig 
war"  (64);  er  ist  „der  geringwertigste  aller  Zeugen"  (72),  „die 
Schriften  des  vielgewanderten  Kriegsmanns  sind  kein  treues  Spiegel- 
bild des  athenischen  Lebens  und  Empfindens"  (308),  seine  „ziem- 
lich plumpe  Weise"  wird  getadelt  (318)  u.  s.  f.  Die  zusammen- 
hängende Charakteristik  S.  96 — 112  ist  aber  noch  viel  ungünstiger 
geworden,  als  man  nach  alledem  erwarten  durfte.  Zwar  über  die 
abfällige  Beurteilung  der  Sokratischen  Gespräche,  besonders  der 
Memorabilien,  will  ich  mit  dem  Verfasser,  der  als  Herausgeber  der 
Werke  St.  Mills  ganz  auf  dem  Boden  modernen  Empfindens  steht, 
nicht  rechten.  Das  merkwürdige  Buch  (dessen  Darlegungen  nach 
G.  Mißbehagen  im  Geiste  des  modernen  Lesers  zurücklassen,  S.  61) 
hat  von  jeher  die  verschiedensten  Beurteilungen  erfahren,  reich- 
liches Lob  und  schärfsten  Tadel;  wieweit  X.  originell  ist,  ob  er 
Sokratische  Gedanken  wiedergibt,  ob  und  wieweit  er  den  Meister 
richtig  verstanden  hat,  ja  endlich  was  von  dem  uns  Vorliegenden 
echt  ist,  was  nicht  —  über  all  dies  wird  noch  immer  gestritten, 
und  die  Arbeiten  auch  der  letzten  anderthalb  Jahrzehnte  (Dümmler, 
Lincke,  Döring,  E.  Richter,  Joel,  Bruns  u.  a.)  haben  so  verschiedene 
Ergebnisse  gebracht,  daß  an  eine  Einigung  (außer  in  der  Frage 
der  Interpolationen,  gegen  die  auch  Gomperz  S.  111  sich  mit 
Recht  erklärt)  vorläufig  nicht  zu  denken  ist.  Xenophon  war  kein 
Philosoph  (so  schon  Schleiermacher),  der  ein  System  ausgebildet 
hat;  G.  meint  zwar  (103),  er  habe  sich  für  einen  solchen  ge- 
halten; doch  mit  welchem  Rechte?  Er  war  auch  kein  „Denker" 
im  höchsten  Sinne  des  Wortes,  und  man  wundert  sich  fast,  daß 
G.  ihm  so  viel  Platz  in  seinen  „Denkern"  eingeräumt  hat.  Aber 
er  war,  trotz  aller  Lakonenfreundlichkeit,  ein  echter  Athener, 
beweglich  und  vielseitig,  und  wenn  G.  dies  „Anpassungsfähigkeit" 


Xeoophon,  von  R.  Ullrich.  71 

nennt,  im  üblen  Sinne,  und  dabei  auf  etliche  Widersprüche  in 
seinen  Schriften  —  es  sind  wieder  die  sog.  philosophischen  — 
hinweist,  so  darf  man  wohl  sagen,  daß  er  diesen  Mangel  mit 
größeren  Zeitgenossen  teilt,  die  ihr  Leben  bis  an  die  achtzig  ge- 
bracht und  ihre  Ansichten  bewußt  oder  unbewußt  geändert  haben. 
Und  wenn  6.  seinen  Abschnitt  (S.  112)  mit  den  Worten  schließt: 
„Alles  in  allem  darf  es  als  eine  der  zugleich  heitersten  und  be- 
trübsamsten  Fügungen  des  in  literarischen  Dingen  waltenden  Zu- 
falls gelten,  daß  Schriften  des  wackeren  Landjunkers,  Reisläufers 
und  Sportsmanns  (1),  des  humorvollen  und  plastischen,  aber  keines- 
wegs gedankenreichen  Schilderers  abenteuerlicher  Erlebnisse  und 
kriegerischer  Begebenheiten  für  uns  zu  einer  Quelle  der  Philo- 
sophiegeschichte geworden  sind44,  so  ist  das  ein  Urteil,  das  ich 
nicht  unterschreiben  kann. 

Natürlich  mußte  G.  bei  dem  Plane  seines  Werkes  die  sog. 
philosophischen  Schriften  vor  allem  berücksichtigen;  aber  da  X. 
auch  außerdem  noch  manches  „gedacht"  und  geschrieben  hatte, 
war  es  geraten,  auch  dies  in  den  Kreis  der  Betrachtung  zu  ziehen, 
um  vielleicht  von  dieser  Seite  her  den  unsicheren  Boden,  den  die 
Memorabilien  dem  Beurteiler  bieten,  gangbarer  zu  machen.  So 
zieht  denn  G.  die  Anabasis,  die  Hellenika,  die  Cyropädie  und  auch 
die  kleineren  Schriften  fast  alle  geschickt  heran.  Die  Hauptfrage 
hierbei  scheint  mir  die  zu  sein:  Ist  das,  was  X.  uns  in  diesen 
Werken  als  Geschichte  seines  eigenen  Lebens  und  seiner  Zeit 
oder  als  Frucht  seines  Denkens  mitteilt,  wahr  oder  stellt  er  es 
unbewußt  nicht  getreu  dar  und  gibt  er  sich  da,  wo  er  von  sich 
handelt,  so,  wie  er  wirklich  war,  oder  haben  wir  sichren  Grund 
zur  Annahme,  daß  er  oft  mala  fide  geschrieben  hat?  Gomperz 
ist  sehr  häufig  geneigt,  das  letztere  anzunehmen;  aber  wenn  der 
Philosoph  den  „Philosophen*',  wie  andre  vor  ihm,  vielleicht  nicht 
mit  Unrecht  tadelte,  so  ist,  glaube  ich,  der  Philologe  dem  Historiker 
und  der  Mensch  dem  Menschen  nicht  gerecht  geworden. 

Die  Hellenika  beurteilt  G.  verhältnismäßig  günstig.  Er  sagt 
mit  Recht  (105):  „Wir  würden  nicht  weise  handeln,  wenn  wir 
athenischer  als  die  Athener  selbst  sein  wollten",  nämlich  in  der 
Verurteilung  des  Mannes,  der  seiner  Vaterstadt  den  Rücken  kehrte. 
Auch  die  Anklage,  daß  X.  seinen  großen  thebanischen  Zeitgenossen 
nicht  gebührend  gewürdigt  habe,  findet  er  grundlos  und  hebt  so- 
gar seine  panhellenische  Gesinnung  gegenüber  den  griechischen 
Beust,  Borries  u.  s.  w.  hervor.  Wenn  er  ferner  den  Umstand, 
daß  X.  den  Epaminondas  von  Mantinea  —  derselben  Schlacht,  die 
ihn  seines  hoffnungsvollen  Sohnes  beraubte  —  mit  warmem  An- 
teil feiert,  treffend  einen  der  schönsten  Züge  nennt,  die  wir  von 
ihm  kennen,  so  hätte  ihn  schon  das  abhalten  sollen,  in  dem 
Führer  und  dem  Erzähler  des  Zuges  der  Zehntausend  einen  eitlen 
Prahler  und  tendenziösen  Macher  zu  sehen.  Daß  X.  sich  im  Bann- 
kreise des  Agesilaos  befunden  hat,  ist  für  G.  ein  Beweis,  daß  er 


72  Jahreiberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

kein  großer  Mann  gewesen  ist.  Doch  wer  hat  das  je  behauptet? 
Bewußte  Entstellung  der  geschichtlichen  Wahrheit  will  er,  wenig- 
stens in  den  Hellenika,  X.  nicht  zutrauen;  er  brauchte  aber, 
wenigstens  in  der  zweiten  Auflage,  nicht  mehr  hinzuzufügen,  daß 
das  übergehen  der  Gründung  von  Megalopolis  und  der  Stiftung 
des  zweiten  athenischen  Seebundes  nicht  für  die  Weite  seines 
Gesichtskreises  spreche,  seitdem  E.  Schwartz  und  inzwischen  auch 
Ed.  Meyer  (Gesch.  d.  Alt.  III  S.  278  ff.)  eine  richtigere  Würdigung 
Xenophons  als  Geschichtschreiber  und  insbesondere  seiner  Hellenika 
angebahnt  haben.  Und  daß  die  politischen  Gedanken  des  Er- 
zählers in  den  letzten  Buchern  von  großem  Selbstgefühl  zeugen, 
mußte  erst  wirklich  bewiesen  werden.  Wenn  G.  (S.  103)  im 
Zusammenhang  mit  der  Charakteristik  des  „Gastmahls4  das  „Genre- 
hafte" als  dem  Talente  des  X.  gemäß  bezeichnet  und  diese  Art 
in  einigen  „Glanzslellen"  der  Hellenika  wiederfindet  (Agesilaos  und 
Pharnabazos  IV  1,30  ff.,  Die  Brautwerbung  des  Olys  IV  1,  3  ff., 
Die  Rettung  des  Sphodrias  V  4,  25  ff.),  so  klingt  dabei  doch  wieder 
leiser  Tadel  durch.  Ohne  Einschränkung  rühmt  Gomperz  die  er- 
greifende Darstellung  des  Todes  Alexanders  von  Pherä  (VI  4,  36f.) 
und  der  Kämpfe  um  Phlius  (VII  2).  Dann  findet  er  aber  wieder, 
daß  X.,  „der  sich  für  einen  Philosophen  hält'4  (s.  o.),  hier  nicht 
genug  Reflexion  habe.  Zwar  fehle  es  nicht  an  Reden,  die  dem 
Zweck  trefflich  angepaßt  seien  (Theramenes,  Kritias,  Prokies), 
aber  hier  habe  X.  wieder  aus  anderen  Quellen  geschöpft  und  wenig 
selbständig  gestaltet.  Endlich  bot  seine  „Götterfurcht  ihm  aus 
mancher  Verlegenheit  den  rettenden  Ausweg.  Die  Niederlage  von 
Leuktra  ist  ihm  so  das  Werk  der  strafenden  Gottheit  für  die 
widerrechtliche  Besetzung  der  thebanischen  Burg". 

So  lobt  G.,  um  alsbald  wieder  zu  tadeln,  spendet  Anerkennung 
im  Vordersatze,  um  sie  im  Nachsatze  wieder  zurückzunehmen,  so 
daß  wir  zu  keiner  rechten  Gesamtanschauung  gelangen.  Doch 
bleibt  allenthalben  mehr  Schatten  als  Licht.  Wenig  erfreulich  ist 
auch  der  Ton  in  dem  Abschnitt,  aus  dem  ich  soeben  einiges 
zitierte.  Wenn  G.  die  Frömmigkeit  des  Xenophon  für  echt  hält, 
warum  sie  dann  in  dieser  Weise  heruntersetzen?  Wie  würde  G. 
über  das  urteilen,  was  Gustav  Freytag  und  Treitschke  über  das 
Ende  des  russischen  Feldzuges  Napoleons  ausgesprochen  haben  — 
Männer,  die  über  den  Verdacht  der  Beschränktheit  gewiß  erhaben 
sind!  Mir  will  scheinen,  als  wäre  der  Verfasser  hier  seinem  Grund- 
satz (Band  I  S.  V)  nicht  ganz  treu  geblieben. 

Ungünstiger  und  schärfer  als  alle  Gelehrten  vor  ihm,  in  der 
Sache  wie  in  der  Form,  urteilt  Gomperz  über  den  Charakter  des 
Verfassers  der  Anabasis.  Und  wenn  wiederholte  Lektüre  mich 
nicht  getäuscht  hat,  so  kann  ich  mich  dem  Eindruck  nicht  ent- 
ziehen —  und  vielleicht  ergeht  es  andern  Lesern  ähnlich  — ,  daß 
der  ganze  Abschnitt  über  Xenophon  von  vornherein  unter  einem 
ungünstigen  Stern  gestanden  hat.     Gomperz  beginnt  nämlich  so: 


Xenophon,  von  R.  Ulirieh.  73 

„Xenophon  war  mit  Schönheit  reich  begnadet.  Es  war  dies  kein 
ungemischter  Segen.  Pflegt  sich  an  Männerschönheit  doch  gar 
häufig  Dünkel  und  Selbstgefälligkeit  zu  heften.  Dieses  Los  ward 
auch  dem  „wunderschönen"  Sohn  des  Grylos  (vgl.  Schenkt,  Jahresb. 
f.  Alt.  1888,  I,  S.  2)  nicht  erspart.  Ist  er  doch  sein  Leben  lang 
ein  Dilettant  geblieben,  im  Goetheschen  Sinne  des  Wortes,  d.  h. 
ein  Mann,  der  sich  allezeit  an  Dinge  zu  wagen  pflegt,  denen  er 
nicht  völlig  gewachsen  ist.  Ein  Feld  seiner  vielartigen  Tätigkeit 
müssen  wir  freilich  ausnehmen".  Nach  diesem  Eingang  hofft  de!1 
Leser,  von  X.s  militärischer  Tätigkeit  zu  hören,  der  praktisch  in 
der  Katabasis  ausgeübten,  und  von  ihrer  Beurteilung  durch  Sach- 
verständige (Philologen,  Historiker  und,  was  hier  besonders  wichtig 
ist,  auch  Militärs).  Statt  dessen  nennt  G.  hier  den  Sport,  rühmt 
die  drei  dahin  gehörenden  Schriften  („Jagd-1)  und  Reitbuch4'  und 
das  Buch  „Vom  Reiterobersten")  und  meint,  hier,  wo  X.  es  am 
wenigsten  sein  wolle,  sei  er  am  meisten  Philosoph,  ebenso  in  den 
besten  Teilen  seines  „Wirtschaftsbuches",  „aus  denen  uns  das  Be- 
hagen am  Landleben  und  an  ländlicher  Arbeit  so  erquickend  an- 
weht, wie  der  Brodem,  der  aus  einer  frisch  angebrochenen  Erd- 
scholle aufsteigt".  Das  ist  gewiß  richtig  und  die  letzte  Äußerung 
sogar  vortrefflich,  aber  der  Zusammenhang,  in  den  das  Ganze 
gestellt  wird,  verstimmt  den  Leser.  Und  daß  die  Notiz  des 
Laertius  Diogenes  an  die  Spitze  gestellt  ist  und  die  Bemerkungen 
über  die  verderblichen  Polgen  der  ,, Schönheit"  für  den  Charakter 
des  Mannes  daran  geknüpft  werden,  ist  auch  der  übrigen  Dar- 
stellung verhängnisvoll  geworden. 

Nach  G.hat  ,.Xenophons  Charakter  sein  Talent  geschädigt,  indem 
selbstgefällige  Eitelkeit  ihn  dessen  Grenzen  verkennen  ließ  und  zu 
einer  den  Wert  der  Leistungen  schmälernden  Vielgeschäftigkeit  ver- 
führte" (S.  101);  „der  Grund  liegt  in  dem  Mangel  eines  festen,  wider- 
standsfähigen Kernes,  welcher  der  denkenden  und  darstellenden  Per- 
sönlichkeit nicht  minder  als  der  wollenden  und  wirkenden  abgeht" 
(S.102);  ,.die  Kunst  des  Verschweigens  hat  er  (wie  dem  delphischen 
Orakel)  sicherlich  auch  den  Menschen  und  zumal  seinen  Lesern  gegen- 
über in  reichem  Maße  zu  üben  nicht  verschmäht.  Und  der  Weg  vom 
Verschweigen  zum  Irreleiten  ist  ein  gar  abschüssiger".  Dies  lehre 
uns,  meint  G.,  ein  flüchtiger  Blick  auf  Xenophons  berühmtestes 
Buch,  die  Schilderung  seines  „persischen  Abenteuers".  Die  Szene 
in  Delphi  wird  man  mit  Sokrates  und  Gomperz  nicht  billigen, 
aber  vielleicht  entschuldbar  finden  bei  dem  Jüngling,  der  zur  Er- 
reichung seines  Zweckes  lieber  angewandte  Sophistik  trieb  als  dem 
geraden  Wege  des  Meisters  folgte,  dann  aber  „nach  dem  schnell 
zerronnenen  Zukunftstraum"  in  den  heißen  Kämpfen  des  Rück- 
zuges, wo*  er  dem  Tode  hundertmal  begegnete,  zum  Manne  reifte 


s)   G.  halt   an   dar  Echtheit   dag  Kynegetikos   fest;    vgl.  Radermacher 
.  s.  Nr.  4  S.  80. 


74  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

und  jene  Jugendtorheit  vergessen  machte.  Wer  behauptet,  daß 
ihm  hier  der  „feste,  widerstandsfähige  Kern  fehlte,  welche  der 
denkenden  und  darstellenden  Persönlichkeit  nicht  minder  als  der 
wollenden  und  wirkenden  abgeht44,  der  muß  in  der  Tat  eine  neue 
Auffassung  der  Anabasis  begründen,  und  dies  versucht  6.  wirklich. 
Zwar  der  „Darstellung"  kann  auch  er  sein  Lob  nicht  versagen 
(S.  97  f.);  er  findet  außerdem,  daß  wir  durch  sie  manchen  wert- 
vollen Beitrag  zur  Kenntnis  der  Sitten  und  Gebräuche  der  asiati- 
schen Völkerschaften  erhalten;  im  übrigen  aber  —  um  es  kurz 
und  deutlich  zu  sagen  —  ist  nach  Gomperz  hier  gerade  das,  was 
Xenophons  Ruhm  begründet  hat,  Lug  und  Trug,  Berechnung  und 
Verstellung.  Der  eitle  Mann  hat  sich  in  seinen  Memoiren  so  sehr 
selbst  beräuchert,  daß  die  Glaubwürdigkeit  des  Werkes  und  das 
Verdieost  des  Verfassers  erschüttert  wird.  Und  der  Beweis?  Bis- 
her hat  man  die  Zurückhaltung  bewundert,  mit  welcher  der  Autor 
seine  eigne  Person  bei  der  Beschreibung  dieses  Zuges  behandelt, 
an  dessen  glücklichem  Gelingen  er  selbst  so  wesentlichen  Anteil 
gehabt  hatte;  G.  sieht  darin  kluge  Berechnung.  Nach  der  Gefangen- 
nahme der  Generale  tritt  X.  „aus  seinem  bis  dahin  kunstvoll  ge- 
wahrten Dunkel  hervor,  der  Sonne  gleich,  deren  Glanz  die  nächt- 
lichen Schatten  zu  zerstreuen  bestimmt  ist".  Ist  das  wirklich  der 
Eindruck?  „Dann  legt  er  —  man  merkt  den  auf  seine  Wohl- 
gestalt stolzen  und  diese  zur  Geltung  zu  bringen  begierigen 
Mann  —  den  schönsten  Kriegsschmuck  an"  u.  s.  f.  Ist  das  aber 
nicht  ganz  natürlich?  Wer  die  Menge  kennt,  weiß,  wieviel  ihr 
der  äußere  Eindruck  gilt,  und  es  war  klug,  daß  X.  ihn  benutzte. 
„Es  gibt  eine  Kunst  der  Täuschung,  die  falsche  Eindrücke  hervor- 
ruft, ohne  viele  falsche  Tatsachen  zu  melden.  Diese  Kunst  übt 
X.  als  Meister".  Xenophon  habe  die  Darstellung  absichtlich  so 
gruppiert,  daß  der  Leser  den  Eindruck  empfange,  er  sei  der  Ober- 
befehlshaber gewesen,  was  doch  mit  keinem  Worte  gesagt  sei, 
und  aus  dieser  seiner  Kunst  sei  denn  auch  eben  diese  in  alter 
und  neuer  Zeit  weitverbreitete  Vorstellung  erwachsen  (wohl  zuerst 
bei  Pausanias,  meint  G.,  IX  15,  5:  SevoqxSvTog  .  .  .  xcci  oniaw 
TÖig  *EXXq<fiv  in\  &aXctzTccv  iiYqöapivov).  Aber  wenn  Leser 
alter  und  neuer  Zeit  diese  Vorstellung  hatten  und  haben,  so 
waren  sie  von  der  richtigen  Empfindung  geleitet,  daß  Xenophon, 
wenn  auch  nicht  dem  Namen  nach  Oberbefehlshaber  (das  fand 
ja  jeder  mit  deutlichen  Worten  gesagt),  so  doch  tatsächlich  die 
Seele  des  Ganzen  war.  Wenn  etwas  klug  war,  so  war  es  dies, 
daß  X.,  was  vielleicht  bei  seinem  Einflüsse  und  unter  dem  Ein- 
druck des  alle  überwältigenden  Unglücks  möglich  gewesen  wäre, 
nicht  auf  seine  eigene  Wahl  zum  ersten  Führer  hinarbeitete, 
sondern  den  Cheirisophos  vorschlug  —  ineidij  xal  Aaxsdaip6vi6<z 
iaxi,  — ;  einen  Athener  hätte  das  zum  größten  Teil  aus  Pelo- 
ponnesiern  bestehende  Heer  sich  auf  die  Dauer  schwerlich  ge- 
fallen lassen.     So  führte  er  denn  selbst  die  Nachhut,   hatte  aber 


Xenophon,  von  R.  Ullrich.  75 

den  auf  dem  Röckzug  schwierigsten  und  wichtigsten  Posten;  und 
wer  unbefangen  an  die  Darstellung  herantritt,  für  den  ergibt  es 
sich  aus  der  Natur  der  Verhältnisse  von  selbst,  daß  ihm  in  der 
Sache  die  erste  Rolle  zufallen  mußte.  Wohin  kämen  wir  hier 
wie  bei  Cäsars  Memoiren,  wollten  wir  überall  mala  fides  annehmen? 

Auch  die  kleinen  Zuge,  die  G.  zur  Unterstützung  seiner  Auf- 
fassung noch  beibringt,  scheinen  mir  wenig  beweiskräftig  —  »Züge 
von  der  Art",  meint  der  Verfasser  (S.  99),  „wie  man  solche  nur  von 
großen  führenden  Männern  zu  berichten  pflegt  und  die  übrigens 
kaum  jemals  ein  großer  Mann  von  sich  selbst  berichtet  hat".  In 
den  Bergen  Armeniens  übrigens  war  Xenophon  wirklich  „groß". 
Ein  stark  demoralisiertes  Söldnerheer  mitten  im  fremden  Lande, 
von  Feinden  umgeben,  des  Weges  unkundig,  den  Unbilden  der 
Witterung  ausgesetzt,  Mangel  leidend  am  Nötigsten,  so  zu  leiten, 
daß  nicht  alle  Bande  sich  lösten,  war  etwas  Großes  und  forderte 
einen  ganzen  Mann,  „wollend  und  wirkend"  zugleich.  Und  die 
kleinen  Züge,  die  X.  von  sich  berichtet,  sind  nur  ein  Beweis  ein- 
mal für  die  Besonnenheit  des  Führers,  der  weiß,  daß  in  der  Ge- 
fahr Worte  wenig  bedeuten,  das  Beispiel  alles,  und  dann  für  die 
Objektivität  des  Schriftstellers,  der  auch  kleine  Züge,  gleichviel 
von  wem,  berichtet,  wenn  sie  von  Bedeutung  für  die  Sache  sind; 
So  zeigt  uns  IV  4,  12  den  Holz  spaltenden  Führer,  der  die  ver- 
drossenen Kameraden  wieder  ermutigt,  und  III  4,  46  bringt  er 
die  unlustige  Menge  durch  sein  Beispiel  vorwärts,  indem  er  vom 
Pferde  steigt,  einem  Soldaten  den  Schild  entreißt  und  zu  Fuß 
den  Berg  hinanstürmt  —  zwei  lebenswahre  Episoden,  in  denen 
der  Sokratiker  die  empfangenen  Lehren  ins  Praktische  umsetzt. 
Auch  in  der  Pseudonymen  Veröffentlichung  der  Anabasis  sieht  G. 
einen  egoistischen  Zweck ;  ich  meine,  diese  vielbesprochene  Frage 
bietet  so  wenig  positiv  Greifbares,  daß  bestimmte  Schlüsse  nur 
auf  Abwege  führen;  wir  müssen  uns  hier  mit  dem  „Non  liquet" 
begnügen.  Und  daß  Ephoros-Diodor  den  Namen  Xenophons, 
dessen  Anabasis  sie  doch  gut  gekannt  haben,  vor  seiner  Ankunft 
bei  Seuthes  nicht  einmal  nennen,  was  G.  sehr  bestimmt  so  er- 
klärt: „Sie  haben  Xenophons  Ansprüche  gekannt  und  haben  sie 
verworfen",  ein  solches  argumentum  ex  silentio  will  wenig  sagen, 
wenn  es  aus  einem  Schriftsteller  [genommen  wird,  der  unselb- 
ständig und  ungleich  arbeitet  und  in  diesem  Falle  das  Wesen  der 
Sache  so  wenig  begriffen  hat. 

Für  begründet  kann  ich  also  die  so  gefundene  ungünstige  Auf- 
fassung von  dem  Leiter  und  Erzähler  des  „persischen  Abenteuers" 
nicht  halten;  ebensowenig  andres,  das  zum  Widerspruch  heraus- 
fordert. 

Wenn  z.B.  (S.  105)  die  Besprechung  der  Cyropädie  mit 
den  Worten  begonnen  wird:  „Allein  X.  hat  nicht  nur  ein  wenig 
Geschichte  gemacht  und  viel  Geschichte  geschrieben,  er  hat  auch 
Geschichte  erfunden",   so  ist  diese  Ausdrucksweise  gleich   wieder 


75  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

geeignet,  das  Urteil  des  Lesers  aus  dem  „weiteren  Kreise  der  Ge- 
bildeten" ungünstig  zu  beeinflussen;  und  statt  der  Bemerkung 
(S.  107):  „Xenophon  wäre  nicht  er  selber  gewesen,  wenn  nicht 
der  Sport,  vor  allem  die  mit  einem  ungemein  beredten  Lobe  be- 
dachte Reitkunst,  darin  eine  bedeutende  Rolle  spielte",  hätte  man 
lieber  die  schlichte  Notiz  gelesen,  daß  Ausfuhrungen  über  Rosse 
und  Reiter  in  einem  Werke,  das  persische  Verhältnisse  behandelte, 
nur  natürlich  waren. 

Von  den  Bemerkungen  G.s  über  Xenophons  politische 
Schriftstellerei  (die  'A&ijvaicov  nofoxsia  ist  zweckmäßig  schon 
im  ersten  Bande  des  Werkes  besprochen  worden,  s.  o.  S.  66)  möchte 
ich  besonders  die  vortreffliche  Skizze  der  Uoqoi  (S.  108  f.)  hervor- 
heben. Vieles  in  dieser  Schrift  mutet  den  Leser  ganz  modern  an. 
Das  Neue  und  Eigenartige  wird  mit  ein  paar  Worten  glücklich  zu- 
sammengefaßt (Idee  der  wechselseitigen  Versicherung,  der  rakidale 
Anspruch  „Entweder  alles  und  alles  zugleich  oder  gar  nichts'4), 
und  zu  der  Kritik  des  weniger  Gelungenen  (Idee  der  Verstaat- 
lichung, Währungsfrage)  möchte  ich  hinzufügen,  daß  doch  nicht 
zu  vergessen  ist,  wie  manche  dieser  den  gewiegten  Sozialpolitikern 
von  heute  phantastisch  erscheinenden  Vorschläge  doch  von  X.  als 
dem  ersten  oder  einem  der  ersten  gemacht  worden  sind.  Wer 
die  trefflichen  Bemerkungen  des  Verfassers  zu  diesen  Dingen  liest, 
wird  mit  dem  Berichterstatter  bedauern,  daß  er  auf  den  Oikonomikos 
nicht  näher  eingegangen  ist,  welchem  Hodermann  (vgl.  u.  gegen 
Ende  des  Berichts)  eine  so  liebevolle  Behandlung  gewidmet  hat. 

S.  543  hält  es  G.  „jetzt  für  ausgemacht",  daß  das  xeno- 
phontische  „Gastmahl"  dem  platonischen  nachgefolgt  sei.  Die  ent- 
gegengesetzte Anschauung  wird  aber  nach  Böckh  doch  noch  von 
Hug,  Dummler  und  Hirzel  vertreten.  Vielleicht  ist  es  richtiger,  diese 
schwierige  Frage  unbeantwortet  zu  lassen;  vgl.  Christ  a.  a.  0.  S.  354. 

Bemerkenswert  ist  es,  daß  G.  seinen  Helden,  der  nach  ihm 
doch  so  gar  keiner  ist,  S.  107  mit  andern  Gleichgesinnten  von 
dem  Dilettantismus  der  damaligen  Staatsleitung  in  allem  angewidert 
sein  läßt  (gewiß  ein  gutes  Zeichen  für  X.  als  Politiker!)  und  ihn 
doch  selber  von  vornherein  unter  das  Zeichen  des  Dilettantismus 
stellt  (S.  96)  —  wenn  auch  im  Goetheschen  Sinne.  Auf  der  einen 
Seite  wird  über  die  Rolle,  welche  die  Frau  bei  X.  spielt  (im 
Gegensatz  zh  Thukydides),  gesagt,  daß  die  Schriften  des  „viel- 
gewanderten Kriegsmanns  kein  treues  Spiegelbild  des  athenischen 
Lebens  und  Empfindens  sind"  (S.  308),  während  es  S.  419  heißt, 
daß  X.  in  seinem  „Wirtschaftsbuch44  ein  „sicherlich  treues  Bild 
von  dem  Geisteszustand  und  der  Lebensweise  athenischer  Frauen 
entwirft'*. 

Wenig  befriedigen  wird  viele  Leser  das,  was  Gomperz  über 
Xenophons  Stellung  zu  den  göttlichen  Dingen  sagt,  und  besonders 
die  Art,  wie  er  es  sagt.  Man  kann  nicht  (S.  104)  von  seiner 
„ohne  Zweifel  echten  Gottesfurcht*'  spreche^   und  (S.  109)  diese 


Xeuophon,  von  R.  Ullrich.  77 

doch  „eher  Aberglauben  als  Religiosität4'  nennen.  Daß  Spieler  in 
ihrer  Leidenschaft  und  Jäger  dem  Aberglauben  huldigen,  ist  ja 
richtig,  aber  es  durfte  doch  auch  gesagt  werden,  daß  bei  den 
mit  ihnen  (S.  HO)  nicht  glucklich  zusammengestellten  Soldaten, 
Berg-  und  Seeleuten  (und  ein  guter  Soldat  war  X.  gewiß)  in 
ihrem  gefahrvollen  Berufe,  der  höheren  Zwecken  dienstbar  ist, 
auch  viel  echter  Glaube  zu  finden  ist.  Wer  Klearch  die  herrlichen 
Worte  (die  sich  mit  Ps.  139  ebenso  zufällig  wie  eigenartig  be- 
rühren) sprechen  ließ  Anab.  II  5,  7:  Tov  yctq  &€(Sv  noXspov 
otV  otda  and  noiov  av  %a%ovg  ovtb  onoi  av  %ig  (pevywv 
ano<pvyoi  ovt'  slg  noXov  av  tfxoTog  änoÖQaiij  u.  s.  w.,  der 
hatte  sicher  ein  inneres  Verhältnis  zur  Gottheit,  und  wenn  X. 
trotzdem  durch  Opfergaben  „sich  ihres  Wohlwollens  versichert, 
nach  dein  Standpunkte  des  Do,  ut  des",  so  ist  er  doch  darum 
nicht  ausnahmsweise  der  Beschränktheit  zu  zeihen.  Er  war  darin 
ein  Kind  der  Zeit,  die  wie  das  ganze  Heidentum  selbst  in  seinen 
erhabensten  Gestalten  ober  diesen  Konflikt  nicht  völlig  hinaus- 
gekommen ist,  bis  das  Christentum  ihn  löste. 

Der  Wortschatz  des  Verfassers,  im  allgemeinen  wie  in  bezug  auf 
die  Person  des  Xenophon,  ist  eigenartig.  Das  in  München  und  Wien 
gebräuchliche  „nur  mehr44  (S.  100),  das  unsere  Zeitungen  aufgegriffen 
haben,  gehört  nicht  in  die  gute  Schriftsprache  (Wustmann 8  S.  41011.), 
und  den  „Fußsoldaten"  (S.  99),  der  in  unsern  Schulgrammatiken 
noch  sein  Wesen  treibt  (statt  „Soldat"  oder  „Hoplit")  empfehle 
ich  Wustmanns  Beachtung;  er  ist  noch  nicht  vertreten,  ebenso- 
wenig wie  (S.  51)  die  „Vorfallenheitent(  des  Kanzleistils.  Warum 
„Panacee,  Ingerenz"  (S.  109)?  Ob  das  auch  jeder  gebildete  Leser 
versteht?  Und  mit  „Reisläufer,  wackrer  Landjunker,  Sports- 
piann  (!)"  u.  ä.  wird  das  Wesen  dieses  Mannes  umschrieben? 

Die  zweite  Auflage  des  Bandes  ist  in  unserm  Abschnitt 
nicht  oder  nicht  wesentlich  verändert;  auch  die  Seitenzahlen 
stimmen  überein.  Nur  ist  S.  105  an  die  Stelle- des  hannoverschen 
Reaktionärs  Borries  der  hessische  Dalwigk  getreten. 

Noch  eine  Äußerlichkeit  will  ich  erwähnen,  die  im  Grunde 
keine  ist.  Dem  Bande  fehlt  ein  (recht  ausfuhrlich  zu  wünschen- 
des) Register.  Zwar  wird  ein  Gesamtregister  am  Schluß  des  noch 
ausstehenden  dritten  Bandes  versprochen;  doch  damit  ist  den 
Benutzern  der  einzelnen  Bände,  die  auch  gesondert  käuflich  sind, 
nicht  gedient. 

Ich  fasse  meine  Ausfuhrungen  noch  einmal  kurz  zusammen. 
Die  hier  besprochenen  Abschnitte  des  Buches  von  Gomperz 
sind,  wie  das  ganze  Werk,  glänzend  geschrieben,  temperamentvoll 
und  packend,  und  nehmen  den  Leser,  der  sich  zuversichtlich 
dem  bewährten  Fuhrer  und  Meister  anvertraut,  gewiß  gefangen. 
Aber  es  ist  nach  m.  £.  neben  vielem  Alten,  was  Gemeingut 
der  Wissenschaft  geworden  ist,  und  manchem  fein  und  klar 
herausgearbeiteten  Neuen  doch  auch  gar  zu  viel  Subjektives  darin 


78  Jahreiberichte  d.  Philolog.  Vereioi. 

enthalten,  was  nach  dem  Plane  des  für  die  weiteren  Kreise 
der  Gebildeten  bestimmten  Werkes  nicht  näher  begründet  werden 
konnte  und  darum  lieber  fehlen  sollte.  Weniger  Neues  wäre  hier 
vielleicht  mehr  gewesen.  Die  schon  von  Schmekel  in  der  Be- 
sprechung des  ersten  Bandes  gemachte  Bemerkung  (a.  a.  0.  S.  104), 
das  Werk  fordere  kritische  Leser,  trifft,  wie  man  gesehen  hat, 
für  unsern  Abschnitt  vollends  zu.  Interessant  wäre  es  übrigens, 
könnte  man  durch  eine  Statistik  einmal  feststellen,  wer  außer 
Philologen,  Philosophen  und  Historikern  eigentlich  ein  solches 
Werk  kauft  und  liest.  Ich  fürchte,  die  Zahl  ist  nicht  groß,  schon 
des  Preises  wegen;  bleiben  also  doch  fast  nur  die  Fachgelehrten, 
und  ich  glaube,  diese  würden  zufriedener  sein,  wenn  sie  z.  B.  irt 
der  ruhigen  Weise  Zellers  in  die  Dinge  eingeführt  würden,  wo 
Altes  gewissenhaft  registriert,  Neues  sorgsam  abgewogen,  Gutes 
aufgenommen,  Zweifelhaftes  deutlich  als  solches  gekennzeichnet, 
Unsichres,  und  sei  es  noch  so  bestechend,  abgelehnt  und  so  dem 
Leser  ein  beruhigendes  Gefühl  der  Sicherheit  gegeben  wird,  was 
doch  nicht  -hindert,  auch  an  der  künstlerischen,  wohlgebildeten 
Form  seine  Freude  zu  haben. 

Insbesondere  scheint  mir  der  Nachweis,  daß  wir  es  hier  mit 
einem  innerlich  unwahren  Schriftsteller  zu  tun  haben,  zumal  was 
den  Leiter  und  Erzähler  des  Zuges  der  Zehntausend  betrifft,  nicht 
gelungen.  Wenn  die  Notizen  der  Alten  glaubwürdig  sind,  daß 
auf  den  Heldentod  des  jungen  Grylos  bei  Mantinea  zahlreiche 
Enkomien  gedichtet  wurden  —  G.  nimmt  es  an,  und  überaus  be- 
zeichnend sind  sie  jedenfalls  — ,  so  wäre  diese  Ehrung  dem  Vater 
(den  jungen  Offizier  kannten  wohl  wenige)  gewiß  nicht  zuteil 
geworden  (vgl.  S.  101),  falls  der  gefeierte  Mann  und  Schriftsteller 
von  solcher  Art  gewesen  wäre,  wie  G.  ihn  schildert. 

Nicht  bloß  die  Wissenschaft,  auch  die  Schule  hat  ein  Interesse 
daran,  daß  diese  Charakteristik  Xenophons  durch  einen  so  be- 
deutenden Gelehrten,  wie  G.  es  ist,  nicht  zu  Recht  bestehen  bleibt. 
Xenophon  beschäftigt  uns  auf  dem  Gymnasium  zwei  Jahre  oder 
noch  länger,  und  da  wir  doch  nicht  nur  gute  attische  Formen 
und  Sätze,  sondern  auch  tüchtige  Charaktere  jener  alten  Zeit,  von 
deren  Vorlrefllichkeit  so  viel  große  Worte  gesagt  worden  sind, 
den  Schülern  zeigen  und,  wenn  wir  selbst  innerlich  davon  über- 
zeugt sind,  auch  sie  überzeugen  wollen,  so  könnte  ein  Lehrer, 
der  sich  von  G.  überzeugen  ließe,  schwerlich  mit  Gewinn  einen 
solchen  Autor  noch  lesen  und  erklären.  Er  müßte  alsbald  dafür 
eintreten,  daß  der  Schriftsteller,  von  dem  der  preußische  Patriot 
und  große  Geschichtsforscher  B.  G.  Niebuhr  1828,  zu  einer  Zeit, 
in  der  wenigstens  in  den  Besten  der  Nation  die  Begeisterung  von 
1813  noch  fortlebte,  gesagt  hat:  „Wahrlich  einen  ausgearteteren 
Sohn  hat  kein  Staat  jemals  ausgestoßen  als  diesen  Xenophon" 
(Kl.  Sehr.  I  S.  467),  den  A.  v.  Gutschmid  1856  kräftig  als  „wider- 
lichen Patron"   (jetzt  Kl.  Sehr.  IV  S.  217;  vgl.  S.  328  ff.)  charak- 


Xonophon,  von  R.  Ullrich.  79 

terisiert  hat  und  der  nun  von  Gomperz  feiner  als  „Meister  der 
Täuschung"  hingestellt  wird,  nie  wieder  die  Wege  der  Klassiker 
kreuze. 

4)  Eduard  Norden,  Die  antike  Kunstprosa  vom  6.  Jahrhundert 
v.  Chr.  bis  in  die  Zeit  der  Renaissance.  Leipzig;  1898,  B.  G. 
Teubner.  Bd.  I:  Will  u.  450  S.,  Bd.  II:  S.  451—969.  gr.  8.  je  14  Jt. 
Anzeigen:  L.  Radermacher,  DLZ.  1S98  Sp.  996—999.  — 
A.  Martin,  Rev.  crit.  1898,  II,  S.  401  f.  —  W.  Schmid,  Berl.  phil.  WS. 
1899  Sp.  225—239.  —  W.  Kroll,  Hist.  Viert eljahrschr.  1899  S.  83—86. 
—  G.  Ferrari,  Riv.  di  fil.  1899  S.  351—357.  —  E.  Z(arncke),  Lit. 
Zentralbl.  1899  Sp.  1033—1038.  —  Tb.  Reinach,  Rev.  des  et.  gr.  1899 
S.  139f.  —  G.  Landgraf,  Bl.  f.  d.  GSW.  1899  S.  618— 620.  —  Kraut, 
Wiirtt.  Korr.  1899  S.  143—150.  —  J.  E.  Sandys,  Class.  Rev.  1900 
S.  135—138. 

Die  Ansicht,  welche  H.  Schacht  in  der  früher  zitierten  Disser- 
tation aufgestellt  und  gut  begründet  hat,  daß  X.  nicht,  wie  man 
früher  fast  allgemein  angenommen  hatte,  im  Gegensatz  zur  Rhetorik 
einfach  und  „kunstlos"  geschrieben,  sondern  im  Gegenteil  von 
ihren  Mitteln  einen  wenn  auch  maßvollen  Gebrauch  gemacht  habe, 
beginnt  allmählich  durchzudringen.  Blaß  hatte  sich  (Att.  ßer.  II a 
S.  479  ff.)  vorsichtig  und  nur  teilweise  zustimmend  geäußert, 
Norden  ist  jetzt  weitergegangen  und  hat  Schachts  Ergebnisse  nicht 
nur  anerkannt,  sondern  auch  durch  neue  Beobachtungen  gestützt 
(in  dem  Abschnitte  „Die  Beziehungen  der  Geschichtschreibung  zur 
Rhetorik",  Bd.  I  S.  8t  ff.;  vgl.  besonders  101  ff.  und  S.  103,  Anm. 
1  und  2),  auch  weitere  gut  ausgewählte  Literaturnachweise  gegeben. 
Er  faßt  seine  Ansicht  von  dem  Verhältnis  von  Natur  und  Kunst 
bei  X.  treffend  so  zusammen :  „Bei  X.  ist  die  natürliche  Schlicht- 
heit des  einzelnen  Ausdrucks  wie  des  Satzbaues  stark  und  ab- 
sichtlich (beides  leugnet  Blaß;  vgl.  Seeck  u.  Nr.  6)  beeinflußt  durch 
Anwendung  aller  Mittel  der  zeitgenössischen  Rhetorik,  und  nur 
darin  unterscheidet  er  sich  sehr  zu  seinem  Vorteil  von  manchen 
gleichzeitigen  Schriftstellern,  daß  er  mit  seinem  gesunden  Gefühl 
für  das  Einfache  und  Schlichte  die  Natur  nicht  durch  die  Kunst 
verdrängt,  sondern  beide  zu  einem  harmonischen  Ganzen  ver- 
bunden hat". 

N.  weist  dies  dann  an  einer  Reihe  von  Beispielen  aus  der 
Aaxedaiixoviwv  noXixeia  nach  und  vergleicht  damit,  um  den 
großen  Gegensatz  recht  deutlich  zu  machen,  den  Stil  der  noch 
nicht  von  der  sophistischen  Kunstprosa  beeinflußten  pseudoxeno- 
phontischen  ^A^rjpaicav  noXneia  (vgl.  auch  S.  387,  Anm.  Z.  11  ff.). 
Freilich  forderten  ja  auch  Schriften  abhandelnder  Art  (heute  ver- 
öffentlicht man  sie  in  einer  wissenschaftlichen  Zeitschrift),  in 
denen  etwas  bewiesen  werden  soll,  am  meisten  dazu  auf,  sich 
gewisser  rhetorischer  Kunstmittel  zu  bedienen,  um  die  Gedanken 
desto  klarer  und  schärfer  heraustreten  zu  lassen,  ähnlich  wie  die 
Reden  in  den  geschichtlichen  Werken. 

Im  Anschluß  an  die  Erörterung  des  Polybius  über  den  Gegen- 


80  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

satz  von  i/xcipiop  und  lözoQia  (S.  81  IT.,  besonders  S.  82  Anna.  2) 
erklärt  sich  N.  mit  Recht  für  die  Echtheit  des  Agesilaos,  die  man 
früher  wegen  der  ccrjfy  <r*g  %&v  ngayfiattov  im  Unterschiede  von 
den  Hellenika  angezweifelt  hatte;  vgl.  S.  87  Anm.  2. 

Die  zweite  Sophistik  (Bd.  I  S.  394  ff.)  brachte  Xenophon  aufs 
neue  zu  Ehren,  Arrian  kopiert  seine  aytleia,  der  Historiker 
Herodian  (mehr  als  Dio)  lehnt  sich  an  ihn  an. 

Der  Kynegetikos  ist  in  den  letzten  Jahren  (vgl.  Sittl, 
Gesch.  d.  griech.  Lit.  II  S.  461  ff.)  vielfach  behandelt  worden,  am 
eindringendsten  von  L.  Radermacher  (Rh.  Mus.  1896  S.  596—629 
und  1897  S.  13—41),  der  dieses  ganze  Werk  (bis  auf  Kap.  1) 
hauptsächlich  aus  stilistischen  Gründen  für  untergeschoben  hält 
und  es  einem  Zeitgenossen  zuschreibt,  während  er  das  ganz  anders 
stilisierte  Proömium  (Kap.  1)  bis  ins  3.  nachchristliche  Jahrhundert 
hinabrückt.  Norden  (S.  431  u.  A.  1 — 3)  stimmt  in  bezug  auf 
den  Hauptteil  der  Schrift  Radermachers  Ergebnissen  im  wesent- 
lichen zu,  das  Proömium  dagegen  nimmt  er  in  eingehender  Unter- 
suchung, die  viel  Bestechendes  hat  und  mit  zahlreichen  Beispielen 
gestutzt  wird  (S.  298  oben,  S.  386  f.  Anm.  2,  besonders  S.  431  ff.) 
noch  für  die  Zeit  der  zweiten  Sophistik  (Commodus)  in  An- 
spruch.    Vgl.  auch  oben  S.  66  u. 

Seltsam  bleibt  immerhin,  daß  ein  Schriftsteller  wie  Arrian, 
dessen  Leben  fast  ein  Abbild  desjenigen  Xenophons  ist  und  der 
sich  in  die  Schriftstellerei  seines  literarischen  Vorbildes  so  sehr 
eingelebt  hatte,  diese  Unterschiede  von  den  übrigen  Schriften 
Xenophons  so  wenig  bemerkt  haben  sollte,  daß  er  nicht  bloß 
eine  Anabasis,  sondern  auch  einen  Kvvtjystixog  schrieb,  den 
xenophontischen  (der  übrigens  als  solcher  schon  lange  vor  ihm 
durch  Tryphon  bezeugt  wurde)  also  kannte  und  anerkannte. 

Ich  glaube,  daß  in  dieser  Frage  das  letzte  Wort  noch  nicht 
gesprochen  worden  ist;  vgl.  auch  Gomperz,  Griech.  Denker  II1 
S.  542. 

Überall  aber  sehen  wir  in  Nordens  Werke  das  Bestreben, 
lange  Entwicklungen  zu  verfolgen,  bedeutsame  Zusammenhänge 
aufzudecken  und  durch  treffend  gewählte  Beispiele  zu  begründen. 
Wer  auf  diesem  Gebiete  arbeitet,  wird  an  seinem  Werke  nicht 
vorbeigehen  dürfen. 

5)  Ivo  Bruns,  Die  Persönlichkeit  in  der  Gescbichtschreibuog 
der  Alten.  Untersuchungen  zur  Technik  der  antiken  Historiographie. 
Berlin  1898,  W.  Hertz.     VIII  u.  102  S.     8.     2,40  Jt. 

Anzeigen:  F.  Luterbacher,  N.  pbil.  Rdsch.  1898  S.  487— 489. — 
A.  Hauvette,  Rev.  crit.  1898,  I,  S.  406  f.  —  F.  Koepp,  Berl.  phil.  WS. 
1898  Sp.  1443—1447.  —  A.  Bauer,  Ztschr.  f.  d.  Ost.  G.  1899  S.  760— 
762.  —  Lit.  Zentralbl.  1898  Sp.  1488  f.  —  O.  E.  Schmidt,  N.  Jahrb. 
f.  Phil.  1898  S.  635.  —  Hesselbarth,  Ztschr.  f.  d.  GW.  1899  S.  393  ff. 

In  seinem  größeren  Werke  (Das  literarische  Porträt  u.  s.  w., 
Berlin  1896)    hatte  Bruns    gezeigt,    wie  sich  selbst  einem  so  oft 


Xenophon,  von  R.  Ullrich.  gl 

behandelten  Zeitraum  wie  dem  5.  und  4.  vorchristlichen  Jahr- 
hundert durch  Stellung  neuer  Fragen  nicht  unbedeutende  Er- 
gebnisse abgewinnen  lassen,  und  gerade  für  Xenophon  war  die 
Ausbeute  nicht  gering  gewesen1). 

B.  hatte  damals  zwei  verschiedene  Methoden  der  griechischen 
Geschichtschreiber  des  5.  und  4.  Jahrhunderts  in  der  Art  der  Be- 
handlung des  Individuums  nachzuweisen  gesucht,  die  sog.  indirekte 
Charakteristik  (Thukydides  und  Xenophon  als  sein  Fortsetzer  in 
den  Hellenika)  und  die  direkte  (Xenophon  in  der  Anabasis). 

In  der  vorliegenden  kleineren  Arbeit  des  der  Wissenschaft 
leider  so  früh  entrissenen  Verfassers  wird  diese  Unterscheidung 
an  einigen  Geschichtschreibern  der  späteren  Zeit  erprobt 
(Polybius,  Livius,  Tacitus  u.  a.),  und  es  wäre  eigentlich  kein 
Anlaß,  in  diesem  Berichte  des  Buches  zu  gedenken,  wenn  nicht 
auch  in  ihm  einige  treffliche  Bemerkungen  über  unsern  Historiker 
sich  fanden  (S.  V  f.,  43  f.,  62  f.,  67).  Abgesehen  davon,  daß  der 
Verfasser  das  Ergebnis  des  größeren  Werkes  für  X.  hier  mehr- 
mals kurz  zusammenfaßt,  hebt  er  ein  „eigentümliches  Ergänzungs- 
mittel" der  indirekten  Methode,  wie  schon  bei  Thukydides,  so 
Doch  mehr  bei  X.  hervor,  daß  nämlich  bei  dem  ersten  oder  be- 
deutungsvolleren Hervortreten  einzelner  Personen  kurze,  charak- 
terisierende Vermerke  gemacht  werden,  besonders  bei  solchen, 
welche  die  Erzählung  sonst  gar  nicht  oder  nur  wenig  berück- 
sichtigt. Bei  Hauptpersonen  wie  Agesilaos  fehlen  sie  (s.  a.  Haupt- 
werk S.  43  ff.). 


6)  Otto  Sc  eck,  Die  Entwicklung  der  antiken  Geschichtschreibung 
und  andere  populäre  Schriften.  Berlin  1898,  Siemenroth  &  Troschel. 
VIII  u.  339  S.    8.    5  JC. 

Anzeigen:  F.  Cauer,  Bert.  phil.  WS.  1899  Sp.  338-—  342.  — 
R.  v.  Scala,  OLZ.  1899  Sp.  1105  f.  —  J.  Jung,  N.  phil.  Rdsch.  1899 
S.  134  ff.  —  Erhardt,  Mitt.  a.  d.  hist.  Lit.  1899  S.  129—134.  — 
A.  Bauer,  Ztschr.  f.  d.  Ost.  G.  1899  S.  757  ff.  —  Rev.  crit.  1900 
S.  382  f.  —  K.  J.  Neumaun,  Hist.  Z.  1900  S.  162. 

Von  den  sechs  Aufsätzen,  die  in  diesem  Sammelbande  ver- 
einigt sind,  bietet  der  erste  „Die  Entwicklung  der  antiken  Ge- 
schichtschreibung'4 in  seinem  sechsten  Abschnitte  „Memoiren  und 
Tendenzgeschichte"  (S.  89 — 103  —  zuerst  erschienen  in  der 
Deutschen  Rundschau  1896  S.  108  ff.,  199  ff.  — )  willkommene  Bei- 
träge zu  Xenophon  (vgl.  besonders  S.  89  ff.,  94  ff.).  Diese  sind 
frisch  geschrieben  und,  wenn  sie  auch  dem  Fachmann  nicht  viel 
Neues  sagen,  doch  recht  nutzlich,  besonders  deshalb,  weil  sie  den 
Schriftsteller   nicht   für  sich  allein,    sondern  im  Zusammenhange 


*)  Vgl.  hierzu    besonders    F.  Spiro,    DLZ.  1897   Sp.  1730—1734;   Lit 

Zentralbl.  1897  Sp.  95—97;  O.  Weißenfels,  Ztschr.  f.  d.  GW.  1897  S.  347— 

352;    O.  Jager,  Hum.  Gymn.  1897  S.  50;    Ztschr.  f.  d.  öst.  G.  1897  S.  757 ff.; 

O.  Immisch,  ßerl.  phil.  WS.  1898  Sp.  1009—1017.    Vgl.  auch  u.  Nr.  6  und  7. 

Jfthfwberiehte  XXX.  6 


82  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

mit  den  Bestrebungen  seiner  Zeit  und  ihrer  Wirkungen  auf  ihn 
betrachten.  Der  Titel  mit  den  in  der  Xenophonliteratur  der  letzten 
Jahrzehnte  oft  gebrauchten  Scblagworten  scheint  schon  anzudeuten, 
um  was  es  sich  handelt;  doch  geht  Verf.  viel  weiter  als  andere 
und  rechnet  (S.  95  ff.)  außer  der  Anabasis  die  ganze  Schrift- 
stellerei  Xenophons  zum  Gebiet  der  Tendenzgeschichte.  Dem 
Memoiren  werk  der  Anabasis  spendet  S.  Worte  des  höchsten 
Lobes.  Im  Gegensatz  zu  neueren  Versuchen  (Gomperz  u.  a.,  vgl. 
Nr.  3),  auch  an  diesem  Werk  des  Xenophon,  das  seit  langer  Zeit 
im  Schulunterricht  eine  hervorragende  Stelle  einnimmt,  herum- 
zumäkeln,  nennt  er  es  (S.  95)  „das  höchste  Muster  der  Memoiren- 
literatur, das  neben  unzähligen  anderen  selbst  ein  Cäsar  seiner 
Nachahmung  würdigte,  ohne  es  übertreffen  zu  können".  Vgl. 
Nr.  2  (Gercke2  S.  114).  Er  rühmt  die  reizvolle  Schmucklosigkeit 
des  Ausdrucks,  die  an  Lysias  erinnere  (vgl.  jedoch  auch  Blaß, 
AU.  ßereds.  II a  S.  477),  geht  jedoch  zu  weit  in  der  Annahme, 
daß  sie  überall  beabsichtigte  Kunst  sei.  Daß  Einflösse  der  Rhetorik 
(welcher  Schriftsteller  um  die  Wende  des  5.  und  4.  Jahrhunderts 
hätte  sich  dieser  mächtigen  Bewegung  entziehen  können?)  auch 
in  der  Anabasis  anzunehmen  sind,  hat  man  ja  neuerdings  immer 
mehr  erkannt  (vgl.  besonders  die  schon  mehrmals  erwähnte  Disser- 
tation von  H.  Schacht,  Norden  a.  a.  0.,  Bruns  a.  a.  0.  und 
unten  Nr.  7),  doch  hat  das  seine  Grenzen,  und  so  bestimmte  all- 
gemeine Grundsätze,  wie  sie  Verf.  S.  90  ausspricht,  werden  sich 
schwerlich  beweisen  lassen.  Die  Bedeutung  der  Anabasis  als  des 
besten  Werkes  griechischer  Memoirenliteratur  tritt  besonders  her- 
vor, wenn  man  sie  mit  den  allerdings  spärlichen,  aber  charakteristi- 
schen Resten  der  'Enidr] piat,  des  Ion  von  Chios  vergleicht,  die 
von  Seeck  S.  91  ff.  gut  gewürdigt  werden. 

Alle  übrigen  Werke  Xenophons  gehören  nach  ihm  mehr  oder 
weniger  in  das  Gebiet  der  Tendenzgeschichte.  Das  ist  im  gewissen 
Sinne  ja  richtig,  nur  darf  man  nicht  sagen  (S.  95),  die  früheren 
Historiker  hätten  alle  „ohne  jeden  Hintergedanken44  geschrieben, 
nur  „um  der  Mit-  uud  Nachwelt  das  Geschehene  bekannt  zu 
machen44,  und  mit  „Xenophon  trete  nun  ein  Umschwung  ein, 
wofür  die  Schuld  wohl  in  erster  Linie  die  sokratische  Philosophie 
treffe4.  Seeck  selbst  gibt  schon  Ausnahmen  zu,  die  sich  leicht 
vermehren  ließen.  Doch  kommt  es  ja  überhaupt  hier  weniger 
auf  Einzelheiten  an  als  auf  die  Gesamtauffassung,  und  da  ver- 
leugnen auch  Herodot  und  besonders  Thukydides  ihre  „Tendenz44 
nicht  —  im  guten  Sinne,  wie  kein  rechter  Historiker,  der  die  Ge- 
schichte und  die  Geschicke  seines  Volkes  miterlebt  hat.  „Bis  zur 
bewußten  Unwahrheit44,  sagt  Seeck  (S.  98),  „ist  X.  vielleicht  noch 
nicht  fortgeschritten,  aber  er  weiß  sehr  geschickt  bald  zu  ver- 
hüllen, bald  ins  rechte  Licht  zu  setzen,  wie  es  ihm  für  seine 
Zwecke  paßt4;  ähnlich  urteilte  Gomperz  (s.  Nr.  3  zur  Anabasis). 
.Auch  das  bedarf  der  Berichtigung,  ebenso  wie  die  allgemeine  Be- 


Xeoophon,  von  K.  Ullrich.  83 

merkung  (S.  89),  daß  man  Herodot  und  Thukydides  durch  Zu« 
sammenstellung  mit  Xenophon  großes  Unrecht  tue.  Mir  will  eher 
scheinen,  daß  Xeuophons  Beurteilung  infolge  der  Zusammen- 
stellung mit  jenen  auf  falsche  Wege  geraten  ist.  Herodot  und 
Thukydides  waren  ausschließlich  Historiker,  im  strengeren  Sinne 
eigentlich  nur  der  letztere;  Xenophon  war  vielseitiger,  und  er  hat 
in  der  Anabasis  und  in  mehreren  der  kleineren  Schriften  Eigen- 
artiges und  Vorzugliches  geleistet.  Wenn  man  aufhören  wollte, 
die  Hellenika,  auf  die  jene  abfälligen  Urteile  der  Neueren  sich 
hauptsächlich  gründen,  deshalb,  weil  sie  nur  ungefähr  da  einsetzen, 
wo  Th.  aufhören  mußte,  als  „Geschichtswerk"  mit  dem  des  großen 
Vorgängers  in  Parallele  zu  setzen,  und  sie  vielmehr  als  das  nähme, 
was  sie  tatsächlich  sind,  eine  schlichte  Erzählung  dessen,  was  der 
Verfasser  der  Zeit  nach  größtenteils  miterlebt  hatte  und  für  mit- 
teilenswert  hielt  —  mit  starker  Hervorhebung  des  Persönlichen 
und  allgemein  Menschlichen  — ,  so  wäre  unser m  Erzähler  besser 
gedient.  Hat  doch  gerade  dieser  Umstand  im  Verein  mit  der 
klaren,  flussigen  Sprache  auch  dieses  Werk  —  man  könnte  es  im 
besten  Sinne  „populär"  nennen  —  so  geeignet  für  die  Jugend 
gemacht.  Kann  man  Xenophon  mit  Kratippos  und  Theopomp 
wegen  der  dürftigen  Reste,  die  uns  von  ihren  Werken  geblieben 
sind,  nicht  ernstlich  vergleichen,  so  scheint  mir  die  Zusammen- 
stellung mit  Thukydides,  des  Erzählers  mit  „dem"  Historiker, 
wenig  fruchtbar.  Heute  würde  es  gewiß  niemandem  einfallen, 
eine  selbst  gute  populäre  Geschichtserzählung,  die  etwa  da  anfinge, 
wo  einer  der  großen  Historiker  aufhörte,  an  diesem  zu  messen. 
Ob  unsere  Nachkommen  so  geschmackvoll  sein  werden,  es  zu  tun, 
wenn  vielleicht  die  slavische  oder  mongolische  Flut  die  abend- 
ländische Kullur  vernichtet  hätte  und  von  Geschichtlichem  nur 
etwa  Treitschke,  Sybel  und  eine  xenophontische  Darstellung  der 
Zeitgeschichte  von  1848  oder  1871  ab  übrig  geblieben  wäre? 

Über  die  ganze  Frage,  wie  X.  als  Historiker  aufzufassen  und 
zu  beurteilen  sei,  vgl.  jetzt  besonders  Ed.  Meyer,  Gesch.  d.  Alt.  III 
S.  278  ff.,  dessen  sachliche  und  fast  überall  den  Kernpunkt  treffende 
Ausführungen  sich  hoffentlich  allmählich  durchsetzen  werden.  Viel 
zu  wenig  gewürdigt  war  bisher  besonders  der  Umstand,  daß  — 
a.  a.  0.  S.  278  —  ,,das  Bestehen  einer  historischen  Literatur  über 
die  Zeitgeschichte  den  Untergrund  der  Hellenika  bildet".  Für 
Xenophons  philosophische  Literatur  —  ich  gebrauche  der  Kürze 
halber  diesen  Ausdruck  —  besonders  für  die  Memorabilien,  ist 
freilich  Ähnliches  in  nächster  Zeit  schwerlich  zu  erwarten  und 
bei  der  Eigenart  dieser  dialogischen  Literatur  auch  kaum  möglich 
(vgl.  Nr.  3  Gomperz).  —  Wie  man  sieht,  bietet  der  Aufsalz  von 
Seeck  manche  Anregung  und  fesselt  den  Leser  auch  durch  ge- 
fällige Form. 

Warum  sind  übrigens  die  einzelnen  Aufsätze  unseres  Samuiel- 
bandes  nicht  nach  Ort  und  Zeit  ihres  ersten  Erscheinens  gekenn* 

6* 


$4  Jahresberichte,  d.  Philolog.  Vereins. 

zeichnet?    Es  ist  das  doch  nicht  ganz   bedeutungslos    (vgl.  auch 
unten  Nr.  25  zu  Taine,  Die  Anabasis), 

Diejenigen  übrigens,  welche  das  merkwürdige  Buch  „Rem- 
brandt  als  Erzieher44  kennen,  das  im  Jahre  1890  ein  gewisses 
Aufsehen  erregte,  will  ich  bei  dieser  Gelegenheit  darauf  hinweisen, 
daß  Seecks  vielfach  sehr  treffende,  mit  Humor  gewürzte  Kritik 
(U.  d.  T.  „Zeitphrasen44  1891  zuerst  veröffentlicht)  hier  S.  243— 
331  wiederabgedruckt  ist 


7)  Adolf  Baner,  Die  Forschungen  zur  griechischen  Geschichte 
1888 — 1898  verzeichnet  und  besprochen.  München  1899,  Beck- 
scher Verlag.    IV  u.  574  S.     gr.  8.     15  Jt. 

Anzeigen:  Schneider,  WS.  f.  Mass.  Phil.  1899  Sp.  903—906.  — 
Francotte.  Ball.  Beige  1899  S.  212—214.  —  H.  Swobodi,  N.  phil. 
Rdsch.  1899  S.  509—513.  —  E.  Heidenreich,  Mitt.  a.  d.  bist.  Lit. 
1899  S.  392—395.  —  A.  Hauvette,  Rev.  crit.  1899,  II,  S.  427—428.— 
B.  Niese,  N.  Jahrb.  f.  d.  klass.  Alt.  1899,  I,  S.  438  f.  —  V.  Costanzi, 
Riv.  di  61.  1900  S.  115f.  -  Lit.  Zentralb].  1900  Sp.  361.  — 
£.  Schmidt,  Ztschr.  f.  d.  GW.  1900  S.  32—40.  —  J.  Kaerst,  Hist. 
Z.  84,  1900,  S.  469  f.  —  J.  Melber,  Bl.  f.  d.  GSW.  1900  S.  331—334. 
—  P.  Perdrizet,  Rev.  des  et.  anc.  1900  S.  269—271.  —  Whibley, 
Class.  Rev.  1900  Sp.  368  f. 

Bauers  Bericht,  ursprünglich  für  den  Jahresbericht  über  Alter- 
tumswissenschaft bestimmt,  dann  aber  wegen  zu  großen  Umfang» 
als  besonderes  Buch  gedruckt,  hat  (mit  Ausnahme  des  Rezensenten 
im  Class.  Rev.)  große  Anerkennung  gefunden  und  verdient  sie 
auch.  Was  in  den  genannten  Besprechungen,  die  auf  Einzelheiten 
aur  wenig  eingehen,  im  allgemeinen  gelobt  worden  ist,  gilt  auch 
von  den  Abschnitten,  die  der  Besprechung  der  Xenophonliteratur 
gewidmet  sind. 

Das  größere  Werk  von  Bruns  (s.  o.  S.  80)  wird  S.  181  ff.  nach 
Gebühr  gewürdigt,  besonders  Xenophons  Eigenart  in  den  Hellenika 
im  Gegensatz  zu  Thukydides  (S.  183  f.),  der  Einfluß  des  isokrati- 
schen  Euagoras  auf  den  xenophontischen  Agesilaos  und  zwei 
Porträts  der  Anabasis  (des  Proxenos  und  Menon)  (S.  187 f.).  Zu 
billigen  ist,  daß  auch  Hirzels  Werk  (Der  Dialog,  Leipzig  1895), 
wiewohl  nicht  geschichtlich  im  engeren  Sinne,  herangezogen  wird» 
Hervorgehoben  wird  daraus  der  wichtige  Gedanke,  daß  für  Xenophons 
literarische  Tätigkeit  nacheinander  Sokrates,  Kyros  und  Agesilaos 
maßgebend  gewesen  sind.  Von  den  sokratischen  Schriften  ist 
nach  H.  das  Symposion  das  bedeutendste  (hierüber  urteilen  fast 
alle  Neueren  anders),  durch  das  die  Symposienliteratur  eröffnet 
wird.  Seecks  Werk  (s.  o.  S.  81  ff.)  wird  gelobt,  Nordens  „Kunst- 
prosa" (o.  S.  79)  nur  eben  erwähnt  (S.  193),  aber  doch  der  künst- 
mäßige Charakter  der  antiken  Geschichtschreibung  und  der  Einfluß 
der  Rhetorik  auf  sie  richtig  hervorgehoben,  ebenso  sehr  glücklich 
(S.  229  ff.)  das  Ergebnis  der  Forschungen  von  Bruns  (a.  a.  0.)r 
daß  die  Vielseitigkeit  von  Xenophons  Schriftstellerei  und  die  ver- 


Xenophon,  von  R.  Ullrich.  85 

schiedenartigen  Muster,  denen  er  folgte  (Thukydides,  Sokrates, 
Isokrates)  uns  erst  den  „ganzen  Menschen14  richtig  kennen  lehre 
und  viele  Seltsamkeiten  einzelner  Stellen  wie  ganzer  Schriften  in 
das  rechte  Licht  rücke.  So  ist  B.  auch  von  der  Echtheit  des 
Agesilaos  durch  ßruns  überzeugt  worden  (231  f.);  nur  darf  man, 
fuge  ich  hinzu,  die  Abfassung  mit  ihm  nicht  bald  nach  374  an- 
setzen, wenn  auch  ein  Einfluß  des  „Euagoras"  unverkennbar  ist. 
S.  231  Z.  S  v.  o.  muß  es  übrigens  „Koronea"  statt  „Haliartos" 
heißen. 

Bedeutungsvoll,  weil  heute  noch  lange  nicht  genug  gewürdigt, 
ist  ferner  S.  182  A.  262  der  Hinweis  auf  das  schon  von  andern 
beobachtete  Fehlen  der  modernen  Anmerkungen  bei  antiken 
Schriftstellern  und  manche  dadurch  bedingte  stilistische  Eigen- 
heilen des  Textes  selbst. 

Eingehend  beschäftigt  sich  B.  mit  den  Untersuchungen  von 
E.  Schwartz  über  die  Hellenika  (S.  229  ff.),  deren  „Verschweigungen*' 
dieser  Gelehrte  richtig  erklärt  hat  (vgl.  jetzt  auch  E.  Meyer,  Gesch. 
d.  Alt.  III  S.  277 ff.);  B.  stimmt  hier  meist  zu,  während  er  sich 
über  Schwartz1  Ansicht,  X.  habe  die  Hellenika  in  den  fünfziger 
Jahren  in  einem  Zuge  verfaßt,  zurückhaltender  äußert  (S.  232). 
Diese  seit  Niebuhr  oft,  am  eingehendsten  von  Nitsche  (Progr.  des 
Sophien-G.  z.  Berlin  1871)  behandelte  Frage  ist  nach  Lage  der 
Dinge  schwerlich  je  bestimmt  zu  beantworten;  vgl.  die  Übersicht 
voirL.  Langer  (Eine  Sichtung  der  Streitschriften  über  die  Gliederung 
der  Hellenika  von  Xenophon,  Progr.  Brunn  1897)  und  Kitsches 
Bemerkungen  dazu  Berl.  phil.  WS.  1898  S.  229  f. 

Daß  die  Anabasis  eine  Tendenzschrift  „zur  Bechtfertigung  in 
eigener  Sache"  sein  soll  (S.  235),  kann  ich  nicht  zugeben;  ein- 
zelne Stellen  mögen  so  ausgelegt  werden,  an  die  Schrift  als 
Ganzes  muß  man  unbefangener  herantreten.  Kalinkas  schon  1898 
erschienene  Ausgabe  der  Iti&tjvaicov  nolixeia  hat  B.  (S.  238  f.) 
noch  nicht  benutzt;  Scbölls  Aufsatz  (s.  o.  S.  66)  wird  mit  Becht 
gerühmt,  wenn  B.  auch  nicht  überall  zustimmen  kann;  vgl.  zum 
Charakter  der  Schrift  jetzt  auch  Ed.  Meyer,  Forschungen  z.  alt. 
Gesch.  II  1899  S.  40lff. 

im  Zusammenhang  mit  der  Besprechung  der  Schriften  zur 
aristotelischen  li^rjyaicov  noXwsia  (S.  26811.)  macht  B.  die  Be- 
merkung (S.  274),  daß  „die  Geschichtswerke  des  Herodot,  Thukydides 
und  Xenophon  wie  die  aller  wirklichen  Geschichtschreiber  von 
bestimmten  politischen  Anschauungen  getragen  werden  und,  in- 
sofern also  Geschichtschreibung  und  Politik  zusammengehören,  auch 
einen  politischen  Charakter  haben".  Das  ist  zweifellos  richtig  und 
würde,  immer  recht  beachtet,  auch  in  der  Xenophonforschung 
manche  irrige  Hypothese  nicht  haben  aufkommen  lassen. 

Im  Gegensatze  zu  v.  Wilamowitz,  welcher  (Aristoteles  und 
Athen  I  S.  1 65  ff.)  die  Verwandtschaft  von  Hell.  H  3,  19  und  Arist. 
*A&.  noX.  36,  2  so  erklärte,   daß  Aristoteles  die  Programmschrift 


86  Jahresberichte  d.  Philologe.  Vereins. 

des  Theramenes,  nicht  die  Hellenika  des  X.  benutzt  habe,  stimmt 
B.  den  Ausführungen  von  ßusolt  (Herrn.  1898  S.  71  ff.,  s.  auch 
unten  Nr.  III  „Hellenika")  zu,  wonach  Xenophon  selbst  sein  Ge- 
währsmann gewesen  ist.  Vielleicht  hatte  Busolts  Aufsatz  eine 
eingehendere  Besprechung  verdient. 

Bekanntlich  hatte  Bauer  selbst  bald  nach  der  Wiederauffindung 
und  ersten  Veröffentlichung  der^i&rjvaiodv  noXixeia  des  Aristoteles 
(1891)  in  einem  besonderen  Buche  (Literarische  und  historische 
Forschungen  zu  Aristoteles'  ^d-tjraioop  noXireia,  Mönchen  1891, 
S.  148  ff.)  auch  über  das  Verhältnis  von  Aristoteles1  Schrift  zu 
Xenophons  Hellenika  gehandelt  und  dabei  unter  lebhafter 
Polemik  gegen  Schwartz  ein  wenig  gunstiges  Urteil  über  die 
Glaubwürdigkeit  Xenophons  in  den  Hellenika  wie  überhaupt  ge- 
fällt. Um  so  mehr  ist  die  Ruhe  und  Unparteilichkeit  anzu- 
erkennen, die  er  in  allen  X.  betreffenden  Abschnitten  seines  Werkes 
bewahrt.  So  ist  sein  Bericht,  dessen  Reichhaltigkeit  hier  nur  an- 
gedeutet werden  konnte,  auch  auf  diesem  Sondergebiete  als  ein 
zuverlässiger  Führer  anzusehen  und  allen  sehr  zu  empfehlen,  die 
sich  mit  griechischer  Geschichte  beschäftigen;  er  kann  in  vieler 
Hinsicht  als  eine  Ergänzung  von  Wachsmuths  „Einleitung"  (1895) 
betrachtet  werden. 

Da  aber  solche  Berichte  nicht  nur  zum  Lesen  —  und  Bauers 
Bericht  ist  wirklich  auch  in  dieser  Beziehung  anregender,  als 
Literaturberichte  sonst  zu  sein  pflegen  — ,  sondern  auch  zum 
Nachschlagen  bestimmt  sind,  wurde  es  sich  für  eine  nach  etlichen 
Jahren  hoffentlich  erscheinende  Fortsetzung  empfehlen,  die  Namen 
der  Verfasser  im  Druck  hervorzuheben,  wie  dies  in  den  Bursian- 
schen  Berichten  üblich  ist,  und  dem  Register  der  modernen  Autoren 
ein  sachliches  hinzuzufügen.  Die  Brauchbarkeit  des  Ganzen  würde 
so  erheblich  erhöht  werden. 

8)  Ernst  Richter,  Bericht  über  die  Xenophon  betreffenden 
Schriften,  welche  in  den  Jahren  1889 — 1898  erschienen  sind  (Jahres- 
bericht über  die  Fortschritte  der  klassischen  Altertumswissenschaft, 
Bd.  C  1899,  I,  S.  33—91).     Leipzig  1899,  Reisland.    gr.  8. 

Den  früher  von  W.  Nitsche  und  K.  Schenkl  bearbeiteten 
Bericht  über  Xenophon  (vgl.  o.  S.  63)  hat  jetzt  E.  Richter  über- 
nommen, dem  es  gelungen  ist,  die  Arbeiten  eines  zehnjährigen 
Zeitraumes  in  knapper  Form  zusammenzufassen.  Sein  Bericht 
orientiert  gut  über  die  in  den  bezeichneten  Jahren  erschienenen 
Schriften,  unter  denen  eine  Anzahl  recht  bedeutsamer  sich  be- 
findet, und  sei  den  Fachgenossen,  die  ihn  noch  nicht  kennen, 
hiermit  empfohlen.  Manche  Schriften,  besonders  des  Jahres  189S, 
konnten  nach  den  Grundsätzen  der  Jahresberichte  über  Alter- 
tumswissenschaft bei  Richter  gar  nicht  oder  nur  kurz  erwähnt 
werden. 


Xenophon,  von  R.  Ullrich.  87 

9)  Anton  Malfertheimer,  Real  erklär an g  und  Anschauungs- 
unterricht bei  der  Lektüre  der  griechischen  Klassiker.  Teil  I: 
Xenophon,  Homer,  Herodot.  Wien  1899,  A.  Pichlers  Witwe  &  Sohn. 
VIII  u.  98  S.     8.     2  Jt. 

Anzeigen:  L.  Gorlitt,  WS.  f.  klass.  Phil.  1900  Sp.  125 ff.  — . 
W.  Gemoll,  Ztschr.  f.  d.  GW.  1900  S.  361.  —  A.  v.  Bamberg,  Jahresb. 
üb.  d.  höh.  Schul w.  1899,  VII,  S.  19f.  —  J.  Kubik,  Berl.  phil.  WS. 
1900  S.  950—952.  —  J.  Oehler,  Ztschr.  f.  d.  öst.  Gynin.  1900  S.  932  f. 
—  L.  Koch,  N.  phil.  Rdsch.  1901  S.  155—157.  —  M.  Seibel,  ßl.  f. 
d.  GSW.  1901  S.  291  f. 

Die  Ansicht,  daß  zur  Erklärung  der  antiken  Schriftsteller 
Denkmäler  der  Kunst  heranzuziehen  seien,  bricht  sich  immer 
mehr  Bahn;  die  Schulergenerationen  von  heute  haben  es  besser 
als  die  vor  20  und  30  Jahren.  Wir  hörten  wohl  in  der  Prima 
im  deutschen  Unterricht  von  der  Laokoongruppe  und  beim  Homer 
vom  Zeus  von  Otricoli  (Abbildungen  wurden  freilich  nicht  gezeigt), 
aber  in  der  Tertia  und  Sekunda  waren  dergleichen  Dinge  aus- 
geschlossen, und  wer  nicht  für  Xenophon  z.  B.  aus  den  Tafeln 
Vollbrechts  sich  unterrichten  konnte  oder  mehr  zufällig  irgend 
eine  Anschauung  erhielt,  bekam  weder  einen  griechischen  noch 
einen  persischen  Soldaten  im  Bilde  zu  sehen.  Das  ist  nun  anders 
geworden;  eine  Fülle  von  Anschauungsmitteln  steht  zu  Gebote. 
Aber  einerseits  entsprechen  diese  nicht  immer  den  Zwecken  der 
Schule,  andrerseits  liegt  die  Gefahr  vor,  daß  gegenüber  dem 
früheren  Mangel  der  jetzige  Reichtum  im  Unterricht  Verwirrung 
stifte  und  (S.  5)  „das  Interesse  der  Schuler  von  dem  Wesent- 
lichen auf  Äußerliches,  Nebensächliches  abgezogen,  der  Fortgang 
der  Lektüre  gehemmt  und  das  Eindringen  in  den  Gedankengehalt 
derselben  erschwert  wird".  Der  Verf.  hat  nun  auf  Grund  öster- 
reichischer Schulverhältnisse  —  was  für  den  „reichsdeutschen" 
Leser  wohl  zu  beachten  ist  —  umfangreiche  statistische  Unter- 
suchungen darüber  angestellt,  welche  Werke  bzw.  Bücher  der  ge- 
nannten Schriftsteller  vorzugsweise  gelesen  werden,  danach  das 
erforderliche  Anschauungsmaterial  zusammengestellt  und  es  mit 
manchen  nützlichen  Erläuterungen  versehen,  die  nicht  bloß  dem 
Anfänger  gute  Dienste  leisten  werden. 

Xenophon  wird  behandelt  auf  S.  1 — 14  (Anabasis  B.  I— IV), 
78—80  (Memorabilien  I  4;  II  1,21—34;  III  5),  14-17  (Cyro- 
pädie,  welche  in  Österreich  bekanntlich  noch  gelesen  wird;  Aus- 
wahl nach  Schenkls  Chrestomathie).  Die  Hellenika  fehlen  ganz. 
Die  Auswahl  aus  den  Memorabilien  ist  für  deutsche  Verhältnisse 
zu  knapp;  die  Cyropädie  kommt  bei  uns  nicht  mehr  in  Betracht. 
Der  Abschnitt  über  die  Anabasis  bietet  viel  Nützliches,  wenn  auch 
zu  bedauern  ist,  daß  die  letzten  drei  Bücher  nicht  berücksichtigt 
sind;  Buch  I  und  IV  sind  mit  Recht  am  ausführlichsten  behandelt. 
Der  Verf.  bespricht  in  den  drei  Abschnitten  „Kriegswesen,  Mytho- 
logie und  Kultus,  Verschiedenes'4  teils  zusammenfassend,  teils  zu 
einzelnen  Stellen  alles,  was  zur  Förderung  der  Anschauung  nütz- 


88  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

lieb  zu  verwenden  ist.  Hier  einige  Beispiele.  Den  griechischen 
Hopliten  will  M.  in  dem  polychromen  Modell  Langls  vorgeführt 
wissen;  das  ist  aber  ziemlich  umständlich.  Soll  der  Hoplit  in 
einer  Tertia  aufbewahrt  oder  jedesmal  herbeigeholt  werden?  Der 
Preis  (12/1.)  ist  zu  hoch;  hier  werden  wir  uns  mit  einfacheren 
Mitteln  begnügen  müssen.  Sehr  zweckmäßig  wird  die  „Alexander- 
Schlacht"  zur  Erläuterung  herangezogen,  die  in  einer  guten  und 
hinreichend  großen  Abbildung  eine  ganze  Reihe  von  Einzel- 
darstellungen ersetzt,  ganz  abgesehen  davon,  daß  der  Schuler  hier 
gleichzeitig  eines  der  eigenartigsten  Kunstwerke  kennen  lernt,  das 
wir  aus  dem  Altertum  besitzen.  Außerdem  interessieren  den 
Schuler  Schlachtenbilder  auf  dieser  Stufe  immer.  Andrerseits 
zeugt  es  von  ebenso  richtiger  Erkenntnis  dessen,  was  einem 
Tertianer  frommt  und  was  nicht,  wenn  z.  ß.  auf  die  Vorführung 
der  Gruppen  der  Dareiosvase  verzichtet  wird.  Auch  Münzen 
werden  zur  Erklärung  herangezogen.  Den  einzelnen  Abschnitten 
hat  M.  knappe  methodische  Bemerkungen  hinzugefügt  (S.  6,  12, 
16),  die  besonders  dem  jungen  Lehrer  manchen  Dienst  leisten 
werden;  vgl.  z.  B.  das  S.  6  und  13  über  die  Schülerkommentare 
und  -Präparationen  Bemerkte.  Mehrfache  Hinweise  auf  die  Lektüre 
des  Curtius  erklären  sich  wieder  durch  die  Besonderheiten  öster- 
reichischer Schulverhältnisse. 

Wenn  die  Anschauungsmittel  in  so  zweckmäßiger  Auswahl 
und  mit  weisester  Beschränkung  auf  das  wirklich  unmittelbar 
Förderliche  der  Schriftstellerlektüre  dienstbar  gemacht  werden, 
wird  diese  selbst  sicher  gewinnen,  und  dem  Verf.  gebührt  das 
Verdienst,  bedeutsame  Anregungen  nach  dieser  Richtung  hin  ge- 
geben zu  haben.  Ob  freilich  alle  Anstalten  über  ein  so  gutes 
Anschauungsmaterial  auch  auf  diesem  Gebiet  verfügen,  wie  es  dem 
Verf.  vorschwebt  —  er  hebt  mit  Stolz  hervor,  daß  seine  Anstalt 
in  Mährisch- Trübau  ein  eigenes  archäologisches  Kabinett  besitzt!  — , 
ist  mir  zweifelhaft.  Eine  mäßige  Zahl  gut  gewählter  und,  was 
bei  der  heutigen  Stufe  der  Technik  eigentlich  selbstverständlich 
ist,  auch  gut  ausgeführter  Abbildungen,  auf  ein  paar  Tafeln  den 
Schultexten  hinten  beigefügt,  könnte  neben  der  Vorführung 
von  Modellen  in  der  Schule  gute  Dienste  tun,  soweit  nicht  für 
Xenophon  z.  B.  das  Vollbrecbtsche  Wörterbuch  zur  Anabasis  zum 
Gebrauche  empfohlen  wird.  Die  Abbildungen  in  dem  der  Schenki- 
schen Chrestomathie  angehängten  Lexikon  sind  gar  zu  dürftig. 

Der  Preis  des  Buches,  2  M  für  sechs  Druckbogen,  ist  für  ein 
solches  Hilfsmittel,  ungebunden  dazu,  recht  hoch  und  würde  sich 
nur  dann  rechtfertigen,  wenn  der  Verf.  seine  Ausführungen  über 
Anschauung  auch  durch  eine  Anzahl  guter  Wiedergaben  unter- 
stützt hätte.  Auch  hätte  es  sich  empfohlen,  die  benutzten  oder 
empfohlenen  archäologischen  Hilfsmittel  am  Schlüsse  zusammen- 
zustellen und  mit  einigen  erläuternden  Bemerkungen  zu  versehen, 
um  denjenigen,  die  nicht  Archäologen  von  Fach  sind,  die  Auswahl 


Xenophoo,  von  R.  Ullrich.  89 

des  ihnen  passend  Erscheinenden  zu  erleichtern.  Vielleicht  ent- 
schließt sich  der  Verf.  auch  dazu,  was  Xenophon  betrifft,  in  einer 
neuen  Auflage  die  späteren  Bucher  der  Anabasis,  sowie  die  hier 
ganz  fehlenden  Hellenika  mit  in  den  Kreis  seiner  Betrachtung  zu 
ziehen,  um  dem  Buche  auch  außerhalb  Österreichs  zu  weiterer 
Verbreitung  zu  verhelfen.  Diese  ev.  Vermehrung  braucht  ja  nicht 
allzuviel  Platz  einzunehmen,  da  es  sich  oft  nur  um  Verweisungen 
auf  früher  schon  vorgekommene  Anschauungsmittel  handeln  wird, 
sie  würde  aber  die  Brauchbarkeit  des  Buches  gewiß  erhöhen. 
Und  falls  der  Preis  nicht  herabgesetzt  werden  kann,  würde  ich 
empfehlen,  den  Abschnitt  über  Homer,  der  mehr  Platz  einnimmt 
als  die  über  Xenophon  und  Herodot  zusammen,  als  besonderes 
Heft  erscheinen  zu  lassen. 

10)  Edmund  Lange,  Xenophoa.  Sein  Leben,  seine  Geistesart  und  seine 
Werke  (Gymnasial- Bibliothek,  herausgegeben  von  Hugo  Hoflmaoo, 
Heft  9).  Gütersloh  1900,  C.  Bertelsmann.  VIII  u.  88  S.  gr.  8.  1,20  Jt. 
Anzeigen:  0.  Güthling,  WS.  f.  klass.  Phil.  1900  Sp.  315 f.  — 
Österr.  Litbl.  1900  S.  504.  —  J.  Sitzler,  Gymnasium  1900  Sp.  487— 
489.  —  K.  Lincke,  Berl.  phil.  WS.  1900  Sp.  1477—1479.  —  P.  W., 
JN.  phil.  Rdsch.  1900   S.  492 f.  —   P.  Cauer,  DLZ.  1902  S.  215f. 

Seinem  „Thukydides"  (1893,  Gymnasial-Bibl.  Heft  16)  bat 
der  Verf.  nun  die  lange  angekündigte  Darstellung  des  Xenophon 
folgen  lassen,  und  nachdem  inzwischen  (1904,  Heft  37)  auch 
„Herodot44  von  A.  Hock  erschienen  ist,  haben  wir  „die"  drei  griechi- 
schen Geschichtschreiber  (ich  bediene  mich  dem  Brauche  folgend 
hier  dieser  Bezeichnung,  doch  s.  o.  S.  83)  in  der  „Gymnasial- 
bibliothek44, die  uns  schon  manche  vortreffliche  Gabe  geboten  hat, 
vollständig  beisammen. 

Der  Verf.  spricht  die  Hoffnung  aus,  daß  sich  seine  Arbeit 
zur  Einführung  der  Tertianer  und  Sekundaner1  in  die  Lektüre 
Xenophons  brauchbar  erweisen  werde.  Das  kann  ihr  Zweck  nicht 
sein;  vollends  nicht  für  Tertianer,  für  welche  die  Darstellung  zu 
hoch  ist.  Eher  wird  sie  dazu  mithelfen  können,  bei  reiferen 
Sekundanern  neben  und  nach  der  schulmäßigen  Unterweisung  das 
„Verständnis  der  Persönlichkeit  Xenophons  und  seiner  Schrift- 
stellerei4'  zu  erweitern  und  zu  vertiefen.  Für  diese  ist  der  Ton 
in  der  Tat  sehr  glücklich  getroffen,  die  Ausführung  nach  Inhalt 
und  Form  so  wohl  gelungen,  daß  das  Heft  sich  als  eins  der 
besten  der  Sammlung  darstellt  und  durchaus  empfohlen  werden 
kann.  Wenigstens  alle  Gymnasialbibliotheken  sollten  es  an- 
schaffen. Ich  glaube  sogar,  daß  es  jüngere  Lehrer  und  überhaupt 
solche,  die  zum  ersten  Male  Xenophon  mit  ihren  Schülern  lesen, 
mit  Nutzen  verwenden  können. 

L.  bat  seinen  Stoff  in  sechs  Abschnitte  geteilt:  I.  Xenophons 
Leben  (S.  Iff.).  II.  X.s  Lebensanschauungen:  1)  X.  und  seine 
Zeit,  2)  X.s  religiöse  Anschauungen,  3)  X.  als  Mensch  und  Feld- 
herr.    III.  X.  als  Schriftsteller;    seine    nicht  im  Gymnasium    ge- 


90  Jahresberichte  d.  Philologe.  Vereins. 

lesenen  Werke  (S.  8  ff.).  IV.  Die  Anabasis:  1)  Zur  Einführung, 
2)  Inhalt,  3)  Das  Heer  der  Zehntausend  und  seine  Organisation 
(S.  30  ff.)-  V.  Die  griechische  Geschichte:  1)  Zur  Einführung, 
2)  Inhalt  (S.  52 ff.).  VI.  Die  Denkwürdigkeiten:  1)  Zur  Einfuhrung, 
2)  Inhalt  (Disposition),  3)  Persönlichkeit  und  Grundanschauungen 
des  Sokrates  (S.  67  ff.)-     Schlußbemerkung  (S.  88). 

Die  Darstellung  ruht  überall,  wie  von  L.  nicht  anders  zu  er- 
warten war,  auf  wissenschaftlicher  Grundlage;  auch  die  Forschungen 
der  letzten  Jahre  sind  gewissenhaft  benutzt.  Schade,  daß  der 
Verf.  sie  nicht  in  einein  Anhange  kurz  zusammengestellt  hat. 
Die  Hefte  der  Sammlung  werden  doch  tatsächlich  nicht  nur  und 
vielleicht  nicht  einmal  meist  von  Schulern  benutzt,  andrerseits 
auch  nicht  bloß  von  „Kennern",  von  denen  hier  (S.  VI)  wie  auch 
in  ähnlichen  Arbeiten  häufig  gesagt  wird,  „daß  sie  ohne  Schwierig- 
keit herausfinden  werden"  u.  s.  w.  Jüngere  Lehrer  aber  z.  B., 
die  sich  auf  der  Universität  selten  mit  X.  beschäftigt  haben  (und 
das  sind  die  meisten  —  Xenophon  zählt  da  nicht  recht  mit,  auch 
bei  den  Dozenten  nicht),  wurden  sehr  dankbar  dafür  sein,  wenn  sie 
die  Hauptschriften  der  letzten  20 — 30  Jahre  in  einem  Anhange  kurz 
zusammengestellt  fänden,  der  ihnen  sehr  nützte,  ohne  die  jugend- 
licheren Leser  irgendwie  zu  stören;  ich  glaube,  die  Redaktion  der 
Sammlung  würde  vielen  einen  Dienst  erweisen,  wenn  sie  das 
nicht  bloß  zuließe,  sondern  geradezu  forderte.  In  Hachtmanns 
„Pergamon"  übrigens  (1900,  Heft  32)  ist  wenigstens  ein  Versuch 
damit  gemacht  worden. 

Den  Versuchen,  xenophontische  Schriften  ganz  oder  teilweise 
für  unecht  zu  erklären,  ist  L.  mit  Recht  abgeneigt.  Er  hält  alles 
unter  X.s  Namen  Oberlieferte  für  echt,  mit  Ausnahme  natürlich 
der  *A&rjvaitov  noXixsia  (S.  22).  Den  Kynegetikos  setzt  er  allzu 
sicher  (S.  23,  30)  in  die  Zeit  kurz  vor  401.  Zu  billigen  ist,  daß 
die  nicht  in  der  Schule  gelesenen  Schriften  (S.  24  ff.)  nur  kurz 
behandelt  werden,  doch  immerhin  so,  daß  ein  deutliches  Bild  von 
ihnen  entsteht.  Am  ausführlichsten  sind  natürlich  Anabasis, 
Hellenika  und  Memorabilien  besprochen,  am  eingehendsten  hier 
wieder  mit  Recht  die  Anabasis. 

Die  vorausgeschickte  Übersicht  über  das  Leben  Xenophons 
ist  klar  geschrieben,  unterscheidet  genau  und  doch  ungezwungen 
zwischen  guter  und  schlechter  Oberlieferung  und  hebt  die  Haupt- 
momente richtig  hervor.  Die  Anordnung  der  übrigen  Abschnitte 
wäre  vielleicht  gerade  mit  Rücksicht  auf  den  Kreis  der  Leser, 
welchen  Verf.  im  Auge  hat,  besser  so  zu  treffen  gewesen,  daß 
zuerst  die  Übersicht  der  einzelnen  Werke  gegeben  und  daraus 
die  Folgerungen  gezogen  wurden.  Auch  das,  was  über  Xenophons 
religiöse  Anschauungen,  über  seine  Eigenart  als  Mensch  wie  als 
Feldherr  gesagt  wird  —  Dinge,  die  sich  doch  zumeist  aus  den 
Werken  selbst  ergeben  — ,  ständen  besser  in  einem  Schlußabschnitt 
statt    vor    der  Besprechung    der  Werke.     Doch  der  Verf.  ist  kein 


Xeoophon,  von  R.  Ullrich.  91 

Schulmann.  Inhaltsübersichten  der  einzelnen  Werke  in  Ausgaben 
der  Schriftsteller  selbst  sind  ja  im  allgemeinem  vom  Obel,  weil 
dem  Unterriebt  so  das  Beste  vorweggenommen  wird;  hier  waren 
sie  wohl  zu  gestatten,  besonders  für  den  größten  Teil  der  Hellenika 
und  die  in  Gymnasien  immerhin  seltener  gelesenen  letzten  Bucher 
der  Anabasis.  So  aber,  wie  sie  der  Verf.  gibt  (S.  35 — 49  und 
59  —  67),  Kapitel  für  Kapitel,  wirken  sie  etwas  trocken;  ich  glaube 
kaum,  daß  das  Interesse  der  Schuler  dabei  rege  bleibt.  Eine  um 
die  Hälfte  kürzere,  aber  den  Fortschritt  der  Erzählung  und  wichtige 
Wendepunkte  nachdrücklicher  hervorhebende  Darstellung  wäre 
eindrucksvoller  geworden.  Ansätze  dazu  sind  gemacht,  aber  es 
sind  wenige.  Bei  der  Übersicht  der  Memorabilien  (S.  73 — 81) 
hat  L.  auf  zusammenhängende  Darstellung  ganz  verzichtet  und  die 
Form  einer  ausführlichen  Disposition  gewählt;  ich  verkenne  nicht 
die  Schwierigkeit,  die  darin  liegt,  gerade  von  dieser  lose  gefügten 
Schrift  eine  zusammenhängende  Übersicht  zu  geben;  aber  ein 
Versuch,  ev.  mit  Auslassung  des  einen  oder  andern  Stückes,  hätte 
wohl  gemacht  werden  können  und  wäre  sicher  auch  fruchtbringender 
für  die  Lektüre.  Mit  vielen  anderen  halte  ich  so  ausführliche 
Dispositionen  für  unzweckmäßig,  ja  schädlich  (vgl.  z.  B.  H.  Meusel, 
Vorwort  zur  Cäsarausgabe  S.  IV). 

Am  gelungensten  erscheinen  mir  die  allgemeinen  Abschnitte 
II  1—3;  III;  IV  1  und  3;  V  1  und  besonders  3.  Der  Verfasser 
ist  hier  überall  bestrebt,  Licht  und  Schatten  richtig  zu  verteilen; 
er  hält  sich  von  Überschätzung  Xenophons  frei  und  verkennt 
seine  Mängel  nicht,  ist  aber  ebensowenig  geneigt,  denen  zu  folgen, 
die  selbst  die  Anabasis  ihrem  Helden  nicht  lassen  wollen;  vgl. 
oben  S.  72  IT. 

Im  einzelnen  bemerke  ich  noch  folgendes:  S.  1  hätte  ich 
lieber  mit  Z.  2  v.  u.  begonnen;  das  vorher  Gesagte  nimmt  dem 
Schüler  wenigstens  schon  etwas  den  Geschmack  und  wäre  besser 
am  Schlüsse  untergebracht  worden  Und  als  schriftstellerische 
Leistung  ist  die  Anabasis  wirklich  eine  schöpferische  Tat.  S.  2: 
Laertius  Diogenes  ist  dem  dritten  Jahrhundert  zuzuweisen.  S.  7: 
eyevysv  =  „er  fühlte  sich  als  Verbannter'4  ist  unmöglich.  Der 
Abschnitt  über  die  religiösen  Anschauungen  Xenophons  (S.  9  ff.) 
ist  vortrefflich.  Die  „Inkonsequenzen"  (S.  11)  sind  nicht  bloß 
menschlich,  sie  sind  auch  antik.  Was  über  die  Bedeutung  der 
Frömmigkeit  des  Feldherrn  für  ihn  selbst  und  für  sein  Heer  ge- 
sagt wird  (S.  13),  ist  wohl  zu  beachten,  ebenso  die  vielen  kleinen, 
feinen  Züge,  die  L.  beibringt,  um  S.  14  ff.  den  Menschen  und 
Feldherrn  zu  charakterisieren  (gutes  Beispiel,  Kameradschaft, 
Humor  u.  a.),  Züge,  die  nur  dem  entgehen,  der  verlernt  hat, 
Menschen  und  Dinge  unbefangen  zu  beobachten  und  zu  schätzen. 
Auch  in  bezug  auf  das  Verhältnis  des  Atheners  zu  seiner  Vater- 
stadt hat  der  Verf.  zumal  für  jugendliche  Leser  die  rechten  Worte 
gefunden  (S.  19 ff.).    Von  den  Schriften,  die  nicht  epochemachend 


92  Jahresberichte  d.  Philologe  Vereins. 

zu  nennen  sind  (S.  21),  ist  wenigstens  die  Anabasis  auszunehmen. 
Daß  wir  „von  weiteren,  etwa  verloren  gegangenen  Schriften  nichts 
wissen'4  (S.  22  Z.  4  v.  u.),  ist  wohl  nicht  ganz  richtig;  vgl. 
0.  Immisch  in  Comment.  Ribbeck.,  1888,  S.  73—98.  Das  S.  32 
über  Sophainetos  und  Diodor  Gesagte  ist  viel  zu  unsicher,  um 
eine  längere  Darlegung  zu  rechtfertigen;  treffend  ist  bez.  des 
Schweigens  Diodors  über  Xenophon  der  Hinweis  auf  den  welt- 
geschichtlichen Charakter  seines  Werkes,  wogegen  das  persönliche 
Element  in  einem  Memoirenwerke  stärker  hervortreten  mußte. 

Die  Anabasis  wird  S.  34  f.  zweckmäßig  in  drei  größere 
Abschnitte  zerlegt  (I  und  II;  111— IV;  V — Vll),  die  jeder  in  seiner 
Eigenart  sehr  gut  charakterisiert  werden.  Wenn  ein  Rezensent 
(Güthling  a.  a.  0.)  das  erste  Buch  höchst  langweilig  findet  und 
meint,  man  solle  endlich  aufhören,  es  mit  Schülern  zu  lesen,  so 
wird  er  damit  wohl  keine  Nachfolge  finden;  dem  Gebäude  wurde 
ja  so  das  Fundament  fehlen.  Daß  Cheirisophos  „nur  als  erster 
unter  Gleichen"  nach  der  Ermordung  der  Feldherren  zur  Fuhrung 
berufen  worden  wäre  (S.  42),  ist  nicht  richtig.  Der  Abschnitt  über 
„Das  Heer  der  Zehntausend  und  seine  Organisation44  (S.  49 — 52) 
gibt  einen  in  seiner  Knappheit  vortrefflichen  Überblick  über  die 
ganz  besonderen  Verhältnisse  dieser  Söldnertruppen. 

Was  man  bei  den  Hellenika  gewöhnlich  „Tendenz"  genannt 
hat,  im  üblen  Sinne  des  Wortes,  hat  L.  S.  54  ff.  richtig  auf  seinen 
Wert  zurückgeführt;  die  „Verschweigungen"  (s.  o.  S.  72  und  85) 
beurteilt  er  noch  zu  einseitig.  S.  56 — 58  wird,  um  verschiedene 
Seiten  der  Darstellung  der  Hellenika  zu  charakterisieren,  eine 
große  Zahl  von  Stellen  angeführt  und  mit  zwei  Worten  gekenn- 
zeichnet, z.  B.  „allzu  lehrhafter  Ton  militärischer  Urteile"  (folgen 
fünf  Stellen,  nur  mit  Zahlen  angegeben),  „Gegensätzliche  Art  des 
Lysander  und  Kallikraddas"  ([  6,  2.  3),  „die  anmutige  Episode" 
(IV  1,  3 — 15),  die  „hübsch  ausgemalte  Erzählung"  u.  a.  m.  Soll 
der  Schüler  alle  diese  Stellen,  von  denen  ihm  doch  nur  wenige 
im  Unterricht  begegnet  sind,  aufschlagen?  Oder  glaubt  Verf., 
daß  er  es  tun  wird?  Ich  halte  es  in  solchem  Falle  für  zweck- 
mäßiger, wenige  charakteristische  Stellen  entweder  auszuschreiben 
oder  ausführlich  wiederzugeben;  die  Darstellung  wird  so  lesbarer 
und  das  Interesse  mehr  angeregt.  Und  am  Schluß  der  langen 
Inhaltsübersicht  der  „Hellenika"  angekommen  (S.  67),  verlangt 
man  geradezu  nach  einem  Rückblick,  einer  Würdigung  des 
Ganzen. 

Bei  den  Memorabilien  (S.  67 ff.)  verzichtet  L.  darauf,  die 
zahllosen  Behauptungen  oder  Vermutungen  über  Komposition, 
Zweck,  Echtheit  u.  s.  w.  um  eine  neue  zu  vermehren,  und  äußert 
sich  über  die  Möglichkeit,  hier  zu  bestimmten  Resultaten  zu 
kommen,  mit  Recht  zurückhaltend.  Was  über  den  Wert  des 
Buches  als  schriftstellerischer  Leistung  mit  einiger  Sicherheit  zu 
sagen  ist,    spricht  er  sine  ira  et  studio  in   schlichter  Form   aus. 


Xenophoo,  von  R.  Ullrich.  93 

Ober  die  (S.  73  ff.)  gegebene  ausfuhrliche  Disposition  habe  ich 
schon  oben  gesprochen.  Ein  glucklicher  Gedanke  war  es,  zum 
Schluß  (S.  80  ff.)  mit  wenigen  kräftigen  Strichen  ein  ßild  des 
Sokrates  zu  zeichnen,  nicht  bloß  auf  Grund  der  einseitigen  Charakte- 
ristik Xenophons,  sondern  mit'Benutzung  auch  der  übrigen  Nach- 
richten aus  dem  Altertum.  Was  über  Sokrates1  Verhältnis  zu 
Xanthippe,  über  die  Ausübung  auch  seiner  bürgerlichen  Pflichten, 
seinen  Einfluß  auf  die  Jugend  gesagt  ist,  wird  einen  vorgeschrittenen 
Schüler  sicher  fesseln.  Aber  warum  werden  die  „herrlichen 
Worte44,  die  Fla  ton  im  „Gastmahl"  den  Alkibiades  sprechen  läßt, 
nicht  mitgeteilt?  Und  wer  mit  steigendem  Interesse  den  letzten 
Absatz  über  Sokrates  gelesen  hat,  wird  bedauern,  daß  dem  Manne, 
der  auf  Mit-  und  Nachwelt  so  bedeutsamen  Einfluß  geübt  hat, 
nicht  längst  ein  besonderer  Band  in  der  „Gymnasial-Bibliothek" 
eingeräumt  worden  ist,  in  der  auch  kleinere  Geister  schon  ihren 
Platz  gefunden  haben. 

Zu  verbessern  sind  folgende  Druckfehler:  S.  3t  Z.  7  das 
fehlende  Komma  hinter  Athener;  S.  47,  VII,  Z.  2  Naarch;  S.  80 
Z.  16:  III,  7  (IV,  7);  stilistisch  nicht  gut  ist  S.  41  Z.  8—10  v.  u. 
„über  Agias  und  Sokrates  begnügt  sich  X.  mit  wenigen  sympathi- 
schen Worten". 

Für  eine  Neuauflage  des  Büchleins  wäre  also  hauptsächlich 
zu  wünschen,  daß  die  allgemeinen  Abschnitte  über  die  drei  Haupt- 
werke hinter  die  Inhaltsübersichten  gestellt,  diese  selbst  erheb- 
lich gekürzt  und  die  Hauptpunkte  darin  mehr  hervorgehoben 
würden;  so  bliebe  auch  reichlich  Platz,  die  eine  oder  andere 
Stelle,  auf  die  jetzt  nur  hingewiesen  wird,  ihrem  wesentlichen 
Inhalt  nach  wiederzugeben.  Unter  solchem  Vorbehalt  ist  Langes 
„Xenophon"  eine  erwünschte  Gabe  und  dem  Gebrauche  derjenigen, 
denen  sie  dienen  soll,  wohl  zu  empfehlen. 

11)  Hans  Delbrück,  Geschichte  der  Kriegskunst  im  Rahmen  der 
politischen  Geschichte.  Erster  Teil:  Das  Altertum.  Berlin  1900, 
G.  Stilke.    XVI  u.  533  S.    gr.  8.     10  J6. 

AoMigeo:  J.  Kromayer,  DLZ.  1900  Sp.  3183—3191.  —  R.  Oehler, 
Berl.  phil.  WS.  1901  Sp.  81—83.  —  Lit.  Zentralbl.  1901  Sp.  886f.  — 
A.  Bauer,  Hist.  Z.  1901,  II,  S.  284—291.  —  Ber.  d.  Fr.  Deutsch. 
Höchst,  z.  Frkf.  a.  M.  1901  S.  96—115.  —  B.  Niese,  Gott.  gel.  Adc 
1901,  II,  S.  596—628.  —  J.  Fochs,  Hist.  Vierte] jähr  sehr.  1901 
S.  377—380. 

Für  unsere  Kenntnis  der  Kriegskunst  der  Hellenen  vom  Aus- 
gang des  5.  bis  in  die  Mitte  des  4.  Jahrhunderts,  im  allgemeinen 
sowohl  wie  besonders  für  die  Beurteilung  gewisser  Fortschritte, 
die  sich  in  diesem  Zeitraum  teils  vollzogen,  teils  vorbereiteten, 
ist  Xenopbon,  der  Stratege  wie  der  Erzähler,  die  wichtigste  Quelle; 
das  hat  nach  Köchly-Rustow,  K.  F.  Hermann,  H.  Droysen,  M.  Jahns 
und  A.  Bauer  jetzt  H.  Delbrück  aufs  neue  gezeigt.  Besonderen 
Wert    erhält   seine    Arbeit    dadurch,    daß    hier    nicht   bloß    der 


94  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Historiker,  sondern  auch  der  Militär  zu  Worte  kommt,  und  was 
in  der  Vorrede  und  später  (z.  ß.  S.  120  Anm.  2)  über  die  ein- 
seitige Beurteilung  militärischer  Operationen  durch  Laien  gesagt 
wird,  ist  beachtenswert.  Während  nun  in  den  eben  genannten 
Werken  das  Material  sorgfältig  zusammengetragen  und  nach  sach- 
lichen Gesichtspunkten  geordnet  worden  war,  wobei  auch  alle 
Einzelheiten  erwähnt  werden  konnten,  wird  hier  zum  ersten  Male 
der  Versuch  gemacht,  Fortschritt  und  Entwicklung  auf  diesem 
Gebiete  zu  zeigen. 

Für  Xenophon  kommen  aus  dem  2.  Buche  „Die  Griechen 
auf  ihrer  Höhe"  hauptsächlich  in  Betracht  die  Kapitel  „Söldner" 
(S.  109  ff.), „Feinere  Ausbildung  des  bestehenden  taktischen  Systems 
im  vierten  Jahrhundert44  (114  ff.),  „Theorie.  Xenophon"  (123  ff.), 
,;Epaminondas"  (130 ff.);  aber  auch  iii  dem  3.  Buche,  „Die 
Macedonier"  (S.  139  ff.)  finden  sich  manche  gute  Bemerkungen, 
und  die  Darstellung  von  „Altrom4'  (S.  219  ff.)  gibt  Gelegenheit, 
hier  und  da  einen  Rückblick  auf  griechische  Verhältnisse  zur  Zeit 
Xenophons  zu  tuu  und  treffende  Vergleich  ungen  anzustellen. 

Der  Verf.  ist  bemüht,  den  Schriftsteller  X.  gerecht  zu  be- 
urteilen; er  nennt  ihn  (S.  135)  einen  „gewissenhaften  Schriftsteller 
und  einsichtigen  Soldaten44;  er  findet  z.  B.,  daß  die  Schilderung 
der  Schlachten  von  Leuktra  (S.  132  ff.)  und  Mantinea  (135)  bei 
Xenophon  vertrauenerweckender  ist  als  bei  Plutarch  hzw.  Diodor, 
und  seine  kurzen  Erörterungen  darüber  und  die  Kritik  von  Köcbly- 
Rüstow  sind  überzeugend;  andrerseits  findet  er  gegenüber  den 
mehr  theoretischen  Ausführungen  in  der  Cyropädie  (124 ff.)  das 
richtige  Wort  und  zeigt  (S.  127)  in  einem  besonderen  Falle 
(Frage  des  Zusammenwirkens  der  Hopliten  mit  den  Fernwaffen) 
uuter  Heranziehung  einer  seltsamen  Bemerkung  [Napoleons  1.  zum 
Siebenjährigen  Kriege,  daß  „nicht  bloß  der  gute  Homer,  sondern 
auch  die  größten  Generale  zuweilen  schlafen44. 

Am  interessantesten,  wenn  auch  nicht  immer  ueu  (vgl.  die 
knappe  Übersicht  bei  Jahns,  Gesch.  d.  Kriegswissenschaft  I,  18S9, 
S.  20 ff.;  S.  30),  ist  natürlich  das,  was  über  Xenophons  eigene 
praktische  Tätigkeit  in  der  Katabasis  bemerkt  wird.  Nach  dem 
Beispiel  von  Jahns  (a.  a.  O.  S.  20 f.)  werden  besonders  zwei  Vor- 
gänge der  Anabasis  gebührend  hervorgehoben,  welche  ebensosehr 
für  die  Fähigkeit  Xenophons  sprechen,  veraltete  Formen  der 
Taktik  im  gegebenen  Falle  mit  sicherem  militärischen  Blick  weiter- 
zubilden (Aufgeben  der  geschlossenen  Phalanx  und  Formierung 
der  öq&ioi,  "koyoi  zum  Angriff  auf  einen  von  den  Kolchern  be- 
setzten breiten  Höhenzug,  IV  8,  9 — 10),  ja  mit  schöpferischem 
Geiste  (wonach  die  Bemerkung  S.  125  Z.  2  ff.  einzuschränken  ist) 
bedeutungsvolle  Neuerungen  einzuführen  (Aufstellung  einer  Reserve 
—  X6%oi,  (pvlaxsg  —  in  dem  Gefecht  mit  einer  Abteilung  des 
Pharnabazos,  VI  5,  9),  wie  sie  es  andrerseits  bedauern  lassen,  daß 
die   „geniale  Improvisation44    und    „der  Gedanke    von    der    aller- 


^\ 


Xeoophon,  voo  R.  Ullrich.  95 

größten  Tragweite"  nicht  „Ansätze  zu  einer  prinzipiellen  Fort- 
bildung der  griechischen  Taktik  geworden  sind".  Daß  dies  nicht 
eingetreten  ist,  zunächst  wenigstens  nicht,  war  darin  begründet, 
daß  X.,  was  D.  nicht  hervorhebt,  nach  399  seine  Feldherrnrolle 
ausgespielt  hatte. 

Ober  den  Wert  der  theoretischen  Erörterungen  X.s  in  der 
Cyropädie  (abgesehen  von  dem  oben  erwähnten  Falle)  an  sich  wie 
in  ihrer  Bedeutung  für  die  Folgezeit  urteilt  D.  wohl  etwas  zu 
ungunstig;  vgl.  dagegen  Jahns  a.a.O.  S.  24  f.  Auch  hätten  die 
bedeutsamen  Kapitel  (11;  12;  13,6)  der  Actxsdcutiovloov  no  forstet, 
denen  Köchly  und  Rüstow  in  den  „Griechischen  Kriegsschrift- 
stellern'' (II  1,  S.  104 — 111)  die  verdiente  Stelle  eingeräumt 
haben,  vielleicht  etwas  eingehender  behandelt  werden  sollen,  als 
es  (S.  129)  geschieht.  Von  einzelnen  Stellen,  in  denen  X.  gut 
charakterisiert  wird,  will  ich  noch  anfuhren  die  Bemerkung  (S.  124), 
daß  er  zuerst  betont  hat,  das  „Kriegfuhren  sei  nicht  eine  Wissen- 
schaft, sondern  nehme  den  ganzen  Menschen  mit  allen  seinen 
Fähigkeiten  in  Anspruch",  die  Hervorhebung  der  Überlegenheit 
des  Nahkämpfers  (S.  128),  die  Erkenntnis  der  Wichtigkeit  der 
Reiterei  im  Zusammenwirken  mit  dem  übrigen  Heere  durch 
Epaminondas  (S.  140 f.;  vgl.  auch  Jahns  a.  a.  0.  S.  24 f.),  aber 
auch  die  richtige  Einsicht  X.s,  daß  die  Bedeutung  des  Epaminondas 
nicht  bloß  in  der  neuen,  von  ihm  erfundenen  Taktik  gelegen 
habe,  sondern  vor  allem  in  der  Erkenntnis  von  dem  Werte 
der  moralischen  Eigenschaften  der  Soldaten  (S.  132;  Hell.  VII 
5,  19),  die  wenigstens  in  der  Theorie  erkannte  Notwendigkeil  der 
Verfolgung  des  Feindes  nach  dem  Siege  (Cyr.  VI  3,  57),  die 
erst  später  in  den  Schlachten  Alexanders  rechte  praktische  Be- 
deutung gewann  (S.  197  u.  Anm.  1)  u.  a.  m. 

Andrerseits  wird  (S.  181)  die  übertriebene  Furchtbarkeit  der 
Sichelwagen  auf  ihren  wirklichen  Wert  zurückgeführt  (hierbei  ein 
interessanter  Hinweis  auf  Lionardo  da  Vinci),  und  bei  der  Er- 
örterung der  Topographie  der  Schlacht  bei  Issus  wird  (S.  164) 
festgestellt,  daß  X.  an  der  entsprechenden  Stelle  der  Anabasis 
(1  4,  1  ff.)  die  Entfernungen  vom  Pyramus  bis  Myriandos  fast  um 
das  Poppelte  überschätzt  hat.  Interessant  ist  auch  die  Parallele 
zwischen  römischer  und  griechischer  Disziplin  unter  Hinweis  auf 
einige  Stellen  bei  Xenophon  (S.  252  ff.).  —  So  wird  Altes  in 
neuen  Zusammenhang  gebracht,  Neues  herausgearbeitet,  Falsches 
richtig  gestellt,  und  man  kann  höchstens  bedauern,  daß  ein  so 
wichtiger  Abschnitt  der  antiken  Kriegskunst  verhältnismäßig  so 
kurz  bebandelt  worden  ist. 

Dem  Bande  fehlt  ein  Index;  sowohl  ein  Sach-  wie  ein  Stellen- 
register würde  seine  Benutzung  sehr  erleichtern;  die  Verleger 
sollten  Werke  von  größerem  Umfange  bzw.  deren  einzeln  käuf- 
liche Bände  gar  nicht  ohne  ein  solches  ausgehen  lassen.  Zu 
wünschen  wäre  auch,  daß  die  Herkunft  von  Zitaten,  die  mit  Recht 


96  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

nicht  selten  ausgeschrieben  werden,  genauer  bezeichnet  würde 
(z.  B.  S.  132  =  Hell.  VII  5,  19;  S.  164  =  An.  I  4,  lff.),  auch 
daß  die  benutzte  Literatur  in  einem  schon  durch  den  Preis  mehr 
für  Fachmänner  bestimmten  Buche  nicht  bloß  im  allgemeinen 
(S.  2  f.)  und  mehr  gelegentlich  hier  und  da  angegeben,  sondern 
auch  für  einzelne  Fragen  bei  den  betreffenden  Stellen  reichlicher 
verzeichnet  würde,  als  dies  bis  jetzt  geschehen  ist;  denn  auf 
diesem  noch  in  vieler  Hinsicht  der  Aufklärung  bedürftigen  Gebiete 
wollen  doch  nicht  bloß  Kenner  neu  aufgezeigten  Zusammenhängen 
gern  nachgehen,  sondern  auch  Unkundige  sich  belehren  lassen. 

Doch  das  sind  Dinge,  die  der  Freude  über  das  wirklich  Ge- 
botene keinen  wesentlichen  Eintrag  tun  können.  Niemand  wird 
D.s  Buch  ohne  Förderung  aus  der  Hand  legen,  und  auch  die 
Xenophon  betreffenden  Abschnitte  werden  dazu  beitragen,  manche 
entstellten  Züge  im  Bilde  des  Strategen  wie  des  Schriftstellers  zu 
berichtigen. 

Am  Schluß  dieses  Abschnittes  sei  noch  kurz  hingewiesen  auf 

12)  Paolys  Real-Eocy klopädie  der  klassischen  Altertoms- 
wissenschaft. Nene  Bearbeitung.  Unter  Mitwirkung  zahlreicher 
Fachgenossen  herausgegeben  von  Georg  Wissowa.  Dritter  Band 
(Barbaras- Claudius).  Stuttgart  1899,  J.  B.  MeUlerscher  Verlag. 
2908  Sp.     Lex.  8.    30  JC 

Anzeigen:  Fr.  Härder,  WS.  f.  klass.  Phil.  1900  Sp.  89—92  und 
1901  Sp.  488—492.  —  O.  Schaltheß,  N.  phil.  Rdsch.  1899  S.  562— 
564  und  1900  S.  584-586.  —  J.  E.  Sandys,  Glass.  Rev.  1900  Sp.  76. 
—  S.  Wide,  Berl.  phil.  WS.  1900  Sp.  417—420.  —  J.  Melber,  Bl.  f. 
d.  GSW.  1900  S.  476-478.  —  Cultura  1900  S.  37f.  —  F.  C,  Rev. 
de  l'instr.  publ.  en  Belg.  1900  S.  328-330  und  1901  S.  333—335.  — 
J.  L.  Heiberg,  Nord.  Tidskr.  f.  Fil.  1900  S.  125. 

Wie  die  ersten  beiden  Bande  der  rühmlichst  bekannten  Neu- 
bearbeitung von  Paulys  Real-Encyklopädie,  so  enthält  auch  der 
dritte  eine  Reihe  von  Artikeln,  die  der  Xenophonforschung  dienen 
können.  Ich  hebe  folgende  hervor :  Basileus  (Basileis  v.  Sparta 
II  i  2)  (v.  Schoeffer)  Sp.  64  ff.,  Befestigung  (Droysen)  191,  Bisanthe 
(Oberhummer)  500 f.,  Biihynia  (Ed.  Meyer)  507—524,  Baiotia 
(F.  Cauer),  bes.  649—654,  Byzantion  (J.  Miller)  1031  ff.,  Chabrias 

(1)  (Kirchner)  2017—2021,  Chairephm  (2)  (Natorp)  2028,  Chaldam 

(2)  (Baumstark)  2061,  Chalos  (2)  (Benzinger)  2099,  Chalybes  (Rüge) 
2099  f.,  Chores  (3)  (Kirchner)  21 25  (f.,  Charmande  (Fränkel)  2173, 
Charmides  (Judeich)  2174,  Cheirisophos  (1)  (Niese)  2220  f.,  doch 
ist  hier  die  Bedeutung  von  Anab.  111  2,  37  nicht  gebührend  ge- 
würdigt,, und  Xenophon  wird  mit  Unrecht  zu  oft  bewußter  Ent- 
stellung der  Tatsachen  beschuldigt. 

Die  Fachgenossen  seien  hiermit  auch  auf  diese  Artikel  hin- 
gewiesen, in  denen  teils  das  Quellenmaterial  kurz  zusammengestellt, 
teils  zweckmäßige  Zusammenfassung  geschichtlicher  Vorgänge  ge- 
geben wird,  für  die  ganz  oder  teilweise  X.  zu  verwerten  ist. 


n> 


Xenophon,  von  R.  Ullrich.  97 


IL   Anabasis. 
A.    Ausgabeo,  Kommentare,  Präparationeo,  Wörterbücher. 

13)  Xeoophoos  Anabasis.  Für  den  Schalgebrauch  herausgegeben  von. 
Adolf  Matthias.  Mit  eiuer  Karte  und  drei  lithographierten  Tafeln. 
Zweite,  verbesserte  Auflage.  Berlin  1897,  J.Springer.  IV  u.  172  S. 
gr.  8.     1,20  J[f  geb.  1,60  J(. 

Anzeigeu:  Cramer,  Gymnasium  1897  Sp.  727 — 729.  —  A.  v.  Bam- 
berg, JB.  üb.  d.  höh.  Schnlw.  1897,  VII,  S.  10.  —  Wismeyer,  Bl.  f.  d. 
GSW.  1899  S.  736.  —  R.  Hansen,  IN.  phil.  Bdsch.  1898  S.  411—412. 

Nach  13  Jahren  erst  erscheint  eine  neue  Auflage  dieser 
schönen  Ausgabe  der  Anabasis,  nicht  wesentlich  verändert,  aber 
sorgfältig  durchgesehen  und  „verbessert".  Erwünscht  wäre  es 
übrigens,  daß  solche  „Verbesserungen"  in  neuen  Auflagen  in 
einem  Verzeichnis  kurz  zusammengestellt  würden.  Das  macht 
einem  Herausgeber  gar  keine  Mühe  und  zeigt  dem  Benutzer  gleich, 
in  welcher  Richtung  die  Verbesserungen  sich  bewegen.  So  ist 
z.  B.  Sorof  (in  seiner  Auswahl  B  S.  270  ff.)  und,  um  auch  aus 
einem  andern  Gebiete  ein  Beispiel  anzuführen,  Krüger  in  den 
letzten  Auflagen  von  Horaz'  Satiren  und  Episteln  verfahren,  sehr 
im  Interesse  des  Käufers,  der  unmöglich  jede  neue  Auflage  von 
Anfang  bis  zu  Ende  durchlesen  kann.  Die  drei  der  ersten  Auf- 
lage beigegebenen  Tafeln  sind  geblieben  (auf  der  dritten,  in  der 
Skizze  zu  IV  1,  20—2,  20,  oben  Druckfehler  a  statt  q).  Die  Karte 
ist  neu  hergestellt,  umfaßt  jetzt  auch  das  griechische  Mutterland 
und  ist  zwar  technisch  nicht  so  schön  wie  die  der  ersten  Auflage, 
dafür  aber  klarer  und  übersichtlicher  und  darum  für  Schüler 
brauchbarer.    Einige  Berichtigungen  gibt  Hansen  (a.  a.  0.  S.  412). 

Kurz  vor  dem  Erscheinen  der  ersten  Ausgabe  hatte  sich  M. 
in  der  Abhandlung  „De  lituris  et  correctionibus  quae  inveniuntur 
in  Xenophontis  Anabasis  codice  C  (Parisino  1640)"  über  seine 
Auffassung  von  der  Feststellung  des  Textes  ausgesprochen.  Zwischen 
der  ersten  und  dieser  Ausgabe  liegen  weitere  Erörterungen  des 
Verfassers  über  den  Gegenstand,  „Beiträge  zur  Kritik  und  Erklärung 
von  Xenophons  Anabasis"  (in  der  „Festschrift  zur  50  jährigen 
Gedenkfeier  des  Realgymnasiums  zu  Düsseldorf4,  1888,  S.  173 — 
184),  wo  eine  Anzahl  von  Lesarten  der  Ausgabe  von  1884  be- 
sprochen werden,  die  auch  in  die  neue  übergegangen  sind. 

III  2,  36  ist  fj  trotz  der  Bemerkung  iu  Beitr.  S.  179  stehen 
geblieben.  Ebenda  S.  179  wird  II  4,  17  ticcqcc  ttjp  ysyvQccv  (det. 
inl)  gerechtfertigt;  III  4,  10  hätte  nach  der  Erörterung  S.  I80f. 
xsipevov  wieder  in  sein  Recht  eingesetzt  werden  sollen  (so  jetzt 
Gemoll);  IV  5,  35  ist  GTQairjywv  xal  dem  Zusammenhange  nach 
nicht  gut  möglich;  M.,  der  (S.  182)  die  Unechlheit  vermutet,  hat 
es  dennoch  im  Texte  belassen;  jetzt  hat  es  Gemoll  (vgl.  Beiträge  II, 
1889,  S.  26;  s.  u.  S.  108)  mit  Recht  eingeklammert  (Hug  s.  Z. 
[xctl  Xox<xy(*>v])\  IV  8,  27  wird  die  Auslassung  von  ed-tov  (schon 

Jahresberichte  XXX.  7 


98  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

1884)  und  die  Konjektur  *AQxddeg  begründet  (S.  182);  auch  hier 
folgt  ihm  Gemoll  (vgl.  Nr.  22,  111). 

Da  die  Ausgabe  nicht  so  bekannt  ist,  wie  sie  es  verdient, 
und  wohl  deswegen  auch,  von  der  Reklame  wenig  gefördert,  so 
viele  Jahre  bis  zu  einer  neuen  Auflage  gebraucht  hat,  sind  hier 
vielleicht  einige  Worte  ober  ihre  Einrichtung  am  Platze. 

Sie  bietet  einen  vollständigen  Text  (über  einige  gering- 
fugige  Auslassungen  vgl.  das  Vorwort  der  ersten  Auflage);  von 
der  in  den  letzten  zehn  Jahren  hervorgetretenen  Neigung,  auch 
die  kürzesten  und  einfachsten  alten  Klassiker  in  beschnittener 
und  vielfach  mundrecht  gemachter  Form  herzustellen,  ist  M.  un- 
berührt geblieben.  Das  Format,  größer,  als  wir  es  sonst  bei 
Schultextcu  gewohnt  sind,  ermöglicht  es,  größere  Abschnitte  gut 
zu  übersehen.  Durch  vielfache  Absätze  im  Text  (s.  jetzt  auch 
Gemolls  Ausgaben,  unten  Nr.  22  und  23)  ist  die  Übersichtlichkeit 
gesteigert,  Reden  sind  eingeruckt,  einzelne  Worte  durch  Sperr- 
druck hervorgehoben;  doch  betrifft  dies  meist  nur  Tatsächliches 
und  greift  der  gemeinsamen  Feststellung  des  Inhalts  durch  Lehrer 
und  Schuler  nirgends  so  vor,  wie  dies  in  manchen  neueren  Aus- 
gaben der  Fall  ist.  Inhaltsangaben  in  Überschriften  oder  am 
Rande  finden  sich  nicht.  M.  hat  bekanntlich  auch  einen  Kommentar 
zur  Anabasis  (drei  Hefte,  in  demselben  Verlage)  und  eine  Wort- 
kunde im  Anschluß  daran  verfaßt.  Beide  Arbeiten  (vor  20  Jahren 
erschienen)  enthalten  viel  treffliches  Material  für  den  Lehrer,  sind 
aber  für  den  Schüler  zu  umständlich  zu  benutzen  (vgl.  K.  Schenkl, 
Kurs.  JB.  54,  1888,  I,  S.  41),  wohl  auch  zu  teuer  und  haben 
darum  einen  äußeren  Erfolg  nicht  gehabt. 

Der  Textausgabe  ist  aber  die  weiteste  Verbreitung  zu 
wünschen.  Vielleicht  entschließt  sich  auch  der  Herausgeber,  in 
einer  neuen  Auflage  auf  die  wichtigsten  Ergebnisse  der  Inschriften- 
forschung, die  nun  in  Gemolls  Ausgaben  von  1896  (2  1902)  und 
1899  für  den  Anabasistext  methodisch  nutzbar  gemacht  worden 
sind  (s.  u.  Nr.  22  u.  23),  mehr  einzugehen  als  bisher,  damit  Text 
und  Grammatik  der  Schüler  sich  nicht  zu  oft  widersprechen.  Auch 
A.  v.  Bamberg  hat  in  den  letzten  Auflagen  seiner  Grammatik  — 
es  ist  interessant,  das  zu  verfolgen  —  in  dieser  Hinsicht,  wenn 
auch  vorsichtig  abwägend,  so  doch  in  immer  weiterem  Umfange 
geändert. 

14)  Xeuophoos  Anabasis.  Für  den  Schulgebrauch  in  verkürzter  Form 
herausgegeben  von  Joseph  Werra.  Mit  einer  Karte.  Münster  i.  W. 
1899,  Aschendorff.     XVI  u.  160  S.     8.     geb.  1,25  JC. 

Anzeigen:  J.  Sitzler,  Gymnasium  1899  Sp.  743.  —  W.  Gemoll, 
WS.  f.  klass.  Phil.  1899  Sp!  1161  —  1164.  —  J.  Golling,  Ztschr.  f.  d. 
öst.  Gymu.  1900  S.  123. 

W.  hatte  im  gleichen  Verlage  schon  früher  eine  verkürzte 
Vergil-  und  Herodotausgabe  erscheinen  lassen.  Für  einen  Dichter 
wie  Vergil  kann  man  dies  vielleicht  billigen,  da  er  den  Schülern 


^ 


Xcnophon,  von  R.  Ullrich.  99 

recht  schwer  wird  und  verhältnismäßig  wenig  Zeil  für  ihn  zur 
Verfügung  steht,  obgleich  der  Preis  solcher  Auswahlen,  zu  denen 
meist  noch  ein  Kommentar  kommt,  oft  höher  ist  als  eine 
schlichte,  aber  vollständige  Textausgabe,  die  dem  Lehrer  sein 
Hecht  läßt.  Für  Herodot  scheint  mir  eine  Auswahl  schon  ent- 
behrlicher; hier  kann  es  sicli  in  dem  einen  Jahre,  welches  seiner 
Lektüre  neben  anderer  gewidmet  ist.  nur  darum  handeln,  dem 
Obersekundaner  zusammenhängende  Abschnitte  aus  der  Glanz- 
zeit der  Perserkriege  (Marathon,  Salamis)  in  Verbindung  mit  dem 
geschichtlichen  Unterricht  der  Klasse  zu  geben,  und  Buch  6—9, 
ja  auch  die  einzelnen  ungekürzten  Bücher,  sind  in  guten  und 
billigen  Textausgaben  vorhanden.  Wozu  also  dem  Lehrer  vor- 
greifen? 

Für  ganz  unnötig  halte  ich  aber  eine  Auswahl  aus  der 
Anabasis.  Da  in  Obertertia,  abgesehen  etwa  von  den  ersten  sechs 
Wochen,  in  denen  nach  den  Lehrplänen  noch  ein  Lesebuch  zu 
gebrauchen  ist,  das  ganze  Jahr  ausschließlich  diesem  Werke  ge- 
widmet ist  und  in  Untersekunda  neben  Homer  in  der  Regel  noch 
ein  halbes,  so  kann  man  unter  normalen  Verbältnissen  recht  gut 
fünf  Bücher  bewältigen  (in  Obertertia  drei  und  in  Untersekunda 
zwei;  das  erstere  habe  ich  selbst  erprobt  und  schließe  aus  dem 
günstigen  Ergebnis  auf  das  andere),  bleiben  also  nur  zwei  übrig, 
die  sicher  nicht  gelesen  werden.  Da  rechtfertigt  sich  eine  ge- 
druckte Auswahl  nicht,  die  den  Lehrer  von  Anfang  an  bindet; 
und  auch  vor  dem  Erscheinen  verkürzter  Ausgaben  hat  man  doch 
nicht  in  der  Regel,  wie  der  Herausgeber  meint,  „die  Griechen  auf 
ihrem  Rückzuge  in  den  kar  du  einsehen  Bergen  oder  im  Schnee 
Armeniens  stecken  lassen  oder  ist  ihnen  höchstens  bis  Trapezunt 
gefolgt44,  soudern  auch  von  <len  späteren  Büchern  —  denen  er 
aufhelfen  will  —  ist  das  eine  oder  andere  gelesen  worden.  Mau 
wird  sich  das  schon  wegen  der  Verknüpfung  mit  der  folgenden 
Lektüre  der  Helleniku  nicht  entgehen  lassen. 

Werras  Auswahl  reduziert  den  Inhalt  der  Anabasis  fast  auf 
die  Hälfte.  Sie  enthält:  I  1;  2,  1—10;  3;  4,  11—18;  7,  1  und 
10-20;  8;  9;   10.  —  II  1;  2;  3,  1—10,  14;  4,  1—14,  24-28; 

5,  i_4,  15,  16,  25—42;  6,  1—27,  29—30.  —  DI  1,  1  -26,  32— 
47;  3;  4,  1—18;  5,  7—17.  —  IV  1—5;  6,  1—3;  7,  19—27; 
8,  1—19.  —  V  1, 1-4;  3;  4,  1—2;  5,  1—23.  —  VI  1, 14—33; 
2;  3;  4,  1  und  9-11;  6,  1—5  und  35-38.  —  VII  1;  2,  1-22; 

6,  1—10  und  39—44;  7,  48—57;  8,  1—8  und  24. 

Die  Verbindung  zwischen  den  so  ausgewählten  Partieon  wird 
durch  einen  knappen  deutschen  Text  hergestellt,  der  aber  auch 
öfters  fehlt,  so  nach  I  7,9;  II  4,  14;  III  1,26;  VI  4,  1;  VII 
6,  10  u.  ö.  Nicht  zu  billigen  ist,  daß  an  einigen  Stellen,  wo 
mehrere  Paragraphen  herausgeschnitten  sind,  die  Wunden  einfach 
verbunden  werden,  so  11  5,  4  i&loifiw  %^v  aniGtictv  ohne 
weiteres    mit  15   xal  ^tf*oV  äv   äxovöcufi*    %o    ovopcc,    ebenso 

7* 


100  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

16  mit  25;  IV  7,  19  ist  der  Text  der  Verknüpfung  halber  sogar 
leise  geändert. 

Es  ist  naturlich,  daß  man  in  der  Auswahl  manches  vermissen 
wird,  so,  um  nur  einiges  zu  erwähnen,  die  merkwürdige  Parade 
und  den  Zug  durch  die  kiiikischen  Pässe  nach  Tarsus  (I  2, 11 — 27), 
Land  und  Leute,  Flora  und  Fauna  am  Euphrat,  charakteristische 
Beispiele  persischer  Unterwürfigkeit,  Feindseligkeit  gegen  Klearch, 
Verrat  des  Orontas  (I  5  und  6),  die  bedeutsame  Rede  Xenophons 
(Niesen,  Handaufheben)  und  das  Ergebnis,  die  Wahl  des  Cheirisophos 
zum  Oberfeldherrn  wie  des  Xenophon  selbst  zum  Fuhrer  der 
Nachhut  (III  2),  Stellen,  welche  z.  T.,  wie  der  Schluß  von  Kap.  2, 
für  die  weitere  Entwicklung  überhaupt  nicht  zu  entbehren  sind 
und  doch  nicht  einmal  in  dem  verbindenden  Texte  (S.  65,  aber 
wenigstens  in  der  Einleitung  S.  XII)  genügend  hervorgehoben 
werden.  Und  so  auch  in  den  späteren  Büchern.  Das  alles  zeigt 
eben,  daß  man  den  Zusammenhang  einer  an  sich  nicht  allzu 
umfangreichen  Schrift  nicht  durch  willkürliche  Streichungen  stören 
soll.  Viel  besser  ist  es,  zweimal  ein  ganzes  Buch  auszulassen  — 
die  Späteren  haben  in  der  Bucheinteilung  eine  im  ganzen  glück- 
liche Hand  gehabt,  und  X.  selbst  hätte  es  schwerlich  sehr  viel 
anders  gemacht  —  den  Inhalt  den  Schülern  zu  erzählen  und 
dafür  das  übrige  in  dem  Zusammenhange  zu  lesen,  wie  der  Schrift- 
steller es  entworfen  und  in  der  Anabasis  auch  am  geschicktesten 
ausgeführt  hat. 

Den  Text  hat  W.  nach  richtigen  Grundsätzen  festgestellt, 
auch  die  formalen  Neuerungen,  welche  in  Geuiolls  Ausgaben 
(s.  u.  Nr.  22  und  23)  durchgeführt  sind,  aufgenommen.  Daß  den 
einzelnen  Abschnitten  deutsche  Überschriften  gegeben  sind,  wie- 
wohl nach  meiner  Meinung  zu  reichlich  (oft  Seite  für  Seite),  wird 
sich  in  Ausgaben  dieser  Art  nicht  ganz  vermeiden  lassen,  spricht 
aber,  weil  es  didaktisch  nicht  unbedenklich  ist,  ebenso  gegen  sie 
wie  die  anderen  Gründe. 

Das  Buch  ist  mit  einer  Einleitung  versehen,  in  der  gehandelt 
wird  über:  1)  Xenophons  Leben,  2)  X.  als  Mensch  und  Schrift- 
steller, 3)  Xenophons  Schriften,  4)  die  Anabasis  im  besonderen. 
Ein  Verzeichnis  der  wichtigeren  geographischen  Eigennamen  macht 
den  Beschluß.  —  Seite  V  hätte  die  Anekdote  von  dem  jungen 
Xenophon,  der  auf  der  Straße  mit  Sokrates  zusammentrifft,  als 
solche  gekennzeichnet  werden  sollen.  Daß  „sehr  gewichtige 
Gründe"  gegen  die  Ansetzung  des  Geburtsjahres  Xenophons  vor 
440  sprechen,  ist  richtig,  brauchte  aber  in  einer  Schulausgabe 
überhaupt  nicht  erwähnt  zu  werden,  wenn  die  Gründe  doch  nicht 
genannt  wurden.  W.  läßt  den  X.  noch  die  meisten  seiner  Schriften 
in  Skillus  verfassen.  Der  kurze  Abschnitt  über  X.  als  Mensch  und 
Schriftsteller  ist  gut,  besonders  was  über  den  ihm  vorgeworfenen 
Mangel  an  Vaterlandsliebe  gesagt  wird.  In  dem  Verzeichnis  der 
Schriften  konnten  viele  der  kleineren  getrost   fehlen;    wenn   aber 


^N 


Xenophon,  von  R.  Ullrich.  101 

*InnaQ%ixoq  Xoyog  und  IJsqI  In/ztxijg  erwähnt  werden,  vermißt 
man  die  Aaxedaipoviwv  nolixtia  ungern.  Von  dem  Abschnitt  4 
über  die  Anabasis  hätte  der  erste  Absatz  und  der  letzte  genügt; 
die  ausfuhrliche  Inhaltsangabe  der  einzelnen  Bücher  dazwischen 
ist  entbehrlich.  Dergleichen  ist  aus  der  Lektüre  selbst  heraus- 
zuarbeiten. 

Die  Ausstattung  ist  gut,  der  Druck  vorzüglich. 

15)  Vokabeln    und    erste    Präparation    zu   Xenophons    Aoabasis 

von    Reimer    Hansen,     a)   3.  Heft,    Bach  3.     Zweite,    verbesserte 
Auflage.    Gotha  1897,  F.  A.  Perthes.    46  S.   8.    0,60  JC.  —  b)  4.  Heft, 
Buch  4.    Zweite,  verbesserte  Auflage.    Ebenda  1897.    57  S.    8.    0,60  JK. 
Vgl.  M.  Hodermann,  N.  phil.  Rdsch.  1899  S.  436 f. 

16)  Präparation    zu  Xenophon,    Anabasis  von  R.  Wagner.    I.  Heft, 

Buch  I.     Leipzig  1898,  B.  6.  Teabner.     34  S.     gr.  8.     0,50  M- 
Vgl.  A.  v.  Bamberg,  JB.  üb.  d.  höh.  Schulw.  1898,  VII,  S.  18  f. 

17)  Wörter-Verzeichnis  zu  Xenophons  Anabasis,  nach  der  Reihen- 

folge der  Paragraphen  zusammen  gestellt  von  £.  Bachof.  a)  Heft  I. 
Buch  1— III.  Vierte  Auflage.  Paderborn  1899,  F.  Schöningh.  80  S. 
gr.  8.  1  JC.  —  b)  Heft  IL  Buch  IV- VII.  Zweite  Auflage.  Ebenda 
1899.     106  S.    gr.  8.     1,20^. 

Anzeigen:  A.  v.  Bamberg,  a.  a.  O.  1899,  VII,  S.  16 f.  —  J.  Golling, 
Ztschr.  f.  d.  öst.  Gymo.  19u0  S.  560  f. 

18)  Wörterschatz  zn   Xenophons  Anabasis   von  Hermann  Sachs. 

Erstes  Heft,  Buch  I.  Dritte,  verbesserte  Auflage.  Berlin  1900, 
Theodor  Fröhlich.     35  S.     gr.  8.     0,50  JH. 

19)  Präparatioo    zu    Xenophons    Anabasis,     a)  Buch  I.    Wortkuode. 

Dritte  Auflage.  Neu  bearbeitet  von  Köhler.  Hannover  1898,  Nord- 
deutsche Verlagsanstalt  (0.  Goedel).  36  S.  gr.  8.  0,60  JC.  — 
b)  Buch  II— IV.  Wortkunde.  Zweite  Auflage.  Ebenda  1899.  40  S. 
gr.  8.  0,65  JC.  —  c)  Buch  V,  von  J.  Simon.  Ebenda  1901.  20  S. 
gr.  8.  0,50  JC.  —  d)  Buch  VI  und  VII,  von  J.  Simon.  Ebenda 
1901.  32  S.  gr.  8.  0,60  JC.  (Krafft  und  Rankes  Präparationen  für  die 
Schullektüre,  Heft  5,  9,  55,  59). 

Anzeigen:  WS.  f.  klass.  Phil.  1898  Sp.  1287.  —  Wismeyer,  Bl.  f. 
d.  GSW.  1899  S.  736 f.  —  F.  Müller,  öerl.  phil.  WS.  1899  Sp.  893.  — 
J.  Golliog,  Ztschr.  f.  d.  Ost.  Gymo.  1900  S.  124  f. 

20)  Wörterverzeichnis    zu    Xenophons    Anabasis.      Buch    I:    Zur 

Einführung  in  die  griechische  Prosalektüre,  zusammengestellt  von 
A.  Sickinger.  Fünfte,  verbesserte  Auflage.  Berlin  1903,  G.  Grote. 
VI  u.  57  S.    gr.  8.     0,60  JC. 

Die  Zahl  der  Präparationen,  Wortkunden,  Wörterverzeichnisse, 
oder  wie  diese  Hilfsmittel  zur  Vorbereitung  der  Schuler  auf 
griechische  und  lateinische  Schriftsteller  sonst  heißen  mögen,  ist, 
wie  obige  Obersicht  zeigt,  immer  noch  im  Wachsen;  zu  den 
„altbewährten**  treten  immer  noch  neue,  nach  „wissenschaftlichen 
und  didaktischen  Grundsätzen"  bearbeitete,  so  daß  es  selbst  dem 
Fachmann  kaum  noch  möglich  ist,  von  allen  Kenntnis  zu  nehmen. 
Es  ist  nach  meiner  Ansicht  auch  nicht  nötig;  denn  sie  sehen 
alle  einander  ungemein  ähnlich.  90  Prozent  davon  gehören 
sicher  zu  den  „unnötigen"  Buchern,    welche  Paulsen  (DLZ.  190$ 


102  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Sp.  2984  f.)  treffend  charakterisiert  hat.  Worin  die  „wissenschaft- 
lichen" Grundsätze  eigentlich  bestehen,  sieht  man  nicht  recht; 
die  didaktischen  freilich,  die  in  der  Tat  von  manchen  Schul- 
männern, auch  älteren,  noch  verfochten  werden,  mögen  zunächst 
bestechend  sein,  hei  denjenigen  aber,  die  ihre  Schuler  dauernd 
fördern  und  zu  wissenschaftlicher  Arbeil  erziehen  wollen,  werden 
sie  ihre  Anziehungskraft  bald  einbüßen.  Ich  wenigstens  halte 
diese  Hilfsmittel,  welche  den  Schüler  von  Tertia  bis  Prima  gängeln 
und  der  Fähigkeit  selbständigen  Arbeitens,  die  ihm  doch  auf  der 
Universität  so  sehr  nötig  ist,  systematisch  entwöhnen,  für  schäd- 
lich; was  die  oben  verzeichneten  Arbeiten  dieser  Art  uberXenophon 
betrifft,  so  vermag  ich  nur  in  der  unter  Nr.  20  genannten  ein  in 
seiner  Beschränkung  vielleicht  nützliches,  wenn  auch  nicht  not- 
wendiges Hilfsmittel  zu  erkennen. 

Übrigens  mehren  sich  glücklicherweise  die  Stimmen,  welche 
die  Beseitigung  dieser  ,. Eselsbrücken "  verlangen,  die  sich  von  den 
altbekannten  und  noch  nicht  ausgestorbenen  ,, Freunden"  der 
älteren  Generation  eigentlich  nur  durch  glänzenderes  Geländer 
auszeichnen.  Man  vergleiche  u.  a.  Lechner  und  Vollbrecht  (Hum. 
Gymn.  1899  S.  151  ff.;  vgl.  Uhlig  ebenda  1902  S.  220);  Wehr- 
mann, Stier  u.  a.  in  Verh.  d.  Direkt.- Vers.,  66  (Pommern  14), 
1903  S.  I29f.,  168 f..  Knapp  und  klar  und  für  jeden,  der  hören 
will,  auch  überzeugend  hat  jüngst  die  ganze  Frage  im  Zusammen- 
hang mit  zwei  anderen  behandelt  L.  Spreer:  „Drei  Schäden  des 
höheren  Schulunterrichts",  in  Zeilschr.  f.  d.  GW.  1903  S.  625  — 
635,  vgl.  bes.  S.  630—632,  ein  Aufsatz,  welcher  jedem  zu 
empfehlen  ist,  der  bei  den  mancherlei  Unklarheiten,  die  über 
Wege  und  Ziele  des  Unterrichts  in  der  altsprachlichen  Lektüre 
bestehen,  sich  der  Führung  eines  einsichtigen  älteren  Praktikers 
gern  anvertrauen  möchte. 

Ich  mußte  an  dieser  Stelle  meine  Meinung  über  diese  Hilfs- 
mittel im  allgemeinen  ein  für  allemal  deutlich  aussprechen  und 
werde  später,  wenn  es  nötig  ist,  einfach  darauf  verweisen. 

Ich  wende  mich  zu  einer  kurzen  Besprechung  der  Arbeiten 
dieser  Art  über  Xenophon,  die  oben  genannt  sind,  im  ganzen  wie 
im  einzelnen.  Wenn  ich  versuche,  mich  einmal  auf  den  Stand- 
punkt der  Verfasser  zu  stellen,  daß  ihre  Präparationen  das  „lästige 
und  unfruchtbare  Wälzen  des  Lexikons"  vermeiden,  die  Sicherheit 
in  der  Kenntnis  des  Wortschatzes  erhöhen,  die  Lektüre  schneller 
fördern,  ja  auch  durch  äußere  Wohlfeilheit  sich  empfehlen  sollen, 
so  scheint  mir  zunächst  das  letztere  nicht  zutreffend. 

Der  Preis  der  einzelnen  Hefte  ist  ja  nicht  hoch,  50  bis  65 
Pfennig;  wenn  man  aber  in  Obertertia  und  Untersekunda  drei 
bis  vier  Bücher  der  Anabasis  mit  solchen  Präparationen  lesen  läßt, 
so  muß  der  Schüler  schon  2  JC  und  mehr  ausgeben.  Den  die 
Xenophonhefte  der  Sammlung  von  Krafft  und  Ranke  benutzenden 
Schülern  wird  sogar  noch  die  Erwerbung  eines  besonderen  syntakti- 


XenophoD,  von  R.  Ullrich.  103 

sehen  Heftes  zu  Buch  I  zugemutet  (0,70  «^),  über  welches  schon 
Schenkl  (Jahresb.  üb.  Alt.  LIV,  1888,  S.  42  f.)  sich  so  treffend 
geäußert  hat,  daß  ich  nur  darauf  zu  verweisen  brauche.  Für 
solchen  Preis  erhält  er  aber  auch  das  vortreffliche  Speziallexikon 
von  Vollbrecht  (vgl.  u.  Nr.  21),  das  ihm  auch  von  der  Seite  der 
mit  Recht  heute  so  betonten  Anschauung  (s.  o.  Mr.  9)  antiken 
Lebens  reiche  Förderung  bietet.  Ich  bin  immer  noch  der  Meinung, 
daß  auch  für  die  erste  zusammenhängende  Schriftstellerlektüre 
ein  Wörterbuch,  das  weise  Beschränkung  übt  und  so  den  Be- 
dürfnissen der  Schule  angepaßt  ist,  das  beste  Hilfsmittel  häuslicher 
Vorbereitung  ist.  Wann  soll  denn  überhaupt  der  Schüler  ein 
Lexikon  ordentlich  gebrauchen  lernen,  wenn  er  bis  zur  Reife- 
prüfung mit  gedruckten  Präparationen  versorgt  wird,  in  denen 
z.  B.  „Maecenas  atavis"  Wort  für  Wort  so  wohl  verzeichnet  steht, 
daß  es  nur  einiger  Übung  bedarf,  die  fertige  Übersetzung  ab- 
zulesen, ohne  daß  das  Nachdenken  irgend  erheblich  in  An- 
spruch genommen  wird  ?  Ob  sofort  Benseler-Kaegi,  Menge  (ein 
Wörterbuch,  das  freilich,  so  gut  es  dem  Inhalte  nach  ist,  mit 
seiner  Diamantschrift  geradezu  augenzerstörend  wirkt)  oder  lieber 
ein  gutes  Speziallexikon  gebraucht  wird,  ist  nicht  von  so  sehr 
wesentlicher  Bedeutung,  wiewohl  letzteres  auch  aus  Gründen  des 
„Gewichtes44  annehmbarer  ist.  Denn  für  wesentlich  freilich  halte 
ich  es,  daß  der  Lehrer  den  Schüler  zum  richtigen  Gebrauche  dos 
Wörterbuches  einige  Zeit  hindurch  anleitet.  Ich  denke  noch  mit 
großer  Freude  an  die  Art  und  Weise  zurück,  wie  uns  als  Quartanern 
die  Präparation  des  Nepos  (wir  lasen  ihn  noch  unredigiert)  und 
später  die  der  Anabasis  mit  Hilfe  von  Haacke  und  Vollbrecht 
gezeigt  wurde;  als  Lehrer  habe  ich  es  später  ähnlich  zu  machen 
gesucht  und  großes  Entgegenkommen  gefunden. 

Natürlich  müssen  auch  die  Präparationshefte  der  Schüler  in 
den  ersten  Wochen  regelmäßig  und  später  gelegentlich  kontrolliert 
werden;  dann  ist  nicht  zu  fürchten,  daß  der  Schüler  so  sehr 
viel  Falsches  aufschreibe  und  lerne  —  was  gewöhnlich  als  wesent- 
licher Beweisgrund  gegen  sie  angeführt  wird.  Dabei  wird  fast 
immer  übersehen,  daß  man  das,  was  man  nicht  bloß  gelesen, 
sondern  auch  geschrieben  hat,  besser  und  sichrer  behält  und  daß 
dieses  schriftliche,  recht  geleitete  Präparieren  doch  auch  eine  recht 
wesentliche  Unterstützung  der  Grammatik  ist,  die  man  wenigstens 
in  Obertertia  noch  nicht  verachten  sollte  (vgl.  im  übrigen  Spreer 
a.  a.  0.  632  o.).  Gewiß  kann  man  zugeben,  daß  diese  Art  des 
Betriebes  zunächst  zeitraubender  ist,  auch  die  Lektüre  in  den 
ersten  Wochen  vielleicht  langsamer  fortschreitet;  das  will  aber 
wenig  sagen,  wenn  man  dagegen  hält,  daß  der  Schüler  so  stetig 
zum  Nachdenken,  zur  Sammlung  angehalten  wird  und  vielleicht 
spätere,  aber  echtere  Früchte  erntet,  während  die  gedruckten 
Präparationen  der  Oberflächlichkeit  und  Zerstreuung  nur  zu  leicht 
Vorschub  leisten,    zumal  wenn  man  daran  denkt,    wie  leicht  und 


(04  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

bequem  sie  in  den  Pausen,  auch  während  der  Stunden,  in  großen 
Städten  in  der  elektrischen  Bahn  auf  der  Fahrt  zur  Schule  u.  s.  w. 
sich  handhaben  lassen.  Vgl.  über  die  ganze  Frage  auch  die  ein- 
sichtigen Bemerkungen  von  W.  Vollbrecht,  WS.  f.  klass.  Phil.  1 898 
Sp.  865  ff. 

Die  Xenophonpräparationen  nun,  Hansens  sowohl  als  die  der 
übrigen  Verfasser,  ließen  sich  leicht  auf  die  Hälfte  ihres  Um- 
fanges  zurückführen.  Wenn  Wörter  wie  noisa),  iv,  Stiog,  ava- 
ßaöig,  yiyvofjbcu,  pccxVf  0't"'>  EXXtiv,  oiQccTevfia,  nozccfiog,  ogog, 
alldi  el  u.  a.  m.  wieder  und  wieder  angeführt  werden,  so  ist  das 
auch  dadurch  nicht  zu  rechtfertigen,  daß  (Hansen,  Präp.  zu  Buch  I 
S.  III)  gesagt  wird,  der  Vokabelschatz  der  Eiementarbücher  weiche 
so  sehr  voneinander  ab,  daß  man  auch  solche  Dinge  aufnehmen 
müsse.  Nun  muß  aber  das  Lesebuch,  daß  in  U.  III  gebraucht 
wird,  seinen  Wortschatz  in  der  Hauptsache  aus  der  Anabasis 
nehmen;  das  sollte  nach  Kaegi  und  Kohl  heute  selbstverständlich 
sein.  Auch  wird  nicht  selten  übersehen,  daß  die  Lehrpläne 
(schon  die  von  1892)  die  Lektüre  auch  in  0.  III  zunächst  noch 
nach  dem  Lesebuche  betrieben  wissen  wollen.  Es  ist  dies  durch- 
aus zu  billigen;  denn  da  die  U.  III  mit  griechischem  Lehrstoffe 
überlastet  ist,  so  kann  man  die  ersten  sechs  Wochen  in  0.  III 
sehr  zweckmäßig  dazu  verwenden,  nicht  bloß  die  in  U.  III  schnell 
gelernten  verba  muta  und  liquida  gründlich  zu  wiederholen, 
sondern  auch  die  verba  auf  pt  und  die  wichtigsten  unregel- 
mäßigen so  weit  zu  fördern,  daß  die  beginnende  Xenophonlektüre 
nicht  durch  zu  viel  Anstöße  gehemmt  wird  und  in  den  gedruckten 
Präparationen,  wer  sie  denn  durchaus  nicht  entbehren  will  (so 
bei  Bachof,  Wagner,  Sachs,  Köhler,  Simon),  die  immer  wieder 
abgedruckten  löxi^i  mit  transitiven  und  intransiliven  Formen, 
fiiyvv[ju  (sollte  heißen  iieiyvvixi,  s.  u.  Nr.  22,  Abschnitt  IV)  u.  a., 
ebenso  wie  die  gebräuchlichsten  Anomala  verschwinden  können; 
desgleichen  zahlreiche  Konstruktionsvermerke,  wiesie  z.  B.  beiWagner 
gegeben  sind,  dessen  Präparation  sich  in  vieler  Hinsicht  der  Form 
des  Kommentars  und  des  Lexikons  nähert  und  auf  sparsam  an- 
gebrachte etymologische  Hinweise  und  stufenmäßige  Bedeutungs- 
entwicklung Wert  gelegt  hat.  Daß  er  die  Eigennamen  ausschließt, 
ist  nicht  zu  billigen;  auch  Bachof,  bei  dem  sie  früher  ganz 
fehlten,  bietet  sie  nur  spärlich. 

Die  äußere  Einrichtung  der  Hefte  ist  nur  bei  Hansen  und 
Bachof  so,  daß  eine  Auswahl  von  Vokabeln  sich  bequem  memorieren 
läßt,  das  Format  aber  wiederum  bei  dem  ersteren  zu  klein,  als 
daß  ein  Mißbrauch  bei  der  Benutzung  ausgeschlossen  wäre.  Bei 
den  vor  1899  erschienenen  Heften  ist  naturgemäß  der  Text  von 
Hug  zugrunde  gelegt;  Simon  hätte  Gemoll  benutzen  müssen,  wie 
es  Wagner  und  Sickinger  mit  Recht  getan  haben. 

So  geleiten  Hansen,  Bachof,  Köhler,  Simon,  Wagner  und 
Sachs  (von  diesen  beiden  sind  inzwischen  noch  weitere  Hefte  er- 


XeoophoD,  von  R.  Ullrich.  105 

schienen,  die  dem  Berichterstatter  nicht  vorgelegen  haben)  den 
Schüler  mit  ihren  Wörterverzeichnissen  getreulich  von  Kapitel  zu 
Kapitel,  von  Buch  zu  Buch,  von  Obertertia  bis  an  die  Schwelle 
von  Obersekunda.  Daß  die  Unterstützung  in  den  späteren  Heften 
allmählich  spärlicher  wird,  ist  von  dem  Standpunkte  ihrer  Ver- 
fasser nur  dann  zu  billigen,  wenn  die  Lektüre  stets  mit  Buch  I 
begonnen  wird.  Das  geschieht  aber  nicht  immer.  Auch  Buch  [V 
macht  nicht  selten  den  Anfang,  und  da  bietet  Köhler  z.  B.,  wie 
mir  scheinen  will,  nicht  ausreichendes  Material. 

Nur  Sickinger,  zu  welchem  ich  mich  nun  zuletzt  wende,  hat 
den  wenigstens  annehmbaren  Grundsatz  ausgesprochen  und  durch- 
geführt, daß  nur  für  die  Anfangsleklüre  eine  gedruckte  Prä- 
paration zu  empfehlen  sei.  So  ist  seine  Bearbeitung  von  Buch  I 
entstanden  (ebenso  die  von  Buch  IV,  welche  ich  nicht  gesehen 
habe).  Sie  ist  reichhaltiger  und  vornehmer  ausgestattet  als  die 
übrigen,  hat  es  in  wenigen  Jahren  bis  zu  der  eben  er- 
schienenen fünften  Auflage  und  besonders  in  Baden  zu  einer  Art 
kanonischer  Geltung  gebracht  (vgl.  Wendt  in  Baumeisters  Hdb. 
d.  Erz.  u.  Unterr.  I  2  S.  177).  Demjenigen,  der  gedruckte  Prä- 
parationen liebt,  kann  die  vorliegende  als  die  beste  empfohlen 
werden.  S.  hat  den  Text  von  Gemoll  zugrunde  gelegt,  zeigt  die 
Vokabeln  möglichst  in  lebendiger  Verbindung,  knüpft  an  Bekanntes 
an,  sucht  überall  Zusammenhänge  herzustellen  und  will  so  den 
Schüler  energisch  und  allseitig  fördern.  Eine  Anzahl  der  wichtig- 
sten syntaktischen  Regeln  (mit  Recht  sparsam  bemessen,  zwölf 
bis  zum  Anfang  von  Kap.  3)  werden  herausgearbeitet  und  durch 
die  Druckeinrichtung  noch  besonders  hervorgehoben.  Mir  will 
freilich  der  vom  Verf.  gebotene  Stoff  viel  zu  reichlich  erscheinen, 
und  H.  Fritzsche,  der  sich  1888  eine  ähnliche  Aufgabe  gestellt 
hatte,  scheint  mir  in  seiner  Beschränkung  mehr  zu  geben.  Leider 
hat  seine  Bearbeitung  von  Buch  I  (Mülheim  a.  d.  Ruhr,  H.  Bädeker) 
nicht  die  Verbreitung  gefunden,  die  sie  verdiente.  Sickinger 
meint  nun  (S.  V),  nach  Durcharbeitung  seines  Heftes  werde  der 
Schüler  „in  höherem  Grade  als  durch  manches  andere  Mittel  die 
Fähigkeit  erworben  haben,  nunmehr  selbständig  an  die  Lektüre 
des  zweiten  oder  eines  anderen  Buches  der  Anabasis  heranzutreten, 
vorausgesetzt  natürlich,  daß  er  bei  besonderen  Schwierigkeiten 
die  nötigen  Winke  und  Erläuterungen  im  voraus  erhall".  Von 
einem  Lexikon  scheint  der  Verf.  (seine  Bemerkung  darüber  S.  III 
wird  hinfallig,  wenn  in  der  oben  S.  103  angedeuteten  Weise  ver- 
fahren wird)  auch  dann  freilich  noch  nichts  wissen  zu  wollen. 
Aber  wird  man  es  im  Ernst  entbehren  können?  Der  Lehrer  kann 
doch  eben  nur  einige  Winke  im  voraus  geben,  über  Zusammen- 
hang, Konstruktion,  Anspielungen  und  ähnliche  Dinge;  für  alle 
Einzelheiten  wird  er  den  Schüler  auf  das  Lexikon  verweisen 
müssen.  Und  ist  das  Lesebuch  in  U.  III  und  0.  III  zweckmäßig 
eingerichtet,    hat    der    grammatische  Unterricht  in  U.  III  auch  in 


106  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

bezug  auf  die  einfachsten  syntaktischen  Dinge,  besonders  soweit 
sie  an  das  Lateinische  sich  anknöpfen  lassen,  seine  Schuldigkeit 
getan,  so  wird  der  Schüler,  nachdem  er  in  0.  III  noch  einige 
Wochen  hei  dem  Lesebuche  verweilt  hat,  so  wohlausgerüstet  an 
die  Lektüre  der  Anabasis  herantreten,  daß  er  bei  gleichzeitiger 
Gewöhnung  an  den  rechten  Gebrauch  eines  Lexikons  durch  den 
Lehrer  erheblich  früher  auch  selbständig  präparieren  kann  (S.  will 
das  nur  gelegentlich  als  Ausnahme  gelten  lassen,  S.  IV),  als  bis 
er  ein  ganzes  Buch  mit  Hilfe  einer  gedruckten  Präparation  durch- 
gearbeitet hat. 

In  Sachsen  hat  1899  die  Direktorenkonferenz  (Spreer  a.  a.  0. 
S.  632)  den  Satz  angenommen:  „Gedruckte  Präparationen  sind  von 
0.  III  an  verderblich.  Es  sind  alle  Mittel  anzuwenden,  ihre  Benutzung 
zu  verhindern".  Ich  meine,  diese  Mittel  werden,  abgesehen  von 
dem  Verbot  ihres  Gebrauches,  am  wirksamsten  darin  bestehen, 
daß  die  Lehrer  selbst  sich  den  ,,ehrenvollen  Aufforderungen"  zur 
Abfassung  solcher  Zusammenstellungen  von  Seiten  der  Verlags- 
handlungen, die  damit  augenscheinlich  ein  ebenso  gutes  Geschäft 
machen  wie  die  Schüler  es  zu  machen  glauben,  sich  widerstands- 
fähiger zeigen,  damit  der  Eindruck,  „das  erregende  Moment  liege 
nicht  in  der  Schule,  sondern  anderswo"  (Spreer  S.  635),  nicht 
aufs  neue  entstehe. 

21)  Wörterbuch  zu  Xeoophons  Anabasis.  Für  den  Schalgebrauch 
bearbeitet  von  Ferdinand  Vollbrecht.  Neunte,  verbesserte  Auf- 
lage, besorgt  von  Wilhelm  Voll  brecht.  Mit  68  Abbildungen  im 
Texte,  2  Tafeln  und  einer  Übersichtskarte.  Leipzig  1899,  B.  G.  Teuboer. 
IV  u.  252  S.     gr.  8.     geb.  2,20  JC. 

Anzeigen:  J.  Sitzler,  WS.  f.  klass.  Phil.  1899  Sp.  1142.  — 
J.  Golling,  Ztschr.  f.  d.  öst.  Gymn.  1900  S  123  f.  —  Gymnasium  1901 
Sp.  245  f. 

Das  seit  mehr  als  30  Jahren  ruhmlichst  bekannte  Wörter- 
buch (die  erste  Auflage  erschien  1866)  bedarf  keiner  besonderen 
Empfehlung  mehr.  Während  die  letzten  Auflagen  von  den  beiden 
Vollbrecht,  Vater  und  Sohn,  gemeinsam  herausgegeben  waren» 
hat  diese  neunte  nach  dem  Tode  des  Vaters  der  Sohn  allein 
bearbeitet. 

Äußerlich  zeigt  sich  das  Buch  jetzt  bedeutend  stattlicher. 
Der  Druck  ist  zwar  etwas  kleiner,  aber  schärfer  als  in  der  achten 
Auflage;  dafür  sind  die  Zwischenräume  zwischen  den  Zeilen  größer 
geworden,  so  daß  das  Auge  trotzdem  weniger  angestrengt  wird. 
Das  Format  ist  in  Höhe  wie  Breite  etwas  gewachsen;  das  Ganze 
ist  dadurch  um  12  Seiten  kürzer  geworden. 

Der  Inhalt  ist  im  wesentlichen  der  gleiche  geblieben;  Er- 
weiterungen an  dieser  oder  jener  Stelle,  soweit  neue  Forschungen 
dazu  nötigten,  sind  durch  knappere  Fassungen  an  anderen  Orten 
wieder  ausgeglichen  worden.  Die  Textausgabe  Gemolls  (1896r 
vgl.  u.  Nr.  23),  die  sich  von  der  Hugschen  bekanntlich  recht  er- 


Xeoophoo,  von  R.  Ullrich.  107 

heblich  unterscheidet,  ist  gebührend  berücksichtigt.  Der  Verf. 
würde  übrigens  vielen  einen  Dienst  erweisen,  wenn  er  in  künftigen 
Auflagen  die  bedeutsameren  Änderungen  kurz  verzeichnen  wollte 
(vgl.  oben  S.  97). 

Besondere  Aufmerksamkeit  ist  diesmal  den  Abbildungen  zu- 
gewendet worden,  die  von  jeher  einen  besonderen  Vorzug  des 
Buches  gebildet  haben,  schon  zu  einer  Zeit,  als  man  in  Schul- 
büchern auf  Anschauungsmittel  noch  wenig  Wert  legte.  Der 
Berichterstalter  gedenkt  noch  heute  dankbar  des  Nutzens,  den 
ihm  s.  Z  als  Obertertianer  die  Vollbrecbtschen  Illustrationen  ge- 
währt haben.  Eine  Anzahl  kleinerer  Abbildungen  der  früheren 
Auflagen  (vgl.  z.  B.  £c6prj,  &vw,  lötiov,  rtcoxoQog,  oivoxoog, 
nvypfj  u.  a.)  sind  weggefallen  oder  durch  größere  und  schönere 
ersetzt  worden  (äfjMfogsvg,  ^Apa^oveq,  daQeixoc,  dtyQoq,  &qovoq, 
xUv?],  xrJQvi,  xqioc,  ndXfj,  nrjdaXiov,  nvQQixy*  (5%sdia,  %Xapvq 
u.  a.),  ganz  neu  hinzugekommen  sind  u.  a.  einige  charakteristische 
Darstellungen  auf  Münzen  u.  ä.  (vgl.  z.  B.  öaTQdTtfjg,  tmxqo);  be- 
sonders hervorheben  möchte  ich  die  Vollbilder  (auf  S.  95  und  182) 
der  sog.  Diana  von  Versailles  (Art.  sv&vog)  und  der  Alexander- 
schlacht (Art.  IliqtSfig).  An  die  Stelle  der  früheren  drei  litho- 
graphierten Tafeln,  die  mit  der  Menge  des  Dargestellten  leicht 
verwirrten,  sind  die  zwei  Tafeln  der  neunten  Auflage  von  Voll- 
brechts erklärender  Anabasisausgabe  getreten,  die  wenige,  aber 
charakteristische  Bilder  (darunter  auch  z.  B.  den  Apoxyomenos) 
in  solider  Technik  bieten. 

Notwendig  ist  es  aber,  daß  man  bei  den  einzelnen  Figuren 
der  Tafeln  einen  kurzen  Hinweis  auf  den  betr.  Artikel  des  Wörter- 
buchs findet,  nicht  bloß  umgekehrt,  ev.  auf  einem  besonderen 
Blatte,  damit  die  Tafeln  nicht  bei  jeder  Auflage  neu  zu  drucken 
sind.  Ein  strebsamer  Schuler  betrachtet  auch  wohl  einmal  die 
Tafeln  für  sich  und  wird,  wo  die  Beziehung  nicht  ganz  deutlich 
ist,  nach  Aufklärung  verlangen.  Vielleicht  gibt  auch  der  Verf.  in 
der  nächsten  Auflage  ein  Verzeichnis  aller  Abbildungen  mit  Be- 
zeichnung der  Herkunft  und,  wo  nötig,  mit  kurzer  Beschreibung. 
Ich  glaube,  daß  damit  nicht  nur  dem  Schüler,  sondern  vielleicht 
auch  manchem  Lehrer  ein  Dienst  erwiesen  würde. 

Die  neue  Auflage,  die  in  einen  schönen,  für  Schüler  viel- 
leicht zu  zarten,  grauen  Ganzleinenband  gekleidet  ist,  vorn  ge- 
schmückt mit  einem  Ausschnitt  aus  der  „Alexanderschlacht",  legt 
rühmliches  Zeugnis  davon  ab,  wie  Verfasser  und  Verleger  bestrebt 
sind,  ein  seit  langem  bewährtes  Buch  nach  Inhalt  und  Ausstattung 
stets  auf  der  Höhe  zu  erhalten,  und  wird  gewiß  auch  der  jungen 
Generation  von  heute  bei  rechter  Anleitung  (s.  o.  S.  103)  gute 
Dienste  leisten. 


108  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

22)  Xeoophootis  Cxpeditio  Gyri.  Reeensuit  Gailelmus  Geraoll. 
Editio  maior.  Lipsiae  1899,  io  aedibus  B.  G.  Teuboeri.  VIII  a.  305  S. 
kl.  8.     1,20  Jt,   geb.  1,60  JC- 

Anzeigen:  F.  Reuß,  WS.  f.  klass.  Phil.  1899  Sp.  1217—1226.  — 
H.  G.,  Rev.  des  et.  gr.  1899  S.  435 f.  —  E.  Richter,  DLZ.  1899  Sp.  1789— 
1791.  _  R.  Hilde,  Nord.  Tidskr.  f.  Fil.  1900  S.  185-188.  —  D.  Bassi, 
Riv.  di  fil.  1900  S.  129f.  —  A.  Martin,  Rev.  crit.  1900  S.  62f.  — 
B ,  Lit.  Zentralbl.  1900  Sp.  274 f.  —  F.  Golliug?,  Ztechr.  f.  d.  Sst. 
Gymn.  1900  S.  122f.  —  W.  Witsche,  Berl.  phil.  WS.  1900  Sp.  897— 
903.  —  G.  Valletot,  Rev.  de  phil.  1901  S.  72  f. 

Gemolls  Ausgabe  ist  die  bedeutendste  Leistung  auf  denn  Ge- 
biete der  Anabasisliteratur  der  letzten  Jahre;  sie  wird  für  lange 
Zeit  die  Grundlage  der  Forschung  bilden  müssen.  Denn  sie  faßt 
nicht  nur  alles  zusammen,  was  von  anderer  Seite  seit  Hugs  Aus- 
gäbe  (1878)  für  die  Anabasis  geleistet  worden  ist,  sondern  stellt 
sich  auch  als  die  reife  Frucht  langjähriger  eigener  Arbeit  des 
Herausgebers  auf  diesem  Gebiete  dar.  Und  wer  immer  ihre  Be- 
deutung ganz  würdigen  will,  muß  vor  allem  Gemolls  Arbeiten 
zu  Rate  ziehen,  deren  Ergebnisse  hier  verwertet  sind.  Da  auch 
im  folgenden  mehrfach  auf  sie  Bezug  genommen  ist,  stelle  ich 
sie  hier  zusammen.  Es  sind:  1)  Beiträge  zur  Kritik  und  Er- 
klärung von  Xenophons  Anabasis  (Progr.  Kreuzburg  1888).  2)  Dsgl. 
Teil  II  (Progr.  Kreuzburg  1889).  3)  Dsgl.  Teil  III  (In  „Kritische 
Blätter14,  Festschr.  z.25jähr.  Jubil.  d.Gymn.  in  Jauer;  Slriegau  1890). 
4)  Xenophons  Anabasis,  Textausgabe  f.  d.  Schulgebrauch,  Leipzig 
1896  (vgl.  Nr.  23).  5)  Bemerkungen  zu  Xenophons  Anabasis 
(23.  Supplementband  d.  Jahrb.  f.  klass  Phil.  1897  S.  539—578). 
Die  letzte  Abhandlung  enthält  das  Wichtigste,  was  nach  Ansicht 
Gemolls  für  die  Feststellung  des  Textes  in  Betracht  kommt,  in 
tibersichtlicher  Zusammenstellung.  Ursprunglich  zur  Erläuterung 
der  Textausgabe  bestimmt,  leistet  sie  auch  für  die  Würdigung 
der  editio  maior,  welche  nur  wenig  abweicht  (doch  vgl.  praef. 
p.  VII)  die  wesentlichsten  Dienste.  Hier  hat  G.  auch  viele  der  in 
die  Ausgabe  übergegangenen  Änderungen  kurz  begründet;  es  sei 
daher  auf  diese  Abhandlung  ein  für  allemal  verwiesen. 

Der  Wert  der  Ausgabe  beruht  besonders  auf  vier  Vorzügen: 
I.  Die  beste  Handschrift  C  (Parisinus  1640)  ist  neu  verglichen 
worden;  das  Ergebnis  war,  daß  eine  Reihe  falscher  Lesarten  der 
früheren  Herausgeber  berichtigt  werden  konnte.  II.  Im  Gegen- 
satz zu  L.  Dindorf  und  A.  Hug  ist  Cpr.  (erste  Hand  des  Cod.  C) 
entschiedener  zugrunde  gelegt  worden;  die  übrigen  Handschriften 
(„nulla  ratione  familiae,  sed  opis  habita,  quae  inde  ad  textum 
scriptoris  constituendum  redundaret"  praef.  p.  V)  sind  nur  im 
Notfalle  herangezogen.  So  konnten  an  vielen  Stellen  die  guten 
Lesarten  von  Cpr.  wieder  eingesetzt,  Streichungen  oder  Konjekturen 
der  Herausgeber  beseitigt,  andrerseits  Zusätze  der  anderen  Hss. 
gestrichen  werden.  Zugleich  hat  G.  auf  Grund  von  Cpr.  auch  will- 
kürliche Änderungen    des  Sprachgebrauchs,    den    man    seit  Cobet 


^ 


Xcnophon,  von  R.  Ulirieh.  109 

(„sedulo  dedi  operam,  ut  Xenophon  ccTTixMftl  loqueretur")  mög- 
lichst attisch  hatte  gestalten  wollen,  wieder  beseitigt  III.  Da 
selbst  die  beste  Handschrift  Cpr.  manche  Mängel  aufweist,  hat  G. 
fremde  und  eigene  Konjekturen  aufgenommen.  Die  Auswahl 
konnte  nach  meiner  Meinung  hier  noch  strenger  sein.  IV.  Für 
Orthographie  und  Grammatik  sind  die  Ergebnisse  der  attischen 
Inschriftenforschung  (vgl.  auch  schon  den  Schultext  vom  Jahre 
1896)  in  sehr  glucklicher  Weise  verwertet. 

I.  Durch  Vermittlung  des  Unterrichtsministeriums  hat  G.  die 
Handschrift  C  an  seinem  Wohnorte  im  Sommer  1898  aufs 
neue  vergleichen  können.  Diese  Vergleichung  war  insofern 
lehrreich,  als  sie  deulich  zeigte,  daß  selbst  bei  einer  so  viel  gelesenen 
Schrift,  von  deren  hs.  Nachprüfung  man  kaum  noch  erhebliche 
Ergebnisse  erwartete,  Männer  wie  Dübner  (der  für  L.  Dindorf  s.  Z. 
eine  Vergleichung  besorgt  hatte)  und  Hug  dem  „errare  humanuni 
est"  in  vielen  Fällen  nicht  entgangen  sind.  Freilich  bereitet  die 
Lesung  von  C  große  Schwierigkeiten.  Doch  hat  G.  nach  Cpr. 
u.  a.  folgende  Lesungen  sichrer  festgestellt  bzw.  sichrer  ergänzt: 
1^  3,  17  op  doiti  (Hug  o)  doifi)\  I  8,  21  ijfd?  wg  ßatoXevg  (H. 
fjdfj  om.  cet.);  II  5,  7  vno%a  (H.  vno%tiQia  nach  Dindorfs  Kon- 
jektur; vgl.  G.  z.  St.);  III  1,  9  (Druckt  19  bei  G.  p.  VI)  anontyty** 
(Döhner  dnontfilpsiv);  III  1,  30  apa&iPTag  (D.  apa&ia&cu); 
IV  5,  4  Aiy£a»  (H.  wegen  unrichtiger  Lesung  D.s  coni.  äpsipcu); 
VII  3,  22  rovg  iavtw  nagaxsifiipovg  aqxovg  (D.  rovg  naga- 
xtipivovg  avrw  Sqrovg).  Hierzu  hätte  auch  IV  3, 1  (avinvevoav) 
gefügt  werden  können,  was  G.  als  Konjektur  H.s  gelten  lassen 
will  (Cpr.  apen . .  aap).  Dagegen  hätte  er  II  5,  28  (Xa&Qq)y 
wo/u  weder  die  hs.  La.  noch  der  Sinn  Anlaß  bietet  (övyysyepij- 
pevov  (C)  allein  gibt  den  Zusammenhang  völlig  ausreichend),  nicht 
so  bereitwillig  mit  H.  aufnehmen  sollen,  ebensowenig  IV  6,  19 
id-eiovisg  äya&ol  statt  des  hs.  e&sXovaiot,  (so  mit  Recht  Schenkl), 
ein  Wort,  das  auch  sonst  gerade  bei  X.  hinreichend  belegt  ist, 
und  IV  7,  12  äviTjyü)vi£ovTO  statt  ditjycovi&VTO  (so  zwar  nur 
C,  —  über  die  Sigla  vgl.  praef.  VIII  — ,  doch  dem  aXXyXovg 
gemäßer).  Die  Bemerkungen  zu  II  4,  3  und  II  6,  10:  „H.  fortasse 
rede  (Svpxay^a  et  (fvPtdyfjHXTOQ  pro  GxQaxtvpa  et  atqaxsvi»,axogu 
entbehren  genügend  sichrer  Grundlage;  G.  hat  daher  (anders  als 
1896  in  der  Textausgabe)  auch  die  Formen  von  aiQccxevpa  im 
Texte  belassen.  Vgl.  auch  I  8,  1  %qi\<s%bg  (Hug  las  in  Cpr.,  praef. 
p.  XV,  tQiatog  und  vermutete  ägtaxog),  was  G.,  der  1896  ägiöxog 
aufgenommen  halte,  jetzt  nach  Cpr.  wieder  anerkennt. 

II.  Mit  Recht  sind  wieder  eingesetzt  die  besten  hs.  Laa. 
von  Cpr.  II  5,  13  yiyvwöxcj  (H.  pvp  —  C,  i.  marg.  —  oldd)\ 
II  6,  2  ntlaag  (so  auch  Dind.  u.  Seh.,  H.  äpantlaag)',  III  1,  21 
vnoipia  (H.  aaäifsux,  vgl.  G.  z.  St.);  III  2,  13  (iccqtvqiop  (H. 
pptjpeTop);  IV  5,4  Irfeai  (H.  avtlvcu\  s.  oben);  IV  8,6  öu 
ifielg ....  €QX£<f&€  (H.  add.  xal  ante  vp.  et  pro  Sq%ea^6  con'- 


110  Jahresberichte  d.  Philolog.  Ve  reins. 

XcoQstie;  1896  und  1897  in  dem  „Schultext"  bzw.  iu  den  „Be- 
merkungen" las  und  empfahl  G.  noch  6n  xai  vfxttg,  sig  %r\v 
fj(A€i€Qccv  [%wQ(*v\  %&qsXi;s)\  VII  3,7  Niwv  Ö€  xai . . . .  (H.  ngo- 
'ioviiäv).  Die  Ruckkehr  zur  wirklichen  oder  sehr  wahrscheinlichen 
La.  von  Cpr.  wird  zu  den  einzelnen  Stellen  knapp  und  gut  ge- 
rechtfertigt. 

1)  Den  Grundsatz,  daß  die  Anabasiskritik  sich  von  Cpr.  nur 
im  äußersten  Notfalle  zu  entfernen  habe,  bringt  G.  an  einer  Reihe 
von  Stellen  zur  Anschauung  (etwa  40  an  der  Zahl),  wo  frühere 
Herausgeber  Streichungen  vorgenommen  haben,  bei 
denen  ein  Notfall  nicht  vorliegt  (besonders  Cobet  und  Rehdantz 
und  oft  nach  ihnen  Hug,  trotz  der  treffenden  Bemerkungen 
Scheukls  über  Xenophons  Stil,  Ztschr.  f.  d.  öst.  Gymn.  1860  S.  866, 
die  davon  hätten  abhalten  sollen);  vgl.  hierzu  „Beiträge"  I  S.  4 ff., 
„Bemerkungen"  S.  565  ff.  Hier  einige  besonders  charakteristische 
Beispiele.  Gemoll  behält  mit  Recht  bei  (vgl.  auch  schon  die  Text- 
ausgabe) 1  2,  6  oixoviiivtjv  xai  (H.  oixovfJbSpfjv);  1  4,  17  fin. 
vno  rov  novapov  (Cub.  u.  H.  []);  1  8,  21  (s.  o.  S.  109);  II  3,  19 
svS-a  ßaüiXsvg  oufixeco  bis  niGtotaxot  —  3  Zeilen  —  (Hug 
setzt  die  ganze  Stelle  in  Klammern,  vgl.  seine  ed.  mai.  p.  XX  sq.); 
HI  4,  10  xeiiievov  (gegen  Col».  u.  H.,  vgl.  o.  S.  97);  IV  3,  16 
navva  (gegen  Dind.  u.  H.);  V  6,  20  cog  oixade  dnsl&ovvag; 
VI  1,  8  xai  %6  &vyog,  3,  24  (in  „Bemerkungen"  u.  s.  w.  S.  565 
fehlt  3)  %i\v  inl  Kalntjg  odov,  6,29  avdqag\  VII  1,  17  nagd 
lijv  XflMj*/  T*>  v*?%og  u.  ö.  Die  gesperrten  Worte  bezeichnen 
die  Streichungen  Hugs,  die  er  teils  selbständig,  -teils  nach  dem 
Vorgang  Gobets  vorgenommen  hat.  An  allen  diesen  Stellen  waren 
die  Kritiker  immer  durch  das  Bestreben  geleitet  worden,  dem  Stil 
des  Schriftstellers  die  nach  ihrer  Meinung  notwendige  Knappheit 
zu  geben,  jede  behagliche  Breite,  und  bestände  sie  auch  nur  in 
Wiederholung  desselben  Wortes  kurz  hintereinander,  zu  beseitigen. 
Sie  standen  alle  unter  dem  alten  Vorurteil,  X.  müsse  in  jedem 
Falle  „musterhaft"  sein,  wobei  denn  auch  viel  zu  wenig  der 
Memoirencharakter  des  Werkes  berücksichtigt  wurde,  dem  manches 
naturgemäß  ist,  was  zu  einem  gedrungenen  Stil  nicht  passen  will. 
Hierzu  kam,  daß  die  beste  hs.  Überlieferung  damals  noch  nicht 
gehörig  gewürdigt  wurde.  So  wissen  wir  G.  Dank,  daß  er  nicht 
bloß  ihr,  sondern  damit  auch  gewissen  Stileigeulümlichkeiten  des 
Schriftstellers  wieder  zu  ihrem  Rechte  verholten  hat. 

2)  Ebenso  ist  zu  billigen,  daß  er  Cpr.  da  wieder  zur  Geltung 
gebracht  hat,  wo  diese  Handschrift  einen  kürzeren,  aber 
wohl  verständlichen  Text  bietet  gegenüber  längeren 
Fassungen  der  Hand  des  Korrektors  bzw.  der  anderen 
Hss.,  welche  als  willkürliche  Zusätze  abzuweisen  sind  (wiederum 
gegen  40  Stellen;  vgl.  „Bemerkungen"  u.  s.  w.  S.  565 f.)  Ich 
setze  einige  dieser  Fälle  hierher:  1  7,  2  jjxop[zeo\  avcopokot, 
ticcqcc  [leyäkov  ßaGiM  cog  [änijyyelXop  Kvqm  nsQl  zqg  ßaöiXicog] 


^ 


Xenophon,  vodR.  Ullrich.  Hl 

Gzqaxiaq,  vgl.  z.  St.;  II  5,7  ndvtiav  [navca%^\  iaov;  HI  3,9 
%ovg  ne&vg  [ix  noXXov]  tpsvyovzag;  IV  8,  7  &eoi)g  6'  ins- 
fitxQTVQavto  [äiMpozegoi]',  V  2,  15  dotite  ^Ayadiag  2zv(Jb<pdX*og 
[xai  OhXo^evog  fleXXqvsvg]  xaza&ipevog  zd  onXa  iv  %iT&vt, 
fiovov  dvißri\pav\  xai  [äXXog]  äXXov  bIXxs  (vgl.  Schenkl  z.  St.); 
VI  2,  16  nXeiovq  %  zhzqaxiGx^Xioi  [xai  nsviaxoGtoi],  onXXzat 
n  dv  reg  (so  seh  od  Schenkl);  VII  8,  26  naqatidyyai,  x*Aio»  sxazov 
nerzijxovza  [nivze],  Gxddia  tqiG[avqicc  xtzqaxiQxiXia  diaxoGta 
(H.  €%axo<na  nach  Hutchinson)  nsvz^xovxa  nivze  {nevzs  del. 
edd.)*  Die  Lesarten  der  anderen  Hss.,  die  G.  beseitigt  hat,  sind 
hier  in  eckige  Klammern  gesetzt.  Die  letzte  Stelle  ist  besonders 
lehrreich,  weil  „wir  hier  selbst  die  falschen  Zahlen,  die  der  Autor 
zu  verantworten  hat,  nicht  ändern  dürfen". 

3)  Eine  dritte  Gruppe  von  Abweichungen  von  den  Laa.  der  Hs. 
Cpr.  waren  durch  den  oben  erwähnten  Cobetschen  Grundsatz 
veranlaßt  (dem  Hartman  in  den  Analecta  Xenophontea,  Lugd.  Bat. 
1887,  folgte,  ebenso  andere  Holländer),  Xenophon  dzzixiazl 
reden  zu  lassen,  wobei  man  teils  willkürlich  änderte,  teils  den 
det  folgte.  Ich  setze  ihre  Lesungen  im  folgenden  in  Klammern. 
G.  hat  mit  Recht  („Bemerkungen''  u.  s.  w.  S.  566  f.)  eine  große 
Anzahl  Formen  von  Substantiven,  Adjektiven,  Adverbien,  Pro- 
nomina, Präpositionen,  Konjunktionen  und  Verben  nach  Cpr. 
wiederhergestellt  (im  ganzen  etwa  50),  z.  B.:  1  3,  7  den  Dativ 
iazqazonsdevGavzo  naqä  KXedgxw  (so  noch  Dindorf;  Seh.  u.  H. 
KlsctQxov  nach  Kappeyne);  III  1,  26  ol  dt  doxijyoi  (D.  u.  H. 
Xo%ayoi  mit  den  det.,   Cob.  streicht  das  Subst.,    ihm   folgt  Seh.); 

I  2,  21  dfiijxccvov  tiaeX&etv  (d(A^xccV0^)''i  V  6»  2  zd  xdXXtGia 
ZvpßovXsvsiv  (zd  ßiXziGza)\  dagegen  hat  G.  die  Adverbialformen 
xai  aXXoog  (I  9,  14)  und  Ixav&g  (II  6,  19),  welche  er  in  den 
„Bemerkungen"  S.  567  nach  Cpr.  gesetzt  wissen  wollte,  in  die 
vorliegende  Ausgabe  nicht  aufgenommen  (er  liest  aXXoig  und 
\xavog)\  in  dem  Schultext  von  1896  hat  er  nur  an  der  zweiten 
Stelle  das  Adverb;  man  vermißt  eine  Notiz  darüber  im  Apparat. 
Und  unter  derselben  Rubrik  (a.  a.  0.  S.  567)  setzt  er  (übrigens 
mit  Recht)  VII  7,43  Xoyovg  ndvxag  xatavoqaov  wieder  ein 
(ndvuag)\  III  2,20  vpZv  (^iZV);  H'  5,5  fjdq  vybsziqap  (ype- 
TSQav)\  II  1,  7  äfjMpl  nXijd-ovGav  dyooäv  (tz€qI)\  VII  6,  37  ozi 
noXXij  v[Att>  evnoola  (paivexat  (pze)  ;  VII  7,  31  (die  Bezeichnung 
der  Stelle  fehlt  in  den  „Bemerkungen")  dXXä  firjv  ovds  nXrj&€i 
ys  fjfxoop  Xeiq&ivteg  (pvdh)\  1  4,  7  e^eivev  ruxiqag  imd 
(stiewav);  II  5,  37  gvv  aXXoig  iniGizi&fjbfroig  (ent(Sii^6fi€Pog); 

II  6,  6  siQtjvrjp  ayeiv  (exsip);  III  2, 35  &aviid£oi[jL€V  (&avfjLd£oi[ii)\ 
V  7,  5  ovzcog  aviotg  xQqad-ai  (XQVa^€)' 

Auch  die  Wortstellung   wird  mehrmals  nach  Cpr.  wieder- 
hergestellt:   I  2,  1;    II  4,27;    VI  4,6;    VII  7,31    (idr    phv   ol 

ÖZQaZMäiai). 

4)  Im  Verhältnis  zu  den  vielen  Stellen,  an  denen  so  die  La. 


112  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

von  Cpr.  wieder  zu  Ehren  gebracht  werden  konnte,  ist  die  Zahl 
derjenigen,  die  a)  an  der  Hand  von  C,  (des  Korrektors  von 
Cpr.;  Hug  hatte  mehrere  correctores  angenommen,  G.  glaubt  auf 
Grund  seiner  Vergleichung  versichern  zu  können  —  praef.  p.  VIII  — , 
daß  es  nur  einer  gewesen  ist,  b)  aus  den  cod.  det,  c)  durch 
Vermittlung  der  indirekten  Überlieferung,  d)  „durch 
Nachhelfen  mit  leiser  Hand"  („Bemerkungen"  S.  568)  von 
G.  hergestellt  sind,  verhältnismäßig  klein  (etwa  30). 
Ich  hebe  folgende  hervor: 

a)  Aus  C,:  I  9,23  xal  o<fa  tw  Goiftat*  avvov  xocrpov 
nipnoi  t*£  rj  cog  elg  noXspov  tj  wg  elg  xaXXconKtfiöv;  xoapov, 
das  in  Cpr.  fehlt,  beseitigt  die  Härte  des  Ausdrucks,  wofern  es 
im  allgemeinen  Sinne  gefaßt  wird,  was  viele  Herausgeber  nicht 
beachteten  und  es  darum  (außer  Schenkl)  mit  Rucksicht  auf 
xaXXconuffidv  ausschieden  (vgl.  Gemoll,  Beitr.  I  S.  18 f.);  II  3,  13 
vnomevwv  (jbij  cclsl  ovtco  nXqgstg  elvai  tag  rd(pQovg  (H. 
av%6  io). 

b)  I  3, 17  prj  rjfiäg  avratg  tqujqsG*  xazadvGfi  (v8^  z-  St.); 
II  3,  7  anfrdowxo  („Bern."  S.  568  und  Schultext)  ist  wieder 
durch  an&vdono  ersetzt;  II  4,  12  siaco,  dessen  Klammern  wohl 
beseitigt  werden  können. 

c)  VII  3,  21  ovxoir  6'  (oöov  slxoaw)  rjcav  xqscov  psavol 
nach  Athenaeus. 

d)  I  1,67  vgl.  „Bemerkungen"  S.  568.  Das  dort  ebenfalls 
(s.  „Beiträge"  1,  S.  1  Anm.  u.  5)  vorgeschlagene  und  in  den  „Schul- 
text" aufgenommene  (rovg)  ist  entbehrlich;  in  der  edit.  mai. 
erwähnt  G.  es  nur  im  Apparat. 

I  3,  8  hätte  av  {besser  av&ig  Kappeyne)  wie  im  „Schul- 
text" im  Texte  belassen  werden  sollen,  da  der  Satz,  wie  G.  a.  a.  0. 
S.  568  ganz  richtig  sagt,  sonst  „inhaltsleer"  wird;  I  4,  2  wird 
durch  Änderung  der  Interpunktion  ein  befriedigender  Sinn  her- 
gestellt und  Cobets  von  Hug  angenommene  Atbetese  wieder  be- 
seitigt; I  4,  11  ist  mit  Cpr.  spswsv  zu  lesen  (so  G.  jetzt  wieder 
richtig;  in  „Bemerkungen"  S.  569  und  „Schultext"  $ntivav)\  die 
berühmte  Stelle  II  5,  7  (vgl.  oben  S.  77)  lautet  mit  der  leisen 
Änderung  von  ovx  in  ovx9  und  richtiger  Worttrennung  jetzt  so: 
tqv  ydo  d-swv  noXepov  ovt'  otda  and  noiov  av  %a%ovg  ovts 
ort oi,  av  ttg  (pevywv  anotfvyoi  sq.,  nach  ähnlicher  Methode 
die  nicht  minder  bekannte  Stelle  IV  6,  15  onwg  di  oog  %a%ia%a 
xXinrovreg  xal  neiqaa&e  Xavd-avstv  {xX&ntsiv  %e  xal 
nsiQati&ai  C);  V  4,  26  xal  ivTSvd-sv  eXemov  (Cpr.)  atpavrsg 
(dnavzsg  Hss.)  rö  %wqiov. 

Diese  Beispiele,  welche  sich  leicht  vermehren  ließen,  zeigen, 
wie  G.  mit  einfachen  Mitteln  und  wiederum  unter  häufiger  Wahrung 
der  Lesarten  von  C.  Vermutungen  früherer  Herausgeber  ver- 
meidet, die  sich  oft  sehr  weit  von  dem  Wortlaute  der  guten  Über- 
lieferung entfernen. 


"S 


Xenophon,  von  R.  Ullrich.  113 

111.  Oft  reichen  so  einfache  Mittel  nicht  aus,  die  Schäden 
zu  heilen,  und  ich  komme  damit  zur  Besprechung  der  Kon- 
jektural  kritik  des  Herausgehers.  Es  liegt  in  der  Natur  der 
Sache,  daß  sich  hier  am  ehesten  Anfechtbares  herausstellen  wird, 
sowohl  was  die  fremden  von  ihm  in  den  Text  aufgenommenen 
Konjekturen  betrifft  als  auch  seine  eigenen.  Daß  ihrer  (das  Ver- 
zeichnis in  den  „Bemerkungen44  S.  569 — 578  weist  etwa  150  auf) 
verhältnismäßig  viele  sind,  zeigt  einmal,  -wie  viele  Schäden  die 
Oberlieferung  der  Anabasis  erlitten  hat,  andrerseits  aber  auch,  wie 
notwendig  es  war,  mit  der  Benutzung  der  besten  Hs.  Cpr.  Ernst 
zu  machen,  wollte  man  nicht  jeden  festen  Boden  unter  den  Fußen 
verlieren  und  der  Willkur  Tür  und  Tor  öffnen. 

1)  Zunächst  die  fremden,  von  G.  in  den  Text  aufgenommeneu 
Konjekturen: 

a)  a)  Einige  davon  kann  man  sichere  E inend al  i  one  n 
nennen,    von   der  Art  wie  die  S.l  12  unter  d)  verzeichneten,    so 

I  2,  23  (ich  setze  jedesmal  die  hs.  Lesung  in  Klammern  bei)  ov 
(£*tf);  I  4,  15  ipiXov  ((piXoi);  1  9,  15  ä^ioag  (ä&iov  öbergeschr. 
<Sah)\  111  1,  25  tccttst'  spt  {lazTszai  pe);  111  2,  14  vpwv  aircov 
{fipwv  avT&v)',  VI  4,  18  nXoiw  (nXoiov),  22  dso*  (ßiov).  — 
Sicher  erscheinen  mir  auch  folgende  Konjekturen:  1  3,21  iv 
na  ye  (faveqü)  (iv  tcö  xote  (pavegwg);  I  4,  4  nvqyoi  {nvXai)\ 
4,  18  aaipdog  xal  (xal  aa(pwg);  I  5,  11  tcov  tov  KXeagxov  (tcov 
tov  K.) ;  I  9,  18  ei  yi  %ig  t*  {ei  zig  yi  ti);  H  3,  3  ix^tog^ 
twv  onXiov,  II  4,  26  oaov  d'  ovv  xqopov  (d*  äv\  weniger  gut 
wäre    hier    cty',    was    G.  z.  St.  vorschlägt    unter   Verweisung    auf 

II  5,  10,  wo  die  Sache  aber  anders  liegt);  II  5,  5  olda  äv&gai- 
tcovq o%i  (poßfj&evTsg  (o*):    III  1,34    xal  vvv  (xal   av); 

III  2,  33  axoneXv  [noieZv);  III  4,  23  ol  Xoxoi  (Xoxayol),  um- 
gekehrt IV  8,  12  o  Xoxayog  (6  Xdxoc);  111  4,  24  fjaav  al  xcofiat 
iijv  i\  xcofjM])*  30  (iv)  Tfj  od«;  IV  1,  11  ovvefiowv  (avvecogaw) ; 

IV  7,  2  aXV  anoxopov  (äXXd  nozapog);  IV  8,  12  nquoiov 
(nqwTOv)\  V  4,  34  inoiovv  aneg  (av)  aXXot  iv  igijiiiq  nonj- 
aeiav  {ävoi  =  av&gwnoi;  vgl.  Gemoll  z.  St.;  erheiternd  wirkt 
Hartmans  Bemerkung  z.  St.  Anal.  Xenopb.  S.  86:  ,,Non  credo 
Xenophontem,  hominem  lenem  et  moderatum,  Mossynoecos,  quam- 
vis  sint  feri  et  inculti.  in  bestiarum  numero  habere44);  V  8.  20 
iv  evdiq  yäg  ogdo  vpäg  (övzag),  25  x€iflt^pa  eTrenoi^iaa 
(ejiexovQTjGcc,  was  grammatisch  unmöglich  ist);  VI  2,  10  wg 
alaxQOV  av  sir\  agxetv  ^A&ijvatov  lleXönovvtjGiwv  [xal  Aaxe- 
daifjtovivov]  (ifjdefiiav  dvvapiv  nagexdfievov  eig  ztjv  argartciv 
(xal  jlaxedaipoviov)  etc.  (Umstellung  von  xal  yiaxedaifiovicav 
mit  Änderung  von  -oiv  in  -ov);  VI  4,  7  eig  dt  %6(novy  noXiopa 
av  yev6(ievov\  VI  5,  24  iv  olg  (rig)  i&iXei\  VII  2,  29  ttXtjv 
(anöy  Niwvog.  —  In  allen  diesen  Fällen  handelt  es  sich  um 
zweifellose  Verderbnisse  auch  in  Cpr.;  der  Herausgeber 
hat  aus   der    umfangreichen  Literatur  hier  mit  sichrem  Takt  das 

Jahresberichte  XXX.  3 


114  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereias. 

Beste  herausgefunden  und  es  in  den  Text  gesetzt,  der  in  der 
überlieferten  Form  schlechterdings  nicht  zu  verstehen  ist.  Kleine 
Ergänzungen  sind  in  der  Regel  durch  (  )  gekennzeichnet. 

ß)  Nicht  zu  billigen  sind  dagegen  folgende 
Änderungen  (ich  setze  die  gute  und  meiner  Meinung  nach 
beizubehaltende  hs.  La.  in  Klammern  bei):  1  2,  5  yiq>vQcc  dt 
in^v  hn(räy  i&vyp&nj  nloioig  (inyv  ins^evyfbivij);  1  8,  1 
äotöxog,  das  Hog  (der  xQtötog  in  Cpr.  zu  lesen  glaubte)  praef. 
8.  XV  empfahl  und  G.  im  Schultext  1896  angenommen  hatte,  ist 
jetzt  von  ihm  selbst  zugunsten  des  (sicher?)  in  Cpr.  gelesenen 
XQijöTog  aufgegeben  worden.  —  I  10, 5  sl  nepnoiiv  (so  übrigens 
C,    und    schon    Schenk!)    rxrag    <«$)    napxi    e&evsi    (Htig) 

€7ll    TÖ    ÖTQCCTOTtsdoV    CCQfj^OVX  CC  $    (fl    7l€  [4,710  *€   XIV  Ctg.      TTCLVX  .  .  . 

ini  %6  ovoaxonsöov  . . .  |oit  .  g;  der  Zustand  des  Textes  von  Cpr. 
fordert  eine  Ergänzung.  Das  navxl  a&evei  will  aber  zu  xivag 
wenig  passen.  Das  y  in  C,  (vgl.  G.  z.  St.)  scheint  mir  den  Schlüssel 
zum  Verständnis  zu  bieten.  Klearch  ist  zweifelhaft,  was  zu  tun 
sei;  er  läßt  darum  den  Proxenos  rufen  und  beratschlagt  mit  ihm, 
ob  nur  er,  K.,  eine  Abteilung  abschicken  soll  oder  ob  sie  alle 
dem  Lager  zu  Hilfe  eilen  sollten.  Die  schlechte  Vorlage  von  C, 
(Gemoll  praef.  VHI)  scheint  in  diesem  Falle  das  Richtigere  ge- 
boten zu  haben.  -114,3  und  II  6,  10  vgl.  o.  S.  109.  —  II  4, 12 
äns%x€  (ani%s*);  die  Notiz  G.s  in  den  „Bemerkungen"  (S.  571), 
besonders  der  Hinweis  auf  1  2,  22  stimmt  nicht  mehr,  und  G. 
hätte,  wie  tatsächlich  an  dieser  Stelle  (f€Qti  und  neqitX%sv.  so 
II  4, 12  iliyeto  und  äni%ei  nicht  beanstanden  sollen.  —  111  1,  43 
iv  xotg  nolsfioig  (nolepixoZg).  —  III  2,  26  nlovaiovg  (niov- 
<fia>g,  abh.  von  nolixevovxag).  —  VI  4,  22  ßovv  (ßovg).  — 
VII  2,  2  (ovtwc)  ist  unnötig,  ebenso  13  (iaxl),  erwünscht  viel- 
leicht, aber  nicht  erforderlich  VII  5,  2  ixiXeve  XafkZv  {&)>  — 
VII  3,  14  S7iiipti(pt£(o  iyd  tarnet  (det.  richtig:  imifn/ipitia&w). 
y)  Für  wahrscheinlich  wenigstens  können  gehalten  werden 
folgende  Konjekturen:  I  1,8  wv  TicaayiQvyg  <«r*)  hvy- 
%ccv£V  e%<av.  —  I  4,  15  elg  <pQOVQaQ%iag  xal  eig  Xo%ayiag 
,<Pqovqhz  C).  —  Die  schwierige  Stelle  III  4,  21  omo*  Si  noQtv- 
ifkevoi  onoxe  /niv  Gvyximxoi  %ä  xeqaxa  vnepsvov,  (ot  psv) 
vaxsqoi  [ol  Xoxctyoi],  waxe  fiij  hoyXtlv  xoXg  xigaüt,,  xovg  df 
nccQtjyop  s^ood-ev  xcov  xtqaxiüv,  welche  in  der  überlieferten  Form 
dem  Verständnis  unüberwindliche  Schwierigkeiten  bereitet,  ist 
durch  die  bezeichneten  Änderungen  wenigstens  lesbarer  geworden. 
—  Ansprechend,  wiewohl  nicht  sicher,  ist  auch  VII  4,  18  'Isqw- 
pvfiov  x€  [xal]  ^EnixaXisa  (Schenkl  nach  Hell.  III  2,25; 
evodia  C).  Ich  möchte  Evßoia  vorschlagen,  vor  allem,  weil  es 
der  besten  Überlieferung  ganz  nahe  kommt.  Freilich  muß  dieser 
H.  ein  andrer  sein  als  der  sonst  stets  nur  als  *HXeZog  bezeichnete 
und  immer  irgendwie  ausgezeichnete  Lochage  des  Croxenos 
(111  1,  34;    VI  4,  10;    VII  1,  32).    Das  'HXeVog  hat  ja   naturlich 


Xenophoo,  voo  R.  Ullrich.,  |}5 

4i tif  Konjekturen  wie ''EnnaXisa  oder^Hntiia  (Gemoll  z.  St.  nach 
Hell.  MI  2,  30)  gefuhrt,  aber  es  ist  nicht  einzusehen,  wie  daraus 
«in  EvoSia  hätte  entstehen  sollen,  was  sich  dagegen  aus  Evßoia 
ungezwungen  ergibt.  Der  hier  begegnende  H.  (der  Name  ist  sehr 
häufig)  wäre  dann  eben  einer  von  vielen,  wie  Theogenes  der  Lokrer, 
sein  Leidensgefährte,  der  auch  nur  an  dieser  Stelle  vorkommt. 
Und  daß  ein  Locbage  aus  Euböa  nur  hier  begegnet,  ist  keines- 
wegs befremdlich;  auf  den  Lokrer  trifft  übrigens  dasselbe  zu.  — 
Ob  der  Stelle  VII  8,  7  noqevoiitvov  tf^q  'Affiaq  (so  C)  eig 
Grjßijg  nsdiov  durch  die  Emendation  ifjg  Mvaiag  (so  Schenkl 
nach  Kruger)  aufzuhelfen  oder  in  rrjg  ^Aciaq  eine  geographische 
blosse  zu  erkennen  ist  (Rehdantz),  ist  mit  Sicherheit  schwerlich 
zu  sagen;  G.  entscheidet  sich  für  das  letztere. 

b)  Schwieriger  liegt  die  Sache  da,  wo  es  sich  um  wirkliche 
Ciosseme  zu  handeln  scheint,  welche  auch  in  der  besten  Über- 
lieferung sicher  schon  vorliegen.  Es  ist  ja  nun  sehr  leicht,  an 
vielen  Stellen,  wo  die  angebliche  Glätte  des  xlnophontischen  Stils 
durch  eine  gewisse  Breite  gestört  scheint,  Ausscheidungen  vor- 
zunehmen, und  besonders  die  Holländer  (Cobet,  Hartman  u.  a.) 
haben  von  dieser  Methode  reichlich  Gebrauch  gemacht,  zuweilen 
von  richtigem  Empfinden  und  feiner  Sprachkenntnis  geleitet,  öfter 
aber  auch  zu  sehr  ihrer  subjektiven  Neigung  folgend  und  gegen 
die  Überlieferung  mit  einer  Freiheit  verfahrend,  die  am  Ende 
kein  Wort  mehr  bei  dem  andern  läßt.  Nur  die  umfassendste 
Beobachtung  des  Sprachgebrauchs  einerseits,  wie  die  Rucksicht 
auf  die  beste  Überlieferung  andrerseits  wird  in  den  nicht  seltenen 
Fällen  den  rechten  Weg  zeigen,  wo  dem  modernen  Leser  eine 
gewisse  Fülle  des  Ausdrucks  zunächst  störend  erscheinen  mag. 
Auf  diese  Weise  wird  sich  mit  ziemlicher  Sicherheit  unterscheiden 
lassen,  wo  wirkliche  Glosseme  in  den  Text  eingedrungen  sind 
tmd  wo  es  sich  um  Worte  des  Schriftstellers  selbst  bandelt,  die 
an  ihrer  Stelle  uicht  immer  nur  eigenartig,  sondern  oft  geradezu 
nötig  sind.  Mir  will  scheinen,  daß  G.  in  dieser  Beziehung,  so 
sehr  er  selbst  („Bemerkungen"  S.  566)  die  Anschauungen  Cobets 
und  Hartmans  grundsätzlich  verurteilt,  ihnen  (und  andern)  doch 
häufiger  gefolgt  ist,  als  nach  der  besten  Überlieferung  und  den 
Anforderungen  des  Zusammenhangs  nötig  gewesen  wäre.  Gut 
ist,  daß  derartige  Ausscheidungen,  als  solche  durch  eckige  Klammern 
gekennzeichnet,  im  Texte  belassen  sind. 

er)  Einverstanden  bin  ich  mit  folgenden  Aus- 
scheidungen: I  1,  2  [aveßrj]  nach  dem  vorangegangenen 
araßaber,  G.  vergleicht  (a.  a.  0.  S.  569)  treffend  VI  2,  1  naqa- 
nXiovtss . .  .[nccQanXevöavisg],  wo  es  sich  überhaupt  um  eine 
größere  „lokale44  Interpolation  handelt  (vgl.  z.  St.).  —  I  2,  1 
Xotßivxa  [rovc  aXXovg]  nXi\v  onoaot.  —  I  2,  3  [Sotpaivtioq 
&&  6  StVfHfdliog  onXiraq  sxwv  %iX'tovg\,  vgl.  1  2,  9;  mit 
Änderungen  des  Eigennamens  ist  der  Stelle  schwerlich  aufzuhelfen. 

8» 


1  IG  Jahresberichte  <J.  Philolog.  Vereins. 

—  1  2,  20  eiegop  xiva  [twp  vndgxoop]  dvpdaxtjp.  —  I  4,  9 
[ovde  xäg  negiGctgdg] ;    12  [nagd  top  naxega  xov  Kygov].  — 

I  6,  10  [ey^].  —  I  7,  12  iitiav  dgyppteg  [xai  tixgaxfiyol  xai 
fjyefjbopeg]  xeixageg.  —  1  7,  13  ol  aicofioXijaapxeg  ix  twp 
noÄsfjbicop  [nagd  peydXov  ßaöiXewg],  nicht  [ix  xcop  noXefilcop]r 
so  Hug  nach  Cobet;  vgl.  G.  a.  a.  0.  S.  570;  ebenso  1  8,  9  ndpxeg 
d'  ovtol  xaxd  e&pq  iv  nXatcim  nXijgei  äp&goinwp  [e'xaaxov 
xo  e&pog]  inogevopxo  (inogevexo  C).  In  diesen  beiden  Fällen 
haben  wir  eine  Doppelrezension  anzunehmen.  —  1  8,  4  Mevoov 
de  [xai]  xo  axgaxevfiaxog  eiaipvfjbOP  xegag.  —  l  10,  3  rj  de 
[MtXr^ia  ijp  pewxiga  y]  Xfjqtd-eHaa,  wogegen  das  vorhergehende 
Xafjbßdpet  sicher  echt  ist.  —  II  3,  8  xdc  anopddg  noveXad-av 
%a%v  [xe]  xai,  vgl.  das  Folgende.  —  II  4,  6  %&v  de  noXepitop 
Innelg  eiatv  [ol]  nXetaxot.  —  II  5,  11  ti\p  aavxov  [zwqcip].  — 

II  5,  27  xai  idp  (so  mit  Wahrscheinlichkeit  die  La.  von  Cpr.) 
iXeyx&coäi  diaßdXXopxeg  [xwp  *EXXijpo)p];  Dobree  strich  xwp 
'EXXtjpwp  als  Glosse  zu  dem  im  folgenden  Salze  stehenden  nqo- 
äoxag\  bei  der  Lesung  idp  (die  früheren  Herausgeber  nach  C, 
in  rasura:  ov  dp)  ist  an  sich  unmöglich.  —  111  4,  43  cvpinea&at, 
d}  ixeXevaep  [avxovg]  xai.  —  111  5,  4  fjvixa  (ol)  and  %r[q 
ßofjXaaiag  (vgl.  den  nächsten  Abschnitt)  dnijpztjOap  [ol  "EXXtjpeg]* 

—  IV  2,  19  ndpxeg  ol  ix  xovxov  xov  xonov  avpeggvfjo'ap  £p- 
xav&a  [ol  noXifjbioi].  —  IV  4,  14  oaoi  de  ngoxegop  änrjaap 
[xai]  xdg  olxiag  ifjbngtjaapzeg.  —  IV  6,  1  xovg  de  olxixac 
xaxaXeinei  [iw  xwfiidgxjl],  vg'*  $•  128  B.  —  V  1,  11  [av]*cr 
nqddXia.  —  V  2,  6  [o  de  rjyetxo  xoig  onXixaig],  —  V  4, 15  ngo 
[xijg  noXewg]  xijg  MfjxgonoXewg;  über  V  7,  2  vgl.  den  nächsten 
Abschnitt  (S.  117).  —  VI  4,  2  xai  ovg  dp  laß  codi  xwp  'EXXiJpüop 
ixninxopxag  %  äXXcog  noag  deivd  vßgi&w  Xeyopxat  [xovg 
"EXXfjpag],  —  VII  3,46  KXedpwg  d'  tjyetxo  twp  dXXoap  ^EXXijpcop]* 

An  allen  diesen  Stellen  ist  der  echte  Text,  sei  es  durch  harm- 
lose Randglossen,  die  der  Abschreiber  dem  Autor  zuschrieb,  oder 
durch  absichtliche  „Verschlimmbesserungen"  (so  G.  a.  a.  0.  S.  569) 
verunstaltet  worden,  und  G.  hat  aus  den  Arbeiten  vieler 
Menschenalter  das  Fazit  gezogen,  indem  er  sie  aus  dem  Texte 
entfernte. 

ß)  Gegen  G.  und  seine  Vorgänger  sind  dagegen  mit 
der  besten  Überlieferung  nach  meiner  Meinung  im 
Texte  zu  belassen  (die  betr.  Worte  werden  hier  in  Sperrdruck 
gegeben):  1  2,  9  fjzxij&elg  xfj  i*>d%ri\  so  konnte  Salamis  sehr 
wohl  bezeichnet  werden.  —  1  7,  3  ovx  dp&gwnitiP  dnogoip 
ßag ßdg(üp\  5  dtd  xö  iv  xoiovim  eipav  xov  xipdvvov  nqoa- 
iOPxog\  8  Elafiaap  de  nag1  avxop  ol  xe  öxgaxijyol  xai 
twp  dXXwp 'EXXijpüop  xipeg\  16  xavifjp  (xavxji  G.  nach  Hartman) 
drj  xtjp  ndgodop  Kvgög  xe  xai  ij  Gxgaxid  nagrjX&ep.  Wa& 
Hartman  (a.  a.  0.  S.  65  f.)  und  G.  selbst  (Beitr.  1  S.  16 f.)  gegen 
die  Verbindung   von   ndgodop  nageX&eZp   anführen,    rechtfertigt 


Xeoopbon,  von  R.  Ullrich.  117 

<lie  Änderung  nicht.  Der  Sinn  bleibt  derselbe,  aber  die  beste 
Überlieferung  ist  vorzuziehen.  Vgl.  zu  I  4,  4  übrigens  noch  Hell. 
VI  6,  51.  52.  Naturlich  heißt  naqiqxscd-ai,  (G.  a.  a.  0.  gegen 
Hansen)  eigentlich  „vorbeigehen  an*',  aber  an  einem  „Paß"  (so 
wird  ndqodog  am  besten  wiedergegeben)  „geht"  man  nicht 
^vorbei",  sondern  man  „passiert"  ihn.  —  I  9,  31  s%wv  xal  xö 
tsxqdxevpa.  —  II  5,  15  ^d*oV  av  dxovGaipi  ro  övopa,  xig 
ovxwg  iöxl  d€ivog  Xiysiv.  —  II  6,  11  xai  ydq  tsxvyvov  xöxf 
qaidqov  avxov  iv  xoXg  aXXoig  itqotiwno  ig  sifaöav 
tfctivsG&ai,  was  einen  vortrefflichen  Gedanken  gibt  (vgl.  Hug 
praef.  S.  XXV  nach  Madvig  und  Rehdantz).  Gemoll,  Cobet  folgend 
{der  übrigens  noch  avvov  hinter  axvyvov  stellt),  sieht  (a.  0. 
S.  571)  in  den  Worten  eine  doppelte  Glosse  und  legt  Wert  auf 
die  durch  die  Streichung  hergestellte  Übereinstimmung  mit  dem 
zweiten  Gliede  xal  zö  yjuXvizov  sqq.,  scheint  mir  aber  hier  wie 
in  der  vorigen  Stelle,  um  einen  glatten  Stil  herzustellen,  selbst 
in  den  Fehler  zu  verfallen,  den  er  sonst  bekämpft.  —  III  4,  48 
rijv  ätinida  äqtsXöpsvog  dg  idvvaxo  xdxMfxa  s'xwv  inoqevexo\ 
liier  ist  s/cöv  geradezu  notwendig.  —  IV  7,  19  ix  xavxtjg  zrjg 
%uiqag  äqxoov.  Aber  Tavxtjg  xr\g  x^Qa^  ,s*  unmittelbar  hinter 
der  noXig  Tvpvidg  nicht  möglich;  und  geht  man  von  der  besten 
Überlieferung  aus,  die  ix  bietet,  so  wird  man  nicht  umhin  können, 
ravrfjg  auf  noXig  zu  beziehen  und  zu  dqxoav  das  in  keinem  Falle 
(auch  bei  G.s  Lesung  nicht)  zu  entbehrende  6  zu  ergänzen,  das 
€,  tatsächlich  hat,  aber  statt  hinter  xavxrjg  hinter  %<»£«£  ein- 
fügte. Ich  glaube,  daß  schon  Schneider  mit  der  Verbindung  ix 
ravxijg  6  ztjg  x°*q&g  aqx(*>v  das  Richtige  getroffen  hatte.  —  Auf 
die  Stellen  V  2,  17  xal  scpsvyov  ol  psv  xal  sxovxeg,  a  sXaßov, 
"21  xai  Toov  onXizcov  zö  nXtjd-og  xaxaXmovxsg  ol  Xox^yol 
olg  Ixatixog  iniöxsvev,  an  denen  Gemoll  wieder  Hartman,  und 
V  3,  7  xaxoixovvxog  qdfj  avxov  iv  2xiXXovvxi,  vno  xcov  Aaxs- 
daipoviatv  oixiö&ivxog  naqd  xi\v  ^OXv^niav ,  wo  er  Kühner 
folgte,  trifft  das  zu  II  5,  15  und  6,  11  Bemerkte  zu.  —  V  7,  2 
*al  [idXa  (poßegoi  jjöav,  [iij  n oiriG siccv,  ota  xal  xovg 
rcov  K6X%tAV  xqqvxag  inoifjöav  xal  xovg  ayoqavo - 
fiovg*  oGoi  iirj  elg  xi\v  S-dXaxxav  xaxiqvyov,  xaxs- 
Xevrt&Tjoav.  G.  streicht  mit  Hartman  die  ganze  Stelle.  Daß 
<\\e  Dinge,  auf  die  hier  angespielt  wird,  erst  später  (immerhin 
aber  nur  einige  Seiten  nachher  in  der  Rede  Xenophons)  erzählt 
werden,  ist  richtig;  aber  sie  waren  tatsächlich  früher  geschehen, 
und  es  war  wenigstens  nicht  unmöglich,  eine  kurze  Anspielung 
7.vl  machen,  wenn  sie  alsbald  in  der  Rede  X.s  erläutert  wird.  Ich 
tialte  die  Erklärung,  die  Rehdantz-Carnuth  z.  St.  geben,  für  aus- 
reichend. Daß  hier  nicht  alles  in  so  tadelloser  Ordnung  ist, 
-wie  wir  es  wünschten,  ist  zuzugeben.  Man  darf  auch  nicht  ver- 
gessen, wie  es  bei  der  Abfassung  und  Herausgabe  von  Memoiren 
«u  gehen  pflegt,    zumal  wenn    auch  Reden    eingelegt    sind,    über 


|1  g  Jahresberichte«].  P  h  i  I  o  1  o  g.  V«  r  c  i  u  s. 

deren  Verhältnis  zu  den  ursprunglich  gehaltenen  (wenn  dieser 
letztere  Fall  überhaupt  vorliegt)  wir  wenig  Genaues  sagen  können. 
Der  kleine  Anstoß  ist  in  den  Kauf  zu  nehmen  —  wenn  man 
nicht  an  den  dormitans  Homerus  denken  will,  dem  sogar  Größere 
als  Xenophon  ihren  Tribut  gezollt  haben  (vgl.  z.  B.  oben  S.  94). 
Es  ist  aber  wohl  zu  beachten,  daß  die  Stelle  wenigstens  bis 
äyoQavofjbovg  in  der  besten  Überlieferung  vorliegt;  nur  der  Zu- 
satz oaoi,  sqq.  wird  durch  die  fehlende  Verbindung  und  ihre  Her- 
stellung durch  yccQ  in  den  det.  verdächtig.  Ich  bin  mit  Gemolis 
meisten  Vorgängern  der  Meinung,  daß  hier  tatsächlich  ein  Glossem 
vorliegt.  Ein  Schreiber,  nicht  zufrieden  mit  der  etwas  dunklen 
Anspielung,  schrieb  sich  das  Ergebnis,  das  xavafavsc&at,  aus 
§  19  und  25  an  den  Rand,  so  kam  es  später  in  den  Text  und 
wurde  von  den  det.  schicklich  eingefugt.  Weiter  aber  hätte  G. 
nicht  gehen  sollen.  Übrigens  scheint  mir  schon  bei  der  Aus- 
lassung auch  nur  des  ersten  Satzes  der  Übergang  von  dem  Vor- 
hergehenden zu  dem  insl  de  ^ad^dvero  und  zu  X.s  Maßnahmen 
weniger  gut  motiviert.  Die  kurze  Anspielung  gibt  nach  den  all- 
gemeinen Ausdrucken  tyXXoyoi  syiyvovro  und  xvxloi  ^witixavio 
der  Darstellung  eine  sehr  gluckliche  Steigerung  und  rechtfertigt 
weil  dringende  Gefahr  im  Anzüge,  das  «£  jaxiöxa  %vvayaytXy 
avz&v  ayoqdv.  —  VI  5,  19  wird  durch  die  Umstellung  der 
beiden  Sätze  &av(j>d£co  . . .  ywqitov  und  nwg  yccQ  dij . . .  icftmanai 
(G.  nach  Hartman)  die  Verbindung  verschlechtert;  denn  das  i}y 
di  firj  (20)  schließt  sich  dem  mit  itpsnmvjat  schließenden  Satze 
viel  enger  an.  —  VI  6,  34  xal  $v  ol  &col  naoadidwöiv  ist 
zu  belassen,  ebenso  VII  4,  16  xal  sv(dov  nur  com'.)-  Te&woa- 
xMfliivov  ol  nfQl  top  Ssvotfwvia  svdov  n<sav  in  der  Über- 
lieferung von  Cpr.,  so  bestechend  auch  Schimmelpfengs  Vermutung 
ist,  daß  die  Entstehung  des  iv&wQaxi&c&ai,  (änag  Xtyofievovi)  auf 
das  ursprunglich  vor  dem  v.  simpl.  stehende  svdov  zurückzuführen 
sei.     'Ev&wQaxl&o&ai  ist  hier  sogar  besonders  anschaulich. 

Bei  VI  2,  17  xal  anoßaivovGiv  elg  KäAnyg  liptva  xata 
piaov  7t(>)$  r^q  OQqxfjg  kann  man  zweifelhaft  sein;  die 
Schwierigkeit  ist  hier  ähnlich  wie  bei  VII  8,7  (vgl.  o.  S.  115).  — 
Ich  erwähne  endlich  noch  die  nach  der  hs.  Überlieferung  schwierige 
Stelle  IV  8,  27,  die  des  doppelten  Mittels  der  Annahme  eines 
Glossems  und  der  Einfügung  eines  ganz  neuen  Begriffs  bedurft 
hat,  um  verständlich  zu  werden.  Matthias  hat  (a.  a.  0.  S.  182; 
vgl.  oben  S.  9 7 f.)  die  Heilung  versucht,  und  Gemoll  folgt  ihm: 
dofa%ov  da  KQfjieq  nXaiovg  ij  €<£ijxovTa,  [ü&eov]  ndfajv  de  xal 
nvyfi^p  xal  7iayxQdtiov  ^Aqxddeq)  (Hsqoi  C),  xal  xaXfj  &ta 
lysvszo*  Diese  Lösung  ist  eine  von  vielen;  als  sicher  kann  sie 
nicht  gelten. 

2)  Nach  dieser  Musterung  des  Ergebnisses  der  Konjektural- 
kritik  früherer  Gelehrten,  wie  es  in  Gemolis  Ausgabe  sich  dar- 
stellt,  komme  ich  zur  Besprechung  dessen,   was  er  seihst 


-*> 


Xeoophon,  von  R.  Ullrich.  Jf9 

auf  diesem  Gebiete  beigesteuert  hat.  In  seinen  Schultext 
von  1896,  der  lesbar  sein  mußte,  hatte  G.  eine  verhältnismäßig 
große  Zahl  fremder  und  eigner  Konjekturen  aufgenommen  und 
viele  derselben  in  den  „Bemerkungen"  (S.  573—578)  genauer 
begründet.  Inzwischen  aber  hat  er  nach  erneuter  Prüfung  und 
(z.  T.  auch  durch  die  Neuvergleichung  von  Gpr.)  „melius  in- 
formatus"  manche  davon  —  mit  Recht  —  verworfen  oder  in  die 
adnotatio  critica  verwiesen,  ebenda  auch  einige  neue  Vermutungen 
geäußert  (praef.  S.  VII  sq.).  Welches  ist  nun  das  Ergebnis  und 
wie  ist  es  zu  beurteilen? 

Die  Konjekturen  G.s  lassen  sich  etwa  in  drei  Arten  scheiden: 
Ausscheidungen  von  Glossemen,  Ergänzungen  von 
Lücken,  Herstellung  verschriebener  Lesarten.  Vielfach 
treffen  auch  zwei  oder  alle  drei  Fälle  zusammen. 

a)  Ich  kann  dem  Herausgeber  nur  in  verhältnismäßig  wenigen 
Fällen  beistimmen.  Für  besonders  glücklich  und  für 
beinahe  sicher  halte  ich  die  Heilung  der  Stellen  110,18 
et  no%€  G(pödqa  zo  azqdievfxa  laßoi  xig  {Xaßoizo  G)  evdeia. 
—  II  1,  17  o  (Soi  Tifirjv  oloet,  slg  %iv  sneixa  xqovqv  ävay- 
ysXXofievov  (avaXeyQpwov),  eine  vortreffliche  Änderung,  die 
G.  aber  wieder    aus    dem  Texte    zurückgezogen    hat.  —  111  5,  4 

än^dav   ix  xijg    ßotjXaaiag  (ßorj&siag  C)* r\vixa  (ol) 

anö  T^q  ßorj  Xaaiag  (ßoq&tiag  C)  änyvxtjaav  [ol  "EXXfjvec], 
iXtyev  'Ooäze,  <a  ävdgeg  "EXXtjvsg,  wo  z.  T.  schon  Schenkt 
vorgearbeitet  hatte.  —  IV  2,  4  hvy%avov  äi  xal  avaqiaio* 
ovzsg  [avtoüv  ol  07ti(S&0(pvXax€Q].  —  VI  4,  18  d>g  yag  iyd . .  . 
jjxovad  zivoq  o  ye  (or*  C)  KXeavägog . .  .  [idXXei  vjfeew.  — 
VII  1,  17  äXXoi  di  of  {szt)  ixvyyavov  hdov  ovzsg,  wo  «V* 
nicht  zu  entbehren  ist  und  vor  izvy%avov  viel  leichter  ausfallen 
konnte  als  dahinter,  wie  Hartman  wollte.  —  VII  2,  18  snsl  ö' 
iyyvg  i\v  avzov  (ijöav  C),  wo  der  Singular  unbedingt  notwendig 
ist;  diese  Konjekturen  hätten  alle  in  den  Text  aufgenommen 
werden  können. 

Für  sehr  wahrscheinlich  halte  ich  die  Änderungen  bzw. 
die  Erkenntnis  einer  vorliegenden  Verderbnis  an  den  Stellen 
113,10  aXX*  enoiovvzo  diaßdaeig  (mit  den  det.)  ix  züv 
(foivixcüv,  o*  tjv  giaxovzo  ixnenzooxozeg,  falls  in  G  wirklich 
noch  ein  Rest  des  Verbums  svgitixsw  zu  lesen  ist  (vgl.  den 
Apparat  und  Beitr.  1  S.  20),  für  möglich  auch  II  6,  25  statt  des 
schlecht  überlieferten  aaxovtiiv  die  Fassung  zolg  d£  oaioig  xal 
&Xti$£mxv  &rjQ€vov(y tv,  obgleich  mir  die  zur  Begründung  („Be- 
merkungen" S.  575)  angeführten  Stellen  nicht  geeignet  scheinen.  — 
IV  5,  30  ist  überliefert  onov  de  Tzagioi  xwfAjjv,  izginezo  nqöq 
zovg  iv  zatg  xoipaig.  Die  letzten  Worte  sind  unmöglich. 
G.  hält  sie  für  ein  Glossem  zu  einem  ursprünglichen  svdov\  doch 
scheint  mir  dies  zu  unbestimmt,  da  es  sich  nur  um  die  in 
Quartier  liegenden  Truppen  handelt.    Ich  möchte  nach  dem  hs. 


120  Jahresberichte  d.  Philo  log.   Vereins. 

Befunde  eher  vermuten  sv&a  axrjvovvxaq  (vgl.  IV  5,  23).  — 
Viel  für  sich  hat  auch  die  Herstellung  von  V  3,  4  xai  xi\v  dsxdxtjv 
[ijv,  so  schon  Schenkl]  reo  ^AnolXoavi  s^stXov  xai  rfj  ^Etpsaitc, 
\Aqtsih6v  xai  \ßi\eXaßov  ol  axQaxfjyoi  xo  peQoq  txaaxoq 
(pvXdxxsw  xotq  &soTq  (vgl.  jetzt  auch  Radermacher,  Rhein.  Mus.  55 
(1900)  S.  150).  —  V  8, 1,  wo  zwischen  den  Worten  oxi  alge&sig 
und  xaxtjfiilsi  sicher  etwas  ausgefallen  ist,  wird  irtiazdirjc  scharf- 
sinnig ergänzt. 

Auch  darin  stimme  ich  G.  hei,  daß  er  folgende  frühere  Ver- 
mutungen (freilich  teilweise  mit  dem  Vorbehalt,  S.  VII,  „non  quo 
eas  falsas  esse  putarem,  sed  ne  ipse  quoque  a  criticis  sagacior 
vel  potius  sagacitatis  studiosior  quam  cautior  nominarer")  teils 
ganz  aufgegeben,  teils  aus  dem  Text  in  die  adnotatio  verwiesen 
hat:  l  1,  7  (xovq)  tv  MiXijvw.  —  I  2,  21  Tafico  $%ovxoq  (jetzt 
richtig  Tapiiv  s'xovxa).  —  1  3,  16  wensq  vavai  xöv  axoXop 
Kvqov  noiQvp&VQv  (jetzt  mit  C  näXtv).  —  I  4,  8  Izwv  (lizuMSav, 
vgl.  Kühner-Blaß3  I  2,  S.  216,  Anm.  1);  12  inl  iaox&V  (C, 
in  ras.  fidxtjv).  Übrigens  sollte  man  bei  radierten  Stellen  in  Hss. 
nicht  immer  gleich  an  Interpolationen  denken.  Die  Veranlassung 
ist  oft  gerade  wie  bei  uns  eine  ganz  menschliche,  und  wenn,  wie 
hier  bei  fidxyv,  der  durch  den  Zusammenhang  geforderte  Sinn 
sich  ergibt  und  kein  begründeter  Verdacht  einer  Fälschung  vor- 
liegt, so  darf  man  im  Text  wohl  nichts  ändern.  —  I  9,  19  o 
in£naxo  ndq  xlc  (jetzt  wieder  das  hs.  av,  das  nicht  zu  ent- 
behren ist.  Doch  scheint  mir  die  Stellung  des  av  vor  tjc  un- 
möglich, da  es  zu  sxqvttxsv  sachlich  gehört.  Man  muß  wohl 
entweder  av  und  xtq  umstellen  oder,  was  mir  wahrscheinlicher 
vorkommt,  annehmen,  daß  ursprünglich  av&iq  dagestanden  habe 
und  demgemäß,  wie  in  den  Verbalformen  vorher,  die  Plurale 
sninavro  (vgl.  HI  3,  30  ninawai)  mit  dem  Objekt  a  und 
exqvnxov.  Nachdem  einmal  die  Trennung  des  av&iq  erfolgt 
war,  war  die  Einführung  der  Singularformen  die  nächste  Folge). 
—  11  2,  1  (faifj  drj  6  ^AqiaXoq  (jetzt  wieder  ohne  djy  statt  des 
überlieferten  av,  das  aber  augenscheinlich  irrtümlich  aus  der 
nächsten  Zeile  hierher  geraten  ist).  —  II  2,  3  und  13  dvvxoq 
tind  dvvu  (dvvovioq  und  dvvovxt)\  vgl.  unten  S.  129).  — 
II  3,  28  edoaav  dij  (av).  —  II  4,  8  'ÖQÖvxag  (xiq};  die  von 
Hug  praef.  S.  XXIII  vermutete  Lücke  „videtur  excidisse  brevis 
de  hoc  Oronta,  qui  nunc  primuin  inducitur,  notitia"  wird  aber 
durch  xtq  nicht  hinreichend  ausgefüllt,  wie  G.  („Bemerkungen" 
S.  575)  meint;  denn  III  1,  4  steht  doch  noch  *A&qvaZoq  bei  dem 
Namen.  Dieser  Orontas  war  eben  eine  so  bekannte  Persönlichkeit, 
daß  er  selbst  bei  der  ersten  Erwähnung  eines  erklärenden  Zusatzes 
nicht  bedurfte.  An  späteren  Stellen,  und  nicht  einmal  gleich  an 
den  nächsten  (II  4,  9;  5,  40),  sondern  erst  III  4,  13;  5,  17; 
IV  3,  4  ist  er  dann  näher  gekennzeichnet.  —  II  4,  24  diaßai- 
vopxcov  [isvzoi  6  rXovq   avxov    (Adv. ;    avx&v)    insffdv^,    wo 


Xenophon,  von  R.  Ullrich.  J2l 

mir  aber  avxov  ohne  rechte  Beziehung  zu  sein  scheint.  Ent- 
weder ist  avTwv,  das  hinter  p&vxoi  gehört,  an  eine  falsche  Stelle 
geraten,  oder,  was  wahrscheinlicher,  es  ist  Glossem  eines  Ab- 
schreibers, dem  der  unbestimmte  und  doch  so  häufige  Genitiv 
des  Partizips  einer  Erklärung  bedürftig  schien.  —  II  5,  10  xov 
lityiöTOV  äx&QOv  nolepijöOfisv  (das  anschauliche  sipsÖQov  aus 
den  det.).  —  II  6,  21  xolq  [iäXi(fxa  dvvapivoig  (jisyiöxa).  — 
III  1,  30  cog  öovXm  (zoiovxcp  d.  i.  oxevocpoQw,  das  aus  dem 
Vorhergehenden  sich  ohne  Anstoß  ergibt).  —  IV  1,  24  dy  xavxa 
{dia,  was  nicht  zu  entbehren  ist).  —  IV  5,  3  snoqsvovxo  diä 
Xwvoc  nolkijg  dnav  nsdlov  (xai  nedlov,  was  wohl  nicht  un- 
möglich ist).  —  V  1,  4  vavaQ%wv  ds  xai  (apr*)  Tvy%dvst.  — 
V  4,  6  sisrtriv  vfitv  ypccg  laßetv  %vßfiaxovg  xai  xifjbüyQijtfaöd-ai, 
h  xi  noxs  Vfiag  ovxoi  qdixTjöav,  xai  {noistv)  xo  Xoinov  ificov 
vnijxoovg  slvai,  xovxovg;  noistv  ist  unnötig,  wofern  man  nur 
nicht  übersetzt  („Bemerkungen41  S.  577)  „es  ist  euch  erlaubt, 
daß  diese  künftig  euch  untertänig  sind",  sondern  etwa  „ihr  könnt4', 
„es  liegt  in  eurer  Hand"  o.  ä.  —  VII  7,  3  ist  (ngod'Vfitog)  mit 
Hecht  wieder  beseitigt. 

b)  Die  übrigen  Änderungen  G.s,  von  denen  er  die 
meisten  in  den  oben  genannten  Abhandlungen  näher  begründet 
hat,  sind  meiner  Meinung  nach  nicht  zu  billigen,  be- 
sonders wenn  man  in  Betracht  zieht,  wie  konsequent  er  sonst, 
und  mit  vollem  Recht,  den  Grundsatz  vertreten  hat,  es  dürfe  von 
(j  nur  im  äußersten  Notfalle  abgewichen  werden  (vgl.  oben  S.  11  Off., 
113  ff.).  Dieser  Notfall  kann  aber  nur  da  vorliegen,  wo  die  gute 
Überlieferung  entweder,  wie  ja  tatsächlich  zuweilen  (vgl.  oben 
8.  113  f.),  wirklich  unverständlich  ist  und  dem  Zusammenhange 
nicht  entspricht,  oder  gegen  bestimmte  grammatische  Gesetze  ver- 
stößt, nicht  aber  da,  wo  eine  gewisse  Fülle  des  Ausdrucks  einem 
konstruierten  Attizismus  nicht  zu  entsprechen  scheint. 

a)  So  sind,  nach  meinem  Dafürhalten ,  nicht  zu 
billigen  folgende  von  G.  angenommene  Glosseme: 
I  t,  10  yAQi<Sxi,7znog  . .  . .  £Q%€xat,  iiQog  xöv  Kvqov  xai  alxsl 
avxov  elg  di<s%i,}.iovg  %ipovc  [xai]  xqicop  fifjvcov  (iiG&ov.  Aller- 
dings verlangt  A.  nicht  von  K.  „gegen  2000  Söldner44  („Bemerkungen" 
S.  573),  sondern  „Sold  für  2000"  u.  s.  w.  (vgl.  Rehdantz-Carnuth 
z.  St.).  —  I  2,  20  <fvp€7Z€[iifJ6v  avxfi  [(fzQaxicizag],  ovg  Msvwv 
si%€.  —  I  2,  21  [666g]  äfia&zdg  sqq.,  (ebensowenig  I  4,  15 
[mözozaxoig]  zu  fiovotg  nBiÜotisvoig,  IV  2,  3  [a(ia%iaioyg]  zu 
oloizQÖxovg  und  VI  4,  12  [dg  so  ms]  zu  dtikov  oxi).  Ändert 
man  der  Abrundung  des  Ausdrucks  wegen  solche  Stellen,  so 
würde  man  den  Memoirenstil  der  Anabasis  kaum  auf  einer  Seite 
unangetastet  lassen  können,  und  selbst  Cpr.  gälte  dann  nichts 
mehr.  —  I  4,  5  onoag  onlixag  anoßißdosiev  [stow  xai]  e%(o  xwv 
nvk(ov,  vgl.  Bern.  S.  574.  G.  zieht  bei  der  Streichung  von 
slam  xai  die  Kopflosigkeit  der  Barbaren  zu  wenig  in  Rechnung. 


122  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Wenn  zwei  Sparüaten  auf  den  Tei%r}  gesessen  hätten,  entschlossen,, 
um  .jeden  Preis  den  Durchgang  zu  wehren,  so  war  das  eterco 
anofiißcx&iv  allerdings  ein  gewagtes  Stuck.  Anders  hier.  Kyros 
kannte  seine  Landsleute  und  kannte  die  Hellenen  (vgl.  I  7,  3)_ 
Daß  die  beiden  Kastelle  schon  damals  mit  Geschützen  besetzt  ge- 
wesen sein  sollen,  ist  nicht  anzunehmen;  vgl.  II.  Droysen,  Heerw. 
u.  Kriegf.  S.  188  u.  Anm.  1;  und  die  Treue  des  Syennesis  war 
doch  nicht  über  jeden  Zweifel  erhaben,  wie  aus  allem  hervorgeht* 
was  X.  über  ihn  berichtet.  Auf  andre  Weise  rechtfertigt  Sorof 
die  Worte;  vgl.  WS.  f.  klass.  Phil.  1900  Sp.  808.  —  1  7,  2  äfia 
tjj  [iniovarj]  tjpiqq;  die  hier  notwendige  Bedeutung  ist  möglich 
(Beitr.  I  S.  14),  und  daß  fünf  Zeilen  vorher  slg  ti}v  smovtiar 
&0  steht  —  alles  in  der  besten  Überlieferung  — ,  ist  keineswegs 
störend.  Etwas  schwieriger  scheint  die  Stelle  II  3,  3  inei  da 
%axi(S%r\(Se  %o  (StqdtsvfAcc  mg  [xalcoc  s%ei,v\  oqäG&ca  naviff 
(pdXayya  nvxv^p  (Beitr.  I  S.  19  f.),  vgl.  aber  Plat.  Crat.  396,  W 
iin.  f}  ig  tq  ävm  oifsig  xaXcog  ex€t  tovto  %6  ovopa  xaXaXö&cty 
Ovqavia  und  Kruger,  Gr.  Spr.  I  2  5  §  61,  6  Anm.  8.  Die  Kon- 
struktion ist  nicht  häufig,  aber  doch  möglich,  und  unsere  Stelle 
bleibt  besser  unangetastet.  —  Ebenso  verhält  es  sich  mit  II  5,  & 
nsqi  fJttv  öfj  xmv  &soüv  \ts  xai  xwv\  öqxcov  ovtw  yiyvtaGxWy. 
naq'  ovg  rjfisZg  xi\v  qiXiav  owdipsvoi  xax&d-ifie&a  (Beitr.  I 
S.  20);  Klearch  wolle,  meint  G.,  ja  gar  nicht  von  den  Göttern 
sprechen,  sondern  nach  §  7  init.  von  den  d-emv  oqxoi.  Gewiß» 
Aber  der  Schwerpunkt  liegt  in  dem  §  7  auf  der  Macht  der  Götter 
(vgl.  oben  S.  77).  Daß  die  Beziehung  von  naq  ovg  über  i&v 
oqxoov  hinweg  auf  &€cov  schwerfällig  ist,  kann  zugegeben  werden; 
aber  daß  sie  nicht  ungewöhnlich  ist,  zeigt  wieder  Kruger,  dessen 
sorgsame  Beobachtung  auch  seltenerer  Erscheinungen  des  griechi- 
schen Sprachgebrauchs  man  immer  aufs  neue  schätzen  lernt,. 
§  58,  3,  9  ^mit  Berufung  u.  a.  auf  Dem.  IX  72.  —  11  6, 6  ßovkticck 
noveXv  [oiffr«  noXtpfXv].  G.  will  mit  Bucksicht  auf  die  Kon- 
zinnität  der  drei  Satzglieder,  von  denen  dieses  das  mittelste  ist,  die 
eingeklammerten  Worte,  die  im  Etonensis  nicht  stehen,  streichen. 
Aber  auf  dem  Verbum  noXepeZv  scheint  mir  gerade  bei  dieser 
Charakteristik  des  KXsaq%og  (fiXonoXtpog  der  Nachdruck  zu 
liegen;  es  erscheint  in  allen  drei  Gliedern  der  Periode,  wird  im 
mittelsten  durch  die  besten  Hss.  ebenfalls  bezeugt  und  fugt  sich 
der  Konstruktion  gut  ein.  —  III  1,  35  i\p,Xv  64  ys  oipcu  ndvvu 
noitjTsa,  dg  \ki\noxe  inl  zotg  ßaqßdqoig  yevto{ie&a,  dXXcc 
fiäXXov  [ixtXvoi]  itp  iiiiXv.  G.  findet  (Bern,  S.  575  f.)  den  Ton 
der  letzten  Worte  bramarbasierend  und  nicht  passend  zu  der 
augenblicklichen  verzweifelten  Lage  der  Griechen.  Aber  diese  wie> 
manche  andre  Bede  ist  schwerlich  so  geschrieben,  wie  sie  — 
wenn  überhaupt  —  gehalten  war;  und,  wenn  wirklich,  so  redete 
der  Grieche  von  Barbaren,  das  ist  wohl  zu  beachten.  G.  will 
nun  erklären:   „Wir  wollen  unsre  eignen  Herren  sein'*,   mit  Ver- 


Xenophon,  von  R.  Ullrich.  123 

Weisung  auf  V  5,  20   oncog  juij  enl  xdo  vpexiqw  äq(ioöx{i  watv 
ol  xdfivovxsg  fjfiooy,  u"kü  i<py  riptv  fi  xopitfaif&ai,  oxav  ßovXoi- 
{is&a.    Aber  hier  findet  der  (notwendige)  Obergang  aus  der  per- 
sönlichen   in    die    unpersönliche  Konstruktion   statt,    während  an 
unsrer  Stelle    die    persönliche    bleibt,    die  den   von  G.  gewollten 
Sinn  nicht  geben  kann.  —  IV  3,  17  snsidri  Ai  fjaav  xaxd  xrjv 
didßaöiv  [xal  xäg  ox&ag]  xov  noxapov.    Mit  Kruger  das  xaxd 
in  doppelter  Bedeutung  zu  nehmen  („bei"  und  „gegenüber"')  i>t 
allerdings    mißlich.      Man    muß    es    in    möglichst    allgemeinem 
Sinne    fassen,    etwa    „in   der  Gegend   von'*,    dann  ist  nichts  ein- 
zuwenden (vgl.  die  Ausführungen  von  Rehdantz-Carnulh  zu  I  10,  4). 
—  V  6,  18    ovg    naqd  Kvqov  sluße   [xq^ax^iovg]    daqeixovg. 
G.  (Beitr.  I  S.  17  f.)    streicht    die    Zahl,    „da    für  X.    wenigstens 
kein  Beispiel  eines  in  den  Relativsatz  mitsamt  seinem  Substantiv 
gezogenen    richtigen  Attributs    existiert".     Aber  einmal  laßt  sich, 
wie    oben    bei    II  5,  8,    aus  Üemosthenes  (XX  142)    ein  Beispiel 
nachweisen,    und    ferner    darf    man    doch    nicht   eine  eigenartige 
Konstruktion,  wenn  sie  auch  wirklich  nur  einmal  vorkommt,  allein 
deswegen    schon    ausscheiden  —  wofern    sie    nur    dem    Sprach- 
gebrauch im  allgemeinen  sich  einfügt;    und  dies  trifft  doch  wohl 
hier    zu.  —  Auch  V  7,  6    hätte  G.  einer  Anregung  Cobets   nicht 
folgen  und  die  eigenartige  Verbindung  von   ptv . . .  dt,   de  ...  de 
nicht  aus  dem  Grunde  beseitigen  sollen,  weil  eine  Parallele  dazu 
bisher  nicht  gefunden  sei.    Auf  diesem  Gebiete  herrscht  so  große 
Mannigfaltigkeit  (vgl.  auch  Sauppe,  Lexilogus  s.  v.  und  Rehdantz- 
Carnulh  zu  VI  6, 16),    daß  es    mir    nicht    geraten    scheint,    dem 
gewöhnlicheren  Sprachgebrauche  zuliebe  eine  gut  bezeugte  Über- 
lieferung zu  ändern.     Eher  hätte  auch  ein  Interpolator  eine  selten«; 
Konstruktion    in    die    gewöhnliche    umgeformt  als  umgekehrt.  — 
VI  5,  30  snel  di  sfdov  ol  *ElXfjvfg  xo  xs  ®aqvaßd£ov  Innixbv 
IV*    GVPsGxrjxdg    xal   xovg  Bt&vvovg  lixniag  nqbg  xovxo  <svr- 
ad-qo^o\isvovg  [xal  and  lotpov  xivög  xaxa&eojfis^ovg  xd  yiyvd- 
l*£va],    wo    ich    einen  Widerspruch  zwischen  den  beiden  Dingen, 
die  von  den  bithynischen  Reitern  ausgesagt  werden,  nicht  erkennen 
kann;  sie  sind  zum  Korps  des  Pharnabazos  gestoßen  und  sehen  von 
einem  Hügel  den  Vorgängen  unten  zu  (vgl.  IV  2, 15).    Der  Erzähler 
will  sagen,  daß  sie  eine  abwartende  Haltung  eingenommen  haben, 
aus  der  sie    dann    bald    («c    fitj    xe&aqqtjzoxeg    dvanavtsawxo) 
vertrieben    werden.  —  VII  3,9    ofäa    xwfiag    noXXäg    d&qoa[g 
xal]    ndvxa    i%owfag    xä    inix^dsia    anhfovaag    rjfiwp.      Daß 
aO-qoog  den  Begriff  des  Sammeins  hat,    ist  richtig,    und  es  wird 
daher  in   der  Regel  in  Beziehung    auf  Personen    gebraucht    (vgl. 
die  Lex.);    aber    dieser  Begriff   liegt   auch   hier  noch  vor,    da  die 
dicht  beieinander  liegenden  Dörfer  wohl  nicht  zufallig  so  angelegt 
sind.     Außerdem  ist  dieser  Umstand  gerade  hier  von  großer  Be- 
deutung für  die  Erhaltung  einer  bequemen  Verbindung  zwischen 
den    einzelnen  Truppenteilen,    eine    Änderung    der    guten    Über- 


124  Jahresberichte  d.  PhiJolog.   Vereins. 

lieferung  also  nicht  zu  empfehlen,  ebensowenig  VII  6,  37,  wo 
xal  yccQ  ovv  (C)  zu  lesen  ist,  das  durch  das  vvv  der  det.  weder 
vermehrt  (Hug)  noch  wie  bei  G.  verdrängt  werden  darf. 

ß)  Ich  komme  zu  den  Stellen,  wo  ich  Änderungen  der 
überlieferten  Worte  oder  Zusätze,  die  G.  vorgenommen 
hat,  nicht  für  nötig  halten  kann.  I  9,  4  rifiODfisvovg  (sviovg), 
wo  die  freie  Verbindung  mit  dem  äXXovg  im  zweiten  Gliede  nicht 
stören  darf;  10  xal  ydq  SQyui  ineösixvvto  <o>  xal  s'Xsysv; 
31  vnsQ  ctvTQv  (vtvsq  Kvqov  C).  —  H  6,  6  ixtlvog  de  wansq 
(tiq)  fig  naidixd  fj  slg  äXXijp  tivd  tjdopijv  ij&sXs  danavav 
tlg  nole^ov.  —  III  4,  13  slg  tovrov  ds  xov  tita&pov  TiCöcc- 
(pSQPfjg  eneyctvri  ovg  te  avvog  inniag  qyayev  (fad-ev  C)  s%(av 
xal  zfjv  *Oqovtcc  övvapiv  sqq.  G.  nennt  den  Umstand,  daß  bei 
der  überlieferten  Fassung  s'xaw  zugleich  zum  Hauptsatz  und  zum 
relativischen  Nebensatz  gehört,  eine  handgreifliche  Unmöglichkeit 
(Bern.  S.  576);  man  kann  nur  sagen,  die  Konstruktion  sei  selten, 
und  wenn  man  wieder  Kruger  z.  St.  und  dazu  Her.  VII  190  ver- 
gleicht (sv  tovtm  tw  novcp  viag  oV  iXayitixag  XsyovGi  dia- 
ip&aqi]vai  xtTQaxoatsüav  ovx  eXdoGovag,  dvdgag  ts  sqq.,  vgl. 
Stein  z.  St.),  so  verhält  es  sich  mit  dieser  Stelle,  wo  eben  für 
e'x(ov  doppelter  Bezug  anzunehmen  ist,  nicht  anders  als  mit  II  3,  3 
und  II  5,  8;  vgl.  oben  S.  122.  —  IV  5,  27  xal  ndvv  tjdi)  (tw) 
tfvppad'QVTt,  %6  nwfia  \v.  —  Nicht  ganz  einfach  ist  IV  8,  1 1 
(vgl.  oben  S.  94)  ovdlv  av  ely  -d-aruatiTÖp  sl  diaxoneirj  q 
ipdXay%  tj/ucov  vnö  av&Qtönoav  [nfj]  xal  ßeXtav  noXXcov  ipits- 
govküv.  So  liest  Gemoll  nach  Baumms  Konjektur  (vgl.  Beitr.  III 
S.  27);  aber  Cpr.  bietet  vno  äü-goatv  (übrigens  a&Qooov  zu 
schreiben,  vgl.  unten  S.  128)  nr[  xal  ßsXcov  noXX&v  i^ine^ovrcov, 
und  erst  C,  fugt  am  Rande  noch  hinzu  xal  ar&gconoov  (vgl. 
Schenkte  Text).  Daß  in  dem  so  erweiterten  Texte  a&qowv  und 
noXXmv  sich  nicht  vertragen,  hat  Schenkl  richtig  gezeigt  und 
noXXaw  entfernt;  Hug  ist  ihm  darin  gefolgt.  Gehen  wir  aber 
von  Cpr.  aus,  so  ist  alles  in  bester  Ordnung,  auf  die  ad  qooi 
K6X%oi  kommt  es  gerade  an  im  Gegensatz  zu  dem  in1  tXiyow 
der  Griechen;  xal  ßsX&v  noXXwv  SfjbnstfövToap  möchte  ich  dabei 
lieber  nicht  als  parallel  zu  d&gooov,  sondern  als  untergeordnet 
fcissen,  so  daß  sich  folgender  Sinn  ergibt:  „Und  es  wäre  kein 
Wunder,  wenn  unsre  Ph.  an  einer  Stelle  von  ihren  geschlossenen 
Massen  durchbrochen  wurde,  während  zugleich  ein  Hagel  von 
Geschossen  auf  uns  eindringt".  Übrigens  möchte  ich  itf[%  das 
alle  Herausgeber  auf  die  Autorität  von  A  (Valic.  987)  hin  als 
Glossem  betrachten,  entstanden  aus  dem  nr\  der  folgenden  Zeile, 
nicht  missen,  bin  viel  eher  geneigt,  zu  glauben,  daß  es  an  der 
zweiten  Stelle  Glossem  ist.  Denn  wäre  es  dort  echt,  so  könnte 
man  im  Nachsalze  oXjj  oder  etwas  ähnliches  vor  (pdXayyi  kaum 
entbehren,  was  denn  auch  C,  wirklich  zugesetzt  hat.  —  V  5, 17 
xaineg     ßaaiXioag    ov%     vnfjxoovg     ovxag    [Sfuag]    xal    fidXa 


Xenophon,  von  K.  Ullrich.  125 

<poßeqovg  (,Sfi(og\  C.  opxag)  noXs^iovc  £xirj(fd[jb€&a.  G.  streicht 
also  das  zweite  ovxag  nnd  setzt  das  oben  weggenommene  fifitog 
an  die  Stelle,  da  (Bern.  S.  577)  bei  der  jetzigen  Wortstellung 
der  Konzessivsatz  hinter  öf*ü)g,  wo  er  aufhören  sollte,  von  neuem 
anfängt.  Die  überlieferte  Fassung,  so  viel  gebe  ich  G.  zu,  ist 
wohl  etwas  umständlich,  darin  liegt  aber  kein  Grund  zur  Änderung. 
—  Vll  8,  11  dsinv^aag  ovv  inoQevero  xovg  xe  Xox&yovg  xoig 
<*£>  pdXiöxa  cpiXovg  Xccß(av  xcci  niöxovg  ysyepfjfisvovg  did 
navxog,  oncog  ev  noHJGcu  ccvcovg.  Hug  (praef.  S.  LV111)  hatte 
vor  niöxovg  eine  Lücke  angenommen,  in  der  aXXovg  oder  aiqa- 
xtwxag  gestanden  hätte,  und  meinte:  „Erant  trecenti  nuaiero 
cf.  §  9  qui  non  poterant  esse  omnes  locbagi",  und  G.  teilt  (Bern. 
8.  578)  diese  Bedenken.  Aber  man  vergegenwärtige  sich  un- 
befangen, iu  welcher  Weise  §  9  von  den  Dreihundert  geredet 
wird.  Hellas  beredet  den  Xenophon  zu  einem  Anschlag  auf 
Asidates  und  sagt,  wenn  er  des  Nachts  mit  300  Mann  hinzöge,. 
könnte  er  ihn  und  die  Seinen  aufheben  und  reiche  Beute  machen. 
Die  Zahl  soll  doch  nur  ein  Hinweis  auf  die  Bedeutung  des  Unter- 
nehmens sein,  den  X.  je  nach  seinem  Ermessen  benutzen  konnte 
oder  nicht.  Daß  er  nun  zu  diesem  nächtlichen  Streifzug  außer 
den  erprobtesten  und  neuesten  Lochagen  (natürlich  konnten  da» 
nicht  300  sein)  auch  eine  Anzahl  Soldaten  ordnungsmäßig  mit- 
genommen hat,  ist  selbstverständlich  (§16  ist  ja  auch  von  den 
GtgaiHtiicu  die  Rede),  brauchte  aber  nicht  besonders  gesagt  zu 
sein  und  war,  wie  sonst  oft,  in  dem  noqevsxo  schon  enthalten. 
Die  Fortsetzung  des  xovg  xs  Xo%ayovg  aber  ist,  wie  längst  er- 
kannt, in  dem  Gvvs£>sQ%ovxca,  dt  ccvtm  xcci  des  folgenden  Satzes 
enthalten.  Und  daß  X.  außer  den  Lochagen  noch  andere  ihm 
besonders  Nahestehende  (etwa  wie  Vll  7, 2,  worauf  Gemoll  a.  a.  0. 
hinweist)  mitgenommen  und  hier  genannt  habe,  ist  mir  des- 
wegen nicht  wahrscheinlich,  weil  die  Lochagen,  die  er  durch  Be- 
vorzugung bei  der  Beute  auszeichnen  wollte,  hinterher  allein  als 
diejenigen  genannt  werden,  die  das  selbständige  Mitziehen  von 
weiteren  sechshundert  Leuten  zu  verhindern  suchten,  um  nichts 
von  ihrem  Anteile  zu  verlieren.  Ich  sage  „zu  verhindern  suchten" 
(anrjXavvovl),  denn  es  ist  mir  fraglich,  ob  nach  dem  bestimmten 
ovvi%SQ%ov%ai  ßiaadfievot,  das  ansXavvsiv  der  Lochagen  wirk- 
lich Erfolg  hatte  und  ob  nicht  unter  den  axQccxuioxcu  von  §  16 
sich  manche  (groß  war  die  Zahl  der  Griechen  nicht,  vgl.  §  17> 
dieser  Freibeuter  befunden  haben,  diu  nur  von  der  Gewinnsucht 
gelockt  waren,  aber  in  ernstlicher  Gefahr  nicht  standhielten. 
Doch  dies  nur  nebenbei.  Was  die  Hauptfrage  angebt,  so  ist  die 
Notwendigkeit  einer  zweiten  durch  te  anzufügenden  Gruppe  von 
Auser wählten  nicht  erwiesen. 

Hat  sich  nun  auch  nach  meiner  Meinung  ergeben,  daß  von 
den  fremden  Konjekturen,  die  G.  in  seinen  Anabasistext  auf- 
genommen hat,  sowie  von  seinen  eigenen  nur  ein  verhältnismäßig 


126  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereius. 

geringer  Teil  zu  billigen  ist,  so  erwächst  doch  dem  verdienst 
vollen  Herausgeber,  der  wie  kein  anderer  in  den  letzten  Jahren 
auf  diesem  Gebiete  den  Gedanken  des  Autors  von  den  ver- 
schiedensten Seiten  her  mit  kritischem  Sinn  und  unter  fort- 
währendem Nachprüfen  der  eigenen  Aufstellungen  nahe  zu  kommen 
versucht  hat,  daraus  kein  Vorwurf;  um  so  weniger,  wenn  man 
bedenkt,  daß  er  zuerst  den  hohen  Wert  von  Cpr.  nachdrücklich 
betont  hat.  Es  war  nur  naturlich,  daß  die  erste  Ausfahrung 
dieses  Grundsatzes  nicht  gleich  vollständig  gelang.  Daß  Cpr. 
selbst  schon  mannigfache  Schäden  aufweist,  ist  nicht  zu  leugnen; 
aber  sie  sind  doch  erheblich  geringer,  als  man  angenommen  hat, 
davon  hat  mich  die  Durcharbeitung  des  Anabasistextes  an  der 
Hand  von  G.s  Ausgabe  aufs  neue  überzeugt.  Ich  glaube,  daß  G., 
wie  er  hier  schon  mehrere  der  in  dem  Text  von  1896  vor- 
genommenen Änderungen  gemildert  hat,  bei  erneuter  Revision 
noch  häufiger  zu  Cpr.  zurückkehren  wird.  Wünschen  möchte 
ich  auch,  daß  zumal  in  einer  solchen  Ausgabe,  der  nur  ein  knapper 
Apparat  beigegeben  werden  konnte,  mit  der  Aufnahme  nicht  ganz 
evidenter  Konjekturen  in  den  Text  selbst  noch  sparsamer  ver- 
fahren würde;  und  solcher  gibt  es  doch,  wie  ich  gezeigt  zu  haben 
glaube,  nicht  wenige.  Und  wenn  schon  die  Großen  in  der  Wissen- 
schaft manchmal  in  die  Irre  gingen,  weil  sie  sich  um  die  hand- 
schriftliche Gewähr  der  von  ihnen  ausgenutzten  Texte  nicht 
kümmerten  (vgl.  M.  Kränkel  in  Böckh,  Staalshaush.  d.  Ath.  *  I 
S.  XVI),  so  müssen  die  Herausgeber  von  kritischen  Textausgaben, 
deren  erste  Bedingung  nicht  wie  hei  Schulausgaben  die  Lesbarkeit 
ist,  mit  größter  Strenge  darauf  halten,  daß  nichts  in  den  Text 
gesetzt  werde,  wovon  nicht  auf  der  Stelle  ersichtlich  ist,  ob  es 
handschriftliche  Gewähr  hat  oder  nicht.  Auch  G.s  Ausgabe  würde, 
glaube  ich,  durch  noch  strengere  Innehaltung  dieses  Grundsatzes 
bei  einer  hoffentlich  bald  notwendigen  Neuauftage  erheblich  ge- 
winnen. 

Fast  durchweg  zustimmend  kann  ich  mich  verhalten  zu  den 
Grundsätzen,  nach  denen  Genfioll  die 

IV.  Orthographie  und  Grammatik  in  seiner  Ausgabe 
geregelt  hat.  Bekanntlich  herrscht  auf  diesem  Gebiete  in  den 
Hss.  große  Verwirrung;  sie  herrschte  naturgemäß  auch  in  den 
Ausgaben  der  Schriftsteller  und  in  den  Grammatiken,  doch  ist 
in  letzter  Zeit  auch  hierin  ein  Wechsel  zum  Besseren  eingetreten, 
da  man  angefangen  hat,  nach  Cobet,  der  die  griechischen  National- 
grammatiker über  Gebühr  vorzog  (vgl.  Gemolls  richtiges  Urteil 
über  ihn  Beitr.  11  S.  2),  die  Ergebnisse  der  Inschriftenforschung 
^systematisch  zu  verwerten.  Für  Xenophon  hatten  W.  Gilbert  in 
der  Ausgabe  der  Memorabilien  (1888)  und  0.  Keller  in  seiner 
Helleuikaausgabe  (1890)  den  Anfang  gemacht.  Die  italienischen 
Herausgeber    einiger    der    kleineren  Schriften    sind    nur  teilweise 


Xenophoo,  von  R.  Ullrich.  127 

gefolgt1).  Am  vollständigsten  aber  hat  Gemoil,  wie  schon  1896,  so 
auch  in  der  vorliegenden  Ausgabe  alles  wirklich  ausgenutzt,  was 
wir  nach  dem  heutigen  Stande  der  Forschung  auf  diesem  Gebiete 
wissen  können;  seine  Ausgabe  kann  also  hier  in  gewissem  Sinne 
als  abschließend  gelten. 

Da  er  selbst  seine  Ansichten  über  Laut-  und  Flexionslehre 
und  Syntax,  die  nun  in  die  Ausgabe  übergegangen  sind,  ausfuhrlich 
dargelegt  und  begründet  hat  (besonders  in  „Beiträge  IIU  (1889) 
und  den  schon  oft  zitierten  „Bemerkungen44  S.  539 — 565),  wobei 
«ine  große  Zahl  einzelner  Stellen  kritisch  gewürdigt  werden,  ver- 
weise ich  für  alle  Einzelheiten  auf  die  beiden  genannten  Schriften 
und  begnüge  mich  hier,  die  hauptsächlichsten  Ergebnisse,  soweit 
sie  der  Ausgabe  zugute  gekommen  sind,  kurz  zusammenzufassen. 

Zunächst  ist  hervorzuheben,  daß  Gemoil  die  überreiche  ein- 
schlägige Literatur  ausgiebig  benutzt  bat.  Außer  dem  Corpus 
Itiscriptionum  Atticarum  selbst,  den  Zeugnissen  der  alten  Gram- 
matiker, den  neueren  kleineren  Inschriftensammlungen  von  Kaibel*), 
Dauer8)  und  Dittenberger4)  und  den  bekannten  größeren  Gram- 
matiken neuerer  Zeit  sind  die  Arbeiten  von  Cobet5),  Wecklein6), 
v.Bamberg7),  P.  Cauer8),  0.  Biemann9),  Veiten10),  Butberford11), 
Stahl12),  Lautensach18),  K.  P.  Schulze14),  Joost15)  und  Meisten- 
hans16)  —  um  nur  die  wichtigsten  zu  nennen  —  stets  herangezogen 
und  für  den  Anabasistext  kritisch  verwertet  worden.  Wo  die 
Inschriften  den  alten  Grammatikern  und  der  Verwirrung  der  Hss. 
gegenüber  einheitlichen  Sprachgebrauch  zeigen,  ist  dieser  mit 
Becht  als  maßgebend  angesehen  worden;  wo  die  Inschriften 
schwanken  und  also  auch  Xenophon  eine  gewisse  Freiheit  zu- 
gestanden   werden    muß,    sind  unter  vorsichtiger  Benutzung  auch 


*)  Hippar chicas  sive  de  magistri  equitum  officio,  rec.  Pius  Cerocchi, 
tterotioi  1901. —  De  re  equestri  libelliis,  rec.  Viucentius  Touiuiasiui, 
lierolini  1902.  —  Cynegeticus,   rec.  Ginus  Pierleooi,  Beroliui  1902. 

2)  Epigrainmata  Graeca  ex  lapidibus  collecta,  ßerolioi  1878.  —  3)  De- 
lectus  iuscriptiouuni  Graecaruin  propter  dialectum  memorabiiiuin,  Lipsiae 2 
1883.  —  4)  Sylloge  ioscriptioiium  Graecarum,  Lipsiae  1883  (jetzt  2  1898 — 
1901).  —  6)  JNovae  lectiones,  Lugduni  Bat.  1858.  —  6)  Curae  epigraphicae, 
Lipsiae  1869.  —  7)  Zar  attischen  Formenlehre,  Zeitschr.  f.  d.  GW.  1874 
2>.  1 — 40;  Tatsachen  der  attischen  Forme u lehre  ebda.  S.  016 — 625;  Jahresb. 
«I.  Phil.  Vereins  1877  S.  1—17;  1882  S.  190—210;  1886  8.  1—59.  —  8)  De 
dialecto  Attica  vetustiore,  in  Cortius'  Studieo  1875  S.  223—302;  399—443. 
—  9)  Vgl.  obeu  S.  64  und  Notes  sur  l'ortograpbe  attiqoe,  Bull,  de  corr. 
bell.  III  S.  492— 507;  IV  S.  146—153;  Le  dialecte  attique  dap.es  les  iu- 
scriptions,  Rev.  d.  pbil.  1881  S.  45—180;  1885  S.  49—99.  -  10)  Greek 
verbs  irregulär  and  defective,  Oxford  1879.  —  u)  The  new  Phrynichus, 
London  1881.  —  ia)  Quaestiones  grammaticae  ad  Thucydidem  pertinentes, 
Lipsiae*  1886.—  1S)  Verbalflexion  der  attischen  Inschriften,  Gotha  1887.  — 
")  Quaestiones  grammaticae  ad  Xeoophoutein  pertiaeotes,  Berolini  1888.  — 
l5)  Was  ergibt  sich  aus  dem  Sprachgebrauch  Xenophons  in  der  Anabasis 
für  die  Behandlung  der  griechischen  Syntax  in  der  Schule?,  Berlin  1892.  — 
M)  Grammatik  der  attischen  Inschriften,  Berlin  2  1888  (jetzt  •  1900  von 
£.  Schwyzer  mit  erheblich  erweitertem  Material). 


128  Jahresberichte  d.  Philo  log.  Vereins. 

der  Grainraatikerzeugnisse  die  Lesungen  der  besten  Hss.,  beson- 
ders Cpr.,  zugrunde  gelegt  worden.  Danach  ergeben  sich  gegen- 
über  der  bisherigen  falschen  oder  schwankenden  Praxis,  ins- 
besondere Cobets  und  Hugs  (ich  füge  die  Schreibungen  dfs 
letzteren,  wenn  nötig,  in  Klammern  bei),  folgende  Resultate: 

A.  Lautlehre.  1)  Lesezeichen:  Zu  schreiben  ist 
a&qoog  und  ä&Qoi£(x>  (bisher  ä&Q.)>  avium;  o3  rj,  oi\  ai  mit 
Akzent,  wenn  pronominal  gebraucht;  mit  Wahrscheinlichkeit 
Taprig,  -w,  -wv\  dvxevnoitXv  (früher  3  W.);  ovo*  wc  (*»$)• 
<f(pi(n  enkl.  —  2)  Vokalismus:  M i&q a 6 dx «/$,  2vQaxo<fioc+ 
Id&tjpala  und  ^Ax^fjvä.  sXäa  (ikaia),  alsxog  (dsxog),  xaioi 
(xomö),  xXaioa  (xXdw),  jedoch  aiei  und  dei,  die  erstere  Form 
aber  nur  da,  wo  die  guten  Hss.  sie  haben.  Tj{ii  co  ßsXtov  (o  und 
o).  Mit  €i  zu  schreiben:  fiei^co,  tsIgw,  OXsidaiog,  zQstg  xcci 
6  ixet  (bisher  *),  mit  *:  oixriQco,  MaQwvixfjg,  dvdxiov  (bisher  **); 
nur  mit  v:  vog  und  ög/vd  (vi).  Ohne  *  subscr.  ngdog  und 
rtuiog,  dagegen  Ö-vfiaxw,  XjjCopai,  tuifiprJGx<tiy  o~a>£o0,  %QJl£<*>.  — 
3)  Elision:  Hier  ist  bei  dem  Schwanken  der  Inschriften 
(Meisterhans 8  S.  69  f.)  den  besten  Hss.  zu  folgen,  welche  die 
Elision  recht  oft  meiden,  während  Cobet  (weniger  Hug),  dem 
späteren  Attizismus  folgend,  sie  allzu  reichlich  in  den  Text  ein- 
führte. 4)  Krasis:  xäXXa  (VI  1,  33  xd  d'aXXa),  weitere  Einzel- 
heiten s.  Bemerkungen  S.  541,  xd  avxo  (xavxo)  und  xd  avxov 
(xavxov)  sind  gleichberechtigt,  im  Plural  ist  xavxd  viel  häufiger 
atexdavxd.  5)  Ausstoßung  eines  Vokals  im  Worte:  olopai, 
woprjv  u  s.  w.  sind,  wo  die  guten  Hss.  sie  haben,  zu  behalten, 
ebenso  aber  oipat  u.  s.  w.  an  ihren  Stellen.  6)  Konsonan- 
tismus: 2r]lv[ißQLcc;  yLdqhG a^Aögafivx iov  (keine  Gemination); 
das  v  iysXxväxixöv  vor  Vokalen  und  am  Ende  der  Sätze  all- 
gemein durchzuführen  ist  unstatthaft.  Es  ist  nach  den  besten 
Hss.  zu  setzen  oder  nicht,  gleichviel  ob  vor  Vokalen  oder  Kon- 
sonanten. Im  allgemeinen  steht  es  so,  daß  in  den  Hss.  das  v 
vor  Vokalen  seltener  ausgelassen,  vor  Konsonanten  häufiger 
gesetzt  wird.  Es  steht  meist  vor  Sinnesabschnitten.  In  den 
Inschriften  nimmt  sein  Gebrauch  zu,  je  näher  wir  der  römischen 
Zeit  kommen;  mit  eixotii  steht  es  ähnlich,  ovzooe  nicht  vor  a. 
Fälle  von  Buchsta  ben Verwechselung:  nXfMT&evfjg  (IV  6, 
1  u.  3;  0Enic&€Vtig),  Java  (ßoava  I  2,  20),  Aedvvpog 
(KXsoivvfiog  IV  1,  18). 

ß.  Flexionslehre.  1)  Deklination.  Substantiva: 
xcufAaQXog  (Hss.  -rjg),  axdöioi  und  axddia,  Gixia  und  aXxa% 
vavXov  V  1,  12,  -wi>,  aber  auch  -iatp  im  Gen.  Piur.  der  Neutra 
auf  -og  der  3.  Dekl.,  -4ag,  aber  auch  -etg  im  Acc.  Plur.  der 
Wörter  auf  -evg;  Adjekliva:  &av[iaGxog  und  Öav[idoiog+ 
dnaqdaxevog,  aber  auch  dnaQaGxevadioc,  oqsivog,  d&QOog* 
Bvvooh  (II  4,6),  sonst  tvvoi,  <piXaix€QOf  (<piXz€Qov);  die  kürzeren 
Formen  der  Komparative  auf -w  und  -ovg  sind  dreimal  so  häutig 


Xeoophon,  vod  R.  Ullrich.  129 

als  die  auch  zulässigen  längeren  auf  -ova,  -oveg,  -opag,  manch- 
mal    stehen     kürzere    ufld    längere    unmittelbar    nebeneinander; 
nXiovog  u.  s.  f.,    aber  auch  et  möglich,   vor    langem  Vokal    nur 
**,  Neutr.  nur  nXiov.    Pronomina:  Die  Reflexivformen  hamov^ 
avrov   mit   ihren   Kasus,    auch  avzov  je  nach  der  besten  Über- 
lieferung, nag  und  anag  (38  : 8).  —  2)  Konjugation.  Verbal- 
endungen: 2.  P.  Sing.  Pass.  Med.  -#  (nicht  ei)\  Opt.  Aor.  Act. 
3.  P.  Sing,  -ca   und  -*#«  (5:17),  2.P.  Sing,  -atg,   3.  P.  Plur. 
-8HXV    und    -cuev   (12:3);    bei    den  Optativformen  auf  -eiri^sv 
u.  s.  w.    bezw.  -tTpev   überwiegen    die    unkontrahierten    Formen 
(5:3),    -aiijfjLev    u.  s.  w.    und    -atfisv  (6:3),    -olfjfisv  u.  s.  w. 
-otpsv  (2:14),   dagegen  nur  -ww  und  -<»*i>;    I  4,8  schlägt  G. 
Itav    vor  (Hug  I6vt(av)j    läßt   aber    Urwtiav   im  Texte  stehen; 
vgL  oben  S.  120.  — ■  Augment:  st  wird  #,  ev  und  av  wird  lyv, 
von  cdioxofiai  nur  idXco  (mit  den  Inschriften  gegen  die  National- 
grammatiker,   die   auch    ylw   zulassen),    txqo  +  e  durchgehen ds 
mit    Krasis    ttqov   (die  Hss.  oft   auch  nqoa).    Präsensstamm: 
inipeXtta&at  und  intiis'lsti&cu,  d-iloo  und  id-SXw,  112,3  und 
13  will  6.  statt  der  Formen  övvovTog  und  övvovti  die  von  dvofiav 
(dvvrog  und  dvvtt)  setzen,  nach  Meisterhans 8  178.     Aber  dessen 
kategorische  Erklärung:    „dvoficci,  nicht   dvvw   heißt  untergehen" 
läßt  sich  doch  bei  der  Menge  von  Stellen  auch  bei  andern  Schrift- 
stellern,   die   in    guter  Überlieferung   Formen    von  dvvw    haben, 
nicht  aufrecht  erhalten,    und    ihr  Fehlen  in    den  Inschriften  be- 
rechtigt noch   nicht,    sie  bei  den  Schriftstellern  zu  streichen;    s. 
daher  oben  S.  120;  xccTaxaivco,  xzeivco,  äiroxTsivw,  arcoxxivvvnv 
nebeneinander,  ebenso  xvXivdoo,  xvXi,vd£(x),  xccXwdsoficu,  qmtso) 
und  qimto  nebst  Komp.,  nqoataxsvacct  V  6,  21  (ttqogtcczijgcu), 
nizovTa*  I  5,3  (nhavtcu).    Futurstamm:  Die  Verba  auf -dC(o 
haben    nur  -crcn»   (ikavwa  hat  iÄoo),  nXsvaovfxai,  nvevaoviicu, 
(fsv^ovfiat  neben  nXeväOficci  u.  s.  w.    Per  f.  II  Act.:  diäoixu  und 
didtcr,   idsdieaav  V  6,  36  (ßdedtaav).     Per  f.  Pass.:   ai<ra)pai 
(atöaxfiiai).    Aor.  I  Pass:  dnsxQi&rj,  auch  ansxqivaxo  (II  1,22 
u.  23  hintereinander).    Unregelmäßige  Verba:  jjdsiv  und  ijdi], 
dnjja  (VII  6,  33);  antiQ%ovTOt  das  von  Cobet  für  unattisch  gehalten 
wurde  (daher  Hug  &%ovro  mit  den  det.)  ist  IV  6,22  zu  belassen. 
G.  Syntax.     Fehlen    des    Prädikats:    In    kurzen  Sätzen 
fehlt    häufig    iariv,    besonders    bei   ärdyxr],    dagegen   nur  selten 
TJP,  und  G.  ist  geneigt  (Bern.  S.  552),  es  dann  wiedereinzusetzen, 
ebenso    V  2,  26    den    fehlenden  Plural  r\<sav    mit   den   det.     Ich 
glaube  nicht,  daß  wir  dazu  berechtigt  sind,  wo  Cpr.  das  Prädikat 
nicht    hat;    die    Bemerkung    von   Meisterhans,    welche  G.  an  die 
Spitze    dieses   Abschnitts   stellt  (jetzt   in  etwas  genauerer  Form  3 
S.  195,  §80,   1.3)   hilft   hier  wenig;    denn  „Aufschriften  unter 
Statuen,  auf  Wegweisern  u.  s.  f.u  haben  ihren  eigenen,   von  dem 
literarischen    abweichenden    Stil;    vgl.    daher    oben    (S.  114)    zu 
VJI  2,  13.      Singular   des    Verbs    beim    Neutr.   Plur.    des 

Jahresbericht«  XXX.  9 


130  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Subjekts  kann  nicht  allgemein  durchgeführt  werden;  Heister- 
hans8 S.  198,  §83,  B,  5  bedarf  der  Ergänzung.  Dualis  des 
No mens:  ovo  mit  dem  Dual  des  Subst.  ist  selten,  meist  steht 
der  Plural.  Präpositionen  werden  oft  vertauscht  (Beispiele 
Bern.  S.  553),  elq  ist  gewöhnlich,  aber  auch  ig  erlaubt,  ebenso 
verhält  es  sich  mit  avv  und  £rV,  Ivtia  und  Zvextv.  Der 
Artikel:  a)  bei  Eigennamen:  Hier  herrscht  bei  X.  große  Will- 
kür, die  besten  Hss.  müssen  entscheiden;  Hug  war  hierin  nicht 
konsequent.  Auch  bei  der  Apposition  in  Verbindung  mit  Personen- 
namen ist  der  Gebrauch  sehr  mannigfaltig,  teils  stehen  beide 
ohne,  teils  beide  mit  Artikel,  oder  der  Eigenname  ohne,  die 
Apposition  mit  Artikel;  G.  hat  (Beitr.  II  S.  21  f.)  eine  Einteilung 
versucht.  Jedenfalls  hat  man  sich  auch  hier  vor  mechanischer 
Gleichmacherei  zu  hüten;  ebenso  bei  den  Namen  von  Göttern, 
Völkern,  Ländern,  Städten,  Flössen  und  Festen  (a.  0.  S.  22—23), 
b)  bei  Appellativen.  Auch  hier  ist  der  Gebrauch  sehr  mannig- 
faltig; interessant  ist,  wie  verschieden  der  Artikel  bei  dem  oft 
begegnenden  GTQCCTtjyoi  xal  Xo%ayoi  gebraucht  wird  (Bern. 
S.  556).  —  "ExaöTog  muß  den  Artikel  haben.  Im  Gebrauch  von 
Simplex  und  Kompositum  finden  sich  viele  Abweichungen 
in  den  verschiedenen  Hss.;  nur  die  besten  in  Verbindung  mit 
der  Beobachtung  des  Sprachgebrauchs  können  entscheiden.  Tem- 
pora: Das  Imperfekt  statt  eines  Aorists  oder  Plusquamperfekts 
findet  sich  nicht  selten  bei  X.  gebraucht,  ist  aber  oft  gegen  die 
besten  Hss.  geändert  worden  und  muß  in  seine  Rechte  ein- 
gesetzt werden,  ebenso  nicht  selten  der  Konjunktiv  des  Präsens 
statt  des  Konj.  des  Aorists.  Seltener  ist  der  ursprungliche 
Aorist  von  seinem  Platze  gedrängt  worden.  Modi:  Hervor- 
zuheben ist  der  von  schlechten  Hss.  oft  vernachlässigte  Gebrauch 
des  Indikativs  nach  einem  historischen  Tempus  in  abhängigen 
Aussagesätzen  und  indirekten  Fragesätzen  (Beispiele  Bern.  S.  558), 
der  seltene  des  Konjunktivs  nach  einem  Nebentempus  in  Final- 
sätzen (G.  sammelt  a.  a.  0.  S.  559  27  Beispiele  aus  Buch  1),  desgl. 
der  des  Imperfekts  für  den  iterativen  Optativ  in  hypothetischen 
Relativsätzen  (Joost  a.  a.  0.  S.  250),  der  häuGge  Gebrauch  des 
Infinitivs  praesentis  mit  äv,  des  Infinitivs  aoristi  auch  nach  Verben 
wie  vnHSxvsXc&cu,  sXni&iv  u.  ä.,  wo  Hug  oft  gegen  die  guten 
Hss.  zum  Futurum  neigte,  des  InGnitivs  aoristi  an  Stellen,  wo 
wir  den  des  Präsens  erwarten,  desselben  in  Verbindung  mit  äv, 
ebenso  des  Partizips  mit  äv  (iterativ,  IV  7,  16).  JJqIv  fj  c.  inf. 
wird  IV  5,  1  aus  dem  hs.  nQwq  (Cpr.)  glucklich  geschlossen  und 
konnte  durch  Meisterhans  (8  S.  251,  13)  gestutzt  werden.  Der 
Gebrauch  von  idv,  ijv,  äv  bezw.  ineidäv,  irnjv,  inär  muß  sich 
wieder  nach  den  besten  Hss.  regeln  (doch  vgl.  Beitr.  II  S.  31  f.); 
Joosts  Sammlungen  zu  insi  und  instar}  (a.  a.  0.  S.  214  f.) 
werden  (Bern.  S.  563)  berichtigt.  Jy  wird  statt  ds  in  seiu 
Recht    mehrmals    wiedereingesetzt,   ebenso    treffend    darauf  hin« 


Xenophon,  von  R.  Ullrich.  131 

gewiesen,  wie  leicht  es  Verwechselungen  mit  ijdij  bezw.  iy,  sowie 
iu  Majuskelschrift  mit  av  und  ccv  ausgesetzt  war,  woraufhin 
manche  Stellen  gebessert  werden  konnten,  doch  zu  II  2,  1,  II 
3,28  und  IV  1,24  (Bern.  S.  564)  vgl.  oben  S.  120 f.;  ts  und 
yi  konnten  in  Majuskel-  wie  Minuskelschrift,  16  und  de  bei 
Minuskeln  verwechselt  werden;  auch  diese  Beobachtung  ist  nicht 
ohne  Frucht  geblieben. 

So  hat  sich  Gemoll  auch  um  die  Herstellung  der  echten 
sprachlichen  Form  der  Anabasis  die  größten  Verdienste  erworben, 
indem  er  die  Einseitigkeiten  Cobets,  der  vor  ihm  dasselbe  leisten 
wollte,  vermied  und  die  Ergebnisse  der  Inschriftenforschung  mit 
der  auch  hier  mit  Recht  hervorgehobenen  besten  hs.  Ober- 
lieferung aufs  glücklichste  verband.  Die  Bedeutung*  dieser  nun 
geleisteten  Arbeit  kann  kaum  hoch  genug  angeschlagen  werden. 
Nicht  allein  daß  wir  jetzt  einen  erheblich  besseren  Text  der 
Anabasis  haben  als  bisher,  auf  welchem  Sprachwissenschaft  wie 
Geschichte  sicherer  forlbauen  kann;  auch  der  griechische  Unter- 
richt des  Gymnasiums,  der  im  ersten  Jahre  auf  die  Anabasis  vor- 
bereitet, im  zweiten  und  z.  T.  noch  im  dritten  an  sie  anknöpft, 
wird  sich  der  Pflicht  nicht  entziehen  dürfen,  aus  den  Resultaten 
dieser  Ausgabe  nach  der  sprachlichen  Seite  hin  die  notwendigen 
Folgerungen  zu  ziehen.  Die  grammatischen  Lehrbücher 
müssen  noch  mehr,  als  dies  bisher  (z.  B.  besonders  bei 
Kaegi)  geschehen  ist,  einer  gründlichen  Durchsicht 
unterworfen  werden,  die  feststellt  in  der  Formen- 
lehre, was  noch  als  richtig  gellen  kann,  in  der  Syntax, 
was  gebräuchlich,  was  selten,  aber  doch  nicht 
schlecht  ist.  Die  Steine  reden  eine  zu  deutliche  Sprache,  und 
wenn»  wie  jetzt  schon  vielfach  der  Fall,  Gemolls  Text  als  der 
iieste  vorhandene  allgemeiner  in  Gebrauch  genommen  wird,  müsssen 
die  Grammatiken  ihm  folgen. 

Konnte  ich  so  in  der  Sache  in  diesem  vierten  und  letzten 
Abschnitt  meiner  Besprechung  Gemoll  fast  überall  zustimmen,  so 
bin  ich  andrerseits  nicht  ganz  einverstanden  mit  der  Form  der 
Kritik,  welche  er  an  Hug  übt.  Gewiß  hat  Hugs  Ausgabe  ihre 
Mängel;  aber  was  besonders  die  grammatische  Seite  der  Texles- 
rezension betrifft,  so  darf  nicht  vergessen  werden,  wie  viel  bequemer 
wir  es  heute  mit  den  handlicheren  Inschriftensammlungen,  statisti- 
schen Zusammenstellungen  aller  Art  und  Verarbeitungen  des  in- 
schriftlichen Materials  nach  den  verschiedensten  Seiten  hin  haben 
als  vor  25  Jahren  Hug,  der  alle  Einzelheiten  aus  den  Bänden 
des  Corpus,  soweit  es  eben  vorlag,  herausgraben  mußte.  Wo 
waren  da  die  Riemann,  Diltenberger,  Meisterhans  und  die  andern 
guten  Freunde  alle,  die  es  uns  jetzt  so  leicht  machen!  Freuen 
wir  uns  also  der  Fortschritte,  die  wir  inzwischen  gemacht  haben, 
und  lassen  Hug  die  Ehre,  auf  die  er  Anspruch  hat;  denn  seine 
Ausgabe  war  für  seine  Zeit  eine  tüchtige  Leistung. 

9* 


132  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Zum  Schluß  noch  einige  Äußerlichkeiten,  Berichtigungen, 
Wunsche,  Die  Ausstattung  der  Ausgabe  verdient  alles  Lob.  Die 
Druckeinrichtung  ist  gut,  durch  häufiges  Absetzen  wird  die  Über- 
sicht erleichtert,  eine  zweckmäßige  Interpunktion  kommt  dem 
Leser  zu  Hilfe.  Eine  kleine  Nachlese  von  Druckfehlern  ist  schon 
in  früheren  Besprechungen  geliefert  worden,  ich  fuge  noch  %(aqa 
(VI  4,  7)  hinzu.  Der  knappe  kritische  Apparat  ist  nicht  vorr 
sondern  unter  dem  Text  gegeben,  entschieden  ein  Vorzug.  Gern 
sähe  ich  den  Apparat  etwas  reichlicher,  besonders  nach  der  gram- 
matischen Seite  hin,  doch  wäre  die  Grenze  des  Zuzulassenden 
freilich  dann  schwer  zu  ziehen.  Sehr  wünschenswert  aber  wäre 
es,  wenn  der  gelehrte  Herausgeber,  der  auf  dem  Gebiete  der 
Xenophonliteratur  bewandert  ist  wie  wenige,  bei  einer  hoffentlich 
bald  notwendigen  Revision  der  Ausgabe  sich  entschließen  könnte* 
die  Ausgaben,  Abhandlungen  u.  s.  w.,  auf  die  er  sich  zu  den  ein- 
zelnen Stellen  meist  mit  bloßer  Namensnennung  beruft,  am  Schluß 
der  Praefatio  in  chronologischer  Ordnung  kurz  zusammenzustellen. 
Die  Benutzer  der  Ausgabe,  und  es  sind  doch  nicht  nur  Spezial- 
forscher, können  sich  dann  etwas  leichter  weitere  Belehrung  holen« 
als  dies  jetzt  möglich  ist. 

Es  liegt  in  der  Natur  der  Sache,  daß  die  zweite  Oxforder 
Ausgabe  Dindorfs  (1855),  die  Ausgaben  Schenkls  (1869)  und  Hugs 
(1878)  auch  jetzt  noch  nicht  entbehrlich  geworden  sind.  Darum 
hoffen  wir,  der  Herausgeber  werde  seine  Arbeiten  über  Xenophon 
mit  einer  größeren  kritischen  Ausgabe  der  Anabasis  abschließen, 
die  in  der  Tat  notwendig  ist.  Hier  wäre  der  Text  wohl  noch 
erheblich  enger,  als  es  in  der  vorliegenden  Ausgabe  schon  ge- 
schehen ist,  und  unter  Ausschließung  aller  nicht  völlig  sicheren 
Vermutungen  an  Cpr.  anzuschließen  und  das  gesamte  handschrift- 
liche und  gelehrte  Material  vorzulegen;  ein  ausführlicher  Index 
verborum  hätte  dann  den  an  vielen  Mängeln  leidenden,  überdies 
hinsichtlich  des  Textes  veralteten  Dindorfschen  zu  ersetzen  und 
könnte  ein  Gegenstück  zu  dem  in  Kellers  großer  Ausgabe  der 
Hellenika  vorliegenden  und  dem  von  zwei  gelehrten  Amerikanerinnen 
für  die  Memorabilien  jüngst  gelieferten  (vgl.  u.  Nr.  IV)  bilden. 
So  würde  uns,  nachdem  wir  auch  für  eine  Anzahl  der  kleineren 
Schriften  gute  Indices  erbalten  haben  (s.  o.  S.  127,  A.  1),  annähernd 
der  ganze  Wortbestand  Xenophons,  wie  er  auf  Grund  kritischer 
Prüfung  des  Materials  sich  ergeben  hat,  vorliegen  und  dem  Neu- . 
bau  eines  Lexicon  Xenophonteum,  zu  dem  das  alte,  aber  in  Er- 
mangelung eines  besseren  doch  noch  nicht  ganz  veraltete  von 
Sturz  (1801 — 1804)  noch  manchen  Baustein  liefern  würde,  nichts 
mehr  im  Wege  stehen.  Den  Pessimismus  des  Herausgebers,  der 
in  der  Vorrede  zu  seinem  kleineren  Wörterbuch  zu  Anabasis,. 
Hellenika  und  Memorabilien  (Leipzig  1901,  vgl,  den  nächsten 
Jahresbericht)  die  Vorbedingungen  für  ein  solches  Unternehmen 
nicht  günstig  findet,  teile  ich  nicht  in  einer  Zeit,  die  uns  so  viele 


Xenophon,  von  B.  Ullrich.  133 

vortreffliche  Werke  auf  dem  Gebiete  der  griechischen  Altertums- 
wissenschaft teils  geschenkt  hat,  teils  schenken  wird.  Der  klassische 
lateinische  Prosaiker  hat  seinen  mustergültigen  Lexikographen  ge- 
funden; es  wäre  schade,  wenn  der  entsprechende  griechische 
noch  Jahrzehnte  darauf  warten  sollte,  nachdem  die  Erkenntnis 
seines  Sprachgebrauchs,  nicht  am  wenigsten  von  G.  selbst,  in  den 
letzten  Jahrzehnten  durch  so  viele  treffliche  Arbeiten  gefördert 
worden  ist.  Einem  so  sachkundigen  Bearbeiter  wie  G.  würde  ein 
verständnisvoller  Verleger  nicht  fehlen.  Daß  eine  wissenschaft- 
liche, erklärende  Ausgabe  unseres  Autors  (an  Schulausgaben 
ist  kein  Mangel)  ebenfalls  ein  dringendes  Bedürfnis  ist,  soll  hier 
nur  angedeutet  werden. 

23)  Xeoophons  Anabasis.  Textansgabe  für  den  Schulgebranch  von 
W.  Gern  oll.  (Schultexte  der  ßibliotheca  Teubneriana.)  Leipzig  und 
Berlin  1902,  B.  G.  Teubner.  Zweite  (Titel-)  Auflage.  XXXIV  u. 
297  S.     8.     geb.  1,60  JfC. 

Anzeige:  F.  Müller,  Berl.  phil.  WS.  1898  Sp.  1181. 

Gemolls  „Schultext"  der  Anabasis  vom  Jahre  1896  hat  in 
den  Fachzeitschriften,  wie  die  einzige  oben  verzeichnete,  zudem 
ganz  kurze  Anzeige  beweist,  nicht  die  Beachtung  gefunden,  die 
er  verdient,  sowohl  was  die  Textesgestaltung  selbst  angeht  wie 
die  Beigaben,  welche  die  Brauchbarkeit  in  der  Schule  zu  erhöhen 
bestimmt  sind.  Ich  gehe  deshalb  aus  Anlaß  des  (unveränderten) 
Neudrucks  etwas  näher  auf  die  Ausgabe  ein,  indem  ich  für  viele 
Einzelheiten  auf  meine  Besprechung  der  editio  maior  (S.  108  IT.) 
verweise. 

G.  bietet  einen  vollständigen  Text  der  Anabasis,  was 
durchaus  zu  billigen  ist.  Der  Lehrer  wird,  wenn  er  nicht  ganze 
Bücher  lesen  will,  selbst  am  besten  eine  Auswahl  treffen  und 
darf  nicht  von  vornherein  gebunden  werden.  Deutsche  Über- 
schriften im  Texte  oder  am  Rande  sind  nicht  gegeben,  dagegen 
hat  G.  versucht,  am  Rande  die  Chronologie  durch  Angabe  der 
Daten  zu  bezeichnen  (vgl.  auch  S.  XXX — XXXIV).  Reichliche 
Interpunktion,  ebenso  reichliche  Absätze  erleichtern  die  Übersicht 
und  das  Verständnis;  die  Hauptpunkte  sind  durch  Sperrdruck 
hervorgehoben.  Doch  ist  von  diesem  Mittel,  wie  mir  scheint,  zu 
häufig  Gebrauch  gemacht  worden  (vgl.  z.  B.  S.  1,6,  23,  26.)  Ich 
würde  auch  darauf  lieber  ganz  verzichten;  bei  der  an  sich  schon 
splendiden  Druckeinrichtung  heben  sich  übrigens  die  gesperrten 
Worte,  besonders  wo  sie  sehr  zahlreich  zwischen  anderen  vor- 
kommen, nicht  immer  deutlich  genug  ab,  und  das  Auge  wird 
nicht  angenehm  berührt. 

Der  Text  selbst,  dessen  Gestaltung  G.  in  den  oben  (S.  108 
unter  t — 3)  erwähnten  Abhandlungen  vorbereitet  und  in  den 
„Bemerkungen1'  (ebenda  5)  begründet  hatte,  ist  illcht  etwa  nur 
ein  wenig  veränderter  Abdruck  des  Hugschen,  sondern  eine 
nach    selbständigen,    durchaus    zu    billigenden    Grundsätzen    des 


134  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Herausgebers  durchgeführte  Neubearbeitung,  die  auf  jeder  Seite 
einen  Fortschritt  bezeichnet.  Durch  genaue  Prüfung  der  Hss» 
und  ihres  Abhängigkeitsverhältnisses  voneinander,  besonders  durch 
die  Erkenntnis  der  Bedeutung  und  auch  wirkliche  Verwertung 
von  Cpr.  (Parisinus  1640)  ist  die  Kritik  auf  eine  neue  Grundlage 
gestellt  worden;  die  Versuche  Cobels  und  anderer,  der  Sprache 
Xenophons  durchgehends  die  attische  Reinheit  zu  geben,  werden 
zurückgewiesen  und  so  unter  Hervorhebung  der  Lesungen  von 
Cpr.  und  Heranziehung  der  attischen  Inschriften  für  Fragen  der 
Orthographie  und  Grammatik  ein  erheblich  richtigerer  Text  der 
Anabasis  gewonnen.  Hoffentlich  wird  auch  alimählich  erreicht, 
daß  die  Neuerungen  der  letzten  Art  (vgl.  oben  S.  128  ff.)  in  den 
Schulgrammatiken,  die  neben  der  Anabasis  gebraucht  werden r 
Berücksichtigung  finden.  Übereinstimmung  hierin  ist  auch  im 
didaktischen  Interesse  notwendig. 

G.  hat  1898,  zwei  Jahre  nach  Erscheinen  des  ersten  Drucks 
dieser  Ausgabe,  Cpr.  noch  selbst  verglichen  und  dadurch,  sowie 
durch  wiederholte  Nachprüfung  fremder  und  eigener  Konjekturen 
in  seiner  größeren  Ausgabe  (vgl.  Nr.  22)  einen  in  vieler  Hinsicht 
noch  besseren  Text  gewonnen.  Es  wäre  zu  wünschen,  daß  der 
Verleger  sich  bereit  finden  ließe,  dessen  Vorzüge  auch  dem  „Schul- 
text" bald  zugute  kommen  zu  lassen.  Da  ich  jene  Ausgabe  obent 
ausführlich  beeprochen  habe,  kann  ich  hier  darauf  verzichten, 
mich  zu  einzelnen  Stellen,  bei  denen  ich  abweichender  Meinung 
bin,  zu  äußern;  ich  will  nur  dies  auch  hier  noch  besonders  her- 
vorbeben, daß  G.  nach  meiner  Meinung  unter  Ausschluß  vieler 
fremder  und  eigener  Vermutungen  sich  vielleicht  noch  enger,  als 
er  es  getan  bat,  an  Cpr.  anschließen  könnte.  Natürlich  muß  die 
Schulausgabe,  darin  stimme  ich  dem  Herausgeber  durchaus  bei, 
einen  lesbaren  Text  bieten  und  sich  in  verzweifelten  Fällen 
einer,  wenn  auch  unsicheren  Vermutung  bedienen  (z.  B.  III  4,  21 ; 
IV  8,  27;  VII  4,  18  u.  ä.;  vgl.  Nr.  22  zu  den  St.).  Ich  glaube 
aber,  daß  wir  selbst  unter  diesem  Gesichtspunkte  an  einer  ganzen 
Reihe  von  Stellen,  wie  ich  oben  gezeigt  habe,  der  Änderungen 
völlig  entraten  können. 

In  der  Einleitung  (S.  VII— XXXIV)  gibt  G.  zunächst  (S.  VII 
— IX)  eine  knappe  Übersicht  über  Xenophons  Leben.  Hier  ist 
S.  VII  Z.  2  v.  u.  „Leuktra"  zu  schreiben.  Der  Ton  scheint  mir 
in  diesem  Abschnitt  für  einen  Obertertianer  zu  hoch,  auch  könnte 
das  persönliche  Moment  etwas  mehr  hervortreten.  S.  IX — X! 
folgt  eine  Obersicht  über  X.s  Schriften,  die  G.  in  historische* 
philosophische,  nationalökonomische  und  technische  gliedert.  Die 
Anabasis  trägt  ein  einheitliches  Gepräge;  bei  den  Hellenika  denkt 
G.  an  Abfassung  nach  Partieen.  Den  Themistogenes  läßt  er  eine 
besondere  Anabasis  verfassen.  Über  die  Abfassungszeit  der  ein- 
zelnen Schriften  gibt  G.  bestimmtere  Daten,  als  wir  nach  Lage 
der  Dinge  wissen  können.    Der  „Agesilaos"  sollte  nicht  mehr  für 


Xenophon,  von  R.  Ullrich.  135 

unecht  erklärt  werden.  Vielleicht  konnten  in  einer  Schulausgabe 
iiie  zahlreichen  kleineren  Schriften  überhaupt  beiseite  gelassen 
und  dafür  die  drei  Schulschriften  etwas  eingehender  behandelt 
werden,  mehr  in  bezug  auf  ihre  Bedeutung  nach  Inhalt  und  Form 
als  nach  der  literarhistorischen  Seite,  die  hier  zu  sehr  in  den 
Vordergrund  tritt.  Für  vortrefflich  und  bei  aller  Knappheit  doch 
für  genau  genug  halte  ich  den  Abschnitt  über  das  griechische 
Kriegswesen  zu  Xenophons  Zeit,  der  über  Bewaffnung,  Truppen- 
gattungen, Elementartaktik,  Söldnerheere,  Märsche,  Lager  und 
Schlacht  (S.  XI — XXIII)  handelt.  Der  Schüler  hat  hier  ein  Gegen- 
stück zu  dem  Abriß  von  Rudolf  Schneider  in  Meusels  Cäsarausgabe. 
Auch  die  taktischen  Neuerungen  Xenophons  (X6%oi,  oq&ioi, 
Reserve;  vgl.  oben  S.  94)  haben  S.  XVI  ihre  Stelle  gefunden. 
Dieser  Abschnitt  wird  durch  eine  Waffentafel  am  Schluß  veran- 
schaulicht. Die  nach  Kapiteln  gegebene  Obersicht  des  Inhalts  der 
ganzen  Anabasis  (S.  XXIV — XXIX)  halte  ich  für  entbehrlich;  vgl. 
oben  S.  101.  Endlich  gibt  G.  am  Schlüsse  der  Einleitung  (S.  XXX 
— XXXIV)  eine  Zeittafel;  daß  hier  manches  unsicher  bleibt,  ist 
natürlich;  man  darf  aber  Xenophon  keinen  Vorwurf  daraus  machen, 
daß  er  in  seinem  Werke  Ausdrücke  wie  fjpiQag  Ttlslovg  ij 
slxotit,  äfupi  rag  tqmxxovtcc  u.  ä.  gebraucht;  Memoiren  sind 
keine  Annalen.  Das  Verzeichnis  der  Eigennamen  (S.  274 — 297) 
ist  sehr  ausführlich;  die  Zusammenstellungen  aller  Stellen  über 
die  einzelnen  Heerführer  u.  ä.  (vgl.  z.  B.  Bevocpwv,  'EXXtjvsg  u.  a.) 
sind  sehr  nützlich  und  geben  Biographieen  in  nuce.  Zu  i€Q<avvpog 
vgl.  oben  S.  114  f.     Die  übliche  Karle  ist  beigefügt. 

Ich  stehe  nicht  an,  diese  Schulausgabe  der  Anabasis  als  die 
beste  zu  bezeichnen,  die  wir  zur  Zeit  haben.  Ausstattung  und 
Druck  sind  gut. 

B)    Beitrage  zur  Kritik  und  Erklärung;  der  Anabasis. 

24)  Panl  Cauer,  Grammatica  militans.  Erfahrungen  und  Wünsche 
im  Gebiete  des  lateinischen  und  griechischen  Unterrichts.  Berlin 
1898,  Weidmannsche  Buchhandlung.  VIII  u.  168  S.  gr.  8.  geb.  3,60  Jt. 
(Zweite,  vielfach  verbesserte  und  zun  Teil  umgearbeitete  Auflage 
1903.     VIII  u.   182  S.) 

Anzeigen:  M.  Wetzel,  Gymnasium  1899  Sp.  11—15.  —  0.  Weißen- 
fels, WS.  f.  klass.  Phil.  1899  Sp.  76—81.  —  Meltzer,  Württ.  Korr. 
1899  S.  68—71.  —  F.  Müller,  Berl.  phil.  WS.  1899  Sp.  532—536.  — 
0.  Weißenfels,  DLZ.  1899  Sp.  536.  —  H.  Ziemer,  Ztschr.  f.  d.  GW. 
1899  S.  395—403.  —  A.  Dittmar,  N.  Jahrb.  f.  d.  klass.  Alt.  1899. 
II,  S.  142—150.  —  A.  Frank,  Ztschr.  f.  d.  Ost.  Gymn.  1899  S.  319— 
321.  —  E.  Martinak,  Österr.  Litbl.  1899  S.  174.  —  K.  Rück,  Bl.  f.  d. 
GSW.  1900  S.  82— 8S.  —  2  0.  Weißenfels,  WS.  f.  klass.  Phil.  1904 
Sp.  300  f. 

Anlage  und  Bedeutung  von  Cauers  Schrift,  als  Ganzes  be- 
trachtet, sind  in  den  angeführten  Besprechungen  gewürdigt  worden, 
und    besonders  die  von  Meltzer  und  Ziemer  haben,    wie  C.  S.  VI 


,136  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

selbst  sagl,  fördernd  auf  die  neue  Auflage  eingewirkt.  Daß  die 
Grammatik  bei  dem  ersten  griechischen  Schriftsteller,  der  den 
Schulern  des  Gymnasiums  in  die  Hände  kommt,  bei  Xenopbon, 
als  Vorkämpferin  geistiger  Bildung  eine  Rolle  zu  spielen  hat, 
ist  selbstverständlich,  und  Verf.  hat  denn  auch  sieben  Stellen  der 
Anabasis  (Hl  1,  12,  sowie  mehrere  Stellen  des  Thukydides  fehlen 
übrigens  im  Index 2  III)  und  drei  der  Memorabilien  (die  dritte, 
II  6,  31,  ist  in  der  zweiten  Auflage  hinzugekommen)  behandelt. 
Da  sie  in  den  genannten  Anzeigen  keinen  Platz  gefunden  haben, 
mögen  sie  hier  kurz  besprochen  werden. 

In  Abschnitt  VII  (Tempora)  werden  S.  95  (2  99)  im  An- 
schluß an  die  übliche  Unterscheidung  der  Handlung  des  Aorist- 
und  Präsensstammes  (Eintreten,  Dauer)  einige  Fälle  der  Anabasis 
besprochen,  für  welche  diese  Erklärung  nicht  mehr  genügt:  I  1,  8 
rjfyov  do&rjvai  ol  tavvccg  rag  noletg  päkkov  jj  TiöCCKpeQVTjv 
iiqi%iv  avtäv  ist  die  „schnell  sich  vollziehende  im  Gegensatz 
zur  dauernden"  gemeint  (C.  zieht  zur  Erläuterung  a  S.  168  Anm.  63 
treffend  noch  Thuk.  I  103,3  heran:  xQijfjLara,  oaa  sdst,,  äno- 
dovvcti  ccvvixa  Ta£d(t€poi>  aal  %6  Xomöv  ipig€iv)\  111  3,5 
d  i  iy-d-  siqov  nqcxnovveg  Tovg  fSiqaxtdxag  xal  %va  ye  Xoxayöv 
6i£(p&€iQav  bezeichnet  der  Aorist  den  Abschluß  der  Handlung. 
Beim  Infinitiv  und  Partizip  des  Präsensstammes  sind  die  Schuler 
daran  zu  gewöhnen,  daß  beide  nicht  auf  die  Zeitstufe  der  Gegen- 
wart beschränkt  sind,  sondern  sich  auch  auf  etwas  Vergangenes 
beziehen  können,  so  Mem.  116,  31  ninsiGfia*  and  %qg  2xvXXyg 
dtä  tovto  (psvye&v  rovg  av&QWTtovc,  or*  tag  %€%qag  avzolg 
7TQoa£(psQ€,  wo  das  benachbarte  7tQoüiq>eqe  deutlich  in  die  Ver- 
gangenheit weist. 

Auch  die  übliche  Regel,  daß  abhängige  Aussagesätze  unver- 
ändert so  bleiben,  wie  sie  als  direkte  Rede  waren,  wenn  das 
regierende  Verbum  präsentisch  ist,  dagegen  nach  einem  Präteritum 
in  den  Optativ  treten,  erleidet  manche  Einschränkung,  da  die 
unveränderten  Modi  auch  in  der  „Sphäre  der  Vergangenheit4'  sich 
finden  (Abschnitt  VIII,  Modi),  so  z.  B.  (S.  107 f.,  9  114)  II  1,  3 
eXsyov  oxi  Kvgog  fisv  ri&vrixsv,  *AqiaTog  di  7t  swevy  (og  iv 
im  GTctd-fjbM  €%tj,  II  4,  16  ÜQo&vog  einevy  oxt  aviog  slp&  ov 
ZfjxsTg;  bei  der  Frage,  wie  diese  Abweichung  zu  erklären  sei, 
ergibt  sich,  daß  hier  wie  in  allen  ähnlichen  Sätzen  zwei  Vor- 
stellungsweisen vermischt  sind.  Wenn  im  Nebensatze  die  Form 
des  Hauptsatzes  beibehalten  wird,  so  ist  er  eben  noch  nicht  völlig 
zum  Nebensatz  geworden,  vielmehr  schreibt  der  Erzähler  vom 
Standpunkte  der  andern  Person  aus,  in  „deren  Seele  er  sich  so 
lebhaft  versetzt,  daß  er  sich  dieser  Verschiebung  gar  nicht  bewußt 
bleibt".  Ebenso  ist  VII  6,  23  idsi  %ä  ivi%VQa  xoxe  XaßeTv,  tag 
fAfjd'  el  ißovXero  iSvvaro  e^anaxäv  der  von  den  Grammatiken 
meist  als  etwas  Absonderliches  behandelte  Indikativ  des  Prä- 
teritums   im  Finalsätze  (S.  109,  2  115  f.)   durchaus   normal,    weil 


XenophoD,  vod  R.  Ullrich.  137 

der  regierende  Satz  eine  Aussage  enthalt,  die  mit  dem  Bewußt- 
sein des  Gegensatzes  zur  Wirklichkeit  ausgesprochen  wird. 

Im  Abschnitt  X  (Bedingungssätze)  wird  zu  Mem.  1  3,  5 
Zo)xQcitt]g  ovx  enivsv,  rf  fiij  diipwt]  darauf  hingewiesen,  daß 
Zeitsätze,  die  eine  wiederholte  Handlung  ausdrucken,  im  Griechi- 
schen das  Gepräge  von  Bedingungssätzen  tragen  (S.  133,  '  140), 
und  zum  Gebrauche  von  ov  im  Bedingungssatze  An.  f  7,  18 
(andere  Stellen  bei  Rehdantz-Carnuth)  ei  iv  xavxatg  ov  payßXxai 
%atg  qfitQcug  S.  144  (2  151)  im  Gegensatz  zu  gewaltsamen  Er- 
klärungsversuchen mit  Recht  der  ältere,  gelegentlich  wieder  auf- 
tauchende Sprachgebrauch  zur  Erklärung  herangezogen,  dessen 
ov  erst  durch  Angleich ung  an  die  wunschartigen  Bedingungssätze 
zu  pij  wurde. 

In  dem  Kapitel  IV  endlich,  welches  der  Logik  und  Psycho- 
logie gewidmet  ist,  erscheint  als  besonders  bezeichnender  Fall, 
in  dem  von  grammalischer  Korrektheit  scheinbar  hart,  aber  aus 
psychologischer  Wirkung  heraus  mit  Recht  abgewichen  ist,  die 
Steile  Mem.  I  2,  32  ort  rtavpaatov  ol  doxoirj  elvcu,  ei  %ig 
yevofievog  ßocbv  äyilyg  vopevg  xal  rag  ßovg  iXdtxovg  %e  xal 
Xeioovg  noioov  fit]  opoXoyoii]  xaxog  ßovxoXog  elvai,  hi  6i 
&av(ia0tÖTeQOV,  ei  xig  7iqo(Sxaxr\g  yevofievog  noXeoag  xal  noicav 
zovg  noXixag  Harro vg  %e  xal  %eioovq  firj  alö%vv€tai,  xtL 
(S.  57).  Von  dem  Parallelismus  der  beiden  Glieder  ist  ab- 
gewichen, damit  der  Leser  merken  soll,  daß  der  zweite  Fall  etwas 
Wirkliches  ist. 

Der  Verf.  hat  S.  4  den  hohen  Gedanken  ausgesprochen,  daß 
die  Syntax  (und  die  griechische  gewiß  nicht  weniger  als  die  zu- 
nächst hervorgehobene  lateinische)  nicht  bloß  Mittel  zum  Zweck 
der  Lektüre  sein  soll,  sondern  beide  vielmehr  Mittel  zu  dem 
„gemeinsamen,  höheren  Zwecke,  der  Durchbildung  und  Ausbildung 
des  Geistes"  sein  sollen.  Die  Besprechung  der  obigen  Stellen 
hat,  glaube  ich,  gezeigt,  wieviel  ein  feinsinniger  Interpret  erreichen 
kann,  wenn  er  sich  von  dem  Schematismus,  welcher  den  gram- 
matischen Unterricht  so  in  Verruf  gebracht  hat,  ebenso  frei  hält, 
wie  andrerseits  den  Schlagwörtern  mancher  Neueren,  welche  die 
Grammatik  höchstens  als  Magd  der  Lektüre  noch  gellen  lassen 
wollen,  eine  Behandlungsweise  im  Unterricht  entgegensetzt,  die 
mit  psychologischen  Erwägungen  gelegentlich  auch  eine  historische 
Betrachtung  zu  verbinden  weiß,  welche  die  geistigen  Kräfte  in 
hohem  Grade  anregt  und  so  ungemein  bildend  zu  wirken  im- 
stande ist  Es  ist  natürlich,  daß  derartiges,  was  Xenophon  angeht, 
seine  Stelle  hauptsächlich  in  der  Obersekunda  finden  wird,  in  der 
ja,  wie  in  den  oberen  Klassen  überhaupt,  seit  1901  wieder  ein 
etwas  größerer  Raum  für  grammatische  Unterweisungen  auch  im 
Griechischen  gewonnen  ist.  Indessen  wird  manches  von  dem, 
was  z.  B.  S.  55  über  die  Attraktion,  S.  61  (*  63)  über  den  passivi- 
schen Aorist    der    einen  Affekt   bezeichnenden  Deponentia   gesagt 


138  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

wird,  auch  schon  in  Obertertertia  und  Untersekunda  mit  Nutzen 
zu  verwerten  sein,  um  auch  auf  dieser  Stufe  die  syntaktischen 
Belehrungen  immer  mehr  der  bloß  mechanischen  Aneignung  zu 
entziehen  und  sie  einem  tieferen  Verständnis  entgegenzuführen. 
Wie  alle  Arbeiten  des  Verfassers  ist  auch  diese  sehr  anregend 
und  wird  besonders  denen,  die  von  der  Universität  —  nicht  bloß 
durch  ihre  Schuld  —  gründlichere  Kenntnisse  in  der  griechischen 
Grammatik  und  lebhafteres  Interesse  für  sprachliche  Betrachtungen 
nicht  in  das  Schulamt  mitbringen,  reiche  Förderung  bieten  und 
zum  Studium  Lust  machen,  um  so  mehr,  als  die  Anmerkungen 
(S.  153—161;  2  160—175)  nicht  bloß  auf  die  allbekannten  Haupt- 
werke, sondern  auch  auf  eine  Beihe  vortrefflicher  grammatischer 
Einzeluntersuchungen  hinweisen  und  des  Verfassers  Stellung  zu 
ihnen  kennzeichnen. 

25)  Hippolyte  Taine,  Xenophon.  Die  Anabasis.  (In:  H.  T.,  Studien 
zur  Kritik  and  Geschichte,  autorisierte  Übersetzung  von  Paul 
Kühn  und  Agathon  Aal),  mit  einem  Vorwort  von  Georg  Brandes. 
Paris,  Leipzig,  München  1898,  Albert  Langen.  r XXVIII  u.  551  S. 
gr.  8.     10  JC.     S.  24—49.) 

Anzeige:  \V.  Koepp,  BerlTphil.  WS.  1900  Sp.  205—209. 

36  Aufsätze  des  großen  französischen  Historikers  und  Philo- 
sophen sind  in  diesem  Sammelbande  vereinigt;  nur  drei  gehören 
dem  Gebiete  des  klassischen  Altertums  an,  außer  der  Abhandlung 
über  Xenophou  noch  die  über  Piaton  und  Mark  Aurel. 

Der  Aufsatz  aber  X.  ist  eine  der  ersten  Arbeiten  Taines;  er 
erschien  kurze  Zeit,  nachdem  dieser  auf  der  Ecole  normale 
superieure  die  Grundlage  philologischer  und  historischer  Bildung 
erhalten  hatte.  Das  Original ])  ist  in  Deutschland,  wie  ich  aus 
derXenophonliteratur  der  letzten  Jahrzehnte  ersehe,  wenig  bekannt; 
vielleicht  trägt  die  nun  vorliegende  Obersetzung  dazu  bei,  dem 
abzuhelfen.  Denn  der  Aufsatz  zeigt  schon  alle  Vorzuge,  die  den 
späteren  Hauptwerken  eigen  sind,  liebevolles  Versenken  in  den 
Stoff  und  die  so  gewonnene  Erkenntnis  des  Wesentlichen  und 
Charakteristischen,  packende  Erzählung,  glänzenden  Stil.  Taine 
sieht  das  Memoirenwerk  der  Anabasis  mit  dem  Auge  des  Künstlers 
an;  er  hat  sein  Wohlgefallen  an  vielen  kleinen,  feinen  Zügen  der 
Erzählung  selber,  die  ungesucht  und  darum  wirksamer  als  lange 
Reflexionen  fesseln,  und  sucht  auch  seine  Leser  davon  zu  über- 
zeugen. Mit  Erfolg,  wie  ich  glaube.  Denn  obwohl  ein  halbes 
Jahrhundert  seit  dem  ersten  Erscheinen  dieses  Aufsatzes  ver- 
gangen ist,  scheint  er  mir  nicht  nur  nicht  veraltet,  sondern  gerade 
jetzt,  wo  nach  den  Jahrzehnten  der  Kleinarbeit  die  größeren 
Fragen    nach    der  Kunst    in    der    antiken  Prosa    wieder    in    den 


')  Bequem    zugänglich  z.  B.  in  den  Essais  de  critique  et  (Fhistoire  par 
Ji.  T,  deuxieme  edition  (Paris  1866,  Hachette)  S   127—173. 


Xeuophon,  von  R.  Ullrich.  139 

Vordergrund  des  Interesses  getreten  sind,  erst  recht  geeignet, 
seine  volle  Wirkung  zu  tun  —  besser  freilich  im  Originale  als 
in  dieser  Übersetzung  (s.  darüber  unten  S.  143  fl.).  Die  künftige 
wissenschaftliche  erklärende  Ausgabe  der  Anabasis  wird  von  dieser 
Seite  durch  Taines  Gedanken  reiche  Förderung  erfahren.  Um 
der  Person  wie  der  Sache  willen  scheint  es  mir  daher  gerecht- 
fertigt, im  folgenden  etwas  mehr  ins  einzelne  zu  gehen,  als 
es  sonst  bei  einem  Aufsatze  gleichen  Um  langes  notig  und  er- 
wünscht wäre. 

T.  gibt  (S.  25  d.  Obs.)  in  anspruchsloser  Weise  als  Zweck 
seiner  Abhandlung  über  die  Anabasis  an:  ,.Je  demande  la  per- 
mission  d'en  citer  et  d'en  commenter  quelques  pages"  (S.  128 
d.  Orig.).  Er  sieht  ihren  Vorzug  in  zwei  Dingen,  in  dem  Interesse 
des  Berichts  und  noch  mehr  in  der  Schönheil  des  Stils.  Dies 
nachzuweisen,  gibt  er  in  zwei  Abschnitten  eine  Übersicht  über 
die  ersten  vier  Bücher,  indem  er  teils  selber  den  Inhalt  kurz  zu- 
sammenfaßt, teils,  und  besonders  an  wichtigen  Stellen,  Xenophon 
zu  Worte  kommen  läßt.  In  letzterem  Falle  dient  ihm  entweder 
die  genaue  Übersetzung  selbst  als  bester  Kommentar  zur  Be- 
zeichnung der  Verschiedenheit  „der  beiden  Zivilisationen4',  oder 
er  knüpft  —  hier  selbst  ein  natürliches  Kind  seiner  Zeit  —  an 
die  Wiedergabe  der  Gedanken  Xenophous  eigene  Beobachtungen 
der  verschiedensten  Art.  Und  wenn  der  heutige  kritische  Leser 
vielleicht  hier  und  da  von  der  Begeisterung  des  phantasie vollen 
Romanen  etwas  abziehen  wird,  der  in  der  Tat  oft  mehr  Lob- 
redner als  Kritiker  ist,  so  wird  ihm  doch  der  Blick  geschärft  für 
viele  Dinge,  die  Taines  feine  Beobachtungsgabe  ebensosehr  wie 
sein  Bestreben,  große  Zusammenhänge  aufzudecken,  erst  in  die 
rechte  Beleuchtung  gerückt  hat. 

Von  Einzelheiten  möchte  ich  folgende  hervorheben.  Daß  X. 
keine  allgemeine  Betrachtungen  anstellt,  sondern  die  Tatsachen 
selbst  reden  läßt,  ist  dem  Verf.  mit  Recht  als  ein  charakte- 
ristischer Zug  unseres  Erzählers  erschienen,  so  in  der  Einführung 
I  1  (S.  26),  dem  Schlachtbericht  l  8,  1—3,  8-29  (36  fT.),  der 
knappen  Erzählung  von  der  Ermordung  der  Generale  II  5,32  t. 
(36),  dem  „merkwürdigen  und  belebten44  Bericht  über  die  Aben- 
teuer bei  den  Karduchen  IV  1,7—2,23  (41  ff.),  der  Schilderung 
der  Not  in  Armenien  IV  5,  16 — 18  (45)  und  dem  Überfluß 
29 — 33  (46 f.),  wo  X.  „nicht  auf  den  Gegensatz  aufmerksam 
macht,  sondern  nur  berichtet;  wir  haben  die  unter  der  Natur 
verborgene  Kunst  und  den  Gegensatz  der  Gemälde,  der  unter 
der  Gleichmäßigkeit  des  Berichts  verhüllt  ist,  herauszufühlen'4; 
ähnlich  in  der  Schilderung  der  Szene  im  Gebiet  der  Taochen 
IV  7,  13.  14,  wo  die  Weiber  ihre  Kinder  von  der  Mauer  stürzen 
und  der  habsüchtige  Hauptmann  Äneas  von  einem  Feinde  mit  in 
die  Tiefe  gerissen  wird,  in  den  kurzen  Notizen  über  die  gräßlichen 
Chalyber  IV  7,  16,    die    uns    „die    wilden    Gesichter    dieser    un- 


140  Jtthresbcrich  te  d.  Phiiulog.   Vereius. 

bekannten  Rassen  in  der  Vorstellung,  in  Verkürzung  und  gleich- 
sam im  Vorbeigehen  sehen  lassen"  (47). 

Eigentümliche  Züge  des  hellenischen  National- 
charakters, von  denen  uns  manche  unvorteilhaft  scheinen 
mögen,  und  ihre  Schilderung  in  der  Anabasis  geben  Taine  Anlaß, 
sie  in  ihrer  Besonderheit  zu  kennzeichnen ;  so  die  freimütige  Art, 
wie  f  4,  12  von  der  Beruhigung  der  aufgebrachten  Soldaten 
durch  Sold  gesprochen  wird  (28)  (vgl.  auch  S.  40),  die  groß- 
artige Freiheit  selbst  der  einfachsten,  an  republikanische  Sitten 
gewöhnten  Soldaten  1  5,  11 — 17  in  besonderem  Gegensatz  zu 
der  Unterwürfigkeit  der  vornehmsten  Perser  1  5,  7 f.  (29);  in  der 
Antwort  des  jungen  Theopomp  auf  die  durch  Phalinos  überbrachte 
Aufforderung  des  Königs  zur  Übergabe  II  1,  12  findet  T.  nicht 
mit  Unrecht  „eine  Spur  des  denkenden  Geistes,  den  die  Meister 
der  Beredsamkeit  und  der  Weisheit  in  den  jungen  Leuten  zur 
Entwickelung  gebracht  hatten"  (33),  und  daß  die  Griechen  nach 
den  überstandenen  Mühseligkeiten  gleich  nach  der  Ankunft  in 
Trapezunt  IV  8,  26  —  28  Spiele  veranstalten,  ist  ihm  bezeichnend 
dafür,  daß  „körperliche  Übungen  und  der  Ruhm,  öffentlich  zu 
siegen,  die  erste  Freude  und  das  erste  Bedürfnis  dieses  Volkes 
von  Athleten  und  Künstlern  waren"  (48).  Von  der  reizenden 
Episode  der  Frauen  und  Mädchen  am  Brunnen  in  dem  Armenier- 
dorfe  IV,  5,  9  meint  er  (S.  45),  ein  Römer  würde  sie  weggelassen 
haben;  X.,  in  der  Liebe  zu  den  Dichtern  erzogen,  erzähle  sie 
mit  ebensoviel  Sorgfalt  wie  Homer  die  seine  von  Nausikaa,  und 
in  den  charakteristischen  Worten  Xenophons  zu  seinen  Soldaten 
im  Kampfe  gegen  die  Kolcher  IV  8,  14  "Avdqeq,  ovzol  slow 
ovg  ogäze  ftopoi  eu  rmtv  epnodiÄv  %6  fiy  qdtj  elvat,  evd-ct 
TtccXai  i<fnevdo[i€V  tovTOvg,  r\v  ncog  dvvuifie&a,  xni  ooftovs  dt* 
xavt€(pay€tp  findet  er  „das  Wort  Achills"  wieder,  „als  er  seinen 
Fuß  auf  die  Brust  Hektors  setzte44  (48). 

Seine  Neigung  und  Fähigkeit,  Altes  und  Neues  in  Be- 
ziehung zu  setzen,  verleugnet  T.  auch  hier  nicht.  Die  Griechen 
gehen  ihm  nach  Asien  „wie  die  ersten  Schiffahrer  (s.  u.  S.  145) 
in  die  neue  Welt"  (27);  der  furchtbare  Eindruck  der  griechischen 
Truppe  auf  die  Barbaren  1  2,  17  f.  läßt  ihn  der  abergläubischen 
Furcht  gedenken,  mit  der  Mexikaner  und  Peruaner  die  Cortez 
und  Pizarro  ansahen  (26)';  die  Versprechungen  des  Kyros  an  die 
Griechen  I  7,  5  —  7  bringen  ihn  auf  die  märchenhaften  Ver- 
heißungen Atahualpas  an  die  Gefährten  Pizarros,  und  zu  der 
berühmten  Stelle  IV  7,  22 — 26  (GcHarra,  &älctiTcc)  bemerkt 
er,  so  „glaubten  heute  die  Engländer  zu  Hause  zu  sein,  wenn 
sie  das  Meer  sähen".  Und  handelt  es  sich  an  diesen  Stellen 
mehr  um  einzelne  Züge,  die  dem  Leser  lebendiger  werden,  wenn 
er  sie  mit  denen  anderer  Menschen  und  Völker  vergleicht,  so 
unternimmt  er  es,  in  der  Charakteristik  der  denkwürdigen  Rede 
Xenophons    III  2    den    ganzen   Gegensatz    antiken    und 


Xenopboo,  von  R.  Ullrich.  14[ 

modernen  (wir  dürfen  wohl  hinzufügen,  romanischen,  ins- 
besondere französischen)  Denkens  und  Redens  zu  entwickeln, 
mit  solchem  Freimut  und  solcher  Offenheit,  ja  Schärfe  (T.  schrieb 
dies  unter  Napoleon  111.  und  hatte  wohl  seinen  großen  Oheim 
besonders  im  Auge),  daß  wir  nicht  bloß  seinen  Geist,  sondern 
auch  seinen  Charakter  bewundern.  Hier  militärische  Prahlerei, 
gewaltsame  Erregung  der  Phantasie  („l'accompagnement  naturel 
de  l'eau-de-vie  qu'on  vewe  aux  soldats  avant  la  balaille" !),  hohles 
Pathos,  schöne  Lügen  —  dort  Tatsachen,  bündige  Gründe,  ein- 
fache Wahrheiten  gegenüber  praktischen  Leuten,  die  „dank  ihrer 
republikanischen  Erziehung  daran  gewöhnt  sind,  selbst  zu  urleilen". 
Er  sagt  hier  treffend  (S.  39  der  Obers.):  »Die  modernen  Menschen 
gelten  als  positive  Menschen,  und  man  spricht  zu  ihnen  wie  zu 
Dichtern;  die  Griechen  gelten  als  Dichter,  und  man  spricht  zu 
ihnen  wie  zu  positiven  Menschen". 

Vortrefflich  ist  auch,  was  T.  über  die  Art  sagt,  in  der  X. 
seine  Erzählung  durch  kleine  Züge  belebt,  die  den  Neueren  (doch 
wohl  wieder  mit  der  eben  bemerkten  Einschränkung !)  oft  lächer- 
lich erscheinen,  weil  (35)  „eine  große  Unternehmung  aus  großen 
Entschlüssen  und  großen  Ereignissen  bestehen  sollu,  die  aber 
gerade  „zur  Einbildungskraft  sprechen,  ihr  die  Gegenstände  nahe 
bringen  und  dem  Bericht  seine  romanhafte  Färbung  nehmen4*; 
so  I  5,  1 — 3,  wo  von  Flora  und  Fauna  Arabiens  die  Rede  ist 
(darum  vgl.  o.  S.  100,  Z.  6  v.  o.),  Bildern,  „in  denen  die  Zeichnung 
mehr  betont  ist  als  die  Farbe"  (29),  II  2,  8  f.,  20  f.,  wo  seltsame 
Opfergebräucbe  und  das  köstliche  Wort  Kiearchs  erwähnt  werden, 
es  solle  der  ein  Talent  zur  Belohnung  erhalten,  welcher  den  an- 
zeige, der  „den  Esel  zwischen  die  Waffen  habe  laufen  lassen" 
(35).  Taine  erklärt,  es  sei  ihm  vorgekommen,  als  habe  er  aus 
solchen  und  hundert  ähnlichen  Dingen  zum  ersten  Male  erkannt, 
was  der  Marsch  eines  Heeres  bedeute,  gleichwie  „jedermann  (tout 
le  monde  aujourd'hui  connait  et  admire...!)  heute"  aus  Beyle- 
Stendhäls  Bericht  über  Waterloo  in  der  Chartreuse  de  Parme 
(der  deutsche  Leser  wird  Treitschke  dafür  einsetzen)  das  Wesen 
einer  Schlacht;  und  was  er  endlich  über  die  Klarheit  der  Porträts 
der  ermordeten  Generale,  insbesondere  das  Kiearchs  (II  6, 1 — 15) 
sagt  (36  ff.),  ist  nicht  bloß  deswegen  interessant,  weil  es  zeigt, 
wie  der  moderne  Künstler  mit  feiner  Nachempfindung  die  Formen 
des  antiken  zu  schätzen  weiß,  sondern  enthält  in  der  Erkenntnis 
einer  Eigentümlichkeit  xenophontischen  Stils  (das  Porträt  Kiearchs 
ist  voll  von  Zügen,  die  mit  liebenswürdiger  Nachlässig- 
keit wiederholt  werden  u.  s.  w.)  auch  ein  wichtiges  Ergebnis, 
das,  wenn  gekannt  und  recht  beachtet,  manche  irrigen  An- 
schauungen neuerer  Gelehrter  nicht  hätte  aufkommen  lassen; 
vgl.  oben  S.  110  und  115.  T.  möchte  hier  den  Stil  X.s  mit  dein 
Commines'  vergleichen,  wenn  ein  „Barbar  des  15.  Jahrhunderts, 
ein  Burgunder    und  Ratgeber  Ludwigs  XL"    dazu   geeignet  wäre. 


142  Jahresberichte  d.  Pbilolog.  Vereius. 

im  einzelnen  ist  manches  von  dem,  was  T.  hier  ausfuhrt  (37 
d.  Übers.,  z.  B. :  „X.  ist  hier  wie  ein  Mann,  der  ein  neues  Land 
entdeckt")  nach  Schacht,  Bruns  und  Norden  (a.  a.  0.)  einzu- 
schränken. Das  Wesen  des  Stils  griechischer  Künstler  (S.  46; 
er  hätte  aber  etwa  hinzufügen  sollen,  des  Tbukydides  und  Xenophon 
in  der  Anabasis  und,  wenn  die  bildende  Kunst  eingeschlossen 
wird,  der  ihrer  Zeitgenossen)  umschreibt  er  in  der  Hauptsache 
richtig  mit  den  Worten:  „Sie  beschäftigen  sich  weniger  damit, 
eine  starke  als  eine  gerechte  Wirkung  hervorzubringen.  Sie 
denken  daran,  die  Natur  wiederzugeben  und  nicht  einen  Eindruck 
auf  die  Leser  zu  machen". 

Von  der  Persönlichkeit  X.s  selbst  spricht  T.  nur  selten. 
Was  er  aber  darüber  sagt  (z.  B.  S.  38  zu  III  1  ff.),  ist  gerechter 
und  vorurteilsfreier  als  das  Urteil  mancher  Gelehrten  nach  ihm 
(vgl.  besonders  oben  zu  Nr.  3). 

Dieser  Überblick  über  den  Aufsatz  Taines,  dessen  Ergebnisse 
mit  Absicht  mehrfach  wörtlich  wiedergegeben  sind,  hat  wohl  ge- 
zeigt, worauf  seine  bleibende  Bedeutung  beruht;  manche  Einzel- 
heiten mögen,  wie  schon  betont,  anfechtbar  sein  *),  manche  Auf- 
fassung auch,  weil  sie  zu  einseitig  an  französischen  Kulturzuständen 
in  Taines  Zeit  gemessen  wird  und  so  durch  die  Wucht  des  Kon- 
trastes einen  extremen,  für  eine  unbefangene  Würdigung  griechischer 
Kunstprosa  damaliger  Zeit  zu  günstigen  Charakter  erhält,  der  Be- 
richtigung bedürfen,  auch  auf  einen  kritisch  gesicherten  Text  legt 
der  Verf.  wenig  Wert  —  als  Ganzes  angesehen  erscheint  mir  aber 
diese  Charakteristik  der  ersten  vier  Bücher  der  Anabasis  zu  dem 
Besten  zu  gehören,  was  über  X.  überhaupt  geschrieben  worden  ist. 

Was  über  Inhalt  und  Form  des  französischen  Originals  gesagt 
worden  ist,  gilt  nicht  in  dem  gleichen  Maße  von  der  deutschen 
Übersetzung  und  dem,  was  sonst  geschehen  oder  vielmehr 
nicht  geschehen  ist,  deutschen  Lesern  die  Benutzung  dieses  uud 
der  andern  in  dem  Sammelbande  vereinigten  Aufsätze  zu  er- 
leichtern. 

Den  Mangel  eines  Registers  zwar  teilt  der  Band  mit  manchen 
andern;  nicht  zu  rechtfertigen  ist  aber  die  vornehme  Art,  mit 
der  Herausgeber  und  Übersetzer  hier  dem  deutschen  Publikum 
einen  verdeutschten  Text  vorlegen,  ohne  etwas  darüber  mitzuteilen, 
wo  und  wann  diese  zu  ganz  verschiedenen  Zeiten  erschienenen 
und  die  mannigfaltigsten  Stoffe  behandelnden  Aufsätze  zuerst  ge- 
druckt sind2)  (die  kurze  S.  VIII  eingestreute  Bemerkung  genügt 
nicht),  noch  auch  welchen  Druck  sie  zugrunde  gelegt  haben. 
Ferner    bedurfte    vieles    von    dem,    was    gebildeten  französischen 


1)  So  werdeo  z.  B.,  um  our  eios  zu  erwähnen,  militärische  und  manche 
■andere  Leser  wenig  eiu  verstanden  seio  mit  dem,  was  (S.  40;  156  d.  Orig.) 
von  der  Ehre  des  Soldateu  gesagt  wird:  Iis  ne  soat  poiut  soutenus  par  eette 
vanite  geuereuse  qu'on  anpeile  l'honoeur  etc. 

2)  Bei  einigen  gibt  f.  selbst  eine  Notiz  darüber. 


Xeaophoo,  von  R.  Ullrich.  143 

Lesern  vielleicht  ohne  weiteres  geläufig  war,  auch  in  dem  Aufsatze 
über  X.  für  den  deutschen  Leser  der  Aufklärung,  die  ja  ganz 
kurz  auf  ein  paar  Seiten  am  Schlüsse  des  Buches  gegeben  werden 
konnte.  Denn  in  der  französischen  Memoiren-  und  Romanliteratur, 
die  T.  naturgemäß  gern  zur  Vergleichung  heranzieht,  pflegen  selbst 
Historiker  nicht  so  genau  orientiert  zu  sein,  daß  sie  näherer  Be- 
Belehrung entbehren  könnten,  zumal  die  gebräuchlichsten  Aus- 
kunftsmittel,  die  jedem  zur  Hand  sind,  hier  vielfach  völlig  ver- 
sagen. Ober  Commines  (S.  37)  und  Beyle-Stendhal  (S.  35)  ist 
«in  deutscher  Leser  wohl  noch  unterrichtet;  ob  auch  über  Madame 
de  Launay  (S.  25;  warum  nicht  Delaunay,  wie  Taine  selbst  und 
andere  schrieben?)  und  Montluc1),  den  französischen  Frundsberg 
aus  den  Kriegen  Karls  I.  und  Franz*  I  und  seines  Nachfolgers 
(S.  24),  seine  Tätigkeit  bei  Cerisola  und  in  Siena  (warum  in  der 
Übersetzung  die  französischen  Formen  Cerisole(s)  und  Sienne?) 
und  seine  Memoiren?  —  Dinge,  deren  Kenntnis  T.  bei  seinen 
Landsleuten  ohne  weiteres  voraussetzte.  Erwünscht  wäre  es 
auch  gewesen,  wenn  zu  den  zahlreichen  Stellen,  die  Taine  aus- 
schreibt und  übersetzt,  Buch,  Kapitel  und  Paragraph  kurz  ver- 
merkt worden  wären. 

Und  nun  die  eigentliche  Übersetzung.  Da  Taine  in  seinem 
Aufsatze  zur  Hälfte  Xeoophon  selbst  reden  läßt,  konnte  vielleicht 
die  Frage  entstehen,  ob  ein  deutscher  Übersetzer  der  französi- 
schen Wiedergabe  oder  dem  griechischen  Originale  folgen  sollte. 
Nun  gibt  aber  T.  den  griechischen  Text  (nach  einer  jetzt  naturlich 
veralteten  Ausgabe,  die  er  leider  nicht  bezeichnet)  oft  ziemlich 
frei  wieder,  gewiß  nicht  ohne  Absicht,  läßt  bei  längeren  Zitaten 
manchmal  Einzelheiten  aus  (z.  B.  I  2,  17  ot  di  xavxa  nqoelnov 
zotg  (TTQccTiakcuc,  I  8,  4 — 7,  11,  13  erste  Hälfte,  21  z.  T  und 
22;  II  1,21  Schluß;  III  1,3  Anfang;  III  2,9  z.T.;  IV  2,15 
Schluß)  oder  zieht  längere  Auseinandersetzungen  zusammen  (so 
IV  5,  25 — 33).  Ich  halte  es  för  das  einzig  Richtige,  wenn  der 
Übersetzer  in  solchen  Fällen  sich  genau  an  seine  Vorlage  hält; 
denn  hier  will  der  Leser  doch  eben  wissen,  was  Taine  übersetzt 
hau  Statt  dessen  geben  die  Übersetzer  an  den  bezeichneten 
Stellen  den  vollständigen  Xenopbontext  wieder  und  halten  sich 
auch  da  an  ihn,  wo  Taine  eine  freiere  Ausdrucks  weise  anwendet 
(oft  sehr  zum  Vorteil  modernen  Sprachgebrauchs,  z.  B.  1  -8, 2 
7tdv&  fjfiZv  nsnoitjTcu  —  tout  sera  /int  —  K.  und  A.  steif  so 
ist  von  uns  alles  getan).  Wenigstens  durfte  man  dann  aber  er- 
warten, daß  sie  ihre  Abweichungen  von  Taine  irgendwie  kenntlich 
machten.  Geradezu  geboten  war  dies  in  Fällen,  wo  dieser  den 
Text  entweder  wirklich  falsch  übersetzt  hatte,  wo  die  Herausgeber 


l)  Näheres  über  ihn  findet  mau  z.  B.  bei  W.  Riislow,  Militärische 
Biographien  I.  David,  Xenophon,  Montluc,  Zürich  1858,  vgl.  besonders 
S.  279  IT.,  310  ff. 


144  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

eine  andere  Auffassung  vertraten,  oder  wo  neuere,  gesicherte 
Lesarten  auch  den  Sinn  völlig  änderten.  So  I  8,  10  rj  di  yvwft^ 
\v  —  T.  falsch  le  bruit  couraü  — K.  und  A.  richtig  die  Absicht 
war;  II  6,2  naqipBVtv  —  T.  resta  en  Grece  —  Obers;,  blieb 
er  gehorsam  (besser:  harrte  er  aus);  IV  1,  11  avvsßowv  (cvv- 
ecoQCöv  C),  vgl.  oben  S.  113  —  T.  se  voyaient  les  uns  les  autres 
—  Üb.  schlecht  riefen  einander  herbei  (besser:  zu  oder  zu- 
sammen);  IV  2,  4,  wo  eine  Notiz  über  das  von  Taine  noch  be- 
achtete Glossem  qofiovfisroi  dijkov  oti  (montrant  qu'ils  avaient 
peur),  das  von  den  Übersetzern  mit  Recht  unterdruckt  wird,  am 
Platze  war,  u.  s.  f.  Umgekehrt  fehlen  in  der  deutschen  Über- 
setzung einige  Steilen,   die  sich  bei  Taine  finden,  so  IV  2,  6  der 

Salz    scpodog    iiivtov ixd&rjvio    (T.  celle-ci . . . .  apparente), 

14  inl  im  nvql  (T.  dominait  le  feu  etc.),  S.  47  (T.  S.  170)  et 
de  feroctte.     Konsequenz  ist  also  nicht  beobachtet  worden. 

Sodann  scheint  mir  die  Übersetzung  selbst  nicht  den  An- 
forderungen zu  entsprechen,  welche  gelehrte  oder  gebildete  Leser 
an  eine  Verdeutschung  Taines  stellen  dürfen.  War  sie  überhaupt 
nötig?  Für  gelehrte  Leser  kaum;  sollte  sie  aber  weiteren  Kreisen 
der  Gebildeten  dienen,  so  waren  Erläuterungen  der  oben  (S.  142  t.) 
bezeichneten  Art  kaum  zu  entbehren,  und  die  Übersetzer  hätten 
vielleicht  zweckmäßig  gehandelt,  sich  auch  über  Art  und  Zweck 
ihrer  Arbeit  im  allgemeinen  zu  äußern.  So  wie  sie  nun  vorliegt, 
gibt  sie  zu  so  vielen  Bedenken  Anlaß,  daß  sie  kaum  ohne  Vor- 
behalt empfohlen  werden  kann. 

Unrichtig,  sowohl  im  Hinblick  auf  X.  wie  auf  Taine,  auch 
durch  abweichende  Laa.  nicht  zu  erklären,  sind  übersetzt,  z.  T. 
mit  völliger  Umkehrung  des  Sinnes:  I  7,  7  (S.  30)  Wenn  ich 
aber  siege,  so  mufs  ich  meinen  Bruder  über  dieses  setzen  (T. 
S.  139  il  faudra  bien  que  vous,  qui  etes  mes  amis,  en  soyez 
les  maitres  —  r^iäg  öet  rovg  ruistiqov g  (pilovg  tovtwv 
iyxgccTslg  noitjocti);  S.  30  (T.  S.  139)  Atahualpa  versprach  den 
Gefährten  des  Pizarro,  ihnen  eine  Kammer  voll  von  goldenen  Ge- 
fäßen zu  geben,  die  so  hoch  war,  wie  sie  mit  ihrem  ausgestreckten 
Arm  berühren  konnten  [une  chambre  remplie  de  vases  d'or  aussi 
haut  qu'il  etc.);  II  1,  10  „...so  soll  er  sagen,  was  den  Soldaten 
geschehen  soll,  wenn  sie  dies  mifsbilligen4i  (T.  S.  144:  ....  lors^ 
quils  lui  auront  fait  ce  present  —  bccv  ccvtm  tavta  xaqi- 
awvvai).  Die  Übersetzung  S.  33  Z.  9:  Sie  näherten  sich,  und 
niemand  bemerkte  sie,  ist  ebensowenig  klar  wie  Taines  (S.  143» 
Z.  2) . . .  et  personne  ne  les  attendit;  zu  keinem  von  beiden 
bietet  der  griechische  Text  Anlaß.  Dies  sind  nur  die  auffallendsten 
Stellen.  — Gallizismen  finden  sich  eine  Menge;  so  der  fast  durch- 
gängige Gebrauch  des  unbestimmten  Artikels,  wo  er  im  Französi- 
schen abweichend  vom  Deutschen  steht,  z.  ß.  in  einer  grofsen 
Verwirrung  (III  1,  3)  u.  ö.;  verkehrte  Stellung  der  Konjunktion. 
aber  in  denen  (S.  29  Z.  7),  unrichtiges  Adjektiv  (S.  47  Z.  8  v.  u.) 


--      X^BopJion,  v(vn  R.'Ullrich.       <:  •  •  145 

.#.  stießen  sie  gro/se  Schreie  aus  {de:  grands  cm).  Wieder- 
holung des  Personalsubjekts  (S.  25  Z.  17  v.  u.)  Ick  werde  ihn 
Wart  für  Wort  übersetzen,  und  ich  werde  ihn  fast  immer  selbst 
sprechen  lassen;  das  Verb  sagen  wird  fast  grundsätzlich  mit  dem 
Dativ  konstruiert  (sehr  oft)  statt  mit  der  Präposition  zu.  Auch  die 
Konstruktion  folgt  viel  zu  oft  der  französischen  bzw.  griechischen 
und  wird  undeutsch,  so  8.  41  Z.  8f<  v.  u.  (IV  1,  16)  Daher  waren 
die  Griechen  genötigt,  weil  sie  ihnen  nachsetzen  und  sich  daton  wieder 
zurückziehen  mufsten,  nur  langsam  vorzurücken;  42  Mitte  (IV  1,  26) 
ob  einer  von. ihnen  Lust  habe,  .....  hinzugehen*  freiwillig* sich  dazu 
erbietend.  Dergleichen  begegnet  auf  jeder  Seite.  Der  oft  beliebte 
Wechsel  des  Numerus  bei  Personen  bezeich  uungen  ist  nicht  immer 
eine  Verbesserung,  so  S.  27  Z.  4  v.  o.  Den  Pisidier  zh  bekriegen 
(«Utf  Ksidiens);  Z*  29  M.  Kein  Dienst  wer  in  den  Augen  der  Perser1- 
niedrig,  wenn  er  von  deti  Fürsten  auferlegt  wurde  (par  iepririce)\] 
ebensowenig  S.  40  (Z.tl  v .  Ui)  die  Anhöhe  (les  hauteurs). 

•  Dazu  kommt  eine  Fülle    von    einzelnen    ungenauen,    steifen^ 
oder  schiefen  Ausdrucken  und  anderen  Seltsamkeiten,   vgl.  S>  27 
(£-.-10  f.)  dierersten  Schiff 'ährer,  gleich: danach  ein  Gehölz  pflanzen, 
ebenda  ein  Land,  das  angefüllt  ist  mit  berühmten  Stätten,  S.  28 
(Äf .)  sie  begaben  sich  wieder  auf  Reisen  (ils  se  remirenten  marche), 
&29  (&  9-v.  o;)  sie  durchschritten  die  Wüste,  S.  31  (I  8,  11) 
mit  der  möglichsten  Stille,    S.  32  (I  8,  20)-  die  Wagen  rannten 
{itfiQöpto,  furent  empörtes),  S.  39  <Z.  2v.  ö.)  auf  das  allgemeine 
Heil  bedacht  sein,    S.  40  (Z.  2  v.  o.)  Eigenschaft  (vakitel),   S.  43 
(£.  19  v.  o.  u.  ö.)   sie   klimmten    ist    mindestens    ungewöhnlich* 
S.  44  (M.)  mehrere  Pässe  erzwingen-,  &  45  (Z.  1)  nackt  (yvfivoi;,  • 
Taine    selbst  'unrichtig.* nu);  Huri  Fringat  (frz.  fringale,  S.  45)  für 
Heifshunger  weiß    der    deutsche  Leser    nichts    anzufangen,    fc.  45 
(iL.  12  v.  h.}  um  die  Sehkraft  zu  schonen,  mußte  man  etwas  Schwarzes' 
vor  die  Angen  stellen  (h%ow,  mettant,  IV  5,  13)  ü.  a.  m: 

"-  Druckfehler  enthält  die  Cbersetzung  für  einen  deutschen 
Text  auffallend  viele,  darunter  mehrere  sinnstöivnde. ;  Ich  selze  : 
die  wesentlichsten  hierher  und  fuge  das  Richtige  kl  Klammern  ' 
bei.  S.  30  (Z.  9  v.  o.)  tou/ir  (wißt),  Sv  32  (Z.  9  v.  o»)  den  Linie 
(der),  (Zi  5  v.  u;)  kttagates  (p),  S.  33  (Z.  3  v.  o.)  einer  (seiner), 
(Zv45)  Ariöos  (ä),  S.  34 •  (Z.  18  v.  u.)  (wenn)  [wir]-  (ihr  hier), 
S.«  3&  (Z.  15  v.  o.)  anscheint  ich  so  lächerliche  Züge  (anscheinend) '), 
S.  37  (Z.  6  v.  u.)  den  Klearchos  (dem),  S.  48  (Z.  12iv.  u.)  Spanier 
(Spartaner).  _      -. 

Die  Interpunktion   ist    mit    größerer  Freiheit    behandelt;    als 
wir  es  im  Deutschen  gewöhnt  sind;  zumal  in  längeren  Perioden,  ; 
dte  an  sich  vom  Übel  sind,  besonders  bei  eingeschobenen  Sätzen 
voT„und'y  fehlt  zu  häutig  das  Komma. 

*  *)  Ein  lehrreicher  Fehler,.  der  auch  in  Hss.  nicht  selten  begegnet:  Die 
Bi1<fangs$i1be  efees  'folgenden-  Wortes  verdrangt  die  richtige  eines  vorher- 
gehenden: '      ' ■    ' •  -  - •■••»       ■   t  L  .,'-  ; 

Jahresberichte  XXX.  XQ 


]4(5  Jahresberichte  d.  Philolog.  Verein«. 

Aus  dem  Gesagten  gebt  also  hervor,  daß  die  Übersetzer  ihrer 
Aufgabe  nicht  voll  gewachsen,  waren  und  ihre  Arbeit  mit  Vor- 
sicht zu  gebrauchen  ist;  sie  ist  nicht  so,  daß  sie  das  Original; 
ersetzen  könnte.  Immerhin  mag  sie,  wo  dieses  fehlt,  bei  rechtem 
Gebrauch  nutzlich  sein  können.  Das  Verdienst  wenigstens  bleibt 
den  Obersetzern,  auf  eine  halb  in  Vergessenheit  geratene  und 
doch  durch  ihre  Ergebnisse  so  bedeutsame  Untersuchung  Tainea 
wieder  die  Aufmerksamkeit  gelenkt  zu  haben. 

26)  G,  Sorof,  Nouos  »od  wvois  io  Xenophon«  AuakaaU.     Hermas 
XXXIV  (1899)  S.  568—589. 

Der  Gegensatz  von  vopog  und  <pvoig  begegnet  schon  bei 
Demokrit  (vgl.  jetzt  DieJs,  Fragmente  der  Vorsokratiker,  Berlin 
1903,  S.  418  ff.),  Spuren  finden  sich  bei  Euripides,  bei  Thukydide» 
(HL  82,  83)  und  in  den  von  Blaß  dem  Sophisten  Antiphon  gut- 
geschriebenem Fragmenten  (Diel*  a.  a.  0.  S.  577 ff.  unter  Anonymm 
Jamblichi>  doch  s.  u.  S.  148  Anm.  2),  die  wichtigsten  Belege  aber 
liegen  in  Piatons  Gorgias  vor. 

Bei  X.  fiqdet  nun  S.  in  den  Pqrträts  des  Proxenos  und 
Menon  (Anab.  II  6,  16—29)  denselben  Gegensatz;  X.  habe  sie, 
wie  der  Vergleich  mit  Piaton  lehre,  ak  typische  Vertreter  von 
vöpog  und  (pvöig  charakterisieren  wollen.  In  der  Ausführung 
ist  er  1)  von  Piaton,  2)  Thukydides  und  3)  den  sog,  Antiphon- 
fragmenten  abhängig,  die  von  Bruns  (s.  u.  S.  84)  behauptete  An- 
lehnung an  Isokrates'  Euagoras  (K.  19)  wird  also  hinfällig.  §. 
sucht  dm  durch  Neheneinanderstellung  und  sehr  eingehend« 
Prüfung  der  betr.  Stellen  zu  erweisen. 

1)  a)  Zunächst  findet  er  (S.  568—571)  in  Piatons  Jttenon 
71  E  iatlp  avägäg  olqsijj  bis  na&sjv,  73  C  %i  alXo  /  $  äq%fi*y 
bis  ndvjiav  —  Bedeutung  des  aQX^y,  g>U{W£  ev  noislv,  ix&fovg 
xaxdog;  78  C  *Aya&ä  dl  bis  &Q%ag  —  Arten  der  äy#$d:  Ge- 
sundheit, Reichtum,  Ehre«  Macht;  91  A  aoificcg  xai  aQ£tijg,  jy  ol 
äv&Qwno*  bis  avöqog  äya&ov  —  freundschaftlicher  Verkehr  und 
belehrender  Umgang;  73  B,  78  D  Erfordernis  der  dtxcuoavvq, 
G<o<f<io<svvfi  und  oaioTtjg  zum  tugendhaften  Handeln;  78  E  ovdsv 
ccqcc  fxäkkoy  bis  ndvvuxv  tcop  TOiovrwVy  xaxia;  11 B  das  xaXöy  — 
Obereinstimmung,  in  78 E  wörtliche,  mit  Xenophons  Charakteristik 
des  Proxenos  (§§  17  f.),  der  gleich  Menon  Gorgias'  Schüler  war, 
aber,  ein  würdigerer. 

b)  Noch  größer  ist  nach  S.  die  Übereinstimmung  mit  Piatons 
Gorgias  (S.  571 — 576).  Zunächst  ließen  sich  im  ganzen  in 
der  Erörterung  und  Gegenüberstellung  der  äya&ij  und  xaxrj  tfwxßj 
(Gorg.  507  ff.),  des  äyad'ög  und  novijQÖg  ävijQ  die  Grundzüge 
der  beiden  Charakterbilder  Xenophons  mit  Leichtigkeit  nach- 
weisen. 

Dazu  kämen  unverkennbare  Anklänge  im  einzelnen.  S. 
stellt   gegenüber  Xen.  16    sv&vg   per  /xsigcixior   äv    und  Plat. 


XeoophoD}  von  H.  Ullrich.  147 

Gorg;  5f  ODcäfög  in  yiou dstsnox^  was  wieder  zu  Proxenos* 

(17)ito?£  nQditotg  und  Menons  (21)  tolq  ptyiCiov  ditvaybivoig 
stimme,  ebenso  491  E—  492  B  (die  Erörterungen  des  Kallikles)' 
zu  der  GuHfQOövvfi  des  Proxenos  (18)  und  dem  Gegenteil  bei« 
Menon,  527- B  äoxstv  und  elwu  aya&ov  zu  20;  die  Freundschaft 
der  xaXol  xaya&ol  des  Proxenos,  die  Anschläge  der  ädixo* 
gegen  ihn  (20),  die,  wie  Menon  (25),  die  dixcuoovvtj  der  Guten 
(die  ihnen  ävavdqia  scheint)  ausbeuten,  entsprächen  der  Gegen- 
überstellung des  Kallikles  (485  D  (psvyovtsg  avavÖQOi,  486  B  st 
Tig  bis  axhywv  t^v  h  %jf\  noXsi)  und  Sokrates  (508  ü  ov  wfjfit, 
w  KaXUxXtog  bis  adixovpivw).  Die  im&vpiai  des  Menon  (21  ff.) 
berühren  sich  nach  ihm  mit  der  ratio  vivendi  des  Kallikles  (491  f., 
492  C),  man.  dürfe  die  Begierden  nicht  zugein,  die  Richtung  des 
ini&vfi&v  Menon»  (2!)  auf  nXotrtetv  Ig%vqw<;,  &Q%e%v  und 
tijk&G&ai  mit  dem  xQeitzco  %ov  qztovog  aq%€%v  des  Kallikles 
(483  D).  und  seiner  nXeovetya  (508  A)  im  Gegensatz  zur  löortjg, 
Meson»  Iva  adixäv  pt)  diäoitj  dixqv  (21)  mit  dem  Tadel  des 
Sokrates  (479  C)  wste  dlxtjv  ^  didovcu  und  510  E  ädixovvra 
pj}  dtdovcu  dl*qv.  Metneid,  Lug  und  Trug  sind  Menons  Mittel, 
die  Gerechten  sind  ihm  Toren  (22);  den  Nutzen  der  Mittel,  gleich- 
viel, welcher*  hebt  Polos  an  dem  Beispiel  des  Archelaos  hervor 
(471),  die  Schilderung  de»  nctvovQyog  und  des  änaidsvtog  bzw. 
rtli&ioq  (26.  22)  entspricht  der  des  ävorjTog  (527  C)  und  der 
rjU9ioi  (491 E),  das  GisQywv  ovdiva  Menons  (23)  der  Ausführung 
de»  Sekretes  von  dem  Mangel  der  novtjQoi  an  Freunden  (507  E), 
ihre  Bezeichnung  als  XjjGtal  (ebenda)  wiederum  dem  Xapfidvew 
%ä  %itfp<**a  Menons  (24),  womit  noch  486  B,  488  B,  508  A,  D, 
511  A  zu  vergleichen  sind;  nnd  die  ävdqia  derer,  die  sich  als 
dg  aXy&dig  avdqtg  (512  E)  von  konventionellen  Sittlichketts- 
vorstellungen,  den  xaXXianlOfiaia,  är&Quinav  cpXvagia,  tänaQa 
<pv<tw  aw&ypma  (492  C)  frei  machen,  wie  die  avavÖQia  der 
Beschränkten  (512  E)  will  S.  leicht  in  dem  diaysXäv  xovq  <piXovg 
des  Menon  (23.  26)  wiederfinden.  Beziehungen  sieht  er  auch 
zwischen  dem  Schluß  des  Berichtes  über  Menon  (29),  seiner  selt- 
samen Todesart  (atxiö$elq  dg  novtjQog)  und  dem  Schuldbewußt- 
sein des  novijQog  bei  Sokrates  (479  E  öatiaovv  bis  didovtog, 
480  E  und  besonders  481  A  säv  di  sX&y  bis  äXX' ä&dratog 
iöicu  nopfjgog  mV,  ei  di  ftty  oncog  wg  nXtlöxov  %qovov  ßHaöttcct 
TOiovtog  äpf  Gedanken,  die  X.  möglicherweise  mißverstanden 
habe,  insofern  er  von  einer  körperlichen  Strafe  rede. 

Aus  diesen  Berührungspunkten  schließt  nun  S.  (576  (f.)  auf 
Abhängigkeit  Xenophons  von  Piaton;  er  habe  seine  Charakteristik 
des  Menon  im  Hinblick  auf  den  Kallikles  des  Gorgias  entworfen, 
vielleicht  auch  deshalb,  um  (vgl.  xal  %a  ptv  dfj  aupartj  ff., 
28  Anfg.)  die  verhältnismäßig  milde  Beurteilung  Menons  bei  Piaton 
durch  eine  wahrere  aus  eigener  Erfahrung  zu  ersetzen.  So  wären 
denn  Proxenos   und  Menon  Typen  des  im  Gorgias  vorliegenden 

10* 


148  Jahresberichte  d.  Philo.log.  Vereins. 

Gegensatzes  von  vopog  und  (fvötg,  Proxenos,  X.s  Freund,  Ver- 
treter des  vdfiog,  Menon  Vertreter  der  (pvaig,  letzterer  zwar  nicht 
Kallikles  (Druckfehler  Kallikrates,  S.  .578),  aber  „nach  seinem 
JMpdell  gearbeitet". 

2)  Thuk.  III  82.  83  scheint  dem  Verf.  dieses  Ergebnis  wahr- 
scheinlicher zu  machen  (S.  578-581).  Es  sind  die  Kapitel,  in 
denen  T.  ein  Bild  von  den  Wandlungen  des  hellenischen  Volks- 
charakters entwirft,  die  der  Peloponnesische  Krieg  herbeigeführt 
hatte*  Auch  hier  treten  die  oben  bezeichneten  Gegensätze  hervor, 
im  allgemeinen  82,  6  und  8,  wie  im  besondern  äydgia  und 
äyavÖQfa  (82,  4;  vgl.  Gorg.  485  D,  491  ß,  Xen.  25  im  Gegensatz 
zu  18),  Verherrlichung  der  adixia  als  naideia  (82,  5;  7  vgl. 
Xen.  22,  26;  Gorg.  471  und  491  E;  s.  o.),  Gesetzmäßigkeit  und 
Gesetzwidrigkeit  (82,6;  8,  vgl.  Xen.  18  und  26,  Gorg.  482  C  ff. 
in  der  Erörterung  über  (pvaig  und  vopog),  Anschläge  auf  den 
Nächsten  unter  dem  Deckmantel  der  Freundschaft  (82,  7;  Xen.  . 
2H;  Gorg,  507  E.,  486  B,  488  B),  die  nXeovs&a  (Thuk.  82,8; 
Xen.  21 ;  Gorg.  508  A),  Verspottung  der  svj&shx  (Tb.  83,  1 ;  Xen.  • 
22.  26;  Gorg.  491  E  bis  492  C),  Nachstellung  als  Notwehr  (Thuk. 
82,  4  äöcpaXtia  und  imßavXav<ta<r&cu,  vgl.  z.  St.  die  Anna. 
Sorofs,  Xen.  25  dg  sv  (hnXiöpivovg  und  imoQxovg  bzw.  ädixovg); 
also  ..wiederum  große  Ähnlichkeit,  hier  sogar  zwischen  den  d|rei 
Autoren.  .  Ist  sie  auf  eine  gemeinsame  Quelle  zurückzuführen? 
Vielleicht;  denn 

/  3)  In  den  von  Blaß  entdeckten  und  dem  Sophisten  Antiphon 
zugeschriebenen  Fragmenten  l)r  deren  Standpunkt  .sieb  von  dem 
gewöhnlichen  sophistischen  entfernt  und  dem  somatischen  nähert, 
finden  sich  dieselben  Gedankenverbindungen  (S.  581 — 587).  Das 
Streben  nach  dem  ßSXtiavov  im  allgemeinen  (frgm.  A)*),  die  Not- 
wendigkeit, früh  mit  der  Übung  zur  Tüchtigkeit  zu  beginnen,  der 
ekrjjche  Mann  und  der  Betrüger,  Sein  und  Schein  (frgm.  B), 
rechte.  Verwendung  der  Güter,  xctxia  und  ccqstij  (C),  iyxQatata  ■. 
gegenüber  XQWa*a  u0(*  tyvxy  (D)«  nXeove1*ia,  Bedeutung  des 
ropog  und  des  dlxcuov  (E),  evvopla  und  avopia  und  ihre  Folgen 
(F)^  alles  dies  begegnet  hier  in  ähnlicher  Weise  wie  bei  Thukydides, 
Xenophon  und  Piaton.  Auch  die  Form  ist  verwandt;  die  seit 
Gprgias  geübte  Figur  der  Antithese  wird,  was  zuzugeben  ist,  aus-i 
giebig  gebraucht.  S,  legt  auch  Wert  darauf,  daß  das  vor  Piaton 
nur  selten  und  nie. in  übertragener  Bedeutung  vorkommende  Wort 
adapaviwog,    das  bei  Piaton  selbst  ebenso  selten,    aber   einmal 


l)  Vgl.  De  AotiphoBte  sophista  etc.,  Kiliae  1889,  und  Att.  ßereds.  I* 
S.  11.0 ff.;.  S.  weist   «ach    auf  eine  Abhandlung  Dummlers  hin  {Prolegomena  • 
%u  Piaton*  Staat,  Basel  1891),  der  ebenfalls  (a.  0.  S.  9  f.)  auf  die  Bedeutung 
der  Fragmente  aufmerksam  gemacht  hat. 

')  Die  Fragmente  werden  hier  der  Einfachheit  halber  nach  Blaß  bzw. 
Soröf  zitiert;  vgl.  jetzt  auch  die  Sammlung  bei  Diels  (s.  o.)  und  Gomperz, 
Griech. , Denier  a  I  S.  350 f.  .  ., 


t      -     Xeftöphoo,  von  R.  Ütlricii.  '  f49> 

in  übertragenem  Sinne  sich  findet,  in  derselbeft  Auslegung  zwei- 
mal in  den  Fragmenten  begegnet.  Xenophon  hat  also  nicht  bloß 
Piatons  Menon  und  Gorgias  und  wahrscheinlich  den  Thukydides, 
sondern  gleich  Thukydides  und  Piaton  „in  einer  Art  kontaminieren- 
den Verfahrens44  auch  die  Fragmente  benutzt  und  ist  also  auch 
hier  seiner  Neigung,  sich  „von  fremden  Anregungen  beeinflussen 
zu  lassen44,  gefolgt.  r  , 

Daß  Berührungspunkte  zwischen  den  beiden  Porträts  Xenophons 
und  den  Ausführungen  der  drei  genannten  Autoren  bestehen,  Ist 
unzweifelhaft,  und  S.  gebührt  das  Verdienst,  das  bis  ins  einzelne 
nachgewiesen  zu  haben.  Eine  andere  Frage  ist  die,  ob  wir  uns 
X.  wirklich  als  abhängig  von  den  beiden  zu  denken  haben.  Idh 
glaube,  daß  doch  stärkere  Beweise  dazu  gehören,  um  solche  und 
ähnliche,  gewöhnlich  mißliche  Fragen  nach  literarischen  Abhängig- 
keitsverhältnissen zu  bejahen.  Im  allgemeinen  scheint  mir  &• 
selbst  schon  (S.  581)  den  richtigen  Standpunkt  mit  den  Worten 
bezeichnet  zu  haben:  „...wenn  auch  die  Erwägung,  daß  alle 
diese  Gedanken  damals  gleichsam  als  Schlagworte  von  Mund  z,u 
Mund  gingen,  zur  Vorsicht  mahnen  muß44.  Aber  hier  sprechen 
sogar  ganz  bestimmte  Gründe  gegen  ihn,  innere  und  noch  meljr 
äußere. 

Von  der  behaupteten  Abhängigkeit  von  Thukydides,  auf  die 
S.  selbst  geringeren  Werl  legt,  sehe  ich  hier  ab.  Was  jedoch 
die  sog.  Antiphonfragmente  und  Piaton  betrifft,  so  machen  nach 
meiner  Empfindung  die  beiden  Charakteristiken  Xenophons,  für 
sich  betrachtet,  einen  so  geschlossenen  Eindruck1),  daß  es  mir 
schwer  glaublich  ist,  ihr  Verfasser  habe  sie  aus  den  über  zwei 
Dialoge  Piatons  und  die  Fragmente  verstreuten  Gedanken  zu- 
sammengeflickt. Daß  Xenophon  hier,  wie  S.  es  (S.  578)  treffend 
ausdrückt,  „Schulter  an  Schulter  mit  Piaton  gegen  den  ausgeartete» 
Subjektivismus  kämpft44,  darf  man  ebenso  zugeben,  wie  man  hin- 
zufügen wird  —  worauf  S.  fast  gar  nicht  eingebt  (doch  vgl- 
S.  582' Z.  10)  — ,  daß  die  hitfr  begegnenden  Züge  des.  vopog  uud 
die  entgegengesetzten  der  (pvöig  beiden  Autoren  aus  der  Schule  des 
Sokrates  geläufig  waren,  der  die  einen  empfahl  und  die  anderen, 
den  Sophisten  eigentümlichen,  bekämpfte.  So  war  es  kein  Wunder, 
daß  gewisse  „Schlagworte44  in  dem  diese  Dinge  behandelnden, 
Zweige  der  Literatur  sich  wiederholten;    wir  würden  sicher  eine 

*)  Eine  andere  Frage  ist  die,  ob  sie  gerecht  uod,  was  eng  damit  zu- 
sammenhängt, ob  sie  vollständig  sind,  ob  nicht  das  Prexenosbild,  für  welches 
in  der  vorangegangenen  Erzählung  1  5,  14  und  II  1^  10  schon  erfreuliche 
Züge  vorlagen,  die  Hand  des  Freundes  zu  liebevoll  gezeichnet  and  andrer- 
seits bei  der  Charakteristik  Menbns  außer  der  Nontosnatnr  ^Cenophons  nicfct 
persönlich*  Antipathieen  mitgewirkt  haben,  die  hier  von' denv  Schriftsteller 
nicht  völlig  überwunden  worden  sind.  Doch  wir  können  das  eben  nur  ver- 
muten, weil  uns  die  genauere  Kontrolle  fehlt.  ,  Eher  scheint  mir  das 
rhetorische  Element  und  das  Beispiel  des  Isokrate*  hier  schädigen^  gewirkt 
zu  haben.  •    •  !    ;' 


150  Jahreffcerhshte  d.  Ph-iUlaf.  Vereint. 

noch  stattlichere  Liste  haben,  wenn  uns  von  der  sophistischen 
Literatur  selbst  —  Hippias  war  es  je,  der  nach  Piat.  Prot.  337  D 
das  Thenna  von  vifiog  und  qtwug  recht  eigentlich  in  die  Debatte 
einfahrte  —  mehr  erhalten  wäre.  An  Entlehnung  der  betr.  Worte 
Xenqphons  —  der  ja  übrigens  auch  sonst  z.  B.  Mem.  I,  2  41  ff. 
und  IV,  4  verwandte  Erörterungen  anstellt  —  gerade  aus  Piaton 
unmittelbar  ist  also  nicht  zu  denken.  Übrigens  war  die  Termino- 
logie von  poftog  und  (pvatg  und  besonders  ihre  Gegenüberstellung 
als  des  Guten  und  Schlechten  keineswegs  feststehend  —  nament- 
liche Gegenüberstellung  im  Gorgias  nur  482  E  — ,  ließ  vielmehr 
an  sich  und  tatsächlich  so  verschiedene  Auslegungen  zu,  daß  mir 
der  Titel  unserer  Abhandlung  für  die  Erklärung  der  beiden 
Charaktere  als  Typen  dieser  entgegengesetzten  Gattungen  als  viel 
zu  weit  gefaßt  erscheint.  Es  waren  entgegengesetzte  Naturen, 
gewiß,  aber  auch  in  dem  Bilde  des  Proxenos  fehlen  die  Züge  der 
<pvöig  nicht;  die  Grenzlinie  ist  überhaupt  hier  nicht  so  scharf  zu 
ziehen,  und  die  Ausführung  und  Gegenüberstellung  dieser  beiden 
Porträts,  anders  als  der  vorhergehenden  des  Kyros  (I  9)  und 
Klearch  (II  6,1 — 15),  war  wohl  überhaupt  mehr  durch  stilistische 
Gesichtspunkte  als  durch  sachliche  bestimmt  worden.  In  dem 
Maße  aber,  wie  sie  sich  von  Piaton  entfernen,  nähern  sie 
sich  Isokrates,  auch  zeillich.  Die  von  Bruns  (Das  liter.  Porträt 
S.  138  ff.)  behauptete  und  in  seiner  Beweisführung  unter  sehr 
sorgsamer  Abwägung  der  Worte,  bei  Hervorhebung  auch  der 
Mangel  beider  Porträts  (beides  ist  von  S.  nicht  immer  beachtet) 
mindestens  sehr  wahrscheinlich  gemachte  Abhängigkeit  Xenophons 
von  Isokrates'  Euagoras  (Kap.  19,  §§  41 — 46)  ist  von  Sorof 
S.  588  f.  nicht  widerlegt  worden. 

Ich  komme  damit  zu  den  äußeren  Gründen,  die  gegen  S. 
sprechen.  Die  von  ihm  angenommene  Art  der  Abhängigkeit  der 
beiden  Charakteristiken  X.s  von  den  beiden  Dialogen  Piatons  hat 
nur  dann  rechte  Bedeutung,  wenn  sie,  wie  S.  selbst  sagt  (S.  578), 
zeitlich  bald  nach  ihnen  gesetzt  werden  können,  also  bald  nach 
390,  da  die  beiden  Dialoge  jedenfalls  gegen  Ende  der  neunziger 
Jahre  zu  setzen  sind1).  Dagegen  spricht  aber  zweierlei.  Zunächst 
ist  es  nicht  wahrscheinlich,  daß  der  Verbannte  bald  nach  390 
eine  so  eingehende  Kenntnis  der  platonischen  Dialoge  gehabt  hat, 
wie  eine  derartige  Benutzung  voraussetzen  würde;  ferner  wären 
wir  genötigt,  um  dieser  Annahme  willen  die  glücklich  gewonnene 
Erkenntnis  der  späten  (Ausgang  der  siebziger  Jahre  oder  noch 
später)  und  einheitlichen  Abfassung  der  Anabasis*)  wieder  auf- 
zugeben oder,  wie  S.  ebenfalls  ratsam  findet,  die  beiden  Dialoge 
Piatons  später  anzusetzen.  Für  beides  sprechen  aber  so  gewichtige 
Gründe,    daß  wir  schon  deswegen  Sorofs  Ansetzung  mit  Vorsicht 


*)  Die  wichtigste  Literatur  darüber  stellt  Sorof  S.  578  susannta. 
')  Vgl.  besonders  E.  Schwartz,  Rh.  Mas.  1889  S.  161  ff. 


Xenophon,  vo*  R.  Ullrich.  151 

aufnehmen  müssen;  er  hat  die  chronologischen  Gesichtspunkte 
*fcu  wenig  beachtet1).  Dagegen  ist  von  dieser  Seite  gegen  Bf  uns' 
Annahme  nichts  einzuwenden;  vielmehr  schließen  sich  zeitlich  die 
Charakteristiken  des  Proxenos  und  Menon  an  das  19.  Kapitel  des 
bald  nach  374  verfaßten  „Euagoras",  diese  Sondercharakteristik 
hn  Rahmen  der  großen,  aufs  beste  an,  wenn  man  auch  hinsicht- 
lich des  Maßes  der  Anlehnung  Xenophons,  welche  wesentlich  eine 
formelle  ist,  im  einzelnen  von  ßruns  abweichen  mag. 

11)  Max  ffodermann,  Vorschlafe  zur  Xenophon-Übersetzung  im 
Anschluß  an  die  deutsche  Armeesprache.  Sonderab druck 
aas  der  Pestschrift  zur  350jährigen  Jubelfeier  des  Fürstlich  Stolberg- 
schen  Gymnasiums  zu  Wernigerode  a.  H.  Wernigerode  1900,  B.  Anger- 
stein.    25  S.     gr.  8. 

Anzeigen:  W.  Gemoll,  WS.  f.  klass.  Phil.  1900  Sp.  1334—1335.  - 
W.Schwarze,  Ztschr.  f.  d.  deutsch,  ünterr.  1900  S. 786— 790.  —  R. Hansen, 
JN.  phtl.  Rdsch.  1900  S.  560.  —  R.  Öhler,  Berl.  phil.  WS.  1901 
Sp.  516—517.  —  F.  Fröhlich,  DLZ.  1901  Sp.  1238.  —  Vgl.  auch  Kr., 
Heeressprache  und  Klassikerübersetzung,  Ztschr.  d.  allg.  deutsch. 
Sprachvereios  1902  Sp.  161—167. 

Der  Verfasser  hatte  bekanntlich  in  seiner  Arbeit  „Unsere 
Armeesprache  im  Dienste  der  Cäsar  Übersetzung"  (Leipzig  1899; 
▼gl.  dazu  besonders  Meusel,  JB.  1899  S.  260—262)  die  Ansicht 
▼ertreten,  daß  bei  der  Obersetzung  und  Erklärung  kriegsgeschicht- 
licher Werke  des  Altertums  die  militärische  Sphäre  in  Termino- 
logie und  Phraseologie  mehr  Berücksichtigung  verdiene,  als  ihr 
bisher  zuteil  geworden  sei.  Mit  ebensoviel  Recht  als  Glück,  wie 
mir  scheint.  Das  damals  gefundene  Entgegenkommen  hat  ihn 
ermutigt,  den  in  Anwendung  auf  Cäsar  gemachten  Versuch  auf 
Xenopbon  zu  übertragen.  Er  hat  damit  nicht  bloß  für  den 
nächsten  Zweck,  die  Übersetzung  militärischer  Ausdrücke  mehr 
mit  dem  heute  im  Heere  geltenden  Gebrauch  in  Einklang  zu 
bringen,  bedeutsame  Anregungen  gegeben,  sondern  auch  die  Er- 
klärung des  Schriftstellers  selbst  vielfach  gefördert8),  um  so  mehr, 
als  er  sich  hier  von  mancherlei  kleinen  Übertreibungen  der  ersten 
Arbeit  fast  völlig  freigehalten  hat. 

Es  ist  ihm  darum  zu  tun  (S.  25),  „die  Methode  zu  veran- 
schaulichen, nach  der  gerade  unter  den  gegenwärtigen  Verhältnissen 
ein  Kriegsschriftsteller  des  Altertums  behandelt  werden  muß,  wenn 


1)  Gegen  die  Anlehnung  X.s  an  die  sog.  Antiphonfragmente  sprechen 
noch  erheblichere  Bedenken  zeitlicher  Art,  auch  dann,  wenn  man  sie,  wie 
ich  glaube,  aus  sachlichen  Gründen  (sok ratische  Gedanken)  und  stilistischen 
(Antithesen)  viel  weiter  hinabrückeu  tnnfl,  als  S.  tut,  der  sie  (vgl.  S.  582 f.) 
sehoo  in  die  zwanziger  Jahre  des  5.  Jahrhunderts  setzen  möchte,  also  in  die- 
selbe Zeit  wie  die  ji&tivaCw  nolvnfa,  die  noch  nicht  die  Einflüsse  der 
Rhetorik  aufweist;  vgl.  o.  S.  79  und  Zeitschr.  f.  d.  GW.  1899  S.  234 ff. 

2)  Gemoll  hat  daher  in  seinem  Schulwörterbuch  (s.  o.  S.  132  u.)  Hoder- 
VMis  Ergebnisse  mit  Recht  schon  verwertet;  vgl.  den  nächsten  Jahres- 
bericht. , 


)132  Jahresbericht*  d.  Philologie  rein  s. 

aftders  Leben  in  die  tote  Masse  kommen  uno1  das  Werk  desselben 
.mehr  sein  soll  als  ein  Phantom  für  grammatische  Sezierübungen4'. 
Zu  dem  Zwecke  bespricht  er  nach  der  Ordnung  der  Stammwörter 
(wobei  nur  d&Qoi&o  nicht  unter  #  hätte  eingeordnet  werden 
sollen)  die  Kapitel :  Marsch  einschließlich  Sicherung,  Aufklärung 
und;  Gelände.  .         -••  ..  - 

Von  der  Besprechung  solcher  Artikel,  über  die  das  Wörter- 
buch befriedigende  Auskunft  erteilt,  ist  mit  Recht  abgesehen;  ich 
glaube,  daß  auch  die  zu  ayco,  keine*),  avanavopcu,  Ottos,  <™- 
,<fx€va£o[iai,  avvd-fj/Accy  ixTQ6no[icu,  oäog  Otavij  gegebenen  Übe?- 
Setzungsvorschläge  fehlen  konnten,  da  sie  nicht  eigentlich  Neues 
bieten.  Alle  übrigen  Artikel  aber  sind  denen,  welche  Xenophon 
zu  erklären  haben,,  sehr  zu  empfehlen.  H.  ist  dem  Fehler  der 
Einseitigkeit  glücklich  entgangen;  er  hat  sich  die  Muhe  genommen, 
außer  den  schon  für  die  Cäsarübersetzung  benutzten  militärischen 
Quellen  (Felddienst-Ordnung,  Exerzier- Reglement,  Geschichte  des 
Krieges  1870 — 71,  Band  3  von  Moltkes  gesammelten  Schriften) 
auch  die  Geschichte  des  Deutsch- Dänischen  Krieges  1864,  die  des 
Zweiten  Schlesischen  Krieges,  in  denen  „das  Bestreben,  gegen  die 
Fremdwörter  zu  Felde  zu  ziehen,  zuerst1)  mit  Entschiedenheit 
zum  Ausdruck  gebracht  sei4',  und  mit  Recht  auch  die  überaus 
frisch  geschriebenen  Darstellungen  von  Karl  Tanera  heranzuziehen, 
und  mit  emsigem  Fleiße  alles  zusammengetragen,  was  für  die 
Xenophonüberselzung,  zunächst  der  Anabasis,  mit  Nutzen  verwertet 
werden  kann.  Die  hier  entgegentretende,  fast  überraschende 
Mannigfaltigkeit  des  Ausdrucks  (man  vgl.  z.  B.  dvvapig,  int- 
Tfjdsux,  xsoctq,  X^Qa)  hält  den  Verf.  davon  ab,  die  Übersetzung 
irgendwie  pedantisch  auf  bestimmte  Ausdrücke  festzulegen,  hl 
dem  Streben,  entbehrliche  Fremdwörter  zu  vermeiden  (vgl.  z.  B. 
zu  lx[ifiQvo[*cü  {heraustreten,  sich  entwickeln;  Moltke  oft:  de- 
bouchieren),  nXctlaiov  (Viereck  statt  Karree  u.  ö.),  wird  er  doch 
nicht  grundsätzlicher  Purist;  passierbar  wird  neben  gangbar  be- 
lassen (ßccoifjbog),  alarmieren  neben  zu  den  Waffen  rufen  (nag- 
äyyiXXew  eig  rä  onXa)y  Signal  empfohlen  (atiiictivw),  rekognoszieren 
neben  aufklären  gestattet  (äximofiai,  Gxoniw).  Für  zahlreiche 
Stellen,  die  von  Übersetzern  und  Erklärern  und  demgemäß  auch 
von  Schülern  nicht  bloß  unmiiitärisch,  sondern  auch  undeutsch 
wiedergegeben  zu  werden  pflegen,  schlägt  er  treffendere  Über- 
setzungen vor,  vgl.  ävaßaivstv  inl  top  tnnov  aufsitzen,  nQotr- 
ylysa$cu  stofsen  zu,  iXavvtav  ävä  xodtog  u.  a.  im  Galopp  (Rehdantz- 
Carnuth  auch  in  der  sechsten  Auflage  hoch  aus  Leibeskräften), 
£(fsnofACu  sich  ahscMiefsen,  xata&ioa  streifen  (wobei,  wie  häufig, 
auf  den  entsprechenden  lateinischen  Ausdruck  hingewiesen  wird), 
ä&Qoog  geschlossen   (vgl.  oben    S;  124),    ilsinovxo   Nachzügler, 


*)  Hier   hat  Verf.  aber  einen  Hinweis  auf  die  mühevollen  und  erfolg- 
reichen Bestrebungen    des  Allgemeinen    deutschen  Sprachvereins   vergessen. 


.-  Xenophon,  v;otf  R.  jUJ:lri«lir  •  • . ".  2153 

-itstoq  Fußvolk  (Fvfssoldat ^  —  vgl.  o.  S;  77  —  wird  mit  Recht 
vermieden),  anoanatförjvai  die  Fühlung  verlieren  u.  ä,  > 

Und  vielfach  werden  nicht  bloß  der  oder  die  treffendsten 
Ausdrucke  gefunden,  sondern  durch  scharfe  Begriffsbestimmung 
und  Unlerscheidung  jeder  Gedankenlosigkeit  entgegengetreten  und 
die  Erklärung  selbst  gefördert.  Ich  hebe  hervor  die  mannig- 
faltige, dem  jeweiligen  Zusammenhange  entsprechende  Wiedergabe 
Von  eQxofiat  (jJxoo),  noQevo^xai  (sich  begeben,  eintreffen,  von 
Standespersonen  im  Unterschiede  von  der  gewöhnlichen  Über- 
setzung in  Beziehung  auf  Truppenmassen),  xooXvoo  (verlegen,  ver- 
zögern, es  gab  eine  Stockung  statt  des  „farblosen14  hindern),  ä-ÖQvßog 
bzw.  xQavyr}  (Alarm,  Lärm,  Hurra),  die  Erörterung  über  xiQaq 
(besonders  S.  11  u.),  avyxvmto,  diaXeina)  (wichtige  Unterscheidung 
der  Begriffe  Zwischenraum  und  Abstand),  äipodog  (Abmarsch  und 
Rückzug),  ö%olfi,  worin  das  Unfreiwillige  zum  Ausdruck  kommt 
(s.  v,  noQ€voiuca)\  zu  V  2,  32  (s.  v.  x^qiiio)  wird  die  seltsame 
Interpretation  mehrerer  Herausgeber  richtig  gestellt.  Zu  III  3,20 
(s.  v.  iifiaTrjfjn)  wünscht  man  eine  treffende  Übersetzung  vop 
idoxipccG&rjGav;  Menge  hat  es  (in  seinem  neuen  Lexikon,  s.  o. 
S.  103)  wohl  richtig  durch  ausmustern  wiedergegeben.  ? 

Das  von  Meusel  (a.a.O.  S.  261)  geäußerte  Bedenken  gegen 
die  Verwendung  moderner  militärischer  Kunstausdrucke,  die  auf 
antike  Verhältnisse  nicht  passen,  ist  hier  nur  selten  geltend  zu 
machen.  Doch  begegnet  noch  einiges  derartige;  vgl.  s.  v.  t£*$j& 
zu  I  7,  20,  wo  nicht  ganz  klar  wird,  wie  H.  wirklich  übersetzen 
will  (Gleichtritt  und  ohne  Tritt  ist  selbst  als  Erklärung  nicht  un- 
bedenklich), und  die  Ausdrucksweise  die  Gewehre  zusammensetzen 
(s.  v.  TiS-r/tii).  Von  der  Verwendung  von  Ausdrücken,  die  zwar 
in  der  Regel  gut  militärisch,  aber  dem  gebildeten  Historiker  und 
Laien  weniger  geläufig  sind  (Meusel  a.  a.  0.),  hat  Verf.  diesmal 
fast  ganz  abgesehen;  doch  würde  ich  Verbindungen  vermeiden, 
die  z.  T.  als  Vergleich  herangezogen  werden,  wie  nach  Roye  auf*- 
scMiefsen  (s.  v.  äyoo);  Zapfenstreich  (cji^aivoo),  sich  eilends  abziehe!* 
(rQ&X<*>)>  auch  das  gezierte  sich  verfügen  (noQevoficu)  wie  das 
burschikose  schleunigst  (s.  v.  oigo/uc**)*  mag  es  immerbin  auch  in 
Bismarckschen  Erlassen  und  sogar  in  v.  Wilamowitz'  Verdeutschung 
der  „Medea"  des  Euripides  begegnen. 

Doch  das  sind  nur  geringfügige  Ausstellungen.  Im  übrigen 
sind  der  Arbeit  üodermanns  zahlreiche  Leser,  besonders  unter 
den  Lehrern  des  Griechischen,  zu  wünschen.  Die  große  Mannig- 
faltigkeit, die  geboten,  und  der  weite  Spielraum,  der  dem  einr 
zelnen  gelassen  ist,  wird  sicher  znr  weiteren  Belebung  des  Unter- 
richts beitragen;  denn  die  Grundsätze  des  Verf.  sind  nicht  bloß 
zeitgemäß,  sondern  zeugen  auch  von  klarer  Einsicht  und  von  gutem 
Geschmack.  Zu  wünschen  ist  freilich  hier  wie  in  ähnlichen 
Fällen,  daß  über  diese  Dinge  eine  gewisse  Einhelligkeit  der  An- 
schauung  anter   den   beteiligten  Lehrern    des  Lateinischen   und 


'154  Jahresberichte  d.  Philoleg.  Vereins. 

Griechischen  derselben  Anstalt  besteht;    sonst  zahlen  die  Schäfer 
die  Kosten. 

98)  A.  Käthe,  Xeoophoiu  Anab'asis  als  Grundlage  des  griechi- 
schen Elementarunterrichts.  Beilage  zum  Programm  des  Gym- 
nasiums zu  Wismar  1900.  Leipzig  1900,  B.  G.  Tenbner.  39  S. 
gr.  8.    0,50  Jt. 

Anzeigen:  WS.  f.  klass.  Phil.  1900  Sp.  681-683.  —  A.  v.  Bamberg, 
JB.  Üb.  d.  höh.  Sehttlw.  1900,  VII,  S.  2 7  f.  —  M.  Baltzer,  Ztschr.  f.  d. 
GW.  1901  S.  233—235.  —  J.  Sitz I er,  Gymnasium  1901  Sp.  502.  — 
Fr.  Müller,  Berl.  phil.  WS.  1901  Sp.  1499—1500. 

Der  Verf.  ist  mit  dem  bisher  üblichen  Betrieb  des  griechi- 
schen Anfangsunterrichts  nicht  zufrieden;  er  findet,  daß  er  weder 
mit  dem  Lehrziel  (Verständnis  der  bedeutenderen  klassischen 
Schriftsteller)  im  Einklang  steht  noch  mit  den  Anforderungen, 
die  der  Tertianer  „an  die  geistbildende  Kraft  des  ihm  gebotenen 
Unterrichtsstoffes  stellen  kann  und  soll".  Er  kritisiert  nach- 
einander die  Übungsbücher  von  Jacobs,  Koch,  Destinon  (Lesebuch 
nach  Arrian),  Kohl,  Albert  Müller,  den  Aufsatz  von  0.  Hoffmatih 
(Eine  Neugestaltung  des  griechischen  Unterrichts,  Göttingen  188Ö) 
und  kommt,  im  Herzen  eigentlich  ein  Anhänger  der  Ahrensschen l) 
Methode,  aus  mehr  praktischen  Gründen  in  Obereinstimmung  mit 
A.  Gronau1)  zu  dem  Schluß,  es  sei  das  einzig  Richtige,  den 
griechischen  Elementarunterricht  von  vornherein  —  also  in  U.  III  — 
an  die  Lektüre  der  Anabasis  anzuschließen.  Auf  induktivem  Wege 
wird  nicht  bloß  Syntaktisches,  sondern  auch  die  Formenlehre  — 
die  Formen  müssen  zuerst  im  Zusammenhange  geschaut  werden  — 
aus  der  Lektüre  abgeleitet,  der  Schüler  freut  sich,  wenn  er  auf 
Bekanntes  stößt,  die  Einzelerscheinungen  werden  bei  passender 
Gelegenheit  zusammengefaßt  u.  s.  f. 

Was  zunächst  das  induktive  Verfahren  angeht,  so  gibt  es 
Aber  seinen  Wert  in  Beziehung  auf  syntaktische  Dinge  wohl  nur 
eine  Stimme.  Wenn  es  aber  auch  auf  die  Formen  der  Deklination, 
Konjugation  und  Komparation  im  Anfangsunterricht  angewendet 
werden  soll,  so  führt  das  viel  zu  weit,  kostet  unendliche  Zeit, 
und  der  Erfolg,  d.  h.  das  Können,  steht  in  keinem  Verhältnis  zu 
dem  umständlichen  Lehrverfahren8).     Viele,  die  anfänglich  dafür 


*)  A.  ging  bekanntlieh  von  Homer  uns.  Das  Wichtigste,  was  sich  für,  aber 
weit  mehr  noch,  was  sich  gegen  ihn  sagen  läßt,  ist  schon  von  Eckstein  (Lateini- 
scher und  griechischer  Unterricht,  Leipzig  1S87,  S.  371  f.)  hervorgehoben 
worden.  Vgl.  Über  neuere  Versuche  in  dieser  Richtung  A.  v.  Bamberg,  JB. 
üb.  d.  höh.  Schulw.  1889,  V,  S.  27 ff  .;  1890,  V,  S.  28  ff.;  1892,  VIT,  S.  36 ff . ; 
1895,  Vif,  S.  34 ff.;  1896,  VII,  S.  29 ff.  und  P.  Cauer,  Ztschr.  f.  d.  GW.  1903 
S.  689—699;  0.  Kohl  eben*.  S.  762-769;  P.  Hartmann  ebend.  1904  S.  82—87. 

*)  Ein  Versuch  zur  Änderung  des  griechischen  Unterrichts,  Progr. 
Schwätz  1893;  vgl.  dazu  die  kurze,  aber  treffende  Kritik  von  A.  v.  Bamberg 
a.  i.  0.  1893,  VII,  S.  34. 

*)  Vortrefflich  ist,  was  hierüber  ein  alter  Praktiker,  der  aber  für  alle 
vernünftigen  Neuerungen  ein  offenes.  Ohr  hat,  sagt,  J.  Rothfucbs  in  „Beitrüge 


Xenophon,  von  R.  Ullrich.  |55 

schwärmten,  besonders  in  den  ersten  Jahnen  nach  Einfuhrung  der 
Lehrpläne  von  1892,  sind  daher,  wie  der  Schreiber  dieser  Zeilen, 
sogar  im  lateinischen  Anfangsunterricht  davon  wieder  znrück- 
gekommen.  Warum  müssen  z.  B.  die  Zahlwörter  unbedingt  (S.  7 
—  welche?)  dem  Schuler  zuerst  in  einem  sprachlichen  Zusammen- 
bange erscheinen?  Wenn  in  den  Übungsbüchern  der  „alten 
Methode41  hier  und  da  schon  das  eine  oder  andere  begegnet,  so 
ist  das  gut  und  naturlich,  und  wenn  ein  neues  kommt,  wird  der 
einsichtige  Lehrer  an  die  alten  erinnern  und  „immanente  Repetition" 
treiben:  zu  sichrem  Besitz,  und  darauf  kommt  alles  an,  werden 
sie  doch  erst,  wenn  sie  der  Schüler  systematisch  nach  der  Gram- 
matik lernt.  Daß  der  Schüler  bei  diesem  Verfahren,  wo  ihm  auf 
Schritt  und  Tritt  eine  verwirrende  Fülle  von  immer  neuen  sprach- 
lichen Erscheinungen  entgegentritt,  wirklich  dieselbe  oder  gar 
größere  grammatische  Sicherheit  erreichen  soll  wie  bei  dem  Be- 
trieb der  „alten  Methode44 *),  eine  Sicherheit,  die  auf  einer  wissen- 
schaftlichen Vorbildungsanstalt  entschieden  zu  fordern  ist  (gegen 
Raterei  erklärt  sich  auch  Verf.  S.  11),  davon  haben  mich  des  Ver- 
fassers Darlegungen,  die  nicht  eingehend  genug  sind,  nicht  über- 
zeugt. Ich  vermag  ihm  noch  weniger  beizustimmen,  wenn  ich 
sein  Ziel  ins  Auge  fasse:  verständnisvolle  Lektüre  der  Anabasis. 
Was  ist  das  noch  für  eine  „Lektüre",  die  es  in  einem  ganzen 
Jahre  (und  bei  sieben  Wochenstunden  in  Mecklenburg!)  auf  acht 
Kapitel  des  ersten  Buches  bringt,  wobei  Verf.  noch  andeutet 
(S.  10),  das  Orontas-Kapitel  sei  unter  ungünstigen  Verhältnissen 
ev.  auszulassen;  und  bei  Gronau  (a.  a.  0.)  ist  der  Umfang  der 
Lektüre  noch  geringer.  Hier  ist  das  Prinzip  selbst  sein  größter 
Feind. 

Dazu  kommen  andere  Gründe,  didaktische,  ästhetische  und, 
wenn  ich  so  sagen  darf,  soziale.  Der  „alten  Methode"  ist  mit 
Recht  vorgeworfen  worden,  daß  sie  die  Lektüre  zu  einem  Tummel- 
platz grammatischer  Exerzitien  mache.  Und  hier?  Kommt  der 
Schüler  wirklich  zur  Freude  am  Inhalt,  wenn  ihm  jeder  Schritt 
vorwärts  ein  neues  Hindernis  zeigt?  Der  Text  eines  Schrift- 
stellers, und  wäre  es  auch  nur  der  oft  sehr  tief  eingeschätzte 
Xenophon,  ist  mir  zu  schade  dazu,  die  Formenkenntnis  zu  ver- 
mitteln; syntaktisches  Verständnis,  das  lehrt  der  Zusammen- 
bang des  Schriftstellers  am  besten,  die  Kenntnis  der  Elemente 
muß  vorher  erledigt  sein.  Ich  meine  also,  es  wird  besser  bei 
dem  üblichen  Anfang  der  Xenophonlektüre  in  0.  IH,  die  dann 
wirklich  annähernd  diesen  Namen  verdient,  verblieben.  Es 
scheint    mir    auch  wenig  rätlich,    nebeneinander  im  Lateinischen 

zur  Methodik  des  altsprachlichen  Unterrichts",  Marburg  3  1892,  S.  135 f. 
Anm.  1 ;  vgl.  «ach  die  Bemerkungen  von  Waldeck  in  Lehrpr.  u.  Lehrg.  31 
(1892)  S.  80  ff. 

')  Diese  Bezeichnung  ist  aar  der  Kürze  halber  zu  rechtfertigen;  tat- 
sächlich ist  diese  Methode  dojjh  selbst  eine  andere  gewordeo. 


J56  Jahresberichte  <h  Philologe  Vereins. 

in  die  Cäsarlektüre  und  im  Griechischen  in  die  des  Xenophon 
einführen  zu  wollen.  Die  U.  III  ist  mit  Lehrstoff  reichlich  be- 
lastet4, dagegen  wird  der  Schuler,  der  sich  in  U.  III  in  seinen 
Cäsar  etwas  eingelesen  und  daneben  rm  Griechischen  eine  ich 
will  einmal  sagen  mehr  grammatische  Schulung  durchgemacht  hat 
(die  darum  keineswegs  so  sextanerartig  auszusehen  braucht  wie 
Verf.  S.  4  annimmt),  sachlich  und  formell  sichrer  ausgeröstet  in 
0.  III  an  den  neuen  Schriftsteller  herantreten.  K.  scheint  mir 
diesen  Gesichtspunkt,  den  er  nicht  einmal  erwähnt,  doch  etwas 
zu  unterschätzen.  In  andrer  Hinsicht  wird  seine  Methode  ver- 
ständlicher; er  hat  mecklenburgische  Gymnasiakerhältnisse  im 
Auge.  Da  aber  dort,  wie  er  sagt  (S.  12),  schriftliche  Übersetzungen 
aus  dem  Deutschen  nicht  mehr  gefordert  werden,  andrerseits,  was 
immerhin  nicht  ganz  unwesentlich  ist,  dem  Unterricht  eine  Wochen- 
stunde mehr  zur  Verfugung  steht  als  in  Preußen1),  so  ist  es  er- 
klärlich, daß  ebenso  von  sicherem  grammatischem  Wissen  —  wie- 
wohl dies  Verf.  mehrmals  gerade  sehr  betont  —  etwas  nachgelassen 
werden,  wie  dem  Betriebe  eine  gewisse  Ruhe  zuteil  werden  kann, 
während  bei  uns  gerade  im  griechischen  Unterricht  der  Tertien 
mit  jeder  Stunde  gerechnet  werden  muß.  Und  da  nach  den 
neuesten  Lehrplänen  von  1901  schriftliche  Übersetzungen  in  das 
Griechische  bis  0. 1  (übrigens  1900  nach  den  Lehrplänen  von  1892 
immerhin  noch  bis  U.  II)  gefordert  werden,  kann  auch  im  Griechi- 
schen auf  systematisch  anzueignende  grammatische  Kenntnisse 
nicht  verzichtet  werden.  Die  Methode  des  Verf.  hat  auch  den 
Nachteil,  daß  Schuler,  die  nur  einige  Zeit  dem  Unterrichte  fern 
bleiben  müssen  oder  auf  andere  Art  vorgebildet  neu  eintreten, 
sich  wohl  nicht  immer  leicht  hineinfinden  werden;  auch  hier  be- 
rücksichtigt Verf.  im  Hinblick  auf  seine  engere  Heimat  mit  seß- 
hafterer Bevölkerung  zu  wenig  andere  Verhältnisse ;  sie  macht  es 
ferner  beinahe  zur  Bedingung,  daß  sie  auch  von  den  folgenden 
Lehrern  des  Faches  geteilt  wird,  da  sie  sonst  um  ihre  besten 
Früchte  käme.  Das  wird  nur  unter  besonders  günstigen  Ver- 
hältnissen zu  erreichen  sein.  Lehrern  aber,  die  einer  von  der 
üblichen  so  grundsätzlich  verschiedenen  Methode  innerlich  ab- 
geneigt sind,  ihre  Befolgung  aufzunötigen,  wäre  bedenklich.  Daß 
auch  die  große  Zahl  der  Schüler  (in  Wismar  ist  sie  mäßig,  in 
Parchim,  wo  jetzt  Verf.  wirkt,  noch  geringer)  ein  Hindernis  ist, 
das  schwer  ins  Gewicht  fällt,  ist  schon  öfters  betont  worden  und 
braucht  hier  nur  eben  erwähnt  zu  werden. 

Wenn  ich  mich  also  grundsätzlich  und  auch  im  Hinblick  auf 
preußische  Verbältnisse  mit  den  Vorschlägen  des  Verf.  nicht  be- 
freunden kann,  so  ist  mir  seine  Arbeit  doch  darum  wertvoll,  weil 
sie  (Lehrgang,  S.  12 — 14,  Vokabular,  15 — 37;  vgl.  dazu  oben 
S.  105;  Anhang,  38 f.)  zeigt  —  um  mit  einem  Altmeister  unseres 


*)  Vgl.  dazu  auch  G.  Julia*  in  Baumeisters  Hdb.  I  2  S.  204  f. 


Xeoophon,  von  R.  Ullrich;    -  157 

Faches  zu  reden  — ,  „nicht,  wie  man  es  machen  müsse,  sondern 
wie  er,  der  sachkundige  Mann,  es  wirklich  gemacht  hat";  ich 
glaube,  aus  den  knappen  Bemerkungen  S.  12 ff.  und  der  Ordnung 
des  Anhangs  wird  auch  derjenige,  der  in  jüngeren  Jahren  ohne 
längere  Praxis  in  0.  III  zuerst  Xenophonunterricht  zu  erteilen  bat, 
mancherlei  lernen  können.  Nur  wäre  zu  wünschen  gewesen,  daß 
K«  unter  Ausschluß  längerer  Erörterungen,  wie  der  auf  S.  4 — 10, 
seine  eigenen  Erfahrungen  in  größerer  Ausführlichkeit  mitgeteilt 
hätte.  Vielleicht  entschließt  er  sich  bei  ähnlicher  Gelegenheit 
dazu;  des  Dankes  der  Fachgenossen  ist  er  gewiß. 

Daß  auch  in  Preußen,  nicht  nur  in  Schwetz,  hier  und  da 
schon  in  II.  III  seit  1892  mit  der  Lektüre  der  Anabasis  begonnen 
wird,  ist  mir  wohl  bekannt.  Und  wo  die  oben  erwähnten  Vor- 
bedingungen vorhanden  sind,  ist  die  Fortsetzung  der  Praxis  durch- 
aus erwünscht.  Es  erscheint  mir  aber  zweifelhaft,  ob  sie  nach 
dem  vorübergegangenen  Pessimismus  der  neunziger  Jahre,  der  « 
im  Griechischen  die  Parole  ausgab:  „Retten,  was  zu  retten  ist'4, 
noch  am  Platze  ist  Daß  die  Anhänger  der  „neuen"  des  Rühmens 
kein  Ende  finden  —  auch  Verf.  ist  nicht  ganz  frei  davon;  vgl. 
S.  6,  11,  12  — ,  ist  ebenso  natürlich^  wie  es  notwendig  ist,  daß 
in  den  schäumenden  Most  von  den  Anhängern  der  „alten4'  etwas 
Wasser  gegossen  wird.  Das  Gute  hat  jene  jedenfalls  gehabt,  daß 
diese  ihr  Verfahren  immer  aufs  neue  auf  seine  Brauchbarkeit 
geprüft  hat.  - 

2U)  Friedrich  Gustav  Soraf,  Zur  Texteskritik  der  Aosbtsis 
Xenophoos.  WS.  f.  klass.  Phil.  XVII  (1900)  Sp.  721-728;  755— 
758;  808— 814;  851— 862. 

Gemolls  Ausgabe  der  Anabasis  vom  Jahre  1899  (vgl.  Nr.  22) 
fängt  an,  ihre  Wirkung  zu  tun.  Gleich  dem  Programm  von  Reuß 
(Saarbrücken  1900;  vgl.  den  nächstea  Jahresbericht),  stellen  sich 
audj  die  ßeiträge  des  allen  Xenophonforschern  wohlbekannten 
F:  G.  Sorof  hauptsächlich  als  eine  Revision  des  Gemollschen  Textes 
dar,  wenngleich  der  Verf.  auch  an  die  Arbeiten  anderer  gelegent- 
lich anknüpft  Sorof  mußte  in  seiner  Auswahl  aus  der  Anabasis 
(M9G0,  B  1903)  auf  nähere  Begründung  seiner  eigenen  Stellung- 
nahme zum  Texte  und  seiner  Abweichungen  von  Gern  oll  natur- 
gemäß verzichten  (doch  vgl.  das  Verzeichnis  a.  a.  O.  S.  270—272); 
hier  hat.  er  dagegen  eine  ganze  Reihe  von  Stellen,  darunter  nicht 
wenige  viel  umstrittene,  eingehend  und,  wie  gleich  zu  bemerken 
ist,  so  sachgemäß  behandelt,  daß  Kritik  und  Erklärung  nicht 
wenig  gefordert  wird* 

Cpr.  ist  bekanntlich  die  beste,  aber  nicht  allein  maßgebende 
Hs.  der  Anabasis.  Einerseits  ist  ihr  Wert  verkannt  worden,  und 
Gemoll  gebührt  das  Verdienst,  ihr  grundsätzlich  wieder  zu  ihrem 
Rechte  verholfen  zu  haben,  andrerseits  bedürfen  aber  ihre  Les- 
arten  der  Ergänzung   durch  Ausnutzung   besonders  von  C,  und 


158  Jahresberichte  <L  Philolof.  Vereins. 

den  übrigen  Hss.,  wie  der  Emendation.  Beiden  Gesichtspunkten 
sucht  S.,  stets  vorsichtig  abwägend,  zu  dienen. 

Zunächst  behandelt  er  (S.  721  ff.)  eine  Anzahl  von  Stellen, 
an  denen  die  Laa.  von  Cpr.  entweder  überhaupt  noch  nicht 
beachtet  oder  aus  unzureichenden  Gründen  wieder  aufgegeben 
worden  sind. 

Einverstanden  bin  ich  mit  seiner  Rechtfertigung  folgender 
Laa.:  1  3,  19  avayy&Xa*  (det.  und  Gemoll  änayyelXai).  — 
II  5,  18  6n6aoi$  ay  ipäv  ßovldfia^a  (Gemoll  nach  Hartman 
ßovlops&a),  27  ixikeve  (ixiXevtfs).  —  III  1,  3  und  IV  2,  12 
i%iy%avov  und  idivavxo  neben  Ixaöxog  (G.  setzt  den  Sing.)» 
nur  durfte  in  diesem  Zusammenhange  I  8,9  Sxaaxov  vo  iövog 
nicht  herangezogen  werden,  Worte,  die  alle  Zeichen  des  Glossems 
zeigen  (vgl,  o.  S.  116).  —  III  1,  43  noXeputotg  (nolipai^  s.  o. 
S.  114).  —  IV  6,  11  xai  dondaai  (G.  nach  Hartman  ij;  G.» 
Apparat  ist  hier  nicht  ausreichend).  —  V  4,  21  onmg . . .  dotyre 
. . .  xai . . .  dtjXciayTe  (G.  setzt  mit  den  det  das  Futurum),  unter 
Heranziehung   der    merkwürdigen    Stelle  ßlat.  Gorg.  36  (4802?). 

—  V  8,  13  xai  vfiwv  (xai  ypiSv).  —  VI  1,  32  &Q%ew  avvs&s- 
Xqccu  (det.  und  G.  <svvdq%6iv  i&ekijcai).  —  VI  3,  10  xccra- 
&ioyieg  (nQaxava&ioyTss),  wozu  ich  noch  VII  3,  44  vergleichen 
möchte,  wo  auch  G.  xaza&stv  hat.  —  VI  6,  19  ino^sv^ro  (G. 
Plur.),  34  naqadidäaw  (i$dmü§^)9  vgl.  o.  S.  118. 

Dagegen  kann  wohl  nicht  aufrechterhalten  werden  I  4,15 
(pQOVQia  (richtig  wohl  mit  G.  (fQovoaoxlag).  —  I  5,  9  fin.  inoi- 
etro  (notwendig  not  oho);  denn  I  2,  21  rf  xig  ixwXvey  liegt  die 
Sache   doch   etwas   anders.  —  II  1,  23  änayyeXw  (anayysiXm). 

—  II  3,  16  i&avfiaoav  (i&avficc£ov).  —  II  4,  12  naqa<sdyya* 
(naQaaayyäv,  wo  es  doch  näher  liegt,  pijxog  als  Akk.  zu  nehmen). 

—  II  5,  10  äv  (G.  []).  —  III  3,  12  jjtHwto,  wofür  Poppos 
ahupvio  im  Zusammenhang  mit  (iccQtvQoifi  durchaus  gerecht- 
fertigt ist;  denn  der  Gegensatz  der  Anschauung,  wie  z.  B.  U  1,2 
zwischen  nSpnei  (wofür  Krüger  mit  Unrecht  n&pnoi  schrieb) 
und  (faivono,  liegt  hier  nicht  vor.  —  III  4,  33  dttyeoov  . .  . 
OQfjwyreg  • .  •  f  noosvotterot;  die  von  S.  hier  mit  C  und  Dindorf 
empfohlene  persönliche  Konstruktion  von  öka<f£om  mit  folgendem 
q  laßt  sich  durch  die  von  ihm  angeführten  Beispiele,  die  sämtlich 
andere  Verbindungen  zeigen,  nicht  stützen;  sie  kommt  bei  X. 
ebensowenig  wie  in  der  übrigen  Gräzität  vor.  Es  muß  also, 
glaube  ich,  bei  der  La.  dhitfsqsv  . . .  oq^vrag  . . .  ^  nooevopi- 
rovg  der  det.  sein  Bewenden  haben.  —  IV  1,  11  GvreciQW  (pvv- 
eßotop;  vgl.  o.  S.  113  und  144).  —  IV  5  und  6  (10  mal) 
xcopdoxis,  das  S.  als  eine  aus  der  Volkssprache  entlehnte  Amts- 
bezeichnung auffaßt,  doch  sind  hier  die  Inschriften  maßgebend; 
s.  o.  S.  128  B.  —  V  4, 29  vovtcov  xai  nXsiötM  atoq>f  was  sprach- 
lich unmöglich  scheint  (iowtp).  —  V  7,  8  ipßißm,  was  eben- 
falls aus  der  Umgangssprache  nicht  zu  rechtfertigen  ist,  wogegen 


Xenophoji,  von  R.  Ullrich.  159 

wiederum  die  Inschriften  bei  den  Verben  auf  -afr»  allgemein 
die  Futurform  -dum  bieten  (o.  S.  129).  —  Vll  6,  37  xazaxcclviuv 
(mtaxav&v). 

Ob  IV  3,  10  ovo  veaviaxw  (C),  worüber  Sorof  S.  727  eine 
längere  Darlegung   gibt,    oder   vtavlaxo*  zu  schreiben  ist,   kann 
zweifelhaft  sein.  —  V  4,  27  kommt  der  von  S.  hergestellte  Text 
lov  di  viov  szi  alxov  £tV  sqq.  der  in  Verwirrung  geratenen 
Oberlieferung  in  C  %bv  de  vsav  i%i   %ov  %vv  sqq.  verhältnis- 
mäßig nahe  und  kann  einen  ziemlichen  Grad  von  Wahrscheinlich- 
keit beanspruchen  (Gemoll  weniger  gut  top  d'  avdov  cltov  sqq.). 
S.  755  ff.  werden  zunächst,    teils  mit,    teils  gegen  C,    einige 
Stellen   besprochen,   an    denen    die  Ordnung  der  Worte,   wie  es 
sqheint,    in  Verwirrung   geraten   ist.     Dabei  folgt  S.  I  9,  18  mit 
Recht   der    von  Gemoll    vorgeschlagenen  Stellung  sl  yd  %ig  %i\ 
s.  o.  S.  1 13.  —  Nicht  billigen   kann  ich  aber,    wenn  er  an  der 
von  Madvig  auf  die  einfachste  Weise  geheilten  Stelle  1  5,  11  (tojv 
vi  %ov . . .  %&v  %ov  —  C  beide  Male  tov)  umstellen  will  %&v  %§ 
Mivmvog  zov  (hernach  %ov  KXectQxov),  weil  rlg  zwar  bisweilen 
bei  Herodot  und  den  späteren  Prosaikern,  wie  Arrian,  nicht-  aber 
bei  den  Attikern  der  besseren  Zeit  zwischen  den  Artikel  und  den 
dazu  gehörigen  Genitiv  eines  Substantivs  trete.  Das  Nicht  vorkommen 
derartiger  Stellungen   ist   kein    zwingender  Beweis;   S.  unter- 
scheidet hier  zu  fein.    Anstößiger  scheint  mir,   daß  nach   seiner 
Herstellung  im  zweiten  Gliede  %ov  ergänzt  werden  soll;  das  geht 
eben  nicht.  —  II  6,  11  ist  die  Umstellung  von  ccviov  (vgl,  oben 
S.  117)  unnötig,  V  5, 17  die  Anerkennung  von  Gemolls  Streichung, 
des  zweiten  ovtag  und  seine  Ersetzung  durch  das  vorhergehende 
oficog  (s.  S.  124  f.)   nicht  zu  billigen.  —  An  der  Stelle  IV  1,  22 
ist    mit   Gemoll    zu    lesen    onsQ    [xal]    rjpäg   xal    avanvsifSa* 
inoiycs;   das   zweite    xal   ist  an  seiner  Stelle  nötig,    das  erste 
ebenso  matt  wie  störend.    Der  Erklärung  für  die  Entstehung  des 
Schreibfehlers  (mehr  ist  es  nicht),  die  S.  gibt  (S.  756),  läßt  sich, 
glaube  ich,    mit  fast  noch  größerem  Recht  die  andere  Tatsache 
entgegensetzen,    die    uns    bei    Abschriften    alle    Tage    begegnet, 
daß  wir  nämlich,  in  Gedanken  vorauseilend,  ein  nur  wenig  später 
folgendes  Wort  schon  vorher  einmal  an  ungeeigneter  Stelle  hin- 
schreiben. 

Über  Streichungen  von  Worten  handelt  S.  dann  S.  756 ff., 
808  ff.  Hier  kann  ich  seinen  Ergebnissen  nur  selten  folgen. 
I  2,  21  TccfMov  i%avva  ist  dem  Wortlaut  nach  richtig  und  auch 
echt  (s.  o.  S.  120).  —  I  3,  7  ©V*  av  (paitj  nccQa  ßaaXia  no- 
Q€V£<f&a*  nicht  anzufechten,  ebensowenig  wegen  der  behaglichen 
Breite,  wie  wegen  des  Gebrauchs  von  nccQa,  wofür  nach  S.  ini 
oder  TTQog  hätte  stehen  müssen;  es  bedeutet  das  Ziel  der  Be- 
wegung. —  Umgekehrt  ist  I  2,  1  %ovg  äXXovg  vor  nXqv  nicht 
zu  halten.  Die  von  S.  als  Stützen  herangezogenen  Stellen  sind 
anders  gebaut,   auch  IV  2,  17,    wo  es  sich  (S.  liest  (o*>  äXXo* 


]4Q0:  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

mit  Schenk!)  um  etwas  Bestimmtes  handelt,  das  vorhergeht. 
Auch  der  Hinweis  auf  Kruger,  Sprach!.  50,  4  A.  10  (Tbuk. 
IV  111,  1)  kann  unsrer  Stelle  nicht  helfen,  da  die  Verbindung 
eine  ganz  andere  ist.  —  Zutreffend  dagegen  ist  das  ober  I  1,  10 
([xal]  Gemoll),  I  2,9  ([rjfj  fidxfl  G.)  und  I  4,  5  {\eldw  xal] 
«?»  G.)  Bemerkte;  vgl.  oben  S.  121,  116,  121.  Hier  sind  S.  und 
i6h  vielfach  zusammengetroffen.  Vgl.  zur  letzten  Stelle  noch  die 
Skizze  in  Sorofs  Ausgabe  *  S.  16. 

An  zahlreichen  Stellen  nimmt  S.,  was  meist  zu  billigen  ist, 
die  Überlieferung  von  Cpr.  gegen  unberechtigte  Streichungen  in 
Schutz,  teils  gegen,  teils  mit  Gemoll,  teils  noch  über  ihn  hinaus- 
gehend. Manche  davon  sind  auch  von  mir  oben  behandelt  (vgl. : 
Nr.  22  und  das  Stellenregister  am  Schluß  des  Berichts).  Ich' 
hebe  folgende  hervor,  wobei  die  von  S.  mit  Gluck  verteidigten 
Worte  in  Sperrdruck  gegeben  sind:  I  5, 9  mg  (fnevdwv.  — 
17,  2  äfiec  tj  iniovaji  qfitQcc,  5  tov  xivdvvov  Ttqoti^ 
tovxog.  —  I  9,31  sxoov  xal,  wo  schon  Kruger  das  Richtige 
sah;  ohne,  wie  oft,  die  nötige  Beachtung  zu  finden  (ähnlich 
I  10,  18  dog  iUyopro  und  III" 4,-48  ix<ov).  —  II  5,8  wqI 
[i$p  dy  twv  &s(av  xs  xal  twv  oqxwv,  wozu  eine  besonders 
trteffende  Auseinandersetzung  gegeben  wird.  —  II  6,6  wtfT? 
nälepstv.  —  III  1,  35  sxetvoi,  womit  III  1, 17  und  VII  1,  28 
gut  verglichen  werden.  —  IV  2,  3  äpalgiaiovg.  —  IV  3,  17 
nix-l  rag  öx&ag.  —  Dagegen  wird  IV  5,  20  olov  mit  Recht 
nach  G,  aufgenommen,  wie  IV  6,  12  $  rj  oficclrj  aus  den  det., 
wo  ^  nach  17  leicht  ausfallen  konnte,  während  an  derselben  Stelle 
Wiederum  xo Tg  noaiv  festgehalten  wird.  —  IV  7,  19  ix  %av- 
rf[g  6  (nach  C,)  t^g  Xwqag  aQxoav.  —  IV  8,  11  a&QOiov,  wo- 
gegen mit  Unrecht  das  folgende  xal  avd-Qwnwv  aus  C,  auf- 
genommen und  das  im  nächsten  Satze  stehende  okrj  verteidigt 
wird  (vgl.  die  längere  Ausführung  ober  diese  Stelle  oben  S.  124), 
wie  auch  III  3,  11  olrjg  (C,)  hinter  ^iqag  vielleicht  möglich, 
aber  nicht  nötig  ist.  —  V  6,  18  TQiGx*>M>ovg  (dem  V  3,  8  als  '- 
Stutze  dient). 

Dagegen  ist,  wie  Rehdantz  richtig  ausgeführt  hat/  IV  6,  1 
t(»  xoofidgxM  nicht  zu  halten,  desgl.  nicht  V  4,  15  rrjg  rtolsöag.  — ; 
Auch  den  Versuch,  die  umstrittene  Stelle  V  3,  4  (vgl.  0.  S;  120) 
mit  Beibehaltung  des '  yv  unter  Änderung  der  Interpunktion  (Punkt, 
statt  hinter  ysvoiievov,  vor  xal  SXaßov)  zu  heilen,  vermag  ich 
nicht  als  geglückt  anzusehen. 

*  S.-  81 3  ff.,  851  ff.  bespricht  S.  eine  große  Menge  von  Stellen  - — 
auf  deren  vollständige  Anführung  hier  verzichtet  werden  muß  — ,  an  • 
denen  in  Cpr.  kleinere  Wörter,  wie  Artikel,  Präpositionen,  Kon- 
junktionen n.  ä.  nach  seiner  Meinung  ausgefallen  sind.  Fragen 
dieser  Art  sind  im  Anabasistext  wegen  der  eigentümlichen  Be- 
schaffenheit der  Hss.  am  schwersten  mit  Sicherheit  zu  beantworten; 
oft    müssen    wir    uns    mit    Wahrscheinlichkeiten    begnügen.     Im  - 


X-eoophoD,  vod  R.  Ullrich.-      -  161 

allgemeinen  dürften  die  von  Gemoll  (s.  o.  S.  130)  befolgten  Grund- 
sätze richtig  sein.  S.  scheint  mir  in  seiner  Neigung,  den  Artikel 
z.  B.  einzusetzen,  wo  er  in  Cpr.  fehlt,  oft  viel  zu  weit  zu  gehen, 
und  ich  vermag  z.  B.  seiner  feinen  Unterscheidung  der  Stellen 
I  4,  4,  wo  er  %6  tvqö  ttj$  KiXixiag  lesen  will,  III  5,  1  und  be- 
sonders IV  3,  1,  wo  er  taXq  vniq  tov  nediov  naqa  xov 
KsvTQiTfjv  noTccfiöv  gelten  läßt,  nicht  zuzustimmen.  —  I  7,  6  ist 
aber  rj  aQxy  %  nargoia  zu  schreiben  (mit  Ct),  wogegen  S.  den 
Artikel  vor  dem  Substantiv  für  entbehrlich  hält.  Sprachgebrauch 
und  die  besten  Uss.  müssen  entscheiden,  und  das  von  S.  oft 
benutzte  Mittel,  aus  einer  der  Artikelform  gleichlautenden  Endung 
auf  Ausfall  des  Artikels  in  der  Überlieferung  zu  schließen,  ist,  so 
nahe  es  liegt,  doch  mit  einiger  Vorsicht  zu  gebrauchen.  Recht 
deutlich  sieht  man  das  an  der  Stelle  IV  4,  16,  wo  S.  aus  xal 
auf  ein  vor  IdpaZopeg  (hier  Statuen)  ausgefallenes  al  schließt,  das 
vor  dem  typischen  Gattungsbegriff  nicht  fehlen  dürfe.  Ich  kann 
nur  sagen,  es  ist  möglich,  aber  nicht  nötig  (vgl.  unser  wie  man 
es  bei  Amazonenstatuen  sieht). 

Anders  steht  es  natürlich  um  Fälle  wie  I  10,  19,  wo  S.  aus 
der  doppelten  Überlieferung  (avTÜv  *EXXqviov  C,  twv  'EXXyvcov 
det.)  überzeugend  ccvtcov  als  echt,  xü>v  'EXXfjvwv  als  Glosse  nach- 
weist, V  1,  16,  wo  snl  <rö)  axqaTonsdov  mit  S.  zu  lesen 
ist,  und  V  2,  23,  wo  in  den  Worten  xal  y  vv%  (foßeqä  qv  ^ 
irtiovtsa  der  in  C  enthaltene  Artikel  vor  imovcra  von  Gemoll 
nach  den  det.  ausgeschieden,  von  S.  aber  mit  Recht  wieder  ein- 
gesetzt wird,  während  er  umgekehrt  an  der  Stelle  VI  1,  5,  wo  C 
den  Artikel  vor  csnovdai  nicht  bietet,  dieser  Hs.  gegen  die  det. 
folgt.  An  einigen  dieser  Stellen  gewinnt  man  aus  Gemolls  Apparat 
übrigens  kein  hinreichend  deutliches  Bild  der  Überlieferung  (vgl. 
auch  oben  S.  132).  Ebenso  wird  einerseits  VII  6,  37  xai  yaq 
ovv  (C)  mit  Glück  verteidigt,  andrerseits  III  4,  30  iv  und  V  2,  1 
ix  gegen  die  Überlieferung  von  C  mit  Recht  empfohlen.  Über 
liiv,  %ai,  nov  endlich  handelt  der  Verf.  S.  853  f.,  meist  richtig, 
immer  lehrreich. 

S.  854— 858  bespricht  S.,  z.T.  ziemlich  ausführlich,  eine 
Anzahl  solcher  Stellen,  wo,  teils  ohne,  teils  mit  Recht,  Lücken 
im  Texte  angenommen  und  von  den  Gelehrten  ausgefüllt  worden 
sind,  und  legt  seinen  Standpunkt  dar. 

Eine  Reihe  zwar  bestechender  (dies  gibt  auch  S.  zu),  aber 
nicht  nötiger  Ergänzungen  bzw.  in  Verbindung  damit  stehender 
Konjekturen  Gemolls  werden  mit  guten  Gründen  abgelehnt,  so 
I  8,26  <os>  (treffender  Hinweis  auf  I  1,2);  I  9,4  (hiovg}, 
10  (o);  I  10,  1  (&»#«>>;  IV  5,27  (rw).  Unzureichend  scheinen 
mir  diese  aber  zu  l  10,  18,  wo  das  Xdßoiro  svdsia  (C)  nicht  zu 
halten  ist  und  durch  Gemolls  Xdßot  ng  evdsia  aufs  glücklichste 
verbessert  wird;  S.  denkt  es  sich  aus  Gedankenlosigkeit  des  Schreibers 
unter  dem  Einfluß  des  vorangegangenen  nctqscxavdaaxo  entstanden. 

Jahresberichte  XXX.  [  \ 


162  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Andrerseits  wird  an  der  für  die  Erklärung  schwierigen  Stelle 
III  4,  16,    wo     scbou    Madvig    und    Rehdantz   eine   Lücke    an- 
genommen hatten,  während  Matthiae  zuerst  durch  Änderung  de» 
ol  t€  (C)  in  ol  ys  zu    bessern   suchte,    in    längerer  Ausfuhrung 
(Sp.  856f.)  der  ganze  Zusammenhang  und    seine  Mängel    scharf- 
sinnig dargelegt  und  aus  der  Ähnlichkeit  von  io|orc3v  mit  einem 
anderen  Worte,    etwa  xo&vovxeq,   der  Ausfall  einer  ganzen  Zeile 
vor  peydka  dk  xal  ff.  angenommen,    die  etwa  gelautet  hätte   ol 
Kqtjt€$,    a%€   [A€i£oaw   ijfcfy  xqwpsvoi,  to%oiq,    noXv  nsQifjcccr 
to&vovzeg,    und    die  Einklammerung   des  folgenden  %&v  to£m?~ 
fidtcop  (Gemoll)  für    ungerechtfertigt    erklärt.     Leider    fehlt    un» 
jeder  Anhalt,  den  Wortlaut  der  Lücke,  deren  Annahme  auch  mir 
wahrscheinlich  ist,  in  bestimmter  Weise  festzustellen.     Den  Sinn* 
hat    S.  wohl    richtig    getroffen.     Die    Stelle  VII  3,  7   liest  er  mit 
Recht  in  Gemolls  Fassung,  doch  kann  man  hier  geradezu  von  hs. 
La.  reden.  —  I  3,  8  wird  die  Notwendigkeit  von  av  oder  etwas 
Ähnlichem  ebenfalls  mit  G.  richtig  erkannt  (dieser  hätte  es  in  den 
Text   aufnehmen    dürfen),    aber  seine  Stellung  vor  ixekevsv  an- 
genommen.    S.  hätte   seinem    oben   (S.  161)    oft    benutzten   Er- 
gänzungsgrundsatz hier  mit  Recht  folgen  dürfen;  die  Kakophonie 
von    ai&tg    oder  av  neben  avzov,    die  auch  sonst  bei  X.  nicht 
selten  begegnet,  brauchte  nicht  davon  abzuhalten  (vgl.  o.  S.  110  o. 
und  112  M.).  —  Dagegen  scheint  mir  die  Annahme  des  Potentialis 
fisifro    av   yiyvec&cu  VI  1,  20    (C.  mit  Verschreibung    fA€i£covr 
entstanden  vielleicht  aus  dem  bald  folgenden  fi€Z£ory  edd.  f»£i£<»} 
unnötig,    ebenso  IV  8,  6   das  Impf,  infjze  für  das  wahrscheinlich  . 
richtige,    wenn    auch   an  einer  radierten  Stelle  stehende  sgxsa&e 
(vgl.  o.  S.  109  u.  und  120  M.),    besonders  aber  V  1,  10  die  Ein- 
schiebung    von    äycop    (so  übrigens  schon  Kiehl,    e%wv  Schenkt  p 
vgl.  dessen  Apparat),    während  Gemoll    nach  Eberhard  das  über- 
lieferte iÄ&fi  (C)  in  ayr\  verwandelt  hatte.     Ich  halte    hier   jede 
Konjektur  für  überflüssig  (abgesehen  natürlich  von  dem  an  zweiter 
Stelle   längst  in  äyr\  geänderten  ayot,)  und  sk&fi  ohne  wörtliche 
Ergänzung    für   durchaus    korrekt;    es    entspricht  dem  y&t,  drei 
Zeilen   vorher,    und    das    dort    stehende  aymv  ist  ohne  weiteres 
wiederum  in  Gedanken  zu  ergänzen;  daß  dann  in  der  verneinten» 
Gegenüberstellung    äyfi    steht,    ist    nicht    zu    tadeln.  —  Von  der 
Konjektur  intfAeX^g  (vor  xcctrjfitksi!)  V  8, 1  (Gemoll  iniG%äzrig\. 
s.  o.  z.  St.)  darf  man  Notiz  nehmen. 

Zum  Schluß  (S.  858—862)  bespricht  S.  mehrere  Stellen,  bei 
denen  die  Frage,  ob  zu  ändern  ist  oder  nicht,  wohl  verschieden- 
beantwortet werden  könne.  Die  große  Vorsicht,  mit  der  er  hier 
zu  Werke  geht,  ist  besonders  hervorzuheben;  aber  an  einigen- 
Stellen  darf  man,  glaube  ich,  vielleicht  schon  bestimmter  urteilen. 
So  halte  ich  für  sicher  richtig,  nicht  bloß  für  wahrscheinlich  wie 
S.,  die  Lesungen  von  Cpr.  an  folgenden  Stellen:  II  4,  6  oXöafisv 
(Gemoll    eldopw).  —   III  2,  26  nlovaicog  (G.  nlovaiovg   nach. 


Xenopbon,  von  R.  Ullrich.  163 

Ci).  —  VII  6,  30  tovto  di}  to  g%4%Xiov  sqq.  (G.  cfy'  %i)\  ebenso 
andrerseits  die  schon  von  Dindorf  vorgenommene  Änderung  xatar- 
xavQvxsq    IV  2,  5   (G.  xataxalpoptsg    nach  C).     Schwieriger    ist 
eine  bestimmte  Entscheidung  schon  bei  den  Stellen  IV  4,  11  (ob 
nach    <5<fT€   der  Indikativ  anixqvxps  —  so  G.  nach  C,  —  oder 
mit  S.  der  Infinitiv    änoxQvipai    aus    dem    ohne    Akzent   über- 
lieferten   dnoxQvipciv    von   Cpr.  herzustellen    ist)    und  VI  2,  13, 
wo  statt  [*€%'  ccvtwp  (C)    der    schon    von  Bachof   gemachte  Vor- 
schlag   p€t'  avtov  (Hug  fASta  x&v  ((isivdvTcov),    dem  G.  folgt) 
von  S.  ansprechend  begründet  wird.  —  II  6,  25,  wo  das  an  sich 
sehr   übliche   aöxoixsiv   nur   durch  Rasur,    und  zwar  gerade  der 
entscheidenden  drei  ersten  Buchstaben,  verdächtig  wird,  schlägt  S. 
(der    hier    zufallig    mit    Reuß    zusammentrifft)    aiiQyovaiv   vor, 
während    G.  (s.  o.  S.  119)    ü-tiQsvovaiv    empfahl.     Das    eine   ist 
ebenso  möglich  wie  das  andere.    Die  Sache  wird  wohl  so  liegen, 
daß  der  Abschreiber  eigenmächtig  die  erste  Hälfte  eines  ihm  un- 
gewöhnlich   erscheinenden   Verbs   —    das    sind    u.  a.    auch    die 
beiden    vorgeschlagenen  —  durch    das    in  solchen  Verbindungen 
sehr  geläufige  (atix)ov<fiv  ersetzte.  —  Die  Ausführungen  S.s  zu 
V  4,  26,   wo   er  das  in  Cpr.  überlieferte  eXemov  schon  als  eine 
alte  Änderung  der  Vorlage  ansieht,  anavreq  festhält  und  xal  iv- 
Tsv&sp  zu  syevyov  zieht,  haben  mich  nicht  überzeugt;    Gemolls 
Änderung  aipavteg  (o.  S.  112)  ist  ebenso  einfach  wie  einleuchtend. 
—  I  4,  8  ist  iitaMSav,  wenn  auch  ungewöhnlich  oder  gerade  des- 
halb,   mit  C    festzuhalten    (S.  XtwCccv).  —  VII  3,  14    haben    die 
det.  in   intiprjcpi&o&co    das  Richtige    bewahrt    (intiprj<pi&ra)  C 
durch  Verschreibnng,   wenn  nicht  —  ohne  die  Konstruktion  und 
Bedeutung  zu  würdigen  —  mit  eigenmächtiger  Änderung  in  An- 
lehnung an  keyfroo;  intipfjcfl^a)  iyco  G.  nach  Rehdantz;  S.  Fut. 
i7iiiprj(piw).  —  I  8, 26  ist  läa&at  nicht  zu  halten,  wie  S.  (S.  855) 
will,  vielmehr  Idaaa&cu  mit  G.  nach  Cobet  einzuführen.  —  Die 
schwierige,  von  mir  oben  S.  120  behandelte  Stelle  I  9,  19  endlich, 
besonders    das  vor  %%q  unmögliche  av,   sucht  S.  durch  die  An- 
nahme eines  ursprünglichen   aviog  zu   erklären  =  für  sich,   als 
sein  Privateigentum.    Mir   scheint  die  Entstehung  aus  av&tg  sehr 
viel    einfacher;    die  notwendigen  Konsequenzen  für  den  Numerus 
ergeben  sich  in  der  Überlieferung  dann  ebenso  selbstverständlich, 
wie  heute  die  notwendige  umgekehrte  Operation. 

Ich  habe  aus  der  reichen  Fülle  der  von  Sorof  auf  26  eng- 
gedruckten Spalten  behandelten  Stellen  nur  die  wichtigsten  zu- 
sammenstellen können.  Vielfach  konnte  ich  zustimmen;  aber  auch 
da,  wo  man,  wenigstens  was  das  Ergebnis  anlangt,  andrer  Meinung 
ist,  wird  man  in  der  eigenen  Erkenntnis  durch  seine  Beweis- 
führung immer  merklich  gefördert.  Besonders  sympathisch  berührt 
die  ruhige  Sachlichkeit,  mit  der  alle  Probleme  behandelt  werden. 
Dergleichen  ist  selten  heute,  gewinnt  und  überzeugt  aber  noch 
immer.     Wo  die  Schwierigkeiten    nicht    gelöst   werden,   sind    sie 

11* 


1(54  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

doch  aufgedeckt,  und  man  wundert  sich  immer  aufs  neue,  wie- 
viel doch  in  dieser  von  ganzen  Generationen  von  Gelehrten, 
Lehrern  und  Schülern  behandelten  Schrift  immer  noch  zu  tun 
übrig  bleibt.  Wer  immer  die  Anabasis  zu  erklären  hat,  gleich- 
viel wo,  wird  Sorofs  gelehrte  und  feinsinnige  Erörterungen  mit 
Erfolg  zu  Rate  ziehen. 

30)  Martin  Fickels cherer,  Die  Königsstandarte  bei  den  Persern. 

Neue  Jahrbücher  für  das  klassische  Altertum  1898,  I,  S.  480—481. 

Die  Stelle  An.  I  10,  12  xal  %6  ßaailsiov  arjfisXov  oqav 
etpatiav  aisxov  thva  xqvcovv  inl  niXtri  [inl  %vXov\  avars- 
tctfisvov  hat  der  Erklärung  lange  Schwierigkeit  bereitet.  Da 
TiskTtj  Schild  bedeutet  und  diese  Bedeutung  für  unsere  Stelle 
nicht  passend  schien,  dachte  man  entweder  an  Verderbnis  des 
Textes  oder  nahm  das  Wort,  verleitet  u.  a.  durch  Cyr.  VII  1,  4 
ijp  d£  ccvtm  xö  GrjfisTov  alsxoq  xqvaovg  inl  doQccvog  fACcxQOV 
imtsTapivog,  hier  in  dem  besonderen  Sinne  von  öoqv;  vgl.  Krüger 
z.  St.  Eine  einfachere  Erklärung  gibt  F.  (vgl.  übrigens  schon 
Krüger)  nach  dem  bekannten  Mosaik  der  „Alexanderschlacht44,  das 
auch  die  Königsstandarte  zeigt.  Danach  ist  nilttj  ein  mit  einem 
Schilde  vergleichbares  Brett,  das  an  einem  Speere  unmittelbar 
unter  der  Spitze  befestigt  war  und  den  Adler  aufwies,  der  nach 
F.  auf  dem  Mosaik  noch  deutlich  zu  erkennen  ist.  Das  Glossem 
inl  %i>lov  scheint  noch  durch  dieselbe  Vorstellung  veranlaßt. 
Erklärende  Ausgaben  und  Wörterbücher  hätten  also  von  dieser 
einfachen  Berichtigung  Notiz  zu  nehmen,  haben  es  übrigens  z.  T. 
(z.  B.  Vollbrecht  wenigstens  beiläufig)  schon  getan. 

C)  Vermischte  kleinere  Beiträge  zur  Kritik  und  Erklärung 
der  A  nabasis. 

31)  a)  A.  Weidner,    Altera    miscellanea    critica.     Progr.  Dortmund 

1898.     7  S.     4. 

Im  Anschluß  an  eine  Stelle  des  Dio  Chrvsostomus  bespricht 
W.  S.  3  Anab.  III  2,  33  Msrä  tavrcc  Xsigiaocfog  sinsv  *Akl' 
si  \i£v  zivog  cckkov  dst  nqog  tovroig  olg  Xeyei  Sevocpcov,  xal 
avzixcc  i^idrav  axonstv  (so  Gemoll  nach  Schwartz  bei  Hartman, 
Anal.  Xen.  S.  76;  noistv  C).  W.  schlägt,  indem  er  noieXv  und 
sin  et  v  in  Majuskeln  nebeneinanderstellt,  letzteres  statt  noieXv  vor. 
Die  Majuskeln  helfen,  scheint  mir,  hier  wenig;  Elfi  und  TTOI 
sind  so  unähnlich  wie  möglich.  Daß  noitXv  nicht  paßt,  ist  bei 
,  Hartman  a.  a.  0.  ausgeführt.  Der  Gedanke  des  suadere  aber, 
welchen  W.  in  einsXv  sucht,  ist  viel  zu  matt;  GxoneTv  (prüfen) 
entspricht  allein  dem  geforderten  Zusammenhange. 

b)  T.  G.  Tucker,  Various    emendations.     Tbe  Classical  Review  XII 
(1898)  S.  23—27. 

Zur  Erläuterung  einer  eigenartigen  Verschreibung  bei  Theokrit 


Xenophoo,  von  R.  Ullrich.  JßQ 

(XIV  51  yevfjbd  ze  —  yevfiaxs  —  ysvpe&a)  zieht  T.  S.  24a 
heran  Anab.  VII  7,  24  qv  xi  tm  %v  vmayy^vxai  (C.  %6%h),  desgU 
zur  Stütze  einer  Emendation  bei  Herodot  (I  33  o  ts  Xoyov  sqq.; 
codd.  ovz€)  An.  VII  6,  38,  wo  seit  langem  ov  fiijv  ozs  ye  sqq. 
für  ovis  (C)  gelesen  wird.  Hier  wie  dort  hat  eine  vorhergehende 
Negation  die  zweite,  unrichtige  herbeigeführt. 

c)  R.  Schubert,    Der  Tod   des  Kleitos.    Rhein.  Mus.  53(1898) 

S.  98-  120) 

will  S.  109  zur  Erläuterung  des  Renommierens  gewisser  Persön- 
lichkeiten aus  dem  Gefolge  Alexanders  des  Großen  mit  dem  Ver- 
trauen des  Königs  in  der  bekannten  Stelle  der  An.  I  8,  15,  der 
Erzählung  der  Begegnung  des  Kyros  mit  Xenophon,  etwas  Ähn- 
liches finden  —  schwerlich  mit  Recht. 

d)  F.  Bin ss,  Bakchyiides'  Gedicht  auf  Pytheas  von  Aigin a.    Rhein. 

Mus.  53  (1898)  S.  283—307. 

S.  293  wird  im  Gegensatz  zur  Erklärung  von  neige*)  (vgl. 
Blass  zu  Bakchyl.  XII  [XIII]  52),  das  mit  der  Waffe  als  Subjekt 
in  der  Bedeutung  unseres  gehen  durch  etwas  nicht  belegt  ist,  der 
entsprechende  Sinn  für  xohqsü)  (so  Anab.  IV  2,  28)  —  %ä  di 
%o%svpa%a  8%(aq6i>  diä  tcov  aanidtov  sqq.  —  hervorgehoben. 

e)  L.  Radermacher,  Varia.     Rhein.  Mus.  55  (1900)  S.  149—151. 

Jux  in  Compositis  (S.  150)  ist  häutig  in  die  Texte  da  ein- 
gedrungen, wo  ein  xal  vorhergeht,  so  IV  1,  26  xal  [d^iqwjäv 
(Suidas);  V  3,  4  xal  [di\ilaßov\  vgl.  o.  S.  120  o.  und  160. 

f)   K.  Lincke,    Miscellanea.      Philologus    LIX    (IN.    F.  XÜI)    1900 
S.  186—200. 

S.  189  untersucht  L.  I  7, 10—12  und  will  (während  Reuß 
die  ganze  Stelle,  andere  den  Satz  olxoi  <T  av  sqq.  Xenophon 
absprechen)  das  ganze  Mittelstück  (§11)  tcov  ds  nohfilcov  iXi- 
yovxo  stvcu  . . .  xsxaypsvoi  rjoav  als  Interpolation  nachweisen; 
nach  ihm  hätte  sich  12  xov  de  ßaaiXicog  0TQaT€V[ACccoQ  sqq. 
unmittelbar  an  10  %&v  piv  'Elkrjvwp  und  xov  di  fisia  Kvqov 
anzuschließen;  denn  bei  der  hs.  La.  würde  den  Truppen  des 
Kyros  zuerst  das  Heer  der  Feinde,  dann  das  des  Königs  entgegen- 
gesetzt. Die  Zahl  1  200  000  habe  ein  scriptor  tiro  aus  den  Teilen 
erschlossen,  und  die  6000  (Korps  des  Artagerses)  seien  aus  I  8,  24 
bierhergeraten.  Die  Interpolation  (ebenso  wie  I  2,  9  fin.  die  Worte 
xal  iyivovxo  sqq.)  sei  von  der  Art,  wie  sie  ein  homo  scribendi 
imperitus  ignarusque  in  den  ersten  beiden  Büchern  der  Hellenika 
verübt  habe,  wobei  sich  L.  dann  auf  die  bekannte  Abhandlung 
von  G.  F.  Unger  (Die  historischen  Glosseme  in  Xenophons  Hellenika, 
Sitzungsber.  d.  bair.  Akad.  d.  Wiss.  1882   S.  237  ff.)  beruft.     Nach 


1*66  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

meiner  Meinung  ist  hier  ebensowenig  wie  I  2,  9  ein  Grund,  die 
Überlieferung  zu  verdächtigen.  Denn  es  findet  gar  nicht  eine 
doppelte  Gegenüberstellung  statt;  vielmehr  wird,  wie  naturlich, 
zunächst  die  Gesamtzahl  der  Feinde  der  Menge  der  Kyreer  entgegen- 
gesetzt und,  wie  ebenso  naturlich,  das  Elitekorps  des  Artagerses 
besonders  aufgeführt  (die  Stelle  I  8,  24  weist  deutlich,  wie  auf 
I  8, 13,  so  auf  die  unsrige  zurück).  Mit  %ov  di  pBydkov  ßaatlimq 
sqq.  aber  macht  X.  noch  nähere  Angaben  über  die  persische 
Fuhrung;  schließt  man  dies  unmittelbar  an  10  an,  so  wird  die 
Verbindung  verschlechtert.  Naturlich  hätte  X.  statt  ßa<siXi&$ 
GTQai€V(Aato$  auch  noXspimv  sagen  können;  er  knöpft  aber, 
was  sachlich  auf  eins  hinauslief,  in  der  Form  an  nqö  aviov 
ßa<t*X4a>$  in  11  an.  Ober  die  hohen  Zahlen,  die  mit  dieser 
Frage  an  sich  nichts  zu  tun  haben,  vgl.  z.  B.  Delbrück  (a.  a.  0., 
—  s.  oben  Nr.  11  —  S.  119  f.). 

Die  der  Anabasis  in  den  Jahren  1898 — 1900  gewidmeten 
Arbeiten  von  Karbe,  Leyhausen  (1898),  Zucker  (1899  und  1900), 
Reuß  (1900)  und  die  Abhandlungen  von  Orszulik  (1898,  1902, 
1903)  und  Klett  (1900)  werden  im  nächsten  Jahresbericht  ihre 
Stelle  finden. 

III.  Hellenika. 
A.    Ausgaben,  Präparationen,  Wörterbücher  und  Ähnliches. 

32)  M.  E.  Grandmann,  Vokabeln   und  Präparation  zu  Xenophons 

Hellenika  für  den  Gebrauch  zu  allen  Ausgaben  eingerichtet. 
3  Hefte:  Buch  1-3  (42,  42,  48  8.).  8.  Gotha  1898,  F.  A.  Perthes. 
Je  0,b0Jt. 

Anzeigen:  M.  Hodermann,  N.  phil.  Rdsch.  1899  S.  64 f.  —  J.  Sitzler, 
Gymnasium  1899  Sp.  124  f.  —  E.  Althaus,  WS.  f.  klass.  Phil.  1899 
Sp.  915f.  —  J.  Goiling,  Ztschr.  f.  d.  b'st.  Gymn.  1900  S.  125.  — 
J.  Sitzler,  Gymnasium  1900  S.  125. 

33)  W.  Braun,   Präparation    zu   Xenophons   Hellenika.     2  Hefte: 

Buch  I  und  II  (Auswahl),  III  und  IV  (Auswahl).  Hannover  1901  und 
1902,  Norddeutsche  Verlagsanstalt  (O.  Goedel)  Je  32  S.  gr.  8. 
0,60  JCj  0,65  JC.  (Krafft  uud  Rankes  Präparationen  für  die  Schul- 
lektüre, Heft  61  und  71). 

Anzeigen:  WS.  f.  klass.  Phil.  1903  Sp.  156 f.  —  F.  Kunz,  Ztsehr. 
f.  d.  Ost.  Gymn.  1903  S.  466  f. 

Was  von  gedruckten  Präparationen  zur  Anabasis  wenigstens 
für  den  Beginn  der  Lektüre  oben  (S.  101  ff.)  noch  Günstiges  ge- 
sagt werden  konnte,  trifft  für  ähnliche  Hilfsmittel  zu  den  Hellenika 
nicht  mehr  zu.  Xenophon  ist  den  Schülern,  wenn  sie  an  diese 
neue  Schrift  herantreten,  mindestens  seit  einem  Jahre  vertraut, 
und  ich  bin  der  Meinung,  daß  ihnen  in  einem  Alter,  in  dem  sie 
zu  Torheiten  mancherlei  Art  besonders  neigen,  etwas  solidere 
Arbeit  zugemutet  werden  muß  als  die  bequeme  Benutzung  dieser 
die  Wörter    und  Phrasen    der  Beihe    nach    verzeichnenden    Prä- 


Xenophon,  von  R.  Ulirieh.  J 67 

parationen:  sie  müssen  für  die  Prosalektüre  von  jetzt  an  auch 
nicht  mehr  zu  einem  Speziallexikon  greifen,  sondern  in  einem 
größeren  heimisch  werden,  das  ihnen  bis  zum  Ende  der  Schul- 
zeit in  den  Händen  bleibt. 

Vom  didaktischen  Gesichtspunkte  kann  ich  also  die  Prä- 
parationen von  Grundmann  und  Braun  für  Schüler  höherer  Lehr- 
anstalten nicht  für  geeignet  halten  und  nur  feststellen,  was  sie 
Tatsächliches  bieten.  Grund  mann  gibt  eine  vollständige  Prä- 
paration zu  den  drei  ersten  Büchern,  Braun  eine  Auswahl,  und 
zwar  fehlt  von  Buch  I  nur  Kapitel  2,  dagegen  ist  in  Buch  III 
und  IV  eine  strengere  Scheidung  vorgenommen.  Berücksichtigt 
sind  III  1;  2, 12—31;  3,4—11;  4,1—29;  5;  IV  1—3;  4,  1—14; 
5;  8  (im  Inhaltsverzeichnis  Druckfehler:  6).  Da  nichts  Erhebliches 
weggelassen  ist,  so  kann  man  das  Verfahren  hier  wohl  billigen. 
Auf  das  kleine  Format  der  Hefte  von  Grundmann  trifft  dasselbe 
zu,  was  ich  oben  (S.  101  unten)  zu  Hansens  Anabasispräparation 
bemerkt  habe,  andrerseits  sind  sie  praktischer  gedruckt  als  die 
Braunschen.  Grundmanns  Arbeit  ist  einfacher  gehalten,  Braun 
erhält  durch  etymologische  Hinweise  u.  ä.  einen  gelehrteren  An- 
strich. Ein  Drittel  der  Vokabeln  würde  ich  ruhig  streichen.  Wer 
zwei  bis  zweieinhalb  Jahre  griechischen  Unterricht  gehabt  hat  und 
Wörter  wie  GzQaxonsdov,  dicoxu),  lipijr,  tUiy,  (pgovQcc,  ccqxoo, 
doxetv,  ßoTj&stv  (Grundmann),  d-voa,  ixxlfjaia,  dixopai,  alqstv, 
&£qoq,  x€lfia>v  (Braun)  —  um  nur  einiges  zu  erwähnen  —  nicht 
kennt  und  die  einfachsten  Präpositionen,  die  er  doch  schon  in 
O,  III  im  Zusammenhange  gelernt  hat,  sich  hier  immer  wieder 
einzeln  Vordrucken  lassen  muß,  wird  mit  ihnen  nie  vertraut 
werden. 

Und  wenn  auch  in  gedruckten  Präparationen  für  Obersekunda 
und  Prima  (auch  von  diesen  werden  wir  bald  ein  wohlassortiertes 
Lager  haben)  die  einfachsten  Dinge  wieder  und  wieder  gedruckt 
werden  und  man  nur  bedauern  kann,  wieviel  Zeit  darauf  ver- 
wendet wird,  so  spricht  dies  am  lautesten  gegen  das  ganze  Ver- 
fahren, das  Sicherheit  der  Kenntnisse  zu  fördern  meint  und,  weil 
es  am  einzelnen  haftet,  statt  das  Ganze  im  Auge  zu  behalten,  das 
Gegenteil  schafft,  Unsicherheit,  Oberflächlichkeit,  Zerstreuung,  kurz 
das  Gegenteil  von  dem,  was  den  Schülern  eine  Propädeutik  wissen- 
schaftlicher Arbeit  werden  soll. 

Wo  es  sich  um  den  Unterricht  Erwachsener  handelt,  die  er- 
hebliche Vorkenntnisse  und  größere  Reife  mitbringen  und  sich  in 
einen  Schriftsteller  rasch  einlesen  wollen,  mögen  gedruckte  Prä- 
parationen am  Platze  sein,  allenfalls  auch  wo  tüchtige  Primaner, 
soweit  sie  heute  noch  Zeit  und  Interesse  dafür  haben,  privatim 
fremdsprachliche  Schriften  lesen  wollen,  die  außerhalb  des  Be- 
reiches des  Obligatorischen  liegen,  —  für  die  Vorbereitung  auf  die 
Klassenlektüre  sind  sie  nach  meiner  Meinung  ungeeignet  und 
schädlich. 


168  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

34)  K.  Thiemann,  Wörterbuch  zu  Xeuophons  Hellenika  mit  be- 
sonderer Rücksicht  auf  Sprachgebranch  and  Phraseologie.  Für  den 
Schulgebrauch  bearbeitet.  Vierte  Auflage.  Leipzig  1898,  B.  G.  Teubner. 
VI  u.  124  S.     gr.  8.     1,50  JL. 

Anzeigen:  E.  Althaus,  WS.  f.  klass.  Phil.  1899  Sp.  262— 264.  — 
F.  Müller,  ßerl.  phil.  WS.  1899  S.  893.  —  J.  Golling,  Ztschr.  f.  d. 
öst.  Gymn.  1900  S.  124.  —  S.  Herzog,  Württ.  Korr.  1900  S.  443. 

Die  vierte  Auflage  des  Thiemannschen  Wörterbuchs  ist  der 
dritten  in  noch  kürzerem  Zwischenräume  gefolgt  als  diese  der 
zweiten,  gewiß  ein  Beweis  für  die  Brauchbarkeit  des  Buchleins. 
Auch  sie  ist  wiederum  sorgfältig  durchgesehen,  in  einer  ganzen 
Reihe  von  Artikeln  ist  die  Anordnung  und  der  Ausdruck  gebessert, 
die  eine  oder  andere  Stelle  oder  Zahl  ist  neu  hinzugekommen; 
mau  vergleiche  z.  B.  dyad'og,  algico,  ahido^ai,  ccpco,  ä£iog,  . 
ctmoöxediä^aii  ßovlij,  yiyvopai,  ygcccpoo,  drjjtoc,  dix^  dvvw 
(vgl.  o.  S.  129),  id(o,  elfii,  sxxXfjtiia,  ilavTOw,  sQXOficu,  sx<a+ 
xav£%(i),  Tragl/w,  i£tao/ucu  (Madvig),  itpitipu,  äcpiMtofiai,  xgcttico, 
naQCcaxtvij,  n4[A7Z(o,  neqi,  nols^co,  rcgog,  GijfAalpco,  0vvidvTCor 
Tvxyccvto,  (piquii  (p&dvco,  ^aAcTrdg,  %dqig  u.  a.  (Ich  richte  bei 
dieser  Gelegenheit  an  die  Herausgeber  der  Neuauflagen  von  Texten, 
Wörterbuchern  und  ähnlichen  Arbeiten  und  ebenso  an  ihre  Verleger 
die  schon  oben  (S.  97)  ausgesprochene  Bitte  von  neuem,  sie 
möchten  die  wesentlichsten  Änderungen  besonders  verzeichnen.)1 
Andrerseits  ist  Entbehrliches  gestrichen  worden,  so  daß  der  Um- 
fang im  Vergleich  zur  vorigen  Auflage  nur  um  zwei  Seiten  ge- 
wachsen ist;  vielleicht  ist  es  möglich,  darin  noch  etwas  weiter  zu 
gehen,  auch  deswegen,  damit  der  Preis  von  1,50^  für  das  un- 
gebundene Exemplar  etwas  herabgesetzt  werden  kann;  Vollbrechts 
Anabasislexikon  kostet  mit  seinem  doppelten  Umfange,  seiner 
besseren  Ausstattung,  der  Fülle  von  Abbildungen  und  dem  statt- 
lichen Einbände  nur  um  die  Hälfte  mehr.  Wenn  anders  das  : 
Wörterbuch  für  Schüler  bestimmt  bleiben  soll,  die  schon  zwei 
Jahre  oder  länger  griechischen  Unterricht  und  mehrere  Bücher 
der  Anabasis  hinter  sich  haben,  wird  in  der  Tat  manches  hier 
Verzeichnete,  z.T.  der  elementarsten  Art,  entbehrlich;  auch  die 
Angaben  der  Stellen  können  erheblich  eingeschränkt  werden,  da 
sie  die  Schüler  zur  Gedankenlosigkeit  verleiten,  die  der  Verf. 
gerade  bekämpft.  Für  den  gelehrten  Benutzer  und  den  Studenten 
ist  das  alles  sehr  schätzenswert  und  gewiß  vielfach  mit  Dank  be- 
nutzt worden;  seit  uns  aber  der  ausführliche  Index  verborum  in 
Kellers  großer  Ausgabe  zur  Verfügung  steht,  kann  dieses  Wörter- 
buch überall  da  noch  mehr  in  den  Dienst  seiner  eigentlichen 
Bestimmung  treten,  wo  man  für  Unter-  und  Oberseluindaner  noch 
Spezial Wörterbücher  für  nötig  hält. 

Von  Einzelheiten  habe  ich  mir  als  veränderungsbedürftig  an- 
gemerkt: aptnnog  hinten  aufsitzend  und  Fußsoldaten, 
yvpvog  nackt,  xtavegov  =  Hsqov,  iupsazdvcu  slg  abtrünnig 
wohin  gehen,  xal  Z.  21  urgieren,  iv  xalto  (s.  v.  xalog)  xo% 


Xenophon,  vod  R.  Ullrich.  169 

%6Xnov  günstig  gelegen  mit  Rucksicht  auf  den  Meer- 
busen, iavgtiJqux  Geheimkulte,  vo&oq  von  einem  Kebs- 
weibe geboren.  Warum  gerade  bei  Iva  nur  auf  die  Grammatik 
verwiesen  wird,  während  andere  Konjunktionen,  auch  die  ein* 
fachsten,  ausfuhrlich  behandelt  werden,  ist  nicht  recht  einzugehen ; 
bei  &&k&  konnte  auf  i&ikco  verwiesen  werden;  hinter  6  atQccTrjyög 
mit  Angabe  der  Stelle  1  4,  21  durfte  trotzdem  nicht  einfach  fort- 
gefahren werden:  „In  Athen  die  oberste  Militärbehörde4*;  (ftjfii 
3)  =  negare  bedurfte  einer  Erläuterung;  bei  den  Übersetzungs- 
vorschlägen zu  ds  (s.  v.  (i£v)  fehlt  die  einfachste:  Auslassung  der 
Partikel  unter  gleichzeitiger  Betonung  des  zugehörigen  Wortes. 

Die  noch  in  der  vorigen  Auflage  manchmal  gestörte  alpha- 
betische Wortfolge  ist  jetzt,  wie  es  scheint,  überall  berichtigt,  die 
Laa.  der  Kellerschen  Ausgabe  sind  vollständiger  berücksichtigt, 
auch  der  griechischen  Orthographie  ist  volle  Sorgfalt  zugewendet 
worden,  vgl.  z.  B.  Xrj&tiai,  cr(»£ar,  avvxw  u.  ä.,  doch  durfte  dann 
auch  ccd-qooq  eingeführt  werden,  und  xaico  war  neben  xaoo  (beides 
fehlt  übrigens  in  Kellers  Index)  wenigstens  zu  nennen.  Nachdem 
Gemoll  in  seinen  Anabasisausgaben  diese  früher  sehr  vernach- 
lässigten Dinge  wieder  herangezogen  und  in  der  Hauptsache 
richtig  behandelt  hat  (vgl.  oben  S.  126 — 131),  wäre  es  sehr  zu 
wünschen,  daß  auch  die  Hellenika  daraufhin  aufs  neue  durch- 
gesehen würden. 

Von  stehen  gebliebenen  Druckfehlern  habe  ich  mir  notiert 
tvdaiiiovwoq,  ovtisq,  Qcoyvvfn  stärken  (!);  mehrere  Komposita 
unter  P  sind  im  Druck   nicht  eingerückt. 

Von  seiner  von  der  ersten  Auflage  an  befolgten,  vielfach 
aber  mit  Recht  bemängelten  Methode,  die  Verba  composita  nicht 
für  sich,  sondern  unter  den  simplicia  aufzuführen,  ist  Verf.  auch 
in  dieser  Auflage  nicht  abgegangen,  so  unpraktisch  sie  auch  ist. 
Aber  es  läßt  sich  leicht  denken,  daß  er  einen  lange  mit  eben- 
soviel Liebe  gehegten  wie  mit  Überlegung  durchgeführten  Ge- 
danken nicht  gern  aufgeben  wird.  Wir  müssen  also  die  kleine 
Unbequemlichkeit  in  Kauf  nehmen  und  uns  der  sonst  gebotenen 
guten  Gabe  freuen. 

35)    Xenophons    Griechische    Geschichte.     Übersetzt   von    Konrad 

Wer  nicke.     Mit    einer  Karte    vod  Griechenland  und  der  Küste  von 

Kleiuasien  zur  Zeit  Xenophons.     Leipzig  (1900),  Philipp  Reclam  jun. 

(Universalbibliothek  N.  4061—4063).    296  S.    16.    0,60  JC,  geb.  1  JC. 

Anzeige:  R.  Pöhlmann,  DLZ.  1901  Sp.  2838—2839. 

Es  ist  ein  erfreuliches  Zeichen,  daß  der  bekannte  Reclam  sehe 
Verlag  in  seinem  Bestreben,  fremdsprachliche  Werke  in  guten 
deutschen  Übersetzungen  zu  billigem  Preise  allgemeiner  zugänglich 
zu  machen,  auch  jetzt  noch  Werke  aus  dem  klassischen  Alter- 
tum berücksichtigt.  Der  Übersetzung  der  „Wirtschaftslehre44  von. 
M.  Hodermann  (vgl.  u.  Abschnitt  V)  ist  die  der  „Hellenika"  bald 
gefolgt. 


170  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Eine  Einleitung  (S.  5 — 9)  orientiert  über  Inhalt  und  Be- 
deutung der  Hellenika;  sie  gibt  die  bekannten  Tatsachen  im 
ganzen  richtig  wieder  und  sucht  auch  der  „Tendenz"  gerecht  zu 
werden.  Daß  X.  schon  422  (!)  bei  Delion  mitgekämpft  habe  (S.  6), 
glaubt  heute  freilich  niemand  mehr.  Auch  daß  er  Epaminondas 
ungerecht,  ja  feindlich  beurteile,  ist,  so  allgemein  ausgesprochen, 
nicht  richtig;  die  hohe  Bedeutung  des  Feldherrn  hat  niemand  so 
richtig  erkannt  wie  gerade  Xenophon,  der  Soldat;  vgl  o.  S.  95  M. 

Die  Obersetzung  „ist  bestimmt  für  gebildete  Leser,  die 
das  Werk  als  solches  zu  genießen  wünschen,  denen  es  aber  ver- 
sagt ist,  das  Original  zu  lesen".  Auf  gute  deutsche  Form,  nicht 
auf  wörtliche  Anlehnung  an  das  Original  kommt  es  dem  Verf. 
also  an.  Die  Tatsache,  daß  er  deshalb  „sich  nicht  gescheut  hat, 
bisweilen  selbst  das  Satzgefüge  des  Originals  umzugestalten", 
brauchte  also  nicht  erst  betont  zu  werden.  Sie  ist  für  jeden, 
der  griechische  oder  lateinische  Texte  in  gutes  Deutsch  über- 
tragen will,  selbstverständlich.  Mit  allzu  hohen  Ansprüchen  wird 
man  demnach  an  W.s  Obersetzung  nicht  herantreten  dürfen.  Sie 
ist  zwar  im  ganzen  richtig  und  kann  dem  des  Griechischen  un- 
kundigen Leser  die  Kenntnis  des  von  X.  erzählten  Abschnittes 
griechischer  Geschichte  treu  vermitteln,  ästhetisch  angesehen  erhebt 
sie  sich  aber  nicht  über  den  Durchschnitt  derartiger  Arbeiten; 
der  griechische  Text  mit  seinen  Eigentümlichkeiten  schimmert 
überall  zu  sehr  durch;  dem  Verf.  sind  überhaupt  die  wesentlichen 
Unterschiede  beider  Sprachen  zu  wenig  zum  Bewußtsein  gekommen, 
als  daß  er  zugleich  mit  dem  richtigen  Erfassen  des  Sinnes  auch 
die  Form  mit  der  nötigen  Freiheit  hätte  handhaben  können.  Hier 
einige  Proben:  Gleich  S.  1:  „mit  wenigen  Schiffen  ausgerüstet", 
ein  Kampf  zwischen  den  Schiffen  und  dem  Strande; 
„stach  in  See"  ist,  wenn  auch  oft  gebraucht,  doch  nicht  Fach- 
ausdruck. S.  2:  er  warf  sich  zu  Pferde;  25  geringere  Geister 
hätten  ihm  nachgestellt;  44  starb  schließlich  vor  Hunger;  86 
Sobald  dies  geschehen,  121  Damals  jedoch,  128  daß  der  größte 
Teil  seines  Heeres  so  beschaffen  sei,  180  Da  fuhr  mancher 
übel  ab;  fast  auf  jeder  Seite  findet  sich  derartiges.  Die  Ober- 
setzung müßte  also  nach  der  Seite  der  Form  einer  sehr  gründlichen 
Durchsicht  unterzogen  werden,  um  als  eine  gut  deutsche  gelten 
zu  können.  —  Welchen  Text  W.  zugrunde  gelegt  hat,  sagt  er  nicht 
Auch    über  die  Benutzung  seiner  Vorgänger  erfahren  wir  nichts. 

Hier  und  da  sind  Fußnoten  gegeben,  um  das  Verständnis 
zu  erleichtern.  Aber  sie  lassen  kein  rechtes  Prinzip  erkennen, 
ebensowenig  das  erklärende  Verzeichnis  fremdsprachiger 
Ausdrücke  S.286 — 290.  Wer  ein  solches  Buch  überhaupt  zur  Hand 
nimmt  —  etwa  ehemalige  Schüler  von  realen  Bildungsanstalten, 
die  alte  Geschichte  aus  einer  Quelle  kennen  lernen  möchten  — , 
weiß  über  Einzelheiten  aus  den  Bealien  wie  über  Spartas  Lage  am 
Eurotas,    gemeinsame  Mahlzeiten   der  Spartaner  (S.  192),    Hand- 


Xenophon,  von  R.  Ulirick.  171 

aufheben  (38),  Sichelwagen  (117),  Archonten  (286),  Ephoren, 
Heloten  (287),  Kotbarn,  PelUsten  (288),  Phalanx,  Talent  (290) 
entweder  Bescheid  oder  kann  sich  leicht  aus  allgemeinen  Hilfe- 
mitteln Rat  holen.  Wesentlicher  ist  es,  daß  öfters  auf  Schwierig- 
keiten des  Zusammenhanges,  wirkliche  oder  vermeintliche  Lucken 
<Jer  Darstellung  der  Ereignisse  und  der  Charakteristik  der  Personen 
und  ähnliches  (z.  B.  S.  15,  16,  20,  51,  78  u.  ö.)  kurz,  aber  zu- 
verlässig hingewiesen  wird;  denn  in  diesen  Dingen  bedarf  der 
unkundige  Leser  am  ehesten  des  Rates  und  sucht  ihn  ander- 
wärts leicht  vergeblich.  Derartige  Hinweise,  besonders  knapper 
Art,  wie  sie  hier  nur  sein  können,  sind  schwieriger  zu  geben, 
aber  viel  forderlicher  als  jene  andern. 

Erwünscht  wäre  es  gewesen,  Buch  und  Kapitel  am  Kopf,  die 
Paragraphen  am  Rande  jeder  Seite  angegeben  zu  finden.  Eine 
Übersicht  des  Ganzen,  nach  den  Kapiteln  geordnet,  findet  der 
Leser  S.  291 — 296.  An  die  beigefügte  Karte  darf  man  natürlich 
keine  hohen  Ansprüche  stellen,  was  die  Ausführung  anlangt;  viel- 
leicht konnten  aber,  soweit  es  der  kleine  Mafistab  zuliefi,  die  in 
den  Hellenika  vorkommenden  und  der  Lage  nach  annähernd  be- 
stimmbaren örtlichkeiten  vollständiger  verzeichnet  werden,  als  es 
geschehen  ist. 

Über  den  Kommentar  zu  Sorofs  Hellenikaausgabe  (1899) 
wird  in  Verbindung  mit  der  zweiten  Auflage  seines  Textes  (1901) 
im  nächsten  Jahre  berichtet  werden. 

B.  Zur  Kritik  and  Erklärung  der  Hellenika. 

36)  Georg  Bosolt,    Aristoteles   oder  Xenophon?    Hermes  XXXIII 
(1898)  S.  71—86. 

Nach  der  Wiederauffindung  der  *A&nvai&v  nolweia  des 
Aristoteles  ist  die  Frage  nach  den  Quellen  des  Schriftstellers  im 
«raten  Teile,  dem  geschichtlichen  Abriß  (K.  1 — 41),  und  die  nach 
dem  Maße  der  ihm  zukommenden  Glaubwürdigkeit  lebhaft  er- 
örtert worden  und  bat  eine  kaum  noch  zu  übersehende  Literatur 
hervorgerufen. 

B.  unterzieht  hier  den  Abschnitt  34,  3 — 38,  von  der  Ein- 
setzung der  Dreißig  bis  zur  Versöhnung,  und  den  entsprechenden 
Teil  in  Xenophons  Hellenika  II  3  und  4  einer  eingebenden  Unter- 
suchung mit  besonderer  Rücksicht  auf  die  Reihenfolge  der 
Ereignisse  und  sucht  zu  beweisen,  daß  Aristoteles,  bzw.  seine 
Quelle,  sie  richtiger  dargestellt  habe  als  Xenophon. 

Auch  diese  besondere  Frage  ist  im  einzelnen  schon  häufiger 
behandelt  worden,  und  die  Verfasser  der  größeren  geschichtlichen 
Handbücher  haben,  so  oder  so,  zu  ihr  Stellung  genommen.  Von 
ihnen  geht  B.  aus.  U.  v.  Wilamowitz  (Aristoteles  und  Athen 
I  122 f.,    165  f.;    II  218  A.  2)    und    Pöhlmann    (Griechische  Ge- 


172  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

schichte '  S.  147  f.,  in  Iwan  Müllers  Handbuch  III 4)  geben  Aristoteles 
den  Vorzug  (letzterer  nimmt  nur  die  Besetzung  Phyles  aus),  wo- 
gegen A.  Börner  in  einer  ergebnisreichen  Götlinger  Dissertation 
von  1894  (De  rebus  a  Graecis  inde  ab  a.  410  usque  ad  a.  403  a.  Chr. 
n.  gestis  S.  55 ff.;  doch  vgl.  die  einschränkenden  Bemerkungen 
A.  Bauers,  WS.  f.  klass.  Phil.  1895  Sp.  319—323)  und  J.  Beloch 
(Griech.  Gesch.  II  116  ff.)  sich  im  wesentlichen  für  Xenophon  ent- 
scheiden. B.  hätte  zu  den  Fürsprechern  des  Aristoteles  noch 
A.  Bauer  fugen  können  (Literarische  und  historische  Forschungen 
zu  Aristoteles'  Id&rjvaiunr  Txolixeia,  Mönchen  1891;  vgl.  oben 
S.  86),  um  so  mehr,  als  dieser  (vgl.  besonders  S.  151  ff.)  z.  T. 
schon  skizziert  hat,  was  B.  nun  im  einzelnen  ausfuhrt.  Ent- 
schieden für  Xenophon  ist  dagegen  neuerdings  noch  eingetreten 
Eduard  Meyer  (Gesch.  d.  Alt.  V,  besonders  S.  18—25,  36—41), 
dessen  klare  und,  wie  ich  glaube,  im  ganzen  auch  richtige  Aus- 
führungen Busolt  gewiß  manche  Bedenken  erregt  hätten,  wären 
sie  ihm  schon  bekannt  gewesen. 

Ausgehend  von  der  Behauptung  von  v.  Wilamowitz  (a.  a.  0. 
165f.),  daß  die  Übereinstimmung  einer  Einzelheit,  Xen.  Hell. 
II  3,  19  und  ld&.  n.  36,  2,  auf  gemeinsame  Benutzung  einer 
schriftlich  verbreiteten  Rede  des  Theramenes  zurückzuführen  sei  1)f- 
schreibt  B.  beide  Stellen  mit  Recht  in  etwas  weiterem  Umfange 
aus  (Hell.  II  3,  17—19  und  U&.  n.  36,  1—2)  und  weist  nach, 
daß  Aristoteles  hier  X.  selbst  benutzt  hat,  indem  er  den  Worten 
des    Theramenes    nur    eine    schärfere    Fassung   gab    (vgl.   schon 

A.  Bauer  a.  a.  0.  S.  152  o.).  Und  wiederum  in  Anknöpfung  an 
v.  W.s  Meinung,  daß  Aristoteles  den  „Wert  eines  selbständigen 
Zeugen  habe"  (a.  a.  0.  I  S.  122)  unterzieht  er  (S.  73  ff.)  das  Ver- 
hältnis von  Diodor  XIV  3—5  und  32 — 33  zu  der  gesamten 
Darstellung  *A&.  n.  34 — 38  einer  eingehenden  Prüfung.  Diodor 
hat  schon  in  Buch  XI — XIII  Thukydides  und  Xenophon  mit  einer 
andern  Quelle   verarbeitet;    ebenso  findet  sich  in  XIV  3 — 5  (was 

B.  im  einzelnen  ausführt)  xenophontisches  Gut  neben  anderem.: 
Dabei  ergibt  sich  nun  die  merkwürdige  Tatsache,  daß  Aristoteles 
von  den  xenophontischen  Stücken  abweicht,  mit  den  nicht- 
xenophontischen  aber  ziemlich  genau,  oft  bis  auf  den  Wortlaut, 
übereinstimmt.  So  entsprechen  sich  die  Wahl  der  Dreißig  (Diod. 
XIV  3,  7  und  *A&.  n.  34,  3),  Besetzung  der  Ämter  (I).  4,  2^ 
A.  35,  1),  Beseitigung  der  novfjgoi  und  Beifall  der  Bürger  (D.  4,  2; 
A.  35,  3),  Konfiskationen  (D.  5,  5;  A.  35,  4),  erfolgloser  Vorstoß- 
der  Dreißig  gegen  Phyle  (D.  32,  3;  A.  37,  1)  —  dies  vor  dem 
Tode  des  Theramenes  — ;  danach:  wachsende  Willkür  (D.  5,6; 
A.  37,  2),    Bitte  um  Hilfe  in  Sparta  (D.  32,  6;  A.  37,  2)*),    Ein- 

*)  B.  (S.  73  Anm.  1)  vermutet  in  Archinos,  dem  Freunde  des  Therameues,. 
den  Verfasser  einer  solchen  Parteischrift. 

*)  Doch  ist  zu  bemerken,  daß  D.  die  (pQovqd  des  Kallibios  schoo- 
vorher  (XIV  3,  3  und  4)  erwähnt  (wie  Xenophon),  wahrend  der  Ausdruck 


Xeuophou,  von  R    Ullrich.  173 

«ahme  von  Munychia  (D.  33,  2;  A.  38,  1),  Einsetzung  der  Zehn 
(D.  33,5;  A.  38,1).  Und  wenn  auch,  wie  ich  hinzufuge,  mehrere 
der  Stellen  (z.  B.  D.  32,  3  und  A.  37, 1;  &  S.  172  A.  2)  sich  in  so 
allgemein  üblichen  Ausdrucken  bewegen,  daß  auf  eine  Entlehnung 
nicht  gleich  zu  schließen  ist,  so  ergibt  sich  doch  aus  den  übrigen 
mit  Sicherheit,  daß  (S.  75)  Aristoteles  wenigstens  zum  Teil  aus 
einer  von  Diodor  oder  dessen  Gewährsmann  benutzten  Quelle 
geschöpft  bat.  Und  noch  näher  als  Diod.  XIV  4,  2  totg  int- 
€&x€0za%oi$  xmv  noXixüv  £vtjQ€<tte&  %ä  yiyvopsva  und  den 
anderen  Ähnliches  berichtenden  Quellen  (Hell.  II  3,12;  Lys.  XII 
(g.  Eratosth.)  5.  XXV  19  und  zwei  Plutarchstellen)  steht  den 
Worten l<4&.  n.  35,3  ig?  ©fc  €%aiQtv  17  noXic  ^»/vo/icvok, 
jjyovpevo*  xov  ßeXviazov  %dqiv  itoitXv  avxovg  die 
bekannte  Äußerung  des  Sallust  (Cat.  51,  29)  ea  populus  laeiari  et 
merüo  dicere  fitri.  Sallust  bat  nun,  so  folgert  B.,  .«natürlich" 
Dicht  den  Aristoteles  benutzt,  wohl  aber  den  Eplioros,  dessen 
Werk  Diodor,  wie  sonst,  so  auch  in  der  Geschichte  der  Dreißig 
ausgeschrieben  bat,  was  ansprechend  begründet  wird.  Da  nun 
aber  (nach  v.  Wilamowitz  a.  a.  0.  I  306)  weder  Ephoros  aus  der 
*A&~  n.  noch  Aristoteles  für  diese  aus  jenem  geschöpft  haben 
kann1),  so  müssen  beide  derselben  Quelle  gefolgt  sein.  Als 
solche  möchte  B.  eine  Atthis,  und  zwar,  wie  sonst  oft,  so  auch 
hier,  die  Androtions*),  annehmen  und  sucht  dies  zu  begründen, 
soweit  es  bei  dem  spärlichen  Materia)  möglich  ist,  das  uns  hierfür 
zur  Verfügung  steht. 

Bis  hierher  (S.  77  o.)  kann  man  B.  im  wesentlichen  bei- 
stimmen :  die  Abhängigkeit  des  Aristoteles  in  der  Stelle  *A&.  n. 
36,  1—2  Ton  Xen.  Hell.  II  3,  17 — 19  scheint  mir  unzweifelhaft, 
die  Benutzung  einer  gemeinsamen  Quelle  mit  Ephoros- Diodor 
sicher  und  diese  in  Androtions  Chronik  zu  sehen,  wenigstens 
wahrscheinlich  oder  doch  möglich,  und  es  stehen  bei  der  Frage 
nach  der  Zeitfolge  der  Ereignisse  etwa  des  letzten  Drittels  des 
Jahres  404  und  des  ersten  Drittels   von  403   in  der  Tat   eigent- 


32,  6  allgemeiner  ist  aad  zu  der  von  Aristoteles  erst  zu  der  späten  Stelle 
.37,  2  erwähnten  Sendung  des  Kallibios  nicht  stimmt.  Entweder  sind  also 
zwei  Gesandtschaften  anzunehmen,  oder,  was  wahrscheinlicher,  D.s  Chrono- 
logie ist,  wie  oft,  in  Verwirrung  geraten.  B.  (S.  Sl)  meint,  die  auxilia  in 
32,  6  seien  ein  Versuch  des  Ephoros,  zwischen  Xenophon  and  der  Chronik 
Androtions  (s.  o.)  zn  vermitteln. 

')  Die  von  Baaer  früher  angenommene  (a.  a.  O.  S.  155;  vgl.  aneh  die 
weitere  dort  angefahrte  Literatur  über  den  Gegenstand)  and  von  Basolt  be- 
kämpfte Abhängigkeit  des  Aristoteles  voo  Ephoros  ist  von  jenem  inzwischen 
wesentlich  eingeschränkt  worden;  vgl.  die  „Forschungen  zur  griechischen 
Geschichte"  o.  s.  w.  (s.  o.  Nr.  7)  S.  271  und  272  o.  Basolt  weist  nach  noch 
darauf  hin,  daß  sich  im  Falle  einer  Benützung  des  Ephoros  durch  A.  bei 
diesem  mehr  xenophon  tische  s  Gut  finden  maßte. 

*)  Vgl.  Basolt,  Griech.  Gesch.  II  J  S.  8,  32  ff.,  54  and  außer  der  dort 
angeführten  Literatur  noch  M.  Heller,  Quibus  auctoribus  Aristoteles  in  re- 
pabliea  Atheniensium  eonscribeada  et  qua  ratione  usus  sit.     Diss.  Berol.  1893. 


174  Jahresbericht«  d.  Philolog.  Vereins. 

lieh  nun  Xenophons  Hellenika  nicht  mehr  dem  Aristoteles  in  der 
*A$.  7TM  sondern  der  Chronik  gegenüber. 

Wenn  nun  aber  B.  hier  aus  äußeren  und  inneren  Gründen 
der  Chronik  vor  Xenophon  —  trotz  wechselnden  Ausdrucks  im 
einzelnen;  vgl.  S.  77,  78,  81,  86  —  im  ganzen  doch  den  Vorzug 
zu  geben  geneigt  ist,  so  vermag  ich  ihm  darin  nicht  mehr  zu 
folgen.  Die  Bedeutung  des  Umstandes  zwar,  daß  X.  wahrschein- 
lich unter  den  Dreißig  als  Ritter  gedient  hat1)  und  so  die  er- 
zählten Ereignisse  wohl  alle  aus  eigener  Anschauung  kannte8), 
verkennt  auch  B.  nicht.  Daß  aber  die  hier  geschilderten  Er- 
eignisse in  seiner  Erinnerung  zurückgetreten  und  verdunkelt  sein 
sollen,  so  daß  sich  ihm  ihre  Reihenfolge  bei  der  Niederschrift 
nach  394  (wohl  noch  viel  später;  vgl.  die  mehrfach  zitierten  Unter- 
suchungen von  E.  Schwartz)  verschob,  daß  nur  die  mit  anschau- 
licher Lebendigkeit  —  das  gibt  B.  zu  —  geschilderten  militärischen 
Ereignisse  für  ihn  Interesse  gehabt  hätten,  während,  abgesehen 
von  dem  Gegensatz  zwischen  Kritias  und  Theramenes  und  seiner 
Sympathie  für  dessen  tragisches  Ende,  das  übrige  ihn  nur  wenig 
interessiert  habe,  kann  ich  nicht  zugeben;  handelte  es  sich  doch 
hier  nicht  um  langweilige  Parlamentsakte,  sondern  um  eine  zwar 
kurze,  aber  furchtbare  Schreckensepoche  athenischer  Geschichte, 
die  der  junge  X.  miterlebt  hatte  und  bei  der  sein  eigenes  Leben 
—  dessen  damals  niemand  sicher  war  —  gewiß  auch  auf  dem 
Spiele  gestanden  haben  mochte.  Dergleichen  Eindrücke  junger 
Jahre,  scheint  mir,  haften  auch  im  höheren  Alter.  Daß  ferner 
niemand  bezweifelt  habe,  daß  in  der  l4&  n.  das  Verfahren  gegen 
Theramenes  klarer  dargestellt  sei  als  bei  X«,  ist  doch  auch  vor 
Ed.  Meyer  nicht  richtig;  auch  die  Reden  (vgl.  Thukydides  und 
Xenophon  in  der  Anabasis)  möchte  ich  nicht  mit  B.  gegen  X. 
verwerten.  Und  die  „Detailkenntnis"  von  Androtion-Aristoteles 
(Müller  FHG.  I  372,  frg.  11),  bestehend  in  der  Nennung  des 
Namens  (Molpis)  eines  der  Zehn,  der  sonst  nicht  überliefert  ist, 
scheint  mir  wirklich  zu  minimal,  um  ernstlich  gegen  X.  verwertet 
zu  werden. 

Wichtiger  sind  nun  die  in  der  Tat  bestehenden  Unterschiede 
in  der  Zeitfolge  der  Ereignisse  zwischen  X.  und  Aristoteles  bzw. 
der  Chronik  des  Androtion.  Bei  X.  ist  die  Reihenfolge  des 
hier  in  Betracht  Kommenden  diese:  1)  Aufnahme  der  lakoni- 
schen Besatzung  unter  Anaxibios  am  Anfang  der  Regierung 
der  Dreißig  (Hell.  II  3,  13  f.)  als  „Voraussetzung  des  Obergangs 
zu  einem  tyrannischen  Regiment",  2)  die  Entwaffnung  der  *£« 
tov  xarcdoyov  (II  3,20;  vgl.  die  Rückbeziehung  in  der  Rede  des 
Theramenes    40  f.),    3)  die    Hinrichtung   des    Th.  (54  ff.),   4)  die 

*)  B.  Schwarte  io  seinen  auch  sonst  grundlegenden  Untersuchungen, 
Rhein,  lins.  44  (1889),  S.  161—193,  bes.  165  für  diese  Frage. 

*)  Beloeh  a.a.O.  S.  116  Anm.  3:  „Die  Angaben  des  Augenzeugen  X. 
müssen  selbstverständlich  allen  anderen  Berichten  vorgehen u. 


Xenophon,  vod  R.  Ullrich.  175 

Ausschließung  der  ££<b  %ov  xatakoyov  aus  der  Stadt  (U  4,  1), 
5)  die  Besetzung  Phyles  durch  Thrasybul  (II  4,  2).  Anders  bei 
Aristoteles:  1)  Die  Besetzung  Phyles  (37, 1),  2)  Tod  des  Theramenes 
(ebenda),  3)  die  Entwaffnung  der  e%co  xov  xaxaXoyov  (37,  2), 
4)  Aufnahme  der  lakonischen  Besatzung.  B.  konstatiert,  daß  in 
der  *Ad-.  n.  die  Ausschließung  aus  der  Stadt  fehlt  (S.  79);  aber 
vielleicht  liegt  das  bei  X.  an  vierter  Stelle  erwähnte  und  aus- 
geführte Dekret,  aber  nur  als  Dekret,  in  den  Worten  *Ad-.n. 
37,  1  x&v  nolitwv  änoxTetvat  tov$  py  %ov  xatcdoyov  [*€- 
rsxovTctg  täv  tqkS%iU(x>v  (vor  dem  Tode  des  Th.)  vor.  Wer  hat 
nun  die  richtige  Folge,  Xenophon  oder  Androlion-Aristoteles? 
Sachliche  Erwägungen  und  etwaige  unabhängige  Zeugnisse,  meint 
B.  S.  78,  müssen  den  Ausschlag  geben,  und  er  entscheidet  sich 
in  seinen  nun  folgenden  Ausfuhrungen,  denen  ich  im  Interesse 
junger  Studenten  z.  B.,  die  sich  in  derartige  sehr  lehrreiche 
Untersuchungen  einführen  lassen  möchten,  nur  eine  etwas  durch- 
sichtigere Gliederung  gewünscht  hätte,  für  Aristoteles. 

Besonderer  Zeugnisse  für  die  Richtigkeit  der  xenophontischen 
Reihenfolge  der  Ereignisse  bedarf  es  nicht  (die  dahinzielenden 
Erörterungen  Börners  a.  a.  0.  S.  58  ft'.,  61  ff.  erledigen  sich  durch 
Busolts  Auseinandersetzungen  S.  78  f.),  wofern  nur  einerseits  der 
von  B.  allzuschnell  (S.  77)  erledigte,  aber  von  Beloch  mit  Recht 
so  sehr  hervorgehobene  Grundsatz  recht  beachtet  wird,  daß  der 
Erzähler  die  Begebenheiten  aus  eigener  Anschauung  kannte,  und 
man  andrerseits  die  von  E.  Schwanz  und  Ed.  Meyer  in  den  Vorder- 
grund gestellte  Tatsache  berücksichtigt,  daß  X.,  gegen  dessen 
Schwächen  gerade  in  den  Hellenika  diese  Forscher  durchaus  nicht 
blind  sind,  zwar  manches  übergangen  hat1)»  aber  in  dem,  was  er 
berichtet,  „sich  überall  als  ein  sehr  gut  unterrichteter  und  wahr- 
heitsgetreuer Berichterstatter  erweist"*).  Wie  Aristoteles  bzw.  die 
Chronik  zu  der  von  X.  abweichenden  Folge  der  Ereignisse  ge- 
kommen ist,  ob  ihnen  solche  urkundlichen  Zeugnisse  zu  Gebote 
gestanden  haben,  die  Richtigeres  boten  als  die  Angaben  des  Augen- 
zeugen X.,  oder  ob  gar  Aristoteles  bzw.  seine  Quelle,  wie  Meyer 
anzunehmen  geneigt  ist  (vgl.  a.  a.  0.  V  S.  18  und  40),  die  Dar- 
stellung in  bestimmter  Tendenz  gefälscht  hat,  ist  bei  der  Dürftig- 
keit dessen,  was  wir  von  dieser  Chronik  wirklich  wissen  können, 
mit  Sicherheit  oder  auch  nur  großer  Wahrscheinlichkeit  nicht  zu 
ermitteln;  und  so  gern  heute  aus  Fragmenten,  die  Spätere  oft 
nach  formellen  Gesichtspunkten  aus  dem  Zusammenhang  gerissen 
und  uns  so  erhalten  haben,  mit  ebensoviel  Scharfsinn  wie  geringem 
bleibendem  Ergebnis  alles  Mögliche  erschlossen  wird,  man  wird 
wohltun,    gegenüber    allzu    kühnem  Fluge  der  Phantasie  Zurück- 


l)  —  und  übergehen  konnte:    vgl.  besonders  Ed.  Meyer,  Gesch.  d.  Alt. 
III  S.  278. 

')  Ebenda  S.  281. 


176  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vertins. 

haltung  zu  üben,  auch  auf  die  Gefahr  hin,  hart  gescholten  zu 
werden.  Der  Pflicht,  auch  die  xenophontische  Darstellung  genau 
nachzuprüfen,  können  wir  freilich  auch  so  nicht  entraten,  und 
.innere  Widerspruche  oder  Unmöglichkeiten  müßten  bedenklich 
stimmen;  ich  glaube  aber  nicht,  daß  wir  hier  in  diese  Lage 
kommen.  Im  einzelnen  kann  ich  mich  hierbei  kürzer  fassen,  weil 
neuerdings  Ed.  Meyer  (a.  a.  0.)  gerade  auch  diese  chronologischen 
•  Unterschiede  treffend  behandelt  hat. 

X.  beginnt  also  mit  der  Aufnahme  der  lakonischen  Besatzung 
unter  Kallibios  (II  3,  13  f.),  während  sie  bei  A.  erst  gegen  Ende 
(37,  2)  erwähnt  wird.  Was  ist  gegen  ersteren  einzuwenden? 
JB.  (S.  81  f.)  meint,  die  Dreißig  würden  sich  wohl  erst  dann  zur 
Einholung  einer  lakonischen  Besatzung  entschlossen  haben,  als  sie 
derselben  zur  Ausübung  ihrer  Herrschaft  durchaus  zu  bedürfen 
glaubten,  ferner  hätte  diese  Besatzung  den  Unwillen  der  Bürger 
gesteigert  und  die  habgierigen  Machthaber  viel  Geld  gekostet. 
Zudem  hätten  sie  ihrer  zu  Anfang  (nach  "Ad-,  n.  35,  1  %axs%%ov 
%r\v  niXiv  dC  savräiv)  nicht  bedurft,  und  bei  X.  sei  das  Gesuch 
um  eine  Besatzung  nicht  genügend  begründet,  weder  (S.  82)  „durch 
das  wirkliche  Motiv,  das  er,  ihre  Gedanken  lesend,  ihnen  zu- 
schreibt, noch  durch  das  formelle'4.  Ed.  Meyer  (a.  a.  0.  V  S.  24  o.) 
hat  diesen  Teil  der  Frage,  wie  ich  glaube,  endgültig  durch  den 
Hinweis  auf  die  faktische  Notwendigkeit  der  Sache  im  Sinne 
Xenophons  erledigt  (vgl.  auch  oben  8.  172  A.  2)1).  Hinzufügen 
darf  man  noch,  was  zuerst  Kaibel2)  bemerkt  hat  und  auch  B. 
zugibt,  daß  die  Stelle  ("Ad-,  n.  37,  2)  nq^aßetq  nipipavtsq  sqq. 
ohne  rechten  Zusammenhang  mit  dem  Vorhergebenden  steht.  Ob 
sie  nun  tatsächlich  einmal  an  der  richtigen  Stelle  in  Kap.  36 
von  Aristoteles  geschrieben  war  und  nur  in  der  Überlieferung 
möglicherweise  an  eine  falsche  geraten  ist  (so  Leeuwen  in  seiner 
Ausgabe;  vgl.  jedoch  Kaibel  a.  a.  0.),  ob  eine  Tendenz  (Ed.  Meyer) 
oder  ein  Irrtum  des  Aristoteles  bzw.  seiner  Quelle  vorliegt,  ist 
zunächst  nicht  mit  Sicherheit  zu  entscheiden.  Den  Nachweis 
aber,  daß  die  Worte  bei  A.  an  ihrer  richtigen  Stelle  stehen,  hat 
B.  nicht  geführt,  auf  die  zweite  Stelle  des  Ephoros  bei  Diodor 
(XIV  32,  6)  durfte  er  sich  aber  bei  seiner  Charakterisierung  dieser 
Stelle  (S.  81)  nicht  berufen,  um  Aristoteles  zu  stützen.  Ephoros- 
Diodor  haben  (vgl.  o.  S.  172  A.  2)  die  Sache  nach  Xenophon 
XIV  3,  3  f.  an  der  richtigen  Stelle  erzählt.  Auch  die  Stelle  in 
der  Rede  des  Theramenes  (Hell.  N  3,  42),  aus  der  wir  erfahren, 
daß  dieser  gegen  eine  lakonische  Besatzung  gewesen  sei  (vgl.  die 
treffende  Bemerkung  Breitenbachs  z.  St.)  darf  nicht  einfach  beiseite 
gelegt  werden. 

l)  Seine  weiteren  Folgerungen  betreffs  der  Tendenz  des  Aristoteles 
scheinen  mir  allerdings  mit  Vorsicht  aufgenommen  werden  zu  müssen. 

*)  Stil  und  Text  der  %A$riva((ov  nohTÜa  des  Aristoteles,  Berlin 
1893,  S.  195. 


Xenophon,  von  R.  Ullrich.  177 

Nicht  anders  steht  es  mit  den  übrigen  Unterschieden.  Bei 
X.  folgen  nun,  was  die  strittigen  Punkte  angeht,  die  Entwaffnung 
und  Ausschließung  der  ££w  %ov  xazaXoyov,  dazwischen  der  Tod 
des  Theramenes,  bei  A.  steht  der  Tod  des  Th.  zuerst,  die  Ent- 
waffnung folgt;  über  die  Ausschließung  s.  S.  175.  Wenn  die 
letztere  bei  A.  fehlt,  ebenso  die  Entwaffnung  bei  Diodor,  spricht 
das  gegen  die  Treue  des  Berichtes  des  Augenzeugen  X.?  Folge- 
richtig müßten  die  Verteidiger  das  A.  und  der  Chronik  schließen, 
er  hätte  dieses  Stadium  in  der  Entwicklung  der  Ereignisse  in 
tendenziöser  Weise  erfunden.  Aus  welchen  Gründen?  Als  Ketter 
des  Aristoteles  bezw.  der  Chronik  erscheint  nun  hier  —  Justin, 
der  beides,  Entwaffnung  und  Ausschließung  (V  9,  11)  nach  dem 
mißglückten  Auszuge  der  Dreißig  gegen  Phyle  erzählt,  und  zwar 
„in  einem  aus  Ephoros  entlehnten,  nichlxenophontischen  Stücke. 
Folglich  stimmte  in  bezug  auf  die  Entwaffnung  und  die  darauf 
folgende  Ausschließung  der  Entwaffneten  die  von  Xenophon  un- 
abhängige Quelle  des  Ephoros,  also  die  Chronik,  mit  der  °A&.  n, 
übereinu.  Die  Sicherheit,  mit  der  das  letzte  ausgesprochen  wird, 
ist  erstaunlich. 

Die  Differenz  reduziert  sich  also  im  Grunde  auf  die  Ent- 
waffnung; für  den  Umstand  aber,  daß  A.  in  seinem  sehr  knappen 
Abriß  sie,  wie  gewöhnlich  gesagt  wird,  nach  dem  Tode  des  Th. 
erzählt,  ist  doch  der  Umstand  nicht  ganz  gleichgültig,  daß  der 
Beschluß  der  Entwaffnung  und  der  Beseitigung  des  Th.  (37,1 
synadav  tcov  per  akkcav  tä  onXa  nagskicfS-at^  GfiQapivfjv 
6i  dicup&etQat,  zovds  <tw>  %qonov)  gleichzeitig  gefaßt  wird ; 
wenn  die  Ausführung  dann  in  umgekehrter  Folge  unmittelbar 
darauf  erzählt  wird,  mit  wenigen  Worten,  so  scheint  mir  das 
für  den  Inhalt  der  Politik  der  Dreißig  nicht  so  sehr  von  Belang, 
sondern  ich  möchte  beinahe  den  Grund  in  formellen  Gesichts- 
punkten suchen;  an  die  ganz  kurze  spezielle  Notiz  avaioed'£v%og 
de  Grjga^vovg  %d  ts  onXa  naqMovxo  tkxvtwv  nkrjv  tcöv 
TQiax^Ltav  ließ  sich  der  ebenso  kurze  allgemeine  Gedanke  xai 
Iv  folg  äXXoig  noXv  nqog  tofiOTfjra  xai  novfjgiav  inidoöav 
besonders  gut  anknüpfen.  Im  Gegensatz  zu  der  Art  Xenophons, 
die  Dinge,  die  ihn  interessieren,  dem  Inhalte  nach  treuherzig  zu 
erzählen  und  in  der  Form  behaglich  auszumalen  —  eine  Art, 
die  ja  oft  sogar  unberechtigterweise  zur  Annahme  von  Glossemen 
geführt  hat  — ,  hat  Diodor  —  das  gibt  B.  selbst  zu  —  das  Be- 
streben zu  kürzen,  zusammenzufassen,  in  derselben  Weise  natür- 
lich auch  Ephoros  bezw.  seine  Quelle,  die  Chronik;  und  die 
letztere  mußte  es  haben,  weil  sie  sich  —  so  viel  ist  aus  den 
spärlichen  Fragmenten  erkennbar  —  in  den  ersten  Büchern 
der  Darstellung  noch  kurz  fassen  wollte,  um  erst  ausführlicher 
zu  werden,  je  näher  sie  der  eignen  Zeit  (Mitte  des  4.  Jahrb.) 
kam.  Daß  also  bei  Aristoteles  die  eine  Erzählung  Xenophons 
ganz  fehlt,    während   die   andre    mit    zwei  Worten   in  einem  be- 

Jakrosbericfete  XXX.  12 


178  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

stimmten  Zusammenhange  abgemacht  wird,  findet  eine  naturliche 
Erklärung.  Ein  Abriß  ist  etwas  andres  als  eine  Geschichte. 
Wenn  endlich  Busolt  (S.  83)  die  Entwaffnung  bei  Xenophou 
nicht  genügend  motiviert  findet  und  über  die  mehrfach  wieder- 
kehrenden Ausdrucke  wie  wg  €%öv  fjdfj  noistv  ccvrotg  o,  %i 
ßovXoivto  (II  3,  21),  i(i7todü)v  voiii^ovieg  avxov  (Th.)  etvai 
TW  noievv  o,  zi  ßovXoLvro  (23),  dg  £%6v  fjdij  avvotg  xvqav- 
vtiv  ädswg  (II  4,  1)  spottet,  die  auf  den  letzten  Ausdruck 
folgende  Ausschließung  der  e%co  tov  %a%aX6yov  aus  der  Stadt 
einen  zwecklosen  Akt  der  Machthaber  nennt  und  (S.  84)  hinzufügt: 
„jedesmal  glauben  sie,  daß  sie  so  weil  seien,  und  doch  sind  sie 
dann  noch  nicht  so  weit",  so  scheint  mir  vielmehr  jedesmal  ein 
Fortschritt  der  Entwicklung  vorzuliegen.  Nach  der  Entwaffnung 
hatten  die  Dreißig  freie  Hand,  mordeten  und  rauhten;  aber  sie 
hatten  mit  Th.  nicht  genügend  gerechnet;  er  mußte  fallen  und 
fiel;  jetzt  erst  war  ein  %vqclvvg%v  ädscog  möglich  —  Tyrannen 
sind  immer  furchtsam  und  feige  — ,  und  als  letzte  Maßregel 
(bisher  hatten  sie  sich  vor  Th.  scheuen  müssen)  folgte  nun  die 
Ausschließung  der  £§<».  Von  dieser  Folge  kann  man  mit  mehr 
Recht  sagen:  „sie  ist  durchaus  folgerichtig,  man  kann  keinen  Stein 
aus  ihrem  Aufbau  [herausnehmen  und  an  eine  andre  Stelle 
setzen"  (S.  83),  während  diese  von  B.  mit  Bezug  auf  Aristoteles 
getane  Äußerung  schon  bei  der  Frage  nach  der  Stelle  der  lakoni- 
schen Besatzung  eine  wesentliche  Einschränkung  erfahren  mußte. 
Über  den  richtigen  Platz  für  die  Einreihung  der  Besetzung 
Phyles  durch  Thrasybui,  was  daran  in  der  von  X.  abweichenden 
Überlieferung  bestechend  scheint  und  was  die  Wahrheit  für  sich 
hat,  vgl.  Ed.  Meyer  a.  a.  0.  V  S.  37.  A. 

Damit  erledigen  sich  auch  die  im  einzelnen  viel  Treffendes 
enthaltenden  Ausführungen  B.s  S.  85  f.,  aus  der  ich  besonders 
die  richtige  Deutung  von  Isokr.  IV  113  (S.  86)  hervorheben 
möchte,  eine  Stelle,  die  Börner1)  a.  a.  0.  S.  72  ff.  unter  Billigung 
von  A.  Bauer  (WS.  f.  klass.  Phil.  1895  Sp.  321)  auf  die  ganze 
Dauer  der  Herrschaft  der  Dreißig  bezieht  (danach  hätte  sie  nur 
3  Monate  gewährt),  während  sie  in  Verbindung  mit  den  übrigen 
guten  Nachrichten  nur  auf  die  Zeit  nach  dem  Tode  des  Thera- 
menes  gehen  kann.  Im  ganzen  haben  sie  etwa  acht  Monate 
regiert. 

Busolt  hat  also  für  eine  Stelle  die  direkte  Abhängigkeit  des 
Aristoteles  von  Xenopbon  (wiewohl  er  selbst  seiner  Sache  hier 
nicht  ganz  sicher  scheint),  für  die  Hauptmasse  der  Erzählung  von 
der  Regierung  der  Dreißig  die  gemeinsame  Abhängigkeit  des 
Epboros-Diodor  und  des  Aristoteles  von  einer  Chronik,  vielleicht 

l)  Vgl.  die  Auseinandersetzung  von  J.  Beloch,  Die  attische  Politik 
seit  Perikles,  Leipzig  1884,  S.  340  ff.  E.  Meyer  (a.  a.  0.  S.  46  A.)  will  die 
Stelle  überhaupt  nicht  auf  Athen  beziehen,  sondern  allgemeiner  gefaßt  wissen, 
was  ich  nicht  für  möglich  halte. 


Xenophoo,  voo  R.  Ullrich.  179 

war  es  die  des  Androtion,  nachgewiesen.  Der  Nachweis  der 
Überlegenheit  dieser  im  ganzen  nach  Lage  der  Dinge  doch  ziemlich 
wesenlosen  und  wenig  greifbaren  Quelle  gegenüber  der  Erzählung 
Xenophons  kann  nicht  als  gelungen  gelten.  Der  große  Name 
Aristoteles  hat  hier  wie  schon  öfter  dazu  beigetragen,  das  viel 
näher  liegende  Gut  zu  vernachlässigen.  Wäre  X.  selbst  ein  Zeit- 
genosse des  Androtion  und  Aristoteles  gewesen,  so  wurde  ich 
seiner  Darstellung  noch  den  Vorzug  geben,  den  sie  so  als  eine  aus 
lebendiger  Anschauung  der  erzählten  Ereignisse  erwachsene  un- 
bedingt verdient.  Es  ist  mit  besonderer  Freude  zu  begrüßen, 
daß  gerade  Eduard  Meyer  in  seinem  über  die  Kreise  der  Fach- 
genossen hinaus  zu  Bedeutung  gelangten  Werke  an  Xenophons 
Darstellung  festgehalten  hat. 

37)  Georg  Busolt,   Zur   Chronologie   Xenophons.      Hermes  XXXIII 
(1898)  S.  661—664. 

Die  Chronologie  in  den  beiden  ersten  Buchern  der  Hellenika 
hat  von  jeher  Schwierigkeit  gemacht  und  die  Gelehrten  auch  im 
letzten  Jahrzehnt  vielfach  beschäftigt;  die  wichtigste  Literatur 
verzeichnet  Ed.  Meyer,  Gesch.  d.  Alt.  IV  S.  616  ff.  Hier  handelt 
es  sich  um  die  5  Stellen,  wo  der  Beginn  eines  neuen  Jahres 
mit  den  Formeln  tm  dt  äXlca  erst,  (I  2,  1),  rov  (T  ßmoviog 
srovg  (l  3,  1),  tw  cf  iniovxi  hsv  (I  6,  1;  II  1,  10;  II  3,  1 ) 
bezeichnet  wird.  Vorher  geht  bis  auf  eine  Stelle  die  Formel 
xai  6  iviavvoq  eXtjysv^  es  folgt  jedesmal  die  Angabe  der  Olym- 
piade, des  Archontats  und  Ephorats.  Daß  die  letzteren,  von 
denen  mehrere  falsch  angegeben  werden,  interpoliert  sind,  nimmt 
man  allgemein  an,  aber  auch  die  vorhergehenden  festen  Formeln 
und  die  dreimal  diesen  angefügten  Notizen  über  einzeln  stehende 
Vorgänge  (Befestigung  von  Thorikos  I  2,  1,  Tempelbrand  in 
Phokaia  I  3,  1,  Mondfinsternis  und  Tempelbrand  in  Athen  l  6,  1) 
hat  man  verdächtigt,  nach  Brückner1)  besonders  Beloch2),  mit 
dessen  Ausstellungen  zu  I  2,  1  sich  B.  S.  663  näher  beschäftigt. 
In  Kellers  großer  Ausgabe  (1890)  sind  die  einzelnen  Versuche 
dieser  Art  sorgfältig  registriert.  Zu  den  drei  mit  der  Formel 
eingeführten  Jahren  (rückwärts  gerechnet)  404/3  (II  3,  1),  405/4 
(II  1,  10)  und  406/5  (I  6,  1)  hat  der  Interpolator  die  Archonten 
richtig  verzeichnet.  Für  407/6  und  408/7  fehlt  die  Formel,  sie 
kehrt  erst  zu  409/8  (I  3,  1)  und  410/9  (I  2,  1)  wieder,  aber 
bei  beiden  sind  Archon  und  Ephor  um  zwei  Jahre  verschoben ; 
der  Interpolator    setzte    hier  die  Beamten  von  407/6   und  408/7 

*)  De  ootationibus  anooruni  in  historia  Graeca  Xenopbontis  suspectis. 
Schweidoitz  1839. 

2)  Philologus  43  (1884)  S.  261— -296;  vgl.  auch  die  obeo  S.  165  zitierte 
Abhandlaug  von  G.  F.  Unger;  Belocb,  Griecb.  Gesch.  II  S.  74  ff.  und  neuer- 
dings Busolt,  Griech.  Gesch.  1112  (1904)  S.  698  f.  und  Anm.  4.  Eine  knappe 
und  doch  alles  Wesentliche  bietende  Übersicht  über  die  ganze  Frage  gibt 
Ed.  Meyer  a.  a.  O.  IV  S.  616—619. 

12* 


180  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

ein,  weil  er  in  fluchtigem  Verfahren  sich  offenbar  nur  nach  den 
Formeln  richtete;  er  muß  diese  also  im  Texte  vorgefunden 
haben. 

Zu  I  2,  1  hatte  Beloch  (a.  a.  0.  S.  270)  die  Notiz  über  die 
Befestigung  von  Thorikos  wegen  „ihrer  annalistischen  Kürze^ 
gegenüber  dem  „Reste  der  Erzählung'4  verdächtigt.  Der  letztere 
Grund  wird  von  B.  (S.  663)  durch  Hinweis  auf  Ed.  Schwartz 
(a.a.O.  S.  164)  erledigt,  der  sehr  wahrscheinlich  gemacht  hau 
daß  X.  selbst  an  dem  Feldzuge  des  Thrasyllos  teilnahm  und  die 
betr.  Ereignisse  daher  breiter  erzählte;  und  die  einzeln  stehende 
Notiz  der  Befestigung  von  Thorikos,  welche  ihm  vielleicht  beson- 
ders interessant  war  (vgl.  JJöqoi  IV  43),  stellte  er  an  den  Jahres- 
anfang —  etwas  „ungeschickt  allerdings";  denn  die  Befestigung, 
die  wohl  über  den  Sommer  sich  hingezogen  haben  mochte,  über 
die  X.  aber  Näheres  nicht  zu  sagen  hatte,  konnte  anderwärts 
nicht  gut  untergebracht  werden,  ebenso  I  3,  1  die  Notiz  über 
den  Tempelbrand  von  Phokaia;  an  beiden  Stellen  wird  dann  mit 
dgxofievov  rov  &€qovs  bezw.  sccqoq  die  Erzählung  der  Kriegs- 
operationen aufgenommen.  Und  der  scheinbare  Anstoß,  daß 
II  3,  1  der  Jahresanfang  404/3  erst  unmittelbar  nach  der  Ein- 
nahme Athens  vermerkt  wird,  die  doch  selber  schon  in  das  neue 
Jahr  fiel,  wird  durch  den  Hinweis  beseitigt  (S.  664),  daß  für 
X.  hier  der  sachliche  Zusammenhang  maßgebend  war  und  die 
bedeutungsvolle  27jährige  Dauer  für  den  Krieg  nicht  gestört 
werden  sollte.     Vgl.  auch  Ed.  Meyer  a.  a.  0.  S.  618  oben. 

B.  hat,  wie  ich  glaube,  eine  vielumstritlene  Frage  scharf- 
sinnig mit  verhältnismäßig  einfachen  Mitteln  gelöst,  und  es  darf 
mit  Genugtuung  darauf  hingewiesen  werden,  daß  seine  über- 
zeugende Beweisführung  und  ihr  Besultat  inzwischen  schon  in 
Meyers  oft  zitiertes  Werk  übergegangen  ist. 

38)  Edmnod  Lammert,  Die  geschichtliche  Entwicklung  der 
griechischen  Taktik.  Neue  Jahrbücher  für  das  klassische  Alter- 
tum 111  (1899  Teil  1)  S.  1—29. 

Die  geschichtliche  Entwicklung  der  griechischen  Kriegskunst 
könnte  gerade  für  die  bewegten  Kämpfe  gegen  Ende  des  5.  und 
die  erste  Hälfte  des  4.  Jahrhunderts  gar  nicht  dargestellt  werden* 
lägen  uns  nicht  in  Xenophons  Schriften  zuverlässige  militärische 
Zeugnisse  ersten  Ranges  vor.  Während  Delbrück  (s.  o.  N.  11) 
eine  Darstellung  für  das  ganze  Altertum  begonnen  hat,  gibt  L. 
hier  nach  einigen  einleitenden  Bemerkungen  über  die  Homerische 
Zeit,  welche  schon  alle  Elemente  der  späteren  Taktik  zeigt,  in 
drei  Abschnitten  eine  Obersicht  der  Entwicklung  der  Taktik  im 
5.  und  besonders  im  4.  Jahrhundert  bis  auf  Epaminondas.  Der 
Aufsatz  ist  klar  geschrieben,  und  wenn  er  auch  nicht  viel  Neues 
bietet,  hebt  er  doch  die  Hauptmomente  der  Entwicklung  in  an- 
ziehender Darstellung  gut  hervor.     Erklärer  des  Xenophon  werden 


XenophoD,  von  R.  Ullrich.  \Si 

aus  den  hier  gegebenen  Überblicken  manchen  Nutzen  ziehen  können. 
Besonders  kommen  natürlich  die  Hellenika  in  Betracht,  Stellen 
aus  der  Anabasis,  dem  Agesilaos,  den  politischen  und  taktischen 
Schritten  werden  aber  ebenfalls  herangezogen. 

Das  demokratische  Vorurteil  hat  (S.  5)  die  Verwendung  einer 
geschulten  Reiterei  lange  gehindert.  Die  Ausbildung  der  Reiterei 
der  Lacedä monier  ist  mangelhaft  (bei  Leuktra,  Hell.  VI  4,  10), 
die  Hellenen  schätzen  Reiter  überhaupt  gering  (An.  111  2,  18); 
dem  entspricht  ihre  Verwendung;  sie  geschieht  in  Asien  immer 
nur  unter  dem  unmittelbaren  Beistande  der  Hopliten  (vgl.  die 
Kampfe  bei  Lampsakos,  bei  Ivalchedon  und  am  Paktolos,  Hell.  I 
2,  14—17;  I  3,  1—13;  III  4,22);  wo  sie  allein  oder  nur  in 
Verbindung  mit  Peltasten  auftreten,  ziehen  sie  den  kurzem 
(Thrasyllos  bei  Ephesus,  I  2,5—11;  Thibron  in  der  Ebene  des 
Mäander,  IV  8,  18  f.);  die  Reiterei  muß  sich  vor  der  wohlaus- 
gebildeten persischen  furchten  (Thibron,  III  1,  5);  selbst  der 
große  Agesilaos  sieht  sich  infolge  des  Mangels  an  Reitern  sehr 
in  seinen  Bewegungen  gehemmt,  versucht  aber  wenigstens,  dem 
abzuhelfen  (Ages.  I  23  f.) 

Nicht  viel  anders  stand  es  mit  den  Leichtbewaffneten 
(S.  9  ff.).  Sie  stehen  in  geringer  Achtung,  werden  geworben; 
in  der  Schlacht  am  Nemeabache  (394)  erscheinen  zuerst  300 
kretische  Bogenschützen  und  400  fremde  Schleuderer  im  Gefolge 
der  Spartaner  (IV  2,  16).  Die  Taktik  war  und  blieb  im  wesent- 
lichen Hoplilentaktik. 

Hierin  zeigen  sich  am  bedeutendsten  die  Spartaner  (S.  15  ff.), 
was  Xenophon  (udax.  n.  XI  7)  der  Erziehung  seit  Lykurgs  Tagen 
zuschreibt.  Ihre  moralische  Tüchtigkeit  hält  sie  noch  zusammen, 
wenn  auch  die  Reihen  in  Unordnung  geraten;  auch  bei  geringerer 
Anzahl  nehmen  sie  den  Kampf  auf,  während  man  fhnen  selbst 
gern  größere  Zahlen  entgegensetzt;  am  Nemeabache  (IV  2,  16) 
kämpfen  24000  Athener  mit  ihren  Verbündeten  gegen  13500 
Peloponnesier1). 

Wie  in  der  hauptsächlich  zur  Verwendung  kommenden 
Gattung  von  Truppen,  so  blieb  auch  in  der  Gefechtstaktik  lange 
die  geheiligte  Praxis  des  ersten  Vorstoßes  des  beiderseitigen 
rechten  Flugeis  lange  bestehen,  bis  die  tbebanische  Taktik  des 
Epaminondas  Wandel  schuf. 

Die  Thebaner  hatten  noch  eine  tüchtige  Reiterei,  während 
sie  den  Athenern  und  Spartanern  lange  abhanden  gekommen 
war.  Sie  haben  es  (S.  23)  mit  dieser  —  gleich  der  persischen 
Taktik  —  auf  den  Massenstoß  abgesehen,  zur  Unterstützung  des 
Fußvolkes.    Die  Bedeutung  dieser  Gefechtsweise,  meint  L.,  mochten 

l)  Diod.  XIV  83  zeigt  etwa  das  umgekehrte  Verhältais.  L.  nimmt,  viel- 
leicht mit  Recht,  an,  daß  die  Zahlen  irrtümlicherweise  vertauscht  sind; 
vgl.  E.  Meyer  a.  a.  O.  V  S.  236  A. 


182  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

sie  381  vor  Olynth  zuerst  kennen  gelernt  haben,  wo  die  dicht- 
geschlossen ansturmende  olynthische  Reiterei  (V  2,  41  cvcnsiqa- 
d-ivtsg  sußaXXovöi)  das  Korps  des  Teleutias  in  ernste  Gefahr 
bringt.  Die  Nordgriechen  scheinen  zuerst  von  allen  auf  die  orien- 
talische Stoßtaktik  eingeübt  gewesen  zu  sein.  Ähnliche  Zwecke 
verfolgten  die  Thebaner  mit  den  von  den  Thrakern  überkommenen 
Leichtbewaffneten  wie  mit  den  Hamippen,  die  erst  bei  Mantinea 
erwähnt  werden,  aber  wohl  schon  früher  bestanden  haben 
mögen.  Am  Ende  lief  es  aber  auch  bei  ihnen  doch  hauptsäch- 
lich auf  eine  Verbesserung  der  Hoplitentaktik  hinaus.  Da  die 
Umklammerung  des  Gegners  nicht  in  Frage  kam  (was  L.  S.  24 
gut  begründet),  so  blieb  nur  das  Durchstoßen  übrig.  So  war 
die  Praxis  von  Delion  bis  Leuktra,  schmale  Front,  größere  Tiefe, 
und  die  moralische  Wirkung  war  nicht  gering  (vgl.  den  ersten 
Teil  der  Schlacht  bei  Koronea,  IV  3,  17.  18),  bis  endlich  die 
beiden  Neuerungen  des  Epaminondas  (Kerntruppen  auf  dem  linken 
Flügel,  schräge  Linie)  den  Abschluß  dieser  Kntwicklung  bildeten 
S.  26  ff.).  Leuktra  und  Mantinea  werden  hier  anschaulich  ge- 
schildert. 

L.  bemerkt  gegen  Ende  seiner  Übersicht,  dem  „großen 
Denker  und  Lenker44  dieser  Schlachten  seien  keine  Schüler  ge- 
folgt, selbst  eine  militärische  Autorität  wie  X.  habe  keinen  Hauch 
seines  Geistes  verspürt.  Dagegen  ist  zunächst  zu  sagen,  daß 
dieser  in  der  Praxis  dazu  nach  399  kaum  mehr  Gelegenheit  hatte, 
und  ferner,  daß  ihm  manches,  was  Alexander  später  in  die 
Praxis  umsetzte,  Verwendung  der  Reiterei  und  Taktik  der  Ver- 
folgung, in  der  Theorie  wenigstens  schon  vollkommen  deutlich 
gewesen  ist;    vgl.  das  oben  S.  95  zu  Delbrück  Bemerkte. 

Als  diese  Taktik  dann  unter  den  Diadochen  den  tiefsten 
Standpunkt  erreicht  hatte,  erlag  sie  der  römischen  Manipulartaktik 
auf  ihrer  Höhe. 

39)    Franz  Rühl,    Zu    den   Papyri    von    Oxyrhynchos.     Rhein.  Mus. 
N.  F.  UV  (1899)  S.  152—155. 

R.  untersucht  ein  von  Grenfell  und  Hunt  (The  Oxyrhynchos 
Papyri,  1  1898,  N.  XIII,  S.  36  f.)  mitgeteiltes  Bruchstück"  eines 
Briefes,    der    auch    für  die  Xenophonforschung  von  Interesse  ist. 

Es  ist  darin  die  Rede  davon,  daß  die  Thebaner  im  Verein 
mit  den  Olynthiern  versucht  haben,  den  Amyntas,  Philipps  Vater, 
vom  Throne  zu  stoßen,  ohne  daß  sie  doch  vorher  von  ihm  ge- 
kränkt worden  wären.  Es  handelt  sich  nun  darum,  auf  Grund 
dessen  einen  König  von  Makedonien  gegen  die  Thebaner  aufzu- 
hetzen. Welcher  König  ist  es?  Die  Herausgeber  hatten  gemeint, 
Antigonos  oder  sein  Sohn  Demetrios  Poliorketes,  und  der  Brief 
sei  historisch  wertvoll,  da  bei  dem  so  bezeugten  Bündnis  der 
Thebaner  mit  den  Olynthiern  die  Besetzung  der  Kadmeia  durch 
die  Lacedämonier  unter  Phoibidas  weniger  grundlos  scheine.     R. 


Xeoophon,  von  R.  Ullrich.  183 

bestreitet  beides.  Zunächst  macht  er  wahrscheinlich,  daß  der 
Adressat  Alexander  ist  (S.  152 — 154);  die  Echtheit  des  Briefes 
sei  allerdings  zweifelhaft.  Doch  wie  man  darüber  auch  denken 
möge  (R.  äußert  S.  154  mehrere  Vermutungen),  historisch  wert- 
voll ist  er  nicht.  Ein  Bündnis  zwischen  Olynth  und  Theben 
war  aus  den  Hinweisen  bei  Xenophon  (Hell.  V  2,  15.  17.  34) 
schon  bekannt,  wobei  nur  unentschieden  blieb,  ob  es  schon  ab- 
geschlossen  war  oder  ob  man  noch  darüber  verhandelte1),  als 
Phoibidas  zu  seinem  Gewaltakte  schritt.  Aus  Xenophon  geht  auch 
hervor,  daß  die  Angaben  des  Briefes  falsch  sind.  Die  Verhand- 
lungen zwischen  Theben  und  Olynth  begannen  erst,  als  Gesandte 
von  Apollonia  und  Akanthos  die  Spartaner  um  Hilfe  gegen  die  Chal- 
kidier  baten  (V  2,  15).  Ein  wirklicher  Vertrag  kann  erst  nach  dem 
Entschluß  der  Spartaner  zum  Kriege  gegen  Olynth  abgeschlossen 
sein  (V  2,  34).  Die  Olynthier  haben  nicht  zusammen  mit  den 
Thebanern,  sondern  schon  vorher  im  Bunde  mit  den  lllyriern  di^ 
Vertreibung  des  Amyntas  besorgt  (V  2,  13.  38;  s.  a.  Diod.  XV  19). 
Der  den  Thebanern  hier  gemachte  Vorwurf  der  Beteiligung  ist 
also  tendenziöse  Fälschung. 

Bestand  aber  ein  Bündnis  mit  Olynth,  so  brauchte  Theben 
im  Kriegsfall  nicht  dieselben  Feinde  zu  haben  wie  Sparta,  man 
beobachtete  eine  „wohlwollende  Neutralität".  Die  Thebaner  taten 
offiziell  keine  Schritte  gegen  Phoibidas  und  untersagten  nur  den 
Bürgern,  Dienste  in  seinem  Heere  zu  nehmen.  Die  Auffassung  in 
Sparta  aber  war  —  offiziell  —  ähnlich  (Hell.  V  2,  32  ff.),  und  die 
Worte  des  Leontiades  (33  f.)  sind,  wie  B.  im  Vergleich  mit  der 
Vergewaltigung  der  Hansestädte  durch  Napoleon  I.  richtig  bemerkt, 
für  die  völkerrechtliche  Frage  irrelevant.  Das  Bündnis  zwischen 
Theben  und  Olynth  ist  auch  für  L.  kein  wirklicher  casus  belli.  Buhl 
fügt  noch  treffend  hinzu,  X.  würde  seinen  Lesern  gewiß  nicht  ver- 
schwiegen haben,  was  sich  etwa  zur  Bechtfertigung  der  Spartaner 
hätte  sagen  lassen.  Die  öffentliche  Meinung  in  Griechenland  war 
gegen  den  Urheber  der  Tat,  sogar  in  Sparta  selbst,  und  das 
tovq  fjbiv  icfüQovg  xal  zijg  noXscog  io  nX^og  %aXsn<ag  syovxag 
t<»  Ooißidq  wohl  nicht  erheuchelt.  Freilich  muß  sich  Phoibidas 
andrerseits,  wie  die  Folgezeit  lehrte,  gedeckt  gefühlt  haben. 

Aus  B.s  Untersuchung  geht  einmal  hervor,  daß  man  sich  vor 
Überschätzung  von  Papyri  gegenüber  guten  Klassikertexten  hüten 
muß  (vgl.  auch  die  Mahnungen  von  J.  Steup,  Bh.  Mus.  1898 
S.  308  ff.2)  und  0.  Schultheß,  WS.  f.  klass.  Phil.  1899  Sp.  1053), 
und  sie  beweist,  was  der  nicht  befangenen  Forschung  immer 
deutlicher  wird,  daß  X.  ein  zuverlässiger  Berichterstatter  ist. 


*)  Hierüber  Näheres  bei  £.  v.  Stern,  Geschichte  der  spartanischen  und 
thebanischen  Hegemonie  vom  Königsfrieden  bis  zur  Schlacht  bei  Mantinea, 
Dorpat  1884,  S.  37. 

2)  Vgl.  unter  S.  191,  Nr.  45b;  F.  Blass,  Lit.  Ztbl.  1897  Sp.  1462f. 


1S4  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

40)  ß  enedictus  Niese,  Ober  einige  neuere  Erscheinungen  der 
griechischen  Geschichtschreibung.  Nene  Jahrbücher  f.  d. 
kiass.  Altertum  1899  I  S.  419—439. 

Niese  gibt  hier  in  knapper,  das  Wesentliche  gut  hervor- 
hebender Darstellung  eine  Obersicht  über  fünf  bedeutsame,  in  den 
Jahren  1897 — 1899  erschienene  Werke  über  griechische  Ge- 
schichte: Griechische  Altertümer  I  (Das  Staatswesen)  von  G.  F. 
Schoemann,  neu  bearbeitet  in  4.  Auflage  von  J.  H.  Lipsius  (Berlin, 
Weidmann,  1897),  Georg  Busolt,  Griechische  Geschichte  III  1 
Pentekontaetie  (Gotha,  F.  A.  Perthes,  1897),  Julius  BeJoch,  Grie- 
chische Geschichte  II  (Straßburg,  Trübner,  1897),  Adolf  Holm, 
Geschichte  Siziliens  im  Altertum  III  (Leipzig,  W.  Engelmann,  1898) 
und  Adolf  Bauer,  Die  Forschungen  zur  griechischen  Geschichte 
1S88 — 1898  (Mönchen,  C.  H.  Beck,  1899). 

Busoll  und  Holm  kommen  für  Xenophon  nicht  in  Betracht. 
Bei  Schoemann-Lipsius  (S.  230)  vermißt  N.  (S.  420)  eine  Be- 
merkung darüber,  daß  nach  Herodot  und  Xenophon  schon  in  der 
Lykurgischen  Verfassung  das  spartanische  Königtum  durch  die 
Ephoren  beschränkt  war.  reqovvia  (oder  ysgovTsia,  Xen.  Aax. 
n.  X  1)  ist  (zu  S.  235  Anm.)  nicht  gleich  ysQOvaia,  sondern  be- 
deutet Gerontenschaft  (S.  420  Anm.);  ebenda  ein  Hinweis 
auf  Hell.  III  5,  25  (Verurteilung  des  Königs  Pausanias).  Hervor- 
gehoben ist  auch  der  bedeutsame  Einfluß  der  Aristotelischen 
Schrift  vom  Staate .  der  Athener;  über  einige  Einschränkungen 
des  Wertes  ihres  historischen  Teils  im  Verhältnis  zu  Xenophons 
Hellenika  vgl.  oben  S.  174  ff. 

Besonders  anziehend  ist  N.s  Besprechung  von  Bei  ochs  Buch 
IS.  429—434).  Er  billigt  es,  daß  dieser  wiederholt  den  Wert 
Xenophons  gegenüber  Späteren  Quellen  betont,  und  bedauert,  daß 
er  den  Agesilaos  (S.  230)  für  unecht  hält.  So  ist  der  asiatische 
Feldzug  des  Königs  nicht  zu  seinem  Rechte  gekommen,  und  die 
Stelle  Ag.  I  7  konnte  nicht,  wie  sie  doch  sollte,  dessen  wahre 
Absichten  den  Persern  gegenüber  beweisen.  Das  Kriegswesen  (vgl. 
oben  S.  93  ff.,  180  ff.)  findet  N.  zu  dürftig  besprochen.  Von  seiner 
sonst  hochgeschätzten  Quelle  Xenophon  ist  B.  Hell.  VI  2,  10 
(Koute  des  Strategen  Ktesikles)  abgewichen,  ohne  darauf  hinzu- 
weisen; VI  2,  7  heißt  %ei[imv  nicht  Winter,  sondern  Wetter. 
Die  Zeit  der  thebanischen  Hegemonie  ist  lückenhaft  dargestellt; 
sie  mußte  vollständiger  sein,  wenn  sie  auch  dem  Verf.  nicht  sym- 
pathisch war.  Zu  erwähnen  war  auch  (Xen.  Hoqoi,  V  9)  der 
schon  vor  den  Phokern  von  den  Thebanern  gemachte  Versuch, 
das  delphische  Heiligtum  mit  einer  Besatzung  zu  versehen.  Aus 
seinem  früheren  Werke  „Die  attische  Politik  seit  Perikles"  (1884, 
vgl.  o.  S.  178  A.  1)  hat  Verf.  manches  berichtigt,  so  die  Datierung 
der  Schlacht  bei  Mantineia  (früher  361,  jetzt  wieder  362),  im 
übrigen  aber  zu  viel  daraus  in  seine  Darstellung  herübergenommen. 

Die  Besprechung  von  Bauers  „Forschungen"  (S.  438 f.)  geht 


Xeoophon,  von  R.  Ullrich.  Ig5 

auf  Einzelheiten  nicht  ein;  vgl.  o.  N.  7.  Hervorheben  will  ich 
nur  das  Bedenken,  welches  N.  hinsichtlich  der  neuerdings  ge- 
legentlich hervortretenden  und  auch  von  B.  vielleicht  nicht  ganz 
vermiedenen  Überschätzung  der  Urkunden  gegenüber  den  literari- 
schen Denkmälern  äußert.  Auf  die  letzteren  kommt  doch  das 
meiste  an.  Und  um  sich  an  ihrer  Kritik  und  Erklärung  zu  be- 
teiligen, „braucht  man  nicht  Ausgrabungen  zu  unternehmen  oder 
an  den  Zentren  der  monumentalen  Studien  zu  sitzen.  Alle  die- 
jenigen sind  berufen,  die  es  gelernt  haben,  unsere  allen  Quellen 
mit  Verständnis  zu  lesen  und  zu  benutzen"  (S.  439). 

41)  Heinrich  Swoboda,  Zur  Geschichte  des  Epamein  ondas.     Rhein. 
Mas.  N.  F.  LV  (1900)  S.  460—475. 

S.  behandelt  den  Prozeß  des  Epameinondas  und  seiner  Kollegen 
nach  ihrem  ersten  Feldzug  in  den  Peloponnes  (Winter  370/369). 
Er  skizziert  zunächst  die  Oberlieferung  über  das  Zeitalter  des 
Epameinondas  im  allgemeinen,  dessen  Beurteilung  besonders  durch 
E.  v.  Stern  er  anerkennt  *),  stellt  die  (späten)  Quellen  über  seinen 
Prozeß  zusammen,  weist  nach8),  wie  wenig  dessen  bisher  übliche 
Begründung  (Führung  des  Feldherrnamtes  über  die  zulässige  Dauer 
hinaus)  genügt,  und  sucht  den  Ausweg  in  einem  andern  Rechts- 
grunde zu  finden.  Seine  Beweisführung  ist  ebenso  methodisch 
wie  geschickt  und,  wie  ich  meine,  in  der  Hauptsache,  der  Auf- 
findung des  Rechtsgrundes,  auch  erfolgreich. 

Xenophons  Darstellung  des  Epameinondas  in  den  Hellenika 
ist,  wie  bekannt,  nicht  eben  ausführlich  und  läßt  manche  Frage 
offen.  Dennoch  hat  die  spätere  Tradition,  wo  sie  die  Lücken 
ausfüllte,  eher  verwirrend  als  klärend  gewirkt,  und  es  ist  eine 
eigenartige  Fügung,  daß  die  geschickten  Kombinationen,  auf  denen 
8.  seine  Darstellung  aufbaut,  und  die  ziemlich  sicheren  Resultate, 
zu  denen  er  gelangt,  fast  alle  auf  X.  zurückgehen  und  nur  ge- 
legentlich durch  spätere  Nachrichten  ergänzt  werden. 

S.  geht  aus  von  der  Stelle  VII  5,  18,  wo  von  den  Er- 
wägungen des  Epameinondas  (nach  X.s  Auffassung)  die  Rede  ist, 
die  zur  Schlacht  von  Mantiuea  362  führen.  Von  den  bisherigen 
Deutungen  findet  er  diejenige  A.Schäfers3)  der  Stelle  am  entsprechend- 
sten, wonach  die  Thebaner  dem  Feldherrn  eine  bestimmte  Frist 
gesetzt  hätten,  nach  welcher  er  das  Heer  zurückführen  sollte 
(vgl.  Diod.  XIII  88,  7  über  ein  Analogon  aus  sizilischen  Verhält- 
nissen), eine  Frist,  die  auch  durch  die  schlechte  Finanzlage  Thebens 
wohl  zu  erklären  war,  das  z.  B.  370  beim  Beginn  des  Zuges  zehn 
Talente  von  Elis  borgen  mußte  (Hell.  VI  5,  19).  Dennoch  hält 
er    es    für    rätlicher,    nicht   an  Beschränkungen  zeitlicher  Art  zu 

])  „Geschichte  der  spartanischen  und  thebaoischeu  Hegemonie  vom 
Königsfrieden  bis  zur  Schlacht  bei  Mantioea",  Dorpat  1884,  und  „Xenophons 
Hellenika  und  die  bö'otische  Geschieb  tsüberliefernog",  ebenda  1887. 

*)  Vgl.  J.  Belocb,  Griech.  Gesch.  II  S.  266  und  Anin.  1. 

3)  Demosthenes  uud  seine  Zeit  l  III  2,  8. 


186  Jahresberichte  <l.  Philolog.  Vereins. 

denken,  sondern  an  andere.  Zu  dem  Zwecke  faßt  er  das  recht- 
liche Verhältnis  Thebens  zu  seinen  Bundesgenossen  ins  Auge  (466  ff). 

Die  Thebaner  brachten  nach  der  Schlacht  bei  Leuktra  Phokis, 
Ätolien  und  die  Änianen  in  ein  festes  Bundesverhältnis  zu 
Theben  (VI  5,  23;  Ages.  II  24).  Andere  traten  bei.  Grundlage  war 
(VII  5,  4)  das  Verhältnis  der  Epimachie  (vgl.  aber  VI  5,  23).  Ein 
avvidqiov  der  Symmachen  wird  eingesetzt1).  Nach  welchen 
Grundsätzen  war  nun  der  Bund  Thebens  mit  den  peloponnesischen 
Mittelstaaten  geschlossen  (Arkadien,  Argos,  Elis,  Messenien;  vgl. 
Vll  5,  5)?  Ebenfalls  auf  der  Grundlage  der  Epimachie,  doch  war 
das  Bundesverhältnis  lockerer  als  jenes  erste  (vgl.  im  einzelnen 
noch  VII  4,  40;  VII  3,  11 ;  VII  1,  39;  VII  1,  33;  VII  4,  35.  39). 
Daraus  ergibt  sich,  auf  welchen  Bechtsgrund  hin  das  Eingreifen 
der  Thebaner  im  ersten  Feldzug  des  Epameinondas  erfolgte;  es 
war  die  Verletzung  des  Gebiets  von  Arkadien  durch  Agesilaos 
(VI  5,  10  f.).  Der  zweite  Zug  (Diod.  XV  68)  hatte  ähnliche  Grunde. 
Anders  der  dritte  (wohl  367),  der  gegen  die  peloponnesischen 
Bündner  gerichtet  war  und  auf  die  Gewinnung  Achajas  als  eines 
festen  Stützpunktes  (VII  1,  41)  und  einer  untertänigen  Land- 
schaft (42)  abzielte;  dennoch  leisteten  jene  Zuzug.  Korinth  und 
Phlius  verpflichteten  sich  im  Frieden  nicht  zur  Heeresfolge  (366 
oder  365;  gegen  Curtius,  Gr.  Gesch.  ■  III  359;  vgl.  Hell.  VII  4, 10). 

Den  Grundsätzen  der  Epimachie  entsprach  also  der  erste  Zug: 
Verteidigung  Arkadiens  gegen  Spartas  Angriff,  eine  Aufgabe,  die 
mit  der  Ankunft  des  Epameinondas  vor  Mantinea  schon  erfüllt 
war,  da  Agesilaos  abgezogen  war  (VI  5,20(1.).  Jede  weitere 
Offensive  lag  nicht  im  Plane  des  Zuges,  erst  die  Vor- 
stellungen der  Arkader  und  der  anderen  Verbündeten  veranlaßten 
E.  zum  Einfall  in  Lakonien  (VF  5,  23  (f.).  Vorauszusetzen  ist,  daß 
ihm  beim  Ausmarsch  nach  dem  Peloponnes  eine  Instruktion  mit- 
gegeben war,  welche  den  Umfang  (nicht  die  Zeit,  s.  o.)  seiner 
Aufgabe  näher  bestimmte  (vgl.  Thuk.  VI  8,  2),  und  diese  kann 
nur  dahin  gelautet  haben,  das  Gebiet  der  Arkader  gegen  sparta- 
nischen Angriff  zu  sichern  (vgl.  Thuk.  I  45,  3  und  57,  6).  Diese 
Instruktion  überschritt  Epameinondas;  seine  Kollegen  folgten  ihm 
und  wurden  so  seine  Mitschuldigen,  und  deswegen  wurden  alle 
in  Anklagezustand  versetzt.     Der  Ausgang  ist  bekannt. 

Die  Erhebung  der  Anklage  setzt  übrigens  das  Bestehen  einer  nicht 
un verächtlichen  Friedenspartei  voraus,  welche  der  Expansionspolitik 
widerstrebte  und  in  der  antiken  wie  modernen  Tradition  ziemlich 
schlecht  weggekommen  ist,  die  in  der  Verherrlichung  des  Epamei- 
nondas zu  weit  ging.  Es  war  wohl,  wie  S.  richtig  bemerkt,  nicht 
taktlose  Opposition  des  als  Muster  eines  schlimmen  Demagogen  er- 
scheinenden Menekleidas,  sondern  es  gab  gewichtige  Beweggründe 


J)  Hell.  VII  3,  11;  vgl.  U.  Köhler,  Hermes  XXIV  (1889)  S.  643,  Ditten- 
ber&er  Syll.  *  flr.  J20  und  auch  Hell.  VII  3,  1. 


Xenophoo,  von  R.  Ullrich.  187 

gegen  die  kriegerische  Politik  der  thebanischen  Heerführer,  vor 
allem  die  gewaltige  finanzielle  Belastung,  welche  —  von  den  Neueren 
meist  übergangen  —  dem  weder  durch  Handel  noch  durch  In- 
dustrie hervorragenden  Staat  kaum  zu  tragende  Opfer  auferlegte. 
Vgl.  über  die  Frage  jetzt  auch  Ed.  Meyer,  Gesch.  d.  Alt.  V 
S.  437,  der  aber  —  was  indessen  für  die  hier  behandelte  Frage 
nicht  von  so  wesentlicher  Bedeutung  ist  —  den  Prozeß  nicht 
nach  dem  ersten  peloponnesischen  Feldzug  (Frühjahr  369),  sondern 
erst  nach  dem  zweiten  (Herbst  369)  setzt. 

42)  H.  Stein,   Zur  Quellenkritik  des  Thukydides.     Khein.  Mus.  LV 
(1900)  S.  531-564. 

Ausgehend  von  der  Meinung,  die  Rede  des  Syrakusiers  Hermo- 
krates  vor  dem  Städtetag  in  Gela  (Thuk.  IV  59—64)  läge  ganz 
,, außerhalb  der  Linie,  auf  der  sich  die  Geschichte  des  Peloponnesi- 
schen Krieges  bewegt"  (S.  539),  hatte  St.  versucht,  die  Annahme 
wahrscheinlich  zu  machen  (S.  538  ff.),  Thukydides  habe  hier  wie 
an  mehreren  Stellen  der  drei  letzten  Bücher  eine  Biographie  über 
diesen  Hermokrates  aus  den  letzten  Zeiten  des  Krieges  benutzt; 
Piaton  habe  sie,  wie  aus  dem  Kritias  (108  A — D)  und  Timäus 
(19  B,  20  A)  hervorgehe,  gekannt  (S.  564),  und  endlich  sei  sie  (so 
linden  wir  die  drei  Autoren  wieder  einmal  beisammen;  vgl.  o. 
S.  148)  auch  Quelle  Xenophons  in  den  Hellenika  (S.  559 — 564). 
Das  zeigt  nach  ihm  in  I  1,  29  die  größere  Vollständigkeit  der 
Namen  gegenüber  Thuk.  VIII  85,  und  dasselbe  beweisen  die  andern 
in  Buch  I  über  Hermokrates  enthaltenen  Angaben  1,  26 — 31.  St. 
legt  dabei  auch  Wert  darauf,  daß  von  der  dialektischen  Spur 
des  Originals  noch  das  von  Suidas  genügend'  bezeugte  ave^vvovzo 
(I  1,  30,  äpexoivovzo  Keller  mit  den  Hss.)  haften  geblieben  sei, 
(womit  er  dpcexdog  Qovgw  Thuk.  VIII  102  auf  eine  Linie  stellt). 
Die  in  Betracht  kommenden  Stücke  des  Exzerptes,  die  nicht  in 
geschlossenem  sachlichen  oder  zeitlichen  Verbände  stehen,  sind 
nach  ihm  folgende: 

I.  Hilfe  der  Syrakusaner  in  Antandros  und  ihre  Ehrung  (26), 
IL  Botschaft  von  der  Verbannung  der  syrakusanischen  Feldherrn  (die 
bisher  weder  nach  Zahl  noch  mit  Namen  erwähnt  sind),  versöhnliche 
Rede  des  Hermokrates  an  die  syrakusanischen  Soldaten,  Erinne- 
rung an  ihre  ruhmvolle  Vergangenheit  (oaa  zs  fisxa  twv  uXXwv 
dfjiTrjTOt,  ye/ovccxs);  Erklärung,  den  Oberbefehl  behalten  zu  wollen, 
bis  die  neuen  Feldherrn  (3,  mit  Namen  genannt)  ankommen 
(27 — 29).  S.  findet,  daß  das  äqrTfjzoi,  yeyovccTs  nicht  paßt, 
wenn  die  Nachricht  von  der  Verbannung  der  Strategen  und  der 
Ernennung  der  Nachfolger  erst  während  des  Schiffsbaues  in  An- 
tandros eintrifft;  denn  seit  Abydos  (l  1,6)  und  Kyzikos  (18) 
durften  sie  so  nicht  mehr  genannt  werden.  Diese  ist  vielmehr 
von  Abydos  nach  Antandros  verlegt  —  um  ein  halbes  Jahr  zu 
spät  —  nicht  aus  Versehen,  irrtümlicher  Überlieferung  oder  infolge 


ISS  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereios. 

von  Interpolation,  sondern  —  meint  St.  —  infolge  nachlässiger 
Verknüpfung  der  beiden  aus  verschiedenen  Stellen  derselben  Schrift 
entnommenen  Stucke.  Dagegen  ist  zu  bemerken,  daß  auch  zu 
der  Situation  in  Antandros  die  Worte  aqiTtjioi  ysyovccTe  vor- 
trefflich passen,  nur  muß  man  beachten,  wie  sie  dem  Zusammen- 
hange eingefügt  sind.  Zunächst  ist  im  allgemeinen  zu  sagen,  sie 
stehen  in  einer  Rede,  einer  Rede  vor  Soldaten,  in  der  Nieder- 
schrift eines  Schriftstellers  reichlich  ein  Menschenalter  nach  den 
Ereignissen.  Und  der  Feldherr  sagt  ja  gar  nicht:  ihr  seid  bis 
jetzt  nie  besiegt  worden,  sondern  er  erinnert  seine  Leute  nur 
daran,  wie  oft  sie  unbesiegt  geblieben  sind.  Das  ist  hier  psycho- 
logisch ganz  begreiflich,  wo  es  darauf  ankam,  an  die  Mannszucht 
zu  appellieren.     Von  einem  Anstoß  kann  also  gar  keine  Rede  sein. 

III.  Zu  dem  Abschnitt  (29)  %&v  de  tqiijqccqxoop  opoaavves 

ndvxag  Inawovvisq   bemerkt  S.,    der  Ort  der  Entlassung, 

ob  Antandros  oder  ein  anderer,  hätte  erwähnt  werden  müssen. 
Ich  halte  das  nicht  für  wesentlich.  Will  man  nicht  27  (f.  (kv  ös 
rw  XQÖvco  tovtü))  mit  dem  Vorhergehenden  so  eng  verbinden, 
daß  Antandros  als  Lokal  ohne  weiteres  sich  ergibt,  so  würde  die 
Stelle,  wie  viele  andere,  zu  denen  gehören,  wo  X.,  wenn  er  sich 
für  eine  Persönlichkeit  besonders  interessiert,  Zeit  und  Ort  bei- 
seite läßt,  um  das  Porträt  möglichst  charakteristisch  zu  entwerfen. 
Und  das  triflt  ja  doch  gerade  hier  auf  Hermokrates  (30.  31)  zu. 
Schlüsse  auf  die  von  dem  Verf.  angedeutete  Art  der  Quellen- 
benutzung sind  also  hier  nicht  zulässig.  —  Ganz  eigenartig  vollends 
ist  die  Auffassung  Steins  von  der  Bedeutung  der  §§  30.  31  (bis 
ßovXevsiv  %ä  xq  dz  Lötet): 

IV.  Er  meint  nämlich,  Hermokrates  habe  hier  nach  Art  eines 
Gorgias  oder  Protagoras  gleichsam  rhetorische  Schule  gehalten  und 
dabei,  was  der  von  X.  benutzte  Biograph  nicht  erkennt  oder  ver- 
schweigt, persönliche  Zwecke  verfolgt,  zum  Zwecke  des  Sturzes 
der  heimischen  Demokratie  Anhänger  zu  werben.  Ich  meine, 
der  unbefangene  Leser  wird  nichts  weiter  herauslesen,  als  daß  li. 
eben  seine  Stabsoffiziere,  an  die  ihn  und  seine  Mitteidherrn  viele 
gemeinsame  kriegerische  Erlebnisse  immer  enger  gefesselt  hatten 
i27  oaa  . . .  rjixojv  tjyovfiivcov),  zu  möglichst  tüchtigen  Führern 
heranzubilden  suchte,  ein  Gedanke,  der  natürlich  gerade  dem  X. 
besonders  sympathisch  sein  mußte.  Was  weiter  geschlossen  wird, 
ist  ganz  unsichere  Vermutung,  ebenso  wie  die  Auslegung  des  ix 
tovxiav  (31  Anfg.).  Es  kann  natürlich  nichts  anderes  heißen, 
als  daß  eben  diese  besondere  Art  des  Hermokrates  ihm  großes 
Ansehen  verschaffte;  vgl.  einen  höheren  Generalstabsoffizier  von 
heute,  mutatis  mutandis.  S.  stellt  es  auf  gleiche  Linie  mit  iv 
iovim  (31),  wonach  der  Ausschreiber  „seine  aus  dem  Ganzen  ge- 
lösten Berichtstücke  mit  einer  Wortformel  wieder  aneinanderreihte1'. 

V.  VI.  Über  die  endlich  von  S.  behandelten  Schlußstücke 
xavijyoQqaccg  dt    Tiaaatfiqvovg . .  .  xal  tqujqsis  und   iv  xoviv* 


Xenophoo,  von  R.  Ullrich.  189 

de  fjxor . . .  xal  xo  aTQccrev^a  vgl.  die  treffenden  Bemerkungen 
von  Breitenbach  (in  seinem  deutschen  Kommentar8  1884  z.  St.), 
die  S.  nicht  einmal  erwähnt.  Das  erste  Stück,  welches  ich  als 
eine  Art  Anmerkung  bezeichnen  möchte,  die  ein  moderner  Schrift- 
steller nicht  in  den  Text  setzen  würde,  wird  ziemlich  allgemein 
und,  wie  mir  scheint,  auch  richtig  als  Begründung  gefaßt,  und 
iv  xovTUi  kann  nur  an  29  anknüpfen.  Es  liegt  hier  nicht  „YVirrnis 
zusammengestoppelter  Daten"  vor,  sondern  wir  haben  die  auch 
von  Thukydides  beliebte  Manier,  Dinge,  die  erst  später  geschehen, 
in  einen  früheren  Zusammenhang  einzufügen,  wenn  dieser  selbst 
dies  nahe  legte.  Dergleichen  wird  um  so  natürlicher,  je  weiter 
die  Niederschrift  von  den  Ereignissen  selbst  sich  entfernt. 

Wo  anders  hätte  denn  X.  speziellere  Nachrichten  über  die 
ihn  interessierende  Persönlichkeit  des  Herrn okrates  geben  sollen, 
wenn  nicht  hier?  Es  ist  keine  „erste  beste  Stelle"  (Stein  S.  559), 
sondern  die  beste.  Das  Ganze  macht  mir  viel  eher  den  Eindruck 
persönlichen  Erlebnisses  oder  mindestens  zuverlässiger  Mitteilung 
als  den  eines  von  X.  aufgegriffenen,  anekdotenhaften  Exzerptes 
einer  tendenziösen  Biographie  des  Herrn  okrates.  Dieser  Biograph 
selbst  teilt  das  Geschick  manches  Genossen;  nicht  einmal  die  Um- 
risse seines  Bildes  werden  uns  deutlich.  Steins  Kritik  an  diesem 
Teile  der  Hellenika  scheint  mir  in  der  Hauptsache  verfehlt. 


C.   Vermischte  kleinere  Beitrage  zu  den  Hellenika. 

43)  a)  K.  Lincke,  Miscellanea  (s.  o.  S.  165)  S.  190. 

Hell.  V  3,  8  ovtco  6s  yvovxsq  rjysfiopa  psv  ^Ay^dinoXtv 
top  ßaciXea  sxnfynovöi,  /ist*  avxov  de  wansq  *Aytj<fi>ldov 
eig  xriv  *Ati  iav  tqiccxovtcc  ZnaQTiaxodV. 

L.  hält  die  im  Druck  hervorgehobenen  Worte  für  die 
Reminiscenz  eines  Lesers  an  III  4,  2,  wo  von  der  Aussendung 
des  Agesilaos  mit  Gefolgschaft  der  kontrollierenden  Dreißig  die 
Rede  ist.  Es  sprechen  aber  weder  handschriftliche  noch  gram- 
matische Gründe,  die  L.  andeutet,  gegen  die  Echtheit.     Die  beste 

Hs.  B  (Paris.  1738)  hat  mit  Abkürzung  äytjGi,  was  nach  dem 
Zusammenhange  nur  der  Genitiv  sein  konnte  und  schon  von 
dem  alten  Leonclavius  richtig  so  gelesen  wurde.  Die  Endungen 
-o)  bezw.  -ov  der  anderen  Hss.  beweisen  nichts;  vgl.  die  Zu- 
sammenstellung derartiger  Abkürzungen  in  Kenyons  neuester  Aus- 
gabe der  yA&ijpai(ßv  noXmeia  des  Aristoteles,  Berolini  1903, 
S.  IX  ff.  Grammatisch  ist  die  Auslassung  der  Präposition  nach 
(xhstisq  hier  möglich  (vgl.  Krüger  Gr.  Spr.  68,  8  und  Breitenbach 
z.  St.,  der  noch  V  1,  20  —  ähnliche  Verbindung  mit  ij  — 
heranzieht),  so  daß  auch  Cobets  Einfügung  des  fierd  vor  'Ayrjdi- 
Xdov  unnötig  ist. 


]90  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

b)  Carl  Robert,  Die  Ordnung  der  olympischen  Spiele  uod  die 
Sieger  der  75.-83.  Olympiade.  Hermes  XXXV  (1900) 
S.  141-195. 

Das  von  Grenfell  und  Hunt  unter  den  Papyri  von  Oxyihynchos 
gefundene  und  publizierte  Fragment  einer  olympischen  Siegerliste 
(II  1899,  N.  CCXXIl,  S.  85—96)  weist  13  Agone  auf,  deren  Ver- 
teilung auf  fünf  Spieltage  R.  versucht.  Mit  dem  Fragment  stimmen 
die  übrigen  bisher  bekannten  Zeugnisse  (Pindar  Ol.  V,  Phlegon 
u.  a.)  überein,  besonders  was  die  Reihenfolge  der  Agone  betrifft.  Zu 
widersprechen  scheint  die  wichtige  Stelle  Hell.  VII  7,  29.  Arkader 
und  Pisaten  sind  zur  Festfeier  in  Olympia  versammelt  und  werden 
von  den  Eleern  gestört:  xal  ttjv  piv  InnoÖQOfiiav  fjöfj  ine- 
Tioiqxstiair  xal  rä  ögopixä  tov  nsvTad-Xov  ol  <f  slg  ndXi\v 
cupixofjiepoi  ovxeti  iv  na  ögöpo),  aXXd  (1€tcc%v  tov  doopov 
xal  tov  ßwpov  IndXaiov  sqq.  Während  nun  nach  dem  Frag- 
ment und  der  andern  guten  Überlieferung  die  hippischen  Agone 
nach  dem  nivva&Xov  stattgefunden  haben,  müßte  es  nach  X. 
umgekehrt  gewesen  sein.  R.  nimmt  nun  an  (S.  158  f.,  vgl.  auch 
148  und  156),  und  ich  glaube  mit  Recht,  daß  bei  der  Überein- 
stimmung der  andern  guten  Zeugen  der  Widerspruch  nur  ein 
scheinbarer  sein  könne.  Nicht  daß  im  4.  Jahrhundert  zeitweilig 
eine  andere  Ordnung  bestanden  habe  oder  Arkader  und  Pisaten 
von  der  üblichen  abgewichen  seien.  Vor  nivTa&Xov  gehört  aber 
d6Xi%og\  da  nun  in  Athen  und  anderwärts  ein  dem  d6Xi%og 
sehr  ähnlicher  dycov  —  was  inschriftlich  belegt  wird  —  Inmog 
oder  \nntx6g  oder  icpinmog  hieß,  hat  wahrscheinlich  X.  statt 
dessen  den  Ausdruck  Innodgopia  gebraucht. 

44)  a)   T.  G.  Tucker,    Varioas    emendations.      The  Classical  Review 
XII  (1898)  S.  23— 27. 

Zur  Stütze  einer  Konjektur  bei  Herodot  (II  8,  1  in*  ccqxtov; 
codd.  an')  zieht  T.  S.  26b  Hell.  III  2,  9  heran,  wo  alle  Hss.  statt 
des  notwendigen  in'  *Etf>&tiov  (Grote)  an"  haben.  —  S.  26a 
sucht  er  Hell.  VI  4,  24  **  <T  sniXa&iadai,,  sifq,  ßovXea&s 
tö  YeytvrHisvov  nd&og  unter  Ablehnung  von  Madvigs  allerdings 
ziemlich  gewaltsamer  Konjektur  i^idaaöd-ai  (so  auch  Keller)  durch 
inava&sa&ai  herzustellen.  Welcher  Sinn  erforderlich  ist,  liegt 
auf  der  Hand;  Hartman  hatte  ihn  treffend  ausgedrückt:  'si  cladem 
acceptam  victoria  compensare  vultis'.  (T.  nicht  ganz  richtig:  Ho 
retract  the  false  move').  Nun  kann  zwar  ava&sad-ai,  wie  T.  be- 
merkt, diesen  Sinn  haben,  und  er  gibt  ihn  an  sich  schon  voll- 
ständig, wogegen  inavaMad-ai,  (T.  'back')  sich  für  diesen  Gebrauch 
nicht  belegen  läßt.  Da  die  vorgeschlagenen  Konjekturen  (vgl. 
Kellers  Apparat)  sämtlich  ebensowenig  an  sich  voll  befriedigen, 
wie  sie  sich  von  dem  überlieferten  Texte  sehr  weit  entfernen, 
schlage  ich  avaXaßiad-at  vor,  das  sich  in  seinem  Ruchstaben- 
bestande    der  Überlieferung  ziemlich   eng  anschließt  und,  weil  es 


Xeoophou,  von  R.  Ullrich.  191 

im  Aktiv  die  geforderte  Bedeutung  an  zahlreichen  Stellen  hat,  sich 
gerade  in  diesem  Zusammenhange  in  engstem  Anschluß  an  das 
Subjekt  wohl  auch  im  Medium  rechtfertigen  läßt.  —  Eigenartig 
endlich  behandelt  T.  a.  a.  0.  III  2,  18,  wo  es  am  Schlüsse  des 
Satzes  6  fispzoi  TiaöacpsqvTjg  heißt  ovx  eßovke  to  [ndxsa&cu, 
C.  bietet  dafür  snolsfifjatv.  Er  bemerkt  dazu:  kDoes  not  this 
divergence  almost  certainly  point  to  the  true  reading  being  ovx 
inolefiiijösisv,  %he  had  no  taste  for  fighting'?  'The  desiderative 
verb  is  glossed  in  the  other  Mss.  and  corrupted  in  ü  (!).  Dafs 
ein  Desiderativ  hier  möglich  war,  wie  denn  z.  B.  Thukydides  I  33,3 
(vgl.  Classen-Steupt  z.  St.)  noXs^asioa  und  an  andern  Stellen 
ähnliche  hat,  ist  nicht  zu  leugnen,  ebensowenig  aber  ein  Grund, 
die  La.  der  besseren  Überlieferung  als  Glosse  anzusehen. 

b)  Herbert    Richards,    Varia.      The    Classical    Review    XII    (1898) 
S.  27—29. 

Hell.  I  7,  8  fisicc  de  xavia  iyiyveto  ^Anaiovqia,  bv  olg  ol 
z€  natsqeg  xal  ol  GvyysvsZg  avveiGi  atpitiiv  avtoXq.  R.  findet 
es  seltsam,  daß  die  Väter  als  eine  Klasse  für  sich  genannt  und 
von  der  Verwandtschaft  unterschieden  werden;  er  schlägt  deshalb 
in  bezug  auf  den  Charakter  des  Festes  tpqdzsqsq  vor.  Aber 
erst  so  wurde  die  Gegenüberstellung  seltsam,  da  dann  disparate 
Begriffe  verbunden  wurden.  Denkt  man  dagegen  daran,  daß  ge- 
rade die  Väter  an  den  Apaturien,  wo  sie  sich  mit  der  Verwandt- 
schaft versammelten,  eine  besonders  wichtige  Rolle  spielten  (wahr- 
scheinlich kommt  ja  der  Name  des  Festes  daher;  vgl.  jetzt  Toepffer 
bei  Pauly-Wissowa  1  Sp.  2672),  so  wird  man  die  Verbindung,  an 
der  meines  Wissens  bisher  noch  niemand  Anstoß  genommen  hat, 
ganz  natürlich  finden  und  jede  Änderung  der  Oberlieferung  ablehnen. 

45)    a)    F.  Solmsen,    Na v x q « (> o g   vavxkccqog  vavxkrjqog.       Rhein. 
Mus.  53  (1898)  S.  153—158. 

NccvxItjqoq  hängt  nicht  mit  xlrjqog  zusammen  (S.  154);  das 
ist  um  so  weniger  anzunehmen,  da  die  früher  nur  durch  Hesychios 
bezeugte  und  von  M.  Schmidt  mit  „nihili  estu  abgefertigte  Form 
vavxXaqog  durch  inschriftliches  NccmX[ccqoc]  —  die  von  S.  an- 
geführte Stelle  CIA  IV  1,  373264  (S.  202)  ist  nicht  auffindbar  — 
festgestellt  ist.  Das  führt  auf  vavxqaqog  (Schiffshaupt,  Schiffs- 
oberster) zurück,  und  aus  Xen.  Hell.  I  4,  3  xaransfinco  Kvqov 
xaqavov  sqq.  ist  die  in  jüngerer  Zeit  erscheinende  Bedeutung  von 
vavxXi\qog  =.  Schi  f  fseigentümer,  Schiff  s  kapitä  n  sofort 
verständlich. 

b)  J.  Steup,  Der  Thukydidcs-Papyros  von  Oxyrhyochos.    Rhein. 

Mus.  53  (1898)  S.  308—315. 

Wie  bei  Thuk.  V  46,  3  ein  mit  oxi  beginnender  Satz  im  Inf. 

fortgesetzt    wird,    so    findet    sich  pleonastisches  ort  oder  cog  bei 

Xen.  Hell.  II  2,  2;  V  4,  35  (wo  aber  Keller  (s'xoi)  einschiebt);  vgl. 

auch  Cyr.  VIII  1,  25.    "Oxi  ist  also  nicht  anzutasten  (S.  314). 


192  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

c)  0.  Heuse,  Zu  Bakchylides  XI.    Rheio.  Mas.  53  (1898)  S.  318—322. 
H.    vermutet    v.  112    (S.  321  f.)    noiav    (Trift,    Grasplatz, 

Weideplatz)   für    noliv    und  vergleicht  Hell.  IV  1,  30  /a/ua*  iv 

7t6q   %wl    XCtTCCXSlflSVOl. 

d)  H.    Usener,  Göttliche  Synonyme.     Rhein.  Mos.  53  (1898)  S.  329 

-379. 

Hell.  V  4,  8  u.  o.  ist  das  unterhalb  der  Kadmeia  innerhalb 
der  Mauern  gelegene  Heiligtum,  das  in  der  Überlieferung  in  der 
Formld  [i<petov  und "Afitptov auftritt,  wohl ^Afitfistov  zuschreiben. 
Dies  wurde  verderbt,  gerade  wie  bei  lapbieTov  der  spatere  Itazis- 
mus  auf  rapeTov  führte  (S.  345  u.  Anm.  1). 

e)  J.  M.  Stahl,    Zorn    Sprachgebrauch   des    Thukydides.     Rhein. 

Mas.  54  (1899)  S.  150—151. 

Der  im  Lateinischen  geläufige  Gebrauch  eines  Partizips  in 
Sätzen  wie  post  urbem  conditam,  angebaut  Hamilcarem  Sicilia  Sar- 
diniaque  amissae  u.  ä.  ist  im  Griechischen  selten.  Bei  Thukydides  ist 
diese  Ausdrucksweise  verhältnismäßig  häufig;  hingewiesen  wird 
dabei  auch  auf  die  Stelle  Xen.  Hell.  VI  3,  11  (S.  151)  J>v  (sc.  tav 
dyvcofiovcog  nqax&ivttov)  r\v  xal  q  xazalrjcp^sTaa  iv  Gqßatg 
Kad[Ji€ia  =  rj  Kadpeictg  iv  0ijßcug  xataXtjlpig  oder  %6  xotxa- 
Xfjfp^ijvat  iv  @ijßcug  Kadfisiar. 

Über  die  auf  die  Hellenika  bezüglichen  Arbeiten  von  Dippei 
(1898),  G.  Fritzsche  (1898)  und  Römpler  (1898,  auch  für  Ana- 
basis und  Agesilaos  wichtig),  sowie  über  die  hierher  gehörigen 
Teile  der  Funde  von  Oxyrhynchos  (edd.  Grenfell  and  Hunt,  I  If, 
1898  und  1899)  vgl.  den  nächsten  Bericht.  —  Zu  Hell.  I  6,2, 
s.  Anhang  ['A&ijvaicov  noXwsia]  unter  Ed.  Meyer,  Forschungen 
zur  alten  Geschichte  II. 

IV.   Memorabilien. 
A.  Ausgaben  und  Ähnliches. 

46)  Xenophons  Memorabilien  in  Auswahl  herausgegeben  von  Ferdi- 
nand Rosiger  (B.  G.  Teubners  Schüleransgaben  griechischer  und 
lateinischer  Sehr  ifs  teil  er).  Leipzig  1899,  ß.  G.  Teubner.  VII  u.  107  S. 
gr.  8.     geb.  1  JC. 

Wie  ich  über  Auswahlen  klassischer  Werke  geringeren  Uni- 
fanges —  und  zu  diesen  gehören  zweifellos  die  Memorabilien  — 
denke,  habe  ich  schon  oben  S.  99  ausgesprochen.  Und  wenn 
der  Herausgeber  (S.  III)  meint,  wer  sonst  eine  Auswahl  den 
Schulern  nicht  in  die  Hand  geben  wolle,  wurde  seine  Forderung 
nicht  auf  X.s  Memorabilien  ausdehnen,  so  ist  nach  meiner  Mei- 
nung genau  das  Gegenteil  richtig.  Gerade  von  einer  Schrift,  deren 
Bild  so  „von  der  Parteien  Gunst  und  Haß  verwirrt  schwankt", 
ist  es  am  wenigsten  angebracht,  eine  Auswahl  vorzulegen,  die  hier 


Xenophon,  von  R.  Ullrich.  193 

besonders  subjektiv  ausfallen  muß.  Auch  was  R.  zur  Rechtfertigung 
der  in  üblicher  Weise  reichlich  angebrachten  Überschriften  der  Kapitel, 
der  Bezeichnungen  des  Inhalts  am  Rande  (Ober  Sperrdruck  im 
Texte  vgl.  oben  S.  133  N.  23)  u.  s.  w.  sagt  (S.  IV):  „wenn 
solche  philosophische  Schriftsteller  (z.  B.  ?),  denen  ein  größeres 
Publikum  ungewöhnlich  gern  folgt,  mit  diesen  Mitteln  sich  die 
Aufmerksamkeit  zu  sichern  lieben,  so  haben  Schulausgaben  ge- 
wiß keinen  Grund,  sich  dagegen  zu  verschließen'4,  beruht  auf 
einer  Verkennung  des  Unterschiedes  zwischen  dem,  was  Er- 
wachsenen, und  dem,  was  Schulern  frommt.  Ein  Lehrer,  der  sich 
der  schwierigen  Aufgabe  unterzieht,  junge  Leute  zuerst  in  „philo- 
sophische44 Probleme  einzuführen,  wird  des  besten  Teils  der  Frucht 
beraubt,  wenn  diesen  hier  die  nach  und  nach  herauszuarbeiten- 
den Gedanken  schon  schwarz  auf  weiß  fertig  geboten  werden,  so 
daß  sie  selber  keine  mehr  zu  fassen  brauchen.  Was  sonst,  zu- 
nächst in  aller  Kürze,  über  die  Bedeutung  der  Schrift,  ihre  Be- 
ziehung zur  Gegenwart  überhaupt  wie  zu  andern  Gegenständen 
des  Unterrichts  gesagt  wird,  ist  sachgemäß.  Der  inzwischen 
(1903)  erschienene  Kommentar  (vgl.  den  nächsten  Jahresbericht) 
weist  auf  das  „Hilfsheft44  hin,  das  „philosophische  Erläuterungen 
verschiedener  Art44  enthalten  soll. 

Zugrunde  gelegt  ist  natürlich  der  Text  von  W.  Gilbert 
(1888).  Der  Herausgeber  hat  es  aber  „für  richtig  gehalten, 
konsequenter  Lesarten  der  Stobäushandschriften  aufzunehmen,  die 
nicht  etwa  nur  in  unkritischer  Auswahl  heranzuziehen  sind44. 
Mir  ist  sehr  zweifelhaft,  ob  eine  Schulausgabe,  zumal  eine  Auswahl, 
der  rechte  Ort  für  derartige  Abweichungen  von  den  im  Schul- 
gebrauch meist  mit  Becht  kanonisches  Ansehen  genießenden  un- 
gekürzten Ausgaben  der  Bibliotheca  Teubneriana  ist;  wenigstens 
hätte  aber  R.  seine  abweichenden  Lesarten  kurz  verzeichnen 
sollen,  wie  es  Sorof  in  der  entsprechenden  Anabasisausgabe  ge- 
tan hat.  Dasselbe  gilt  von  den  mit  der  „Mehrzahl  der  Kritiker44 
angenommenen  Interpolationen.  Wenn  er  dazu  bemerkt  (S.  V): 
„Die  Untersuchungen  haben  ja  mindestens  gelehrt,  daß  der  über- 
lieferte Text  unnötige  Längen  besitzt14,  so  muß  gegen  ein 
derartiges  „kritisches44  Verfahren  immer  aufs  neue  Einspruch  er- 
hoben werden.  Was  uns  unnötig  erscheint  (vgl.  z.  B.  den  be- 
haglichen Memoirenstil  der  Anabasis,  an  dem  sich  auch  viele 
Kritiker  versündigt  haben),  ist  oft  gerade  charakteristisch  für  einen 
antiken  Schriftsteller,  und  ein  Werk  wie  die  Memorabilien  ver- 
langt in  dieser  Hinsicht  eine  doppelt  vorsichtige  Behandlung. 

Im  einzelnen  bietet  die  Auswahl  R.s,  von  kleineren  Aus- 
lassungen innerhalb  der  §§  abgesehen,  folgenden  Text: 

I  1,  1— 4a;  2,1—3,  5b— 10,  12—16,  24— 29a,  32—48, 
56a,  58—61,  64;   3,1—4;   4,2—19;   6,  1— 10a. 

II  1,  1—3,  7-34;  3;  4,  la;  6,  lb— 30,  33b— 35,  37 
bis  39;   7. 

Jahresberichte  XXX  13 


194  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

III  (5);  1,  lb—  9a,  11;  2,  l  u.  4:  3,8-9;  4;  6;  9,  10 
—13;    10,  lb— 8;    12,1—6;   13,2;   13,  4,  (6),  5. 

IV  2,1— 10a,  11—25,  30-40;  (6,  lb— 4,  10—15);  (III  9, 
1-7);    4,  5-20a,  24—25;   8,1—3,  11. 

Dem  gegenüber  steht  der  Ausfall  von: 

I  1,  4b— 5;  2,  4— 5a,  U,  17—23,  29b— 31,  49-55, 
56b— 57,  62—63;    3,5—15;   4,1;   5;   6,  10b— 15;   7. 

II  1,4—6;  2;  4,  lb— 7:  5;  6,1a,  31— 33a,  36;  8;  9;  10. 

III  1,  la,  9b— 10;  2,  2—3;  3, 1—7,  10—15;  7;  8;  9,  8—9, 
14—15;    10,1a,  9—15;    II;    12,7—8;    13,1   und  3;    14. 

IV  1;  2,10b,  26—29;  3;  4,  1— 4,  20b-23;  5;  6,1a, 
5—9;   7;    8,  4-10. 

So  wird  der  Inhalt  der  „Denkwürdigkeiten"  um  reichlich  ein 
Drittel  des  überlieferten  Bestandes  gekürzt,  und  ich  habe  mir  ab- 
sichtlich die  Mühe  genommen  (die  der  Herausgeber  auf  die  schon 
öfters  von  mir  bezeichnete  Weise  sehr  hätte  erleichtern  können), 
Geduldetes  und  Verwiesenes  einander  gegenüberzustellen,  um 
deutlich  zu  machen,  wie  heute  mit  dem  überlieferten  Gute  eines 
antiken  Schriftstellers  verfahren  wird.  Man  betrachte  die  Zer- 
stückelungen, die  sich  z.  B.  I  2,  II  6,  IV  2  und  4  haben  gefallen 
lassen  müssen!  Demgegenüber  berührt  es  sympathisch,  dann  und 
wann  wirklich  einmal  den  überlieferten  Zusammenhang  ohne 
künstliche  Unterbrechung  abgedruckt  zu  erhalten,  wie  in  II  3, 
und  7,  III  4,  5  und  6.  Wenn  wirklich  gestrichen  werden  soll, 
so  ist  es,  meine  ich,  noch  am  erträglichsten,  wenn  ganze  Kapitel 
ausgelassen  werden,  wie  es  bei  112  und  5,8,  10,  III  II  und  14, 
IV  1,  3  und  7  geschehen  ist;  dann  mag  der  Inhalt  des  Ausgelassenen 
durch  ein  paar  Worte  verbindenden  Textes  angedeutet  werden  (so  z.B. 
in  Werras  Auswahl  aus  der  Anabasis;  s.  o.  S.  99  u.),  und  der  Zusam- 
menhang des  übrigen  wird  nicht  gestört.  Unbedingt  zu  verwerfen 
aber  ist  es,  daß  der  Text  des  Schriftstellers  selbst,  was  R.  mehrmals 
unternommen  hat,  infolge  von  Streichungen  korrigiert  wird,  und 
handelte  es  sich  auch  nur  um  verbindende  Partikeln  und  Ähnliches 
(so  12,24  und  58;  4,2;  II  1,7;  6,33;  1111,11;  10,1;  IV  6,1). 
Und  die  mehrfach  vorgenommenen  Umstellungen  —  sie  sind  oben 
durch  runde  Klammern  gekennzeichnet  —  über  die  nicht  entfernt 
Einigung  erzielt  ist,  gehören  nicht  in  eine  Schulausgabe,  so  nahe 
auch  manche,  wie  die  von  III  5  und  III  13,  6   z.  B.  liegen  mögen. 

Was  wird  nun  durch  all  dies  erreicht?  Den  wenigen,  die 
den  Standpunkt  des  Verfassers  teilen  und  sich  die  Marschroute 
vorschreiben  lassen  wollen,  wird  diese  Auswahlausgabe  erwünscht 
sein.  Sie  ist  übrigens  glänzend  ausgestattet.  Papier,  Einband 
und  Druck  splendid  (von  Druckfehlern  sind  mir  nur  aufgefallen 
S.  21  —  Überschrift  —  I  3  statt  I  4  undjS.  35,  Z.  3  (pgopi&iv), 
auch  Absätze  und  Interpunktionen  sind  praktisch  eingeführt  (der 
Gedankenstrich  oft  im  Obermaß;  vgl.  S.  80,  94  u.  ö).  Es  steckt 
auch  viel  Scharfsinn,  ohne  daß  er  besonders  hervorgekehrt  wird, 


Xenopkon,  vou  Ei,  Ullrich.  J95 

hinter  den  hier  durchgeführten  Grundsätzen,  und  das  ehrliche 
Bestreben,  den  Schulern  zu  dienen,  ist  zweifellos  anzuerkennen. 
Aber  solche  Dinge  wollen  nicht  bloß  mit  Gelehrsamkeit  behandelt 
werden,  sondern  auch  mit  Geschmack  und  der  schuldigen  Rück- 
sicht, die  auch  diesem  Autor  gebührt.  Man  denke  nur  einmal 
daran,  daß  man  in  späteren  Jahren  unsre  Klassiker  so  zurecht- 
schneiden  und  ihre  Texte  eigenmächtig  ändern  wollte!  Darum 
werden  alle,  die  den  hyperkritischen  Grundsätzen  Krohns,  Linckes 
und  andrer  (denen  Gilbert  oft  noch  viel  zu  willig  gefolgt  ist) 
ebenso  abhold  sind,  wie  sie  sich  in  der  Selbständigkeit  der  zu 
tretenden  Auswahl  nicht  beschränkt  sehen  wollen  (ganz  abgesehen 
von  den  oben  geäußerten  didaktischen  Bedenken),  diese  Aus- 
gabe ablehnen,  lihrer  sind  nicht  wenige,  besonders  der  von 
R.  in  der  Einleitung  genannte  Dörwald  (vgl.  u.  N.  48),  der 
so  eifrig  für  die  Lektüre  der  von  ihm  hochgeschätzten  Memorabilien 
«ingetreten  ist.  Das  Gegebene,  weil  künstlich  zurechtgemacht,  ist 
-nicht  mehr  Xenophon,  und  das  Fehlende  (so  II  2  Cltern  und 
Kinder,  III  14  Sokrates  bei  Tische  mit  den  Seinen,  wie  er  Be- 
gabten und  Reichen  den  rechten  Weg  zeigt  IV  1,  die  eigentüm- 
liche antike  Auffassung  von  des  Menschen  Verhältnis  zur  Gottheit 
IV  3  u.  a.  m.)  wird  mancher  ungern  missen.  Auch  das  rein 
äußere  Moment  des  Preises  kommt  der  Ausgabe  nicht  zugute; 
die  vollständige  Gilbertsche  editio  minor  ist  gebunden  noch 
billiger. 

47)  Index  in  Xeuophontis  Meinorabilia.  Confecernnt  Catharint 
Maria  Gloth,  Maria  Fraucisca  Kellogg.  (Coruell  St u dies  in 
Classical  Philology  edited  by  Charles  Edwin  Beunett  aud  George 
Prentice  Bristol,  Ithaca,  New  York,  No.  XI)  (New  York)  1900,  publisued 
for  the  university  by  the  Macmillan  Company.  VIII  u.  96  S.  gr.  8. 
kart.  $  I. 

Anzeigen:  W.  Vollbrecht,  WS.  f.  klass.  Phil.  1900  Sp.  1256—1257. 
—  K.  Lincke,  Berl.  phil.  WS.  1901  Sp.  200.  —  Atheoaeum  1900,  II, 
S.  546.  —  My.,  Rev.  crit.  1901  S.  186—167.  —  B.,  Lit.  Zentralbl. 
1901  Sp.  251.  —  H.  St.  Jones,  Class.  Rev.  1901  Sp.  173—174.  — 
D.  Bassi,  Boll.  di  fil.  class.  1901  S.  268-269.  —  G.  Fraccaroli,  Riv. 
di  fil.  1901  S.  333—334. 

Den  „Gorneli  Studies"  verdanken  wir  schon  viele  tüchtige 
Arbeiten,  die  zeigen,  daß  sich  die  philologischen  Studien  jenseit 
des  Wassers  immer  erfreulicher  entwickeln.  Die  durch  Haies  auch 
in  Deutschland  bekannter  gewordenen  „Cum-constructions"  (1 1887) 
aufs  glucklichste  inaugurierte  Sammlung  hatte  in  Band  V  (Index 
Antiphonteus  von  van  Cleef,  1895;  vgl.  u.a.  K.  Fuhr  in  WS.  f. 
klass.  Phil.  1896  Sp.  566  —  570)  schon  eine  der  vorliegenden 
ähnliche  Arbeit  geboten.  Hier  haben  sich  nun  zwei  gelehrte 
Damen  vereinigt  und  mit  dem  Index  zu  den  Memorabilien  eine 
Arbeit  geleistet,  die  von  entsagungsvoller  Hingebung  und  uner- 
müdlichem Fleiße  rühmendes  Zeugnis  ablegt  und  jedem,  der 
auf    diesem    Gebiete    arbeitet,    hinfort    unentbehrlich    sein    wird. 

13* 


196  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Denn  wenngleich  ausführliche,  wissenschaftlichen  Ansprüchen  ge- 
nugende Lexika  zu  den  einzelnen  Attikern  uns  noch  willkommenere 
Gaben  wären,  so  dürfen  wir  vorläufig  schon  mit  Indices,  die  auf 
Grund  der  neuesten  kritischen  Ausgaben  und  unter  Berücksichtigung 
ebenso  abweichender  Lesarten  wie  der  evidentesten  gelehrten 
Besserungen  mit  peinlichster  Sorgfalt  hergestellt  sind,  als  einem 
wesentlichen  Hilfsmittel  der  Forschung  wohl  zufrieden  sein,  und 
nach  den  Indices  zu  Thukydides  von  v.  Essen  (1887;  vgl.  R.  Steig, 
JB.  XIV  S.  49  f.)  und  den  zu  den  meisten  xenophontischen  Schriften 
aus  den  letzten  Jahren  nun  vorhandenen  (s.  o.  S.  132),  ist  der 
vorliegende  freudig  zu  begrüßen.  Er  füllt  tatsächlich  eine  „Lücke" 
aus.  Denn  der  Schneider-Dindorfsche,  der  mehr  ein  (allerdings 
dürftiges)  Lexikon  darstellt,  war  unvollständig,  ist  überdies  (zuletzt 
1862  erschienen)  veraltet. 

Ober  die  Grundsätze  der  Bearbeitung  geben  die  Verfasserinnen 
in  einer  kurzen  Vorrede  Aufschluß.  Zugrunde  gelegt  ist  mit  Recht 
Gilberts  Ausgabe  (natürlich  von  1888,  nicht  1895,  wie  die  Damen 
annehmen,  wohl  durch  die  bei  Neudrucken  ebenfalls  neu  ein- 
tretende Jahreszahl  der  Teubnerschen  Bibliothek  verleitet);  die 
zahlreichen  daselbst  vorgenommenen  Einklammerungen  sind  als 
nicht  vorhanden  angesehen  worden,  was  nicht  ganz  zu  billigen 
ist.  Auch  in  der  Orthographie  schließen  sie  sich  an  G.  an.  Die 
wichtigsten  hdschr.  Abweichungen  sind  durch  eckige  Klammern 
kenntlich  gemacht.  Verba  verschiedenen  Stammes  sind  jedes 
unter  seiner  besonderen  Wurzel  verzeichnet,  Nomina  und  Infinitive, 
die  mit  dem  Artikel  verbunden  sind,  durch  den  Druck  ausge- 
zeichnet. In  der  Aufnahme  von  Partikeln  u.  a.,  der  mühseligsten 
Arbeit  bei  derartigen  Zusammenstellungen,  sind  die  Verfasserinnen 
ziemlich  weit  gegangen,  ptv  und  d£  in  Verbindung  mit  dem 
Artikel  sind  aufgenommen,  auch  fiiev=(Atjv.  Aber  wenn  „einzeln- 
stehendes" fjtip  verzeichnet  wurde  —  das  doch  meist,  auch  an 
den  von  G.  und  K.  angegebenen  Stellen,  ein  de  im  Gefolge  hat  — , 
so  durfte  auch  auf  ös  nicht  verzichtet  werden,  ebensowenig  auf 
xai.  Denn  statistische  Untersuchungen  wünschen  auch  hier  eine 
sichre  Grundlage  zu  haben,  und  bei  einer  Schrift  von  verhältnis- 
mäßig kleinem  Umfange  war  auch  diese  Arbeit  ohne  allzu  große 
Entsagung  zu  leisten.  Einen  Mangel  sehe  ich  darin,  daß  ab- 
weichende Lesarten  der  Neueren  nicht  berücksichtigt  worden  sind. 
Nicht  daß  etwa  alle  Konjekturen  angeführt  werden  sollten,  von 
denen  viele  noch  schneller  vergessen  werden  als  sie  gemacht 
sind;  aber  eine  Auswahl  der  besseren  durfte  nicht  fehlen.  Da  das 
Beste  auch  auf  diesem  Gebiete  in  Deutschland  geleistet  ist,  so 
hätten  die  Verfasserinnen,  wenn  sie  sich  an  Gilbert  anschlössen, 
schon  aus  dessen  praefatio  critica  vieles  entnehmen  können,  und 
ein  weiteres  Studium  der  einschlägigen  Literatur,  besonders  der 
ja  gerade  in  Amerika  viel  benutzten  Bursianschen  Jahresberichte 
(zumal    Schenkls;   s.  o.  S.  63),    hätte    Förderliches    geboten.      An 


Xeuophon,  voi  R.  Ullrich.  197 

ausgezeichneten  Mustern  für  die  Methode  der  Verarbeitung  fehlte 
es  außerdem  ja  nicht.  Für  eine  Neuauflage  des  Büchleins  wäre 
also  eine  Erweiterung  nach  dieser  Seite  hin  zu  wünschen,  und  eine 
Vermehrung  des  Ganzen  um  einen  bis  zwei  Bogen  würde  ja  wohl 
nicht  zu  schwer  ins  Gewicht  fallen ;  auch  ein  Verzeichnis  der  ein- 
schlägigen Literatur,  das  im  Texte  selbst  nur  Angabe  der  Namen 
nötig  machen  würde,  wäre  eine  nützliche  Zugabe. 

Die  Ausstattung  des  Buches  ist,  wie  wir  es  bei  englischen 
und  amerikanischen  Ausgaben  gewohnt  sind,  glänzend,  Papier 
und  Druck  vorzüglich,  der  Preis  mäßig. 


ß.   Abhandlungen. 

48)    P.  Dörwald,    Gliederung    von    Xenophons   Memorabilien  1  1 
und  2.     Lehrproben  und  Lehrgänge  58  (Januar  1899),  S.  86 — 94. 

Dörwald  gehört  zu  den  eifrigsten  und  erfolgreichsten  Ver- 
teidigern der  oft  angegriffenen  Memorabilienlektüre.  In  zahl- 
reichen Aufsätzen1)  hat  er  ihre  Bedeutung  immer  aufs  neue  her- 
vorgehoben, durch  Behandlung  einzelner  Abschnitte  schätzenswerte 
Beiträge  zu  ihrer  Behandlung  in  der  Obersekunda  des  Gymnasiums 
gegeben,  auch  ihre  Verwertung  für  den  Religionsunterricht2)  in 
ansprechender  Weise  erörtert. 

Die  in  dem  vorstehenden  Aufsatz  gegebene  Gliederung  der 
ersten  beiden  Kapitel  des  ersten  Buches  bildet  den  Schlußstein 
der  vielseitigen  Arbeiten  des  Verfassers  über  den  Gegenstand. 
Sie  ist  doppelt  wertvoll.  Einmal  deswegen,  weil  sie  sich  gerade 
auf  die  Kapitel  bezieht,  deren  Behandlung  sich  schwerlich  ein 
Lehrer  entgehen  lassen  wird,  der  seinen  Schülern  ein  möglichst 
vollständiges  Bild  der  Persönlichkeit  des  Sokrates  geben  will,  und 
ferner,  weil  hier  durch  eine  bis  ins  einzelne  gehende  Aufzeigung 
des  inneren  Zusammenhangs,  ohne  besondere  Polemik,  durch  die 
schlichte  Macht  der  Tatsachen  allein,  aufs  deutlichste  bewiesen 
wird,  wie  wenig  gerechtfertigt  die  Einwände  sind,  die  man  gegen 
den  angeblich  „aphoristischen  Charakter"  des  Buches  und  seinen 
,, Mangel  an  Einheitlichkeit"  vorgebracht  bat.  Was  wir  bei  E.  Lange 
(s.o.  Nr.  10),  dem  Plane  seines  Büchleins  entsprechend,  in  knappster 


1)  Vgl.  Der  didaktische  Wert  des  xennphonlischen  Agesilaus  im  Zu- 
sammenhange mit  der  Cvropädie  und  den  Memorabilien  untersucht,  JXeue 
Jahrb.  f.  Phil.  u.  Pädag.  1891  S.  331—341  u.  369—408;  Xenophons  Memora- 
bilien 112  im  Unterricht,  Lehrpr.  u.  Lehrg.  40  (1&94)  S.  89-101;  Xeno- 
phons Memorabilien  und  die  neuere  Kritik,  Gymnasium  XV  (1897)  S.  1 — 8  u. 
S.  41 — 52;  Sokrates  und  der  jüngere  Perikles  (Xen.  Mem.  IH  5),  Lehrpr.  u. 
Lehrg.  50  (1897)  S.  45—52;  Die  Memorabilienlektüre  in  Obersekunda, 
Lehrpr.  u.  Lehrg.  51  (1897)  S.  36 — 70  (über  alle  vier  Bücher);  Xenophons 
Memorabilien  als  Schullektüre,  Ztschr.  f.  d.  GW.  1897  S.  666—673. 

2)  Eine  Religionsstunde  im  griechischen  Unterricht  (Xen.  Mem.  I  4), 
Lehrpr.  u.  Lehrg.  44  (1895)  S.  106—116. 


198  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Zusammenfassung  erhielten,  wird  hier  mit  liebevollem  Eingehen 
auch  auf  feinere  Zöge  zur  Anschauung  gebracht.  Auf  den  ersten 
Blick  könnte  es  scheinen,  als  ob  diese  Gliederung  mit  ihren 
1)  a)  a)  aa)  u.  s.  f.  zu  kompliziert  sei  und  der  Übersichtlichkeit 
ermangele;  bedenkt  man  aber,  daß  das  einzelne  ja  doch  nach 
und  nach  in  den  Unterrichtsstunden  mehrerer  Wochen  erarbeitet 
wird,  die  Steine  allmählich  sich  fugen,  bis  der  Bau  Gestalt 
erhält  und  im  Anschauen  des  Ganzen  die  Teile  in  der  Rück- 
erinnerung von  neuem  in  ihrem  Verhältnis  zueinander  und  zur 
höheren  Einheit  sich  darstellen,  so  ist  alles  einfach  und  naturlich. 
Eine  so  erarbeitete  Übersicht  über  einen  wertvollen  Gedanken- 
gehalt hat  Anwartschaft  auf  bleibenderen  Besitz  als  die  den 
Schülern  in  manchen  Ausgaben  (s.  o.  Nr.  46)  fertig  gegebenen 
Dispositionen;  und  gerade  aus  der  des  Verfassers  wird  recht  deut- 
lich, daß  durch  Auslassungen,  Streichungen  u.  ä.  besonders  in 
Kap.  2  (s.  o.  S.  194)  der  Zusammenhang  nicht  gefördert,  sondern 
geschädigt  wird;  dem  Bilde  würden  wesentliche  Züge  fehlen, 
wenn  man  z.  B.  §  11  (Gewalttat  und  Macht  der  Überzeugung), 
19 — 23  (Übung  der  Sittlichkeit  und  der  sittlichen  Erkenntnis), 
49 — 55  (Wahres  Verhältnis  von  Sokrates7  Schülern  zu  Vätern, 
Verwandten  und  Freunden)  und  von  dem  Schlußwort  (62 — 64) 
einen  Teil  fortnähme.  Und  den  Hesiodvers  (56.  57,  eqy.  *.  fjfi. 
311)  wird  man  um  seiner  selbst  willen  (auch  in  Erinnerung  an 
einen  andern  desselben  Dichters,  der  den  Schülern  in  dieser  Zeit 
bekannt  zu  werden  pflegt)  wie  in  Verbindung  mit  der  folgenden 
(übrigens  auch  von  Rosiger  aufgenommenen)  Homerstelle  (II.  II  188 
bis  191;  198 — 202)  nicht  missen  mögen. 

Dörwalds  Übersicht  sei  ebenso  wie  seine  übrigen  Aufsätze 
zu  den  Memorabilien  (besonders  die  in  den  „Lehrproben  und 
Lehrgängen'4  veröffentlichten)  dem  Studium  der  Fachgenossen 
angelegentlich  empfohlen.  Besonders  wer  durch  längeres  Ver- 
bleiben an  derselben  Anstalt  und  an  kleineren  Orten  des  lebendigen 
Gedankenaustausches  mit  andern,  die  es  anders  machen,  entbehren 
muß  und  leicht  einer  gewissen  Einseitigkeit  verfällt,  wird  aus 
des  Verfassers  Erörterungen  manchen  Nutzen  ziehen. 


49)  £.  Rosenberg,  Xenophons  Memorabilien  Kap.  I  uod  H  io 
ihren  Beziehaugen  zur  Gegenwart.  Neue  Jahrbücher  für  das 
klassische  Altertum  1899  (I.  Abt.)  S.  94—104. 

Rosen bergs  Aufsatz  ist  ein  Gegenstuck  zu  Dörwalds  Ober- 
sicht (Nr.  48).  Bei  D.  schlichte  Gliederung  des  Tatsächlichen, 
hier  ein  Versuch,  denselben  Stoff  mit  der  Gegenwart  zu  ver- 
knöpfen. 

Der  Verf.  wirft  die  Frage  auf,  ob  Kap.  1  und  II  des  ersten 
Buches  geeignet  sind,  ein  Vierteljahr  des  Unterrichts  der  Ober- 
sekunda (unter  Umständen  auch  mehr)  in  Anspruch  zu  nehmen, 


Xeoophoo,  von  R.  Ullrich.  199 

und  bejaht  sie.  Und  er  setzt  an  Stelle  des  oft  mißbrauchten 
Satzes,  daß  für  die  Schuler  gerade  das  Beste  gut  genug  sei,  „das 
Geeignetste'4.  Er  findet,  eine  Generation,  die  nach  Prima 
komme,  ohne  diesen  „Elementarunterricht  in  der  Philosophie441) 
genossen,  ohne  sich  an  diesen  „damals  wie  heute  modernen 
Fragen44  gebildet  zu  haben,  habe  etwas  Wesentliches  verloren. 
Mit  Recht.  Und  zwar  müssen  die  Schüler,  wie  ich  meine  — 
und  wie  auch  aus  des  Verfassers  Ausfuhrungen  hervorzugehen 
scheint  — ,  diese  Kapitel  im  Zusammenhange  kennen  lernen,  ohne 
Auslassungen,  ohne  „Verbesserungen44,  ganz  so,  wie  der  ehrliche 
Berichterstatter  die  Gedanken  des  Meisters  wiedergegeben  hat. 

R.  gibt  mehr  Anregungen  als  Ausfuhrungen,  und  so  gern 
besonders  derjenige,  der  die  bezeichnete  Aufgabe  zum  ersten  Male 
zu  lösen  hat,  etwas  Näheres  über  das  „Wie44  der  Sache  erfahren 
möchte  (die  vorhandenen  Kommentare  bieten  herzlich  wenig),  so 
hat  doch  andrerseits  die  Darstellung,  weil  sie  kurz  ist  und  sich 
auf  das  Wesentliche  beschränkt,  an  Lebendigkeit  und  Frische 
ungemein  gewonnen,  und  man  folgt  gern  dem  belesenen  und 
vielseitig  gebildeten  Fährer,    der  jedem  doch  etwas  bringen  wird. 

Zwar  die  Darstellung  des  ersten  Kapitels  (S.  95—99)  befriedigt 
weniger;  R.  übt  hier  zu  viel  Kritik  an  dem  Schriftsteller,  und  der 
eigentliche  Zweck,  die  Beziehungen  zur  Gegenwart  aufzuzeigen, 
tritt  weniger  hervor.  Die  Probleme  sind,  scheint  mir,  zu  schwierig, 
die  Anstöße  zu  groß,  um  bei  dem  meist  noch  recht  unreifen 
Publikum  eine  einheitliche  Wirkung  hervorzubringen  und  einen 
bleibenden  Eindruck  zu  hinterlassen.  Vortrefflich  aber  ist,  was 
über  das  zweite  Kapitel  gesagt  wird  (S.  99 — 104).  Es  ist  ein 
Stuck  Pädagogik,  was  wir  hier  erhalten.  „Lehrer  und  Schuler4' 
will  es  R.  überschreiben.  Und  der  Verfasser  weist  mit  Geschmack 
einen  Weg,  den  man  gehen  kann.  Die  Ausfuhrungen  über  die 
ideale  Aulfassung  des  Lehrerberufs  ebenso  wie  über  die  wahren 
Zwecke  des  Lernens  (Gegenbild:  Die  Auffassung  des  Kritias  und 
Alkibiades),  über  die  Wichtigkeit  der  Übung  der  Tugend  auch  tür 
die  Besten,  die  sonst  vor  dem  Falle  nicht  sicher  sind,  das  alles 
ist  zeitgewäß  und  wird,  taktvoll  und  mit  der  nötigen  Vorsicht  (es 
sind  eben  noch  Obersekundaner)  in  die  Praxis  umgesetzt,  seine 
Wirkung  tun.  In  der  Erklärung  des  exxvXio&ivtag  (I  2,  22)  ver- 
mag ich  freilich  dem  Verf.  nicht  zu  folgen;  so  vortrefflich  das 
Bild  (Sturz  aus  dem  Wagen;  vgl.  Homer)  an  sich  ist,  es  paßt 
doch  nicht  in  die  grammatische  Fügung,  und  wir  müssen  bei  dem 
iyxvfo<T&£vTa$  der  besseren  Überlieferung  verbleiben.  Mit  Paris, 
gewissermaßen  als  modernem  Babel,  würde  ich  Thessalien  auch 
nicht  vergleichen.    Rom  und  Korinth  liegen  da  viel  näher  (vgl.  den 


2)  Verf.  hat  neuerdings,  durch  die  neuen  Lehrplane  veranlaßt,  die  Frage 
der  Memorabilienlektüre  noch  einmal  erörtert  (Ztschr.  f.  d.  GW.  1903 
S.  225—233).     Vgl.  den  nächstes  Jahresbericht. 


200  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Religionsunterricht  der  Klasse),  zumal  wenn  man,  wie  der  Verf., 
Fricks  didaktischen  Katechismus  wiederholt  heranzieht.  Auch  das 
Bild  vom  breiten  Wege  (Ev.  Matth.  7,  13)  lag  nahe;  R.  weist  mit 
Recht  sonst  gerade  auf  biblische  Gedanken  mit  Vorliebe  hin;  vgl. 
z.  B.  S.  103  zu  dem  „Laß  die  Toten  ihre  Toten  begraben"  (Matth. 
8,  22;  vgl.  Luc.  9,  60)  und  (ebenda)  zu  dem  „auf  daß4'  des  vierten 
Gebots  (Exod.  20,  12).  Berührungspunkte  und  Gegensätze  antiken 
und  modernen  Lebens  treten  deutlich  hervor,  und  das  ewig  Bleibende 
Somatischen  Lebens  und  Sterbens  steht  immer  im  Mittelpunkte. 

Auch  über  den  nächsten  Zweck  hinaus  enthält  R.s  Abhand- 
lung manche  zwar  mehr  gelegentliche,  doch  sehr  zeitgemäße  Be- 
merkungen. Was  z.  ß.  von  der  Hauslehrertheorie,  dem  Segen  des 
Lehrerwechsels,  der  Gefahr  der  Presse  und  der  Warnung  X.s  an 
die  Eltern,  ihre  Söhne  allzu  oft  und  tief  in  ihre  eigenen  Gedanken- 
kreise einzufuhren,  gesagt  und  wie  es  begründet  wird,  ist  be- 
herzigenswert und  kann,  wenn  es  auch  nicht  neu  ist,  doch  nicht 
oft  genug  wiederholt  werden. 

Zum  Widerspruch  wird  manchen  Leser  die  Bemerkung  des 
Verfassers  herausfordern  (S.  94),  daß  er  diesen  beiden  Kapiteln 
das  ganze  Vierteljahr  von  Michaelis  bis  Weihnachten  zu  widmen 
pflege.  Er  sagt  nicht,  ob  ausschließlich  oder  neben  poetischer 
Lektüre;  die  Praxis  ist  darin  ja  verschieden.  Doch  gleichviel.  Es 
sind  nur  I8V2  Seiten  Teubnerschen  Textes;  und  so  fruchtbringend 
die  bezeichnete  Art  der  Einführung  in  die  Elemente  der  Philo- 
sophie auch  ist,  man  darf  doch  billig  fragen,  ob  das  noch  griechi- 
scher Unterricht  ist.  Die  Memorabilien  bieten  doch  noch  mehr 
geeigneten  Stoff  (vgl.  besonders  Dörwalds  Aufsätze),  und  ein  etwas 
rascheres  Tempo  der  Lektüre  ist  im  Interesse  der  sprachlichen 
Ausbildung  wohl  zu  wünschen. 

50)    K.   Liocke,    Sokrates    und    seioe    Apologeten.      Zeitschr.  f.d. 
GW.  LH  (1898)  S.  417— 441. 

Für  Xenophon  kommen  aus  Linckes  Aufsatz  —  einer  Er- 
weiterung eines  auf  der  Dresdener  Philologen-Versammlung  1897 
gehaltenen  Vortrages *)  —  hauptsächlich  in  Betracht  S.  418,  419, 
421,  427—441. 

Ausgehend  von  dem  klassischen  Zeugnis  für  die  Lehre  des 
Sokrates  von  dem  Unterschiede  des  Wissens  und  Meinens  (Xen. 
Mem.  I  1,  16)  gibt  L.  zunächst  eine  von  Begeisterung  getragene 
Darstellung  der  Bedeutung  des  Sokrates,  hauptsächlich  nach  Piaton. 
Ein  wesentlicher  Zug  seines  Eudämonismus  ist  die  Selbstlosigkeit.' 
Sie  betont  Sokrates  im  Gespräch  mit  Hermogenes,  sie  schildert 
der  Sokratiker  Xenophon  in  dem  Perser  Pheraulas  der  Cyropädie, 
und    er    verdankt    diese   tiefere  Auffassung   von   dem  Werte    des 

a)  Vgl.  den  kurzen  Bericht  in  deo  „Verhandlungen"  S.  53—55. 


Xenophoo,  vod  R.  Ullrich.  201 

Lebens  dem  Sokrates.  Pia  Ion,  Her  mo  genes  *)  und  Xenophon  (der 
Ältere)  sind  seine  wahren  Apologeten. 

S.  427  gibt  L.  nun  eine  eigenartige  Skizze  über  Leben  und 
Schriftstellerei  Xenophons,  aus  der  wir  erfahren,  daß  er  die 
Spartaner  in  der  Hoffnung,  er  werde  etwas  gegen  die  verhaßten 
Demokraten  schreiben,  täuschte.  Denn  er  war  nicht  der  Mann, 
ein  politisches  Sendschreiben  zu  verfassen  von  der  Art,  wie  er  ein 
solches  in  der  „Thukydideischen  Schrift  vom  Staate  der  Athener* 
besaß.  Er  hat  auch  den  Nachlaß  des  Thukydides  in  den  ersten 
zwei  Büchern  der  Hellenika  bearbeitet.  Man  sieht,  längst  abgetane 
Dinge  kehren  wieder.  Vor  393  begann  er  dann  mit  dem  apo- 
logetischen Versuch  über  den  Prozeß  des  Sokrates,  der  als  Ein- 
leitung zu  den  Memorabilien  erhalten  ist.  Hier  vermittelt  er 
zwischen  Sokrates  und  der  Mantik  —  ein  wichtiges  Moment  in  der 
athenischen  Kulturgeschichte.  Aber  entschiedene  Gegner  wollen 
keine  Vermittlung.  Hermogenes,  des  Hipponikos  Sohn,  unterstützt 
ihn  in  seinen  Ausführungen  (wichtig  ist  besonders  I  2,  48  ff.). 

Aber  schon  im  ersten  Buche  der  Memorabilien  tritt  ein 
neuer  Sokrates  auf,  der  den  Standpunkt  der  Gläubigkeit  gegen- 
über Aristodemos  dem  Kleinen  vertritt  (1  4),  das  Gute  und  Schöne 
dem  Nützlichen  gleichstellt.  So  auch  in  Buch  IV,  wo  klar  be- 
wiesen wird,  daß  die  Überzeugung  der  studierenden  Jugend  von 
dein  unbedingten  Werte  der  Gerechtigkeits-,  Wissenschafts-  und 
Glückseligkeitsidee  auf  einer  Irrlehre  beruht.  Der  natürliche  Zu- 
sammenhang des  Guten  oder  Schönen  mit  dem  Sittlichen,  den 
X.  zu  würdigen  wußte,  ist  dem  Verf.  bei  seiner  Nützlichkeitslehre 
entgangen.  Diesem  „Pharisäer"  (S.  430)  kommt  es  auf  die  Menge 
der  Gaben  an  die  Götter  an;  der  Glaube,  daß  sie  sich  auch  an 
geringen  freuen,  ist  geschwunden.  So  stehen  wertvolle  An- 
knüpfungspunkte So k ratischer  Philosophie  und  gemeine  Handels* 
moral  nebeneinander. 

L.  charakterisiert  nun  Isokrates  in  seinem  Verhältnis  zu 
Piaton  (430  f.)  und  meint,  nach  dem  Muster  seiner  Rede  xccta 
%<av  aoipiaxäv  (XIII)  habe  sich  der  Verfasser  des  Dialogs 
„über  das  Daimonion"  in  den  Memorabilien  „durch  unterwürfige 
Mantikgläubigkeit  gegen  den  Verdacht  zu  decken  gesucht,  als  hätte 
der  gute  Lehrer  Sokrates  jemals  eine  eigene  Meinung  in  religiösen 
Dingen  gehabt  oder  eine  höhere  Autorität  in  der  Schule  aufkommen 
lassen  neben  dem  göttlichen  Homeros'*  (Mem.  I  4).  Dieser  Ver- 
fasser ist  der  jüngere  Xenophon,  der  Sohn  des  Diodoros.  Er 
fühlte  sich  berufen,  gegen  die  Akademie  zu  kämpfen,  als  Lehrer 
und  Leiter  einer  Somatischen  Schule,  in  der  die  Werke  Xeno- 
phons, des  Älteren,  einen  wertvollen  Bestand  an  Lehrmitteln 
bildeten.    Der  Enkel  erntete  die  Früchte  des  weitgereisten  Groß* 

J)  Hier  verteidigt  L.  (S.  427,  A.  1)  Mem.  IV  8,  4—10  gegen  Zeller 
Hl4  194,  1  und  195,  1  und  spricht  sich  gegen  dessen  Begründung  der  Unecht- 
heit  der  xenophontischen  Apologie  ans. 


202  Jahresberichte  d.  Philolog.  Verein*. 

vaters.  Die  Cyropädie  diente  zur  Einfuhrung  in  die  Staatslehre; 
Hellenika  und  Anabasis  führten  in  die  Geschichte  ein.  Und  damit 
der  gunstige  Eindruck  der  Königsherrschaft  in  der  Cyropädie  ab- 
geschwächt wurde,  erhielt  das  Werk  nun  den  Nachtrag  über  die 
Entartung  der  Perser  (Cyr.  VIII  8),  für  den  die  IltQöixcc  des 
Herakleides  von  Kyme  ergiebig  gewesen  sein  mochten.  So  kamen 
auch  Zusätze  in  die  Hellenika  über  ionische,  persische  und  sizilische 
Geschichte  aus  Ktesias  und  Timaios,  mit  der  Tendenz,  das  Ganze 
zu  einer  chronologischen  Weltgeschichte  nach  dem  Muster  von 
Ephoros-Theopomp  zu  machen.  Als  Ersatz  für  die  umfangreiche 
Kyropädie  reichte  ev.  der  Fürstenspiegel  des  „Agesilaos"  aus,  wozu 
dann  noch  die  „erweiterte  Ausgabe16  des  Oikonomikos1)  kam.  Die 
Schrift  flcqoi,  von  X.  noch  selbst  verfaßt,  bot  einen  Einblick  in 
die  athenische  Verwaltung.  Durch  praktische  Schriften,  wie  der 
„Reiteroberst",  wurde  die  Sammlung  ergänzt.  X.  selbst  hatte 
fast  nichts  veröffentlicht;  so  verfügte  der  Enkel  über  einen  reich- 
haltigen pädagogischen  Nachlaß. 

Die  Memorabilien  insbesondere  wollten  nun  in  zeitgemäßer 
Weise  alles  Wissenswerte  zu  Nutz  und  Frommen  der  bildungs- 
bedürftigen Jugend  zusammenfassen.  Da  gab  Sokrates  auch  Proben 
von  Rede-  und  Vortragskunst  (Mem.  I  5  und  7);  er  geht  nicht 
in  die  Tiefe,  der  Lehrer  muß  darauf  bedacht  sein,  zu  gefallen. 
So  ergeben  sich  (nach  Birt  und  Klett)  zwei,  vielleicht  drei  Aus- 
gaben. Beim  vierten  Buche  zeigt  sich  ein  Fortschritt:  der  Sokrates 
des  dritten  Buches  hat  zu  arge  Blößen  geboten,  jetzt  tritt  er  in 
Wettbewerb  mit  der  Akademie. 

Wir  werden  weiter  (nach  Holm,  Griech.  Gesch.  IV  77 ff.,  den 
L.  überhaupt  sehr  bevorzugt)  in  die  Zeit  des  Demetrios  von 
Phaleron  geführt,  des  gelehrten  Lebemannes  und  Zuchtmeisters, 
des  „Solon  im  Kleinen".  Ebenso  zweifelhaften  Charakters  ist  der 
jüngere  X.,  der  „kleine  Sokrates",  der  einträgliche  literarische 
Tätigkeit,  laxe  Moral  und  kynische  Kernworte  für  die  Zucht  der 
Jugend  liebt,  nach  welchem  großstädtische  Bildung  auch  einen 
Beisatz  von  Pikantem  haben  mußte.  Seine  „Bürgerkunde",  die 
ersten  drei  Bücher  der  Memorabilien,  dieser  „Lehrgang  des  höheren 
Unterrichts",  wußte  sich  den  bestehenden  Verhältnissen  anzu- 
passen. Der  Verfasser  schmeichelt  der  Eitelkeit  des  Demetrios, 
der  selbst  einen  „Sokrates"  geschrieben  hatte,  dessen  Einfluß  im 
vierten  Buche  der  Memorabilien  und  im  Symposion  vielleicht  noch 
zu  spüren  ist  (S.  435). 

Auch  eine  „Apologie"  ist  der  Sammlung  einverleibt  worden, 
eine  Kontamination  im  kleinen,  wie  es  die  Mem.  im  großen  sind. 
Benutzt  ist  der  Bericht  des  Hermogenes  und  die  Trilogie  des 
Sokrates  bei  Piaton,  und  die  Kontamination  schließt  sich  inhalt- 
lich an  die  seit  diesem  maßgebend  gewordene  Auffassung  an,  wo- 

])  Vgl.  Xeoophoos  Dialog  ITegl  oixovofxlag  in  seiner  ursprüglichen 
Gestalt.     Text  und  Abhandlungen  von  Karl  Liocke,  Jena   1879. 


Xenophon,  von  R.  Ullrich.  203 

nach  dem  Daimonion  nur  eine  vom  Bösen  abmahnende,  nicht 
auch  eine  zum  Guten  antreibende  Wirkung  eigen  war,  wie  dies 
X.,  wahrscheinlich  im  Einverständnis  mit  Hermogenes,  berichtet. 
Isokrates  und  Xenophon  der  Jüngere  sind  die  falschen  Apologeten 
des  So  k  rat  es.  X.  der  Jüngere,  der  Schuler  des  Isokrates,  setzt 
mit  I  4  als  Programm  ein.  Dies  wie  die  Apologie  und  das  Sym- 
posion (vielleicht  auf  den  Geschmack  des  Demetrios  berechnet} 
sind  fremde  Tropfen  im  xenophon  tischen  Blute. 

Der  Verfasser  der  jüngeren  Memorahilien  hat  aus  Piatons 
Protagoras  manches  entlehnt  (S.  437).  Das  Geschick  der  Zu- 
sammenfassung und  Ordnung  des  Unterrichtsstoffes  (was  L.  S.  438 
im  einzelnen  ausführt)  ist  anzuerkennen;  es  ist  ein  „Schulbuch" 
entstanden  für  die  Söhne  solcher  Familien,  in  denen  man  zwar 
vom  Geiste  der  Akademie  nichts  verstand,  aber  doch  den  Anspruch 
auf  allgemeine  Bildung  nicht  aufgeben  wollte.  Der  Protagonist 
wechselt  darin  mit  überraschender  Geschwindigkeit  die  Rollen. 
Die  Überlieferung  Xenophons  bietet  ein  stark  übermaltes  Bild, 
dessen  echte  Farben  behutsam  wiederzugewinnen  sind.  L.  erklärt 
sich  in  dieser  vermittelnden  Auflassung  ebenso  gegen  Chr.  Härder1,) 
der  die  Memorahilien  für  philosophische  Erörterungen  nicht  ver- 
wenden will,  wie  gegeu  Dörwald 2),  der  in  ihnen  den  geschicht- 
lichen Sokrates  erblickt;  von  des  letzleren  Erörterungen  erkennt 
er  aber  immerbin  manches  an  (S.  439).  Besonders  das  Zeugnis 
des  Hermogenes  wird  betont.  Piatons  Darstellung  des  Sokrates  ist 
„fesselnder  und  ergreifender",  die  Xenophons  treuer  im  einzelnen. 

So  Lincke.  Seit  seiner  Dissertation3)  hat  er  seine  wissen- 
schaftliche Tätigkeit  besonders  in  den  Dienst  Xenophons  gestellt,  und 
bei  aller  Verschiedenheit  im  einzelnen  steht  immer  der  Grundsatz 
der  „Interpolation4'  im  Mittelpunkt  seiner  Arbeilen;  erst  kurz  vor 
diesem  Aufsatz  halte  er  wiederum  Ähnliches  behandelt4).  Man 
bewundert  wohl  seine  kühnen  Kombinationen,  gibt  sich  auch  dem 
Zauber  seiner  Darstellung  gern  bin,  die  sich  hier,  z.B.  432 ff., 
434 ff.,  wie  ein  Roman  liest,  aber  das  wirkliche  Ergebnis  ist  doch  im 
ganzen  hier  wie  in  den  meisten  früheren  Arbeiten  des  Verfassers 
nur  gering.  Die  Phantasie  muß  ersetzen,  was  die  Überlieferung 
schuldig  bleibt.  Besonders  der  jüngere  X.  kommt  mir  auch  nach 
H.  Beckhaus5),   v.  Wilaroowitz6)   und  den  Ausführungen  des  Ver- 


1)  Ein  Vorschlag  zur  Erweiterung  der  griechischen  Lektüre  io  Ober- 
sekonda.     Zeitschr.  f.  d.  GW.  1896  S.  673-685. 

*)  Xenophons  Memorahilien  als  Schallektüre.  Zeitschr.  f.  d.  GW.  189T 
S.  666—673;  vgl.  oben  S.  197  Arno.  1. 

3)  De  Xenopbontis  Cyropaediae  interpolatioaibus.  Diss.  Berol.  (Jena 
1*74). 

*)  Vgl.  Sokrates  and  Xenophon  1—1 V,  Fleckeisens  Jahrb.  1896,  I  S.  447 
—456  und  741—752;  1897,  I  S.  481—498  and  705—720. 

5)  Xenophon  der  Jüngere  und  Isokrates.  Progr.  Poseo  1872. 

*)  In  „Antigonos  von  Karystos"  (Philologische  Untersuchungen  IV)  18S], 
S.  330  ff.,  vgl.  auch  S.  110,  Anm.  15. 


204  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

fassers  so  schattenhaft  vor,  seine  von  L.  geistreich  skizzierte 
•/Tätigkeit44  so  problematisch,  daß  ich  vergebens  nach  Wesen  und 
Gestalt  suche.  Ungeheuerlich  ist  auch  geradezu  die  Vorstellung 
(S.  432)  von  der  Tendenz  der  angeblichen  Interpolationen  der 
Hellenika,  die  eine  Weltgeschichte  aus  dem  Ganzen  machen  sollten. 
Da  mußte  man  ja  am  Anfang  eine  „Interpolation'4  annehmen,  die 
den  ganzen  Hellenika  an  Ausdehnung  mindestens  gleichkam;  denn 
mit  411  konnte  eine  „Weltgeschichte'4  doch  nicht  gut  einsetzen. 
Wir  müssen  uns  bescheiden.  Daß  das  Memorabilienproblem  im 
ganzen  alsbald  eine  allseitig  befriedigende  Lösung  linden  wird, 
glaube  ich  nicht,  und  auch  die  staunenswerte  Leistung,  die  Joel 
in  seinem  dreibändigen  Werke1)  geliefert  hat,  ist  neben  mancher 
Anerkennung  großem  Widerspruche  begegnet.  Warum  aber, 
das  wenigstens  darf  man  doch  sagen,  sollen  wir  den  Verfasser, 
dessen  „Geschick  in  der  Zusammenfassung  und  Ordnung  des 
Stoffes44  auch  L.  gerade  (S.  438)  anerkennt,  in  so  weiter  Ferne 
suchen,  der  doch  so  viel  näher  steht  und  es  verstanden  hat,  wie 
viele  gezeigt  haben,  den  mannigfaltigen  Inhalt  so  zu  gruppieren, 
daß  er  eine  gewisse  Einheit  bilden  konnte?  Anstöße  bleiben  ge- 
wiß, aber  ihr  Grund  ist,  glaube  ich,  nicht  in  der  Zeit  der  Ab- 
fassung und  der  Verschiedenheit  der  Verfasser  zu  suchen,  sondern 
in  dem  Unterschiede  der  Natur  des  Schälers  von  der  des  Meisters, 
der  Unvollständigkeit  und  der  Widerspruche  seiner  Gewährs- 
männer —  soweit  er  nicht  aus  eigener  Kenntnis  schrieb,  —  und 
anderen  Dingen,  die  wir  nur  noch  vermuten,  nicht  mehr  nach- 
weisen können.  Was  übrigens  L.  von  Seiten  der  Sprache  — 
natürlich  ein  sehr  wichtiges  Moment  —  beibringt,  um  spätere 
Entstehung  zu  rechtfertigen  (S.  433,  Anm.  1 ;  er  hofft  von  weilerer 
Untersuchung  noch  mehr),  reicht  nicht  aus  oder  trifft  nicht  zu; 
(fxolji  2.  B.  =  schwerlich,  kaum  (III  14,  3;  IV  2,  24;  4,  25)  kommt 
in  dieser  Bedeutung  auch  schon  in  der  Tragödie  (Sophokles)  wie 
in  der  rednerischen  Prosa  (Andokides  I  90)  vor,  nicht  bloß  bei 
Piaton,  aus  dessen  Nachahmung  es  stammen  soll. 

In  der  Hauptsache  halte  ich  also  L.s  Ausfuhrungen,  soweit 
sie  wenigstens  die  Überlieferung  X.s  betreffen,  für  verfehlt.  Im 
einzelnen  habe  ich  manche  feine  Bemerkung  notiert,  die  Beachtung 
verdient,  so  z.  ß.,  daß  (S.  432)  die  „Anabasis44  dazu  beigetragen 
habe,  das  Prestige  der  persischen  Macht  zu  zerstören  und  eine 
Erhebung  des  Nationalgefühls  gegen  die  Königsherrschaft  vorzu- 
bereiten, daß  ferner  (S.  435,  Anm.)  die  Vollständigkeit  der  Über- 
lieferung der  Gesamtausgabe  X.s  vielleicht  aus  dem  Interesse  des 
Demetrios  zu  erklären  sei,  der  sich  ja  um  die  alexandrinische 
Bibliothek  besondere  Verdienste  erworben  hat,  und  so  wird  der 
aufmerksame  Leser  noch  hier  und  da  manch  gehaltvolles  Korn 
finden  unter  der  Spreu,  die  der  Wind  bald  verweht. 

x)  Der  echte  und  der  xcoopbootische  Sokrates,  I  und  II  1,  2.  Berlin  1893 
and  1901. 


XeoophoD,  van  R.  Ullrich.  205 


51)  Adolf   Roemer,    Zu    Xenophons    Memora bil ieo  I  2,  58.     Blatt, 
f.  d.  GSW.  36  (1900)  S.  640—646. 

R.  beklagt  die  Rückständigkeit  der  Exegese  der  Memorabilien 
(sie  gilt  m.  E.  auch  für  andere  Schriften  Xenophons);  die  Hilf- 
losigkeit der  Studenten  sei  hier  ganz  besonders  hervorgetreten. 
Das  führt  ihn  auf  eine  Bemerkung  in  dem  Programm  von  F.  Bey- 
schlag  (Die  Anklage  des  Sokrates;  Kritische  Untersuchungen,  Neu- 
stadt a.  H.  1900,  S.  9),  daß  es  eine  Besonderheit  X.s  gewesen  sei, 
beim  Zitieren  rücksichtslos  wegzuschneiden,  was  für  die  jeweilige 
Sache  nicht  oder  wenig  in  Betracht  komme,  so  Mem.  I  2,  58,  wo 
er  aus  der  Mitte  des  Homerzitats  sechs  Verse  der  liias  hinausgeworfen 
und  den  noch  bleibenden  Rest  II.  II  188  —  191  und  198—202  als 
ein  Ganzes  angeführt  habe. 

I.    Die  Stelle  bei  X.  lautet: 

"Ovxiva  fisp  ßaöiXrfa  xai  s^o%ov  avdqa  xi%siiii 

top  <T  ayapoTg  snisGGiv  iQtjTVoaöxs  ncegaardg' 
190    datpovi1,  ov  Gs  soixs  xaxop  alg  dsidiGGsG&ai, 

aXV  ccvtoc  x€  xd&fjGo  xai  äXXovg  tägvs  Xaovg. 
198    Sp  (T  av  dijfiov  t'  dvdqa  Xdoi  ßoöoovvd  t}  stpsvgoi, 

TOP    <fXfjnTQ(p    sXdCatiXSP  ,6[iOxXlj(faOXS    T€    (AV&(p* 

äaifjbovi\  aiqsfiag  fjGo,  xai  äXXooP  (iv&op  äxovs, 
ot  <s£o  ipioTsqoi  sltff  av  d1  dnToXsfiog  xai  äpaXxig, 
ovts  not*  si>  noXipw  svaoid-piog  ovt'  ipl  ßovXfj. 
Nun  hatte  Aristarch  (nach  Aristonikos)  die  Verse  193 — 197 
gestrichen  und  203 — 205  hinter  192  versetzt.  Und  Heyne  hatte 
zu  203—205  das  Fehlen  von  193—197  bei  X.  bemerkt  und  selt- 
sam erklärt:  'Quae  saltern  docent  locum  olim  a  rhapsodis  varie 
fuisse  constitutum*,  und  zu  193 — 197:  4Habent  utique  inter- 
polationis  artem  etiam  in  hoc,  quod  plurium  interpolatorum  operam 
sententiis  singulis  abruptis  produnt'.  Danach  urteilte  Ludwich1), 
die  hei  X.  fehlenden  Verse  (192 — 197)  seien  die  von  Aristarch 
mit  dem  Obelos  versehenen,  so  daß  man  erkenne,  wie  dieser  sich 
bei  seinen  Athetesen  nicht  bloß  auf  innere,  sondern  auch  auf 
äußere,  urkundliche  Gründe  gestützt  habe.  R.  weist  nun  erstens  nach, 
daß  v.  192  bei  A.  überhaupt  nicht  gestrichen  ist  (nach  Aristonikos), 
und  zeigt,  daß  dieser  Vers  geradezu  entscheidend  dafür  ist, 
daß  X.  aus  dem  Homertexte  überhaupt  nichts  weggeschnitten  hat. 
Sokrates  kann  nur  diese  Verse  gesagt  haben  (vgl.  §  56  xavxa  di\ 
avtop  ityysZa&a*  d>g  o  7TOifjT7jg  inawoitj  naisa&aiTOvg  dijfjiOTag 
xai  nspfjzag);  er  mußte  den  Vers  weglassen,  „der  ihn  an  die  in 
der  Ilias  vorliegende  Situation  band  und  für  seinen  Zweck  voll- 
ständig unverständlich  war44,  und  so  auch  193 — 197  und  203 — 
205.     Auf    willkürliche  Behandlung    der  Verse  durch  X.  ist  also 


1)  „Aristarchs  homerische  Textkritik*'  II  (1885)  S.  136  ff.  und  „Die  Homer- 
vulgata  als  voralexandriaisch  erwiesen"  (1898)  S.  74. 


206  Jahresberichte  <1.  PhiloJog.  Vereins. 

nicht  zu  schließen,   wie  schon  von  Heyne  wenigstens  angedeutet 
wurde  (scriptoris  consilio  non  conveniebant!). 

II.  Danach  erweist  sich  die  von  Forchhammer  (Die  Athener 
und  Sokrates  (1837)  S.  52  ff.)  gerade  auf  die  weggelassenen  Verse 
gestutzte  Meinung,  die  Anklage  habe  nicht  die  Verbreitung  anti- 
demokratischer Gesinnung  betroffen,  sondern  die  Aufforderung 
zur  Einführung  einer  uligarchischen  Verfassung,  als  irrig  (eine 
ausführlichere  Widerlegung  bei  Zeller  II  1  *  S.  200  f.  Anm.  6). 

III.  (S.  643-646).  Hier  streift  R.  die  Polykratesfrage.  Er 
findet,  daß  von  den  fünf  von  Xenophon  1 2,  9  ff.  behandelten 
Punkten,  die  auf  Polykrates  zurückgehen  sollen,  keiner  mit  diesem 
übereinstimme;  drei  von  ihnen  (worüber  er  sich  nicht  näher 
ausspricht)  seien  von  Neueren  konstruiert,  nur  zwei  an  der 
Hand  der  Überlieferung  auf  ihn  zurückzuführen,  frgm.  10  und  1 1 
(Sauppe,  Grat.  Att.  S.  222  b),  hätten  aber  mit  dem  von  X.  Ge- 
schriebenen wenig  zu  tun.  So  ergibt  sich  a)  aus  der  Homerstelle 
§  58  nichts  anderes,  als  was  X.  selbst  59 — 60  ausführt,  d.  Ii.  aus 
dem  angeführten  Zitate  {nolXdx  ig  avxov  kiyeiv)  erhält  man 
keinen  Beleg  für  den  (jbia6öfj(Aog  Sokrates,  sondern  nur  für  seine 
vahg,  den  xöafiog.  1>)  Dagegen  kommt  Polykr.  frgm.  11  (222b  S.) 
all  sTtsidri  olds  sqq.  nur  auf  die  Rechnung  dieses  Sophisten. 
Danach  stimmt  Sokrates  (nicht  im  Gedanken  der  dijfiov  xaxd- 
Xvaiq)  dem  Odysseus  zu,  weil  dieser  eben  auch  an  die  Herstellung 
der  Ordnung  gedacht  habe.  Den  unverständlichen  Schluß  des 
Fragments  denkt  sich  R.  ansprechend  etwa  so:  ovdev  liyoov 
(Lysias)  <pQovxi£siv  äXXo  avxöv  ($)  xqg  xd^soag'  diä  tovxo  ovv 
xai  avxog  (avp)xi^fjai  (für  avvxi&sxai).  Für  Xenophons 
Darstellung  ergeben  sich  die  wichtigen  Schlüsse:  1)  Wäre  er  hier 
dem  Polykrates  gefolgt,  so  hätte  er,  wie  dieser,  von  der  öiifiov 
xaxdXvöig  sprechen  müssen,  während  sein  xaiijyoQog  die  Verse 
für  das  fjbKTÖdfjfioy  des  Sokrates  ausnutzt.  2)  X.  ist  I  2,  58  dem 
Polykrates  nicht  gefolgt.  Er  hat  die  Sache  nicht  abgeschwächt, 
indem  er  jenen  Punkt  im  Sinne  der  dijfiov  xccxdXvaig  §  9  als 
ersten  und  wichtigsten  voranstellt:  (xwv  xad-eoxuixoav  vöfjbcov  . . . 
xvjg  xa^eaxoiarjg  nokixsiag).  Und  dieser  Punkt  war  nicht  fiktiv 
(vgl.  Mem.  HI  5,  21;  9,  10  u.  a.).  3)  Der  Sophist  hatte  die  Verse 
Homers  angeführt,  doch  welche?  Mit  200 f.  xal  äklwv  pv&ov 
axove  |  o$  aio  (fsqxsQoi  slai,  was  sich  regelmäßig  in  der 
Demokratie  bei  Volksversammlungen  abspielte,  konnte  Polykrates 
eine  Anklage  auf  drjpov  xaxdkva  ig  nicht  stützen,  wohl  aber,  wenn 
zu  der  harten  Behandlung  der  Leute  aus  dem  Volke  noch  die 
Worte  204  und  205  ovx  äyct&op  nokvxoiQaviTj  sqq.  kamen. 
An  diese  hat  er  sich  gehalten.  Seine  Darstellung  konnte  also 
X.  nicht  als  Grundlage  dienen. 

Ebenso  steht  es,  meint  R.,  bei  Anwendung  der  Grundsätze 
strenger  Exegese  mit  der  bekannten  Stelle  in  der  isokrateischen 
Schulrede    Bovaigig   (XI  4  ff.),  §  5    2(axqdxovg    ds    xaxn\yoqhiv 


Xenophoo,  von  R.  Ullrich.  207 

int>X€t,Qij(lag,  oiorcsQ  iyxodfiidacu  ßovXopevog  s£Xxißidät]v 
sdoaxag  avtco  [ict&fivqv ,  ov  vn*  ixsivov  fitv  ovdslg  jja&€TO 
naidevopevov,  oti  dt  noXv  d^veyxt  xmv  äXXaw,  dnavxtg  av 
ofxoXoyjjöeiav  in  Verbindung  mit  Mem.  12,  12  *AXX\  etpri  ye  6 
xaTijyoQog,  Süixodrsi,  ogAiXfjvd  ytvopspM  Kgitiag  rt  xalldX- 
xißiddfjg  TiXetdza  xaxd  trjv  noXw  €7roiij(fdrfjp.  Man  hat 
versucht,  den  Kritias  auch  in  die  Rede  des  Polykrates  „einzu- 
schmuggeln". Aber  R.  zeigt:  1)  Der  Wortlaut  bei  Isokrates  schließt 
diese  Annahme  aus;  dieser  hätte  sich  die  Gelegenheit  zu  einer 
schönen  Periode  mit  [i£v  und  dt  schwerlich  entgehen  lassen, 
wenn  Polykrates  den  Kritias  wirklich  angeführt  hätte;  2)  hält  er 
Mem.  9  {ovvoviag)  und  12  (dfj^Xijtd)  für  wörtliche  Anfuhrungen 
im  Stile  des  Sokrates  und  der  Sokratiker  und  hier,  im  Munde  des 
Anklägers,  für  bedeutungsvoll,  Anführungen,  die  sich  von  dem  popu- 
lären Jargon  (Aa&fjTcd  entfernen,  während  Polykrates  den  Alkibiades 
jua&rjTijc  nannte,  wogegen  Isokrates  remonstriert.  Umänderungen 
Xenopbons  sind  nicht  glaublich.  3)  Daß  Kritias  in  der  wirklichen 
Anklage  eine  Rolle  spielte,  hat  Zeller  (II  1  *  210)  in  einer  schlichten 
Anmerkung  (1)  durch    richtige  Verbindung    von   Plat.  apol.  33  A 

aXk*  iyw  öid  nav%og ovts  dXX(p  oiiie  vovtcov  ovdsvi,  ovg 

ol  diaßdXXovztg  spt  q>aa iv  tfiovg  [Aa&fjzdg  tlvai,  mit 
32  C  ff.  gezeigt.  R.  geht  noch  einen  Schritt  weiter;  der  Kreis  ist 
ihm  mit  ovit  äXXow  ovit  tovtcov  ovötvv  „als  ein  weiterer  und 
engerer  gezogen",  und  das  folgende  pluralische  ovg  mache  die 
Annahme  von  der  Ausnutzung  auch  des  Alkibiades  gegen  Sokrates 
wahrscheinlich.  Die  spätere  „ultrademokratische44  Tradition  ließ 
den  Alkibiades  fallen  und  führte  nur  den  Oligarchen  Kritias  an  (Aesch. 
Tim.  §  173),  und  R.  findet  dasselbe  in  einem  Komikerfragment 
(Adespota  111  S.  431,  frgm.  121  K.): 

olti  d'  ktaioag  %6v  GOfpiGTijv  dicccpsQtiv 

TMudevofisv  d1  ov  %t%QOV  fjfjitTg  xovg  vsovg. 
(tvyxqtvov,  d  xdvt  AtinaGiav  xal  JScoxodt  fjp' 
tijg  [isv  ydo  ölptt,  JlsgixXta,   Kotviav  dt  xov 
ittgov  lAccd-fjTijv. 

C)    Kleinere  Beiträge  zu  den  Memo rabilieo. 

52)  a)    K.  Lincke,    Miscellanea.      Phil.    N.  F.  XIII  (1900)  S.  190—191 
(vgl.  o.  S.  165  f.  und  189). 

L.  bespricht  die  beiden  Stellen  Mem.  11,2  und  6 f.  An  der 
ersten  Stelle  dirtttd-qvXtiTo  ydg  cog  ifait\  Scoxgdirjg  %6  dcupoviov 
iavTio  arj^aivsLV  findet  er  seinen  früher  („Sokrates"  (1896)  im 
Texte  S.  61)  gemachten  Vorschlag  rf'  dg  zu  lesen,  durch  Cyr.  I 
3,  9  fin.  gestutzt,  wo  einige  Hss.  d'  ägcc  (so  auch  Hug),  andere 
ydg  haben,  und  hebt  Breitenbachs  Bemerkung  „es  könnte  für  ydg 
auch  ds  stehen44  rühmend  hervor.  Eine  Verwechselung  von  ydg 
und  d'  dg'    war    naturlich    möglich  und   ist  oft  zu  konstatieren; 


208  Jahresberichte  d.  Philoleg.  Vereiei. 

yaQ  ist  aber  hier  gut  bezeugt  und  sinngemäß,    gibt  also  keinen 
Anlaß  zur  Änderung. 

Dasselbe  gilt  von  §  7;  hier  will  L.  die  Worte  xal  %ovg  (iiX- 
Xovzccg  ölxovg  tb  xal  noleig  xaXcog  olxijösw  (j,avuxjjg  sfprj 
nQocdeZad'CM  als  absurde  Interpolation  nachweisen  .  .  .  eum  vero 
vatum  gregi  turbaeque  hominum  superstitiosorum  totum  apparet 
adhaesisse  (S.  192).  Der  innere  Widerspruch,  in  welchem  nach  L. 
diese  Worte  mit  den  vorhergebenden  %a  fiip  yaQ  avayxata  .  .  . 
fiavrevaoixivovg  inspn&v,  sl  noujztct  und  den  folgenden  xsxtovi- 
xov  (isv  yaQ  . . .  cor  ovdiv  drjXov  slva*  xolg  ap&Qconoig  stehen 
sollen,  ist  aber  nicht  vorhanden.  Die  verdächtigte  Stelle  gibt  zu- 
nächst allgemein  an,  wer  die  Mantik  brauche;  es  wird  dann  ge- 
sagt, was  durch  menschliche  Einsicht  gewonnen  werden  könne, 
hierauf  aber  durch  die  Einschränkung  %a  de  ptyioxa  xmr  iv 
tovzoig  der  Anteil  der  Götter  sicher  gestellt. 

b)  A.   Roenier,    Zu    Xeoophons    Memorab ilieo    I    2,  1.     Bl.  f.  d. 
GSW.  36  (1900)  S.  412—413  (vgl.  o.  N.  51). 

Dem  prophetischen  Worte  Piatons  (Apol.  38  C),  wonach  die 
Gesamtheit  der  Athener  für  den  Tod  des  Sokrates  verant- 
wortlich zu  machen  ist,  entspricht  Xen.  Mem.  I  1,  l  *Adr\vaiovq 
und  20  U&ijrccTo i\  merkwürdig  sei  und  im  Widerspruch  damit 
stehe  aber  I  2,  1  Oavpatizop  ds  (paiveicci  poi  xal  tö  7teus$j[vai 
vivag  oo g  2(axQdtijg  tovg  piovg  discpftsiQev,  also  ein  Bruchteil, 
eine  Minderheit,  ein  Ausschuß;  der  oQ&ög  Xoyog  verlange  die 
Streichung  des  xivag.  So  darf  man  aber,  meine  ich,  das  Wort 
nicht  pressen;  es  dient  nur  dem  Wechsel  des  Ausdrucks.  Der- 
selbe Grund,  der  uns  man  für  eine  bestimmte  Gesamtheit  ge- 
brauchen läßt  (die  doch  auch,  zumal  wenn  sie  auf  die  Bewohner 
einer  großen  Stadt  bezogen  wird,  sich  mit  der  wirklichen  Gesamt- 
heit selten  deckt),  war,  wie  sonst  oft  im  Griechischen,  so  auch  hier 
bestimmend.  Und  gerade  weil  unmittelbar  vorher  (1  1,  20)  !^#^- 
vatot  gesagt  war,  lag  eine  andere  Formel  desto  näher,  die  darum 
keinen  Unterschied  des  Gedankens  begründet.  Die  Stelle  ist  also 
unangetastet  zu  lassen. 


Über  die  Programme  von  M.  Wetzel  (Haben  die  Ankläger  des 
Sokrates  wirklich  behauptet,  daß  er  neue  Gottheiten  einführe? 
Braunsberg  1899)  und  F.  BeyschJag  (Neustadt  a.  H.  1900,  s.  o. 
S.  205)  vgl.  den  nächsten  Bericht. 

IVa.    Cyropädie. 

Ober  die  Cyropädie  ist  in  den  Berichtsjahren  nichts  Zu- 
sammenhängendes von  Bedeutung  erschienen;  über  einzelne  in 
diesem  Bericht   herangezogene  Stellen    (Vi  3,  57;    VII  1,  4,  VIII 


Xenoplion,  voo  R.  Ullrich.  209 

1,  25  u.  a.)  vgl.  S.  95,  164,  191,  200,   Abschnitt  V  (bes.  S.  215 
A.  2)  und  das  Stellenregister.     In  dem  Aufsatze  von 

53)  L.    Raderinacher,    Euripides    und    die    Mantik.      Rh.    Mas.    53 

(1898)  497—510 
findet  sich  S.  503  die  Bemerkung:  „Auch  X.  hat  seine  Zeit  be- 
griffen, wenn  er  dem  Kyros  Unterricht  in  der  Weissagekunst  er- 
teilen läßt,  damit  er  sich  selbst  zurechtfinde  und  nicht  in  der 
Hand  der  Seher  sei,  „falls  sie  ihn  hintergehen  wollten,  anderes 
kündend,  als  was  von  den  Göttern  angezeigt  wird14  (Cyr.  1  6,  2). 

V.  Zu  den  kleineren  Schriften1). 
(Alphabetisch  geordnet.) 

a)  'AyrjatlLaog. 

Vgl.  S.  66,  68,  84  f.,  202  uod  215  A.  2. 

ß)  *AnoXoyta  Zadxqcltovs. 

54)  Otto  Immisch,  Die  Apologie  des  Xenophon.     Neue  Jahrbücher 

für  das  klassische  Altertum  1900  (I)  S.  405—415. 

Räumlich  unmittelbar  an  Wetzeis  Aufsatz  (vgl.  S.  214)  an- 
schließend, verstärkt  nicht  nur  Verf.  in  dieser  „Deuterologie"  die 
Grunde  für  die  Verfasserschaft  Xenophons  durch  Erforschung  des 
sprachlichen  Bestandes,  sondern  erhebt  diese  „nahezu  zur  Ge- 
wißheit'4 —  „so  leid  es  einem44  (I.  fuhrt  das  nicht  näher  aus)  „um 
X.  tun  kann1'.  Von  dem  historischen  Werte  des  Her  mögen  es- 
Xenophon  sieht  er  dabei  ab. 

Immisch  hebt  zunächst  die  eigentümlichen  Schwierigkeiten 
hervor  in  bezug  auf  die  richtige  Erkenntnis  dessen,  was  attisch, 
was  xenophon tisch  sei2),  besonders  was  die  Wortgeschichte  anlangt: 
die  schwankende  Übergangsform  der  attischen  Prosa  zwiscbeu 
Thukydides-  Antiphon  und  Lysias-  Isokrates3),  die  persönlichen 
Lebensschicksale  der  Schriftsteiler,  besonders  Xenophons4),  seine 
sprachlichen  Eigenheiten  und  die  gleichwohl  geübte  Nachahmung 
der  Attizisten  *).  Dann  geht  er  zur  Beurteilung  der  Sprache  X.s  über. 

Für  sie  sind  besonders  wichtig  die  poetischen  Elemente 
oder    vielmehr    die    lonismen6),    die    nicht    bloß    auf  seinen 

l)  Aus  inneren  und  äußeren  Gründen  mußte  eioe  Anzahl  von  Ab- 
handlungen, die  sich  auf  die  kleineren  Schriften  Xenophons  beziehen  und 
im  Manuskript  schon  fertig  vorliegen,  für  den  nächsten  Jahrgang  zurück- 
gestellt werden.     Näheres  vgl.  S.  214. 

*)  Vgl.  G.  Kaibel,  Stil  und  Text  der  lloliitla.  lifhjvatajv  des  Aristo- 
teles, Berlin  1893,  S.  37  ff. 

*)  Hierbei  wird  auch  der  Fragmente  des  Sophisten  Antiphon  mit  Recht 
Erwähnung  getan  (vgl.  oben  S.  148  u.  Anm.)  und  auf  Blass'  sprachliche  Zu- 
sammenstellungen (a.  a.  O.  S.  4 — 9)  verwiesen. 

*)  Hierüber  schou  die  Alten,  Helladios  bei  Photios  Bib).  533b  25  (vo/jfTg 
statt  vo/u€as\)  und  Phryoichos  (über  68(1%  S.  89  u.  123  Lobeck). 

b)  W.  Schmid,  Der  Attizismus  in  seinen  Hauptvertretern  usw.  III  S.  347 
und  IV  655  (f. 

«)  Kutherford,  The  new  Phrynichus,  London  1881,  S.  165—174,  der 
die  Abweichungen  vom  Attizismus  verzeichnet;  vgl.  auch  Sauppes  Lexilogu* 
Xenophonteus  (1869)  und  Band  V  (S.  298)  seiner  Ausgabe. 

Jahresbericht«  XXX.  ]4 


210  Jahresberichte  des  Pbilolog.  Vereins. 

Aufenthalt  in  Gegenden  ionischer  Zunge  zurückzuführen,  son- 
dern wohl  auch  mit  den  Vorgängen  in  Verbindung  zu  bringen 
sind,  deren  Ergebnis  die  östliche  literarische  Kotvij1)  ist.  Eine 
Erforschung  ihrer  Ursprünge  würde,  bemerkt  Verf.  richtig, 
über  Epikur-Theophrast-Aristoteles  hinaufzugehen  und  besonders 
X.  ins  Auge  zu  fassen  haben,  was  er  an  einem  Beispiel 
zeigt  (iniXoyi&ad'cu,  Aristoteles  Ps.  Dem.  XLIV  34.  54  und  auch 
schon  Xen.  Hell.  Vll  5,  16).  Besonders  wichtig  wäre  zur  rich- 
tigeren Würdigung  sprachlicher  Eigenheiten  X.s  die  Vergleichung 
mit  den  IleQGixd  des  Ktesias,  dessen  Verlust  für  die  Altertums- 
forschung vielleicht  gleichgültig,  für  die  Sprachgeschichte  aber  um 
so  mehr  zu  bedauern  ist,  als  man  aus  den  spärlichen  Notizen 
der  Späteren  (Demetrios9),  Alian8),  Photios4))  über  seinen  Dia- 
lekt ersieht,  daß  sich  gerade  bei  ihm  —  vom  attischen  Stand- 
punkte aus  —  eine  Menge  von  vereinzelten  Ausdrücken  linden, 
die  zu  Xenophons  Wortschatz  stimmen  {iniQQVTog,  (xox&og,  ixis- 
XsTv,  ßkaxaveiv,  XmaQsXv),  so  daß  nicht  mit  Unrecht  Dionys 
von  Halikarnaß6)  aus  beiden  ein  Schriftstellerpaar  macht6). 
Dazu  gesellt  sich  der  dem  Xenophon  „geist-  wie  spracbverwandte" 
Taktiker  Aeneas.  Das  alles  ist  von  Bedeutung,  wenn  man  be- 
denkt, daß  die  dem  „Hellenismus  zustrebende  Mischsprache"  der 
Inschriften  loniens  im  4.  Jahrhundert  schon  bei  dessen  Be- 
ginn in  einem  geschichtlichen  Werke  als  Literatursprache  auf- 
getreten ist. 

Diese  einleitenden  Bemerkungen  (sie  nehmen  fast  die  Hälfte 
des  Aufsatzes  ein)  waren  nötig  —  man  wird  hier  1.  durchaus 
beistimmen  — ,  um  die  sprachlichen  Eigenheiten  in  die  „historische 
Beleuchtung44  zu  setzen,  da  es  mit  statistischen  Tabellen .  allein 
nicht  getan  ist.  Jetzt  wendet  sich  Verf.  zur  xenophontischen 
Apologie  selbst  (S.  41  Off.).  In  ihr  finden  sich  nun  tatsächlich 
Xenophontea  der  bezeichneten  Art  nicht  wenige,  so  daß  man 
•geradezu  ein  Raffinement  der  Stilnachahmung  annehmen  müßte, 
wollte  man  die  Schrift  Xenophon  absprechen.  Auch  I.  weist 
nicht  mit  Unrecht  (vgl.  Schanz,  Kommentar  zur  Apologie  S.  83)  auf 
die  berühmte  Beurteilung  Cobets7)  (suavissimum  Xenophontis  scrip- 
tum) hin,  der  doch  einer  der  besten  Kenner  griechischer  Prosa 
war    und   —  vielleicht   gerade    deshalb  —  die  Überlieferung  mit 


*)  Meister,  Dialekte  II  S.  82  ff.,  Hatzidakis,  Einleitung  in  die  neugrie- 
chische Grammatik  S.  169  ff. ;  K.  Dieterich,  Untersuchungen  zur  Geschichte 
der  griechischen  Sprache  (1898)  S.  271  ff.  und  die  Besprechung  von  A.  Thumb, 
Byz.  Ztschr.  IX  (1900)  S.  231—241,  bes.  S.  239. 

a)  IleQl  iQMV.  215. 

»)  Nat.  anim.  VII  1. 

*)  Bibl.  S.  45  a  7. 

*)  ütQl  awfr.  6v.  53  R. 

6)  Ober  Xenophons  Verhältnis  zu  Ktesias  vergleicht  I.  auch  R.  Hirzel, 
Der  Dialog  I  S.  166. 

7)  Variae  lectiones  *  S.  379. 


Xeoophoo,  von  R.  Ullrich.  211 

so  souveräner  Willkur  behandelte.  Ich  hebe  aus  f.s  Zusammen- 
stellung folgendes  hervor: 

Zu  beachten  ist  öiaaacffjvi^co  (§  1),  das  gerade  bei  Xenophon 
hier  wie  sonst  (Mem.  III  1,  11 ;  Hep.  Lac.  IV  3)  völlig  sicher  steht; 
xvÖQÖg  (29),  sonst  nur  bei  Dichtern  vorkommend,  findet  sich  in 
Prosa  ausschließlich  bei  X.  (r.  equ.  X  15  u.  16).  Mit  yeivctpivoig 
(20;  vgl.  Mem.  I  4,  7)  steht  er  wiederum  in  der  Mitte  zwischen 
Herodot  und  Aristoteles;  XmaqtXv  (vgl.  o.),  sonst  nur  vereinzelt 
nachweisbar,  hat  gerade  X.  wieder  mehrmals  (23;  Oik.  II  16 ; 
Hell.  III  5,  12;  s.  a.  Cyr.  I  4,  6).  Nicht  anders  steht  es  mit  dem 
sehr  häutigen  sv&vfisZa&ai  und  seinen  Ableitungen  (wiederum 
auch  in  Apol.  27),  evipQoavvri  (8),  dem  Substantiv  evixivfua,  das 
bei  sonst  seltenem  Gebrauch  doch  außer  Apol.  7  wenigstens  noch 
Cyr.  III  3,  22  begegnet,  dem  Verbum  äpcpiXiyco  *)  —  andere 
Ableitungen  auch  sonst  häufig  —  Anab.  I  5,  11  und  Apol.  12. 
Dazu  kommt  vnsqifiqüa  rvvoq  hervorragen  (15;  Mem.  III  5,  13, 
rep.  Lac.  XV  3.  8),.  7tQ0G€&i£ü)  (statt  des  Simplex)  25;  rep.  Lac. 
II  4;  Hipp.  I  17;  Cyr.  VIII 1,  36),  ßioxevw2)  (6;  auch  sonst  bei  X. 
sehr  häufig,  vgl.  Sturz  s..  v.).  Hierher  gehören  auch  seltene  Ver- 
bindungen wie  vqlea&ai  xivt  mit  Inf.  =  sich  bescheiden  gegenüber 
einer  R  o.  S;  (5;  Oik.  XII  14;  Anab.  VI  6,  31;  Hell.  VII  4,  9), 
roTg  ifiotg  evvoig  (27;  vgl.  Sauppe  Lexil.  S.  19)  u.  a.  m.  In  dem 
an  sich  auffälligen,  §  23  dreimal  hintereinander  begegnenden 
vnotipäa&cu  (Schätzung  des  Strafmaßes;  klassisch  simpl.,  &v%i- 
oder  %i\iäv  eavxw)  sieht  I.  einen  Beweis  dafür,  daß  der  seiner 
Heimat  früh  entfremdete  Schriftsteller  sich  von  dem  „Strome 
des  östlichen  Hellenismus"  hat  mitfortziehen  lassen  (Rhet.  ad  AI. 
30,  1437  a  16). 

Mögen  die  vorstehenden  Untersuchungen  übrigens  wirklich 
in  Einzelheiten  irren,  was  Verf.  selbst,  wie  natürlich,  nicht  ab- 
weist, den  Nachweis,  daß  die  angezweifelte  Apologie  den  sicher 
echten  xenophontischen  Schriften  gerade  in  sprachlichen  Eigen- 
heiten durchaus  entspricht,  hat  I.  mit  Erfolg  geführt,  so  daß  die 
Konsequenzen  für  den  Autor  sich  geradezu  aufdrängen  müssen. 
Hervorheben  will  ich  auch  noch  die  sorgsame  Benutzung  und  An- 
gabe der  einschlägigen  Literatur;  außer  der  oben  (S.  209u.210  Anm.) 


')  Vgl.  Suidas  s.  v.  und  G.  Kaibel,  De  Phrynicho  sophistt,  Gott.  1899, 
8.  17.  Eine  Anzahl  der  hier  besprochenen  Eigentümlichkeiten  sind  übrigens 
schon  von  H.  Richards  (The  Class.  Rev.  1898  S.  193  ff.)  hervorgehoben,  wenn- 
gleich ohne  nähere  Nachweise;  vgl.  u.  S.  214. 

2)  I.  findet  es  auch  bezeichnend,  daß  der  „Fälscher"  von  Mem.  IV  8,  der 
ja  die  Apologie  benutzt  hat  (vgl.  auch  Schanz  a.  a.  O.  S.  86),  statt  des  Idiotismus 
das  gewöhnliche  £rjv  (8)  gebraucht,  ebenso  für  das  kühne  öixaöTTjQia  (4)  das 
„zahmere"  Sixaaxal  (IV  8,  5),  während  IV  8,  7  der  ungewöhnliche  Ausdruck 
der  Selbstzufriedenheit  aydptvog  tfxavrov  (Apol.  5)  vermieden  ist,  der  aber 
ia  der  „echten"  Stelle  II  1,  19  steht.  I.  will  darin  einen  weiteren  Beweis 
'für  die  Uoechtheit  von  IV  8  sehen  (vgl.  Buresch,  Schanz  u.  a.),  gegen  v.  Wila- 
Bowitz,  Herrn.  1897  S.  105.     Vgl.  noch  oben  S.  201  Anm.  1  und  202  unten. 

14* 


212  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

angegebenen   findet  der  Leser  noch   manche  Schrift   verzeichnet, 
die  ihn  tiefer  in  die  sprachlichen  Probleme  dieser  Zeit  einführt. 

y)   7l(>6Jf. 
Vgl.  S.  214,  215  A.  2. 

Vgl.  S.  73,  202  u.  215  A.  2. 

55)  L.  Radermacher,    Kuripides   and   die  Mantik.     Rhein.  Mas.  53 

(1898)  S.  497-510  (vgl.  o.  Nr.  53). 

R.  stellt  Herodot  (VIII 77,  wahrscheinlich  gegen  Protagoras' 
xataßdXXovve<;  loyoi,  vgl.  Anm.  4)  und  Xenophon  als  die  Ver- 
treter der  gebildeten  Frommen  nebeneinander  und  schreibt  den 
Schluß  des  Hipparchikos  (9,  8  f.)  aus,  „das  Glaubensbekenntnis" 
des  Mannes,  den  die  Erfahrungen  seines  Lebens  zu  dieser  Ober- 
zeugung geführt  haben.  Ich  setze  die  Stelle  in  R.s  Wiedergabe 
vollständig  hierher,  weil  sie  für  den  „frommen  Mann"  besonders 
charakteristisch,  auch  weniger  bekannt  ist  als  ähnliche  Äußerungen 
in  den  häufiger  gelesenen  Schriften:  „Wenn  sich  einer  darüber 
verwundert,  daß  ich  so  oft  geschrieben  habe  mit  Gott  zu  handeln1), 
so  möge  er  wohl  wissen,  daß  er  sich  weniger  verwundern  wird, 
wenn  er  oftmals  in  Gefahr  geschwebt  und  gelernt  hat,  daß  im 
Kriegsfall  die  Gegner  Ränke  widereinander  schmieden  und  nur 
selten  wissen,  wie  es  mit  den  Anschlägen  steht2).  Da  vermag  er 
denn  keinen  Ratgeber  zu  finden  außer  den  Göttern.  Die  wissen 
alles  und  künden  es  vorher  an,  wem  sie  wollen,  in  Opfern  und 
Vogelzeichen  und  Sprüchen  und  Träumen.  Sicherlich  aber  sind 
sie  mehr  gewillt,  denen  Rat  zu  spenden,  die  sie  nicht  bloß  im 
Notfalle  befragen,  was  zu  tun,  sondern  auch  im  Glücke  nach 
Kräften  den  Göttern  sich  erkenntlich  zeigen"3).  Verstehen  übrigens 
die  Leser    wissenschaftlicher  Zeitschriften    kein  Griechisch  mehr? 

t)    JltQi  inmxijs. 
Vgl.  o.  Seite  73  und  215  A.  2. 

£)  KvvriytTixos. 
(Vgl.  auch  oben  S.  66  n.,  73,  80,  90  u.  215  A.  2.) 

56)  Herbert  Richards,  The  minor  works  of  Xeoophon.     XI.  T;he 

Cynegeticas.     The  Class.  Rev.  XII  (1898)  Sp.  382—391. 

R.  setzt  (vgl.  S.  211  A.  1)  seine  kritischen  Bemerkungen  zu 
den  kleineren  Schriften  Xenophons  fort.  Er  gibt  eine  Fülle  von 
Erklärungen  und  Verbesserungsvorschlägen  zu  der  neuerdings  viel 
umstrittenen  Schrift4),  im  ganzen  gegen  70,  von  denen  aber  kaum 
einige    sich  Bürgerrecht    im  Texte    erwerben  werden.     Immerhin 

>)  Deutsch? 

2)  Doch  wohl  richtiger:  wie  ihre  Anschläge  ausfallen. 
*)  Einfacher :  ehren. 

<)  Vgl.  besonders  G.  Kaibel,  Herrn.  1890  S.  581—597  und  L.  Rader- 
macher, Rheio.  Mos.  1896  S.  596—629  ood  1897  S.  13—41. 


Xenophon,  von  B.  Ullrich.  213 

werden  diejenigen,  welche  sich  mit  diesem  Buchlein  beschäftigen, 
aus  R.s  Bemerkungen  hin  und  wieder  Anregung  schöpfen,  sei  es 
auch  nur,  um  zu  dem  Schlüsse  zu  kommen,  wie  unnötig  Ände- 
rungen sind.  Ich  notiere  die  wichtigsten  Stellen:  I  3.  7.  17.  18; 
III;  III  3;  IV  4;  VI  8.  17;  Villi;  X  4;  XII  6.  15.21.  Am 
brauchbarsten  sind  hier  wie  in  der  oben  (S.  211  A.  1)  angeführten 
Abhandlung  R.s  aber  die  Apologie  die  sprachlichen  Nachweise. 
Der  Verf.  ist  in  der  griechischen  Prosa  belesen  und  weiß  geeig- 
nete Stellen  andrer  Schriftsteller  geschickt  zu  verwerten.  Am 
Schluß  wird  ein  weiterer  Artikel  versprochen,  der  R.s  Bemerkungen 
zu  Xenophon  vorläufig  abschließen  soll1). 

Der  neuste  Herausgeber  der  Schrift  (G.  Pierleoni,  Berlin 
1902,  Weidmann)  hat  von  der  Arbeit  des  Verf.  keine  Notiz  ge- 
nommen. 

57)  J.  van  Leeuwen,  Ad  Xenoph.  de  venat.  VIII  1.    Mnemosyne  N.  S. 
XXVIII  (1900)  S.  435. 

Man  soll  die  Hasen  aufspüren,  wenn  Schnee  die  Erde  zu- 
deckt; schwarze  Stellen  erschweren  die  Suche.  Dann  heißt  es 
weiter:  satt  64 j  oiav  pev  iniviyfi  xal  jj  ßoqeiov,  tä  %xVfl  €%<o 
noXvv  xqovov  örjXa,  ov  ydg  xa%v  avvwjx€Tai  •  iäv  de  voxiov  rs 
jl  xal  ijXiog  iniXdfmri,  oXlyov  xqovov,  %a%v  yäo  dict%$T%cu.  orav 
<T  imvicpri  ovv€X<*>$,  ovdiv  det*  imxaXvmst  ydq. 

v.  L.  weist  auf  die  Schwierigkeit  bin,  die  das  erste  imviyri 
dem  Verständnis  bereitet;  sie  ist  wohl  bemerkt  (so  von  Richards, 
vgl.  o.  Nr.  56,  Sp.  389,  welcher  (iq  für  (icv  lesen  wollte),  aber 
bisher  nicht  gehoben  worden.  L.  schlägt  enivicpfi  vor,  was 
dann  zu  qXiog  iniXdfjbnfi  einen  in  gleicher  Weise  passenden 
Gegensatz  gäbe  wie  ßooeiov  zu  votiov.  Die  Änderung  ist  ebenso 
einfach  wie  einleuchtend  und  darf  einen  hohen  Grad  von  Wahr- 
scheinlichkeit beanspruchen.  Pierleoni  (s.  o.  u.  Nr.  56)  hat  sie 
auch  im  Anhange  nicht  erwähnt. 

rf)  Aaxtdaipovltov  nokixeta. 
Vgl.  oben  S.  79,  95,  215  A.  2  und  das  Stellen  Verzeichnis. 

&)  Oixovofiixog. 
Vgl.  oben  S.  64  n.,  66,  68,  73,  76,  202  und  Anhang  S.  218. 

t)    UoQOt. 

Vgl.  S.  76,  180,  184,  202  und  Anhang  S.  215  A.  2  u.  218. 

x)  Zvpnooiov. 
Vgl.  S.  66,  84  und  202. 


')  Vgl.   The  Class.  Rev.  XIII  (1899)  198—200  und  342—349;  s.    dta 
nächsten  Jahresbericht. 


214  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Über  die  Abhandlungen  bzw.  Bemerkungen  zum  Agesilaos 
von  A.  Stockmair  (1900),  zur  Apologie  von  H.  Richards  (1898) 
und  M.  Weizel  (1900),  zu  Hieron  von  K.  Lincke  (1899),  zum 
Oikonomikos  von  L.  Ziehen,    F.  Cauer  (1899),    M.  Hodermann 

(1899)  und  J.  Bruns  (1900),  zu  den  flogot  von  A.  Pintschovius 

(1900)  und    zum   Symposion    von    A.  Graf  (1898),   J.  Bruns, 
G.  Fahnberg  und  L.  Parmentier  (1900)  vgl.  den  nächsten  Bericht. 

Anhang. 

C/£d-rjva£tov  noXirtia], 
Vgl.  oben  S.  66,  69,  151  Anm.  1. 

58)  Xeoophootis  de  re  publica  Atheniensium  qui  ioscribitur 
li bell us.  Recensuit,  apparatu  critico  iostruxit,  indice  verbonun 
adanxit  Ernestus  Kaiinka.  Editio  minor.  Viennae  1898.  In 
aedibus  Alfredi  Hoelderi.     II  u.  51  S.     8.     1,10  JC. 

Anzeigen:  A.  Martin,  Rev.  crit.  1899  S.  42 f.  —  B.  Büchsenschütz, 
WS.  f.  kiass.  Phil.  1899  Sp.  179—180.  —  Wiesenthal,  N.  phil.  Rdsch. 
1899  S.  82  f.  —  S.  Schoeider,  Eos  1899  S.  79  f.  —  W.  Nitsche,  Berl. 
phil.  WS.  1901  Sp.  129—133. 

Da  ich  Kalinkas  Ausgabe  der  früher  dem  Xenophon  zu- 
geschriebenen Id&qvaiwv  nolvzsia  in  der  Ztschr.  f.  d.  GW.  1899 
S.  234 — 237  eingehend  besprochen  habe,  kann  ich  mich  hier 
kurz  fassen. 

Die  vorliegende  kleine  Ausgabe  der  interessanten  Schrift 
$oll  die  Vorläuferin  einer  größeren,  mit  Kommentar  auszustattenden, 
sein.  Die  Einleitung  orientiert  kurz  über  den  Zweck  der  Schrift, 
der  nach  K.  ein  rhetorischer  ist  (doch  vgl.  a.  a.  O.  S.  235  und 
Nr.  59  S.  215  f.),  und  handelt  dann  eingehend  über  die  hs.  Ober- 
lieferung wie  über  den  gegenwärtigen  Zustand  des  Textes.  Den 
neueren  Versuchen  gegenüber,  durch  allerlei  philologische  Künste 
den  angeblich  arg  zerrütteten  Text  wiederherzustellen,  verhält  sich 
der  Herausgeber  mit  Recht  ablehnend.  Indem  er  den  Umstand, 
daß  die  Schrift  wahrscheinlich  das  älteste  uns  erhaltene  literarische 
Denkmal  attischer  Prosa  ist  (zwischen  430  und  424  v.  Chr.),  wohl 
beachtet,  hat  er  an  zahlreichen  Stellen  (an  etwa  60  weicht  er 
von  Kirchhoff  ab)  die  hs.  Lesart  wieder  zu  Ehren  gebracht. 
Andrerseits  verkennt  er  tatsächliche  Schäden  der  Überlieferung 
nicht  und  hat  auch  selbst  einige  Stellen  in  glücklicher  Weise  ge- 
bessert, >von  denen  ich  auch  hier  die  ansprechend  gestaltete  I  2 
Z.  1  f.  oti  dixaioag  aviod-i  (tf*)xeu(o*)  ol  nivyveg  ....  ix^v 
hervorheben  möchte. 

Außer  dem  reichhaltigen  Wörterverzeichnis  (S.  30 — 51)  ist 
eine  besonders  erwünschte  Zugabe,  die  ich  in  manchen  neueren 
Sonderausgaben  auch  xenophontischer  Werke  ungern  vermisse, 
die  S.  8 — 15  gegebene  chronologische  Übersicht  der  Literatur  zur 
l4&Tjvai(ov  nolnela  (bis  zum  Schlüsse  des  Jahres  1897).  Der 
von  K.  angekündigte  Kommentar,  dem  man  mit  Interesse  ent- 
gegensehen darf,  ist  inzwischen  noch  nicht  erschienen. 


Xeuophoo,  voo  R.  Ullrich.  215. 

59)  Eduard  Meyer,  Forschungen  zur  alten  Geschichte.  Zweiter 
Band:  Zur  Geschichte  des  fünften  Jahrhunderts  v.  Chr. 
Halle  a.  S.  1899,  Max  Niemeyer.     VIII  u.  554  8.     gr.  8.     15  JC. 

Anzeigen:  Athenaeuin  1900,  I,  S.  168  f.  —  H.  Pö'htmauu,  Lit. 
Zentralbl.  1900  Sp.  1325—1327.  —  E.  Heydenreicb,  Mitt.  a.  d.  hist. 
Lit.  1901  S  45.  —  S.  Schneider,  Eos  1901  S.  137—140.  —  H.  Swoboda, 
N.  phil.  Rdsch.  1901  S.  271—276.  —  E.  M.  Walker,  Class.  Rev.  1901 
Sp.  223—225.  —  H.  Francotte,  Bull.  bibl.  et  ped.  du  Mus.  beige 
1902  S.  55. 

Der  zweite  Band  von  Meyers  ,, Forschungen"  bildet  gleich  dem 
ersten  (1892)  eine  notwendige  Ergänzung  zu  den  entsprechenden 
Bänden  der  „Geschichte  des  Alterturas".  Vieles  von  dem,  was 
wir  dort  in  abgerundeter  Darstellung  finden,  wird  hier  in  kritischer 
Untersuchung  geprüft  und  bildet  z.  T.  die  Grundlage  des  größeren 
Werkes. 

Für  uns  kommt  hier  in  Betracht  der  kleine  zusammen- 
hängende Abschnitt  S.  401 — 406:  „Zur  Schrift  vom  Staate  der 
Athener"  (vgl.  auch  S.  187  A.  2  zu  I  19),  ferner  die  Behandlung 
einer  Anzahl  von  Stellen  aus  den  echten  Werken:  Hell.  I  6,  24 
(S.  161),  nÖQOi  IV  25  (S.  187),  Oik.  XVI  10  f.  (S.  189  A.  2),  die 
einem  größeren  Zusammenhange  eingereiht  werden  und  so  an 
Interesse  gewinnen.  Aus  praktischen  Gründen  bespreche  ich  auch 
sie  in  diesem  Abschnitt. 

In  seiner  Behandlung  der  Schrift  vom  Staate  der 
Athener  geht  M.  (S.  401)  von  der  Beschaffenheit  des  Textes 
aus,  den  er  (gleich  Kaiinka,  s.  o.  S.  214)  für  im  wesentlichen 
richtig  überliefert  hält,  nur  die  Stellen  I  5  fin.,  II  17  (der  zweite 
Satz)  u.  a.  sind  unheilbar1).  Der  leitende  Faden  tritt  überall 
deutlich  hervor.  Auch  am  Eingang  (1  1)  fehlt  nichts,  wozu  M. 
auf  die  entsprechenden  Anfänge  der  echten  xenophontischen 
Schriften  hinweist2).  Das  de  braucht  nicht  einmal  durch  die  hs. 
Anknüpfung  an  die  Aaxsöaiiioviwv  noXizeia  entstanden  zu  sein. 
Der  Autor  geht  gleich  in  medias  res. 

In  der  Frage  der  Tendenz  der  Schrift  (S.  402  ff.)  neigt  M. 
zur  Ansicht  Müller  ~Strübingss),  nur  sei  sie  nicht  ironisch  zu  nehmen, 

i)  Vgl.  Ztschr.  f.  d.  GW.  1899  S.  237. 

2)  So  Aax.  n.  (äkÜ)  (so  auch  2:  vuti.),  Olx.  {64  nort  «i)tow),  *Anol.  (öV),  die 
M.  gegen  Wilamowitz  für  echt  hält  —  s.  auch  o.  S.  210  ff.  — .  Meinorabilien, 
Hieroo,  Anabasis,  Agesilaos,  Helleuika,  Hipparchikos  und  Kynegetikos  (über 
dessen  Verf.  M.  nicht  urteilen  will)  geben  in  medias  res.  Nur  die  jüngsten 
Schriften,  Cyrop'ädie,  Reitkunst  und  IIoqoi,  haben  eine  Art  Prob'inium.  Diese 
Anfänge  sind  also  mit  allerlei  kritischen  Versuchen  zu  verschonen.  Es  darf  hier 
auch  daran  erinnert  werden,  wie  die  Attizisten  X.s  Brauch,  Schriften  mit  dilcc 
oder  Sa  anzufangen,  nachgeahmt  haben;  vgl.  W.  Schund,  Der  Attizismus  in 
seinen  Hauptvertretern  von  Diooys  von  Halikarnaß  bis  auf  den  zweiten 
Philostratus  Bd.  1  S.  180  f.  (Dio  Chrysostomos),  423  (Luciao,  dazu  Krüger 
zu  Xen.  An.  IV  6,  10);  II  301  und  304  (Aristides,  Krüger  zu  An.  V  6,  12); 
III  329  (Älian);  IV  54«  ff.  (Philostratus  II). 

3)  'A&rjvcttov  nolntto.  Die  attische  Schrift  vom  Staate  der  Athener. 
Untersuchungen    über    die  Zeit,    die  Tendenz,    die  Form    und  den  Verfasser 


216  Jahresberichte  d.  Philolng.  Vereins. 

wohl  sarkastisch,  aber  durchaus  ernsthaft,  von  praktischer,  politischer 
Tendenz.  Die  oben  (S.  66)  zitierte  Abhandlung  von  R.  Scholl1), 
der  den  „wissenschaftlichen"  Charakter  der  Schrift  betont  hatte, 
berührt  M.  nicht.  Der  Gedanke  III  8,  daß  die  Ordnung  des 
Staates  —  die  Demokratie  vorausgesetzt  —  nicht  anders  sein 
könne,  als  sie  ist,  zieht  sich  durch  die  ganze  Schrift.  „Sit,  ut 
est,  aut  non  sit".  Eine  sivo^ia  ist  bei  demokratischer  Grund- 
lage unmöglich,  die  ihrem  Wesen  nach  xaxovofiia  ist  (I  8.  4  u.  ö.). 
So  ist  die  Broschüre  gerichtet  gegen  Leute  von  der  Art  des  Theramenes 
oder  Thukydides,  die  „Bewunderer  der  ephemeren  Verfassung 
vom  Herbst  411  nach  dem  Sturz  der  Vierhundert".  Wer  nicht 
aus  dem  Volke  hervorgegangen  ist  und  doch  für  die  Demokratie 
eintritt,  trägt  sich  mit  schlimmen  Absichten  (II  19  f.).  Die  Hoffnung, 
durch  eine  Revolution,  mit  Hilfe  der  widerrechtlich  ihrer  bürger- 
lichen Rechte  Beraubten  eine  Verfassungsänderung  herbeizuführen, 
ist  aussichtslos  (III  10  in  Ergänzung  von  I  14:  vgl.  Thuk.  VIII  48 
und  64 *));  denn  die  wenigen  xq^azoi  reichen  dazu  nicht  aus; 
mit  der  Masse  der  Demokraten  aber,  denen  durch  die  Verurteilung 
ihr  Recht  geschehen  ist,  ist  nichts  auszurichten.  Verbindung  mit 
dem  Landesfeind8)  ist  das  einzige,  zwar  nicht  offen  ausgesprochene, 
aber  als  notwendige  Konsequenz  aus  den  Erörterungen  des  Verf. 
sich  ergebende  Mittel  zum  Sturz  der  Demokratie  (II  14  ff.  Land- 
angriff, Verrat).  Es  ist  das  Programm  der  radikalen  Oligarcben 
von  411  (Antiphon,  Phrynichos)  und  404  (Kritias).  Im  Grunde 
steht  M.  dem  Standpunkte  von  R.  Scholl  nicht  sehr  fern;  politische 
Literatur,  mag  auch  ihr  wissenschaftlicher  Charakter  betont  werden, 
hat  immer  die  Tendenz,  praktische  Wirkungen  zu  erzielen. 

Über  die  Zeit  der  Schrift  (s.  o.  S.  214)  äußert  M.  eine  von 
der  bisherigen  Annahme  abweichende  Vermutung.  Vielleicht  be- 
zieht sich  II  17  (die  Leichtigkeit,  mit  welcher  der  Demos  die 
Verträge  bricht  und  die  Verantwortung  auf  die  Unterhändler  ab- 
wälzt) auf  das  Verhalten  Athens  zu  dem  von  JNikias  und  Laches 
vermittelten  Frieden  und  Bündnis  mit  Sparta.  Zu  beweisen  ist 
dies  natürlich  nicht;  vgl.  daher  auch  die  vorsichtige  Ausdrucks- 
weise Meyers  in  der  Gesch.  d.  Alt.  III  S.  250,  wo  er  die  Bedeutung 
der  Schrift  nachdrücklich  hervorhebt  und  sie  geistvoll  zu  der 
Leichenrede  des  Perikles  (Thuk.  II  35—46)  in  Parallele  setzt. 


derselben.  Nene  Textrezension  und  Paraphrase.  Göttingen  1880  (Philologus 
Suppl.  IV  ]  und  2).  Vgl.  dazu  A.  Holm  in  Bars.  JB.  XXIII  S.  348  9*.  und 
K.  Schenkl  ebenda  LIV  8.  118  ff. 

1)  Die  Anfänge  einer  politischen  Literatur  bei  den  Griechen.  Festrede. 
Mönchen  1890,  Verlag  der  Kgl.  bayer.  Akademie.  Vgl.  besonders  S.  14  ff,  23  ff. 

2)  M.  folgt  hier  v.  Wilamowitz  (Ind.  Goettiog.  aest.  1885  S.  6  Anm.  2), 
der  §  5  mit  Dionys  t^v  vnovlov  evvofxiav  liest  (Hss.  uvrovo/niav),  und  findet 
den  Gedanken  von  Mülier-Strübing  (a.  a.  O.),  in  Phrynichos  (dem  Führer  der 
Vierhundert)  den  Verfasser  zu  sehen,  „gar  nicht  so  übel,  da  sie  seine  An- 
schauungen in  der  Tat  wiedergibt".     S.  a.  Gesch.  d.  Alt.  IV  S.  578. 

3)  Vgl.  dazu  oben  S.  176. 


Xeoophoo,  vod  R.  Ullrich.  217 

Zum  Schluß  (404  ff.)  bespricht  M.  noch  drei  Stellen.  II  1 
xai  luv  psv  noXefiloav  ^ttovq  ts  Gtpäq  avrovg  fjyovvTai  xai 
pel£ovg  ist  nicht,  wie  meist  angenommen,  korrupt  und  wird 
durch  die  bei  Her.  I  202  6  ös  'Aqü^s  XtysTCu  xai  fjbs^cov  xal 
sicca Gwv  elvai  %ov  "Iötqov  begegnende  entsprechende  Redensart, 
die  eine  „ungefähre  Gleichheit41  bezeichnet,  gestutzt  (Stein  z.  St. 
nicht  richtig);  auch  das  xai  zu  Anfang,  das  M.  streichen  möchte, 
halte  ich  für  echt;  die  Stelle  wird  dann  (S.  405)  mit  einigen 
Worten  treffend  umschrieben.  —  Über  I  13,  eine  Stelle,  die  mit 
II  10  im  Widerspruch  zu  stehen  scheint,  äußert  sich  M.  mit 
Recht  sehr  vorsichtig:  „Sie  wird  sich  auf  eine  uns  unbekannte 
Maßregel  beziehen,  durch  die  sich  die  vornehmen  Herren  chikaniert 
fühlten44.  —  An  II  18  endlich  (xüopMÖeTv  xai  xaxäg  Xeysw)  ist 
kein  Anstoß  zu  nehmen,  da  die  Worte  nicht  im  Widerspruch  mit 
den  uns  erhaltenen  Komödien  stehen,  was  mit  Hinweis  auf  Arist. 
Ach.  515  ff.  und  Equ.  (im  allgemeinen  wie  besonders  auf  den  Schluß) 
kurz  und  gut  begründet  wird.  Die  anschließende  Bemerkung 
übrigens  (II  18  Mitte:  oXiyoi  de  xiveq  rcov  ttsviJtcov  xai  ran> 
drjpoTixwv  xcofiMÖovvTai  xai  ovo1  ovxoi  iav  fiij  diä  noXv- 
nQayiioavvijp  (Wichtigmacherei!)  xai  dtä  %6  XßixeXv  nXiov  t* 
V%«*v  zov  öyfiov)  möchte  Verf.  auf  Sokrates  beziehen,  der  ja 
423  von  Aristophanes  und  Ameipsias  auf  die  Bühne  gebracht 
worden  war.  Wenn  diese  Vermutung  richtig  ist  (ansprechend  ist 
sie  mindestens  und  gewiß  wahrscheinlicher  als  die  zu  II  17  ge- 
äußerte), würde  man  tatsächlich  die  Schrift  zeitlich  etwas  weiter 
hinabrücken  müssen,  indessen  nur  um  wenige  Jahre,  so  daß  von 
Seiten  der  sprachlichen  Form  Bedenken  nicht  entgegenstehen 
würden  (vgl.  auch  o.  S.  151  A.  1). 

Ich  schließe  die  Besprechung  der  oben  angegebenen  Stellen 
aus  den  echten  xenophontischen  Werken  an.  In  dem  Abschnitt 
über  „Wehrkraft,  Bevölkerungszahl  und  Bodenkultur'1  Anikas  (S.149 
—  1 95)  kommt  M.  unter  Nr.  1  (Die  Armee  und  die  drei  oberen  Klassen, 
S.  149 — 168)  S.  161  darauf  zu  sprechen,  wie  die  Athener  in  der 
Auswahl  ihrer  Truppen  immer  anspruchsloser  werden  mußten,  je 
größer  die  Not  im  Verlaufe  des  Krieges  wurde1).  Die  Kriegs- 
rüstung für  die  Arginusenschlacht  406,  „das  Ende  der  Entwicklung4', 
bringt  alles  als  Matrosen  auf  die  Schiffe,  auch  Angehörige  der 
oberen  Klassen  (slasßijaav  de  xai  tcov  Inneoav  nolXoi,  Hell. 
I  6,  24).  Unter  diesen  war  gewiß  auch  Xenophon,  der  „deshalb 
die  Arginusenschlacht  ebenso  anschaulich  schildern  kann  wie  den 
ionischen  Feldzug  des  Thrasyllos  (Schwartz  a.  a.  O.)  und  die  Vor- 
gänge in  Athen  unter  den  Dreißig"  (s.  o.  S.  179).  —  In  dem- 
selben Abschnitt,  Nr.  4  (Die  Sklavenzahl,  S.  185—189)  bandelt  es 
sich,   hauptsächlich  im  Zusammenhang  mit  den  Forschungen  von 


!)  Dabei  Hinweis  auf  Hell.  I  1,  34  und  I  5,  20. 


218  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

J,.  Beloch1)  und  Ciccotti8)  um  die  schwierige  Feststellung  der 
Sklavenzahl  in  Attika.  M.  warnt  vor  Überschätzung.  Xenophon, 
aus  Anlaß  seines  bekannten  Vorschlages  (354),  der  Staat  solle 
Sklaven  aufkaufen  und  für  die  laurischen  Bergwerke  in  Pacht 
geben,  rät,  damit  bis  zu  10  000  zu  gehen;  doch  könnten  die 
Bergwerke  noch  ,,sebr  viel  mehr  als  diese4'  (nollanldöia  tqv- 
tcov,  IIoqoi  IV  25)  beschäftigen.  IV  14  werden  Beispiele  an- 
geführt, welche  Mengen  von  Sklaven  reiche  Männer  in  den  Bergwerken 
beschäftigten.  Es  gab  also  wohl  viele  Tausende,  aber  keinesfalls 
viele  Zehntausende  von  Sklaven  damals  —  im  5.  Jahrhundert  — , 
während  die  Zahl  im  vierten  gewaltig  gesunken  war.  Die  Theten 
besaßen  im  allgemeinen  keine  Sklaven,  von  den  Zeugiten  wenig- 
stens die  Mehrzahl  mindestens  je  einen,  wozu  *A&.  nol.  I  19 
verglichen  wird :  Die  Burger  lernen  rudern  . . .  xai  avxov  xal 
xov  oIxsttjv  (S.  187  u.  A.  2).  —  Unter  Nr.  5  endlich  (Die  Boden- 
kultur, S.  189 — 195),  wo  sich  ergibt,  daß  Boeckh  (Staatshaushalt 
I2  108 ff.)8)  die  landwirtschaftlichen  Verhältnisse  Anikas  nicht 
richtig  beurteilt  hau  wird  auf  Oik.  XVI  10  ff.  hingewiesen,  wonach 
Brache  und  Saat  jährlich  wechselten. 

Meyers  Untersuchungen,  besonders  die  zu  Hell.  I  6,  24  und 
zur  Id&qvaiüiv  noXneia,  tragen,  wie  fast  alles,  was  dieser  aus- 
gezeichnete Forscher  in  den  Kreis  seiner  Betrachtung  zieht, 
wiederum  dazu  bei,  unser  Wissen  von  den  hier  behandelten 
Fragen  teils  weiter  zu  fuhren,  teils  wenigstens  zu  klären.  Und 
auch  da,  wo  nur  Vermutungen  geäußert  werden,  wie  besonders 
bei  der  Behandlung  der  schwierigen  Probleme  der  politischen 
Flugschrift,  sind  sie  ebenso  ansprechend  begründet,  wie  sie  andrer- 
seits nicht  mit  dem  Anspruch  der  Unfehlbarkeit  auftreten,  der 
uns  oft  bei  anderen  Gelehrten  unserer  Tage  begegnet.  Man  hat 
auch  hier  das  Gefühl,  einem  Fuhrer  zu  folgen,  auf  den  man  sich 
verlassen  kann. 


Folgende    Schriften    (vorwiegend    ausländische)    haben    dem 
Berichterstatter  nicht  vorgelegen : 

I.  Allgemeines. 

A.  Texte. 

:1)  Xenophon.  Opera  omnia.  Recognovit  brevique  adnotatione  critica 
instroxit  E.  C.  Marchan t.  Toinus  1.  Historia  Graeca.  Oxonii 
1900,  Clarendon  Press.     8.     3  sh. 

Anzeigen:     L.  Parmentier,    Rev.   de    l'iostr.    pnbl.    eo  Belg.,    1900 
p.  336.  —  H.  Richards,  Class.  rev.  1900  Sp.  415—417. 


1)  Die  Bevölkerung  der  griechisch-römischen  Welt,  1886,  S.  84 ff. 

2)  Del    numero    degli   schiavi    oell'    Attica,    Reodiconti    dell'   Istituto 
Lombardo,  1897  Ser.  II,  vol.  30. 

VIS.  97  ff. 


Xenophon,  von  R.  Ullrich.  219 

2)X6nophon,  CEuvres  completes.  Trad  actio  n  nouvelle,  avec  uoe 
introduction  et  des  notes,  par  E.  Tal  bot.  6«  edition.  2  voll. 
Paris  1900,  Hachette  et  Co.     LIX,  588  u.  548  S.     16.     1fr. 

B.  Abhandlu  ugen. 

3)  L.  Venturini,    Alcuoi    appunti   intorno  alla  donna   io  Seno- 

foote.     Read.  d.  R.    Ist.    Lombardo    di   scienze    e   lettere.     Ser.    II, 
vol.  31,  fasc.  9. 

4)  E.  Michelangeli,  La  doona  io  Senofonte.     Bologna  1899,  L.  Ad 

dreoli,  133  S.  —  Vgl.  V.  Costaazi,  Riv.  di  fil.  1900  S.  319.  —  G.  Tropea^ 
Riv.  di  stör.  ant.  1900  S.  145-147. 


II.  Anabasis. 

5)* Xenophon  Anabasis.  Book  4.  Edited  with  introduction,  notes,  voca- 
bulary  by  G.  M.  Edwards.  London.  J.  C.  Clay.  144$.  12. 
1  sh.  6  d.  —  Book  5,  ebenda,  1900.     128  S.     12.     1  sh.  6  d. 

6)  Xenophons    Anabasis,    für    den    Schulgebrauch    herausgegeben    von 

R.  Hansen.  1.  Bändchen.  Buch  1  und  II.  5.  Auflage.  Ausgabe  B: 
Text  und  Kommentar  getrennt  in  2  Heften.  Gotha  1900,  F.  A. 
Perthes,  III,  47  und  56  S.,  mit  einer  Karte,     gr.  8.     1,20  JC. 

7)  Xenophon    Anabasis.      Books  I,    II.      Ed.    by    E.    C.    Marchant. 

London  1900,  Bell.     18.    je  1  sh.  6  d. 

8)  Xenophon  Anabase.    Livre  I.    Texte  grec,  revu  et  annote,  ä  l'usage 

des  classes,  par  E.  Per r in.     3®  edition.    Paris  1900,  Hachette  et  Co., 
83  S.  et  uoe  carte  de  l'Anabase,  18.     75  c. 
,  9)  F.    F.    G.    Fischer,    Vocabularium    op     Xenophons    Anabasis, 
met  een  kaartje.    Groningen  1899,   J.  B.  Wolters.    136  S.    1  fl.  40  c. 


III.  Hellenika. 

A.  Ausgaben,  Übersetzungen. 

10)  Books  I.,  IL,  III.    Literally  traoslated  into  Eoglisch  proseby  R.  Monga  n. 

London  lb98,  Cornish.     12.     2  sh.  6  d. 

1 1 )  X  e  d  o  p  h  o  b  H  e  1 1  e  n  i  c  a.    Books  1.  II.   Edited,  with  introduction,  notes 

by  G.  M.  Edjwards.  Cambridge.  Univ.  Press.  216  S.  12.  3  sh.  6  d. 
—  Vgl.  Atbenaeum  1899  I,  S.  272.  —  J.  P.  Postgate,  Class.  Rev. 
1899  Sp.  409.  —  A.  Martin,  Rev.  crit.  1900  S.  62—63.  —  M.  Hoder- 
mann,  N.  phil.  Rdsch.  1900.  S.  145—146.  —  G.  Valetot,  Rev.  d. 
phil.  1901    S.  72. 

12)  Xenophons    Hellenika,    für   den   Schulgebrauch  von  R.  Grosser. 

2.  Bdch.  Buch  HI  und  IV,  2.  Auflage  besorgt  von  E.  Ziegeler.  Aus- 
gabe B.  Text  und  Kommentar  getrennt  in  2  Heften.  Gotha  1900, 
F.  A.  Perthes.  VI,  60  und  33  S.  gr.  8.  1,20  Jt.  —  Vgl.  M.  Hoder- 
mann,  N.  phil.  Rdsch.  1900  S.  50. 

13)  linder hi  11,  G.  E.,  Acommentary  with  introduction  and  appendix  oo 

the  Helle nica  of  Xenophon.  Oxford  1900,  Clarendon  Press.  XCVI, 
378  S.     7  sh.  6  d. 

Anzeigen:  H.  Richards,  Class.  Rev.  1900  Sp.  415— 417.  —  W.  Voll- 
brecht, WS.  f.  klass.  Phil.  1900.  Sp.  1276-1279.  —  H.  G.,  Rev. 
des  etud.  gr.  1900  S.  414—415. 

14)  Xenophftntis     Historia     Giaeca      rec.    E.    C.  Marchant.      Vgl. 

s.  n.  I  1. 


220  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

ß.  Abhandlungen. 

15)  Arturo    Solari,   Senofonte,  Hellenica  1  6,29.   Riv.  di  stör.  ant. 

IV  (1899)  S.  466—469. 

16)  A.    Solari,    L'elezione    di    Agesilao   e   i    partiti    politlci    in 

Sparta,     ßibliot.  delle  scuole  italiane  IX  (1900). 

IV.   Memorabilien. 

17)  Le  memorie  Socratiche,  comnientate  da  A.  Corradi  e  C.  Landi. 

Parte  II,  libri  IN  et  IV  (Collezione  di  classici  greci  e  iatini  con  note 
italiane),  Torino  1900,  Loescher.     168  S.    8. 

Anzeigen:  J.  Bridez,  Rev.  de  l'instr.  pobl.  en  ßelg.  1900  S.  108. 
—  A.  Hauvette,  Rev.  crit.  1900  S.  253.  —  O.  Güthling,  WS.  f.  klass. 
Phil.  1900  Sp.  375—376.  —  A.  Bersano,  Riv.  di  fll.  1900  S.  342— 
344.  —  P.  Cesareo,    Boll.  di    fil.  class.  VII  (1900/1901)   S.  196—198. 

18)  Af   en    ßrevvexling.     Meddelt    af   O.  Siesbye.     Mein.  1116,4. 

Nordisk  Tidsskriit  für  Fiiologi  1900    S.  100  f. 

19)  C.    Piat,     So c rate    (Les    grands    philosophes).      Paris    1900,    Alcan. 

270  S.  5  fr.  —  Vgl.  L.  Parmentier,  Rev.  de  l'instr.  publ.  en  ßelg. 
1900   S.  330—333. 

20)  P.  Landormy.     Les  philosophes.    Socrate.    Paris  1900  Delaplane, 

141  S.  —  Vgl.  L.  P(armentier),  Rev.  de  l'instr.  publ.  en  Belg.  1901 
S.  46—47. 

IVa)   Cyropädie. 

21)  Losschaert,    R.  P.  B.   Cyropedie    de    Xenoph(on,    livre  I.     Paris 

1898,  Ch.  Poussielgue.     96  S.     16.     1  fr.  20  c. 

22)  Xenophon,  Cyropedie  par  Ragoo.    Livre  II.    Paris,  Ch.  Poussielgue. 

72  S.     75  c. 

V.    Kleinere  Schriften. 

1.  Agesilaos. 

23)  Senofonte,  Agesilao,  teste  con  note  italiane  di  C.  Canilli.  Milano, 

Albrighi,  Segati  e  Co.  67  S.  8.  —  Vgl.  V(almaggi),  Boll.  di  fil.  class. 
VI  (1899/1900)  S.  68-69.  —Vgl.  O.  Güthling,  WS.  f.  klass.  Phil.  1900 
Sp.  59—60.  —  A.  Levi,  Riv.  di  fil.  1900  S.  114. 

2.  Oikonomikos. 

24)  Xenophon,  Ecooomique.    Texte  grec,  accompagne  d'une  introduction, 

d'une  aoalyse  de  l'ouvrage  complet  et  de  notes  en  francais  par 
Ch.  Graux  et  A.  Jacob,  2°  tirage.  Paris  1900,  Hachette  et  Co. 
180  S.    16. 

25)  Xenophon,   Ecooomique.      Explique    litteralement    et    annote    par 

M.  de  Parnajon.  Traduit  eu  francais  par  M.  Talbot.  Paria 
1900,  Hachette  et  Co.     317  S.     16.    3/r.  50  c. 

26)  Xenophon,  Ecooomique.      Traduction    francaise,    avec   le   texte  en 

regard,  par  E.  Talbot,  revue  et  annotäe  par  M.  de  Paraajon. 
Paris  1900,  Hachette  et  Co.     154  S.     16.     1  fr.  25  c. 


Xeoophon,  von  R.  Ullrich. 


221 


Verzeichnis   der  besprochenen   Stellen1). 


A.   Aus  Xenophon. 


aj 

Auabasis. 

Buch  I. 

Seite 

Buch  II. 

Seite 

5,14 

149 

Seite 

1,1     139.  215 

6, 

100. 

155 

1,2 

158 

2    115.  161 

10 

116 

3 

136 

6.  7      112 

7,2  110.122 

.160 

7 

111 

7        120 

3 

116. 

122 

10 

144.  149 

8    114.  136 

5 

116. 

160 

12 

140 

10   121*.  160 

5—7 

140 

17 

119 

2,  1    111.  115. 

6 

161 

21 

143 

159* 

7 

144 

22 

129 

3        115 

8 

116 

23 

129.  158 

5        114 

9 

99 

2,1 

120.  131 

6        110 

10-12 

165 

3 

120.  129 

9  115.116.160. 

12 

116 

8 

141 

165.  166 

13 

116 

13 

120.  129 

11—27    100 

16 

116 

20 

141 

17    140.  143 

18 

137 

8,3 

113.  122*. 

20   115.  121. 

20 

153 

124 

128 

8,  1-3 

139 

7 

112 

21   111.  120. 

1 

109. 

114 

8 

116 

121.  158.  159 

2 

143 

10 

119 

22       114 

4 

116 

13 

112 

23       113 

4—7 

143 

16 

158 

8,7    111.  159 

8— 2S 

139 

19 

110 

8    112.  162 

9 

116. 

158 

28 

120.  131 

16       120 

10 

144 

4,  lff. 

95.  96 

17    109.  112 

11 

143 

3 

109.  114 

19       158 

13 

143. 

166 

6  116.128.162 

21       113 

15 

165 

8* 

120 

4,2        112 

20 

145 

9 

120 

4  113.  117.161 

21  109.110.143 

12 

112.114.158 

5    121*.  160 

22 

143 

14 

99 

7        111 

24 

165. 

166 

16 

136 

8  120.  129.  163 

26 

161. 

163 

17 

97 

9        116 

9, 

150 

24* 

120 

11       112 

4 

124. 

161 

26 

113 

12   116.  120*. 

10 

124. 

161 

27 

111 

140 

14 

111 

5,4 

99 

15   113.  114. 

15 

113 

5 

113 

121.  158 

18 

113. 

159 

7  "i 

7.109.  111. 

17       110 

19* 

120. 

163 

112 

18       113 

23 

112 

8* 

122f. 

5,          100 

31 

117. 

160 

124.  160 

1—3      141 

10,1 

161 

10 

113.121.158 

3        129 

3 

116 

11 

116 

7        140 

5* 

114 

13 

109 

9    158.  160 

12 

164 

15 

99.  117 

11   113.  159*. 

18 

119. 

160. 

16 

100 

211 

161 

18 

158 

11—17    140 

19 

161 

25 

100 

Seite 

5,  27  116.  158 
28  109 
32  f.  139 
37  111 
40       120 

6,  1—15  141.  150 
2  109.  144 
6   111.  122*. 

124.  160 

10  109.  114 

11  117*.  159 
16—29*  146  ff. 
19  111 
21  121 
25   119.  163 


Buch  III. 

1,  142 

3  143.144.158 

4  120 

5  ff.  65 
9  109 

12  136 
21  109 

25  113 

26  99.  111 
30  109.  121 

34  113.  114 

35  122*.  160 
43  114.  158 

2,  100.  140 
9  143 

13  109 

14  113 
18  181 
20  111 
26  114.  162 
33  113.  164 

35  111 

36  97 

37  65.  96 
S,  5  136 

9  111 

11  160 

12  158 
20  153 
30  120 

4,  10  97.  110 


*)  Die  ausführlicher  behandelten  siod  mit  *  bezeichnet. 


222 


Jabreiberichte  d.  Philolog.  Vereins. 


Seite 

Seite 

Seite 

Seite 

4,13 

120. 

*124 

5,  4  (bis)     109 

2,26 

129 

4,12 

121 

16 

162 

9        140 

32 

153 

18 

113.  119 

21 

114. 

134 

13       145 

3,4  120.160.165 

22 

113.  114 

23 

113 

16—18    139 

7 

117 

5,9 

94 

24 

113 

20       160 

4,6* 

121 

19.  20    118 

-  30 

113. 

161 

23       120 

15 

116.  160 

24 

113 

33* 

158 

25—33    143 

21 

158 

30* 

123 

43 

116 

27   3124.  161 

26 

112.  163 

6,16 

123 

46 

75 

29—33    139 

27 

159 

19 

158 

-48 

117. 

160 

30*      119 

29 

158 

29 

110 

M 

161 

35        97 

34 

113 

31 

211 

■■■■4 

116. 

119 

6,         158 

5,  17 

124.  159 

34 

118.  158 

:  •  :5  • 

111 

1  116.128.160 

20 

123 

17 

120 

3        128 
10       215 

6,2 

12 

111 
215 

Buc 

h  vn. 

11       158 

18 

*123.  160 

1,17 

110.  119 

,   ßac 

h  IV 

12       160 

20 

110 

32 

114 

i,7 

139 

15       112 

21 

129 

2,2 

114 

>  11  113.144.158 

19       109 

36 

129 

13 

114.  129 

r  16 

145 

22       129 

7,2 

116.  *117 

18 

119 

20 

97 

7,2        113 

5 

111 

29 

113 

22* 

159 

12       109 

6* 

123 

»,? 

HO.  162 

24 

121. 

131 

13  f.      139 

8 

158 

9* 

123 

26 

145. 

165 

16    130.  139 

19 

118 

14 

114.  163 

2,3 

121. 

160 

19   100.  *117. 

25 

118 

21 

112 

4 

119. 

144 

160 

8,1 

120.  162 

22 

109 

5 

163 

22—26    140 

13 

158 

44 

158 

6 

144 

8,  6    109.  162 

20 

113 

46 

116 

12 

158 

7        111 

25 

113 

4,16* 

118 

14 

144 

9.  10      94 

18* 

114.  134 

15 

123. 

143 

11   *124.  160 

5»* 

114 

17 

159 

12       113 

Böen  Yl. 

6,10 

99 

19 

116 

14       140 

1,5 

161 

23 

136 

20 

97 

26—28    140 

8 

110 

30 

163 

23 

139 

27  97.118.134 

20 

162 

33 

129 

28 

165 

32 

158 

37 

111.  124. 

3,1 

109. 

161 

Buch  V. 

33 

128 

159.  161 

4 

120 

1,4        121 

2,1 

115 

38 

165 

10 

159 

10       162 

10 

113.  158 

7,2 

125 

16 

110 

11       116 

13 

163 

3 

121 

17 

*123. 

160 

12       128 

16 

111 

24 

165 

4,11 

163 

16       161 

17 

118 

31  (bis)    111 

,  12 

75 

2,  1        161 

3,24 

HO 

43 

111 

14 

116 

6        116 

4,1 

99 

8,7 

115.  118 

16 

161 

15       111 

2 

116 

9 

125 

5, 

158 

17       117 

6 

111 

11* 

125 

l 

130 

21       117 

7 

113.  132 

16 

125 

3 

121 

23       161 

10 

1141   26 

111 

i 

b)  Hellenika. 

11,1 

215 

I  1,  29  188.  189 

I  3,1 

179.  180 

I  6,24 

192.215. 

6 

187 

30     187 

1- 

-13   181 

217.  218 

18 

187 

30.31   188 

4,3 

191 

7,8 

191 

26- 

-31 

187 

34     217 

21 

169 

n  1,10 

179 

27 

188 

2,1   179.  180 

5,20 

217 

2,2 

191 

27- 

-29 

187. 

5—11   181 

6,1 

179 

3,* 

171  f. 

188 

14—17  181 

2., 

S     92 

1 

179.  180 

Xenophoo,  voo  R.  Ullrich. 


223 


Seite 

Seite 

Seite 

Seite 

II  3,12             173 

[112,20             115 

V  2,22ff. 

183 

VI  6,  51.52       117 

13f.   174.176 

25             114 

34 

183 

VII  1,33            186 

17.  18      172. 

4,2               189 

41 

182 

1,39            186 

173 

22             181 

3,8* 

189 

41  f.         186 

19     85.  172. 

5,  12            211 

4,8 

192 

2,                  72 

173 

25             184 

4,25 

72 

3,1              186 

20             174 

IV  1,3                72 

35 

191 

11            186 

21             178 

3—15         92 

VI  2,  7 

184 

4,9             211 

40             174 

30  ff.           72 

10 

184 

4,10           186 

42             176 

30             192 

3,11 

192 

35. 39      186 

54             174 

2,16             181 

4,10 

181 

40            186 

4,*            171  ff. 

3,17.18       182 

24 

19U 

5,4.5          I8fc 

1     175.  178. 

8,18             181 

.    36  f. 

72 

16            210 

.     2               175 

V  1,20             189 

5, 10  f. 

186 

18            185 

1111,5               181 

2,13             183 

19 

185 

19       95.  96 

2,9               190 

15             183 

20  ff. 

186 

7, 29            190 

18             191 

17             183 

23  ff. 

186 

c)  Memorabilieo. 

I   1,       197  f.  199. 

I  2, 48  ff.          201 

II  3, 

I94f. 

III  13, 6            194 

1       208.  215 

49—55      198 

5, 

194  f. 

14,             194  f. 

2              207. 

56             205 

6, 

194  f. 

3             204 

6  f.             207 

56.57        198 

31 

136 

IV                     201 

.      16              200 

58           205  f. 

33 

194 

1,                 194 

20             208 

59. 60        206 

7, 

194 

2,                  194 

2,       194.  197  f. 

62—64      198 

8, 

194 

24            204 

199 

3,5                137 

10, 

194 

3,               194  f. 

1                208 

4,    87.201.  203. 

1111,11     194.211 

4,         150.  194 

9  ff.            206 

2                194 

4, 

194 

25             204 

11              198 

7,                 211 

5,           8' 

r.  194 

6, 1               194 

12             207 

5,                 202 

13 

211 

7,                  194 

19—23      198 

7,                 202 

21 

206 

8,                  211 

22              199 

II   1,7               194 

6, 

194 

4-10       201 

24              194 

19             211 

9,10 

206 

5.7.8.      211 

32             137 

21—34       87 

10,1 

194 

41  ff.          150        2,              194  f.         11, 

194 

d)   Cyropädie. 

I    1,1                215 

I  6,  2             209 

VII  1,  4 

164 

VIII  1,36         211 

3, 9               207 

1113,22           211 

VIII  1,  25 

191 

8,              202 

4,6                211 

VI  3,  57              95 

e)   Zu  deo  kleineren  Schri 

ften. 

Seite 

Seite 

Seite 

Seite 

Seite 

a)  IdyijaiXaog. 

15               211 

€)  Dfgl 

6,8. 

17       213 

11,7              181 

1, 1             215 

20                211 

tnnixijg. 

8, 1  (bis)     213 

12,                 95 

7              184 

23  (bis)       211 

1                  215 

10,4 

213 

13, 6             95 

23  f.         181 

25.27.29    211 

15.16         211 

12,6. 

15.21 

15,3.8        211 

2, 24           186 

y)  'Mqiov. 

C)Kwrjy(Tixog. 
1,                  80 

213 
rj)  Aaxtöaifio- 

&)  Oixovo- 

ß)  *dnoloyCa 

1,1             215 

1             215 

vCmv  noXneCa. 

[11X0$. 

ZwxQajovg. 

3.7.17.18 

1,1 

215 

1,  1              215 

1         211.  215 

dflnnctQXixoQ. 

213 

2,4 

211 

2,16           211 

4                 211 

1,1              215 

2, 1             213 

4,3 

211 

12,14         211 

5.6.7.8      211 

17            211 

3, 3             213 

10,1 

184 

16, 10  ff.     215. 

12               211 

9,8 

f.           212 

4,4 

213 

11, 

75 

218 

224 


Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 


Seite 
*)  TIoqoi. 


1,1 

4,14 
25 
43 

5,9 


215 
21S 
215.218 
180 
184 


Seite 
x)  2v[m6giov. 
1,1  215 

Anhang. 

TioXireta.] 
1, 1  215 


1,2 
4 

5fin 
8 
13 
14 


Seiee 
214 
216 
215 
216 
217 
216 


1,19 

2,1 
10 
14  IT. 


Seite 
218 
217 
217 
216 


17  215.216. 
217 


Seite 
2, 18  (bis)  217 

19f.  216 
3, 8     216 

10     216 


Seite 
Aeliao.  nat.  an. 

VII  1  210 

Aesch.  Tim.  173 

207 
Andok.  1  90  204 
Antipb.  soph. 

frgm.A— F  148  f. 
Aristoph.  Ach. 

515ff.  217 

Ar  ist.  *A&.  noX. 

34,3—38    171  ff. 

34, 3  172 

35, 1  176 

3  172.  173 

4  172 
36,1             172  f. 

2      85.   172  f. 

37,1      172.  175. 

177 

2  172.173.175 

38,  1  173 

[Arist]  Rtaet.  ad 

Alex.  30, 1437a  16 

211 

Bakchvl. 

XI  112  192 

XII  52  165 
Com.  frgm.  121  K. 

(Adesp.)  207 

Deraetr.  nsfii  tQfi. 

215  210 

Dem.  IX  72      122 

XX  142    123 

[„]  XLIV  34.  54 

210 


B.   Aus  anderen  Schriftstellern. 


a)  aus  griechischen: 
Seite 


Demoer.  frgm.  146 
Diod. 

XI-XI1I        172 

XIII 88, 7        185 

XIV  3-5       172 

XIV  3, 3.  4    172. 

176 

7  172 

4,2  172.173 

5,5         172 

6  172 

32.  33  172 

32,3       173  f. 

6      172  f. 

176 

33, 2         173 

83  181 

XV 19  183 

68  186 

Dion.  Hai.  d.  comp. 

verb.  53  210 

Herod. 

1  33  165 

202         217 

II  8,1  190 

VII  190         124 

VIII  77  212 

Hes.?py«311    198 

Hom.  K. 

II  188—202  198. 

205  ff. 

204  f.  206 

Isokr. 

IV  (Paneg.)  113 

178 


Seite 


Isokr. 

IX  (Euag.) 
19,41-46  150f. 

XIII  (Soph.)  201 
Pausao.IXl5,5  74 
Phlegon  190 

Phot.  bibl. 

45a  7  210 

533  b  25  209 

Pind. 

Ol.  V  190 

Plat.  Apol. 

32  C  207 

33  A  207 
38  C  208 
Gorg* 

471  147  f. 

479  C.E       147  f. 

480  E     147f.  158 

481  A  147  f. 

482  C  ff.  148 
E  150 

485  D  147 

486  B  147  f. 
488  B  147  f. 
491  E.  F  bis 

492  B.C    147  f. 

507  ff.      146. 148 

508  A.  D  147.148 

510  D.  E  147 

511  A  147 

512  E  147 
527  B.  C  147 
Krat.  396B  122 
Krit.l08A-D187 


Seite 

Menon* 
71  F,  73  B.  C, 
77  C,  78  C-E, 

91  A  146 

Prot.  337  D  150 

Tim.  19  B  187 

20  A  187 
Polykr. 

frgm.  10  206 

11  206 
Theokr. 

XIV  51  165 
Thok. 

133,3  191 

45, 3  186 

57,6  186 

103, 3  136 

(1  35—46  216 

III  82.83*  146ff. 

IV  59—64  187 
111,  1  160 

V46,3  191 

VI  8,2  186 

Vin  48  216 

64,  216 

5  216 

85  187 

102  187 

Anhang: 

Ans  Papyris. 
Oxyrh.  pap. 
In.  XIII 
II  n.  CCXXII 


182 
190 


b)  ans  lateinischen: 
Justin  V  9,  11       177  Sali.  Cat.  51,  29       173 

c)  aus  der  Bibel: 
A.  T.:  Exod.  20, 12  200     (     N.  T.:  Ev.  Matth.  7,  13 

Ps.  139  77     I  „        „      8, 22 

|  „        Luc.  9, 60 


200 
200 
200 


Berlin. 


Richard  Ullrich. 


4. 
Herodot. 


1)  Herodot  erklärt  von  H.  Stein.  Erster  Band,  zweites  Heft:  Bach  II. 
Mit  erklärenden  Beiträgen  von  H.  Brugsch  und  einem  Kärtchen  von 
H.  Kiepert.  Fünfte,  verbesserte  Auflage.  Berlin  1902,  Weidmannsche 
Buchhandlung.     205  S.     8.     2,20  Jl. 

Auch  für  die  neue  Auflage  dieses  Bändchens  hat  St.  die 
Überlieferung  von  neuem  geprüft  und  sich  dabei,  wie  auch  sonst, 
noch  enger  an  die  Hss.  ABC  angeschlossen.  In  manchen  Fällen, 
wie  in  der  Wortstellung  oder  da,  wo  der  Inhalt  oder  die  Sprache 
keinen  Anhalt  bietet,  wird  man  dies  ohne  weiteres  billigen.  Hier- 
her gehören  Kap.  100  doXto  diaw&eXgai,  st.  diacp&eTQcu,  doXtp, 
108  iovaa  anaca  nsdiag  st.  iovcfa  nediäg  näöa,  34  duz 
ndaqg  [vrjg]  ^iißvijg,  70  jj  i*  cqp  ipol  (st.  spoiye)  doxtei,  82 
zäoMfi  (st.  ÖtsoiGi)  iyxvgijcfoo,  118  w$  ovx  icpaivero  [rj]  'EXipq,  100 
sp  zoöavTfjGi  \d£\.  Entschieden  besser  ist  4  äorgcov  für  aGTiQWv, 
notwendig  120  paxqs  yspo^ipvjg  für  päxys  ywopipqg.  Zweifel- 
los richtig  erscheint  mir  auch  6  nag'  j$p  %o  Kätiiov  oQog  [teivsi, 
om.  ABC],  wie  jetzt  St.  nach  dem  Vorgange  von  v.  Gutschmid 
(bei  Wiedemann)  schreibt.  Er  bemerkt  dazu:  „ÖQog,  sc.  icfri 
(wie  IX  97,  3)"  und  „Das  vom  Korrektor  der  geringeren  Hss.- 
Klasse  ergänzte  reivsi  erzeugt  die  falsche  Vorstellung  eines  Gebirgs- 
zuges entlang  der  Südseite  des  Sees.  Richtig  dagegen  III  5  naqy 
rp  %6  Kdciov  ÖQog  xeivei  ig  &äXccaaap".  Wahrscheinlicher  ist 
es,  daß  25  (ai&giov  ts  [ioiTog  om.  ABC]  xov  f[iQog . .  xal  äXs- 
€ivijg  zfjg  x^QV^  sovaijg)  ioptog  in  PRsv  zugesetzt  als  in  ABC 
ausgelassen  ist.  Auch  181  dürfte  KvQtivaioMf*  6'  ig  aXXyXovg 
(ABC)  mehr  Anspruch  auf  das  Ursprüngliche  als  die  andere  Lesart 
K.  di  vA\ka<sig  machen  können.  Bemerkt  wird  hierzu:  „sg 
äXXijXovg  „gegenseitig"  gehört  zu  (fiXoTfjza  und  av[Afjbaxirjvu* 
Auch  gegen  insiva  di  (st.  snetia  di)  52,  das  nachher  durch 
insl  cop  wieder  aufgenommen  wird,  und  gegen  tqotim  d£  Coyg 
TOMpde  dfj  xg&iavtai  77  (st.  %.  d.  £.  roicfde  diaxqiwvtai)  wird 
sich  wenig  einwenden  lassen.  Dagegen  erscheinen  mir  folgende 
Änderungen  bedenklich:  15  %6  äs  and  &aXaaarig  Xeyovnwp  ig 
peooycuav  zsivtiv  avicov  (avtrjv  Rd).  Ein  avrwp  neben  Xsyov- 
tcop   ist    weniger    notwendig    als    der    sonst    fehlende    Subjekts- 

Jahresberichte  XXX.  |5 


226  Jahresberichte  d.  Philolop.  Vereins. 

akkusativ.  Es  entspricht  sich  dann  Xsyoviwv  fjbiv  —  Xsyovx&v 
d€,  bezogen  auf  'Irivcov  zu  Anfang  des  Satzes,  wenn  auch  piv  — 
öi  zu  anderen  Wörtern  zugesetzt  sind.  —  53  sv&sv  di  iyivsxo 
(st.  iyivovzo)  ixaaxog  xcov  &€&v\  hier  steht  iyivsxo  nur  in  BC, 
nicht  auch  in  A.  —  96  xä  nXoXa  dvvavxai  (st.  dvvaxcu),  trotz- 
dem dann  folgt  nao4Xx€xcu  und  xopi&Tcu,  mit  dem  Hinweis 
auf  V  112  und  VI  41,  wo  ein  ähnlicher  Wechsel  stattfindet.  Doch 
schwanken  V  112  auch  die  Hss.  (rsv  GvvijX$ov  st.  cfvvijX&sv).  — 
109  änocpoQTjv  änoxsXiew  (st.  änocp.  imxsXiew).  Nach  Steins 
editio  maior  steht  anoxeXiew  nur  in  AGd;  da  aber  in  der  hier 
vorliegenden  Bedeutung  bei  Herodot  inixeXeXv  das  übliche  ist 
(vgl.  Schweigh.  Lex.,  wo  sich  nur  die  Verbindung  xä  näxgta 
änoxsXäv  findet),  wird  änoxeXsXv  in  ACd  durch  Einwirkung  des 
vorhergehenden  änocpoorjv  entstanden  sein.  —  121/9  ivdvvxog 
(Rd  iödvvvog),  obgleich  wenige  Zeilen  später  von  derselben  Sache 
iodvvxa  steht.  Vgl.  hierüber  meine  Commentatio  critica  in 
Herodotum  S.  26.  Hinzufugen  möchte  ich  hier,  daß  in  späterer 
Zeit,  als  wieder  Komposita  mit  ig  (slg)  statt  mit  iv  (eiaßdXXsiv 
st.  ipßdXXsiv  u.  a.),  z.  T.  in  Nachahmung  der  Sprache  Herodots, 
üblich  wurden,  derselbe  Unterschied  im  Gebrauch  von  iv-  und 
igdveiv  wie  bei  Herodot  zu  bemerken  ist,  d.  h.  daß  ivdvsiv  „an- 
ziehen4', itsdvsw  „eindringen  in  eine  örtlichkeit"  bedeutet.  So 
Pausanias  VI  20,  5,  Herodian  16,  H  12,  VII  9,  Joseph.  VI  43, 
IV  571,  Septuag.  Jerem.  4,  29  (slaidvoav  slg  xä  an^Xeia), 
Zosimus  IV  11,  Procop.  511  A,  Agathias  101  D  und  so  noch  bei 
Anna  Comnena.  —  122  xsiQ&ikaxxoov  st.  %8iQ6{xaxxQ0v.  Die- 
selbe Variante  steht  IV  62.  Im  Zitat  Athen.  410  steht  aber  o, 
wie  sonst  überall.  —  177  o&sv  ßsßloaxai  (st.  ßtovxai)  hat  nur 
den  Wert  einer  Konjektur,  wenn  auch  einer  alten;  denn  es  steht 
nur  in  A'  marg.,  während  A  ßeßcuovxcu,  B  ßeßcuovica  und 
C  ßeßcuovxs  haben.  Anderseits  wird  die  Lesart  ßiovxat.  durch 
Suidas  bezeugt. 

Umgekehrt  sind  jetzt  Lesarten  von  Rsv,  meist  in  Überein- 
einstimmung  mit  den  andern  Herausgebern,  an  folgenden  Stellen 
bevorzugt:  2  gegen  Ende  ncudlcov  st.  neeideov,  28  ovxog  (st. 
ovxod)  piv  dij  6  yQccpiJbaxMfxsvg  („ovxog:  dazu  o  yg.,  weil  eben 
vorher  ^Pa/jb^xixog  Subjekt  war44),  79  cccoqov  (Rd  Eust.)  st. 
ävonQOV,  97  oöot  di  ovx  (st.  ovo')  ovxog,  144  olxiovxag  st.  ovx 
iovxccg.  Letzteres  würde,  wie  Wiedemann  bemerkt,  einen  sach- 
lichen Fehler  ergeben.  —  66  noXXäv  di  iovxtav  {xmv  d)  opo- 
xq6<pg>p  xoZcfi  är&QoonoHU  örjoieov.  Notwendig  ist  der  Artikel 
gerade  nicht. 

Zurückgekehrt  zur  Überlieferung  ist  St.:  12  2vqioi  st.  2vqoi, 
wie  in  Buch  I  (vgl.  JB.  1902  S.  72).  —  39  nvQip  xaiovai  st. 
der  Schäfer$chen  Konjektur  nvg  ävccxaiovcf*,  „nvoyv,  die  auf 
dem  Altar  aufgebauten  Holzscheite44.  —  62  schrieb  St.  früher 
(1884)  ineäv  avXXsx&iwGi,  xrLg  &voifjg  (Schweigh.)  iv  xg  (PR) 


Herodot,  von  H.  Kalleuberg.  227 

vvxxi,  jetzt  schreibt  er  wieder  wie  in  der  editio  maior,  aber  mit 
veränderter  Interpunktion  eneäv  avXlex&ewai  xrpfi,  &valr\Gi,  ev 
%i,vi  (ABC)  vvxii  mit  der  Erklärung  „für  die  Festfeier".  Ähnlich 
erklärt  Krüger  „zu  den",  ich  bin  Kruger  gefolgt,  möchte  aber 
dem  Dativ  temporale  Bedeutung  beimessen,  wie  IV  180  oqxjj  de 
iviavcflfi  'A&qvaifjg.  —  123  aQxqysTSvew  nach  den  Hss.;  1884 
aQxW£t^€lv  nacn  Dindorf  und  Cobet.  „aQXHyexevew,  eine  nur 
hier  gelesene,  durch  Analogie  des  synonymen  ijyefiovevew  er- 
klärliche Form,  das  normale  äQX^yexietv  hat  andern  Sinn  (ägxy- 
yixrjg  elvat,,  aQxscf&at,  Soph.  El.  83).  Vgl.  IdioßovXevetv  Vli  8 
d,  6".     Hier  haben  aber  Rsv  Idwßovkisw. 

Fremde  Konjekturen  sind  jetzt  an  folgenden  Stellen  auf- 
genommen: 11  xöv  piv  ix  xtjg  ßoQfjifjg  S-aXdaafjg  [xoXnov] 
(Krüger).  —  20  tag  ptv  ovo  [xäv  odmv]  (Krüger).  —  42  ano 
di  Alyvnxiaav  'AfipcivMH  (/la&ovxegy  (Krüger).  —  55  xai 
ncpecc  (st.  atpeag)  ix  xovvov  noiTJaat,  (Krüger),  mit  der  Bemerkung 
„der  Plural  ist  formelhaft".  —  73  oaov  xi,  (st.  xe  Schweigh.) 
<fvvaxog  iaxi,  (pigeiv.  —  80  rode  pivxoi  aXXo  (st.  äXXoKfi 
H.  St^phanus).  —  93  [elal  de  ol  xiyxQOt  ovxot  ix$vec]  (van 
Herw«).  —  114  \avxbni\knei  nqog  xavxa  6  IJgcoxevg  X&y&v  (st. 
Xiyovva  van  Herw.)  xccds.  —  143  [inl  xjj  äQi&pyaei]  (Gomperz); 
„war  ein  Randzusatz  zu  (pafievoi".  —  156  ovxog  (st.  ovxco 
Bekker)  \*kv  vvv  6  vtjog  und  ebenda  Jiovvöov  xai  JtjfitjxQog 
(st.7ö'*og,  van  Herw.). 

Sehr  zahlreich  sind  wieder  die  eigenen  Vermutungen:  4  [ip- 
ßoXipov]  ({jbtjva,  dies  nach  Cobet)  inefißaklovöi.  —  8  [xo  d1 
iv&evisv  avxig  evQ&a  jilyvnxog  iaxi]  „Die  Worte  xo  d'  iaxi 
sind  zugesetzt  worden,  nachdem  oben  xai  dexa  (nach  ^egecov 
x€CfcfiQ(ov)  ausgefallen  war,  um  die  anscheinende  Lücke  über  den 
oberen  Teil  des  ägyptischen  Niltals  zu  ergänzen.  Sie  widersprechen 
der  wirklichen  Dimension  des  Tales,  die  H.  aus  Autopsie  bekannt 
war,  und  dem  bündigen  Urteile  im  Eingange  des  Kapitels".  Doch 
siehe  dagegen  Wiedemann.  —  10  coöneg  [ye]  xä  neql  "Ifaov. 
Rsv  haben  dafür  passend  maneq  xä  xe  n.  7.  —  Ebenda  x&v 
4yd>  cpQccacu  sx(ti  (jct)  ovvopaxa.  —  11  [cog  sqxo[acu  (pqdaoav] 
„Nach  dem  lebhaft  ankündigenden  ovxw  («d«)  dy  xt,,  xoiovxog 
(xotoade)  dij  xbg  läßt  H.  die  Ausführung  unmittelbar  asyndetisch 
folgen  (I  178,  8;  III  12,  7;  108,  9;  V  92«,  12)  oder  mit 
konsekutivem  artxe  (aSs?),  oder  mit  relativem  Anschluß  (zu 
HI  120, 14)".  —  Ebenda  avv{eni)xexQaivovxag.  —  13  xpeva&sv- 
xag  xoxe  iXnidog  peydXcog  (st.  gieydXfjg)  [xaxäg]  newijaew.  — 
15  ei  (jov  ßovXoipe&a  (st.  ßovXofie&a)  entsprechend  dem  Nach- 
satz dnodeixvvoigiev  av.  Krüger  „ßovXoipe&a  ist  nicht  nötig". 
—  20  nXri&vew  xov  noxapov,  xcoXvoviag  ig  d-dXatitSav  ixqieiv 
[xöv  NelXov].  Allerdings  ist  x.  N.  recht  überflüssig.  —  31  [£&* 
de  ano  ianiQijg  xs  xai  ijXlov  dvopeoov].  Diese  Annahme  stammt, 
wie  St.  schon  früher  bemerkt  hat,  aus  der  erst  später  mitgeteilten 

15* 


228  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereios. 

Erzählung  der  Nasamonen.  Jetzt  setzt  er  hinzu:  „Der  Satz  kann 
also  nicht  bereits  hier,  mit  Störung  des  Zusammenhangs,  aus- 
gesprochen sein.  Der  Ausdruck  ist  dem  Gebrauch  Herodots  (zu 
I  20t)  nachgebildet'1.  —  35  fii^co  naoi%£xai  noög  <*ijv  äXXTjv} 
ndtsav  %dq^v\  »xdqriv  =  y^v  (III  116,  8)4t.  —  42  änd  xov 
J*6g  st.  and  xovdi  G(fi\  „auch  ihren  Namen  haben  die  Ammonier 
von   (dem  des)  Zeus   hergenommen".  —  43  elneo  xal  (arnoi). 

—  47  xovg  vg . . .  äneGxvyijxaöi,  (^vbiv),  iv  di  xavxfl  d-vova*. 
Nach  meiner  Meinung  ist  &v€iv  nicht  supplendum,  sondern  sub- 
audiendum.  —  51  [xccl  naoa  xovxcav  Sapo&gijixeg  rä  ogyicc 
7zaoaXa\kßavov<si\  und  am  Ende  [xä  iv  xotai  iv  JSaiAO&Qtjixfi 
pvtfrijQioiOi  dedtjXcaxcu].  „Den  Relativsatz  xd  iv  xotöi  .  .  hat 
man  bisher  auf  Xoyov  als  Inhaltsangabe  bezogen.  Daß  aber  diese 
freie  Anwendung  des  Relativs  nur  bei  wirklicher  Exegese  zulässig 
ist,  zeigen  die  Stellen  zu  III  48,  10.  Auch  macht  dedrjXcoTa* 
st.  dslxvvxai  (zu  c.  171,  2)  den  Satz  verdächtig.  Er  gehört  wohl 
zu  der  oben  ausgemerzten  Redenotiz".  An  dem  Tempus  dedijXwiai, 
wie  vorher  an  naoaXa^ßdvovGi,  nahm  schon  van  Herwenden 
mit  Recht  Anstoß.  —  65  iovtia  [di]  AXyvnxog.  Dieselbe  Streichung 
habe  ich  schon  in  der  Teubnerschen  Ausgabe  vorgenommen.  — 
75  GcoqoI  di  tjaav  (xdv)  äxav&iwv,  ferner  iaßoXij  i%  doiwv 
azsirrj  (st.  axsiv&v)  (Krugers  Erklärung  „axewdv  mit  einem 
Engpaß"  durfte  kaum  möglich  sein)  und  ig  xijv  iaßoXrjv  xavxqv 
(st.  xavxqg)  xijg  %dgr\g.  —  76  (iyo**>  ipiXij  xijv  xs(paX^v\  so 
schon  Cobet,  van  Herwenden  und  Schweighäuser.  —  99  ano- 
ye(pvQ<5<scu  .  .  .  xccl  .  .  .  xtjv  Meptpiv  st.  omoysipvQ&aai  xi\v 
Mifxcpiv]  „da  H.  die  Bautätigkeit  des  Min  in  zwei  Gruppen  teilt 
und  die  erste,  die  er  durch  xovxo  piv  (wiederholt  17)  in  Ggs. 
zur  zweiten  {xovxo  di  22)  stellt,  wieder  in  zwei  Abschnitte  teilt, 
1.  die  Abdämmung  des  Nil  (8—11),  2.  die  Gründung  von  Memphis 
auf  dem  abgedämmten  Boden  und  die  Anlage  eines  Sees  (16 — 22), 
so  müssen  hier  einige  Worte  fehlen,  etwa  xov  noxapov  und 
xxiaaS\  Trotzdem,  glaube  ich,  kann  man  sich  bei  der  Über- 
lieferung beruhigen.  —  Ebenda  6  ayxdv  ovxog  xov  JSeiXov  dg 
cmeQYikivog  [§tei]  iv  (pvXaxjjai  ixeydXr\ai  s%€tcu,  besser  als 
früher  dg . .  §2$  (final)  und  og . .  £&*  (dj,  wie  ich  nach  Krügers 
Vorgang  geschrieben  habe.  —  100  r«  Xoyco  [vom  de  äXXa  jwjp- 
Xaväa&ai],  der  Gegensatz  wäre  SQyw,  nicht  vo'«".  —  102  GxQaxiijv 
xäv  (fiQX^y  Xaßoov,  wie  er  schon  früher  sach-  und  sprachgemäß 
vorgeschlagen  hatte.  Gleich  darauf  nav  s&vog  xd  ipnoddv 
(yiv6(i£Vov)  xata<fTQ€(p6ii€Vog.  —  108  oxtog  xs  anioi  6  noxa- 
fiög  . . .,  „in  der  Lücke  stand  etwa  xal  änotyQalvoixo  xd  nsöia'*. 

110  V7T€QßaX6(l€VOV  St.  V7I€QßaXX6[ieVOV.  —  111  xov  notafiov 

xaxsX&ovxog  fjbsylcfxov  (st.  piyitixa).  Dies  oder  ig  xd  piyiaxa 
auch  Krüger.  —  113  ig  (xe)  xd  vvv  Kavwßixöv  xaXevfievov 
atofia  tov  NeiXov  xal  ig  TaQixsiag.  —  114  avdoa  xovxovr 
otixig  xoxs  iatiy    avotiia  i(jya<f(i4vov  (st.  iqyaGfxivog  mit  ver- 


Herodot,  von  H.  Kallenberg.  229 

änderter  Interpunktion),  wo  Kruger  gleich  gut  6  avoöia  iqya- 
apivog  schrieb.  —  118  xov  avxov  Xoyov  [t<p  nqoxiQO)]  invvd'd- 
povxo,  ovxco  dif  niOxsvaavxsg  [xm  Xoyw  xm  nQuoxw]  ol  *EXXijveg. 
Das  zweite,  zugleich  mit  dem  folgenden  ol  "EXXqveg  tilgt  auch 
van  Herwerden.  Vorher,  am  Anfang  des  Kapitels,  ist  Xiyovcfi 
nach  xd  nsql  vlXwv  in  den  Text  gesetzt;  wie  es  St.  schon  früher 
vorgeschlagen  hatte.  —  120  viivdvvsvsiv  [ißovXovxo].  —  121  y 
dianeiXieitV,  avxij  (st.  dianeiXisiv  avxtjv)  tag.  —  121  f  nqo- 
x€XQi(f$cu  (aocpifi).  —  122  oqxtjv  J^rjTQt  (sf.  dy)  ävdysiv; 
recht  ansprechend.  —  124  diwqv%a  (&*)  xov  NtiXov  icfayaywv. 

—  125  xd  iniyaia  [xal  xd  xarcoxdxco].  —  126  [iv  xoXtii  SQyoufi]. 
So  schon  Valckenaer.  —  127  [ixopivfjv  xtjg  psydXfjg],  „die  Worte 
stören  die  Verbindung  xcovxo  piya&og  oixodofAfjGs  und  sind 
wegen  inl  Xoyov  xov  avxov  überflüssig".  Damit  scheint  mir 
die  böse  Stelle  noch  nicht  geheilt  zu  sein;  es  bleibt  der  Wider- 
spruch zwischen  vnoßdg  und  xawxo  fiiya&og.  —  128  xavxa . . . 
££  xe  xal  ixaxov,  „In  der  Lücke  stand  etwa  cov  xd  hsa  tiqog- 
x*$4vxsg  xotai  nsvxqxovxa  xov  Xionog.  Vgl.  VII  185,  13".  — 
129  x<j>  ämpsfjMpofiivw  <r*).  —  134  nach  inslxs  ydg  eine 
Lücke;  „in  der  Lücke  muß  der  Anlaß  der  notv^  die  Tötung  des 
Aisopos,  die  H.  nicht  als  bekannt  voraussetzen  konnte,  erwähnt 
gewesen  sein,  etwa  dned-avs  vnö  xtovJsXywv  (oder  ivJsXtpotöi)". 

—  135  [fivrjfMJiov  avxijg  iv  xfi  'EXXddi  xaxaXin4a&ai\  schon 
früher  wegen  der  ungewöhnlichen  Epanalepse  im  folgenden  an- 
gezweifelt; jetzt  wird  noch  zugesetzt:  „Gegen  die  Echtheit  zeugt 
auch  avxyg  (st.  scovxijg)".  Freilich  steht  dies  nur  in  ABC.  — 
Ebenda  (aXXrjy,  xfi  ovvofia  rjv^Qxidixtj.  Ähnlich  van  Herwerden 
(hiQtiy,  wie  früher  Stein.  —  137  xaxd  p&ya&og  xov  ädtxfjfiaxog 
ixaavov  (st.  exdaxta,  ABC  sxdaxov)  dixd&iv.  —  139  Xiysiv 
avxov  [dg]  nootpavGiv  (st.  nQotpaöiv)  ol  doxhw  (nach  ABC 
st.  doxiot).  „Die  La.  ngocpccöiv  hat  erst  den  Zusatz  wg  und 
dann  in  den  geringeren  Hss.  doxiot  st.  doxisiv  veranlaßt4.  Auch 
1  156  verlangt  St.  jetzt  nqoyavöiv,  denn  nqocfaaig  ist  „Vor- 
wand, Anlaß,  Grund".  —  142  dqxisqiag  (xe)  xal  ßaGtXiag.  — 
143  [icag  ov  dnide^av  dndöag  avxdg];  „&»£  ov  st.  ig  6  (17), 
pexot  ov  (VII  60,  11).  Bei  H.  nur  hier,  häufig  in  der  hellenisti- 
schen Literatur  von  Polybios  an".  Seit  Struve  schreibt  man  hier 
gewöhnlich  ig  o;  vgl.  hierüber  den  Anhang.  —  146  xovxwv  wv 
ä(*(pox€Q(ov  (niQ^y.  —  149  in7  JjpiQfi  kxdaxfi  st.  in'  ^giiQfjv 
ixdaxtjv.  Letzteres  ist  freilich  ganz  ungewöhnlich.  —  152  [dvay- 
xaitj]  xaxiXaßs.  Doch  vgl.  III  75.  —  Ebenda  am  Ende  xotai  xs  xd 
icovzov  ßovXopivoiöi,  st.  xolGi  pex  eoovxov  ßovXopivoitii,.  Andere 
streichen  pex*  ioovxov.  —  154  dno  lPafAfitjxixov  ßaöiXiog  &q- 
Igdfievoi  ndvxa  [xal  xd  vatsqov]  intGxdgis&a.  —  155  xov  ds 
XQTjGxtjQiov  xov  iv  Bovxot  (st.  Alyvnxtio)  und  [xö  ydo  XQV(fTVQi0y 
xovxo  xö  iv  Alyvnxw].  „Die  Hss.  iv  Alyvnxw.  Dies  läßt  eine 
Erörterung  über  das  ägyptische  Orakelwesen  überhaupt,  nicht  eine 


230  Jahresberichte  d.  Pliilolog.  Vereins. 

Lokalbeschreibung  erwarten.  Der  Textfehler  hat  weiter  den  aus- 
gleichenden Zusatz  xo  yäq  —  Alyvnxw  veranlaßt".  Wie  sollte 
aber  jemand  darauf  kommen,  iv  Atyvnxw  st.  iv  Bovxot  zu 
schreiben?  Auch  die  Wendung  ovvopa  di  xjj  noXi  xavxfi  xxX. 
weiter  unten  spricht  dagegen.  Vielleicht  reicht  es  aus,  xov(de} 
di  {xov)  XQfjGtijQiov  zu  schreiben.  Die  vorhergehende  Wendung 
tPapptiTixos  {*&  vvv  ovxdo  €üx€  Alyvnxov  ist  nur  eine  Wieder- 
holung des  Anfangs  von  153  xQccxtjöag  de  Alyvnxov  naa^g, 
veranlaßt  durch  den  Einschub  von  153  und  154.  Mit  xovde  di 
xov  XQfiaxriQlov  geht  dann  H.  auf  das  152  Erwähnte  ein.  — 
155  Lücke  nach  avanXiovx*  ano  &aXäcr<ftig  ävco',  „ausgefallen 
ist  inl  de&d  oder  ähnl.  Die  Stadt  lag  am  westlichen  Ufer  de» 
Armes  (Strabon  802)".  —  161  xavxa  äy  (st.  di)  dewä  noiev- 
pevoi.  —  170  x€xo<f(Ati[i4voi  [xal  iQyaa^iytj]  evxvxXtp  (st.  ev 
xvxXco).  —  176  dvo  (äXXoi)  xoXoaaoi.  Nimmt  man  die  vod 
Stein  verworfene  Lesart  Al&ionixov  (R)  st.  xov  avxov  an,  dann 
dürfte  der  Zusatz  überflüssig  sein.  —  177  ig  (xode)  ahl.  — 
178  Lücke  nach  xotat  dk  fiij  ßovXopivoMSi  avx&v  oixieiv  avxov \ 
„ausgefallen  ist  etwa  ig  Alyvnxov  (5,  3;  III  6,  1)  o&ev  xax* 
ifinoQifjv  (III  139,  5)",  gehörig  zum  folgenden  di  vavxiXXoiki- 
vomTi.  Sonst  bezog  man  avxov  im  Sinne  von  avxotis,  was 
van  Herwerden  mit  Unrecht  in  den  Text  gesetzt  hat,  auf  vavxiXXo- 
pivoiGi. 

In  den  Anmerkungen:  2  gegen  Ende  zu  yvvaix&v  xäg 
yXwttoag:  „Bei  yvvaixwv  fehlt  wohl  xtvcop  oder  xeozvu.  —  22  zu 
Xefodovsq  di  heog  iovxeg:  „Richtiger  etwa  imdtiftiovxeg  oder 
fievovrsg,  falls  nicht  ixet  ausgefallen".  —  44  zu  piyadog:  „Wahr- 
scheinlich ist  die  Angabe  der  Größe  hinter  piya&og  ausgefallen"» 
So  schon  Krüger.  —  70  „Hinter  xvnxet  fehlt  wohl  rj  de  xot&* 
(quiekt)  oder  (pwvrjv  Ut".  Das  folgende  inaxovttag  xtfg  (pcovijg 
macht  den  Hergang  auch  ohne  diese  Ergänzung  deutlich.  —  86 
Hinter  (isfiififjfiiva  war  schon  früher  von  St.  eine  Lücke  an- 
genommen worden,  die  etwa  durch  die  Worte  xqia  Saat  tvsq 
xal  raq^vatsg  xaxeaxäai  auszufüllen  sei.  Dies  wird  jetzt 
wiederholt,  aber  mit  der  Änderung,  daß  xQla  unter  Tilgung  des 
Artikels  xfj  vor  ygacp^  gesetzt  wird.  Der  Artikel  ist  schwer  zu 
erklären.—  110  Zu  laxdvei,  wird  bemerkt:  „Seine  Statue.  Fall» 
nicht  Xaxavah  zu  lesen".  —  111  „Hinter  nsiQaö&ai  fehlt  ig  S 
dii  avißXeipe".  —  121  y  wird  xopielxcu,  für  xo/uttf  vermutet.  — 
122  (paqog  di  <«i>>.  —  138  Zu  odog  Xi&ov\  „Bei  Xiöov  fehlt 
wohl  AlSionixov  oder  eine  andere  Bezeichnung  (vgl.  124,  18)". 
—  32  zu  inel  cov:  „Falls  inel  (wofür  slnetv,  ixsivovg,  xoxs 
vermutet  worden)  echt  ist,  wird  dazu  mindestens  ein  Verb,  etwa 
noQsveo&cu  (wie  III  26,  4)  herzustellen  sein". 

In  sprachlicher  Hinsicht  erscheinen  mir  folgende  Zusätze  er- 
wähnenswert. 43  wird  zu  ig  "Apacfw  ßaaiXevaavxa  bemerkt» 
daß    die  Worte    nicht    den  Anfang    der   Regierung,   sondern    die 


Herodot,  von  H.  Kallenberg.  231 

abgeschlossene  Dauer  bezeichnen.  In  der  Tat  scheint  dies  der 
Inhalt  der  Stelle  zu  verlangen ;  ob  aber  an  den  hierbei  angeführten 
Stellen  dieselbe  Bedeutung  überall  zutrifft,  scheint  mir  doch 
zweifelhaft.  —  66  wird  zu  äfAsltjöavtsg  eine  Reihe  von  Stellen 
angeführt,  an  denen  das  Part.  aor.  steht,  während  man  das  Präsens 
erwartet.  Diese  Sammlung  ist  recht  dankenswert  und  fordert  zur 
Prüfung  dieser  Stellen  auf.  Meistens  wird  man  dann  einen  Grund 
für  das  auffällige  Tempus  finden.  Ich  greife  nur  eine  heraus, 
VII  46.  Hier  steht  (Artabanus)  (fqaad-elg  E4q%ijp  daxovaavta 
eiqexo  rdde  ganz  richtig  in  bezug  auf  das  vorhergehende  fisrä 
d£  zovxo  iddxQvtfs  „hierauf  brach  er  in  Tränen  aus".  Dieselbe 
Bedeutung  hat  dann  auch  das  Partizip  daxovöavta.  Damit  ist 
nicht  gesagt,  daß  Xerxes  noch  weinte,  als  Artabanus  ihn  fragte. 
Noch  häufiger  findet  bei  Herodot  das  Umgekehrte  statt,  wozu  St. 
zu  69  eine  reichhaltige  Beispielsammlung  gibt.  Cobet  hat  hier 
nicht  selten  geändert;  van  Herwerden  ist  ihm  darin  wiederholt 
gefolgt,  macht  aber  anderseits  zu  II  41  die  treffende  Bemerkung: 
„Ubi  agitur  de  actione  identidem  repetita,  saepius  apparet  parti- 
cipium  praesens  pro  praeterito".  Damit  scheidet  ein  großer  Teil 
der  anstößigen  Stellen  aus;  für  andere  ist  die  Erklärung  noch 
zu  finden.  —  II  8  wird  zu  ip  t»  al  Xi&OTopicu  svetGi,  bemerkt: 
„Der  Artikel  bei  li&OTOfiicu  aus  der  anschaulichen  Erinnerung 
des  Berichters  oder  als  den  Lesern  aus  populärer  Kunde  schon 
bekannt44.  Es  gibt  noch  eine  dritte  Erklärung  für  den  Artikel. 
Es  folgt  al  ig  rag  nvQapidag  navaTfitj^etaat,  was  die  Geltung 
eines  Relativsatzes  hat,  und  gerade  in  Beziehung  auf  einen  folgen- 
den Relativsatz  steht  der  Artikel  nicht  selten  auch  bei  einer  zum 
ersten  Male  erwähnten  Sache.  Dies  dürfte  auch  der  Grund  für 
die  Setzung  des  Artikels  an  mehreren  anderen  Stellen  sein,  die 
hier  von  St.  als  Belege  angeführt  werden.  —  121  ß  ist  die  Er- 
klärung von  insl  noog  %6  ayyog  nooo'fjl&e:  „rö  ayyog,  das  sie 
diesmal  leeren  wollten",  wo  Krüger  nqog  xi,  ayyog  vermutet, 
wohl  richtig;  doch  scheint  mir  der  Hinweis  auf  III  96  nlrjcccg 
di  %o  ayyog  nicht  zu  passen.  Der  Artikel  bedeutet  hier  wohl 
„jedes  Faß'4. 

Andere  Bemerkungen  weisen  auf  sprachliche  Unebenheiten 
hin,  die  durch  nachträgliche  Zusätze  entstanden  sind.  91  „Das 
Kapitel  ist  nachgefügt,  denn  tavxa  navxa  92,  1  schließt  an  90 
an44.  Ähnlich  129  „Da  xovxov  an  127  anschließt,  werden  die 
nebenläufigen  Angaben  in  128,  2  ff.  erst  später  nacbgefügt  sein44. 
Endlich  auch  98.  „Das  Kapitel  enthält  eine  beiläufige  Reisenotiz 
ohne  inneren  Verband  mit  dem  Vorhergehenden44. 

Am  zahlreichsten  und  umfangreichsten  aber  sind  die  Zusätze 
und  Änderungen  sachlichen  Inhalts,  die  hier  nicht  aufgeführt 
werden  können.  Sie  bekunden  eine  gewissenhafte  Benutzung  der 
neuesten  Forschung;  es  genüge  die  Nennung  der  Namen  Naville, 
Petrie  und  Wiedemann. 


232  Jahresberichte  d.  Pbilolog.  Vereins. 

2)  Herodotos.  Für  deo  Schulgebraach  erklärt  voo  J.  Sitzler.  Buch  VII. 
Dritte,  verbesserte  Auflage.  Gotha  1903,  F.  A.  Perthes.  191  S.  8. 
2  Jft. 

Gegen  die  Umformung  des  Dialektes  auf  Grund  der  Inschriften 
und  der  Sprache  der  ionischen  Dichter  verhält  sich  Hsgb.  wie 
bisher  ablehnend;  nur  in  den  Dativen  nXij&si,,  hsv  u.  s.  w.  ist 
jetzt  die  Kontraktion  zugelassen.  Ferner  schreibt  jetzt  Hsgb. 
ocpfew,  aber  wie  bisher  änod-vqaxsifV  (134.  139)  und  ava- 
$Qw<fx€iv  (18)  ohne  *.  Ebenso  ist  die  alte,  jetzt  doch  allgemein 
verworfene  Schreibung  in  Iloxidcua,  OXiovg,  xtöct*,  qut^a, 
olxxsXgat  beibehalten.  Sonst  ist  noch  zu  bemerken:  die  Schreibung 
ohne  ov  in  ogog,  "OXvpnog,  ^OXvfMtfjroi,  ^OXv^nix^  dogaxcc, 
voodoo,  dvofxdCcd,  dvofiaöxog;  ferner  ßoi\&£<a  st.  ßco&ta),  ijaoov 
für  ttiGoy,  xg£nstv  st.  xoaneiv,  Aufnahme  von  stvexa  neben 
slvexsv,  Änderungen,  die  sämtlich  auf  handschriftlicher  Grundlage 
beruhen. 

Außerdem  habe  ich  noch  folgende  Änderungen  im  Texte  be- 
merkt: 9  iiiXQi  Maxedovifjg  [yijg]  nach  Rsv,  wie  jetzt  wohl  all- 
gemein geschrieben  wird,  124  diä  (r^g)  Mvydovi^g  xd^g 
(Kallenberg  d&a  Mvydovitjg  xijg  xcogifg),  nsgl  (toV)  vA&mv 
(Kallenberg),  20t  [ptfgg*  Tgtjxtvog]  (Kallenberg),  214  saxi,  de 
sxsgog  Xoyog  Xeyopevog  (Rsv)  st.  saxt  di  hegog  XsyofAevog  X6yogy 
wo  von  mir  noch  der  Zusatz  von  oÖ€  vor  Xöyog  vorgeschlagen 
worden  ist.  Zurückgekehrt  zur  Überlieferung  ist  Hsgb.  89  in 
JSvQioMfi  st.  2vQ0t<fi>,  wie  das  Stein  in  den  neuesten  Auflagen 
von  B.  I  und  II  getan  hat,  und  140  in  imxidvaxs  st.  snt,  xidvaxs. 
Aus  eigener  Vermutung  schreibt  Hsgb.  96  61  aXXot  (ol)  axga- 
xevöfievot  mit  dem  Verweis  auf  52,  wo  folgende  Regel  aufgestellt 
ist:  „Wenn  äXXog  zu  einem  substantivierten  Begriffe  tritt,  wird 
es  ebenso  wie  dieser  mit  Artikel  versehen4'.  Krüger  (Gr.  Spr. 
59,  9,  2)  gibt  die  Regel  in  folgender  Fassung:  „Wenn  o  aXXog 
sich  mit  einem  substantivierten  Begriffe  verbindet,  pflegt  auch 
dieser  den  Artikel  zu  haben",  bemerkt  aber  zur  Herodotstelle 
nichts.  Der  Sprachgebrauch  ist  hier  noch  genauer  zu  unter- 
suchen. —  143  ig  *A&fjvaiovg  sty*  *b  snog  (xo)  sigfjfisvov, 
wo  Krüger  elgijfiSvov  verdächtigt.  Beides  wohl  ohne  Grund; 
denn  elgqps'vop  ist  eng  mit  slxs  zu  verbinden;  vgl.  auch  Steins 
Anmerkung.  —  179  6  de  vavxixog  (6)  Ssg^eco  axgaxog  mit 
der  Bemerkung:  „Beide  Attribute  vavxtxog  und  3ig£sw  sind  der 
gleichmäßigen  Betonung  wegen,  jedes  mit  Artikel,  vor  das  Sub- 
stantiv öxgaxog  gestellt41.  Hier  hat  Krüger  dasselbe  vermutet 
und  auch  Belege  dafür  gebracht.  —  187  endlich  hatte  Hsgb. 
schon  früher,  um  den  Rechenfehler  Herodots  zu  beseitigen,  xal 
££  dsxddag  nach  xelsoixivag  zugesetzt  und  dann  x°'w*xaS  st. 
fisdifivovg  geschrieben,  wobei  aber  die  nicht  mehr  passenden 
männlichen  Formen  xg&fjxotflovg  xs  aXXovg  stehen  geblieben 
waren.    Jetzt   sind    die  entsprechenden  weiblichen  Formen  dafür 


Herodot,  von  H.  Kaileoberg.  233 

eingesetzt  und  der  Zusatz  xal  $£  dexddag  hat  passender  seinen 
Platz  hinter  (iVQiddag  erhalten.  Dazu  als  Erklärung:  „Herodot 
rechnet  die  %oivixeq  nur  bis  auf  die  Zehner  in  Medimnen  um 
und  fugt  dann  die  übrigen  340  %oivixe<;,  die  weniger  als  zehn 
Medimnen  ergeben  und  außerdem  bei  der  Umrechnung  in 
Medimnen  nicht  ohne  Rest  aufgehen,  jener  Zahl  unverändert  bei". 
Das  sind  der  Änderungen  doch  zu  viel,  um  sie  für  wahrscheinlich 
halten  zu  können.  Lassen  wir  Herodot  die  Verantwortung  für 
seinen  Rechenfehler  tragen. 

In  dem  trefflichen,  den  Bedürfnissen  der  Schule  angepaßten 
Kommentar  haben  die  einzelnen  Abschnitte  der  Erzählung  Über- 
schriften mit  kurzer  Angabe  des  Inhaltes  erhalten.  Einige  Stellen 
sind  berichtigt,  an  andern  sind  Zusätze  gemacht,  z.  ß.  5  zu  zd 
jjfisQa  und  6  zu  acfavi^olaxo,  wo  ich  in  der  Anzeige  der  vorigen 
Auflage  eine  Erklärung  vermißt  habe.  Zum  Schluß  noch  folgende 
Bemerkungen.  101  ist,  wie  früher,  zu  si  "EXXtjveg  vnoptviovöi, 
%s%qag  ifiol  dviastqoiisvot  bemerkt:  »inopsviova*  mit  dem 
Hart,  ist  selten".  Ich  denke,  schon  Schweighäuser  hat  in  seinem 
Lexikon  diese  Erklärung  mit  dem  Hinweis  auf  209  mit  Recht 
abgelehnt.  —  135  Die  Erklärung  von  ytjg  'EXXddog  „über  ein 
Hellas,  d.  h.  ein  Land  wie  Hellas",  die  auch  Abicht  hat,  scheint 
mir  sprachlich  unmöglich  und  auch  vom  Sinne  nicht  verlangt.  — 
182  ,Mox£XXei,  landen".  Ein  einfaches  „Landen"  scheint  mir 
der  Lage  nicht  entsprechend,  „auflaufen",  ein  absichtliches  Stranden 
muß  im  Verb  liegen.  —  203  zu  ^  SdXaaad  xi  atpi  sfy  sv 
ifvXaxfi  vn'  'Adyvaid&v  re  (fQovQfo^vrj  xal  Aiytv^zeoov  wird 
bemerkt:  „tfcpi  =  tW  avctov".  Schwerlich  richtig;  cfq>i  ist 
dativus  commodi,  entsprechend  dem  folgenden  xal  <scpi  bXtj  deivov 
oidiv.  —  224  doqata  piv  vvv  „in  poetischer  Weise  ohne  Artikel, 
obwohl  bestimmte  Lanzen  gemeint  sind".  Wir  haben  hier  einen 
der  nicht  seltenen  Fälle  des  Sprachgebrauchs,  von  dem  Stein  zu 
IX  88  und  ich  JB.  1897  S.  207  gehandelt  haben. 

In  neuen  Auflagen  sind  ferner  noch  erschienen: 
V.    Hintner,    Herodots    Perserkriege.      Griechischer    Text    mit    er- 
klärenden Anmerkungen  für  den  Schulgebrauch.    IL  Teil:  Anmerkungen. 
Vierte,  od  veränderte  Anfluge.  Wieu  1902,  A.  Holder.  78  S.  gr.8.  1,30  JL. 
Herodot.     Eine  Auswahl  des  historisch  Bedeutsamsten  aus  sämtlichen  neun 
Büchern.   Kommentar,  bearbeitet  von  J.Franke.  Zweite,  umgearbeitete 
Auflage.     Münster  1902,  A sehend or ff.     8.     1,50  JC. 
K.  Abicht,    Herodotos.     Für    den  Schulgebrauch    erklärt.     Erster  Band, 
erstes   Heft:    Buch  I.     Fünfte  Auflage.     Leipzig   1903,   B.  G.  Teubner. 
247  S.     gr.  8.     2,40  Jt. 

3)    F.  H.  M.  Blaydes,   Adversaria    in    Herodotum.     Halle  a.  S.  1901, 
Buchhandlung  des  Waisenhauses.     160  S.     8.     3,80  ,/#. 

Mit  den  Worten  „Quadraginta  fere  anni  sunt  ex  quo  has  in 
Herodoti  Historias  sive  Musas  observationes  maximam  partem 
criticas   scribere    coepi,    postea   identidem  eas  auxi,   supplevi,    et 


234  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

correxi"  beginnt  Verf.  seine  Vorrede.  Wenn  man  dann  weiter 
liest,  daß  die  Gaisfordsche  Ausgabe  zugrunde  gelegt  ist,  im  Dialekt 
vor  allem  W.  Dindorf  gepriesen  wird,  möchte  man  mißmutig  das 
Buch  beiseite  legen.  Die  ganze  Schrift,  wie  auch  ein  Verzeichnis 
der  Ausgaben,  das  sich  an  die  Vorrede  anschließt,  beweist,  daß 
Verf.  Steins  kritische  Ausgabe  nicht  kennt.  Am  Ende  jenes  Ver- 
zeichnisses werden  die  zweite  Auflage  von  Steins  kommentierter 
Ausgabe  (1864—1866),  die  ersten  Hefte  der  Abichtschen  Ausgabe 
(1861  —  1863),  B.  I  und  II  von  Wood  (1873)  aufgezählt,  worauf 
dann  van  Herwerden  den  Schluß  des  Verzeichnisses  bildet.  Die 
Schrift  selbst  wiederum  zeigt,  daß  Verf.  van  Herwerdens  Aus- 
gabe nur  oberflächlich  angesehen  haben  kann;  sonst  wurde  er 
nicht  so  oft  Konjekturen  als  eigene  anführen,  die  bei  jenem  zu 
lesen  sind. 

Bezeichnend  ist  schon  der  Anfang:  ^AhnaQP^aa^og]  lAfo- 
xagvccarjog  SPbcd.  stkMaQVtjtfotoog  (sup.  6)  F.  ^AlixaQvaGGioq 
Aristid.  IdfoxaQvcKföiaQ  Plutarch.  Restituendum,  ni  fallor, 
€AlixaQVti<f(f£os".  Das  Verzeichnis  der  Varianten  ist  nicht  ganz 
fehlerfrei  aus  Gaisford  entnommen.  Ein  Wiedereinsetzen  der 
Form  UlixccQvrjGösog  ist  nicht  nötig;  denn  seit  Struve  (1829) 
steht  die  Deklination  der  Wörter  auf  -svg  bei  Herodot  fest,  und 
eine  andere  Form  durfte  sich  seit  50 — 60  Jahren  kaum  noch  in 
irgend  einer  Ausgabe  finden.  Endlich  hat  Verf.,  da  er  Steins 
kritische  Ausgabe  nicht  kennt,  nicht  gewußt,  daß  die  richtige 
Form  in  A1  überliefert  ist  Gleich  darauf  wird  in  ebenso  über- 
flüssiger Weise  die  Form  ßaaiXiog  für  die  richtige  erklärt,  und 
das  wiederholt  sich,  sooft  bei  diesem  oder  einem  andern  Kasus 
dieses  Wortes  Varianten  überliefert  sind.  Bei  diesen  Formen  ver- 
teidigt Verf.  wenigstens  noch  das  Richtige,  aber  gar  oft  ist  es 
auch  das  Falsche,  was  er  einfuhren  will  (z.  B.  eaav,  Dualformen 
in  der  Deklination).  Lassen  wir  nun  alle  auf  den  Dialekt  bezüg- 
lichen Bemerkungen  beiseite,  so  fällt  damit  die  Hälfte  der  Schrift, 
vielleicht  noch  mehr.  Von  dem  Rest  ist  wieder  etwa  die  Hälfte 
zu  streichen,  weil  sie  Vorschläge  enthält,  die  bereits  von  andern 
gemacht  sind.  Zuweilen  wird  auch  hier  als  Verbesserung  vor- 
gebracht, was,  weil  handschriftlich  überliefert,  bereits  in  den 
Texten  steht.  Von  dem  nun  bleibenden  Rest  möge  der  auf  B.  I 
fallende  Teil  erwähnt  werden.  Verf.  setzt  häufig  für  das  über- 
lieferte Imperfekt  den  Aorist,  so  in  B.  I  l/tefiips  (21),  scpjjve 
(116)  und  S(p6v€V<f€  (211);  ohne  Grund,  genau  so  steht  z.B. 
€7t€fjb7t€  I  110.  Ferner  will  er  119  iyivsxo  für  yivsxai  haben, 
wohl  weil  vorher  der  Aorist  steht.  Es  ist  aber  bekannt,  daß 
Herodot  im  Tempus  wie  im  Modus  nicht  selten  Wechsel  eintreten 
läßt.  Nach  ovt€  nuQeXdsg  (108)  verlangt  er  <pvla%6i*€&d  %e  (statt 
(pvlaüöops&a  d£)  .  .  ig  top  (lerdnsna  %qovov.  Das  Präsens 
kann  hier  statt  des  Futurums  stehen,  weil  ersteres  zugleich  mit- 
ausgedrückt werden  soll:    auch  64  nach  %€  ist  ohne  Anstoß  und 


Herodot,  von  H.  Kallenberg.  235 

kommt  wiederholt  bei  Herodot  vor;  vgl.  Stein.  Umgekehrt 
werden  für  die  Futura  äxpovxay  (198)  und  änodoxifxq  (199)  die 
Präsensformen  verlangt.  Über  diesen  Gebrauch  des  Futurums  bei 
Beschreibung  von  Sitten  handeln  Kruger  zu  I  173  und  Dial. 
53,  7,  2  und  Stein  zu  I  173.  In  3  (ovdi  yaq  ixslvovg  didovai) 
soll  dovva*  für  didovcu  stehen,  das  Stein  richtig  als  Infinitiv  des 
Imperfekts  erklärt.  Nach  iv  vom  8%siv  und  ähnlichen  Ausdrucken 
wird  der  Infinitiv  des  Futurs  verbannt;  darum  nimmt  Verf.  I  10 
aus  der  Aldina  riaaa&ai  an,  ändert  86  xaxayistv  in  xavayi&w 
und  ändert  in  derselben  Weise  auch  die  betreffenden  Stellen  in 
den  übrigen  Buchern.  Es  genügt  dagegen,  auf  die  Bemerkungen 
Krügers  und  Steins  zu  I  10  und  auf  Krüger  und  Classen-Steup 
zu  Thuk.  I  27  zu  verweisen.  Umgekehrt  soll  91  xaTcclvöcu  für 
xaraXvtfstv  stehen,  wohl  wegen  der  gleichlautenden  Stelle  I  53. 
Hier  aber  liest  man  jetzt  nach  den  besseren  Hss.  xazaXvasiv. 
Ebenso  ungerechtfertigt  sind  die  Änderungsvorschläge  im  Gebiet 
der  Moduslehre.  Bei  mg  und  oxmg  av  mit  dem  Optativ  in  Final- 
sätzen, die  ja  eigentlich  Relativsätze  sind,  wird  av  gestrichen 
(I  91,  99,  152)  oder  der  Konjunktiv  gesetzt  (110).  Nach  ov  yäg 
r\v  deivhv  [Aij  (84)  soll  äXolfj  für  dXm  eintreten,  wohl  wegen 
des  historischen  Tempus,  obwohl  doch  dieser  Konjunktiv  auch  bei 
andern  Schriftstellern  häufig  ist.  Herodot  liebt  den  Wechsel 
zwischen  Optativ  und  Konjunktiv,  zuweilen  auch  zwischen  Indikativ 
und  Optativ  in  abhängigen  Sätzen  (siehe  oben).  Auch  das  ist  ihm 
nach  Verf.s  Ansicht  nicht  erlaubt;  er  schreibt  deshalb  zu  axonmv 
oxwg  .  .  %8  noiiJGüo  .  .  pijte  elyv  „Leg.  noiijöoipi  (!)  nisi  mox 
pro  strjv  corrigendum  sm".  Ebenso  schreibt  er  196  ayotvxo 
(nach  ädixotev)  für  aymvxai  und  86  mg  e'X&oi,  für  mg  ijX&€ 
oder  ctneipXavQiGs  für  anotfXavQiasis.  Zu  latogimv  tovg  av 
'EXXyvmv  .  .  ngoöxTijaaiTO  (56)  wird  bemerkt:  „tovg  'EXXijviov  S, 
Recte".  Gewiß  könnte  av  fehlen;  da  es  aber  nur  in  S,  nicht 
auch  in  den  ihm  verwandten  RV  fehlt,  hat  diese  Lesart  keine 
Bedeutung.  Zu  tzq\v  di  rj  yivfjtai  (136)  schreibt  er:  „aut  ttqIv 
3i  av  ytvrjiai,  aut  nglv  öi  yevfo&m" ;  ähnlich  140  und  an  den 
betreffenden  Stellen  der  übrigen  Bücher.  Er  verbannt  also  nqiv 
ij  mit  dem  Konjunktiv  aus  Herodot.  Der  Sprachgebrauch  des- 
selben ist  aber  nicht  so  einzuengen;  vgl.  Schwidop,  Zur  Modus- 
Jehre  im  Sprachgebrauch  des  Herodot;  außerdem  spricht  dagegen 
der  Sprachgebrauch  der  Späteren  (vgl.  Kallenberg,  Textkritik  und 
Sprachgebrauch  Diodors  II  S.  12).  —  7  an'  otsv  ixXr^fj]  Leg. 
in'  otev\  so  auch  an  andern  Stellen;  zuweilen  verlangt  er  aber 
auch  äno  statt  ini  bei  Verben  des  Benennens.  Bekanntlich  kann 
beides  stehen.  —  19  {tov)  Xrjiov  ifinmQafjbivov]  exciderat  rov 
post  simile  srei.  Unnötig:  es  heißt  „ein  Stück  des  Getreide- 
feldes". —  27  no^aaav  ini  tov  voov.  Fort,  rgaipetav.  Das 
Ungewöhnliche  des  Ausdrucks  ist  kein  Grund  zur  Änderung. 
Außerdem    steht    dasselbe    auch    I  71.   —    31    iv    tiXet,    tovtm 


236  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

sa%ovro\  Verba  vix  sana.  Fort.  xiXovg  xovxov  hv%ov.  Wie 
gewaltsam!  Außerdem  unnötig.  —  32  näv  toxi  dvd-qmnog 
ovpifOQq]  Leg.  näöcc.  Wenn  zu  ändern  ist,  dann  doch  lieber 
näg  nach  Aa,  Theon  und  Clemens  Alexandrinus.  —  33  ovrs 
Xoyov  [aw  noitjadfAevog]  Usitatior  structura  fuisset  ovrs  Xoyov 
avxov  noirjGdfjbsvog,  quod  restituendum  videtur.  Zu  beurteilen 
wie  oben  31.  —  37  xavxa  äpeiipaxo]  Fort,  xotcde  (aut  potius 
xotaide).  Aber  ebenso  steht  xavxa  II  174,  VII  135;  vgl.  Rallen- 
berg, Gommentatio  critica  in  Herodotum  S.  15.  —  43  ig  xov 
OvXvpnov  xo  ÖQog]  Lege  ig  tö  OvXvpnov  ovoog.  Es  ist  zu- 
zugeben, daß  die  Stelle  Bedenken  erregt,  aber  die  Änderung  ist 
sehr  unglücklich;  vgl.  hierüber  Kallenberg,  Studien  über  den 
griechischen  Artikel  II  S.  20.  Man  beachte  auch  das  ov  in 
OvXvfinog  und  ovqog  als  Probe  von  Verf.s  Dialektkenntnis.  — 
43  xa&aqSelg  xov  tpovov]  Lege  xov  (povov.  Gewiß  überflüssig.  — 
46  dsvxsoa  nifincnv)  Annon  devxeoovt  Der  Plural  bedeutet  bei 
Herodot  nicht  selten  „demnächst".  Siehe  Krüger.  —  50  xxtjvscc . . 
xd  &v<uiia  ndvxa  xQiaxlXia]  Lege  xxijvta  —  Svaipa  %d  ndvxa. 
Der  Artikel  vor  d-vaifia  ist  nicht  anstößig,  siehe  Stein;  über 
ndvxa  vgl.  JB.  1897  S.  210.  —  51  oj  ydq  xd  [gvv]xv%6v .  . 
eqyov  aut  xov  vv%6vxog.  Der  Ausdruck  ist  ungewöhnlich,  wie 
die  Erklärer  anmerken;  aber  darum  zu  ändern?  —  54  i&Tvai 
tw  ßovXop&vto  avxwv  yivsa-3-ai  JsXyov]  Malim  Jelcpdo.  Ebenso 
ändert  er  I  129  naqeov  avxco  ßaadi'C  (st.  ßaöiXia)  ysviad-a* 
und  III  85  iv  xovvcp  xol  iaxi  rj  ßaaiU'i  (st.  ßaaiXia)  ävai  q 
ftij.  Ganz  unnötig;  vgl.  Krüger,  Sprachlehre  55,2,7.  —  55 
insixs  ydq  drj  naqiXaßs  xov  [xavxrjiov  aX^&elfjv]  Lege  xaxiXaßs 
(percepit,  cognovit).  Schwerlich  dürfte  xaxaXapßdvsiv  bei  Herodot 
sich  in  diesem  Sinne  finden.  —  56  iXni^cov  yfilopov  ovdccfid 
(dp)  avx'  dvdoog  ßaatXevoew.  Wozu  das  beim  Futurum  so 
zweifelhafte  äv  einführen?  —  58  ig  nXij&og  [xdiv]  i&vicav.  Der 
Artikel  wird  genügend  bei  Krüger  und  Stein  erklärt  —  67  enspnov 
avx  ig  zijv  sg  &aov]  Lege  ig  xtjv  ^d-sov  vel  xwag  ig  xijv  &€OV. 
Man  fragt  sich  vergeblich,  welche  weibliche  Gottheit  gemeint  sein 
soll;  etwa  die  Pythia?  Ein  xtvdg  ferner  ist  neben  intiQuaopi- 
vovg  ganz  überflüssig.  —  I  67  <oi>  i^iövxsg.  Die  eigentümliche 
Konstruktion  wird  dadurch  nicht  gefälliger.  —  76  Svqiovg  xe] 
Lege  Svqiovg  dL  Auch  sonst  zeigt  sich  Verf.  als  ein  Feind  des 
bei  Herodot  sehr  beliebten  xey  fast  immer  ohne  Grund.  —  78 
tnnov  öi  noXipiov]  lmo  noXspixov  (bellicum).  Daß  noXipiog 
st.  noXspixog  auch  V  78  und  111,  in  einigen  Hss.  auch  III  4 
wiederkehrt,  macht  Verf.  nicht  stutzig.  Anstatt  daraus  Herodots 
Sprachgebrauch  zu  erkennen,  ändert  er  überall.  —  80  inetyc 
iXXdfAipsa&ai]  lmo  rjXni&  (vel  potius  SXnfe).  Ganz  unnötig 
(vgl.  Krüger)  und  gewaltsam.  —  82  Gvqifjg]  Annon  Gvqiatv^ 
Es  folgt  xäg  ydq  Qvqiag  xavxag  iovaag  xijg  ^AqyoXldog  fiolqrjg. 
Auch  Stein  bezeichnet  es  als  auffallend,    daß  Herodot  hier  beide 


Herodot,  voo  H.  Kailenberg.  237 

Formen  nebeneinander  braucht,  indes  ohne  zu  ändern.  —  84 
(tö)  nqog  top  Tfnolov  (nach  Reiske  für  %ov  TfioiXov).  Kroger 
erklärt  wohl  richtig,  daß  das  folgende  trjg  noXtog  von  einem 
noch  vorschwebenden  tomo  abhängt.  —  86  ^vgstcu  %ov  \ir\ . . 
xazaxav&fjpai]  Lege  %b  py.  Nicht  notwendig.  —  88  xotsqop] 
xoxsqa  nach  der  Aldina;  ebenso  III  32.  Es  wird  beides  zu  er- 
tragen sein.  —  90  inapfjXoyfjas]  Gewöhnlich  schreibt  man 
inaXtlloyrjas  nach  Pollux.  Verf.:  „Aliud  quid,  ni  fallor,  latel, 
fortasse  vnaviw^e  aut  aliquid  simile".  Schwerlich  besser,  ent- 
fernt sich  auch  zu  weit  von  der  Überlieferung.  —  91  spsq&s 
iwv  [totäi]  ccnaai.  Auch  sonst  findet  Wechsel  zwischen  näp 
und  %6  näp  im  adverbialen  Sinne  statt.  —  102  ovx  ane%oäto 
(t«)  povpwp  &Q%eip,  nisi  pro  ao%sip  reponendum  aoxcop. 
Ersteres  wegen  I  37,  wo  doch  der  Dativ  eines  Nomens  folgt.  — 

104  iniaxop]  An  xax£c%opt    Vgl.  dagegen  Kruger  und  Stein.  — 

105  (oaz€  apa  X&yovöi]  Fortasse  x<ov  t€X[xtjqkx.  Liegt  doch  zu 
weit  ab.  —  108  nccQaßdlfl]  Annon  diaßakq*!  (noli  me  decipere). 
Nach  Stein  kann  dasselbe  auch  naoaßdkkea&ai,  heißen.  Vgl. 
auch  Krugers  Erklärung  „aufs  Spiel  setzen".  —  109  ov  ol]  An 
ovx  oll  I  132  will  er  ol  streichen.  Die  andern  Stellen  mit  ov 
ol  (II  120,  IV  43)  hat  er  übersehen.  —  111  fiyve  xots  ysvio&ai] 
Corrigendum,  ni  fallor,  nv&ia&ai.  Wohl  deshalb,  damit  nicht 
io  zuerst  Objekt  zu  IdsXv  und  dann  Subjekt  zu  yepia&at,  sein 
soll.  Dergleichen  kommt  doch  auch  bei  andern  Schriftstellern 
vor.  —  111  xQccvyapofispop]  Malim  xQavya£6[Atvop.  Eine  Ver- 
mehrung der  schon  vorhandenen  unsicheren  Konjekturen.  — 
111  ansikyäag]  Imo  dnsilijoavja;  also  auf  ^Aaxvdysa  bezogen, 
wodurch  bessere  Obereinstimmung  mit  HO  hergestellt  wird.  Ist 
das  aber  nötig?  —  112  näad  ys  äpdyxfj]  Lege  näad  6(fs. 
Bedenklich,  da  o<p€  nur  III  52,  wo  man  es  in  aepecc  geändert 
hat,  bei  Herodot  vorkommt.  Übrigens  fehlt  ys  in  ABC.  —  114 
ooyjj  <ag  £l%s\  Fort,  doyfjg  cbg  «fy«.  Ebenso  ändert  Schäfer 
1  61;  an  sich  richtig,  aber  schwerlich  notwendig.  —  114  apdqaia 
[nQijy fiava]  nsnop&ipai,.  Wohl  möglich.  —  115  ig  o  elaße 
%i[P  dlxtjp]  id  est  quapropter  cf.  VIII  60.  An  letzterer  Stelle  ist 
diese  Bedeutung  ausgeschlossen;  man  liest  jetzt  gewöhnlich  [ig] 
%6.  I  115  ist  ig  6  natürlich  temporal.  —  115  sl  <op  dtj] 
Malim  ei  drj  wv.  Diese  Bemerkung  wiederholt  sich,  sooft  sich  — 
und  das  ist  recht  häufig  —  diese  Partikelverbindung  findet.  Siehe 
dagegen  Hoffmann,  Über  den  Gebrauch  der  Partikel  dop  bei  Herodot 
(Schneidemuhl  1884).  —  120  bXqsto  .  .  tj  sxqwap]  Lege  xfj. 
Auch  sonst  verlangt  er  in  indirekten  Fragesätzen  das  Interrogativum 
für  das  bei  Herodot  gar  nicht  seltene  Relativum.  Siehe  Stein  zu 
I  56.  —  129  nooGrag,  Schweigh.  nqoaaxdg]  Malim  inititäg. 
Und  doch  billigt  er  I  119  Schweighäusers  nooGorapteg,  das  dort 
in  derselben  Bedeutung  steht  wie  hier,  für  nooeraptsg.  —  133 
7tQO%h&iatak]    Lege    naqa%i&ia%ai.      Aber    kurz    vorher    steht 


238  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereios. 

nqozi&ea&ai  ebenso.  —  141  nX^d-oq  noXXov  [zcov]  tyd-vwv. 
Der  Artikel  hat  seine  Berechtigung  in  bezug  auf  das  vorher- 
gehende l%&vq.  —  141  oqxiov]  Annon  oqxiat  conf.  ad  I  143. 
Der  Singular  ist  herodoteisch,  I  143  steht  der  Plural  nur  in  92.  — 
142  ykcoGOfip  (?)  di  ov  zijp  avzijv  .  .  vsvofiixaai]  Lege  yXcSötifi 
di  ov  ifj  avzfj.  Beide  Kasus  sind  gleich  häufig.  —  145  an' 
ozsv  Schäfer  für  an'  ozov.  Corrigendum  and  zov.  Gegen 
Herodots  Sprachgebrauch,  der  an  ov  verlangt.  Doch  ist  dies 
nicht  nötig.  —  152  <or*>  nXetazoi.  Exciderat  oxt  post  praec. 
-voi.  Aber  Herodot  kennt  oti  beim  Superlativ  nicht.  —  152 
xazaozdc]  Lege  avaötdq.  Siehe  dagegen  Stein  zu  [II  46.  — 
153  [än]iqqtipe.  Venit  fortasse  an  a  vicino  aq.  Ebenso  ändert 
er  IV  142,  übersieht  aber  VII  13.  Aber  warum  überhaupt?  — 
162  ret^geag  noirjosie]  An  noujasiavt  Mir  unverständlich.  — 
167  sXa%6v  %s  avzcov  noXXw  nXeiovq]  Latet,  ni  fallor,  numerus 
aliquis  ut  (ivqicov.  Stein  schreibt  nXsiazovq.  —  168  nqozsqog 
zovzoov]  Lege  nqovsqov.  Bezieht  man  tovtcov  auf  die  Teler,  so 
ist  alles  in  Ordnung.  —  171  <poqov  vnozsXiovzeg]  Malim  äno- 
zsXiovzeg.  Warum  nur?  —  171  neqixslpsvoi]  Fort.  neqisipivoi. 
Ebenso  überflüssig;  siehe  Krüger.  —  174  ivzog  di  (äv}  näad 
Gifk  iyivezo  Dobree.  Malim  näaa  av.  Liest  man  nach  AB 
iylvsxo,  so  ist  av  überflüssig.  Vgl.  Stein  und  van  Herwerden.  — 
179  niqi%  zov  T€i%eoq]  Imo  zo  zstxog.  Die  Sache  bleibt  streitig. 
Auch  II  19  und  IV  152  steht  der  Genitiv,  aber  beidemal  mit 
Varianten.  —  181  heteix^zo]  Fort.  ezsztixqxo.  Verbum  enim 
xsix^v  (sensu  zov  zet%i&iv)  legitur  V  23,  VIII  40,  IX  7,  8. 
Dagegen  steht  IX  8  lvecsl%rtto  und  änszezslx^zo  neben  heixsov. 
Die  Formen  von  zsipoo  scheinen  nur  im  Aktiv  gebraucht  zu 
sein.  —  181  er  zw  ijev  oder  ehv]  Lege  rjv  aut  eoxe.  Dann 
aber  billigt  er  Gronovs  fiiv.  —  181  (övv  aut  dpa)  neqißoXw. 
Schwerlich.  —  181  dvdßaa  ig  .  .  exovtsa]  Malim  ayovaa  aut 
(f€Qovoa.  Doch  siehe  Steins  Erklärung.  —  181  ovdi  vvxza 
ovdelg  ivavXi£ezai]  Annon  vvxxogt  Der  Akkusativ  steht  mit 
demselben  Recht  wie  182  xäq  vvxzag.  Siehe  Stein.  —  183  eazi 
di  xa*  aXXoq  (xdXxeogy  ßoopog  piyag.  Warum?  —  185  avrfj 
di]  Lege  avzq  dq.  Verf.  scheint  den  Gebrauch  des  di  im  Nach- 
satz von  Doppelperioden  nicht  zu  kennen.  —  186  zonjvds  [i%\ 
avx&v  naqsv&fjxfjv  inonjoazo.  Die  Erklärung  des  i%  gibt  Verf. 
selbst  durch  den  Zusatz  „nisi  quidem  sensus  est  perfectis  his 
operibus".  —  187  pij  [ov]  Xaßstv,  unter  Verkennen  des  Negativen 
im  vorhergehenden  dsivov. —  190  inei  <r«)  di.  Weshalb  nur? 
—  192  Inno*  di  ol  avzov  tjaav  Idlfj]  Annon  o\  avztirt  Krüger 
streicht  avzov,  Stein  erklärt  es  lokal:  „in  Babylon".  Was  der 
Dativ  avi(ß  soll,  verstehe  ich  nicht;  ol  ist  doch  auch  Dativ.  — 
196  %6  di  av  XQvai°v  fylvtzo]  Annon  %6  di  XQ>  <**  fy^  Die 
Stellung  ist  auch  Krüger  auffällig.  —  200  dze]  An  ooaze?  Siehe 
dagegen  Krüger  und  Stein.  —  202  xaro»xigf<röa»]  Lege  xazoixia&ai. 


Herodot,  von  H.  Kallenberg.  239 

Siehe  dagegen  Krüger  und  Stein  zu  I  27.  —  204  oxi}  yoco 
i&vasie]  Lege  oxoi.  Auch  hier  begründen  Krüger  und  Stein  die 
Überlieferung.  —  205  ^V  yvvaXxa  s%ew]  Imo  k^v  (aut  zr/v) 
yvvaXxa.  Das  erstere  ist  so  falsch  wie  ?yi>,  da  diese  Possessiv- 
formen bei  Herodot  nicht  vorkommen.  Man  streicht  es  deshalb. 
Übrigens  ist  yvvaXxa  fjv  überliefert.  Höchstens  könnte  amijv 
oder,  wie  Cobet  will,  fiw  stehen.  —  210  tvsqi,%(x)q6oi]  Lege  neQi,- 
XWQtjasiv  (ut  relevTijcsw  paullo  ante)  aut  ntqtxonQfi^Oh.  Wahr- 
scheinlicher Schweighäuser  neoixwoijaei.  —  212  äpTteXivco 
xaqmjö  ifAntnXdfieyoq]  Imo  apneXivov  xaqitov.  Der  Dativ, 
nachher  wiederaufgenommen  durch  toiovtw  (pag^axa),  gehört  zu 
doXriaaq.  Höchstens  könnte  man  über  das  folgende  twksq 
zweifelhaft  sein.  —  214  avvoq  (o>  Kvooq.  Die  angeführte  Stelle 
VI  69  avioq  6  *AqIg%wv  ist  kein  Beweis.  Außerdem  ist  der 
Artikel  dort  nicht  sicher  überliefert. 

Sitzlers  Anzeige  dieser  Schrift  besteht  aus  einem  einzigen 
Satz  (Jahresber.  über  die  Fortschritte  der  klassischen  Altertums- 
wissenschaft 1903,  II  S.  76) :  „Ein  Buch,  in  dem  Altes  und  Neues, 
Eigenes  und  Fremdes  in  bunter  Fülle  geboten  wird.  Unter  vielem 
Überflüssigen  und  Unbrauchbaren  findet  sich  auch  manches  Gute". 
Von  letzterem  habe  ich  so  gut  wie  nichts  gefunden. 

4)  Grenfell  and  Hunt,  The  Amherst  Papyri.    II.     Loodoo  1901. 

Auf  S.  3  findet  sich  ein  Fragment  einer  Schrift  (vndfAVfjfJba) 
des  Aristarch  über  Herodot,  von  der  man  bisher  nichts  gewußt 
hat,  das  aus  dem  dritten  Jahrhundert  n.  Chr.  stammt.  Am  be- 
merkenswertesten ist  die  zweite  Zeile  =  ovoq  £«£  £Gt[i]p  oioi 
xai  sv  xoiq  nXoioiq,  Damit  erhält  an  der  betreffenden  Herodot- 
stelle  (I  194  iv  sxdazm  di  nXolto  ovoq  foog  svstixi  in  den 
Texten)  die  Form  ^ciq  in  den  Hss.  Rsvd  eine  bedeutende  Stütze. 
Vgl.  damit  O.  Hoffmann,  Die  griechischen  Dialekte  III  S.  504. 

Gleich  darauf  folgt :  avi7in[oi, . .]  dsi[.]tda  ct(j,in[noi  in  bezug 
auf  Her.  I  215,  womit,  wie  von  den  Hsgh.  bemerkt  wird,  auf 
eine  in  unseren  Hss.  nicht  vorhandene  Variante  apmnoi  zu 
avmnoi  Bezug  genommen  wird.  Weiter  unten  ist  von  der  an 
derselben  Stelle  von  Herodot  erwähnten  aayaqiq  die  Rede:  aayaqiq 
neXexvq  2xv&ix[oq  ot]  ov  [a]i   Afia&vsq  (f[oq]ovatp. 

Im  Anschluß  hieran  mögen  nachträglich  die  beiden  kurzen 
Fragmente  aus  Herodot  erwähnt  werden,  die  sich  finden  bei 

5)  Grenfell  and   Hont,  The   Oxyrhyochus  Papyri  I  (London  1898) 

S.  44—46. 

1)  Her.  I  105  —  106  (iv  Kynqin  Iqov  —  tu  ndvxa  acptv 
vno  t€  vßqiog).  Hier  ist  das  Wichtigste  ivio'xfji/jsp  y  &[6]6q 
sUitiviaxTjips  6  feoq  in  den  Hss.  Damit  stimmt  das  Fragment 
mit  Longin  n.  Zip.  28    und  Tiberius  n.  crg^p.  S.  605    überein. 


240  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Die  übrigen  Abweichungen,  [evxsv^ev  st.  iv&evxev  und  Ocpiv  am 
Ende  st.  acfi  sind  unwesentlich. 

2)  Her.  I  76  (KvQog  dt  äyslgag .  .  .  dU<s%i\Gav  vvxTog 
insl^ovafjg).  Es  hat  die  Fehler  dcplxszo  und  ivzav&a  (vgl. 
oben  ipTw&ev),  ferner  insiq&ovxo  st  stisiqcovto.  Sonst  ver- 
meidet es  aber  einige  Fehler  der  Hss.,  es  hat  nicht  iyslgag  (Rsv) 
st.  äysigag,  stellt  sich  mit  xijQVxag  auf  die  Seite  dieser  Hss. 
gegen  ABC  (xrJQVxoc)  und  hat  [noX]lcov  äfig>OT^Q(ov,  während  ABC 
afKpOT^Qoov  noXXwv  haben  und  Rsv  aptpOTiQwv  auslassen.  Der 
Vollständigkeit  wegen  sei  endlich  elxoai  (ohne  v)  erwähnt,  wofür 
Aß  tixoöiv  haben;  vgl.  dagegen  sviaxr\\psv  und  Gcpiv  im  ersten 
Fragment. 

6)  M.   ßroschmaon,    Supplementum    lexici    Herodotei    alterum. 

Accedit  novum  lexici  Herodotei  specimeo.  Sonderabdruck  ans  dem 
Jahresberichte  des  Gymnasiums  zu  Zwickau  Ostero  1904.  Leipzig 
1904,  B.  G.  Teubner.     24  S.     4. 

In  seinen  „Lexikalischen  Beiträgen  zu  Herodot"  (Zwickau 
1 898)  hatte  Verf.  Ergänzungen  zu  Schweighäusers  Lexikon  für  die 
Buchstaben  A—0  geliefert  (vgl.  JB.  1900  S.  72).  Hier  gibt  er 
zunächst  „Additamenta"  zum  Buchstaben  A,  dann  folgen  als 
Fortsetzung  der  lexikalischen  Beiträge  die  Buchstaben  / — 3,  wobei 
mehr  auf  die  Überlieferung  und  die  Textkritik  geachtet  ist  als  in 
der  ersten  Schrift.  Hieran  endlich  schließt  sich  ein  novum 
specimen  lexici  Herodotei.  „Qua  in  re  tractanda  id  spectavi,  ut 
quae  Herodoteae  dictionis  propria  essent  aut  rarius  obvenirent, 
diligentissime  conferrem  et  verbis  exscriberem,  quae  essent  omnis 
Graecitatis  communia,  paucis  locis  allatis  absolverem".  Gewählt 
wird  hierfür  äv,  66  und  die  Verba  ßccXlew  und  yivsG&tth 
mit  ihren  Komposita  und  den  von  ihnen  abgeleiteten  Nomina. 
Dieses  Specimen  kann  wirklich  als  ein  Muster  einer  lexikalischen 
Arbeit  hingestellt  werden.  Schade,  daß  wir  so  wenig  Aussicht 
haben,  ein  ganzes  Lexicon  Herodoteum  in  dieser  Form  zu  be- 
kommen. 

7)  H.  Schmitt,  Präparation  zu  Herodot.    Buch  VU  in  Auswahl.    Kräht 

und  Rankes  Praparationen  für  die  Schullektüre.  Heft  65.  Hannover 
1901,  Norddeutsche  Verlagsanstalt  O.  Gödel.     36  S.     0,70  JC. 

Die  Auswahl  umfaßt  die  Kapitel  1—46,  53—60,  87—89, 
100—105,  131—145,  157—162,  172—178,  196,  198-239. 
Zugrunde  gelegt  ist  die  Teubnersche  Textausgabe.  Zu  loben  ist, 
daß  sich  Verf.  nicht  damit  begnügt  hat,  ein  gedrucktes  Prä- 
parationsheft, d.  b.  eine  Reihenfolge  von  Vokabeln,  zu  liefern, 
sondern  auch  auf  Konstruktionserklärungen  viel  Muhe  verwandt 
hat.  In  manchen  Punkten  bleibt  sich  Verf.  nicht  gleich;  er 
schreibt  gewöhnlich  yiyvcoöxto  und  ytyvopai,  läßt  aber  10  und 
10  &  yivaitixo),  103  und  157  yivopcu  stehen.  Er  schreibt  axqa- 
xrilaaia  (14),    r\lixia  (18),    Oocfia  (23,  102),    av^cfOQq,    alitx 


Herodot,  von  H.  Kallenberg.  241 

(134,  231),  opoXoyia  (139),  aupla  (158),  advvaoia  (172), 
oQQwdia  (173),  ah  luv  (214),  während  in  den  übrigen  Fällen  das 
ionische  tj  unverändert  stehen  geblieben  ist.  Einen  Hinweis  auf 
die  attische  Form  vermisse  ich  bei  ntvzrixovxtgog  (31),  xa- 
zaQQQod^w  (38)  und  Xayog  (57).  18  heißt  es  „xat  og  wie  bei 
Homer  =  xal  ovzog".  Das  igt  doch  ebenso  gut  attisch.  38  „?ö 
idsyd-q  herodoteisch  für  vov  idey&fj".  Der  Akkusativ  eines  Pro- 
nomens im  Neutrum  bei  diopcu  ist  auch  attisch;  anderseits  ist 
auch  bei  Herodot  der  Genitiv  üblich.  Endlich  60  „ovdctpog 
keiner44.     Bekanntlich  ist  nur  der  Plural  im  Gebrauch. 

In  demselben  Verlag  sind  von  demselben  Verfasser  noch  er- 
schienen: Präparation  zu  Herodot  V,  VI  und  IX  in  Auswahl. 

$)  R.  Helbing,  Die  Präpositionen  bei  Herodot  uud  aodereu 
Historikern.  Beiträge  zur  historischen  SyoUx  der  griechische u 
Sprache,  herausgegeben  von  M.  von  Schauz.  Heft  16.  Würzburg 
1904,  A.  Stabers  Verlag.     159  S.     8.     5  JC. 

Verf.,  der  sich  schon  durch  zwei  treffliche  Abhandlungen 
über  den  Dativ  bei  Herodot  bekannt  gemacht  hat,  hat  sich  dies- 
mal ein  höheres  Ziel  gesteckt.  Was  er  schon  beim  Dativ  ver- 
einzelt getan  hat,  fuhrt  er  jetzt  bei  den  Präpositionen  in  großem 
Maßstabe  aus;  es  kommt  ihm  darauf  an,  „nicht  nur  den  Gebrauch 
zu  registrieren  und  Verschiedenheit  von  der  Atthis  festzustellen, 
sondern  auch  der  weiteren  Entwicklung  ober  die  Atthis  hinaus 
nachzugehen,  um  auf  diese  Weise  dem  ersten  Historiker,  der  auf 
uns  gekommen  ist,  seine  Stellung  innerhalb  der  Literatur  in 
sprachlicher  Beziehung  auf  einem  bestimmten  Gebiet  zuzuweisen". 
Alle  Historiker  sind  herangezogen  bis  auf  Zosimus,  z.  T.  auch  noch 
Prokop.  Vorausgeht  ein  allgemeiner  Teil,  der  einen  statistischen 
Überblick  über  die  Geschichte  der  Präpositionen  in  Hinsicht  auf 
die  Frequenz  bringt.  Zu  dem  besonderen  Teile,  in  dem  die  ein- 
zelnen Präpositionen  der  Reihe  nach  behandelt  werden,  sei  folgen- 
des angemerkt.  Auf  die  handschriftliche  Überlieferung  wird  im 
allgemeinen  geachtet,  zu  Varianten  wird  Stellung  genommen.  So 
will  Vert  (S.  37)  II  147  nach  Rsv  ig  vor  dvcodexcc  poigag 
da(fd(jb€V<n  beibehalten;  nach  meiner  Meinung  ist  beides  möglich. 
IX  98  (S.  51)  will  Verf.  iv  (so  Rsv)  vor  änoglfiot  &i%ovxo  als 
Dittographie  der  vorhergehenden  Silbe  oov  streichen.  An  sich 
kann  wohl  Herodot  beides  schreiben,  aber  die  größere  Wahr- 
scheinlichkeit ist  für  iv.  Er  hat  <x7iogir}Oi,  ivtysc&cu  I  190 
und  VIII  52,  aber  iv  dnogir[Ci  sxeadcu  IV  131,  also  doch  wohl 
auch  an  der  fraglichen  Stelle  iv  neben  dem  Simplex  €%sg&cci, 
wie  Rsv  haben.  Mit  Recht  dagegen  verlangt  er  VJ1  164  vnö  (so 
PRsv,  ano  ABC)  dixayocvvrig,  „zumal  dnö  bei  Bezeichnung  der 
inneren  geistigen  Ursache  doch  wohl  erst  seit  Dionys  nachweisbar 
sein  dürfte".  Nicht  beachtet  dagegen  ist  (S.  44)  da,  wo  er  vom 
temporalen  ig  o  spricht,  daß  doch  daneben  auch  ig  ov  sicher 
überliefert  ist.    Es  ist  dies  um  so  auffälliger,  als  doch  von  ig  ov 

JahrMbtriehte  XXX.  16 


242  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

bei  Appian  die  Rede  ist  und  dabei  Krebs  (Die  Präpositions- 
adverbien in  der  späteren  historischen  Gräzität  II  8),  der  auch 
von  Herodot  spricht,  zitiert  wird.  Auch  sonst  vermißt  man  noch 
zuweilen  die  Angabe  von  Varianten,  doch  geschieht  es  meist  an 
solchen  Stellen,  an  denen  es  wenig  darauf  ankommt.  Am  meisten 
vermisse  ich  sie  (S.  38)  Thuk.  1  137  iani^insi  yQcifJifiaTcc  ig 
ßaaiXia  IdQTCcSiotyv;  denn  ig  steht  in  ABEF,  ngög  aber  in  CG, 
a>€  endlich  hat  nach  Bekker  eine  Pariser  Hs.  Wenn  aber  diese 
Stelle  schwindet,  gibt  es  kein  einziges  sicher  überliefertes  Beispiel 
für  ig  bei  Personen  im  Singular  bei  Thukydides.  Denn  Moloeis 
(III  2  ig  top  MoXoevva)  ist  auch  Ortsname;  vgl.  Her.  IX  57, 
wo  MoXosig  als  Fiußname  erscheint.  So  bleibt  aus  dem  ge- 
samten Gebiet  des  Attizismus  nur  eine  Stelle  übrig,  Isäus  VII  14 
(iX&wv  elg  zrjv  ifirjv  /u^rlga),  wo  man  doch  wohl  mit  Reiske  a>g 
einsetzen  muß,  wie  auch  bei  Bürmann  zu  lesen  ist.  Im  Herodot 
ist  Verf.  die  Variante  in  Rsv  ig  *An6XXcova  für  ig  *An6XXcovog 
(VI  57)  entgangen.  Dieser  Fehler  in  Rsv  hat  mich  einst  auf  die 
Vermutung  gebracht,  daß  II  18  in  ig  "Aftpcova  derselbe  Schreib- 
fehler vorliegt.  Dagegen  das  fast  unpersönliche  ig  d-eov  snepnov 
(V  79)  gebe  ich  zu.  —  In  IV  113  ig  rijv  [xtaafißQifjv,  IV  181  ig 
fisaag  vvxxag  und  IX  46  ig  rjoo  soll  ig  die  ungefähre  Zeitangabe 
(=  7t€Qi,  vnd)  bezeichnen  (S.  46).  Am  ersten  könnte  dies  noch 
an  der  ersten  Stelle  möglich  sein,  wo  auch  Stein  „um  die  Mitte 
des  Tages1'  übersetzt.  Doch  liegt  an  allen  drei  Stellen  der  Begriff 
des  Zieles  zugrunde;  IV  181  heißt  ig  ganz  deutlich  „bis",  IX  4& 
liegt  das  Ziel  in  dem  im  futurischen  Sinne  gebrauchten  Präsens 
yivexai.  —  S.  49  heißt  es:  „Die  seltenste  Bedeutung  (von  iv) 
ist  wohl  „an"  von  der  Lage  an  Flüssen  und  Meeren  IV  78  olxicc 
iösificcTO  iv  Boavad-ivei,  wie  iv  xoXnta  IX  92*'.  Aber  an  der 
ersten  Stelle  ist  offenbar  die  dem  Flusse  gleichnamige  Stadt  (vgl. 
Strabo  S.  306)  gemeint,  wie  schon  das  Fehlen  des  Artikels  be- 
weist. Der  zweite  Ausdruck,  iv  reo  ^Ioviw  xoXnco,  dagegen  ist 
stehend  bei  Städtenamen,  wie  iv  too  IJovtw,  und  das  noch  vom 
Verf.  angeführte  iv  'EXXtjtrnovTGi.  Mit  Recht  tritt  er  daher  VI  140 
für  die  Lesart  von  Rsv  f(  iv  'EXXqanovTW  gegen  das  in  den 
übrigen  Hss.  überlieferte  i\  in*  'EXXrfGnovxw  ein.  —  Beim  tempo- 
ralen Gebrauch  von  iv  wird  zugleich  der  bloße  Dativus  temporis 
besprochen  und  damit  eine  Ergänzung  zu  den  beiden  Programm- 
abhandlungen über  den  Dativ  bei  Herodot  geliefert.  —  Bei  in* 
c.  acc.  im  temporalen  Sinne  ist  auch  V  120  (Aaxe<fd(A€Vo*  inl 
nXiov  rj  nqovsoov  htsomd-^aav  aufgeführt;  aber  inl  nXiov  ge- 
hört offenbar  zu  idadd-fiaav^  ist  also  nicht  temporal.  Dagegen 
hätten  VII  167  inl  roaovro  yäq  Xiyexai  eXxvCat  tqv  övcxadiv 
und  doch  wohl  auch  IV  130  tccvtcc  piv  vvv  inl  0[juxq6v  vi 
icfSQovxo  xov  noXifiov  erwähnt  werden  müssen.  Ungenau  ist 
hier  auch  V  94  %qovov  inl  avxvöv,  da  dies  nur  die  Lesart  der 
Aldina  ist,    während  die  Hss.  ini  %oovov  <sv%vov  haben.  —  Für 


Herodot,  voo  H.  Kallenberg.  243 

das  temporale  ix  tovxov  ist  (S.  73)  auch  I  157  Ix  xovxov  d£ 
xsXsvGpaTog  aufgeführt,  wo  doch  in  zu  xslsvöpatog  gehört. 
Ausgelassen  dagegen  ist  das  in  demselben  Kapitel  stehende  ix 
nalaiov.  —  S.  107  wird  von  ano  im  Sinne  von  nsQi  xivog 
beim  Gegenstand  der  Rede  gebandelt.  Doch  trifft  dies  nur  für 
IV  54  und  195  zu;  in  den  drei  andern  Beispielen,  VII  168,  be- 
sonders aber  VII  195  und  VI II  94,  zeigt  sich  deutlich  die  ursprüng- 
liche Bedeutung  des  Ausgangspunktes  von  einem  Orte;  vgl.  Krüger 
zu  VII  168.  Doch  mögen  diese  Stellen  den  Übergang  zu  dem 
absonderlichen  Gebrauch  in  den  ersten  beiden  Stellen  bilden.  — 
Bei  vno  im  temporalen  Sinne  ist  II  36  vno  xovg  d-aväxovq  aus- 
gelassen und  II  81  (muß  heißen  II  181)  in'  ixslvqv  %i\v  vvxxa 
ist  nicht  beachtet,  daß  vno  von  Schäfer  für  das  überlieferte  in9 
eingesetzt  ist. 

9)  A.  Fachs,  Die  Temporalsätze  mit  den  Konjunktionen  „bis" 
und  „solange  als".  Beiträge  zur  historischen  Syntax  der  griechi- 
schen Sprache,  herausgegeben  von  M.  von  Schanz.  Heft  14.  Würz- 
barg  1902,  A.  Stäbers  Verlag.     130  S.     8.     3,60^. 

Aus  dem  hierher  gehörigen  Teile  (S.  66 — 80)  sei  folgendes 
erwähnt:  1)  Am  ausgedehntesten  ist  bei  Herodot  der  Gebrauch 
von  ig  o.  Während  aber  Homer  nur  elg  o  xe  braucht,  und  zwar 
nur,  wenn  der  Inhalt  des  ganzen  Satzes  auf  die  Zukunft  hinweist, 
steht  ig  o  bei  Herodot  auch  bei  Tatsachen  und  stattgehabten 
Ereignissen,  aber  nur  in  der  Bedeutung  „bisu.  49  mal  steht  der 
Ind.  aor.,  4  mal  der  InOnitiv  (in  indirekter  Rede) ;  9  mal  der 
Konjunktiv,  wobei  7  mal  äv  zugesetzt  ist,  einmal  endlich  der 
Indikativ  des  Futurums  (IX  58).  2)  Viel  seltener  steht  £cog,  7  mal 
bedeutet  es  „solange  als",  3  mal  „bis".  Einmal  folgt  der  Infinitiv 
in  indirekter  Rede,  sonst  stets  der  Indikativ  eines  Präteritums, 
da  immer  von  Tatsächlichem  die  Rede  ist.  3)  Auch  saxs  steht 
einmal  mit  dem  Infinitiv  in  indirekter  Rede,  sonst  regelmäßig 
mit  äv  und  dem  Konjunktiv  im  futurischen  Sinn;  5  mal  bedeutet 
es  „solange  als",  3  mal  „bis4'.  4)  fiixQ1'  ohne  °"  ste^1  nur 
2  mal,  einmal  mit  dem  Indikativ  „solange  alsu,  einmal  mit  dem 
Konjunktiv  ohne  äv  („bis")  im  futurischen  Sinne;  6  mal  dagegen 
/*£#(>*  ov,  einmal  auch  p£%Qi>  oaov,  mit  dem  Indic.  aor.;  nur 
einmal  steht  der  Optativ,  um  die  Wiederholung  zu  bezeichnen. 
Einmal  endlich  (1 117)  kommt  auch  ä%qi  ov  vor,  und  zwar  mit  dem 
Konjunktiv  ohne  äv.  Verf.  ist  überall  in  der  Abhandlung  bestrebt 
zu  zeigen,  wie  sich  die  temporalen  Konjunktionen  aus  ursprung- 
lichen Demonstrativen  entwickelt  haben,  wobei  auch  auf  das  zu- 
weilen vorkommende  di  im  Nachsatz  hingewiesen  wird. 

Zu  IV  160  ('AgxsaiXsoog  sin  st  o  (fsvyovai,  ig  S  iv  Asvxcovi 
xb  xyg  AißvTjg  iyivsxo  sntdicoxwv  xal  sdo%s  xotat  Aißvat, 
im&iö&a*  ol)  wird  bemerkt:  „Für  das  Imperfektum  iyivexo 
läßt  sich  an  dieser  Stelle  keine  passende  Rechtfertigung  finden, 
und  deswegen  durfte  besser  iyivsxo,  der  Aorist,  einzusetzen  sein, 

16* 


244  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

zumal  auch  im  koordinierten  Satze  der  Aorist  (sSo^s)  gesetzt  ist**. 
Das  iyivszo  laßt  sich  doch  rechtfertigen,  es  kann  eine  Dauer  be- 
zeichnen, in  die  das  Mdo^e  hineinfällt.  Endlich  muß  noch  er- 
wähnt werden,  daß  Verf.  zu  wenig  auf  die  Oberlieferung  geachtet 
hat.  So  ist  es  gekommen,  daß  von  dem  in  den  Hss.  überlieferten 
ig  ov  für  ig  o  gar  nicht  die  Rede  ist. 

10)  J.  H.  Lipsius,  Der  Schluß  des  Herodotiscben  Werkes.    Leip- 

ziger Studien  zur  klassischen  Philologie  XX.     Leipzig  1902.     8.  195 
bis  202. 

Mit  von  Wilamowitz  und  Wachsmuth  hält  Verf.  die  Gründung 
des  Attischen  Seebundes  für  den  beabsichtigten  Schluß  von  Herodots 
Werk.  Daß  das  Werk  nicht  in  abgeschlossener  Gestalt  vorliegt, 
geht  nach  ihm  schon  allein  aus  den  Worten  xai  %a%a  %o 
hog  xovto  oidev  inl  nXiov  zovzcjv  iyivsto  (IX  121)  hervor. 
„Es  kann  doch  nicht  bestritten  werden,  daß,  wer  so  schreibt, 
noch  nicht  an  das  Ziel,  das  er  sich  gesteckt  hat,  gelangt  ist, 
sondern  eine  Weiterfuhrung  seiner  Darstellung  in  Aussicht  nimmt". 
Er  betont  dabei  besonders  das  tovtoov,  das  sich  auch  in  den 
Parallelslellen  findet  und  daselbst  unverkennbar  auf  eine  Fort- 
setzung hinweise.  Die  'Aaavgioi  X6yoi  werden,  wie  auch  von 
anderen,  für  ein  besonderes  Buch  gebalten,  das  aber  auch  wirk- 
lich geschrieben  sei,  wie  aus  Aristoteles  Tierkunde  VIII  18 
S.  601  *>,  wo  aus  Da  die  Lesart  'Hgodovog  statt  'Haiodog  auf- 
zunehmen sei,  hervorgebe.  Denn  der  Ausdruck  iv  rjjf  ditiyiJGe* 
weise  auf  einen  Historiker,  nicht  auf  einen  Dichter  hin,  und 
Hesiod  könne  doch  nicht  gut  eine  Erzählung  von  der  Belagerung 
von  Ninive  (etwa  in  der  'Ogvid-Ofiapreia)  gegeben  haben.  Zum 
Schluß  warnt  Verf.  vor  der  neuerdings  mehrfach  hervorgetretenen 
Neigung,  Dionysius  von  Milet,  von  dem  man  so  wenig  wisse,  als 
Quelle  für  Herodot  heranzuziehen. 

11)  C.  F.  Lehmann,    Babylooiens  Kulturmission   einst  und  jetzt. 

Ein    Wort   der    Ablenkung    und    Aufklärung    zum    Babel-Bibel-Streit. 
Leipzig  1903,  Dieterich.    88  S.     8.     1,20  JC. 

Im  letzten  Teil  der  Schrift  und  in  einem  Nachtrage  verteidigt 
Verf.  Herodot  gegen  unberechtigte  Angriffe  von  seiten  der  Assyrio- 
logen1).  In  erster  Linie  haben  sich  diese  gegen  Herodots  An- 
gaben über  die  gewaltigen  Mauern  Babylons  gerichtet,  weil  von 
diesen  keine  Spur  mehr  zu  finden  ist.    Hiergegen  bemerkt  Verf.: 

1)  Die  Bauart  —  nur  die  Außenseite  bestand  aus  gebrannten 
festen  Ziegeln,  das  Innere  war  durch  ungebrannte  Ziegelsteine 
ausgefüllt  —  begünstigte  ein  vollständiges  Verschwinden  derselben. 

2)  Herodots  Angaben  über  die  äußere  Mauer,  die  zu  seiner  Zeit 
nicht  mehr  bestand,  da  sie  von  Xerxes  zerstört  war,  konnte  nur 


l)  Wie  ungerecht  dieselben  sein  können,  ist  im  vorigen  Bericht  (1902 
8.  87)  in  der  Besprechung  von  C.  Niebnhrs  Schrift  „Einflüsse  orientalischer 
Politik  auf  Griechenland  im  6.  und  5.  Jahrhundert"  gezeigt  worden. 


Herodot,  von  H.  Kalleoberg.  245 

aus  einer  älteren,  sehr  exakten  Quelle,  d.  h.  aus  Hekatäus  stammen. 
Zufügen  möchte  ich  hier,  daß  die  Übernahme  aus  einer  älteren 
Quelle  es  auch  erklärt,  wie  es  gekommen  ist,  daß  Herodot  eine 
nicht  mehr  vorhandene  Mauer  als  noch  bestehend  beschreibt,  ob- 
wohl er  an  einer  andern  Stelle  von  ihrer  Zerstörung  berichtet 
Auch  Ungleichheiten  im  Ausdruck,  auf  die  ich  in  den  „Studien 
über  den  griechischen  Artikel"  II  S.  5  (Progr.  des  Fr.  Werder- 
schen  Gymnasiums,  Berlin  1891)  hingewiesen  habe,  können  als 
Beweis  für  nicht  genügend  verarbeitete  Entlehnungen  aufgefaßt 
werdem  3)  Die  Größe  der  inneren  Mauer  nach  den  Angaben 
des  Ktesias  und  anderer  wird  durch  eine  Stelle  Strabos  bezeugt, 
in  der  eine  Umrechnung  von  babylonisch-persischem  in  ägyptisch- 
ptolemäisches  Maß  vorliegt,  die  nur  auf  Ptolemäus  L,  den  glaub- 
würdigsten Augenzeugen  in  Alexanders  Umgebung,  zurückgehen 
kann.  '  „Aus  all  dem  ergibt  sich  m.  £.  die  Notwendigkeit,  einmal 
nach  ev.  Oberresten  dieser  äußeren  Mauern  noch  genauer  zu 
forschen  und  sodann,  selbst  wenn  sie  spurlos  verschwunden  sein 
sollten,  zu  erwägen,  ob  sie  nicht  gleichwohl  einstmals  existiert 
haben  können".  —  Bierauf  greift  Verf.  noch  zwei  recht  auffallige 
Nachrichten  Herodots  heraus,  die  trotz  ihres  auffälligen  Inhalts 
ihre  Bestätigung  finden,  die  wunderlichen  runden  Fahrzeuge  auf 
dem  Euphrat,  zu  denen  eine  assyrische  Originaldarstellung  ge- 
funden ist,  und  den  200— 300  fältigen  Ertrag  des  Getreides  in 
Babylon.  Für  letzteres  führt  er  eine  Mitteilung  von  Dr.  Badde 
in  Tiflis  an,  der  ihm  berichtet  hat,  daß  er  in  Merw  einen  aus 
einem  einzigen  Getreidekorn  entsprungenen  Büschel  von  Halmen 
gefunden  habe,  die  zusammen  600  Körner  enthielten. 

Im  Nachtrage  wendet  sieh  Verf.  ausschließlich  gegen  Delitzsch1 
Vortrag  „Im  Lande  des  einstigen  Paradieses".  Es  handelt  sich 
hierbei  um  die  20  monatliche  Belagerung  Babylons  unter  Darius, 
die  niemals  stattgefunden  hat,  und  um  die  merkwürdige  Kranken- 
behandlung in  Babylon.  In  betreff  des  ersten  Punktes  verweist 
Verf.  im  wesentlichen  auf  seinen  Artikel  in  der  WS.  f.  klass.  Phil. 
1900  S.  959  ff.  „Xerxes  und  die  Babylonieru.  In  betreff  der 
Krankenbehandlung,  die  Delitzsch  eine  törichte  Folterung  nennt, 
weist  Verf.  auf  Strabo  XVI  1,  20  hin,  wo  dasselbe,  nur  kürzer, 
nach  Hekatäus  berichtet  wird.  Dieser  Brauch  wird  mehr  in 
kleineren  Städten  und  auf  dem  Lande,  wo  es  an  Ärzten  mangelte, 
als  in  Babylon  selbst  bestanden  haben.  Daß  die  Babylonier  über- 
haupt keine  Ärzte  gehabt  haben,  wie  Herodot  zusetzt,  berichtet 
Strabo  nicht. 

In  seinem  früheren  Aufsatze  „Xerxes  und  die  Babylonier" 
(WS.  f.  klass.  Phil.,  Berlin  1900  Sp.  959—965)  bringt  Verf.  die 
Aufstände  der  Babylonier  gegen  Xerxes  in  Verbindung  mit  dem 
Zuge  dieses  Königs  nach  Griechenland.  Nach  ihm  brach  nach 
dem  ersten  Besuche  des  Königs  in  Babylon,  bei  dem  er  in  die 
Mysterien  des  toten  Bei  eindrang  und  die  Beseitigung  der  Personal- 


246  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

union  zwischen  Assyrien  und  Babylonien  vorbereitete,  im  Jahre 
484  ein  Aufstand  aus.  Ein  zweiter  480,  von  dem  er  zur  Zeit 
der  Schlacht  von  Salamis  Nachricht  erhielt.  Daher  der  eilige 
Ruckzug  des  Königs  mit  einem  großen  Teile  des  Heeres.  Im 
Winter  oder  Frühjahr  479/478  fiel  Babylon  nach  langer  Be- 
lagerung, worauf  die  äußere  Mauer  geschleift  wurde.  Die  Dauer 
dieses  Aufstandes  (19—20  Monate)  findet  er  bei  Herodot  (III  153) 
in  der  Angabe  von  der  20  Monate  langen  Belagerung  der  Stadt 
durch  Darius. 

» 
12)  J.  ß.  Bury,  The  epicene  oracle  conceroing  Argos  and  Miletns. 
Beitrage  zur  alten  Geschichte  II.     Leipzig  1902.     S.  14 — 25. 

Für  die  rätselhafte  Tatsache,  daß  die  Pythia  in  einer  an  die 
Argiver  gerichteten  Antwort  zugleich  auch  den  Milesiern,  die  gar 
nicht  gefragt  haben  und  auch  nicht  anwesend  sind,  einen  "Spruch 
erteilt  (Her.  VI  19  und  77),  hat  Bury  eine  treffliche  Lösung  ge- 
funden. Aristagoras  von  Milet  wird  sich  bei  seinem  Hilfsgesuch 
in  Griechenland  nicht  auf  Sparta  und  Athen  beschränkt,  sondern 
sich  auch  noch  an  andere  Staaten,  vornehmlich  aber  an  Argos, 
gewendet  haben.  Bei  der  von  Sparta  drohenden  Gefahr  werden 
nun  die  Argiver  gefragt  haben  (tisqI  trjg  awTtjQlfjg  xijg  noXiog 
zrjg  G<psr4Qi]g),  ob  ihr  Staat  gerettet  werde,  wenn  sie  eine  Truppen- 
abteilung nach  Milet  schickten.  Da  das  Orakel  eine  Bedrohung 
Milets  voraussetzt,  könnte  man  meinen,  es  wäre  kurz  vor  der 
Schlacht  bei  Lade  gegeben.  Indes  nach  Plutarch  (De  malign. 
Her.  24)  wurde  die  Stadt  schon  498  belagert,  und  diese  Bedrohung 
Milets,  die  die  Veranlassung  zum  Zug  der  Griechen  nach  Sardes 
gab,  war  die  vom  Orakel  gemeinte.  —  Was  die  Pythia  mit  ihren 
dunklen,  an  Argos  gerichteten  Worten  gemeint  hat,  versucht  Verf. 
nicht  zu  deuten,  wohl  aber,  wie  die  Argiver  sie  aufgefaßt  haben. 
Die  auf  das  Orakel  folgenden  Worte  ravva  drj  itavxa  GvveX&ovta 
ToTai  ^AqyuouSi,  tpoßov  7taq&%%&  bezieht  er  auf  gewisse  im  Orakel 
angegebene  Zeichen,  die  die  Argiver  als  eingetreten  ansahen,  als 
sie  im  Lager  bei  Sepeia  sich  befanden.  1)  Die  o<ptg  äiXiKtog, 
„die  Schlange,  die  keine  ist*',  bezieht  sich  auf  Sijnsicc  (von 
öT}n£g),  also  der  Schlangenplatz  war  in  Gefahr.  2)  Am  Erasinos 
waren  die  Spartaner  unter  Kleomenes  umgekehrt.  Der  männliche 
Erasinos  wird  aber  nach  Her.  VI  76  als  ein  Abfluß  des  weiblichen 
Sees  von  Stymphalos  betrachtet;  darauf  soll  sich  oxctv  rj  d"qXsia 
xov  ccQOsya  vv%r\(5aaa  i&Xdat}  bezieben.  Dazu  paßt  doch  schwer- 
lich vwqöaGa.  Die  Beziehung  auf  Telesilla  weist  er  ab,  indem 
er  diese  Legende  als  eine  späte  Erfindung  bezeichnet.  Denn 
wenn  dieselbe  geschichtliche  Wahrheit  wäre,  wäre  sie  gewiß  zu 
Herodots  Ohren  gekommen  und  hätte  auch  in  der  spartanischen 
Überlieferung  des  Feldzuges  vorkommen  müssen.  Letzteres  be- 
streitet mit  Recht  C,  F.  Lehmann  (Beiträge  zur  alten  Geschichte  II 
S.  339).     In    dem    an  Milet  gerichteten  Teil  des  Orakels  erkennt 


i 


Herodot,  von  H.  Kallenberg.  247 

.Verf.  mit  Recht  Feindschaft  gegen  die  Stadt  und  Fürsorge  für 
«las  Heiligtum  in  Didyina.  Hieraus  schließt  er,  daß  man  in  Delphi 
wußte,  daß  die  Priester  dieses  Heiligtums  fürchteten,  die  Milesier 
möchten  willens  sein,  den  ursprunglich  zurückgewiesenen  Vor- 
schlag des  Hekatäus,  von  den  Schätzen  des  Heiligtums  Besitz  zu 
^ergreifen,  auszuführen,  und  daß  sie  schließlich  in  ihrer  bedrängten 
Lage  Delphi  in  ihr  Vertrauen  gezogen  hätten.  Eine  vollständige 
Aufklärung  dieser  dunklen  Geschichte  hält  er  aber  für  unmöglich; 
Niebuhrs  phantastische  Kriminalgeschichte  (vgl.  JB.  1902  S.  88) 
weist  er  zurück. 

13)  C.  F.  Lehmann,  Zur  Geschichte  und  Überlieferung  des  ioni- 
schen Aufstaodes.  Beiträge  zur  alten  Geschichte  IL  Leipzig 
1902.     S.  334—340. 

Verf.  erweist  die  Unmöglichkeit  der  Bemerkung  Herodots 
<V  113),  daß  der  Gastfreund  Solons  Philokypros  der  Vater  des 
im  Kampfe  gegen  die  Perser  im  Jahre  498  gefallenen  Aristokypros 
gewesen  sei.  Herodot  begegnete  in  der  Tradition  über  den  ioni- 
schen Aufstand  einem  Philokypros  von  Soloi,  und  „ohne  weitere 
Untersuchung,  in  objektive  Form  kleidend,  was  rein  subjektive 
Schlußfolgerung  ist,  fügt  er  bei  'und  zwar  desjenigen  Philokypros, 
•den  u.  s.  w.'  In  Wahrheit  werden  beide  Philokyproi  Großvater 
und  Enkel  gewesen  sein4'.  Hierbei  verweist  er  auf  einen  ganz 
ahnlichen  Vorgang  Her.  VI  127,  auf  den  er  Hermes  35,  648  auf- 
merksam gemacht  hat.  Dort  wird  unter  den  Freiern  der  Agariste 
•auch  Leokedes,  ein  Sohn  des  Tyrannen  Pheidon  von  Argos,  er- 
wähnt, der  dann  dem  bekannten,  viel  älteren,  mächtigen  Herrscher 
von  Argos  gleichgesetzt  wird.  „Herodots  chronologisch  ganz  sinn- 
lose Angabe  erklärt  sich  sehr  einfach  dadurch,  daß  das  Tatsächliche 
über  Pheidon,  die  Worte  ®eidcovog  34  bis  tovtov  d&  natg,  ein 
Einschub  ist,  den  Herodot  aus  einer  schriftlichen  Quelle  eingefügt 
hat,  in  die  rein  novellistische,  auf  mündlicher  Tradition  beruhende 
Mär  von  der  Werbung  um  Agariste.  Die  Einfügung  ist  deutlich 
erkennbar  an  dem  zweimaligen  de:  0eidcovog  ds  %ov  xä  [iStqcc 
«  .  .  tovtov  di  nalq".  Auf  die  Form  der  Anknüpfung,  zumal 
V  113,  möchte  ich  kein  Gewicht  legen;  denn  die  ist  bei  Herodot 
sehr  beliebt  (vgl.  Stein  zu  I  64)  und  ist  oft  angewendet,  wo  von 
einem  Einschub  keine  Rede  sein  kann;  in  der  Sache  hat  aber 
Verf.  an  beiden  Stellen  sichtlich  das  Richtige  getroffen.  Was 
aber  weiter  folgt  über  die  Quelle  Herodots  für  den  ionischen  Auf- 
sland, ist  doch  nur  eine  Vermutung,  die  nicht  gerade  widerlegt, 
aber  auch  nicht  bewiesen  werden  kann.  Verf.  nimmt  Dionysius 
von  Milet  an,  für  dessen  JIsqgixcc  er  Marathon  und  Darius'  Tod 
als  Ende  ansetzt,  worauf  dann  in  den  xä  fisxä  Jaqttov  die  Er- 
zählung etwa  bis  478  fortgesetzt  sei.  Das  soll  dann  auch  der 
Grund  für  Herodot  gewesen  sein,  mit  diesem  Zeitpunkt  zu  schließen, 
weil  seine  Hauptquelle  versagt  habe.    Auch  die  Heereslisten,  sowie 


248  Jahresberichte  d.  Philoiog.  Vereins. 

manches,  was  Spätere  (Ephorus)  mehr  als  Herodot  haben,  wird 
auf  Dionysius  zurückgeführt.  Dagegen  ist  nur  zu  sagen,  daß  wir 
von  diesem  gar  zu  wenig  wissen.  —  Der  Zug  nach  Sardes  wird 
nicht  als  unüberlegtes  Abenteuer  aufgefaßt,  sondern  mit  Grote 
und  Bury  als  Diversion  zur  Befreiung  von  Milet,  das  zum  ersten 
Male  schon  498  belagert  wurde  oder  werden  sollte  (Plut.  de 
malign.  Herodoti  24). 

14)  J.  A.  R.  Mooro,  Some  observations  oo  the  Persian  wars. 
II.  The  campaign  of  Xerxes.  The  Journal  of  Helleoic  studies  XXII- 
London  1902.     S.  294—332. 

Den  Anfang  macht  Verf.  mit  der  Beantwortung  der  Frage, 
wie  Herodot  zu  der  Gesamtziffer  des  persischen  Heere»,  1 800  000, 
gekommen  ist.  Herodot  hat  in  der  Heeresliste  29  aQxovtes  ge- 
funden, aber  nicht  die  Zahlen  der  ihnen  unterstellten  Truppen; 
dazu  kam  als  dreißigster  Hydarnes,  der  Führer  der  Unsterblichen. 
Aus  VII!  26,  IX  96  (I  189)  schließt  er  auf  60000  Mann  für  die 
Stärke  der  persischen  Armeekorps,  was  er  mit  der  Normalzahl 
der  Flotte,  600  Schiffe  (IV  87,  VI  9,  95),  vergleicht.  Über  sechs 
Korps  standen  sechs  Kommandierende  Generale  (VII  82).  Indem 
nun  Herodot  die  aQ%ovze<;  eine  Stufe  zu  hoch  gestellt  und  zu 
Kommandierenden  Generalen  gemacht  hat,  ist  er  zti  der  gewaltigen 
Zahl  1800000  gekommen;  in  Wahrheit  waren  die  aqxortsg 
Myriarchen,  wie  das  ja  Herodot  selbst  von  Hydarnes  berichtet» 
Somit  bestand  das  persische  Heer  aus  360  000  Mann,  von  denen 
60  000  Reiter  waren.  Aber  nicht  das  ganze  persische  Heer  folgte 
Xerxes,  sondern  nur  drei  Armeekorps;  denn  1)  werden  nur  drei 
Hipparchen  erwähnt,  2)  zieht  das  Heer  in  drei  Divisionen  dmreh 
Thrakien,  3)  werden  nur  drei  besondere  Kommandos  erwähnt, 
Mardonios,  Artabazos,  Tigranes.  Von  diesen  drei  Armeekorps 
nimmt  Xerxes  nach  der  Schlacht  von  Salamis  das  des  Tigranesv 
das  später  bei  Mykale  focht,  mit  nach  Asien,  während  das  zweite 
unter  Artabazos  die  Verbindung  in  Thrakien  bewachte  und  im 
nächsten  Sommer  Mardonios  verstärkte.  Mir  scheint  diese  Be- 
rechnung, die  die  Stärke  des  in  Griechenland  einfallenden  Heeres 
demnach  auf  180000  Mann  angibt,  recht  annehmbar;  sie  ist  der 
beste  Teil  der  Abhandlung. 

Die  persische  Flotte  schätzt  er  etwa  800  Schiffe  stark,  bei 
Salamis  600;  denn  1)  hatte  die  griechische  Flotte  310  Schiffe 
und  die  persische  nach  Her.  Vif  236  300  Schiffe  mehr,  2)  er- 
scheinen bei  Mykale  nur  300,  3)  wäre  bei  größerer  Obermacht 
die  Strategie  der  Perser  eine  andere  gewesen. 

Der  Schwerpunkt  in  der  griechischen  Verteidigung  lag  nach 
Verf.s  Ansicht  von  vornherein  auf  der  See.  Für  die  führende 
Macht,  die  Spartaner,  war  die  Hauptsache  die  Verteidigung  des 
Isthmus,  die  aber  nicht  gesichert  war,  solange  die  Perser  die  See 
beherrschten.  So  kam  es  darauf  an,  für  die  Flotte  in  einem 
engen  Sunde    eine  Stellung   zu    suchen,    in    der    der  Feind  von 


Herodot,  von  H.  Kallenberg.  249 

seiner  Übermacht  zu  einem  direkten  Angriffe  keinen  Gebrauch 
machen  und  somit  leicht  verleitet  werden  konnte,  einen  Teil  zu 
einer  Umgehung  zu  verwenden.  Dann  sollte  nach  Themistokles1 
Plan  der  Angriff  auf  die  geschwächte  feindliche  Flotte  erfolgen, 
bevor  die  Umgehung  vollendet  war.  So  wurde  die  Thermopylen- 
Stellung  nur  gewählt,  um  Xerxes  so  lange  aufzuhalten,  bis  es  der 
Flotte  gelang,  sich  mit  der  feindlichen  zu  messen.  Die  Vorgänge 
bei  Artemision  werden  meist  in  Obereinstimmung  mit  ßury  (vgl. 
JB.  1900  S.  87)  erklärt.  Nur  53  Schiffe,  nicht  die  ganze  Flotte, 
gehen  nach  dem  Euripus  zurück;  die  200  persischen  Schiffe 
werden  nicht  von  Aphetä,  sondern  schon  von  Sepias  abgeschickt. 
Die  Meldung  an  die  Griechen  bezieht  sich  nicht,  wie  Herodot  er- 
zählt, auf  die  10  persischen  Schiffe,  sondern  auf  diese  200.  Diese 
endlich  —  und  das  ist  im  wesentlichen  das  Neue  bei  M.,  —  scheitern 
nicht  auf  der  Westseite  Euböas,  sondern  schon  auf  der  Ostseite 
beim  ersten  Sturm.  Herodot  soll  aber  dies  auf  die  Westseite, 
nach  den  KotXcc,  verlegt  haben,  weil  sich  dorthin  der  Rest  unter 
den  Schutz  der  Küste  gerettet  hatte,  aber  von  den  53  griechi- 
schen Schiffen  am  Tage  nach  dem  Sturme  vernichtet  wurde. 
Diesen  Kampf  findet  Verf.  Her.  VIII  41  in  der  Vernichtung  der 
kilikischen  Schiffe,  die  einen  Hauptteil  der  Umgehungsflotte  ge- 
bildet haben  sollen,  wieder.  Damit  sind  wir  in  das  uferlose  Meer 
der  Vermutungen  hinausgetrieben. 

Den  Grund  daför,  daß  Xerxes  nicht  den  Weg  ober  Trachis 
das  Asopustal  hinaufgezogen  ist,  findet  er  darin,  daß  er  vermut- 
lich von  den  Lokrern  besetzt  war.  In  der  Legende  von  der 
Selbstaufopferung  des  Leonidas  findet  er  drei  Motive,  1)  den 
Wunsch,  die  Katastrophe  durch  das  Orakel  zu  erklären,  2)  den 
Wunsch,  die  Verbündeten  gegen  den  Tadel,  Leonidas  preisgegeben 
zu  haben,  zu  verteidigen,  3)  Haß  gegen  Theben.  Das  Orakel  ist 
eine  offizielle  Erklärung  der  Niederlage  und  soll  zur  Beschwichtigung 
der  Gemuter  dienen.  Die  Thebauer  kamen  und  blieben  auch 
freiwillig.  Leonidas  endlich  blieb,  um  der  Flotte  eine  Schlacht 
zu  ermöglichen,  da  die  Perser  sie  vermieden  hätten,  wenn  der 
Paß  frei  gewesen  wäre.  Der  plötzliche  Abstieg  des  Hydarnes,  den 
er  nach  der  Meldung  der  Boten  auf  dem  Wege  nach  Phokis  ver- 
muten mußte,  schnitt  ihm  den  Ruckzug  ab. 

Die  persische  Abteilung  soll  nach  Delphi  nicht  zum  Plündern 
des  Tempels,  sondern  zu  seinem  Schutze  geschickt  und  vielleicht 
von  schwärmerischen  Zeloten  fiberfallen  sein.  —  Sehr  kunstlich 
ist  dann  die  Berechnung  der  380  Schiffe  Herodots  bei  Salamis. 
Äschytas  (v.  340)  gibt  300  an  und  dazu  noch  10  auserlesene. 
Diese  letzteren  werden  den  äginetischen  Schiffen,  die  zur  Be- 
wachung Äginas  dienen  sollten  (Her.  VIII  46),  gleichgesetzt.  Von 
Herodot  sind  diese  10  aber  zu  der  Gesamtzahl  310  des  Äscbyhis 
zugezählt,  so  daß  daraus  320  werden.  Die  noch  fehlenden  60 
sollen  die  kerkyräischen  Schiffe  sein.     Von  diesen   letzteren  Ter- 


250  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

mutet  Verf.,  daß  sie  von  Haus  aus  nicht  verpflichtet  waren,  im 
Ägäischen  Meere  mitzukämpfen,  sondern  die  Süd-  und  Westküste 
des  Peloponnes  decken  sollten. 

Aus  Her.  VIII  70  schließt  Verf.,  daß  nach  Herodots  Ansicht 
die  Perser  am  Nachmittag  vor  der  Schlacht  bereits  den  Griechen 
gegenüber  an  der  Küste  Attikas  aufgestellt  waren,  so  daß  also 
zur  Einschließung  ihre  Flügel  nur  herumzuschwenken  brauchten 
(VIII  76).  Daß  dies  unglaublich  ist  und  im  Widerspruch  mit 
dem  Hauptzeugen  Äschylus  steht,  wird  man  Verf.  gern  zugeben; 
doch  vgl.  hierüber  JB.  1893  S.  305,  1900  S.  90  und  1902  S.  86. 
Äschylus  366  erklärt  Verf.  die  Worte  iv  axoixoig  tqigIv  „ranged 
in  three  lines",  fährt  aber  dann  fort  „to  guard  the  three  Channels 

1)  between  Attica  and  Psyttaleia  2)  between  Psyttaleia  and  Salamis 
3)  between  Salamis  and  Megarid,  while  other  ships  were  be 
stationed  round  about  [the  southern  coaste  of]  Salamis  to  complete 
the  semicircle".  Diese  fortlaufende  Linie  von  Schiffen  auf  dir 
Außenseite  der  Insel  beschränkt  er  auf  einige  Kreuzer,  die  zur 
Verbindung  der  Hauptgeschwader  dienen  sollen.  Wie  sind  aber 
aus  drei  Linien  auf  einmal  drei  getrennte  Geschwader  geworden? 
Nicht  übel  dagegen  wird  die  angebliche  Flucht  der  Korinther  er- 
klärt Sie  sind  nach  der  westlichen  Enge  abgesandt,  um  das  dort 
aufgestellte  persische  Geschwader  aufzuhalten.  Den  dabei  er- 
wähnten Tempel  der  Athene  Skiras  ist  er  geneigt  in  der  Nähe 
des  Klosters  Pbaneromene  zu  suchen.  Im  übrigen  urteilt  er  wie 
E.  Meyer,  daß  es  nicht  darauf  ankam,  die  Griechen  zum  Schlagen 
zu  bringen,  sondern  die  Perser,  die  ja  ohne  Schlacht  vorbeifahren 
konnten,  zum  Angriff  zu  bestimmen.  Indem  Themistokles  in 
seinem  Briefe  dem  König  die  Überzeugung  beibrachte,  daß  die 
Griechen  uneinig  seien,  ging  dieser  in  die  Falle. 

15)  W.  Olsen,    Die    Schlacht   bei    Platää.     Wissenschaftliche   Beilage 
znm  Jahresbericht   des  Gymnasiums  zu  Greifswald,   1903.     16  S.    4. 

Verf.  wendet  sich  gegen  zwei  Behauptungen  Delbrücks,  1)  daß 
die    Perser    qualitativ,    nicht    quantitativ    überlegen    waren,    und 

2)  daß  Herodots  Bericht  über  Platää  reich  an  Einzelheiten,  aber 
voller  Widersprüche  ist,  die  sich  nicht  entwirren  lassen,  und  daß 
man  ohne  Marathon  nicht  imstande  sein  würde,  einen  historischen 
Kern  herauszufinden  Für  die  erste  Behauptung  führt  Delbrück 
eine  Stelle  Herodots  selbst  als  Beweis  an,  IX  62  lij^avi  p&v  vvv 
xal  Qcififi  ovx  foaovsg  r\<sav  ol  IlSgaat.  Hiergegen  bemerkt 
Verf.,  daß  sich  dies  nur  auf  die  Perser  selbst,  nicht  auf  das 
ganze  persische  Heer  bezieht.  Er  fügt  zur  Erklärung  dafür,  daß 
die  Griechen  trotz  ihrer  geringen  Zahl  doch  Sieger  blieben,  den 
Mangel  an  Ordnung  auf  Seiten  der  Perser  gegenüber  der  besseren 
taktischen  Ausbildung  der  Griechen,  vornehmlich  der  Spartaner, 
die  bessere  Bewaffnung  der  Griechen  für  den  Nahkampf  und  end- 
lich ihr  Bewußtsein,  für  die  Freiheit  zu  kämpfen,  hinzu.     Das  ist 


Herodot,  vod  H.  Kallenberg.  251 

alles  ganz  richtig,  wird  aber  auf  Delbrück,  wenn  er  es  liest, 
wenig  Eindruck  machen.  Wie  ich  über  ihn  denke,  habe  ich  JB. 
1902  S.  83  ausgesprochen.  —  Die  zweite  Behauptung  Delbrücks 
sucht  Verf.  dadurch  zu  widerlegen,  daß  er  eine  Darstellung 
der  Vorgänge  vor  dem  Kampfe  und  beim  Kampfe  selbst  nach 
Herodot  gibt,  um  zu  beweisen,  daß  man  unter  Ausscheidung 
einiger  Erzählungen,  wie  die  vom  Stellungswechsel  der  Spartaner 
und  Athener,  die  Vorgänge  ohne  Marathon  sehr  wohl  verstehen 
kann.  Verf.  hat  ganz  recht,  sich  gegen  die  Heranziehung  von 
Marathon  zu  wenden,  da  Delbrück  unter  Marathon  das  Schlacht- 
bild versteht,  das  er  erst  geschaffen  und,  obwohl  es  wichtigen 
Zügen  der  Überlieferung  widerspricht,  für  zweifellos  richtig  hält. 
Hervorzuheben  ist  dabei,  daß  Verf.  Delbrücks  Ansicht,  daß  die 
Opfer  durch  Beeinflussung  der  Priester  von  Seiten  des  Pausanias 
anfänglich  ungünstig  ausfielen,  eingehend  zu  widerlegen  sucht. 
Daß  aber  sonst  in  Herodots  Darstellung  nicht  alles  klar  ist,  wird 
wohl  auch  Verf.  zugeben  müssen.  Im  übrigen  verweise  ich  auf 
JB.  1900  S.  91  ff. 

16)  A.  Hock,  Herodot  und  sjeio  Geschichtswerk.  Mit  eioem  Titel- 
bild. Gymnasial-Bibliothek.  Herausgegeben  von  H.  Hoffmaon.  37.  Heft. 
Gütersloh  1904,  C.  Bertelsmann.     144  S.     8.     1,60  Jt. 

Nach  einer  Einleitung  über  die  Vorgänger  Herodots  folgen 
zwei  Abschnitte  über  sein  Leben  und  seine  Forschungsreisen, 
wobei  sich  Verf.  mit  den  neuesten  Forschungen  wohlvertraut 
zeigt.  Der  folgende  Abschnitt,  der  mehr  als  die  Hälfte  das  Buches 
einnimmt,  handelt  von  Herodots  Werk.  Verf.  handelt  zuerst  von 
dem  Plan  und  der  Entstehung  des  Werkes,  dann  von  seinem 
unvollendeten  Zustand.  Der  letzte  Punkt  ist  bekanntlich  noch 
eine  Streitfrage;  Verf.  glaubt  nur  so  viel  behaupten  zu  dürfen, 
daß  Herodot  wenigstens  noch  die  Gründung  des  Attischen  See- 
bundes hat  schreiben  wollen.  Hierauf  folgt  eine  sehr  eingehende 
Inhaltsangabe  des  ganzen  Werkes  (beinahe  70  Seiten).  Diese 
dürfte  auf  den  Leserkreis,  für  den  sie  berechnet  ist,  ermüdend 
wirken.  Es  werden  da  eine  Menge  Einzelheiten  erwähnt,  die, 
obwohl  an  und  für  sich  interessant  genug,  doch  den  der  alten 
Geschichte  ferner  Stehenden  weniger  anziehend  erscheinen 
werden.  Der  vierte  und  letzte  Abschnitt  handelt  von  Herodots 
Bedeutung  als  Geschichtschreiber,  von  seinem  Charakter  und 
seiner  Weltanschauung.  Hierbei  werden  neben  seinen  glänzen- 
den Seiten  auch  die  Mängel  —  eine  Folge  seiner  Unkenntnis 
fremder  Sprachen,  des  Fehlens  einer  festen  Chronologie  und  des 
Mangels  an  historischer  Kritik  —  nicht  verschwiegen.  Endlich 
sei  noch  erwähnt,  daß  die  Darstellung  des  Verf.s  das  Buch  wohl 
geeignet  macht,  einen  Platz  in  einer  Gymnasial bibliothek,  wozu 
es  ja  bestimmt  ist,  einzunehmen  und  Begeisterung  für  den  Schrift- 
steller zu  erwecken. 


252  Jahresbericht«  d.  Philolog.  Vereins. 

17)  Fr.  Helm,   Materialien   zur  Herodotlektäre  mit  Rücksicht  auf 

verwandte  Gebiete  und  im  Sinae  des  erziehenden  Unterrichts.    II.  Teil. 
Bingen  1903.    87  S.    8. 

Verf.  behandelt  ia  diesem  zweiten  Teil  B.  VIII  und  IX  nach 
denselben  Grundsätzen  wie  die  früheren  Bächer  im  ersten  (vgl. 
JB.  1902  S.  93).  Der  historische  Standpunkt  tritt  hier  mehr 
hervor,  wobei  es  nur  zu  billigen  ist,  daß  auch  andere  Schrift- 
steller zur  Erklärung  herangezogen  werden.  So  z.  B.  der  Boten- 
bericht über  die  Schlacht  von  Salamis  in  Äschylus'  Persern  oder 
Plutarchs  Leben  desThemistokles  zur  Vervollständigung  der  Charakte- 
ristik des  Helden,  den  Herodot  infolge  der  Abhängigkeit  von  seinen 
Quellen  in  mancher  Beziehung  mißgünstig  behandelt.  Auch  aus 
diesem  Bande  wird  sich  der  Lehrer  manche  Anregung  holen 
können,  vielleicht  mehr,  als  es  sich  mit  dem  Zweck  des  Unter- 
richts verträgt.  Bisweilen  wird  des  Guten  zu  viel  getan,  z.  B. 
in  den  historischen  Parallelen.  Was  soll  (S.  21)  der  Vergleich 
Artemisias  mit  Maria  Theresia?  „Wir  lernen  Artemisia,  die  kluge 
und  tatkräftige  Fürstin  von  Halikarnaß,  kennen.  Wie  Themistokles 
durch  Scharfblick  auf  griechischer  Seite  hervorragt,  so  Artemisia 
auf  persischer;  vgl.  Friedrich  II.  und  Maria  Theresia44.  In  einem 
Schlußwort  wird  noch  einmal  zusammenfassend  auf  die  vielseitige 
Anregung  hingewiesen,  die  Herodot,  wie  kaum  ein  anderer  Schrift- 
steller, als  Schullektüre  bieten  kann.  Noch  vor  kurzem  war 
Herodot  an  manchen  Gymnasien  von  der  Lektüre  gänzlich  aus- 
geschlossen,  und  auch  heute  noch  mag  es  manchen  Lehrer  geben, 
der  ans  Mangel  an  Verständnis  nur  verdrossen  an  ihn  herangeht. 
In  dieser  Hinsicht  kann  Verf.s  mit  großer  Begeisterung  für  seinen 
Schriftsteller  verfaßte  Schrift  recht  vorteilhaft  wirken. 

18)  C.Möller,  Die  Medizin  im  Herodot.    Für  Mediziner  and  Philologen. 

Berlin  1903,  Karger.    36  S.    8.     1  Jt. 

Zweck  der  kleinen  Schrift  ist,  die  medizinischen  Angaben 
Herodots  gesammelt  vorzulegen,  durch  ihre  Einreihung  in  eine 
bestimmte  Ordnung  von  der  Medizin  bei  Herodot  ein  zusammen- 
hängendes Bild  zu  geben  und  damit  einen  Beitrag  zur  Geschichte 
der  Medizin  der  ältesten  Zeiten  und  zur  Erklärung  mancher  Stellen 
des  Schriftstellers  zu  liefern. 

Nach  einigen  wenigen  Worten  über  die  grausame  Behandlung 
von  Kranken  und  alten  Leuten  bei  einigen  ßarbarenstämmen 
fPadäer  in  Indien,  Massageten),  über  den  Mangel  an  eigentlichen 
Ärzten  bei  den  Babyloniern,  über  das  Spezialistentum  der  ägypti- 
schen Ärzte  und  die  zwei  griechischen  Schulen,  die  krotonische 
und  kyrenäische,  werden  die  einzelnen  Angaben  Herodots  nach 
folgenden    Rubriken    vorgelegt    und    besprochen:    1)    Anatomie, 

2)  innere    Krankheiten    (Aussatz,    Pest,    Phthisis,    Wassersucht, 
Krämpfe    bei    Kindern,    Epilepsie,    Säuferwahnsinn,    Androgynie), 

3)  Chirurgie,    4)  Augenheilkunde,    5)  Gynäkologie,    6)  Heilmittel, 


Herodot,  voa  H.  Kallenberg.  253 

7)  Hygiene.  An  zwei  Stellen  ist  Herodots  Erzählung  unrichtig 
aufgefaßt;  III  35  soll  Prexaspes  nach  dem  Herzen  eines  Knaben 
gezielt  haben  (S.  7),  während  dies  Kambyses  tut,  und  VI  75  sollen 
die  Verwandten  des  Kleumenes  diesen  an  einen  Pfahl  gebunden 
haben  (sdrjaccv  iv  %vltp),  während  sie  doch  offenbar  seine  Fuße 
in  einen  Block  gelegt  hatten  (S.  15).  Erwähnt  sei  folgendes  zur 
Erklärung  einzelner  Stellen.  Herodots  Erklärung  (III  13)  über 
die  verschiedene  Härte  der  persischen  und  ägyptischen  Schädel 
gibt  Verf.  nicht  zu,  meint  vieiraehr,  Herodot  habe  vor  einem 
Gräberfeld  gestanden,  auf  dem  Schädel  der  verschiedensten  Zeiten 
gesammelt  waren.  Die  Kinnlade  mit  den  Zähnen  aus  einem  Stuck 
(IX  83)  vermag  Verf.  nicht  zu  deuten;  er  nimmt  an,  sie  rühre 
gar  nicht  von  einem  Menschen  her.  Was  machen  wir  aber  dann 
mit  den  ähnlichen  Zähnen  des  Pyrrhus  (Plut.  Pyrrh.  3)  ?  Die 
Kahlköpfigkeit  der  Argippäer  (IV  23)  hält  er  für  einen  Irrtum, 
der  daraus  entstanden  sei,  daß  dieses  tatarische  Volk  sich  den 
Kopf  rasierte.  Zu  I  139  wird  bemerkt,  daß  unter  den  Haus- 
tauben eine  Gruppe  sei,  die  Warzentauben,  deren  Gesicht  mit 
dem  eines  an  der  Lepra  erkrankten  Menschen  Ähnlichkeit  habe. 
Darum  erklärt  sich  auch  Verf.  gegen  Steins  Annahme,  daß  hinter 
nsQMttsQdg  eine  Lücke  sei.  Das  Vorhandensein  von  weißen 
Tauben  in  Mardonius'  Heer  (Athen.  394)  will  er  damit  erklären, 
daß  diese  von  den  Persern  mitgenommen  seien,  um  die  Feinde 
anzustecken.  Dieser  aus  verschiedenen  Gründen  recht  bedenk- 
lichen Erklärung  ziehe  ich  doch  die  Steins  vor,  der  diese  Notiz 
auf  das  phönikiscbe  Schiffsvolk  im  persischen  Heere  bezieht.  Die 
Krankheit  der  Pheretime  (IV  205)  hält  Verf.  für  Wassersucht  des 
Herzens  und  der  Nieren,  bei  der  der  Körper  aufgequollen  er- 
scheint. Durch  das  Liegen  entstehen  dann  Geschwüre,  in  denen 
bei  mangelhafter  PQege,  besonders  im  heißen  Klima,  sich  an 
diesen  Stellen  leicht  Würmer  ansiedeln  können.  Die  Enarer 
(I  105)  hält  er  für  Urninge.  Recht  gewagt  ist  hierbei  die  Ab- 
leitung dieses  Wortes  von  der  ^Aipqodlxri  oigavirj,  gegen  die 
jene  Skythen  gefrevelt  haben  sollen.  Darms'  Verletzung  (III  129) 
war  nach  Verf.  s.  Ansicht  nicht  nur  eine  Verstauchung,  wie  die 
ägyptischen  Ärzte  annahmen,  sondern  auch  ein  Knöchelbruch. 
Dies  erkannte  Demokedes  und  brachte  dem  Kranken  zunächst 
durch  kühlende  Kräuterumscbläge  Linderung.  Die  Augenkrankheit 
der  Arbeiter  bei  Knidos  (I  174),  die  man  göttlicher  Einwirkung 
zuschrieb,  hält  Verf.  für  Hornhautgeschwüre,  die  auch  heute  noch 
bei  Steinschlägern  zur  Erblindung  führen  können.  Ebenso  erklärt 
er  auf  ganz  natürlichem  Wege  die  wunderbare  Erblindung  des 
Epizelos  in  der  Schlacht  bei  Marathon  (VI  117);  sie  ist  durch 
eine  Augennervenentzündung,  die  nach  Überanstrengung  und  Er- 
hitzung eintreten  kann,  herbeigeführt.  Die  plötzliche  Heilung  der 
Taubstummheit  beim  Sohne  des  Krösus  (I  85)  wird  dagegen  als 
nichtvorkommend    in    das  Gebiet  der  Sage  verwiesen.     Über  den 


254  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Bart  der  Priesterin  der  Athene  in  Pedasos  oder  Pedasa  (I  175) 
wird  bemerkt:  „Entweder  war  die  Priesterin  tatsächlich  im  Be- 
sitze eines  Bartes,  den  sie  wachsen  ließ,  wenn  sie  es  für  an- 
gebracht hielt,  oder  diese  Priesterin  war  ein  verkleideter  schlauer 
Priester".  Diese  Erklärung  wurde  annehmbar  erscheinen,  wenn 
es  sich  nur  um  eine  Person  handelte.  Dies  scheint  aber  aus 
dem  Wortlaut  nicht  hervorzugehen. 

19)  A.  W.  Veriall,  The  classical  review  1903. 

Nach  Ansicht  des  Verf.  liegen  der  Anrede  der  Koerin  an 
Pausanias  (IX  76)  und  der  des  spartanischen  Herolds  an  Xerxes 
(VIII  114)  metrische  Inschriften  zugrunde,  die  er  in  folgender 
Weise  wiederherstellt: 

IX  76:  yQ  ßaaiXev  Sndqxctq,  Xvocu  p*  txirw  [dogiXijnrov] 

dovXoövvfjg.    öv  yäq  ig  rod'  ov^tsag  tovady  änoXtüGag, 
Tovg  ov&  [tjqcooov],  ov  &€(£p  bntv  [ovtw']  e%ovxag. 
Kwtj  d'  eifil  yivog,  d'vyaTfjQ  'HyijTogidao 
^Avxayoqao9     ßii\  6s  Xccßwv  Kto  p  bI%bv  6  ntQötjg. 
VW  114:^42  ßatiiXsv  Mijdcov,  jtaxedaipovioi  %s  (fovoio 
ahsvaiv  (Ts  dixctg  ^nagTTjg  ano  &'  ^HqaxXsldcu, 
'EXXdda  §v6(i£v6v  a<pw  oxi  xtstvag  ßaöiXrja. 

20)  E.  Nestle,   Zu   Herodots  Erklärung   der  Namen   Darios   und 

Xerxes.    Berl.  phil.  WS.  1901    Sp.  1115. 

Herodot  hat  (VI  98),  meint  Verf.,  wohl  nur  griechische  Wörter 
gesucht,  die  an  die  persischen  Namen  anklingen,  aq^iog  zu 
JaqsXog  und  ig^lrjg  zu  Xerxes.  Indem  er  aber  zugibt,  daß  das 
folgende  ^qro&qfyg  piya  äqrjiog  beweist,  daß  die  Überlieferung, 
in  der  doch  eq^itjg  zu  Jctqsiog  und  ävijtog  zu  Sigt^g  gehört, 
richtig  ist,  hebt  er  seine  Behauptung  wieder  auf. 

21)  W.  Nestle,  Untersuchungen  aber  die  philosophischen  Quellen 

des  Euripides.    Philologus  Snpplementband  VIII  577 ff. 

Am  Ende  des  Artikels  kommt  Verf.  auf  Anklänge  an  Herodot 
bei  Euripides.  Fragm.  449  (Kresphontes)  ist  nach  ihm  aus  Her. 
V  4  (Sitten  der  Trauser)  entnommen.  Als  bewußte  Anspielungen 
werden  ferner  betrachtet  Hiket.  447  (Her.  V  92),  Theseus'  Worte 
ebenda  über  die  Tyrannis  und  die  Isonomie  (Her.  III  80),  womit 
noch  Med.  119,  Ion  621,  Fragm.  76  und  605  verglichen  werden. 
Ferner  Hiket.  410,  Fragm.  8  und  362  über  die  gemäßigte  Monarchie 
(Her.  III  82),  Hiket.  714  (Her.  VII  9),  Fragm.  574  (Her.  II  33), 
Alk.  802  (Her.  I  32).  Bei  den  Anklängen  an  Solons  Worte,  daß 
niemand  vor  dem  Tode  glücklich  zu  preisen  sei  und  daß  die 
Gottheit  neidisch  sei,  wird  zugestanden,  daß  auch  populäre  Vor- 
Stellungen  zugrunde  liegen  können. 


Herodot,  von  H.  Kallenberg.  255 

Anhang. 
1)  Zwei  Exzerpte  aus  Herodot. 

fn  den  Excerpta  historica  iussu  Imperatoris  Constantini 
Porphyrogeniti  confecta,  ed.  Boissevain,  De  ßoor,  Büttner-Wobst 
I  2  (Berlin  1903,  Weidmann)  S.  435  und  436  befinden  sich  zwei 
kleine  Stücke  aus  Herodot,  V  73  und  IX  4  und  5.  Abgesehen 
von  unbedeutenden  Änderungen  zu  Anfang  der  ganzen  Stücke 
oder  in  der  Mitte  wegen  Auslassungen  einzelner  Sätze  geben  diese 
Stücke  unveränderte  Sätze  aus  Herodot.  Damit  haben  sie  für 
uns  den  Wert  einer  handschriftlichen  Quelle,  die  noch  dadurch 
an  Wert  gewinnt,  daß  sie  mindestens  ebenso  alt,  wenn  nicht 
noch  älter  als  unsere  älteste  Herodothandschrift  (A)  ist.  Ein 
Vergleich  mit  dem  kritischen  Apparat  Steins  läßt  ziemlich  genau 
erkennen,  welche  Stellung  die  Ausgabe  Herodots,  aus  der  diese 
Exzerpte  genommen  sind,  zu  den  uns  vorliegenden  Hss.  einnimmt. 
Die  in  R(sv)  stehende  Namensform  MovQixtöys  statl  MovQVxtäfjg, 
ysaav  (IX  5  am  Ende)  statt  qiaav  und  die  Akkusative  Movqi- 
%idsa  und  Avxidea  (statt  in  -qp)  hat  das  zweite  Exzerpt  nicht 
und  beweist  damit,  daß  es  mit  jener  Handschriftenklasse  nichts 
zu  tun  hat.  Dagegen  stellen  zwei  falsche  Formen,  die  eine  im 
ersten,  die  andere  im  zweiten  Exzerpt,  die  sich  auch  in  ABC 
finden,  beide  Stücke  an  die  Seite  dieser  Hss.  Es  sind  V  73 
not  y^g,  wo  sv  (R  fehlt  hier,  über  seinen  Vertreter  r  wird  nichts 
berichtet)  das  ebenso  falsche  nij  yrjg  haben,  und  IX  5  rovg 
avrovg  Xoyovg  ovgy  wo  Rsv  die  richtige  Form  des  Relativums 
xoig  haben.  Nicht  in  Betracht  kommt  V  73  ßctlkofisvoi  (=  Absvz, 
die  übrigen  ßaX6(jt€vot)\  denn  hier  steht  A  zusammen  mit  sv 
gegen  B  und  andere,  d.  h.  Hss.  derselben  Klasse  stehen  sich 
feindlich  gegenüber.  Die  Form  yiyvopsvov  (IX  5)  wird  dem 
Excerptor  zuzuschreiben  sein,  wie  auch  wahrscheinlich  das  v 
ephelkystikon  in  ix&Xevosv  (V  73)  und  disnoQ&psvasv  (IX  4), 
vielleicht  auch  Sdodsig  st.  2dgdig  (V  73),  obwohl  diese  Form  auch  in 
der  Hs.  d  steht«  Von  Wichtigkeit  dagegen  ist  es,  daß  das  erste 
Exzerpt  mit  d  allein  die  Namensform  ^Aozcupioviig  gemein  hat. 
Diese  Schreibung  findet  sich  einmal  auch  in  Rsv  (V  25)  und  ein- 
mal in  AB  (VII  8  /?),  sonst  haben  alle  Hss.  außer  d  lt4QTa<po£vt]g, 
d  dagegen  hat  durchweg,  d.  h.  an  22  Stellen,  'AqTcafiQvrjg.  Dem- 
nach scheint  das  erste  Exzerpt  und  wahrscheinlich  auch  das 
zweite  von  einem  der  Vorfahren  von  d  (d  selbst  ist  im  Jahre 
1318  vollendet  worden)  entnommen  zu  sein.  Endlich  erhält  in 
dem  zweiten  Exzerpt  eine  Vermutung  neuerer  Kritiker  ihre  Be- 
stätigung. Alle  Hss.  haben  IX  5  töv  Xoyov  top  G<pi  Movqv%iörig 
(oder  MovQi%idfig)  nQOtpiqsi,.  Krüger  und,  unabhängig  von  ihm, 
auch  Cobet  haben  dafür  TtQogqiqsi,  vermutet,  was  auch  in  den 
neuesten  Texten  Aufnahme  gefunden  hat.  Diese  Vermutung  hat 
nun  in  unserem  zweiten  Exzerpt  ihre  handschriftliche  Bestätigung 


256  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

erhalten.  Nach  Steins  Stemma  (Praefatio  XXV)  stammt  d  nicht 
direkt  von  AB  ab,  sondern  von  einem  Vorfahren  dieser  Hss. 
Leider  liegt  für  Buch  IX  aus  dieser  Hs.  keine  Kollation  vor,  da 
Stein  (vgl  Praef.  XU)  nur  sieben  Bücher  verglichen  hat.  Genauer 
gesprochen  reicht  die  Vergleichung  bis  VIII  27;  von  da  an  tritt  b, 
der  Nachkomme  von  d,  für  diesen  ein1).  Es  ist  demnach  noch 
nicht  ausgeschlossen,  daß  sich  nqoacpiqsi  auch  in  d  findet.  Von 
den  Fehlern,  die  b  für  sich  allein  hat,  ßovlevzcov  statt  ßovlev- 
xiwy,  d€%d(A€Vog  statt  de^apivovq  und  ijöav  statt  iJHfccv  ist 
unser  Exzerpt  frei. 

2)  *Eg  ov  bei  Herodot. 

Daß  ig  ov  neben  viel  häufigerem  ig  o  in  der  Oberlieferung 
Herodots,  aus  der  unsere  Hss.  stammen,  vorhanden  gewesen  ist, 
beweisen  die  von  Stein  zu  I  67  angeführten  Stellen;  die  Varianten 
mit  ig  6  sind  sichtlich  Korrekturen.  Die  Frage  ist  nun  zunächst, 
ob  ig  ov  zu  erklären  ist.  Portus  Lex.  Ion.  erklärt  ig  exelvov 
top  %qovov  <Wt  Pro  <?'  *v  V-  Unmöglich;  findet  sich  doch 
adverbiales  ov  (=  dem  deutschen  „wo")  überhaupt  nicht  im 
Ionischen  und  auch  sonst  im  Griechischen  nicht  in  temporaler 
Bedeutung;  man  mußte  denn  iatw  ov  (=  sgtw  ots)  bei  Anna 
Komnena  (XIV  9;  XV  3  (2),  5)  dafür  anführen  wollen.  Schweig- 
häuser führt  zu  I  67  Portus1  Erklärung  an,  setzt  aber  dann  hinzu 
„quidni  dicamus  ig  in  ista  formula  pro  $cog  usurpari,  adeoque 
regimen  huius  particuiae  aemulari".  An  sich  recht  unwahrschein- 
lich; außerdem  hätte  er  wenigstens  [ity0*  statt  £<*>£  sagen  müssen, 
da  letzteres  als  Präposition  mit  dem  Genitiv  bis  auf  eine  Stelle 
(II  143  $cog  ov,  das  sicher  nicht  herodoteisch  ist)  bei  Herodot  so 
wenig  wie  im  Attischen  vorkommt.  Gegen  dieses  ig  ov  hat  sich 
nun  zuerst  Struve  (Quaestiones  de  dial.  Her.  spec.  I  S.  41  ff.) 
energisch  erklärt.  Es  findet  sich  dann  noch  in  den  Texten  bis 
auf  Krüger,  der  es  aber  nur  mit  schweren  Bedenken  stehen  ge- 
lassen hat,  dann  verschwindet  es.  Von  Stein,  der  es  auch  zuerst 
beseitigt  hatte,  ist  es  aber  in  der  kleineren  kritischen  Ausgabe 
(1884)  wiederaufgenommen  und  seitdem  auch  in  der  kommentierten 
Ausgabe  beibehalten  worden.  Hierbei  ist  er  sichtlich  nur  durch 
die  handschriftliche  Überlieferung  beeinflußt  worden;  eine  Er- 
klärung für  diese  merkwürdige  sprachliche  Erscheinung  gibt  er 
nicht.  Es  fragt  sich  nun  weiter,  ob  für  den  Fall,  daß  ig  ov 
nicht  herodoteisch  ist,  sich  eine  Erklärung  dafür  finden  läßt,  wie 
es  in  die  Überlieferung  gekommen  ist.  Das  Nächstliegende  wäre, 
nachzuforschen,  ob  etwa  hiermit  ein  späterer  Sprachgebrauch  sich 
eingeschlichen  hat,  wie  man  das  bei  3o>£  ov  (II  143)  ohne  weiteres 


1)  Allerdings  findet  sich  auch  nach  VIII  27  noch  gelegentlich,  meiner 
Beobachtung  nach  sechsmal,  in  B.  VIII  d  erwähnt.  Sind  das  Druckfehler 
für  b? 


Herodot,  von  H.  Kallenberg.  257 

annehmen  kann1).  Nun  ist  aber  elg  (ig)  o  speziell  ionisch.  Es 
findet  sich  vor  Herodot  nach  Fuchs  (vgl.  oben  S.  243)  nur  in  der 
Homerischen  Formel  elg  5  xe,  die  auch  von  der  späteren  Epik 
nach  diesem  Muster  gern  gebraucht  ist.  Im  Attischen  findet  sich 
keine  Spur  von  elg  o  in  der  Bedeutung  „bis".  In  dem  verein- 
zelten ig  o  ipsfivqro  (Thuk.  V  66),  das  Helbing  (Die  Präpositionen 
bei  Herodot  S.  44)  anfuhrt,  ist  zwar  ig  6  temporal,  sonst  aber 
doch  anderer  Art.  Aber  auch  bis  zum  Beginn  der  Kaiserzeit 
findet  sich  meines  Wissens  keine  Spur  von  ig  o.  Erst  bei  den 
Schriftstellern,  die  sich  wieder  mit  der  ionischen  Literatur  be- 
schäftigt und  besonders  Herodot  nachgeahmt  haben,  taucht  es 
wieder  auf.  So  vor  allem  bei  Pausanias,  der  es  nicht  weniger 
als  35  mal  verwendet,  aber  immer  nur  in  der  Form  ig  o.  An 
drei  Stellen  (I  11,  5;  23,  10;  27,  11)  finden  sich  Varianten,  aber 
auch  unter  diesen  gibt  es  kein  ig  ov.  Schon  vor  ihm  hat  es 
Nikolaus  Damascenus  verwendet,  Fragm.  65  zweimal  (Dind.  Hist. 
graeci  minores  S.  61,  28  und  63,  30)  in  der  Geschichte  des  Kyros, 
die  sicher  aus  einer  in  ionischer  Sprache  geschriebenen  Quelle 
stammt.  Ebenso  Fragm.  53  (Dind.  S.  38,  2).  Nicht  hierher  gehört 
die  offenbar  lückenhaft  überlieferte  Stelle  Dind.  S.  24,  32  slg  S 
avveriXovv  ol  Xomoi.  Außerdem  im  Leben  des  Augustus  22, 
24,  25,  30.  Wie  es  scheint,  hat  Nikolaus  es  in  seinen  ionischen 
Quellen  gefunden,  beibehalten  und  so  liebgewonnen,  daß  er  es 
zu  seinem  eigenen  Sprachgut  gemacht  hat.  Weiterhin  finden  wir 
es  bei  Josephus  Antiqu.  XIV  429,  XVII  78,  XVIII  61 ;  fraglich 
bleibt  XVII  196  ndvxa  %6v  xotipov  nooxofiicavxog  slg  o  (ov  E) 
GVfxnofjLnevaeie  im  vsxqm,  wo  Ernesti  elg  to  av^noginevaai 
vorschlägt.  Auch  bei  Nikolaus  und  Josephus  findet  sich  kein  elg 
ov.  Aus  der  ausgedehnten  Verwendung  von  ig  o  bei  Pausanias, 
der  es  doch  nicht  aus  dem  Sprachgebrauch  seiner  Zeit,  sondern 
nur  aus  Herodot  entlehnt  haben  kann,  könnte  man  versucht  sein 
zu  folgern,  daß  er  nur  ig  o,  nicht  auch  ig  ov  bei  Herodot  ge- 
lesen hat.  Nun  hat  aber  sein  Zeitgenosse  Appian  neben  ein- 
maligem ig  o  (Illyr.  22)  zweimal  ig  ov  (Iber.  18  und  21). 
Wenigstens  schreibt  so  Mendelssohn  an  beiden  Stellen  ohne  An- 
gabe von  Varianten;  Schweighäuser  schreibt  beidemal  ig  6  im 
Text,  bemerkt  aber  zur  ersten  Stelle  ig  ov  Medic.  und  zur  zweiten 
ig  ov  Vat.  AB.  Krebs  (Präpositionsadverbien  S.  15)  hat  noch 
eine  vierte  Stelle,  Punic.  117  ig  o  riy  per  ezeqovg  neoiinefine, 
zrj  d'  avTÖg  .  .  ißddi&,  wo  doch  ig  6  lokal  ist  und  sich  auf  das 


l)  Stein  streicht  den  Satz  mit  %ws  ov  als  unecht.  Krebs  (Präpositions- 
adverbien S.  15)  will  e<os  ov  bei  Appian  (Proöm.  12)  als  Nachahmung 
Herodots  hinstellen.  Und  doch  sagt  er  selbst  kurz  vorher,  daß  tcug  c.  gen. 
sich  zuerst  bei  Aristoteles  und  Theophrast,  die  den  Übergang  zur  Kowr\ 
hilden,  finde.  "Etog  ov  haben  vor  allem  Polybius,  dann  Dionys,  Josephus, 
die  Septuaginta  und  das  Neue  Testament,  vereinzelt  Pausanias  (X  33,  3), 
Parthenius,  Ghariton  (Plut.  Institut.  Lac.  240  A.). 

Jahresberichte  XXX.  17 


258  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

vorhergehende    %t&qiov    bezieht.    Gehört    nun  ig  ov  Appian  an, 
so  wird  man  im  Gegensatz  zu  Pausanias  aus  ihm  schließen  müssen, 
daß  er  es  aus   seinem  Herodot   entnommen    hat.     Die    späteren 
Schriftsteller  kennen   das  temporale  ig  o  nicht.     Vielleicht  steht 
es    bei    Prokop  324  C    (ig   rode  .  .  ig  ovov   atpstiqq   iniswelq 
if)vla£oa<Si    %6    Tijg    jtqeaßeiag   ätycopa),    wo  Maltretus  ig  6  tjj 
geschrieben  hat.     Wie  es  scheint,    mit  Recht;    denn  der  Artikel 
Ttj  ist  notwendig.    Das  wäre  dann  eine  Reminiszenz  aus  Herodot, 
wie  sich  dergleichen  bei  Prokop  auch  sonst  findet.    Endlich  steht 
Zosimus  I  43  ig  a  Sfj  TQtaxMovg  anoßaXovtsg  .  .  xoXg  letno- 
pevotg  7zqoq  %r\v  ovaav  apa  tw  ßuatXeX  dtrjycovl^ovro  dvva(j,iv. 
Hier  vermutet  Bekker  Iwg;  näher  liegt  vielleicht  ig  o.    Vereinzelt 
findet  sich  bei  Späteren  eig  (ig)  oaov  in  der  Bedeutung  „solange 
als",  wobei  es  zweifelhaft  ist,  ob  man  oaov  als  Neutrum  zu  fassen 
hat  oder  ob  %oovov  zu    ergänzen  ist.     Xenophon  Eph.  hat  V  4 
eig  oaov  amy  falyast,  und  daneben  II  13  eig  oaov  av  xqovov. 
Sonst  ist  mir  slg  oaov  im  temporalen  Sinne  noch  Lucian  Gallus  28, 
Pisc.  36,  Appian  b.  civ.  I  99,  V  72  und  109,  Herodian  II  11,  4, 
IV  15,  3,  VI  5,  10  und  VII  3,  4  aufgestoßen.     Ob  die  Byzantiner 
nach  Prokop  und  Agathias  das  temporale  eig  o  haben,    weiß  ich 
nicht,    glaube  es  aber  kaum;    nur  von  Anna  Komnena  weiß  ich, 
daß  sie  es  nicht  hat.     Damit  glaube  ich  erwiesen  zu  haben,  daß 
ig  o    nur  ionisch  gewesen   ist   und  in  der  späteren  Zeit  nur  in 
Nachahmung    des  Ionischen    oder    als    einzelne  Reminiszenz  vor- 
gekommen ist;  zugleich  ist  aber  auch  erwiesen,  daß  ig  ov  durch 
Einwirkung    eines    späteren  Sprachgebrauchs    nicht   in  den  Text 
Herodots  gekommen   ist.     Die  Sache   wird  endlich  noch  dadurch 
verwickelter,  daß  wir  nicht  genau  wissen,  ob  Herodot  ig  ov  und 
ig  6   in    der  Schrift    überhaupt    getrennt    hat.     Vereinzelt  ist  ja 
schon    vor  Herodot    der    unreine  Diphthong   ov   ebenso   wie  der 
reine  geschrieben.     Das   älteste  Beispiel  findet  sich  auf  einer  In- 
schrift von  Teos  (Bechtel  N.  156),  die  man  etwa  in  das  Jahr  475 
setzt.     Hier    steht    ßaoßdqovg,    aber    daneben    wird   ebenda  der 
Genitiv    der  O-Deklination   immer    mit  einfachem  0  geschrieben, 
und  im  allgemeinen  scheint  doch  um  die  Mitte  des  fünften  Jahr- 
hunderts   und    weit    darüber    hinaus   dieser  Genitiv  in  derselben 
Weise    geschrieben    zu    sein.     Dann  hat  aber  Herodot,    wenn  er 
der  gewöhnlichen  Schreibweise  seiner  Zeit  gefolgt  ist,  zwischen  6 
und    ov    in    der   Schrift   keinen   Unterschied    gemacht,    und    die 
Trennung  zwischen  ig  o  und  ig  ov  ist  erst   nach  Herodot,    aber 
vor  Appian,  in  seinen  Text  gekommen.    Sollte  sich  bei  der  Um- 
formung der  Schreibweise  auf  irgend  eine,  für  uns  freilich  nicht 
erklärliche  Weise  das  ov   eingeschlichen  haben?     An   ein  echtes 
ig  ov  kann  ich  nicht  glauben. 

Berlin.  H.  Kallenberg. 


5. 
Archäologie. 


1)  W.  Dörpfeld,  Troja  und  Ilioo,  Ergebnisse  der  Ausgrabungen  in  den 
vorhistorischen  und  historischen  Schichten  von  llion  1870 — 1894, 
unter  Mitwirkung  von  Alfred  Brückner,  Haus  v.  Fritze,  Alfred  Götze, 
Hubert  Schmidt,  Wilhelm  Wilberg,  Hermann  Wionefeld.  Mit  471  Ab- 
bildungen im  Text,  68  Beilagen,  8  Tafeln.  Athen  1902,  Beck  &  Barth. 
2  Bande.     (XVIII  u.  652  S.)    gr.  4.     geb.  40  JC. 

Das  Werk  zerfällt  in  11  Abschnitte,  deren  erster  die  Ge- 
schichte der  Ausgrabungen  gibt,  während  der  zweite  die  Bauwerke 
der  verschiedenen  Schichten  schildert;  beide  röhren  von  W.  Dörp- 
feld her.  Die  Keramik  der  verschiedenen  Schichten  wird  von 
H.  Schmidt,  die  Kleingeräte  aus  Metall  und  anderen  Stoffen  von 
A.  Götze,  die  Bildwerke  aus  Marmor  und  Ton  von  H.  Winnefeld 
behandelt.  Der  sechste  Abschnitt,  die  Inschriften,  hat  A.  Brückner, 
der  siebente,  die  Münzen,  H.  v.  Fritze  zum  Verfasser;  die  Gräber 
und  Grabhügel  dagegen  sind  von  H.  Winnefeld  beschrieben.  Der 
neunte  Abschnitt,  die  Geschichte  von  Troja  und  llion  enthaltend, 
ist  von  A.  Brückner,  der  zehnte,  das  homerische  Troja,  wieder 
von  W.  Dörpfeld  geschrieben.  Den  Schluß  bildet  ein  Verzeichnis 
von  Photographien    der  Buinen   und  Funde  von  Troja  und  llion. 

Bevor  ich  auf  den  Inhalt  der  Bücher  näher  eingehe  und  auf 
die  Frage :  Ist  auf  dem  Hügel  Hissarlik  das  homerische  Troja  ge- 
funden? eine  Antwort  zu  erteilen  versuche,  wird  es  nötig  sein, 
kurz  uns  die  Geschichte  der  Ausgrabungen  ins  Gedächtnis  zurück- 
zurufen. Schliemann  ist  nicht  der  erste,  der  den  Hügel  Hissarlik, 
die  Stätte,  wo  sicherlich  Uium  novum  gelegen  hatte,  den  Aus- 
läufer einer  von  Ost  nach  West  streichenden  Bergkette  von  geringer 
Erhebung,  für  Troja  in  Anspruch  genommen  hat.  Darin  hat  er 
Vorgänger  gehabt;  aber  er  ist  jedenfalls  derjenige  gewesen, 
der,  im  Gegensatz  zu  Moltke,  Gurtius  und  andern,  die  sich  für 
den  strategisch  wichtigeren  Hügel  Bunarbaschi  entschieden  hatten, 
gleich  bei  seinem  ersten  Besuche  sich  mit  aller  Bestimmtheit  für 
diese  Stelle  ausgesprochen  und  erkannt  hat,  daß  ihre  Lage  in  der 
Skamandrosebene  und   ihre  geringe  Entfernung  (5  km)  von  dem 

17* 


260  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

zwischen  den  Vorgebirgen  Sigeion  und  Rhoiteion  anzusetzenden 
Lager  der  Griechen,  die  ein  mehrmaliges  Hin-  und  Herwogen  des 
Kampfes  zwischen  Stadt  und  Lager  an  demselben  Tage  als  möglich 
erscheinen  läßt,  in  ganz  anderer  Weise  der  Dichtung  entspricht, 
als  dies  bei  dem  über  13  km  entfernten,  auf  steilem,  von  drei 
Seiten  unzugänglichem  Felsen  gelegenen  Bunarbaschi  der  Fall  ist. 
Deshalb  setzte  er  sofort  auf  Hissarlik  seinen  Spaten  ein  und  grub, 
unbekümmert  um  die  Reste  aus  späterem  Altertum,  bis  in  die 
untersten  Lagen  hinein,  in  denen  seiner  Meinung  nach  das 
homerische  Troja  zu  suchen  war.  Daß  dabei  viele  antike  Reste, 
deren  Erhaltung  für  die  Altertumswissenschaft  äußerst  wertvoll 
gewesen  wäre,  zerstört  worden  sind,  ist  zu  bedauern,  anderseits 
freilich  kann  und  muß  man  sich  mit  dem  Gedanken  trösten,  daß 
bei  anderem  Vorgehen  wahrscheinlich  keine  Spur  von  den  in 
größerer  Tiefe  verborgenen  Bauwerken  ans  Licht  gekommen  wäre. 
Den  Vorwurf  kann  man  allerdings  nicht  zurückhalten,  daß  Schlie- 
mann  in  der  ersten  Zeit  ganz  allein,  ohne  jede  Beihilfe  eines 
sachverständigen  Architekten  oder  Archäologen,  vorgegangen  ist; 
hätte  er  sich  eine  derartige  Hilfskraft  beigesellt,  so  wurde  es  einer- 
seits möglich  gewesen  sein,  von  den  vielen  jetzt  zerstörten  Resten 
genaue  Aufnahmen  zu  erhalten  und  sie  dadurch  für  die  Wissen- 
schaft zu  retten,  anderseits  würden  ihm  viel  Ärger  und  viele  An- 
griffe wegen  unklarer  Berichterstattung  erspart  worden  sein.  Seit- 
dem Prof.  Dörpfeld,  der  erste  Sekretär  des  Deutschen  archäologi- 
schen Instituts  in  Athen,  als  treuer  Berater  und  Mithelfer  ihm  zur 
Seite  gestanden  hatte  (1882),  seitdem  war  natürlich  auch  die 
Berichterstattung  eine  andere,  klarere  und  zuverlässigere  geworden, 
bei  der  die  Mitteilung  der  Tatsachen  und  die  Folgerungen,  die 
daraus  zu  ziehen  waren,  schärfer,  als  es  früher  der  Fall  war,  aus- 
einander gehalten  wurden. 

Nur  einem  Manne  gegenüber  hat  auch  das  Eintreten  Dörpfeld» 
keine  Änderung  in  der  Beurteilung  der  Schliemannschen  Aus- 
grabungen gebracht:  das  war  der  Hauptmann  a.  D.  E.  Bötticher, 
der  im  Jahre  1 884  die  Behauptung  aufstellte,  daß  die  auf  Hissarlik 
gefundenen  Ruinen  nicht  die  einer  alten  Stadt  seien,  sondern  daß 
der  ganze  Hügel  erst  künstlich  infolge  von  Bestattungen  allmählich 
aufgeschüttet  sei.  Um  den  Streit,  der  lange  in  den  Blättern  und 
Zeitschriften  getobt  hatte,  zu  Ende  zu  bringen,  lud  Schliemann 
1889  den  Hauptmann  Bötticher  und  unparteiische  Zeugen  nach 
Hissarlik  ein;  aber  auch  angesichts  des  Tatbestandes  glaubte 
Bötticher  seine  Behauptungen  aufrecbthalten  zu  müssen,  obwohl 
die  Sachverständigen  und  eine  im  März  1890  zusammentretende 
Reihe  von  Gelehrten  aus  den  verschiedensten  Ländern  sich  voll- 
ständig auf  Schliemanns  und  Dörpfelds  Seite  stellten,  indem  sie 
in  den  vorhandenen  Anlagen  die  Reste  von  Befestigungen,  Häusern 
u.  s.  w.  erkannten  und  die  Nekropolentheorie  zurückwiesen.  Um 
den  Widerspruch  E.  Böttichers  ein  für  allemal  zu  beseitigen,  blieb 


\ 


Archäologie,  von  R.  Engelmann.  261 

deshalb  nur  ein  Mittel  übrig,  die  Ausgrabungen  wieder  aufzu- 
nehmen und  dadurch  für  jeden,  der  Augen  hat,  zu  sehen,  und 
Ohren,  zu  hören,  die  Sache  klarzulegen,  und  dazu  ließ  sich 
Schliemann  gern  bereit  finden.  Aber  leider  war  es  dem  verdienten 
Mann  nicht  beschieden,  die  Sache  zu  Ende  zu  führen.  Nachdem 
er  1890  wieder  die  Ausgrabungen  aufgenommen  und  für  das 
nächste  Jahr  alle  Vorbereitungen  getroffen  hatte,  da  trat  plötzlich 
auf  der  Heimreise  nach  Griechenland  der  Tod  an  den  eifrigen 
Mann  heran  und  nahm  ihm,  so  könnte  man  sagen,  den  Spaten 
aus  der  Hand.  Am  26.  Dezember  des  Jahres  1890  starb  Schlie- 
mann in  Neapel  infolge  eines  sich  plötzlich  entwickelnden  Ohren- 
leidens. An  seine  Stelle  trat  seine  Gattin,  die  erklärte,  es  als 
ein  heiliges  Vermächtnis  ihres  Gatten  zu  betrachten,  die  Aus- 
grabungen in  Troja  in  seinem  Sinne  zum  Abschluß  zu  bringen. 
Die  Ausführung  dieses  Versprechens  hat  sich  durch  die  Cholera, 
die  1892  ausgebrochen  war,  bis  1893  verzögert;  in  diesem  Jahre 
ist  sie  aber  nicht  bloß  in  der  geplanten  Weise,  sondern  dadurch, 
daß  das  preußische  Kultusministerium  auf  seine  Kosten  eine  Reihe 
von  Mitarbeitern  stellte  und  auch  im  folgenden  Jahre,  1894,  reich- 
liche Nachforschungen  anstellen  ließ,  weit  über  das  ursprünglich 
gesteckte  Ziel  hinaus  ausgeführt  worden.  Wer  heute  die  Ruinen, 
die  gewaltigen,  mit  großer  Kunst  ausgeführten  Mauern,  die  Haus- 
und Brunnenanlagen  betrachtet,  wird  es  als  unverständlich  be- 
zeichnen, daß  jemals  den  Einwürfen  des  Nekropolen-Böttichers 
irgend  ein  Schwergewicht  beigelegt  worden  ist.  Aber  eigentlich 
ist  man  ihm  doch  zu  Danke  verpflichtet;  denn  wenn  er  nicht 
diese  heute  allgemein  als  nichtig  anerkannten  Einwände  erhoben 
hätte,  würde  die  Ausgrabung  auf  dem  Hügel  Hissarlik  schwerlich 
so  weit  geführt  worden  sein,  wie  sie  jetzt  in  Wirklichkeit  geführt 
ist.  Ich  will  hier  noch  bemerken,  daß  das  von  Major  Steffen 
geschriebene  Protokollbuch  über  die  in  Troja  zwischen  Schliemann 
und  Dörpfeld  einerseits  und  Bötticher  anderseits  geführten  Unter- 
handlungen, deren  Veröffentlichung  nachträglich  von  Bötticher  als 
unrichtig  angegriffen  wurde,  von  mir  nach  dem  Tode  Steffens  der 
Königlichen  Bibliothek  in  Berlin  überwiesen  worden  ist,  damit 
jeder  bequem  die  Möglichkeit  hat,  sich  davon  zu  überzeugen,  daß, 
abgesehen  von  einigen  nur  stilistischen  Änderungen,  die  von 
Niemann  veranlaßte  Veröffentlichung  genau  mit  der  Urschrift  über- 
einstimmt. Heute  wird  dies  allerdings  wohl  kaum  noch  bestritten 
werden,  nachdem  durch  die  Ausgrabungen  von  1893  und  1894 
solche  hervorragenden  Reste  an  das  Tageslicht  gefördert  und  da- 
mit alle  Einwände  Böttichers  als  nichtig  abgetan  worden  sind. 

Allerdings  nach  einer  Seite  hin  hat  die  trojanische  Frage 
jetzt  ein  ganz  anderes  Gesicht  bekommen.  Während  Schliemann 
zuerst  die  dritte  Schicht  von  unten  und  dann,  von  Dörpfeld  darauf 
aufmerksam  gemacht,  daß  die  scheinbaren  Brandspuren  nicht  der 
dritten,  sondern  der  zweiten  Schicht  angehörten,  die  zweite  Schicht 


262  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

von  unten  als  diejenige  ansah,  die  das  von  den  Griechen  eroberte 
und  verbrannte  Mos  enthielte,  hat  sich  bei  den  Ausgrabungen 
der  Jahre  1893  und  1894  herausgestellt,  daß  die  sechste  Schicht 
von  unten  als  das  homerische  Troja  zu  bezeichnen  ist,  ein  Um- 
stand, der  natürlich  bewirkt,  daß  die  vorausgehenden  Lagen  1—5 
einer  weit  älteren  Zeit  zugeschrieben  werden  müssen.  Eine  der- 
artige Veränderung  in  den  Ansichten,  ein  solches  Schwanken 
zwischen  der  mit  aller  Energie  auf  das  homerische  Trojä  bezogenen 
zweiten  Schicht  und  der  hoch  darüber  liegenden  sechsten  Schicht 
ist  natürlich  zunächst  auffällig  und  mag  manchen  Leser  zu  Zweifeln 
an  der  Richtigkeit  der  Ansichten  bewogen  haben ;  aber  wenn  man 
die  Fundumstände  ins  Auge  faßt,  wird  jedem  die  Sache  begreiflieb 
und  die  aufgestellte  Ansicht  richtig  erscheinen.  Hören  wir  des- 
halb, wie  man  zu  dieser  Sinnesänderung  gekommen  ist! 

Da  Schliemann  in  Mykenä  dicht  bei  dem  Tore  die  sogenannten 
Königsgräber  gefunden  hatte,  glaubte  er  auch  in  Troja  neben  der 
mit  Steinplatten  belegten  Rampe,  die  er  für  den  Hauptaufgang 
zur  Rurg  hielt,  die  gesuchten  Gräber  finden  zu  können.  Er  ließ 
deshalb  schon  1890  ein  großes  Stück  der  von  dem  Südwesttor 
noch  unangerührt  stehenden  Schuttmassen  von  oben  herab  all- 
mählich abtragen,  in  der  stillen  Hoffnung,  unten  tief  im  Felsen 
alte  Gräber  (möglichst  natürlich  mit  reichem  Goldschmuck,  wie  in 
Mykenä)  zu  finden.  Auf  diese  stieß  man  allerdings  nicht,  aber 
man  fand  sieben  nach  der  Zeit  der  zweiten  Schicht  dort  über- 
einander erbaute  Lagen  von  Bauwerken,  von  denen  die  mittelste 
zahlreiche  Vasenscherben  des  mykenischen  Stils  enthielt,  während 
die  darüber  folgenden  die  wohlbekannten  griechischen  Topfscherben 
von  der  archaischen  bis  zur  hellenistischen  Periode  und  in  der 
obersten  Lage  römisches  Rauwerk  und  römische  Einzelfunde  auf- 
wiesen. Die  schon  damals  nahe  liegende  Reziehung  der  sechsten 
Schicht  mit  den  mykenischen  Vasen  auf  die  homerische  Pergamos 
war  deshalb  nicht  möglich,  weil  vorläufig  nicht  feststand,  daß  zu 
der  entsprechenden  Schicht  überhaupt  eine  Burg-  oder  Stadt- 
anlage gehörte,  da  Schliemann  ausdrücklich  versicherte,  daß  er  in 
dieser  Schicht  keine  Bauwerke  gefunden  habe,  und  eine  zu  diesen 
Rauten  gehörige  Burgmauer  bis  dahin  nicht  entdeckt  war.  Bei 
den  neuen  Ausgrabungen  des  Jahres  1893  und  noch  mehr  bei 
der  Schlußuntersuchung  des  Jahres  1894  hat  sich  der  Grund  für 
diese  Tatsache  deutlich  erkennen  lassen.  Die  ältesten  Anlagen 
auf  dem  Hügel  hatten  nur  einen  kleinen  Umfang  gehabt;  durch 
die  Schuttmassen  der  zerstörten  Häuser  und  Rurgmauern  war  der 
Hügel  aber  allmählich  größer  geworden;  dadurch  entstand  im  all- 
gemeinen eine  terrassenförmige  Anlage,  bei  der  die  Mitte  am 
höchsten  emporragte,  die  Teile  in  der  Höhe  der  Umfassungsmauern 
dagegen  auf  etwas  tieferen  Terrassen  lagen.  Als  die  sechste  Rurg 
zerstört  war,  bekam  der  Hügel  wieder  die  abgerundete  Form,  die 
er   früher   gehabt  hatte;    aber  darin  wurde  bei  den  Anlagen  der 


\ 


Archäologie,  von  R.  Eogelmann.  263 

hellenistischen  oder  hesser  der  römischen  Zeit  eine  grundliche 
Umänderung  bewirkt:  als  es  galt,  die  Burg  zu  einer  Akropolis 
der  neuen  Stadt  und  zu  einem  prächtigen  Heiligtume  der  Athene 
umzubauen,  da  wurde  der  ganze  Hügel  in  der  Weise  geebnet,  daß 
der  höhere  mittlere  Teil  abgetragen  und  die  Erdmassen  zum  Auf- 
höhen der  Ränder  und  damit  zur  Verbreiterung  der  Burgterrasse 
benutzt  wurden.  Auf  diese  Weise  wurden  in  der  Mitte  nicht  nur 
die  Häuser  der  siebenten  und  achten  Schicht,  sondern  auch  die 
stattlichen  Bauwerke  der  mykenischen  Epoche  zerstört,  während 
in  der  Nähe  der  Burgmauern,  also  außerhalb  der  Mitte,  diese 
Bauten  in  ihren  Resten  erhalten  blieben.  Daher  findet  man  in 
der  Mitte  der  Burg,  unmittelbar  unter  den  römischen  Bauten,  die 
Reste  der  fünften  Schicht,  während  näher  dem  Rande  zu  noch 
die  Mauern  der  mykenischen  Schicht  teilweise  bis  zu  ganz  statt- 
licher Höhe  erhalten  sind;  ganz  nahe  der  Burgmauer  kommen 
dazu  noch  die  Häuser  der  siebenten  und  achten  Schicht.  Be- 
trachten wir  nun  die  Reste  der  sechsten  Schicht,  in  der  das 
eigentliche  homerische  Troja  zu  sehen  ist,  so  erblickt  man  dort 
wohlerhaltene  Reste  einer  stattlichen  Ringmauer,  dazu  großartig 
angelegte  Tore,  und  innerhalb  eine  große  Zahl  von  Gebäuden, 
die  meist  gleichen  Grundriß  verraten.  An  eine  durch  das  Vor- 
springen der  Mauer  gebildete  Vorhalle  schließt  sich  ein  offener 
Saal  an,  hinter  dem  mitunter  ein  zweiter  Saal  vorauszusetzen  ist. 
Sie  ähneln  also  dem  Megaron  von  Tiryns  und  Mykenä  in  hohem 
Maße,  sind  aber  in  ihren  Raumverhältnissen  ebenso  wie  in  ihrer 
Bauweise  bei  weitem  den  erwähnten  Bauwerken  überlegen;  während 
z.  ß.  in  Tiryns  der  größte  Saal  nur  116  qm,  in  Mykenä  149  qm 
mißt,  hat  man  in  Troja  Säle  von  175  qm  gefunden,  und  dabei 
fehlen  noch  die  Hauptbauten  der  Mitte,  wo  man  noch  größere 
Verhältnisse  voraussetzen  darf.  Auch  sind  sie  besser  und  sorg- 
faltiger erbaut;  in  Tiryns  und  Mykenä  bestehen  die  Wände  aus 
wenig  bearbeiteten  Steinen  mit  Lehmmörtel  oder  aus  Lehmziegeln 
und  vereinzelten  Hausteinen,  während  in  Troja  nur  die  Fundamente 
aus  rohen  Steinen,  die  aufgehenden  Wände  aber  aus  ziemlich  gut, 
mitunter  sogar  sehr  gut  bearbeiteten  Steinen  hergestellt  sind. 

Die  große  Zahl  der  in  der  sechsten  Schicht  mit  gleichem 
Grundriß  aufgefundenen  Gebäude  zwingt  zu  der  Annahme,  daß 
es  sich  hier  nicht  um  Tempel,  deren  Anlage  sonst  ganz  ähnlich 
ist,  sondern  um  Wohnhäuser  handelt,  die  je  aus  einem  ge- 
schlossenen Zimmer  mit  einer  Vorhalle  bestanden;  wie  es  scheint, 
waren  die  Wohnungen  in  konzentrischen  Kreisen  um  den  höher 
gelegenen  Mittelpunkt  herumgelegt,  der  seinerseits  den  eigentlichen 
Königspalast  und,  wenn  man  die  Beschreibung  des  homerischen 
Troja  zugrunde  legen  darf,  einige  Tempel  enthielt. 

Eine  ganz  besondere  Wichtigkeit  kommt  der  neu  aufgefundenen 
Burgmauer  zu;  es  ist  ein  wirklich  stattliches  Bauwerk  von  teil- 
weise 5  m  Dicke,    aus  flachen,   sauber  bearbeiteten  Steinen,    mit 


264  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereius. 

s.tarken  Böschungen  der  Außenseite  und  in  einzelnen  hintereinander 
zurücktretenden  Streifen  errichtet;  über  die  ursprungliche  Höhe 
läßt  sich  naturlich  nichts  sagen ;  wegen  ihrer  großen  Dicke  und 
ihrer  soliden  Bauweise  darf  diese  Mauer  als  eine  der  stärksten 
Festungsmauern  bezeichnet  werden,  die  diesseit  und  jenseit  des 
Ägäischen  Meeres  erbaut  worden  sind.  Leider  ist  die  Mauer  an 
der  Nordseite  und  Nord  Westseite  der  Burg  völlig  zerstört;  das 
stimmt  zu  der  von  Sirabo  überlieferten  Nachricht,  daß  Archäanax 
von  Mitylene  mit  den  Steinen  von  Troja  die  Mauern  der  Stadt 
Sigeion  erbaut  habe.  Sigeion  lag  nordwestlich  von  Bios,  unweit 
des  heutigen  Forts  Kum  Kaleh,  also  an  einer  Steile,  für  welche 
die  jetzt  fehlenden  Mauerstucke  sich  bequem  zur  neuen  Ver- 
wendung darboten. 

Eine  besondere  Hervorhebung  in  der  Stadtmauer  verdient  der 
große  Nordostturm,  der  die  Stelle  zu  schützen  hatte,  wo  die 
Burgmauer  von  dem  Plateau,  auf  dem  die  Burg  und  Stadt  liegt, 
zur  Simoeisebene  sich  hinabwendet.  Die  Arbeit  ist  so  ausgezeichnet, 
daß  die  Entdecker  erst  gar  nicht  wagten,  dem  Turm  ein  so  hohes 
Alter  zuzuschreiben,  bis  die  vollständige  Übereinstimmung  seiner 
Bauart  mit  derjenigen  der  Gebäude  im  Innern  der  Burg  und  die 
Überbauung,  die  an  dem  Turme  in  griechischer  und  römischer 
Zeit  offenbar  vorgenommen  worden  ist,  dazu  führten,  den  Turm 
den  Bauten  der  sechsten  Schicht  als  gleichzeitig  anzunehmen. 

Solange  die  Trümmer  der  zweiten  Schicht  von  unten  auf 
das  homerische  Troja  gedeutet  wurden,  habe  ich  immer  und 
immer  mit  Entschiedenheit  hervorgehoben,  daß  diese  Reste  unter 
einer  tiefen  Schuttschicht  begraben  sein  mußten,  als  Homer  seine 
Gedichte  verfaßte,  daß  er  also  von  ihnen  keine  Kenntnis  haben 
und  infolgedessen  sie  auch  nicht  in  seinen  Gedichten  berück- 
sichtigen konnte.  Das  ist  heute,  wo  nicht  mehr  die  zweite, 
sondern  wo  die  sechste  Schicht  von  unten  für  das  Ilios  Homers 
in  Anspruch  genommen  wird,  entschieden  anders;  man  kann  zu- 
geben, daß  zwischen  dem  durch  die  Ausgrabungen  nachgewiesenen 
Befund  und  den  Schilderungen  der  homerischen  Gedichte  eine 
größere  Übereinstimmung  stattfindet,  als  man  früher  anzunehmen 
geneigt  war;  die  Lage  der  Stadt  sowohl,  wie  sie  für  die  sechste 
Schicht  anzunehmen  ist  (sie  stieg  nach  der  Mitte  terrassenförmig 
an  bis  zu  dem  höchsten  Funkt,  der  von  den  Tempeln  der  Götter 
und  dem  Palast  des  Königs  eingenommen  war),  als  auch  die  Bau- 
weise aus  behauenen  Steinen  (gsOTOto  li&oto)  stimmen  bei  dem 
Dichter  und  den  Funden  wohl  überein;  auch  die  große  Zahl 
Einzelhäuser,  die  gefunden  sind,  lassen  eine  gewisse  Überein- 
stimmung erkennen.  Es  wäre  also  immerhin  möglich,  daß  Homer 
noch  Reste  der  Ruinen  gesehen  hat,  so  daß  er  bei  der  Abfassung 
seiner  Gedichte  sich  einigermaßen  an  die  Wirklichkeit  anschließen 
konnte.  Das  war  aber  bei  der  zweiten  Schicht  nicht  der  Fall; 
bei  dieser  lehrte  der  Augenschein,  daß  sie  zu  Homers  Zeiten  tief 


Archäologie,  vou  R.  Engelmann.  265 

unter  dem  Schutte  der  nachfolgenden  Ansiedelungen  verborgen 
sein  mußte.  Auch  daß  Teile  der  Ringmauer  abgetragen  und  in 
Sigeion  zum  Mauerbau  benutzt  werden  konnten,  läßt  deutlich 
erkennen,  daß  auch  einige  Jahrhunderte  nach  der  Zerstörung 
durch  die  Griechen  wenigstens  die  Burgmauern  noch  sichtbar 
waren. 

Daß  also  zu  der  Zeit,  wo  Mykenä  blühte  und  wo  von  der, 
wenn  auch  sagenhaften  Geschichte  der  Troische  Krieg  angesetzt 
wird,  an  der  Stelle,  wo  nachher  llium  novum  angelegt  wurde, 
eine  Königsburg  mit  stattlichen  Festungsmauern  und  zahlreichen 
Wohnsitzen  bestand,  die  durch  ein  gewaltsames  Ereignis  zerstört 
und  mit  aller  Bedachtsamkeit  bis  in  das  einzelnste  ausgeraubt 
wurde,  das  ist  durch  die  Ausgrabungen  jetzt  unstreitig  bewiesen; 
auch  das  ist  sicher,  daß  diese  Burg  auf  eine  lange  Vorgeschichte 
allmählicher  Entwickelung  zurückblickte,  der  es  an  zahlreichen 
gewaltsamen  Umwälzungen  nicht  gefehlt  hat,  und  auch  das  steht 
fest,  daß  nach  der  Vernichtung,  die  innerhalb  der  mykenischen 
Zeit  (also  der  sechsten  Schicht)  erfolgte,  der  Hügel  wiederholt  von 
Ansiedlungen  besetzt  worden  ist,  deren  vorletzte  und  letzte  ohne 
Zweifel  für  sich  den  Ruhm  in  Anspruch  nahm,  das  von  Homer 
gefeierte  Ilios  zu  sein,  und  mit  seinen  Heiligtümern  so  sehr  an- 
erkannt und  gefeiert  wurde,  daß  es  als  Mittelpunkt  einer  weit 
verbreiteten  Festgenossenschaft  betrachtet  wurde.  Nimmt  man 
ferner  dazu,  daß  diese  Burg  durch  ihre  geographische  Lage  den 
Anforderungen,  die  man  nach  der  homerischen  Dichtung  an  die 
Lage  von  Troja  stellen  muß,  auf  das  vollkommenste  entspricht, 
sowohl  was  die  Lage  zu  den  Flüssen  Skamandros  und  Simoeis, 
als  auch  was  die  Lage  zu  dem  zwischen  Sigeion  und  Rhoiteion 
anzusetzenden  griechischen  Lager  betrifft,  so  kann  man  infolge 
des  Zusammentreffens  aller  dieser  verschiedenen  Umstände  gar 
nicht  umhin,  zuzugestehen,  daß  die  Behauptung  Schliemanns  und 
seiner  Mitarbeiter,  das  wirkliche  homerische  Troja  gefunden  zu 
haben,  auf  Wahrheit  beruht,  ja  man  kann  noch  weiter  gehen  und 
ihnen  beistimmen,  wenn  sie  den  Trojanischen  Krieg  als  eine  wirk- 
liche geschichtliche  Tatsache  erweisen  wollen. 

Aber  diese  Übereinstimmung  der  Tatsachen,  wie  sie  aus  den 
Ausgrabungsfunden  hervorgehen,  mit  der  homerischen  Dichtung 
ist  doch  nur  eine  bedingte.  Vor  allem  in  bezug  auf  die  Größe. 
Jedesmal  wenn  heute  ein  Forscher  aus  Kieinasien  zurückkommt, 
der  die  Ruinen  von  Troja  gesehen  hat,  äußert  er  sich  verwundert 
über  die  Kleinheit  der  Verhältnisse.  Auch  bei  Homer  scheint  ja 
die  troische  Mannschaft  weit  an  Zahl  hinter  der  griechischen 
zurückzustehen.  Die  griechischen  Schiffe  sind  in  runder  Zahl 
1100;  davon  ist  ein  Teil  mit  je  50,  der  andere,  größere,  mit  je 
120  Mann  bemannt,  so  daß  man  als  griechische  Kriegsmacht  die 
Zahl  100000  sicher  nennen  darf.  Dagegen  ist  die  Zahl  der 
troischen  Krieger  weit  kleiner: 


266  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Wenn  die  Achaier  sich  in  Abteilungen  zu  je  zehn  teilten  und 
je  einen  Troer  als  Weinschenken  wählten,  dann  würden  viele 
Abteilungen  des  Weinsebenken  entbehren,  das  heißt,  die  Griechen 
sind  mehr  als  zehnmal  so  stark  wie  die  Troer  (IL  II  123).  Immer- 
hin wird  man  bei  dieser  Berechnung  auf  10  000  kriegstüchtige 
Troer  schließen  müssen,  was  eine  Bewohnerschaft  von  mindestens 
50 — 60000  Mann  voraussetzen  läßt.  Aber  die  Burgruinen  der 
sechsten  Ansiedelung  enthalten  einen  Raum  von  ungefähr  20000  qm, 
das  ist  also  ein  Raum,  der  kaum  größer  ist  als  der  sogen.  Lust- 
garten in  Berlin  vor  dem  Schloß.  Daß  ein  derartiger  Raum,  der 
von  einstöckigen  Häusern  besetzt  ist  und  noch  Raum  für  Straßen 
und  Plätze  enthält,  nicht  imstande  ist  eine  Bevölkerung  von  gegen 
50  000  Mann  aufzunehmen,  bedarf  weiter  keiner  Ausführung.  Also 
würde  ohne  weiteres  bei  der  homerischen  Dichtung  eine  gewaltige 
Reduktion  vorzunehmen  sein.  Wenn  aber  einmal  die  Verhältnisse, 
um  aus  der  homerischen  Dichtung  auf  die  Wirklichkeit  zurück- 
geführt zu  werden,  eine  mindestens  fünfzigfache  Reduktion  sich 
gefallen  lassen  müssen,  wohin  kommen  wir  da  mit  der  homeri- 
schen Dichtung?  Schließlich  bleibt  nichts  übrig  als  ein  kleiner 
Krieg,  eine  Rauferei  von  unbedeutenden  Verhältnissen,  die  nur 
durch  die  homerische  Dichtung  zu  der  Bedeutung  emporgewachsen 
ist,  die  sie  jetzt  in  aller  Augen  einnimmt,  die  aber  ursprünglich 
zu  denen  gehörte,  Von  denen  Horaz  sagt  (nach  Bardt): 

„Denn  manchen  Krieg  schon  weckte  Fleischeslust, 
Eh  Paris  noch  von  Helena  gewußt, 
Doch  sanglos  war  der  Tod  in  solcher  Schlacht; 
Wem  unstet  schnöde  Brunst  den  Mut  entfacht, 
Der  sank  durchbohrt  vom  Stärkeren  zur  Erde, 
Ruhmlos  verendend  wie  der  Stier  der  Herde." 
Mit  einem  solchen  Resultat  sind  allerdings  die  Verfasser  des 
vorliegenden  Buches,  vor  allem  Dr.  Brückner,  nicht  einverstanden. 
Brückner    nimmt   an,    daß    nach    der  Zerstörung   von  Troja   die 
Achaier  als  Eroberer  oder  Zerstörer  die  Burg,    vor    allen  Dingen 
den  Tempel  der  Athena,   festgehalten  und  den  Kultus  weiter  ge- 
führt haben.     Dafür  findet  er  den  Beweis  besonders  in  der  Über- 
lieferung, daß  die  Lokrer  der  Göttin  Dienerinnen  geschickt  haben, 
die,    wenn    bei    der  Landung   oder  dem  Eindringen  in  die  Stadt 
ergriffen,    getötet  wurden,    während  sie,   wenn  sie  unbemerkt  bis 
zum  Tempel  der  Athena  gelangt  waren,  dort  als  Dienerinnen,  die 
den   Tempel   säuberten,    selbst   aber   nie    der  Göttin    vor  Augen 
kommen    durften,    behalten    wurden.     Brückner  meint,    daß  Aias 
schwerlich  ursprünglich   ein  Feind    der  Athena    gewesen    sei,    als 
welcher    er    doch   bei  Homer  erscheint,    sondern  daß  „der  Vater 
des  Aias,  Oileus  oder  Ileus,    mit  dem  Stifter  des  Palladions,  Hos, 
wohl  zusammengehört,  welcher  letztere  danach  erst  der  weiteren 
Entwickelung   der  Ilias    seine  Entstehung    verdanken    würde,    als 
man  die  Ilische  Athena  als  Stadtgöttin  in  die  versunkene  troische 


Archäologie,  vou  R.  Engelmaiin.  267 

Königstadt  hine inprojizierte'4.  Er  meiot  also,  nach  der  Zerstörung 
Trojas  sei  der  Besitz  des  Hügels  an  die  Griechen,  speziell  die 
Lokrer,  übergegangen;  ein  Nationalheld  dieser,  namens  Ileus,  der 
Vater  des  Aias,  habe  dann  die  Veranlassung  gegeben,  der  Stadt 
Troja  den  zweiten  Namen,  unter  dem  sie  bei  Homer  bekannt  ist, 
Ilios,  zu  geben;  von  dem  Ileus  sei  auch  der  Kult  der  Atbena  ein- 
geführt, die  demnach  als  Iiische  Athena  verehrt  wurde.  Diese 
Vermutungen  werden  ja  als  Vermutungen,  denen  vorläufig  nur 
bedingter  Wert  zukommt,  bezeichnet,  wir  brauchen  deshalb  auch 
vorläufig  keinen  Kriegszug  dagegen  zu  eröffnen,  aber  anders  steht 
es  mit  der  Behauptung,  daß  der  Kult  der  lüschen  Athena  und 
die  Verpflichtung  der  Lokrer,  der  Göttin  Dienerinnen  zu  schicken, 
Bestand  gehabt  habe.     Hier  muß  ich  etwas  weiter  ausholen. 

Nach  der  gewöhnlichen  Erzählung  hat  der  jüngere  Aias,  der 
Lokrer,  sich  gegen  die  Göttin  Athena  vergangen,  insofern  er  die 
Kassandra,  die  wunderschöne  Tochter  des  Priamos,  die  sich  in 
den  Tempel  der  Athena  bei  der  Einnahme  der  Stadt  durch  die 
Griechen  geflüchtet  hatte,  von  dem  Bilde  wegriß,  um  sie  als 
Sklavin  fortzuführen.  Da  die  Jungfrau  das  Bild  der  Göttin  fest 
umklammert  hatte,  wurde  bei  der  Gewalt,  die  Aias  brauchte,  das 
Götterbild  umgerissen.  Wie  es  weiter  heißt,  wurde  Aias  von  den 
Griechen,  welche  die  Verletzung  des  Götterbildes  nicht  dulden 
durften,  um  nicht  selbst  dadurch  Schaden  zu  erleiden,  beinahe 
gesteinigt;  er  reinigte  sich  aber  durch  den  Eid,  durch  den  er 
beschwor,  daß  er  sich  nicht  an  der  Jungfrau  vergangen  habe;  bei 
der  Rückkehr  nach  Griechenland  fand  er  aber  infolge  seiner  Gott- 
losigkeit, weil  er  sich  rühmte,  auch  gegen  den  Willen  der  Gott- 
heit zu  entkommen,  durch  den  Unwillen  des  Poseidon,  der  den 
Felsen  zerschmetterte,  an  den  er  sich  angeklammert  hatte,  seinen 
Tod.  Einige  Zeit  darauf  sei  in  Lokris  eine  Hungersnot  oder  Pest 
ausgebrochen;  das  Orakel,  das  man  um  die  Mittel  gefragt  habe, 
sich  dagegen  zu  schützen,  habe  erwidert,  daß  die  Lokrer  die 
Schuld  des  Aias  sühnen  müßten,  „und  so  hätten  die  Frauen  der 
hypoknemidischen  Lokrer  zuerst  je  zwei  Jungfrauen,  dann  einjährige 
Kinder  mit  ihren  Ammen,  zuletzt  nur  ein  Mädchen  entsendet. 
Diese  landeten  bei  Rhoiteion,  und  nun  begann  für  sie  eine  Jagd 
auf  Leben  und  Tod.  Denn  die  Hier  zogen  ihnen  entgegen,  und 
jeder  iiische  Mann  lauerte  ihnen  auf,  einen  Stein  in  der  Hand 
oder  welche  Waffe  er  nur  hatte,  Messer,  Axt  oder  Speer;  wer  sie 
tötete,  ward  vom  Volke  belobt,  denn  die  Lokrer  mußten  dann 
neue  Buße  senden.  Gelangten  aber  die  Mädchen  unter  dem 
Schutze  der  Nacht  auf  geheimen  Pfaden  zum  Heiligtum  der  Athena, 
so  war  ihnen  ihr  Leben  geschenkt,  und  sie  gehörten  der  Göttin 
als  Sklavinnen.  Des  Schmuckes  der  Haare  beraubt,  im  un- 
gegürteten  Chiton,  barfuß  taten  sie  ihren  Dienst;  sie  mußten  das 
Heiligtum  sprengen  und  fegen,  durften  aber  vor  der  Göttin  selbst 
nicht  erscheinen  und  doch  nicht  das  Heiligtum  verlassen,    außer 


268  Jahresberichte  d.  Philolog.  Ve  reins. 

bei  Nacht.  Starb  eine,  so  trug  man  Sorge,  daß  die  Leiche  das 
Land  der  Göttin  nicht  beflecke.  Mit  unfruchtbarem  Holze  wurde 
sie  verbrannt  und  die  Asche  vom  Berg  Traron  aus  ins  Meer 
gestreut*'. 

Zunächst  ist  es  wohl  klar,  daß  diese  Erzählung  in  direktem 
Widerspruch  zu  der  Brucknerschen  Vermutung  steht,  daß  die 
Lokrer  selbst  die  troische  Burg  besetzt  und  den  Kultus  der 
Ilischen  Athena  eingeführt  hätten.  Die  ganze  Erzählung  von  dem 
immer  sich  erneuernden  Opfer  der  Lokrer  wäre  nur  verständlich, 
wenn  die  Bewohnerschaft  von  Ilion  als  direkte  Nachkommen  der 
den  Lokrern  feindlichen  Troer,  nicht  aber  als  Lokrer  selbst  auf- 
zufassen wären.  Vielleicht  weist  jemand  darauf  hin,  daß  solche 
Feindschaften  nicht  von  den  Individuen,  sondern  von  dem  Lokal 
abhängen.  So  sind  die  Orchomenier  seit  den  frühesten  Zeiten 
Feinde  der  Thebaner;  wenn  die  Thebaner  einen  Überschuß  von 
Kraft  in  sich  spuren,  ziehen  sie  vor  Orchomenos,  um  diese  Stadt 
zu  zerstören  und  die  Einwohner  in  die  Sklaverei  zu  verkaufen; 
umgekehrt,  wenn  es  einem  Staate  gelingt,  Thebens  Herr  zu  werden, 
so  ist  es  das  erste,  daß  er,  um  die  Stadt  auch  weiter  niederzu- 
halten, Orchomenos  und  andere  als  Erbfeinde  von  Theben  be- 
kannte Städte  wiederherstellt.  Bei  solcher  Neuaufrichtung  mag 
es  oft  schwer  gewesen  sein,  viele  von  den  alten  ursprunglichen 
Einwohnern  wieder  zusammenzubringen;  aber  das  tut  nichts; 
auch  die  neuzugezogenen  Leute  fühlen  sich  sofort  und  handein 
als  Orchomenier,  das  heißt  sie  suchen  Theben  nach  Möglichkeit 
Schaden  zu  tun.  Solche  am  Orte,  nicht  an  den  Personen  hängen- 
den Rivalitäten  wären  auch  aus  neuerer  Zeit  durch  zahlreiche 
Beweise  zu  stützen.  Also  mit  Vertrauen  auf  dieses  Gesetz  der 
lokalen  Vererbung  könnte  man  auch  behaupten,  daß  die  neuen 
Trojaner  mit  den  neuen  Wohnsitzen  auch  den  alten  Haß  der 
Vorgänger  übernommen  hätten.  Aber  dagegen  spricht  doch,  daß, 
wie  Strabo  berichtet,  die  Bewohner  von  Ilion  den  griechischen 
Heroen,  die  im  Kampfe  gefallen  und  in  Troja  begraben  waren, 
Totenopfer  darbrachten.  Das  läßt  doch  darauf  schließen,  daß  sie 
sich  als  Griechen,  nicht  als  Troer  fühlten.  Aber  auch  ein  zweiter, 
sehr  gewichtiger  Grund  kann  dagegen  angeführt  werden.  Nach 
Dörpfeld  (S.  570)  ist  der  Zustand  der  Ruinen  der  sechsten  Schicht 
ein  derartiger,  daß  man  auf  eine  längere  völlige  Verödung  nach 
der  Zerstörung  schließen  muß.  Dann  hat  sich  dort  eine  Völker- 
schaft niedergelassen,  welche  die  teilweise  noch  erhaltenen  Burg- 
mauern und'  Hausreste  benutzt  hat;  ihre  Häuser  oder  Gemächer 
lehnten  sich  meist  im  Innern  an  die  noch  erhaltenen  Reste  der 
Burgmauer  an;  diese  war  zwar  nicht  mehr  so  stattlich  wie  früher, 
denn  die  Untermauer  lag  zum  Teil  unter  den  Trümmern  begraben 
und  die  Obermauer  hatte  vermutlich  nur  eine  notdürftige  Reparatur 
erfahren,  aber  sie  war  wohl  noch  zu  verteidigen.  Auch  die  Tore 
waren    zum  Teil   noch  wohlerhalten.     Aber  diese  Ansiedlung  hat 


Archäologie,  von  R.  Engelmano.  269 

nicht  lange  bestanden;  warum  sie  ihre  hinter  der  alten  Burg- 
mauer errichteten  Wohnungen  verlassen  haben,  wissen  wir  nicht, 
aber  das  wissen  wir,  daß  eine  Bevölkerung  ganz  anderer  Art  an 
ihre  Stelle  getreten  ist,  die  sich  über  den  ganzen  Hügel  aus- 
breitete und  teils  die  alten  Häuser  benutzte,  teils  neue  anlegte. 
Die  dabei  sichtbare  Bauweise  läßt  erkennen,  daß  es  sich  um  ein 
ganz  anderes  Volk  handelt;  was  für  ein  Volk  dies  war,  ergeben 
die  in  den  entsprechenden  Ruinen  gefundenen  Gegenstände,  Buckel- 
vasen, Äxte  usw.  von  ungarischem  Typus;  es  handelt  sich  hier 
entschieden  um  eine  fremde  eingewanderte  Völkerschaft.  Fraglich 
bleibt  dabei,  ob  dieser  fremden  Völkerschaft  auch  die  Häuser  zu- 
zusprechen sind;  es  ließe  sich  ja  denken,  daß  die  Besitzer  der 
Buckelkeramik  auf  den  Ruinen  nur  ihre  primitiven  Hütten  aus 
Holz  und  anderen  vergänglichen  Materialien  errichteten,  die  keine 
Spur  hinterlassen  haben;  aber  wie  man  sich  auch  in  bezug  hier- 
auf entscheidet,  daß  der  ganze  geschichtliche  Zusammenhang  auf 
Troja  durch  das  Dazwischentreten  eines  fremden,  einer  ganz 
andern  Kultur  angehörigen  Volkes  durchbrochen  ist,  das  bleibt 
über  allen  Zweifel  hinaus  sicher.  Welches  Volk  dies  gewesen, 
läßt  sich  aus  den  geschichtlichen  Nachrichten  mit  ziemlicher 
Sicherheit  vermuten.     Es  waren  jedenfalls  Kimmerier.   . 

Über  das  Erscheinen  der  Kimmerier  in  Kleinasien  gibt  es 
eine  doppelte  Überlieferung;  nach  Strabo  sind  sie  von  Thrakien 
aus  in  der  Troas  erschienen;  Herodot  dagegen  berichtet,  daß  sie 
von  ihrer  Heimat  aus  über  den  Kaukasus  gezogen  und  so  von 
Osten  her  nach  Kleinasien  gelangt  sind.  Gewöhnlich  hat  man  nun 
die  Ansicht  Strabos  für  die  richtige,  die  des  Herodot  dagegen  als 
nur  auf  Kombinationen  beruhend  angesehen;  aber  aus  neuerdings 
aufgefundenen  Keilschrift notizen  geht  hervor,  daß  beide  Über- 
lieferungen richtig  sind,  daß  die  Kimmerier  also  sowohl  über  den 
Hellespont  als  auch  über  den  Kaukasus  nach  Asien  eingedrungen 
sind.  Diesen  Kimmeriern  oder  einem  mit  ihnen  verbündeten 
Volke  scheinen  nun  die  Reste  anzugehören,  die  in  der  siebenten 
Schicht  gefunden  sind  und  die  ihre  Analogie  in  den  prähistori- 
schen Überbleibseln  Ungarns  finden.  Mit  der  vorausgesetzten  Zu- 
gehörigkeit der  Kimmerier  zu  Ungarn  stimmen  übrigens  auch  alle 
darüber  erhaltenen  Nachrichten  auf  das  beste  überein. 

Daß,  während  die  Kimmerier  den  troischen  Hügel  besetzt 
hielten,  d.  h.  von  der  Mitte  des  8.  Jahrhunderts  bis  wahrschein- 
lich Ende  des  7.  Jahrhunderts,  wo  diese  barbarischen  Völker- 
schaften durch  Alyattes,  den  König  von  Lydien,  vernichtet  wurden, 
an  ein  Festhalten  des  griechischen  Kultus,  also  vor  allem  der 
Verehrung  der  Athena,  und  eine  Fortsetzung  der  lokrischen  Tribut- 
sendung von  Mädchen  als  Dienerinnen  der  Athena  nicht  zu  denken 
ist,  leuchtet  ohne  weiteres  ein.  Daß  Troja  überhaupt  damals  als 
Stadt  nicht  bestand,  dafür  ist  der  beste  Beweis,  daß  die  Bewohner 
von    Sigeion    die    Nord-  und  Nordwestseite    der   troischen  Burg- 


270  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

mauer  einfach  abtragen  und  die  Steine  zum  Bau  ihrer  Ringmauer 
verwenden  konnten.  Und  ein  endgültiger  Beweis,  dessen  Gewicht 
Brückner  umsonst  beiseitezuschieben  sucht,  ist  die  bekannte 
Stelle  des  Strabo  über  Troja,  wo  er  erzählt,  das  heutige  llion 
sei  früher  ein  Dorf  gewesen  mit  einem  kleinen,  unbedeutenden 
Heiligtum e  der  Athena.  Erst  Alezander  habe  bei  seinem  Besuche 
das  Heiligtum  beschenkt  und  das  Dorf  zur  Stadt  gemacht  und 
Auftrag  gegeben,  kostbare  Bauten  auszuführen,  und  habe  der  Stadt 
die  Freiheit  von  Abgaben  verliehen;  nach  seinem  Siege  über  den 
Perserkönig  habe  er  einen  leutseligen  Brief  herabgesandt,  in  dem 
er  das  Versprechen  gegeben  habe,  die  Stadt  zu  vergrößern  und 
das  Heiligtum  ansehnlich  zu  machen  und  heilige  Festspiele  dort 
einzurichten.  Nach  seinem  Tode  sorgte  Lysimachus  für  die  Stadt; 
damals  wuchs  es  tüchtig  an;  später  bat  es  auch  eine  römische 
Kolonie  erhalten  und  ist  dadurch  in  die  Reihe  der  bedeutenden 
Städte  getreten.  Ais  die  Römer  aber  zum  ersten  Male  nach  Asien 
kamen,  bei  Gelegenheit  des  Krieges  mit  Antiochus,  König  von 
Syrien,  da  war  llion  mehr  Dorf  als  Stadt.  Demetrius  von  Skepsis 
habe  erzählt,  als  er  zu  jener  Zeit  einmal  als  Knabe  Troja  besucht 
habe,  da  sei  die  Stadt  so  heruntergewesen,  daß  die  meisten 
Häuser  nicht  einmal  Ziegeln  gehabt  hätten.  Und  Hegesianax  be- 
richtet, als  die  Galater  aus  Europa  herübergekommen  seien,  da 
seien  sie  nach  der  Stadt  hinaufgezogen,  weil  sie  sich  hinter  einer 
Befestigung  decken  wollten,  sie  hätten  sie  aber  sofort  verlassen, 
weil  sie  unbefestigt  war,  das  heißt  doch,  weil  ihnen  die  vorhandene 
Befestigung  nicht  genügend  schien.  Ein  neues  Ungemach  erfuhr 
die  Stadt  durch  die  Römer  unter  Fimbria  (im  Kriege  gegen 
Mithridates);  als  ihn  die  Hier  nach  seinem  Aufstand  gegen  seinen 
Konsul  Yalerius  Flaccus  nicht  in  die  Stadt  ließen,  legte  er  sich 
vor  ihre  Mauern  und  nahm  sie  nach  11  Tagen,  indem  er  sich 
rühmte,  in  1 1  Tagen  erreicht  zu  haben,  was  der  oberste  Feldherr 
Griechenlands  an  der  Spitze  einer  großen  Flotte  und  der  ganzen 
Streitmacht  des  Landes  kaum  in  zehn  Jahren  vollbracht  habe. 
Die  größte  Förderung  erhielt  die  Stadt  durch  Cäsar,  der  einmal 
als  Nachahmer  Alexanders  und  anderseits,  weil  er  sich  als  Nach- 
komme des  Aineias  fühlte,  der  Stadt  große  Vorteile  zuwandte; 
er  teilte  ihnen  großen  Länderbesitz  zu  und  bestätigte  ihnen  die 
Selbständigkeit  und  Abgabenfreiheit,  die  ihnen  bis  zum  heutigen 
Tage  erhalten  ist.  So  ungefähr  lauten  die  Worte  des  Strabo  im 
Auszuge.  Dabei  kann  man  ganz  übergehen,  daß  er  überhaupt  die 
Identität  des  zu  seiner  Zeit  llion  genannten  Ortes  mit  dem  homeri- 
schen llion  leugnet;  man  kann  zugestehen,  daß  er  darin  irrt,  wie 
ja  neben  und  nach  ihm  viele  andere  das  homerische  Troja 
anderswo  hinsetzen  wollen,  und  kann  und  muß  dennoch  das,  was 
er  als  Augenzeuge  oder  auf  Grund  verläßlicher  Schriftsteller  über 
die  Stadt  seiner  Zeit  sagt,  als  richtig  anerkennen.  „Freilich4*, 
fährt  er  fort,    „behaupten  die  heutigen  Hier  auch  dies,    daß  ihre 


Archäologie,  von  R.  Eogelmann.  271 

Stadt  nie  ganz  von  den  Griechen  zerstört  wurde  und  nie  ganz 
aufgegeben  wurde.  Wenigstens  wurden  die  lokrischen  Jungfrauen, 
mit  deren  Sendung  man  kurz  nach  dem  Kriege  begann,  jährlich 
gesendet.  —  Doch  die  Sendung  der  lokrischen  Jungfrauen  begann 
erst,  als  das  Land  schon  in  die  Macht  der  Perser  gekommen  war". 
Und,  fügen  wir  aus  anderer  Quelle  nach  Timaios  hinzu,  hörte  mit 
dem  Phokischen  Kriege,  346  v.  Chr.,  auf.  Dagegen  versucht  zwar 
Brückner,  die  Sendung  der  lokrischen  Jungfrauen  sowohl  für  die 
frühere  Zeit  als  auch  für  die  spätere  zu  erweisen,  ohne  doch  da- 
mit das  Ziel  zu  erreichen.  Es  ist  nämlich  bei  einem  zum  Athena- 
heiligtum  gehörigen  Brunnen  eine  unterirdische  Anlage  gefunden, 
die  mit  dem  heimlichen  Dienste  der  lokrischen  Mädchen  in  Ver- 
bindung gesetzt  wird.  Aber  das  beweist  nichts.  Sobald  die 
Sendung  lokrischer  Mädchen  überhaupt  einmal  stattgefunden  hat 
und  die  geretteten  als  Dienerinnen  im  Tempel  der  Ilischen  Athena 
verwendet  wurden  (und  das  wird  man  wohl  zugeben  müssen,  so 
seltsam  und  widersinnig  uns  die  ganze  Geschichte  auch  scheint), 
dann  konnte  die  Einrichtung  im  Tempel  getroffen  werden,  daß  sie 
Wasser  aus  dem  Brunnen  holen  konnten,  ohne  doch  mit  dem 
Tempel  selbst  in  Berührung  zu  kommen,  und  die  einmal  getroffene 
Einrichtung  konnte  auch  bei  Umbauten  aufrecht  erhalten  werden, 
besonders  wenn  ein  derartiger  Brauch  so  in  den  Kultus  sich  ein- 
geführt hatte,  daß  er  auch  festgehalten  werden  mußte,  nachdem 
die  Ursache  dafür  aufgehört  hatte  zu  existieren.  Ich  meine:  wenn 
der  Dienst  der  lokrischen  Jungfrauen  Jahrhunderte  lang  bestanden 
hatte,  dann  konnte  die  spezielle  Art  und  Weise,  wie  diese  den 
Dienst  versehen  hatten,  für  den  Kultus  auch  notwendig  scheinen, 
selbst  nachdem  die  Lokrer  aufgehört  hatten,  Mädchen  zu  schicken; 
es  wurde  also  von  den  auf  irgend  eine  andere  Weise  herbei- 
geschafften Dienerinnen  die  Reinigung  des  Tempels,  also  auch  das 
Herbeiholen  des  Wassers  in  der  Weise  besorgt,  die  ursprünglich 
für  die  Lokrerinnen  erfunden  war.  Auch  die  Inschrift,  die  in 
Lokris  gefunden  ist  (S.  562),  scheint  mir  nicht  maßgebend  zu 
sein,  da  ausdrücklich  hervorgehoben  wird,  daß  die  Buchstaben- 
formen in  Lokris  nicht  genau  über  die  Entstehungszeit  schließen 
lassen.  Wir  müssen  mit  Bezug  darauf  warten,  bis  uns  Genaueres 
vorliegt. 

Als  Beweis  für  das  ununterbrochene  Bestehen  des  Athena- 
kultus  auf  Ilicn  wird  aber  auch  eine  auf  Münzen  des  2.  Jahr- 
hunderts sich  findende  besondere  Art  des  Opfers  aufgefaßt:  die 
Rinder  werden  an  einem  Baume  oder  an  einer  Säule  in  die  Höhe 
gezogen  und  dann  mit  einem  Messerstich  getötet,  also  geschachtet. 
Das  scheint  ein  altes  Verfahren  zu  sein,  wie  man  daraus  schließen 
darf,  daß  es  schon  auf  einem  der  sogenannten  Inselsteine  dar- 
gestellt ist  (S.  564).  Und  mit  Troja  wird  es  in  Verbindung 
gesetzt,  indem  man  von  diesem  Verfahren  schon  bei  Homer  eine 
Andeutung    finden  will.      In  der  Uias  XX  402    wird    geschildert, 


272  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

wie  Hippodamas,    in    das  Röckgrat  getroffen,    seinen  Todesschrei 
aushaucht: 

Und  er  verhaucbte  den  Geist  und  stöhnte  dumpf,  wie  ein  Stier  oft 
Stöhnete,  umgeschleppt  um  den  helikonischen  Herrscher, 
Wenn  ihn  Junglinge  schleppen;  es  freut  sich  ihrer  Poseidon.  ' 
So  übersetzt  Voß;  doch  soll  das  nicht  richtig  sein:  sXxofierog 
'Ekixcoviov  äfitpi  avaxxa  soll  heißen:  „der  am  Pfeiler  des  Gottes 
emporgezogen  wird  und  im  Schmerze  mit  seinem  Brüllen  die 
Luft  erfüllt,  daß  der  Gott  seine  Freude  daran  bat".  Doch  das 
kann  äfi(pi  avaxxa  nicht  heißen,  da  äftcpi  =  auf  beiden  Seiten, 
ringsum,  hier  nicht  verwendbar  ist  und  auch  der  'Efoxoiviog  ava% 
=  Poseidon  hier  nicht  für  den  Pfeiler  des  Gottes  (was  ist  das 
übrigens?)  gesetzt  werden  kann.  Daß  das  Schächten  der  Tiere 
beim  Opfer  schon  in  alter  Zeit  üblich  war  (der  Kopf  wird  in  die 
Höhe  gezogen,  um  die  Halsmuskeln  zu  spannen  und  dadurch  den 
Schäcbtschnitt  zu  ermöglichen),  wird  durch  die  mykenische  Gemme 
bewiesen,  —  daß  in  späterer  Zeit  dieses  Verfahren  auch  bei  den 
Opfern  der  Uischen  Athena  üblich  war,  muß  man  den  ilischen 
Münzen  glauben,  aber  daß  dieses  Verfahren  auch  in  Troja  auf  die 
ältesten  Zeiten  zurückgebe,  dafür  fehlt  jede  Hindeutung. 

Übrigens  pflegten  auch  zu  anderer  Zeit  Opfertiere  in  die 
Höhe  gezogen  zu  werden,  zu  bequemerer  Zerstückelung,  wie  bei 
uns  beim  Schweineschlachten  (vgl.  Longus  past.  II  22)  so  daß 
daraus,  daß  ein  Tier  in  die  Höhe  gezogen  ist,  noch  gar  nicht 
ohne  weiteres  folgt,  daß  ein  so  seltsamer  Opfergebrauch  vorliegt, 
wie  er  in  Ilion  bestanden  zu  haben  scheint.  Also  auch  dies  kann 
nicht  dafür  angeführt  werden,  daß  der  Athenakultus  ohne  Unter- 
brechung in  Ilion  bestanden  habe.  Vgl.  auch  noch  die  Erzählung 
bei  Xenoph.  Ephes.  II  S.  250,  daß  als  Opfer  an  Artemis  ein 
Mensch  an  einem  ßaume  aufgehängt  und  so  erschossen  wird. 

Auch  die  Münzen  und  Inschriften  stimmen  mit  den  Resultaten, 
die  meiner  Meinung  nach  aus  den  Fundtatsachen  sich  ergeben, 
wunderschön  überein.  Die  Münzen  beginnen  mit  der  Zeit  nach 
Alexander,  wo  sich  die  Stadt  als  autonom  fühlte;  auf  ihnen  wird 
der  Athenakultus  besonders  betont,  aber  keineswegs  kann  daraus 
geschlossen  werden,  daß  dieser  Götterkultus  unmittelbar  aus  der 
alten  zerstörten  Stadt  übernommen  ist,  sondern  er  kann  ebenso- 
gut erst  mit  der  äolischen  Gründung  eingeführt  sein.  Diese  aber 
gleich  nach  der  Zerstörung  der  Stadt  anzusetzen,  dazu  fehlt  jeder 
Grund.  Brückner  sagt  selbst  S.  569:  „Unsere  historischen  Mach- 
richten beginnen  erst  mit  der  Zeit,  als  man  die  Barbaren  wieder 
vertrieb,  sie  schließen  nicht  aus,  daß  die  Griechen  schon  vorher 
in  die  Troas  eingedrungen  waren.  Nur  so  viel  ist  sicher,  daß 
die  früheren  Gründungen  nicht  stark  genug  gewesen  waren,  um 
den  Angriffen  der  nordischen  Barbaren  zu  widerstehen*4.  Aber 
eine  so  geringe  Möglichkeit,  der  die  Ausgrabungen,  die  Schrift- 
steller, kurz  eigentlich  alles  widerspricht,  ist  doch  kein  geeignetes 


Archäologie,  von  R.  Engelmann.  273 

Fundament,    und    darauf   ein   so  schwer  lastendes  Bauwerk,    wie 
Brückner  will,  zu  errichten. 

Was  ist  also  das  Resultat  der  langjährigen  Ausgrabungen  auf 
Hissarlik?  Man  kann  Dörpfeld  und  seinen  Mitarbeitern  einräumen, 
daß  sie  die  Richtigkeit  der  von  Schliemann  immer  vertretenen 
Meinung  nachgewiesen  haben,  daß  also  das  Troja  Homers  von 
ihnen  gefunden  ist,  man  darf  aber  auch  nicht  vergessen  hinzu- 
zufügen, daß  die  Maße  dieses  Trojas  so  klein  sind,  daß  man  für 
die  Größe  und  Bedeutung  des  Krieges  nicht  die  Wirklichkeit, 
sondern  die  dichterische  Ausschmückung  des  Homer  verantwort- 
lich machen  muß;  mit  anderen  Worten,  die  Würdigung  und  das 
Verständnis  Homers  beruht  nicht  auf  den  von  Schliemann  bloß- 
gelegten Ruinen,  hierfür  wird  man  kaum  aus  den  Ausgrabungs- 
berichten irgendwelche  Förderung  erfahren.  Wohl  aber  sind  die 
Ausgrabungen  von  unschätzbarer  Bedeutung,  insofern  sie  den  Blick 
in  weit  vor  dem  troischen  Kriege  liegende  Zeiten  eröffnet  haben ; 
sie  sind  für  die  ganzen  prähistorischen  Forschungen,  denen  man 
sich  nach  Schliemann  in  neuerer  Zeit  hingegeben  hat,  von  geradezu 
epochemachender  Bedeutung.  Und  darum  soll  den  Männern, 
welche  die  Ausgrabung  geleitet  und  in  so  eingehender  Weise 
darüber  Bericht  abgestattet  haben,  auch  hier  herzlicher  Dank  ge- 
sagt werden. 

2)  F.  Noack,  Homerische  Paläste,  eine  Studie  zu  den  Denkmälern 
und  zum  Epos.  Mit  2  Tafeln  und  14  Abbildungen  im  Text.  Leipzig 
1903,  B.  G.  Teubner.     104  S.     8.     6,10  JC. 

Die  Ausgrabungen  in  Kreta,  sowohl  die  von  Arthur  J.  Evans 
als  die  von  F.  Halbherr  geleiteten  (beiden  Entdeckern  ist  das  vor- 
liegende Buch  gewidmet),  haben  Palastanlagen  wieder  vor  uns  ent- 
stehen lassen,  die  von  den  in  Troja,  Tiryns,  Mykenai  gefundenen 
sich  wesentlich  unterscheiden.  Mehrfach  ist  infolgedessen  schon 
die  Meinung  ausgesprochen,  daß  man  für  den  homerischen  Palast 
aus  den  neugefundenen  kretischen,  nicht  aus  den  griechischen 
sich  Beweise  holen  müsse.  Das  ist  aber  ein  unberechtigtes  Ver- 
fahren. Die  kretischen  Palastanlagen  sind  in  sich  so  angeordnet, 
daß  kein  Raum  für  sich  steht,  sondern  daß  sie,  in  größeren  und 
kleineren  Gruppen  angeordnet,  unmittelbar  aneinanderstoßen,  so 
daß  man  aus  dem  einen  Gemach  direkt  durch  die  Tür  in  das 
Nachbarzimmer  tritt.  Dadurch  stehen  sie  in  strengem  Gegensatz 
zu  den  griechischen  Anaktenhäusern,  bei  denen  die  Propyläen 
und  Säle  isoliert  stehen;  hier  ist  jeder  Baum  ein  Ganzes  für  sich, 
er  kann  leicht  ausgelöst  werden,  ohne  daß  das  Ganze  darunter 
leidet;  dort,  in  Kreta,  dagegen  würde  durch  das  Wegnehmen  eines 
einzelnen  Raumes  das  Ganze  als  solches  gestört  werden.  Dazu 
kommt  ferner  noch,  daß  in  Mykenai  und  Tiryns  die  Front  drei- 
teilig, in  Kreta  dagegen  zweiteilig  ist  und  die  Säule  in  die  Mitte 
gestellt   ist;    auch  sind  die  Räume  in  Kreta  stets  breiter  als  tief, 

Jtkroiberiehte  XXX.  18 


274  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

d.  h.  die  größere  Ausdehnung  wird  der  Frontseite  gegeben;  bei 
den  griechischen  Bauten  dagegen  überwiegt  die  Tiefenausdelinung, 
bei  ihnen  ist  die  schmale  Seite  zur  Frontseite  gemacht.  Aus 
diesen  wesentlichen  Unterschieden  ergibt  sich,  daß  es  unmöglich 
ist,  die  in  Mykenai,  Tiryns  und  Arne  übliche  Art  des  Saalbaues 
aus  den  kretischen  Anlagen  abzuleiten,  ebenso  wie  es  nicht  an- 
geht, die  kretischen  Anlagen  etwa  als  eine  reichere  Ausgestaltung 
des  griechischen  Palastes  zu  erklären.  Für  diesen  kann  man. 
ausgehend  vom  Palast  in  Arne,  wo  dasselbe  Schema  zweimal 
wiederholt  ist,  als  Regel  die  Wiederholung  desselben  Raumes  vor- 
aussetzen; man  konnte  dazu  schreiten,  den  Saal,  das  Megaron, 
das  ursprünglich  allein  das  Haus  gebildet  hatte  (in  dieser  Gestalt 
lebt  es  in  der  Tempelcella  noch  weiter  fort),  zu  vervielfachen,  als 
die  Ausdehnung  der  Familie,  das  Heranwachsen  der  Söhne  und 
Töchter  zu  ihrer  Selbständigmachung  führte.  Bei  Homer  ist  in 
den  älteren  Partieen  das  Megaron  als  einziges  Gemach  noch  zu 
erkennen;  in  ihm  vollzieht  sich  das  Leben  bei  Tage,  in  einem 
Winkel  wird  auch  das  Lager  für  das  Ehepaar  bereitet,  während 
für  die  Gäste  die  Vorhalle,  die  ai&ovGa,  als  Schlafraum  dient. 
Man  könnte  hier  an  die  modernen  Verhältnisse,  wie  sie  so  häufig 
in  griechischen  oder  sardinischen  Reisebeschreibungen  geschildert 
werden,  erinnern;  auch  hier  dient  häufig  ein  Zimmer,  das  einzige 
Zimmer  des  Hauses,  als  Aufenthaltsort  und  auch  als  Schlafzimmer 
für  die  ganze  Familie.  Es  scheint  fast,  als  ob  der  Unterschied 
zwischen  dem  griechischen  und  dem  kretischen  Hause  noch  tiefere 
Gründe  hat;  es  wird  vermutet,  daß  das  griechische  Haus  in  seiner 
Urform  aus  dem  Norden  nach  Griechenland  gewandert  ist,  während 
der  kretische  Palast  mit  seiner  breitstirnigen  Front  an  die  in 
Ägypten  und  im  Orient  üblichen  Hausformen  erinnert;  demnach 
wäre  der  Unterschied  zwischen  dem  nordisch- troisch-mykenischen 
und  dem  kretisch-südlichen  Bautypus  vielleicht  auf  den  Unter- 
schied des  Klimas  zurückzuführen.  (Dagegen  ist  allerdings  ein- 
zuwenden, daß  der  Hauptunterschied  zwischen  der  nördlichen  und 
südlichen  Bauweise,  die  durch  das  Klima  bedingt  wird,  vor  allem 
im  Dach  liegt.  Das  nordische  Haus  braucht  des  Regens  und 
anderer  klimatischen  Erscheinungen  wegen  ein  schräg  ansteigendes 
Dach,  während  das  südliche  Haus  sich  mit  einer  flachen,  ebenen 
Abdeckung  genügen  lassen  kann.  Bei  dieser  letzteren  ist  deshalb 
auch  bequem  eine  Vervielfältigung  der  Räume  nebeneinander 
möglich,  oft  je  nach  der  Größe  des  Raumes  in  verschiedener  Höhe, 
so  daß  man  auf  dem  Dache  von  einem  Räume  zum  andern  hin- 
auf- und  hinabsteigen  muß;  ein  schräg  ansteigendes  Dach  dagegen 
bedingt  eine  Unterordnung  der  einzelnen  Räume  unter  das  ge- 
meinsame Dach.)  Um  ein  Bild  von  der  Urform  des  homerischen 
Hauses  zu  gewinnen,  geht  Verf.  von  dem  Zelt  des  Achilleus  aus, 
wie  es  in  12  geschildert  wird.  Ein  eigenes  Frauengemach,  wie 
man  es  vielfach  aus  der  Dichtung  hat    konstruieren    wollen,    hat 


Archäologie,  vou  R.  Eugelmann.  275 

in  Wirklichkeit  in  dem  ältesten  Hause  nicht  existiert.  —  An  den 
Hauptteil  knöpfen  sich  eine  Reihe  vou  Exkursen  an:  1.  Zu  den 
kretischen  Palästen.  2.  Zum  Kultbau  des  knossischen  Freskobildes. 
Da  die  Ausgrabungen  in  Kreta  noch  nicht  abgeschlossen  sind  und 
jeder  Tag  neue  Funde  und  neue  Aufklärungen  erwarten  läßt,  ist 
es  noch  nicht  möglich,  über  die  hier  ausgesprochenen  Vermutungen 
ein  zustimmendes  oder  abweisendes  Urteil  zu  fällen. 


3)  B.  Haussoulli  er,  Etudes  sur  l'histoire  de  Milet  et  du  Didv- 
meion.  Paris  1902,  Bouillon.  XXXII  u.  324  S.  gr.  8.  13  fr.  ~— 
Bibliotheque  de  l'ecole  des  bautes  etudes  (Scieoces  hist.  et  phil., 
138.  fasc). 

Das  dem  Andenken  Olivier  Rayets  gewidmete  Buch  darf  als 
ein  wertvoller  Beitrag  zur  Geschichte  Milets  und  des  Didymeiou 
betrachtet  werden;  es  wird  um  so  mehr  Aufmerksamkeit  linden, 
je  näher  uns  die  Stadt  Milet  durch  die  Ausgrabungen  des  Berliner 
Museums  geruckt  wird.  Einzelne  der  Kapitel,  die  hier  zu  einem 
Ganzen  vereinigt  geboten  werden,  sind  (4,  5,  6,  7,  9)  schon  in 
der  Revue  de  Philologie  veröffentlicht  worden;  aber  durch  die 
neu  hinzugefügten  ist  ein  einheitliches  Buch  entstanden,  das  über 
die  Geschichte  des  Heiligtums  unter  den  Macedoniern  (von  Alexander 
bis  Seleukus  I.)  (334—281),  den  Seleuciden  (an  deren  Stelle  sich 
öfter  die  Ptolemäer  setzen)  (281 — 190)  und  den  Römern  wert- 
vollen Aufschluß  erteilt.  Die  Milesier  hatten  den  Wiederaufbau 
des  Apolloheiligtums  beschlossen,  um  den  angeblichen  Verrat  der 
Branchiden  vergessen  zu  lassen  und  den  Zusammenhang  mit  dem 
Hellenismus  wiederherzustellen;  und  gerade  um  ihre  Ergebenheit 
gegen  Alexander  zu  zeigen,  dem  sie  törichterweise  Widerstand 
geleistet  hatten,  unternahmen  sie  es,  das  Didymeion  größer,  als 
die  andern  Tempel  waren,  aufzubauen.  Damit  hatten  sie  sich 
freilich  eine  Last  aufgeladen,  der  die  Stadt  allein  nicht  gewachsen 
war;  da  es  nicht  gelang,  auswärtige  Gönner  zu  gewinnen,  die  au 
Stelle  Milets  sich  die  Vollendung  des  Tempels  angelegen  sein 
ließen,  oder  mit  andern  Worten  da  Delphi  auch  in  der  späteren 
Zeit  den  Vorrang  behauptete  und  sich  durch  das  Didymeion  nicht 
verdrängen  ließ,  so  folgt  am  Didymeion  ein  mageres  Jahr  auf  das 
andere;  nur  Caligulas  Wahnsinn,  dem  das  Tempelungeheuer  bei 
Milet  für  seine  Person  gerade  groß  genug  zu  sein  schien,  hätte 
fast  noch  dem  Bau  die  Vollendung  gebracht,  wenn  seine  Ermordung 
nicht  auch  diesen  Bauplänen  ein  Ende  gemacht  hätte.  S.  140: 
Bei  der  Inschrift,  die  den  Berl.  Sitzungsber.  1901  S.  905  ent- 
nommen ist,  hätte  dem  Metrum  zuliebe  wohl  avvFade  (von  äv- 
ddvw)  statt  GW  ad  s  und  S.  141  Z.  1 1  ngsaßsä  %'  eiq  ßaailfjag 
statt  ßccöikeiag  gedruckt  werden  müssen.  Und  warum  glaubt 
der  Verf.  den  Tempel  als  Hypäthraltempel,  d.  h.  als  einen  solchen, 
der  von  vornherein  dazu  bestimmt  war,  dachlos  zu  bleiben,  auf- 
fassen zu  müssen,   trotzdem  doch  Strabo  XIV  634  deutlich  sagt: 

18* 


276  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

diifASwe  ds  %<*)q\<;  dgocfrjg  öiä  %6  [xsye$oc,  d.  h.  weil  er  zu 
groß  angelegt  war,  ist  er  nie  vollendet  worden?  Die  Hypäthral- 
frage  sollte  doch  jetzt  nach  Dörpfeld  als  gelöst  gelten.  Der 
folgende  Band  soll  die  Inschriften  bringen,  die  über  die  ver- 
schiedenen Teile  des  Tempels  sowie  über  die  Arbeit  in  den 
Werkstätten  Aufschluß  geben;  man  darf  hoffen,  dadurch  neue 
Resultate  zu  gewinnen. 


4)  A.  Döring,    Eine    Frühlingsreise    nach    Griechenland.     Frank- 
furt a.  M.  1903,    Neuer  Frankfurter  Verlag   6.  m.  b.  H.    199  S.    3  Jt- 

Der  Verf.  hat  in  den  Monaten  März,  April  und  Mai  1900 
eine  Reise  nach  und  durch  einen  Teil  von  Griechenland  unter- 
nommen und  die  dabei  gewonnenen  Eindrucke  und  Erfahrungen 
in  Zeitschriften  stückweise  veröffentlicht  und  dann  in  dem  vor- 
liegenden Bande  zusammengestellt.  Der  Verf.  ist  nicht  Archäologe, 
man  darf  deshalb  auch  nicht  sachliche  Förderung  auf  archäologi- 
schem oder  antiquarischem  Gebiete  erwarten.  Er  ist  aber  mit 
Liebe  an  die  Reise  herangegangen,  hat  mit  großer  Ausdauer  seinen 
Jahren  Trotz  geboten  und  weiß,  was  er  gesehen  und  erlebt  hat, 
ganz  anschaulich  zu  schildern.  Wer  also  archäologische  Studien 
in  dem  Buche  sucht,  wird  es  enttäuscht  aus  der  Hand  legen;  wer 
den  Verf.  bequem  auf  seiner  Reise  begleiten  und  kennen  lernen 
will,  wie  in  seinen  Augen  sich  Griechen  und  Griechenland  ge- 
stalten, der  wird  mit  Interesse  seine  Schilderung  lesen  und  dabei 
auf  seine  Rechnung  kommen. 

Einige  Irrtümer  sind  aber  mituntergelaufen.  Beim  Anblick 
der  Trümmer  des  Löwen  von  Chäronea  sagt  der  Verf.  S.  46: 
„An  eine  Wiederherstellung  dieses  denkwürdigen  Monumentes  des 
Unterganges  der  griechischen  Freiheit  scheint  bis  jetzt  noch 
niemand  gedacht  zu  haben".  Die  Sache  ist  anders.  Im  Gulii 
und  Koner  6.  Aufl.  S.  213  würde  er  über  die  Geschichte  des  Denk- 
mals und  die  wiederholten  Versuche  seiner  Wiederherstellung  da» 
Nötige  gefunden  haben;  beiläufig  sei  gesagt,  daß  jetzt  endlich  mit 
allem  Eifer  an  der  Ausführung  der  Pläne  gearbeitet  wird.  S.  52: 
Daß  er  in  Attika  keine  Schildkröten  gesehen,  ist  merkwürdig;  der 
kleine  See  beim  Kloster  am  Fuße  des  Pentelikon  wimmelt  fast 
davon.  Übrigens  sind  diese  Schildkröten  zur  Gewinnung  des 
Schildpatts  nicht  zu  verwenden.  S.  99:  Thersition  1.  Thersilion, 
zweimal,  so  daß  der  Gedanke  an  einen  Druckfehler  ausgeschlossen 
ist.  S.  115:  Der  Apollotempel  in  Delphi  soll  in  der  zweiten  Hälfte 
des  sechsten  Jahrhunderts  erbaut  sein.  Aber  dieser  von  den 
Alkmäoniden  erbaute  Tempel  ist  ja  372  wiederum  durch  Brand 
erheblich  beschädigt  und  dann  in  den  Jahren  360—330  von 
neuem  erbaut  worden;  auf  ihn  also,  nicht  auf  den  früheren  Baut 
sind  die  jetzt  noch  erhaltenen  Reste  zurückzuführen.  Die  Spuren 
eines  Artemistempels    und    eines  Arsenals  (einer  Chalkothek)  auf 


Archäologie,  von  R.  Eogelmaiin.  277 

<Jer  Akropolis  von  Athen  sind  durch  die  Angaben  „rechts  von  der 
Stelle,  wo  das  Bild  der  Athena  Promachos  gestanden,  gegen  die 
Umfassungsmauer  hin"  eigentlich  wenig  genau  bestimmt.  Und 
warum  das  Parthenon?  und  was  sind  das  für  „drei  mächtige 
Schutzreifen1',  die  bei  dem  Helm  der  Parthenos  angebracht  sein 
sollen?  Auf  dem  Westgiebel  des  Parthenon  soll  nach  S.  120  der 
Götterwettstreit  um  die  Herrschaft  Athens  dargestellt  gewesen  sein. 
Das  ist  aber  ein  Irrtum.  Auf  dem  Westgiebel  ist  ebenso  wie  aut 
dem  Ostgiebel  nur  ein  Akroterion  aufgestellt  gewesen.  Daß  der 
Tempel  in  Ägina,  dessen  Giebelfiguren  in  Mönchen  sind,  nicht  ein 
Athenatempel  war,  könnte  heute  auch  Nichtarchäologen  bekannt 
sein.  S.  161:  Die  Entlohnung  der  Musikanten  dadurch,  daß  man 
ihnen  ein  Geldstuck  an  die  Stirn  druckt,  ist  nicht  bloß  in  Griechen- 
land, sondern  auch  im  ganzen  Donautal  von  Wien  ostwärts  üblich, 
so  daß  es  bedenklich  ist,  diesen  Brauch  auf  antike  Sitte  zurück- 
führen zu  wollen.  S.  177:  Das  Buch  von  Dörpfeld  über  Troja 
ist  1902  erschienen,  durfte  also  in  dem  1903  veröffentlichten 
Buche  nicht  als  ein  zukünftig  erscheinendes  erwähnt  werden. 
Der  Verf.  hat  hier  offenbar  unterlassen,  in  seinem  früher  nieder- 
geschriebenen Aufsatze  Nachträge  und  Abänderungen  einzufügen. 
Aber  trotz  allen  diesen  Ausstellungen  im  kleinen,  das  frisch 
und  mit  Hingebung  geschriebene  Büchlein  wird  sich  sicher  manche 
Freunde  erwerben  und  für  den  einen  oder  andern  Veranlassung 
werden,  gleichfalls  zum  Wanderstabe  zu  greifen  und  Griechenland 
zu  besuchen.  Ein  neues  Buch  braucht  deshalb  ja  nicht  gleich  ge- 
schrieben zu  werden. 

5)  R.  Thiele,  Das  Forum  Rouianum,  mit  besouderer  Berücksichtiguug 
der  oeuesteo  Ausgrabungen  (1898 — 1903)  geschildert.  Erfurt  1904, 
C.  Villaret.     24  S.     8.     0,60  JC. 

Als  Leser  denkt  und  wünscht  sich  Verf.  „in  erster  Linie 
unsere  Primaner  und  dann  auch  den  weiteren  Kreis  der  Ge- 
bildeten, da  meine  Arbeit  durchaus  nicht  den  Anspruch  erhebt, 
eine  wissenschaftliche  Forschung  zu  sein,  sondern  nur  eine  an- 
spruchslose Schilderung  des  selbst  in  freudiger  Bewunde- 
rung Geschauten  ist4'.  Wenn  ich  den  Satz  richtig  verstehe 
(der  Verf.  macht  es  im  allgemeinen  dem  Leser  nicht  leicht,  das, 
was  er  sagen  will,  aus  den  Worten  herauszufinden),  will  Thiele 
das,  was  er  selbst  gesehen  und  bewundert  hat,  in  seinem  Schrift- 
chen auch  andern  zum  Genuß  und  zum  Gewinn  mitteilen.  Man 
könnte  fragen,  ob  die  Zeit  einer  solchen  Mitteilung  scheu  ge- 
kommen war,  da  die  Ausgrabungen  noch  nicht  beendet  sind  und 
immer  wieder  neue  unerwartete  Resultate  gemeldet  werden,  so 
<Jaß  ein  Buch,  wie  das  vorliegende,  fast  schon  in  dem  Augenblicke 
seines  Erscheinens  als  veraltet  betrachtet  werden  könnte.  Aber 
warum  soll  man  nicht,  auch  ohne  wissenschaftlich  mitarbeiten  zu 
wollen,  das,  was  bis  jetzt  erreicht  ist,  schildern  dürfen?    An  der 


278  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Existenzberechtigung  des  Buches  ist  also  nicht  zu  zweifeln,  ich 
glaube  auch,  daß  es  vielen  erwünschte  Aufklärung  über  das,  was 
bis  1903  auf  dem  Forum  erreicht  war,  geben  wird.  Aber  etwas 
größere  Genauigkeit  wäre  doch  zu  erreichen  gewesen.  Zunächst 
in  der  Angabe  der  Himmelsgegenden.  Es  ist  ja  sehr  zu  bedauern, 
daß  die  Römer  bei  Anlage  des  Forums  nicht  genau  die  Richtung 
von  Norden  nach  Süden  oder  die  von  Westen  nach  Osten  zu- 
grunde gelegt  haben.  Dann  wäre  die  Bezeichnung  der  einzelnen 
Teile  des  Forums  und  der  angrenzenden  Gegenden  viel  leichter 
und  unzweideutiger;  aber  wir  müssen  uns  doch  heute  an  die  Tat- 
sachen halten.  Das  tut  Verf.  nicht,  wenn  er  den  Kapitolinischen 
Hügel  sudöstlich  vom  Quirinal  und  Esquilin  gelegen  sein  läßt, 
oder  das  Marsfeld  im  Nordosten  von  Rom  ansetzt  u.  dgl.  mehr. 
Auch  die  Etymologie  kommt  schlecht  fort,  wenn  forum  mit  &6log 
(„Tiefbau,  Grube")  und  deutschem  „Tal44  zusammengebracht  und 
als  „Grübe"  oder  „Graben",  d.  h.  das  durch  einen  Graben  ent- 
wässerte Abhangstal  bezeichnet  wird.  Die  Säulen  des  Severus- 
bogens  sind  nach  Durm,  Baustile  II  S.  350  aus  prokonnesischem, 
nicht  pentelischem  Marmor  und  tragen  Komposit-,  nicht 
römische  Kapitale.  (Auch  hätte  vielleicht  genauer  ausgeführt 
werden  können,  was  eine  sieggekrönte  Statue  des  Kaisers  be- 
deutet Der  Kaiser  selbst  kann  ja  unter  Umständen  sieggekrönt 
sein,  aber  doch  nimmer  seine  Statue.)  Die  neue  Rostra  als 
Singular  S.  10  macht  auch  einen  eigentümlichen  Eindruck,  ebenso 
die  Bemerkung  „die  beiden  reliefgeschmückten  Schranken,  welche 
jetzt  Anaglypha  heißen44.  S.  21  wird  erzählt,  daß  die  Vestali- 
schen  Jungfrauen  sich  zu  30 jährigem  Dienste  verpflichteten,  „auf 
dessen  Verletzung  die  schreckliche  Strafe  des  Lebendigbegraben  - 
werdens  stand44.  Aber  doch  nicht  jede  Verletzung  des  Dienstes 
wurde  so  bestraft.  Der  Name  Atrium  Vestae  rührt  (ebenda)  davon 
her,  daß  den  Hof  „eine  zweischossige  Halle  von  einst  mit  Efeu 
und  Immergrün  bekleideten  Säulen41  umzog,  ohne  daß  jedoch  ge- 
sagt wird,  worin  nun  der  Grund  für  diese  Namengebung  eigent- 
lich liegt.     Und  derartiges  ließ  sich  noch  mancherlei  anführen. 

Aber  dennoch  mag  das  Buch  zu  dem  Zwecke,  eine  erste  Ein- 
führung in  das  Forum  in  seinem  jetzigen  Zustande  zu  geben, 
wohl  verwendbar  sein.  Vielleicht  findet  Verf.  Gelegenheit,  bei 
einer  Neubearbeitung  die  kleinen,  wohl  der  etwas  eiligen  Abfassung 
entspringenden  Mängel  (ich  vermute,  daß  es  sich  ursprünglich  um 
ein  schnell  entstandenes  Schulprogramm  handelt)  zu  beseitigen  und 
dadurch  das  Buch  auch  für  weitere  Kreise  brauchbar  zu  machen. 

6)  0.  Richter,  Beiträge  zur  römischen  Topographie.  1.  Allia- 
schlacht  and  Serviusmauer.  II.  Capitolium  uod  Clivus  Capitolious. 
Beilage  zum  XIII.  Jahresbericht  des  Königlichen  Prioz  Heinrich-Gym- 
nasiums.   Berlin  1903.     Progr.  Nr.  94. 

Ob  die  Alliaschlacht  auf  dem  rechten  oder  dem  linken  Tiber- 
ufer stattgefunden  hat,  darüber  waren  wir  bisher  infolge  der  aus- 


Archäologie,  voo  R.  Engelmann.  279 

ei nandergeh enden  Berichte  des  Livius  und  des  Diodor  noch  zweifel- 
haft. 0.  Richter  sucht  hier  Klarheit  zu  schauen,  indem  er  darauf 
hinweist«  daß  die  Römer  bis  zur  Allia,  der  Grenze  ihres  durch  den 
Acker  der  Fidenaten  vergrößerten  Gebietes,  vorgerückt  waren  und 
dort  die  Gallier  erwarteten;  die  Schlacht  selbst  war  keine  Nieder- 
lage, sondern  eine  Ve  r  n  i  c  h  t  u  n  gs  seh  lacht ;  die  Römer  wurden  ent- 
weder niedergehauen  oder  in  den  Tiber  gestürzt.  Nur  wenige, 
die  schwimmend  das  andere  Ufer  erreichten,  konnten  sich  nach 
Veji  retten,  das  ihnen  hier  am  nächsten  lag.  Nach  Rom  zu  ge- 
langen, wie  es  doch  unter  andern  Umständen  das  naturlichste 
gewesen  wäre,  haben  sie  noch  nicht  einmal  den  Versuch  gemacht. 
Mit  dem  Einfall  der  Gallier  hängt  auch  die  Errichtung  der  noch 
heute  sichtbaren  Befestigung,  des  sogenannten  Serviuswalles,  zu- 
sammen; er  ist  erst  nach  dem  Abzug  der  Gallier  im  Jahre  378 
in  opus  quadratum  errichtet  und  zwar  streckenweise  zum  Bau  in 
Verding  gegeben  worden;  auch  die  noch  heute  sichtbare  Be- 
festigung des  Palatin  gehört  der  gleichen  Zeit  an.  Naturlich  hat 
auch  unter  den  Königen  Rom  schon  ordentliche  Mauern  gehabt, 
aber  welcher  Art,  steht  nicht  fest.  Der  zweite  Teil  des  Programms 
beschäftigt  sich  mit  dem  Clivus  Capitolinus  und  seiner  Einmündung 
in  die  Area  des  Jupitertempels;  auch  hier  wird  man  nicht  umhin 
können,  den  Polgerungen  des  Verf.s  beizustimmen. 

7)  0.  Richter,  Beiträge  zur  römischen  Topographie  II.  III.  Die 
römische  Rednerbühne.  Mit  22  Abbildungen  and  Pläoen.  Berlin  1903, 
W.  ßiixenstein.     31  S.     4. 

Das  der  47.  Versammlung  deutscher  Philologen  und  Schul- 
männer in  Halle  a.  S.  gewidmete  Heft  gibt  Rechenschaft  über  die 
Resultate,  zu  denen  der  Verf.  infolge  der  neueren  Ausgrabungen 
auf  dem  Forum  in  bezug  auf  die  Rednerbuhne  gelangt  ist.  Seine 
früheren  Annahmen  haben  sich  teilweise  als  nicht  richtig  erwiesen; 
das  sog.  Hemicyclium  bildete  ursprünglich  die  Vorderfront  der 
cäsarischen  Rednerbühne,  die  also,  entsprechend  der  Münze  des 
Palikanus  (die  schon  vor  der  eigentlichen,  44  v.  Chr.  erfolgten 
Dedikation  des  Gebäudes  geschlagen  sein  muß),  nach  vorn  bogen- 
förmig endete,  während  sie  nach  dem  Kapitol  zu  in  eine  breite 
Treppenanlage  auslief.  Die  Treppe  sollte  mit  ihren  Stufen  wohl 
nicht  bloß  zum  Besteigen  der  eigentlichen  Rednerbühne,  sondern 
zugleich  als  Zuschauertribüne  dienen  für  die  auf  jenem  wichtigen 
Platze  sich  abspielenden  Ereignisse;  dort  fanden  die  Opfer  an 
Volcanus  auf  dem  jetzt  wieder  aufgefundenen  Volcanal  statt,  dort 
machten  die  Triumphzüge  Halt,  um  nach  Hinrichtung  der  Ge- 
fangenen im  Karzer  ihren  Weg  nach  dem  Kapitol  fortzusetzen.  — 
Der  Quader  bau,  der  vor  dem  sog.  Hemicyclium  liegt,  rührt  von 
der  Erneuerung  der  Rostra  unter  Trajan  her,  die  wohl  erst  unter 
Hadrian  vollendet  worden  ist;  damals  müssen  auch  die  Schranken, 
die  Richter  früher  auf  den  Treppenwangen  angebracht  sein  lassen 


280  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereios. 

wollte,  zur  Aufstellung  gelangt  sein;  ihre  ehemalige  Anordnung 
ergibt  sich  nun  aus  der  Darstellung  des  Forums,  das  man  auf 
ihnen  einmal  von  rechts  nach  links,  das  andere  Mal  von  links 
nach  rechts  zur  Anschauung  gebracht  sieht,  fast  von  selbst,  sie 
können  nur  parallel  zn  den  Seitenfronten  der  Hednerbühne  auf- 
gestellt gewesen  sein,  wohl  um  den  Platz  für  das  Auftreten  des 
Kaisers  auf  der  Rednerbuhne  abzugrenzen.  Damit  scheint  das 
Problem  der  Rostra  gelöst. 

8)  S.  Puglisi  Marino,  11  Colosseo  nelgiorno  dell'inaugurazione 

(Ricerebe  d'  archeologia  e  storia).    Vol.  1.    Testo.    Catania  1904.   46  S. 

Das  Kolosseum  ist  per  la  febbrile  attivüd  di  cento  braccia 
errichtet,  jedenfalls  ist  mila  ausgefallen.  Doch  trotz  aller  Be- 
schleunigung konnte  die  Weihung  erst  unter  Titus  erfolgen,  aber 
wann?  Gewöhnlich  wird  angenommen:  an  dem  Tage,  da  er  sein 
achtes  Konsulat  zusammen  mit  Domitian  begann  (15.  Nov.  80); 
doch  das  ist  falsch.  Dio  LXVI  26  berichtet,  daß  Titus  nach 
Vollendung  der  Einweihungszeremonieen  offen  geweint  habe,  ortte 
nccvxa  top  dtjfjbov  IdeZv;  daraus  folgert  der  Verf.,  daß  Titus  atv 
dem  Tage,  an  dem  er  das  Hauptwerk  seines  und  seines  Vaters 
Lebens  vollendet  sah,  nicht  aus  einem  andern  Grunde  habe  Tränen 
vergießen  können,  als  weil  das  Andenken  an  seines  Vaters  Tod 
ihn  überwältigte;  d.  h.,  das  Kolosseum  wurde  an  dem  Tage  ein- 
geweiht, an  dem  ein  Jahr  vorher  Vespasian  gestorben  war.  Es 
liegt  auf  der  Hand,  daß  diese  Tränen  des  Titus  ein  zu  feuchtes, 
unsicheres  Element  bilden,  als  daß  man  darauf  solche  Schlösse 
aufbauen  könnte.  Im  folgenden  bemüht  sich  der  Verf.,  die  ein- 
zelnen Teile  des  Gebäudes  zu  bestimmen  und  namentlich  nach 
der  Arvaleninschrift  die  Verteilung  der  Plätze  zu  erkennen;  auch 
darin  wird  man  mehrfach  sich  zum  Widerspruch  herausgefordert 
linden.  Z.  B.  wenn  er  sagt,  daß  in  Herculaneum  und  Pompeji 
vor  den  Häusern  Pfeiler  standen,  die  wahrscheinlich  zur  Unter- 
stutzung  der  Maeniana  gedient  hätten.  Wo  sind  derartige  Pfeiler 
zu  finden?  Auch  daß  der  ehemalige  Platz  des  Kaisers  dadurch 
bestimmt  werden  soll,  daß  an  einer  Stelle  des  Gebäudes  im  Mittel- 
alter und  in  der  Renaissancezeit  (wegen  der  vorausgesetzten 
besseren  Ausführung  dieser  Teile)  mehr  abgebrochen  ist,  wird 
schwerlich  Beifall  finden.  So  ist  das  Resultat  des  ganzen  Buches 
ein  verhältnismäßig  geringes,    nicht  über  allen  Zweifel  erhabenes. 

9)  H.Lucas,    Zur  Geschichte   der  Neptunsbasilika  in  Rom.     Pro- 

gramm des  Kaiser- Wilhelm-Realgymnasiums  zu  Berlin.     Berlin  1904. 
Progr.  Nr.  103.     28  S. 

Die  sog.  Neptunsbasilika  auf  der  Piazza  di  Pietra  ist  schon 
vielfach  besprochen  und  auf  ihre  ursprüngliche  Bestimmung  hin 
untersucht  worden.  Der  Verf.  kommt  zu  dem  Resultat,  daß  der 
Tempel  der  von  Antonius  erbaute  Hadrianstempel  ist,  der  vermöge 


Archäologie,  von  R.  Engelmann.  281 

seiner  riesigen  Größe  und  prachtvollen  Ausstattung  mit  der  weiten, 
ihn  umgebenden  Halle  aus  bunten,  kostbaren  Marmorsäulen  einst 
einen  imposanten  Eindruck  gemacht  haben  muß.  Er  ist  in  ge- 
wisser Weise  dazu  bestimmt,  eine  Art  Fortsetzung  der  Forums- 
anlagen zu  bilden,  genau  so  wie  der  Tempel  der  Venus  und  Roma 
unter  den  Bauten  des  Hadrian  eine  Art  Fortsetzung  der  kaiser- 
lichen Forumsarbeiten  bildet. 

lU)  A.  Mau,  Fährer  durch  Pompeji,  auf  Veranlassung  des  Kaiserlich 
Deutschen  Archäologischen  Instituts  verfaßt.  Vierte,  verbesserte  und 
vermehrte  Auflage.     Mit  35  Abbildungen    und   sechs  Plänen.     Leipzig 

1903,  W.  Engelmann.     123  S.     8.     3  Jt.     (Vorrätig    in    Neapel    bei 
Emil  Prass.) 

Auch  die  neue  Auflage  hat  wie  die  vorhergehenden  Ver- 
besserungen und  Vermehrungen  erfahren;  namentlich  insofern,  als 
der  neugefundene  Tempel  gleich  hinter  der  Porta  della  Marina 
und  das  Haus  des  Lucretius  Fronto  eine  Beschreibung  erfahren 
haben.  Der  Tempel  ist  jedenfalls  der  Venus  Pompejana  gewidmet, 
der  Gottheit,  die  wir  schon  lange  als  besondere  Schutzgottheit 
der  Stadt  kannten,  für  die  aber  ein  Tempel  bisher  nicht  nach- 
weisbar war,  nachdem  der  früher  Venustempel  genannte  unzweifel- 
haft als  Apollotempel  erkannt  worden  war.  Das  Haus  des  Lucretius 
Fronto,  als  solches  durch  verschiedene  Inschriften  erkennbar,  wird 
als  „gutes  Beispiel  einer  kleinen,  aber  eleganten  Wohnung  eines 
angesehenen  Bürgers"  bezeichnet.  Das  Haus  verdient  besondere 
Beachtung  einmal,  weil  man  hier  über  dem  Atrium  das  Dach  her- 
gestellt hat,  so  daß  hier  ungefähr  die  antike  Lichtwirkung  be- 
obachtet werden  kann,  anderseits  aber  auch  wegen  der  inter- 
essanten Bilder.  Darunter  ist  die  Tötung  des  Neoptolemos,  nach 
der  Andromache  des  Euripides,  und  die  sog.  Caritä  romana,  Pero, 
die  ihren  Vater  Mikon  im  Gefängnis  durch  die  Milch  ihrer  Brust 
ernährt,  besonders  hervorzuheben.  Das  Epigramm,  das  den  Vor- 
gang erläutert  („mit  einem  nicht  vollständig  lesbaren  lateinischen 
Epigramm")  dürfte  wohl  in  folgender  Weise  zu  lesen  sein: 

Quae  parvis  mater  natis  alimenta  parabat, 
Fortuna  in  patrios  vertu  iniqua  cibos. 

Supplicii  locus  est;  tenui  cervice  seniles 
Aspice  quam  venae  lacte  dato  tumeant. 

Languentemque  simul  voltu  fricat  ipsa  Miconem 
Pero:  tristis  inest  cum  pietate  pudor. 
Doch  ausführlicher   darüber   an    einer  andern  Stelle.     Maus  Buch 
wird,    wie    die    früheren   Auflagen,    auch    weiter    fortfahren,    den 
Freunden  des  Altertums  gute  Dienste  zu  erweisen. 

11)  R.  Engelmann,  Pompeii.  Translated  by  Talfourd  Ely,  M.  A.,  F. 
S.  A.;  London,  H.  Grevel  &  Co.;  New-York,  Charles  Scribner's  Sons, 

1904.  A.  u.  d.  T.  Famous  Art  Cities  No.  1.     Pompeii.     112  8.     8. 

Mein  Buch,  das  in  den  „Berühmten  Kunststätten"  Nr.  4  bildet, 
ist  in  englischer  Übersetzung  als  Nr.  1  einer  gleichen  Unternehmung- 


2S2  Jahresberichte  d.  Philologe.  Vereins. 

erschienen;  auf  „Pompeii"  soll  Venice,  l>y  Dr.  Gustav  Pauli,  weiter 
Florence  and  Nuremberg  erscheinen.  Rome,  Siena,  Ravenna  and 
Cairo  will  represent  a  continuation.  Leider  ist  das  Buch  gleich 
von  vornherein  etwas  ungenau  geworden,  insofern,  ais  durch  Pais 
als  Direttore  degli  Scavi  di  Pompei  der  Eingang  von  der  Porta 
della  Marina  nach  der  Porta  Stabiana  verlegt  ist.  Pais  wird  ja 
wohl  seine  Grunde  zu  dieser  Veränderung  gehabt  haben,  ebenso 
wie  für  die  andern  Maßregeln,  die  er  in  bezug  auf  die  Fuhrer 
und  andere  Dinge  in  Pompeji  getroiTen  hat,  aber  dennoch  kann 
man  sein  rasches  Vorgehen  bedauern;  sieht  es  doch  vielfach  so 
aus,  als  ob  er  überall  ausgeschaut  habe,  nicht,  ob  etwas  ver- 
ändert werden  muß,  sondern  ob  etwas  verändert  werden  kann. 
Man  darf  darauf  gespannt  sein,  ob  der  Nachfolger  nun  nicht  ohne 
weiteres  alle  Maßnahmen  seines  Vorgängers  kassiert,  wie  in  andern 
Ländern,  in  denen  die  Haupttätigkeit  jedes  neuen  Beamten  darin 
besteht,  to  undo  that  has  been  done,  um  seine  Macht  und  sein 
Besserwissen  zu  zeigen.  Die  Ungenauigkeit,  auf  die  ich  an- 
spielte, besteht  hier  darin,  daß  auf  der  ersten  Seite  gesagt  wird, 
daß  man  durch  das  Seetor  die  Stadt  betritt.  Das  wird  ja  wohl 
noch  zu  ertragen  sein.  Ich  denke,  daß  auch,  trotzdem  der  Ein- 
gang nach  der  Porta  Stabiana  verlegt  ist,  das  Buch  weiter  guten 
Fortgang  nehmen  wird. 

12)  Fr.  Prix,  Pompeji.  Begleitworte  zu  einer  Reihe  von  Projektions- 
bildern. (Sonderabdruck  aus  den  Jahresber.  des  Theresia nischen 
Gymnasiums  1899.)     Wien   1899.     22  S.     0,80  Jt. 

Daß  Pompeji  für  höhere  Schulen  ein  gewohntes  Vortrags- 
thema geworden  ist,  kann  man  begreifen  und  mit  Freuden  be- 
grüßen. Je  unmittelbarer  auf  den,  der  das  Glück  hat,  den  Boden 
der  alten  Stadt  zu  betreten,  das  Altertum  zu  wirken  pflegt,  um 
so  mehr  versteht  man.  daß  die  Lehrer  ihren  Schülern,  wenn  ihnen 
auch  der  Besuch  von  Pompeji  selbst  unmöglich  ist,  durch  Vor- 
führen von  Skioptikonbildern  denselben  Eindruck  zu  verschaffen 
wünschen.  Für  die  Beschaffung  solcher  Bilder  hat,  wie  die  Anm. 
auf  S.  1  meldet,  die  k.  k.  Hofmanu Faktur  für  Photographie 
R.  Lechner  (Wilh.  Müller),  Wien  I,  Graben  31,  besondere  Vor- 
bereitungen getroffen:  sie  liefert  bei  Abnahme  einer  größeren  An- 
zahl das  Stück  für  50  Kreuzer.  Aber  auch  von  anderen  Firmen 
sind  zu  ähnlichen  Preisen  gute  Diapositive  zu  beziehen.  Doch  das 
Vorführen  der  Bilder  allein  tut  es  nicht,  es  muß  auch  eine  Er- 
klärung dazu  gegeben  werden.  Ist  nun  keiner  unter  den  Lehrern 
selbst  in  Pompeji  gewesen,  so  könnte  der  begleitende  Vortrag 
Schwierigkeiten  verursachen;  in  einem  solchen  Falle  vermag  das 
hier  besprochene  Heftchen  „Begleitworte41  einzutreten,  das  auf 
Grund  von  Maus  Führern  und  eigener  Anschauung  entworfen 
worden  ist.  Ein  paar  kleine  Versehen,  die  mit  untergelaufen  sind 
(S.  3  wird  in  Bild  1  die  Sorrentinische  Halbinsel  als  östlich  auf 


Archäologie,  von  R.  Engelmann.  283 

der  Karte  liegend  bezeichnet;  das  ist  nicht  gut  möglieb.  S.  4: 
del7  Anfiteatro,  1.  dell'  Amfiteatro.  S.  14  beißt  es,  daß  nur  zwei 
Thermenanlagen  gefunden  seien:  da  sind  die  Zentralthermen  nicht 
mitgerechnet;  sie  waren  allerdings  noch  nicht  fertig,  als  der  Aus- 
bruch stattfand,  aber  ebensogut  wie  die  Thermae  M.  Crassi  Frugi 
hätten  sie  auch  eine  Anführung  verdient),  können  leicht  korrigiert 
werden. 

13)  C.  Cichorius,  Die  römischen  Denkmäler  in  der  Dobrudscha. 
Ein  Erklärungsversuch.  Berlin  1904,  Weidmannsche  Buchhandlung. 
42  S.     1  JC. 

Daß  um  das  von  Tocilescu  in  der  Dobrudscha  aufgefundene 
große  Denkmal  (ein  massiver  steinerner  Hundbau,  der  rings  mit 
Zinnen-  und  Metopenreliefs  geschmückt  war,  die  teils  gefangene 
Barbaren,  teils  Kriegsszenen  mit  Römern  und  Barbaren  zeigten; 
oben  war  das  Denkmal  von  einem  steinernen  Tropäum  gekrönt, 
an  dessen  Fuße  sich  eine  große,  auf  Trajan  bezügliche  Inschrift 
befand)  sich  ein  gewaltiger  Krieg  zwischen  ßenndorf  einerseits  und 
Furtwängler  andrerseits  entwickelt  hat,  dürfte  allgemein  bekannt 
sein ;  ist  doch  der  Krieg  wenigstens  teilweise  mit  solcher  Energie 
geführt  worden,  daß  man  sich  fragen  mußte,  wer  in  diesem  so 
schonungslos  geführten  Kampfe  um  das  Tropäum  nun  seinerseits 
ein  Tropäum  aufzurichten  in  der  Lage  sein  werde.  Da  kommt 
das  Schriftchen  von  Cichorius  gerade  zur  rechten  Zeit.  Er  weist 
nach,  daß  aus  den  beiden  andern  Denkmälern,  die  in  unmittel- 
barer Nähe  des  großen  Tropäum  stehen  (ein  viereckiger  Altar, 
der  auf  seinen  vier  Seiten  die  Namen  der  in  einer  Schlacht  ge- 
fallenen Römer,  darunter  auch  zahlreicher  Prätorianer,  trug,  und 
ein  rundes  Grabdenkmal,  in  dessen  Innerem  noch  Reste  von  ehe- 
maligen Opfern  aufgefunden  wurden),  sich  eine  andere  Zeitbestim- 
mung ergibt.  Unter  Domitian,  im  Jahre  86/87,  war  der  Praefectus 
praetorio  Cornelius  Fuscus  mit  seinem  Heere,  zu  dem  auch  Prä- 
torianer gehörten,  über  die  Donau  gegangen  und  von  den  Dakern 
geschlagen  worden;  eine  noch  bedeutendere  Niederlage  hatte  er 
nach  seinem  Rückgang  über  die  Donau  auf  dem  rechten  Ufer  bei 
Adamklissi  erlitten;  er  selbst  war  gefallen,  mit  ihm  mehrere 
tausend  Soldaten,  und  ein  Legionsadler  war  von  den  Feinden 
erbeutet.  Dem  Praefectus  praetorio  errichtet  darauf  Domitian  bei 
seinem  Aufenthalt  in  iMösien  ein  Grabmonument,  zugleich  erbaut 
er  zum  Andenken  der  gefallenen  Soldaten  einen  Grabaltar.  Erst 
zwischen  101 — 106  unterwirft  Trajan  in  den  beiden  dakischen 
Kriegen  ganz  Dakien  und  gewinnt  den  unter  Fuscus  verlorenen 
Adler  wieder,  den  er  wahrscheinlich  im  Tempel  des  Mars  Ultor 
zu  Rom  weiht;  107—109  erbaut  Trajan  sein  Tropäum  als  Sieges- 
denkmal und  weiht  es  dem  Mars  Ultor. 

Auf  diese  Weise  werden  alle  Schwierigkeiten  behoben,  nament- 
lich wird  auch  die  von  Furtwängler  gegen  Benndorf  vorgebrachte 


284  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereius. 

Tatsache  verwendet,  daß  das  Grabdenkmal  und  der  Grabaltar  aus 
einem  muschelhaltigen  Stein  aufgebaut  ist,  während  bei  dem 
Tropäum  ein  festerer  marmorartiger  Stein  verwendet  wurde.  Beide 
Steine  stammen  aus  demselben  Steinbruch,  man  konnte  zu  dem 
festeren  Stein  aber  erst  gelangen,  nachdem  der  darüber  anstehende 
muschelhaltige  Stein  abgebaut  war.  Dadurch  ergibt  sich  die  Tat- 
sache, daß  Grabaltar  und  das  Grabdenkmal  älter  sein  müssen  als 
das  Tropäum.  Es  scheint  mir,  daß  durch  die  Aufstellung  von 
Cichorius  allen  Bedenken  Furtwänglers  die  Basis  entzogen  ist,  so 
daß  sein  Gedanke,  auf  die  Kämpfe  des  M.  Licinius  Crassus  in 
dieser  Gegend  (im  Jahre  28  v.  Chr.)  das  Tropäum  zu  beziehen, 
endgültig  zurückzuweisen  ist. 

14)  E.  Guhl  et  W.  Koner,  La  vie  autique,  maauel  d'archeologie  grecque 
et  romaine,  tradnit  stir  la  4«  editioo  de  E.  Guhl  et  W.  Koner  par 
F.  Trawioski,  Chef  du  Secretariat  des  Musees  Nationaux.  Intro- 
ductioa  par  Albert  Duinoot,  Membre  de  l'lostitut.  Premiere  partie  — 
La  Grece.  Deuxieme  editioii,  ornee  de  578  vigoettes.  Ouvrage 
couroone  par  l'Acadeinie  Franchise.  Paris  1902,  Librairie  J.  Roth- 
schild, Lucien  Lavenr,  Editeur.     472  S.     8. 

„Es  gibt  mehr  Ding7  im  Himmel  und  auf  Erden,  als  eure 
W  ellweisheit  sich  träumt,  Horatio4'.  Wer  sollte  es  für  möglich 
halten,  daß,  während  hier  in  Deutschland  von  Guhl  und  Koner 
Das  Leben  der  Griechen  und  Römer  im  Jahre  1893  die  sechste 
Auflage  in  ganz  neuer  Form  erschienen  ist,  in  Paris  im  Jahre 
1902  eine  durchaus  auf  der  vierten  Auflage  beruhende  Über- 
setzung in  zweiter  Auflage  erscheint?  Und  daß  der  Übersetzer 
sich  damit  entschuldigt,  daß  ihm  von  neueren  Auflagen  des  Guhl 
und  Koner  nichts  bekannt  geworden  sei?  Daß  die  bibliographi- 
schen Verbindungen  zwischen  Deutschland  und  Frankreich  in 
diesem  Maße  abgebrochen  seien,  hätte  wohl  niemand  vermutet.  — 
Die  neueren  Ausgrabungen  in  Olympia,  Pergamon,  Tiryns,  Mykenai 
sind  in  einem  kurzen  Anhange  berücksichtigt,  aber  nur  bis  zum 
Anfang  der  achtziger  Jahre;  selbst  die  eigenen  Arbeiten  der 
Franzosen  scheinen  dem  Hrsgb.  unbekannt  geblieben  zu  sein;  so 
sind  z.  B.  die  französischen  Ausgrabungen  in  Delphi  damit  ab- 
gefunden, daß  vor  der  Preface  de  la  deuxieme  Üdition  ein  schlechtes 
Bild  des  Aurige  de  Delphes  gegeben  wird.  Es  scheint,  daß  man 
einfach  den  Druck  der  ersten  Auflage  wiederholt  und  zum  Schluß 
durch  einen  dürftigen  Anhang  auf  die  Höhe  der  Zeit  (NB.  1885Ü, 
während  das  Buch  1902  veröffentlicht  ist)  gebracht  hat,  und  auch 
in  diesem  dürftigen  Anhang  fehlt  es  nicht  an  Irrtümern.  Und 
dazu  ist  dies  noch  nicht  la  seconde  Edition,  sondern  la  deuxieme, 
die  also  nach  französischem  Sprachgebrauch  eine  troisieme  usw. 
erwarten  läßt.  Que  le  bon  Dieu  nous  en  preserve.  —  Um  dem 
Hrsgb.  Gerechtigkeit  widerfahren  zu  lassen,  erwähne  ich,  daß  er 
am  Schlüsse  seiner  Preface  ausdrücklich  auf  die  Weglassung  der 
neugefundenen  Resultate    aufmeiksam    macht.     Veutiire  nous  re- 


Archäologie,  vou  R.  Engelmann.  285 

prochera-t-on  d'avoiroublie  bien  des  choses  interessantes.  Ce  reproche 
nous  serait  (res  penible  si  l'oubli  rietait  pas  volontaire: 
il  nous  a  semble,  en  effet,  qu'il  serait  superflu  sinon  dangereux  de 
surcharger  cet  ouvrage  de  toutes  les  trouvailles  archeologiques  de 
ces  dernieres  annees.  Ce  serait  lui  donner  un  air  d'erudition 
touffue  qu'il  ne  doit  pas  avoir  et  lui  enlever  le  caractere  de  livre 
d'enseignement  que  nous  desirons  lui  conserver.  Damit  ist  die  Sache 
für  alle  Verständigen  erledigt;  die  andern,  die  damit  nicht  zu- 
frieden sind,  um  die  kümmert  sich  eben  der  Hrsgb.  nicht. 

15)  E.  Aßmann,   Das  Floß  des   Odysseus,  sein  Bau  und  sein  phöoiki- 

scher  Ursprung.  Berlin  1904,  Weidiiia  ansehe  Buchhandlung.  31  8. 
8.     0,60  JC. 

Daß  die  verschiedenen  Versuche,  nach  der  homerischen 
Schilderung  ein  brauchbares,  seetüchtiges  Floß  zu  konstruieren, 
bis  jetzt  nicht  zum  Ziele  geführt  haben,  wird  jeder  dem  Verf. 
gern  einräumen;  auch  wird  niemand,  denke  ich,  „anstehen,  die 
Art,  wie  Aßmann  das  Floß  konstruieren  läßt,  für  einen  ent- 
schiedenen Fortschritt  zu  halten.  Nach  Aßmann  bringt  Odysseus 
zunächst  eine  Reihe  von  Rundstämmen  ins  Wasser,  die  unter- 
einander durch  querüber  gelegte  starke  Bohlen,  die  Floßbänder, 
vermittelst  kräftiger,  durch  gebohrte  Löcher  geschlagene  Holz- 
pflöcke, yofMpoi,  verbunden  werden.  Darüber  errichtet  er  die 
iKQia,  eine  Plattform  oder  einen  von  den  aufsteigenden  Rippen 
getragenen  Bretterboden;  wenn  also  auch  die  Wellen  über  das 
eigentliche  Floß  sich  ergießen,  sind  sie  doch  außerstande,  wenn 
sie  nicht  durch  Sturm  zu  ungewöhnlicher  Höhe  emporgetrieben 
werden,  dem  Helden  zu  schaden,  der  hoch  über  ihnen  auf  einem 
Sturmdeck  dahinfährt.  Damit  ist  den  Worten  der  Kalypso:  drao 
IxQia  nrfeai  sti>  avrijg  vxpov  (Sq  <Ss  tpiquatv  ett*  fieqoeidsa 
novxov  die  richtige  volle  Bedeutung  zuteil  geworden.  Das 
andere  bedarf  keiner  besonderen  Ausführung.  Während  man  dem, 
was  Verf.  über  das  Floß  des  Odysseus  sagt,  beistimmen  muß, 
wird  der  zweite  Teil  vielfach  Anfechtung  finden.  Verf.  möchte, 
auch  auf  sprachlichem  Gebiete,  nachweisen,  daß  die  <r%eöii]  und 
mit  ihm  vieles  andere,  das  jetzt  für  rein  hellenisch  gilt,  den 
Phönikern  entstammt.  Doch  darüber  gilt  der  Spruch:  Adhuc  sub 
iudice  lis  est. 

16)  Roy  C.  Flickinger,  The  in  eaning  of  inl  rrjg  oxrjvrjg  in  writers 

of  the  fourth  Century.  S.  A.  aus  Vol.  VI  der  Decenuial  Publi- 
catioos  der  Uoiversity  of  Chicago,  founded  by  Jobn  D.  Rockefeiler. 
Chicago  1902.     4. 

Hat  Dörpfeld  recht,  wenn  er  behauptet,  daß  die  griechischen 
Schauspieler  nicht  auf  einer  erhöhten  Bühne,  sondern  im  Proskenion 
vor  dem  Bühnenhaus  gespielt  haben?  Die  schon  so  vielfach  be- 
handelte Frage,  die  nicht  zur  Ruhe  kommen  kann,  wie  es  scheint, 
wird    auch  jenseil  des  Ozeans  mit  großem  Ernst  und  Nachdruck 


286  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

behandelt.  Ein  nicht  unwesentlicher  Beitrag  wird  in  dem  vor- 
liegenden Schriftchen  geleistet.  In  der  Classical  Review  V  (1891) 
S.  97  hatte  Mr.  H.  Richards  gesagt:  Aristotle  several  times  uses 
inl  rijg  axfjpfjg  in  a  way  very  hard  to  reconcile  wüh  the  new 
theory  .  .  .  These  passages  appear  to  be  decisive,  unless  any  one 
will  maintain  that  Gxtjvij  came  to  be  applied  to  the  orchestra  or 
some  part  of  it.  Und  in  der  Tat,  wenn  ini  nur  bedeuten  kann 
auf,  und  also  inl  tfxrjvfjg  heißt  „auf  der  Bühne41,  so  ist  die 
Sache  für  das  vierte  Jahrhundert  entschieden,  da  bei  Aristoteles 
mehrere  Male  inl  (jxijvrjg  vorkommt;  danach  wurde  also  Dörpfelds 
Theorie  für  das  vierte  Jahrhundert  abzuweisen  sein.  Wenn 
das  so  ist.  Der  Verf.  untersucht  auf  den  vorliegenden  Blättern 
die  Stellen,  in  denen  Aristoteles  den  Ausdruck  inl  xrJQ  (fxtjpyg 
gebraucht,  und  kommt  zu  der  Oberzeugung,  daß  die  Worte  nicht 
in  einem  Sinn  gebraucht  sind,  der  Dörpfeld  widerspricht.  *Eni 
bedeutet  nicht  notwendig  auf.  Wenn  axrjwj  =  Bühnengebäude 
ist,  dann  heißt  inl  tfjg  axrjvrjg  nicht  auf  dem  Bühnengebäude, 
sondern  bei  oder  vor  dem  Bühnengebäude,  bezieht  sich  also  auf 
den  Raum,  der  vor  oder  dicht  bei  dem  Hause  ist.  Im  Gebrauche, 
den  das  vierte  Jahrhundert  von  den  Worten  macht,  ist  immer 
ein  Gegensatz  hervorgehoben;  mitunter  ist  der  Chor  unzweifel- 
haft miteingeschlossen  (und  damit  ist  die  Bedeutung  auf  der 
Bühne  ja  deutlich  verworfen),  nie  dagegen  ist  er  sicher  aus- 
geschlossen. *Enl  rijg  axijvijg  ist  fast  gleichzusetzen  dem  Aus- 
druck iv  ?cr>  Ö-eccTQM.  Man  darf  also  daraus  nicht  Belehrung 
über  spezielle  Einrichtungen  der  Bühne  erzwingen  wollen. 

17)  O.  Hense,  Die  M  odifizieruog  der  Maske  in  der  griechischen 
Tragödie.  Aus  der  Festschritt  der  Universität  Freibarg  zum  fünfzig- 
jährigen Regierungsjubiläum  Seiner  Königlichen  Hoheit  des  Groß- 
herzogs Friedrich  von  Baden.    Freiburg  1902.     4. 

Eine  Untersuchung,  die  bei  der  Lektüre  des  Sophokles  recht 
gründliche  Beachtung  verdient.  Wir  sind  von  unserem  Theater 
her  gewöhnt,  alle  Veränderungen,  die  der  Gang  eines  Stückes  mit 
sich  bringt,  sofort  in  den  Zügen  der  Schauspieler  zum  Ausdruck 
gebracht  zu  sehen.  Wie  ganz  anders  war  dies  im  Altertum,  wo 
die  vorgebundenen  Masken  eine  willkürliche,  sofort  herzustellende 
Veränderung  ausschlössen!  Es  wird  hier  gezeigt,  wie  die  Dichter 
ursprünglich  jeder  Veränderung  der  Maske  aus  dem  Wege  gehen 
und,  wo  der  Zuschauer  eine  Veränderung  des  Gesichtsausdruckes 
erwarten  muß,  durch  äußere  Hilfsmittel,  durch  Verdecken  der 
Person  durch  andere  usw.  ihm  darüber  hinweghelfen,  wie  aber 
auch  bei  andern,  die  auf  der  Höbe  dramatischer  Kunst  stehen, 
notwendig  eine  Veränderung  der  Maske  vorausgesetzt  werden  muß. 
Den  Anfang  dazu,  einen  noch  schüchternen  Versuch,  dürfte  man 
wohl  in  dem  Agamemnon  des  Aischylos  voraussetzen,  wo  Klytai- 
mestra  mit  einem  Blutstropfen  auf  der  Stirn  auf  die  Bühne  her- 
austritt   und  wo  man   „aus  dem  dreimaligen  geflissentlichen  Hin- 


Archäologie,  von  R.  Engelinann.  287 

weis  auf  den  Blutstropfen  auf  der  Stirn  Klytaimestras  noch  die 
Genugtuung  des  Dichters  herauszuhören  meint,  welche  er  seihst 
über  den  damals  noch  unverbrauchten  Kunstgriff  empfand".  In 
bezug  auf  das  von  Lessing  behandelte  Beispiel  des  Thamyris. 
dessen  Maske  zwei  verschiedene  Augen,  ein  schwarzes  und  ein 
graublaues  gehabt  habe,  von  denen  er  das  eine  vor,  das  andere 
nach  der  Blendung  gezeigt  habe,  ist  übrigens  noch  zu  bemerken, 
daß  selbst  eine  „ängstlich  zu  wahrende  Profilstellung'4  noch  nicht 
genügt  haben  wurde,  den  gewollten  Zweck  zu  erreichen,  da  ja 
der  Schauspieler  nie  für  das  Halbrund  des  Theaters  gleiche  Stellung 
hätte  zeigen  können;  d.  h.,  während  die  in  der  Mitte  des  Zu- 
schauerraumes Sitzenden  ihn  im  Profil  gesehen  hätten,  wurde  er 
den  nach  der  einen  Ecke  des  &so.tqov  zu  Sitzenden  fast  en  face 
erschienen  sein,  während  man  auf  der  andern  Seite  nur  seinen 
Rucken  erblickt  hätte. 

18)  A.   Müller,    Jugendfürsorge    in    der    römischen    Kaiserzeit. 

Hannover  und  Berlin  1903,    C.  Meyer  (G.  Prior).     28  S.    8.    0,75  JC. 

Das  Schriftchen  ist  aus  einem  Vortrag  erwachsen,  den  der 
Verf.  im  Historischen  Verein  für  Niedersachsen  in  Hannover  ge- 
halten hat.  Er  weist  darin  nach,  wie  die  Kaiser,  besonders  Nerva 
und  Trajan,  für  die  Kinderalimentation  gesorgt  haben,  durch  die 
in  den  italischen  Landstädten  unbemittelten  Eltern  eine  Beihilfe 
zu  den  Kosten  der  Aufziehung  ihrer  Kinder  gewährt  wurde.  Wer 
in  dem  Büchlein  neue  Funde  suchen  wollte,  wurde  es  enttäuscht 
aus  der  Hand  legen.  Wer  aber  nur  Belehrung  über  das  inter- 
essante und  besonders  auch  für  die  humanitären  Bestrebungen 
der  Neuzeit  wichtige  Gebiet  sucht,  wird  wohl  auf  seine  Rechnung 
kommen.  Es  wird  gezeigt,  wie  sich  die  Fürsorge  für  die  Kinder 
aus  der  römischen  Frumentation,  der  Verteilung  von  Getreide  an 
die  ärmeren  römischen  Bürger,  entwickelt  hat  und  klargelegt,  daß 
der  Zweck  der  Alimentation  die  Vermehrung  der  Bevölkerung 
und  Hebung  der  Wehrkraft  Italiens  war. 

19)  L.  v.  Sybel,   Weltgeschichte   der   Kunst   im   Altertum.     Grund- 

riß von  L.  v.  S.  Zweite,  verbesserte  Auflage.  Mit  drei  Farbentafeln 
und  380  Textbildern.  Marburg  1903,  N.  G.  Elwertsche  Verlagsbuch- 
handlung.    XII  u.  484  S.     8.     10  Jt. 

Das  Werk,  das  nun  schon  in  zweiter  Auflage  vorliegt,  bedarf 
keiner  weiteren  Empfehlung.  Wie  schon  die  erste  Auflage  sich 
allgemeinen  Beifall  errungen  hat,  wird  auch  die  neue,  zweite,  in 
der  die  Ausgrabungen  und  Forschungen  der  neuesten  Zeit  ein- 
gehend berücksichtigt  sind  und  neue  Tafein  zugefügt  andere  durch 
bessere  ersetzt  sind,  sich  sicher  gleiche  Beliebtheit  erwerben.  Der 
Plan  des  Werkes  geht  nicht  darauf  aus,  eine  Denkmälerbeschreihung 
oder  eine  Künstlergeschichte  zu  liefern,  sondern  Kunstgeschichte, 
in  der  Weise,  daß  die  verschiedenen  Epochen  der  Weltgeschichte 
in  gleicher  Weise  berücksichtigt  werden,  ist  der  Zweck  des  Buches, 


288  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

das  zeillich  und  geschichtlich  Zusammengehörendes  zusammenfaßt. 
„In  solcher  epocheweisen  Zusammenfassung  der  gleichzeitigen  Er- 
scheinungen gestaltet  sich  die  Weltgeschichte  zu  einem  großen 
Schauspiel,  in  welchem  ein  zahlreiches  Personal  über  die  Buhne 
geht  und  ein  buntes,  doch  immer  geordnetes  und  übersichtliches 
Bild  vor  Augen  fuhrt.  Im  ersten  Zeitraum,  als  in  der  Exposition, 
treten  die  Völker  einzeln  auf,  um  bereits  im  zweiten  das  Zusammen- 
und  Gegenspiel  zu  eröffnen.  Dadurch  wird  die  Handlung  immer 
einheitlicher,  bis  sie  den  Leser  auf  breitem  Strome  gemächlich 
dahinträgt".  Im  einzelnen  sind  einige  Ausstände  wohl  zu  machen, 
doch  sind  sie  nicht  von  wesentlicher  Bedeutung. 

20)  A.  Furtwängler  nnd  H.  L.  Urlichs,  Denkmäler  griechischer 
und  römischer  Skulptur.  Im  Auftrage  des  Kgl.  Bayer.  Staats- 
ministeriums des  Innern  für  Kirchen-  und  Schulangelegenheiten  her- 
ausgegeben. Handausgabe.  Zweite,  vermehrte  Auflage.  Mit  101  Ab- 
bildungen. München  1904,  Verlagsanstalt  F.  Bruckmann  A.-6.  J83  S. 
8.    4,50  J5f. 

Daß  von  der  „Handausgabe",  die  das  wegen  seines  großen 
Formates  und  der  teueren  Ausstattung  weniger  verbreitete  Werk 
der  „Denkmäler  griechischer  und  römischer  Skulptur,  Auswahl 
für  den  Schulgebrauch  aus  der  von  H.  Brunn,  P.  Arndt  und 
Fr.  Bruckmann  herausgegebenen  Sammlung14  für  weitere  Kreise 
zu  ersetzen  bestimmt  ist,  schon  die  zweite  Auflage  nötig  geworden 
ist,  zeigt  deutlich,  daß  mit  dem  Werk  einem  wirklichen  Bedürfnis 
abgeholfen  worden  ist.  Man  findet  darin  nicht  bloß  die  Haupt- 
werke vertreten,  die  für  die  Geschichte  der  antiken  Skulptur 
wichtig  sind,  sondern  man  findet  auch  allgemeine  Übersichten,  so 
daß  das  Buch  fast  als  ein  Handbuch  der  Kunstgeschichte 
verwendet  werden  kann.  Und  dabei  ist  man  nicht  auf  die  Reihe 
der  überall  abgehandelten  Kunstwerke  beschränkt,  an  denen  man 
sich  fast  müde  gesehen  hat,  sondern  die  Aufmerksamkeit  wird 
auch  auf  diejenigen  Kunstwerke  hingelenkt,  die  erst  seit  kürzerer 
Zeit  bekannt  geworden  oder  durcb  neuere  Forschungen  in  den 
Vordergrund  geruckt  worden  sind.  Namentlich  der  Alexander- 
sarkophag aus  Saida,  jetzt  in  Konstantinopel,  verdient  unter  den 
neueren  Denkmälern  hervorgehoben  zu  werden;  ihm  sind  10  Ab- 
bildungen gewidmet.  —  Gegen  die  frühere  Auflage  zeigt  die  neue 
wesentliche  Verbesserungen,  teilweise  darin,  daß  weniger  gelungene 
Abbildungen  durch  bessere  ersetzt,  teilweise  darin,  daß  neue 
Tafeln  eingesetzt  sind.  Auch  der  Text  ist  neu  durchgesehen  und 
vielfach  neu  gestaltet  worden.  Die  Tafel,  die  früher  den  Ägineten 
gewidmet  war,  ist  jetzt  in  Wegfall  gekommen  und  durch  eine 
andere  ersetzt  worden,  weil  infoige  der  bayerischen  Ausgrabungen 
auf  Ägina,  durch  die  der  bekannte  Tempel  als  Tempel  der  Aphaia 
nachgewiesen  ist,  eine  Neubearbeitung  der  äginetischen  Skulpturen 
nötig  geworden  ist.  Dieser  hätte  hier  vorgegriffen  werden  müssen, 
sollte  anders  die  Tafel  beibehalten  werden.    Die  Meduse  Rondanini 


Archäologie,  vou  H.  Engelmann.  289 

ist  hier  zum  ersten  Male  ohne  die  Unterlage  veröffentlicht;  auf 
diese  Weise  wird  der  Eindruck,  den  sie  macht,  gewaltig  erhöht. 
—  Daß  jeder  Leser  mit  allen  Erklärungen  einverstanden  ist,  die 
von  den  Verfassern  aufgestellt  werden,  ist  nicht  zu  verlangen,  so 
2.  ß.  wird  mancher  den  Gott  im  Fries  der  Ostseite,  den  Furtwängler 
als  Apollon  benennt,  lieber  als  Dionysos  bezeichnen  oder  auch 
für  die  drei  liegenden  Frauengestalten  des  Ostgiebels,  die  von 
Furtwängler  Molqai  genannt  werden,  lieber  einen  andern  Namen 
wählen;  aber  das  sind  Nebensachen,  in  denen  die  Bedeutung  des 
Buches  nicht  liegt.  Im  allgemeinen  kann  man  nur  sagen,  daß 
beide  Herausgeber  mit  den  einfachsten  Mitteln  den  Text  so  ge- 
staltet haben,  daß  jeder  Leser  ihnen  mit  Vergnügen  folgt  und 
sich  von  ihnen  belehren  läßt. 

2])  Tb.  ßirt,  Laienurteil  über  bildende  Kunst  bei  deo  Alten. 
Ein  Kapitel  zur  antiken  Ästhetik.  Rektoratsrede,  gehalten  am 
19.  Okt.  1902.  Marburg  1902,  N.  G.  Elwertsche  Verlagsbuchhandlung. 
47  S.     8.     I  Jt. 

Der  Umstand,  daß  die  Aula  der  Marburger  Universität  mit 
Gemälden,  Erinnerungen  an  Marburgs  Geschichte  enthaltend,  aus- 
geschmückt werden  soll,  hat  dem  derzeitigen  Rektor  die  Gelegen- 
heit geboten,  der  Frage  näherzutreten,  wie  ein  Kunstwerk  über- 
haupt beurteilt  wird,  und  speziell  die  Frage  zu  untersuchen,  wie 
der  Laie  im  klassischen  Altertum  ein  Kunstwerk  beurteilte.  Und 
da  stellt  sich  die  interessante  Wahrnehmung  heraus,  daß,  während 
bei  Homer  deutliche  Kunstfreude  hervortritt,  die  nachfolgenden 
Jahrhunderte,  in  denen  wir  mit  Recht  die  Blütezeit  der  Kunst 
erblicken,  den  Laien  den  Kunstwerken  gegenüber  völlig  stumm 
erscheinen  lassen.  Der  Grund  ist  von  ßirt  wohl  richtig  erkannt: 
„Bei  Homer  war  die  Kunst  nur  Kleinkunst,  diente  als  Ornamentik 
nur  dem  Privatgebrauch;  die  große  Kunst  des  fünften  Jahrhunderts 
dagegen  diente  ausschließlich  nur  den  öffentlichen  Stätten;  da 
stand  sie  in  neuer  und  fremder  Erhabenheit,  in  regloser  Schön- 
heit, drang  aber  nicht  ins  Bürgerhaus,  das  Privathaus  blieb  noch 
jedes  ßilderschmuckes  bar".  Das  ist  im  allgemeinen  richtig;  ob 
aber  nicht  doch  die  Kunst  schon  früher  auch  ins  Bürgerhaus 
getreten  ist,  als  Birt  annimmt,  kann  fraglich  erscheinen,  man 
müßte  denn  die  Geschichte  von  Alkibiades,  der  den  Agatharchos 
zwingt,  sein  Haus  mit  Gemälden  auszuschmücken,  für  eine  aller- 
dings recht  früh  entstandene  Dichtung  halten.  Interessant  ist  es. 
dem  Redner  durch  das  ganze  Altertum  hin  zu  folgen  und  zu 
sehen,  wie  man  über  die  Kunstwerke  urteilte. 

22)  K.  Weifsmann,  Beitrage  zur  Erklärung  und  Beurteilung 
griechischer  Kunstwerke.  I.  Das  sogenannte  Harpyleomonument 
von  Xanthos.  II.  Der  Ostfries  des  Athena- Niketempels  auf  der  Burg 
von  Athen.  IH.  Zur  Rekonstruktion  des  Erechtheionfrieses.  Pro- 
gramm des  Kgl.  humanistischen  Gymnasiums  Schweinfurt  für  das 
Schuljahr  1902/1903.     Schweinfurt  1903.     50  S.     8. 

Die  Übereinstimmung  zwischen  der  Zahl  der  sitzenden  Männer 

Jahresberichte  XXX  19 


290  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

und  Frauen  (2  Frauen,  3  Männer)  und  der  Zahl  der  von  den 
sog.  Harpyien  entführten  oder  auf  Wegführung  wartenden  „Seelchen" 
zwingt  wohl  zu  der  auch  von  Weicker,  Der  Seelenvogel,  vertretenen 
Ansicht,  daß  es  sich  beide  Male  um  dieselben  Persönlichkeiten 
handelt,  daß  also  einmal  dargestellt  wird,  wie  die  Seelchen  von 
der  Oberwelt  weggeführt  werden  und  wie  anderseits  die  heroisierten 
Toten  in  der  Unterwelt  von  ihren  Angehörigen  Opfer  und  Gaben 
empfangen.  Weniger  beistimmend  kann  man  sich  zu  Nr.  II  ver- 
halten. Von  Eros  auf  der  linken  Seite  des  Ostfrieses  ausgehend, 
erkennt  Verf.  in  den  beiden  Frauengestalten  links  Aphrodite  und 
Peitho,  die,  anders  als  Eros  es  will,  Unheil  säen.  Ihre  Tätigkeit 
gilt  dem  Protesilaos  (Fig.  7)  und  der  Laodarneia  (23),  deren  Ehe 
durch  den  Ausbruch  des  Krieges  getrennt  wird.  Aber  ob  Nr.  7 
einem  Manne  angehört,  ist  doch  sehr  fraglich,  und  wie  kann  man 
Nr.  7  mit  Nr.  23  so  eng  verbinden  wollen,  trotzdem  die  beiden 
Figuren  durch  so  viele  Zwischenfiguren  getrennt  sind?  Auch  die 
Bedeutung  der  zwischen  7  und  23  stehenden  Figuren  scheint  mir 
nicht  richtig  erkannt  zu  sein.  Weißmann  möchte  in  den  rechts 
von  der  Mittelgruppe  der  Götter  (Zeus,  Athena,  Apollon)  stehenden 
Figuren  die  Sage  von  der  Opferung  bezuglich  den  Selbstmord 
der  Töchter  des  Erechtheus  (vgl.  Lyc.  c.  Leokr.  101)  dargestellt 
sehen;  dementsprechend  soll  die  Gruppe  links  von  den  Göttern 
die  Opferung  der  Hyakinthiden  oder  der  Töchter  des  Leos  ent- 
halten. Aber  wie  kann  man  zwei  solcher  Gruppen,  die  sich  doch 
ganz  parallel  laufen  und  sich  gegenseitig  ausschließen,  nebenein- 
ander auf  demselben  Denkmal  vereinigen  wollen?  Dazu  kommt, 
daß  nichts  Charakteristisches  in  den  Figuren  enthalten  ist,  das 
irgendwie  zu  einer  Deutung  nach  dieser  Seite  hin  nötigte.  Auch 
bei  Nr.  III  (auf  dem  Erechtheionfries  will  der  Verf.  gleichfalls 
athenische  Sagen,  die  Anschirrung  der  Rosse  durch  Erichthonios 
und  das  Opfer  der  Erechtheustochter  dargestellt  sehen)  scheint 
mir  wenigstens  der  Beweis  noch  nicht  erbracht  zu  sein,  wenn- 
gleich man  die  Möglichkeit  an  sich  zugeben  kann. 

23)  Viktor  Cherbuliez,  Athenische  Plaudereien  über  eio  Pferd 
des  Phidias.  Obersetzt  von  Ida  Riedisser,  mit  einem  Nachwort 
begleitet  von  Walther  Amelung.  Mit  einer  Tafel  und  75  Abbildungen 
im  Text.     Straßburg  1903,  Heitz.     325  S.     gr.  8.     8  JC. 

Die  bekannte,  seit  längerer  Zeit  in  den  Schulen  als  Lesestoff 
eingeführte  reizende  Plauderei  von  V.  Cherbuliez  erscheint  hier  in 
neuer  Gewandung  nach  der  Übersetzung  von  Ida  Riedisser  und 
mit  einem  Nachwort  von  Walther  Amelung,  in  dem  die  Frage 
nach  dem  Herkommen  der  Parthenonrosse  auf  Grund  sorgfältiger 
Vergleich ungen,  die  durch  zahlreich  eingestreute  Abbildungen  er- 
läutert werden,  ausführlich  behandelt  wird.  Die  Übersetzung  liest 
sich  gut  und  flüssig,  so  daß  man  meist  gar  nicht  gewahr  wird, 
daß  es  sich  um  eine  Übertragung  aus  fremder  Sprache  handelt. 
Daß  W.  Amelung  in  seinem  Nachtrag  große  Monumentenkenntnis 


Archäologie,  von  R.  Engelmann.  291 

verrät,  braucht  nicht  erst  besonders  hervorgehoben  zu  werden; 
dessenungeachtet  wird  mancher  mit  dem  Schlußresultat,  daß  die 
griechischen  Pferde  nicht  auf  dem  Wege  über  Kleinasien,  sondern 
auf  dem  über  Ägypten  eingeführt  seien,  sich  nicht  ganz  einver- 
standen erklären;  wenigstens  durfte  wohl  die  Vermittlung  über 
Libyen  mehr  zu  betonen  sein.  Man  kann  einräumen,  daß  die 
ältesten  griechischen  Pferdedarstellungen  in  vielen  Dingen  mit 
den  altägyptischen  übereinstimmen;  allein  viel  von  dieser  schein- 
baren Übereinstimmung  ist  doch  auf  das  Ungeschick  der  Künstler 
zu  setzen.  Auch  scheint  dem  Ref.  der  Unterschied  zwischen 
Fahren  und  Reiten  und  der  Übergang  von  einem  zum  andern 
nicht  genügend  hervorgehoben  zu  sein.  Wahr  ist  es  ja  (S.  255), 
„daß  in  jener  Zeit  (bei  Homer)  die  Kunst  des  Reitens  bekannt 
war",  aber  das  Reiten,  wie  es  sich  bei  Homer  findet,  kann  doch 
nicht  als  wirkliches  Reiten  bezeichnet  werden.  Ist  ein  Acker- 
knecht, der,  nachdem  er  den  ganzen  Tag  gepflügt  hat,  seine 
Pferde  nach  Hause  reitet,  oder  ein  Bursche,  der  auf  dem  Rücken 
der  Pferde  zur  Schwemme  reitet,  deshalb  ein  Reiter  und  sein 
Pferd  ein  Reitpferd?  Wie  Hehn  richtig  hervorhebt,  ist  die  Be- 
nutzung des  Pferdes  als  Reittier  eigentlich  nur  zu  begreifen  bei 
den  Völkern  der  turanischen  Tiefebene,  und  es  liegt  nahe,  von 
ihnen  das  Reitpferd  weiter  nach  Westen  gelangen  zu  lassen.  Die 
Vermutung  (S.  280),  daß  die  Alexanderstatuette  des  Neapler 
Museums  mit  dem  einzelnen  Pferde  zu  einer  größeren  Darstellung 
zusammengehöre,  scheint  Ref.  nicht  annehmbar,  weil  der  äußere 
Schmuck  der  beiden  Rosse  ganz  verschieden  ist.  Man  darf  dabe- 
freilich  nicht  von  dem  Zustand  ausgehen,  in  dem  sich  die  Alexander- 
statuette jetzt  befindet;  der  silberne  Schmuck,  der  am  Pferde 
angebracht  war,  namentlich  ein  schön  getriebener  silberner  Kopf, 
der  vorn  die  Brust  zierte,  ist,  wie  Ref.  zu  seinem  Erstaunen  im 
Jahre  1896  wahrgenommen  hat,  inzwischen  verloren  gegangen, 
ohne  daß  einer  der  Kustoden  von  dem  Verbleib  der  Ornamente 
etwas  gewußt  hätte. 

24)  Br.  Sauer,  Der  Weber-La  bordesche  Kopf  und  die  Giebel- 
gruppen des  Parthenon.  Progr.  Sr.  Kgl.  Hoheit  dem  Großherzog 
von  Hessen  nnd  bei  Rhein  znm  25.  Aug.  1903  gewidmet  von  Rektor 
und  Senat  der  Landesuniversit'ät.  Mit  drei  Tafeln.  Berlin  1903, 
G.  Reimer.     117  S.     4.    4  Jt. 

Ein  schon  lange  bekannter,  häufig  abgebildeter  Kopf,  der  aus 
dem  Besitz  des  Kunstfreundes  David  Weber  in  Venedig  in  das 
Eigentum  des  Grafen  Leon  de  Laborde  übergegangen  war,  wird 
hier  eingehend  gewürdigt.  Die  Zugehörigkeit  zum  Parthenon  war 
schon  immer  allgemein  zugegeben;  an  welche  Stelle  er  aber  ge- 
hörte, darüber  gingen  die  Meinungen  weit  auseinander.  Der  Verf. 
der   vorliegenden  Abhandlung    sucht   die  Frage  grundlich  zu  be- 

19* 


292  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

antworten;  nachdem  er  die  Geschichte  des  Kopfes  berichtet,  gibt 
er  eine  eingehende  Würdigung,  bei  der  auch  die  alten  und  neuen 
absichtlichen  und  unabsichtlichen  Verletzungen  zu  ihrem  Rechte 
kommen,  und  gewinnt  dadurch  mannigfache  Anhaltspunkte,  um 
über  den  Giebel,  dem  er  einst  angehörte,  und  den  Platz  im  Giebel 
Genaueres  festzustellen.  Nach  Sauer  gehört  der  Kopf  in  den  Ost- 
giebel, der  nach  ihm  folgende  Gestalt  annimmt:  In  der  Mitte  sitzt 
Zeus,  sozusagen  seine  Stunde  erwartend,  um  ihn  sind  die  bevor- 
zugten Götter  versammelt;  um  ihn  ist  Eileithyia  bemüht,  ihm 
gegenüber  tritt  Hephaistos,  der  ihn  mit  kurzem  Schmerz  von 
langer  Pein  befreien  soll.  Jetzt  schwingt  er  das  Heil,  und  aus 
dem  Haupte  des  Zeus  springt  Athena  im  Schmuck  der  Waffen. 
Hephaistos  prallt  zurück,  Eileithyia  weicht  mit  ausgebreiteten  Armen 
zurück;  mit  Staunen  sehen  den  Vorgang  zunächst  Poseidon  als 
Nachbar  des  Zeus,  und  Apollon,  neben  der  Athena  Leto  mit 
Artemis.  Und  nun  erregt  den  ganzen  Olymp  das  Unerhörte. 
Während  Ares  erstaunt  näher  schreitet,  enteilt  Hebe  wie  ein 
scheues  Reh;  Demeter,  die,  auf  ihr  Zepter  gestützt,  sich  an  Köre 
lehnt,  lenkt  ihrer  Tochter  Blick  auf  das  Wunder,  nur  der  junge 
Gott,  der  weichlich  bequem  neben  ihnen  ruht,  nimmt  sich  Zeit 
dazu,  gleich  den  Nachbarinnen  zu  bewundern.  Von  der  andern 
Seite  naht  sich  die  Siegesgöttin  mit  der  Binde,  um  Athena  zu 
krönen,  Hermes  eilt  in  die  Welt  hinaus,  und  drei  herrliche 
Göttinnen,  die  eng  aneinander  geschmiegt  sitzen,  wenden  dem  Er- 
eignis der  Mitte  ihre  Aufmerksamkeit  zu.  Und  zu  beiden  Seiten 
da  wandeln  ungestört,  fast  teilnahmlos,  die  Himmelsgötter  ihre 
ewige  Bahn. 

Ob  der  Vorschlag  allseitig  angenommen  wird?  Es  ist  bei 
einer  derartigen  Untersuchung  mit  so  vielen  Einzelheiten,  so 
vielen  Unbekannten  oder  nicht  sicher  Bekannten  zu  rechnen,  daß 
man  sich  nicht  wundern  darf,  wenn  dem  einen  oder  andern  die 
Rechnung  nicht  ganz  zu  stimmen  scheint.  Aber  immerhin  kann 
man  doch  behaupten,  daß  Sauer  die  Sache  sehr  wahrscheinlich 
gemacht  hat  und  daß  er  sich  durch  seine  feinsinnige  Unter- 
suchung um  den  Weberschen  Kopf  und  die  ganze  Parthenonfrage 
große  Verdienste  erworben  hat. 

25)  Gauckler,   Täte    de    poete    grec  decouverte    aCarthage.    Mit 
einer  Tafel.     Coostaotioe  1903.     HS.     8. 

Es  ist  eine  Freude,  zu  sehen,  mit  welcher  Schnelligkeit  die 
Ergebnisse  der  Ausgrabungen  in  Tunis  der  Öffentlichkeit  mitgeteilt 
werden.  Während  z.  B.  heute  noch  die  delphischen  Ausgrabungen 
nur  bruchstückweise  veröffentlicht  sind,  läßt  Gauckler  die  von  ihm 
gefundenen  Altertümer  sofort  an  das  Licht  treten  und  gibt  dadurch 
allen  sich  dafür  Interessierenden  die  Möglichkeit,  gleichsam  an 
der  Fundarbeit  mitteilzunehmen  und  der  Resultate  sich  zu  er- 
freuen.    Und  dabei  findet  er  nocb  Zeit,  andere  Arbeiten,  die  viel 


K 


Archäologie,  von  R.  Engelmann.  293 

Zeit  und  Sorgsamkeit  erfordern,  zu  übernehmen  und  zur  An- 
erkennung aller  auszuführen.  Der  Kopf,  um  den  es  sich  hier 
handelt,  ist  1899  dicht  bei  dem  Theater  von  Karthago  gefunden, 
jetzt  aber  von  seinem  Besitzer  an  das  Bardom useum  abgetreten 
worden.  Es  ist  eine  Kopie  des  früher  als  Seneca  bezeichneten 
Typus,  der  durch  den  Efeukranz  (in  einem  auf  dem  Palatin  ge- 
fundenen Exemplare)  als  Dichter  bezeichnet  wird.  Der  Umstand, 
daß  der  Kopf  von  Karthago  dicht  bei  dem  römischen  Theater 
gefunden  wurde,  läßt  Gauckler  einen  Augenblick  daran  denken, 
daß  es  sich  um  einen  im  Theater  aufgestellten  Dichter,  einen 
tragischen  Dichter,  handeln  könnte,  doch  legt  er  selbst  keinen 
Wert  auf  diese  Vermutung.  Im  allgemeinen  bleibt  nur  die  Be- 
ziehung auf  Kallimachus  und  Philetas  übrig;  daß  an  Seneca  nicht 
zu  denken  ist,  wird  durch  die  in  das  Berliner  Museum  übergegangene 
Doppeiherme  bewiesen,  die  neben  Sokrales  den  mit  Namen  be- 
zeichneten Seneca  aufweist,  einen  vom  unsrigen  gänzlich  ver- 
schiedenen Typus,  in  der  Villa  Albani  ist  der  in  Frage  stehende 
Kopf  mit  einem  andern  gepaart,  der  nach  Heibig  (Führer  durch 
die  Sammlung  klassischer  Altertümer  in  Rom,  2.  Aufl.,  II  S.  4 
Nr.  754)  als  Menandros  erklärt  werden  soll;  doch  ist  der  erwartete 
Beweis  bis  jetzt  nicht  geführt.  Wenn,  wie  man  bisher  annahm, 
mit  dem  zweiten  Kopf  der  Villa  Albani  Propertius  gemeint  ist, 
dann  wäre  der  sog.  Senecakopf  ohne  weiteres  als  der  entsprechende 
griechische  Dichter,  d.  h.  Kallimachus  oder  Philetas,  aufzufassen; 
vgl.  Propert.  II  34,  31  und  III  1,1 

Callimachi  manes  et  Coi  sacra  Philetae, 
In  vestrum,  quaeso,  me  sinke  ire  nemus. 
Aber  zwischen  diesen  beiden  wird  freilich  wohl  die  Wahl  zweifel- 
haft   bleiben,    solange    nicht    eine  Kopie  mit  Inschrift  die  Sache 
entscheidet. 

26)  Fr.  B.  Tarbell,  A  Greek  Hand-mirror.  A  Cantharus  frora  the 
factory  of  Brygos.  S.  A.  aas  Bd.  VI  The  deceanial  Publications  of 
the  Uoiversity  of  Chicago,  foanded  by  John  D.  Kockef eller.  Mit  drei 
Tafeln.     Chicago  1902,  the  University  of  Chicago  Press.    4. 

Ein  Spiegel,  der  im  Kunstmuseum  von  Chicago  niedergelegt 
ist  und  für  den  griechischer  Ursprung  nicht  ohne  Wahrschein- 
lichkeit geltend  gemacht  wird,  und  eine  Vase,  die  dem  Museum 
of  Fine  Arts  in  Boston  gehört,  werden  hier  in  wohlgelungenen 
Abbildungen  dem  Publikum  vorgeführt.  Es  ist  oft  genug  Klage 
geführt  worden,  wie  heutzutage  die  interessantesten  Altertümer 
ihren  Weg  über  das  Meer  antreten,  und  wenn  das  so  geschieht, 
wie  in  dem  Falle  Pierpont  Morgan,  über  den  vor  kurzem  in  den 
Zeitungen  berichtet  wurde  (in  Italien  waren  mehrfach  wertvolle 
Gegenstände  aus  Kirchen  und  anderswoher  gestohlen  worden;  kurze 
Zeit  darauf  wurden  sie  in  London  im  Burlington  Fine  Arts  Club 
als  Besitz  von  Pierpont  Morgan  ausgestellt.    Dagegen  hat  Corrado 


294  Jahresberichte  d,  Philolog.  Vereins. 

Ricci  im  Giornale  d'Italia  vom  14.  Juli  d.  J.,  vgl.  Kunstcbron.  1904 
S.  526,  eine  wohl  berechtigte  Philippika  losgelassen),  dann  ist 
natürlich  mancherlei  dagegen  einzuwenden.  Aber  weshalb  sollen 
auf  anderem  Wege  die  Amerikaner  nicht  als  Mitbewerber  auf- 
treten? Es  ist  ja  eine  wahre  Freude,  zu  sehen,  wie  in  dem  meist 
als  durchaus  materiell  verschrienen  Volke  Kunst  und  Wissenschaft 
und  auch  die  alten  Sprachen  gepflegt  werden,  die  bei  uns  nun 
ja  bald  aus  den  höheren  Schulen  hinauskomplimentiert  sein 
werden,  und  wie  man  die  Museen  allseitig  pflegt  und  fördert. 
Und  wie  liberal  wird  die  Verwaltung  geführt!  Da  gibt  es  in 
Italien  zahlreiche  Museen,  die  interessante  Sachen  in  sich  bergen; 
der  Direktor  ist  vielleicht  auch  willig,  die  Sachen,  die  nicht  aus- 
gestellt sind  (damit  hat  es  immer  meist  gute  Wege),  dem  zu- 
reisend en  Gelehrten  zu  zeigen,  weil  er  ein  Interesse  daran  hat, 
die  Bedeutung  seines  Museums  in  das  hellste  Licht  gesetzt  zu 
sehen;  aber  sobald  man  nur  Miene  macht,  sich  für  die  Veröffent- 
lichung des  betreffenden  Stückes  zu  interessieren,  dann  läßt  der 
Direktor  es  schleunigst  in  der  Versenkung  verschwinden,  obgleich 
er  für  seine  Person  vielleicht  für  viele  Jahre  durchaus  nicht  in 
der  Lage  ist,  selbst  an  die  Übernahme  der  Veröffentlichung  zu 
denken.  Wie  süß  muß  es  doch  sein,  wenn  man  selbst  etwas 
nicht  machen  kann,  doch  wenigstens  dafür  zu  sorgen,  daß  auch 
andere  es  nicht  machen  können!  In  Italien,  sagte  ich?  Wozu 
in  die  Ferne  schweifen?  Es  soll  auch  anderwärts  Museen  geben, 
wo  ein  nur  wenig  abweichendes  Verfahren  beobachtet  wird.  Da 
bildete  das  British  Museum  eine  wohltuende  Ausnahme,  wo  der 
kürzlich  verstorbene  A.  S.  Murray  erklärte,  daß  er,  wenn  gewünscht, 
das  ganze  Museum  zur  Veröffentlichung  bereit  stellte  (vgl.  Rev. 
arch.  1904,  I,  S.  270:  You  are  aJt  liberty  to  get  the  whok  Museum 
photographed).  Und  er  handelte  auch  wirklich  nach  diesen  Grund- 
sätzen. Aber  fast  noch  größer  ist  die  Liberalität  der  amerikani- 
schen Museen,  wenigstens  habe  ich  dies  bei  zweien,  dem  von 
Boston  und  Bryn  Mawr,  selbst  erprobt.  Man  bittet  um  die  Er- 
laubnis, irgendein  Stück,  von  dem  man  weiß,  daß  es  in  das 
dortige  Museum  gelangt  ist,  zu  veröffentlichen,  und  man  erhält 
nach  kurzer  Zeit  nicht  nur  die  erbetene  Erlaubnis,  sondern  auch 
kostenlos  noch  wohlausgeführte  Photographieen  des  betreffenden 
Gegenstandes,  kurz,  es  wird  mit  der  größten  Liberalität  verfahren. 
Unter  solchen  Umständen  hat  man  gar  keinen  Grund,  den  amerika- 
nischen Museen  eine  Erweiterung  zu  mißgönnen,  geben  sie  doch 
jedem  sich  für  die  Veröffentlichung  Interessierenden  die  Möglich- 
keit, die  Antiken  ihres  Besitzes  zu  veröffentlichen.  Und  gehen 
sie  doch  selbst  ihrerseits  kräftig  vor,  um  die  in  ihrem  Besitz  be- 
findlichen Gegenstände  allgemein  bekannt  zu  machen.  Dafür  sind 
die  vorliegenden  Abhandlungen  Mr.  Tarbell's  ein  neuer  Beweis. 
Die  Vase,  deren  Bilder  zwei  Liebesverfolgungen  des  Zeus  dar- 
stellen, wird  mit  ziemlich  großer  Wahrscheinlichkeit  auf  den  Maler 


Archäologie,  voo  R.  Engelmann.  295 

Brygos    zurückgeführt    und    dadurch    die  Vase    als  ein  besonders 
wertvolles  Monument  erwiesen. 

27)  W.    Altraaoo,     Architektur     and    Ornamentik     der    antiken 

Sarkophage.     Mit  33  Abbildungen   im  Text  und   2  Tafeln.     Berlin 
1902,  Weidmannsche  Buchhandlung.     112  S.     S.     4  JC. 

Die  Arbeit,  deren  erster  Teil  schon  als  Dissertation  (De 
architectura  atque  ornamenüs  sarcophagorum)  erschienen  war,  ist 
von  C.  Robert  angeregt  worden,  der  bei  seiner  Sarkophagarbeit 
den  Wunsch  hatte,  unabhängig  von  der  Darstellung  das  rein 
Formale  der  Sarkophage  untersucht  zu  sehen;  Verf.  geht,  wie 
natürlich,  vom  Orient  aus,  wo  die  anthropoide  Form  zuerst  uns 
entgegentritt,  behandelt  darauf  die  Hausform,  die  Theke,  die 
xllvai  (der  Verf.  schreibt  immer  xXivai),  die  Altarform,  die  ge- 
riefelten Sarkophage  und  die  Säulensarkophage.  Ein  Hauptergebnis 
ist,  daß  die  griechischen  Sarkophage  von  den  griechisch-römischen 
eigentlich  nicht  gesondert  werden  dürfen,  wie  man  bis  jetzt  immer 
zu  tun  pflegt;  es  scheint,  daß  wir  es  bei  den  griechischen  mit 
dem  vornehmen  Typus  zu  tun  haben,  während  die  griechisch- 
römischen dem  vulgären  Geschmack  Rechnung  tragen,  vielleicht 
für  römische  Käufer  gearbeitet  sind.  Die  Viktorien  auf  dem 
Sarkophag  von  Porta  Salaria  tragen  übrigens  keine  Tropäen, 
sondern  sie  halten  jede  eine  axvXlg,  wie  die  Nike  von  Samothrake, 
den  Flaggenstock,  dessen  Wegnahme  beim  Erobern  eines  Schiffes 
als  Siegeszeichen  galt. 

28)  Gauckler,    La    mosaique    antique.     Extrait    du    Dictionnaire    des 

Aotiquites.     Paris  1904,  Hachette  &  Gie ,  editeurs.     45  S.     4. 

Der  Mann,  dessen  Verdienste  um  die  Altertümer  der  Regent- 
schaft Tunis  wiederholt  auch  hier  hervorgehoben  worden  sind, 
hat  trotz  der  Unsumme  von  Arbeit,  die  sein  Amt  von  ihm  ver- 
langt, noch  die  Zeit  und  die  Lust  gefunden,  der  mühseligen 
Arbeit  sich  zu  unterziehen,  welche  die  Geschichte  des  Mosaiks  ver- 
langt. Allerdings  ist  niemand  gerade  mehr  zu  dieser  Arbeit  be- 
rufen als  derjenige,  dem  die  Altertümer  von  Tunis  unterstellt 
sind;  gibt  es  doch  kein  Land,  wo  so  zahlreiche  Reste  von  Mosaiken 
sich  erhalten  haben  und  mitunter  fast  unversehrt  sich  erhalten 
haben,  wie  gerade  die  Regentschaft  Tunis.  Der  Grund  davon 
ist  leicht  einzusehen.  In  den  andern  Ländern,  die  fortwährend 
unter  Kultur  gestanden  haben,  sind  die  Mosaiken  durch  den  Pflug 
und  die  Menschenarbeit  meist  bis  auf  traurige  Trümmer  zerstört; 
Pompeji,  das  unter  der  Asche  des  Vesuv  wohlerhalten  ist,  hat 
zwar  hervorragende  Reste  von  Mosaiken  erhalten  (ich  denke  vor 
allem  an  die  Alexanderschlacht),  aber  auch  hier  war  durch  das 
Erdbeben  von  63  n.  Chr.  mancherlei  zerstört,  und  ferner  ist  die 
Stadt  zugrunde  gegangen,  bevor  eine  solche  allgemeine  Verwendung 
des  Mosaiks  stattgefunden  hat,    wie  wir  es  in  Nordafrika  kennen 


296  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

lernen.  In  der  Regentschaft  Tunis  dagegen  ist  sozusagen  die 
Blute  der  Mosaikzeit  über  das  Land  gegangen;  aber  noch  bevor 
die  Menschen  Zeit  gehabt  haben,  die  Reste  des  Altertums  zu  zer- 
stören, hat  der  alles  bergende  Sand  sie  verhüllt  und  bis  auf 
unsere  Tage  fast  unverletzt  aufbewahrt,  so  daß  der  Spaten  des 
Ausgräbers  den  Boden  fast  in  dem  Zustande  bloßlegt,  in  dem  der 
Mosaikarbeiter  ihn  verlassen  hat.  Es  kommt  noch  dazu,  daß 
nicht,  wie  in  Italien  und  den  andern  römischen  Provinzen,  in 
Afrika  immer  dieselben  hundert-  und  aberhundertmal  wiederholten 
Gegenstände  wiederkehren,  sondern  daß  auch  dem  Stoffe  nach 
höchst  interessante  und  eigentumliche  Darstellungen  zum  Schmucke 
des  Bodens  gewählt  sind.  Alles  das  bietet  sich  dem  Direktor  der 
Ausgrabungen  in  der  Regentschaft  Tunis  in  erster  Hand,  und  so 
ist  es  erklärlich,  daß  er  für  diese  Art  von  Denkmälern  ein  großes 
Interesse  gefaßt  hat.  Daß  er  aber  auch  mit  dem  ernstesten  Fleiß 
an  sie  herangetreten  ist,  das  zeigt  das  vorliegende  Buch,  wenn 
man  den  längeren  Artikel  des  Dictionnaire  des  Antiquites  so  nennen 
darf,  auf  jeder  Seite. 

In  einer  Besprechung,  die  in  der  Berliner  phil.  WS.  ver- 
öffentlicht wird,  habe  ich  ausgeführt,  daß  er  die  Bezeichnung 
lithostrota  nicht  richtig  auffaßt,  wenigstens  nicht  nach  dem  ursprüng- 
lichen Sinne,  der  in  dem  Worte  liegt.  Lithostroton  bedeutet 
eigentlich  nur  einen  Steinbelag;  während  man  bis  zu  Sullas  Zeit 
aus  kleinen  Steinchen,  oder  auch  aus  Glasfluß  (das  Material  war 
eben  Nebensache,  die  Kunst  Hauptsache),  förmliche  Gemälde  zum 
Schmuck  des  Fußbodens  herstellte,  mußte  von  da  ab  die  Kunst 
dem  Material  weichen;  die  bisher  beliebten  Arten  der  Technik 
wurden  in  den  vornehmen  Häusern  aufgegeben;  an  Stelle  der  mit 
Ornamenten  und  Figuren  geschmückten  Mosaik  wurde  der  Boden 
mit  kostbaren,  aus  der  ganzen  Welt  zusammengesuchten  Platten 
von  bunten  Marmorarten  und  anderen  Steinen  bedeckt.  Noch 
spät  zeigte  man  in  Präneste  im  Tempel  der  Fortuna  das  erste 
derartige  Paviment,  das  Sulla  dort  hatte  ausführen  lassen,  und 
zwar  waren  die  Steine  immer  noch  klein,  zum  Zeichen,  daß  man 
auch  damals,  beim  Beginne  des  Luxus,  noch  Maß  zu  halten  suchte 
oder  wegen  Beschränktheit  der  Mittel  zum  Maßbalten  gezwungen 
war,  während  man  sich  später  nicht  scheute,  die  kostbarsten 
Marmorplatten  in  großen  Stücken  auf  den  Fußboden  zu  legen. 
(Plin.  n.  h.  36,  189  lithostrota  coeptavere  jam  sub  Sulla,  parvulis 
certe  crustis,  extat  hodieque  quod  in  Fortunae  delubro  Praeneste 
fecit.)  Das  sind  also  lithostrota;  durch  ihre  Einführung  wurde 
es  möglich  (abgesehen  davon,  daß  man  natürlich  vielfach  die  alte 
Einrichtung  auch  noch  auf  dem  Fußboden  beibehielt),  die  bunt- 
farbigen Würfel  von  Marmor  und  Glas,  deren  man  sich  bis  dahin 
zum  Ausschmücken  des  Fußbodens  bedient  hatte,  nunmehr  für 
die  Wände  zu  benutzen.  Aber  auch  hier  wird  das  Mosaik  bald 
von    dem    Marmor    verdrängt;    vgl.  M.  Annaeus  Seneca    controv. 


Archäologie,  von  R.  Engelmano.  297 

II  1,  12  in  hos  ergo  exitus  varius  ille  secatur  lapis  et  tenui  fronte 
parietem  tegit  und  L.  Annaeus  Seneca  cp.  86  pauper  sibi  videtur 
ac  sordidus,  nisi  parietes  magnis  et  pretiosis  orbibus  refulserunt, 
nisi  Alexandrina  marmora  Numidicis  crustis  distincta  sunt.  Da- 
mals wurde  das  eigentliche  Mosaik  für  die  camarae,  d.  h.  die  ge- 
bogenen Flächen  der  Wölbung,  verwendet,  bei  denen  wegen  der 
Krümmung  der  Fläche  Schmuck  aus  Steinplatten  unmöglich  war. 
Daß  später  der  Unterschied  zwischen  lithostrota  und  opus  vermicu- 
latum  und  tessellatum  sich  verwischte,  kann  man  leicht  zugeben, 
aber  für  die  Geschichte  des  Mosaiks  ist  die  ursprüngliche  Be- 
deutung entschieden  festzuhalten,  wie  die  Worte  des  Plinius  deut- 
lich zeigen. 

29)  W.    H.  Röscher,    Ausführliches    Lexikon    der    griechischen 

and  römischen  Mythologie,  im  Verein  mit  Th.  Birt,  L.  Bloch, 
0.  Crusias  u.  a.  herausgegeben.  Mit  zahlreichen  Abbildungen.  47.  bis 
51.  Lieferung,  Peirithoos  —  Phoinissa.  Leipzig  1904,  B.  G.  Teubner. 
Lex.  8. 

Das  „ausführliche  Lexikon  der  Mythologie44  hat  seit  dem  letzten 
Bericht  wieder  tüchtige  Fortschritte  gemacht;  der  erste  Teil  des 
dritten  Bandes  ist  abgeschlossen  und  von  der  zweiten  Hälfte  schon 
ein  tüchtiges  Stück  gefördert,  so  daß  man  den  endlichen  Ab- 
schluß sich  wenigstens  nahen  sieht.  Von  ausführlicheren  Artikeln 
sind  hervorzuheben :  Patroklos,  Pegasos,  Peirithoos,  Peleus,  Pelias, 
Pelops,  Penates,  Penelope,  Perseus,  Personifikationen,  Phaethon, 
Phaiaken,  Phaidra,  Philoktetes,  Phineus.  Eine  Besprechung  im 
einzelnen  ist  natürlich  hier  ausgeschlossen. 

30)  O.Gruppe,  Griechische  Mythologie  und  Religionsgescbichte. 

A.  u.  d.  T.  Handbach  der  klassischen  Altertumswissenschaft  in  syste- 
matischer Darstellung  mit  besonderer  Rücksicht  auf  Geschichte  und 
Methodik  der  einzelnen  Disziplinen,  herausgeg.  von  Iwan  v.  Müller. 
Bd.  V,  2.  Abteilung. 

Jetzt  fehlt  uns  nur  noch  ein  kleiner  Teil.  „Bogen  1 — 48 
war  bereits  früher  ausgegeben,  die  vorliegende  Lieferung  umfaßt 
die  Bogen  49—72,  was  am  Abschluß  des  Werkes  noch  fehlt,  wird 
in  einer  letzten  Lieferung  von  etwa  gleichem  Umfange  nach  Zu- 
sicherung des  Herrn  Verfassers  bis  Anfang  1904  erscheinen  können", 
heißt  es  in  der  Vorbemerkung  der  Verlagsbuchhandlung  auf  der 
zweiten  Umschlagseite.  Das  hat  sich  zwar  nicht  ganz  erfüllt,  aber 
man  darf  sich  billig  nicht  darüber  wundern,  daß  ein  so  mühseliges 
gelehrtes  Werk  wie  die  Gruppesche  Mythologie  nicht  ganz  in  der 
ursprünglich  festgesetzten  Zeit  beendigt  werden  kann.  Vielleicht 
hat  auch  die  Abfassung  des  Index,  der  mit  der  Schlußlieferung 
ausgegeben  werden  soll,  die  Ausgabe  des  Werkes  etwas  verzögert. 
Erst  mit  dem  Index  wird  das  Werk  recht  brauchbar  werden;  ich 
darf  mir  bis  dahin  wohl  auch  ein  näheres  Eingehen  sparen,  da 
man  vorläufig  nur  schwer  aus  der  Fülle  des  Gebotenen  sich  her- 


298  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

ausfindet.  Hoffen  wir,  daß  der  Verf.,  dessen  unendlichen  Fleiß 
schon  jetzt  jeder  anerkennen  und  bewundern  muß,  das  Ziel, 
das  er  sich  gesteckt  hat,  bald  erreicht. 

31)  M.W.  de  Visser,   Die   nichtmenschengestaltigen   Götter   der 

Griecheu.  Leiden  1903,  Buchhandlung  vormals  E.  J.  ßrill.  X  u. 
272  S.     8.     5  JC. 

Das  Buch  ist  im  ganzen  eine  Neubearbeitung  der  1900  er- 
schienenen Dissertation  des  Verfassers:  De  Graecorum  diis  non 
referentibus  speciem  humanam.  Die  Materialiensammlung,  worin 
ja  der  Hauptwert  des  Buches  bestand,  ist  dieselbe  geblieben,  da- 
gegen ist  der  erste  und  dritte  Teil  jetzt  zu  einem  verschmolzen. 
Die  Prinzipien,  von  denen  Verf.  ausgeht,  sind  sicherlich  zu  billigen, 
„die  Haupttriebfeder  der  Stein-,  Klotz-,  Baum-  und  Tierverehrung 
scheint  mir  der  Glaube  zu  sein,  daß  sie  beseelt  seien  oder  Geister 
in  ihnen  hausen,  welche  dem  Menschen  schaden  oder  nutzen 
können,  und  deren  Gunst  er  sich  durch  Opfer  und  Gebete  zu 
erwerben  sucht".  Erfreulich  ist  es  auch,  daß  er  den  Versuch 
der  sogenannten  „vergleichenden  Mythologen",  alle  Mythen  aus 
Naturerscheinungen  zu  erklären,  verwirft:  „die  Verschiedenheit 
ihrer  Deutungen  zeigt  schon  die  Schwäche  ihrer  Theorie".  Nur 
dadurch,  daß  man  die  heutigen  Naturvölker  studiert  und  in  ihr 
primitives  Leben  und  Denken  eindringt,  kann  es  uns  gelingen, 
das  Dunkel  des  Hintergrundes  zu  lichten,  aus  dem  die  klassischen 
Religionen  erwachsen  sind.  Durch  die  sorgfältige  Zusammen- 
stellung all  des  Materials,  das  uns  in  bezug  auf  die  einschlägigen 
Fragen  aus  dem  Altertum  überliefert  ist,  hat  Verf.  sich  um  die 
mythologische  Forschung  ein  großes  Verdienst  erworben. 

32)  Georg  Weicker,    Der    Seelenvogel    in    der   alten    Literatur 

und  Kanst.  Eine  mythologisch-archäologische  Untersuchung.  Mit 
103  Abbildungen  im  Text.  Leipzig  1902,  B.  G.  Tenbner.  VII  u. 
218  S.     gr.  4.     kart.  28  JC. 

Das  Buch,  eine  Weiterausführung  der  schon  1895  in  Leipzig 
erschienenen  Dissertation  des  Verf.s:  De  Sirenibus  quaestiones 
selectae,  kann  als  vorzuglicher  Beweis  dienen,  was  emsiger  Fleiß 
und  ernstes  Bemühen  trotz  allen  in  den  Weg  gelegten  Schwierig- 
keiten zu  leisten  vermag.  Man  wird  dem  Buche  mit  seiner  um- 
fassenden und  erschöpfenden  Gelehrsamkeit  nicht  ansehen,  daß  es 
in  einer  kleinen,  fast  aller  literarischen  Hilfsmittel  entbehrenden 
Stadt  (der  Verf.  ist  Lehrer  in  Annaberg  i.  S.)  entstanden  ist. 
Weicker  entwickelt  einen  schon  von  Crusius  und  Rohde  aus- 
gesprochenen Gedanken  weiter,  daß  die  Sirenen  Totengeister  sind, 
aus  der  großen  Schar  der  namenlos  umherschwirrenden  Seelen 
losgelöste  und  mit  speziellen  Funktionen  versehene  Dämonen, 
völlig  wesensgleich  den  andern  Gestalten  der  niederen  griechischen 
Mythologie,    den    Keren,    Erinyen,    Harpyien    und    stymphalischen 


Archäologie,  von  R.  Engelmaoo.  299 

Vögeln.  Die  Seelen  der  Verstorbenen  brauchen  zu  ihrer  Fort- 
existenz Blut  und  Liebesgenuß;  wird  ihnen  beides  versagt  (auch 
Täuschung  ist  nicht  ausgeschlossen,  denn  selbst  die  Geister  lassen 
sich  betrugen  oder  mit  einem  Scheinbild  abfinden),  dann  steigen 
sie  aus  dem  Grabe  auf,  um  als  blutsaugendes  und  buhlendes  Ge- 
spenst sich  den  ihnen  gebührenden  Tribut  selbst  zu  holen;  jede 
Seele  hat  das  Bestreben,  andere  nachzuziehen,  am  meisten  natur- 
lich dann,  wenn  jemand  gewaltsam  dem  Leben  entrissen  ist; 
seine  Seele  folgt  als  Erinys  dem  Mörder  nach  und  ruht  nicht, 
bevor  sie  sich  an  seinem  Blute  satt  getrunken  und  ihm  die  Seele 
entfährt  hat.  Mit  der  Einführung  des  Glaubens  an  den  alles 
bergenden  Hades  hätte  natürlich  dieser  Glaube  eigentlich  schwinden 
müssen;  aber  daß  das  Volk  vielfach  ältere  Vorstellungen  festhält, 
die  in  den  Verhältnissen  nicht  mehr  begründet  sind,  ist  ja  eine 
ganz  gewöhnliche  Erscheinung.  Ob  dieser  als  Vogel  mit  Menschen- 
kopf erscheinenden  Seele  der  Name  Sirene  mit  Recht  zukommt, 
dafür  scheint  die  Weickersche  Beweisführung  nicht  bindend:  „Da 
bei  gleichem  Ursprung  und  Wesen  allen  Todesdämonen  dieselbe 
Gestalt,  die  des  menschenköpfigen  Vogels,  in  gleicher  Weise  zu- 
kommt, können  alle  derartigen  Darstellungen  mit  vollem  Recht 
für  die  Sirenen,  denen  durch  die  Darstellungen  des  Odysseus- 
abenteuers  jene  traditionelle  Gestalt  gesichert  ist,  in  Anspruch 
genommen  werden'4.  Da  könnte  man  doch  ebensogut  schließen: 
Da  nach  Homer  (in  der  Sage  von  den  Töchtern  des  Pandareos) 
die  Harpyien  als  menschen  wegraffende  Wesen  deutlich  bezeichnet 
werden  und  ihre  aus  Mensch  und  Vogel  zusammengesetzte  Gestalt 
mit  Namensbeischrift  auf  Denkmälern  vorliegt,  ist  es  geboten, 
diese  Mischwesen,  sobald  sie  Menschen  forttragend  dargestellt  sind, 
als  Harpyien  zu  benennen.  Aber  in  Wahrheit  kommt  darauf 
nichts  an,  weil  diese  Todesdämonen  untereinander  fast  gleich- 
wertig sind  und  so  einer  für  den  andern  eingesetzt  werden  können; 
vgl.  S.  32  A.  3.  Das  Mosaik  aus  Pesaro,  auf  dem  die  Lamien  als 
Vögel  mit  Menschenköpfen  erscheinen  (S.  33  Fig.  14),  ist  mit  Un- 
recht hier  angezogen  worden;  es  ist  nicht,  wie  der  Verf.  nach 
Carducci  meint  um  das  Jahr  500  anzusetzen,  sondern  es  gehört 
dem  karolingischen  Zeitalter  oder  dem  zunächst  darauf  folgenden 
Jahrhundert  an,  wo  nicht  die  Ausklänge  des  Altertums,  sondern 
die  ersten  Anzeichen  einer  Wiederbelebung  des  Altertums  sicht- 
bar werden,  vgl.  „Im  neuen  Reich"  1872,  I,  S.  407 fg.;  damit 
fallen  natürlich  auch  die  Folgerungen,  die  S.  208  aus  dem  in 
Frage  stehenden  Bild  gezogen  werden.  Doch  tut  das  dem  Erfolge 
des  Buches  keinen  Eintrag,  das  wegen  der  Vollständigkeit  der 
Materialiensammlung  und  wegen  der  eingehenden  und  sorgsamen 
Behandlung  der  Frage  einen  ehrenvollen  Platz  in  der  mythologi- 
schen Literatur  verdient. 


300  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

33)  K.  Pillin  g,  Pergameoische  Kulte.     Beilage  zum  Jahresbericht  des 
Domgyinuasiams  zu  Nanmbnrg  a.  S.     191)3.     Progr.  Nr.  284. 

In  einem  apollinischen  Orakel,  das  nach  Fränkel  von  dem 
Apollo  Chresterios  bei  Ägä  in  der  Äolis  erteilt  ist,  werden  vier 
Götter  als  Hauptgötter  von  Pergamon  genannt,  Zeus,  Athena, 
Dionysos  und  Asklepios.  In  bezug  auf  diese  Götter  ist  von  dem 
Verf.  alles,  was  sich  auf  ihren  Kult  in  der  Stadt  der  Attaliden 
bezieht,  mit  großer  Sorgfalt  gesammelt  und  hier  zusammengestellt 
worden.  Wo  Szenen  des  sog.  Telephosfrieses  zur  Begründung 
ausgesprochener  Ansichten  mitherangezogen  werden,  wird  man 
gut  tun,  vorläufig  sich  einer  festen  Meinungsbildung  zu  enthalten, 
da  auch  nach  den  Schraderschen  Anordnungsversuchen,  ja  selbst 
nach  den  neuesten  Brücknerschen  Studien  nur  das  eine  als  sicher 
zu  bezeichnen  ist,  daß  vorläufig  noch  keine  sichere  Deutung  ge- 
jungen ist.  Daß  mit  der  Zeit  auch  hier  noch  eine  sichere  Lösung 
zu  erhoffen  ist,  scheint  mir  unzweifelhaft,  aber  bis  jetzt  ist  das 
Ziel  noch  nicht  erreicht. 


34)  Fr.  Hanoig|,  De  Pegaso.     A.  o.  d.  T.  Breslauer  Philo!.  Abhandlungen, 

herausgegeben  von  R.  Förster.    VIII.  Bd.,  4.  Heft.    Breslau  1902,  M.  u.  H. 
Marcuse.     162  S.     8.     6  JC. 

Es  liegt  hier  der  volle  Abdruck  der  Abhandlung  vor,  deren 
erster  Teil  schon  als  Dissertation  ausgegeben  war.  Das  Buch, 
R.  Förster  gewidmet,  zerfallt  in  drei  Teile:  I.  De  fabulis  quae  ad 
Pegasi  ortum  pertinent.  II.  De  fabulis  quae  ad  Pegasum  cum 
Bellerophonte  conexum  pertinent.  III.  De  fabulis  in  quibus  Pegasus 
fontium  auctor  fertur.  Man  kann  dem  Verf.  nachrühmen,  daß  er 
fleißig  gesammelt  hat,  es  sind  nur  wenige  Monumente  nach- 
zutragen (z.  B.  ein  Wandgemälde  des  Hauses  des  Lucretius  Fronto 
in  Pompeji,  das  ich  in  einem  Berichte  über  die  neuesten  Aus- 
grabungen von  Pompeji  in  der  Zeitschrift  f.  bildende  Kunst  1901 
erwähnt  habe).  Auf  die  Bellerophonsage  näher  einzugehen,  lehnt 
Hannig  ab,  sonst  wären  da  verschiedene  neu  hervorgetretene  Denk- 
mäler zu  erwähnen.  Ich  hoffe,  die  betreffenden  Vasenbilder,  denn 
um  solche  handelt  es  sich,  bald  im  Jahrb.  d.  Inst,  veröffentlichen 
zu  können.  S.  51  ist  Medusa  irrtümlich  anstatt  Minerva  gedruckt; 
andere  Druckfehler  sind  als  »solche  leicht  zu  erkennen  und  zu 
verbessern. 

35)  H.  Wolf,    Einführung    in    die    Sagenwelt    der    griechischen 

Tragiker.    Leipzig  1902,  H.  Bredt.     165  S.    8.     I,b0  JC. 

Das  Buchlein  ist,  nach  der  Vorrede,  in  erster  Linie  für  die 
Schuler  der  Oberklassen  bestimmt,  nicht  nur  auf  dem  Gymnasium, 
sondern  noch  mehr  auf  dem  Realgymnasium  und  der  Oberreal- 
schule, wo  die  griechischen  Tragiker  in  deutscher  Übersetzung 
gelesen  werden.  Ob  es  dann  nötig  war,  so  wie  es  Verf.  tut,  in 
die  Urbedeutung    der  Mythen    einzugehen  und  alles  sozusagen  in 


Archäologie,  von  R.  Engelmaoo.  301 

den  Kampf  des  Lichtes  mit  der  Finsternis  aufzulösen,  kann  frag- 
lich erscheinen,  besonders  solange  die  Mythendeutung  immer  noch 
als  etwas  Zweifelhaftes,  nicht  allseitig  Anerkanntes  bezeichnet 
werden  muß.  Aber  davon  abgesehen,  läßt  sich  dem  Verf.  nach- 
rühmen, daß  er  gutes  Verständnis  zeigt  und  die  Entwicklung  der 
Heldensage  seinen  Lesern  klar  vor  Augen  fuhrt,  so  daß  sie  mit 
großem  Nutzen  das  Werkchen  studieren  können.  Ganz  ohne 
Versehen  ist  es  nicht  abgegangen.  Mir  ist  folgendes  aufge- 
fallen. S.  22  heißt  es,  die  Kämpfe  des  Bellerophon  gegen  die 
Lykier,  Solymer  und  Amazonen  seien  ausfuhrlicher  berichtet 
als  seine  Besiegung  der  Chimaira.  Wie  kann  man  aber 
so  etwas  behaupten?  Die  Erzählung  von  der  Chimaira  steht 
11.  VI  179 — 183;  dem  Kampfe  mit  den  Solymern  sind  zwei  Verse 
gewidmet,  184 — 185,  dem  mit  den  Amazonen  nur  einer,  186, 
dem  mit  dem  Hinterhalt  der  Lykier  drei,  188 — 190.  Also  ist 
doch  entschieden  der  Chimaira  der  größte  Raum  eingeräumt. 
8.  56  heißt  es,  Peirithoos  und  Theseus  seien  im  Hades  an  einen 
Felsen  gekettet.  Warum  wird  nicht  geradezu  gesagt,  daß  sie 
sitzen  mußten?  S.  57:  Herakles  soll  aus  Trauer  um  seinen 
vermißten  Sohn  Hylios  vom  Argonautenzug  zurückgeblieben  sein. 
Gemeint  ist  natürlich  nicht  der  Sohn,  sondern  der  Liebling  des 
Herakies,  Hylas,  nicht  Hylios.  Die  Entführung  des  Hylas  durch 
die  Nymphen  bildet  ja  einen  beliebten  Stoff  für  antike  Maler,  so 
daß  man  den  Mythus  auch  für  das  Verständnis  antiker  Kunst- 
werke braucht.  S.  73:  Theseus  soll  auf  Skyros  durch  einen 
Sprung  ins  Meer  seinen  Tod  gefunden  haben.  Wie  konnte  dann 
Kimon  darauf  ausgehen,  seine  Gebeine  nach  Athen  zurückzuholen, 
wenn  er  nicht  gleich  Taucher  mitnahm,  um  den  Theseus  aus  dem 
Meere  herauszuholen,  so  wie  es  die  Griechen  heute  mit  den  ver- 
sunkenen Statuen  bei  Antikythera  machen?  S.  77:  Von  den  zwei 
Harpyien,  die  den  Phineus  quälten,  kann  doch  kaum  gesagt  werden, 
die  Boreaden  hätten  sie  teils  getötet,  teils  verjagt.  S.  94  ist 
das  Rätsel  der  Sphinx  in  einer  deutschen  Fassung  gegeben,  die 
leicht  zu  Mißverständnissen  führen  kann :  „Was  hat  eine  Stimme, 
ist  am  Morgen  vierfüßig,  am  Mittag  zweifüßig,  am  Abend  drei- 
füßig?" Wer  das  Rätsel  nicht  in  der  griechischen  Fassung  kennt, 
wird  annehmen,  daß  als  Kennzeichen  des  verlangten  Lebens- 
wesens auch  das  Vorhandensein  einer  Stimme  angegeben  wird, 
während  es  im  Griechischen  heißt,  daß  das  Wesen  trotz  aller  Ver- 
schiedenheit eine,  d.h.  immer  dieselbe  Stimme  hat,  ov  pia 
(fo)Vfj.  S.  130:  Der  Kyklop  legt  einen  Stein  vor  die  Höhle,  „den 
kaum  zweiundzwanzig  Menschen  wegrücken  konnten'*.  Dann  hätte 
Odysseus  mit  seinen  zwölf  Begleitern  eine  zwar  schwere,  aber  in 
der  Todesnot  doch  leicht  zu  bewältigende  Aufgabe  vor  sich  gehabt. 
Aber  der  Dichter  sagt  nach  Voß:  „Die  Gespanne  von  zweiund- 
zwanzig starken  und  vierräoerigen  Wagen,  sie  schleppten  ihn  nicht 
von  der  Stelle".    Jetzt  sind  wir  beruhigt,  unmöglich  kann  Odysseus 


302  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

mit  seinen  Begleitern  dieses  Ungetüm  von  Stein  wegrucken,  sondern 
er  sitzt  in  der  Höhle  gefangen,  —  wenn  ihm  seine  List  nicht 
heraushilft.  S.  132:  Eurylochos  soll  die  Kirke  herausgerufen  haben 
und  doch  nicht  mit  in  ihr  Haus  hineingegangen  sein.  Nein. 
Polites  führt  hier  das  Wort;  er  fordert  zum  Rufen  auf.  toI  6' 
€(p&6YYOvto  xaXevvteg.  S.  139:  „Dem  Dichter,  der  dies  (die 
Geschichte  des  Zepters,  II.  B  100)  schrieb,  konnte  nichts  bekannt 
sein  von  dem  Bruderzwist  zwischen  Atreus  und  Thyestes".  Das 
möchte  ich  doch  nicht  behaupten,  im  Gegenteil,  mir  scheint,  daß 
der  Dichter  jener  Verse  sehr  wohl  in  der  sogenannten  Geschichte 
des  Atridenhauses  bewandert  war.  "Hcpcuczog  dcoxs,  Zeig  dcoxe, 
'Egpeiag  dcoxe,  IHXoxp  dcoxe,  überall  ein  freiwilliger  Verzicht  auf 
den  Besitz  des  axijnTQOv,  so  daß  der  Nachfolger  mit  Zustimmung 
seines  Vorgängers  Herr  des  Zepters  wird.  Dagegen  'Argeig 
&vrjöxcov  eXmev,  Ovitiz*  ^Ayape'fAVOvi  Xetne  (pOQfjvai,,  d.  h.,  da 
Atreus  und  Thyestes  bei  ihrem  Tode  das  GxrjnTQOv  nicht  mit- 
nehmen konnten,  fällt  es  natürlicherweise  ihrem  Nachfolger  zu, 
auch  wenn  dieser  sehr  gegen  ihren  Willen  sich  der  Herrschaft 
bemächtigt.  Der  Wechsel  zwischen  dwxs  und  Xetne  (fOQjjvai, 
je  nachdem  freundschaftliche  Übergabe  oder  notgedrungener  Erb- 
gang stattfindet,  ist  doch  nicht  zufällig.  S.  141:  Für  Klytaimnestra 
sollte  heute  die  Schreibung  Klytaimestra  doch  überall  durch- 
geführt sein. 

36)  A.  de  Marchi,  II  culto  privato  di  Roma  aotica.  II.  La  religione 
gentiliziu  e  collegiale.  Con  9  tavole.  Milano  1903,  Ulr.  Hoepli. 
IX  u.  189  S.     9Jfc. 

Der  erste  Teil,  La  religione  nella  vita  domestica,  iscrizioni 
ed  Offerte  votive,  ist  1893  erschienen;  daß  so  lange  Zeit  bis  zur 
Herausgabe  des  zweiten  verstrichen  ist,  daran  sind,  wie  der  Verf. 
schreibt,  ragioni  non  dipendenti  dalla  mia  volontä  schuld.  Der  vor- 
liegende Band  zerfällt,  wie  schon  der  Titel  erkennen  läßt,  in  die 
beiden  Teile  II  culto  gentilizio  und  II  culto  collegiale;  im 
ersten  scheint  mitunter  weniger  sicheren  Nachrichten  eine  zu 
schwerwiegende  Bedeutung  gegeben  zu  sein ;  es  ist  aber  verdienst- 
lich, daß  hier  alle  einschlagenden  Nachrichten  zusammengestellt 
und  im  Zusammenhang  behandelt  sind.  Noch  interessanter  werden 
die  meisten  den  zweiten  Teil,  über  den  Kollegienkult,  finden. 
Mit  Unrecht  freilich  werden  auch  die  aus  pompejanischen  In- 
schriften bekannten  seribibi  usw.  hier  hereingezogen;  denn  das 
liegt  doch  auf  der  Hand,  daß  das  nur  scherzhafte  Bezeichnungen 
von  Leuten  sind,  die  es  nicht  einmal  zu  einem  ernsthaften  „Klub" 
gebracht  hatten.  Aber  dafür  nehmen  die  aus  dem  Ausland  ein- 
geführten Kulte,  die  solchen  gewaltigen  Einfluß  auf  das  römische 
Leben  gewonnen  haben,  mit  um  so  größerem  Recht  die  Auf* 
merksamkeit  der  Leser  in  Anspruch.  Hier  sind  auch  reichlich 
Abbildungen  eingestreut,    die  an  sich  ja  nicht  gut  gelungen  sind, 


^ 


Archäologie,  von  R.  Engelmanu.  303 

die  aber  doch  immerhin  genügen,    um   das  Gesagte  zu  erläutern 
und  langwierige  Beschreibungen  überflüssig  zu  machen. 

37)  £.  Maafs,  Die  Tagesgötter  in  Rom  uud  den  Provinzen  aus  der 
Kultur  des  Medei  ganges  der  antiken  Welt.  Mit  30  Abbildungen. 
Berlin  1902,  Weidmanosche  Buchhandlung.     311  S.     8.     U)  JC. 

Seit  wann  besteht  unsere  Woche  und  die  Namen  der  Tage? 
Auf  diese  Frage  sucht  das  vorliegende  ßuch  Antwort  zu  geben. 
£.  Maaß  geht  von  dem  bekannten  Bau  des  Severus  am  Ende  der 
Via  Appia,  zwischen  Palatin  und  Cälius,  dem  sog.  Septizonium, 
aus;  er  weist  die  verschiedenen  Annahmen,  die  man  über  den 
Zweck  des  Gebäudes  aufgestellt  hat,  zurück  und  zeigt,  daß  es  ein 
Unterbau  war,  der  etwas  sehr  Bedeutendes  zu  tragen  hatte.  Um 
herauszufinden,  was  dies  war,  muß  zunächst  der  Name  richtig 
gestellt  werden.  Nicht  Septizonium  kann  der  ursprüngliche  Name 
sein,  sondern  Septizodium;  die  andere  Benennung  ist  nur  einem 
etymologischen  Mißverständnis  entstammt,  indem  man  sich  be- 
mühte, für  ein  unverständliches  Wort  ein  scheinbar  leicht  ver- 
ständliches einzusetzen.  Septizodium  bedeutet  nun  nachweislich 
die  sieben  Planeten,  und  zwar  in  ihrer  Funktion  als  Tagesgötter ; 
der  kolossale  Bau  des  Severus  trug  also,  weither  von  der  Via 
Appia  sichtbar,  die  sieben  Statuen  der  Planetengötter.  In  einem 
zweiten  Abschnitt  untersucht  Verf.  die  Frage  nach  den  Tages- 
göttern in  den  Thermen  und  dem  Zirkus,  in  dem  dritten  die 
nach  den  Tagesgöttern  an  den  gallisch-rheinischen  Siegessäulen. 
Weiterhin  wird  gezeigt,  wie  die  Tagesgötter  immer  mehr  in  den 
Kultus  eindringen.  In  bezug  auf  die  Entstehung  der  Woche 
nimmt  er  eine  Verschmelzung  jüdischer  und  assyrischer  Elemente 
an.  Die  Woche  von  sieben  Tagen  ohne  die  Planeten,  meint  er 
S.  278,  gehört  bekanntlich  den  Juden  eigentümlich  an,  dagegen 
sind  die  zu  den  sieben  Tagesheiligen  erhobenen  Planeten  als 
Schicksalsgötter  anerkannt  assyrischen  Ursprungs.  Aus  der  Ver- 
bindung des  jüdischen  und  des  assyrischen  Elementes  sei  im 
Hellenismus  des  Orients  die  Planeten woche  entstanden.  Das  will 
mir  nicht  recht  glaubhaft  erscheinen.  Die  Einführung  der  Woche 
von  sieben  Tagen  und  die  Benennung  der  einzelnen  Tage  nach 
dem  Planeten,  unter  dessen  Schutz  die  erste  Stunde  steht,  hängt 
auf  das  engste  mit  der  Einteilung  des  Tages  in  24  Stunden  zu- 
sammen; eine  solche  scheint  aber  bei  den  Assyriern  und  Babyloniern 
vorhanden  gewesen  zu  sein,  während  die  Juden  sie  entschieden 
nicht  hatten.  Danach  ist  es  wahrscheinlicher,  daß  die  Juden  aus 
dem  Euphrattale  die  Wocheneinteilung  mitgebracht  haben.  Doch 
über  diese  Frage  werden  die  neuen  orientalischen  Forschungen 
sicherlich  bald  helles  Licht  verbreiten.  —  Das  Schlußkapitel  (VII) 
dient  dazu,  die  Vermutung  zurückzuweisen,  daß  auch  das  Pantheon 
des  Agrippa  ein  Planetentempel  gewesen  sei.  Die  Zahl  der  sieben 
Nischen  scheint  ja   für  die  Siebenzahl  der  Planeten  zu  sprechen, 


304  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

es  wird  aber  nachgewiesen,  daß  auch  bei  andern  Völkern  die 
Siebenzahl  ohne  Rücksicht  auf  die  Planeten  eine  allgemein  bevor- 
zugte ist. 

38)  A.Dieter  ich,  Eine  Mithra  sliturgie,  erläutert  von  A.D.    Leipzig 

1903,  B.  G.  Teubaer.    X  u.  230  S.     S.     6  JL 

Das  Buch  ist  Fr.  Cumont  gewidmet.  Dieterich  hat  aus  dem 
großen  Pariser  Zauberbuch  eine  ganze  Liturgie  herausgelöst,  die 
einzige  Liturgie  eines  antiken  Gottesdienstes,  die  uns  im  wesent- 
lichen vollständig  erhalten  ist,  und  hat  diese  durch  Übersetzung 
und  Erläuterungen  dem  Leser  näher  zu  bringen  gesucht.  Es  ist 
eine  ganz  fremdartige  Weit,  die  sich  dadurch  vor  uns  auftut. 
Natürlich  muß  eine  Masse  von  Einzelheiten  dabei  noch  im  un- 
klaren bleiben,  aber  schon  jetzt  fällt  auf  manche  Dinge  ein  un- 
geahntes Licht.  Auch  die  Archäologie  trägt  einen  Gewinn  davon. 
Auf  einem  Relief,  das  aus  Virunum  in  Noricum  stammt  und  sich 
heute  in  Klagenfurt  befindet,  ist  auf  einer  der  sieben  Szenen  ab- 
gebildet, wie  Helios  vor  Mithras  kniet,  der  in  der  rechten  Hand 
einen  bis  dahin  nicht  gedeuteten  Gegenstand  emporhält  (nach 
Cumont  un  objet  bizarre  qui  ressemble  d  une  outre  ä  moitie 
deganflee).  Nach  der  Mithrasliturgie  ist  es  keine  Frage,  daß  der 
Gegenstand  eine  Rinderschulter  ist;  der  Gott  hält  nach  der  Liturgie 
in  der  rechten  Hand  „eines  Rindes  goldne  Schulter44  (xati%ovt;a 
tjl  de^iq  %eiq\  fioaxov  cofjbov  xqvaeov,  og  sGtw  ScQxzog  % 
xivovaa  xal  avxMSxQtyovtia  top  ovqccvov),  die  nach  äpyptischem 
Glauben  das  Siebengestirn,  den  Bären,  bedeutet,  der  den  Himmel 
bewegt  und  zurückwendet.  Und  so  ließe  sich  des  Interessanten 
noch  viel  berichten,  das  in  dem  Buche  geboten  wird.  In  einem 
Anhange  sind  die  Reste  antiker  Liturgieen  verzeichnet,  die 
aus  den  Mysterien  erhalten  sind.  Man  darf  hoffen,  daß  auch  diese 
Gebiete  durch  die  vielen  Funde  der  Neuzeit  noch  eine  Aufklärung 
erhalten,  auf  die  man  fast  schon  verzichten  zu  müssen  ge- 
glaubt hatte. 

39)  G.  Reinhardt,    Italienische    Herbsttage    (II).      Erinnerungen    an 

den  zwölften  archäologischen  Kursus  (1902)  deutscher  Gymnasiallehrer 
in  Italien.  (Progr.  des  Herzogl.  Friedrichs-Gymnasium  in  Dessau  1904. 
Nr.  796.)     25  S.     4. 

Die  archäologischen  Kurse  sind  seit  langem  eine  ständige 
Einrichtung  geworden;  fast  ebenso  regelmäßig  kehrt  aber  auch 
eine  gedruckte  ßerichterstattung  über  diese  Kurse  wieder.  Man 
darf  wohl  fragen,  zu  welchem  Zweck?  Denn  daß  jemand,  selbst 
gute  Vorbereitung  vorausgesetzt,  nach  einem  Aufenthalt  von  nur 
wenigen  Wochen  in  Italien  dort  so  viel  bedeutende  Entdeckungen 
gemacht  haben  sollte,  daß  er  sie  unbedingt  urbi  et  orbi  mitteilen 
muß/ist  wenig  wahrscheinlich.  Geschieht  die  Reiseberichterstattung 
in  Form  eines  Programms,  dann  mag  es  noch  sein,  denn  das 
Programm    hat   zunächst    nur  einen  beschränkten  Leserkreis,    es 


■\ 


Archäologie,  voo  R.  Engelmano.  305 

mag  den  Primanern  Aufklärungen  geben  und  auch  in  den  Familien 
der  Eltern,  die  mit  Interesse  ihren  Herrn  Doktor  auf  seiner  Reise 
begleitet  haben,  mit  Teilnahme  gelesen  werden.  Im  vorliegenden 
Falle  kam  noch  dazu,  daß  es  galt,  einen  früheren  mit  allgemeinem 
Interesse  gelesenen  Bericht  (über  den  fünften  archäologischen 
Kursus),  der  mit  Rom  abbricht,  fortzusetzen  und  zu  ergänzen. 
So  ist  uns  der  vorliegende  Bericht  über  den  Teil  der  Reise,  der 
Neapel  und  Pompeji  gilt,  zuteil  geworden,  auf  Grund  der  täglich 
eingetragenen  Tagebuchnotizen.  Neuigkeiten  darf  man  nicht  er- 
warten, der  Verf.  hat  bei  den  Vorträgen  von  Petersen  und  Mau 
gut  aufgepaßt  und  alles  meist  richtig  verstanden.  Die  Geschichte 
mit  der  Stephanostigur  (S.  4)  ist  ihm  allerdings  nicht  ganz  klar 
geworden.  Die  Vergleichung  des  Apoll  von  Belvedere  mit  dem 
Aristogeiton  der  Neapler  Gruppe  ist  ein  ganz  äußerlicher;  be- 
hauptet doch  Furtwängler  nicht  ohne  Grund,  daß  das  Gewand 
überhaupt  erst  vom  Marmorkopisten  zugefügt  sei.  Unverständlich 
ist  mir  S.  5  der  Satz,  daß  ein  Torso  des  Neapler  Museums  er- 
kennen läßt,  „daß  das  Werk  ziemlich  früh  an  der  Bahn  nackter 
Frauenbilder  gestanden  hat".  S.  6:  Eine  Landung  in  Marina, 
1.  in  der  Marina,  das  ist  kein  Nomen  proprium,  sondern  ein 
Appellativum.  S.  14:  Von  Pompeji  heißt  es:  „Auch  wurde  es  uns 
bald  klar,  wie  es  für  die  Wagen  möglich  war,  solche  Stellen  mit 
Trittsteinen  zu  passieren;  dazu  gehörten  hohe  Räder  und  gewandte 
Tiere",  vor  allem  aber,  und  das  hat  Verf.  vergessen,  gehörte  dazu, 
daß  die  Tiere  nicht  wie  bei  uns  durch  Stränge  in  einer  parallelen 
Richtung  zur  Deichsel  gehalten  wurden,  sondern  daß  sie  nur  vorn 
mit  dem  Kopfe  an  das  Joch  gefesselt,  sonst  aber  frei  waren. 

Doch  das  sind  ja  nur  Kleinigkeiten.  Sonst  kann  man  dem 
Verf.  das  Zeugnis  ausstellen,  daß  er  mit  Lust  und  Liebe  gesehen 
und  beobachtet  und  mit  Geschick  geschildert  hat. 

40)  Tabulae  quibus  aoti  quitates  Graecae  et'Romaoae  illastran- 
tur.     Bd.  Steph.  Cybulski.     Leipzig,  Köhler. 

Über  den  Nutzen  der  für  den  Schulgebrauch  bestimmten 
Wandtafeln  von  Cybulski  brauche  ich  mich  hier  nicht  weiter  zu 
verbreiten ;  wie  brauchbar  sie  sind  (oder,  richtiger  gesagt,  geworden 
sind;  denn  die  ersten  Auflagen  ließen  mancherlei  zu  wünschen 
übrig)  und  wieviel  sie  im  allgemeinen  nützen,  um  die  Schüler 
über  bestimmte  Gebiete  des  Altertums  aufzuklären,  ist  längst 
anerkannt  und  wiederholt  hervorgehoben  worden.  Mir  liegen 
jetzt  vor: 

Tab.  I.  Arma  et  tela  Graecorum.  II.  Milites  graeci.  Ed.  III 
emendatior.  Erklärender  Text  von  Cybulski.  2.  A.  mit  13  Abb. 
kn  Text.  Leipzig  1904,  Köhler.  Es  ist  schade,  daß  man  nicht 
bei  T.  I  mit  dem  Loben  anfangen  und  dann  gleichmäßig  fort- 
fahren kann.  Sowohl  die  beiden  Tafeln  als  auch  der  Text  stehen, 
das    läßt    sich    nicht    verschweigen,    hinter   den   andern   Tafeln 

Jahresberichte  XXX.  20 


3 ()6  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

des  Unternehmens  weit  zurück.  Daß  reichliche  Anlehen  bei  Guhl 
und  Koner  (Das  Leben  der  Gr.  u.  R.,  6.  Aufl.)  gemacht  sind,  ohne 
daß  irgendwie  eine  Hinweisung  darauf  erfolgt  ist,  sei  nur  neben- 
bei erwähnt;  aber  es  sind  trotz  aller  Anlehnung  eine  ganze  Reihe 
von  Irrtumern  stehen  geblieben,  oder  es  haben  sich  Mißverständ- 
nisse eingeschlichen.  Ich  habe  eine  Reihe  derartiger  Dinge  in 
einer  Besprechung,  die  in  der  Berl.  philol.  WS.  erfolgt  ist  (1904 
Sp.  1109),  hervorgehoben  und  mag  nicht  hier  von  neuem  die  Ver- 
sehen autzählen;  es  ließe  sich  die  Zahl  aber  leicht  vermehren. 
Daß  selbst  der  Verleger  in  dies  Tohuwabohu  hineingezogen  ist, 
indem  er  als  bibliobola,  d.  h.  als  Bücherschleuderer,  auf  der  Tafel 
bezeichnet  wird,  sei  nebenbei  erwähnt.     Ceterum  censeo  usw. 

Da  sieht  doch  Tab.  III  ganz  anders  aus. 

Tab.  III  b.  Nummi  romani  auctore  Eugenio  Pridik.  1.  Nummi 
ab  imperatoribus  romanis  quarto  vel  tertio  a.  Ch.  n.  s.  in  Campania, 
in  Samnio,  in  Apulia  flati  vel  cusi.  2.  nummi  vere  romani. 
3.  nummi  argen tei  et  aurei  Romae  III,  II,  I  s.  cusi.  4.  nummi 
Imperatorum  et  Caesarum  usque  ad  Titum.  5.  nummi  imp.  a 
Domitiano  usque  ad  Gord.  tertium.  6.  nummi  imp.  a  Philippo 
Arabi  usque  ad  Valeutinianum  tertium.  Gerade  da  ich  früher 
über  die  erste  Auflage  der  Münztafeln  mich  absprechend  geäußert 
habe,  halte  ich  es  für  meine  Pflicht,  hier  hervorzuheben,  daß 
jetzt  die  Münzen  alle  deutlich  und  klar  zum  Ausdruck  gebracht 
sind;  auch  die  Auswahl  wird  sicherlich  allseitig  befriedigen. 

Tab.  XII  und  XIII  sind  dem  &4clzqov  gewidmet;  hier  wird 
man  auch  in  den  Tafeln  wohl  darüber  klar,  daß  die  Frage  noch 
nicht  allseitig  geklärt,  noch  nicht  zu  einem  Ruhepunkt  gelangt  ist. 
Auf  T.  XII  bietet  Nr.  1  %6  ikXfjyixdv  &4atQOv  ccQXccioifQOV,  das 
Skenenhaus  mit  vier  Säulen  und  rechtem  und  linkem  Flügel,  in 
der  Höhe  der  Orchestra,  nur  daß  das  Mittelstück  um  eine  Stufe 
erhoben  ist.  Nr.  2  gibt  das  ÜeacQov  QWfia'ixcov  xqovoov  pulpito 
iu.structum;  hier  führt  eine  Treppe  in  der  Mitte  hinauf;  während 
das  untere  Geschoß  ohne  Schmuck  gelassen  ist,  zeigt  das  obere 
Geschoß  Verzierung  mit  Säulen  und  Hallen;  das  ist  so  nicht 
römisch.  Auf  T.  XIII  ist  der  vnoxQitijg  tgccyixog,  die  elfen- 
beinerne Statuette  eines  Schauspielers,  in  der  Färbung  weniger  gut 
geraten.  Bei  den  oqyava  ist  die  XvQa  und  xid-aga  mit  je  sechs 
Saiten  bespannt,  während  die  Siebenzahl  doch  die  Regel  ist. 
Falsch  ist  die  Zeichnung  des  xqovnidvov\  hier  kann  nicht  der 
obere  und  untere  Teil  zusammengedrückt  werden,  sondern  die 
Abbildung  zeigt  nur  in  der  Mitte  der  Höhe  einen  Einschnitt,  der 
auf  die  Beweglichkeit  des  Instrumentes  keinen  Einfluß  übt. 
Aber  warum  mußte  bei  dem  Theater  überhaupt  dieses  für  unsere 
Schuljugend  völlig  gleichgültige  Instrument  abgebildet  werden? 
War  nicht  Zeit  genug,  bis  sie  in  der  Tribuna  in  Florenz  die  be- 
treffende Statue  zu  sehen  bekommen?  Und  das  xvpßctXovl 
Warum   nicht  xvpßaXa,  da   der  Plural  doch  durchaus  nötig  ist? 


Archäologie,  von  R.  Kngeluiano.  3Q7 

Und  inwiefern  gehört  auch  das  Sistrum  zu  den  im  Theater 
nötigen  Instruinenten?  Denn  mag  auch  dieses  Lärminstrument 
hier  und  da  einmal  in  später  Zeit  im  Theater  gebraucht  sein, 
für  unsere  Schuljugend  spielt  es  doch  sicher  keine  Rolle.  Zur 
Darstellung  der  einzelnen  Theaterdinge  sind  auch  Vasenbilder 
und  Mosaiken  herangezogen.  An  den  farbigen  Vasenbildqrn 
würde  Flasch  ohne  Zweifel  große  Freude  gehabt  haben,  ihm 
selbst  hat  man  die  polychromen  Vasenbilder  so  sehr  verdacht. 

T.  XIV a  und  b,  darauf  erscheint  ^Ad-ffvat,,  ed.  II  emendatior, 
quam  curavit  R.  Loeper.  Mit  dem  emendatior  ist  das  so  eine 
Sache,  jedenfalls  ist  damit  nicht  Freiheit  von  Druckfehlern  garantiert; 
vgl.  Xccqitwv  Isqov.  Sonst  alle  Achtung.  Neben  dem  Über- 
sichtsplan von  Athen  und  Umgebung  erscheint  unter  Nr.  1  die 
Akropolis  mit  den  Ausgrabungen  am  Pnyxhügel,  ferner  der  Firaus 
und  die  Langen  Mauern.  Große  Anschaulichkeit  und  Deutlichkeit 
darf  man  dieser  Karte  nachrühmen,  doch  ist  die  Möglichkeit  zu 
Verbesserungen  nicht  ganz  abgeschnitten.  Die  Eetioneia  ist  nicht 
bezeichnet.  lO  sv  Zsa  Xifiijv  bedarf  einer  Ausbaggerung,  da  das 
Iota  subscriptum  sich  im  Schlamm  verloren  hat.  Das  ^EQsx&tTov 
ist  nicht  ganz  klar,  da  die  SdtXacca  in  die  Nord  halle  verlegt  ist, 
wo  doch  gewöhnlich  nur  die  Dreizackspuren  angenommen  werden. 

Zu  T.  XV a  wird  geboten:  Urbs  Roma  antiqua.  Septimontium. 
—  Roma  quattuor  regionum.  Roma  Servii  Tullii.  •-—  Roma  liberae 
reipublicae  aetate.  Forum  Romanum  et  aedificia  continentia  liberae 
reipublicae  aetate;  dasselbe  imperatorum  temporibus.  Roma  quadrata. 
Mons  Palatinus  imperatorum  temporibus.  Capitolium.  Dazu  kommt 
T.  XV  b  Urbs  Roma  antiqua.  Roma  imperatorum  temporibus  inde 
ab  Augusto  usque  ad  Saeculum  IV  p.  Chr.  n.  Die  Karten  sind  an 
sich  recht  gut  und  deutlich.  Via  Ardear  tina  ist  trotz  allen 
Korrekturen  stehen  geblieben. 

Ganz  besonders  zu  empfehlen  sind  die  Tafeln,  die  von  der 
Kleidung  der  Griechen  und  Römer  handeln:  XVI— XVIII  Vestitus 
Graecus,  XIX — XX  Vestitus  Romanus.  Erklärender  Text  von 
W.  Amelung.  Mit  35  Abbildungen  im  Text.  Leipzig  1903.  Gerade 
hier  läßt  sich  durch  einen  Blick  auf  die  Tafeln  schneller  Klarheit 
schall en  und  besseres  Verständnis  erreichen,  als  wenn  mau  noch 
so  viele  Worte  machen  wollte.  Natürlich  ist  vorausgesetzt,  daß 
die  Abbildungen  sorgsam  ausgewählt  und  sorgsam  ausgeführt  sind. 
Daß  das  hier  der  Fall  ist,  dafür  bürgt  schon  ohne  weiteres  der 
Name  dessen,  dem  ihre  Besorgung  und  Erklärung  anvertraut  ist. 
W.  Ameluug  hat  aus  der  Fülle  der  Denkmäler,  die  ihm  zu  Gebote 
standen,  mit  großem  Geschick  die  geeignetsten  Typen  ausgesucht 
oder,  soweit  es  nötig  war,  zusammengestellt  und  in  seinen  Er- 
läuterungen deutlich  die  Entwicklung  der  einzelnen  Gewänder 
nachgewiesen,  so  daß  jeder  sich  ein  deutliches  Bild  von  dem  ein- 
zelnen Gewände  verschaffen  kann.  Auf  diese  Weise  werden  sich 
die  Tafeln  XVI — XX  nicht    nur    in    der  Schule    äußerst    nützlich 

20* 


30S  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

erweisen,  sondern  können  noch  einen  anderen  Wunsch  des  Hrsgb.s 
erfüllen,  nämlich  auch  den  bildenden  Kunstlern  und  vor  allem 
den  ßühnen  zugute  kommen.  Wenn  man  sieht,  in  welcher  Weise 
oft  auf  den  Buhnen  mit  der  klassischen  Tracht  umgesprungen 
wird,  offenbar  aus  Unkenntnis,  insofern  man  sich  ja  streng  an 
die  wirkliche  antike  Tracht  halten  und  doch  jede  individuelle 
Stimmung  darin  zum  Ausdruck  bringen  könnte,  dann  wird  man 
das  Erscheinen  dieser  Tafeln,  welche  über  die  antike  Gewandung 
Klarheit  verbreiten,  als  äußerst  willkommen  bezeichnen.  Einige 
Punkte,  die  vielleicht  einer  Verbesserung  bedürfen,  habe  ich  in 
einer  in  der  Berl.  philol.  WS.  1904  Nr.  21  erschienenen  Be- 
sprechung hervorgehoben. 

41)  H.  Muzik,  Ein  archäologischer  Schujlatlas.  Sonderabdruck 
aus  dem  Jahresberichte  über  das  k.  k.  Elisabetbgymnasium  in  Wien. 
Wien  1904,  R.  ßrzezowsky  8c  Söhne. 

Der  Verf.,  der  sich  schon  mehrfach  um  den  archäologischen 
Anschauungsunterricht  verdient  gemacht  hat  (vgl.  Lehr-  und  An- 
schauungsbehelfe zu  den  lateinischen  Schulklassikern,  Wien  1904), 
zeigt  die  Notwendigkeit,  für  die  archäologischen  Bedürfnisse  der 
Schule  einen  Atlas  zusammenzustellen,  indem  er  auf  die  Natur- 
wissenschaften hinweist,  wo  außer  den  Lehrmitteln  der  Schule 
auch  durch  Abbildungen  in  den  Lehr-  und  Lern  buchern  dafür 
gesorgt  wird,  daß  der  Schüler  jederzeit  die  Möglichkeit  hat,  die 
Objekte  wenigstens  im  Bilde  zu  sehen.  Ein  derartiger  „archäo- 
logischer Schulatlas  soll  nichts  bieten,  was  einer  Illustrierung 
irgendeines  Textes  gleich  sähe,  denn  dazu  hat  der  Schüler  seine 
frei  schaffende  Phantasie,  er  soll  nur  gleichsam  die  Elemente 
liefern,  mit  denen  die  Phantasie  arbeiten  kann,  er  soll  zur  Ver- 
anschaulichung  und  Erläuterung  antiquarischer  Dinge  dienen,  die 
bisher  abseits  vom  Gesichtskreis  des  Schülers  lagen  und  die  er 
sich  nicht  ohne  weiteres  aus  dem  Texte  eines  gelesenen  Autors, 
rekonstruieren  kann;  er  soll  demnach  Abbildungen  von  Bauten, 
Trachten,  Waffen,  Geräten,  kurz  Bilder  zur  Verfügung  stellen,  die 
tlem  Verständnis  des  Schülers  die  einzelnen  Zweige  der  Altertums- 
wissenschaft erst  voll  erschließen,  damit  er  sich  ganz  in  die  alte 
Welt  versetzen,  gewissermaßen  mit  den  Alten  leben  könne;  dann 
aber  auch  Darstellungen  des  Schönen,  Werke  der  Kunst".  Um 
zu  zeigen,  wie  ein  solcher  Atlas  beschaffen  sein  möge,  stellt  Verf. 
aus  den  römischen  Altertümern  zusammen  was  er  der  Aufnahme 
für  wert  hält.  Darunter  sind  natürlich  eine  ganze  Reihe  von 
Dingen,  die  nie  dargestellt  sind  und  deshalb  nicht  in  den  archäo- 
logischen Atlas  aufgenommen  werden  können,  andere,  die  hart 
an  die  verpönten  Illustrationen  erinnern,  kurz,  man  kann  nicht 
mit  allen  Ausführungen  des  Verf.s  einverstanden  sein,  und  dennoch 
kann  man  sich  freuen,  daß  er  der  Verwirklichung  der  ja  auch 
von  andern  früher  ausgesprochenen  Idee  näher  getreten  ist;   darf 


Archäologie,  von  R.  Enge  Im  an  o.  309 

man  sich  doch  der  Hoffnung  hingeben,  daß  die  Ausführung  selbst 
dem  Ausführenden  Schranken  ziehen  und  ihn  vor  einem  Zuweit- 
schreiten  bewahren  wird. 

42)  H.  Lücke abach,  Kunst  und  Geschichte.  Mit  Unterstützung  des 
Großh.  Badischen  Miuisteriuius  der  Justiz,  des  Kultus  und  Unterricht« 
und  des  Großh.  Badischen  Oberschulrats  herausgegeben.  I.  Teil.  Ab- 
bildungen zur  alten  Geschichte.  Fünfte,  vermehrte  Auflage.  München 
uud  Berlin  1904,  R.  Oldenbourg.     4.     geh.  1,50  Jt,  geb.  1,80  JC. 

Das  Luckenbachsche  Werk,  das  nun  schon  in  fünfter  Auflage 
vorliegt,  bedarf  keiner  besonderen  Einfuhrung  mehr.  Auch  die 
neue  Auflage  zeigt  gegen  die  vorhergehende  wieder  bedeutenden 
Zuwachs;  davon  fallen  auf  Delphi  allein  fünf  Seiten.  Auch  die 
Wandmalerei  ist  reichlicher  bedacht  worden,  und  ebenso  ist 
die  Ära  Pacis,  die  neueste  Erungenschaft  in  Rom,  hier  vorgeführt 
worden.  Wie  in  der  Vorrede  mitgeteilt  wird,  ist  jetzt  auch  ein 
knapper  Text  von  Luckenbach  zu  den  Tafeln  veröffentlicht,  er  ist 
in  das  Lehrbuch  der  Geschichte  von  Martens  (Geschichte  des 
Altertums,  Hannover  1903)  aufgenommen  worden. 

Das  Buch  hält  sich  frei  von  jedem  Schwulst,  jeder  Über- 
treibung. Wie  verständig  ist  z.  B.  das,  was  darin  über  Troja 
gesagt  wird  (S.  3) :  „Troja  VI  kann  als  das  Troja  der  Sage  gellen, 
aber  größere  Übereinstimmung  zwischen  Dichtung  und  Funden 
herrscht  nicht.  Homers  Troja  ist  eine  Stadt,  und  das  Skäische 
Tor  suchen  zu  wollen,  ist  vergebliches  Bemühen".  Wie  vorteil- 
haft unterscheiden  sich  diese  Worte  von  dem  sonst  üblichen 
Bombast  (vgl.  oben  S.  273).  —  Wenn  es  gestattet  ist,  für  die  folgen- 
den Auflagen  Wünsche  auszusprechen,  möchte  ich  bitten,  auf 
S.  17  Fig.  43  das  Bild  des  Zeus  von  Otricoii  durch  eine  Neu- 
aufnahme zu  ersetzen.  Das  Bild  ist  sehr  flau,  wahrscheinlich  ist 
es  nach  einem  Gipsabguß  gemacht,  wie  das  in  den  Seemannschen 
Wandbildern.  Es  gibt  aber  gute,  tadellose  Photographieen  nach 
dem  Original,  nach  denen  ein  Bild  gegeben  werden  könnte.  Auf 
8.  65  Fig.  156  und  157  sind  die  beiden  Bezeichnungen  vertauscht. 
Demosthenes  ist  in  Wahrheit  Sophokles  und  umgekehrt.  Vielleicht 
wäre  es  vorsichtiger  gewesen,  mit  der  Rekonstruktion  der  Ära 
Pacis  (S.  74)  noch  etwas  zu  warten;  die  neuen  Ausgrabungen 
unter  dem  Palazzo  Fiano  bringen  doch,  wie  es  scheint,  mancherlei 
Neues,  wodurch  die  bisherigen  Annahmen  mehrfach  verändert 
werden.  Und  warum  wird  auf  S.  90  Fig.  226,  der  Opferung  der 
Iphigeneia,  gesagt,  Kalchas  sei  im  Begriff,  mit  Hilfe  von  zwei 
Dienern  das  Mädchen  zu  opfern?  Der  Künstler  hat  doch  durch 
die  verschiedene  Charakterisierung  der  beiden  angedeutet,  daß  er 
nicht  beliebige  Diener,  sondern  griechische  Helden  als  Teilnehmer 
des  Opfers  sich  denkt. 

ich  wünsche  dem  Luckenbachschen  Werke  weite  Verbreitung 
und  fröhlichen  Fortgang. 


310  Jahresberichte  d.  Philulog.  Yereius. 

43)  H.  Luckenbach,   Olympia  und  Delphi.     München  und  Berlin  1904, 

R.  üldeoboarg.     4.     2,50  Jt- 

Wenn  man  einmal  zu  der  Überzeugung  gekommen  ist,  daß 
unsere  Jugend  über  die  Topographie  von  Olympia  und  Delphi 
genauer  unterrichtet  werden  muß,  dann  kann  man  sich  für  diesen 
Unterricht  kein  besseres  Hilfsmittel  wünschen  als  die  beiden  von 
Luckenbach  herausgegebenen  Wandtafeln,  zu  denen  das  hier  an- 
gezeigte Buch  den  Text  bildet.  Mit  großer  Sorgfalt  ist  hier  alles 
z  n  sa  mm  enges  teilt,  was  über  Olympia  und  Delphi  (soweit  es  für 
dieses  bei  der  Zurückhaltung  der  Franzosen  möglich  ist)  zu  wissen 
nötig  ist,  ja  Verf.  geht  in  seiner  Gewissenhaftigkeit  fast  weiter, 
als  nötig  scheinen  könnte;  denn  wozu  wird  hier  nach  Weichardts 
Bild  die  Trendclenburgsche  Altarhypothese  wiederholt,  über  deren 
Unzulänglichkeit  doch  wohl  allgemeines  Einverständnis  herrscht 
(vgl.  JB.  1902  S.  232).  Ebenso  unnötig  scheint  mir  freilich  auch 
<lie  Wiederholung  der  Adlerschen  Rekonstruktion,  die  sicherlich 
unzulässig  ist.  Die  Zusammenstellung  der  Delphica  wird  auch 
über  die  Kreise  der  Schule  hinaus  Interesse  erregen  und  Beifall 
finden,  da  hier  zum  ersten  Male  eine  Übersicht  über  die  Haupt- 
funde geboten  wird.  Die  nach  Pomtow  gegebene  Rekonstruktion 
der  Schlangensäule  (der  Dreifuß  ist  auf  ein  Podium  gesetzt,  das 
auf  dem  Stabe  stehend  gedacht  ist,  um  den  die  Schlangen  sich 
ringeln)  wird  sicherlich  zunächst  Widerspruch  hervorrufen,  aber 
nach  den  Ausführungen  von  Pomtow  in  der  Beii.  phii.  WS.  1903 
S.  269 — 274  kann  man  doch  nicht  umhin,  ihm  recht  zu  geben. 
—  Die  großen  Wandtafeln  sind  im  kleinen  in  dem  Text  wieder- 
holt, so  daß  jeder,  der  das  Buch  besitzt,  auch  damit  den  großen 
Plan  gleichsam  vor  Augen  hat. 

44)  C.  Schultess,  Herodes  Atticus  (101—177  n.  Chr.  Geb.).     Wissen- 

schaftliche   Beilage    zum  Jahresbericht    des  Wilhelms-Gymnasium*    in 
Hamburg.     Ostern  1904.     Progr.  Nr.  850. 

Unter  den  hervorragenden  Männern  des  zweiten  nachchrist- 
lichen Jahrhunderts  ist  Herodes  Atticus  ohne  Zweifel  einer  der 
bedeutendsten;  hat  er  doch  durch  freigebige  Benutzung  seines 
ungeheuren  Reichtums  bewirkt,  daß  sein  Name  mit  fast  allen 
wichtigen  Kulturstätten  Griechenlands,  mit  Athen,  Olympia  u.  a. 
durch  gewaltige  Bauwerke,  die  er  dort  gestiftet  hatte,  auf  das 
engste  verbunden  war.  Sein  Leben  wird  in  dem  vorliegenden 
Programm  in  einer  Reihe  von  Kapiteln  vorgeführt,  wir  werden 
über  seine  Heimat  und  seine  Familie  unterrichtet,  wir  erfahren, 
was  über  seine  Kindheit  überliefert  ist  und  welchen  Unterricht 
er  genossen  hat,  wir  lernen  seine  öffentliche  Tätigkeit  bis  zum 
Tode  des  Vaters  kennen;  weitere  Kapitel  handeln  von  der  Erb- 
schaft des  Vaters,  seiner  Lehrtätigkeit  und  der  Feier  der  Pan- 
athenäen,  ferner  von  seiner  Heimat  und  dem  Aufenthalt  in  Italien, 
es  werden  uns  die  glucklichen  Zeiten  geschildert,    die   er  in  der 


Archäologie,  vod  R.  Kngeluiann.  311 

Heimat  verbrachte,  ebenso  aber  auch  (He  Unglücksfälle,  die  ihn 
heimsuchten,  das  heißt  die  Todesfälle  in  seiner  Familie;  wir  lernen 
die  Bauten  kennen,  die  er  in  Athen  und  in  Rom  ausführte,  und 
sehen,  wie  er  schließlich  den  gegen  ihn  gerichteten  Angriffen 
unterliegt  und  stirbt.  „Das  meiste  tat  er  als  echter  Hellene  für 
Griechenlands  klassische  Stätten  und  für  seine  Vaterstadt  Athen, 
wo  die  hochragenden  Ruinen  des  Odeion  und  der  Marmorschmuck 
des  Stadion  dafür  sorgen,  daß  sein  Name  nicht  vergessen  wird. 
Man  wurde  ihm  unrecht  tun,  wollte  man  sagen,  daß  er  diesen 
Ruhm  allein  oder  vorwiegend  seinem  Reichtum  verdanke;  zu 
dessen  richtiger  Verwendung  gehört  auch  der  feste  Charakter  und 
die  hohe  Bildung,  die  ihn  befähigten,  den  Wünschen  der  Menge 
zu  widerstreben  und  zur  rechten  Zeit  seine  eigenen  Wege  zu 
gehen". 

45)  M.  Schanz,    Geschichte    der    römischen    Literatur    bis    zum 

Gesetzgebungswerk  des  Kaisers  Justinian.  IV.  Teil:  Die 
römische  Literatur  von  Konstautin  bis  zum  Gesetzgebuugswerk 
Justinians.  Erste  Hälfte:  Die  Literatur  des  vierten  Jahrhunderts. 
Mit  alphabetischem  Register.  München  1904,  C.  H.  Becksche  Verlags- 
buchhandlung (Oskar  Heck).  (Handb.  d.  kl.  Alt.,  hrsgb.  von  Iwan  von 
Müller.     VIII.  Bd.,  4.  Abt.,  1.  Hälfte.)     8,50  J£,  geb.  10  Jli. 

Mit  dem  Erscheinen  dieses  Bandes  ist  das  Handbuch  der 
klassischen  Altertumswissenschaft  wieder  ein  tüchtiges  Stück  seinem 
Abschluß  nähergeführt  worden;  man  darf  hoffen,  daß  das  ganze 
Werk  im  Jahre  1905,  genau  20  Jahre  nach  dem  Erscheinen  des 
ersten  Halbbandes,  zum  Abschlüsse  gelangt. 

Was  das  vorliegende  Buch  betrifft,  so  ist  es  ein  Werk, 
welches  auf  jeder  Seite  verrät,  daß  es  mit  unendlichem  Fleiße, 
eindringendem  Scharfsinn  und  erstaunlicher  Gelehrsamkeit  zu- 
sammengetragen ist.  Man  kann  aufschlagen,  wo  man  will,  überall 
wird  man  finden,  daß  der  Verf.  auf  das  beste  unterrichtet  ist 
und  daß  ihm  selbst  kleine  Gelegenheitsschriften  nicht  entgangen 
sind.  Durch  seine  Behandlung  einer  im  allgemeinen  so  vernach- 
lässigten und  wenig  anziehenden  Periode  hat  er  sich  den  Dank 
aller  Literaturfreunde  erworben. 

46)  R.  Förster,  Moritz  von  Schwinds  Philostratische  Gemälde, 

im  Namen  des  Vereins  für  Geschichte  der  bildenden  Künste  zu  Breslau 
herausgegeben.     Leipzig  1903,  Breitkopf  8c  Hartel.     fol. 

Das  Buch  ist  der  „Schlesischen  Gesellschaft  für  vaterländische 
Kultur4'  zu  ihrer  Hundertjahrfeier  am  17.  Dez.  1903  dargebracht. 
Die  Schwindschen  Gemälde,  im  Jahre  1842  in  der  Akademie,  der 
jetzigen  Kunsthalle,  in  Karlsruhe  ausgeführt,  sind  fast  ganz  in 
Vergessenheit  geraten,  und  doch  verdienen  sie  alle  Aufmerksamkeit, 
nicht  bloß  als  Werke  von  Schwind,  sondern  auch  ganz  besonders 
wegen  der  Stoffe,  die  in  ihnen  behandelt  sind.  Offenbar  angeregt 
von  Goethe,  hat  Schwind  eine  Beihe  der  Philostratischen  Gemälde 


312  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

zu  bearbeiten  unternommen.  Je  mehr  die  Frage,  ob  Philostrat 
wirklich  vorhandene  Gemälde  zu  beschreiben  versucht  hat  oder 
nur  eine  rhetorische  Aufgabe  ausgeführt  hat,  Gemälde,  die  nie 
vorhanden  gewesen  sind  und  vorhanden  sein  können,  zu  erdichten, 
seit  einer  Reihe  von  Jahren  die  Archäologen  beschäftigt  hat,  um 
so  mehr  verdienen  die  Schwindschen  Gemälde,  in  denen  eine 
Reihe  der  von  Philostrat  aufgegebenen  Probleme  gelöst  sind,  die 
Aufmerksamkeit  aller  Fachgenossen.  Aber  nicht  bloß  Archäologen 
durften  sich  dafür  interessieren,  sondern  auch  weiteren  Kreisen 
wird  das  Buch  willkommen  sein.  „Ich  gestehe",  sagt  R.  Förster 
S.  4,  „daß  mich  das  Interesse,  welches  ich  an  der  Philostratfrage 
nehme,  auf  die  Beschäftigung  mit  dem  Karlsruher  Gemäldezyklus 
geführt  hat,  daß  ich  aber,  nachdem  ich  mit  ihm  bekannt  ge- 
worden, auch  so  tief  in  seinen  Zauberbann  geraten  bin,  daß  ich 
mit  einer  Reproduktion  desselben  nicht  nur  den  Fachgenossen, 
sondern  auch  den  Verehrern  der  Schwindschen  Muse,  ja  allen 
Freunden  künstlerischer  Grazie  einen  Schatz  zuzuführen  glaube4'. 

47)  C.  Conradt,  Amytis,  Drama  io  fünf  Aufzügen,  aufgeführt  von 
früheren  Mitgliedern  des  Gymnasial-Lesevereins.  Festspiel  zur 
50jährigen  Jobelfeier  des  Königlichen  Friedrich- Wilhelms-Gymaasiums 
zu  Greifenberg  i.  Pom.     72  S.     S. 

Das  läßt  man  sich  doch  gefallen!  Feiert  das  Gymnasium 
von  Greifenberg  seinen  Erinnerungstag,  dann  stellt  es  nicht  nur 
die  Schauspieler,  sondern  auch  den  Dichter  und  Komponisten 
selbst,  während  andre  Schulen  sich  damit  begnügen  müssen, 
höchstens  die  Schauspieler  zu  liefern,  in  bezug  auf  die  Dichtung 
aber  auswärts  Anleihen  machen,  bei  Sophokles  oder  wie  die 
Dichter  sonst  heißen  mögen.  Amytis,  nach  der  das  Stück  den 
Namen  hat,  ist  die  Tochter  der  Artane,  der  Schwester  des 
Pharnabazos;  die  Hauptperson  ist  aber  Alkibiades,  um  dessen 
Untergang  es  sich  handelt.  Daß  der  Tragödie  „Amytis"  eine 
«zroße  Zukunft  bescheert  ist,  glaube  ich  nicht,  aber  bei  der 
Schulfeier  wird  sie,  gut  aufgeführt,  wohl  ihre  Schuldigkeit 
getan  haben  und  für  alle  Teilnehmer  eine  bleibende  angenehme 
Rückerinnernng  bilden. 

Berlin.  R.  Engelmann. 


\ 


6. 

Tacitus 

(mit  Ausschluß  der  Germania). 

Ober  das  Jahr  1903/1904. 


I.    Ausgaben. 

1)  P.  Cornelius  Tacitus,  Agricola.  Herausgegeben  von  Oskar  Alten, 
bürg  (B.  G.  Teubuers  Schüleransgaben  griechischer  und  lateinischer 
Schriftsteller).  Zwei  Hefte:  Text  (mit  einer  Karte)  47  S.  8,  Er- 
klärungen 71  S.     8.     Leipzig  und  Berlin  1904. 

Die  Abweichungen  von  Halms  Text  beruhen  größtenteils  auf 
einer  verständigen  Auswahl  der  neuen  Lesarten  des  Toletanus; 
einige  wenige  sind  durch  besondere  Erwägungen  veranlaßt,  z.  B. 
die  Umstellung  von  Kap.  12,  7  caelum  bis  zu  Ende  nach  Kap.  10, 
die  Einschiebung  von  pari  vor  superstttionum  11, 11  nach  Heraeus, 
die  Streichung  von  fecundum  12, 16  nach  Scheffer.  Der  Text  ist 
korrekt  gedruckt;  nur  fehlen  15,  7  die  Worte  praepositorum,  aeque 
concordiam.  Überschriften  trennen  die  Abschnitte  der  Biographie, 
Inhaltsangaben  begleiten  den  Text  am  Rande,  Leitworte  sind  ge- 
sperrt gedruckt.  Dem  Texte  folgt  ein  mit  orientierenden  Angaben 
ausgestattetes  Verzeichnis  der  geographischen  und  geschichtlichen 
Namen,  welches  außer  den  im  Agr.  genannten  Namen  Ergänzungen 
aus  Tacitus'  großen  Werken,  Cäsar  und  Sueton  enthält.  Die  An- 
gaben, die  man  hier  findet,  sind  nicht  alle  richtig.  So  heißt  es 
von  London  'Londinium,  Kolonie  nahe  der  Mündung  der  Tarn esis, 
cognomento  non  insigne,  sed  copia  negottatorum  et  commeatuum 
maxime  celebre. . .  Ann.  XIV  33';  zugleich  irrtumlich  und  im  Zitat 
lückenhaft.  S.  46  wird  am  Schlüsse  des  Artikels  'Vespasianus' 
sogar  behauptet,  daß  dieser  Kaiser  nach  Agr.  9  dem  Agricola  die 
Würde  des  Pontifex  Maximus  übertragen  habe. 

Die  'Erklärungen'  beginnen  mit  einer  Einleitung  in  drei  Ab- 
schnitten, in  denen  über  die  Entstehung  und  das  schriftstellerische 
Gepräge  von  Tacitus'  Agricola,  über  die  Tugenden  Agricolas  und 
über  'Britannien  und  Rom'  gehandelt  wird.  Die  Erwartung,  daß 
der  Herausgeber  in  dem  ersten  Abschnitt  zu  der  alten  Streitfrage 
über  den  literarischen  Charakter  der  Schrift  Stellung  nehmen 
werde,   bleibt  unerfüllt;    er  beschränkt  sich  hier  vielmehr  darauf, 

Jahrobtrieht«  XXX.  21 


314  Jahresberichte  d.  Philoleg.  Vereins. 

den  Gedanken  auszuführen,  daß  die  Schrift  ein  Produkt  der  mit 
der  pietas  des  Herzens  vereinigten  eloquentia  des  wahren  Redners 
sei.  Was  die 'Erklärungen'  betrifft,  so  ist  anzuerkennen,  daß  sie 
viel  brauchbares  Material  namentlich  für  die  Begriffsdeutung  und 
die  Klarlegung  der  Gedankenfolge,  auch  gute  Winke  für  die  Über- 
setzung enthalten;  aber  die  von  Anfang  bis  zu  Ende  durchgeführte 
abgerissene  (ich  möchte  sagen:  atemlose)  Form,  in  der  sie  an- 
einander gereiht  sind,  wirkt  ermüdend.  Als  Beispiel  mag  der 
Kommentar  zu  dem  letzten  Satze  von  Kap.  1  dienen:  '  At  nunc  — 
tempora;  Gegensatz  zu  dem  vorherigen  Gedanken,  vitam  defuncti 
hominis,  beschwichtigend:  der  Mann  lebt  nicht  mehr,  man  kann 
ihn  jetzt  ohne  Schaden  würdigen,  aber  mihi  venia  opus  est  (denke 
an  Hör.  Od.  II  1,1  f.,  es  werden  alte  Wunden  aufgerissen!),  m- 
cusaturus,  die  Biographie  wird  unvermeidlich  eine  Anklage  wider 
die  tempora  saeva  et  infensa  virtutibus  (saevus  den  Vernichtungs- 
trieb bezeichnend,  crudelis  die  Art  der  Vernichtung;  infestus,  s.  zu 
Germ.  24,  nicht  bloß  feindlich  gesinnt,  sondern  =  feindselig  vor- 
gehend gegen;  virtutibus  wie  oben  konkret  zu  fassen  =  Helden) 
Zeiten,  wo  Helden,  tüchtige  Männer  vernichtet  und  feindlich  be- 
kämpft wurden7.  Die  Frage,  ob  alles  hier  Gegebene  richtig  sei, 
lasse  ich  dabei  unberührt,  will  aber  nicht  verschweigen,  daß  ich 
in  den  Erklärungen  hier  und  da  bedenkliche  Dinge  gefunden 
habe.  Zu  in  nostram  usque  ripam  28, 15  ergänzt  A.  Oceani  statt 
Rheni.  9,  6  ist  obtusior  nicht  'entgegengestoßen,  d.  i.  kurz  an- 
gebunden, rasch  entschieden1,  sondern  'stumpfer,  für  schärfere 
Unterscheidungen  minder  geeignet'.  Felicibus  15, 18  kann  nicht 
heißen  'wenn  ihr  erst  Erfolge  habt,  werdet  ihr  erst  recht  wacker 
kämpfen1,  sondern  geht  auf  die  Feinde,  die  augenblicklich  im 
Vorteil  sind.  Einzelne  Schwierigkeiten  läßt  der  Kommentar  un- 
berührt, z.  B.  den  merkwürdigen  Gebrauch  des  part.  perf.  ictus 
29,  1;  16,  9  wird  propius  erklärt,  während  im  Texte  proprius  steht. 
Die  Ausgabe  wird  gelobt  Gymnasium  1904  S.  254. 

2)  Coroelii  Taciti  Historiarum  libri  qui  supersunt.  Für  den 
Schulgebrauch  erklärt  vou  K.  Knaut.  II.  ßändchen.  Buch  II.  Gotha 
1902,  F.  A.Perthes.     97  S.     8. 

Eine  kurze  Einleitung  orientiert  über  die  Lage  der  Dinge  zu 
Beginn  des  Krieges  zwischen  Otho  und  Vitellius;  danach  sind  die 
dem  ersten  Bändchen  vorausgeschickten  'Sprachlichen  Bemerkungen' 
unverändert  wiederabgedruckt:  selbst  das  Zitat  senescens  exercitus 
H.  II  24  (s.  JB.  XXIX  S.  206)  ist  unberichtigt  geblieben.  —  Für 
die  Textgestaltung  sind  die  in  neuerer  Zeit  gewonnenen  und  be- 
kannt gegebenen  Ergebnisse  wiederum  nur  zum  Teil  verwertet. 
II  4,5  ist  sacerdotis,  10,5  delationes,  38,18  venio  überliefert: 
diese  untadelhaften  Lesarten  hätte  Kn.  an  die  Stelle  der  Ände- 
rungen des  Halmschen  Textes  (sacerdoti,  delationem,  redeo)  setzen 
sollen.     Auch    uxoremque   II  20,  5    hat    gar   keine  Gewähr:    wir 


\ 


Tacitus,  von  G.  Andresen.  315 

haben  nur  zwischen  uxorem  autetn  und  uxorem  quoque  die  Wahl. 
68,  20  ist  omni»,  100,  4  duoetvicesima  nach  dem  Mediceus  zu 
schreiben;  auch  regetur  87,  8  und  quietis  86, 17  lassen  sich  halten. 
Andrerseits  muß  32,  2,  wie  ich  ebenfalls  nachgewiesen  zu  haben 
glaube,  qua  in  quia  und  8t,  Zinservientium  mit  JN'oväk  in  servi- 
entiutn  geändert  werden,  während  die  probabelste  Gestaltung  von 
65,11:  exemplo  L.  Arruntii.  Sed  Arruntium  Tiberius  etc.  von 
Haase  herrührt.  So  viel  des  bereit  Liegenden  hat  Kn.  nicht  ge- 
würdigt. 

Die  Hauptquellen  des  Kommentars  sind  wiederum  Heraeus 
und  Wolff,  der  letztere  in  noch  höherem  Grade  als  der  erstere. 
Auf  Einzelfragen  der  Erklärung  gehe  ich  diesmal  nicht  ein  und 
bemerke  nur,  daß  der  schematisch-scholaslische  Charakter  der 
sprachlichen  Erklärung  in  diesem  Bändchen  weniger  hervortritt 
als  in  dem  ersten. 

3)  Coroelii  Taciti  Historiaruni  libri  qai  supersunt.  Schulausgabe 
voo  Carl  Heraeus.  Erster  Band.  Bucb  I  und  II.  Fünfte,  zum 
Teil  umgearbeitete  Auflage,  besorgt  voo  Wilhelm  Heraeus.  Leipzig 
uod  Berlin  1904,  B.  G.  Teubner.     VIII  u.  242  S.     S. 

Das  Werk  seines  Vaters  fortsetzend,  hat  W.  Heraeus  dem 
zweiten  Bande  der  rühmlichst  bekannten  Historienausgabe  (vgl. 
JB.  XXVI  S.  220)  jetzt  auch  den  ersten  in  neuer  Gestalt  folgen 
lassen.  Der  in  den  bisherigen  Auflagen  etwas  schwankenden  Text- 
gestaltung  ist  jetzt  in  der  handschriftlichen  Überlieferung,  welche 
in  der  neuen  Autlage  fast  nirgends  ohne  zwingenden  Grund  auf- 
gegeben ist,  eine  zuverlässige  Grundlage  gegeben.  Viele  unnötige 
oder  gar  schlechte  Konjekturen  sind  ausgemerzt,  z.  B.  1  9,  13 
virtutibus  st.  viribus,  51,  3  expeditionum  et  aciei  praemia  st.  ex- 
peditionem  et  aciem,  praemia,  63,  3  terruit.  raptis . . .  rabie  (iere)y 
causis  st.  terruit,  raptis  . . .  rabie,  causis,  II  11, 16  robora  st.  corpora, 
82, 12  melior  st.  meliore,  86, 10  rapti  st.  raptor.  Von  dem,  was 
meine  Neuvergleichung  der  Mediceischen  Handschriften  an  sicheren 
Ergebnissen  geboten  hat,  hat  der  Herausgeber  nichts  übersehen 1) 
und  darüber  hinaus  de  suo  einige  schätzenswerte  Beiträge  zur 
Textgestaltung  geliefert,  namentlich  iu  der  Schreibung  der  Eigen- 
namen. So  schreibt  er,  auf  inschriftliche  Zeugnisse  gestützt, 
I  31,  5  Amullio  st.  Ämulio  nach  der  Handschrift,  37,  14  Betui 
Cilonis  st.  Chilonis,  60,  2  Roscius  Coelius  st.  Caelius,  II  15, 10 
Albingaunum  st.  Albigaunum,  16, 7  Claudium  Pyrrichum  (=IIvqqixop) 
st.  Pyrrhicum,  23,  10  Martio  (st.  Marcio)  Macro.  Ob  Dessau  mit 
Saevinio  Proculo  I  77, 15  den  richtigen  Namen  hergestellt  hat, 
scheint  mir  nicht  ganz  sicher;  an  Ofonius  Tigellinus  72,  2  ist  kein 


M  Doch  hat  er  sieb,  wie  Koaut,  nicht  entschließen  können,  II  4,  5  mit 
dem  Med.  sacerdotis  zu  schreiben;  er  hat  ferner  die  Konjekturen  redeo 
II  38, 16,  quaestus  86, 15  und  regeretur  87,  7  festgehalten  uod  meine  Änderung 
von  qua  in  quia  II  32, 1  zwar  erwähnt,  im  Texte  aber  qua  stehen  lassen. 

21* 


316  Jahresberichte  d.  Philolpg.  Vereins. 

Zweifel;  Aegiali  37,  21  (Med.  egialii)  läßt  sich  ertragen.  11  4,18 
finden  wir  als  neuen  Heilungsversuch  inexperti  belli  casus  unter 
Verzicht  auf  Anlehnung  an  das  nach  belli  überlieferte  labor,  welches 
in  der  Tat  aus  dem  Vorhergehenden  irrtümlich  wiederholt  zu  sein 
scheint.  Neu  ist  auch  clamor  vel  gemitus  II  46, 13,  wo  allerdings 
vel  dem  vorausgehenden  ut  flexerat  voltutn  aut  induraverat  Otho 
besser  entspricht  als  das  überlieferte  et.  II  21,  6  ist  H.  zu; 
Puteolanus'  Schreibung  dum  regerunt  zurückgekehrt,  mit  Recht, 
81,  3  hat  er  mit  Noväk  inservientium  in  servientium  geändert 
ebenfalls  mit  Recht. 

Mit  derselben  Umsicht,  Sorgfall  und  Gelehrsamkeit,  wie  der 
Text,  ist  auch  der  Kommentar  umgestaltet  worden.  Die  sachliche 
wie  die  sprachliche  Erklärung  bietet  viel  Neues.  Jene  ist  ver- 
mehrt um  Bemerkungen,  die  auf  der  Vergleichung  der  Berichte 
Suetons  und  Plutarchs  oder  auf  epigraphischen  und  topographi- 
schen Ergebnissen  neueren  Datums  beruhen,  diese  ist  durch  die 
ausgedehnte  Belesenheit  des  Herausgebers  vielfach  bereichert  worden» 
So  finden  wir  jetzt  bezeichnende  Parallelstellen  zu  den  Ausdrücken 
ne  territus  fueris  I  16, 15,  non  ultra  verba  ac  voces  errasse  I  18, 9, 
zu  dem  Gebrauch  von  opus  I  2, 1,  von  et  in  den  Worten  et  caeles- 
tes  minae  I  18,  2,  zu  den  Verbindungen  prope  a  1  10,  5  und 
suspectus  in  1  13,  15,  zur  Auslassung  von  gern  I  15,  4;  wir  er- 
halten lexikalische  Nachweise  über  das  Vorkommen  von  turbamenta 
1  23,7,  intus  in  dem  Sinne  von  intro  1  35,  3,  sustinere  =  'über 
sich  gewinnen9  I  37,2,  diffugia  I  39,11.  Andere  Zusätze  be- 
rühren die  Textkritik;  so  wird  das  vielfach  verdachtigte  tribunorum 
I  31,  11  und  elanguescet  (gegenüber  relanguescet)  1  33,  9  vortreff- 
lich gerechtfertigt.  Höchst  selten  sind  Zusätze,  die  ein  Schwanken 
in  der  Auffassung  verraten,  z.  B.  I  15,  24  die  Bemerkung  zu 
ceteri  libentius  cum  fortuna  nostra  quam  nobiscum:  'sc.  loquuntur 
oder  erunt?'  Sicherlich  loquuntur  oder  vielmehr  loquentur;  denn 
diese  Ergänzung  wird  durch  suadere  und  adsentatio  nabegelegt. 
Häufiger  ist  ein  Hinweis  auf  abweichende  Auffassungen  eingefügt, 
z.  B.  I  4,  7,  wo  die  Ergänzung  von  apud  zu  omnes  legiones  duces- 
que  mit  Beispielen  belegt  und  hinzugefügt  wird,  daß  andere  diese 
Akkusative  von  coneiverat  abhängen  lassen,  und  I  31,4,  wo  der 
Vorschlag,  den  Satz  missus . . .  tendentes  umzustellen,  in  empfehlen- 
der Weise  erwähnt  wird.  Einzelne  Noten  sind  aus  Wolffs  Kom- 
mentar mit  Nennung  seines  Namens  herübergenommen,  z.  B. 
I  5,  3.  22, 10.  30,  7.  Hier  und  da  ist  eine  gut  gewählte  Über- 
setzung eingefügt,  z.B.  I  16,1  corpus  'Organismus',  36,11  et 
omnia  serviliter  pro  dominatione:  'kurz,  ganz  Diener,  um  Herr  zu 
sein1;  oder  der  Ausdruck  verbessert,  z.  ß.  I  22, 14  'mahnende 
Stimme'  st.  'Mahnstimme'. 

So  ist  der  Kommentar  bedeutend  reichhaltiger  geworden* 
jedoch  ohne  Vergrößerung  des  äußeren  Umfangs.  Denn  viele 
Parallelstellen  sind,  wo  sie  entbehrlich  schienen  oder  im  Lex.  Tac. 


'\ 


Tacitus,  von  G.  Andresen.  317 

leicht  zu  finden  sind,  gestrichen  worden  (während  sie  in  einzelnen 
Fällen  durch  schlagendere  ersetzt  worden  sind);  auch  durch  das 
Nichtausschreiben  der  verglichenen  Stellen  ist  Raum  gewonnen 
worden.  Von  Grammatiken  wird  nur  noch  Madvig  zitiert;  häufig 
wird  auf  Mommsen  R.  G.  V,  Pauly-Wissowa  und  besonders  oft 
auf  die  Prosopogr.  Imp.  R.  verwiesen,  in  der  der  Leser  des  Tac. 
die  Nachrichten  über  alle  von  diesem  erwähnten  bedeutenderen 
Persönlichkeiten  zusammengestellt  findet. 

Änderungen  der  Erklärung  sind  häufig  und  stets  beifallswert. 
Pluribus  I  1,  6  wird  nicht  mehr  mit  compluribus,  audens  I  3,  3 
Dicht  mehr  mit  audax  identifiziert,  pacis  artes  I  8f  3  in  erweitertem 
Sinne  gefaßt,  in  secretum  Asiae  I  10,  4  richtig  'nach  dem  fernen 
Asien'  statt  'nach  einer  abgeschiedenen  Gegend  Asiens '  übersetzt, 
die  Deutung  von  merito  \perire  I  21,14  schärfer  formuliert,  der 
Ausdruck  postero  Iduum  die  1  26,  4  auf  den  Tag  nach  den  Iden, 
nicht  auf  die  Iden  bezogen1),  nobüitas  I  30, 1  im  eigentlichen 
Sinne  gefaßt  und  zu  sed  tradito  more  I  32,  5  nicht  mehr  postula- 
bant,  sondern  'es  geschah'  ergänzt.  Hierzu  wäre  zu  vergleichen 
Ann.  I  3  sed  quo  pluribus  munimentis  insisteret,  wie  für  animum 
sumere  'Mut  schöpfen',  'einen  mutigen  Entschluß  fassen'  (Heraeus 
zu  I  27, 15)  außer  Liv.  VI  23,  3  wohl  auch  Tac.  Agr.  31  tandem 
sutnite  animum  anzuführen  wäre.  Daß  mcertum  quem  I  29,  2  in 
verächtlichem  Sinne  stehe,  vermag  ich  nicht  zuzugeben.  Die  An- 
merkung zu  unius  familiae  I  16,  5,  in  welcher  es  heißt,  daß 
Drusus,  der  Rruder  des  Tiberius,  in  die  Julische  Familie  adoptiert 
worden  sei,  und  der  Sohn  der  jüngeren  Agrippina  Nero  Domitius 
genannt  wird,  bedarf  der  Revision.  In  der  Anmerkung  zu  I  8,  11 
heißt  es:  'aber  häufiger  bezeichnen  die  älteren  Schriftsteller  durch 
dubito  an. . .  eine  wirkliche  Ungewißheit'.  Offenbar  ist  gemeint 
4  die  späteren  Schriftsteller1.  —  In  der  Quellenfrage  stellt  sich  der 
Herausgeber  nicht  auf  die  Seite  derer,  weiche  meinen,  Plutarch 
habe  den  Text  des  Tacitus  vor  sich  gehabt.  Wenigstens  hat  er 
die  Anmerkung  zu  I  41,  9,  wo  es  heißt,  Plutarch  schöpfe  aus 
derselben  Quelle  wie  Tacitus,  unverändert  übernommen. 

Die  Neubearbeitung  eines  fremden  Werkes  ist  eine  schwierige 
Aufgabe;  die  Art,  wie  W.  Heraeus  diese  Aufgabe  gelöst  hat,  sein 
gesundes  Urteil,  seine  Akribie,  sein  umfassendes  Wissen,  auch 
der  absolut  korrekte  Druck  gereichen  ihm  zu-  hohem  Ruhme. 

4)  The  Aooals  of  Tacitus  books  I — VI.  An  Eoglish  translatioo  with 
introduction,  notes  and  maps  by  George  Gilbert  Ramsay.  London 
1904,  John  Murray.     LXXX  u.  439  S.     8.     15  sh. 

In  der  Einleitung  erörtert  R.  diejenigen  Gesichtspunkte,  unter 
denen  die  Annalen  des  Tacitus  in  den  ersten  drei  Jahrhunderten 


*)  Die  Einschiebuog  von  Ian.  =  Ianuariarum,  an  welcher  H.  festhält, 
ist  zwar,  wie  ieh  selbst  eiomal  ausgeführt  habe,  dem  Sprachgebrauch  des 
Tacitus   angemessen,   aber  doch  nicht  notwendig;    und  die  Behauptung,   daß 


318  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

nach  ihrer  Entdeckung  eifrig  studiert  und  in  alle  zivilisierten 
Sprachen  übersetzt  wurden.  Er  würdigt  sodann  die  Leistungen 
seiner  Vorgänger,  namentlich  die  italienischen  und  die  französi- 
schen Obersetzungen,  hebt  die  vielfachen  Berührungen  hervor, 
welche  den  Gesichtskreis  des  Tacitus  mit  modernen  Ideen  auf 
politischem,  militärischem,  sozialem  und  ökonomischem  Gebiete 
verknüpfen,  und  andrerseits  die  Schwierigkeiten,  welche  durch  die 
lateinische  Ausdrucksweise  und  insbesondere  durch  die  Eigen- 
tümlichkeiten der  taciteischen  Diktion  (die  er  mit  gründlichem 
Verständnis  erfaßt  hat),  jedem  Übersetzer,  im  höchsten  Maße  aber 
dem  bereitet  werden,  der  eine  Übertragung  ins  Englische  versucht. 
Das  Französische  und  namentlich  das  Italienische  (wie  Davanzati 
zeige)  könne  dem  Original  näher  kommen  als  das  Englische,  be- 
sonders in  den  Sentenzen.  Wie  unbeholfen  in  der  Tat  wenigstens 
dem  deutschen  Leser  bisweilen  die  englische  Ausdrucksweise  er- 
scheinen muß,  zeigt  z.  B.  folgender  Satz  aus  I  9:  'Justice  had 
been  dispensed  at  home;  consideration  had  been  shewn  to  the 
allies;  the  city  itself  had  been  sumptuously  adorned ;  and,  if  some 
few  acts  of  violence  had  been  committed,  it  had  been  in  order 
to  secure  the  general  tranquillity',  wo  im  Deutschen  wenigstens 
an  zweiter  und  an  dritter  Stelle  die  Wiederholung  vermieden 
worden  wäre.  Ein  anderer  dem  Leser  dieser  Übersetzung  auf- 
fallender Mangel  der  englischen  Sprache  ist  das  Fehlen  der  Formen 
zur  Bezeichnung  der  indirekten  Rede,  die  man,  wenn  nicht  durch 
die  einleitenden  Worte  (und  durch  den  kursiven  Druck)  auf  sie 
hingewiesen  würde,  als  solche  gar  nicht  erkennen  könnte. 

Über  den  Wert  der  Ramsayschen  Übersetzung  steht  mir  ein 
kompetentes  Urteil  natürlich  nicht  zu,  doch  habe  ich  den  Ein- 
druck, als  sei  sie  im  ganzen  wohl  überlegt  und  mit  Erfolg  darauf 
angelegt,  den  Gedankeninhalt  des  Originals  zu  erschöpfen.  Be- 
sonders leicht  und  glücklich  scheint  dem  Verf.  die  Arbeit  in  solchen 
Partien  vonstatten  gegangen  zu  sein,  in  denen  die  Ausdrucks- 
weise des  Originals  minder  gedrängt  ist,  namentlich  in  den  direkten 
Reden.  Ein  Beispiel  ist  die  vortreffliche  Übersetzung  der  Rede 
des  Germanicus  I  42.  43.  Aber  auch  in  der  Erzählung  sind  viele 
Sätze  ausgezeichnet  wiedergegeben,  z.  B.  I  13:  4For  when  Augustus, 
in  bis  last  days,  was  discussing  what  men  were.  fit  to  fill  the 
highest  place,  but  would  decline  it;  or  being  unequal  to  the 
Position,  might  aspire  to  it;  or  possessed  alike  the  ambition  and 
the  ability:  he  had  described  Manius  Lepidus  as  capable  but  in- 
different, Gallus  Asinius,  as  having  the  ambition,  but  not  the 
capacity:  but  Lucius  Arruntius  was  not  unworthy,  and  if  the 
chance  were  oflered  him,  he  would  embrace  it'. 

Im    einzelnen    ist   freilich    manches    ungenau  oder  unrichtig 


sich  nur  durch  die  An  nähme  des  Ausfalles  von  Ianuariarum  die  Entstellung 
von  die  in  dierum  erklären  lasse,  geht,  scheint  mir,  zu  weit. 


Tacitas,  von  G.  Androgen.  319 

übersetzt;  so  I  9  mari  Oceano  aut  amnibus  longinquis  saeptutn  Im- 
perium: the  frontiers  had  been  pushed  forward  to  the  Oceaa 
or  to  distant  rivers;  17  promptis  tarn  et  aliis  seditionis  ministris: 
having  secured  a  following  ready  to  join  in  an  outbreak;  22  quid 
pararet  intentos:  who  hung  eagerly  on  bis  ups;  26  filios  familiarum: 
sons  of  the  Imperial  house;  28  denique  pro  Neronibus  et  Drusis 
Imperium  populi  Romani  capessent:  are  tbey  to  take  the  places  of 
Nero  or  of  Drusus  as  rulers  of  the  Roman  people;  32  numerum 
centurionum:  the  number  of  the  centuries;  37  nihil  cunctatas 
sacramento  adigit:  quartadecimani  paullum  dubitaverant.  Pecunia  . . . 
oblata  est:  the  oath  of  allegiance  was  taken  without  hesitation  by 
the  2nd,  13 th,  and  16th  legions.  The  14th  hesitated  for  a 
moment;  so  the  money  etc.,  wo  die  falsche  Interpunktion  und 
das  unrichtige  Tempus  in  hesitated  das  folgende  so  unverständlich 
machen.  Unrichtig  ist  die  Ergänzung  1  3  and  yet  so  anxious 
was  Augustus  to  strengthen  his  position  that  he  appointed  Ger- 
manicus  etc.  =  At  hercule  Germanicum  etc.,  und  die  Obersetzung 
4  differebant:  pulled  to  pieces,  22  plures . . .  duces  (ein  echter 
Komparativ):  several  leaders;  24  ceteris  periculorum  pracmiorum- 
que  ostentator:  was  to . . .  hold  out  expectations  of  reward  or 
punishment  to  the  army;  27  militiae  flagitia:  the  monstrous 
demands  of  the  soldiers;  38  bono  . . .  exemplo:  salutary  as  this 
example  was  (denn  daß  die  Maßregel  des  Ennius  in  dem  gegen- 
wärtigen Falle  heilsam  war,  ist  schon  durch  repressi  sunt  be- 
zeichnet); 39  regressum  iam  apud  aram  Ubiorum  Germanicum 
adeunt:  reached  Germanicus  on  his  return  to  the  altar  of  the 
Ubii;  41  induebatur:  he  used  to  wear  boots  etc.,  als  ob  4to  please 
the  men'  (=  ad  concilianda  vulgi  studio)  die  Absicht  des  Knaben 
selber  gewesen  wäre;  61  semiruto  vallo:  the  half-completed  rampart; 
62  auguratu  et  vetustissimis  caerimoniis  praeditum:  who  held  the 
Augurship  and  other  ancient  priesthoods. 

Der  Text,  den  R.  übersetzt,  ist,  abgesehen  von  einzelnen 
Abweichungen,  der  von  Furneaux,  und  zwar,  wie  es  scheint,  der 
ersten  Auflage  vom  Jahre  1884.  So  sind  ihm  die  nach  1884 
gewonnenen  Besserungen  unbekannt  geblieben;  er  liest  z.  ß.  1  10 
noch  Mos  statt  Iullos  (und  II  16  finde  ich  gar  'a  level  piain... 
called  Idiavisus);  doch  übersetzt  er  I  49  chance  ruled  all,  als  ob 
er  cuncta  und  nicht  cetera  vor  sich  gehabt  hätte. 

Die  Anmerkungen,  welche  den  Text  begleiten,  geben  historische 
und  staatsrechtliche  Erläuterungen;  hier  und  da  dienen  sie  der 
Kritik  taciteischer  Urteile,  selten  erörtern  sie  ein  textkritisches 
Problem.  Oft  werden  moderne  Verhältnisse  zum  Vergleich  heran- 
gezogen; hier  gibt  R.  manches  Eigene  und  Selbsterkundete.  Vier 
Karten  und  ein  Namenindex  beschließen  das  Werk.  —  Versehen: 
im  Text  I  10  augurs  (pontifices),  in  den  Anmerkungen  S.  20,  4 
Quinta  statt  Quarta  (denn  die  Legionen,  die  der  junge  Cäsar  ver- 
führte,  waren   die  vierte  und  die  des  Mars);    S.  118,1  from  the 


320  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Elbe  to  the  Weser  statt  from  the  Weser  to  the  Elbe.  Druck- 
fehler: S.  16  Anm.  1  quingentos  st.  quingenos,  S.  46  Anm.  1 
Marquhardt  st.  Marquardt. 

Bei  uns  in  Deutschland  wurde  ein  Werk  wie  dieses  schwer- 
lich Erfolg  haben;  Ramsays  Übersetzung  wird  —  und  sie  verdient 
es  —  in  England,  wo  die  Verhältnisse  anders  liegen,  ihr  Publikum 
finden  und  die  Kenntnis  des  Tacitus  über  die  gebildeten  Kreise 
ausbreiten  helfen. 


5)  Tacitus'  Annaleo  und  Historien  in  Auswahl.  Für  den  Schul- 
gebrauch herausgegeben  von  Andreas  Weidner.  Dritte  Auflage. 
Mit  einem  Anhang:  Drei  Briefe  des  jüngeren  Plinius  und  des  Trajan 
und  Monumentum  Ancyranum,  bearbeitet  von  Rudolf  Lange.  Mit 
4  Karten  und  24  Abbildungen.  Leipzig  1905,  6.  Frey  tag.  XIV  u. 
230  S.    8.     1,80  JC. 

Die  neue  Auflage  bringt  eine  ebenso  grundliche  wie  gluckliche 
Umgestaltung.  Die  Auswahl  ist  insofern  geändert,  als  nicht  bloß 
der  Agricola  und  diejenigen  Teile  der  Annalen,  welche  die  Kämpfe 
der  Römer  mit  den  Britanniern  schildern,  weggefallen  sind  — 
beides  war  schon  in  der  1902  erschienenen  zweiten  Auflage  ge- 
tilgt worden  — ,  sondern  auch  die  Germania  ausgelassen  ist  und 
einige  kleinere  Stücke  aus  der  ersten  Hälfte  der  Annalen  hinzu- 
gefugt sind.  —  Von  größerer  Bedeutung  ist  die  Aufhebung  der 
sonderbaren  Anordnung,  die  Weidner  gewählt  hatte:  die  Stacke 
folgen  einander  jetzt  in  der  Ordnung,  in  welcher  sie  bei  Tacitus 
stehen.  Die  wichtigste  Neuerung  aber  ist  die  Säuberung  des 
Textes,  den  Weidner  durch  seine  zahlreichen  Erfindungen  (s.  JB. 
XXI  S.  196  ff.,  XXII  S.  145  ff.)  verunstaltet  hatte.  Auch  die 
neuesten  Ergebnisse  des  Ref.  hat  Lange  gewissenhaft  verwertet 
und  unter  ihnen  z.  B.  auch  meine  Konjektur  zu  XV[  22,  25  st 
Imperium  everterint  aufgenommen.  Zu  monieren  bliebe  höchstens 
die  von  Weidner  übernommene  Streichung  des  zweiten  $ui  H.  V 
16, 12  und  die  (früher  allerdings  allgemein  gebilligte)  Änderung 
der  Worte  et  populi  Romani  virtutem  armis  adfirmavi  H.  IV  73,  2 
in  et  populus  Romanus  v.  a.  adfirmavit. 

Was  ich  seinerzeit  an  der  Einleitung  getadelt  habe,  ist  ge- 
tilgt; das  Verzeichnis  der  -wichtigeren  Abweichungen1  vom  Texte 
der  vierten  Auflage  Halms  ist  weggelassen;  der  Anhang  ist  um 
den  Brief  des  Plinius  über  den  Ausbruch  des  Vesuvs  und  um  das 
gewiß  manchem  willkommene  Monumentum  Ancyranum  (nach 
Mommsens  Ausgabe  1883)  bereichert;  das  Verzeichnis  der  Eigen- 
namen ist  vielfach  vervollständigt  und  umgestaltet  worden.  Hierzu 
nur  eine  Bemerkung:  die  jüngere  Agrippina  heißt  S.  185  die 
Mutter  des  4L.  Domitius  Nero1. 


* 


Tacitus,  von  G.  Andresen.  321 

6)  Cornelii  Taciti  Annalium  libri  XIII— XVI  with  Introduction  and 

Dotes  abridged  from  the  larger  work  of  Henry  Faroeaux  by  H.  Pitman  , 
M.  A.,  Jecturer  in  classics  at  university  College,  Bristol.  Oxford  1904, 
at  the  Clarendon  press. 

Wie  der  Titel  sagt,  ist  die  einzige  Quelle  dieser  Ausgabe  der 
zweite  Band  der  großen  Annalenausgabe  von  Furneaux  (erschienen 
1891,  vgl.  JB.  XVIII  S.  240).  Die  seit  1891  gewonnenen  neuen 
Ergebnisse,  welche  in  erster  Reihe  die  Textgestaltung  berühren, 
sind  unverwertet  geblieben.  Hervorgegangen  ist  die  Ausgabe  aus 
der  Erwägung,  daß  Tacitus*  Geschichte  der  Regierung  Neros  ein 
passender  Gegenstand  für  die  Schullektüre  und  daß  die  Herstellung 
eines  'less  copious  and  advanced  commentary  than  Mr.  Furneaux' 
large  edition  of  the  Annais'  ein  Bedürfnis  sei.  De  suo  hat  der 
Herausgeber  in  den  Kommentar,  welcher  146  Seiten  umfaßt,  nur 
einige  den  minder  hohen  Zielen  der  Ausgabe  entsprechende  Er- 
klärungen und  Übersetzungen  eingeschoben. 

7)  Cornelii  Taciti  ab  excessu  Divi  Augusti  liberXV.    Rezensione 

e  note  di  Salvatore  Rossi.  Torino  1904,  G.  B.  Paravia.  XXI  u. 
80  S.     1,40  L. 

Nach  der  Anzeige  von  Vincenzo  Ussani,  Boll.  di  fil.  class.  X 
S.  246  hat  Rossi  in  der  Textgestaltung  die  mit  Hilfe  der  Sijthoff- 
schen  Reproduktion  neugewonnenen  Resultate  unberücksichtigt 
gelassen;  auch  der  Kommentar  sei  nicht  besser  vorbereitet,  und 
die  Einleitung  enthalte  manches  Falsche  und  Unzureichende. 
Milder  urteilt  Concetto  Marchesi,  Atene  e  Roma  VII  S.  183:  die 
Ausgabe  entspreche  im  allgemeinen  den  Bedürfnissen  der  Schule. 

3)  P.  Cornelius  Tacitus'  Annalen  in  Auswahl  und  der  Bataver- 
aufstand unter  Civilis,  herausgegeben  von  Carl  Stegmano. 
Hilfsheft.  Mit  einem  Titelbild,  sowie  22  Abbildungen  im  Text  und 
auf  3  Tafeln.  Leipzig  und  Berlin  1903  (B.  G.  Teubners  Schüler - 
ausgaben  griechischer  und  lateinischer  Schriftsteller).    IV  u.  190  S.    8. 

Dieses  sehr  reichhaltige  und  zuverlässige  Hilfsheft  behandelt 
in  gewandter  Darstellung  in  sieben  Kapiteln,  denen  die  taciteischen 
Belegstellen  eingefugt  sind:  das  Leben,  die  Werke,  die  Welt- 
anschauung und  die  Geschichtschreibung  des  Tacitus,  die  Geschichte 
des  julisch-klaudischen  Kaisergeschlechts,  die  Verfassung  der  ersten 
Kaiserzeit,  die  innere  und  die  äußere  Politik  der  julisch-klaudi- 
schen Kaiser,  das  Heerwesen  der  Kaiserzeit  und  die  Bauten  des 
kaiserlichen  Rom. 

Das  Hilfsheft  bildet  den  dritten  Band  der  Stegmannschen 
Auswahl.  Ober  den  ersten  Band  (Text)  vgl.  JB.  XXIV  S.  284, 
über  den  zweiten  (Kommentar)  XXV  S.  281.  Die  Sichtung,  Be- 
grenzung und  Zusammenstellung  des  gewaltigen  Stoffes,  sowie  die 
Verteilung  der  taciteischen  Zeugnisse  über  die  einzelnen  Kapitel 
verdienen  volle  Anerkennung.  Führer  und  Hilfsmittel  waren  für 
Stegmann  bei  der  Herstellung  des  Werkes  außer  der  Nipperdey- 


322  Jahresberichte  d.  Phüolog.  Vereins. 

sehen  Ausgabe  und  diesen  Jahresberichten  die  bekannten  Werke 
von  Mommsen,  Schiller,  Gardthausen,  Friedländer,  0.  Richter, 
Asbach,  Knoke. 

In  dem  Bestreben,  über  die  mannigfaltigen  Gebiete,  die  er 
zu  berühren  hatte,  grundliche  Auskunft  zu  geben,  ist  Stegmann, 
wie  mir  scheint,  durchweg  ein  wenig  mehr  ins  Detail  gegangen, 
als  es  mit  Rucksicht  auf  die  Bestimmung  des  Buches  ratsam  ge- 
weseij  wäre.  Am  ehesten  hätte  wohl  das  zweite  Kapitel,  nament- 
lich die  Geschichte  und  Charakteristik  des  Tiberius,  für  welche 
Viertel,  Tiberius  und  Germanicus  (s.  JB.  XXVII  S.  313)  eine  Haupt- 
grundlage bildet,  eine  Kürzung  vertragen.  Das  Bedürfnis,  das 
Buch  nicht  zu  sehr  anschwellen  zu  lassen,  hat  St.  selber  empfunden 
und  deshalb  einzelne  ursprünglich  geplante  Abschnitte  ganz  weg- 
gelassen, so  namentlich  eine  eingehendere  Darstellung  des  tacitei- 
schen  Sprachgebrauchs. 

Ein  paar  Ungenauigkeiten  sind  zu  berichtigen.  S.  3  heißt 
es  unrichtig,  daß  Tacitus  in  demselben  Jahre,  in  welchem  ihm 
die  Prätur  verliehen  wurde,  auch  Mitglied  des  Kollegiums  der 
quindeeimviri  sacris  faciundis  wurde  (denn  er  war  es  bereits,  als 
er  Prätor  wurde).  S.  8  wird  zur  Charakteristik  der  Anschauungen 
des  Tacitus  bemerkt,  daß  er  Ann.  II  85  den  Tod  von  4000  nach 
Sardinien  verbannten  Juden  ein  vile  damnum  nenne.  Genau 
genommen  liegt  in  diesem  Ausdruck  nur  ein  Urteil  des  Senats, 
nicht  des  Tacitus.  S.  27  lesen  wir,  Livia  habe  zwei  Söhne  aus 
erster  Ehe,  Tiberius  und  Drusus,  mit  in  das  Haus  des  Kaisers 
gebracht,  und  S.  28,  Augustus  habe  seine  beiden  Stiefsöhne 
adoptiert.  Beides  ist  unrichtig:  Drusus  war  am  Tage  der  Ver- 
mählung seiner  Mutter  mit  Augustus  noch  nicht  geboren;  auch 
hat  sein  früher  Tod  die  Adoption  gehindert;  denn  als  er  starb, 
hatte  Augustus  noch  leibliche  Nachkommen.  Zu  S.  135  und  136 
ist  zu  bemerken,  daß  Aliso  heute  nur  noch  von  wenigen  an  der 
oberen  Lippe  gesucht,  das  praesidium  in  tnonte  Tauno  aber  von 
niemandem  mehr  mit  der  Saalburg  identifiziert  wird;  zu  S.  190, 
daß  Vaticani  H.  II  93  der  Genitiv  von  Vaticanum  ist,  nicht  von 
Vaticanus;  vgl.  JB.  XXVII  S.  332. 

Die  Ausdrucksweise  ist  durchweg  korrekt.  S.  5  wäre.  *  Mäßigung' 
oder  'Maßhaltung',  von  Agricola  gesagt,  richtiger  als  'Mäßigkeit'. 
Eine  Pisonische  'Empörung'  (S.  123)  hat  es  nicht  gegeben,  sondern 
nur  eine  'Verschwörung'.  S.  38  ist  'den  germanischen  Aufstand' 
in  'den  pannonischen  Aufstand',  S.  121  'externae  suspiciones'  in 
'externae  superstitiones',  S.  178  'lag  die  rostra'  in  'lagen  die 
rostra' zu  ändern.  S.  15  lies  'Zuverlässigkeit'  statt 'Zulässigkeit', 
S.  55  'Cbaerea'  st.  Charea',  S.  79  'jährlich',  S.  134  'das  heutige 
Borkum',  S.  190  'errichtete'.  Im  Titel  steht  P.  Cornelius  Tacitus, 
im  Texte  P.  Kornelius  Tacitus,  und  nach  demselben  Prinzip  auch 
Cirkus  und  Ap.  Klaudius  Caekus. 


Tacitus,  von  G.  Andresen.  323 

9)  Taciti   opera  rec.  Joannes  Mueller.     Editio  minor.    Vol.  I:  libros 

ab  excessu  Divi  Augustt  continens.     Editio  altera  cmendata.    Lipsiae 
1903,  G.  Freytag.     350  S.     8. 

Der  Text  ist  derselbe  wie  der  der  editio  maior,  über  welchen 
ich  JB.  XXIX  S.  209  berichtet  habe.  Beigefugt  sind  Breviarien 
und  drei  Karten:  Rom  zur  Zeit  Neros,  das  Römerreich,  Alt- 
germanien. 

Angezeigt  von  Th.  Opitz,  WS.  f.  kl.  Phil.  1904  Sp.  183,  der 
mehrere  Konjekturen  mit  guten  Gründen  bekämpft  (so  I  79,  12. 
XI  23,  17.  XV  50,  20);  L.  Valmaggi,  Riv.  di  fil.  32  S.  316,  der 
die  Neuerungen  des  Textes  aufzählt,  und  von  E.  Wolff,  Berl.  phil. 
WS.  1904  Sp.  944  ('der  Text  ist  in  erfreulicher  Weise  verbessert'). 

10)  Anzeigen  älterer  Ausgaben:  Agricola  von  Smolka  (JB. 
XXVIII  S.  262):  Bl.  f.  d.  GSW.  1903  S.  650  von  Ammon  (als  Text- 
ausgabe in  den  Händen  der  Schuler  brauchbar),  Berl.  phil.  WS. 
1904  Sp.  220  von  Fr.  Muller  (anerkennend,  doch  lasse  die  Karte 
manches  vermissen);  Agricola  von  Gudeman,  Berlin,  Weidmann- 
sehe Buchhandlung  (JB.  XXVIII  S.  263):  Riv.  di  ß).  31  S.  495 
von  L.  Valmaggi  (anerkennend),  Class.  Rev.  XVII  S.  265  von  F.  T. 
Richards  (desgl.),  Bl.  f.  d.  GSW.  1903  S.  648  von  Ammon  (desgl.), 
Gymnasium  1904  S.  47  von  Fr.  Müller  (desgl.;  insbesondere  weise 
die  Einleitung  überzeugend  nach,  daß  die  Schrift  ein  in  allem 
Wesentlichen  der  antiken  Theorie  angepaßtes  biographisches 
Enkomium  sei),  Bull.  crit.  1903  S.  231  und  252  von  R.  Caben; 
Knaut,  Historien  I  (JB.  XXIX  S.  206):  N.  phil.  Rundsch.  1903 
S.  339  von  E.  Wolff  (im  allgemeinen  anerkennend;  W.  berührt 
manche  Einzelheiten  und  gibt  einige  Nachträge  zum  Kommentar); 
Müller-Christ,  Historien  (JB.  XXIX  S.  208):  Ztschr.  f.  d.  öst. 
Gymn.  1903  S.  746  von  J.  Golling  (anerkennend;  G.  tritt  für  das 
überlieferte  iubet  praecepüque  statt  praecipitque  IV  83  ein),  Gym- 
nasium 1904  S.  11  von  Fr.  Müller  (lobend,  doch  verwirft  dieser 
Rezensent  die  Abbildungen). 

IL  Tacitus  als  Schriftsteller. 

11)  Emile  Thomas,  La  eritique  de  Tacite.     Melaoges  Boissier  (Paris 

1903,  A.  Footemoing)  S.  431—434. 

Ungeachtet  der  großen  Fortschritte,  welche  das  Studium  des 
Tacitus  in  der  zweiten  Hälfte  des  verflossenen  Jahrhunderts  ge- 
zeitigt habe,  offenbare  sich  in  gewissen  Erscheinungen  der  jüngsten 
Zeit,  namentlich  in  der  Erneuerung  der  Diskussion  über  die 
Authentizität  der  kleinen  Schriften,  eine  Verirrung  der  Kritik,  ein 
Fehler,  der  dadurch  hervorgerufen  sei,  daß  man  das  Wesentliche 
an  Tacitus,  das  Gesamtbild  seiner  literarischen  Eigenart,  nicht 
erkenne  oder  aus  den  Augen  verliere.  Sein  Porträt  zu  zeichnen, 
mit  Unterscheidung  dessen,    was  wir  wissen,    von  dem,    was  wir 


324  Jahresberichte  d.  Philologe  Vereins. 

nicht  wissen  und  was  wir  vermuten,  sei  freilich  eine  schwierige 
Aufgabe,  und  wäre  sie  gelöst,  so  wurde  sich  doch  Tacitus  selbst 
das  letzte  Wort  vorbehalten. 

12)  L.  Simioni,  Del  carattere  inorale  di  Cornelio  Tacito.    L'Ateoeo 

Veneto,  anoo  26  vol.  I  fasc.  1. 

Diese  Arbeit  hat  mir  nicht  vorgelegen. 

13)  HansNolte,  De  Corneli  Taciti  qui  fertur  Dialogo  de  oratori- 

bus.    Progr.  Gleiwitz  1903  (Progr.  Nr.  218).     25  S. 

Die  in  60  kleine  Abschnitte  zerlegte  Abhandlung  Noltes,  deren 
Latein  arge  Fehler  enthält,  gibt  eine  Geschichte  des  Streites  über 
die  Authentizität  des  Dialogs  und  eine  Zusammenstellung  der  von 
ihren  Verteidigern  und  ihren  Gegnern  vorgebrachten  Argumente. 
Da  neue  Gesichtspunkte  fehlen,  so  darf  ich  auf  eine  Wiedergabe 
des  einzelnen  verzichten.  Eigentümlich  ist  jedoch  das  Schluß- 
ergebnis, welches  lautet:  Die  Schrift  ist  von  Tacitus  und  zwar 
unter  Domitian  verfaßt,  aber  erst  nach  Tacitus'  Tode  herausgegeben, 
vielleicht  vom  Kaiser  Tacitus,  der,  wie  sein  Bruder  Florianus  und 
der  praefectus  praetorii  Polemius,  zu  den  Nachkommen  des  Ge- 
schichtschreibers zählte.  Man  darf  somit  mit  Nolte  von  Tacitus 
sagen:  *  prüden  ter  se  gessit  in  eligendis  posteris'. 

14)  Joannes Kro&el,  Quo  tempore  Taciti  Dialogus  de  oratoribus 

habitus  sit  quaeritnr.    Progr.  Tarnopol  1904.     23  S. 

K.  bringt,  was  man  kaum  erwarten  sollte,  eine  neue  Auf- 
fassung der  für  die  Lösung  der  Frage,  die  er  behandelt,  ent- 
scheidenden und  bisher  vielfach,  jedoch  ohne  sicheres  Ergebnis, 
erörterten  Stelle  Kap.  17.  Oberzeugt,  daß  die  Zahl  120  nicht  als 
runde  Zahl  angesehen  werden  dürfe,  faßt  er  den  militärischen 
terminus  statio  als  einen  Ausdruck,  der  auf  der  Teilung  des 
Prinzipats  des  Vespasian,  eines  Kriegsmannes,  der  an  der  Dyarchie 
festgehalten  und  die  konsularische  Eponymie  wiederhergestellt 
habe,  nach  seinen  einzelnen  Konsulaten  beruhe.  So  seien 
von  dem  Beginn  der  Regierung  des  Vespasian  bis  zum  Ende 
der  sechsten  statio  8  Jahre  vergangen  (69 — 76);  die  Summe  von 
56  +  23  +  4  +  28  +  1  +  8  aber  ergebe  120.  Ein  librarius, 
der  den  rhetorisch-poetischen  Gebrauch  von  statio  nicht  verstand 
und  dieses  Wort  gleich  annus  setzte,  habe,  um  zu  der  Summe  von 
120  zu  gelangen,  in  der  Zahl  der  Regierungsjahre  des  Augustus 
sex  in  novem  geändert,  nicht  in  octo,  weil  er  der  Meinung  war, 
daß  der  Ausdruck  sextam  iam  nur  5,  nicht  6  Jahre  bezeichne. 
Somit  sei  das  Gespräch  im  Jahre  77  gehalten  worden,  und  diesem 
Ergebnis  stehe  weder  das,  was  wir  über  den  Tod  des  Mucian 
wissen,  noch  sonst  irgend  etwas  im  Wege. 

Gegen  diese  Deutung  erheben  sich  sogleich  zwei  Einwände. 
Erstens  muß  es  auffallen,  daß  Aper,  nachdem  er  die  Regierungs- 


Tacitus,  vod  G.  Andresen.  325 

Zeiten  der  vorhergehenden  Kaiser  in  der  gewöhnlichen  Weise  nach 
Jahren  berechnet  hat,  die  seit  dem  Regierungsantritt  des  Vespasian 
verflossene  Zeit  nach  dessen  'konsularischen  Stationen',  die  sich 
mit  den  Jahren  nicht  decken,  angibt  und  somit  heterogene  Posten 
zu  einer  Summe  addiert;  zweitens  kann  das  Ordinalzahlwort  in 
Verbindung  mit  tarn  schwerlich  bezeichnen,  daß  die  Zahl  bereits 
voll  ist.  Ist  sie  aber  nicht  voll,  so  ergibt  sich  das  Jahr  76,  in 
welchem  Yespasian  zum  sechstenmal  Konsul  war,  nicht  77,  und 
als  Summe  nicht  120,  sondern  119. 

15)  Ricardus  Dienel,    Quae  rationes  inter  libellum  71sq\  vxpovg 

et  Ttciti  diaiogum  de  oratoribus  intercedere  videaotur. 
K.  K.  Staatsgymnasiom  io  Mähr.-Trübau.  Festschrift  zur  Feier  des 
hundertjährigen  Bestandes.     Mähr.-Trübau  1903.     S.  107—120. 

D.  setzt  die  Abfassung  der  Schrift  nsgl  vipovg  in  die  Zeit 
vor  Claudius  und  bemüht  sich  zu  zeigen,  daß  Tacitus,  als  er  den 
Dialog  schrieb,  jene  Schrift  vor  Augen  gehabt  habe.  Insbesondere 
führt  er  aus,  in  welchem  Maße  Tacitus  den  Inhalt  des  Kapitels  44 
der  Schrift,  dessen  Thema  die  von  Fabius  Justus  an  Tacitus  ge- 
richtete Frage  ist,  sich  zu  eigen  gemacht,  ergänzt,  umgestaltet 
oder  weiter  ausgeführt  zu  haben  scheine. 

Eingehender  besprochen  von  E.  Wolff,  WS.  f.  kl.  Phil.  1904 
Sp.  872. 

16)  Santi  Gonsoli,    La  'Germania'  comparata  con  la  'Naturalis 

Historia'  di  Plinio  e  con  le  opere  di  Tacito.  Ricerche 
lessicografiche  e  sintattiche.     Roma  1903,  Loescher.     171  S.     8. 

Consoli,  der  Urheber  einer  neuen  Hypothese  über  den  Ursprung 
der  Germania  (s.  JB.  XXIX  S.  218),  verzeichnet  in  diesem  Buche 
die  lexikalischen  und  syntaktischen  Berührungen  einerseits  zwischen 
der  Germania  und  der  N.  h.  des  Plinius,  andrerseits  'zwischen 
der  Germania  und  den  Werken  des  Tacitus  \  Hierbei  wird  unter- 
schieden, ob  eine  Erscheinung  schon  aus  den  älteren  Schriftstellern 
zu  belegen  ist  oder  erst  in  der  Literatur  des  1.  Jahrh.  n.  Chr., 
bzw.  in  der  Germ,  und  in  der  N.  h.  zum  erstenmal  begegnet. 

Daß  durch  diese  mit  großem  Fleiß  gesammelten  Parallelen 
für  die  Hypothese  des  Verf.  nichts  bewiesen  wird,  bemerkt  mit 
Recht  E.  T.,  Rev.  crit.  1903  Nr.  49  S.  456;  vgl.  F.  R.,  Riv.  stör. 
Ital.  1904  S.  18,  Joh.  Müller,  WS.  f.  kl.  Phil.  1904  Sp.  63,  E.  Wolff, 
N.  phil.  Rundscb.  1904  S.  122  und  Berl.  phil.  WS.  1904  Sp.  973. 
Wolff  hebt  aus  der  Zitatenfülle  eine  kleine  Anzahl  solcher  Bei- 
spiele heraus,  die  teilweise  wenigstens  für  die  sprachliche  Er- 
läuterung der  Germania  verwendbar  sind. 

Jene  Hypothese  Gonsolis  wird  ferner  abgelehnt  Rev.  de  l'instr. 
publ.  en  Beig.  46  S.  297,  Riv.  di  fil.  31  S.  600  von  Amatucci, 
DLZ.  1903, Sp.  3134,  G.  Tropea,  Riv.  di  storia  antica  N.  S.  VII  2/3 
S.  628,  F.  R.,  Riv.  stör.  Ital.  1904  S.  18,  am  gründlichsten  von 
C.  John,  WS.  f.  kl.  Phil.  1904  Sp.  92. 


326  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

17)  Ludwig  Schmidt,  Geschichte  der  deutsche  n  Stämme  bis  zum 
Ausgange  der  Völkerwanderung  1  1.  la:  Quellen  und  Forschungen 
zur  alten  Geschichte  und  Geographie,  herausgegeben  von  W.  Sieglin. 
Heft  7.    Berlin  1904,  Weidmannsche  Buchhandlung. 

Für  uns  kommt  aus  dieser  Publikation  nur  ein  Passus  aus 
der  über  die  Quellen  handelnden  allgemeinen  Einleitung  in  Be- 
tracht. Von  Tacitus'  Historien  und  Annalen  heißt  es  S.  9,  daß 
die  die  germanischen  Beziehungen  behandelnden  Abschnitte  wahr- 
scheinlich größtenteils  aus  Plinius  geschöpft  und  daher  von  ganz 
besonderem  Werte  seien.  Auch  die  Germania  beruhe  nur  auf 
abgeleiteten  Quellen  und  sei  ein  Ausfluß  der  sentimentalen  Be- 
wunderung der  vermeintlich  paradiesischen  Zustände  eines  Natur- 
volkes, wie  solche  bei  hoch  kultivierten  Nationen  häufig  wieder- 
kehre. Tacitus  sei  mehr  Rhetor  als  Historiker;  Unparteilichkeit 
habe  er  zwar  angestrebt,  dieses  Ziel  aber  nicht  erreiche. 

18)  Arthur  Stein,  Die  Protokolle  des  römischen  Senates  und 
ihre  Bedeutung  als  Geschichtsquelle  für  Tacitus.  Jahres- 
bericht der  1.  deutschen  Staatsrealschule  in  Prag  1904.     33  S. 

Das  letzte  Drittel  dieser  Abhandlung  ist  der  Frage  gewidmet, 
ob  Tacitus,  der  die  Senatsakten  einmal  (Ann.  XV  74)  ausdrücklich 
als  von  ihm  eingesehen  anfuhrt,  diese  nur  an  der  einen  Stelle 
benutzt  oder  durchgängig  verwertet  hat.  S.  beschränkt  die  Er- 
örterung dieser  Frage  auf  die  Annalen,  hauptsächlich  deren  erste 
Hälfte,  und  fuhrt  zugunsten  der  zweiten  Alternative  folgende  Be- 
obachtungen an:  die  Kenntnis  nebensächlicher  Details,  die  Genauig- 
keit des  Berichtes  in  solchen  Fällen,  wo  derselbe  Gegenstand  auf 
die  Tagesordnung  mehrerer  Sitzungen  gesetzt  ist,  die  Wiedergabe 
von  Reden  und  Anträgen,  die  abgelehnt  wurden,  auch  bei  Gerichts- 
verhandlungen, deren  Kenntnis  nur  aus  den  Senatsakten  zu 
schöpfen  war,  und  die  nach  ethischen  Gesichtspunkten  getroffene 
Auslese  der  abgegebenen  sententiae,  die  darauf  schließen  läßt,  daß 
ihm  ein  reiches  Material  zur  Verfügung  stand.  Es  sei  freilich 
nicht  zu  leugnen,  daß  auch  Dinge  berichtet  werden,  die  nicht  aus 
einer  offiziellen  Quelle  stammen  können,  sondern  in  letzter  Heihe 
auf  die  Zeugnisse  von  Augenzeugen  zurückgehen  müssen.  Diese 
Beobachtung  sei  jedoch  der  Annahme,  daß  der  Schriftsteller  den 
größten  Teil  der  Tatsachen  selbst  amtlichen  Quellen  verdanke, 
ebensowenig  hinderlich,  wie  der  Umstand,  daß  er  die  Tatsachen 
in  ein  für  Tiberius  ungünstiges  Licht  zu  rücken  pflegt.  II  88 
zitiere  er  statt  der  Senatsprotokolle  die  zeitgenössischen  senatori- 
schen Schriftsteller,  um  seine  Befriedigung  darüber  kundzugeben, 
daß  auch  diese  von  altem  Römerstolz  erfüllt  sind  und  sich  in  der 
Geschichtschreibung  von  ähnlichen  Prinzipien,  wie  er  selbst,  leiten 
lassen  (?).  Auch  in  der  Erwähnung  der  Todesfälle  bedeutender 
Männer  außerhalb  des  Zusammenhangs  der  Erzählung  sei  eine 
Spur    der  Benutzung    der   Senatsprotokolle    zu    erblicken.     Denn 


\ 


Tacitus,  von  G.  Aodresen.  327 

Tacitus  habe  diese  Mitteilungen,  die  er,  zwölf  an  der  Zahl,  regel- 
mäßig an  den  Schluß  der  Jahresgeschichte  stelle,  weil  sie  sonst 
nicht  unterzubringen  waren  (während  er  nur  in  fünf  von  den 
zwölf  Fällen  ausdrucklich  sage,  daß  der  Todesfall  am  Ende  des 
Jahres  stattgefunden  habe),  vermutlich  deshalb  seinem  Geschichts- 
werke eingefügt,  weil  den  Verstorbenen  durch  Senatsbeschluß  ein 
funus  publicum  zuerkannt  worden  war. 

Man  wird,  wie  Hirschfeld  angekündigt  hat,  nächstens  hören, 
wie  Mommsen  über  das  Verhältnis  des  Tacitus  zu  den  Senatsakten 
geurteilt  hat.  Steins  Argumente  reichen  nicht  aus,  um  von  der 
Richtigkeit  der  von  ihm  vertretenen  Ansicht  zu  überzeugen. 

19)  W.  Haker,    Claudii    apud    Tacitum    Aon.  XI  24    oratio    et   una 

cum  eapite  praecedeote  commeotario  critico  et  exegetico  enarratur  et 
cum  oratione  vere  habita  ita  comparatur,  ut,  quid  iode  de  omoi 
oratiooum  Tacitearum  indole  colligatur,  eluceat.  Progr.  Malchin, 
Stadt.  Realgymo.     1904.     21  S. 

Der  Bericht  über  den  Inhalt  dieser  Arbeit  wird  nicht  viel 
mehr  Raum  einnehmen  als  der  Titel.  Für  seinen  historisch- 
kritisch-sprachlichen Kommentar  hat  Verf.  Nipperdeys  Ausgabe 
stark  benutzt,  auch  einige  Erklärungen  Pfitzners  sich  zu  eigen 
gemacht.  Von  Einzelheiten  ist  nur  erwähnenswert,  daß  er  23, 17 
an  moreretur  festhält  (?)  und  dann  im  Anschluß  an  Urlichs  ver- 
mutet qui  Capüolio  et  arce  Romana  (als  Ablative  der  Trennung) 
manubias  deorum  olim  praedati  sint. 

Der  Vergleich  der  Reste  der  echten  Rede  des  Claudius,  die 
Tacitus  ohne  Zweifel  bekannt  gewesen  sei,  da  er  aus  den  Senats- 
akten geschöpft  habe,  mit  der  ihm  von  Tacitus  in  den  Mund  ge- 
legten führt  den  Verf.  zu  dem  Ergebnis,  daß  auch  die  übrigen 
Reden  bei  Tacitus  der  Mehrzahl  nach  nicht  völlig  frei  erfunden, 
aber  in  ähnlicher  Weise  wie  die  des  Claudius  umgestaltet  worden 
seien. 

20)  H.  de  la  Ville  deMirmont,  Notes  surTacite    (Histoires  livre  IV). 

Revue  des  etudes  ancienoes  VI  (1904)  2  (Avril-Juio)  S.  103—130. 

Der  erste  Abschnitt  dieses  Aufsatzes  ist  dem  Lebenslauf  des 
älteren  Helvidius  Priscus  gewidmet  (Ann.  XVI  28),  den  Verf.  mit 
dem  Legionslegaten  des  Jahres  51  (Ann.  XII  49)  und  dem  Volks- 
tribunen des  Jahres  56  (Ann.  XIII  28)  identifiziert.  Hiergegen 
vgl.  Nipperdey  zu  XII  49.  —  Die  Äußerung  des  Marcellus  H.  IV  8 
se . .  .bonos  imperatores  voto  expetere,  qualescumque  tolerare,  die  man 
vielfach  als  einen  Ausspruch  des  Tacitus  ausgegeben  habe,  sei  von 
Tacitus  nicht  dem  Marcellus  in  den  Mund  gelegt,  sondern  den 
Acta  senatus  entnommen,  die  überhaupt  als  die  Hauptquelle  des 
Rerichts  über  die  Senatssitzung  c.  6 — 10  anzusehen  seien  (dies 
ist  schwer  zu  beweisen).  Dagegen  sei  die  Rede  des  Vocula  c.  58 
ein  rhetorisches  Erzeugnis  des  Tacitus  selber,  der  manche  Ge- 
danken aus  Sallust  und  Livius  geschöpft  habe  (man   findet   diese 


328  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Reminiszenzen  bei  Heraeus).  —  Die  c.  70  erwähnte  da  Singularium 
unter  Julius  Briganticus  sei  von  Vitelüus  gebildet  worden;  die 
Cadres  habe  vermutlich  jene  ala  der  Armee  des  Otho  geliefert, 
welche  von  demselben  Briganticus  befehligt  wurde  (II  22)  und 
ohne  Zweifel  aus  Batavern  bestand.  Die  Bedeutung  der  Bezeichnung 
Singulares  bleibt  zweifelhaft.  —  Der  Ertrag  der  Abhandlung  ist, 
wie  man  sieht,  gering. 

21)  Philippe  Fabia,  La  lettre  de  Pompeins  Propinqnns  ä  Galba 
et  l'avenement  de  Vitelüus  en  Germanie.  Beiträge  zur  alten 
Gesehiehte  IV  S.  42—67. 

Fabia  deckt  eine  Differenz  zwischen  H.  I  12  und  55  auf: 
dort  heißt  es,  Pompeius  Propinquus  habe  gemeldet,  daß  alle  drei 
Legionen  des  obergermanischen  Heeres  revoltiert  hätten;  hier  wird 
dies  nur  von  den  beiden  Mainzer  Legionen,  der  4.  und  22.,  be- 
richtet, während  von  der  21.,  die  in  dem  entlegenen  Vindonissa 
stand,  überhaupt  nicht  die  Rede  ist.  Daß  an  der  ersteren  Stelle 
eine  Ungenauigkeit  nicht  des  Propinquus,  sondern  des  Tacitus 
oder  seiner  Quelle  vorliegt,  gehe  daraus  hervor,  daß  Galba  sich 
I  16  (duae  legiones)  und  18  (quartam  et  duoetvicensimam  legiones) 
über  den  wahren  Tatbestand  unterrichtet  zeigt  —  neue  Nach- 
richten erhielt  er  erst  nach  der  Adoption:  1  19.  50  — ,  ferner 
daraus,  daß,  wenn  Propinquus  mit  seinem  Schreiben  gewartet 
hätte,  bis  er  erfahren  hatte,  daß  die  21.  Legion  sich  der  Bewegung 
angeschlossen  habe,  er  sicherlich  die  in  Köln  erfolgte  Erhebung 
des  Vitelüus  zum  Imperator  ebenfalls  gemeldet  haben  wurde;  denn 
diese  mußte  in  Trier  früher  bekannt  sein  als  dort  eine  Nachricht 
aus  Vindonissa  eintreffen  konnte.  Die  21.  Legion  habe  sich  ver- 
mutlich am  3.  Januar  gegen  Galba,  ein  wenig  später  für  Vitelüus 
erklärt.  Dieselbe  Ungenauigkeit  wie  I  12,  wo  der  Schriftsteller 
sich  deshalb  mit  einer  allgemeinen  Angabe1)  begnüge,  weil  diese 
ausreichte,  um  hervorzuheben,  welchen  Einfluß  die  IN  ach  rieht  auf 
die  Entwickelung  der  Dinge  in  Rom  hatte,  liege  I  57  (superior 
exercitus  und  stires . . .  fuisse),  I  56  (superiorem  exercüum,  wo 
Vitelüus  die  Ausdehnung  der  Revolte  im   eigenen  Interesse  über- 


*)  Summarische  und  ebendeshalb  ungenaue  Angaben  findet  man  auch 
in  den  Annalen.  Man  vergleiche  I  63  legiones  classe,  ut  advexerat,  reportal 
mit  I  70  legionum,  quas  navibus  vexerat,  seeundam  et  quartam.  deeimam 
üinere  terrestri  P.  ViteVUo  ducendas  tradit;  I  13  omnesque  praeter  Lepidum 
variis  mox  criminibus  struente  Tiberio  circumvenÜ  sunt  mit  VI  47  invalido 
ac  fortasse  ignaro  fieta  pleraque  ob  inimicitias  Macronis  notas  in  Arruntium; 
III  19  una  omnium  Agrippae  liberorum  tniti  obüu  mit  IV  71  Iulia  mortem 
obiit,  wo  einer  Gewalttat  nicht  gedacht  wird;  IV  71  mit  VI  4,  woraus  her- 
vorgeht, daß  incolumi  Tiberio  allein  auf  Lucanins  Latiaris,  nicht  auf  seine 
Genossen  bezogen  richtig  ist.  Auch  facta  et  de  mafkematicis . . .  senatus 
eonsulta  U  32  ist,  wie  wir  aus  einem  Fragment  des  Ulpian  wissen,  eine 
summarische  Angabe,  deren  Ungenauigkeit  darin  besteht,  daß  die  hier  ge- 
meinten Senatsbeschlüsse  sich  auf  zwei  Jahre  verteilen.  Vgl.  auch  Nipperdey 
zu  a  Cheruscis  Langobardüque  II  46. 


Tacitus,  von  G.  Andreseo.  329 

treibe)  und  wahrscheinlich  auch  I  50  (superioris  Gtrmaniae  ex- 
ercitus)  vor. 

In  bezug  auf  den  Charakter  der  Revolte  bestehe  zwischen 
I  12  und  55 — 57  Übereinstimmung:  die  Mainzer  Legionen  wollten 
nicht  etwa  die  Republik  wiederherstellen;  sie  erhoben  sich  nur 
gegen  die  Person  des  Galba;  ihr  Standpunkt  war  der  vor  kurzem 
von  Vindex,  Galba  und  Verginius  vertretene.  Somit  seien  die 
Worte  in  dem  Briefe  des  Propinquus  senatui  ac  populo  Romano 
arbitrium  eligendi  permittere  ein  guter  Kommentar  zu  dem  Bericht 
I  55  senatus  popultque  Romani . . .  nomina  sacramento  advocabant, 
und  mit  Unrecht  nenne  Tacitus  diese  Namen  oblitterata.  Die 
Absicht  der  Mainzer  Legionen,  an  Senat  und  Volk,  sobald  sie  sich 
der  Stimmung  der  übrigen  germanischen  Legionen  versichert 
hätten,  eine  Gesandtschaft  zu  schicken  (deren  Ankündigung  in 
dem  Schreiben  des  Propinquus  enthalten  sei  in  den  Worten 
imperatorem  alium  flagitare),  sei  durch  ihren  Anschluß  an  Vitellius 
hinfällig  geworden.  Die  Eile,  womit  sie  diesen  Anschluß  voll- 
zogen, beweise,  daß  ihr  Eid  auf  Senat  und  Volk,  denen  sie  nur 
eine  Scheinwahl  einräumten,  nicht  ernst  zu  nehmen  war  (inane 
I  56  'ohne  Bedeutung')  und  einen  Hintergedanken  in  sich  barg, 
wie  einst  der  des  Vindex,  Galba  und  vielleicht  auch  des  Verginius. 
Denn  dem  Sohne  des  L.  Vitellius  (id  satis  videbatur  I  9)  gehörten 
die  germanischen  Heere  schon  vor  dem  1.  Jan.  69;  in  ihm  glaubten 
sie,  nachdem  ihnen  früher  ein  Führer  gefehlt  hatte  (dux  deerat 
1  8),  ihren  Mann  gefunden  zu  haben. 

Durch  einen  Vergleich  des  taciteischen  Berichts  über  die  Er- 
hebung des  Vitellius  mit  dem  der  andern  Zeugen,  besonders  des 
Plutarch,  sucht  Fabia  sodann  zu  zeigen,  daß  die  Darstellung  de» 
Tacitus  zwar  einiger  Berichtigungen  und  Ergänzungen  bedarf,  im 
ganzen  aber  der  der  andern  Berichterstatter  überlegen  ist,  sowie 
daß  Tacitus  und  Plutarch  aus  derselben  Quelle  schöpfen.  Die 
wichtigste  Ergänzung  sei  in  dem  enthalten,  was  Plutarch  von 
einer  Beratung  der  Offiziere  und  einer  Rede  eines  derselben  nach 
der  Eidesleistung  arn  1.  Januar  erzählt.  Dieser  Bericht  müsse  als 
beglaubigt  gelten;  in  der  Rede  des  Offiziers  habe  Plutarch  einen 
Teil  der  Gedanken  der  Anrede  des  Valens  an  Vitellius  (H.  I  52) 
entlehnt.  Der  Bericht  sei  kein  Einschub:  er  stehe  im  Zusammen- 
hange mit  dem  Vorhergehenden  und  mit  dem  Folgenden.  Da- 
durch, daß  Tacitus  ihn  unterdrückte,  habe  er  die  Sendung  des 
Adlerträgers  eines  Teils  ihrer  Begründung,  seine  Meldung  eines 
Teils  ihres  Inhalts  und  die  Handlungsweise  des  Vitellius  eines 
wichtigen  Momentes  in  ihrer  Motivierung  beraubt. 

22)     Philippe     Fabia,     L'adhesion     de     rillyricom    a     la     cause 
Flavieooe.     Revue  des  etudes  aocieooes  V  S.  329 — 382. 
Die  Abhandlung    enthält    ein   'examen    critique'  der  Kapitel 
H.  IV  85.  86  und  gelangt  zu  Ergebnissen,  die  dem  Ansehen  des 
Tacitus  nicht  günstig  sind.    Ihr  Inhalt  ist  folgender. 

J»kr«*b«richte  XXX.  22 


330  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Interim,  das  im  Einklang  mit  der  gleichmäßig  überlieferten 
Chronologie,  nach  welcher  die  Revolte  der  orientalischen  Truppen 
der  der  illyrischen  vorausging,  die  Gleichzeitigkeit  der  Ereig- 
nisse, die  jetzt  erzählt  werden,  mit  den  jüngsten  der  eben  er- 
zählten bezeichnet,  gehört  logisch  nicht  zu  accelerata  —  denn 
die  Wirkungen  des  Ereignisses  traten  erst  später  ein  — ,  sondern 
zu  dem  Part,  transgressi1),  welches  eigentlich  den  Hauptsatz  bilden 
sollte8).  Im  zweiten  Satze  sollen  die  Worte  imbutae  . . .  inter- 
fuissent,  wie  auch  die  folgenden  Aquileiam  progressae . . .  egerant, 
die  grammatisch  nur  von  den  beiden  zuletzt  genannten  Legionen 
ausgesagt  sind,  von  allen  dreien  gelten8).  Das  zur  Insurrektion 
treibende  Motiv  war  bei  allen  illyrischen  Truppen  dasselbe:  anstatt 
es  durch  eine  einzige,  für  alle  Truppen  gültige  Aussage  zu  be- 
zeichnen, hat  Tacitus  es  für  die  mösischen  und  die  pannonischen 
Truppen  gesondert  angegeben,  für  die  dalmatischen  verschwiegen. 
Ebenso  fehlt  eine  zusammenfassende  Bemerkung  über  die  gleich- 
artige Haltung  der  drei  Befehlshaber  und  deren  Begründung;  ferner 
die  ausdrückliche  Angabe,  daß  unter  den  illyrischen  Heeren  zuerst 
das  mösische  sich  erhob,  und  die  Antwort  auf  die  Frage,  warum 
die  dritte  Legion  die  Initiative  ergriff.  Man  findet  diese  Antwort 
II  74,  wo  aber,  um  sie  ausreichend  zu  machen,  aus  Sueton  zu 
transisset  zu  ergänzen  ist  sub  exitu  Neronü.  Auch  die  Darstellung 
des  Vorfalls  in  Aquileia  bedarf  einer  Ergänzung  aus  Sueton;  denn 
Tacitus  verschweigt,  daß  die  mösischen  Truppen  den  Namen  des 
Vespasian  auf  die  Feldzeichen  setzten.  Außerdem  wäre  diese 
Episode  besser  an  ihrer  chronologischen  Stelle,  11  66,  erzählt 
worden,  wo,  wie  Sueton  vermuten  läßt,  die  Quelle  sie  hatte,  zumal 
da  so  der  kausale  Zusammenhang  des  Ereignisses  von  Aquileia, 
das  gegen  Ende  April  stattfand,  mit  der  Proklamation  des  Ti. 
Alexander  gewahrt  worden  wäre.  —  Am  Schlüsse  des  nächsten 
Satzes  wäre  ostendebant  oder  minüabantur  angemessener  als  para- 
bant4). Daß  das  mösische  Heer  auch  an  die  dalmatische  Legion 
ein  Schreiben  richtete,  darf  man  vermuten,  obwohl  Tacitus  es 
nicht  sagt.  Wie  sich  Aponius  bei  der  mösischen  Revolte  benahm, 
erfahren  wir  erst  c.  96.  Die  Erzählung  von  dem  Attentat  des 
Aponius  auf  Julianus  und  dessen  abenteuerlicher  Flucht  ist  hier 
recht  gleichgültig  und  hätte  im  vierten  Buch  (c.  39.  40)  nach- 
geholt   werden    sollen.  —  C.  86  scheint  haud  cunctanter  zu  be- 

1)  Vgl.  crebra  post  haec  fama  fuü  Aon.  XI  34  nod  XII  62  rnissas 
postkac  copias,  wo  post  haec  zu  prolocutum,  posthac  zu  memorabant  gehört. 

z)  Vgl.  JNipperdey  zu  exerciti  Aoo.  III  55,  elaptam  IV  64,  quin  et . . . 
apposäum  XII  57. 

3)  Es  muß  in  der  Tat  auffallen,  daß  die  Herausgeber  ao  diesem  un- 
leugbar vorhandenen  Fehler  in  der  Ausdrucksweise  des  Tacitus  bisher  vor- 
beigeglitten sind. 

4)  Parabant  steht  vielleicht  in  dem  Sinne  von  non  modo  minüabantur, 
verum  etiam  parabant  und  drückt  somit  aus,  daß  die  Drohung  nicht  nur 
erfolgte,  sondern  auch  keine  leere  war. 


Tacitus,  von  G.  Androgen.  331 

deuten:  'sobald  das  Beispiel  und  die  Aufforderung  der  mösischen 
Legionen  sie  dazu  einluden'.    Die  Worte  vi  praecipua  Primi  Antonii 
erhalten  ihren  Kommentar  erst  aus  III  2 — 4:  er  war  der  einfluß- 
reichste Agitator,  der  sogleich  nach  dem  Eintreffen  des  Schreibens 
des  Vespasian  offen  und  ohne  Hintergedanken  hervortrat,  während 
andere  sich  erst  entschieden,    als  die  Insurrektion  der  mösischen 
Legionen    gemeldet    wurde.     In    der  nun  folgenden  Lebensskizze 
des  Antonius    will  Tacitus    sagen,    daß    er   zwar   als   Legat   der 
siebenten  Legion,  nicht  aber  als  dux  partium  an  dem  Kriege  des 
Otho  gegen  Vitellius  teilgenommen  hatte.    Die  Bezeichnung  seiner 
Schuld  durch  eine  Verdoppelung  des  Ausdrucks1)  (is  legibus  nocem 
et . . .  damnatus)  ist  gehässig;  eine  Differenz  besteht  zwischen  crede- 
batur,  das  eine  Ungewißheit  ausdrückt,  und  a  quo  neglectus,  das 
eine  Tatsache  enthält.    Überhaupt  werden  die  Fehler  des  Antonius 
übertrieben,  hervorragende  Tugenden  aber,  die  wir  erst  im  Anfang 
des  dritten  Buches  kennen  lernen,  verschwiegen.   Auch,  von  welcher 
Provinz  Cornelius  Fuscus  Prokurator  war,    auf  wen  er   einwirkte 
und  wie  das  Verhalten  des  Tampius  Flavianus  war,  erfahren  wir 
erst    aus    der  Digression  III  4.     Hätte   dies   alles  in  dem  Bericht 
über  die  Insurrektion  II  86  seinen  Platz  gefunden,  so  wäre  dieser 
Bericht    präziser,    der    über    den  Eintritt  in  den  Feldzug  rapider 
und  freier  von  impedimenta  geworden.    Tacitus  hat  offenbar  sein 
Material  nicht  genügend  übersehen:  als  ihm  die  ergänzenden  Tat- 
sachen bekannt  wurden,  hatte  er  den  Bericht  über  die  Insurrektion 
schon  abgeschlossen.  —  Die  Worte,  durch  die  Tacitus  den  Beitritt 
der  dalmatischen  Legion  bezeichnet,  lassen  die  Auffassung  zu,  als 
ob  sie  sich  nur  gezwungen  der  Sache  des  Vespasian  angeschlossen 
hätte,    was    nicht  richtig  ist.     Der  Ausdruck  Delmaticum  tnilitem, 
welcher  gewählt  ist,  um  die  Form  der  Bezeichnung  zu  wechseln  und 
um  durch  den  Singular  hervorzuheben,  wie  schwach  dieser  Heeres- 
teil war  (?),  läßt  die  Angabe  der  Zahl  der  Legionen  (1)  und  der 
Nummer  (XI)  vermissen;    das  Wort  exercitus  ist  in   dem  ganzen 
Bericht  in  drei  verschiedenen  Bedeutungen  gebraucht.    Ober  Pom- 
pe ius  Silvanus    können    wir    uns  wiederum  erst  aus  dem  dritten 
Buch  (c.  50)  unterrichten;  die  Dürftigkeit  des  Berichts  über  Dalmatien 
wird  verdeckt   durch   das   über  Cornelius  Fuscus  Angefügte,    und 
zwar  auf  künstliche  Weise  nur  für  das  Auge    des   oberflächlichen 
Lesers;  denn  die  Erwähnung  des  Mannes  führt  uns,  was  Tacitus 
nicht    sagt,    nach    Pannonien    zurück3).  —  Das    Subjekt    zu    ad- 
grediuntur   sind    die    Führer    der    illyrischen    Insurrektion,    nicht 
Vespasian  und  die  Häupter  der    orientalischen  Revolte,    die    man 
in  diesen  Plural  hat  einbegreifen  wollen.     Unter  den  Briefen,  die 

2)  Ober  solche  Doppelwenduogen  vgl.  Nipperdey  zu  III  59.    XIII  42.  46. 

a)  Augenscheinlich  erstreckte  sich  die  agitatorische  Tätigkeit  des  Fuscus 
damals  auch  auf  die  dalmatische  Legion.  Dies  mag  auch  der  Grand  sein, 
weshalb  Tacitus  es  hier  nicht  für  notwendig  hielt  anzogeben,  von  welcher 
Provinz  er  Prokorator  war. 

22* 


332  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

diese  schrieben,  wird  nicht  erwähnt  der  Brief  des  Antonius  an 
Julius  Civilis  (IV  13.  V  26),  der  doch  in  dieser  Zeil  geschrieben 
sein  muß,  vermutlich  weil  Tacitus,  als  er  II  86  schrieb,  noch 
keine  Kenntnis  von  der  Tatsache  hatte.  Die  Zirkularnote  der 
Fuhrer  des  illyrischen  Heeres  blieb  in  Gallien,  Spanien,  Britannien 
insofern  ohne  Erfolg,  als  die  dortigen  Heere  sich  erst  nach  der 
Schlacht  bei  Cremona  dem  Vespasian  anschlössen.  Dies  deutet 
Tacitus  auch  durch  die  Worte  ceteris  fortunam  secuturis  an,  aber 
in  diskreter  Weise,  um  seinem  Bericht  durch  den  Ausblick  auf 
einen  allgemeinen  Brand  l)  einen  dramatischen  Abschluß  zu  geben. 
Denn  in  Wahrheit  waren  jene  späteren  Anschlüsse  ein  Element 
des  Friedens  und  geeignet,  den  Krieg  zu  ersticken:  es  hätten 
somit  die  beiden  absoluten  Ablative  am  Schlüsse  von  c.  86  nicht 
koordiniert  werden  dürfen. 

Man  wird  diesen  Ausführungen,  auch  wenn  man  den  darin 
enthaltenen  Vorwürfen  gegen  die  Darstellung  des  Tacitus  nicht 
durchweg  zustimmt,  nachrühmen  dürfen,  daß  sie  in  den  Zusammen- 
hang der  Dinge  Licht  und  Klarheit  bringen. 

23)    Philippe    Fabia,    Tacite,    Histoires    IV  68.      Melanies    ßoissier 
(Paris  1903,  A.  Fontemoing)  S.  191—196. 

Der  Zweck  dieser  scharfsinnigen  Abhandlung  ist,  zu  zeigen, 
daß  H.  IV  68,  wo  Tacitus  uns  über  die  mit  dem  Reiseprojekt  des 
Mucian  verbundenen  Umstände  unterrichtet,  die  Darstellung  mehr- 
fach uneben  und  lückenhaft  ist.  Schon  im  ersten  Satze  entspreche 
der  grammatische  Aufbau  nicht  dem  logischen  Verhältnis  der  Ge- 
danken, welches  erst  durch  folgende  Umgestaltung  zu  klarem  Aus- 
druck gelange:  4nec  relinquenda  urbs  sine  rectore,  praesertim  cum, 
uti  diximus,  et  Domitiani  libidines  timerentur  et  magis  etiam 
suspecti  essent  Primus  Antonius  Varusque  Arrius72).  —  In  dem 
zweiten    Satze,    aus    dem    wir    erfahren,    wie    Mucian    eins    der 


2)  Dies  erinnert  an  Ann.  131,  wo  durch  die  Worte  quanto  plures,  tarda 
violentius  in  dem  Leser  die  Erwartung  erweckt  wird,  daß  er  von  einer  In- 
surrektion aller  acht  germanischen  Legionen  lesen  wird,  bis  er  alsbald  er- 
fährt, daß  die  Hälfte  eine  abwartende  Stellung  einnahm,  und  hernach  (c.  37), 
daß  sie  den  Treueid  leistete,  wodurch  diese  Hälfte  zu  einem  Element  des 
Friedeos  wurde  (vgl  IV  18). 

2)  Zu  dieser  Kritik  seien  zwei  Bemerkungen  gestattet.  Der  abl.  abs. 
suspectus  Primo  Antonio  f^aroque  Arrio  enthält  allerdings  nicht  einen  dem 
unmittelbar  vorhergehenden  Hauptsatze  untergeordneten,  sondern  einen  ihm 
gleichgeordneten  Gedanken.  Aber  Tacitus  hat  solche  absoluten  Ablative, 
die  nicht  eine  nähere  Bestimmung  zu  dem  Vorausgehenden,  sondern  einen 
Fortschritt  in  der  Darstellung  enthalten,  auch  sonst,  z.  B.  H.  I  63,  3  raptis 
('und  sie  ergriffen'),  Ann.  II  18,3  repertis  ('und  man  fand').  Zweitens:  die 
von  Fabia  geradelte  Beschränkung  des  uti  diximus  auf  den  Fall  des  Antonius 
und  Varus  wird  dadurch  entschuldigt,  daß  Tacitus  c.  39  von  der  Furcht  des 
Mucian  vor  diesen  beiden  Männern  mit  besonderem  Nachdruck,  von  dem 
Treiben  des  Domitian  aber  nicht  bloß  an  dieser  Stelle,  sondern  auch  c.  2 
und  51  gesprochen  hatte. 


Tacitus,  vod  G.  Andresen.  333 

drei  Hindernisse  seiner  Reise  beseitigte,  entsprächen  der  voran- 
gestellten Zweckbestimmung  ul  Domitiani  animum  deleniret  in  vollem 
Maße  nur  die  Worte  gratissimum  Domitiano;  denn  in  den  Worten 
domui  Vespasiani. . .  innexum  liege,  selbst  wenn  man  in  ihnen 
eine  Rücksicht  auf  die  Empfindungen  des  Domitian  suche,  doch 
daneben  noch  ein  besonderes,  von  jener  Rücksicht  unabhängiges 
Motiv,  das  den  Mucian  zur  Wahl  des  Clemens  bestimmte,  in- 
sofern er  in  ihm  einen  sicheren,  loyalen  Mann  erkannte.  Die 
durch  dictüans  eingeleitete  Rechtfertigung  der  Wahl  aber  sei  nicht 
an  Domitian  gerichtet,  sondern  —  und  dies  sei  nicht  aus- 
gedrückt —  an  andere  Personen,  welche  gegen  diese  Wahl  Re- 
denken erhoben1). 

Im  folgenden  lese  man,  nachdem  die  in  der  Person  des  Varus 
liegende  Schwierigkeit  erledigt  ist,  plötzlich,  daß  Mucian  seine  Vor- 
bereitungen zur  Reise  trifft,  ohne  daß  gesagt  werde,  wie  er  die 
von  Antonius  und  von  Domitian  drohenden  Gefahren  überwunden 
hat.  Was  den  letzteren  betrifft,  so  er  ehe  man  allerdings  — 
wenn  auch  ein  wenig  zu  spät  —  aus  den  Worten  simul  Domitianus 
Mucianusque  accingebantur,  daß  Mucian  ihn  mit  auf  die  Reise 
nehmen  will;  aber  über  die  Art,  wie  er  des  Antonius  ledig  wurde, 
gebe  uns  Tacitus  erst  c.  80  die  erwünschte  Aufklärung,  ohne 
durch  die  Zeitfolge  der  Ereignisse  zu  dieser  Zerreißung  des  Zu- 
sammenhanges gezwungen  zu  sein.  Als  einzigen  Ersatz  für  diesen 
Schaden  habe  Tacitus  einen  passenden  Übergang  nach  Alexandria 
durch  die  Erwähnung  der  Reise  des  Antonius  zu  Vespasian  ge- 
wonnen. Weiter  werde  als  Motiv  der  Zögerung  Mucians  (moros 
nectens)  allein  seine  Besorgnis  vor  den  Folgen  der  Anwesenheit 
Domitians  beim  Heere  angegeben.  Man  frage  sich,  warum  als 
solches  nicht  auch  die  Furcht  vor  der  Gefahr,  die  in  dem  Zurück- 
bleiben des  Antonius  lag,  genannt  werde.  Wenn  man,  den  Kom- 
positionsfehler des  Tacitus  berichtigend,  die  Kapitel  68  und  80 
miteinander  verschmelze,  so  erledige  sich  jene  Frage.  Aber  auch 
so  sei  für  Mucian  die  Besorgnis  vor  Torheiten  Domitians  doch 
nur  das  hauptsächlichste,  nicht  das  einzige  Motiv  des  Zögerns 
gewesen;  denn  daneben  habe  er  Bedenken  getragen,  die  Haupt- 
stadt sine  rectore  zu  lassen,  ein  Bedenken,  das  durch  die  Be- 
seitigung der  drei  hauptsächlichsten  Elemente  der  Unordnung  sehr 
gemindert,  aber  nicht  ganz  aufgehoben  war2). 

l)  Was  Fabia  aber  das  Verhältnis  der  Gedanken  dieses  zweiten  Satzes 
sagt,  ist  alles  richtig.  Man  kann  ihm  höchstens  entgegenhalten,  daß  der 
Zusammen  ha  og  es  dem  Leser  nicht  allzuschwer  macht,  zu  erraten,  an  wen 
Mncian  seine  die  Wahl  des  Clemens  rechtfertigenden  Worte  richtet,  nicht 
viel  schwerer  jedenfalls,  als  zu  erkennen,  wen  Mncian  c.  80, 2  durch  die 
mit  obtendens  eingeleitete  Rechtfertigung  zu  beschwichtigen  sacht. 

*)  Daß  der  Zeitpunkt,  in  welchem  Mucian  den  Domitian  hinderte,  den 
Antonius  in  die  Zahl  seiner  Begleiter  aufzunehmen  (c.  80),  identisch  ist  mit 
demjenigen,  in  welchem  er  clarüsimum  quemque  e  civitat* . . .  adsumpsit 
(c.  öS),    wie  F.  meint,   scheint   mir    nicht    sicher.     Der  Verlauf  der   Dinge 


334  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

24)  Anzeigen  älterer  Schriften:  Boissier,  Tacite  (JB. 
XXVIII  S.  268):  Lit.  Zentr.  1903  Sp.  881  von  A.  ('alles  verrät 
Geist  und  Können'),  Bull.  crit.  1903  S.  341  von  R.  Cahen  (aus- 
führliche Anzeige),  Rev.  crit.  1903  (24)  S.  472  von  P.  Lejay,  DLZ. 
1903  Sp.  1961  und  ebd.  Sp.  2200  von  F.  Münzer  ('genußreich,  ob- 
wohl dem  Fachmann  nicht  viel  Neues  bietend'),  Berl.  phil.  WS. 
1903  Sp.  1319  von  E.  Wolff  (das  Bild  der  geistigen  Persönlichkeit 
des  Tacitus,  wie  es  ß.  gezeichnet  habe,  sei  an  innerer  Wahrheit 
und  an  Lebendigkeit  kaum  zu  übertreffen;  unter  den  Personen 
des  Dialogus  sei  Matemus  eher  als  Messalla  diejenige,  mit  deren 
Lebensanschauungen  sich  die  des  Tacitus  decken),  Atene  e  Roma 
VI  59  S.  341  von  F.  Ramorino  (dieser  tritt  am  Schlüsse  seiner 
Anzeige  mit  Rücksicht  auf  die  Art,  wie  Agr.  3  von  Trajan  ge- 
sprochen wird,  dafür  ein,  daß  der  Agricola  erst  Ende  99  oder 
Anfang  100  geschrieben  sei),  Class.  Rev.  XVIII  S.  223  von  T.R. 
Glover,  Museum  XI  S.  335  von  J.  J.  Hartman,  Journ.  des  Savants 
1903  (8)  S.  452—464.  (9)  S.  482—489  von  Th.  Fabia  (die  Auf- 
fassung, die  Tacitus  von  den  Aufgaben  der  Geschichtschreibung 
habe,  entferne  sich  nicht  weit  von  der  des  Sallust  und  Livius, 
sowie  des  Cicero;  die  Mittel,  die  Wahrheit  zu  finden,  habe  er 
nicht  vermehrt  und  das  Bedürfnis,  zu  den  Originaldenkmälern 
aufzusteigen,  sei  ihm  ebenso  fremd  wie  den  früheren.  Boissier 
behaupte,  Tacitus  habe  sich  von  Männern  wie  Silius  Italicus  und 
Verginius  Rufus  informieren  lassen.  Dem  widerspreche  H.  III  65, 
wo  er  sich  über  einen  Vorgang,  bei  dem  Silius  Zeuge  war,  mängel- 
haft unterrichtet  zeige.  Auch  die  anonyme  Tradition  kenne  er 
meist  nur  durch  die  Vermittelung  seiner  Quellen.  Daß  er,  wie 
alle  römischen  Geschichtschreiber,  stets  einer  einzigen  Hauptquelle 
folge,  werde  für  den  erhaltenen  Teil  der  Historien  durch  sein 
Verhältnis  zu  Plutarch  bewiesen.  Und  hätte  er  in  den  Annalen 
alle  seine  Quellen  gleichmäßig  ausgebeutet,  so  würde  er,  getreu 
dem  XIII  20  gegebenen  Versprechen,  in  dem  Bericht  über  das 
Verhältnis  zwischen  Nero  und  Poppaea  XIII  45.  46  die  H.  I  13 
erwähnte  Version,  die  sich  auch  bei  Plutarch,  Sueton  und  Dio 
findet,  nicht  übergangen  haben.  Dadurch,  daß  er  sie  übergangen 
habe,   werde  bewiesen,    daß  er  auch  hier  eine  Hauptquelle  hatte. 

könnte  folgender  gewesen  sein:  Als  Antonius  sich  bei  der  Auswahl  der  Be- 
gleiter von  Mucian  übergangen  sah,  wandte  er  sich,  während  Mucian  und 
Domitian  sich  zur  Reise  rüsteten,  deren  Antritt  der  erstere  immer  wieder 
hinausschob,  an  Domitian,  um  als  dessen  Gefolgsmann  auf  den  Kriegsschau- 
platz zu  gelangen.  Diesen  Plan  vereitelte  Mucian  im  letzten  Augenblick, 
d.  l.  kurz  vor  der  Abreise,  in  denselben  Tagen,  wo  er  einen  bisher  noch 
nicht  erwähnten  Keim  der  Unruhe  durch  £rmorduog  des  Sohnes  des  Vitellius 
erstickte.  Aber  auch  bei  dieser  Auffassung  klafft  die  Darstellung  im  c.  68, 
insofern  sie  dem  Leser  eine  Auskunft,  die  er  erwartet,  vorenthält.  Sie 
würde  vor  dem  mit  adsumunlur  beginnenden  Satze  einzufügen  sein  und 
etwa  lauten:  'wie  er  die  von  Antonius  drohende  Gefahr  beseitigen  solle, 
darüber  gelangte  Mucian  zu  keinem  Entschlüsse'.  Auch  Fabias  Urteil  über 
das  von  Tacitus  angegebene  Motiv  seiner  Zögerung  bliebe  bestehen 


Tacitus,  von  G.  Andresen.  335 

Wo  es  scheine,  daß  er  sich  auf  viele  Quellen  berufe,  seien  seine 
Ausdrucke  meist  so  unbestimmt  und  unpersönlich,  daß  sie  die 
Annahme  einer  Hauptquelle  nicht  widerlegen;  und  die  Quellen, 
die  ihm  zur  Kontrolle  seiner  Hauptquelle  dienten,  habe  er  nur 
dann  und  wann  herangezogen.  Seine  Quellenkritik  sei  die  seiner 
Vorgänger:  sein  Hauptgesichtspunkt  sei  die  Wahrscheinlichkeit. 
Er  habe  sich  bemüht,  die  früheren  durch  seine  Unparteilichkeit 
zu  übertreffen.  Aber  seine  unvollkommene  Methode  der  Erforschung 
und  Kritik,  die  der  ganzen  römischen  Geschichtschreibung  eigene 
rhetorische  Tendenz,  dazu  seine  Vorurteile  und  Leidenschaften 
hätten  seinem  Streben  nach  Wahrheit  im  Wege  gestanden.  Der 
Beifall,  den  er  bei  seinen  Zeitgenossen  fand,  sei  kein  Beweis  für 
die  Unparteilichkeit  seines  Urteils  über  die  Cäsaren;  denn  das 
Publikum  der  Zeit  Trajans  habe  nicht  aufgehört,  den  Domitian 
und  seinesgleichen  zu  hassen.  Die  Ähnlichkeit  des  Urteils  eines 
Sueton  und  Dio  erkläre  sich  aus  der  Erwägung,  daß  diese  ent- 
weder aus  denselben  Quellen  geschöpft  oder  den  Tacitus  reproduziert 
haben.  Alle  zusammen  repräsentieren  die  feindselige  Tradition, 
die  Tacitus  nicht  geschaffen,  sondern  vorgefunden  habe.  Aller- 
dings mache  er  wiederholt  den  Versuch,  sie  einzuschränken;  aber 
sein  Pessimismus  nnd  seine  aristokratische  Voreingenommenheit 
hätten  ihm  nicht  gestattet,  seine  Quellen  in  ausreichendem  Maße 
zu  korrigieren.  Zwar  sei  er  kein  Feind  des  Cäsarenlums,  aber 
ein  Feind  der  einzelnen  Cäsaren,  und  so  sei  er,  ohne  sich  dessen 
bewußt  zu  werden,  daß  seine  Versicherung,  unparteiisch  schreiben 
zu  wollen,  eine  Illusion  sei,  auf  den  Weg  getrieben  worden,  den 
seine  Quellen  ihm  wiesen);  Hendrickson,  The  proconsulate  of 
Julius  Agricola  (JB.  XXIX  S.  219):  Berl.  phil.  WS.  1903  Sp.  1043 
von  E.  Wolff  (zustimmende  Analyse  des  Inhalts),  Rev.  crit.  1903 
Nr.  30  S.  72  von  E.  T.  (4nous  avons  constate  plus  d'une  fois  la 
sterilite  de  toutes  les  discussions  de  ce  genre'),  Ztschr.  f.  d.  öst. 
Gymn.  55  S.  42  von  J.  Golling;  Borenius,  De  Plutarcho  et  Tacito 
inter  se  congruentibus  (JB.  XXIX  S.  222):  Berl.  phil.  WS.  1903 
Sp.  867  von  H.  Peter  (anerkennend,  obgleich  nicht  allen  Deutungen 
des  Verf.  zustimmend),  Rev.  de  philol.  27  S.  260  von  Pb.  Fabia 
('nicht  überzeugend'),  DLZ.  1903  Sp.  2079,  auch  1904  Sp.  988 
von  W.  Kroll  ('wenn  uns  fortwährend  zugemutet  wird  zu  glauben, 
daß  ein  Kapitel  des  Plutarch  zwar  ganz  dem  Tacitus  entnommen 
sei,  gewisse  Zusätze  aber  der  Quelle  des  Tacitus,  so  werden  wir 
es  vorziehen,  uns  ausschließlich  an  diese  Quelle  zu  halten  und 
den  Tacitus  zu  eliminieren')  und  Sp.  2151. 

III.   Historische  Untersuchungen. 

25)  Franz  Gramer,   Der  vicus  Ambitarvius  —  sein  Name  und  seine 
Lage.     Westd.  Ztschr.  f.  Gesch.  u  Kunst  1904  S.  274—286. 

Der   vicus   Ambitarvius   supra    confluentes   (Suet.  Cal.  8)    im 

Lande    der   Treverer,    bei    denen   Agrippina,    die    Gemahlin    des 


336  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Germanicus,  im  Jahre  14  d.  Chr.  Schutz  suchte  (Tac.  Ann.  I  40), 
hat  Bodewig  mit  einer  Siedelung  im  Koblenzer  Stadtwalde  iden- 
tifiziert (s.  JB.  XXVI  S.  241),  die  'um  den  Tarvos  herum',  d.i. 
um  einen  Tempel  des  gallischen  Gottes  Tarvos,  gelegen  gewesen 
sei.  Cramer  hat  beobachtet,  daß,  wo  ambi  in  der  ursprunglichen 
Bedeutung  'um  —  herum'  erscheint,  es  sich  stets  mit  einem  Ge- 
wässernamen verbindet,  und  vergleicht  deshalb  den  vicus  Ambi- 
tarvius  mit  dem  pagus  Ambitrebius  CIL.  XI  1147.  Nun  läßt  sich 
das  Flußnamenwort  Tarv  mehrfach  auf  einst  keltischem  Boden 
nachweisen;  danach  würde  der  vicus  Ambitarvius  zu  einem  Gau 
gehören,  der  zu  beiden  Seiten  eines  Baches  namens  Tarva  oder 
Tarvos  lag.  Dieser  Bachname  lebt  heute  als  Bezeichnung  der  an 
seinem  Ufer  gelegenen  Ortschaft  Zerf  weiter.  Der  Bach,  der  diese 
Ortschaft  durchfließt,  mündet  in  die  Ruwer,  diese  in  die  Mosel, 
und  zwar  unterhalb  Trier.  Trotzdem  konnte  der  geographischen 
Lage  nach  ein  vicus  im  Gebiet  des  Zerfbaches  durch  die  Bezeich- 
nung supra  confluentes  (Zusammenfluß  der  Saar  und  Mosel)  näher 
bestimmt  werden.  Die  Lage  abseits  des  Rheines  im  Herzen  des 
Trevererlandes  wird  dadurch  bestätigt,  daß  Tacitus  die  Leute,  zu 
denen  Agrippina  floh,  als  Gallier  und  als  fremdländisch  bezeichnet, 
wonach  es  unmöglich  erscheint,  daß  sie  innerhalb  der  Militär- 
grenze in  der  Gegend  von  Koblenz  Schutz  gesucht  hat. 

Desselben  Verfassers  Aufsatz  'Aliso,  sein  Name  und  seine 
Lage1  (s.  JB.  XXIX  S.  231)  ist  angezeigt  DLZ.  1904  Sp.  1701. 

26)  Kliokenberg,  Die  ara  (Jbiorum  und  die  Anfänge  Kölns.    Korr. 

des    Gesamtvereins   der    deutschen    Geschichts-  und  Altertumsvereine 
51  I  S.  2—6. 

K.  sucht  zu  zeigen,  daß  die  ara  Ubiorum  schon  in  früher 
Zeit  als  Augustusaltar  der  Ubier  entstanden  ist,  daß  ihr  aber 
später  von  den  Römern  eine  bedeutsamere  Stellung  und  Aufgabe 
zugedacht  wurde.  Sie  hatte  ihren  Standort  an  einem  hervor- 
ragenden Platze  im  oppidum,  wahrscheinlich  auf  dem  Neumarkt; 
das  Legionslager  nahm  den  östlichen,  das  oppidum  den  westlichen 
Teil  der  späteren  colonia  Agrippinensis  ein.  Im  Jahre  50  dehnte 
man  das  Stadtgebiet  über  den  Raum  des  verlassenen  Lagers  aus. 

27)  A.  Bö'mer,  Ein  neuer  Versuch  zur  Alisofrage.    Ztschr.  f.  vaterl. 

Gesch.  u.  Altertumskunde  60  (Münster  1902)  S.  101—107. 

B.  meint,  daß  die  gräzisierte  Gestalt  der  ältesten  Namensform 
der  Stever,  Stibirn,  SrlßiQvog,  wenn  sie  in  der  Majuskelkursive 
geschrieben  war,  die  man  zu  Cassius  Dios  Zeit  anwandte,  leicht 
Elison  verlesen  werden  konnte1)  Mehr  kann  man  nicht  verlangen. 
Vgl.  DLZ.  1903  Sp.  2836. 

*)  Ober  den  Fortgang  der  Ausgrabungen  in  Haltern  vgl.  Fr.  Koepp, 
Korr.  der  Westd.  Ztschr.  f.  Gesch.  u.  Kunst  XXIII  (1904)  1,  S  13;  ferner 
Fr.  Koepp,  A.  Bömer,  P.  Wilski,  Mitteil,  der  Altertums -Kommission  für 
Westfalen  III  S.  1—50. 


Tacitu3  ,  von  G.  Andresen.  337 

28)  Eduard    Bartels,   Die  Varusschlacht  und  deren  Örtlichkeit. 
Mit  einer  Karte.     Hamburg  1904,  W.  Mauke  Söhne.    67  S.    S. 

Es  ist  die  zuerst  in  den  'Mitteilungen  des  Vereins  für  Ge- 
schichte und  Landeskunde1  XXVI,  Osnabrück  1901,  erschienene 
Abhandlung  (vgl.  JB.  XXIX  S.  230)  in  ergänzter  Gestalt.  Ihr 
Zweck  ist  der  Versuch,  'mit  Hilfe  der  durch  persönliche  An- 
schauung erworbenen  Landes-  und  Ortskunde  der  Lösung  der 
großen  Streitfrage  neue  Seiten  abzugewinnen'.  Diese  Ankündigung 
klingt  wenig  vertrauenerweckend  (denn  auch  die  Vorgänger  des 
Verf.  haben  das  Gelände  aus  eigener  Anschauung  gekannt),  und 
der  Ertrag  der  Untersuchung  selber  entspricht  ihr  durchaus  nicht, 
man  müßte  denn  etwas  Neues  darin  erblicken,  daß  B.  mit  größtem 
Nachdruck  betont,  daß  unter  paludes  nur  die  Moore  der  nord- 
deutschen Ebene  verstanden  werden  und  daß  demnach  die  Truppen 
des  Varus  nur  in  einem  solchen  Moore  zugrunde  gegangen  sein 
könnten.  Damit  ist  die  Frage  der  örtlichkeit  so  gut  wie  gelöst: 
der  Ort  der  Katastrophe  ist  Barenau. 

Im  einzelnen  führt  B.  folgendes  aus :  Der  Name  saltus  Teuto- 
burgünsis  umfaßt  das  ganze  gebirgige  Waldgebiet  von  Hameln  und 
der  Lippequelle  an  bis  über  Osnabrück  hinaus.  Dieses  Gebiet 
weist  nirgends  ein  Moor  auf;  in  sein  Inneres  ist  nie  ein  römisches 
Heer  eingedrungen.  Demnach  kann  Varus,  nachdem  er  durch  die 
Dörenschlucht  oder  über  Bielefeld  die  Werra  entlang  an  die  Weser 
gelangt  war  und  in  der  Gegend  von  Rehme  während  des  Sommers 
gelagert  hatte,  von  dort  aus  nicht  nach  Osnabrück,  noch  weniger 
auf  Iburg  zu  marschiert  sein,  sondern,  da  auch  alle  andern 
Richtungen,  insonderheit  der  Weg,  den  er  gekommen  war,  durch 
Erwägungen  allgemeiner  oder  besonderer  Art  ausgeschlossen  sind, 
nur  nach  Nordwesten  hin,  um,  durch  die  Porta  und  an  den  Ab- 
hängen des  Wiehengebirges  entlang  ziehend,  an  die  mittlere  Ems 
zu  gelangen,  von  wo  'bekannte  Wege1,  insonderheit  die  pontes 
longi,  zum  Niederrhein  führten.  Die  Schilderung  des  Dio,  dessen 
Bericht  dem  des  Florus  vorzuziehen  ist,  zwingt  nicht  dazu,  an 
einen  Marsch  durch  ein  schluchtenreiches  Gebirge  zu  denken. 
Mommsen  hat  nur  insofern  unrecht,  als  er  annimmt,  daß  Varus, 
nachdem  er  tagelang  seinen  Weg  von  den  Germanen  unbehindert 
verfolgt  habe,  erst  an  der  Hase  bei  Bramsche  angegriffen  worden 
und  dann  umgekehrt  sei;  zudem  ist  es  verkehrt,  den  Münzfunden, 
die  lediglich  eine  bestätigende  Kraft  haben,  eine  entscheidende 
Bedeutung  beizulegen ;  denn  diese  gehört  allein  den  paludes.  Varus 
gelangte  am  dritten  Marschtage  in  die  Geländeenge  bei  Barenau; 
hier  erfolgte  'zwischen  Mooren,  Heiden  und  waldigen  Höhen1  die 
Katastrophe,  wenn  auch  nur  an  den  Abhängen  des  saltus  Teuto- 
burgiensis,  dennoch  in  saltu.  Vacuae  legione*  (Ann.  II  46)  sind 
die  durch  den  Selbstmord  des  Varus  und  vieler  Offiziere  'der 
Führung  beraubte'  Legionen;  Flüchtlinge  gelangten,  quer  durch 
die  Wälder  fliehend,  nach  Aliso  =  Haltern.     Die  superstites  cladis 


338  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

führten  das  Heer  des  Germanicus  im  Jahre  15  denselben  Weg, 
den  sie  unter  Varus  von  Westfalen  her  zum  Sommerlager  und 
von  da  zum  Todeskampfplatz  durchzogen  hatten.  Das  bekannte 
haud  procul  Teutoburgiensi  saltu,  in  quo  etc.  bezeichnet  zwar,  daß 
Germanicus,  als  er  sich  bei  den  äußersten  Brukteren  an  den 
Quellen  der  Ems  und  der  Lippe  befand,  jenem  saltus  nahe  war, 
nicht  aber,  daß  der  Weg  zum  Ort  der  Niederlage  nur  noch  kurz 
war.  Auf  dem  Feldzuge  gegen  die  Cherusker  im  Jahre  16  be- 
rührte man  das  Schlachtfeld  nicht.  Denn  man  wählte  für  den 
Hinweg  zur  Weser  wie  für  den  Rückweg  die  Südseite  des  saltus. 
Die  Schlacht  des  Jahres  15  fand  in  der  Nähe  des  Schlachtfeldes 
vom  Jahre  9  statt;  denn  trotz  in  avia  secutus  kann  man  nicht 
glauben,  daß  Germanicus  dem  Arminius  in  ein  unwegsames  Gebiet 
hinein  gefolgt  sei.  Max  (d.  h.  'bald',  einige  Zeit  darauf)  erreichte 
Germanicus  die  Ems,  d.  h.  die  mittlere  Ems,  von  wo  aus  der 
Feldzug  begonnen  war:  er  hatte  also  von  der  Weser  aus  das  Ziel 
erreicht,  welches  Varus  auf  demselben  Wege  hatte  erreichen 
wollen.  An  der  Ems  teilte  er  sein  Heer:  Caecina  zog  über  die 
pontes  longi,  die  mit  Dahm  auf  der  Linie  Emsbüren-Bentheim  zu 
suchen  sind. 

29)  0.  Dahm,  Kritik  einer  Ausgrabung  auf  dem  Hahuenkamp  bei 

Rehme.     Sooderabdruck    aus    den   Ravensberger  Blättern  IV  6  (Juni 
1904).     lü  S.     8. 

Delbrück1)  und  Schuchhardt  glauben  durch  eine  sechstägige 
Grabung  auf  dem  Hahnenkamp  bei  Rehme  festgestellt  zu  haben, 
daß  dort  unmöglich  ein  großes  Römerlager  gestanden  haben 
könne.  Gegen  diese  Beweisführung  richtet  sich  Dahm,  indem  er 
zu  zeigen  sucht,  daß  das  Sommerlager  des  Varus  eine  solche 
Ausdehnung  gehabt  habe,  daß  seine  Figur  jene  ganze  Ausgrabung 
auf  dem  Hahnenkamp  in  jeder  Richtung  umschließen  könne. 
Auch  spreche  die  Nichtauf  findung  römischer  Scherben  nicht  gegen 
die  Annahme  der  Existenz  eines  Römerlagers  an  jenem  Platze. 

30)  W.  Koch,    Warum    mißlang   den    Römern    die    Unterwerfung 

Deutschlands?    Festrede.    Progr.  Siegen  1903.     12  S. 

K.  führt  aus,  daß  die  Unternehmungen  der  Römer  trotz  der 
geringen  Volkszahl  (zwei  Millionen  zwischen  Rhein  und  Elbe  nach 
Kochs  Schätzung),  der  mangelhaften  Bewaffnung  und  anderer 
Nachteile  der  Gegner  an  dem  Klima  des  Landes,  seinen  Wäldern 
und  Sümpfen,  an   der  Tapferkeit,  Freiheitsliebe  und  Gefolgstreue 


*)  Delbrücks  Vortrag  ' Römerfeldzüge  in  Germanien',  Korr.  des  Ge- 
samtvereins der  deutschen  Geschichts-  und  Altertums  vereine  1902,  XII, 
S.  227  gipfelt  in  den  Sätzen:  'Die  Römer  hatten  zwei  Verkehrswege:  die 
Nordsee  und  die  Lippe.  An  der  oberen  Lippe  wurden  große  Magazine  an* 
gelegt;  in  einigen  Tagemärschen  waren  sie  an  der  Weser,  und  dort  hatten 
sie  ja  wieder  einen  Schiffahrtsweg'. 


^ 


Tacitus,  voo  G.  Aodresen.  339 

der  Deutschen,   besonders   aber   an    der  Größe  Armins  scheitern 
mußten. 

31)  Kooke,  Fuodberichte.     Mitteil,  des  Vereins  f.  Geschichte  u.  Landes- 
kuode  voo  Osnabrück  XXVIII  (1903)  S.  238—254.     Mit  vier  Tafeln. 

Knoke  sucht  die  Unrichtigkeit  der  (neuerdings  von  Bartels  — 
s.  oben  —  vertretenen)  Vorstellung  nachzuweisen,  daß  das  Osna- 
brücker Land  noch  Jahrhunderte  unserer  Zeitrechnung  hindurch 
eine  Waldwildnis  gewesen  sei.  Aus  den  Funden  auf  einer  der 
neolithischen  Entwicklungsstufe  angebörigen  Grabstätte  zu  Hüter 
ergebe  sich,  daß  dort  bereits  in  grauer  Vorzeit  eine  ansässige 
Bevölkerung  gelebt  hat.  —  Ferner  werde  durch  die  auf  und  neben 
den  Moorbrücken  zwischen  Brägel  und  Mehrholz  gefundenen 
Scherben  bewiesen,  daß  der  Ursprung  der  Brücken  in  die  Zeit 
der  Römerkämpfe  fällt  Ebenso  sei  ein  großer  Teil  der  im 
Habichlswalde  gefundenen  Töpferware  als  die  Hinterlassenschaft 
römischer  Soldaten  anzusehen.  Ebendahin  seien  auch  Funde 
anderer  Art  zu  rechnen,  z.  B.  das  Bruchstück  einer  eisernen  Schnell- 
wage, und  die  Holzkohlen,  die  in  dem  weiten  Raum  überall  zer- 
streut liegen. 

32)  Ernst  Devrient,    Die   Sweben  und  ihre  Teilstämme.    Sonder- 
abdruck  aus  Historische  Vierteljahrsschrift  1903  (1).     18  S. 

D.  verteidigt  seine  Aufstellungen  in  den  N.  Jahrb.  1900  und 
1901  (s.  JB.  XXVII  S.  306  und  310)  betreffend  die  Wohnsitze 
der  Hermunduren  und  Cherusker  gegen  die  Einwände  Ludwig 
Schmidts  (Hist.  Vierteljahrsschr.  1902  S.  79)  und  andere  gegnerische 
Stimmen.  Er  gibt  zu  seinen  früheren  Ausführungen  ein  paar 
unwesentliche  Berichtigungen  und  Ergänzungen,  deren  eine  die 
Zeit  des  Zuges  des  L.  Domitius,  der  über  die  Elbe  vordrang,  be- 
trifft. Er  setzt  diesen  Zug,  den  Tacitus  (Ann.  IV  44)  ohne  Zeit- 
angabe erwähnt,  in  die  Zeit  nach  5  n.  Chr.,  da  die  Ausdrucks- 
weise des  Velieius  in  seinem  Bericht  über  den  Zug  des  Tiberius 
im  Jahre  5  n.  Chr.  erkennen  lasse,  daß  dieser  Zug  des  Tiberius 
vor  den  des  Domitius  falle.  Über  die  wechselnde  Bedeutung  des 
Suebennamens  heißt  es  S.  12:  'Um  das  Jahr  8  v.  Chr.  ist  der 
Swebenstamm  im  Maingebiet  in  die  Brüche  gegangen,  und  seit- 
dem gibt  es  nur  noch  Sweben  im  weiteren  Sinn:  eine  Gruppe, 
die  sich  von  der  Ostsee  bis  zur  Donau  erstreckt.  Tacitus  nennt 
Sweben  im  engeren  Sinne  nur  in  seinen  historischen  Schriften, 
wo  er  Vorgänge  aus  der  Zeit  der  Julier  berichtet  (Ann.  I  44. 
II  26.  44.  62.  XII  29.  H.  I  2.  III  5.  21).  In  der  Germania 
führt  er  eine  Gruppe  von  Swebenstämmen  auf,  aber  keinen,  der 
diesen  Namen  im  besonderen  trage'.  Die  hierdurch  versuchte 
Fixierung  des  zeitlichen  Unterschiedes  in  der  Bedeutung  des 
Suebennamens  ist  nicht  klar. 

Angezeigt  DLZ.  1904  Sp.  1188. 


340  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

83)  Fritz  Helmke,    Die  Wohnsitze  der  Cherusker  und  der  Her- 
mundaren.   Progr.  Emden  1903.    43  S. 

Verf.  nimmt,  abweichend  von  Devrient  (s.  JB.  XXVII  S.  306) 
an,  daß  unter  der  Bacenis  Silva,  welche  nach  Cäsar  die  Sueben 
von  den  Cheruskern  schied,  nicht  bloß  die  Rhön,  sondern  auch 
deren  nördliche  Fortsetzungen  zu  verstehen  seien,  d.  h.  daß  zu 
Cäsars  Zeit  das  Eichsfeld  und  der  Harz  die  nordwestliche  und 
nördliche  Grenze  der  Sueben  gegen  die  Cherusker  bildeten.  Das 
obere  Werratal  und  Thüringen  waren  suebisch,  während  die  Chatten 
an  der  Eder  wohnten  und  sich  erst  später  nach  Süden  aus- 
breiteten. Aus  den  Berichten  über  die  Feldzuge  des  Drusus  er- 
sieht man,  daß  ein  Teil  des  Cheruskerlandes  links  der  Weser  lag. 
Im  Jahre  11  v.  Chr.  erreichte  er  die  Weser  (in  der  Gegend  von 
Karlshafen),  nicht  die  Werra,  wie  Devrient  glaubt;  im  Jahre  9 
überschritt  er  die  Werra  (nicht  die  Weser),  und  zwar  nördlich  des 
Thüringer  Waldes,  und  durchzog  von  hier  aus  das  Cheruskerland. 
Die  Gegend  südlich  vom  Harz  war  also  damals  cheruskischer  Be- 
sitz. In  der  Zeit  zwischen  Cäsars  und  Drusus1  Feldzügen  haben 
nämlich  die  Cherusker,  wie  es  scheint,  dieses  Land  erobert;  das 
hier  von  ihnen  unterworfene  oder  von  hier  verdrängte  Volk  sind 
die  Hermunduren,  ein  suebischer  Stamm,  ausgegangen  von  dem 
suebischen  Kernvolk  der  Semnonen  an  der  mittleren  Elbe. 
Domitius  siedelte  die  vertriebenen  Hermunduren  in  Franken  an; 
sie  sind  mit  den  Donau -Hermunduren  in  Tacitus'  Germania 
identisch.  Einen  anderen  Teil  der  Hermunduren  finden  wir 
19  n.  Chr.  in  Böhmen;  diese  sind  die  Elbe  aufwärts  dorthin  ge- 
zogen, nachdem  sie  einige  Jahre  zu  beiden  Seiten  der  Elbe  im 
heutigen  Königreich  Sachsen  gesessen  hatten  (Vell.  II  106). 

In  der  Darstellung  der  Kriegszüge  des  Germanicus  schließt 
sich  H.  im  wesentlichen  an  Dahms  Ergebnisse  (s.  JB.  XXIX  S.  227) 
an;  insonderheit  entscheidet  er  die  wichtige  Frage  nach  der  Lage 
des  Grenzwalles  der  Angrivarier  in  demselben  Sinne  wie  dieser. 
Zu  dem  Kampfe  zwischen  Marbod  und  Arminius  vermutet  er, 
daß  mit  Inguiomerus,  der  vielleicht  im  cheruskischen  Thüringen 
seinen  Wohnsitz  hatte,  wo  die  Mehrzahl  der  Bevölkerung  aus 
unterworfenen  Hermunduren  bestand,  Scharen  thüringischer  Her- 
munduren zu  Marbod  übertraten.  Die  Hermunduren,  welche  unter 
Vibilius  den  Catualda  und  später  den  Suebenkönig  Vannius,  dessen 
Reich  an  der  March  lag,  stürzten,  sind  die  oben  erwähnten  böhmi- 
schen Hermunduren;  in  ihrem  Gebiete,  im  südlichen  Böhmen, 
entspringt  die  Elbe,  d.  i.  die  Moldau.  Den  thüringischen  Hermunduren 
gelang  es,  während  der  inneren  Wirren  unter  den  Cheruskern 
nach  dem  Tode  des  Arminius  sich  von  der  cheruskischen  Herr- 
schaft zu  befreien;  sie  kämpften  mit  den  Chatten  im  Jahre  58 
um  den  heiligen  Salzfluß,  die  Werra.  Durch  das  Vorrücken  der 
Chauken  und  Angrivarier  nach  Süden  wurden  die  Cherusker   auf 


Tacitus,  von  G.  Andresen.  34X 

den  Westrand  des  Harzes  und  die  Gebiete  nördlich  davon  begrenzt, 
bis  sie  in  den  Nachbarvölkern  untergingen. 

34)  ß.  Bunte,  Beiträge  zur  Geschichte  der  Friesen  und  Chauken. 
Jahrbuch  der  Gesellsch.  f.  b.  K.  and  vaterl.  Altertümer  zu  Emden 
XIV  (1902)  S.  104—146. 

Diese  Schrift  bildet  den  [zweiten  Teil  der  JB.  XXVII  S.  305 
besprochenen  Untersuchungen.  Daß  Tacitus  das  rechtsrheinische 
Deutschland  nicht  mit  eigenen  Augen  gesehen  haben  könne,  sucht 
B.  durch  eine  Kritik  dessen,  was  er  Germ.  35  über  die  Chauken 
erzählt,  zu  erweisen.  Hier  offenbare  sich  eine  rhetorische  Ideali- 
sierung des  Charakters  der  Chauken,  und  in  implent  liege  eine  arge 
Übertreibung  (unrichtig  übersetzt  B.  adsequuntur  'geltend  machen* 
und  st  res  poscat  *  sobald  es  die  Umstände  erlauben')* 

Eine  Nachricht  aus  dem  13.  Jahrhundert  erwähne  einen  Ort 
Fle,  der  in  einem  untergegangenen  Teile  des  friesischen  Westergo 
gelegen  zu  haben  scheine.  Es  sei  daher  glaublich,  daß  das  castellum 
Flevum  (Ann.  IV  72)  im  südlichen  Teile  der  heutigen  Zuidersee, 
südlich  von  Staveren,  gestanden  habe. 

Nach  Plin.  N.  H.  25,  6  hatte  Germanicus  im  Jahre  15,  ehe 
er  seine  Fahrt  nach  der  Ems  unternahm,  ein  Lager  in  Friesland. 
Dieses  sei  wahrscheinlich  im  nördlichen  Teil  der  jetzigen  Provinz 
Friesland,  am  Borndiep,  anzusetzen.  Hierhin  habe  sich  Germanicus 
auch  im  Jahre  16  begeben,  nachdem  er  die  Sturmflut  überstanden 
hatte;  ebendahin  sei  der  Zug  des  Vitellius  im  Jahre  15  gerichtet 
gewesen,  nicht  an  die  Weser,  wie  Knoke  meint  (denn  Ann.  I  70 
sei  mit  Lipsius  ad  amnem  Vidrum  =  Borndiep  zu  schreiben). 

Die  hiberna  castra  duarum  cohortium  H.  IV  15  seien  im 
Lande  der  Kannenefaten,  nicht  weit  von  dem  batavischen  Lugdunum, 
zu  suchen. 

Die  Existenz  eines  Kastells  Amisia  lasse  sich  aus  Tacitus  nicht 
erschließen.  Ann.  II  8  sei  mit  Seyffert  zu  schreiben  classis  Ämisiae 
(vre)  relicta  laevo  amne,  d.  i.  'in  dem  Mündungsgebiete  der  Ems, 
und  zwar  an  der  linken  Seite1,  in  der  Gegend  von  Weener.  Der 
von  Ptolemäus  II  11,  28  erwähnte,  nach  der  Ems  benannte  Ort 
Amisia  habe  jedenfalls  weit  von  der  Emsmündung  und  den  Wohn- 
sitzen der  Chauken  gelegen. 

An  das  praesidium  in  Chaucis  Ann.  I  38  könne  man  nicht 
glauben,  weil  ein  Detachement  in  dem  weit  entfernten  Ostfries- 
land nicht  denkbar  sei.  Es  müsse  in  Chattis  heißen  (vgl.  G.  Zippel, 
JB.  XXH  S.  168):  die  Vexillarier  hätten  als  ein  Detachement  der 
Mainzer  Truppen  in  Heddernheim  gelagert;  hier  habe  auch  das 
Kastell  iv  Xdttoig  gelegen  (Dio  54,  33).  Der  längst  erhobene 
Einwand,  daß  diese  Änderung  an  den  Worten  discordium  legionum 
scheitere,  insofern  sie  zeigen,  daß  es  sich  um  ein  Detachement 
des  unteren  Heeres  handelt,  scheint  Bunte  nicht  bekannt  geworden 
zu  sein.  —  Aliso  verlegt  er  nach  Hamm. 


342  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

35)  B.W.  Henderson,   The    life    and   priocipate    of   the  emperer 

Nero.    With  three  maps  and  sixteen  illustratioos.    London,  Methueo. 
XIV  u.  528  S.     8. 

Nach  Athenaeum  3978  S.  106  trotz  einzelner  Mängel,  be- 
sonders in  dem  Urteil  über  Sueton  und  Cassius  Dio,  eine  wert- 
volle Leistung.  Nach  F.  T.  Richards,  Class.  Rev.  1904  S.  57  ent- 
hält das  Buch  eine  günstige  Beurteilung  des  Kaisers,  soweit  die 
Überlieferung  eine  solche  irgend  gestatte. 

36)  Philippe    Fabia,    L'iaceodie    de    Lyon    sous    Neron.      Revue 

d'histoire  de  Lyoo  III  1  (1904)  S.  5—23. 

Nach  dem  Vorgange  Hirschfelds  (Hermes  52,  294  und  CIL. 
XIII  S.  252)  sucht  Fabia  die  Schwierigkeiten  zu  lösen,  die  ein 
Vergleich  zwischen  Sen.  ep.  91  und  Tac.  Ann.  XVI  13  ergibt. 
Nipperdeys  Annahme  einer  Lücke  in  der  Tacitusstelje  sei  hinfällig; 
denn  durch  den  Ausdruck  urbis  casibus,  womit  der  Brand  Roms 
vom  Jahre  64  gemeint  ist,  gebe  Tacitus  dem  Leser  deutlich  genug 
zu  verstehen,  daß  der  Ausdruck  cladem  Lugdunensem  denselben 
Sinn  habe.  Den  Brand  von  Lyon  habe  Tacitus  nicht  bloß  des- 
halb nicht  erzählt,  weil  Lyon  eine  Provinzialstadt  war  (erzähle 
er  doch  z.  B.  das  Erdbeben  in  Asien  II  47),  sondern  auch  weil 
er  nach  der  Beschreibung  des  Brandes  von  Rom,  deren  Einzel- 
heiten z.  T.  auf  jeden  Brand  einer  großen  Stadt  passen,  Wieder- 
holungen vermeiden  wollte,  die  um  so  eintöniger  gewirkt  hallen, 
als  die  Katastrophe  Lyons  sehr  bald  auf  die  Einäscherung  Roms 
folgte.  Er  habe  daher  auch  nur  einen  Brand  Roms  beschrieben, 
wie  nur  ein  Erdbeben,  und  wurde  den  Brand  Lyons  vermutlich 
gar  nicht  erwähnt  haben,  wenn  Nero  die  Abgebrannten  nicht 
unterstützt  hätte. 

Nach  Seneca  ging  Lyon  im  100.  Jahre  nach  seiner  Gründung 
unter,  d.  i.  58  n.  Chr.,  während  Neros  Schenkung  nach  Tacitus 
erst  65  erfolgte.  Da  es  nun  gleich  schwer  begreiflich  ist,  daß 
diese  Unterstützung  sieben  Jahre  auf  sich  warten  ließ,  wie  daß 
die  Lugdunenser  Rom  unterstutzten,  ehe  ihr  eigener  Schaden  aus- 
geglichen war,  so  vermutete  Nipperdey,  daß  bei  Tacitus  ein  zweites 
Unglück  der  Lugdunenser  zu  verstehen  sei.  Nun  erzählt  aber 
Seneca,  daß  das  Unglück  von  Lyon  sich  ereignete  ubique  armis 
quiescentibus.  Daraus  schließt  Fabia  (wie  Hirschfeld),  daß  der 
Brief  91  nicht  vor  Mitte  63  geschrieben  sein  könne,  d.  h.  nicht 
vor  dem  Ende  des  Partherkrieges,  der  von  Anfang  58  bis  in  den 
Sommer  63  dauerte.  Da  ferner  der  Brand  von  Lyon  zwischen 
den  Brand  Roms  und  Senecas  Tod  (April  65)  zu  setzen  ist,  d.  i. 
in  das  Ende  des  Jahres  64  oder  in  den  Anfang  des  Jahres  65, 
so  könne  Senecas  Brief  nicht  vor  65  geschrieben  sein,  im  107. 
Jahre  nach  Lyons  Gründung.  Man  hat  daher  vorgeschlagen,  bei 
Seneca  septimus  nach  centesimus  einzuschieben,  zumal  da  die  Wahl 
des  Ordinalzahlworts    die  Ungenauigkeit    noch    auffälliger    mache. 


\ 


Tacitus,  von  G.  Aodreseo.  343 

Nach  Fabias  Ansicht  ist  Senecas  Zeitbestimmung  wissentlich  und 
absichtlich  ungenau.  Denn  erstens  entspreche  die  runde  Zahl 
dem  Bedürfnis  des  oratorischen  Stils;  zweitens  verschärfe  die 
Verringerung  der  Zahl  den  Gedanken,  daß  die  Dauer  des  Bestehens 
der  Stadt  nicht  einmal  die  äußerste  Grenze  des  menschlichen 
Lebens  (120  Jahre)  erreiche. 

Senecas  Brief  enthalte  zwar  leise  Anspielungen  auf  den  Brand 
Roms,  meide  aber  eine  offene  Parallele  zwischen  beiden  Kata- 
strophen. Durch  eine  solche  habe  Seneca  gefürchtet,  bei  Nero 
anzustoßen,  den  man  vom  ersten  Augenblick  an  der  Brandstiftung 
beschuldigt  hatte. 

Wenn  man  vorgeschlagen  habe,  durch  Änderung  von  quadragies 
bei  Tacitus  in  quadringenties  die  Summe,  die  Nero  der  Stadt  Lyon 
schenkte,  zu  verzehnfachen,  so  entspreche  eine  solche  Erhöhung 
allerdings  dem  Maße  der  bei  anderen  Gelegenheiten  ähnlicher  Art 
gewährten  kaiserlichen  Geschenke;  trotzdem  sei  die  Änderung  ab- 
zuweisen. Denn  abgesehen  davon,  daß  die  Finanzen  Roms  da- 
mals zu  stark  in  Anspruch  genommen  waren,  als  daß  man  an- 
nehmen könnte,  Nero  hätte  eine  so  große  Summe  hergegeben, 
wäre  die  Konsequenz  jener  Änderung,  daß  die  Lugdunenser  ihrer- 
seits 40  Millionen  für  Roms  Wiederaufbau  beigesteuert  hätten, 
was  nicht  glaublich  sei. 

37)  Karl  Hofbauer,  Die  'erste'  Christe  n  Verfolgung.    Beiträge  zur 
Kritik  der  Tacitusstelle.     Progr.  Oberhollabruon  1903.     47  S. 

Die  Abhandlung  bringt  zwar  nichts  Neues,  doch  lohnt  es 
sich,  ihren  Inhalt  kurz  zu  skizzieren.  Die  Glaubwürdigkeit  des 
Tacitus  in  seinem  Bericht  XV  44  ist  durch  den  Zwiespalt  der 
Anschauungen  über  seine  Quellen  und  über  die  Art,  wie  er  sie 
benutzt  hat,  nicht  erschüttert  worden.  In  subdidit  reos  liegt  kein 
Anstoß;  denn  Nero  hatte  Ursache,  den  Volksunwillen  zu  be- 
schwichtigen. Auch  der  Name  Christiani  ist  bei  Tacitus  nicht 
auffällig,  da  der  in  Syrien  zuerst  gebrauchte  Name  im  Jahre  64 
bereits  in  Italien  und  Rom  populär  sein  konnte.  An  der  Ver- 
breitung der  Vorstellung  von  den  flagitia  der  Christen,  wobei  man 
an  thyesteische  Mahlzeiten  und  ödipodeische  Verbindungen  zu 
denken  hat,  waren  die  Juden  sicherlich  stark  beteiligt.  Der 
römische  Haß  gegen  die  Juden  wurde  auf  die  Christen,  deren 
Heimat  Judäa  war,  übertragen;  er  wurde  genährt  durch  die  be- 
leidigende Absonderung  der  Christen,  die  unpatriotisch  und  anti- 
national erschien,  und  durch  die  geheimen  nächtlichen  Versamm- 
lungen: man  sprach  von  Incest  und  Kindermord,  von  Zauberei 
und  magischen  Künsten.  Alle  diese  Anklagen  fassen  sich  zusammen 
in  dem  Schlagwort  odium  generis  humani,  welches  die  Gemein- 
gefährlichkeit der  Christen  bezeichnet;  hierauf  bezieht  sich  auch 
sontes.  Zu  fatebantur  ist  zu  ergänzen  Christianos  se  esse:  in  dem 
Bekenntnis  der  Zugehörigkeit  zum  Christentum  lag  das  Geständnis 


344  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

des  Verbrecherischen,  das  man  untrennbar  damit  verbunden  dachte. 
Coniuncti  sunt  ist  nicht  zu  ändern  und  heißt  'wurden  zugesellt1; 
convicti  würde  ein  ordentliches  Gerichtsverfahren  voraussetzen, 
wovon  bei  Tacitus  keine  Rede  ist :  man  schritt  ein  auf  Grund  der 
magistratischen  Koerzition.  Die  Beschuldigung  der  Brandstiftung 
lag  um  so  näher,  als  die  Christen  den  baldigen  Weltuntergang 
durch  Feuer  erwarteten.  Multitudo  ingens  enthält  keine  Über- 
treibung: Rom  war  schon  damals  neben  Judäa  der  Hauptherd  des 
Christentums.  Für  die  Aburteilung  dispensierte  man  sich  von  der 
Beweisführung  für  das  Verbrechen  der  Brandstiftung;  die  Christen- 
qualität galt  als  hinreichend  für  die  Verdammung.  So  wurde  aus 
dem  BrandprozeS  ein  Christenpiozeß  gemacht.  Die  Verfolgung 
blieb  nicht  auf  Rom  beschränkt,  obwohl  Tacitus  von  einer  Aus- 
dehnung über  Italien  und  die  Provinzen  schweigt  und  eigene 
Gesetze  gegen  die  Christen  nicht  erlassen  wurden.  So  über- 
dauerte die  Christen  Verfolgung  als  Polizeimaßregel  selbst  Neros 
Regierung. 

Dasselbe  Thema  bebandelt  der  mir  unbekannt  gebliebene 
Aufsatz  von  V.  Smialek,  Des  Tacitus  Aussage  über  die 
ersten  Christen,  Eos  VIII  S.  22— 37. 

38)  H.  Stuart  Jones,  La  Chronologie  des  salutatioos  imperiales 

de  Nero n.     Rev.  archeol.  1904  Mars-Avril  S.  263—272. 

Jones  nimmt  die  von  Ed.  Maynial  in  der  Rev.  archeol.  1901 
S.  167  ff.  (s.  JB.  XXVIII  S.  303)  behandelte  Frage  wieder  auf,  da 
er  nicht  mit  allen  Ergebnissen  Maynials  übereinstimmt. 

39)  £.  Ritterling,   Epigraphische   Beiträge    zur   römischen    Ge- 

schichte 1.    Rhein.  Museum  1904  8.  55—62. 

R.  macht  es  auf  Grund  einiger  Carnuntiner  Grabschriften 
und  ihrer  sprachlichen  Eigentümlichkeiten  wahrscheinlich,  daß  im 
Jahre  63  n.  Chr.,  nachdem  die  legio  XV  Apollinaris,  die  seitherige 
Garnison  von  Carnuntum,  in  den  Orient  abgegangen  war  (Tac. 
Ann.  XV  25),  die  legio  X  gemina  aus  Spanien  nach  Carnuntum 
versetzt  worden  ist.  Dort  befand  sie  sich  noch  zur  Zeit  von 
Galbas  Erhebung,  der  damals  nur  eine  einzige  Legion,  die  legio  VI 
victrix,  unter  sich  hatte  (Tac.  H.  I  16.  V  16).  Nach  seinem  Ein- 
züge in  Rom  verlegte  Galba  die  leg.  X  gemina  in  ihre  alte  Provinz 
zurück,  und  hier  finden  wir  sie  H.  II  58  im  April  69.  Sie  wurde 
an  der  Donau  ersetzt  durch  die  legio  Hispana  (H.  I  6),  welche 
den  Galba  nach  Rom  begleitet  hatte,  d.  h.  durch  die  legio  septima 
Galbiana  (H.  II  11),  die  mit  ihrem  Legaten  Antonius  Primus 
(H.  II  86)  das  Carnuntiner  Lager  bezog.  In  der  zweiten  Hälfte 
des  Jahres  69,  nachdem  die  VII  Galbiana  mit  den  übrigen  illyri- 
schen Legionen  nach  Italien  gezogen  war,  scheinen  Vexillarier  des 
orientalischen  Heeres,  die  Mucian  herangeführt  hatte,  vorüber- 
gehend die  Grenzwache  an  der  Donau  gehalten  zu  haben,  bis  eine 


■\ 


Tacitus,  von  G.  Andresen,  345'! 

der  vittae  legiones  (per  lUyricUm  dispersae  H.  III  35),  wahrschein- 
lich die  XXII  primigenia,  nach  Pannonien  gelegt  wurde.  In  der 
zweiten  Hälfte  des  Jahres  71  wurde  das  Lager  von  Carnuntum 
wieder  von  der  aus  Alexandria  zurückgekehrten  XV  Apolliparis 
besetzt. 

40)  Victor    Chapot,    Inschrift    des    [P.]   Marias   Celsos.     Bali,  de 

corr.  hell.  XXVI  (Paris  1903)  S.  206. 

Nach  der  hier  veröffentlichten,  in  Commagene  gefundenen 
lateinischen  Inschrift  ist  ein  Marius  Celsus  Legat  von  Syrien  ge- 
wesen, und  zwar,  wie  die  Titulatur  des  Vespasian  und  Titus  er- 
gibt, sogleich  nach  L.  Caesennius  Paetus  (Ann.  XIV  29),  der  Syrien 
70 — 72  verwaltete,  und  bis  höchstens  76,  wo  M.  Ulpius  Traianus, 
der  Vater  des  Trajan,  diese  Provinz  erhielt.  Marius  Celsus  muß, 
wie  es  scheint,  identifiziert  werden  mit  P.  Marius  Celsus,  cos. 
ord.  62  (Ann.  XIV  48),  cur.  aq.  64—66,  nicht  mit  dem  jüngeren 
Marius  Celsus,  den  Tacitus  XV  15  als  Legionslegaten,  H.  I  14  als 
cos.  design.  und  sonst  oft  in  den  beiden-  ersten  Buchern  der 
Historien  erwähnt. 

41)  L.  Valmaggi,  Forum  Alieni  (Nozze  de  Saoctis-Rosmini  S  Sett.  1903). 

Tori uo,  Stab.  tip.  Bagliooe  e  Momo.     15  S. 

Valmaggi  weist  in  dieser  strategisch-topographischen  Studie 
nach,  daß  das  von  Tacitus  in  der  Darstellung  des  Krieges  zwischen 
den  Flavianern  und  den  Vitellianern  H.  III  6  erwähnte  Forum 
Alieni  weder  mit  Ferrara  noch  mit  Legnago  identifiziert  werden 
könne.  Auch  Montagnana  komme  kaum  in  Betracht.  Wahr- 
scheinlich habe  Jung  recht,  der  Forum  Alieni  am  Tartaro  (Tac. 
H.  III  9)  suche.  Genauer  lasse  sich  freilich  die  Lage  des  Ortes 
nicht  bestimmen.  Das  Nähere  über  die  Beweismittel  Valmaggis 
ist  aus  der  Anzeige  seiner  Schrift  in  der  WS.  f.  kl.  Phil.  1904 
Sp.  65  zu  ersehen. 

42)  E.  Kornemano,  Wann  wurde  Trier  römische  Kolonie?    Westd. 

Ztscfar.  f.  Gescb.  u.  Kunst  22  (1903)  S.  178—183. 

Augusta  Treverorum  war  im  Jahre  70  n.  Chr.  Kolonie  (Tac. 
H.  IV  62.  72.  77).  K.  macht  es  im  vorstehenden  Aufsatz  wahr- 
scheinlich, daß  die  Zuerkennung  des  Reichsbürgerrechtes  an  die 
Trevirer  und  die  Erhebung  von  Trier  zur  Kolonie  nicht,  wie  man 
gewöhnlich  annimmt,  durch  Claudius  erfolgt  ist,  auch  nicht  durch 
Otho,  welcher  die  dem  Galba  feindlichen  Lingonen  mit  dem 
Burgerrechte  beschenkte  (und  zwar  vor  der  Kunde  von  ihrer  dem 
Otho  feindlichen  Haltung)  —  vgl.  H.  I  78  — ,  denn  Tacitus  spricht 
ausdrucklich  nur  von  den  Lingonen,  und  Trier  war  zur  Zeit  der 
Thronbesteigung  des  Otho  schon  von  den  Vitellianern  in  Besitz 
genommen  — ,  sondern  von  Vitellius,  und  zwar  bald  nach  dessen 
Schilderhebung,  nachdem  sie  von  Galba  durch  Verlust  der  libertas 

Jahresberichte  XXX.  23 


346  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereius. 

gemaßregelt  worden  waren  (I  53).  Um  das  latinische  Recht,  mit 
welchem  Vitellius  gegen  Ende  seiner  Regierung  freigebig  war 
(H.  III  55  Latium  externis  dilargiri),  könne  es  sich  bei  dieser 
Vergünstigung  nicht  gehandelt  haben;  denn  Cerialis  sage  zu  den 
Liogonen  und  Trevirern  von  Rom  IV  74  quam  victi  victoresque 
eodem  iure  obtinemus.  Aus  dem  Zusatz  von  universis  zu  Lingonibus 
I  78  sei  zu  schließen,  daß  in  der  Regel  die  Bürgerrechtsverleihung 
im  Anschluß  an  das  von  Cäsar  und  Claudius  beliebte  Verfahren 
nicht  an  die  Gesamtheit,  sondern  wohl  nur  an  die  Bewohner  des 
Vororts  erfolgte. 

43)  H.  Will  rieh,  Caligula.  III.    Lehmanns  Beitrage  zur  alten  Geschichte 

III  3  (1903). 

W.  bespricht  S.  436  den  Fall  des  Julius  Graecinus  Agr.  4 
und  die  darin  enthaltene,  längst  erkannte  chronologische  Schwierig- 
keit. Die  Behauptung  des  Tacitus,  daß  die  Weigerung  des  Graecinus, 
den  M.  Silanus  anzuklagen,  die  Veranlassung  seines  Unterganges 
gewesen  sei,  streife  hart  an  Unwahrhaftigkeit;  denn  schwerlich 
habe  Gajus  zweieinhalb  Jahre  mit  der  Bestrafung  gewartet.  Der 
Tod  des  Graecinus  falle  in  die  letzte  Schreckenszeit  unter  Gajus; 
vermutlich  sei  er  wegen  Majestätsbeleidigung  verurteilt  worden. 
Man  könne  höchstens  zugeben,  daß  Graecinus  sich  schon  lange 
in  Ungnade  befunden  und  dieser  Umstand  bei  seiner  Verurteilung 
mitgesprochen  habe. 

44)  Giovanni    Ferrara,    La    forma    della    Britannia    secoodo    la 

testim  onianza  di  Tacito.  Nota  letta  oell' adonaoza  del  7  lnglio 
1904  al  Reale  Istituto  Lombardo  di  scieoze  e  lettere.  Milaoo  1904, 
tipo-iit.  ftebeschini  di  Tarati  e  c.     16  S.     8. 

F.  bespricht  Agr.  10  formam  totins  Britanniae  Livius  veterum, 
Fabius  Rusticus  recentium  eloquentissimi  auetores  oblongae  scutulae 
vel  bipenni  assimulavere.  Von  Livius  stamme  wahrscheinlich  der 
Vergleich  mit  der  scutula,  einem  Worte,  das  hier  vermutlich  eine 
rautenförmige  Figur  bezeichne,  von  Fabius  Rusticus  der  mit  der 
Doppelaxt.  Der  letztere  Vergleich  entspreche  annähernd  der  Ge- 
stalt des  südlichen,  nicht  bis  zur  Clota  und  Bodotria,  sondern 
nur  bis  zum  Humber  reichenden  Teiles  von  Britannien,  d.  h.  des- 
jenigen Teiles,  der  vor  Agricola  bekannt  war,  mit  den  Einschnitten 
Sabrina  (westlich)  und  Metaris  (östlich).  Tacitus  berichtige  die 
Vorstellung  seiner  beiden  Vorgänger,  welche  mit  Unrecht  von  dem 
ganzen  Britannien  sprächen,  insofern,  als  der  nördliche  Teil  der 
Insel  in  die  nördliche  Klinge  der  Doppelaxt  nicht  einbegriffen  sein 
könne  (et  est  ea  facies  citra  Caledoniam  etc.). 

Die  ältere  Tradition,  vertreten  durch  Eratosthenes,  Hipparch, 
Cäsar,  Diodor,  Strabo,  Mela  und  Plinius,  vermutlich  auf  Pytheas 
zurückgehend,  gebe  der  Insel  eine  dreieckige  Gestalt,  die  jüngere, 
die    wir    bei    Isidor,    Orosius,   Julius  Honorius,    in    der   Tabula 


\ 


Tacitus,  von  G.  Androgen.  347 

Peutiogeriana  und  bei  dem  Geogr.  Ravennas  finden,  eine  rauten- 
förmige. Die  letztere  gehe  mutmaßlich  auf  Livius  und  seinen 
Vergleich  mit  der  scutula  zurück. 

45)  Ginseppe  Marra,  Cassii  Severi  vita  oratiooes  Übel  1  i.     Gala- 

tinae  in  Apulis  1903,  ex  officina  Salvatoris  Mariaoi. 

Nach  Boll.  di  fil.  class.  X  S.  117  enthält  diese  kurze  Mono- 
graphie eine  Sammlung  der  wenigen  auf  uns  gekommenen  Notizen 
über  den  Redner  Gassius  Severus,  den  Tacitus  in  den  Annalen 
und  im  Dialogus  je  zweimal  erwähnt. 

46)  Anzeigen  älterer  Schriften:  Viertel,  Tiberius  und 
Germanicus  (JB.  XXVII  S.  313):  Riv.  storica  Italiana  1903  Luglio- 
Settembre  S.  318  von  G.  de  Sanctis;  Delbrück,  Geschichte  der 
Kriegskunst  II  1  (JB.  XXV1H  S.  290):  Hist.  Vierteljahrsschrift  1904 
S.  6 — 7  von  Jos.  Fuchs  ('etwas  leichte  Behandlung  des  Tacitus'); 
Tarver,  Tiberius  the  tyrant  (JB.  XXVIII  S.  290):  Hist.  Ztschr. 
91,  2,  S.  267  von  Ad.  Bauer  (die  wissenschaftliche  Forschung 
dürfe  an  dem  Buche  nicht  vorübergehen;  denn  es  biete  eine  auf 
guter  Kenntnis  der  Quellen  ruhende,  selbständige  Darstellung  des 
Gegenstandes),  N.  Jahrb.  1904  S.  459  von  W.  Schott  (das  Buch 
sei  nicht  streng  wissenschaftlich,  sondern  eher  für  ein  größeres 
Publikum  geschrieben,  jedoch  die  Frucht  wissenschaftlicher  Studien, 
obwohl  es  im  ganzen  keine  wesentlich  neue  Anschauungen  bringe 
und  im  einzelnen  manches  Anfechtbare  enthalte.  Verf.  bezeichne 
seine  Tendenz  durch  eine  feine  Antithese:  'Tacitus  has  killed 
Tiberius  by  style;  I  determined  to  revive  him  by  style');  Willems, 
Le  senat  romain  en  Tan  65  (JB.  XXVIII  S.  302):  N.  phil.  Rund- 
schau 1903  S.  444  von  Ed.  Wolff,  Museum  X  7  von  Boissevain, 
Rev.  crit.  1903  Nr.  47  S.  409  von  J.  Toutain,  La  Cultura  XXII  12, 
Rjv.  di  fil.  XXXII  S.  144  von  G.  M.  Columba,  WS.  f.  klass.  Phil. 
1904  Sp.711  von  J.,  Berl.  phil.  WS.  1904  Sp.72l  von  W.  Liebenam 
("sorgsam  durchgearbeitetes  Material,  fuhrt  aber  nicht  wesentlich 
über  das  Bekannte  hinaus');  Winke lsesser,  De  rebus  divi 
Augusti  auspiciis  in  Germania  gestis  (JB.  XXIX  S.  231):  Berl. 
phil.  WS.  1904  Sp.  109  von  Fr.  Cauer;  Spengel,  Zur  Geschichte 
des  Kaisers  Tiherius  (JB.  XXIX  S.  232) :  N.  phil.  Rundsch.  1903 
S.  487  von  E.  Wolif,  DLZ.  1904  Sp.  359  (ablehnend);  Dahm,  Die 
Feldzüge  des  Germanicus  (JB.  XXIX  S.  227):  Bl.  f.  d.  GSW.  1904 
S.  122  von  A.  Spengel;  Knoke,  Gegenwärtiger  Stand  der 
Forschungen  über  die  Römerkriege  (JB.  XXIX  S.  230):  WS.  f.  kl. 
Phil.  1903  Sp.  943  von  E.  Wolif  (W.  möchte  zwar  nicht  allen 
Folgerungen  Knokes  zustimmen,  findet  aber,  daß  er  in  der  Deutung 
der  Schriftstellertexte  seinen  Gegnern  regelmäßig  überlegen  ist. 
Vacuas  Ann.  II  46  ist  W.  geneigt  im  Sinne  von  'sorglos1  zu 
fassen  und  vergleicht  Agr.  37  vacui  spernebant),  Lit.  Zentr.  1903 
Sp.  1751  (der  Rezensent  behauptet,  ohne  seinen  Namen  zu  nennen, 

23* 


348  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

auch  diese  neueste  Schrift  des  unermüdlichen  'Osnabrücker 
Pamphletisten'  habe  keinen  wissenschaftlichen  Wert),  N.  phil.  Rund- 
schau 1903  S.  556  yon  0.  Wackermann,  Museum  XI  S.  224  von 
J.  J.  M.  Valeton,  Hist.  Ztschr.  91,  3,  S.  538,  Mitteil,  aus  der  bist. 
Lit.  32  S.  133  von  Th.  Preuß,  Ztschr.  f.  d.  öst.  Gymn.  55  S.  365 
von  J.  Oehler. 

IV.   Sprachgebrauch. 

47)  R.  Wimmerer,   Zwei   Eigentümlichkeiten    des   Taciteischea 

Stils.    IL    Ztschr.  f.  d.  öst.  Gymo.  1903  S.  673—713. 

Dieser  Teil  behandelt  eine  bei  Tacitus  besonders  häufige,  von 
ihm  aber  nicht  geprägte,  sondern  schon  vorgefundene  sprachliche 
Besonderheit,  nämlich  die  hypothetischen  Perioden,  in  welchen 
neben  irrealem  Konjunktiv  im  Vordersatz  im  Nachsatze  der  Indikativ 
steht.  Ihre  Erklärung  findet  diese  Erscheinung,  wie  W.  zu  zeigen 
sucht,  ausschließlich  in  der  durativ-konativen  Bedeutung  des  Im- 
perfekts, welches  dem  Präsensstamm,  dem  Träger  der  durativen 
Aktionsart,  angehört,  und  des  ihm  gleichwertigen  Plusquamperfekts, 
sowie  der  dem  zuständlichen  Imperfekt  nahestehenden  coniug. 
periphr.  activa.  Unter  die  Fälle  der  zuletzt  genannten  Form 
stellt  W.  —  diese  eine  Bemerkung  zu  der  auf  das  Wesen  der 
nicht  indikativischen  modi  und  andere  verwandte  theoretische 
Fragen  eingehenden  Abhandlung  sei  mir  gestattet  —  außer  H.  III 
54,  6.  56, 16.  Ann.  III  66,  13  auch  Ann.  1  46  ire  ipsum  et  opponere 
maiestatem  imperatoriam  debuisse  cessuris,  übt  prineipem  . . .  vidissent, 
wo  schon  der  Umstand,  daß  der  Vordersatz  mit  ubi,  nicht  mit  st 
angeknüpft  ist  (ein  Umstand,  der  W.  nicht  entgangen  ist),  zeigt, 
daß  hier  das  part.  fut.,  welches  W.  S.  710  als  'unzweifelhaft 
irreal'  bezeichnet,  nicht  irreal  aufzufassen  ist.  Es  gibt  nicht  ein 
Urteil  der  mit  der  Haltung  des  Tiberius  Unzufriedenen  an  über 
das,  was  die  Aufrührer  getan  haben  würden,  wenn  sie  den  Kaiser 
vor  sich  gehabt  hätten,  sondern  diejenige  Voraussetzung,  auf 
Grund  deren  er  sich  nach  dem  Urteil  der  Unzufriedenen  den 
Soldaten  hätte  entgegenstellen  sollen:  'er  hätte  seine  kaiserliche 
Würde  ihnen  entgegenstellen  sollen  in  der  Voraussetzung,  daß  sie 
nachgeben  würden,  sobald  sie  den  Kaiser ...  sähen1. 

48)  Levi,  Dario  Riso,  La  siotassi  di  Tacito  esposta  nelle  soe  regole 

priocipali  ad  uso  dei  lieei.     Pisa  1903,  tip.  Mariotti.    48  S.    8. 

Dieses  Buch  ist  nach  dem  Urteil  von  L.  Cisorio,  Boll.  di  fil. 
class.  X  S.  114  zwar  keine  Originalarbeit  und  ohne  wissenschaft- 
liche Bedeutung,  aber,  weil  aus  den  besten  Quellen  kompiliert, 
ein  sehr  brauchbares  Lehrbuch. 

49)  F.G.Moore,  Studies  in  Tacitean  ellipsis.    Descriptive  passages. 

Transactions  and  proeeedings  of  the  American  phil.  assoc.  Vol.  34  (1903). 

Verf.  sammelt  die  signifikantesten  Beispiele  jener  bei  Tacitus 
so    häufigen    Art    der    Skizzierung,    durch    die    mit    scheinbarer 


^ 


Tacitus,  von  G.  Andresen.  349 

Ellipse  des  Verbs  Völker  und  einzelne  Personen  und  ebenso  Zu- 
stände, Situationen  und  Stimmungen  in  kühnen  Zügen,  wie  auf 
einem  Gemälde,  charakterisiert  werden.  Vorbereitet  ist  der  Ge- 
brauch dieses  prädikatslosen  nominativus  'adumbrativus'  schon 
bei  Cicero,  Saliust  und  Livius,  besonders  aber  bei  Vergil  (An. 
II  368  crudelis  ubique  Lucius,  ubique  pavor  et  plurima  mortis 
imago);  bei  Tacitus  findet  er  sich  am  häufigsten  in  der  Germania 
und  den  Historien,  d.  h.  in  der  Periode,  wo  der  Einfluß  der 
Rhetorik  auf  seinen  Stil  am  größten  war.  Im  ersten  Buch  der 
Historien  gehören  hierher  die  Charakteristiken  des  Mucian,  Vinius, 
Galba,  im  vierten  Buch  der  Annalen  die  des  Sejan;  an  Beispielen 
der  Situationsmalerei  Agr.  38  vastum  ubique  silentium  etc.,  H.  I  40 
neque  populi  aut  plebis  ulla  vo$  etc.,  Ann.  I  49  diversa  omnium  etc., 
61  medio  campi  etc.,  besonders  kühn  41  nan  florentts  etc.  H.  II  6 
Septem  legiones  etc.  haben  wir  einen  Katalog,  der  grammatikalisch 
so  unvollständig  ist  wie  jeder  Index,  aber  rhetorisch  effektvoll. 
Auch  in  H.  I  2 — 3  sei  keine  Erzählung,  sondern  ein  großes  Ge- 
mälde enthalten,  in  welchem  eine  starke  Interpunktion  nur  an 
einer  Stelle,  nämlich  zwischen  den  beiden  Kapiteln,  berechtigt 
sei  (?).  Faces  in  manibus  H.  III  33  sei  ebenfalls  als  Nominativ 
zu  fassen,  der  dem  voraufgehenden  Infinitiv  parallel  stehe. 

50)  E.  Wölfflio,  Enervis  und  der  Redner  Calvus.    Arcb.  f.  lat.  Lex. 
XIII  S.  438. 

Die  Stelle  Dial.  18  bezeuge  zwar  nicht  mit  Sicherheit,  daß 
Calvus  von  Cicero  gerade  das  Wort  enervis  gebraucht  habe;  sei 
dies  aber  der  Fall,  so  werde  dadurch  bewiesen,  daß  der  Brief- 
wechsel unecht  war.  Denn  enervis  komme  weder  im  ciceroni- 
schen  (Cicero  sage  enervatus)  noch  im  augusteischen  Zeitalter  vor, 
sondern  erst  bei  Valerius  Maximus.  Die  Entstehungszeit  der 
Briefe  wäre  also  zwischen  die  Zeit  des  Tiberius  und  die  des 
Tacitus  zu  setzen. 


51)  Anzeigen  älterer  Schriften:  Fabia,  Onomasticon  Taci- 
teura  (JB.  XXVI  S.  328):  Riv.  di  fil.  1903  S.  606  von  Giov.  Ferrara 
(»äußerst  sorgfältig');  Lexicon  Taciteum  XVI  (JB. XXIX  S.239): 
Arch.  f.  lat.  Lex.  XIII  S.  291;  Gaffiot,  Le  subjonctif  de  repetition 
(JB.  XXIX  S.  241):  DLZ.  1903  Sp.  1592  von  H.  Lattmann1),  Boll. 
di  fil.  X  S.  17  von  L,  Valmaggi,  Rev.  de  l'instr.  publ.  en  Belg.  46 
:S.  298,  WS.  f.  kl.  Phil.  1903  Sp.  1033  von  O.  Weißenfels,  Berl. 
phil.  WS.  1904  Sp.  468  von  J.  Schmalz.  Alle  Rezensenten  er- 
kennen zwar  die  Sorgfalt  und  Eigenart  der  Arbeit  an,  erheben 
aber  z.  T.  wesentliche  Einwände  gegen  die  Auffassungen  Gaffiots. 


l)  Vgl.  Gaffiots  Antwort  io  dem  Aufsatz  '  Le  subjonctif  aprds  quotiens', 
Rev.  de  pbil.  XXVII  S.  273. 


350  Jahreiberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

V.  Textkritik  und  Erklärung. 
52)  J.  J.  Hartman,  Tacitea.    Mnemos.  XXXI  S.  365—407. 

Die  Leser  und  Herausgeber  des  Tacitus  werden  von  Hartman 
in  dieser  Serie  seiner  Tacitea  darüber  belehrt,  daß  sie  in  ihrer 
Harmlosigkeit  über  genau  gerechnet  hundert  Stellen  der  großen 
Werke  hinweggelesen  haben,  ohne  zu  merken,  daß  sie  in  unserer 
Überlieferung  durch  die  in  den  Text  eingedrungenen  Anmerkungen 
eines  magistellus  oder  'sciolus'  entstellt  worden  sind. 

Denn  erstens  dürfe  man  einem  Stilisten  wie  Tacitus  nicht 
zutrauen,  daß  er  jemals  Überflussiges  sollte  gesagt  haben, 
zumal  da  er  auf  denkende  Leser  rechnen  durfte.  Überflüssig 
aber  sei  z.  B.  A.  I  55, 14  gener  invisus  mtmtct  saceri  neben  quae- 
que . . .  erant,  61,  17  er  suo  ictu  neben  infelici  dextera,  66,  8  quia 
per  corpus  legati  eundum  erat  neben  proiectus  in  limine  portae 
miseratione  demum,  XI  31, 10  ut  saerificantes  vel  imanientes  Bacchae 
neben  feminae  pellibus  acdnctae,  XIII  10,  6  kalendarum  lanuari- 
arum  inchoando  anno  neben  veterem  religionem,  43, 4  publicae 
ptcuniae  neben  peculatum,  XIV  8,  20  non  imperatum  parricidium 
neben  nihil  se  die  filio  credere  (jenes  sei  rusticana  simplicitate, 
dieses  verecunde  gesagt),  27,  8  sine  posteris  neben  orbas,  54,  9  in 
tuam  fortunam  recipi  neben  per  procuratores  tuos  administrari, 
XVI  2,  11  servilia  neben  adulatione,  17, 10  administrandis  principis 
negotii»  neben  procurationes;  H.  II  78,  6  arbor  neben  cupressus, 
III  31,  21  comul  neben  praetexta  lictoribusque  insignis,  IV  67,  5 
fusi  Lingones  neben  fortuna  meUoribus  adfuit.  —  Was  jeder  Leser 
wußte,  kann  Tacitus,  wie  H.  meint,  nicht  ausgesprochen  haben; 
deshalb  sei  z.  B.  ut  mos  oraculis  und  ut  Romanus  mos  A.  II  54, 16. 
XVI  6,  5  zu  streichen.  Ebensowenig  könne  man  glauben,  daß  er 
dem  Erinnerungsvermögen  seiner  Leser  mißtraut  habe;  also 
müßten  die  Worte  quibus  sedecim  stipendiorum  finem  eospresserant 
A.  I  78,  7,  libertus  Vüellii  H.  II  95,  8,  quae  se  Narniae  dediderant 
III  67,  7  fallen.  Der  Inhalt  der  Worte  sciUcet  ut. ..  quaereretur 
A.  II  30, 14,  qui  domo  non  excedebant  III  3,  9  ergebe  sich  aus 
dem  Zusammenhange  von  selbst;  sie  seien  somit  interpoliert.  Den 
bekannten  Satz  factum  esse  scelus  loquuntur  faciuntque  H.  III  25, 22 
verstümmelt  H.  durch  Streichung  von  factum  esse  und  nimmt  ihm 
dadurch  seine  Pointe;  pavidos  periculorum  III  41, 11  nennt  er  die 
Ausdrucksweise  eines  Schwätzers  und  streicht  deshalb  periculorum, 
ohne  zu  bemerken,  daß  der  Gegensatz,  der  zwischen  pericu- 
lorum und  dedecoris,  ebenso  wie  zwischen  pavidos  und  securos 
besteht,  jeden  der  beiden  Genitive  unentbehrlich  macht. 

Zweitens  sei  der  Text  des  Tacitus  von  einer  großen  Menge 
solcher  Interpolationen  zu  befreien,  die  sich  als  solche  dadurch 
verraten,  daß  sie  den  Zusammenhang  stören.  Ein  derartiger 
Einschub  sei  gnarum  id  Caesari  A.  I  5,  nach  dessen  Entfernung 
alles  in  Ordnung  sei;   denn  das  Gerücht  sagte,  Livia  habe,  nach- 


"\ 


Tacitu*,  vod  G.  Andresen.  351 

dem  ihr  das  Geheimnis  von  Marcia  mitgeteilt  sei,  zuerst  den  Fabius, 
den  einzigen  Zeugen  der  Unterredung  des  Augustus  mit  Agrippa, 
dann  den  Augustus  selber  vergiftet.  In  Wahrheit  ist  der  Zu- 
sammenhang dieser:  Als  Augustus,  so  kombinierte  man,  erfahren 
hatte  (natürlich  durch  die  Li  via  selbst),  daß  seine  Gattin  um  das 
Geheimnis  wisse,  habe  er  dem  Fabius  Vorwurfe  gemacht,  welche 
dieser  sich  so  zu  Herzen  nahm,  daß  er  seinem  Leben  ein  Ende 
machte  (dubium  an  in  affirmativem  Sinne  wie  incertum  an  XI 18, 16 
quae  nimia  et  incertum  an  falso  iacta).  Nachdem  der  vermutete 
Selbstmord  durch  die  Äußerungen  der  Witwe  bestätigt  worden 
sei,  habe  Livia,  die  aus  der  Verzweiflungstat  des  Fabius  erkannte, 
wie  ernst  ihrem  Gatten  der  Gedanke  an  eine  Versöhnung  mit  dem 
Enkel  sei,  den  Entschluß  gefaßt,  durch  Ermordung  des  Augustus 
die  Zurückberufung  des  Agrippa,  welche  die  Aussschließung  des 
Tiberius  vom  Throne  zur  Folge  gehabt  haben  wurde,  zu  verhindern. 
Somit  ist  gnarum  id  Caesari  im  Zusammenhang  unentbehrlich.  — 
An  die  eigentumliche  Malice,  die  nach  Nipperdeys  Erklärung  in 
den  Worten  ut  numerum  centurionum  adaequarent  I  32  steckt, 
mag  H.  nicht  glauben.  Seine  Leser  aber  werden  ihm  nicht 
glauben,  daß  ein  'homo  semidoctus1  sie  am  Rande  hinzugeschrieben 
habe,  ebensowenig,  daß  der  Sinn  der  nun  übrigbleibenden  Worte 
sexageni  smgulos  identisch  sei  mit  dem  Gedanken,  daß  jede 
Centurie  ihren  Genturio  geschlagen  habe  (suum  cuique  centuriae 
milites  centurionem).  —  Den  Ausdruck  matrimonii  sui  ignarus 
XI  13  (Nipperdey  richtig:  •  blind  inbetreff  seiner  Ehe1)  erklärt  H. 
für  prorsus  sensu  vacuum  und  nimmt  zugleich  Anstoß  an  der 
echt  taciteischen  Anknüpfung  der  Worte  munia  censoria  usurpans 
durch  et.  Er  vermutet,  matrimonii  sui  sei  aus  matrimonii  SiHi 
entstanden,  das  ein  Leser  am  Rande  notiert  habe,  ohne  sich 
darüber  zu  äußern,  daß  die  Streichung  die  Art  der  Anknüpfung 
der  folgenden  Worte  nicht  ändert.  —  XV  47,  3  bezeichnet  semper 
einen  zweimaligen  Fall,  wie  saepe  XIII  6,  2,  wo  man  Nipperdey 
vergleiche.  H.  entzieht  sich  dieser  Auffassung  von  semper  dadurch, 
daß  er  Neroni  streicht,  um  den  Gedanken  zu  verallgemeinern; 
denn  zu  den  Worten  sangume  illustri  semper  expiatum  habe  der 
Leser  ab  eo  qui  Imperium  tenebat  zu  ergänzen.  Ebenso  gewalt- 
sam ist  die  Streichung  von  dedecori  XV  65,  6,  und  von  re~ 
spondentesve  H.  III  73,  20 ;  denn  nicht  bloß  in  dem  rogitare,  sondern 
auch  in  dem  respondere  verrät  sich  die  audacia,  wenn  auch  nitro 
nur  zu  rogitantes  paßt.  —  Daß  die  Worte  spe  victoriae  inducti 
sunt  ut  vineerentur  A.  II  52  so  nicht  richtig  sein  können,  hat  man 
lange  vor  H.  erkannt.  Die  von  ihm  empfohlene  Streichung  des 
ganzen  Satzes  ist  deshalb  verfehlt,  weil  wir  eine  Mitteilung  darüber, 
daß  unmittelbar  vor  dem  Treffen  die  Vereinigung  der  bis  dahin 
getrennten  Streitkräfte  der  Feinde  erfolgte  (ut  iungerentur),  nicht 
entbehren  können.  —  Ebensowenig  ist  ihm  bekannt  geworden, 
daß  die  Stelle  H.  IV  12,  9,    wo  er  opibus  Romanis  streicht  und 


352  Jahresberichte  4.  Philolog.  Verein 8. 

nee  soeietate  validiorum  attriti  —  viros  tantum  armaque  imperio 
ministrabant  —  diu  etc.  schreibt,  durch  Tiedkes  schlagende  Emen- 
dation  längst  in  Ordnung  gebracht  ist. 

Zur  Aufzählung  aller  Reinigungsversuche  Hartmans  fehlt  der 
Raum;  aber  man  darf  mir  glauben,  daß  die  von  mir  übergangenen 
nicht  überzeugender  sind  als  die  mitgeteilten. 

53)  J.  J.  Hartma.0,  Tacitea.    Moemos.  XXXII  S.  49—80. 

Warum  in  der  ersten  Hälfte  dieser  Abhandlung  die  bereits 
Mnemüs.  XXXI  S.  318-336  (s.  JB.  XXIX  S.  250—251)  veröffent- 
lichten Vorschläge  zu  den  ersten  sechs  Büchern  der  Annalen 
wiederholt  werden,  ist  nicht  zu  erkennen.  Denn  von  'neuen  Be- 
weismitteln', die  H.  zu  geben  verspricht,  ist  nicht  viel  zu  ent- 
decken. 

Die  zweite  Hälfte  bringt  Vermutungen  zu  den  letzten  sechs 
Buchern  der  Annalen.  Annehmbar  ist  Caesari  st.  Caesaris  XI  33,  4 
und  hat  auch  handschriftliche  Gewähr  (vgl.  WS.  f.  kl.  Phil.  1902 
Sp.  667);  doch  ist  dieser  Dativ  wohl  nicht  von  adfirtnat,  wie  H. 
will,  sondern  von  dem  zu  ergänzenden  esse  abhängig  zu  denken. 
Einen  gewissen  Grad  von  Probabilität  haben  auch  die  Änderungen 
von  permitti  in  remitti  XI  10,  22,  corrupto  in  cmsumpto  XV  8,  8, 
eins  verbis  in  meis  verbis  XV  63, 19,  ut  in  qui  XVI  5,  13;  doch  fehlt 
der  überzeugende  Beweis  ihrer  Notwendigkeit.  XV  55, 14  schreibt 
H.  vita  amoena  et . . .  probata  als  abl.  abs.,  59,  2  dubius  st.  dubitat, 
XVI  22,  21  quid  Thrasea  novi  fecerit,  24,  8  quod  übt  non  invenit, 
28,  11  Senatoren*  st.  censorem.  An  diesen  fünf  Stellen  ist  die 
Vulgatä  einwandfrei:  zu  vitam  amoenam  et . . .  probatam  ist  nur 
fuisse  zu  denken;  an  der  zweiten  Stelle  rechtfertigt  sich  dubitat 
durch  die  Erwägung,  daß  Scävinus,  obgleich  erschreckt  durch 
die  drohende  Folter,  doch  erst  gestand,  nachdem  Natalis  bekannt 
hatte  und  ihm  von  dessen  Bekenntnis  Mitteilung  gemacht  worden 
war  (c.  56);  an  der  dritten  liegt  in  non  fecerit  eine  besondere 
Pointe:  in  dem  Falle  des  Thrasea  war  alle  Welt  begierig,  zu  er- 
fahren, nicht  was  er  getan,  sondern  was  er  nicht  getan  habe; 
an  der  vierten  würde  man  zu  invenit  als  Objekt  quae  statt  quod 
verlangen  (vgl.  scripsisse  per  quae);  an  der  fünften  wird  senatorem 
durch  das  Folgende  geschützt:  als  Senator  hat  Thrasea  die  ob- 
trettatores  principis  in  Schutz  genommen  (XIV  48),  als  Senator 
(hat  er  zu  den  Sitzungen  zu  erscheinen  (veniret)  und  seine  Vor- 
schläge zu  machen  (censeret).  —  Auch  die  Konjunktive  uteretur 
XI  34,7,  spectaretur  XIII  1,  9  (vgl.  Nipperdey),  faceret  XV  67, 14 
(Hartman  utebatur,  spectabatur,  fecerat)  anzutasten,  liegt  kein  Grund 
vor.  Wie  hier  um  den  Modus,  handelt  es  sich  an  drei  anderen 
Stellen  um  das  Tempus.  XII  66,  10  ist  diu  habita  =  quae  diu 
habita  est;  vgl.  über  adeptus  SB.  XXIX  S.  250  (Hartman  inde.. . 
habita,  d.  i.  'infolge  ihrer  Verurteilung  zur  Hofgiftmischerin  er- 
nannt').   XIII  43,  23  nimmt  H.  Anstoß  an  toleravisse  und  verlangt 


^ 


Tacitus,  von  G.  AndreseD.  .353 

tolerare.  Mit  dieser  Stelle  steht  es  nicht  anders  als  mit  credibile 
erat  Ann.  I  6  und  ähnlichen  Ausdrucken,  worüber  JB.  XXIX 
S.  250.  XIV  52,  12  will  er  reperiri  in  probari  ändern,  weil  ihm 
das. Präsens  mißfallt.  Durch  die  Wahl  dieses  Tempus  läßt  Tacitus 
die  Gegner  des  Seneca  den  Gedanken  aussprechen,  daß  Seneca 
seine  Tätigkeit  als  Erfinder  ununterbrochen  fortsetze. 

Gewaltsam    sind    die   Änderungen    XIV  6,  6   intellegerentur, 
(rata)  misit[que],    XV  16,  2    contra   quam  prodidit  Corbulo    und 

XV  10, 17  sustentare  potuisset,  wo  die  Angabe,  es  sei  sustentavisset 
et  überliefert,  unrichtig  ist;  s.  WS.  f.  kl.  Phil.  1902  Sp.  775.  XIII 
15,6  mußte,  wenn. man  mit  H.  sortientibus  schriebe,  aequalium 
fehlen;  XV  10,  2  darf  qua  nicht  getilgt  werden,  weil  Tacitus  tarnen 
nie  an  die  Spitze  eines  Satzes  stellt.  XV  40,  3,  wo  H.  vorschlägt 
necdum  posito  metu  redibat  haud  levius  rursum  grassaturus  ignis, 
hat  Madvig  im  engsten  Anschluß  an  das  Überlieferte  in  Ordnung 
gebracht.  Ungewöhnlich,  aber  deshalb  nicht  zu  verdächtigen,  sind 
die  Ausdrücke  viam  Miseni  st.  viam  Misenensem  XIV  9,  6,  domitis 
.perdueUibus   XIV  29,  12    und    porrectis    utriusque    brachii   venu 

XVI  35,  4,  wo  H.  Miseni  viam  propter,  perdomitis  rebellibus  und 
sectis  statt  der  letzten  beiden  Silben  von  porrectis  vorschlägt. 
XIII  17,  5  wären  tarn  st.  etiam  und  XIV  11, 10  iamque  st.  namque 
gleich  unverständlich;  zu  der  ersteren  Stelle  ist  außerdem  zu  be- 
merken, daß  Tacitus  die  Vorstellung  des  Volkes  in  der  Tat  nicht 
teilt;  vgl.  XIV  12, 12.  H.  I  86, 18.  IV  26,  6—9,  wo  apud  mperitos 
und  ira  deum  vocabatur  den  Worten  vulgus  iram  deum  portendi 
crediderit  XIII  17  genau  entspricht.  Völlig  haltlos  endlich  ist  die 
Änderung  von  perite  XIV  20,  21  in  pueri  und  der  Einschul)  von 
secura  nach  longinqua  XV  38,  19,  wo  sich  aus  dem  Zusammen- 
hang ergibt,  daß  die  entfernten  Orte  ebendeshalb  von  den 
Flüchtigen  aufgesucht  wurden,  weil  sie  sie  für  sicher  hielten. 

54)  J.  J.  Hartman,  Tacitea.     Mnemos.  XXXII  S.  129—150. 

Ein  paar  Vorschläge  dieser  letzten  Serie  verdienen  Erwägung: 
H.  II  3  sed  scientiam  artemque  haruspicum  accitum  e  Cilicia  Tamiram 
intulisse,  70,7  species  viae>  III  56,18  ut  asper (n)a(retury  quae 
utilia.  Die  übrigen  halten  einer  unbefangenen  Prüfung  nicht 
stand.  H.  I  58,  14  permittenti  (als  Gegensatz  zu  postulantibus) 
st.  punienti.  Capitos  Schuld  war  zweifelhaft  (I  7,  7);  indem 
Vitellius  seinen  Mörder  der  Rache  der  Soldaten  preisgab,  strafte 
er  ihn.  I  64,  10  civium  oder  municipum  st.  militum.  Die  milites 
sind  die  Masse  der  Leute,  welche  Partei  ergriffen,  nachdem  der 
Streit  zwischen  einzelnen  entstanden  war.  II  2,  4  ex  ea  st.  des 
unverdächtigen  ex  eo.  II  32,  25  magnam  ipsa  fama.  Da  müßte 
magnam  in  dem  Sinne  von  validam  stehen;  durch  ipsamy  das  II. 
für  beziehungslos  erklärt,  wird  die  Legion  den  sie  begleitenden 
Moesicae  copiae  entgegengestellt,  wie  III  50, 17  durch  tpsos,  das  H. 
.in  ipsa  ändert,  die  Lage  der  Flavianer  den  eben  erwähnten  Maß- 


354  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

regeln  ihrer  Gegner.  II  59, 1 7  prolatum,  unmöglich.  Denn  der 
Befehl  an  die  Truppen,  dem  Kinde  entgegenzugehen,  ist  undenk- 
bar, wenn  das  Kind  erst  nach  diesem  Befehl  'hervorgeholt'  wird; 
perlatum  ist  ' hingebracht1,  nämlich  zum  Vater.  II  60, 12  crebra 
fatna:  zu  creditum  fama  vgl.  Ann.  III  44  cuncta,  ut  mos  famae,  in 
maius  credita.  II  63,10  cunctantem  <entm>:  seram  wird  durch 
post  scelus  genügend  erklärt.  II  64, 12  ut  gaudium  evecta:  zu  in 
gaudium  evicta  vgl.  Ann.  XV  64  blandimentis  vitae  evicta.  II  76,  28 
novo,  sinnwidrig.  II  82,  6  cogere  st.  eoercere,  welches  in  der 
Bedeutung  Einschreiten  gegen'  zu  segnes  ebensogut  paßt  wie 
castigare  Agr.  21,  5.  II  87,  6  mter  severos  st.  inter  servos,  dessen 
durchaus  befriedigender  Sinn  ist  'selbst  in  der  Umgebung  von 
Sklaven'  (nämlich  von  calones).  II  88,  16  et  st.  aut,  welches 
offenbar  zwei  Fälle  scheidet:  wenn  sie  ins  Gedränge  gerieten,  ver- 
breiteten sie  Schrecken;  wenn  sie  stürzten,  kam  es  zu  Streit  und 
Tätlichkeiten.  II  99, 15  admone(ns  horta)batur,  als  ob  die  gleich- 
zeitige Abhängigkeit  der  Genitive  und  des  ut  von  admonebatur 
nicht  zu  ertragen  wäre.  HI  63,  7  e  victricibus  legion(ibus  cohort)e$, 
wo  schon  validae  das  Überlieferte  schützt.  III  72,  6  civiuin  st. 
principwn:  allerdings  bilden  den  Gegensatz  zu  den  externi  host» 
die  Borger;  aber  principum  verschärft  diesen  Gegensatz,  insofern 
es  ausdruckt,  daß  es  sich  in  dem  Kampfe,  dessen  Opfer  das 
Kapitol  wurde,  nicht  um  die  widerstreitenden  Interessen  ver- 
schiedener Bevölkerungsklassen,  sondern  um  die  zweier  Machthaber 
handelte.  III  84,23  terrent,  unnötig.  IV  12,14  studio  (ut}... 
perrumperet,  minder  gefallig  als  perrumpere  (solitus}.  IV  34,  20 
iamque:  über  nam  vgl.  Wolff.  IV  80, 11  provocare,  wo  zuzugeben 
ist,  daß  die  zur  Verteidigung  von  vocare  angeführten  Parallelstellen 
nicht  völlig  ausreichen.  V  3, 10  Lücke  vor  sei  nihil,  zu  erschließen 
aus  Umgarn  olim  famem  und  raptarum  frugum  c.  4.  Aber  daß 
die  Juden  auf  ihrer  Wanderung  nicht  bloß  gedurstet,  sondern 
auch  gehungert  haben,  geht  aus  der  ganzen  Darstellung  c.  3  her- 
vor. V  4,  10  retinetur:  zu  detinetur  'wird  beibehalten1  vgl.  Ann. 
XIV  39,  11.  V  16, 11  fusos  Germanos:  quod  roboris  fuerit,  (ctci- 
disse),  superesse  etc.  Zu  fundi  =  prosterni  vgl.  H.  IV  33,  20. 
Ann.  XII  13, 14. 

Unnötige  Umstellungen:  I  83,  27  sui  nach  tribuni:  zu  im- 
peratoris  sui  vgl.  Ann.  II  76, 10.  H.  I  40,  8.  III  53, 14.  III  85, 6. 
IV  25,6.  —  II  16,10  imperatorum  nach  ignara;  H.  übersieht, 
daß  ignara  neben  imperitorum  turba  nicht  tautologisch  ist:  die 
imperiti  sind  die  große  Masse,  das  vulgus  im  Gegensatz  zu  den 
principes;  ignara  bezeichnet,  daß  diese  Masse  von  den  Plänen  des 
Pacarius  nichts  wußte.  II  74, 14  esse  privatis  cogitatimibus  pro- 
gressum  prout  velint,  et  plus  minusve  sumi  ex  fortuna,  während 
doch  prout  velint  von  den  beiden  Komparativen  nicht  getrennt 
werden  darf.  III  83,  7  Umstellung  der  vier  in  den  Worten  aUbi 
proelia  . . .  similes  enthaltenen  Satzglieder  in  der  Reibenfolge  1.  4. 


"\ 


Tacitus,  von  G.  Andresen.  355 

3.  2,  wobei  jedoch  alibi,  alibi,  simul,  iuxta  ihre  Stellen  behaupten. 
V  5,  20  summum  . . .  inleriturwn  vor  profams. 

Alle  diese  Vorschläge  werden  an  Verwegenheit  noch  über- 
troffen durch  folgende:  I  13, 10  pater  ac  socer,  obgleich  nicht 
Galba  und  Vinius  —  denn  diese  meint  H.  — ,  sondern  Vinius  und 
Otbo  die  beiden  zuletzt  genannten  Personen  sind.  I  37, 17  prae- 
sidia  st.  provincia,  während  doch  die  Provinzen  Spanien,  Gallien 
(mit  Germanien)  und  Afrika  in  der  voraufgehenden  Aufzählung 
genannt  sind.  I  50,  8  sed  vulgus  quoque  (indignari  et  priora) 
palam  maererc,  weil  maerere  nicht  auf  einen  gegenwärtigen  Zu- 
stand gehen  könne,  sondern  nur  auf  einen  vergangenen,  der 
besser  gewesen  sei  als  der  gegenwärtige.  Hiergegen  vgl.  Ann.  I 
28,  7.  III  44,  5.  —  III  2,  25  auctor  actorque,  als  ob  suasor  irgend- 
wie verdächtig  wäre.  III  41, 18  Gallias  et  exercitus  Germaniae 
novumque  bellum  eieret.  III  46,11  ignarus  mit  der  Begründung: 
4  pro  „certior  factus  de  Cremonensi  victoria"  Latine  vix  dici  posse 
videtur:  „Cremonensis  victoriae  gnarus"'.  Wäre  diese  Behauptung 
richtig  —  daß  sie  nicht  richtig  ist,  zeigt  z.  B.  Ann.  I  36,  5  — , 
so  müßte  sie  auch  ignarus  treffen.  III  61, 12  eerta  fides.  Dann 
wäre  praemüs  Dativ,  an  dessen  Stelle  der  Genitiv  stehen  müßte. 
III  66,  7  ita  perkulum  et  <e  natu  et  e)  misericordia,  jenes  auf 
die  Fla  vianer,  dieses  auf  die  Vitellianer  bezogen.  Die  richtige 
Deutung  der  Worte  ita  periculum  ex  misericordia  findet  man  bei 
Heraeus.  IV  49,  9  et  pace  suspecta  tutius  bellum,  weil  in  der 
Vulgata  der  Komparativ  der  Beziehung  entbehre.  Sie  ergibt  sich 
von  selber  in  einem  Satze  wie  diesem:  'Da  man  im  Frieden  Ver- 
dacht gegen  dich  hegt,  so  ist  es  sicherer  für  dich  Krieg  an- 
zufangen1. 

Hiermit  habe  ich  die  Besprechung  der  über  10  Aufsätze  und 
20  Abschnitte  verteilten  Konjekturen  Hartmans  glücklich  zu  Ende 
gebracht.  Hoffentlich  ist  der  von  ihrem  Urheber  nicht  erstrebte 
Gewinn  größer  als  der  erstrebte. 

55)  H.  van  Herwerden,  Ad  Tacitom.     Mnemos.  XXXII  S.  95— 97. 

Verf.  konjiziert  H.  I  6  tamquam  nocentes,  33  se  tuen»  oder 
tuens  se  st.  lentis,  II  13  ostendms  (in  se)  lotete  respondit,  38  ad 
verum  ordinem  revenio,  III  68  Piso  et  Galba  (et  Otho)  tamquam 
m  acie  cecidere,  77  iuberet.  (hoc  iubet.)  Quod  salutare  etc.,  V  17 
ut  illicerent,  lacessentibus.  Man  erkennt  zwar  die  Motive  dieser 
Vorschläge;  aber  keiner  von  ihnen  ist  geeignet,  die  Autorität 
des  Oberlieferten  zu  erschüttern.  Zu  V  7  bemerkt  Verf.,  fetus 
segetum  seien  die  verschiedenen  Getreidearten,  die  früh  im  Sommer 
reifen,  autumni  fetus  Obst,  Oliven,  Trauben.  In  excedere  deos 
und  motus  excedentium  V  13  findet  er  einen  Widerspruch  mit  der 
Angabe  V  5  mente  sola  unumque  numen  intellegunt. 


356  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

.56)  0.  Siesbye,  Nord.  tidsskr.  f.  fil.  XI  (1903)  S.  149, 

verteidigt  in  überzeugender  Weise  das  Ann.  I  41  überlieferte  et 
externae  fidei.  Der  gen.  quäl,  finde  sich  zuweilen  ohne  ein 
regierendes  Wort,  besonders  wenn  er  durch  eine  beiordnende 
Konjunktion  oder  auf  eine  ähnliche  Weise  an  eine  andere  Be- 
stimmung geknüpft  sei.  Suet.  Caes.  75  medios  et  neutrius  partis 
suorutn  sibi  numero  futuros  pronuntiat,  Tac.  XV  54  quam  inter 
diversi  generis  ordinis  aetatis  sexus,  dites  pauperes  taciturnitate 
amnia  cohibita  sint.  Das  et  stehe  epexegetisch,  wie  Cic.  Sest.  55 
censoria  notio  et  gravissimum  iudicium  sanctissimi  magistratus ;  vgl. 
in  Verr.  V  184  dignum  Capüolio  atque  ista  arce  omnium  gentium, 
Tac.  Germ.  29,  H.  IV  26.  53. 

57)  Franz  Zö'chbauer,  Stadien  zu  den  Anoaleo  des  Tacitus  III. 
Sonderabdruck  aus  dem  Jahresberichte  des  Gymnasiums  der  k.  k. 
Theresianischeo  Akademie  in  Wien  1903.     10  8.     8. 

Z.  verteidigt  XIV  54  das  überlieferte  cetera  invidiam  agent  in 
dem  Sinne  von  'das  Weitere,  das  mit  dem  fortwährenden  Geben 
und  Empfangen  im  Zusammenhange  steht  (die  hieraus  sich  er- 
gebenden Folgen),  wird  den  Neid  wachrufen7.  Diesen  Gebrauch 
von  cetera  und  agere  hat  er  nicht  ausreichend  belegt*  —  XIV  58 
erklärt  er  famae  für  einen  von  credentium  abhängigen  Dativ,  hält 
auch  hier  an  agere  fest  und  übersetzt:  'diese  Dinge,  an  denen 
nichts  Wahres  war,  wurden  nach  der  Sitte  solcher,  die  Gerüchten 
zu  glauben  pflegen,  in  der  freien  Zeit  lebhaft  erörtert  oder  be- 
sprochen1. Der  Satz  befriedigt  weder  dem  Gedanken  noch  dem 
Ausdruck  nach;  agere  otio  'in  der  freien  Zeit  besprechen'  ist  wohl 
kaum  lateinisch.  Gegen  die  Vulgata  erhebt  Z.  zwei  nichtige  Ein- 
wände: er  verlangt  credulorum  für  credentium,  weil  er  nicht  er- 
kennt, daß  Tacitus  hier  nicht  von  einer  Eigenschaft  redet,  sondern 
von  der  Tatsache,  daß  das  Publikum  an  die  Realität  jener  vana 
glaubte.  Ferner  erklärt  er  augebantur  für  unpassend,  weil  eine 
Steigerung  der  erwähnten  Beschuldigungen  unmöglich  sei.  Aller- 
dings wohl  unmöglich,  soweit  diese  Beschuldigungen  die  ver- 
meintlichen Absichten  des  Plautus  trafen,  jedoch  möglich,  soweit 
sie  die  zu  ihrer  Verwirklichung  bereits  begonnenen  Unternehmungen 
berührten.  —  In  demselben  Kapitel  versucht  Z.  die  überlieferten 
!  Worte  effugere  segnem  mortem  otium  zu  retten,  indem  er  esse  er- 
gänzt und  übersetzt:  'dem  langsam  sich  nahenden  Tode  sich 
zu  entziehen  sei  genügend  Muße'.  Nicht  minder  auffallend  ist 
Zöchbauers  Gestaltung  der  folgenden  Sätze:  mffugium  et  magni 
Hominis  miserationem  reperturum,  bonos  consociaturum  audaces, 
nullum  interim  subsidium  aspernantium.  Das  letzte  Wort  würde 
kein  Leser  verstehen,  wenn  Z.  nicht  die  Obersetzung  hinzufügte: 
'nichts  gebe  es,  was  einstweilen  eine  Stütze  der  Gegner  (derer, 
die  von  Plautus  nichts  wissen  wollten),  bilden  könnte".  —  XIV  61 
schlägt   er  repetitum  venerationem  vor,    wobei  in  principis  laudes 


Tacitui,  ven  G.  Andreien.  357 

überflüssig  wäre.  —  XV  38  macht  er  artü  . . .  vicis  als  Dative 
von  obnoxia  abhängig  =  'da  die  Stadt  engen  und  winkligen 
Straßen  . . .  unterworfen  war\  indem  er  gegen  die  gewöhnliche 
Deutung  (der  Gefahr  ausgesetzt  infolge*  usw.  den  Einwand  erhebt, 
daß  diese  Gefahr  auch  von  der  ersten  Ursache  der  Unzulänglich- 
keit der  Gegenmaßregeln,  der  velocitas  malt,  gelte.  Z.  übersieht, 
daß  die  zweite  Ursache  sich  von  der  ersten  dadurch  unterscheidet, 
daß  sie  dauernd  vorhanden  war,  während  die  erste  dem  Ereignis 
eigentumlich  war,  das  hier  erzählt  wird.  —  XV  45  faßt  Z.  prospere 
modal:  'das  Gelöbnis  des  Goldes  hatte  Gluck  gebracht  oder  (aut) 
war  in  Zeiten  der  Not  geschehen  \  Das  sind  *  keine  Gegensätze, 
wie  sie  aut  verlangt.  —  XV  48  entscheidet  er  sich  dafür,  das 
Komma  nach  amicos,  nicht  nach  quoque  zu  setzen.  —  XVI  30 
bedeute  pro  clarüate  'zugunsten  des  glänzenden  Rufes',  d.  h.  um 
sich  (in  der  Provinz)  einen  Namen  zu  schaffen. 

Zöchbauers  Programmschrift  von  1902  (s.  JB.  XXIX  S.  243) 
bespricht  J.  Golling,  Gymnasium  1903  S.  864.  Oft  sei  Zöchbauers 
Interpretation  zu  fein;  manches  sei  gutzuheißen,  so  die  Aus- 
führung über  causam  discordiae  et  initium  armorum  Ann.  I  27. 

58)  Vinceozo  üssaoi,  L'ultima  voce  di  Lncano.    Rivista  di  filologia 

e  d'istruzione  classica  1903  S.  545 — 554. 

Ussani  will  die  Verse,  welche  nach  Tac.  Ann.  XV  70  der 
sterbende  Lukan  rezitierte,  im  vierten  Buche  der  Pharsalia  (ins- 
besondere V.  566—570)  wiederfinden,  wo  der  Untergang  des 
Tribunen  Vulteius  Capito  und  seiner  Genossen  geschildert  wird, 
während  man  sie  gewöhnlich  mit  Phars.  III  635 — 645  identifiziert, 
die  den  langsamen  Tod  des  Lycidas  beschreiben.  Der  neue  Vor- 
schlag hat  wenig  Überzeugendes;  vgl.  die  Anzeige  WS.  f.  kl.  Phil. 
1904  Sp.  42. 

59)  Gustavus  Wörpel,  N.  phil.  Rundsch.  1903  S.  553.  — 
Dienel,  Beiträge  zur  Textkritik  des  taciteischen  Rednerdialogs 
(s.  JB.  XXIX  S.  254),  angezeigt  von  E.  Wolff,  N.  phil.  Rundsch. 
1903  S.  530  und  von  C.  John,  WS.  f.  ki.  Phil.  1904  Sp.  153.  — 
W.W.  Fowler,  Note  on  Tac.  Agr.  33,2,  Class.  Rev.  XVIII  Nr.  1. 
—  L.  Valmaggi,  Sur  quelques  passages  du  troisieme  livre  des 
Histoires  de  Tacite,  Melanges  Boissier  S.  449 — 450.  —  Derselbe, 
Tacito  Storie  III  23, 12  sq.,  Boll.  di  fil.  class.  X  S.  133—134.  — 
G.  Andresen,  Neue  Lesungen  bei  Tacitus,  WS.  f.  kl.  Phil.  1903 
Sp.  1382.    1904  Sp.  142. 

Wörpel  empfiehlt  Dial.  27, 5  im  Anschluß  an  den  Codex 
Ottobonianus,  welcher  aperte  hat,  ape  te  herzustellen,  mit  Berufung 
auf  eine  Notiz  bei  Festus:  ape  apud  antiquos  dicebatur  prohibe, 
eompesce.  Er  hält  es  für  ausgemacht,  daß  Maternus,  der  Dichter 
und  Liebhaber  des  Alten,  obsolete  Wörter  gern  angewendet  habe. 


358  Jahresberichte  d.  Pbilolog.  Vereins. 

Wolff  entscheidet  sich  Dial.  7,  10  für  Michaelis'  Vorschlag 
quod  non  in  alio  oritur,  empfiehlt  Dieneis  Konjektur  zu  11, 16 
statum  viri  civisque  ernstlicher  Beachtung  und  akzeptiert  aus  den 
Erörterungen  Dieneis  über  17, 15  die  Deutung  von  statio  = '  Reichs  - 
wacht',  die  der  Kaiser  alljährlich  am  Gedenktage  seiner  Berufung 
beziehe,  so  daß  sexta  tarn  statio  fünf  vollendete  Regierungsjahre 
bezeichne.  —  John  lehnt  alle  Textesneuerungen  Dieneis  ab,  ebenso 
die  Deutungen  einzelner  Stellen,  soweit  sie  von  ihm  zuerst  vor- 
gebracht worden  sind,  und  erklärt  die  neu  herangezogenen  Parallel- 
steilen  aus  Quintilian  für  belanglos. 

Fowler  verteidigt  das  überlieferte  virtute  et  auspiciis  imperii 
Romani,  fide  atque  opera  nostra.  Hier  sei  virtute  et  auspiciis  nicht 
vom  Kaiser,  sondern  in  allgemeinerem  Sinne  zu  verstehen :  es 
bezeichne  die  Verbindung  menschlicher  Tüchtigkeit  mit  göttlicher 
Approbation.  Tacitus  habe  hier  an  Verg.  Aen.  VI  781  gedacht: 
En  huius,  nate,  auspiciis  illa  incluta  Roma  Imperium  terris, 
animos  aequabit  Olympo  (?).  Auch  Liv.  XXX  14  Syphax  auspiciis 
populi  Romani  victus  captusque  est  stehe  auspicia  im  allgemeinen 
Sinne.  Ein  Beispiel  der  Verbindung  virtus  imperii  Romani  in 
ähnlichem  Sinne  wie  virtus  populi  Romani  (z.  B.  H.  IV  73)  hat 
Fowler  offenbar  nicht  auffinden  können. 

Valmaggi  konjiziert  H.  III  5  gens  fidei,  commissi  patientior, 
indem  er  patiens  mit  'constant1  und  commissum  mit  'entreprise' 
wiedergibt  und  das  Asyndeton  angemessen  findet.  111  7  sei  die 
überlieferte  Namensform  Municius  nicht  in  Minucius,  sondern  in 
Mimcius  zu  ändern,  coli.  Plin.  Ep.  VII  11,  4.  CIL.  VI  t0229,  19. 
III  10  sei  vielleicht  die  richtige  Erklärung  der  Worte  mox  con- 
versus  ad  signa  et  bellorum  deos:  4ensuite  s'elant  tourne  vers 
les  drapeaux  et  invoquant  les  dieux  miiitaires'.  III  23  wäre  es 
wohl  kaum  nötig  gewesen,  die  Worte  ul  in  corpora  gegen  Hart* 
mans  Athetese  (Mnemos.  31,  376),  an  die  doch  niemand  glaubt, 
zu  verteidigen. 

Ann.  XI  27  ist,  wie  ich  a.  a.  0.  gezeigt  habe,  tradam  in 
trado  zu  verwandeln.  Diese  Änderung  rührt  von  dem  Schreiber 
des  Mediceus  selber  her  und  wird  durch  die  Erwägung  bestätigt, 
daß  Tacitus  in  diesem  Satze  von  dem  Berichte  spricht,  den  er 
eben  jetzt  gibt,  nicht  von  den  Berichten,  die  er  geben  werde. 
XIII  14  ist  das  vom  Schreiber  der  Handschrift  gestrichene  rursus 
als  eine  Art  Dittographie  von  Burrus  zu  tilgen.  H.  IV  14  be- 
stätigt die  Korrektur  im  Med.  Halms  Konjektur  impubes  et  forma 
conspicui.  Ann.  III  74  und  H.  IV  50  (an  zwei  Stellen)  ist  die 
überlieferte  Form  Lepcitani,  die  man  allgemein  in  Leptitani  ge- 
ändert hat,  wiederherzustellen,  da  die  Namensform  Lepcis  =  Leptis 
durch  eine  jüngst  gefundene  und  von  Clermont-Ganneau  ver- 
öffentlichte amtliche  Inschrift  sichergestellt  ist. 


*\ 


Tacitus,  von  G.  Andresen.  359 


VI.   Tacitus  in  der  Schule. 

60)  A.  Strobl,  Zur  Schullekture  der  Annalen  des  Tacitus.  Progr. 
des  k.  k.  deutscheii  Obergyranasiums  der  Kleioseite  in  Prag  1904 
S.  11 — 17.  Progr.  des  k.  k.  Staatsgymnasiums  in  Innsbruck  1904 
S.  3—22. 

Das  14.  Buch  der  Annalen  empfiehlt  sich,  wie  S.  ausfuhrt 
(Tgl.  JB.  XXIX  S.  256),  für  die  Schullektüre  auch  dadurch,  daß 
es  treffliche  Beispiele  von  Reden  bietet,  wie  sie  dem  psychologi- 
schen Charakter  der  ganzen  Darstellung  eigen  sind,  und  viele 
Belege  für  die  persönlichen  Anschauungen  des  Tacitus  enthält. 
Minder  geeignet  seien  das   13.,  das  15.  und  das  16.  Buch. 

S.  überlegt  sodann,  ob  sich  aus  dem  zweiten  Teil  der  Annalen 
Partien  ausheben  lassen,  die  in  innerem  Zusammenhange  der  Er- 
eignisse und  Personen  oder  der  Kulturbilder  stehen.  Die  Partien, 
welche  Kriegsgeschichte  enthalten,  sind  schon  deshalb  zu  ver- 
werfen, weil  es  verkehrt  wäre,  dem  Schuler  Tacitus  von  seiner 
minder  günstigen  Seite  zu  zeigen.  In  dem  Thema  'Recht  und 
Gericht'  wäre  der  Stoff  einerseits  zu  umfangreich,  andrerseits  zu 
zersplittert  und  der  Inhalt  zu  eintönig.  Auch  das  Thema  'Der 
Senat  unter  Claudius  und  Nero1  hat  für  den  jugendlichen  Sinn 
zu  wenig  Reiz,  und  die  Stücke  sind  wieder  zu  verzettelt.  Das 
Kapitel  'Die  Staatseinrichtungen  unter  Claudius  und  Nero,  ins- 
besondere die  Neuerungen  im  Staatsleben'  ist  zu  umfangreich. 
Gegen  alle  diese  Gegenstände  zusammen  spricht  auch  der  Um- 
stand, daß  sie  die  Person  des  Princeps  nicht  in  sich  schließen. 
Ein  sehr  abwechslungsreiches  und  interessantes  Material  bietet 
dagegen  'ein  Durchblick  durch  die  Regierungstätigkeit  Neros  und 
seinen  persönlichen  Charakter1,  vorausgesetzt,  daß  man  von  den 
hierher  gehörigen  Partien  einen  Teil  ausscheidet.  Ein  solcher 
Durchblick  würde  nicht  bloß  eine  Charakteristik  Neros  und  der 
ihn  umgebenden  Personen  darbieten,  sondern  auch  die  Stimmung 
des  Publikums  und  mancherlei  anderes  erkennen  lassen,  darunter 
die  persönlichen  Anschauungen  des  Tacitus  und  seine  Eigenart 
als  Geschichtschreiber,  wozu  die  Anschaulichkeit  seiner  Darstellung 
gehört,  wie  S.  sie  an  dem  Beispiel  der  Schicksale  der  Octavia 
nachweist. 

Über  Strobls  Programm  von  1902  berichtet  J.  Golling,  Gym- 
nasium 1903  S.  832. 

61)  Die  Übungsstücke  von  Hammelrath  und  Stephan  (s.  JB. 
XXIX  S.  253)  sind  ferner  angezeigt  von  E.  Krause,  N.  phil.  Rund- 
schau 1903  S.  402  und  Berl.  phil.  WS.  1903  Sp.  1628  von 
Fr.  Müller;  Uppenkamps  Aufgaben  (s.  JB.  XXIX  S.  254)  vom 
Referenten,  WS.  f.  kl.  Phil.  1903  Sp.  1010,  von  Weißenberger,  Bl. 
f.  d.  GSW.  40  S.  98,  von  Jos.  Fritsch,  Ztschr.  f.  d.  öst.  Gymn. 
1903  Sp.  1022,  von  Fr.  Müller,  Berl.  phil.  WS.  1903  Sp.  1597. 


360  Jahreiberichte  d.  Philoiog.  Vereins. 


Nachtrag. 

62)  Theodor  Mannten  (t),  Dag  Verhältnis  des  Tacitus  zu  den 
Akten  des  Senats  (vorgelegt  von  Hirschfeld).  Sitzungsberichte 
der  König).  Preoß.  Ak«d.  d.  Wiss.  28.  Juli  1904.     S.  1146—1155. 

Für  Mommsen  steht  es  fest,  daß  Tacitus  für  die  Epoche  der 
julisch-claudischen  Dynastie  die  Senatsprotokolle,  wenn  überhaupt, 
nur  beiläufig  eingesehen  hat.  Selbst  das  Zitat  XV  74  sehe  aus 
wie  eine  nachgetragene  Notiz.  Andrerseits  lasse  sich  zeigen,  daß 
die  Geschichte  der  Kaiserzeit  von  Zeitgenossen  und  Senatsmitgliedern 
an  der  Hand  der  Senatsprotokolle  zuerst  schriftstellerisch  fixiert 
worden  ist.  Einen  Beweis,  wie  sehr  die  römischen  Annalen- 
schreiber  unter  dem  Einfluß  des  senatorischen  Protokollbuchs 
stehen,  liefere  z.  ß.  die  Darstellung  des  Jahres  22  im  dritten  Buch 
der  Annalen  des  Tacitus,  wo  mit  Ausnahme  der  Todesfälle  des 
Jahres  (c.  75.  76)  keine  Tatsache  erzählt  wird,  welche  nicht  nach- 
weislich im  Senat  verhandelt  worden  wäre  und  von  diesem  Ge- 
sichtspunkt aus  zur  Darstellung  kommt,  wo  ferner  sogar  die  Folge 
die  chronologische  der  Senatsbeschlüsse  ist,  so  daß,  wo  Anklage 
und  Prozeß  in  zwei  Jahrgänge  fallen,  auch  hier  darüber  an  zwei 
Stellen  gehandelt  wird,  von  einer  staatsrechtlichen  Kontroverse 
zuerst  das  Aufwerfen,  dann  die  Entscheidung  berichtet,  endlich 
die  Kriegserzählung  nicht  nach  der  Zeit  der  Aktion,  sondern  nach 
der  des  Rapports  eingestellt  wird.  Wie  die  Folge,  so  sei  auch 
die  Auswahl  der  Tatsachen  durch  den  Einfluß  der  Senatsakten 
bedingt.  Mit  Kriminalprozessen  vor  dem  Senat  seien  viele  Blätter 
von  Tacitus1  Annalen  gefüllt;  Prozesse  vor  dem  Kaiser  seien  da- 
gegen kaum  zu  finden.  Ebensowenig  würden  Verwaltungsangelegen- 
heiten, welche  die  kaiserlichen  Provinzen  betreffen,  berührt.  Die 
Kriegsberichte  der  romischen  Annalen  seien  in  der  früheren  Zeit 
regelmäßig  den  Berichten  entnommen  worden,  welche  die  Feld- 
herren dem  Senat  einsandten,  und  teilweise  gelte  dies  auch  für 
die  Annalen  der  Kaiserzeit,  nur  daß  in  dieser  die  Berichte  an  den 
obersten  Kriegsherrn  gingen  und  von  ihm  nach  Befinden  dem 
Senat  vorgelegt  wurden.  Z.  B.  was  über  den  Armenischen  Krieg 
unter  Nero  berichtet  wird,  stamme  wahrscheinlich  aus  den  Rapporten 
des  Corbulo  und  insofern  aus  den  Senatsakten.  Aber  auch  wo 
eigentliche  Kriegserzählungen  die  Grundlage  unserer  Berichte  sind, 
erkenne  man  in  diesen  mehrfach  Einlagen  in  die  den  Senatsakten 
folgende  Darstellung.  So  gehöre  offenbar  die  aus  den  Senatsakten 
stammende  Angabe  I  55  in.  mit  der  gleichartigen  I  72  in.  zu- 
sammen: sie  bilden  den  Anfang  des  chronologisch  geordneten 
Auszugs  der  Senatsakten  dieses  Jahres,  und  die  Ehrenbeschlüsse 
für  Germanicus  und  seine  Offiziere  seien  gleich  in  der  ersten 
Sitzung  des  Jahres  gefaßt  worden  auf  Grund  der  Erfolge  des 
Jahres  14.  Für  Germanicus  sage  Tacitus  dies  auch  geradezu. 
Dann  aber  sei  der  zwischen  jenen  beiden  Notizen  stehende  Be- 


"> 


Taeitns,  von  6.  Aadresen.  36t 

rieht  über  den  Feldzug  des  Jahres  15  eine  Einlage,  und  zwar 
eine  an  sehr  ungeschickter  Steile  eingefugte. 

Nicht  aus  den  Senatsakten  stamme  z.  ß.  das  II  88  Erzählte, 
nicht  bloß  weil  die  Notiz  am  Schluß  des  Buches  und  der  Zeit 
nach  am  falschen  Platze  stehe  (denn  Arminius'  Tod  gehöre  ins 
Jahr  21)  und  offenbar  nachgetragen  sei,  sondern  vor  allem,  weil 
die  eigentumliche  Berufung  auf  die  scriptores  senatoresque  eorundem 
temporum  keinen  Sinn  haben  wurde  hei  einem  im  Senatsprotokoll 
verzeichneten  Aktenstück.  Die  rhetorische  Literatur  sei  Tacitus 
ohne  Zweifel  geläutig  gewesen:  z.  B.  rühre  sicher  ein  großer  Teil 
der  detaillierten  Schilderung  von  Pisos  Auftreten  vor  und  nach 
dem  Tode  des  Germanicus  aus  der,  wie  Plinius  bezeugt,  publizierten 
Rede  des  Vitellius  her.  Die  Unterredung  zwischen  Tiberius  und 
Agrippina  IV  53  entstamme  den  Memoiren  der  jüngeren  Agrippina, 
den  Acta  diurna  die  Verzeichnisse  der  in  jedem  Jahre  vor- 
gekommenen Todesfälle  namhafter  Personen,  mit  denen  Tacitus 
den  Jahresbericht  zu  schließen  pflegt. 

Man  sieht,  daß  die  Ausführungen  Steins,  über  die  ich  oben 
berichtet  habe,  in  gewissen  Punkten  von  Mommsen  bestätigt  und 
ergänzt  werden,  während  dieser  die  Frage,  ob  Tacitus  selber  die 
Senatsakten  eingesehen  habe,  im  entgegengesetzten  Sinne  beant- 
wortet. 

63)   Conrad  Cichorius,    Zar    Familiengeschichte  Seja«s.     Hermes 
1904  S.  461— 471. 

In  Voisinii  hat  man  eine  Inschrift  gefunden,  an  deren  Anfang 
der  Name  des  als  Präfekt  von  Ägypten  gestorbenen  L.  Seins  Strabo, 
des  Vaters  des  Sejan,  mit  Sicherheit  ergänzt  wird.  Hier  wird  als 
Mutter  des  Seius  Strabo  Terentia,  A.  f.,  als  seine  Gattin  Cosconia 
Lentuli  Malug[in.  f.]  Gallitta  genannt.  Unter  Terentia  A.  f.  ist 
nach  Cichorius  die  Schwester  des  A.  Terentius  A.  f.  Varro  Murena, 
cos.  23  v.  Chr.,  und  der  Gemahlin  des  Mäcenas,  sowie  des 
C.  Proculeius  zu  verstehen.  Diese  verwandtschaftlichen  Beziehungen 
erklären  die  glänzende  Karriere  des  Seius  Strabo.  Die  Mutter 
des  Sejan  hat  man  bisher  vielfach  Iunia  genannt,  weil  Tacitus 
den  Q.  lunius  Blaesus,  cos.  10  n.  Chr.,  als  avnnculus  des  Sejan 
bezeichnet.  Da  der  neue  Fund  diese  Vermutung  widerlege,  so 
habe  man,  meint  Cichorius,  vielleicht  anzunehmen,  daß  Blaesus 
mit  einer  Schwester  von  Sejans  Mutter  verheiratet  gewesen  sei. 
Cosconia  Gallitta  aber,  die  Mutter  des  Sejan,  deren  Name  sich 
durch  Adoption  oder  Benennung  nach  mütterlichen  Verwandten 
erklären  möge,  stammle  aus  einem  der  allervornehmsten  römi- 
schen Geschlechter,  was  mit  der  Angabe  des  Vellejus  über  Sejans 
mütterliche  Herkunft  stimmt.  Denn  Brüder  der  Cosconia  waren 
die  Konsularen  Cossus  Lentulus,  cos.  1  v.  Chr.,  P.  Lentulus  Scipio, 
cos.  2  n.  Chr.,  und  Ser.  Lentulus  Maluginensis,  cos.  10  n.  Chr., 
den  Tac.  Ann.  111  58.  71.  IV  16   nennt.     Der  Vater   dieser   vier 

Jahresbericht«  XXX.  24 


362  Jahresberichte  cL  Philolog.  Vereins. 

Geschwister,  Cn.  Lentulus.  muß,  wie  die  Inschrift  bezeugt,  bereits 
den  Beinamen  Maluginensis  geführt  haben.  Vettern  des  Sejan 
{eonsobrinos  consulares  Vell.  II  127)  waren  P.  Lentulus  Scipio,  cos. 
24,  Ser.  Cethegus,  cos.  24,  Cossus  Lentulus,  cos.  25,  Cn.  Lentulus 
Gaetulicus,  cos.  26,  und  Q.  lunius  Blaesus,  cos.  28. 

Demnach  war  Sejan,  der  schon  durch  seine  Mutter  und  Groß- 
mutter in  die  Kreise  der  ersten  Gesellschaft  Roms  gehörte,  kein 
Parvenü,  und  seine  Bewerbung  um  die  Hand  der  Witwe  des 
Drusus  erscheint  nicht  mehr  als  abenteuerliche  Vermessenheit. 

64)  L.  Parmeggiani,  Claudia  Atte,  liberta  di  Nerone.    Rivista  di 

storia  aotica  VIII  3/4  $  455—465. 

Eine  Zusammenstellung  dessen,  was  uns  über  Acte,  die  Frei- 
gelassene des  Nero  (welche,  inschriftlichen  Zeugnissen  zufolge,  die 
letzte  Zeit  ihres  Lebens  in  Sardinien  verbracht  zu  haben  scheint), 
überliefert  ist,  und  ein  Versuch,  über  die  Natur  ihres  Verhältnisses 
zu  Nero,  über  die  Frage,  wie  weit  sie  auf  den  Gang  der  Ereignisse 
Einfluß  hatte,  und  ihren  Charakter  Klarheit  zu  gewinnen:  sicher- 
lich habe  sie  ihren  Einfluß  auf  Nero  niemals  mißbraucht. 

65)  Leopold  Constans,  Corrections  aa  texte  de  Tacite.    Mllanges 

Boissier  S.  133—134. 

C.  empfiehlt,  Ann.  I  51,  da  der  Gebrauch  der  Dative  itineri 
et  proelio  ohne  ausreichende  Parallelen  sei,  mit  F.  W.  Otto  paratus 
einzuschieben,  das  vor  pars  leicht  habe  ausfallen  können.  H.  II  11 
schlägt  er  vor  sei  lorica  ferrea  usui  et  ante  signa  pedes  ire. 

Berlin.  Georg  Andresen. 


7. 
Tacitus'  Germania. 

Beiträge  zur  Kritik  und  Erklärung. 


1.  Die  Bedeutung  des  codex  Toledanus  für  die  Germania- 
kritik. 

Abbott  entwirft  in  seiner  Abhandlung  über  die  Toledohand- 
schrift der  Taciteischen  Germania  (JB.  1903  S.  276—280)  zwei 
Stammbäume  der  wichtigsten  Hss.  der  Germania.  In  dem  einen 
bildet  die  Hs.  Cnochs  von  Ascoli  (der  cod.  Hersfeldensis),  mit  der 
er  1455  aus  Deutschland  nach  Born  zurückkehrte,  ein  Mittelglied 
zwischen  ihr  und  der  Hs.  B  (Vat.  1862)  und  dasselbe  Mittelglied 
auch  zwischen  ihr  und  Hs.  E,  dem  Archetypus  der  von  Müllenhoff 
so  benannten  E-Klasse  der  Hss.,  von  dem  die  Toledaner  Hs.  ab- 
stammt; in  dem  andern  wird  B  als  der  direkte  Abkömmling  von 
Enochs  Hs.  betrachtet,  und  in  diesem  Falle  wird  dann  auch  E 
zu  einem  direkten  Abkömmling  von  Enochs  Hs. 

Zieht  man  nun  auch  nur  das  eine  oder  das  andere  in  Be- 
tracht, so  muß  man  die  Lesarten  dieser  Toledaner  Hs.  als  wert- 
voll ansehen  für  die  Behandlung  des  Germaniatextes  an  den 
Stellen,  wo  die  beiden  vatikanischen  Hss.  1862  und  1518  nebst 
der  Leidener  (b)  und  der  Neapolitaner  (c)  schwanken;  aber  man 
darf  auch  mit  Hecht  vermuten,  daß  der  Stammkodex  aller  fünf 
Hss.  jene  Hersfelder  Hss.  gewesen  ist. 

Zunächst  möchte  ich  über  den  Schreiber  der  Toledohs.  eine 
kurze  Bemerkung  machen.  1,  ll1)  hat  er  und  zwar  Ta,  d.  h. 
der  zweite  Korrektor,  septimus  in  septimum  korrigiert  und  darüber 
.IV.,  d.  h.  mim,  hinzugefügt.  Dies  ist  unbedingt  eine  eigene  Kon- 
jektur. Im  Anschluß  hieran  muß  man  darauf  achten,  ob  etwa 
noch  mehr  Konjekturen  nachzuweisen  sind,  oder  ob  durch  solche 
Konjekturen  der  Text  im  Sinne  des  Schreibers  beeinflußt  worden 
ist.  12,  10  lesen  vier  Hss.  conciliis,  T  allein  hat  comitiis  —  viel- 
leicht verlesen  oder  verschrieben,  oder  ob  er  seine  Kenntnis  der 
römischen  Staatsaltertümer  zeigen  wollte?  Vgl.  13,  8  adoleseentibus 
statt  adulescentulis.  —  1 4,  2  findet  sich  wieder  eine  Konjektur 
von  T :  virtutem  principis  adaequare  hat  er  in  vrrtute  principem  ad- 
aequare  umgewandelt;  die  Konstruktion  adaequare  aliquem  aliqua  re 
scheint  er  allein  für  richtig  zu  halten. —  18,12  schreibt  T  statt 


1)  Ich  zitiere  nach  Halm,  ed.  4. 

24* 


364  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

der  Lesart  der  andern  Hss.  sie  vivendum,  sie  pereundum  (B  hat 
pariendum):  sieviventes,  sie  parientes;  die  Partizipien  ergeben  aber, 
wenn  sie  zu  dem  folgenden  aeeipere  bezogen  werden  sollen,  keinen 
rechten  Sinn,  namentlich  das  parientes  nicht.  —  29,  21  schreibt 
T  collati,  wo  die  andern  Hss.  collocati  haben :  er  hat  also  conferre 
vor  collocare  den  Vorzug  gegeben,  wahrscheinlich  aus  Versehen, 
da  es  nicht  paßt.  —  29, 12  bieten  die  andern  Hss.  cetera  similes; 
T2,  d.  h.  der  dritte  Korrektor,  hat  über  das  a  von  cetera  ein  t 
geschrieben;  er  hat  also  den  Akkusativ  der  Beziehung  nicht  ver- 
standen. —  29,  20  schreibt  T  par  statt  pars  —  sollte  er  auch 
diese  Stelle  nicht  verstanden  und  an  das  Adjektiv  par  gedacht 
haben?  —  Auch  das  schöne  Wort  tarn  diu  Germania  vincitur 
(37, 10)  hat  T  nicht  verstanden,  denn  er  schreibt  tarn  diu  in 
Germania  vincitur,  was  ja  eine  äußerlich  leichte  Änderung  sein 
mag,  aber  den  eigentlichen  Sinn  völlig  vernichtet.  —  45,  22 
haben  die  andern  Hss.  feeundiora  igitur;  T  allein  schreibt  ergo 
statt  igitur:  warum,  ist  nicht  einzusehen;  sollte  er  die  vorher- 
gehenden Buchstaben  ora  als  ergo  gelesen  und  dann  das  folgende 
igitur  als  überflüssig  weggelassen  haben?  Übrigens  steht  ergo  in 
der  Germania  —  19,  1  und  22,  13  —  stets  an  erster  Stelle  und 
ebenso  fast  immer  in  den  anderen  Werken.  —  46,  13  schreibt 
T  sola  spes,  während  die  andern  Hss.  solae  spes  lesen.  Meiser 
hat  hier  opes  für  spes  konjiziert;  aber  in  einer  wertvollen  Hs. 
steht  der  Singular,  wonach  opes  nicht  in  dem  Stammkodex  ge- 
standen haben  kann;  T  aber  schrieb  sola,  weil  er  lieber  von  der 
einzigen  Hoffnung  spricht,  die  in  den  Pfeilen  liegt,  als  von  den 
dichterisch  verstandenen  einzigen  Hoffnungen. 

Bei  den  angeführten  Beispielen  liegt  die  Abweichung  von  der 
La.  der  maßgebenden  Hss.  in  dem  Verlesen  oder  Verschreiben 
oder  in  dem  mangelnden  Verständnis;  einige  Male  hat  der  Schreiber 
eigene  Konjekturen  aufgenommen,  überall  so  durchsichtig  und 
klar,  daß  man  weitere  Betrachtungen  darüber  nicht  anzustellen 
braucht. 

Was  aber  sonst  in  dem  Toledaner  Kodex  als  Randbemerkung 
zu  finden  ist,  die  Varianten  und  die  Fehler,  die  dem  T  mit  den 
vier  Hss.,  BbCc,  gemeinsam  sind,  das  muß  alles  auch  in  dem 
gemeinsamen  Stammkodex  gestanden  haben.  Bestätigt  wird  dies 
durch  folgende  Tatsachen.  Es  fehlt  2,  21  etiam;  25,  8  est;  33,  5 
invidere;  37,  8  st;  37,22  versae;  45,  24  terrisque  inesse  crediderim 
quae  vicini  solis;  46,  10  sunt;  46,  24  ego;  aber  an  fünf  anderen 
Stellen  ist  das  ausgelassene  Wort  hinzugeschrieben,  das  völlig  mit 
der  La.  der  anderen  Hss.  übereinstimmt,  so  13,  15  cuique  (an 
den  Rand  geschrieben  von  Ta);  14,  3  ac  (von  Ta);  14,  16  et  (von 
Ta);  16,  4  et  (über  die  Zeile  geschrieben  von  Ta);  45,  26  litora 
(an  den  Rand  geschrieben  von  T1).  Abbott  ist  der  Ansicht,  daß 
die  dreierlei  Korrekturen,  welche  sich  in  der  Toledaner  Hs.  finden, 
und    die    schon    nach    der  verschiedenfarbigen  Tinte  deutlich  zu 


^ 


Tacitus'  Germania,  von  U.  Zeroial.  355 

-erkennen  sind,  alle  von  dem  eigentlichen  Schreiber  Angelus  Crullus 
Ruders,  Stadtsch reiber  zu  Foligno  (1474),    herrühren.     Er  meint, 
bei    der    mehrjährigen  Arbeit    habe    er  noch  eine  andere  Hs.  als 
den  Archetypus  von  T,  wahrscheinlich  sogar  zwei  solche  Hss.  im 
Gebrauch    gehabt.     Das    wäre    ja    möglich;    nur    bleibt    es    dann 
wuuderbar,    daß  er  die  oben  angeführten  acht  Lucken  gar  nicht 
bemerkt    haben    sollte.      Ferner:    alle    fünf    Hss.  (TBbCc)    lesen 
3,  6  nee  tarn  voces  ille  (=  illae)  quam  virtutis  concentns  videntur:  so 
stand  also  in  der  Hs.  Enochs  von  Ascoli,  dem  codex  Hersfeldensis; 
von  dort  war  diese  La.  in  alle  von  ihr  abgeschriebenen  Hss.  hin- 
übergenommen,   und   doch  erkannte  schon  Rhenanus  die  Unnah- 
barkeit des  Plurals  videntur  nach  dem  Singular  concentus,  und  so 
vollzog  sich  auch  die  Wandlung  in  vocis.  —  6, 10  lesen  alle  fünf 
Hss.  yaleae,    was  Rhenanus  in    galea   verbesserte;    denn    obgleich 
Tacitus  den  Wechsel  von  Singular  (cassis)  und  Plural  (gahae)  an 
und  für  sich  liebt,    so  ist  doch  der  Plural  nach  der  distributiven 
Teilung  uni  alterive  unmöglich.     Das  e  stammt  für  alle  fünf  Hss. 
wieder  aus  der  Hs.  Enochs  und  ist  von  dem  folgenden  equi  her- 
übergenommen. —  40,  9  steht  in   allen   fünf  Hss.  ea,    Rhenanus 
hat  es  in  eo,  auf  nemus  bezüglich,  verbessert,  und  auch  41,  1  hat 
Rhenanus   das  Richtige  erkannt,    indem  er  das  in  allen  Hss.  be- 
findliche   verborum   in  Sueborum    veränderte.  —  16,  12  steht  in 
allen  fünf  Hss.  hiemi;  46, 16  heißt  es  ferarum  imbriumque  suffugium, 
A.  IV  66,11  malornm  suffugium,   und  Tacitus  liebt  den  Wechsel 
der  Kasus;  darum  hat  Reitlerscheid  hiemis  vorgeschlagen:  suffugium 
hiemis  (vor..),  reeeptaculum  frugibus  (für..).  —  21,  14  steht  in  T 
ebenso    wie    in    den  vier  anderen  Hss.  victus  inter  hospües  comis, 
und  diese  La.  hat  Rhenanus  ebensowenig  angetastet  wie  die  vorige 
(16,  12);    dies  tat  erst  Lachmann,    der  sein  vinetum  inter  hospües 
tomitas  als  'unice  verum1  empfahl.     Endlich  steht  44,  9  in  allen 
fünf  Hss.  ministrantur;  aber  da  beide  Sätze  durch  nec-nec  gleich- 
gestellt und  verbunden  sind,  so  ist  ein  solcher  Wechsel,  bei  dem 
naves   zu  ministrantur  Subjekt    wäre    und  Suiones   zu   adiungunt9 
auch    bei  Tacitus    nicht    zu    rechtfertigen.     Daher   muß  mau  die 
Verbesserung  des  Lipsius  ministrant  als  richtig  anerkennen.    Auch 
35,  6  steht  in  T  implet~,  wo  nicht  implentur,  sondern  implent  zu 
lesen  ist,  und  37,  2  tencnt~,  wo  nicht  tenentur,  sondern  tenent  zu 
iesen  ist. 

Die  oben  genannten  sieben  Stellen  waren  so,  wie  sie  selbst 
in  dem  cod.  Hersfeldensis  gestanden  haben,  der  Verbesserung  be- 
dürftig, und  für  fast  alle  fand  sich  diese  auch  leicht.  Erheblicher 
aber  und  erfreulicher  ist  der  Gewinn,  der  der  Germania  des 
Tacitus  dadurch  zuteil  wird,  daß  an  einer  Anzahl  von  Stellen, 
wo  die  Laa.  in  fast  allen  fünf  Hss.  übereinstimmen,  an  denen 
aber  auch  der  Ausdruck  korrekt  ist,  die  Unsicherheit  beseitigt 
wird,  die  man  bisher  in  bezug  auf  den  Text  annehmen  mußte 
oder    wenigstens    annehmen   zu    müssen   glaubte.    Ich  hebe  aus 


366  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

dieser  Zahl  die  wichtigsten  25  heraus:  2,  20  victore;  3,  3  bardi- 
tum\  3,  12  nominatutnque  ^AaxinvQyiov;  8,  6  nobiles;  10, 19  ex- 
plorant;  11, 10  turbae;  12,  7  jwenarwm;  13,  7  %naftonem;  14, 11 
tueare\  19,  8  invenerit;  20, 12  er  animum;  26,  3  m  mces;  26,  5 
praebent;  28, 1  auctorum;  30, 11  ratione;  36,  4  nomine;  38, 10  m 
tpso  «©Z©  vertice;  38,  13  compft  tif :  38, 13  ornantur;  39, 12  ÄaW- 
fantor;  42,  5  peragitur;  45,  3  ortus;  45,  5  egworuwi;  45,  18  pro- 
fectus;  46,  24  in  medium. 

2.   Einzelne  Stellen. 

Im  Philologus  LXI  (1902)  bespricht  Frederking  folgende 
Stellen  der  Germania: 

1.  11,  11  ff.  mox  rex  vel  princeps,  prout  aetas  cuique,  prout 
nobilitas,  prout  decus  bellorum,  prout  facundia  est,  audiuntur, 
auctoritate  suadendi  magis  quam  iubendi  potestate.  Er  meint, 
daß  auctoritas  hier  nicht  in  der  Bedeutung  „Gewicht4'  verstanden 
werden  dürfe,  also  auctoritas  suadendi  „Gewicht  des  Rates  (Raters)44 
oder  „gewichtiger  Rat44  bedeute,  sondern  daß  man  dem  Genitiv 
gerundii  bei  auctoritas  wie  bei  dem  vorausgehenden  ius  coercendi 
und  dem  nachfolgenden  potestas  iubendi  den  größten  Einfluß  auf 
die  Bestimmung  der  Bedeutung  von  auctoritas  beilegen  müsse. 
Wie  z.  B.  bei  Cic.  in  Verrem  II  121  auctoritas  legum  dandarum 
die  Vollmacht,  die  Befugnis  zum  Geben  der  Gesetze  bedeute,  so 
heiße  es  auch  bei  Tacitus  auctoritas  suadendi  „die  Vollmacht, 
die  Befugnis  zum  Raten'4.  Ich  bin  mit  dieser  Erklärung  ein- 
verstanden. 

2.  17, 11  partemque  vestitus  superioris  in  manicas  non  ex- 
tendunt.  Man  verlangt  superiorem:  „den  oberen  Teil  des  Hemdes 
lassen  sie  nicht  in  Ärmel  auslaufen".  MüilenhofT  hat  superioris 
für  ungewöhnlich  erklärt,  Peder  Voß  (Tidsk.  for  phil.  VII  112) 
hat  superiorem  geschrieben;  man  muß  sich  also  entschließen  zu 
sagen,  daß  nach  dem  vestitus  das  unverständliche  superioris  aus 
superiorem  entstanden  und  in  die  Hs.  hineingekommen  ist  durch 
Assimilation. 

3.  22,  14 ff.  salva  utriusque  temporis  ratio  est:  deliberant, 
dum  fingere  nesciunt,  constituunt,  dum  errare  non  possunt.  Fr.  ist 
mit  den  gewöhnlichen  Obersetzungen  und  Erklärungen  des  ersten 
Satzes  nicht  einverstanden.  Er  will  ratio  in  der  objektiven  Be- 
deutung „Art,  Beschaffenheit,  Natur'4  genommen  wissen  und  über- 
setzt: „die  Art  beider  Zeiten  bleibt  gewahrt,  kommt  zu  ihrem 
Recht".  Indes  wenn  man  sagt  „unverwehrt  ist  die  Rucksicht  auf 
beide  Zeiten44  oder  „beiderlei  Zeiten  geschieht  ihr  Recht",  d.  h. 
sie  haben  noch  freie  Hand  gegenüber  dem  Gestern  und  dem 
Heute,  so  ist  meiner  Ansicht  alles  klar. 

Groß-Lichterfelde  b.  Berlin.  U.  Zernial. 


8. 
Ciceros  Briefe. 

1901—1903. 


A.   Ausgaben  und   Hilfsmittel. 

1)  M.  Tulli  Cicer onis  epistalae.  Recognovit  brevique  adnotatione 
critica  iostruxit  Ludovicus  Claude  Pur  sei*.  Oxodü  e  typoprapheo 
Clarendoniaoo.  (Scriptorum  classicomra  bibliotheca  Oxoniensis.  Oxodü 
e  typographeo  Clareodoniaoo.  Loodini  et  JVovi  Eboraci  apud  Henricnm 
Frowde.)  Vol.  I:  Epistulae  ad  familiäres,  1901.  Vol.  II:  Epistulae 
ad  Atticum,  1903  (pars  prior,  libri  1 — VIII;  pars  posterior,  libri 
IX — XVI).  Vol.  JII:  Epistulae  ad  Quiotum  fratrem;  commeotariolum 
petitioois;  epistulae  ad  M.  Brutuui;  Pseudo-Ciceronis  epistula  ad 
Octavianum;  fragmeota  epistularum ;  1902.     8. 

Nach  C.  F.  W.  Müllers  Gesamtausgabe  der  Cicerobriefe,  deren 
beide  Teile  in  den  Jahren  1896  und  1898  erschienen,  war  eine 
neue  derartige  Arbeit  so  bald  danach  nicht  gerade  ein  Bedürfnis, 
falls  nicht  neues  und  wichtiges  bandschriftliches  Material  geboten 
werden  konnte,  was  hier  nicht  der  Fall  ist.  Dagegen  war  durch 
Müllers  treuliche  Leistung  die  Herstellung  einer  neuen  Ausgabe 
im  Vergleich  zu  der  Zeit  vor  ihm  bedeutend  erleichtert.  Wenn 
nun  in  der  Sammlung  klassischer  Schriftsteller,  der  die  vorliegende 
Ausgabe  angehört,  die  Briefe  Ciceros  nicht  fehlen  sollten,  so 
konnte  dies  jetzt  ohne  erhebliche  Schwierigkeiten  erreicht  werden. 
Nicht  leicht  aber  konnte  hierfür  eine  geeignetere  Persönlichkeit 
in  Betracht  kommen  als  die  des  Herausgebers.  Denn  L.  C.  Purser 
ist  nach  seiner  Mitarbeit  an  der  großen  erklärenden  Ausgabe,  die 
er  zusammen  mit  R.  Y.  Tyrrell  hat  erscheinen  lassen  *),  auf  diesem 
Gebiete  einer  der  berufensten  und  urteilsfähigsten  Kenner.  So 
ist  denn  auch  die  Ausgabe  als  eine  wohlgelungene  zu  bezeichnen, 
und  sie  leistet  in  der  Kritik  des  Textes  im  allgemeinen  durchaus, 
was  hierin  nach  dem  gegenwärtigen  Stande  der  Forschung  ge- 
leistet werden  kann. 

Die  Einrichtung  der  Ausgabe  ist  folgende.  Jeder  der  drei 
ßände  enthält  zunächst  eine  kurze,  über  die  handschriftlichen 
Verhältnisse    Auskunft    gebende  Vorrede,    sodann    den    Text    der 


J)  The  correspoodeuce   of  M.  Tollius  Cicero,  edited  by  R.  Y. 
Tyrrell  and  L.  C.  Purser.     7  voll.     Dublin,  London  1885—1901. 


368  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Briefe,  wobei  am  Fuß  der  Seiten  die  wichtigsten  Verschieden- 
heiten der  Lesart  angegeben  werden,  und  zuletzt  ein  Namen- 
verzeichnis. Nicht  allzubequem  für  die  Benutzung  ist  also  ein 
gesondertes  Namenverzeichnis  vorhanden  für  die  Briefe  ad  fam. 
und  für  die  ad  Att.  Das  dritte  Bändchen  enthält  sogar  gesondert 
eins  für  die  Briefe  ad  Qu.  fr.  und  das  comment.  petit.,  und  ein 
zweites  für  die  Briefe  ad  Brut.,  ad  Octav.  und  die  Fragmente. 

Die  Vorrede  zu  den  Briefen  ad  fam.  faßt  sich  sehr  kurz  und 
beruht  ganz  und  gar  auf  der  Einleitung  Mendelssohns  zu  seiner 
kritischen  Ausgabe  dieser  Briefe.  Ausführlicher  gebt  Purser  in 
der  Einleitung  zu  den  Atticusbriefen  auf  deren  Geschichte  und 
Überlieferung  ein.  Er  vertritt  hierbei,  indem  er  mit  anderen  auf 
das  Schweigen  des  Asconius  verweist  die  Ansicht,  daß  die  Atticus- 
briefe  erst  um  60  n.  Chr.  veröffentlicht  worden  sind.  Aber  auf 
das  Schweigen  des  Asconius  beruft  man  sich  mit  Unrecht.  Asconius 
hätte,  meint  Bücheier  (Rh.  Äf.  34,353),  nicht  daran  zweifeln 
können,  daß  Cicero  den  Ca  tili  na  in  dessen  Repetundenprozeß  ver- 
teidigte, wenn  er  ad  Att.  I  2  (hoc  tempore  Catilinam  competüorem 
nostrum  defendere  cogüamus;  iudices  habemus,  quos  voluimus,  summa 
accusatoris  voluntate)  gekannt  hätte.  Aber  „ich  denke  zu  ver- 
teidigen44 (defendere  cogüamus)  ist  nicht  dasselbe  wie  „ich  habe 
verteidigt*4.  Hätte  Asconius  jene  Briefstelle  gekannt  und  auf  Grund 
von  defendere  cogüamus  behauptet,  daß  Cicero  den  Catilina  ver- 
teidigt hat,  so  würde  dies  seiner  sonstigen  Gewissenhaftigkeit 
widersprechen.  Wer  eine  Schlechtigkeit  zu  begehen  im  Begriff 
war,  sie  aber  doch  nicht  begangen  hat,  ist  keineswegs  dem  gleich  zu 
achten,  der  sie  wirklich  begangen  hat,  und  es  kann  nicht  in  Betracht 
kommen,  was  Bücheier  behauptet:  qui  paratus  stat  ac  propemodum 
surgit  ad  dicendum,  sive  sidere  lingua  eius  adflatur  sive  fortuita  res 
quaelubet  orationem  moratur  vel  tollit,  sine  dubio  perinde  aesti- 
mandus  est  ac  si  dicendi  facultate  usus  sit.  Nicht  auf  die  Be- 
urteilung des  Charakters,  sondern  auf  die  Entscheidung  darüber, 
ob  eine  Tatsache  stattgefunden  hat  oder  nicht,  kommt  es  an.  Die 
Tatsache  aber,  daß  Cicero  den  Catilina  verteidigt  hat,  war  aus 
ad  Att.  I  2  nicht  zu  entnehmen,  weder  für  andere  noch  für 
Asconius.  Wenn  dieser  sie  also  dort  nicht  entnimmt,  so  ist  dies 
kein  Beweis  dafür,  daß  er  die  Atticusbriefe  nicht  gekannt  hat 
F.  Leo  aber  meint,  Büchelers  Beweis  hierfür  ein  zweites  argu- 
mentum, et  genere  et  firmitudine  compar,  an  die  Seite  stellen  zu 
können  (Ind.  schol.  Gotting.  1892  S.  4).  Cicero  sagt  in  der  Rede 
für  Milo  (37):  üaque  quando  illius  (Clodii)  postea  sica  illa,  quam 
a^Catilina  acceperat,  conquievü?  haec  intentata  nobis  est,  huic  ego 
vos  obici  pro  me  non  sum  passus,  haec  insidiata  Pompeio  est,  haec 
viam  Äppiam,  monimentum  sui  nominis,  nece  Papiri  cruentavü,  haec 
eadem  longo  intervallo  conversa  rursus  est  in  me:  nuper  quidem, 
ut  scitis,  me  ad  Regiam  paene  confecü.  Die  Erklärung  des  Asconius 
zu  den  Worten  haec  eadem  longo  intervallo  conversa  rursus  est 


Ciceros  Briefe,  von  Th.  Schiebe.  369 

in  me:  nuper  quidem,  ut  scitis,  me  ad  Regiam  paene  confecit  hat 
nach  anerkannter  Emendierung'  folgenden  Wortlaut:  Quo  die  peri- 
culum  hoc  adierit,  ut  Clodius  eum  ad  Regiam  paene  confecerit,  nus- 
quam  inveni;  non  tarnen  addueor,  ut  putem  Ciceronem  mentitum, 
praesertim  cum  adiciat  ut  scitis.  Sed  videtur  mihi  loqui  de  eo 
die,  quo  consulibus  Domitio  et  Messalla,  qui  praecesserant  eum 
annum,  cum  haec  oratio  dieta  est,  inter  candidatorum  Hypsaei  et 
Milonis  manus  in  via  Sacra  pugnatum  est  multique  ex  Milonis  ex 
improviso  ceciderunt.  De  cuius  diei  periculo  suo  ut  putem  loqui 
eum,  facit  et  locus  pugnae  (nam  in  Sacra  via  traditur  commissa, 
in  qua  est  Regia),  et  quod  adsidue  simul  erant  cum  candidatis 
suffragatores,  Milonis  Cicero,  Hypsaei  Clodius.  Hierzu  bemerkt 
Leo:  Haec  probabiliter  disputata  esse  nemo  negabit.  nimirum  ab 
eo  quod  Cicero  dixit  longo  intervallo  Glodi  sicam  in  se  rursus 
co  11  versa m  et  nuper  se  ad  Regiam  paene  confectum  esse,  ab  ea 
igitur  temporis  notatione  profectus  ad  ultima  Clodi  facinora  rem 
rettulit;  pugnam  aliquant  in  Sacra  via  commissam  invenit;  pugnae 
Ciceronem  interfuisse  coniecit.  coniecturae  probabilitatem  item 
agnosceremus,  si  de  re  qualem  Ciceronis  verba  describunt  testi- 
monium  nullum  superesset.  Leo  verweist  dann  auf  ad  Att.  IV  3, 
wo  Cicero  aus  dem  Jahre  57  berichtet:  itaque  ante  diem  HL  idus 
Novembres,  cum  Sacra  via  descenderem,  insecutus  est  (Clodius)  me 
cum  suis:  clamor,  lapides,  fustes,  gladii,  haec  improvisa  omnia. 
discessimus  in  vestibulum  Tetti  Damionis.  Diesen  Vorfall  soll  Cicero 
im  Jahre  52  an  der  obigen  Stelle  seiner  Rede  für  Milo  gemeint 
haben.  Wenn  nun  Asconius  diese  Stelle  der  Rede  nicht  mit  Leo 
auf  den  Vorfall  aus  dem  Jahre  57  bezieht,  sondern  auf  einen 
ahnlichen  aus  dem  Jahre  53,  so  soll  daraus  folgen,  daß  er  die 
Briefe  an  Atticus  nicht  gekannt  hat.  Wieder  läßt  sich  umgekehrt 
sagen:  wenn  Asconius  die  Briefe  an  Atticus  kannte,  so  mußte 
ihm  seine  Gewissenhaftigkeit  verbieten,  die  Stelle  der  Rede  für 
Milo  auf  jenen  Vorfall  vom  Jahre  57  zu  beziehen.  Denn  die  Be- 
rechtigung des  Schlusses,  den  Asconius  aus  Ciceros  Zeitangaben 
an  jener  Stelle  der  Rede  zieht,  wird  dadurch  nicht  hinfällig,  daß 
mehrere  Jahre  zuvor  etwas  Ähnliches  vorgefallen  ist.  Asconius 
verstand  unter  longum  intervallum  die  Zeit  von  Ciceros  Ver- 
bannung bis  zu  den  Wahlkämpfen  des  Jahres  53,  Leo  versteht 
darunter  die  Zeit  von  Ciceros  Verbannung  bis  III.  id.  Nov.  des 
Jahres  57.  Welche  Auffassung  von  longum  intervallum  hier  die 
größere  Wahrscheinlichkeit  für  sich  hat.  braucht  nicht  gesagt  zu 
werden.  Mit  nuper  aber  greift  Cicero  nach  Asconius  in  das  vor- 
hergehende Jahr  zurück,  das  Jahr  53,  nach  Leo  in  das  Jahr  57. 
Auch  hier  drängt  sich  das  Wahrscheinlichere  von  selber  auf.  Nun 
macht  aber  Leo  geltend,  daß  nuper  bisweilen  sogar  von  viel  aus- 
gedehnteren Zeiträumen  gebraucht  werde,  als  es  nach  seiner  Auf- 
fassung hier  geschehe.  Indessen  sagt  Cicero  an  unserer  Stelle 
der  Rede  nicht  bloß  nuper,  sondern  nuper  quidem  und  stellt  zu 


370  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

weiterer  Hervorhebung  diesen  Ausdruck  nuper  quidem  an  die 
Spitze  des  Satzes.  Durch  diese  starke  Betonung  von  „erst  kürz- 
lich'4 wird  einerseits  die  Zeitdauer  zwischen  dem  in  Frage  kommen- 
den Ereignis  und  dem  Augenblick  der  Rede  so  eingeschränkt,  als 
es  ohne  genaue  Angabe  der  Zwischenzeit  nur  geschehen  kann. 
Andrerseits  hat  Cicero  seine  Zuhörer  mit  longum  intervallum  dazu 
aufgefordert,  zwischen  der  Verbannung  und  dem  in  Frage  kommen- 
den Ereignis  einen  größeren  Zeitraum  zu  denken.  Hierdurch 
wird  der  Schluß  unausweichlich,  daß  die  Zeit  zwischen  der  Ver- 
bannung und  dem  fraglichen  Vorfall  länger  ist  als  die  zwischen 
dem  letzteren  und  dem  Augenblick  der  Rede.  Auch  Asconius 
also  hat  es  mit  Recht  so  angesehen,  und  nur  mit  Bezug  auf  ein 
solches  Ereignis  der  näherliegenden  Vergangenheit  gilt  sein  nus- 
quam  inveni.  Daneben  könnte  die  Möglichkeit  sehr  wohl  bestehen, 
daß  er  aus  ad  AU.  IV  den  Vorgang  vom  Jahre  57  kannte,  aber 
wegen  longo  intervallo  und  nuper  quidem  es  unterließ,  ihn  zu  der 
Stelle  der  Rede  heranzuziehen,  wie  er  denn  hierzu  in  der  Tat 
auch  nicht  herangezogen  werden  kann.  Es  konnte  sich  für 
Asconius  nur  noch  fragen,  ob  sich  möglichst  nahe  vor  dem  Prozeß 
des  Milo  ein  Vorfall  nachweisen  ließ,  bei  dem  geschehen  sein 
könnte,  was  Cicero  berichtet:  nuper  quidem  me  ad  Regiam  paene 
confecit.  Und  Asconius  weist  ihn  nach,  erfüllt  also  alle  An- 
forderungen einer  strengen  Methode.  Es  kann  noch  hinzugefügt 
werden,  daß  Ciceros  kurzes  ut  scitis  auch  besser  auf  einen  Vorfall 
bezogen  wird,  der  sich  erst  im  vorangehenden  Jahre  zugetragen 
hat,  als  auf  einen,  für  den  er  an  das  Gedächtnis  seiner  Zuhörer 
und  an  ihr  Interesse  für  seine  Person  erheblich  stärkere  An- 
forderungen machen  würde. 

Nach  alledem  ist  es  unzulässig,  daraus,  daß  Asconius  in  den 
von  Bücheier  und  Leo  geltend  gemachten  Fällen  die  Briefe  an 
Atticus  nicht  berücksichtigt,  schließen  zu  wollen,  er  habe  diese 
Briefe  überhaupt  nicht  gekannt.  Purser  aber  stimmt  Leo  zu,  ob- 
gleich auch  er  die  Beziehung  von  nuper  auf  den  Vorfall  des 
Jahres  57  für  nicht  recht  möglich  hält. 

In  der  Übersicht  über  die  Fragen,  die  die  handschriftliche 
Überlieferung  der  Atticusbriefe  betreffen,  verweilt  P.  besonders 
bei  Cratander  und  dem  Tornaesianus.  Cratanders  Lesarten  im 
Text  und  am  Rande  seien  großenteils  auf  Hss.  zurückzuführen; 
vom  Tornaesianus  seien  alle  wichtigeren  Lesarten  durch  Lambin 
und  Bosius  bekannt  und  von  Wert.  Gegenüber  Cratander  und 
dem  Tornaesianus  (und  den  geringen  Resten  der  Würzburger  Hs.) 
bilden  die  sogenannten  italischen  Hss..  denen  noch  einige  Hss.  in 
Paris  und  der  Harleianus  2491  zuzuzählen  sind,  eine  Klasse  für  sich. 
Ihr  gehört  der  Med.  49, 18  an  und  bildet  für  uns  schon  deshalb  die 
Hauptquelle  des  Textes,  weil  unter  allen  bekannten  Hss.  er  allein 
vollständig  verglichen  und  bekannt  ist.  Purser  schließt  sich  in  der 
Beurteilung  und  Klassifizierung  der  Hss.  an  C.  Lehmann   an   und 


*> 


Ciceros  Briefe,  von  Th.  Schiene.  371 

bezeichnet  das  Ziel,  das  er  sich  für  die  Atticusbriefe  gesteckt  hat, 
mit  folgenden  Worten:  in  textu  ut  potui  constituendo  nullam 
novam  viam  ingressus  sum,  rationera  Lehmanni  fere  semper 
secutus:  nil  nisi  parvis  indieiis  unde  lectio  quaeque  dubia  originem 
duxerit  quoque  modo  Codices  adhuc  noti  inter  se  constent  mon- 
strare  sum  conatus. 

Die  Auswahl  der  Lesarten  am  Fuß  der  Seiten  ist  ziemlich 
knapp.  In  der  Regel  wird  da,  wo  die  jetzt  giltige  Lesart  nicht 
überliefert  ist,  sondern  auf  Konjektur  beruht  und  dem  Heraus- 
geber nicht  völlig  gesichert  erscheint,  ihr  Urheber  und  die  hand- 
schriftliche Überlieferung  angegeben,  oft  auch  eine  oder  die  andere 
sonstige  Vermutung,  die  dem  Herausgeber  beachtenswert  erscheint. 
In  solchen  Fällen,  wo  Überzeugendes  noch  nicht  gefunden  zu  sein 
scheint,  steht  die  Überlieferung  im  Text,  und  der  Heilungsversuch 
oder  einige  solche  in  der  adnotatio  critica.  Bei  einem  solchen 
Verfahren,  bei  dem  keinerlei  feste  Norm  maßgebend,  vielmehr 
alles  von  dem  willkürlichen  Ermessen  des  Herausgebers  abhängig 
ist,  wird  der  eine  dies,  der  andere  jenes  vermissen  oder  für  über- 
flüssig halten,  und  es  ist  sicher,  daß  diese  adnotatio  rritica  mit 
C.  F.  Muliers  reichhaltigen  Angaben  über  die  Eigentümlichkeit  der 
Überlieferung  und  über  die  Arbeit  der  Herausgeber  und  Erklärer 
sich  nicht  vergleichen  kann.  Daß  aber  die  Einrichtung  der  Aus- 
gabe übersichtlich  und  anregend  ist,  insofern  sie  die  verschiedenen 
Überlieferungsquellen  und  die  gegenwärtigen  Ergebnisse  der  Kritgk 
anschaulich  vor  Augen  führt,  wird  jeder  gern  zugeben. 

2)  Briefe  Ciceros  und  seiner  Zeitgenossen.  Heft  I.  Briefe  ans 
den  Jahren  67— 60  v.  Chr.  Von  Otto  Ednard  Schmidt.  Leipzig 
1901,  B.  G.  Tenbner.  Einleitung  und  Text:  VI  n.  64  S.  Erklärungen: 
48  S.     8.     1  .€. 

Die  Herstellung  einer  neuen  Auswahl  von  Cicerobriefen  neben 
den  vielen  derartigen  Sammlungen,  die  wir  schon  haben,  sucht 
der  Herausgeber  damit  zu  rechtfertigen,  daß  er  aus  gewissen 
enger  begrenzten  Lebensabschnitten  Ciceros  die  wichtigeren  Briefe 
annähernd  vollständig  geben  will,  während  andere  vorziehen,  aus 
dem  gesamten  Briefwechsel  des  Cicero  das  Wichtigste  und  An- 
ziehendste, sei  es  nach  gewissen  Gesichtspunkten  oder  in  chrono- 
logischer Folge,  zusammenzustellen.  Schmidt  meint,  daß  bei 
seinem  Verfahren  dem  Schüler  ein  deutlicherer  Begriff  der  Per- 
sönlichkeit Ciceros  und  der  antiken  Humanität  erwachse,  die  in 
Cicero  ihre  höchste  Blüte  erreiche,  als  bei  dem  anderen  Verfahren, 
bei  dem  gewöhnlich  das  ganze  Leben  Ciceros  in  jähem  Fluge 
durchmessen  werde,  der  Blick  an  einigen  großen  historischen 
Momenten  hafte  und  das  Beste  unbeachtet  zu  Boden  falle.  Daß 
diese  dem  anderen  Verfahren  zugeschriebenen  Mängel  notwendig 
mit  ihm  verbunden  seien,  werden  die  Vertreter  desselben  wohl 
nicht  zugeben.  Das  Leben  des  Cicero  tritt  ja  den  Schülern,  die 
die  Briefe  lesen,    hiermit   nicht   zum  erstenmal  vor  Augen.    Sie 


372  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

haben  vielmehr  aus  den  Reden  und  vielleicht  auch  aus  den  philo- 
sophischen Schriften  schon  einiges  gelesen  und  sind  deshalb  schon 
bekannt  mit  hervorragenden  Wendepunkten  aus  Ciceros  Zeit-  und 
Lebensgeschichte,  sowie  mit  manchen  Zögen  seiner  Denkweise. 
Wenn  nun  ein  halbes  Jahr  darauf  verwendet  wird,  aus  den  letzten 
25  Jahren  von  Ciceros  Leben,  die  wir  aus  seinem  Briefwechsel 
so  genau  kennen  lernen,  diejenigen  Briefe  zu  lesen,  die  vorzugs- 
weise geeignet  sind,  bedeutende  Wendungen  in  der  Geschichte 
der  Zeit  und  in  Ciceros  Lebensschicksalen,  sowie  die  Denkweise 
Ciceros  und  seiner  Zeitgenossen  und  ihre  Beziehungen  zueinander 
in  helles  Licht  zu  setzen,  so  wird  es  gewiß  möglich  sein,  sich 
zur  Erweiterung  und  Klärung  der  bisher  gewonnenen  Anschauungen 
der  Schuler  so  weit  zu  vertiefen  und  bei  den  Einzelheiten  so 
lange  zu  verweilen,  daß  von  jähem  Fluge  keine  Rede  zu  sein 
braucht.  Ebensowenig  ist  zuzugeben,  daß  hierbei  das  Beste  un- 
beachtet zu  Boden  fällt.  Vielmehr  kann  gerade  nur  bei  diesem 
den  gesamten  Briefwechsel  berücksichtigenden  Verfahren  das  Wert- 
vollste herausgehoben  und  den  Schülern  nahegebracht,  das  minder 
Bedeutende  beiseite  gelassen  werden.  Es  heißt  in  der  Tat  das 
Interesse  des  Schülers  mit  dem  des  Geschichtsforschers  und  Philo- 
logen verwechseln,  wenn  man  den  Schuler  den  Briefwechsel  ein- 
zelner Zeitabschnitte  will  „annähernd  vollständig"  lesen  lassen. 
Es  kann  nicht  ausbleiben,  daß  dabei  mancherlei  Wiederholungen 
und  mancherlei  für  die  Zwecke  des  Unterrichts  Unwesentliches 
und  Unerhebliches  mitgelesen  und  Zeit  verbraucht  wird,  die  auf 
Besseres  verwendet  werden  könnte.  Dies  gilt  denn  auch  von 
dem  vorliegenden,  die  neue  Sammlung  eröffnenden  Hefte.  Es 
enthält  26  Briefe  aus  der  Zeit  von  67  bis  60  v.  Chr.  Ob  der 
Herausgeber  meint,  daß  diese  Anzahl  von  Briefen  für  die  Lektüre 
eines  halben  Jahres  genügt,  ist  nicht  zu  ersehen.  Ebensowenig 
erfahren  wir,  wieviel  weitere  Hefte  noch  geplant  sind  und  was 
jedes  enthalten  soll.  Dem  Textheft  geht  ein  Heft  „Erklärungen" 
zur  Seite. 

Die  Einrichtung  des  Textheftes  ist  folgende.  Auf  eine  Ein- 
leitung in  sechs  Abschnitten  folgt  der  Text  der  26  Briefe,  darauf 
eine  Zeittafel  für  die  Jahre  67  bis  60,  zuletzt  eine  Liste  der  Ab- 
weichungen des  Textes  von  der  C.  F.  W.  M  ü  Hers  che  n  Ausgabe. 
Die  sechs  Abschnitte  der  Einleitung  behandeln:  1.  Cicero  und  die 
Seinen,  2.  T.  Pomponius  Atticus  und  die  16  Bücher  der  Briefe 
ad  Atticum,  3.  Die  antike  Humanität,  4.  Das  Briefwesen  in  Ciceros 
Zeitalter,  5.  Das  Arpinas,  6.  Das  Tusculanum.  Was  S.  im  ersten, 
zweiten  und  vierten  dieser  Abschnitte  über  Cicero  und  sein  politi- 
sches Ideal,  über  seine  Angehörigen  und  Verwandten,  über  Atticus 
und  das  Briefwesen  sagt,  findet  sich  im  ganzen  auch  sonst  in  den 
Einleitungen  solcher  Sammlungen,  doch  ist  anzuerkennen,  daß  S.  auf 
Grund  seiner  eindringlichen  Beschäftigung  mit  den  Briefen  in  der 
Lage   ist,    aus   dem  Vollen  zu  schöpfen  und  manches  Eigene  zu 


Cieeros  Briefe,  von  Th.  Schiehe.  373 

geben.  Der  Abschnitt  über  die  antike  Humanität  beruht  auf 
Schneidewins  bekanntem  Werk  und  soll  anregen  zum  aufmerk- 
samen Einblick  in  diese  Denkweise,  die,  wie  S.  in  Übereinstimmung 
mit  Schneide win  meint,  in  Cieeros  Zeitalter  ihren  Höhepunkt  er- 
reicht hat  und  besonders  in  seinen  Briefen  sich  bekundet.  Auch 
in  den  erklärenden  Anmerkungen  ist  oft  von  der  antiken  Humanität 
die  Rede.  Aber  derartige  Anregungen  werden  besser  dem 
Lehrer  überlassen.  Ebenso  kann  das  wenige,  was  wir  von  Cieeros 
Villen  bei  Arpinum  und  Tusculum  sicher  wissen  und  zwar  haupt- 
sächlich aus  seinen  Briefen  wissen,  bei  den  durch  die  Lektüre 
gegebenen  Anlässen  zur  Sprache  kommen.  Charakteristisch  für 
den  Mangel  an  Tatsächlichem,  das  sich,  abgesehen  von  den  nach- 
her in  den  Briefen  vorkommenden  Einzelheiten,  darüber  sagen 
ließe,  sind  die  Phantasien,  in  denen  sich  S.,  um  seinen  Mitteilungen 
doch  einige  Bedeutung  zu  geben,  hinsichtlich  des  Arpinas  ergeht 
(S.  14 f.):  „Das  Arpinas  hat  Cieeros  Entwickelung  beeinflußt  wie 
kein  anderes  seiner  Landgüter.  Die  liebliche  Umgebung  des  Vater- 
hauses mit  ihren  lauschigen  Plätzen  lockte  den  feinsinnigen,  hoch- 
begabten Knaben  frühzeitig  zu  stiller  Gedankenarbeit,  der  Gesang 
der  Nachtigallen  und  das  Murmeln  des  Wassers  machten  sein  Ohr 
empfänglich  für  den  Wohlklang  und  den  Rhythmus  der  Rede, 
weckte  die  lebhafte  Empfindung  für  Schönheit  und  Harmonie,  die 
kühnen  Felshäupter  aber,  die  den  Horizont  umsäumen,  riefen  den 
leicht  Erregbaren  nach  des  Marius  Vorbild  zu  befreiender  Tat, 
außerdem  aber  pflanzte  der  stete  Verkehr  mit  arbeitsamen  Land- 
leuten und  ehrsamen  Matronen  in  ihn  den  unermüdlichen  Fleiß 
und  die  unverrückbaren  Ideale  von  Zucht  und  Sitte,  und  der  An- 
blick ragender  Denkmale  altitalischer  Geschichte,  der  zyklopischen 
Mauern  im  nahen  Arpinum,  in  Verulae  und  Aletrium  u.  a.  wob 
jene  innige  Vaterlandsliebe  hinzu,  die  ein  Grundzug  seines 
Wesens  war". 

Über  den  Mangel  an  uns  bekannten  sicheren  Tatsachen  können 
auch  die  illustrierenden  Beigaben  nicht  hinweghelfen,  die  S.  zur 
Beleuchtung  dessen,  was  er  über  die  beiden  Villen  sagt,  seiner 
Einleitung  beigegeben  hat.  Da  ist  zunächst  ein  Situationsplan 
zum  Arpinas.  Er  ist  hier  (wie  auch  die  obigen  Äußerungen  über 
Cieeros  Arpinas)  wiederholt  aus  Schmidts  Abhandlung  über  Cieeros 
Villen  in  den  Neuen  Jahrbüchern  f.  d.  klass.  Alt.,  Gesch.,  u.  dtsch. 
Lit.  Bd.  3  (1899).  Darin  ist  Cieeros  Villa  mit  ihrer  räumlichen 
Einteilung  eingetragen  und  zwar  an  zwei  Stellen,  an  deren  einer 
Cieeros  Villa  nach  Schmidt  gelegen  haben  soll.  Tatsächlich  ist 
die  Lage  der  Villa  nicht  bekannt,  und  ebensowenig  läßt  sich  über 
ihre  Einrichtung  etwas  Sicheres  sagen.  Was  S.  in  jener  Ab- 
handlung darüber  glaubt  sagen  zu  können,  ist  nur  eine  Anhäufung 
von  angenommenen  Analogieen  und  willkürlichen  Vermutungen 
ohne  jedes  zwingende  Ergebnis.  Z.  B.  versichert  Schmidt  nach 
dem  Vorgange    von    Sternkopf   (Cieeros  Korrespondenz   aus    den 


374  Jahresberichte  des  Philolog.  Vereins. 

Jahren   68—60  v.  Chr.,    Elberfeld  1889,  S.  22),   daß  Cicero    auf 
dem  Arpinas    ein  AmalLheum    gebaut    habe,    und    bringt   dies    in 
seinem  Situationsplan  der   arpinatischen  Villa   an.     Wenn  Cicero 
sich  im  Dezember  60  in   einem  Briefe    an  Atticus    über    gewisse 
Ausstellungen    äußert   (A  II  3,  2),    die   dieser  an  einem  Bau  des 
Cicero    gemacht    habe,    so    beziehe    sich    dies    auf   den   Bau    des 
Amaltheums.    Und  so  heißt  es  denn  jetzt  Einleitung  S.  14:  „Einen 
besonderen  Schmuck  erhielt   das  Arpinas  durch  die  Anlage  eines 
Amaltheums,   von   der  uns  Cicero   in  dem  Briefe  A  I  16,18  be- 
richtet.    Darunter    ist    ein    Heiligtum    der  Nymphe  Amalthea    zu 
verstehen,  die  der  Sage  nach  einst  den  Zeusknaben  genährt  hatte. . . 
Sicherlich    enthielt    das   Heiligtum    auch    ein  Bild    der  Nymphe44. 
Dementsprechend  wird  dann  auch  eine  Abbildung  von  einem  Relief 
gegeben,  das  sich  im  Lateranischen  Museum  in  Rom  befindet  und 
von  S.  für  Amalthea  mit  dem  Zeusknaben  erklärt  wird.    Schreiber 
(Die    hellenistischen    Reliefbilder,    Tafel    XXI)    bezeichnet    es    als 
„Pflege  des  Pankindes",  und  Heibig  (Fuhrer  durch  die  öffentlichen 
Sammlungen   klassischer  Altertümer  in  Rom  S.  440)  sagt:    „Dar- 
gestellt ist  eine  Nymphe,  welche  einem  vor  ihr  auf  einem  Felsen 
sitzenden  Satyrknaben  aus  einem  großen  Hörne  zu  trinken  reicht4'. 
Jedenfalls  wird  der  Anblick  dieses  Bildes  dem  Schuler  Vergnügen 
machen.     Aber  ob  Cicero  auf  dem  Arpinas  ein  Amaltheum  hatte, 
ist    doch    sehr   fraglich.     Er  schreibt  zwar  an  Atticus  mit  Bezug 
auf  dessen  Besitzung  in  Epirus  im  Jahre  64  (A  I  16, 18):   Velim 
ad  me  scribas,  cuius  modi  sü  'ApakSelov  tunm,  quo  ornatu,   qua 
vonod-eoicfi  et,  quae  poemata  quasque  historias  de  ^AiiaX&sia  hohes, 
ad  me  mittas;  lubet  mihi  facere  in  Arpinati.    Aus  lubet  mihi  facere 
folgt  aber  doch  keineswegs,    daß  es  wirklich  auch  geschehen    ist. 
Im  Jahre  60,    bevor  Atticus    nach  Italien    zurückkehrte,    schreibt 
ihm  Cicero:    Amalthea  mea  te  eocrpectat  et  indiget  tui  (A  II  1,  11). 
Dieser  Ausdruck    legt    es    nicht  gerade  nahe,    daß  um  diese  Zeit 
das  „Heiligtum  der  Amalthea44  fertig  ist.    Wäre  dies  der  Fall,  wie 
sollte  da  Amalthea  des  Atticus  noch  bedürfen?    Dagegen  paßt  der 
Ausdruck    sehr    gut,    wenn    aus    dem    beabsichtigten    Bau    eines 
Amaltheums  bisher  noch  nichts  geworden  ist.    Wie  die  Ausfuhrung 
dieser  Absicht  noch  auf  den  demnächst  aus  Griechenland  zurück- 
kehrenden Atticus  warten  und  seiner  noch  bedürfen  kann,  ist  auf 
mancherlei  Weise  denkbar.     So  viel  aber  zeigen  die  Worte  deut- 
lich,   daß  Cicero    bei    der  Ausfuhrung    dieses  Planes    auf  irgend- 
welche Mitwirkung  des  Atticus  rechnete.     Daraus  folgt  dann   so- 
gleich, daß  es  sich  durchaus  nicht  empfiehlt,    die  oben  erwähnte 
Kritik  des  Atticus  an  einem  Bau  des  Cicero,  über  die  sich  dieser 
etwa    ein    halbes  Jahr    später    gegen  Atticus   ausspricht,    auf  den 
fertigen  Bau  des  Amaltheums  zu  beziehen;  die  nachträgliche  Kritik 
des  Atticus  an   einem  Bauwerk,    an    dessen  Herstellung    er    mit- 
gewirkt   hat,    ist    nicht    wahrscheinlich.      Irgendwelche    weiteren 
Äußerungen    über    ein    zu   erbauendes   oder  erbautes  Amaltheum 


^s 


Ciceros  Briefe,  voo  Th.  Schiche.  375 

liegen  nicht  vor.  Wer  es  also  mit  Ciceros  Worten  genau  nimmt, 
wie  z.  ß.  W.  S.  Teuffei  in  Paullys  Realenzykl.  I  1  (1864)  S.  825, 
der  kann  nur  davon  sprechen,  daß  Cicero  Lust  hatte,  sich  ein 
Amaltheum  auf  seinem  Arpinas  anzulegen.  Ob  es  wirklich  dazu 
kam  und  gar,  wie  es  ausgesehen  hat  und  welchen  Platz  es  in 
Ciceros  arpinatischer  Villa  einnahm,  muß  zum  mindesten  durch- 
aus dahingestellt  bleiben.  Es  fehlt  nun  aber  nicht  an  einem  sehr 
bestimmten  Anzeichen  dafür,  daß  Cicero  die  beabsichtigte  Anlage 
nicht  ausgeführt  hat.  Wenn  irgendwo,  so  hatte  er  in  den  ein- 
leitenden Gesprächen  zu  den  Büchern  de  legibus  Veranlassung» 
das  Amaltheum  zu  erwähnen,  wenn  es  ein  solches  auf  dem  Arpinas 
gab.  Cicero  ist  hier  außer  mit  seinem  Bruder  Quintus  auch  mit 
Atticus  im  Gespräch,  der  ja  an  der  Herstellung  des  Amaltheums 
irgendwie  beteiligt  gewesen  sein  sollte.  Man  unterhält  sich  eingehend 
über  die  Landschaft,  in  der  das  Arpinas  liegt,  und  über  dieses 
selbst.  Was  lag  da  näher,  als  im  Gespräch  mit  dem  Freunde 
auch  des  Almatheums  zu  gedenken,  des  Ergebnisses  gemeinsamer 
Erwägungen  und  Bemühungen,  das,  wenn  es  vorhanden  war,  von 
Cicero  doch  gewiß  sehr  wertgeschätzt  wurde?  Statt  dessen 
hören  wir  nichts  davon.  Dagegen  sagt  Cicero  zu  Atticus  mit  Bezug 
auf  dessen  obenerwähnte  epirotische  Besitzung  am  Thyamis  (de 
leg.  11  7):  huic  amoemtati,  quem  ex  Quinto  saepe  audio,  Thyamis 
Epirotes  tuus  ille  nihil,  opinor,  concesserit.  Die  Antwort  hierauf 
gibt  Quintus:  Est  ita,  ut  dicis;  cave  mim  putes  Attici  nostri  Amaühio 
platanisque  Ulis  quiequam  esse  praeclarius.  Also  das  Vorbild,  nach 
dem  Cicero  ein  Amaltheum  anzulegen  Lust  hatte,  erwähnt  er, 
und  das  eigene  sollte  er  neben  allem,  was  er  hier  von  seinem 
Arpinas  sagt  und  sagen  läßt,  unerwähnt  lassen? 

Weitere  Abbildungen,  die  S.  gibt,  sind:  die  Kirche  von  San 
Domenico  bei  Isola  del  Liri;  „Gymnasium  bzw.  Palästra  im  Garten 
einer  römischen  Villa4'  (nach  einem  pompejanischen  Wandbilde); 
der  Kopf  des  Cn.  Pompeius  (Marmorbüste  in  Paris);  ferner  noch 
aus  Pompeji  (nach  0 verbeck- Mau) :  eine  Doppelherme  des  Bacchus 
und  der  Ariadne,  Herme  am  Apollotempel,  Plan  der  sog.  Villa  des 
Diomedes,  Palästra  (Overbeck-Mau 4  S.  150),  Atrium  im  Hause 
des  sog.  tragischen  Dichters,  Atrium  im  Hause  des  Cornelius 
Rufus. 

Die  26  Briefe,  die  der  Text  bietet,  sind  in  der  Weise  in 
vier  Kapitel  eingeteilt,  daß  in  jedem  Kapitel  den  in  ihm  zusammen- 
gefaßten Briefen  eine  gemeinsame,  sachlich  einführende  und  zu- 
sammenfassende Einleitung  vorausgeschickt  wird,  wie  dies  in  ähn- 
licher Weise  auch  in  anderen  derartigen  Auswahlen  geschieht;  nur 
ziehen  es  die  Herausgeber  der  letzteren  im  allgemeinen  vor,  die 
sachlichen  Einführungen  den  einzelnen  Briefen  beizugeben.  Die 
Zeittafel  (S.  61  und  62)  gibt  kurz  die  Daten  der  wichtigsten 
politischen  Ereignisse  jener  Jahre  und  der  hier  aufgenommenen 
Briefe.    Im  letzten  Abschnitt  des  Textheftes  (S.  63  und  64)  werden 


376  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

die  Abweichungen  des  Textes  von  dem  der  C.  F.  W.  Müllerschen 
Ausgabe  angeführt.  Da  S.  die  Begründung  dieser  Abweichungen 
später  zu  geben  verspricht,  nämlich  im  ersten  Bande  seines  „Brief- 
wechsels des  M.  Tullius  Cicero4*  usw.,  so  muß  man  diese  Begründung 
abwarten,  so  gespannt  man  auch  hierauf  für  manche  der  auf- 
genommenen Lesarten  ist.  So  schreibt  z.  B.  Schmidt  A  I  1,  2 
quae  (via  Flaminia)  cum  erit  absoluta,  sane  facile  ei  ac  libenter  muni- 
cipes  ceteri  consuli  acciderint  (Müller:  facile  eum  ac  libenter  muni- 
cipia  consulem  acceperint);  fam.  V  6,  2  Omnino  semissibus  tum 
magna  copia  est  (Müller:  fOmni  semissibus  magna  copia  est)\ 
A  1  13, 1  quae  fuerunt  omnes  rhetoris,  tarn  pure  loquuntur  (Müller: 
quae  fuerunt  omnes,  ut  rhetorum  pueri  loquuntur). 

Das  Heft  „Erklärungen"  ist  in  »achlichen  Erörterungen  reich- 
haltig und  meist  zutreffend.  Die  sprachliche  Erklärung  dagegen 
reicht  insofern  nicht  aus,  als  vieles  unerklärt  bleibt,  was  der  Er- 
klärung bedarf.  Wo  sie  gegeben  wird,  geschieht  es  vorzugsweise 
in  der  Form,  daß  für  einzelne  Worte  oder  Wortkomplexe  einfach 
die  fertige  deutsche  Übersetzung  angegeben  wird. 

Im  ganzen  wird,  wenn  man  gerade  die  hier  gegebenen  Briefe 
mit  seinen  Schülern  lesen  will,  die  vorliegende  Bearbeitung  dieser 
Briefe  gute  Dienste  leisten. 

3)  Ausgewählte  Briefe  ans  cicer oaische r  Zeit.  Herausgegeben 
vod  C.  Bar  dt.  Hilfsheft:  Zar  Technik  des  Obersetzeos.  Leipzig 
1901,  B.  G.  Teubner.     IV  a.  67  S.     8.     0,60  Jt- 

Den  von  G.  Bardt  ausgewählten  und  kommentierten  Briefen 
(vgl.  JB.  XXV  S.  317  «F.  und  XX VII  S.  222  ff.)  schließt  sich  als 
dritter  Bestandteil  des  ganzen  Werkes  dieses  Hilfsheft  an.  Es 
hat  jedoch  einen  allgemeineren  Inhalt,  als  der  Anschluß  gerade 
an  diese  Briefsammlung  voraussetzen  läßt.  Jene  Briefe  und  die 
von  B.  für  sie  gegebenen  Erklärungen  und  Verdeutschungen  geben 
nämlich  nur  die  Beispiele  her  für  eine  kurze  Darlegung  der  Grund- 
sätze, die  man  zweckmäßigerweise  beim  Übersetzen  befolgen  wird, 
wenn  aus  klassischem  Latein  gutes  Deutsch  werden  soll.  In  der 
Tat  wird  denn  auch  nicht  bloß  jeder,  der  die  Briefe  Giceros  mit 
seinen  Schülern  liest,  sondern  überhaupt  jeder,  der  aus  dem 
Lateinischen  ins  Deutsche  übersetzen  läßt,  das  vorliegende  Heft 
mit  Interesse  und  mit  Vergnügen  lesen  und  für  seine  Arbeit  in 
der  Schule  daraus  Gewinn  und  Anregung  schöpfen.  Auch  kann 
es  als  Muster  dafür  gelten,  wie  man  aus  der  Lektüre  dasjenige 
stilistische  Material  gewinnt,  das  für  die  Übersetzung  aus  dem 
Deutschen  ins  Lateinische  erforderlich  ist.  Denn  mit  Recht  be- 
merkt der  Verf.  im  Vorwort:  „Lateinische  Stilistik  kann  zur  Zeit 
auf  preußischen  Schulen  nur  noch  so  gelehrt  werden,  daß  der 
Ertrag  der  Lektüre  direkt  in  den  Dienst  des  Lateinschreibens 
gestellt  wird,  aber  das  wird  auch  geschehen  müssen,  wenn  die 
lateinischen  Scripta  mehr  sein  sollen  als  grammatische  Repetitionen, 


Ciceros  Briefe,  von  Th.  Schiche.  377 

wenn  sie  vielmehr  durch  Umgestaltung  des  Satzbaus  und  des 
Ausdrucks  eine  der  Prima  würdige  Geistesgymnastik  darbieten 
sollen". 

4)  Ausgewählte  Briefe  Giceros.  Herausgegeben  nod  erklärt  von  Einil 
G  seh  wind.  Leipzig  and  Berlin  1903,  B.  G.  Teabuer.  Einleitung 
and  Textheft.  IV  a.  99  S.  Kommentar  und  Verzeichnis  der  Eigen- 
namen and  Abbildungen.    75  S.     8.     \,20  JC. 

Vorliegende  Auswahl  von  Briefen  Ciceros  gehört  einer  Samm- 
lung an,  die  von  dem  Teubnerschen  Verlag  herausgegeben  wird 
unter  der  Bezeichnung  „Meisterwerke  der  Griechen  und  Römer 
in  kommentierten  Ausgaben14.  Als  Zweck  dieser  Sammlung  wird 
auf  dem  Umschlag  angegeben:  nicht  nur  den  Schülern  der  oberen 
Gymnasialklassen,  sondern  auch  angehenden  Philologen  sowie 
Freunden  des  klassischen  Altertums,  zunächst  zu  Zwecken  privater 
Lektüre,  verläßliche,  nach  gemeinsam  vereinbarten  Grundsätzen 
verfaßte  und  die  neuesten  Fortschritte  der  philologischen  Forschung 
verwertende  Texte  und  Kommentare  griechischer  und  lateinischer, 
von  der  Gymnasiallektüre  selten  oder  gar  nicht  berücksichtigter 
Meisterwerke  darzubieten.  Von  den  zwei  Heften,  in  die  die  vor- 
liegende Auswahl  zerfallt,  enthält  das  eine  die  Einleitung  und  den 
Text  der  Briefe,  das  andere  den  Kommentar.  Die  Einleitung 
handelt  vom  Brief  nach  der  Anschauung  der  Alten  und  von  den 
inhaltlich  verschiedenen  Arten  der  Briefe,  sodann  von  der  bei 
Cicero  üblichen  Form  ihrer  Abfassung,  ferner  von  den  Äußerlich- 
keiten des  Briefwesens.  Ein  vierter  Abschnitt  ist  überschrieben: 
Sammlung  der  Briefe  Ciceros.  Hier  gibt  der  Herausgeber  die  Zahl 
der  erhaltenen  Briefe  an,  sowie,  welche  Sammlungen  uns  erhalten 
und  welche  verloren  gegangen  sind.  In  Mitteilungen  darüber,  wie 
sich  die  Briefe  auf  die  einzelnen  Jahre  verteilen,  finden  sich  auf- 
fallende Unrichtigkeiten.     Man  liest   hier   die  Sätze:    „Der   älteste 

datierbare  Brief  (ad  fam.  V  1)  stammt  aus  dem  Jahre  62" ; 

„es  sind  demnach  nur  aus  den  letzten  18  Lebensjahren  Briefe  er- 
halten"   ;    „am    stärksten    ist  das  Jahr  46  (mit  86  Briefen) 

und  die  letzten  sechs  Monate  seines  Lebens  (mit  75  Briefen), 
dann  die  Jahre  51  und  50  (mit  39  und  40  Briefen)  vertreten". 
Der  Herausgeber  spricht  hier  von  den  Briefen  im  allgemeinen, 
während  die  Zahlenangaben  nur  auf  die  Briefe  ad  fam.  allenfalls 
passen,  wenn  die  von  Koerner  und  0.  E.  Schmidt  herrührende 
chronologische  Tabelle  in  Mendelssohns  Ausgabe  zugrunde  gelegt 
wird.  Nur  wenn  man  es  außer  acht  läßt,  daß  die  elf  ersten  Briefe 
an  Atticus  noch  vor  dem  Konsulatsjahr  liegen  und  daß  der  älteste 
dieser  Briefe  (A  I  5)  im  Jahre  68  geschrieben  wurde,  kann  man 
behaupten,  daß  nur  aus  den  18  letzten  Lebensjahren  Ciceros  Briefe 
erhalten  sind.  Ebenso  sind  bei  den  Zahlen  für  die  Jahre  51,  50 
und  46  die  Briefe  an  Atticus  unberücksichtigt  geblieben.  Und 
nur  wenn  man  die  Zeit  vom  Januar  bis  Juli  43,  der  bei  Mendels- 
sohn   die    letzten  75  Briefe    zugewiesen    sind,    für  Ciceros  letzte 

Jahresbericht«  XXX.  25 


378  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Lebenszeit  hält,  kann  man  behaupten,  daß  75  ßriefe  in  die  letzten 
sechs  Monate  von  Ciceros  Leben  fallen.  Doch  sind  dann  hier 
wieder  die  Briefe  an  und  von  M.  Brutus  aus  dieser  Zeit  nicht 
mitgerechnet,  die  vielmehr  Gschwind  ebenso  in  Rechnung  zu  setzen 
verabsäumt,  wie  vorher  die  an  Atticus.  Diese  Dinge  werfen  ein 
eigentümliches  Licht  auf  des  Herausgebers  Kennerschaft  und  Sorg- 
falt, ihre  Erklärung  aber  finden  sie  in  folgendem:  er  hat  nicht 
selbst  in  Mendelssohns  Tabelle  nachgezählt  —  es  hätte  sich  ihm 
sonst  die  Wahrnehmung  aufdrängen  müssen,  daß  diese  Tabelle 
nur  für  die  Briefe  ad  familiäres  gilt  — ,  sondern  aus  einem  weiter- 
hin zu  besprechenden  Aufsatz  L.  Gurlitts  „über  die  Entstehung 
der  Ciceroniscben  Briefsammlungen"  geschöpft,  dabei  aber  die 
Kleinigkeit  übersehen,  daß  der  Abschnitt,  den  er  zum  Teil  auch 
im  Ausdruck  übereinstimmend  exzerpiert,  bei  Gurlitt  (Neue  Jahr- 
bücher 1901  S.  533)  beginnt  mit  den  Worten:  „Sehen  wir  zu- 
nächst von  den  Epistulae  ad  Atticum  ab"! 

Ausführlicher,  als  man  es  für  eine  kleine  Auswahl  von  Briefen 
erwarten  würde,  geht  G.  auf  die  Frage  ein,  wie  die  vorhandenen 
Briefe  Ciceros  gesammelt  wurden,  und  teilt  aus  den  Erörterungen, 
die  darüber  neuerdings  gepflogen  worden  sind,  einiges  mit.  Auch 
hier  findet  sich  eine  auffallende  Ungenauigkeit.  Als  Beispiel 
dafür,  daß  Cicero  von  wichtigeren  Briefen  Atticus  Abschriften 
geschickt  habe,  führt  G.  außer  einem  Brief  an  Pompeius  (A  III 
8,  4)  auch  einen  an  Lucceius  an.  Es  heißt  nämlich  A  IV  6,  4: 
Epistulam,  Lucceio  [nunc]  quam  misi,  qua  meas  res  ut  scribat,  rogo, 
fac  ut  ab  eotsumas  (valde  bella  est)  eumque,  ut  adproperet,  ad- 
horteris  cet.  Man  sieht,  daß  Cicero  dem  Atticus  nicht  eine  Ab- 
schrift seines  Briefes  an  Lucceius  übersendet,  sondern  ihn  auf- 
fordert, sich  den  Originalbrief  von  Lucceius  zum  Lesen  geben  zu 
lassen.  Auch  hier  erklärt  sich  die  Sache  dadurch,  daß  Gschwind 
einen  Irrtum  Gurlitts  in  derselben  Abhandlung  (S.  539)  wieder- 
holt, statt  selbst  nachzuprüfen. 

Das  Textheft  bietet  dann  44  Briefe,  und  zwar  nur  solche 
Ciceros,  nicht  auch  Briefe  an  ihn.  Wenn  dies  für  eine  weniger 
umfangreiche  Sammlung  im  ganzen  das  Richtige  ist,  so  ist  es 
doch  ein  fühlbarer  Mangel,  wenn  der  Herausgeber  zwar  Ciceros 
Antwort  auf  des  Servius  Sulpicius  berühmtes  Beileidsschreiben 
vorlegt,  dieses  selbst  aber  nicht.  Die  Anordnung  ist  die  historisch- 
biographische.  Am  Schluß  des  Heftes  sind  die  ziemlich  zahl- 
reichen Abweichungen  vom  Texte  C.  F.  W.  Müllers  zusammen- 
gestellt. 

Der  Kommentar  befleißigt  sich  einer  gewissen  Knappheit,  ohne 
deshalb  dürftig  zu  sein.  Er  ist  vorzugsweise  auf  das  Sachliche 
gerichtet,  wie  denn  auch  der  Erklärung  eines  jeden  Briefes  kurze, 
in  seinen  Inhalt  einführende  Vorbemerkungen  vorausgeschickt 
werden.  Was  dem  Herausgeber  besonders  beachtenswert  erscheint, 
hebt  er  durch  fetteren  Druck  hervor.     Daß  er  für  die  Erklärung 


Ciceros    »riefe,  von  Th.  Schiche.  379 

die  besten  Hilfsmittel  benutzt,  ist  naturlich.  Insbesondere  ist  der 
Einfluß  einer  so  guten  Arbeit,  wie  es  Bardts  „Briefe  aus  cicero- 
nischer  Zeit"  sind,  unverkennbar.  So  zeigt  sich  auch  eine  gewisse 
Verwandtschaft  mit  diesem  Werke  in  der  Hervorhebung  wichtigerer 
Stellen  der  Brieftexte  durch  gesperrten  Druck,  sowie  darin,  daß 
acht  Münzbilder,  die  schon  bei  Bardt  zu  sehen  sind,  auch  von  G. 
an  verschiedenen  Stellen  des  Kommentars  vorgelegt  und,  wie  bei 
Bardt,  am  Schluß  des  Kommentarheftes  kurz  beschrieben  werden. 
Dieses  Heft  enthält  auch  noch  ein  Verzeichnis  der  Eigennamen 
mit  sehr  kurzen  Erklärungen. 

Es  läßt  sich  annehmen,  daß  die  vorliegende  Arbeit  den  Zweck, 
für  den  sie  bestimmt  ist,  erfüllen  wird.  Die  Ausstattung  des 
Werkes  ist  vorzuglich.  Sie  wird  dazu  beitragen,  den  Benutzern 
dieser  Sammlung  die  Beschäftigung  mit  ihr  angenehm  zu  machen. 

5)  Aaswahl  aas  Ciceros  Briefen.  Für  deu  Schulgebrauch  mit  sach- 
lichen Einleitungen  zu  allen  Schreiben  herausgegeben  von  Adolf 
Lange.  Zweite  Auflage.  Paderborn  1901,  F.  Schöningh.  184  S.  8. 
geb. 

Die  Auswahl  enthält  83  Briefe,  und  zwar  solche,  die  einen 
wichtigen  Beitrag  für  die  Charakteristik  des  Cicero  selbst,  seiner 
bedeutendsten  Zeitgenossen  oder  der  Zeitverhältnisse  liefern.  Sie 
sind  chronologisch  geordnet,  beginnen  also  mit  ad  fam.  V  2  vom 
Anfang  des  Jahres  62  und  schließen  mit  ad  fam.  XU  10  aus  dem 
Juli  43.  Nicht  alle  Briefe  jedoch  werden  vollständig  gegeben. 
Vielmehr  ist  minder  Wichtiges  und  Unverständliches  weggelassen, 
soweit  es  ohne  Schaden  für  den  Zusammenhang  geschehen  konnte. 
Den  einzelnen  Briefen  sind,  wie  schon  der  Titel  angibt,  sachliche 
Einfuhrungen  beigegeben,  und  dem  Ganzen  ist  eine  Einleitung 
vorausgeschickt,  die  von  der  Herstellung  und  Beförderung  der 
Briefe  zur  Zeit  Ciceros  handelt,  ferner  von  seinem  Briefwechsel, 
von  seiner  Persönlichkeit,  seiner  Familie  und  seinen  Vermögens- 
verhältnissen, von  seinen  Schriften,  von  seinem  Bruder  Quintus, 
von  Atticus  und  von  den  üblichen  Formeln  des  lateinischen  Brief- 
stils: alles  zwar  kurz,  aber  für  die  Einleitung  zu  einer  solchen 
Auswahl  von  Briefen  ausreichend.  Nimmt  man  hinzu,  daß  im  An- 
hang eine  tabellarische  Übersicht  über  die  wichtigsten  Ereignisse 
in  Ciceros  Lebenszeit  und  ein  Namensverzeichnis  mit  kurzen  Er- 
klärungen gegeben  wird,  so  bestätigt  sich  die  Vermutung,  zu 
welcher  der  im  Jahre  1900  erschienene  Kommentar  zu  dieser 
Auswahl  Anlaß  gab  (s.  JB.  XXVII  S.  226  f.),  daß  das  Textheft 
reichlich  sachliche  Beigaben  enthält.  Die  Ausstattung,  besonders 
des  Textheftes,  ist  gut,  und  vermutlich  wird  sich  diese  Auswahl 
ebenso  gut  bewähren  wie  manche  andere  von  gleicher  Art. 


25* 


380  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

6)  Aasgewählte   Briefe  Cieeros.     Für   den  Schulgebrauch  erklärt  von 

Joseph  Frey.  Sechste  Auflage.  Leipzig  und  Berlin  1901,  B.  G. 
Teubner.     Textheft  VI II  u.  166  S.     Anmerkungen  130  S.    8.    2,20  JL. 

Vorliegende  Auswahl  gehört  zu  den  älteren  Sammlungen,  die, 
-wie  das  Erscheinen  der  sechsten  Auflage  beweist,  fortdauernd  ge- 
schätzt werden.  Sie  unterscheidet  sich  von  den  neueren  Arbeiten 
dieser  Art  insofern,  als  diese  fast  ausnahmslos  die  Briefe  in  chrono- 
logischer Folge  bieten,  Frey  dagegen  sie  nach  den  Empfangern 
geordnet  vorlegt  und  erst  in  zweiter  Linie  die  chronologische  Folge 
berücksichtigt,  So  werden  die  hier  ausgewählten  Briefe  in  vier 
Bucher  geteilt.  Das  erste  betrifft  Cicero  und  seine  Familie  und 
enthält  demgemäß  11  Briefe  an  Terentia,  die  zum  Teil  gleichzeitig 
an  Sohn  und  Tochter  gerichtet  sind,  dann  fünf  durch  den  Tod 
der  Tuliia  veranlaßte  Briefe,  einen  Brief  des  jüngeren  M.Cicero 
an  Tiro,  drei  Briefe  Cieeros  au  seinen  Bruder,  endlich  11  Briefe, 
die  den  Tiro  betreffen,  nämlich  zehn  an  ihn  gerichtete  und  den 
Brief  des  Q.  Cicero  an  Marcus,  der  Tiros  Freilassung  betrifft  (ad 
fam.  XVI  16).  Unter  den  drei  Briefen  Cieeros  an  seinen  Bruder 
befindet  sieb  auch  ad  Qu.  fr.  I  1,  das  Sendschreiben  über  Pro- 
vinziaiverwaltung,  das  man  nicht  leicht  in  einer  andern  derartigen 
Sammlung  finden  wird.  Das  zweite  und  dritte  Buch  zeigt  uns 
Cicero  im  Verkehr  mit  Freunden  und  Staatsmännern.  An  der 
Spitze  des  zweiten  Buches  stehen  12  Briefe  an  Atticus,  es  folgen 
solche  an  Trebatius,  Curio  usw.  Das  dritte  Buch  wird  eröffnet 
mit  C.  Julius  Caesar;  wir  erhalten  drei  Briefe  Cäsars  an  Cicero 
und  einen  Cieeros  an  Cäsar.  Es  folgen  Briefe  an  Paetus,  Varro, 
Nigidius  Figulus  u.  a.  Das  vierte  Buch  ist  überschrieben:  „Cicero 
und  die  Gegner  der  cäsarianischen  Partei";  es  enthält  Briefe  an 
D.  Brutus,  Munatius  Plancus,  Q.  Cor  nitidus  und  C.  Cassius.  Vor 
jeder  an  eine  dieser  Personen  gerichteten  oder  doch  sie  be- 
treffenden Briefreihe  erhalten  wir  eine  Charakteristik  der  betreffen- 
den Persönlichkeit  und  Angaben  über  Cieeros  Beziehungen  zu  ihr. 
Im  ganzen  sind  es  131  Briefe,  so  daß  der  engeren  Wahl  des 
Lehrers  reichlich  Spielraum  gelassen  ist.  Gewissermaßen  als  Er- 
satz für  die  chronologische  Anordnung  ist  dem  Text  der  Briefe 
eine  nach  Jahren  geordnete,  ziemlich  eingehende  Übersicht  über 
die  Zeitgeschichte  von  Cieeros  Konsulat  bis  zu  seinem  Tode  vor- 
ausgeschickt. Eine  das  Textheft  eröffnende  Einleitung  enthält  die 
üblichen  Angaben  über  Cieeros  Briefwechsel  mit  besonders  ein- 
gehenden und  guten  Bemerkungen  über  den  Wert  dieses  Brief- 
wechsels. Die  mit  Becht  in  einem  besonderen  Hefte  gedruckten 
Anmerkungen  sind,  wie  die  sachlichen  Einführungen  des  Text- 
heftes, zweckmäßig  und  zuverlässig. 

7)  M.  Tulli  Ciceronis  epistulae  selectae.    Nach  Text  nnd  Kommentar 

getrennte  Ausgabe  für  den  Scbulgebrauch  von  P.  Dettweiler.  Dritte 
Auflage.  Gotha  1901,  F.  A.  Perthes.  Erste  Abteilung:  Text  X  u. 
98  S.     Zweite  Abteilung:  Kommentar.    IV  u.  120  S.     8. 

Die  zweite  Auflage  dieser  Sammlung  von  Cicerobriefen  habe 


Ciceros  Briefe,  von  Th.  Schiehe.  381 

ich  angezeigt  JB.  XXV  (1899)  S.  321  f.  mit  dem  Ergebnis,  daß 
sich  das  Buch  im  Unterricht  als  recht  brauchbar  erweisen  dürfte. 
Die  Veränderungen,  die  die  dritte  Auflage  erfahren  hat,  bestehen 
zunächst  in  einigen  Erweiterungen,  die  auf  Anregung  von  Peters 
Werk  über  den  Brief  in  der  römischen  Literatur  in  der  (dem 
Kommentarheft  vorgedruckten)  Einleitung  vorgenommen  sind.  Die 
Zahl  der  aufgenommenen  Briefe  ist  dieselbe  geblieben,  nur  ist 
statt  des  Briefes  des  Matius  und  Trebatius  an  Cicero  vom 
23.  März  49  (A  IX  15  A)  jetzt  der  Brief  Ciceros  an  Cäsar  vom 
20.  März  49  (A  IX  IIA)  aufgenommen,  was  gewiß  zu  billigen  ist. 
Der  Kommentar  weist  einige  Zusätze,  sonst  aber  nur  geringe,  zum 
Teil  durch  neue  Lesarten  hervorgerufene  Veränderungen  auf.  So 
liest  D.  jetzt  A  XIV  14, 1  de  rhetorum  more  Puteolano  (mit  Gurlitt, 
s.  JB.  XXVI!  S.  235 f.;  früher:  de  more  Puteolano);  ad  fam.  IX 
16,7  Quem  tu  mihi  Popilium,  quem  denarium  narrasl  (mit  den 
Hss.;  früher:  quem  tu  mihi  Pompilum,  quem  thynnum  narras?); 
A  X  8,  5  Omnino  potuimus?  (mit  den  Hss. ;  früher :  Omnino  non 
potuimus.);  A  IV  1, 1  nee  etiam  pro  praeterita  mea  in  te  observantia 
(mit  Bosius;  früher:  me  etiam  propter  meam  in  te  observantiam); 
ad  Q.  fr.  I  4,  1  amicorum  aut  cautum  meum  consilinm  defuit  (mit 
Frederking,  s.  JB.  XXVII  S.  232;  früher:  amicorum  paueorum,  in- 
cautum  meum  consilium  fuit). 

8)  Präparatiou  |zu  Ciceros  Briefeu  in  Auswahl.  Von  L.  Gurlitt. 
Hannover  1902,  Norddeutsche  Verl a^sa ostalt.  (Krafft  und  Raokea 
Praparatiouen  für  die  Schullektüre,  Heft  72.)     49  S.     8.     0,80  JC. 

„Diese  Präparation'4,  sagt  der  Verfasser,  „schließt  sich  an 
keine  bestimmte  Schulausgabe  an,  umfaßt  aber  nur  solche  Briefe, 
die  in  den  verbreitetsten  Schulausgaben  Aufnahme  gefunden  haben41. 
Es  sind  87  Briefe  ausgewählt.  Die  Form  der  Präparation  ist, 
wie  bei  den  andern  Arbeiten  derselben  Sammlung,  die  des  Voka- 
bulars mit  einzelnen  sachlichen  Bemerkungen.  Ein  derartiges 
Hilfsmittel  dürfte  für  die  Vorbereitung  der  Schüler  zweckmäßiger 
sein  als  so  mancher  erklärende  Kommentar.  Denn  es  ist  besser, 
dem  Schüler  in  elementarer  Form  gleichmäßig  das  nötige  Wort- 
verständnis an  die  Hand  zu  geben  und  ihm  so  das  eigene  Ein- 
dringen in  den  zu  lesenden  Text  zu  ermöglichen,  als  entweder 
mit  allzu  ausführlichen  Kommentaren  neben  dem  Eindringen  in 
den  Text  ihm  die  Bewältigung  der  Anmerkungen  aufzuerlegen 
oder,  wenn  Kürze  angestrebt  wird,  mit  fertigen  Übersetzungs- 
bruchstücken ihm  für  einen  Teil  des  Textes  das  eigene  Eindringen 
zu  ersparen,  für  den  Best  aber  ihn  im  Stich  zu  lassen.  Übrigens 
wird  in  der  vorliegenden  Arbeit  bei  einer  neuen  Auflage  hier 
und  da  eine  Vokabel  hinzuzufügen,  manches  einzelne  aber  nach- 
zuprüfen sein,  z.  B.  ob  ad  fam.  IX  2, 1  (dem  et  idem  die  richtige 
Lesart  ist,  ob  ebenda  §  4  mit  ibidem  das  Tusculanum  gemeint  ist, 
ob  ad  fam.  VII  3,  6  longius  fit  bedeuten  kann  „es  wird  zu  um- 
fangreich44, ob  ad  fam.  VI  6,  7  sinister  „unglücklich14  bedeutet,  u.  a. 


382  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

B.   Abhandlungen. 

9)  U.  Ph.  Boissevaio,    Ad   Cic.  ad  Att.  I  2,1.     Feeatbuadel  Prof.  Boot. 

Leiden  1901,  S.  199-202. 

Ad  Att.  i  2, 1  will  B.  lesen:  Z.  Mio  Caesare  C.  Marcio  Figulo 
consulibus  (et}  filiolo  me  auctum  scito.  Salva  Terentia.  Abs  te  tarn 
diu  cet.  Kurz  zusammenfassend  habe  Cicero  so  die  Wahl  der 
ihm  für  64  erwünschtesten  Konsuln  und  die  Geburt  seines  Sohnes 
dem  Freunde  angezeigt.  Im  vorangehenden  Brief  (A  I  1,  2)  hatte 
er  Cäsar  und  Thermus  als  die  ihm  für  64  erwünschten  Konsuln 
bezeichnet,  Thermus  aber  und  C.  Harcius  Figulus  seien  identisch. 
Der  eine  Konsul  des  Jahres  64  habe  nämlich  vollständig  C.  Marcius 
Figulus  Thermus  geheißen,  indem  Minucius  Thermus  von  C.  Marcius 
Figulus  adoptiert  worden  sei;  bei  dem  Chronographen  vom  Jahre 
354  laute  die  Angabe  der  Konsuln  für  64  v.  Chr.:  Cesare  et  Turmo. 
Vgl.  JB.  XXVII  S.  245. 

10)  E.  Breccia,    Cicerone   ad  Attico  I  1,2.     Bollettioo  di  filol.  class. 

VII  (1900—1901)  S.  254—256. 

Im  Jahre  65  äußert  sich  Cicero  A  I  1,  2  über  sein  Interesse 
an  den  Bewerbern  um  das  Konsulat  für  64  in  folgender  Weise: 
Nostris  rationibus  maxime  condueere  videtur  Thermum  fieri  cum 
Caesare.  Nemo  est  enim  ex  iis  qui  nunc  petunt,  qui,  si  in  nostrum 
annum  reciderit,  firmior  candidatus  fore  videatur,  propterea  quod 
curator  est  viae  Flaminiae.  Quae  cum  erit  absoluta,  sane  facile 
eum  ac  libenter  municipia  consulem  acceperint.  So  C.  F.  W.  Müller 
„duce  fere  Kochio  progr.  Futb.  1855  p.  11  (fortasse  melius  erat 
absoluta  sane  facile,  eum  libenter)".  Überliefert  ist  aber:  que  cum 
(tum  Z)  erit  abs.  sane  fac.  eum  libenter  nunc  ceteri  (nuntiteri  M 
in  marg.,  nuntiteri  Z)  consuli  (conciliZ)  acciderim  (acciderunt  Z)  M. 
Unter  den  mancherlei  Verbesserungsversuchen,  die  Müller  angibt, 
lautet  der  des  Manutius:  quae  tum  erit  absoluta  sane  facile;  eum 
libenter  nunc  Caesari  consulem  addiderim.  Breccia  vermutet:  Quae 
tum  erit  absoluta  sane  facile.  Eum  libenter  nunc  altert  consuli 
addiderim.  Diese  Lesung  dürfte  vor  allen  anderen  Vermutungen 
den  Vorzug  verdienen,  weil  sie  einen  guten  Sinn  gibt  und  sich 
von  der  Überlieferung  nur  wenig  enfernt.  Nur  wird  es  zweck- 
mäßig sein,  den  Relativsatz  eng  an  das  Vorhergehende  anzu- 
schließen. 

11)  F.  Bücheier,  Couiectanea.     Rhein.  Mas.  LVII  (1902)  S.  326 f. 

Kurz  bevor  Varro  durch  Atticus  das  Widmungsexemplar  von 
Ciceros  Academica  posteriora  amt  dem  uns  erhaltenen  Begleit- 
schreiben erhielt,  schreibt  Cicero  als  dieses  Begleitschreiben  Atticus 
schon  zugegangen  war,  an  Atticus  (XIII  25,  3):  Sed,  quaeso, 
epistula  mea  ad  Varronem  valdene  tibi  placuit?  Male  mi  sit,  si 
umquam  quicquam  tarn  enitar.  Ergo  ne  Tironi  quidem  dictavi,  qui 
totas  n€Qio%äq  persequi  solet,  sed  Spintharo  syllabatim.     So  nach 


Ciceros  Briefe,  von  Th.  Schiebe.  383 

der  Ausgabe  von  C.  F.  W.  Möller.  Es  ist  aber  statt  enitar  ergo 
ne  überliefert:  enüar  ergo  at  ego  ne.  B.  meint:  Miratur  Cicero, 
amico  suam  ad  Varronem  epistulam  perplacuisse.  Von  einer 
solchen  Verwunderung  ist  in  den  Worten  Ciceros  nichts  zu  finden. 
Dieser  schreibt  vielmehr:  „Doch  wie  ist  es  mit  meinem  Brief  an 
Yarro?  Hat  er  dir  nicht  sehr  gefallen  ?"  In  der  Tat  mußte  Cicero 
erwarten,  daß  ein  Schreiben,  welches  er  Silbe  für  Silbe  diktiert, 
damit  der  Schreiber  an  seinen  Worten  nichts  andere,  des  Freundes 
Beifall  finde.  Er  hat  lange  geschwankt  und  gezweifelt  und  mit 
Atticus  darüber  verhandelt,  wie  Varro  wohl  das  Werk  aufnehmen 
werde.  Nun  soll  die  Übergabe  vor  sich  gehen,  und  das  Begleit- 
schreiben soll  möglichst  zu  einer  guten  Aufnahme  beitragen.  Daß 
er  sich  da  mit  diesem  Schreiben  viele  Muhe  gibt,  ist  doch  einzig 
naturlich,  und  jenes  genaue  Diktieren  ist  der  Beweis  dafür,  daß 
er  es  tat.  So  ist  mir  denn  unverständlich,  was  B.  in  der  Stelle 
finden  will,  wenn  er  fortfährt:  adfirmat  se  non  multum  laboris 
aut  operae  in  eam  impendisse,  und  wenn  er  diese  Auffassung  in 
die  Stelle  hineinemendiert  mit  der  Vermutung,  es  sei  zu  lesen: 
male  mi  sit,  si  umquam  quicquam  tarn  iv  naQ&Qyw.  at  ego  ne 
Tironi  quidem  — .  Vielmehr  hat  Möller  mit  Recht  Boot  zugestimmt, 
der  at  ego  als  in  den  Text  gedrungene  Angabe  einer  Variante  für 
ergo  (at  ego  =  at  ego  =  alias  ego)  ausmerzte,  und  Cicero  schrieb: 
„Hol  mich  der  ...  .,  wenn  ich  mir  je  wieder  mit  etwas  so  viel 
Mühe  gebe.  Dementsprechend  habe  ich  den  Brief  auch  nicht  dem 
Tiro  diktiert,  der  ganze  Perioden  zusammenzufassen  pflegt,  sondern 
Silbe  für  Silbe  dem  Spintharus". 

12)  Lorenzioa  Cesano,   L'Amaltheum   di  Cicerone.     Ateoe  e  Roma 
IV  (1901)  Sp.  310— 313. 

Mit  0.  E.  Schmidt  (N.  Jahrb.  1899  S.  »40  ff.)  hält  die  Ver- 
fasserin es  für  selbstverständlich,  daß  sich  auf  Ciceros  arpinati- 
schem  Landgut  ein  Amaitheum  befand.  Wie  wenig  wir  zu  dieser 
Annahme  berechtigt  sind,  ist  oben  (8.  374  f.)  gesagt.  Wenn  sich 
aber  Cicero  nach  dem  Amaitheum  des  Atticus  auf  dessen  epiroti- 
schem  Landgut  und  nach  der  zoito&sata  dieser  Anlage  erkundigt 
(A  I  16,18).  so  lehnt  die  Verf.  mit  Becht  die  Vorstellung  ab, 
die  sich  Schmidt  (S.  341  und  342)  von  einem  solchen  Amaitheum 
macht;  es  sei  nicht  zu  denken  ad  una  basilica  in  una  villa, 
basilica  poi  di  una  forma  specialissima  colla  nicchia  di  sfondo 
dipinta  ed  altri  accessori  del  tutto  estranei  ad  una  tale  costruzione 
in  ogni  senso  bene  caratterizata  nelT  edilizia  romana,  auch  nicht 
an  Landschaftsmalereien  an  den  Wänden  eines  solchen  Baues,  wie 
denn  in  der  Tat  die  Platanen,  von  denen  Cicero  de  leg.  II  7 
spricht  (s.  oben  S.  375)  nicht  gemalte,  sondern  wirkliche  Platanen 
waren.  Die  Verf.  selbst  erklärt  die  Frage  Ciceros:  qua  xonoSsaiq 
sit  *ApaX&sTov  tuum  mit  den  Worten:  dove  Thai  costrutto  e 
come  ne  hai  disposte  le  parti? 


384  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

13)  A.C.  Clark,  Anecdota  Parisiensia  ad  libros  epistalarnm  ad 
Atticam  ToroaesiaDam  et  Crusellinum.  Philologos  LX  (1901) 
S.  195— 216. 

Diese  sehr  dankenswerte  Arbeit  zur  Überlieferungsgeschichte 
der  Atticusbriefe  zerfällt  in  drei  Teile. 

Der  erste  Teil  behandelt  die  Frage,  inwieweit  Simeo  Bosius  *) 
in  seinen  Angaben  über  die  Lesarten  des  Tornaesianus  (=  Z)  ge- 
wissenhaft ist,  und  zwar  auf  Grund  einer  Vergleichung  der  in  Paris 
aufbewahrten  Handschrift  des  Bosius  von  einem  Teil  seiner  An- 
merkungen zu  den  Atticusbriefen  mit  seiner  im  Druck  erschienenen 
Ausgabe  und  mit  den  Angaben  Lambins.  Das  Ergebnis  ist  folgen- 
des (S.  198):  Summa  religione  egisse  videtur  Bosius  in  lectionibus 
e  Z  afferendis,  ut  par  erat  iu  codice,  quo  alii  usi  erant  quemque 
ipse  ad  Io.  Tornaesium,  typographum  clarissimum  Lugdunensem, 
cuius  erat,  mox  redditurus  erat. 

Im  zweiten  Abschnitt  teilt  C.  diejenigen  Lesarten  des  Tornaesianus 
mit,  die  sich  Turnebus  in  einem  Exemplar  der  editio  Stephaniana 
zu  den  Buchern  XIV  bis  XVI  notiert  hatte.  Es  ergibt  sich 
folgendes  (S.  207):  Cum  lectiones  gravioris  momenti  plerumque  e 
Lambini  et  Bosii  testimoniis  iam  notae  sint,  sequi tur  eos  diligentius 
rem  egisse  neque  multum  quod  bonae  frugis  esset  reliquisse,  adeo 
ut  codicis  deperditi  desiderium  aequiore  animo  ferre  possimus. 

C.  hebt  einige  besonders  bemerkenswerte  Lesarten  des  Tor- 
naesianus hervor.  So  ist  XVI  7,  4  mit  Z  zu  lesen:  nam  si  a 
Phaedro  nostro  esses  (esse  M),  expedita  excusatio  esset,  eine  Lesart, 
die  man  unbeachtet  gelassen  hat,  obgleich  Turnebus  sie  in  den 
Adversarien  veröffentlichte.  Ferner  hat  Z  XIV  9, 1  0  Socrate 
(Socrates  M)  et  Socratici  viri;  10,  1  haec  et  talia  (alia  M)  ferre 
non  possum;  XV  4, 1  idem  (om.  M)  mihi  duas  a  te  epistulas;  15,  2 
Reginam  odi.  id  me  (Reginam  odit  me  M)  iure  facere;  26,1 
Tabellarius  Me  quem  tibi  dixeram  me  ad  Rrutum  esse  missurum 
(missum  M). 

Zu  den  Lesarten  des  Tornaesianus  fugt  Turnebus  bisweilen 
eigene  Vermutungen  hinzu.  Auch  von  diesen  hebt  C.  einige  her- 
vor. Ich  führe  davon  folgende  an:  XV  26,  4  paucos  pedes  (so 
auch  Madvig;  paucos  spe  M,  paucos  pe  Z);  ib.  5  neque  mihi  aquam 
(quam  M  Z)  esse  tanti;  XVI  7,  5  intellegebant  (sonst  intellegebam)\ 
11,1  sine  allio  (vaüo  cod.)  Luciliano. 

Zu  den  Büchern  I — XIII  hat  Turnebus  Lesarten  des  Tor- 
naesianus nicht  notiert,  wohl  aber  einige  Vermutungen,  von  denen 
er  die  besten  in  den  Adversarien  veröffentlicht  hat.  Von  den 
nicht  veröffentlichten  teilt  C.  eine  Anzahl  mit. 

Der  dritte  Teil  von  Clarks  Arbeit  betrifft  den  Stephanus 
Baluzius.    Dieser  hatte  in  einem  Exemplar  der  Ausgabe  des  Simeo 


])  Ciceroiris  epistulae  ad  Atticam  ed.  Simeo  Bosius.     Ratiasti  Lemovi- 
cum  1580. 


Ciceros  Briefe,  von  Tb.  Schiehe.  385 

Bosius  für  Gracvius  die  Bemerkungen  ausgeschrieben,  die  Bosius 
selbst  noch  in  einem  Exemplar  seiner  Ausgabe  beigeschrieben 
hatte.  Graevius  bat,  wie  sich  herausstellt,  jene  Bemerkungen 
sorgfältig  abdrucken  lassen,  und  zwar  meist  in  den  Addenda  et 
corrigenda.  Jene  Arbeit  des  Baluzius  aber  ist  in  Paris  erhalten. 
Und  hier  erklärt  Baluzius  zu  der  Stelle  des  Bosius,  wo  dieser 
▼on  seinem  über  Crusellinus  spricht  („in  pagina  secunda  anno- 
tationum"  Clark):  „Hirne  Crusellii  codicem  ego  vidi  Ratiasti 
Lemovicum  inter  libros  Sim.  Bosii".  Nach  der  eigenen  Angabe 
des  Bosius  war  sein  Crusellinus  ein  codex  excusus  Lugduni,  also 
ein  Exemplar  der  editio  Gryphiana,  die  1545  /um  erstenmal  er- 
schien; Crusellius  aber  hatte  darin  angeblich  Lesarten  aus  einer 
sehr  wertvollen  Hs.  an  den  Rand  geschrieben.  Nun  ist  in  dem 
Katalog  der  Bibliothek  des  Baluzius  unter  Nr.  8665  verzeichnet: 
Ciceronis  epistolae  ad  Atticum,  Lugduni  1545,  cum  notis  et 
emendationibus  mss.  manu  Simeonis  Bosii.  Also,  schließt  Clark, 
hat  sich  entweder  nachträglich  bei  Baluzius  selbst  oder  doch  bei 
demjenigen,  der  nach  seinem  Tode  den  Katalog  seiner  bächer 
anfertigte,  die  Erkenntnis  eingestellt,  daß  jene  angeblichen  Rand- 
notizen des  Crusellius  von  Bosius  selbst  herröhrten. 

14)  L.  Garlitt,    Die   Entstehung    der    cicerooischen    Briefsamm- 
luogea.     Neue  Jahrbücher  1901  S.  532—558. 

Während  H.  Peter  (Der  Brief  in  der  römischen  Literatur, 
s.  unten)  die  Briefe  ad  fam.  als  ursprunglich  nach  bestimmten 
Gesichtspunkten  ausgewählt  und  geordnet  ansieht,  sucht  G.  in  der 
vorliegenden  Abhandlung  zu  erweisen,  daß  Tiro  für  die  Veröffent- 
lichung aller  der  Briefe,  die  er  abgesehen  von  den  an  je  einen 
Adressaten  gerichteten  Sondersammlungen  habe  aufbringen  können, 
ebenso  wie  für  diese  Sondersammlungen  Vollständigkeit  erstrebt 
habe,  und  daß  das  Ergebnis  seiner  Bemühungen  für  uns  in  dem 
corpus  ad  familiäres  vorliege.  Daß  dies  dem  Ideal  von  Vollständig- 
keit so  wenig  zu  entsprechen  scheint,  sucht  G.  zu  erklären,  in- 
dem er  zunächst  die  Annahme,  daß  Cicero  von  seinen  Briefen 
Konzepte  angefertigt  oder  Abschriften  genommen  und  diese  Ab- 
schriften oder  Konzepte  der  von  ihm  geschriebenen  Briefe  ebenso 
wie  die  Briefe  seiner  Korrespondenten  in  einem  Hausarchiv  auf- 
bewahrt habe,  erheblich  einschränkt.  ,,Wäre  es  die  Regel  ge- 
wesen, daß  Cicero  Briefkonzepte  schrieb,  seine  Briefabschriften 
lange  Zeit  aufhob,  auch  Briefe  von  seiner  Korrespondenten  Hand 
in  seinem  Archive  bewahrte,  so  würde  Tiro  imstande  gewesen 
sein,  auch  aus  den  vor  46  liegenden  Jahren  reiche  Bestände  zu 
publizieren.  Es  wäre  unerfindlich,  weshalb  er  aus  dem  Jahre  48 
nur  sieben,  aus  dem  Jahre  52  nur  fünf,  darunter  zwei  Empfehlungs- 
briefe, in  unsere  Sammlung  aufgenommen  haben  sollte"  (S.  544). 
Ob  nun  aber  Tiro  das  Streben  nach  Vollständigkeit  wirklich  immer 
gehabt  hat,  wird  zweifelhaft,   wenn  man  ad  fam.  XVI,    die  Tiro- 


386  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

briefe,  ins  Auge  faßt.  G.  meint  freilich,  auch  hier  habe  Tiro 
alles  mitteilen  wollen,  „was  erreichbar  war"  (S.  550),  also  doch 
wohl  alles,  was  er  irgend  an  Briefen  besaß,  die  Cicero  an  ihn 
gerichtet  hatte.  Denn  diese  Briefe  waren  ihm  doch  wohl  alle 
„erreichbar".  Daß  aher  wirklich  Cicero  nur  diese  22  Briefe  — 
so  viele  sind  in  jenem  Buch  von  M.  Cicero  an  Tiro  gerichtet  — 
an  seinen  Tiro  geschrieben  haben  sollte  und  sonst  keine,  ist  ganz 
undenkbar,  selbst  wenn  man  nur  die  Zeit  von  Tiros  Freilassung 
im  Jahre  53  bis  zu  Ciceros  Tod  in  Anschlag  bringt.  Es  kämen 
so  durchschnittlich  nur  zwei,  höchstens  drei  Briete  aufs  Jahr.  G. 
geht  freilich  in  der  Annahme,  daß  wir  alle  Briete  Ciceros  an  Tiro 
haben,  so  weit,  zu  behaupten :  „Wir  lernen  aus  dieser  Vollzählig- 
keit genau  die  Zeiten  kennen,  in  denen  Tiro  von  Cicero  getrennt 
war'4.  Daß  jene  Annahme  aber  nicht  zutrifft,  sieht  man  aus 
Fällen  folgender  Art.  Ende  Juli  50  schreibt  Cicero  in  Cilicien 
an  Atticus  (VI  7,  2):  Tiro  ad  te  dedisset  litteras,  nisi  eum  graviter 
aegrum  Issi  reliquissem.  Sed  nuntiant  melius  esse.  Ego  tarnen 
angor;  nihil  mim  illo  adulescente  castius,  nihil  diligentius.  Daß 
Cicero,  von  dem  wir  eine  Anzahl  höchst  liebevoller  und  teil- 
nehmender Briefe  an  Tiro  haben,  die  in  Krankheiten  des  letzteren 
geschrieben  wurden,  auch  in  jener  Zeit  der  Trennung  und  Krank- 
heit an  ihn  geschrieben  habe,  darf  man  mit  Sicherheit  annehmen. 
Und  doch  liegen  Briefe  Ciceros  an  Tiro  aus  dem  Juli  oder  August  50 
nicht  vor.  —  Ad  fam.  XVI  24, 1,  gegen  Mitte  November  44, 
schreibt  Cicero  an  Tiro:  Etsi  mane  Harpalum  miseram,  tarnen, 
cum  höherem,  cui  rette  darem  litteras,  etsi  novi  nihil  erat,  isdem 
de  rebus  volui  ad  te  saepius  scribere.  Also  am  Morien  des  Tages, 
an  dem  dieser  Brief  geschrieben  wurde,  hatte  Cicero  schon  mit 
Harpalus  einen  Brief  an  Tiro  abgehen  lassen,  der  uns  nicht  er- 
balten ist.  Cicero  war  damals  vom  10.  November  bis  um  die 
Nonen  des  Dezember  in  Arpinum,  Tiro  aber  in  Rom  (A  XVI  13a,  1 ; 
ad  fam.  XVI  24;  A  XVI  15,  5),  in  Anspruch  genommen  durch 
Ciceros  wirtschaftliche  Sorgen  und  beauftragt  mit  genauer  Bericht- 
erstattung auch  über  die  öffentlichen  Angelegenheiten  (ad  fam. 
XVI  24,  2).  Wenn  wir  nun,  wie  soeben  bemerkt,  sehen,  daß 
Cicero  am  Abfassungstage  von  ad  fam.  XVI  24  an  Tiro  zwei 
Briefe  schreibt,  so  können  wir  mit  Sicherheit  annehmen,  daß  auch 
noch  an  so  manchen  anderen  Tagen  dieser  Zeit  nicht  bloß  Briefe 
yon  Tiro  in  Arpinum  eingetroffen  sind,  wie  dies  z.  B.  A  XVI  15,  5 
bezeugt  ist,  sondern  auch  von  Tiro  an  Cicero  abgingen,  während 
uns  nur  der  eine  Brief  ad  fam.  XVI  24  erhalten  ist.  —  Hat  Tiro 
aber  bei  den  Briefen,  die  Cicero  an  ihn  geschrieben  hatte,  unter- 
schieden zwischen  solchen,  die  ihm  zur  Veröffentlichung  geeignet 
erschienen,  und  solchen,  bei  denen  dies  nicht  der  Fall  war,  so 
ist  die  Möglichkeit  dieses  an  sich  so  naheliegenden  Verfahrens 
auch  für  andere  Briefe  zuzugeben. 

Wann   beginnt  nun  Tiros  Sammeltätigkeit  und  womit? 


Cicero«  Briefe,  von  Th.  Schiebe.  387 

Gurlitt  macht  darauf  aufmerksam,  daß  vom  Jahre  46  ab  die 
Zahl  der  erhaltenen  Briefe  wesentlich  größer  ist  als  in  allen  vor- 
angehenden Jahren,  und  erklärt  dies  damit,  daß  Tiro  erst  46  be- 
gonnen habe,  Briefe  des  Cicero  zu  sammeln.  Dem  Jahre  46  weist 
man  86  Briefe  ad  fam.  zu,  darunter  36  Empfehlungsbriefe,  und 
diese  Zahl  der  Briefe  ist  in  keinem  anderen  Jahre  erreicht  worden. 
Dem  Jahre  45  werden  36  Briefe  zugeteilt,  darunter  11  Empfehlungs- 
briefe, dem  Jahre  44  vierzig,  darunter  ein  Empfehlungsbrief. 
Wenn  sich  diese  höheren  Zahlen  von  Briefen  aller  Art  nun  wirk- 
lich dadurch  erklären,  daß  Tiro  erst  seit  46  sammelte  —  und 
diese  Annahme  hat  sehr  viel  für  sich  — ,  so  muß  doch  sein 
Sammeleifer  sich  auf  jede  Art  Briefe  erstreckt  haben,  nicht  bloß 
auf  eine  einzige  Briefgattung.  Nun  schreibt  Cicero  im  Juli  44  an 
Atticus  (XVI  5,  5):  Mearum  epistularum  nulla  est  (fvvayaiyij;  sed 
habet  Tiro  instar  septuaginta;  et  quidem  sunt  a  te  quaedam  sumendae. 
Eos  ego  oportet  perspiciam,  corrigam.  Tum  denique  edentur.  Wenn 
also  Tiros  Sammlung  in  den  Jahren  46,  45  und  44  bis  Juli  so 
weit  angewachsen  ist,  daß  er  etwa  70  Briefe  beisammen  hat,  so 
müssen  dies  Briefe  der  verschiedensten  Art  sein.  Es  ist  an  sich 
das  Wahrscheinliche,  und  Ciceros  obige  Worte  geben  nicht  den 
geringsten  Anlaß,  es  anders  zu  verstehen.  Gurlitt  aber  versteht 
unter  den  70  Briefen,  von  denen  Cicero  spricht,  nur  Empfehlungs- 
briefe und  meint  (S.  535):  Tiro  „begann  im  Jahre  46  zu  sammeln 
und  hatte  im  Juli  44  an  Empfehlungsbriefen  eben  das  beisammen, 
was  er  uns  im  Buch  XIII  überliefert  hat".  Diese  Ansicht  kann 
nicht  richtig  sein.  Denn  nicht  bloß  die  Menge  der  Empfehlungs- 
briefe ist  seit  46  größer  als  früher,  sondern  sie  wird,  wie  wir 
sahen,  durch  die  Anzahl  der  anderen  Briefe  beträchtlich  überboten. 
Ferner  liegen  in  ad  fam.  XIII  nicht  70  Empfehlungsbriefe  vor, 
sondern  82;  also  schon  die  Ungleichheit  dieser  Zahlen  läßt  es 
nicht  zu,  jene  70  Briefe  mit  ad  fam.  XIII  ohne  weiteres  zu 
identifizieren.  Wenn  ferner  Cicero  Tiros  bisherige  Sammlung 
durch  von  Atticus  zu  entnehmende  Briefe  vervollständigen  will,  so 
ist  es  am  wahrscheinlichsten,  dies  auf  solche  Briefe  zu  beziehen, 
die  Cicero  für  wichtig  genug  gehalten  hatte,  um  seinem  Freunde 
davon  Abschriften  mitzuteilen,  und  auf  Empfehlungsbriefe  trifft 
dies  am  allerwenigsten  zu.  Endlich  sind  nur  solche  wichtigeren 
Briefe,  nicht  aber  Empfehlungsbriefe,  bedeutend  genug,  um  vor 
ihrer  Veröffentlichung  von  Cicero  durchgesehen  und  verbessert  zu 
werden. 

Wenn  die  Briefe  ad  Quintum  fr.  nur  der  Zeit  von  60  oder 
59  bis  Ende  54  angehören,  so  liege  dies,  meint  G.,  teils  daran, 
daß  man  die  vor  dem  Jahre  46  geschriebenen  Briefe  überhaupt 
nur  vereinzelt  habe  wieder  erlangen  können,  teils  daran,  daß 
Quintus  die  Veröffentlichung  der  späteren  Briefe  in  Bücksicht  auf 
Cäsar  und  zugunsten  seines  Sohnes  endgültig  untersagt  habe. 


388  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Was  die  Briefe  an  Alticus  betrifft,  so  erklärt  sich  G.  mit 
Recht  gegen  die  Annahme,  daß  außer  und  nach  Atticus  noch 
jemand  auf  den  Umfang  dieser  Briefsammlung  Einfluß  gewonnen 
habe,  und  hält  es  mit  Recht  für  nicht  unmöglich,  daß  aus  der 
Hand  des  Atticus  diese  Sammlung  ebenso  hervorging,  wie  wir  sie 
besitzen.  Diese  Ansicht,  die  früher  allgemeine  Geltung  hatte,  hat 
man  neuerdings  vergeblich  zu  erschüttern  versucht  durch  eine  die 
Worte  pressende  Ausdeutung  der  Nachricht,  die  Nepos  von  der 
Sammlung  der  Cicerobriefe  gibt,  die  er  bei  Atticus  sah.  Nepos 
(Att.  16,  3)  spricht  von  undeeim  volumina  epistularum  ab  conmlatu 
eius  usque  ad  extremum  tempus  ad  Atticum  missarum.  Was  Nepos 
sah,  so  behauptet  man,  könne  nicht  dasselbe  sein  wie  die  XVI  Bucher, 
die  uns  vorliegen.  Denn  nicht  mit  dein  Konsulat  beginne  unsere 
Sammlung,  und  aus  dem  Konsulatsjahr  liege  kein  einziger  Brief 
an  Atticus  vor,  dagegen  beginne  die  Sammlung  mit  11  Briefen, 
die  vor  dem  Konsulatsjahr  liegen.  Auch  reiche  sie  nicht  bis  an 
Ciceros  Lebensende;  vielmehr  sei  der  letzte  uns  erhaltene  Brief 
an  Atticus  (XVI  15)  fast  ein  Jahr  vor  Ciceros  Tode  geschrieben. 
Endlich  sei  unsere  Sammlung  niebt  in  11,  sondern  in  16  Bucher 
eingeteilt.  Hierauf  ist  folgendes  zu  erwidern.  Schon  P.  Manutius 
hat  undeeim  als  unrichtig  überliefert  angesehen  und  sedeeim  daraus 
gemacht.  Will  man  dies  nicht  gelten  lassen,  so  wird  man  doch 
die  Möglichkeit  nicht  leugnen  können,  daß  irgendwelche  Gründe 
der  Zweckmäßigkeit,  vielleicht  der  größeren  Gleichförmigkeit,  dazu 
veranlassen  konnten,  aus  den  11  volumina  des  Atticus  für  die 
Veröffentlichung  16  libri  zu  machen.  Sodann  beginnt  der  erste 
uns  vorliegende  Brief  an  Atticus  mit  Auseinandersetzungen  Ciceros, 
die  sein  Konsulat  betreffen;  es  ist  die  Rede  von  seiner  Bewerbung,, 
seinen  Mitbewerbern  und  seinen  Aussichten.  Da  sich  dies  alles 
also  wirklich  auf  Ciceros  Konsulat  bezieht,  so  ist  die  Möglichkeit 
nicht  von  der  Hand  zu  weisen,  daß  dies  auch  für  Nepos  der  erste 
Brief  war,  den  er  sah  und  den  er  meint,  wenn  er  sagt:  ab  con- 
sulatu  eins.  Man  muß  dies  sogar  für  das  allein  Wahrscheinliche 
halten,  wenn  man  bedenkt,  daß  aus  Ciceros  Konsulatsjahr  Briefe 
an  Atticus  gar  nicht  vorliegen  konnten,  weil  Atticus  doch  wohl 
damals  in  Rom  war  (wie  auch  G.  vermutet).  Wenigstens  ist  dies 
an  sich  sehr  wahrscheinlich  und  für  die  Zeit  der  Katilinariscben 
Verschwörung  ausdrücklich  bezeugt.  Endlich  der  Ausdruck  usque 
ad  extremum  tempus  ist  mit  dem  uns  vorliegenden  Bestand  sehr 
wohl  vereinbar,  sobald  man  es  auch  hier  unterläßt,  den  Worten 
des  Nepos  größere  Bestimmtheit  beizulegen,  als  sie  haben.  Der 
späteste  uns  vorliegende  Brief  des  Cicero  an  Atticus  ist  Anfang 
Dezember  44  geschrieben  (A  XVI  15).  Man  wird  zugehen  müssen, 
daß  diese  Zeit,  ein  Jahr  vor  Ciceros  Tode,  als  extremum  tempus 
habe  bezeichnet  werden  können,  sobald  man  berücksichtigt,  daß 
Cicero  jenen  Brief  schließt  mit  den  Worten  adsum  igitur,  dann 
auch  gleich  nach  Rom  ging  und  bis  zu  seiner  letzten  Flucht  dort 


*> 


Ciceros  Briefe,  von  Th.  Schiebe.  389 

blieb,  daß  also  nach  jenem  letzten  Briefe  an  die  Stelle  des  Brief- 
wechsels der  persönliche  Verkehr  mit  Atticus  trat. 

15)  L.  Gurlitt,    Textkritisches   zu  Cicero    ad   Quintum    fratrem. 
Rhein.  Mus.  LVI  (1901)  S.  596—606. 

II  7  (9),  1  Placiturum  tibi  esse  librum  meum  suspicabar;  tarn 
valde  placuisse,  quam  scribis,  valde  gaudeo.  Quod  me  admones  de 
inon  curantia  suadesque,  ut  meminerim  Iovis  orationem,  quae  est 
in  extremo  Mo  libro,  ego  vero  memini  et  illa  omnia  mihi  magis 
scripsi  quam  ceteris.  Mit  in  extremo  Mo  libro  sei  dasselbe  gemeint, 
wie  vorher  mit  librum  meum,  in  dem  letzteren  aber  sahen  schon 
Tyrrell-Purser  ein  Buch  von  den  dreien,  aus  denen  Ciceros  Ge- 
dicht de  temporibus  meis  bestand.  G.  vermutet,  daß  das  zweite 
Buch  gemeint  sei,  das  Cicero  in  einem  späteren  Briefe  an  seinen 
Bruder  erwähnt  (111  1,  24  mirificum  embolium  cogito  in  seeundum 
librum  meorum  temporum  includere,  dicentem  Apollinem  in  concilio 
deorum  cet.).  Statt  non  curantia  sei  zu  lesen  de  mun.  curatione 
(=  de  munerum  curatione)  oder  wahrscheinlicher  und  sachlich 
damit  zusammenfallend:  de  nfä  curatione  (=  de  nostra  curatione). 
Quintus  habe  unter  Berufung  auf  seines  Bruders  Dichtung  de 
temporibus,  speziell  auf  die  Schlußrede  des  Juppiter  im  zweiten 
Buche,  gebeten,  Cicero  möge,  seinem  Versprechen  gemäß,  für  die 
curatio  des  Tellustempels  und  der  porticus  Catuli  sorgen.  Man 
habe  anzunehmen,  daß  mit  dem  Ehrenamt  der  Wiederherstellung 
dieser  Baudenkmäler  M.  und  Q.  Cicero  betraut  gewesen  seien. 

II  3,2  (l'ompeius)  ut  surrexit,  operae  Clodianae  clamorem 
sustulerunt,  idque  ei  perpetua  oratione  contigit,  non  modo  ut  ad- 
clamatione,  sed  ut  convicio  et  malediclis  impediretur.  Qui  ut  per- 
oravil  (nam  in  eo  sane  fortis  fuit;  non  est  deterritus;  dixit  omnia 
atque  int  er  dum  etiam  silentio,  cum  auetoritate  peregerat)  sed  ut  per- 
oraviu  surrexit  Clodius.  Hier  soll  das  letzte  sed  auffällig  sein,  aber  mit 
Becht  erklären  Tyrrell-Purser,  daß  es  hier,  wie  oft,  eine  begonnene, 
aber  unterbrochene  Auseinandersetzung  wiederaufnimmt.  Schon 
dies  spricht  gegen  Gurlitts  Änderung  von  peregerat  sed  in  per- 
seuerasset.  Und  wenn  G.  cum  auetoritate  perseverasset  wiedergibt 
mit  „da  er  mit  Wurde  ausgeharrt  hatte44,  so  ist  fraglich,  ob  das 
bloße  auetoritate  bedeuten  könnte  „mit  Würde".  Freilich  ist 
peregerat  ebensowenig  zulässig,  wie  das  anderweitig  vorgeschlagene 
perfregerat.  Vielleicht  ist  zu  lesen  perfecerat  sc.  süentium.  Pom- 
pejus  ließ  sich  durch  den  Lärm  der  Clodianer  nicht  abschrecken, 
seine  Bede  zu  Ende  zu  bringen.  Bisweilen  herrschte  sogar  Buhe, 
nämlich  immer  dann,  wenn  er  durch  die  Bedeutung  seiner  Per- 
sönlichkeit sie  durchsetzte.  Das  Plusquamperfekt  ist  (wie  auch 
Sternkopf  Bhein.  Mus.  57,  631  bemerkt)  normal.  Denn  interdum 
deutet  eine  Mehrheit  von  Fällen  an,  in  denen  Buhe  herrschte, 
jedesmal  aber  mußte  der  herrschenden  Buhe  ihre  Durchsetzung 
vorausgegangen    sein.  —  In    demselben  Brief  §  5   ist  ohne  Sinn 


390  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

überliefert  C.  Cornelium  ista  ei.  G.  vermutet  C.  Cornelium  Statiutn, 
bemerkt  aber  selbst:  „Nachweisbar  ist  mir  ein  C.  Cornelius  Statius 
freilich  nicht44. 

Der  Brief  II  10  (12)  beginnt  Gaudeo  tibi  iucundas  esse  meas 
litteras,  nee  tarnen  habuissem  scribendi  nunc  quidem  ullum  argu- 
mentum, nisi  tuas  aeeepissem.  Nam  pridie  Idus,  cum  Appius  senatum 
infrequentem  coegisset,  tantum  fuit  frigus,  ut  populi  convicio  coactus 
sit  nos  dimittere.  Der  Schluß  des  Briefes  lautet:  Reliqua  singulorum 
durum  scribemus  ad  te,  si  modo  tabellarios  tu  praebebü.  Quam- 
quam  eius  modi  frigus  impendebat,  ut  summum  periculum  esset,  ne 
Appio  suae  aedes  urerentur.  Dieser  ietzte  Satz  (Quamquam  eius 
cet.),  meint  G.,  sei  hierher  verschlagen.  Er  gehöre  an  den  An- 
fang des  Briefes,  wo  zu  lesen  sei:  Nam  pridie  Idus,  cum  Appius 
senatum  infrequemtem  coegisset,  (quamquam  eius  modi  frigus  im- 
pendebat, ut  summum  periculum  esset,  ne  [Appio]  suae  aedes  ureren- 
tur,) tantum  fuit  frigus,  ut  populi  convicio  coactus  sit  nos  dimittere. 
Zu  streichen  sei  Appio,  weil  dies  erst  nach  Herausreißimg  des 
Satzes  aus  seinem  ursprunglichen  Zusammenhang  zur  Erklärung 
hinzugefugt  worden  sei.  Frigus  bedeute  „Ungunst",  „Ungnade", 
und  der  Sinn  sei:  Appius  hatte  gesetzwidrig  eine  Senatssitzung 
angesetzt;  darüber  war  das  Volk  so  entrüstet,  daß  es  drohte,  sein 
Haus  in  Brand  zu  stecken;  wenn  es  nun  auch  nicht  zum  Äußersten 
kam,  so  zwangen  ihn  doch  die  Schmährufe  der  erregten  Volks- 
menge, die  Sitzung  abzubrechen.  Hierin  ist  zunächst  nicht  zu- 
zugeben, daß  des  Appius  Ansetzung  einer  Senatssitzung  auf  prid. 
Id.  Febr.  gesetzwidrig  war;  denn  die  lex  Gabinia  hielt  ihn  dazu 
an,  ex  K.  Febr.  usque  ad  K.  Martias  legatis  senatum  cotidie  dare. 
Sodann  fragt  sich  einerseits,  ob  der  Satz  mit  quamquam  nach  und 
mit  Bezug  auf  Reliqua  singulorum  dierum  scribemus  nicht  doch  den 
Sinn  hat:  „obgleich  ich  kaum  etwas  zu  schreiben  haben  werde", 
also  mit  dem  Vorangehenden  in  gutem  Zusammenhang  steht, 
andrerseits,  ob  Cicero  zur  Begründupg  des  Satzes,  mit  dem  der 
Brief  beginnt,  nach  der  Einschaltung  von  quamquam  . . .  urerentur 
sich  so  ausgedrückt  haben  würde,  wie  es  jetzt  geschieht:  tantum 
fuit  frigus. 

Wenn  G.  III  1,23,  wo  überliefert  ist:  soleo  admirari . . . . 
nihil  te  recordari  de  se,  statt  se  vermutet  s.  c.  (=  senatus  consulto), 
so  sind  irgendwelche  Beziehungen  zwischen  den  Privata Darlegen- 
des T.  Anicius,  um  die  es  sich  hier  handelt,  und  eitern  Senat** 
beschluß  schwer  denkbar.  Weiterhin  soll  hier  mit  Bezug  auf 
denselben  Anicius  zu  lesen  sein:  Totum  denique  vultum,  sermontm, 
animum  eius  quem  ad  modum  conicio  yvaiasi  (statt  ^-^"S  ist 
quasi  überliefert),  was  G.  deutet:  „Kurz,  du  wirst  (=  *  »"t 

doch)    seinen  Gesichtsausdruck,    seinen   Unterhaltung 
Charakter,    soviel  ich   vermute,    kennen  lernen",     i 
forderung   „Du  solltest  kennen   lernen"  verträgt   si 
„soviel  ich  T 


Cictros  Briefe,  von  Th.  Schiche.  391 

II  6  (8),  1  teilt  Cicero  seinem  Bruder  mit,  daß  der  Antrag 
auf  eine  supplicatio  für  Gabinius  im  Senat  abgelehnt  worden  sei, 
und  setzt  hinzu:  Mihi  cum  sua  sponte  iucundum  tum  iucundius, 
quod  me  absente;  est  enim  sihxgivig  iudicium,  sine  oppugnatione, 
sine  gratia  nostra  -feram  ante.  Quod  Idibus  cet.  G.  vermutet 
sine  gratia  nostrorum.  Ante  quod  Idibus  cet.  und  sagt  zur  Er- 
klärung seiner  Auffassung :  „Es  war  für  Cicero  wichtig,  daß  seine 
Parteigenossen  einerseits  ohne  einen  heftigen  Angriff  davon  ge- 
kommen waren,  gegen  den  sein  Beistand  erwünscht  gewesen  wäre, 
andrerseits  auch  keinen  Beifall  geerntet  hatten,  um  den  er  sie 
beneiden  müßte".  Aber  oppitgnatio  und  gratia  nostra  bedeuten 
doch  wohl  in  diesem  Zusammenhange:  „ohne  daß  eine  Bekämpfung 
meinerseits  notwendig  war  und  ohne  daß  ich  die  Rücksicht  anderer 
auf  mich  meinerseits  in  Anspruch  zu  nehmen  brauchte". 

16)  L.  Garlitt,    Zu    Ciceros    Briefen.     Neue    philo!.  Rundschau    1901 

S.  601  f. 

Ad  Att.  V  10,4  ist  überliefert:  Nee  hercule  umquam  tarn  diu 
ignarus  rerum  mearum  fui,  quid  de  Caesaris,  quid  de  Milonis 
nominibus  actum  sit;  ac  non  modo  nemo  modo  ne  Roma  quidem 
quisquam,  ut  sciremus,  in  re  publica  quid  ageretur.  Für  ne  Roma, 
meint  G.,  habe  man  irrtümlich  gelesen  non  modo  und  nemo  modo, 
beides  aber  und  überdies  das  richtige  ne  Roma  in  den  Text  über- 
nommen. Er  streicht  also  non  modo  nemo  modo.  Aber  schon 
Nachrichten  darüber  quid  de  Caesaris,  quid  de  Milonis  nominibus 
actum  sit  hätten  aus  Korn  kommen  müssen.  Cicero  kann  also 
nicht  fortfahren:  „Auch  aus  Rom  schreibt  fmir  niemand4'  usw. 
Kayser  vermutete:  ac  non  modo  nemo  domo,  (sed)  ne  Roma  qui- 
dem quisquam,  ut  cet.  Auch  domo  aber  ist  von  Roma  nicht  ver- 
schieden. Ich  selbst  vermutete  mit  Benutzung  einer  alten  Kon- 
jektur (sed  ne  rumor  quidem  für  modo  ne  Roma  quidem):  ac  non 
modo  nemo  meorum  (sed)  ne  rumor  quidem,  quiequam  ut  sciremus 
(Prg.  1895  S.  15 f.).  Hierin  ließe  sich  meorum  unbedenklich  durch 
das  sachlich  gleichstehende  domo  ersetzen,  wenn  man  der  Meinung 
ist,  daß  domo  paläographisch  leichter  erklärbar  wäre  als  meorum. 
Da  aber  Cicero  A  IX  1, 1  schreibt  mirabar  nihil  allatum  esse  ne 
rumoris  quidem,  so  liest  man  vielleicht  noch  besser:  ac  non  modo 
nemo  meorum  (oder  domo),  sed  ne  rumoris  quidem  quiequam,  ut 
sciremus  cet. 

17)  L.  Gurlitt,  Zu  Cicejro«  Briefen.    Philologus  LX  (1901)  S.  601— 627. 

Mit  Recht  sucht  G.  ad  fam.  VII  33,  2  (ne  pluribus  legerem 
tuas  litteras)  und  XI  14,  1  (tantam  spem  attulerat  exploratae 
victoriae  tua  . . .  eruptio  . . .,  ut  omnium  animi  relaxati  sint)  das 
Überlieferle  gegen  die  letzten  Herausgeber  zu  schützen.  Fraglich 
erscheint  es,  ob  ad  fam.  XVI  17,2  die  Lesart  von  FHD  (Demetrius 
venit  ad  me  aquo  quidem  comitatu  d(fcafjblkfjaa  satis scite;  tu  eum 


392  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

videlicet  non  potuisli  videre)  und  ad  fam.  XVI  23  a.  E.  die  von  D 
(cras  expecto  Leptam,  et  enim  ad  eins  rutam  puleio  mihi  tui  sermonis 
utendum  est)  mit  G.  zu  halten  ist.  Zu  jener  Stelle  bemerkt 
Mendelssohn  mit  Recht:  ipsum  verbum  Graecum  valde  displicet,  an 
dieser  macht  die  Erklärung  von  etenim  (nach  G.  =  „und  so  muß 
ich  denn" . . .)  Schwierigkeiten.  Auch  A  XV  13,  4  sucht  G.  die 
Überlieferung  zu  schützen.  Es  heißt  hier  Res  Hispanienses  valde 
bonae.  Modo  Balbüium  incolumem  videam,  subsidtum  nostrae  sene- 
ctutis.  De  Anniano  item,  quod  me  valde  observat  Visellia.  Sed  haee 
quidem  humana:  „betreffs  des  Annianus  wünsche  ich  auch,  daß 
er  gesund  aus  dem  Kriege  zurückkehren  möge,  und  zwar,  weil 
mir  Visellia  so  große  Aufmerksamkeit  erweist14  (==  seiner  Gattin 
zuliebe).  —  An  zwei  Stellen  deutet  G.  ein  überliefertes  yL  als 
griechisches  Zahlzeichen.  A  XV  3,  2  (De  Q.  filio,  ut  scribis,  A. 
M.  C.)  sei  A  (oder  A).  M.  C  =  30  Myriaden  Sestertien  (M  = 
(ivQidg  und  C  oder  C  =  2),  und  hiermit  sei  die  Summe  be- 
zeichnet, die  Quintus  als  erforderlich  bezeichnet  haben  könnte, 
um  sich  über  Wasser  zu  halten.  A  XV  17, 1  (Ego  de  itinere  nisi 
explicato  A  nihil  cogito)  bezeichne  vielleicht  A  allein  30  Myriaden 
=  300  000  Sestertien,  die  Summe,  die  er  erst  beschaffen  (explicare) 
müsse,  ehe  er  sich  auf  die  Flucht  begebe.  —  Ad  Q.  fr.  II  14 
(15  b),  2  liest  G.:  ...  quaeris,  cuiusmodi  illum  annum,  qui  sequitur, 
expectem.  Plane  aut  tranquillum  nobis  aut  certe  munitissimum, 
quod  cotidie  domus,  quod  forum,  quod  theatri  significationes  declarant 
nee  laboranti,  quod  meä  conscientiä  copiarum  nostrarum,  quod  Caesaris, 
quod  Pompei  gratiam  tenemus,  haec  me,  ut  confidam,  faciunt.  Statt 
nee  laboranti  (G.  deutet  es:  „ohne  daß  ich  mir  nur  etwas  daraus 
mache,  mich  darum  bemühe14)  ist  nee  laborant  überliefert.  Wie 
das,  was  sich  hieran  anschließt,  quod  meä  cet.,  grammatisch  ver- 
standen werden  soll,  läßt  G.  unerörtert.  —  Ad  Q.  fr.  II  8  (10),  3 
vermutet  G.:  habemus  hanc  philosophiam  non  ab  Hymetto,  sed  ab 
aiaqa^ia.  Oberliefert  ist  statt  dieses  letzten  Wortes  araxira  oder 
araysira.  —  Ad  Q.  fr.  III  9,  8  ist  überliefert:  Quas  enim  tabulas 
(Felix)  se  putavit  obsignare,  in  quibus  in  uneiis  firmissimum  tenes 
vero  lapsus  est,  per  error em  et  suum  et  Sicurae  servi  non  obsignavil; 
quas  noluit,  eas  obsignavit.  G.  ändert  tenes  in  levis  ab:  tabulas. . , 
in  quibus  in  uneiis  firmissimum  (sc.  est),  levis  vero  lapsus  est,  per 
errorem . . .  non  obsignavit,  „eine  testamentarische  Urkunde,  in  der 
Zwölfteilung  des  Vermögens  völlige  Sicherheit  hat,  aber  ein  nur 
geringfügiges  Versehen  ist**.  Das  Versehen  „mochte  ein  ungenauer 
Name  sein,  der  leicht  abzuändern  war".  Ad  fam.  XI  13a,  4 
glaubt  G.  mit  der  Abänderung  des  überlieferten  adroganter  in 
adrogantes  auskommen  zu  können:  quos  (den  Antonius  und  Lepidus) 
tpsi  adhuc  satis  adrogantes  Aüobroges  equitatusque  omnis,  qui  eo 
praemissus  erat  a  nobis,  sustinebant,  „diese  haben  die  bisher  selbst 
reichlich  anmaßenden  Allobroger  und  die  gesamte  Reiterei... 
abzuhalten    versucht4'.  —  A  I  16, 13   (Lurco   autem  tribunus  pl, 


Ciceros  Briefe,  von  Th.  Schiebe.  393 

qui  magistratum  insimul  cum  legt  oMa  tntft,  solutus  est  et  lege 
Adia  et  Fufiä)  ersetzt  G.  insimul  cum  lege  alia,  nachdem  schon 
andere  Aelia  für  aUa  vermutet  haben,  durch  infimus  civium  lege 
Aelia:  „der  Volkstribun  Lurco  ist,  obgleich  er  als  der  geringste 
unserer  Mitbürger  der  lex  Aelia  sein  Amt  verdankt,  sowohl  dieser 
lex  Aelia  als  der  lex  Fufia  entbunden  worden4'.  —  A  II  22,7 
möchte  G.  in  Numerium  Numestium  Dittographie  annehmen  und 
Numerium  streichen,  weil  Cicero  A  If  20, 1  und  24, 1  den  Mann 
nur  Numestius  nennt.  —  A  V  11,7  ist  überliefert  ülam  NOMANAPIA 
me  excusationem  ne  aeeeperis.  G.  vermutet:  illam  'nolvavdgla 
me  (sc.  prohibitum  esse)'  excusationem  ne  aeeeperis:  „laß  dir'a 
nicht  weismachen,  daß  ich  mich  durch  den  Menschenschwarm 
hätte  abhalten  lassen,  an  dich  zu  schreiben44.  Daß  Cicero  pro- 
hibitum esse  der  Ergänzung  des  Lesers  sollte  überlassen  haben,  ist 
nicht  wahrscheinlich.  —  A  VI  1,23  (Berte  mehercule  potuit  Lucceius 
Tusculanum,  nisi  forte  (solet  enim)  cum  suo  tibieine)  setzt  G.  pro- 
luit  (d.  i.  hat  verpraßt,  vertrunken)  für  potuit:  „Prächtig,  bei  Gott, 
hat  Lucceius  sein  Tusculanum  weggeschwemmt,  er  müßte  es  denn 
etwa  in  Gesellschaft  seines  Flötenspielers  getan  haben,  mit  dem 
er  zu  kneipen  liebt'S  —  A  VIII  11,  4  hält  G.  die  Worte  vel  non 
oecurrimus,  die  unverständlich  sind,  für  eine  fehlerhafte  erste 
Lesung  der  darauf  folgenden  Worte  vel  hoc  fuit  rectius,  die  also 
zu  tilgen  seien.  —  A  X  12  a,  2  ist 


im  Med.  überliefert 
Quote  vi  aut  dam  agendum  est  et 
si  vi  forte  ne  cum  pestate  clamant 
emistis  in  quo  si  quod  aydXpcc 
vides  quam  turpe  est  trahimur 
nee  fugiendum  si  quid  violentius. 


nach  Gurlitt  zu  lesen: 
Quare  vi  aut  dam  agendum  est, 
et  si  w\  fortuna  suppeditantti 
clam  autem  istis  (sc  suppeditanti- 
bus).  In  quo  si  quod  GcfäXpa, 
vides,  quam  turpe  extrahimur) 
Nee  fugiendum  (sc.  est  fortuna 
suppeditante),  si  quid  violentius. 
„Zu  deutsch  etwa:  Deshalb  muß  gewaltsam  oder  heimlich  ver- 
fahren werden  und,  wenn  gewaltsam,  dann  unter  Beistand  des 
Glückes,  wenn  mit  List,  dann  unter  Beistand  deiner  Leute.  Siehst 
du  hierbei  irgendeine  Möglichkeit  des  Mißlingens,  welche  Schande 
(entdeckt  und)  herausgeschleppt  zu  werden!  Aber  auch  dann  ist 
die  Flucht  unmöglich,  wenn  sich  irgend  ein  stärkerer  Widerstand 
bietet44.  Extrahimur  ist  nicht  Druckfehler  für  extrahamur  —  es 
begegnet  in  Gurlitts  Erörterung  mehr  als  einmal  — ,  soll  sich 
also,  wie  es  scheint,  als  selbständiger  Ausruf  an  vides  anreihen. 
Wie  das  möglich  sein  soll,  ist  um  so  weniger  zu  ersehen,  als  es 
sich  hierbei  nach  G.  nicht  um  eine  schon  stattfindende  Wirk* 
lichkeit,  sondern  mm  eine  erst  noch  bevorstehende  Möglichkeit 
handelt. 

A  XIII  23,  3  zieht  G.  mit  anderen  exspecto  zum  Vorher- 
gehenden (Dicaearchi  librum  aeeepi  et  xataßdötiog  exspecto),  er- 
gänzt   die   dann    folgende   Lücke:    (De   decem  L  Mummi   Ugatis 

Jakrwberiehte  XXX.  26 


394  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Antiocho)  negotium  dederis:  reperiet  ex  eo  libro  usw.  und  sucht 
hierdurch  die  von  ihm  im  folgenden  schon  früher  (s.  JB.  XXV 
S.  334)  befürwortete  Lesart  Tu  de  Antiocho  scire  poteris  vide(licety 
etiam,  quo  anno  usw.  zu  stützen. 

A  XV  2, 1  (vgl.  JB.  XXVII  S.  257)  liest  G.  devertissemque 
accubans  in  Vesciano  accepi . . .  lüteras.  Hierin  accubans  mit  de- 
vertissem  zu  verbinden,  ist  sachlich  unmöglich;  soll  es  aber  zu 
accepi  gehören,  so  ist  devertissem  ohne  nähere  Bestimmung  auch 
unwahrscheinlich. 

A  IV  19  (Müller)  sieht  G.  die  Worte  nostrae  rei  publica* 
germane  putavi  de  nummis  ante  comitia  tributim  uno  loco  divisis 
palam  inde  absolutum  Gabinium  als  von  anderswo  hierher  ver- 
schleppt an.  Was  in  den  Ausgaben  auf  Gabinium  folgt,  dictaturam 
fruere  usw.  —  die  handschriftliche  Überlieferung  ist  durch  Blatt- 
versetzungen zerrüttet  —  sei  unmittelbar  an  das  anzuschließen, 
was  vor  nostrae  steht:  Quin  tu  huc  advolas  et  invisis  illius,  so  daß 
man  erhält:  Quin  tu  huc  advolas  et  invisis  illius  (=  Pompei) 
dictaturam?  Fruere  iustitio  et  omnium  rerum  licentia.  In  den 
nun  folgenden  Worten,  die  in  der  Überlieferung  lauten:  Perspice 
aequitatem  animi  mei  et  ludum  et  contemptionem  . . .  provinciae  et . . . 
cum  Caesare  . . .  coniunctionem,  sei,  um  das  zweigliedrige  Asyndeton 
fruere  . . .  perspice  zu  vermeiden,  an  der  Stelle  von  et  ludum  eine 
Lücke  anzunehmen  für  einen  ausgefallenen  Akkusativ  und  ein 
dritter  Imperativ  herzustellen,  also  Fruere  iustitio  et  omnium 
rerum  licentia,  perspice  aequitatem  animi  mei  et  {Lücke1)),  illude 
meam  et  contemptionem  . . .  et  . . .  coniunctionem.  Die  oben  als  ver- 
schleppt bezeichneten  Worte  seien  unterzubringen  zu  Anfang  von 
18,1  (Müller):  Nunc  ut  opinionem  habeas\\  nostrae  (vielleicht  sei 
nostram  zu  lesen)  rei  publicae:  germane  . . .  Gabinium;  ||  verum 
ferendum  est,  „damit  du  dir  nunmehr  ein  Urteil  über  unsern 
(lieben)  Staat  machen  kannst,  so  höre:  Es  ist  meine  ehrliche 
Überzeugung  betreffs  des  Geldes,  das  vor  den  Komitien  unter  die 
einzelnen  Tribus  an  einem  einzigen  Orte  verteilt  wurde,  daß  da- 
von vor  aller  Augen  Gabinius  freigesprochen  sei.     Aber  . . ." 

18)  L.  Garlitt,  Cruces  Tullianae  (ad  Att.  XV  17, 1;  20,1).    Berl.  phil. 
WS.  XXI  (1901)  Sp.  922—925. 

A  XV  17,  1  heißt  es  nach  C.  F.W.  Müller:  De  consulum  ficto 
timore  cognoveram.  Sicca  enim  cpiloaxogycog  ille  quidem,  sed 
tumultuosius  ad  me  etiam  illam  suspicionem  pertulit.  Quid  tu 
autem?  kxa  ptr  didopsva  — '?  Nulluni  enim  verbum  a  fSiregio. 
Non  placet.  De  Plaetorio,  vicino  tuo  usw.  Über  diese  Stelle  habe 
ich  mich  aus  Anlaß  einer  Vermutung  von  0.  E.  Schmidt  geäußert 
in  den  JB.  XXV  (1899)  S.  376  f.  G.  sagt,  ich  hätte  dort  Schmidts 
Vermutung  mit  Recht  „widersprochen",  aber  „mit  unzureichenden 

J)  G.  meint:  „etwa  levüatem  (?)"  and  setzt  selbst  das  Fragezeichen. 
Seineu  Intentionen  würde  vielleicht  lenüatem  besser  entsprechen. 


Ciceros  Briefe,  voo  Th.  Schlehe.  395. 

Gründen".     G.  gibt  nicht  an,  weshalb  meine  dortige  Begründung 
für  die  Ablehnung  von  Schmidts  Konjektur  unzureichend  ist;    ob 
die  Gründe,    die  er  seinerseits  für  die  Verwerfung  von  Schmidts 
Konjektur  geltend  macht,  andere  und  besser  sind  als  die  meinigen, 
wird    sich    zeigen.     Jedenfalls    übernimmt    er    meinen   Vorschlag, 
nach  nullum  enim  verbum  einen  Punkt    zu  setzen    und  das,    was 
unmittelbar   darauf   folgt,    mit   non  placet    zusammenzunehmen. 
Von    diesen   unmittelbar  darauf  folgenden  Worten  a  Siregio  hatte 
ich    gesagt:    a  Siregio  „enthält  vermutlich  den  Namen  eines  jetzt 
für  eine  Anleihe  in  Betracht  kommenden  Geldmannes   (XV  15,  3, 
cogor  mutuari)".    Wer  nicht  durchaus  den  Willen  hat,  mich  miß- 
zuverstehen,  muß  hieraus  entnehmen,   daß  nach  meiner  Meinung 
nicht  in  dem  Worte  Siregio,  wie  es  dasteht,  der  Name  des  Geld- 
mannes zu  sehen  ist,  sondern  daß  dieser  Name  zwar  darin  steckt, 
aber  in  der  Oberlieferung  verdunkelt  ist;    „a  Siregio   enthält   den 
Namen"  ist  doch  nicht  dasselbe  wie:  „Siregius  ist  der  Name14.    G. 
aber    tut,    als    hätte    ich    behauptet,    daß  Siregius  der  Name  des 
Geldmannes  ist,  denn  er  wendet  mir  ein :  „der  Name  Siregius  ist 
nicht    nachweisbar".     Weiter    macht  G.  gegen    meine  Vermutung 
geltend,  es  sei  weder  in  den  sogleich  folgenden  Sätzen  noch  über- 
haupt   in    diesem  Brief   von    einer  Anleihe    des  Cicero  die  Rede. 
Hieraus    folgt    durchaus    nicht,    daß  auch  die  in  Rede  stehenden 
Worte  nichts  davon  enthielten.    Im  Gegenteil.    Wenn  Cicero  erst 
weiterhin    nach  Auseinandersetzungen    anderen  Inhalts    von    auf- 
zunehmenden Anleihen  spräche,  könnte  man  einwenden:   er  wird 
nicht    an    zwei    gesonderten    Stellen    hiervon    gesprochen    haben, 
sondern  von  ein  und  derselben  Sache  nur  an  einer  Stelle.    Ferner 
wendet    G.  gegen    meine  Vermutung    a  f  Siregio   non  placet   (sc. 
mutuari)   ein:    ,,Ein  neues  Thema  setzt  auch  vermutlich  erst  mit 
De  Plaetorio  ein,    wie  in  diesem  Briefe    überhaupt    die    einzelnen 
Punkte    fast   jedesmal    in    dieser    mechanischen  Weise  eingeführt 
werden:   §  1  De  D.Bruto;  De  consulum  ficto  timore;  De  Plaetorio; 
De  Syro;  Ego  de  itinere.    §  2  De  regina;  De  Buciliano".    Hierauf 
ist  zu   erwidern:    Ein   schnelles  Oberspringen   von   einem  Punkte 
zum  andern  findet  ebenso  wie  hier  in   vielen    andern  Briefen  an 
Atticus    statt,    und    es  folgt  daraus  gar  nichts  für  die  Frage,    ob 
nicht  auch  mit  a  t  Siregio  non  placet  ein  neuer  Gegenstand  kurz 
berührt    und    erledigt    ist.     Wenn    aber  G.  bei  diesem  Satze  die 
mechanische  Weise    der    Einführung    mit    de    vermißt,    so    steht 
zwischen  den  Beispielen  mit  De,  die  G.  anführt,  so  manches  nicht 
mit    De    eingeführte    neue  Thema.     Die    einzelnen   Themen    und 
ihre  Einführung  in  diesem  Brief  ist  (nach  dem  Text  von  C.  F.  W. 
Müller),  abgesehen   von  dem  in  Rede  stehenden  Satze  a  f  Siregio 
non  placet,  folgende :  De  D.  Bruto  . . .  De  consulum  ficto  timore  . . . 
De   Plaetorio  ...  De   Syro  . . .  L.  Antonium  . . .  Antroni . . .   Quod 
scribis  tibi  desse  . . .  Arabioni . . .  Ego  de  itinere  ...Tu  vero  facis . . . 
De  regina . . .  Erotis  rationes . . .  Gratmimum  quod . . .  De  Buciliano 

26* 


396  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

. . .  Ego  si  Tiro . . .  Tu  vero  quic^uid . . .  Man  sieht  hieraus,  daß 
die  Fälle,  in  denen  Cicero  das  neue  Thema  nicht  mit  de  einfuhrt, 
ebenso  zahlreich  sind,  wie  die,  in  denen  es  mit  de  geschieht,  und 
Gurlitls  Behauptung,  die  einzelnen  Punkte  würden  in  diesem  Briefe 
„fast  jedesmal'4  in  derselben  „mechanischen  Weise44  wie  De  Plaetorio 
eingeführt,  ist  mindestens  sehr  ungenau.  Es  kann  nach  alledem 
nicht  als  eine  zulässige  Schlußfolgerung  aus  diesem  letzten  oder 
auch  aus  den  angegebenen  vorhergehenden  Einwänden  gelten, 
wenn  G.  fortfährt:  „Es  dürften  deshalb  die  zweifelhaften  Worte 
doch  noch  zu  dem  vorausgehenden  Gedankenkreise  gehören". 
Sehen  wir  also  von  dem  „deshalb44  ab,  nehmen  wir  vielmehr  diese 
Ansicht  für  sich  und  prüfen  wir,  was  G.  zu  ihrer  Erläuterung 
sogleich  hinzufügt:  „zwar  nicht  zu  der  Frage,  wie  über  die  Mission 
des  Brutus  und  Cassius  zu  urteilen  sei;  diese  war  schon  in  älteren 
Briefen  erörtert  worden,  so  in  XV  9,  2  vom  2.  Juni,  in  10  vom 
5*  oder  6.  Juni,  in  11  vom  8.  Juni44.  Was  G.  hier  verneint,  be- 
zieht sich  ebenso  auf  0.  E.  Schmidts  Auffassung  der  Stelle  wie 
auf  die  meinige.  Schmidt  liest  nullum  mim  verbum  a  Circeio. 
Non  placet . . .  und  meint,  mit  a  Circeio  sei  der  damals  nach 
seiner  Berechnung  am  Kap  der  Circe  weilende  Brutus  bezeichnet. 
Die  ganze  Stelle  übersetzt  dann  Schmidt:  „Was  meinst  aber  du? 
Werden  Brutus  und  Cassius  das  Geschenk  annehmen?  Ich  bin 
in  Zweifel,  denn  ich  habe  vom  Kap  der  Circe  keinerlei  Botschaft 
erhalten:  das  mißfällt  mir4'.  Hiergegen  hatte  ich  eingewendet: 
„Cicero  ist  ja  aber  gar  nicht  im  Zweifel,  was  Brutus  und  Cassius 
tun  werden.  Er  schreibt  einige  Tage  zuvor  an  Atticus:  De  nostris 
Antiatibus  (d.  i.  Brutus  und  Cassius)  satis  videbar  plane  scripsisse, 
uX  non  dubitareSj  quin  essent  otiosi  futuri  usurique  beneficio  Antoni 
contumelioso  (A  XV  12,  1),  und  ist  nun  begierig  zu  hören,  was 
Atticus  davon  hält.  „Wie  stellst  du  dich  dazu?  Bist  du  der 
Meinung:  dem  geschenkten  Gaul  — ?  Denn  du  schreibst  nichts 
darüber44.  Cicero  beantwortet  nämlich,  wie  der  Anfang  des  Briefes 
lehrt,  zwei  Briefe  des  Atticus,  in  denen  er  wider  Erwarten  keinerlei 
Äußerung  des  Atticus  über  das  beneficium  des  Antonius  fand. 
Nach  verbum  ist  also  ein  Punkt  zu  setzen44.  —  Während  alsa 
nach  Schmidts  Ansicht  von  Quid  tu  autem  bis  non  placet,  nach 
der  meinigen  von  Quid  tu  autem  bis  nullum  enim  verbum  von 
jenem  beneficium  des  Antonius  die  Rede  ist,  d.  h.  von  dem  Senats- 
beschluß, daß  Brutus  und  Cassius  in  Asien  und  Sizilien  Getreide 
kaufen  sollen,  ist  nach  G.  hiervon  in  keiner  Weise  die  Rede. 
Warum  nicht?  Weil  schon  in  älteren  Briefen,  so  in  XV  9,  10  und 
11,  „die  Frage,  wie  über  die  Mission  des  Brutus  und  Cassius  zu 
urteilen  sei,  erörtert  worden  war4*.  Wie  wenig  dieser  Einwand 
zu  bedeuten  bat,  liegt  für  jeden  auf  der  Hand,  der  sich  erinnert, 
in  wie  zahlreichen  Fällen  irgendein  Gegenstand  immer  wieder 
von  neuem  in  aufeinanderfolgenden  oder  doch  wenig  voneinander 
abliegenden  Briefen    an  Atticus    zur  Sprache   kommt.     Und    daß 


^ 


Ciceros  Briefe,  von  Th.  Schiche.  397 

gerade  auch  in  dem  Falle,  um  deu  es  sich  hier  handelt,  Gurlitts 
Einwand  unberechtigt  ist,  zeigt  die  Stelle,  die  ich  Schmidt  gegen- 
über angeführt  habe  (XV  12,  1;  s.  oben).  Der  Brief,  dem  sie  an- 
gehört, ist  nach  den  drei  Briefen  geschrieben,  auf  die  G.  hinweist, 
und  vor  XV  17.  An  dieser  Stelle  wird  wiederholt  und  in  den 
darauffolgenden  Sätzen  wird  des  weiteren  ausgeführt,  was  Cicero 
schon  in  dem  Bericht  über  seine  Zusammenkunft  mit  Brutus  und 
Cassius  in  Autium  (XV  11)  an  Atticus  geschrieben  hatte,  daß 
Brutus  und  Cassius  dem  durch  Antonius  bewirkten  Senatsbeschluß 
nachkommen  würden,  und  dieses  beneficium  des  Antonius  wird 
von  neuem  als  contumeliosum  beurteilt.  Wie  also  Cicero  nach 
jenen  drei  Briefen  in  diesem  vierten  Brief  (XV  12)  wieder  auf 
diese  Angelegenheit  zu  sprechen  kommt,  so  konnte  es  auch  in 
einem  ferneren  Briefe  geschehen,  wenn  der  Briefwechsel  mit  seinem 
Freunde  es  mit  sich  brachte.  Gerade  dies  aber  ist  der  Fall. 
Cicero  hat  zuerst  in  jenem  Bericht  über  die  Zusammenkunft  in 
An  tili  m  (XV  11)  seinem  Freunde  geschrieben,  was  Brutus  und 
Cassius  tun  werden,  und  schreibt  dann  zum  zweitenmal  in  dem 
schon  angezogenen  Brief  XV  12;  De  nostris  autem  Antiatibus  satis 
videbar  plane  scripsisse,  ut  non  dubitares,  quin  essent  otiosi  futuri 
usurique  beneficio  Antoni  contumelioso.  Cassius  frummtariam  rem 
aspernabatur;  eam  Servilia  sublaturam  ex  senatus  consulto  se  esse 
dicebat.  Noster  vero  xai  pccXa  as^vcog  in  Asiam,  posteaquam  mihi 
est  adsensus  tuto  se  Romae  esse  non  posse  (ludos  enim  absens  facere 
malebat),  statim  ait  se  iturum,  simul  ac  ludornm  apparatum  iis,  qui 
curaturi  essent,  tradidisset  (XV  12, 1).  Nachdem  also  Atticus  auf 
Ciceros  Bericht  über  die  Beratung  in  Antium,  d.  i.  auf  XV  11,  so 
geantwortet  hatte,  als  ob  es  noch  ungewiß  wäre,  was  Brutus  und 
Cassius  tun  würden,  deshalb  aber  auch  mit  einer  Meinungsäußerung 
über  deren  tatsächlich  schon  feststehende  Entschließung  zurück- 
gehalten hatte,  benimmt  ihm  Cicero  hier  (XV  12,1)  noch  einmal  alle 
Zweifel  und  darf  nunmehr  erwarten,  daß  auch  Atticus  sich  äußere, 
wie  er  über  die  Entschließung  des  Brutus  und  des  Cassius  denke. 
In  den  beiden  Briefen  des  Atticus,  die  Cicero  am  14.  Juni,  dem 
Abfassungstage  von  XV  17,  mit  diesem  Briefe  beantwortet,  und 
von  denen  der  eine  am  13.,  der  andere  am  14.  Juni  geschrieben 
war  (A  XV  17, 1 :  Duas  accepi  postridie  Idus,  alteram  eo  die  datam, 
alteram  ldibus),  hätte  sich  eine  solche  Äußerung  finden  müssen. 
Denn  die  Zusammenkunft  in  Antium  fand  statt  am  8.  Juni 
(A  XV  11,1),  der  Bericht  darüber  (=  A  XV  11)  ist  spätestens 
am  neunten  geschrieben,  und  XV  12,  der  Brief  mit  jener  zweiten 
ausfuhrlichen  Mitteilung  darüber,  spätestens  am  11.  Juni.  Aber 
Cicero  sah  seine  Erwartung  nicht  erfüllt.  Die  Themen,  die  Atticus 
in  seinen  beiden  Briefen  berührt  hatte,  gehl  Cicero  XV  17  ja 
dann  der  Reihe  nach  durch;  die  Angelegenheit  des  Brutus  und 
Cassius  ist  nicht  darunter.  Er  hatte  also  allen  Grund,  in  dem 
von    mir   angenommenen  Sinne  bei  Atticus  anzufragen:    Quid  tu 


398  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

autem?  'tot  fiiv  didopsva  — '?  Nullum  enim  verbum,  und  Gurlitts 
Meinung,  weil  schon  in  früheren  Briefen  von  der  Mission  des 
Brutus  und  Cassius  die  Rede  war,  könne  hier  nicht  davon  die 
Rede  sein,  ist  nicht  hallbar.  G.  fährt  fort:  „Im  besonderen 
konnte  dem  Cicero  nicht  zweifelhaft  sein,  wie  Brutus  sich  zu 
dieser  Frage  stelle,  da  er  ja  an  dem  Familienrate  des  Brutus  zu 
Anlium  am  8.  Juni  teilgenommen  und  darüber  ausführlich  in 
XV  11  berichtet  hatte".  Hiermit  macht  G.  einen  Einwand  geltend, 
der  schon  von  mir  vorgebracht  war.  Ich  hatte  gegen  0.  E.  Schmidt 
bemerkt:  „Cicero  ist  ja  aber  gar  nicht  im  Zweifel,  was  Brutus  und 
Cassius  tun  werden4'.  Ein  Unterschied  besteht  nur  darin,  daß  G.  sich 
auf  XV 11  beruft,  während  ich  (s.  oben  S.  396)  darauf  hinwies,  daß 
Cicero  einige  Tage  vor  XV  17,  nämlich  XV  12,  an  Atticus  schreibt: 
De  nostris  Antiatibus  satis  videbar  plane  scripsisse,  ut  non  dubitares, 
quin  essent  otiosi  futuri  usurique  beneficio  Antoni  contumdioso. 
Diese  Äußerung  liegt  zwei  Tage  später  als  XV  11,  der  Bericht 
über  den  Familienrat  in  Antium.  An  diesen  ist  mit  de  nostris 
Antiatibus  erinnert,  mit  nostri  Antiates  sind  Brutus  und  Cassius 
gemeint,  und  eine  Beweisstelle,  die  dem  Brief  XV  17  näher  liegt 
als  jener  Bericht,  hat  ^für  den  hier  zu  führenden  Beweis  dafür, 
daß  Cicero  an  den  Absichten  des  Brutus  und  Cassius  nicht  zweifelt, 
größeren  Wert  als  die  in  XV  11  enthaltenen  ersten  Äußerungen 
über  die  Absichten  des  Brutus  und  Cassius.  Cicero  konnte  ja 
inzwischen  hierüber  zweifelhaft  geworden  sein,  da  seitdem  fünf 
oder  sechs  Tage  vergangen  sind.  Es  kommt  aber  noch  etwas 
anderes  hinzu,  das  die  Stelle  aus  XV  12  für  den  hier  zu  er- 
bringenden Beweis  ganz  besonders  geeignet  erscheinen  läßt.  Sie 
enthält  ja  die  Wendung  ut  non  dubitares.  Wenn  Cicero  dem 
Atticus  die  Zweifel  benimmt,  so  ist  er  doch  wohl  vor  allem  selber 
von  diesen  Zweifeln  frei,  und  deshalb  erschien  diese  Stelle  zur 
Widerlegung  von  0.  E.  Schmidts  Deutung  „Ich  bin  im  Zweifel" 
besonders  brauchbar. 

Die  Erörterung  der  beiden  letzten  Punkte  hat  gezeigt,  daß 
die  Einwände,  die  G.  gegen  Schmidt  geltend  macht  —  und  wir 
hatten  uns  ja  vorbehalten,  deren  Wert  festzustellen  — ,  soweit  sie 
nicht  schon  von  mir  vorgebracht  waren,  nicht  haltbar,  soweit  sie 
.aber  mit  dem  schon  von  mir  Gesagten  übereinstimmen,  in  weniger 
geeigneter  Weise  begründet  sind,  und  man  ersieht  hieraus,  was 
davon  zu  halten  ist,  wenn  G.  erklärt,  ich  hätte  0.  E.  Schmidt  mit 
unzureichenden  Gründen  „widersprochen". 

Seinerseits  nun  bezieht  G.  die  fraglichen  Worte  (Quid  tu 
autem?  *tä  fisv  dtdopeva'  — P  Nullum  enim  verbum.)  darauf, 
daß  Cicero  in  demselben  Briefe,  in  dem  er  über  den  Familienrat 
in  Antium  berichtet,  Atticus  auch  mitteilt,  daß  der  Konsul  Dolabella 
ihm,  Cicero,  die  Stelle  eines  Legalen  gegeben  habe,  und  zwar  in 
der  Form  einer  legatio  libera  (A  XV  11,  4).  G.  meint:  „Auf  diese 
mit   einer   gewissen  Freudigkeit  gemachte  Anzeige  durfte  Cicero, 


^ 


Ciceros  Briefe,  von  Th.  Schiche.  399 

der  in  Antium  weilte,  von  Atticus  aus  Rom  am  14.  Juni,  also 
sechs  Tage  später,  sehr  wohl  dessen  Meinungsäußerung  mit  Un- 
geduld erwarten;  denn  der  Bote  machte  den  Weg  in  einem 
Tage.  Aber  in  dem  Briefe  des  Atticus  vom  12.  Juni  [vielmehr 
vom  13.],  auf  den  unsere  Stelle  Bezug  nimmt,  stand  kein  Wort 
davon".  G.  nimmt  also  an,  Atticus  habe  sich  auf  jene  Mitteilung 
Ciceros,  die  die  legatio  libera  betrifft,  bis  zum  14.  Juni  noch  nicht 
geäußert.  Das  ist  aber  ganz  unwahrscheinlich.  Der  Brief,  in 
welchem  Cicero  über  die  Zusammenkunft  in  Antium  berichtet 
(A  XV  11),  enthält  nach  diesem  Bericht  nur  noch  jene  Mitteilung 
mit  einigen  auf  sie  sich  beziehenden  Bemerkungen  Ciceros.  Ist 
dieser  zweite  Teil  des  Briefes  auch  nicht  so  ausfuhrlich  wie  der 
erste,  so  ist  er  doch  für  den  Gegenstand,  um  den  es  sich  handelt, 
eingehend  genug  gehallen.  Daß  Atticus  in  seiner  Antwort  auf 
diesen  Brief,  die  XV  12  vorliegt,  nur  den  ersten  Teil  berück- 
sichtigt haben  sollte,  was,  wie  wir  sahen,  der  Fall  ist,  den  zweiten 
aber  nicht,  ist  nicht  denkbar.  Wenn  Cicero  XV  12  auf  diesen 
Punkt,  betreffend  die  legatio  libera,  nicht  wieder  eingeht,  so  ist 
dies  nicht  zu  verwundern.  Schon  Mitte  Mai  schrieb  er  an  Atticus: 
cogites,  quid  agendum  nobis  sit  super  legatione  votiva  (A  XIV  22,  2). 
Vor  dem  1.  Juni  war  dann  Atticus  bei  Cicero  (A  XV  8, 1  Post 
tuum  discessum),  und  sie  hatten  sich  naturlich  auch  über  diese 
Frage  ausgesprochen.  Den  Widerhall  dieser  Aussprache  haben 
wir  vor  uns,  wenn  Cicero  A  XV  11,  2  schreibt:  Votiva  ne  tibi 
quidem  placebat.  Und  nach  des  Atticus  Weggang  schreibt  ihm 
Cicero  (A  XV  8,  1 ) :  atque  etiam  seripsi  ad  Antonium  de  legatione, 
ne,  si  ad  Dolabellam  solum  scripsissem,  iracundus  hotno  commoveretur. 
Quod  autem  aditus  ad  eum  difficilior  esse  dicitur,  seripsi  ad 
Eutrapelum,  ut  is  ei  meas  litter as  redder et;  legatione  mihi  opus  esse. 
Honestior  est  votiva,  sed  licet  uti  utraque.  Die  Angelegenheit  war 
also  zwischen  den  Freunden  reichlich  erörtert,  als  Cicero  Atticus 
XV 1 1, 4  die  Mitteilung  machte,  daß  er  die  Legatenstelle  erhalten  habe. 
Atticus  wird  in  seiner  XV  12  vorliegenden  Antwort  natürlich  sein 
Interesse  an  dem  erwünschten  Abschluß  der  Sache  bekundet  haben; 
hierauf  aber  aufs  neue  einzugehen  hatte  Cicero  keinen  Anlaß.  — 
Wenn  G.  meint,  auf  die  kränkenden  Beschlüsse  für  Cassius  und 
Brutus  würde  der  Ausdruck  tcc  ptv  didopeva  schlecht  passen,  so 
paßt  darauf  dieser  Ausdruck  genau  ebensogut  wie  das  von  Cicero 
mehrfach  dafür  verwendete  Wort  beneficium  (A  XV  10;  12,1). 

Daß  in  der  Tat  an  Gurlitts  Auffassung  der  Sache  nicht  zu 
denken  ist,  sieht  man  schließlich  aus  seiner  Obersetzung  und  Er- 
klärung von  %a  fjbip  didopcva.  Er  übersetzt:  „Wie  stellst  du 
dich  dazu?  Bist  du  der  Meinung:  'Das  Angebotene..'?  Denn 
du  schreibst  kein  Wort  darüber/4  und  findet  in  %a  piv  didofxeva 
den  Gedanken:  „Soll  ich  die  legatio  libera  bei  Dolabella  in  Syrien 
annehmen?44  Die  Legatenstelle  ist  Cicero  nicht  angeboten,  sondern 
er  bat,   wie  die  soeben  angeführte  Stelle  aus  A  XV  8, 1  unzwei- 


400  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

deutig  lehrt,  den  Konsul  Dolabella  darum  ersucht,  und  dem- 
entsprechend ist  er  auch  nicht  mehr  zweifelhaft,  ob  er  die  Stelle 
annehmen  soll;  denn  wenn  man  um  etwas  gebeten  und  es  be- 
willigt erhalten  hat,  kann  nicht  mehr  die  Frage  sein,  ob  man  es 
#uch  annimmt.  Wenn  G.  dann  für  a  Siregio  non  placet  lesen 
will  an  regio  non  placet  („Oder  gefallt  dir  die  Gegend  nicht44),  so 
beruht  dies  auf  seiner  unmöglichen  Deutung  der  unmittelbar  vor* 
angehenden  Worte,  und  es  bedarf  darüber  keiner  weiteren  Er- 
örterung. 

A  XV  20,1  liest  G.:  Dolabellae  mandata  sint  quaelibet,  mihi 
filiquid,  vel  quod  Niciae  nuntiem.  Quis  enim  haec,  ut  scribis,  ante 
Nonas  [statt  ante  Nonae  ist  überliefert  anteno]?  Nunc  dubitare 
guemquam  prudentem,  quin  mens  discessus  desperationis  sit  non 
legationis?  und  übersetzt:  „Die  Aufträge  des  Dolabella  mögen  wie 
auch  immer  sein  —  mir  irgend  ein  Auftrag,  sogar  einer,  den  ich 
an  Antonius  ausrichten  soll!  Denn  wer  hätte  das,  wie  du  schreibst, 
yor  den  Nonen  (des  Juni)  geglaubt ?u  Cicero  wolle  damit  sagen: 
„In  dem  Benehmen  des  Dolabella  und  Antonius  ist  ein  Wandel 
eingetreten.  Wer  hätte  noch  vor  dem  5.  Juni  einen  solchen  Auf- 
trag des  Dolabella  an  mich  für  Antonius  überhaupt  für  möglich 
angesehen!  —  und  nun  habe  ich  ihn  in  Händen!4'  Woran  sich 
dann  wirksam  anschließe:  „Jetzt  soll  noch  irgend  ein  vernünftiger 
Mensch  daran  zweifeln,  daß  meine  Entfernung  von  Rom  das  Er* 
gebnis  der  Verzweiflung,  nicht  einer  Legation  sei!"  Ich  müßte 
wieder  sehr  ausführlich  werden,  wenn  ich  alles,  was  hiergegen 
einzuwenden  ist,  auseinandersetzen  wollte.  Ich  begnüge  mich 
deshalb  mit  folgendem.  Wie  wir  sehen,  setzt  G.  in  der  Über- 
setzung „Antonius"  für  Niciae  ein.  Niemand  hat  bisher  daran  ge- 
zweifelt, wer  hier  mit  Niciae  gemeint  ist.  Aber  G.  erklärt:  „Die 
Steigerung  vel  quod .  .  nuntiem  beweist,  daß  Nicias  eine  hoch- 
stehende Person  war.  A  XIV  9,  3  ita  mihi  videtur  bellum  illud 
imtare,  sed  Dolabella  et  Nicias  viderint  beweist,  daß  es  ein  Pseu- 
donym für  Antonius  ist4'.  Eine  derartige  Beweisführung  kann 
picht  überzeugen.  Die  Worte  vel  quod  Niciae  nuntiem  können 
nur  den  Sinn  haben:  „und  wenn  es  nur  eine  Bestellung  an  Nicias 
sein  sollte".  Der  Krieg  ferner,  von  dem  XIV  9,  3  die  Rede  ist, 
ist  ein  möglicherweise  drohender  Partberkrieg,  und  ein  solcher 
geht  nicht  den  Antonius  an,  sondern  nur  den  Dolabella  als  den 
demnächstigen  Statthalter  der  Provinz  Syrien.  Nicias  aber  ist 
einer  von  jenen  Griechen,  die  sich  durch  Bildung  und  Gewandtheit 
den  römischen  Großen  so  empfahlen,  daß  sie  deren  Vertrauen 
genossen  und  selbst  zu  ernsten  Geschäften  zugezogen  wurden. 
Das  bekannteste  Beispiel  hierfür  ist  Tbeophanes  bei  Pompejus. 
So  ist  jetzt  Nicias  der  Vertraute  des  Dolabella,  und  man  nimmt 
mit  Recht  an,  daß  er  von  Dolabella  zur  Zeit  des  Briefes  A  XV  20 
schon  nach  dem  Osten  vorausgeschickt  war.  Bis  Syrien  brauchte 
er  darum  nicht  schon  gekommen  zu  sein. 


^ 


Cicero«  Briefe,  von  Th.  Schiebe.  401 

19)  L.  Garlitt,  Operam  et  oleum  perdidi.    Berl.  pbil.  WS.  XXI  (1901) 

Sp.  731  ff. 

Cicero  sagt  ad  fam.  VII  1,3  in  quibus  (gladiatoribus)  ipse 
Pompeius  confitetur  se  et  operam  et  oleum  perdidüse,  ferner  AU  17, 1 
ne  ei  opera  et  oleum  philologiae  nostrae  perierit,  und  A  XIII  38, 1 
Atite  lucem  cum  scriberem  contra  Epicureos,  de  eodem  oleo  et  opera 
exaravi  nescio  quid  ad  te.  Diese  letzte  Stelle  zeigt  deutlich  den 
Ursprung  der  Wendung  et  oleum  et  operam  perdere,  daß  dies  also, 
wie  G.  richtig  erklärt,  ursprunglich  bedeutet:  das  öl  der  Lampe, 
bei  der  man  arbeitet,  und  die  Arbeit  selbst  vergeblich  aufwenden. 

20)  L.  Garlitt,   Cicero  ad  Att.  VI  2,  3;  V  16,  3.     Berl.  phil.  WS.  XXII 

(1902)  Sp.  125  f. 

A  VI  2,  3  ist  überliefert  Communicavi  cum  Dionysio.  Atque 
is  primo  est  commotus,  deinde,  quod  de  deo  cum  isto  Dicaearcho 
non  minus  bene  existimabat  quam  tu  de  C.  Vestorio,  ego  de  M.  Cluvio, 
non  dubitabat,  quin  ei  crederemus.  G.  tilgt  deo  cum  isto,  als  „eine 
Dittographie,  eine  am  Rande  gegebene  falsche  Lesung  des  voraus- 
gehenden Dionysio".  —  A  V  16,  3  berichtet  Cicero  aus  der  ersten 
Zeit  seiner  Provinziaiverwaltung  Itaque  incredibilem  in  modum  con- 
cursus  fiunt  ex  agris,  ex  vicis,  ex  domibus  Omnibus.  Mehercule 
etiam  adventu  nostro  reviviseunt.  Iustitia,  abstinentia,  dementia  tut 
Ciceronis  itaque  opiniones  omnium  super  avit.  Appius,  ut  audivit  nos 
venire,  in  ultimam  provinciam  se  coniecit  usw.  Statt  ex  domibus 
Omnibus,  das  von  Victorius  herrührt,  steht  inM:  ex  nominibus  ex 
Omnibus.  G.  liest  zwar  auch  ex  domibus  für  ex  nominibus,  nimmt 
aber  an,  daß  ex  omnibus  „als  Dittographie  des  verdorbenen  ex 
nöibus  (=  ex  domibus)  zu  tilgen"  ist.  —  Statt  des  itaque  nach 
Ciceronis  liest  G.  aeque  mit  der  Erklärung:  nicht  nur  hat  seine 
Gerechtigkeit,  Mäßigung  und  Milde  die  Meinung  aller  übertroffen, 
sondern  bei  allen  auch  in  gleicher  Weise,  im  selben  Maße". 

21)  L.  Gar  litt,  Cicero  ad  Att.  VIII  14,  3.    Berl.  phil.  WS.  XXII  (1902) 

Sp.  349f. 

Überliefert  ist  (die  Kreuze  bei  C.  F.  W.  Müller) :  De  Domitio 
varia  audimus  f  modo  esse  in  Tiburti  aut  lepidi  quo  cum  lepidus 
accessisse  ad  urbem,  quod  item  falsum  video  esse.  Axt  mim  Lepidus 
eum  nescio  quo  penetrasse  itineribus  t  oecultandi  sui  causa  an  maris 
apiscendi,  ne  is  quidem  seit.  Gurlitt  nimmt  an,  daß  die  Sitte  der 
Abschreiber  oder  Leser,  die  man  in  den  Hss.  oft  wahrnehmen 
kann,  an  den  Rand  des  Textes  Eigennamen  im  Nominativ  aus- 
zuschreiben, hier  dadurch  zu  einem  Fehler  Anlaß  gegeben  habe, 
daß  ein  späterer  Abschreiber  den  Nominativ  lepidus  vor  accessisse 
in  den  Text  hineinsetzte.  Er  liest  also:  De  Domitio  varia  audimus; 
modo  eum  esse  Tiburtino  Lepidi,  quocum  [lepidus]  accessisset  ad 
urbem;  quod  item  falsum  video  esse.  Ait  enim  Lepidus  eum  nescio 
quo  penetrasse,   itineribus  oecultandi  causa  an  maris  apiscendi,   ne 


402  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

is  quidem  seit.  Das  bedeute:  „Über  den  Domitius  verlauten  bunte 
Gerüchte,  nur  lebe  er  auf  dem  Tiburtinum  des  Lepidus,  mit  dem 
er  an  Rom  herangekommen  wäre.  Aber  ich  sehe,  daß  auch  das 
falsch  ist.  Denn  Lepidus  sagt,  er  (Domitius)  hätte  sich  irgend- 
wohin verschlagen.  Ob  er  sich  durch  Reisen  unsichtbar  machen 
oder  das  Meer  erreichen  wolle,  das,  sagt  Lepidus,  wisse  er  selbst 
nicht4*.  Es  mußte  doch  wohl  in  Tiburtino  und,  wie  in  der  Über- 
lieferung, oecultandi  sui  heißen.  Es  ist  aber  fraglich,  ob  modo 
„nur"  so  viel  enthalten  könnte,  wie  es  hier  nach  G.  enthalten  soll: 
„Der  Gerüchte  sind  zwar  mancherlei,  darin  aber  stimmen  sie 
überein,  daß . .  .u.  Es  fragt  sich  auch,  ob  quoeum  accessisset  ad 
urbem  sachlich  zulässig  ist,  da  Lepidus  jetzt  Prätor  war.  Endlich 
muß  man  bezweifeln,  ob  Reisen,  im  Plural,  das  geeignete  Mittel 
sind,  sich  zu  verbergen. 

22)  L.  GurJitt,    Cicero    ad    Quin  tum    fr.  II  8  (10),  2.     Berl.  phil.  WS. 

XXII  (1902)  Sp.  1276—1278. 

Überliefert  ist  und  bisher  unerklärt:  Video  te  ingemuisse  sie 
fit  6IA6NAIA6ZHCAC  numquam  enim  dicam  6AI1ACAC-  Gurlitt 
macht  einen  interessanten  Versuch,  dadurch,  daß  er  die  griechi- 
schen Buchstaben  anders  verbindet  und  deutet,  als  man  bisher 
getan  hat  —  man  las  el  d'  iv  ala  s^rjeag  und  sa  ndaag  — , 
die  Stelle  verständlich  zu  machen.  Er  liest:  video  te  ingemuisse, 
scilicet  eldtvcu  a  etyaag,  nunquam  enim  dicam  edqaoaq  und 
deutet:  „Ich  sehe  dich  seufzen...,  wissen  was  dir  'passiert'  ist; 
denn  niemals  möchte  ich  sagen:  was  du  'pekziert'  hast".  Es 
fragt  sich,  ob  der  Sprachgebrauch  a  s^fjaag  in  dem  Sinne  von 
„was  du  erlebt  hast4*,  „was  dir  widerfahren  ist4*,  sich  auch  ander- 
weitig nachweisen  läßt. 

23)  L.  Gurlitt,    Facetiae  Tulliaoae.     Rheio.  Mus.  f.  Philol.  N.  F.  LVI1 

(1902)  S.  337-362. 

Der  Brief  Ad  fam.  IX  22  beginnt  nach  der  Überlieferung: 
Arno  vereeundiam  vel  potius  libertatem  loquendi.  Atqui  hoc  Zenoni 
placuit,  homini  me  hercule  acuto,  etsi  Academiae  nostrae  cum  eo 
magna  rixa  est  —  sed,  ut  dico,  jplacet  Stoicis  suo  quamque  rem 
nomine  appellare.  Dieser  Satz  der  Stoiker  wird  dann  ausführlich 
in  ihrem  Sinne  erörtert  und  diese  Erörterung  abgeschlossen  mit 
dem  Satze:  Habes  scholam  Stoicam:  6  (foepög  ev&VQQTjftovrjosi. 
Quam  multa  ex  uno  verbo  tuol  Also  durch  eine  Wendung  in 
einem  Briefe  des  Pätus,  dem  Cicero  hier  antwortet,  ist  jene  ganze 
Erörterung  hervorgerufen,  und  Cicero  kennzeichnet  sogleich  den 
beiderseitigen  Standpunkt,  wenn  er  fortfahrt:  Te  adversus  me 
omnia  andere  gratum  est,  ego  servo  et  servabo  (sie  enim  adsuevi) 
Piatonis  vereeundiam.  Mit  Recht  betont  G.,  daß  von  dieser  ab- 
schließenden, zusammenfassenden  Stelle  aus  der  ganze  Brief  und 
besonders  der  Eingang  zu  beurteilen  ist.     Ego  servo  et  servabo 


^s 


Cicero«  Briefe,  von  Tb.  Schiebe.  403 

Piatonis  vereeundiam  steht  gleich  mit  amo  vereeundiam.  Nun  gibt 
Cicero  im  Eingang  des  Briefes  den  Sinn  dieser  beiden  Wendungen 
vermittelst  eines  vel  potius  noch  etwas  anders  an.  Daß  dies  nun 
geschehen  sei  mit  den  Worten  amo  libertatem  loquendi,  wie  die 
Überlieferung  lautet  und  G.  mit  anderen  annimmt,  ist  nicht  glaub- 
lich. Arno  libertatem  loquendi  ist  nicht  etwas  Ähnliches  wie  amo 
vereeundiam,  sondern  ist  das  Gegenteil  davon,  uud  die  Annahme, 
daß  etwas  ausgefallen  ist,  ist  nicht  von  der  Hand  zu  weisen. 
Gegen  Lehmanns  Ergänzung  vel  potius  libertatem  loquendi  (odt) 
wendet  G.  mit  Recht  ein,  daß  sie  für  Pätus  verletzend  wäre. 
Dasselbe  gilt  von  Wesenbergs  und  von  Pursers  Vermutungen,  von 
denen  jener  (tu  impudentiam)  vel  potius...,  dieser  (tu  invere- 
eundiam)  vel  potius . . .  lesen  wollte,  uud  schon  C.  Lehmann  hat 
darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  es  gegenüber  einem  nachfolgen- 
den tu  vorher  lauten  wurde:  Ego  amo  vereeundiam.  Auch  ist  in- 
vereeundia  erst  ein  spätlateinisches  Wort.  Besonders  aber  be- 
friedigen die  Vermutungen  Wesenbergs  und  Pursers  deshalb  nicht, 
weil  sie  das  nachfolgende  Atqui  nicht  genügend  beachten.  Nur 
wenn  Cicero  vorher  sagt,  daß  er  irgend  etwas  nicht  billige,  kann 
er  gegensätzlich  fortfahren:  „Und  doch  hat  Zeno  das  gebilligt44. 
Vielleicht  ist  also  etwas  mehr  ausgefallen  und  Cicero  hat  etwa 
geschrieben:  Amo  vereeundiam  vel  potius  libertatem  loquendi  {in- 
finüam  nolo  adhibert),  „ich  bin  nicht  für  uneingeschränkte  Frei- 
heit in  der  Ausdrucksweise". 

Auch  ad  fam.  IX  16,  7  verteidigt  G.  die  Überlieferung.  Man 
findet  diese  auch  in  älteren  Ausgaben  in  der  Form:  Quem  tu  mihi 
Popilium,  quem  Denarium  narras,  quam  tyrotarichi  patinam,  und 
noch  Metzger  bemerkt  in  einer  Anmerkung  zu  seiner  Übersetzung, 
daß  diese  Lesart  sich  festhalten  ließe,  wenn  man  unter  Popilium 
und  Denarium  zwei  ältere,  jetzt  aber  nicht  mehr  genügende  Tisch- 
freunde des  Pätus  und  Cicero  verstehen  wollte.  G.  hält  in  diesem 
Sinne  nur  an  Popilius  fest,  bleibt  mit  quem  denarium  narras 
beim  Denar  und  deutet,  es  habe  in  einer  Einladung  des  Pätus, 
an  den  Ciceros  Brief  gerichtet  ist,  etwa  geheißen:  „Sei  mein 
Gast,  lieber  Cicero!  Aber  ich  kann  dazu  nur  noch  den  biederen 
Popilius  einladen;  denn  infolge  der  cäsarischen  aestimationes  bin 
ich  so  verarmt,  daß  ich  auch  höchstens  einen  Denar  für  das  Diner 
aufwendet!  kann.  Du  mußt  dich  also  mit  Fischragout  begnügen'4. 
Dem  Popilius  entspreche  in  Ciceros  weiterer  Ausfuhrung  Hirtius, 
dem  denarius  die  Erwähnung  des  Vermögens,  dem  Fischragout  die 
Angabe  der  cenae  mit  Charakteristik  der  Speisen:  Nee  tarnen  eas 
cenas  quaero  (§  8)  usw.  Dem  ist  entgegenzuhalten,  daß  Ciceros 
nachfolgende  Erörterung  keineswegs  eine  dreiteilige  Gliederung 
zeigt,  sondern  scherzhaft  den  einheitlichen  Gedanken  durchfuhrt, 
daß  Pätus  mit  der  einfachen  Bewirtung,  die  er  dem  Cicero  bei 
dessen  demnächst  zu  erwartendem  Besuch  in  Aussicht  stellt,  nicht 
davonkommen  werde.    Diesem  Gedanken  dient  auch  die  Erwähnung 


404  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

des  Hirtius  und  Dolabella  und  der  Vermögensverhältnisse  des  Pätus. 
Durch  Hirtius  und  Dolabella,  sagt  Cicero,  sei  er  jetzt  gewöhnt, 
hohe  Ansprüche  an  ein  Diner  zu  machen,  und  der  angebliche 
Verrnögensverfall  des  Pätus  sei  kein  ausreichender  Grund,  bei  der 
Bewirtung  zu  kargen.  Man  nimmt  neuerdings  gewöhnlich  an, 
daß  in  popilium  und  denarium  Gerichte  von  ähnlicher  Einfachheit 
stecken,  wie  die  tyrotarichi  patina.  Wenn  G.  meint,  es  könnten 
hier  von  Cicero  nicht  drei  Gerichte  genannt  sein,  weil  er  nachher 
nur  eines  nennt  (§9:  tu  vero . . .  ad  tyrotarichum  awtiquum  redt), 
so  konnte  Cicero  sich  doch  wohl  hier  mit  der  Nennung  des  einen 
besonders  bezeichnenden  und  typischen  begnügen  und  brauchte 
nicht  pedantisch  wieder  alle  drei  zu  nennen.  Daß  er  vielmehr 
in  dem  Satze  Quem  tu  mihi  usw.  wirklich  mehrere  von  Pätus 
ihm  angekündigte  Gerichte  nannte,  zeigen  doch  wohl  deutlich  die 
Worte,  mit  denen  er  nachher  auf  jenen  Satz  zurückweist  (§  8): 
volo  videre  animum,  qui  mihi  audeat  ista,  quae  scribis,  apponere  aut 
etiam  polypum  miniati  lovis  similem.  Er  sagt  nicht  istud  quod 
scribis,  sondern  ista  quae  scribis.  —  §  7  a.  E.  wird  von  G.r  mir 
in  Sache  und  Ausdruck  nicht  verständlich,  gelesen  und  gedeutet: 
Tu  autem  quod  mihi  bonam  copiam  emres,  nihil  est;  tum  mim, 
cum  rem  habebas,  quaesticulis  (in  einer  Fußnote  quaesticulus)  te 
faciebat  attentiorem,  nunc,  cum  tarn  aequo  animo  bona  perdas,  non 
eo  fit  consilio,  ut,  cum  me  hospüio  recipias,  aestimationem  te  aliquam 
putes  accipere  —  „Denn  damals,  als  du  Vermögen  hattest,  machte 
dich  das  auf  kleine  Profite  erpicht,  jetzt,  da  du  dein  Vermögen 
leichten  Sinnes  preisgibst,  geschieht  das  (sc.  Knausern)  absicht- 
lich nicht,  damit  du  dir  einbildest,  daß  dir  eine  Bewirtung  irgend 
eine  aestimatio  einbringen  könnte". 

Ad  fam.  IX  18,  3  ist  überliefert:  Veni  igitur,  si  vir  es,  et 
disceam  nqoleyoiisvag  (disce  änQolsyofASPag  D)  quas  quaeris  etsi 
sus  Minervam  sed  quomodo  video  si  (si  om.  D)  aestimationes  tuas 
vendere  non  potes  neque  ollam  denariorum  implere,  Romam  tibi 
remigrandum  est.  Boot  (s.  Mendelssohn)  hatte  vermutet  disce  a 
me  nQoriyii6va  quae  quaeris,  weiterhin  Orelli  sed  quoniam  ut  video, 
aestimationes . .  und  statt  dessen  Mendelssohn  st,  quomodo  video, 
aestimationes  . .  Jetzt  G.:  et  disce  a  me  anonqotiyiiiva  quae  quaeris, 
etsi  sus  Minervam.  Sed  si,  quomodo  video,  aestimationes . .  In  äno- 
nqofiYiiiva  kann  ich  eine  Verbesserung  der  schon  vorgebrachten 
Konjekturen  nicht  sehen.  Denn  eine  gute  Mahlzeit,  um  die  es 
sich  hier  handelt,  ist  in  stoischem  Sinne  ein  nQorjyfjtivov,  wie 
.Boot  vorschlägt,  nicht  ein  änonQOijyfiipov.  Beispiele  des  letzteren 
sind  bei  Cic.  de  fin.  III  51  dolor,  morbus,  sensuum  amissio,  paupertas, 
ignominia.  Und  um  den  Sinn  zu  erhalten:  Sed  si,  quomodo 
video,  aestimationes  tuas  vendere  non  potes,  würde  es  doch  wohl 
nicht  nötig  sein,  st  anders  zu  stellen,  als  es  überliefert  ist. 

Ad  fam.  IX  20,  2  schützt  G.  das  überlieferte  artolagyni, 
während  allgemein  artolagani  gelesen  wird,  vermutet  i^äxtg  statt 


Ciceros  Briefe,  von  Tb.  Schiche.  405 

des  unverständlichen  ex  artis  und  liest  also:  dediscendae  tibi  (d.i. 
Pätus)  sunt  sportellae  et  artolagyni  tut:  nos  tarn  egdxig  tantum 
habemus,  ut  Verrium  tuum  et  Camillum  —  qua  munditia  komines, 
qua  elegantial  —  vocare  saepius  audeamus.  Sportella  sei  „als 
Kuchengeschirr  ein  Gerät,  in  dem  man  Speisen  leicht  aufkochen 
oder  braten  ließ  (Apic.  6,  248;  8.  364  und  374)",  und  artolagyni, 
nach  seiner  Zusammensetzung,  „Brotkrug,  etwa  unseren  Kakes- 
büchsen  entsprechend44.  Jedenfalls  wolle  Cicero  zwei  bescheidene 
Geräte  nennen:  „An  deine  Kasseröllchen  und  Brotbuchsen  ist  jetzt 
nicht  mehr  zu  denken11.  Mit  i^dxig  tantum  sei  das  lateinische 
sexies  tantum  gemeint  und  der  Sinn  sei:  „Bescheidene  Herrichtungen 
reichen  für  so  verwöhnte  Gäste  nicht  aus,  es  müssen  größere 
Mengen  bereitgehalten  werden".  Man  sieht  nicht  recht  ein,  wes- 
halb Cicero  e^dxic  gesagt  haben  sollte  statt  des  sich  damit  völlig 
deckenden  sexies.  Und  wie  paßt  diese  Deutung  zu  habemus  und 
zu  dem  sich  daran  anschließenden  Satze:  ut  Verrium  tuum  et 
Camillum  vocare  saepius  audeamus? 

Des  weiteren  sucht  G.  gewisse  früher  von  ihm  vorgetragene 
Vermutungen  und  Deutungen  gegen  0.  C.  Schmidt  zu  rechtfertigen 
und  widerlegt  die  Konjekturen  Schmidts,  über  die  ich  JB.  XXVII 
S.  2551f.  berichtet  habe. 

24)  L.  Gurlitt,  Über  das  Febleo  der  Briefdaten  in  den  ciceroni- 
schen  Korrespondenzen.  Festschrift  für  Otto  Hirschfeld,  Berlin 
1903,  S.  16—29. 

Empfehlungsschreiben  wurden  nicht  datiert,  gewöhnlich  auch 
solche  Briefe  nicht,  die  noch  an  demselben  Tage  ihr  Ziel  er- 
reichten. Nicht  so  sicher  dagegen  sind  drei  weitere  Thesen,  die 
Gurlitt  (S.  22  fT.)  aufstellt.  1)  ,. Wichtige  politische  Briefe  tragen 
stets  ein  Schlußdatum,  wenn  sie  direkt  und  durch  eigene  Brief- 
boten an  den  Empfänger  überbracht  wurden'4.  Das  15.  Buch  ad 
fam.  enthält  wichtige  politische  Briefe,  keiner  aber  trägt  ein 
Schlußdatum,  und  es  ist  kein  Grund  anzunehmen,  daß  sie  nicht 
direkt  und  nicht  durch  eigene  Briefboten  überbracht  wurden. 
2)  „In  Freundesbriefen  fugte  man  das  Datum  bei,  wenn  man 
aus  der  Ferne  und  von  der  Reise  schrieb44.  Die  21  Briefe  des 
5.  Buches  an  Atticus  sind  teils  auf  der  Reise  nach  Cilicien,  teils 
in  der  Provinz  geschrieben,  das  Datum  ausdrücklich  beigefügt  ist 
aber  nur  einem  von  ihnen  (V  3).  Sowohl  im  XV.  Buch  ad  fam.  wie 
im  V.  Buch  ad  Att.  konnten  die  Empfänger  die  Abfassungszeit  der 
betreffenden  Briefe  mehr  oder  weniger  deutlich  aus  deren  Inhalt 
ersehen,  und  das  genügte  dem  Absender  der  Briefe.  Mit  welcher 
Willkür  aber  hierbei  verfahren  wurde,  zeigt  gerade  jener  Brief  ad 
Att.  V  3.  Denn  auch  wenn  Cicero  das  Datum  am  Schlüsse  nicht 
hinzugefügt  hätte,  wäre  dem  Empfänger  die  Abfassungszeit  im  all- 
gemeinen ebensowenig  zweifelhaft  gewesen,  wie  bei  vielen  anderen 
Briefen,  denen  das  Abfassungsdatum  nicht  beigefügt  ist.    3)  „Briefe, 


406  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

die  man  Freunden  und  Vertrauten  überließ  oder  mitgab,  wurden 
nicht  datiert4'.  Warum  nicht?  „Das  hätte  sonst  ausgesehen  wie 
ein  Mißtrauen,  wie  eine  Kontrolle  [der  Beförderungszeit],  die 
offenbar  gegen  den  guten  Ton  verstoßen  hätte'4  (S.  18).  Diese 
Begründung  setzt  voraus,  daß  der  Freund  oder  Vertraute  den 
Brief,  den  er  überbrachte,  jedenfalls  auch  las;  diese  Voraussetzung 
trifft  doch  aber  gerade  bei  einem  solchen  zuverlässigen  Manne  am 
wenigsten  zu.  Für  den  Empfänger  des  Briefes  konnte  es  nicht 
anstößig,  sondern  nur  von  Wert  sein,  aus  dem  Briefe  zu  ersehen, 
wie  lange  es  her  war,  seit  der  Brief  geschrieben  wurde.  So  fehlt 
es  denn  auch  in  der  Tat  nicht  an  Fällen,  in  denen  der  Empfänger 
die  Beförderungsdauer  des  einem  befreundeten  Manne  übergebenen 
Briefes  sehr  wohl  zu  kontrollieren  vermochte.  So  konnte  z.  ß. 
Atticus  aus  dem  von  Cestius  beförderten  Brief  A  V  13  ersehen,  daß 
er  diesem  am  Ende  eines  naturgemäß  nur  kurzen  Aufenthalts  in 
Ephesus  übergeben  war;  zwei  oder  drei  Tage  mehr  oder  weniger 
kommen  für  diese  weite  Entfernung  nicht  in  Betracht.  Besonders 
schlagend  aber  ist  der  Brief  A  V  15.  Gegen  den  Schluß  desselben 
schreibt  Cicero  dem  Atticus,  er  werde  diesen  Brief  spät  erhalten1), 
dafür  aber  von  einem  zuverlässigen  Freund  (und  das  ist  nicht 
unwichtig  für  einen  Brief,  in  dem  sich  Cicero  über  seinen  der- 
zeitigen Statthalterberuf  sehr  offenherzig  äußert),  nämlich  C.  An- 
dronicus  aus  Puteoli.  Und  doch  heißt  es  wenige  Zeilen  vorher: 
Iter  Laodicea  faciebam  a.  d.  III  Non.  Sextiles,  cum  hos  litteras 
dabaml  Auch  was  G.  sonst  an  Normen  für  das  Weglassen  des 
Datums  aufstellt,  sind  Vermutungen,  für  die  es  an  Beweisen  fehlt. 
So  soll  in  Abschriften  von  Briefen,  die  man  einem  zweiten  znr 
Kenntnisnahme  zuschickte,  nach  einem  ,, scheinbar  festen  Brauch" 
das  Datum  weggelassen  worden  sein,  auch  wenn  das  Original  es 
enthielt  (S.  2t).  Von  den  Beispielen,  die  G.  hier  anführt,  sagt 
G.,  es  seien  zum  Teil  höchst  wichtige  politische  Briefe,  die  un- 
möglich im  Original  des  Datums  hätten  entbehren  können,  aber 
nicht  einer  sei  uns  mit  dem  Datum  überliefert.  Dies  letztere 
ist  ein  Irrtum;  der  Brief  A  X  8  B,  den  G.  mit  anführt,  ist  am 
Ende  datiert.  Und  daß  wichtige  politische  Briefe  immer  ein  Datum 
gehabt  haben  müßten,  ist,  wie  schon  bemerkt,  gleichfalls  ein 
Irrtum.  Daß  tatsächlich  zwei  von  den  Briefen,  die  G.  anführt, 
auch  im  Original  kein  Datum  hatten,  können  wir  feststellen  auf 
Grund  der  zufälligen  Tatsache,  daß  sie  in  der  Sammlung  ad  fam. 
nicht  als  Abschriften,  sondern  als  Originale  überliefert  sind  und 
dort  kein  Datum  haben  (A  X  9  A  =  ad  fam.  VIII  16;  A  XIV  17  A 
=  ad  fam.  IX  14).     Wie   bei  diesen  zwei  Briefen,   können  auch 


l)  Hieran  läßt  die  Überlieferung,  weoo  sie  auch  lückenhaft  ist,  keinen 
Zweifel.  M1  hat  plura  scribam  iarde  tibi  redüuro,  Ma  plura  scribebam  t. 1. 
reddüu  ire  (redditu  tri  Z  nach  Lambin).  Cicero  schrieb  vielleicht:  plura 
scribam  <  cum  habebo  cui  dem;  hat  dabam  >  tarde  tan  reddüuro,  sed  dabam 
famiUari  homini  ac  domestico,  C,  Andronico  Puteolano. 


"> 


Cicero«  Briefe,  voo  Th.  Schiche.  407 

bei  vielen  anderen  die  Verfasser  eine  besondere  Datierung  für 
überflüssig  gehalten  haben,  besonders  wenn  der  Inhalt  des  Briefes 
seine  Abfassungszeit  mit  ausreichender  Deutlichkeit  ergab.  Eine 
weitere,  nicht  beweisbare  Annahme  Gurlitts  ist  folgende:  Wenn 
jemand  außer  einem  Brief  für  sich  auch  einen  solchen  für  einen 
andern  erhielt,  dem  er  ihn  abgeben  sollte  und  der  zu  dieser 
Zeit  bei  ihm  war,  so  soll  nur  der  erste  das  Datum  erbalten 
haben  (S.  17).  Das  wird  gewiß  oft  so  gewesen  sein,  ob  aber  auch 
nur  in  der  Regel,  darüber  läßt  sich  durchaus  nichts  feststellen. 
Es  ist  eben  mißlich,  Normen  aufstellen  zu  wollen  in  einer  Sache, 
die  so  sehr  von  der  Willkür  des  Schreibenden  und  von  allerlei 
Zufälligkeiten  abhängt.  Deshalb  aber  ist  es  auch  ungewiß,  wie 
viele  von  allen  den  Fällen,  in  denen  das  Datum  fehlt,  auf  Rechnung 
derjenigen  zu  setzen  sind,  die  die  Sammlungen  für  die  Veröffent- 
lichung zurechtgemacht  haben,  und  insofern  ist  es  berechtigt, 
wenn  G.  der  Ansicht  H.  Peters  (Der  Brief  in  der  römischen 
Literatur,  S.  91)  widerspricht,  nach  der  das  Datum,  wenn  es  bei 
in  die  Ferne  gesandten  Briefen  fehlt,  vom  Herausgeber  weggelassen 
worden  ist. 

25)    L.  Gurlitt,    Textrettnngen    zu    Ciceros    Briefen.     Philologus 
LXII  (1903)  S.  87—90. 

Mit  Recht  hält  G.  ad  fam.  IX  6,  6  das  überlieferte  iure  in 
den  Worten  iure  enim,  si  quid  ego  stirem,  rogarat,  quod  tu  nescires 
für  richtig,  wie  auch  schon  Baiter.  An  zwei  weiteren  Stellen 
meint  G.  durch  abgeänderte  Interpunktion  die  Oberlieferung  halt- 
bar machen  zu  können.  Ad  fam.  VIII  17, 1,  in  einem  Briefe,  der 
nicht  an  Curio,  sondern  von  Cälius  an  Cicero  gerichtet  ist,  liest 
G.:  Ergo  me  potius  in  Hispania  fuisse  tum,  quam  Formiis,  quom 
tu  profectus  es  ad  Pompeium!  —  quod  utinam!  —  aut  Appius 
Claudius  in  ista  (sc.  fuisset)  parte,  C.  Curio,  quoius  amicitia  me 
paulatim  in  hanc  perditam  causam  imposuit  und  erklärt  dies:  „Wäre 
doch  dieser  Appius  Claudius  an  deiner  Stelle  gewesen  und  hätte 
durch  seinen  Einfluß  mich,  statt  zu  Cäsar,  zu  Pompejus  geführt! 
So  aber  habe  ich  mich  deiner  Freundschaft,  C.  Curio,  zuliebe  ins 
Verderben  locken  lassen".  Ad  fam.  IX  7,  2  liest  und  deutet  G.: 
Sed,  quod  quaetis,  quando,  qua,  quo,  nihil  adhuc  (sc.  est  allatum). 
Sosinus*)  istuc  ipsum  de  Bans  (sc.  nuntiat,  scribü,  dicit;  d.  h.  S. 
sagt  genau  dasselbe  wie  du,  von  Bajä).  nonnulli  dubitant,  an 
per  Sardiniam  veniat  (illud  enim  adhuc  praedium  suum  non  in- 
spexit,  nee  ullum  habet  deterius,  sed  tarnen  non  contemnit),  ego 
omnino  magis  arbitror  per  Sieiliam;  vel  iam  sciemus  [wir  werden 
es  sogar  bald  (sicher)  wissen].  Diese  Vermutungen  unterliegen 
erheblichen  Bedenken,  besonders  aus  sprachlichen  Rücksichten. 
Denn  jener  Vokativ  C.  Curio,  die  Wendung  in  haue  causam  im- 

l)  Oberliefert  ist  sosmus.  „Mao  kö'aate  ja  auch",  meint  G.  in  einer 
Fofliote,  „mit  größerem  Rechte  an  G.  Sosios  deokea". 


r^ 


408  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

posuit,  die  Verbindung  vel  tarn  sciemus  sind  sprachlich  doch  wühl 
wenig  wahrscheinlich. 

26)  G.  L.  Hendrickson,    Cicero's  judgment  of  Lueretins.     Americ. 

journ.  of  philol.  22  (1901)  S.  438  f. 

Ad  Quint.  frat.  II  9,  3 :  Lucreti  poemata  ut  scribis  ita  sunt 
multis  luminibus  ingenü  multae  tarnen  artis.  Sed  cum  veneris. 
Das  Wort  tarnen,  meint  H.,  diene  nicht  dazu,  den  Gegensatz  zu 
ingenii  hervorzuheben,  sondern  zu  ita  sunt,  und  mache  den  Punkt 
geltend,  in  dem  Cicero  von  Quintus  in  .  der  Beurteilung  des 
Lucreti us  abweiche.  Des  weiteren  wolle  man  sich  nach  der  An- 
kunft des  Quintus  über  diese  Meinungsverschiedenheit  unterhalten. 

27)  M.  Ihm,    Zu   Ciceros   ad    Att.  XIV  10,2.     Rhein.  Mus.  LVI   (1901) 

S.  148  f. 

Die  überlieferte  Lesart  hat  hier  Frangones.  Für  den  Namen 
Frango  finden  sich  keine  Belege.,  wohl  aber  für  Fango,  bei  Dio, 
Appian  und  in  Inschriften.     Also  zu  lesen  Fangones. 

28)  G.  D.  Kellog,    Critical    notes    od    Cicero's   Letters.     Americaa 

Philological  Association,  proceedings   of  special  Session  1900  S.  IV  f. 

Zu  der  Frage,  ob  und  wie  Cicero  den  Konjunktiv  in  unab- 
hängigen Sätzen  gebraucht,  erklärt  K.,  volo  ut  komme  nicht  vor, 
velim  mit  nachfolgendem  Konjunktiv  der  2.  Pers.  Sing,  ohne  ut 
finde  sich  in  mehr  als  300  Fällen,  velim  ut  aber  in  sieben  Fällen 
bei  Cicero  und  in  je  einem  bei  Lentulus  und  Dolabeila.  Zu  jenen 
sieben  Fällen  zählt  K.  auch  ad  fam.  XVI  9,  3.  wo  ut  einem  ita 
entspricht :  scio  te  omnia  facturum,  ut  nobiscum  quam  primum  sis, 
sed  tarnen  ita  velim,  ut  ne  quid  properes.  Hier  kann  von  velim  ut 
keine  Rede  sein;  denn  die  regelmäßige  Form  des  Ausdrucks  wäre 
nicht  velim  ne  quid  properes,  sondern  velim  nobiscum  sis.  Auch 
A  V  21,  9  hat  mit  velim  ut  gar  nichts  zu  schaffen.  Mit  der  3., 
nicht  mit  der  2.  Pers.  Sing,  steht  velim  ut  A  XVI  1,  2  (Velim,  ut 
tibi  amicus  sit.  Hoc  cum  tibi  opto,  opto  ut  beatus  sit;  erit  enim 
tarn  diu).  Mit  Unrecht  nimmt  K.  hier  einen  Einfluß  des  nach- 
folgenden opto  an  wie  A  II  1, 12  einen  Einfluß  des  vorausgehenden 
cura  (Si  me  amas,  cura  ut  conserventur  et  ad  me  perferantur 
(libri  sc);  hoc  mihi  nihil  potest  esse  gratius.  Et  cum  Graecos  tum 
vero  diligenter  Latinos  ut  conserves  velim)  und  ad  fam.  IV  1,  2 
eine  Einwirkung  von  mandavi  (Trebatio  mandavi,  ut  si  quid  tu 
eum  velles  ad  me  mittere7  ne  recusaret,  idque  ut  facias  velim  autr 
si  quem  tuorum  fidelium  voles,  ad  me  mittas).  Dagegen  hätte  K. 
darauf  hinweisen  können,  daß  in  den  beiden  letzten  Fällen  die 
Voranstellung  des  abhängigen  Satzes  als  Milderungsgrund  für  velim 
ut  gelten  kann,  wie  dies  auch  ad  Qu.  fr.  II  8, 1  der  Fall  ist  (Tu 
vero  ut  me  et  appeUes  et  interpelles  et  obloquare  et  conloquare  velim). 
Als   mildernd  sieht  K.  mit  Recht  es  an,    wenn  ad  fam.  XI  18,  3 


Giceros  Briefe,  von  Tb.  Schiebe.  44)9 

zwischen  velim  und  ut  andere  Worte  stehen :  Quare  velim  equidem, 
id  quod  spero,  ut  plane  abiectus  et  fractus  sit  Antonius.  So  bleibt 
mit  velim  ut  und  der  2.  Pers.  Sing,  bei  Cicero  selbst  nur  übrig 
ad  fam.  IV  14,  4  De  tuis  velim  ut  eo  sis  animo,  quo  debes  esse,  id 
est  ut  ne  quid  tibi  praeeipue  timendum  putes.  Lentulus  schreibt 
ad  fam.  XII  14,  4  De  nostra  dignitate  velim  tibi  ut  semper  curae 
sit  et,  quocumque  tempore  occasionem  habueris,  et  in  senatu  et  ceteris 
rebus  laudi  nostrae  suflragere.  K.  hält  es  hier  für  möglich,  daß 
ut  aus  einem  et  verdorben  sei,  dem  dann  et . . .  suffragere  ent- 
spreche. In  einem  Briefe  des  Dolabella  (ad  fam.  IX  9,  3)  endlich 
heißt  es:  Quare  velim,  mi  iueundissime  Cicero,  si  forte  Pompeius 
pulsus  his  quoque  locis  rursus  alias  regiones  petere  cogatur,  ut  tu  te 
vel  Athenas  vel  in  quamvis  quietam  redpias  civitatem.  Wir  sehen 
also  wieder  dort  velim  ut  (die  Richtigkeit  dieser  Lesart  voraus- 
gesetzt) mit  der  3.  Pers.  sing,  verbunden,  hier  velim  und  ut  durch 
einen  Zwischensatz  getrennt. 

Im  Zusammenhang  mit  diesen  Tatsachen  erklärt  sich  K.  für 
folgende  Lesarten :  A  XI  25,  3  velim  id  possit  adservari  {velim  ut 
possim  adversas  M,  velim  ut  possit  adservari  Boot);  A  XVI  7,  8 
ita  plane  velim  (sc.  sit)  et  ei  dicas  (so  Baiter);  A  XV  25  ex  te 
etiam  velim  scire,  cf.  A  XV  23  etiam  ex  te  velim . . .  cognoscere  (et 
tu  etiam  scire  M);  A  IV  13, 1  velim  scribas  (mg.  Crat.;  rescribas  M) 
ad  me;  A  I  17,  1 1  multa  sunt,  sed  in  aliud  tempus  (sc.  differo) 
Expectare  (davor  also  wohl  ein  Punkt :  tempus.,  der  im  Druck  aus- 
ausgefallen ist);  velim  (mit  anderen;  velis  M,  mg.  Crat.)  eures 
ut  sciam. 

Da  ein  für  sich  allein  stehender  Coniunct.  praes.  in  der 
2.  Pers.  sing,  im  Sinne  einer  Aufforderung  nicht  gebraucht  wird, 
so  liest  Kellog  A  XII  37,  4,  wo  scribas  überliefert  ist:  scribe  igitur 
si  quid  usw.  oder  noch  lieber  mit  Wesenberg  scribas  igitur  (velim) 
si  quid  usw.;  scribe  sei  gewöhnlicher  (?)  als  scribes,  aber  scribas 
igitur  velim  sei  gefälliger.  A  IV  19,  2  ist  überliefert  Quo  die  ad 
me  venies  ut  si  me  amas  apud  me  cum  tuis  maneas;  nur  in  Boots 
Rav.  fehlt  ut.  Ohne  zu  sagen,  was  mit  diesem  ut  werden  soll, 
will  K.  lesen  (fac)  apud  oder  (fac)  maneas;  einem  Wohllauts- 
gesetz zufolge  stehe  fac  fast  immer  vor  einer  Silbe,  die  ein  a 
enthält.  Aus  diesem  Grunde  sollen  wir  auch  A  IV  4  lesen:  utique 
cum  tuis  (fac)  apud  me  sis.  Zu  den  Fällen  dieser  Art  zählt  K, 
auch  A  V  15,  3  adsis  tu  ad  tempus  in  den  Worten:  Sed  feremus, 
modo,  si  me  amas,  si  te  a  me  amari  vis,  adsis  tu  ad  tempus  und 
will  (fac)  adsis  lesen.  Hier  ist  aber  modo  adsis  tu  =  dummodo 
adsis  tu.  Wenn  endlich  K.  in  ad  fam.  XV  12,  2  a  te  peto  ut 
operam  des  efficias  und  A  VIII  6,  2  dabis  operam . . .  venias  Parallel- 
stellen sieht,  so  ist  darauf  hinzuweisen,  daß  dort  auch  ejficiasque, 
hier  auch  dabis  operam  ut . . .  venias  handschriftlich  überliefert  ist 
(s.  C.  F.  W.  Muller). 

Jahresberichte  XXX.  27 


410  Jahresberichte  d>  Pbijolog.  Vereins. 

29)  G.  Kiroer,    Cpotributo  alla.  critica   del  testo  delle  epistole 

'  ad '  fanjiliar'es  di   Cicerone.    Studi  italiaoi  di.  Filologia  classic», 

vol.  IX',  S,  369-^433.  '  Ff  rette  1901. 
'.•    '  '  <     •.  • .         . '       f  •  ■  .'  ..." 

Diese  Arbeit  fyat  mir  ni,cht  vorgelegen  und  ist  mir  nur  be- 
kannt aus.  einer  Anzeige  Gurlitt*  in  der  Berl.  phil.  WS.  XXÜ 
(1902)  Sp.  522— 5(27.  ,  GurUtt  kommt  hier,  zu  dem  Ergebnis, 
daß  Kirners  mühsame  und  methodisch,  besonnene  Untersuchung 
im  Grunde  zu  einer  Anerkennung  von  Mendelssohns  kritischem 
Verfahren  geführt  und  nur  der  Oberlieferungsgeschichte  einen 
Zuwachs  an  Erkenntnis  eingebracht  hat. 

30)  W\  Moooey,  Cicero  ad  Att.  XIII  23,2.    The  classical  review  XVI 

(1902)  S.  121a;  /    '   ' 

Libri  ad  Varronem  non  morabantur.  Sunt  enim  fdeffecti,  ut 
vidisti:  tantum  Jibrariorum  rrienda  tolluntur.  Mooney  vermutet  de- 
fdecati.  Er  meint,  dieses  bei  Plautus  öfter  vorkommende  Wort 
scheine  für  literarische  Durchsicht  (literary  revision)  regelmäßig 
gebraucht  worden  zu  sein,  und  verweist  auf  Sidon.  Apoll.  I  1,  3: 
tuat  examinationi  has  (Jlüterulas)  non  recensendas  (hoc  enim  purum 
est)seddefaecandasyut  aiunt,  limändasque  commisi  Der  Zusatz 
ut  vidisti  weist  auif  etwas  äußerlich  leicht  Wahrnehmbares  hin, 
paßt  also  nicht  auf  eine  Durchsicht  nach  literarischen  Gesichts- 
punkten.    Es  ist  wohl  zu  lesen  perfecti.. 


31)  E,  M-  Pease,  The  greetiog  in  the  letters  of  Cicero.    Studie«  in 
hoooiir  of  Gild'ersleeve,  Baltimore  1902,  S.  395—404. 

Wie  in  unsern  Briefen  die  mancherlei  Formen  von  Anrede 
und  .Briefschluß  charakteristisch  sind  für  das  gegenseitige  Ver- 
hältnis von  Schreiber  und  Empfänger  des  Briefes,  so  im  römischen 
Brief  die  ,den  Gruß  enthaltende  Überschrift.  Die  große  Einförmig- 
keit der  Überschrift  in  den  Briefen  an  Atticus  und  an  Brutus 
(Cicero,  Attico  sah  und  Cicero  Brufo  sal.)  laßt  es  fraglich  erscheinen, 
ob  diese  Überschriften  von  Cicero  selbst  herrühren.  Wird  deshalb 
von  den  Oberschriften  dieser  Briefe  abgesehen,  sowie  von  den- 
jenigen, die  auf  Konjektur  beruhen,  sp  bleiben  374  Überschriften, 
deren  mannigfaltige  Formen  durch  eine  entsprechende  Verschieden- 
heit der  Empfindung  des  Briefschreibers  gegenüber  dem  Empfänger 
bedingt  sind.  Sie  lassen  ebenso  die  herzliche  Freundschaft  und 
verwandtschaftliche  Liebe  erkennen  wie  die  kühle,  ganz  äußerliche 
Förmlichkeit,  und  nicht  minder  die  verschiedenen  Zwischenstufen. 
Von  den.  letzteren  unterscheidet  P.  drei,  so  daß  er  im  ganzen 
fünf  Hauptklassen  erhält,  jn  denen  er  die  Überschriften  einordnet. 

Beispiele  verwandtschaftlicher  Zuneigung  und  enger,  vielleicht 
noch  aus  der  Knabenzeit  herrührender  Freundschaft  sind:  Marcus 
Quinta  fratri  salutem  (praenomen  und  praenomen);  Cicero  Servio  s. 
(cognomen  und  praenomen).  Da  das  bloße  praenomen  des 
Empfangers  ein  Zeichen  vertrauter  Freundschaft  ist,  so  zweifelt  P. 


Ciceros  Briefe,  von  Tb.  Schiche.  4]{ 

die  Richtigkeit  der  Überschrift  ad  fam.  X  29  Cicero  Appio  s.  an 
und  macht  darauf  aufmerksam,  daß  hier  jüngere  Hss.  Cicero 
Ampio  8.  haben.  Die  Intimität  der  Familie  oder  die  Freundschaft 
reiferer  Jahre  zeigt  sich  in  der  Form  Tullius  s,  d.  Terentiae  suae 
(nomen  und  nomen)  oder  Cicero  Cornißcio  s.  (cognomen  und 
nomen).  Die  am  häufigsten  vorkommende  Form  ist  Cicero  Varroni 
(cognomen  und  cognomen):  herzlich  und  freundlich,  aber  nicht 
persönlich  intim.  Sehr  häufig  sind  auch  die  Formen  D.  Brutus 
s.  d.  M.  Ciceroni  oder  M.  Cicero  s.  d.  C.  Memmio,  gebräuchlich  bei 
nur  geschäftlichen  oder  politischen  Beziehungen.  Rein  formell 
und  offiziell  sind  Formen  wie  folgende:  M.  Tullius  M.  f.  Cicero  s. 
d.  Cn.  Pompeio  Cn.  f.  Magno  imperatori.  Wenn  also  P.  Volumnius 
Eutrapelus  an  Cicero  schrieb:  Volumnius  s.  d.  TulUo,  so  ist  Cicero 
(ad  fam.  VII  32)  höflich  genug,  diese  Vertraulichkeit  gelten  zu 
lassen,  während  wohl  zu  erwarten  war,  daß  Volumnius  schrieb: 
P.  Eutrapelus  M.  Tullio  s. 

Der  Verf.  hofft,  daß  die  genaue  Beachtung  der  hier  erörterten 
Unterschiede  nicht  bloß  psychologisches  Interesse  hat,  sondern 
siph  auch  für  die  Textkritik  und  für  die  Unterscheidung  von 
Personen  mit  gleichem  Namen  nützlich  erweisen  wird. 

32)  H.  Peter,  Der  Brief  in  der  römischen  Literatur.  Literar- 
geschichtliche  Untersuchungen  und  Zusammenfassungen.  (Aus  den  Ab- 
handlungen der  Königl.  Sächsischen  Gesellschaft  der  Wissenschaften.) 
Leipzig  1901.  ß.  G.  Te üb ner.     259  S.     gr.  8.     i\  Jt. 

In  der  Einleitung  geht  der  Verf.  davon  aus,  daß  sich  bei  den 
Griechen  und  Römern  erst  spät  die  Individualitat  geltend  gemacht 
habe.  Ein  hervorragendes  Beispiel  des  freien  Hervortretens  einer 
solchen  sei  erst  Cicero,  und  zwar  auch  nur  in  den  Briefen  an 
Atticus,  die  aber  ebendeshalb  auch  keine  Nachfolge  gefunden 
hätten.  Die  Literatur  des  römischen  Briefes  habe  vielmehr  ihren 
Ausgang  genommen  von  Ciceros  Briefen  ad  familiäres.  Das  Herum- 
künsteln an  der  Form,  das  von  den  Griechen  übernommene 
Theoretisieren  und  die  Neigung  zum  Allgemeinen  und  Typischen 
machte  dann  aus  Briefen  und  Briefsammlungen  eine  besondere 
Literaturgattung,  die  sich  in  prosaischer  und  poetischer  Form 
entwickelte. 

Das  erste  Kapitel  behandelt  „die  Anfänge  der  Briefliteratur 
bei  den  Alten  und  die  Gattungen  der  Briefe  nach  ihren  Vor- 
stellungen und  Lehren'4.  Bei  den  Griechen  hatten  die  Anfänge 
der  Briefliteratur  zunächst  den  Zweck,  an  die,  Stelle  der  münd- 
lichen Mitteilung  zu  treten,  und  zwar  sowohl  an  die  Stelle  der 
privaten  Mitteilung,  wie  an  die  der  öffentlichen  Rede,  dann  aber 
hatten  Briefe,  die  veröffentlicht  wurden,  vorzugsweise  den  Zweck 
der  Belehrung,  besonders  über  wissenschaftliche  Gegenstände.  Zu 
den  Briefen  dieser  letzteren  Art  gehörten  die  philosophischen 
nQOTQSTVTwoi,  soweit  sie  Briefform  hatten,  und  die  Trostschriften. 
In  den  griechischen  Rhetorenschulen  entwickelte  sich  die  Theorie 

27* 


412  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

des  Briefes,  soweit  er  mündliche  Mitteilung  ersetzen  sollte,  und 
so  sind  denn  auch  bei  Cicero  Anzeichen  dafür  vorhanden,  daß 
ihm  eine  solche  Theorie  vertraut  war.  In  der  späteren  Theorie 
des  Briefes  seit  Quintilian  spielen  die  Vermeidung  des  Hiatus  und 
der  Rhythmus  ihre  Rolle.  Der  letztere  ist  beobachtet  bei  Seneca, 
dem  jüngeren  Plinius,  Fronto,  er  ist  von  Symmachus  in  bestimmter 
Regel  formuliert  und  wurde  auch  weiterhin  festgehalten,  nur  daß 
an  die  Stelle  der  Messung  nach  der  Silbenlänge  seit  dem  5.  Jahr- 
hundert die  Akzentuierung  tritt. 

Das  zweite  Kapitel  ist  überschrieben :  „Die  äußere  Form  und 
Beförderung,  das  Sammeln  und  Veröffentlichen  der  Briefe  nach 
den  Angaben  Ciceros".  Es  ist  darin  die  Rede  von  Konzept  und 
Reinschrift,  von  eigenhändiger  Niederschrift  und  vom  Diktieren 
der  Briefe,  von  ihrer  Datierung  und  Adressierung,  sowie  von  einer 
Art  von  Hausarchiven,  in  denen  man  die  empfangenen  Briefe  und 
die  Konzepte  oder  Abschriften  der  ausgefertigten  aufbewahrt  habe. 
Daß  an  die  Veröffentlichung  von  Briefen  Ciceros  schon  dieser 
selbst  gedacht  hat,  geht  hervor  aus  der  viel  behandelten  Stelle 
ad  Att.  XVI  5,  5  Mearum  epistularum  nulla  est  avvayo^y^  usw. 
Nicht  zur  Veröffentlichung  bestimmt  waren  jedenfalls  die  Briefe 
an  Atticus.  Was  nun  aber  zu  ihrer  Veröffentlichung  geführt  hat 
und  wann  diese  erfolgt  ist,  sind  viel  erörterte  Fragen,  auf  die 
jetzt  (im  dritten  Kapitel)  auch  P.  ausführlich  eingeht.  Er  meint, 
diese  Briefe  seien  unter  Nero,  etwa  um  60  n.  Chr.,  veröffentlicht 
worden;  den  Anlaß  dazu  habe  vielleicht  die  damalige,  auf  Cicero 
gegründete  Reaktion  gegen  den  modernen  Stil,  möglicherweise 
auch  Vorgänge  unter  den  Nachkommen  des  Atticus  gegeben,  die 
von  Neros  Vorgänger  Claudius  schwer  verfolgt  worden  sind.  Auch 
der  Tätigkeit  des  Herausgebers  spürt  P.  nach  und  setzt  dabei 
voraus,  daß  das,  was  Nepos  an  Briefen  des  Cicero  an  Atticus  bei 
dem  letzteren  sah,  nicht  ganz  dasselbe  ist  wie  das,  was  uns,  in 
16  Bücher  geteilt,  vorliegt.  Nepos  sagt  (vit.  Att.  13,7):  undecim 
volumna  epistularum  ab  consulatu  eius  usque  ad  extremum  tempus 
ad  Atticum  missarum.  Diese  undecim  volumina  hätten  die  elf 
ersten  Briefe,  die  vor  Ciceros  Konsulat  geschrieben  sind,  nicht 
enthalten,  auch  nicht  das  XII.  und  XIÜ.  Buch,  wohl  aber  die 
Briefe  aus  Ciceros  letztem  Lebensjahr.  Diese  letzteren  und  ver- 
einzelte Briefe  aus  früherer  Zeit  habe  Atticus  persönlich  oder 
durch  seine  literarischen  Testamentsvollstrecker  aus  politischen 
Gründen  beseitigt.  Jener  nachmalige  Herausgeber  habe  dann  das 
XII.  und  XIII.  Buch,  sowie  die  11  ersten  Briefe  hinzugefügt  und 
diesen  Gesamtbestand  in  16  Bücher  neueingeteilt.  Für  die  un- 
decim volumina  des  Atticus  nimmt  P.  im  allgemeinen  Pausen  im 
Briefwechsel  als  Teiiungsgrund  an.  So  erhält  er  für  die  vier 
ersten  und  das  11.  Buch  je  ein  volumen,  und  diese  fünf  volumina 
habe  auch  der  letzte  Herausgeber  so  gelassen.  Buch  XIV,  XV 
und  XVI  trenne  nur  je  ein  Tag;    sie  hätten  bei  Atticus  ein   ein- 


^ 


Ciceros  Briefe,  vod  Tfa.  Schiebe.  413 

ziges  volumen  gebildet.  Dagegen  sei  für  die  Korrespondenz  in 
V — X  schon  an  Atticus  die  Notwendigkeit  herangetreten,  mehrere 
Rollen  anzulegen,  drei  im  Verhältnis  zu  den  herausgegebenen 
Werken  Ciceros.  Die  nachher  der  Öffentlichkeit  entzogenen  Briefe 
aus  Ciceros  letztem  Lebensjahr  hätten  wieder  drei  Rollen  gefüllt. 
Das  macht  doch  aber  zusammen  12  Rollen,  nicht  11.  Und  die 
Annahme,  daß  Buch  XII  und  XIII  erst  vom  letzten  Herausgeber 
hinzugefügt  worden  seien,  ist  mit  dem  Hinweis  darauf,  daß  die 
Briefe  in  diesen  beiden  Büchern  ungeschieden  überliefert  sind, 
also  nicht  die  übliche  Oberschrift  Cicero  Attico  sal.  tragen,  daß 
ferner  im  12.  Buch  oft  Grüße  an  die  Angehörigen  des  Atticus  fehlen 
und  daß  im  13.  Buch  die  chronologische  Folge  der  Briefe  stark 
verwirrt  ist,  keineswegs  genügend  erhärtet.  Daß  ferner  die  elf 
volumina  des  Atticus  die  elf  ersten  Briefe  nicht  enthalten  hätten, 
ist  ganz  unwahrscheinlich  (s.  oben  S.  388).  Vollends  die  An- 
nahme, daß  des  Atticus  Sammlung  aus  Ciceros  letztem  Lebens- 
jahr, in  welchem  die  Freunde  doch  miteinander  in  Rom  lebten 
(s.  ebenda),  Briefe  Ciceros  an  Atticus  in  einem  Gesamtumfange 
enthalten  habe,  der  mehr  als  doppelt  so  groß  gewesen  sei  als  der 
in  den  drei  Büchern  XIV,  XV  und  XVI  vorliegende  Briefwechsel 
der  vorhergehenden  acht  Monate,  ist  mir  unverständlich.  So 
sind  also  Peters  Vermutungen  in  betreff  der  undeeim  volumina  des 
Atticus  weit  davon  entfernt,  zur  Zustimmung  zu  nötigen.  Wenn 
aber  Peter  meint  (S,  52),  daß  durch  seine  Ansichten  von  der 
Veröffentlichungszeit  der  Sammlung  ad  Atticum  (s.  oben  S.  412)  das 
argumentum  ex  silentio  Asconii  eine  Stütze  erhalte,  so  verweise 
ich  hinsichtlich  der  Wertlosigkeit  dieses  letzteren  auf  S.  368  ff. 

Nicht  weniger  eingehend  als  für  die  Atticusbriefe  behandelt 
P.  dann  auch  für  die  übrigen  Cicerobriefe  die  Frage,  warum  die 
uns  vorliegenden  Sammlungen  gerade  die  Gestalt  haben,  in  der 
sie  uns  vorliegen.  Für  die  Briefe  ad  fam.  seien  zunächst  vier 
verschiedene  Prinzipien  zu  erkennen:  1.  ein  rein  ästhetisches  in 
XIII,  2.  ein  für  Cicero  Partei  nehmendes  historisch-ästhetisches 
in  I  und  III,  3.  ein  rein  historisches  in  X — XII  16,  und  4.  Familien- 
rücksichten in  XIV  und  XVI.  An  die  zweite  dieser  Gruppen 
schließe  sich  Buch  II  als  den  Orient  betreffend,  an  dieses  wieder 
Buch  VIII,  die  Briefe  des  M.  Caelius  Rufus  während  Ciceros  Pro- 
konsulat und  während  des  Bürgerkrieges.  So  wird  auch  für  die 
übrigen  Bücher  auf  vorherrschende  Gesichtspunkte  hingewiesen, 
die  wenigstens  für  die  Hauptgruppen  in  ihnen  maßgebend  seien, 
während  andere,  diesen  Gesichtspunkten  sich  nicht  fügende  Briefe 
mehr  oder  weniger  anhangsweise  und  nach  äußerlichen  Veran- 
lassungen untergebracht  seien.  Daß  nun  wenigstens  der  Grund- 
stock der  Sammlung  ad  fam.  auf  Tiro  zurückgeht,  dem  man  bisher 
die  Herausgabe  der  ganzen  Sammlung  zugeschrieben  hat,  ist  auch 
Peters  Meinung.  Auf  von  Tiro  herausgegebene  Sammlungen  seien 
die  Empfehlungsbriefe  des  XIII.  Buches  zurückzuführen,  ferner  die 


414  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Familienbriefe  des  XIV.  und  XVL  Buches,  endlich  solche  Gruppen 
der  Bücher  I — IX  und  XV,  die  ein  historisch-ästhetisches  und  der 
Verherrlichung  Ciceros  dienendes  Interesse  erkennen  ließen  und 
nicht  über  den  Juli  des  Jahres  44  hinausgingen.  Ein  späterer 
Herausgeber  habe  diese  Bestandteile  zusammengestellt,  mit  Bei- 
fügungen aus  älteren  Sammlungen  (Peter  S.  88);  insbesondere  sei 
X — XII  16  von  ihm  eingefugt  worden.  Denn  diese  Briefe  gingen 
um  ein  Jahr  über  den  Juli  44  hinaus  und  es  werde  in  ihnen 
über  Cäsar  mit  rücksichtsloser  Offenheit  und  Schärfe  geurteilt, 
im  Gegensatz  zu  der  vorsichtigen  Haltung  der  übrigen  Bücher. 
Dieser  Herausgeber  sei  vielleicht  derselbe  wie  der  der  Briefe  an 
Atticus;  wenigstens  seien  die  beiden  Sammlungen  einander  möglichst 
angeglichen,  z.  B.  in  der  Zahl  der  Bücher.  Wahrscheinlich  sei  es 
dann  auch,  daß  die  Briefe  ad  fam.  ungefähr  zu  derselben  Zeit 
veröffentlicht  wurden  wie  die  an  Atticus.  —  Die  Briefe  ad  Quinttim 
fratrem  ließen  die  Rücksicht  auf  Cicero  erkennen  und  hätten  eine 
Cäsar  günstige  Färbung,  seien  also  wohl  von  Tiro  in  der  Zeit 
Oktavians  herausgegeben.  —  Das  uns  erhaltene  Bruchstück  des 
Briefwechsels  mit  Brutus  geht  über  die  spätesten  Briefe  in  der 
Sammlung  ad  familiäres  nicht  wesentlich  hinaus,  also  nicht  über 
die  Erzwingung  des  Konsulats  durch  Oktavian,  das  dieser  am 
19.  August  43  antrat.  Und  doch  darf  man  mit  Sicherheit  an- 
nehmen, daß  Cicero  auch  über  diesen  Zeitpunkt  hinaus  mit  Brutus 
Briefe  gewechselt  hat.  „Aus  demselben  Grunde,  der  zur  Be- 
seitigung anderer  Briefe  über  diesen  Termin  hinaus  geführt  hatte, 
müssen  auch  diese  unterdrückt  worden  sein"  (Peter  S.  93).  Dies 
spricht  deutlich  dafür,  daß  ebenso  die  Briefe  ad  familiäres  wie 
die  Brutusbriefe  unter  Oktavian  veröffentlicht  wurden.  P.  meint 
aber,  die  Auffrischung  der  Erinnerung  an  Brutus  sei  unter  Oktavian 
mißliebig  gewesen,  und  ist  deshalb  geneigt,  die  Herausgabe  der 
Brutusbriefe  in  die  gleiche  Zeit  zu  verlegen  wie  die  der  beiden 
großen  Sammlungen.  1  16  und  17  hält  P.  mit  andern  für  Übungs- 
stücke eines  Bhetors. 

Auf  Peters  weitere  Darstellung  der  prosaischen  und  poetischen 
Briefliteratur  bei  den  Bömern  kann  hier  nicht  eingegangen  werden. 
Die  Fülle  der  Einzeluntersuchungen,  die  der  Verf.  vornimmt, 
ruft  auch  weiterhin  bisweilen  den  Eindruck  hervor,  als  ob  die 
Erörterung  der  Einzelheiten  und  Zufälligkeiten  vor  der  Berück- 
sichtigung allgemeinerer,  mehr  innerlicher  Gesichtspunkte  stärker 
hervortritt,  als  man  von  einer  Geschichte  der  römischen  Brief- 
literatur erwarten  würde.  Aber  eine  solche  hat  sich  der  Verf.  ja 
auch  gar  nicht  zur  Aufgabe  gemacht.  Er  bezeichnet  schon  auf 
dem  Titel  seine  Arbeit  ausdrücklich  als  „literar- geschichtliche 
Untersuchungen  und  Zusammenfassungen41,  und  es  ist  sicher,  daß 
jeder  Leser,  auch  wenn  er  mit  manchen  Ansichten  des  Verf.s  nicht 
einverstanden  ist,  das  Buch  aus  der  Hand  legen  wird  mit  der  Empfin- 
dung,   dem  Verf.  reiche  Belehrung  und  Anregung    zu  verdanken. 


Cioeros  Briefe,  vod  Th.  Suhiche.  4-1  & 

33)  S.  ß.  Platner,    The   nunuscripts    of  thö  Letters  *f  Cicero   to 

Atticas  in  the  Vatjican  librarv.     Aineric.  jouroal.  of  philo}.  XXI 
r  (1900)  S.  420—432.    ' 

In  der  vatikanischen  Bibliothek. sind  14  Hss.,  die  die  Briefe 
an  Atticus  enthalten.  PI.  beschreibt,  sie  and.  bestimmt  ihren  Werl. 
Sie  stammen  sämtlich  aus  dem  15.  oder  dem  Anfang  des  16.  Jahr- 
hunderts und  enthalten  nicht  bloß  die  Briefe  an  Atticus,  sondern 
folgende  Bestandteile:  1)  epp.  ad  Brutum  über  I;  2)  epp.  ad  Q. 
fratr.  libri  III;  3)  ep.  ad  Octavjanum;  .4)  epp.  ad  A'tticum  libri  XVI. 
Am  Schluß  kommen  hier  und  da  noch  unerhebliche  .Bestandteile 
hinzu,  die  mit  Cicero  nichts  zu  tun  haben.  Die  Briefe  ad  Q.  fr. 
und  ad  Att.  sind  nicht  überall  vollständig.  Eine  von  diesen  Hss. 
ist  schon  durch  C.  Lehmann  (De  Giceronis  ad  Atticum  epistulis 
recensendis  et  emendandis,  S.  42 — 44)  genauer  bekannt,  der 
Urbinas  322.  Was  deq  Wert  dieser  Hss.  betrifft,  so  sind  sie  sehr 
nahe  Verwandte  von  M,  jedoch  meist  mehr  oder  weniger  durch- 
setzt mit  Lesarten,  die  aus  der  Handschriftenklasse  -£  stammen. 
Nur  eine  von  ihnen  hat  selbständigen  Wert,  der.  codex  Palatinos 
1510.     Er  enthält  von  den  Briefen  an  Atticus:  I — III;  IV  1— -4; 

-.14;  16,1  —  4  und  10—12;  18t  1 — 3  bis  auf  zwei  oder  drei 
Zeilen;  V  1—8;  10;  IX  2;  3;  4;  6,  4— 6  A.  Diese  Hs.  stimmt 
in  allen  Fällen  mit  2  überein,  ist  also  eine  der  wenigen  Hss., 
die  diese  Klasse  rein  darstellen.     Eine    vollständige  Vergleichung 

-dieser  Hs.  wäre  deshalb  erwünscht. 

34)  L.  C.  Parser,    Notes   oo    Cicero's   co rrespoodence  during  bis 

procoosalate.     Royal  Irish  Academy,  ser.  III,  vol.  VI,  S.  390 — 414. 

Vorliegende  Bemerkungen  können  als  Beweis  dafür  gelten, 
daß  Purser  bei  der  Vorbereitung  der  oben  S.  367  ff.  besprochenen 
Textausgabe  von  Ciceros  Briefen  es  nicht  einfach  bei  den  Ergeb- 
nissen wollte  bewenden  lassen,  die  in  der  großen,  mit  Tyrrell  zu- 
sammen bearbeiteten  kommentierten  Ausgabe  vorliegen;  sondern 
daß  er  sich  eine  genaue  Nachprüfung  der  dort  gegebenen  Lesarten 
und  Erklärungen  zur  Aufgabe  gemacht  hat.  Hierzu  gab  ja  freilich 
auch  die  inzwischen  erschienene  Ausgabe  von  C.  F.  W.  Müller 
reichliche  Anregung,  da  dessen  Briefe  ad  fam.  bei  Tyrrell- Purser 
erst  vom  fünften  Bande  ab,  die  ad  Att.  nur  im  sechsten,  dem 
letzten  Bande,  berücksichtigt  werden  konnten. 

Da  die  in  der  vorliegenden  Abhandlung  empfohlenen  Lesarten 
in  der  Textausgabe  berücksichtigt  nämlich  zum  Teil  in  den  Text 
aufgenommen,  mindestens  aber  fast  sämtlich  in  der  adnot.  crit. 
vermerkt  sind,  so  kann  ich  mich  darauf  beschränken,  aus  den 
vielen  von  P.  berührten  Einzelheiten  folgendes  hervorzuheben: 
A  V  6  beginnt  die  Überlieferung  mit  den  Worten:  Tarentum  veni 
a.  d.  XV  Kai.  Iunias  (=  18.  Mai)  und  bietet  im  folgenden  Briefe 
den  Satz :  Ego  cum  triduum  cum  Pompeio  et  apud  Pompeium  fuissem, 
proficiscebar  Brundisium  a.  d.  XHH  Kai.  Junta»  (=  19.  Mai).    Wenn 


416  Jahresberichte  d.  Pbilolog.  Vereios. 

fcicero  in  Tarent  am  18.  Mai  ankommt  und  von  dort  am  19.  ab- 
reist, so  bleibt  kein  Platz  für  das  triduum  des  Verkehrs  mit 
Pompejus.  Man  hat  deshalb  in  A  V  7  die  Zahl  XIIII  in  ver- 
schiedener Weise  abgeändert,  in  XI,  XII  oder  XIII.  Auch  P.  liest 
XI,  nimmt  aber  an,  daß  die  überschüssige  III  eine  Verderbung 
von  HI  (=  bora  prima)  sei.  Dies  habe  ursprünglich  hinter  lunias 
gestanden,  sei  vom  Abschreiber  für  III  angesehen  und  deshalb 
mit  der  vorangehenden  Ziffer  vereinigt  worden.  Die  Annahme 
einer  solchen  Umstellung  hat  wenig  Wahrscheinlichkeit,  und  da 
wir  wissen,  daß  Cicero  XI  Kai.  (==  22.  Mai)  in  Brundisium  ein- 
traf (ad  fam.  III  3, 1),  so  mußte  er  die  Reise  von  Tarent  nach 
Brundisium  nach  P.  in  einem  Tage  gemacht  haben.  P.  verweist 
darauf,  daß  Cicero  nach  A  III  6  und  7  auch  im  Jahre  58  diese 
Reise  in  einem  Tage  gemacht  habe.  Aber  A  III  6  ist  nicht  in 
Tarent,  sondern  de  Tarentino  geschrieben;  Cicero  ist,  wie  der 
Inhalt  dieses  Briefes  zeigt,  über  Tarent  schon  hinaus.  Und  da- 
mals war  er  ein  Flüchtling,  der  so  schnell  wie  möglich  Italien 
verlassen  mußte:  jetzt  reist  er  als  Statthalter  mit  Gefolge.  P.  be- 
merkt selbst  gelegentlich  (S.  390),  daß  er  jetzt  sehr  langsam  reist, 
und  die  Entfernung  von  Tarent  nach  Brundisium  betragt  in  der 
Luftlinie  9  bis  10  deutsche  Meilen.  Doch  durfte  P.  damit  recht 
haben,  daß  bei  der  Lesung  XIII  Kai.,  der  ich  im  Programm  des 
Friedr.  Werd.  Gymnasiums  von  1895  S.  8  gefolgt  war,  die  Dauer 
des  Aufenthalts  in  Tarent  zu  kurz  und  die  der  Reise  nach 
Brundisium  zu  lang  wird.  Wenn  wir  nun  bedenken,  daß  Cicero 
für  die  Reise  von  Venusia  bis  Tarent  vier  Tage  brauchte,  nämlich 
die  Zeit  vom  15.  (A  V  5,  1)  bis  18.  Mai  (A  V  6, 1),  und  daß  diese 
Wegstrecke  etwa  doppelt  so  groß  ist  wie  die  von  Tarent  nach 
Brundisium,  so  müssen  wir  für  die  letztere  zwei  Tage  rechnen, 
also  mit  Malaspina  lesen  XII  Kai.  (=  21.  Mai).  Cicero  kam  also 
am  18.  Mai  in  Tarent  an  und  reiste  am  21.  Mai  ab.  Wie  dann 
das  triduum  des  Zusammenseins  mit  Pompejus  in  Tarent  zu 
rechnen  ist,  bleibt  ungewiß.  Cicero  schreibt  nämlich  noch  am 
Tage  der  Ankunft  in  Tarent:  commodissimum  duxi  dies  eos  quoad 
Ule  (Pomptinus)  veniret  cum  Pompeio  consumere  eoque  magis  quod 
et  gratum  esse  id  videbam,  qui  etiam  a  me  petierit,  ut  secum  et 
apud  se  essem  eotidie.  Quod  concessi  libenter.  Hier  sind  videbam 
—  petierit  —  concessi  die  Kennzeichen  eines  persönlichen  Verkehrs 
noch  am  Tage  der  Ankunft  Ciceros.  Aber  er  fährt  fort:  Multos 
enim  eins  praeclaros  de  re  publica  sermones  accipiam,  instruar  etiam 
consiliis  idoneis  ad  hoc  nostrum  negotium»  Am  Tage  der  Ankunft 
.also  wurde  mehr  nur  eine  Pflicht  der  Höflichkeit  erfüllt;  die  in- 
haltsvolleren Gespräche  sollten  erst  noch  folgen,  und  die  Möglich - 
'  keit,  daß  Cicero  auch  noch  am  Tage  der  Abreise  mit  Pompejus 
zusammen  war,  ist  nicht  auszuschließen.  Ob  also  Cicero  mit  dem 
triduum  den  18.,  19.  und  20.  Mai  meint  oder  den  19.,  20.  und 
21.,   muß  dahingestellt  bleiben. 


•^ 


Ciceros  Briefe,  von  Th.  Schiebe.  417 

Auch  A  V  12  muß  man  P.  recht  geben  hinsichtlich  seiner 
Auffassung  der  Worte  in  §  1:  ltaque  erat  in  animo  nihil  festinare 
nee  me  Delo  movere  nisi  omnia  äxga  rvqionv  pura  vidissem 
(äxgee  rvqiwv  pura  liest  P.  mit  L.  Dindorf;  der  Med.  hat: 
AKPATHPEON  iura).  Zwar  lautet  die  Überlieferung  festinare  Delo 
nee  me  movere,  und  erst  Lambin  hat  Delo  umgestellt,  Faernus  es 
als  Glossem  gestrichen.  Welche  Bewandtnis  es  aber  auch  mit 
Delo  haben  mag,  so  lassen  die  Worte  doch  deutlich  den  Vorsatz 
erkennen,  nicht  eher  weiterzufahren,  als  bis  das  Wetter  ganz  gut 
ist.  Ein  solcher  Vorsatz  wird  im  sicheren  Hafen  gefaßt,  nicht 
auf  der  Fahrt,  also  sind  jene  Worte,  auch  wenn  Delo  zu  streichen 
ist,  auf  Delos  geschrieben,  da  es  vorher  heißt  inde  Delum .... 
cursum  confeeimus.  Nun  schließt  der  Brief  allerdings  mit  den 
Worten  Nunc  eram  plane  in  medio  man  und  ich  glaubte  deshalb 
(Progr.  von  1895  S.  17)  annehmen  zu  müssen,  daß  der  ganze  Brief 
auf  der  Fahrt  zwischen  Delos  und  Ikaria  geschrieben  sei.  Aber 
es  läßt  sich  doch  wohl  so  ansehen,  daß  diese  Worte  bedeuten: 
„ich  befinde  mich  mitten  im  Meere",  was  man  auf  Delos  wohl 
sagen  kann,  und  nicht  notwendig:  „ich  befinde  mich  mitten  auf 
dem  Meere".  Es  bedarf  also  auch  nicht  der  Vermutung,  die  P. 
ausspricht,  daß  §  1  und  2  dieses  Briefes  auf  Delos,  §  3  aber 
später  auf  der  Fahrt  geschrieben  sei.  Tatsächlich  schließt  sich 
das  letzte  Drittel  des  Briefes  sehr  eng  an  das  Vorhergehende  an, 
und  es  ist  nicht  zutreffend,  wenn  C.  F.  W.  Muller  (und  mit  ihm 
jetzt  P.  in  der  Textausgabe)  es  durch  Absetzen  vom  Vorher- 
gehenden trennen.  Cicero  schreibt  in  §  2  tuas  . . .  omni  de  rei 
publicae  statu  litteras  exspecto  noAmxcSTtQOv  quidem  scriptas . . . 
etusmodi  inquam  litteras,  ex  quibus  ego  non  quid  fiat . . .  sed  quid 
futurum  sit  sciam,  und  nun  als  weitere  Ausführung  dieser  Worte, 
also  nicht  durch  Absetzen  zu  trennen:  Cum  haec  leges,  habebimus 
consules.  Omnia  perspicere  poteris  de  Caesare  usw.  Auch  das 
Weitere  reiht  sich  in  engem  Zusammenhange  an  und  der  Brief 
ist  unverkennbar  in  einem  Zuge  geschrieben,  und  zwar  wahr- 
scheinlich, wie  ihn  Baiter  und  Wesenberg  ansetzten,  am  Tage  der 
Ankunft  auf  Delos,  am  11.  Juli. 

Ausfuhrlich  äußert  sich  P.  über  den  Zinswucher,  den  Brutus 
durch  seinen  Agenten  Scaptius  gegenüber  den  Bewohnern  der 
Stadt  Salamis  auf  Cypern  trieb  und  mit  dem  Cicero  als  Statt- 
halter von  Cilicien  zu  tun  bekam.  Es  ist  hiervon  in  diesen  Be- 
richten schon  wiederholt  die  Rede  gewesen  (XXV  S.  325  IT.;  XXVH 
S.  278  fT.).  Ich  führe  deshalb  nur  folgendes  an.  Daß  sich  das 
ursprünglich  dargeliehene  Kapital  nicht  ermitteln  läßt,  meint  auch 
P.  (vgl.  JB.  XXVII  S.  279),  hält  dies  aber  hinsichtlich  des  Betrages 
des  letzten  Schuldscheins  (proxima  syngrapha,  A  VI  2, 7)  für 
möglich.  Setze  man  nämlich  voraus,  daß  dieser  letzte  Schuld- 
schein im  Februar  52  ausgestellt  wurde,  22  Monate  vor  Ciceros 
Behandlung  der  Sache,  und  berücksichtige  man,  daß  die  Salaminer 


418  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

bei  Ansetzung  von  12°/o  Zinsen  jährlich  ihre  Schuld  nach  diesen 
22  Monaten  auf  106  Talente  berechnen,  Scäptius  dagegen  bei 
Ansetzung  von  monatlich  4%  auf  fast  200  Talente,  so  komme 
man  auf  etwa  84  Talente  als  den  Betrag  jenes  letzten  Schuld- 
scheins. 

Daß  A  VI  1,  3  in  dem  Satze  Prrmum  ab  Ariobarzane  sie  cm- 
tendi,  ut  talenta,  quae  mihi  pollicebatur,  Uli  daret  zu  lalenta  eine 
Zahl  hinzuzusetzen  ist,  haben  Tyrrell-Purser  in  der  großen  Aus- 
gabe mit  Recht  angenommen.  Sie  vermuteten  dort  VI,  wohl 
wegen  der  Ähnlichkeit  mit  VT,  jetzt  Purser  C  wegen  A  VI  3,  5: 
Bruto  cur  ata  hoc  anno  talenta  circiter  C. 

Zu  A  VI  1,  4  (faenus  et  impendium  recusare)  erklärt  sich  P. 
gegen  die  Deutung  von  faenus  als  Kapital  und  nimmt  es  vielmehr 
in  der  gewöhnlichen  Bedeutung  von  „Zinsen";  impendium  seien 
anderweitige,  mit  der  Geldbeschaffung  ja  oft  verbundene  Kosten 
oder  Spesen. 

A  VI  1,  21  heißt  es:  De  M.  Octavio  Herum  iam  tibi  rescribo 
te  Uli  probe  respondisse.  Dann  ist  überliefert:  Caelius  libertum  ad 
me  misit  et  litteras  aecurate  scriptas  et  de  pantheris  et  (sed  M)  a 
civitatibus.  Purser  schlägt  vor  et  de  pantheris  et  (de  avfißoXatc) 
a  civitatibus,  scheint  aber  diese  Vermutung  aufgegeben  zu  haben, 
da  er  sie  in  der  adnot.  crit.  der  Textausgabe  nicht  mehr  erwähnt, 
und  gibt  jetzt:  et  de  pantheris  et  fa  civitatibus.  Vielleicht  ist  zu 
lesen :  litteras  aecurate  scriptas  et  de  pantheris  et  (ut)  a  civitatibus. 
So  kurz  konnte  sich  Cicero  fassen,  weil  vermutlich  Atticus  in  dem 
-Brief,  auf  den  Cicero  hier  antwortet,  die  Wunsche  des  Cäliits 
ebenso  wie  die  des  Octavius  erörtert  hatte. 

35)  Julias  Sander,  Bemerkungen  zu  den  Cicero-Briefen.  Beilage 
zum  Programm  des  Melanchthon-Gymnasiums  in  Wittenberg  1901. 
28  S.     4. 

Der  Verfasser  gibt  eine  [Zusammenstellung  sprachlicher  Be- 
sonderheiten in  den  Cicerobriefen,  lexikalischer  und  grammatischer. 
Der  lexikalische  Teil  zählt  zunächst  „äußergewöhnliche"  Wörter 
auf,  und  zwar  nicht  in  einer  gemeinsamen  alphabetischen  Folge, 
sondern  nach  verschiedenen,  meist  der  Wortbildung  entnommenen 
Gesichtspunkten  in  Abschnitte  geteilt,  innerhalb  deren  die  Wörter 
alphabetisch  aufgereiht  sind.  So  erscheinen  z.  B.  in  einem  be- 
sonderen Abschnitt  die  substantivischen  Deminutiva  und  in  einem 
andern  die  adjektivischen.  Als  zweiter  Abschnitt  des  lexikalischen 
Teils  folgen  „Besonderheiten  im  Sprachgebrauch ".  Wir  erhalten 
hier,  in  alphabetischer  Folge,  eine  Zusammenstellung  von  Wörtern, 
die  zwar  auch  sonst  vorkommen,  aber  hier  in  einer  bemerkens- 
werten Verwendung,  sowie  von  solchen,  die  eben  schon  hier  vor- 
kommen, nicht  erst  später.  Die  grammatischen  Besonderheiten, 
die  den  zweiten  Teil  der  Arbeit  bilden,  werden  nach  den  üblichen 
grammatischen   Kategorien    aufgezählt.     Das  Ganze   ist    veranlaßt 


Ciceros  Briefe,  von  Th.  Schiche.  419 

durch  des  Verfassers  Mitarbeit  an  Stowassers  lateinisch-deutschem 
Handwörterbuch  und  berührt  sich  zum  Teil  mit  der  Schrift  von 
Paul  Mayer,  De  Ciceronis  in  epistolis  ad  Atticum  sermone  (Bayreuth 
1887),  die  zwar  ein  engeres  Gebiet  umfaßt,  dafür  aber  in  anderer 
Hinsicht  mehr  bietet,  besonders  interessante  Nachweise  über  das 
sonstige  Vorkommen  der  betreffenden  Wörter. 

36)  J.  Schoeoe,  Zu  Ciceros  Briefen.  Hermes  XXXVW  (1903)  S.  316 f. 
Daß  in  ad  fam.  V  8  zwei  Rezensionen  desselben  Schreibers 
vorliegen,  Konzept  und  verbesserte  Reinschrift,  hält  S.  für  be- 
wiesen. Die  dagegen  erhobenen  Einwände  (JB.  XXV  S.  323  f.) 
kennt  S.  nicht,  oder  er  hält  es  nicht  für  nötig,  auf  sie  einzugehen, 
glaubt  vielmehr  eine  neue  Entdeckung  dieser  Art  gemacht  zu 
haben.  Auch  ad  fam.  V  5  soll  aus  Konzept  und  Reinschrift  des- 
selben Briefes  bestehen;  das  Konzept  reiche  bis  zu  den  Worten 
sed  ea,  quae  ad  me  delata  sunt,  malo  te  ex  Pomponio,  cui  non 
minus  molesta  fueru/nt,  quam  ex  meis  litteris  cognoscere.  Zur  Be- 
gründung sagt  S.:  „Beide  Teile  enthalten  dieselben  Gedanken44. 
Das  wäre  naturlich  auffallend,  wenn  es  wirklich  der  Fall  wäre. 
Und  daß  es  der  Fall  ist,  sucht  S.  zu  beweisen,  indem  er  fort- 
fährt: „erstens  will  Cicero  dem  Antonius  vorrücken,  was  er, 
Cicero,  jenem  Gutes  getan  und  wie  umgekehrt  Antonius  gut  mit 
böse  erwidert  habe;  sodann  läuft  es  auf  eine  Empfehlung  für 
Atticus  hinaus.  Soll  diese  einfache  Sache  Cicero  seinem  Feinde 
Antonius  zweimal  zu  hören  gegeben  haben?44  So  S.;  tatsächlich 
aber  gibt  Cicero  weder  jenen  Vorwurf  noch  die  Empfehlung  für 
Atticus  dem  Antonius  zweimal  zu  hören,  und  es  kann  gar  keine 
Rede  davon  sein,  daß  die  zwei  Briefe,  die  S.  hier  glaubt  finden 
zu  sollen,  dieselben  Gedanken  enthalten.  Vielmehr  zeigt  der  Brief 
einen  mit  gutem  Bedacht  eingehaltenen  einheitlichen  Gedanken- 
gang und  eine  wohlüberlegte  Stilisierung.  Der  eigentliche  Zweck 
des  Schreibens  ist  für  Cicero,  C.  Antonius  zu  erklären,  daß,  wenn  er 
sein  feindseliges  Verhalten  gegen  ihn,  Cicero,  nicht  ändere,  auch  er, 
Cicero,  künftig  gegen  ihn  anders  verfahren  werde  als  bisher.  Der 
Überbringer  dieses  Schreibens  ist  nicht  der  erste  beste  Briefbote, 
sondern  T.  Pomponius  Atticus,  Ciceros  intimer  Freund,  der  aber 
auch  mit  Antonius  in  gutem  Einvernehmen  steht,  also  ein  für 
ernste  Auseinandersetzungen  sehr  geeigneter  Mittelsmann.  Er  soll 
den  Inhalt  des  Briefes  mehrfach  durch  mündliche  Mitteilungen 
ergänzen.  Es  muß  dahingestellt  bleiben,  ob  das  Geschäft,  das 
Atticus  in  Mazedonien  zu  besorgen  hatte,  wirklich  von  der  Art 
war,  daß  er  deshalb  notwendig  mit  Antonius,  dem  Statthalter 
dieser  Provinz,  persönlich  in  Verbindung  treten  mußte,  oder  ob 
dies  nur  der  schickliche  Vorwand  war,  unter  dem  er  von  Cicero 
zu  Antonius  gesandt  wurde.  Daß  aber  das  letztere  der  Fall  ist, 
möchte  man  daraus  schließen,  daß  Cicero  bei  der  Angabe  des 
Anlasses  für  diesen  Brief  (§  1)  die  Tatsache  der  Reise  des  Atticus 


420  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

in  den  Vordergrund  stellt,  den  Wunsch  des  Atticus  aber,  ein 
Schreiben  an  Antonius  zu  erhalten,  nur  beiläufig  miterwähnt 
(praesertim  cum  aliter  ipsi  Pomponio  satisfacere  non  possem), 
und  ferner  daraus,  daß  am  Schlüsse  des  Briefes  die  Empfehlung 
der  Sache  des  Atticus  in  kühlen,  konventionellen  Formeln  ge- 
halten ist  (Atque  ipsum  tibi  Pomponium  ita  commendo,  ut,  quam- 
quam  ipsius  causa  confido  te  facturum  esse  omnia,  tarnen  abs  te 
hoc  petam,  ut,  st  quid  in  te  residet  amoris  erga  wie,  id  omne  in 
Pomponi  negotio  ostendas.  Hoc  mihi  nihil  gratius  facere  potes). 
Antonius  wird  sicher  herausgefühlt  haben,  daß  der  Zweck  des 
Briefes  nicht  die  Förderung  der  Sache  des  Atticus  ist  —  diese 
Sache  würde  Antonius  auch  ohne  die  Fürsprache  des  Cicero  ge- 
fördert haben  — ,  sondern  in  den  Erklärungen  liegt,  die  Cicera 
ihm  in  dem  Briefe  macht  und  die  Atticus  mündlich  vervoll- 
ständigen soll« 

Diesem  Zwecke  des  Briefes  entsprechend  ist  von  der  Per- 
sönlichkeit und  der  Sache  des  Atticus  nur  in  der  Einleitung  und 
am  Schlüsse  die  Rede,  dort,  um  den  wirklichen  oder  angeblichen 
Anlaß  des  Schreibens  anzugeben,  hier,  um  dieser  Angabe  durch 
die  herkömmliche  Empfehlung  der  Sache  des  Atticus  einige  Wahr- 
scheinlichkeit zu  geben.  Keineswegs  aber  hat  man  an  beiden 
Stellen  „dieselben  Gedanken44  vor  sich;  in  der  Einleitung  ist  von 
der  Reise  ies  Atticus  die  Rede  und  von  seinem  Wunsch,  ein 
Schreiben  mitzunehmen,  am  Schluß  von  der  Förderung  der  Sache 
des  Atticus. 

Der  Hauptteil  aber  läßt  deutlich  drei  Abschnitte  erkennen. 
Im  ersten  (von  Ego  si  abs  te  bis  lüteris  cognoscere)  stellt  Cicero 
die  Verdienste,  die  er  sich  um  Antonius  erworben  habe,  dem 
Verhalten  des  letzteren  gegen  ihn,  Cicero,  gegenüber.  Im  zweiten 
(von  Meus  in  te  bis  ceteri  existimant)  beruft  er  sich,  damit  Antonius 
diese  Gegenüberstellung  nicht  für  leere  Worte  erklären  könne, 
die  den  Tatsachen  nicht  entsprächen,  auf  die  Zeugen  ebenso  für 
sein  Verfahren  gegen  Antonius  wie  für  die  Größe  der  Verpflichtung 
des  letzteren  ihm  gegenüber.  Während  sich  aber  in  jedem  der 
beiden  Abschnitte  der  Gedanke  in  dem  Gegensatz  von  ego  und  tu 
entfaltet,  geschieht  dies  im  dritten  in  dem  Gegensatz  von  „bisher*4 
{antea)  und  „künftig"  (reliqua):  „Bisher  habe  ich  in  deinem  Inter- 
esse gehandelt;  künftig  aber  werde  ich  mein  Verfahren  ändern, 
wenn  du  fortfährst,  dich  gegen  mich  so  undankbar  zu  beweisen 
wie  bisher.  Das  Nähere  wird  dir  Pomponius  eröffnen44.  So 
spitzt  sich  der  Brief  in  die  Erklärung  zu,  die  seinen  eigentlichen 
Zweck  bildet;  keiner  der  drei  Teile  aber  ist  in  einem  der  beiden 
andern  zum  zweitenmal  enthalten. 

37)  E.  G.  Sihler,  GeTixajTSQov.   Cicero  adQuintuin  fratrem  III  3,4. 
American  Journal  of  philology  XXIII  (1902)  S.  283—294. 

Im  Gegensatz  zu  der  Unterweisung,  die  Ciceros  Neffe  Quintus 
bei  dem  sonst  tüchtigen  Rhetor  Paeonius  erhielt  und    deren  Ziel 


Ciceros  Briefe,  von  Th.  Schiebe.  421 

M.  Cicero  als  declamatorium  genus  bezeichnet,  schreibt  der  letztere 
an  seinen  Bruder  Quintus:  Sed  nostrum  instituendi  genus  esse  paulo 
eruditins  et  &sxmu>tsqov  non  ignoras,  und  er  nimmt  sich  vor, 
diese  Art  Unterweisung  gelegentlich  selbst  seinem  Neffen  zu  er- 
teilen. Was  ist  &€Tix(tiTeQovs?  Sihler  weist  zunächst  nach,  daß 
die  bisherigen  Erklärungen  und  Übersetzungen  dieses  Wortes  un- 
zulänglich sind,  und  zeigt  dann  in  genauer  und  ausführlicher 
Untersuchung,  was  Cicero  meinte.  Er  zieht  hierbei  die  rhetorische 
Überlieferung  vor  und  nach  Cicero  heran,  vor  allem  aber  natürlich 
Ciceros  eigene  rhetorische  Schriften.  Der  letztere  gibt  Or.  46 
folgende  Erklärung  von  dsöig:  quaestio  a  propriis  personis  et 
temporibus  ad  universi  generis  rationem  tradueta  appellatur  &&<siq. 
Im  Gegensatze  also  zu  der  Übung  einen,  wenn  auch  fingierten,  so 
doch  ganz  bestimmten  einzelnen  Fall  (vno&etfig  =  causa)  dekla- 
matorisch zu  behandeln,  wie  sie  in  den  Rhetorenschulen  her- 
kömmlich war,  wünscht  und  beabsichtigt  Cicero  für  seinen  Neffen 
einen  rhetorischen  Unterricht,  der  mehr  wissenschaftlich  gehalten 
(eruditins),  mehr  auf  die  Erörterung  allgemeiner,  abstrakter  Fragen 
gerichtet  ist  (&€tix<6t£qop).  Durch  die  Fähigkeit  zu  solchen  Er- 
örterungen erreicht  der  Redner  ut  quod  in  universo  Sit  probatum, 
id  in  parte  sit  probari  necesse.  Eine  Anzahl  Beispiele  von  solchen 
&€G€ig,  und  zwar  auf  dem  Gebiete  der  praktischen  Politik,  er- 
halten  wir  von  Cicero  selbst  in  einem  Briefe  an  Atticus  (IX  4). 

38)  R.  B.  Steele,  The  Greek  in  Cicero's  epistles.     American  Journal 
of  philology  XXI  (1900)  S.  387—410. 

Wenn  Cicero  de  off.  I  111  auf  Reinheit  der  Sprache  dringt, 
weil  man  sich  mit  der  Einmischung  griechischer  Wörter  lächer- 
lich mache,  so  scheint  hiermit  die  häufige  Anwendung  griechischer 
Wörter  und  Wendungen  in  seinen  Briefen  nicht  vereinbar.  Sieht 
man  aber  genauer  zu,  so  zeigt  sich,  daß  er  jene  Anforderung 
auch  seinerseits  überall  da  erfüllt,  wo  Strenge  der  Form  und 
äußere  Würde  geboten  war.  Je  vertrauter  dagegen  das  Verhältnis- 
zu  demjenigen  ist,  an  den  er  schreibt,  desto  mehr  entbindet  er 
sich  von  jener  Vorschrift  So  ist  es  denn  ganz  natürlich,  daß 
er  sich  mit  der  Zulassung  griechischer  Ausdrücke  nirgends  mehr 
gehen  läßt,  als  in  den  Briefen  an  Atticus.  Der  leichte  Plauderton 
dieses  Gespräches  in  Briefen  brachte  es  mit  sich,  daß  das  zu 
Ciceros  Zeit  gesprochene  Griechisch,  der  Niederschlag  einer  so 
außerordentlich  reichen  und  vielseitigen  Literatur,  für  die  Beweg- 
lichkeit und  wechselnde  Färbung  des  Gedankens  rascher  den  ge- 
eigneten Ausdruck  bot  als  die  vergleichsweise  ärmere  und  weniger 
durchgebildete  lateinische  Umgangssprache.  Wenn  also  St.  meint, 
Ciceros  Anwendung  des  Griechischen  erkläre  sich  zum  Teil  daraus, 
daß  Cicero  seine  Kenntnisse  in  dieser  Sprache  habe  auskramen 
wollen  (S.  390)  und  daß  somit  seine  Eitelkeit  die  Bedingungen 
einer  herzlichen,  ungezwungenen  Korrespondenz  untergraben  habe 


422  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

(S.  389),  so  ist  dem  nicht  zuzustimmen.  Einem  Atticus  gegen- 
über griechische  Kenntnisse  auskramen  zu  wollen,  lag  Cicero  fern. 
Dagegen  war  allerdings  wohl  keiner  seiner  Korrespondenten  für , 
alles  Griechische  so  feinfühlig  und  verständnisvoll  ausgestattet  als 
gerade  Atticus,  und  alle  Regungen  in  Ciceros  Seele,  die  in  dem 
beimischen  Idiom  nicht  so  leicht  und  fein  ihren  völlig  ent- 
sprechenden Ausdruck  fanden  wie  in  dem  Cicero  so  geläufigen 
und  so  vertrauten  griechischen,  k  fanden  bei  dem  Freunde  vollen 
Widerhall. 

Mit  mehr  Recht  als  Ciceros  Eitelkeit  macht  St.  für  einen  Teil 
der  griechischen  Ausdrucke,  die  er  verwendet,  als  Erklärungsgrund 
die  Tatsache  geltend,  daß  viele  von  diesen  Ausdrucken  sich  nach- 
her im  Lateinischen  eingebürgert  haben.  Es  geht  daraus  hervor, 
daß  Cicero  damit  Mängel  oder  Lücken  ausfüllt,  die  sich  in  dem 
zu  seiner  Zeit  gesprochenen   Latein   tatsächlich  fühlbar  machten. 

Eine  besondere  Stellung  nehmen  die  griechischen  Zitate  ein, 
deren  Verwendung  besonders  nahegelegt  war,  wenn  die  lateinische 
Literatur  Ähnliches  nicht  bot. 

St.  gibt  eine  geordnete  Übersicht  über  alle  bei  Cicero  vor- 
kommenden griechischen  Zitate,  Wendungen  und  Worte,  mit  dem 
Nachweis  ihrer  Quellen  oder  ihrer  sonstigen  Verwendung.  Bei 
den  Einzelausdrücken  zeigt  sich,  daß  viele  von  ihnen  hei  Cicero 
allein  oder  bei  ihm  zum  erstenmale  vorkommen.  Zum  Schluß  r 
teilt  St.  einige  fremde  und  eigene  Vermutungen  zu  solchen  Stellen 
mit,  an  denen  das  Griechische  schlecht  überliefert  ist.  So  ver- 
mutet er  A  X  12,  2  naQaXoysvtiov  (C.  F.  W.  Müller  gibt  naqa- 
xXenTsov);  vgl.  A  VI  4,  3  äkoysvofjbsrog;  A  IV  18,  4  ov  <foi, 
"Aqsc,  aXXä  JIctcpirj;  A  X  12a,  4  q&og  okxipov,  vgl.  Plat.  Jegg. 
2,  659  D  (oAxV)  und  rep.  7,  521  D  (<tt*oV). 

39)  R.  ß.  Steele,    Chiasmus    io    the   epistles  of  Cicero,  Seneca, 

Pliny  and  Fronto.     Studies  io  hooour  of  Gildersleeve,    Baltimore 
1902,  S.  339—352. 

Zusammenstellung  von  Beispielen  des  Chiasmus  in  den  Briefen 
der  vier  genannten  Schriftsteller  mit  Bemerkungen  darüber,  Wie 
der  eine  von  ihnen  diese,  der  andere  jene  Form  vergleichsweise 
bevorzugt. 

40)  W.  Sternkopf,  Ciceros  Briefwechsel   mit  D.  Brutus  und  die 

Senatssitzuog    vom   20.  Dezember  44.      Philologas    LX   (19Q1) 
S.  282—306. 

St.  behandelt  zunächst  die  Senatssitzung  vom  20.  Dez.  44. 
An  diesem  Tage  war  unmittelbar  vor  der  Senatssitzung  das  Edikt 
des  D.  Brutus  öffentlich  angeschlagen  worden,  in  welchem  dieser 
erklärte,  die  ihm  vom  Senate  überwiesene  Provinz  Gallia  cisalpina 
behaupten  zu  wollen.  Auf  Antrag  Ciceros  wurde,  wie  St.  aus  den 
philippischen  Reden  beweist,  eine  senatus  auctoritas  herbeigeführt, 
in  der  D.  Brutus  wegen  seines  Edikts  belobt,  seine  Absicht,  Gallien 


Ciceros  Briefe,  von  Th.  Schiche.  423. 

zu  behaupten,  gebilligt  wurde,  ferner  die  Statthalter  angewiesen 
wurden,  auf  ihrem  Posten  zu  bleiben,  bis  der  Senat  ihnen  Nach- 
folger schicke,  endlich  erklärt  wurde,  daß  Oktavian,  sowie  seine 
Veteranen  und  die  von  Antonius  abgefallenen  Legionen  samt  ihren 
Fuhrern  Ehren  und  Belohnungen  verdient  hätten  und  daß  darüber 
die  demnächst  am  1.  Januar  ihr  Amt  antretenden  Konsuln  möglichst: 
bald  referieren  sollten.  Von  dieser  Senatssitzung  berichtet  Cicero 
dem  D.  Brutus  mit  unverkennbarer  Genugtuung  in  dem  Briefe  ad 
tarn.  XI  6,  der,  wie  man  allgemein  und  mit  Recht  annimmt,  noch 
am  Tage  jener  Senatssitzung  geschrieben  ist.  Dann  aber  kann* 
wie  St.  in  Übereinstimmung  mit  Ruete  (Die  Korrespondenz  Ciceros 
in  den  Jahren  44  und  43,  S.  38)  weiter  ausfuhrt,  der  Brief  ad 
fam.  XI  7  nicht  nach  XI  6  geschrieben  worden  sein.  Denn  in  dem 
ersteren  finden  sich  die  Sätze:  caput  est  hoc,  . . .  ut  ne  in  libertate 
et  salute  p.  R.  conservanda  auctoritatem  senatus  expectes  nondum 
liberi,  und  weiterhin:  voluntas  senatus  pro  auctorüate  haberi  debet, 
cum  auctoritas  impedüur  metu.  Der  Ansetzung  von  XI  7  vor 
XI  6  scheint  nun  im  Wege  zu  stehen,  was  über  Lupus,  den  Be- 
auftragten des  Brutus,  in  beiden  Briefen  zu  lesen  ist.  Beide 
Briefe  schreibt  Cicero  unmittelbar  nach  einem  Zusammensein  mit 
Lupus.  Das  in  XI 6  findet  mane  (§  1),  also  am  Morgen  vor  der  oben 
erwähnten  Senatssitzung,  statt,  nachdem  Lupus  tags  zuvor,  also 
am  19v  Dezember,  nach  sechstägiger  Reise  aus  Mutina  in  Rom 
eingetroffen  ist.  Das  in  XI  7  erwähnte  Zusammensein  des  Cicero 
und  Lupus  kann  nicht  an  demselben  Tage,  sondern  muß  vor  der 
Reise  des  Lupus  stattgefunden  haben,  von  der  er  am  19.  Dezember 
wieder  in  Rom  eintraf,  also,  wenn  man  der  Reise  von  Rom  weg 
dieselbe  Dauer  zu  geben  hätte,  wie  der  nach  Rom  zurück,  spätestens 
am  8.  Dezember;  Lupus  wäre  dann  nach  der  in  XI  7  erwähnten 
Konferenz  mit  Cicero  noch  an  demselben  Tage  zu  Brutus  ab- 
gereist. Hiermit  wäre  es  nun  unvereinbar,  wenn  Cicero  XI  5,  1 
D.  Brutus  mitteilt,  er  sei  von  seinem  bisherigen,  ihm  Sicherheit 
gewährenden  Aufenthaltsorte  am  9.  Dezember  wieder  nach  Rom 
gekommen.  Ruete  (&  39)  suchte  dem  Übelstand  damit  abzuhelfen, 
daß  er  XI  5, 1  veni  a.  d.  V  Kai  Dec.  {=  27.  November)  las  statt 
veni  a.  d.  V  Idus  Dec.  Mit  Recht  lehnt  Bardt  (Ausgewählte  Briefe 
aus  ciceronischer  Zeit.  Kommentar  II  S.  408)  dies  ab  und  ebenso 
jetzt  Sternkopf  (S.  299).  Am  27.  November  war  M.  Antonius 
noch  in  Rom,  das  er  erst  in  der  Nacht  vom  28.  zum  29.  November 
verließ,  und  es  ist  Cicero  nicht  „zuzutrauen,  daß  er  sich  in  die: 
Höhle  des  Löwen  begeben  habe,  ehe  Antonius  sie  verlassen  hatte'4 
(Bardt).  Das  ist  aber  nicht  bloß  „unglaublich"  (Sternkopf)  oder 
Cicero  nicht  zuzutrauen,  sondern  es  läßt  sich  der  sichere  Nach- 
weis fähren,  daß  Cicero  noch  eine  Reihe  von  Tagen  nach  dem 
27.  November  nicht  in  Rom  War.  Nachdem  nämlich  M.  Antonius 
Rom  verlassen  hatte,  kam  Oktavfan  nach  Rom.  Wieviel  Zeit 
zwischen  des  Antonius  Abgang  und  dem  Eintreffen  Oktavjans  ver* 


424  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

ging,  ist  nicht  bekannt.  Aber  Cicero  erhielt  von  einer  Rede,  die 
Oktavian  am  Tage  seines  Eintreffens  in  Rom  hielt,  noch  fern  von 
Rom  Kenntnis.  Oktavian  erinnerte  in  dieser  Rede  „an  Cäsars 
Verdienste  und  an  die  Beleidigungen,  wodurch  der  Konsul  (M.  An* 
tonius)  ihn  gezwungen  habe,  zu  seiner  Sicherheit  und  zur  Ver- 
teidigung des  Vaterlandes  die  Waffen  zu  ergreifen44  (Drumann  I  * 
S.  158).  Mit  Bezug  auf  diese  Rede  schreibt  Cicero  an  Atticus 
(XVI  15,  3),  nachdem  vorher  von  Oktavian  die  Rede  war:  At  quae 
contio!  nam  est  missa  mihi.  Iurat  ita  sibi  parentis  honores  con- 
seqni  liceat,  et  simul  dextram  intendit  ad  statuam.  Mijds  öGo&sirjv 
vno  ys  roiovzov.  Die  Art,  wie  Cicero  hier  auf  die  Rede  zu 
sprechen  kommt  {at  quae  contio!  nam  est  missa  mihi)  läßt  er- 
kennen, daß  zwar  auch  Atticus  ihm  von  dieser  Rede  des  Oktavian 
geschrieben,  Cicero  aber  von  anderer  Seite  eine  Abschrift  der 
Rede  erhalten  hat.  Eine  Reihe  von  Tagen  muß  also  seit  dem 
Abgang  des  Antonius  verstrichen  sein.  Wir  kommen  somit  dem 
für  Ciceros  Rückkehr  nach  Rom  in  XI  5,  t  überlieferten  Datum 
immer  näher,  und  es  wäre  wünschenswert,  es  unangetastet  zu 
lassen  oder  doch  mit  einer  leichteren  Änderung  auszukommen 
als  die  ist,  die  Ruete  vorschlug.  Um  nun  dieses  Datum  ungeändert 
zu  lassen,  zerlegt  St.  XI  6  in  zwei  Briefe.  §  1  sei  die  Antwort 
Ciceros  auf  des  D.  Brutus  Brief  XI  4.  Diesen  Brief  habe  Brutus 
im  September  geschrieben,  Cicero  dann  XI  6,  1  Ende  September 
oder  Anfang  Oktober.  Des  Lupus  Eintreffen  am  19.  Dezember, 
an  dem  kein  Zweifel  ist,  wenn  XI  6,  1  mit  §  2  und  3  denselben 
Brief  bildet,  ist  damit  allerdings  beseitigt.  Lupus  könnte  dann 
an  einem  beliebigen  Tage  zwischen  dem  9.  und  20.  Dezember  in 
Rom  sein,  um  mit  Cicero  die  Beratung  zu  halten,  die  XI  7  er- 
wähnt ist. 

Aber  die  Grunde,  aus  denen  St.  XI  6,  1  als  besonderen  Brief 
von  §  2  und  3  abtrennen  will,  sind  nicht  entscheidend.  XI  6, 1 
lautet:  Lupus  noster  cum  Romam  sexto  die  Mutina  venisset,  postri- 
die  me  mane  convenit;  tua  mihi  mandata  diligentissime  exposuit 
et  litteras  reddidiu  Quod  mihi  tuam  dignitatem  commendas,  eodem 
tempore  existimo  te  mihi  meam  dignitatem  commendare,  quam  me- 
hercule  non  habeo  tua  cariorem.  Quare  mihi  gratissimum  facies, 
si  exploratum  habebis,  tuis  laudibus  nullo  loco  nee  consilium  nee 
Studium  meum  defuturum.  Ein  gewisser  Mangel  an  Zusammen- 
hang zwischen  §  1  und  dem  Rest  des  Briefes  läßt  sich  dadurch 
erklären,  daß  Cicero  vermutlich  sogleich  nach  der  Besprechung 
mit  Lupus  und  noch  bevor  er  in  die  Senatssitzung  ging,  den  §  1 
niederschrieb.  Dieses  Stück  des  Briefes  ist  dann  also  nicht  als 
Einleitung  zu  einem  Bericht  über  die  nachfolgende  Senatssitzung 
anzusehen  und  brauchte  nicht  die  Andeutung  zu  enthalten,  daß 
schon  etwas  geschehen  sei.  So  fällt  es  auch  weniger  auf,  wenn 
Cicero  in  dem  nachfolgenden  Hauptstück  des  Briefes  sagt:  Itaque 
in  senatum  veni  mane,    ohne   bei  diesem  mane  auf  das  mane  in 


Ciceros  Briefe,  von  Th.  Sehiehe.  425 

4  1  irgendwie  Bezug  zu  nehmen.  Und  wenn  es  in  §  2  heißt: 
cum  eo  die  ipso  edictum  tuum  propositum  esset,  so  ist  es  doch  wohl 
nicht  gerade  notwendig,  mit  St.  anzunehmen,  daß  Cicero  mit  eo 
die  ipso  habe  andeuten  wollen,  die  Veröffentlichung  von  des  Brutus 
Edikt  sei  eine  für  ihn  überraschende  Zufälligkeit  gewesen.  Endlich 
ist  nach  der  Versicherung  am  Ende  von  §  t  Quart  mihi  usw. 
eine  ähnliche  Äußerung  in  §  3  keineswegs  nur  eine  lästige  Wieder- 
holung. Während  Cicero  in  §  1  im  Anschluß  an  die  Verhand- 
lungen mit  Lupus  den  Brutus  in  ganz  allgemein  gehaltenen 
Wendungen  seiner  Ergebenheit  versichert,  steht  die  ähnliche 
Äußerung  in  §  3  im  engsten  Zusammenhang  mit  dem,  was  Cicero 
an  diesem  Tage  im  Senat  und  auf  dem  Forum  für  Brutus  getan 
hat.  Es  heißt  hier :  Quae  de  te  in  senaiu  egerim,  quae  in  contione 
maxitna  dixerim,  aliorum  te  litteris  malo  cognoscere;  illud  tibi  per- 
suadeas  velim,  me  omnia,  quae  ad  tuam  dignitatem  augendam  per- 
tinebunt,  quae  est  per  se  amplissima,  summo  semper  studio  suscepturum 
et  defensurum.  Es  liegt  hierin  das  Gelöbnis,  die  Konsequenzen 
des  heutigen  Auftretens  im  Senat  und  auf  dem  Forum  ziehen  zu 
wollen,  also  die  Folgen  der  heute  beschlossenen  Maßregeln  tragen 
(suscepturum)  und  auch  künftig  für  sie  eintreten  zu  wollen  (de- 
fensurum).  Eben  diese  Entschlossenheit,  für  das  an  diesem  Tage 
zugunsten  des  Brutus  Geschehene  in  erster  Linie  selber  die  Ver- 
antwortlichkeit übernehmen  und  auch  künftig  dafür  einstehen  zu 
wollen,  läßt  Cicero  noch  hinzufugen:  Quod  quamquam  intellego 
me  cum  multis  esse  facturum,  tarnen  appetam  huius  rei  principatum. 

Während  also  einerseits  nichts  dazu  zwingt,  XI  6, 1  als  be- 
sonderen Brief  von  §  2  und  3  zu  trennen,  zwingt  andrerseits 
nichts  dazu,  XI  6, 1  als  Antwortschreiben  auf  XI  4  anzusehen. 
Dieses  letztere  Schreiben  ist  ein  Gesuch  des  D.  Brutus,  Cicero 
möchte  im  Senate  für  die  supplicatio  stimmen,  auf  die  Brutus 
nach  seinem  Feldzuge  im  Sommer  dieses  Jahres  Anspruch  zu 
haben  meinte.  Es  wird  übereinstimmend  von  Nake  und  von 
Stern  köpf  auf  den  September  oder  Anfang  Oktober  44  angesetzt. 
Daß  Cicero  hierauf  mit  XI  6, 1  antwortet,  wird  durch  die  hier  vor- 
kommende Wendung  Quod  mihi  tuam  dignitatem  commendas  nicht 
erwiesen.  Cicero  stellt  ja  die  hier  gemeinte  dignitas  des  Brutus 
(s.  oben  den  Text  von  XI  6, 1)  als  völlig  gleichartig  mit  seiner 
eigenen  dignitas  hin,  kann  also  hierbei  nicht  an  die  supplicatio 
denken.  Vielmehr  erkennen  wir  deutlich,  daß  Brutus  durch  Lupus 
und  in  seinem  Briefe  versichert  hat,  seine  Ehre  gebiete  ihm,  seine 
Provinz  gegen  Antonius  zu  behaupten,  und  daß  Cicero  ihm  zu- 
stimmend erwidert,  seine  eigene  Ehre  stehe  ihm  nicht  höher  als 
die  des  Brutus. 

Endlich  aber  machen  die  Eingangsworte  von  XI  6, 1  die  An- 
nahme, daß  dies  ein  Brief  aus  dem  September  oder  Anfang 
Oktober  sei,  geradezu  unmöglich.  Lupus  kommt  von  Mutina,  und 
Mutina  besetzte  Brutus  erst,   als  er  vor  dem  in  Oberitalien  ein- 

lahrMlericnu  XXX.  28 


426  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

dringenden  M.Antonius  zurückwich.  Er  besetzte  es  naQodsvoov 
(App.  JI1  49),  war  also  vorher  nicht  in  Mutina.  Wenn  Cicero 
aber  hier  den  Abgangsort  des  Lupus  nennt,  so  will  er  hiermit 
dem  Brutus  erklären,  warum  auf  die  Eröffnungen  des  Lupus  und 
auf  den  Brief,  den  er  von  Brutus  überbrachte,  bei  diesem  nicht 
schon  früher  von  Cicero  Antwort  eingetroffen  war.  Cicero  will 
also  sagen:  „Lupus  hatte  dich  erst  verlassen,  als  du  Mutina  be- 
setzt hattest,  brauchte  dann  sechs  Tage  zur  Reise  nach  Rom  und 
suchte  mich  nicht  sogleich  am  Tage  seiner  Ankunft,  sondern  erst 
am  folgenden  Tage  auf".  Die  Nennung  von  Mutina  also  verbietet 
es,  XI  6, 1  als  besonderen  Brief  aus  dem  September  oder  Anfang 
Oktober  anzusehen.  Vielmehr  bildet  dieses  Stück  mit  §  2  und  3 
einen  einzigen  Brief,  der  am  20.  Dezember  44  geschrieben  wurde. 
Wie  steht  es  nun  mit  deu  Schwierigkeiten,  die  die  Reisen  des 
Lupus  bereiten?  Sie  bestehen  nur  unter  der  Voraussetzung,  daß 
Lupus  von  Rom  zu  Brutus  ebensoviel  Zeit  gebraucht  hatte,  wie 
darauf  zur  Reise  aus  Mutina  nach  Rom.  Daß  dies  notwendig 
vorausgesetzt  werden  muß,  ist  nicht  ganz  sicher.  St.  gibt  die 
Möglichkeit  zu,  daß  Eilboten  von  Rom  bis  Mutina  nur  vier.  Tage 
brauchten.  Nehmen  wir  an,  daß  auch  Lupus  einmal  mit  Eilboten- 
geschwindigkeit reiste.  Dann  könnte  sich  die  Sache  folgender- 
maßen abgespielt  haben.  Cicero  trifft  am  9.  Dezember  in  Rom 
ein  (XI  5, 1  Romam  veni  a.  d.  V  Uns  Dec),  besucht  sogleich  den 
Pansa  (XI  5, 1)  und  schreibt  unmittelbar  danach  den  Brief  XI  5. 
Nach  Absend ung  dieses  Briefes  trifft  noch  an  demselben  Tage 
Lupus  in  Rom  ein  und  hält,  gleichfalls  noch  an  diesem  Tage,  mit 
Cicero  die  Beratung,  von  der  XI  7, 1  die  Rede  ist.  Am  folgenden 
Tage,  dem  10.  Dezember,  reist  Lupus  wieder  ab  und  kommt  am 
13.  bei  Brutus  an.  Am  14.  verläßt  Lupus  Mutina  und  trifft  am 
19.  in  Rom  ein.  So  betrachtet,  würden  wir  es  besonders  gut 
verstehen,  wenn  Cicero  zu  Anfang  von  XI  6  es  für  nötig  hält, 
dem  Brutus  in  der  oben  angegebenen  Weise  zu  erklären,  warum 
er  nicht  schon  früher  auf  sein  Schreiben  und  Anliegen  von  Cicero 
Antwort  erhalten  habe;  Lupus  hätte  dann  im  Vergleich  zur  Reise 
zu  Brutus  auf  die  Reise  nach  Rom  eine  wider  Erwarten  lange 
Zeit  verwendet.  Wenn  man  indessen  darauf  besteht,  es  dem 
Lupus  auch  für  seine  Reise  aus  Rom  zu  Brutus  bequemer  zu 
machen  und  auf  die  angegebenen  Vorgänge  mehr  Zeit  zu  rechnen, 
so  kann  man  in  dem  Datum  XI  5,  1  aus  der  V  eine  VI  oder  VII 
machen. 

41)  W.  Sterokopf,  Noch  einmal  die   correctio  der  lex  Clodi«  de 
exilio  Ciceroois.     Philologus  LX1  (1902)  S.  42— 70. 

Der  Verf.  verteidigt  eingehend  und  überzeugend  seine  Auf- 
fassung jener  correctio,  die  er  Philologus  L1X  (1900)  S.  272  ff. 
vorgetragen  hat,  gegenüber  den  Bemängelungen  und  Vermutungen, 
die  L.  Gurlitt  (ebenda  S.  578  ff.)   ihr    entgegengestellt   hat   (s.  JB. 


Ciceros  Briefe,  voo  Th.  Schiche.  427 

XXVII  S.  282  ff.).  In  der  Tat  enthält  Ciceros  Äußerung  (A  III  4 
quod  correctum  esse  audieramus,  erat  eiusmodi,  ut  mihi  ultra 
quadringenta  milia  liceret  esse,  illuc  pervenire  non  liceret)  das, 
worauf  es  ihm  ankommt,  in  den  Worten  illuc  pervenire  non  liceret, 
denen  nur  des  rhetorischen  Gegensatzes  wegen  die  Worte  ut  mihi 
ultra  quadringenta  milia  liceret  esse  vorausgeschickt  werden.  Die 
correctio  habe,  fuhrt  St.  aus,  insofern  eine  Verschärfung  der 
Strafe  bedeutet,  als  sie  innerhalb  eines  Umkreises  von  400  Meilen 
über  die  Grenzen  von  Italien  hinaus  nicht  bloß  jeder  Konnivenz 
einen  Riegel  vorschob,  sondern  auch  den  Aufenthalt  in  föderierten 
Staaten  unmöglich  machte  (S.  52),  während  die  erste  Fassung 
wahrscheinlich  einfach  die  aquae  et  ignis  interdictio  ausgesprochen 
und  somit  eo  ipso  für  das  ganze  römische  Untertanengebiet,  also 
für  Italien  und  den  gesamten  ager  Romanus  der  Provinzen  ge- 
golten, aber  den  Aufenthalt  in  den  föderierten  Staaten,  auch  den 
in  der  Nähe  Italiens  gelegenen,  nicht  verboten  habe.  Wenn  übrigens 
Gurlitt  der  von  Boot  vorgeschlagenen  und  von  Sternkopf  mit 
Recht  angenommenen  Abänderung  von  quadringenta  in  quingenla 
in  der  obigen  Äußerung  des  Cicero  entgegenhält,  es  sei  nicht 
wahrscheinlich,  daß  man  D  und  CCCC  verwechselt  habe,  so  macht 
St.  die  Möglichkeit  geltend,  daß  ursprünglich  CD  geschrieben  ge- 
wesen sei,  und  weist,  was  schon  in  der  ersten  Abhandlung  (S.  292) 
berührt  war,  jetzt  (S.  63  f.)  mit  noch  genaueren  Angaben  darauf 
hin,  daß  aus  einer  Andeutung  Ciceros  auf  quingenla  geschlossen 
werden  könne.  Denn  bald  nachdem  dieser  von  dem  Wortlaut  des 
ihn  betreffenden  Verbannungsdekrets  und  somit  auch  von  der 
darin  vorgenommenen  correctio,  um  die  es  sich  hier  handelt, 
Kenntnis  erhalten  hatte,  sagt  er  von  Athen  (A  III  7, 1):  veremur, 
ne  interpretentur,  illud  quoque  oppidum  ab  Italia  non  satis  abesse. 
Er  selbst  also  hält  Athen  für  so  weit  von  Italien  entfernt,  daß  dem 
Gesetze  Genüge  geschah,  wenn  er  sich  dorthin  begab;  er  fürchtet 
aber,  Clodius  möchte  die  Entfernung  zu  gering  befinden.  Nach 
keiner  antiken  Berechnung  aber  war  Athen  von  Italien  weniger 
als  400  Millien  entfernt,  sondern  nach  allen  Berechnungen  ent- 
weder zwischen  400  und  500  Millien  oder  noch  weiter  als  500 
Millien,  und  da  man  sich  zwischen  quadringenta  und  quingenta  zu 
entscheiden  hat,  so  ist  klar,  daß  von  einem  Einwand  des  Clodius 
gegen  Athen  nur  dann  die  Rede  sein  konnte,  wenn  er  die  Ent- 
fernung auf  weniger  als  500  Millien  berechnete,  während  Cicero 
über  500  Millien  rechnete.  Also  muß  er  A  III  4  geschrieben 
haben:  ut  mihi  ultra  quingenta  milia  liceret  esse. 

42)  W    Sterukopf,  Zu  Cicero  ad  Q.  fr.  II  3.     Rhein.  Mus.  LVII  (1902) 
S.  629—631. 

Der  Brief  beginnt:  Stripsi  ad  te  antea  superiora;  nunc  cognosce, 
postea  quae  sint  acta.  A  Kai.  Febr.  legationes  in  Idus  Febr.  re- 
iciebantur.     Eo  die  res  confecta  non  est.    St.  schlägt   vor,    das  A 

28* 


428  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

vor  Kai.  als  durch  Dittographie  entstanden  zu  streichen  und  er- 
klärt die  Stelle:  „Am  1.  Februar  wollte  man  die  Gesandtschaften 
auf  den  13.  Februar  hinausschieben,  aber  die  Debatten  verliefen 
an  diesem  Tage  (dem  1.  Februar)  resultatlos".  Es  wäre  gewiß 
angenehm,  wenn  es  Kai.  Febr.  hieße.  Aber  auch  A  Kai.  Febr. 
hat  doch  noch  Sinn  („Vom  1.  Februar  wollte  man44  usw.  mit 
Sternkopf),  und  daß  Cicero  nicht  so  geschrieben  haben  könnte, 
läßt  sich  nicht  erweisen. 

In  demselben  Briefe  §  2  hält  St.  in  den  schon  oben  S.  389 
zur  Sprache  gekommenen,  den  Pompejus  betreffenden  Worten  die 
Lesart  cum  auctorüate  perfregerat  für  richtig:  „wenn  seine  Autorität 
durchschlug14.  Perfringere  steht  Brut.  8  im  Gegensatze  zu  per- 
fundere  (animos)  und  Or.  97  im  Gegensatze  zu  irrepere  (in  sensus) 
und  hat  an  unserer  Briefstelle  in  Verbindung  mit  auctorüate  für 
die  Situation,  um  die  es  sich  handelt,  doch  wohl  etwas  zu  Gewalt- 
sames. In  der  Rede  post  red.  ad  Quir.  10  schwankt  die  Ober- 
lieferung  zwischen  perfregit  und  perfecit,  und  C.  F.  W.  Muller  hat 
hier  mit  Recht  perfecit  aufgenommen:  (serntus)  de  me*...ut 
aliquando  proficeret,  cum  primum  licuit,  frequentia  atque  auctorüate 
perfecit. 

43)  W.  Stern  köpf,  Zu  Cicero  Phil.  XIII  17,36.    Hermes  XXXVII  (1902V 

S.485f. 

Cicero  verliest  hier  aus  einem  Briefe  des  Antonius  folgendes: 
Concordiae  factam  esse  mentionem  scribitis  in  senatu  et  legatos  esse 
consulares  quinque.  Dijficile  est  credere  eos(que)>  qui  me  prae- 
cipitem  egerint  aequissimas  condiciones  ferentem  et  tarnen  ex  iis 
aliquid  remitiere  cogüantem,  puXare  aliquid  moderate  aut  humane 
esse  facturos.  Die  Einsetzung  des  que  nach  eos  röhrt  von  St.  her 
und  ist  eine  einleuchtende  Verbesserung. 

44)  W.  Sternkopf,  Die  Senats  Sitzung  vom  14.  Januar  56  (Zu  Cicero 

ad  fam.  I  2,  2).     Hermes  XXXVII  (1903)  S.  28—37. 

St.  liest:  Consules  ....  diem  consumi  volebant,  id  quod  est 
factum;  perspiciebant  enim  in  Hortensi  sententiam  multis  partibus 
plures  ituros,  quamquam  aperte,  (ut)  Volcatio  adsentirentur,  multi 
rogabantur,  atque  id  ipsum  consulibus  invitis,  nam  ei  Bibuli  sen- 
tentiam valere  cupierunt  (oder  mit  Madvig  cupierant).  Das  ein- 
gesetzte ut  hat  eine  handschriftliche  Stutze,  da  in  M  hinter  aperte 
am  Ende  der  Seite  vi  steht,  von  der  Hand  des  Schreibers,  aber 
ausgestrichen.  Bisher  las  man:  . . .  quamquam  aperte  Volcatio  ad- 
sentirentur.  Multi  usw.  Die  Darlegungen  Sternkopfs,  mit  denen 
er  die  vorgeschlagene  Lesart  begründet,  sind  überzeugend. 

45)  W.  Sternkopf,    Zu   Ciceros    epistulae   ad    familiäres.     Philo- 

loge LXHI  (N.  F.  XVII),  1904,  S.  104-115. 

Ad  fam.  I  9,  4  Ego  me,  Lentule,  inüio  rerum  atque  actionum 
tuarum  non  solum  meis,  sed  etiam  rei  pubUcae  restitutum  puta- 


Ciceros  Briefe,  von  Th.  Schiebe.  429 

bam  usw.  St.  will  nach  initio  einsetzen  beneficio  oder  noch  lieber 
initio  durch  beneficio  ersetzen.  Die  Beseitigung  von  initio  ist  aber 
wohl  nicht  zulässig,  da  doch  Cicero  nachher  mit  ille  darauf  ver- 
weist (§  5):  Etsi  tarn  primis  temporibus  Ulis  multis  rebus  mens 
offendebatur  animus  usw.  Andrerseits  ist  zu  bedenken,  daß  Cicero 
hier  nicht  beabsichtigen  kann  zu  sagen,  er  habe  anfangs  eine 
dankbare  Besinnung  gegen  den  Staat  gehegt,  später  aber  eine 
andere.  Er  versichert  vielmehr  ausdrücklich,  daß  er  an  jener 
dankbaren  Gesinnung  festgehalten  habe  (§  6:  in  omnibus  meis 
sententiis  de  re  publica  pristinis  permanebam).  Den  hier  bestehen- 
den Schwierigkeiten  hilft  man  vielleicht  am  besten  dadurch  ab, 
daß  man  ab  vor  initio  einsetzt. 

Ad  fam.  1  9,  18  Atque  hanc  quidem  ille  (Plato)  causam  sibi  ait 
non  attingendae  rei  publicae  fuisse,  quod,  cum  offendisset  populum 
Atheniensem  prope  iam  desipientem  senectute  eumque  cum  nee  per- 
suadendo  nee  cogendo  regi  posse  vidisset,  cum  persuaderi  posse  dijfi- 
deret,  cogi  fas  esse  non  arbitrareXur.  Daß  posse  vor  vidisset  ge- 
strichen werden  müsse,  wird  man  St.  nicht  zugeben.  Es  ist  in 
dem  Satze  cum  offendisset  . . ,  eumque  . . .  vidisset  nicht  schlechthin 
die  Unmöglichkeit  einer  Lenkung  des  athenischen  Volkes  aus- 
gesprochen, sondern  nur  für  die  Zeit,  wo  Plato  sich  an  der  Leitung 
des  Staates  beteiligen  wollte.  Das  Ergebnis  weiterer  Erfahrungen 
war  es  dann,  wenn  Plato  überhaupt  die  Möglichkeit,  das  Volk 
persuadendo  zu  lenken,  für  ausgeschlossen  hielt,  und  das  Ergebnis 
philosophischen  Nachdenkens,  wenn  er  die  Ausübung  von  Zwang 
nicht  für  erlaubt  hielt. 

Ad  fam.  VII  26,1  liest  St.:  Ego  autem  cum  omnes  morbos 
reformido,  tum  (quod  Epicurum  tuum  Stoici  male  aeeipiunt,  quia 
dicat  aiQayyovQixä  mal  dvtfevveQixä  nd&fj  sibi  molesta  esse, 
quorum  alterum  morbum  edacitatis  esse  putant,  alterum  etiam  turpioris 
intemperantiae)  sane  dvasvteqiav  pertimueram.  St.  schützt  also 
das  überlieferte  quod  und  nimmt  es  für  „weil",  während  es  die 
Herausgeber  mit  Manutius  in  quo  oder  mit  Ernesti  in  in  quo  ab- 
ändern und  dann  mit  Sane  einen  neuen  Satz  beginnen.  Man 
liest  also :  tum  quo  (Mendelssohn,  in  quo  Müller)  Epicurum  .... 
intemperantiae.  Sane  dvtisvtBqiav  pertimueram.  Jenes  quo  der 
Herausgeber  nimmt  St.  als  Masc.  und  bemängelt  die  unklare  Be- 
ziehung des  Sing,  quo  auf  den  Plur.  morbos;  indessen  wird  doch 
wohl  quo  von  den  Herausgebern  als  Neutrum  angesehen  und  in 
allgemeinem  Sinne  verstanden:  „ich  scheue  alle  Krankheiten,  be- 
sonders aber  das,  hinsichtlich  dessen  die  Stoiker  deinem  Epikur 
übel  mitspielen".  In  der  Tat  scheint  der  natürliche  Gang  der 
Rede  zu  erfordern,  daß  das  entsprechende  Glied  zu  cum  omnes 
morbos  reformido,  wenn  einmal  tum  gesetzt  ist,  auch  sogleich 
ausgesprochen  wird,  nicht  erst  nach  einer  langen  begründenden 
Einschaltung.  Auch  scheint,  wenn  quod  kausal  genommen  wird, 
als  Grund  für  Ciceros  Furcht  vor  der  Dysenterie  zu  bestimmt  nur 


430  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

das  Verbalten  der  Stoiker  gegen  Epikur  hingestellt  zu  werden. 
Vielleicht  aber  ist  es  möglich,  quod  so  zu  verstehen,  wie  die  Her- 
ausgeber in  quo  verstanden  haben,  also  =  „hinsichtlich  dessen4'. 
Dieses  quod  ist  dann  kein  anderes  als  das,  welches  in  quod  st 
erscheint,  und  das  Neutrum  des  Pronomens  ist  dann  ebenso  ver- 
wendet wie  das  Neutrum  anderer  Pronomina  in  folgenden  Bei- 
spielen bei  R.  Kuhner,  Ausfuhr].  Gramm,  d.  lat.  Spr.  II  S.  212: 
Plaut.  Poen.  4,  2,  89:  numquid  aliud  me  morare?  Ter.  Heaut. 
982:  neque  me  quicquam  consilio  adiuvas;  150:  id  . . .  adiuta  me. 
Caes.  B.  G.  1  40,  5:  quos  aliquid  usus  ac  disciplina  sublevarent. 
Dann  ist  also  zu  lesen  :  . . .  reformido,  tum  quod  Epicurum  . . . 
intemperantiae.    Sane  dvaevTSQiav  pertimueram. 

Ad  fam.  X  18,  3  und  X  23,  1  spricht  Plancus  von  den 
Folgen,  die  eintreten  mußten,  wenn  er  sich  mit  Lepidus  nicht 
vereinigte.  Und  zwar  lauten  in  der  Überlieferung  die  Worte,  in 
denen  diese  negative  Bedingung  enthalten  ist,  an  der  ersten  Stelle 
nisi  uno  loco  me  teuerem,  an  der  zweiten  st  uno  loco  essem.  St. 
stimmt  mit  Recht  denjenigen  Herausgebern  bei,  die  wegen  des 
entgegengesetzten  Sinnes  dieser  beiden  Wendungen  die  Über- 
lieferung an  einer  der  beiden  Stellen  für  unrichtig  halten,  und 
ändert  lieber  mit  Madvig  an  erster  Steile  nisi  in  si  ah.  als  mit 
andern  an  zweiter  si  in  nisi.  Der  Sinn  ist:  „wenn  ich  an  ein 
und  derselben  Stelle  (uno  loco  =  eodem  loco)  bliebe,  meine 
Stellung  nicht  veränderte14. 

46)  A.  Tra  bandt,    Ciceros    Briefe   als    Schallektüre.     Beilage    zum 
Osterprogramm  des  Gymnasiums  ia  Graudeoz.     Erster  Teil.     1901. 

Mit  einer  Wärme  und  Lebhaftigkeit,  die  sehr  angenehm  be- 
rührt, legt  der  Verf.  dieser  Schrift  „im  Interesse  und  zur  Orien- 
tierung seiner  Schuler''  seine  Ansichten  über  Cicero  und  seine 
Schriften  im  aligemeinen  und  über  die  Briefe  im  besonderen  dar. 
Er  weist  darauf  hin,  wie  die  Beurteilung,  die  Cicero  bei  Drumann 
und  Mommsen  gefunden  hat,  von  denen,  die  Cicero  kennen,  mehr 
und  mehr  aufgegeben  werde,  und  wie  namentlich  die  Schriften 
von  Zielinski  (Cicero  im  Wandel  der  Jahrhunderte,  1897)  und 
Hübner  (in  der  Deutschen  Rundschau  1900)  ihm  gerecht  würden. 
Der  Verf.  hätte  in  diesem  Zusammenhange  auch  die  Schrift  von 
O.  Weißenfels  (Cicero  als  Schulschriftstelier,  1892)  nennen  können 
und  sollen.  Den  Wert  der  Briefe  erkennt  der  Verf.  mit  Recht 
vorzugsweise  darin,  daß  sie  uns  geschichtliche  Einblicke  im 
weitesten  Umfange  gewähren,  und  hebt  aus  dem  Briefwechsel  bis 
zur  Rückkehr  aus  der  Verbannung  einzelnes  heraus,  was  zu  einer 
günstigen  oder  doch  minder  ungünstigen  Beurteilung  Ciceros  bei- 
tragen kann.  Ähnliche  Studien  für  den  weiteren  »Briefwechsel 
werden  uns  für  später  in  Aussicht  gestellt. 


Ciceros  Briefe,  von  Th.  Schiche.  43^ 

47)  I.  van  der  Vliet,  Aedes  Opis  explicata.     Feestbundel  Prof.  Boot, 

Leiden  1901,  S.  21—24. 

Was  nach  Cic.  ad  Att.  XVI  14,  4  damals  der  jüngere  Q.  Cicero 
an  seinen  Vetter  Marcus  schrieb:  se  ex  Nonis  iis,  quibus  nos  magna 
gessimus,  aedem  Opis  explicaturum ,  idque  ad  populum,  erklärt 
van  der  Vliet  in  folgender  Weise:  Habebat  in  animo  Q.  filius 
rationes  pecuniae  in  templo  Opis  conditae  diligenter  excutere,  eas 
scilieet,  quae  confectae  essent  a  Non.  Dec.  a.  63  usque  ad  Non. 
Dec.  a.  44  (die  Nonen  des  Dez.  seien  mit  dem  Amtsantritt  der 
neuen  Quästoren  immer  der  Anfang  eines  neuen  Rechnungsjahres), 
. . .  deinde  explicationem  illam  ad  populum  proferre,  publici  iuris 
facere,  ita  ut  omnibus  pravitas  Caesarianarum  partium  luculenter 
pateret. 

48)  F.  Vogel,  Ipse  etiam.     Archiv  für  lat.  Lexikographie  und  Grammatik 

XII  (1902)  S.  422—424. 

Der  erste  Brief,  den  Cicero  nach  der  Ruckkehr  aus  der  Ver- 
bannung an  Atticus  schrieb  (A  IV  1),  beginnt  folgendermaßen: 
Cum  primum  Romam  veni  fnitque,  cui  rede  ad  te  lilteras  darem, 
nihil  prius  faciendnm  mihi  putavi,  quam  ut  tibi  absenti  de  reditu 
nostro  gratularer.  Cognoram  enim,  ut  vere  scribam,  te  in  consiliis 
mihi  dandis  nee  fortiorem  nee  prudentiorem  quam  me  ipsum  nee 
etiam  pro  praeterita  mea  in  te  observantia  nimium  in  custodia 
salutis  meae  diligentem,  eundemque  te,  qui  primis  temporibus  erroris 
nostri  aut  potius  furoris  partieeps  et  falsi  timoris  socius  fuisses, 
acerbissime  diseidium  nostrum  tulisse  plurimumque  operae,  studti, 
diligentiae,  laboris  ad  conficiendum  reditum  meum  contulisse.  So 
bei  C.  F.  W.  Müller.  Vogel  hält  es  nicht  für  wahrscheinlich,  daß 
Cicero  seinem  Freunde  geschrieben  haben  sollte,  er,  Atticus,  sei 
in  der  Fürsorge  für  Ciceros  Wohlfahrt  nicht  allzu  eifrig  gewesen.  - 
Daß  Cicero  das  aber  doch  getan  hat,  daran  läßt  die  Stilisierung 
des  Satzes  Cognoram  —  contulisse  keinen  Zweifel.  Der  Satz  führt 
nämlich  einen  wohlgegliederten  Gegensatz  durch,  und  zwar  in  der 
Weise,  daß  das  erste  Glied  te  in  consiliis  —  diligentem  eine  Miß- 
billigung von  des  Atticus  früherem  Verhalten,  das  zweite  aber, 
das  mit  eundemque  te  dem  ersten  deutlich  gegenübergestellt  wird, 
die  Anerkennung  für  das  spätere  Verhalten  des  Freundes  enthält. 
Daß  das  erste  Glied  eine  Mißbilligung  enthält,  läßt  zum  Überfluß 
auch  das  ihm  vorausgeschickte,  halb  entschuldigende  ut  vere  scribam 
erkennen.  Jedes  der  beiden  Glieder  besteht  aus  zwei  Hälften. 
Was  im  ersten  gesagt  ist  mit  cognoram  te  in  consiliis  mihi  dandis 
nee  fortiorem  nee  prudentiorem  quam  me  ipsum,  wird  im  zweiten 
aufgewogen  mit  te,  qui  primis  temporibus  erroris  nostri  aut  potius 
furoris  partieeps  et  falsi  timoris  socius  fuisses,  acerbissime,  diseidium 
nostrum  tulisse,  wobei  chiastisch  mit  erroris  nostri  aut  potius  furoris 
partieeps  erinnert  wird  an  non  prudentiorem  quam  me  ipsum,  mit 
falsi  timoris  socius  aber  an  non  fortiorem   quam  me  ipsum.     Und 


432 


Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 


was  im  ersten  Glied  lautet:  cognoram  te  pro  praeterita  mea  in  te 
observantia  non  nimium  in  custodia  salutis  meae  diligentem,  wird 
im  zweiten  wieder  gutgemacht  mit  den  Worten:  te  plurimum 
operae,  studii,  diligentiae,  laboris  ad  conficiendum  reditum  meum 
contulisse,  wobei  salus,  die  Erhaltung  der  noch  bestehenden 
bürgerlichen  Wohlfahrt,  der  Wiedereinsetzung  in  dieselbe  gegen- 
übersteht. Wenn  man  also  sieht,  wie  Cicero  das,  was  er  an  dem 
früheren  Benehmen  seines  Freundes  mißbilligt,  durch  dessen 
späteres  Verhalten  für  ausgeglichen  erklärt,  und  wenn  man  über- 
dies bedenkt,  daß  in  der  Durchführung  solcher  Gegensätze  das 
erste  Glied  oft  nur  rhetorisch  durch  die  Absicht  hervorgerufen 
wird,  das  zweite  um  so  stärker  hervortreten  zu  lassen,  daß  also 
das  Wesentliche  des  Gedankens  im  zweiten  Gliede  liegt,  so  wird 
man  mit  dem  Vorwurf,  Cicero  sei  gegen  Atticus  undankbar, 
zurückhaltend  sein.  Ich  brauche  hiernach  nicht  weiter  auszu- 
führen, was  sich  alles  einwenden  läßt  gegen  Vogels  Annahme,  daß 
das  letzte  nee  zu  streichen,  hinter  me  zu  interpungieren  und  statt 
pro  praeterita  mea  in  te  observantia,  das  von  Bosius  herrührt,  die 
handschriftliche  Lesart  propter  meam  in  te  observantiam  beizu- 
behalten sei. 

49)  Ed.  Wolf li n,  Fufidius.    Archiv  für  lat.  Lexikographie  und  Grammatik 
XII  (1902)  S.  280. 

Ad  fam.  VII  5,  2  zitiert  Cicero  im  Jahre  54  aus  einem  Briefe 
Cäsars  an  ihn:  M.  -fitfimum,  quem  mihi  commendas,  vel  regem 
Galliae  faciam,  vel  hunc  Leptae  delega.  Tu  ad  me  alium  mitte  quem 
ornem.  W.  vermutet:  M.  Fufidium;  es  sei  vielleicht  ein  Mann 
aus  Arpinum  gewesen,  aus  derselben  Familie  wie  Q.  Fufidius,  der 
im  Jahre  46  in  Gallia  cisalpina  Gelder  einziehen  wollte  und  des- 
halb mit  zwei  anderen  ad  fam.  XIII  11  von  Cicero  an  Brutus 
empfohlen  wird.  R.  Ellis  (Hermathena  VI,  1888,  S.  134)  hatte 
Fufitium  vermutet  (Catull  LIV  5). 


8eite 


1.  Ad  fam. 


I  2,2 

428 

9,4 

428 

9,18 

429 

V  6,  2 

376 

8 

419 

VII  5,  2 

432 

26,1 

429 

32 

411 

IX  6,  6;  7,  2 

407 

16,7 

403 

18,3 

404 

20,2 

404 

22,  1 

402 

Stellenverzeichnis. 

Seite 

X  18,  3  u.  23,  1     430 

29  411 

XI  5,  1.  6.  7        423  ff. 
13  a,  4  392 

XII  14,  4  409 
XVI 17,  2                  391 

23  392 

XVI  24,  1  386 

2.  Ad  Qu.  fr. 

II  3,  1  427 

3,  2  389.  428 
6(8),  1  391 

7  (9),  1  389 

8  (10),  2  402 


9  (11),  3 
8  (10),  3 
10C12),  1;  5 
14  (15b)  2 
III  1,23 
3,4 
9,8 
3.  Ad  AU. 


Seite 
408 

392 
390 
392 
390 
420 
392 


11,2 
2,1 
13,1 
16,13 
16,18 
17,11 


376.  382 

382.  36S 

376 

392 

374.  383 

409 


•> 


Ciceros  Briefe,  von  Th.  Schiebe. 


433 


II  1,11 

3,2 

III  4 
7,1 

IV  1,1 
3,3 
4 

13,1 
18,1 
18,4 
19,1 
19,2 

V  6,1; 
7 

10,4 
11,7 
12,1 
15,3 


Seite 

Seite 

Seite 

374 

16,3 

401 

XIV  9,  1 

384 

374 

VI  1,3;  4;  21   418 

10,  1 

384 

427 

1,23 

393 

10,2 

408 

427 

2,3 

401 

XV  2,  1 

394 

431 

2,7 

417 

3,2 

392 

369 

7,2 

386 

4,1 

384 

409 

VII  33,  2 

391 

13,4 

392 

409 

VIII  11,4 

393 

15,2 

384 

394 

14,3 

401 

11,  1 

394.  392 

422 

X  12,2 

422 

20,1 

400 

394 

12a,  2 

393 

25 

409 

409 

12a,  4 

422 

26,  1;  4; 

5    384 

415 

XI  14,  1 

391 

XVI  5,  5 

387 

415 

25,3 

409 

7,4;  5 

384 

391 

XII  37,  4 

409 

7,8 

409 

393 

XIII  23,  2 

410 

11,1 

384 

417 

25,3 

382 

14,4 

431 

406 

33,2 

393 

Berlin. 


Th.  Schiche. 


Inhalt. 


Archäologie,  von  R.  Engelinaon 259 

Ciceros  Briefe,  voo  Th.  Schiche 367 

Herodot,  von  H.  Kallenberg 225 

Horatius,  von  H.  Röhl 29 

LiviuSy  von  H.  J.  Müller 1 

Tacitus  mit  Ausschluß  der  Germania,  von  G.  Andre seu 313 

Tacitus'  Germania,  von  U.  Zernial 363 

Xenophon,  von  R.  Ullrich 63 


Druck  von  W.  Pormet ter  in  Berlin. 


*"\ 


JAHRESBERICHTE 


DES 


PHILOLOGISCHEN  VEREINS 


zu 


BERLIN. 


EINUNDDREISZIGSTER  JAHRGANG. 


BERLIN 

WEIDMANNSCHE  BUCHHANDLUNG. 

1905. 


""N 


1.  Griechische  Schriftsteller. 


Homer 

(hebere  Kritik) 

1903  und  1904 

von 
G.  Rothe. 

I.  Yorfragen, 

A.  Ursprung  und  Heimat  der  Sage. 

a)  Die  troi sehe  Sage.  Seit« 
Bethe,   Die   trojanischen   Ausgrabungen   und  die  Homerkritik.     Neue 

Jahrb.  1904,1  (2)  0 145 

Brückner,  A.,  Geschichte  von  Troja  und  Ilion  (aus  Dö'rpfelds  „Troja 

und  Ilion")  (1) 144 

Drerup,  E.,  Homer  (Weltgeschichte  in  Charakterbildern  I)  (4)  .    .    .  149 

Noack,  F.,  Homerische  Paläste  (3) 146 

b)  DieOdysseussage. 

Afsmann,  E.,  Das  Floß  der  Odyssee,  sein  Bau  und  sein  phoinikischer 

Ursprung  (7) 161 

Berard,  V.,  Les  Pheniciens  et  l'Odyssäe  (5) 155 

Fries,   C,    Griechisch  -  orientalische  Untersuchungen.    L  Homerische 

Beitrage.    In:  Beitrage  zur  alten  Geschichte  III  (6) 156 

Jensen,  M.  P.,  Das  Gilgamisepos.    Zeitschr.  f.  Assyr.  1902  (8)    .    .  162 

B.  Die  Ithakafrage. 

Oraheim,  Die  Ithakafrage.  Progr.  Berlin,  Wilh.-G.  1903  (9)  .  .  .  162 
GSfsler,  P.,  Leukas-Ithaka,  Die  Heimat  des  Odysseus  (10)    ....  165 

Caner,  P.,   Erfundenes   und    Überliefertes   bei   Homer.    Neue  Jahrb. 

1904,  I  (11) 174 

Pritsche,  R.,  Die  Anfänge  des  Hellenentoms.  Nene  Jahrb.  1904, 1  (12)  174 
Immisch,  O.,  Die  innere  Entwickelung  des  griechischen  Epos  (13)  .  175 
Zuretti,  A.,  Omero  l'Iliade,  vol.  VI  (14) 176 

II.  Die  Komposition  der  Gedichte« 

Altendorf,  K.,  Homer.    Ästhetischer  Kommentar  zur  Odyssee  (24)  .  188 

Blafs,  F.,  Die  Interpolationen  in  der  Odyssee  (26) 191 

Bit  rem,  S.,  Die  Phäakeuepisode  in  der  Odyssee  (25) 190 

*)  Die  in  Klammern  beigesetzten  Zahlen  bezeichnen  die  Nummern,  unter 
denen  die  Schriften  besprochen  sind. 


IV  Inhalt. 

Seite 
Gern  oll,  A.,  Der  Homerische  Schiffskatalog.  Progr.  Striegau  1904  (18)  181 
Groeger,  Der  Einflufs  des  41  auf  die  Komposition  der  Odyssee.  Rhein. 

Mas.  1904  (21) 184 

Härder,  Chr.,  Homer.    Ein  Wegfuhrer  zur  ersten  Einführung  in  die 

Ilias  und  Odyssee  (15) 176 

Hentze,  C,  Die  Monologe  in  den  homerischen  Epen.  Philol.  1904  (30)  197 
Jaeger,  0.,  Homer  und  Horaz  im  Gymnasialonterricht  (16).  .  .  *  176 
Jörgensen,  0.,    Eine    neue    Strömung    in    der  höheren  Homerkritik. 

Nord.  Tidsskrift  for  Fil.     1904  (27) 195 

— ,  Das    Auftreten    der    Götter    in    den    Büchern    i — p   der    Odyssee. 

Hermes  1904  (28).     ................  195 

Kretzschmar',    0.,    Beitrage    zur    Charakteristik    des    Homerischen 

Odysseus.     Progr.  JMeunkirchen  1903  (29)     ........  197 

Muelder,  D.'Exrogog  avaigeoig.    Rhein.  Mus.  1904  (19)     ....  181 

— ,  'OqxCw  ovyxvmg.     Neue  Jahrb.  1904, 1  (20) 182 

— ,  Das  Kyklopeoabenteoer  der  Odyssee.  Hermes  1903  (23)  ....  187 
Röfsuer,  O.,   Untersuchung«*    zur  Komposition    der  Odyssee.     Progr. 

Merseburg  1904  (22) 185 

Wecklein,  N.,  Studien  zur  Ilias  (17) 179 

Anhang« 

Verzeichnis  der  dem  Berichterstatter  nicht  zugänglich  gewesenen  Arbeiten  198 
Anzeigen  früher  besprochener  Schriften      .     / 198 


Homer 

(mit  Ausschluß  der  höheren  Kritik) 
1903-1904 

von 
E.  Naumann. 

I.  Anggaben. 

Ameia,  K.  F.,  und  Hentze,  C,  Homers  Ilias.    Für  den  .Schulgebrtoch 

erklärt.    I,  1 ;  Gesang  I — III.     6.  Aufl.  (1) 200 

—  Odyssee.  Für  den  Schulgebraaoh erklärt  11,2$  Gesang XIX— XXIV. 

9.  Aufl.  (2)    .    .     ; 200 

Christ,  A.  Th.,  Honers  Odyssee  in  verkürzter  Ausgabe.   Für  den  Schul- 

gebrauch.     4.  Aufl.  (3) 201 

.    .  II.  Übersetzungen. 

Ho  ff  mann,  F.,  Homers  Ilias.     Für  den  Schulgebrauch  ausgewählt  und 

erklärt  (A sehen dorffs  Ausg.  f.  d.  deutschen  Unterricht)  (5).    .     .  204 

Hubatsch,  O.,  Homers   Odyssee    und   Ilias  im  Auszuge.    In  neuer 

Übersetzung  (Velhagen  und  Kissing)  (11).     . 206 

Joris,  H.,  Über  Homerübertragung  mit  neuen  Proben.    Progr.  Limburg 

(Lahn)  1901  (4).     .     , 201 

Klee,  G.,  W.  v.  Goethe,  Achilleis.  Für  den  Schulgebraneh  heraus- 
gegeben (G.  Freytag)  (12) 206 

Primozid,  A.,    und  Schmidt,    K.  A.,    Homers  Ilias   (in   verkürzter 

Form).    Nach  der  Übersetzung  von  J.  H.  Voß  (Teubner)  (6)  ..    .  204 

Stehle,  0.,  Homers  Odyssee.  Nach  der  Übertragung  von  J.  H.  Voß. 
.    Für.denScbuIgebrauehherausgegeben(G.FreytagundF.Tepi»sky)(9)  206 

Vockeradt,H.,  Homers  Odyssee,  nach  der  ersten  Ausgabe  der  deutschen 
.  Übersetzung  von  J.  H.  Voß.  Für  des  Schulgebrasch  verkürzt  und 
eingerichtet  (Schöningh)  (7) 204 


Inhalt.  y 

Seite 
Weineck,  F.,  Homers  Odyssee  in  der  Übersetzung  von  J.  H.  Vofl. 

Schulausgabe  (Cotta)  (8) • 205 

Weißeaborn,  E.,  Homers  Ilias  und  Odyssee  in  verkürzter  Form  nach 

J.  H.  Voß  bearbeitet;  II.  Odyssee  (Teubner)  (10) 205 

III.  Homer  im  Schulunterricht. 

Agabd,  EL,  Hemer  als  Grundlage  des  griechischen  Elementarunterrichts. 

MS.  f.  höh.  Seh.  1903  (22) 212 

— ,  Griechisches  filementarbuch  aus  Homer.  Auf  Grundlage  des  Ele- 
mentarbuches von  H.  L.  Ahrens  bearbeitet  (27) 216 

Bauek,L.,  Ein  Kaoon  für  die  Lektüre  der  Ilias.  Z.  f.  d.  GW.  1901  (14)  207 

Cauer,  P.,  Homer  als  Anfangsunterricht     Z.  f.  d.  GW.  1903  (23) .     .  212 

Hartmann,  P.,  Ober  den  griechischen  Anfangsunterricht  an  Reform- 
schulen.   Z.  f.  d.  GW.  J904  (25)     . 212 

Heinze,  H.,  und  Schröder,  W.,  Aufgaben  aus  klassischen  Dramen, 
Epen  und  Romanen  zusammengestellt  Bd.  18:  Aufgaben  aus 
Homers  Ilias,  von  H.  Heinze.  —  Bd.  19:  Dgl.  aus  Homers 
Odyssee,  von  H.  Heinze  (18) 209 

Horhemann,  F.,  Der  griechische  Unterricht  im  neuen  Gymnasium.    Neue 

Jahrb.  1903,  II  (21) 212 

— ,  Griechische  Schulgrammatik  zum  Gebrauche  beim  griechischen  Unter- 
richt aller  Stufen  nach  der  Methode  H.  L.  Ahrens.  I.  Homerische 
Formenlehre 216 

Kohl,  O.,  Kanon  f.  d.  Lesung  der  Odyssee  nach  den  neuen  Lehr- 
planen.   Z.  f.  d.  GW.  1902  (15) 207 

Müller,  P.,    Entwurf  zu  einem  Iliaskanon.    In  der  Festschrift  des 

Gymn.  zu  Leobschütz  1902    (13) 207 

Preller,  F.,  d.  A.,  Bilder  zur  Odyssee.  Gemälde  im  Museum  zu 
Weimar.  Nach  den  farbigen  Kopien  F.  Prellers  d.  J.  herausgeg. 
vom  Kunstwort  (19) > 211 

— ,  d.  J.,  Bilder  zur  Ilias.     Nach   den  Originalzeichnungen  herausgeg. 

▼om  Kunstwart  (20) 211 

Schmidt,  K.  Ed.,  Vokabeln  und  Phrasen  zu  Homers  Odyssee.   Heft  6 

und  7,  Gesang  VI  und  VII  (F.  A.  Perthes)  (16) 2Ö7 

W  o  1  f  ,♦  H.-,  Homers  O-d  y  ss  e  e,  erläutert  und  gewürdigt  f.  höhere  Lehr- 
anstalten sowie  zum  Selbststudium  (in:  Hau  und  Wolf,  Die 
ausländischen  Klassiker,  Heft  2;  H.  Bredt)  (17) 208 

— ,  Homers  Hias,  desgl.  Heft  3  (18) 208 

IV.  Sprachliches. 
Autenrietbs  Wörterbuch  zu  den  Homerischen  Gedichten.     10.  Anfl. 

v.  A.  Ka^jgi  (30).    - 219 

Gurtius,   Georg,  Griechische  Schulgrammatik,  bearb.  v.  W.  v.  Harte!. 

23.  Aufl.  von  R.  Meister  (29) 219 

Gerth,  B.,  Griech.  Schulgrammatik.    6.  Aufl.  (28) .219 

Kaegi,  A.,  s.  Autenrietb.    . 

Meister,  R.,  s.  G.  Curtius. 

Waehner,  W.,    Ober  r},  äg  (fdio,  wg  iinwv  und  verwandte  epische 

Formeln.     III.  Progr.  Göttiogen  1904  (31) 219 

V.  Homerstudien  bei  den  Alten. 
Walter,  G.,    De   Lycophroue   Homeri    imitatore.     Pisa,  inaug.    Basel 

1903  (32) 220 

YI.  Sacherklärung. 

Afsmann,  E.,  Das  Floß  der  Odyssee  usw.  (s.  o.  u.  Rothe)  (37)     .    .  225 

Bloch,  L.,  Alkestisstudien.     Neue  Jahrb.  1901,  1  (39) 227 

raQÖtxag,  T.  K./H  ywr\  iv  to)  'EXlrjvixtji  nokriopqj.  A ' .    *H 'EXXrplg 

iv  t%  'OpriQixrj  Ino/rj  (40) 228 


vi  lohalt. 

Seite 
Härder,  Chr.,  Homer  (s.o»  ü.  Rothe)  (33)  .  .  .  k  .  .  .  .  .  22t 
Hoff  mann,  Auf  der  Saujagd  bei  Homer.  MS.  f.  h.  Seh.  1904  (38)  .  .  227 
Michael,  H.,   Das  homerische  aod  das  heutige  Ithaka.    Progr.  Jauer 

1902  (35).    ...................  222 

Havlärto  g,    Nix.  K.9   *H  ctXrftrjs  'ISaxij  roxi  'Q/utjqov,  dgx^oloytxti 

fieUtn-     2.  Aufl.  (34) 222 

— ,  lH  ofifjourj  'I&dxtj  xal  6  ctyQog  iov  Aaiqxov.     Zeitschr.  At  Movffai 

1902  (36) 224 

Schneidewin,M.,  Zur  homerischen  Psychologie.  Neue  Jahrb.  1901,1  (41)  228 

Cauer,  P.,   Beigaben    zu  Ilias  und  Odyssee.     Stimmen  des  Alter- 
tums, Inhaltsangaben,  sachliches  Register  . 229 

Literaturnachweis * 229 

Verzeichnis  der  Ausgaben  und  Schriften,  die  dem  Berichterstatter  nicht 

vorgelegen  haben 229 

Hennings,  P.D.  Chr.,  Über  A  488— 492    . 230 


Herodot 

von 
H.  Kallenberg. 


Archibald,  H.  T.,  The  Fable  in  Archilochus,  Herodotus,  Livy  and 
Horace.  Proceediogs  of  the  Thirty-Fourth  Annaal  Session  of  the 
American  Philological  Association  1902  (23) 374 

Bechtel,  s.  Dialektinschriften. 

Brack eth,  H.  D.,  Temporal  clauses  in  Herodotus.    Proceediogs  of  the 

Americ.  Academy  of  Arts  and  Sciences  1905  (18).     .  .    .  369 

Clerc,  Michel,    La   prise   de  Phocee   par    les  Perses   et   ses  conse- 

quences.     Rev.  des  etudes  grecques  1905  (10) 358 

Dialektinschriften,  Sammlung  der  griechischen,  herausg. 
von  H.  Colli tz  und  F.  Bechtel  111,2,  Heft  5:  Die  ionischen 
Inschriften,  bearb.  v.  F.  Bechtel  (15) ...  367 

Grenfell  and  Hunt,  The  Oxyrhinchus  Papyri.     Part.  IV  (16)  ...  368 

Hall,  H.  R.,  Nitokris-Rhodopis.     Journal  of  Hell.  stud.  1904  (2)      .     .  350 

Hammer,  Br.,  De  J€  particulae  usu  Herodot« o,  Thucydideo,  Xeno- 

phonteo.     Diss.  inaug.  Lips.  1904  (20) 373 

Hunt  s.  Grenfell. 

Laird,  A.  G,  Her.  VIII  2.     The  class.  Rev.  1904  (17)   ......  369 

Mulvany,  C.  M.,  Her.  VI  129  and  a  Buddhist  Birth  story.    The  class. 

Rev.  1905  (25) 375 

Muuro,  J.  A.  R.,    Same   observations   on  the  Persiao  wars.    HL     The 

campaign  of  Plataeae.     The  Journal  of  Hell.  stud.  1904  (7)     .     .  355 

Oppert,  L.,  L'eteodue  de  Babylone.     Acad.  des  Inscr.  et  belles-lettres 

1903  (11) 358 

PraSek,  J.  V.,  Hekataios  als  Herodots  Quelle  zur  Geschichte  Vorder- 
asiens.    Beitr.  z.  alten  Gesch.  1904  (1) .     .     .  348 

Rasse,  H.,  Ein  Beitrag  z.  Darstellung  der  Schlacht  bei  Salamis.    Diss. 

Rostock  1904  (6) 353 

Reufs,  Fr.,   Ktesias'  Bericht  über  den  Angriff  der  Perser  auf  Delphi. 

.    Rh.  Mus.  1905  (9) 358 

Richards,  Herbert,  Notes  on  Herodotus.    The  class.  Rev.  1905  (12)  360 

Roose,  W.  H.  D.,    Greek  and  eastern  Parallels  to  Herodotus  III  119. 

The  class.  Rev.  1904  (24) 375 


Inhalt*  VII 

Seite 
Schaefer,  H.,   Die  Auswanderung   der  Krieger   unter  Psammetich  I 

und  der  Söldneraufstand  io  Elephantine  unter  Apries.    Beitr.  z. 

alt.  Gesch.  1904  (3) 350 

Scott,  J.  A.,  Additional  notes  on   the  yocative.    The  Americ.  Journ. 

of  PhiL  1905  (21) 373 

Tolman,  H.  C,  The  Persian  ßaodrpoi  &soC  of  Herodotus  III  65,  V  106. 

Proceediogs  of  the  Thirty-Fourth  Annual  Session  of  the  Americ. 

Philological  Association  1902  (22)    , 374 

Westberg,  F.,   Zur  Topographie   des    Herodot.     Beitrage  zur  alten 

Geschichte  1904  (4)   .....     . 351 

Wheeler,  Benj.  Ide,   Herodotus'  Account  of  the  Battle  of  Salamis. 

Transactions  of  the  Americ.  Phil.  Association  1902  (5).  .  .  .  353 
y.  Wilamo witz-Moellendorff,  U.,   Satzungen  einer  milesischen 

Sängergilde.     Sitzungsber.  d.  preuß.  Akad.  d.  Wiss.  1904  (13)    .  366 

-S  Zu  Herod.  II  145  (14) .-    ...  367 

Wr igh  t,  H.  B.,  The  Campaigo  of  Plataeae.  Diss.  Yale  Univcrsity  1904  (8)  356 
Wandt,  M.,  De  Herodoti  elocutione  cum  sophistarem  comparata.    Diss. 

Lips.  1903  (19) 372 

Aufsatze  und  Schriften,  die  dem  Berichterstatter  nicht,  vorgelegen  haben 

(Klinger,  Laird,  Migliazza,  Oddo,  Roberti)    ....  359 

Neue  Auflagen  von  Herodotausgabeo  u.  ä.  (Fr.  Härder,  Hintuer, 

Sitzier,  Tournier) 375 


Xenophon 

1898—1900 

(Nachträge  zum  Berichte  des  Vorjahres) 

von 

R.  Ullriok 

IV)  Zu  den  kleineren  Schriften. 

Vorbemerkung 333 

ß)*)  *AnoloyCa  ^(DXQatovq. 
Richards,  H.,  Apologia  Socratis.     The  Class.  Rev.  XII  (1898)  (1).    *  333 
Wetzel,  M.,  Die  Apologie  des  Xenophon.   Neue  Jahrb.  1900,  I  (2)     .  334 

y)  'Hqmv* 
Lincke,  K.,  Xenophons  Hieron  und  Demetrios  von  Phaleron.    Philolog. 

1899  (3) 337 

<F)  Olxovo  pixog. 
Bruns,  J.,  Fraaenemsnzipation  in  Athen.    Kieler  Rede.     1900  (6)  .    .  344 
Gauer,  F.,    Die  Stellung    der  arbeitenden  Klassen  in  Hellas  und  Rom. 

Neue  Jahrb.  1899,  I  (4) 343 

Ziehen,  L.,  Die  Drakontische  Gesetzgebung.     Rh.  Mus.  1899  (5)     .    .  344 

x)  2vjbMoeriov. 
P(armentier),  L.,  Zu  VI  7.   Rev.  de  l'instr.  publ.  en  Belgique  (1900)  (7)  346 
Verzeichnis  der  besprochenen  Stellen 347 


)  Zahlen' und  Buchstaben  entsprechen  denen  des  vorigen  Berichts. 


VIII  Iah  alt. 

Seit» 


IL  Lateinische  Schriftsteller. 


Ciceros  Reden 

1903—1905 

von 

F.  Luterbaener. 

a)  Ausgaben1).  Seit» 

Bardt,  C,  Verrinen,  io  Auswahl  herausgegeben.     Text 24& 

Deiter,  H„  De  imperiö  Co.  Pompei.    Text  (O.  Goedel)  (7)    .    .    .  253 

^-,  Gegen  Katilina  I.  III.  IV.    Text  (ebenda)  (8) .25» 

— ,  Cato  maior  de  senectute.    Text  (ebenda)  (9) 253 

Drenckhahn,  0.,  Für  Muren*.  Für  Schüler  erklärt.  Text  und  Er- 
klärungen (Weidmann)  (10)     ..... .  253 

— ,   Für    Sestios.      Für    Schäler    erklärt.      Text    und    Erklärungen 

(ebenda)  (14> .    .     .  25ft 

Eberhard  s.  Richter. 

Graf  s.  Jordan. 

Hachtmann,  K,  Gegen  Verres.  Buch  IV:  De  sigais.  Für  den  Schul- 
gebrauch erklärt.     3.  Aufl.  (F.  A.  Perthes)  (4) 249 

Jordan s,  W.,  Ausgewählte  Stücke  aus  Cicero  in  biographischer  Folge. 
Mit  Anmerkungen  für  den  Schulgebrauch  von  W.  Jordan  und 
R.  Graf.    6.  Aufl.  von  H.  Schüttle  (Metzler)  (1) 247 

JNohl,  H.,    Ober   den    Oberbefehl    des    Cn.  Pompejus.     Für   den 

Scbulgebrauch  herausgegeben.    3.  Aufl.2)  (Frey tag)  (5)     .     .     .     .  250 

— ,  Für  den  Dichter  Archias.     Für  den  Sehulgebrauch  herausgegeben. 

3.  Aufl.  (Freytag)  (13) 255 

Novak,  R.,   Pro  Sex.  Roscio  Amerino,    de   imperio   Gn.  Pompei, 

pro  Archia  poeta.    K  potrebS  gkolni  vydal  R.  N.    Treti  vydani  (2)  247 

Richter,  Fr.,  und  A.  Eberhard,  Für  Marcellus,  für  Q.  Ligarius 
und  für  den  König  Deiotarus.  Für  den  Schul-  und  Privat- 
gebrauch herausgegeben.    4.  Aufl.  (Teubner)  (16) 25£ 

Schüttle  s.  Jordan. 

Stegmanu,  C,  Auswahl  aus  den  Reden  des  M.  Tullius  Cicero.  I.Ober 
den  Oberbefehl  des  Cn.  Pompeius  und  die  Katilinari- 
schen  Reden.    Text,  4.  Aufl.;  Text  B,  4.  Aufl.  (Teubner)  (6)  .    .  252 

Strenge,  J.,  Für  den  Dichter  A.  Licinius  Archias.  Für  den  Schul- 
gebrauch erklärt.     3.  Aufl.  (F.  A.  Perthes)  (12)  .......  255 

Thümen,  F.,   pro  P.  Cornelio  Sulla.    Für   den  Schulgebrauch  erklärt 

(F.  A.Perthes)  (11) 254 

— ,  pro  M.  Mar  eil  o.    Für  den  Sehulgebrauch  erklärt  (ebenda)  (15)      .  257 

b)  Abhandlungen,  Erklärnngsschriften,  Übersetzungen, 
Präparationen. 

Banz,  Romuald,  Die  Würdigung   Ciceros   in   Sallosts   Geschichte   der 

Catilinarischen  Verschwörung  (27) 280 

Binder,  W.,   Für  M.  Caelius  Rufos,   übersetzt.     2.  Aufl.  revid.  von 

H.  ühle  (Langenscheidt)  (30) 285 

*)  Nach  den  Herausgebern  alphabetisch  geordnet. 
a)  Vgl.  dazu  die  Erklärung  von  Nohl  S.  332. 


Inhalt.  IX 

Seit» 

Cauer,  F.,  Ciceros  politisches  Denken.    Ein  Versuch  (28) 282 

Costa,  E.,  Le  orazioni  di  diritto  privato  di  M.  Tollio  Cicerone  (24)   .  277 

Deiter,  H.,  Ciceros  Leben  und  Schriften  (Goedel)  (20) 270 

— ,  Übungen  zum  Übersetzen  im  Anschluß  an  Ciceros  Reden  pro  Roscio 

Amerino  ond  de  imperio  Cn.  Pompei  (Goedel)   (21)  ....  270 
— ,    Desgl.    im    Anschloß    an    Ciceros    Tnskalanen,    Buch   I   and    V 

(Goedel)  (22) 270 

Gramme,  A.,    Kritisches  and  Exegetisches  za  Ciceros  Sestiana  (29)  282 
Hachtmano,    K.,    Die    Verwertung   der    4.  Rede   gegen    Verres   (de 
signis)    für    Unterweisungen    in    der   antiken   Kunst;    (2.  Aufl.) 

(F.  A.  Perthes)  (25) 279 

Nohl,  H.,   Schülerkoramentar   zu   Ciceros    Rede   für  T.  Aonius    Milo 

(Freytag)  (31) 286 

Pflüger,  H.  H.,  Ciceros  Rede  pro  Q.  Roscio  eomoedo  rechtlich  be- 
leuchtet and  verwertet  (23) 271 

Rohde,  F.  (t),  Cicero  qaae  de  inventione  praecepit  qoatenas  secatas 
sit   in    orationibas   gener is   iudicialis.     Diss.  Königsberg 

1903  (17) • 260 

Von    einem    Schalmann,   Präparation    nebst   Übersetzung    zu  Ciceros 

1.  Rede  gegen  Katilina  (26) .279 

Uhle,  H.,  s.  Binder. 

Wetzel,  Th.,  Präparation  zu  Ciceros  Rede  fürA.  Ligarias  (Teabnir)  (32)  286 
— ,  Desgl.  zur  Rede  für  den  Köoig  Dejotaras  (ebenda)  (33)  ....  286 
Ziegel  er,  E.,  Zwölf  Reden  Ciceros  disponiert.  2.  Aufl.  (19)  .  .  .270 
Zielinski,  Th.,    Das    Clauselgesetz    in    Ciceros    Reden.     Philologus, 

Suppl.  IX  (1904)  und  Separatdruck  (18) 263 

c)  Anhang:  Quintus  Cicero. 

Hendrickson,  G.  L.,  The .  Commentariolum  petitioois  attribnted  to 
Quiotus  Cicero.  Authenticity,  rhetorical  form,  style,  text. 
Decennial  Publications  VI,  Chicago 287 


Ver  gil 

von 
P.  Deutioke. 


I.  Za  den  ländlichen  Gedichten« 

Carreri,   F.,   Pietole,   Formigada    e   il   fossato   di   Virgilio.     Atti   e 

memorie  della  R/Accademia  Virgiliaui  di  Maotova.    Anno  accade- 

mico  1903— 1904  (Mantova  1904)  (2) .105 

Dali o cm  (daü'  Oca),  G.,  Pietole,  Atti  e  memorie  usw.    Biennio  accade- 

mico  1899—1900  (Mintova  1901)  (1)   ....     • 105 

Göhriag,  W.,    Übersetzungsproben  ans   lateinischen  Dichtern.     Progr. 

Brandenburg  a.  H.,  Stadt.  G.  1903  (7) 112 

Jacobi,  F.,  Zur  Entstehung  der  römischen  Elegie.  Rhein.  Mus.  1905  (4)  107 
Jahn,  P.,    Die   Quellen    and   Muster    des    ersten   Buches    der  Georgica 

Vergils    und    ihre   Bearbeitung    durch   den   Dichter.     Rhein.  Mus. 

1903  (5) .108 

— ,  Aus  Vergils  Dichter  Werkstatt.     Philologus  1904  (6) 110 

Warde  Fowler,  W.,    Observations    on  the   fourth  eclogue   of  Virgil. 

Harvard  Stud.  1903  (3) 106 

II.  Ineis-Ausgaben. 

Bros  in,  O.,   Erklärende  Schalausgabe,    za  Ende  geführt  von  L.  Heit- 

kamp:  I.  Bqch  1  u.  II,  9.  Aufl.  (F.  A.  Perthes)  (8) 112 


X  Inhalt. 

Seite 

Brosin-Heitkamp,  V.  Bach  X— XII,  2.  Anfl.  (ebenda)  (12)  .     ...  127 

Deuticke  s.  Ladewig. 

Fickelscher  er  s.  Kappes. 

Heitkamp  s.  Brosin. 

Kappes,  K.,  Vergils  Aeneide  für  den  Schulgebrauch    erklärt.     I.  Boch 

I— III.     6.  AaO.  von  M.  Fickelscherer  (Teubner)  (9)  .     .     .     »  112 

Lad  ewig,  Th.,  and  C.  Seh  aper,  Vergils  Gedichte  erklärt.  3.  Bändchen: 
Buch  VII— XII  der  Aeneis;  9.  Anfl.  von  P.  Deuticke  (Weid- 
mann) (11) 125 

Norden)  K.,  Aeneis  Boch  VI  erklärt  (10)      . 115 

Sander,  J.,    Schülerkommentar   zu  Vergils  Aeneis  in  Auswahl.    Erste 

Aufl.  (zweiter  Abdruck),  Frey  tag  (13)  ......     ,     .    .    »  130 

III.  Einzelne  Beiträge  zur  Ineis. 

Bayard,  L.,    Le   motte   atque  facetum  de  Vergile  d'apres  Horace  Sat. 

1  10,  44.     Rev.  de  Phil.  1904  (27) 139 

Draheim,  H.,  II  325.     WS.  f.  klass.  Phil.  1904  (18) 133 

Endt,  J.,  Botenbericbte  bei  Vergil  und  Ovid.  Wiener  Stod.  1903  (26)  139 
Groß,  E.,   Studien   zu  Vergils    Aeneis,   z.T.  mit   Hinweisen    auf   die 

deutsche  Literatur.     Progr.  Nürnberg,  Neues  G.  1904  (17)  .     .     .  131 
Ihm,  G.,  Vergilstudien  III.     Progr.  Gernsheim  R.  1904  (19)       ....  133 

Karsten,  H.  T.,  De  Aeneidos  libro  III.     Herrn.  1904  (20) 133 

Kirk,  W.H.,   Notes  o'n  the  first  book  of  the  Aeneid.     Americ. journ. 

of  Phil.  1904  (15) 130 

Labande,  L.  H.,  und  Heron  de  Villefosse,  Les  mosaiques  romaines 

de  Villelaure  (Vanclose).     Bull,  archeol.  1903  (22) 136 

Nestle,    E.,    Zur    Erklärung    des    Wortes   Sibylle.      Berl.    phil.  WS. 

1904  (23) ,     ...  136 

Pascal,  C,  Vergiliana.     Boll.  di  fil.  class.  1904  (16) 131 

Ra  derma  eher,  L.,  Das  Jenseits  im  Mythos  der  Hellenen  (24)  .  .  .  136 
Vassis,  S.  («=  Z.Bdorig),  Ad  Vergili  Aee.  lib.  I.  li&rjvä  1904  (14)  130 
Verrall,  A.  W.,    The  metrical  division  of  Compound  words  in  Vergil. 

The  class.  rev.  1904  (28) 139 

Villefosse  s.  Labande. 

Volkmann,  W.,  Die  Nekyia  im  VI.  Buche  der  Aeneide  Vergils.   Jahresb. 

d.  schles.  Ges.  für  vaterl.  Kultur  1903  (auch  im  Sonderdruck)  (25)  136 
Wa geningen,J.  van,  De  Mercnrio,  qui  ipu^ono/unos  dicitur.    Mnemos. 

1904  (21) 135 

IT.  Znr  Appendix  Vergiliana  und  Serviana. 

Curtio,  Gaetano,  Emendamenti  al  testo  dei  „Catalepton"  della  „Copa" 

e  del  „Moretum".     Riv.  di  fil.  1905  (31) 141 

Sabbadini,  R.,  Emendamenti  ai  Catalepton.  Boll.  di  fil.  class.  1903  (29)  139 
— ,  [P.  Vergili  Maronis]  Catalepton  Priapea  et  epigrammata  edidit  R.  S. 

in  usum  scholae  Mediol.  (30) 139 

— ,  Partenio  e  il  „Moretom".     Riv.  di  fil.  1903  (32) 142 

— ,  Per  ua  glossario  Vergiliano.     Riv.  di  fil.  1903  (33) 142 


Horatius 

von 
H.  ROM. 


I.   Ausgaben  und  Kommentare. 

Häußner  s.  Keller. 

Huemer,  Joh.,  Carmina  selecta,  für  den  Schulgebrauch  herausgegeben. 

6.  Aufl.  (Holder)  (6) 63 


I  aha  lt.  X| 

Seite 
Keller,  0.,   Pseudacronis  scholia  in  H.  vetustiora   recensuit. .  VoL  II: 

scholia  ia.  sermones,  epistulas  artemque  poeticam  (8) 64 

— ,  und   J.  Häußner.      Q.  Horatias   Flaccus.      Für  dem  Schulgebrauch 

herausgegeben.     3.  Aufl.  (Freytag)  (1) 56 

Krüger,  G.  T.  A.,   Satireo    uBd    Epistel d,   für  den  Schalgebrauch   er- 
klärt.   I.  Satiren,  15.  Aufl.  v.  G.  Krüger  (Teubner)  (4)  ....     58 
L  e  j  a  y  s.  Plessis. 
Ludwig,  H.,    Präparatiao    zu    Q.  Horatius    Flaccus'    Satiren.     1.  Heft. 

ß.  1.  .(Teubner)  (7) .     .     .    . 63 

Plessis,  F.,  et  Lejay,  P.,  Oeuvres  d'Horace  (3) ,5t 

Rosenberg,  E.,  Die  Oden  und  Epoden,  für  den  Schulgebrauch  erklärt. 

4.  Aufl.  (F.  A.  Perthes)  (5) 62 

Schulze,  K.  P.,  Horaz.   Auswahl  f.  d.  Schulgebrauch.  II.  Anmerkungen. 

2.  Aufl.  (Weidmann)  (9) £5 

Wickham,  E.  C.%   Horace,    vol.  If,    The  Satires,  Epistles  and  de  arte 

poetica,  with  a  commentary  (2)    .... 57 

II.  Übersetzungen. 

van  Hoffs,  s.  Vogt.- 

Lehmann/  O.,    Ausgew.  poetische    Übersetzungen,    Progr.  Wittstock 

1904  (15). 73 

Ludwig,  H.,  Satiren,  übersetzt  (10) 68 

Menge,  H.,  Die  Oden  und  Epoden  des  H.  für  Freunde  klassischer 
Bildung,  besonders  für  die  Primaner  uoserer  Gymnasien  bear- 
beitet.    3.,  durch  erklärende  Anmerkungen  vermehrte  Auflage  (14)     71 

Pasini,  F.,  Una  versione  Oraziana   inedita   di  Clementino  Vannetti. 

Progr.  Capodistria  1903  (12) 70 

Puccianti,  G.,  Saggio  di  traduziooi  da  Catullo,  Orazio  e  Tibullo  (13)     70 

Vogt,   E.  und  F.  van  Hoffs,  Satiren  des  H.,  im  Versmaß  des  Dichters 

übersetzt.     2.  Aufl.  von  F.  van  Hoffs  (16) 73 

Wickhain,  E.  C,  Horace   for  English   readers,   being  a  translation  of 

the  poems  of  Q.  Horatius  Flaccus  ioto  English  prose  (11).     .     .     69 

III.  Abhandlungen. 

Allen,  S.,  Ep.  I  2,31.     Class.  Rev.  1903  (33)    .........  84 

Boissier,  G.,  Nouvelles  promenades  archeologiques.  Horace  et  Virgile. 

5«  6d. :  p.  1 — 62:  La  maison  de  campagne  d'Horace  (53)      ...  99 

Bulle,  C,  Die  Archytas-Ode  und  der  Mons  Matinus.    Philol.  1898  .     .  78 

Caccialanza,  Ph.,  Zu  Hör.  Od.  II  7,  10.     Riv.  di  fil.  1902  (24)      .     .  81 

Curcio,  C,  Le  invocazione  nell'  arte  poetica.  Riv.  di  fil.  1902  (26)  .  81 
Domaszewski,  A.  v.,  Der  Festgesang  des  H.  und  die  Begründung  des 

Prinzipates.     Rh.  Mus.  1904  (51) 98 

Dorsch,    J.,    Mit    H.  von    Rom    nach    Brindisi.     Progr.  Prag- Altstadt, 

Staats-G.  1904  (47) 93 

Earle,  Mort.  Lamson,   De   Hör.  serm.  I  1.     Revue  d.  phil.  1903(28)  82 

—,  Zu  Hör.  Od.  I  2;  ebenda  1903  (29)  .          83 

Ensor,  E.,  On  the  allusions  in  Horace,  Od.  I  14.  Class.  Rev.  1903  (31)  83 

— ,  On  Horace,  Od.  IV  8,  13—22.     ebenda  1903  (37) 86 

Gilbert,  W.,  Zu  Horaz'  Oden.     Rh.  Mus.  1904  (57) .     .  101 

Heraeus,  W.,  Zur  Kritik  und  Erklärung  von  Porphyrios  Horazscholien. 

Philol.  1900  (20) 79 

Hoffmann,  O.  A.,  War  Horaz  Jäger?     MS.  f.  höh.  Seh.  1904  (55)    .     .  100 

Jurenka,  H.,  Zur  Würdigung  der  Römeroden  des  H.;  Philol.  1898(17)  76 
Kampfhenkel,  O.,  Die  Symmetrie  als  Kunstgesetz  bei  Horaz.     Progr. 

Friedeberg  Nrn.,  1904  (45) .90 

Kieroriski,  L.,  Quid  Horatius  de  sua  carininum   et  sermonnm  compo- 

oendorum  ratione  praedieavisset  exposuit  L.  K.<  Progr.  Buczacz, 

G.  1902  (23) . 81 


xn  Inhalt. 

Seite 

Knapp,  Gh.,  On  Horace,  Od.  III  30, 10—14.     Class.  Rev.  1903  (30)  .    .  83 
Kreppel,  D.,  {Der  Zyklus  der  Horazischen  Römeroden.    II.  Die  dritte 

Ode.     Progr.  Kaiserslautern,  G.  1904  (48)     . .94 

Leo,   F.,    Livias    und    Horaz    über   die    Vorgeschichte    des    römischen 

Dramas;  vgl.  Livias  N.  19.     Herrn.  1904  (46) 93 

Lucas,  H.,  Die  Herkunft  Bions  und  Horazens.     Philo  1.  1899  (19)     .     .  78 

— ,  Die  Neunzahl  bei  H.  und  Verwandtes.     Ebenda  1900  (21)  ....  79 
Matschky,  Tb.,  Bemerkungen  zur  Lektüre  des  Horaz.     Progr.  Kroto- 

schin,  G.  1904  (44) •.     .     .  89 

Meiser,  K.,  Zu  Hör.  sa4.  I  4,  35.     ßl.  f.  d.  GSW.  1904  (54)    ....  9» 
Plüß,  Tb.,  Das   iambenbuch  des  H.  im  Lichte  der  eigenen  und  unserer 

Zeit  (50) 95 

Psichari,  M.,  Index  raisonne"  de  Ja  mythologie  d'Horace  (52)     ...  98 
Rasi,  P.,  Di  Lucilio  rudis  et  Graecis  intacti  earminis  auctor.     Riv.  di 

■  iL  1903  (27).     .    .     .    • 82 

Sabbadioi,  R.,  Orazio  «.  III  5.     Riv.  di  fil.  1902  (25)   ......  81 

Schloßmann,  S.,  Zu  Hör.  serm.  II  1,  79  ff.     Rh.  Mus.  1904  (58)     .     .  101 

Sonnenburg,  P.  £.,  De  Horatio  et  Pollione.     Rh.  Mus.  1904  (56)  .     .  100 

Sonnenschein,  £.  A.,  The  Latin  Sapphic.     Class.  Rev.  1903  (34)  .     .  -85 
Stadler,   K.,    Horaz  -  Kommentar ;   U.    Die    Gedichte    auf   sich  selbst. 

Progr.  Berlin,  Margareten-Scb.  19U4  (43) 88 

Stemplinger,  E.,  Ronsard    und    der  Lyriker  Horaz.     Eine  Quellen- 
studie.    Z.  f.  frz.  Spr.  u.  Lit.  1903  (39)  ....*.....  87 

— ,  Herder  und  Horaz.     Bl.  f.  d.  GSW.  1903  (40)     .........  87 

— ,  Joachim   du    BeJlay  und   Horaz.     Archiv  f.  d.  Stud.  d.  neueren  Spr. 

u.  Lit.  1904  (41) 87 

— ,  Horaziscbe  Motive  in  der  Flucht  der  Zeiten.     Stnd.  z.  vergl.  Litg. 

1904  (42) . 88 

Thompson,  E.  Seymer,  The  Latin  Sapphic.     Class.  Rev.  1903  (36)  85 

[Vahlen,  J.,]  Zu  Od.  IV  4.    Ind.  lect.  Berol.  hib.  1904/5  (49)      ....  95 

Ve rra  11 ,  A.  W.,  The  Latin  Sapphic.    Class.  Rev.  1903  (35)    ....  85 

Walters,  W.  C.  F.,  Note  on  Horace.     Class.  Rev.  1903  (32)  ....  84 
W.illenbüchcr,  H.,  Bemerkungen  zur  Lektüre  des  ersten  Baches  der 

Oden  des  Horaz.     Lehrpr.  u.  Lehrg.   1903,  H.  76  (38)     ....  86 
Winterfeld,  P.  v.,  Wie  sah  der  Codex  Blandinius  vetustissimus  des 

Horaz  aus?     Rh.  Mos.  1905  (59) 102 

Zielinski,  Th.,  Marginalien.     Philol.  1901  (22)  .     .......  80 

Verzeichnis    der    Schriften,    die  dem  Berichterstatter    nicht  vor- 
gelegen haben 102 

L.  Reinhardt  (Wohlau),  Was  heißt  vinci  dolentem  c.  IV  4,62?     .     . 


L  i  viu  s 

von 
H.  J.  Müller. 


Verzeichnis  von  Anzeigen  früher  besprochener  Schriften.     ...       1 

I.  Ausgaben. 

Abrens,  F.  J.,    Auswahl  aus  der  V.Dekade  (B.  42/45),    Der  Krieg  mit 

Perseus  (F.  A.  Perthes)  {7)  . 10 

Deiter,  H.,    Übungen    zum    Übersetzen    im    Anschluß   an    Buch  XXII 

(O.  Goedel)  (2) 4 

Grenfell,  B.  G.,  and  A.  S.  Hunt,  The  Oxyrhynehos  Papyri  Part  IV  (11)    24 


Uli  alt.  XIII 

Seite 
Jordan,  V.,  Aasgew.  Stacke  ans  d.  3.  Dekade.     MitJAnmerkuogen  f.  d. 

Schulgebranch   herausgegeben.      Neubearbeitet    von    C.   Mino  er 

und  H.  Planck  (Bonz)  (5); 6 

Kornemann,  E.,    Di«    neue  Livius- Epitome  aus  Oxyrhynchos.     Text 

und  Untersuchungen  (ßeitr.  z.  alten   Geschichte  1904,  Heft  2  und 

in  Sonderausgabe)  (12) 30 

Luterbacber,  F.,    T.  Livi  au.  c.  Hb.  XXIf.    Für  den  Schulgebrauch 

erklärt.     6.  Aufl.  (F.  A.  Perthes)  (1) 1 

— ,  N.  phil.  Rundschau  1904  (8) 17 

Min  ner  s.  Jordan. 

Planck  s.  Jordan. 

Scheindler  s.  Zingerle. 

Schmidt,  A.,  Schülerkommentar  zn  Liv.     B.  I,  II,  XXI,  XXII  nnd  den 

Partes  Selecta*  (nach  der  4.  Aufl.  der  Ausgabe    von  A.  Zingerle) 

2.  Aufl.  (F.  Tempsky)  (4) 5 

"T raube,  L,  Paläographische  Forschungen.     IV:  Bamberger  Fragmente 

der  4  Dekade.     Anooymns  Gortesianus  (6)     .    , 8 

Zingerle,  A.,  T.  Livi  au.  c.  libri  I.  II.  XXI.  XXII.    Adiunctae  sunt 

partes  sei.  ex  libr.  III— VI.  VIII.  XXVI.  XXIX.    Unter  Mitwirkung 

von    A.  Scheindler   für    den  Schulgebrauch   herausg.  v.  A.  Z. ; 

6.  Aufl.  (G.  Freytag)  (3) 4 

— ,  Zum  44.  Bncbe  des  Livius.    Sitzungsber.  d.  Kaiserl.  Akad.  d.  Wiss. 

z.  Wien,  phil.-bist.  Kl.  Bd.  CXLVJfl  und  in  Sonderausgabe  (9)      .19 
— ,  T.  Livi  a.  u.  c.  libri.     Pars  VII,   fasc.   IV.     Liber  XXXXIV.    Bd. 

minor  (F.  Tempsky  u.  G.  Frey  tag)  (10) 23 

Ausländische   Literatur,    die    dem  Berichterstatter    nicht   vorge- 
legen hat 34 

II.  Beiträge  zur  Kritik  nnd  Erklärung:. 

Azan,  P.,  Annibal  dans  les  Alpes  (22) 42 

BdorjcZ,  Zu  XXXIV  32,  13.  \4&vva  1904  (13) 35 

Dusanek,    F.,    De    formis    enuntiationum    coodiciooalium    apud    Livium 

(Gonclusio).     Ceske*  mus.  filologicke*  1904  (16) 37 

Fuchs,  J.,  Haanibal  in  Mittelitalien.  Wien.  Stud.  1905  (23)  ...  43 
Lease,  E.  B.„    Livy's    use  of  arunt,  erunt   and  ere.    Amer.  Journ.  of 

Phil.  1903  (17) .38 

Leo,  F.,    Livius    und    Heraz    über   die   Vorgeschichte    des   römischen 

Dramas.     Herrn.  1904;  vgl.  Horaz  N.  46  (19) 40 

JLuter  bacher,  F.,  Der  Prodigenglaube    und  Prodigienstil  der  Römer. 

Progr.  Burgdorf  (Schweiz)  G.  1904  (21) 41 

Reissinger,  K.,  Ober  Bedeutung  und  Verwendung  der   Präpositionen 

ob  nnd  propter.     Teil  I.    Progr.  Landau  1897.  —  Teil  II.     Progr. 

Speyer  19Ü0  (15) •     .     .     36 

Steel e,  H.  B.,  The  historkal  attitude  of  Livy.     The  Amer ic.  Journ.  of 

Phil.  1904  (18) 39 

Thesauras  Linguae  Latinae  Vol.  I:  affinere  und  afluere  (14)  .  .  35 
Wüekler,  L.»  die  geschichtliehe  Entwicklung  des  Prodigienwesens  bei 

den  Römern.     Studien  z.  Geschichte  und  Überlieferung  4er  Staats- 

prodigien.     Diss.  Leipzig  1903  (20).     ." 40 

R.  Oefcler: 

Azan,  P.,  vgl.   N.  22 49 

JStraehan-Davidson,   J.  L.,  The    passages   of  the   Alps  by  Pempey 

.     and  Hanoibai  (Appendix  seiner  Appianausgabe) 54 


XIV  Inhalt 

Seit« 

Tacitus 
(mit  Ausschluß  der  Germania) 

über  das  Jahr  1904/1905. 

von 

0-.  Andresen. 

I.  Ausgaben. 

Andresen  s.' Nipperdey. 

Anzeigen  älterer  Ausgaben  (Heraeus,  Koaut,  J.Müller,  Müller- 
Christ,  Ramsay,  Rossi,  Weiduer-Laoge)  (3) 296 

Loiseau,L.,  Tacite.  Les  Annales,  traduction  nouvelle  mise  au  coufant 
des  travaux  recents  de  la  philologie  par  L.  L. :  preTace  de  J.  A. 
Hild  (2) 295 

Nipperdey,  K.,  P.  Cornelias  Tacitus  erklärt.    I.  Ab  exe.  Divi  Augusti 

I— VI.     10.  Aufl.  von  6.  Androgen  (Weidmann)  (1)      ....  29a 

.II.  Tacitus  als  Schriftsteller. 

Anzeigen  älterer  Schriften  (Boissier,  Consoli,  Fabia  (bis),  Kröfce), 

Stein)  (9) . 305 

Bauer,  W.,    Die  Verfasser-  und  Zeitfrage  des  dialogus  de  oratoribns. 

Frogr.  Hattingen  (Rohr)  1905  (4) 297 

Bretschneider,  C,  Quo  ordine  ediderit  T.  singulas  Aonalium  partes. 

Diss.  Argentor.  1905  (8) 301 

Cima,  A.,  La  tragedia  roiuaoa  Octavia  e  gli  Annali  di  Taoito  (5)  .  .  299 
Lengsteiner,  J.,  Zn  Tacitus.  Progr.  Kalksburg  1903  (6)  ....  299 
Profumo,  A.,  Le  fonti  ed  i  tempi  dello  incendio  Neroniano  (7)      .     .  300* 

III.  Historische  Untersuchungen. 

Anzeigen    älterer   Schriften    (Bartels,   Ferra ra,   Henderson,  Hof- 

bauer,  Valmaggi,  Willems)  (27)    . 31» 

Chabert,  S.,  Le  tremblement  de  terre  de  Pompäi  et  sa  date  vcritable 

(5  ftvr.  62  ap.  J.  C).    Melanges  Boissier  (19) 3*5 

Domaszewski,  A.  v.,   Die    Heimat   des    Cornelius   Fuscus.    Rh.  Mus. 

1905  (21) 315 

— ,  ßatavodurum.     Korr.-Bl.  d.  Westd.  Z.  f.  Gesch.  n.  Kunst  1904  (25)   .  317 

Düozelmann,  E.,  Aliso  und  die  Varusschlacht  (12) 308 

Fabia,  Ph.,  Domitien  ä  Lyon.  Revue  d'histoire  de  Lyon  1905  (26)  .317 
Farel,  A.,  Seoeque  d'apres  Tacite.  Rev.  chrätienne  1904  (17)  .  .  .  314 
Gardthausen,  V.,  Augustus  und  seine  Zeit.  I  3.  II  3  (10)  .  ...  306 
Hülsen,  Chr.,  Konsularfasteo  aus  Kampanien.    Mitt.  d.  Kais.  Deutsch« 

arch.  Inst,  Rom.  Abt.  1904  (15) 311 

Kappelmacher,  A.,    Eprius   Marcellus   und    Quintilian.     Wien.  Stud. 

1905  (22) 316 

Knox,  R.  Mc.  Eldery,    Some    notes   upon  Roman  Britain.  Class.  rev. 

1904  (28) 316 

Koepp,  F.,  Die  Römer  in  Deutschland  (Monographien  znr  Weltgeschichte 

XXII)  (11) 806 

Kolbe,  W.,  Die  Grenzen  Messeniens  in  der  ersten  Kaiser  zeit.    Athen. 

Mitt.  1904  (14) 310 

Körber,  Römische  Inschriften  und  Skulpturen.  Westd. Korr.  1905  (20)  315 
Maynial,  E.,    A  propos   des   salutations    imperiales    de  Neron.    Rev. 

archeol.  1904  (18) 314 


Inhalt.  X¥ 

Saite 
Moritz,  E.,    Die   geographische  ßenntnis   von  «Jen  Nord-  and  Ostsee- 
käste d    bis    zum  Ende   des  Mittelalters  I.     Progr.  Berl.  Sophien- 

schule  1904  (24) 816 

Schott,  W.,   Studien    zur    Geschichte   des   Kaisers   Tiberius.     Progr. 

Bamberg.     K.  neues  Gymn.  1904  (13) 309 

Ta übler,  E.?  Die  Partheroachrichten  bei  Josephus  (16)  .     ,     .     ,     ,    f  31? 

IT.  Sprachgebrauch. 

Macke,  R.,    Die   römischen  Eigennamen  bei  Tacitus.    V.  Ejoe  sprach- 
liche Untersuchung.    Progr.  Königshütte  1905  (28)    .     .     .     .     .319 

.  ,    .    .    .Y.  Handschriftliches. 

Philipp,  G.,   Ober  die  Mailänder  und  die  Venediger  Hb.  zum  Dialog 

des  Tacitus.     Wien.  Stud.  1905  (31) 322; 

Ramorino,   F.,   De   codice  Taciti  Aesino   nuper   reperto.     Atti    del 

congresso  ioternazionale  di  scienze  storiche.    Estratto  del  Vol.  II. 

Sezione  1:    Storia  antica  e  fil.  classica  (29) 32Q 

Sabbadini,  R.,  Spogli  Ambrosiani  latini.     Studi  italiani  di  fil.  class. 

1908  (30) 321 

W  i  s  s  o  w  a ,    G.,   Zur  Beurteilung   der  Leidener  Germaniahandschrift. 

Festschr.  d.  phil.  V.  in  München  (32) 322 

Tl.  Textkritik  und  Erklärung:. 

Anzeigen  älterer  Schriften  (Dienel,  Ussani,  Zöchbauer)  (46)  332 
Aodresen,  G.,  Zu  Tacitus1  Annalen.     WS.  f.  klass.  Phil.  1905  (42)   .  329t 

Bücheier,  F.,  Lepcis.     Rh.  Mus.  1904  (44) 33fr 

Fabia,  Ph.,  Tac.  Ann.  XIV  10.  WS.  f.  klass.  Ph.  1905  (43)  ...  330 
Heraus,  W.,  Tacitus  und  Sallust.    Arch.  f.  lat.  Lex.  u.  Gramm.  1905  (39)  327 

— ,  Lepcis  neben  Leptis.     Ebenda  1905  (44) 330t 

Knapp,  Gh.,   Note  on  Tacitus  Agr.  31,5.    Proceedings   of  the  thirty- 

fourth  annual  session  of  the  Americ.  phil.  association  1902  (33)  324 

Kr6zel,  J.,  Ad  Taciti  Ann.  I  35,  14.     Eos  XI  (37) 326. 

Musotto,  G.,  Intorno  alla  tradizione  della  morte  di  Germanico,  figlio 

di  Druso,  presso  Tacito,  Dione  Cassio  e  Suetonio.  —  Una  nuova 

contraddizione  negli  Annali  di  Tacito  al  libro  I  40  und  41.    Riv. 

di  stör.  ant.  IX  (38) 32fr 

Stangl,  Th.,  Zur  Textkritik   der  Annalen  des  Tacitus.     WS.  f.  klass. 

Phil.  1905  (40) 827 

Valmaggi,   L.,    Tacitiana.    Estr.  dagli  Atti  della  R.  Accademia  delle 

Scienze  di  Torino  vol.  XI  1905   (35) 324 

— ,    Di   uo  passo  interpolato  nelle  Storie  di  Tacito.     Atti  d.  R.  Accad. 

di  sc.  di  Torino  XXXIX  (36) 32& 

Walters,  W.  C.  F.,  Agric.  46.     Class.  Rev.  1905  (34) 324 

Waltz,  R ,  Zu  Ann.  XI  4,  XII  65,  XIII  26.  Rev.  de  phil.  XXIX  (41)  328 
Wolff,  E,  Bericht  über  die  Tacitusliteratur  1896—1903.    Bursians  JB. 

1904  (45) 331 

TU.  Tacitus  in  der  Schale. 

Strobl,  A.,    Zur  Schullektüre    der  Annalen  des  Tacitus.    Fortsetzung. 

Progr.  Innsbruck.  Staats- G.  1905  (47)  .     .     .     • 332 


xvi  loh  alt. 

Seit« 

Tacitus'   Germania. 

yoo 
U.  Zernlal. 

Krause,  E.,  Übungen  zum  Obersetze q  im  Anschloß  an  Tacitus'  Germania 

(0.  Goedel)  (2) 876 

Macke,  R.,  Die  römischen  Eigennamen  bei  Tacitns.  V.  Eine  sprach« 
liehe  Untersuchung.  Progr.  Kb'uigshütte  1905.  Vgl.  Andresen 
N.  2«  (1)  ............ ;    .  376 

Ram-ori  no,  F.,  De  codice  Taciti  Aesino  usw.    (s.  o.  Andresen  N.  29)  (4)  380 

Wissowa,    G,,    Zur    Beurteilung    der    Leidener   Germania -Hs.     (s. 

Andresen  N.  32)  (3)  .     .     .     .     .    . 379 


1. 

Livius. 


Von  den  in  meinen  früheren  Jahresberichten  besprochenen 
Livius -Ausgaben  und  auf  Livius'  Geschichtswerk  bezuglichen 
Schriften  sind  einige  inzwischen  auch  an  anderer  Stelle  besprochen 
wordeu.  Ich  erwähne  im  folgenden  diejenigen  Rezensionen,  die 
zu  meiner  Kenntnis  gelangt  sind. 

Livius  Bach  7—10,  Textaasgabe  von  M.  Müller  (W.  0.,  Württ.  Korr. 
ßl.  X  S.  351).  —  Li  via  s'  Römische  Geschichte  im  Auszüge  herausgegeben 
vod  Fügner  (F.  Müller,  Berl.  pbil.  WS.  1903  Sp.  1660;  J.  Golliog,  Zeitschr. 
f.  i.  österr.  Gyma.  1904  S.  638—640;  W.O.,  Württ.  Korr.  ßl.  X  S.  351; 
L.  Frey  tag,  Päd.  Archiv  1904  S.  484).  —  Livius  Bach  21,  herausgegeben 
vod  Luterbacher,  7.  Auflage  (W.  0.,  Württ.  Korr.  Bl.  X  S.  351).  —  Li  vius 
Buch  41—43,  herausgegeben  von  Ziogerle  (Lit.  Zeotralbl.  1903  Sp.  983— 
984).  —  Livius,  Auswahl  aus  der  1.  and  der  3.  Dekade  von  P.  Mever 
(F.  Müller,  Gymo.  XXI  S.  19;  Berl.  phil.  WS.  1903  Sp.  1660).  —  Deiter, 
Übungsstücke  zum  Übersetzen  im  Anschluß  an  Livius  Buch  21  (F.  Müller, 
Berl.  phil.  WS.  1903  Sp.  1501;  A.  Reckzey,  WS.  f.  klass.  Phil.  1904  Sp.  773). 
—  Schmidt,  Beiträge  zur  Livianischen  Lexikographie  IV  (Archiv  f.  lat. 
Lex.  XIII  S.  588;  K.  Strecker,  N.  Jahrb.  1904,  II  S.  478—480;  A.  Zingerle, 
Zeitschr.  f.  d.  österr.  Gymn.  1904  S.  412). 

I.   Ausgaben. 

1)  T.  Livii  ab  urbe  condita  über  XXII.  Für  den  Schalgebrauch  erklärt 
von  F.  Luterbacher.  Sechste,  verbesserte  Auflage.  Mit  einer 
Karte.     Gotha  1904,  F.  A.  Perthes.     IV  u.  123  S.    8.    1,20  Jt. 

An  vier  Stellen  hat  der  Herausgeber  neue  Lesarten  in  den 
Text  gesetzt.  12,  6  liest  er  jetzt  prudentiam  quidem  not  am  die- 
tatoris  (nach  eig.  Verm.),  indem  er  in  notam  den  Gegensatz  zu 
hauddum  expertus  sieht  und  hinzufugt:  „Hannibal  wußte  längst, 
daß  Fabius  den  Tib.  Sempronius  und  C.  Flaminius  an  Besonnen- 
heit weit  übertraf".  Nach  dieser  Erklärung  wird  der  Leser  ge- 
neigt sein,  notam  im  Sinne  von  „allgemeinbekannt"  zu  nehmen, 
nicht  als  Gegensatz  von  hauddum  expertus;  auf  letzteres  weist  aber 
der  Zusammenhang  hin.  Denn  Hannibal  hat  Fabius1  Verhalten  bei 
Arpi  (§  4)  sofort  richtig  gewürdigt.  Sehr  ansprechend  war  not)i, 
was  Gr.  vorschlug,  nur  daß  der  Begriff  „neu",  auf  den  die  Über- 

JfthrMberiehte  XXXf.  1 


2  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

lieferung  (nonuim)  fuhrt,  zu  dem  Ausdruck  „Diktator"  nicht  recht 
passen  will.  Wölfflin  nimmt  hieran  keinen  Anstoß  und  liest 
novi  dictatoris*  Gr.  vermutete  novi  auctoris  (vgl.  61,  5);  ich  habe 
an  novi  imperatoris  extemplo  gedacht  und  angenommen,  ein  zur 
Erklärung  übergeschriebenes  dictatoris  habe  die  Korruptel  verur- 
sacht; Luchs  hat  die  Wörter  non  vim  'ut  insitiva'  gestrichen,  und 
vermißt  wird  nach  ihrer  Entfernung  allerdings  nichts.  —  17,  2 
schreibt  Ltb.  nach  eig.  Verm.  calorque  tarn  ad  vivum  ad  inti- 
maque  cornua  veniens  =  an  die  Wurzeln  der  Hörner,  wo  man 
doch  eher  infimaque  erwartete,  was  den  Gegensatz  zu  dem  obersten 
Teil,  den  Spitzen,  der  Hörner  richtiger  bezeichnen  würde.  Es  ist 
auch,  glaube  ich,  an  der  Wiederholung  der  Präposition  Anstoß 
zu  nehmen,  da  man  nicht  recht  erkennt,  inwiefern  mit  ad  .  .  . 
cornua  etwas  Besonderes,  „Steigerndes"  hinzugefügt  wird,  und 
der  Gedanke  liegt  nahe,  daß  die  unverständlichen  Buchstaben  diu 
eine  fälschliche  Wiederholung  aus  dem  unmittelbar  vorhergehenden 
adutuom  seien.  Nach  deren  Streichung  ließe  sich  aus  atimaque 
cornua  vielleicht  atque  ima  cornua  machen.  —  21,  4  liest  Ltb. 
nach  eig.  Verm.  ut  tumultariam  manum  fudere,  multis  occisis, 
quibusdam  captis  .  .  .,  klar  und  verständlich;  sicher  könnte  Livius 
so  geschrieben  haben.  Aber  die  Überlieferung  (P ')  lautet  momnis, 
und  daraus  entwickelt  sich  multis  nicht  gerade  einfach.  In  dem 
ersten  Buchstaben  das  Zahlzeichen  für  1000  zu  sehen  (Mg.),  hat 
doch  viel  für  sich,  weil  der  Schriftsteller  gern  so  bestimmte  An- 
gaben macht,  während  hominibus  (Hwg.)  unsicher  und  wohl  durch 
P2  (omnibus)  veranlaßt  worden  ist.  Sollte  an  mitte  omnino  occisis 
zu  denken  sein?  —  27,8  nimmt  Ltb.  die  Überlieferung  des  P  in 
Schutz,  die  von  den  neueren  Herausgebern  nach  dem  Vorgange 
von  Burmann  und  Mg.  abgeändert  worden  ist.  Bei  diesen  liest 
man:  omnia  fortunam  eam  habitura,  quamcumque  temeritas  collegae 
habuisset,  dem  Sinne  durchaus  entsprechend ;  denn  Fabius  will  auf 
den  Vorschlag  des  Minucius  (§  6 — 7)  nicht  eingehen,  weil  dann 
zeitweilig  das  Schicksal  des  Ganzen  {omnia  steht  mit  Betonung 
an  der  Spitze  des  Satzes)  von  der  Unbesonnenheit  des  Kollegen 
abhängen  würde.  Dazu  paßt,  was  er  §  8  hinzufügt:  er  wünsche 
die  Teilung  des  Heeres,  damit  er,  da  er  das  Ganze  nicht  zu  retten 
vermöge,  wenigstens  das  rette,  was  zu  retten  ihm  möglich  sei. 
Bei  Ltb.  steht  im  Text:  omnia  enim  fortunam  habituram,  quae- 
cumque  temeritas  collegae  habuisset  (enim  fortunam  nach  g;  P  hat 
fortunam  enim),  und  dazu  wird  als  Erklärung  gegeben:  „alles,  was 
dem  unbesonnenen  Minucius  gegeben  wird,  ist  dem  Glück  über- 
geben, dessen  Laune  alles  beherrscht".  Der  Gedanke  wird  manchem 
Leser  etwas  dunkel  vorkommen.  Wenn,  worauf  Ltb.  verweist, 
fortuna  in  omni  re  dominatur  (Sali.  Cat.  8, 1),  so  steht  doch  auch 
das,  was  einem  besonnenen  Feldherrn  übergeben  oder  was  von 
ihm  auf  Grund  des  ihm  übergebenen  Imperiums  unternommen 
wird,  unter  dem  Einfluß  der  dominierenden  fortuna,  und  wie  ver- 


Li  vi  us,   von  H.  J.  Müller.  3 

steckt  liegt  das  alles  in  den  Worten  fortuna  omnia  habebit,  quae- 
cumque  .  .  .  ?  Daß  forlunam  an  dieser  Stelle  Subjekt  ist,  ergibt 
sich  nach  Ltb.  „bestimmt  aus  29, 1,  wo  Fabius  sich  auf  diese 
Worte  beruft";  zu  29,  1  ita  est  merkt  er  an:  „Da  haben  wirV4, 
nachdruckliche  Bestätigung  einer  schon  früher  (nämlich  27, 8) 
ausgesprochenen  Behauptung.  Allein  man  kann  eigentlich  nicht 
sagen,  daß  etwas  früher  Ausgesprochenes  bestätigt  werde;  hier 
handelt  es  sich  nur  darum,  daß  eine  Befürchtung  von  ihm  sich 
frühzeitig  erfüllt,  eine  Befürchtung,  die  Fabius  natürlich  von  An- 
fang an  gehegt,  aber  doch  nicht  bestimmt  ausgesprochen  hat.  Freilich 
diesen  Sinn  („ich  habe  gefürchtet,  daß  das  Unheil  so  schnell  die 
Unbesonnenheit  ereilen  werde")  will  Ltb.  an  dieser  Stelle  nicht  zu- 
lassen und  glaubt  ihn  dadurch  auszuschließen,  daß  er  hinter  temeri- 
tatem  ein  Fragezeichen  setzt.  Nach  ita  est  erwartet  man  aber  eher 
einen  Aussagesatz  als  einen  Fragesatz,  in  einem  Fragesatz  eher 
nonne  als  non  (trotz  5,53,8);  am  besten  würde  non fehlen,  und  Lipsius 
hat  es  getilgt,  um  Übereinstimmung  mit  Plutarch  herbeizuführen. 
Für  den  Schüler  ist  auch  die  Bemerkung  zu  27,  9 :  „daher  ist 
der  lateinische  Ausdruck  richtiger"  nicht  recht  verständlich  und 
sicher  entbehrlich.  Kurz,  an  diesen  beiden  Stellen  wären  einige 
weitere  Worte  zur  Aufklärung  und  Förderung  des  Verständnisses 
erwünscht. 

Den  Kommentar  hat  der  Hsgb.  von  neuem  durchgesehen  und 
dabei  besonders  auf  den  zweiten  Band  von  Nissens  Italischer 
Landeskunde  Bücksicht  genommen.  Sehr  zu  billigen  ist  das 
Streben  nach  Kürze  in  den  Anmerkungen;  aber  hier  und  da 
sollte  doch  etwas  hinzugefügt  werden,  um  einer  verkehrten  Auf- 
fassung vorzubeugen.  1,  1  könnte  der  Schüler  die  Worte  „wie 
Pyrenaeus,  die  Pyrenäen"  so  verstehen,  als  wenn  auch  Pyrenaeus 
stets  Singular  sei,  während  er  doch  21,23,1  Pyrenaeis  montibus 
gelesen  hat.  —  1,  8  pluribus]  =  compluribus.  Aber  der  Schüler 
hat  plures  von  complures  unterscheiden  gelernt,  und  pluribus  kann 
auch  hier  Komparativ  sein  („mehreren"  =  mehr  als  einem).  —  3, 1 
kann  das  „wie  Cicero"  so  aufgefaßt  werden,  als  wenn  in  beiden 
Beziehungen  zwischen  Livius  und  Cicero  Übereinstimmung  herrsche; 
darum  wird  „wie  Cicero"  besser  umgestellt :  seltener,  wie  Cicero, 
pro  certo  habeo  (7, 10).  —  4,  4  „da  es  .  .  .  Tag  war";  besser 
„als  .  .  .",  da  es  sich  um  eine  bloße  Zeitangabe  handelt.  —  6,  3 
zu  „sc.  et"  würde  als  Lemma  besser  nomen  erat  als  Ducario  passen. 
—  11,4  „an  vier  anderen  Stellen" :  „vier"  wird  besser  gestrichen, 
da  auf  die  Zahl  nichts  ankommt.  —  14,  9  könnte  das  im  Text 
stehende  in  rebus  adfectis  als  Lemma  beibehalten  werden.  —  Daß 
21,5  cedentem  dem  Sinne  nach  Präteritum  sei  (=qui  cesserat), 
wird  dem  Schüler  nicht  einleuchten,  und  es  kann  auch  wohl 
(trotz  20, 12)  =qui  cedebat  genommen  werden.  —  29,  3  statt 
„besser  wäre"  würde  ich  vorziehen:  „gewöhnlich  heißt  es"  oder 
dergl.    Solcher  Kleinigkeiten  ließen  sich  noch  viele  anführen;  sie 

1* 


4  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

sind  von  geringer  Bedeutung,  aber  für  den  Schuler  nicht  ganz 
ohne  Wichtigkeit. 

Die  neueste  deutsche  Rechtschreibung  ist  eingeführt  worden, 
aber,  wie  es  scheint,  von  den  Setzern  nach  Anleitung  des  soge- 
nannten Buchdrucker- Duden  oder  von  einem  Korrektor  nach  dem 
Wörterverzeichnis  „zum  Gebrauch  in  den  preußischen  Kanzleien4'. 
So  ist  denn  das  z  kräftig  verwandt  (an  „Auspizium,  Zensor,  Zen- 
turiou  muß  man  sich  erst  gewöhnen),  aber  das  c  in  „die  Caudiner" 
beibehalten  worden,  „gleich  kommen"  in  zwei  Wörtern,  „die  ägati- 
schen  Inseln4*  mit  kleinem  Anfangsbuchstaben  geschrieben  worden 
u.  a.  m. 

Druckfehler:  bei  Kap.  32  stehen  am  Rande  die  Paragraphen- 
zahlen 6  und  8  (statt  8  und  9). 

2)  H.Deiter,  Übungen  zum  Übersetzen  imAnschluß  an  Titas 

Livius,  Buch  XXII.  Hannover  1904,  Norddeutsche  Verlagsanstalt 
0.  Goedel.    22  S.    8.    0,40  Jt. 

Das  Heft  enthält  33  teils  längere,  teils  kürzere  Stucke,  von 
denen  die  Mehrzahl  sich  an  ein  Kapitel  des  Livius-Textes  anlehnt, 
einige  aber  auch  an  zwei  oder  drei  Kapitel  angeschlossen  sind. 
Unberücksichtigt  gelassen  hat  der  Verf.  die  Kapitel  8 — 11;  13; 
19—23;  31—33;  36—38;  56—57.  Inhalt  und  Form  der  Stücke 
sind  durchaus  ansprechend.  Vielleicht  hätten  aber  noch  etwas 
mehr  syntaktische  und  stilistische  Regeln  verarbeitet  und  manche 
Partieen  etwas  schwerer  gestaltet  werden  können,  wenigstens 
wenn  diese  „Übungen"  Obersekundanern  vorgelegt  werden  sollen. 

3)  T.  Livii  ab  urbe  condita  libri  I.  II.  XXI.  XXII.    Adiunctae  sunt  partes 

selectae  ex  libris  |H1.  IV.  V.  VI.  VIII.  XXVI.  XXXIX.  Unter  Mit- 
wirkung von  A.  S  o  h  e  i  o  d  1  e  r  für  den  Schulgebrauch  herausgegeben 
von  A.  Ziugerle.  Sechste  Auflage.  Mit  3  Karten,  2  Schlachtplänen 
und  1  Abbildung.  Leipzig  1903,  G.  Frey  tag.  VII  u.  352  S.  kl.  8. 
geb.  2  Jt. 

Diese  6.  Auflage  ist  als  Nachfolgerin  der  4.  Auflage  anzusehen, 
die  ich  Jß.  1897  S.  2 — 4  besprochen  habe.  Es  genügt,  auf  diese 
Anzeige  hinzuweisen,  da  die  6.  Auflage  ohne  Wissen  und  Mit- 
wirken des  Herausgebers,  wie  mir  dieser  auf  meine  Anfrage  mit- 
geteilt hat,  veranstaltet,  d.  h.  ganz  unverändert  geblieben  ist.  Die 
5.  Auflage,  die  ich  ebensowenig  wie  der  Hsgb.  selbst  jemals  zu 
Gesicht  bekommen  habe,  ist,  wie  mir  die  Verlagsbuchhandlung 
schreibt,  1900  „nur  bei  F.  Tempsky  in  Wien  und  Prag"  erschienen. 
Die  6.  Auflage  der  österreichischen,  bei  F.  Tempsky  erschienenen, 
Ausgabe  trägt  auf  dem  Titelblatt  den  Vermerk:  „Inhaltlich  unver- 
änderter nach  der  neuen  Rechtschreibung  hergestellter  Abdruck 
der  mit  Ministerial-Erlaß  vom  24.  September  1899  approbierten 
5.  Auflage".  Ein  ähnlicher  Vermerk  fehlt  auf  dem  Titelblatt  der 
Leipziger  Ausgabe,  wäre  aber  auch  hier,  soviel  ich  sehe,  berech- 
tigt gewesen. 


Li  vi  os,  von  H.  J.  Möller. 


4)  A.  Schmidt,  Schülerkommentar  zu  Livius'  Buch  I,  II,  XXI, 
XXII  und  den  Partes  selectae  (nach  der  4.  Auflage  der  Aus- 
gabe von  A.  Zingerle).  Zweite  Auflage.  Wien  1903,  F.  Tempsky. 
248  S.  kl.  8.  geb.  2  K.  —  Vgl.  E.  Wolff,  WS.  f.  kl.  Phil.  1904 
S.  871;  A.  Zingerle,  Zeitschr.  f.  d.  österr.  G.  1904  S.  410. 

Die  zweite  Auflage  ist  eine  gründliche  Überarbeitung  der 
ersten.  Manche  Unrichtigkeiten  und  Ungenauigkeiten  sind  ent- 
fernt, einige  überflössige  Bemerkungen,  namentlich  die  sprach- 
geschichtlichen, gestrichen  und  dafür  in  einem  Anhange  syntakti- 
sche und  stilistische  Regeln  zusammengestellt  worden  (S.  242 — 
248),  auf  die  bei  der  Übersetzung  einzelner  Wendungen  Rück- 
sicht genommen  und  hingewiesen  wird.  „In  erster  Linie  galt  es 
auch  diesmal  als  Ziel,  dem  Schüler  eine  Vorpräparation  zu  bieten, 
mit  deren  Hilfe  er  eine  glatte  Übersetzung  liefern  kann".  „Hier 
muß  noch  erwähnt  werden,  daß  die  Schüler  bei  fast  allen  be- 
handelten Stellen  kaum  imstande  sind,  mit  den  in  den  Schul- 
wörterbüchern angegebenen  Bedeutungen  eine  glatte  Übersetzung 
herzustellen".  Diesem  Zwecke  entsprechend,  enthält  das  Buch  viel 
mehr  Übersetzungen  und  Übersetzungshilfen  als  Erklärungen  und 
unterscheidet  sich  daher  von  den  sogenannten  „Präparationen" 
nicht  wesentlich.  Als  Beispiel  gehe  ich  die  Bemerkungen  zum 
25.  Kapitel  des  2.  Buches  auf  S.  73  (ohne  Wahl  herausgegriffen). 

§  1.  castra  temptare,  si  einen  Angriff  auf  das  Lager  machen, 
um  zu  versuchen,  ob  nicht  —  qua  (ratime)  irgendwie  —  frustra 
esse  fehlschlagen.  —  §  2.  reliquum  noctis,  s.  Nr.  11  [der  partitive 
Genitiv  beim  Neutrum  substantivierter  Adjektiva,  wie  reliquum 
aestatis  der  Rest  des  Sommers  usw.]  —  prima  luce  (=sole,  die) 
oft  bei  Liv. :  mit  Tagesanbruch,  am  frühen  Morgen  —  fossas  ex- 
plere  die  Gräben  ausfüllen,  zuwerfen.  —  §  3.  munimenta  vettere 
die  Pfahle  (des  Walles)  niederreißen  —  cum  consul  .  .  .  moratus 
(Relativsatz)  .  .  dato  signo  beiordnen  zu  emittit  —  et  und  zwar  — 
experiendi  militum  animos  causa  um  den  Mut  der  Soldaten  auf  die 
Probe  zu  stellen  —  ardor  Kampfeslust  (s.  Nr.  22)  [mit  Vorliebe 
verwendet  Livius  nach  dem  Vorgänge  der  Dichter  Tropen;  be- 
sonders oft  sind  diese  Bilder  dem  Feuer  entlehnt,  wie  iuvenem 
flagrantem  cupidine  belli  usw.]  —  militem,  yedes  s.  Nr.  2  [kollek- 
tiver Singular].  —  §  4.  fugientibus  Dat.  incomm.  —  terga  caedere 
s.  11,9  [alicui  (Dat.  commodi,  gemeint  ist  wohl  incomm odi)  terga 
caedere  jmdm.  in  den  Rücken  fallen]  —  agere  vor  sich  hertreiben, 
jagen  —  §  5.  capitur,  captnm  (und  dann)  —  aliquid  praedae 
(Zweck)  dare  etwas  zur  Plünderung  überlassen  —  inde  Grund: 
hierdurch  —  recreari  seh  erholen  —  §  6.  sua  persönlich  — 
victor  exercitus,  s.  Nr.  1  [ein  Substantiv  tritt  zu  einem  zweiten 
attributiv  in  gleichem  Kasus,  wie  exercitus  victor  das  siegreiche 
Heer  usw.]  —  decedentem  während  seines  Abzuges,  seiner  Rück- 
kehr —  rebus  suis  timere  für  ihren  Staat,  für  sich  besorgt  sein. 

Man  kann  aus  dieser  Probe  zugleich  erkennen,  daß  das  Ganze 


6  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

sehr  kurz  und  knapp  gehalten  ist,  ohne  daß  das  Verständnis 
darunter  leidet.  Denn  mit  Ausnahme  der  Parenthese  (=  sole,  die) 
wird  dem  Schüler  alles  deutlich  sein.  In  dieser  Kürze  ist  jedoch 
etwas  zu  weit  gegangen,  wenn  es  z.  B.  S.  1  heißt:  „tota  mente 
mit  ganzer,  voller  Seele,  Herzen"  oder  S.  166  „insidiator  jemand,  der 
einen  H.  legt,  Hinterhalt"  u.  a.  m.  Dagegen  hätte  durch  Streichung 
einiger  allzu  elementarer  Bemerkungen  Raum  gespart  werden 
können.  Übrigens  ist  es  kein  gutes  Vorbild  für  die  Schüler,  daß 
am  Ende  der  Erklärungen  und  Übersetzungen  nirgends  ein 
Punkt  steht. 

Der  Druck  soll  gefälliger  und  übersichtlicher  geworden  sein. 
Vom  Vorwort  ist  das,  trotz  der  kleinen  Typen,  anzuerkennen;  im 
ganzen  übrigen  Buche  stehen  aber  die  Zeilen  gar  zu  eng. 

5)  Ausgewählte  Stücke  aas  der  dritten  Dekade  des  Livius.  Mit 
Anmerkungen  fdr  den  Schulgebrauch  herausgegeben  von  V.  Jordan. 
Neu  bearbeitet  von  C.  Minner  und  H.  Planck.  Stuttgart  1904, 
A.  Bodz  &  Comp.  XII  u.  199  S.  8.  1,50  Jt.  —  Vgl.  0.  Weißenfels, 
WS.  f.  klass.  Phil.  1904  Sp.  1066  f. 

Jordans  Livius- Auswahl,  in  4.  Auflage  1891  noch  vom  Verf. 
herausgegeben  (vgl.  JB.  1899  S.  4),  ist  nach  seinem  Tode  von 
zwei  württembergischen  Schulmännern  einer  Neubearbeitung  unter- 
zogen worden,  die  sich  bei  näherer  Betrachtung  als  sehr  gründ- 
lich und  sachkundig  erweist.  Beide  hatten  das  Bueh  jahrelang  im 
Unterricht  benutzt  und  so  Gelegenheit  gehabt,  die  praktische 
Brauchbarkeit  der  Anmerkungen  unmittelbar  zu  erproben.  Solche 
Erfahrungen  bilden  die  beste  Unterstützung  einer  Revision. 

Das  Buch  ist  ein  wenig  erweitert  und  umfaßt  jetzt  folgende 
Partieen:  XXI  1 — 5  Anf.  (Paragraphenzahlen  sind  am  Rande  über- 
all weggelassen  worden);  9 — 11  (von  Kap.  9  nur  §  3 — 4,  von 
Kap.  11  nur  §  1 — 2;  so  sind  auch  weiterhin  nach  Bedürfnis  Weg- 
lassungen und  Kürzungen  eingetreten);  12 — 15;  18;  22;  26—28; 
12;  30—38;  42—47;  52—57.  -  XXII  2—10;  12;  14—18;  25 
—30;  34—35;  38;  40;  43—51;  53—55;  61.  —  XXIII  7—13; 
44_46.  —  XXIV  33—34.  —  XXV  30—31.  —  XXVI  7-11; 
14—16;  18—19;  45—46;  —  XXVII  1;  19—20;  26—27;  43 
—51.  —  XXVIII  9;  12;  35;  38.  —  XXVIIII  26—27.  —  XXX 
3—6;  20;  28—37;  40—44.  Der  Text  ist  in  Abschnitte  zerlegt 
mit  besonderen  Überschriften;  es  sind  50  Stücke  (statt  der  bis- 
herigen 46),  und  die  Reihenfolge  ist  zum  Teil  geändert,  um  sach- 
lich Zusammengehörendes  nicht,  wie  es  bei  Livius  der  Fall  ist, 
zu  zerreißen.  Hier  und  da  sind  zum  besseren  Verständnis  des 
Folgenden  orientierende  Bemerkungen,  teilweise  von  großer  Aus- 
dehnung, vorangestellt  worden.  Alles  wohlerwogen  und  zweck- 
entsprechend. 

Bei  der  Textgestaltung  schlössen  sich  die  Hsgb.  an  die  Aus- 
gabe   von  Luchs   an;    doch  „wirkten   bei  manchen  Stellen  auch 


Livius,  von  H.  J.  Müller.  7 

pädagogische  ErwäguDgen  mit,  wenn  durch  eine  leichte  Text- 
änderung eine  wertlose  Schwierigkeit  beseitigt  oder  eine  umständ- 
liche Anmerkung  entbehrlich  gemacht  werden  konnte44.  Dieses 
Verfahren  ist  in  einer  Schulausgabe  durchaus  berechtigt;  es  hätte 
vielleicht  noch  weiter  Platz  greifen  sollen,  als  es  geschehen  ist. 
Ich  glaube  z.  B.  nicht,  daß  21,  33,4  der  Wortlaut  in  den  Hss. 
richtig  überliefert,  daß  vielmehr  ein  Buchstabe  hinzuzufügen  ist 
(nach  Ungers  geistvoller  Vermutung).  Soll  invia  ac  devia  adsueti 
zusammengenommen  werden,  so  wird  der  Schüler  mit  der  Über- 
setzung „ohne  Weg  und  wegab"  nicht  recht  etwas  anzufangen 
wissen  und  der  Untersekundaner  von  der  Erklärung  „Der  Akkusativ 
bei  adsueti  ist  ein  Gräcismus"  keinen  Nutzen  haben. 

Voraufgeschickt  ist  eine  Einleitung  über  Livius'  Leben  und 
Werke,  die  alles  Wissenswerte  enthält1);  ein  Anhang  (S.  194  — 
199)  gibt  eine  Zeittafel  der  Ereignisse  des  zweiten  Punischen 
Krieges  (synchronistisch  nach  Ländern  geordnet),  soweit  sie  in 
dem  Buche  zur  Darstellung  gelangt  sind. 

Die  Haupttätigkeit  der  Hsgb.  war  den  Anmerkungen  zu- 
gewandt: manche  der  alten  Anmerkungen  sind  gestrichen,  nur 
ganz  wenige  sind  unverändert  beibehalten,  bei  allen  übrigen  ist 
wenigstens  die  Fassung  geändert,  sehr  viele  Erläuterungen  sind 
neu  hinzugefügt  worden.  So  hat  der  Kommentar  ein  ganz  anderes 
Aussehen  erhalten  und  ist  gegenüber  dem  früheren  als  wesentlich 
verbessert  zu  bezeichnen.  Es  finden  sich  zahlreiche  sehr  gute 
sachliche  und  sprachliche  Erläuterungen,  die  früher  fehlten,  und 
es  sind  viele  neue  Obersetzungshilfen  gegeben.  Hierunter  sind 
einige  sehr  frei  (z.  B.  S.  20  Nr.  9  migrantium  modo  „mit  Sack 
und  Pack44);  ob  und  inwieweit  sich  die  einzelnen  bewähren,  muß 
die  Praxis  lehren.  In  den  Lemmata  ist  wohl  an  manchen  Stellen 
eine  Erweiterung  wünschenswert.  „Die  schließlichen  Sieger"  ver- 
langt das  Lemma  qui  vicerunt,  nicht  bloß  vicerunt  (S.  1).  Wenn 
es  S.  10  heißt:  „hominum]  nach  dem  Sprachgebrauch  des  Livius 
sind  zweierlei  Nominative  dieses  Ausdruckes  denkbar44,  so  muß 
das  Lemma  sicherlich  (omnis  generis)  hominum  heißen  (S.  10). 
So  müßte  auch  S.  11  Nr.  5  zu  „alle  Gerechtigkeit  erfüllen44  das 
Lemma  omnia  iusta  facere  heißen,  nicht  bloß  iu&ta  u.  a.  m.  — 
Im  ersten  Teile  des  Buches  finden  sich  viele  Abkürzungen,  deren 
Beseitigung  sich  empfiehlt,  da  sie  der  Klarheit  nicht  dienen  und 
nicht  einmal  Raum  ersparen.  S.  49  Nr.  1  weiß  man  nicht,  ob 
in  der  Klammer  das  erste  i.  =  iumentorum  und  U  i.  Schreibfehler 
statt  l  t.  ist  oder  ob  itinere  toto  iumentorum  p.  gelesen  werden 
soll.  S.  9  Nr.  3  „st  anstatt  quod  enthält  eine  halbironische  Litotes" 
wird  einem  Untersekundaner  ohne  weitere  Erklärung  kaum  ver- 
ständlich sein.     S.  51  Nr.  3  wird  immo  erklärt  als  entstanden  aus 


])  S.  X  könnte  in  der  letzten  Zeile  das  Wort  „jedenfalls"  gestrichen 
werden. 


g  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

„memo  ich  nehms  an,  laß  es  gelten",  was  als  ungewiß  besser 
fehlte  (auch  ist  wohl  „nehm's"  zu  schreiben,  wie  S.  109  Nr.  7 
„zu  Livius5  Zeiten")  u.  a.  m.  Auch  hier  wird  die  Praxis  vermut- 
lich  den  einen  oder  anderen  Wunsch  nach  Abänderung  zeitigen. 

6)  Ludwig  Traube,  Palaographische  Forschungen.  Vierter  Teil: 
Bamberger  Fragmente  der  vierten  Dekade  des  Livius.  Anonymus 
Cortesianus.  Mit  7  Tafeln.  München  1904,  Verlag  der  K.  Akademie, 
in  Kommission  des  G.  Franzschen  Verlags  (J.  Reth).  J56  S.  4.  —  Aus 
den  Abhandlungen  der  K.Bayer.  Akademie  der  Wissenschaften,  III.  Klasse, 
XXIV.  Band,  I.  Abteilung. 

Auf  S.  14  steht  „viereinhalb"  (statt  „viertehalb");  sonst  ist 
in  dieser  Schrift  alles  eitel  Wahrheit  und  Klarheit,  Scharfsinn 
und  profunde  Gelehrsamkeit. 

Auf  der  Kgl.  Bibliothek  zu  Bamberg  entdeckte  man  in  dem 
Einbanddeckel  einer  theologische  Traktate  enthaltenden  Handschrift 
des  15.  Jahrhunderts  kleine  Pergamentstreifen  mit  lateinischen 
Worten  in  Uncialschrift,  31  an  Zahl.  Traube  fand,  daß  hier 
Livius-Fragmente  vorlagen,  und  zwar  ergab  es  sich,  daß  16  Stücke, 
6  davon  mit  kleinen  Überresten,  zu  einem  Blatt  aus  dem  33.  Buche, 
6  Stucke  zu  einem  Blatt  aus  dem  35.  Buche  und  9  Stücke  zu 
einem  Blatt  aus  dem  39.  Buche  gehörten. 

S.6— 14  handelt  der  Verfasser  von  den  Klassiker-Handschriften 
in  Bamberg  und  ihrer  Herkunft.  Mit  der  sehr  alten  Handschrift 
F,  den  jetzt  gefundenen  Fragmenten,  trifft  zusammen  der  be- 
kannte codex  Bambergensis  (B),  eine  aus  F,  als  diese  Handschrift 
noch  unversehrt  war,  in  Deutschland  im  11.  Jahrhundert  genom- 
mene Abschrift.  Demnach  lag  F  im  11.  Jahrhundert  noch  voll- 
ständig erhalten  in  Bamberg.  Nach  den  vorhergehenden  Unter- 
suchungen des  Verfassers  ergibt  sich  zweitens,  daß  F  vordem  in 
Piacenza  lag,  dort  in  den  Besitz  des  Kaisers  Otto  III.  kam  (um 
das  Jahr  1000)  und  dann  durch  Heinrich  II.  nach  Bamberg  in 
die  Bibliothek  des  Domes  gelangte. 

S.  14 — 18  wird  von  der  Überlieferung  des  Livius  in  den 
einzelnen  Dekaden  gehandelt.  Wir  haben  weder  von  der  ersten 
noch  von  der  vierten  Dekade  eine  erschöpfende  kritische  Ausgabe. 
„Für  beide  brauchen  wir  ein  so  mühsames  und  umsichtiges  Werk 
wie  das  von  Luchs  für  die  dritte".  Hinsichtlich  der  Hss.  der 
1.  Dekade  sagt  Traube  (S.  15):  ,',Es  gab  keine  Nicomachianische 
oder  Victorianische  Rezension,  sondern  nur  eine  einzige  von  den 
Nicomachi  und  Victorianus  durchgesehene  Handschrift.  Es  ist 
aber  sehr  wohl  möglich,  daß  die  so  überaus  zahlreichen  mittel- 
alterlichen Hss.  nicht  alle  von  diesem  einen  Exemplar  abhängen, 
sondern  daß  auch  eine  dem  Codex  der  Nicomachi  und  des  Victo- 
rianus verwandte  Hs.  in  ihnen  fortgepflanzt  wird.  Diese  war 
dann  nicht  von  den  drei  Männern  durchgesehen  oder  irgendwie 
von  ihrer  Arbeit  beeinflußt,  sondern  umgekehrt,  die  drei  benutzten 
als  Text    eine  auch  sonst  verbreitete  Fassung.     Auch  eine  vierte 


Li  vi  us,  von  H.  J.  Müller.  9 

Urhandschrift  kann  bestanden  haben,  die  dem  Yeronensis  näher 
stand.  Doch  kann  hier  und  in  anderen  Hss.  die  Hinneigung  zum 
Veronensis  auch  so  gedeutet  werden,  als  liege  nur  die  Bestätigung 
einer  zwischen  der  Hs.  von  Verona,  der  Hs.  der  drei  Männer  und 
der  vorher  angesetzten  dritten  Urhandschrift  vorhandenen  Ver- 
wandtschaft vor,  die  uns  stellenweise  dadurch  verdunkelt  wird, 
daß  vom  Rand  der  Hs.  der  drei  Männer  Lesarten  in  den  Text 
der  mittelalterlichen  Abschriften  drangen". 

S.  18 — 26:  Die  Probleme  der  vierten  Dekade.  Ich  kann 
mich  auch  hier  auf  wörtliche  Anfuhrungen  aus  der  Schrift  be- 
schränken. B  ist  eine  getreue  Abschrift  von  F;  B  nimmt  wohl 
die  Korrekturen,  die  sich  in  F  finden,  ohne  weiteres  an;  er  be- 
müht sich  sonst  aber,  nicht  nur  den  Wortlaut,  sondern  auch 
die  Orthographie  aufs  genaueste  nachzubilden.  Aber  in  B  sind 
mehrere  Hände  tätig,  und  es  könnte  leicht  sein,  daß  eine  von 
ihnen  weniger  sorgsam  verfuhr  als  die  beiden,  deren  Treue  wir 
jetzt  an  F  abschätzen  können.  Auch  wäre  der  Fall  zu  denken, 
daß  diese  beiden  selbst  auf  verschiedenen  Strecken  der  Arbeit 
verschieden  verfuhren.  Es  konnte  F  zum  Beispiel  nicht  überall 
gleich  leicht  zu  entziffern  sein.  Und  diese  Annahme  muß  zu- 
treffen, wenn  der  Stammvater  der  jüngeren  Hss.  (0)  aus  der  Vor- 
lage von  B  (also  aus  F)  und  nicht  aus  B  selbst  stammt.  Madvig 
hat  das  zur  vollen  Sicherheit  gebracht,  und  Luchs  hat  im  be- 
sonderen darauf  hingewiesen,  daß  0  im  31.  und  32.  Buche  oft 
genauer  ist  als  B1).  In  0  sind  zahlreiche  Lucken  richtig  aus- 
gefüllt, welche  die  Schreiber  von  B  da  gelassen  hatten,  wo  sie 
die  Vorlage  nicht  deutlich  lesen  konnten  oder  aus  Unachtsamkeit 
einzelne  Wörter  übersprangen.  An  solchen  Stellen  oder  auch  da, 
wo  sonst  B  von  F  abweicht8),  muß  dann  0  mit  F  gegen  B  stimmen. 
Auch  muß  auf  diese  Weise  notwendig  ein  scheinbarer  Zusammen- 
hang von  0  mit  der  Mainzer  Hs.  (M)  sich  herstellen;  denn  weder 
B  noch  0  können  zu  M  irgend  welchen  Zutritt  gehabt  haben. 
Wo  B  und  0  sich  von  F  entfernen,  nähern  sie  sich  M  nur  da, 
wo  der  Zufall  sie  zusammenfuhrt  oder  ein  ganz  an  der  Oberfläche 


*)  Vgl.  JB.  1890  S.  190  ff. 

2)  Die  Abweichungen  sind,  entsprechend  den  unbedeutenden  Resten  in 
F,  nicht  zahlreich,  nämlich  folgende:  Buch  33.  34,9  redditae  F  (in  den  Text 
einzufahren),  reddita  B.  —  35,  2  L.  Stertinius  F,  P.  Stertinius  B  (unrichtig). 
—  35,  3  mandatus  F,  mandatis  B  (eine  naheliegende  Verbesserung).  —  35,  4 
se  acturum  F,  secacturum  ß  (der  Schreiber  hat  die  vordere  Hälfte  von  a 
zweimal  geschrieben).  —  35,  8  jrilaicum  conuentus  F,  pilai  conuentus  B  {cum 
vor  con  überschlagen ;  conuentus  philaicum  M).  —  35,  9  monuit  ut  constanter 
F  (in  den  Text  aufzunehmen),  monuit  constanter  B.  —  36,  13  carpentaria 
capta  capta  (ria  und  das  zweite  apta  durch  übergesetzte  Punkte  getilgt)  F, 
carpenta  capta  a  B  (er  hat  sich  versehen  und  a  statt  c  geschrieben ;  von  dem 
zweiten  capta  in  F  sind  die  letzten  vier  Buchstaben  getilgt).  —  37, 6  adepti  F, 
adeptos  B  (durch  das  vorhergehende  quos  veranlaßt).  Buch  35.  5,11  proelio 
et  dubio  F,  fehlt  in  B.  —  8,  5  auctoribus  F  (ebenso  *),  auribus  B. 


10  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

haftendes  Emendieren;    Die    aber  dort,   wo  wirklich  eine  andere 
Überlieferung  vorliegt. 

0  stammt  aus  einer  Minuskelhandschrift,  wie  auch  S,  die 
Speierer  Hs.  des  Gelenius.  B  dagegen,  die  feste  Stutze  der  Ober- 
lieferung in  der  4.  Dekade,  stammt  aus  P,  d.  h.  aus  einer  alten 
Hs.  in  Unciale.  „Der  Vorbereiter  einer  neuen  kritischen  Ausgabe 
wird  nicht  umhin  können,  hier  kräftig  einzusetzen.  Es  geht  nicht 
an,  0  immer  nur  nach  den  sporadischen  Angaben  von  Hearne 
und  Drakenborch  sporadisch  zu  verwerten.  Es  scheint  einmal 
der  langweilige  Versuch  gemacht  werden  zu  müssen,  die  jungen 
Hss.  der  4.  Dekade  auf  einzelne  entscheidende  Stellen  hin  zu 
prüfen,  einige  gute  Vertreter  herauszusuchen  und  diese  neben  B 
zur  Rekonstruktion  von  F  fortlaufend  heranzuziehen". 

Die  Lesarten,  in  denen  man  jetzt  M  und  F  sich  unmittelbar 
gegenüberstellen  kann,  zeigen,  daß  M  die  Abschrift  aus  einem 
von  F  wesentlich  verschiedenen  Originale  ist.  So  ergibt  sich 
auch  dem  Verfasser  das  Stemma  der  Hss.,  welches  die  Livianer 
als  sicher  festgestellt  ansehen  und  ihren  kritischen  Versuchen  zu 
Grunde  legen: 

1)  M  2)  F 


B  x  (verlorene 

verstümmelte  Abschrift) 

S  *  0 

(Gelenius)  (Stammvater  der  jüngeren  Hss.). 

Das  letzte  Kapitel  ist  der  Beschreibung  der  Hs.  gewidmet 
(vier  vorzügliche  Lichtdrucke  erleichtern  das  Verständnis).  Es  war 
einst  ein  stattlicher  Kodex  von  etwa  187  Pergamentblättern,  jede 
Seite  hatte  3  Kolumnen.  Die  Schrift  ist  eine  zierliche  Unciale. 
„F  ist  eine  Hs.  des  ausgebenden  Altertums,  die  so  gut  älter  sein 
kann  als  das  fünfte  Jahrhundert,  wie  sie  nicht  jünger  sein  kann 
als  das  sechste". 

S.  31—44  enthält  eine  Ausgabe  der  Fragmente:  In  einer 
Mittelkolumne  wird  F  in  großen  Buchstaben  wiedergegeben,  die 
Ergänzungen  in  kleinen  Buchstaben.  Links  am  Rande  stehen  die 
Laa.  der  Handschriften  B  und  0,  rechts  am  Rande  die  der  Hand- 
schrift M,  welche  vom  Text  der  Mittelkolumne  abweichen. 

7)  Auswahl  ans  der  V.  Dekade  des  Livins  (Über  42/45) l).  Der 
Krieg  mit  Perseus.  Für  den  Schul  gebrauch,  erklärt  von  F.  J.  Ahrens. 
Gotha  1904,  F.  A.  Perthes.    99  S.     8.     1,10  JC. 

Nach  einer  kurzen,  inhaltlich  ausreichend  orientierenden, 
„historischen  Einleitung"  (S.  1  Z.  5  empfiehlt  es  sich  vielleicht 
die  Periode  mit  „Das  Herz"  zu  beginnen;  S.  2  am  Ende  muß  es 

l)  Warum  nicht  „Bach  42/45",  wie  mau  im  Deutschen  kurz  zu  sagen 
pflegt?  Lateinisch  muß  es  wohl  „Libri"  heißen,  mag  man  „42/45"  übersetzen 
wie  man  will. 


"\ 


Livius,  von  H.  J.  Müller.  H 

172  statt  173  heißen)  folgt  von  S.  3  an  der  Text,  welcher  die 
wichtigsten  Teile  aus  der  Darstellung  des  Krieges  mit  Perseus 
enthält.  Alles  Nebensächliche  (so  z.  B.  das  [ganze  43.  Buch)  ist 
weggelassen  und  das,  was  etwa  zum  Verständnis  notwendig  schien, 
als  Zwischenbemerkung  eingeschaltet.  Das  Heftchen  bietet:  aus 
BuchXLII  die  Kapitel  11—18.  25.  30—32.  36.  38—43.46—53. 
55—59.  63.  65—67;  aus  Buch  XLIV  die  Kapitel  5— 7.  22—27. 
33—46;  aus  Buch  XLV  die  Kapitel  1.  2.  4.  6—9.  17—18.  35. 
40 — 42,  wobei  noch  weiter  einzelne  oder  mehrere  Paragraphen 
von  manchen  dieser  Kapitel  in  Wegfall  gekommen  sind.  Die  Aus- 
wahl ist  mit  Umsicht  getroffen  und  verdient  Beifall.  Daß  der 
gegebene  Lesestoff  für  die  Schuler  fesselnd  und  lehrreich  ist, 
unterliegt  keinem  Zweifel;  ich  habe  wiederholt  Gelegenheit  gehabt, 
diese  Partie  des  Livianischen  Geschichtswerkes  als  für  die  Klassen- 
lektüre geeignet  zu  bezeichnen,  zuletzt  bei  der  Besprechung  der 
mißlungenen  Ausgabe  des  45.  Buches  von  Pflüger  (JB.  1901  S.  8  ff.), 
auf  die  ich  auch  hinsichtlich  der  Grundsätze,  die  nach  meiner 
Meinung  in  einer  Scbülerausgabe  zu  befolgen  sind,  verweise.  Der 
Kommentar  ist  nach  der  bekannten  Weise  der  Perthesschen  Aus- 
gaben gestaltet:  er  enthält  wenig  sprachliche,  mehr  sachliche  Er- 
läuterungen, zahlreiche  auf  den  Inhalt  bezügliche  Bemerkungen, 
die  sich  hier  nicht  wie  anderswo  als  Randnotizen,  sondern  in 
fetterem  Druck  zu  Anfang  der  entsprechenden  Abschnitte  finden, 
und  viele  Obersetzungen.  Letztere  sind  aber  so  gehalten,  daß 
sie  den  Schüler  zum  Nachdenken  zwingen  und  ihn,  wenn  der 
Lehrer  den  Unterricht  geschickt  handhabt,  trefflich  fördern  können. 
Somit  glaube  ich,  daß  diese  Ausgabe  gut  zu  gebrauchen  ist  und 
der  Aufmerksamkeit  der  Facbgenossen  empfohlen  zn  werden  ver- 
dient. 

Text.  Obgleich  es  für  eine  Schülerausgabe  genügt,  wenn 
sie  einen  Text  bietet,  der  lesbar,  lückenlos  und  frei  von  sprach- 
lichen Anstößen  ist,  so  hat  der  Verf.  es  doch  verschmäht,  einfach 
den  Text  irgend  einer  Ausgabe  abdrucken  zu  lassen.  Er  geht 
vielmehr  seine  eigenen  Wege,  zeigt  sich  in  der  Literatur  bewandert 
und  entscheidet  sich  mit  klarem  Urteil  für  oder  gegen  die  hand- 
schriftlichen oder  von  anderen  Herausgebern  gewählten  Lesarten. 
Einige  von  diesen  mögen  hier  kurz  besprochen  werden. 

Buch  XLII.  11,  5  schreibt  A.  hereditate  a  patre  relictum 
bellum,  was  völlig  einwandfrei  ist.  Auch  von  mir  wurde  früher 
hereditate  als  eine  schlagende  Verbesserung  angesehen,  weil  Wßb. 
die  irrige  Meinung  verbreitet  hatte,  daß  hereditatem  im  Kodex 
überliefert  sei.  Davon  steht  aber  weder  bei  Hertz  noch  bei  Madvig 
etwas  zu  lesen,  und  Zingerle  gibt  ausdrücklich  an,  daß  die  band- 
schriftliche La.  heredüarium  ist.  Das  muß  natürlich  festgehalten 
werden  (vgl.  Curt.  6,  3, 12).  —  15,  5  liest  A.  escendentibus,  was 
ich  billige  (vgl.  38,  1);  aber  im  Kommentar  steht  Grynaeus'  La. 
ascendentibus,  sogar  in  der  Form  adscendentibus:  was  ist  nun  ge- 


12  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

meint?1)  —  16,  5  adgressi  .  .  .  sunt  consulte  audacter,  coeptum 
inconsulte  et  timide  reliquerunt]  so  der  Hsgb.,  dem  Sinn  ent- 
sprechend. Aber  an  der  hinteren  Stelle  (vor  reliquerunt)  ist  nee 
consulte  et  timide  näher  liegend  (es  ist  nur  ein  c  vor  consulte 
ausgelassen  worden),  und  das  scheint  mir  darauf  hinzuweisen, 
daß  auch  vorher  die  beiden  Adverbia  durch  korrespondierende 
Partikeln  verbunden  waren.  Ich  ziehe  daher  meiner  von  Zingerle 
aufgenommenen  Vermutung  die  Heusingersche  vor  und  möchte 
lesen:  ut  (non)  inconsulte,  ita  audacter.  Zum  Ausdruck  vgl.  44, 
6,  4.  —  41,  2  partim  quae  fateri  non  erubescam]  hier  ist  partim 
hinzugesetzt,  ea  getilgt  und  non  eingefügt;  hat  das  Wahrscheinlich- 
keit? Ich  glaube,  daß  der  Schriftsteller  partim  nur  zweimal  ge- 
setzt und  den  ersten  Gedanken  durch  einen  zweiten  eingeschränkt 
hat:  (certe  non)  ea,  quae  fateri  erubescam.  —  43,  2  gravate  et 
ut  magnam  gratiam  petenti]  dieses  ut,  eine  Konjektur  des  Hsgb.s, 
wenn  ich  recht  sehe,  gefällt  mir  sehr,  ebenso  der  Dativ  petenti 
neben  concessif,  aber  ich  weiß  nun  mit  dem  et  nichts  anzufangen, 
und  die  Veränderung  von  iam  in  ut  nimmt  nicht  für  sich  ein. 
Grynaeus'  La.  gravate  et  in  magnam  gratiam  petenti  läßt  sich 
halten;  aber  ut,  eine  leichte  Änderung  aus  et,  scheint  mir  an- 
gemessener zu  sein.  Ich  möchte  also  lesen:  gravate  ut  magnam 
gratiam  petenti,  wobei  ich  annehme,  daß  iam  aus  dem  folgenden 
magnam  gratiam  entstanden  ist,  das  dem  Schreiber  bereits  im 
Ohre  klang,  als  er  gravate  et  schrieb.  Also:  „Zögernd  (unter 
Schwierigkeiten),  da  er  um  .  .  .  bitte  (wg  dsopivw),  gestand  er 
es  ihm  zu".  —  51,  1  hat  die  Hs.  dis,  und  das  muß  bleiben, 
auch  im  Interesse  der  Schüler,  die  in  den  Texten  wohl  meist  nur 
die  Formen  dt  und  dis  zu  sehen  bekommen.  Ebenso  44,  22,  8. 
—  57,  8  Mysi  ac  Cretenses]  es  fehlt  nicht  an  augenfälligen  Aus- 
nahmen davon,  daß  ac  vor  Gutturalen  vermieden  wird;  aber  wo 
in  solchen  Fällen  die  Handschriften  nicht  klar  und  deutlich  ac 
bieten  oder  wo  eine  Verbindungspartikel  fehlt,  ohne  entbehrlich 
zu  sein,  da  wird,  glaube  ich,  von  ac  besser  abgesehen  (vgl.  JB. 
1888  S.  102  ff.)-  Hier  hat  der  Kodex  aut,  woraus  sich  et  nicht 
schwerer  herstellen  läßt  als  ac  (von  äußerer  Wahrscheinlichkeit 
ist  ja  beide  Male  nicht  die  Rede);  vgl.  42,  65,  2.  Ebenso  44,  39,  8 
besser  {et)  crebris  oder  crebris(que)  und  45,  7,  3  besser  sanguine 
et  genere  (die  Hs.  hat  ut  statt  et,  wofür  seit  Grynaeus  in  den  Aus- 
gaben ac  gelesen  wird).  —  58,  9  ist  die  Wortfolge  sacraeque  alae 
equitum  vorzuziehen  nach  Fr.  Schmidt  bei  Fügner  Lex.  Liv.  I 
Sp.  830,  50.  —  66,  7  wird  per  praeeeps  übersetzt  mit  „in  den 
Abgrund  hinab44;    diese  Obersetzung   paßt  besser  zu  in  praeeeps, 


*)  44,  6,  \ 5  steht  im  Text  paulo,  im  Lemma  des  Kommentars  paullo, 
was  zu  verwerfen  ist  und  auch  wohl  nicht  gemeint  ist.  Allerdings  wird  in 
der  Ausgabe  der  Name  des  Konsuls  Paulus  stets  mit  U  geschrieben,  was 
sich  jetzt  kaum  noch  irgendwo  in  den  Texten  findet  (vgl.  Georges).  — 
44,  22,  7  steht  im  Text  contemptor,  im  Kommentar  contemtor. 


Li  vi  us,  von  H.  J.  Müller.  13 

wie  nach  dem  Vorschlage  von  W.  Heraeus  wohl  zu  lesen  ist  (die 
Präposition  fehlt  in  der  Hs.  und  muß  ergänzt  werden);  vgl.  5,  47,  5. 
Buch  XL1V.  5,  13  schreibt  A.  nach  eigener  Vermutung: 
posnerunt  castra.  (castra)  [peditum],  quorum  pars  magna  tumulos 
tenebat,  (at)ibi  vallo  campt  quoque  partem,  übt  eques  tenderet,  am- 
plectebantur.  Aber  campt  partem  bildet  zu  tumulos  einen  so  klaren 
Gegensatz,  daß  alibi  überflüssig  und  ungeeignet  erscheint.  Auch 
erwartet  man  bei  amplectebantur  dasselbe  Subjekt  wie  bei  posuerunt. 
—  6,  6  schreibt  A.,  wie  mir  scheint,  nach  eigener  Vermutung: 
üaque  si  ad  Dium  intrepidus  ipse  rex  primam  .  .  .,  eine  La.,  in 
der  ad  Dium  Beachtung  verdient,  ipse  mir  aber  nicht  nötig  zu 
sein  scheint  (für  ad  Dium  hat  der  Kodex  dua,  für  ipse  rex  bloß 
x .  dies);  vgl.  unten  über  d.  St.  —  6,  12  ist  das  Komma  nicht  hinter 
reditu,  sondern  hinter  ipsis  zu  stellen.  —  22,  4  ist  die  Verände- 
rung von  habeo  in  habere  nicht  ratsam,  vielmehr  Mg.  zu  folgen 
(vgl.  43,  1,  8).  Auch  Vahlen  sieht  in  habeo  nur  den  gedankenl- 
osen Zusatz  eines  Schreibers,  und  ebenso  hat  sich  W.  Heraeus 
ausgesprochen.  —  24,  1  ist  die  Hinzufügung  von  data,  so  leicht 
auch  dieses  Wort  hinter  mandata  ausfallen  konnte,  nicht  nötig; 
es  genügt,  sunt  zu  mandata  zu  ergänzen,  wie  sich  aus  §  7  ergibt 
(vgl.  31,  11,  7).  —  24,  5  ist  ab  vor  Aegypto,  das  längst  aus  den 
Texten  verschwunden  war.  wiederhergestellt,  was  ich  nicht  billigen 
kann.  —  25,  5  schreibt  Ahrens  suam  operam  vendere  ad  recon- 
ciliandam  gratiam  magno  cupiit,  sehr  hübsch  und  durchaus  sach- 
und  sprachgemäß,  aber  vendere  ist  wohl  nur  Druckfehler.  Mich 
dünkt,  gerade  bei  der  Oberlieferung  der  Hs.  erklärt  sich  der  Ausfall  der 
ergänzten  Silben  gut:  venditare  (ad  re)conciliandam  ...  —  26,  1 
schreibt  Ahrens :  cum  pecunia  tutam  aut  pacem  habere  .  .  .  posset. 
Ich  halte  das  bloße  pecunia  für  brauchbar  und  ebenso  tutam 
pacem  (vgl  1, 15,  7;  42, 13,  5),  obwohl  tutam  nicht  ohne  Bedenken 
ist,  da  Eumenes  nur  vermitteln  soll.  Aber  aut  steht  doch  nicht 
richtig,  es  müßte  wohl  vor  tutam  gestellt  werden.  Ich  halte  ein 
Partizip  statt  tutam  (z.  B.  soluta)  für  besser.  —  38,  9  paßt  die 
Übersetzung  „die  Kehle  trocken  von  Durst"  besser  zu  arentibus 
als  zu  ardentibus.  Jenes  ist  auch  wohl  im  Texte  herzustellen; 
vgl.  die  Zitate  bei  Wßb.,  zu  denen  W.  Heraeus  noch  hinzugefügt 
hat:  Amm.  18,  7,  9  und  Hieronymus  comm.  in  Ies.  9,  29  (S.  329 
Migne),  wo  sich  dieselben  Worte  wie  bei  Livius  finden.  —  40,  8 
wird  zu  genus  tenus  angemerkt:  „tenus  findet  sich  sehr  selten 
mit  dem  Genitiv'4;  bei  Livius  meines  Wissens  nur  an  zwei 
Stellen:  26,  24,  10  (wo  mit  Sabellicus  Corcyra  zu  schreiben  sein 
wird)  und  an  unserer  Stelle,  wo  nach  Noväks  Darlegung  der 
Plural  erwartet,  wird  und  also  wohl  genibus  zu  lesen  ist.  —  41,4 
elephanti  in  ade]  die  Hs.  hat  dafür  elepantomace,  woraus  Hartel 
elephantomachoe,  Harant  einleuchtender  elephantomachae  hergestellt 
hat;  meine  bei  Wßb.  hiergegen  geäußerten  Bedenken  sind  augen- 
scheinlich nicht  stichhaltig.  —  43,  4  Eulaeus  Euctusque]  der  Aus- 


14  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

fall  erklärt  sich  leichter,  wenn  Eutins  (Eulaeus}que  geschrieben 
wird;  vgl.  bei  Plutarch:  Evxtov  xal  Evlcuov.  —  45,  13  zu 
Cretenses  spem  pecuniae  secuti  wird  angemerkt:  „Der  König  hatte 
ihnen  wohl  Versprechungen  gemacht,  durch  die  sie  sich  hatten 
bestimmen  lassen  (secuti)";  ähnlich  Wßb.:  „sie  ließen  sich  durch 
die  Aussicht  auf  .  .  .  bestimmen  (ihm  zu  folgen)".  Beide  Er- 
klärungen legen  die  Veränderung  von  spe  in  spe  nahe.  —  40,  8 
ist  das  Kompositum  praedestinantes  eine  spätlateinische  Bildung, 
die  Livius  sonst  nicht  kennt.  Vermutlich  entstand  es  unter  der 
Nachwirkung  des  vorangehenden  praetextatos,  das  dem  Schreiber 
noch  vorschwebte  oder  ihm  kurz  vor  dem  Niederschreiben  des 
Wortes  in  die  Augen  fiel.  Das  Simplex  wird  durch  39,  9  empfohlen 
(Noväk). 

Es  ist  zu  bedauern,  daß  der  Hsgb.  sich  nicht  in  einem  Vor- 
wort oder  in  einem  Anhange  über  seine  Textgestaltung  aus- 
gesprochen und  nicht  wenigstens  die  seiner  Ausgabe  eigentüm- 
lichen Lesarten  hervorgehoben  hat.  Es  fehlt  mir  an  Zeit,  diese 
Stellen  selbst  aufzusuchen,  ich  bin  aber  durch  das,  was  ich  auf- 
gefunden habe,  aufs  angenehmste  zu  erneuter  Erwägung  angeregt 
worden  und  würde  dem  Hsgb.,  der  sichtlich  zu  den  Wissenden 
gehört,  gern  noch  weiter  auf  seinen  Pfaden  gefolgt  sein.  Ich 
habe  nicht  alles,  was  mir  an  dem  Texte  aufgefallen  ist,  besprochen, 
um  nicht  schon  oft  von  mir  Gesagtes  zu  wiederholen.  Es  ist  ja 
in  diesen  Büchern  42 — 45  vieles  ganz  unsicher,  und  an  vielen 
Stellen  muß  man  sich  mit  einer  einigermaßen  wahrscheinlichen 
Herstellung  zufrieden  geben;  aber  gerade  weil  hier  noch  viel  zu 
tun  bleibt,  ist  jede  weitere  Mitarbeit  willkommen. 

Was  die  Orthographie  betrifft,  so  sollten  dem  Schüler  nur 
die  gebräuchlichen  Formen  vorgeführt  werden;  also  quicquam  (42, 
25, 13.  36,  5);  vgl.  42,  50, 11 ;  44,  25, 1.  —  ab  treptdo  (42,  66,  6). 
—  Paeligna  (44,  40,  50).  —  Thracia  (statt  Thraecia)  mag  für  die 
Schüler  geeigneter  sein.  —  84,  2  und  8  ludi  scaenici.  —  92,  3 
0„  nicht  Qu.  (98,  5).  —  94,  7  discribi.  —  42,  49,  9  Manli  als 
Pluralform  ist  mindestens  für  Schüler  ungeeignet. 

Kommentar.  Hier  sind  mir  nur  Kleinigkeiten  aufgefallen, 
die  von  ganz  geringer  Bedeutung  sind ;  vielleicht  verdient  die  eine 
oder  andere  Notiz  Beachtung  und  trägt  zur  Verbesserung  des 
Ausdrucks  bei  (der  Kürze  wegen  zitiere  ich  Seite  und  Paragraph 
und  gebe  hier  und  da  den  Wortlaut  so  an,  wie  er  mir  praktisch 
brauchbarer  zu  sein  scheint). 

S.  4  §  4  sind  die  modernen  geographischen  Bezeichnungen 
ganz  am  Platze,  machen  aber  einen  auffallenden  Eindruck  in  ihrer 
Verbindung  mit  den  alten  Verhältnissen;  Philipp  hatte  die  Bastarner 
aufgerufen,  „um  die  Dardaner  in  Serbien  zu  vernichten"  (S.  86 
§  3,  besser:  „im  heutigen  Serbien").  Übrigens  wäre  nach  der 
sonstigen  Weise  dieses  Kommentars  das  Wort  Bastarnae  in  der 
Erklärung  nicht  kursiv  zu  drucken  gewesen;   ebenso  nicht  73,7 


Livius,  von  H.  J.  Müller.  15 

historicum,  temporale  usw.:  96  servus y ublicus;  97,  1  imagines  usw. 
Ähnlich  hätte  man  54,  9  statt  des  Sperrdrucks  bei  compedes 
Graeciae  Anführungsstriche  erwartet,  —  4  §  5  paßt  wohl  „fördern" 
nicht  recht  zu  „Krieg".  —  5, 5  Achaja.  —  6, 10  „(Thrakien) 
stehe  .  .  .".  —  7,  9  der  <alten>  Schuldregister.  —  8,  3  würde 
ich  den  großen  Anfangsbuchstaben  vermeiden  und  entweder  ,,Akk. 
m.  Inf."  oder  „Acc.  c.  inf."  schreiben.  Ebenso  10,  8  a  c.  ablativo; 
26,  2  Coniunctivus  perfecti;  47,  2  Inflnitivus  passivi;  68,  14;  73,  8; 
79, 1;  83, 10;  92,7.  —  9,  3  ist  die  Erwähnung  der  Kasusformen 
von  Praxo  überflüssig;  es  genügt,  wenn  Praxo  hier  als  Akkusativ 
mit  griechischer  Endung  bezeichnet  wird.  —  9,  9  die  Erwähnung 
der  Patavinitas  ist  brauchbar;  aber  der  hier  angeführte  Grund 
soll  doch  wohl  nicht  der  einzige  gewesen  sein,  und  dem  Schüler 
wird  es  kaum  einleuchten,  daß  nicht  auch  Cicero  im  Gebrauch 
superlativischer  Ausdrücke,  wenigstens  der  Adjektiva  im  Superlativ, 
ziemlich  weit  gehe.  —  11,7  Lechaion  oder  Lechaeum;  ebenso 
57,7  Maedi  oder  die  Mäder.  —  12,1  Genitive;  so  müssen  wir 
doch  jetzt  nach  dem  „Gebrauch  in  den  preußischen  Kanzleien" 
schreiben1);  ebenso  Adjektiv,  Plusquamperfekt  und  Verb  (27,7; 
30,  7;  56,  9;  57,  6;  58,  9;  72, 1).  —  12,  3  Illyrien  oder  Illyricum; 
es  ist  kaum  zu  glauben,  daß  der  Schüler  die  Form  Ulyris  bei 
Ovid  kennen  gelernt  hat  —  12,  4  dürfte  eine  Reminiscenz  vor- 
liegen und  auspicibus  populis  nach  Hör.  Carm.  1,7,27  zu  erklären 
sein.  —  13,  2  sind  die  Deklinationsformen  von  Perseus,  die  sich 
bei  Cicero  finden,  überflüssig,  die  Livianischen  sind  nicht  voll- 
ständig angegeben ;  es  findet  sich  auch  der  Dativ  Perseo  (40,  5,  5) 
und  der  Akkusativ  Perseum  (40,22, 13).  —  17,5  die  vielen  „sc." 
(==  scilicet)  würde  ich  durch  „näml."  ersetzen  und  ebenso  „etc." 
(50,  9)  vermeiden.  —  19,  4  seltene  Ablativform  {dieses  Wortes); 
auf  diese  Stelle  könnte  83,  7  verwiesen  werden.  —  21,  2  empfiehlt 
es  sich  für  die  Übersetzung,  fateri  mitaufzunehmen.  —  26,  1 
Iuppiter  (28,  6).  —  38,  2  wenn  der  Kommentar  auf  eine  andere 
Stelle  verweist,  wie  hier  mit  „vgl.  60,  2",  so  wird  zu  verlangen 
sein,  daß  der  Schüler  diese  Stelle  wirklich  ansieht.  Was  soll  er 
aber  machen,  wenn  die  zitierte  Stelle  in  seiner  Ausgabe  nicht 
vorhanden  ist?  Ahrens  hat  Kap.  60 — 62  weggelassen.  Der  Schüler 
würde  auch  dann  in  Verlegenheit  kommen,  wenn  er  in  der  Lage 
wäre,  eine  andere  Ausgabe  einzusehen;  denn  Wßb.,  Mg.  und  Hertz 
haben  an  der  betr.  Stelle  hastis  ergänzt  (rumpns  ist  Vermutung 
Drakenborchs).  Und  wie  paßt  zu  ingentibus  gladiis  die  Erklärung 
„den  sogen,  rumpiae",  da  nach  Gellius  die  rnmpiae  Wurfgeschosse 
waren?  —  40,  2  ist  das  zu  in  certaminibus  ludicris  Gesagte  wohl 
überflüssig.  Daß  dies  „die  Übersetzung  von  iv  roig  yvfivixoTg 
äywaiv  aus    der  griechischen  Quelle  des   Livius"  ist,    wird    der 

*)  Der  Hsgb.  bat  dem  Kanzleigebrauche  seine  Aufmerksamkeit  nicht 
versagt,  und  so  begegnen  uns  Zirkus,  Zitadelle  u.  a.;  aber  mit  „Cbalzidize" 
scheint  er  mir  zu  weit  zu  gehen. 


16  Jahresberichte  d.  Philolog.  Verein«. 

Sehüler  aufs  Wort  glauben ;  aber  weshalb  luditris  =  yvppixoig 
sein  soll,  wird  ihm  doch  nicht  sogleich  einleuchten.  —  40,  5 
absolut  gebraucht,  wie  häufig.  —  42,  6  trepido]  das  Wort  hat  hier 
die  Bedeutung  „eilig",  wie  sonst  nur  bei  Dichtern.  —  46,11  quem 
(hat  sich)  in  .  .  .  —  47,  3  Alexanders  d.  Gr.  (82,  15;  90,  3; 
92,  4).  —  49,  2  den  Zeitpunkten  gegenüber.  —  52,  3  wird  die 
Stadt  Medeon  „Medunu  genannt.  —  57,  3  „den  Pferden  beiblieben*4 
ist  wohl  ein  Provinzialismus.  —  57,  4  ist  nicht  20  Drachmen  = 
24  Mark  zu  hoch  gerechnet?  —  58, 12  der  Begriff  „umständlich" 
liegt  wohl  nicht  eigentlich  in  imitiere.  —  62,  10  wo  wir  (das) 
Adverb  erwarteten.  —  63,  8  unter  dem  Kinn  zusammengebunden 
wurden.  —  63,  9  wurde  ich  gladiis  zu  micare  hinzufugen.  — 
67,  10  „circumagatur]  „hingebracht  wurde44;  wiederholt  braucht 
sonst  Livius  das  Verbum  extrahere".  Hier  scheint  ein  Irrtum 
vorzuliegen;  die  Erklärung  würde  passen,  wenn  annus  oder  ein 
anderer  Zeitbegriff  Subjekt  zu  circumagatur  wäre,  hier  ist  es  aber 
hostis.  —  69,  5  daß  Sulpicius  auch  ein  gefeierter  Redner  war,  ist 
wohl  für  den  Schüler  nicht  wichtig  genug,  um  erwähnt  zu  werden. 
—  70,  12  würde  ich  lieber  „das  rote  vexillura"  schreiben  als 
vexillum  russeum;  das  Adjektiv  russeus  ist  dem  Schüler  wohl 
bisher  unbekannt  gewesen.  —  71,  6  =  et  scitis  .  .  .  non;  non 
gehört  in  den  abhängigen  Satz.  —  71,  6  die  Feigsten.  —  72,  3 
muß  hier  wegen  des  Gegensatzes  zu  pugnando  ...  —  73,  1  aus 
welchem  Grunde  auch  immer.  —  77,  4  mit  diesem  in  gleichem 
Kasus.  —  77,  6  die  <Pest)  (Krankheit)  heißt  ...  —  78,  1  am 
Thermaischen  Busen  (das  Adjektiv  ist  Bestandteil  des  Namens); 
ebenso  37,  8;  79,  8;  80,  5;  77,  2  Kambunischen  Berge  (vgl.  S.  34 
Z.  2).  —  79,  3  um  die  früher  angegebenen  Verhältnisse  .  .  .,  in 
dem  das  Ereignis  eintritt  ...  —  79,  1  setzt  Livius  zuweilen  .  .  . 
(oder:  häufig,  statt  „gern44).  —  79, 1  die  aus  . . .  bekannte  Stadt . . . 
(auf  den  Akkusativ  braucht  in  der  Erklärung  nicht  Rücksicht  ge- 
nommen zu  werden).  —  84,  2  hätte  sich  die  Hinzufügung  einer 
Notiz  empfohlen,  welchem  Datum  der  4.  September  des  vor- 
julianischen  Kalenders  entspricht;  vielleicht  aber  ist  hier  mit  Ab- 
sicht dem  Lehrer  nicht  vorgegriffen  worden.  —  85,  1  aus  Cäsars 
Gallischem  Kriege  bekannt.  —  85,  2  anderer  Ausdruck  für  „zu- 
sammen habe44  erwünscht.  —  85,  4  wie  häufig  (bei  Livius).  — 
86  „natürlich44  kann  fehlen.  —  85,  12  kal.  Nov.  (das  große  K 
empfiehlt  sich  nicht,  wenn  im  Text  idus  mit  kleinem  Anfangs- 
buchstaben gedruckt  ist).  —  86,  2  dies  muß  am  Ende  des 
44.  Buches  gestanden  haben,  wo  in  der  Oberlieferung  eine  Lücke 
ist.  „Die  Lücke44  muß  doch  dem  Schüler  auffallig  sein.  Hier  hätte 
übrigens  der  Zweck  der  Ausgabe,  in  der  so  vieles  ausgelassen  ist, 
die  Streichung  der  Wörter  ut  supra  dictum  est  im  Text  gerecht- 
fertigt. —  89,  9  anderer  Ausdruck  für  „harter  Druck44  erwünscht, 
und  hinter  „dasselbe  zu  tun"  des  Verständnisses  wegen  hinzuzu- 
fügen: „(§  10)".  —  92,  4.  5  ist  praktischer:  359—336  und  336 


Livius,  von  H.  J.  Müller.  17 

—323.  —  93,  7  daß  Livius  „der  Regel  Ciceros"  folgt,  darf  man 
wohl  nicht  sagen.  —  97,  8  amtlich]  gemeint  ist  wohl  „recht- 
lich". —  98,  8  „bekannte"  kann  wohl  fehlen.  —  99,  4  Dienste 
leistete. 

Manche  Fremdwörter  müssen  dem  Schuler  selbst  erst  wieder 
erklärt  werden.  „Distrikt"  mag  er  vielleicht  kennen ;  zweifelhaft 
ist  mir  das  bei  „sollennen  Worten44  (87,2);  mehr  noch  bei  51,16 
des  hegemonischen  Stammes;  62,1  Generalappell;  74,6  Pikett; 
75,4  Theorie  (etwa:  in  dem  scbönklingenden  Namen);  81,12 
Feluke  (88,  2);  84,  6  Staffette;  93,  3  Regal. 

In  einer  Schulerausgabe  ist  eine  schulmäßige  Interpunktion 
wünschenswert;  ich  würde  ein  Komma,  bzw.  zwei,  hinzufügen: 
29,1;  32,11  vor  „ist44;  33,14  vor  „ist44;  34  hinter  „Wider- 
stände44; 43,2;  43,6;  44  vor  „nach44;  47,1  vor  „durch";  48,12 
vor  dem  Gleichheitszeichen;  54,4;  61,6  vor  „als";  68,1  vor 
„findet";  79,3  hinter  „Adverb";  89,9  hinter  „Druck44;  89,11 
vor  „nach44;  90,4  vor  „steht44;  92,3  vor  „im";  92,5  vor  „wie44; 
94,6  hinter  „Punkt44;  94,7  vor  „enthält";  das  Komma  ist  zu 
streichen  94,  7  hinter  „setzt44. 

Druckfehler:  29,  9  ist  im  Text  durch  ein  Versehen  Acidini 
eine  Zeile  zu  tief  geraten;  es  gehört  hinter  das  erste  Manli 
in  Z.  4.  —  49, 4  muß  es  im  Text  pro  certo  heißen,  wie  im 
Kommentar  steht.  —  51,  12  ist  im  Text  rebus  eine  Zeile  tiefer 
hinter  gerendis  zu  stellen.  —  78,  3  ist  im  Text  errore  vor  ex- 
pedita  zu  entfernen.  —  91,  7  zerschmet-tert.  —  92, 4  ist  im  Text 
amplexa  zu  lesen ;  desgleichen  93,  7  im  Text  laceratis  viribus. 

6)  F.  Luterbacher,  N.  Phil.  Rundschau  1904  S.  219— 223, 
spricht  sich  in  einer  Anzeige  der  Ahrensschen  Ausgabe  über  den 
Wortlaut    mehrerer  Stellen    ebenso    aus,    wie  ich  es  getan  habe: 
Außerdem  äußert  er  folgende  beachtenswerte  Vermutungen: 

42,  59,  3  sei  über  die  Thrazier  Genügendes  berichtet,  und 
über  die  Mazedonier  auf  dem  rechten  Flügel  werde  sonst  nichts 
gesagt;  deshalb  möchte  er  die  lückenhafte  Stelle:    tur  ||  bareturire 

[oder  tre] sis  hastas  pe  ||  tere  pedites tnquei  || 

nunc  succidere  crura  .  .  .  is  nunc  [|  ilia  suffodere  folgendermaßen 
ergänzen  oder  verbessern:  turbaretur.  inde  Meno  gladiis  hastas 
pe  ||  tere  pedites  iussit  eqvitumque  ||  nunc  succidere  crura  equites, 
nunc  ||  ilia  suffodere.  Es  scheint  mir  aber  kein  zwingender  Grund 
zu  der  Annahme  vorzuliegen,  daß  auch  die  Mazedonier  erwähnt 
sein  müßten;  das  hastas  petere  ist  ein  auffallender  Befehl,  des- 
gleichen das  equitum  succidere  crura  und  besonders  das  ilia  suf- 
fodere. Letzteres  ist  wohl  nur  von  den  Pferden  zu  verstehen 
(vgl.  Tac.  Ann.  2,  11),  und  so  wird  in  der  vierten  Zeile  am  zweck- 
mäßigsten equis  geschrieben  (für  equit  ist  kein  Raum,  und  es  ist 
is,  nicht  es  überliefert).  Auch  in  die  zweite  Zeile,  wo  nur  6  Buch- 
staben fehlen,    geht  Meno  gladiis  nicht  hinein,    selbst  wenn  man 

J»hresberiefaU  XXXI.  2 


18  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

die  Schreibung  gladis  voraussetzt,  und  das  gleiche  ist  von  der 
dritten  Zeile  zu  sagen. 

In  Ahrens'  Lesart:  tur  \\  baretur.  ingentibus  gladiis  Thracespe  \\ 
tere  pedites  nunc,  ||  nunc  succidere  crura  equis,  nunc  ||  ilia  mffbdere 
ist  in  der  zweiten  Zeile  ingentibus  und  die  Verwandlung  von  hastas 
in  Thraces  nicht  wahrscheinlich.  In  der  dritten  Zeile,  die  viel 
zu  kurz  geraten  ist,  wurde  man  sich  die  beiden  nebeneinander 
stehenden  nunc  gefallen  lassen,  wenn  sie  überliefert  wären;  für 
eine  Konjektur  bilden  sie  aber  einen  gar  zu  harten  Ausdruck, 
und  die  letzten  Buchstaben  sind  unberücksichtigt  geblieben.  Da 
der  Name  der  Thrazier  im  Vindobonensis  sehr  häufig  in  der 
ersten  Silbe  mit  e  geschrieben  ist,  was  auf  die  Form  Thraecia 
hinweist  (s.  JB.  1901  S.  12),  so  fing  die  Lücke  vielleicht  mit  Vre, 
d.  h.  mit  Thraeces  an  (vgl.  den  Gitlbauerschen  Vorschlag).  Um 
weiteres  Nachdenken  über  die  Stelle  anzuregen,  stelle  ich  folgendes 
als  möglich  hin :  tur  ||  baretur.  re(gii  lori)gis  hastis  pe  ||  tere  pedites 
(iussi  gladi)isque  ||  nunc  succidere  crura  (equ)is,  nunc  ||  Uta  suf- 
fodere. 

44,  22,  2  empfiehlt  Ltb. :  consul  sum  renuntiatus.  Schon 
Zingerle  hat  die  Ansicht  geäußert,  daß  consul  wiederholt  und  da- 
durch der  Anfang  des  Verbs  verzehrt  worden  sei,  was  sehr  wohl 
möglich  ist.  Er  entscheidet  sich  für  creatus  (Pluygers).  —  22,  6 
verwirft  Ltb.  mit  Recht  die  La.  von  Ahrens  und  gibt  als  unge- 
fähren, dem  Sinn  entsprechenden  Wortlaut  an:  vos,  quae  scripsero 
senatui  aut  vobis  (nuntii  mei  exposuerint  [vgl.  45,  2,  6],  eis  moneo 
ut  acquiescatis  nee  ru)mores  .  .  alatis.  Ähnlich  Noväk,  nur  daß  er, 
kürzer  als  Ahrens,  auch  vobis  mit  scripsero  verbindet :  vos  ..  vobis, 
(iis  modo  credite  et  cavete  ru)mores  .  .  alatis.  Was  zu  ergänzen 
ist,  bleibt  im  einzelnen  natürlich  unsicher;  vgl.  meine  Bemerkung 
bei  Weißenborn.  —  24,  7  schreibt  Ahrens:  suspectum  Romanis 
Eumenem  falsis  gravabant  probris,  während  die  Hs.  statt  der  letzten 
beiden  Wörter  gravioribus  hat.  Eine  Belastung  mit  Vorwürfen 
scheint  aber  Ltb.  zum  Folgenden  nicht  zu  passen;  der  Sinn  sei, 
die  Verhandlungen  machten  Eumenes  durch  falsches  Gerede  ver- 
dächtig: falsis  rumoribus  (.  .).  —  25, 1  ist,  wie  Ltb.  mit  Recht 
betont,  die  handschr.  Oberlieferung  festzuhalten;  auch  von  Harteis 
Umstellung  quia  non  tarn  .  .  quam  kann  ruhig  abgesehen  werden. 
Ahrens'  La.  (non  tantum  .  .  etiam)  und  die  meinige  (non  tarn  .  . 
etiam)  sind  nicht  zu  gebrauchen.  —  33,  2  ist  mancherlei  zur  Ver- 
besserung des  Verbs  vorgeschlagen  worden.  Merkwürdig,  daß 
keiner  der  Hsgb.  an  dem  Konjunktiv  Anstoß  genommen  hat. 
Diesen  verlangt  Ltb.  und  schreibt  emittebant  (Noväk  früher  emitte- 
rent).  Der  Ausdruck  ist  brauchbar  (s.  21,  37,  5;  32,13,3),  die 
Wortform  liegt  aber  von  den  Zügen  der  handschr.  La.  (euergentt) 
etwas  weit  ab.  —  36, 1  ergänzt  Ltb.  (gravissimum  tempus}  anni 
. .  erat,  es  war  die  drückendste,  heißeste  Zeit  des  Jahres  (vgl.  Ovid 
Met.  6,339:    cum  sol  gravis  ureret  arva)\  ganz   ansprechend.  — 


Livius,  von  H.  J.  Müller.  19 

36,2  hebt  Ltb.  hervor,  daß  Grynaeus'  La.  accessurum  utrumque 
gegen  die  Grammatik  verstoße,  welche  accessuram  utramque  ver- 
lange. Ob  er  dies  in  den  Text  gesetzt  wissen  will,  ist  nicht  er- 
sichtlich. In  der  Überlieferung  scheint  aestum  zu  liegen  (vgl.  $  5 
und  7)  und  adcesserunttum  als  adcesserunt  mit  Korrekturvariante 
tum  (=  vel  um)  aufgefaßt  werden  zu  können.  Dann  wurde  an 
meridie  aestum  magis  accessurum  mox  apparebat  nur  anstößig  sein, 
daß  mox  hinter  dem  Infinitiv  steht,  ein  Anstoß,  der  sich  durch 
Umstellung  von  mox  beseitigen  ließe.  JNoväk  ist  für  diesen  Wort- 
laut, streicht  aber  mox.  —  39, 1  verwirft  Ltb.  die  Streichung  von 
habentes  (Mg.)  und  meint,  man  müsse  es  korrigieren,  „etwa  zu 
habebamm".  Besser,  glaube  ich,  wird  mit  Vahlen  eine  Lücke  an- 
genommen: „Nun  ja,  wird  man  mir  antworten,  wir  hätten  aller- 
dings ein  Heer  gehabt,  das  ungeordnet  war  und  nicht  in  Reih' 
und  Glied  stand,  aber  [Komma  hinter  habuissemus]  (wir  hätten) 
doch  ein  befestigtes  Lager  (gehabt),  eine  geordnete  Wasserzufuhr, 
den  Weg  dorthin  gesichert  durch  aufgestellte  Posten,  alles  rings- 
umher wohlausgekundschaftet;  —  oder  hätten  wir  vielmehr,  nichts 
unser  eigen  nennend  als  das  kahle  Feld,  auf  dem  (...),  fechten 
sollen?  Eure  Vorfahren  waren  der  Ansicht"  usw.  —  43,4  weist 
Ltb.  darauf  hin,  daß  „nach  der  Hs."  zu  lesen  sei:  difficultatibus 
viae  est  vexatus.  in  regia...,  wozu  ich  bemerke,  daß  est  im 
Kodex  fehlt  und  von  Noväk  vor  vexatus  eingeschoben  worden  ist, 
während  es  in  den  Ausgaben  seit  Grynaeus  hinter  vexatus  gelesen 
wird.  Die  Vermutung  Wßb.s,  die  sich  in  Ahrens'  Text  findet, 
hat  niemals  Anklang  gefunden. 

45,  7,  5  streicht  Ltb.  et  hinter  consul,  „wie  es  der  Gedanke 
und  der  Satzbau  fordern",  worin  ich  ihm  beistimme.  —  18,  6 
hat  Ahrens  sich  insofern  an  Mg.  angeschlossen,  als  er  improbatum 
aufnahm,  wozu  Ltb.  in  der  Annahme,  daß  Ahrens  „doch  wohl  est 
ergänze",  sagt:  „Besser  wäre  improbabant".  Ich  habe  mich  bei 
Wßb.  gegen  improbare  mit  abhängigem  Acc.  c.  inf.  ausgesprochen, 
kann  also  auch  improbabant  nicht  für  besser  halten.  Der  Sinn 
der  Stelle  ist  ja  deutlich,  und  an  Herstellungsversuchen,  welche 
sachgemäß  sind,  fehlt  es  nicht;  eine  überzeugende  Ergänzung  ist 
aber  noch  nicht  gefunden  worden.  Ich  will  einer  Idee  Ausdruck 
geben,  die  darauf  fußt,  daß  man  möglichst  nur  an  einer  Stelle 
Wörter  einfügen  soll  und  daß  sich  eine  Einteilung  im  vorher- 
gehenden erkennen  läßt  (§  1  omnium  primum;  §  3  quoque):  defore. 
(denique  ne,  si)  commune  concilium  gentis  (oder  genti)  esset,  in- 
probus  vulgi  adsentatar  .  .  traheret,  in  quattuor  regiones  discribi 
Macedoniam,  ut  suum  quaeque  concilium  haberet,  placuit. 

9)  A.  Zingerle,  Zum  44.  Buche  des  Livius.  Wien  1904,  Carl  Gerold's 
Sohn.  14  S.  gr.  8.  (S.-A.  aus  den  Sitzungsberichten  der  Kaiserl. 
Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien ,  philosophisch  -  historische 
Klasse,    ßand  CXLVIII.) 

1,  5  schlägt  Z.  vor,  das  überlieferte  iunctam  zu  (in}iunctam 

2* 


20  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

zu  vervollständigen;  „die  Hervorhebung,  daß  der  Befehlshaber  die 
Soldaten  von  ihrer  völligen  Zügellosigkeit  zu  der  ihnen  wieder 
aufgebürdeten  strengen  Zucht  zurückgebracht  habe,  scheint  im 
ganzen  Zusammenhange  gut  passend".  Das  vom  Verf.  eingefugte 
Attribut  „streng4'  bildet  wohl  zu  effusa  licentia  einen  besseren 
Gegensatz  und  ist  auch  wohl  bezeichnender  als  das  ziemlich  nichts- 
sagende „aufgebürdet44;  denn  zügellose  Soldaten  müssen  selbst- 
verständlich zur  Ordnung  gezwungen  werden.  Das  Verb  an  sich 
ist  mir  nicht  anstößig;  aber  man  erwartet  den  Begriff  hier  nicht 
neben  (ad  militarem  disciplinam)  formato,  welches  der  mildere 
Ausdruck  für  coacto  ist  und  in  einfacher  Weise  die  Tatsache  des 
Erfolgs,  den  der  Feldherr  hatte,  angibt.  Die  Änderungen  cunctam, 
unicam,  iustam  und  intentam  sind  nicht  treffend,  auch  mit  dem 
Sprachgebrauch  schwer  zu  vereinbaren;  am  natürlichsten  hieße  es 
bloß  ad  militarem  disciplinam  (Noväk).  Aber  die  Entstehung  des 
fehlerhaften  iunctam  läßt  sich,  wie  Z.  richtig  hervorhebt,  nicht 
erklären.  Ich  habe,  ohne  daß  ich  damit  eine  wirkliche  Emendation 
gefunden  zu  haben  glaube,  mir  angemerkt:  ad  (d)iu  n(egle)ctam 
militarem  disciplinam. 

2,  10  wird  das  schon  von  Crevier  beanstandete  und  von  mir 
für  ein  Glossem  erklärte  iuvenum  als  unechter  Zusatz  eingeklammert 
und  zur  Begründung  auf  Stellen  hingewiesen,  wo  die  velites  als 
levis  armatura  bezeichnet  werden.  „Hieraus  könnte  es  sich  er- 
klären, daß  einst  ein  nicht  ungeübter  Abschreiber  dem  levis  arma- 
turae  am  Rande  die  Glosse  uel  uelitum  beischreiben  zu  sollen 
glaubte,  woraus  wohl  ein  iuuenum  entstehen  und  allmählich  in 
den  Text  dringen  konnte'4. 

3,  1  schreibt  Z.  im  Anschluß  an  Hartel:  dux  regius  castra 
(habebaty,  womit  man  einverstanden  sein  kann.  Er  versucht  auch 
hier  eine  Erklärung,  wie  man  sich  die  Entstehung  der  Korruptel 
denken  soll :  „nach  vielen  Beispielen  ähnlicher  Abirrungen  konnte 
aus  ursprünglichem  duxregius  leicht  duxiusregius  entstehen  und 
daraus  zur  Herstellung  einer  Wortform  die  Änderung  duximus  regis 
sich  entwickeln,  wobei  auch  der  Zeilenschluß  (die  Hs.  hat:  duxi\\ 
mus  regis)  einiger  Beachtung  wert  sein  dürfte'4,  regius  scheint 
von  Z.  herzurühren  und  ist  besser  als  regis. 

6,6  schreibt  Z.  nach  meinem  Vorschlage:  itaque  si  [du]  in- 
trepidus  rex  primam  speciem  .  .  .,  eine  La.,  die  auf  kühnem  Pfade 
gewonnen  und  keineswegs  über  allen  Zweifel  erhaben  ist.  Aber 
durch  Z.s  paläographische  Erörterungen  hat  sie  eine  Stütze  er- 
halten und  an  Wahrscheinlichkeit  etwas  gewonnen  (vgl.  JB.  1892 
S.  25).  Mit  Recht  weist  Z.  darauf  hin,  daß  falsche  Wort-  und 
Buchstabenwiederholungen  nicht  nur  zu  Entstellungen  des  ur- 
sprünglichen Wortlautes  geführt,  sondern  sogar  den  Ausfall  von 
Wörtern  veranlaßt  haben.  Dieser  Vorgang  ist  meiner  Meinung 
nach  auch  27, 1  anzunehmen,  wo  vielleicht  das  fälschlich  wieder- 
holte multitudinem  das  ursprüngliche  und,  wie  auch  Z.  urteilt,  un- 


Livius,  von  H.  J.  Müller.  21 

entbehrliche  eum  verdrängt  hat.  Unmöglich  scheint  mercedum 
(eum)  multitudinem,  wie  Hartel  vorgeschlagen  hat.  —  6,  15 
könnte,  wie  Z.  behauptet,  spatii  allerdings  unter  der  Einwirkung 
des  vorhergehenden  passum  (so  die  Hs.)  zu  spatium  geworden  sein; 
aber  zu  jener  La.  darf  doch  erst  dann  gegriffen  werden,  wenn 
die  Unhaltbarkeit  von  spatium  erwiesen  ist.  Drakenborchs  Er- 
klärung möchte  ich  mir  nicht  aneignen;  sie  spricht  mehr  für 
spatii  als  für  spatium.  Aber  ich  sehe  nicht  ein,  warum  plus  mit 
diesem  Begriff  und  nicht  mit  dem  Zahlwort  verbunden  werden 
soll.  Hätte  Livius  quam  ausgelassen,,  was  er  anderswo  oft  getan 
hat,  so  könnte  es  ja  gar  nicht  anders  als  spatium  heißen.  Hier- 
nach halte  ich  Weißenborns  Erklärung  für  richtig. 

7, 1  spricht  sich  Z.  für  Grynaeus'  La.  aus.  der  nur  von  der 
überlieferten  Wortform  segnitia  nicht  hätte  abgehen  sollen,  und 
gibt  beachtenswerten  Aufschluß  darüber,  wie  die  stark  verderbte 
La.  hat  entstehen  können.  Zum  Ausdruck  vergleiche  ich  34, 
25,10.  —  Ebenso  erklärt  und  befürwortet  er:  9,4  (ad)  op- 
pugnationem  (Vahlen);  9,6  decursu  (l)oujat);  13,3  (ab)  necopi- 
nato  (Noväk);  18,  4  gestum  (Gronov);  35,  4  castra  (Romana) 
(Harant). 

9, 5  teilt  Z.  das  von  Weißenborn  geäußerte  Bedenken  und 
fragt:  „Wurde  etwa  dadurch  (durch  inductio)  instructio  verdrängt? 
Letzteres  Wort  würde  in  der  Bedeutung  „Aufstellung1'.  „Anord- 
nung" wohl  passen  und  wäre  auch  gut  nachweisbar4'.  Ich  glaube, 
daß  Weißenborn  hier  befangen  war  und  an  der  Oberlieferung 
nichts  auszusetzen  ist. 

15.  1  scheint  Z.  geneigt,  (ut)  sciret  indicatum  ((ut)  nach 
Sigonius)  zu  lesen,  und  fragt:  „Sollte  aber  dann  vielleicht  statt  iudi- 
catum  geradezu  iudicium  herzustellen  sein?"  Trotz  der  Erklärung 
Mg.s  ('causam  a  populo  Romano  tamquam  domino  iudicatam  esse') 
kann  ich  an  den  durch  Konjektur  hineingebrachten  Gedanken  (die 
Hs.  hat  indicatum)  nicht  recht  glauben,  der  nach  dem  Vorher- 
gehenden sehr  blaß  und  eigentlich  nichtssagend  ist.  Man  erwartet 
nicht  mehr  als  etwa  cum  senalus  consulto,  und  fehlten  die  Worte 
ganz,  so  würde  gar  nichts  vermißt.  Eine  unrichtige  Wiederholung 
sah  in  ihnen  Hartel.  der  nach  der  Angabe  bei  Hertz  glaubte  und 
glauben  mußte,  daß  screcitatum  in  der  Hs.  überliefert  sei;  das 
war  aber  ein  Versehen  bei  Hertz  (von  ihm  später  als  'er  rat  um' 
berichtigt).  Im  Kodex  sieht  tatsächlich  sciretindi  \\  catum,  und  das 
ist  ohne  allerlei  Änderungen  nicht  zu  gebrauchen.  Ich  habe  von 
je  her  in  diesen  Worten  eine  falsche  Wiederholung  von  sc.  red- 
tatum  gesehen,  das  vom  Abschreiber  verwässert,  vielleicht  durch 
Hineinziehen  eines  zur  Erklärung  oder  Emendation  überge- 
schriebenen indicatum  [recitatum  paßte  hier  ja  nicht)  verunstaltet 
wurde,  und  empfehle  noch  heute  ihre  Entfernung  aus  dem  Texte. 

18, 1  würde  vielleicht,  meint  Z,  allem  Genüge  geleistet  durch 
die  Kombination  praeterquam   quod   ali(as  agil)is  vir  erat.    Bei 


22  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

solcher  Verbindung  dürfte  der  Zweifel  Mg.s  an  alias  und  agilis 
sich  schwächen.  An  agilis  wird  man  aber  doch  zweifeln  müssen 
angesichts  der  sonstigen,  abweichenden  Verwendung  dieses  Wortes 
und  des  Substantivs  agilitas  bei  Livius. 

19,  9  lesen  die  Herausgeber  nach  dem  Vorschlage  Weißen- 
borns: navali  proelio  (superior)  fuerat,  und  daran  dürfte  nichts 
auszusetzen  sein.  Der  Verf.  aber  sagt:  „Man  könnte  vermuten, 
daß  aus  fuerat  einfach  vicerat  herzustellen  und  auch  hier  wieder 
der  häufige  Fall  anzunehmen  sei,  daß  eine  Silbe  aus  der  Nähe 
die  richtige  verdrängte'4.  Diese  „Silbe  aus  der  Nähe44  steht  aber 
ziemlich  fern;  daher  gibt  Z.  noch  eine  zweite  Erklärung  der  Ver- 
derbnis: „Es  konnte  das  fuerat  des  vorangehenden  Paragraphs 
herabwirken  oder  möglicherweise  unter  Einfluß  des  unmittelbar 
sich  anschließenden  et  tumultuario  zunächst  ein  tuerat  entstanden 
und  dies  dann  zu  fuerat  gemacht  worden  sein44.  —  19, 10  schreibt 
Z.  nach  Weißenborn:  imperio  (Romano),  da  „dieses  Wort,  respec- 
tive  die  Kürzung  f  nach  dem  vorhergehenden  regno  regibusque 
und  beim  dann  gleich  folgenden  populi  Romani  doppelt  leicht 
ausfallen  konnte44.  Es  gehört  doch  eine  starke  Phantasie  dazu, 
sich  diesen  Vorgang  plausibel  vorzustellen.  Ist  Romano  unent- 
behrlich, so  kann  man  es  ohne  weiteres  hinzusetzen;  denn  auch 
das  versehentliche  Auslassen  einzelner  Wörter  gehört  zu  den 
Eigentümlichkeiten  des  Schreibers  des  cod.  Vindobonensis1).  Un- 
entbehrlich ist  aber  Romano  nur  dann,  wenn  an  imperio  fest- 
gehalten wird,  und  dieses  Wort  ist  hier  mindestens  auffallend. 
Erstens  ist  der  Zusatz  überflüssig  (vgl.  37,  54,  8.  9;  40, 17,  5 
u.  a.);  zweitens  ist  der  Ausdruck  ungewöhnlich  (statt  populo  Ro- 
mano); drittens  kann  der  Dativ  neben  regno  regibusque  nach  opem 
ferrent  mißverstanden  werden  (wäre  amicus  imperii  Romani  ein 
gangbarer  Ausdruck,  so  würde  ich  vorschlagen,  imperir  =  imperi 
Romani  zu  schreiben).  Danach  scheint  mir  die  Sache  keineswegs 
sicher  zu  sein  und  die  Erklärung  Weißenborns,  der  in  imperio 
sogar  einen  scharfen  Gegensatz  zu  regno  witterte,  vor  Noväks 
Änderung  impigre  den  Vorzug  nicht  zu  verdienen. 

20,  4  hält  Z.  an  der  Ergänzung  dierum  fest,  erklärt  aber  die 
Zahl  sex  für  zu  klein;  er  ist  geneigt,  ui(ginti  dierum)  zu  schreiben, 
und  das  gefällt  mir  recht  wohl. 

21, 10  teilt  Z.  mein  gegen  Macedoniam  geäußertes  Bedenken, 
möchte  aber  nicht  bloß  Illyrieum  dafür  einsetzen,  sondern  pro- 
vinciam  Illyrieum  (vgl.  §4);  „nach  einer  unter  Einwirkung  des 
nahen  Macedoniam  (§  8)  erfolgten  Korrumpierung  des  Wortes  pro- 
vinciam  in  Macedoniam  sei  vielleicht  in  der  Folge  naheliegend 
Illyrieum  von  einem  Schreiber  weggelassen  worden44. 

])  So  schreibt  Z.  6,17  (patefactisque)  omnibut  (adüibus)  nach  Novak 
(vgl.  §2);  eunetis  adüibut  früher  Vahlen;  saltibus  Drechsler,  der  advUbus 
wegen  der  Form  beanstandete,  zugleich  aber  fragte,  ob  mau  nicht  ohne  eine 
Hiazufügung  auskommen  und  Omnibus  als  Subjekt  zu  nudatü  und  patefactis 
nehmen  könne.     So  Ahreos  in  seiner  Ausgabe. 


Livius,  von  H.  J.  Möller.  23 

10)  T.  Livi  ab  urbe  condita  libri.  Edidit  Antonius  Zingerle.  Pars  VII. 
Fasciculus  IM.  LiberXXXXlIIl.  Editio  maior.  Vindobonae,  F.Tempsky; 
Lipsiae,  G.  Freytag  1904.    VIII  u.  69.  kl.  8.     1  K  50  h  (1}50  Ji). 

Das  Erscheinen  eines  neuen  Teilchens  von  Zingerles  Ausgabe 
der  5.  Dekade  des  Livius  ist  für  die  Livianer  regelmäßig  ein 
freudiges  Ereignis.  Jeder  weiß,  und  das  bestätigt  sich  auch 
dieses  Mal,  daß  man  1)  eine  authentische  Kollation  der  Wiener 
Handschrift  erwarten  darf  und  2)  einen  kritischen  Apparat  von 
solcher  Fülle  und  Vollständigkeit,  wie  er  nach  eigenen  Aufzeich- 
nungen schwerlich  jemandem  zur  Verfügung  steht.  Nimmt  man 
hinzu,  daß,  wie  es  auch  in  dem  vorliegenden  Hefte  wieder  der 
Fall  ist,  in  allen  Angaben  die  größte  Zuverlässigkeit  herrscht 
(nirgends  ein  Versehen  oder  auch  nur  ein  Druckfehler),  so  stellt 
sich  die  Ausgabe  als  das  Werk  eines  bewunderungswürdigen 
Fleißes  dar,  für  das  man  dem  Bearbeiter  nebst  seinem  Sohne1) 
vielen  Dank  schuldig  ist. 

Bei  der  Auswahl  der  Lesarten  ist  Z.  mit  der  bei  ihm  be- 
kannten Umsicht  und  gründlichen  Erwägung  zu  Werke  gegangen. 
Über  manche  Lesarten  wird  Übereinstimmung  der  Ansichten 
schwerlich  jemals  erzielt  werden.  An  einigen  Stellen  bin  auch  ich 
anderer  Ansicht  als  der  Herausgeber.  Im  allgemeinen,  glaube  ich, 
wird  der  Name  Harteis  und  der  meinige  im  Apparat  öfter  genannt, 
als  sie  es  verdienen. 

Über  manche  Lesarten  habe  ich  mich  oben  bei  der  Anzeige 
der  Ahrensschen  Ausgabe  und  der  Zingerleschen  Akademie -Ab- 
handlung geäußert.     Folgende  Kleinigkeiten  füge  ich  hinzu. 

6,  8  verdiente  ein  Vorschlag  von  E.  Thomas  Erwähnung,  der 
nicht  recht  bekannt  geworden  ist  (Schedae  criticae  in  Senecam 
rhetorem  selectae,  Diss.  von  Berlin  1880,  Thesis  5):  nam  praeter 
angustias  —  per  quinque  milia  . .  .  oculorum  animique  possit  — 
terret  et  tonitus  et  altitudo  usw.  —  6, 17  ist  das  Fehlen  des  rich- 
tigen Subjekts  immerhin  anstößig.  Wird  eine  Lücke  angenommen, 
so  kann  in  dieser  auch  noch  rex  (hinter  aditibus)  gestanden 
haben.  —  17,  3  statt  receptas  möchte  Luterbacher  lieber  dllatas 
lesen,  und  dies  verdient  den  Vorzug,  da  jene  Verbindung  bei  Liv. 
überhaupt  nicht  begegnet.  Die  in  litteras  allatas  a  consule  liegende 
Undeutlichkeit  des  Ausdrucks  ist  ja  nur  scheinbar;  vgl.  außerdem 
22,  56,  1;  27,  39,  1.  Um  kenntlich  zu  machen,  daß  das  Auge 
des  Schreibers  von  consulem  zu  consule  abgeirrt  sei,  wird  die 
angegebene  Wortfolge  in  der  Ergänzung  am  besten  beibehalten; 
sonst  könnte  es  auch  litteras  a  consule  allatas  und  natürlich  auch 
litteras  eonsulis  allatas  usw.  heißen  (vgl.  29, 10, 1).  —  24, 1  hätte 
das  überlieferte  regem  doch  wohl  im  Text  stehen  bleiben  sollen. 
—  25,  5  ist  Cobets  (ad)  conciliandam  gratiam  schon  früher  von 


l)  Der  Sohn  des  Herausgebers,  Josef  Zingerle,  hat  den  Kodex  aufs 
sorgfältigste  verglichen.  Bei  einer  Reihe  von  Varianten  beschreibt  er  des 
handschriftlichen  Befand  mit  minutiöser  Genauigkeit  (S.  IUI — VIII). 


24  Jahresberichte  d.  Phiiolog.  Vereins. 

.Wesenberg  vorgeschlagen  worden,  der  freilich  selbst  seiner  anderen 
Vermutung  conciliandae  gratiae  den  Vorzug  gibt  Ob  Harteis 
Vorschlag  Aufnahme  verdiente,  ist  mir  zweifelhaft.  Freilich  magis 
bleibt  unerklärt,  in  magni  (Mg.)  ist  es  jedenfalls  nicht  zu  ändern. 
Vgl.  oben  S.  13.  —  27,  3  durfte  die  Form  Threciam  wohl  nicht 
unverändert  beibehalten  werden.  —  28,  11  empfehle  ich  die 
Streichung  von  que;  denn  die  Korresponsion  von  que  und  et  in 
der  hier  vorliegenden  Weise  findet  sich  sonst  bei  Livius  nicht, 
vielmehr  erst  bei  Tacitus,  wenn  die  Angabe  Drägers  (II  *  79) 
richtig  ist.  — 35,  14  scheint  mir  das  Asyndeton  höchst  auffällig 
und  (et)  Q.  wünschenswert  zu  sein.  —  35,  18  hat  Mg.  mit  der 
Annahme,  daß  etwas  mehr  ausgefallen  sei,  wohl  recht;  wenigstens 
läßt  es  der  folgende  Zusatz  cum  suis  legionibus  vermuten.  Um 
das  Abirren  des  Schreibers  zu  verstehen,  möchte  ich  schreiben: 
hinc  (rege    cum  phalange,   Mnc)  consule   cum  suis  legionibus.  — 

37,  5  zu  der  Namensform  Gallus  vermißt  man  eine  Notiz,  wenig- 
stens   den  Hinweis    auf   Mommsen    im   Rhein.  Mus.  16,  355.  — 

38,  7  wurde  ich  Dükers  Vermutung  nicht  unerwähnt  gelassen  und 
auf  den  Vorschlag  Rupertis  (adfuerimus)  empfehlend  hingewiesen 
haben.  Auch  daß  Vahlen  eine  Lücke  in  der  Gedankenreihe  auf- 
weist und  welche  Ergänzung  er  beispielsweise  anführt,  sollte  nicht 
verschwiegen  sein.  Vahlens  Ansicht  über  die  ganze  Rede  wird 
überhaupt  nicht  recht  deutlich,  wenigstens  nicht  das,  was  er  in 
den  Sitzungsberichten  der  preußischen  Akademie  (1889)  geäußert 
hat.  Den  Vorschlag,  39,  1  habuissemus  zu  wiederholen,  hat  er, 
glaube  ich,  aufgegeben;  er  hat  ihn  a.  a.  0.  nicht  erwähnt  und 
sich  statt  dessen  erst  für  (sed),  dann  für  das  Asyndeton  aus- 
gesprochen. Auch  die  Versetzung  von  39,  5  sine  ulla  .  .  .  dimi- 
caremus  und  38,  7  partum  hoc  . .  .  iuvantibus  sumus?  hinter  39. 1 
in  quo  pugnaremus,  (so!)*  welche  mir  sehr  durchdacht  erscheint, 
finde  ich  nirgends  angeführt.  —  42,  6  ich  glaube,  daß  (ex},  nicht 
(e)  vor  scaphis  einzufügen  ist;  eine  Untersuchung,  zu  der  mir 
jetzt  die  Zeit  fehlt,  wird  wahrscheinlich  ergeben,  daß  Livius  ex 
oder  e  vor  s  nicht  ohne  Unterschied  anwendet.  —  43,  4  wird 
die  La.  wohl  richtig  sein;  aber  um  nur  eine  Lücke  anzunehmen, 
könnte  man  an  Euctus  (et  Eulaeus  at)que  regii  .  .  .  denken. 

11)  The  Oxyrhynchiis  Papyri  Part  IV.  Edited  with  Translatious  aod 
Notes  by  B.  G.  Greafell  and  A.  S.  Hunt  With  eight  Plates. 
London  1904,  The  Offices  of  the  Egypt  Exploration  Fond.  XII  u. 
306  S.  4.  geb.  —  Vgl.  Athenaeum  Nr.  4002  S.  39;  F.  B.,  Lit. 
Zentralbl.  1904  Sp.  927— 931;  J.  S.  Reid,  The  Class.  Rev.  XVIII 
(1904)  S.  290—3001;  O.  Rossbach,  Berl.  phil.  WS.  1904  Sp.  1020—1022 
und  1319—1320;  B.  Kornemanu,  Berl.  phil.  WS.  1904  Sp.  1182— 1183; 
K.  Fuhr,  Berl.  phil.  WS.  1904  Sp.  1183. 

Die  Einrichtung  des  vierten  Bandes  der  Oxyrhynchus-Papyri 
ist  die  nämliche  wie  in  den  früheren  Bänden;  die  Urkunden 
sind,  wie  im  dritten  Bande,  nach  dem  Inhalte  gruppiert;  die  er- 


^ 


Livius,  von  H.  J.  Müller.  25 

klärenden  Bemerkungen  stehen,  wie  früher,  hinter  dem  Text.  In 
dem  Buche  zu  studieren  ist  ein  Genuß;  man  fühlt  sich  in  gleicher 
Weise  durch  das,  was  veröffentlicht  wird,  angezogen  wie  durch 
die  Art,  in  der  die  Herausgeber  ihres  Amtes  gewaltet  haben. 
Grenfell  und  Hunt  bewegen  sich  auf  diesen  so  ganz  verschiedenen 
Gebieten  mit  einer  Sicherheit  und  zeigen  überall  eine  Gelehrsam- 
keit und  einen  Scharfsinn,  die  bewundernswert  sind.  Es  ist 
überflüssig,  darüber  ein  weiteres  Wort  zu  verlieren.  Man  kann 
den  unermüdlichen  Forschern  nur  wünschen,  daß  das  Glück  ihnen 
hold  bleibe  und  sie  in  den  Stand  setze,  uns  mit  noch  vielen 
solchen  interessanten  Funden    zu    überraschen    und  zu  erfreuen. 

Das  Wichtigste  von  dem,  was  sich  in  diesem  Bande  ver- 
öffentlicht findet,  ist  folgendes:  1)  theologische  Fragmente  (neues 
Stück  der  Logia,  Bruchstücke  von  einem  unbekannten  und  un- 
benannten Evangelium,  von  dem  Buche  Genesis  in  der  Septua- 
ginta-Übersetzung,  von  dem  Brief  an  die  Hebräer  u.  a.);  2)  neue 
klassische  Fragmente  (llaQ&Speia  des  Pindar  aus  vorchristlicher 
Zeil,  ein  Päan,  einige  Epoden,  Epigramme  u.  a.  m.  von  geringerer 
Bedeutung);  3)  Fragmente  erhaltener  Klassiker  (Homer,  Hesiod, 
Sophokles,  Thukydides,  Xenophon  u.  a.)  mit  zum  Teil  interessanten 
Varianten;  4)  Urkunden  mannigfaltigster  Art  und  Addenda  zu  den 
früher  veröffentlichten  Funden. 

An  dieser  Stelle  ist  genauer  über  den  Papyrus  Nr.  668  zu 
berichten  (S.  90 — 116),  der  eine  Epitome  Livii  enthält,  und  zwar 
Auszüge  aus  den  Büchern  37 — 40  und  48 — 55.  Es  sind  8  Papyrus- 
blätter; je  auf  der  Vorderseite  steht  der  lateinische  Epitome-Text, 
je  auf  der  Rückseite  der  griechische  Text  des  erwähnten  Hebräer- 
briefes. Zwischen  dem  3.  und  4.  Blatt  fehlen  9 — 10  Blätter, 
zwischen  dem  6.  und  7.  Blatt  fehlt  1  Blatt  (mit  einem  Teile  der 
Epitome  des  54.  Buches),  und  auf  dem  4.  und  6.  Blatte  sind 
nur  die  Anfänge  der  Zeilen  mit  je  6 — 10  Buchstaben  erhallen. 

Geschrieben  sind  die  Blätter  etwa  im  Anfange  des  4.  Jahr- 
hunderts, vielleicht  schon  im  3.  Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung'1) 
in  großen  Uncialen,  untermischt  mit  Minuskelformen,  die,  soweit 
es  der  Zustand  der  Blätter  nicht  erschwert,  meist  deutlich  zu 
lesen  sind.  Aber  sämtliche  Zeilen  zeigen  Lücken,  manche  Buch- 
staben sind  nicht  sicher  zu  erkennen,  und  in  den  einzelnen 
Wörtern  treten  uns  viele,  zum  Teil  —  namentlich  in  den  Eigen- 
namen —  sehr  starke  Verderbnisse  entgegen ;  z.  ß.  Z.  3  Lepidinus 
(st.  Licinius),  Z.  7  Rhodmta  (Bononia).  Z.  25  Metellis  (FßtilUis), 
Z.  56  lanatone  (M.  Colone).  Z.  57  uastaita  (basilica),  75  Nerylli 
(Petillii),  78  L  Liuius  (L.  Villius),  120  miliaannum  (AemilianumU 
123  socius  (occisus),  145  Mumanus  (Mummius),  176  Salasso 
(Sapiente),  178  Uemilius  [Manlius),  182  Assümm  (Asellum),  191 
C.  Foll^p  \M.  Fopült[o),    203    decemuiru[tn   (Decimum   Bru[tum)r 


*)  L.  Traube  hält  den  Papyrus  für  jünger  als  die  englischen  Heraasgeber. 


26  Jahresberichte  des  Philolog.  Vereins. 

214  Suriague  (Syriaque)  u.  a.  m.  So  stößt  die  Emendation  des 
Textes  auf  nicht  geringe  Schwierigkeiten.  Aber  diese  lassen  sich 
gerade  bei  den  Eigennamen  am  leichtesten  heben,  da  wir  in  den 
meisten  Fällen  die  richtigen  Namensformen  nachzuweisen  ver- 
mögen, und  viele  Yerschreibungen  sind  die  auch  sonst  in  den 
Hss.  uns  häufig  begegnenden,  welche  durch  Hörfehler,  durch 
Verlesen  oder  aus  Unachtsamkeit  entstanden  sind.  Gebräuchlich 
und  stehend  sind  die  Abkürzungen:  cos.  für  consul  und  consules 
in  allen  Kasus,  pr.  für  praetor,  trib.  pl.  für  tribunus  plebis,  in 
den  Überschriften  Hb.  für  Über. 

Andere  Abbreviaturen  lassen  sich  nicht  nachweisen1).  Auch 
eigen  mächtige  Änderungen  finden  sich  nicht,  ebensowenigGlosseme8). 
Aber  häufig  sind  kleine  Fehler  wie  Manilius  statt  Manlius  (21.  113), 
Rutilius  statt  Rutilus  (38),  umgekehrt  Manlio  statt  Manilio  und 
Marco  statt  Marcio  (103),  filis  statt  /S/w,  Annio  statt  Arno,  Lussi- 
tani,  Chartago  u.  drgl.  finden  sich  oft;  auch  pass  st.  passa  (15), 
funeribus  st.  fmebribus  (60),  coniurium  st  conübium  (17),  com- 
posito  st.  proposito  (9);  oft  falsche  Endungen,  zum  Teil,  wie  es 
scheint,  durch  Assimilation  an  ein  in  der  Nähe  befindliches  Wort 
entstanden  u.  a.  m. 

Für  die  Emendation  des  Textes  ist  natürlich  möglichst  das 
Original  zum  Vergleiche  heranzuziehen,  sonst  die  Feriochae  und 
diejenigen  Schriftsteller,  die  nach  den  Ergebnissen  gelehrter  Unter- 
suchung aus  der  zuerst  von  Mommsen  nachgewiesenen  Epitoma 8), 
welche  im  1.  Jahrhundert  n.  Chr.  verfertigt  worden  ist,  geschöpft 
haben.  So  sind  die  beiden  Herausgeber  verfahren,  so  auch  die 
Gelehrten,  die  sich  seither  mit  diesen  Fragmenten  beschäftigt  haben 
(Fowler,  Fuhr,  Gundermann,  Kornemann,  Reid,  Rossbach,  Wissowa), 
und  man  muß  gestehen,  daß  von  diesen  vieles  endgültig  verbessert 
und  für  viele  Lesarten  auf  Grund  geistvoller  Kombination  eine 
große  Wahrscheinlichkeit  erzielt  worden  ist. 

Es  erhebt  sich  die  Frage,  in  welchem  Verhältnis  die  Epitoma 
zu  dem  als  Periochae  uns  erhaltenen  Auszuge  steht.  Wie  wenig 
sie  übereinstimmen,  läßt  sich  aus  der  Gegenüberstellung  eines  be- 
liebigen Abschnittes  deutlich  erkennen  (s.  S.  28  u.  29). 

Obgleich  die  hier(S.28)gedrucktenErgänzungen  keineswegs  alle 
sicher  sind,  so  ergibt  sich  (loch  klar,  daß  im  39.  Buche  (in  allen 
übrigen  Büchern  tritt  uns  das  gleiche  entgegen)  Epit.  und  Per. 
voneinander  sehr  verschieden  sind  und  als  selbständige,  voneinander 
unabhängige  Elaborate  angesehen  werden  müssen.     Epitome  und 


J)  Nor  Z.  207  omnib  (ohoe  Pookt  dahinter)  für  Omnibus. 

»)  Rossbach  ist  geneigt,  Z.  16S  im  Hinblick  anf  Aar.  Vict.  60,  3  statuas 
für  ein  Glossem  zu  halten  and  nach  dessen  Tilgung  tabulas(que)  zu  schreiben. 
Doch  vgl.  Plin.  Ep.  1,  20,  5:  vides,  ut  statuas,  signa,  picturas  . . .  amplitudo 
commendet;  Cato  bei  Gell.  3,  7,  19:  decoravere  monumentis:  signis,  statuta, 
elogiis,  historiis  . . .  gratissimum  id  eins  factum  habuere. 

>)  Vgl.  JB.  1899  S.  20.  24.  25;  1900  S.  37;  1902  S.  26;  1903  S.  20. 


Livius,  von  H.  J.  Müller.  27 

Periocha  haben  ja  ganz  verschiedene  Ereignisse  für  erwähnenswert 
gehalten,  und  wo  sie  dieselben  Begebenheiten  anführen,  stimmen  sie 
im  Wortlaut  so  gut  wie  nirgends  überein.  Besonders  in  die  Augen 
fallend  ist  aber  die  abweichende  Darstellungsform:  Epit.  kurz  und 
knapp,  wenigstens  in  der  Angabe  der  historischen  Tatsachen;  Per. 
gesprächiger,  mehr  erzählend  und  mehr  auf  Nebenumstände  ein- 
gehend, die  Epit.  nur  vereinzelt  bringt.  Man  gewinnt  den  Ein- 
druck, daß  die  Verfasser  verschiedene  Zwecke  verfolgt  haben 
(Epit.  sieht  mehr  wie  eine  Geschichtstabelle,  Per.  mehr  wie  ein 
Geschichtsleitfaden  aus).  Charakteristisch  für  Epit.  ist  besonders 
die  chronologische  Anordnung,  indem  unter  Voranstellung  der 
Konsulnamen  (diese  Zeilen  ragen  auf  den  Papyrusblättern  um 
4  Buchstaben  über  die  anderen  Zeilenanfänge  nach  dem  linken 
Rande  hinaus)  die  Ereignisse  nach  den  Jahren  gruppiert  werden; 
Per.  erzählt,  indem  einfach  von  Buch  zu  Buch  vorgeschritten 
wird. 

Mehr  noch  als  Epit.  trägt  die  erste  von  den  zwei  Periochae 
zum  1.  Buche  des  Livius  das  Gepräge  einer  Tabelle,  und  daher 
hat  Rossbach  die  Vermutung  ausgesprochen,  daß  Epit.  und  Per.  Ia 
von  ein  und  demselben  Verfasser  herrührten.  Die  Verwandt- 
schaft zwischen  beiden  hatte  auch  Kornemann  erkannt;  er  glaubt 
aber  aus  gewissen  Verschiedenheiten  nur  zugeben  zu  sollen,  daß 
Epit.  und  Per.  Ia  auf  dieselbe  Vorlage  zurückgehen. 

Z.  175  wird  eine  bisher  unbekannte  Niederlage  der  Römer 
in  Illyrien  i.  J.  141  verzeichnet.  Noch  wertvoller  sind  die  Be- 
merkungen, die  sich  auf  den  spanischen  Krieg,  besonders  auf  die 
Feldzüge  gegen  Viriathus  beziehen.  Der  Papyrus  berichtet  von 
einem  Siege  der  Römer  i.  J.  147,  von  einer  Niederlage  des 
L.  Metellus  i.  J.  142  und  dem  Versuch  eines  Volkstribunen,  den 
Abmarsch  des  Konsuls  Q.  Gaepio  nach  Spanien  zu  verhindern  (i. 
J.  140);  überhaupt  ist  es  jetzt  zum  ersten  Male  möglich,  die 
richtige  Chronologie  der  Statthalter  von  Südspanien  in  den  Jahren 
145 — 139  und  der  sich  an  ihren  Namen  knüpfenden  Ereignisse 
festzulegen. 

Was  den  historischen  Gewinn  betrifft,  der  aus  dem  neuen 
Fund  gewonnen  wird,  so  ist  die  Zeit  des  Krieges  gegen  Pseudo- 
philippus  (Andriscus),  die  früher  etwas  unsicher  war,  jetzt  genauer 
bestimmt;  die  Erhebung  fand  i.  J.  149  statt,  die  Niederwerfung 
nebst  der  vorhergehenden  Niederlage  des  Prätors  P.  Iuventius  i. 
J.  148.  Die  Erwähnung  der  i.  J.  149  nach  Bithynien  geschickten 
Gesandten  ermöglicht  es,  den  verderbten  Namen  des  einen  von 
ihnen  (L.  Manlius  Volso)  bei  Polybius  37,  lh  zu  verbessern. 

Bisher  waren  die  wenigen  Bezugnahmen  auf  den  spanischen 
Krieg  bei  den  Epitomatoren  nicht  ausreichend,  um  den  Bericht 
bei  Appian,  dessen  Text  ^teilweise  lückenhaft  ist,  zu  verbessern. 
Eine  ins  einzelne  gehende  Prüfung  der  Änderungen,  die  in  die 
Zeitbestimmung  dieses  Krieges  eingeführt  werden,  und  des  neuen 


28  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereint. 

Epitome. 
[lib.  XXXV]I1II. 

30  per  C.  F\am\[nium,  M.  Aemiliu]m  cos.  Ligures 

31  perdomiti.  u[iae  Flaminia  e]t  Aemilia  munitae  sunt. 

32  Latinorum  [XII  milia  do]mura  coacta 

33  ab  Roma  re[dire .  Manlius  cu]m  de  [<?]allo- 

34  graecis  im[merito  triumph]av[et,  pe]cunia, 

35  quae  trans [/a(a  eraU  toga]t\s  p[e]r[s]oluta. 

36  Sp.  Postum[t|o  [Q.  Marcio  co]s. 

37  Hispala  Fa[ecenia  meretri]ce  et  pupillo 

38  Aebutio,  qu[em  T.  Sempronius]  Hutil(i)us 

39  tutor  et  ma[ier  Duronia  ctjrcumscripserant, 

40  indicium  re[ferentibus  2fo]ccha<n>- 

41  aüa  sublaffa  in  Italia.   2fi*]pan(t) 

42  subacti.    al[hletarum  cert]amina 

43  primum  a  ¥u[luio  Nobilior]e  edita. 

44  Galli  in  ltal[tam  ducti.    his  Äfojrcellus 

45  persuasit,  [ut  domum  redire]nt.   L.  Cornelius 

46  Scipio  pos[i  bellum  Antiochi]  ludos  uoti- 

47  uos  conl [ata  pecunia  fect\t. 

48  App[t]o  Claudio  M.  Semproni\o  cos. 

49  Ligures  fu[gati  clade  ab  tjllis  accepta. 

50  P.  Claudio  Pulchr[o  L.  Porcio  Ii]cin(i)o  cos. 

51  hominum  ad i  [oooo  a  Naeuio  t*en]efici(t>  damnati. 

52  L.  Quintius  V\d[mininus  cos.  in]  Gallia 

53  quod  Philippo  [Poeno,  scorto]  suo,  deside- 

54  rante  gladia[torium  specla]culum 

55  sua  manu  Boiu[w  nobilem  occiderat, 

56  a  M.  Catone  ce\\[sore  senatu  motus  est. 

57  basilica  Porcia  [facta. 

58  M.  Claudio  Marcello  [Q.  Fabio  Labeone  cos. 

59  P.  Licini<i>  Crassi po[ntificis  maximi 

60  ludis  fune(b>ribus  [epulum  factum,  in  quo 

61  tabernaculis  po  [stfts  in  foro  id  quod 

62  uate[s  c]eci[ne]rat  [euenit  tabernacula 

63  in  foro  futura.  \[n  Celtiberia  prospere 

64  dim[tcata]m.  Han[nibal  per  T.  Quintium 

65  ¥[laminin]\im  e[xpostulatus  se  occidit. 


Lirins,  von  H.  J.  Maller.  29 

Periocba. 
Ex  lib(ro)  XXXVIIIL 
M.  Aemilius  cos.  Liguribus  subactis  viam  Placentia  usque 
Ariminura  perductam  Flaminiae  iunxit  initia  Juxuriae  in  urbem 
introducta  ab  exercitu  Asiatico  referuntur.  Ligures,  quicumque 
citra  Appenninum  erant,  subacti  sunt.  Bacchanalia,  sacrum  Graecum 
et  nocturnum,  omnium  scelerum  seminarium,  cum  ad  ingentis 
turbae  coniurationem  pervenisset,  investigatum  et  multorum  poena 
sublatum  est.  a  censoribus  L.  Valerio  Flacco  et  M.  Porcio  Catone, 
et  belli  et  pacis  artibus  maximo,  motus  est  senatu  L.  Quintius 
Flamininus,  T(iti)  frater,  eo  quod,  cum  Galliam  provinciam  consul 
obtineret,  rogatus  in  convivio  a  Poeno  Philippo,  quem  amabat, 
scörto  nobili,  Gallum  quendam  sua  manu  occideral  sive,  ut  qui- 
dam  tradiderunt,  unum  ex  damnatis  securi  percusserat  rogatus  a 
meretrice  Piacentina,  cuius  amore  deperibat.  extat  oratio  M. 
Catonis  in  eum.  Scipio  Literni  decessit  et,  tamquam  iungente 
fortuna  circa  idem  tempus  duo  funera  maximorum  virorum, 
Hannibal  a  Prusia,  Bitbyniae  rege,  ad  quem  victo  Antiocho  con- 
fugerat,  cum  dederetur  Romanis,  qui  ad  exposcendum  eum  T.  Quin- 
tium  Flamininum  miserant,  veneno  sibi  mortem  conscivit;  Philo- 
poemen  quoque,  dux  Achaeorum,  vir  maximus,  a  Messeniis  occi- 
sus  veneno,  cum  ab  iis  bello  captus  esset  coloniae  Potentia  et 
Pisaurum  et  Mutina  et  Parma  deductae  sunt,  praeterea  res  ad- 
versus  Celtiberos  prospere  gestas  et  initia  causasque  belli  Mace- 
donici  continet.  cuius  origo  inde  fluxit,  quod  Philippus  aegre 
ferebat  regnum  suum  a  Romanis  imminui  et  quod  cogeretur  a 
Thracibus  aliisque  locis  praesidia  deducere. 


30  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Lichtes,  das  auf  Appian  geworfen  wird,  ist  in  der  Anmerkung  zu 
Z.  167  gegeben.  Besonders  interessant  ist,  was  der  Papyrus  über 
innere  Angelegenheiten  berichtet.  Was  die  schon  früher  be- 
kannten Ereignisse  anlangt,  so  ist  am  bemerkenswertesten  das 
Datum  der  bekannten  von  P.  Scipio  Africanus  gegen  L.  Aurelius 
Cotta  erhobenen  Anklage,  die  von  dem  Papyrus  in  das  Jahr  138 
verlegt  wird,  während  sie  nach  Cicero  später  erfolgt  ist  (vgl.  GH. 
zu  Z.  210).  Unter  den  Einzelheiten,  die  neu  sind,  befinden  sich 
ferner  die  wichtige  Militärreform  (eingeführt  durch  Appius  Claudius 
i.  J.  140),  ein  Streit  zwischen  dem  Konsul  Q.  Caepio  und  den 
Tribunen  in  demselben  Jahre,  sowie  die  Notiz  über  die  Ab- 
stammung  des  A.  Gabinius,    des  Urhebers   der  Lex  Gabinia,    der 

in  Epit.  als  vern[ ]  (was  GH.  zu  verna[e  nepos]  ergänzt  haben), 

bei  Cicero  als  homo  ignotus  et  sordidus  bezeichnet  wird.  Von 
Wichtigkeit  ist  auch,  daß  wir  jetzt  mehrere  Nachrichten  späterer 
Autoren  (Cassius  Dio,  Valerius  Maximus,  Frontin  und  Obsequens) 
mit  Livius  verknüpfen  können. 

10)  £.  Kornemann,  Die  neue  Livi us-Epitome  aus  Oxyrhy nchns. 
Text  und  Untersuchungen.  Mit  eiuer  Tafel.  Leipzig  1904,  Dieterichsche 
Verlagsbuchhandlung  (Theodor  Weicher).  IX  u.  131  S.  Lex.-8.  S  JC. 
(Beiträge  zur  Alten  Geschichte,  herausgegeben  von  C.  F.  Lehmann 
und  £.  Kornemann.     Zweites  Heft.) 

Der  vortrefllicbe  Eindruck,  den  man  von  dieser  Schrift  schon 
beim  Lesen  der  ersten  Seiten  gewinnt,  bleibt  bis  zum  Ende  un- 
verändert. Alles  ist  wohlerwogen  und  bis  ins  kleinste  so  gründ- 
lich durchforscht,  daß  man  sich  nirgends  zu  ernstem  Widerspruch 
geneigt  fühlt  und  schwerlich  jemand  in  der  Beweisführung  des 
Verfassers  etwas  vermissen  wird.  Mangel  an  Raum  verbietet  es 
mir,  über  alle  Teile  der  Untersuchung  so  ausführlich  zu  berichten, 
wie  es  angemessen  wäre. 

Was  den  Zweck  dieser  Epitome  betrifft,  so  hebt  K.  hervor, 
daß  der  Inhalt  verbiete,  an  ein  Schulbuch  zu  denken  (S.  9).  Es 
sei  eine  kurze  chronologische  Arbeit,  für  Erwachsene  gefertigt, 
wie  deren  schon  mehrere,  bis  jetzt  allerdings  nur  in  griechischer 
Sprache,  in  Ägypten  gefunden  worden  seien,  „wie  z.  B.  die 
6  Kolumnen  eines  chronologischen  Werkes  (O.  P.  I  Nr.  12)  oder 
der  von  Keil  herausgegebene  Auszug  aus  einer  Geschichte  Athens 
oder  endlich  der  neuerdings  zu  Tage  gekommene  kleine  Best 
eines  solchen  Auszugs  aus  einer  Geschichte  Siziliens  (0.  P.  IV 
Nr.  665)". 

Das  Verhältnis  des  Papyrus  zum  Livius-Original  wird  S.  68 
bis  87  besprochen.  Der  Inhalt  des  Papyrus  stammt  nicht  direkt 
aus  Livius,  auch  nicht  direkt  aus  der  oben  (S.  26)  erwähnten 
Epitome,  sondern  aus  einem  frühestens  im  2.  Jahrhundert  n.  Chr. 
verfertigten  Chronikon,  das  G.  Reinhold  nachgewiesen  hat  (s.  JB. 
1899  S.  24).  Dieses  Chronikon  war  unter  Zugrundelegung  jener 
Epitome  verfaßt  worden,  der  Verfertiger  hatte  sich  aber  „ebenso 


Livius,  von  H.  J.  Müller.  31 

wie  die  Epitome  selbst  nicht  sklavisch  an  seine  Vorlage  gehalten, 
sondern  ein  antiquarisch-chronologisches  Handbuch  nebenbei  zu 
Rate  gezogen".  Indem  K.  zugleich  alle  vorhandenen  Livius-Epi- 
tomatoren  und  Livius- Benutzer  berücksichtigt,  ist  er  in  der  Lage, 
das  von  Reinhold  aufgestellte  Stemma  der  Abhängigkeit  zu  erweitern 
und  zu  spezialisieren.  Nach  Kornemann  sind  aus  dem  Chronikon 
geflossen:  Per.  Ia,  Papyrus,  Obsequens,  Eutrop,  Festus,  Eüsebius- 
Hieronymus,  Cassiodorius. 

Wichtig  ist  S.  87—121  das  5.  Kapitel:  Die  Geschichte  der 
Jahre  150 — 137  v.  Chr.  auf  Grund  des  neuen  Fundes  (eine  inter- 
essante und  lehrreiche  Abhandlung)  nebst  einer  Zeittafel  für  diese 
Jahre,  in  welcher  folgende  bisher  unbekannte  oder  unrichtig 
datierte  Ereignisse  als  solche  gekennzeichnet  werden. 

148:  Tod  des  Masinissa  und  Teilung  seines  Reiches  durch 
Scipio.  Niederlage  des  Prätors  luventius  in  Thessalien.  Besiegung 
und  Gefangennahme  des  Pseudophilippus  durch  Q.  Metellus. 

147:  Niederwerfung  der  Lusitaner  durch  den  Prätor  C.  Ve- 
tilius.    Wahl  des  Viriathus  zum  Oberfeldherrn  der  Lusitaner. 

146:  Mehrere  Niederlagen  der  Römer  durch  Viriathus,  sicher 
die  des  Prätors  C.  Vetilius,  wahrscheinlich  auch  die  des  Prätors 
C.  Plautius. 

145:  Niederlage  des  Prätors  Claudius  Unimanus  durch 
Viriathus. 

144:  Niederlage  des  Prätors  C.  Nigidius  im  [Diesseitigen 
Spanien  (?). 

142:  Heldentaten  des  Q.  Occius  im  Diesseitigen  Spanien. 
Niederlage  des  Konsuls  L.  Metellus  durch  die  Lusitaner.  Während 
der  Zensur  des  Scipio  Aemilianus  und  L.  Mummius  Verteilung 
der  korinthischen  Beute  durch  L.  Mummius  in  Rom  und  Italien. 

141:  Niederlage  der  Römer  im  Skordiskerlande.  Q.  Fabius 
Maximus  Servilianus  Prokonsul  im  Jenseitigen  Spanien.  Heldentat 
des  C.  Fannius  ebendaselbst. 

140:  Q.  Fabius  Maximus  Servilianus  Prokonsul  im  Jenseitigen 
Spanien.  Heldentat  des  Q.  Occius  ebendaselbst.  In  der  zweiten 
Hälfte  des  Jahres  Q.  Servilius  Caepio  Konsul  ebendaselbst.  Antrag 
des  Appius  Claudius  gegen  zweimalige  Aushebung  in  einem  Jahre. 
Interpellation  des  Volkstribunen  Ti.  Claudius  Asellus  beim  Aus- 
marsch des  Konsuls  Caepio  nach  Spanien.  Bau  der  aqua  Marcia 
auf  das  Kapitol  hinauf. 

139:  Ermordung  des  Viriathus. 

138:  Ablehnung  einer  Belohnung  an  die  Mörder  des  Viriathus. 
Die  Volkstribunen  S.  Licinius  und  C.  Curatius.  Tod  eines  sehr 
populären  Volkstribunen.    Anklage  Scipios  gegen  L.  Cotta. 

Der  erste  Teil  der  Schrift  bildet  die  Beschreibung  und  Wieder- 
herstellung des  Papyrus.  Der  Verfasser  hat  an  der  Hand  von 
Photographieen  und  auf  Grund  von  Nachfragen  bei  Grenfell  den 
überlieferten   Text,    namentlich   auch    die  Anzahl   der   fehlenden 


32  Jahresberichte  d.  Philologe  Vereins. 

Buchstaben,  genauer  mitgeteilt,  als  es  in  der  englischen  Ausgabe 
der  Fall  ist.  Die  Ergänzung  und  Emendation  des  Textes  hat 
Kornemann  sehr  gefördert,  und  sein  Kommentar  enthält  alles, 
was  der  Philologe  sich  ohne  diese  höchst  willkommene  Hilfe  müh- 
sam zusammensuchen  mußte.  Folgende  Kleinigkeiten  mögen  Er- 
wähnung linden. 

Z.  3  ist  data  unrichtig;  hier  muß  wohl  ein  Abschreiber- 
versehen angenommen  und  (ne)gata  gelesen  werden;  vgl. 
Z.  202.  —  Z.  3  ist  maximus  allerdings  wohl  durch  das  Z.  4 
folgende  maximus  veranlaßt  worden,  aber  dieses  Wort  hat  meiner 
Meinung  nach  nur  den  Schreiber,  als  er  den  dritten  Namen  ver- 
zeichnen wollte,  zu  dem  Versehen  verleitet.  Zu  P.  Licinius  Crassus 
vgl.  Z.  59.  —  Z.  6  ist,  wenn  6  Buchstaben  fehlen,  prohib]uit  eine 
ziemlich  sichere  Ergänzung.  —  Z.  7  kann  ich  an  die  Ineinander- 
schachtelung  zweier  Sätze  nicht  recht  glauben.  Vielleicht  ist 
Bononia  de  sc.ti(s)  deducta  zu  lesen  (de  sc.  Rossbach);  das  Senats- 
konsult  wird   zweimal  bei  Livius  erwähnt:   Kap.  47,  2  und  57,  7. 

—  Z.  9  wird  proposito  das  Richtige  sein;    auf  die  Verschreibung 
hat  wohl  der  Anfang  des  dem  Schreiber  noch  im  Ohre  tönenden 
vorhergehenden  Wortes  eingewirkt.   Nach  Z.  163  könnte  es  auch 
abstüi\t  heißen;  aber  bei  Livius  steht  desistere  se  petüione  Glabrio 
dixit.  —  Z.  14    hat    Gundermann    mit    der   Annahme,    daß    der 
Schreiber  Or(i)giacontis  als  Name  der  Frau  gefaßt  habe,  vielleicht 
recht,  aber  wahrscheinlich  ist  es  nicht  gerade,   und  vielleicht  hat 
uxor  vor  Or(t)giacontis  gestanden  und  das  zweimalige  or  den  Aus- 
fall mitveranlaßt.  —  Z.  15  ist  wohl   an   der   Infinitivkonstruktion 
Anstoß  zu  nehmen,    wenn  sie  nicht  dem  Epitomator  aufs  Konto 
gesetzt  werden  soll.     Eine  überzeugende  Ergänzung  ist  nicht  ge- 
funden   und    läßt   sich   auch    wohl  nicht  finden.     Ich  dachte  an 
aurutn  ad  eam  [missum]  poscentem    und    nahm    an,    der  Centurio 
habe  davon  gehört,    daß  an  die  Frau  Lösegeld  geschickt  worden 
sei,    und    habe    es    für    sich    gefordert.  —  Z.  17  scheint  mir  re 
nicht  gerade  angezeigt;  aber  [suum  portauit]  sind  2  Buchstaben  zu 
viel,  [suum  tulit]  1  Buchstabe  zu  wenig;  vielleicht  ist  mit  Grenfell 
[secum  tulit]   zu   schreiben.  —  Z.  20  ist,   wie   Kornemann  vorge- 
schlagen  hat,    permagna  p]raeda  ex  Gallograecia  per  Thra[eciam] 
recht    brauchbar,    aber    Z.  21    vielleicht    [abacta]    zu    ergänzen, 
nur  ist  dieses  Wort  um  1  Buchstaben  zu  kurz.  —  Z.  26  ist  durch 
ein  Versehen  in  aus  der  englischen  Ausgabe  beibehalten  worden; 
der  erübrigte  Baum  ist  durch  et  zu  füllen:    Africanus  a  Quintis 
Petilli(i)s  die(s)  [ei  dicta  Li]ternum  abi(i}t;    vgl.  Periocha  38.  — 
Z.  31  Flaminia  (via)    bezieht    sichj  aut  Liv.  Kap.  2  §  6.  —  Z.  32 
ist  das  Wort  hominum    an    sich    und  wegen  seiner  Stellung  auf- 
fallend;   da  das  t   unsicher  ist,   hieß  es  vielleicht  Latinorum  [XII 
milia  do]mum  coacta  ab  Roma  redire;  vgl.  Livius:  domos  redierurU. 

—  Z.  34  habe  ich  an  cum  de  [G]allograecü  im[merito  triumph]ar[et\ 
gedacht,  indem  ich  annahm,  zu  diesem  Urteile  (vgl.  Liv.  34,  52,  3) 


Livius,  von  H.  J.  Müller.  33 

sei  der  Epitoraator  durch  den  Bericht  des  Livius  veranlaßt  worden 
(Kap.  6,  4 — 7,5),  wonach  dieser  Triumph  militari  magis  fävore* 
quam  populari  celeber  war  und  die  Freunde  des  Manlius  ad  populi 
gratiam  conciliandam  die  Ruckzahlung  der  tributa  veranlaßten. 
Man  ist  zunächst  geneigt,  int[.  .  .  zu  in  t[riumpho  triumph]ar[et]  zu 
ergänzen,  was  zu  der  Buchstabenzahl  so  ziemlich  stimmen  wurde 
(14  B.),  aber  nur  bei  der  kühnen  Vermutung  annehmbar  ist,  daß 
die  Worte  in  triumpho  zu  früh  gebracht,  d.  h.  vor  translata  erat 
(Z.  35)  zu  stellen  sind.  Bei  translata  erat  vermißt  man  diesen 
Zusatz  nicht  gerade  (vgl.  L.  28,  38,  5 ;  34,  52,  4;  40,  59,2 ;  42,7,  2); 
aber  er  steht  doch  gewöhnlich  daneben.  Bei  L.  23,  14,  4  ist  ver- 
mutlich <7n>  triumpho  zu  schreiben.  —  Z.  41  ist  in  Italia 
überflüssig;  es  könnte  dafür  auch  ab  senatu  heißen.'  Möglich 
wäre  auch  ab  Acidino  (oder  a  L.  Manlio)  His]pani  subacti.  —  Z.  44 
ist  der  Sachverhalt  auf  dem  Papyrus  unzutreffend  dargestellt  (per- > 
suasit  ist  in  keinem  Falle  ein  passender  Ausdruck);  aber  der 
Senat  bleibt  hier  wohl  besser  unerwähnt.  Ich  glaube  an  einen 
unrichtigen  Akkusativ  und  vermute:  his  Ma]rcellus  persuasit,  [ut 
domum  redirent],  —  Z.  49  ist  K.s  Ergänzung  sehr  brauchbar,  nur 
daß  der  absolute  Ablativ,  um  versländlich  zu  sein,  den  Zusatz 
antea  oder  paulo  ante  oder  prius  erhalten  müßte.  Wenn  nicht 
in  der  Chronologie  ein  Bedenken  liegt,  würde  ich  vorziehen: 
Ligures  fu[gati.  clades  ab  i]llis  accepta.  —  S.  60  stört  f actis,  wenn 
auch  der  Schmaus  post  ludos  stattfand;  man  erwartete  cum  ludi 
funebres  fierent,.  d.  h.  das  bloße  ludis  funebribus.  Vielleicht  hieß, 
es:  ludis  funebribus  [epulum  factum,  in  quo]  tabernaculis  usw.  Zu 
der  relativen  Anschließung,  aus  Livius  genommen,  vgl.  Z.  26,  99(?), 
119,  139,  201  (?).  —  Z.  63—65  scheinen  jeder  Herstellung  zu 
spotten.  Daß  hier  der  Tod  der  drei  großen  Heerführer  erwähnt 
worden  sei,  ist  eine  sehr  naheliegende  Vermutung  (das  war  ein . 
fetter  Bissen  für  einen  Epitomator!),  und  Hannibal,  das  einzige 
Wort,  das  sich  sicher  ergänzen  läßt,  steht  in  der  zweiten  Zeile, 
also  an  der  zweiten  Stelle,  wo  man  ihn  erwartet,  mag  nun, 
Philopoemen  oder  Scipio  an  erster  Stelle   genannt  gewesen   sein. 

Aber  Z.  64  wird  in  dim m  schwerlich  etwas  anderes  stecken  * 

als  dim[icatu]m,  und  sieht  man  bei  Livius  nach,  so  findet  man  im 
Kap.  56  nicht  nur  glückliche  Kämpfe  mit  den  Celtiberern,  sondern» 
auch  den  Tod  Hannibals  abermals  und  allein  erwähnt  unter  Her- 
vorhebung des  Namens  des  T.  Quinctius  Flamininus,  cuius  in  ea 
re  celebre  est  nomen.  Dies  ergibt  folgende  Ergänzung:  t[n  Celtiberia 
prospere]  dim[icatu]m.  Han[nibal  per  T.  Quintium]  F[laminin]um ' 
e[xpostulatus  se  occidit]  (den  letzten  Satz  nach  dem  Vorschlage 
von  Fuhr).  Zum  ersten  Satz  vgl.  Z.  125.  —  Z.  71  ist  aus  dem 
Original  wohl  deiecit  beizubehalten.  —  Z.  73  empfiehlt  sicli,  der 
Deutlichkeit  wegen,  venenum  statt  poculum.  —  Z.  82  vielleicht 
[finitae  simultates]  nach  Livius  Kap.  46,  7  ut  in  isto  templo  finiatis 
simultates  und  §  11  non  modo  simultates,  sed  bella  quoque  finiuntur. 

Jahresberichte  XXXI.  3 


34  Jahresberichte  d.  Philoloj.  Vereins. 

— -  JL  90  ist  es  ein  vengebliches  Bemühe»,  aus  dem  überlieferten 
locant  auxüiate  ttw&s  Siangiemäßes  heraus telien;  es  wird  wohl 
nichts,  anderes  dArin?  steck*«  als  lotuti  auütique  (Reid).  Dje  Ge- 
sandtschaft, war  grata  pätribusi, U daher  Auch  benig**e  audita  est  («gl. 
L«:  1^,9,5);  und  häufig  flautet  bei  solchen  Gesandtschaften  das 
benigne  re$pondere*Mt(L.  27;  ,4^7;-  39,.55;;i)..  Obige  Verbindung 
flÄdet -sich  .Jtei  Urius.  43;  17, 4;  ,*-m>Z.  92  vielleicht  wioffc  tra.  — 
&95  vialletcht  /Hein  flösmea?/jer*t.  — *Z:  111  gebe  ich:  der  Ergänzung 
Rossbfccbs  demVoraug,  und  Z*  113  könnte  inan,  um  einen  Buch- 
stajbeö  au.  ersparen,  itito  «threilitin  (mehr  als  acht  Buchstaben 
dürfen  wahr  nicht  als  fehlend;  angenommen  werden).  —  Z.  114  ff. 
ist'  vieles ,  unsicher  Zu  Anfang-  fehlen  woh I  nur-  acht  Buchstaben ; 
vielleicht  [bonam  eam])legationemdixertint.  M«  CcAo  respondü  (von 
htar  an  fehlen  am  Zeilenanfang  Je  zehn  Buchstaben)  [eam  nee 
copuf].  ne<>  ptdesi nee  cor  habere(nt).>  M.Sca[n]tius  [grauem  pom]am 
tulü  in  istupro  deprekentfus].  ■  Die  .Annahme  einer'  ausgefallenen 
Zeile  (1  Iß a): ist  nicht  probabel.,—:  Z:  118 'würde  die  vorgeschlagene 
Ergänzung  besagen,  daß  Masinissa  44  unechte  Kinder  hinterlassen 
habe;  notiko*  scheint  mir  also  nicht  haltbar  zu  sein.  Etwas 
Brauchbares  weiß  ich  zum  Ersatz  nicht  vorzuschlagen;  vielleicht 
könnte  mar*  an  numer]o  danken,  da  dieser  Ausdruck,  wenn  auch 
in  anderer  Konstruktion,  bei  Valörius  Maximus  steht.  — »  Z.  123 
ist  die  -unter  dem  Text  stehende  Vermutung  bei  weitem  vor- 
zuziehen.—"  2.  125  [a  M.'  Mantlio)  in  Afriea(m)  pr[os)pere  dimica* 
mm  [e»]^  DieÄnderung  eines  Buchstabens  ist  der  Annahme,  daß 
es  'ein  Deponens  dimicari gegeben  habe,  wohl  vorzuziehen.  Auch 
scheint  .•«£  tnir r  unbedenklich  T  Z.  88  den  richtigen  Vornamen 
(JMS  statt;  Af.)> Herzustellen.'  —  Z.  141  ßcbeint  mir  iaeta  nicht  gut 
möglich)  eher  (im  Anschluß  an  Fuhr)  fih\is  in  ineendium  se  iecit, 
m  in]poteticUe[m  umtvrisumiret],  -*-  Z.  158  ist  ein  Ausdruck  mit 
dem  Substantiv  contewtio  oder  contentiones  vorzuziehen. —  Z.  180 
wohl  eademque.  ~  Z.  2ft4  ist  wohl  zu  lesen:  in  car$er]e(m) 
[c]all[ocarent,  utrique]  pteeibus  populi  mü^t]a  re\missa].  Freilich 
wenn  wirklich  nur  vier  Buchstaben  fehlen,  ist  utrique  zu  lang, 
ebenso  amböbus,  selbst  wenn  man  wie  Z.  207  bei  omnib  die 
Abbreviatur  ambob  annimmt.  — *  Z.  217  war  die  Ergänzung  der 
englischen  Forscher  trantfiuit]  wohl  nicht  beizubehalten. 

Ausländische  Literatur,  die  mir  nicht  vorgelegen  hat. 

Livius  Book  1,  edited  by  Allkroft  «od  Mason.    Introdaction,  text,  notes, 
vocabulary,  and  translation.     London,  Clive.     4,6  Sh. 

—  Book  6,  edited  by  H.  Marshall.     Cambridge,  University  Press.  XXXIV 

u.  171  S.    12.    With  maps.    2,6  Sh. 

—  Libri  21,  22.     Tradazione    di   L.  Mabil,   rivedata    etc.  da  T.  Gironi. 

Vgl.  Riv.  di  fil.  XXXII  S.  339. 


Liviavvod  H.  i*.  MäHer.     »        *  35 

II.   Beiträge  zur  Kritik  und  Erklärung  .*\' 

13)  2".  Betone,  j^y«  1904  S.  242.  *  .     '      ,    i  ,  ■     >    

34,  32,13  habe  ich  JB,  1903  S;  19  die  von  Bd<s*i<;>  Vor- 
genommene Änderung  von  vos  in  nos  ab  unnötig  bezeichnet,  zu- 
mal das  zweifelnde  ut  tarn  ila  stnt  haec  nicht  recht  dazu  passe. 
Diesen  zweifelnden  Sinn  will  aber  Baurjg  hier,  wie  er  jetzt  her- 
vorhebt, nicht  annehmen;  er  verwaist  auf  die  von 'FÖTCellini- 
de  Vit  unter  iam  zitierten  Stellen,'  besonders  auf  Ovid  A.A.  3, W 
(verglichen  mit  V.  31).  i 

14)  Die  V erba  affinere  ond  afluere.  •,..  , 

Der  1.  Band  des  Thesaurus  bringt  Sp.  1250  das  Verb  afluere 
in  der  eigentlichen  und  einzigen  Bedeutung  =  dnofäsZ»  mit'  der 
Bemerkung,  daß  dieses  Wort  4propter  confusionem  cum  adfluere '■ 
außer  Gebrauch  gekommen  und  durch  effluere,  defluere  und  &tin-> 
liehe  Ausdrucke  ersetzt  worden  sei.     Unter  ajfluere  wird   gesagt: 
4non  confudendum   est    cum    afluo   änofätco';    endlich   heißt  4s 
am   Schluß   des  Artikels    afluo>    die    angeführten   Beispiele    seien 
nicht  'extra  omnem  dubitationem  positaV  In  der  Bedeutung  von 
abundare    wird    nur   die   Form    afluere    angenommen    und    also 
Stöcklein  recht  gegeben,    der  im  Programm  von  Dillenburg  1894 
S.  31  ff.  sich   gegen    die  Ansicht   Dombarts   (N.  Jahrbucher  1877" 
S.  341  ff.)  ausgesprochen  hat.     Auf  Sp.  1242  ff.  wird  das  gesamte 
Stellenmaterial  vorgeführt  und  dabei  angegeben,  wo  das  Wort  mit' 
einem  f  geschrieben  erscheint.    Daß  dies  läuter  Verschreibtingen 
sind,  ist  ja  möglich;  aber  auch  das  umgekehrte  Verhältnis  läßt  sich 
denken,   ja  dieses  ist  von  vornherein  eher  denkbar;  weil  die  An- 
nahme näher  liegt,  daß  das  seltene  Wort  dem  häufiger  angewandten 
zum  Opfer   gefallen    sei.     Bemerkenswert  ist  jedenfalls,    daß  bei 
Livius  die  Hss.  entweder  adfluere  =  „zuströmen44  oder  afluere  = 
„reichlich    vorhanden    Sein"  bieten.     Ich    kann  Fugner    nur  bei- 
stimmen, wenn  er  im  Lexicon  Livianum  I  Sp.  532  und  729  diese 
Scheidung  beibehalten  und  ein  Verb  affinere  überhaupt  unerwähnt  • 
gelassen  hat,  und  ich  glaube  nicht,  daß  die  zuerst  von  Aischefski  ur 
den  Livius- Text  eingeführte  und  von   späteren  Herausgebern   bei- 
behaltene   Schreibweise    wieder    verschwinden    wird.      Mich    hat 
Dombart,    der  diese  Frage  mit  großem  Scharfsinn  behandelt  hat, 
überzeugt,  daß  afluere^  genau  ebenso  gebildet  wie  ab-undare,  in 
gleichem  Sinne  wie  dieses  gebraucht  worden  ist.    Aber  es  scheint, 
daß  eine  schlechte  Aussprache   und    häufige  Verschreibüng  schon  , 
früh  (etwa  zu  Ciceros  Zeit)  das  Bewußtsein  von  der  Verschieden-  , 
heit    der    beiden  Verha    getrübt    und    zu    der  Vorherrschaft   von 
affinere  im  Sinne  von  abundare  geführt  hat.    Das  schließt  natürlich  • 
die  Möglichkeit  nicht  aus,  daß  der  Unterschied  manchem  Schrift-  j 
steiler   bewußt   geblieben  und  im  Ausdruck  von  ihm  festgehalten 
worden  ist,    wie  ich   es  z.  B.  für  Livius    annehme.    Darum    wird  * 

3* 


3ß  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

es  wohl  das   richtigste  sein,   den  Hss.  zu    folgen   und  trotz  der 
an  sich  wahrscheinlichen  Vermutung,  daß  nur  gedankenlose  Ab- 
schreiber hier  und  da  das  richtige  afluere  festgehalten  haben,  von. 
der  Abänderung  eines  überlieferten  affinere  in  der  Bedeutung  von 
abundare  Abstand  zu  nehmen1)., 

15)   Nachträglich   habe  ich   eine  ausgezeichnete    lexikalisch-  sema 
siologische  Untersuchung  zu  erwähnen,  die  auf  einem  begrenzten. 
Gebiete    den  Sprachgebrauch    der  Schriftsteller    von  der  ältesten 
Zeit  bis  Apulejus  endgültig  feststellt: 

K.  Reissinger,  Ober  Bedeutung  und  Verwendung  der  Prä- 
positionen ob  und  propter.  Teil  I.  Progr.  Landau  1807,  82  S. 
8.  —  Teil  II.   Progr.  Speyer  1900,  63  S.     8. 

Von  Livius  im  besonderen  wird  II  S.  4—11  und  S.  48  ge- 
handelt und  weiter  im  Zusammenhange  mit  den  anderen  Schrift-, 
stellern  in  dem  ganzen  zweiten  Teile. 

1.  Die  Grundbedeutung  (räumlich,  ob  =  entgegen,  propter  = 
neben)  findet  sich  bei  ob,  außer  obviam,  in  der  Formel  ob  oculos 
an  zwei  St.,  propter  an  fünf  St. 

2.  Die  „geschäftliche"  Bedeutung  von  ob  (Begriff  der  Ver- 
geltung: zum  Lohn  für,  zum  Dank  für,  zur  Strafe  für  usw.)  an 
43  St  (2,  23, 1  zeigt  den  Unterschied  zwischen  diesem  ob  und 
dem  rein  kausalen  propter  recht  deutlich);  daß  diese  Bedeutung 
aber  allmählich  verblaßte,  erhellt  aus  10,  44,  §  4  verglichen  mit 
§  5,  wo  wir  das  ob  nicht,  wie  gewöhnlich,  durch  pro,  sondern 
durch  propter  ersetzt  finden. 

3.  In  kausaler  Bedeutung  gebraucht  Livius  propter  153  mal 
neben  zahlreichen  Fällen,  wo  er  ob  gewählt  hat.  Eine  auch 
wegen  der  Wortstellung  auffallende  Ausdrucksweise  ist  23,15,9 
ob  eins  gratiam  meriti*),  ein  Pleonasmus  (statt  ob  id  meritum),  der 
als  Vulgarismus  anzusehen  ist  und  nach  Ansicht  des  Verfassers 
zu  dem  gegen  den  Schriftsteller  erhobenen  Vorwurf  der  Patavinität 
mit  Anlaß  gegeben  hat.  Bemerkenswert  ist  auch  5,  4, 11  ob  unam 
mulierem  als  erstes  Beispiel  für  kausales  ob  bei  einer  Personen- 
b$zeichnung  ohne  beigefügtes  Part.  Perf.  Pass.  (letztere  Ausdrucks- 
weise, bei  Cicero  nur  in  der  Formel  ob  res  gestas  begegnend, 
findet  sich  bei  Livius  häufig,  mit  ob  und  propter  gleich  oft).  Eine 
Erklärung  für  obige  Ausnahme  findet  der  Verf.  in  der  vom  Schrift- 
steller „offenbar  beabsichtigten  Alliteration  oppugnala  ob". 

')  Im  Thesaurus-Artikel  werden  Sp.  1242,  25  zwei  Livius-Stellen  ge- 
nannt, an  denen  ßffluo  mit  nur  einem  /"überliefert  ist.  Dennoch  wird  die 
erste  Stelle  (3,  26,  7)  anf  derselben  Spalte  Z.  80  mit  der  La.  affluant,  die 
zweite  auf  der  folgenden  Spalte  Z.  23  mit  der  La.  affluü  zitiert  (versehent- 
lich Z.  54  noch  einmal,  hier  aber  in  richtiger  Schreibweise).  Ebenso  wird 
Sp.  1242,  80  das  dritte  Beispiel  (23,  4,  4)  mit  der  La.  adßuenti  gegeben,  wo 
der  Pnteaoeus  aßuenti  hat. 

*)  Diese  gesuchte  Wortstellung  rührt  vielleicht  von  einem  Abschreiber 
her  (statt  ob  eixu  merüi  causam);. doch  ygl.  z.  B.  39,  56,7. 


Livius,  von  H.  J.  Müller.  37 

Reissinger  hat  den  Gesichtspunkt  der  historischen  Eütwicke- 
lung  streng  durchgeführt  und  so  eine  großartige  Vorarbeit  für 
den  Thesaurus  geliefert. 

16)  F.  Dusaoek,    De  formis  enantiationam  condicioaalium  apad 
Liviam  (ConcJasio).    Ceske  museum  filolegicke  IX  S.  162 — 221. 

Den  ersten  Teil  dieser  vortrefflichen  Abhandlung  habe  ich  im 
vorigen  Jahrgange  dieser  Zeitschrift  (JB.  1904  S.  26)  angezeigt; 
alles,  was  ich  dort  gesagt  habe,  findet  auch  auf  den  vorliegenden 
Schlußteil  Anwendung.  Überall  wird  die  einschlägige  Literatur 
genau  berücksichtigt  und  sogar  sorgfältig  nachgeprüft,  ob  die  von 
den  Grammatikern  und  Herausgebern  zum  Vergleiche  angeführten 

-  Beispiele  passen.  Das  führt  zu  zahlreichen  Berichtigungen  (Streichun- 
gen und  Ergänzungen),  namentlich  auch  in  dem  Kommentar  von 
Weißenborn,  der  ja  umfangreiche  Stellensammlungen  liebt  und, 
wie  bekannt,  es  häufig  dem  Benutzer  seiner  Ausgabe  überläßt, 
sich  aus  dem  ihm  gebotenen  reichhaltigen  Material  das  wirklich 
Passende  auszusuchen.  Ich  habe  in  den  von  mir  bearbeiteten 
Teilen  dieser  Ausgabe  vieles  als  nicht  hingehörig  getilgt;  anderes 
war  infolge  Änderung  der  La.  im  Text  überflüssig  und  hinfällig 
geworden;  aber  es  blieb  doch  noch  einiges  zu  verbessern,  und 
darauf  hat  D.  in  dankenswerter  Weise  aufmerksam  gemacht.  Auch 
manche  von  den  Herausgebern  festgehaltene  auffällige  Verbalform, 
die  eine  gezwungene  Erklärung  nötig  machte,  hat  er  kurzer  Hand 
berichtigt,  wozu  er  auf  Grund  seiner  Sammlungen  und  Dar- 
legungen an  den  meisten  Stellen,  wie  es  mir  scheint,  berechtigt 
war.     Er  glaubt,  daß  geschrieben  werden  muß: 

2, 15,  4  velit.  —  10,  39,  9  laxamenti  esset.  —  22,  32,  8  iudica- 
vissent  oder:  dnxissent;  dignos  se  iudicarent.  —  23,  15,  4  re- 
mansissent.  —  24,  48, 3  referrent.  —  28,  34, 10  malint.  —  32,7, 11 
vellet;  34,11  possint.  —  33,12,4  velit.  —  34,57,7  vellet; 
8  possessio  esset;  Antiochus  sit.  —  35, 12, 8  transmitterent.  — 
38,  8, 10  velint.  —  40,  55,  3  insidiis  sü.  —  42,  23,  4  pellant; 
36,  3  revocarentur;  62,  6  factum  esset.  —  43,  5,  6  satis  fieret.  — 
44,37,7  mirentur.  [Das  Verzeichnis  auf  S.  217  ist  weder  voll- 
ständig noch  in  den  Zahlen  genau,  auch  vermißt  man  eine  An* 
gäbe  der  Seiten,  wo  von  den  einzelnen  Stellen  die  Rede  ge- 
wesen ist.] 

Die  Abhandlung  ist  klar  disponiert,  so  daß  man  sich  leicht 
in  ihr  zurechtfindet  und  sich  schnell  über  das,  was  man  sucht, 
orientieren  kann.  Sehr  gut  wird  z.  ß.  über  den  Nachsatz  einer 
irrealen  Bedingungsperiode,  der  zu  einem  abhängigen  Nebensatze 
geworden  ist,  gehandelt  (S.  174  f.),  und  bemerkenswert  ist  die 
Tatsache,  daß  Livius  nur  an  drei  Stellen  den  Infinitiv  des  Futurums 
durch  fore  tu  oder  futurum  esse  ut  umschrieben  hat:  4,7,6  fore 

'  ut  postmodo  gaudeant;  27, 17,  4  fore  ut  suäe  res  fluerent;  41,  8,  7 
f%Uurum  ut  deserti  agri  nullum  militem  dare  possint.    Am  Schluß 


; 38  JahresfrerS^hUtfl.iPbiLalog.  Vereins. 

-^rdvin^  T^feeüenflaPrti   über   das  VorJtömm^n  der  einzelne^  Aus- 

<drutk$airteri    z^hienniaßtge   Auskunft    gegeben,    zum.  Teil    unter 

Scheidung  nach  Dekaden.  ;      /.  ;  »:  t  .>\, 

Störend  ist,  daß  die  runden  und  eckigen  Klammern  nicht  in 

gWcbifläßlffet-  Weise   angewandt'  und    im  Text-  ziir   Bezeichnurig 

ergänzter ;  W&rter  oder  Silben  nicht  '^->  gebraucht  * worden  sind. 


17)  E,  ß.  Lease.  Livy  äuse  qf  arüni,  eruht 


1 1  a  n  d  ere.    American  Journal 

t!  •'""   "•■■  "   '        'r      r  '"  '  '  '       7"  •'"'       " '" 

.Pil  ..  .,   ....        

,h  :  ..JNene  UJ8SV.19^.  ist,  [^zureichend;-,  ^r  ^beröcksitßbtjgt  für  ^ere 
ji^IqÄ*,  B-l^JI  ,':•  ,|«PV/  "4iexv  a^oiTiin  ,ihu>4i>  4?i7#  kder  möglichen  Fälle  e*;- 

/scheint,,  während Jn  B«  2:,  73,6,%,  in  B,  3;  77,2lrin  B,  4;  6441 
j7in  Br'6k;^7^  ,ztt>,  gelegen,   ^4r    Sejne  Statistik,  ist  ^ußerdefi 

iDJcht  fz«verlässjg,M  ..,/u  .1  •.;,    .-,.■».  ■,.iV.ll»:»Mt    r,f   rv        .,  :■;>  ».;..-, 
V.:   .  liivius?  Stil    haj;,,^ich  vog;i  der ^;;a.lDekftcte  ab  geändert  (Arch. 
ii'tiUt.  L^x,  4t >#Q71-   >und  JQ,  64Q»  auch   ia,bezug  :auf  _«re*   in 
;^r;f^»el|.:,.ar^^^H!'i*'4flr  3.*  25,7%  ja  der  4.;,13£-& 
..(^q,  immer i  um  die,  Hälfte  weniger),    Eine  Tafel  für  dief: einzelnen 

/,  .,    JBGme,rkenswt  Jst;>  K  YQriiehe  für  ßre  in  B-  l — 6:ä?,65,9# 
f(inr  7^J0,nur38,l^  ;  ,    ,.    ■::  .-^.  o;  ./.,,.?:■  >f  .'.•-..  v,.... 

";   „    ^  i?  B-  1:  73,ßl;  ia  B.  $:  77a%%J-^m  B.  ?6;  6$1  in 

;JB,39;  4&  in  B.  41:  nur.  3,31    ,,        :  -,  ■.»  i  .-•..» 

,(1     3lVin   der  5. Dekade  .nicht  um    die  Hälfte  weniger, im  Vsr- 

.  jiSItois „zur  4*  (313,5 ^),  sonder n=^j  10,1,1      »     ,  ;     • 

4.  der  Verf.  der  Perjochae  brauch!  ere  gelten«  in  der  1.  Dek. : 
JW?., 54,71  Per.:  17,61,111,^  2Jr-45k:^iv-  19^*M  Per.  nicht 
ejnmal; ;  Per.  hat  ypn  9-rl43  es  iiür  einmal  ja  .116:/  pratstitere. 

t  r    :  I,    Allgemeine  Bemerkungen.    Föf,  das  Nachlassen,  sind  drei 
Faktoren  in  Betracht  zuziehen;   \;-:  v  \.,,,H    rj    f  (.    ,  *^" 

^^^^^j^^cb^r^iD^ß  der /Quellen  .läßt  nacfe;    gtigtei.Q^  die 

^n  ßejr/po^tisjhe   Einfluß  ,{GfWU9*  ?upd  JtergjU  *Ygl*  Anibjv 
(JO,170  .wird  ^  ^n)ji4lim4hl}plt.0^^ndeQ4\Pg«i{|i  Stil  wird 
prosaischer  njadkl^isqher,,  c  ;tA'S  n*i<  ,,.   -^r   ;-.%'j': 
?,y  ,  3.;  Ö^gegeij,  isp  4er  Einfluß  tdes  sermo  famiUacis^b^leUqei}; 
das  Bellum  Africanum,    das  Bellum  Hispaniense    und  Petron  be- 
•  ^WW?eH»:;^ d^R- i^iWt.f^iB." voUp*  -fVl?™ .  vorgewogen  r  wuwlv/sq.,(taß  die 
..^ien^erß  W  Anfang7<l^ü  picfets^zw  |qa  habejn.;.  ,1/0     » «t    ,. 
V,"  (.:"..  .Uv^9V.^ts^^^wcli\Kla««i^t .  des  *  Ausdrucks  ist  a^.d^s 
,,En^pbe4denn>. ,,  Das,   ^.tr^n.»  nacfe  Atwe$iUqhun$   iteni,  zuliebe 
>tor  ere  iangewan^t^atte,  tritt  d9gege^h.ro^r:^nd-^ehr<^iirji^. 
^ueh^^r  fth^b,miUÄ  £Cjfirden,,Kujr^tprps^ .93§),up4  der  Anf§n^s- 
Hbach6tab%  d es, ifQlgeijde^, Wurfes  ^tt^n,  keipea JSinflLuß,^ >k.  Dngeg^n 
-will  LjLviu^^dfi^r.Reim  yve$mejde$  aiqd  ^seUt.  dam  ,W  4fäßnte*in*r 
ii^eriod^^ie  1^405^,  wyt.J  .v,v4^  c—  r.;,-^  .  ,     ■:  •  >»?.  -  • 


Li  vi  üb,  rai  H.  J:MülUc  j^Q 

II.  Gebrauch  im:  mmelnw*  1.  1 1  Yerba;  der  t.'Jton}-  haben 
«fcenWr48&  artmt  25  <&  \avvre  27%  :[abdico,.crko,  comparo,  con- 
tlamo,  impetro,*  curüy  hco,.muio^  nuntio,  pugnoi  tarfo],  desgl.,  hat 
tttfgueo  drei  Formen,  audia  yiQr/[audweruiUAn^\ißudieruntlm&\^ 
a**dn?«r?  5  mal,  atcdteri  Am*}];  *.    :.    /(    V'  :  j  ^   ^    »  -L 

2.  Verba  auf  Zo  und  ro  ziehea  die  Endung  rwn*  per.  nvr 

3.  JNach  der  t.  Dekade  ist  arfcitf  häubger<als  averunts 

4;  In  der  1.  Kqnj;,  weiden  Formen  des  Perfekts  vermiede«, 
die  mit.vdeni  inünitiv  •  glekhjauteny  iwjht  ab«iHn  der  2.  Und:  3. 
[so  wtkre>  JO  mal,  movere,  und  Komposita'  &mz\^  irividere;'incideYt, 

5.    Bimge  Verba  Kp/oo*  owttö)  kbrocneü  ifrdilesen  Jfonnehinur 
ab  Komposita  von;  O   r»      •  •;{'/*.  >. -'..-t   ?!  .  i   .-.  i?v  ;;;:£    •?>'??•?  ^-   J 
..    6,    Volo  und  »seine -KtätnpoaiW  haben  nui*.  die  F*ttn  auf  jtaftf 
(volo  7mal,  noZo  2mal,  wa/o  6 mal).  e.-»-: 

... .    -  ?*  -  Kömposita  zidieu  die,  rollere  Form  vöF(nameniüch  bei 
ntrofro,  judOi  ducOr  ÄH*fy>,  «o,-  'Wfriia)&    >   ■  <•  w -.5  j  mj;  'i  ^  ,i  v.:. 
'  8*:r-Ääwr«ia  i&t  bau-bg^l-  ai*/!Htie^,außer.<;bpii7we3nfo^  </-::, 
••;  9/  Perfekta miü  *•  (bs,.a?)  <riöhe«to,enmt  vor;    ^>   l.:,^'4 
■V  •  -  10,  'futore  ist  ?die.  häufigste  #or»  auf  <?re.  *  »  ••>  v;       ■».,     /.v ^  i 

18);R.,B.  SU«Je,  TJie,  M5t^rr»c*l:,»tt^»d^i^t<Ü.v^  Xhe  Anbriet« 
,     .  .  Jouraal^f  ^»fl|f «J-juif  *Y  «X1^4): ,  ^Mp**-.  :  ..*:  ,^J    /.  t-  ,,*  » '; 

Tief  religiös,  Meipeugter  ,Replublifcai^r,  ßiekt 'phöe  ürätikiifi 
fe*zug  auf  eiAige^Purikte?  dfenaltesten  G^chichte»(I{  1^,^;  %  40, 1 1 ; 
2,  14,  3),  KönsUer ;  aber  doeh  io  öiiteE  linie -ffisteürike^iiüiiMiJt 
ohne  Ahnung,  welcbe-iAiudehnung  «eiB'WeffksnebmjBB,^vftrde,i-^- 
so  tritt  uns  Livius  entgegen.  Originale  Dokumente  hat  er  wenig 
benutzt;  der  ^and  ftoms  und  später  die  ^Bürgerkriege :  haben  das 
meiste  vernichtet.  Er  "war  sich  dJer- Unsicherheit  und  'teil weisen 
Unwahrheit  der  anua]isMsc)ie{i  Überiie&^un^iVoJ Hemmen  bewußt: 
e*  wußten  daß  Ppssia  (fraef-  6),  falsche* llrt<#  1^:8^),.  ErfinnJiuipg 
(8,  &,  3),,  foniihqotradition  (8, 4Q,  A); ^^.ÜierlÄeferoiig'  trflbt^, 
dijß  Statuen  ,  und  Ityonumen^  noch:  keine  Fakta  ,  verbürgen,  JMjid 
erfundene  fledeß  an  die  Stelle  wirklieh  gehaltener  treten  kgqngn 
{38,,  56,  3)  und  da$  die  Anpalisjtea^icb  wider&precbepi    .  ..;■,,;., 

livius.  zitiert  ii»mer.^nur  ^apn»  ,wijnn^  ent\v«der  -g^p&  b$r 
sondere  einzfJn.  s^hepde  Fakta(,,z0:  er  wähnen,  sind,,  V>ü?r  mm 
^eine  Quellea  au^nanderge^eji  nnd(  er  selbsi  d^  V6Tan^or(ung 
nicbt,  überne^Hi^-will;  seiq^e  Zitate  sind  kw^w.egs  eiaM^ß^b 
der  Abhängigkeit.  Er  bemüht  sieb,  :6d^|äridig^u  uj^t^efl,trrr 
aber  in  Zweifelfällen  mit  Vorsicht.  Daher  seine  vielen,  besonders 
in  cter:  W,Dek9de[;lQ61  m  Ä1r(Mn4*I  und;2*inrde^  an4wenidr«i 
Dekaden;  vgl.  Arohnv '10 v 80/^1]  hervori#et©r»deri  Selbsteitate :  sie 
beweiset  den  ZVerfeÜr'n  tJetZuv^rlä^sigkefft  det-Ö^llen; 
seia  ßigeneß  Urteil  > muß  einfrete»..'  Dieses' .pensöalifcheTüteil  tritt 
oft:<  ia  urtperäQnUohQn' Auarfrufcßken  irehriwS  <Ue  «iSiea<(skflptrschen 


40  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Anstrich  geben  sollen  (dicitur,  fertur,  traditur,  memorare,  prodere, 
credere  u.  a.).  Eine  positive  Begutachtung  des  Quellenbefundes 
liegt  in  constat  oder  discrepat  mit  Negation,  eine  kritische  in  partim 
certum  est  (parum  liquet)  und  quis  pro  certo  adfirmet?  Andere 
Nuancen  ergeben  die  Adjektiva  probabile,  proximum  vero,  propim 
vero,  magis  veri  simile,  verius  u.  a. 

Besonders  behandelt  werden  nun  Zitat-Einleitungen  und  eigene 
Urteilsnuancen,  die  bestimmt  werden  durch  fabula,  fama,  memoria, 
annales,  auctor  und  auctores,  scriptores,  alü,  quidam,  sunt  qui,  plerique, 
alibi.  .alibi.  Dann  werden  die  einzelnen  Autoren  und  die  Art,  wie 
sie  zitiert  werden,  besprochen,  und  zwar:  Pabius,  L.  Cincius  Ali- 
mentus,  C.  Acilius,  Cato,  L.  Calpurnius  Piso,  Censorius  Frugi, 
L.  Coelius  Antipater,  P.  Rutilius  Rufus,  Q.  Claudius  Quadrigarius, 
Valerius  Antias,  Macer,  Q.  Aelius  Tubero,  C.  Clodius  Licinius, 
Cincius. 

Als  ein  weiteres  Mittel,  eigenes  Urteil  einfließen  zu 
lassen,  gebraucht  Livius:  1.  ho  die,  nunc  (zum  Unterschied  in  geo- 
graphischen, religiösen,  politischen  Dingen,  —  denselben  Zweck 
verfolgen  aetas  und  saeculum  und  oft  der  Ind.  Praes.  — ),  nuper 
tum,  tune,  primus,  primum,  ante,  antea  (mit  Negation),  tempus 
tempestas;  —  2.  parenthetische  Vergleiche:  ut  fit,  ut  solet,  mos  est 
u.a.;  —  3.  rhetorische,  an  den  Leser  gerichtete  Wendungen  im 
Präsens,  Perfekt,  Imperfekt:  er  will  ihn  dadurch  gewissermaßen 
zum  Bekräftigen  des  eigenen  Urteils  stempeln. 

Alle  diese  Dinge  zeugen  von  der  Einsicht  des  Livius  in  die 
Dürftigkeit  und  Unzuverlässigkeit  seiner  Quellen  und  für  seinen 
Mut,  es  einzugestehen,  statt  es  zu  bemänteln. 

19)  F.  Leo,   Livius  und  Horaz  über  die  Vorgeschichte  des  römi- 

schen Dramas.     Hermes  1904  S.  63— 77. 

Der  Amerikaner  Hendrickson  hat  in  zwei  sehr  grundlichen 
Abhandlungen  den  Nachweis  geführt,  erstens  daß  der  Bericht  des 
Livius  (VII  2)  mit  Aristoteles  und  der  peripatetischen  Literar- 
geschichte zusammenhängt,  und  zweitens  daß  weder  Livius  noch 
Horaz  (Ep.  II  1,  139 (f.)  Varronische  Lehre  wiedergibt.  Die  Ho- 
razische  Darstellung  sei  vielmehr  vorvarronisch.  Diesem  Resultat 
stimmt  Leo  zu.  Auch  der  Inhalt  des  Livius-Kapitels  kann  vor- 
varronisch sein,  und  Hendrickson  versucht  darzutun,  daß  dies  der 
Fall  sei,  indem  er  die  beiden  Berichte  identifiziert  und  beide 
direkt  auf  Accius'  Didascalica  zurückführt.  Dies  erweist  Leo  als 
einen  mißglückten  Versuch. 

20)  L.  Walker,  Die  geschichtliche  Entwicklung  des  Prodigien- 

wesens    bei    den    Römern.      Studien   zur    Geschichte   und   Ober- 
lieferung der  Staatqprodigien.    Diss.  Leipzig  1903.     103  S.    8. 

Ein  Prodigium  ist  ein  naturwidriges  oder  außergewöhnliches 
Vorkommnis,    das  als  Zeichen  göttlichen  Zornes  gilt  {ein  ,.gutes" 


Livius,  von  H.  J.  Möller.  41 

Prodigium  ist  also  ein  Widerspruch  in  sich  selbst;  prodigium  von 
einem  guten  Vorzeichen  gesagt,  ist  ungenauer  Sprachgebrauch;  eine 
farblose  Auffassung  des  Prodigienbegrifles  ist  der  späteren  Zeit  eigen). 
Ein  Staatsprodigium  (prodigium  publicum)  weist  darauf  hin,  daß 
das  normale  Verhältnis  zwischen  Gottheit  und  Gemeinde  gestört 
ist ;  es  ereignet  sich  in  agro  publico  (vom  ursprünglichen  ager  Ro- 
manus auf  die  italischen  Burgergemeinden  ausgedehnt  und  seit 
dem  Bundesgenossenkriege  ganz  Italien  umfassend)  und  wird  von 
Staats  wegen  gesühnt.  Bei  dieser  Festsetzung  des  Begriffes  „Staats* 
prodigium'4  vermag  der  Verf.  die  Prodigien  nichts laatlichen  Cha- 
rakters und  prodigienähnlicbe  Wunder  in  klarer  Weise  abzusondern. 

Der  Inhalt  der  Abhandlung  ist  folgender:  Verzeichnis  der 
Staatsprodigien  (S.  6 — 26) ;  Behandlung  der  Staatsprodigien  (S.  26 
—29);  Gutachten  betreffs  der  Sühnung  (S.  29-37);  die  Sühn- 
mittel (S.  39— 50);  Aufzeichnung  und  Überlieferung  der  Staats- 
prodigien (S.  50 — 70);  Geschichte  des  Prodigienglaubens  (S.  70 
— 75);  die  Schriftsteiler  in  ihrer  Bedeutung  für  die  Prodigien- 
überlieferung  (S.  76—85);  chronologisches  Verzeichnis  der  Pro- 
digienberichte  (S.  86 — 92);  Register  der  Stellen,  wo  Prodigien  an- 
geführt werden  (S.  92 — 94);  Verzeichnis  der  Orte,  wo  Staats- 
prodigien vorgekommen  sind  (S.  94 — 101);  Anhang:  Die  Ent- 
stehung der  Sibyllinischen  Bücher  (S.  101 — 103). 

Das  ungeheure  Material  bat  der  Verf.  mit  großem  Fleiße  zu- 
sammengetragen, gesichtet,  geordnet  und  mit  gesundem  urteil 
besprochen.  Manche  Bemerkung  und  Auffassung  anderer  Ge- 
lehrten wird  berichtigt  oder  ergänzt  oder  widerlegt  und  das  Ganze 
so  gründlich  und  sorgfältig  behandelt,  daß  der  Leser  den  Aus- 
führungen mit  großem  Interesse  folgt  und  aus  ihnen  viel  Be- 
lehrung schöpft. 

Die  beste  Quelle  ist  Livius;  sein  Wert  liegt  in  der  regel- 
mäßigen Berichterstattung,  die  indirekt  (durch  die  Annalisten)  auf 
die  pontifikale  Chronik  zurückgeht.  Seine  Angaben  reichen  von 
218—167  v.  Chr.;  für  die  folgende  und  einen  Teil  der  vorher- 
gehenden Zeit  bieten  die  Schriftsteller,  die  aus  der  sogenannten 
Epitome  Liviana  geschöpft  haben,  Ersatz. 

S.  84  Z.  15  steht  Caelius  (st.  Coelius). 

21)  F.  Lnterbacher,  Der  Prodigieoglaube  und  Prodigienstil  der 
Römer.  Eioe  historisch -philologische  Abhaodluog  io  neuer  Be- 
arbeitung. Beilage  zum  Jahresbericht  über  das  Gymnasium  in  Burg- 
dorf.    Burgdorf  1904,  C.  Laoglois  ft  Cie.    69  S.     8. 

Die  vorliegende  Schrift  ist  die  zweite  Auflage  einer  im  Jahre 
1880  erschienenen  Programmabhandlung,  die  seit  Jahren  ver- 
griffen, aber  immer  aufs  neue  verlangt  worden  war.  Eine  seltene 
Ausnahme  von  der  Regel,  daß  die  in  Schulprogrammen  nieder- 
gelegte wissenschaftliche  Arbeit  vergraben  und  der  Vergessenheit 
geweiht  ist.  Freilich  die  gediegene  Abhandlung  fand  bei  der  Kritik 
allseitige    und    verdiente    Anerkennung   (vgl.  JB.  1881  S.  184  f.). 


42  Jahr  e  sb  e  ri  t h  t e  I.  P  h  i  l  ö  \<*g.  •  V^e  r  e  i  n  s. 

Jetzt  hebt  der  Vecf,  selbst  hervor;  daß  täele  Angaben  des  Sehnft- 
chens  nicht  >mehr  antreffend  gfeweäe»  seien  nnd  daß  er  aufe- der 
Benutzung  der  DisseKation  von  L.  Wölket  ,;g#riten  Nutzen '  tiöii 
infrnche  Berichtiguiag  gezogen  habe*,  Wölker*  Angabe«  fibertfnister- 
nisse  entbehren  dei*  Zuverlässigkeit,  weil  w  das  Progr&ttHn  Von 
Tri  est  1884:  „Sämtliche  bei  griechischen  und  lateinischen  Schrift- 
stellern des  Altertums  erwfihnteSoiineh- iind  Mondfiöstörnisse,  nftti 
berechnet  von  'G.  Hofma*nu  nicht kannte  (HofitfiaM0lrat  seifet 
n^  mehrere  Erwähnungen  voü  Finstermdseri  übersehen). *'  Luter- 
bacher  hat  „jene/  Marksteine .  der  Antiken  Chronologie'*  äuöftifttt- 
licher  mitgeteilt,'  als  es  eigentlich  für  die  ^rodigienkunde  nötig 
war,  wie  er  auch '  son«t  öbei*  die  Stäatsßrodigien  hinausgegangen 
i^t,  um  Ansichten  der  Gelehrten  über  bestimmte  Pitnktölzü  be- 
leuchten;-   .'<-■      ■' ^  ■■■       :    ■'■■•'     •'■    "^     "'"    '-J    '••■>  ■'•"•'  ■"'       '■'■ 

Die  Abhandlung  ist  folgendermaßen  gegliedert:  Bedeutung 
fder  Prodigien  (S.<&*^9J;  Aufzeichnung  und  Überlieferung  der  Pi'q- 
dtgim  (S  »—18);  die  wichtigsten  Prodigieh  (S.  1«— 29);  Unter- 
scheidung der  Prodigien  in  staatliche  und  private  (S*  29^3&); 
Sühnung  der  Prodigien  (S.  33—43);  der  Prodigiensül  (S.  43^-605; 
Liviu*"  Quellen  für  die  Pfödigien  (S.  60— 69).      •  ^ 

-  Dre  äußerst  reichhaltige  Abhandlung  nimmt  vielfach  auf 
Wülkers  Aufstellungen  Bezug,  beistimmend  öder  ablehnend  (iL  ß. 
wird  Wülkers  Abgrenzung*  de*  Begriffes  „Staatsprddigiurn1'  an- 
gefochten).  Beide  Schriften  ergänzen  sich  zu  einer  Darstellung 
des  gesamten  Prodigienwesenö,  in  der  man  schwerlich  etwas  ver- 
missen wird,  Alle  schwierigen  Stellen  finden  eine- sachgemäße 
Erörterung,  wobei  voirLtb.  auch  der  Stil  und  die  Attsdrufcksweiee 
unter  die  Lupe  genommen  und  an  vielen  Steifen  eine  einleuchtende 
Änderung  des  überlieferten  Wortlautes,  namentlich  bei  Livius  und 
Öbsequens^  vorgeschlagen  wird.  '•  •-..:     ' 

$2)  P.  AzaD,    Aaoibal    dans    1  es    Alpes»     Ouvraffe  reufermaot  dix-sept 
car,tes    et  <six    Photographie  s.     Paris    1 902,   Picard  ,  et   fils»  *   234-  S. 

•''  '/   £r.  8.    6  fr.  v   ; '       ';     •  (  ,    '     *.    '  ;■ 

'  Über  diese  Schrift,  die  mir  nicht  vorgelegen  hat,  urteilt  der 
Beferent  im  Lit.  Zentralbl.  1904  Sp.7Ö9,  daß;  ihr  Verfasser '  nicht 
nur  in  militärischen  Dingen  gute  Sachkenntnis'  beweise,  sondern 
auch  in  phiioJogicis  .sich,  gut  beschlagen .:  zeige.  Auch  er  ent- 
scheidet sich  wie  W/ Oslander,  dem  er  aber  "in  Einzelheiten  wider- 
spricht, für  den  'Mp  Cenis,  indem  er  Polybius  zum  Führet  nimmt. 
Schwierigkeiten  machen  ihm  die ' Worte  riccg  ayxov  %bv  nozapov, 
und  er  sieht  sich  gezwungen,  diesen  Worten  zum  Trotz  tiannibal 
die  Isere  aufwärts  marschieren  zu  lassen,.  ,,Diesen  Widerspruch 
Hii  lösen,  wagt  er'dle  terä^ 

eben  die  Rbohe  gewesen".  Der  Begründung  dieser  cbnjecture, ist 
'der  zweite  teit  des  Buches .  gewidmet  (S. ;  1 59—2 18)  *).       ?  '      ' 

i   ;     ;*i)  Wäbr^d  de^  Kot i'ektai1   ^iesW  Berichtet  t*t  tfüe  JBe4j>refebi*ag  der 


,23)  Jopef   Fuchs,   H*;flnih«L  inf  Miitejitftlieifc    Mit  eio^m  Plan  der 
Schlacht  am    Trasiinenersee.,    Wien    1904^  Selbstverlag.     36  S.  Vj8. 

;'■  '    (S.-A.  aus  den  Wiener  Studien  $CVI,  Heft  \.)  ,       ","       ..  ,,.i 

'  *",  Seit  Nissen  vor  vierzig  Jahren  die, Frage, über  die  Vorgänge 
am  Träsimenischea  See  im  $hejnischen  Museum  aufgerollt  b^t, 
kann  sie  nicht  zur  Ruhe  kommen;  jede  Publikation  bringt  ejn 
neues  Schlachtfeld  oder  .  eine  nei^e  Kombination  in  der  SteUunig 
der  Truppen,  wobei  entwedec  Liviiis  oder  Pojybius  als ,  unmaß- 
geblich zurückgewiesen  oder»  wenn,  mau  Wide  heranzieht, ,  e}ne 
subjektivet  Auswahl  'ihrer  Notizen  getrofleji  wird.  Dieses  Ergebnis 
de>  Forschung  ist  unerfreulich  für  die  Üeschjchtschreibung  nic|it 
weniger  als  für  die  Schule  und  für  die  Kriegsgeschichte.  D^r 
Verfasser1)  aber  sucht  zu  erweisen,  daß  zwischen  Polybias  uijd 
Xivius  Übereinstimmung  herrscht,  und  fuhrt,  dies  in.  geistvoller» 
den  Stemper  der  Wahrheit  an  sich  tragender  Weise  durch.!  Ich 
£ebe  im  folgenden  ein  ausfuhrliches  Referat)  damit  die  Leser  in 
der  Lage  sind,  dep  Ausführungen  des  Verfassers*  der  daß  Gelände 
zu  wiederholten  Malen  persönlich-  untersucht  haj,  bis  ins  kleinste 
zu  folgen.  Die  Abhandlung  ist  lebendig  geschrieben,  sie  zeigt 
überall  die  durch  Autopsie  und  ernstes  Nachdenken  gewonnene 
•Sicherheit  und  ist  allep,  die  sich  mit  topographische*!  Frage,u 
dieser  Art  beschäftigen,  ernstlich  zu  empfehlen.  ,i, 

Der  See  liegt  ca.  40  km  südlich  von.Arezzo;  e,r  ist  von 
einem  kränze  von  Bergen,  umgebep,  die  im  Westen  bedeutend 
niedriger  sin^  und  die  nordwestliche  Ecke  völlig  freigehen;  ejn 
eheher  Streifen  von  wechselnder  Breite  im  Norden  verbindet  mit 
der  starken  Eirisattelu.no;  des  Passes  Colognola  im,  Nordosten  d$s 
TqT  dejr  Chiana  mit  der  Caina  und  dem  Tiber,  mit  der  via 
Fläminia  und  so  militärisch  mit  Rom.  Zum  Verständnis  dafür, 
wie  der  genannte  See  der  Schauplatz  der  römischen  Katastrophe 
wurde,  wird  vom  Verf.  der  Agenninü  herging  gestreift;,  auch  hier 
könne  man  sich  mittelen  Annahmen  der,  heutigen  Ueschicty- 
r Schreibung  nicht  befreunden,  sie  seien  den  Quellen  zuwiderlaufend 
und  den  Lehren  der  Kriegskunst  verdächtig.  Die  heutigen  G^- 
^schichlschreiber  behaupten,  Hännibal  habe  den  Apennin  auf  einem 
der,  westlichen  Pässe  überschritten,  weil  er,  um  den  Übergang 
nicht  durch  Kämpfe  zu;  erzvvingen*  ihn  «möglichst  fern  vom  Feinde 
bewerkstelligen  mußte.  Dies.e  MQtivieri|hg  paßt  für  die  Westalp^n 
."mit  den '  konzentrisch  .mündenden  Tälern,  und  dem  steilen  F^ll 
gegen  Osten,  nicht  aber  für  den  Apennin,  der, in  seiner  Gestaltung 
dien  Defensivraum  teilt  und  auch  durch  seinen  flachen  Verlauf*  den 
.  Angrj/T  auf  Mittelitalien  erleichtert,  x  Djese  Erwägung  Ut,  kein  Beweis, 
sie  verpflichtet  nur  zu  genauerei;  Betrachtung  der«  Quellen. -  ■ .   \ 

Attänsthlo  Schrift  hei  'der  Redaktion*  der  Z.' f.  *.  GW.  eingegangen,  fch 
bringe  sie1  als  Anhang  dieses1  Jahresberichte*  zum  Abdruck.  '   ,  ■  -'  . ,ft 

r  [  V  l)  Pemse]be,a  Verfasser,,  verdaikea.,  wir,  die, erste  au.sfiibrlajhe  BehqQtl- 
lung  der' Frage,  auf  welchem  Wege  Hännibal  die  Alpen  überschritten  hat; 
vgl.  JB.  1898  S.  21-29/  "  l    «^  '      -    '        «■-'   « 


44  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereios. 

Nach  der  Bemerkung  des  Polybius  III  77,  1,  daß  der  eine 
Konsal  bei  Arezzo  stehe,  ist  die  Notiz  78,  6,  daß  Hannibal  einen 
kurzen  Weg  ins  feindliche  Gebiet  gewählt  habe,  gewiß  auffallend; 
denn  je  westlicher  der  Weg  führt,  um  so  länger  ist  er.  Die 
weitere  Notiz,  daß  die  Leute  Uannibals  mit  Schrecken  an  die 
bodenlosen  Stellen  auf  dem  Wege  dachten,  deutet  auf  das  Sumpf* 
gebiet  des  westlichen  Toskana  hin.  Hannibal  aber  hatte  einen 
andern  Weg  im  Auge,  einen  Weg,  der  wohl  unter  Wasser 
stand,  doch  festen  Grund  hatte:  nag  %iq  vqtoQcipwog  ßaQa&Qjx 
xal  rovg  fopyadeig  x&v  tonw  *Awißag  31  inifjLsXcog  ifyra- 
xdg  zeyaycodeig  xal  dteqeovg  vnaqxovtag  rovg  xaxa  %i\v 
diodov  Tonovg.  Nach  Überwindung  der  Sumpfe  sodann  gewinnt 
Hannibal  Fühlung  mit  dem  Feinde,  der  bei  Arezzo  stand,  ohne 
daß  des  Arno  erwähnt  wird.  Dieser  um  jene  Jahreszeit  an- 
geschwollene Fluß  hätte  aber,  zumal  nach  dem  anstrengenden 
Marsche  durch  die  Sumpfe  und  in  der  Nähe  des  Feindes,  ohne 
genaue  und  umständliche  Vorbereitung  nicht  überschritten  werden 
können,  er  durfte  also  nicht  ohne  Erwähnung  bleiben  und  hätte 
mindestens  die  Bemerkung  duxßäg  %ov  noxapiv  veranlassen 
müssen.  Hannibal  erhält  ferner  80,  1 — 2  nach  der  Überwindung 
der  Sümpfe  und  ohne  weiter  zu  marschieren  genaue  Kunde  von 
der  Anwesenheit  der  Römer  bei  Arezzo  und  schlägt  daraufhin 
an  den  Sümpfen  ein  Lager  auf;  das  ist  nicht  möglich,  wenn  das 
Ende  der  Sümpfe  bei  Fiesole  (Florenz)  liegt,  es  ist  nur  möglich, 
wenn  die  Sümpfe  in  der  Nähe  und  vor  Arezzo  enden.  Auch  die 
Absiebt  Hannibals,  die  Römer  vom  Lager  aus  genauer  zu  be- 
obachten, ist  nur  verständlich,  wenn  das  Ende  der  Sümpfe  nahe 
bei  Arezzo  gesucht  wird.  Das  Sumpfgebiet  fallt  also  mit  dem 
Inundationsgebiet  des  oberen  Arno  zusammen. 

Hiermit  stimmt  Livius.  Dieser  führt  die  Sümpfe  auf  eine 
ungewöhnliche  Überschwemmung  des  Arno  zurück  XXII  2 ;  aber 
der  Arno  wird  nicht  überschritten,  Livius  spricht  sofort  vom 
Flusse,  nicht  erst  von  den  Sümpfen,  er  spricht  nur  von  Kot  und 
Morast,  nicht  vom  tiefen  Flußbett,  nicht  von  Ertrinkenden.  .  Er 
kündigt  aber  auch  einen  Marsch  längs  der  Sümpfe,  nicht  quer 
durch  die  Sümpfe  an;  denn  der  abl.  viae  viam  petit,  qua  Arnus 
solito  magis  inundaverat  gibt  die  Linie  der  Überschwemmung  an, 
per  voragines  ist  =  von  einer  bodenlosen  Stelle  (am  Rande  der 
Überschwemmung)  zur  andern,  und  omnia  obtinentibus  aquis  geht 
auf  die  Stauung  vor  den  Talengen.  Damit  harmoniert  auch  XXU  3 
oum  tandem  de  paludibus  emersisset. 

Demnach  marschierte  Hannibal  von  den  Ligurern  in  der 
Richtung  auf  Rimini  bis  Forli,  von  da  südwärts  über  Galeata  und 
S.  Sofia  in  das  obere  Tal  des  Savio,  dessen  Schwierigkeiten  so  ver- 
mieden sind,  steigt  über  den  1175  m  hohen  Paß  Mandrioli  in  das 
überschwemmte  Tal  des  oberen  Arno  und  erscheint  etwa  7  km 
nördlich  von  Arezzo  bei  Giovi  auf  dem  Trockenen. 


^ 


Livius,  von  H.  J.  Müller.  45 

Dieser  Weg  entspricht  auch  den  darauffolgenden  Berichten 
der  beiden  Schriftsteller,  die  nun  sowohl  in  sich  als  auch  mit- 
einander übereinstimmen.  Hannibal  marschiert  von  Giovi  aus 
nicht  direkt  gegen  den  Feind,  sondern  den  Arno  hinab  bis  Le- 
vana-Bucine  —  laeva  relicto  hoste  Faesulas  petens  — ,  bricht  ins 
Tal  der  Ambra  süd-  und  südostwärts  ein  und  überflügelt  allmählich 
den  römischen  Feind  —  medio  Etruriae  agro  praedatum  . . .  ad 
ipsa  Romana  moenia  ire  oppugnanda  — ;  die  Vorteile  desselben 
Flankenmarsches  erwögt  Hannibal  nach  Polybius  80,  4  avveXo- 
yi£sxo  diöxi  nagalXd^apxog  avxov  xfjv  ixeivcav  axqaxo- 
nedelav,  dieser  rechtfertigt  das  gewagte  Unternehmen  (81)  und 
läßt  es  ausführen  82,  t  wg  ydg  &atxov  noifjödfievog  ava^vyijv 
dno  x&v  xaxd  (buHSohuv  xonwv  . . .;  indem  Hannibal  von  Bucine 
süd-  und  südöstlich  gegen  das  Chianatal  operiert,  fallt  er  in  dieses 
(xovg  ngoxeifiivovc  xcoy  xonav,  €lg  xovg  üttngoü&sv  xönovg)  nicht 
von  Giovi  aus,  sondern  die  Operationslinie  wechselnd  aus  der 
Richtung  von  Fiesole  (Florenz)  ein;  mit  dem  Lineale  auf  der  Karte 
kann  man  nachprüfen;  daß  die  YVorte  dno  zw  xaxd  xfjv  0ai- 
aohxv  %6n<AV  nur  die  Richtung  angeben,  aus  welcher  der  Einfall 
in  das  vom  Feinde  beherrschte  Gebiet  erfolgt,  zeigt  Polybius  selbst 
in  II  32,  4  dno  xeov  xaxd  xdg  "Akneig  xoizwv. 

Da  Hannibal  von  Sinalunga  aus,  wo  er  etwa  ins  Chianatal 
einbricht,  seine  Truppen  nicht  nordwärts  gegen  Arezzo,  sondern 
südwärts  gegen  Gracciano  dirigiert,  von  wo  der  nächste  und  be- 
quemste Weg  an  den  Trasimenischen  See  führt,  ist  die  strategische 
Niederlage  des  Flaminius  vollzogen,  der  Gegner  steht  zwischen  ihm 
und  Rom,  zwischen  ihm  und  seinem  Kollegen;  die  Nachricht 
hiervon  hat  nun  naturgemäß  in  der  dramatisierenden  Darstellung 
der  beiden  Schriftsteller  den  plötzlichen  Befehl  zum  Aufbruche 
zur  Folge,  und  im  Einklänge  mit  dem  Gelände  und  den  Ent- 
fernungen erzählen  jetzt  beide  Autoren  einerseits  den  Abmarsch 
der  Römer  von  Arezzo,  anderseits  den  östlich  gerichteten  Marsch 
Hannibals  gegen  den  Nordrand  des  Trasimenischen  Sees,  Cortona 
zur  Linken,  den  See  zur  Rechten:  Pol.  III  82,  7—9  und  10, 
Liv.  XXII  3  Ende  und  4  Anfang. 

Auf  dem  Wege,  den  Hannibal  einschlug,  lag  ein  ebenes  Wald- 
tal ovxog  6s  xaxd  xi\v  öioöov  aiXävog  ininidov  . . .,  seine  Längs- 
seiten sind  von  hohen  und  zusammenhängenden  Hügelketten  be- 
grenzt, von  den  Breitseiten  ist  die  vordere  durch  einen  hohen 
und  schwer  gangbaren  Berg  gegeben,  der  sich  in  die  Ebene  des 
Tales  eindrängt,  die  rückwärtige  aber  durch  den  See,  der  nur 
einen  schmalen  Zugang  in  das  Tal  am  Fuße  der  Höhen  übrig- 
ließ (83,  1);  diodog  ist  nicht  gleich  Defilee,  sondern  bezeichnet  hier 
wie  immer  (ebenso  79,  1)  jeden  Weg,  insofern  er  den  Raum 
durchschneidet,  also  hier  in  unverkennbarer  Beziehung  auf  das 
82,  9  vorausgehende  *Avvißag  ngofoi  did  xtjg  Tv§gtjvlag,  wor- 
auf  auch   der  Artikel  xi\v  hinweist,    der   sinnlos  ist,    wenn  man 


4ß  Jahresberichte  d.  Philo  log.  Vereins. 

dfadog  als  Deßjee  nimmt;  x<xtcc  ist  niemals  =  (jmtü  post;  wozu 
man  e*  stempeln  will,  sondern  s»  in  der  Erstrecküng,  *  im  Ver- 
läufe des  We$es,  am  Wege,  Der  aiXcov  ist  die  Strandebene  von 
Tuoro,  Polybius  steht  ungefähr  in  der  Mitte  des  die  Ebene  süd- 
lich begrenzenden  Seeufers,  sudlich  von  der  Station  Tuoro  mit 
denn  Gesicht  gegen  Norden,  wo  ein  west-östlich  streichender  Rücken 
vpn  nahezu  800  m  Höhe  den  Abschluß  bildet  und  sich  mit  dem 
Absätze  von  Tuoro  in  die  Ebene  eindrängt;  die  Längsseiten, 
welche  sieb  von  jenem  Rücken  südwärts  abzweigen  und  im  Westen 
als, Monte  Gualandro,  im  Osten  als  Moniige to  an  den  See  heran« 
treten,  sind  fredlieh,  rivenn  sie  nicht  vom  Rücken  aus  gemessen 
werden,  ein  wenig  kürzer  als =■  die  Breitseiten ;  die  Breite  eines 
Tales  kann  aber  immer  nur  nach  dem  Abstände  der  Talwände 
gemessen  werden,  die  Länge  des  Tales  nur  nach  den  Talwänden 
oder  der  Flußrinne.    ,    ■. 

Nach  der  Beschreibung  des  Geländes  läßt  Polybius  das  Heer 
einmarschieren  und  Stellung  nehmen,  ohne  den  eigenen  Standort 
zu  ändern,  da  hier  die  beste  Übersicht  wie  für  die  Beschreibung, 
so  für  die  Verteilung  istr  disX&tatf  top  avXäpa  nccqä  typ 
XipvTjV  top  fisv  xavd  nQoötimop  tifg  noQstag  Xotpop  avtög  xat~ 
sXäßsTO . . .  Hannibal  durchquert  das  Tal  und  besetzt  den  in 
der  Marschrichtung  gelegenen  Hügel,  welcher  etwa  2  km  vor 
Passignano  den  östlichen  Abschluß  des  Tales  bildet,  er  lagert 
also  nicht  auf  dem  Absatz  von  Passignano  und  noch  weniger  auf 
dem  von  Tuoro,  welcher  in  der  Forschung  Unheil  angerichtet  hat. 
TWG  de  BaXiagstg  xai  Xoy^oqiOQOVgxata  %ip *  nqtoxonoQBiav 
ixntQidycöv  vno  roig  iv  ds^iä  ßbvpovg  tcop  Tcaqä  top  avlcopa 
x£i(jk4v(op9  iixX  noXv  TtaQccreivag  vTtiötsiXs:  die  Balearen  und 
die  Speerträger  nimmt  er  aus  -  der  Tete  der  Kolonnen  heraus 
(xaid  distributiv,,  wie  in  mxtcc  -pijva  jeden  Monat)  und  stellt  sie 
am  Fuße,  der  zur  Rechten  die  Talebene  umgebenden  Hügel  in 
weitem  Bogen  auf,  d.  h.  er  postiert  sie  in  den  nordöstlichen 
Winkel  der  Talebene,  so  daß  der  Bogen  einerseits  in  der  Nähe 
des  Lagers,  anderseits  bei  Tuoro  endigt;  in  gleicher  Weise  er- 
folgt die  Postierung  der  Reiter  und  Kelten  im  nordwestlichen 
Winkel,  doch  nicht  mehr  inl  noXv  neegateirag,  weil  dieser  Winkel 
viel  enger  ist.  Diese  Verteilung  ist  einfach,  die  Reihenfolge  zweck- 
mäßig, die  Beschreibung  und  Postierung  dureh  den  Schriftsteller 
anschaulich  und  klar;  es  ist  nicht  seine  Schuld,  wenn  er  miß- 
verstanden wurde. 

Auch  Livius  führt  Hannibal  sengend  und  brennend  an  den 
Trasimenischen  See.  Die  Worte  Kap.  4  et  tarn  pervenerat  ad  loca 
nata  insidü's,  übt  maxime  montes  Cortonenses  Trasumennus  subit 
schließen  jeden  Zweifel  aus,  nur  der  westliche  Teil  des  Nord- 
randes ist  gemeint.  Via  tantum  interest  perangusta . . .,  deinde 
paulo  latior  patescit  campus,  inde  colles  adsurgunt,  ibi  castra  in 
aperto  locat;  während  Polybius  den  engen  Eingang  erst  am  Schlüsse 


Li  vi  us,  van  H.  J.  Müller.  47 

der  Beschreibung  erwähnt,  nennt  ihn  Livjus  an  erster  Stelle,  er 
gebt  also  mit  dem  Leser  durch  das  DeGlee,  den  engen  Eingang; 
hat  das  Gericht  gegen  Osten  gerichtet,  sieht,  am  Ende  des  Defilees 
arigekomiften,  dessen  Erweiterung,,  zur  Ebene  durch  das  Zurück- 
treten J  der  Kottoneosischen  Berge«  schaut  im  Hintergrunde  den 
Abschluß. der  Ebene,, die  aufsteigenden  Hügel,  und  läßt  auf  diesen 
Hannibal  offen  lagern,  Baliares  ceteramque  Uvem  armaturam  po& 
mmtes  cirmmducit,  die  Kortonensischen  Berge  treten  bei  Tuoro 
in  die  Ebene  hinein,  und  hinter  diese  Berge  stellt  Hannibal  die 
Balearen  und  die  ftbcigen  leichten:  Truppen,  vom  Standorte  des 
Livius  zum  i  Teil  durch  den  Absatz  ton  Tuoro  verdeckt,  also  in 
den  nordöstlichen  Winkel  der  Ebene.  Die  Heiter  werden  an  den 
Eingang  postiert  und  sind  durch  Terrainschwellungen  passend  ge- 
deckt: tmnutis  apto  tegentibus. 

?  Die  beiden  Autoren  zeichnen  also  von  verschiedenen  Stand- 
punkten aus  dasselbe1  Gelände  und  verteilen  die  Truppen  in  der 
gleichen  «Weise,  nur  mit  dem  Unterschiede,  daß  Livius  die  vor- 
springende Hohe  .von  Tuoro  nicht  erwähnt,  weil  sie  eben  keine 
andere  taktische  Bedeutung  bat  als  die  Höhen  zur  Aechten  und; 
zur  Linken;  für  Polybius  war  sie  zur  Orientierung  notwendig, 
nicht  aber  für  Livius,  welcher  die  Lage  der  Ebene  durch  die 
strenge  Beziehung  auf  Kortona.  und  den  See  schon  unzweideutig 
fixiert  hatte. 

Ebenso  erzählen  beide  Schriftsteller  den  Einmarsch  und  die 
Postierung  der  römische!)  Truppen  in  gleicher  Weise;  in  den 
Worten  des  Livius  XXII  4,  7  et  ante  in  frontem  lateraque  pugna-* 
ri  coeptum  est  bezeichnet  der  Plural  latera  nur  die  linke  Flanke 
wje  1  27,7;  wo  der  plurale  Charakter  sich  nicht  unzweideutig 
aus  dem  Zusammenhange  ergibt,  muß  utrimque  hinzutreten  wie 
in  I  37,  3  und  XXII  28. 

Der  Kaum-  der  Ebene  ist  groß  genug  für  die  Affäre.  Da 
Hannibal  nur  mit  der  schweren  Infanterie  in  der  Ebene  vor  dem 
sie  abschließenden  Hügel  steht,  so  bleibt  für  die  nur  in  der 
kleineren  Hälfte  zur  acies  aufmarschierte,  zum  Teil  im  Aufmarsch 
begriffene,  zum  Teil  noch  im  Defilee  steckende  römische  Armee  ein 
genügender  Raum  von  mindestens  6  km  in  der  Tiefe  übrig,  zumal 
die  Breite  kein  Hindernis  des  Aufmarsches  war. 

Auch  die  Schlacht  wird  in  übereinstimmender  Weise  ge- 
schildert, nur  daß  Polybius  den  Kampf  in  der  Ebene  in  ausdrück- 
lichen Worten  unterscheidet.  Die  6000  Mann  primi  agminis  stehen 
vor  dem  östlichen  Ausgange  und  kommen,  in  der  Frontrichtung 
ausbrechend  per  adversos  hostes  eruptione  impigre  facta,  natur- 
gemäß auf  den  Riegel  von  Passignano. 

So  haben  Polybius  und  Livius  die  Operationen  im  Einklänge 
mit  sich  und  miteinander  und  in  der  Weise  geschildert,  daß  keiner 
der  Ergänzung  durch  den  andern  bedarf.  Diese  Operationen, 
der  Weg  über  den  Apennin,  der  Flankenmarsch,  die  Aufstellung 


48  Jahresberichte  d.  Philolng.  Vereins. 

und  Verteilung  der  Trappen,  halten  jetzt  auch  jedem  militärischen 
Räsonnement  stand;  denn  an  die  Stelle  der  Unbegreiflichkeiten 
und  der  Unordnung  sind  jetzt  Zweckmäßigkeit  und  Ordnung  getre- 
ten. Indem  Hannibal  aus  Ligurien  nach  Forli  vorstößt,  hält  er  die 
römischen  Heere,  von  denen  das  eine  hei  Arezzo  steht,  das  andere 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  erst  im  Anmärsche  gegen  Rimini  ist, 
auseinander,  schon  dieser  Zug  zeigt  den  Meister;  den  Spielraum  von 
einigen  Tagen,  den  er  durch  den  überraschenden  Marsch  gegen 
Arezzo  gewinnt,  benutzt  er,  den  Feind  von  der  schutzenden 
Festung  abzuziehen ;  durch  die  Bedrohung  der  Rückzugslinie  zwingt 
er  ihn  zum  Kampfe  auf  ungünstigem  Boden.  So  ist  die  taktische 
Entscheidung  strategisch  mit  strengster  Folgerichtigkeit  vorbereitet: 
durch  die  Trennung  vom  Kollegen,  durch  die  Trennung  von  der 
Festung1,  durch  die  Konsternierung  infolge  strategischer  Über- 
flügelung.  Die  Schlacht  selbst  zeigt  in  Anlehnung  an  die  Er- 
fahrungen am  Trebia  rationelle  Verwertung  des  Geländes  und  kluge 
Verwendung  der  Truppen  nach  Charakter  und  Leistungsfähigkeit. 
Der  römische  Legionär  war  unwiderstehlich  in  der  Front,  un- 
beholfen nach  der  Flanke;  darum  lähmte  Hannihal  den  frontalen 
Stoß  des  Gegners  am  Trebia  durch  die  Bedrohung  der  Flanken 
und  des  Rückens,  aber  10  000  Mann  durchbrachen  seine  Frönt 
und  entkamen.  Er  zog  die  Konsequenzen.  Er  wählte  einen  ge- 
schlossenen Raum  und  gab  seiner  schweren  Infanterie  eine  feste 
Stütze  durch  einen  Hügelrücken,  auf  dem  sie  lagerte  und  vor  dem 
sie  Stellung  nahm;  indem  er  ferner  die  Vollendung  des  römischen 
Aufmarsches  hinderte  und  ihn  nur  der  kleineren  Hälfte  gestattete, 
übergab  er  diese  vollkommen  seiner  schweren  Infanterie,  er  über- 
gab sie  dieser  in  der  breiten  und  massierten  Gefechtsform,  da 
die  minder  bewegliche  schwere  Infanterie  ihr  Opfer  gesammelt 
und  gebunden  vor  sich  haben  mußte ;  der  leichten  Infanterie  und 
der  Kavallerie  hingegen  mit  ihrer  geringen  Kraft  gegenüber  einer 
starken  Infanterie  übergab  er  den  Feind  in  der  .Flanke  und  in 
der  Unordnung  des  Aufmarsches  mit  dem  See  im  Rücken.  Und 
dennoch  durchbrachen  6000  Mann  seine  gefestigte  Front,  wenn  sie 
auch  nicht  entkamen.  Es  mußte  noch  eine  wirksamere  Form 
gefunden  werden,  die  römische  Unbeholfenheit  in  der  Flanke  aus- 
zunutzen; er  fand  sie  bei  Kannä. 

Das  reale  Ergebnis  der  Untersuchung,  der  Obergang  über  den 
Apennin,  der  Ort  der  Schlacht,  Aufstellung  und  Verteilung  der 
Truppen,  wurde  lediglich  durch  Interpretation  der  Quellen  ge- 
funden, ohne  Unterstützung  durch  militärische  Argumentation; 
diese  „trübt  die  Untersuchung,  sie  führt  direkt  zum  militärischen 
Irrtum.  Denn  jede  militärische  Operation  ist  eine  Resultante 
vieler  Komponenten",  von  denen  die  Persönlichkeit  des  Feldherrn 
die  ausschlaggebende  ist;  sie  allein  entscheidet  über  möglich  und 
unmöglich,  notwendig  und  erläßlieb,  über  schnell  und  langsam. 
Wer  nun  bei  der  Lösung  eines  kriegsgeschichtlichen  Problems  sich 


Livius,  von  H.  J.  Müller.  49 

selbst  an  die  Stelle  des  denkenden  und  entscheidenden  Feldherrn 
setzt,  „schiebt  eine  andere  Komponente  unter";  er  bringt  wohl 
eine  mögliche,  aber  nicht  die  historische  Lösung,  von  welcher  er 
ebensoweit  entfernt  ist  wie  seine  Individualität  von  der  des  Feld« 
herrn,  Daher  ist  der  strengste  Anschluß  an  die  ernsten  Quellen 
unbedingte  Notwendigkeit;  denn  sie  bieten  den  festen  Rahmen  der 
Wirklichkeit ;  der  militärische  Takt  hat  nur  die  falsche  Auffassung 
der  Quellen  zu  verhüten  und  positiv  die  Vervollständigung  des 
aus  ihnen  gewonnenen  Bildes  zu  ermöglichen. 

Berlin.  H.  J.  Muller. 


Anhang. 

Paul  Azao,  Aonibal  dans  les  Alpes.  Ouvrage  renfermant  dix-sept 
cartes  et  six  photographies.  Paris  1902,  A.  Picard  et  fils.  234  S. 
gr.  8.     6  Fr.    Deux  questioos  historiques.    Tome  I*r. 

Der  Verfasser  der  vorliegenden  Schrift,  Paul  Azan,  früher 
Leutnant  im  2.  Zuavenregiment,  ist  jetzt  Generalstabsoftizier  und 
hat  sich  den  Doktortitel,  wie  es  scheint,  mit  dieser  Schrift  erworben. 
Sie  verdient  es,  in  Deutschland  recht  bekannt  zu  werden;  denn 
der  Verf.  ist  nicht  nur  mit  dem  in  Betracht  kommenden  Gelände 
gründlich  vertraut,  sondern  hat  sich  auch  Kenntnisse  in  den 
klassischen  Sprachen  erworben,  die  über  die  den  Offizieren  sonst 
zu  Gebote  stehenden  hinausgehen.  Das  tritt  weniger  hervor  in 
der  von  ihm  herrührenden  'Traduction  litterale'  der  einschlägigen 
Kapitel  des  Polybius,  die  von  Ungenauigkeiten  nicht  frei  ist,  als 
in  den  kritischen  Bemerkungen  zu  einzelnen  Stellen  der  Ober- 
lieferung. Er  erhebt  z.  B.  S.  38  mit  Recht  Einspruch  gegen 
Oslanders  (Der  Hannibalweg  S.  28  A.  4)  Auffassung  des  Wortes 
prope  in  Liv.  XXI  31,5  und  bekämpft  S.  103f.  dessen  Ansicht, 
daß  Hannibals  Kavallerie  durch  die  „Inselu  marschiert  sei,  mit 
philologischen  und  militärischen  Gründen  (vgl.  ebenda  seine  ein- 
leuchtenden Bemerkungen  über  Hannibals  Marschordnung  auf  dem 
Wege  von  der  „Insel4'  bis  zum  Anfange  des  Aufstiegs  zu  den 
Alpen).  Beachtenswert  sind  ferner  seine  Ausführungen  auf  S.  111  f. 
über  die  vielbesprochene  Stelle  Liv.  XXI  31,  9:  auch  er  glaubt, 
daß  hier  ein  Irrtum  des  Schriftstellers  vorliege.  Während  aber 
Wickham  und  Gramer  (Dissertation  on  the  passage  over  the  Alpes 
S.  52  ff.)  u.  a.  vorschlugen,  den  ganzen  Satz  an  den  Anfang  des 
Kapitels  zu  setzen,  meint  Azan  mit  der  Streichung  der  drei  Worte 
sedatis  certaminibus  Allobrogum  den  angeblichen  Irrtum  beseitigen 
zu  können.  Alsdann,  fährt  er  fort,  tout  s'eclaire,  tout  devient 
logique:  Tite-Live  präsente  un  resume  de  Vitineraire  avec  des  noms 
de  peuples  d  Vusage  de  ses  lecteurs  latins.  Ich  teile  freilich,  wie 
oben  angedeutet  wurde,  Azans  und  seiner  Vorgänger  Meinung, 
Livius  habe  sich  hier  ein  Versehen    zuschulden  kommen  lassen, 

Jahresberichte  XXXL  4 


50  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

nicht,  muß  vielmehr  Oslanders  Ausführungen  in  den  Göttingischen 
Gel.  Anz.  1903  S.  24   beipflichten   (vgl.  auch  J.  Fuchs,   Hannibals 
Alpenübergang  S.  107 f.):  die  Deutung,  die  Osiander  (Der  Hannibal- 
weg  S.  99)    den  Worten   non  recta  regione  iter  instituit,  sed  a  d 
laevam  in  Tricastinos  flexü  gibt,  halte  ich  für  völlig  ausreichend, 
um   jede   Textänderung   auszuschließen;    sie    scheint   mir    noch 
natürlicher  als  die  von  Fabri,  die  z.  B.  J.  Fuchs  angenommen  hat. 
Dagegen  gebe  ich  ihm  recht,   wenn  er  S.  40  Th.  Mommsen  und 
W.  Osiander  in    der  Frage   der  Datierung  der  Ankunft  Hannibals 
auf   der  Paßhöhe   entgegentritt.     Nur  bemerke  ich,    daß  dia  %6 
avvdmsiv  T^v  Tfj$  nXsiädoq  dvtiiv  bei  Polyb.  HI  54,  1  wirklich 
heißt:   le  moment  du  coucher  hiliaque  des  Heiades  approchait. 
Und  wenn  Liv.  XXI  35,6  schreibt:  occidente  tarn  sidere  Vergilt- 
arum,   so   scheint   er,    wenn   wir  Fr.  Härders  (WS.  f.  klass.  Phil. 
1901  Sp.  323)  Deutung  „als  die  Plejaden  sich  dem  (Früh-)  Unter- 
gange bereits  zuneigten"  annehmen,  ungefähr  denselben  Zeitpunkt 
vorauszusetzen,   „wodurch    man   immerhin  eine  ganze  Reihe  von 
Tagen  gewinnen   würde".    Aber   auch   derjenige,   der   hier   nur 
Polybius  folgt,  darf  den  Zeitpunkt  von  Hannibals  Ankunft  auf  der 
Paßhöhe  doch  nicht  auf  die  Mitte  September  zurückverlegen,  wie 
Osiander  (a.  a.  O.  S.  18  ff.),    oder  gar  auf  den  Anfang  September, 
wie   Mommsen    will,    darin   ist  Azan   beizustimmen   und.  ebenso 
darin,  daß  gerade  die  Ungunst  der  Jahreszeit,   in  der  der  Alpen- 
marsch stattfand,  es  war,  die  die  Bewunderung  für  Hannibal  her- 
vorrief;   trotzdem    scheint    mir    das   von    ihm    gewählte   Datum 
(26.  Oktober)  zu  spät.    Diese  Proben  mögen  genügen,    um  mein 
oben  geäußertes  Urteil  zu  begründen,  der  Verf.  verdiene  es,  daß 
man  sich  mit  seinem  Werke  auch  bei  uns  eingehend  beschäftige. 
Es   zerfällt   in    zwei  Hauptteile:   L'itineraire  und  [Une  conjecture 
Auf  ein  einleitendes  Kapitel:  La  question  et  le$  auteurs  folgen  im 
IL  und  III.  Kap.  die  in  Betracht  kommenden  Partieen  des  Polybius 
und  Livius,  erstere,  wie  erwähnt,  in  eigener  Übertragung,  letztere 
in   der   Übersetzung  Gauchers  (Paris  1890).    Kap.  IV:  Obscuritis, 
donnies,  points  de  repere  prüft  die  Überlieferung;   die   folgenden 
Kapitel   kritisieren    die    verschiedenen  „Systeme",   wie   sie   Azan 
nennt,  oder  „Theorieen",  wie  wir  gewöhnlich  sagen  —  eine  aus- 
führliche Widerlegung  wird  hier  den  „Systemen"  von  Hennebert1) 
(Histoire  d'Annibal,  Paris  1878  ff.  mit  Atlas)  und  Chappuis  (Annibal 
dans  les  Alpes,  Grenoble  1897)  zuteil;  auch  W.Osianders  Werk  wird 
eingehend  gewürdigt.    Damit  ist  der  negative  Teil  der  Aufgabe  er- 
ledigt; der  positive  bringt  das  eigentliche  Itiniraire  in  Kap.  XI — XIII, 
während  der  Bestimmung  des  von  Hannibal  gewählten  Paßüber- 

])  Auf  S.  72  f.  dieser  Widerlegung  möchte  ich  besonders  aufmerksam 
machen;  gibt  es  doch  auch  bei  ans  noch  immer  Leute,  die,  um  sich  von 
einer  unbequemen  Forderung  zu  entbinden,  gleich  Hennebert  erklären, 
Hannibal  habe  es  fertig  gebracht,  seine  tief  entmutigten  Leute  durch  ein 
Phantasiebild  seiner  Rhetorik  wieder  aufzurichten! 


Livius,  von  H.  J.  Müller.  51 

ganges  das  ganze  X.  Kapitel  gewidmet  ist.  Das  den  ersten  Teil  ab- 
schließende Kap.  XIV  enthält  in  der  Hauptsache  die  Erörterung  von 
zwei  Einwürfen,  die  zum  zweiten  Teile  des  Werkes  überleitet. 

Was  Azans  Methode  anlangt,  so  geht  er  ähnlich  wie  Osiander 
(a.  a.  0.  S.  38 ff.)  vor:  er  stellt  in  Kap.  IV  kritisch  aus  den  An- 
gaben der  beiden  Hauptgewährsmänner  die  points  de  repere  des 
Zuges,  und  zwar  zunächst  seinen  Anfangs-  und  Endpunkt  und 
dann  die  points  intermediaires  fest  (S.  38).  Diese  sind:  un  par- 
cours  en  plaine  apres  flfo,  puis  un  defile  d  l'entree  des  Alpes, 
un  autre  defile  oü  Annibal  a  ete  attaque  et  a  du  passer  la  nuit  sur 
un  rocher  denude,  puis  la  vue  d'Italie  pres  d'un  campement 
et  pres  du  col  de  passage,  enfin,  d  la  descente,  un  es- 
carpement  de  trois  demi-stades.  Durch  Sperrdruck  sind 
die  bedeutendsten  dieser  Punkte  hervorgehoben;  vor  allem  wichtig 
sind  die  letzten :  mit  ihnen  beschäftigt  sich  das  X.  Kapitel,  Le 
Systeme  du  Ciapier,  in  dem  Azan  in  ausfuhrlicher  Erörterung  seine 
Ansicht  begründet,  daß  von  allen  Pässen  der  Westalpen 
nur  der  Col  du  Glapier  allen  genannten  Forderungen 
entspreche.  In  diesem  Punkte  und  in  der  Ansetzung  des 
eigentlichen  Alpenmarsches  stimmt  er  mit  dem  besten  Kenner  der 
Westalpen,  dem  Obersten  Perrin  (Marche  d'Annibal  des  Pyrenees 
au  Pö  et  description  des  vallees  qui  se  rendent  de  la  valläe  du 
Rhone  en  Italie,  Paris  1887,  Dubois)  überein;  er  weicht  dagegen 
mit  Recht  von  ihm  ab  in  dem  Teile  des  Zuges,  der  von  der 
„Insel"  bis  zum  Alpenanstiege  reicht  (S.  100  A.  1).  Was  Azan 
in  diesem  Abschnitt  und  den  vorangehenden  Kapiteln  gegen  die 
von  Osiander  (a.  a.  0.  Fig.  9  auf  S.  141)  in  einer  Skizze  fixierte 
Aussicht  vom  Großen  Cenis,  was  er  (mit  Perrin)  gegen  einen 
Übergang  Hannibals  über  den  Großen  Cenis  geltend  macht, 
scheint  begründet  zu  sein  —  ein  bestimmter  formuliertes  Urteil 
darf  sich  meines  Erachtens  nur  der  erlauben,  der  sämtliche  in 
Frage  kommenden  Pässe  selbst  gesehen  hat.  Auch  das,  was  Azan 
und  Perrin  für  den  Col  du  Ciapier  ins  Feld  führen,  die  einzig 
in  den  Alpen  dastehende  Aussicht  auf  die  ober- 
italienische Ebene  in  unmittelbarer  Nähe  eines  aus- 
reichenden Lagerplatzes,  lasse  ich  voll  gelten  und  ver- 
kenne die  Bedeutung  dieser  Umstände  für  die  Frage  der  Bestimmung 
des  Oberganges  durchaus  nicht;  aber  ich  muß  Osiander  recht 
geben,  wenn  er  darauf  hinweist,  daß  Perrins  eigene  Schilde- 
rung der  ungemeinen  Schwierigkeiten  des  Abstiegs 
vom   Col   du  Ciapier  dagegen  spricht1),   daß  Hannibals  Heer 

x)  Damit  die  Leser  in  dieser  Frage  sich  bequem  ein  Urteil  bilden 
können,  lasse  ich  die  hauptsächlichsten  Stellen  beider  Schriften  folgen :  Perrin 
—  den  Azan  (S.  132f.)  wörtlich  zitiert  —  schreibt  a.  a.  0.  S.  63 f.:  Apres 
avoir  quitte  cette  arete  ro  eherne,  les  pentes  sont  tres  raides,  on  marche  sur 
une  espece  de  dos  d'dne,  ayant  ä  droite  et  ä  gauche  des  precipices,  pas  une 
herbe,  nulle  Vegetation,  pour  peu  que  vous  glissiez,  ou  que  vous  manquiez  le 

4* 


52  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

diesen  Paß  benutzt  habe.  Gelingt  es  Azan  nicht,  die  Bedenken 
Oslanders  zu  entkräften,  so  durfte  der  Col  du  Ciapier  neben  den 
zwei  wesentlich  niedrigeren  und  bequemeren  Cenispässen  schwer- 
lich in  Betracht  kommen;  und  wenn  wir  auch  Azans  und  Perrins 
Argumente  gegen  den  Großen  Mont  Cenis  gelten  lassen,  so  bliebe 
noch  immer  der  Kleine  Mont  Cenis,  den  schon  R.  Ellis  in  seinem 
(Treatise  on  Hannibal's  passage  of  the  Alps  in  which  bis  route 
is  traced  over  the  little  Mont  Cenis'  (Cambridge  1853)  als  Paß 
Hannibals  in  Anspruch  genommen  hat. 

Eine  Kombination  dieses  Endpunktes  mit  den  ersten  der 
genannten  points  intermediaires  ergibt  ihm  mit  Notwendigkeit  ein 
ltinerar,  das  dem  Istoetal  folgt,  um  dann  in  das  Arctal  einzubiegen 
(S.  100).  Seine  Hauptpunkte  faßt  das  'Resume  generaP  am  Ende 
des  Werkes  (S.  223,  vgl.  S.  136)  so  zusammen:  „Hannibal  ist  in 
der  Nähe  von  Roquemaure  über  die  Rhone  gegangen  (dagegen 
Oslander,  G.  G.  A.  S.  23).  Er  ist  das  linke  Ufer  dieses  Stromes, 
dann  das  linke  Ufer  der  Isere  und  schließlich  das  Tal  des  Are 
aufwärts  gezogen.  Von  da  ist  er  zum  Kleinen  Mont  Cenis  ge- 
langt und  hat  das  Tal  der  Dora  Riparia  aber  den  Col  du  Ciapier 


sentier,  vous  roulez  dans  les  preeipices.  En  ete\  avec  de  bons  souliers  de 
montagne,  on  ne  risque  rien,  mais  cependant  il  faut  faire  attention.  Apres 
avoir  descendu  6  ä  700  metres,  vous  arrivez  ä  un  petit  plateau,  oü  sont  les 
ruines  de  un  ou  deux  chalets  et  un  moulin.  Ce  sont,  je  crois,  les  chalets  du 
Bonkomme;  de  tous  les  cot  es  les  preeipices  vous  entourent,  et  en  avant,  un 
clapier  effrayant  de  200  metres  de  hauteur;  c'est  bien  le  defile  (Tun  stade 
V2  de  Polybe.  Vous  prenez  un  sentier  (res  etroit  qui  (S.  64)  lange  la  paroi 
de  gneiss  ecroulee;  au  milieu  de  ee  chaos,  vous  ne  savez  oü  placer  le  pied,  les 
chevres  et  les  jeunes  genisses  seules  y  passent.  On  peut  se  briser  une  Jambe 
ä  chaque  instant;  Annibal  fit  camper  la  portion  qui  etait  dejä  descendue  sur 
ce  plateau,  oü  etait  une  legere  couche  de  neige  usw.  Dazu  sagt  Oslander 
(Götting.  Gel.  Aoz.  1903,  I  S.  31):  „All  dies  schon  im  August,  bei  guter 
Jahreszeit,  wie  aber  Ende  Oktober!  Ist  anzunehmen,  daß  auf  solchem  Pfade 
Haaoibals  Pferde,  Troß  und  Elefanten  abstiegen,  und  dies  unter  landes- 
kundigen Führern,  oder  daß  Gallierheere,  deren  Spuren  Hannibal  folgte,  mit 
Weib  und  Kind  diesen  Weg  einschlugen,  während  ganz  nahe  wesentlich 
niederere  und  bequemere  Pässe  nach  Perrin  einen  völlig  gefahrlosen  Abstieg 
geboten  hätten.  Perrin,  der  vergißt,  daß  das  Abstieghindernis  für  Hannibal 
und  seine  Führer  ein  unvorhergesehenes  war,  bedauert  sogar,  daß  Hannibal, 
der  bis  auf  100  m  vertikale  Erhebung  der  Paßhöhe  des  Kleinen  Cenis  nahe 
kam,  dieselbe  nicht  vollends  erstiegen  habe,  da  er  in  diesem  Falle  keinen 
Mann  und  kein  Tier  verloren  hätte,  uneingedenk,  welches  Zeugnis  er  hier- 
mit nicht  allein  den  gallischen  Führern,  sondern  auch  der  ' unvergleichlichen 
Umsicht'  (ngovoia)  Hannibals  ausstellt.  Nur  einmal  soll  ein  größerer  Trapp 
Waldenser  über  den  Clapier  gezogen  sein,  da  ihm  sämtliche  andern  Ober- 
gänge versperrt  waren  und  nicht  anzunehmen  war,  daß  sie  diesen  hals- 
brecherischen Pfad  einschlagen  könnten".  Welche  Verluste  sie  dabei  in 
der  guten  Jahreszeit,  trotz  genauer  Kenntnis  der  Pässe,  erlitten,  betont 
Perrin  S.  64  A.,  freilich  in  ganz  anderer  Absicht:  Vhistoire  nous  a  transmis 
cTune  facon  certaine,  les  grandes  vertes  que  dans  la  belle  saison  et  sur  le 
memo  point,  y  eprouverent  en  1689,  les  Vaudois  deportes  en  Suisse  et  revennat 
par  une  marche  audacieuse,  exectttee  au  milieu  de  leurs  ennemis,  reprendre 
possession  de  leurs  vaUees. 


Li  vi  as,  von  H.  J.  Müller.  53 

erreicht.  Die  '  Insel  \  der  Drac  (='Druentia  des  T.  Livius'),  das 
Graisivaudantal,  der  Col  du  Grand  Cucheron  ('Beginn  des  Alpen- 
anstiegst  erster  Kampf;  dagegen  Osiander  a.  a.  0.  S.  27),  das  Tal 
des  Are  (auf  dem  1.  Ufer  bis  Ja  Chambre,  dann  auf  dem  rechten), 
die  Stellung  von  Amodon  ('Leukopetron';  am  rechten  Ufer  in 
der  Nähe  des  Esseilion;  dazu  Osiander  a.  a.  0.  S.  28 f.),  der  Col 
du  Ciapier  mit  seinem  zum  Lagern  geeigneten  Plateau,  seiner 
Aussicht  nach  Italien  und  seinem  steilen  Abstiege  bilden  die 
Richtpunkte  des  Marsches,  dessen  Beschreibung  uns  Polybius 
hinterlassen  hat". 

Von  der  Übereinstimmung  dieses  (Itineraire  d'Annibal'  mit 
Polybius'  Darstellung  ist  Azan  ganz  befriedigt,  nur  einen  wunden 
Punkt  habe  sein  System:  wenn  Polybius  dreimal  (III  39,  9; 
47,1;  50,1)  nccQa  %bv  notapov  schreibe,  so  könne  er  unter 
„dem  Fluß"  schlechtweg  nur  die  Rhone  verstehen,  während  nach 
seinem  System  Hannibal  nur  600  Stadien  der  Rhone,  800  Stadien 
der  heutigen  Isere  entlang  gezogen  sei.  Diesen  Widerspruch 
sucht  er  dadurch  zu  beseitigen,  daß  er  annimmt,  Isere  und  Rhone 
hätten  noch  zu  Polybius'  Zeit  durch  das  Becken  des  Lac  du 
Bourget  in  direkter  Verbindung  gestanden,  sb  daß  die  Isere  zu 
dieser  Zeit  einen  Teil  des  Mittellaufes  der  Rhone  gebildet  habe. 
Dieser  'conjeeture'  stehen  aber  zunächst  die  Ansichten  der  sämt- 
lichen von  Azan  selbst  befragten  geologischen  Autoritäten  entgegen: 
diese  geben  zwar  auf  Grund  der  geologischen  Verhältnisse  zu, 
daß  eine  solche  Verbindung  der  beiden  Flusse  einmal  bestanden 
habe,  weisen  sie  aber  einer  viel  früheren  Epoche  zu;  auch  sei 
damals  nicht,  wie  Azan  will,  die  Rhone  zur  Isere,  sondern  um- 
gekehrt die  Isere  zur  Rhone  abgeflossen.  Osiander  hat  aber  auch 
bereits  darauf  hingewiesen,  daß  Azans  *  conjeeture'  gar  nicht  nötig 
ist;  einmal  weil  sie  schon  durch  Polybius1  Beschreibung  der  „Insel" 
(Hl  49, 7)  ausgeschlossen  sei  und  dann  weil  der  Marsch  „den 
Fluß  entlang"  einfach  im  Gegensatz  zum  früheren  wie  zum 
folgenden  Marsche  stehe  (vgl.  Oslanders  ausfuhrliche  Darlegung 
a.a.O.  S.  14 f.). 

Zum  Schlüsse  noch  ein  paar  einzelne  Bemerkungen.  In  der 
zweiten  Anmerkung  auf  S.  6  erwähnt  Azan  ganz  kurz  die  bekannte 
Polybiusstelle  III  39,  8  über  die  via  Domitia;  er  betrachtet  sie 
wie  Osiander  (Der  Hannibalweg  S.  9  A.  2)  als  interpoliert.  Die 
Interpolation  läßt  sich  aber  niebt  nachweisen,  wie  erst  jungst  Otto 
Cuntz  in  seiner  Schrift  „Polybius  und  sein  Werk"  (Leipzig  1902, 
Teubner)  ausfuhrlich  dargelegt  hat  (Abschnitt  IV:  Die  via  Domitia 
und  Abschnitt  XIII:  Das  Leben  des  Polybius).  Versehen  sind  es 
wohl,  wenn  Azan  S.  10  P.  Cornelius  Scipio  Aemilianus  als  'le  fils 
de  Publius  Scipion,  le  premier  adversaire  d'Annibal  en  Italic'  und 
S.  12  Polybius  als  'conteraporain'  von  Hannibals  Zug  bezeichnet: 
Polybius  lebte  nach  dem  eben  genannten  empfehlenswerten  Buche 
von  0.  Cuntz  (S.  77 f.)  sehr  wahrscheinlich  198—117/6  und  nicht 


54  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

206—128,  wie  Azan  S.  10  annimmt,  und  der  jüngere  Africanus 
war  der  Sohn  des  L.  Aemilius  Paulus  und  Adoptivsohn  vom  Sohne 
des  älteren  Africanus. 

Druck  und  Ausstattung  sind  gut;  beigegeben  sind  zwei  aus- 
führliche, alphabetisch  geordnete  Literaturnachweise,  17  einfache, 
zur  Orientierung  ausreichende  Kartenskizzen,  eine  Skizze  der 
Aussicht  vom  Col  du  Ciapier  (zwischen  S.  98/99)  und  sechs 
Photograpbieen  in  Autotypiedruck,  von  denen  die  vier,  zum  ersten 
Teile  gehörigen  darstellen:  1.  Vallee  du  Planais  et  montee  du 
Petit  Mont  Cenis,  2.  Col  du  Petit  Mont  Cenis,  3,  Vallon  de  Savine 
et  route  du  Ciapier,  4.  Col  du  Ciapier;  die  zwei  letzten  geben 
Ansichten  von  5.  Notre-Dame  de  Myans  und  6.  Les  Abfmes  de 
Myans. 

Mit  Hannibals  und  Pompejus'  Alpenübergängen  beschäftigt 
sich  auch  der  englische  Gelehrte  J.  L.  Strachan-Davidson  in 
der  „Appendix'4  zu  seiner  für  die  Oxforder  Studenten  bestimmten 
Ausgabe  von  Appian,  Civil  Wars,  Book  I.  Seine  kleine  'The 
passages  of  the  Alps  by  Pompey  and  Hannibal'  betitelte  Ab- 
handlung benutzt,  nach  des  Verfassers  eigenen  Angaben,  von  der 
englischen  und  französischen  Literatur  das  eben  besprochene 
Azansche  und  das  ebenda  mehrfach  erwähnte  Perrinsche  Werk, 
von  der  deutschen  nur  die  ebenfalls  genannten  Bücher  von  J.  Fuchs 
und  0.  Cuntz.  Dagegen  scheinen  die  Schriften  W.  Osianders  dem 
Verfasser  nicht  bekannt  gewesen  zu  sein;  das  hat  viel  mehr  zu 
bedeuten, '  als  wenn  er  die  neusten  italienischen  Vertreter  dieser 
Literatur,  Montan ari  und  Giacosa,  auch  nicht  berücksichtigt;  denn 
die  von  dem  Verfasser  erörterten  Fragen  (Druentia  des  Livius  = 
Drac,  lateinischer  Name  des  Mont  Cenis  u.  a.  m.)  werden  von 
Osiander  in  der  oben  genannten,  seine  früheren  Aufsätze  zu- 
sammenfassenden Schrift  und  in  dem  Programm  des  K.  Gym- 
nasiums zu  Cannstatt  (1897):  „Der  Mont  Cenis  bei  den  Alten" 
ausführlich  behandelt. 

Den  Hauptinhalt  seiner  Schrift  faßt  Strachan-Davidson  auf 
S.  142 f.  in  folgenden  Worten  zusammen:  „Um  das  Gesagte  zu- 
sammenzufassen —  nehmen  wir  Livius"  Erzählung  von  der  Druentia 
als  Tatsache  an,  dann  können  wir  nur  die  Cottischen  Alpen ') 
wählen  (?);  aber  wir  haben  oben  (S.  139)  gesehen,  daß  dieser 
Weg  mit  Polybius'  Angabe,  Hannibal  sei  zehn  Tage  lang  die  Rhone 


!)  „Ich  habe  es  Dicht  für  nötig  gehalten,  die  Ansprüche  der  verschiedenen 
Nebenpässe  zu  erörtern,  die  zum  selben  System  gehören:  der  Col  du  Ciapier 
zum  Beispiel  ist  eine  bloße  Variation  des  Mont  Cenis-Weges,  und  der  Col 
des .  Echelles  verhält  sich  ebenso  zum  Wege  über  die  Cottischen  Alpen. 
Andererseits  muß  der  Col  de  l'Argentiere,  der  am  äußersten  Ende  der  Cotti- 
schen Alpen  auf  der  anderen  Seite  des  Monte  Viso  liegt,  verworfen  werden, 
da  er  für  das  Land  der  Tauriner  zu  weit  südlich  mündet.  Dies  kann  in- 
dessen sehr  wohl  Hasdrubals  Weg  gewesen  sein"  (?). 


Livius,  von  H.  J.  Müller.  55 

aufwärts  marschiert,  sieb  nur  sehr  schwer  in  Einklang  bringen 
läßt.  Weder  der  Weg  aber  den  Mont  Cenis  noch  der  Weg  über 
den  Kleinen  St.  Bernhard  ist  auch  nur  annähernd  in  demselben 
Grade  diesem  Einwände  ausgesetzt.  So  wie  zwischen  Mont  Cenis 
und  Kleinem  St.  Bernhard  würde  auch  der  Streit  über  die  Er- 
klärung der  die  zwei  Doratäler  betreffenden  Polybiusstellen  aufs 
neue  entbrennen.  Der  Mont  Cenis  ist  insofern  im  Nachteil,  als 
er  in  keinem  alten  Autor  erwähnt  ist,  so  daß  wir  nicht  einmal 
seinen  lateinischen  Namen  kennen  (?),  während  der  Kleine  St.  Bern- 
hard eine  Stutze  in  Coelius  Antipater  hat. 

Um  zu  der  Appianstelle  (B.  C.  I  109, 1),  von  der  wir  ausgingen, 
zurückzukehren,  so  scheint  es,  als  ob  wir  keine  genügende  Beweis- 
stelle haben,  um  sagen  zu  können,  unser  Autor  habe  unrecht,  wenn 
er  angibt,  Pompejus  habe  (beim  Überschreiten  der  Cottischen  Alpen) 
einen  neuen,  von  dem  Hannibals  verschiedenen  Weg  ausfindig 
gemacht.  Hatte  Appian  aber  wirklich  unrecht,  so  teilte  er  nur 
den  Irrtum,  in  dem  sich  Pompejus'  Zeitgenossen  befanden.  Appians 
andere  Angabe  über  die  Quellen  der  Rhone  und  des  Eridanus  ist 
zwar  irrig,  findet  aber,  wie  ich  glaube,  eine  genügende  Erklärung 
in  dem  Umstände,  daß  die  Quellen  der  Durance  auf  dem  Wege 
über  den  Mont  Genevre  in  «nächster  Nähe  der  Quellen  der  Dora 
Riparia  liegen. 

Groß-Lichterfelde.  Raimund  Oehler. 


2. 
Horatius. 


I.   Ausgaben  und  Kommentare. 

1)  Q.  H  oratio  8  Fl  accus.  Für  den  Schulgebrauch  herausgegeben  von 
O.  Keller  und  J.  Häußner.  Mit  zwei  Abbildungen  und  drei  Kärt- 
chen. Dritte  Auflage.  Leipzig  1903,  G.  Freytag.  XXXV  u.  317  S.  8. 
2JC. 

In  diesen  Jahresberichten  kann  nicht  jede  neue  Auflage  eines 
Schultextes  zur  Besprechung  kommen;  doch  soll  auf  das  Er- 
scheinen dieser  dritten  Auflage  des  Werkes  der  beiden  trefflichen 
Horazforscher  wenigstens  kurz  hingewiesen  werden. 

Daß  die  Einleitung  „Leben  und  Werke  des  Horaz"  und 
„Metrische  Übersicht44  lehrreich  und  geschmackvoll  ist,  versteht 
sich  bei  dieser  Ausgabe  von  selbst;  nur  könnte  man  sie  für 
unsere  preußischen  Gymnasien  wesentlich  knapper  wünschen. 

Im  Texte  habe  ich  bei  einer  Vergleich ung  mit  der  von  den- 
selben Herausgebern  besorgten  Ausgabe  scholarum  in  usum  vom 
Jahre  1892  nur  einzelne  unerhebliche  Änderungen  der  Inter- 
punktion gefunden.  So  erwünscht  auch  diese  Stetigkeit  in  mancher 
Hinsicht  sein  mag,  so  ist  es  doch  sehr  bedauerlich  (ich  muß 
wiederholen,  was  ich  im  vorigen  Jahresberichte  anläßlich  einer 
andern  Ausgabe  sagte),  wenn  das  wenige  wirklich  Gute,  das  zu 
Horaz  produziert  wird,  in  den  neuen  Ausgaben  keine  Beachtung 
findet.  Ich  hebe  als  eklatantes  Beispiel  Sat.  II  5,  90  hervor,  eine 
Stelle,  deren  Verständnis  im  Jahre  1899  Samuelsson  ohne  Ände- 
rung des  Textes  in  zweifelloser  Weise  erschlossen  hat  (JB.  XXVI 
S.  66):  ultra  'non9  'etiam7  sileas;  aber  auch  diese  neue  Ausgabe 
bietet  wieder:  ultra  non  etiam  sileas.  Ich  könnte  noch  ein  paar 
andere  Stellen  hinzufügen,  wo  m.  E.  die  neuerdings  gefundene 
Wahrheit  nicht  zur  Geltung  gekommen  ist,  möchte  aber  das  obige 
Beispiel  nicht  durch  irgendwie  bestreitbare  abschwächen. 

Aus  dem  Namen-  und  Sachverzeichnis  merke  ich  einige  Ver- 
sehen und  Druckfehler  an,  die  zum  Teil  von  einer  Ausgabe  in 
die  andere  übergehen.  Bibulus,  nicht  Sat.  1  10,  87,  sondern  86. 
—  Bistonis,  nicht  Od.  II  2,  20,  sondern  II  19,  20.  —  Bupalus, 
nicht  Maler,  sondern  Bildhauer.  —  Bupalus,  nicht  Epod.  6,  44, 
sondern    6,  14.   —    Cydoneus,    nicht    Kydon,    sondern    richtiger 


Horatias,  von  H.  Röhl.  57 

Kydonia.  —  Dossennus,  nicht  Epist.  II  1,  273,  sondern  173.  — 
Hebrus,  nicht  Od.  Hl  12,  2,  sondern  III  12,  6.  —  Lernens,  nicht 
stijvcciog,  sondern  ^ifjvatog.  —  Lycambes,  er  wird  hier  und 
anderweitig  oft  als  Thebaner  bezeichnet;  woher  stammt  diese  An- 
gabe? Jedenfalls  bezeichnen  sich  in  dem  Epigramme  des  Dios- 
korides  die  Töchter  des  Lykambes  als  Parierinnen.  —  Minos,  nicht 
Od.  I  38,  9,  sondern  I  28,  9.  —  Mucius,  nicht  (?.,  Konsul  im 
Jahre  133,  sondern  P.  —  Persius,  nicht  Sat.  I  7,  23,  sondern  33. 
—  Pierius,  nicht  Od.  III  19, 15,  sondern  III  10, 15.  —  Trivicum 
wird  im  Namenverzeichnis  nach  Apulien,  auf  der  beigefugten  Karte 
nach  Samnium  gesetzt.  —  Ähnlich  Venafrum  dort  nach  Kampanien, 
hier  nach  Samnium. 

An  Abbildungen  enthält  die  Ausgabe:  eine  Augustusstatue 
und  die  sogenannte  Marsyasstatue  auf  dem  Forum;  an  Karten: 
Tibur  und  Horazens  Landgut,  Rom,  Mittelitalien,  Umgebung  von 
Rom,  Umgebung  von  Neapel. 

2)  Horace,  Vol.  II,  The  Satires,   Epistlcs   and   De  arte   poetica, 

with  a  commentary  by  E.  C.  Wickham.  Oxford  1903,  Clarendon 
Press.  Einleitung  und  Text  ohne  Seitenzahlen,  dann  383  S.  Kom- 
mentar.    8. 

Die  äußere  Einrichtung  der  Ausgabe  ist  diese:  dem  Texte 
a)  der  Satiren,  b)  des  ersten  Buches  der  Episteln,  c)  des  zweiten 
Buches  der  Episteln  und  dann  noch  speziell  d)  der  Ars  poetica 
ist  je  eine  General  Introduction  vorausgeschickt;  unter  dem  Text 
ist  ein  kurzer  kritischer  Apparat  gegeben;  den  zweiten  Teil  des 
Buches  bildet  der  383  Seiten  umfassende  Kommentar.  Beigegeben 
ist  eine  Karte  der  Umgegend  von  Horazens  Landgut. 

Daß  die  Ausgabe  für  den  Gebrauch  der  Jugend  bestimmt  ist, 
ersieht  man,  obwohl  es  nicht  ausdrucklich  angegeben  ist,  daraus, 
daß  Anstößigkeiten  ausgemerzt  sind,  so  Sat.  I  2,  28  ff.,  Sat.  I 
5,  82—85,  Sat.  II  5,75—83,  Sat.  II  7,  46—71. 

Der  Text  ist  konservativ;  der  Kommentar  zeigt  das  bei  engli- 
schen Ausgaben,  die  in  Schule  und  Universität  dienen  sollen, 
übliche  Gepräge:  ruhige  Verständigkeit,  Verzicht  auf  Entscheidung 
in  zweifelhaften  Fällen  und  nicht  mehr  an  Erörterungen  und 
Verweisungen,  als  ohne  allzu  große  Hemmung  der  Lektüre  be- 
wältigt werden  kann.  Über  mangelnde  Benutzung  der  neueren 
Horazliteratur  gilt  auch  hier  das  bei  der  vorher  (Nr.  1)  be- 
sprochenen Ausgabe  Gesagte;  vgl.  z.  B.  Sat.  II  5,  90  f.  (JB.  XXVI 
S.  66)  und  den  Kommentar  zu  Sat.  I  9,  69  (JB.  XXVII  S.  96). 

3)  Frederic  Plessis  et  Paul  Lejay,   Oeuvres    d'Horace,    publiees 

avec  une  introduction  philologique  et  litteraire  et  des  notes.  Paris 
1903,  Hachette  et  Cie.    LXXVI1I  u.  644  S.    8. 

Die  beiden  Herausgeber  haben  sich  in  die  Arbeit  so  geteilt, 
daß  Plessis  die  Oden  und  Epoden,  Lejay  die  Satiren  und  Episteln 
übernommen  hat. 


58  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereioi. 

Die  Einleitung  enthält  folgende  Kapitel :  Vie  d'Horace  (S.  V— 
XIX),  Etüde  litteraire,  I  Les  ödes  et  les  epodes  (S.  XX — XXIX), 
Les  satires  et  les  epltres  (S.  XXX — XLI),  Notice  bibliographique 
(S.  XLII— L),  Notes  critiques  (S.  LI— LXXIV),  Mtetrique  (S.  LXXV 
— LXXVIII. 

Der  Text  ist  mit  Rucksicht  auf  die  Jugend,  die  ihn  benutzen 
soll,  in  einer  unseren  deutschen  Anschauungen  widerstrebenden 
Weise  zurechtgemacht  (wie  bei  französischen  Ausgaben  oft,  vgl. 
JB.  XXIII  S.  33,  XXVII  S.  46;  die  dort  angezeigten  Ausgaben  gehen 
darin  sogar  noch  weiter  als  die  vorliegende).  Gegen  die  Aus- 
lassung ganzer  Gedichte  sei  nichts  eingewendet,  wiewohl  auch 
hierbei  mitunter  die  Ängstlichkeit  etwas  weit  geht;  es  fehlen 
Od.  I  5.  13.  19.  23.  25.  33.  II  4.  5.  8.  III  7.  9  (Donec  gratus).  10. 
12.  15.  20.  26.  IV  1.  10.  13.  Epod.  8.  11.  12.  14.  15.  Aber  be- 
dauerlich sind  die  Verstummelungen  einiger  Oden;  es  fehlen 
folgende  Verse:  I  4,  19—20;  I  6,17—20;  I  36,17—20;  II  11, 
21—24;  II  12,25—28;  III  6,25—32;  III  11,9—12;  III  19, 
25—28;  IV  11,21—36;  Epod.  3,19  —  22;  Epod.  5,69—70; 
Epod.  16,  29—32;  Epod.  17,  20  und  50—52.  Die  Ausmerzungen 
in  Sat.  I  2,  I  5,  II  7  sind  zu  billigen;  die  Satire  I  8  wäre  besser 
ganz  weggeblieben,  statt  daß  nur  die  Verse  5  und  37 — 39  aus- 
gelassen sind.  Sonst  sind  noch  folgende  Verse  getilgt:  Sat.  II 
3,238;  II  5,73—83;  Epist.  I  7,  28  (inter  vina  fugam  Cinarae 
maerere  protervae) ;  Epist.  I  14,  33  (quem  sei*  immunem  Cinarae 
placuisse  rapaci;  durch  die  Tilgung  dieses  Verses  wird  eine 
Änderung  des  folgenden  nötig:  quem  noras  bibulum  media  de  luce 
Falerni)\  Epist  I  18,  72 — 75.  Einzelne  böse  Worte  werden  durch 
mildere  ersetzt:  so  Epist.  I  18,  34  scorto  durch  vitio,  Sat.  I  3,107 
eunnus  durch  mulier. 

Der  Kommentar  gibt  das  zum  Verständnis  für  den  Schüler 
Nötige  und  bietet,  soweit  ich  gesehen  habe,  nichts  von  andern 
Ausgaben  besonders  Abweichendes.  Ein  wunderliches  Versehen 
findet  sich  zu  Od.  III  16, 13,  wo  zu  urbium  angemerkt  wird: 
„Potidee,  Olympie,  Amphipolis,  Pydna",  und  auf  Juven.  12,  47 
verwiesen  wird:  „callidus  etnptor  Olympiu\  natürlich  ist  beidemal 
Olynth  gemeint. 

4)  Des  Q.  Horatius  Flaccns  Satiren  und  Episteln.  Für  den  Sehni- 
ge brauch  erklärt  von  G.  T.  A.Krüger.  Erstes  ßändchen:  Satiren. 
Fünfzehnte  Auflage,  besorgt  von  Gustav  Krüger.  Mit  zwei  Karten. 
Leipzig  und  Berlin  1904,  B.  G.  Teubner.    XVI  u.  221  S.    8.    2,30  JC. 

Obwohl  diesmal  sieben  Jahre  zwischen  der  vorletzten  (vgl. 
JB.  XXV  S.  39  ff.)  und  dieser  neuesten  Auflage  liegen,  ist  die 
Krugersche  Satirenausgabe  doch  diejenige,  in  der  die  Auflagen  am 
schnellsten  aufeinanderfolgen.  Und  sie  verdient  diese  ihre  Be- 
liebtheit; denn  wie  durch  «ruhiges  und  besonnenes  Urteil,  so 
zeichnet  sie  sich  auch  namentlich  aus  durch  Berücksichtigung 
dessen,    was    die   neuere  Horazforschung   fortlaufend  Gutes  oder 


Horatias,  von  H.  Röhl.i  59 

doch  Erwägenswertes  zutage  bringt.  Wer  daher  den  derzeitigen 
Stand  der  Kontroverse  über  irgend  eine  Stelle  kennen  lernen 
will,  wird  gar  nicht  umhinkönnen,  nach  der  Krügerschen  Ausgabe 
zu  greifen.  „Für  den  Schulgebrauch"  durfte  sie  allerdings  nicht 
mehr  geeignet  sein. 

Die  Abweichungen  gegen  die  vorige  Auflage  sind  zwar  recht 
zahlreich,  aber  meist  nicht  erheblich;  auf  einige  derselben  und 
auf  ein  paar  andere  Stellen  soll  im  folgenden  kurz  eingegangen 
werden. 

Sat.  II.  Die  im  Gedankengange  liegenden  Schwierigkeiten 
sucht  Kruger  jetzt  dadurch  zu  erledigen,  daß  er  in  den  Worten 
qui  nemo  ut  avarus  (V.  108)  das  Wort  avarus  in  weiterem  Sinne 
auch  auf  die  in  den  Versen  4—12  geschilderten  Personen  bezieht, 
welche  nach  einem  andern  Stande  verlangen.  Daß  der  Anstoß 
dadurch  geschwunden  sei,  vermag  Ref.  nicht  zuzugeben.  Erstens: 
immer  noch  steht  innerhalb  der  Frage  qui  etc.  die  darauf  zu 
gebende  Antwort  ut  (=  utpote)  avarus.  Zweitens:  von  V.  23 
bis  107  und  von  V.  110  an  ist  von  der  eigentlichen  Habsucht 
die  Rede;  wenn  nun  dazwischen  auf  einmal  avarus  in  einem 
weiteren  Sinne  verstanden  werden  sollte,  so  mußte  der  Dichter 
das  deutlich  sagen,  etwa:  Im  Grunde  läßt  sich  auch  die  Un- 
zufriedenheit mit  dem  Stande  auf  den  Begriff  der  Habsucht  zu- 
rückfuhren. —  Neuerlich  habe  ich  mir,  vielleicht  nicht  al&  der 
erste,  folgende  Auffassung  zurechtgelegt.  Man  nehme  an,  daß  die 
Sätze  qui  fit  ut  V.  1  und  qui  V.  108  gar  nicht  im  Ernste  nach 
dem  Grunde  fragen  sollen,  sondern  nur  die  Konstatierung  der 
Tatsache  enthalten,  so  daß  also  in  V.  1  für  qui  fit  ut  auch 
mirandum  est  quod  stehen  könnte  und  in  V.  108  für  qui  cum 
coniunctivo  der  accusativus  cum  infinitivo.  Dann  rekapituliert 
also  Horaz  V.  108  ff.  die  beiden  Teile,  von  denen  der  erste  über 
die  Unzufriedenheit  mit  dem  Stande,  der  zweite  über  die  Hab- 
sucht handelte,  und  hebt  bei  der  nur  kurzen  Rekapitulation  des 
ersten  Teiles  (V.  108 — 109)  beiläufig  durch  ein  in  parenthesi  hin- 
zugefugtes ut  avarus  (ut  =  wie;  ähnlich  Knapp  und  Weißenfels) 
hervor,  daß  in  der  Unzufriedenheit  mit  sich  selbst  der  nach  einem 
andern  Berufe  Schielende  des  ersten  Teiles  mit  dem  Habsüchtigen 
des  zweiten  Teiles  Ähnlichkeit  habe.  Etwas  länger  fällt  die 
Rekapitulation  des  zweiten  Teiles  aus  (V.  110 — 116).  Auf  beide 
Teile  bezieht  sich  dann  das  inde,  mit  dem  aus  den  beiden  Leit- 
sätzen: „Niemand  ist  mit  seinem  Berufe  zufrieden",  „Viele  sind 
habgierig",  für  die  der  Grund  nicht  gesucht  ist,  nun  vielmehr 
eine  Folgerung  gezogen  wird.  —  Zu  Sat.  I  1,  92  cumque  habeas 
plus,  seil,  quam  antea  habebas,  eine  Besserung  gegen  die  frühere 
Ergänzung:  seil,  quam  necesse  est.  —  Sat.  I  4, 15.  Jetzt:  aeeipe 
iam,  früher:  aeeipiam.  Das  Bedenken  anderer  Herausgeber  gegen 
tarn  ist  doch  wohl  nicht  unbegründet.  —  Zu  Sat.  I  4, 124.  Das 
Zitat  aus  der  Grammatik  von  Ellendt-Seyffert  muß  sich  auf  irgend- 


60  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

eine  sehr  alte  Auflage  beziehen.  —  Zu  Sat.  I  4, 126.  Avidos  wurde 
früher  auf  die  Eßlust  gedeutet,  jetzt  in  allgemeinerem  Sinne  auf 
das  Verlangen  der  Kranken  nach  Dingen,  welche,  weil  für  die 
Genesung  nachteilig,  ihnen  noch  nicht  zukommen.  Das  erstere  war 
meines  Erachtens  richtiger;  denn  die  Vorstellung,  daß  Kranke 
trotz  ihrer  Eßlust  besser  tun  zu  hungern,  war  den  Alten  ge- 
läufiger als  uns.  Ich  setze  zwei  Ovidstellen  her,  die  meines  Wissens 
noch  nicht  herangezogen  sind:  Rem.  am.  228  et  oranti  mensa 
negata  mihi;  Ars  am.  II  335  neve  cibo  prohibe  (nämlich  der  Lieb- 
haber soll  der  Kranken,  um  sich  einzuschmeicheln,  gewähren,  was 
ihr  eigentlich  versagt  werden  müßte).  —  Zu  Sat.  I  9,  69.  Die 
von  verschiedenen  gefundene  überzeugende  Lesung  und  Deutung 
von  tricesima,  sabbata  ist  erfreulicher  Weise  akzeptiert.  —  Zu 
Sat.  II  1,  86.  Auf  S.  XVI  gibt  Kruger  eine  neue,  von  H.  Erman 
herrührende  Auffassung  dieses  Verses,  die  ihm  als  sehr  beachtens- 
wert erscheint;  tabulae  beziehe  sich  „auf  die  von  dem  Prätor  dem 
iudex  oder  dem  Kläger  gegebene  formula"  usw.  Mir  ist  aus  dem 
Exzerpte  die  Deutung  nicht  soweit  klar  geworden,  daß  ich  über 
sie  urteilen  könnte.  —  Zu  Sat.  II  5,  90  f.  Krügers  Ausgabe  ist 
die  erste,  welche  Samuelssons  einleuchtende  Lesung  ultra  lnon' 
'etiam'  sileas  (vgl.  JB.  XXVI  S.  66  und  oben  Nr.  1  und  2)  in  den 
Text  aufgenommen  hat.  Obwohl  dieser  glückliche  Fund  schon 
im  Jahre  1899  publiziert  ist,  war  er  seitdem  von  den  Heraus- 
gebern noch  nicht  beachtet  worden;  aus  Krügers  Ausgabe  wird 
die  schone  Entdeckung  ja  nun  allmählich  ihre  weitere  Verbreitung 
finden.  —  Sat.  II  5, 103.  Subinde,  das  in  der  vorigen  Auflage 
nicht  erklärt  war,  wird  jetzt  gedeutet:  „unmittelbar  darauf'.  Ein 
„darauf "  wäre  ja  dem  Zusammenhange  angemessen;  aber  das 
starke  „unmittelbar  darauf44  erscheint  unmotiviert  und  störend. 
Ref.  würde  die  übliche  Auffassung  „wiederholentlich**  vorziehen. 
So  erklärt  Pseudacro  sparge  subinde  durch  frequenter  dicito;  ihm 
stimmt  Orelli-Mewes  bei;  L.  Müller:  „gelegentlich";  Wickham: 
„from  time  to  time";  Fritzsche:  „wiederholentlich*4,  unter  Be- 
rufung auf  Suet.  Cal.  30:  tragicum  illud  subinde  iactabat:  odermt, 
dum  metuant;  mehr  Beispiele  bieten  die  Lexika.  —  Zu  Sat.  II  6,  67. 
Libatis  dapibus,  früher  mit  den  meisten:  =  mit  dem  Abhub  des 
Mahles:  jetzt  mit  Kießling:  =  nach  Darbringung  des  Speisopfers. 
Leicht  ist  die  Entscheidung  nicht;  von  folgenden  beiden  Stellen 
scheint  die  eine  für  diese,  die  andere  für  jene  Auffassung  zu 
sprechen:  Liv.  XXXIX  43  libare  diis  dapes\  Ovid.  amor.  I  3,  33 f. 
si  tibi  forte  dabit,  quod  praegustaverit  tpse,  reite  libatos  ittius  ore 
cibos.  Vorziehen  würde  ich  allerdings  die  von  Krüger  jetzt  ver- 
lassene Deutung;  denn  der  Ausdruck  „mit  dem  Abhub44  steht  in 
innerlicherer  Beziehung  zu  pasco  vernas  als  der  Ausdruck  „nach 
dem  Speisopfer44;  auch  pflegt  wohl  das  absolute  vemas  pasco  zu- 
nächst zu  heißen  „ich  halte  mir  Sklaven4*  (vgl.  Sat.  I  6,  103  f.).  — 
Zu  Sat.  II  7,  20  qui  tarn  contento,  tarn  laxo  fune  laborat,  „ob  die 


Horatius,  von  H.  RöhJ.  61 

Metapher  von  den  Seiltänzern  oder  sonst  irgendwoher  entlehnt 
sei,  ist  ungewiß**.  Von  den  Seiltänzern  gewiß  nicht;  dem  Seil- 
tänzer schadet  Straffheit  des  Seiles  nicht;  auch  ist  dieses  Gebiet 
zu  entlegen,  als  daß  Horaz  ohne  besondere  Erwähnung  des  Tanzens 
ein  Bild  daher  entnehmen  könnte.  Auch  auf  das  Heben  einer 
Last  und  das  Bugsieren  eines  Bootes  paßt  laborare  nicht  in  beiden 
Fällen.  Am  nächsten  kommt  der  Wahrheit  wohl  Kießling:  „wie 
ein  Tier  am  Stricke,  welches  bald  kurz  gehalten  wird,  bald  freieren 
Spielraum  zu  Bewegungen  hat,  um  schließlich  durch  einen  un- 
sanften Ruck  wieder  zurückgerissen  zu  werden**;  noch  genauer, 
meine  ich,  wurde  man  sagen:  wie  ein  Tier,  das  bald  von  dem 
straffen  Stricke  schmerzlich  gehemmt  wird,  bald  in  dem  lockeren 
sich  verwickelt.  Ein  solcher  Vergleich  war  dem  Horaz  und  andern 
geläufig;  vgl.  Epist.  I  10,  48  tortum  digna  sequi  potius  quam  ducere 
funem,  wo  die  Herausgeber  nicht  hätten  schwanken  sollen.  — 
Zu  Sat.  II  7.  Auf  die  obscönen  Verse  48—50  geht  Krüger  gar 
nicht  ein,  den  Vers  64  hat  er  völlig  mißverstanden,  wie  denn 
überhaupt  zu  diesen  Versen  die  Herausgeber  viel  Seltsames  pro- 
duziert haben.  Und  dabei  sind  sie  ganz  leichtverständlich;  denn 
sowie  man  V.  48—50  richtig  aufgefaßt  hat,  sieht  man,  daß  sich 
der  Vers  64  mit  seinen  andeutenden  Ausdrücken  genau  auf  jene 
Verse  zurückbezieht.  Zwei  Dinge  gefallen  dem  Davus  an  der 
meretricula  im  Gegensatz  zur  matrona:  1)  daß  er  jene  nudam  ge- 
nießen kann,  während  die  matrona  se  non  mutat  habitu,  d.  h. 
dabei  angekleidet  bleibt;  2)  daß  er  der  meretricula  auf  zwei  ab- 
sonderliche Weisen  beiwohnen  darf,  zu  denen  die  matrona  sich 
nicht  versteht.  Nämlich  a)  meretricula  excipit  turgentis  verbera 
caudae  clunibus ;  dagegen  matrona  se  non  mutat  loco,  d.  h.  sie  läßt 
in  bezug  auf  die  Stelle  des  Körpers  keine  Abweichung  vom  Ge- 
wöhnlichen eintreten  (zu  der  speziellen  Bedeutung  von  locus  ver- 
gleiche z.  B.  Priap.  2 :  quod  virgo  prima  cupido  dat  nocte  marito^ 
dum  timet  alterius  minus  inepta  loci,  Ovid.  ars  am.  799:  infelix, 
cui  torpet  hebes  locus  ille,  puellast).  Und  b)  meretricula  agitat 
equum  lasciva  supinum;  dabei  kommen,  wie  aus  Horaz  und  andern 
hervorgeht,  nicht  die  clunes,  sondern  der  cunnus  in  Betracht;  aber 
matrona  non  peccat  superne. 

Neu  hinzugekommen  sind  in  der  fünfzehnten  Auflage  zwei 
Karten:  1)  eine  Karte  von  Mittelitalien,  mit  einer  Nebenkarte, 
welche  die  Gegend  von  Tibur  und  von  Horazens  Landgut  bietet, 
2)  ein  Stadtplan  von  Rom. 

Zum  Schlüsse  sei  dem  Ref.  noch  gestattet,  einen  Wunsch 
auszusprechen.  Die  Absonderung  eines  Anhanges  vom  Kommentare 
erfolgte  im  Jahre  1875  im  Schulinteresse;  jetzt  nun,  wo  die  Be- 
nutzung der  Ausgabe  durch  Schüler  gewiß  sehr  abgenommen  hat, 
dürfte  es  zweckmäßig  sein,  den  übrigen  Benutzern  die  Mühe 
durch  eine  Wiederverschmelzung  von  Kommentar  und  Anhang  zu 
erleichtern. 


62  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

5)  Emil  Rosenberg,  Die  Oden  und  Epoden  des  Q.  Horatius  Flaccus, 
für  den  Schal  gebrauch  erklärt.  Vierte  Auflage.  Gotha  1904,  Perthes. 
272  S.     8. 

Sechs  Jahre  nach  der  dritten  Auflage  (vgl.  JB.  XXV  S.  45  ff.) 
erscheint  nun  die  um  zwölf  Seiten  gewachsene  vierte.  Kleine 
Änderungen  sind  zahlreich;  aber  die  Einrichtung  des  wohlbekannten 
Buches  ist  im  wesentlichen  unverändert  geblieben,  so  daß  ich 
mich  mit  wenigen  Bemerkungen  und  einzelnen  Wünschen  für  die 
nächste  Auflage,  wie  sie  sich  beim  Durchblättern  der  vorliegenden 
vierten  ergeben  haben,  werde  begnügen  können.  Verhältnismäßig 
zahlreich  sind  Druckfehler,  die  in  einer  Schulausgabe  stören; 
darum  sei  auch  von  diesen  kurz  notiert,  was  mir  unangenehm 
auffiel. 

S.  19 — 24.  Neu  hinzugekommen  ist  eine  Zusammenstellung 
viel  gebrauchter  Wendungen  und  Sentenzen  aus  Horazens  lyrischen 
Gedichten;  sie  kann  zur  Repetition  gute  Dienste  leisten. —  S.  25 ff. 
Wiederabgeschafft  ist  der  gesperrte  Druck  einzelner  Textworte, 
was  mir  als  entschiedene  Verbesserung  erscheint;  die  Zahlen- 
schemata, durch  die  der  symmetrische  Bau  der  Gedichte  veran- 
schaulicht werden  soll,  sind  leider  (vgl.  JB.  XXV  S.  46)  großenteils 
auch  in  dieser  Auflage  geblieben.  —  Zu  Od.  I  4,  5  „auf  Kythera". 
Daß  Venus  nur  dort  tanze,  wird  Horaz  nicht  meinen.  —  Zu 
Od.  I  4,10  „aut  flore  terrae]"  (schon  in  der  dritten  Auflage). 
Terrae, ist  ja  doch  Subjekt  des  Relativsatzes.  —  Zu  Od.  I  16, 5 — 24. 
üavd'ov  (schon  in  der  dritten  Auflage),  statt  üav&oov.  —  Zu 
Od.  I  16,  8  und  Od.  II  6, 14.  Die  Formen  aeribns  bzw.  mellibus 
(beide  schon  in  der  dritten  Auflage)  würden  besser  vermieden.  — 
Zu  Od.  I  23, 1 — 8,  vkrjg  xsqoiaar\Q  (schon  in  der  dritten  Auflage), 
statt  vXfig  xsQoiöötig.  —  Zu  Od.  I  27, 18  „ftifis  auribus]  Es 
werden  alle  verschwiegen  sein".  Richtig;  früher  falsch:  „Dem 
des  Dichters  allein".  Vgl.  JB.  XXIII  S.  29  und  XXVII  S.  61  f.  — 
Zu  Od,  I  31, 18  Adxva  und  Afjico  (schon  in  der  dritten  Auflage), 
statt  Aatw  und  AtjToi.  —  Zu  Od.  I  34,  2  tuotf  (schon  in  der 
dritten  Auflage),  statt  tacit.  —  Zu  Od.  I  35,  26  %s%  %vtqa,  Ul 
cpMa  (schon  in  der  dritten  Auflage),  statt  &Z  xviqa, .  £jjf  q>$Xicc. 
—  Zu  Od.  II  2, 18  flebis  (schon  in  der  dritten  Auflage),  statt 
plebi.  —  Zu  Od.  II  3, 18.  Da  man  nicht  von  der  „grünen4'  Spree, 
sondern  vom  grünen  Strand  der  Spree  spricht,  so  ist  dies  keine 
Parallele  zu  flavus  Tiberis.  —  Zu  Od.  II  6.  In  den  Anmerkungen 
wird  diese  Ode  der  Zeit  nach  der  Schlacht  bei  Philippi  zugewiesen, 
in  der  Einleitung  S.  3  aber  die  drei  ersten  Bücher  den  Jahren 
30—23.  —  Zu  Od.  II  18,  3  Hymeltiae;  „bläulich-weißer  Marmor 
wie  der  pentelische,  parische  und  italische".  Der  hymettische  Marmor 
ist  bläulich,  der  pentelische  und  der  parische  sind  weiß.  —  Zu 
Od.  III  3,  40  vTtfjvoQsovTwv  (schon  in  der  dritten  Auflage),  statt 
vnsQTjvOQSovtcov.  —  Zu  Od.  III  4,  3  Xiysla  (in  der  dritten  Auf- 
lage Lysux),  statt  Xlysta.  —  Zu  Od.  III  8,  12  „erster  Jahrgang 


Horatius,  von  H.  Röhl.  63 

seines  eigenen  Weinbaus'4;  dagegen  zu  Od.  I  20,1:  „nicht  von 
seinem  Gute,  wo  er  vielleicht  keinen  Wein  zogu.  —  Zu  Od.  III 
8, 15  „Die  Alten  trugen  Bedenken,  eine  brennende  Lampe  auszu- 
löschen". Wunderlich;  jedenfalls  nicht  hierher  gehörig.  —  Zu  Od.  III 
9,  20.  Sehr  richtig  jetzt:  „reiectae  ist  Dativ";  wenn  aber  in 
Klammern  mein  Name  hinzugesetzt  wird,  so  geschieht  mir  un- 
verdiente Ehre,  da  ja  diese  Erkenntnis  sehr  alt  ist.  —  Zu  Od.  III 
24, 18.  Temperat  ermangelte  bisher  der  Erklärung;  jetzt  heißt 
es:  „gebietet".  Diese  in  manchen  Ausgaben  begegnende  Bedeutung 
streitet  sowohl  gegen  den  Sprachgebrauch  als  auch  gegen  den 
Sinn.  Letzteres,  weil  das  Fehlen  zweier  in  Rom  häufiger  Ver- 
brechen hervorgehoben  werden  soll;  das  zweite  Verbrechen  ist 
der  Ehebruch,  und  dem  entspricht  als  erstes  der  Giftmord;  vgl. 
Ovid  Metam.  I  147:  Lurida  terribiles  miscent  aconüa  novercae.  — 
Zu  Od.  III  27,  33  ixzatofinoXiv  (schon  in  der  dritten  Auflage), 
statt  hxatounoXw.  —  Zu  Od.  III  27,41,  oVq*  klscpaiQOVTai, 
statt  ot  $  eXscp.  —  Zu  Od.  IV  6,  9,  ovqsgi.  xixiovsq  (schon  in 
der  dritten  Auflage),  statt  ovqsci,  Tixtoveg.  —  Zu  Od.  IV  1 4,  25, 
%aV  al^rjdov  (schon  in  der  dritten  Auflage),  statt  %dV  altycSv.  — 
Zu  Epod.  1,  30,  „tangat]  es  handelt  sich  um  Schönheit  und  Größe 
des  Landhauses".  Worauf  stützt  sich  das?  Den  Sinn  des  tangat 
legen  ja  die  meisten  erklärenden  Ausgaben  ganz  deutlich  dar.  — 
Zu  Epod.  16,  60,  noXXcc  d'  6/  iv  novvw  (schon  in  der  dritten 
Auflage),  statt  <P  6  /  iv. 

Wenn  die  nächste  Auflage  dieses  brauchbaren  Schulbuches 
in  solchen  Kleinigkeiten  noch  etwas  akkurater  ausfällt,  so  wird 
sie  zu  den  schon  vorhandenen  guten  Eigenschaften  eine  weitere 
hinzugewinnen. 

6)  Q.  Horatii  Flacci  carmina  selecta,  für  deo  Schulgebrauch  heraus- 

gegeben vod  Johann  Hu  einer.  Sechste,  durchgesehene  Auflage. 
Wien  1904,  Alfred  Holder.    XXIV  u.  204  S.     1,55  Jt. 

Nach  einer  Notiz  auf  dem  Titelblatte  ist  die  vorliegende  sechste 
Auflage  ein  inhaltlich  unveränderter,  nach  der  neuen  Recht- 
schreibung hergestellter  Abdruck  der  fünften;  diese  letztere  hat 
im  JB.  XXVII  S.  44  f.  eine  empfehlende  Besprechung  gefunden. 
Leider  sind  ein  paar  Fehler  mit  herübergenommen;  so  steht 
immer  noch  Od.  III  12,  22  hinter  veni  ein  Fragezeichen,  und 
immer  noch  fehlt  Sat.  I  1,  96  vor  ita  das  Komma. 

7)  H.  Ludwig,    Präparation    zu    Q.    Horatius    Flaccus'  Satiren. 

1.  Heft:  Buch  I  (Aus  der  Sammlung  der  Schülerpräparationen  zu 
lateinischen  und  griechischen  Schriftstellern).  Leipzig  und  Berlin 
1904,  B.  G.  Teubner.     35  S.    8.    0,60  Jt. 

Der  Präparation  zu  den  Oden,  die  in  diesen  JB.  XXX  S.  32 
angezeigt  wurde,  ist  nun  die  zum  ersten  Buche  der  Satiren 
gefolgt. 


64  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Ausgeschlossen  sind  die  zweite  und  die  achte  Satire,  was 
durchaus  angemessen  erscheint;  aber  daß  auch  die  fünfte  fehlt, 
wird  vielleicht  mancher  bedauern;  eher  könnte  man  auf  die 
siebente  verzichten.  Eine  Druckseite  dient  als  ausreichende  Ein- 
leitung zu  der  Satirendichtung.  Die  Inhaltsangabe  zu  jeder  Satire 
wurde  Ref.  wegwünschen;  vgl.  JB.  XXX  S.  32 f. 

Der  „Präparation"  selbst  kann  bei  diesem  Hefte  dieselbe  An- 
erkennung gespendet  werden  wie  beim  Odenhefte:  sie  enthält, 
was  ein  Kommentar  zu  enthalten  hat.  Aber  auch  diesmal  müssen 
einige  Einschränkungen  des  Lobes  gemacht  werden.  Zunächst 
erachte  ich  die  Angabe  von  bloßen  Vokabeln  wie  limus  Schlamm 
(Sat.  I  1,  60),  olus  Ms  n.  Gemüse  (Sat  I  1,  74)  usw.  und  von 
Ableitungen  wie  triverit  Fut.  ex.  von  terere  (Sat.  I  1 ,  45),  securi 
von  securis  (Sat.  I  1,  99)  usw.  für  unpädagogisch.  Ferner  hätte 
eine  Revision  einige  Versehen  herausschaffen  sollen;  mir  fiel 
folgendes  auf:  Zu  Sat.  1 1,27  „=serie  rem  tractemus";  dieses  Adverb 
zu  serius  ist  ganz  unklassisch.  Zu  Sat.  I  1,  49  „quid  refert  (res 
fert)"\  vielmehr  re  ferU  Zu  Sat.  I  1,  75  „==  quae  st  sibi  (naturae) 
negata  erunt\  statt  des  regelrechten  ei.  Zu  Sat.  I  3, 70  „plura 
haece"  (zweimal),  statt  haec.  Zu  Sat.  I  4,  30  „durch  Nöten",  statt 
durch  Nöte  (siehe  unten  die  Anzeige  der  Satiren  Übersetzung  von 
Ludwig).  Zu  Sat.  I  4,  48  „(Ufert  sermoni  ==  d.  sermone";  viel- 
mehr =  d.  a  sermone.    Zu  Sat.  I  9,70  „Epikuräer",  statt  Epikureer. 

Endlich  sind  auch  Druckfehler  für  den  Schüler  störend:  zu 
Sat.  I  1,  45  teurere,  statt  terere;  zu  Sat.  I  1,  55  cyathus  =  0,456 
Liter,  statt  0,  0456  Liter;  zu  Sat.  I  1,78  Epanalaphe,  statt  Ep- 
analepse;  zu  Sat.  I  3,11  Canephörae,  statt  Canephoroe;  zu  Sat.  I 
3,  45  (fqivetg  statt  (fqiv€g\  zu  Sat.  I  4, 19  hircinus  statt  hiränus. 

S)  Pseudacronis  scholia  io  Horatium  vetnstiora,  receosait  Otto  Keller. 
Vol.  II  schol.  ia  sermones  epistulas  artemqae  poeticam.  Leipzig  1904, 
B.  G.  Teuboer.    XVI  u.  512  S.     8.     12  Jt. 

Nachdem  im  Jahre  1894  die  Scholien  des  Porfyrion  von 
Holder  (vgl.  JB.  XXI  S.  231)  und  im  Jahre  1902  die  Pseudakroni- 
schen  Scholien  zu  den  Oden  und  Epoden  von  Keller  (vgl.  JB.  XXX 
S.  31)  herausgegeben  waren,  ist  jetzt  mit  erfreulicher  Schnelligkeit 
der  zweite  Band  der  Pseudakronischen  Scholien  gefolgt,  zu  welchem 
Keller  schon  früher  Vorarbeiten  (vgl.  JB.  XXIX  S.  41)  veröffent- 
licht hatte.  Nun  sehen  wir  noch  einer  früher  (obwohl  nicht  mit 
Bestimmtheit)  in  Aussicht  gestellten  Ausgabe  der  scholia  minora 
von  Holder  entgegen. 

Über  den  Charakter  dieser  vortrefflichen  Ausgabe  des  Pseudakron 
ist  das  wesentlichste  schon  bei  der  Besprechung  des  ersten  Bandes 
gesagt,  so  daß  jetzt  nur  weniges  hinzuzufügen  ist.  Namentlich 
interessant  ist,  daß  Keller  (praef.  S.  III  ff.)  in  Hamburg  ein  Frag- 
ment des  Codex  A  entdeckt  hat,  das  auf  zwei  Blättern  die  Scholien 
zu  Epod.  16,  33—17,  50    enthält;    die   hieraus    sich   ergebenden 


Horatius,  von  H.  Röhl.  65 

Nachträge    zum    ersten  Bande   haben   in  Band  II  S.  510  f.  ihren 
Platz  gefunden.    Beachtenswert  ist  ferner  die  Erörterung  über  die 
Geringwerligkeit  des  Commentator  Cruquianus  (praef.  S.  Xff.). 
Den  Schluß  dieses  Bandes  bilden:    1)  Glossarum  f  appendix, 

2)  Iudex  auctorum,  3)  Index  generalis  sive  nominum,  rerum 
elocutionumque  memorabilium;  daß  letzterer  gegenüber  dem  Index 
verborum  der  Porfyrionausgabe  sich  auf  Wichtigeres  beschränkt, 
kann  nur  Beifall  finden. 

Der  lebhafte  Dank  aller  Benutzer  gebührt  dem  Herausgeber 
dafür,  daß  die  schöne  Pseudakronausgabe  nun  fertig  vorliegt. 

9)  K.P.  Schulze,  Horaz.  Auswahl  für  den  Schulgebrauch.  Zweiter  Teil, 
Anmerkungen.  Mit  zwei  Tafeln.  Zweite,  erweiterte  Auflage.  Berlin 
1904,  Weidmannsche  Buchhandlung.     206  S.    8.     1,80  Jft. 

Die  erste,  im  Jahre  1895  erschienene  Auflage  dieser  Schul- 
ausgabe, die  entschieden  zu  den  besseren  ihrer  Art  gehört,  ist  im 
JB.  XXIII  S.  29  ff.  besprochen  worden.  Jetzt  liegt  der  zweite,  die 
Anmerkungen  enthaltende  Teil  in  zweiter,  erweiterter  Auflage  vor, 
d.  h.  es  sind  nunmehr  Anmerkungen  zu  vielen,  vorher  unberück- 
sichtigten Gedichten  hinzugekommen,  so  daß  sie  nur  noch  zu 
folgenden  Gedichten  fehlen:  Epod.  3.  5.  8.  11.  12.  17,  Sat.  I  2.  7. 
8,  II  2.  3.  4.  5.  7.  8,  Epist.  I  8.  17,  II  3.  Die  Auswahl  des  Dar- 
gebotenen ist  also  für  eine  Schulausgabe  überreich.  Leider  ist 
der  erste,  den  Text  enthaltende  Teil  nicht  gleichfalls  in  zweiter 
Auflage  erschienen,  so  daß,  wenn  die  Schüler  Gedichte  lesen 
sollen,  für  die  der  Kommentar  erst  in  der  zweiten  Auflage  des 
zweiten  Teiles  hinzugekommen  ist,  sie  mit  dem  Schulzeschen  Text- 
bändchen  nicht  ausreichen,  sondern  einen  andern  Text  benutzen 
müssen. 

Die  Lebensbeschreibung  des  Horaz,  die  in  der  ersten  Auflage 
dem  Textbändchen  vorgedruckt  war,  ist  nun  bei  der  zweiten  dem 
Kommentar  vorausgeschickt.  Im  übrigen  ist  Einrichtung  und 
Charakter  des  Bändchens  unverändert  geblieben,  so  daß  das  früher 
demselben  gespendete  Lob  auch  der  neuen  Auflage  zukommt  und 
wir  auf  jene  Anzeige  verweisen  dürfen.  Die  Überschriften  und 
Inhaltsangaben  behagen  dem  Ref.  allerdings  nicht  sonderlich,  wofür 
die  Gründe  dort  dargelegt  sind.  Aber  der  Herausgeber  bringt 
eben  vieles  und  daher  jedem  etwas;  so  am  Schlüsse  des  Bändchens 
noch  1)  eine  Zeittafel,  2)  eine  „zur  Wiederholung'*  überschriebene, 
recht  brauchbare  Zusammenstellung  von  Belegstellen  aus  Horaz 
über   allerlei    bei   der  Horazlektüre    interessierende  Gegenstände, 

3)  eine  Metrik,  4)  sprachliche  Bemerkungen,  5)  eine  Windrose, 
6)  ein  Kärtchen  der  Umgegend  des  Landgutes,  7)  ein  Verzeichnis 
der  Weinsorten,  8)  zwei  Tafeln  mit  Abbildungen  von  Realien. 
Auch  diese  Zutaten  weisen  gegen  die  erste  Auflage  mehrfach  kleine 
Besserungen  und  Erweiterungen  auf. 

Gehen   wir  nun  zu  dem  Hauptstück  dieses  Bändchens,    dem 

Jahxtiberiehte  XXXL  5 


66  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

eigentlichen  Kommentar,  über,  so  müssen  wir  anerkennend  kon- 
statieren, daß  die  neue  Auflage  nicht  unwesentliche  Berichtigungen 
bietet.  Dazu  gehören  z.  B.  folgende  Stellen.  Od.  II  19.  23,  die 
Löwengestalt  wurde  früher  dem  Bacchus  zugeschrieben,  jetzt  dem 
Rhötus;  auf  die  Frage,  ob  (wie  Schulze  will)  Ablativus  qualitatis 
vorliegt  oder  horribilem  zu  schreiben  ist,  gehen  wir  hier  nicht 
ein,  vgl.  JB.  XXIX  S.  61.  —  Od.  III  9,  20,  reiectae  Lydiae  früher 
Genitiv,  jetzt  Dativ.  Es  ist  erfreulich,  daß  von  jener  wunder- 
lichen Verirrung  jetzt  ein  Herausgeber  nach  dem  andern  wieder 
zurückkommt.  —  Od.  IV  7, 11,  damna  caelestia,  früher:  „vom 
Abnehmen   des  Mondes";   jetzt:   „vom  Absterben  in   der  Natur'4 

—  Sat.  I  9,  42,  jetzt:  „ut  durum  (schwer)  etf";  früher  hieß  es 
unverständlich:  „ut  durum  fest",  was  vermutlich  nur  Druckfehler 
war  für:  „ut  durum  (esf)".  —  Epist.  I  1,  32,  früher:  „est,  es  ist 
schon  etwas'*;  jetzt:  „est  {ia%tv)  =  licet'.  —  Epist.  I  2,  23, 
nostiy  früher:  „aus  eigener  Erfahrung  kennst  du  die  Verlockungen 
der  Sinnlichkeit  und  Wollust";  jetzt:  „du  kennst  diese  Er- 
zählungen". 

Wenn  ich  nun  auf  einige  Stellen  des  Kommentars  eingehe, 
wo  mir  das  Richtige  nicht  getroffen  scheint,  so  geschieht  das 
keineswegs  in  dem  Sinne,  als  sollte  unbilligerweise  dadurch  der 
Wert  der  trefflichen  Ausgabe  geschmälert  werden,  sondern  ledig- 
lich, um  zu  erneuter  Nachprüfung  bzw.  Berichtigung  Anregung 
zu  geben.  Od.  1  7,  in  der  Inhaltsangabe:  „Komm  auch  du,  Plancus, 
nach  deinem  Tibur".  Das  steht  aber  doch  nirgends  in  dem 
Horazischen  Gedichte.  —  Od.  I  9,  in  der  Inhaltsangabe:  „Sorge 
für  Wein  im  Krug".  Mit  dem  „Kruge"  meint  der  Herausgeber 
die  diota,  die  Amphora;  aber  die  diota  setzt  Horaz  als  voll  voraus 
und  fordert  nicht  erst  zu  ihrer  Füllung  auf.  —  Od.  I  17,  9, 
„Wölfe,  vor  denen  Faunus  und  Lupercus  die  Herden  schützten". 
Faunus  und  Lupercus  sind  dem  Horaz  ein  und  dieselbe  Gottheit. 

—  Od.  I  35,  35,  „nefasti  nom.  plur.".  Kießling  und  L.  Müller 
hatten  diese  Auffassung  abgelehnt,  weil  nefastus  von  Personen 
anscheinend  nicht  gebraucht  werde,  und  ich  habe  dieses  Bedenken 
nirgends  widerlegt  gefunden.  —  Od.  II  3,  6  f.,  „per  dies  festos  in 
ewigem  Festtag".  Diese  Bedeutung  darf  weder  den  überlieferten 
Worten  aufgezwungen,  noch  mit  L.  Müller  durch  Konjektur  erzielt 
werden.  Horaz  stellt  eben,  ohne  sich  an  einen  schematischen 
Gedankengang  zu  binden,  in  der  zweiten  Strophe  dem  Fehler  der 
übermäßigen  Trauer  nicht  den  Fehler  der  übermäßigen  Genuß- 
sucht, sondern  den  richtigen,  heitern  Lebensgenuß  gegenüber, 
und  zwar  tut  er  das  mit  bewußter  Absicht,  um  dann  von  letzterem 
weiter  handeln  zu  können.  Dies  habe  ich  gegen  L.  Müller  im 
JB.  XXVII  S.  60  hervorgehoben  und  konnte  dann  im  JB.  XXVIII 
S.  35  konstatieren,  daß  inzwischen  Heinze  in  der  vierten  Auflage 
des  Kießlingschen  Horaz  sich  genau  ebenso  geäußert  hatte;  man 
vergleiche   auch    u.  a.  die   Ausgaben    von    Gow    und   Smith.   — 


Horatios,  von  H.  Röhl.  67 

Od.  II  13,  34,  „demittit  auris  indem  er  nicht  seines  Wächteraoates 
waltet".  Es  ist  vielmehr  Zeichen  der  Freude,  vgl.  Hercher  im 
Hermes  XII  S.  391  und  513.  —  Od.  II  17,21,  »nostrum  genet. 
plur.".  Daß  nostrum  Nominativ  ist,  hat  Chr.  Fr.  Ernst  Meyer  be- 
wiesen, vgl.  JB.  XXIV  S.  84.  —  Od.  II  19,  26  f.,  Judo  pugnae  das 
grausame  Spiel  des  Kampfes".  Meines  Erachtens  wird  durch  das 
hinter  ludoque  stehende  dictus  eine  solche  Konstruktion  unmöglich ; 
sondern  ludo  gehört  zu  aptior,  und  pugnae  als  Dativ  zu  idoneus. 
Also:  „obwohl  es  von  dir,  der  du  als  geeigneter  für  Reigentänze 
und  Scherze  und  Spiel  galtest,  hieß,  du  seiest  zum  Kampfe  nicht 
recht  geeignet".  —  Od.  III  14, 1,  »Herculis  ritu  wie  Herkules 
siegreich  über  die  Pyrenäen  nach  Italien  zurückkehrte".  Mithin 
verbindet  Schulze:  Herculis  ritu  Caesar  Hispana  repetit  penates 
victor  ab  ora;  aber  ist  das  ein  besonderer  ritus,  siegreich  aus 
Spanien  nach  Italien  zurückzukehren?  Richtiger  ist  doch  wohl 
die  übliche  Auffassung,  daß  der  ritus  Herculis  darin  bestehe,  nach 
Heldentaten  in  selbstgewählter  Todesart  (als  ob  das  bei  der  Krank- 
heit des  Kaisers  der  Fall  gewesen  wäre !)  zur  Unsterblichkeit  ein- 
zugehen. —  Od.  HI  16,  8,  »pretium  Geld,  um  den  Wächter  zu 
bestechen.  Sonst  nahte  Juppiter  der  Sage  nach  der  Danae  in 
Gestalt  eines  goldenen  Regens".  Dieses  „sonst"  erweckt  die  Voiv 
Stellung,  als  wiche  Horaz  von  der  üblichen  Sage  ab,  während  er 
sie  doch  voraussetzt  und  nur  frivol  deutet.  —  Od.  III  19,  15, 
»supra  zu  fra";  also  meint  Schulze  mit  vielen  Herausgebern: 
„mehr  als  drei".  Indes  widerstreitet  dies  dem  Zusammenhange, 
da  ja  Horaz  bereits  neun  Cyathus  gefordert  hat  und  doch  nicht 
von  seinem  eigenen  Votum  sagen  kann,  daß  es  dem  Wesen  der 
Grazien  zuwiderlaufe.  Einen  passenden  Sinn  gibt  nur  die  Über- 
setzung: „drei  darüber  (nämlich  über  neun)  hinaus";  ich  habe 
über  diese  Stelle  ausführlicher  in  meinem  Kommentare  und  Jß. 
XXIV  S.  66  und  XXVIII  S.  32  gehandelt.  —  Od.  III  24,  18, 
„temperat  c.  dat.  gebieten".  Das  verstößt  gegen  den  Sprachgebrauch 
und  gegen  den  erforderten  Sinn;  vgl.  L.  Müller.  —  Od.  IV  4,  68, 
»coniugibus,  weil  ihre  Männer  gefallen  sind".  Schwerlich!  Da 
das  römische  Volk  vorher  Subjekt  ist,  kann  auch  coniuges  ohne 
Härte  nur  die  Gattinnen  der  Römer  bezeichnen;  auch  paßt  nur 
auf  diese  loqui;  von  den  Karthagerinnen  wäre  ein  Begriff  wie 
deflere  zu  erwarten.  —  Od.  IV  11,15,  zu  Aprilem:  „Aphrilis  von 
ä<pQog".  Mindestens  sehr  unsicher.  —  Od.  IV  14,  36,  »vacuam 
aulam,  die  Königsburg  in  Alexandria  stand  nach  dem  Tode  der 
Kleopatra  verlassen  da".  Bei  der  Übergabe  von  Alexandria  war 
Kleopatra  noch  nicht  tot.  —  Sat.  I  3,  59,  »latus  obdit  apertum 
sich  eine  Blöße  geben".  Das  ist  die  altherkömmliche  Auffassung; 
indessen  hatte  Postgate  (vgl.  JB.  XXIX  S.  44)  mit  Grund  auf  die 
Mißlichkeit  hingewiesen,  dem  Verbum  eine  singulare  Bedeutung 
zu  geben.  Also  wohl:  „und  deckt  seine  Seite,  so  daß  sie  keinem 
Feinde  bloßsteht".  —  Sat.  I  6, 18,  „a  volgo  remotos  die  wir  uns 

5* 


68  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

voo  der  Menge  fernhalten".  Durch  den  Gedankengang  wird, 
meine  ich,  in  evidenter  Weise  die  kurzlich  von  Meiser  (vgl.  JB.  XXX 
S.  44)  vorgetragene  Deutung  als  richtig  erwiesen:  „die  das  Volk 
so  weit,  so  weit  zurückgesetzt  hat".  —  Sat.  I  6,  24,  „Tillius,  wohl 
der  Bruder  des  Tillius  Cimber,  eines  der  Mörder  Cäsars,  war  aus 
dem  Senat  ausgestoßen  worden,  später  aber  wieder  eingetreten". 
Es  hätte  die  abweichende  Darlegung  Mommsens  (vgl.  JB.  XXVI 
S.  54)  berücksichtigt  werden  sollen.  —  Sat.  I  6, 75,  „octonos 
(nummos)  aeris}  8  Kupferas,  etwa  50  Pf.;  nur  achtmal  im  Jahr, 
da  vier  Monate  Ferien  waren".  Hier  liegt  eine  Verwirrung  vor; 
das  letzte  Stuck  der  Erklärung  paßt  nur  zu  der  Lesart  octonis 
referentes  idibus  aera.  —  Sat.  I  9,  26  f.  Zu  dieser  früher  sehr 
umstrittenen  Stelle  vermißt  man  bei  Schulze  eine  Erklärung,  die 
ja  jetzt  zum  Glück  nicht  mehr  zweifelhaft  ist,  vgl.  JB.  XXX  S.  34. 
—  Epist.  I  2,  65.  Schulze  interpungiert  im  Texte:  »ire  viam,  qua 
monstret  eques"  und  erklärt  in  der  ersten  Auflage:  „qua  ratiane, 
von  der  Gangart",  in  der  zweiten:  „qua  via".  Aber  es  wird 
beides  abzulehnen  und  vielmehr  zu  lesen  sein:  „tre,  viam  qua 
monstret  eques";  vgl.  Livius  XXXII  11,7:  iubet  pedites,  qua  dux 
tnonstraret  viam,  ire,  JB.  XXVIII  S.  28.  —  Epist.  I  6,  51,  , frans 
pondera,  so  daß  er  beim  Händeschütteln  fast  das  Gleichgewicht 
verliert".  Aber  die  Bedeutung  „Schrittsteine"  steht  jetzt  inschrift- 
lich fest,  vgl.  Heinze  im  Hermes  XXXIII  S.  447  Anm.  2.  — 
Epist.  I  18, 105,  „rugosus,  die  Kälte  macht  ihre  Haut  förmlich 
runzelig".  Es  dürfte  heißen:  „wegen  der  Kälte  eine  Grimasse 
schneidend",  vgl.  JB.  XXIX  S.  53  f. 

In  der  Schreibung  der  Eigennamen  wäre  etwas  mehr  Gleich- 
förmigkeit zu  wünschen.  Jetzt  wechseln  miteinander  ab:  Alcaus 
Alkaios,  Odysseus  Ulixes,  Tusculum  Tuskulum,  Aelius  Älius, 
Minturnae  Karrhä,  Pompeius  Pompejus,  Tyndareos  Tyndareus; 
desgleichen  griechische  und  römische  Namen  der  Götter:  Zeus 
Juppiter,  Here  Hera  Juno,  Poseidon  Neptun,  Artemis  Diana,  Hermes 
Merkur,  Aphrodite  Venus,  Leto  Latona. 

Unter  den  Druckfehlern  sind  mir  einige  als  störend  auf- 
gefallen: Od.  II  2,10  Lybiam\  Od.  II  7,7  paX6ßQ(x$ov\  Od.  IV 
1, 11  commissari;  Sat.  I  5,  63  Galathea. 

II.  Übersetzungen. 

10)  Qointus    Horatius   Flaccos'  Satiren,   übersetzt   von    Hermano 
Ludwig.     Karlsruhe  o.  J.,  Friedrich  Gatsch.     82  S.    8.     1,20  JC. 

Deutsche  Hexameter  zu  bauen  ist  an  sich  schon  ein  schwer 
Ding;  die  Aufgabe  wird  noch  schwerer,  wenn  sie  inhaltlich  Horazi- 
schen  Hexametern  entsprechen  sollen.  Daß  die  Lösung  dieser 
schwierigen  Aufgabe  in  der  vorliegenden  Übersetzung  einigermaßen 
geglückt  sei,  vermag  ich  nicht  zu  finden.  An  den  Versbau  stellt 
Ludwig  meines  Erachtens  zu  geringe  Anforderungen;  hier  einige 
Proben : 


Horatius,  von  H.  Röhl.  59 

Sat.  I  1,23 

Weiter  —  um  nicht  wie  der  Possenreißer  mit  Lachen  die  Sache 

Abzumachen. 
Sat.  I  2,  62 

Als  des  Vaters  Geld  zu  vergeuden!    Was  für  ein  Unter- 
schied ist's,  ob  usw. 
Sat.  I  6,  85 

Um  so  größerer  Ruhm  und  Dank  gebührt  ihm  jetzt  von  mir. 
Sat.  I  9,  8  f.  Ich  plage  mich  elend 

Loszukommen,  geh  schneller  jetzt,  bleib9  dann  wieder  stehen. 
Sat.  II  6,  37 

Und  sie  baten  dich,  Quintus,  heute  dabei  nicht  zu  fehlen. 

Dazu  kommen  sonstige  Härten  wie:  Sat.  I  6, 18  würd'  lieber; 
Sat.  I  6, 19  würd'  der  Censor.  Auch  finden  sich  Ausdrucke,  die 
vielleicht  suddeutsch,  aber  nicht  allgemeindeutsch  sind:  Sat.  I 
1,  32  wus'lig,  Sat.  I  2,  45  verbrinzeln,  Sat.  I  2, 39  Nöten  als 
Nomin.  plur.  (siehe  oben  Nr.  7),  Sat.  I  6,  23  was  halfs  dich, 
Tillius,  wieder  anzulegen  den  Purpurstreif,  Sat.  I  6,  33  sich  um 
etwas  annehmen. 

11)  E.  C.  Wickham,  Horace  for  Eoglish  readers,  being  a  translation  of 
the  poems  of  Quintos  Horatius  Flaccns  ioto  English  prose. 
Oxford  1903,  Clarendon  Press.    363  S.    8. 

Der  vorausgeschickte  Abschnitt  Horace's  Life  and  Writings 
bietet  den  üblichen  biographischen  Stoff  und  gibt  zu  Bemerkungen 
wenig  Anlaß.  Nur  wenn  der  Verf.  S.  2  über  Horazens  Fortleben 
sagt:  he  has  found  a  special  home  in  the  hearts  of  Frenchmen 
and  Englishmen,  so  wollen  wir  uns  freilich  nicht  vermessen, 
jemandem  ins  Herz  zu  sehen ;  wenn  aber  die  Zahl  der  Publikationen 
über  Horaz  als  Maßstab  für  die  Beschäftigung  eines  Volkes  mit 
diesem  Dichter  dienen  darf,  so  sind  zweifellos  die  Deutschen  den 
Franzosen  weit  voraus.  Angemerkt  sei  noch,  daß  Wickham  der 
Meinung  zuneigt,  Horaz  sei  bei  Actium  anwesend  gewesen,  und 
daher  von  der  neunten  Epode  sagt:  it  was  written,  it  is  suggested 
with  high  probability,  on  board  Maecenas's  galley  (S.  2;  vgl.  S.  137 
und  147);  in  diesen  Jahresberichten  ist  diese  Kontroverse  zuletzt 
XXX  S.  46  behandelt  worden. 

Der  Übersetzung  eines  jeden  Gedichtes  ist  eine  kurze  Angabe 
der  Situation  und  des  Inhalts  vorausgeschickt ;  auch  Fußnoten  sind 
vorhanden,  doch  spärlich.  Die  Übersetzung  ist  in  Prosa  gegeben; 
dies  dürfte  für  mehrere  Zwecke  recht  nützlich  und  empfehlens- 
wert sein.  Mit  ihr  wird  sich  der  Lernende  leichter  zum  Ver- 
ständnis verhelfen  als  mit  einer  poetischen;  und  auch  der  Nicht- 
philologe,  dem  lediglich  daran  gelegen  ist,  Horazens  Gedankenwelt 
kennen  zu  lernen,  wird  so  besser  zum  Ziele  gelangen,  als  wenn 
durch  die  (oft  stark  mißlungene)  Nachahmung  der  Kunstform  die 
Wiedergabe  der  Gedanken  ungenau  oder  unbeholfen  ausgefallen  ist. 


70  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereint. 

Die  Übersetzung  ist  überaus  dezent.  Natürlich  soll  gegen 
die  Auslassung  von  Epod.  8  und  12,  Sat.  1  2,  25  fT.,  Sat.  I  5,  82 
—85,  Sat.  II  5,  75— 83i  Sat.  II  7,  46— 74  nichts  eingewendet 
werden;  auch  Od.  I  25  Parcius  iunctas  quatiunt  fenestras,  Od.  II  5 
Nondum  subacta  ferre  iugum  valet  kann  man  leicht  missen.  Aber 
Od.  III  6  wird  durch  die  Tilgung  der  Verse  21—32,  d.h.  des  zweiten 
Unterteiles  des  ersten  Teiles,  verstummelt;  und  die  Ode  IV  10 
0  crudelis  adhuc  und  nun  gar  die  hübsche  Epode  11  Petti,  nihil 
the  sicut  antea  iuvat  zu  unterdrücken,  sehe  ich  keinen  Anlaß. 
Auch  bei  der  Wahl  des  Ausdrucks  behängt  der  Übersetzer  dea 
Dichter  gern  mit  Feigenblättern:  Od.  II  4,  21  teretes  suras  = 
shapely  ankles;  Od.  II  11,  21  devium  scortum  =  the  truant;  Epod. 
3,  21  f.  manum  puella  savio  opponat  tuo  extrema  et  in  sponda  cubet 
=  may  you  find,  that  you  cannot  get  a  kiss  when  you  ask  for 
one;  Sat.  I  4, 111  a  turpi  meretricis  amore  =  from  base  amours; 
Sat.  I  8,  5  obscaenoque  ruber  porrectus  ab  inguine  palus  =  red 
pole  (hier  wäre  wohl  die  Tilgung  des  Verses  besser  gewesen  als 
die  unklare  Übersetzung);  Sat.  II  3,  325  mitte  puellarum,  puerorum 
mitte  furores  =  a  thousand  frenzies  of  foolish  passion;  Epist.  I 
14,  21  fornix  =  the  arch;  Epist.  I  14,  25  meretrix  tibicina  = 
flute-player. 

Korrekt  und  sinngemäß  ist  die  Übersetzung,  wie  man  das 
von  dem  gelehrten  Verfasser  nicht  anders  erwarten  konnte;  aber 
die  Resultate  neuerer  Forschung  sind  ihm  zum  Teil  unbekannt 
geblieben;  vgl.  die  Anzeige  seiner  gleichzeitig  erschienenen  Aus- 
gabe der  Satiren  und  Episteln,  oben  Nr.  2. 

12)  Ferdinando  Pasini,  Una   versione  Oraziana  inedita  di   Cle- 

mentino  Vannetti.   Gymnasialprogramm.  Capodistria  1903.  30  S.  8. 

Pasini  veröffentlicht  eine  von  Vannetti  (Ende  des  achtzehnten 
Jahrhunderts)  herrührende  Übersetzung  von  Sat.  II  3;  sie  befindet 
sich  in  der  ßiblioteca  Civica  in  Trient.     Hier  der  Anfang: 

Si  rado  scrivi,  che  la  pergamena 
quattro  volte  non  chiedi  in  tutto  1'  anno, 
mentre  ciascun  de'  tuoi  scritti  ritessi, 
con  te  medesmo  irato,  perche  al  vino 
dedito  e  al  sonno,  nessun  canto  sciogli 
degno  di  plauso.     E  che  sarä?    fuggito 
qua  sei  dai  Saturnali :  adunque  sobrio 
degna  di  tue  promesse  or  qualche  cosa 
scrivi.     Usw. 

13)  G  iuseppe  Puccianti,  Saggio  di  tradnzioni  da  Catullo,  Orazio 

e  Tibullo.     Firenze  1903,  Successori  Le  Mopnier.     289  S.     16. 

Auf  den  Seiten  29—211  finden  sich  Übersetzungen  folgender 
Horazischer  Gedichte:  Od.  1  3.  4.  5.  9.  11.  14.  17.  19.  20.  21.  23. 
26.  30.  31.  38.    III  13.   IV  3;    Epod.  2.  3.  6.  10.  13;    Sat.  I  1.  8; 


Horatius,  von  H.  Röhl.  71 

Epist.  I  1.  4.  5.  7.  8.  10.  13.  14.  II  3.  Die  angewandten  Metra 
sind:  gereimte  zweizeilige  Verse  (Epod.),  vierzeilige  Strophen  mit 
verschiedenen  Reimstellungen  (Od.,  Epod.,  Epist.)»  sechszeilige 
Strophen  mit  verschiedenen  Reimstellungen  (Od.,  Epist.),  Sonett 
(Od.  I  26),  Terzine  (Sat.,  Epist.).  Die  Übersetzungen  scheinen 
mir  —  soweit  ich  italienische  Poesie  in  ihrem  ästhetischen  Werte 
zu  beurteilen  vermag  —  feinen  Geschmack  und  einen  hohen  Grad 
von  Gewandtheit  zu  bekunden.     Als  Probe  möge  dienen 

Od.  I  30:     0  di  Gnido  e  di  Pafo  alma  Regina, 
Fra  gl'  incensi  da  Glicera  invocata, 
Lasciando  Cipro,  all'  ara  che  t'  ha  ornata, 
Vieni,  o  divina. 
E  teco  il  tuo  fanciul  che  accende  i  petti, 
Le  Grazie  scinte,  Ermete  e  Ninfe  a  gara 
E  Giovinezza,  senza  te  men  cara, 
II  passo  affretti. 

Und  der  Anfang  von  Sat.  I  1: 

Come  va  che  nessuno  e  mai  contento, 
0  Mecenate,  della  condizione 
Di  vita  o  che  si  scelse  a  suo  talento, 

0  gli  venne  li  li  dalF  occasione, 
E  mai  non  rifinisce  di  lodare 
Chi  s'  e  dato  ad  un'  altra  occupazione? 

In  Anmerkungen,  S.  251 — 282,  gibt  Puccianti  einige  Er- 
läuterungen und  rechtfertigt  die  Übersetzung  einzelner  Stellen. 

14)  Hermann  Menge,  Die  Oden  und  Epoden  des  Horaz  für  Freunde 
klassischer  Bildung,  besonders  für  die  Primaner  unserer  Gymnasien 
bearbeitet.  Dritte,  durch  erklärende  Anmerkungen  vermehrte  Auflage. 
Berlin  1904,  Langenscheidt.     XVI  u.  504  u.  74  S.     gr.  8.     7,50  Jt. 

Die  zweite  Auflage  dieses  Buches  ist  im  JB.  XXVI  S.  48  IT. 
besprochen  worden,  und  es  mag  auf  das  dort  über  seinen  Zweck 
und  Wert  Gesagte  verwiesen  werden.  Nur  die  wichtigste  Eigen- 
heit dieser  Bearbeitung  (oder  in  der  Hauptsache  Übersetzung)  sei 
nochmals  kurz  charakterisiert:  für  jedes  Gedicht  wird  eine  Dis- 
position, eine  Orientierung  über  die  Situation,  der  lateinische 
Text,  eine  prosaische  Übersetzung,  eine  Übersetzung  in  antiken 
Maßen  und   eine  Übersetzung  in   modernen  Formen  dargeboten. 

Das  Buch  durfte  ganz  geeignet  sein,  in  breiteren  Schichten 
des  Publikums  das  übrigens  an  sich  schon  oft  recht  lebhafte  In- 
teresse für  Horaz  zu  fördern  und  diesem  Interesse,  das  meist 
mit  falschem  Stolze  gepaart  zu  sein  pflegt,  auch  zu  einem  ge- 
wissen Grade  von  Verständnis  zu  verhelfen,  Aber  in  den  Händen 
der  Primaner  möchte  ich  es  nicht  sehen.  Wenn  der  Verf.  S.  XIII 
den  sicheren  Beweis  dafür,  daß  seine  Arbeit  die  von  ihm  gehoffte 
Wirkung  an  vielen  Stellen  geübt  habe,  darin  findet,  daß  Primaner 


72  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

aus  fast  allen  Gauen  Deutschlands  eigene  poetische  Übertragungen 
Horazischer  Oden  an  ihn  eingesandt  haben:  so  wird  diesen  Er- 
folg mancher  vielleicht  nicht  einmal  für  besonders  wünschenswert 
erachten.  Eine  andere  Wirkung  aber  ist  die:  zweifellos  können 
die  Primaner  die  Mengeschen  Prosaubersetzungen  viel  besser  zur 
unselbständigen  Präparation  benutzen  als  die  sonst  üblichen  poeti- 
schen und  können  dann  die  Benutzung  des  Buches  noch  durch 
bemäntelnde  Ausreden  zu  verteidigen  suchen,  dasselbe  sei  doch 
ästhetisch  sehr  interessant,  sei  von  einem  Schulmann  für  Primaner 
bestimmt,  usw.    Auch  das  ist  wenig  wünschenswert. 

Der  Hauplteil  des  Buches,  S.  1 — 505,  hat  in  den  von  mir 
verglichenen  Partieen  keinerlei  Veränderung  erfahren;  und  ich 
glaube  das  gleiche  auch  für  die  nicht  nachgeprüften  Partieen  mit 
Sicherheit  annehmen  zu  können,  da,  nach  der  Bewahrung  der 
alten  Orthographie  (im  Gegensatz  zu  dem  neu  hinzugekommenen, 
unten  zu  besprechenden  Anbange)  und  nach  Einzelheiten  des 
Druckes  zu  urteilen,  überhaupt  kein  Neudruck  vorliegt.  Was  da- 
her in  der  Anzeige  der  zweiten  Auflage  über  die  Widersprüche 
zwischen  dem  Texte  und  den  verschiedenen  Übertragungen  gesagt 
ist,  gilt  auch  für  diese  dritte.  Ein  paar  weitere  Anstöße  mögen 
hier  noch  angemerkt  werden.  Zuerst  aus  der  prosaischen  Über- 
setzung. S.  21  „Venus,  die  der  Gott  des  Scherzes  und  der  Liebe 
umschweben";  das  ist  grammatisch  unzulässig.  S.  232  „wenn  ihn 
die  Gattin  und  die  Tochter  des  kriegführenden  Gebieters  von  den 
feindlichen  Mauern  aus  erblickt,  müsse  sie  bang  seufzen";  danach 
würde  es  sich  nur  um  eine  Person  handeln.  Aber  es  muß  aus- 
drucklich anerkannt  werden,  daß,  von  solchen  vereinzelten  Stellen 
abgesehen,  diese  prosaische  Übersetzung  sorgsam  und  korrekt  ist. 
Noch  zwei  Notizen  zu  den  Nachdichtungen.  S.  79  „in  Ustika's 
gedehntem  Tal";  in  diesem  jambischen  Verse  enthält  der  Eigen- 
name einen  metrischen  Fehler;  im  Anhang  ist  richtig  betont 
Ustlca.  Desgleichen  ist  S.  265  der  letzte  Eigenname  in  dem 
Verse  „bezwangen  uns  Honäses  und  Pakor"  falsch  gemessen. 

Neu  sind  in  dieser  Auflage  die  erklärenden  Anmerkungen, 
die  einen  74  Seiten  langen  Anhang  bilden.  Daß  zu  den  Epoden 
8  und  12,  wie  die  Übersetzungen,  so  auch  die  Anmerkungen 
weggelassen  sind,  ist  bei  einem  populären  Buche  gewiß  nur  zu 
billigen;  aber  warum  auch  für  die  Epoden  3.  5.  10.  11.  14.  17, 
denen  doch  Übersetzungen  beigegeben  sind,  die  Anmerkungen 
fehlen,  ist  schwer  einzusehen.  Die  Anmerkungen  selbst  sind  über- 
wiegend sachlicher,  nur  selten  sprachlicher  Art  und  auf  Leser 
berechnet,  die  nur  geringe  Kenntnis  des  Altertums  besitzen.  In- 
haltlich erfreuen  sie,  wie  bei  Menge  nicht  anders  zu  erwarten, 
durch  Klarheit  und  Richtigkeit;  an  kontroversen  Stellen  natürlich 
wird  man  mitunter  anderer  Ansicht  sein;  übrigens  läßt  Menge 
an  solchen  oft  die  Wahl  zwischen  mehreren  Deutungen.  Also 
nur  noch  ein  paar  Einzelheiten,  die  mir  auffielen.    Zu  Od.  I  4, 14 


■^ 


Horatius,  von  H.  Röhl.  73 

„höbe,  vierstockige  Häuser";  doch  wohl  vielstöckige.  Zu  Od.  I 
17,  9  „Eaedäia,  eine  Berg-  und  Waldgegend";  diese  Auffassung 
ist  jetzt  nicht  mehr  statthaft,  vgl.  JB.  XXVI  S.  61.  Zu  Od.  I  19,  5 
„bimum:  junger  (eigentlich  vorjähriger)  Wein";  vorjähriger  ist 
doch  nicht  zweijährig.  Zu  Od.  I  27,  9  „jetzt,  in  vorgerückter 
Stunde,  war  man  im  Begriff,  zu  der  herben  Sorte  überzugehen"; 
ein  Wechsel  der  Sorten  ist  aus  Horazens  Darstellung  nicht  zu 
entnehmen.  Zu  Od.  II  13,  26  „Alcäus  hat  eine  goldene  Leier"; 
nein,  nur  ein  goldenes  Piektrum.  Zu  Od.  III  19,  6  „quis:  nicht 
servus  oder  j>uer,  sondern  sodalis,  in  dessen  Hause  bei  der  ersten 
besten  Gelegenheit  ein  neues  Gelage  veranstaltet  werden  kann". 
Was  Menge  mit  den  Worten  „bei  der  ersten  besten  Gelegenheit" 
und  „neues"  meint,  ist  mir  nicht  recht  deutlich;  aber  jedenfalls 
hätte  überhaupt  nicht  an  einen  sodalis  gedacht  und  von  Kießlings 
Auffassung  nicht  abgegangen  werden  sollen.  —  In  manchen  Äußer- 
lichkeiten wäre  etwas  mehr  Gleichmäßigkeit  zu  wünschen.  So 
werden  griechische  und  lateinische  Götternamen  bunt  gemischt: 
S.  6  Athene,  Venus,  Mars;  S.  9  Zeus,  Castor,  Pollux.  Ferner  S.  6 
Goras,  Tiburnus  und  Gatillus;  S.  26  Tiburtus,  Coras  und  Catillus. 
S.  9  Tyndäreos,  S.  11  TYndareus  (unrichtig);  S.  21  Britten,  S.  66 
Briten;  und  ähnliches  mehr. 

Die  Verlagsbuchhandlung  hat  das  Buch  trefflich  ausgestattet: 
das  Papier  ist  schön,  der  Druck  sauber  und  von  Fehlern  frei,  der 
Einband  geschmackvoll;  ein  leeres  Blatt  mit  der  Überschrift 
„Widmung"  fordert  dazu  auf,  das  Buch  als  sog.  Präsentgegenstand 
zu  verwenden. 

15)  Otto  Lehmann,  Ausgewählte  poetische  Übersetzungen.    Pro- 

gramm des  Gymnasiums  zu  Wittstock,  1904. 

Darin  finden  sich  S.  62  ff.  die  Übersetzungen  zweier  Horazi- 
scher  Oden,  II  3  und  III  26.  Den  Vorzug  geben  wir  der  letzteren, 
die  folgendermaßen  beginnt: 

In  der  Liebe  leichtem  Kriege 

Hab'  ich  manchen  Buhm  errungen, 

Gar  von  manchem  Minnesiege 

Hat  die  Leier  mir  geklungen. 

16)  Edmund  Vogt  und   Friedrich  van  Hoffs,    Satiren   des   Horaz, 

im  Versmaß  des  Dichters  übersetzt.  Zweite  Auflage,  vielfach  ver- 
bessert und  mit  erklärenden  Anmerkungen  versehen  von  F.  van  Hoffs. 
Berlin  1904,  Weidmannsche  Buchhandlung.     145  S.    8.    2,40  Jt. 

Zu  der  oben  Nr.  10  angezeigten  hexametrischen  Satirenüber- 
setzung gesellt  sich  noch  eine  in  demselben  Jahre,  doch  diese 
von  gutem  Schrot  und  Korn. 

Die  augenfälligsten  Abweichungen  dieser  zweiten  Auflage  von 
der  im  Jahre  1885  erschienenen  ersten  sind  folgende:  hinzugefugt 
hat  van  Hoffs  die  Übersetzung  der  Satiren  II  4  und  II  8,  dagegen 


74  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

die  der  Oden  (es  waren  in  der  ersten  Auflage  ihrer  26  über- 
tragen, z.  T.,  namentlich  bei  Anwendung  moderner  Form,  recht 
geschickt)  weggelassen;  außerdem  hat  er  Sacherklärungen  in  Fuß- 
noten  beigegeben.  Die  neue  Auflage  enthält  also  nunmehr  alte 
Satiren  außer  I  2,  I  8  und  II  7. 

Zuerst  vom  Versbau.  Die  Schwierigkeit,  welche  vielen  Über- 
setzern die  größere  Kürze  des  lateinischen  Ausdrucks  bereitet,  ist 
hier  verständig  und  glücklich  dadurch  umgangen,  daß,  wo  dies 
wünschenswert  war,  eine  größere  Zahl  von  Versen  angewandt 
wurde,  als  deren  der  lateinische  Text  bietet;  so  hat  z.  6.  die  Satire 
I  3  bei  Horaz  142  Hexameter,  in  dieser  Übersetzung  157.  In- 
folge dieses  Kunstgriffes,  sowie  infolge  der  Sorgfalt,  die  auf  den 
Bau  der  Verse  verwendet  ist,  lesen  diese  sich  größtenteils  hin- 
reichend glatt,  und  der  saloppe  Charakter,  der  ihnen  mit  wohl- 
erwogener Absicht  verliehen  ist,  steht  ihnen  recht  gut  Verhältnis- 
mäßig selten  begegnen  Verse,  die  ich  für  weniger  gelungen  er- 
achte, z.  B.: 

Sat.  I  4,  t  „Eupolis  und  Aristophanes,  auch  Kratinus  und 
andre4', 

Sat.  I  6,43  „Mit  Musik  auf  dem  Forum44  usw.,  an  welcher 
letzteren  Stelle  der  durch  den  Sinn  nicht  geforderte  Sperrdruck 
dem  Versanfange  nicht  aufhilft.  Daß  das  Versende  oft  zwischen 
eng  zusammengehörige  Satzteile  fällt,  z.  B.  zwischen  die  Prä- 
position und  den  von  ihr  regierten  Kasus,  paßt  durchaus  zu  dem 
leichten  Tone  dieser  Verse;  etwas  bedenklicher  ist  mir  allerdings 
die  häufige,  wohl  auf  Horazens  einmaligem  Vorgange  (Sat.  II  3,  117) 
fußende  Zerschneidung  eines  Kompositums   durch   das  Versende: 

I  1,  36  „Wasser  ||  mannes44,  I  3,89  „vor  ||  lesen",  I  5,63  „Schäfer  || 
tanz44,  1  10, 63  „wildbach  ||  ähnlich",  1 10. 90  „Blaustrumpf  ||  chöre44, 

II  3,  111  „Getreide  ||  berg'4,  II  3, 117  „neunund  ||  siebzigjähriger44, 
II  3,  243  „Zwillings  ||  brüder44,  II  6;111  „Türen  ||  klappen44,  II  8^22 
„Ehren  ||  gastes44.  Auch  die  Betonung  und  Messung  „Tjndareus", 
I  1, 100,  muß  beanstandet  werden. 

Fast  noch  größeres  Lob  als  der  Versbau  verdient  bei  dieser 
Übersetzung  die  Sprache,  die  durch  ihre  flotte  Gewandtheit,  durch 
ihren  frischen,  burschikosen  Ton  eine  Vorstellung  von  der  Sprache 
des  Originals  zu  erwecken  sucht  und  an  die  allerdings  nicht  leicht 
zu  übertreffende  oder  auch  nur  zu  erreichende  jambische  Über- 
setzung von  Bardt  erinnert;  namentlich  wirken  auch  kleine  Ana- 
chronismen des  Ausdrucks  belustigend.  Nur  ein  paar  solcher 
Wendungen  will  ich  zur  Probe  herausgreifen :  I  3, 17  (und  sonst 
oft)  „Dukaten44;  I  3,137  „Dreier44;  I  5,  7 f.  ventri  indico  bellum 
„schnitt  ich  dem  Bäuchlein  die  Zufuhr  ab44;  I  5,  62  fadem  „die 
Visage44;  I  6,  37  omnes  mortales  „Hinz  und  Kunz44;  I  6,  48  legio 
„Feldregiment44,  tribunus  „Oberst44 ;  I  9,  35  f.  quarta  tarn  parte  diei 
praeterita  „neun  Uhr  schlug's44;  1  10,91  discipularum  „Blaustrumpf- 
chöre44 (doch  trifft  dieser  Ausdruck,   der  auf  einen  Kießiingschen 


Horatius,  von  H.  Röhl.  75 

zurückgeht,  wohl  nicht  ganz  den  Sinn);  II  3,143  festis  diebus 
„am  Sonntag";  II  3,215  vestem  paret  „in  Seide  kleidete";  11  6,69 
legibus  insanis  „durch  tollen  Komment".  —  Nur  hie  und  da  ein- 
mal mußte  ich  einen  Ausdruck  für  mißglückt  halten,  so  I  6,  6 
libertino  patre  natum  „den  Sohn  des  Gefreiten".  Das  Wort  „Ge- 
freiter" hat  bei  uns  schon  einen  andern  Sinn,  und  dieser  drängt 
sich  dem  Leser  störend  dazwischen.  —  Um  der  leichteren  Ver- 
ständlichkeil willen  wird  mitunter  auf  archäologische  Details  ver- 
zichtet: I  3,90  f.  catillum  Euandri  manibus  tritutn  „ein  Näpfchen, 
ein  Hauptkabinettstück";  I  9, 11  f.  o  te,  Bolane  cerebri  felicem 
„o  glückliche  Tugend  der  Grobheit";  II  3,  69  scribe  decem  a 
Nerio  etc.  „der  Gläubiger  läßt  vorsichtig  das  Darlehn  nur  durchs 
Bankhaus  zahlen,  damit's  in  den  ßüchern  bezeugt  ist";  II  3,  83 
Anticyram  omnem  „den  ganzen  Vorrat",  nämlich  an  Nieswurz; 
hier  freilich  scheint  mir  der  zum  Ersatz  gewählte  Ausdruck  unklar, 
und  ich  würde  eine  Wendung  wie  „ganze  Plantagen"  (vgl.  Schiller 
in  der  Vorrede  zu  den  Räubern)  vorziehen.  —  Interessant  ist 
auch,  wie  hier  die  schwierige  Aufgabe  gelöst  wird,  das  Wortspiel 
II  6, 14  f.  pingue  pecus  domino  facias  et  cetera  praeter  ingenium 
zu  übersetzen: 

„Segne  mir  Vieh  und  Land!     Laß  Kohl  mir  gedeihn  auf  der 

Flur,  doch 
Nicht  im  Kopf". 
Zur  Vergleichung   füge    ich    zwei    ältere  Übersetzungen  derselben 
Stelle  bei: 
Blümner:  „Mach  mein  Herden vieh 

Recht  fett,  und  alles  andre  gleichfalls  ( —  nur 
Behüte  vor  Verfettung  mein  Genie  — )"; 
Bardt:        „Korn  laß  gedeihn  auf  Fluren  nah  und  fern, 
Stroh  überall,  nur  nicht  im  Kopf  des  Herrn!" 
Nun  ein  paar  Stellen,  an  denen  mir  der  Sinn  nicht  getroffen 
scheint.     I  1,  49  qui  nil  portarit  „der   schlau  sich   den  Rücken 
freihielt";    ob    ein  Sklave  ßrotträger    sei    oder    nicht,    das  hängt 
nicht  von  seiner  Schlauheit,  sondern  vom  Belieben  des  Herrn  ab. 
I  1,  105  est  inter  T anain  quiddam  socerumque  Viselli  „zwischen  dem 
Tanais    und    des  Visellius  Schwiegerpapa   gibt's    doch    eine  Kluft 
noch";    nicht    sowohl    eine    Kluft   als    vielmehr    ein    Mittelding. 
I  5,  11  f.  tum  puerinautis,  pueris  convicia  nautae  ingerere  „neckenden 
Scheltruf  wechseln   die  Schiffer  und  Sklaven";    sie  schimpfen  im 
vollsten  Ernste.     Auf  kontroverse  Stellen   einzugehen    wäre    hier 
natürlich  nicht  angemessen;   aber  zu  solchen  gehören    heutzutage 
nicht  mehr  I  9,  27  (vgl.  JB.  XXX  S.  34)   und  II  5,  90  f.  (vgl.  JB. 
XXVI  S.  66),    an    welchen    Stellen    die    vorliegende    Übersetzung 
doch  noch  die  alten  erledigten  Auffassungen  bietet. 

Noch  eine  Bemerkung  zur  deutschen  Orthographie:  die 
Schreibungen  „verfemt"  und  „Haarscherkünstler"  (beides  S,  49) 
sind  unstatthaft. 


76  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Und  zum  Schlüsse  als  Probe  ein  paar  zusammenhängende 
Verse,  I  3,1  ff.: 

„Unart  ist's  durchweg  hei  den  Sängern,  im  Kreise  der  Freunde 
Niemals  herzlicher  Bitte  ein  Liedchen  zu  spenden,  doch  ohne 
Ende  zu  singen,  wenn  keiner  es  wünscht.  Auch  Tigellius  hatte 
Diese  Marotte.  Wenn  Cäsar,  der  Herr,  bei  des  Vaters  und  seiner 
Freundschaft  bitten  ihn  wollte,  er  hätte  vergebens  gebeten. 
Faßte  ihn  aber  der  Kitzel,  so  legte  er  los  von  der  Suppe 
Bis  zum  Dessert:  „Juchheißa !"  im  höchsten  Falsett  und  im  tiefsten 
Basse". 

III.   Abhandlungen. 

Es  sollen  zunächst  einige  ältere  Abhandlungen  aus  dem  Philo- 
logus  nachträglich  besprochen  werden. 

17)  Hugo  Jurenka,   Zur  Würdigung  der  Römeroden  des  Horaz. 
Im  Philologus  LVII  (N.  F.  XI)  1898  S.  289—306. 

Diese  Abhandlung  geht  nicht  darauf  aus,  alle  sich  an  die 
Römeroden  knüpfenden  Fragen  durchzusprechen,  sondern  sie  will 
in  der  Komposition  dieser  Oden  manches  aus  psychologischen 
Eigenheiten  des  Horaz,  aus  einer  gewissen  Schwäche  auf  dem 
Gebiete  der  höheren  Lyrik  und  aus  Anlehnung  an  griechische 
Vorbilder  erklären.  Der  Standpunkt  des  Verfassers  unterscheidet 
sich  angenehm  von  dem  mancher  Interpreten,  die  von  vornherein 
annehmen,  bei  Horaz  müsse  alles  großartig,  tief  und  vollkommen 
sein,  und  dann  lieber  zu  gekünstelten  Deutungen  und  Unter- 
schiebungen greifen,  als  daß  sie  von  jenem  Phantasiebilde  etwas 
aufgeben  möchten.  Natürlich  aber  muß  man  sich  vorbehalten, 
in  einzelnen  Punkten  auch  von  Jurenkas  Meinung  abzuweichen. 
Einiges  sei  aus  seiner  Abhandlung  besonders  angemerkt. 

Zu  Od.  III  1.  Von  der  zweiten,  dritten  und  vierten  Strophe 
sagt  der  Verfasser:  „Da  weise  mir  einer  ein  logisches  Band  nach!" 
Ich  meinerseits  habe  hier  nie  Anstoß  genommen,  sondern  den 
Zusammenhang  so  aufgefaßt:  „V.  5—8,  alle  Menschen  stehen 
unter  der  Gottheit;  V.  9 — 16,  alle  Menschen  stehen  unter  der 
Gewalt  des  Todes".  Den  Begriff  „alle  Menschen"  veranschaulicht 
der  Dichter  das  erste  Mal,  indem  er  uns  übereinander  liegende 
Schichten  vorführt,  das  zweite  Mal,  indem  er  wie  beim  Induktions- 
beweise die  Richtigkeit  seiner  Behauptung  an  einer  ziemlichen 
Anzahl  nebeneinander  bestehender  Fälle  nachweist.  Zusammen- 
genommen handeln  also  die  Verse  5 — 16  über  die  Stellung  der 
Menschen  in  der  Welt,  worauf  dann  die  Verse  17 — 40  die  Frage 
beantworten,  inwieweit  es  den  verschiedenen  Menschen  (dem 
Gottlosen,  dem  genügsamen  Armen,  dem  maßlosen  Reichen)  ge- 
lingt, glücklich  zu  werden.  —  Zu  Od.  III  3.  Sehr  beifallswert 
erscheint  mir  folgende  Bemerkung  zu  V.  16 ff.:    „Es  ist  durchaus 


"* 


Horatius,  von  H.  Röhl.  77 

nicht  nötig,  zwischen  dieser  Rede  und  dem  Vorhergehenden  ein 
logisches  Band  ausfindig  zu  machen,  daß  nämlich  der  tenacitas 
propositi  die  Treulosigkeit  Trojas  entgegengestellt  werde.  Die  Er- 
wähnung des  vergöttlichten  Romulus  leitet  in  den  Olymp,  und  ein 
solches  äußerliches  Band  genügt  der  Lyrik  vollauf,  ganz  neue 
Betrachtungen  anzuschließen".  (Vgl.  unten  zu  Kampfhenkels  Ab- 
handlung.) 

Zu  Od.  III  4.  Jurenka  denkt  bei  V.  1  und  4  mit  manchen 
andern  an  Lieder  zur  Flöte  und  Leier.  Aber  stimmt  das  zum 
Sprachgebrauche?  Tibia  dicere  kann  doch  wohl  wie  das  prosaische 
tibiis  canere  nur  „Flöte  blasen"  bedeuten;  „zur  Flöte  singen" 
wäre  ad  tibias  canere.  —  Recht  auffällig  ist  Jurenkas  Bemerkung  zu 
Od.  III  4,  5:  „Auditis  geht,  wie  Burmann  zu  Val.  Place.  Argon.  178 
dem  Acron  nacherklärt,  nur  an  die  Musen".  (Acrons  Scholion 
lautet:  dum  ad  solam  Calliopen  loqueretur,  dixit  'auditis').  „Ferner 
ist  videor  mihi  (wie  doxco  poi)  s.  v.  a.  puto,  und  davon  hängt  ab: 
a)  Musas  (Subj.)  me  (Obj.)  audire,  b)  me  (Subj.)  per  pios  lucos 
errare".  Statt  solche  unerhörten  Konstruktionen  anzunehmen, 
empfiehlt  es  sich  doch,  bei  der  üblichen,  schlechthin  unanstößigen 
Auffassung  zu  verbleiben. 

Zu  Od.  III  5.  Jurenka  übersetzt  V.  1  ff.  „Im  Himmel 
irgendwo,  so  glaubten  wir,  herrsche  ein  donnernder  Jupiter: 
aber  —  was  viel  mehr  ist  —  als  ein  gegenwärtiger  Gott  wird 
Augustus  gelten,  wenn  er  einmal . . ."  und  zeiht  den  Dichter  arger 
Gottlosigkeit.  Indes  liegt  die  Schuld  doch  wohl  nur  an  der  Ober- 
setzung. Man  fasse  die  Stelle  so  auf:  „Wir  haben  bisher  ge- 
glaubt, daß  der  donnernde  Jupiter  nur  im  Himmel  herrsche;  aber 
wir  werden  andrer  Ansicht  werden  und  den  Augustus  für  den 
auf  Erden  erschienenen  Gott  Jupiter  halten,  wenn  er . . .",  und  es 
liegt  eben  nur  eine  dem  Zeitgeiste  entsprechende  Schmeichelei  vor. 

Zu  Od.  III  5.  Die  erste  Strophe  ist  von  der  zweiten  nach 
des  Verfassers  Ansicht  durch  eine  Kluft  getrennt.  Aber  der  Gang 
der  Ode  scheint  mir  ganz  klar;  sie  handelt,  chronologisch  rück- 
wärts schreitend,  über  das  Verhalten  der  Römer  in  Kriegen  mit 
Barbaren,  und  zwar  in  drei  Teilen:  1)  über  bevorstehende  Groß- 
taten des  Augustus,  2)  über  unmännliche  Haltung  von  Römern 
in  der  letzten  Zeit  der  Republik,  3)  über  ein  Beispiel  von  Helden- 
mut aus  älterer  Zeit.  Und  zwar  sind  der  erste  und  zweite  Teil 
gekuppelt  durch  die  Identität  der  Feinde  (Parther),  der  zweite 
und  dritte  Teil  durch  die  Identität  der  Situation  (Gefangenschaft 
von  Römern).     Von  einer  Kluft  kann  also  nicht  die  Rede  sein. 

Zu  Od.  III  6,  25  ff.  „Es  ist  begreiflich,  daß  sie  sieb  durch 
jüngere  Hausfreunde  entschädigt,  mit  denen  sie  den  damals  schon 
alten  Spaß  aufführt,  daß  plötzlich  die  Lichter  auslöschen".  Hier 
liegt  ein  Mißverständnis  vor.  Durch  die  Worte  donare  impermissa 
raptim  gaudia  luminibus  remotis  wird  ja  eine  minder  schlimme, 
verschämte  Form  des  Ehebruchs  charakterisiert,  die  eben  neuer- 


78  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

dings  durch  eine  ganz  arge,  freche  Form  abgelöst  ist;  die  jetzige 
Ehebrecherin  non  eligit,  non  donat,  non  removet  lumina. 

18)  Constantin  Balle,  Die  Archytas-Ode  und  der  Moos  Matious. 

Im  Philoiogus  LVII  (N.  F.  XI)  1898  S.  340—343. 

Die  Ansicht  des  Verf.  liegt  hauptsächlich  in  folgenden  Sätzen. 
Wir  hätten  zwei  Gedichte  (V.  1—16,  V.  17—36)  vor  uns,  die 
Horaz  auf  der  Seefahrt,  die  ihn  nach  der  Schlacht  bei  Philippi 
nach  Italien  zurückbrachte,  gedichtet  habe,  oder  deren  Motive 
doch  auf  diese  Seefahrt  zurückgingen.  Die  Leiche  des  Schiff- 
brüchigen, dem  die  herbstlichen  Sudsturme  in  den  illyrischen 
Fluten  den  Tod  gebracht,  werde  dem  Dichter  in  der  Gegend  von 
Neretum,  demjenigen  Punkte,  wo  ein  Schiff,  das  in  die  hesperi- 
schen  Gewässer  steuerte,  sich  allein  den  illyrischen  Fluten  näherte, 
vor  Augen  gekommen  sein.  Das  litus  Matinum  habe  man  am 
ehesten  nahe  bei  Tarent  zu  suchen.  Mir  sind  bei  der  Auffassung 
des  Verf.  sowohl  die  Teilung  des  Gedichtes  als  auch  die  geographi- 
schen Verhältnisse  bedenklich;  doch  scheint  es  nicht  zweckmäßig, 
hier  auf  diese  Ode  ausführlicher  einzugehen. 

19)  Hans  Lucas,  Die  Herkunft  Bioos*und  Horazens.    Im  Philologus 

LVIII  (N.  F.  XII)  1899  S.  622—624. 

Lucas  sticht  zu  erklären,  woher  die  Oberlieferung  entstanden 
sei,  daß  sowohl  Bions  Vater  als  auch  der  des  Horaz  Salzfisch- 
händler gewesen  seien.  Durch  die  Angaben,  daß  die  beiden  Väter 
sich  mit  dem  Ellbogen  geschneuzt  hätten  (Diog.  Laert.  IV  7,  46, 
Suet.  Vit.  Hör.)  seien  diese  nur  als  Leute  niederen  Standes  charak- 
terisiert; die  Deutung  auf  Salzfischhändler  beruhe  auf  dem  törichten 
Zusätze  des  Diogenes  oder  seiner  Quelle,  bzw.  auf  falscher  Aus- 
legung der  Schneuznotiz  seitens  des  Sueton. 

Soweit  ich  die  antiken  Schneuzgebräuche  beurteilen  kann, 
muß  ich  glauben,-  daß  Lucas  dem  Diogenes  und  Sueton  unrecht 
tut.  Die  in  Betracht  kommenden  Stellen  lauten:  Auct.  ad  Herenn. 
IV  54 :  Per  consequentiam  significatio  est,  cum  res  quae  sequantur 
aliquant  rem  dicuntur,  ex  quibus  tota  res  relinquüur  in  suspüione; 
ut  st  salsamentarii  filio  dicas:  quiesce  tu,  cuius  pater  cubito  se 
emungere  solebat.  Plut.  quaest.  conv.  631  D:  cO  ydq  elnwv  %a- 
QtyoncAlijV,  amo&sv  iXotdoQijtiev  6  de  (pqöag,  MspvqfAS&d 
as  Tta  ßqa%iovi,  anoiivxxoiievov,  e'axwipe.  Suet.  Vit.  Hör.:  Patre 
ut  ipse  tradit  libertino  et  exactionum  coactore,  ut  vero  creditum  est 
salsamentario,  cum  Uli  quidam  in  altercatione  exprobrasset:  quotiens 
ego  vidipatrem  tuum  brachio  se  emungentem.  Diog.  Laert.  IV  1,  46: 
*Epol  o  nazijQ  fiiv  ijv  ansXBvd-eqoq,  zw  äyxoovi  äno(Ava<s6[A€Vog 
—  disdijXov  de*  xov  xaqix^iJL7l0Q0V  —  yhfoq  BoQVG&evlzqs. 
Macrob.  Sat.  VII  3,  6:  Est  autem  loedoria  huius  modi  'oblitusne  es 
quia  salsamenta  vendebas?'  scomma  autem,  quod  diximus  satpe 
contumeliam  esse  celatam,  tale  est  'meminimus  quando  brachio  te 


Horatius,  von  H.  Röhl.  79 

emungebas\  Aus  diesen  Stellen,  meine  ich,  geht  deutlich  hervor, 
daß  es  eine  Eigentümlichkeit  ausschließlich  der  Salzfischhändler 
war,  sich  mit  dem  Unterarm  (nicht  „mit  dem  Ärmel1',  wie  Lucas 
yon  Leuten  niederer  Herkunft  an  einer  Stelle  fälschlich  sagt)  die 
Nase  zu  wischen,  derart,  daß  man  witzig  für  „Salzfischhändler" 
sagen  konnte  „einer,  der  sich  die  Nase  mit  dem  Arme  wischt" 
(ähnlich  wie  bei  uns  statt  „Seiler":  „einer,  der  ein  rückwärts- 
gehendes Geschäft  treibt").  Und  das  war  eine  wohlberechtigte 
Eigentümlichkeit;  denn  da  der  Salzfischhändler  seine  Hände  fort- 
während in  die  Fischlake  tauchte,  so  konnte  er  mit  Rücksicht 
sowohl  auf  seine  eigene  Nase  als  auch  auf  heikle  Kunden  sich 
nicht  wie  andere  Leute  mit  den  Fingern  oder  dem  Handrücken 
die  Nase  wischen,  sondern  mußte  dazu  den  Arm  benutzen;  vgl. 
Eust.  U.  S.  723.9:  ov  XQ^Gig  iv  tw  'navrjq  reo  äyxoovi  ano- 
fjbvaa6[i€Pog\  diu  to  py  s%ew  drjladij  tovto  notstp  tjj  %biqI 
ms%okov^ivr[  rtsgl  aXinaGvct,  und  bei  Forcellini:  huiusmodi  arti- 
fices,  cum  sordentes  habeant  semper  rnanus,  si  quando  nares  emungere 
opus  est,  cubito  id  facere  coguntur. 

Sonach  ist  die  Oberlieferung,  daß  Horazens  Vater  Salzfisch- 
händler gewesen  sei,  noch  nicht  als  ein  Mißverständnis  seitens 
des  Sueton  erwiesen. 

20)  Wilhelm  Heraeus,  Zur  Kritik  und  Erklärung  von  Porfvrios 

Horazscholien.    Im  Philologus  LIX  (N.  F.  XIII)  1900,  S.  158—160, 
317—320,  477—480,  630-633. 

Von  den  zahlreichen  Bemerkungen  des  Verf.  führen  wir  nur 
einige  interessantere  an.  Zu  Od.  III  5,  23.  Das  verdorbene  sacer- 
dotes  ändert  Heraeus  in  socordes  (Petschenig  und  Holder  in  se- 
curiores).  —  Zu  Od.  III  5,  39.  Für  donis  malis  setzt  Heraeus 
pugnis  malis  (Petschenig  und  Holder:  damnis  magnis).  —  Zu  Sat. 
I  6,  49.  Desgl.:  nisi  virtute  in  se  probata,  statt  msi  virtute  in  se 
provocatam.  —  Zu  Sat.  I  6, 120.  Desgl.:  vultuosus,  statt  tumultuosus. 
—  Zu  Epist.  II  1,171.  Desgl.:  Dosennus  et  ipse  pravus  habetur; 
Holder  ganz  anders.  —  Zu  Epist.  II  1, 206.  Zu  dixit  sei  nicht 
Horaz  Subjekt,  sondern  dixit  sei  das  von  Horaz  gebrauchte  Wort, 
und  durch  quasi  werde  die  Nichlwirklichkeit  angedeutet;  Holder 
hätte  also  dixit  gesperrt  drucken  sollen.  —  Zu  Epist.  II  1,  267. 
Heraeus:  accepli,  statt  aeeepta. 

21)  Hans  Lucas,    Die  Neunzahl    bei    Horaz   und  Verwandtes.     Im 

Philologus  LIX  (IN.  F.  XIII)  1900  S.  466—469. 

Der  Verf.  will,  wie  das  von  anderen  schon  Epist.  II  3,  388 
geschehen  ist,  an  noch  einigen  Stellen,  Sat.  I  6,  61  revocas  nono 
post  mense,  Od.  IV  1 1, 1  est  mihi  nonum  superantis  annum  plenus 
Albani  cadus  und  «**  h  7,  118  accedes  opera  agro  nona  Sabino, 
das  Zahlwor'  le  einer  runden  Zahl  fassen.     An  der 

erstgenannt  es   „einige  Monate",   „eine  gehörige 


SO  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Zeit";  eine  Zwischenzeit  von  neun  Monaten  wurde  den  dankenden 
Verzicht  auf  so  vorsichtige  Freundschaft  zur  Folge  gehabt  haben. 
Und  an  der  letzten  Stelle  würde  bei  acht  Gutssklaven  der  fundus 
Sabinus  weit  größer  erscheinen,  als  man  sich  das  Gütchen  nach 
der  sonstigen  Schilderung  des  Dichters  vorzustellen  habe. 

Solche  Fragen  werden  sieb  nicht  in  jedem  Falle  in  evidenter 
Weise  erledigen  lassen.  Natürlich,  wenn  Horaz  sagt  nonum 
prematur  in  annum,  so  würde  ja  für  die  Ablagerung  der  Gedichte 
eine  etwas  kleinere  Zahl  ziemlich  dieselben  Dienste  leisten;  aber 
er  wählt  die  Zahl  neun,  um  recht  streng  zu  sein  und  um  durch 
die  geheiligte  Zahl  dreimal  drei  seiner  Vorschrift  eine  Art  von 
religiösem  Klange  zu  verleihen.  Und  auch  bei  seinem  Albaner- 
wein, dessen  Alter  ihm  niemand  nachrechnen  konnte,  mochte  er 
nach  Belieben  eine  volle,  runde  Zahl  greifen.  Anders  aber  steht 
es  doch  mit  jener  von  Mäcenas  verhängten  Wartezeit.  Um  deren 
Dauer  wußten  zu  viele,  als  daß  Horaz  in  ihrer  Angabe  eine  stärkere 
Abweichung  von  der  Wahrheit  wagen  durfte.  Und  die  neun 
Monate  sind  doch  nicht  etwa  wegen  einer  gewissen  Verpflichtung 
zur  Empfindlichkeit  innerlich  unglaubwürdig;  dabei  kommt  es 
eben  auf  Personen  und  Umstände  an.  Ebenso  wird  man,  meine 
ich,  an  die  (mit  dem  Bedrohten)  neun  Gutssklaven  glauben  müssen. 
Mit  den  sonstigen  Angaben  des  Dichters  und  mit  den  antiken 
Sklavenverhältnissen  ist  diese  Zahl  durchaus  vereinbar;  eine  Über- 
treibung aber  hätte  keinen  vernünftigen  Zweck  gehabt,  sondern 
würde  denjenigen,  die  die  Verhältnisse  des  Dichters  kannten,  als 
unpassende  Flunkerei  erschienen  sein. 


22)  Th.  Zieliuski,   Marginalien.    Im  Philologus  LX  (N.  F.  XIV)  1901 
S.  1  und  2. 

S.  1.  Bei  den  Worten  Epist.  II  3, 199  iustitiam  legesque  et 
apertis  otia  portis  hat  Horaz  nach  Zielinskis  Vermutung  einen  be- 
stimmten, uns  nicht  erhaltenen,  Sophokleischen  Chorgesang  im 
Auge  gehabt,  der  dem  Lobe  der  drei  Hesiodischen  Hören  Jixij, 
Evpo/xia,  ElQtjvtj  galt. 

S.  2.  Am  Ende  der  Pyrrhaode  I  5, 16  verlangt  Zielinski 
deae  für  deo,  da  hier  diejenige  Gottheit  herpasse,  der  die  beiden 
im  vorhergehenden  genannten  Elemente,  das  Meer  und  die  Liebe, 
Untertan  seien.  Lucian  Müller  hat  in  seiner  großen  Ausgabe 
diese  Konjektur  wegen  der  Möglichkeit  obseönen  Nebensinnes  ab- 
gelehnt; und  auch  davon  abgesehen,  läßt  sich  eine  innere  Not- 
wendigkeit für  den  Dichter,  hier  zum  Schlüsse  in  dem  allegori- 
schen Ausdrucke  auch  noch  den  wirklichen  Sinn  mitanzudeuten, 
nicht  erweisen. 


Ho  rat  i  us,  von  H.  Röhl*.  8  t 

23)  L.  KieroBski,   Quid  Horatias  de   sua  carininuoi  et  sermonum 

compo neu doruin  ratioae  praedicavisset,  exposuit  L.  K.    Pro- 
gramm des  Gymnasiums  zu  Buczacz,  1902.     16  S.     8. 

Den  Inhalt  der  Abhandlung  gibt  der  Verf.  selbst  so  an:  Ac 
primum  videamus,  quid  Horatius  de  sua  indole  et  arte  poetica 
censuerit,  deinceps  quas  res,  quo  modo,  quo  consilio  carminibus 
tractaverit,  tum  quod  extremum  erit,  quas  laudes  sibi  ipse,  quas 
ei  veteres  artium  iudices  tribuerint,  quibus  denique  laudibus,  si 
ad  nostra  arlis  praecepta  referatur,  dignus  sit.  Eine  eigentliche 
Förderung  der  Horazforschung  ist  wohl  nicht  angestrebt;  aber  das 
Schriftchen  wurde  geeignet  sein,  von  Schülern  der  obersten  Klassen 
durchgearbeitet  zu  werden,  wenn  es  nur  von  allerlei  Versehen 
und  von  Druckfehlern  wäre  gesäubert  worden. 

24)  Philippus    Caccialanza,    Zu  Hör.  Od.  II  7,10.    In  der  Rivista  di 

filologia  e  d'  istruzione  classica  XXX  (1902)  S.  340—343. 

Caccialanza  führt  aus,  daß  Horaz  in  Od.  II  7, 10  ff.  die  Feig- 
heit der  bei  Philippi  Besiegten  habe  tadeln  wollen. 

25)  ftemigio   Sabbadini,   Orazio   Carm.  III  5.    In  der  Rivista  di  filo- 

logia e  d'  istruzione  classica  XXX  (1902)  S.  446. 

Sabbadini  faßt  den  Zusammenhang  der  Ode  III  5  so  auf: 
Giove  regna  in  cielo  (e  ha  a  cuore  le  cose  nostre)  e  Augusto  in 
terra:  e  intanto  resta  invendicata  I'  onta  di  Carre,  che  si  perpetua 
nei  soldati  romani  schiavi  del  nemico.  Ma  quei  soldati  potevano 
ben  evitare  di  perpetuar  1'  onta,  seguendo  1'  esempio  di  Regolo. 
Meines  Erachtens  ist  hier  namentlich  die  erste  Strophe  stark  miß- 
verstanden; wie  ich  (nicht  als  der  erste)  diese  Strophe  und  den 
ganzen  Gang  der  Ode  glaube  auffassen  zu  sollen,  ist  oben  bei 
Nr.  17  dargelegt  worden. 

26)  Gaetano  Curcio,   Le    invocazioni    nell'  arte  poetica.    In  der 

Rivista  di  filologia  e  d'  istruzione  classica  XXX  (1902)  S.  593 — 596. 

Der  Verf.  untersucht  die  in  der  ars  poetica  vorkommenden 
Anreden  daraufhin,  ob  dieselben  sieb  auf  einen  fingierten  Zwischen- 
redner oder  auf  einen  bestimmten  Adressaten  beziehen,  und 
kommt  zu  dem  Resultate,  daß  von  V.  366  an  alle  Anreden  auf 
den  maior  iuvenum  gehen.  Daher  vermutet  er,  daß  das  Stück 
V.  366 — 476  geschrieben  sei,  ohne  in  genaue  Beziehung  zu  den 
vorhergehenden  Stücken  gesetzt  zu  sein,  und  erblickt  hierin  einen 
Beitrag  zur  Entstehungsgeschichte  der  Ars  poetica.  —  An  Curcios 
Beobachtung  ist  natürlich  nicht  jede  Einzelheit  neu,  wohl  aber, 
soviel  ich  sehe,  die  Zusammenstellung  und  die  Schlußfolgerung; 
mir  erscheint  Curcios  Gedanke  recht  anmutend,  und  so  sei  er 
weiterer  Erwägung  und  Prüfung  warm  empfohlen. 

Jahresbericht«  XXXI.  ß 


82  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

27)  Pietro   Rasi,    Di  Lucilio  rudis  et   Graecis   intacti  carminis 

auctor.     In    der  Rivista    di  iilologia   e  d'  istruzione  classica  XXXI 
(1903)  S.  121—125. 

Vor  einigen  Jahren  hatte  Rasi  in  einem  kleinen  Aufsatze, 
über  den  im  JB.  XXVIII  S.  52  f.  referiert  ist,  seine  Ansicht  über 
Sat.  I  10,  66  dahin  ausgesprochen,  daß  dem  Worte  auctor  gleich- 
zeitig ein  allgemeiner  Sinn  und  ein  spezieller  (also  auf  Lucilius 
hindeutender)  Sinn  zu  geben  sei.  Jetzt  glaubt  er,  dieser  Inter- 
pretation eine  Stütze  geben  zu  können  durch  den  Hinweis  aut 
Y.  59,  wo  in  st  quis  gleichfalls  jener  Doppelsinn  liege.  Es  ist 
aber  zu  befürchten,  daß  die  Parallele  nicht  jedem  so  schlagend 
erscheinen  wird  wie  dem  Verfasser.  An  der  letzteren  Stelle  steigt 
der  Dichter  von  dem  individuellen  Begriffe  LuciJius  zu  dem 
Gattungsbegriffe  quis  auf,  um  nun  wieder  zu  einem  andern,  der- 
selben Gattung  angehörigen  individuellen  Begriffe,  Cassius, 'hinab- 
steigen zu  können;  das  ist  ebenso  natürlich,  wie  der  in  auctor 
gesuchte  Doppelsinn  gekünstelt. 

28)  Mortimer  Lamson  Earle,  De  Horatii  serm.  I  1.    Io  der  Revue 

de  philologie  XXVII  (1903)  S.  233—235. 

Die  böse  Stelle  Sat.  I  1,1 08  ff.  will  Earle  so  schreiben  und 
interpungieren: 

Illuc  unde  abii  redeo.    Quia  nemo,  ut  avarus, 

se  probat  ac  potius  laudat  diversa  sequentis 

quodque  aliena  capella  gerat  distentius  über 

tabescit  neque  se  maiori  pauperiorum 

turbae  comparat,  hunc  atque  hunc  superare  laborat  — 

sie  festinanti  temper  locupletior  obstat  — , 

ut,  cum  carceribus  missos  rapit  ungula  currus, 

instat  equis  auriga  suos  vincentibus,  illum 

praeteritum  temnens  extremos  inter  euntem; 

inde  ß  ut  raro  qui  se  vixisse  beatum 

dicat  et  exacto  contentus  tempore  vita 

cedat,  uti  conviva  satur,  reperire  queamus. 

Also  im  wesentlichen  wie  Teichmüller  im  Gnesener  Gym- 
nasialprogramm 1865  und  im  Rheinischen  Museum  1903  (vgl. 
JB.  XXX  S.  56  ff.).  Sehr  richtig  bemerkt  Earle  selbst:  Atqui  ne 
nunc  quidem  prorsus  iustum  ad  interrogationem  suam  responsum 
reddit  Horatius  In  diesem  Jahresberichte  ist  schon  oben  bei 
Nr.  4  über  diese  Stelle  gehandelt  worden,  so  daß  von  einem  er- 
neuten Eingehen  auf  dieselbe  abgesehen  werden  kann. 

Weiter  bespricht  Earle  andere  Stellen  dieser  Satire,  teils 
fremden  Konjekturen  zustimmend,  teils  eigene  aufstellend.  Wir 
verzeichnen  nur  die  letzteren.  In  V.  4  verlangt  Earle  auf  An- 
regung eines  Kollegen:  o  fortunatos  mercatores!  Sehr  unnötig; 
nichts  hindert,  fortunati  mit  Kießling  prädikativ  zu  fassen;  man 
vergleiche  Stellen  wie  O  fortunata  mors,  quae,  naturae  debita,  pro 


Horatius,  von  H.  Röhl.  g3 

patria  est  reddita  Cic.  Phil.  XIV  31,  0  magna  vis  veritatis,  quae  se 
per  se  ipsa  defendat  Cic.  Cael.  63.  —  In  V.  12  sei  vielleicht  direkte 
Rede  anzunehmen:  „Solos  felices  viventes"  clamat  »in  urbe"l  Dann 
wäre  aber  doch  der  Nominativ  soli  zu  erwarten.  —  V.  23  ff.  Die 
Parenthese  läßt  Earle  vor  quamquam  beginnen  und  hinter  tarnen 
schließen;  eine  wunderliche  Künstelei  statt  der  einfachen  Ver- 
bindung sed  tarnen  amoto  quaeramus  seria  ludo.  —  V.  40.  Das  ne 
sei  völlig  überflüssig;  entweder  habe  sich  Horaz  versehen,  oder  es 
sei  für  dum  ne  zu  schreiben  dummodo.  Es  liegt  ein  offenbares 
Mißverständnis  der  Stelle  vor. 

29)  Mortimer   Lamson    Earle,   Zu   Hör.  Od.  I  2.     In    der   Revue   de 

Philologie  XXVII  (1903)  S.  270. 

Earle  meint,  bei  der  Abfassung  von  Od.  I  2  habe  dem  Horaz' 
Cat.  11  vorgeschwebt.  Die  Ähnlichkeit  besteht  allerdings  nur 
darin,  daß  in  beiden  Gedichten  die  Worte  altus,  visere,  monimenta, 
aequor  begegnen. 

30)  Charles  Knapp,  On  Horace,  Ödes  III  30,10—14.    In  der  Classical 

Review  XVII  (1903)  S.  156—158. 

Knapp  hatte  schon  früher  vorgeschlagen,  in  Od.  III  30, 10  ff. 
die  lokalen  Nebensätze  mit  dicar  zu  verbinden.  Jetzt  verweist 
er,  um  zu  zeigen,  welchen  Wert  die  Römer  darauf  legten,  gerade 
in  ihrer  Heimat  berühmt  zu  sein,  auf  Martial  I  62  und  in  diesem 
Gedichte  namentlich  auf  die  Verse: 

duosque  Senecas  unicumque  Lucanum 

facunda  loquitur  Corduba. 
te,  Liciniane,  gloriabitur  nostra 
nee  me  tacebit  Bilbilis. 
Auch  Cic.  Plane.  §  19—22  zieht  er  heran.     Jenes  Epigramm   ist 
allerdings  wohlgeeignet,  Knapps  Auffassung  der  Horazstelle  zu  be- 
stätigen, und  in  der  Tat  dürfte  diese  Auffassung  die  einzige  sein, 
bei    der    man    der  Annahme   einer  Lücke   (vgl.  E.  Schulze    und 
L.  Müller)  entraten  kann. 

31)  Ernest  Ensor,  On  the  allusions  in  Horace,  Ödes  I  14.     In  der 

Classical  Review  XVII  (1903)  S.  158—159. 

Nach  Ensor  ist  die  Ode  I  14  in  das  Jahr  31  und  zwar  in 
die  Mitte  des  Dezembers  zu  setzen.  Augustus  hatte  auf  seiner 
Fahrt  von  Samos  nach  Brundisium  zweimal  Unwetter  durch- 
gemacht, so  daß  sein  Schiff  beschädigt  war;  dieses  Schiff  rede 
nun  Horaz  an.  Die  Erwähnung  der  Cykladen  beziehe  sich  darauf, 
daß  Augustus  nach  kurzem  Aufenthalte  in  Brundisium  nach  dem 
Orient  zurückzukehren  beabsichtigte.  —  Aber  das  Horazische  Ge- 
dicht stimmt  nicht  zu  dieser  Annahme.  Erstens  ist  die  Situation 
eine  andere;  die  Worte  refermt  in  mare  te  novi  fluetus,  fortiter 
oecupa  partum  usw.  treffen  nicht  zu  für  ein  Schiff,  das  nach  einer 

6* 


84  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

bösen  Fahrt  im  Hafen  liegt  und  nun  eine  neue  Fahrt  antreten 
soll.  Zweitens  paßt  der  ernst  warnende  Ton  nicht  für  Horaz  dem 
Augustus  gegenüber.  So  paßt  auch  nicht  das  von  den  Cykladen 
Gesagte;  es  ist  nicht  richtig,  wenn  Ensor  meint:  Horace  adjures  it 
to  be  careful  on  its  way  to  Asia  of  the  dangerous  seas  around 
the  Cyclades;  vielmehr  sagt  Horaz  geradezu:  Fahre  nicht  dorthin, 
vites  aequora  interfusa  nüentes  Cycladas.  Es  ließe  sich  noch 
manches  Argument  hinzufügen. 

Auch  in  den  Versen  Od.  I  3, 17 — 20  sieht  Ensor  eine  Hin- 
deutung auf  die  oben  erwähnte  Seegefahr  des  Augustus  im  Jahre  31 
beim  Akrokeraunischen  Vorgebirge.  Aber  dann  würde  ja  auch 
Augustus  von  dem  Vorwurfe  der  impietas  gestreift.  —  Und  ähn- 
lich steht  es  mit  Od.  II  14, 13  ff.,  wo  Ensor  gleichfalls  eine  solche 
Beziehung  wittert.  Wollte  man  hier  bei  Krieg,  Hadriameer  und 
herbstlicher  Krankheit  an  Augustus  denken,  so  käme  man  zu  dem 
unziemlichen  Sinne:  auch  der  Kaiser  kann  dem  Tode  nicht  ent- 
gehen. 

32)  W.  C.  F.  Walters,  Note    on  Horace,  Ep.  I  2,  31.    In  der  Classical 

Review  XVII  (1903)  S.  203. 

33)  Samuel  Allen,  ebendort  S.  261  und  S.  327. 

Walters  will  lesen:  cessatam  ducere  curam;  dabei  faßt  er 
curam  =  their  business  und  bemerkt  zum  Verständnis  des  von 
ihm  gewünschten  Sinnes:  The  Phaeacians'  idea  of  correct  conduct 
in  life  was  to  sleep  to  midday  and  then  to  have  a  long  spell  of 
the  other  forms  of  indulgence,  their  real  business,  that  sleep  had 
interrupted.  —  Allen,  S.  261,  merkt  an,  daß  cessatam  schon  von 
Scaliger  konjiziert  sei;  er  selbst  schlägt  vor:  cessatam  ducere  cenam. 
Aber  auf  S.  327  trägt  er  nach,  daß  die  Konjektur  cenam  schon 
von  Richards  in  Band  XIII  (1899)  der  Classical  Review  aufgestellt 
sei.  —  Und  um  in  dieser  Art  von  Nachweisungen  fortzufahren, 
fuge  ich  hinzu,  daß  (wie  ich  aus  JB.  X VIII,  1892,  S.  206  ent- 
nehme) dies  cenam  schon  von  A.  S.  0.  in  der  Classical  Review 
1891  S.  27S  vermutet  worden  ist.  Aber  auch  A.  S.  O.  hat  schon 
einen  Vorgänger  gehabt;  denn  Keller  in  den  Epilegomena  (1879) 
S.  604  fuhrt  cenam  als  einen  Vorschlag  Withofs  an. 

Mit  Fug  ziehen  die  allermeisten  Herausgeber  die  Lesart  der 
Blandinier  somnum  der  minder  bezeugten  Lesart  curam  und  den 
Konjekturen  vor.  Zu  den  in  manchen  Ausgaben  gegebenen 
Gründen  sei  noch  folgendes  hinzugefugt:  curam  tritt  in  eine  sehr 
mißliche  Konkurrenz  mit  dem  vorhergehenden  curare;  somnum 
dagegen  leitet  in  echt  Horazischer  Weise  leise  zu  dem  mit  V.  32 
beginnenden  zweiten  Teile  über,  in  dessen  erstem  Gedanken  auch 
der  Begriff  des  Schlafens  vorkommt  (dies  ähnlich  bei  Kießling). 
Ob  man  bei  somnum  mit  cessatum  glaubt  auskommen  zu  können 
oder  Bentleys  cessantem  für  erforderlich  hält,  ist  dann  eine  unter- 
geordnete Frage. 


Horatius,  von  H.  Aöhl.  85 

34)  £.  A.  Sonnenschein,  The  Latin  Sapphic.    In  der  Classical  Review 

XVII  (1903)  S.  252—256. 

35)  A.  VV.  Verrall,  The  Latin  Sapphic.    Ebendort  S.  339—343. 

36)  E.  Seymer  Thompson,  The  Latin  Sapphic.    Ebendort  S.  456- 458. 

Diese  drei  Aufsätze  knüpfen  an  die  Arbeit  von  Eickhoff  (vgl. 
JB.  XXII  S.  26  ff.)  an,  der  die  These  aufgestellt  hatte,  daß  Horazens 
sapphische  Verse  neben  dem  metrischen  auch  einen  rhythmischen 
=  akzentuierenden,  auf  dem  Wortton  beruhenden  Bau  hätten. 

Sonnenschein  stimmt  der  EickhoiTschen  Hypothese  zu,  jedoch 
mit  zwei  Abweichungen.     Erstens   will   er   den  sapphischen  Vers 

nicht  so  auffassen:         l  J  JJJM'IIL  sondern 

&0W    |    &&    I    0000    I    &  &    | 

so:     h  M  I  J  J  I     h  h  h  fc  I  J  J  I.     Zweitens    ist    er    der 

Ansicht,  daß  Horaz  seine  Verse  für  Rezitation  und  nicht  für 
Musik  schrieb. 

Aus  Verralls  Erörterung  hebe  ich  den  folgenden  befremdlichen 
Gedanken    heraus:    Suppose   it  known  to  Horace  by  experiment, 

that,   whatever  he  intended,  many  would  take  the  stanza  saepius 

t        n  i 

veiüis  agitatur  tngens  etc  to  have  naturally  tbe  rhythm  here  given, 

and    would    read    it   so  as  a    matter    of   course In    such 

circumstances  the  Romanae  fidicen  lyrae  might  well  think  that, 
until  the  Aeolii  modi  should  become  generally  known  to  his 
countrymen,  the  best  way  to  get  a  hearing  for  Sapphics  was  to 
write  them  so  that  people  who  did  not  know  Sappho,  and  had 
no  natural  disposition  for  the  3-time  rhythm,  might  at  any  rate 
be  able  to  read  them. 

Schließlich  Thompson.   Horazens  Vorstellung  von  dem  normalen 

lateinischen  Sapphicus  sei  diese  gewesen:    |    I        M        1,11  I 

I     II     I    I   I  .     Die  Römer  seien  aber  geneigt  gewesen,   solche 

&'  0    |    &  &    | 

Verse  mit  dem  Tone  auf  der  ersten,  vierten,  sechsten  und  zehnten 
Silbe  zu  lesen.  Dem  habe  Horaz  entgegentreten  wollen  und  zu 
diesem  Zwecke  z.  B.  im  ersten  Buche  bei  drei  sapphischen  Oden 
(I  10.  12.  30)  im  ersten  Verse  die  weibliche  Cäsur  angewandt, 
und  da  diese  Vorsichtsmaßregel  noch  nicht  den  gewünschten  Er- 
folg gehabt  hätte,  habe  er  später  im  vierten  Buche  und  beim 
Säkularliede  die  weibliche  Cäsur  häufiger  als  früher  benutzt. 

Ich  meinerseits  stehe  auf  völlig  anderem  Standpunkte  und 
bin  der  Ansicht,  daß  die  ganze  Eickhoffsche  Hypothese  auf  irrigen 
Schlüssen  beruht,  wie  ich  dies  im  JB.  XXII  S.  26 II.  nachzuweisen 
verglicht  habe, 


86  Jahresberichte  des  Philolog.  Vereins. 

37)  Eraest  Ensor,  Od  Horace,  Ödes  IV  8, 13—22.    In  der  Classicai 

Review  XVII  (1903)  S.  256—258. 

Durch  das  einfache  Mittel  zweier  Athetesen  und  zweier  Wort- 
änderungen gewinnt  Ensor  folgenden  Text: 

Non  incisa  notis  marmora  publicis, 
per  quae  spiritus  et  vita  redit  bonis, 
reiectaeque  retrorsum  Hannibalis  minae 
illum,  qui  domita  nomen  ab  Africa 
lucratus  rediit,  clarius  indicant 
laudes  quam  Calabrae;  Pieridum  neque 
si  chartae  sileant  quod  bene  feceris, 
mercedem  tuleris. 

Daß  freilich  damit  die  Stelle  endgültig  erledigt  sein  sollte, 
ist  mehr  als  zweifelhaft, 

38)  Hugo    Willenbücher,     Bemerkungen     zur     Lektüre     des 

ersten    Buches    der    Oden    des    Horaz.     In    den    Lehrproben 
und  Lehrgängen  1903,  Heft  76,  S.  17—30. 

Der  Verf.  erachtet  es  für  „verfehlt,  bei  der  Besprechung  der 
Oden  die  bunte  Reihenfolge,  in  der  sie  überliefert  sind,  beibehalten 
zu  wollen11.  Nun  sind  ja  aber  die  Oden  in  der  Reihenfolge  über- 
liefert, die  ihnen  Horaz  selbst  gegeben  hat,  und  ,in  der  er  sie 
gelesen  wissen  wollte;  warum  soll  es  also  verfehlt  sein,  der  Ab- 
sicht des  Dichters  gemäß  zu  verfahren?  Der  Willenbücherschen 
Meinung  genau  entgegengesetzt  ist,  um  von  anderen  zu  schweigen, 
das  Urteil  Oskar  Jägers:  „Die  Ordnung,  in  der  die  Oden  gelesen 
werden,  darf  nur  die  überlieferte,  vom  Dichter  selbst  herrührende 
sein",  vgl.  JB.  XXX  S.  55,  wo  ich  ihm  völlig  beipflichtete.  Willen- 
bücher will  mit  Rücksicht  auf  Metrum  und  Inhalt  dem  Schüler 
die  Oden  des  ersten  Buches  in  folgender  Ordnung  vorführen: 
1.  6.  19.  33.  16.  9.  27.  7.  24.  36.  29.  3.  34.  10.  21.  14.  37.  2.  22. 
31;  die  übrigen  Oden  dieses  Buches  könnten  jederzeit  zur  Er- 
klärung der  genannten  zwanzig  herangezogen  werden. 

Über  die  Art,  in  welcher  Willenbücher  jede  einzelne  Ode 
behandelt  wissen  will  (grammatisch,  sachlich,  ästhetisch),  dürften 
heutzutage  keine  stärkeren  Meinungsverschiedenheiten  bestehen. 

In  Od.  I  7, 10  verlangt  der  Verf.,  um  einen  Zusammenhang 
zwischen  den  beiden  Teilen  herzustellen,  te  statt  des  überlieferten 
me.  Diese  Konjektur  meine  ich  ablehnen  zu  sollen;  meines  Er- 
achten s  kommt  es  ganz  wunderlich  heraus,  wenn  Horaz  dem 
Plancus  vorträgt,  daß  ihm,  dem  Plancus,  Lacedämon  und  Larissa 
weniger  gut  gefallen  hätten  als  Tibur.  Aber  sei  dem,  wie  ihm 
wolle:  jedenfalls  ist  keine  Änderung  nötig,  und  ich  möchte,  wie 
schon  an  anderer  Stelle,  über  den  Anlaß  der  Ode  meine  eigene 
Ansicht  vortragen,  die,  wenn  auch  nicht  die  einzig  notwendige, 
so  doch  wohl  eine  mögliche  Erklärung  des  Baues  der  Ode  bietet. 
Plancus   hatte    also    an  Horaz   geschrieben:    „Sage,   welche  Stadt 


^ 


Horatius,  von  H.  Bohl.  87 

rühmt  ihr  Poeten  am  meisten?  Denn  mir  ist  die  Trübsal  des 
Lagerlebens  zu  arg;  ich  will  mir  einen  beglückenden  Wohnsitz 
suchen".  Darauf  erwidert  Horaz:  „Die  Dichter  preisen  verschiedene 
Städte;  mir  gefällt  am  besten  Tibur".  Hätte  Horaz  nun  das,  was 
er  noch  weiter  zu  sagen  beabsichtigte,  anknüpfen  wollen,  so 
hätte  er  fortfahren  müssen:  „Aber  nachdem  ich  deine  Frage  be- 
antwortet habe,  muß  ich  dich  darauf  aufmerksam  machen,  daß 
die  ganze  Anschauung,  in  der  du  von  einer  Veränderung  des 
Aufenthaltsortes  dein  Wohlbefinden  erhoffst,  falsch  ist,  vielmehr 
usw.".  Indes  läßt  der  höfliche  Dichter  diesen  Übergang  weg,  und 
so  stehen  nun  die  beiden  Teile  verbindungslos  nebeneinander. 

Über  die  Archytasode  urteilt  Willenbücher,  sie  sei  ein  Dialog; 
die  Verse  1 — 15  bis  verique  spreche  Horaz,  die  Verse  15 — 36  von 
sed  an  der  Geist  des  Archytas.  Es  bietet  sich  natürlich  sofort  der 
Einwand  dar,  daß  ja  dann  ein  Widerspruch  entsteht,  indem  in 
V.  2  ff.  Horaz  den  Leichnam  des  Archytas  als  beerdigt  bezeichnen, 
in  V.  23 ff.  hingegen  der  Geist  des  Archytas  erst  noch  um  Be- 
erdigung bitten  würde.  Diesen  Einwand  schiebt  Willenbücher  in 
etwas  seltsamer  Weise  beiseite  durch  die  Bemerkung,  daß  aller- 
dings Horaz  zunächst  die  Bestattung  als  erfolgt  annehme,  aber 
durch  die  Erscheinung  des  Geistes  eines  andern  belehrt  werde. 
In  der  Ode  ist  ja  aber  keine  Spur  von  solcher  Korrektur  der 
ersten  Anschauung  zu  finden.  Und  ferner:  welch  ein  Gedanke, 
daß  der  Leichnam  des  Archytas  drei  Jahrhunderte  lang  unbeerdigt 
dagelegen  hat  und  nun  den  Horaz  um  Bestattung  bittet!  Und 
woher  erkennt  denn  Horaz  von  vornherein  die  Knochenreste  als 
die  des  Archytas? 

Zu  Od.  I  16:  „Es  liegt  in  deiner  Hand,  meinen  Schmäh- 
gedichten in  der  Weise  ein  Ziel  zu  setzen,  daß  du  mich  veran- 
laßt, sie  ganz  nach  deinem  Wunsch  entweder  ins  Feuer  oder  ins 
Meer  zu  werfen  ....  Der  Zorn  bricht  freilich  oft  mit  elementarer 
Gewalt  hervor  und  ist  durch  eine  gewisse  Naturnotwendigkeit  be- 
dingt, aber  er  ist  etwas  Verderbliches  und  paßt  für  ein  so  schönes 
Mädchen,  wie  du  bist,  gar  nicht;  drum  gib  ihn  auf!"  Ich  begnüge 
mich  mit  diesem  Referate. 

Minder  revolutionär  ist,  was  Willenbücher  zu  Od.  I  8  vor- 
trägt, und  namentlich  kann  nicht  zweifelhaft  sein  und  ist  wohl 
auch  nur  von  wenigen  bezweifelt  worden,  daß  amando  perdere 
hier  „durch  Liebe  zugrunde  richten"  heißt,  und  nicht  etwa  „sterb- 
lich verliebt  machen14. 

39)  E.  Stemplinger,  Ronsard  und  der  Lyriker  Horaz.    Eine  Quellen- 

studie.   In    der   Zeitschrift   für   französische   Sprache   und  Literatur 
XXVI  1  (1903)  S.  70-91. 

40)  E.  Stemplinger,   Herder   und    Horaz.     In    den    Blättern   für    das 

Gymnasialschulwesen  XXXIX  (1903)  S.  705—712. 

41)  E.  Stemplinger,  Joachim   du  Bellay  und  Horaz.     Im  Archiv  für 

das  Studium  der  neueren  Sprachen  und  Literaturen  CXII  1.  2  (1904) 
5.  80-93, 


88  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

42)  £.  Stemplinger,  Horazische  Motive  in  der  Flucht  der  Zeiten. 

In    den  Studien   zur   vergleichenden    Literaturgeschichte  IV  1  (1904) 
S.  104—115. 

Von  Stemplinger,  der  über  Horazens  Nachwirken  ganz  ge- 
waltige Kollektanea,  wie  wohl  kein  zweiter,  besitzt,  hatten  wir 
schon  im  vorigen  Jahresberichte  S.  44  eine  Schrift  über  diesen 
Gegenstand  anzuzeigen.  (Gern  sei  hier  berichtigt,  daß  ein  dort 
in  Stemplingers  Verzeichnissen  vermißtes  Buchlein  doch  vom  Verf. 
S.  500  A.  3  erwähnt  ist.)  Hier  liegen  nun  wieder  vier  Mono- 
graphien von  ihm  aus  demselben  Gebiete  vor;  wir  begnügen  uns 
aber  mit  einem  kurzen  Hinweise,  da  der  Stoff  nicht  eigentlich  in 
den  Rahmen  dieser  Berichte  hineingehört.  Der  Inhalt  der  drei 
ersten  Abhandlungen  ist  aus  ihren  Titeln  ersichtlich;  in  der  vierten 
wird  das  Nachleben  folgender  Horazstellen  behandelt:  aes  triplex, 
Od.  I  3,9;  iustum  et  tenacem  propositi  virum—ruinae,  Od.  III 
3, 1  ff. ;  tristitiam  et  metus  tradam  protervis  in  mare  Creticum 
portare  ventis,  Od.  I  26, 1  ff.  Den  Schluß  bildet  eine  Sammlung 
von  Dichterstellen,  in  denen  der  Gedanke,  welchen  Horaz  Od.  I 
26,  3 ff.  und  Od.  II  11,  lff.  ausdruckt,  eine  moderne  Einkleidung 
erhalten  hat. 

43)  Karl    Stadler,    Horaz  -  Kommentar;     II,    die    Gedichte    auf   sich 

selbst.    Wissenschaftliche  Beilage  zum  Jahresberichte  der  Margareten- 
schule zu  Berlin,  1904.    Weidmann  sehe  Buchhandlung.    23  S.    4.    1  JC. 

Das  erste  Stuck  dieses  Kommentars  ist  bereits  im  JB.  XXX 
S.  50  ff.  angezeigt;  was  dort  über  die  Einrichtung  desselben  ge- 
sagt ist,  gilt  auch  für  die  jetzt  vorliegende  Fortsetzung.  In  dieser 
werden  folgende  Horazische  Dichtungen  behandelt:  Od.  I  28, 
Sat.  I  4,  Od.  I  32,  Sat.  I  10,  Od.  II  18,  Sat.  II  2,  Od.  II  13,  Od. 
I  34,  Od.  I  31,  Sat.  II  1,  Sat.  II  7,  Od.  I  38,  Od.  III  18,  Od.  III  13, 
Od.  III  30,  Epist.  I  14,  Epist.  I  20,  Od.  IV  6,  Od.  IV  3.  Dies  ist 
nach  Stadlers  Ansicht  die  chronologische  Reihenfolge.  Manche 
der  hier  mit  großer  Sicherheit  vorgetragenen  Hypothesen  über 
die  Gedichte  sind  dem  Ref.  wieder,  wie  beim  ersten  Teile,  zu 
kühn;  ich  führe  einige  derselben  an,  ob  sie  vielleicht  für  andere 
überzeugender  sind;  auch  was  sonst  an  Bemerkungen  über  ein- 
zelne Stellen  auffällt,  sei  miterwähnt. 

Od.  I  28.  Die  vier  ersten  Strophen  sind  hinter  die  fünf 
letzten  zu  stellen;  in  V.  14  ist  te  in  me  zu  ändern.  Der  Schiffer 
spricht  nur  die  sechs  Verse  Te  maris ....  morituro?  (als  ver- 
wunderte Frage),  das  übrige  Archytas.  —  Od.  I  32,  15.  Lies: 
mihi  cumque  „salveu  rite  vocanti  =  wann  immer  ich  die  Lyra 
grüßend  (salve)  nach  rechtem  Dichterbrauch  anrufe;  vgl.  schon 
JB.  XXVI  S.  51.  —  Od.  I  34.  In  dieser  Ode  findet  Stadler  einige 
Dunkelheit;  in  den  Versen  5 ff.  habe  Horaz  sagen  wollen:  „Zwar 
vom  Blitz,  diesem  Hauptschrecken  der  Abergläubischen,  wußte  und 
weiß  ich,  daß  er  nimmer  aus  den  Händen  eines  Gottes  stammt, 
sondern   lediglich   aus  den  Wetterwolken;    nun   aber  usw.".     Ich 


^ 


Horatius,  von  H.  Kohl.  89 

verstehe  nicht,  wie  man  das  aus  dem  Horaztexte  herauslesen  und 
überhaupt  die  Ode  für  dunkel  halten  kann;  über  den  Zweck  der 
Ode  sei  auf  Friedrichs  bekanntes  Buch  S.  150,  sowie  auf  JB.  XXI 
S.  223  und  XXIX  S.  47  f.  verwiesen.  —  Sat.  II  1,  86.  Solventur 
tabulae  =  die  Schreibtafeln  wird  man  freisprechen;  risu:  er  mußte 
und  wollte  sagen  ritu  =  wie  es  Rechtens  ist,  ändert  aber,  wie 
durch  einen  zufälligen  lapsus  linguae,  ritu  in  risu.  —  Sat.  II  7. 
Der  Cäsar  verlieh  ihm,  indem  er  die  mangelnde  Ingenuitäl  von 
Vater  und  Großvater  ergänzte,  den  Ritterrang  mit  dem  Rechte 
des  goldenen  Ringes  und  der  Eintragung  in  das  album  iudicum; 
überdies  bewirkte  er  die  notwendige  Erhöhung  seines  Vermögens 
auf  den  Ritterzensus  (400000  Sesterzien)  durch  eine  Schenkung, 
vermutlich  des  Hauses  in  Tibur,  das  noch  zu  Suetonius'  Zeiten 
stand.  —  Od.  III  18.  Das  Jahr  727  hat  ihm  endlich  die  Gefährtin 
zugeführt,  die  seine  ländliche  Zurückgezogenheit  teilen  will:  Lyde, 
die  scheue,  ernste.  —  Od.  III  13.  Über  Horazens  Besuch  in 
Venusia  handelt  Stadler  hier  ähnlich  wie  in  einer  früheren  Publi- 
kation, vgl.  JB.  XXIX  S.  52.  Die  Ankunft  ihres  berühmten  Sohnes 
versetzt  die  kleine  Stadt  in  freudige  Aufregung;  Horaz  begegnet 
noch  manchem  Alten,  der  sich  gar  wohl  des  Knaben  erinnert, 
mit  dem  einst  der  Vater  zur  Verwunderung  vieler  nach  Rom  zog. 
Ober  diese  Hypothesen  habe  ich  absichtlich  um  der  Objektivität 
willen  nach  Möglichkeit  mit  des  Verfassers  eigenen  Worten  be- 
richtet; für  mich  haben  sie  keine  innerliche  Beweiskraft. 

44)   Theodor  Matschky,    Bemerkungen    zur  Lektüre    des   Horaz. 
Beilage  zum  Programm  des  Gymnasiums  zu  Krotoschio,  1904.    22  S.    4. 

Das  Schriftchen  läßt  durchweg  den  warmen  Freund  des 
Horaz  und  den  erfahrenen  Schulmann  erkennen  und  wird  jedem 
Leser  Freude  bereiten,  auch  wenn  er  über  diesen  oder  jenen 
Punkt  anders  denkt. 

S.  5  ff.  Die  Metrik  will  Matschky  nicht  bei  den  einzelnen 
Gedichten,  sondern  zusammenfassend  (also  doch  wohl  gleich  zu 
Anfang)  lehren,  indem  zuerst  die  in  den  sieben  häufigsten  Strophen 
vorkommenden  Versarten,  dann  deren  Zusammensetzung  zu  jenen 
Strophen  vorgeführt  wird.  Das  könne  leicht  in  drei  Stunden  er- 
ledigt werden.  Ich  fürchte  aber,  schon  drei  Stunden  Metrik  werden 
manchem  Horazlehrer  bedenklich  erscheinen.  —  S.  9  ff.  Über  den 
Umfang  der  Horazlektüre  handelnd,  tritt  der  Verf.  dem  Idealismus 
Oskar  Jägers  entgegen,  der  für  die  Unterprima  die  Lektüre  sämt- 
licher Oden  der  drei  ersten  Bücher,  sowie  eventuell  auch  einiger 
Epoden  verlangt  hatte.  Eine  solche  Leistung  erklärt  Matschky  für 
unmöglich  und  befindet  sich  dabei  in  völliger  Übereinstimmung 
mit  dem  Ref.,  der  in  diesen  JB.  XXX  S.  54  über  Jägers  Forderung 
ebenso  geurteilt  hatte.  —  S.  13  f.  Bei  der  zu  treffenden  Auswahl 
will  Matschky  nicht  alle  erotischen  Oden  ausgeschieden  wissen 
(diese  Prüderie   ist   in  Frankreich   häufiger    als  in  Deutschland), 


90  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

sondern  nur  die  unschönen.  Mit  der  schwarzen  Liste,  die  er 
S.  14  und  S.  22  aufstellt,  wird  man  im  ganzen  einverstanden  sein 
können;  ich  für  meine  Person  bin  noch  etwas  weitherziger  als 
Matschky,  indem  ich  aus  den  von  ihm  verworfenen  Oden  folgende 
nicht  beanstande:  I  13  Cum  tu,  Lydia,  Telephi;  I  16  0  matre 
pulchra  filia  pulchrior;  I  23  Vitas  hinnuleo  me  similis,  Chloe;  III  26 
Vixi  puellis  nwper  idoneus.  —  S.  14  ff.  Hinsichtlich  der  Reihen- 
folge der  Lektüre  ist  Matschky  nicht  mit  Oskar  Jäger  und  dem 
Ref.  für  die  überlieferte  Ordnung  der  Oden,  sondern  für  eine 
Zusammenstellung  in  inhaltlich  zusammengehörige  Gruppen.  Was 
ich  für  jenes  Verfahren  anzuführen  habe,  ist  bereits  im  JB.  XXX 
S.  55  und  sonst  gesagt  und  soll  hier  nicht  wiederholt  werden ; 
auch  auf  die  von  Matschky  vorgeschlagene  Anordnung  möchte  ich 
nicht  näher  eingehen.  Nur  eine  Einzelheit,  die  gleich  beim  Be- 
ginn entgegentritt,  sei  erwähnt:  nach  Matschky  soll  von  den  Oden 
zuerst  I  1,  dann  III  30  gelesen  werden.  Dazu  würde  ich  mich 
nun  niemals  entschließen  können,  Horazens  Rückblick  auf  seine 
Odendichtung  mit  den  Schülern  zu  lesen,  ehe  diese  die  Oden 
selbst  kennen  gelernt  haben. 

Zum  Schluß  noch  eins:  auf  S.  3  und  S.  12  klagt  der  Verf. 
darüber,  daß  der  Horazunterricht  durch  das  heutzutage  schwächere 
Gedächtnis  der  Primaner  erschwert  werde.  Mir  ganz  aus  der  Seele 
gesprochen!  Der  Hbrazunterricbt  (ich  erteile  ihn  seit  21  Jahren) 
ist  ein  Gebiet,  auf  welchem  man  besonders  deutlich  und  mit 
verhältnismäßig  geringer  Gefahr  der  Selbsttäuschung  die  Beob- 
achtung machen  kann,  daß  das  Gedächtnis  der  jetzigen  Schüler- 
generationen wesentlich  geringer  ist  als  das  der  früheren. 

45)  Otto  Kampfhenkel,  Die  Symmetrie  als  Kunstgesetz  bei 
Horaz.  Beilage  zum  Programm  des  Gymnasiums  zu  Friedeberg 
Nrn.,  1904.     24  S.    4. 

Der  Verf.  gibt  Dispositionen  zu  einer  Anzahl  Horazischer 
Oden.  Er  weiß  (S.  3),  daß  ähnliche  Versuche  Früherer  nur  selten 
zu  übereinstimmenden  Resultaten  geführt  haben,  und  muß  darauf 
gefaßt  sein,  daß  auch  seine  Ansichten  über  die  Komposition  ein- 
zelner Oden  nicht  allgemeine  Billigung  erlangen. 

In  der  Tat,  wer  bezweifelt,  daß  sich  bei  Horaz  mitunter  eine 
schöne  äußere  Symmetrie  findet?  Sie  ist  ja  stellenweise  ganz 
augenfällig.  Wer  nun  aber  versucht,  sie  auch  da  nachzuweisen, 
wo  sie  eben  nicht  augenfällig  ist,  gerät  in  Gefahr,  dem  Dichter 
Gewalt  anzutun.  Der  Dichter  beherrscht  all  derartige  Kunst- 
mittel, nicht  sie  ihn ;  er  wendet  sie  an,  wo  er  dadurch  ungezwungen 
dem  Inhalte  einen  äußeren  Schmuck  verleihen  kann,  und  er  ver- 
zichtet darauf,  wo  die  Benutzung  jener  Kunstformen  unbequem 
ist.     Denn  höher  steht  immer  der  Inhalt. 

Zwei  Beispiele  aus  dem  vorliegenden  Programme.  Die  Ode 
III  3  besteht  nach  Kampfhenkel  (S.  9)  aus  2x9  Strophen;  er 
findet  in  ihr  folgende  Disposition: 


Horatius,  von  H.  Röhl.  91 

„I.  Empfehlung  der  auf  iustüia  sich  gründenden  constantia: 
Str.  1-4. 

IL  Der  Mangel  dieser  Tugend  (die  periuria)"  —  (NB.  so  auch 
vorher:  „Die  periuria  hat  usw.44)  —  „hat  Troja  den  Unter- 
gang bereitet.     Str.  5—9. 

III.  Durch  die  empfohlene  Tugend  hat  Rom  sich  die  Herr- 
schaft über  die  Welt  erobert.     Str.  10—14. 

IV.  a)  Warnung  vor  dem  Wiederaufbau  Trojas.  Str.  15 — 17. 
b)  Rückrufung  der  Muse.     Str.  18." 

Die  Inhaltsangabe  von  Str.  10—14  scheint  mir  schlechter- 
dings unzutreffend;  von  der  „empfohlenen  Tugend'4  spricht  floraz 
hier  ja  gar  nicht;  auch  nicht  von  dem,  was  Rom  getan  hat, 
sondern  von  dem,  was  es  tun  wird  oder  soll.  Und  die  Warnung 
vor  dem  Wiederaufbau  Trojas,  die  Kampfhenkel  als  Inhalt  von 
Str.  15—17  bezeichnet,  liegt  doch  auch  schon  in  Str.  10  und  11. 
Endlich:  der  Gedanke  der  Verse  30—36  findet  in  Kampfhenkels 
Disposition  gar  keinen  Platz. 

Den  Versuch,  die  Ode  in  2x9  Strophen  zu  gliedern,  halte 
ich  für  mißglückt  und  möchte,  auf  die  Gefahr  hin  auch  meiner- 
seits andere,  namentlich  die  Symmetriker,  nicht  zu  überzeugen, 
nun  auch  meine  Ansicht  vortragen. 

Der  Dichter  hat  sich  gestattet,  zwei  sehr  verschiedenartige 
Stoffe  in  dem  Rahmen  eines  Gedichtes  zu  vereinigen.  Der  erste 
Teil,  V.  1—16,  handelt  von  der  Beharrlichkeit  im  Guten.  Der 
zweite  Teil,  V.  37—68,  behandelt  eine  Frage  der  Tagespolitik. 
Nämlich  man  darf  annehmen,  daß  das  sehr  alle  Projekt  einer 
Verlegung  des  Sitzes  der  Regierung  nach  Troja  wiederaufgetaucht 
war  und  von  manchen  dem  Augustus  empfohlen,  von  diesem  aber 
aus  politischen  Erwägungen  abgelehnt  wurde.  Da  sucht  nun  Horaz 
(wie  auch  sonst  oft)  mit  seinen  eigenen  poetischen  Mitteln  dazu 
mitzuwirken,  daß  die  Anschauung  des  Herrschers  populär  werde, 
und  zwar  hier  dadurch,  daß  er  ihr  einen  von  ihm  erfundenen  religiös- 
mythologischen  Grund  als  weitere  Stütze  unterschiebt.  Die  Verse 
17 — 36  enthalten  lediglich  die  Zwischenglieder,  die  von  dem  ersten 
zum  zweiten  Gegenstande  hinüberleiten;  und  zwar  ist  dieser  Über- 
gang recht  eigentümlich  (vgl.  oben  Nr.  17).  Der  erste  Teil  zerfiel 
in  zwei  Unterteile;  im  ersten  Unterteile  (V.  1 — 8)  sprach  Horaz 
von  dem  Wesen  der  Beharrlichkeit  im  Guten,  im  zweiten  Unter- 
teile (V.  9 — 16)  von  ihrem  Lohne.  Für  den  letztere  nwerden  drei 
Beispiele  angeführt,  erstens  Pollux  und  Herkules  (in  parenthesi 
wird  hier  darauf  hingewiesen,  daß  auch  dem  Augustus  der  gleiche 
Lohn  bevorsteht;  ein  beweiskräftiges  Beispiel  wie  die  der  Ver- 
gangenheit angehörigen  ist  dies  natürlich  nicht),  zweitens 
Bacchus,  drittens  Romulus.  An  dieses  anscheinend  zufällig  die 
letzte  Stelle  einnehmende  Beispiel  im  zweiten  Unterteile  des  ersten 
Teiles  wird  nun  mittels  des  Zwischenstückes  V.  17—36  der  zweite 
Teil  angeknüpft.    Denn  die  Apotheose  des  Romulus  leitet  auf  die 


92  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Erwähnung  der  Juno,  und  Juno  muß  nun  nach  einem  Ruckblicke 
auf  die  Vergangenheit  (V.  18 — 30)  zunächst  von  der  Zukunft  des 
Romulus  sprechen  (V.  30—36),  um  dann  auf  die  Hauptsache,  die 
Zukunft  Roms,  zu  kommen,  für  dessen  großartige  Weiterentwickelung 
sie  die  Bedingung  stellt,  daß  Troja  nicht  wiederaufgebaut  werde. 
Für  jene  äußerliche  Art  des  Oberganges,  die  manchem  so  anstößig 
scheint,  einem  Dichter  aber  nicht  verargt  werden  darf,  findet  sich 
bei  Horaz  ein  zweites  Beispiel.  Wie  hier  absichtlich  als  letztes 
Beispiel  für  den  Lohn  der  Beharrlichkeit  im  Guten  Romulus  ge- 
wählt ist,  um  daran  die  Rede  der  Juno  anknüpfen  zu  können, 
so  wird  in  Od.  III  11  unter  den  Wunderwirkungen  der  Leier  an 
letzter  Stelle  die  Wirkung  auf  die  Danaiden  erwähnt,  damit  nun 
Gelegenheit  sei,  den  ganzen  Danaidenmythus  vorzutragen.  —  Der 
zweite  Teil  der  Ode  III  3  steht  in  ethischer  Hinsicht  viel  niedriger 
als  der  erste;  der  Gedanke  ist  ungefähr  von  dem  Schrot  und 
Korn,  wie  man  es  bei  Orakeln  und  wahrsagenden  Priestern  ge- 
wöhnt ist.  Und  obwohl  derselbe  den  hier  vorliegenden  Zweck 
erfüllt,  so  genügt  er  doch  als  zu  äußerlich  dem  tiefer  blickenden 
Dichter  nicht,  der  sich  sagt,  daß  Bestand  oder  Untergang  des 
Reiches  doch  nicht  nur  von  einer  solchen  Ortsfrage  abhangig  ge- 
macht werden  können.  Diesen  Übelstand  sucht  Horaz  zu  mildern 
durch  Einschaltung  der  Verse  49 — 52,  in  denen  Juno  unter  der 
Form  des  Lobes  noch  eine  zweite,  nicht  so  äußerliche,  sondern 
auf  den  Geist  der  Bürger  bezügliche,  ernst-moralische  Bedingung 
stellt:  daß  sich  Rom  freihalte  von  Habsucht.  Man  fühlt  es  dieser, 
durch  den  Gedankengang  nicht  geforderten,  aber  doch  geflissent- 
lich eingefügten  Strophe  an,  daß  Horaz  diese  Tugend  für  mindestens 
ebenso  wichtig  erachtete  wie  die  Lage  der  Hauptstadt.  —  Bei 
solcher  Auffassung  der  Ode  III  3  kann  man,  meine  ich,  aller  ge- 
künstelten Deutungen  des  Inhaltes  und  der  Form  entraten. 

Das  zweite  Beispiel  sei  Od.  HI  6.  Nach  Kampfhenkel  ist  die 
Disposition  diese: 

„I.  a)  Die  Gottesfurcht.     Str.  1  und  2. 
b)  Die  Gottlosigkeit.     Str.  3  und  4. 

II.  Die  Sittenlosigkeit  der  Gegenwart.     Str.  5 — 8. 

III.  a)  Die  Sittenreinheit  der  Vergangenheit.     Str.  9 — 11. 
b)  Schluß:   Traurige  Aussicht  für  die  Zukunft!     Str.  12. 

Das  Gedicht  ist  durchaus  symmetrisch  angelegt  und  in  seinem 
Aufbau  klar  und  schön44.  Auch  ich  meine,  daß  der  Aufbau  klar, 
aber  nicht  der  obige  ist,  und  daß  die  obige  Zahlensymmetrie  in 
der  Ode  nicht  vorliegt.  Wir  haben,  von  V.  9  beginnend,  zwei 
Hauptteile  mit  je  zwei  Unterteilen:  la  das  jetzige  Elend  in  der 
Stellung  nach  außen  hin  (8  Verse),  I  b  die  jetzige  sittliche  Ver- 
derbtheit (16  Verse),  Ha  die  frühere  Höhe  der  äußeren  Macht- 
stellung (4  Verse),  II  b  die  frühere  sittliche  Trefflichkeit  (8  Verse). 
Ich  sehe,  daß  auch  Leuchtenberger  so  disponiert,  und  es  scheint 
mir  überhaupt  schwer,    diese  Einteilung  zu  verkennen.     Nun  zu 


Horatius,  vod  H.  Röhl.  93 

dem  Gedankengange  der  beiden  Strophen,  die  diesen  Hauptteilen 
vorausgeschickt  sind,  V.  1 — 8.  Zunächst  macht  Horaz  wieder  für 
eine  Regierungsmaßregel  des  Kaisers  Stimmung:  die  Tempel 
müssen  repariert  werden;  sonst  suchen  die  Götter  die  Sünden 
der  Vorfahren  an  uns  heim.  Dieser  Gedanke,  der  einem  Pontifex 
oder  Haruspex  besser  ansteht  als  dem  Horaz,  ist  eben  wieder 
einmal  eine  Konzession,  die  er  seiner  Hofpoetenstellung  macht. 
Er  eilt,  diesen  Gedanken  in  eine  höhere,  reinere  Sphäre  zu  er- 
heben, indem  er  (V.  5  und  6)  für  Tempelreparatur  Ehrfurcht  vor 
den  Göttern  einsetzt;  dabei  stellt  sich  auch  neben  die  Strafe  als 
Gegenstück  der  Lohn.  Nach  diesen  beiden  Zeilen  könnte  man 
nun  erwarten,  daß  im  folgenden  die  Macht  und  Ohnmacht  Roms 
auf  seine  Frömmigkeit  bzw.  Gottlosigkeit  werde  zurückgeführt 
werden,  und  zu  dieser  Erwartung  stimmen  auch  noch  die  beiden 
folgenden  Zeilen,  V.  7  und  8,  die  anscheinend  die  propositio  eines 
ersten  Teiles  enthalten:  alles  Leid  kam  von  der  Gottlosigkeit  her. 
Indessen,  der  Dichter  hat  eine  andere  Absicht  und  leitet  uns  un- 
vermerkt auf  einen  andern  Weg.  Nur  in  den  Worten  non  ampicatos 
V.  10  kommt  noch  einmal  der  in  den  Anfangsstrophen  behauptete 
Kausalnexus  zum  Ausdruck;  dann  treten  die  Tempel  und  die 
Götterverehrung  ganz  zurück.  Schon  in  der  folgenden  Strophe 
wird  als  Grund  für  den  nahezu  erfolgten  Untergang  Roms  der 
innere  Zwist  angegeben,  und  ähnlich  im  zweiten  Hauptteile  als 
Grund  für  die  großen  Siege  die  sittliche  Tüchtigkeit.  Das  ist  des 
Dichters  wahre  Herzensmeinung. 

Wohl  verspürt  man  in  der  Komposition  der  Horazischen  Oden 
die  überaus  mühevolle  Arbeit  des  Denkers,  des  Rhetors,  des 
Dichters;  aber  die  Voraussetzung  Neuerer,  daß  er  gewohnt  ge- 
wesen sei,   Zahlenschemata  zugrunde  zu  legen,   tut   ihm  unrecht. 

46)  Friedrich  Leo,    Livius  und   Horaz;    über  die  Vorgeschichte  des 

römischen  Dramas.     Im  Hermes  XXXIX  (1904)  S.  63—  77. 

Über  den  literarhistorischen  Abschnitt  Epist.  II  1,  139  ff. 
urteilte  Kießling,  daß  Horazens  Darstellung  auf  den  durch  die 
Varronische  Forschung  ermittelten  Tatsachen  fuße,  während 
L.  Muller  kurz  bemerkte:  Quelle  unbekannt.  Leos  Resultat  (S.  72) 
ist  nun  dies:  die  Berichte  des  Livius  und  des  Horaz  sind  beide 
unvarronisch,  aber  nur  Horaz  trägt  nachweislich  vorvarronische 
Anschauung  vor;  Livius  und  Horaz  haben,  was  die  Herkunft  ihrer 
Berichte  angeht,  nichts  miteinander  gemein. 

47)  Josef  Dorsch,    Mit   Horaz    von  Rom    nach   Brindisi;    Reisebild. 

Sooderabdruck  aas  dem  Jahresberichte  1903/1904  des  Staatsgymnasiuma 
Prag-Altstadt.     16  S.     8. 

Von  seinem  italienischen  Aufenthalte  im  Jahre  1895  hat 
Dorsch  uns  schon  früher  ein  Reisebild  zugute  kommen  lassen  (Bei 
Horaz  in  den  Sabinerbergen;  vgl.  JB.  XXVI  S.  57 f.);  hier  erhalten 


94  Jahresberichte  d.  Pbilolog.  Vereins. 

wir  ein  zweites.  Er  ist  mit  der  Bahn,  eine  Strecke  lang  auch 
zu  Wagen,  von  Rom  nach  Brindisi  gefahren  und  hat  dabei,  wie 
manches  andere,  so  auch  Horazens  Satire  I  5  sich  durch  den 
Kopf  gehen  lassen.  Wer  nach  dem  Schriftchen  greift,  wird  es 
mit  Vergnügen  lesen,  darf  aber  nicht  erwarten,  daraus  Gewinn 
für  das  Verständnis  des  Horaz  zu  ziehen. 

48)  Friedrich  Kreppel,  Der  Zyklus  der  Horazischen  Römeroden. 
Zweiter  Teil  (die  dritte  Ode).  Programm  des  Gymnasiums  zu  Kaisers- 
lautern, 1904.     63  S.     8. 

Nachdem  Kreppel  in  einem  früheren  Programme  die  beiden 
ersten  Römeroden  behandelt  hat  (vgl.  JB.  XXX  S.  59  ff.),  gibt  er 
hier  als  Fortsetzung  eine  Erörterung  über  Anlage  und  Tendenz 
der  dritten. 

Die  Arbeit  zeichnet  sich  —  was  schon  dem  ersten  Teile 
nachgerühmt  werden  konnte  —  durch  eine  umfängliche  Kenntnis 
und  Berücksichtigung  der  bisherigen  einschlägigen  philologischen 
Literatur  aus.  Wer  die  Fülle  der  über  diese  Ode  vorgebrachten 
Ansichten  bequem  überblicken  will,  der  wird  gut  tun,  zu  Kreppeis 
Abhandlung  zu  greifen. 

Des  Verf.s  eigene  Auffassung  ist  nun  folgende.  Die  Ode 
bilde  einen  einheitlichen  Organismus  (S.  61).  Schon  in  der  ersten 
Strophe  denke  Horaz  an  Augustus  (S.  30);  die  Erwähnung  des 
tyrannus  enthalte  eine  Anspielung  auf  Antonius  (S.  32).  Einen 
lockeren  Übergang  vom  Vorhergehenden  zu  der  Rede  der  Juno 
anzunehmen,  sei  unzulässig  (S.  25  f.).  In  den  Versen  9 — 16  lägen 
zwei  einander  parallele  Gegenüberstellungen  vor:  1.  Pollux-Herkules 
und  Augustus,  2.  Bacchus  und  Quirinus  (V.  27).  Was  Juno  bei 
Gelegenheit  der  Apotheose  des  Quirinus  ausspreche,  müsse  im 
Hinblick  auf  Augustus  gesagt  sein.  Und  so  faßt  Kreppel  die  ganze 
Rede  der  Juno  allegorisch,  wie  dies  seine  eigene  Rekapitulation 
(S.  61)  zeigt:  „Gerechtigkeit  und  Ausdauer  sind  unbesiegbar;  sie 
werden,  wie  vor  alters  den  Helden  der  Sage,  und  wie  in  unserer 
eigenen  Geschichte  dem  Quirinus,  so  auch  dem  Augustus  den  Sitz 
im  Olymp  verschaffen.  Mit  ihm  hat  nach  der  Götter  Spruch  eine 
neue  Zeit  für  Rom  angefangen,  wie  eine  solche  mit  Quirinus  für 
unsere  Vorfahren  begonnen  hat.  Damit  aber  diese  neue  Zeit  uns 
zu  Glanz  und  Größe  führe,  ist  es  nötig,  daß  wir  auf  Erneuerung 
veralteter  Zustände  verzichten  und  uns,  entschlossen  wie  der 
Princeps,  der  neuen  [Zeit  widmen,  wie  unsere  Väter  aufhören 
mußten,  Trojaner  zu  sein,  um  Römer  zu  werden.  Wie  solches 
Hineinleben  ins  Neue  eine  machtvolle  Zukunft  verbürgt,  so  wird 
Rückschritt  zum  Alten  ins  Verderben  führen'4. 

Ich  kann  nicht  glauben,  daß  eine  Auffassung,  die  dem  Dichter 
einen  solchen  geheimen  Sinn  unterschiebt,  zutreffend  sei  und  An- 
klang finden  werde.  Wer  in  aller  Welt  soll  das  aus  Horazens 
Worten  herauslesen?    Meines  Erachtens  liegt  das  nqätov  ipsvdog 


Horatius,  von  H.  Röhl.  95 

bei  Kreppel  wie  bei  manchen  andern  in  der  unberechtigten  Vor- 
aussetzung, die  Ode  müsse  ein  einheitliches  Ganzes  sein.  Wer 
konnte  aber  dem  Horaz  verwehren,  zwei  verschiedenartige  Stoffe 
in  einem  Gedichte  zu  vereinigen?  Dabei  ist  unerheblich,  ob  man 
sagen  will,  das  Gedicht  bestehe  aus  zwei  disparaten  Teilen,  oder 
es  habe  gleichsam  einen  Schwanz,  der  länger  sei  als  der  eigent- 
liche Körper.  —  Wie  ich  die  Ode  auffasse,  ist  schon  oben  (Nr.  45, 
vgl.  auch  Nr.  17)  ausfuhrlich  vorgetragen. 

49)  [J.  Vahlen],  Zu  Od.  IV  4.    Im  Index  lectionum  der  Berliner  Universität 

für  das  Wintersemester  1904/1905.     10  S.     4. 

Der  Verf.  behandelt  die  Frage,  ob  die  letzte  Strophe  von 
Od.  IV  4  dem  Hannibal  oder  dem  Dichter  gehöre,  und  weist  sie 
dem  ersteren  zu.  Die  Gründe  dafür  sind:  1)  die  Worte  Claudias 
manus  curat  sagaces  expediunt  per  acuta  belli  entsprächen  ganz 
genau  den  Ereignissen  des  Jahres  207;  2)  die  letzte  Strophe 
enthalte  die  unentbehrliche  Begründung  für  die  vorletzte. 

Diesem  Urteile  und  dieser  Beweisführung  muß  ich  durchaus 
zustimmen,  wie  ich  denn  auch  in  meiner  eigenen  Ausgabe  die 
Strophe  dem  Hannibal  gegeben  habe.  Mich  bestimmte  dazu  schon 
ein  äußerlicher  Grund:  wären  dies  nicht  mehr  Worte  Hannibals, 
so  hätte  der  Dichter  in  Ermangelung  unserer  Gänsefüßchen  das 
irgendwie  deutlich  machen  müssen;  das  Fehlen  jeder  Andeutung 
zeigt,  daß  die  Rede  weitergeht. 

50)  Theodor  Plüß,    Das   Jambenbuch    des   Horaz   im  Lichte    der 

eigenen  und  unserer  Zeit.  Leipzig  1904,  B.  G.  Tenbner. 
141  S.    8.    4  Jt. 

Horazens  Epoden  bieten  dem  Verständnisse  noch  eine  große 
Menge  ungelöster  Schwierigkeiten,  vielleicht  weil  manche  derselben 
unlösbar  sind,  zum  Teil  gewiß  aber  auch  deshalb,  weil  gelehrte 
Forschung,  wie  sie  für  andere  Dichtungen  des  Horaz,  namentlich 
für  die  Oden,  in  reichem  und  überreichem  Maße  aufgewandt  ist, 
den  Epoden  bisher  weit  spärlicher  zuteil  wurde.  Eine  Spezial- 
arbejt  über  die  Epoden  wird  man  daher  freudig  begrüßen;  nur 
zeigt  bei  der  vorliegenden  der  Zusatz  auf  dem  Titel:  „im  Lichte 
der  eigenen  und  unserer  Zeit",  daß  sie  sich  doch  ein  etwas  anderes 
Ziel  gesteckt  hat  und  wir  eine  Behandlung  der  noch  nicht  be- 
friedigend beantworteten  Fragen  der  Kritik  und  Exegese  nur 
nebenbei  zu  erwarten  haben.  So  gibt  denn  der  Verf.  auf  S.  7 
als  seinen  Zweck  an:  „Es  sollen  die  siebzehn  Gedichte  einzeln  je 
auf  ihre  logische  Gliederung,  ihren  poetischen  Inhalt  und  Zweck, 
ihre  Form  und  ihr  Wesen,  ihre  Abfassungszeit  geprüft  werden". 

1.  Die  Behandlung  jeder  Epode  beginnt  mit  einer  Disposition. 
Bei  den  Oden  herrscht  ja  über  die  Disposition  einzelner  bekannt- 
lich eine  wunderliche  Meinungsverschiedenheit;  aber  bei  den  Epoden 
liegt  im  ganzen  die  Sache  doch  einfacher,  und  so  kann  man  dem 


96  Jahresberichte  d.  Philolög.  Vereins. 

Verf.  in  seinen  Angaben  des  Gedankenganges  meist  zustimmen. 
Nur  hätte  Ref.  —  was  freilich  Geschmackssache  ist  —  die  Fassung 
knapper  gewünscht  und  z.  B.  bei  Epod.  8  etwa  geschrieben :  „Daß 
ich  gegen  dich  kalt  bleibe,  ist  erklärlich.  Denn  1)  dein  Körper 
(Zähne,  Stirn,  Hintrer,  Brüste,  Bauch,  Oberschenkel,  Waden)  ist 
häßlich,  und  2)  deine  anderweitigen  Vorzuge  (Reichtum,  Abkunft, 
kostbarer  Putz,  Schöngeisterei)  können  die  Sinnlichkeit  eines 
Mannes  nicht  anregen.  Um  das  zu  erreichen,  mußtest  du  schon 
zu  einem  wenig  beneidenswerten  Mittel  greifen".  Plöß  ver- 
braucht dazu  2—3  mal  so  viel  Worte,  ohne  dadurch  der  Klarheit 
zu  nutzen. 

2)  Über  Wesen  und  Zweck  der  Epoden  befindet  sich  aber 
Ref.  leider  in  einer  nicht  zu  vermittelnden  Meinungsverschieden- 
heit vom  Verfasser.  Mir —  und  manchem  andern  —  sind  die 
Epoden  die  noch  sehr  unreifen  Erstlingsdichtungen  eines  jungen 
Mannes,  schon  Spuren  von  Talent  aufweisend,  aber  vielfach  noch 
an  Ungeschicklichkeiten  und  Geschmacksverirrungen  leidend;  Pluß 
glaubt,  viel  mehr  und  Besseres  darin  zu  finden.  Um  die  Differenz 
der  Anschauungen  zu  verdeutlichen,  wähle  ich  als  Beispiel  wieder 
die  achte  Epode.  Ich  würde  über  diese  ungefähr  sagen:  „Der 
junge  Dichter,  noch  unter  allerlei  Stoffen  herumtastend,  hat  Lust 
verspürt,  sich  auch  als  Pornograph  zu  versuchen,  und  macht's, 
um  Aufmerksamkeit  zu  erregen,  möglichst  derb.  In  formeller 
Hinsicht  spürt  man  die  Wirkung  der  Rhetorenschule  an  der  Art, 
wie  für  parallele  Gedanken  mannigfache  Fassungen  gesucht  werden 
(1.  cum  . . .  sed;  2.  esto  . . .  nee  sit . . .  quid  quod),  auch  an  dem 
Kunstgriffe,  mit  dem  die  kräftigste  Zote  für  den  Schluß  aufgespart 
wird".  Ganz  anders  Plüß.  Er  selbst  sagt  S.  5,  es  sei  ihm  wegen 
seiner  Arbeiten  über  alte  Dichter  „mit  einer  fast  erheiternden 
Regelmäßigkeit  der  Vorwurf  phantastischer  Paradoxie  gemacht 
worden".  Statt  mir  diesen  Ausdruck  anzueignen,  möchte  ich 
lieber,  mich  möglichster  Objektivität  befleißigend,  die  betreffende 
Stelle  aus  dem  Buche  selbst  hersetzen,  ob  dieselbe  etwa  bei  einem 
oder  dem  andern  Leser  einen  empfänglichen  Boden  findet.  Also 
S.  52:  „Es  gab  auf  jenem  Gebiete  des  wirklichen  Lebens  auch 
Kämpfe  des  Willens,  mit  tragischen  und  komischen  Wider- 
sprüchen und  Peripetien,  z.  B.  den  Fall,  daß  eine  robuste,  aber 
in  gewissem  Sinn  gesunde  Sinnlichkeit  sich  mit  robuster  Derbheit 
gegen  jene  krankhafte  Begehrlichkeit  wehren  mußte,  die  den  Ge- 
setzen der  Lebensentwickelung  und  ebenso  der  Ehe-  und  Gesell- 
schaftsordnung widersprach.  Eine  solche  Abwehr  künstlerisch, 
d.  b.  zugleich  typisch  und  rhythmisch  wirkend  darzustellen,  konnte 
einen  Dichter  von  scharfem  Auge  für  Widersprüche  des  Lebens, 
von  stark  dramatischem  Sinne  und  von  humoristischem  Tempera- 
ment wohl  reizen.  So  gefaßt,  als  Kampf  der  Natur  gegen  Un- 
natur, kann  der  Gegenstand  des  Dichters  sogar  ethisch  ein  höheres 
Interesse    beanspruchen.     Der   Zynismus    der   Aussprache   gehört 


Horatius,  von  H.  Höhl.  97 

dann  zu  der  dramatischen  Person  und  Situation  des  Sprechers; 
die  Roheit  gegenüber  der  andern  Person  mildert  sich,  wenigstens 
für  Zeit-  und  Lebensgenossen  des  Dichters,  gerade  durch  die 
Übertreibung,  also  dadurch,  daß  das  Häßliche  und  Widerwärtige 
in  der  Richtung  des  Unmöglichen  gesteigert  wird.  So  dürften 
dann  auch  Dichter  und  Hörer  sogar  ihr  Wohlgefallen  haben  — 
nicht  an  einem  Schaden,  welcher  einer  bestimmten  Person  vom 
Dichter  zugefügt  würde,  sondern  an  dem  unschädlichen  Bilde,  in 
welchem  Dichter  und  Hörer  gemeinsam  Empfindungen  und  Willens- 
kämpfe der  aktuellen  Wirklichkeit  mit  überlegener  Stimmung 
reproduzieren".  Wenn  nun  weiter  Plüß  den  Sinn  der  beiden 
Schlußverse:  quod  ut  superbo  provoces  ab  inguine,  ore  adlaboran- 
dum  est  tibi  folgendermaßen  wiedergibt  (S.  49):  „Um  diese  an- 
zufeuern, mußt  du  freilich  auch  noch  deine  Beredsamkeit  an- 
strengen" (vgl.  auch  S.  50  unten),  so  hat  er  —  mit  einigen  Er- 
klärern —  in  dieser  Frage  der  Interpretation  leider  fehlgegriffen 
und  dem  Gedichte  die  Pointe  geraubt;  denn  daß  die  Stelle  bei 
Orelii  mit  „linyendo"  richtig  erklärt  ist,  kann  keinem  Zweifel 
unterliegen  (vgl.  neben  zahlreichen  anderen  Stellen  namentlich 
Martial  III  75  und  Schol.  luven.  VI  298). 

Ich  verzeichne  noch  kurz,  ohne  eine  Kontroverse  daran  an- 
zuknüpfen, die  Ansichten  des  Verfassers  über  einige  andere  Epoden. 
In  Epod.  4  (S.  24)  sei  es  nicht  Horaz  in  Person,  der  in  leiden- 
schaftlicher Entrüstung  das  Bild  des  reichen  Parvenü  zeichnen 
wolle,  sondern  der  Sprecher  sei  eine  dramatische  Person,  mit  dem 
Ich  des  Dichters  immerhin  verwandt,  aber  durch  die  weite  Ver- 
wandtschaft des  Allgemein-  und  Allzumenschlichen,  und  auch  hier 
sei  die  Stimmung  des  Dichters  dem  leidenschaftlichen  Willen  des 
Sprechers  überlegen.  Die  Worte  der  sechsten  Epode  (S.  40)  will 
Plüß  zwischen  zwei  Sprecher  verteilen.  Die  16.  Epode  (S.  106  f.) 
sei  parodisch;  der  Fluchtgedanke  des  prophetischen  Ratgebers  sei 
vom  Dichter  selber  als  unrömisch  empfunden;  seine  Leser  und 
Hörer  sollten  die  Flucht  demgemäß  ebenfalls  als  unrömisch,  als 
selbstsüchtig,  feig  und  würdelos  statt  als  'mannhaft',  als  Pietät- 
losigkeit  statt  als  '  Pietät'  empfinden.  (?) 

3)  Was  die  Beziehungen  zwischen  den  Metris  und  dem  Inhalt 
anlangt,  so  bekundet  Plüß  eine  außerordentliche  —  meines  Erachtens 
irreführende  —  Feinfühligkeit.  Selbst  wo  so  stark  verschiedene 
Gedichte  wie  Od.  17,  I  28  uud  Epod.  12  in  demselben  Versmaße 
verfaßt  sind,  sucht  er  nach  einer  gemeinsamen  Begründung. 

4)  Aus  des  Verf.  Erörterungen  über  die  Chronologie  der 
Epoden  möchte  ich  den  Versuch  hervorheben,  in  Epod.  7  die 
Verse  9  und  10  zur  Zeitbestimmung  zu  verwerten.  Diese  beiden 
Verse  passen  nach  Plüß  nicht  auf  eine  Zeit,  wo  die  Parther  sieg- 
reich vordrangen,  sondern  wo  sie  zurückgedrängt  waren  uud 
dauernd  gedemütigt  schienen.  Das  halte  ich  allerdings  für  eine 
richtige  Beobachtung. 

Jahresberichte  XXXI.  7 


98  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Von  dem  reichen  Inhalte  des  Buches  hat  nur  weniges  hier 
vorgeführt  werden  können;  es  steckt  eine  sehr  intensive  geistige 
Arbeit  darin.  Km  ganzen  zwar  schwebt  es  —  nach  dem  Urteile 
des  Ref.  —  in  zu  hohen  Regionen  und  verliert  dabei  den  festen 
Roden;  aber  auch  wer  den  Resultaten  des  Verf.  öfters  nicht  zu- 
stimmt, wird  aus  der  Fülle  der  erörterten  Fragen  vielerlei  An- 
regung schöpfen. 

51)  A.  v.  Domaszewski,    Der   Festgesang  des   Horaz  auf  die  Be- 

gründung des  Prinzipates.     Im  Hheinischen   Museum  N.  F.  LIX 
(1904)  S.  302—310. 

Der  Verf.  handelt  über  die  Oden  III  1 — 6.  Die  Beziehung 
auf  den  Princeps  sei  hier  das  einigende  Band.  Die  vier  Tugenden 
des  Augustus,  die  das  Monumentum  Ancyranum  aufzähle,  würden 
in  diesen  Römeroden  behandelt,  und  zwar  virtus  in  III  2  und 
III  5,  dementia  in  III  4,  iustitia  in  III  3,  pietas  in  III  6.  Die 
Verse  III  2,  17 — 24  virtus  repulsae  nescia  sordidae  etc.  bezögen 
sich  auf  die  Verwaltung  des  Konsulates  durch  Augustus  in  den 
Jahren  27—23,  die  Verse  III  2,  25  IT.  est  et  fideli  tuta  silentio 
merces  etc.  auf  den  Treubruch  des  Cornelius  Gallus. 

Dies  in  Kürze  die  wichtigsten  Resultate,  die  mir  (der  letzte 
Satz  vielleicht  etwas  weniger)  einen  hohen  Grad  von  Probabilität 
zu  besitzen  scheinen.  Nach  all  dem  Phantastischen,  das  schon 
über  die  Römeroden  geschrieben  ist,  freut  man  sich,  wenn  einmal 
eine  einschlägige  Abhandlung  sich  auf  dem  realen  Boden  der  Ge- 
schichtsanschauung bewegt  und  eine  wirkliche  Förderung  des 
Verständnisses  erzielt. 

52)  Michel   Psichari,  Eleve  de   philosophie  an  Lycee  Condorcet,    Index 

raisonne  de   la  mythologie  d'Horace.     Paris  1904,  H.  Welter. 
48  S.     8. 

Es  ist  die  Arbeit  eines  strebsamen  und  fleißigen  Schülers. 
Die  Haupteinteilung  in  zwei  Teile,  Horace  interprete  d'autrui  (d.  h. 
Stellen,  wo  Horaz  eine  seiner  Personen  sprechen  läßt),  und  Horace 
son  propre  interprete  (d.  h.  Stellen,  wo  Horaz  selbst  spricht),  ist 
allerdings  wenig  fruchtbar  und  oft  mißlich.  Innerhalb  eines  jeden 
dieser  Teile  ist  die  Disposition  folgende:  1.  Divinites  etrangeres. 
1.  Grecques.  A.  Divinites  Celestes,  B.  Divinites  marines,  C.  Divinites 
terrestres,  D.  Heros;  2.  Non  grecques.  II.  Divinites  nationales. 
1.  Locales;  2.  Non  locales;  Comparaison  des  Lyrica  avec  le  Sermo 
pedestris  (d.  h.  Angabe  der  Stellen,  wie  oft  ein  mythologischer 
Name  in  den  lyrischen  Gedichten  einerseits  und  in  den  hexa- 
metrischen anderseits  vorkommt).  Hier  und  da  sind  kleine  Exkurse 
eingestreut. 


Horatius,  von  H.  Höhl.  99 

53)  Gaston  Boissier,  Nouvelles  promenades  archeologiques; 
Horace  et  Virgile;  ouvrage  cootenaut  deux  cartes.  Ciaquieme 
editioo.  Paris  1904,  Hacbette  et  Cie.  376  S.  8.  Darin  S.  1—62: 
La  maison  de  cainpagoe  d' Horace,  mit  einer  Karte. 

Die  neueren  Philologen,  die  sich  mit  der  Lage  von  Horazens 
Landhaus  beschäftigt  haben,  haben  sämtlich  (soweit  es  mir  be- 
kannt geworden  ist)  sich  für  die  ältere  der  beiden  Annahmen 
entschieden  und  es  in  die  Vigne  di  S.  Pietro  gesetzt;  vgl.  JB.  XXI 
S.  228,  XXIII  S.  52,  XXIV  S.  86,  XXVI  S.  57 f.  Boissier  hingegen 
neigt  S.  31  f.  zu  der  Ansicht  von  Pietro  Rosa,  daß  es  auf  der 
Hochebene  Capo  le  Volte  gelegen  habe.  Indes  behandelt  er  diese 
Streitfrage  nur  ganz  kurz;  im  übrigen  beschäftigt  sich  die  Ab- 
handlung, deren  Titel  zu  eng  gewählt  ist,  in  geistreicher,  populärer 
Darstellung  mit  vielem,  was  sich  auf  Horazens  Lebensverhältnisse 
bezieht.  Darunter  begegnen  nicht  wenige  feine  Bemerkungen,  so 
S.  14  über  das  seltsame  Vergnügen,  das  Mäcenas  und  seine  Freunde 
an  plumpen  Clownspäßen  finden  (vgl.  meinen  Kommentar  zu  Sat. 
I  5,70).  Ferner  S.  19  über  die  Tendenz  der  Epode  2:  il  etait 
impatiente  de  voir  tant  de  gens  admirer  ä  froid  la  campagne;  il 
voulait  rire  aux  depens  de  ceux  qui,  n'ayant  aucune  opinion  per- 
sonelle, croient  devoir  prendre  tous  les  goüts  de  la  mode,  en  les 
exagerant.  Dann  S.  40  die  Darlegung,  daß  Horaz  in  Tibur  kein 
eigenes  Haus  besessen  habe.  Anderes  wiederum  ist  mir  bedenk- 
lich. Die  Worte  rugosus  frigore,  Epist.  I  18, 105,  bezieht  Boisson 
S.  20  auf  das  durch  die  Lufttemperatur  hervorgerufene  Schaudern; 
doch  durfte  es  gemäß  der  Schultheßschen,  vom  Ref.  ein  wenig 
modifizierten  Deutung  auf  die  wegen  der  Kälte  des  Getränkes  ge- 
schnittene Grimasse  gehen;  vgl.  JB.  XXIX  S.  53  f.  Auch  hält 
Boisson  S.  35  an  der  Ansicht  fest,  daß  Horaz  Wein  gebaut  habe; 
man  vergleiche  dagegen  die  Darlegungen  im  JB.  XXV11  S.  93  f. 

54)  Karl   Meiser,    Zu  Horatius   Sat.  I  4,35.     la  deu  Blattern  für  das 
Gymuasialschulwesen  XL  1904  S.  696  f. 

Statt  der  allgemein  üblichen  Lesung  dummodo  risum  excutiat 
sibi,  non  hie  cuiquam  parcet  amico  verlangt  Meiser:  dummodo  risum 
excutiat,  sibi  non,  non  cuiquam  parcet  amico.  Auch  ein  Teil  der 
Überlieferung  spricht  hierfür  (vgl.  Keller,  Epilegomena  S.  457); 
aber  dies  war  unbeachtet  geblieben,  doch  wohl  weil  sibi  non  parcet 
keinen  in  den  Zusammenhang  recht  passenden  Sinn  zu  geben 
schien.  Und  doch  kann  an  der  Richtigkeit  der  Lesung  kein 
Zweifel  sein,  da,  wie  Meiser  erkannt  hat,  Horaz  die  Aristotelische 
Charakteristik  des  ßcopoloxog  im  Gedächtnisse  hatte,  welche  in 
der  Nikomachischen  Ethik  4,  14  (1128a  34)  lautet:  6  de  ßcopo- 
Aoxog  tnxtav  saxlv  %ov  ysXoiov  xal  ovts  kavTOv  ovzs  iwv 
äXÄoov  ansxofisvogj  sl  yikwta  notfjaei.  So  ist  durch  den  glück- 
lichen und  wertvollen  Fund  Meisers,  dem  wir  schon  neulich  die 
evidente  Interpretation  eines  bisher  dunklen  Verses  verdankten 
(JB.  XXX  S.  44),  wieder  eine  Horazstelle  klar  geworden. 

7» 


100  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

55)  O.A.  Hoffmann,  War  Horaz  Jäger?    Zur  Ergänzung  seines  Lebens- 

und Charakterbildes.    In  der  Monatsschrift  für  höhere  Schulen  III  (1904) 
S.  665-  674. 

Der  Verf.  will  nachweisen,  daß  Horaz  ein  Jäger  war,  und 
wohl  auch,  daß  er  selbst  ein  solcher  ist.  Uns  interessiert  nur 
der  erstere  Nachweis,  und  dieser  ist  natürlich  mißlungen.  Die 
Schriftsteller  von  Homer  bis  Zola  haben  nicht  all  die  Tätigkeiten 
ausgeübt,  von  denen  sie  Kenntnis  zeigen.  Und  wenn  Horaz  die 
Jagd  als  echt  römische,  mannhafte  Beschäftigung  empfiehlt,  so 
folgt  daraus  für  seine  Person  gar  nichts,  ebensowenig  wie  aus 
seinem  Lobe  der  Che  und  des  Familienlebens.  Mit  welchen  Dingen 
Horaz  sich  wirklich  abgab,  das  berichtet  er  oft  und  unzweideutig; 
nirgends  aber  sagt  er,  daß  er  gejagt  habe;  also  lag  ihm  diese 
Tätigkeit  fern. 

56)  P.  E.  Sonnenburg,    De    Horatio    et    Pollione.      Im    Rheinischen 

Museum  N.  F.  LIX  (1904)  S.  506—511. 

Sonnenburg  handelt  über  Od.  II  1  im  Anschluß  an  die  im 
JB.  XXX  S.  38  f.  besprochene  Arbeit  Seecks  und  an  eine  Abhand- 
lung von  E.  Kornemann  (Beiträge  zur  alten  Geschichte  III  3,  1903, 
S.  550 f.).  Einzelne  Ansichten  dieser  Vorgänger  stellt  er  richtig, 
so  wenn  er  darlegt,  daß  zu  arma  V.  4  nicht  principum  zu  er- 
gänzen sei  (gegen  Kornemann),  und  daß  vitia  belli  nicht  Fehler 
der  Feldherren,  sondern  aller  Zeilgenossen  seien  (gegen  denselben), 
und  daß  der  Ausdruck  arma  nondum  expiatis  uncta  cruoribus  nicht 
gerade  auf  die  Schlacht  bei  Karrhä  gehe,  sondern  auf  all  das  in 
den  Bürgerkriegen  vergossene  Bürgerblut  (gegen  Seeck).  Aber  in 
andern  Punkten  schließt  er  nach  meinem  Urteile  mit  Unrecht 
sich  der  Seeckschen  Anschauung  an,  so  namentlich  in  der  An- 
nahme eines  temporalen  Gegensatzes  zwischen  tarn  nunc  perstringis 
und  audire  tarn  videor.  Wer  diese  Verse  unbefangen  liest,  kann, 
meine  ich,  zu  audire  iam  videor  nicht  ergänzen:  „obgleich  du  diese 
Partie  noch  nicht  ausgearbeitet  hast",  sondern  nur:  „so  lebhaft 
schilderst  du  die  Vorgänge".  Auch  folgenden  Satz  bei  Sonnen- 
burg halte  ich  für  irrtümlich:  „facere  vix  poterant"  (sc.  amici) 
„quin  cum  Horatio  ab  auctore  peterent,  ut  paulum  cetera  inter- 
mitteret  studia  ac  totus  incumberet  ad  historias  perficiendas". 
Horaz  bittet  nicht  darum;  dem  Pollio  einen  solchen  Rat  über  eine 
zweckmäßige  Einteilung  der  Arbeitszeit  zu  geben,  hätte  ihm  übel 
gestanden.  Der  Konjunktiv  desit  bezeichnet  hier  keine  Bitte, 
sondern  ein  Zugeständnis:  „So  müssen  wir  denn  eben  für  einige 
Zeit  auf  Leistungen  von  dir  auf  einem  andern  Gebiete  verzichten4'. 
Das  ist  aber  nur  eine  geschickte  Form,  um  den  Lesern  zu  sagen, 
daß  der  Verfasser  des  demnächst  erscheinenden  Geschichts- 
werkes sich  bereits  auf  einem  andern  Felde  der  Literatur  aus- 
gezeichnet hat. 


Horatius,  von  H.  Röhl.  \Q\ 

57)  Walther  Gilbert,  Zu  Horaz'  Oden.     Im  Rheinischen  Museum  N.  F 

LIX  (1904)  S.  628-630. 

Od.  I  2.  Diese  Ode  sei  zwar  ums  Jahr  28  gedichtet,  aber 
mit  Ruckversetzung  in  eine  ältere  Zeit,  so  daß  sie  älter  erscheinen 
sollte,  als  sie  ist.  Dies  beweisen  nach  Gilberts  Meinung  V.  21  ff. 
„die  gegen  die  Parther  mobilisierten  Legionen,  welche  Truppen 
des  Brutus  und  Cassius  wurden44  (sagt  Horaz  das?),  V.  25 f.  ruens 
Imperium  und  V.  29  und  44  das  Auftreten  Oktavians  als  Caesar is 
ultor.  Daß  diese  Stellen  zu  einer  so  merkwürdigen  Folgerung 
zwingen,  kann  Ref.  nicht  zugeben.  —  Od.  I  23,  5  f.  Die  natur- 
geschichtlichen Bedenken,  die  zur  Anzweiflung  der  überlieferten 
Lesung  geführt  haben,  sucht  Gilbert  zu  widerlegen.  — -  Od.  I  28. 
Horaz  führe  V.  7 — 9  Beispiele  derer  an,  denen  der  griechische 
Volksglaube  eine  höhere  persönliche  Fortexistenz  zuerkannte  als 
den  übrigen  'Schatten7;  diesen  Volksglauben  lehne  Horaz  ab  und 
leugne  jede  wirkliche  Fortexistenz.  Aber  dem  Dichter  kommt  es 
doch  nur  auf  die  allgemeine  Notwendigkeit  des  Sterbens  an;  auf 
den  Streit  über  den  Zustand  nach  dem  Tode  einzugehen  liegt 
ihm  fern.  —  Od.  II  15,12.  Auspiciis  bedeute:  „unter  der  mit 
göttlicher  Segensverheißung  angetretenen  Staatsleilung".  —  Od.  II 
15,  17.  Der  Verf.  denkt  an  „den  natürlichen  Rasen,  mit  dem 
man  sich  in  einfacheren  Zeiten  zum  persönlichen  ländlichen  Lust- 
wandeln  begnügte". 

58)  S.  Schloßmann,  Zu  Horaz  Senn.  II  1,  79 ff.    Im  Rheinischen  Museum 

N.  F.  LIX  (1904)  S.  630—634. 

Über  die  oben  (S.  60)  erwähnte  Ermansche  Erklärung  be- 
richtet Schloßmann  folgendermaßen:  (Tabulae  bedeutet  nach  Erman) 
„die  formula  des  Formularprozesses,  jenes  kleine  Schriftstück,  in 
dem  nach  der  allgemeinen  Annahme  der  Rechtshistoriker  der 
Magistrat,  nach  beendigtem  Verfahren  in  iure,  den  für  den  Prozeß 
bestellten  Geschworenen  (iudex)  ernennt  und  mit  Anweisung  für 
die  Verhandlung  und  Entscheidung  der  Sache  versieht.  H.  Erman 
will  mit  Rücksicht  auf  die  in  V.  81.  82  stehenden  Worte:  ius  est 
iudiciumque  die  tabulae  auf  die  Schriftformel  beziehen  und  erblickt 
in  ihnen  eine  versiegelte  Wachstafel,  die  der  Geschworene,  nach- 
dem er  sie  empfangen,  im  Reginn  der  Verhandlung  eröffne  (sol- 
ventur  tabulae);  und  er  glaubt  so  in  der  Stelle  einen  klaren  Re- 
weis für  difr  bisher  ohne  sichere  Reglaubigung  dastehende  Annahme 
der  Schriftlichkeit  der  formula  gefunden  zu  haben1'.  Dieser  Er- 
klärung ist,  wie  Schloßmann  angibt,  bereits  Trampedach  (Zeitschr. 
der  Sav.  St.  XVIII  S.  141  f.)  entgegengetreten,  und  auch  er  selbst 
führt  juristische  Gründe  dagegen  an.  Trampedach  seinerseits 
interpretierte:  die  die  carmina  enthaltenden  Rücher  werden  frei- 
gesprochen werden.  Dabei  findet  Schloßmann  mit  Recht  die 
Gegenüberstellung  von  tabulae  und  tu  unverständlich.  Schloßmann 
bezieht   jene  Worte    auf  die  Freigabe  der  vorläufig  mit  Reschlag 


102  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

belegten  Schriften;  aber  die  von  Horaz  nicht  erwähnte  Beschlag- 
nahme sich  hinzuzudenken  ist  mißlich.  Auch  macht  bei  beiden 
Auffassungen  das  Wort  risu  Schwierigkeit.  Ganz  befriedigend  er- 
scheint mir  lediglich  die  ßergksche  Konjektur  solventer  bis  sex 
tabulae. 

59)  Paul  v.  Win  terfeld,  Wie  sah  der  Codex  Blandinius  vetu- 
stissiinus  des  Horaz  aus?  Im  Rheinischen  Museum  N.  F.  LX 
(1905)  8.  31—37. 

Der  Verf.  sucht  zu  erweisen,  daß  die  älteste  Blandinische 
Handschrift  von  Iren  herrührte;  diese  hätten  um  die  Mitte  des 
neunten  Jahrhunderts  den  Horaz  ins  Frankenreich  gebracht,  wo 
er  bis  dahin  unbekannt  gewesen  sei. 

Folgende  Publikationen  haben  dem  Referenten  noch  nicht 
vorgelegen: 

0.    Keller,    Gommeot    les    scolies     non     por phyrioniennes     sur 

Horace  ont-elles  pris  le  noin  d'Acron?    Extrait  des  melanges 

Boissier.     Paris  1903,  Libr.  Fonteinoing.     4  S. 
P.  Knapp,    Bemerkungen    zu    Horaz.     Im    Korrespondenzblatt    für    die 

Gelehrten-  uod  Realschulen  Württembergs  1903  (XI)  S.  411—416. 
£.  Kornemann,    Pollios    Geschichtswerk    und    Horaz  Carm.  II  1. 

In  den  Beiträgen  zur  alten  Geschichte  III  3  (1903)  S.  550—551. 
L.  Ricci,  Syntaxis  Horatiana.     Pars  prior:  de  casuum  usu.    Pontedera 

1903,  Ristori.     84  S. 

R.  Sciava,  La  terza  satira  d'Orazio  e  gli  schiavi.    In:  Atene  e  Roma, 

anno  VII  1904  S.  69—82. 
F.  M.  Austin,    Cacophony    in   Juvenal,    Horace    and   Persius.     In: 

Americao  Journal  of  Philology  XXIV  (1903  S.  452. 

F.  Collard,  Les  auteurs  latins  au  College.    8.  Horace.    In:  Bulletin 

bibliographique  et  pedagogique  du  Musee  Beige  1903  (IX)  S.  439 — 448. 

G.  Olivieri,    Le    favole    mitologiche    delle    odi    di    Orazio,   coo- 

fr on täte  con  le  pitture  di  Pompei  ed  Ercolano.    Palermo  1903,  Fiore. 

88  S. 
Br.  Kruczkiewicz,  Obvia  II,  zu  Hör.  Epist.  II  1,  69 — 71.    In:  Eos  IX 

(1903)  S.  153—156. 
P.  Fossataro,    Horatiana;    iu    carmeu   III  7,  10  sq.     In:   Bollettino  di 

filologia  classica  XI  Nr.  4. 
M.  Jourdain,  Horace,  Ödes,  translated,  collected  and  arranged.    London 

1904,  Dent.  208  S.  12. 

E.  Anzalone,  Appunti  Oraziani.     Gastrogiovanni  1903.     22  S. 
P.  Rasi,   Di  un  esempio  errato  di  sillesi  iu   latino.     In:   Bollettino 
di  filologia  classica  X  10  S.  228— 230. 

Halberstadt.  H.  Röhl. 


Was  heißt  vinci  dolentem   Horat.  carm.  IV  4,62? 

Die  lateinische  Sprache  ist  arm  an  Adjektiven,  die  die  Un- 
möglichkeit eines  Geschehens  bezeichnen,  und  läßt  darum  stell- 
vertretend partizipiale  Bildungen,  die  eigentlich  nur  das  Nicht- 
geschehen    bezeichnen,    eintreten    (infans,  invictus).    Horaz   liebt 


"1 


Zu  Horatios,  von  L.  Reinhardt.  103 

solche  Stellvertretung  nicht,  ohne  sie  ganz  zu  meiden  (invicti  Iovts 
carm.  III  27,73,  vielleicht  auch  immensus  Pindarus  IV  2,7;  vgl. 
Hl  12,  3  neque  pugno  neque  segni  pede  victus)  und  läßt  selbst  für 
das  sonst  allgemein  angenommene  infans  die  genauere  Umschreibung 
nescios  fori  pueros  eintreten  IV  6,  18.  Mit  Hilfe  desselben  Ad- 
jektivs wird  auch  die  Unnachgiebigkeit  des  Peliden  ausgedruckt 
(cedere  nescii  1  6,  6),  während  doch  auch  immitis  zur  Verfügung 
stand.  Für  „unnahbar41  könnte  wohl  intactus  angewendet  werden, 
aber  davor  hat  sich  die  lateinische  Sprache  überhaupt,  nicht  nur 
die  des  Horaz,  gescheut.  Dieser  umschreibt  den  Begriff  und  sagt 
asperum  tactu  leonem  III  2,  10  und  metuitque  tangi  HI  11,  10. 
Beide  Ausdrücke  entsprechen  nicht  genau  dem,  was  gesagt  werden 
soll;  der  erste  nicht,  weil  er  das  Unmögliche  nur  als  etwas  Miß- 
liches, der  zweite  nicht,  weil  er  es  als  etwas  Furchtbares  hinstellt. 
Mit  jenem  hat  Ähnlichkeit  Fsnelopen  difficilem  procis  Hl  10,  11, 
wo  die  Unverführbarkeit  der  Penelope  gemeint,  aber  nur  die 
Schwierigkeit  der  Sache  ausgesprochen  ist,  mit  diesem  pinna 
metuente  solvi.  In  jenem  Falle  wird  ein  objektives  Hindernis,  in 
diesem  ein  subjektives  eingesetzt  an  Stelle  der  Unmöglichkeit. 
Solch  ein  subjektives  Hindernis  benutzt  Horaz  auch  an  andern 
Stellen,  um  damit  die  Unmöglichkeit  zu  ersetzen.  Wenn  die 
wahre  Tugend,  meint  er  III  5,  29,  einmal  entschwunden  ist,  so 
ist  sie  unwiderbringlich  dahin-,  aber  er  sagt  statt  dessen:  „sie 
sorgt  nicht  wiederhergestellt  zu  werden",  nee  . . .  curat  reponi.  Dort 
hatten  wir  die  Furcht,  daß  etwas  Negatives  geschehe,  hier  die 
Sorglosigkeit  das  Unbekümmertsein  darum,  daß  etwas  Positives 
zustande  komme.  In  dieser  Richtung  ist  der  Dichter  noch  einen 
Schritt  weiter  gegangen,  indem  er  zur  Furcht  und  Sorge  als 
Drittes  den  Schmerz  gesellte  und  die  Unbesiegbarkeit  des  Herkules 
ausdrückte  als  Schmerz  über  die  in  Wahrheit  gar  nicht  eingetretene 
Niederlage.  Danach  würde  also  vinci  dolentem  . . .  Herculem  den 
unbezwinglichen  Herkules  bezeichnen.  Wer  könnte  verkennen,  daß 
der  Ausdruck  eine  kühne  Neubildung  ist,  und  wer  sollte  nicht 
eine  andere  Erklärung,  wenn  sie  aus  den  Worten  des  Dichters 
einen  dem  Zusammenhang  entsprechenden  Sinn  hervorlockte,  be- 
vorzugen? Aber  einerseits  sehen  wir  doch,  daß  es  dem  Ausdruck 
bei  Horaz  nicht  an  Analogien  fehlt,  anderseits  kann,  was  von  den 
Herausgebern  als  Erklärung  geboten  wird,  nicht  den  Anspruch 
erheben,  eine  befriedigende  Antwort  auf  die  Frage  zu  geben:  wie 
kann  von  Herkules  behauptet  werden,  daß  er  Schmerz  darüber 
empfinde,  besiegt  zu  werden,  während  er  tatsächlich  gar  nicht 
besiegt  wird?  Hören  wir  wenigstens  einige  Erklärer.  Obbarius 
sagt:  dolentem  „wütend  sein,  weil  Herkules  von  der  Hydra  beinahe 
besiegt  wäre".  „Beinahe"  ist  ein  Zusatz  des  Erklärers;  läßt  man 
ihn  weg,  so  fällt  die  Erklärung  in  sich  selbst  zusammen.  Ähnlich 
Orelli-Baiter:  'prae  dolore  atque  indignatione  frementem,  quod  se 
a  tali  monstro  prope  vinci  videret '.    Dillenburger  meint,  es  werde 


104  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

die  Heftigkeit  des  Kampfes  mit  vinci  dolentem  bezeichnet;  denn 
wem  die  Niederlage  starken  Schmerz  verursache,  der  strenge 
seine  Kräfte  an.  Er  wurde  es  also  etwa  übersetzen:  der  heftig 
kämpfende  Herkules. 

Eigentümlich  sagt  Rosenberg:  „dolere  hat  fast  die  Bedeutung 
einer  Negation:  am  Siege  verzweifelnd".  Auch  zu  dieser  Erklärung 
kann  man  wohl  nur  kommen,  indem  man  stillschweigend  etwas 
Wesentliches  ergänzt,  wie  es  schon  Obbarius  und  andere  getan 
haben.  Und  so  nimmt  denn  auch  Kießling  direkt  dessen  Er- 
klärung wieder  auf:  „vinci  dolentem,  da  er  beinahe  den  kürzeren 
zog'\  Was  Lucian  Müller  bemerkt:  „vinci  dolentem,  nämlich  se\ 
im  Indikativ  würde  es  heißen  vinci  dolebat"  kann  kaum  eine  Er- 
klärung genannt  werden,  da  eben  nicht  gesagt  ist,  was  vinci  dolebat 
bedeuten  soll.  Was  er  aber  außerdem  hinzufügt:  „ein  bei  dem 
Hercules  invictus  natürliches  Gefühl",  zeigt  wohl,  daß  er  auf  dem 
Wege  zum  richtigen  Verständnis  war,  aber  das  Ziel  nicht  erreicht 
hat.  Ähnlich  steht  es  mit  L.  W.  Nauck:  „vinci  dolens  ist  all- 
gemeines Beiwort  wie  cedere  nescius".  Es  fehlt  die  Angabe,  welche 
Bedeutung  das  allgemeine  Beiwort  hat.  Möglich,  daß  Nauck  an 
„unbezwinglich"  gedacht  hat,  aber  aus  dem  Vergleich  mit  cedere 
nescius  kann  man  das  nicht  ohne  weiteres  schließen;  denn  hier 
ist  ja  die  Unmöglichkeit  in  nescius  deutlich  ausgesprochen,  während 
es  für  die  Erklärung  unserer  Stelle  gerade  darauf  ankam,  den  in 
dolentem  nur  angedeuteten  Sinn  ans  Licht  zu  ziehen. 

Wohlan.  Leopold  Reinhardt. 


3. 
Ve  r  g  i  1. 


I.    Zu  den  ländlichen  Gedichten. 

1)  Gaspare   Dalloca,    Pietole.      Atti    e    memorie    della    R.  Accademia 

Vir^iliana    di    Mantova.     Bienoio    accaderaico    1899 — 1900.     Mantova 
1901  S.  89— 102. 

2)  FerruccioCarreri,  Pietole,  Formigada  eil  fossatodi  Virgilio. 

Atti  e  memorie  .  .  .     Anno    accademico    1903 — 1904.      Mantova  1904 
S.  19—82. 

Beträchtliche  Bodenerhebungen,  Felsen  und  Grotten,  wie  sie 
in  B.  1  und  9  erwähnt  sind,  linden  sich  bei  Pietole  nicht.  Daher 
hat  man  seit  dem  Anfang  des  vorigen  Jahrhunderts  öfters  be- 
zweifelt, ob  die  herkömmlichen  Angaben  über  Vergils  Geburtsort 
richtig  seien.  Gegen  solche  Zweifel  wendet  sich  da  IT  Oca  (so 
schreibt  C.  den  Namen  wie  schon  die  Mitgliederliste  der  Accad. 
Virg.  1901  S.  IV)  und  sucht  nachzuweisen,  daß  weder  Andes  mit 
Bande  bei  Cavriana  und  Volta  gleichzusetzen  noch  V.  in  Mantua 
selbst  geboren  und  bei  Bialta,  in  dessen  Nähe  die  Überlieferung 
Bianors  Grab  (B.  9,  59  f.)  verlegen  will,  begütert  gewesen  sei. 
Wenn  man  eingewendet  hat,  daß  es  im  Gegensatz  zu  der  Angabe 
B.  1,  47  f.  in  Pietole  keine  Steine  gebe,  so  weiß  er  dagegen,  daß 
man  nach  einer  Urkunde  vom  J.  1444  in  territorio  Hetularum 
Kies  grub  wie  in  der  Nachbarschaft  noch  heute.  Überdies  könnten 
und  würden  wohl  Vergils  Worte  einen  besonderen  und  mit  den 
Unruhen  des  Krieges  vorübergehenden  Zustand  bezeichnen. 

Carreri  setzt  die  Widerlegung  fort,  mit  etwas  genauerer  An- 
gabe der  italienischen  Vorarbeiten,  aber  nicht  bekannt  mit  fremden; 
Vgl.  Sonntag,  Vergil  als  bukolischer  Dichter  S.  121  Anm.  1,  und 
Cartaults  Etüde  sur  les  Bucoliques  de  V.  Kap.  I,  X,  XI  und  XI1L 
Namentlich  verwertet  er  viel  neugefundene  Urkunden,  deren  der 
Anhang  S.  54 f.  einige  40  wiedergibt  oder  auszieht.  Ich  verstehe 
nicht,  wozu  sie  alle  nötig  waren.  Mir  genügt  z.  ß.  die  eine  An- 
gabe aus  dem  J.  1387:  in  territorio  Formigate  seu  Pletularum 
(S.  42),  um  die  Identität  der  beiden  Namen  anzunehmen.  Die 
älteste  Urkunde  (Nr.  27  S.  68,  abgefaßt  zwischen  1015  und  1036) 
nennt  einen  Hof  Fornicata  .  .  a  Larione  qui  vocatur  Padus  (S.  43 : 
vermutlich  ein   alter  Arm    vom  Po)    usque  in  lacuin  qui  vocatur 


106  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Mantuanum  (aequor  9,  57?  S.  32)  samt  einer  Insel  quae  vocatur 
aita  (einer  der  colles  9,7?  S.  26  und  43),  zu  dessen  Eckpunkten 
eine  pelra  pertusi  (S.  53:  pietra  pertosa)  gehört.  Dieser  Hof 
(später  vilia  Formigade  genannt,  so  S.  75  Urkunde  Nr.  40  v.  J. 
1472)  wird  begrenzt  per  fossatum  quod  vocatur  fornicatula  *),  quod 
percurrit  usque  ad  fossatum  quod  vocatur  Virgilii,  und  zwar  auf 
der  Bergseite,  wie  die  Zweitälteste  Urkunde  (Nr.  26  v.  J.  1072) 
hinzusetzt,  welche  außer  der  fossa  quae  vocatur  fornicata  [über- 
wölbt?], dem  Lario  und  dem  See  noch  Humen  quod  dicitur 
Mintius  (G.  III  15)  als  Grenzlinie  angibt;  das  wären  also  nach 
S.  54  die  flumina  nota  von  B.  1,  51.  Der  sog.  Graben  Vergils 
wird  S.  22  mit  Pseudo-Donat  §  3  in  Verbindung  gebracht,  nach 
welchem  V.s  Mutter  in  subiecta  fossa  partu  levata  est.  Ich  kann 
C.s  Annahmen  keineswegs  überall  folgen.  Er  hält  es  S.  52  sogar 
für  möglich,  daß  B.  1,  75  f.  ein  Garten  mit  künstlichen  Felsen  und 
Grotten  gemeint  und  eine  solche  Grotte  noch  in  jenem  durch- 
lochten Felsen  der  ältesten  Urkunde  bezeugt  sei.  Einflüsse  von 
Vorbildern  aus  Theokrit  haben  ihm  früher  Bedenken  gemacht;  jetzt 
bezeichnet  er  S.  21  es  als  Fehler,  der  echten  Überlieferung  miß- 
traut zu  haben.  Aber  ein  Übelstand,  den  auch  die  zum  Teil 
recht  kühnen  Etymologieen  nicht  beseitigen  oder  mildern,  ist  und 
bleibt,  daß  die  Lokalsage,  welche  nach  S.  26  und  30  auch  einen 
Berg  und  ein  Häuschen  V.s  kennt,  im  ganzen  ersten  Jahrtausend 
unserer  Zeitrechnung  keine  Stütze  findet,  die  bei  der  Gleich- 
setzung von  Andes  und  Pietole  jeden  Verdacht  willkürlicher  Er- 
findung ausschlösse. 

3)  W.  Warde  Fowler,  Observation  od  the  fourth  eclogue  of 
Virgil.  Harvard  Stadies  XIV  (1903)  S.  17— 35.  —  Vgl.  R.  Helm, 
DLZ.  1903  Sp.  2626. 

Der  vorliegende  Band  der  zu  Cambridge  in  Massachusetts  er- 
scheinenden altphilologischen  Zeitschrift  ist  dem  Andenken  ihres 
am  11.  Okt.  1901  verstorbenen  Begründers  J.  ßr.  Greenough  ge- 
widmet und  mit  seinem  Bilde  geschmückt.  Ihm  gilt  außer  einer 
kurzen  Totenklage  in  Hexametern  eine  Lebensbeschreibung  von 
G.  L.  Kittredge,  die  seine  Verdienste  um  lateinische  Grammatik, 
Etymologie,  Prosodie  betont  und  zuletzt  seine  Werke  aufzählt, 
unter  denen  sich  auch  mehrere  Ausgaben  von  Vergil  befinden, 
wie  von  andern  Klassikern  Cäsar,  Cicero,  Sallust,  Livius,  Horaz 
und  Ovid. 

Der  Aufsatz  über  B.  4  befaßt  sich  hauptsächlich  mit  den  vier 
letzten  Versen  des  Gedichts,  holt  aber  weiter  aus,  indem  er  zwei 
nach  Cartaults  Studie  erschienene  Veröffentlichungen  näher  be- 
trachtet. Zunächst  W.  H.  Ramsays  ' Meeting  of  Horace  and  VirgiT 
(Proceedings  of  the  Franco-Scottish  Society  1898),  der  gegenüber 
Horazens  verzweiflungsvollem  Rate,  vor  den  Schrecken  eines  neuen 

*)  Sollte  hier  nicht  vielmehr  foroicatum  stehen? 


Vergil,  von  P.  Deuticke.  107 

Bürgerkrieges  nach  den  glücklichen  Inseln  im  Westen  auszu- 
wandern (Epode  16),  den  Vergil  lehren  läßt:  sucht  das  Glück 
nicht  draußen ;  es  ist  daheim  zu  finden,  da  hier  eine  neue,  goldene 
Zeit  naht.  W.  F.  fände  das  annehmbar,  wenn  nur  nicht  'der 
bereits  geborene  Knabe'  eine  Abstraktion  sein  sollte,  mit  der  sich 
die  vier  letzten  Verse  nicht  zusammenreimen  ließen.  Sie  widerstreben 
auch  der  Deutung  S.  Heinachs,  die  schon  im  JB.  1903  S.  171  an- 
gegeben ist;  von  einem  mystischen  Dionysos-Zagreus  könne  da 
nicht  die  Rede  sein,  zumal  die  Frage  nach  der  Mutter  durch  eine 
unannehmbare  Vermutung  beantwortet  werde.  W.  F.  selber  be- 
zieht V.s  Hoffnungen  auf  das  im  J.  40  erwartete  Kind  des  Augustus 
und  der  Scribonia,  also  wie  neuerdings  Skutsch,  dessen  Aus- 
führungen er  aber  so  wenig  kennt  wie  die  von  Sudhaus  und 
Rasi;  s.  JB.  1903  S.  141  und  170 f.  Das  ganze  Gedicht  betrachtet 
er  wie  Seaton  (vgl.  JB.  1895  S.  266)  als  Spruch  einer  weisen 
Pflegerin,  gesungen  zu  denken  während  des  Geburtsaktes  (vgl.  V.  8 
und  48),  nach  dessen  Vollendung  vor  V.  60  eine  Sinnpause  und 
dann  in  anderem  Tone,  piano,  der  Schlußgesang  folge.  Der  letzte 
Vers  erinnere,  wie  ein  richtiges  Ammenlied,  an  älteren  Volks- 
glauben, demzufolge  nobilibus  pueris  editis  in  atrio  domns  Iunoni 
(Lucinae  addit  Philarg.)  lectus,  Herculi  mensa  ponebatur;  so  DServ. 
in  Thilos  Anm.  III  S.  53  zu  Z.  18,  ähnlich  auch  Scaliger  zu  Cat. 
61,  219,  nur  daß  er  genius  für  Hercules  sagt.  Für  den  vorletzten 
Vers  endlich  wird  Scaligers  ebendort  aufgestellte,  bei  Ribbeck 
schon  verzeichnete  Vermutung  qui  non  risere  parentes  =  ad  p. 
befürwortet  und  Plaut.  Capt.  III  1,  21  (481)  me  rident  verglichen. 
Auf  die  Frage  nach  dem  Ergebnis  der  ganzen  Erörterung  ist  leider 
zu  sagen:  kaum  etwas  Neues  und  nirgends  etwas  Sicheres. 

Nützlicher  sind,  um  das  kurz  hinzuzufügen,  die  beiden  andern 
Arbeiten  des  Bandes.  Karl  E.  Weston  bespricht  S.  37 — 54  die 
Bilder  der  vier  Terenzhandschriften  Vatic.  Paris.  Ambros.  und 
Dunelmensis  (in  Oxford),  welche,  wie  die  vatikanischen  Vergilbilder, 
auf  alte  Vorlagen  zurückgehen.  Die  Arbeit  war  schon  im  Druck, 
als  1903  in  Leyden  das  photographische  Faksimile  des  Ambrosianus 
mit  Bethes  Vorwort  erschien.  Auch  John  Calvin  Watson  be- 
handelt S.  55  —  172  die  Bilder  zu  Terenz,  und  zwar  nach  ihrem 
Verhältnis  zu  den  Szenenüberschriften:  bis  auf  einige  Ausnahmen 
entspreche  die  Beihe  der  hier  angegebenen  Namen  der  Anordnung 
der  Figuren;  diese  seien  älter  als  jene,  folglich  die  Handschriften 
der  Familie  y,  welche  Text  und  Minialuren  zugleich  aufweist,  nicht 
jünger  als  6,  wo  die  Bilder  fehlen.  Auch  für  Watsons  Aufsatz 
sind  die  96  Bilder  nutzbar,  welche  Weston  auf  25  Tafeln  am 
Ende  des  Bandes  aus  seinen  vier  Hss.  verkleinert  beigibt. 

4)  F.  Jacobi,   Zur  Entstehung  der  römischen  Elegie.     Rhein.  Mus. 
LXI  (1905)  S.  38—105. 

J.  kommt  mehrfach,  besonders  S.  71  f.,  auf  B.  10  zu  sprechen 
und   findet   darin  wie  Skutsch  (s.  JB.  1903  S.  142  f.)  Anlehnung 


108  Jahresberichte  des  Philolog.  Vereins. 

an  Vorbilder  von  Gallus,  'dem  Archegeten  der  römischen  Elegie' 
(S.  58).  Naturlich  handle  es  sich  nicht  um  wörtliche  Übernahme 
(▼gl.  Nordens  Kommentar  zu  A.  VI  S.  359 f.),  auch  nicht  um  einen 
Übergang  oder  eine  Mischung  von  Elegieen  und  bukolischen  Ge- 
dichten, sondern  die  Verse  46—49  z.  B.  geben  den  Gedanken 
einer  Elegie  wieder,  wie  42  f.  und  55—60  den  Inhalt  anderer, 
die  auch  gelegentlich  anderwärts  anklingen,  wie  bei  Properz 
I  18,  19  f. 

5)  Paul  Jahn,  Die  Quellen  uud  Muster  des  ersten  Buches  der 
Georgica  Vergils  und  ihre  Bearbeitung  durch  denDichter. 
Rhein.  Mus.  f.  Pnilol.  N.  F.  LVIII  (1903)  S.  392—426. 

Während  V.  bei  den  Eklogen  ein  Hauptmuster  vor  Augen 
hat,  benutzen  die  Georgika  eine  ganze  Reihe  Vorbilder,  welche 
Jahns  letzte  Liste  S.  426  für  I  1 — 350  übersichtlich  zusammen- 
stellt. Lukrez  kommt  hier  zu  kurz  weg;  um  so  reichlicher  werden 
seine  sprachlichen  Einflüsse  vorher  behandelt.  In  der  ersten  Über- 
sicht der  als  Stoffquellen  oder  formale  Muster  (gelegentlich  auch 
als  beides  zugleich,  wie  Varros  R.r.  I  3 f.  und  44, 1  für  G.  I  50f.) 
benutzten  Vorlagen  zeigt  S.  393  namentlich  L.  V  stark  verwendet, 
dessen  V.  207 — 217  nicht  weniger  als  sechsmal  vorschweben  sollen* 
Nächst  Lukrez  und  Varro  kommen  besonders  Hesiods  Werke  und 
Tage  in  Betracht,  seltener  Theokrit  und  Arat,  verhältnismäßig 
wenig  Cato  und  —  Homer.  Ob  V.  den  Homer  ganz  kannte,  be- 
zweifelt J.  (S.  419  sogar:  kein  Gedanke)  und  möchte  manchen 
Anklang  lieber  aus  einer  Sammlung  von  Memorierversen,  einem 
Auszug  von  Vergleichen  und  ähnlichen  Hilfsmitteln  herleiten  oder, 
wie  bei  Versen  aus  Sophokles,  Menander  u.  a.,  an  Vermittelung 
lateinischer  Vorgänger  glauben,  so  bei  flava  Ceres  I  96  ^  JE  500. 
Nur  mittelbar  ausgebeutet  sah  er  ja  auch  schon  den  Theophrast 
(Hermes  1903  S.  244 f.;  s.  JB.  1903  S.  174 f.),  über  den  er  hier 
das  Erforderliche  wiederholt  und  einiges  nachtragt,  z.  B.  daß  V.s 
Angaben  I  208—250  der  Hist.  pl.  VIII  1  parallel  laufen.  Weiter 
stutzen  sich  die  V.  208  f.  auf  Varro  I  34,  1  so  stark,  daß  sogar 
die  Verbindung  severe  usque  wiederkehrt,  wie  sonst  im  Ausdruck 
dividit  orbetn  wörtlich  zu  Lucr.  V  684  stimmt  und  medium  lud 
atque  umbris  frei  zu  688 f.  Für  212 — 230  ist  die  unmittelbare 
Quelle  nicht  zu  ermitteln  (ebensowenig  für  287 — 96),  während 
es  für  den  Anfang  der  dann  folgenden  Digression  Eratostheues 
ist,  auf  welchen  der  Dichter  durch  Varro  1  2,  3  f.  geführt  wurde. 
Auch  für  84 — 93  kennt  J.  keine  Stoffquelle;  Muster  sind  Varro 
I  27,  2  ^  89  (wie  schon  zu  63  f.),  Lucr.  VI  155  flamma  crepitante 
n^  85,  I  494  calor . .  penetraleque  frigus  ^  92  f.  und  V  215  f.  mit 
der  Dreiteilung  der  Feldschäden.  Das  mittelste  Glied  V.s  (rapidiv* 
potentia  solis)  ist  umgestellt  gegen  L.  und  entspricht,  auch  metrisch, 
dem  tievog  o^ioq  tfelioio  bei  Hes.  414,  dessen  Verse  420  f.  Vergil 
169  —  175  ersetzen,  nicht  übersetzen  will,   während  er  Hes.  51 1  f. 


^ 


Vergil,  von  P.  Deuticke.  109 

zur  Ausmalung  des  Unwetters  330  f.  heranzieht,  die  sich  haupt- 
sächlich an  Lucr.  VI  246  f.  anschließt. 

Unter  dem  bunten  Ausputz,  bei  welchem  mancherlei  Stucke 
aus  Catull,  besonders  Ged.  66,  und  einzelne  aus  Afranius,  Attius, 
Ennius,  Kallimacbos  u.  a.  auftauchen,  bucht  J.  auch  Erinnerungen 
aus  den  Eklogen.  So  soll  V.  I  154  'mit  vollem  Bewußtsein*  auf 
B.  5,  37  anspielen;  zu  welchem  Zwecke  wohl?  Und  vollends  ge- 
wisse Worte  und  Verbindungen  an  bestimmten  Stellen  des  Verses, 
namentlich  am  Ende  —  was  sollen  die  beweisen?  Daß  V.  solche 
Formeln  nach  seinen  trüberen  Gedichten,  nach  Lukrez  und  andern 
wieder  braucht,  kommt  mir  ganz  selbstverständlich  vor  [vgl.  J. 
selber  S.  418]  und  so  wenig  beweiskräftig  wie  etwa  der  deutsche 
Beim  Herz :  Schmerz.  Sonst  sucht  J.  das  wirkliche  Gewicht  der 
Anklänge  vorsichtig  festzustellen.  Daher  seine  Bemerkung  zu  120: 
Theophr.  h.  VII  11,  3  braucht  nicht .. .  benutzt  zu  sein,  zu  176: 
verglichen  Lucr.  I  400  —  ohne  zwingenden  Grund,  zu  178 f.: 
benutzt  sind  Varro  I  51  und  57, 1  und  Cato  129  (comtninuito 
terram  et  cylindro  mit  pavicula  coaequato  ^  aequanda  cylindro, 
was  bei  Varro  fehlt),  nicht  aber  Cato  91.  Er  weiß  (S.  425),  daß 
in  dergleichen  Schilderungen  Ähnliches  sich  wiederholen  muß; 
um  so  weniger  aber  verstehe  ich,  wieso  und  wofür  er  manche 
mir  zufällig  erscheinende  Entsprechung  verwerten  zu  können 
glaubt.  Zu  den  'Ähnlichkeiten,  die  sich  nicht  wiederholen  mußten, 
sondern  Bekanntschaft  erwiesen',  rechnet  er  auch  V.  325  rw 
Apollon.  Bhod.  IV  1280  f.  öpßgov  äanszop,  oöte  fiocov  xaxä 
livqia  sxkvasv  sgya  und  meint,  V.s  Bekanntschaft  mit  Apollonios 
stehe  auf  Grund  anderer  Benutzungen  fest,  während  er  sie  S.  400 
nur  als  möglich  und  S.  394  sogar  als  fraglich  bezeichnet.  Zu 
V.  158  schreibt  er  'hier  einmal  deutlich  bloße  Erinnerung1,  nämlich 
an  Lucr.  II  2.  Das  soll  jedenfalls  ein  Gegensatz  sein  zu  den 
*  förmlichen  Sammlungen7,  die  sich  V.,  wie  J.  noch  immer  an- 
nimmt (vgl.  JB.  1899  S.  172),  über  die  Bezeichnungen  für  Kälte 
und  Hitze,  die  fünf  Zonen  [mortalibus  aegris  237  =  Lucr.  VI  1; 
und  doch  als  einziger  Zug  aus  Homers  Beschreibung  (l  19)  ent- 
lehnt?], den  rauschenden  Bach  u.  dergl.  anlegte. 

Der  Nachweis,  wie  der  Dichter  seine  Quellen  und  Muster 
bearbeitet  hat,  ist  also,  wie  mir  scheint,  nicht  vollständig  geglückt. 
Die  Einleitung  sagt:  die  Worte  werden  oft  poetisch,  und  zwar  oft 
wahrhaft  poetisch,  paraphrasiert;  und  S.  409  zu  178 f.:  die  Vor- 
schriften der  Ackerbau  Schriftsteller  in  durchaus  dichterischer  Weise 
umschrieben.  Wem  genügen  dergleichen  Allgemeinheiten?  Jeden- 
falls aber  spricht  J.  hier  wie  im  Hermesaufsatze  vorsichtiger  über 
V.s  Gaben  und  Leistungen  als  früher  in  seinen  Programmen.  Zu 
V.  58  sagt  er:  Wir  würden  erwarten  nur  von  Pflanzen,  nicht  von 
allen  möglichen  Erzeugnissen  zu  hören.  In  Horcus  Eumenidesque 
satae  277  f.  soll  V.  Hesiods  W.  803  f.  mißverstanden  haben  [vgl. 
Conington-Haverfield]  und  304  durch  eigne  oder  eines  Abschreibers 


HO  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Schuld  Arats  iniOTQiipaxfi  345  als  intatiipcoöi  wiedergeben, 
wobei  ein  Wortspiel  mit  xoqcovij  und  corona  herausgekommen 
sei,  das  er  wie  andere  (s.  JB.  1899  S.  173)  für  eine  besondere 
Feinheit  halten  mochte.  Jahns  ßelesenheit,  Scharfsinn  und  Sorg- 
falt sind  wieder  aller  Ehren  wert. 

6)    Paul   Jahn,    Aus  Vergils    Dichterwerkstatt.     Philol.  63   (1904) 
S.  66—93. 

Diese  Zergliederung  von  G.  IV  1 — 280  entspricht  dem  eben 
besprochenen  Aufsatze  ziemlich  genau.  Zunächst  schon  äußerlich: 
nur  kommen  zu  den  eckigen  und  runden  Klammem,  kursiven 
Buchstaben  und  eingestreuten  Ziffern  (in  deren  Reihe  übrigens 
manchmal,  z.B.  bei  243 f.,  einzelne  auffallen;  etwa  durch  nach- 
trägliche Kurzungen?)  innerhalb  der  Abschnitte  des  Textes  noch 
senkrechte  Striche  und  unterstrichene  Worte,  womit  mir  fast  das 
wünschenswerte  Maß  der  Zusammendrängung  überschritten  zu 
sein  scheint.  Sachlich  scheidet  J.  wieder  Quellen  und  Muster. 
Bis  auf  wenige  Ausnahmen  wie  103  f.,  208  f.  und  260  f.  ergeben 
sich  zwei  Hauptquellen,  Aristot.  Hist.  anim.  IX  40  und  Varro  R.  rust. 
III  16,  welche  J.  nebeneinander  benutzt  findet  [wie  H.  Morsch, 
nur  viel  reichlicher;  also  anders  als  A.  Knoche  in  der  Dissert. 
Leipzig  1877  S.  13  und  auch  als  J.  van  Wageningen,  Diss.  Utrecht 
1888  S.  168].  Als  Muster  verwertet  V.  außer  sich  selbst  [s.  d. 
vor.  S.]  besonders  den  Lukrez  und  nur  vereinzelt  Homer,  Arat 
(1028  f.  bis  auf  die  Form  des  Satzes  ^  Vergil  191  f.),  Kallimachos, 
Cato,  Ennius  (vielleicht  in  der  Schilderung  des  Kampfes  67 f.,  den 
V.  statt  des  Schwarmauszugs  aus  Varros  Vergleichen  ut  in  exercitu 
vivunt  und  ut  imitatione  tubae  §  9  herausspinnt)  u.  a.  Nebenher 
soll  man  beobachten,  wie  V.  aus  Prosa  Poesie  macht,  z.  B.  V.  15 
aus  x%kid(üv  bei  Arist.  §  16  oder  153  f.  aus  imperium  bei  Varro 
§  6  oder  230  aus  fumigans  bei  Varro  17.  Ausführlichen  Bescheid 
erhalten  wir  über  231  f.  Hier  entlehnte  V.  die  Sache  aus  Arist.  21: 
rfj  dt  xoi  fiilitog  iqyaaia  dirtoi  xcuQoi  slaw,  sag  xai  ptz- 
6ttcoqop  und  Varro  34:  antequam  totus  exoriatur  arcturw,  die 
Form  aber  aus  Arat  263:  Ttjvyha,  vielleicht  auch  59t:  yoVr 
xai  noöa  Xdtov  ovtkü  xvpaivovrog  vno(S%qi(f€i  dxeavoto,  ferner 
aus  Theokrit  18,  26:  äcog  <T  ayiiXXoiöa  xaXov  diitpaive  nqog- 
umov  und  Hesiods  Werken  u.  T.  619:  svz*  av  IlXfj^ääsg  a&ivog 
oßQipop  ^ßgioopog  (psvyovöat,  nlmwöiv  ig  tjsQOsidScc  novxov. 
'Wahrscheinlich  fand  er  nun  bei  irgend  einem  Dichter  Piscis  und 
Orion  in  enger  Verbindung  und  meinte  deshalb,  den  einen  für 
den  andern  setzen  zu  können1.  So  wird  das  Dach  der  Dichter- 
werkstatt, ja  des  Dichterhirnes  aufgedeckt. 

J.s  Ergebnisse  mag  ich  einzeln  um  so  weniger  aufzählen,  als 
er  behufs  einer  Gesamtübersicht  auch  wiederholt,  was  andere  schon 
gefunden  haben.  Nur  zur  Probe  etliche  Einzelheiten.  Mellis  aerii 
1  ^  (A&ki, . .  ninxov  ix  xov  aiqog  Arist.  V  22,  4,   fuco  39   [oder 


Vergil,  von  P.  Denticke.  \\\ 

suco  nach  Madvig?]  =  flirr*  Ar.  IX  40,  5,  limo  45  'wegen  der 
Quantität'  [?]  statt  fimo  Varro  §  16,  melior  90  =  Varro  18  und 
Ar.  9 :  6  fisv  ßsXxioov  tivqqoc,  lalam  trahens  alvom  94  =  nXaxv- 
ydöTWQ  Ar.  9.  Die  Episode  116  f.  findet  J.  durch  Varro  10  ver- 
anlaßt, der  von  zwei  Brüdern  hörte,  quibus  cum  a  patre  reitet a 
esset  parva  villa  et  agellus  non  sane  maior  iugero  uno  (vgl.  Verg. 
127  f.),  hos  . .  alvaria  fecisse  et  hortum  habuisse;  auf  118  f.  und  sub 
125  soll  Varro  I  16,3  eingewirkt  haben:  st« b  urbe  colere  hortos 
late  expedil,  sie  violaria  ac  rosaria.  Wiederholt  sträubt  sich  der 
naturliche  Sinn,  unmittelbaren  Einfluß  anzunehmen;  schon  bei 
haedique  petulei  10  ^  agnique  petulei  Lucr.  II  368,  verum 
ubi  88  =  L.  VI  100,  daedala  179  =  L.  I  7  und  bei  ira  metum 
supra  est  236  rw  itd%ovTat,  fidXiaxa  Ar.  1 1,  erst  recht  bei . .  frenaret 
aquarum  136  ^ . .  aquarum  et  mora  quae  fluvios  passim  refrenat 
euntis  L.  VI  530  oder  morsibus  (st.  punctibusl) . .  adfixae  . .  volnere 
237  f.  ^  L.  V  1318,  wo  Sinn  und  Satzbau  ganz  verschieden  ist. 
Doch  hat  J.  immer  bestimmte  Grunde  für  sich  und  merkt  z.  B. 
zu  151  wieder  ausdrücklich  an:  Callim.  in  Iov.  48  f.  oder  Apollon. 
Rhod.  I  508  resp.  II  1236  oder  Arat  33  f.  brauchen  nicht  nach- 
geschlagen [!]  zu  sein.  Aber  muß  wirklich  Hellespontiaci  Priapi 
111  (und  ebenso  ostriferi  Abydi  I  207)  auf  Catuils  'Muster'  im 
Priapeenfragment  zurückgeführt  werden?  Solche  Namen  und 
Dinge  liegen  doch  sozusagen  in  der  Luft  und  fliegen  dem  Dichter 
zu,  ohne  daß  er's  weiß  und  will. 

Schließlich  noch  einige  andre  Bemerkungen.  158 — 164  be- 
handelt V.  in  etwas  anderer  Reihenfolge,  was  Arist.  23  angibt: 
dirJQTjrai,  de  xä  sQya..,  xal  al  fiiv  iqyd^ovxai  [i6Xi,  al  dt 
yövov,  al  de  §Qi&dxi]V>  xai  al  fisv  nlditovtfi  xfjgia . . ,  al  dt 
sti*  sqyov  sQXovxai.  Hierzu  sagt  Jahn  'für  al  ö£  yovop  ist  edueunt 
fetus  eingetreten',  so  daß  also  wohl  edueunt  wie  sonst  öfters 
(s.  Kochs  Wörterbuch  zu  V.)  =  educant  sein  soll;  dagegen  siehe 
Conington  zu  163  und  Brosin  zu  A.  I  431.  Für  das  dreifache 
Gleichnis  261  f.  verweist  J.  außer  auf  Hom.  II.  XXIV  [gemeint  ist 
XIV]  394  f.  noch  auf  Lucr.  VI  142  f.,  dessen  Begriffe  murmur 
aestus  Stridor  Vergil  mit  überraschender  Verschiebung  als  Prädikate 
für  die  aus  Homer  entnommenen  Subjekte  Wind.  Meer,  Feuer 
verwendet.  Die  Verse  20/4  [s.  schon  Unger,  Neue  Jahrb.  1890 
S.  497  Anm.  75]  unterbrechen  den  sonst  an  Varro  27  ange- 
schlossenen Bericht;  sie  scheinen  daher  später  eingeschoben  zu 
sein,  wie  auch  231/5  [und  241/7?].  Quo  magis  exhaustae  fuerint 
248  bezieht  J.  auf  die  Beseitigung  der  242/7  erwähnten  Schädigungen, 
was  befremdlich  klingt;  doch  vgl.  Waltz  z.  St.  Sollte  die  Unklar- 
heit etwa  von  einer  Lücke  herrühren?  Nach  der  Aufzählung  der 
Schädlinge  könnte  widerraten  sein,  notleidende  Stöcke  einfach  zu 
töten.  Anders  erklärt  die  Verse  Mayers  fachlicher  Sachkommentar 
S.  88  f.  Dieser  erwähnt  S.  77  auch  ein  Heulen,  das  260  m.  E.  in 
Frage  kommen  könnte.     Wenn  Vergil  257  die  Bienen  statt  vor 


112  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

dem  Schwärmen  (so  richtig  Varro  30)  sich  bei  Paulbrut  am  Flug- 
loche zusammenballen  läßt,  so  möchte  J.  das  aus  einem  Miß- 
verständnis von  ot*  anoXeixjJsi  to  OfjtTJvog  bei  Arist.  26  herleiten. 
Ähnlich  suflrre  thymo  241  aus  x^-vfjbicifjbsvai  bei  Arist.  2,  schwer- 
lich richtig,  da  es  sich  um  eine  Art  Desinfektion  handelt;  s.  Mayer 
S.  96.  Somit  ist  nicht  zu  erweisen,  daß  V.  hier  eine  griechische 
Quelle  vor  sich  hatte.  Bei  apibus  felis  139  würde  ich  lieber  auf 
apes  magis  fructuosas  Varro  33  und  fecunda  alvos  34  verweisen; 
der  Schluß  von  §  10  lehrt  nichts  Besonderes. 

7)  W.  Gb'hring,  Übersetzungsproben  aus  lateinischen  Dichtern. 

Beilage  zum  Jahresberichte  des  städt.  Gymn.  Brandenburg  a.  H.  1903 

(Nr.  72).     20  S.     8. 

Außer  mehreren  Gedichten  von  Catull  und  Tibull  verdeutscht 
G.  zuletzt    drei    Stuckchen    aus  Vergil,    nämlich  G.  II  490 — 540, 
IV   [gedruckt    steht   S.  17  II]  51—66    und    A.  I  81—119.      Der 
Ausdruck  ist  glatt,  das  Metrum  meist  trochäisch,  im  Seesturm  bei 
stärkerer  Bewegung  daktylisch,    die  Verse  teils  lang  und  reimlos, 
teils  kurz  und  gereimt.     Der  erste  Abschnitt  aus  V.  beginnt 
*  Glucklich,  wer  der  Dinge  Urgrund  forschend  wohl  erkennen  kann' 
und  schließt         'Nimmer  tönte  Schwerterklang 
Klirrend  auf  der  Amboßbank'. 
Wie  weit  manchmal  die  freie  Ausmalung  geht,  zeige  A.  I  119 
'Und  die  Schätze  Iliums, 
Letzte  Reste  einsogen  Ruhms, 
Schwammen  in  dem  Tanz  der  Wellen'. 

II.   An  eis-Ausgaben. 

8)  Von  Brosin-Heitkamps  Äneis  ist  eben  (1905)  das  erste 
Bändchen,  Buch  1  und  II,  in  neunter  Auflage  erschienen,  auch 
diesmal  nur  wenig  geändert.  , 

9)  Virgils    Aeueide.      Für    den    Schulgebrauch    erläutert    von    Karl 

Kappes.  Erstes  Heft:  Aeneis  I — III.  Sechste  Auflage,  bearbeitet 
von  Martin  Fickelscherer.  Leipzig  und  Berlin  1904,  B.  G. 
Teubner.     XII  u.  120  S.     8. 

Neu  ist  außer  der  Schreibung  Virgil  besonders  eine  acht 
Seiten  lange  Einleitung  über  den  Dichter   und   seine  Werke,    die 

:  meist  ganz  lesbar  ist.  Doch  überrascht  S.  V:  Er  fand  in  dem 
Land  hause    seines    ehemaligen  Lehrers   Siron   in  Rom   mit  den 

.  Seinigen  eine  Zuflucht.  Einen  gewissen  Widerspruch  ergibt  auch 
'die  Tatsache,  daß  V.  niemals  mit  mehreren  Entwürfen  gleich- 
zeitig beschäftigt  war'  (S.  VI),  und  die  Angabe  S.  VIII,  er  habe 
schon,  während  er  an  den  Hirtengedichten  arbeitete,  sich  mit 
dem  Gedanken  getragen,  die  sturmbewegte,  ereignisvolle  Gegen- 
wart in  einem  Heldenliede  zu  besingen.  Verunglückt  ist  ein  Satz 
S.  XI  Z.  4  und  auffällig  ebenda  Z.  19  die  Form  'Eneit',  da  doch 


Vergil,  von  P.  Deuticke.  \\Z 

Heinrich  von  Veldecke  selber  zweimal  (26,  37  und  254,  21  E.) 
Eneide  sagt  und  auf  war  hei  de  reimt. 

Wie  geschickt  F.  sonst  'die  Lebensarbeit  des  treuverdienten 
Vergüforschers'  weiterfuhrt,  habe  ich  im  JB.  1903  S.  159  f.  am 
vierten  Hefte  gezeigt.  In  seinen  Textänderungen  folgt  er  laut 
Vorwort  wesentlich  Ribbeck8,  und  zwar  der  größeren  Ausgabe. 
Daher  jetzt  hier  I  2  Lavina,  548  Punkt  hinter  metus,  II  333 
oppositie,  445  tota,  503  ampla,  III  146  temptare  st.  fenf.,  484 
honore,  558  haec  st.  hie,  685  Komma  hinter  inter  und  686  m. 
Dagegen  steht  deripiunt  211  nur  in  der  kleinen  Ausgabe  und 
proram  I  104  gar  nicht  bei  Ribb.  Im  ganzen  ist  wenig  geändert 
und  orthographische  Seltsamkeiten  wie  sueeepit  I  175,  polUcitus 
237  oder  ec  II  546  mit  Recht  vermieden;  ebenso  Ribbecks 
Klammern  um  I  109,  389,  711,  744,  755,  III  348,  595  und  690f. 
Doch  äußert  F.  gelegentlich  selber  allerlei  Bedenken,  wie  schon 
Kappes  gegen  II  792/4.  So  zu  I  483—484 :  Falls  die  Verse  echt 
sind,  so  enthalten  sie  einen  erklärenden  Zusatz . .  wie  472 — 473, 
hätten  dann  aber  besser  nach  487  ihre  Stelle  gefunden.  Oder  zu 
II  399 — 401:  Verse,  die,  wenn  sie  überhaupt  von  unserem  Dichter 
stammen,  vielleicht  eine  Überarbeitung  erfahren  hätten.  Denn  — 
(nun  folgen  drei  Gründe  der  Bemängelung).  Auch  den  Wider- 
spruch von  II  334  gegen  266  hebt  F.  noch  schärfer  hervor  als  K. 
Umgekehrt  verteidigt  er  die  in  den  besten  Handschriften  fehlende 
Stelle  II  567—587  ausdrucklich:  Widerspruche  seien  in  der  Äneis 
nichts  Ungewöhnliches  und  die  folgende  Szene  588  f.  bleibe  sonst 
unverständlich.  Wenn  ich  mich  nicht  täusche,  greift  das  von  F. 
zuerst  bearbeitete  vierte  Heft  wissenschaftlich  tiefer  als  dies  erste, 
vielleicht  weil  der  Anfang  zunächst  auf  die  Bedürfnisse  der  An- 
fanger berechnet  ist. 

Der  Kommentar  ist  trotz  mancher  Zutat,  namentlich  über 
prosodische  und  metrische  Eigenheiten,  um  mehr  als  vier  Seiten 
gekürzt,  besonders  in  Buch  III,  und  überhaupt  stark  verändert. 
Gegen  Kappes  entscheidet  sich  F.  bei  I  1  primus  Elativ,  114 
ipsius  =  Aeneae,  145  levat:  Obj.  ist  navis,  174  süici  Dativ,  213 
aena  Teller,  nivaxeq  bei  Hom.  a  141,  237  polUcitus  —  quae .  • 
vertu  Anakoluth,  395  videntur:  nicht  passivisch,  sondern  weil  man 
aus  der  Ferne  nicht  genau  sehen  kann,  über  welchem  Punkte  ein 
Vogel  in  der  Luft  schwebt,  455  inter  se  miratnr:  er  bewundert 
bald  den  Gesamtbau  (operum  laborem),  bald  die  künstlerische 
Ausführung  aller  Einzelheiten  (artificum  manne),  534:  unvoll- 
ständige Verse  keine  beabsichtigte  Neuerung;  II  31  Minervae  Gen. 
subj.,  199  hie  temporal,  433  Danaum  verb.  mit  manu,  504 
barbarico  ausländisch:  Trojaner  nie  von  den  Griechen  als  ßoQßaQoi 
bezeichnet,  512:  Atrium  und  Peristylium  vermengt;  III  374:  nam 
begründet  nicht  die  vorausgehende  Anrede  wie  362,  470  duces 
Lotsen  u.  d.  m.  Vielfach  findet  man  sachliche  Ergänzungen  wie 
I  159:    der   spätere   karthagische  Hafen  Kothon    mit   dem   vor- 

JakiMbcrielite  XXXL  8 


114  Jahresberichte  d.  Philolog.  VereUs. 

gelagerten  Inselchen  wird  . .  ähnlich  beschrieben  wie  die  Phorkys- 
bucht,  244  Timavus .  .  Fortsetzung  der  bei  St.  Canzian  in  den 
Tiefen  des  Karsts  verschwundenen  Recca,  319  diffundiere:  Neben- 
sätze mit  Konjunktionen  erspart  und  in  daktylischen  Metren  gut 
verwendbare  Verbalformen  gewonnen,  353 f.  allerlei  Zöge  des 
Traumlebens,  531  terra  antiqua  ein  Land,  das  schon  lange  sich 
menschlicher  Kultur  erfreut,  727:  die  Erwähnung  der  Beleuchtung 
an  dieser  Stelle  soll  vermutlich  andeuten,  daß  jetzt  erst  Licht 
angezündet  wird.  Ferner  II  23 :  als  geographische  Bemerkung  des 
Dichters . .  nicht  aufzufassen,  weil  die  Insel  zur  Römerzeit  als 
wichtige  Flottenstation  bekannt  war,  321  ad  limina:  er  sucht  bei 
Äneas  wegen  der  versteckten  Lage  des  Hauses  (299  f.)  vorläufigen 
Schutz,  476  ingens  Periptias:  JIsQlcpag  nsXcoQiog  in  der  Ilias  er- 
wähnt, aber  E  482  von  Ares  getötet;  III  543  die  Deutung  des 
Omens  ist  chiastisch  geordnet:  Behauptung,  Begründung,  Be- 
gründung, Behauptung. 

Parallelen  aus  deutschen  Dichtern  begegnen  gelegentlich,  so 
zu  I  48  Iunonis  aus  Schillers  Teil  I  3  'Der  Teil  holt  ein  ver- 
lornes Lamm  vom  Abgrund'  und  zu  I  572  aus  Chamissos  Riesen- 
spielzeug 'Du  fragest  nach  den  Riesen,  du  findest  sie  nicht  mehr'. 
Seltener  lateinische,  während  F.  in  seiner  Schulerausgabe  Ovid  gern 
heranzieht.  Sonst  könnte  I  179  torrere  aus  G.  I  267  und  saxum 
aus  Mor.  26  erläutert  werden.  Außerdem  wünschte  man  vielleicht 
noch  Aufschuß  über  den  Kasus  von  genu  I  320  und  rupibus  429, 
über  sorte  trahebat  508,  das  Präsens  venit  697,  amor  716,  protecti 
II  444,  dngor  747  oder  gravid  III  464  u.  ä.  Der  Ausdruck  ist 
durchgesehen  und  viel  flüssiger  geworden.  Aber  was  soll  'das 
Lächeln  der  Gesichtszüge'  I  254  und  'noch  näher'  II  12?  Auf- 
fällig finde  ich  neu  eingesetzt  'das  Truggebäu'  für  insidias  II  36, 
auch  die  Konstruktion  II  463  a.  E.  und  unverständlich  den  Satz- 
bau III  612.  Vielleicht  liegt  hier  ein  Druckfehler  vor  wie  bei  dem 
Lemma  II  136  und  III  82  und  der  Ziffer  II  435  st.  436.  Sach- 
lich zweifelhaft  ist  mir,  ob  Äneas  I  188  das  Schießzeug  des  Achates 
ohne  diesen  selber  bei  sich  haben  soll,  ob  1  448  die  beiden  Tür- 
pfosten gleich  dem  Querbalken  darüber  aus  Stein  bestehen  und 
nur  durch  Metallklammern  verbunden  sind,  ob  II  480  postis  = 
trabsy  Seitenbalken  des  Türflügels,  ist  und  ob  aus  Ov.  Met.  IV  135 
folgt,  daß  inhorrescere  III  195  das  leise  Kräuseln  der  Wellen  als 
Vorzeichen  des  Sturmes  bezeichnet.  Zu  ändern  ist  auch  I  707 
nee  non  et  =  quogue  in  etiam.  Auf  einem  Versehen  bei  der 
Redaktion  beruht  die  doppelte  Deutung  des  Plurals  furiae  I  41, 
die  wiederholte  von  ruunt  83  und  Ende  85,  die  sich  wider- 
sprechende II  802  und  804.  Und  wenn  III  9  iubebat  Vordersatz 
zum  cum  invers.  ist,  sehe  ich  keinen  Grund,  es  aus  der  Analogie 
der  griechischen  Verba  des  Fragens  und  Befehlens  zu  erklären, 
die  selbst  bei  einmaliger  Handlung  oft  im  Imperf.  (de  conatu?) 
stehen.    Doppelte  Auskünfte  von  K.  hat  F.  in  der  Regel  beseitigt, 


Vcrgil,  von  P.  Deuticke.  115 

aber  I  65  ein  'oder'  eingesetzt,  wo  der  zweite  Vorschlag  (namque 
=  ja)  sich  mit  der  voraufgehenden  Annahme  einer  Ellipse  'dich 
rufe  ich  an'  bequem  verträgt.  Ähnlich  II  116:  Die  Sage  von  der 
Rettung  Iphigeniens  durch  Diana  wurde  entweder  im  Altertum 
nicht  allgemein  geglaubt  [das  ist  sicher  aus  Lucr.  I  84  f.  zu  er- 
sehen] oder  hier  von  dem  Betruger  absichtlich  verschwiegen. 

10)  P.  Vergilius  Maro,  Aeneis  Buch  VI.  Erklärt  von  Eduard  Norden. 
Leipzig  1903,  B.  G.  Teubner.  XI  u.  484  S.  gr.  8.  geh.  12,  geb. 
13  JL*  —  Vgl.  Arcb.  f.  lat.  Lex.  u.  Gramm.  XIII  1903  S.  448;  W.  K(roll), 
Lit.  Zentralbl.  1903  Sp.  1187;  R.  Helm,  Berl.  phil.  WS.  1904  Sp.  392; 
J.  Ziehen,  N.  Jahrb.  f.  d.  klass.  Alt.  1904  S.  644;  A.  Cartanlt,  Rev. 
de  phil.  1904  S.  304;  A.  Primoäid,  Zeitschr.  f.  d.  öst.  Gymn.  1904 
S.  129;  H.  Ziemer,  Monatschr.  f.  höh.  Seh.  1904  S.  606. 

In  Teubners  Sammlung  wissenschaftlicher  Kommentare  zu 
griechischen  und  römischen  Schriftstellern  liegt  nun  der  mit 
Spannung  erwartete  Norden  glücklich  vor,  ein  vorzügliches  Seiten-, 
Gegen-  und  Ergänzungsstuck  zum  Heinze.  Das  Friedrich  Leo 
zugeeignete  Buch  bietet  nach  einer  Einleitung  von  48  Seiten  den 
Text  und  eine  neuartige  Übersetzung  von  A.  VI  nebeneinander, 
dann  S.  105—355  ausgiebige  Erklärungen  über  V.s  Vorlagen  und 
Leistungen  in  sachlicher,  grammatischer,  metrischer  Hinsiebt  und 
bis  S.  458  eine  Reibe  bald  längerer,  bald  kürzerer  Anhänge,  von 
welchen  sechs  über  die  Sprache  und  fünf  über  den  Vers  wichtige 
Einzelheiten  zusammenfassen.  Den  Schluß  bilden  Nachträge  und 
mehrere  Register,  deren  letztes  etwa  500  Stellen  aus  den  andern 
Büchern  des  Dichters  verzeichnet,  die  nebenbei  behandelt  werden. 
Das  Ganze  verrät  die  gründlichste  und  vielseitigste  Gelehrsamkeit, 
vor  der  man  staunend  sagen  möchte  labor  omnia  vicit  improbus. 
Allerdings  erscheint  mir  der  Genuß  von  dieser  Sammelarbeit, 
offen  gesagt,  nicht  ganz  so  unmittelbar  und  einheitlich  stark  wie 
bei  Heinzes  abgerundeten  Ausführungen ;  die  Fülle  des  Gebotenen 
wirkt  manchmal  mehr  beklemmend  als  erlösend. 

Der  Text  gründet  sich  auf  die  Majuskelhandschriften  und 
einzelne  Angaben  bei  Servius  oder  andern  Grammatikern,  unter- 
scheidet sich  aber  nur  bisweilen  vom  herkömmlichen,  namentlich 
durch  Averni  126,  agnovit  193,  limina  255  (so  außer  M  auch  die 
Photogravüre  von  F),  consilium  433  (vgl.  Mommsens  Rom.  St.  R. 
214  f.)  und  emovet  524.  Mit  Ribbeck  bietet  er  gentis  und  urbes  92 
(auffällig  sagt  dazu  der  Kommentar:  wo  P  beidemal  die  nach 
Vergils  sonstiger  Praxis  besseren  Formen  {auf  w>  überliefert), 
Cocytus  132,  super  241.  750.  787,  tristis  undae  438,  Polyboten 
484,  tun  845,  haec  und  päd  832,  qui  865  wie  auch  das  Komma 
hinter  flentes  427,  die  Parenthese  524  und  die  Athetese  901. 
Gegen  Ribbeck  liest  man  wie  bei  Ladewig  Gnosius  23  und  566, 
quam  96  (Kommentar:  auch  Seneca  muß  so  gelesen  und  den  Vers 
wie  Servius  verstanden  haben;  also  sind  seine  und  nicht  V.s 
Handschriften  leicht  verderbt),  sepulcri  177,  super  254  (mit  irra- 

8* 


116  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereios. 

tionaler  Lange;  S.  441  vergleicht  vnslq  aka),  dahinter  natürlich 
keine  Lücke,  ebensowenig  hinter  361,  Komma  vor  terrae  358; 
außerdem  die  Abweichungen  528,  559,  586,  602,  724,  806,  848, 
890  (exin)  und  897,  endlich  gegen  Ribb.8  frequentes  486  und 
Lunae  725.  Von  Ribb.  und  Lad.  weicht  ab  Euadne  447  (die 
Schreibung  Euh.  bezeichnet  der  Kommentar  als  fraglich),  das  Komma 
hinter  st.  vor  eques  858  und  nee  869  (S.  445:  weil  u  folgt).  Ver- 
mutungen, Umstellungen  (325  f.  743  f.),  Atbetesen  (586.  702)  und 
sonstige  Maßregelungen  der  Überlieferung  kommen  weder  im  Texte 
noch  in  dem  kurzen  Apparate  vor  und  werden  im  Kommentar 
ausnahmslos  zurückgewiesen.  Bemerkenswert  ist  höchstens  noch, 
daß  N.  wesentlich  im  Anschluß  an  die  Hss.  F  und  M  rhetorisch, 
rezitativisch,  psychologisch  interpungiert,  nicht  logisch,  wie  wir 
gewöhnlich  verfahren.  Daher  keine  Trennung  bei  Vokativen  und 
Appositionen,  wohl  aber  bei  Partie,  conj.  oder  absol.  wie  6  hinter 
flammae,  47  hinter  fores,  112  hinter  iter,  241,  330,  738  und 
143,  236  [nicht  857?],  bei  entsprechenden  Adj.  oder  Subst.  (also 
hinter  91  und  645)  und  bei  parallelen  Gliedern  wie  107  nach 
dicitur,  130  nach  luppiter,  180  f.,  662,  840,  auch  88  vor  und 
hinter  nee  Xanthus,  aber  nicht  129  hinter  opus.  Der  Anhang  S.  377  f. 
gibt  hierzu  noch  an,  daß  N.  abweichend  von  den  Handschriften 
die  kleinste  Pause,  nämlich  die  zwischen  zwei  durch  die  Kopula 
verbundenen  Begriffen,  nicht  bezeichnet  habe.  Diese  Inkonsequenz 
verstehe  ich  kaum  vor  atque  13  und  ambagesque  29,  geschweige 
denn  vor  et  27,  das  auf  die  regelrechte  Penthemimeres  folgt.  Der 
Gelehrte  wurde  doch  auch  diese  Fälle  richtig  auffassen.  Für  An- 
fanger aber,  denen  unsere  logische  Interpunktion  wohl  besser 
dient  als  diese  romanische,  ist  die  vorliegende  Ausgabe  doch  so 
wie  so  nicht  bestimmt  und  geeignet. 

Die  Übersetzung  soll  ein  Stück  des  Kommentars  sein 
(S.  VII).  Das  trifft  entschieden  zu  bei  den  griechischen  Um- 
schreibungen, namentlich  der  langen  Stelle  724—751  auf  S.  15. 
Hier  verdeutlicht  N.  den  Ausdruck  quisque  suos  patimur  manis  743 
frei :  dlxtjv  didoatiw  al  %pv%al  tcov  naXcuabv  [jwjviijlcct(ov,  xcerd 
%6v  deeipova  og  kxdtsxfiv  &Xvi%sv  (vgl.  Piatos  Phädo  107  D  und 
113  D),  wörtlicher  S.  32:  top  iavtov  ixafäog  xig  daipovec  nd<s%o- 
fisv,  indem  er  mit  Servius  dem  Menschen  zwei  Genien  zuschreibt, 
einen  guten  Engel  und  einen  bösen  (Strafgeist,  wie  Maaß  im 
Orpheus  S.  231  schon  richtig  sage).  Die  deutsche  Übersetzung 
lautet  einfach,  aber  nicht  sonderlich  erleuchtend: 

Ein  jeder  büßt,  wie  es  sein  Dämon  heischt. 
Im  Kommentar  begegnen  sogar  eigene  griechische  Verse,  die  von 
hoher  Kunst  zeugen.     So  für  32  f.  und  392: 

dlg  [A&v  icpcoQiAij&r]  dianXdöGsw  JaidaXog  vlov> 
cbg  enstieVy  %slqsg  dlg  d'  ensaov  ndi^ay 
und      ovii  \*hr  lB(>ctxXfja  %aQslg  dexoprjv  txtxiovxa, 


Vergil,  tob  P.  Dentick«.  117 

wo  das  belieble  Wortspiel  zwischen  Xccqcöv  und  x<*{0«v  deutlich 
zum  Ausdruck   kommt.    Dafür   lautet  *lie  deutsche  Übersetzung: 

—  er  hatte  zweimal 

Die  Hand  geröhrt,  den  Sturz  in  Gold  zu  bilden, 

Zweimal  ließ  sinken  er  die  Vaterhand; 
und  mit  noch  stärkerer  Ausweitung: 

Gut  ist  mir's  wahrhaftig  nicht  bekommen, 

Daß  ich  einst  zum  Strome  zugelassen 

Selbst  (?)  die  reckenhaften  Göttersöhne 

Herkules,  Pirithous  und  Theseus. 
Schon  aus  diesen  Pröbchen  ersieht  der  Leser,  daß  Ton  und 
Versmaß  wechseln.  Vom  Hexameter  hat  N.  abgesehen,  jedenfalls 
mit  Recht.  Aber  er  verzichtet  auch  auf  die  'wundervolle  Ein- 
heitlichkeit des  Metrums1,  um  die  Vielheit  der  Stimmungen  wieder- 
zugeben, welche  V.  durch  die  Wahl  besonderer  Cäsuren  und  den 
Wechsel  von  Daktylen  und  Spondeen  verrät.  Diesen  Feinheiten 
soll  es  entsprechen,  wenn  den  ruhigen  Fluß  der  erzählenden 
Blankverse  trochäische  Fünf-  oder  Achtfüßler,  anapästische  Vier- 
fußler  mit  regelrechter  Cäsur  in  der  Mitte,  bisweilen  mit  Stab- 
reim und  freien  Senkungen  nach  dem  Muster  W.  Jordans  oder 
F.  Dahns,  ja  einmal  (bei  dem  Märchenmotiv  136  f.)  neue  Nibelungen- 
verse mit  Endreim  unterbrechen.  So  treffend  auch  manches  klingt, 
stört  mich  doch  die  Unruhe  des  Ganzen  etwas:  V.  54 f.  ergeben 
drei,  155  und  398  je  einen  Blankvers  zwischen  andern  Maßen. 
Auch  der  Ausdruck  ist  ungleich.  Manches  atmet  überkühnen 
Schwung,  namentlich  breiten  Fittichs  =  praepetibus  pinnis  15, 
Horst  =  sedem  283,  trog  mich  =  delusit  344,  unsern  Höllen- 
wart  =  Tartareum  custodem  395,  Spruch  der  Feme  =  crimen 
430  u.  ä.  Dagegen  klingt  nüchtern  164:  Man  kannt'  ihn  an  dem 
Speer,  der  Kriegstrompete,  254:  Er  ließ  die  Eingeweide  glühn  in 
Öl,  349:  Fest  hing  ich  am  Steuerruder,  dem  als  Huter  überwiesen 
Ich  den  Kurs  des  Schiffes  lenkte;  plötzlich  ward  es  losgerissen. 
Anderswo  ist  Stellung  oder  Ausdruck  zu  steif;  so  148:  Auch  nicht 
mit  hartem  Eisen  ihn  loszureißen  gelingt  und  820:  Die  eignen 
Söhne  für  Rebellion  dem  Tode  weihn.  Befremdlich  erscheint  mir 
209:  es  knisterten  linde  mit  dem  Metall  die  Winde;  und  vollends 
469:  die  Wimpern  stier  am  Boden,  501:  sich  ahnden  =  poenas 
sumere,  654:  blanker  Rosse  Züchten  .  .  .  durften  hegen  sie  im 
Erdenschoß,  auch  318  frug  und  696  often  =  saepius,  wenn  kein 
Druckfehler  vorliegt 1).  Hier  hätten  die  S.  X  genannten  germanisti- 
schen Berater  Einspruch  erheben  sollen.    Erst  recht  bei  der  un- 


l)  Druckfehler  finden  sich  gelegentlich,  aber  stärker  stören  nur  wenige. 
Man  schreibe  im  Texte  hinter  186  ein  Kolon  und  hinter  807  ein  Frage- 
zeichen, im  Kommentar  S.  148  Z.  11  G.  I  499,  zu  208  f.  XI  851,  S.  220  Z.  1 
A.  IV  154,  S.  222  Z.  11  IV  233,  S.  240  Z.  9  XI  469,  S.  256  letzte  Z.  ad- 
gnovü,  S.  285  Z.  28  Gellius  IX  10,  S.  386  Z.  31  assiduo  und  S.  439  Z.  2 
wie  441  Z.  3  VI  254. 


Hg  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

gebrochenen  Verbalform  'ihr  gebeut '  =  quibus  Imperium  est  264, 
die  doch  nur  in  der  3.  Pers.  des  Sing,  möglich  ist,  mögen  auch 
6.  Ebers  und  W.  Gebhardi  sogar  den  Infinitiv  'beun'  und  'gebeun' 
verbrechen.  Kein  Gewicht  lege  ich  auf  die  schwebende  Betonung 
von  Simois  88,  Briareus  287,  Vater  Anchises  679,  und  auf  kleine 
Lucken,  z.  B.  daß  nee  neqniquam  117,  quod  363,  hoc  466,  Septem 
646,  dira  721,  ordine  723  fehlt.  Auch  Ungenauigkeiten  mögen 
hingehen,  wie  315:  der  finstre  Ferge  ließ  nicht  jeden  zum 
Kahne,  omnia  565  =  das  Gericht  der  Götter,  aliquos  664  =  die 
Welt,  has  omnis  748  =  die  meisten.  Aber  Bedenken  erweckt 
mir  sachlich  vestigia  30  =  ihren  Schritt  [soll  Ariadne  mit  ins 
Labyrinth  gegangen  sein?],  navis  354  =  Flotte,  require  366  = 
segle  wieder  heim  [verdruckt  st.  hin  ?]  und  femina  448  =  Jung- 
frau. Dem  Texte  widerspricht  die  Übersetzung  traxi  mecum  351 
=  es  zog  mich  [vgl.  zu  Lad. 1S  Anh.  meine  Vermutung  praecijritem 
traxit  secum]  und  eris  883  =  du  wurdest;  wohl  auch  Fhoebo 
digna  662  =  deren  Lieder  Phöbus  wert  befunden  [hat,  da  Phöbus 
doch  schwerlich  Genitiv  sein  soll],  also  nicht  =  ä&cc  vfjg  Ixeivov 
Xvqccq,  wie  der  Kommentar  mit  seiner  Parallele  aus  Menander 
Rhet.  Gr.  III  437  Sp.  annehmen  läßt.  Auch  der  Riesenstern  der 
Sonne  =  Titania  astra  725  könnte  vielleicht  etwas  auffallen, 
wenn  solche  Piurale  rein  metrisch  zu  erklären  sind,  was  Anhang  V 
annimmt  wie  P.  Maas  [s.  JB.  1903  S.  191].  Nicht  als  Muster, 
sondern  zur  Anregung  für  andere  Übersetzer  soll  N.s  nicht  ohne 
Bedenken  veröffentlichtes  dycoviGpa  dienen.  Wer  wird  wohl 
folgen? 

Dem  Kommentar  voraufgesebickt  ist  ein  kurzes  Verzeichnis 
der  öfters  zitierten  Ausgaben  und  Abhandlungen  (andere  Vor- 
arbeiten sind  zahlreich  bei  den  einzelnen  Versen  angegeben,  auf 
die  dann  etwas  umständlich  zurückverwiesen  wird)  und  eine  Dis- 
position des  VI.  Buches,  dessen  dritter,  ungleich  größerer  Haupt- 
abschnitt außer  dem  Proömium  264/7  und  Schluß  in  sechs  Teile 
zerlegt  ist,  die  beiden  ersten  in  drei,  natürlich  mit  den  erforder- 
lichen Unterteilen,  meist  triadisch,  bisweilen  in  zwei  oder  vier, 
einmal  (426 — 547)  in  fünf  Gliedern,  von  denen  aber  1 — 3  unter 
sich  enger  zusammengehören  (so  S.  109;  etwas  anders  in  der 
Einleitung  S.  14).  Die  Periodisierung  der  einzelnen  Abschnitte 
nach  xdoXa  und  xopfiava  wird  dann  im  Kommentar  selbst  an- 
gemerkt. Die  Epiphanie  des  Apollo  45 — 55  z.  B.  erfordert  nicht 
weniger  als  10  Zeilen,  das  Gebet  und  Gelübde  des  Äneas  56 — 76 
mehr  als  20.  Zu  98 — 123  wird  nicht  nur  die  formelle  Gliederung 
angedeutet,  sondern  auch  die  sachliche:  Proömium,  Propositio 
106/9,  Probatio  und  Conclusio,  die  wieder  in  Commiseratio  1 16/8 
und  Amplificatio  zerfallt.  Rhetorische  Gesichtspunkte  werden  auch 
sonst  nachgewiesen,  besonders  in  dem  großen  Xoyog  nqoxQBnmxoq 
des  Anchises  mit  seinen  drei  nccQcuvfosig  806  £  832/5  und  851/3 
auf  Grund  der  panegyrischen  naqadsiyiiata,   neben  denen  auch 


^ 


Vergil,  von  P.  Deotickc.  119 

der  xpoyoq  vertreten  ist,  offen  826  f.  und  versteckt  815  f.  und 
822  f.  Die  technischen  Fremdwörter  erzielen  wohl  Klarheit  und 
Kurze  des  Ausdrucks,  häufen  und  wiederholen  sich  aber  manch- 
mal unnötig  reichlich;  so  ließe  sich  in  der  Schlußbetrachtung 
S.  342—353  der  im  vorhergehenden  genügend  aufgeklärte  Begriff 
sxcpQccGig  wie  auch  dgäfioc,  preces,  va<pq  Miöqvov,  xaräßctGig, 
rjQwixov  nQogoonoVy  olxovopia,  vikog,  eldoola,  nXatipa  des 
Dichters,  Musarum  sacerdotes,  Hybris,  inwqdsiov  MaQxiXXov 
wohl  auch  gut  deutsch  wiedergeben.  In  diesem  Schlußteile  be- 
trachtet N.  nach  den  von  Heinze  neu  gewonnenen  Gesichtspunkten 
die  Gesamtkomposition  des  sechsten  Buches,  nämlich  wie  die  drei 
Grundmotive  (Befragung  der  Sibylle,  Bestattung  des  Misenus  und 
Abstieg  zur  Unterwelt)  verbunden  sind  und  wie  die  Höllenfahrt 
ihrerseits  angelegt,  gesteigert  und  zur  Einheit  abgerundet  ist. 
Das  Gesamturteil  lautet:  im  einzelnen  manche  Fehler,  Mißgriffe, 
Widerspruche,  vergebliche  oder  künstliche  Versuche,  die  Vielheit 
der  benutzten  Quellen  zu  verbinden,  und  dennoch  im  ganzen  ein 
bedeutendes  Kunstwerk,  würdig  der  großen  Zeit,  in  der  es  ent- 
standen ist. 

Im  eigentlichen  Kommentare  bildet  neben  der  Quellenanalyse 
das  formal-technische  Element  die  Hauptsache.  Von  den  zahl- 
losen Einzelheiten  und  Kleinigkeiten  kann  ich  höchstens  einige 
zur  Probe  anfuhren.  So  behandelt  N.  die  Stellung  der  Apposition  6, 
das  hellenistische  antrum  11,  que —  que  64:  bei  Ennius  beliebt, 
also  'wohl  formelhaftes  älteres  Gut',  wie  überhaupt  älteres,  be- 
sonders ennianisches  Kolorit  oft  aus  ungewöhnlichen  Formen, 
Wortverbindungen,  Verschränkungen  (883 f.),  Cäsuren,  Versschlüssen 
und  andern  Eigenheiten  erschlossen  wird.  Ferner  die  in  Paren- 
thesen sich  spiegelnde  aufgeregte  Stimmung  im  Orakel  83/6,  die 
Wortbildung  auricomos  141,  den  Ersatz  für  das  unedle,  nur 
VIII  264  gebrauchte  cadaver  149,  die  zweisilbige  Aussprache  von 
calidos  218  und  validas  833  (s.  Quint.  I  6,  19),  das  behufs 
malerischer  Wirkung  stark  gehäufte  a  und  u  237  f.,  V.s  Ober- 
tragung  der  Synizese  auf  den  Versanfang  280  [VII  609  in  der 
zweiten  Arsisl],  den  Gebrauch  von  ast  316,  die  chiastische  Ordnung 
der  Glieder  399  f.,  den  griechischen  Hiatus  te  amice  507,  der  viel- 
leicht auf  relativ  frühe  Abfassungszeit  dieses  Abschnitts  schließen 
läßt,  die  spielerische  Wiedergabe  von  Tisiphone  durch  utirix  570, 
den  Hypermeter  602  (zu  Kießlings  Anm.  für  Hör.  Sat.  I  4,  96 
vgl.  schon  Gell.  XII  2,  10  über  Ennius),  die  zierliche  Diktion 
703  f.,  wo  fast  alle  Substantivs  Attribute  haben,  und  die  hart  an 
xaxotykia  streifende  Rhetorik  der  Worte  795  f.  Gewisse  Mängel 
im  Ausdruck  oder  Inhalt  spricht  er  offen,  aber  in  wohlwollendem 
Tone  aus.  So  findet  er  störend  die  retardierende  sxtpQaöig  der 
Kunstwerke  auf  der  Tempeltür  14  f.  und  verfehlt  manche  Kon- 
tamination heterogener  Motive:  Sibylla  76.  106.  125  Prophetin, 
später  aber  Führerin  durchs  Jenseits;  zum  Goldzweig  135 f.  doch 


120  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Doch  Opfer  153  (ohne  Anknüpfung!),  aus  Homer  entlehnt  wie 
weiterhin  das  Schwert  260  und  290;  die  Sitze  der  Eumeniden 
280.  374.  555.  570.  605;  Cerberus  am  Eingange  417  und  im 
Inneren  396  (s.  541  und  630).  Daß  Vergil  dergleichen  geändert 
hätte,  wenn  er  länger  lebte,  nimmt  N.  im  allgemeinen  nicht  an. 
Ebenso  denkt  er  über  die  Inkonvenienzen  125  f.  und  die  Ent- 
gleisungen in  der  Form  119  f.  wie  im  Gedanken  442  f.  (Sychäus 
ist  I  344  heiß  geliebt)  und  456  f.  (gegen  V  1).  Auch  die  gehäuften 
ax^ficcta  duxvolag,  welche  760 — 882  eintönige  Aufzählung  ver- 
meiden, können  'modernem  Empfinden  nicht  entsprechen1,  wie 
die  Gesamtwirkung  der  Verse  595  f.  verletzend  ist. 

Sachlich  bringt  N.  viel  neue  willkommne  Belehrung.  Vgl.  zu 
223:  aversi  (tenuere  facem),  wohl  um  das  eldwlov  des  Toten,  das 
jetzt  den  Leib  verläßt,  nicht  zu  erblicken.  Ferner  298:  portüor 
ist  der  Hafenzöllner,  ikXifispiatqg,  der  oft  zugleich  Fährmann  sein 
mußte;  die  Angleichung  von  portüor  an  portare  vollzog  sich  fast 
mit  Notwendigkeit,  und  wenn  Charon  326  f.  als  portüor  trans- 
portare  soll,  ist  das  fast  eine  Obersetzung  von  noQ&psvg,  das 
andere,  weniger  puristische  Dichter  gern  beibehalten.  Die  Tränen 
468  soll  Äneas  selber  weinen,  nicht  der  Dido  entlocken;  diese 
Erklärung  widerspräche  der  Sachlage  und  dem  durch  Cat.  64, 131 
bedingten  Sprachgebrauche  Vergils  G.  III  517  und  A.  111  344. 
Den  Gen.  caeli  579  zieht  N.  wie  Henry  zu  suspectus  =  der  Auf- 
blick gen  Himmel;  es  sei  hinzugesetzt  zum  Kontrast  mit  dem 
vorhergehenden  umbras,  vgl.  719  und  896.  Den  V.  613  deutet  er 
auf  pflichtvergessene  Sklaven,  indem  er  zu  Servius  noch  Hör.  Ep. 
4,  19  und  Mon.  Ancyr.  5, 1  f.  vergleicht.  Auf  anderes  wie  superne 
658  =  empor,  superum  780  als  Akkus.  =  wie  einen  der  Ober- 
welt an  gehörigen,  die  dreifache  Auffassung  von  den  spolia  opima 
859,  welche  Wunsch  im  Nachtrage  S.  464  schon  modifizieren 
möchte,  und  instar  865  urspr.  Bezeichnung  des  Gleichgewichts  sei 
nur  kurz  hingewiesen.  Zweifelhaft  ist  mir  die  Deutung  corripü 
ligna  für  rapit  Silvas  6,  zumal  das  Holz  doch  da  sein  muß,  ehe 
man  Feuer  schlägt,  und  schwerlich  nur  im  dichten  Walde  zu  haben 
ist;  super  17  als  Adverb,  trotzdem  Pindars  Fragment  101  B.  zitiert 
wird;  sit  266  =  liceat;  capita  360  =  radices  mortis;  castigare 
567  =  feststellen;  der  Indikativ  der  indirekten  Frage  615  nach 
der  Praxis  des  Griechischen,  nicht  des  Altlateinischen;  die  Er- 
gänzung eines  Begriffs  wie  psallü  zum  ersen  Satzgliede  aus  pulsat 
647,  obgleich  auch  die  zitierte  Stelle  aus  Phiiostratus  nXyx%s* 
toZg  daxtvloig  tovg  filrovg  sagt;  genis  686  =  aus  den  Augen 
(-höhlen)  und  ac  velut  707  entstanden  durch  Ausgleichung  zweier 
Vorstellungsreihen:  animae  strepunt  atque  apes  +  animae  strepunt 
velut  apes  [ohne  Nachsatz  nur  in  den  drei  angeführten  Beispielen; 
vgl.  JB.  1889  S.  331].  Endlich  ultoris  Bruti  818,  das  man  ge- 
wöhnlich nach  der  Interpunktion  von  M  (hinter  reges  817  und 
Bruti)  zu  animam  zieht,  während  N.  hinter  superbam  ein  Komma 


^ 


Vergil,  von  P.  Deuticke.  121 

setzt,  wie  Servius  und  Donat  es  meinen.    Er  findet  den  Vers  bei 
Lukan  V  207  paraphrasiert :  regnaque  ad  ultores  iterwn  redeuntia 
Brutos  und  beruft  sich  für  das  dem  dritten  Worte  angebängte  que 
auf  Leo,   Nacbr.  d.  Gott.  Ges.  1895  S.  429  Anm.  3,  was  mir  für 
meinen  Anhang  zu  Lad.-Sch. 9  XI  511  gegenüber  Wagners  Anm. 
zu  G.  I  142  ganz  willkommen  erscheint.     N.  umschreibt  den  Satz 
prosaisch  'Brutus  Tarquinii  superbiam  ultus  est  fascibus  recuperatis 
populoque  restitutis'  und  S.  99  übersetzt  er  die  Verse  frei: 
Willst  du  auch  sehen  des  Tarquinierkönigs 
Hoflfärt'ge  Seele,  seh'n  die  Rutenbündel, 
Die  Brutus  ihm,  der  Rächer,  wieder  nimmt? 
Aber   die   grammatische  Konstruktion    und  Bedeutung  von  Bruti 
fasces  receptos  bleibt  unbesprochen. 

Wesentlich  aufgeklärt  hat  N.  nach  Beloch  und  Cocchia  auch 
dje  von  Vergil  nach  seiner  Gewohnheit  [vgl.  273  f.]  undeutlich  ge- 
lassenen örtlichkeiten  des  Sibyllenorakels,  wenn  auch  noch  nicht 
alles  ins  reine  gebracht  ist.  Der  Apollotempel  (41)  lag  auf  der 
kleineren  östlichen  Anhöhe  der  Burg  (arces  9).  Aus  diesem  konnte 
man,  wie  in  Delphi  und  anderwärts,  xaraßccivew  elg  %6  ädvxov, 
in  die  Orakelhöhle  des  Gottes  (antrum  42),  und  zwar  auf  einem 
unterirdischen  Gange,  den  Beloch  im  Oktober  1900  von  unten 
aus  erstiegen  hat,  soweit  er  nicht  verschüttet  war.  Unten  ist 
nämlich  der  ganze  Fels  von  Grotten  durchhöhlt,  die  sich  in  drei 
Stockwerken  verzweigen;  in  diese  fuhrt  unterhalb  des  Apollo- 
tempels und  des  Aufgangs  zur  Burg  auch  ein  besonderer  Eingang 
(S.  117  Z.  6:  auf  der  Sudostseite,  S.  133  Z.  10:  auf  der  Sudseite 
und  ebenda  Z.  10  v.  u.  in  Belochs  letzter  Angabe,  vermutlich 
richtig:  an  der  Westseite  des  ßurgfelsens,  dem  Meere  zu).  Eine 
dieser  Grotten  heißt  noch  heute  'grotta  della  Sibilla';  jedenfalls 
die  geräumige,  an  deren  Decke  Beloch  ein  Beil,  ein  Messer  und 
andere  Opfergeräte  flach  eingemeißelt  fand.  Unmittelbar  neben 
dieser  liegt  eine  zweite  mit  dem  scharf  aufwärts  fuhrenden  Treppen- 
gange, in  welche  die  Sibylle  den  Äneas  durch  den  Tempel  (s.  41) 
hinabgeführt  hat,  wie  Beloch  sagt.  Sie  selbst  mußte  dann  wohl 
über  die  Schwelle  (45)  in  die  erstgenannte  Grotte  getreten  sein, 
während  Äneas  vor  der  Tür  (47)  betete  (56 — 76);  jedenfalls  ist 
sie  77  in  antro,  aus  welchem  lati  aditus  centum,  Ostia  centum  43 
=  ostiorum  centum  totidem  aditus,  keine  Eingänge,  sondern  nur 
Schallöcher  mit  Verschluß  (s.  44.  52.  81),  ihre  dröhnende  Stimme 
herausklingen  lassen  (99  antro  remugit).  Wo  der  Befrager  des 
Orakels  steht,  wird  nicht  ganz  deutlich.  N.  sagt  'außerhalb  der 
Grotte'  und  scheint  die  beiden  von  Beloch  genannten  Räume  sich 
als  einen  zu  denken,  wenn  er  nicht  anzugeben  weiß,  wo  man 
sich  den  124  erwähnten  Altar  denken  soll.  Nähme  man  nicht 
am  einfachsten  an,  daß  Vergil  den  unterirdischen  Gang  übergeht 
und  das  pavxsXov  unmittelbar  hinter  oder  unter  dem  Tempel 
ansetzt?    An    eine   unterirdische  Verbindung    vollends    zwischen 


122  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

der  Orakelstätte  im  Burghügel  und  der  Wohnung  am  Avernersee 
(211.  237  f.),  aus  der  Achates  34  die  Seherin  holt,  ist  nicht  zu 
denken,  wie  Cocchia  annehmen  mochte:  'vielmehr  ist  die  topo- 
graphische Dublette  als  der  äußerliche  Ausdruck  einer  Dublette 
des  Kults  aufzufassen7.  Bei  dieser  Gelegenheit  sei  noch  angemerkt, 
wie  N.  S.  255  zwei  verschiedene  Versionen  über  den  Tod  desDeiphobus 
verbunden  findet,  ohne  daß  sie  sich  ausschließen:  V.s  eigenem 
Berichte  523  f.  steht  502  f.  die  fama  gegenüber,  daß  Deiphobus 
im  Kampfe  gefallen  sei;  vgl.  Hom.  &  517 f.  und  etwas  anders 
Dares  28. 

Aus  diesen  wenigen  Beispielen  schon  ist  hoffentlich  zu  er- 
kennen, wie  scharfsinnig,  gründlich  und  vielseitig  die  Erklärung 
ist.  Zu  berichtigen  findet  man  höchstens  Kleinigkeiten,  wie  zu 
S.  143,  daß  pectore  78  (vgl.  Ov.  Met.  II  641)  beweist,  daß  nicht 
alle  Ausdrücke  aus  der  Sphäre  der  Bereiterkunst  entnommen  sind, 
oder  daß  die  beiden  Scijriadae  842  nicht  Cn.  und  P.  heißen 
können,  wie  S.  306  andeutet,  wenn  es  nach  S.  326  die  beiden 
Afrikaner  sind.  Auch  nachzutragen  ist  selten  etwas.  Allenfalls 
zu  bidens  39  der  frühere  und  reichhaltigere  Aufschluß  von  Spengel; 
s.  JB.  1889  S.  420.  Und  vielleicht  ein  Wort  über  den  von  Röhl 
im  JB.  1895  S.  227  besprochenen  Kunstgriff,  daß  180  f.  [wie 
VII  394  f.  XI  135  f.  6.  IV  158  f.]  die  Prädikate  neben  den  eigentlich 
gleichstehenden  Subjekten  fortschreitende  Handlung  ergeben.  Auch 
super  203,  simul  335,  tw  seram  mortem  569,  völvere  748,  arx 
Monoeci  830  vertrüge  wohl  eine  kurze  Besprechung  wie  dispicere 
733  und  manes  743  einen  Hinweis  auf  die  Einl.  S.  25  und  32. 
Gar  zu  kurzen  Prozeß  macht  mir  N.  mit  den  schwierigen  Versen 
601  f.,  über  die  er  kein  bestimmtes  Urteil  abzugeben  wagt,  als 
daß  die  Überlieferung  intakt,  vielleicht  aber  die  letzte  Hand  noch 
nicht  angelegt  sei1),  und  mit  der  im  Altertum  vielbehandelten 
Stelle  763 f.,  deren  'Akten'  bei  Gellius  II  16  von  dem  Wider- 
spruch des  longaevo  gegen  cadat  ante  diem  IV  620  (s.  Serv.)  doch 
nichts  enthalten. 

Auf  seine  früheren  Erörterungen  bezieht  er  sich  selbstver- 
ständlich nur  mit  wenigen  Worten,  zumal  er  nicht  viel  zu  wider- 
rufen findet.  Über  Pasiphae  und  Eriphyle  445  f.  wie  über  die 
Dardania  prohs  und  Itala  gens  756 f.  bleibt  er  bei  seiner  Meinung; 
s.  JB.  1895  S.  253  und  1903  S.  152.  Nur  seine  irrtümliche  Auf- 
fassung von  V.  406,  welche  Skutsch  'Aus  Vergils  Frühzeit '  S.  117 
veröffentlicht  bat,  berichtigt  er,  indem  er  auf  Apoll.  Bhod.  hinweist, 
dessen  Medea  III  867  ihr  Wunderkraut  övcodei  xdr&sro  pitQfl 
und  1013  xtvcidsog  s^sle  fAiiQfjg  (pägpccxor.  V.  409  auf  eine 
Höllenfahrt  des  Orpheus  zu  beziehen  scheint  ihm  S.  168  nicht 
mehr  rätlich,  da  dieser  sich  den  Eintritt  durch  seine  Kunst  ver- 


!)  Daß  V.  die   beiden   hier   genannten   Strafen  VIII  668  f.  anf  Catiliia 
übertrage,  kann  ich  nicht  zugeben;  vgl.  Lnc.  Prom.  1  XQefxtcfxevos. 


Vergil,  von  P.  Deutickc.  123 

schaffte,  seine  Erlebnisse  sonst  genügend  bekannt  waren  und  das 
Wiedersehen  der  Rute  hier  nur  der  Situation  zuliebe  betont  sein 
wird.  In  den  V.  740/51  findet  er  jetzt  S.  17  f.  keine  Dittographie 
mehr:  jede  Korrektur  der  Oberlieferung  sei  eine  Verschlechterung, 
da  die  Fortsetzung  der  Läuterung  im  Elysium  nicht  ungehörig 
erscheine,  wenn  Plato  (Phädr.  249  A  und  Rep.  614  C— 615  A)  die 
relativ  Guten  ebenfalls  in  einen  Vorhimmel  versetze  wie  Pindar 
Ol.  II  61 — 68  ins  Jenseits.  Und  S.  14  gibt  er  gegenüber  den 
Einwänden,  welche  Dieterich  und  ich  erhoben  haben,  nun  ohne 
weiteres  zu,  daß  dem  von  V.  hauptsächlich  aus  Plato  übernommenen 
Unterweltsystem  keine  einheitliche  Vorstellung,  sondern  ein  Kom- 
promiß zwischen  volkstumlichem  Glauben  und  theologischer  Lehre 
zugrunde  liegt. 

Übrigens  ist  die  Quellenfrage  wieder  wesentlich  gefördert. 
Außer  Homers  Nekyia  (nach  S.  196  Anm.  1  eigentlich  vielmehr 
eine  vBKvo^avtsia  =  necromantia  bei  DServ.  III  67)  benutzte  V. 
die  *axaßa<$%g  des  Orpheus  z.  B.  schon  für  Thraeicia  fretus  cithara 
120  r^  tjpstiQti  niavvog  xid-aQfi  in  Vers  42  der  orphischen 
Argonautica;  ferner  für  306/8  =  G.  IV  475/7  (Orpheus  in  der 
Unterwelt!),  392 f.  nach  Serv.  lectutn  est  in  Orpheo  (Abels  Fr.  158; 
vgl.  Ettigs  Acheruntica  376,1  und  410)  und  548  f.,  besonders 
558  nu  [JbaGTiywG&vca,  öTQsßXaiösTcci,  dedijdttai,  in  Piatos  Rep. 
II  361  E  (nach  der  orphischen  Apokalyptik;  s.  363  C).  Auf  den 
Abstieg  des  Herakles  gebt  zurück  131  f.  ^  Aristoph.  Frösche  469f., 
wo  Dionysos-Herakles  belehrt  wird,  und  669  f.  ^  Ar.  Fr.  431  f., 
wo  Dionysos  ähnlich  fragt;  260  rw  Bacchyl.  5,  71  f.  und  Apollodor 
II  5, 12,  4  (123  Wagner),  womit  auch  V.  489  f.  zu  vergleichen  ist. 
Ebenso  die  zwei  Gleichnisse  309/12,  die  nicht  erst  V.  aus  Hom. 
E  146  f.  und  r  2  f.  auf  die  Unterweltler  übertragen  hat,  da  das 
erste  schon  Bacchyl.  5,  64  f.  und  das  zweite  Soph.  K.  Öd.  1 75  f. 
verwendet,  also  jedenfalls  beide  nach  derselben  Vorlage.  Auch 
das  Sophoklesfragment  794  N.  ßopßsZ  6k  vsxq&v  G^vog  ~  V.  709 
führt  in  Verbindung  mit  der  'aus  erlesensten  Quellen7  geschöpften 
Zugabe  des  Porphyrios,  daß  die  Alten  die  elg  y&vsötv  kommenden 
Seelen  als  Bienen  bezeichneten  (Über  die  Nymphengrotte  18  f. 
S.  69  N.),  auf  eine  alte  Unterweltbeschreibung  zurück.  Woraus 
N.  für  395  f.  außer  der  xccraßaaig  'HQaxliovg  nach  Apollod. 
II  5, 12,  8  (125  W.)  noch  die  des  Orpheus  erschließt,  ist  mir 
nicht  klar;  der  Vers  aus  dem  orphischen  Hymnus  18,8  Sc  &qovov 
iatfJQt^ag  inö  £o<poei,d4a  %<üqov  soll  doch  wohl  keine  Stütze 
dieser  Ansicht  sein  ?  Auch  über  den  Bereich  der  Klassiker  hinaus 
verfolgt  N.  seinen  Gegenstand  weiter,  wenn  er  S.  162  und  165 
in  einer  Anmerkung  babylonische  Sagen  nach  A.  Jeremias  heran- 
zieht. S.  162,  170,  211,  219  benutzt  er  keltische  und  deutsche 
Märchenpoesie;  hier  und  fast  nur  hier  finden  sich  entsprechende 
Züge:  pfadweisende  Vögel,  Seelen wesen  in  Vogelgestalt  (vgl.  die 
Träume   unter   den  Ulmenzweigen  282  f.)   und    die   wundersame 


124  Jahresberichte  d.  Fhilolog.  Vereins. 

Miste).  V.  205  vergleicht  freilich  nur  den  goldenen  Zweig  mit 
der  immergrünen  Schmarotzerpflanze  wie  311  die  sich  über  den 
Acheron  sehnenden  Seelen  mit  Zugvögeln.  Aber  solche  Gleich- 
nisse bedeuten,  wie  S.  162  ausfuhrt,  öfters  das  Herabsinken  einer 
Vorstellung  von  der  höchsten  Stufe,  auf  der  zwei  Begriffe  sinnlich 
ineinander  geschaut  werden,  zu  der  tieferen,  auf  der  sie  bereits 
verstandesmäßig  auseinandergelegt  und  bloß  noch  verglichen 
werden. 

Ob  Yergil  zuerst  diesen  Volksglauben  literarisch  verwertet 
oder  schon  eine  Vorlage  gehabt  hat,  ist  unsicher.  Jedenfalls 
kommen  für  das  Mistelmotiv  die  beiden  sonst  von  ihm  benutzten 
Nekyien  nicht  in  Betracht,  eher  die  Persephonemysterien;  s.  V.  142 
und  Serv.  zu  136  Z.  11  und  24  f.  Auf  Zauberliteratur,  die  V. 
auch  IV  478  f.  und  in  der  8.  Ekloge  kennt  wie  die  Dirae  und 
Horazens  Ganidiagedichte,  geht  das  Opfer  236  f.  und  das  Gebet 
264  f.  zurück,  wahrscheinlich  auch  noch  manches  andre  in  unserem 
Buche  (S.  195).  Wenn  die  Personifikationen  273  f.  sich  teilweise 
schon  in  Hesiods  Theogonie  211  f.  und  758  f.  und  anderwärts 
finden,  rühren  sie  jedenfalls  auch  a  genealogis  antiquis  her  (Gic. 
de  naL  d.  II  44).  Züge  hellenistischer  Erotik  zeigen  sich  440 — 
476  mehrfach  wie  Einflüsse  Varronischer  imagines  bei  der  Dar- 
stellung der  berühmten  Helden  760 — 825.  Für  die  spezifisch 
eschatologischen  Stücke,  welchen  die  Einleitung  S.  9  Dicht  weniger 
als  23  christliche  Apokalypsen  zu  vergleichen  weiß,  findet  N.  jetzt 
V.s  Quelle  in  einer  Traum vision  des  Posidonius,  auf  den  schon 
Schmekel,  Agahd  u.  a.  geraten  haben;  s.  S.  20.  Er  mustert  eine 
Reihe  schwieriger  Stellen,  unter  denen  er  zuerst  aeris  campt  887 
erklärt  als  %6v  vno  asX^ptjv  %6nov,  wo  die  Seelen  dicc  vjjv 
slXnqivsictv  tov  atgog  länger  weilen  (s.  Posidonius  bei  Sext. 
Emp.  IX  71  f.  Cic.  Tusc.  I  42  f.  und  Plut.  de  fac.  in  orbe  lun. 
28,  943  C:  fisra^v  ytjg  xal  aslijvTjg. .  %ö  nqao%a%ov  tov  ä4oog, 
ov  Xsipcovag  qdov  xcdovöi),  also  als  Purgatorium  zwischen  irdi- 
scher Atmosphäre  und  himmlischem  Äther,  mythologisch  gesprochen 
das  Tal  679  und  703  im  Hintergrunde  des  Elysiums.  Es  ist  un- 
möglich und  nach  meinen  früheren  Andeutungen  kaum  nötig,  alle 
Gründe  N.s  näher  zu  betrachten.  Übrigens  redet  er  selber  mehr- 
fach nur  von  Vermutungen.  Vgl.  z.  B.  S.  43  über  die  Verteilung 
der  Apokalypse  auf  zwei  Propheten,  die  Sibylle  und  Anchises: 
Da  in  der  zweiten  Apokalypse  Plutarchs  (De  genio  Socr.  22,  591 A.) 
Posidonius  benutzt  ist,  so  kann  das  Motiv  ihm  gehören;  das 
scheint  durch  Giceros  Somnium  Scipionis  bestätigt  zu  werden. 
Je  schwieriger  der  Beweis  war,  um  so  begreiflicher  ist  die  Freude, 
mit  der  S.  X  nachgetragen  wird,  daß  W.  Volkmann  {s.  u.  Nr.  25] 
seinerseits  zu  dem  gleichen  Ergebnis  über  den  Gewährsmann  V.s 
gelangt  ist. 

Auf  den  Inhalt  des  Anhangs  (Ennianische  Reminiszenzen, 
Periodik,  Wortstellung,  gleichen  Auslaut,  Synekdoche,  griechische 


Vergil,  von  P.  Deu ticke.  125 

Deklinationsformen,  Malerei  durch  Buchstaben  und  Rhythmen, 
spondeischen  Versanfang,  unregelmäßigen  Versschluß,  irrationale 
Längungen  und  endlich  bemerkenswerte  Synalöphen)  gehe  ich  nicht 
näher  ein.  Ebensowenig  auf  die  zahlreichen  Seitenblicke  in  andre 
Bucher  wie  S.  238  über  tendens  G.  II  296,  S.  255  über  die  Inter- 
polation A.  II  567f.,  S.  263  die  Periphrasis  IV  584  f.  vor  586 
und  S.  265  über  et  IX  403.  Höchstens  sei  noch  angegeben,  daß 
N.  S.  45  Teile  von  HI  und  V  später  geschrieben  findet  als  VI, 
insbesondere  S.  110  den  Schluß  von  V  nach  dem  Anfange  von  VI, 
S.  128  V  588 f.  nach  VI  25—29,  S.  155  III  441  f.  nach  VI  HOf. 
ohne  endgültige  Einordnung  (s.  V  731f.)  und  S.  44  f.  HI  458  f. 
nach  VI  83  f.,  während  die  Dublette  VI  890/2  nebst  der  zugehörigen 
Proposition  (te  tua  fata  docebo  759;  vgl.  die  andere  V  737)  habe 
beseitigt  werden  sollen.  Auch  die  Palinurusepisoden  in  V  und  VI 
sind  nach  S.  225  noch  nicht  endgültig  redigiert;  ja  wenn  man 
Hisenus  und  Palinurus  als  Doppelgänger  betrachtet,  sei  nach  S.  177 
eher  die  Palinurusgeschichte  sekundär  zu  nennen,  da  Misenus  aufs 
engste  mit  der  Gewinnung  des  goldenen  Zweiges  zusammenhänge. 
Wenn  N.  S.  206  vermutet,  daß  V.  seine  Gleichnisse  im  allgemeinen 
«rst  einlegte,  wenn  das  betreffende  Buch  in  seinem  Rohbau  fertig 
war  (in  dem  besonders  unfertigen  B.  III  finde  sich  nur  eins,  679 f.), 
so  geht  er  damit  noch  weiter  als  ich  im  JB.  1889  S.  332.  Von 
nachträglichem  Einschub  in  die  Seelenschau  dagegen,  z.  B.  der 
V.  826  f.,  und  späterer  Zutat  der  Marcellusepisode  will  er  nichts 
wissen.  Ihm  scheint  die  Absonderung  dieses  tragischen  Finales 
(s.  Serv.  zu  III  718  und  dazu  den  Schluß  von  XI  und  XII)  von 
vornherein  geplant,  d.  h.  also  die  ganze  Heldenschau  erst  nach 
dem  Tode  des  Marcellus  verfaßt  zu  sein.  Die  Heldenseelen  sind 
nicht  eintönig  aufgezählt:  nur  die  drei  großen  Gruppen  der  Albaner, 
römischen  Könige  und  Republikaner  folgen  sich  chronologisch, 
während  die  Leute  sonst  in  mehr  zufälliger  Reihe  vorüberwallen; 
s.  754  f.  Auch  für  die  Bußen  im  Tartarus  fand  der  Dichter  den 
Ausweg,  daß  er  die  beiden  Quellen  ineinanderschiebend  Sünder 
der  Sage  (580—607.  616—620)  und  Sünderklassen  des  Lebens 
(608 — 614.  621 — 624)  zweimal  und  im  Einteilungsprinzip  (scelera 
und  poenae  560  f.  626  f.)  wechselnd  Strafen  (580/1.  595—607. 
616—620)  und  Sünden  (582—94.  608—15,  621/4)  dreimal  sich 
ablösen  läßt.  Diese  weitherzige  Würdigung  der  Anlage  könnte 
gegenüber  den  nüchternen  Urteilen  über  weniger  gelungene  Einzel- 
heiten etwas  überraschen,  verdient  aber  um  so  mehr  Beachtung, 
als  sie  der  Auffassung  Leos  und  Heinzes  genau  entspricht. 

11)  Vergils  Gedichte.  Erklärt  von  Th.  Lad  ewig  und  C.  Schaper. 
Drittes  fiäodchen:  Buch  VII — XII  der  Äoeis.  Mit  einer  Karte  von 
H.Kiepert.  Nennte  Auflage,  bearbeitet  von  P.  Den  ticke.  Berlin 
1904,  Weidmannsche  Buchhandlung.     VI  u.  308  S.     8.     2,40  J£. 

Dieses  dritte  Bändchen  ist  nach  denselben  Grundsätzen  be>. 
arbeitet,  die  ich  schon  beim  zweiten  zweimal  befolgt  und  zuletzt 


126  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

im  JB.  1903  S.  156  kurz  angedeutet  habe.  Seit  1886,  wo  die 
achte  Auflage  erschien,  ist  auch  für  die  zweite  Hälfte  der  Äneis 
mancherlei  geleistet  worden,  was  es  jetzt  vorsichtig  zu  verwerten 
galt.  Doch  bleibt  der  alte  Bestand  möglichst  gewahrt,  vielleicht 
mehr,  als  neue  Leser  billigen:  die  Verlagshandlung  wünschte,  daß 
das  Buch  auch  ferner  im  Schulgebrauch  nutzbar  bliebe.  Es  ist 
nur  um  17  Seiten  gewachsen. 

Abgesehen  von  neuen  Absätzen  und  einigen  Änderungen  der 
Orthographie  und  Interpunktion  ist  der  Text  wesentlich  derselbe 
geblieben.  Neu  ist  z.  B.  ein  Komma  vor  st.  hinter  rerum  VII  37 
und  hinter  plura  117,  eine  Parenthese  307,  ein  Kolon  hinter  domos 
394,  ein  Gedankenstrich  vor  sie  668,  ein  Kolon  vor  in  IX  238, 
eine  Parenthese  um  non..Rutidos  X  333 f.  Ferner  findet  man 
jetzt  domos  VII  126,  Latinorum  160,  äuget  211,  an  363,  iacerem 
427,  sie  546,  torqums  666,  lote  legio  681  (nach  M);  VI11  46  ein- 
geklammert, et  recto  57,  ae  98  st.  per;  animis  IX  123,  tantum; 
fortuna  seeunda  aut  adversa  cadat  282 f.,  adversi  412,  cum  513 
für  quos;  moerorum  X  24,  Cinyre,  et  186  st.  ignarus,  diripü  475, 
fatur  621,  insignis  754;  praecesserat  XI  94,  gerebat  552,  erat  114; 
endlich  Thybrina  XII  35,  saetigeri  170,  fatales  232,  subeunt  408 
ohne  que,  582  ohne  das  zweite  iam,  612/3  eingeklammert,  tardata 
746,  in  773  ausgelassen,  ne  st.  nee  801.  Namentlich  sind  so 
Schapers  meist  aus  überfeinen  metrischen  Erwägungen  entsprungene 
Vermutungen  beseitigt  wie  auch  seine  Athetese  der  zweiten  Vers- 
hälfte XII  26. 

Im  Kommentar  sind  wieder  mancherlei  sprachliche  Be- 
merkungen weggefallen,  die  nicht  streng  der  Sache  dienten.  Da- 
gegen findet  man  anderes  eingesetzt,  was  V.s  Quellen  und  Vor- 
bilder, Sprachgebrauch  und  Nachwirkung  erläutern  soll.  Dazu 
kommen  Hinweise  auf  Bildwerke,  Altertümer  u.  dergl.,  namentlich 
bei  Luckenbach  4  und  Guhl  und  Koner.  Auch  sachliche  Unklar- 
heiten, Widersprüche,  Lücken  und  andere  Unebenheiten  werden 
nicht  einfach  übergangen,  sondern  unparteiisch  zugestanden,  aber 
möglichst  maßvoll  und  sachlich  besprochen. 

Am  meisten  verändert  ist  der  Anhang.  Die  mageren  kriti- 
schen Noten  sind  bis  auf  besonders  begründete  Ausnahmen  be- 
seitigt, dafür  aber  reichhaltige  Literaturnachweise  eingetreten,  die 
der  Erklärung  weiter  helfen  sollen.  Das  Schlußregister  zu  den 
drei  Bändchen  ist  durchgesehen,  berichtigt  und  mehrfach  ergänzt, 
die  Kiepertsche  Karte   vergrößert  und  lesbarer   gemacht  worden. 

Außer  mehreren  abgesprungenen  Lesezeichen  sind  einige 
Druckfehler  zu  verbessern.  So  ist  zu  lesen  im  Texte  XI  694 
agitata  und  in  der  Anm.  zu  VII  715  Danuvium,  VIII  382  a.  E. 
XII  146,  VIII  717  Z.  7  v.  o.  digne,  X  534  Mus,  XI  594  letzte 
Zeile  'des  Pallas1  und  im  Anh.  zu  XI  1  Teuber.  Unter  VII  647— 
•  817  muß  die  Klammer  vor,  nicht  hinter  ol  di  beginnen. 


Vergil,  von  P.  Dcutickc.  127 

12)  P.  Vergil i  Maronis  Aeneis.  Erklärende  Schulausgabe,  begründet  von 
Oskar  Brosin,  nach  seinem  Tode  zu  Ende  geführt  von  Ludwig 
Heitkamp.  V.  Bändchen:  Buch  X — Xu.  Zweite,  umgearbeitete  Auf- 
lage.   Gotha  1905,  Fr.  A.  Perthes.    IX  u.  187  S.     8.     1,80  JC. 

Der  Text  ist  nur  im  zehnten  Buche  leicht  geändert  Da 
finden  wir  jetzt  186  Cinyra  et  wie  bei  Heyne  statt  der  Konjektur 
Ricina,  vor  278  einen  Stern  als  Zeichen  der  Unechtheit  (nicht 
eingerückt,  anders  noch  872  und  XI  773),  366  keine  Parenthese 
mehr,  hinter  498  ein  Ausrufezeichen  (die  Anmerkung  betont  des 
Dichters  Empörung  über  die  schreckliche  Tat),  790  ein  Komma 
vor  st.  hinter  Lausus,  809  detonet  trotz  P2  M^b1,  838  in  pectora 
nach  Madvig  (Anm.  noch:  auf  der  Brust  ausgegossen)  und  857 
tarda  est  nach  Schaper.  Das  Komma  hinter  immota  696  ist  wohl 
ein  Versehen  wie  in  der  ersten  Auflage  der  Punkt  hinter  XI  622, 
der  jetzt  in  ein  Komma  verwandelt  ist. 

Auch  der  Kommentar  ist  am  stärksten  bei  Buch  X  um- 
gearbeitet, das  11  Seiten  weniger  umfaßt  als  früher.  Gestrichen 
sind  außer  zahlreichen  Einzelheiten  wie  zu  X  11  ne  arcessite,  15 
sinite,  32  peccata  besonders  die  Hinweise  auf  die  allgemeinen  Be- 
merkungen, deren  Inhalt  durch  kurze  Winke  wie  Prolepsis, 
Parallelismus  u.  dergl.  angedeutet  wird ;  nicht  sonderlich  klar  klingt 
XI  69  languentis  Dehnung  vor  einem  Fremdwort.  Hier  hätte 
m.  E.  noch  mehr  aufgeräumt  werden  können ;  denn  wer  die  letzten 
Bücher  der  Äneis  zu  lesen  bekommt,  wird  doch  wohl  von  selber 
die  Kopula  ergänzen  (XII  156/60:  dreimal  fehlt  die  Kopula),  ein 
Yerbum  des  Sagens  hinzudenken,  Adjektiva  wie  Neptunia  XII  128 
oder  Macas  861  mit  einem  Genitiv  wiedergeben,  appositionelles 
et  oder  que  wie  XI  433  weglassen  und  proles  Sproß,  nurus  Schnur, 
sacer  Schwäher  übersetzen  können.  Entbehrlich  wäre  wohl  auch  noch 
anderes  wie  X  782  Argos  Accus.  Plur.  [neben  dulces  nichts  anderes 
möglich],  XI  117  apparat  statt  des  gewöhnlichen  parat  und  XII  107 
die  Angabe,  daß  die  Ausrüstungsstücke  des  Turnus  auf  gar  ver- 
schiedene Weise  zusammengekommen  sind.  Sonst  sind  die  An- 
merkungen oft  glücklich  gekürzt,  z.  B.  die  X  264  zu  quales  „wie": 
das  Tertium  comparationis  ist  das  Freudengeschrei,  mit  dem  die 
Trojaner  den  Kampf  wieder  aufnehmen,  die  Kraniche  ihre  nörd- 
liche Heimat  aufsuchen.  Fragen  sind  meist  durch  kurze  Angaben 
ersetzt,  daher  jetzt  X  618  nomen  =  genus,  XI  438  contra  sc.  eum; 
aber  von  XI  309  an  bleiben  wieder  mehr  erhalten,  absichtlich? 
Verwiesen  werden  könnte  noch  kurz,  wenn  nicht  X  159  auf  I  50 
und  XI  112  auf  II  54,  so  doch  XI  133  auf  X  213  und  XI  382 
auf  X  23,  sowie  unmittelbar  von  X  473  auf  20  statt  umständ- 
lich erst  auf  404  und  390.  Lange  Anführungen  aus  V.  fehlen 
jetzt  X  53,  81,  551  u.  ö.  wie  XI  18  die  Stelle  aus  Cäsar,  27  die 
Erklärung  der  Litotes  aus  Bergers  Stilistik,  41  die  Erläuterung 
aus  Goßrau,  der  X  313  wenigstens  verdeutscht  wird  wie  andere 
lateinische   Angaben   255  u.  ö.    Weggefallen   sind   endlich   auch 


128  Jahresberichte  d.  Philolfrg.  Vereins. 

längere  Betrachtungen  über  den  Sinn  X  109  f.  und  250  f.,  die 
Anstöße  215  f.,  die  Vergleichungspunkte  272  f.  und  besonders  über 
die  abgesessenen  arkadischen  Reiter  362  f.  und  372  f. 

Neu  sind  außer  fettgedruckten  Inhaltsangaben  und  regelmäßig 
ausgeschriebenen  Lemmata  einige  dichterische  Parallelen  wie  Psalm 
33, 14  zu  X  4  adspectat,  Ps.  90, 10  zu  XI  183  opera  atque  labores, 
die  grausamen  Scherze  des  Waltharius  zu  X  592,  Schillers  flöchtiger 
Gemsbock  ^  X  724,  Körners  'Vater,  ich  rufe  dich'  rw  XII  181 
und  ähnliches  aus  Goethe,  Mölty,  Stolberg  u.  ä.  Gelegentlich  ist 
auch  der  Wortlaut  jetzt  ganz  ausgeschrieben,  wo  früher  nur  die 
Stelle  angegeben  war,  wie  XI  532.  Ferner  findet  man  sachliche  Er- 
klärungen nachgetragen,  wie  zu  X  148:  Der  mit  ut  eingeleitete 
Vordersatz  hat  fünf  Verba,  162:  der  indirekte  Fragesatz  steht 
auch  hier  parallel  mit  einem  Objektsakkusativ  (vgl.  XI  256  f.)» 
169:  goryti  für  das  gewöhnliche  pharetrae,  185:  Die  Apostrophe 
zeigt  die  Teilnahme  des  Dichters  für  den  [die?]  Tapferen,  288  f. 
servare,  credere  Inf.  hist.  Hervorzuheben  ist  besonders,  daß  339f. 
die  Partizipien  die  Hauptsache  enthalten  sollen:  'da  kommt  eine 
Lanze  geflogen,  durchbohrt  ihm  den  Arm,  dann . . .',  ohne  daß 
jedoch  erklärt  wird,  wen  die  Lanze  (1.  Auflage:  natürlich  eine 
zweite)  traf,  ßei  434  f.  verdeutlicht  eine  Zugabe  (sed  quis  wird 
im  D.  Hauptsatz),  wieso  nee . .  aetas  selbständiger  Satz  werden 
soll.  641  heißt  es:  Die  lose  Verbindung  ist  im  D.  nachzuahmen, 
676  repressit  drängte  zurück,  wenn  er  über  Bord  springen  wollte, 
704  in  lucem  genitori  dedit  eine  Vereinigung  unserer  beiden  Aus- 
drucke: zur  Welt  brachte  und  . .  schenkte.  Ferner  wird  besprochen 
XI  112  der  Indikativ  veni  nach  griechischer  Weise,  132  der  Unter- 
schied der  Tempora  dixerat  und  fremebant,  133  f.  die  Stellung 
der  ßaumnamen  am  Anfang  und  Ende  der  Verse,  153  ut  veües 
rw  te  crederes  'du  hättest  dich  v.  sollen7  und  XII  382:  die  Per- 
fekte bezeichnen  wie  159  einen  Abschluß  in  der  Erzählung. 

Im  Gegensatz  zur  ersten  Auflage  deutet  H.  jetzt  X  80:  Sie 
machen  mit  der  Hand  Friedenszeichen,  während  am  Achterdeck 
Waffen  befestigt  sind;  179:  Pisae,  urbs  Alpheä  ab  origine,  Etrusca 
solo;  266:  Hier  am  Ende  des  Satzes  ist  das  Geschrei  ausdruck- 
lich als  freudiges  bezeichnet;  308  totam  aciem,  soweit  es  nicht 
zur  Einschließung  des  Lagers  zurückbleiben  mußte;  345  CuribuSy 
Abi.  orig.  zu  Clausus9,  371  patriae  subit  aemula  laudi  naht  wett- 
eifernd dem  Ruhme  des  Vaters;  441  pugnae  Genetiv;  458  ausum 
passiv  [?];  488  terram  petit  ore  beißt  in  die  Erde  (aber  XI  418 
noch  nach  Voß);  675  quid  ago  im  zweifelnden  Sinne,  nicht  eines 
Futurs;  766  ornum:  Sie  soll  ihm  als  Waffe  dienen;  815  legunt 
spinnen;  XI  174:  st  aetas  par  et  robur  idetn  esset  ab  awiis  (in- 
folge der  J.);  312  potwt..fuit  =  virtus  tanta  fuit,  quanta  esse 
potuit;  828  frigida  'erstarrend'  mit  toto  corpore  zu  verbinden, 
exsolvit  se  'rang  sich  los1,  nämlich  aus  den  Banden  des  Leibes 
(Subjekt  also  jetzt?];   XII  45  dividit  getrennt   hält;    235 


Vergil,  vod  P.  Deuticke.  129 

fama  'wird  eingeben  durch  den  Nachruhm'  und  753  Umber:  vgl. 
unsere    Bezeichnungen    Dalmatiner,    Bologneser,    Neufundländer. 
Dazu    kommen   zahlreiche  Obersetzungen   einzelner  Worte:    X  84 
aliquid  etwas  st.  ein  wenig,  50S  cum  während,  629  rata  =  certa, 
635  orae  =  fines,    etwa   'Marken1,    659  rumpü   da   kappt,    745 
oculos  Lider,  XI  190  lustravere  in  equis  umkreisten  zu  Roß,  667 
abies  Tannenspeer  und  XII  267  cornus  Schaft.    Naturlich  gibt  H. 
auch    neue   Stabreime    wie   für   iurgia   iactas   X  95  ' Scheltworte 
schleuderst   du'  und   technische  Ausdrucke,    für  rotes  165  Kiele, 
Barken,  Galeeren,   prorae  223  Buge,  Steven,   puppis  226  Achter- 
deck,  Hinterschiff  u.  dgl.     Wenig    gefällt    mir  X  748  praedurum 
viribus  den  baumstarken  Recken;    und  concurrere  XI  293  über- 
setzte  ich  lieber  'kreuzen'  wie  et  XII  846  'samt',    schon    wegen 
bequemerer  Fortsetzung  des  Satzes.    Vor  Eigennamen  ist  der  Artikel 
beseitigt;  nur  XI  507  steht  noch  'von  der  Johanna1.    Wie  weit  die 
Sorgfalt  geht,  zeige  zum  Schluß  X  752  die  Quantitätsbezeichnung 
Valerus,  XI  403  f.  dieser  st.  derselbe,  751  f.  der  Zoologe  st.  Linne 
und  XII  404  kneifend  st.  kneipend.     Allerdings,    ober    den  un- 
mittelbaren Schulbedarf  hinaus  will  offenbar  auch  die  neue  Aus- 
gabe nichts  liefern,  ja  sie  verfährt  vielleicht  etwas  zu  konservativ. 
Neuer  Erwägung  empfehle  ich  besonders  X  455  proelia,   mit 
einem   andern   Stiere;    856  aegrum  fetnur:  die  Wunde   saß  imä 
inguine  785 f.;    861  $i  =  $i  quidem  [nicht  st  modo?];   894  eiecto 
sc.  equiti,  von  incumbit  abhängig,  und  armo  Abi.  zu  cernuus;  XI  47 
Imperium,  Elruscorum  [in  steht  final  wie  VI  812];    340  uditiene, 
in  Zeiten  der  Parteiung;   544  ipse  sinu,  am  eigenen  Busen;  551 
sedit,    stand   bei  ihm  fest    [vielmehr  =  sedet  VII  611,    weil  von 
sido  abzuleiten];  XII  144  ingratum  cubile,  weil  Juppiter  die  Sterb- 
lichen . .  nicht  belohnt,  sondern  der  unversöhnlichen  Rache  Junos 
preisgibt  [Juno  redet  ja  selber!];    158  aut  tu:   Du  mußt  es  tun, 
ich  darfs  nicht  [unbetontes  tu  neben  aut  wie  VI  365 f.  zweimal; 
s.  zu  Lad. lä  V  457];  434  summa  delibans  oscula,  in  leichtem  Kuß 
seine  Lippen  berührend  [vgl.  Lad. 9,  auch  zu  den  Stellen  vorher]. 
Daß    'alles   nicht    helfen    werde',    sagt    Äneas    XII  891  f.  nicht, 
sondern    meint    er    nur.     Auch    sonst    verträgt  der  Kommentar 
noch   einige   Feile.      Namentlich    klingt   der    Satzbau   steif  X  10 
unter  ferrum  lacessere,  205  unter  patre  Benaco,  699  unter  occupat, 
und    der   Ausdruck    breit  X  497    unter   impressum    und  XI  195 
unter  ferentes.     Verdruckt  ist  vielleicht  X  281  'Turnus  erklärt., 
-(für)  gefährdet';  kehren  doch  alte  Druckfehler  auch  sonst  wieder: 
S.  Hl  Z.  7  v.  u.  XI  st.  XII  96,  S.  49  unter  ventum  est  710  Keuler 
st.  Keiler,    S.  103   unter  552  f.  Z.  4  haec  st.  kuic,    S.  104  unter 
578  f.  Anab.  III  4   st.  III  3,  18   und    S.  178   in  V.  803  Terris  st. 
terris.    Das  alte  Evander  fällt  neben  dem  neuen  luno  u.  dgl.  nun 
«ist  recht  auf.     Unter  den  Neuerungen  verstehe  ich  nicht  sieber 
X  62  regia  'im  D.  besser  umzustellen'  sowie  die  Abkürzung  579 

Jahresbericht«  XXXI.  9 


130  Jahresberichte  des  Philolog.  Vereins. 

ßdversa  hasta  'gegen  sie  gew.  die  L.'  und  gar  nicht  702  nee  non 
'und  nicht  wieder'. 

13)  Schüler kommeu tar  .zu   Vergils    Äoeis    in    Auswahl.     Für    den 

Schulgebrauch  herausgegeben  von  J.Sander.    Erste  Auflage  (zweiter 
Abdruck):     Leipzig  1903,  G.  Frey  tag.     geb.  1,50  ,/£. 

Sachlich  ist  so  gut  wie  nichts  geändert;  nur  etwas  gekürzt  z.  ß. 
die  Anm.  zu  I  193  S.  20,  N  645  f.  S.  46  und  vor  VI  753  S.  105 
(die  Buchzahl  fehlt  noch  am  Kopfe  der  Seiten).  Statt  c  wird  jetzt 
überall  z  und  k  geschrieben,  also  Zyklop;  auch  Weidmann  1  192 
S.  20  st.  Waidmann.  Die  Interpunktion  ist  neu  zu  I  34  S.  6 
(Komma  hinter  lSee\  kein  Semikolon  mehr);  noch  nicht  S.  140 
zu  IX  392 f.  *  kehrt!  gemacht7,  S.  146  zu  X  364  und  S.  166  zu 
XII  763.  Auch  andre  Druckfehler  kehren  wieder,  z.  B.  S.  53  zu 
III  147f.  phrygii  Penates,  S.  73  zu  IV  349  4da<s)\  S.  89  die  Vers- 
ziffer 798  st.  698,  S.  147  zu  X  435  4im  deutschen';  auch  das 
Lemma  zu  XII  947  S.  171  ist  noch  unvollständig. 

111.    Einzelne  Beiträge  zur  Äneis. 

14)  S.  Vassis  (==  X  Bdoijg),  Ad  Vergili  Aeneidos  librum  I.    *ui&tjva 

VI  1904  S.  225-229. 

Ein  paar  Bemerkungen  mit  unglaublich  vielen  Druckfehlern. 
A.  I  1  soll  primus  mit  genus  unde . .  6  f.  eng  verbunden  werden 
=  prineeps  et  auetor  generis  Latini;  die  Partie,  iaetatus  und 
passus  3  f.  seien  aoristisch  zu  fassen  wie  commotus  126,  elisos 
VIII  261  u.  a.  Für  die  La.  Lavina  2  wird  auf  Laurentes  Lavi- 
nates  verwiesen,  was  auch  eine  kurze  Namensform  Lavinum  st. 
Lavinium  voraussetze  [vgl.  Norden  zu  VI  33],  In  V.  58  soll  ni 
faciat  irreal  sein  =  nisi  ventis  custos  appositus  esset  Aeolus;  vgl. 
Liv.  VI  26, 7.  40,  7  u.  a.  Trotz  Hom.  A  529  [und  dem  schon 
vorhandenen  Attribute  divinum]  soll  ambrosiae  403  als  Gen.  zu 
odorem  gehören  wie  G.  IV  415.  Endlich  sei  vera  405  in  vero  zu 
verändern,  da  et  vero  =  atque  etiam  sei  wie  bei  Cic.  Brut.  80 
und  107  oder  =  et  vero  etiam  bei  Cic.  an  Att.  XVI  16,  9. 

15)  W.  H.  Kirk,    Notes    on   tbe    first   book    of   the  Aeneid.     Amer. 

journ.  of  philol.  XXV  3  (1904)  S.  274—284. 

I  8  quo  deutet  K.  adverbial  und  vergleicht  das  indefinite  quem 
I  181  und  aliquod  II  81  =  forte,  auch  Cic.  Rep.  I  56  quo  love 
und  de  or.  I  105,   zu  numen  =  voluntas  A.  II  123  ^  Cäs.  B.  civ. 

III  109  und  zum  ganzen  Satze  Rose.  Am.  145  qua  in  re  tuam 
voluntatem  a  me  laedi  putas?  —  148  gehört  saepe  zum  Vergleich, 
ist  aber  umgesprungen  hinter  cum  wie,  freilich  leichter,  deinde 
195  und  nisi  Ov.  Met.  IX  707.  Des  (Deutero-)  Servius  Erklärung 
ut  fieri  solet  scheint  Munro  zu  Lucr.  V  1231  f.  bestochen  zu  haben. 
—  156  ist  curru  seeundo  =  c.  sequente;  vgl.  Ov.  M.  I  647  und 

IV  54.  —  Zu  455  f.  führt  K.  gegen  kvicala  aus,  daß  sich  laborare 


Vergil,  von  P.  Deuticke.  131 

intet  doch  sagen  lasse  (vgl.  schon  G.  IV  174  =  A.  VIH  452),  und 
umschreibt  den  Gedanken,  indem  er  das  lateinisch  gleichgeordnete 
manus  unterordnet:  artifices  (manibus)  inter  se  in  operibus  faciendi» 
laborantes  mirantur.  Vgl.  die  folg.  Seite.  —  737  endlich  soll  attigit 
ore  verbunden  und  summo  terms  für  sich  genommen  werden:  Dido 
berühre  mit  ihrem  Munde  lediglich  die  Oberfläche;  vgl.  Lucr. 
JU  261  summatim  attingere  in  übertragenem  Sinne,  Com.  Nep. 
Pelop.  i  1  tantummodo  summas  (virtutes)  attingere  und  das  Gegen- 
teil faece  tmus  bei  Hör.  III  15, 16. 

Die  sinnigen  Erwägungen  und  die  ebenso  lehr-  wie  zahlreichen 
Beispiele  dazu  verdienen  im  Zusammenhange  gelesen  und  beachtet 
zu  werden. 

16)  C.  Pascal,  Vergiliana.     Boll.  di  filol.  class.  X  1904  S.  89—90. 

P.  deutet  A.  I  82  impulit  in  latus  =  er  schlug  in  die  Seite; 
vgl.  114  und  Quint.  Smyrn.  XIV  481:  oQog  iiiya  xvxfjs  %qiaivi\. 
—  206  fa$  nicht  =  fata  205,  wozu  vgl.  Hör.  III  3,  58  f.  —  233 
ob  =  gegenüber;  s.  Vers  2  bei  Cic.  Tusc.  III  39.  —  248  will  P. 
für  Antenors  Ansiedelung  aus  der  Parallele  276  f.  (suo  de  nomine!) 
den  Namen  Antenoridae  erschließen. 

17)  Eduard   Groß,   Studien   zu  Vergils   Aeneis,    zum  Teil  mit   Hin- 

weise u  auf  die  deutsche  Literatur.  Beilage  zum  Jahresberichte  des 
K.  Neueu  Gymnasiums.  Nürnberg  1904.  34  S.  gr.  8.  —  Vgl.  J.  Zieheu, 
WS.  f.  klass.  Phil.  1904  Sp.  1375. 

Eine  feinsinnige  Nachlese  zu  den  Schulausgaben  von  ßrosin, 
Fickelscherer  und  mir,  die  selbständig  in  den  Sinn  eindringt  und 
zur  Erklärung  und  Übersetzung  treffende  Parallelen  aus  der  Bibel, 
Homer,  Ovid  und  anderen  Klassikern,  vor  allen  aber  aus  Schiller, 
Goethe,  Körner,  Uhland  und  sonstigen  neueren  Dichtern  heran- 
zieht. Zunächst  behandelt  Groß  A.  I  und  II,  aber  nebenher  auch 
manche  Stelle  aus  späteren  Büchern.  Meist  mit  Glück.  So  zeigt 
er,  wie  I  126  f.  commotus  und  placidum  (=  '  sonst  fr.')  sich  ver- 
trägt und  sachlich  dem  quos  ego  —  und  sed . .  praestat  135  ent- 
spricht. So  deutet  er  I  376  diversa  =  kreuz  und  quer,  hin  und 
her,  II  783  f.  res  laetae  =  öaXiai  bei  Homer  l  603  und  parta 
(schon)  errungen  =  gesichert.  In  mehreren  Einzelheiten,  nament- 
lich II  99  und  453,  verbessert  er  Erklärungen  meiner  Schulaus- 
gabe ähnlich,  wie  ich  selber  schon  in  der  neusten  (12.)  Auflage 
des  Ladewigschen  Kommentars;  auch  für  copia  II  564  möchte 
ich  auf  V  100  verweisen,  wo  klar  ist,  was  ich  mit  dem  'Gegen- 
satz zu  moptV  meine.  Zu  den  Beispielen  eines  erläuternden  que 
S.  15  (II  60  =  ' nämlich'  oder  >d.  h.')  und  atque  S.  18  (II  146 
steht  der  deutliche  Ausdruck  vorher)  lohnt  es  vielleicht  noch  ein 
doppeltes  que  anzumerken:  pugnae  nodumque  moramque  X  428. 
Nicht  einverstanden  bin  ich  mit  der  Auffassung  von  ut  II  283 
S.  12  =  'nach  wie  vielen  Opfern'  und  von  orae  IX  528  =  Haupt- 
punkte wie  fastigia  I  342.     Zweifelhaft  bleibt  mir   auch,   ob    das 

9* 


132  Jahresberichte  d.  Philolog.     ereins. 

im  Gegensatze  zu  trimm  völlig  attributlose  arma  1  1  (wie  XI  124, 
wo  fama,  der  bloße  Ruf,  wirklichen  Waffentaten  entgegengesetzt 
ist)  auf  die  zweite  Hälfte  des  Inhalts  der  Äneis  hinweist:  bell* 
VI  86  und  VII  41  hat  doch  sein  Gegenstuck  in  V.  5.  Vgl.  auch 
Norden  S.  362 *). 

Vom  weiteren  Inhalt  sei  noch  folgendes  hervorgehoben. 
II  557  f.  bezieht  Gr.  geistreich,  aber  gewagt  regnator  und  fronen*, 
caput,  corpus  nicht  auf  Priamus,  sondern  auf  Pergama  556,  also 
den  Riesenleichnam  Trojas;  vgl.  Schillers  Übersetzung,  deren  'jetzt' 
statt  'bald'  freilich  verrät,  daß  da  die  Schlußbemerkung  des  Aneas 
etwas  anders  aufgefaßt  ist.  Ähnlich  überrascht  I  455  artificum 
manus  inter  se  =  die  Arbeiten  der  Kunstler,  welche  sie  für  ein- 
ander, Hand  in  Hand,  in  schöner  Wechselwirkung  der  einzelnen 
Künste  geschaffen  haben;  anstatt  manus  passivisch  zu  fassen,  würde 
ich  eher  mirantur  schreiben  (wie  Schenkt  bei  Kloucek)  und  IX  457 
adgnoscunt  inter  se  nebst  SU.  VIII  197  inter  se  mirantur  vergleichen. 
Kühn  ist  auch  die  Doppelbeziebung  von  densis  armis  II  383,  das 
zu  inruimus  als  Dativ  und  zu  circumfundimur  als  Ablativ  gehören 
soll.  Eigenartig  klingt  ferner  II  75  quid  ferat  =  was  er  zu  tragen 
habe,  worin  sein  Unglück  bestehe  (vgl.  III  609  quae  agitet  fortuna), 
und  memoret,  quae  (nämlich  memorare)  sit  fiducia  capto  =  er  solle 
nur  so  viel  sagen,  als  er  ungesclieut  [?]  auch  als  Gefangener  sagen 
könne;  'nun  paßt  auch  76  trefflich  in  den  Zusammenhang'. 
Kritische  Fragen  streift  Gr.  noch  II  226,  wo  er  effugiunt  befür- 
wortet, und  I  223,  wo  er  nee  dum  finis  erat  vermutet  und  dazu 
besonders  III  511  f.  vergleicht,  aber  mich  nicht  überzeugt,  daß 
die  Änderung  nötig  ist. 

Endlich  erhalten  wir  einige  lehrreiche  Sammlungen,  welche 
die  neueren  Grammatiken  auch  über  V.s  Sprachgebrauch  hinaus 
ergänzen.  So  über  Oxymora  bei  I  514,  Adjektiva  im  Sinne  eines 
Partizips  {praeeipites  II  516  =  praeeipitatae,  recentia  VI  674  = 
frisch  erhalten),  die  Vertauschung  des  unter-  und  übergeordneten 
Zeitworts  I  629  (iaetatum  demum  voluit  =  bis..;  unter  diesen 
Gesichtspunkt  wird  auch  V  207  gerückt:  magno  clamore  morantw 
=  sie  fluchen  Jaut  über  den  Aufenthalt)  und  über  präsentisch 
[nicht  lieber  aoristisch?]  gemeinte  Part.  Perf.  wie  II  563  direpta 
domus  (vgl.  Hom.  X  63  &aXa(iovg  xeQa'i&iiivovg  hinter  ikxfj- 
Üeitiaq  &vyazQag  und  Liv.  25, 11, 11:  propius  inopiam  erant 
obsidetites  quam  obsessi),  die  gelegentlich  geradezu  proleptisch 
stehen  wie  entschieden  protecti  II  444,  mir  weniger  sicher  con- 
cussam  IV  666,  wo  Gr.  selber  bequem  übersetzen  lehrt  'die  er- 
schütternde Kunde  eilt  wie  ein  Lauffeuer  durch  die  Stadt1.  Bei 
seiner  Erklärung  von  intaetae  VII  808  hat  er  S.  28  das  folgende 
nee  laesisset  übersehen  oder  wenigstens  die  sich  für  ihn  ergebende 
Tautologie  nicht  besprochen.  Seine  Beispiele  unter  B  würde  ich 
lieber  vor  oder  hinter  den  andern  Gruppen  statt  zwischen  ihnen 
behandelt    sehen,    wenn    solche    Perf.  Medii,    wie   ich   Fälle    wie 


Vergil,  von  P.  Deuticke.  133 

I  481    und    561    kurz    nennen    möchte,    überhaupt   abgesondert 
werden  sollten. 

J8)  H.  Drabeim,  WS.  f.  Mass.  Phil.  XXI  (1904)  Sp.  166. 

A.  II  325  ist  Troes  und  Ilium  Subjekt,  also  Prädikat  fuitnus 
und  fuü  =  oktokapsv  und  ölcokev:  wir  Troer  sind  gewesen  . . . 
Vgl.  dazu  das  entsprechende  Futurum  bei  Lucr.  111  915:  iam  futrit 
(hie  fruetus  homullis)  =  bald  wird's  mit  dem  Genuß  zu  Ende  sein. 

19)  G.  Ihm,  VergiJstudieo   III.     Progr.  der  Realschule   Gerusbeim    1904 

(Nr.  752).     6  S.    4. 

Teil  II  dieser  Studien  (s.  JB.  1903  S.  149)  bebandelte  zuletzt 
Einzelheiten  aus  A.  1  und  IL  Nun  folgt  Buch  III.  Da  sind  die 
Ereignisse  weniger  ausfuhrlich  dargestellt  als  die  entsprechenden 
Abenteuer  des  Odysseus ;  aber  ohne  besondere  Würze  wurden  sie 
dennoch  leicht  ermüden.  Die  anfangliche  Inhaltsübersicht  Ihms 
wird  unvermerkt  zu  einer  gedrängten  Darlegung  der  Eigenart  V.s. 
Landschaften,  Seefahrten,  homerische  Motive,  römische  Recbts- 
und  Religionsvorstellungen  spiegeln  sich  mehr  oder  minder  deut- 
lich und  ansprechend;  Zeit  Raum  Wirkung,  Teilnahme  Stimmung 
Empfindung  steigert  V.  vielfach,  sogar  bis  ins  Unheimliche  und 
Häßliche.  Doch  stehen  ihm  neben  pathetischen  auch  lyrische,  ja 
idyllische  Töne  zur  Verfügung.  Von  Homer,  dessen  Vorbilder  Ihm 
nach  Benoist  durchgeht,  weicht  V.  eigenmächtig  ab,  nicht  immer 
zu  seinem  Vorteile,  z.  B.  nicht  bei  der  Begründung  des  Cyklopen- 
geschreis  672.  Nicht  unterschreiben  möchte  ich,  daß  V.  490  mehr 
das  Auge  eines  Porträtmalers  voraussetze,  während  Homer  6  149 
an  den  Ton  eines  Reisepasses  erinnere. 

Wie  auf  Goethe,  Schiller  und  W.  von  Humboldt  wird  auch 
bisweilen  auf  Norden  und  Heinze  Bezug  genommen.  Das  hätte 
noch  öfter  geschehen  können  (vgl.  Heinze  S.  238  f.  zu  551  und 
S.  359  f.  zu  588 f.),  wenn  Ihm  nicht  möglichst  kurz  sein  wollte. 
Zwecklos  erscheint  mir  der  Hinweis  'Geologie!1  zu  533  und  die 
doppelte  Aufzählung  der  Fundstellen  von  litus  curvum  S.  5.  Druck- 
fehler fehlen  nicht;  s.  namentlich  S.  4  Sp.  IK  Z.  2  v.  u.  'brachte1 
st.  'beachte'.  Zu  ihnen  gehört  wohl  auch  S.  4  Sp.  II  Z.  9  v.  u. 
4 durch  den  Penaten'  und  S. 7  I  Z.  26  v.  u.  'durch  das  Erscheinen 
des  Penaten',  da  V.  148  Phrygii  penates  nennt. 

20)  H.  T.  Ktrsteo,    De    Aeneidos    libro   III.     Hermes  XXXIX  (1904) 

S.  259—290. 

K.  wendet  sich  gegen  die  von  Heinze  wieder  verfochtene,  in 
der  Hauptsache  auch  von  Norden  S.  45  vertretene  Annahme 
Schülers,  daß  A.  III  erst  spät  verfaßt  worden  sei  ('als  das  ganze 
Gedicht  mindestens  zu  etwa  zwei  Dritteln  bereits  geschrieben 
war'  H.  S.  92),  und  erklärt  es  vielmehr  für  den  ältesten  Bestand- 
teil  unseres  Gedichts   (wie  zuletzt   mit  weitergehenden  Schlüssen 


134  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Sabbadini;  s.  JB.  1901  S.  112).  Wenn  Heinze  S.  87  sagt,  es  er- 
scheine unbegreiflich,  weshalb  Vergil  nachträglich  seine  einheitliche 
Erfindung  (in  III)  wieder  umgestoßen  haben  sollte,  mit  der  das 
ganze  Buch  steht  und  fällt,  so  beruft  sich  K.  dagegen  auf  Donats 
Angabe  Aeneida  prosa  prius  oratione  formatam  digestamque  in  XII 
libros,  mit  der  er  selbst  sich  kühn  und  künstlich  so  abfindet,  daß 
er  Buch  III  ausnimmt:  dies  sei  vor  dem  prosaischen  Entwürfe 
verfertigt,  dann  nach  einer  Pause  particulatim  etwa  seit  dem  Jahre 
27  oder  26  die  erste  Hälfte  der  Äneis  (auch  V  vor  VI;  s.  S.  288 f.) 
und  endlich  seit  24  oder  23  bis  19  die  zweite. 

Im  einzelnen  mustert  er  zunächst  die  Gründe,  welche*  Heinze 
zu  seiner  Annahme  führen,  und  findet  sie  nicht  zwingend.  Die 
seit  Conrads  betonten  Widersprüche  seien  weder  der  Zahl  noch 
dem  Umfange  nach  wesentlich:  so  die  Führung  der  Venus  I  382 
und  das  lykische  Orakel  IV  345.  Wichtiger  erscheine  im  Gegen- 
satze zu  III  7,  88,  181  der  Hinweis  der  Kreusa  II  781,  welchen 
Heinze  selber  S.  61  als  künstlerisch  erforderten  Abschluß  bezeichne, 
so  daß  er  nicht  als  vorläufiger  Versuch  (H.  87)  gelten  dürfe. 
Wenn  H.s  Anm.  S.  87  ein  Versehen  des  Dichters  darin  erblickt, 
daß  ausnahmsweise  III  500  der  Thybris  genannt  wird,  während 
das  Buch  sonst  nur  die  allgemeinen  Namen  Hesperien  und  Italien 
anwendet,  möchte  K.  hieraus  lieber  das  Gegenteil  schließen,  nämlich 
daß  V.  die  deutliche  Bezeichnung  im  ältesten  Stücke  absichtlich 
gemieden  habe,  nachher  nicht  mehr.  Wie  er  sich  mit  dieser  Ab- 
sicht die  Ausnahme  III  500  als  bewußtes  Gifancofisvov  zusammen- 
reimt, verstehe  ich  nicht  recht.  Aus  der  doppelten  Fassung  des 
Tisch-  und  Sauprodigiums  zieht  K.  seinerseits  den  Schluß:  III  ist 
älter;  die  in  den  späteren  Büchern  berichteten  Tatsachen  ent- 
sprechen dem  ursprünglichen  Bericht  in  III,  nur  ist  VII  123, 
wieder  xcctcc  rö  Giamayfispov,  Ancas  für  Celano  genannt  und 
Apolls  Eingreifen  übergangen,  VIII  43  f.  aber  das  berühmte  Orakel 
(samt  dem  V.  46!)  am  unrechten  Orte  verwendet  worden,  weil 
es  den  Lesern  nicht  vorenthalten  werden  sollte,  der  richtige  Platz 
aber,  nach  der  Landung  Anfang  VII,  schon  vom  Tischorakel  in 
Beschlag  genommen  war.  Endlich  befriedigen  K.  weder  die  Gründe, 
weshalb  V.  die  Ausführung  der  Irrfahrten  immer  wieder  verschoben, 
noch  die,  weshalb  er  bei  der  Ausarbeitung  von  III  keine  Rücksicht 
auf  das  vorher  Geschriebene  genommen  haben  soll  (H.  81  und 
92 f.):  Stoff  und  Vorbilder  hatte  er  reichlich  so  viel  wie  sonst 
und  einen  gefährlichen  Vergleich  mit  Homer  gerade  hier  weniger 
zu  furchten;  der  Einheitlichkeit  eines  einzelnen  Buches  aber  die 
des  ganzen  Werkes  zu  opfern  war  um  so  weniger  Anlaß,  als  er 
viel  einfacher  umgekehrt  Buch  III  dem  Vorhandenen  halte  an- 
passen können. 

Nach  der  Betrachtung  der  Beweismittel  Heinzes,  dem  er  auch 
einige  Widersprüche  in  seinen  Ansichten  nachsagt,  bringt  K.  nun 
Gründe    dafür    bei,    daß  Buch  III   vor  allen  übrigen  verfaßt  sei. 


VergiJ,  von  P.  Deuticke.  135 

Es  beginnt  mit  einem  Eingang,  der  nicht  kurz  rekapituliere  wie 
der  von  VIII  und  XII  (so  Heinze  S.  444),  sondern  Erlebnisse  der 
Uiupersis  wie  neu  vortrage,  undeutliche  Augurien  beibringe  und 
fast  ein  Jahr  Zwischenzeit  voraussetze.  Es  bezeichnet  aJs  Leiter 
der  Fahrt  den  Apollo,  der  sonst  nur  noch  VII  241  und  irrtümlich 
IV  345,  376  und  VI  59  ähnlich  walte,  und  weiß  noch  nichts  von 
der  Hilfe  der  Venus,  dem  Haß  der  Juno  und  dem  Widerspiel 
beider.  Es  enthält  keinen  Hinweis  auf  die  Didoepisode,  die  Rück- 
kehr nach  Sizilien  und  die  Höllenfahrt  —  lauter  später  erfundene 
Stoffe.  Konnte  V.  die  Weissagung  der  Kreusa  II  780  f.  bis  zur 
Farblosigkeit  des  dritten  Buches  verändern,  was  Heinze  S.  62  an- 
nimmt? oder  die  Verteilung  der  Aufschlüsse  VI  83  f.  und  888  f. 
an  Deiphobe  und  Anchises  rückgängig  machen  zugunsten  der 
Sibylla?  K.  bezweifelt  das  und  findet  in  II(  457  f.  lediglich  einen 
Besuch  in  der  Höhle  am  Avernus,  nicht  in  der  Unterwelt  voraus- 
gesetzt. Weiter  vermißt  er  Acestes,  Eryx,  die  Bestattung  de? 
Anchises,  den  Sturm  auf  dem  Tyrrhener  Meere  u.  a.  All  das 
könne  nicht  etwa  III  379 f.  gemeint  sein;  da  handle  es  sich  all- 
gemein um  Erlebnisse,  welche  den  Helenus  die  Parzen  nicht  wissen 
lassen  oder  Juno  trotz  seines  Wissens  nicht  aussprechen  läßt. 
Im  Schluß  aber  knüpfe  V.  715  an  1  34  und  die  beiden  folgenden 
an  II  1  an,  während  der  letzte  zu  IV  1  überleite.  Vorher  708  L 
klinge  der  Bericht  vom  Verluste  des  Vaters  nicht  so  eingehend 
und  warm,  wie  man  es  erwarte,  wenn  man  z.  B.  die  sorgsam 
ausgearbeiteten  Gegenstücke  II  635  f.  und  735  f.  vergleiche.  Auch 
an  manchen  Einzelheiten  sachlicher  und  sprachlicher  Art  nimmt 
K.  Anstoß,  namentlich  an  hie  labor  extremus  714,  was  er  nicht 
als  Unglück  verstehen  [vgl.  X  Ulf.  den  Gegensatz  laborem  fortu- 
namquel],  sondern  auf  eine  letzte  Fahrt  von  Drepanum  nach  Cumae 
beziehen  möchte,  die  in  ein  paar  Versen  hinter  707  ursprünglich 
besprochen  sein  werde.  Außer  714  sei  der  ganze  Schluß  von 
808  an  neue  Zutat,  wie  —  nebenbei  gesagt  —  auch  V.  341,  vor 
welchem  der  Vers  quem  tibi  iam  Troia  —  nicht  von  V.  unvollendet 
gelassen,  sondern  verstümmelt  worden  sei. 

Meines  Erachtens  ist  Heinzes  Annahme  durch  solche  sub- 
jektiven Erörterungen  und  Gegengründe  nicht  endgültig  widerlegt. 
Dazu  kommt,  daß  schon  K.s  Darstellung  als  solche  wenig  ein- 
nimmt: sie  klingt  manchmal  breit  und  eintönig  und  der  Ausdruck 
keineswegs  immer  klassisch.  Namentlich  fällt  mir  auf  versus 
peculiarem  traetationem  postulant,  manet  repugnantia  m  verbis 
Creusae  . .  cum  tertio  libro,  zweimal  nihil  quam  st.  nisi  und  tandem 
st.  denique,  ja  S.  276  dum  st.  des  adversativen  cum. 

21)  J.  van  Wa^eninff en,    De  Mercurio,  qui   \pvxonofinog  dicitur. 
Moemos.  XXXII  (1904)  S.  43—48. 

A.  IV  244  werden  die  Worte  lumina  motte  resignat  aus  Plin. 
Nat.  Hist.  XI  150  erklärt:  morientibus  illos  (oculos)  operire  rursus- 


136  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

que  in  rogo  patefacere  Qmrüium  magno  ritu  sacrum  est.  Es 
sei  alter  Brauch,  dem  Toten  zuletzt  die  Augen  wieder  zu  offnen, 
und  zwar,  damit  er  im  Jenseits  richtig  den  Weg  erkennen  könne, 
wie  Caland  im  Museum  1902  S.  37  aus  den  Bestattungsgebräuchen 
anderer  Völker  schließt.  Daß  nicht  ein  Mensch,  sondern  ein  Gott 
der  Sitte  Genüge  tut,  brauche  kein  Bedenken  zu  machen,  da  V. 
IV  696  f.  die  Haarweihe  auch  einer  Gottheit  überträgt. 

22)  L.H.  Labande  und  Heron  de  Villefosse,  Les  raosaYqnes  roma.ines 

de  VilleUare  (Vaaclase).  Ball,  arcbeol.  1903  S.  1  —  32  und 
Tafel  II. 

Im  Jahre  1900  hart  man  im  Dorfe  Villelaure,  südwestlich  von 
Ca  den  et  in  der  Provence  (Arrond.  d'Apt),  vier  Mosaikpflaster  auf- 
gedeckt, deren  zweites,  das  am  besten  erhalten  ist,  die  Faust- 
kämpfer Dares  und  Entellus  aus  A.  V  zeigt:  der  graubärtige  Entellus 
steht  links,  breitgesprefzt,  dem  Beschauer  entgegenblickend,  und 
der  jugendliche  Dares  rechts,  ein  wenig  zurück,  mit  abgewandter 
Vorderseite ;  hinter  ihm  der  auf  die  Vorderbeine  gesunkene  Stier, 
dessen  blutender  Kopf  zwischen  den  beiden  Männern  hindurch 
sichtbar  ist.  Nach  Labande  S.  8  f.  wäre  das  Bild  eine  Kopie  eines 
1790  in  Aix  gefundenen,  jetzt  nicht  mehr  vorhandenen,  aber 
durch  Abzeichnung  bekannten  Mosaiks  (s.  Atlas  des  mosafques  de 
Lyon ...  pf.  XXXXVII),  doch  weist  Villefosse  S.  20  f.  mehrere 
Unterschiede  nach.  Er  erwähnt  dann  auch  noch  kurz  ein  Mosaik- 
bild von  Dougga,  das  nach  Gaucklers  Deutung  die  Cyklopen  bei 
der  Arbeit  am  Schilde  des  Äneas  darstellt;  s.  Bull.  arch.  1902 
S.  CCXVf. 

23)  K.  Nestle,  Zur  Erklärung  des  Wortes  Sibylle.     Berl.  phil.  WS. 

1904  Sp.  764/6. 

Nach  einer  kurzen  Übersicht  über  andere  Deittungsversuche 
verweist  N.  auf  die  ziemlich  unbekannt  gebliebene  Abhandlung 
Postgaites  im  Amer.  Journ.  of  Philol.  III  333  f.,  der  das  Wort 
Sibylle  mit  safere  und  öotfoo,  zusammenrücken  will,  wie  schon 
früher  Bergk. 

24)  L.  Radermacher,  Das  Jenseits  im  Mythos  der  Hellenen.    Bodo 

1903,  A.  Marcos  und  E.  Weber.  152  S.  8.  —  Vgl.  W.  K(roll),  Lit. 
Zeotralbl.  1903  Sp.  1187;  O.  Gruppe,  Berl.  phil.  WS.  1904  Sp.  945. 

25)  W.  Volkmann,   Die  Nekyia  im  VI.  Boche   der  Äneide  Vergils. 

Jahresbericht  der  schlesischea  Gesellschaft  für  vaterlaarfiscte  Roitar  81 
(1903),  Ahteatea;  IVa:  Fhilolopsch-archaolafische  Sektiaa  &  1—11. 
Aach  im  Sonderdruck.  —  Vgl.  B.  Winther,  WS.  f.  kUss.  Phil.  1903 
Sp.  1009;  R.  Helm,  Berl.  phil.  WS.  1904  Sp.  521. 

Von  Radermachers  10  Untersuchungen  über  antiken  Jenseits- 
glauben, deren  ziemlich  lockeren  Zusammenhang  das  Vorwort 
daraus  erklärt,  daß  meist  nur  Locken  in  den  Ausführungen  anderer 
auszufüllen  waren,  mehrfach  durch  Heranziehung  entlegener  Sagen 
und   Bräuche,    selbst   von    neueren    Naturvölkern,   behandelt   die 


Vergil,  vod  P.  Deuticke.  137 

zweite  S.  13—31  Vergils  geschlossene  Darstellung  der  Unterwelt. 
Hier  sind  volkstümlich  mythologische  und  spekulativ  religiöse  Zöge 
vereinigt,  z.  B.  wenn  Äneas  im  Besitz  der  märchenhaften  Zauber- 
ritte  doch  nicht  seinen  Weg  altein  geht,  sondern  von  der  apokalypti- 
schen Sibylle  durchs  Jenseits  geleitet  wird.  Die  Seelenläuterung 
bespricht  R.  vom  höheren  Standpunkte  aus,  abschließend,  indem 
er  die  Forschungen  von  Schmekel,  Hirzel,  Heinze,  Rohde  u.  a.  als 
bekannt  voraussetzt.  Volkmann  nimmt  auf  die  Vorgänger  wieder- 
holt Bezug  und  geht  selbständig  auf  die  alten  Quellen  zurück,  die 
ihm  die  Einleitung  724 — 34  bis  in  die  kleinste  Faser  mit  stoischem 
Geiste  getränkt  zeigen  und  besonders  den  Posidonius  als  Gewährs- 
mann verraten.  Manis  743  deutet  er  als  dalfiwp  (s.  S.  6  und 
Norden  S.  16.  32  u.  ö.)  und  übersetzt  S.  3:  jeder  muß  büßen 
für  seine  sündige  Seele  (S.  10:  entsprechend  der  Schuld  seiner 
sündigen  Seele);  dann  werden  wir  durch  das  weite  Elysium  ge- 
sendet und  bewohnen  in  geringer  Zahl  die  seligen  Gefilde,  bis  — . 
In  der  Annahme  einer  doppelten  Reinigung  der  Seelen,  die  man 
in  letzter  Zeit  meist  ablehnte,  begegnen  sich  V.  und  R.  mit 
Nordens  ungefähr  gleichzeitig  erschienenem  Kommentare. 

Volkmann  unterscheidet  nach  den  Lehren  der  in  den  Kreisen 
des  Augustus  besonders  gesehatzten  mittleren  Stoa  (vgl.  besonders 
Plutarcb,  De  facie  in  orbe  tanae  26 — 29)  drei  Teile  des  Menschen: 
(tcüfia,  iftvxiji  vovg  und  drei  Reiche  (s.  Norden  S.  23  f.):  auf  Erden 
trennt  Demeter  schnell  und  gewaltsam  Leib  und  Geist,  worauf  jede 
Seele  eine  Zeitlang  (xq6vov  ovx  Xaov,  suos  manis  patiens)  um- 
herirrt; auf  dem  Monde  löst  Persephone  leicht,  aber  in  langer 
Zeit  (longa  dies)  die  tfJi^xv  von  ^em  ^ovg,  dem  Feuerodem,  aetherius 
sensus  747,  der  dann  verklärt  sig  htgov  trmov  itjg  ccQiGTTjg 
ivaXXuyqg  sich  aufschwingt,  um  verzückt  den  Weltgeist  zu  schauen 
bis  zum  Weltenbrande.  Auch  die  Namen  ^Exctrijg  fjv%6g  und 
*HXvoiov  nsdiov  kennt  Plutarch  a.  a.  0.  Noch  deutlicher  scheidet 
er  De  def.  orac.  10  Ende  (vgl.  Norden  S.  39,  6)  die  wenigen  zum 
Elysium  berechtigten  Seelen  (<V  ägsTtjg  xa&ctQ&eTGcci)  von  der 
Menge  der  zur  Wiederverleiblichung  bestimmten,  denen  es  nicht 
geglückt  ist  xQaveTv  kccviwv,  weil  sie  von  den  irdischen  Leiden- 
schaften (733)  bedeckt  sind. 

Radermacher  erklärt  die  doppelte  Läuterung  daher,  daß  die 
Seele  auch  doppelt  belastet  erscheine,  einmal  in  einer  Art  Erb- 
sünde durch  ihren  Eintritt  in  den  Körper  und  dann  durch  die 
persönlicher  Verantwortung  unterliegende  Versündigung  im  irdi- 
schen Leben;  vgl.  Norden  S.  18.  Diese  corpareae  festes  (737) 
werden  im  Tartarus  gebüßt,  je  nach  der  Schwere  der  Verfehlung, 
nicht  etwa  gerade  nach  der  Reihe  740  f.  Dann  folgt  die  Läuterung 
von  der  nicht  persönlich  verschuldeten  Befleckung,  in  der  Regel 
am  Lethefluß  748  f.  und  für  wenige  Auserwählte  im  Elysium  745  f. 
Sie  bedeutet  keine  Strafe,  sondern  erfolgt  ohne  Schmerz,  lediglich 
durch  die  Länge  der  Zeit   (S.  24:    anscheinend  1000  Jahre),    bis 


J38  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

nach  Abstreifung  der  concreta  labes  der  reine  Feuerhauch  zurück- 
bleibt (746 f.).  Aus  pauci  tenemus  und  has  omnis  ubi.  .volvere 
einen  Gegensatz  zu  folgern  liegt  nahe;  'aber  daß  dieser  Gegensatz 
bestehen  muß,  ist  eine  durchaus  subjektive  Voraussetzung'  heißt 
es  S.  25.  Wir  haben  keine  Veranlassung,  Vergil  von  seinen  Vor- 
gängern zu  trennen.  Und  so  läßt  R.  alle  Seelen,  nicht  nur  die 
bevorzugten,  durch  das  Eiysium  ins  Lethetal  ziehen  und  selbst  die 
letzteren  nicht  dauernd  im  Eiysium  bleiben,  sondern  gleichfalls 
mit  dem  Lethewasser  Vergessenheit  trinken  und  zur  Oberwelt 
zurückkehren.  'Eine  ewige  Wanderung  hat  darum  Vergil  wohl 
ebensowenig  angenommen  wie  die  anderen;  das  Ende  war,  daß 
der  Seelenstofl"  sich  auflösend  in  die  ätherischen  Elemente  des 
Himmels  zurückkehrte.  Davon  braucht  der  Dichter  bei  einer  Unter- 
weltsbeschreibung nicht  zu  reden1. 

Einzelne  Meinungsverschiedenheiten  bleiben.  Daß  auch  die 
bevorzugte  Minderheit  im  Lethetale  Vergessenheit  trinkt,,  nimmt 
weder  Norden  noch  Volkmann  mit  an.  Dieser  läßt  auch,  wenn 
ich  ihn  recht  verstehe,  die  Bewohner  des  Elysiums  dauernd  'als 
Sieger  einherwandeln'  (S.  9),  indem  er  per  Eiysium  mütimur 
gleichsetzt  mit  der  Angabe  bei  Seneca  ad  Marc,  de  conso).  25: 
paulum  supra  nos  commoratur,  dum  expurgatur . . .  deinde  ad  ex- 
celsa  sublatus  inter  felices  currit  animas.  Norden  sagt  zwar  S.  19: 
wenige  bleiben  dauernd  im  Eiysium  und  erlangen  hier  im  Kreis- 
lauf des  großen  Weltjahrs  (=  10000  Erdenjahre)  die  ursprüng- 
liche volle  Reinheit  wieder,  ergänzt  aber  in  der  Paraphrase  S.  16 
ähnlich  wie  R.  den  Schluß:  ro  ts  nvevpa  kernora-top  xal  tivq 
fiXixQivtg  Xaßovöca  TtsQatTiqva  %(jüqovöiv  slg  top  al&iQcc,  o&sv 
ijl&op.  Vgl.  auch  S.  28:  das  Eiysium  als  Zwischenstation.  Ich 
wage  dies  nicht  ohne  weiteres  in  V.  746  f.  hineinzulesen  und 
möchte  noch  immer  an  eine  eigenmächtige  Abweichung  des  Dichters 
lieber  glauben  als  an  eine  so  undeutliche,  voraussetzungsvolle, 
lückenhafte  Darstellung. 

Unklar  ist  mir,  wie  neque  auras  dispictunt  734  heißen  soll 
4 sie  atmen  fröhlich  der  Erde  Hauch';  gegen  V.  S.  3  vgl.  jetzt 
Norden  25  *)  über  diidetp.  Den  sonst  nur  die  fliehenden,  nicht 
die  ankommenden  Schatten  bedrohenden  Cerberus,  der  417  f.  vor 
dem  Aufenthaltsorte  der  unreifen  Seelen  wohnt,  welche  ander- 
wärts bei  der  wilden  Jagd  als  Irrgeister  (aldöTogeg)  der  Hekate 
folgen,  setzt  V.  S.  11  der  dreiköpfigen  Hekate  %3-opia  gleich,  der 
Türhüterin  des  Hades,  deren  Hunde  im  Dunkeln  bellen  (254),  der 
man  Honigkuchen  (vgl.  420)  mit  Vorliebe  darbrachte. 

Aus  einem  späteren  Vortrage  Volkmanns  wird  S.  12  noch 
kurz  protokolliert,  daß  A.  VI  363 — 371  zvlVHqccxXsovq  xatdßaaig 
zurückgehe  und  XU  715  f.  der  Kampf  zwischen  Äneas  und  Turnus 
dem  zwischen  Herakles  und  Acheloos  entspreche,  wie  auch  die 
Schilderung  IV  215  f.  und  259  f.  der  Sage  von  Herakles  und 
Omphale. 


Vergil,  von  P.  Deuticke.  139 

26)  Joh.  Endt,    Botenbericht e  bei  Vergil  und  Ovid.     Wiener  Stud. 

XXV  (1903)  S.  292—307. 

Homers  Boten  berichten  volkstümlich  breit,  fast  wie  Kinder 
ihre  Aufträge  wörtlich  ausrichten.  Anders  verfährt  Vergil,  wie 
zum  Teil  auch  Ovid.  Er  bezeichnet  die  Person,  welche  Botschaft 
bringt,  nicht  oder  wenigstens  nicht  sogleich;  s.  V606f.  IX  6 f. 
Nur  IV  268  f.  war  das  nötig,  weil  es  356  f.  gegenüber  der  Dido 
geltend  gemacht  wird  und  auch  auf  Äneas  so  mehr  Eindruck  er- 
zielt. Übrigens  klingen  in  V.  265  f.  die  V.  223  f.  nicht  wörtlich 
wieder.  Ähnlich  wird  auch  IX  188—196  in  V.  236—245  nur 
frei  wiederholt.  Wenn  V.  im  Ausdrucke  wechselt  und  kürzt 
(XI  226),  nimmt  er  Rücksicht  auf  den  Geschmack  seiner  Leser 
(s.  Serv.  IX  801.  XI  244),  während  Homer  nirgends  fürchtet,  seine 
Hörer  zu  langweilen.  Auf  Heinze  S.  352  f.  und  399  f.  kann  nur 
noch  die  Anm.  S.  306  f.  verweisen.  Ein  höchst  bedenklicher  Fall 
fehlt  ganz;  s.  meine  Anm.  zu  Lad.-Sch.9  VII  435  f. 

27)  L.  Bayard,  Le  molle  atque  facetum  de  Virgile  d'apres  Horace 

Sat.  I  10,  44.     Rev.  de  phil.  XXVII  (1904)  S.  213—217. 

B.  ergänzt  zu  m.  atque  f.  aus  V.  43  epos  und  deutet  das 
ganze  Wort  auf  Vergils  daktylischen  Hexameter,  der  glatt  fließe 
und  fein  klinge.     Vgl.  JB.  1903  S.  143. 

28)  A.  W.  Verrall,  The   metrical  division  of  Compound  words  in 

Virgil.     The  class.  rev.  XVIII  6  (July  1904)  S.  288-290. 

Verrall  erörtert  die  Verhältnisse  im  3.  Fuße  des  Hexameters, 
wo  abgesehen  von  griechischen  Worten  und  Eigennamen  Cäsur 
oder  Tmesis  stattfinden  müßte.  In  A.  VI  haben  keine  Penthe- 
mimeres  36  Verse;  davon  enthalten  11  (wie  30.  40.  176)  Eigen- 
namen und  24  (wie  99.  100.  143)  Zusammensetzungen;  Ausnahme 
nur  327,  wo  horrendas  zwar  nicht  etymologisch  zu  teilen  ist,  aber 
doch  in  der  Aussprache  getrennt  werden  kann.  Vorher  sind 
* abnormal'  in  A.  I  2  Verse  (25.  540),  in  II  3  (137.  222.  300), 
in  IV  6  (99.  201.  405.  431.  538.  633),  in  V  5  (170.  250.  316. 
468.  608).  —  Ich  verweise  hierzu  auf  JB.  1903  S.  189  über 
P.  Sandfords  Quasicäsur. 

IV.    Zur  Appendix  Vergiliana  und  Serviana. 

29)  R.  Sabbadini,  Emendamenti  ai  Catalepton.     Boll.  di  filol.  class. 

IX  8  (1903). 

30)  [P.   Vergili     Maronis]     Catalepton    Priapea    et    epigraromata  ed., 

R.  Sabbadini  in  usuui  scholae  Mediolanensis.     Leonici  apud  Bisazzaf 
et  Carretta  (oliin  J.  Gaspari)  1903.     23  S.     8. 

Im  Februarhefte  des  Boll.  di  fil.  class.  zeigen  drei  Seiten 
kurz  an,  daß  S.  an  neun  Stellen  handschriftliche  Lesarten  ver- 
teidigt, an  zweien  die  Interpunktion  ändert  an  je  dreien  fremde 
Vermutungen    stutzt    oder    vervollständigt  und  zwölf  eigene  Ver- 


140  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

besserungen  vorbringt.  Als  Grundlage  für  die  kritische  Arbeit 
wird  die  Texlrevision  von  Bährens  PLM.  II  158  f.  und  von 
Bücheier  im  Rh.  Mus.  1883  S.  507  f.  angegeben,  Ribbecks  zweite 
Ausgabe  der  Appendix  (1895)  aber  übersehen.  So  trifft  es  sich 
nun  sonderbar,  daß  S.  zu  IX  43  wörtlich  genau  wie  Ribb. 2  an- 
merkt: knie  addidi,  om.  0.  Im  Titel  faßt  er  die  drei  Priapeen 
und  die  14  oder  vielmehr  16  Epigramme  unter  dem  Gesamtnamen 
Catalepton  zusammen.  Und  dieses  Wort  soll,  aus  den  vorge- 
dmekten  Testimonia  zu  schließen,  Gen.  Plur.  sein,  kein  Neun*. 
Sing,  xatä  Umov;  vgl.  Schanz  RLG.  II »  §  241  S.  72f. 

Die  saubere  Ausgabe  bietet  einen  lesbaren  Text,  der  gewisse 
Verbesserungen  nicht  verschmäht;  namentlich  folgt  er  in  Pr.  II  14 
Döring,  III  4  und  8  Bährens,  7  L.  Muller,  9  Schrader,  17  Bücheier, 
in  Ep.  V  2  Aldus,  IX  15  Markland,  30  Aldus,  51  Bährens,  XIII  6 
Wagner  und  19  Haupt.  Im  ganzen  aber  hält  er  sich  mehr  an  die 
Überlieferung.  So  fehlt  Lachmanns  Umstellung  Pr.  I  1  und  bleibt 
III  3  formicata,  das  ein  Deminutiv  zu  formare  sein  soll,  gebildet 
wie  fodico  und  vellico,  =  aliquantulum  formata  oder  italienisch 
lavoricchiata.  So  gilt  qui  Ep.  1  6  als  varietä  grafica  von  cui  und 
heißt  es  II  4  min  et  psin  ut  male  illisit  (dies  Verbum  sei  von  der 
schlechten  Aussprache  gesagt  wie  frangere  bei  Hieron.  ed.  Paris. 
1706  IV  2  S.  70),  indem  von  Bährens  nichts  weiter  angenommen 
ist  als  ut  st.  et.  Ferner  finden  wir  nicht  nur  IX  50  meminisse 
und  XI 19  utrumque  (näml.  animal;  vgl.  Pascal,  Riv.  di  fil.  1902 
S.  556 f.)  wie  bei  Ribbeck2,  sondern  auch  III  2  et  (=  etiam,  wie 
IX  54)  und  VII  2  pötus  nach  allen  Handschriften,  IX  22  quaeque 
und  30  quod  nach  den  jüngeren,  gegen  ß,  und  IX  43  castra  [das 
dritte  im  Verse!]  nach  B  st.  solitos  J.  Auch  XII  8  wird  hirnea 
einfach  als  orthographische  Variante  bezeichnet,  nicht  verbessert 
wie  gegen  B  nach  J  in  V.  9  und  XIII  16  talasio.  Neu  inter- 
pungiert  ist  II  2  rhetor  namque  als  Parenthese,  XI  7  dicite  zwischen 
Kommata  und  hinter  XII  6  ein  Fragezeichen.  Um  sed  1  1  zu 
halten,  setzt  S.  Delta  saepe  tibi  venu  1  (=  conata  est  venire) 
nebst  Delia  saepe  tibi  3  und  venerit  5  in  Anfuhrungsstriche  als 
Worte,  die  der  nuntius  5  dem  verliebten  Sprecher,  nicht  dem 
Tucca  berichte.  Pr.  II  9  lautet  hier  mihi  coaeta  (vgl.  Georg.  IV  36) 
glauca  oliva  frigore,  also  wie  bei  Bährens,  nur  daß  das  in  den 
Handschriften  auch  stehende  glauca  für  duro  eingesetzt  ist,  in 
welchem  ein  Glossem  zu  coaeta  (dura  =  durata)  gewittert  wird 
—  mir  zu  kühn.  Eigne  Vermutungen  S.s  sind  III  4  das  frequen- 
tativ  gedachte  tutitor  st.  nulrior>  Ep.  III  10  hora  adedit,  IV  10 
prae  te  st.  carte,  so  daß  das  handschriftl.  non  bleiben  könne, 
IX  29  et  zwischen  diu  und  multum  eingeschoben,  32  immitis  st. 
similis,  61  humili,  si  et  st.  humilis  si  (B)  oder  sed  (J),  XIII  7  ad 
st.  et,  21  caculam  (pro  quovis  milite  abiecto;  also  mit  langem  a?), 
während  der  Versanfang  nach  B  und  Bucheler  nee  deinde  bleibt 
und   nur  lumbos  vor  te  movere  gestellt  ist,    29  ac  salivosis  sapü 


*\ 


Vergil,  von  P.  Deuticke.  14t 

(vom  Nom.  sapa;  salivosus  =5  salivam  movens),  35  Luccei  im  An- 
schluß an  Buchelers  Einwand  gegen  Bahren»'  Vorschlag  Lucci, 
XIV  7  seu  st.  et,  um  hos  zu  halten,  und  9  ceu  st.  aut.  Auch  den 
ersten  Vers  des  aus  den  jüngeren  Handschriften  beigegebenen 
Epigramms  XV  [s.  Ribb. 1  IV  S.  49]  sucht  S.  zu  heilen :  paUida 
imago  sub  hoc  caeli  est  iniuria  sede9  wo  caeli  iniuria  Apposition 
sein  und  an  XI 1  erinnern  soll. 

Schon  in  dem  bisher  Gesagten' zeigte  sich,  daß  nebenher  auch 
Winke  zur  Erklärung  gegeben  sind.  Davon  noch  ein  paar  Proben: 
IX  29  defensa,  näml.  Hippodamia  a  patre  contra  procos,  51  miUte 
ugentis  =  iter  facientes,  61  Cyrenas  =•  Callimachum  Cyrenaeae 
elegiae  principem,  XIV  7  hos  =  arae  Surrentinae  focos.  Der 
knappe  Apparat  läßt  Ribbecks  X  und  Y  mit  Recht  beiseite,  wie 
die  Liste  S.  5  auch  den  Cod.  A  deutlicher  zu  den  jüngeren  setzt; 
aber  warum  nicht  alphabetisch  vor  H?  Hinzuwünschen  ließe  sich 
wohl  ein  Hinweis  auf  Catull  4  zu  Ep.  X  und  auf  Sonntags  Buch 
*  Vergil  als  bukolischer  Dichter'  S.  220  f.  oder  auf  Einzelheiten  bei 
W.  Fröhner,  Rh.  Mus.  1892  S.  303,  und  Th.  Mommsen,  Hermes 
1893  S.  605,  der  in  Sabinus,  ante  Quinctius  X  8  den  P.  Ventidius 
erkennt.  P.  von  Winterfelds  Annahme  im  Pbil.  LV  1896  S.  189 
ist  vielleicht  gemeint,  wenn  auf  S.  6  ein  Zeugnis  aus  'De  dubüs 
jiom.'  kurz  zurückgewiesen  wird. 

31)  Gaetano  Curcio,  Eroendamenti  al  testo  dei  'Catalepton' 
delia  <Copa'  e  del  <Moretum'.  Riv.  di  filol.  XXXIII  (1905) 
S.  14—31. 

Im  Gegensatz  zu  Sabbadinis  wenigen  Beigaben  bespricht  C. 
ausfuhrlich  seine  Vorgänger  und  mustert  z.  B.  für  das  erste  Epi- 
gramm die  Erklärungen  von  Scaliger  an  bis  auf  Crusius  (Lit. 
Zentralbl.  1891  Sp.  1661  in  der  Besprechung  von  Sonntags  Annahmen 
in  ' Vergil  als  bukolischer  Dichter'),  um  dann,  an  Sabbadini  an- 
knüpfend, seine  eigne  Ansicht  vorzutragen.  So  deutet  er  Cat. 
I  6  qui  auch  als  Dativ,  bezieht  es  aber  auf  einen  andern  Lieb- 
haber, wie  jetzt  auch  Sabbadini  (brieflich;  s.  S.  18  J),  nicht  den 
Gatten  der  Delia.  Das  ganze  Gedicht  ist  ihm  ein  Zwiegespräch 
des  Dichters  mit  Freund  Tucca,  das  sich  in  den  drei  Distichen 
etwa  der  Sachlage  in  drei  Elegieen  Tibulls  (12,  5  £  5,  67  f.  6,34) 
entsprechend  aufbaut.  Der  Dichter  sage:  Du  erfreust  dich  oft 
der  Delia,  aber  du  kannst  sie  nicht  sehen,  weil  sie  vom  Gatten 
eingeschlossen  wird;  darauf  Tucca:  nicht  ich,  sondern  du  hast 
den  Genuß,  da  die  verschlossene  Tür  nicht  hindert,  Delia  zu 
sehen,  wohl  aber  sie  anzurühren;  drittens  folge  auf  den  scherz- 
haften Trost  des  Dichters,  daß  sie  kommen  werde,  Tuccas  Ant- 
wort: was  hilft  mir  diese  Kunde?  sag  es  jenem,  dem  sie  zurück- 
gekehrt ist,  also  ihrem  wirklichen  Liebhaber.  Ich  kann  diese 
Gedankenreihe  nicht  besonders  glatt  und  witzig  finden.  Auch  die 
andern  Neuerungen  C.s  leuchten  mir  nicht  unbedingt  ein. 


142  Jahresbericht©  d.  Philolog.  Vereins. 

Cat.  II  4  schreibt  er  tau  gallicum,  min  et  psm?  ut  male  illisit, 
ita . .  und  meint,  der  schwulstige  Hhetor  (s.  Bucheler,  Rhein.  Mus. 
1883  S.  507)  habe  von  mine  und  psine  das  e  elidiert;  auf 
T.  Annius  Cimber  (s.  Quintil.  VIII  3,  29)  ziele  vielleicht  gallicum 
=  gabalicum;  vgl.  Kaibel  im  Rh.  Mus.  1889  S.  316  über  das  rav 
<fTctvQa>iJi,aTi,x6v.  Cat.  V  2  empfiehlt  C.  et  ore  st.  rore  und  XIII  32 
05  atque:  die  Konjunktion  sei  beidemal  nachgestellt  zu  denken. 
Nach  genauer  Erörterung  des  schlüpfrigen  Kotyskultes  kommt  er 
für  XIII  21  auf  nee  deinde  lumbos  te  movere  scortulum  d.  h.  als 
cinaedus;  vgl.  Plaut.  Cure.  IV  1, 12  und  Poen.  Prol.  17. 

In  der  Copa  findet  er,  ähnlich  wie  Heyne,  die  Freuden  einer 
Landschenke  lebhaft  geschildert,  die  sich  für  ein  Ruhestündchen 
bei  des  Sommers  Glut  und  Staub  empfehle;  daher  frage  V.  5 
quid?  iuvat  aestivo  defessum  pulvere  abesse?  Die  Worte  pone 
merum  et  talos  37  sollen  keinen  Widerspruch  ergeben,  sondern 
eine    starke  Aufforderung   zu   epikureischem  Lebensgenuß  bilden. 

Im  Moretum  59  will  C.  fiscis  st.  fascis  lesen:  Simylus  habe 
zwei  Sorten  Käse,  frischen  mit  einem  Pfriemengrashenkel  mitten 
durchbohrt  und  alten  trockenen  in  Fenchelhalmkörbchen  [nicht 
umgekehrt  zu  erwarten?  s.  Copa  17:  caseoli,  quos  iuncea  fiscina 
siccat].  Den  Gegensatz  zwischen  Kosten  und  Freuden  des  Gärt- 
chens  66  finde  ich  in  C.s  Fassung  nee  sumptus  erat  illud  opus, 
sed  recula  curae  nicht  so  ungezwungen  ausgedrückt  wie  bei 
Ribbeck a  mit  der  freilich  nicht  so  gut  bezeugten  Lesart  nee  s.  e. 
ullius,  sed  r.  c.  Zur  Herstellung  von  V.  77:  et  quae  pervellit  eres- 
citque  in  acumina  radix  wird  auf  Hör.  Sat.  II  8,  7 f.  verwiesen; 
aber  hier  scheinen  Lattich  und  Rettich  in  gleicher,  nicht  in  ent- 
gegengesetzter Richtung  auf  die  Verdauung  zu  wirken. 

32)  R.  Sabbadini,    Partenio    e    il  'Moretum'.     Riv.  di   fil.  31  (1903) 

S.  472. 

Die  landläufige  Meinung,  Parthenius  habe  ein  Moretum  ver- 
faßt, das  dann  Vergil  übersetzte,  gründet  sich  auf  eine  junge  Er- 
weiterung von  Macr.  Sat.  V  17, 18  mit  Eustath.  Perieg.  4,  20,  die 
nicht  zu  halten  ist.  Wenn  P.  fitTapoQipcoöeig  yqaxfjat  Xdyeca*, 
könnte  das  eher  auf  eine  Ciris  führen. 

33)  R.  Sabbadini,  Per  un  glossario  Vergiliaao.    Riv.  di  fil.  31  (1903) 

S.  470/1. 

Das  auf  S.  527  f.  der  Appendix  Serviana  Hagens  wiedergegebene 
Glossarbruchstück  bat  Mommsen  im  Hermes  8  (1874)  S.  67 — 74 
schon  mit  einem  andern  aus  einer  Vatikan -Hs.  des  15.  Jahr- 
hunderts identifiziert.  S.  führt  es  auf  den  Veronesen  Guarino 
zurück,  welcher  1414/8  ein  Vergilglossar  erweiterte,  das  auch  ab 
integro  anfing,  aber  mit  uxorius  schloß.  Näheres  in  Sabbadinis 
Buche  La  scuola  e  gli  studi  di  Guarino  (Catania  1896)  S.  54. 

Berlin.  Paul  Deuticke. 


^ 


4. 

Homer. 

Höhere  Kritik  (1903  und  1904). 


In  den  letzten  Jahren  sind  die  Fragen,  die  uns  hier  haupt- 
sächlich beschäftigen,  zurückgetreten  hinter  andere,  auf  die  wir 
bisher  nur  nebenbei  eingehen  konnten:  nicht  mehr  die  Kom- 
position der  beiden  großen  Gedichte  steht  im  Vordergrunde  des 
Interesses,  sondern  man  geht  darüber  hinaus  und  sucht  den  Ur- 
sprung der  troischen  wie  der  Odysseussage  zu  ergründen 
und  erörtert  ausführlicher  und  gründlicher  denn  je  die  Frage, 
welches  die  Örtlichkeit  war,  wo  die  Sage  entstand,  ob  der  Dichter 
sie  aus  eigener  Anschauung  kennt  und  welche  Wandlungen  diese 
Anschauung  im  Laufe  der  Jahrhunderte  erfahren  hat.  Veran- 
lassung dazu  haben  nicht  nur  die  reichen  Ergebnisse  der  Aus- 
grabungen gegeben,  die  in  den  letzten  Jahren  von  sachkundiger 
Hand  an  den  wichtigsten  Kulturstätten  der  vorhomerischen  und 
homerischen  Zeit  veranstaltet  worden  sind,  sondern  auch  eine 
immer  wachsende  Kenntnis  der  Völker,  welche  vor  den  Griechen 
die  Träger  der  Kultur  waren  und  die  Griechen  stark  beeinflußt 
haben. 

Über  diese  Untersuchungen  hier  zu  berichten,  gebietet  ebenso- 
sehr die  Wichtigkeit,  die  ihre  Ergebnisse  für  die  Kenntnis  homeri- 
schen Lebens  haben,  als  die  Bedeutung,  die  sie  im  besonderen 
auch  für  die  Abfassung  der  Gedichte  im  ganzen  wie  in  ihren 
Teilen  beanspruchen.  Denn  fast  jeder  der  Forscher  streift  die 
Fragen  der  höheren  Kritik  der  Homerischen  Gedichte  oder  setzt 
bestimmte  Annahmen  als  allgemein  zugestanden  voraus.  Wir 
halten  es  deshalb  für  notwendig,  von  der  bisherigen  Anordnung 
unserer  Berichte  abzuweichen  und  diese  Untersuchungen  nicht 
kurz  im  Anhange,  sondern  ausführlicher  an  erster  Stelle  zu  be- 
handeln. Da  ferner  nicht  selten  derselbe  Gelehrte  in  derselben 
Schrift  zu  ganz  verschiedenen  Fragen  Stellung  nimmt,  so  muß 
auch,  obwohl  dies  mancherlei  Unbequemlichkeiten  im  Gefolge  hat, 
über  dieselbe  Schrift  an  verschiedenen  Stellen  gesprochen  werden. 
Endlich  empfiehlt  es  sich,  bei  den  Hauptfragen  die  Literatur  zu- 
sammenzustellen und  z.  T.  einzelnes  aus  den  vorangehenden  Jahren 
nachzuholen. 


144  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

1.  Vorfragen. 

A.  Ursprung  und  Heimat  der  Sage. 

a)  Die  troische  Sage. 

1)  A.  Brückner,    Geschichte    von   Troja    and  Ilioo.     IX.  Abschnitt 

aus  Dörpfelds  Troja  und  Iliou.     S.  549—600. 

2)  Bethe,  Die  trojanischen  Ausgrabungen  und  die  Homerkritik. 

N.  Jahrb.  f.  d.  klass.  Altert.  1904,  I,  S.  3—13.  — -  Vgl.  Berl.  phil. 
WS.  1905  Sp.  209—211  (Zilinski). 

3)  F.  Noack,    Homerische    Paläste.     Eine  Studie  zu  den   Denkmälern 

und  zum  Epos.  Mit  2  Tafelu  und  14  Abbildungen  im  Text.  Leipzig 
1903,  B.  G.  Teubner.  100  S.  8.  —  Vgl.  Journ.  of  Hell.  Stud.  1903, 
II,  S.  365;  Zeitschr.  f.  d.  österr.  Gyinn.  1904  (55,  H.  6/7)  S.  581 
(R.  Münsterberg). 

4)  E.   Drerup,    Homer.      Weltgeschichte    in    Charakterbildern.      I.   Abt.: 

Altertum.  Die  Anfänge  der  hellenischen  Knitor.  Mit  105  Abbildungen. 
München  1903,  Kirchheims  Verlag.  145  S.  gr.  8.  —  Vgl.  Lit. 
Zentralbl.  1904  Sp.  369  (E.  Martini);  WS.  f.  klass.  Phil.  1904  Sp.  337 
—341  (A.  Hock);  DLZ.  1904  Sp.  853—855  (H.  Schenkl);  Gymnas.  1904 
S.  686  (Sitzler). 

Durch  eine  Reihe  scharfsinniger  Kombinationen1)  kommt 
Brückner  zu  der  Annahme,  daß  Achäer  in  rnykenischer  Zeit 
sehr  wohl  die  Burg  von  Troja,  deren  Überreste  in  der  „sechsten 
Schicht"  vorliegen,  zerstört  haben  können.  Der  Platz  blieb  dann 
in  ihrem  Besitz,  und  zwar  im  Besitz  der  Lokrer,  während  die 
einheimischen  Fürsten  sich  nördlich  vom  Ida  ansiedelten  und 
von  der  Gegend  von  Skepsis  aus  das  Binnenland  beherrschten. 
„Es  scheint  nicht,  daß  sie  in  haßerfüllter  Feindschalt  den  Griechen 
gegenübergestanden  haben.  Das  mag  man  daraus  schließen,  daß 
der  Griechenfreund  Poseidon  selbst  den  Nachkommen  des  Aineias 
das  Fürstentum  erhält  (F300),  und  im  allgemeinen  spricht  eben 
die  ritterliche  Achtung  vor  den  troischen  Ahnen,  die  Huld  der 
Götter,  an  der  Troer  und  Griechen  teilhaben,  nicht  dafür,  daß 
man  während  der  Ausgestaltung  des  Epos  bittere  Erfahrungen  in 
der  Landschaft  gemacht  habe44  (S.  570).  Nach  der  Zerstörung  der 
Burg  wurde  vielleicht  die  Stätte  der  Athene  nsqdinokvq  geweiht 
und  zwar  von  den  Lokrern.  Der  Vater  des  lokrischen  Aias  heißt 
Oileus  oder,  seit  Hesiod  nachweisbar,  ^Iksvg;  von  ihm  würde  der 
Doppelname  im  Epos  Mos  neben  Troja  abzuleiten  sein.  Aias 
aber  war  ursprünglich  nicht  ein  Feind  der  Athene,  sondern  ihr 
Verehrer  und  stiftete  ihr  hier  ein  Heiligtum.  Gegen  diese  An- 
nahme aber  spricht  sehr  viel,  so  daß  man  sie  kaum  noch  als  „mög- 
lich" bezeichnen  kann,  wie  es  vorsichtig  der  Verf.  tut.  Ist  es 
schon  nicht  leicht  zu  begreifen,  wie  aus  einem  Verehrer  der  Athene, 
dem  Gründer  ihres  Heiligtums  an  wichtiger  Stelle,  in  der  Sage 
ihr  Verächter  werden  kann,  so  ist  vollends  dabei  die  Sendung  der 


l)  Ich  brauche  darüber  hier  nicht  zn  berichten,  da  R.  Engelinanu  in 
dieser  Zeitschrift  {1904  JB.  S.  266- 273)  sie  ausführlich  angegeben  und 
meiner  Ansicht  nach  richtig  beurteilt,  d.  h.  als  nicht  stichhaltig  erwiesen  hat. 


•^ 


Homer,  von  C.  Rotfae.  145 

lokriscben  Mädchen  und  ihre  Behandlung  durch  die  Bewohner  von 
llion  unbegreiflich.  Man  mußte  vielmehr  erwarten,  daß  die 
Priesterin  der  Göttin  noch  in  der  spätesten  Zeit  von  den 
Lokrern  geholt  wurde.  Die  Art  aber,  auf  welche  die  Mädchen 
verfolgt  und  später  behandelt  werden,  weist  auf  die  bitterste,  töd- 
liche Feindschaft  der  Bewohner  von  llion  mit  den  Lokrern  hin, 
womit  wieder  gar  nicht  stimmt,  daß  auch  die  ursprünglichen 
Herren  von  Troja  nach  Brückner  gar  nicht  in  Feindschaft  mit  den 
Siegern  gestanden  haben  sollen  (s.  o.).  Nehmen  wir  hinzu,  daß 
sehr  lange  Zeit  durch  das  Eindringen  fremder  Völkerstämme  im 
8.  und  7.  Jahrhundert  die  Troas  und  mit  ihr  doch  wohl  llion  — 
obwohl  Brückner  das  Fortbestehen  des  Athenaheiligtums  für  mög- 
lich hält  —  den  Griechen,  falls  sie  dort  schon  festsaßen,  wieder- 
entrissen worden  ist,  so  müssen  wir  sagen,  daß  die  Erzählung 
von  der  Sendung  der  lokrischen  Mädchen,  die  ja  auch  ganz  ver- 
schieden überliefert  wird,  dunkel  bleibt  und  zur  Aufklärung  der 
vorgeschichtlichen  Verbältnisse  Griechenlands  und  der  Troas  kaum 
etwas  beiträgt.  Trotzdem  wird  diese  Erzählung  auch  von  anderer 
Seite  verwertet. 

Bethe  nämlich,  der  der  Ansicht  ist  (vgl.  JB.  1902  S.  178— 
180),  daß  alle  trojanischen  wie  griechischen  Heldengestalten  der 
Ilias  im  Mutterlande  wurzeln,  daß  ihre  Kämpfe  ursprünglich  nichts 
als  Kämpfe  zwischen  Nachbaren  im  Mutterlande  waren,  hat  nun 
in  einem  zweiten  Vortrage,  den  er  auf  der  Philologenversamm- 
lung in  Halle  gehalten  hat,  versucht,  den  Punkt  nachzuweisen,  von 
dem  aus  man  die  Übertragung  dieser  Kämpfe  vom  Mutterlande 
nach  der  Troas  begreifen  kann.  Aias,  der  Telamonier,  ursprüng- 
lich mit  dem  Lokrer  Aias  ein  und  dieselbe  Person  (so  auch  Robert 
und  Brückner),  bat  sich  einst  im  Rhoiteion,  der  einzigen  Stelle, 
wo  eine  Flotte  unbemerkt  landen  konnte,  festgesetzt  und  von  hier 
aus  einen  Kampf  auf  Leben  und  Tod  mit  dem  Herrscher  von 
Troja  (Hektor)  geführt,  der  natürlich  die  Ansiedlung  nicht  dulden 
wollte.  Dieser  Kampf  endete  mit  dem  Tode  Hektors  bei  den 
Schiffen  und  der  Zerstörung  von  Troja.  Darauf  folgte  die  Gründung 
einer  neuen,  viel  kleineren  Ansiedlung  (7.  Schicht  auf  dem  Hügel 
Hissarlik)  unter  dem  Schutze  und  der  Abhängigkeit  von  Aias,  dem 
Herrscher  in  Rhoiteion.  Daher  Kult  der  Athene  in  llion,  welcher 
dem  alten  Kern  der  Ilias  fremd  war  (??)-,  daher  die  Verbindung 
zwischen  Lokris  und  Troja,  die  Brückner  bis  in  die  mykenische 
Zeit  hinaufgerückt  hat.  Die  Begründung  des  Mädchenopfers  in 
der  Uiupersis  (weil  Aias  die  Kassandra  vom  Altar  der  Athene  weg- 
gerissen habe)  stammt  aus  späterer  Zeit,  die  das  ursprüngliche 
Menschenopfer  durch  eine  bestimmte  Tatsache  erklären  wollte. 

Nach  Bethes  Erklärung  ist  seinem  Vortrage  lebhafter  Wider- 
spruch gefolgt  —  und  das  mit  Recht.  Denn  wenn  auch  einzelnes 
in  bestechender  Weise  für  die  Vermutung  spricht  (Aias  verteidigt 
in  der  Ilias  allein  die  Schiffe,  er  kämpft  am  häufigsten  mit  Hektor 

Jahresberichte  XXXI.  *  20 


J,46;         Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

und  hat  ihn  vielleicht  auch  ursprünglich  erlegt),  so  bleibt  doch 
noch  mehr  unerklärlich  oder  spricht  entschieden  gegen  diese  An- 
sicht. Zunächst  bleibt  die  Sendung  der  Jokrischen  Mädchen  bei 
dieser  Erklärung  ebenso  dunkel  wie  bei  der  Brückners.  Denn 
dienten  sie  ursprunglich  nicht  zur  Sühne  für  ein  Verbrechen,  wie 
Brückner  annimmt,  sondern  waren  ein  einfaches  Menschenopfer, 
so  wurde  die  Beibehaltung  dieses  Opfers  in  der  späteren  Zeit  erst 
recht  unbegreiflich  sein.  Wie  die  Griechen  in  dieser  Beziehung 
beim  Fortschritt  der  Gesittung  dachten,  zeigt  ja  gerade  das  Opfer 
des  Heerkönigs  Agamemnon:  die  Göttin  nimmt,  nach  der  späteren 
Sage,  das  Opfer  nicht  an,  sondern  schiebt  eine  Hirschkuh  unter 
und  macht  die  Jungfrau  zu  ihrer  Priesterin.  Warum  sollte  man 
bei  Aias  anders  verfahren  sein?  Im  übrigen  aber  läßt  sich  gegen 
diese  Annahme  alles  das  sagen,  was  ich  gegen  Brückner  eben 
vorgebracht  habe;  Aias  ist  auch  in  den  ältesten  Teilen  der  Jlias 
kein  Schützling  der  Athene,  wie  er  es  denn  doch  sein  müßte; 
selbst  in  der  höchsten  Not  bleibt  die  Hilfe  aus. 

Wichtiger  aber  ist,  daß  es  nicht  nur  unverständlich  ist,  wie 
aus  einem  Verehrer  der  Göttin  ihr  Verächter  werden  konnte, 
sondern  auch,  wie  der  Held,  der  ursprüngliche  Mittelpunkt  der 
Sage,  so  sehr  hinter  andern  achäischen  (äolischen  ?)  Helden  zurück- 
treten konnte,  wie  es  jetzt  in  der  Ilias  geschieht,  und  dennoch 
sein  Kampf  mit  Troja  bewirken  konnte,  daß  alle  Kämpfe 
von  ursprünglichen  Nachbaren  im  Mutterlande  nach 
der  troischen  Ebene  verpflanzt  wurden.  Ich  meine,  eins 
schließt  das  andere  aus,  und  es  hätte  entweder  Aias  zum  Heer- 
könig aller  Griechen  in  der  Sage  werden  müssen,  oder  die 
Sage  hätte,  wenn  sie  sich  aus  nicht  mehr  ersichtlichen  Gründen 
von  ihm  und  seiner  Tat  abwandte,  einen  andern  Schauplatz  für 
ihre  Lieblingshelden  gefunden.  Der  Verf.  wird  also  noch  ge- 
wichtigere Gründe  anführen  müssen,  ehe  mit  seiner  Hypothese 
ernstlich  gerechnet  werden  kann. 

Die  Schrift  Noacks  zerfällt  in  zwei  Kapitel,  denen  zwei  Ex- 
kurse und  ein  Nachwort  folgen.  Über  das  erste  Kapitel,  das  den 
auffallenden  Unterschied  der  in  Kreta  ausgegrabenen  Paläste  von 
den  bisher  bekannten  behandelt,  und  ebenso  über  die  Exkurse  hat 
R.  Engelmann  in  dieser  Zeitschr.  1904  JB.  S.  273— 275  berichtet. 
Uns  interessiert  hier  nur  das  zweite  Kapitel,  in  welchem  N.  zu 
dem  Ergebnis  kommt,  daß  die  Dichter  des  Homerischen  Epos 
unendlich  einfachere  Formen  des  Herrenhauses  voraussetzen,  als 
die  Paläste  in  Tiryns  und  Mykene  und  auch  Troja  VI  zeigen. 
Das  große  Gemach,  das  in  den  ausgegrabenen  Palästen  nur 
Empfangs-  und  Speisesaal  war,  diente  bei  Homer  auch  als  Schlaf- 
und  Wohnraum  für  die  Familie.  Nur  die  erwachsenen  Kinder 
hatten  ihre  eigenen  Schlafräume,  die  dem  Hauptgemache  ähnlich 
waren;  aber  ein  besonderes  Frauengemach  existierte,  wenigstens 
für  die  älteren  Dichter,  nicht;  nur  das  Haus  des  Odysseus  kennt 


Homer,  yoo  C.  Kothe.  147 

ein  besonderes  Schlafgemach,  mit  dem  es  auch  eine  ganz  eigene 
Bewandtnis  hat,  und  das  „Hyperoon",  das  hier  allein  erscheint, 
hat  der  Dichter  des  <p  (V.  3561!'.)  zuerst  eingeführt;  von  ihm  haben 
es  dann  die  andern  Dichter  entlehnt,  in  z.  T.  recht  ungeschickter 
Weise.  Ebensowenig  kennt  das  Homerische  Haus  ein  „Fremden- 
zimmer", die  Gäste  nächtigen  vielmehr  im  Vorräume  vor  dem 
Hauptsaale. 

Ist  der  Beweis  für  diese  auf  den  ersten  Blick  überraschende 
Ansicht  erbracht?  Mir  scheint  die  Grundlage,  auf  der  sich  der 
ganze  Beweis  aufbaut,  sehr  unsicher  zu  sein.  Prüfen  wir  die 
wesentlichsten  Gründe  für  diese  Ansicht.  N.  geht  aus  von  S2  643 
u.  ff.,  wo  dem  greisen  Priamus  im  Zelte  des  Achilleus  ixzög  des 
Raumes,  in  dem  er  eben  mit  Achilleus  verhandelt  hat,  die  Lager- 
stätte bereitet  wird  vrt  at&ovfffi  (644)  oder  iv  ngodopay  döpov 
(675),  während  der  Held  selbst  pvxw  xlMfirjc  schläft.  N.  glaubt 
mit  Recht,  daß  die  hierbei  gebrauchten  Verse  formelhaft  von  dem 
gewöhnlichen  Herrenhause  auf  das  Blockhaus  des  Achilleus  über- 
tragen, hier  jedenfalls  nicht  „original"  seien,  sondern,  wenn  irgend- 
wo in  den  Gedichten,  dann  d  296  ff.,  wo  Telemach  bei  Nestor, 
oder  fj  336  ff.,  wo  Odysseus  bei  den  Phäaken  ähnlich  gebettet 
wird  und  der  Hausherr  mit  seiner  Gattin  ähnlich  schläft.  Aber, 
meint  N.  weiter,  der  Dichter  von  ß  ist  ein  Epigone,  der  eine 
alte  Sitte  nicht  mehr  versteht.  Denn  er  sucht  es  zu  entschuldigen, 
daß  der  Greis  ixvog  schlafen  muß,  aber  —  die  Entschuldigung 
ist  verkehrt.  Achill  will  ihn  nicht  im  Hauptraume  schlafen  lassen, 
da  er  fürchtet,  die  Fürsten  der  Achäer  könnten,  wenn  sie  etwa 
zu  ihm  kämen,  ihn  hier  sehen  —  obwohl  sie  ihn  doch  ebenso, 
und  zwar  noch  früher,  sehen  müßten,  wenn  sie  durch  die  Vor- 
halle in  den  Hauptraum  träten.  Dies  ist  aber  eine  Vorstellung 
von  dem  Unverstände  eines  Rhapsoden,  die  ich  nicht  teilen  kann; 
vielmehr  meine  ich,  daß  dann  dem  Dichter  eben  ein  anderes  Bild 
von  dem  Hause  vorschwebte,  ein  solches  nämlich,  wo  der  Vor- 
raum nicht  völlig  offen  war,  sondern  abgeschlossene,  nicht  ohne 
weiteres  sichtbare  Räume  zeigte.  Daß  aber  „das  vornehmste  Ge- 
mach, das  Megaron,  das  doch  beim  Herd  den  geeignetsten  Platz 
zum  Übernachten  für  den  Fremdling  geboten  hätte,  nachtsüber 
nicht  frei,  sondern  von  dem  Herrn  des  Hauses  besetzt  gewesen41 
sei,  folgt  daraus,  sowie  aus  den  ähnlichen  Stellen  der  Odyssee, 
noch  nicht.  Denn  Achilleus  entschuldigt  sich  ja  des  Platzes  wegen 
nicht  damit,  daß  er  selbst  und  Patroklos  ihn  brauche,  sondern 
daß  die  Fürsten  der  Achäer  hierher  kommen  könnten. 

Gegen  die  Annahme  N.s  spricht  aber  auch,  daß  nirgends  ge- 
sagt wird,  sie  seien  fivx<o  psydQoio  zu  Bett  gegangen,  sondern 
entweder  fiv%^  dopov  vifJtjloTo  (y  402,  ä  304,  fj  346)  oder 
(ß  675)  fjbvxtß  xkiolyg  ivnrjxrov  oder  (e  226)  (iv%(p  (fnelovg 
flcupVQOto.  Ebensowenig  wird  nach  dem  Aufstehen  gesagt  ix 
fisyaqov  fjkfre,  sondern,  wo  die  Örtlichkeit  ausdrücklich  erwähnt 

10* 


148  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

wird  (<?  310),  heißt  es  ix  &ccXd(ioio.  Aus  dieser  Stelle  muß 
jeder  Unbefangene  den  Schluß  ziehen,  daß  auch  nach  der  Vor- 
stellung des  Dichters  die  Ehegatten  ein  besonderes  Schlafgemach 
und  zwar  iiv%u>  dopov  hatten.  Wenn  N.  sich  diesem  Schlüsse 
dadurch  zu  entziehen  sucht,  daß  er  annimmt,  der  Dichter  habe 
in  verkehrter  Nachahmung  von  ß  5,  einer  Stelle,  die  er  selbst 
gedichtet  habe,  den  d-dXapog  eingeführt,  so  wird  er  hoffentlich 
nur  wenige  finden,  die  dem  Dichter  eine  solche  Verkehrtheit  zu- 
trauen, zumal  da  diese  Stelle  eine  Stutze  findet  in  d  121,  wo  es 
von  Helena  heißt :  ix  <T  'EXivq  6-aXdfioto  &vaÖ€og  vxpOQoyoio 
jjXv&ev  UgTipid*  %QV(tviXaxd%<a  iixvTcc.  Sie  kommt  in  das 
fieyccQoVy  in  welchem  Menelaos  sich  bereits  befindet  und  sich 
mit  Telemach  und  Pisistratos  unterhält.  Durch  diese  Stelle  wird 
ganz  offenkundig,  für  den  Dichter  der  Telemachie  wenigstens,  das 
Vorhandensein  eines  &dXct[iog  neben  dem  ptyccgov  bewiesen. 
Freilich  N.  will  auch  dies  nicht  zugeben  und  meint,  es  läge  auch 
hier  wieder  Nachahmung  vor  und  zwar  von  t  51/52: 

fj  d*  Xsv  ix  &aXdfAOio  nsQiwQoav  HqvsXorteHx 

A{n&\kidi  IxiXti  jji  xqvasr\  AcpQodiTr\. 
Ich  halte  eine  Nachahmung  für  ausgeschlossen,   da  Wortlaut  und 
Sachlage  ganz  verschieden  sind;    aber  gleichviel,  ob  Nachahmung 
vorliegt    oder    nicht,    daß    bei  d  121  an   ein  besonderes  Frauen- 
gemach zu  denken  ist,  läßt  sich  doch  nicht  ableugnen. 

Und  wäre  es  nicht  auch  im  höchsten  Grade  auffällig,  daß 
zwar  die  erwachsenen  Kinder,  wie  N.  zugibt,  ein  eigenes  Zimmer 
gehabt  hätten,  die  Eltern  aber  in  demselben  Räume  auch  ge- 
schlafen hätten,  in  welchem  Gäste  empfangen  wurden,  in  welchem 
gegessen  und  getrunken  wurde  und  überhaupt  die  ganze  Familie 
wohnte?  Dies  wäre  an  sich  unglaublich  und  selbst  dann  nicht 
anzunehmen,  wenn  das  Frauengemach  und  der  Ehethalamos  nicht 
so  bezeugt  wären,  daß  N.  durch  alle  Interpretierungskunst  sie 
nicht  beseitigen  kann,  nämlich  im  Palaste  des  Odysseus.  N.  frei- 
lich möchte  beides  als  etwas  Besonderes  hinstellen,  das  der  „Viel- 
gewandte" sich  gegen  die  allgemeine  Sitte  erlaubt  habe.  Aber 
auch  dies  stimmt  nicht;  denn  auch  Kirke  hat  ihren  besonderen 
&dXapog  (x  340  ig  &dXa\iov  Mvai),  und  es  mutet  uns  wunder- 
lich an,  wenn  N.  in  diesem  „keinen  einwandsfreien  Zeugen41  dafür 
sieht,  daß  der  Hausherr  ein  besonderes  Schlafgemach  besessen 
habe,  weil  „sein  Vorbild  ebensogut  der  Thalamos  der  erwachsenen, 
unverheirateten  Tochter  des  Hauses  (vgl.  Nausikaa)  gewesen  sein 
könne4'.  Wir  glauben  dies  nicht,  sondern  folgern  hieraus  viel- 
mehr auch  ein  besonderes  Schlafgemach  bei  der  Nymphe  Kalypso, 
das  mit  /uu/co  öneiovg  {s  226)  bezeichnet  ist  und  unserer  An- 
sicht nach  deutlich  von  dem  dniog  yI<*<P*>q6v  (e  196),  in  welchem 
sie  mit  Odysseus  ißt  und  trinkt,  unterschieden  wird.  Denn  wie 
x  340  ig  &dXapop  livai  steht,  so  heißt  es  auch  s  226, 
daß  Odysseus  und  Kalypso,  nachdem  sie  gegessen  und  getrunken 


^ 


Homer,  von  C.  Rothe.  149 

hatten,  iX$6v%s<;  <T  aqa  toi  ys  fw/o»  önelovg . . .  TSQniti&fjv 
(piloTijii. 

Wir  müssen  hier  abbrechen  und  können  es  auch  ohne  Schaden 
für  die  Homerforschung.  Denn  was  N.  weiter  über  den  Thalamos 
der  erwachsenen  Kinder  und  über  das  insq&ov  im  Hause  des 
Odysseus  schreibt,  ist  nicht  besser  begründet.  Entschieden  zurück- 
weisen muß  ich  z.  B.  die  Behauptung,  die  er  S.  58  aufstellt:  „Das 
Hyperoon  ist  erst  spät  in  einer  ganz  bestimmten  Schicht  in  die 
Odyssee  eingedrungen.  Von  dieser  Schicht  sind  die  übrigen  Er- 
wähnungen abhängig".  Der  Verf.  hat  offenbar  weder  meine  Schrift 
„Die  Bedeutung  der  Wiederholungen  f.  d.  H.  Fr."  noch  die  Ein- 
wände gelesen,  die  ich  in  diesen  JB.  1887  S.  320  gegen  die  An- 
sicht Nieses,  v.  Wilamowitz'  und  Seecks  vorgebracht  habe,  nach 
der  die  Unterredung  der  beiden  Gatten  in  %  zu  ihrer  Wieder- 
erkennung geführt  haben  soll. 

Von  ungleich  größerer  Bedeutung  ist  die  Arbeit  Drerups. 
Sie  behandelt  mit  Gründlichkeit  und  Sachkenntnis  einen  über- 
reichen Stoff  auf  verhältnismäßig  geringem  Räume  und  mit  reicher 
Illustration,  die  die  mykenische  Kultur  Griechenlands  und  die 
Ergebnisse  der  neuesten  Ausgrabungen  in  z.  T.  noch  unpublizierten 
photographischen  Aufnahmen  zur  Darstellung  bringt.  Sie  zerfällt 
in  drei  Abschnitte:  t)  Die  Homerische  Frage,  2)  Die  mykenische 
Kultur,  3)  Ilias  und  Odyssee.  Diese  Einteilung  wird  manchem 
auffallend  erscheinen,  da  man  auf  den  ersten  Blick  die  Trennung 
von  1)  und  3)  nicht  versteht  und  meint,  daß  es  naturgemäßer 
sei,  mit  2)  zu  beginnen.  Es  dient  indes  die  Homerische  Frage 
in  1)  nur  als  Oberschrift;  in  Wirklichkeit  wird,  nachdem  D.  kurz 
eine  geschichtliche  Obersicht  über  die  Frage  gegeben  und  sich 
dabei  entschieden  für  ein  großes  Dichtertalent  als  Verfasser  der 
beiden  Epen  ausgesprochen  hat,  das  Wesen  und  die  stufenweise 
Entwickelung  des  Volksgesanges  und  die  Entstehung  großer  Epen 
auf  breitester  Grundlage  durch  eine  Vergleichung  des  Volksgesanges 
bei  den  verschiedensten  Völkern  (Griechen,  Germanen,  Kelten, 
Franzosen,  Serben,  Großrussen,  Finnen,  Kirgisen  und  Tataren) 
erörtert  und  dabei  gezeigt,  wie  verschieden  eine  bloße  Sammlung 
von  Liedern  von  einem  planmäßig  geschaffenen  Dichterwerke  ist. 
Es  werden  hier  die  Gedanken  Jakob  Grimms,  Steinthals  und 
Erhardts  weitergeführt  und  in  dem  wesentlichsten  Punkte  be- 
richtigt: nicht  das  Volk  schafft  die  Einheit,  sondern  ein  Dichter. 
„Im  Volke  selbst",  schreibt  D.  S.  36,  „ist  das  Bedürfnis  einer 
Zusammenfassung  der  Volkssage  nicht  vorhanden;  und  der  echte 
Volkssänger  denkt  an  eine  große  Komposition  ebensowenig  als 
daran,  daß  die  von  ihm  gesungenen  Lieder  die  Teile  eines  großen 
Ganzen  sind.  Die  künstlerische  Komposition  des  Volksepos  aber, 
die  in  der  Erfindung  einer  einheitlichen  epischen  Handlung 
gipfelt,  ist  ohne  das  Walten  einer  dichterischen  Individualität  nicht 
denkbar44. 


150  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Der  Volksgesang   kann    sich  nur  so  lange  erbalten,   als   das 
Volk    ohne    höhere  Kultur  ist,    als  wirklich  das  ganze  Volk  noch 
singt     Bildet   sich    erst  ein  bestimmter  Stand  von  Sängern,    er- 
halten die  einzelnen  Lieder  durch    schriftliche  Aufzeichnung    erst 
feste  Gestalt,  „kanonische  Geltung44,  dann  ist  das  Ende  des  Volks- 
gesanges besiegelt     Wie  aber  einerseits  der  Schriftgebrauch  dem 
Volksgesange  schädlich  ist,  so  ist  er  anderseits  für  die  Schaffung 
größerer  Epopöen  unentbehrlich,    weil  nur  bei  schriftlicher  Auf- 
zeichnung eine  bestimmte  Anordnung  und  regelmäßiger  Fortschritt 
der  Handlung  ermöglicht  wird,  der  ausgeschlossen  ist,  solange  die 
einzelnen  Lieder  ohne  Rücksicht   aufeinander   sich    nur    im    all- 
gemeinen Rahmen    der  Handlung    oder  Sage  halten  (vgl.  Radioff, 
Proben  der  Volksliteratur  S.  XXII:    „Ich  halte  es  für  unmöglich, 
daß  ein  so  umfangreiches  Werk,  wie  die  Gedichte  Homers,  auch 
nur  ein  Jahrzehnt  hätten  forterben  können,  wenn  sie  nicht  auf- 
gezeichnet   wären44).     Die  Möglichkeit   der  Aufzeichnung  war  ge- 
geben,   nachdem    im    10./ 9.  Jahrhundert  v.  Chr.   die    phönizische 
Buchstabenschrift   von    den  Griechen    übernommen    worden  war. 
Da    nun  die  Zusammenfassung  und  Verarbeitung  der  Einzellieder 
zum  großen  Epos  nicht  wesentlich  früher  angesetzt  werden  darf 
als  seine  erste  schriftliche  Fixierung,    so  darf  die  Entstehungszeit 
der   Homerischen   Epen    etwa    in    das    9./8.  Jahrhundert    gesetzt 
werden  (S.  37).     Zwischen    der   Blüte    des  Einzelliedes    und    der 
Entstehung  größerer  Epopöen  liegt  aber  stets  eine  längere  Frist, 
wie   dies   besonders  die  Geschichte  des  serbischen  und  germani- 
schen Heldenliedes   zeigt     Diese    ist    auch    für    die    griechischen 
Epen  anzunehmen;    sie  sind,  wie  der  Dialekt  zeigt,  Schöpfungen 
der  lonier,    während    das  Einzellied    den  Äolern    angehörte.     Die 
Blüte  desselben  gehört  der  mykenischen  Zeit  an. 

Diese  schildert  D.  wesentlich  im  Anschluß  an  die  Ergebnisse 
der  neueren  Forschungen  und  ihrer  wissenschaftlichen  Verwertung 
in  größeren  Geschichtswerken  (E.  Meyer,  Busolt  und  Beloch)  im 
zweiten  Kapitel,  aus  dem  für  uns  nur  die  Ansicht  wichtig  ist 
wegen  ihrer  Bedeutung  für  die  Entstehung  der  Sage  (s.  o.),  daß 
wirklich  eine  dorische  Wanderung,  obwohl  ernste  Geschichts- 
forscher es  bestreiten,  stattgefunden  und  eine  blühende  Kultur 
zerstört  hat.  Sie  machte  Halt  vor  den  Bergwällen  Attikas  und 
Arkadiens.  „Die  neue  Misch bevölkerung,  die  zunächst  zu  einem 
selbständigen  Kulturscbaffen  unfähig  war,  mußte  das  fremde  Blut 
erst  in  sich  verarbeiten  und  zu  einem  neuen,  einheitlichen  Volks- 
tum sich  durchringen,  bis  sie  in  der  Kulturentwickelung  wieder 
eine  selbständige,  führende  Rolle  übernehmen  konnte,  wie  die 
Italiener  der  Renaissance4'  (S.  46).  Die  Sprache  der  Griechen  in 
der  mykenischen  Zeit  war  das  Äolische,  doch  so,  daß  sich  Diffe- 
renzierungen zeigten.  „Denn  die  Erfahrung  lehrt,  daß  es  absolut 
dialektlose  Sprachen  nicht  gibt"  (Kretschmer,  Einleitung  i.  d.  Gesch. 
d.  gr.  Spr.  S.  9).    Die  Äoler  wurden  im  Feloponnes  in  die  Berge 


Homer,  von  C.  Rothe.  l5l 

Arkadiens  zurückgedrängt  und  wahrten  ihr  Idiom,  währehd  die 
unterworfene  Küstenbevölkerung  den  Dialekt  der  Eroberer  annahm. 
In  Thessalien  dagegen  nahmen  die  Sieger  die  Sprache  der  Be- 
siegten an,  wie  später  die  Normannen  in  Frankreich,  während  sie 
den  Angelsachsen  ihre  Sprache  aufdrängten. 

Neben  dem  Äolischen  bestand  nicht  nur  in  Attika,  sondern 
auch  in  den  Kästenstädten  des  Peloponnes  der  ionisch-attische 
Dialekt,  der  aber  noch  nicht  die  spezifischen  Merkmale  des  späteren 
Ionisch  (Schwund  des  ß  und  Umlaut  des  A)  zeigte;  vielmehr  ist 
diese  Weiterbildung  erst  auf  den  Inseln  des  Ägeischen  Meeres  und 
auf  dem  asiatischen  Festlande  erfolgt.  Dies  beweist  besonders 
die  Form  „/a/=0)>«£",  unter  der  die  Asiaten  und  Ägypter  den 
Ioniernamen  übernommen  haben  und  mit  dem  sie  später  alle 
Griechen  bezeichneten.  Der  äolisch-ionische  Mischdialekt  aber, 
der  sich  im  Grenzgebiet  des  Äolischen  und  Ionischen  an  der  klein- 
asiatischen Küste  gebildet  hat,  ist  eine  ganz  junge  Bildung,  die 
aus  der  Berührung  und  Durchdringung  der  beiden  bereits  fest- 
stehenden Mundarten  hervorgegangen  ist.  Hier  in  Kleinasien  fand 
auch  die  weitere  Ausbildung  des  Heldengesanges  und  die  all- 
mähliche (nicht  mechanische)  Umwandelung  des  äolischen  Dialekts 
in  den  ionischen  statt,  den  die  Sprache  der  Lieder  zeigt.  Die 
Heimat  aber  der  Heldensage  ist  das  Mutterland,  und  zwar,  wie 
besonders  der  Olymp  als  fester  Göttersitz  beweist,  Thessalien. 
Der  Übergang  fand  über  Athen  und  Argos  statt. 

Diese  Ansicht  begründet  D.  ausführlicher  im  dritten  Ab- 
schnitte, während  der  zweite  der  Darstellung  der  mykenischen 
Kultur,  Religion  und  Kunst  gewidmet  ist.  D.  wendet  sich  zunächst 
gegen  die  Auffassung,  daß  die  Heldensage  im  Göttermythos  wurzele, 
und  glaubt,  daß  nur  geschichtliche  Ereignisse  ihr  zugrunde  liegen, 
der  Göttermythos  aber  allein  der  religiösen  Poesie  angehöre.  „Für 
die  weitere  Entwickelung  aber  der  Heldensage  ist  es  gleich- 
gültig, ob  ein  historischer  Held  durch  Angleichung  an  ein  gött- 
liches Wesen  in  eine  übermenschliche  Sphäre  emporgehoben  wird 
oder  ob  eine  ursprüngliche  Gottheit  aus  dem  Rahmen  des  Mythos 
in  die  Heroensage  hineingestellt  und  zum  Repräsentanten  eines 
im  Volke  lebenden  Ideals  gemacht  wird  (vgl.  Sigurd  und  Achilleus). 
Daß  die  meisten  Helden  einen  Kult  in  den  verschiedensten  Ge- 
genden Griechenlands  haben,  ist  noch  kein  Beweis  ihres  göttlichen 
Ursprungs,  da  diese  Tatsache  durch  den  Ahnenkult  sich  hinläng- 
lich erklärt. 

Dies  führt  zur  Hauptfrage:  Liegt  eine  große  geschichtliche 
Begebenheit,  ein  großer  Heereszug  der  Achäer  gegen  Troja  der 
Sage  vom  Trojanischen  Kriege  zugrunde,  wie  £.  Meyer  glaubt, 
oder  nicht?  D.  bemerkt  zunächst,  unter  Hinweis  auf  die  Nibelungen- 
sage, die  den  Zug  der  Burgunden  in  das  Heunenland  auch  nur 
erfunden  habe,  um  eine  Verknüpfung  der  burgundisch-fränkischen 
Siegfriedssage  mit  der  ostgotischen  Dietrichssage  zu    ermöglichen, 


152  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

daß  ein  solcher  großer  Zug  durchaus  nicht  notwendige  Voraus- 
setzung der  Sage  sei,  sondern  daß,  wenn  wichtige  Grunde  dagegen - 
sprächen,  man  unbedenklich  an  eine  bloße  Erfindung  glauben 
könne.  Solche  Grunde  aber  gebe  es.  Auffällig  sei  zunächst  die 
Abfahrt  von  dem  kleinen  Hafenorte  Aulis,  der  nicht  in  den  Be- 
reich von  Mykene  gehörte.  Sodann  hatten  die  Herrscher  von 
Mykene,  deren  Machtgebiet  mehr  im  Süden  des  Ägeischen  Meeres 
lag,  kein  so  großes  Interesse  an  der  Propontis,  um  einen  solchen 
Zug  ins  Werk  zu  setzen.  Vielmehr  ist  die  troische  Sage  zurück- 
zuführen auf  die  Kämpfe  der  Thessaler  mit  den  Bewohnern  der 
Troas,  die  lange  vor  der  endlichen  Besiedelung  der  Troas  (im 
7.  Jahrh.)  durch  die  Äoler  stattgefunden  haben  können,  ja  lange 
schon  vor  der  Wanderung  der  äolischen  Stämme  in  den  Peloponnes 
(denn  sie  brachten  dahin  schon  die  Sage  mit).  Mittelpunkt  und 
Träger  dieser  Kämpfe  ward  allmählich  der  mythische  Achilleus 
(ursprünglich  vielleicht  Aias?).  Beim  Vordringen  dieser  Stämme 
nach  dem  Peloponnes  wurde  diese  Sage  mit  dem  peloponnesi- 
schen  Helenamythos  verschmolzen,  in  dem  ursprünglich  Theseus 
der  Räuber  der  Helena  war.  Trat  an  Stelle  des  Theseus  der 
troische  Königssohn,  so  war  der  Kriegszug  gegeben,  der  mit  der 
Zerstörung  des  Räubernestes  und  der  Rückkehr  der  Helden  enden 
mußte.  Denn  Helena  mußte  in  den  Peloponnes  zurück,  wo  ihr 
Kult  festbegründet  war. 

So  hat  schon  Dümmler  den  Ursprung  des  Trojanischen  Krieges 
gedeutet  und  eine  sehr  lange  Entwicklung  der  Sage  vorausgesetzt; 
D.  tritt  dieser  Ansicht  bei  und  meint,  daß  die  ersten  Kämpfe  der 
Äoler  sehr  wohl  schon  im  dritten  Jahrtausend  vor  unserer  Zeit- 
rechnung erfolgt  sein  könnten,  und  sicher  sei  die  mehrmalige 
Vernichtung  der  prähistorischen  Stadt  vor  der  Blüte  des  mykeni- 
schen  Reiches  erfolgt.  Wir  begeben  uns  damit  in  ein  Gebiet,  wo 
es  leicht  ist,  Vermutungen  aufzustellen,  aber  sehr  schwer,  sie  zu 
begründen.  So  sehe  ich  nicht,  wie  diese  Annahme  die  Abfahrt 
von  dem  kleinen  Aulis  besser  begründet,  noch  wie  es  gekommen 
sei,  daß  die  Stadt  trotz  der  wachsenden  Macht  der  Äoler  immer 
wieder  verloren  worden  sei  und  immer  von  neuem  erobert  werden 
mußte.  Auch  die  Verbindung  des  Helenamythos  mit  diesen 
Kämpfen  ist  dunkel;  indes  hier  gibt  es  ähnliche  auffällige  Wande- 
lungen und  Verbindungen  in  anderen  Sagengebilden.  D.  selbst 
weist  auf  das  Rolandslied  hin,  „das  die  Taten  fränkischer  Helden 
mit  germanischen  Namen,  germanische  Sitten  und  Kullurzustände 
schildert'4,  obwohl  das  Volk  ein  anderes  geworden  war,  und  auf 
die  Verbindung  der  rheinfränkischen  Nibelungensage  mit  dem  Sieg- 
friedsmythos. Auch  die  Artus-  und  Gralssage,  ihre  Verbindung 
und  ihre  Wandelung  im  Laufe  der  Zeit  läßt  sich  heranziehen,  so 
daß  die  Möglichkeit  der  von  D.  angenommenen  allmählichen  Aus- 
gestaltung der  troischen  Sage  zugestanden  werden  muß. 

Die   letzte   Ausbildung   hat   bei    den  loniern   stattgefunden. 


Homer,  von  C.  Rothe.  153 

Aber  eine  reinliche  Scheidung  der  verschiedenen  Elemente,  wie 
sie  zuletzt  noch  Robert  versucht  hat,  ist  ganz  unmöglich.  Wie 
die  Sprache,  so  ist  auch  „die  homerische  Kultur  ein  Gemisch  von 
archaisch-konventionellen  und  modernsten  Zögen,  von  typischen 
Überresten  einer  älteren  Kultur . . .  und  unmittelbarer  Anschauung 
des  Lebens  der  Gegenwart,  des  ionischen  Adelstaates  mit  seiner 
höfischen  Sitte  un<J  aristokratischen  Gesellschaftsordnung"  (S.  119). 
Dies  begründet  D.  durch  Anfuhrung  bezeichnender  Beispiele.  Ich 
stehe  auf  demselben  Standpunkte. 

Um  den  Bericht  über  dieses  bedeutende  Werk  nicht  zu  unter- 
brechen, erwähne  ich  sofort  auch  Drerups  Ansicht, über 

b)  die  Odysseassage. 

Diese  ist  völlig  anderen  Ursprungs  und  Wesens  als  die 
troische:  es  ist  nicht  Heldensage,  sondern  Märchenpoesie,  die  rein 
äußerlich  durch  die  Heldengestalt  des  Odysseus  mit  dem  troischen 
Sagenkreis  verknöpft  ist.  Es  ist  eine  andere  Welt,  ein  anderer 
geographischer  Horizont,  in  den  uns  der  Dichter  hineinführt.  Vom 
Heldenhaften  ist  kaum  eine  Spur.  Trotzdem  verlegt  D.  den  Ur- 
sprung dieser  Dichtung  auch  in  die  mykenische  Zeit.  Dies  zeigt 
nicht  nur  die  gleiche  Bewaffnung,  sondern  namentlich  auch  das 
geographische  Bild  des  Peloponnes.  Denn  auch  die  Odyssee  kennt 
nur  die  vordorischen  Städte  (Mykene,  Argos,  Sparta,  Ephyra,  Pylos, 
Pherai),  und  in  beiden  Gedichten  werden  die  Meere  noch  von 
Sidon  beherrscht,  nicht  schon  von  Tyros,  das  Sidon  jedenfalls 
vor  dem  1 0.  Jahrhundert  überflügelt  hat. 

Wo  ist  aber  der  Ursprung  der  Dichtung  zu  suchen?  Die 
Erzählung  von  den  Lotophagen,  den  Kyklopen,  der  Kalypsoinsel 
weist  unzweifelhaft  nach  dem  Westmeere  hin,  während  die 
Wohnungen  und  Tanzplätze  der  frühgeborenen  Eos  nach  dem 
Osten  weisen.  Ist  nun  die  Sage,  wie  v.  Wilamowitz  mit  dem 
Pergamener  Krates  will,  im  Osten  heimisch  und  Ausdruck  der 
ionischen  Handels-  und  Kolonialzüge,  die  vom  8.  Jahrhundert  an 
vornehmlich  das  Ostmeer  bis  zu  den  Ufern  des  Pontus  in  den 
Bereich  des  griechischen  Einflusses  einbezogen  haben,  und  haben 
sich  dann  die  Westfahrten  mit  dem  Vordringen  der  Korinther  und 
Chalkidier  in  den  Westen  erst  angegliedert,  oder  ist  das  Verhältnis 
umzukehren  und  sind  die  Fahrten  nach  dem  Westen  das  Ursprüng- 
liche? D.  ist  der  letzteren  Ansicht.  Es  spricht  dafür  schon  das 
hohe  Alter  der  Sage  und  der  Umstand,  daß  die  Hauptgestalten 
der  Odyssee  im  Peloponnes  ihren  Kult  haben.  Bei  den  Äolern 
des  Südens  kann  also  nur  die  Sage  entstanden  sein,  natürlich 
aber  nicht  im  Binnenlande,  sondern  an  der  Küste  oder  auf  einer 
Insel.  Die  Schilderung  aber  des  ganzen  üppigen  Lebens,  der 
reichgeschmückten  Paläste,  die  mitten  in  der  Stadt,  nicht 
auf  Burghöhen  liegen,  weist  nicht  nach  Mykene,  Tiryns  oder 


154  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Athen    hin,    sondern   —   auf  Kreta.     Die    hier   ausgegrabenen 
Paläste  in  Phaistos  und  Knosos  sind  ohne  die  gewaltigen  Mauern 
der  sonstigen  mykenischen  Burgen  und  zeigen  reichen  Schmuck. 
Offenbar   fürchtete    man    den  Feind   nicht  im  Vertrauen  auf  die 
Flotte  —  wie  heute  die  Engländer.     Nun    ist   sagenberühmt    die 
Seeherrschaft  des  Minos;   nirgends  aber  werden  große  Taten   von 
ihm  erzählt:  Kaufleute  erfreuen  sich  eben  mehr  an  Scbiffermärchen 
als  am  Ueldensange.     Dem  entspricht,    daß  im  fleldenliede  Kreta 
nur    schwach    (durch  Idomeneus)    vertreten    ist,    während  in   der 
Odyssee  Kreta  eine  ganz  auffällige  Rolle  in  allen  Teilen  der  Dich- 
tung spielt.    Vor  allem  wird  uns  %  172  u.  ff.,  in  der  Zwiesprache 
zwischen  0.  und  P.,    eine   packende  Schilderung  des  Landes   ge- 
geben.   Ferner  spricht  für  den  Ursprung  der  Sage  auf  Kreta,  daß 
die  Flora  in  der  Odyssee  einen  ausgesprochen  südlichen  Charakter 
trägt  (veredelte  Feigenbäume,  Lorbeerbäume,  Palme,  Lotospflanze, 
Byblos),  während  die  Ilias  nur  die  altheimischen  Laub-  und  Nadel- 
hölzer, darunter  den  wilden  öl-  und  Feigenbaum  kennt. 

In  lesenswerter  Ausführung  wird  diese  Auffassung  dann  weiter 
begründet  und  dabei  auf  die  großen  Verschiedenheiten  zwischen 
Ilias  und  Odyssee  hingewiesen,  die  sich  aus  diesem  Ursprünge 
erklären,  und  schließlich  betont,  daß  auch  die  Ausbildung  der 
Odyssee  zur  Epopöe  in  Ionien  erfolgt  sei.  Diese  Annahme  habe 
keine  Schwierigkeit.  Denn  kretische  Auswanderer  sind  nach  der 
Überlieferung  an  der  Besiedelung  Ioniens  beteiligt  gewesen.  Ein 
überlegener  Dichtergeist  hat  zuletzt  aus  dem  reichen  Sagen-  und 
Märchenschatz  ein  wundervolles  Ganzes  geschaffen,  das  uns  ein 
Bild  allgemein  menschlichen  Lebens  gibt:  „Die  Menschen  (in  dieser 
Dichtung)  fühlen,  denken  und  handeln,  wie  der  moderne  Mensch 
in  ähnlicher  Lage  fühlen,  denken  und  handeln  würde"  (S.  136). 
Wenn  aber  der  Verf.  am  Ende  schreibt:  „Wie  kräftiger  Erdgeruch, 
wie  ein  Hauch  der  Heimat  weht  es  uns  aus  dem  zweiten  Teile 
der  Dichtung  entgegen,  der  auf  griechischem  Boden,  auf  Ithaka 
spielt.  Hier  ist  in  Wahrheit  „Homer44  zum  ersten  Wirklichkeits- 
dichter geworden.  Und  so  hoch  wir  den  poetischen  Wert  der 
Dichtung  in  der  dramatisch  verschlungenen  Komposition,  in  der 
psychologisch  feinen  Charakterschilderung  anschlagen  mögen:  den 
höchsten  Ruhmestitel  verleiht  dem  Odysseusepos  seine  Art  als 
erstes,  echtestes  und  ursprünglichstes  Werk  bewußter  Heimat- 
kunst44, so  stimme  ich  zwar  darin  unbedingt  dem  Verf.  bei,  meine 
aber  zugleich,  daß  er  damit  am  schärfsten  gegen  seine  eigene 
Annahme,  nämlich  daß  in  Kreta  die  Heimat  der  Odysseussage  zu 
suchen  sei,  spricht.  Nicht  ein  kretischer  Seefahrer,  sondern  ein 
lthaker  ist  Mittelpunkt  der  Handlung.  Im  W.  Griechenlands  also, 
nicht  auf  Kreta,  ist,  wie  man  annehmen  muß,  auch  der  Ursprung 
der  Sage  zu  suchen;  wie  Kreta  %  176 ff.,  so  wird  Ithaka  *  22—26 
mit  besonderer  Teilnahme  geschildert.  Wir  kommen  später  auf 
diese  Frage  zurück. 


"\ 


Homer,  von  C.  Rothe.  155 

Ganz  anders  denken  die  folgenden  Gelehrten  über  diesen 
Ursprung,  und  zwar  zunächst: 

5)  Victor  Berard,  Les  Pheniciens  et  l'Odyssee.  T.  IL  Paris  1903, 
Armand  Colin.  630  S.  gr.  8.  25  fr.  —  Vgl.  diese  JB.  1903  S.  30S 
—311,  I  Hell.  St.  1903,  II,  S.  363/364,  Mns.  belg.  VIII,  2,  S.  154—166 
(H.  Francotte);  Riv.  d.  Stör.  ant.  VIII,  2,  S.  286—291  (G.  Tropea); 
Class.  rev.  1904,  3,  S.  165—169  (W.  M.  Ramgay);  Atena  e  Roma  1904 
Nr.  4/5  S.  126—134  (Brngnola,  I  Phenici  e  l'Odissea);  N.  Jahrb.  f.  d. 
klass.  Altert.  1904,  XIII.  und  XIV.  Bd.,  H.  8,  S.  598/599  (P.  Caoer); 
Rev.  crit.  1905  S.  61  ff.  (Hubert). 

Dieser  Band,  dessen  Hauptinhalt  schon  im  letzten  Bericht 
kurz  angedeutet  ist,  zeigt  dieselbe  vornehme  Ausstattung  und  noch 
mehr  Beigaben  in  sorgfältigen  kleineren  und  größeren  Karten, 
darunter  am  Schluß  ein  Gesamtbild  der  Irrfahrten  des  Odysseus 
unter  Bezeichnung  der  Punkte,  welche  der  Verf.  als  sicher  ermittelt 
zu  haben  glaubt.  Die  Darstellung  ist  von  der  ersten  bis  zur 
letzten  Seite  genußreich,  und  wenn  wir  auch  häutig  den  Kopf 
schütteln  über  die  kühnen  Kombinationen  und  Vergleiche,  so 
haben  wir  es  hier  doch  nicht  mit  einem  Dilettanten  zu  tun,  wie 
es  Schliemann  einst  war,  sondern  mit  einem  philologisch  geschulten 
Gelehrten,  der  die  eingehendsten  Vorstudien  gemacht  hatte,  ehe  er 
an  die  Ausarbeitung  des  großen  Werkes  ging,  der  die  Literatur, 
namentlich  alle  Reiseberichte,  welche  sich  auf  die  Gegenden,  die 
er  persönlich  durchforscht  hat,  beziehen,  im  weitesten  Umfange 
gelesen  hat,  von  den  Berichten  des  Skylax  und  Hanno  an  bis  auf 
die  jüngsten  „Instructions  nautiques"  der  französischen  Flotte. 
Wir  gewinnen  aus  dieser  Darstellung,  die  durchgehends  auf  eigenen 
Wahrnehmungen  beruht  oder  auf  den  Berichten  von  Augenzeugen 
oder  „amtlichem"  Material,  das  reichlich  im  Wortlaut  mitgeteilt 
wird,  ein  überraschendes  Bild  von  dem  Leben  an  den  Küsten  und 
der  Inselwelt  des  Mittelmeeres,  sehen,  in  welchen  Beziehungen  es 
heute  noch  so  ist  wie  vor  mehr  als  3000  Jahren  trotz  aller 
großen  Veränderungen  des  Seeverkehrs,  welche  die  Jahrhunderte 
herbeigeführt  haben,  und  finden  so  Goethes  Wort  bestätigt,  daß 
man  den  Dichter  nur  in  des  Dichters  Lande  verstehen  kann. 
Kurz,  wir  können  das  Buch  allen  besser  ausgestatteten  Schul- 
bibliotheken angelegentlichst  zur  Anschaffung  empfehlen. 

Und  die  Ergebnisse  dieser  Untersuchung?  Der  Verf.  hat  die 
Ansicht  gewonnen  und  vertritt  sie  mit  großer  Bestimmtheit,  daß 
der  eigentliche  Nostos  des  Odysseus,  von  dem  ersten  Abenteuer 
(Kikonen)  abgesehen,  sich  im  westlichen  Mittelmeer,  d.  h.  in 
Gegenden  bewege,  welche  die  Griechen  zu  der  Zeit,  als  die  Ge- 
dichte abgefaßt  wurden,  noch  nicht  gekannt  hätten.  Die  Quelle  für 
den  Dichter  könnten  also  nicht  Erzählungen  griechischer  Kaufleute 
sein,  sondern  nur  Berichte  anderer  Seefahrer.  Als  solche  kommen 
für  diese  Zeit  allein  die  Phönizier  in  Betracht.  Diese  aber  hätten 
ihm  auch  wirklich  den  Stoff  geliefert,  wie  schon  Strabo  (III  S.  150/151) 


156  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

behauptet  hat.  Verständlich  sei  unter  dieser  Annahme  die  Tat- 
sache, daß  alle  diese  Abenteuer  im  Westmeere  ganz  schrecklicher 
Natur  seien  (Kyklopen,  Lästrygonen,  Kirke,  Totenreich,  Sirenen, 
Scylla  und  Charybdis,  Insel  des  Sonnengottes);  denn  nicht  erst 
die  Schiifsleute  der  Venetianer  und  später  die  Portugiesen  und 
Spanier  hätten  durch  gräßliche  Erzählungen  andere  Völker  abzu- 
schrecken versucht,  ihren  Pfaden  in  unbekannte  Meere  zu  folgen, 
sondern  schon  die  Phönizier  und  später  die  Griechen.  Der  Handels- 
neid ist  uralt,  und  alle  Mittel,  Mitbewerber  abzuwehren,  gelten  als 
erlaubt.  Berichtet  doch  Strabo  (III  175),  daß  ein  phönizischer 
Pilot,  welcher  römische  Schiffe  über  Gades  hinausführen  sollte, 
absichtlich  die  Schiffe  habe  scheitern  lassen,  um  den  Römern  die 
Weiterfahrt  unmöglich  zu  machen  und  sie  für  immer  davon  ab- 
zuschrecken. 

Auf  semitischen  Ursprung  weist  ferner  die  Sprache  der  Ge- 
dichte hin,  nicht  nur  die  Doppelnamen  (Kyme-Hypereia,  Oenotria- 
Kyklopie),  über  die  schon  im  ersten  Teile  gesprochen  wurde  (vgl. 
den  letzten  Bericht  1902  S.  310),  sondern  auch  einzelne  Worte 
ungriechischer  Wurzel  (z.  B.  yavXog  „Lastschiff",  fidoXv,  mit  dem 
selbst  der  Dichter  so  wenig  anzufangen  weiß,  daß  er  es  als  ein 
Wort  der  Göttersprache  bezeichnet)  und  Wortverbindungen,  z.  B. 
oqxuz  tapvsw  =  sem.  karat  berit;  denn  bei  den  Griechen  war 
es  nicht  üblich,  wohl  aber  bei  den  Semiten,  das  Opfertier  „mitten 
entzwei  zu  schneiden'4  (vgl.  Genesis  XV,  wo  Abraham,  als  er  den 
Bund  mit  Gott  schließt,  unter  anderem  befohlen  wird  (V.  9/10), 
eine  dreijährige  Kuh  u.  a.  herbeizubringen  und  sie  „mitten  ent- 
zwei zu  teilen44). 

Diesen  von  B.  nur  kurz  berührten  Gedanken  behandelt  aus- 
fuhrlicher 

6)  C.  Fries,  Griechisch-orientalische  Untersuchungen.  I.  Home- 
rische Beiträge.  Beiträge  zur  alten  Geschichte  von  C.  F.  Lehmann 
und  £.  Koruemann.    Bd.  III,  H.  3,  S.  372—396. 

F.  leitet  eine  große  Zahl  Homerischer  Redewendungen  und 
Ausdrucksformen  aus  egyptisch-jüdisch-assyrischen  Vorbildern  ab; 
doch  halte  ich,  mit  einer  Ausnahme,  den  Nachweis  fremden  Ur- 
sprungs für  nicht  erbracht.  Oder  sollen  wir  wirklich  glauben, 
daß,  wenn  sich  z.  B.  auf  einer  assyrischen  Inschrift  bei  der 
Schilderung  eines  Königsmahles  die  Worte  finden:  „Der  erste 
Zungenmeister  —  nicht  die  Schätzerin  —  steht  mit  dem 
Wasser  der  Hände,  hebt  hoch  das  Wasser,  gießt  aus  das  Wasser, 
schüttet  es  auf  die  Handu  die  häufige  Schilderung  eines  ähnlichen 
Vorgangs  bei  Homer  auf  dieses  Vorbild  zurückgeht?  Wie  die 
Handlungen  gleich  sind,  so  mußte  sie  der  Dichter  doch  auch  völlig 
unabhängig  von  Vorbildern  ähnlich  schildern.  Dabei  ist  die  Ähnlich- 
keit, wie  jeder,  der  die  Homerischen  Stellen  vergleicht,  sofort 
merkt,  nicht  einmal  vollständig.    Möglich  ist  allein  die  Einwirkung 


Homer,  von  C.  Rothe.  157 

defiguren  (Antithese,  Paronomasie,  Parechese),  da  diese  ein 

leres  Zeichen  altorientalischer  Poesie  sind  und  von  hier  aus 

Weg  zu  den  griechischen  Dichtern  gefunden  haben  können, 

an   einigen  Beispielen  (S.  381)  treffend  zeigt.    Auch  eine 

ie  Handlung,   wie  z.  B.  das  Wägen  der  Todeslose  vor  dem 

eidungskampfe   zwischen  Achilleus   und  Hektor,   kann,  wie 

Gruppe   glaubt,   auf  ägyptischen  Ursprung   zurückgehen. 

'n  andern  sehr  zahlreichen  Fällen  von  ähnlichen  Zügen,  die 

Reicht,   halte   ich   jedoch    die  Entlehnung  nicht  für  wahr- 

ich,   da   der  Dichter  sehr  wohl  von  selbst  auf  solche  Dar- 

?  kommen  konnte. 

nen  weiteren  Grund  für  die  Annahme,  daß  der  Dichter  im 
ostos  phönizische  Quellen  benutzt  habe,  sieht  Berard  darin, 
ns    die  örtlichkeit    überall   vom  Standpunkt  und  Gesichts- 
eines    Seefahrers,    nicht   von   Landbewohnern   geschildert 
Die  Phönizier   seien    nirgends  in  das  Land  eingedrungen, 
n  hätten  entweder  nur  kleinere,  schwer  zugängliche  Inseln 
Nähe  des  Festlandes  oder  steile  Klippen  oder  Anhöhen  auf 
estlande  für  ihre  Faktoreien  benutzt  und  von  hier  aus  mit 
nwohnern  Handel  getrieben,  während  griechische  Kolonisten 
<as  umliegende  Land  bebaut  hätten  (vgl.  das  alte,  phönizische 
mit  Neapolis).    Daraus  erkläre  es  sich,  daß  das  Land  auch 
so  geschildert  sei,   wie  es  von  der  See  aus  gesehen  werde, 
für   den   Landbewohner   wichtige   Punkte   ganz    unerwähnt 
en;   ja    auch  einzelne  Unrichtigkeiten  der  Homerischen  Dar- 
mg   bei  örtlichkeiten,    die   im   übrigen  ganz  naturgetreu  ge- 
idert  seien,  erklärten  sich  aus  dieser  Quelle,  wie  B.  ganz  be- 
ders    an    dem  Sunde   von  Ithaka   nachweist  (S.  483  ff.).     Wir 
mmen   weiter   unten  bei  der  Ithakafrage  darauf  zurück.     Diese 
uelle  aber  war  nicht  mündliche  Überlieferung,    sondern  schrift- 
iche  Darstellung.    Nur  so  erklärt  sich  die  peinlich  genaue  Über- 
einstimmung Homerischer  Schilderung  mit  der  Wirklichkeit;  ander- 
seits   beweisen    einzelne  Irrtümer,    daß    der  Dichter   die  Gegend 
nicht  selbst  gesehen  hat,   weil  er  sich  sonst  nicht  so  hätte  irren 
können.     B.  betont  immer  wieder:  le  poöte  a  lu,  il  n'a  pas  vu. 
Es  muß  aber  jeden,    der  die  Gegenden,   in  denen  die  Handlung 
des  Nostos  spielt,    nicht  aus  eigener  Anschauung  kennt  und  des- 
halb  nicht    nachprüfen    kann,    im   äußersten  Grade  überraschen, 
wie  wunderbar  genau  die  Homerische  Darstellung  zu  der  örtlich- 
keit, welche  ß.  als  Ort  der  Handlung  gefunden  zu  haben  glaubt, 
bis    auf   die   kleinsten  Einzelheiten  stimmt.     Wir  wollen  hier  als 
Beispiel  die  Umgegend  von  Kumä  anführen  und  die  davorliegende 
Insel,  die  den  Schauplatz  der  Kyklopie  nach  der  Ansicht  des  Verf.s 
bildet.     Die  „Einaugen",   zahlreiche  Krater   in   den  Phlegräischen 
Gefilden,   gaben  Veranlassung   zur  Sage   von  den  Kyklopen;   auf 
diese  Naturerscheinung  führt  B.  alles  zurück,  was  in  der  Odyssee 
über  die  Kyklopen  gesagt  wird.     Sie  leben  allein,  wie  die  Krater 


15S  Jahresberichte  4*  Philolog.  Vereins. 

alleinstehende  Bergkuppen  sind;  wie  der  Kyklop  sich  rülpst  und 
dann  alles  ausspeit,  so  rumort  es  in  diesen  Kratern,  bevor  der 
Ausbruch  erfolgt  (!).  Wie  der  Kyklop  riesige  Bergstöcke  in  das 
Meer  schleudert,  so  haben  es  auch  diese  Krater  getan.  Selbst 
eine  geschichtliche  Tatsache  verwertet  B.,  um  einen  individuellen 
Zug  bei  Homer  zu  erklären.  Bei  der  Einnahme  von  Kumä  er- 
zählt Dionys  von  Halikarnaß  (VII  10 — 12),  daß  wilde  Barbaren 
sich  durch  eine  List  der  Stadt  bemächtigt  hätten,  indem  eine 
Anzahl  riesig  starker  Männer  „vetus  de  peaux  comme  des  bergers4' 
mit  gewaltigen  Holzlasten,  in  denen  sie  Waffen  verborgen  hatten, 
abends  in  die  Stadt  eindrangen  unter  dem  Vorwande,  das  Holz  zu 
verkaufen  —  ebenso  erscheint  der  Kyklop  am  Abend,  <peQs  <f 
SßgifAOV  äx&og  vXtjg  a&Xtyg  (!!). 

Auch  die  „Ziegeninsel'4  vor  dem  Lande  der  Kyklopen,  bei  der 
Odysseus  seine  zwölf  Schiffe  ließ,  hat  B.  gefunden.  Es  ist  dies 
Nesida  (=  vifiig  „kleine  Insel")  in  der  Bucht  von  Puteoli,  öst- 
lich vom  Kap  Misenum.  Diese  Insel  ist  stets  wenig  (in  alter  Zeit 
gar  nicht)  vom  Festlande  aus  besucht  gewesen,  da  sie  keinen 
Hafen  dem  Festlande  zugekehrt  hat,  wohl  aber  diente  sie  den 
Seefahrern,  da  sie  einen  äußerst  geschützten  Hafen,  der  ganz  der 
Homerischen  Schilderung  auch  heute  noch  entspricht,  auf  der  Seite 
des  offenen  Meeres  hat.  Selbst  in  klassischer,  römischer  Zeit 
fanden  sich  hier  nur  wenig  Villen;  wurde  doch  wegen  der  un- 
bedingten Einsamkeit  hier  von  den  Verschwörern  die  Ermordung 
Cäsars  beschlossen  (Cic.  ad  Att.  XVI  2, 3).  Der  größte  Teil 
der  Insel  bietet  auch  heute  noch  Jagdgelände,  und  daß  hier  be- 
sonders „Ziegen14  heimisch  waren,  beweist  der  Name  der  in  der 
Nähe  befindlichen  Insel  „Capri".  Zwei  gewaltige  Felsblöcke,  die 
wie  „Obelisken44  aus  dem  Meere  zwischen  Nesida  und  dem  Fest- 
lande aufragen,  gaben  Veranlassung  zur  Erfindung  der  beiden 
Wurfe  des  Kyklopen.  Dabei  erklärt  sich  sehr  gut  auch  der  Aus- 
druck nqondqoi&E  und  iasxotiig&s  veoq  aus  der  semitischen 
Quelle;  denn  die  Semiten  haben  für  ,,vor44  und  „Osten44  dasselbe 
Wort,  ganz  wie  für  „hinter"  und  „Westen".  Diese  beiden 
„Obelisken"  befinden  sich  aber  der  eine  im  Osten,  der  andere  im 
Westen  von  der  Insel  Nesida  (!). 

Genau  so  weist  B.  am  Festlande  die  Stelle  nach,  wo  Odysseus 
sein  Schiff  barg,  ehe  er  zur  Höhle  des  Kyklopen  hinaufstieg,  und 
naturlich  auch  diese  [selbst.  Es  ist  dies  die  „Grotte  des  Sejan" 
der  klassischen  Zeit.  Diese  entspricht  mit  der  geräumigen  Vor- 
halle (ccvXy  bei  Homer)  genau  der  Schilderung  des  Dichters.  Die 
Stelle,  die  einst  Polyphem  mit  einem  riesigen  Felsblock  versperrte, 
ist  jetzt  durch  eine  Mauer  mit  einem  kleinen  Tor  verschlossen, 
an  welchem  die  Besucher  das  Eintrittsgeld  bezahlen  müssen.  Hier- 
bei macht  B.  freilich  die  wichtige  Bemerkung  und  führt  dazu  eine 
Reihe  treffender  Beispiele  an,  daß  es  ähnliche  Grotten  an  den 
Küsten  des  Mittelmeeres  viele  gibt,  ja  daß  bis  in  die  neueste  Zeit 


^ 


Homer,  von  C.  Rothe.  159 

hinein  noch  Hirten  sich  finden,  die  ganz  ähnlich  wie  der  Kyklop 
leben,  ihre  Herden  so  halten  (z.  B.  die  jungen  Lämmer  und  Ziegen 
im  Gehöft  lassen  und  nur  mit  den  alten  ausziehen),  von  ihrer 
Milch  allein  leben  und  sich  um  die  übrige  Welt  nicht  im  ge- 
ringsten kümmern,  sondern  ganz  ihr  eigener  Herr  sind.  So 
könne  der  Dichter  sehr  wohl  aus  eigener  Anschauung 
wesentliche  Züge  dieses  Hirtenlebens  dem  „periple 
original"  hinzugefügt  haben  (S.  174).  Denn  daß  der  Dichter 
nicht  bloß  sklavisch  entlehnte,  sondern  auch  schöpferisch  gestaltete, 
das  nimmt  auch  B.  an.  Er  schreibt  darüber  am  Schluß  dieses 
Kapitels  (S.  178)  die  bemerkenswerten  Worte:  Et  peut-etre,  en 
cette  histoire  du  Kyklope,  mieux  qu'en  l'histoire  de  Kalypso, 
pourrions-nous  saisir  sur  Je  vif,  en  plein  travail,  son  ordinaire 
procede.  Gar  il  semble  que  nous  puissions  ici  voir  les  etapes 
successives  que  parcouraient  ses  figures  entre  la  verite  geographique 
du  periple  et  ranthropomorphisme  de  ses  vers.  L'Oeil  Rond,  dans 
le  periple,  n'etait  que  „le  sommet  d'un  pic  isole,  qui  se  dresse  ä 
T6cart  des  autres";  le  Kyklope  du  poete,  tout  en  prenant  la  forme 
humaine  et  en  se  degageant  de  la  montagne,  est  encore  „moins 
semblable1)  ä  un  homme  mangeur  de  ble  qu'ä  un  sommet  chevelu 
des  monts  eleves".  Polypheme  reste  ainsi  engage  ä  demi  dans  la 
verite  prosaique  et  reelle  comme  ces  statues  demi-prisonnieres 
que  nos  sculpteurs  nous  montrent  engagees  encore  dans  le  bloc 
de  roarbre  d'oü  leur  fantaisie  les  tira  . . . .  Sans  le  bloc  du  periple, 
qui  lui  fournissait  la  matiere,  je  crois  que  ranthropomorphisme 
du  poete  n'eüt  pas  reussi  ä  dresser  les  inoubliables  figures  de 
Polypheme  et  de  Kalypso44. 

Wie  hier,  so  tritt  B.  auch  sonst  sehr  lebhaft  für  den  echten 
Dicbtergeist  des  Schöpfers  der  Odyssee  ein;  sein  Verdienst  bleibt 
es,  aus  dem  spröden,  z.  T.  durchaus  prosaischen  Stoff  ein  Kunst- 
werk allerersten  Ranges  geschaffen  zu  haben,  und  wenn  er  auch 
reichlich  überlieferten  Stoff  benutzt  und  viele  Vorgänger  auf  diesem 
Gebiete  gehabt  hat,  so  gebührt  ihm  doch  für  sein  Kunstwerk 
dieselbe  Anerkennung  wie  dem  Pbidias  bei  seinen  höchsten  Kunst- 
leistungen, obwohl  auch  diese  ohne  viele  Vorgänger  nicht  denkbar 
sind,  oder  wie  Ghateaubriand  für  seine  kunstvollen  „poemes  en 
prosea  (leVoyage  en  Amärique,  le  genie  du  Christianisme,  Atala  usw.), 
obwohl  er  fast  nichts  getan  hat,  als  die  kunstlosen  Darstellungen 
anderer  (Charlevoix,  Bartram  u.  a.)  in  seine  wundervolle  Sprache 
umzusetzen.  Ich  habe  wiederholt  denselben  Gedanken  ausgesprochen 
und  dabei  z.  B.  auf  Goethes  Götz  von  Berlichingen  oder  Schillers 
Teil  hingewiesen. 

Daß    die  Odyssee    einzelne  Zusätze,    die    aber    die  Gesamt- 


i)  Od.  IX  190—192:  ^  ovtä  ifauv 

avSql  OiTOifttyh),  aXXä  gt(p  vXrjivri  — 
vxprjkdtv  ogttov  vre  (faliziai  oiov  ari  aXlary. 


160  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

komposition  nicht  beeinflußten,  in  späterer  Zeit  erhalten  habe, 
glaubt  auch  ß.  und  bezeichnet  als  den  wesentlichsten  das  24.  Buch, 
weil  hier  eine  Kenntnis  Siziliens  hervortrete,  die  dem  Dichter 
fremd  sei.  Denn  B.  setzt  die  Abfassung  des  Gedichtes  erhebliche 
Zeit  nach  1050  (vgl.  den  letzten  JB.  1902  S.  310)  und  vor  die 
Besiedelung  Siziliens  (also  vor  740).  Denn  nach  der  Besiedelung 
hätte  der  Dichter  nicht  wagen  dürfen,  solche  Abenteuer  wie  bei 
der  Scylla  und  Charybdis  seinen  Landsleuten  zu  erzählen  (??). 
B.  sieht  also  das  9.  Jahrhundert  als  die  wahrscheinliche  Lebens- 
zeit des  Dichters  an.  Diese  Zeit,  die  schon  Herodot  für  Homer 
angenommen  hat,  hallen  auch  wir  für  die  wahrscheinlichste,  wenn 
auch  die  Grunde  B.s  nicht  stichhaltig  erscheinen. 

Als  Vaterland  für  den  Dichter  nimmt  B.  die  Küste  Kleinasiens 
an,  da  Euböa  für  den  Dichter  die  „entfernteste14  Insel  (Od.  VII  322 
%f(V  nsq  tTjloTccToo  q>ao'  €[i[A€Vcu)  und  Syra  jenseits  über  Delos 
hinaus  nach  Westen  liegt.  So  kann  nur  ein  in  Asien  wohnender 
Grieche  sprechen,  nicht  ein  Europäer.  Unter  den  Städten  am 
Fesllande  von  Asien  ist  wiederum  keine,  die  mehr  Anspruch  auf 
den  Dichter  erheben  könnte,  als  Milet,  die  bedeutendste  Handels- 
stadt im  9.  und  8.  Jahrhundert,  wo  ganz  besonders  auch  Fremde 
zusammenströmten.  Hierher  waren  nach  Herodot  auch  Kadmeer, 
gräzisierte  Phönizier,  mit  den  Pyliern  ausgewandert.  Thaies,  der 
erste  griechische  Philosoph,  soll  nach  Diogenes  Laertius  (1  22) 
einer  solchen  Familie  angehört  haben.  Die  Pylier  aber  haben 
stets  die  Verbindung  mit  dem  Mutterlande  aufrecht  erhalten;  sie 
kannten  auch  die  westlichen  fnseln  Griechenlands,  als  deren  letzte 
Ithaka  (s.  u.)  vor  dem  weilen,  insellosen  Meere  galt,  und  mochten 
gern  die  Sage  verbreiten,  daß  nur  einmal  ein  kuhner,  verschlagener 
Ithakesier  aus  diesem  Meere  zurückgekehrt  sei  nach  bis  dahin 
unerhörten  Abenteuern.  Wenn  an  ihren  Höfen  die  Odysseuslieder 
gesungen  wurden,  dann  begreift  man  auch  die  große  Rolle,  welche 
Nestor  und  seine  Söhne  in  der  Odyssee  spielen. 

Das  Gedicht  wurde  vom  Dichter  sofort  aufgeschrieben.  Denn 
daß  die  Schrift  im  9.  Jahrhundert  vor  unserer  Zeitrechnung  schon 
bei  den  Griechen  bekannt  und  in  umfangreicher  Weise  verwendet 
worden  ist,  daran  läßt  sich  nach  den  neuesten  Funden  nicht 
mehr  zweifeln.  War  sie  doch  schon  viel  länger  bei  den  Ägyptern 
und  Phöniziern  in  Gebrauch,  deren  starke  Einwirkung  auf  die 
kleinasiatischen  Völker  B.  im  engsten  Anschluß  an  Maspero  (Bist, 
ancienne  II  p.  220  u.  ff.)  in  dem  Schlußkapitel  seines  umfang- 
reichen Werkes  schildert.  Wenn  auch  in  allen  diesen  Fragen 
noch  lange  nicht  das  letzte  Wort  gesprochen  ist,  wir  im  Gegen- 
teil eher  am  Anfange  einer  neuen  Betrachtungsweise  des  homeri- 
schen Lebens  stehen,  so  verdient  dieses  Werk  des  Verfassers 
doch  trotz  vieler  Wunderlichkeiten  Beachtung  unter  allen  Homer- 
forschern. 


^ 


Homer,  von  C.  Rothe.  161 

7)  E.  Aßmano,  Das  Floß  der  Odyssee,  sein  Bau  and  sein  phoinikischer 
Ursprung.  Berlin  1904,  Weidmaunsche  Buchhandlung.  31  S.  gr.8.  0,60^. 
—  Vgl.  Lit.  Zentralb).  1904  Sp.  722  (Drerup);  JH.  Jahrb.  f.  d.  klass. 
Altert.  1904,  13.  und  14.  Bd.,  H.  8,  S.  599  (P.  Cauer);  Marine-Ruodsch. 
1904  S.  610-615;  WS.  f.  klass.  Phil.  1904  Sp.  617—621  (Chr.  Härder); 
Berl.  phil.  WS.  1905  Sp.  81—86  (M.  C.  P.  Schmidt);  Rev.  crit.  1905 
S.  63  (Hubert). 

A.  verwirft  die  bisherigen  Erklärungen  der  Homerischen  o%edia, 
namentlich  die  Auffassung  von  Breusing,  der  darin  ein  „Block- 
schiff"  sieht,  und  glaubt,  daß  es  ein  wirkliches  Floß,  bestehend 
aus  roh  zusammengefügten  Balken  mit  einem  erhöhten  „Verdeck" 
zum  Schutze  gegen  überschlagende  Wellen,  gewesen  sei.  Solche 
Flöße  seien  bei  den  Griechen  nicht  üblich  gewesen,  wohl  aber  in 
alter  wie  in  neuerer  Zeit  am  Persischen  Meerbusen  und  an  den 
Küsten  des  Roten  Meeres,  d.  h.  im  Landgebiete  der  Semiten, 
deren  hervortretendste  Vertreter  zur  See  die  Phönizier  waren.  Das 
Floß  des  Odysseus  weise  also  auf  phönizischen  Ursprung  wie  so 
vieles  in  der  ältesten  griechischen  Sage  und,  was  noch  bezeich- 
nender sei,  in  der  Sprache.  A.  führt  eine  große  Zahl  griechischer 
Wörter  an,  für  die  eine  griechische  Wurzel  nicht  vorhanden  sei, 
wohl  aber  eine  semitische  (s.  o.).  Wichtig  ist,  daß  dabei  nicht 
nur  Aphrodite,  was  man  längst  angenommen  hat,  sondern  auch 
ihr  Gatte,  Hephaistos,  zu  einem  Semiten  gemacht  wird,  da  seine 
Attribute  allein  durch  semitische  Wörter  (z.  B.  das  Homerische 
nvqinvooq  =  sem.  phuach,  im  Hiphil  „hephiach"  =  anblasen) 
eine  Erklärung  finden.  Auch  Poseidon  wird  den  Phöniziern  zu- 
geschrieben: er  ist  der  Baal  von  Sidon,  d.h.  ein  Fischergott. 
Denn  Sidon  war  im  Altertum  berühmt  durch  seinen  Fischreichtum. 
Die  enge  Verbindung  aber  zwischen  Poseidon  und  Sidon  wird 
durch  die  Sage  bezeugt;  denn  Poseidon  ist  der  Vater  des  Königs 
Agenor  von  Sidon,  Großvater  des  Kadmos.  Auch  der  bisher  un- 
erklärte Beiname  r*latog,  den  er  auf  einer  rhodischen  Inschrift 
trägt,  weist  auf  semitischen  Ursprung.  Denn  gillu  heißt  im  Assyri- 
schen die  Meeresflut,  Welle,  und  gallu  „wogend"  ist  ein  Beiwort 
des  Meeres. 

Die  Sage  weist  ferner  die  Erfindung  des  Floßes  dem  König 
Erythras  auf  den  Inseln  des  Roten  Meeres  zu:  von  hier  gelangte 
es  nach  Tyrus  und  Arados,  an  der  Ostküste  des  Mittelmeeres,  von 
wo  wieder  der  tyrische  Herakles  auf  einer  öx^dia  ins  Ionische 
Meer  fuhr  und  in  Erythrä,  gegenüber  der  Insel  Chios,  landete. 
„Dort  ward  noch  in  späten  Zeiten  das  von  allen  griechischen 
Typen  abweichende,  ägyptisierende  Götterbild  auf  hölzerner  <s%€dia, 
auch  ein  Tau  derselben,  aufbewahrt  (Paus.  7,  5,  5—8)".  Und  so 
führt  A.  noch  eine  Reihe  Sagenzüge  an,  um  die  Ansicht  zu  be- 
gründen, daß  die  Griechen  nicht  nur  das  Floß  des  Odysseus, 
sondern  auch  vieles  andere  den  Phöniziern  entlehnten.  Ihren 
Einfluß  leugnen  zu  wollen,  ist  schon  bei  dem  jetzigen  Stande 
der  Untersuchung  unmöglich;    freilich  darf  man  ihn   auch   nicht 

Jahimberieht«  XXXI.  \\ 


162  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

übertreiben.     Ich    kann    diese    Schrift    den    Fachgelehrten    nur 
empfohlen. 

Ähnlich  ist  der  Standpunkt  von 

8)  M.  P.  Jensen,  Das  Gilgamisepos.     S.-A.  aas  der  Zeitschr.  f.  Assyrol. 

XVI,  1  Sp.  125—133.    Straßburg  1902*  —  Vgl.  DLZ.  1902  Sp.  988/989 
(£.  Maaß). 

Auch  J.  weist  auf  die  auffallenden  Ähnlichkeiten  der  griechi- 
schen Odysseussage  mit  semitischen  Sagen,  namentlich  dem 
Gilgamisepos,  hin,  doch  ist  er  vorsichtig  genug,  nicht  ohne  weiteres 
„Entlehnung"  zu  behaupten:  „Die  Annahme  einer  Parallelität 
zwischen  Gilgamisepos  und  Odyssee  bedingt  durchaus  nicht 
eine  weitere,  daß  die  Gestalten  der  Odyssee  fremden, 
babylonischen  Ursprungs  sind.  Vielmehr  schließt  sie  deren 
griechischen  Ursprung  in  keiner  Weise  aus.  Ich  sage  darum 
z.  B.  nur:  die  Kalypso  entspricht  der  Siduri,  sage  aber  nicht: 
die  Kalypso  ist  aus  der  Siduri  geworden,  wenn  dies  auch  recht 
wohl  möglich  ist.  Wie  Babylonisches  durch  echt  Griechisches  er- 
setzt worden  ist,  zeigt  recht  deutlich  die  Charybdis  der  Straße 
von  Messina,  die  einfach  an  die  Stelle  eines  Skorpionmenschen 
getreten  ist,  während  in  dem  Phantasiegebilde  der  Scylla  der 
zweite  fortlebt ....  Das  griechische  Pantheon,  der  griechische 
Kultus  und  damit  Zusammengehöriges  sind  in  erheblichem  Maße 
von  den  Babyloniern  beeinflußt  worden.  Die  Vermittler  sind  ver- 
mutlich die  Phönizier  gewesen  ....  Die  starke  Wucherung  und 
Differenzierung  der  Gilgamissage  auf  griechischem  Boden  weist 
auf  ein  hohes  Alter  ihrer  Entlehnung  hin". 

Dieser  Standpunkt  wird  durchaus  auch  denen  gerecht,  welche 
(wie  z.  B.  M.  Schmidt  in  der  Besprechung  von  Aßmanns  Schrift) 
vor  zu  starker  Vorliebe  für  die  Phönizier  warnen  und  der  Dichtung 
mindestens  griechischen  Geist  und  griechisches  Gestaltungsvermögen 
außer  Sprache  und  Metrum  wahren  wollen. 

B.    Die  Ithakafrage. 

Der  Streit  um  Ithaka  als  Heimat  des  Odysseus  ist  in  den 
letzten  Jahren  mit  ungewöhnlicher  Heftigkeit  geführt  worden. 
Wir  wollen  hier  näher  darauf  eingehen,  da  diese  Frage  auch  die 
höhere  Kritik  berührt.  Denn  einzelne  Kritiker  berechnen  danach 
das  Alter  einzelner  Teile  der  Gedichte,  und  es  spielt  weiter  die 
Frage  eine  Rolle,  ob  der  Dichter  die  Örtlichkeit,  die  er  schildert, 
selbst  gesehen  hat  oder  nicht.  Ich  gebe  zunächst  eine  kurze 
Obersicht  über  diese  Frage,  wesentlich  im  Anschluß  an  die  Zu- 
sammenstellung von 

9)  Draheim,  Die  Ithaka-Frage.    Wisseosch.  Beil.  des  Jahresb.  d.  Kö'nigl. 

Wilhelms-Gyninasiams  in  Berlin  1903.    4  S.    gr.  4. 

Die  Alten  haben  Ithaka,  soweit  wir  Kunde  haben,  ausnahms- 
los als  die  Heimat  des  Odysseus  angesehen.     Auch   die  neueren 


** 


Homer,  von  G.  Rothe.  163 

Reisenden,  die  es  besucht  und  beschrieben  haben,  sind  dieser 
Ansicht  gewesen,  besonders  lebhaft  Menge1),  Homer  und  das 
Ithaka  der  Wirklichkeit,  Zeitschr.  f.  d.  GW.  1891  S.  52—62,  und 
in  der  Schrift:  Ithaka  nach  eigener  Anschauung  geschildert,  Güters- 
loh 1891. 

Den  ersten  entschiedenen  Zweifel  an  der  Übereinstimmung 
der  Homerischen  Schilderung  mit  dem  wirklichen  Ithaka  sprach 
Hercher  aus  in  dem  Aufsatze:  Homer  und  das  Ithaka  der 
Wirklichkeit  (Hermes  I,  1866,  S.  263—280,  wiederholt  in  den 
„Homer.  Aufsätzen",  Berlin  1881).  H.  leugnete,  daß  der  Dichter 
überhaupt  die  Insel  gekannt  habe:  so  wenig  passe  seine  Schilderung 
zur  Wirklichkeit.  Draheim  schloß  sich  in  der  Besprechung  von 
C.  Jebb  (WS.  f.  klass.  Phil.  1894  Sp.  63  ff.)  dieser  Ansicht  insofern 
an,  als  die  Beschreibung  Homers  nicht  auf  Ithaka  passe,  sprach 
aber  meines  Wissens  zuerst  die  Vermutung  aus,  daß  wesentliche 
Züge  (awri  de  x^cc^al^  navvneqidxri  slv  all  xeixcci)  auf  Leukas 
paßten.  „Ich  habe  mich  immer  gewundert,  daß  noch  niemand 
au  der  Identität  von  Ithaka  selbst  gezweifelt  hat.  Ihrer  Lage 
nach  kann  die  später  mit  diesem  Namen  bezeichnete  Insel  nur 
das  „langhingestreckte"  Dulichion  gewesen  sein:  dann  haben  wir 
JovXi%iov  T€  2dfjLfj  xe  xai  vXrieaaa  Zdxvv&og  beisammen.  Die 
bisher  vergeblich  gesuchte  Insel  Aaxeqiq  ist  die  etwa  eine  deutsche 
Meile  von  Kephallenia  und  S.  Haura  entfernte,  und  S.  Maura  eben 
Ithaka,  napvnsQxdifj  nqoq  £6(pov,  in  angemessener  Nähe  von 
Thesprotien  {%  270)". 

Bald  darauf  erschien  ebenfalls  in  der  WS.  f.  klass.  Phil. 
Sp.  697 — 700  ein  kurzer  Aufsatz  von  Theodetes  Kuruklis  aus 
Kephalonia,  in  dem  der  Verf.  ebenfalls  entschieden  bestritt,  daß 
das  heutige  Ithaka  die  Heimat  des  Odysseus  sei;  vielmehr  nahm 
er  dafür  das  heutige  Kephalonia  an,  während  das  Homerische  Samos 
das  heutige  Ithaka  sein  solle.  „Es  wäre  nicht  unwahrscheinlich, 
daß  die  Nachfolger  des  Laertiaden  ihre  Macht  verloren,  daß  die 
Ithaker  vertrieben  wurden  und  daß  sie,  um  den  Namen  ihres 
Vaterlandes  zu  bewahren,  Same  umtauften  —  oder  umgekehrt  (?)". 
Dulichion  war  dann  Leukas.  Für  diese  Ansicht  führt  er  ebenfalls 
eine  Reihe  von  Gründen  an,  die  später  von  anderen  (s.  u.)  wieder- 
holt worden  sind.  Zu  diesem  Aufsatze  macht  Draheim  S.  698 
die  Anmerkung,  daß  auch  er  für  einen  Namenswechsel  sei,  aber 
für  den,  den  er  S.  63  angegeben  und  begründet  habe. 


1)  Von  Vorgängern  nennt  Draheim:  Gell,  The  geography  of  Ithaka, 
London  1807;  Schreiber,  Ithaka,  Leipzig  1829;  Thiersch,  Briefe  aus  Griechen- 
land, Stuttgart  und  Tübingen  1832;  Rühle  von  Lilienstern,  Über  das  home- 
rische Ithaka,  Berlin  1832;  Bowen,  Ithaka,  Corcyra  1850;  Gandar,  De  (Jlyssis 
Ithaca,  Paris  1854;  Schliemaun,  Ithaka,  der  Peloponnes  und  Troja,  Leipzig 
1869;  Warsberg,  Das  Reich  des  Odysseus,  Wien  1879;  Partseh,  Kephallenia 
und  Ithaka,  Petermanns  Mitteilungen,  Gotha  1890;  dazu  Reisch  in  Baedekers 
Griechenland  und  in  der  Schrift  „Ithaka",  Wien  1896. 

11* 


164  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Diese  Stimmen  wurden  zunächst  wenig  beachtet.  Da  kam 
1900  W.  Dörpfeld  nach  Durchforschung  von  Thiaki  zu  dem- 
selben Ergebnis  wie  Draheim  und  teilte  ihm  dies  zunächst  brief- 
lich mit,  dann  entwickelte  er  seine  Ansicht  näher  in  einer  Sitzung 
des  Archäologischen  Instituts  in  Athen.  Einen  Bericht  darüber 
erstattete  P.  Eis n  er  in  der  Schlesischen  Zeitung  (13.  April  1900, 
Der  Herrschersitz  des  Odysseus)  und  J.  Gallina  (Die  Theorie 
Leukas -Ithaka,  Zeitschr.  f.  d.  österr.  Gymn.  1901  S.  97—118). 
Nach  Besprechung  der  Stelle  bei  Strabo  teilt  letzterer  Dörpfelds 
Ergebnis  mit:  Ithaka  ist  Leukas,  Dulichion  Kephallenia,  Samos 
Thiaki,  Asteris  Arkudi.  Wie  diese  beiden  Gelehrten,  äußerte 
sich  auch  zustimmend  W.  Bar  dt  (Das  Homerische  Ithaka,  Idq^ovict 
1900  S.  401  ff.,  mit  sechs  Ansichten)  und  Reissinger  in 
einem  Vortrage  vor  der  bayerischen  Gymnasiallehrerversammlung 
(vgl.  Bl.  f.  d.  GSW.,  39.  Bd.,  1903,  S.  369  ff.).  Ein  Referat  gab 
ferner  S.  Rein  ach  (La  question  d'Ithaque,  Revue  archäologique 
1900,  Nov.-Dez.,  S.  464—466). 

Dieser  Ansicht  widersprach  und  hielt  am  alten  Ithaka  fest 
K.  Pavlatos  (eff  älfj&^g^I&dxfj  tov'0[iqQov,  Patras  1901,  zweite 
Auflage  1902).  G.  Lang  (WS.  f.  klass.  Phil.  1902  Sp.  1086)  tritt 
in  der  Besprechung  dieser  Schrift  der  Ansicht  des  Verf.s  bei  und 
vermutet,  daß  die  unbequeme  Insel  Dulichion  vielleicht  inzwischen 
landfest  geworden  sein  könnte.  Ähnlich  äußern  sich  N.  Sa  bat 
(Ithaka  oder  Leukas?  Symbolae  in  honorem  L.  Czwiklinski, 
Lemberg  1902,  38  S.  mit  zwei  Karten),  H.  Michael  (Das  homerische 
und  heutige  Ithaka;  vgl.  JB.  1903  S.  311/312). 

Diesen  gegenüber  hat  Dörpfeld  seine  Ansicht  noch  einmal 
entwickelt:  1)  in  einem  Vortrage  in  der  Julisitzung  der  Archäo- 
logischen Gesellschaft  zu  Berlin  1902  (vgl.  den  Bericht  darüber 
in  der  WS.  f.  klass.  Phil.  1902  Sp.  924—927  und  im  Sitzungs- 
bericht der  Arch.  Ges.  Juli  1902  S.  24—28);  2)  schriftlich  in 
einem  Beitrage  zu  den  Melanges  Perrot  (Paris,  Fontemoing  1902 
S.  79—93).  Mundlich  wie  schriftlich  begründet  D.  nicht  nur  seine 
Meinung,  sondern  sucht  auch  die  Namensänderung  durch  die 
Dorische  Wanderung  und  das  Vordringen  der  Kephallenen  zu  er- 
klären. Er  erfuhr  aber  eine  scharfe  Abfertigung  von  U.  v.  Wila- 
mowitz,  welcher  in  der  Januarsitzung  der  Archäologischen  Gesell- 
schaft zu  Berlin  1903  ihm  vorwarf,  „er  ignoriere  alle  Grammatik, 
alle  Kritik,  alle  Geschichte,  es  sei  denn,  es  passe  ihm  einmal  etwas 
in  seinen  Kram"  (vgl.  den  Bericht  darüber  in  dem  Sitzungsbericht 
d.  Arch.  Ges.  1903  Nr.  28  S.  5—10). 

Darauf  hat  Dörpfeld  in  einem  längeren  Aufsatze  (abgedruckt 
in  den  Ber.  d.  Arch.  Ges.  Jan.  1904  S.  59—86)  geantwortet,  in 
welchem  er  die  Einwürfe  und  Gegengrunde  von  v.  W.  zu  widerlegen 
versucht.  Im  engsten  Anschluß  an  ihn  hat  die  ganze  Frage  noch 
einmal  behandelt: 


* 


Homer,  von  C.  Rothe.  165 

10)  P.  Gößler,  Leukas-Ithaka,  Die  Heimat  des  Odyssens.  Mit 
zwölf  Laodscbaftsbildero  io  Lichtdruck  and  zwei  Karte u.  Stattgart 
1904^  Metzlers  Verlag.  SO  S.  gr.  8.  4JC.  —  Durchaus  zustimmend  be- 
sprochen von  W.  Becher,  Berl.  phil.  WS.  1904  Sp.  128—134;  vgl.  ferner 
IN.  Korrespondenzbl.  f.  Gelehrten-  u.  Realschulen  Württembergs  1904, 
XI  8—10,  S.  391  (JNestle);  Beil.  z.  Miinch.  Ailg.  Ztg.  1904  Nr.  148; 
DLZ.  1904  Sp.  1999—2004  (E.  Loch);  WS.  f.  klass.  Phil.  1904  Sp.  824 
—828  (O.  Rößner). 

Wie  Gößler,  so  stimmen  auch  P.  Cauer  (s.  u.)  und  Drerup 
(Homer  S.  122/123)  Dörpfeld  unbedingt  zu,  während  V.  Berard 
(s.  o.)  in  zwei  Kapiteln  (Le  royaume  d'UJysse  und  Periples  et 
Realites  S.  405—540)  dieser  Ansicht  entschieden  widerspricht  und 
das  jetzige  Ithaka  als  die  Heimat  des  Odysseus  in  ausführlichster 
Weise  und  unter  Beigabe  einer  großen  Anzahl  von  Karten  und 
Kärtchen  zu  erweisen  versucht.  Auch  B.  wirft  Dörpfeld  willkür- 
liche und  fehlerhafte  Erklärung  und  Auslegung  der  Dichterstellen 
vor:  Je  ne  puis  taire  cependant  Petrange  impression  que  me 
causent  les  traductions  de  cet  archeologue.  Soit  pour  l'explication 
materielle  des  mots,  soit  pour  Interpretation  rationelle  des  faits, 
il  semble  que  M.  Doerpfeld  ait  moins  l'habitude  de  manier  les 
textes  et  qu'il  merite  un  peu  trop  souvent  la  critique  adressee 
par  Strabon  (III  157)  „ä  ceux  qui  traitent  le  Poete  comme  un 
simple  terrassier"  (S.  409).  Als  Beispiel  führt  er  an  X^sveg 
ä[A(fLdv[ioi,  das  nicht  „zwei  Häfen"  bedeute,  sondern  einen  „Doppel- 
hafen'4 (des  „ports  jumeaux"),  der  nur  eine  Bai  bilde,  nur  einen 
Zufluchtsort  gewähre  (vgl.  TUtqui,  didvpoi);  ebenso  sei  entschieden 
zurückzuweisen  die  Auffassung  der  homerischen  Redensart  ov 
fiep  yag  %i  er«  ns £ö*>  dioficu  sv&dd'  ixstf#a*,  die  D.  im  eigent- 
lichen Sinne  auffasse,  während  sie  doch  nur  eine  „plaisanterie" 
sei,  wie  Pavlatos  (s.  o.)  deren  noch  mehrere  aus  dem  modernen 
Griechisch  anführe  (Jev  tugtsvo)  vä  tjl&sg  (is  to  &€qo<s%a- 
top  . . .  Mijnoog  tjl&sg  ry  XsyQacptxdigt),  und  wie  sie  ähnlich 
die  wilden  Nachbarn  der  Ägypter  noch  heute  an  einen  Fremden 
richten  (Comment  avez-vous  atteint  cette  terre?  Etes-vous  des- 
cendus  par  la  voie  du  ciel  ou  avez-vous  navigue  par  eau 
sur  la  mer  de  Tonoutri?).  Dieser  Ansicht  sind  alle  Erklärer 
Homers  und  auch  Michael  (a.  a.  O.  S.  13). 

Wie  ist  es  nun  möglich,  daß  so  verschiedene  Ansichten  über 
eine,  wie  es  scheint,  doch  nicht  so  schwierige  Frage  sich  bilden 
konnten?  Der  Grund  liegt  darin,  daß  die  Darstellung  des  Dichters, 
wie  alle,  die  mit  dieser  Frage  sich  beschäftigt  haben,  zugeben, 
in  wesentlichen  Punkten  mit  der  Wirklichkeit  nicht  übereinstimmt. 
Es  sind  dies  folgende: 

1)  Der  Dichter  sagt  von  Ithaka  navvneQxaTri  slv  all  xetTcci 
nqog  £6(pov  —  das  paßt  nicht  auf  Ithaka,  wie  ein  Blick  auf  die 
Karte  lehrt. 

2)  Der  Dichter  spricht  von  vier  größeren  Inseln,  die  nahe 
beieinander   liegen    und    von    einem  Kranz  kleinerer  Inseln  um- 


166  Jahresberichte  d,  Philolog.  Vereins. 

geben  sind  —  es  liegen  aber  in  Wirklichkeit  nur  drei  größere 
Inseln  (Kephallenia,  Ithaka  und  Zakynthos)  nebeneinander,  die 
vierte  (Dulichion)  ist  jetzt  nicht  mehr  nachzuweisen. 

3)  Der  Dichter  nennt  Ithaka  %#a^a^'  und  verlegt  es  nahe 
an  das  Festland,  da  von  dort  her  täglich  Vieh  (namentlich  Ziegen) 
herübergebracht  werden  —  Ithaka  aber  ist  jetzt  eine  felsige  Insel, 
ziemlich  weit  vom  Festlande  entfernt. 

4)  Der  Dichter  erwähnt  eine  kleine  Insel  (Asteris)  mit  einem 
Doppelhafen,  bei  welcher  die  Freier  dem  von  Pylos  zurückkehrenden 
Telemach  auflauern  —  eine  solche  ist  jetzt  weder  südlich  von 
Ithaka  noch  in  dem  Sunde  zwischen  Ithaka  und  Kephallenia  nach- 
weisbar. 

Zu  diesen  wesentlichen  Abweichungen  von  der  Wirklichkeit 
kommen  noch  mehrere  geringere,  die  nicht  so  schwer  ins  Gewicht 
fallen  und  diese  oder  jene  Erklärung  zulassen.  Den  Hauptunter- 
schieden gegenüber  aber  haben  die  einzelnen  Gelehrten  nun  folgende 
Standpunkte  eingenommen: 

1)  Das  heutige  Ithaka  ist  nicht  das  vom  Dichter  geschilderte, 
sondern  hat  seinen  Namen  erst  später  erhalten.  Das  ursprüng- 
liche Ithaka  war  Leukas  (Draheim1),  Dörpfeld,  Gößler)  oder 
Kephallenia  (Kuruklis;  s.  o.). 

2)  Der  Dichter  kennt  den  Westen  Griechenlands  nicht  per- 
sönlich; er  hat  davon  nur  eine  ganz  unklare  Kenntnis,  die  meisten 
Schilderungen  sind  reine  Gebilde  der  Phantasie,  denen  die  Wirk- 
lichkeit nicht  entspricht  (Her eher,  v.  Wilamowitz). 

3)  Der  Dichter  kennt  zwar  die  geschilderte  örtlichkeit  nicht 
aus  eigener  Anschauung,  hat  aber  für  seine  Darstellung  eine 
genaue  Beschreibung  aller  dieser  Gegenden  benutzt  und  bei  dieser 
Benutzung  einige  begreifliche  Irrtümer  begangen  (V.  Berard). 

4)  Die  Gegend,  in  welcher  die  Handlung  spielt,  hat  sich, 
vielleicht  infolge  von  vulkanischen  Erschütterungen,  im  Laufe  der 
Zeit  erheblich  verändert,  Inseln  sind  teils  verschwunden,  teils 
Festland  geworden  (G.  Lang,  z.  T.  auch  Michael). 

5)  Die  Schilderung  rührt  nicht  von  einem  Dichter  her, 
sondern  von  verschiedenen,  die  nicht  alle  gleiche  Kenntnis  von 
den  wirklichen  Verhältnissen  hatten  (Michael,  z.  T.  auch  Dörpfeld 
und  Drerup). 

Wie  es  bei  diesen  grundverschiedenen  Ansichten  möglich  sein 
soll,  zu  einer  Einigkeit  über  die  beiden  Hauptfragen  zu  kommen 
(nämlich :  Kennt  der  Dichter  die  örtlichkeit,  die  er  schildert,  oder 
nicht?  Ist  Ithaka  die  Heimat  des  Odysseus  oder  Leukas?),  ist 
vorläufig  nicht  abzusehen,  und  ich  kann  den  Optimismus  Gauers, 
der  glaubt,  daß  Dörpfelds  Ansicht  bald  allgemeine  Auffassung  sein 
werde,  nicht  teilen.    Denn  zu  den  so  verschiedenen  Möglichkeiten, 


*)  Es  muß  Draheim  durchaas  das  Verdienst  bleiben,   diese  Vermutung 
zuerst  aufgesprochen  zu  haben;  Dörpfeld  hätte  dies  mehr  betonen  sollen. 


* 


Homer,  von  C.  Rothe.  167 

die  Abweichung  der  dichterischen  Schilderung  von  der  Wirklich- 
keit zu  erklären,  kommt  noch  eine,  die  kaum  einer  dieser  Ge- 
lehrten mit  voller  Schärfe  betont  hat,  obwohl  sie  doch  durch  das 
Verfahren  aller  Dichter,  alter  wie  neuer  Zeit,  sicher  erwiesen  ist: 
es  ist  das  gute  Recht  des  Dichters,  die  Örtlichkeit,  die  er  genau 
kennt  und  auch  im  allgemeinen  richtig  schildert,  nach  den  Be- 
durfnissen der  Handlung  zu  gestalten.  Wenn  z.  B.  (vgl. 
o.  4)  der  Dichter  eine  Stelle  zu  einem  Hinterhalte  braucht,  so 
kann  er  sich  sehr  wohl  eine  solche  erfinden  und  eine  kleine  Insel 
annnehmen  und  benennen,  obwohl  er  weiß,  daß  diese  in  Wirk- 
lichkeit nicht  vorhanden  ist. 

Sehen  wir  nun,  wie  Dörpfeld  und,  ganz  in  Übereinstimmung 
mit  ihm,  Gößler  die  von  Draheim  aufgestellte  Vermutung  näher 
begründet  haben.  Um  Wiederholungen  zu  vermeiden,  werden 
wir  bei  jedem  Punkte  sofort  auch  die  Einwendungen,  die  v.  Wila- 
mowitz  und  Berard  gemacht  haben,  und  was  wir  selbst  für  un- 
richtig halten,  vorbringen1).  Der  Dichter,  der  nach  Dörpfelds 
wohlbegründeter  Ansicht  den  Westen  von  Griechenland  genau 
kennt,  nennt  an  der  wichtigsten  Stelle  *  22 — 27  vier  Inseln,  und 
zwar  in  folgender  Reihenfolge:  fthaka,  dann  ein  Inselpaar  Dulichion 
und  Same  und  zuletzt  Zäkynthos.  Ithaka  soll  zuoberst  nach  dem 
£6(pog  hin  liegen.  Der  toifog  ist  der  Westen  (Berard  genauer 
der  Nordwesten):  alles  stimmt,  wenn  Leukas  als  die  am  weitesten 
nach  Westen  liegende  Insel  angenommen  wird.  Die  Auffassung 
der  Alten  ging  dahin,  daß  Griechenland  vom  Korinthischen  Meer- 
busen aus  sich  genau  nach  Westen  erstrecke.  Dann  ist  Leukas 
wirklich  die  „westlichste"  Insel.  Insel  sei  aber  Leukas  in  alter 
Zeit  gewesen;  erst  später  habe  sich  eine  „Nehrung"  vorgelegt, 
welche  von  den  Korinthern  durchstochen  sei.  Während  Gößler 
durch  eine  Reihe  von  Karten  und  sorgfältige  Beschreibung  des 
Geländes  diese  Behauptung  zu  stützen  versucht,  bekämpft  sie 
Berard  und  meint,  daß  Leukas  immer  nur  als  Vorsprung  von 
Akarnanien  gegolten  habe,  daß  eine  Durchfahrt  hier  nie  vorhanden 
gewesen  sei,  daß  der  Kanal,  der  hier  durchstochen  sei,  nie  der 
Hochschiffahrt  gedient  habe,  sondern  wahrscheinlich  nur  ein  Graben 
zum  Schutze  der  Einwohner  gegen  die  räuberischen  Festlands- 
bewohner gewesen  sei.  Tatsächlich  hätten  auch  die  Handelsstädte 
nie  etwa  in  der  Mitte  des  Kanals,  sondern  im  Altertum  im  Süd- 
hafen, im  Mittelalter  (seit  der  Blütezeit  der  Venetianer)  im  Nord- 
hafen gelegen.  Für  unsere  Frage  ist  dies  ziemlich  gleichgültig,  da 
Leukas  sehr  wohl,  wie  v.  Wilamowitz  unter  Hinweis  auf  die 
„Pelopsinsel"  richtig  bemerkt,  „Insel"  genannt  werden  konnte,  ob 

l)  Meine  Einwände  decken  sich  zum  größten  Teile  mit  denen,  die 
P.  Corssen  in  einer  Versammlung  des  Philo  1.  Vereins  zu  Berlin  gegen  D.  er- 
hoben hat;  da  ein  Referat  darüber  nicht  besteht,  ist  es  mir  in  jedem  ein- 
zelnen Falle  unmöglich  zu  sagen,  was  von  C.  und  was  von  mir  herrührt; 
jedenfalls  will  ich  C.s  Verdienst  nicht  schmälern. 


16g  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereint, 

es  einen  schmalen  Isthmus  hatte  oder  nicht,  oh  der  Kanal  zur 
Durchfahrt  benutzt  wurde  oder  nicht.  Auf  navvnequcnfi  nqöc 
£6(pov  geht  aber  v.  W.  gar  nicht  weiter  ein,  während  Berard 
eine  äußerst  künstliche  Erklärung  gibt.  Er  glaubt,  daß  Ithaka  in 
allen  Punkten  genau  der  Homerischen  Darstellung  entspricht,  weist 
im  besondern  die  vier  in  der  Odyssee  erwähnten  Häfen  genau 
nach  (s.  u.)  und  hält  auch  den  Ausdruck  narvnsQiccTtj  für  voll- 
kommen berechtigt  vom  Standpunkt  der  Schiffer,  die  vom  Süden 
kamen  (Phönizier)  und  hier  im  Nordhafen  von  Ithaka  (am  Nord- 
ende des  Sundes  zwischen  Kephallenia  und  Ithaka)  die  letzte  Rast 
machten,  ehe  sie  sich  in  das  große  Meer  (nach  Italien  hinüber) 
hinauswagten.     Denn  Korfu  lag  außerhalb  der  Route. 

Ebenso  glaubt  Berard  die  vierte  Insel  sicher  in  dem  heutigen 
„Meganisi",  östlich  von  der  Südhälfte  von  Leukas,  zu  erkennen. 
Der  langgezogene  Südrand  der  Insel  rechtfertige  die  Bezeichnung 
„Dulichionu  (vgl.  dofaxoaxiov  syxog),  sie  sei  noch  heute  reich  an 
Getreide  (heißt  doch  ein  Dorf  Je  Bourg  des  moissons"  S.  441), 
da  sie  nicht  felsig,  sondern  nur  hügelig  und  mit  fruchtbaren 
Ebenen  gesegnet  sei.  Indes  diese  Insel  ist,  wenn  auch  größer 
als  die  einzelnen  Inseln  der  Echinaden,  doch  sehr  klein  im  Ver- 
hältnis zu  den  drei  „größeren"  Inseln  —  und  doch  soll  gerade 
Dulichion  nach  Homer  (n  247 — 251)  beinahe  ebensoviele  Freier 
gestellt  haben  als  die  übrigen  drei  Inseln  zusammen- 
genommen (52:56),  viermal  soviele  als  das  wenigstens  noch 
einmal  so  große  Ithaka.  Und  wenn  B.  diese  auffällige  Tatsache 
einigermaßen  dadurch  zu  erklären  sucht,  daß  Ithaka  mehr  Krieger 
geliefert  habe,  die  Fürsten  von  Dulichion  dagegen  aus  Bequemlich- 
keit lieber  zu  Hause  geblieben  wären,  so  findet  diese  Erklärung 
bei  Homer  keine  Stütze,  widerspricht  vielmehr  der  Homerischen 
Naivität;  denn  der  Dichter,  der  Dulichion  bei  weitem  die  größte 
Anzahl  Freier  gibt,  dachte  sich  sicher  auch  Dulichion  als  die 
größte  der  vier  Inseln.  Deshalb  ist  auch  Michaels  Ansicht,  daß 
Dulichion  ursprünglich  der  kleine  westliche  Vorsprung  von  Kephallenia 
gewesen  sei,  nicht  ausreichend  zur  Erklärung,  wenn  man  nicht 
größere  Veränderung  durch  Naturgewalt  annimmt. 

In  dieser  Beziehung  ist  also  jedenfalls  die  Dörpfeldsche  An- 
nahme, daß  Leukas  Ithaka  und  Kephallenia,  die  größte  der  vier 
Inseln,  Dulichion  sei,  der  Annahme  B.s  weit  vorzuziehen.  Wie 
aber  steht  es  mit  der  oben  unter  2)  angegebenen  Abweichung? 
Ithaka  soll  y^a^oXri  sein,  es  ist  aber  bergig  und  der  höchste 
Gipfel  fast  800  m  hoch.  B.  sucht  auch  diese  Bezeichnung  durch 
die  Schiffersprache  zu  erklären:  Ithaka  ist  zwar  an  sich  nicht 
niedrig,  wohl  aber  im  Vergleich  mit  der  nur  durch  einen  schmalen 
Sund  getrennten  Insel  Kephallenia,  deren  höchste  Gipfel  fast  noch 
einmal  so  hoch  sind  (1590  m).  Noch  in  den  neuesten  Instructions 
nautiques  wird  Same-Kephalene  das  „hohe"  genannt  —  freilich 
nur,  wenn   man   von  Südosten  in  den  Kanal  von  Ithaka  eintritt; 


^ 


Homer,  von  G.  Rothe.  169 

für  die,  welche  von  Nordwesten  kommen,  wird  umgekehrt  Ithaka 
als  das  hohe,    Kephalene  als  das  niedrige   bezeichnet.     Nun   gibt 
aber  Odysseus  die  Erklärung    von    dem  Ithaka    x#a^aAiy    gerade 
den  von  Norden  (nach  B.  von  Korfu)  kommenden  Phäaken,  mußte 
sie    also    geradezu    irreführen.      Besser    ist    die    Erklärung  von 
Partsch,  der  Michael  S.  8  zustimmt,  daß,  von  der  Nord  Westküste 
des  Peloponnes  gesehen,  Ithaka    „neben    den  Bergen    des    nahen 
Zante    und    dem    hohen    Berge    Kephalonias    niedrig'4    erscheine. 
Dörpfeld    findet    dagegen    für  %^a\k,ak^  eine  Erklärung,    die  nur 
Gößler    unbedenklich    angenommen    hat,    die    aber    Berard    wie 
v.  Wilamowitz  entschieden  zurückweisen1).    Er  glaubt,  daß  %&a- 
lialrj  xsZtcu  „im    niedrigen,  d.  h.  flachen  Meere   gelegen44  heißt, 
also  „nahe  dem  Festlande44.    Diese  Auffassung  verteidigen  D.  und 
G.  gegen  die  gemachten  Einwände  nicht  nur  durch  den  Hinweis 
auf  Strabo  (S.  454, 12  i^fjyovvtai  ov  xaxoog*  ovxb  yctq  x&apatyv 
d£%ovxcu    TansivijV    ivTCtvd'a,    älld    7Tq6<;%(x>qov    t$    fjnsiQW 
iyyvrdvco  ovöav  avtijg),    sondern  auch  durch  den  Gebrauch  der 
heutigen  Volkssprache:  die  griechischen  Inselbewohner  sollen  noch 
heute    von    einem  Schiffe,    das  sich  dicht  an  der  Küste  befindet, 
sagen,    es  fahre  %atir{ka,    und  als  Gegensatz  dazu  vipfjXd,   wenn 
es  im  hohen  Meere  ist.    Doch  beweist  diese  Ausdrucksweise  nicht 
viel,   da  bei  diesem  Ausdruck  weniger  die  Seichtigkeit  oder  Tiefe 
des  Meeres  in  Betracht  kommt  als  die  bekannte  Erscheinung,  daß 
das  Meer  in  der  Ferne  anzusteigen  scheint  (vgl.  „in  altum  vehi" 
und  unser  „fahret  auf  die  Höhe44).     Noch  unglücklicher  aber   ist 
der  Hinweis  auf  x  196  und  seine  Begründung  (Sitzungsb.  der  Arch. 
Ges.  1903,  H.  1,  S.  70/71  und  Gößler  S.  35/36).    Hier  wird  von 
der  Insel    der  Kirke    dasselbe   gesagt    wie    von  Ithaka:    avzrj  de 
X^-ccfialfj  xeTicci.    Dörpfeld  fragt:  „Was  wissen  wir  von  der  Insel? 
Odysseus   ist,    vom  Sturme    verschlagen,    nach  achttägiger  Fahrt, 
also  über  die  hohe  See,  zum  Lande  der  Lästrygonen  gekommen. 
Von  dort  fährt  er  abends  ohne  Sturm  ab  und  verläßt  somit  die 
Küste   nicht,    denn    das  tut  der  antike  Schiffer  bekanntlich  ohne 
Not  nicht.     Noch  in  derselben  Nacht  kommt  er  an  die  Insel  der 
Kirke,    die    mithin    nicht  auf  hoher  See,    sondern  nahe  an  der 
Küste,    nicht    weit    vom  Lande  der  Lästrygonen  sein  muß44.     An 
dieser  Darstellung  ist  so  ziemlich  alles  irrig.    Denn  1)  ist  Odysseus 
ins  Land  der  Lästrygonen  nicht  „vom  Sturme  verschlagen44,  sondern 
bei  völligster  Meeresslille  gekommen;  2)  ist  nirgends  gesagt,  daß 
sich  „des  Lamos  hohe  Stadt44  auf  dem  Festlande  befindet;  3)  segelt 
Odysseus    von    da    nicht  „abends44,   sondern  am  Vormittage  oder 
spätestens  um  die  Mittagszeit  ab,  und  nirgends  ist  gesagt,  daß  er 
„die  Küste  entlang  fährt44,  sondern  man  muß  annehmen,  daß  er, 
wie    an    den    vorangehenden    sechs  Tagen,    über  das  offene  Meer 


l)   Ebenso   Corssen    (s.  o.  S.  167   Anm.)   unter   Zustimmung   der  Ver- 
sammlung. 


170  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

fährt1).  Endlich  beweisen  die  Verse  x  196  u.  f.  gerade  das  Gegen- 
teil von  dem,  was  D.  will,  nämlich  daß  x&tputy  offenbar  „niedrig", 
wie  v.  W.  will,  d.  h.  sich  wenig  über  das  Meer  erhebend,  heißt, 
nicht  aber  „nahe  am  Lande".  Denn  von  einer  steilen  Warte 
kann  Odysseus  die  ganze  Insel  übersehen:  zrjv  niqi,  novtoq 
äneiQirog  iöTecpccvcoto'  ccvvij  de  %d,aiiaX'q  xetrcu.  Wie  man 
diese  Worte  deuten  kann:  „die  Insel  ist  vom  weiten  Meere  um- 
geben, aber  mit  einer  Seite  nahe  am  Lande'S  ist  mir  unverständ- 
lich. Denn  nsgieöTscpavooio  kann  gar  nicht  anders  aufgefaßt 
werden  als  „von  allen  Seiten  umgeben",  und  die  nächsten  Worte 
fügen  eine  weitere  Eigenschaft  der  Insel  hinzu:  die  Insel  ist  flach, 
im  Gegensatz  zu  der  Warte,  die  Odysseus  besteigt.  Diese  Be- 
zeichnung ist  nicht  „überflüssig",  wie  D.  glaubt,  sondern  sie  be- 
gründet, daß  Odysseus  von  der  Warte  aus,  trotz  des  Waldes,  Rauch 
von  der  Mitte  der  Insel  hat  aufsteigen  sehen. 

Wie  wir  so  die  Deutung  D.s  von  x#c*fMxA«f  ablehnen  müssen, 
so  folgt  auch  aus  andern  Stellen  nicht  sicher,  daß  der  Dichter 
sich  die  Insel  Ithaka,  wie  Dörpfeld  glaubt,  ganz  nahe  am  Fest- 
lande denkt.  Nach  £  100  befanden  sich  die  meisten  Herden  des 
Odysseus  auf  dem  Festlande,  und  noo&fiijeg  vermittelten  den 
Verkehr  mit  der  Insel  (v  187).  Da  nun  Philoitios  eine  Kuh 
bringt,  während  auf  Ithaka  nur  Ziegen  und  Schweine  Nahrung 
fanden,  dieser  aber  auf  einer  Fähre  übergesetzt  wird,  so  folgert 
Dörpfeld  allerdings  mit  Recht  gegen  v.  Wilamowitz,  der  dies 
leugnet  (a.  a.  0.  S.  7:  „Woher  Philoitios  kam,  das  steht  da:  aus 
der  Gemeinde  der  Kephallenen.  Daß  die  auf  dem  Festlande 
wohnten,  ist  nirgend  bezeugt"),  daß  er  vom  Festlande  kam.  Zur 
Bestätigung  dieser  Ansicht  weist  D.  noch  auf  die  Worte  v  219 
hin,  in  denen  der  Dichter  die  Überlegung  des  Philoitios  schildert, 
mit  seinen  Herden  zu  fremden  Menschen  zu  ziehen.  „Auf  dem 
Festlande  war  dies  leicht  möglich,  auf  einer  Insel  wie  Kephallenia 
aber  schwerlich"  (S.  74).  Berard  (Bd.  II  S.  452  u.  f.)  behauptet 
dagegen,  daß  alle  diese  Angaben  gerade  gut  auf  Ithaka  paßten, 
das  heute  noch  im  Norden  Ziegen,  im  Süden  Schweine  nähre2), 
und  daß  bis  heute  die  Gemeinden  von  Ithaka  wie  der  übrigen 
Ionischen  Inseln  Land  auf  dem  Festlande  besäßen  und  von  dort 
ihr  'gros  betau'  bezögen.  Derselben  Ansicht  ist  auch  Michael, 
der  noch  auf  6  637  hinweist,  wo  der  Ithaker  Noemon  erzählt,  er 
habe  zwölf  Stuten  in  Elis  auf  der  Weide,  also  etwa  90  km  von 
Ithaka  entfernt.  Freilich  dürfe  man  Ithaka  nicht  noch  weiter 
nach  Norden,  nach  Leukas,  verlegen,  weil  für  dieses  andere  Weide- 


l)  Dies  nimmt  auch  Berard  an,  der  das  Land  der  Lästrygonen  an  der 
Meerenge  von  Bonifacio  anf  Sardinien,  die  Insel  Kirke  aber  am  Kap  Cireei 
sacht. 

3)  Er  will  deshalb  v  246  ßovßorog  in  ovßoiog  ändern,  freilich  mit 
einem  metrischen  Fehler,  da  av-  sonst  als  Kürze  in  diesen  Verbindungen  ge- 
braucht wird. 


Homer,  von  C.  Rothe,  \PJ[ 

platze  näher  lägen.  So  läßt  sich  in  dieser  Hinsicht  eine  sichere 
Entscheidung  nicht  fallen. 

Als  Hauptstutzpunkt  für  seine  Ansicht  fuhrt  aber  Dörpfeld 
folgendes  an :  1)  £  334  u.  ff.  erzählt  Odysseus,  daß  er  auf  seiner 
Fahrt  von  Thesprotien  nach  Dulichion  an  Ithaka  vorbeigekommen 
sei  und  hier  den  Seeräubern  entflohen  sei;  dies  stimme  sehr  gut, 
wenn  Leukas  Ithaka  und  Kephallenia  Doulichion  sei;  2)  d  844 
— 47  wird  die  Insel  Asteris,  bei  der  die  Freier  Telemach  auf- 
lauern, als  zwischen  Ithaka  und  Same  liegend  bezeichnet,  und 
zwar  als  eine  nicht  große  Insel,  aber  doch  mit  einem  Doppelhafen, 
der  Schiffe  aufnehmen  kann,  versehen.  Eine  solche  Insel  läßt 
sich  im  Sunde  zwischen  dem  heutigen  Ithaka  und  Kephallenia 
nicht  nachweisen,  wohl  aber  im  Sunde  zwischen  Ithaka  und  Leukas, 
nämlich  Arkudi.  Auf  diese  Insel  als  bedeutungstoll  hat  bereits 
Draheim  (s.  o.)  hingewiesen,  und  ihre  Bedeutung  betonen  auch 
Gößler  (S.  50/51)  und  Drerup  (S.  122/23);  ja  selbst  Berard  sagt 
(S.  483):  (c'est)  le  seul  argument  solide  .  .  .  que  Ton  puisse  in- 
voquer  ä  l'appui  des  theories  de  M.  Doerpfeld,  und  was  er  da- 
gegen vorbringt,  ist  allerdings  wenig  überzeugend.  Es  soll  näm- 
lich die  kleine  Insel  Daskalio  im  Nordsunde  von  Ithaka  das  homeri- 
sche Asteris  sein,  der  „Doppelhafen"  aber  der  Hafen  Guiscard  auf 
Kephallenia  in  der  Nähe  von  Daskalio  sein,  und  deshalb  entweder 
d  846  ipl  in  snl  (=in  der  Nähe  von  A.)  verändert  oder  ein  Irr- 
tum des  Dichters  in  der  Benutzung  seiner  Quelle  angenommen 
werden.  Wir  wurden  dieser  Erklärung  gegenüber  Dörpfeld  un- 
bedingt beistimmen,  wenn  nicht  Michael  (a.  a.  0.  S.  14)  zeigte, 
daß  Arkudi  durchaus  ungeeignet  sei,  um  sich  hier  auf  die  Lauer 
zu  legen,  Daskalio  dagegen  sehr  geeignet  (s.  auch  S.  67  o.).  So 
ist  auch  danach  eine  sichere  Entscheidung  nicht  zu  treffen. 

Wie  soll  man  sich  endlich  die  Vertauschung  der  Namen  und 
die  auffallige  Tatsache  erklären,  daß  Ithaka  in  so  vielen  Punkten, 
wie  Michael  und  Berard,  in  Übereinstimmung  mit  der  ausfuhrlichen 
Beschreibung  von  Partsch,  u.  a.  nachweisen,  mit  der  homerischen 
Schilderung  der  Insel  übereinstimmt?  Wie  in  letzterer  Beziehung 
Dörpfeld  die  Lage  der  Stadt,  das  Landgut  des  Laertes,  die  Be- 
hausung des  Eumaeus  mit  Koraxfelsen  und  Arethusaquelle  auf 
Leukas  verlegt,  vermag  mich  gegenüber  den  Darlegungen  seiner 
Gegner  nicht  zu  überzeugen.  Die  Änderung  der  Namen  aber  wird 
so  erklärt:  die  Kephallenen  wohnen  nach  v  211  (s.  o.)  nur  auf 
dem  Festlande  gegenüber  von  Ithaka;  erst  später  finden  wir  sie 
auf  Dulichion,  dem  heutigen  Kephallenia.  Sie  sind  während  der 
Dorischen  Wanderung  aus  ihrer  Heimat  vertrieben  und  nach  der 
Insel  Dulichion  hinübergewandert  (warum  nicht  nach  Ithaka?). 
Zugleich  wurden  vermutlich  auch  die  Bewohner  des  alten  Ithaka 
(Leukas)  von  den  Doriern  aus  ihrer  dem  Festlande  nahen  Heimat 
vertrieben  und  fuhren  nach  Same  (Ithaka)  hinüber  und  gründeten 
dort  die  Stadt  Ithaka,  welche  später  der  ganzen  Insel  den  Namen 


172  Jahresberichte  d.  Philo  log.  Vereins. 

gab.  Die  alten  Bewohner  von  Same  bauten  auf  der  Nachbarinsel 
Dulichion  die  Stadt  Same,  nach  der  im  Schiffskatalog  (B  634)  die 
ganze  Insel  Sa  mos  genannt  ist.  Denn  der  Schiffskatalog  hat, 
ebenso  wie  co  (355,  37S,  429),  das  geographische  Bild  nach  der 
Dorischen  Wanderung  vor  Augen,  während,  nach  D.,  die  älteren 
Teile  der  Ilias  und  Odyssee  die  vor  dorische  Zeit  schildern. 

Auch  gegen  diese  Annahme  erheben  sich  schwere  Bedenken. 
Die  ältesten  Teile  der  Odyssee  nicht  nur,  sondern  so  ziemlich  die 
ganze  Odyssee  mit  Ausnahme  von  «  werden  damit  in  außer- 
ordentlich hohe  Zeit,  nämlich  vor  die  Dorische  Wanderung  hinauf- 
verlegt. Wenn  wir  aber  auch  von  dem  eigentlichen  Nostos  ab- 
sehen wollten,  dessen  Erzählungen  auf  uralte  Schiffermärchen 
(phönizische,  wie  Berard,  kretische,  wie  Drerup  a.  a.  0.  S.  131 
annimmt)  zurückgehen  könnten,  so  machen  doch  alle  übrigen 
Teile  der  Odyssee  (die  Telemachie  und  besonders  Odysseus  auf 
Ithaka)  einen  ganz  „modernen41  Eindruck:  von  dem  alten  epischen 
Stil  ist  hier  wenig  mehr  zu  merken.  Es  tritt,  wie  Römer  aus- 
geführt hat  (vgl.  JB.  1902  S.  304)  und  wie  besonders  auch 
Zuretti  (Hom.  11.  VI.  Bd.  S.  VIII  u.  ff.)  betont,  um  den  Vorzug  der 
Ilias  vor  der  Odyssee  zu  beweisen,  das  bürgerliche  Leben,  der 
„kleine  Mann"  ganz  unverhältnismäßig  gegenüber  den  gewaltigen 
Erscheinungen  des  alten  Epos  hervor.  Es  scheint  deshalb  un- 
möglich, die  Odyssee  in  so  frühe  Zeit  zu  verlegen,  ganz  abgesehen 
davon,  daß,  wie  Michael  S.  10  bemerkt,  der  Name  der  Insel 
Kephallenia  vollständig  unerklärt  bliebe.  Denn  Dulichion,  das  später 
nach  Dörpfeld  Kephallenia  genannt  worden  sein  soll,  gehörte  nach 
dem  Schiffskatalog  ja  gerade  nicht  zum  Kephallenenreiche,  über  das 
Odysseus  herrschte.  Um  diesen  Schwierigkeiten  zu  entgehen, 
versucht  Cauer  (N.  Jahrb.  S.  16)  einen  anderen  Ausweg,  der  frei- 
lich meiner  Ansicht  nach  nur  die  Schwierigkeiten  erhöht:  der  Verf. 
des  Schiffskataloges  soll  auch  noch  die  vordorischen  Verhältnisse 
voraussetzen.  Danach  umfasse  das  Reich  des  Odysseus:  Ithaka 
(Leukas),  Krokyleia,  Aigilips,  Zakynthos,  Samos  (Ithaka).  Zwar 
wird  die  sehr  anstößige  Bezeichnung  *ld-ä*riv  xai  Nfanov  rfvotii- 
ipvXlov  (B  632)  dabei  als  Koordinierung  des  Ganzen  mit  seinem 
Teile  (vgl.  B  615  BovnqdfSiOvcs  xaV'Hhda)  gewiß  ansprechender 
als  von  Dörpfeld  erklärt,  der  NiJqiiov  hier  als  Bezeichnung  von 
Leukas  auffaßt,  aber  es  bleibt  nun  vollends  unerklärlich,  welche 
Ereignisse  den  Namenswechsel  der  Inseln  hervorgerufen  haben, 
und  wenn  Kephallenia  (-Dulichion),  wie  Cauer  will,  zum  Reiche 
des  Meges  (B  627),  des  Herrn  der  Echinaden,  gehört,  so  erhält 
dieses  Reich  eine  ganz  auffallende  Form,  weil  sich  Ithaka  (-Samos) 
dazwischenschiebt.  So  täte  man  besser,  mit  Drerup  hier  eine 
auf  Unkenntnis  des  Verf.s  des  Katalogs  beruhende  Verwirrung  der 
Namen  anzunehmen;  indes  darf  doch  nicht  verschwiegen  werden, 
daß  auch  der  Verf.  des  Hymnus  auf  Apollo  Pythius  (V.  250  ff.) 
nach  Dörpfeld  noch  die  vordorische  Lage  und  Bezeichnung  der 


Homer,  von  C.  Rothe.  173 

Inseln  kennt,  wenn  er  sagt,  daß  für  den  Beschauer,  der  auf  der 
Küste  von  Elis  steht,  sichtbar  wurde  Ithakas  steiler  Berg:  xai 
Gtpiv  vnix  V€(p6(av  'I&dxtjg  %'  oqog  alnv  n&yavTO  JovXi%i,6v  %s 
Zapfl  %€  xai  vkijeööa  Zäxvv&og.  Diese  Worte  sollen  nur  ver- 
ständlich sein,  wenn  unter  dem  oqog  alnv,  der  unter  den  Wolken 
auftaucht,  der  von  Leukas  gemeint  sei;  des  heutigen  Ithakas 
Berge  seien  von  Elis  aus  kaum  von  denen  Kephallenias  zu  unter- 
scheiden. Ist  dies  so,  so  ist  die  Stelle,  auch  wenn  sie,  wie  v.  W. 
meint,  „notorisch  erst  am  Ende  des  siebenten  Jahrhunderts  ent- 
standen ist4',  doch  äußerst  merkwürdig;  freilich  wird  dann  die 
Namensvertauschung  immer  auffälliger;  deshalb  legt  Gößler  S.  46 
kein  Gewicht  auf  diese  Stelle. 

Fassen  wir  nun  all  das  Gesagte  zusammen,  so  können  wir 
wohl  nicht  anders  als  erklären,  daß  bis  heute  die  Sache  noch 
„sub  iudice"  ist.  Gern  möchte  man  als  eine  der  vier  Inseln 
Leukas  betrachten,  und  zwar  die,  welche  navvnsqxdxri  slv  all 
xeTxai,  nqog  £6(pov.  Andrerseits  aber  spricht  gegen  diese  An- 
nahme nicht  nur  die  Schwierigkeit,  sich  die  Namensänderung  zu 
erklären,  sondern  auch  die  genaue  Übereinstimmung  des  heutigen 
Ithaka  mit  der  homerischen  Darstellung  in  einer  solchen  Fülle 
von  Einzelheiten,  daß  man  gar  nicht  an  Leukas  denken  kann. 
Ich  hebe  nur  hervor:  die  Lage  der  vier  Häfen,  die  in  der  Odyssee 
von  der  Insel  erwähnt  werden,  die  Behausung  des  Eumäus  (mit 
dem  Koraxfelsen  und  der  Quelle  Arethusa),  die  Entfernung  dieser 
Behausung  von  den  beiden  Häfen,  an  denen  Odysseus  und 
Telemach  gelandet  sind,  und  ebenso  von  der  Stadt,  die  Lage  dieser 
Stadt  im  Norden  der  Insel  und,  nur  durch  einen  Bergrücken 
davon  getrennt,  das  Ackerland  des  Laertes,  die  Entfernung  der 
ganzen  Insel  von  Pylos  (am  Alphäus  gelegen,  nicht  das  bekannte 
Pylos,  vor  dem  die  Insel  Sphakteria  liegt,  wie  B6rard  bewiesen 
hat),  eine  Entfernung,  die  noch  heute  „eine  Segelbarke  bei  be- 
sonders günstigem  Winde  in  der  (von  Homer  bei  Telemachs  Reise) 
angegebenen  Zeit  zurücklegen  kann*4  (Michael  S.  16),  während  sie 
für  das  30  km  nördlicher  gelegene  Leukas  viel  zu  groß  wäre, 
ferner  die  Epitheta,  von  denen  Michael  besonders  äpcfialog, 
TQfjxela  und  naiTtaXosGGa  hervorhebt,  da  diese  auf  Leukas  gar 
nicht  passen,  ebenso  wie  die  Schilderung,  die  Telemach  dem 
Menelaos  von  der  Insel  gibt,  um  zu  begründen,  weshalb  er  das 
Gespann  Rosse  nicht  annehmen  will,  und  einiges  andere.  Jeden- 
falls geht  aus  dieser  Obereinstimmung  hervor,  daß  der  Dichter 
die  Lage  der  Inseln  kennt,  und  wenn  nicht  alles  stimmt,  so  ent- 
schuldigt ihn  die  Freiheit,  die  der  Dichter  hat,  die  Örtlichkeit 
nach  den  Bedürfnissen  der  Handlung  zu  gestalten.  Ich  würde 
dahin  z.  B.  auch  die  auffallende  Tatsache  rechnen,  daß  Odysseus 
von  den  Phäaken  im  Phorkyshafen  und  nicht,  wie  es  natürlich 
wäre,  im  Nordhafen  gelandet  wird. 


174  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Über  die  bisher  behandelten  Schriften  gibt  eine  gute  Über- 
sicht und  stellt  die  Ergebnisse  zusammen: 

11)  P.  Cauer,  Erfundenes  und  Überliefertes  bei  Homer.    N.  Jahrb. 

f.  d.  klass.  Altert.  1904,  13.  u.  14.  Bd.,  H.  1,  S.  1—18. 

Auf  sprachlichem  Gebiete  ist  der  äolische  Grundstock  der 
Gedichte  unbestreitbar.  Aber  auch  die  örtlichkeit  weise  auf 
die  Äoler  hin.  Daß  die  Sage  im  Mutterlande  ihren  Ursprung 
habe,  beweise  schon  der  Olymp,  der  durch  die  ganze  folgende 
Zeit  Göttersilz  geblieben  sei.  Die  Weiterbildung  sei  an  der  klein- 
asiatischen  Küste  erfolgt,  und  wenn  die  Besiedlung  der  Troas  auch 
wirklich  vor  dem  7.  Jahrh.  nicht  stattgefunden  habe,  so  spreche  doch 
nichts  gegen  die  Möglichkeit,  daß  auch  schon  vorher  von  Tenedos 
aus  erbitterte  Kämpfe  mit  den  Festlandsbewohnern  geführt  worden 
seien.  Die  Kultur  und  das  ganze  Leben  weise  auf  die  mykenische 
Zeit.  Es  sei  ein  Fehlschluß  von  Noack,  wenn  er  glaube,  daß  die 
einfacheren  Wohnungsverhältnisse  auf  nachmykenische  Zeit  hin- 
wiesen, statt  anzunehmen,  daß  das  „frühmykenischeu  Haus  als 
fester  Typus  von  den  homerischen  Dichtern,  wie  viele  Zuge  aus 
älterer  Zeit,  beibehalten  sei.  Schwer  sei  es,  über  den  Westen  zu 
urteilen,  über  die  Heimat  der  Odyssee.  Jedenfalls  sei  der  Kern 
auch  hier  im  Mutterlande,  nicht  in  Kreta,  wie  Drerup  glaubt,  und 
auch  nicht  in  Kleinasien  naturgemäß  zu  suchen.  Im  übrigen 
schließt  sich  Cauer  rückhaltlos  der  Ansicht  Dörpfelds  an,  daß 
Leukas  das  ursprüngliche  Ithaka  sei  (s.  o.).  Hieran  wollen  wir 
die  kurze  Erwähnung  von  zwei  Aufsätzen  schließen,  die  mit  den 
hier  behandelten  Fragen  nur  in  losem  Zusammenhange  stehen: 

12)  R.  Fritsche,   Die  Anfänge   des  Hellenentnms.    N.  Jahrb.  f.  d. 

klass.  Altert.  1904,    13.  u.  14.  Bd.,    H.  8,    S.  545  —  565,   und    H.  9 
S.  609—634. 

Der  Aufsatz  enthält  eine  Reihe  geistreicher,  aber  nicht  be- 
wiesener Bemerkungen  über  die  Anfange  des  Hellenentums,  seine 
Kultur  und  allmähliche  Entwickelung.  Reichlich  wird  dabei  auf 
die  Ansichten  anderer  Gelehrten  hingewiesen.  Von  diesen  haben 
zwei  eine  gewisse  Bedeutung  für  unsere  Frage.  Einmal  sollen 
uns  (nach  R.  Turneysens  „Sagen  aus  dem  alten  Irland"  1901) 
die  Sagen  der  Iren  die  altertümlichsten  Kulturbilder  geben,  in 
denen  ein  indogermanisches  Volk  sich  selbst  geschildert  hat.  „Da 
bewirtet  der  König  seinen  Schwertadel  mit  Bier  oder  Met  aus 
Trinkhörnern,  mit  Brot  und  Fleisch  in  der  geräumigen,  aus 
Baumstämmen  gezimmerten  Halle,  die  den  Gästen  zugleich 
zum  Übernachten  dient;  sie  schlafen  auf  Pritschen,  deren 
Zahl  in  einem  Falle  auf  400  angegeben  wird  (das  ist  verständ- 
licher, als  Noacks  Ansicht  über  Homerische  Paläste).  Derselbe 
Gelehrte  weist  darauf  hin,  wie  genau  das  irische  Epos  in 
den   Ortsangaben  ist.     Auffallender  aber  ist,    was  Fritsche  an 


■*\ 


Homer,  vou  C.  Rotbe.  175 

einer  anderen  Stelle  (in  Übereinstimmung  mit  Gruppe,  Griech. 
Mythologie  S.  754)  behauptet:  Hofdichter  im  VIII.,  VII.  und 
VI.  Jahrh.  haben  aus  den  Priesterlegenden  der  (griechischen)  Kultur- 
stätten eine  weltliche  Dichtung  geschaffen,  in  der  sie  die  Taten 
solcher  Fürsten  wie  Pheidon  in  Fabelhülle  verherrlichten.  Das 
ist  die  homerische  Welt.  Aus  einer  großen  Zahl  chthonischer, 
den  Hades  bewohnender  Dämonen  wurde  eine  kleine  Zahl  auf 
die  Oberwelt,  schließlich  durch  lokrisch-thessalische  Sänger  auf 
den  Olymp  versetzt.  Das  sind  die  homerischen  Götter; 
denn  die  Ilias  ist  erst  nach  580  v.  Chr.  entstanden. 
Da  Beweise  nicht  vorgebracht  sind,  brauchen  auch  wir  uns  keine 
Mühe  zu  geben,  diese  Ansicht  zu  widerlegen. 

13)  0.  Inimisch,  Die  innere  Entwickeln ng  des  griechischen  Epos. 
Leipzig  1904,  B.  G.  Teubner.  34  S.  8.  1  Ji.  —  Vgl.  Lit.  Zentralbl. 
1904  Sp.  720  (Drerup). 

Immisch  denkt  sich  die  Entwickelt! ng  des  griechischen  Epos 
insofern  ähnlich  wie  Drerup,  als  auch  er  einen  Volksgesang  als 
das  ursprungliche  annimmt:  „Die  Zuhörer  erwarten  vom  Dichter 
auch  gar  nicht  das  Neue,  das  Unerhörte,  das  Ureigene.  Ein  jeder 
weiß  alsbald,  was,  und  er  weiß  in  der  Hauptsache  auch,  wie  der 
Sänger  singen  wird  ...  Die  eigentliche  Schöpferin  solcher  Poesie 
ist  wirklich  die  Volksgemeinschaft  als  solche,  und  dies  ist  auch 
der  Grund  für  das  bekannte  Stilgesetz  des  griechischen  Epos, 
wonach  der  Dichter  völlig  hinter  seinem  Stoffe  verschwindet  und 
so  gut  wie  niemals  in  eigener  Person  das  Wort  nimmt44.  Aber 
von  Drerup  unterscheidet  er  sich  dadurch,  daß  er  einmal  als 
Stoff  des  Volksgesanges  nur  den  Mythos  „ohne  allen  geschieht- 
liehen  Einschlag'4  gelten  lassen  will,  sodann  nirgends  einen 
großen  Dichter  erwähnt,  der  schließlich  die  Epen  als  Ganzes  ge- 
schaffen habe,  sondern  nur  von  „Sammlern44  oder  „Ordnern44 
spricht.  Neu  ist  an  der  ganzen  Abhandlung  eigentlich  nur  der 
Gedanke,  daß  das  Epos  sich  fortwährend  nur  in  einer  aufsteigen- 
den, nicht  allmählich  wieder  absteigenden  Bahn,  wie  allgemein 
angenommen  wird,  befunden  habe.  Der  mehr  und  mehr  sich 
geltend  machende  „Individualismus44  habe  den  „biotischen1)  Stil44 
im  Gegensatze  zu  dem  heroischen  eingeführt  und  allmählich  die 
starren  Fesseln  des  Epos  gesprengt,  bis  es  auch  die  Form  ver- 
lassen und  zur  lambendichtung  übergegangen  sei.  Es  ist  schwer, 
hierüber  ein  Urteil  abzugeben,  da  uns  die  nachhomerischen  Dich- 
tungen bis  auf  ganz  dürftige  Trümmer  verloren  gegangen  sind 
und  wir  uns  so  auf  das  Urteil  des  Altertums  verlassen  müssen. 
Dieses  spricht  zwar  im  allgemeinen  nicht  für  die  Ansicht  des 
Verfassers,  da  Homers  Gedichte  allen  andern  vorgezogen  werden, 
bemerkenswert  aber  bleibt  die  Tatsache,    daß   die  Tragiker  fast 


l)  Nach  Marius  Victorinus,   der  biotisch  nennt  „quod  in  usu  vitae  et 
cotidiana  conversatione  taxatur". 


176  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

ausschließlich  ihre  Stoffe  den  kyklischen  Epen  entlehnten,  woraus 
man  schließen  kann,  wie  auch  I.  an  einem  Beispiel  zeigt  (dem 
Waflenstreit  zwischen  Ajax  und  Odysseus),  daß  die  Kykliker  ihre 
Stoffe  mehr  den  Anschauungen  einer  fortgeschrittenen  Zeit  an- 
paßten, „mehr  im  realistischen  als  im  heroischen  Stil"  dichteten. 
Ob  dadurch  aber  ihr  künstlerischer  Wert  erhöht  wurde,  ist  doch 
zweifelhaft. 

Entschieden  bestreitet  dieses 

14)  A.  Zuretti,  Omero  L'Iliade.    Vol.  VI.    S.  XXI— XXIV.    Rom  1905, 

Löscher  &  Co.  XI  u.  212  S.  8.  —  Vgl.  meine  Besprechung  in  der 
WS.  f.  klass.  Phil.  1905  Sp.  113—115. 

Zuretti  behandelt  in  der  Einleitung  die  Frage,  ob  die  Uias 
oder  die  Odyssee  das  künstlerisch  wertvollere  Gedicht  sei  und 
gibt  der  Ilias  den  Vorzug,  weil  hier  Inhalt  und  Form  am  vollendet- 
sten zusammenpasse.  Denn  Kampf  und  Streit,  das  Eingreifen 
der  Götter  in  die  Handlung,  die  Verbindung  des  Wunderbaren 
mit  dem  Menschlichen  bilde  echt  epischen  Stoff,  und  dies  sei  der 
Inhalt  der  Ilias;  die  Odyssee  dagegen  lasse  das  Gewaltige  vordem 
rein  Menschlichen  zurücktreten  und  stehe  so  dem  Ende  des  Epos 
und  dem  Beginn  des  Romans  näher.  In  der  Ilias  herrsche  mehr 
Idealismus,  in  der  Odyssee  praktischer  Realismus  (man  brauche 
nur  Achill  mit  Odysseus  zu  vergleichen);  aber  das  sei  kein  Vor- 
zug der  Odyssee.  Denn  für  den  Wert  einer  Dichtung  komme  es 
nicht  auf  ihren  praktischen  Nutzen  an,  sondern  auf  die  Begeisterung, 
die  sie  erwecke.  —  Hierüber  werden  die  Ansichten  sehr  ausein- 
ander gehen,  je  nach  dem  persönlichen  Empfinden;  sicher  ist  im 
Altertum  die  Odyssee  das  weniger  geschätzte  Gedicht  gewesen 
(vgl.  Blaß,  Die  Interpolationen  bei  Homer  S.  4). 

II.  Die  Komposition  der  Gedichte. 

15)  Chr.  Härder,  Homer.      Bin  Wegführer  zur  ersten   Einführung   in 

die  Ilias  und  Odyssee.  Mit  96  Abbildungen  und  3  Karten  in  Farben* 
druck.  Leipzig,  G.  Freytag  und  Wien,  F.  Tempsky  1904.  VII  u.  282  S. 
8.     4,60  JC.  —  Vgl.  Lit.  Zentral«.  1904  Sp.  1657/58. 

Der  Verf.  hat  bei  der  Abfassung  seines  Buches  in  erster 
Linie  die  Lehrer  des  Deutschen  an  Realanstalten  und  höheren 
Mädchenschulen  im  Auge  gehabt,  denen  er  für  die  Erklärung  der 
Homerischen  Gedichte  ein  bequemes  Hilfsmittel  bieten  will.  Diesen 
Zweck  hat  er  insofern  erreicht,  als  er  in  äußerst  gedrängter,  im 
ganzen  klarer  Darstellung  ein  Bild  gibt  von  der  Örtlichkeit  und 
Zeit,  in  der  die  Gedichte  spielen.  Er  schildert  die  Götterwelt 
der  Griechen  in  der  ältesten  Zeit,  das  Leben  des  Volkes  im  Hause, 
im  Staate,  im  Kriege  und  seine  Anschauungen  und  Gebräuche 
und  hat  dabei  die  meisten  Schriften,  die  in  neuerer  Zeit  über 
dieses  Gebiet  erschienen  sind,  fleißig  benutzt  und  den  Text  durch 
reichlich  beigegebene  Abbildungen  erläutert,  die  teils  nach  beson- 


^ 


— — 


Homer,  von  G.  Rotbe.  177 

deren  Zeichnungen,  teils  nach  den  Veröffentlichungen  der  grund- 
legenden Werke  über  diese  Fragen  (z.  B.  Schliemann,  Ilios, 
Mykene;  Perrot-  Chipiez,  Art  de  l'antiquite;  Baumeister,  Denk- 
mäler; Heibig,  Das  Homerische  Epos)  hergestellt  sind.  Nötig  war 
wohl  nicht,  den  Inhalt  der  beiden  großen  Epen  in  diesem  Um- 
fange (S.  23 — 60)  anzugeben,  noch  weniger  aber  war  eine 
„Geschichte  der  Homerischen  Dichtungen"  (S.  226—251)  erforder- 
lich, da  Erklärer  der  Gedichte  an  den  bezeichneten  Anstalten 
sicher  nicht  mit  den  verschiedenen  Hypothesen  ober  die  Ent- 
stehung der  Gedichte,  um  sie  richtig  zu  erklären,  vertraut  zu 
sein  brauchen.  Ja  ich  halte  diese  Angaben  für  geradezu  gefähr- 
lich. Denn  wenn  einer  mit  diesen  Fragen  nicht  vertraut  ist, 
so  muß  die  Ausfuhrung  des  Verfassers  verwirrend  wirken,  da 
er  auf  der  einen  Seite  als  sicher  (nicht  als  bloße  Vermutung) 
hinstellt,  was  die  zersetzende  Kritik  (in  der  Odyssee  besonders 
v.  Wilamowitz,  in  der  Ilias  Niese  und  Christ)  glaubt  erwiesen  zu 
haben,  auf  der  anderen  Seite  aber  alle  wichtigen  Gründe,  welche 
für  die  Einheitlichkeit  der  Gedichte  sprechen,  ebenso  anführt. 
Was  soll  z.  B.  der  in  diese  Fragen  nicht  Eingeweihte  denken, 
wenn  er  S.  239  liest:  „Ilias  und  Odyssee  sind  weder  das  Werk 
eines  einzigen  Dichters  noch  eine  Verarbeitung  völlig  selbständiger 
Lieder.  Aber  (?)  die  Arbeitsweise  ist  in  beiden  Epen  ver- 
schieden. Bei  der  Schöpfung  (?)  der  Ilias  hat  sich  an  einen 
Kern  von  geringem  Umfange  eine  Menge  Erweiterungen  ange- 
schlossen, die  im  Laufe  von  Jahrhunderten  beständig  umgestaltet  und 
zueinander  in  Beziehung  gebracht  wurden.  Die  Odyssee  be- 
steht aus  mehreren  größeren  Gedichten,  die  einander  beeinflußten 
und  zuletzt  Verschmelzung  zu  einem  großen  Epos  erfuhren;  aus 
schon  planmäßig  angelegten  Stucken  zusammenge- 
arbeitet, ist  sie  einheitlicher  als  die  Ilias,  kunstvoller  in 
der  Schilderung;  ihre  Sonderung  im  einzelnen  unterliegt  größeren 
Schwierigkeiten  als  die  der  Ilias.  Beide  Dichtungen  sind 
zu  einem  vollkommenen  Aufbau  nicht  geführt  worden". 
Wie  ist  es  möglich,  daß  die  Einheit  in  der  Odyssee  besser  durch- 
geführt ist,  wenn  sie  aus  drei  selbständigen  planmäßig  angelegten 
Stücken  zusammengesetzt  ist,  als  in  der  Ilias,  die  aus  einem 
Kern  enstanden  sein  soll?  Und  was  soll  der  unkundige  Leser 
weiter  denken,  wenn  er  an  anderen  Stellen  (S.  244,  250,  251) 
von  der  „einheitlichen"  Idee  hört,  die  durch  beide  Gedichte 
hindurchgeht,  und  von  der  großen  Kunst  des  Dichters  in  der 
„Gruppierung  des  Szenen"  und  seiner  „hohen  dramatischen  Kraft", 
während  die  Erweiterungen  des  Kerns  durch  viele  erfolgt  sind 
und  der  Odyssee  drei  selbständig  angelegte  Gedichte,  die 
doch  jedes  einen  leitenden  Grundgedanken  gehabt  haben  müssen, 
zugrunde  liegen  sollen?  Wie  ließen  sich  diese  drei  wieder 
unter  einen  Gesichtspunkt  bringen?  Den  Gipfel  der  Unklarheit 
aber  erreicht  die  Darstellung,    wenn   S.  243  die  Dichtungen   mit 

Jahresbericht«  XXXI.  12 


178  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

der  „Märchenpoesie,  an  der  zahlreiche  unbekannte  Kräfte  arbei- 
teten", verglichen  werden.  Denn  die  Märchenpoesie  ist  schwankend 
wie  das  unendliche  Meer,  während  wir  es  hier  mit  einem  Strom 
zu  tun  haben,  der  einen  Anfang  und  ein  Ende  hat  und  in  be- 
stimmten, festen  Ufern  dahingleitet. 

Noch  unverständlicher  und  gleichzeitig  unrichtiger  ist  freilich 
S.  243  die  Bemerkung:  „Die  erste  Niederschrift,  von  der 
wir  wissen,  geschah  auf  Veranlassung  des  Tyrannen  Pisistratos 
von  Athen  im  sechsten  Jahrhundert  und  ward  die  Grundlage  für 
die  späteren  Ausgaben".  Es  genügt,  auf  unsere  Bemerkungen 
S.  150  hinzuweisen,  um  das  Verkehrte  dieser  Behauptung  klar  zu 
machen.  Es  wäre  sicherlich  ein  Vorteil  für  das  Buch,  wenn 
solche  unerwiesene  Behauptungen  weggeblieben  wären,  zumal  da 
sie  für  den  Zweck  des  Buches  ganz  unnötig  sind.  Denn  wenn 
auch  in  der  Prima  eines  Gymnasiums  die  Frage  nach  der  Ent- 
stehung der  Gedichte  nicht  ganz  zu  umgehen  ist,  so  wird  doch 
schon  hier  besser  die  Kunst  des  Dichters  in  der  Abfassung  be- 
tont als  auf  kleine  Unebenheiten  hingewiesen;  für  Realanstalten 
und  höhere  Mädchenschulen  aber,  die  den  Dichter  nur  in  einer 
Übersetzung  lesen,  hat  die  Schilderung  des  „Flickpoeten1',  die 
noch  dazu  nur  auf  unbewiesener  Annahme  einzelner  Gelehrten 
beruht,  gar  keinen  Zweck. 

Auf  dem  von  mir  eben  als  richtig  bezeichneten  Standpunkt 
steht: 

16)  O.    Jaeger,     Homer     und     Horaz     im     Gymnasialunterricht. 
München  1905,  ßecksche  Verlagsbuchhandlung.     211  S.     b  JC. 

Der  hochverdiente  Schulmann  gibt  hier  jüngeren  Kollegen 
Anweisung,  wie  Homer  und  Horaz  fruchtbar  auf  der  Schule  be- 
handelt werden  können.  Der  Abschnitt  über  Homer  (S.  1 — 153) 
ist  eine  Erweiterung  des  früheren  Aufsatzes  des  Verf.s  „Homerische 
Aphorismen"  (in  Pro  Domo  S.  177—233;  vgl.  JB.  1895  S.  16— 
18).  Er  zerfällt  in  drei  Teile:  1)  Der  Lehrer  und  die  Homerische 
Frage  (S.  1—33);  2)  Gang  des  Unterrichtes  (S.  33-100);  3)  Der 
Dichter  (S.  100—153).  Im  ersten  Abschitte  wird  in  kurzer  ge- 
schichtlicher Übersicht  das  Wesen  der  Homerischen  Frage  dar- 
gestellt, die  Bedeutung  des  Dichters  für  die  Griechen  und  Römer 
und  für  unsere  Literatur  hervorgehoben,  sein  Verhältnis  zur  Sage 
und  zum  Einzellied  (Ballade)  an  einigen  bezeichnenden  Beispielen 
anschaulich  gemacht  und  gezeigt,  wie  wenig  Widersprüche  gegen  die 
Einheit  der  Gedichte  sprechen.  Der  Verf.  entscheidet  sich  schließ- 
lich für  die  von  Christ  für  möglich  gehaltene,  von  uns  seit  langem 
vertretene  Ansicht,  nach  der  Homer  nicht  der  „Schöpfer  des  alten 
Kernes  der  Ilias  ist'S  sondern  ein  jüngerer,  welcher  die  älteren 
und  jüngeren  Sagen,  Erzählungen,  Lieder  mit  allem,  was  an 
Kenntnissen,  Anschauungen  und  Ideen  seine  Zeit  und  sein  Volk 
bot,  mit  seiner  Geisteskraft  zusammenfaßte  und  daraus  die  beiden 


^ 


Homer,  von  G.  Rothe.  179 

großen  Epen,  Ilias  und  Odyssee,  „zum  Abschluß  brachte,  d.  h. 
schuf'.  Das  Wesen  der  Homerischen  Kunst  wird  dann  im  zweiten 
Abschnitte  erläutert,  in  welchem  eine  Übersicht  über  die  Hand- 
lung der  beiden  Epen  und  ihre  meisterhafte  Entwickelung  gegeben 
wird,  und  weiter  im  dritten  Abschnitte,  in  welchem  der  Reichtum 
Homerischer  Welt-  und  Menschenkenntnis,  wie  sie  besonders  die 
Gleichnisse  verraten,  und  die  Kunst  der  Charakterisierung  der 
einzelnen  Personen  glänzend  geschildert  wird.  Der  Verf.  macht 
hierbei  eine  Reihe  feinsinniger  Bemerkungen,  die  tiefes  Verständnis 
für  die  Dichtung  verraten.  Da  diese  durchaus  meiner  Auffassung 
entsprechen,  wie  auch  der  Verf.  wiederholt  hervorhebt,  so  brauche 
ich  hier  nicht  weiter  darauf  einzugehen,  sondern  bemerke  nur, 
daß  der  Verf.  allein  die  zweite  Nekyia  m  15 — 202  für  unhomerisch 
hält.  Er  sieht  darin  eine  plumpe  Nachahmung  des  11.  Buches, 
gemacht  von  einem,  der  die  EmpOndung  hatte,  „daß  der  Schluß- 
gesang stark  gegen  das  Frühere  absticht,  verhältnismäßig  matt 
und  dürftig  ist'S  und  deshalb  die  Wirkung  durch  dieses  Motiv 
erhöhen  wollte:  „eine  weitere  Tendenz  und  poetische  Absicht, 
wie  von  manchen  geschieht,  ist  darin  nicht  zu  suchen"  (S.  63). 
Ich  habe  auf  diese  Absicht  noch  einmal  im  JB.  1902  S.  167  hin- 
gewiesen und  kann  auch  jetzt  noch  nicht  finden,  daß  diese  Verse 
so  sehr  von  der  homerischen  Darstellung  abweichen,  daß  wir  darin 
einen  „ganz  sicheren  Maßstab"  für  eine  Interpolation  haben. 

17)  N.  Wecklein,  Studien  zur  Ilias.     Halle  a.  S.  1905,  M.  Niemeyer. 
61  S.     lfiOJC. 

Wie  Römer  in  dem  Verfasser  des  zweiten  Teiles  der  Odyssee 
einen  hochbegabten  Dichter  sieht,  der  alle  Vorgänger  in  der  Kunst 
der  Darstellung  weit  überragte,  so  Wecklein  in  dem  Dichter  der 
Achilleis.  Diese  umfaßt  die  Gesänge  A  II1—X  und  bildet  nicht 
den  Kern,  der  allmählich  durch  die  übrigen  Gesänge  erweitert 
wurde,  wie  die  meisten  Kritiker  annehmen,  sondern  ist  erst  nach 
der  eigentlichen  Ilias,  d.  h.  den  Gesängen  B—  0,  A-—0  gedichtet 
worden.  Die  Ilias  hatte  durchaus  geschichtlichen  Inhalt.  „Mag 
auch  die  Sage  vom  Raube  der  Helena  durch  Paris  und  ihre 
Wiedergewinnung  durch  das  Brüderpaar  Menelaos  und  Agamemnon 
ursprünglich  rein  mythisch  sein,  so  hat  sich  jedenfalls  ein 
historischer  Kern  von  der  Belagerung  und  Eroberung  einer  Stadt 
an  den  Mythos  angesetzt"  (s.  o.).  Der  Hauptheld  dieser  Dichtung 
war  Aias,  der  Hektor  bei  den  Schiffen  erlegte  (vgl.  S  409.  u,  ff.) 
und  dann  die  Stadt  einnahm.  Der  Dichter  der  Achilleis  brachte 
zu  diesem  volkstümlichen  Stoff  einen  neuen  Geist.  Dieser  liegt 
„in  der  psychologischen  Idee  und  in  der  Darstellung  inneren 
Lebens:  die  Leidenschaft  gegen  Agamemnon  wird  unterdrückt 
(vgl.  2  113)  durch  eine  größere  Leidenschaft,  durch  das  heftige 
Verlangen  den  Freund  zu  rächen"  (S.  56).  Später  haben  dann 
Nachdichter  (Diaskeuasten)  diese  Dichtung  durch  Zusätze  ergänzt 

12* 


180  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

und  die  alte  Ilias  zur  Achilleis  in  engere  Beziehung  gebracht, 
aber  auch  neue  Rhapsodieen,  z.  B.  "ExroQog  xcci  IdpdQOgidxyg 
optXicc,  die  Sarpedonszenen,  die  *OnXonoi>ia  u.  a.  hinzugesetzt. 
„Danebenher  gingen  als  Interpolatoren  die  Rhapsoden,  welche  in 
die  Gesänge,  die  sie  vortrugen,  das  einfugten,  was  ihnen  für  das 
Verständnis  ihrer  Zuhörer  förderlich  ...  zu  sein  schien". 

Das  Ergebnis  dieser  Untersuchung  entspricht  in  der  Haupt- 
sache der  Ansicht,  die  ich  bereits  (Bed.  d.  Widerspr.  S.  35)  ent- 
wickelt habe,  jedoch  mit  dem  Unterschiede,  daß  ich  dem,  der  die 
Achilleis  geschaffen,  auch  im  wesentlichen  die  Tätigkeit  zuschreibe, 
die  W.  den  Diaskeuasten  gibt;  ich  kann  es  nicht  verstehen,  wes- 
halb erst  Diaskeuasten  die  Achilleis  mit  dem  älteren  Gedicht  in 
nähere  Beziehung  gebracht  haben  sollen,  da  doch  der  Dichter 
zwischen  A  und  /  notwendig  Kämpfe  braucht.  Weniger  noch 
als  diese  Tätigkeit  der  Diaskeuasten  kann  ich  die  Methode  billigen, 
durch  die  W.  zu  seinem  Ergebnis  gelangt.  Diese  widerstreitet 
dem,  was  ich  Bed.  d.  Wiederholungen  glaube  sicher  bewiesen  zu 
haben,  und  wenn  irgend  etwas  meine  dort  entwickelte  Ansicht  be- 
stätigen kann,  so  ist  es  gerade  die  vorliegende  Arbeit  des  Verf.s. 
Er  weist  nämlich  wie  Erhardt  und  Schultz  auf  die  stetigen  Wechsel- 
wirkungen zwischen  den  einzelnen  Gesängen  hin,  auf  das  „Hin- 
einsingen", wie  es  Schultz  nennt,  von  späteren  Liedern  in  ältere 
und  gibt  unumwunden  zu  (S.  53  Anm.),  „daß  diese  Wechselwirkung 
auch  die  aus  den  Entlehnungen  gezogenen  Schlösse  auf  die  Ent- 
stehungszeit einzelner  Gesänge  und  Partieen  sehr  unsicher  mache" 
—  und  doch  werden  fortgesetzt  diese  Wiederholungen  allein  be- 
nutzt, um  die  wichtigsten  Schlüsse  dieser  Art  zu  ziehen.  Noch 
lehrreicher  aber  ist  folgendes.  Mit  dieser  Methode  ist  es  möglich, 
Gesänge,  welche  bisher  von  Kritikern,  die  doch  gerade  auch 
die  Wiederholungen  als  Hauptstütze  ihrer  Ansichten  benutzten,  als 
die  ältesten  angesehen  wurden,  wie  A  und  Jl — X,  als  jünger  zu 
erweisen  als  B — 0,  Gesänge,  die  gewöhnlich  als  junge  Bestand- 
teile der  Dichtung  gelten.  Dies  allein  zeigt  das  Unzulängliche 
dieses  Hilfsmittels,  das  ich  auch  aus  andern  Gründen  a.  a.  0.  als 
unbrauchbar  bewiesen  haben. 

Wenn  ich  trotz  meines  abweichenden  Standpunktes  dennoch 
diese  Arbeit  allen  Homerforschern  zum  Studium  empfehle,  so  be- 
stimmt mich  dazu  die  Fülle  feinsinniger  Bemerkungen,  die  sie 
nicht  nur  im  ersten  Kapitel  enthält,  in  welchem  über  die  Kunst- 
mittel der  Sprache  gehandelt  wird  (S.  1 — 14),  sondern  auch  im 
zweiten,  in  welchem  die  psychologische  Feinheit  des  Dichters  der 
Achilleis  (besonders  S.  22 — 28)  geschildert  wird.  Auch  das  dritte 
Kapitel,  in  welchem  die  angegebene  Ansicht  entwickelt  wird,  ist 
anregend  geschrieben,  wenn  es  auch  zum  Widerspruche  heraus- 
fordert, und  zeigt  große  Vertrautheit  mit  der  reichen  Literatur 
über  Homer. 


Homer,  von  C.  Rothe.  18t 

18)  A.  Gemoll,  Der  Homerische  Schiffskatalog.    Programm  Striegaa 

1904.    8  S.    4. 

Der  Verf.  beginnt  in  der  vorliegenden  Abhandlung  eine  neue 
Untersuchung  über  den  Schiffskatalog;  er  hält  diese  trotz  Nieses 
sorgfaltiger  Arbeit  für  notwendig,  da  in  den  30  Jahren,  die  seit 
Nieses  Untersuchung  verflossen  sind,  die  Archäologie  außerordent- 
liche Fortschritte  gemacht  hat.  Ganz  besonders  wertvoll  für 
unsere  Frage  erweisen  sich  die  sabbaitischen  Apollodorfragmente 
(Rhein.  Mus.  1891  S.  161),  die  Papadopulos  entdeckt  hat.  Diese 
Fragmente  enthalten  bei  der  Ausfahrt  von  Aulis  ein  Verzeichnis 
der  GTQaTsvGctvreg  sni  %i\v  Tgoictv  und  im  zehnten  Jahre  ein 
Verzeichnis  der  cXt^/ja/ot  ix  %&v  nsqioixoov  noXscov.  Indem 
nun  G.  dieses  Verzeichnis  sorgfältig  in  bezug  auf  die  Zahl  und 
Anordnung  der  Namen  und  die  Angaben  in  den  Proklosexcerpten, 
Tzetzes  und  Hygin  mit  dem  Homerischen  Schiffs-  und  Troerkatalog 
und  dem  Griechen-  und  Troerkatalog  in  den  Kyprien  vergleicht, 
kommt  er  zu  dem  Ergebnis  (S.  5),  daß  „die  Kyprien  doch  wohl 
einen  Griechenkatalog  hatten,  der  nach  dem  Homerischen 
verfaßt  war  und  Homer  im  einzelnen  ergänzte,  daß  aber  der 
Homerische  durch  sein  größeres  Ansehen  ihn  völlig  verdunkelte". 
Ähnlich  denkt  er  sich  das  Verhältnis  des  Homerischen  Troer- 
katalogs zu  dem  der  Kyprien.  Dies  stimmt  zu  der  Ansicht,  die 
wir  immer  vertreten  haben  (zuletzt  JB.  1903  S.  289),  daß  nämlich 
die  kyklischen  Gedichte  keinen  Einfluß  auf  die  Gestaltung  der 
Handlung  in  den  Homerischen  Gedichten  gehabt  haben. 

Zuletzt  (S.  6  u.f.)  zieht  G.  noch  den  Freierkatalog  aus  Apollodor 
zur  Vergleichung  heran;  denn  da  die  früheren  Freier  später  Fuhrer 
im  Trojanischen  Kriege  sind,  so  muß  der  Freierkatalog  naturlich 
dem  Fürstenverzeichnis  sehr  ähnlich  sein.  G.  macht  es  wahr- 
scheinlich, daß  dieser  aus  den  Kyprien  (nicht  Hesiod)  stamme  und 
(besonders  wegen  des  Amphiaraossohnes  Amphilochos)  junger  sei 
als  der  homerische  Schiffskatalog. 

19)  Dietrich  Muelder,  "Extooog  avatpsoig.    Rhein.  Mus.  f.  Phil.  1904 

S.  256—278. 

Zwei  Motive,  meint  der  Verf.,  sind  in  dem  Gesänge,  der 
Hektors  Tod  behandelt,  verschmolzen.  Nach  dem  ersten  erwartete 
Hektor  als  nqoiia%oq  seinen  Gegner  unter  dem  Schutze  der  Mauern 
(X  97),  aus  deren  Bereiche  er  sich  nur  wenig  entfernte  (vgl. 
/  352 — 355).  Achill  als  Fuhrer  der  Belagerer  geht  dem  Heere 
voran.  Hektor  kann  sich  in  die  Stadt  zurückziehen  (vgl.  auch 
Z  72  und  433),  aber  er  wird  nicht  beim  Herannahen  des  Gegners 
um  die  Stadt  fliehen,  wenn  ihn  plötzlich  Schrecken  erfaßt.  Indes 
selbst  wenn  er  in  Verwirrung  um  die  Stadt  flöhe,  könnte  ihm  Achill 
nicht  gefährlich  werden,  da  dieser,  ohne  sich  selbst  zu  gefährden, 
nicht  bis  auf  Schußweite  an  die  von  den  Feinden  besetzte  Mauer 
herankommen   könnte.    Die  Verfolgung   aher,    wie  sie  in  X  ge- 


J82  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

schildert  ist,  setzt  eine  ganz  andere  Lage  voraus:  Hektor  hat  sich 
aus  der  Stadt  hinausgewagt  und  ist  abgeschnitten  worden;  er 
will  sich  in  den  schützenden  Bereich  der  Mauern  zurückziehen 
(tqsö€  tetxog  vno  Tqdoav)  und  wird  daran  von  Achill,  der  sich 
zwischen  Hektor  und  der  Mauer  befindet,  verhindert. 
Hier  ist  die  Erwägung,  ob  er  sich  zum  Kampfe  stellen  soll,  be- 
rechtigt. Er  entscheidet  sich  für  den  Kampf,  Zeus  wägt  die 
Todeslose,  und  Hektor  fällt. 

Nach  einer  sorgfältigen  Analyse  des  ganzen  Gesanges  kommt 
nun  der  Yerf.  zu  dem  Ergebnis  (S.  272):  „Hektors  Erlegung  ist 
weder  ein  ursprüngliches  Einzellied  noch  ein  Teil  einer  alten 
originalen  Ur-Menis,  sondern  eine  Komposition  des  Verfassers  der 
Ilias  unter  Benutzung  zweier  altepischer  Bruchstücke"  (warum 
nicht  Lieder?).  Ich  halte  den  Nachweis  für  gelungen  und  meine, 
daß  der  Dichter  ähnlich  in  allen  Gesängen  verfahren  sein  wird. 
Einzellieder  über  Hektors  Fall  kann  es  viele  gegeben  haben,  ganz 
wie  über  die  Heldentaten  der  hervorragenden  Kämpfer.  Der 
Dichter  benutzte  davon,  was  ihm  brauchbar  erschien  an  Versgut 
wie  an  Gedanken  und  Bildern,  unbekümmert  um  einzelne  sach- 
liche Widersprüche,  wenn  er  nur  Eindruck  machen  und  neue 
packende  Bilder  schaffen  konnte.  Wer  aber  wird  leugnen,  daß 
es  in  diesem  Falle  ein  ebenso  packendes  Bild  ist,  Hektor  dem 
gefürchteten  Gegner  allein,  trotz  der  herzzerreißenden  Bitten  der 
Seinen,  entgegentreten,  wie  später  beide  tvsqI  ipvxijs  um  die  Stadt 
laufen  zu  sehen?  Keiner  wird  eins  von  beiden  missen  wollen, 
obwohl  beide  der  ganzen  Lage  nach  kaum  vereinbar  sind. 

Weniger  stimme  ich  mit  dem  Verf.  in  dem  folgenden  Auf- 
sätze überein: 

20)  D.  Muelder,  'OQxttov  <fvyxv<**s-    'N.  Jahrb-  f-  d-  klass-  Altert.  1904, 
13.  Bd.,  H.  9,  S.  635-643. 

Lachmann  hielt  den  Anfang  von  J  (1 — 222)  für  ein  Einzel- 
lied. Muelder  glaubt  umgekehrt,  ganz  in  Obereinstimmung  mit 
meiner  Ausführung  in  diesen  JB.  1887  S.  296,  daß  die  Darstellung 
des  Vertragsbruches  gerade  dem  Dichter  der  ganzen  Ilias  angehörte, 
der  damit  zeigen  wollte,  „wie  die  Troer  in  das  unzweifelhafte  Un- 
recht gesetzt  und  die  Strafe  der  Götter  auf  die  Häupter  der 
Schuldigen  herabgerufen  wurde".  Die  Anstöße  aber  in  der  Dar- 
stellung, besonders  den,  daß  Menelaos'  Verwundung  bald  ganz  un- 
bedeutend, bald  schwer  erscheint,  sucht  er  dadurch  zu  erklären, 
daß  der  Dichter  eine  alte  Vorlage  benutzt  habe,  in  welcher  der 
Pandarosschuß,  völlig  unabhängig  von  dem  jetzigen  Zusammen- 
hange, eine  große  Tat  war.  Warum  sollte  dies  nicht  möglich 
sein?  Aber  der  Verf.  geht  nun  weiter  und  glaubt  „nicht  un- 
schwer" das  alte  Lied  aus  den  Versen  105 — 126,  134 — 140  (mit 
Ausnahme  von  136  und  139),  141—150,  169—219  wiederher- 
stellen zu  können,  und  diesen  Versuch  halte  ich  nicht  für  gelungen. 


Homer,  von  C.  Rothe.  183 

Zunächst  ist  die  Veränderung  des  Liedes  im  einzelnen  sehr  auf- 
fällig, sodann  vermissen  wir  Zwischenverse  (denn  136  reiht  sich 
nicht  glatt  an  126  an  und  ebensowenig  169  an  150);  vor  allem 
aber  ist  der  Unterschied  in  der  Auffassung  keineswegs  so  groß, 
daß  man  zwei  verschiedene  Verfasser  annehmen  mußte.  Agamemnon 
schwankt  zwischen  Furcht  und  Zorn  ganz  nach  dem  Bibelwort: 
„Es  ist  das  Herz  ein  trotzig  und  verzagt  Ding"  (vgl.  auch  Ibsen: 
„So  sind  die  Menschen:  sie  zweifeln  und  glauben  zu  gleicher 
Zeit*4).  Deshalb  ist  er  einmal  fest  davon  überzeugt,  daß  er  Rache 
erhalten  wird  (stfcter«*  ^(iccq  nth\  und  dann  wieder  zweifelt  er, 
ob  nicht  Menelaos  an  der  Wunde  sterben  und  so  der  Rachezug 
sein  Ziel  verfehlen  werde.  Genau  so  wünscht  im  6.  B.  Hektor, 
daß  sein  Sohn  noch  viel  berühmter  als  er  selbst  werden  möge 
(nuiQÖs  df  oye  noXXov  &iisivoav  Z  479),  während  er  doch  kurz 
vorher  (Z  447 ff.)  zur  Andromache  die  bestimmte  Befürchtung 
ausgesprochen  hat  (ev  rode  olda\  daß  Troja  hinsinken  werde 
und  ihr  und  ihrem  Sohne  ein  überaus  trauriges  Schicksal  be- 
vorstehe1).   Hier  ist  es  also  ebensowenig  nötig,  eine  Verquickung 

x)  J.  Imelmann  machte  in  einer  Sitzung  des  Philolog.  Vereins  in  Berlin 
auf  einen  ähnlichen  schroffen  Widersprach,  der  sich  in  Shakespeare  (Julias 
Cäsar  V  2)  findet,  aufmerksam.  Hier  fragt  Cassios  den  Brutus,  was  er  zu 
tun  gedenke,  wenn  das  Treffen  verloren  gehe.    Darauf  antwortet  Brutus: 

Ganz  nach  der  Vorschrift  der  Philosophie, 

Wooach  ich  Cato  um  den  Tod  getadelt, 

Den  er  sich  gab  —  ich  weiß  nicht,  wie  es  kommt, 

Allein  ich  find'  es  feig  und  niederträchtig 

Aus  Furcht,  was  kommt,  des  Lebens  Zeit  zu  kürzen  — 

Will  ich  mich  waffnen  mit  Geduld,  erwartend 

Den  Willen  hoher  Mächte,  die  das  Irdische 

Regieren. 
Als  ihn  darauf  Cassius  fragt,  ob  er  es  sich  also  gefallen  lasse,  daß  man  ihn 
durch  die  Straßen  Roms  im  Triumphe  führe,  antwortet  er: 

Nein,  Cassius,  nein!     Glaub  mir,  du  edler  Römer, 

Brutus  wird  nie  gebunden  gehn  nach  Rom; 
and  tatsächlich  stürzt  er  sich  (V  5)  ohne  alles  Bedenken  in  das  Schwert,  ja 
er  muß  es  tun  nach  der  ganzen  Anlage  des  Stückes.  Wenn  I.  in  diesem  Falle 
zu  erwägen  gab,  ob  nicht  die  Quelle  (Plutarch  in  englischer  Übersetzung) 
Veranlassung  zu  dem  kaum  glaublichen  Widerspruch  sei,  so  habe  ich  diese 
Annahme  abgelehnt.  Denn  im  Plutarch  erwidert  Brutus  auf  die  gleiche  Frage 
des  Cassius,  daß  er  in  seiner  Jugend  {v£oq  dir)  den  Tod  des  Cato  getadelt 
habe,  jetzt  aber  denke  er  anders  darüber.  Es  liegt  nicht  der  geringste 
Grund  vor,  weshalb  Shakespeare  nicht  genau  ebenso  hier  Brutus  antworten 
lassen  konnte,  wenn  er  nicht  eben  als  großer  Menschenkenner  den  Wider- 
spruch im  Meoschenherzen  hervorheben  wollte,  nämlich  daß  die  bewährtesten 
Grundsätze  selbst  charakterfeste  Naturen  im  besonderen  Falle  im  Stich 
lassen,  wie  hier  den  Brntus,  als  ihm  die  letzten  Folgen  seiner  stoischen 
Gesinnung  durch  Cassius  entgegengehalten  werden.  Solche  Widersprüche 
finden  wir  nicht  nur  bei  schwankenden  Charakteren,  sondern  selbst  bei  den 
größten  Männern  in  Wahrheit  und  Dichtung  bis  in  die  neueste  Zeit  hinein. 
So  nimmt  z.  B.  bei  Stilgebauer  (Götz  Kraft  I)  ein  entschiedener  Verächter 
des  Duells,  dessen  Lebensauffassung  eine  ganz  andere  ist  als  die  der  An- 
hänger desselben,  ohne  Bedenken  ein  Dnell  an,  trotz  der  dringendsten  Abrede 
des  Freundes,  und  findet  dabei  den  Tod. 


184  Jahresberichte  d,  Philolog.  Vereins« 

zweier  Vorstellungen  anzunehmen  wie  bei  der  Verwundung,  die 
einerseits  schwer  genug  erscheinen  muß,  um  den  Vertragsbruch 
klar  zu  erweisen,  andererseits  nicht  zu  schwer  sein  darf,  weil  — 
Menelaos  ein  Grieche  ist  und  für  die  Handlung  weiterhin  nötig 
ist.     Die  Vermittelung  übernimmt  Athene. 

21)  Groeger,  Der  Einfluß  des  ii  aof  die  Komposition  der  Odyssee« 
Rhein.  Mus.  f.  Phil.  1904  S.  1—33. 

Die  Verwandtschaft  von  S2  mit  der  Odyssee  in  sprachlicher 
Hinsicht  gilt  seit  Peppmüllers  umfassender  Arbeit  allen  Homer- 
forschern als  eine  ausgemachte  Tatsache;  daß  aber  auch  eine 
weitgehende  Verwandtschaft  in  bezug  auf  inventio  und  compositio 
zwischen  diesen  Dichtungen  stattfindet,  weist  Groeger  in  fast  über- 
raschender Weise  nach.  Die  Götterversammlung  in  a,  der  Auf- 
bruch Telemachs  und  Odysseus',  die  Gefahren  der  Reise,  der 
Schutz  vor  diesen  Gefahren,  Ankunft  bei  den  Fremden,  Empfang, 
Bewirtung,  Nachtlager,  Abreise,  dieses  alles  und  noch  viel  Neben- 
sächliches soll  in  der  Odyssee  Si  nachgebildet  sein,  da  die  Be- 
gründung der  Handlung  und  ihr  Verlauf  überall  in  der  Ilias  natür- 
licher ist  als  in  der  Odyssee.  Besonders  groß  sind  die  Ähnlich- 
keiten zwischen  ß  und  der  Telemachie,  und  hier  findet  der  Verf. 
eine  Erklärung  für  den  allgemein  beanstandeten  Anfang  von  o; 
er  schreibt  nämlich  S.  16,  nachdem  er  Bergks  und  Kirchhoffs  An- 
stoß daran,  daß  die  Göttin  in  der  Nacht  und  nicht  am  Morgen 
erscheint,  erwähnt  hat:  „Die  Erklärung  finde  ich  wieder  in  dem 
unbewußten  Einfluß,  den  sein  Vorbild  auf  diesen  Dichter  aus- 
geübt hat.  In  ß  kann  der  Gott  zu  gar  keiner  andern  Zeit  er- 
scheinen, weil  sich  die  heimliche  Abreise  daran  anschließen  soll 
und  wirklich  anschließt.  Auch  dies  letztere  Motiv,  das  doch  für 
seine  Bedürfnisse  gar  nicht  paßt,  hat  unsern  Dichter  noch  auf 
einen  andern  Abweg  gelockt;  denn  daher  rührt  wahrscheinlich  (?) 
Telemachs  Einfall,  „mit  polnischem  Abschied"  durchzugehen,  wofür 
weder  er  einen  Grund  angibt  noch  Peisistratos  einen  zu  hören 
verlangt,  weil  das  in  J2  auch  nicht  geschieht;  aber  dort  handelt 
es  sich  um  Herr  und  Diener".  Die  Übereinstimmung  liegt  auf 
der  Hand,  und  zuzugeben  ist,  daß  in  42  die  Lage  natürlicher  und 
alles  zusammenhängender  ist  als  in  o.  Danach  muß  man  S2  für 
ursprünglicher  halten  als  o,  und  wir  hätten  einen  neuen  Beweis 
für  die  von  den  meisten  Kritikern  gebilligte  Annahme,  daß  die 
Ilias  in  ihrem  ganzen  Umfange  älter  ist  als  die  Odyssee;  in  dieser 
Beziehung  stimme  ich  dem  Grundsatze  bei,  den  G.  (S.  26)  im 
Anschlüsse  an  Kirchhoff  entwickelt.  Denn  es  handelt  sich  hier 
nicht  um  einzelne  nachgeahmte  Verse,  sondern  um  eine  aus- 
geführte Handlung,  die  in  dem  einen  Falle  glatt  verläuft,  im 
andern  viele  Fugen  erkennen  läßt. 

Auch  der  Schluß  der  Arbeit  ist  lesenswert,  in  welchem  sich 
der  Verf.   nach   andern   Quellen   für    die    Odyssee   umsieht   und 


Homer,  von  G.  Rothe.  185 

diese  nicht  nur  in  alten  Schiffernlärchen  (* — (i)  findet,  sondern 
auch  in  der  alten  Vorlage  von  tf  r.  G.  vergleicht  im  besonderen 
%  52  u.  ff.  mit  f]  186  u.  ff.  und  sieht  in  %  das  Original,  so  daß 
hierdurch  meine  (Bed.  d.  Widerspr.  S.  33/34)  ausgesprochene  An- 
sicht über  die  eigentümliche  Stellung  der  Arete  eine  Bestätigung 
erhält.  Seine  scharfsinnigen,  durchaus  beachtenswerten  Aus- 
fuhrungen, in  denen  er  auch  der  Kunst  des  Dichters  der  Odyssee 
gerecht  wird,  schließt  er  mit  der  Bemerkung,  der  ich  ebenfalls 
zustimme,  daß  man  wohl  nach  Quellen  suchen  könne,  daß  sich 
aber,  sobald  man  „eine  eingehendere  Rekonstruktion  des  all- 
mählichen Bildungsprozesses  dieser  Gedichte"  versucht  habe,  „von 
all  den  vorgetragenen  Theorieen,  so  bestechend  sie  immer  zu- 
nächst erschienen,  bei  näherer  Prüfung  bis  auf  den  heutigen  Tag 
nicht  eine  bewährt  hat". 

In  der  Hauptsache  ähnlich  urteilt  auch 

22)  O.  Rö'ßner,  Untersuchungen  zur  Komposition  der  Odyssee. 
Progr.  Merseburg  1904.  58  S.  4.  —  Vgl.  N.  Jahrb.  f.  d.  klass.  Altert. 
1904,  H.  10,  S.  735/736  (P.  Cauer). 

Der  Verf.  glaubt  die  in  der  Odyssee  hervortretenden  Wider- 
sprüche neben  der  ebenso  offenkundigen,  kunstvollen  Einheit  durch 
folgende  Annahme  erklären  zu  können  (S.  4/5):  „Die  Odyssee  be- 
steht aus  Elementen,  die  von  verschiedenen  Verfassern  herrühren; 
diese  Verfasser  unterscheiden  sich  nach  Zeit,  Ort,  dichterischer 
Begabung,  ja  im  einzelnen  nach  künstlerischen  Absichten,  aber 
sie  sind  darin  gleich,  daß  sie  das  ihnen  Zugehörige  auf  gemein- 
samer Grundlage,  mit  gemeinsamen  Voraussetzungen  und  mit  dem 
bewußten  Streben  geschaffen  haben,  in  keiner  Weise  gegen  die 
vorgefundene  Einheitlichkeit  des  Grundstockes  zu  verstoßen, 
sondern  unverbrüchlich  daran  festzuhalten.  Nach  Ablauf  dieser 
Entwickelung  hat  durch  einen  Bearbeiter  eine  selbständige  dichte- 
rische, organische  Zusammenfassung  stattgefunden".  Dieser  Ge- 
danke wird  vom  Verf.  in  der  Weise  ausgeführt,  daß  er  im  ersten 
Teile  ( —  S.  19)  die  Entwickelung  der  Odysseedichtung  wesent- 
lich im  Anschluß  an  Niese  schildert,  dann  im  zweiten  Teile  (19 
— 57)  den  „Plan  und  Grundgedanken  der  Odyssee"  entwickelt 
und  näher  begründet.  Während  der  erste  Teil  nichts  Neues  ent- 
hält, versucht  der  Verf.  im  zweiten  Teile  nachzuweisen,  daß  der 
„Bearbeiter"  (öfters  auch  „Dichter"  genannt)  in  den  ihm  über- 
lieferten reichlichen  Sagenstoff  einen  tiefen  Grundgedanken  hin- 
eingebracht und  danach  die  Handlung  durch  Zusätze  und  Aus- 
lassungen einheitlich  gestaltet  habe.  „Nicht  ästhetische  Gründe 
allein  konnten  unseren  Bearbeiter  zu  einem  solchen  Verfahren 
bestimmen,  die  ganze  reflektierende  Art  der  Zeit  drängte  ihn  dazu 
und  unterstützte  ihn  dabei".  Der  Bearbeiter  soll  nämlich  in  der 
zweiten  Hälfte  des  7.  Jahrhunderts  gelebt  haben.  Der  Grundgedanke 
aber  ist  kein  anderer  als  der,  den  Sophokles  am  Ende  der  Anti- 


186  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

gone  ausspricht:  nolkw  %o  cpQovsTv  svda^ovlaq  tvqcotop  V7T- 
ccq%€i  xiL  Frevelnder  Übermut  fuhrt  die  Strafe  der  Götter  her- 
bei, und  diese  lehrt  den  Menschen  zuletzt  die  Besonnenheit. 

Ist  dies  wirklich  der  Grundgedanke  der  Odyssee?    Der  Verf. 
weist  selbst  auf  Goethes  Wort  hin,  der  angesichts  der  Kommentare 
seines  Faust  sagte:    „Ja,  ja,    es  liegt  darin,    aber  ich  habe  nicht 
daran  gedacht44,  und  gibt  zu,  daß  der  Gedanke  „schon  immanent 
dem  Stoffe  anhaftete  und,  durch  lange  eindringende  Beschäftigung 
mit  den  Liedern  durch  die  Rhapsoden  allmählich  vorbereitet,   von 
unserem  Bearbeiter  nur  klar  und  bewußt  herausgearbeitet  wurde44 
(S.  18).     Was  ist  also  sein  Eigentum?    Der  Bearbeiter  hat  gleich 
im  Anfange  der  Dichtung  Zeus  auf  die  Torheit  der  Menschen  hin- 
weisen lassen,  welche  durch  ihren  Frevelmut  (awxö&aXlrioi)  selbst 
VTC8Q  iioqov  Unglück   erduldeten;   er  hat  dann  an  einer  hervor- 
ragenden Stelle,   am   Ende  von  v  (von  V.  500  an),   den  Helden, 
der   sonst    durchaus    der  GcoyQOövvrj  huldigt  (z.  B.  in  dem  vom 
Bearbeiter   erfundenen   Kikonenabenteuer),   im  Siegesrausch    und 
Rachegefühl  die  Schranken  der  Selbstbeherrschung  übertreten  und 
dadurch  schuldig  werden  lassen,  schuldig  nicht  nur  an  Poseidon, 
dessen  Sohn  er  geblendet  hat,    sondern  an  allen  Göttern,    da 
diese   den  Übermut    hassen.     Deshalb    hilft   selbst  Athene  ihrem 
Schützling  nicht  mehr,  und  Aiolos  weist  ihn  mit  entsetzten  Worten 
zurück.  Aber  die  lange  Leidenszeit  führt  den  Helden  zur  Läuterung. 
Am  Ende  der  Dichtung  ist  diese  vollzogen:  er,  der  einst  so  stolz 
und  vermessen  den  Kyklopen  gehöhnt  hat,  verbietet  der  Eurykleia, 
über  die  erschlagenen  Freier  zu  frohlocken  (ovx  otity  xvctfiipoMfi 
in'  avdqäöiv  svxsTciaad'cu  /  4 1 2).    Der  inneren  Läuterung  folgt 
die  äußere;  denn  dies  ist  die  Bedeutung  des  Opfers,  das  Odysseus 
nach  der  Anweisung  des  Tiresias  nach  seiner  Rückkehr  noch  dar- 
zubringen   hat.    Dann   erst    wird  er  völlig  mit  den  Göttern  ver- 
söhnt sein  und  in  Ruhe  und  Glück  seine  Tage  beschließen.     So 
hat  der  Bearbeiter  die  einzelnen  Teile  geschickt  miteinander  ver- 
bunden,   und  es  finden  so  manche  auffällige  Widersprüche  (z.  B. 
Odysseus'  Benehmen  bei  Kirke)  ihre  Erklärung. 

Obwohl  R.  in  z.  T.  glänzender  Darstellung  diesen  Grund- 
gedanken und  seine  Durchführung  näher  zu  begründen  versucht, 
hat  er  uns  doch  nicht  überzeugen  können,  daß  dies  das  einzige 
gewesen  ist,  das  der  „letzte  Bearbeiter44  zu  der  Dichtung  hinzu- 
gebracht hat,  und  noch  viel  weniger  davon,  daß  so  spät  die 
Dichtung  erst  ihren  vollen  Abschluß  gefunden  hat.  Das  mindert 
aber  nicht  den  Wert  dieser  Arbeit.  Diesen  sehe  ich  darin,  daß 
hier  von  neuem  der  Beweis  geliefert  wird,  wie  viel  mehr  für 
das  Verständnis  des  Dichters  durch  sorgfältiges  Eingehen  auf  seine 
Absichten  gewonnen  wird  als  durch  oberflächliches  Absprechen, 
wenn  etwas  uns  auf  den  ersten  Blick  nicht  verständlich  ist  Es 
kann  in  dieser  Beziehung  allen  Homerforschern  ganz  besonders 
die  Betrachtung  über  den  befremdlichen  Schluß  von  t  sowie  der 


Homer,  von  C.  Rothe.  ]g7 

folgenden  Bucher  (S.  33—50)  empfohlen  werden.  Der  Verf.  hätte 
nur  den  Ausdruck  „Bearbeiter44,  der  durch  Kirchhoff  und  seine 
Schuler  einen  so  schlechten  Klang  bekommen  hat,  fallen  lassen  und 
dafür  ruhig  überall  „Dichter"  sagen  sollen.  Denn  wer  aus  einem 
Stoffe,  gleichviel,  wie  er  ihm  überliefert  ist,  dies  zu  machen  ver- 
steht, was  der  Verf.  annimmt,  der  ist  ein  Dichter,  kein  Be- 
arbeiter. 

Vergleichen  wir  mit  dieser  Darstellung 

23)    D.  Muelder,    Das    Ky klopeoabenteuer   der   Odyssee.     Hermes 
(1903),  34.  Bd.,  S.  414—455. 

Diese  Arbeit  geht  der  Zeit  nach  den  beiden  oben  besprochenen 
voran  und  zeigt  uns  den  Verf.  noch  am  entschiedensten  unter 
dem  Einflüsse  seines  Lehrers  v.  Wilamowitz.  Er  unterzieht  das 
Kyklopenabenteuer,  das  allgemein  als  eins  der  ältesten  und 
schönsten  gilt,  einer  scharfen  Kritik  und  weist  in  demselben 
ebensoviele  Widersprüche  und  Unebenheiten  nach,  als  sich  nur 
in  irgendeinem  „schlechten"  und  „späten"  Gesänge  (etwa  in  a) 
finden  können.  Insofern  ist  die  Arbeit  lehrreich  und  bildet  eine 
Ergänzung  zu  meinen  Ausführungen  über  das  Kalypsolied  (Bed. 
der  Wiederb.  S.  135  u.  ff.),  in  denen  ich  den  Nachweis  erbracht 
habe,  daß  die  Wiederholungen  gleicher  oder  ähnlicher  Verse  in 
diesem  allgemein  als  vortrefflich  angesehenen  Gesänge  nicht  ge- 
ringer sind  als  z.  B.  in  dem  ganz  „späten"  co.  Aber  der  Verf. 
begnügt  sich  mit  dem  gefundenen  Ergebnis  nicht,  sondern  sucht 
nach  dem  Grunde  dieser  auffallenden  Erscheinung  und  findet  diesen 
darin,  daß  der  „Bearbeiter"  ein  altes  Motiv  erweitert  habe  (ganz 
wie  in  seinen  beiden  folgenden  Arbeiten;  s.  o.  S.  181/183).  Nach 
der  alten  Darstellung  wurde  der  Kyklop  noch  in  der  ersten  Nacht 
geblendet,  und  die  List  mit  dem  „Niemand"  war  noch  nicht  vor- 
handen. Diese  fügte  der  Bearbeiter  hinzu,  um  den  Zorn  des 
Poseidon  zu  begründen;  gleichzeitig  vermenschlichte  er  den  wilden 
Menschenfresser,  gab  ihm  „elegische  Züge"  und  machte  ihn  zu 
einem  „harmlosen  Hirtentölpel"  (??).  Gut  wird  nachgewiesen, 
weshalb  der  „Redaktor"  diese  Änderungen  vornahm  und  auch 
dem  Abenteuer  grade  diesen  Platz  zuwies;  dabei  zeigt  jener  ein 
Gestaltungsvermögen,  das  weit  über  das  mechanische  Verfahren 
des  „Flickpoeten"  hinausgeht.  Bis  dahin  kann  man  also,  von 
Einzelheiten  abgesehen,  unbedenklich  dem  Verf.  folgen.  Aber  M. 
gebt  weiter.  Unbeirrt  durch  das  Mißlingen  aller  vorangegangenen 
Versuche,  unternimmt  er  es,  das  alte  Lied  vom  Kyklopen  in  der 
ursprünglichen  Form  wiederherzustellen  —  und  hierbei  ist  er 
genau  wie  seine  Vorgänger  gescheitert.  Äußerlich  zeigt  sich  dies 
schon  darin,  daß  es  ihm  nicht  gelungen  ist,  einen  glatten  Anfang 
zu  ermitteln  (die  Erzählung  beginnt  mit  i  233,  mitten  in  der 
Höhle),  daß  er  ferner  in  der  Mitte  zwischen  398  und  415  eine 
Lücke  und  an  verschiedenen  anderen  Stellen  „Überarbeitung"  an- 


188  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

nehmen    muß,    und    daß    endlich   durch  das  Auslassen  einzelner 
Verse  unpassende  (i  262  u.  269,  305  u.  318),  ja  unmögliche  Ver- 
bindungen entstehen,  z.  B.  zwischen  328  und  375.     Da  M.    diese 
Verbindung  „schön44  findet,  so  muß  ich  mit  einem  Worte  darauf 
eingehen.     Odysseus    hat    den  gewaltigen  Olivenstamm  zugespitzt 
und  dreht  ihn  im  offenen  Feuer  „hin  und  her"  (V.  328:  cupccQ  .  . 
87iVQccxz€OP  iv  nvqi  x^w).     Darauf  soll  nach  M.  folgen   375: 
xctl   toV  iyob   %ov   iio%kov   vno    anodov    tjXaos   nollijg,     qog 
&£Q[iccipowo,    also    nachdem    Odysseus    die    Spitze   offenbar     im 
offenen  Feuer  nicht  warm  bekommen  hat,  steckt  er  sie  unter  die 
Asche,  bis  sie  warm  wird;  das  ist  eine  Ungereimtheit,  der  gegen- 
über  das  xXwqos  neq  lebp  (V.  389),    an  dem  M.  großen  Anstoß 
nimmt,  gering  ist;  denn  wenn  auch  die  Spitze  verkohlt  ist,  kann 
der  ganze  Stamm  immer  noch  xkoaqog  sein.    Und  nun  lese  man  die 
140  Verse,  aus  denen  M.  die  Kyklopie  bestehen  läßt,  hintereinander 
und  ergänze  sich  kurz  diese  oder  jene  Lücke  —  ich  denke,  jeder 
wird  sagen,   daß  aller  Zauber,  der  auf  diesem  Märchen  liegt  und 
seit  Jahrtausenden  alt  wie  jung  ergötzt  hat,   völlig  abgestreift  ist. 
Denn  alles,  was  ergötzt,  liegt  grade  in  den  ausgelassenen  Versen, 
in  der  behaglichen  Breite,    in  der  List,  mit  der  der  rohe  Kyklop 
übertölpelt  wird.    Hat  der  Dichter  wirklich  die  Erzählung  so  vor- 
gefunden, wie  M.  es  annimmt,  dann  hat  er  sie  durch  den  „Gold- 
bronnen4' seines  Geistes  so  verschönt,   wie  etwa  Goethe  die  rohe 
Erzählung  von  dem  alten  Götz  von  ßerlichingen.     Anders  urteilt 
freilich  M.,  der  zwar  die  Erfindungskraft  des  „Redaktors"  anerkennt, 
aber    trotzdem    über   ihn    (S.  448)   das  vernichtende  Urteil  fallt: 
„Es  ist  eigentlich  schade,   daß  er  seine  Gestaltungskraft  in  den 
Dienst  einer  Dichtungsart  gestellt  hat,  deren  stoffliche  Voraus- 
setzungen und  deren  Ausdrucksmittel  er  auch  nicht  an- 
nähernd   beherrschte ".     Wirklich    nicht    beherrschte?    Weil 
er    die  Erzählung   nicht   so   gestaltete,    wie  sie  ein  Kritiker  nach 
3000  Jahren  verlangt?    Ich  bin  etwas  ausführlicher,  als  vielleicht 
nötig  war,  auf  diese  Arbeit  eingegangen,  weil  sie  mir  typisch  ist 
für  den  Einfluß,  den  ein  so  hochverdienter  Gelehrter  wie  v.  Wila- 
mowitz  durch  sein  absprechendes  Urteil  auf  seine  Schüler  ausübt. 
Nur  allmählich   klärt  sich   das  Urteil.     Man   braucht  diese  Arbeit 
nur  mit   der  eben  besprochenen  Rößners  über  dasselbe  Buch  zu 
lesen,  und  man  wird  den  ganzen  Unterschied  des  Anfängers  von 
dem  wirklichen  Kenner  homerischer  Dichtung  herausfühlen. 

24)  K.  Altendorf,  Homer.  Ästhetischer  Kommentar  zur  Odyssee. 
Gießen  1904.  77  S.  8.  1,50  Jt.  —  Vgl.  Bull.  bibl.  d.  Mos.  belg. 
1904  S.  72  (Mallinger);  WS.  f.  klass.  Phil.  1904  Sp.  866/68  (J.  Sitzler); 
Lit.  Zentralbl.  1904  Sp.  373  (E.  Martini);  DLZ.  1904  Sp.  1366/67 
(A.  Gercke). 

Ein  anspruchsloses  Büchlein,  das  seinen  Zweck,  einen  ästhe- 
tichen  Kommentar  für  die  Odyssee  zu  liefern,  besser  erfüllt  als 
das    umfangreichere   von  Sitzler.      In  der  Einleitung  (S.  1—12) 


Homer,  von  C.  Rothe.  189 

wird  kurz  die  Homerische  Frage  berührt  und  dabei  die  Einheit 
der  Dichtung  betont.  Darauf  wird  die  Handlung  durch  die  ein- 
zelnen Gesänge  in  der  Weise  verfolgt,  daß  zu  bemerkenswerten 
Stellen  kürzere  oder  längere  Anmerkungen  gemacht  werden, 
welche  die  dichterische  Kunst  Homers  im  Ausdruck  und  Vers- 
bau oder  in  der  Charakteristik  der  Personen  oder  im  Aufbau  der 
Handlung  erläutern,  bisweilen  auch  von  der  Kritik  angefochtene 
Stellen  verteidigen.  Daß  dabei  viel  Neues  gesagt  werde,  ist  nicht 
zu  erwarten.  Immerhin  findet  sich  manche  beachtenswerte  Er- 
klärung für  das  Verfahren  des  Dichters.  So  wird  z.  B.  die 
Berechtigung  der  Telemachie  als  Teil  der  ganzen  Dichtung  so 
begründet:  „Man  denke  sich  einmal  die  Telemachie  weg.  Wie 
unfolgerichtig  würde  da  die  Entwickelung  der  Erzählung  sein. 
Nach  dem  auf  Athenes  Drängen  gefaßten  Beschluß  der  Götter, 
daß  Odysseus  endlich  heimkehren  soll,  würde  dieser  nur  von  der 
Kalypso  zu  den  Phäaken  fahren,  worauf  die  kaum  begonnene 
Handlung  wieder  zum  Stillstand  gebracht  würde,  und  zwar  so 
gründlich  als  möglich ....  In  der  Telemachie  werden  wir,  wenn 
auch  unsere  Hoffnung,  daß  Odysseus  heimkehren  wird,  zuvor 
erregt  ist,  zunächst  mit  der  Lage  der  Dinge,  wie  sie  sich  auf 
Grund  seiner  Abwesenheit  gestaltet  hat,  vertraut  gemacht.  Wir 
gewöhnen  uns  an  die  Anschauungsweise,  daß  Odysseus  noch  in 
der  Ferne  ist.  Wir  verlassen  Telemach  auf  einer  Erkundigungs- 
reise nach  ihm  —  und  bis  er  wieder  nach  Ithaka  zurückkommt, 
mag  uns  denn  Odysseus  erzählen,  was  er  alles  auf  seinen  Reisen 
erlebt  hat".  Ich  halte  die  Bemerkung  für  richtig  und  habe 
(Bed.  d.  Widerspr.  S,  25)  aus  ähnlichem  Grunde  erklärt,  wes- 
halb tj  241  u,  ff.  nicht  sofort  von  den  Schicksalen  des  Odysseus 
bis  dahin  berichtet  wird. 

Ebenso  richtig  bemerkt  A.  zu  t  536:  „Daß  Poseidon  das 
Gebet  erhört  hat,  erfahrt  Odysseus  in  der  Unterwelt  von  Tiresias 
(11,  100  ff.).  Man  hat  es  nun  auffällig  gefunden,  daß  gerade  in 
den  nächstfolgenden  Abenteuern  es  gar  nicht  Poseidons  Zorn  wäre, 
der  Odysseus  verfolge.  Dabei  übersieht  man,  daß  dem  Leser 
(Hörer)  Poseidons  Zorn  und  seine  Bedeutung  für  das  Geschick 
des  Odysseus  bereits  genugsam  zur  Anschauung  gebracht  ist.  Er 
tritt  uns  gleich  im  Anfange  des  Gedichtes  als  die  Ursache  der 
langjährigen  Verbannung  des  Odysseus  von  der  Heimat  entgegen. 
Ihn  lernen  wir  in  seiner  ganzen  Schrecklichkeit  kennen,  sobald 
wir  zum  ersten  Male  Odysseus  auf  der  Meerfahrt  begleiten  (5.  B.). 
Wäre  es  wirklich  weise  gewesen,  wenn  uns  nun  der  Dichter  auch 
in  den  Erzählungen  des  Odysseus  bei  den  Phäaken  wieder  und 
wieder  den  ergrimmten  Poseidon  gezeigt  hätte?"  Ich  schließe 
mich  dieser  Ansicht  an,  obwohl  ich  früher  (De  vetere  ..  Nosto 
S.  7  u.  ff.)  anders  darüber  geurteilt  habe  und  Hennings,  Odyssee 
S.  277  meiner  Ausführung  in  wesentlichen  Punkten  auch  jetzt 
noch  beistimmt;  es  bestimmt  mich  dazu  nicht  nur  Rößners  oben 


190  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

mitgeteilte  Ansicht  über  den  Schluß  von  *,  sondern  auch  die  Be- 
obachtung, daß  genau  aus  demselben  Grunde,  nämlicb  um  lästige 
Wiederholungen  zu  meiden,  in  X  nicht  bei  jedem  neuen  Helden, 
der  Odysseus  erkennt,  das  Bluttrinken  vorher  erwähnt  wird,  und 
daß  im  zweiten  Teile  der  Odyssee  der  ganze  Apparat  der  Ver- 
wandlung und  Röckverwandlung  des  Odysseus  auch  nur  zweimal 
erzählt  wird  und  bei  den  übrigen  ävayrcoQHffiol  andere  Mittel 
erwähnt  werden  (vgl.  Bed.  d.  Widerspr.  S.  28).  So  erklärt  auch 
A.  im  wesentlichen  in  Übereinstimmung  mit  meiner  Auffassung 
das  Unterlassen  dieser  Rückverwandelung  am  Ende  der  Odyssee 
(S.  72):  „Wäre  das  (die  Rückverwandelung)  eine  Verbesserung? 
Keineswegs.  Und  warum?  Weil  wir  Odysseus,  wenn  er  auch 
einmal  verwandelt  wurde,  schon  lange  nicht  mehr  als  alters- 
schwachen Mann  vor  uns  sehen.  Und  nachdem  diese  Taten  ge- 
schehen, wäre  irgendwelche  Verwandlung  gar  nicht  mehr  anzu- 
bringen: weil  in  der  Dichtung  Handlungen  von  Personen  viel 
stärkere  Eindrücke  erzeugen  als  irgendwelche  körperliche  Be- 
schreibung, so  ist  in  der  Phantasie  des  Lesers  die  völlige  Rück- 
verwandelung des  Odysseus  bereits  vollzogen44. 

A.  betrachtet  die  Odyssee  als  einheitliches  Kunstwerk  und 
läßt  dem  Dichter  selbst  Stellen,  die  von  der  Kritik  allgemein  als 
späte  Zusätze  verworfen  werden,  so  z.  B.  das  Tanzlied  des  Demodokos 
in  #.  Er  bemerkt  zu  #  266,  das  Lied  passe  durchaus  für  die 
ein  Genußleben  führenden  Phäaken,  und  zu  der  auffälligsten  Stelle 
(#  334—342):  „Großartige  Darstellung  weiblicher  Schönheit!" 
Interpolationen  größeren  Umfanges  läßt  er  nur  zwei  gelten: 
1)  X  565 — 627  (vgl.  dazu  jetzt  die  ausführliche  Behandlung  bei 
Hennings,  Odyssee  S.  339—45);  2)  v  125—187,  und  über  den 
Schluß  der  Odyssee  (etwa  von  w  361  an)  urteilt  er  (S.  11): 
„Er  ist  vielleicht  von  Homer  gar  nicht  gedichtet  oder  von  ihm 
und  seinen  Nachfolgern  nur  selten  vorgetragen  worden  und  darum 
nicht  in  der  authentischen  Form  bekannt  geblieben'4.  Aber  die 
Begegnung  zwischen  Odysseus  und  Laertes  ist  „echt  Homerisch 
und  liegt  auch  im  Plane  des  ganzen  Werkes.  Das  traurige  Los 
des  alten  unglücklichen  Vaters,  der  sich  um  den  „lange  fern- 
bleibenden44 einzigen  Sohn  in  Schmerz  verzehrt,  wird  im  Verlauf 
des  Epos  immer  wieder  in  Erinnerung  gebracht,  so  daß  man  das 
Wiedersehen  beider  vermissen  würde,  wenn  es  der  Dichter 
nicht  gebracht  hätte'4.  Daß  ich  ähnlich  denke,  habe  ich  öfters 
ausgesprochen. 

25)  S.  Eitrem,  Die  Phaakenepisode  in  der  Odyssee.  Christiaoia 
1904,  in  Kommission  bei  J.  Dybwad.  35  S.  gr.  8.  1,50  ,/#.  —  Vgl. 
N.  Jahrb.  f.  d.  kl.  Altert.  1904,  H.  10,  S.  736  (P.  Cauer);  ßerl.  WS.  1905 
Sp.  181  (Th.  Zielinski);  Nord.  Tidskrift  for  Filol.  XIII  (1904)  S.  43 
—48  (O.  Jörgensen);  WS.  f.  klass.  Phil.  1904  Sp.  824—826  (Hößoer). 

Die  in  den  letzten  20  Jahren  yiel  behandelte  Episode  wird 
von  dem  Verf.  einer  neuen,  grundlichen  Untersuchung  unterzogen. 


^ 


Homer,  von  C.  Rothe.  191 

Ausgehend  von  längst  gemachten  Beobachtungen  (Leukothea— 
Athene,  Nausikaa — Athene),  sie  ergänzend  und  weiterführend, 
kommt  E.  zu  der  Vermutung,  daß  in  einer  Fassung  der  Sage 
Odysseus  unmittelbar  von  der  Kalypso  in  sein  Vaterland  gelangt  sei 
(s  114,  144),  und  zwar  in  ähnlichem  Zustande  wie  nach  Scheria, 
hier  als  Greis  sein  Vaterland  nach  langer  Abwesenheit  nicht 
wieder  erkannt  habe  und  dann  von  Athene  aufgeklärt  und  weiter 
beraten  sei.  Die  Spuren  für  diese  Annahme  erscheinen  mir  nicht 
stark  genug,  um  sie  für  möglich  zu  halten  gegenüber  der  Tat- 
sache, daß  Kalypso  nicht  einen  Greis,  sondern  einen  jugend- 
lichen Helden  lieb  gehabt  hat,  ja  diesem  ewige  Jugend  hat  er- 
halten wollen.  Etwas  sicherer  sind  die  Spuren  dafür  (vgl.  Bed. 
d.  Widerspr.  S.  34),  daß  „es  eine  Odyssee  gegeben  habe,  in 
welcher  Odysseus  schiffbrüchig  zu  den  Phäaken  von  Trinakria 
aus  kam  und  hier  ohne  Vermittelung  der  Nausikaa  durch  Athene 
bis  zum  Palaste  des  Alkinoos  gelangte44.  E.  verfolgt  diesen  Ge- 
danken geschickt  weiter,  zeigt,  mit  wie  einfachen  Mitteln  Nausikaa 
eingeführt  wurde,  bemerkt,  daß  ursprünglich  die  Phäaken  gar 
nicht  das*  gastfreundliche  Volk  waren,  als  das  sie  jetzt  erscheinen, 
daß  sie  vielmehr  als  Nachbarn  der  Kyklopen  und  Giganten  früher 
wohl  auch  gewalttätig  und  roh  waren,  so  daß  der  Schutz  Athenes 
für  den  Helden  wohl  notwendig  war  (ähnlich  hat  schon  Gercke, 
Die  Analyse  . . .  N.  Jahrb.  f.  klass.  Altert.  1901  S.  19  über  Arete 
geurteilt;  vgl.  JB.  1902  S.  133  unten).  Aber  obwohl  E.  in  sorg- 
fältiger Prüfung  verschiedene  Verse  bald  der  einen,  bald  der  an- 
deren Fassung  zuweist  und  z.  B.  X  335  ursprünglich  auf  ^155 
folgen  läßt,  wo  man  in  der  Tat  ein  Eingreifen  Aretes  erwartet 
(vgl.  Widerspr.  S.  34),  so  hütet  er  sich  doch,  aus  den  vorhandenen 
Trümmern  ein  altes  Gedicht  wiederherzustellen.  Denn  „die  Ver- 
suche, durch  Ausscheidung  von  Versen  und  Versgruppen  einen 
klaren  und  einheitlichen  Vorgang  herzustellen,  werden  nicht  leicht 
zur  Nachahmung  locken4'  (S.  10/11). 

Dies  ist  im  ganzen  der  Standpunkt,  den  ich  ebenfalls  ver- 
trete. Wenn  aber  E.  am  Schluß  noch  eine  Vermutung,  zwar  „mit 
allem  Vorbehalt44,  macht,  daß  nämlich  Odysseus  in  einer  Fassung 
der  Sage  in  den  Kleidern  der  Kalypso  (äfxßQoza  sl^ava  rj  260) 
zu  den  Phäaken  gelangt  sei  und  diese  die  Aufmerksamkeit  der 
Königin  erweckt  hätten,  so  führt  diese  Vermutung,  wie  Cauer  a. 
o.  a.  0.  zeigt,  ebenso  zu  Widersprüchen  wie  die  am  Anfange  des 
Berichts  mitgeteilte  und  hat  deshalb  keine  Wahrscheinlichkeit. 


26)  F.  Blaß,  Die  Interpolationen  in  der  Odyssee.  Halle  a.  S.  1904, 
M.  Niemeyer.  306  S.  8.  8  Jt.  —  Vgl.  WS.  f.  klass.  Phil.  1905 
Sp.  57—62  (C.  Rothe);  Berl.  phil.  WS.  1905  Sp.  177—181  (P.  Hennings). 

B.  glaubt  an  einen  Dichter  als  Schöpfer  der  Ilias  und  Odyssee 
und    gibt    dafür    eine    Reihe   beachtenswerter   Gründe;    darunter 


192  Jahresberichte  d.  Philoleg.  Vereins. 

vor  allem  den,  daß  wir  aus  der  ganzen  älteren  griechischen 
Literatur  kein  Kunstwerk  von  solchem  Umfange  haben,  das  ein- 
heitlicher gestaltet  sei.  Aber  in  die  Dichtung  haben  sich  im  Laufe 
der  Jahrhunderte  Zusätze  eingeschlichen,  die  beseitigt  werden 
müssen,  damit  der  Eindruck  der  ganzen  Dichtung  nicht  gestört 
'werde,  und  zwar  unterscheidet  B.,  außer  einer  größeren  „magischen 
Interpolation"  (S.  25),  zwei  Hauptarten:  1)  Interpolationen  der 
Rhapsoden  (S.  26 — 213);  2)  Interpolationen  der  Nachdichter 
(S.  213—282).  Daran  reihen  sich  noch  zwei  sehr  lesenswerte 
Kapitel  als  Anhang:  1)  Die  troische  Sage  bei  Homer;  2)  Das  Ver- 
hältnis zwischen  Wtt  und  der  Odyssee  (S.  283—296).  Den  Schluß 
bilden  Nachträge  und  Berichtigungen  und  ein  Verzeichnis  der  be- 
bandelten Stellen.  Das  Verhältnis  der  ausgeschiedenen  Verse  zu 
der  echten  Dichtung  macht  eine  Tabelle  (S.  282)  klar.  Danach 
hält  B.  von  den  12110  Versen  der  Odyssee  1913  für  spätere  Er- 
weiterung, also  fast  Ys.  Dieses  Verhältnis  wird  dadurch  so  un- 
günstig, daß  unter  den  Zusätzen  das  Ende  der  Odyssee,  der  größte 
Teil  von  xp  und  ganz  w  (rund  900  Verse),  erscheint ;  sonst  bleiben 
etwa  Xto  unechte  Verse  übrig.  Ich  habe  aber  schon  a.  a*  0.  mein 
Bedenken  selbst  über  diese  Summe  der  ausgeschiedenen  Verse, 
soweit  sie  „Interpolationen  der  Rhapsoden*'  betreffen,  ausgesprochen. 
Hier  wollen  wir  etwas  näher  auf  die  zweite  Art  eingehen,  weil 
diese  die  höhere  Kritik  berühren. 

B.  hält  den  Schluß  der  Odyssee  von  ip  297  an  für  späteren 
Zusatz  und  kann  sich  hierbei  auf  eine  Nachricht  der  Alten  stützen, 
daß  „manche4'  die  Odyssee  mit  \p  296  geschlossen  hätten.  Auch 
gibt  es  eine  ganze  Reihe  von  vsx^gia,  die  dafür  sprechen,  be- 
sonders die  auffallende  Erwähnung  Siziliens,  die  abweichende  An- 
sicht über  die  Unterwelt,  die  Eigenschaft  des  Hermes  als  Toten- 
führer u.  a.  Nun  ist  aber  dieser  Schluß,  wie  längst  bemerkt 
worden  ist,  mit  dem  Vorangehenden  „fest  verankert",  nämlich 
durch  die  Verse  ip  110 — 176.  Um  dieses  Band  zu  lösen,  hatte 
Kirchhoff  diese  Verse  als  Zusatz  des  Bearbeiters  erklärt;  aber 
v.  Wilamowitz  hat  demgegenüber  auf  die  „Ungeheuerlichkeit"  hin- 
gewiesen, daß  der  Dichter  dann  die  schöne  Penelope  mit  dem 
schmutzigen,  glatzköpfigen,  blutbespritzten  Bettler  „zu  Bette  schickt", 
und  weiter  auf  eine  Reihe  anderer  Bänder,  die  ip  297  u.  ff.  mit 
dem  Vorangehenden  eng  verbinden,  hingewiesen.  Deshalb  nimmt 
v.  W.  ein  besonderes  Gedicht,  das  (p—w  umfaßte,  als  „Quelle*4 
für  den  Flickpoeten  an.    B.  glaubt  an  diesen  „Flickpoeten"  nicht1), 


l)  S.  10:  „Wenn  nnn  das  Meisterwerk  (die  Odyssee)  ein  Flickpoem 
sein  soll:  mit  welchen  Schimpfnamen  soll  man  da  erst  Goethes  Fanst  be- 
legen? Es  könnte  doch  jemand  sagen:  Ihr  Deutschen  seid  seltsame  Leute. 
Bei  dem  alten  Homer  soll  alles  einheitlich  komponiert  sein,  bis  auf  das 
Tüpfelchen  genau;  was  so  ist,  seht  ihr  nicht,  was  etwa  einmal  nicht  so  ist 
oder  zu  sein  scheint,  das  seht  ihr  allein,  nnd  schimpft  and  schlagt  das  Werk 
in  Stücke,   und    merkt   in  eurem  blinden  Eifer  nicht,   daß  all  euer  Schimpf 


^ 


Homer,  von  C.  Rot  he.  t93 

sondern  geht  darap,  alle  Bänder,  die  xp  297— a>  mit. dein  Voran- 
gehenden verbinden,  zu  lösen,  und  tut  dies,  wie  ohne  weiteres 
zuzugeben  ist,  mit  großem  Geschick.  Er  scheidet  nämlich  zu- 
nächst aus  xp  48,  94.  95, 111—176,  218—224,  242— 246,  ändert 
dabei  den  Anfang  von  247  in  sl  ^  und  versetzt  153 — 156  und 
163  nach  %  497,  endlich  beseitigt  er  im  Schluß  von  v,  wo  eben* 
falls  die  Sikeler  erwähnt  werden,  347 — 389. 

Wenn  auch  damit  die  Verbindung  nicht  überall  glatt  ist,  so. 
ist  doch  im  allgemeinen  zuzugeben,  daß,  wäre  uns  die  Odyssee 
in  dieser  Form  überliefert,  niemand  viel  an  ihr  auszusetzen  haben 
würde,  während  der  jetzige  Schluß  unzweifelhaft  die  Kritik  her- 
ausfordert. Ist  deshalb  das  Verfahren  des  Verf.s  richtig,  und 
können  wir  mit  einer  gewissen  Zuversicht  behaupten,  daß  wirklich 
einst  unsere  Odyssee  so  geendet  habe?  Ich  muß  dies  verneinen. 
Dagegen  spricht  zunächst  die  Überlieferung  der  Alten.  Denn  wenn 
auch  einzelne  Kritiker  in  xp  296  das  Ende  der  Odyssee  sahen,  ja 
in  einzelnen  Exemplaren  die  Odyssee  vielleicht  wirklich  mit  diesem 
Verse  geschlossen  hat,  so  haben  wir  doch  nirgends  eine  Spur, 
daß  in  diesen  Exemplaren  auch  schon  xp  111 — 176  usw.  gefehlt 
oder  die  Verse  xp  153 — 156  und  163  nach  %  497  gestanden 
hätten.  Es  ist  also  rein  subjektives  Urteil,  nicht  aber  wirkliche 
Überlieferung  gewesen,  die  das  Ende  der  Odyssee  mit  dem  Verse 
xp  296  annahm.  Sodann  aber  ist  es  für  mich  unbegreiflich,  wie 
ein  Rhapsode  einen  vortrefflichen  Schluß  in  der  Weise  über- 
arbeiten und,  wie  B.  mit  vielen  andern  glaubt,  so  verschlechtern 
konnte  und  doch  diese  auffallende  Form  so  allgemein  Billigung 
finden  konnte,  daß  die  echte,  gute  Form  verschwand.  Näher  lag 
es  doch  für  einen  schaffensfreudigen  Dichter,  an  die  Odyssee  als 
Fortführung  angesponnener,  aber  nicht  vollendeter  Fäden  eine 
neue  Dichtung  anzuschließen,  wie  an  die  Ilias  die  Iliupersis,  an 
die  Odyssee  die  Telegonie  sich  wirklich  angereiht  hat. 

Dazu  kommt,  daß  bei  näherem  Zusehen  der  durch  den  Verf. 
hergestellte  Zusammenhang  keineswegs  so  glatt  ist,  wie  es  auf  den 
ersten  Blick  scheint.  Odysseus  hat  /  491  auf  die  Aufforderung 
der  Eurykleia,  reine  Kleider  anzuziehen,  nur  mit  den  Worten  ge- 
antwortet: nvQ  vvv  pot  7iQ(OTMftov . . .  yevsa&üo.  Hätte  er  beab- 
sichtigt, darauf  sofort  auch  ein  Bad  zu  nehmen,  so  wäre  es  natür- 
lich, daß  er  ihr  auch  sogleich  dazu  die  entsprechenden  Anweisungen 
gegeben  hätte.  Dies  geschieht  aber  nicht,  sondern  Eurykleia 
bringt  nur,  wie  befohlen,  Feuer  und  Schwefel  und  holt  dann  die 
Mägde  herbei.  Von  der  Bereitung  des  Bades  ist  keine  Rede,  viel- 
mehr folgt  der  Vers  497  al  d'  Xdav  ix  ixsyaqoio  dciog  p&ä 
XSQöir  e%ovöcu,  von  dem  Kirchhof?  mit  Recht  urteilt,  daß  er  wohl 
aus  y  300  (ff  339)  hier  eingedrungen  sei.    Ich  weiß  in  der  Tat 


hundertfach  verstärkt  auf  euch,  Dämlich  auf  das  größte  Werk  eures  größten 
Dichters,  zurückfällt".    Dies  wird  dann  am  Faust  Daher  erörtert. 
Jahresbericht«  XXXI.  13 


194  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

auch  nicht,  was  dieser  Vers  hier  bedeuten  soll.  Hennings  (S.  566) 
wirft  die  Frage  auf,  ob  der  Dichter  vielleicht  eine  Erinnerung, 
daß  es  inzwischen  dunkel  geworden  sei,  für  nötig  befunden  habe, 
nennt  es  aber  eine  „ungeheuerliche  Vorstellung,  daß  alle  38  Mägde 
mit  Fackeln  kommen".  Vor  allem  aber,  was  soll  ix  wsyagoto 
hier  heißen?  Wenn  nun  darauf  folgt,  wie  B.  will,  ccwccq  Odvacrjja 
. . .  EvQVvofjktj . . .  Xovtiev  xvX.  (xp  153  u.  ff.),  so  kommt  diese  An- 
gabe ganz  überraschend,  und  al  (isv  in  %  498  hat  keine  Be- 
ziehung mehr,  während  diese  jetzt  ganz  eng  ist.  Wollte  man 
deshalb  eine  Versetzung  der  Verse  ^153  usw.  vornehmen,  so 
würde  es  noch  besser  sein,  sie  nach  ip  87  zu  setzen,  wie  Sittl 
vorgeschlagen  hat.  Indes  auch  diese  Anordnung  (xp  85—87, 
153—156,  163/164,  88—93,  96—112  mit  IlriveXonrpr  statt 
TykepccxoPy  und  hierauf  166  u.  ff.)  ist  sehr  künstlich  und  unwahr- 
scheinlich (vgl.  Bed.  d.  Widerspr.  S.  27  u.  f.  und  Hennings  S.  566 
und  568,  der  meine  Ansicht  billigt). 

Die  Unterbrechung  der  Erkennungsszene  durch  das  Bad  und 
die  übrigen  Anordnungen  ist  ja  ganz  gewiß  gegen  unser  modernes 
Empfinden.  Wir  verlangen  einen  raschen  Verlauf  der  Handlung, 
und  mancher  Leser  überspringt  ganze  Seiten,  wenn  ein  Dichter 
die  Lösung  einer  Spannung  zu  lange  hinzieht.  Aber  wir  haben 
Homer  nicht  nach  unserem  Empfinden  umzumodeln,  wir  dürfen 
nicht  verlangen,  daß  er  so  erzähle,  wie  wir  es  für  richtig  finden. 
Die  „Retardation"  im  kleinen  wie  im  großen  ist  ein  Hauptkenn- 
zeichen der  Homerischen  Dichtung.  Wir  begegnen  ihr  in  größerem 
Umfange  schon  im  1.  Buche  der  Odyssee,  wo  die  von  den  Göttern 
in  Aussicht  genommene  Heimsendung  des  Odysseus  durch  Athenes 
Gang  nach  Ithaka  und  Telemachs  Reise  verzögert  wird;  wir  be- 
gegnen ihr  im  7.  Buche,  wo  Odysseus  trotz  der  Frage  der  Königin 
seinen  Namen  verschweigt,  um  ihn  erst  viel  später,  im  Beginn 
des  9.  Buches,  zu  nennen;  wir  begegnen  ihr  im  ganzen  zweiten 
Teile  der  Odyssee,  ganz  wie  in  der  Rias,  wo  für  unser  modernes 
Empfinden  die  Entscheidung  durch  immer  neue  Episoden  viel  zu 
lange  hinausgeschoben  wird.  Wenn  wir  im  besonderen  sehen,  daß 
der  Dichter  im  spannendsten  Augenblicke,  als  Eurykleia  den  Herrn 
an  der  Narbe  erkennt,  noch  die  Geschiente  von  der  Eberjagd  er- 
zählt oder,  als  der  mit  Spannung  erwartete  Bogen  von  Penelope 
geholt  wird,  in  längerer  Ausführung  sich  über  seine  Herkunft  er- 
geht, wer  wollte  da  die  Hinausschiebung  der  Erkennung  zwischen 
den  beiden  Gatten,  die  noch  im  letzten  Augenblicke  durch  das 
Bad  usw.  erfolgt,  für  unhomerisch  halten?  Vielmehr  verstümmelt 
der,  welcher  solche .  Szenen  streicht,  nur  den  echten  Homer. 

Ist  aber  diese  Unterbrechung  echter  Teil  der  Dichtung»  so 
ist  es  auch  alles,  was  damit  eng  zusammenhängt,  d.  h.  der  Schluß 
von  xp  und  der  größte  Teil  von  w.  Die  Abweichungen  von 
mancher  Homerischen  Vorstellung,  auf  die  in  den  letzten  hundert 
Jahren  seit  Spohns  Abhandlung  so  großes  Gewicht  gelegt  worden 


Homer,  von  G.  Rothe.  195 

ist,  kommen  gegenüber  den  großen  Schönheiten,  die  dieser  Schluß, 
die  Hadesszene  inbegriffen,  enthält,  nicht  in  ßetracht.  Es  durfte 
sie  vor  allem  B.  nicht  so  sehr  betonen,  da  er  im  Anhange  zeigt, 
wie  sehr  lVÜ  von  den  übrigen  Büchern  der  Ilias  abweichen,  und 
in  der  Einleitung  auf  den  auffallenden  Schluß  von  Piatos  Staat 
hinweist.  Andere  Beispiele  sind  in  großer  Zahl  vorhanden,  ich 
erinnere  nur  an  den  fünften  Akt  von  Schillers  Teil  und  an  den 
Schluß  von  Maria  Stuart  (V  11  u.  f.).  Alles  mahnt  zur  Vorsicht, 
und  wir  glauben,  daß  die  Zeit  vorüber  ist,  in  der  man,  anstatt 
in  die  Eigenart  des  Dichters  einzudringen,  ihn  nach  eigenen 
Grundsätzen  und  Forderungen  glaubte  umgestalten  und  verbessern 
zu  können. 

Diese  Ansicht  begründet  näher 

27)  0.  Jö'rgensen,  Eine  neue  Strömling  in  der  höheren  Homer- 

kritik.   Nord.  Tidsskrift  for  Filol.  XIII  (1904)  S.  1—21. 

J.  erkennt  mit  Recht  den  hohen  Wert  der  Arbeiten  von 
Zielinski  (vgl.  JB.  1902  S.  125)  und  Römer  (JB.  1903  S.  283/284 
und  302—308)  an  und  glaubt,  daß  man  in  der  nächsten  Zeit 
mehr  die  Arbeitsweise  des  Dichters  oder  der  Redaktoren  studieren 
müsse.  Wir  dürfen  für  uns  das  Verdienst  in  Anspruch  nehmen, 
diesen  Standpunkt  nicht  nur  in  diesen  Jahresberichten,  sondern 
auch  in  unseren  kleineren  Abhandlungen  vertreten  zu  haben. 
Aber  auch  P.  Cauer  hat  in  seinen  verschiedenen  Arbeiten  über 
Homer  viel  zu  einer  richtigeren  Beurteilung  Homers  beigetragen. 

28)  0.  Jörgensen,    Das    Auftreten    der    Götter    in    den    Büchern 

i—fi  der  Odyssee.    Hermes  1904,  39.  Bd.,  3.  H.,  S.  357—382. 

Der  Verf.  hat  die  Beobachtung  gemacht,  daß  der  Dichter, 
wenn  er  selbst  erzählt,  stets  die  Gottheit,  die  in  die  Handlung 
eingreift,  mit  Namen  nennt,  daß  dagegen  in  direkten  Reden  nur 
die  allgemeine  Bezeichnung  für  Gottheit  d-sog  (ß-eol),  dal^coy 
und  merkwürdigerweise  auch  Zsvg  gebraucht  wird.  Dieser 
nimmt  eine  ganz  besondere  Stelle  in  den  Homerischen  Gedichten 
ein.  In  der  Ilias  lenkt  er  zwar  die  Geschicke  der  Götler  und 
Menschen,  doch  tritt  er  nie  persönlich  unter  den  Menschen  auf, 
sondern  wirkt  aus  der  Ferne  durch  seine  Boten;  in  den  Reden 
der  Helden  aber  läßt  es  sich  kaum  unterscheiden,  ob  die  un- 
bestimmte Gottheit  oder  der  Götterkönig  gemeint  ist.  In  der 
Odyssee  greift  er  viel  weniger  in  die  Handlung  ein  (außer  den 
drei  olympischen  Szenen  nur  ß  146,  v  102,  <p  413,  w  539), 
dagegen  spielt  er  in  den  Reden  eine  viel  größere  Rolle  (J.  führt 
62  Beispiele  an),  doch  darf  „man  wohl  behaupten,  daß  der  Dichter 
an  keiner  einzigen  Stelle  an  den  persönlichen,  anthropomorphen 
Gott  denkt"  (S.  366).  Eine  Nachprüfung  dieser  Stellen  bestätigt 
im  allgemeinen  die  Richtigkeit  dieser  Auffassung:  Zeus  gilt  in 
der  Odyssee    nicht   als    der    höchste  Gott,    sondern  geradezu  als 

13* 


196  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Vertreter  der  Gottheit)  welche  mit  den  Menschen  spielt  „wie  das 
Heer  mit  den  Steinen  der  Brandung". 

Sehen  wir  also  von  Zeus  ab,  so  werden  in  den  Reden  die 
Götter  nicht  mit  Namen  genannt,  außer  wo  es  sich  um  ganz  be- 
stimmte Attribute  der  Gottheit  handelt.    So  „wissen  die  homeri- 
schen Menschen,    daß  Hephaistos   die    köstlichen  Kunstwerke  ge- 
bildet, daß  Apollo  oder  Artemis  den  plötzlichen  Tod  schicken,  daß 
Poseidon    das   Schiff  scheitern    läßt  u.  a.".     Dieser   „homerische 
Stil"  findet  sich  auch  in  der  längsten  zusammenhängenden  Rede, 
in  t — /u,  beobachtet,  und  J.  folgert  daraus,  daß  diese  Bücher  von 
vornherein  in   erster  Person   gedichtet    waren.     Die  Gründe,    die 
Kirchhof!  vorgebracht  hat,  um  für  xp  ursprüngliche  Abfassung  in 
3.  Pers.  wahrscheinlich  zu  machen,  sind  ja  schon  längst  als  nicht 
stichhaltig  erkannt  worden.     Nur  eine  Stelle  gibt  es,  die  auf  Ab- 
fassung in  3.  Pers.  hinweist,   nämlich  p  374—390.     Denn  hier 
wird    ein  Vorgang   im  Olymp  erwähnt,    von  dem  Odysseus  keine 
Kunde  haben  konnte;  hier  werden  auch  gegen  das  Gesetz,  das  J. 
in   den  Reden    sonst   überall  beobachtet  findet,  Lampetia,  Helios 
und  Zeus  erwähnt.    Der  Verf.  aber  glaubt,  daß  diese  Stelle  inter- 
poliert  sei   von   einem,   der   den  strengen  Stil  der  Reden  nicht 
kannte  und  hier  eine  an  sich  wahrscheinliche  Szene,   wenn  auch 
an  unrechter  Stelle,  anbringen  wollte.    Daß  diese  Szene,  die  schon 
Aristarch  athetiert  hat,  entbehrt  werden  kann,  hat  der  Verf.  nach 
Hartel  u.  a.  klar  dargetan.     Ebenso    begreiflich    ist,    weshalb   ein 
Nachdicbter  sie  zufügte  und  weshalb  sie  von  den  Rhapsoden  als 
willkommene  Bereicherung  des  Textes  aufgenommen  wurde.    Wenn 
wir    also    wirklich    nur  die  Wahl  hätten  (vgl.  Hennings,    Odyssee 
S.  370),    entweder    diese  Verse    als  späteren  Zusatz  anzusehen, 
oder  anzunehmen,  daß  hier  eine  mechanische  Umsetzung  aus  der 
3.  in  die  1.  Person  stattgefunden  habe,  so  dürfte  die  Entscheidung 
nicht  schwer  sein.    Aber  ganz  so  steht  es  doch  nicht.    In  x  er- 
scheint Hermes  dem  Odysseus  und  wird  sofort  von  diesem  erkannt, 
obwohl  er  sich  ihm  nicht  besonders  zu  erkennen  gibt.    Der  Verf. 
entzieht  sich  dem  Einwand,  den  man  auf  Grund  dieser  Tatsache 
gegen  seine  Theorie  machen  kann,  dadurch,  daß  er  annimmt,  be- 
stimmte Götter  seien  den  homerischen  Menschen  durch  ihre  äußere 
Erscheinung  ohne  weiteres  bekannt  gewesen.     So  habe  man  sich 
Hermes   als   unbärtigen  Jüngling,    wie  z.  B.  Athene   als  schönes, 
hohes  Weib    vorgestellt,    und  Odysseus    habe   ihn   daran,    da   er 
„ohne   Maske"    erschienen   sei,    sofort   erkennen    müssen.    Dem 
widerspricht   aber,   von   allem   anderen  abgesehen,    die  Tatsache, 
daß  derselbe  Gott  in  S2  von  Priamus  nicht  erkannt   wird.    Auch 
sind  die  Worte  genau  so  gesetzt,  wie  wenn  der  Dichter,  nicht 
Odysseus  erzähle.    Denn  für  Odysseus  war,  wenn  Hermes  all- 
gemein  bekannt    war,    die    Angabe    nicht    nötig:    verjvifi    ävdqi 
iotxdg  —  fjßrj.    Ich  meine,  daß  mit  solchen  Angaben  der  Dichter 
aus  der  Rolle  der  Selbsterzäblung  herausfällt.    Dieselbe  Empfindung 


197 

habe  ich  bei  *  551 — 555.  Hier  ist  von  Zeus  nicht  in  dem  all- 
gemeinen Sinne  von  Gottheit  die  Rede,  sondern  es  werden  ihm 
ganz  persönliche  Gedanken  untergeschoben  (o  6*  ovx  ifind&To 
\qwv,  &XV  o  ys  [asq^q^s  oncag  xtA.),  Gedanken,  die  wohl  der 
Dichter,  nicht  aber  Odysseus  kennen  konnte.  Rechnen  wir  dazu, 
daß  auch  sonst  Odysseus  in  den  Apologen  nicht  selten  Dinge  er- 
zählt, die  er  nicht  wissen  kann,  so  ist  auch  bei  (i  374 — 390  die 
Möglichkeit  nicht  ausgeschlossen,  daß  der  Dichter  aus  der  Rolle 
des  Selbsterzählers  herausgefallen  sei  und  die  Dinge  so  erzählt 
habe,  wie  er  sie  für  angemessen  hielt.  Ursprüngliche  Abfassung 
in  3.  Pers.  würde  daraus  nicht  folgen.  Übrigens  bestreitet  der 
Verf.  (S.  379)  nicht,  daß  der  Dichter  der  Apologe  schon  ältere, 
in  3.  Pers.  abgefaßte  Darstellungen  der  Irrfahrten  vorgefunden 
haben  kann.  „Wenn  aber  die  Apologe  eine  Umarbeitung  einer 
Dichtererzählung  sein  sollen,  so  sind  sie  jedenfalls  für  die  Selbst- 
erzählung so  vorzüglich  umredigiert,  daß  die  Vorlage  ...  für  uns 
keine  Bedeutung  hat". 

Hieran  reihen  wir  noch  zwei  Aufsätze,  die  mit  der  höheren 
Kritik  nur  lose  zusammenhängen: 

29)  0.  Kretzscfamar,  Beiträge  zur  Charakteristik  des  Homeri- 

schen Odyssens.    Progr.  Neunkirchen  (R.  ß.  Trier) ,  1 903. 

Der  Verf.  bespricht  die  einzelnen  Epitheta,  die  der  Dichter 
Odysseus  gibt,  und  sucht  nachzuweisen,  daß  diese  stets  passend 
für  die  augenblickliche  Lage  des  Helden  gewählt  seien.  Dabei 
zeigt  er  auch  in  längerer  Ausführung  (S.  8 — 11),  daß  noXv^ttg 
für  den  Helden  gut  passe  in  der  bekannten  Szene  r  52  u.  ff. 
Odysseus  habe  gewünscht,  von  Eurykleia  erkannt  zu  werden,  aber 
nicht  von  Penelope,  der  er  „die  Aufregung  des  Kampfes  ersparen 
wollte".  Deshalb  habe  er  sich  ins  Dunkle  gesetzt  und  zu  ver- 
hindern gesucht,  daß  die  Alte  in  ihrer  Freude  Penelope  die  Ent- 
deckung verrate.  Auch  sonst  enthält  die  Ausführung  manche 
treffende  Bemerkung. 

30)  C.  Hentze,   Die  Monologe  in  den  homerischen  Epen.    Philol. 

LXm  (1904)  S.  12—30. 

Der  unermüdliche,  erfolgreiche  Forscher  auf  dem  weiten 
Gebiete  Homerischer  Dichtung  weiß  immer  neue,  interessante 
Fragen  zu  stellen  und  sie  mit  gesundem  Sinn  zu  beantworten. 
Folgendes  ermittelt  er  in  der  kleinen  Abhandlung:  die  eigentüm- 
liche Kunstform  des  Monologs  findet  sich  21  mal  in  den  Homeri- 
schen Gedichten,  und  zwar  11  mal  in  der  Uias,  10  mal  in  der 
Odyssee;  in  der  Uias  entbehren  die  ersten  zehn  und  ebenso  die 
letzten  beiden  Gesänge  derselben  gänzlich,  in  der  Odyssee  sind 
a — d,  i — ji,  Kf — (o  ohne  Beispiel,  während  s  allein  sechs  Beispiele 
bietet.  Dem  Inhalte  nach  zerfallen  sie  in  erwägende  und  be- 
trachtende, eine  besondere  Gruppe  bilden  die  (4)  Göttermonologe. 


1Q8  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Indem  nun  der  Verf.  die  Gründe  für  die  Anwendung  der  Monologe 
untersucht  und  ihren  Unterschied  von  der  einfach  erzählenden 
Darstellungsweise  klarlegt,  darauf  prüft,  inwieweit  die  einzelnen 
angemessen  verwandt  sind  und  als  ursprünglich  oder  als  Nach- 
ahmung anzusehen  sind,  kommt  er  zu  dem  Ergebnis,  daß  von 
„der  Kritik  nicht  zu  beanstanden  in  der  Ilias  nur  fünf  sind: 
A  404ff.,  2  6  ff.,  r  425  ff.,  O  54  ff.  und  X  297 ff.;  dagegen 
haben  die  Monologe  in  der  Odyssee  größtenteils  ihre  sichere . . . 
Stelle*',  nur  v  119  ff.  und  v  6  ff.  sind  beanstandet.  Für  die 
höhere  Kritik  also  kommen  sie  wenig  in  Betracht,  so  interessant 
im  einzelnen  die  Beobachtung  dieses  Kunstmittels  ist. 

Anhang. 

Nicht  zugänglich  gewesen  sind  mir  folgende  Arbeiten: 

Mandat-Grancey,  Aux  pays  d'Homere.    Paris  1902.     385  S.  —  Vgl. 

Ball.  bibl.  d.  Mos.  beige  1903,  X,  449—450  (M.  Zech). 
W.  G.Manly,  ithaka  or  Leukas.  —  Vgl.  N.  phil.  Rundsch.  1904  S.  7—8 

(R.  Menge). 
Wö'rpel,   Deuteroskopie  bei   Homer.    Io  den  ßeitr.  zur  klass.  Philol. 

1904. 
"H.  Francotte,  Deux  nouveaux  livres  sur  la  question  Homerique. 

Musee  beige  1904,  VTII  2,  S.  154—176. 
Petrozziello,  L'invidio   di  Patrocle  nella  Iliade.    Riv.  Stör.  Ital. 

1904,  Vn,  H.  2/3,  S.  562—583. 
6.  de    Sanctis,    L'irrazionale    nell*   Iliade.     Riv.  di   Fil.   1904,   I, 

S.  41—57. 

Von  Besprechungen  der  im  letzten  Jahresbericht  behandelten 
Schriften  sind  mir  nachträglich  noch  bekannt  geworden: 

A.  Römer,   Homerische   Studien.    Bespr.  von    O.  Dingeldein,  N.  phil. 

Rundsch.  1903  S.  289—290;   Zielinski,  fierl.  phil.  WS.  1903  Sp.  1121 

—1124. 
Michael,    Das    homerische    und    das   heutige   Ithaka.     Bespr.   von 

£.  Heydenreich,   Mitt.  a.  d.  hist.  Lit.  1903,  1,  S.  1/2;   K.  Wolf,   Berl. 

phil.  WS.  1903    Sp.  208—213;    R.  Menge,    N.  phil.  Rundsch.  1903 

S.  270—275. 
Trenkel,    Odysseestudien.     Bespr.    von    J.  Sitzler,    Gymnasium    1904 

S.  653. 
Sitzler,   Ästhetischer   Kommentar.     Bespr.  von    C.  Haeberlin,   Berl. 

phil.  WS.  1904  Sp.  449—451. 
Hennings,  Odyssee.    Bespr.  von  Martini,  Lit.  Zentralb].  1904  Sp.  369 — 

373;  A.  Gercke,  DLZ.  1904  Sp.  1365—1367;  P.  Cauer,  N.  Jahrb.  f. 

d.  klass.  Altert.  1904,  H.  10,  S.  734;  Groenboom,  Mus.  Maandbl.  Leiden 

12.  Jahrg.  (1905)  Nr.  3;  J.  Sitzler,  WS.  f,  klass.  Phil.  1904  Sp.  785^ 

788;  A.  Ludwig,  Berl.  phil.  WS.  1904  Sp.  1313—1322. 

In  der  Berl.  phil.  WS.  1904  Sp.  1567  weist  Hennings  A.  Ludwigs 
Formulierung  seines  Standpunkts  zurück  und  gibt  als  eigene  Ansicht, 
die  so  bestimmt  allerdings  in  dem  Kommentar  nicht  ausgesprochen  ist: 
„Eine  Odyssee  hat  es  vorher  (nämlich  vor  dem  Anfange  der  Olympiaden 
und  der  von  Interpolationen  reinen  Telemachie)  in  verschiedener 


'* 


Homer,  von  C.  Rothe.  199 

Gestalt  und  verschiedenem  Umfange  schon  gegeben,  zuerst  wahr- 
scheinlich (s.  S.  598)  eine  solche,  wie  sie  sich  aus  den  Rhapsodien 
tx/4  (in  3.  Pers.)  s^qnp  und  %  zusammensetzen  läßt,  darauf  ist 
wahrscheinlich  die  Phäakis  hinzugekommen,  dann  die  Telemachie 
und  noch  später  X  und  der  Schluß  der  Odyssee.  Wann  die  Ein- 
ordnung dieser  Bestandteile  zu  einem  Buche  stattgefunden  hat, 
entzieht  sich  genauerer  Bestimmung;  daß  aber  ziemlich  große 
Stücke  wie  die  zweite  Nekyia  erst  in  attischer  Zeit  hinzugekommen 
sind,  scheint  mir  allerdings  gewiß  (?!).  Pisistratus  durfte  gar 
nicht  eine  Redaktion  veranlaßt  haben".  Wir  haben  nach  dem 
vorangehenden  Bericht  dem  nichts  hinzuzufügen. 

Friedenau.  C.  Rothe. 


5. 
Homer 

(mit  Ausschluß  der  höheren  Kritik) 
1903—1904. 


I.  Ausgaben. 

1)  Homers  Ilias.    Für  den  Sohnlgebranch  erklärt  von  K.  F.  Am  eis.   Erster 

Band.  Erstes  Heft:  Gesang  I — in.  Sechste,  berichtigte  Auflage,  be- 
sorgt von  G.  Hentze.  Leipzig  1903,  B.  6.  Teubner.  140  S.  8. 
1,20  JC,  geb.  1,60  JC 

2)  Homers  Odyssee.    Für  den  Schalgebrauch  erklärt  von  K.  F.  Am  eis. 

Zweiter  Band.  Zweites  Heft:  Gesang  XIX — XXIV.  Neunte,  berich- 
tigte Auflage,  besorgt  von  C.  Hentze.  Leipzig  1901,  B.  G.  Teubner. 
179  S.     8.     1,40  Jt,  geb.  1,80  M* 

Das  Iliasheft  weist  eine  große  Anzahl  von  Bereicherungen  und 
Berichtigungen  auf  Grund  der  seit  1894  erschienenen  Homer- 
literatur auf.  Besonders  sachliche  Bemerkungen  sind  an  vielen 
Stellen  teils  genauer  gefaßt,  teils  nach  dem  gegenwärtigen  Stande 
der  Forschung  umgestaltet  oder  hinzugefugt.  Auch  für  sprachliche 
Fragen  boten  neuere  Werke  Anlaß  zu  wiederholter  Prüfung.  Die 
benutzte  Literatur  gibt  Hentze  in  der  Vorrede  an.  Den  Text  hat 
der  Bearbeiter  nach  der  1902  erschienenen  kritischen  Ausgabe 
von  Ludwich  einer  Durchsicht  unterzogen,  die  zu  mehrfachen  Be- 
richtigungen führte;  so  wird  z.B.  die  Gliederung  der  Rede  erst 
klar,  wenn  A  20  Xvticuts  statt  Xvtiai  xs  gelesen  wird.  Die 
Schreibung  sddeiöa  ist  jetzt  angenommen  (s.  Bern,  zu  ^33).  In 
den  Anmerkungen  ist  Entbehrliches  gestrichen,  dagegen  hat  der 
Kommentar  an  Bemerkungen  über  die  Auffassung  einzelner  Stellen 
wie  über  den  Zusammenhang  des  Ganzen  und  an  sachlichen  Er- 
läuterungen reichen  Zuwachs  erhalten;  so  wird  zu  A  7,  31,  94, 
122  die  Darstellung  charakterisiert,  zu  A  194,  530,  571  die  Auf- 
fassung gesichert,  zu  A  14,  39,  62,  80,  361,  584  eine  sachliche 
Angabe  genauer  gefaßt,  vervollständigt  oder  neu  hinzugefügt,  zu 
A  103,  113  der  Zusammenhang  nachgewiesen. 

Mit  derselben  unermüdlichen  Sorgfalt  und  Zuverlässigkeit  ist 
das  Odysseeheft  von  neuem  durchgearbeitet  worden. 


Homer,  von  E.  Naumann.  201 

3)  Homers  Odyssee  in  verkürzter  Ausgabe.    Für  den  Schulgebrauch  von 

A.Th.  Christ.  Mit  1  Titelbilde,  16  Abbildungen  und  1  Karte. 
Vierte,  durchgesehene  Auflage.  Leipzig  1904,  G.  Freytag.  XLIII  u. 
340  S.     8.    geb.  2,20  Jt. 

Von  den  vorangegangenen  Auflagen  liegt  mir  zum  Vergleich 
nur  die  erste  vor  (JB.  1893  S.  47 — 48).  Von  dieser  unterscheidet 
sich  die  vierte  dadurch,  daß  zahlreiche  Verse  wieder  eingesetzt 
sind,  die  ursprünglich  ausgeschieden  waren,  und  zwar  s  95,  360 
—364,  464—474,  £  19,  30,  34—40,  103,  128,  129,  133,  134, 
157,  162—167,  262—290,  tj  155—166,  #  65—66,  146—149, 
164—200,  253,  526—530,  x  279;  neu. gestrichen  ist  x  226,  und 
überflüssig  wurde  nur  der  von  Christ  aus  &  146  und  149  neu- 
gebildete Vers.  Am  übrigen  Bestände  wurde  so  wenig  geändert, 
daß  die  Druckformen  der  ersten  Auflage  wieder  benutzt  werden 
konnten.  In  der  Einleitung  wird  S.  I — XVIII  die  homerische 
Frage  in  ihren  Grundzügen  behandelt,  das  Namensverzeichnis  und 
der  Anhang  über  Tracht,  Wohnhaus  und  Schiff  sind  neu  durch- 
gearbeitet und  vermehrt  worden.  Die  Karte  bietet  das  homerische 
Griechenland  mit  einer  Nebenkarte  von  Ithaka. 

II.  Übersetzungen. 

4)  M.  Joris,   Über   Homerübertragung  mit  neuen  Proben.    Programm 

Limburg  a.  d.  Lahn  1901.    Leipzig  1902,  G.  Fock.    72  S.    8.    1,20  Jt. 

Die  zahlreichen  deutschen  Homerbearbeitungen  gehen  auf 
Voß  zurück  als  auf  den  Bahnbrecher  und  den  ältesten  Meister  der 
Homerübersetzung.  Aus  äußeren  Gründen  ist  es  nicht  statthaft, 
das  Werk  eines  neueren  Übersetzers  in  gleicher  Weise  zurecht- 
zuschneiden. 

Wird  aber  die  Vorfrage  gestellt,  ob  die  Vossische  Übersetzung 
auch  heutzutage  noch  das  rechte  Gewand  ist  für  den  Homer,  wie 
wir  ihn  jetzt  kennen  und  verstehen,  ob  sie  in  der  Sprache  zu 
uns  redet,  die  wir  als  Dichtersprache  empfinden,  so  wird  ihr  Wert 
und  ihr  Verdienst  als  einer  großen  literarischen  Tat  doch  mehr 
und  mehr  der  Geschichte  anheimfallen  und  die  Erwägung,  ob 
nicht  eine  Übersetzung  möglich  wäre,  die  Homer  unserem  Fühlen 
und  Denken  näher  brächte,  nicht  abzuweisen  sein.  So  wird  es 
erklärlich,  daß  der  Verf.,  in  dem  Wunsche,'  den  Realanstalten  und 
allen  denen,  die  nicht  Griechisch  verstehen,  auch  um  der  Pflege 
des  Idealismus  willen  die  Bekanntschaft  mit  Homer  zu  erhalten, 
nach  der  besten  Übersetzung  ausschaut.  Wras  uns  an  der  Vossi- 
schen Übersetzung  stört,  ist,  wie  1882  Schroeter  nachgewiesen 
hat,  die  oft  hausbackene  prosaische  Redeweise,  die  doch  nicht 
•volkstümlich  ist,  die  ungelenke  Handhabung  des  Hexameters,  die 
häufige  Verschrobenheit  in  der  Auffassung  des  Textes.  Daß  die 
Ilias  und  die  späteren  Rearbeitungen  der  Odyssee  gegen  deren 
erste  Übersetzung  zurückstehen,   ist  allgemein    zugegeben.    Joris 


202  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

bestätigt  die  Ausfuhrungen  Schröders  durch   zahlreiche  Beispiele 
aus  der  „Urodyssee"  und  aus  den  späteren  Auflagen. 

Von  den  Homerübersetzern  des  19.  Jahrhunderts  sind  viele 
auf  Voß'  Spuren  weitergegangen,  eine  andere  Gruppe  hat  neue 
Wege  gesucht  und  insbesondere  andere  Versmaße  gewählt.  Ein- 
gehend behandelt  Joris  zunächst  die  Nachbildung  der  Odyssee  in 
achlzeiligen  Stanzen  von  H.  von  Schelling  (JB.  1899  S.  125  f.). 
Bei  aller  Anerkennung  für  die  edle,  klangvolle  Sprache,  für  die 
Herrschaft  über  die  an  sich  schwierige  Strophenform,  für  die 
schöpferische  Kraft  der  Nachdichtung  werden  doch  mancherlei 
Unebenheiten  aufgezeigt.  Die  Strophenform  verlangt  jedesmal 
Abrundung  des  Gedankens,  das  widerspricht  der  homerischen  Dar- 
stellungsweise, im  Vergleich  zum  griechischen  Ausdruck  tritt  zu- 
weilen ein  Überschwang  ein  (ungewöhnliche  Wörter  und  gewagte 
Neubildungen),  die  Übertragung  der  Beiwörter  hat  noch  nicht 
überall  das  Fremdartige  vermieden.  Joris  gibt  selbst  zu,  daß  man 
an  solchen  Dingen  nicht  zu  viel  „nörgeln"  soll,  und  beschränkt 
schließlich  seine  Einwendungen  auf  die  Strophenform ;  homerische 
Natürlichkeit  und  Einfachheit  gehen  bei  der  schwungvollen  Schelling- 
schen  Form  verloren.  Zugunsten  dieser  Form  muß  aber  in  Er- 
wägung gezogen  werden,  was  Joris  übersieht,  daß  die  epische 
Sprache,  in  der  Homer  den  Griechen  entgegentrat,  für  diese  auch 
nicht  die  Sprache  des  täglichen  Lebens  war,  sondern  eine  der 
Verkehrssprache  entrückte  Rede,  die  vermöge  archaischer,  dialek- 
tisch verschiedenartiger  Wörter,  epischer  „Dehnungen",  uralter 
Formeln  auch  äußerlich  den  Eindruck  des  Feierlichen  und  Er- 
habenen machte. 

Gegen  die  niederdeutsche  Übertragung  von  Dühr  (JB.  1899 
S.  123  f.)  verhält  sich  Joris  in  Übereinstimmung  mit  den  in  zahl- 
reichen Besprechungen  geäußerten  Bedenken  ablehnend.  Die  An- 
wendung der  niederdeutschen  Sprache  überhaupt  und  die  Wahl 
des  Strehlitzer  Dialektes  insbesondere  beschränkt  die  Wirkung  auf 
einen  engen  Leserkreis,  das  Niederdeutsche  verhält  sich  zum  Hoch- 
deutschen nicht  so,  wie  der  homerische  Dialekt  zum  attischen. 
Die  Ausdrucksweise  steigt  im  allgemeinen  auf  ein  zu  niedriges 
Niveau  herab.  Ähnlich  habe  ich  mich  an  der  angeführten  Stelle 
geäußert. 

Unter  denjenigen,  welche  den  Hexameter  beibehielten,  sind 
Jordan  und  Hubatsch  die  Bedeutendsten.  Jordan  hat  sich,  freilich 
noch  schüchtern,  von  der  Vorstellung  loszureißen  gesucht,  als 
müßte  die  Übertragung  dem  Text  Vers  für  Vers  entsprechen,  er 
ist  bestrebt,  die  Sprache  zu  bereichern,  da  der  Vorrat  an  deut- 
schen Wörtern  dem  homerischen  Sprachschatz  nicht  gleichkommt, 
ist  aber  in  den  sprachlichen  Neuerungen  nicht  immer  glücklich. 
Die  eckigen  Klammern  mit  den  darauf  bezüglichen  Anmerkungen 
sind  in  einem  deutschen  Homer  nicht  wünschenswert.  Die 
Schwierigkeiten  des  Versmaßes  erkennt  Jordan  richtig,  ebenso  die 


ü 


Homer,  von  E.  Naumann.  203 

Störungen,  welche  die  Beiwörter  der  poetischen  Schönheit  und 
Wahrheit  bereiten,  hat  aber  beides  noch  nicht  überwunden,  ob- 
gleich er  sich  in  der  Behandlung  des  Verses  berechtigte  Freiheiten 
gestattet;  insbesondere  hat  er  sich  noch  nicht  zu  einer  durch- 
greifenden Änderung  im  Gebrauch  der  Beiwörter  oder  zu  deren 
gänzlichem  Aufgeben  an  Stellen,  wo  sie  störend  wirken,  ent- 
schlossen. An  wörtlicher  Treue  steht  Jordan  über  Voß,  aber  Stil 
und  Sprache  steht  noch  im  Banne  des  Obersetzerdeutschs.  Der 
Hexameter  bewirkt  bei  ihm  manche  Schwerfälligkeit  und  Breite 
des  Ausdrucks,  die  allerdings  in  anderen  hexametrischen  Über- 
tragungen, wie  an  Beispielen  gezeigt  wird,  in  noch  höherem  Maße 
hervortreten.  Ohne  Jordans  Dichterruhm  und  der  Wertschätzung 
des  Mannes  Abbruch  tun  zu  wollen,  gelangt  der  Verf.  zu  dem 
Ergebnis,  daß  wir  auch  in  Jordan  den  endgültigen  deutschen 
Homer  noch  nicht  haben.  Demselben  Urteil  entspringen  die  zahl- 
reichen Übertragungsversuche  nach  Jordan.  Joris  geht  diese  nicht 
mehr  im  einzelnen  durch. 

Der  Homerübersetzer  darf  nach  Joris  nicht  gegen  die  Gesetze 
der  Logik  und  Ästhetik  verstoßen.  Die  letzteren  sind  veränder- 
lich, deshalb  ist  es  u.  a.  nicht  mehr  selbstverständlich,  daß  Homer 
nur  in  Hexametern  übersetzt,  oder  daß  das  Original  bis  in  Einzel- 
heiten getreu  nachgebildet  werde.  Der  Übersetzer  darf  nicht 
durch  pedantische  Vollständigkeit  dem  nichtphilologischen  Leser 
den  Geschmack  am  Ganzen  verderben.  Der  Hexameter  soll  ge- 
mieden werden,  weil  der  Vers  nicht  volkstümlich  ist,  schon  wegen 
der  unsicheren  Messung  in  den  Akzentverschiebungen  innerhalb 
der  Wörter,  sodann  wegen  seines  verderblichen  Einflusses  auf  den 
Stil.  Einen  bestimmten  Vers  zu  empfehlen  beabsichtigt  der  Verf. 
nicht,  er  denkt  an  den  fünffüßigen  Jambus,  hat  einen  Versuch 
gemacht  mit  dem  gereimten  achtfüßigen  Trochäus,  hält  aber  die 
kurzen  Reimpaare  und  den  vierfüßigen  Trochäus  für  geeigneter. 
Aus  den  umfangreichen  Proben  teile  ich  hier  einige  Stellen  mit. 
Ilias  r  1 — 9  in  kurzen  Reimpaaren. 

Als  nun  eine  jede  Schar 
Mitsamt  den  Führern  geordnet  war, 
Da  rückten  mit  Geschrei  nnd  Lärmen 
Die  Troer  an  gleich  Vogelschwärmen. 
Es  klang,  wie  wenn  ein  Kranichheer 
Krächzend  zieht  am  Himmel  her, 
Das  glücklich  vor  des  Winters  Drohen 
Und  vor  der  Regenzeit  entflohen, 
Lärmend  zieht  zum  Ozean. 
Kleinem  Zwergvolk  künden  sie 
Unselig  Todesschicksal  an, 
Wenn  sie  in  der  Morgenfrüh 
Sich  zum  grausen  Kampfe  nahn. 
Doch  schweigend  rückten  die  Griechen  an, 
Die  ßrast  mit  hohem  Mut  erfüllt, 
In  ihrem  Herzen  festgewillt, 
Zu  stehen  alle  Mann  für  Mann. 


204  Jahresberichte  d,  Philolog.  Vereins. 

llias  42  695—706  in  vierfüßigen  Trochäen. 

Strahlend  wob  die  Morgenröte 
Um  die  Erde  Goldgewandung, 
Als  die  beiden,  Weh  im  Herzen, 
Auf  den  Lippen  Klag'  und  Jammer, 
Ihre  Rosse  stadtwärts  trieben, 
Mit  dem  Toten  auf  dem  Wagen. 
Aber  keiner  von  den  Männern, 
Keine  von  den  Frauen  Trojas 
Hatte  noch  gewahrt  ihr  Kommen. 
Nur  die  Seherin  Kassa odra, 
Priams  Tochter,  die  an  Schönheit 
Glich  der  goldnen  Aphrodite, 
War  auf  Trojas  Burg  gestiegen 
Und  erblickte  jetzt  den  Vater 
Auf  dem  Wagenstuhle  stehend. 
Uod  erblickte  auch  den  Herold. 
Und  erblickte  jetzt  den  Toten 
Hingestreckt  auf  seinem  Lager. 
Da  erscholl  durch  Trojas  Straßen 
Laut  und  schauerlich  ihr  Klagruf: 

Kommt  und  schant,  ihr  M'ainer  Trojas, 
Kommt,  ihr  Fraun,  und  schaut  den  Hektor! 
Grüßtet  ihn  ja  sonst  so  freudig, 
Wenn  er  lebend  aus  der  Schlacht  kam, 
Ihn,  des  Volkes  Lust  und  Wonne. 

In  kurzen  Reimpaaren  hatte  schon  Fahtand  Stellen  der  Odyssee 
übersetzt  (s.  die  genaueren  Angaben  JB.  1902  S.  194).  Joris  be- 
stätigt durch  die  Übertragung  seine  eigene  Meinung,  daß  auch 
dieses  Versmaß  nicht  von  Gefahren  frei  ist.  Die  Reime  erfüllt: 
festgewillt,  frechen :  rächen,  die  Dehnung  hungerigen,  die  Kürzung 
Todsgeschick,  der  Gebrauch  der  Formen  jetzo  und  sonsten,  die 
Redensart:  „nicht  weiter...  Als  du  weifend  einen  Stein  magst 
schicken"  {pöov  t'  inl  Xaav  tqaiv  V.  12)  erscheinen  nicht  ein- 
wandfrei, zum  Teil  auch  nicht  vor  Joris'  eigener  Kritik  (vgl.  ober 
Reime  S.  24,  über  Dehnung  S.  43,  verdorrete  Diesteln,  S.  48  über 
Weitschweifigkeit).  Unklar  ist  in  der  trochaischen  Übersetzung: 
„Wenn  nicht  etwa  ein  Achäer  Dich  erfaßt  am  zarten  Ärmchen 
Und  von  eines  Turmes  Zinnen  Dir  den  zarten  Leib 
zerschmettert"  (S2  734f.). 

5)  F.  Ho  ff  mann,  Homers  llias.     Für  den  Schulgebrauch  ausgewählt  und 

erklärt.  A  sehen  dorffs  Ausgaben  für  den  deutschen  Unterricht.  Münster 
i.  Westf.  1903,  Aschendorff.     306  S.     8.    geb.  1,45  JC. 

6)  A.  Primoiid  und  K.  A.  Schmidt,  Homers  llias  (in  verkürzter  Form). 

Nach  der  Obersetznng  von  J.  H.  Voß.  Leipzig  1902,  B.  6.  Teubner. 
Vlll  u.  104  S.     8.    0,50  JC. 

7)  H.  Vockeradt,  Homers  Odyssee,  nach  der  ersten  Ausgabe  der  deut- 

schen Übersetzung  von  J.  H.  Voß.  Für  den  Schulgebrauch  verkürzt 
und  eingerichtet.  Schb'oioghs  Ausgaben  ausländischer  Klassiker  mit 
Erläuterungen.    Paderborn  1902,  Schöningh.    170  S.    8.    geb.  1,20  JC. 


Homer,  von  E.  Naumann.  205 

8)  F.  Weineck,   Homers    Odyssee    in    der   Übersetzung   von  J.  H.  Voß. 

Schulausgabe  mit  Einleitung  und  Erläuterungen.  Stuttgart  und  Berlin 
1902,  Cotta.    251  S.    8.    geb.  1,20  JC. 

9)  B.  Stehle,    Homers    Odyssee.    Nach  der  Übersetzung  von  J.  H.  Voß. 

Für  den  Sohulgebrauch  herausgegeben.  Leipzig,  G.  Freytag,  und  Wien, 
F.  Tempsky,  1904.     151  S.  und  1  Titelbild.    8.    geb.  1  Jt. 

10)  E.Weißenborn,  Homers  llias  und  Odyssee  in  verkürzter  Form 

nach  J.  H.  Voß  bearbeitet.  Zweites  B'äodchen:  Odyssee.  Zweite, 
vielfach  verbesserte  Auflage.  Leipzig  und  Berlin  1904,  ß.  6.  Teubner. 
XVI  u.  152  S.    8.    geb.  1,40  M. 

Diese  Ausgaben  beruhen  alle  auf  dem  Text  von  J.  H.  Voß, 
auf  dessen  erste  Ausgaben  sie  mit  Recht  zurückgehen,  und  sind 
gekürzt.  Sie  sind  für  Realanstalten  und  Töchterschulen  bestimmt 
und  geeignet  und  enthalten  in  Einleitungen,  Anmerkungen,  Registern 
die  zum  Verständnis  nötigen  Hilfen.  Der  Umfang  des  Textes  ist 
sehr  verschieden. 

Hoffmann  verkürzt  die  llias  „durch  Ausscheidung  aller  un- 
echten, angezweifelten,  störenden  oder  für  den  Gedankengang  nicht 
unbedingt  erforderlichen  Stellen'4  auf  6300  Verse,  zu  einer  Er- 
zählung, „die  alle  wichtigen  Ereignisse  der  llias  enthält".  Die 
Einteilung  in  24  Gesänge  ist  beibehalten,  diese  umfassen  auf  Grund 
der  Ausscheidungen  29  Tage.  —  Primozid  und  Schmidt  (vgl. 
JB.  1899  S.  128)  greifen  tief  in  das  Gefüge  der  Dichtung  ein,  die 
auf  4333  Verse  verkürzt  wird.  Die  llias  gliedert  sich  hier,  nach 
dem  vorbereitenden  Gesänge,  der  Achills  Entzweiung  mit  Agamemnon 
enthält,  in  drei  Teile:  „Erster  Schlachttag  ohne  Achilleus,  zweiter 
Schlachttag  ohne  Achilleus,  Achilleus  nimmt  wieder  am  Kampfe 
teil".  Der  erste  Teil  enthält  einen  Auszug  aus  B,  J  422—432, 
E  und  Z  im  Auszuge,  H  1 — 7,  0  Stucke  aus  395 — 565,  J  im 
Auszuge.  K — 5  ist  übergangen.  Der  zweite  Teil  setzt  mit  O  592 
ein,  enthält  U  im  Auszuge  und  Stellen  aus  P.  Der  dritte  Teil 
enthält  2  und  T  im  Auszuge,  aus  O  die  Weissagung  des  Rosses 
Xanthos,  X  im  Auszuge,  W  Vers  1  und  52  ff.  im  Auszuge.  Durch 
diese  Anordnung  ist  eine  gedrungene  Übersicht  über  die  Haupt- 
handlung der  llias  in  geschickter  Weise  hergestellt.  Die  Einteilung 
in  24  Gesänge  mußte  aufgegeben  werden,  sie  ist  durch  eine 
Gliederung  in  12  Abschnitte  nach  dem  Inhalte  ersetzt.  —  In  den 
Bearbeitungen  der  Odyssee  von  Vockeradt  werden  die  Gesänge  ßyd 
ganz  fortgelassen,  so  daß  sie  auch  bei  der  Zählung  ausscheiden, 
und  das  Gedicht  scheinbar  nur  21  Gesänge  hat,  Weineck  gibt 
ganz  kurze  Bruchstücke  nebst  Inhaltsangabe,  Stehle  lediglich 
die  letzten.  Weißenborn  versucht  durch  zahlreiche  Änderungen 
im  Vergleich  zur  ersten  Ausgabe  (JB.  1899  S.  128)  „die  Aus- 
drucksweise moderner  und  zugleich  poetisch  klangvoller  zu  ge- 
stalten44. Die  Einleitungen  enthalten  Mitteilungen  über  Homer 
und  die  Odyssee.  Befremdlich  klingt  bei  Weineck  S.  14 9  die 
Äußerung:  „So  Euripides,  dessen  beide  Iphigenien  . . .  allein  er- 
halten sind44. 


206  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

11)  0.  Hubatsch,  Homers  Odyssee  and  Ilias  im  Auszüge.  In  neuer 
Übersetzung.  Bielefeld  and  Leipzig  1904,  Velhagen  &  Klasing.  VII 
n.  165  S.     8.    1,10  ^K. 

Dieser  Auszug  aus  beiden  Gedichten  in  einem  Bändchen  ent- 
hält von  jedem  nur  etwa  den  sechsten  Teil;  für  diese  weitgehende 
Kürzung  scheint  nach  der  Bemerkung:  „Der  beschränkte  Raum, 
der  für  den  Auszug  zu  Gebote  steht,  gestattet . . ."  (S.  XVI)  mehr 
der  Wille  des  Verlegers  als  die  Absicht  des  Herausgebers  verant- 
wortlich zu  sein.  Es  wird  also  eine  „Auswahl  des  Wichtigsten1' 
dargeboten,  in  7  Abschnitten  der  Odyssee  werden  Stücke  aus  dem 
5. — 9.,  13.,  17.,  21.  und  22.  Buche,  in  ebensoviel  Abschnitten 
der  Ilias  Stücke  aus  Buch  1,  3,  4,  6,  12,  16,  18,  19,  22  und  24 
so  vereinigt,  daß  die  Hauptmomente  der  Handlung  in  einzelnen 
großen  Szenen  hervortreten,  so  daß  das  Buch  nur  für  eine  allererste 
Kenntnisnahme  vom  Inhalt  der  Dichtungen  ausreicht.  Hubatsch 
legt  die  eigene  Übersetzung  zugrunde. 

Im  Anschluß  an  die  Versuche,  durch  Übertragung  die  Homeri- 
schen Gedichte  dem  deutschen  Volke  zu  eigen  zu  machen,  mag 
hier  erwähnt  werden 


12)  W.  v.  Goethe,  Achilleis.    Für  den  Schalgebrauch  herausgegeben  von 
G.Klee.     Leipzig  1903,  G.  Freytag.    48  S.    8.    0,50  ./#. 

Goethe  beabsichtigte,  den  Tod  Achills  zu  singen  in  homeri- 
scher Art  und  in  homerischem  Vers,  aber  nachhomerischer  Sage 
folgend.  „Achill  weiß,  daß  er  sterben  muß,  verliebt  sich  aber  in 
die  Polyxena  und  vergißt  sein  Schicksal  rein  darüber,  nach  der 
Tollheit  seiner  Natur".  Die  zum  Tode  führende  Leidenschaft  des 
Peliden  für  die  trojanische  Königstochter  ist  der  Hauptinhalt  des 
geplanten  Gedichts.  Seit  Erscheinen  des  5.  Bandes  der  Weimarer 
Goetheausgabe  (1900)  läßt  sich  das  Fragment  im  Zusammen- 
hange des  ganzen  Planes,  der  acht  Gesänge  umfaßte,   betrachten. 

Es  lohnte  sich  wohl,  dieses  Bruchstück  von  651  Versen  ein- 
mal nach  den  Gesichtspunkten  zu  untersuchen,  denen  Joris  in 
der  oben  genannten  Abhandlung  gefolgt  ist,  und  außerdem  genau 
zu  erforschen,  aus  welchen  Gründen  Goethe  den  Plan  nicht  aus- 
geführt hat.  Klee  berichtet:  „Die  Rückkehr  (von  Jena)  nach 
Weimar  (1799,  nachdem  Goethe  das  „Schema"  entworfen  und 
den  ersten  Gesang  geschrieben)  brachte  neue  Pflichten  und  Mühen. 
Später  drängte  besonders  der  Faust  die  homerische  Welt  zurück". 
Das  ist  selbstverständlich  keine  ausreichende  Erklärung,  wie  denn 
auch  Klee  selbst  noch  den  überquellenden  Reichtum  seelischer 
Bewegungen,  der  in  einem  engen  Rahmen  kaum  zu  bewältigen 
sei,  und  das  Gefühl,  daß  der  tragische  Stoff  nicht  wohl  im  Tone 
Homers  erklinge,  vermutungsweise  als  Gründe  für  den  Abbruch 
der  Arbeit  heranzieht. 


Homer,  von  E.  Naomaio.  207 

III.   Homer  im  Schulunterricht. 

13)  P.  Müller,    Entwarf  zu    einem    lliaskanon.     In    der   Festschrift 

zur  Feier  des  150  jährigen  Bestehens  des  Gymnasiums  zu  Leobschütz 
1902.    S.  95— 132. 

Die  Gesichtspunkte,  nach  denen  der  Kanon  aufgestellt  wird, 
sind  folgende:  1.  Der  Kanon  soll  eine  Übersicht  über  den  Inhalt, 
die  Möglichkeit  eines  Durchblicks  gewähren;  es  ist  also  zu  lesen 
der  Streit  der  Könige,  die  wachsende  Not  der  Achäer,  die  Gesandt- 
schaft an  Achill,  die  Patrokleia,  Achills  Versöhnung  und  Eintritt 
in  den  Kampf,  Hektors  Tod  und  Auslieferung.  2.  Es  ist  eine 
vollständige  Charakteristik  zu  gewinnen,  vornehmlich  von  Achill 
und  Hektor.  3.  Der  Schüler  ist  zum  geordneten  Denken  anzu- 
leiten. 4.  Die  gelesenen  Stellen  müssen  von  höchstem  poetischen 
Werte  sein  und  sollen  5.  die  Möglichkeit  bieten,  die  Gesetze  der 
epischen  Dichtung  aufzuweisen.  Nebenher  können  auch  Be- 
rührungspunkte mit  anderen  Unterrichtsfächern,  antiquarische  und 
ästhetische  Gesichtspunkte  aufgesucht  werden.  Der  hiernach  auf- 
gestellte Kanon  umfaßt  7719  jedenfalls  zu  lesende  und  1674  zur 
Wahl  freigestellte  Verse,  und  zwar  für  Unterprima  aus  A  bis  5 
3754  +  752  und  für  Oberprima  aus  O  bis  S2  3965  +  922  Verse. 

14)  L.  Bauck,  Ein  Kanon  für  die  Lektüre  der  Ilias.     Zeitscbr.  f.  d. 

GW.  1901  S.  595— 611. 

15)  0.  Kohl,  Kanon  für  die  Lesung  der  Odyssee  nach  den  neoen 

Lehrplänen.     Zeitschr.  f.  d.  GW.  1902  S.  689—700. 

Im  Sinne  der  Lehrpläne  von  1901  unterscheidet  Bauck 
Stellen,  die  regelmäßig  gelesen  werden  sollen,  die  gelesen  werden 
können  und  die  nicht  zu  lesen  sind.  Er  kommt  zu  dem  Schluß, 
daß  wir  imstande  sind,  die  schönsten  Partieen  der  Ilias  in  der 
Klasse  zu  lesen,  es  sind  nach  dem  Kanon  6276  Verse.  Aus 
äußeren  und  inneren  Gründen  hält  Bauck  die  Aufstellung  eines 
ähnlichen  Kanons  für  die  Odysse  für  viel  schwieriger.  Aber  sie 
kann  nicht  umgangen  werden;  denn  es  ist  selbstverständlich  un- 
möglich, die  ganze  Odyssee  mit  Schülern  zu  lesen.  So  veröffent- 
licht Kohl  den  von  ihm  dem  Unterricht  zugrunde  gelegten  Kanon, 
der  von  der  Telemachie  in  Buch  1 — 4  und  15  und  von  dem 
24.  Buch  ganz  absieht  und  als  zu  lesen  4166  Verse  umfaßt. 

Im  einzelnen  läßt  jeder  Kanon  unbefriedigte  Wünsche  übrig, 
je  nach  den  ästhetischen  und  erzieherischen  Gesichtspunkten,  die 
den  Lehrer  leiten,  und  es  ist  gut,  daß  den  verschiedenen  An- 
stalten eine  eigene  Auswahl  gestattet  bleibt.  Darum  soll  auch 
hier  davon  abgesehen  werden,  Abweichungen  zu  begründen.  Man 
lese  das  einzelne  an  den  angeführten  Stellen  nach. 

16)  K.  Ed.  Schmidt,  Vokabeln   und  Phrasen    zu  Homers  Odyssee, 

zum  Aaswendiglernen  gruppiert  nebst  karzen  Anweisungen  zum  Ober- 
setzen. 6.  Heft:  VI.  Gesang.  Gotha  1903,  F.  A. Perthes.  35  S.  8.  kart. 
0,60  JC.  —  7.  Heft:  Vif.  Gesang.    Ebenda  1904.   35  S.   8.  kart  0,60  ./#. 

Die  Verzeichnisse  enthalten  die  Vokabeln  in  der  Reihenfolge 


208  Jahresberichte  d,  Philo  log.  Vereins. 

der  Verse  vollständig,  Verweisungen  kommen  nur  sehr  selten  vor. 
Daß  eine  Gruppierung  zum  Auswendiglernen  nicht  stattgefunden 
hat,  ist  schon  zu  den  früheren  Heften  bemerkt  worden  (JB.  1899 
S.  120). 

17)  H.  Wolf,  Homers  Odyssee,  erläutert  and  gewürdigt  für  höhere  Lehr* 

anstalten  sowie  zum  Selbsstodium.  Leipzig  1904,  H.  Bredt.  (Hau 
und  Wolf,  Die  ausländischen  Klassiker,  erläutert  und  gewürdigt  für 
höhere  Lehranstalten  sowie  zum  Selbststudium.  2.  Bändchen.)  118  S. 
8.     1  JK. 

Diese  populäre  Behandlung  der  Odyssee  ist  wohl  geeignet, 
den  Schüler  in  die  Welt  der  Homerischen  Dichtung  einzuführen. 
Der  erste  Teil  enthält  eine  gruppierende  Inhaltsangabe  der  ein- 
zelnen Gesänge,  von  denen  je  vier  zu  einem  größeren  Abschnitt 
vereinigt  werden,  mit  Hinweisen  auf  die  kunstvolle  Anordnung, 
Verbindung  und  Gliederung  der  Handlung.  Schon  hier  wird  die 
Aufmerksamkeit  auf  die  Kulturzustände  und  den  epischen  Stil 
gerichtet,  z.  B.  in  Exkursen  über  den  Phäakenstaat,  über  Märchen- 
geographie und  Märchenchronologie.  In  der  Erklärung  tritt  leb- 
hafte Auffassung  und  stellenweise  gesunder  Humor  hervor.  Der 
Stand  der  Kultur  wird  in  Abschnitten  über  Eheschließung,  Religion 
Gleichnisse  ausführlicher  geschildert;  dem  Verständnis  des  Dichtungs- 
werkes sind  Ausführungen  über  Mythos,  Sage,  Märchen,  über  Auf- 
bau der  Handlung,  Entstehung  des  Epos  u.  a.  gewidmet.  Ähnliche 
Stoffe  und  Dichtungen  werden  besonders  aus  der  deutschen  Helden- 
sage geschickt  zur  Vergleichung  herangezogen.  Im  Aufbau  der 
Dichtung  sieht  der  Bearbeiter  keinen  einheitlichen,  folgerichtig 
durchgeführten  Plan.  Er  erwähnt  in  kurzer  Übersicht  die  „Lieder- 
theorie" und  von  neueren  Ansichten  die  Meinungen  von  v.  Wila- 
mowitz,  Cauer  und  Usener,  und  hält  mit  v.  Wilamowitz  einen 
großen  Teil  des  Epos  für  „Flickpoesie",  aber  nicht  die  erste 
Götterversammlung;  mit  ebendemselben  nimmt  er  im  7.,  11.  und 
24.  Gesang  Zudichtungen  aus  Pisistratos'  Zeit  an.  Dementsprechend 
wird  eine  Auswahl  für  die  Schullektüre  vorgeschlagen. 

18)  H.  Wolf,    Homers   Ilias,    erläutert   und   gewürdigt  für  höhere  Lehr- 

anstalten und  zum  Selbststudium.  Leipzig  1905,  H.  Bredt.  (Hau  und 
Wolf,  Die  ausländischen  Klassiker,  erläutert  und  gewürdigt  für  höhere 
Lehranstalten  und  zum  Selbststudium.   3.  Bändchen.)    154  S.    8.    1  JC. 

Von  den  Erläuterungen  zur  Odyssee  ist  das  Uiasbändchen 
wesentlich  verschieden.  Der  Verf.  sagt  im  Vorwprt:  „Allenthalben 
trat  für  mich  das  historische  Interesse  in  den  Vordergrund, 
insofern  ich  in  den  Homerischen  Gedichten  den  Niederschlag  einer 
jahrhundertelangen  geistigen  Entwickelung  des  hochbedeutenden 
Griechenvolkes  sehe.  Bei  der  Lektüre  muß  es  unsere  Hauptauf- 
gabe sein,  das  Entstehen,  Werden  und  Wachsen  dieser  Dichtungen 
zu  begreifen  und  den  Primanern  das  Verständnis  dafür  zu  er- 
schließen".   Diese  Forderung  geht  zu  weit  und  macht  zur  Haupt- 


Homer,  von  E.  Naumann.  209 

sache,  was  jenseit  des  Zweckes  der  Schullektüre  liegt.  Diese 
hat  zunächst  die  Aufgabe,  den  Schüler  mit  dem  Bestände  der 
Dichtung  bekannt  zu  machen,  ihm  deren  Inhalt  an  Charakteren 
und  Heldentaten,  das  ganze  Weltbild  der  Dichtung  zur  lebendigen 
Anschauung  zu  bringen  und  ihn,  wenn  es  erreichbar  ist,  zum 
ästhetischen  Genuß  homerischer  Darstellungsweise  und  zu  einer 
Ahnung  dessen  emporzuführen,  was  die  Sonne  Homers  ist.  Die 
Arbeit,  die  im  vorliegenden  Heft  dem  Schüler  aufgelegt  wird,  hat 
der  Lehrer  für  sich  zu  machen,  um  eine  zweckmäßige  Auswahl 
zu  treffen.  Sachlich  enthält  das  Heft  eine  klare  und  übersicht- 
liche Zusammenstellung  der  hauptsächlichsten  Ergebnisse  aus  der 
neueren  Literatur  über  die  homerische  Frage  und  ist  für  fort- 
geschrittnere  Schüler,  namentlich  solche,  die  Philologie  studieren 
wollen,  nicht  ohne  Wert. 

18)  H.  Heinze  und  W.Schröder,  Aufgaben  aus  klassischen  Dramen,  Epen 
und  Romanen  zusammengestellt.  18.  Bändchen:  Aufgaben  aus 
Homers  llias,  zusammengestellt  von  H.  Heinze.  Leipzig  1902, 
W.  Engelmann.  112  S.  8.  1  Jl.  —  19.  ßändchen:  Aufgaben  aus 
Homers  Odyssee,  zusammengestellt  von  H.  Heinze.  Ebenda  1902. 
83  S.     8.     1  JH. 

Nachdem  einst  Laas  eine  lebhafte  Anregung  gegeben  hatte, 
Aufgaben  zu  deutschen  Aufsätzen  aus  Homer  zu  entnehmen  — 
in  der  zweiten  Abteilung  seines  Buches  über  den  deutschen  Auf- 
satz (Berlin  1S94,  3.  Auflage,  besorgt  von  H.  Imelmann)  handeln 
allein  75  Seiten  über  Themata  im  Anschluß  an  die  Homer- 
lektüre — ,  scheint  in  den  letzten  Jahren  diese  Fundgrube  nicht 
mehr  in  gleichem  Umfange  ausgenutzt  worden  zu  sein.  Wie  reich 
sie  ist,  zeigt,  wenn  es  noch  nötig  sein  sollte,  die  vorliegende  Auf- 
gabensammlung. Sie  kommt  in  diesem  Bericht  hauptsächlich  unter 
dem  Gesichtspunkt  in  Betracht,  daß  die  Kenntnis  und  die  richtige 
Auffassung  der  homerischen  Welt  durch  Bearbeitung  der  vor- 
geschlagenen Aufgaben  bei  den  Schülern  wirksam  gefördert  wird. 
Und  dazu  leiten  in  der  Tat  die  zahlreichen  Aufgaben  über  Gottes- 
verehrung, Kulturzustände,  örtlichkeiten,  Personen,  Vergleiche  und 
einzelne  Aussprüche  an.  Auch  unter  den  nicht  durch  Disposition 
und  Stoffsammlung  vorbereiteten  Themen  am  Ende  der  Hefte 
finden  sich  manche,  nur  eine  Episode,  ein  einzelnes  Bild,  eine 
Situation  betreffend,  die  zu  einem  Eindringen  zunächst  in  einen 
enger  begrenzten  Stoff  führen  und  dadurch  wertvoll  sind.  Die 
in  Heft  18  S.  1— 4  und  in  Heft  19  S.  1—5  vorangestellten 
Themen,  welche  eine  Kenntnis  der  Gedichte  im  ganzen  Umfang 
voraussetzen,  erscheinen  zur  Bearbeitung  nur  nach  weiterer  An- 
leitung des  Lehrers  geeignet.  Aufgaben  jedoch  wie  S.  64  Nr.  34 
„Die  drei  Aufzüge  der  Odyssee",  Nr.  35  „Der  1.  Aufzug"  (I— IV), 
Nr.  37  „Der  2.  Aufzug"  (V— XII  187),  Nr.  38  „Der  3.  Aufzug" 
(XIII  187— XXIII  296)  und  gar  Nr.  36  „Die  sechs  Auftritte  des 
ersten  Aufzuges,  Nr.  38  „Die  sechs  Auftritte  des  zweiten  Aufzuges", 

Jahresberichte  XXXI.  14 


210  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Nr.  41  „Die  sechzehn  Auftritte  des  dritten  Aufzuges'4  halte  ich 
für  verfehlt,  weil  hier  das  Epos  in  ein  Schema  hineingezwängt 
wird,  das  dafür  nicht  paßt,  und  bei  dem  Schüler  über  den  Unter- 
schied der  beiden  Dichtungsgattungen,  die  er  gerade  an  den 
Mustern  kennen  lernen  soll,  von  vornherein  Unklarheit  verbreitet 
wird.  Im  einzelnen  bleibt  manches  zu  erinnern,  zum  Teil  schon 
deshalb,  weil  manche  Themen  aus  älteren  Sammlungen  den  gegen- 
'  wärtig  verbreiteten  Auffassungen  nicht  entsprechen.  So  ist  z.  B. 
die  Aufgabe:  „Wodurch  erscheint  in  der  Ilias  der  troische  National- 
charakter dem  griechischen  Untertan ?"  (Heft  18  S.  23)  unglück- 
lich gewählt.  Schon  der  Ausdruck  Untertan  in  der  Oberschrift 
(auch  im  Inhaltsverzeichnis  S.  VI)  ist  schief,  gemeint  ist:  unter- 
legen.  In  der  Einleitung,  die  vom  Gegenteil  ausgeht:  „Im  ganzen 
unterscheiden  sich . . .  Griechen  und  Trojaner  nicht  eben  wesent- 
lich" und  dies  noch  spezialisiert  durch  die  Ausführung  „weder  in 
bezug  auf  Religion  und  Sitte,  noch  auf  Kriegführung  und  Tapfer- 
keil4' wird  das  Thema  von  vornherein  seiner  Bedeutung  entkleidet; 
es  bleiben  nur  etliche  Züge  und  Vertreter  übrig,  und  auch  diese 
halten  einer  näheren  Prüfung  nicht  stand.  Das  stille  Anrücken 
der  Achäer  zur  Schlacht,  das  geräuschvolle  der  Troer,  das  Schweigen 
der  einen  bei  der  Bestattung  der  Gefallenen,  das  Weinen  der 
andern,  diese  hier  nach  Lessing  angeführten  Gesichtspunkte 
sind  nicht  beweiskräftig;  denn  diese  Erscheinungen  ergeben  sich 
nicht  aus  dem  Charakter,  sondern  aus  der  augenblicklichen  Lage. 
Wenn  unter  den  einzelnen  Vertretern  der  Völker  Menelaos  und 
Paris  hervorgehoben  werden,  so  darf  doch  deren  Gegensatz  nicht 
zu  einem  Gegensatz  zwischen  beiden  Völkern  verallgemeinert 
werden.  Auch  des  Priamos  Fernbleiben  vom  Kampfe  ist  kein 
Beweis  für  sittliche  Schwäche  der  Troer,  und  wenn  auf  Atbeoe 
„die  Göttin  der  geordneten  Schlacht"  als  Helferin  der  Achäer 
verwiesen  wird,  so  ist  nicht  zu  vergessen,  daß  auch  die  Troer 
auf  ihrer  Burg  Athene  verehrten  und  daß  sie,  wo  es  darauf  an- 
kam, wie  bei  Erstürmung  des  Walles,  in  wohlgegliederten  Heeres- 
massen vorzugehen  verstanden  (M  86—107).  Nach  den  in  der 
Disposition  mitgeteilten  Tatsachen  ist  auch  der  „Schluß"  nicht 
begründet:  „So  erscheinen,  wenn  auch  nicht  im  ganzen,  doch  in 
einzelnen  Zügen  und  in  einzelnen  Vertretern  die  Troer  den 
Griechen  gegenüber  als  ein  barbarisches  Volk4'.  Wenn  nun 
auch  nicht  der  Sammler,  sondern  der  Verfasser,  in  diesem  Falle 
Berndt,  für  die  Einzelangabe  verantwortlich  ist,  so  ergibt  sich 
doch  die  Forderung,  die  Themen  nur  nach  genauer  Nachprüfung 
zu  benutzen. 


19)  Bilder  zur  Odyssee,  Gemälde  im  Museum  zu  Weimar  von  Friedrich 
Preller  d.  Ä.  Nach  den  farbigen  Kopien  Friedrich  Prellers  d.  J. 
herausgegeben  vom  Kunstwart.  Mönchen  1904,  Georg  D.  W.  Calhvey, 
Kunstwart- Verlag.     16  Tafeln  und  4  Druckseiten.     Folio.    3  M< 


Homer,  von  E.  Naumann.  211 

20)  Bilder  zur  llias  von  Friedrich  Preller  d.  J.  Nach  den  Origioal- 
zeichoungen  herausgegeben  vom  Kunstwart.  Ebenda.  12  Tafeln  and 
4  Druckseiten.     Folio.     2,50  JC. 

Der  hundertste  Geburtstag  des  alleren  Preller  gab  dem  Kunst- 
wart Veranlassung,  die  beiden  Prellermappen  zu  veröffentlichen. 
Er  hat  damit  auch  der  Schule  einen  großen  Dienst  geleistet.  In 
einer  Zeit,  wo  man  sich  wieder  mehr  gewöhnt,  auf  einen  alt- 
bewährten erzieherischen  Grundsatz  zurückzugreifen  und  die  An- 
schauung zur  Erklärung  der  Schriftsteller  in  höherem  Grade  zu 
Hilfe  zu  nehmen,  haben  diese  Publikationen,  denen  zufolge  des 
niedrigen  Preises  eine  weite  Verbreitung  in  Aussicht  steht,  eine 
besondere  Bedeutung.  Für  Homer  ist  ein  reiches  Anschauungs- 
material durch  die  Ausgrabungen  zutage  gefördert  worden,  und 
dieses  beginnt  in  guten  Abbildungen  bereits  in  die  erklärenden 
Schriften  und  Homerwörterbücher  einzudringen.  So  hoch  aber 
der  geschichtliche  Wert  dieser  Gegenstände  für  die  Kenntnis  von 
dem  Leben  und  den  Sitten  der  Heroenzeit  ist,  es  tritt  doch  in 
ihm  die  Anregung  zu  künstlerischer  Auffassung  der  Dichtungen 
stark  zurück,  um  so  mehr,  als  bei  angehenden  Homerlesern  die 
Gebilde  der  archaischen  Kunst  auf  eine  richtige  Würdigung  nicht 
rechnen  können.  In  diese  Lücke  treten  die  Prellerschen  Bilder 
ein.  Die  Odysseebilder  sind  bekannt  und  geschätzt,  sie  zeigen, 
wie  eine  starke  Künstlerindividualität  sich  die  Vorgänge  des  Ge- 
dichtes mit  ihrem  landschaftlichen  Hintergrunde  ausmalt,  und  er- 
füllen die  Phantasie  mit  lebendigen  und  nachhaltigen  Vorstellungen. 
Die  Bilder  sollten  im  Farbendruck  in  jedem  Gymnasium  den 
Wandschmuck  der  Klassen  bilden,  in  denen  die  Odyssee  gelesen 
wird.  Nach  der  farbigen  Ausgabe,  welche  bei  Bruckmann  in 
München  erschienen  ist,  sind  die  Blätter  in  Schwarzdruck  her- 
gestellt. In  den  zwölf  Bildern  zur  llias,  ursprünglich  entworfen 
für  eine  Prachtausgabe  dieses  Gedichtes,  reicht  der  jüngere  Preller 
nahe  an  die  Kunst  des  Vaters  heran,  die  Natur  ist  wilder,  un- 
ruhiger dargestellt,  wie  auch  die  Ereignisse  meist  stürmischer 
sind.  Aber  auf  einzelnen  Bildern  zeigt  sich  dieselbe  Anmut  wie 
in  den  Odysseelandschaften,  so  bei  Hektors  Abschied  und  Sarpedons 
Bestattung;  von  großer  Wirkung  ist  die  Darstellung,  wie  Hera 
und  Athene  auf  ihrer  Fahrt  durch  Wolken  und  Felsen  von  Iris 
gehemmt  werden.  Wenn  auch  einzelne  Motive  Schwierigkeiten 
bieten,  wie  z.  B,  der  Pfeile  versendende  Apoll  in  den  Wolken  und 
der  durch  die  Luft  hinwandelnde  Poseidon,  so  enthält  doch  auch 
diese  Reihe  eine  reiche  Belebung  der  Phantasie. 

Die  Druckbeigaben  enthalten  Mitteilungen  über  das  Leben 
der  Künstler  und  zu  den  Bildern  Begleitstellen  aus  Homer. 


Tn   den  beiden  Berichtsjahren  ist  die  Frage,    ob  im  griechi- 
schen  Unterricht    mit   Homer   begonnen    werden    könne,    lebhaft 

14* 


212  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

erörtert    worden.     Es   kommen    dafür  folgende  Abhandlungen  in 
Betracht : 

21)  F.  Horoemann.  Der  griechische  Unterricht  im   neuen  Gym- 

nasium.    Neue  Jahrbücher  f.  Pädag.  1903  S.  353—367. 

22)  R.  Agahd,  Homer  als  Grundlage  des  griechischen  Elementar- 

unterrichts.    Monatschrift  f.  höhere  Schalen  1903  S.  433— 446. 

23)  P.  Gauer,    Homer   als   Anfangsunterricht.     Zeitschr.  f.  d.  GW. 

1903  S.  690—699. 

24)  0.  Kohl,  Zu  Hornemanns  „Griechischem  Unterricht  im  neuen 

Gymnasium".    Zeitschr.  f.  d.  GW.  1903  S.  762—769. 

25)  P.  Hartmann ,  Ober   den   griechischen   Anfangsunterricht   an 

Reformschulen.     Zeitschr.  f.  d.  GW.  1904  S.  82. 

Ausgehend  von  dem  an  sich  selbstverständlichen  Satze,  daß 
die  griechische  Lektüre  auf  die  durchaus  notwendigen  Schriftsteiler 
zu  beschränken  und  alle  anderen,  auch  wenn  sie  an  sich  lesens- 
wert wären,  zurückzustellen  sind,  sucht  Hornemann  aus  der  Ent- 
wickelung  des  griechischen  Geisteslebens  ein  Urteil  darüber  zu 
gewinnen,  welches  die  durchaus  notwendigen  Schriftsteller  sind. 
Es  sind  nach  ihm  nicht  mehr  und  nicht  weniger  als  die  vier: 
Homer,  Sophokles,  Thukydides,  Plato.  Geben  wir  die  Beschränkung 
auf  diese  vier  Schriftsteller  zu,  so  folgt  daraus  noch  nichts  für 
die  Reihenfolge  im  Unterricht.  Hornemann  hält  ein  hinreichendes 
Einlesen  auch  in  die  genannten  Schriftsteller  nur  für  möglich, 
wenn  für  die  Lektüre  die  beiden  Jahre  der  Tertia  voll  gewonnen 
werden,  wenn  mit  Homer  begonnen  und  das  Attische  nach  Unter- 
sekunda verschoben  wird.  Die  Odyssee  soll  in  der  Hauptsache  in 
der  Tertia  erledigt,  die  Uias  in  Obersekunda  abgeschlossen  werden. 
In  der  Sekunda  kommt  Thukydides,  nachdem  ein  Elementarbuch 
in  ihn  eingeführt  hat,  hinzu,  in  Obersekunda  wird  er  abgeschlossen. 
Auf  die  Prima  bleibt  Sophokles,  auf  die  Oberprima  Plato  be- 
schränkt. „Durch  diese  Anordnung  der  Lektüre  entsteht  der 
weitere  Vorteil,  daß  nun  alles  au  seiner  natürlichen  Stelle  steht, 
weil  nun  sowohl  der  Gang  der  griechischen  Geistesentwickelung 
wie  auch  die  wachsende  geistige  Kraft  der  Schüler  dem  Lehrgang 
entspricht". 

Die  „Homermethode"  vermag  aber  auch  die  noch  bestehenden 
Mängel  des  grammatischen  Unterrichts  zu  beseitigen.  Das  Charak- 
teristische in  dem  zuerst  von  Ahrens  durchgeführten  Lehrgange 
war:  erstens  wurde  nur  das  Allernotwendigste  aus  der  Formen- 
lehre vor  der  Lektüre  eingeübt,  der  größte  Teil  der  Formenlehre 
aber  im  Anschluß  an  die  Lektüre.  Dieses  Verfahren  war  vielleicht 
zu  Ahrens'  Zeit  neu,  es  ist  aber  seit  langem  in  erhöhtem  Maße 
das  Verfahren  jedes  griechischen  Anfangsunterrichts  geworden; 
hier  liegt  kein  zu  beseitigender  Mangel  mehr  vor.  Zweitens 
wurde  die  Formenlehre  erklärend  gelehrt  unter  Benutzung  der 
Ergebnisse  der  Sprachwissenschaft  Von  den  älteren  Formen 
brauchen  die  Schüler  dann  nur  einen  oder  zuweilen  einige  Schritte 


Homer,  von  E.  Naumann.  213 

weiter  zu  machen  zu  dem  Attischen.  Demgegenüber  dürfte  der 
umgekehrte  Weg,  auf  dem  die  Erklärung  der  dem  Schüler  zuerst 
bekannt  gewordenen  attischen  Forn\  durch  einen  oder  mehrere 
Schritte  zurück  zu  der  homerischen  nicht  schwieriger  sein,  er 
entspricht  außerdem  dem  pädagogischen  Grundsatz:  vom  Einfachen 
zum  Mannigfaltigen,  vom  Leichteren  zum  Schwierigeren.  Diesen 
Grundsatz  benutzt  H.  selbst  für  die  Syntax,  die  homerische  Syntax 
sei  einfacher  als  die  attische.  Endlich  biete  auch  der  homerische 
Wortschatz  die  beste  Grundlage  für  die  Wörterkenntnis. 

Hornemann  hofft,  den  Erfolg  für  sich  zu  haben,  und  beruft 
sich  dafür  auf  die  Stimmen,  die  auf  der  Hannoverschen  und  auf 
der  Schleswig-Holsteinischen  Direktorenkonferenz  von  1891  bzw. 

1889  die  Ahrenssche  Methode  empfohlen  haben. 

Auch  Agahd  führt  diese  und  andere  Gewährsmänner  wieder- 
holt   an    und    zitiert   auch    aus   den  Berliner  Verhandlungen  von 

1890  die  zustimmenden  Urteile  bedeutender  Schulmänner.  Es 
ist  für  ihn  wie  für  Hornemann  ohne  Zweifel,  daß  Ahrens'  Methode 
schon  in  Untertertia  begonnen  werden  kann.  Abgesehen  von  der 
für  ihn  noch  im  Fluß  befindlichen  Frage  nach  dem  Endziel  des 
griechischen  Unterrichts  erscheint  ihm  als  Doppelaufgabe  für  die 
Praxis  der  Schule  die  Einführung  in  die  griechischen  Schriftsteller 
und  durch  sie  in  das  Griechentum  und  die  Einführung  in  die 
griechische  Sprache  als  in  einen  Organismus.  Homer  ist  ihm 
nicht  bloß  historisch,  sondern  auch  psychologisch  der  gegebene 
Anfangsschriftsteller;  dazu  kommt  als  zweites:  „Von  ihm  aus 
allein  läßt  sich  die  Sprachentwickelung  in  Formenlehre  und 
Syntax  beobachten  und  verstehen  und  zwar  nur  dann,  wenn  wir 
direkt  von  ihm  ausgehen".  Der  an  Homer  vorgebildete  Schüler 
bringt  nach  Agahd  den  übrigen  Schriftstellern  ein  besseres  sprach- 
liches Verständnis  entgegen.  Dem  Einwand,  daß  die  homerische 
Sprache  wegen  ihrer  unbestreitbaren  Formenfülle  schon  aus 
methodischen  Gründen  zum  Ausgangspunkt  ungeeignet  sei,  hält 
er  die  Meinung  entgegen,  daß  die  Schwierigkeit  überschätzt  werde, 
sowie  eine  Äußerung  von  Ahrens:  „Die  homerische  Sprache  bietet 
dem  Gedächtnis  in  Wahrheit  eine  geringere,  gewiß  keine  größere 
Fülle  des  Lernstoffs  als  das  Attische".  Die  Einfachheit  des  Satz- 
baues betont  Agahd  ebenso  wie  Hornemann. 

Die  „Ahrenssche  Methode",  um  so  die  von  Hornemann  und 
Agahd  vertretenen  Ansichten  zusammenzufassen,  findet  in  Cauer 
und  Kohl  entschiedene  Gegner.  Für  einen  erwachsenen  Menschen, 
für  kleinere  Zirkel,  deren  Unterrichtsbetrieb  der  Weise  des  Privat- 
unterrichts nahekäme,  läßt  Cauer  sie  allenfalls  zu,  für  volle 
Schulklassen  hält  er  sie  für  undurchführbar.  „Verschwinden"  wird 
der  grammatische  Vorkursus  nicht,  Ahrens  nahm  18  Stunden, 
Agahd  nimmt  sechs  Wochen,  Hüttemann  (Humanistisches  Gymnas. 
1903  S.  226  ff.)  26  Wochen  für  ihn  in  Anspruch.  Ahrens  unter- 
brach die  Lektüre  mehrfach,    um  Teile  der  Formenlehre  zu  be- 


214  Jahresberichte  d.  Philolog.  Verein«. 

handeln,  und  ließ  anderseits  auch  Formen  als  bloße  Vokabeln 
lernen,  also  ohne  Erklärung.  Die  feste  Einprägung  der  zahlreichen 
homerischen  Formen  läßt  sich  nur  durch  redliche  Übung  erreichen; 
daraus  würde  sich  die  Einführung  von  Formenextemporalien  im 
homerischen  Dialekte  ergeben.  Und  selbst  diese  führen  bei  der 
Vielgestaltigkeit  der  Sprache  nicht  zum  Ziel.  Bei  Ahrens'  Be- 
hauptung, daß  die  homerische  Sprache  keine  größere  Fülle  des 
Lernstoffes  biete  als  das  Attische,  ist  die  Menge  und  das  Gewicht 
dessen,  was  immer  noch  unerklärt  bleibt,  unterschätzt,  und  fünfzig 
Jahre  nach  Ahrens  macht  auf  Grund  der  inzwischen  fortgeschrittenen 
Forschungen  die  homerische  Sprache  den  Eindruck  größerer  Bunt* 
heit  und  Regellosigkeit,  als  man  damals  zu  erkennen  vermochte. 
Insbesondere  setzt  die  von  Ahrens  nicht  hinreichend  gewürdigte 
Tatsache,  daß  in  der  homerischen  Sprache  Äolisch  und  Ionisch 
zu  einem  untrennbaren  Ganzen  verschmolzen  sind,  der  Behandlung 
in  dem  grammatischen  Anfangsunterricht  unübersteigbare  Schwierig- 
keiten entgegen.  Auch  die  Einfachheit  der  homerischen  Syntax 
läßt  Cauer  nicht  ohne  Einschränkung  gelten.  Die  Gedanken,  die 
der  Dichter  ausdrücken  wollte,  sind  nicht  immer  so  einfach,  wie 
die  Satzformen,  die  ihm  dafür  zu  Gebote  standen:  er  mußte 
vieles,  was  für  den  Sinn  wesentlich  war,  im  Hintergrunde  der 
Seele  behalten  und  konnte  es  nur  durch  eingestreute  Partikeln 
oder  durch  Gebärdenspiel  und  Betonung  andeuten.  Um  diese 
Feinheiten  mit  den  Schülern  herauszuarbeiten,  hat  der  Lehrer  aber 
gerade  an  der  attischen  Syntax  ein  förderndes  Hilfsmittel.  Ahrens 
verzichtet  wiederholt  darauf,  die  Partikeln  zu  übersetzen.  Also 
Unsicherheit  der  Formenlehre  und  Gewöhnung  an  ein  oberfläch- 
liches Lesen  sind  die  Folgen  jenes  Verfahrens. 

Im  Gegensatz  zu  Hornemann  empfindet  Cauer  die  Verbannung 
Homers  aus  Prima  als  einen  Verlust;  selbst  nach  Ausschluß 
Herodots,  der  wohl  fallen  mußte,  um  die  Verwirrung  sprachlicher 
Begriffe  nicht  zu  steigern,  würde  die  Gewöhnung  an  attisches 
Griechisch  so  viel  Mühe  machen,  daß  an  ein  flottes  Lesen  nicht 
zu  denken  sei,  also  eine  Bereicherung  der  Lektüre  nicht  erzielt 
würde. 

Kohl  nimmt  gegen  Hornemann  den  Betrieb  der  Grammatik 
in  Schutz;  was  IL  mit  Homer  wolle,  geschehe  gegenwärtig  gleich- 
falls im  Anschluß  an  die  Übungsbücher;  diese  enthalten  reichlich 
altgriechischen  Stoff  in  den  Einzelsätzen  und  durchweg  in  den 
zahlreichen  zusammenhängenden  Lesestücken.  Ebenso  lehnt  er 
Hornemanns  Folgerung  ab,  daß  um  der  Lektüre  in  Prima  und 
Sekunda  willen  der  griechische  Unterricht  mit  Homer  begonnen 
werden  müsse.  Zu  dem  ersten  Unterricht  in  der  Grammatik 
bedarf  es  des  Homer  nicht,  ja  daß  er  dazu  benutzt  werde,  wider- 
strebe dem  ästhetischen  Gefühl.  Sprachwissenschaftlich  behandelt 
sei  die  Elementargrammatik  von  Gurtius'  Anhängern  eine  Zeitlang 
zum  Teil  im  Übermaß ;  Untertertianer  haben  für  dieses  Verfahren 


1 


Homer,  von  E.  Naumann.  215 

noch  kein  rechtes  Verständnis.  In  der  Beurteilung  der  homeri- 
schen Syntax  stimmt  Kohl  mit  Cauer  überein,  er  weist  die  Mannig- 
faltigkeit der  syntaktischen  Erscheinungen  und  eine  Anzahl  um- 
fangreicher Satzgefüge  im  neunten  Gesänge  der  Odyssee  nach,  der 
bei  der  Ahrensschen  Methode  zugrunde  gelegt  zu  werden  pflegt. 
Kohl  gelangt  zu  dem  Endurteil:  „Daß  in  Untertertia  mit  Homer 
begonnen  werden  kann,  haben  die  hannoverschen  Gymnasien 
bewiesen,  daß  es  der  bessere  Anfang  wäre,  ist  Hornemann  zu 
beweisen  nicht  gelungen". 

Der  mit  so  großem  Nachdruck  auftretende  Vorschlag,  das 
Ahrenssche  Lehrverfahren  wiederzubeleben,  hat  seine  äußere  Ver- 
anlassung in  der  neuesten  Entwickelung  des  Gymnasiums.  Die 
Reformgymnasien,  in  denen  der  griechische  Unterricht  auf  vier 
Jahreskurse  zusammengezogen  ist,  waren  genötigt,  einen  neuen 
Unterrichtsplan  zu  entwerfen.  Das  alte  Gymnasium  verwendet 
sechs  Jahre  lang  je  sechs  wöchentliche  Stunden  auf  Griechisch, 
das  Reformgymnasium  vier  Jahre  lang  je  acht  Stunden,  also  den 
neunten  Teil  an  Zeit  weniger.  Es  ist  klar,  daß  dieser  Verlust 
von  zwei  Drittel  Jahren  wieder  eingebracht  werden  kann,  wenn 
ernstlich  darauf  Bedacht  genommen  wird,  „belanglose  Einzelheiten, 
namentlich  unnütze  Formalien,  aus  dem  Lehrstoff  zu  beseitigen", 
und  wenn  die  Lektüre  möglichst  bald  zu  einem  Schriftsteller  über- 
geht. Daß  Homer  in  den  Anfangsunterricht  verlegt  wird,  folgt 
daraus  nicht,  ist  auch  nicht  von  den  Vertretern  des  Reform- 
gymnasiums im  Prinzip  gefordert  worden.  Die  Vorstellung,  als 
ob  das  Reformgymnasium  eine  schwere  Gefahr  für  das  Griechische 
bedeute,  ist  unbegründet,  ebenso  auch  Cauers  Vermutung,  daß  die 
Anhänger  des  lateinischen  Unterbaues,  die  den  Vorschlag  machten, 
im  Griechischen  mit  Homer  zu  beginnen,  damit  einen  Ersatz  für 
äußere  Verluste  suchten.  Ahrens  hat  sein  Lehrverfahren  ein- 
geschlagen und  Erfahrungen  sind  damit  gemacht  worden,  bevor 
das  Reformgymnasium  entstand,  und  so  mag  auch  ein  endgültiges 
Urteil  darüber  ohne  Rücksicht  auf  die  Reformanstalten  gefunden 
werden  können.  Aber  so  viel  ist  sicher,  die  in  dem  Schüler- 
material liegenden  Voraussetzungen  für  den  Erfolg  eines  so  ge- 
ordneten Unterrichts  sind  auf  dem  Reformgymnasium  günstiger 
als  auf  dem  alten  Gymnasium.  Und  somit  fallen  alle  diejenigen 
Einwände  fort,  die  sich  auf  das  jugendlichere  Alter  und  die  ge- 
ringere Reife  des  Tertianers  gründen.  Demnach  gibt  denn  auch 
Kohl  die  Möglichkeit  der  Ahrensschen  Methode  beim  Beginn  des 
Griechischen  in  Untersekunda  zu,  zuerst  schüchtern,  mit  der  Be- 
gründung, daß  der  Versuch  nicht  in  viele  Anstalten  störend  ein- 
greife, sodann  unumwunden,  indem  er  seine  Freude  ausspricht, 
in  bezug  auf  die  Untersekunda  der  Reformanstalten  mit  Agahd 
übereinzustimmen. 

Der  Vorkursus  wird  nach  Hartmann  aber  Untersekundanern 
noch   trockener    vorkommen   als  Untertertianern,    ein   lebendiges 


216  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Griechisch  wird  ihnen  in  den  aus  Homerformen  zurechtgemachten 
Sätzchen  nicht  vorgeführt.  Der  Übergang  zum  Attischen  erfordert 
wieder  Übungsstoff  in  Sätzen,  also  der  doppelte  grammatische 
Kursus  beseitigt  das  Obel  nicht,  das  er  eigentlich  bekämpft.  Den 
Erfahrungen,  auf  die  Agahd  sich  beruft,  stehen  andere  gegenüber, 
die  nicht  so  günstig  sind. 

Aus  allen  solchen  Erörterungen  ergibt  sich,  daß  bei  diesem 
Verfahren  der  griechische  Unterricht  in  ungewohnt  hohem  Maße 
mit  Grammatik  neu  belastet  wird.  Zwei  grammatische  Kurse 
werden  notwendig,  einer  in  homerischer,  einer  in  attischer  Gram- 
matik. Es  ist  etwas  ganz  anderes,  wie  gegenwärtig,  vom  Atti- 
schen aus  bei  der  Homerlektüre  dem  Schüler  die  homerischen 
Formen  zu  erschließen,  als  die  homerische  Formenlehre  zur  Grund- 
lage der  grammatischen  Kenntnisse  zu  machen.  Der  Übergang 
zum  Attischen  ist  schwerer  als  der  umgekehrte  Weg;  in  der 
Kenntnis  des  Attischen  aber  muß  ein  viel  höherer  Grad  von 
Sicherheit  erzielt  werden,  als  jetzt  in  der  Kenntnis  der  homeri- 
schen Formenlehre  nötig  ist.  Die  Homerformen  braucht  der 
Schüler  gegenwärtig  nur  zu  erkennen,  die  attischen  muß  er 
bilden  und  anwenden  lernen.  Auf  diese  Fähigkeit  darf  man 
auch  fernerhin  nicht  verzichten;  daneben  will  die  Ahrenssche 
Methode  aber  auch  die  Kenntnis  der  homerischen  Grammatik  bis 
zu  demselben  Grade  steigern  und  das  zu  einer  Zeit,  wo  die  An- 
zahl der  Unterrichtsstunden  für  das  Griechische  an  allen  Gymnasien 
gegen  früher  herabgesetzt  ist  und  wo  in  allem  sprachlichen  Unter- 
richt das  Bestreben  herrscht,  die  Grammatik  von  allem  irgend 
Entbehrlichen  zu  entlasten. 

Man  mag  indessen,  da  die  Ansichten  noch  so  weit  ausein- 
andergehen, dem  praktischen  Versuche  Raum  geben  und  sehen, 
ob  dadurch  die  schwerwiegenden  Bedenken,  die  diesem  Verfahren 
sich  entgegenstellen,  entkräftet  werden. 

Die  von  Hornemann  versprochenen  neuen  Lehrbücher  sind 
erschienen  unter  dem  Titel: 

26)  F.  Hornemann,  Griechische  Schulgrammatik,  zum  Gebrauche 

beim  griechischen  Unterricht  aTier  Stufen  nach  der  Methode 
H.  L.  Ahrens.  I.  Teil:  Homerische  Formenlehre.  Göttingen 
1904,  Vandenhoeck  Sc  Ruprecht.  II  u.  150  S.  8.  2,40  JC.  —  Vgl. 
0.  Kohl,  Zeitschr.  f.  d.  GW.  1904  S.  651  ff. 

27)  R.  Agahd,     Griechisches    Elementarbuch    aus    Homer.      Auf 

Grundlage  des  Elementarbuches  von  H.  L.  Ahrens  bearbeitet.  Ebenda 
1904.     VI  u.  146  S.     8.     2,40  JC.  —  Vgl.  0.  Kohl  a.  a.  0. 

Hornemann  will,  daß  die  griechischen  Formen  von  vornherein 
nicht  nur  mit  dem  Gedächtnis  aufgenommen  werden,  sondern  daß 
die  Schüler  ihre  Bildungsweise  verstehen  und  sie  gewissermaßen 
selbst  machen  lernen.  Er  setzt  mit  diesem  Ziel  und  in  Anlage 
und  Einrichtung  seiner  Grammatik  ein  hohes  Maß  von  sprach- 
wissenschaftlichem Interesse  bei  dem  Schuler  voraus,  scheint  aber 


^ 


Homer,  von  E.  Naumann.  217 

selbst  zu  fühlen,  daß  dieses  nicht  auf  allen  Stufen  gleich  stark 
sein  kann.  Dem  Primaner  kann  manches  „verständlich  gemacht 
werden",  was  an  „sprachwissenschaftlichen  Erklärungen"  über  den 
Gesichtskreis  jüngerer  Schüler  hinausgeht.  Es  wird  also  in  den 
Abschnitten  §  24—88,  die  dem  „Elementarunterricht"  angehören, 
„einfacher  und  elementarer"  verfahren;  das  kann  doch  nur  heißen: 
es  wird  vielfach  auf  die  genetische  Darstellung  der  Form,  mithin 
gerade  auf  das  Ziel,  um  dessen t willen  die  Methode  gewählt  ist, 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  verzichtet.  Um  des  Elementar- 
unterrichts willen  ist  denn  auch  manches  in  Anmerkungen  gesetzt, 
was  bei  dem  rein  genetischen  Verfahren  im  Text  oder  im  Para- 
digma stehen  müßte.  Im  Paradigma  der  Homergrammatik  sollte 
neben  (laxawv  [laxswv,  vor  Xnnov  tnnoio  stehen;  denn  diese 
Formen  finden  sich  nahezu  „ebenso  häufig",  Inrcoio  ist  dazu 
älter  als  tnnov.  Offenbar  zur  Entlastung  des  Anfängers  sind  sie 
in  Anmerkungen  verwiesen,  damit  sie  später  gelernt  werden;  und 
doch  muß  [xccxicov  gewußt  werden,  ehe  die  attische  Form  iia%wv 
vorgeführt  wird;  wann  soll  es  also  gelehrt  werden?  Wer  von 
der  attischen  Formenlehre  zur  homerischen  kommt,  für  den  ist 
die  Anordnung  gleichgültig,  nicht  aber  für  den  entgegengesetzten 
Weg.  Das  Buch  ist  eben,  wie  das  Titelblatt  besagt,  zum  Ge- 
brauche auf  allen  Stufen  bestimmt,  also  auch  auf  Stufen,  denen 
Unterricht  in  der  attischen  Grammatik  bereits  vorangegangen  ist, 
und  läßt  daher  die  für  den  Elementarunterricht  geeignete  Form 
nicht  rein  zur  Entwickelung  kommen.  Für  diesen  ist  die  von 
Ahrens  eingeführte  Abhandlung  des  Verbs  nach  „Systemen" 
an  sich  zu  zerstreuend;  mit  der  hier  vorliegenden  Bearbeitung 
wird  sich,  schon  wegen  des  Fehlens  eines  zusammenhängenden 
übersichtlichen  Paradigmas,  schwerlich  ein  festes  Schema  des 
griechischen  Verbs  einprägen  lassen.  Wunderlich  muß  es  er- 
scheinen, daß  der  Dualis  des  Verbs,  „eine  bei  Homer  verhältnis- 
mäßig seltene  Form",  nicht  bloß  fast  zwei  Seiten  lang  ausführlich 
behandelt  und  mit  den  verschiedenen  Tempora  belegt  wird,  die 
indes  nicht  bedeuten  sollen,  „daß  sich  Beispiele  zu  ihnen  allen 
wirklich  finden",  sondern  daß  alles  dieses  geschieht  (§  61),  noch  ehe 
über  Endungen  und  über  Tempusbildung  gesprochen  ist  (§  63,  64). 
Es  steht  zu  fürchten,  daß  mit  Einführung  dieser  Grammatik 
der  Homerunterricht  von  seiner  nächsten  Aufgabe,  der  Erklärung 
der  Homerischen  Gedichte  ab-  und  in  einen  propädeutischen  Kursus 
für  sprachwissenschaftliche  Studien  hineingedrängt  werde.  Nicht 
bloß  die  Erklärungen  S.  139 ff.,  die  dem  Primaner  vielleicht  noch 
„verständlich  gemacht  werden  können",  enthalten  vieles,  was  mit 
Homer  nur  im  losen  Zusammenhange  steht,  z.  B.  zu  §  45,  93, 
sondern  auch  der  Text  geht  in  der  Aufnahme  von  Urformen  und 
konstruierten  Zwischenformen  über  das  Bedürfnis  der  Homer- 
grammatik hinaus,  z.  B.  poväcc  =  *[AOM-jä  §  24,  ndvr-j-a, 
(pccvsvv-ja,  xqixpavTJa  §  33.    Es  führt  nicht  mehr  das  lebendige 


218  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Wort  hin  zu  Homer,  sondern,  seines  Fleisches  entblößt,  als  Stamm 
und  Wurzel  fuhrt  es  in  die  Gärten  sprachwissenschaftlichen  Fach- 
studiums. Der  Lehrer  des  Griechischen  muß  auf  diesem  Gebiete 
bewandert  sein;  für  ihn,  darin  stimme  ich  mit  Kohl  überein,  ist 
diese  Formenlehre  ein  brauchbares  Hilfsmittel;  dem  Unterricht  in 
der  Schule  aber  lege  man  es  nicht  zugrunde. 

Das  Elementarbuch  ist  eine  Umarbeitung  des  von  Ahrens 
herausgegebenen.  Es  beginnt  mit  einem  „systematischen  Vor- 
kursus4' von  37  Paragraphen,  der  vor  der  Lektüre  durchzunehmen 
ist,  darauf  folgt  der  „methodische  Kursus",  neben  der  Lektüre  durch- 
zunehmen (§  38—90).  Den  Aufbau  im  einzelnen  hat  Kohl  in 
der  Besprechung  des  Buches  angegeben.  Daran  schließt  sich  der 
Text  von  Od.  9,  39—544,  in  24  Abschnitte  zerlegt  S.  65—85,  mit 
grammatischen  Erläuterungen  unter  dem  Text  und  einem  nach- 
folgenden Wörterverzeichnis  nach  Versen  geordnet  S.  85 — 104. 
Es  folgen  38  Übungsstucke  zum  Übersetzen  in  das  Griechische 
S.  105 — 119,  ein  sachlich  geordnetes  Wörterverzeichnis  S.  120 — 
133,  eine  Zusammenstellung  der  „Systeme"  eines  Teiles  der  vor- 
gekommenen Verben  S.  134 — 139  und  ein  alphabetisches  Wörter- 
verzeichnis S.  140—146.  Welche  Zeit  der  rein  grammatische 
Unterricht  des  Vorkursus  in  Anspruch  nimmt  und  wieviel  Zeit 
auf  den  abschnittweise  durchzunehmenden  und  die  Lektüre  unter- 
brechenden methodischen  Kursus  zu  verwenden  sein  wird,  entzieht 
sich  genauer  Berechnung;  der  Anschein  spricht  nicht  dafür,  daß 
man  auf  diesem  Wege  auch  nur  ebenso  schnell  zu  einer  zu- 
sammenhängenden Lektüre  kommt,  wie  mit  den  jetzt  gebräuch- 
lichen Lesebüchern.  Ganz  folgerichtig  will  Agahd  die  Einübung 
der  Grammatik  nicht  bloß  durch  Einprägung  der  Formen,  sondern 
auch  durch  mündliche  und  schriftliche  Übersetzung  deutscher 
Übungssätze  herbeiführen.  Also  Übersetzung  prosaischer  Sätze  in 
homerische  Sprache!  Ist  denn  der  sogenannte  homerische  Dialekt 
jemals  Umgangssprache  gewesen?  Wird  hier  nicht  etwas  an  sich 
Unberechtigtes  verlangt?  Der  Übersetzungsstoff  soll  nur  die 
homerischen  Formen  befestigen,  er  ist  so  einfach  gehalten,  „daß 
er  keine  geistige  Kraft  absorbiert*'.  Diese  Absicht  muß  man  be- 
rücksichtigen, wenn  man  Sätze  findet  wie:  Ich  verließ  dich,  Ge- 
fahrte, und  floh  in  den  Hof.  Du  flohst  uns,  wir  aber  zerstörten 
dein  Haus,  Die  Helden  wurden  durch  die  Worte  der  Herolde 
angetrieben,  nicht  zu  fliehen.  0  Gott,  verhülle  den  Schiffbauern 
und  Hirten  die  Sonne  nicht!  u.  a.  m.,  besonders  solche,  die  um 
der  Vokativformen  willen  gebildet  sind;  man  wird  sie  nicht  an- 
führen dürfen,  wenn  man  beweisen  wollte,  daß  das  Elementar- 
buch aus  Homer  einen  reicheren  Gedankengehalt  übermittelt  als 
die  bisher  üblichen  Lesebücher. 

Daß  man  mit  diesem  Übungsbuch  in  die  Homerlektüre  ein- 
führen kann,  wenn  noch  kein  griechischer  Unterricht  vorher- 
gegangen ist,  muß  anerkannt  werden. 


^ 


Homer,  von  E.  Naumann.  219 

IV.   Sprachliches. 

28)  B.  Gerth,  Griechische  Schulgrammatik.    Sechste  Auflage.   Leipzig 

1901,  G.  Freytag.     IV  u.  247  S.    8.    geb.  2,50  Jf6. 

29)  Georg   Cortius'  Griechische   Schulgrammatik,    bearbeitet  von 

W.  v.  Hartel.     23.  Auflage,    bearbeitet    von    R.  Meister.     Leipzig 

1902,  G.  Freytag.     VIII  u.  266  S.     8.     geb.  3,20  Jt. 

Die  Behandlung  der  homerischen  Formenlehre  in  der  Gram- 
matik von  Gerth  steht  unter  dem  Gesichtspunkt  der  Kurze,  aber 
diese  geht  zu  weit.  Unter  den  Suffixen  mußte  neben  -&ev  und 
-<p  in  §  346,  wenn  selbst  die  andern  übergangen  werden  sollten, 
wenigstens  noch  -d-i  als  „kasusartige  Endung'4  (Koqw&o&i, 
'/JUo'^*  7iq6,  avio^i)  genannt  werden,  in  §  347  wäre  der  Nach- 
weis der  drei  Stämme  von  vlog  mit  ihren  Formen  erwünscht, 
neben  den  Aoristen  ohne  Tempuszeichen  und  den  gemischten 
Aoristen  mußten  in  §  353  auch  die  Aoriste  von  Liquidastämmen 
mit  Tempuszeichen  nachgewiesen  werden.  Über  diese  und  ähn- 
liche Erscheinungen  wird  der  Schüler  in  einer  Formenlehre  des 
epischen  Dialekts  immerhin  Auskunft  erwarten  dürfen,  wenn  auch 
die  vollständige  Aufzählung  der  Beispiele  nicht  nötig  ist. 

Meister  wiederholt  die  ausführliche  Darstellung  des  „homeri- 
schen Dialektes"  in  der  Form,  zu  der  v.  Hartel  die  entsprechenden 
Anmerkungen  in  der  Grammatik  von  Gurtius  zusammengestellt  hat 
(zuerst  erschienen  1887)  mit  geringfügigen  Änderungen. 

30)  Autenrieths  Schulwörterbuch  zu  den  Homerischen  Gedichten. 

Zehnte,  verbesserte  Auflage,  besorgt  von  A.  Kaegi.  Mit  vielen  Holz- 
schnitten und  zwei  Karten.  Leipzig  und  Berlin  1904,  B.  G.  Teubner. 
XV  u.  374  S.     8.    geb.  3,60  Jt. 

Die  Neubearbeitung  beschränkt  sich  auf  die  Etymologie,  die 
in  möglichster  Übereinstimmung  mit  der  gleichzeitig  erschienenen 
Neuauflage  von  Benselers  Wörterbuch  gesetzt  worden  ist.  Eine 
durchgreifende  Umarbeitung  wird  für  später  in  Aussicht  gestellt. 
Bei  dieser  wird  es  sich  empfehlen,  auch  auf  deutschen  Satzbau 
und  Ausdruck  zu  achten  (vgl.  z.  B.  die  Artikel  drjdcov,  xviöfj, 
Kogaxog  nr&gf),  der  gerade  in  einem  Wörterbuch  einwandfrei 
sein  muß. 

31)  W.  Waehner,    Ober  ij,   <og   (fdro,   ajg   eincjv   und    verwandte 

epische  Formeln,  111.  Progr.  Göttingen  1904.  4.  18  S.  —  Vgl. 
E.  Bruhu,  Monatschr.  f.  höhere  Schulen   1904  S.  521. 

Nach  den  im  Jahre  1893  und  1894  erschienenen  zwei  Teilen 
(JB.  1895  S.  376  f.)  behandelt  Waehner  nunmehr  die  Schluß- 
formeln, die  ein  Partizip  enthalten,  und  den  Vers  ag  ol  p&v 
roiama  nqog  aXXrjkovg  ayoqsvov.  In  cog  slnoiv  bezeichnet 
gewöhnlich  das  Partizip  eine  Handlung,  die  völlig  zu  Ende  ge- 
kommen ist,  ehe  die  neue,  durch  das  Hauptverb  ausgedrückte 
Handlung  beginnt;  zuweilen  aber  auch  eine  Handlung,  die  neben 
der  Haupthandlung  verläuft,  ja   überhaupt  nicht  deutlich  von  ihr 


\ 


220  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

unterschieden  ist.  Das  ist  möglich,  weil  nach  Waehner  das  Partizip 
des  Aorists  der  Vergangenheitsbedeutung  entbehrt,  es  ist  das 
„Momentanpartizip".  Spricht  man  von  einer  Handlung  als  Ante- 
cedens, so  denkt  man  gewöhnlich  nicht  mehr  an  die  verschiedenen 
Stadien  ihres  Verlaufs,  sie  erscheint  nur  als  ein  Punkt  in  der 
Reihe  der  Geschehnisse.  Es  gibt  aber  auch  Stellen,  wo  das  auf 
elnciv  folgende  Verb  eine  Handlung  bezeichnet,  die  mitten  in  der 
Rede  eintritt ;  v  352  dg  sinovaa  d-sd  axidaa'  ^iqcc,  eitiavo  di 
X&cov  kann  nach  dem  ganzen  Zusammenhang  nur  bedeuten: 
während  ihrer  Rede  zerstreute  die  Göttin  den  Nebel.  In  den 
Fällen,  wo  nicht  beide  Handlungen  zeitlich  zusammenfallen,  be- 
richtet das  Hauptverb  sehr  oft  eine  gleichgültige  oder  selbstver- 
ständliche Handlung,  wie:  ersetzte  sich  hin,  er  entfernte  sich.  — 
Die  Formel  wg  cpdfiepog  ist  bei  Homer  ziemlich  selten,  sie  steht, 
wo  das  Metrum  cog  rfncov  ausschließt.  —  Die  Formel  cog  aqa 
<pcavjj<fag  gehört  fast  ausschließlich  der  Ilias  und  Odyssee  an,  sie 
ist  sinnlicher  und  lebendiger  als  die  anderen  und  tritt  ein,  wo 
die  feierlichere  Formel  vog  elncov  nicht  gebraucht  werden  kann 
und  eine  lebhaftere  und  gewichtigere  Redeausleitung  angemessen 
erscheint.  —  Die  Redewendung  cog  ol  (isv  tomxvtci  nqög  dlX^- 
Xovg  ayoQsvov,  8  mal  in  der  Ilias,  16  mal  in  der  Odyssee,  ist 
nur  am  Platze,  wo  das  Gespräch  wirklich  abgeschlossen  ist,  auch 
in  dem  Sinne,  daß  die  Reden  und  Gegenreden  ohne  besondere 
Folgen  bleiben  oder  daß  der  Dichter  die  Schilderung  der  Folgen 
nicht  unmittelbar  anschließt.  Was  auf  diese  Abschlußformel  folgt, 
schließt  sich  gewöhnlich  nicht  unmittelbar  an  das  Gespräch  an. 
Das  Wort  tomxvtcc  weist  darauf  hin,  daß  das  Gespräch  nicht  wört- 
lich mitgeteilt  ist. 

Aus  den  Endergebnissen  der  Untersuchung  ist  folgendes  her- 
vorzuheben: 1.  q  (qa)  tritt  als  Redeabschluß  ein,  wenn  der  Redner 
sofort  nach  seiner  Rede  dieser  entsprechend  handelt.  —  2.  dg 
(fdzo,  dg  Sq'  scfTj  tritt  ein,  wenn  Zuhörer  nach  einer  Rede 
sich  äußern  oder  ihr  zufolge  etwas  tun.  —  3.  oog  dnoov,  dg 
(fd^spog,  cog  äqa  (pcovijoag  treten  besonders  dann  ein,  wenn  der 
Redner  nichts  mehr  zu  sagen  hat  und  deshalb  sich  wieder  setzt 
oder  entfernt.  —  4.  oog  ol  pev  xoiavxa  usw.  tritt  ein,  wenn  die 
Sprechenden  sich  nichts  mehr  zu  sagen  haben  oder  auch  der  Dichter 
es  für  unnötig  hält,  von  ihrer  Unterhaltung  noch  mehr  mitzuteilen. 

Es  muß  noch  bemerkt  werden,  daß  der  Verf.  die  Unter- 
suchung auch  auf  andere  Epiker,  insbesondere  auf  Kointos  und 
Nonnos  ausgedehnt  hat. 

V.  Homerstudien  bei  den  Alten. 

32)   6.  Walter,    De    Lycophrone    Homeri    imitatore.     Diss.   ioaog. 
Basel  1903,  Berichthaus  A.-G.     8.     76  S. 

Im  Gegensatz  zu  der  verbreiteten  Ansicht  wird  der  Nachweis 
unternommen,  daß  Lykophron  Homer  als  Quelle  sorgfältig  benutzt 


_j 


Homer,  von  £.  Naumann.  22l 

und  sogar  in  einer  Handschrift  nachgeschlagen  habe.  Durch  ein- 
gehende Interpretation  der  Stellen  Alexandra  648—792  und  249 
— 306,  wo  der  Inhalt  der  Odyssee  und  der  llias  angedeutet  ist, 
kommt  der  Verf.  zu  dem  Ergebnis,  daß  Lykophrons  Erzählung 
sich  allein  auf  Homer  stützt  und  andere  Sagen  nur  nebenher  er- 
wähnt. Ja  so  eng  habe  sich  der  gelehrte  Dichter  an  Homer  an- 
geschlossen, daß  er  seltene  oder  einmal  gebrauchte  Wörter  Homers 
gern  hervorgezogen  habe,  zuweilen  sogar  aus  Glossographen.  — 
Von  Einzelheiten  hebe  ich  folgendes  heraus:  M  37  Jiög  padtiyi 
d.  i.  xsqccvvw;  vgl.  B  781  f.  u.  Schol.  M  37  Jiög  ds  jwacm?  6 
xsqavvog.  —  N  339  scpQi&v  ds  [idxfj,  nach  dem  Schol.  ist 
cfQiaastv  von  den  Halmen  des  Kornfeldes  auf  die  Speere  über- 
tragen; vgl.  xfj  598.  Lykophr.  252  f.  niifqixav  d\  coöts  Xtjiov, 
yvtcu  Xoy^aig  dnodtiXßovxsg.  —  O  653  äxqai  vyeg  von  Lyk. 
295  gleichgesetzt  mit  atpXaaxa  und  xoQvpßa.  —  77  260.  Lyk. 
293  läßt  die  Knaben  die  Wespen  durch  Rauch  aufstören,  was 
Schol.  /  242  erwähnt  wird;  er  las  II  261  s%oviag  mit  Aristarch, 
nicht  syjovxsg.  —  X  360  ivl  Sxaiyöi  niXtfiiv^  Lyk.  774  ln\ 
2xcuatg,  Schol.  Pind.  Nem.  VIII  58'  snl  Sxcurjöi  nvXrßi.  — 
X  441  &q6vcc,  Lyk.  673  versteht  darunter  (fdg^axa,  Farbkraut 
und  durch  Metonymie  gefärbten  Stoff.  —  S2  54  xcotpfjv  yatav 
aeixit>si,  Lyk.  267  nsdov  xqaivfl  (povw,  er  versteht  also  unter 
yatav  den  Erdboden,  unter  asixi^co  mit  Blut  beflecken.  — 
Lykophron  las  wahrscheinlich  e  281  hqwov,  s  315  avxöv  ßaXs 
statt  avxog  n&Ge,  s  346,  373  tsxiqvoioi,,  s  409  xai  dij  xods 
Xatxfjba  diaxfiföag  sniqaa(a)a^  t,  344  6ÖQ7tov,  nicht  dstnvov, 
x  124  nsiqovxeg  und  verstand  mit  dem  Schol.  zur  Stelle  %vXoig 
ans^va^ivotg  diinsiQOV  avxovg  xai  cog  lyftvag  ix  xijg  #a- 
XdöGtjg  aveiXovxo.  —  x  242  kannte  Aristarch  nicht,  Kallistratos 
schrieb  dafür  navxoirig  vXi\g  sxl&si  iieXirjöea  xaqnov.  Es 
scheint  an  der  Stelle  ein  anderer  Vers  gestanden  zu  haben,  auf 
Grund  dessen  Lyk.  677  f.  schreiben  konnte  yiyaqxi  %iXu>  övfi- 
lispiyp&va  xqvyog  xai  (txifjbtpvXcc  ßqv^ovtiw.  —  Eine  Form  wie 
credebis  S.  23  Z.  20  sollte  in  einer  Dissertation  nicht  vorkommen. 

VI.   Sacherklärung. 

33)  Christian  Härder,  Homer,  ein  Wegweiser  zur  ersten  Ein- 
führung in  die  llias  und  Odyssee.  Mit  96  Abbildungen  und 
3  Karten  in  Farbendruck.  Leipzig,  G.  Freytag  und  Wien,  F.  Tempsky 
1904.    VIII  u.  282  S.     8.     geb.  4,60  Jt. 

Das  Buch  soll  zunächst  ein  Hilfsmittel  für  die  Lehrer  sein, 
die  an  Anstalten,  welche  nicht  Griechisch  treiben,  also  an  Real- 
anstalten und  auf  höheren  Töchterschulen,  den  deutschen  Unter- 
richt, dem  die  „  Lektüre  Homers  in  ei  Der  guten  Übersetzung"  zu- 
fällt, zu  erteilen  haben.  Seiner  ganzen  Anlage  und  Ausfuhrung 
nach  enthalt  es  '  bedungene  Einführung  in  das 

Gesamtleben    ä  ters  und    beruht  auf  so  ein- 


222  Jahresberichte  d,  Philolog.  Vereins. 

gehender  Kenntnis  und  Berücksichtigung  der  wissenschaftlichen 
Forschung,  daß  es  auch  da,  wo  die  Gedichte  im  Urtext  gelesen 
werden,  ein  willkommener  Begleiter  des  Unterrichts  sein  wird. 
Was  sonst  in  „Hilfsheften"  zu  den  einzelnen  Gedichten  geboten 
wird,  ist  hier  zu  zusammenhängender,  wohlgegliederter,  auch  der 
Sprache  nach  lesbarer  Darstellung  vereinigt.  Die  Anschauung  wird 
durch  eine  große  Reihe  von  Abbildungen  unterstützt,  von  denen 
viele  aus  dem  Homerwörterbuch  desselben  Verfassers  (JB.  1902 
S.  1 98 f.)  wiederholt  sind;  die  Nachprüfung  der  höchst  zuver- 
lässigen Angaben  wird  durch  genaue  Stellennachweise  überall  er- 
möglicht. Mit  Sorgfalt  sind  sämtliche  für  die  homerische  Welt 
in  Betracht  kommenden  Lebenskreise  behandelt:  Privatleben,  Staat 
und  Recht,  Krieg  und  die  Verehrung  der  Götter.  In  der  Ein- 
leitung werden  die  geschichtlichen  und  erdkundlichen  Grundlagen 
behandelt  und  der  Inhalt  der  Ilias  und  der  Odyssee  ausführlich, 
aber  übersichtlich  erzählt.  Am  Schluß  folgen  Abschnitte  über  die 
Geschichte  der  Homerischen  Dichtungen,  die  dichterische  Kunst 
und  Homer  im  Wandel  der  Zeiten;  in  dem  vorletzten  sind  die 
neuesten  Ergebnisse  der  Homerkritik  in  besonnener  Weise  ver- 
wertet. 

34)  Nix.  K.  üavlaTog,  *H  dlfid-rjg^Id-ttXfi  Tov'OfirjQov,  «pjfatoAoytxq 

ftttärj.    Erste  Auflage  Paträ  1901.    Zweite,  vermehrte  Auflage  Athen 
1902.     8.     30  S. 

35)  H.  Michael,  Das   homerische  uod   das  heutige  Ithaka.     Progr. 

Jauer  1902.     28  S.     Mit    einer    Karte.     1,50  ,M-    —    Vgl.  K.  Rothe, 
JB.  1903  S.  311  f.;  £.  Bruho,  Mooatschr.  f.  höhere  Schalen  1904  S.  516. 

Die  Frage  nach  dem  homerischen  Ithaka  ist  durch  zwei  Vor- 
träge, die  W.  Dörpfeld  im  Deutschen  Archäologischen  Institut 
zu  Athen  und  im  Januar  1902  in  der  Philologischen  Gesellschaft 
„Parnassos"  ebendaselbst  gehalten  hat,  von  neuem  lebhaft  an- 
geregt worden.  Dörpfeld  spricht  darin  die  Überzeugung  aus,  daß 
das  homerische  Ithaka  das  heutige  Leukas,  das  gegenwärtige  Ithaka 
dagegen  Homers  Same  und  daß  Kephallenia  Homers  Dulichion  sei. 
Veröffentlicht  sind,  soweit  mir  bekannt,  die  Vorträge  nicht;  über 
Dörpfelds  Gründe  berichtet  hat  P.  Eisner  in  dem  Aufsatz:  „Der 
Herrschersitz  des  Odysseus"  in  Nr.  261  der  Schlesischen  Zeitung 
vom  13.  April  1900.  Das  Zeitungsblatt  ist  jetzt  vergriffen  und 
hat  mir  nicht  vorgelegen. 

Mit  Dörpfelds  Ansichten  beschäftigen  sich  die  obengenannten 
zwei  Schriften. 

Paula  tos  verweist  gegen  Dörpfelds  Gleichsetzung  von  Ithaka 
mit  dem  heutigen  Leukas  auf  die  Angaben  Homers,  äpipl  di 
vvjötH  Tcolkccl  vaisxaovöi  und  al  d£  %*  avsv&s  nqoq  qä  fj£Xi6v 
tf  v  22  und  26.  Die  andern  Inseln  liegen  „herum",  wie  auch 
ß  65  f.  nsQixziovsg  und  neQivaisraovGt,  bestätigt,  nicht  „nahe- 
bei",   wie  Dörpfeld    das    neqi   im  Widerspruch  mit  *  26  deutet 


Homer,  von  E.  Naumann.  223 

Mit  den  alten  Erklärern  ist  Dulichion  als  der  westliche  Teil  von 
Kephallenia,  rj  IlalixTJ  %eQa6vriGoq,  Same  als  der  östliche  Teil 
derselben  Insel  anzusehen,  welche  sich  Homer  in  die  beiden  Teile 
zerrissen  dachte.  Der  zwischen  beiden  liegende  Isthmus  ist  so 
niedrig,  daß  er  zeitweilig  vom  Meere  überflutet  wurde.  Mit  jener 
Annahme  stimmt  c?  669 ff.,  o  29  überein;  denn  der  hier  erwähnte 
Ttoqd'iiog  findet  sich  zwischen  Kephallenia  und  Ithaka.  Ilqdg  qoo 
feXiov  %s  bezeichnet  nach  M  239  f.  und  x  190  ff.  auch  den  Süden, 
nqog  £6<pov  auch  den  Norden,  also  liegt  Ithaka  nördlicher  als  die 
anderen  genannten  Inseln.  Paulatos  umschreibt  demnach  die 
Stelle  *  21  ff.  folgendermaßen:  Oixco  trjv  evdfjXov^I&dxfjv,  h$a 
vipovrai,  oqog  xo  iieyaXonqsnsg  xazdtpvxov  NtjqiTOp.  niqi'S  d' 
ccvxqg  imdq%ov<Si  noXXal  vtfaoi,  nXrjöisöraTai  äXXyXaig,  to 
4ovki%iov,  i\  2dfifj  xai  rj  daaaidfjg  Zdxvv&og.  Av%t\  iitv 
(pvöa)  nccwipiOTti  xeXxai  nXijaiov  xijg  (ßvavxi)  r^nsiqov  nqog 
Boqqav  q  xai  nqog  dvtifidg,  ccl  08  noXXaX  vrßoi  noqqcoitqw 
(xijg  ijnsiqov)  nqog  voxov  q  dvaxoXdg  (S.  12).  Der  Fels  Aevxdg, 
der  niemals  mit  den  anderen  Bergen  als  auf  Ithaka  liegend  er- 
wähnt wird,  lag  außerhalb  dieser  Insel. 

Die  Insel  ^Aöxsqig,  bei  welcher  die  Freier  dem  heimkehrenden 
Telemach  auflauern,  d  844.  671  ff.,  o  28  ff.,  liegt  in  der  Durch- 
fahrt zwischen  Ithaka  und  Same;  der  Mahnung  Athenes  folgend 
o  33  ff.,  meidet  Telemach  die  Inseln  und  fährt  zwischen  den 
Echinaden,  welche  auch  Goal  heißen,  und  dem  Festlande  entlang 
und  gelangt  so  ungesehen  zu  dem  Anlegeplatz  in  Ithaka.  Von 
der  zwischen  Leukas  und  Ithaka  gelegenen  Insel  Idqxovdovijcn, 
bei  der  Dörpfeld  den  Hinterhalt  der  Freier  annimmt,  mußte  er 
bemerkt  werden;  auch  die  kurze  Dauer  der  Fahrt  spricht  gegen 
diese  Annahme.  Die  in  jener  Durchfahrt  gelegene  Insel  JaöxaXsio, 
die  im  Altertum  größer  war  und  nach  ApoIIodor  eine  Stadt 
Alalkamenai  trug,  oder  eine  zweite,  llqcoxij,  die  jetzt  verschwunden 
ist,  wird  die  Insel  Asteris  gewesen  sein. 

Dörpfeld  führt  für  seine  Vermutung  die  größere  Nähe  des 
Festlandes  an,  wo  die  12  Herden  des  Odysseus  sind,  und  woher 
täglich  Schafe  in  den  Palast  geliefert  werden,  £  100  ff. ;  aber  aus 
£  103 — 106  ergibt  sich,  daß  die  Lieferungen  aus  den  auf  Ithaka 
selber  weidenden  11  Herden  bestritten  werden.  Unter  dem  Fest- 
lande, auf  dem  die  Herden  weideten,  ist  nach  Strabo  Leukas 
miteinbegriffen,   wo    gleichfalls  Kephallenen    wohnten  (vgl.  v  210). 

Dörpfeld  nimmt  das  Scherzwort  Telemachs  ov  [i£v  ydq  xi 
<f€  ne£ov  öioficu  iv&dff  lxi<s&m  «271  ernst,  als  ob  auf  irgend 
eine  Weise  jemand  auch  zu  Fuß  nach  Ithaka  (bzw.  Leukas)  müßte 
kommen  können;  aber  das  Homerische  Ithaka  ist  ausnahmslos  als 
Insel  bezeichnet. 

Die  Angaben  über  Örtlichkeiten  auf  Ithaka  selbst  treffen  alle 
auf  das  heutige  Ithaka  mit  seinen  charakteristischen  Eigentümlich- 
keiten zu. 


224  Jahresberichte  d.  Philologe.  Vereins. 

Die  alten  Schriftsteller  haben  niemals  Leukas  als  Ithaka  be- 
zeichnet, sondern  davon  sorgfältig  unterschieden  und  als  zu  Akar- 
nanien  gehörig  bezeichnet  (S.  24 — 29). 

Paulatos  schließt  mit  dem  Wunsche,  daß  systematische  Aus- 
grabungen auf  Ithaka  vorgenommen  werden  möchten. 

Michael  war  mit  Partsch  zusammen  fünf  Tage  auf  der  Insel, 
nach  der  Abhandlung  von  Paulatos  bringt  er  kaum  noch  neue 
Grunde  gegen  Dörpfeld  vor.  —  Daß  Ithaka  trotz  seiner  Berge 
X&a(iccXij  genannt  wird,  erklärt  er  mit  Partsch  daraus,  daß  die 
Bezeichnung  den  Eindruck  der  Fernsicht  und  den  Vergleich  mit 
den  viel  höheren  Bergen  auf  Zante  und  Kephallenia  widergibt;  er 
möchte  aber  i  25  f.  streichen.  —  Angaben  des  Epos  über  er- 
dichtete Fahrten  des  Odysseus,  ?  316  ff.,  x  270  ff.  und  £  324  ff., 
ebenso  über  die  Reisen  der  Athene-Mentes  sprechen  gleichfalls 
gegen  Dörpfeld.  Auf  die  Beschaffenheit  der  Insel  näher  eingehend, 
weist  M.  nach,  daß  die  Angaben  Homers  auf  Ithaka  zutreffen; 
die  vom  Dichter  angegebenen  örtlichkeiten  werden  meist  in  Über- 
einstimmung mit  den  an  Ithaka  festhaltenden  Forschern  nach- 
gewiesen, das  Gut  des  Laertes  verlegt  er  zwei  Kilometer  nord- 
westlich von  der  alten  Stadt,  die  Nymphengrotte  nimmt  er  als 
zerstört  oder  eingefallen  an,  da  die  von  Thiersch  nachgewiesene 
nicht  die  von  Homer  angegebene  Lage  habe.  Ob  ein  Nachweis 
dieser  örtlichkeiten  auf  Leukas  versucht  worden  ist,  ist  nicht 
bekannt  geworden. 

36)  Nixol.  Havlärog,  *H  o/zfiQixrj^fd-dxrj  xal  6  ayqbe  tov  /laiQtov 
io  der  Zeitschrift  AI  Movoai,  Zakynthos  1902,  Nr.  225  und  226. 

Der  Verf.  untersucht  die  Lage  der  Gärten  des  Landes  auf 
dem  heutigen  Ithaka.  Homer  gibt  keine  ausfuhrliche  Schilderung 
des  ayqoq,  gibt  aber  an,  daß  er  wasserreich  und  fruchtbar  ist, 
ein  reicher  Obstgarten,  und  fern  von  der  Stadt  liegt.  Die  älteren 
Erklärer,  auch  Schliemann,  nehmen  ihn  mitsamt  der  Stadt  im 
mittleren  Teil  der  Insel  an,  von  Warsberg  verlegte  ihn  an  den 
Berg  Nei'on  beim  Hafen  Rbeitron.  Letzterer  ist  allerdings  unlös- 
lich mit-dem  Garten  des  Laertes  verbunden.  Nachdem  aber  Leake 
und  Partsch  die  Stadt  und  das  Herrenbaus  des  Odysseus  mit 
Sicherheit  auf  den  nördlichen  Teil  der  Insel  verwiesen  haben, 
muß  auch  dort,  und  zwar  nördlich  und  nicht  südlich  von  der 
Stadt,  der  Garten  gesucht  werden.  Die  Neueren,  z.  B.  Lang  und 
Menge,  wiesen  auf  die  zwei  Kilometer  von  der  Stadt  entfernten  ört- 
lich keiten^j^os  ^ASavaöioq  und  2%oletov  tov'O^qov  hin,  beide 
sind  jedoch  dem  angenommenen  Herrenhause  noch  so  nahe,  daß 
von  dort  aus  das  Toben  der  Freier  hätte  gehört  werden  können. 
Paulatos  nimmt  daher  als  Lage  für  die  Gärten  den  Ort  Kdkapog 
in  Anspruch,  unmittelbar  am  Fuße  des  Nefon,  nur  600  Meter  von 
dem  Busen  Aphales,  in  dem  jetzt  allgemein  der  Meerbusen  Rheitron 
erkannt  werde. 


Homer,  von  E.  Naumann.  225 

37)  E.  Aßmann,  Das  Floß  der  Odyssee,  sein  Bau  und  sein  phönizi- 
scher  Ursprung.  Berlin  1904,  Weidmanosche  Buchhandlung.  31  S. 
8.  0,60  Jt.  —  Vgl.  P.  Cauer,  N.  Jahrb.  f.  Phil.  1904  S.  598  f.; 
D.  Meuß,  Marine-Rundschau  1904  S.  610  ff. 

Das  rätselhafte  Floß  des  Odysseus  ist  kein  „Notkähn",  auch 
kein  „BlockschilT",  sondern,  wie  der  Name  G^sdir}  besagt,  tat- 
sächlich ein  „Floß",  wie  es  auf  dem  einzigen  alten  Bilde  jener 
Meerfahrt,  auf  einer  römischen  Tonlampe,  auch  dargestellt  ist. 
Odysseus  kappt,  glättet,  richtet  die  gefällten  Bäume  und  befreit 
sie  von  Ästen,  Auswuchsen,  Krümmungen,  Verdickungen,  um  gerad- 
linige und  gleichmäßige  Bauzylinder  herzustellen;  damit  ist  nicht 
gemeint,  daß  die  Bäume  zu  geradseitigen,  vierkantigen  Balken  be- 
hauen wurden,  eine  Balken-  oder  Bohlen  form  paßte  für  die  Floß- 
bänder und  viele  Teile  des  Oberbaues.  Zu  diesem  ist  kein  Eisen 
verwendet  worden;  denn  £  162  ist  zu  verbinden  Tupwv  %«Xxw, 
d.  i.  mit  dem  Beile.  Das  Wort  Xxqhx,  welches  der  Erklärung  die 
größten  Schwierigkeiten  bereitete,  bezeichnet  an  den  neun  Stellen, 
wo  es  außer  s  163,  252  bei  Homer  vorkommt,  Verdeck,  Halbdeck 
im  Vorder-  oder  Hinterschiff;  auch  bei  Herodot  5,16  bezeichnet 
es  einen  Bretterboden,  eine  Plattform,  auf  der  die  Hütten  der 
Pfahlbauten  standen  und  durch  welche  Falltüren  zum  Wasser 
führten.  Ähnlich  bei  Späteren.  Erst  die  Lexikographen  wurden 
unsicher  und  deuten  sie  unter  anderem  als  Schiffsrippen.  Die 
ixQicc  sind  also  eine  hochbeinige  Plattform,  eine  Art  Sturmdeck 
oder  fliegendes  Deck  über  dem  Floß,  welches  vermittels  der 
GTctvQoi,  der  Träger,  auf  diesem  steht;  s  252  ist  zu  konstruieren 
Xxqta  <ftij<fa<;  noiet,  er  fertigte  aufstellend  ein  Sturmdeck,  ägaQcov 
&a(i,i<u  GTapipsoaiv  indem  er  es  an  zahlreichen  Deckstützen  be- 
festigte. Die  fiaxQctl  inrjyxsvideg  sind  wagerechte  Langhölzer, 
welche  beiderseits  die  am  Rande  des  Deckes  hervorragenden  Köpfe 
der  Träger  verbanden  und  mit  ihnen  ein  Geländer  bildeten,  das 
durch  Einfügung  von  Flechtwerk  zu  einem  sogenannten  Schanz- 
kleid ausgestaltet  wurde.  Die  aufgehäufte  vXtj  scheint  ein  Vorrat 
an  Weidenruten,  Rohr  und  Reisig  zu  sein,  womit  Schäden  im 
Flechtwerk  ausgebessert  werden  konnten.  Die  Angaben  über  die 
übrige  Ausrüstung  sind  an  sich  verständlich,  von  den  drei  Arten 
Taue  («  260)  sind  die  vTtiqay  die  Brassen,  welche  die  Stellung 
des  Segels  regeln,  nodsg  die  Schoten,  welche  die  beiden  unteren 
Zipfel  des  Segels  festhalten,  und  xccXoi  die  Gordings,  die  zum 
Raffen  des  Segels  dienen. 

Diese  von  Breusing  weit  abweichende  Erklärung  hat  die 
größere  Einfachheit  des  Baues  für  sich  und  zwingt  auch  nicht, 
die  ganz  unverdächtigen  Verse  *  249 — 251,  „weil  sie  baren  Un- 
sinn enthalten",  als  „von  einem  Stubennautiker  eingeschoben4' 
(Breusing,  Nautik  der  Alten  S.  140)  zu  streichen.  Das  Floß  war 
«in  iNotbau,  es  hat  nichts  gemein  mit  den  auf  dem  Kiel  ge- 
bauten Schiffen,  deren  sich  sonst  die  Griechen  und  auch  Odysseus 

Jahresbericht«  XXXL  15 


226  Jahresberichte  d.  Philolag.  Vereios. 

zu  Seefahrten  bedienten;  von  diesen  unterscheidet  es  sich  gerade 
dadurch,  daß  es  flach  gebaut  war,  wie  eine  (fOQzlg  svQelij.  Diesen 
Unterschied  verwischt  geradezu  Pierson  zu  *  249  in  der  Be- 
merkung: Sdatpog  vrjog,  la  partie  fundamentale  d'un  navire,  c'est- 
ä-dire  une  carene.  Der  Vergleichungspunkt  zwischen  Floß  und 
Lastschiff  war  der  breite  Boden,  daher  wird  svQsifj  V.  251  wieder- 
holt. Selbstverständlich  hat  Odysseus  nicht  die  Größe  eines  zwanzig- 
rudrigen  Schiffes  gewählt  (t  322  f.),  sondern  ist  dem  Rate  der 
Kalypso  gefolgt  e  163,  sich  eine  svgtta  a%sdiri  zu  bauen,  ist 
aber  —  mit  Breusing  zu  reden  —  „über  das  Notwendige  sicher 
nicht  hinausgegangen'4. 

Fahrzeuge  der  beschriebenen  Art  werden  noch  heutzutage 
in  Brasilien  von  den  Eingeborenen  benutzt.  Sie  siud  im  griechi- 
schen Altertume  nicht  gebräuchlich  gewesen;  aber  die  griechische 
Sage  erzählt  von  der  Erfindung  des  Flosses  durch  den  König 
Erythras  auf  den  Inseln  des  Roten  Meeres.  Die  Sagen  von  dem 
Floß  weiter  verfolgend,  kommt  der  Verf.  zu  dem  Ergebnis,  daß 
sie  phönizischen  Ursprungs  sind  und  daß  die  Phönizier  eine  be- 
sondere Vorliebe  für  Sagen  mit  o%edia  und  Meeresfahrt  gehabt, 
wie  kein  zweites  Volk  der  Erde. 

Geschichtlich  aber  läßt  sich  im  Morgenlande  ein  scharf  ab- 
gegrenzter Bezirk  nachweisen,  wo  das  Floß  nicht  einen  Notbehelf», 
sondern  ein  volkstumliches  Fahrzeug  im  Alltagsleben  darstellte, 
welches  man  trotz  der  Bekanntschaft  mit  regelrechten  Schiffe d 
beibehielt:  eine  Zone  von  der  Euphratmündung  längs  der  Küsten 
Arabiens  bis  zur  Sinaihalbinsel.  In  Mesopotamien  und  Unter- 
ägypten war  das  Floß  auch  auf  Flössen  usw.  das  gewöhnliche 
Fahrzeug.  Es  scheint  demnach,  daß  für  das  Odysseische  Floß  der 
phönizische  Ursprung  gesichert  ist. 

Nach  allen  diesen  Darlegungen  wird  sich  Breusings  Vorstellung 
des  Blockschiffs  nicht  mehr  aufrecht  halten  lassen. 

Der  Verf.  betrachtet  aber  die  Frage  nach  dem  Ursprung  des 
Flosses  nur  als  Teil  einer  allgemeineren  Frage,  nämlich  der,  ob 
wir  die  „Dichtung  von  den  Fahrten  des  Odysseus  dem  Genius  der 
Phoiniker  verdanken,  ob  uns  hier,  wie  beim  Neuen  Testament, 
semitischer  Geist  in  griechischer  Schale  oder  Übersetzung  vorliegt*4. 
Die  höchst  unglückliche  Vergleichung  mit  dem  N.  T.,  welches  den 
semitischen  Geist  geradezu  aufhebt,  mag  auf  sich  beruhen;  um 
die  Frage  für  die  Odyssee  einer  bejahenden  Antwort  entgegen- 
zufuhren, bringt  der  Verf.  für  etwa  zwei  Dutzend  homerischer 
Wörter,  für  die  eine  Abstammung  aus  dem  arischen  Sprachstamm 
noch  nicht  erwiesen  ist,  semitische  Vorbilder  bzw.  Wurzeln  bei, 
die  als  Lehnwörter  in  das  Griechische  übergegangen  seien.  Was 
durch  bloße  Zusammenstellung  ähnlich  klingender  Lautgruppen 
errejcht  werden  kann,  haben  Baumhofers  Homerische  Rätsel  un- 
längst gezeigt.  Die  Frage  nach  dem  semitischen  Einfluß  auf 
flomerische  Vorstellungen  wird  sjne  ira,    aber  auch  sine   studio 


Homer,  von  E.  Naumann.  227 

zum  Austrag  gebracht  werden  müssen;  nach  dem  gegenwärtigen 
Stande  der  Forschung  ist  es  noch  nicht  angezeigt,  Homer  zu 
einem  Semiten  (S.  19)  machen  zu  wollen;  und  wenn  man  auch 
schon  heute  zugeben  mag:  „Ohne  die  Phoiniker  hätten  wir  vieles 
von  der  Odyssee  nicht14,  so  kann  man  doch  die  Fortsetzung  dieser 
Behauptung:  „wahrscheinlich  überhaupt  keine  Odyssee'4  nicht  unter- 
schreiben. 

38)  Hoffmann,    Auf  der   Saujagd   bei   Homer.     Monatschrift  f.  höhere 
Schulen  1904  S.  442—446. 

In  lebendigster  Schilderung  entwickelt  der  Verf.  aus  Odyssee 
19,428 — 454  das  lebenswahre  Bild  einer  regelrechten  Saujagd, 
das  in  allen  Einzelheiten  ein  neues  Zeugnis  für  die  scharfe  Be- 
obachtung des  Dichters  ablegt.  Es  ist  eine  regelrechte  Treibjagd 
mit  Findermeute;  beim  ersten  Strahl  der  Morgensonne  treffen 
Jäger,  Treiber  {inaxT^qsg)  und  Meute  an  der  zuvor  ausgemachten 
Waldschlucht  an.  Die  Treiber  gehen  mit  einem  Teil  der  Meute 
voran,  die  Jäger  halten  mit  dem  anderen  Teil  der  Hunde  den 
Haupt  Wechsel  besetzt  oder  gehen  behutsam  durch.  In  einer  Laub- 
holzdickung steckt  eine  „grobe  Sau",  psyccs  <tvg,  ein  Keiler,  ein 
Einsiedler.  Treiber  und  Jäger  gehen  konzentrisch  vor  {neQi  444), 
nicht  in  Linie,  wie  in  Schußgefahr  bei  uns.  Der  Keiler  fährt  aus 
seinem  Waldversteck  ihnen  entgegen,  er  ist  offenbar  von  den 
Hunden  gestellt.  Odysseus  springt  als  erster  mit  der  schweren 
Stoßlanze  (ßoqv),  der  „Saufeder",  ihm  entgegen,  der  Keiler  aber 
schlägt  ihm  schräg  von  unten  empor  eine  tiefe  Fleischwunde, 
wird  jedoch  in  demselben  Augenblick  von  ihm  durch  einen  Stich 
von  oben  herab  dicht  an  der  rechten  Schulter  (xazd  ds^iov  (jopov) 
zur  Strecke  gebracht.  Also  die  Todesstelle  war  dem  Jäger  genau 
bekannt,  der  Stoß  an  dieser  Stelle  mußte  Lunge  und  Herz  durch- 
bohren. Daß  der  Keiler  hier  klagend  (fiaxcov)  zusammenbricht, 
wird  gerechtfertigt  durch  die  vielen  Jägern  noch  wenig  bekannte 
Tatsache,  daß  bei  gewissen  Knochenschüssen  auch  Hauptschweine 
entgegen  sonst  gemachler  Beobachtung  „vernehmlich"  geklagt 
haben.  Also  auch  in  diesem  Punkte  hält  die  weidmännische  Er- 
fahrung des  Dichters  Stich. 

39)  Leo  Bloch,  Alkestisstudieu.     X  Jahrb.  J901  S.  231f. 

Der  erste  Abschnitt  behandelt  „Das  Weib  in  der  griechischen 
Dichtung  bis  auf  Euripides".  Es  ist  in  dem  ältesten  Epos  noch 
durchaus  zur  Passivität  bestimmt.  Der  Streit  der  Heerführer  ist 
durch  ein  Weib  hervorgerufen;  von  diesem  selbst  erfahren  wir 
kaum  den  Namen.  Die  ionische  Umgestaltung  des  Epos  schenkt 
dem  Weibe  größere  Beachtung,  Andromache,  Hekabe,  Helena 
tragen  persönliche  Zuge;  aus  seiner  Passivität  tritt  das  Weib 
aber  noch  nicht  heraus,  Helena  gehört  dem  Räuber,  wie  ein 
Beutestück. 

15* 


228  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

40)  r.  K.  raqSCxag^  'H  ywi\  iv  t$  'ElXrjVixy  nolir iafJ,$.     A'.  *H 

'Elltjvti  iv  tj  OptiQUcrj  Inoxjj.    %Ev  *A&qvai£9  ix  iov  ivnoyQvnpUov 
H.  J.  ZccxtllagCov  1902.     493  S.     8. 

Der  Verf.  behandelt  die  Stellung  der  Frau  im  Heroenzeitalter 
unter  dem  Gesichtspunkte,  daß  es  die  höchste  ist,  welche  diese 
außerhalb  des  Christentums  jemals  gewonnen  hat.  Er  entwirft 
ein  Bild  von  dem  Familienleben  jener  Zeit,  nicht  ohne  grelle 
Streiflichter  auf  die  Gegenwart  fallen  zu  lassen,  gewährt  aber  den 
Heroen  mancherlei  Nachsicht.  Die  Schrift  scheint  im  ganzen 
mehr  der  Ermahnung  als  der  Forschung  zu  dienen;  der  letzteren 
sucht  der  Verf.  durch  eine  sorgfältige  Stoffsammlung  gerecht  zu 
werden,  daneben  verwertet  er  einen  kleinen  Kreis  älterer  Homer- 
literatur. Der  homerische  Bestand  ist  nicht  immer  genau  von 
Hesiodos  geschieden,  die  Neunzahl  der  Musen  und  deren  Namen, 
die  Namen  der  Chariten,  die  Gardikas  aufführt,  kennt  Homer  noch 
nicht,  dagegen  übergeht  der  Verf.  den  Namen  Uaöi&ir}  (5276); 
die  Aufstellungen  im  einzelnen  bedürfen  vorsichtiger  Prüfung.  So 
hat  die  Schrift  weniger  einen  wissenschaftlichen  Wert  als  den 
einer  populären  Behandlung  eines  anziehenden  Themas. 

41)  M.  Schneidewio,    Zur    homerischen    Psychologie.     N.  Jahrb.  f. 

d.  klass.  Altert.  1901  S.  439—443. 

1.  Tg  yäq  'A&ijvaiq  voov  hqansv.  So  motiviert  der 
Dichter  r  479  den  befremdlichen  Seelenzustand,  der  Penelope 
verhinderte,  den  freudigen  Aufschrei  der  Eurykleia  zu  beachten, 
welchen  diese  bei  der  Erkennung  ihres  Herrn  ausstieß.  Es  ist 
nicht  eine  Geistesabwesenheit,  die  daraus  entstand,  daß  Penelope 
traumartig  in  Gedanken  versunken  war,  sondern  ein  „einmaliges 
Gotteswunder".  —  2.  *AxqsTov  idcov.  "AxqsTov  cT  iyeXccGGev. 
Thersites  wischt  sich  B  269  mit  „verlegenem  Blick"  die  Tränen 
ab,  als  ihn  die  Schläge  des  Odysseus  schmerzen.  \dxQ&ov  = 
unnütz,  es  war  nicht  nötig,  daß  Thersites  diesen  Blick  zeigt,  er 
hätte  stoisch  den  Schmerz  hinnehmen  können,  statt  dessen  sagt 
sein  Blick:  „Ihr  merkt  doch  nicht,  daß  ich  mich  blamiert  fühle4', 
Penelope  hat  in  ihrer  Trauer  eigentlich  das  Lachen  verlernt,  ihre 
Seele  bringt  das  Lachen  nicht  hervor,  sie  gibt  sich  nur  den  An- 
schein einer  immerhin  aufgeheiterten  Stimmung,  es  „flog  in  etwas 
gezwungener  (oder  gekünstelter)  Weise  ein  freundlicher  Ausdruck 
über  die  Züge  der  Penelope".  —  3.  Homer  als  Kenner  der 
Suggestion.  Die  Widersprüche  innerhalb  der  vielbehandelten  Stelle 
0  158 — 242  sucht  Schneidewin  durch  die  Annahme  zu  heben, 
Penelope  handle  unter  einem  suggestori sehen  oder  hypnotisierenden 
Einfluß  Athenes,  so  daß  sie  dem  Telemachos  etwas  ganz  anderes 
sagt,  als  sie  sich  vorgenommen,  und  daß  sie  von  dem  Vorwurf 
der  Gewinnsucht  befreit  wird,  während  es  dem  Charakter  der 
Athene  „bei  aller  edlen  Weisheit  wohl  angemessen  sei,  gewinn- 
süchtige Absichten  zugunsten  ihrer  Lieblinge  zu  spinnen". 


Homer,  von  B.  Naumann.  229 

Während  des  Druckes  ist  mir  zugegangen: 

P.  Cauer,  Beigaben  za  Ilias  und  Odyssee.  Stimmen  des  Altertums, 
Inhaltsangaben,  sachliches  Register.  Leipzig  1905,  G.  Freytag.  20  S. 
8.     0,80  JC. 

Das  Heft   bildet  einen  in  den  Sachregistern   neubearbeiteten 
Sonderdruck  aus  Anhängen  zu  des  Verf.  Homerausgaben. 

Literaturnachweis. 

Homers  Odyssee,  erklärt  von  J.  U.  Faesi.  Erster  Band.  Gesang  I — VI. 
Neunte  Auflage,  neu  bearbeitet  von  A.  Kaegi.  Berlin  1901,  Weid- 
mannsche  Buchhandlung.  XXX  u.  188  S.  8.  2,10^.  (JB.  1902 
S.  192.)  —  Vgl.  J.  Tuchhaeodler,  Neue  Phil.  Rundsch.  1902  S.  361—363. 

Nicht  vorgelegen  haben  mir  folgende  Ausgaben  und  Schriften: 

Homers  Gedichte.  Zweiter  Teil:  Die  Ilias.  Bearbeitet  von  0.  Henke. 
Zweiter  Band:  Buch  14 — 24.  Mit  Register  der  Personennamen  und 
der  geographischen  Namen.  Zweite  Auflage.  Leipzig  1903,  B.  G. 
Teubner.    332  S.     gr.  8.    geb.  2  JC. 

Homeri    carmina.      Recensuit    et    selecta    lectionis    varietate    instruxit 

A.  Lud  wich.     Pars    prior:    Ilias.     Volumen    prius.     Leipzig    1903, 

B.  G.  Teubner.    XIX  u.  514  S.     8.    geh.  16  Jt. 

Die   Gedichte    Homers.    Erster   Teil:    Die   Odyssee,   bearbeitet    von 

0.  Henke.     Text.     Zweiter    Band:    Buch  13—24.    Mit   einer  Karte. 

Dritte    Auflage.     Leipzig   1904,    B.  G.  Teubner.     248  S.     gr.  8.    geb. 

1,60  Jt. 
M.  Witte,  Der  erste  Gesang  von  Homers  Odyssee,  im  Versmaß  der 

Urschrift   übersetzt.  —   Vgl.  B.  Bruho,  Monatschr.  f.  höhere  Schulen 

1904  S.  520. 
G.  Koch,   Zur  vergleichenden  Behandlung  von  Aneis  I  157—222 

und  Odyssee  X  135—186.     Progr.  Realgymnasium  Eisenach  1904. 

—  Vgl.  F.  Fügner,  Monatschr.  f.  höhere  Schulen  1904  S.  600. 
H.  Röhl,  Zu  griechischen  Texten.     [Aach  zu  Homer.]    Progr.  Halber- 
stadt 1903.  —  Vgl.  £.  Bruhn  a.  a.  0.  S.  520. 
Th.  Dielitz,    Homerische    Formenlehre.      Ein    Repetitionsbuch    für 

Gymnasien.     Zweite   Auflage.    Altenburg  1902,    H.  A.  Pierer.    24  S. 

8.     0,40  Jt. 
H.  Heubach,   Quibus   vocabulis  artis  criticae  propriis   usi  sint 

Homeri  scholiastae.    II.    Progr.  Eisenach  1903.  —  Vgl.  E.  Bruhn, 

Monatschr.  f.  höhere  Schulen  1904  S.  519. 
B.  Leidenrotb,  Indicis  grammatici  ad  scholia  Veneta  A  exceptis 

locis    Herodiani    specimen    II.      Progr.   Leipzig   1903.    —    Vgl. 

E.  Bruhn  a.  a.  0.  S.  519. 
O.  Kretsehmar,    Beitrüge   znr  Charakteristik  des  homerischen 

Odyssens.     Progr.  Neonkirchen    1903.   —    Vgl.  E.  Bruhn  a.  a.  O. 

S.  520. 
K.  Euler,  Ober  die  angebliche  Farbenblindheit  Homers.    Progr. 

Marburg  1903.  —  Vgl.  E.  Bruhn  a.  a.  0.  S.  519. 
B.  Schmidt,    Die    Insel    Zakyntbos.     Erlebtes  und  Erforschtes.     Frei- 
burg i.  Br.  1899,   F.  E.  Ehrenfeld.     177  S.    —    Vgl.  Fr.  Baumgarten, 

N.  Jahrb.  f.  d.  klass.  Altert.  1900  S.  303 f. 

Schöneberg  b.  Berlin.  E.  Naumann. 


230  Jahresberichte  d.  PhiloJog.  Vereins. 


Über  A  488—492. 

Agamemnon  rüstet  A  308  ein  Schiff  aus,  um  von  der  Küste 
des  Hellesponts  die  Ghryseis  nach  Chryse  am  Adramyttenischen 
Meerbusen  heimzuführen.  Odysseus  wurde  der  Anführer  der  Exr- 
pedition  V.  31t.  Die  Ankunft  des  Schiffes  erfolgt,  nachdem  in- 
zwischen  von  den  Vorgängen  im  Lager  der  Achaer  berichtet 
worden  ist,  erst  V.  431.  Von  V.  430— 487  opfert  Odysseus  in 
Chryse  eine  Hekatombe,  versöhnt  den  Gott  Apollo  und  kehrt  nach 
Troja  zurück.     Dann  folgen  die  Verse 

488  avxaq  6  fiyvis  vrival  naq^svog  obxvftÖQOMfw, 

489  dioyeviis  IlfjXsog  vlog,  nodag  wxvg  ^AxiXXsvg. 

490  ovxe  not'  sig  äyOQqv  ncoliöxsto  xvdiavGiqav, 

491  ovze  not'  ig  noXspov,  aXka  y&wv&söxs  cpiXov  xtJQ 

492  avd'i  ptvcov,  nod'ssGxs  &  avt^v  %s  molefiop  re. 
Lachmann  hatte  sich  1837  darüber  so  ausgesprochen :  „Setzen 

wir  430 — 492  unmittelbar  an  1 — 348,  so  paßt  alles  genau  zu- 
sammen, und  der  Ausgang  wird  auf  beiden  Seiten  völlig  zu  Ende 
gebracht,  durch  die  Auslieferung  der  Briseis  und  das  Grollen 
Achills.  Die  letzten  Verse  488 — 492  sind  notwendig  hinzuzufügen, 
damit  die  Erzählung  zuletzt  wieder  auf  ihren  Anfang,  den  Zorn 
des  Achilles,  zurückkehre.  Also  A  1 — 348  und  431 — 492  haben 
entweder  ursprünglich  zusammengehört,  oder  der  zweite  dieser 
Teile  ist  wenigstens  sehr  geschickt  und  im  Geiste  des  ersten  hin- 
zugedichtet". Ursprünglich  schloß  Lachmann  sein  erstes  Lied  mit 
V.  318  (Brief  an  Lehrs);  später  aber  sah  er  ein,  daß  der  Hader 
der  Könige  den  Raub  der  Briseis  als  abschließendes  Glied  er- 
fordere, und  daß  430 — 492  wohl  ursprünglich  noch  mit  dazu 
gehört  haben  als  die  beabsichtigte  Fortsetzung  eines  anderen 
Dichters.  —  Die  Verschiedenheit  der  beiden  Verfasser  hat  dann 
M.  Haupt  1847  weiter  begründet,  indem  er  auf  die  Ungleichheit 
des  Stils  aufmerksam  machte.  Neben  der  weitläuGgen  Schilderung 
des  Opfers  und  des  Opfermahles  werde  der  wichtigste  Punkt,  die 
Versöhnung  Apolls  (457  und  474)  nur  kurz  und  knapp  behandelt, 
die  Hälfte  der  Verse  430 — 492  sei  aus  Reminiszenzen  und  Formeln 
zusammengesetzt.  Selbst  Bäumlein  erkennt  es  in  der  Zeitschr. 
f.  d.  Altertumswiss.  1848  S.  325  an,  daß  die  Verse  430—487 
verglichen  mit  der  lebendigen  Anschaulichkeit  und  energisch  fort- 
schreitenden Darstellung  des  übrigen  A  eine  gewisse  Magerkeit 
und  einen  epitomatorischen  Gharakter  zeigen.  —  Hingegen  die 
zweite  Fortsetzung  seines  ersten  Liedes,  348 — 429.  493 — 61t* 
vermochte  Lachmann  ebensowenig  als  mit  der  ersten  Fortsetzung 
430—492  mit  der  Haupterzählung  in  1 — 347  zu  vereinigen,  sie 
könne,  wiewohl  sie  sich  mehrfach  auf  das  erste  Lied  zurückbezieht, 
und  im  ganzen,  namentlich  in  bezug  auf  Gleichnisse  und  Anaphora, 
durch    ähnlichen  und   trefflichen  Stil  sich  auszeichnet,    nicht  von 


v 


Zu  Homer  A  488— 492,  von  P.  D.  Chr.  Hennings.  ^31 

demselben  Dichter  sein,  da  sie  nicht  immer  die  Anschauungen 
des  ersten  Dichters  festhalte  und  auch  die  Wiederholung  der 
beschichte  A  370 ff.  besser  in  eine  Fortsetzung  des  ersten 
Gesanges  passe.  Dem  Weinen  Achills  ^L  349  mußte  zwar  die 
Wegnahme  der  Briseis  vorhergehen,  aber  das  erste  Lied  ist  nicht 
gerade  derjenigen  Ergänzung  bedürftig,  welche  das  Thetislied  3481f. 
bringt,  wie  wir  später  sehen  werden. 

Die  erste  Forlsetzung,  die  Erzählung  von  dem  Opfer  iti 
Chryse  430—487,  ist  nach  den  Untersuchungen  von  Häsecke 
(Progr.  Rinteln  1881)  und  von  G.  Hiqrichs  (Hermes  XVII),  denen 
schon  K.  L.  Kayser  u.  a.  vorangegangen  waren,  in  der  Tat  erst 
von  einem  recht  späten  Nachdichter  verfaßt.  Aus  dem  Nachweis 
von  Häsecke  will  ich  wiederholen,  was  mir  begründet  erscheint: 
1.  Die  Worte  tip  qa  ßir\  a&xovvoq  äntivqaav  430  entsprechen 
weder  der  in  321 — 347  dargestellten  Situation  noch  den  aus- 
drücklichen Worten  Achills  298  f.;  denn  Gewalt  wird  nicht  an- 
gewandt, Achill  läßt  selbst  durch  Patroklos  die  Jungfrau  den 
Herolden  des  Agamemnon  zuführen.  Es  müßte  also  schon  der 
andere  Halbvers  348/2  ij  <F  a&xovo9  afia  toXci  yvvi\  xiev  vor 
avxaq  °Odvaü€vg  gestanden  haben.  —  Ist  es  ein  Mangel,  daß 
ol  di  432  ohne  grammatische  Beziehung  auf  ein  Substantiv  steht? 
V.  447  ist  es  jedenfalls  deutlicher,  daß  mit  zol  de  die  Leute  des 
Odysseus  bezeichnet  werden.  —  Aber  2,  V.  433  ff.  wird  das  Schiff 
abgetakelt.  Das  geschieht  sonst,  wenn  nicht  außerordentliche 
Verhältnisse  vorliegen,  nur  dann,  wenn  das  Schiff  auf  längere  Zeit 
als  eine  Nacht  außer  Dienst  gestellt  wird.  Hier  sieht  man  das 
Warum  nicht  ein,  wohl  aber  hy.  Ap.  Pyth.  326.  —  3.  In  der  Be- 
schreibung des  Opfers  bleibt,  wie  ausführlich  sie  auch  ist,  doch 
manches  unklar.  Sind  458  ff.  die  Ruderer  des  Odysseus  gemeint, 
wie  447—449?  Der  Greis  462  soll  wohl  Chryses  sein?  Sind 
die  Jünglinge  463  vielleicht  seine  Assistenten?  Jedenfalls  sind  die 
xovqoi  470  seine  Diener,  da  die  ol  de  473  wieder  die  andere 
Partei  bezeichnen  müssen.  V.  469  scheint  voreilig  zu  kommen; 
so  wie  nämlich  jetzt  erzählt  wird,  werden  ja  die  Mischkrüge  erst 
gefüllt,  nachdem  der  Durst  schon  gelöscht  ist  Da  uns  indessen 
nicht  berichtet  wird,  ob  auch  im  Altertum  Leser  an  diesen  Versen 
sich  gestoßen  haben,  so  hat  Bernhardi  in  einem  Programm  „Über 
das  Trankopfer  bei  Homer"  sie  verteidigt:  „Durch  ccvtccq  inel 
Tzoöiog  xai  id^zvog  ££  sqov  Ivxo  und  ähnliche  Verse  wird  ein 
/endgültiger  Abschluß  der  Mahlzeit  an  sich  nicht  bezeichnet  Ein 
solcher  Abschluß  Iritt  mit  diesen  Versen  nur  in  den  Fällen  ein, 
in  denen  die  Teilnehmer  durch  anderweitige  dringende  Unter- 
nehmungen, z.  ß.  o  143.  oder  durch  das  Bedürfnis  des  Schlafes, 
z.B.*/' 57.  $454.  n  480,  zum  Aufbruch  veranlaßt  werden,  oder 
aber  die  Gesellschaft  aus  Frauen  besteht  £  99.  In  allen  übrigen 
Fällen  wird  durch  diese  Verse  nur  das  Ende  des  ersten  Teils  der 
Mahlzeit    markiert,    der    ausschließlich   für    die  Befriedigung    des 


232  r      Jahresberichte  d.  Philolog.  Verein». 

ersten  Hungers  und  Durstes  bestimmt  ist.    Dieses  Geschäft  pflegt 
nicht  durch  Unterhaltung    unterbrochen    zu    werden . . .     Diesem 
ersten  Teile   des  Schmauses   schließt   sich    ein    zweiter    an,    der 
wesentlich    dem  Gespräche    und    anderen    geselligen  Freuden  ge- 
widmet ist     Aber  aucb  während  dieses  Teiles  wird  dem  Trünke 
zugesprochen,  und  Brot  und  Fleisch  stehen  auf  den  Tischen,  um 
den    im  Laufe    des  Gelages    etwa    neu    sich  regenden  Appetit  zu 
befriedigen.     Dies  ist  der  eigentlich  genußreiche  Teil  des  Mahles 
*  5—10".    Beweisstellen:  /  221  ff.  £  112.  a  339.  S  1.  Q  415«: 
456.  %20.  o  303  und  391.  —  Erst  nach  Beendigung  des  Opfers 
471   wird    libiert  (vgl.  463),    und    das    bei    der    Spende    übliche 
Waschen  der  Hände  bleibt  unerwähnt.  —  4.  Das  nccvrjfjLtQioi  472 
ist  an  die  große  Glocke  gehängt  worden,  da  nur  der  Abend  noch 
übrig  gewesen  sein  kann.     Der  Verfasser  hat  aber  458—461   aus 
B  421—424,    462 f.    aus    y  459  f.   und    464—469    wieder    aus 
B  427—432,    endlich  470f.  aus   der  Libationsformel  (vgl.  /  174 
—177.   a  146  ff.  y  338—342.   tp  270  ff.)   zum  Teil   gedankenlos 
abgeschrieben  und  die  einzelnen  Flicken  mechanisch  aneinander* 
gereiht.    Seine  Unselbständigkeit  hat  die  Unklarheiten  veranlaßt.  — 
5.  V.  485 f.  sind  aus  n  325  und  hy.  Ap.  Pyth,  328  entlehnt;  denn 
sie   enthalten    einen   falschen  Gegensatz  zwischen  ot  ye  485  und 
amoi  di  486.    Wie  451  f.  aus  A  37 f.,  so  sind  ferner  453—455 
aus  77  236 ff.  entlehnt.    Überhaupt  finden  sich  zwischen  430  und 
487  mindestens  37  wiederholte  Verse:  430.  434—437.  446.  450 
—455.  457—471.  473.  475-477.  479.  481—483.  485f.    Köchly 
entblödet  sich  daher  nicht,  diese  Episode  „Hierum  consarcinatoris 
foetum"  zu  nennen. 

Wenn  nun  die  Zuruckfuhrung  der  Chryseis  430 — 487  fehlte, 
beschränkte  sie  sich  auf  308—312?  v.  Hoermann  (Untersuch, 
über  die  Homer.  Frage,  Innsbruck  1867)  erinnert  dagegen  S.  80ff.r 
der  V.  312  ol  piv  snsit9  ävaßävreg  ininlsov  vyQCt  xifev&a 
weise  deutlich  auf  eine  spätere  Wiederaufnahme  dieses  begonnenen 
Aktes  hin,  wie  ähnlich  die  Thetis fahrt  von  Troja  zum  Olymp  in 
2  146  mit  148  und  369  sich  fortsetze.  „Bestände  die  Ausführung 
des  Befehls  Agamemnons  nur  in  den  Versen  308 — 312  und  wäre 
der  Dichter  nicht  willens,  die  weitere  Ausführung  folgen  zu  lassen, 
so  halte  er  statt  der  Präsentia  390  ni^novat  und  ayovo*  — 
natürlich  nicht  den  Aorist  —  wohl  aber  das  Imperfekt  gesetzt, 
welches  der  Grieche  von  unvollendeten  Ereignissen  gebraucht, 
deren  Beginn  in  die  Vergangenheit  fällt'4.  Allein  Achill  konnte 
390  an  demselben  Tage,  wo  Odysseus  abfährt,  durchaus  kein 
anderes  Tempus  gebrauchen  als  das  Präsens;  hätte  der  Dichter 
hier  erzählt,  dann  läge  die  Sache  anders.  Nachdem  313  ff.  die 
Reinigung  des  Heeres  von  dem  Pestgift  und  die  Lustration  vor- 
genommen ist,  war  es  wirklich  ziemlich  überflüssig  zu  berichten* 
wie  Odysseus  die  Hekatombe  dem  Apollo  darbringt,  da  der  Seher 
Kalchas    98    die   Versöhnung   des    Gottes    durch    ein    Opfer   für 


Zu  Homer  A  488—492,  voo  P.  D.  Chr.  Hennings.  23$ 

möglich  erklärt,  da  Agamemnon  dieses  Opfer  147  zu  bringen  be- 
fohlen hat  und  die  Ausführung  dieses  Befehls  389  f.  angegeben 
wird,  wenn  auch  erst  457  und  474  ausgesprochen  wird,  daß  der 
Gott  das  Opfer  gnädig  angenommen  hat. 

Es  ist  nun  die  Frage,  ob  obige  Verse  488—492  ursprunglich 
mit  der  Einlage  430—  487  zusammengehören,  wie  Lachmann 
meinte,  oder  mit  den  Versen  348 — 430.  493—611,  oder  wo  sie 
sonst  ihren  Platz  zuerst  bekommen  haben. 

Denn  zu  athetieren  sind  die  Verse  488 — 492  wohl  nicht. 
Lachmann  sagt  S.  93  seiner  „Betrachtungen41:  „Zenodot  verwarf 
die  Verse  A  488 — 490.  492:  den  491.  schrieb  er  gar  nicht... 
Aristarch  widerlegt  die  Grunde  der  Athetese.  Er  lehrt  (Schol.  490), 
daß  mo&eeaxe  <T  ävtijv  ts  nrölsfiop  %s  bedeute,  die  Untätigkeit 
sei  dem  Helden  schmerzlich  gewesen:  dem  früheren  Kritiker 
schien  also  die  Begierde  zum  Kampf  der  Drohung  zu  wider- 
sprechen, daß  er  nicht  mehr  streiten,  sondern  heimkehren  wollte 
(V.  169).  Und  ovrs  not'  ig  nolspov,  sagt  Aristarch,  sei  entweder 
nQÖXrjipig,  oder  es  beziehe  sich  auf  kleine  Heerfahrten  in  die 
Umgegend,  die  sonst  Achill  zu  fuhren  pflegte.  Dies  scheint  et 
so  ausgeführt  zu  haben,  daß  er  zeigte,  elg  äyoQijv  sei  gerade  so 
anstößig  oder  gerechtfertigt  als  ig  nolspov.  Ein  chronologisches 
Bedenken  nahm  Zenodot  an  den  Versen  nicht'4. 

Für  die  ursprüngliche  Verbindung  von  488 — 492  mit  der 
Einlage  430—487  könnte  das  ix  toto  in  493  sprechen.  Denn 
dasselbe  bezieht  sich,  wie  wenn  wir  mit  dem  bestimmten  Artikel 
sagten  „seit  dem  der  zwölfte  Tag",  auf  die  vorherige  Zeit- 
bestimmung V.  425,  und  die  Interpolatoren  pflegten  ja  am  Schluß 
ihrer  Einlagen  zu  dem  Gedanken  zurückzukehren,  an  den  sie  ihre 
Einlage  angeknüpft  hatten,  wie  z.  B.  B  53—86,  a  430—435, 
ff  7 — 13  und  sonst.  Es  ist  also  der  zwölfte  Tag  der  Götterreise 
geraeint.  Gleichwohl  bezieht  sich  das  ix  toto  an  der  Stelle,  wo 
es  jetzt  steht,  wie  Nägelsbach  richtig  bemerkt,  grammatisch  zu- 
nächst auf  das  ccvzccq  6  fiyvie  488,  auf  den  Anfang  der  [irjvig 
zurück,  d.  h.  genau  genommen  auf  den  13.  Tag  nach  dem  Anfang* 
der  Götterreise.  Die  Beziehung  des  ix  toTo  ist  also  dem  Inter- 
polator,  trotzdem  daß  er  488  aus  421  f.  wiederholt  hatte,  nicht 
völlig  gelungen,  sie  ist  schief  geworden. 

Außerdem  scheiden  sich  die  Verse  488 — 492  von  der  vor- 
hergehenden Einfügung  durch  den  Inhalt.  Den  Inhalt  von  488 — 
492  hält  freilich  Düntzer  für  überflüssig  und  falsch:  der  Verfasser 
habe  eigentlich  gar  nichts  von  Achill  zu  sagen,  was  sich  nicht 
von  selbst  verstünde;  überdies  hätten  weder  Volksversammlungen 
noch  Kämpfe  in  dieser  Zeit  stattgefunden.  Ist  das  denn  selbst- 
verständlich, daß  der  Held  sich  in  dem  Gram  verzehrt,  weder  ad 
Heeresversammlungen  noch  an  Kämpfen  aus  eigenem  Entschluß 
mehr  teilnehmen  zu  dürfen?  Und  wenn  auch  weder  die  einen 
noch  die  anderen  aus  dieser  Zeit  berichtet  werden,  mag  sie  denn 


234  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

so  lange  gewährt  haben,  wie  die  Fahrt  nach  Chryse  oder  die 
Götterreise  erforderte,  war  es  denn  ungereimt,  wenn  Achill  irgend- 
welche Tätigkeit  des  Heeres  in  seinem  Herzen  voraussetzte?  Mit 
seinem  Gram  steigerte  sich  der  Groll  gegen  Agamemnon.  Auch 
Thetis  setzt  die  Möglichkeit  von  Kämpfen  voraus,  denen  Achill 
sich  fernhalten  müsse,  indem  sie  V.  422  den  Achill  auffordert: 
<fv  p,iv  vvv  nokifjbov  dnonaveo.  Der  „zürnende  Achill  muß 
eine  gewisse  Zeit  haben,  sich  in  seine  schmerzvolle  Stimmung  zu 
versenken,  ehe  wir  in  ihm  den  grollenden  Helden  erkennen  können, 
dessen  Groll  die  angedrohten  Folgen  herbeiführen  soll1',  sagt  man 
und  erinnert  nicht  umsonst  an  A  81  f. 

Ob  er  den  kochenden  Zorn  auch  selbigen  Tages  verschlucke, 
Immer  noch  trägt  er  ihm  nach  den  im  Herzen  verhaltenen  Ingrimm. 
Auch   Häsecke  und   Heimreich   preisen   die  fünf  Verse  488 — 492 
oder    eigentlich    die    drei  490 — 492  als  „herrlich  und  ergreifend 
im   Gegensatz    zu    der    elenden,    unselbständigen    Flickarbeit    der 
jChryseisepisodeu.     Abgesehen    von    der  Götterreise    dauert   Achills 
(Groll  nach  der  jetzigen  Ilias  kaum  sechs  Tage,  trotzdem  darf  der 
Dichter    versichern :    dtjQoy    ös    (Jbdxys    ininavto    2  125.    247. 
T  46.    Y  43;    „lange"    unterliegt   ja    subjektiver  Auffassung.  — 
Kammer    schreibt    (Gin    ästhetischer  Kommentar  zu  Homers  Ilias 
1889  S.  134)   die  Verse  488—492  dem  Verfasser  von  430 — 487 
zu,  ohne  greifbare  Gründe  zu  bringen.    Denn  wenn  er  in  V.  488 
„wegen    ganz    äußerlicher  Verfolgung  der  Verse  421  f.  Unsinn" 
spürt,  so  ist  es  doch  nicht  ersichtlich,  warum  vielmehr  488  f.  aus 
421  f.  genommen  sein  sollen  als  umgekehrt.    Und  damit,  daß  der 
Verfasser  „den  Achilleus    nicht    die  Volksversammlung    besuchen, 
nicht  am  Kampfe  teilnehmen  läßt",  soll  er  „ohne  sich  dessen  be- 
wußt zu  werden",  wieder  „einen  Unsinn  geschaffen  haben;  denn 
daß   irgend    eine  Volksversammlung,    irgend  eine  Schlacht  schon 
vor  dem  vom  zweiten  Gesänge  ab  Gemeldeten  solle  stattgefunden 
haben,    sei   doch   unmöglich'4.     Nach   der  jetzigen  Erzählung  ver- 
streichen ja   bis   zum  Tage  von  B  noch  elf  Tage;    der  Verfasser 
der   Götterreise    hat    sich    also    wohl    die  Möglichkeit    vor  Augen 
halten  müssen,  daß  in  diesen  elf  Tagen  Volksversammlungen  und 
Kämpfe  stattfanden.     Wenn  aber  die  Götterreise  verworfen  wird, 
wie  Kammer  das   tut,    so    erstreckt   sich   ja    doch    die  Frist,    in 
welcher  Achill   sich    nach  Versammlungen    und  Kämpfen   sehnen 
muß,  nach  unserer  Ilias  über  eine  Zahl  von  Tagen  von  B  bis  J£. 
Warum  sollten  dieselben  denn  gerade  vor  B  erfolgt  sein?    warum 
können  die  Verse  488—492  nicht  eine  Aussage  über  die  ganze 
£eit  des  Grolls  enthalten?  —  G.  Hinrichs  hat  freilich  im  Hermes 
XVII  1882    zu    beweisen    gesucht,    daß  488—492  ebenfalls  (wie 
430 — 487)  einen   unselbständigen  Flicken   abgeben,    aber  er   hat 
nach  Köchlyscher  Weise  die  Verse  in  ihre  einzelnen  Wörter   zer- 
pflückt und  dann  die  Stellen  angeführt,  wo  diese  einzelnen  Wörter 
sonst    noch    beim  Homer    vorkommen,    z.  B.  avtaQ  488  sei  aus 


Zu  Homer  A  488—492,  von  P.  D.  Chr.  Henoiags.  235 

430  und  348,  pt[vi>s  aus  247  oder  421,  naqfjpBVog  aus  der 
Odyssee;  daß  viag  in  487  und  vqvttt  in  488,  wxvtzoqoiöi,  in 
488  und  coxvg  in  489  vorkommt,  wird  als  Ungeschicklichkeit  an- 
gerechnet; die  Anaphora  des  ovxs  finde  sich  auch  in  A  226, 
ntoXiaxeto  sei  aus  E  798  genommen  usw.  Die  beiden  einzigen 
Punkte,  die  sprachlich  in  der  Tat  auffallen  könnten,  sind  in 
folgenden  Sätzen  enthalten,  S.  95:  1.  Der  Verfasser  nahm  keinen 
Anstoß  daran,  gegen  den  homerischen  Gebrauch,  welcher  nur  eine 
[accX*!  xvdidveiqa  kennt,  und  zwar  nur  in  der  Ilias  und  immer 
im  Versschluß,  also  unter  ganz  bestimmter  Verbindung  (!),  von 
einer  äyoQtj  xvdydvGiqa  zu  sprechen".  Und  doch  hat  Schol.  ß. 
schon  an  /  441  erinnert: 

....  ovnca  eldod''  opoUov  nolifxoio 
ovd'  äyoQtcov,  Iva  t?  avöqsg  aQMQsnisg  TeX£&ov<Siv. 
Konnte  nicht  auch  eine  Heeresversammlung  den  Ruhm  Achills 
wiederherstellen,  wie  dazu  /  115  fF.  der  Anlauf  genommen  wird?  — 
2.  (p&ivv&etfxe  sei  sonst  intransitiv:  Aber  bei  (p&wv&saxs 
braucht  man  gar  nicht  mit  Heyne  den  Akk.  cfilor  xtjq  als  Akk. 
des  Bezuges  zu  rechnen,  ebensowenig  wie  x  485;  das  Verbum 
kommt  transitiv  vor  a  250.  n  127  und  S  95.  Daß  die  Erwähnung 
der  äyoQij  „entschieden  unpassend"  sei,  darf  ich  ebenso  ent- 
schieden bestreiten.  Achill  muß  sich  jeder  Teilnahme  an  den 
gemeinsamen  Angelegenheiten  enthalten,  sogar  der  Teilnahme  an 
Versammlungen,  das  war  besonders  hart,  das  fraß  ihm  an  der 
Seele.  Und  das  no&eeaxs  noXffiov  hat  Aristarch  durch  ix&QÖg 
yäq  xr(q  agyiag  6  tfQwc,  (pMti^og  6i  neql  rag  nqd^ug  richtiger 
erklärt  als  Hinrichs,  welcher  so  deutet:  „Achill  sehnte  Krieg  her- 
bei, um  durch  seine  Kampfenthaltung  den  Achäern  Schaden, 
seinem  Groll  aber  Genüge  zu  bereiten". 

Also  488—492  gehören  ursprunglich  weder  nach  dem  Inhalt 
noch  nach  der  sprachlichen  Form  mit  der  Einlage  430 — 487  zu- 
sammen: es  entsteht  die  zweite  Frage,  ob  sie  in  den  Zusammen- 
hang des  Thetisliedes  348 — 429.  493  if.  sich  passend  einfugen. 
Bei  der  mangelhaften  Beschaffenheit  des  damaligen  Schreibmaterials 
haben  gewiß  die  Nacbdichter  oder  Rhapsoden  sehr  ungern  Kor- 
rekturen der  ihnen  überlieferten  Lesart,  wenn  sie  überhaupt 
schriftliche  Exemplare  benutzten,  vornehmen  mögen.  Es  hat  also 
an  und  für  sich  etwas  gegen  sich,  wenn  Köchly  und  Näke,  welche 
348 — 429.  493 — 611  als  eigenes  Lied  betrachten,  dasselbe  mit 
488 f.  an  unrechter  Stelle  so  beginnen  lassen: 

Köchly:  489  -(-429:    ccvtccq    6   xodoixsvoq    xovQtjg    nodag    taxvg 

*A%i>XXevg 
349:  daxqvaag  hccQcov  &(paQ  $£szo  v6(5(pi  Xiaa&slg  xxX. 

IMäke:     488:  avxdq  6  (Afjvis  vt^val  naQtjfisvog  (oxvnoQoiöw     i 
489:  dioyevijg  JlfjXiog  vlog,  nodag  mxvg  'AxtXXsvg' 
349:  daxQvöag  <T  evceQcov  ätpaQ  ££ero  voGifi  Xyaadsig  xtL 


236  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Sie  haben  eine  solche  willkürliche  Änderung  und  Umstellung  nicht 
begründet,  sondern  waren  zufrieden,  damit  einen  gefälligen  Text 
herzustellen,  einer  denkbaren  Möglichkeit  nachzugehen.  Abgesehen 
hiervon  wurde  ein  solches  Lied  der  „notwendigen  Abgeschlossen- 
heit und  Einheitlichkeit  ermangeln44  (s.  von  Hoermann,  ferner 
Hoffmann,  Philo!.  III  S.  196,  und  Lauer,  Gesch.  der  hom.  Poesie 
S.  208). 

Bei  schriftlicher  Vorlage  haben  aber  die  Verse  488—492  auch 
keinen  Anschluß  an  348 — 430: 

%r\v  §a  ßifi  aixovTog  amjvqoap .... 

avxäq  6  fiijvis  vtjvGi  naqijfievog 

noch  an  428.  429: 

<Sg  äqa  (fwqöaa*  aneßriGeio*  xbv  dy  iXm}  avxov 
Xmofisvov  xaxä  &vi*dr  £v£obvoio  yvvaixoq, 
avxäq  6  (Jirjvis  .... 
nicht  als  ob  avxov,  d.  h.  am  Meeresstrande,  dem  vf^vai  naqijf*€vos 
widerspräche,  aber  weil  der  Gegensatz  avxäq  6  unerwartet  käme: 
noch  an  428,  aus  demselben  Grunde.     Sähen  wir  aber  488  f.  als 
des  Obergangs    wegen    notwendige  Flickverse  an,    auch   die  Auf- 
einanderfolge von  429.  490: 

xbv  <T  skm'  avrov 
429:  %(aonsvov  xaxä  &VfAbv  iv£covoio  yvvaixog. 
490:  ovxe  nox*  eig  äyoqijv  ncolsaxero  xvdiävsiqav 
ovxe  noiy  ig  noAepov. 
wurde  schwerlich  befriedigen,  man  würde  wenigstens  ein  yäq  zur 
Verbindung  vermissen.     Was  aber  wichtiger,   ja  entscheidend  ist. 
das  ist  die  Beobachtung,  daß  die  zwölftägige  Reise  der  Götter  zu 
den  Ätbiopen,    innerhalb    welcher    die  Verse  488 — 492   jetzt    zu 
fallen    scheinen,    an    sich    den    gerechtesten  Bedenken   unterliegt. 
Denn  weder  die  Anwesenheit  des  Apollo  bei  der  Pest  und   nach- 
her beim  Opfer  in  Chryse,  noch  die  der  Athene  und  Hera  während 
der  Heeresversammlung,  wo  die  beiden  Könige  sich  erzürnen,  noch 
die    der    andern  Götter    auf   dem  Olymp  verträgt  sich  mit  einer 
Reise  aller  Götter  ans  Ende    der  Welt,    mit  welcher  jetzt  Thetis 
ihren  Sohn  vertröstet.     Oberhaupt    stellt  Homer    sonst   das  Ver- 
hältnis der  Götter  zu  einem  Opfer  nicht  anders  dar  als  so,    daß 
sie  den  Fettdampf  der  Opfertiere  im  Olymp  genießen,    wie    sie 
auch  der  irdischen  Lobgesänge  im  Olymp  sich  erfreuen.    V.  474: 
liilnovtsq  sxäsqyov  6  d&  <pq&va  xiqnsx'  äxovwv. 

Noch  ein  anderes  Bedenken  dürfte  die  Folge  der  Gedanken 
in  V.  414 — 430  und  493  ff.  erregen.  Sie  ist  offenbar  irgendwie 
gestört.  K.  L.  Kayser  war  der  erste  (1842),  welcher  mit  der 
Chryseisepisode  430 — 496  zugleich  die  Reise  der  Götter  zu  den 
Äthiopen  423—427  ausschied  (Hom.  Abh.  ed.  Usener  S.  9:  „Die 
Reise  der  Götter  zu  den  Äthiopen  dankt  vielleicht  auch  der 
Odyssee  a  ihren  Ursprung.  Nach  V.  429  folgt  V.  497  und  alles 
ist  in  Ordnung").     Auch  Döntzer  hat  (Allg.  Monatschrift  f.  Liter. 


Zu  Homer  A  488—492,  von  P.  D.  Chr.  Hennings.  237 

1850,  II,  S.  280)  vorgeschlagen,  die  Verse  421—427  und  493— 
496  als  interpoliert  anzusehen,  freilich  mit  dem  Vorbehalte  „wenn 
der  chronologische  Widerspruch  auf  keine  Weise  zu  entschuldigen 
wäre".  Zu  entschuldigen  versucht  ihn  von  Hoermann  a.  a.  0. 
S.  73 ff.:  „Man  könnte  mit  Nägelsbach  S.  97  sagen,  daß  der  Auf- 
schub der  Thetisbitte  zur  Ausfuhrung  der  Charakteristik  des 
Achilleus  diene,  indem,  wenn  zwischen  Thetis1  Gang  in  den  Olymp 
geraume  Zeit  vergeht,  ohne  daß  Achilleus  während  derselben  seine 
unheilschwangere  Bitte  zurücknimmt,  sein  Zürnen  um  so  weniger 
als  Wallung  des  Augenblicks  und  um  so  mehr  als  tiefgewurzelier, 
nachhaltiger  und  unversöhnlicher  Groll  erscheint.  Ich  (von  Hoer- 
mann) zweifle,  ob  der  Dichter  mit  diesem  etwas  tiefliegenden 
psychologischen  Motiv  seinen  Zweck  beim  Zuhörer  erreicht  hat; 
eher  ließe  sich  vielleicht  sagen,  daß  durch  diese  unerwartete  Ver- 
zögerung die  Spannung  auf  den  Erfolg  der  Bitte  Achills  in  wirk- 
samer Weise  erhöht  werde.  Noch  ein  Zweck  der  Reise  könnte 
angeführt  werden,  und  vielleicht  nicht  der  unwichtigste;  denn  er 
leitet  uns  auf  die  Notwendigkeit  derselben  als  Kunstmittel 
für  die  Einfügung  (von  430  IT.)  der  Chryseisepisode.  Es  ist  die 
kurze  Dauer  von  Achills  Groll,  wenn  man  den  12  Lägigen  Auf- 
schub fortläßt.  Er  währt  dann  kaum  sechs  Tage .  .  .  Läßt  man 
nun  nach  Ausfall  der  äthiopischen  Reise  das  Stück  54 — 611  als 
den  V,  54  eintretenden  zehnten  Tag  der  Ilias  gelten,  so  findet 
offenbar  die  ganze  Chryseisepisode  (430 — 487)  keinen  Platz  mehr 
wegen  V.  477  . . .  Düntzers  Konjektur  muß  somit  als  un- 
statthaft angesehen  werden4'.  Soweit  von  Hoermanns  Einwand 
gegen  die  Beseitigung  der  Reise  —  ein  Einwand,  der  verfehlt  ist, 
weil  die  Chryseisepisode  auch  später  von  anderer  Hand  eingelegt 
zu  sein  scheint.  Auch  W.  Ribbeck  verwirft  1862  die  Reise,  dann 
tun  es  auch  andere. 

Thetis  sagt  zu  ihrem  Sohne  420 ff.:  „Ich  werde  zum  Olympos 
gehen,  ob  Zeus  mich  erhört;  du  (av  psv)  zürne  den  Achäern 
und  enthalte  dich  gänzlich  des  Kampfes!  Denn  Zeus  ist  gestern 
zu  den  Äthiopen  gegangen  und  alle  Götter  mit  ihm;  am  zwölften 
Tage  wird  er  zum  Olympos  zurückkehren,  und  dann  werde  ich 
zum  Zeus  gehen  und  ihn  anflehen,  und  ich  hoffe  ihn  zu  über- 
reden4'. Dieses  erklärende  oder  begründende  Denn  kann  nur  dem 
durch  <si)  \kiv  „du  nun44  421  erforderten  Gegensatze  zur  Ein- 
leitung dienen;  das  noMpov  de  änonavso  422  ist,  wie  Nägels- 
bach richtig  sieht,  nur  die  Fortsetzung  des  av  fiip  fiyvis:  der 
Gegensatz  konnte  kein  anderer  sein  als  iyco  di  oder  amy  de  rjjf 
dwdsxccTfi  sffii  nQog  "Olvftnor,  und  der  steht  jetzt  vor  421  in 
419  f.,  die  sich  durch  das  Demonstrativum  xovxo  de  snoq  an  die 
vorhergehenden  Verse  anzuschließen  scheinen.  Zeigen  diese  nicht, 
indem  sie  zugleich  ein  ccvTtj  styi  „ich  selbst  werde  gehen"  ent- 
halten, an,  sie  könnten  ursprünglich  hinter  V.  421  gestanden 
.haben  ? 


238  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

417  vvv  9  apa  t'  (oxvfiOQog  xal  oi&QÖg  tvsqI  ndvxayv 

418  snXeo'   iw  ae  xaxfj  alarj  t6xov  iv  fisyccQOHfiv. 

421  dXXd  av  fiev  vvv  vf^vol  nctQimsvog  wxvnoQOiow 

422  (AqvS  *A%a%o%GiVi  noXipov  ä*  anonaveo  nupnav  * 

419  tovto  64  toi  iqiovaa  snog  Jii  zsqnixeqavvtt 

420  eüf*'  avxi{  nQogvOXvfinov  dydvvMfov,  ai  xe  ni&qxai. 
Wollen  wir  die  wenigstens  dem  Sinne  nach  ursprungliche  Reihen- 
folge   der  Verse    wiederherstellen,    so    haben    wir    die   Reise    der 
Götter  zu  den  Äthiopen  aus  dem  Kontext  zu  streichen. 

Damit  fielen  denn  auch  die  den  Versen  423 — 426  ent- 
sprechenden 493 — 495  weg.  Da  auch  der  Halbvers  430  rijv  qa 
ßlfj  äixovtog  cctttjvqcov  (nachgeahmt  in  6  646)  schon  von  Häsecke 
(s.  oben  S.  231)  gerichtet  ist,  so  bleiben  nach 

428  (Sg  äqa  cpcovijaaa1  änsßrjaeto,  xov  9  sXin'  avxov 

429  xwopsvov  xaxd  &V[idv  ivCcovoio  yvvcuxog. 
495 ©foig  9  ov  Xrjd€T%  itpstpioav 

496  ncudöq  kov,  &XV  q  /  avsdvaeto  xvpa  %}aXd<r<x<qg 

497  fjeQlq  (T  ävtßrj  piyav  ovqavov  OvXvfinöv  rs. 
Offenbar  erscheinen  in  solchem  Zusammenhange  auch  noch  V.  429 
und  495.  496  als  Flickverse.  Erhardt  (Die  Entstehung  der  hom. 
Ged.  1894)  denkt  sich  den  ursprunglichen  Zusammenhang  viel- 
mehr so,  daß  an  420  sich  427  anschloß:  xai  gjuv  yovvdaopcti, 
xai  [Aiv  nsiasc&cu  öia>  und  dann  (42  468  statt  V.  428): 

wg  aqcc  (pwvijccco'  anißt}  nqog  ficcxqöv  "OXv^nov ' 
498:  bvqsv  <T  svqvona  KQOviörjv  xtX. 
doch  scheine  ihm  V.  557  das  TJegirj  im  Munde  der  Hera  auf  das 
fjsQitj  in  497  zurückzuweisen.  Ebendeshalb  ziehe  ich  ja  die  obige 
Versfolge  vor:  V.  428.  497 ff.;  V.  428  braucht,  insofern  er  formel- 
haft ist,  nicht  aus  B  35  hergeleitet  zu  werden.  Das  tiEQlrj  könnte 
freilich  nicht  bedeutet  haben  „frühmorgens",  sondern  es  wäre 
sowohl  hier  als  557  =  ^eqv  xsxaXv^iv^  wie  es  &  562  von 
den  Phäakenschiffen,  und  X  15  von  den  Kimmeriern  heißt,  und 
wie  Thetis  V.  359  ähnlich  einem  Nebelgebilde  aus  dem  Meere 
emporgestiegen  war.  In  der  Tat  stimmt  die  andere  Bedeutung 
„frühe",  die  sich  aus  der  eigentlichen  des  Frühnebels  entwickelt 
haben  dürfte,  und  die  dem  Adverb  tjqi  allein  anhaftet,  hier  kaum 
zu  dem  Verlauf  der  Götterversammlung  in  A.  Diese  geht  nämlich 
in  unmittelbarem  Anschluß  an  die  Unterredung  des  Zeus  mit  der 
Thetis  V.  532  in  ein  kurzes  Gezänk  der  Hera  mit  ihrem  Gemahl 
und  569  in  ein  gemeinsames  Gastmahl  der  Götter  mit  602  nach- 
folgendem Trinkgelage  und  dann  sofort  in  den  Eintritt  der  Nacht 
über.  Dergleichen  Gastmäler  aber  pflegen  bei  Homer  in  die  Zeit 
nach  der  Mittagshitze  zu  fallen.  Dies  ist  auch  von  Hoermaons 
Ansicht  S.  76;  wie  K.  Brandt  dazu  gekommen  ist  (N.  J.  1885 
S.  664)  zu  behaupten,  V.  600  könne  es  noch  nicht  viel  später  als 
um  die  Morgenröte  sein,  ist  mir  unerfindlich:  daß  nqonav  ijpaq  OOl 


Zu  Homer  A  488—492,  von  P.  D.  Chr.  Hennings.  239 

nur  den  Rest  des  Tages  bezeichnen  soll,  sieht  man  aus  x  424. 
x  183.  476.  *  161.  556. 

Wo  bleiben  wir  nun  mit  den  Versen  488 — 492,  nachdem 
erstens  die  Chryseisepisode  430 — 487  und  zweitens  die  Götterreise 
423—427  (oder  421—426?).  493—496  (oder  497?)  weggefallen 
sind?  Der  Bittgang  der  Thetis  läßt,  weil  er  nun  von  348 — 420 
und  von  496 — 611  in  denselben  Tag,  den  Tag  der  Wegnahme 
der  Briseis,  sich  einfügt,  48S — 492  dagegen  die  ganze  Folgezeit 
von  B  bis  J?  betreffen,  eine  solche  Unterbrechung  nicht  mehr  zu. 
„Die  einzige  Stelle'S  sagt  Häsecke  S.  24,  „welche  jene  Verse  in 
einem  untadelhaften  Zusammenbange  und  deswegen  daselbst  als 
ursprunglich  erscheinen  läßt,  ist  nach  V.  347,  wo  sie  als  passender 
Abschluß  eines  Rhapsodenvortrags  stehen,  welcher  den  Streit 
zwischen  den  beiden  Fürsten  bis  zu  dessen  Abschluß  durch  die 
Wegführung  der  Briseis  umfaßte. . . .  Das  Verlangen  der  Zuhörer 
war  ein  natürliches,  über  den  Eindruck  etwas  zu  erfahren,  den 
die  Wegführung  der  Briseis  auf  Achill  gemacht  hatte".  Der  Ver- 
fasser schloß  den  Gesang  nach  Häsecke  mit  der  Angabe,  wie  der 
Groll  Achills  sich  im  Verlauf  der  folgenden  Lieder,  oder  sagen 
wir:  der  folgenden  Tage  äußerte.  Auf  V.  347  könnte  gleich  488 
gefolgt  sein: 

347 tco  <$'  avxig  ixrjv  ttccqcc  vyccg  *A%cuwv 

348  avxccQ  6  [Jiijvie  vfjvül  nagyiievog  doxvnoQOHfiv  xrA. 
Köchly  möchte  folgende  Verbindung  herstellen: 

348  ii  d5  äixovd*  apa  xolCi  yvv^  xlev   avxccQ  *A%iXlevq 
ix  xov  [MJvi,€  Vfjval  naq.  cox. 
Oder  an  348  könnte  sich  angeschlossen  haben: 

pr^C  *A%<uo%<Siv,  noltfiov  <F  anonctvsxo  ndfinav  ' 
490  ovxs  no%'  elg  dyoQijv  ncokeaxexo  xvdiävsiQav 

ovxs  nox*  ig  ndlepov  xxL 
Ein  Schluß,  der  die  Empfindung  der  Briseis  angäbe  und  auch 
die  genaue  Ausführung  oder  das  Vorbild  der  Verse  421.  422 
brächte,  würde  mir  ganz  passend  erscheinen,  wenn  nicht  das 
av&i  pivcov  in  V.  492  dann  einer  vorherigen  örtlichen  Beziehung 
zu  entbehren  schiene.  Gegen  alle  diese  Möglichkeiten  spricht  sich 
von  Hoermann  S.  65 f.  aus:  „Die  Verse  488—492  haben  in 
1 — 347  keine  Motivierung,  weil  wir  darin  nirgends  von  einer  Ent- 
schließung Achills  zu  grollen,  wie  sie  uns  488  ff.  als  vollendete 
Tatsache  entgegentritt,  etwas  hören.  Seine  ursprüngliche  Drohung 
(169)  war  ja,  nach  Phthia  heimzukehren44.  Etwas  muß  noclr 
zwischen  348  und  488  dazwischen  gestanden  haben. 

K.  Brandt  (Zur  Geschichte  und  Komposition  der  Ilias,  N.  J. 
1885  S.  667):  „Die  Briseis  nun  ging  unwillig  mit,  Achilleus  aber 
348  —  Nun  was  muß  Achilleus,  der  rachedürstende,  der  un- 
gestüme, der  seines  Triumphes  gewisse  getan  haben?  Er  bedurfte 
keiner  Vermittlerin,    keiner   langwierigen   und  zweifelhaften  Ver- 


240  Jahresberichte  d.  Pliilolog.  Vereins. 

handlungen,    er   muß  seine  Hände  zum  Zeus  emporgestreckt  und 
ungefähr  folgendermaßen  gefleht  haben: 

Zsv  ävay  JwdwvaTe,  üsXaoytxiy  v^XoS-t  palcop, 

=  n  223—235 
Joodwvtjs  pedicop  dvöx^^QOV   apcpi  di  2sXXol 
<sol  palovrf  V7tO(ptJTcu  avimonodsg  %apaisvpah. 
aid-1  öcpsXov  naqä  ptjvüIp  ädaxqvtog  xal  aTtfjfjLcop 

=  A  415—417 
qö&cu,  in  ei  pv  fioi  altia  /lUpvp&cc  ttsq,  ov  %i  fidXcc  dyy, 
pvp  <f  cifia  %*  ooxvfiOQog  xal  oi&qoq  tibqI  napvcop, 
du  aber  räche  mich 

tovq  di  xaxä  nqvppag  xal  apq?  aXa  sXöai  *A%cuovg 

=  A  409—412 
XTSwoptpovg,  Iva  ndpreg  inavQcoyrai  ßaöiXrjog, 
yp(S  di  xal  ^ATQsidfjg  bvqvxqsI&v  ^Aya^fipwp 
ijp  atfjp,  ozf  ägiGTOP  *A%ai(AP  ovdip  stmTsp. 
fl  xal  xvaptycnp  in1  otpqvGi  psvös  KqopIcop' 

i  v=    **    528~ 530 

äpßgoGiai,  <F  ccqcc  yjalxai,  ineQQciaaPTO  avaxxog 
xQccvög  an'  ä&avdzoio*  piyap  <f  iX£Xi%6P  "OXvftnov. 
darauf  A  488.  490—492". 

Warum  V.  489  nicht  dazwischen  stehen  bleiben  sollte«  sehe 
ich  nicht  ein.  Außerdem  ist  zu  bemängeln,  daß  der  V.  528  nach 
homerischem  Gebrauch  nur  auf  eine  Rede  des  Kroniden  folgen 
darf,  nicht  aber  auf  eine  solche  des  Odysseus.  Nur  K  454  folgt 
auf  rj  (Diomedes  sprach's)  xal  6  fiip  s'fisXXs  (dieser  6  fiep  ist 
Dolon) . . .  6  di  (=Diomedes),  und  ähnlich  ist  die  Sache  ist  446, 
ferner  <Z>  233  r\  (florapog)  xal  *A%iXXevg  fiip  s&oqs  ...od* 
(=  noTafjLog)y  endlich  ü  643  ij  q  (Priamos),  *A%t,X%vg  di 
xiXevaep. 

Brandt  hat  a.  a.  0.  Lachmanns  Urteil  begründet,  daß  die  Fort- 
setzung von  A  1-348,  nämlich  349—429.  497—611,  nicht 
ganz  im  Geiste  des  ersten  Gesanges  hinzugedichtet  sei  und  nicht 
der  ursprünglichen  Anlage  des  Gedichtes  ganz  entspreche.  Nämlich 
nach  77  23517.,  wo  Achill  zum  Zeus  betet: 

rj  pip  dq  not  ipop  enog  sxXveg  ev^apipoio  xiX. 
hat  Achill  selbst,  ohne  die  Fürsprache  seiner  Mutter  in  An- 
spruch zu  nehmen,  zum  Zeus  um  Rache  gefleht,  und  man  kann 
darin  nicht  eine  bloß  abgekürzte  Form  der  Erzählung  finden  dafür, 
daß  er  es  durch  die  Vermittlung  seiner  Mutter  getan  habe,  wie 
etwa  rj  295  Nausikaa  dem  Odysseus  Brot  und  Wein  gegeben  haben 
soll,  während  sie  es  nur  ihren  Mägden  befohlen  hatte,  oder  wie 
T  89  und  273  Agamemnon  selbst  die  Briseis  geholt  zu  haben 
scheinen  könnte,  während  doch  Achill  die  Jungfrau  gutwillig  den 
Herolden  des  Großkönigs  ausgeliefert  hatte:  denn  2  74  ff.  sagt 
die  Thetis  selbst:    %a  pip  drj  toi  xtxkXsöxai  ix  Atog,   mg  aqa 


Zu  Homer  A  483—492,  von  P.  D.  Chr.  Hennings.  241 

<5rj  nqiv  /  sv%eo  xtL,  sie  beruft  sich  also  nicht  auf  ihren  eigenen 
Bittgang  und  das  Versprechen,  das  Zeus  ihr  gewährt  habe.  0  72 ff. 
ist  zwar  eine  Vermittlung  der  Bitte  Achills  durch  die  Thetis  an- 
gedeutet worden,  allein  diese  ganze  Stelle  ist  sowohl  von  Zenodot, 
wie  von  Aristophanes  und  Aristarch  athetiert  worden.  —  Brandt 
findet  ferner  die  Zeichnung  der  Charaktere,  sowohl  der  Götter  als 
Achills,  in  der  zweiten  Hälfte  von  A  schwächlich,  die  Handlung 
ungeschickt  und  die  Darstellung  nicht  frei  von  Mängeln  und  Wider- 
sprüchen, die  z.  T.  durch  Entlehnung  verschuldet  seien:  1.  Achill 
betrachte  es  V.  234 — 244  und  338—344  als  sicher,  wenn  seine 
tapfere  Hand  dem  Heere  fehle,  werde  es  dem  Feinde  nicht  ge- 
wachsen sein;  da  bedürfe  er  also  eigentlich  einer  Fürsprecherin, 
ob  deren  Verdienste  etwa  den  Zeus  gunstig  stimmen  möchten, 
nicht.  —  2.  Dreimal  werde  die  Unehre  des  Achill  beklagt:  V.  352 ff., 
365 IT.,  wo  Aristarch  die  ganze  Wiederholung  athetierte  und  woraus 
schon  allein  von  Christ  Veranlassung  nimmt,  diese  zweite  Hälfte 
von  A  einem  anderen  Gesänge  als  die  erste  zuzuweisen,  und 
503  fT.  Freilich  Nägelsbach  nennt  (Anm.  S.  85)  366—392  ein 
Meisterstuck  bundiger  Erzählung,  aber  371 — 379  sind  wörtlich  = 
12 — 16.  22 — 25,  und  Chryses  wird  bis  auf  sein  goldenes  Scepter 
und  seine  Stemmata  geschildert,  während  der  bemerkenswerte 
Umstand  ausgelassen  wird,  daß  Achill  den  Kalchas  aufforderte, 
die  Ursache  der  Pest  zu  künden.  —  3:  Unrichtig  sei,  daß  Achill 
dem  Agamemnon  befahl,  den  Gott  zu  versöhnen,  vielmehr  habe 
sich  Agamemnon  von  selbst  dazu  erboten.  —  4.  Unrichtig  sei  es 
endlich,  daß  den  Agamemnon  Zorn  ergriff,  weil  Achill  den  Gott 
zu  versöhnen  befahl.  —  5.  V.  358  sei  =  2  36,  362  ==  2  73,  365 
=  d  465,  540  =  ä  462,  575  f.  =  a  403  f.,  595  f.  sei  aus 
£  222  f.,  599  =  &  326.  —  6.  Die  Scene  zwischen  Zeus  und 
Hera  sei  ähnlich  dem  Anfang  von  O  (538  =  O  34,  570  = 
ö  101,  591  =  O  23). 

Indem  also  Brandt,  ebenso  wie  Erhardt,  nach  dem  Vorgange 
von  Lachmann  den  Bittgang  der  Thetis  einem  anderen  Verfasser 
als  dem  Dichter  von  A  1 — 347  zulegt,  nimmt  er  doch  aus  dem- 
selben die  Verse  415—417.  409-412  und  528—530  für  den 
Schluß  des  Liedes  1 — 347  in  Anspruch.  Das  ist  natürlich  etwas 
bedenklich.  Becht  mag  er  darin  haben,  daß  ein  Gebet  des  Achill 
zum  Zeus  um  Rache  ursprünglich  mit  dazu  gehört  hat  und  erst 
durch  die  Verbindung  mit  dem  Bittgang  der  Thetis  daraus  ver- 
drängt worden  ist.  —  Die  vier  Stellen  der  Ilias,  wo  der  Bittgang 
der  Thetis  erwähnt  wird,  0  370  ff.  N  350.  O  75  ff.  und  O  598 
sucht  Brandt  S.  665—667  als  späte  Einschiebsel  zu  erweisen. 

Übrigens  sieht  auch  er  in  A  488 — 492  mit  vollem  Rechte 
den  Schluß  des  ersten  Gesanges;  darauf  beginnt  für  ihn  der 
zweite  Gesang  der  ursprünglichen  Achilleis  (nicht  der  Ilias!)  mit 
neuem  Kampf  der  Achäer  und  Trojaner  B  1 — 41.  A  1 — 569, 
damit  sich  die  ßovXij  des  Zeus  {B  5  und   A  5)  erfülle.  —  Nur 

JtkvMberichte  XXXI.  \ß 


242  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

eins  möchte  ich  gegen  seine  Kombination  erinnern,  ohne  darum 
sie  für  verfehlt  zu  halten:  die  Schuld  des  Agamemnon  ist  in 
A  1 — 347,  wiewohl  sie  später  als  Verblendung  ary  gebrand- 
markt wird,  kaum  als  groß  genug  geschildert  worden,  um  den 
obersten  Gott  zu  einer  durch  die  folgenden  Gesänge  gehenden 
Parteinahme  für  die  Trojaner  zu  bewegen.  Sie  wurde  schon 
größer  erscheinen,  wenn  Agamemnon  etwa  selber  dem  Achill  mit 
Gewalt  die  Briseis  weggenommen  hätte. 

Zu  erledigen  bleibt  schließlich  die  Frage,  wie  man  sich  die 
Reihenfolge  der  Veränderungen  zu  denken  hat,  welche  Homer 
oder  die  Homeriden  mit  dem  Inhalt  von  A  vorgenommen  haben 
mögen. 

I.  Der   erste  Gesang  einer  Achilleis  enthielt  vermutlich  dies: 
Agamemnon   schlägt  dem  Priester  des  Apollo  die  Lösung    seiner 
Tochter  aus  der  Gefangenschaft  ab.    Dafür  straft  Apollo  das  Heer 
der  Achäer  mit  der  Pest.     Achill  beruft    eine  Versammlung,    um 
über  ein  Mittel  der  Entsundigung  zu  beraten.    Der  Seher  Kalchas 
enthüllt,  nachdem  Achill  ihm  seinen  Schutz  auch  gegen  den  Ober- 
könig Agamemnon  zugesichert,  den  Grund,  warum  Apollo    zürne. 
Agamemnon    verlangt    vorher    Ersatz    der    Chyseis    und    kommt 
darüber  in  Streit  mit  Achill.     Er  hält  sich  durch  Wegnahme  der 
Briseis    auf  Kosten    und    wider  Willen    des  Achill   schadlos    und 
schickt  die  Chryseis  ihrem  Vater  zurück.    Das  Heer  wird  entsühnt, 
aber  Achill  zürnt  dem  Heer  und  Volk  der  Achäer  und  fleht  zum 
Zeus  um  Genugtuung.     Er  enthält   sich   des  Kampfes    und  jeder 
Teilnahme  an  gemeinsamen  Interessen.     Im  folgenden  Lied  fuhrt 
Agamemnon  das  Heer  ohne  Achill  gegen  die  Trojaner.    „Denn  es 
widerspricht  dem  Geist  der  Dichtung,  die  im  ersten  Gesänge  dar- 
gelegte,   auf  Fortgang    drängende  Handlung   elf  Tage  ruhen,    den 
Agamemnon  in  seinem  Vertrauen,  auch  ohne  Achilleus  mit  Zeus* 
Hilfe  zum  Ziele  zu  gelangen,  nichts  tun  zu  lasssen"  (Kammer).  *" 

IL  An  diesem  Entwurf  des  ersten  Liedes  fiel  einem  späteren 
Dichter  auf,  daß  die  Verschuldung  des  Agamemnon  nicht  hand- 
greiflich und  ungeheuerlich  genug  war,  um  allein  die  Erhörung 
des  Achill  von  seilen  des  Zeus  zu  erklären.  Dieser  Dichter  hielt 
vielmehr  eine  Vermittlung  von  Achills  Bitte  durch  seine  Mutter 
Thetis,  welche  einerseits  des  Peleus  Gemahlin,  andererseits  aber 
eine  Göttin,  die  Tochter  des  Nereus,  war,  und  durch  eine  übrigens 
seltsame  Begründung,  warum  Zeus  sie  erhörte,  für  notwendig. 
Er  dichtete  also  mit  Beseitigung  von  Achills  Gebet  als  Fortsetzung 
von  I  die  Verse  348—418.  421  f.  419  f.  428  f.  497—530.  Ob 
A  531 — 611,  die  Scene  zwischen  Zeus  und  Hera,  gleich  daran 
angeschlossen  wurden,  dürfte  fraglich  bleiben  (da  zumal  Hera 
Ursache  hatte,  der  Thetis  günstig  zu  sein  ß  59  ff.).  Brandt  halt 
dafür,  daß  A  428  aus  B  35  entnommen  worden  sei. 

III.  Wenn  nun  aber  der  Schluß  des  ersten  Gesanges  (488 

492),  worin  ausgeführt  war,  wie  der  Groll  in  Achills  Herz,  während 


* 


Zu  Homer  A  488—492,  vo»  P.  D.  Chr.  Hennings.  243 

er  bei   den  folgenden  Kämpfen  in  seinem  Zelte  blieb,   sich  ver- 
steifte, sein  Recht  behalten  sollte,  schien  eine  Ruhezeit  zwischen 
dem  Anfang   dieses  Grolls    und    der   infolge  von  Thetis'  Bittgang 
eintretenden  Entschließung  des  Zeus  (ßovXrj  Aiog  A  5  und  B  5) 
nicht   unangemessen.     Ein  Nachdichter    wollte    wohl    durch  Ein- 
legung solcher  Ruhezeit  die  Möglichkeit  finden,    den  Krieg  in  B 
gleichsam    von    neuem    anfangen   zu  lassen  (Rothe),    wonach  die 
Schilderung  des  Aufmarsches  und  die  weiteren  Verhältnisse  in  B 
bis  r  sich  leichter  begreifen  wurden  als  ohne  die  Pause:  „Hatte 
der  Dichter   bei   der  Einfuhrung  eines   12tägigen  Aufschubs   die 
weitere   Entwicklung  in  B  im  Auge,    so    konnte    für   ihn    dabei 
wohl   nur   bestimmend  sein,    daß  die  dort  geschilderten  Verhält- 
nisse,   Agamemnons    unsichere    Haltung,    seine    Versuchung    des 
Heeres,   die  Stimmung  dieses  und  der  Fürsten,    nur  verständlich 
sein  konnten,  wenn  sich  die  Wirkungen  von  Achills  Groll  bereits 
fühlbar  gemacht   hatten4'  (Hentze).     Die  12tägige  Götterreise   ist 
keineswegs    „ein  bloß    stilistisches  Motiv,    um    die  Sendung    der 
Thetis  mit  der  Rückführung  der  Chryseis  in  die  Heimat  zu  ver- 
binden" (Erhardt).    „Wäre  sie  eingeführt44,  sagt  Heimreich,  „bloß 
um  die  Chryseisepisode  einführen  zu  können,    so  würde   ein  gar 
zu  starker  Kontrast  zwischen  dem  verfolgten  Zweck  und  den  zur 
Erreichung   desselben   aufgewendeten  Mitteln   entstehen44.     Fried- 
länder dürfte   zu  flüchtig  geurteilt  haben  (Die  Homerische  Kritik 
von  Wolf  bis  Grote  S.  74),    daß   die  Reise   der   Götter   zu   den 
Äthiopen  ganz  müßig  sei,  wenn  man  mit  der  Chryseisepisode  die 
einzige  Veranlassung    ausscheide,    um    derentwillen    sie    erfunden 
sein  könne.    „Es  bedarf  einer  gewissen  Zeit44,  sagt  Hentze,  „um  zu 
erkennen,    daß  Achill   nicht  nur  von  Zorn   erfüllt  war  im  ersten 
Augenblick,    sondern  daß  er  sich  in  eine  schmerzvolle  Stimmung 
versenkte    und    grollte;    daher    die   12tägige  Frist  als  Grundlage 
für  die  Handlung  des  Epos44 ....     „Es  ist  auch  viel  wahrschein- 
licher,   daß  der,    welcher   die  12tägige  Götterreise  vorfand,   sich 
aufgefordert  fühlte, .  dies  ereignislose  Vacuum  durch  die  Chryseis- 
episode, die  311  nur  abgebrochen  schien,  auszufüllen,  als  daß  er 
die  12  tägige  Götterreise  erfand,    um   eine  Erzählung  einzufügen, 
die  nur  zwei  Tageshälften  füllt44.    Diese  Erwägung  ist  entscheidend 
gegen   Brandts  Annahme,    die  Götterreise    sei    eingeschoben,    um 
für  Odysseus,    der    in  Chryse  übernachten    und  in  B  wieder- 
auftreten  sollte,    Zeit   zu   gewinnen.     Der  Schluß  des  ersten 
Gesanges,    eben  die  Verse  488— -492,    der  von  dem  Dichter  des 
Thetisliedes  weggelassen  worden  war,  schien  eine  ziemliche  Zwischen- 
zeit zwischen  A  1 — 347  und  B  1  ff.  zu  vertragen.    Auf  12  Tage 
aber  hat  der  betreffende  Nachdichter  die  Abwesenheit  der  Götter 
und  den  Aufschub  von  Thetis'  Bittgang  erstreckt  im  Anschluß  an 
lP  205  f.  und  Poseidons    Reise  in  a,    sowie  an   den   12tägigen, 
von  Achill  selbst  bewilligten  Waffenstillstand  in  £  660—670.  781. 
(Nachgeahmt    soll    unsere   Stelle    sein    im    Anfang   von  Q   nach 

16* 


244  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Peppmüller,  Kommentar  des  24.  Buches  der  Ilias  1876  S.  25  ff. 
Q  31  =  A  493).  Ob  die  Frist  von  12  Tagen  einen  astronomi- 
schen oder  kalendarischen  Grund  hat,  wie  Dornedden  das  ver- 
mutet, wage  ich  nicht  zu  beurteilen;  jener  „versteht  nämlich 
(Neue  Theorie  zur  Erklärung  der  g riech.  Mythologie  S.  1 — 70) 
unter  der  12tägigen  Reise  der  Götter  das  12  tägige  Aufhören  des 
aus  354  Tagen  bestehenden  Mondjahres  während  der  Dauer  der 
alle  zwei  Jahre  hinzugesetzten  Schalttage44  (Hentze).  Ob  der 
märchenhafte  Volksaberglaube  von  einem  Sonnentisch  bei  den 
Äthiopen,  der  immer  von  dem  gekochten  Fleisch  aller  Vierfüßer 
voll  sei,  und  über  den  Herodot  III  17  berichtet,  hier  hineinspielt, 
wer  vermöchte  das  auszumachen?  —  Wie  dem  auch  sei,  der 
Dichter  erhielt  so  die  nötige  Frist,  um  den  Zorn  Achills  zum 
Groll  aus  wachsen  zu  lassen,  wie  es  488 — 492  geschildert  wird. 
Wo  also  konnte  dieser  Dichter  die  Verse  488 — 492  passender 
gebrauchen  als  da,  wo  Thetis  sich  von  ihrem  Sohne  entfernt,  um 
nach  11  Tagen  des  Zeus  Hilfe  zu  erbitten?  Zu  dem  Zweck  setzte 
er  421  f.  um,  hinter  419  f.,  dichtete  422—427  hinzu  und  setzte 
488—492  vor  493—496.  Mit  V.  497  kam  er  wieder  in  das 
Thetislied  hinein  und  hatte  für  493  alV  oxe  dij  q  ix  toXo  dvto- 
dexairi  yivsx^  qcig  (=  S2  31)  den  einigermaßen  geeigneten  An- 
schluß gefunden. 

IV.  Noch  ein  anderer  Nachdichter  hängte  an  347  a  ohne 
jegliche  Lücke  oder  Änderung  anstatt  des  Thetisliedes  die  Chryseis- 
episode  430—487  und  schloß  mit  488—492.  Auch  la  Roche 
betrachtet,  wie  Lachmann,  430 — 492  als  ein  zusammengehöriges 
Stuck.  Dasselbe  ist  gedichtet  zur  weiteren  Ausfuhrung  von  308 — 3 1 1 . 
Der  Verf.  stieß  sich  wohl  daran,  „daß  zwar  die  Sendung  des 
Odysseus  erzählt  war,  aber  nicht  seine  Ruckkehr1'  (Kammer).  Die 
Vorgänge  V.  308—318  mögen  als  gleichzeitig  mit  430 — 456  an- 
gesehen worden  sein  (vgl.  O  220  ff.  168  ff.).  Nägelsbach  sagt  darüber 
ganz  schön  in  den  Anm.  zur  Ilias2 1850  S.  96:  „Der  Dichter  erzählt 
die  Rücksendung  der  Chryseis  und  die  vollbrachte  Söhnung  Apollos 
zu  Ende.  Denn  es  ist  des  Dichters  Art,  eine  bedeutende  Hand- 
lung selbst  mit  Retardation  der  Hauptereignisse  bis  in  ihre  letzten 
Nachwirkungen  zu  verfolgen44,  und  S.  106 f.:  „Freilich  glänzt  in 
diesem  Abschnitt  keine  schwungvolle  Poesie.  Aber  diese  wäre 
auch  nicht  am  rechten  Orte,  da  erstlich  der  Stoff,  die  Fahrt  nach 
Ghryse,  die  Röckgabe  der  ßriseis,  das  Gebet  des  Chryses,  das 
Opfer,  die  Ruckkehr  ins  Lager,  eine  gehobene,  reich  ausgestattete 
Darstellung  um  so  weniger  fordert,  je  weniger  er  ein  selbständiges 
Interesse  hat,  und  da  zweitens  ein  schlecht  und  recht  gehaltener 
Bericht  von  dem  Endergebnisse  der  leidenschaftlichen  Scene  des 
Tages  vortrefflich  dazu  dient,  in  der  epischen  Darstellung  Licht 
und  Schatten  gehörig  zu  verteilen  . . .  Daß  Chryses'  Empfindung 
beim  Wiederempfang  seiner  Tochter  bloß  angedeutet  wird,  ist 
echt  künstlerisch,  ....  schon  an  sich  entspricht  V.  446  das  o  d' 


Zu  Homer  A  488—492,  von  P.  D.  Chr.  Hennings.  245 

söi^axo  %al(>wv  natSa  <piXfjv  vollkommen  dem  %  <F  dixovrf 
a\*a  TOto*  yvvij  xiev  348.  Ebenso  entspricht  mit  unverkennbarer 
Absichtlichkeit  die  Fürbitte  des  Chryses  451—456  in  Anrufung, 
Motivierung  und  Bittstellung  bis  auf  die  Verszahl  seinem  Rache- 
gebet 27  ff.,  und  indem  die  beide  Male  erfolgte  Gewährung  der 
entgegengesetzten  Bitten  mit  demselben  Verse  berichtet 
wird  (43.  457),  ist  gerade  die  Einfalt  dieses  Parallelismus  schön'4. 
Gerlach  sucht  (Phil.  XXX  S.  6)  in  dem  zweiten  Gebete  des  Chryses 
451 — 456,  verglichen  mit  seinem  ersten,  einen  Beweis  dafür,  daß 
beide  Stellen  demselben  (?)  Dichter  angehören;  die  17  Verse  458 
— 474,  in  welchen  der  Opferschmaus  beschrieben  wird,  sind  ihm 
„ein  offenbares  Gegenbild  zur  Beschreibung  der  Pest'4  und  als 
solches  von  trefflicher  Wirkung.  Natürlich  hat  der  Verfasser  von 
430—487  gerade  dies  Lied  vom  Zorne  Achills,  woran  er  anknöpfte, 
auch  vor  Augen  gehabt,  aber  er  hat  auch  das  Thetislied,  das  mit 
demselben  Verse  begann  (vgl.  348  mit  430),  vor  Augen  gehabt. 
Lauer  (Geschichte  der  hom.  Poesie  S.  207)  erblickt  in  der  Ver- 
bindung dieses  Abschnitts  430 — 492  mit  1  —  347  gar  ein  Lied 
von  vollendeter  Schönheit.  —  Vielleicht  sind  die  drei  verschiedenen 
Ausgestaltungen  des  ersten  Liedes:  1.  V.  1—347 ...  488— 492; 
2.  1—420.  497-530  (611);  3.  1—347.  430—492  von  ver- 
schiedenen Rhapsoden  nebeneinander  zum  Vortrag  gebracht  worden. 
V.  Häsecke  meint  nun  am  Schluß  seines  Programms,  daß 
die  Episode  430 — 487,  die  natürlich  niemals  selbständig  gewesen 
ist,  ursprünglich  ihre  Stelle  nach  V.  318  gehabt  habe.  „Denn 
wenn  die  Veranlassung44,  sagt  er  S.  22,  „zur  Abfassung  dieser  Er- 
zählung nur  in  dem  einer  späteren  Rhapsodenpraxis  entsprungenen 
Bestreben  gesucht  werden  kann,  die  kurzen  Züge  der  älteren 
Dichtung  308 — 312  zu  vervollständigen  und  zu  ergänzen,  so  zeigt 
jedem  Unbefangenen  der  Augenschein,  daß  diesem  Zweck  hier  in 
der  natürlichsten  uhd  verständlichsten  Weise  entsprochen  wird. 
V.  312  fahrt  Odysseus  mit  den  Seinigen  nach  Cbryse  ab  ol  uiv 
aninXeov.  Darauf  folgt  314 — 317  mit  dem  Gegensatz  oi  <f 
aneXvfiuivovio  die  ganz  kurze  Mitteilung  von  dem  Reinigungs- 
opfer des  Heeres,  welche  318  durch  £g  ol  fiiv  xä  nivovxo 
xaxä  cxqccxov  (gewissermaßen  chiastisch)  abgeschlossen  wird, 
während  die  nun  folgende  Chryseisepisode  wieder  an  312  an- 
knüpft und  die  Fahrt  nach  Chryse  zu  dem  Reinigungsopfer  als 
parallellaufend  darstellt.  Interessant  ist  hierbei,  daß  auf  diese 
Weise  das  ol  64  in  432  einen  passenden  Gegensatz  zu  ol  fxiv 
in  318  bildet  und  eine  auf  den  ersten  Blick  verständliche  Be- 
ziehung erhält".  —  Die  Möglichkeit,  daß  ein  Rhapsode  1 — 318. 
430 — 492  gesungen  haben  kann,  ist  ja  nicht  zu  bestreiten,  allein 
in  diesem  Liede  hätte  die  Wegnahme  der  Briseis  ganz  gefehlt, 
und  die  war  wichtiger  als  das  Opfer  in  Chryse,  ebensoviel 
wichtiger  wie  Achills  Zorn  verglichen  mit  des  Odysseus  Fahrt. 
Auch  scheint  es  mir  viel  wahrscheinlicher,  daß  die  Worte  ccvxccq 


246  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

'Odvtiöevg  430  da  angeknüpft  wurden,  wo  dementsprechend 
ccvtccq  ^Axvllsvg  348  weitererzählt  worden  war,  als  da,  wo 
ovd'  IJyaptgAvcov  Xrj/  eqidog  die  wesentlichste  Fortsetzung 
Gesänge  vom  Zorn  des  Acbilleus  noch  fehlte.  —  Aber  ein  Or 
welcher  die  Rhapsodenvorträge  1 — 347.  430—492  und  1— 
493  ff.  vorfand,  konnte  kaum  einen  passenderen  Platz  für 
Episode  430 — 487  finden  als  da,  wo  die  Thetis  wegen  Abwc 
heit  der  Götter  doch  eine  Frist  von  12  Tagen  für  erforde 
erklärte,  innerhalb  deren  denn  die  Fahrt  des  Odysseus  nach  Gfa 
sich  vollendete,  während  die  daran  sich  schließenden  Verse 
— 492  den  Rest  dieser  Frist  auszufüllen  geeignet  waren. 

G.  Hinrichs  (Hermes  XVII  S.  122)  spricht  aus,  was  i 
meine  Oberzeugung  ist:  „Damit  die  hom.  Poesien  das  wer 
konnten,  was  sie  sind,  war  nicht  nur  ihre  schriftliche  Aufzeichni 
sondern  auch  die  andauernde  Arbeit  einer  Schule  uneriäfMicfa" 

Husum.  P.  D.  Chr.  Hennings 


6. 

Ciceros  Reden. 
1903—1905. 


a)   Ausgaben. 

1)  W.Jordans  aasgewählte  Stacke  aas  Cicero  ia  biographischer 

Folge.  Mit  Aoinerkangeo  für  deo  Scbalgebraach  voo  W.  Jordan 
aod  R.  Graf.  Sechste  Auflage,  besorgt  von  Hermann  Schott! e. 
Mit  Ciceros  Bildnis  and  zwei  Anhängen.  Stattgart  1904,  J.  B.  Metzler- 
seher Verlag.     XVI  u.  192  S.     8.     2  Jt. 

Da  dieses  treffliche  und  schön  gedruckte  Büchlein  in  der 
fünften  Auflage  (1898)  sorgfältig  revidiert  worden  war,  so  nahm 
der  neue  Herausgeber  keine  größeren  Änderungen  damit  vor. 
S.  135  wurde  das  Stück  über  Roms  Lage  gekürzt  und  dafür  eine 
deutsche  Auseinandersetzung  eingefügt,  leider  ohne  Kärtchen. 
8.  181  ist  eine  Biographie  Ciceros  bis  77,  S.  190  eine  Tabelle 
zur  Berechnung  der  Monatsdaten,  S.  191  eine  Tabelle  zur  Um- 
rechnung der  römischen  Daten  in  julianische  für  63 — 45  eingefügt. 
Der  Schaltmonat  hätte  als  intercalaris  bezeichnet  werden  sollen, 
nichi  als  tnercedonius  (Pachtzinsmonat;  vgl.  Unger  S.  789). 

Man  lese  40,  9  voluit;  59,  7  Omnibus;  62,  5  loquitur;  126,  29 
MtmHo;  132, 19  legum  . . .  servi  sutnus.  —  Unrichtig  ist  S.  33  HS 
=  sestertia.  Daß  es  Sesterztausende  sind,  wird  durch  den  Strich 
über  der  Zahl  bezeichnet.  —  S.  181  „Die  Cicerone  stimmten  an 
den  Komitien  zu  Rom  in  der  tribus  Cornelia",  die  Arpinaten  seit 
188  (Liv.  38,  36,  9).  Cicero  diente  89  „unter  dem  Konsul  Cn. 
Pomp  ejus  Strabo",  auch  88  unter  Sulla  bei  Nola  (de  div.  1,  72; 
%  65).  —  Bei  größeren  Stücken  sollten  am  Rande  die  Paragraphen 
bezeichnet  sein,  z.  B.  in  Cat.  III,  um  dem  Lehrer  die  Vergleicht] ng 
von  Ausgaben  zu  erleichtern.  Die  Worte  „in  biographischer  Folge44 
passen  nur  auf  S.  1 — 77. 

2)  M.Talli  Cicerouis  pro  Sex.  Roscio  Amerioo,  de  imperio  Cn. 

Pompti,  pro  Archia  poata  oratiooes.  K  potrebg  äkoloi  vydal 
Robert  JNovik.    Treti  vydaai.    Prag  1905.    VIII  u.  87  S.    &     i  K. 

In  der  Rede  für  Sex.  Roscius  wurde  an  13  Stellen  die  Lesung 
der  Hss.  hergestellt,  wo  sie  bisher  durch  Konjekturen  ersetzt  war, 
so  107  und   111   qui  (statt  quis).     §  43   blieb   das   fehlerhafte 


248  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereint. 

Komma  nach  homines;  142  steht  animos  statt  animus.  Neue 
Lesungen  sind:  106  suspicionem  adhibendam  (nach  eigener  Ver- 
mutung), 110  ficta  mora  (nach  Graevius),  133  enuntiare  (Dach 
Mommsen). 

In  der  zweiten  Rede  wurde  an  sieben  Stellen  die  Lesart  des 
Cod.  Goloniensis  aufgegeben  (7  litterarum,  23  Tigranis,  26  Muh 
45  perfecerit,  46  prope,  57  voluerunt,  62  videmus).  Außerdem 
schreibt  N.  jetzt  37  sit,  50  commütamus,  58  socius  ohne  iure  nach 
den  Hss.  Neu  ist  34  in  Sardiniam  nach  Hotina n,  Hss.  inde 
Sardiniam. 

Pro  Archia.  Jetzt  sind  die  Formen  Gratti  und  Heraclea  auf- 
genommen statt  Grati  und  Eeraclia.  Unerträglich  scheint  mir 
§  5  sed  hoc  non  solum  ingenii  ac  litterarum,  verum  ettam  naturae 
atque  virtutis,  ut.  Neue  Lesungen  sind:  1  possemus,  8  quaerere, 
15  est  certutn  quod,  16  colendamque,  21  natura  regionis,  26  dedmU 
alle  nach  den  Hss. 

Die  Namen  auf  ins  haben  nun  überall  den  Genitiv  auf  i  (in 
der  zweiten  Auflage  auf  w).  Da  Noväk  sich  an  vielen  Stellen  auf 
Zielinskis  Buch  aber  die  Klauseln  beruft,  so  hätte  er  diese  Änderung 
unterlassen  dürfen. 

3)  Cicero s  Verrineo.  Io  Auswahl  herausgegeben  von  C.  Bardft.  Text. 
Mit  einer  Karte  von  Sizilien.  Leipzig  1903,  B.  G.  Teobner.  136  S. 
8.     geb.  1,20  JC. 

Das  Büchlein  enthält  Abschnitte  aus  der  Divinatio  in  Q.  Caecilium* 
der  Actio  prima,  der  vierten  und  fünften  Rede  der  Actio  secunda. 
„Der  Text  ist  der  von  C.  F.  W.  Muller,  mit  den  durch  die  Rucksicht 
auf  die  Schule  gebotenen  Veränderungen4'.  Von  der  Divinatio 
finden  sich  31  Paragraphen  von  73;  der  Inhalt  der  Lücken  wird 
in  Kürze  deutsch  angegeben.  Von  den  56  Paragraphen  der  Actio 
prima  sind  24  aufgenommen;  nebeneinander  finden  sich  expeciare 
und  exspectare.  Von  der  vierten  Verrine  ist  ein  Fünftel  aus- 
gelassen. §  5  ist  ergänzt:  et  certe  (artificio  est  singulari:).  §71 
setze  man:  etiam  dt,  109  a  (nicht  a.)  C.  Verre.  §  33  ist  wohl 
accesserit . . .  coeperit  herzustellen.  In  der  Notiz  über  50  bis  52 
war  Archagathus  zu  erwähnen,  damit  seine  Anführung  in  §  &* 
verstanden  werde.  Ebenso  sollte  115  der  Satz  über  Marcellus 
im  Texte  stehen  wegen  der  Worte  nunc  ad  Marcellum  revertar 
§  120.  §  112  barbari,  lingua,  et  natione  sind  die  Kommata  zu 
tilgen.  Die  Schreibungen  quom,  antiquom,  inprobus,  optuma,  ex 
poliare,  conparare  u.  a.,  die  Silbentrennungen  mag-nus,  hos-pts, 
vetus-tus  sind  veraltet.  —  Von  der  fünften  Rede  ist  ein  Viertel 
weggelassen.  Man  findet  da:  vivont,  relinquont,  locuntur,  jn«**» 
quoi,  quoidam  neben  cuius,  cui,  cuiquam.  §  128  ist  dornt«  ersetzt 
durch  domo,  obwohl  es  auch  Phil.  2,  45  überliefert  ist.  *fl 
setze  §  103  in  litteras,  110  5t. 

Eine  Auswahl  aus  den  Verrinen   sollte  nach  meinem  Dafür- 


^ 


Cicero«  Reden,  von  F.  Lnterbacher.  249 

halten  Proben  aus  sämtlichen  Reden  gegen  Verres  bieten.  Ich 
sehe  nicht  ein,  warum  ßardt  nicht  auch  einige  Stucke  aus  den 
drei  ersten  Reden  der  Actio  secunda  aufgenommen  hat,  zumal 
aus  der  ersten  über  das  Verhalten  des  Yerres  als  Quästor,  Legat 
und  Stadtprätor;  er  hätte  dafür  nötigenfalls  die  vierte  und  fünfte 
Rede  noch  mehr  kurzen  dürfen.  Nur  in  einer  Fußnote  zu  IV  137 
bietet  er  die  Erzählung  über  den  angeblichen  Verrucius  aus  Verr. 
II  186 — 188.  Dieser  Abschnitt  sollte  im  eigentlichen  Text  vor 
der  Rede  de  signis~*Stehen  als  eine  Probe  aus  der  zweiten  Rede, 
und  davor  dürfte  die  schöne  Stelle  über  Sizilien  II  2 — 13  Auf* 
nähme  finden,  ebenso  II  82 — 101  über  Stenius.  Im  Namen- 
verzeichnis sollten  bei  bekannten  Orten  (wie  Melita,  Panhormus, 
Valentia)  die  modernen  Namen  nicht  fehlen.  —  L.  Meteilus  folgte 
dem  Verres  schon  70  (nicht  69). 

4)  Giceros  Rede  gegen  G.  Verres.  Buch  IV:  De  signis.  Für  den 
Schtilgebranch  erklärt  voo  Karl  Hachtmano.  Diitte,  verbesserte 
Auflage.     Gotha  1904,  F.  A.  Perthes  Aktiengesellschaft.    VIII  u.  110  S. 

8.     1,30.^. 

S.  VII  sind  20  Stellen  verzeichnet,  an  denen  der  Text  be- 
richtigt oder  sonst  geändert  wurde.  §  97  lese  man:  reliquit,  im- 
peratorum.  150  streiche  man  das  Komma  nach  praebuerint  ne.  — 
Zu  §  1  ist  bemerkt:  „w  Sicilia  tota]  Die  Präposition  bei  Mus 
(=  innerhalb,  im  Bereiche  von)  ist  zu  beachten!  Ebenso  am 
Ende  des  Paragraphen".  Es  ist  das  Ende  des  §  2,  nicht  des  §  1. 
Deshalb  schrieb  ich  JB.  1898  S.  223:  §  1  in  Sicilia  tota  setze 
man :  Ebenso  am  Ende  von  §  2.  Ich  bedauere,  dadurch  ein  Miß- 
verständnis erregt  zu  haben,  indem  der  Herausgeber  im  Text  von 
§  1  und  §  2  sonderbare  Doppelpunkte  gesetzt  hat. 

Einleitung  und  Kommentar  wurden  hier  und  da  stilistisch 
verbessert.  Nach  S.  1  offenbarte  Verres  im  J.  82  „seine  Sitten- 
losigkeit".  Es  sind  Handlungen  der  Perfid ie  und  Habgier  gemeint, 
nicht  Unsittlichkeiten.    Ich  wurde  sagen :  „seine  Gewissenlosigkeit". 

—  S.  8  „vom  15.  bis  19.  September  die  ludi  Romani  in  circo": 
Vgl.  §  6  quadridui  causa]  die  ludi  Circenses  (15.  bis  19.  September). 
Der  fünfte  Tag  (19.  Sept.)  wurde  später  von  Antonius   zugesetzt; 

—  §  21 .  Isaurien  lag  „zwischen  Lykaonien  und  Cilicien",  Pisidien 
und  Phrygien.  —  §  53.  vgl.  zu  31]  Da  bei  3t  keine  Bemerkung 
steht,  tilge  man  „zu".  —  §  54  suos  complures  habebat,  er  hatte 
mehrere  eigene.  Die  Übersetzung  „mehrere  der  Seinigen"  scheint 
mir  nicht  gut.  —  §  64.  „Der  Tempel  des  Juppiter  Capitolinus 
war  i.  J.  83  abgebrannt".  Wegen  §  69  ut  üla  flamma  divinitus 
exstitisse  videatur  etc.  sollte  gesagt  werden,  daß  der  Tempel  durch 
einen  Blitz  entzündet  wurde.  Vgl.  Dio  Cass.  frg.  106,  2  xcqccvpov 
enl  io  KannciXiov  ivB%d-4vtoq  aXka  te  noXXä  xal  ol  x&v 
SißvlXsicov  xQVGpoi  öietp&dQqöav.  —  §  74.  „retinebat]  sie  hatte 
den  Bogen  an  sich  gepreßt".  Das  Wort  steht  im  Gegensatz  zu 
praeferebat:  Diana  trug  in  der  erhobenen  Rechten  eine  brennende 


250  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Fackel  vor  sich  und  hielt  in  der  gesenkten  Linken  einen  Bogen 
neben  sich  (nach  hinten),  ohne  ihn  (beim  Ausschreiten)  an  sich 
eu  pressen.  —  88  ist  drei  Zeilen  früher  zu  setzen.  —  92  caulura 
esse*.  —  95  aetate  adfecta. 

b)  Ciceros  Rede  über  den  Oberbefehl  des  Co.  Pom pejus.  Für  de« 
Schillgebrauch  herausgegeben  voo  Hermann  Wohl.  Dritte  Auflage. 
Leipzig  1905,  G.  Frey  tag.     54  S.    8.     steif  broschiert  0,60  JC. 

Das  Buchlein  ist  ein  Abdruck  der  zweiten  Auflage  (1894). 
In  diese  hatte  Nohl,  durch  Clark  veranlaßt,  eine  Anzahl  Lesarten 
aufgenommen,  durch  die  sein  Text  eine  gewisse  Sonderstellung 
unter  unseren  Scbultexten  der  Rede  einnimmt.  Da  er  nun  eine 
Annäherung  an  die  neue  Ausgabe  von  Eberhard  (1900)  nicht  ver- 
sucht hat,  so  gehe  ich  etwas  genauer  auf  das  Büchlein  ein. 

§  1.  cum  anlea  [per  aetatem]  nondum  huius  auetoritatem  loci 
attingere  anderem.    Durch  die  Weglassung  des  Grundes  per  aetatem 
scheint  mir  der  Gedanke  weniger  klar  zu  werden.    Seiner  Jugend 
wegen  besaß  er  noch  nicht  die  wünschenswerte  facultas  ad  agendum 
und  auctorüas  §  2.    —    §  3.    in  hac  insolita  [mihi]  ex  hoc  loco 
ratione  dicendi  causa  talis  oblata  est.    Die  Entfernung    des   mihi 
gefällt    mir   nicht,    weil    man  es  ja  doch  hinzudenken  muß.  — 
§  7.  delenda  vobis  est  illa  macula . . .  quae  penitus  [iam]  üisedit  ac 
nimis  inveteravit.     Es  scheint  mir,    daß  die  Behauptung  quae . . . 
mveteravü   durch   iam   in    passender  Weise  gemildert  werde.  — 
§  7.   uno  nuntio  atque  una  significatione  [litterar um].    Der  Befehl, 
alle  Römer  zu  erschlagen,    war  so   unerhört,    daß  es  nötig    war, 
den    mündlich    erörterten  Auftrag  durch   ein  Schriftstück  zu  be- 
kräftigen; significatio  könnte  Feuer-  oder  Hornsignale  bezeichnen. 
—  §  11.   maiores  nostri . . .  bella  gesserunt   wird    von    Eberhard 
richtig  auf  die  Ulyrier  bezogen,    während  Nohl    meint,    es    seien 
unter  diesen  bella  wohl  Streifzüge  der  Statthalter  gegen  unruhige 
Grenzvölker  zu  verstehen.  —  §  13.  ut  tt  beatissimi  esse  videantwr, 
apud   quos  ille   diutissime   commoratur.     Nohl   setzt  commoretur. 
Erst  wenn  Pompejus  wirklich  da  ist  und  seine  Tugenden  betätigt, 
sehen    die  Leute   ihr  Glück    ein.     Der  Indikativ  scheint   weniger 
auffallend,  wenn  man  diutissime  wegdenkt.     Vgl.  §57.  —  §  14. 
quanto  vos  studio,  Nohl  studiosius.    Nach  letzterer  Lesung  soll  der 
Eifer  der  Römer  gegen  Mithridates  noch  viel  größer  sein  als  gegen 
die  Punier,   Ätoler,  Antiochus.     Das  scheint  mir  nicht  nötig.  — 
%  23.    opinio,  quae  animos  gentium  barbärarum  pervaserüt.     Nohl 
schreibt  per  animos.    Dies  ist  nicht  passend,  weil  es  eine  örtliche 
Bewegung    bezeichnet.     Vgl.  §  44  quo  non  iUius  diei  fama  jmt- 
vaserü,  Verr.  3.  66  meendium  non  solum  per  agros,  sed  etiam  per 
reliquas  fortunas  aratorum  pervasit.    Richtig  wäre  opmo  per  gentes 
barbaras  pervasit.    Unter  diesen  gentes  ist  das  Reich  des  Tigranes 
gemeint:  Armenien,  Syrien,  Phönizien,  Cilicien,  nicht  Elymais.  — 
§  26.   gut  iam  stipendiis  confectis  erant.     Die  Stellen,   mit  denen 


l 


Ciceros  Reden,  von  F.  Luterbacher.  251 

Eberhard  diese  schlecht  beglaubigte  Lesart  stützen  will,  beweisen 
ihre  Unbrauchbarkeit.  Der  Senat  sagt  (Cic.  fam.  8,  8,7)  qui 
stipendiä  emerita  habeant  und  nicht  qui  stipendiis  emeritis  sint. 
Cato  49  ist  emeritis  stipendiis  Abi.  absolutus.  Bei  Sallust  (Jug.  84) 
heißt  es  homines  emeritis  stipendiis,  nicht  qui  emeritis  stipendiis 
erant.  Statt  stipendiä  confeci  sagt  man  doch  nicht  stipendiis  con- 
fectis  sum ;  auch  ist  stipendiä  canficere  nicht  gebräuchlich.  —  §  26. 
quantum  [illud]  bellum  factum  putetis,  quod.  Das  von  Nohl  ent- 
fernte illud  weist  passend  auf  die  Relativsätze  hin  und  verhindert 
die  Verbindung  quantum  bellum,  da  quantum  Prädikativ,  bellum 
Subjekt  ist.  —  §  32.  cum  exercitus  vestri  numquam  [a]  Brundisio 
nisi  hieme  summa  transmiserint.  Bei  proficisci  wäre  a  überflüssig, 
bei  transmittere  gibt  es  dem  Ausdruck  Klarheit.  —  §  33.  in  prae- 
donum  fuisse  potestatem  Nohl.  Es  muß  potestate  heißen  wie  §  5 
totum  esse  in  hostium  potestate.  Der  Akkusativ,  der  nur  in  wert- 
losen Hss.  steht,  ist  veranlaßt  durch  den  Schluß  des  vorher- 
gehenden Satzes  (m  praedonum  potestatem  pervenerint).  —  §  33. 
eius  ipsius  liberos,  qui  cum  praedonibus  antea  [ibi]  bellum  gesserat 
Wäre  ipsius  nicht  da,  so  könnte  man  erklären:  die  Tochter  eines 
Mannes,  der  . . .  und  ibi  weglassen.  Nun  heißt  es  aber:  die  Kinder 
gerade  des  Mannes,  und  es  kommt  ohne  ibi  der  Sinn  heraus, 
daß  bisher  nur  ein  Feldherr  gegen  die  Seeräuber  gekämpft  hatte. 
Ich  glaube  nicht,  daß  der  Redner  M.  Antonius  (f  87)  gemeint  sei. 

—  §  35.  Metellus  Creticus  hatte  den  Vornamen  Quintus  (nicht  C). 

—  §  37.  Man  setze  agno-scere.  —  calamitates  adferant  ist  richtig, 
wie  §  15  metus  adfert  calamitatem.  Doch  scheint  f erant  erträg- 
lich, da  man  kaum  daran  denkt,  daß  es  „aushalten"  bedeuten 
könne.  —  §  46.  Cretensium  legati  ad  Cn.  Pompeium  in  Ultimos 
prope  terra*  venerum.  Nohl  liest  in  ultimas  terras  pervcnerunt, 
wodurch  die  sonst  schon  vorhandene  Übertreibung  gesteigert  wird. 

—  §  47.  quo  de.  Dies  findet  sich  in  dem  Werk  de  inventione. 
Hier  empfiehlt  es  sich  nicht;  in  dieser  Rede  an  das  Volk  werden 
juristische  Formeln  gemieden.  —  §  48.  velle  et  optare  debstis, 
Nohl  et  velle.  Da  die  Verben  velle  und  optare  gleichbedeutend 
sind,  scheint  die  Verbindung  mit  et. .  .et  nicht  passend.  —  §  50. 
Die  Gunst  des  Schicksals  fügt  es,  daß  Pompejus  in  iis  ipsis  loci*, 
gerade  an  diesen  Orten,  weilt.  Weniger  gut  scheint  Nohls  Lesung 
in  ipsis  locis.  —  §  57.  cum  ceteri  ad  expilandos  socio* ..  .quo* 
voluerunt  legatos  eduxerint,  lauter  solche  Legaten,  welche  sie 
wünschten.  Nohl  schreibt  voluerint,  worin  mir  die  Andeutung  zu 
liegen  scheint,  daß  sie  nicht  für  alle  Legatenstellen  Vorschläge 
machten,  wie  vorher  bei  legatum  quem  velit  der  Konjunktiv  stehen 
muß,  weil  dies  nicht  der  einzige  Legat  ist.  —  §  58.  Q.  CaeUus 
Latiniensis.  C  bietet  Q.  latiensis.  Nohl  streicht  Caeliu*.  Wer 
sollte  denn  diesem  unbekannten  Manne  den  Namen  Caeliu*  bei- 
gelegt haben?  Cr  muß  doch  so  überliefert  sein.  —  §  62.  quam 
ullum  alium  magistratum  per   lege*   capere   Ucuisset.     Nohl    tilgt 


252  Jahresberichte  des  Philolog.  Vereins. 

alium,  das  mir  ganz  passend  scheint.  Aus  dieser  unklaren  Stelle 
zieht  er  S.  39  (nach  Mommsen)  unhaltbare  Folgerungen.  Cicero 
und  Cäsar  erlangten  mit  31  Jahren  die  Quästur.  Da  ist  es  doch 
ungereimt,  in  Ciceros  Worten  die  Andeutung  zu  finden,  Pompejus 
hätte  die  Quästur  erst  im  37.  Jahre  erbalten  sollen.  Übrigens 
glaube  ich,  daß  Pompejus  am  29.  Sept.  107  geboren  war  und 
damals  wirklich  im  37.  Jahre  stand  (nach  Plut.  Pomp.  79,  gegen 
Vell.  Pat.  2,  53). 

6)  Auswahl  ans  den  Reden  des  M.  Tallius  Cicero.  I.  Die  Rede 
über  den  Oberbefehl  des  Ca.  Ponipeius  und  die  Katilina Ti- 
schen Heden.  Herausgegeben  von  Carl  Stegmann.  Text.  Vierte 
Auflage.  Leipzig  1904,  B.  G.  Teubner.  Mit  Bild  und  zwei  Karten. 
IV  u.  97  S.  gr.  8.  geb.  1,10  JC.  —  Dasselbe,  Text  B.  Vierte  Auf- 
lage.   XXXVII  u.  97  S.     8.    geb.  1,35^. 

Text.  Pomp.  33  wurde  das  richtige  anteaibi  aufgenommen 
(vgl.  JB.  1902  S.  104).  §  46  blieb  der  Druckfehler  uidicari  stehen, 
Cat.  II  9  fama  (aus  der  dritten  Auflage)  statt  fame,  23  Appennium. 
—  Cat.  II  8,  10,  23  wurden  obscöne  Dinge  ausgelassen.  II  19 
sollte  stehen:  sceleris  praesentes,  da  praesentis  irreleitet;  so  finden 
sich  auch  die  Akk.  complures  (III  5),  mcolumes  (III  25),  immortales 
(IV  1),  sonst  -is.  111  25  a  Lentulo,  Catilina,  Cethego,  Cassio  ist 
Catilina  durch  Gabinio  zu  ersetzen;  dieser  sollte  das  Gemetzel 
leiten  (nach  IV  13). 

IV  10  Idem  ipsim  Lentulum  largitorem  et  prodigum  tum  putat 
. . .  etiam  appellari  posse  populärem.  Eberhard  ersetzte  Lenttdum 
durch  iüum,  weil  der  Gedanke  erst  im  zweiten  Teil  des  Satzes 
seine  völlige  Ausführung  finde.  Nohl  und  Stegmann  sind  ihm 
gefolgt;  der  unbefangene  Leser  aber  versteht  unter  iüum  den 
C.  Gracchus,  da  ille  nicht  leicht  von  Anwesenden,  wohl  aber  von 
Männern  aus  alter  Zeit  gebraucht  wird  (§  21  Scipio  ille,  Paulus  ille). 

S.  III — XXXVII.  Orthographie  und  Stil  sind  nicht  einwands- 
frei.  Gleich  der  erste  Satz  „Cicero  stammte  aus  einer  alten 
Familie  der  Stadt  Arpinum,  welche41  läßt  den  Schiller  im  Zweifel, 
ob  der  Relativsatz  von  der  Familie  oder  von  der  Stadt  zu  ver- 
stehen sei.  S.  XIII  wird  gesagt:  Nachdem  Pompeius  70  Konsul 
gewesen,  lebte  er  mehrere  Jahre  als  Privatmann;  darauf  erhielt 
er  67  das  Kommando  gegen  die  Seeräuber.  Dies  geschah  auf  den 
Antrag  des  Aulus  Gabinius,  welcher  S.  XIV  mit  dem  Katilinarier 
P.  Gabinius  verwechselt  ist.  S.  XIV  heißt  es:  Tigranes  ergab  sich 
auf  Gnade  und  Ungnade  und  behielt  sein  Reich.  In  Wirklichkeit 
verlor  er  ganz  Syrien,  Phönizien  und  Cilicien  und  behielt  bloß 
Armenien  (Liv.  Per.  101).  —  S.  XV,  87,  97  wird  gesagt:  Die 
Konsuln  für  65  Cotta  und  Torquatus  sollten  am  31.  Dezember  66 
ermordet  werden.  Dieser  Mord  sollte  bei  ihrem  Amtsantritt  den 
1.  Jan.  (julianisch  4.  Jan.)  stattfinden.  Nach  S.  XVII  setzte  Cicero 
den  Senat  am  24.  Okt.  von  der  Verschwörung  in  Kenntnis;  es 
geschah   am    21.  Okt.  (jul.  18.  Okt.).  —    S.  XX    wird    behauptet. 


Ciceros  Reden,  von  F.  Loterbacher.  253 

Cicero  habe  durch  Hinrichtung  der  Katilinarier  die  Provokations- 
gesetze verletzt;  S.  XXXI  dagegen  wird  zugegeben,  daß  ihm  durch 
•das  senatus  consultum  ultimum  „Gewalt  über  Leben  und  Tod" 
Terliehen  war. 

S.  93.  Praeneste.  Zum  Verständnis  von  Cat.  I  8  sollte  bei- 
gefugt werden:  82  warf  sich  der  jüngere  Marius  dorthin;  nach 
Eroberung  der  Stadt  ließ  Sulla  alle  Pränestiner  (5000)  köpfen 
und   richtete    dort  eine  Kolonie  ein,    wie  in  Fäsulä  und  Pompeji. 

7)  Ciceros    Rede    de    imperio    Cd.  Pompei.      Text    von    H.  Deiter. 

Hannover  1904,    Norddeutsche  Verlagsaostalt  (0.  Goedel).     24  S.     8. 
Mit  steifem  Umschlag.     0,55  Jt- 

8)  Ciceros   Reden    gegen    Katilina  I,  III,  IV.     Text  von   H.  Deiter. 

Hannover  1904,  0.  Goedel.    34  S.    8.     0,55  JC. 

9)  Cicero,  Cato  maior  de  senectute.    Text  von  H.  Deiter.    Hannover 

1904,  0.  Goedel.     30  S.     8.     0,55  J£. 

Diese  Texte  sollen  nur  den  Zwecken  der  Schule  dienen. 
An  zweifelhaften  Stellen  wurden  die  Lesarten  bevorzugt,  welche 
am  meisten  dem  klassischen  Sprachgebrauch  zu  entsprechen 
schienen.  Auf  der  zweiten  und  dritten  Seite  des  Umschlages  «ines 
jeden  ßändchens  wird  in  einfacher  Form  eine  Einleitung  zu  der 
darin  enthaltenen  Schrift  gegeben,  namentlich  deren  Inhalt  und 
Bedeutung  kurz  dargelegt.  Das  Papier  ist  stark,  der  Druck  schön, 
die  Korrektur  gut  besorgt  (Fehler  blieben  stehen  Cato  41,  78). 
Auffallend  ist  K.  (statt  C.)  Antonius. 

In  den  Reden  steht  unquam,  nunquam,  immortalis,  im  Cato 
nmquam,  numquam,  inmortalis,  inmoderatus,  inmissio,  inbecülus. 
Nicht  gut  sind:  Catil.  3,26  postulabo  (statt  postulo,  wie  4,23), 
4, 12  praebebo  (statt  praebeo),  Cato  33  humeris  (statt  umeris). 
Pomp.  1 1  lumen,  exstinctum  sollte  das  Komma  getilgt  werden 
(vgl.  JB.  1895  S.  76). 

10)  Ciceros   Rede   für   Mure  na.    Für  Schüler  erklärt  von  0.  Drenck- 

hahn.      Berlin  1903,  Weidmann  sehe   Buchhandlung.     Text  44  S.     8. 
geb.    Erklärungen  36  S.    8.  .geh.  und  in  den  Textband  gelegt.    1  JC. 

„Der  Text  ist  im  ganzen  der  von  C.  F.  W.  Möller",  aus  dem 
Jahre  1885.  Es  folgten  die  Rezensionen  von  Nohl  1889  und 
Laubmann  1893,  so  daß  wohl  der  Text  von  Halm-Laubmann  das 
erste  Anrecht  auf  Berücksichtigung  hatte.  Danach  ist  §  84  der 
von  di  faxint,  ut  abhängige  Satz  erst  bei  comprimam  zu  schließen, 
und  es  ist  vielleicht  zu  lesen :  §  7  tum  etiam,  si  (nicht  tum, 
etiamsi),  35  dies  intermissm  unus,  38  praerogativae,  42  scriba 
damnatus,  ordo  totus  alienatus  (Hss.  alienus),  60  Uli  fortissimo 
viro.  —  §  26—28  und  §  57  wurden  weggelassen.  §  33  steht 
praeterero  statt  praetereo,  ferner  renovarit.  Ac  si  mihi  nunc  bellum 
statt  bellum  renovarit.  Ac  si  mihi  nunc.  —  §  69  setze  man 
prod-itur  statt  pro-ditur. 


254  Jahresberichte  d.  Philolog.  Verein«. 

Das  erklärende  Heft  enthält  zunächst  eine  Einleitung  über 
Ciceros  Leben  und  den  Prozeß  des  Murena.  Die  Wahl  des  Silanus 
und  Murena  wird  in  den  Oktober  63  gesetzt  (vgl.  JB.  1903  S.  126). 
Unverständlich  ist  §  6  die  Bezeichnung  des  Servius  als  omnium 
non  eiusdem  modo  aetatis,  sed  eorum,  qui  fuerunt,  in  iure  civili 
princeps.     Es  muß  fuerant  heißen:  er  übertraf  die  Scaevolae. 

S.  8—10  bieten  die  Disposition  der  Rede;  dann  folgen  kurze 
Anmerkungen.  §  21  utrique  nostrüm]  u  vor  schließendem  m  ist 
wohl  kurz.  —  36  tempestates  saepe  certo  aliquo  caeli  signo  commo- 
ventur]  z.  B.  Wolken.  Ich  beziehe  die  Worte  auf  Gestirne  (Caes. 
4,  29  luna  plena  maritimös  aestm  maocimos  in  Oceano  efficere  cm- 
suevit).  —  51  senatus  consultum,  ne  postero  die  comitia  haberentur] 
am  22.  September.  Für  diese  Angabe  weiß  ich  keine  Begründung. 
—  §  68.  Im  Text  steht:  dum  candidatis  morem  gerit.  Nach  dem 
Kommentar  ist  candidatus  zu  lesen:  sich  fugt,  das  Gesetz  nicht 
verletzt.  Die  Stelle  ist  bei  Laubmann  richtig  erklärt.  Es  müssen 
doch  mehrere  Kandidaten  gemeint  sein,  nicht  bloß  einer;  und 
der  Indikativ  gerit  kann  nur  etwas  Unzweifelhaftes  bezeichnen, 
nicht  eine  Bedingung.  Der  Satz  „der  Senat  beschließt  etwas, 
was  picht  nötig  ist,  indem  der  Kandidat  sich  fügt",  ist  mir  nicht 
verständlich. 

11)  M.  Tallii  Ciceronis  oratio  pro  P.  Cornelio  Sulla.  Für  d« 
Schulgebrauch  erklärt  von  F.  Thümeo.  Gotha  1903,  F.A.Perthes 
Aktiengesellschaft.     77  S.     8.     1,20  JC. 

Die  Einleitung  handelt  kurz  und  ansprechend  von  dem  Leben 
des  P.  Sulla  und  seinem  Prozeß  im  J.  62.  S.  3  Z.  17  ist  nach 
den  Worten  „erklärte  der  Prätor4'  der  Name  Q.  Metellus  Celer 
ausgefallen  (vgl.  §  65). 

Dem  Texte  liegt  die  Ausgabe  von  C.  F.  W.  Muller  (1S85)  zu- 
grunde; nach  dieser  sind  §  17  und  61  Klammern  angewandt. 
§  78  lese  man  angustiis.  §  57  ist  mitten  in  einer  Frage  ^ 
ntrum . .  .an  ein  störendes  Alinea.  Im  Texte  stehen  die  Genitiv- 
formen Autroni,  Hortensi,  in  der  Überschrift  dagegen  Tulliu  §  ^ 
a  quo  et  tarn  crudeles  insidias  rei  publicae  factas  et  tne  potisttitw* 
conmle  putarem  wurde  das  erste  et  von  Halm  wohl  mit  Recht 
getilgt.  §  34  lese  man  animi  virtute,  48  multa  cognotrit  (fl»1 
Zielinski). 

Vom  Kommentar  heißt  es:  „Das  Bedürfnis  des  sich  vor- 
bereitenden Schülers  ist  der  leitende  Gesichtspunkt".  Dieses  Be- 
dürfnis ist  als  ein  recht  großes  und  die  Vorbereitung  als  eine 
gründliche  gedacht  Auf  die  Entwicklung  der  Wortbedeutung,  die 
Scheidung  synonymer  Worter  und  die  Erklärung  bildlicher  Aus- 
drücke ist  viel  Raum  verwendet.  —  §  9  „Das  Vorgehen  gegeD 
die  Verschworenen  zog  ihm .  die  invidia  des  Volkes  zu".  Es  *oJjt* 
heißen:  eines  Teiles  des  Volkes  (vgl.  §  32).  —  §  33.  Statt  Ma§** 
setze  man:   Q.  Annius  Chilo.  —   §  49  „Sulla,    der  Vateru  ist  *« 


Ciceros  Reden,  von  F.  Luterbaeher.  255 

ersetzen  durch  „Der  Vater  Torquatos",  §  56  „Sulla  war  dorthin" 
durch  „Sittius  war  dortbin",  „Sulla  so  unschuldig"  durch  „Sittius 
so  unschuldig".  —  §  62.  Die  Herausgeber  vergessen,  daß  frater 
auch  die  Bedeutung  „Vetter"  hat  (wie  Verr.  IV  25,  137,  145). 
Die  Bezeichnung  „Halbbruder"  (S.  3)  ist  ganz  unsicher.  —  §  67. 
Es  ist  nicht  richtig,  daß  Pompejus,  durch  Ciceros  Ruhmredigkeit 
verletzt,  seinen  Brief  nicht  beantwortete.  Nach  Cic.  ad  fam. 
5,  7,  2 f.  fiel  die  Antwort  nicht  ganz  nach  Ciceros  Erwartung  aus; 
doch  gab  sie  ihm  den  Mut,  diesen  Brief  an  Pompejus  zu  ver- 
öffentlichen, so  daß  Torquatus  ihn  vorlesen  konnte.  —  §  81.  ad- 
fuerunt  Catilinae,  §  83  non  adfui]  Torquatus  behauptete  nicht, 
daß  Konsularen  „schon  vorher  den  angeklagten  Catilina  verteidigt 
hätten",  sondern  bloß,  daß  sie  ihm  durch  ihre  Gegenwart  ihre 
Sympathie  bezeigten.  Daß  Cicero  ihn  nicht  verteidigte,  ist  sicher. 
Einmal  mußte  dies  in  §  81  erwähnt  sein;  sodann  hätte  Cicero 
nicht  bald  darauf  im  Senat  in  der  Rede  in  toga  Candida  sagen 
können:  in  iudkiis  quanta  vis  esset  dtdicit,  cum  est  absolutus,  si 
aut  illud  iudicium  aut  illa  absolutio  nominanda  est.  Ebenso  könnte 
es  §  83  unmöglich  heißen:  qui  Calilinam  non  laudavi.  —  §  88. 
Mir  scheint,  daß  lateinische  Citate  aus  rhetorischen  Schriften,  wie 
hier  der  Passus  aus  Quintilian  über  die  commiseratio,  besser  durch 
deutsche  Erklärungen  ersetzt  worden  wären.  —  §  91.  „Ob 
omnibus  centuriis  hier  auf  Wahrheit  beruht  oder  rhetorische  Über- 
treibung ist,  steht  dahin".  Diese  und  manche  ähnliche  Bemerkung 
fördert  den  Schuler  bei  seiner  Vorbereitung  nicht.  —  §  81  nulla 
tum  patebat,  nulla  erat  cognita  coniuratio  bedeutet:  es  war  keine 
Verschwörung  aufgedeckt  und  festgestellt.  Daß  Gerüchte  herum- 
gingen, sagt  Cicero  selbst:  indicavit  se  audisse  aliquid,  non  credi- 
disse.  Daher  streiche  man  die  Notiz:  Wenn  Cicero  dies  auf  das 
Jahr  65  bezogen  wissen  will,  so  ist  dies  insofern  nicht  genau,  als 
damals  schon  die  erste  Verschwörung  sicherlich  gerüchtweise  be- 
kannt war. 

12)  Ciceros  Rede  für  den  Dichter  A.  Licinius  Archias.  Für  den 
Schalgebrauch  erklärt  von  Julius  Strenge.  Dritte,  verbesserte 
Auflage.  Gotha  1903,  F.  A.  Perthes  Aktiengesellschaft.  VI  a.  37  S. 
8.     0,60  J^. 

Einleitung  und  Text  blieben  unverändert.  §  6  setze  man 
Lucullos  statt  Lucullus.  Der  Kommentar  hat  „in  Rucksicht  auf 
das  gegenwärtige  Schulbedürfnis  vielfältige  Kürzung  erfahren". 
Viele  rhetorische  und  etymologische  Notizen  wurden  entfernt  und 
manche  Bemerkungen  knapper  gefaßt. 

§  5.  Studium  atque  aures]  „geneigtes  Gehöru,  $v  Sta  dvolv. 
Nach  meinem  Dafürhalten  bezeichnet  Studium  das  Interesse,  das 
geneigte  Gehör,  aures  aber  das  Verständnis  für  wohlklingende 
Diktion.  —  13.  üla,  quae  summa  sunt]  „jene  höchsten  Ziele".  Ich 
beziehe  die  Worte  auf  die  in  §  14  vorgeführten  Grundsätze 
nikä  esse .  . .  ducenda.    —    15.    illud   nescio   quid  praeclarum   ae 


256  Jahresberichte  d.  Philolog.  \ereins. 

singulare]  „Ich  weiß  nicht,  etwas  Vortreffliches  und  einzig  Da- 
stehendes". Ich  übersetze:  jenes  Ideal  der  Vortrefflichkeit  und 
Vollkommenheit.  —  §  20  lese  man:  praeconium  facile  (mit 
Zielinski). 

13)  Cicero«  Rede  für  den  Dichter  Archias.     Für  den  Sehnige  brauch 

herausgegeben  von   Hermann  Nohl.    Dritte  Auflage.     Leipzig  1904, 
6.  Frey  tag.     V  u.  21  S.     kl.  8.    steif  broschiert.     0,40  J^. 

Diese  Auflage  zeigt  gegenüber  der  zweiten  (vgl.  JB.  1895 
S.  80)  keine  Änderung.  S.  21  ist  Mitylene  durch  Mytilene  zu  er- 
setzen (vgl.  §  24  Mytilenaeum). 

14)  Ciceros  Rede   für  Sestius.     Für  Schüler  erklärt  von  O.  Drenck- 

haho.     Berlin  1904,  Weidmannsche  Buchhandlang.     Text  IV  u.  71  S. 

8.    geb.     Anmerkungen  71  S.     8.    geb.  und  in  den  Textband  gelegt. 

1,40  Jt. 

§  HO— 111,  132—135  sind  weggelassen.  Der  Text  folgt 
der  Rezension  von  C.  F.  W.  Müller.  Man  setze  §  28  (27)  adessc, 
$76  meique,  101  a  C,  118  pepercerunt.  In  der  Einleitung  wird 
manches  gesagt,  das  ich  nicht  für  richtig  oder  nicht  für  klar  halte. 
Z.  B.  nach  S.  4  suchte  Gatilina  „das  Konsulat  zu  erlangen  und 
dann  auf  friedlichem  und  gesetzlichem  Wege  seine  regierungs- 
feindlichen sozialistischen  Pläne  durchzuführen";  ich  glaube  aber 
nicht,  daß  sich  diese  Reformplane  auf  friedliche  und  gesetzliche 
Weise  lösen  ließen.  S.  14 — 18  weisen  die  Disposition  der 
Äede  nach. 

Erläuterungen.  §  1  rei  p.  fürs  Vaterland,  sonst  auch:  Staat, 
Verfassung  etc.]  die  Notiz  ist  unnötig.  Gemeint  ist  dasselbe,  wie 
vorher  bei  den  Worten  pro  statu  civitatis  et  pro  communi  libertale. 
—  unius  cuiusque  casu]  wenn  auch  der  Hörer  hier  sich  an  Ciceros 
Exil  erinnerte,  redet  dieser  doch  zunächst  von  Sestius,  Milo, 
Lentulus  (§  144).  —  §  6  his  graviss.  s.  etc.]  Lemma  (nach  Halm) 
und  Übersetzung  stimmen  nicht  zum  Text.  —  §  8  in  quo  collega 
ßustin.  da,  wo  es  sich  darum  handelte,  meinen  Kollegen  zurück- 
zuhalten, zu  hemmen,  wie  §  2  und  so  oft  im  folg.  (§  68,  87, 
103,  118)]  sustinere  heißt  „aufrechthalten" ;  in  §  2  kann  in 
agendis  gratiis  verglichen  werden,  die  Anführung  der  andern  Stellen 
ist  mir  ein  Rätsel.  —  §  12.  eorum  qui ...  ist  Cicero  selbst]  es 
ist  auch  Silanus  gemeint,  der  die  Todesstrafe  beantragt  hatte.  — 
§  15.  fuerat  ille  annus  iam]  Der  Hsgb.  glaubt,  das  überlieferte 
fuerat  halten  zu  können,  indem  er  die  Worte  vom  Jahr  63  ver- 
steht. Doch  scheint  das  unklare  ille  auf  das  Vorhergehende  oder 
Nachfolgende  hinzudeuten,  wo  von  dem  Jahre  vor  dem  Tribunat 
des  Sestius  die  Rede  ist.  —  §  24  multa  eins  sermonis  indicia  viele 
Anzeichen  dafür,  daß  Piso  dieser  Rede  entsprechend  lebe.  Trotz 
der  Kürze  des  Ausdrucks  zweifle  ich  an  der  Echtheil  der  Worte 
nicht.  Drenckhahn  sagt:  „sermonis  ist  kaum  richtig:  man  erwartet 
vielmehr  vitae  oder  ä.u.  —  §  32.  munieipium,  colonia,  praefectura 


~\ 


Ciceros  Reden,  von  F.  Luterbacher.  257 

sind  die  Bezeichnungen  für  die  drei  Arten  von  Städten  der  socii 
in  Italien]  Seit  30  Jahren  gab  es  in  Italien  nur  noch  Bürger  und 
Fremde;  alle  Städte  hatten  das  Burgerrecht.  —  edicere  audeas, 
ne  maererent]  Mit  der  Angabe  „du  willst  dich  auch  noch  erkühnen" 
ist  nichts  erklärt;  vor  ne  maererent  kann  nur  audebas  stehen; 
Piso  hat  sich  bereits  erfrecht.  —  §  42.  effusam  illam  ac  düsvpatam 
Catilinae  manum]  „statt  effusam  ist  vielleicht  zu  lesen  diffusum 
zersprengt'1.  Dies  wäre  ein  wenig  üblicher  Ausdruck,  während 
effusus  in  der  Bedeutung  „weit  verbreitet44  bei  Livius  oft  vor- 
kommt. —  §  62  „da  auch  Cato  mit  bewaffneten  Banden  erschien". 
Diese  Verdächtigung  Catos  ist  nach  Dio  Cass.  37,  43  nicht  be- 
gründet. —  Im  ersten  Satz  von  §  69  ist  qui  unerträglich;  die 
Meinung,  das  zweite  cum  sei  dem  dritten  (oder  vielmehr  dem 
vierten)  untergeordnet,  begreife  ich-  nicht.  —  §  73  me,  qui  nulla 
lege  abessem,  non  restitui  lege,  sed  revöcari  senatus  auctorüate 
oportere]  Der  Senat  konnte  nicht  beschließen,  der  Volksbeschluß 
über  Ciceros  Verbannung  sei  aufgehoben;  er  konnte  nur  das  Gut- 
achten abgeben,  dieser  Volksbeschluß  sei  verfassungswidrig  und 
ungültig.  Drenckhahn  meint:  „Durch  ein  bloßes  Senatsgutachten, 
nicht  ein  senatus  consultum,  das  in  diesem  Falle  erst  durch  Zu- 
stimmung des  Volkes  zustande  gekommen  wäre".  Diese  Zustimmung 
(lex)  hielt  Cotta  für  unnötig;  sobald  aber  der  Senat  erkennt,  das 
Volk  solle  befragt  werden,  liegt  ein  Senatsbeschluß  vor,  gegen 
den  ein  Tribun  intercedieren  kann.  —  99  auctores]  im  Text  steht 
tutores.  —  144.  „Antrag  Catos".  Jedermann  denkt  hierbei  an 
M.  Cato,  während  C.  Cato  gemeint  ist. 

15)  M.  Tullii  Ciceronis  oratio  pro  M.  Marcello.  Für  den  Schul- 
gebrauch erklärt  von  F.  Thümen.  Gotha  1904,  F.  A.  Perthes  Aktien- 
gesellschaft.    30  S.     8..   0,40  JC. 

Die  Einleitung  orientiert  auf  vier  Seiten  genügend  und  klar 
über  die  Veranlassungen  zu  dieser  Rede  und  ihren  Gedankengang, 
S.  2  stände  besser  Mytilene  als  Mitylene.  —  Der  Text  wurde  nach 
den  Ausgaben  von  C.  F.  W.  Müller  (1886)  und  A.  C.  Clark  (1900) 
festgestellt.  §  25  setze  man  aut  statt  aud.  An  17  Stellen  weicht 
Thümen  in  Übereinstimmung  mit  A.  Eberhard  (vierte  Aufl.)  von 
Müllers  Text  ab:  5  regum  clarissimorum;  6  est  prospere  gestum; 
7  se  societatem  gloriae;  8  ea  tarnen  vicisti,  quae  naturaw,  11  idem 
dux  es;  15  maluisse  se;  17  vis  Martis . . .  dico;  19  sapientia  cogi-> 
tatis  (ohne  tua)\  21  numquam  tarnen;  25  addam . . .  quäeso,  istam 
. . .  ad  meas  aures\  30  erat  obscuritas;  32  hodie  maxime . .  .de  me 
ipso.  Außerdem  schreibt  Thümen:  11  florestet,  12  quae  erant 
adempta,  14  privato  consilio  (nach  Klotz),  31  eosdem  exilio  (ohne 
etiam).  Ich  empfehle:  10  mentem  sensusque  eos  cernimus  (nach 
Faörnus),  23  credimus  AH,  32  ut  vitae  tuae,  ut  saluli  luae  AH. 

§  13  me  et  mihi  et  item  rei  publicae  nullo  deprecante  . . . 
reddidit]  Cicero  fühlte  sich  nach  §  2  durch  das  Exil  des  Marcellus 

Jahresberichte  XXXL  17 


258  Jahresberichte  d.J'hilolog.  Vereins. 

in  seiner  politischen  Tätigkeit  beklemmt.  Dadurch,  daß  Cäsar 
heute  den  Marcellus  auf  die  Bitten  der  Senatoren  begnadigte,  hat 
er  auch  Cicero,  ohne  daß  jemand  Fürbitte  für  diesen  einlegte, 
wiederhergestellt,  so  daß  er  wieder  im  Senate  sprach.  Thumen 
bemerkt:  „nullo  deprecante  kann  eigentlich  nur  von  den  reliquos 
. . .  viros  gesagt  werden,  da  für  Cicero  selbst  sein  Schwiegersohn 
Dolabella  eintrat".  Diese  Bemerkung  scheint  mir  den  Sinn  des 
Satzes  zu  verdunkeln.  —  §  14.  hominem  surrt  secutus  privato 
officio,  non  publico]  Thumen  schreibt:  consilio.  Cicero  scheint  mir 
zu  sagen,  er  habe  sich  wohl  zum  Gefolge  des  Pompejus  begeben, 
aber  in  seinem  Heere  kein  Kommando  übernommen,  keine  Rolle 
im  Kriegsrate  gespielt,  ein  öffentliches  Hervortreten  gemieden.  — 
18  nee  quid  quisque  sensisset,  sed  ubi  fuisset,  cogitandum  esse  dicebant] 
das  Gerundiv  cogitandum  est  bat  den  Sinn  der  Zukunft,  =  cogi- 
tabitur.  „Sie  sagten,  man  müsse  (=  man  werde)  daran  denken, 
wo  jeder  gewesen  sei'4,  scheint  mir  zutreffend;  fuisset  steht  in 
bezug  auf  die  spätere  Zeit  des  cogitare,  die  Zeit  nach  dem  ge- 
hofften Siege.  Thumen  sagt:  „man  sollte  das  Imperfektum  er- 
warten; das  Plusquamperfektum  nimmt  die  Zeit  des  Sprechenden 
als  Ausgangspunkt".  —  §  21  quisnam  est  iste  tarn  demenst]  Thumen 
meint,  wohl  ohne  Grund,  in  iste  liege  etwas  Feindliches. 

Im  uhrigen  scheint  mir  dieser  Kommentar  recht  geeignet  zu 
sein,  die  Lektüre  dieser  kurzen  Rede  wieder  mehr  in  Aufnahme 
zu  bringen,  da  der  Kommentar  von  Richter-Eberhard  für  Schüler 
zu  weitschweifig  ist. 

16)  Ciceros  Reden  für  M.  Marcellus,  für  Q.  Ligarias  und  für  den 
König  Deiotarus.  Für  den  Schul-  und  Privatgebranch  heraus- 
gegeben von  Fr.  Richter  und  Alfred  Eberhard.  Vierte  Auflagt. 
Leipzig  1904,  B.  G.  Teubner.     113  S.     8.     1,20  ./£. 

Den  Text  der  drei  Cäsarischen  Reden  Ciceros  bat  Eberhard 
im  Anschluß  an  die  Kollationen  und  Untersuchungen  Clarks  neu- 
gestaltet. Dazu  sind  auch  die  Lesungen  der  seither  ans  Liebt 
gekommenen  Holkhamer  Handschrift  benutzt  worden  und  eigene 
Vergleichungen,  namentlich  des  Ambrosianus.  Ein  später  er- 
scheinender Anhang  wird  hierüber  Auskunft  geben.  Gegenüber 
der  dritten  Auflage  (1885)  habe  ich  in  der  Rede  für  Marcellus  44, 
in  der  Ligariana  67,  in  der  Rede  für  Deiotarus  45  Änderungen 
gezählt.  Pro  Marc.  22  steht  wieder  dum  taxat,  pro  Deiot.  1 
dumtaxat. 

fn  den  Einleitungen  wurde  die  neuere  Literatur  angeführt 
und  berücksichtigt.  Der  Charakter  der  Erläuterungen  zu  den 
Reden  für  Ligarius  und  Deiotarus  blieb  ungeändert;  doch  ist  im 
einzelnen  überall  gebessert  und  ergänzt.  Dagegen  die  Anmerkungen 
zur  Rede  für  Marcellus,  die  in  Gymnasialklassen  nur  selten  ge- 
lesen wird,  sind  für  das  Privatstudium  und  junge  Philologen  neu 
ausgearbeitet  worden.  Das  Büchlein  ist  so  um  17  Seiten  ge- 
wachsen. 


1 


Ciceros  Reden,  von  F.  Luterbacher.  259 

Pro  Marc.  1  tantum  in  summa  potestate  rerum  omnium  modum] 
mit  D'Ooge  und  Thumen  glaube  ich,  daß  die  Diktatur  als  summa 
potestas  rerum  omnium  bezeichnet  sei.  Eberhard  verbindet  rerum 
omnium  mit  modum,  Mäßigung  in  jeder  Hinsicht.  —  1 0  C.  Marcelli, 
34  C.  Marcello  fratri]  Da  der  Bruder  des  M.  Marcellus,  der  Konsul 
von  49,  im  Sommer  46  kaum  mehr  lebte  (vgl.  Pauly-Wissowa 
111  2737),  so  nehmen  Eberhard  und  Thumen  wohl  mit  Recht  an, 
daß  hier  der  Vetter  beider,  Konsul  50,  Gemahl  der  Octavia,  ge- 
meint sei  (vgl.  Pauly-Wissowa  HI  2734). 

Pro  Lig.  2  legatus  in  Africam  cum  C.  Considio  profectus  est] 
So  hieß  es  in  der  dritten  Auflage  nach  allen  Hss.  Jetzt  streicht 
Eberhard  cum  nach  den  Hss.  Quintilians,  die  Halm  mit  Recht 
korrigiert  hat  (vgl.  JB.  1901  S.  217).  Man  muß  also  nach  Eber- 
hard legatus  in  Africam  C.  Considio  zusammennehmen;  indem  er 
nach  Afrika  dem  C.  Considius  unterstellt  war.  Es  ist  doch  natur- 
licher, in  Africam  mit  profectus  est  zu  verbinden.  Pro  Mur.  20 
legatus  L.Lucullo  fuit  beweist  nicht,  daß  cum  an  unserer  Stelle  falsch 
sei.  Aus  dem  cum  geht  hervor,  daß  Ligarius  während  der  ganzen 
Amtsdauer  des  Considius  in  Afrika  war;  die  Streichung  des  cum 
erzeugt  Unklarheit  darüber,  wann  Ligarius  dorthin  kam.  Die 
Worte  cum  esset  nulla  belli  suspicio  legen  aber  Gewicht  auf  den 
Zeitpunkt  der  Abreise.  Denn  daß  dieser  Verdacht  bald  kam,  sieht 
man  aus  diu  recusans .  ..provinciam  accepit  invitus.  —  33  quodvis 
exsilium]  „in  noch  so  weiter  Ferne,  denn  exs.  steht  lokal".  Die 
Härte  einer  Verbannung  hing  doch  nicht  von  der  Entfernung  des 
Verbannungsortes  von  Rom  ab.  Ein  Aufenthalt  in  den  Ligurischen 
Alpen  (unter  Halbbarbaren)  war  wohl  schwerer  erträglich  als  ein 
solcher  an  der  kleinasiatischen  Küste.  —  §  38.  Man  schließt  die 
Rede  meist  mit  den  Worten:  praesentibus  his  Omnibus  daturum. 
Andere  Hss.  bieten:  praesentibus  te  his  daturum.  Eberhard  fühlte 
nun  richtig,  daß  die  Klausel,  mag  omnibus  stehen  oder  fehlen, 
ohne  te  beeinträchtigt  würde. 

Pro  Deiot.  34.  quem  nos  liberi,  in  summa  populi  R.  libertate 
nati . . .  clementissimum  in  victoria  ducimus]  in  der  dritten  Auflage 
stand:  in  victoria  ducem  vidimus.  Eberhard  bemerkt  richtig,  daß 
man  nach  den  Worten  in  summa...  nati  nicht  vidimus*  erwarte, 
sondern  ein  Verb  des  Urteilens.  Liberi  bedeutet  „Republikaner"; 
daß  es  in  einer  guten  Hs.  fehlt,  ist  kaum  beachtenswert.  „Sind 
die  Worte  p.  R.  echt,  so  müssen  sie  bedeuten :  wie  sie  sich  nur 
beim  r.  V.  fand",  ich  halte  populi  Romani  für  eine  angemessene 
Einschränkung.  Die  athenische  Volksversammlung  war  einst  freier 
als  die  römische,  indem  der  athenische  Rat  dem  römischen  Senat 
an  Macht  nicht  gleichkam;  über  einzelne  Staatsmänner  urteilte 
das  Volk  zu  Athen  (Arislophanes)  absprechender  als  zu  Rom. 


17* 


260  Jahresberichte  d.  Philolog.  Verein». 

b)  Abhandlungen,  Erklärungsschriften,  Übersetzungen, 
Präparationen. 

17)  Franz  Rohde(f),  Cicero,  quae  de  inventione  praecepit,  qoi« 
tenus  secutus  s  i  t  in  o  rationibus  generis  iudicialis.  Disser- 
tation.    Königsberg  i.  Pr.  1903.     176  S.     8. 

Kap.  1  handelt  de  constitutionibus.  In  Ciceros  Gerichts- 
reden herrscht  der  Status  coniecturalis  vor,  indem  die  Richter 
sich  eine  Vermutung  bilden  müssen,  ob  Sextus  Roscius,  Quinctius, 
Quintus  Roscius,  Fonteius,  Cluentius,  Murena,  Sulla,  Archias, 
Rabirius  Postumus,  Scaurus,  Caelius,  Deiotarus  gewisse  Handlungen 
begangen  haben  oder  geschehen  ließen.  In  den  Reden  gegen 
Verres  und  für  Flaccus  verbindet  sich  damit  die  constitutio  generalis, 
indem  die  Richter  auch  entscheiden  müssen,  von  welcher  Art  die 
begangenen  Handlungen  seien,  erlaubte  Amtshandlungen  oder  Ver- 
brechen. Der  constitutio  generalis  gehört  besonders  die  Rede 
gegen  Caecilius  an,  indem  die  Richter  durch  Vergleichung  der 
Eigenschaften  des  Caecilius  und  Cicero  zu  beurteilen  haben,  welcher 
der  geeignetere  Ankläger  des  Verres  sei.  Eine  Unterart  ist  der 
Status  iuridicialis,  speziell  die  concessio  in  den  Reden  für  Sestius, 
Milo,  Ligarius,  verbunden  mit  deprecatio  und  purgatio  (bei  Ligarius), 
relatio  (Entschuldigung  durch  die  Umstände)  und  compensatio 
(Aufwägung  durch  Verdienste).  Die  constitutio  definitiva,  Beweis- 
fuhrung  durch  Begriffsbestimmungen,  fand  sich  in  den  Reden  für 
Quinctius,  Tullius  und  Caecina. 

Nachdem  die  Aufzählungen  der  Teile  einer  Gerichtsrede  in 
rhetorischen  Schriften  vorgeführt  worden  sind,  handelt  Kap.  U 
de  exordio,  S.  9 — 26.  Es  soll  den  Zuhörer  wohlwollend,  auf- 
merksam und  gelehrig  machen.  Bei  der  captatio  benevolentiae 
können  wir  auf  fünf  Arten  vorgehen:  a)  ab  nostra  persona,  in- 
dem der  Redner  in  bescheidener  Weise  von  sich  selbst  spricht, 
wie  in  den  Reden  pro  Sex.  Roscio,  Caecina,  Archia,  Sulla  oder 
von  den  Schwierigkeiten,  die  ihm  durch  das  Geld,  die  Drohungen, 
den  Einfluß  der  Gegner,  durch  die  Zeit  und  Umstände  entstehen* 
b)  a  rei  persona.  Für  den  Angeklagten  wird  wegen  seines  Un- 
glückes, Charakters,  Adels,  wegen  seiner  Verdienste  um  den  Staat 
oder  um  den  Redner  das  Mitleid  der  Richter  oder  Zuhörer  erregt 
(besonders  in  den  Reden  für  Flaccus,  Caelius,  Scaurus,  Plancius, 
Milo,  Deiotarus).  c)  ab  adversariorum  persona.  Die  Gegner  werden 
verächtlich  gemacht  wegen  übermütiger  und  grausamer  Handlungen 
(wie  Castor  pro  Deiot.  2),  dem  Neide  ausgesetzt  wegen  ihres  Ein- 
flusses und  Reichtums  (wie  Naevius  pro  Quinctio  1),  der  Ver- 
achtung infolge  ihrer  Dummheit  (wie  Verres  Act.  I  5).  d)  ab 
auditorum  persona,  indem  Vertrauen  in  ihre  Weisheit  und  G«* 
rechtigkeit  gesetzt  wird,  e)  ab  ipsa  causa,  indem  die  eigene  Sache 
gelobt,  die  gegnerische  heruntergesetzt  wird.  —  Aufmerksam  wjr(* 
der  Richter,    indem   der  Redner  verspricht,    so  kurz  wie  möglich 


^ 


Ciceros  Reden,  von  F.  Lnterbacher.  261 

zu  sein,  und  die  Verhandlung  als  neu,  wichtig,  unglaublich  be- 
zeichnet (wie  pro  MiL,  pro  Deiot).  —  Die  Gelehrigkeit  des  Hörers 
wird  namentlich  in  verwickelten  Händeln  erhöht,  indem  kurz  der 
Kernpunkt  klargelegt  wird.  In  langen  Reden  wiederholen  sich 
diese  Zwecke  und  Kunstmitte],  denen  das  Exordium  besonders 
dient;  z.  B.  die  Gelehrigkeit  wird  durch  Einteilungen  und  Re- 
kapitulationen gefördert. 

Es  folgt  Kap.  III  de  nar ratio ne.  Sie  soll  kurz,  klar,  wahr- 
scheinlich und  anmutig  sein.  Wenn  in  einzelnen  älteren  Reden 
(wie  pro  Quinctio  und  pro  Caecina)  die  narratio  eine  beträcht- 
liche Länge  hat,  so  waren  diese  Rechtshändel  schwer  verständlich, 
und  die  Deutlichkeit  durfte  nicht  durch  die  Kurze  beeinträchtigt 
werden.  Bei  Cicero  fehlt  die  narratio  oft,  besonders  wenn  er 
unter  mehreren  Verteidigern  zuletzt  sprach.  In  längeren  Reden 
kommen  auch   mehrere  Erzählungen   vor,   z.  B.  in   den  Verrinen. 

IV.  De  partitione.  Als  ersten  Teil  davon  bezeichnet 
Rohde  die  propositio.  Ein  Muster  bietet  die  Rede  pro  Tullio: 
zunächst  werden  die  Punkte  vorgeführt,  worüber  die  Parteien 
einig  sind ;  dann  wird  der  Streitpunkt  festgestellt.  Meistens  jedoch 
gibt  Cicero  bloß  das  letztere  an,  die  Frage,  welche  das  Gericht 
zu  entscheiden  habe  oder  über  die  er  sprechen  wolle.  Der  zweite 
Teil  ist  die  Aufzählung  der  Gegenstände,  die  erörtert  werden 
sollen,  wie  pro  Quinctio  36,  pro  Sex.  Rose.  35,  Accus.  1,  34,  pro 
Mur.  11.  Die  Partitio  fehlt  zuweilen;  manchmal  findet  sie  sich 
auch  bei  einzelnen  Abteilungen. 

Der  wichtigste  Teil  einer  Rede  ist  die  Beweisführung,  die 
sich  in  die  confirmatio  und  reprehensio  teilt.  Kap.  V  S.  40 — 121 
handelt  de  confirmatione.  Es  wird  erörtert:  1.  wie  sich 
Cicero  in  den  einzelnen  Reden  mit  den  äußerlichen  Beweismitteln 
abfindet,  mit  Zeugenaussagen,  Urkunden,  Gesetzen,  Senatsbeschlüssen 
und  Briefen,  2.  wie  er  aus  den  zur  Beurteilung  kommenden 
Rechtssachen  selber  Beweise  hernimmt.  Diese  leitet  er  her: 
a)  von  den  Personen,  dem  Namen,  der  Nation,  Heimat,  Familie 
und  Verwandtschaft,  dem  Alter,  der  Körperbeschaffenheit,  den 
Geistesgaben,  Lehrmeistern  und  Freunden,  der  Lebensweise,  den 
Vermögensverhältnissen,  dem  Charakter,  den  besonderen  Neigungen, 
Taten  und  Worten;  b)  von  den  Begleitumständen  der  Handlung, 
Ort,  Zeit  und  Gelegenheit,  Art  und  Weise,  den  Mitteln  und 
Helfern;  c)  de  rebus  negotio  adiunetis.  Unter  dieser  Rubrik 
werden  Definitionen  in  Ciceros  Reden  vorgeführt,  die  Beweis- 
führungen durch  Zerlegung  eines  Ganzen  in  seine  Teile  (partitio)» 
einer  Galtung  in  die  Arten  (divisio),  die  argumenta  ex  remotione 
d.  h.  durch  Ausschließung  verschiedener  Möglichkeiten,  besonders 
in  Form  eines  Dilemmas.  Ferner  werden  die  Gleichnisse  und 
Vergleichungen  besprochen,  die  Beispiele  aus  der  Geschichte,  aus 
Dichtern  und  eigener  Erfindung,  die  Folgerungen  aus  dem  Gegen- 
teil,   aus  dem,    was  einer  Sache  vorhergeht,    mit  ihr  zugleich  ist 


262  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

und  ihr  folgt.  Ebenso  werden  die  Syllogismen  angereiht,  die 
Schlösse  aus  Widersprechendem  und  den  eventuellen  Folgen  eines 
Urteils. 

Kap.  VI  behandelt  die  reprehensio,  die  Widerlegung.  Es 
werden  die  Stellen  angeführt,  wo  Cicero  Behauptungen  der  An- 
kläger als  unrichtig,  unglaublich,  unwahrscheinlich  hinstellt,  Ver- 
gleiche und  Berufungen  auf  Gesetze  unpassend  findet,  eine  ver- 
dächtige Handlung  als  ordnungsgemäß  erweist,  von  allgemeinen 
Sätzen  eine  andere  Anwendung  macht  oder  den  Gegner  der  In- 
konsequenz beschuldigt. 

Der  Schluß  einer  Gerichtsrede  heißt  VII.  conciusio.  Diese 
hilft  a)  dem  Gedächtnis  des  Richters  nach  durch  die  enuraeratio, 
welche  die  Hauptpunkte  der  Beweisführung  kurz  und  nachdrück- 
lich rekapituliert,  wie  in  den  Reden  pro  Fonteio  44 — 46  und  in 
Caecilium  71,  jedoch  bei  Cicero  oft  fehlt.  Sie  erregt  b)  den  Un- 
willen, indignatio,  über  einen  Menschen  oder  eine  Sache,  mehr 
bei  Anklagen,  doch  auch  oft  bei  Verteidigungen.  Rohde  fuhrt 
sechs  Gesichtspunkte  dafür  aus  Ciceros  Reden  vor;  Cicero  zählt 
(de  inv.  1,  98)  15  auf,  über  die  sich  in  Volkmanns  Rhetorik  §  27 
Näheres  findet,  c)  Cicero  war  ein  Meister  darin,  das  Mitleid  der 
Zuhörer  und  Richter  wachzurufen,  in  der  conquestio.  Für  diese 
gibt  Cicero  (de  inv.  1,  106 f.)  16  loci  communes  an;  Rohde  weist 
9  von  ihnen  in  den  erhaltenen  Gerichtsreden  nach. 

Die  Schrift  erörtert  VIII.  qui  loci  in  singulis  con- 
stitutionibus  adhibeantur.  Es  werden  die  Lehren  ober  die 
einzelnen  Status  oder  constitutiones  nach  Ciceros  rhetorischen 
Schriften  weiter  ausgeführt,  und  es  wird  dargetan,  welche  loci, 
Fundstätten  der  Gedanken,  für  die  Beweisführung  nach  den  ein- 
zelnen Grundlagen  in  Anwendung  kommen  können.  Verschiedene 
Teile  einer  Rede  haben  oft  auch  eine  verschiedene  constituüo. 
Bei  jeder  constitutio  werden  die  Reden  vorgeführt,  in  der  sie 
sich  findet,  bei  der  constitutio  coniecturalis  namentlich  die  loci 
communes  contra  testes  zusammengestellt.  Bei  der  constitutio 
definitiva  werden  die  Definitionsvorschriften  an  Beispielen  aus  den 
Reden  pro  Quinctio,  pro  Tullio,  pro  Caecina,  pro  Balbo  er- 
läutert. Bei  dem  Status  iuridicialis  werden  die  Begriffe  comparatio, 
concessio,  purgatio,  deprecatio,  controversia  ex  scripto  et  sententia 
näher  erörtert. 

Das  Büchlein  zeigt  eine  umfassende  Kenntnis  der  Reden  und 
rhetorischen  Schriften  Ciceros  und  einer  Anzahl  moderner  Spezial- 
schiff ten,  die  eifrige  Studien  während  mehrerer  Jahre  voraussetzt. 
Der  Index  weist  etwa  100  erörterte  Stellen  aus  rhetorischen 
Schriften  und  350  aus  Reden  auf.  Der  früh  verstorbene  Gelehrte 
hat  eine  enorme  Arbeit  bewältigt  und  in  seiner  Dissertation  ein 
schönes  Denkmal  seines  klaren  Geistes  hinterlassen. 


i 


Ciceros  Reden,  von  F.  Luterbacher.'  263 

18)  Th.  Zielinski,  Das  C  lauselgesetz  in  Ciceros  Reden.  Philo- 
logie 1904,  Sapplementbaod  IX  S.  589—844.  Leipzig,  Theodor 
Weicher.     Separatdrack  8,40  Jft. 

Nach  Julius  Wolff  (vgl.  JB.  1903  S.  113)  hat  sich  Z.  dem 
Studium  der  Klauseln  zugewendet.  Er  hat  seine  Untersuchungen 
auf  die  Periodenschlüsse  beschränkt,  diese  aber  aus  allen  Reden 
Ciceros  gesammelt  und  sich  ein  umfassendes  System  von  Gesetzen 
für  die  Ciceronische  Klauseltechnik  gebildet.  Er  zerlegt  seine 
Abhandlung  in  einen  theoretischen  und  einen  praktischen  Teil. 

I.  Die  Theorie.  Das  quantitative  Verhältnis  der  langen 
und  der  kurzen  Silben  gibt  der  Sprache  ihren  rhythmischen  Cha- 
rakter. In  der  Regel  herrscht  zwischen  ihnen  das  Gleichgewichts- 
gesetz; in  besonderen  Stimmungen  aber  wird  das  Gleichgewicht 
zugunsten  der  kurzen  oder  der  langen  Silben  verletzt.  Dieser 
durchgehende  Rhythmus  kommt  bei  den  Einschnitten  der  Rede, 
deren  Symbol  die  Interpunktion  ist,  ins  Stocken.  Beim  Wieder- 
beginn der  Rede  nach  einer  Pause  erhöht  sich  das  Bewußtsein 
des  Rhythmus.  Der  Initialrhythmus  ist  noch  nicht  untersucht 
worden.  Man  befaßte  sich  bis  jetzt  mit  dem  Schlußrhythmus  als 
dem  eigentlich  konstruktiven  Rhythmus.  Am  greifbarsten  tritt 
uns  der  Rhythmus  der  Prosarede  im  Periodenschluß  entgegen; 
hier  muß  also  die  Untersuchung  über  die  Klauseln  beginnen.  Wo 
ein  längerer  Fragesatz  kurz  beantwortet  wird,  ergeben  erst  Frage 
und  Antwort  zusammen  eine  Periode.  Wo  die  Rede  sich  in 
Paaren  einander  zugekehrter  Sätze  bewegt,  ergibt  erst  der  Schluß 
jedes  Satzpaares  einen  Periodenschluß.  Wo  die  Rede  aus  kurzen 
Sätzen  besteht,  ergibt  erst  der  Schluß  des  ganzen  Gebildes  einen 
Periodenschluß.  „Die  Ausgaben  genügen  sämtlich  nicht ...  Die 
Herausgeber  haben  von  den  drei  Forderungen  der  römischen  Philo- 
logie —  distinguere,  emendare,  adnotare  —  die  erstere  vernach- 
lässigt; eine  neue  Ausgabe  tut  uns  dringend  not".  Der  Anfang 
der  Klausel  in  der  Periode  ist  „dort,  wo  die  Regelmäßigkeit  in 
der  Gestaltung  des  Schlusses  beginnt44.  Z.  B.  pro  Caec.  32  finden 
sich  die  Klauseln:  (aci\o)nemque  quaeramus,  (hom\)nibus  et  armatis, 
(iniuri)am  tuam  persequar,  (te  uti  in  hac)  re  magistro  volo. 

Eine  Klausel  besteht  aus  einem  Creticus  als  Basis  und  einer 
Kadenz  von  mindestens  einem  Trochäus.  Die  kleinste  Klausel- 
form 1  ist  also:  _^_:_a,  z.B.  vulnerabantur.  Durch  Auflösung 
der  Längen    ergeben    sich  sieben  Nebenformen,   z.B,www-i-a 

(1 l  nibus et armatis), ^\-^ (l a),  „ „  w ^  „\ -^ (1  u), i—  „ 

(l8).  Ist  vor  der  Klausel  Wortschluß,  so  ist  es  Typus  la;  ist 
Cäsur  vor  der  Kürze  des  Creticus,  so  ist  es  Typus  1  ß  (also  nibus 
et  armatis  l1  ß);  ist  Cäsur  nach  der  Kurze  des  Creticus,  so  ist 
es  Typus  \y  (esse  dicitur);  civitas  possit  ist  der  Typus  ld,  vulne- 
ratum  sit  1*.  Die  Verlängerung  der  Kadenz  um  je  eine  Silbe 
ergibt  die  Hauptformen  2  (re  magistro  volo  2  0«),  3  (momo 
religioswn  3 8),  4,  5,  6.    In  diesen  Grundformen  hat  der  Creticus 


264  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

der  Basis  einen  Nachfolger  in  der  Kadenz  and  braucht  deshalb 
nicht    rein    zu    sein.     Er    kann    zum  Moiossus  erschwert   werden 

(zu ),   was  die  Formen  fc,  3,  4,  5,  6  ergibt  <z.  B.  hoc  nil  esse 

et  fateris  3).  Die  Längen  des  zweiten  Creticus  können  ebenfalls 
aufgelöst  werden,  z.  B.  atque  intellegere  cogit  38/9£.  Ferner  kann 
sich  hier  die  erste  Arsis  der  Basis  zu  einem  Trochäus  entfalten, 
so  daß  der  Creticus  zum  Choriambus,  der  Moiossus  zu  in  Epitrit 
wird,  was  Z.  durch  den  Exponenten  tr  bezeichnet,  z.  B.  nunc  sum 

animo  aequissimo ^_  2  tr,  pro  Caec.  81  tur,  sed  id  quod 

dicitur  valebit  MSiT6fj. 

Jeder  Klausel  läßt  sich  einer  der  Koeffizienten  V,  L,  M,  P,  S 
vorsetzen,  um  ihre  Häufigkeit  und  somit  ihren  Wert  auszudrucken. 
Es  gibt  in  Ciceros  Reden  10  485  V-Klauseln,  clausulae  verae,  be- 
vorzugte, 4184  Vi,  1991V  2,  1297  V  2,  1787  V  3,  1586  V  S. 
Dazu  kommen  4776  L-Klauseln,  clausulae  licitae,  erlaubte,  nämlich 
436  L  1  >,  772  L  1 a,  278  LI8,  108  L  1 18,  190  L  2  \  266  L  Z\ 
127  L  Ä2,  239  L  2*  207  L  Ätr,  192  L  3  \  226  L  3\  243  L  3», 
211  L  38,  161  L  38,  433  L  3tr,  307  L  3tr,  184  L  4,  196  L  4.  — 
2°  bedeutet  jede  Ableitung  der  Grundform  2,  300  jede  Doppel- 
ableitung der  Grundform  3.  Danach  kommen  in  Ciceros  Rede» 
1103  M-Klauseln  vor,  clausulae  malae,  gemiedene,  29  M  1 ls  u. 
I188,  52  M  2°  u.  Ä°,  76M32,  34,  3M61  M  300  u.  300,  270  M  4' 
u.  400  etc.,  ferner  930  S- Klauseln,  selectae,  gesuchte,  248  I*- 
Klauseln,  pessimae,  verpönte.  Z.  hat  also  in  Ciceros  Reden 
17902  Periodenschlüsse  festgestellt  und  klassifiziert.  —  Durch  die 
abnorme  Entfaltung  im  letzten  Creticus  verliert  die  V-Klausel  ibren 
Wert,  z.B.  VI  ___-wird  zu  IM — ^  -_cr>  V  3  -  --  -  _  - 
zu  P  3  -^ —  ^^-t?  (der  perhorreszierten  heroischen  Klausel, 
Caec.  88  psum  locum  restituatur).  Durch  die  abnorme  Erschwerung 
(Cholose)  des  letzten  Creticus  bekommt  die  V-Klausel  eine  eigen- 
tumliche  Wucht,    V 1    wird    S 1   condemnabantur,    V  2   wird    S  2 

_^ *.  iudices,  audistis.    Von  der  Stelle  des  Einschnitts  hängt 

die  Harmonie  des  Klauseliktus  mit  dem  Wortakzent  ab;  die  Ein- 
schnittsstelle wird  durch  den  typologischen  Index  er,  ßy  y,  c?,  *,  £,  y 
angegeben,  z.  B.  _  |  ^  ^  _  -  ^  ~  ist  L  2 tr  ß x.  So  sind  nm  oportere 
(1  ß)  und  sauews  factus  (1  d)  verschiedene  Typen  der  gleichen 
Form,  dagegen  laude  tardaret  (1  y)  und  cessit  audaetae  (2  y)  gleiche 
Typen  verschiedener  Formen.  O1,  O*,  O8  bezeichnet  alle  Klauseln 
mit  Auflösung  der  1.,  2.,  3.  Länge. 

Nach  diesen  allgemeinen  Erörterungen  wird  S.  614 — 651  die 
Grundform  1  abgehandelt,  von  der  Cicero  (Or.  212)  noch  keine 
klare  Einsicht  hatte,  da  er  diehoreisch  und  cretisch  auslautende 
Klauseln  (die  Grundformen  3  und  2)  zuerst  nennt.  Normaltypus 
für  1  ist  y  {esse  debere;  49,2%);  nach  ihm  wird  ß  bevorzugt 
(non  oportere;  27,2 °/0)-  Da  hei  ß  die  Klausel  oft  mit  der  Schluß- 
silbe eines  Wortes  beginnt,  stellt  Z.  auch  für  diese  Anlaufswörter» 
für  Silben,  die  nicht  zur  Klausel  gehören,  Regeln  auf.    Die  Typen 


i 


Cicero«  Rede«,  von  F.  Luterbacher.  265 

ld  (Diärese  zwischen  Basis  und  Kadenz;  10,2 °/0)  und  1  a  (12,4%) 
treten  zurück;  s  ist  sehr  selten  (1%).  Die  Bevorzugung  des 
einen  oder  andern  Typus  steht  in  direktem  Verhältnis  zur  Häufig- 
keit der  Wörter,  die  zur  Bildung  seines  zweiten  Teiles  nötig  sind. 
Der  Klauseliktus  harmoniert  hier  mit  dem  grammatischen  Akzent 
der  verwendeten  Wörter,  indem  er  entweder  mit  ihrem  Haupt- 
oder Nebenakzent  zusammenfällt.  Bei  der  Seltenheit  des  Typus  s 
kommen  nur  äußerst  wenige  betonte  Monosyllaba  am  Schlüsse 
vor:  Mil.  43  impimitatis  spetn;  Phil.  2, 19  conlocati  Stent.  Sie  er- 
regen aber  doch  einen  Zweifel,  ob  wirklich  mit  Z.  anzunehmen 
sei,  daß  die  einsilbigen  Formen  von  esse,  wenn  sie  den  Schluß 
der  weiblichen  Klausel  bilden,  enklitisch  seien,  z.  B.  restitüti  sint. 
Ebenso  bin  ich  nicht  überzeugt,  daß  der  Hiat  in  den  Klauseln 
durch  Elision  beseitigt  wurde.  —  Die  Typen  der  sieben  Neben- 
formen 1\  l8,  l3,  1 12,  l18,  1",  l188  werden  einzeln  erörtert. 

Die  Grundform  2,2  umfaßt  3288(2000:1300),  mit  ihren 
Ableitungen  4369  Klauseln  in  Ciceros  Reden.  Von  der  Miloniana 
an  bevorzugt  Cicero  den  Creticus  in  der  Basis  gegenüber  dem 
Molossus.  Bisher  hat  Z.  den  Creticus  als  das  ursprüngliche 
Element,  den  Molossus  als  eine  Erschwerung  bezeichnet;  jetzt 
kehrt  er  die  Sache  plötzlich  um  und  statuiert  das  Entwickelungs- 
gesetz:  die  Entwickelung  der  Klauseltechnik  geht  im  Sinne  fort- 
schreitender Erleichterung  der  Basis  vor  sich.  Der  häufigste  Typus 
ist  2y(cessü  audaciae)  und  Z  y  {possem  cognoscere),  der  Einschnitt 
nach  dem  Trochäus  oder  Spondeus  der  Basis.  Dann  folgt  2  S 
(callide  feeerint)  und  Z  ö  (credatis,  postulö),  indem  die  bei  1  d  be- 
obachtete Scheu  vor  der  Diäresis  zwischen  Basis  und  Kadenz 
zurücktritt  hinter  die  Häufigkeit  dreisilbiger  Wörter.  Für  Z  ö  und 
überhaupt  Od  wird  das  Gesetz  statuiert:  Wo  die  Basis  durch  ein 
molossisches  Wort  gebildet  wird,  verschiebt  sich  der  Hauptiktus 
auf  die  Mittelsilbe.  Diese  Betonung  (creddtis,  nicht  credatis,  wie 
callide)  ist  offenbar  richtig,  aber  damit  ist  der  cre tische  Charakter 
der  Basis  vernichtet,  während  er  bei  possem  cognoscere  bewahrt 
wird.  Für  Z.  freilich  ist  diese  „leichte  Iktenverschiebung"  ohne 
Belang.  Tonwörter  als  Schlußmonosyllaba  sind  gestattet,  wie 
div.  21  lex  consuitum  esse  vult  (Z  £). 

Durch  Auflösung  der  Längen  (außer  der  letzten)  ergeben  sich 
zu   2   und  Z   je    sieben   Ableitungen:    L  2lv«v  —  ^-190  mal 

(119  mal    21?,    manibus   effugerint),    Lt1. 266  mal 

(Zly  145mal),  M28  (65  mal),  La8  127mal  (Z*y  27 mal,  Ulis 
dominantibus),  M  28  (12  Fälle),  M23  (16  Beispiele)  etc.  Die 
Klausel  Z%  läßt  die  Schwächung  der  ersten  Silbe  zu,  indem  bei 
der  Auflösung  der  dritten  Länge  der  Hauptiktus  der  Mittelsilbe 
so  stark  ist,  daß  die  erste  Silbe  ihren  Nebeniktus  verliert  und 
doppelzeitig  wird:  ~-l^-lw  i,  Mil.  80  rapi  patiemini  (13  Fälle). 
Dies  gilt  dann  auch  für  3a  und  überhaupt  für  O*.  Dazu  kommen 
239  Fälle   mit    choriambischer    und    207  mit    epitritischer  Basis. 


266  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Hier  wird  die  Cäsur  hinter  der  ersten  Silbe  des  Trochäus  als  ßl 
bezeichnet,  z.  B.  (do)Jo  malo  seiungere  L  2 tr  ß x  y.  Ebenso  ist 
Clu.  18  huius  ante  videat  M2V«1.  S.  676  wird  auch  die  Frage 
aufgeworfen,  ob  nicht  die  Länge  des  Trochäus  in  den  Entfaltungs- 

formen  aufgelöst  und  eine  Klausel  2lt*v>~~ (aUa  nunc, 

Acciy  tuast  Clu.  85)  angenommen  werden  dürfe;  doch  werden  diese 
Formen  unter  0 1  eingeteilt.  Ober  2*  (comproba)tnf  ßli  temerüas 
hat  sich  Cicero  or.  214  mißbilligend  ausgesprochen. 

Die  Grundformen  3  (Schluß  der  Ligariana:  sentibus  te  bis 

daturum  -  ^ J)  und  3  umfassen  3373,  mit  ihren  Ableitungen 

5383  Periodenschlüsse.  Nach  seiner  Ruckkehr  aus  der  Verbannung 
hat  Cicero  auch  hier  die  leichteren  Basisformen  vorwalten  lassen. 
Diese  und  die  folgenden  Hauptformen  bevorzugen  als  Einschnitt 
die  Diärese,  3d  (audeat  iudicare);  sie  findet  sich  970  mal  ohne, 
475  mal  mit  einer  zweiten  Cäsur,  unter  1787  Klauseln,  ebenso 
Sä  in  181,  Sßd  in  533,  Syd  in  140,  Bös  in  40,  3tff  in 
42  Fällen  von  1586.  Vor  der  Diärese  findet  sich  in  der  leichten 
Grundform  12  mal  Hiat  (fieri  arbitretur)  und  163  mal  Syllaba 
anceps,  d.  h.  eine  Kurze  statt  der  Länge  (Naevius  impetrabat).  Bei 
31  (memoriam  sempiternam)  und  31  (monumento  collocaras)  sind 
Hiat  und  Syllaba  anceps  nicht  gestattet.  —  Cicero  kennt  von 
diesen  Formen  nur  die  Kadenz  als  Dichoreus  (persolutas,  com- 
probavit). 

Die  Grundformen  4  und  4  umfassen  380,  ihre  Ableitungen 
270  Klauseln.  Von  diesen  650  Fällen  zeigen  356  den  Typus  i 
(die  Diärese).  Verhältnismäßig  zahlreich  sind  die  Entfaltungs- 
formen, 29  mal  4  tr,  76  mal  4 tr. 

Die  zwei  ersten  Grundformen  bilden  die  attische  Gruppe, 
welche  den  Cäsurtypus  (y)  liebt;  3  +  3,  4  -f-  4  sind  die  asianische 
Gruppe  und  bevorzugen  den  Diäresentypus,  durch  den  die  Klausel 
in  Basis  und  Kadenz  auseinanderfällt  Die  Hauptformen  5 fg. 
sind  poetische,  daher  gemiedene  Klauseln.  Die  Grundform  5  mit 
Ableitungen  umfaßt  72  leichte  und  96  schwere,  die  6.  Grundform 
21  +34  Klauseln;  die  Form  7  betrifft  30,  die  Form  8  nur  21, 
die  Form  9  noch  12  Fälle.  Ganz  absonderlich  sind  Act.  I  25 
sent,  ne  eiusdem  pecunia  de  honore  deicerer  (10  eifi)  und  PhiJ. 
14,  37  mä  crudelissimaque  Servitute  Uberatum  (11  ^>p). 

Die  S-Klauseln  entstehen  aus  den  entsprechenden  V- Klauseln 
durch  Cholose.  Am  leichtesten  zu  erkennen  sind  an  der  Diärese 
S3d  (consuks  designati,  501  Fälle)  und  S3d  (audebas  appellare, 
116  mal).  Die  Ableitungen  davon  gehören  zu  den  M-Klauseln. 
S  2  (Creticus  vor  Molossus)  kommt  235  mal  vor,  mit  den  Typen  ö 
(iudices  audistis),  y  (esse  cognovistis),  €  (possideri  posstnl),  a  (am- 
trucidaverunt),  S  2  in  44,  S  1  in  34  Fällen.  Das  sind  930  Bei- 
spiele. Dazu  kommen  18  MS2tr,  12  M82tr,  14  MS2M,  14 
MS2V,  6  MS«1. 

Die  P-Klauseln   entstehen  aus  den  V- Klauseln  durch  ab- 


^ 


Giceros  Redeu,  von  F.  Luterbacher.  267 

norme  Entfaltung  des  letzten  Fußes.  Es  finden  sich  in  Ciceros 
Reden  54  PI,  87  P  2,  107  P  3. 

IL  Die  Anwendung.  Orthographisches  und  Pros- 
odisches.  Cicero  hat  sich  bemüht,  die  Perioden  effektvoll  zu 
schließen;  man  darf  aber  deshalb  nicht  alle  seine  Periodenschlüsse 
in  ein  metrisches  Schema  hineinzwängen.  Zielinskis  System  er- 
gibt, daß  Cicero  vielfach  inkonsequent  gewesen  ist.  In  der  Positio 
debilis    tritt   selten  Verlängerung   ein    (Verr.  5,  81  percelebrantur 

V  1,  Quinct.  2  saltem  mediöcria  LZ2,  Balb.  33  säcrosanctum  fuisse 

V  3,  Verr.  3,  34  quädruplo  condemnari  S  3,  99  emerent  ägri  sui 
L  2  \  div.  55  et  locüples  fuit  V  2,  Clu.  52  ipse  pätronus  V  1).  — 
Durch  anlautendes  s  mit  Konsonant  wird  der  kurze  Endvokal  des 
vorhergehenden  Wortes  stets  gedehnt.  Verr.  5,  48  scriptum  pro- 
ferre  non  potes  fugt  sich  dem  Schema  nicht;  es  muß  heißen: 
proferre  scriptum  V  2.  —  Das  Verb  deesse  verschleift  ee  in  allen 
Formen;  in  praeesse  ist  ae  kurz;  ei,  ret,  fidei  werden  kontrahiert. 
In  coarguo  wird  oa,  in  coegi  wird  oe  verschleift  (oa  in  coactum 
nicht).  Ähala  wird  Ala  gelesen;  reprendo  und  reprehendo  kommen 
nebeneinander  vor.  Man  schreibe:  reccido,  recido,  redduco,  religio, 
relliquus,  assecla,  cubiculum,  periculum,  deverticlum,  spectaclum, 
vinclum,  disciplus,  tabla,  cottidie,  gratiis  (nicht  gratis),  Habitus 
(nicht  Avitus),  Stettins  (nicht  Sthenius).  —  Die  Genitive  von  Sub- 
stantiven auf  ins  und  ium  gehen  auf  i  aus,  die  von  Eigennamen 
auf  t  und  tt;  von  Adjektiven  findet  sich  nur  Phil.  7, 16  pätronus 
Iani  medii  (oder  medit).  Es  war  kein  glucklicher  Gedanke  von 
C.  F.  W.  Müller,  die  schwere  Bildung  bei  den  Eigennamen  durch- 
zuführen. Man  lese:  Caecina;  fieri  hat  meist  langes  fi,  rimus 
und  ritis  im  Perf.  und  Fut.  ex.  haben  stets  ri.  Weil  in  objicere 
und  subjicere  die  Vorsilbe  lang  ist,  verwirft  Z.  deicere  (mit  Synizese) 
und  schreibt  ejcere,  cojcere,  rejcere,  projcere.  Mir  ist  es  un- 
möglich, die  Konsonanten  je  ohne  einen  Zwischenvokal  auszu- 
sprechen. 

Textkritik.  Das  Klauselgesetz  kann  nur  in  geringem  Maße 
dazu  dienen,  Korruptelen  aufzudecken.  Wo  aber  andere  Grunde 
kritische  Bedenken  erregen  oder  die  Hss.  verschiedene  Lesungen 
bieten,  ist  die  Klauseltechnik  zur  richtigen  Textesgestaltung  zu 
verwenden.  Dieser  Grundsatz  wird  in  einer  kritischen  Durchsicht 
sämtlicher  Reden  erläutert,  S.  778 — 814.  Ich  muß  das  genauere 
Studium  dieses  Abschnittes   den  Herausgebern    überlassen.     Verr. 

3,  77  Pipa   wird    durch  Hippa   ersetzt.     In  Hachtmanns  Text  der 

4.  Verrine  sind  nach  Z.  folgende  Änderungen  vorzunehmen:  19  m- 
gratiis,  29  gratiis,  43  despoliaretur,  si  emeras,  55  audiverit,  59 
huius  modi,  77  fuerit  apud  Segestanos,  122  pieta  praeclare,  144 
reeepisset.  In  den  Kalilinarien  wird  empfohlen:  I  15  interficere 
voluisti,  16  aliquo  casu,  23  iveris;  II  1  pertimescemus,  3  crederent; 
quam  multos,  qui  propter  stultitiam  non  putarent;  quam  multos, 
qui    etiam    def ender  ent\    quam   multos,    qui  propter   improbitatem 


268  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

faverent?  12  paruit  [ivit];  IV  24  praestare  possit.  Der  Schluß 
der  Ligariana  soll  heißen:  praesentibus  Ms  Omnibus  te  daiurum. 
„Nach  wie  vor  bleibt  ein  vorsichtig  abwägender  Eklektizismus  für 
Cicero  die  beste  und  fruchtbringendste  Methode4*. 

Höhere  Kritik.  Die  Prozentsätze  der  V-Klauseln  bei  Cicero 
sind:  1)  in  den  drei  ältesten  Reden  52,  2;  2)  in  den  Verrinen 
58,2;  3)  68-66  v.Chr.  61,2;  4)  in  den  Konsularischen  Reden 
63,2;  5)  62—58  v.  Chr.  61,  6;  6)  in  den  Reden  post  reditum 
61,  9;  7)  56—52  v.  Chr.  62,  9;  8)  in  den  Caesarianae  62,  2; 
9)  in  den  Philippicae  61,2;  10)  im  Gesamtdurchschnitt  60,3, 
gegen  26,  5  L;  6,  1  M;  5,  2  S;  1,  4  P.  „Cicero  trug  als  un- 
bewußten Regulator  das  Streben  in  sich,  circa  zwei  Drittel  seiner 
Clausein  streng  nach  dem  Schema  -a-:-^,  -,  ~  zu  bauen". 
Die  Rede  de  domo  sua  weist  352  V,  163  *L,  34  M,  26  S,  5  P 
auf,  ist  somit  gerechtfertigt.  Die  Invectiva  in  Sali,  hat  in  102 
Klauseln  22  V,  28  L,  27  M,  14  S,  11  P,  ist  also  unecht.  Die 
Marcellina  hat  in  120  Klauseln  63  V  (52,5  °/0),  43  L  (35,8  °/0), 
5  M,  8  S,  1  P.  Dazu  bemerkt  Z.  sonderbarerweise:  „Die  Echt- 
heit der  Marcellina  beweisen  die  Clausein  nicht,  sondern  nur  die 
sorgfältige  rhetorische  Schulung  ihres  Autors",  womit  die  Wert- 
losigkeit seines  Systems  für  die  höhere  Kritik  zugegeben  ist.  Für 
Plinius'  Panegyricus  ergeben  sich  die  Prozentsätze:  50,9  V,  30,7  L, 
8,5  M,  6  S,  3,6  P. 

Zur  Akzentlehre.  Hier  untersucht  Z.,  wie  zweisilbige, 
dreisilbige,  viersilbige,  fünfsilbige  Wörter  in  der  Klausel  betont 
werden,  und  dreht  sich  dabei  im  Zirkel  herum.  Er  geht  bei 
«einer  ganzen  Untersuchung  davon  aus,  daß  die  Periodenschlüsse 
metrische  Schemata  haben  und  nach  dem  Metrum  betont  werden. 
Auf  Grund  dieser  unbewiesenen  Voraussetzung  kann  er  natürlich 
zu  keinem  anderen  Schluß  gelangen  als:  „Dieser  rednerische  Accent 
ist  identisch  mit  dem  poetischen"  (d.  h.  metrischen).  Es  war 
ferner  vorausgesetzt,  daß  die  Ultima  der  Klausel  aneeps  sei  und 
deshalb  die  Schlußlänge  nie  in  zwei  Kurzen  aufgelöst  werden  dürfe. 
Demnach  sind  z.  B.  forent  und  fore  am  Schlüsse  gleichwertig,  und 
Z.  bildet  nun  das  Gesetz:  Durch  Schlußstellung  des  Wortes  wird 
dessen  kurze  Endsilbe  positionslang.  Cicero  erklärt  im  Orator  58: 
natura  in  omni  verbo  posuit  acutam  vocem,  nee  una  plus  nee  a 
postrema  syllaba  citra  tertiam;  quo  magis  naturam  ducem  ad  aurium 
voluptatem  sequatur  industria,  Er  redet  hier  nicht  von  der  Volks- 
sprache, sondern  von  der  oratorischen  Prosa:  er  ermahnt  zur 
natürlichen  Betonung,  die  den  Hauptakzent  nicht  über  die  dritte 
Silbe  vom  Ende  setze.  Gleichwohl  soll  er  in  Wirklichkeit  nach 
Z.  konsequent  in  plautinischer  Weise  cönficerent,  reficermt,  mönu- 
erat,  beneficium,  memoriam,  fdmiliam,  Siciliam  gesprochen  haben. 
offenbar  auch  cönficerentur.  Z.  meint:  „Nun  ist  es  selbstverständ- 
lich, daß  die  Lehre  vom  rednerischen  Accent  nicht  nur  für  die 
Clausein  gilt:    es  wäre   sehr  merkwürdig,    wenn  Cicero  ein    und 


Cicero*  Reden,  von  F.  Luterbaeher.  269 

dasselbe  Wort  in  der  Clausel  mimoridm  und  kurz  vorher  memöriom 
betont  haben  sollte.  Sowie  wir  aus  der  Klauseltechnik  die  Lehre 
vom  rednerischen  Accent  entwickelt  haben,  so  wird  ein  spaterer 
Forscher  auf  Grund  der  nunmehr  feststehenden  oratorischen  Accent- 
lehre  die  Technik  des  Initial-  und  durchgehenden  Rhythmus  zu 
entwickeln  haben . . .  Zur  Zeit  der  Entstehung  der  Kunstprosa 
und  Kunstpoesie  (um  die  Wende  des  dritten  vorchristlichen  Jahr- 
hunderts) war  der  oratorisch-poetische  Accent  mit  dem  Vulgär- 
accent  identisch;  diesen  hat  die  conservative  Kunstprosa  und 
-poesie  bis  in  die  spätesten  Zeiten  hinübergerettet,  während  die 
Umgangssprache  sich  entwickelte  und  allmählich  ein  neues,  ein* 
facheres  Accentuationssystem  erzeugte44. 

S.  607—614  wird  die  „Geschichte  der  Frage",  S.  647—651, 
677 — 680  etc.  die  Erforschungsgeschichte  der  einzelnen  Haupt- 
formen vorgeführt. 

Z.  ist  überzeugt  (S.  592),  „daß  die  hier  geführte  Untersuchung 
von  eminentem  psychologischem  Interesse  ist.  Als  unbewußtes 
Werkzeug  des  sprachschöpfenden  Geistes  tritt  uns  Cicero  entgegen. 
In  praxi  befolgt  er  mit  peinlicher  Sorgfalt  eine  Reihe  Gesetze, 
die,  obzwar  auf  einfache  Elemente  zurückgehend,  infolge  der 
Complication  dieser  letzteren  recht  verwickelt  aussehn;  und  wie 
er  in  der  Theorie  darüber  Rechenschaft  ablegen  will,  ist  er  sich 
nicht  einmal  über  die  Hauptprincipien  klar.  Diese  auffallige  Tat- 
sache beweist  deutlich,  daß  wir  in  dem  Clauselgesetz  nichts  künst- 
liches, gemachtes,  keine  rhetorische  Tabulatur  haben,  sondern 
die  natürlichen  Consequenzen  der  natürlichen  Anlage  der  lateini- 
schen Sprache'4. 

Wären  jedoch  die  Formen  der  Perioden  und  Clausein  ebenso 
in  der  natürlichen  Anlage  der  lateinischen  Sprache  begründet,  wie 
die  Regeln  der  lateinischen  Grammatik  durch  den  Sprachgebrauch 
bestimmt  wurden,  so  würden  sie  auch  bei  verschiedenen  Autoren 
in  hohem  Maße  übereinstimmen.  Nun  erklärt  aber  Z.  S.  607: 
„Auch  Li  vi  us  bevorzugt  gewisse  Clausein  und  meidet  andere;  aber 
gerade  die  bei  Cicero  bevorzugten  gehören  bei  ihm  zu  den  sicht- 
lich gemiedenen44.  Die  Perioden  und  ihre  Klauseln  sind  demnach 
«in  rhetorisches  Element,  das  die  Autoren  in  ihrer  Sprache  auf 
verschiedene  Weise  künstlich  anwendeten.  Die  von  Z.  gefundenen 
Klauselgesetze  gelten  also  zunächst  nur  für  die  Reden  Ciceros, 
und1  Z.  geht  mit  seinen  Folgerungen  zu  weit.  Cicero  versuchte 
im  Orator,  sich  über  die  von  ihm  bevorzugten  Klauseln  Rechen- 
schaft zu  geben,  „jedoch  ohne  rechte  Selbständigkeit  gegenüber 
den  griechischen  Lehren  und  deshalb  mit  gänzlichem  Mißerfolg". 
Er  stellt  §  212  den  bei  den  Asianern  beliebten  Dichoreus  voran: 
filii  comprobavü  3,  ei  poenas  persolutas  &  Dann  empfiehlt  er  den 
Schlußcreticus,  d.  h.  die  Hauptform  2.  Seine  Klauseln  umfassen 
nach  §  216  zwei  oder  drei  Füße,  also  5—8  Silben;  er  wechselt 
bewußt  mit  den  Klauselformen  ab  (§  219)  und  wendet  metrische 


270  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Satz-  und  Periodenschlüsse  nur  sparsam  an  (§  215  id  crebrius 
fieri  non  oportet.  Primum  enim  numerus  agnoscüur,  deinde  satiat, 
postea  cognita  facilitate  contemnitur).  Demnach  sind  die  Formen 
5,  6  fg.  bei  Z.  keine  eigentlichen  Klauseln.  Ebenso  suchte  Cicero 
offenbar,  da  er  vom  Akzente  schweigt,  in  den  Klauseln  mit  der 
naturlichen  Betonung  und  Aussprache  durchzukommen.  Wo  also 
der  Hochton  von  Z.  auf  die  vierte  Silbe  gesetzt  oder  eine  Ver- 
schiebung (wie  in  coegit)  angenommen  wird,  liegen  wahrscheinlich 
ebenfalls  keine  echten  Klauseln  vor.  Vermutlich  ist  auch  die 
häufigste  Form  1  nicht  gerade  die  effektvollste,  so  daß  Cicero 
nicht  ohne  Grund  von  den  Formen  3  und  2  ausging.  Durch  das 
geniale  Zeichensystem,  das  Z.  auf  Grund  der  Integrationsklausel 
_^_-_^,  _,  w,  _  erfunden  hat,  wird  nun  die  weitere  Forschung 
bedeutend  erleichtert. 


19)  Zwölf  Reden  Ciceros  dispouiert  voo  E.  Ziegeler.    Zweite  Auflage. 
Bremen  1904,  Gustav  Winter,     gr.  8.     55  S.     1  Jt. 

Diese  Dispositionen  erschienen  1899  in  der  Festschrift  zur 
45.  Versammlung  deutscher  Philologen  und  Schulmänner  und 
gleichzeitig  in  Sonderdruck  (vgl.  JB.  1900  S.  143).  „Sie  sind 
ausschließlich  für  den  Lehrer  bestimmt,  der  gewiß  gern  einmal 
seine  eigene  Ausarbeitung  mit  einer  fremden  vergleicht".  Die 
neue  Auflage  zeigt  an  vielen  Stellen  Verbesserungen.  Ungenau 
ist  S.  16:  „Niemand  hat  ihn  zu  freier  Haft  angenommen".  Nach 
Cat.  1, 19  tu  te  ipse  in  custodiam  dedisti  hatte  sich  Catilina  bei 
H.  Metellus  (Prätor  im  J.  69)  in  „freier  Haft4*  befunden. 


20)  H.  Deiter,  Ciceros  Leben  und  Schriften.    Hannover  1904,  Nord- 

deutsche Verlagsaostalt  (0.  Goedel).     5  S.     8.    steif   geheftet.     Frei- 
beilage zu  den  Ciceroheften  der  Bditio  Haonoverana. 

21)  H.  Deiter,  Übungen  zum  Obersetzen  im  Anschloß  an  Ciceros 

Reden    pro    Roscio  Amerino    und    de    imperio    Cn.  Ponpet. 
Hannover  1904,  0.  Goedel.     18  S.     8.     0,40  J^. 

22)  H.  Deiter,  Übungen  zum  Übersetzen  im  Anschluß  an  Cicero* 

Tuskulanen,    Buch  I  und  V.     Hannover  1904,  O.  Goedel.     18  S. 

8.    0,40  JC. 

In  Ciceros  Lebensbeschreibung  ist  der  Ausdruck  an  einigen 
Stellen  nicht  recht  klar.  Z.  B.  Cicero  „hielt  81  seine  erste  Rede 
in  einem  Privatprozeß  und  80  die  zweite  in  einem  Strafprozeß44, 
Er  hatte  naturlich  früher  schon  viele  Gelegenheiten  zum  Reden 
benutzt;  es  sollte  heißen:  seine  erste  noch  erhaltene  Rede.  — 
Daß  Cicero  66  die  Stadtprätur  bekleidete,  ist  nicht  richtig;  er 
leitete  die  quaestio  de  repetundis  (p.  Cluentio  147). 

In  den  Übungen  zum  Übersetzen  habe  ich  nichts  gefunden, 
das  mit  der  richtigen  Auslegung  des  Cicerotextes  nicht  vollkommen 
übereinstimmen  würde. 


Ciceros  Reden,  von  F.  Luterbacher.  271 

23)  H.  H.  Pflb'ger,  Ciceros  Rede  pro  Q.  Roscio  comoedo  rechtlich 
beleuchtet  and  verwertet.  Leipzig  1904,  Duocker  &  Homblot. 
160  S.     8.     S,$0J6. 

Kap.  I  behandelt  die  Sache,  d.  h.  den  Verlauf  der  Händel 
zwischen  C.  Fannius  und  Q.  Roscius,  und  die  Klage  des  Fannius 
gegen  Roscius  auf  Bezahlung  von  50  000  Sesterzen.  Sternkopf 
hat  1895  in  den  Jahrbüchern  für  Philologie  (S.  41 — 56)  nach- 
gewiesen, daß  dieser  Prozeß  wahrscheinlich  76  v.  Chr.  stattfand. 
Pfluger  kennt  diesen  Aufsatz  nicht;  er  erwähnt  nur  juristische 
Handbücher  und  Erklärungsschriften.  „Die  Klage  war  eine  con- 
dictio, genaiier  eine  actio  certae  creditae  pecuniae". 

Kap.  II  erörtert  die  drei  möglichen  Klagegründe.  Cicero 
spricht  immer  nur  von  pecunia  certa,  ohne  credita,  das  die  Juristen 
aus  Gaius  ergänzen.  Nur  drei  Klagegründe  werden  anerkannt: 
Darlehen,  Expensilatio  oder  Literalkontrakt  und  mündliches  Ver- 
sprechen, §  14  haec  pecunia  necesse  est  ant  data  aut  expensa  lata 
aut  stipulata  stf.  Pflüger  handelt  ausführlich  über  diese  Worte, 
die  mit  den  Lehren  der  Juristen  aus  der  Kaiserzeit  nicht  über- 
einzustimmen scheinen.  Er  kommt  zum  Schlüsse:  „Diese  Worte 
Ciceros,  so  vielfach  mißverstanden  und  so  ungerechter  Weise  an- 
gezweifelt, sind  buchstäblich  richtig'4. 

Er  fährt  fort:  „Es  ist  gewiß  nicht  zu  kühn,  wenn  wir  nach 
ihrem  Vorbilde  auch  für  die  condictio  certae  rei  einen  ähnlichen 
Satz  aufstellen  und  sagen:  die  mit  condictio  certae  rei  geforderte 
Sache  muß  sein  aut  data  aut  stipulata  aut  contrectata".  Die 
Kap.  III— VIII,  S.  17—100,  finden  sich  mit  den  Digestenstellen 
ab,  die  dem  in  Kap.  II  gewonnenen  Ergebnis  entgegenzustehen 
scheinen.  Pflüger  erklärt  sie  insgesamt  für  interpoliert.  „Ciceros 
Rede  pro  Q.  Roscio  enthält  den  Schlüssel  des  klassischen  Kon- 
diktionenrechts44. 

Von  der  eigentlichen  Verteidigung  des  Q.  Roscius  sind  nur 
fünf  Kapitel  erhalten.  Der  zweite  Teil  der  Rede  Ciceros  geht 
über  den  festgestellten  Prozeßgegenstand  hinaus  und  wird  §  15 
als  nicht  nötig  bezeichnet.  Ich  bezweifle  jedoch,  „daß  Cicero  erst 
in  diesem  zweiten  Teil  seiner  Rede  auf  die  Vorgeschichte  des 
Prozesses  und  damit  auf  das  ehemalige  Gesellschaftsverhältnis 
unter  den  Parteien  zu  reden  kommt"  (S.  117).  Denn  der  ver- 
lorene Anfang  der  Rede  muß  eine  Narratio  enthalten  haben,  worin 
diese  Dinge  wahrscheinlich  dargelegt  wurden.  Was  nämlich  §  16  f. 
über  die  societas,  §  27  f.  über  Panurgus  gesagt  ist,  ist  nur 
Widerlegung  gegnerischer  Behauptungen,  so  daß  diese  stückweisen 
Angaben  kaum  als  Ersatz  der  narratio  betrachtet  werden  können. 
Die  eigentliche  Beweisführung  hatte,  wie  schon  erwähnt,  nach 
§  13  drei  Teile:  a)  Fannius  hat  das  Geld  weder  selbst  dem  Roscius 
geliehen,  noch  hat  ein  anderer  (z.  B.  M.  Perpenna  oder  P.  Saturius) 
auf  Fannius'  Anweisung  hin  es  dem  Roscius  gegeben;  b)  Fannius 
hat  es  nicht  auf  Anweisung  (iussu)  des  Roscius  an  einen  dritten 


272  Jahresberichte  d.  Pfailolog.  Vereins; 

ausbezahlt;  c)  Roscius  hat  es  ihm  nicht  stipuliert.  Der  erste  Teil 
fehlt  ganz;  auf  ihn  beziehen  sich  offenbar  die  Worte  in  §  3: 
paulo  ante  M.  Perpennae,  P.  Saturii  tabulas  poscebamus.  Was 
Pfluger  S.  107  über  diese  Eintragung  in  fremde  Geschäftsbücher 
sagt,  ist  mir  nicht  glaublich.  Nach  ihm  war  sie  „nur  eine  eigen- 
tumliche Form,  um  die  Einwilligung  des  Schuldners,  die  zu  diesem 
Zwecke  natürlich  dem  Dritten  gegenüber  erklärt  sein  mußte,  zu 
bezeugen".  Er  sieht  in  dieser  Eintragung  nicht  einen  Beweis  für 
eine  Zahlung  an  den  Schuldner,  sondern  nur  für  dessen  An- 
weisung zur  Zahlung  auf  seine  Rechnung  an  einen  seiner  Gläubiger 
(expensilatio).  Dem  widersprechen  die  Worte:  nunc  tuas  soliw 
flagitamus. 

Kap.  IX  sucht  den  vermutlichen  Klagegrund  zu  finden.  Cicero 
erklärt  bestimmt,  daß  der  Klager  keine  stipulatio  behaupte  (§  14 
qnis  spopondisse  me  dicü?  Nemo).  Gleichwohl  nimmt  Pflöger  an. 
Fannius  habe  sich  auf  eine  Stipulation  berufen.  „Weil  er  den  an 
erster  Stelle  vorgebrachten  wirklichen  Klagegrund,  das  Süpulations- 
versprechen  des  Roscius,  nicht  beweisen  konnte",  versuchte  er 
dann  einen  Literalkontrakt  zu  behaupten  (§  5  hoc  nomen  m  ad- 
versariis  patere  contendü). 

Kap.  X  und  XI  erörtern  den  zweiten  Teil  der  Rede.  Cicero 
nennt  ihn  eine  Ehrenrettung  für  Roscius:  natürlich  sollte  auch 
die  Sache  selber  dabei  gewinnen.  „Und  so  ist  es  denn,  als  hätte 
Cicero  gewissermaßen  das  RJatt  Papier,  auf  dem  die  Geschichte 
des  Vergleiches  geschrieben  stand,  in  tausend  kleine  Stöcke  zer- 
rissen'4. In  §  16  soll  Cicero  dem  Richter  einen  Wink  geben,  daß 
die  50000  Sesterze  eine  Schuld  ex  liberalitate  seien,  mit  der  er 
es  nicht  genau  zu  nehmen  brauche.  In  Wirklichkeit  erklärt  Cicero 
4  16,  er  wolle  untersuchen,  ob  Fannius  die  50000  Sesterze  als 
eine  Schuld  ex  societate  fordern  könne  oder  ob  sie  ihm  als  Ge- 
schenk verheißen  worden  seien.  §  16 — 56  weisen  nun  nach, 
daß  eine  Schuld  ex  societate  nicht  annehmbar  sei.  Folglich  muß 
der  fehlende  Schluß  davon  gehandelt  haben,  ob  Roscius  verpflichtet 
sei,  die  geforderte  Summe  ex  liberalitate  zu  bezahlen.  Hätten 
wir  noch  die  vollständige  Rede,  so  wurden  Pflöger  und  die  Rechts- 
gelehrten über  viele  Punkte  anders  urteilen.  Nun  aber  ist  es 
unmöglich  zu  erraten,  wie  Cicero  am  Schlüsse  seiner  Rede  die 
vom  Richter  zu  beantwortende  Frage  formuliert  bat.  Daß  nicht 
bloß  eine  Geldsumme,  sondern  auch  der  gute  Ruf  des  Roscius 
auf  dem  Spiele  stand,  geht  schon  aus  der  Lange  des  zweites 
Teiles  der  Rede  hervor. 

Der  verwickelte  Handel  zwischen  den  beiden  Parteien  hatte 
sich  folgendermaßen  abgespielt.  Einige  Jahre  vor  dem  Bundes- 
^enossenkriege  übergab  C.  Fannius  Chaerea  dem  Schauspieler 
Q.  Roscius  einen  Sklaven  Panurgus,  der  fast  4000  Sesterze  wert 
war,  zur  Ausbildung.  Die  Zahl  HS  IUI  oo  steht  in  §  28  und  29 
•dreimal.     Pfluger    nimmt   S.  144   mit   Momrnsen   (Hermes  1885 


"i 


Ciceros  Reden,  von  F.  Luterbacher.  273 

S.  317)  an,  es  sei  herzustellen  HS  I33oo,  6000  Sesterze.  Cicero 
sagt:  Ex  qua  parte  erat  Fannii,  tum  erat  HS  ////oo,  ex  qua  parte 
erat  Roscii,  amplius  erat  HS  CCCIOOO;  nam  illa  membra  merere 
per  se  non  amplius  poterant  duodecim  aeris,  disciplina,  quae  erat 
ab  hoc  tradita,  locabat  se  non  minus  HS  CCCIOOO.  Wie  mir 
scheint,  wird  der  Jahreslohn  eines  guten  Schauspielers  als  Anteil 
des  Roscius,  der  jährliche  Verdienst  eines  Arbeiters  mit  12  Sesterzen 
Taglohn,  annähernd  4000  Sesterze,  als  Anteil  des  Fannius  gesetzt. 
Für  diesen  Wert  behielt  sich  Fannius  einen  Anteil  an  dem  Gewinn 
aus  der  Schauspieler tätigkeit  des  Panurgus  vor.  Nachdem  aber 
der  Sklave  von  Roscius  in  dessen  Hause  ausgebildet  worden  und 
nur  kurze  Zeit  auf  der  Bühne  tätig  gewesen  war,  wurde  er  von 
Q.  Flavius  ermordet. 

Fannius  belangte  den  Flavius  für  sich  und  als  Vertreter  des 
Roscius  um  Schadenersatz,  verlangte  aber  offenbar  zu  viel.  Flavius 
fand  sich  zunächst  mit  dem  verständigeren  Roscius  ab,  indem  er 
ihm  ein  Feld  übergab,  etwa  91  v.  Chr.,  15  Jahre  vor  Ciceros  Rede 
für  Q.  Roscius,  §  37  abhdnc  annis  XV.  Nach  12  Jahren  erst  er- 
hob Fannius  den  Anspruch  auf  Miteigentum.  Es  ist  sonderbar, 
daß  Roscius  so  lange  im  Besitze  seines  Gutes  unangefochten  blieb 
und  Cicero,  wie  es  scheint,  hieraus  nicht  den  Schluß  auf  Ver- 
jährung der  Ansprüche  des  Fannius  zog.  Hotmann  änderte  daher 
die  Zahl  XV  in  IV.  Pflüger  S.  153  verwirft  diese  Änderung  mit 
Recht,  da  die  Verbesserungen  auf  dem  Gute  §  33  lange  Zeit  er- 
forderten und  die  Sache  §  38  schon  im  J.  79  als  tarn  vetus  be- 
zeichnet wird. 

Fannius  schätzte  das  dem  Roscius  übergebene  Gut  nach  §  33 
auf  100  000  Sesterze.  Diese  Zahl  soll  nach  Pflüger  S.  152  falsch 
sein.  Mommsen  glaubte  nämlich  in  Hss.  noch  das  Zeichen  SD 
(=  500000)  davor  zu  bemerken.  Es  kann  jedoch  keine  Rede 
davon  sein,  daß  das  Gut  bei  der  Übergabe  an  Roscius  600000 
Sesterze  wert  war.  Denn  1)  legt  Cicero  §  28 — 29  dem  Unter- 
richt des  Roscius  dreimal  einen  Wert  von  100  000  Sesterzen  bei; 
2)  behauptet  er  §  33,  Roscius  habe  decisionem  re  et  veritate 
mediocrem  et  tenuem  gemacht;  3)  hätte  sich  Fannius  ohne  Zweifel 
für  sich  und  Roscius  zusammen  mit  diesem  Preise  begnügt. 

Während  des  Bundesgenossen-  und  des  Bürgerkrieges  gelang 
es  Fannius  nicht,  etwas  von  Flavius  zu  bekommen.  Unter  Sullas 
Diktatur  verlangte  er  Entschädigung  von  Roscius,  dessen  Gut 
durch  allgemeines  Steigen  der  Grundstückspreise  infolge  Wieder- 
herstellung der  öffentlichen  Sicherheit,  durch  sorgfältige  Bewirtung 
und  den  Bau  einer  Villa  einen  viel  höheren  Wert  erlangt  hatte. 
Fannius  rechnete  in  seinen  adversaria  nach,  daß  ihm  eine  Ent- 
schädigung von  100000  Sesterzen  vonseiten  des  Roscius  gehöre. 
Von  dieser  Eintragung  in  die  Adversaria  bis  zu  Ciceros  Rede 
verfloß  amplius  triennium,  wie  §  8  und  9  dreimal  gesagt  wird. 
Es    kam   zu    einer   schiedsgerichtlichen  Entscheidung  durch  den! 

Jahresbericht«  XXXL  18 


J74  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

bekannten  Aristokraten  C.  Piso  (vgl.  Pauly-Wissowa  III  Sp.  1376), 
nach  §  37  ein  triennium  vor  Ciceros  Rede.  Piso  führte  eine  Ver- 
ständigung herbei,  ein  compromissum.  Pflöger  meint  S.  122,  daß 
Cicero  §  12  die  Zuhörer  verwirre  (quaero  abs  te,  quid  ita  de  Im 
pecunia,  de  his  ipsis  HS  IOOD,  de  tuarum  tabularum  fide  coaqiro- 
missum  feceris,  arbürum  sumpseris),  da  die  im  gegenwärtigen 
Judicium  geforderten  50  000  Sesterze  nicht  Gegenstand,  sondern 
nur  die  Frucht  des  früheren  arbitrium  seien.  Da  Piso  den 
Roscius  freisprach,  so  entschied  er  wirklich,  daß  die  ganze  von 
Fannius  in  den  Adversaria  berechnete  Forderung  von  100 000 
Sesterzen,  also  auch  eine  Forderung  von  bloß  50  000  Sesterzen, 
rechtlich  nicht  begründet  scheine.  Gleichwohl  bat  er  Roscius 
(§  38),  da  er  durch  die  Bemühungen  seines  Vertreters  Fannius 
zu  seinem  jetzt  so  wertvollen  Gute  gelangt  sei,  dem  Fannius  die 
100  000  Sesterze  zu  geben,  mit  dem  Vorbehalt,  daß  er,  wenn 
Fla  vi  us  noch  einen  weiteren  Betrag  bezahle,  hiervon  die  Hälfte 
erhalte.  Statt  100  000  vermutete  Lambin  15000,  Manutius  1000". 
Ernesti  5000.     Pflüger  weist  diese  Änderungen  S.  145  zurück. 

Über  die  Vorgänge  bei  diesem  compromissum  hat  man  sielt 
die  verschiedensten  Meinungen  gebildet,  zumal  sich  in  §  25  eine 
Lücke  findet.  Cicero  meint,  da  Fannius  nicht  das  arbitrium  pro 
socio  durchführte,  habe  er  den  Roscius  von  frans  frei  erklärt 
nihil  hunc  pro  socio  fraudis  fecisse  iudieavisti.  Darauf  wird  die 
Erklärung  des  Fannius  gefolgt  sein:  Roscius  entging  der  Ver- 
urteilung durch  den  Schiedsrichter,  indem  er  mit  mir  pactiow* 
schloß.  Wegen  des  Folgenden  kann  es  nicht  exceptionem  geheißen 
haben,  wie  Pflüger  S.  125  meint:  Hat  der  Vergleich  Zeugen  oder 
nicht?  Testes  (Sternkopf,  Hss.  tabulas)  habet  an  non?  Si  w 
habet,  quem  ad  modum  pactio  est?  si  habet,  cur  non  nominas?-  ■  • 
Venisti  domum  ultro  Roscii,  satis  fecisti;  quod  temere  commisisti,  i» 
iudicium  ut  denuntiaret,  rogasti,  ut  ignosceret;  te  affuturum  negotii* 
debere  tibi  ex  societate  nihil  clamitasti.  Iudici  hie  denuntiatio,  A- 
solutus  est.  Nach  Pflüger  S.  111  schildert  Cicero  hier,  „wie  die 
beiden  vereinbart  hätten,  Roscius  solle  dem  iudex  Mitteilung 
machen,  Fannius  dagegen  im  Termin  ausbleiben,  und  wie  Rosaas 
auf  diese  Weise  seine  Freisprechung  durch  den  iudex  erlangt 
habe . . .  Roscius  hatte  dem  Fannius  sagen  lassen,  daß  er  den 
Vergleichsvorschlag  des  arbiter  annehme.  Ist  dies  aber  richte 
dann  gehen  wir  wohl  auch  nicht  fehl  mit  der  Annahme,  daß  damals. 
im  Hause  des  Roscius,  auch  der  von  Cicero  geleugnete  Abschluß 
des  Vergleichs  durch  Eingehung  der  gegenseitigen  Stipulation  statt- 
gefunden hat4*.  Demgegenüber  bin  ich  überzeugt,  daß  dem  iudex 
die  Forderung  des  Fannius  klipp  und  klar  vorgelegt  wurde  und 
Fannius  nur  deswegen  zu  Roscius  lief,  weil  er  einsah,  daß  Roscius 
von  einer  Schuld  freigesprochen  werden  würde. 

Auf  Pisos  Bitte  versprach  Roscius,  dem  Fannius  unter  ge' 
wissen  Bedingungen    in    zwei    Terminen   je   50000  Sesterie  *" 


ii 


Ciceros  Reden,  von  F.  Luterbacher.  275 

schenken.  Aber  ex  iuris  peritorum  consilio  et  auctoritate  (§  56) 
nötigte  er  Fannius  zur  Restipulatio:  quod  a  Flavio  abstulero,  partem 
dimidiam  inde  Roscio  me  soluturum  spondeo  (§  37).  Pfluger  meint 
S.  113,  Fannius  habe  nach  dem  Vergleiche  „in  der  Freude  seines 
Herzens  ganz  vergessen,  sich  den  Beweis  des  abgeschlossenen 
Vertrages  zu  sichern.  Roscius  dagegen,  im  eigenen  Hause  und 
von  Freunden  und  Freigelassenen  umgeben,  war  vermutlich  sofort, 
nachdem  Fannius  davongestürmt  war,  so  vorsichtig  gewesen,  mit 
Hilfe  der  Anwesenden  jene  Urkunde  aufzunehmen".  Das  ist  un- 
glaublich. Roscius  bezahlte  50  000  Sesterze  an  Fannius.  Dann 
aber  vernahm  er,  daß  Fannius  100  000  Sesterze  von  Flavius  er- 
halten habe,  und  verweigerte  eine  weitere  Zahlung.  Pfluger  meint, 
Roscius  habe  nicht  aufrechnen  können,  da  die  Aufrechnung  erst 
lange  nachher  möglich  geworden  sei.  Nach  Cicero  §  51  dagegen 
hatte  er  sein  Versprechen  so  verklausuliert,  daß  für  Fannius  mit 
der  Zahlung  des  Flavius  auch  der  Anspruch  auf  die  erste  Zahlung 
des  Roscius,  wenn  sie  noch  nicht  erfolgt  gewesen  wäre,  zweifel- 
haft war.  Da  Flavius  bald  starb  und  der  Ritter  Cluvius,  der  seine 
Zahlung  an  Fannius  als  Richter  vermittelt  hatte,  nach  §  47  nicht 
Zeugnis  hierüber  ablegen  durfte,  leugnete  Fannius  den  Empfang 
der  100000  Sesterze  ab. 

Nach  Pfluger  S.  155  untersuchte  der  Schiedsrichter  eigentlich 
nicht,  ob  Roscius  zur  Teilung  mit  Fannius  verpflichtet  sei,  sondern 
riet  einfach  zur  Teilung  unter  der  Bedingung,  daß  der  damalige 
Wert  des  Grundstuckes  auf  nicht  mehr  als  200000  Sesterze  an- 
gesetzt und  Fannius  für  eine  Entschädigung  durch  Flavius  eben- 
falls zur  Teilung  verpflichtet  sei.  Cicero  dagegen  sagt,  Roscius 
sei  freigesprochen  worden  und  Piso  habe  um  Vergütung  für  Fannius 
gebeten  pro  opera  ac  labore,  quod  cognitor  fuisset,  quod  vadimonia 
obisset. 

Da  also  Roscius,  gestützt  auf  eine  durch  zwei  Senatoren  be- 
zeugte Aussage  des  Cluvius,  jede  weitere  Zahlung  an  Fannius  ver-* 
weigerte,  forderte  dieser  76  v.  Chr.  von  ihm  durch  eine  Klage  vor 
dem  Gerichte  desselben  Piso  50000  Sesterze.  Die  Klage  war 
verbunden  mit  einer  sponsio  tertiae  partis.  Ober  die  Bedeutung 
dieser  sponsio  sind  die  Juristen  uneinig.  Sie  konnte  wohl  nur 
vom  Kläger  verlangt  werden,  und  Cicero  wirft  daher  §  12  dem 
Fannius  vor,  er  habe  den  Richter  in  angustissimam  formulam 
sponsionis  eingeengt.  Daraus  schloß  Kariowa,  daß  die  formula 
sponsionis  der  Angelpunkt  unseres  Prozesses  gewesen  sei.  Pflüger 
dagegen  sagt  S.  10:  „Die  sponsio  war  ohne  Zweifel  so  gefaßt,  daß,, 
wenn  der  Beklagte  schuldig  befunden  wurde,  auch  zugleich  die 
Bedingung  der  Sponsion  erfüllt  war,  wogegen  die  Freisprechung 
im  Hauptprozeß  auch  die  Freisprechung  im  Sponsionsiudicium. 
nach  sich  zog".  Ehe  der  Prozeß  eingeleitet  wurde,  mußte  der  Be- 
klagte spondieren;  „denn  vielleicht  ließ  er  sich  durch  die  drohende 
poena  noch  in  zwölfter  Stunde  vom  Prozeß  abschrecken44. 

18* 


276  Jahresberichte  d.  Philelog.  Vereins. 

Aus  Verrine  III  §  135 — 140  geht  hervor,  daß  bei  der  Sponsion 
die  unterliegende  Partei  der  siegenden  die  spondierte  Summe  zu 
bezahlen  hatte.  P.  Scandilius  als  Kläger  nötigt  den  Apronius  als 
Beklagten  zur  Sponsion  um  5000  Sesterze  und  muß  dann  quin- 
que  illa  milia  nummum  dare  atque  adnumerare  Apronio.  Da  also 
die  sponsio  dem  Kläger  ebenso  Nachteil  bringen  konnte  wie  dem 
Beklagten,  so  war  sie  nicht  bloß  eine  Schikane,  um  den  Beklagten 
einzuschüchtern,  sondern  auch  ein  Mittel,  um  ein  genau  bestimmtes 
Verfahren  ohne  Verschleppungen  zu  sichern,  und  wurde  deshalb 
von  Mommsen  (zu  Verr.  V  141  Halm)  mit  dem  modernen  Wechsel 
verglichen.  Der  Richter  entschied  formell  über  die  sponsio;  da- 
durch  wurde  aber  klargestellt,   wie  er  die  Prozeßsache  beurteile. 

§  14  pecunia  petita  est  certa;  cum  tertia  parte  sponsio  facta 
est.  Roscius  versprach  die  tertia  pars  für  den  Fall  des  Unter- 
liegens,  ebenso  Fannius;  die  zwei  partes  tertiae  stritten  gegen- 
einander; cum  scheint  zu  stehen  wie  bei  pugnare,  certare.  Pfluger 
vermutet  S.  10:  cuius  tertiae  partis  sponsio  facta  est.  Richtiges 
Latein  wäre  in  qua  tertiae . . .  est  (vgl.  §  10  in  qua  legitimae  partis 
sponsio  facta  est). 

S.  113  liest  man:  „Man  beachte,  wie  er  jene  Restipulations- 
urkunde  zwar  verlesen,  aber  keinen  Zeugen  darüber  aussagen  läßt". 
Cicero  fragt  ausdrücklich  (§  38):  Quis  est  huius  restipulcUionis 
scriptor,  testis  abiterque?  Antwort:  Tu,  Piso.  Pfluger  behauptet: 
„Piso,  der  die  Stipulation  aufgesetzt  hatte,  wird  damit  nur  als 
Zeuge  des  Wortlautes  der  Stipulation  aufgeworfen,  nicht  ihres  Ab- 
schlusses4'. Dafür  genügte  scriptor;  testis  meint  offenbar,  daß  der 
Richter  Piso  dieses  Versprechen  im  Einverständnis  mit  Fannius 
niederschrieb.  Fannius  leugnete  es  gar  nicht  ab,  und  nach  Pflüger 
konnte  er  es  nicht  leugnen;  denn  er  berief  sich  auf  seine  ad- 
versaria,  „wo  er  Roscius,  natürlich  als  Stipulationsschuldner,  mit 
100000  Sesterzen  angemerkt  hatte".  Ich  glaube  freilich  nicht, 
daß  man  patere  §  5  so  auffassen  darf. 

Das  richtige  Verständnis  unserer  Rede  ist  nur  möglich,  wenn 
man  sich  klar  ist,  daß  der  Richter  nicht  die  Hauptsache  zu  ent- 
scheiden hat,  wie  Pflüger  meint,  sondern  die  Sponsion.  Die 
angustissima  formula  sponsionis  schrieb  dem  Richter  Schritt  für 
Schritt  genau  vor.  Daher  hatte  Cicero  bloß  zu  beweisen,  daß 
Fannius  seine  Forderung  weder  auf  ein  Darlehen  noch  auf  einen 
Literalkontrakt  noch  auf  eine  Stipulation  gründen  könne.  Nun 
hatte  aber  Saturius,  der  Anwalt  des  Klägers,  Dinge  vorgebracht, 
die  hier  nicht  zu  entscheiden  waren.  Darüber  beklagt  sich  Cicero 
§  25:  Der  arbiter  hat  die  Frage,  ob  Roscius  eine  fraus  begangen 
habe,  nicht  definitiv  entscheiden  können;  der  durch  die  formula 
sponsionis  gebundene  iudex  aber  hat  de  ea  re  nullum  arbitrium, 
er  darf  sein  Urteil  hierdurch  nicht  beeinflussen  lassen.  Gleichwohl 
kann  Cicero  die  seinem  Klienten  gemachten  Vorwürfe  nicht  un- 
beantwortet lassen. 


Ciceros  Reden,  voo  F.  Luterbacber.  277' 

Baron  hat  richtig  erkannt,  daß  es  sich  in  §  17 — 56  um 
nichts  anderes  handelt  als  „um  die  Begründung  der  klägerischen 
Forderung  aus  der  Sozietät4',  und  wir  dürfen  über  diese  Ansicht 
keineswegs  mit  Pflöger  S.  117  „zur  Tagesordnung  übergehen". 
Saturius  behauptete  (nach  §  19):  Roscius  socium  fraudavit.  Cicero 
untersucht  1)  qws  quem  §  17—21;  2)  qua  de  causa  §  22—24; 
3)  cur  nm  arbitrwn  pro  socio  adegeris  Q.  Roscium  §  25;  4)  num 
Roscius  pactionem  fecerit  §  25 — 26;  5)  quae  conditio  societatis 
fuerit  §  27—31;  6)  utrum  Roscius  cum  Flavio  de  sua  parte  an 
de  tota  societate  fecerit  pactionem  §  32—51;  7)  num  id,  quod 
Roscius  sibi  exegit,  commune  societatis  factum  sit  §  52—56. 

Aus  Pflugers  Buch  ersehe  ich,  daß  die  Rechtsgelehrten  sich 
über  diese  Rede  viele  unrichtige  Vorstellungen  gemacht  haben. 
Da  Anfang  und  Schluß  der  Rede  fehlen,  §  25  eine  Lücke  bietet, 
Ironie  häufig  und  vieles  einzelne  unklar  ist,  so  muß  man  das  Er- 
haltene wiederholt  mit  gespannter  Aufmerksamkeit  durchlesen, 
um  einen  Einblick  in  den  Gedankengang  zu  gewinnen. 

24)  Emilio  Costa,    Le   orazioni   di   diritto  privato  di  M.  Tullio 
Cicerone.    Bologna  1899,  Ditta  Nicola  Zanichelli.     109  S.     8. 

Dieses  erst  spät  zu  meiner  Kenntnis  gelangte,  von  H.  H.  Pfluger 
nicht  erwähnte  Buchlein  handelt  in  vier  Abschnitten  über  Ciceros 
Reden  pro  P.  Quinctio,  pro  Q.  Roscio,  pro  Tullio  und  pro  Caecina. 
Bei  jeder  Rede  werden  die  vorhandenen  Erklärungsschriften  in 
großer  Zahl  angeführt. 

Für  die  Rede  pro  Quinctio  wurde  das  Oldenburger  Programm 
von  W.  Oetling  (1882;  vgl.  JB.  1883  S.  30—34)  von  Costa  nicht 
benutzt;  im  übrigen  scheinen  mir  seine  Auseinandersetzungen 
richtig. 

Weniger  befriedigt  seine  Abhandlung  über  die  Rede  für 
Quinctius'  Schwager,  den  Schauspieler  Q.  Roscius,  S.  29  —  51. 
Dieser  hatte  nach  Costa  S.  34  dem  Fannius  100  000  Sesterze 
verheißen  'in  seguito  all'  arbitrium  pro  socio,  con  che  parecchi 
anni  innanzi  (quindici,  secondo  i  manoscritti;  quattro  secondo 
l'emendazione  delF  Otomanno)  Faveva  convenuto'.  Man  erstaunt 
über  diesen  unglücklichen  Satz.  Vor  15  (nach  Hotmann  4)  Jahren 
hatte  Roscius  von  Flavius  ein  Landgut  erhalten.  Vor  drei  Jahren 
aber  (§  37)  vermittelte  C.  Piso  zwischen  Fannius  und  Roscius, 
nach  §  26  als  ein  von  den  beiden  Parteien  berufener  arbiter  ohne 
richterliche  Gewalt,  nicht  als  gerichtlich  bestellter  arbiter  pro 
socio  mit  entscheidendem  Urteil. 

Nach  S.  35  verlangte  Fannius  von  Roscius  beim  arbitrium 
50  000  Sesterze  als  die  Hälfte  des  Wertes  der  von  Flavius  dem 
Roscius  durch  Überlassung  des  Landgutes  geleisteten  Entschädigung; 
Piso  aber  riet  dem  Roscius,  er  solle  dem  Fannius  das  Doppelte 
geben  und  ihm  das  Versprechen  abnehmen,  wenn  Flavius  noch 
eine   weitere  Entschädigung   leiste,    solle   sie    beiden  gleichmäßig 


278  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

gehören.  Da  Roscius  hiermit  einverstanden  zu  sein  erklärte,  lief 
Fannius  erfreut  zu  ihm  in  sein  Haus,  dankte  ihm  und  verhalf 
ihm  zur  Freisprechung;  Roscius  aber  zahlte  ihm  nun  doch  nur 
50  000  Sesterze.  Cicero  erklärt  ausdrücklich  §  26,  daß  er  frei- 
gesprochen wurde,  quod  erat  summa  innocentia  et  integritate.  Nach 
§  16  ist  die  Streitsumme  eine  solche,  quae  ex  liberalitate  Roscii 
promissa  sit  et  ostentata.  Costa  vergißt,  daß  hierüber  in  dem 
verlorenen  Schlüsse  ausfuhrlich  gehandelt  wurde. 

Gut  ist  S.  41  der  Hinweis  auf  einen  ähnlichen  Rechtshandel 
bei  Val.  Max.  8,  2,  2:  C.  Aquüius  adhibitis  in  consilium  principibui 
civitatis  erklärte  eine  Stipulation  für  nichtig,  wahrscheinlich  81 
v.  Chr.,  da  C.  Aquilius  Vorsitzender  des  Gerichtes  im  Prozeß  des 
P.  Quinctius  war. 

Unrichtig  scheint  auch  der  Satz  S.  43:  (Nel  caso  di  Fannio, 
gl'  indizi  consistevano  appunto,  secondo  che  questi  asseriva,  nelle 
annotazioni  del  credito  sui  libri  di  terzi'  samt  der  daran  ge- 
knöpften Erörterung.  Baron  meinte  nämlich,  Fannius  habe  be- 
hauptet, daß  seine  Forderung  der  100000  Sesterze  in  die  Ge- 
schäftsbücher des  Perpenna  und  Saturius  eingetragen  sei.  Nach 
Pflüger  S.  105  hatte  Ciceros  Verlangen  nach  Vorlegung  dieser 
Codices  „nur  dann  Sinn,  wenn  Fannius  dergleichen  nicht  be- 
hauptet hatte.  Denn  es  wäre  doch  zu  töricht  von  ihm  gewesen, 
so  etwas  zu  behaupten,  wenn  er  es  nicht  beweisen  konnte.  Konnte 
er  es  aber  beweisen,  so  war  der  Beweis  um  so  leichter  zu  er- 
bringen, als  Perpenna  und  Saturius  beide  gegenwärtig  waren, 
Perpenna  als  rechtlicher  Berater  des  Piso,  Saturius  als  des  Fannius 
Fürsprech.  Darum  ist  es  sehr  unwahrscheinlich,  daß  Cicero  in 
die  Lage  gekommen  sein  sollte,  an  die  Vorlegung  so  wichtiger 
Beweismittel  seitens  des  in  Beweisnöten  befindlichen  Fannius  noch 
erinnern  zu  müssen". 

Die  beiden  langwierigen  Prozesse  des  M.  Tullius  und  des 
A.  Caecina,  die  wir  nur  aus  Ciceros  Reden  bei  den  Schlußverband- 
lungen kennen,  veranschaulichen  die  Mangelhaftigkeit  der  gesetz- 
lichen Ordnung  des  Eigentumsrechtes.  Ist  auch  die  Rede  für 
Tullius  sehr  lückenhaft,  so  sagt  doch  §  7  deutlicher,  als  es  bei 
Costa  geschieht,  daß  das  Rekuperatorengericbt  den  Schaden  be- 
stimmen sollte,  den  ihjn  P.  Fabius  durch  Verwüstung  seines  Be- 
sitzes in  der  Centuria  Populiana  bei  Thurii  zugefügt  hatte.  Ich 
vermisse  bei  Costa  eine  Erklärung  der  Worte  (§  7)  iudicium  dato* 
est  in  quadruplum. 

Die  Auseinandersetzungen  über  die  Rede  pro  Caecina  scheinen 
sorgfaltig  und  überzeugend.  Doch  hätte  das  Interdikt  des  Prätors 
Dolabella,  das  der  Sponsio  des  Aebutius  und  des  Caecina  zugrunde 
lag  und  auf  dessen  buchstäblichen  Sinn  der  Verteidiger  C.  Piso 
sich  versteifte,  genauer  fixiert  werden  können.  Es  hieß  etwa: 
Unde  tu,  Sex.  Aebuti,  vi  hominibus  coactis  armatisve  aut  fawäto 
mit  procurator  tuus  A.  Caecinam  aut  familiam  aut  procuratorem 


i 


Ciceros  Reden,  von  F.  Laterbacher.  279~ 

A.  Caecinae  in  hoc  anno  deiecesti,  eo  restituas.  —  §  19  cum  iste 
sextulam  suam  nimium  exaggeraret,  nomine  heredis  arbitrum  familiae 
kerciscundae  postulavit]  Es  ist  unmöglich,  mit  Costa  S.  80  den 
Caecina  als  Subjekt  bei  postulavit  anzunehmen;  denn  im  folgenden 
Satz  ist  Aebutius  Subjekt,  ohne  daß  er  genannt  oder  durch  ein 
Pronomen  angedeutet  wird.  Es  war  eine  Überhebung  des  Aebutius, 
da  ihm  nur  V73  der  Erbschaft  gehörte,  die  Teilung  per  arbitrum 
zu  fordern.  —  Mit  Costa  gebe  ich  dem  Aebutius  und  seinen  Ver- 
teidigern entschieden  unrecht.  Caesennia  besaß  ein  Gut;  von 
einem  anstoßenden  Gut  gehörte  ihr  der  größere  Teil  durch  ein 
Legat  des  Sohnes,  von  dem  Rest  der  Ususfructus.  Da  ist  es  un- 
glaublich, daß  sie  dieses  ganze  zweite  Gut  verkaufte,  aber  sich 
lebenslänglich  den  Ususfructus  vorbehielt.  Dieser  lebenslängliche 
Besitz  ist  ein  Beweis,  daß  sie  den  Rest  erworben  hatte,  um  für 
Verbesserung  der  Gebäude,  Wege,  Wasserleitungen  freie  Hand  zu 
haben.  Dazu  hatte  Aebutius  bei  ihrem  Tode  unterlassen,  den 
Colonus  in  Kenntnis  zu  setzen  (§  94),  daß  er  der  Eigentumer 
des  Gutes  sei  und  jener  in  keinem  Rechtsverhältnis  zu  Cäcina 
stehe  (S.  102). 

25)  Karl  Hacbtmann,  Die  Verwertung  der  vierten  Rede  Ciceros 
gegen  C.  Verres  (de  signis)  für  Unterweisungen  in  der 
antiken  Kunst  Zweite,  sorgfältig  durchgesehene  Auflage.  Gotha 
1904,  F.  A.  Perthes  Aktiengesellschaft.     XII  u.  64  S.     8.     1,20  Jt. 

Der  Inhalt  dieser  kunstgeschichtlichen  Schrift,  die  1895  als 
Beigabe  zum  Programm  des  Gymnasiums  zu  Rernburg  erschien, 
wurde  in  diesen  JB.  1897  S.  75  skizziert.  Da  die  Schrift  Anklang 
fand  und  bald  vergriffen  war,  so  ist  sie  nun  in  kleinerem  Format 
und  mit  geringen  Änderungen  dem  Buchhandel  übergeben  worden. 
Sie  bietet  den  Lehrern  der  oberen  Gymnasialklassen  ein  treffliches 
Hilfsmittel,  beim  Unterricht  in  der  alten  Geschichte  und  den  alten 
Sprachen  in  den  Schulern  Verständnis  und  Interesse  für  die  antike 
Kunst  zu  erwecken.  Ebenso  können  Studierende  an  Hochschulen 
aus  der  Lektüre  dieser  Rede  Ciceros  unter  Benutzung  der  Schrift 
Hachtmanns  reiche  Belehrung  ziehen.  —  S.  41.  Der  berühmte 
Tempel  von  Ägina,  den  Roß  für  einen  Athenetempel  hielt,  war, 
wie  die  bayerischen  Ausgrabungen  von  1901  erwiesen  haben,  der 
Aphaia  geweiht.  —  S.  44.  Mende  lag  auf  der  Halbinsel  Pallene. 
Kleon  siegte  auf  Sphakleria  425. 

26)  Pra'paration  nebst  Übersetzung  zu  Ciceros  erster  Rede  gegen 
Ka  tili  na.  Von  einem  Schulmann.  Düsseldorf  1903,  L.  Schwannsche 
Verlagshandlang.     70  S.     16.     0,50  ./£. 

Die  Übersetzung  und  Präparation  sind  eine  selbständige  Arbeit, 
doch  nach  einem  veralteten  Text,  zudem  durch  arge  Druckfehler 
entstellt.  Daß  sie  anonym  erschienen,  hat  seinen  Grund  wohl 
darin,  daß  das  kleine  Format  und  der  geringe  Umfang  dem  Schüler 
rinen  den  Lehrern  nicht  erwünschten  Gebrauch  nahelegen. 


280  Jahresberichte  d.  Pbilolog.  Vereins. 

§  1.  sc  iactare  „dahinstürmen;  das  Bild  ist  vom  Rosse  ge- 
nommen". —  §  4.  intercessit  „sie  trat  zwischen  Beschluß  uwi 
Ausführung4'.  —  §  8  noctem  illam  superiorem  „jene  vorletzte 
Nacht",  priore  nocte  „in  der  vergangenen  Nacht".  Die  beiden 
Ausdrucke  sind  synonym:  es  ist  die  Nacht  vom  6. zum  7.  November. 
—  §  20.  non  referam,  id  quod  abhörtet  a  meis  moribus  „Ich  werde 
nicht  berichten,  da  es  meinem  Charakter  widerstrebt".  Der  Sinn 
dieser  Worte  ist  den  Herausgebern  (Halm,  Eberhard,  Hachtmann) 
nicht  klar.  §  2  heißt  es  von  Catilina:  in  senatum  venu,  notat  ü 
designat  oculis  ad  caedem  unum  quemque  nostrum.  Cicero  hatte 
wohl  den  auf  ihn  gemachten  Mordanschlag  abwehren  können;  er 
hatte  Truppen  zur  Verfügung.  Die  Senatoren  dagegen  waren 
gegen  Überfälle  nicht  geschützt.  Wagte  einer  dafür  einzutreten, 
daß  Catilina  in  die  Verbannung  gehe,  so  gab  Catilina  Weisung, 
diesen  Senator  zu  ermorden.  Dem  Cicero  war  es  also  zuwider, 
den  gutgesinnten  Senatoren  unnötigerweise  zuzumuten,  daß  sie 
sich  Catilinas  Zorn  zuziehen  sollten.  —  §  24.  quid  ego  te  Mm 
„coni.  concess.  zum  Ausdruck  einer  Annahme  oder  Voraussetzung". 
Es  ist  Coniunctivus  dubitativus.  —  §  25.  manum  conflatorum  m- 
proborum  ex  perdilis.  Es  soll  heißen:  manum  improbomm  cm- 
flatam  ex  perdüis.  —  §  30.  mollibus  sententiis  „durch  milde  Urteile, 
die  sie  über  ihn  fällten,  wenn  er  angeklagt  war".  Die  Worte 
beziehen  sich  wohl  auf  Verhandlungen  im  Senat,  welche  die  Ver- 
schwörung betrafen. 

27)  Romuald  Banz,  Die  Würdigung  Ciceros  in  Sallnsts  Ge- 
schichte der  catilinarischen  Verschwörung.  Eiosiew* 
1904,  Benziger  &  Co.     23  S.    4. 

Sallust  war  ein  Feind  der  Aristokraten  und  der  Demokraten. 
Er  war  ein  Anhänger  Cäsars  und  blieb  diesem  auch  nach  seine® 
Untergang  ergeben.  Die  republikanische  Verfassung  und  ihr  Ver- 
fechter Cicero  waren  ihm  verhaßt.  Auch  nach  Ciceros  Tode  hat 
er  es  nicht  über  sich  gebracht,  seine  Verdienste  um  den  Staat 
anzuerkennen.  Den  konservativen  Aristokraten  Cato,  der  noch 
heftiger  als  Cicero  den  Cäsar  gehaßt  hatte,  hat  er  verklärt  und 
ins  Reich  der  Ideale  erhoben.  Dem  Cicero  dagegen  erteilt  tf 
nirgends  ein  ehrliches  Lob;  er  setzt  ihn  neben  dem  Hauplhdden 
Catilina  zu  einem  bloßen  Statisten  herab  und  entkleidet  ihn  jeg- 
licher Bedeutung.  Er  führt  ihn  Kap.  22  mit  der  gehässigen  Er- 
innerung an  die  Hinrichtung  der  Catilinarier  und  dem  Vorwurf 
hämischer  Verleumdung  ein  und  läßt  ihn  unmittelbar  nach  ^ 
Schilderung  der  Hinrichtung  und  der  Schrecken  des  Tullianuro* 
vom  Schauplatz  verschwinden.  Er  hat  mehrere  wichtige  BaD"' 
hingen  Ciceros  geflissentlich  übergangen.  Er  verschweigt,  d*0 
Cicero  im  August  63  den  Anschlag  Catilinas  auf  seine  Milbewerber 
um  das  Konsulat  für  62  vereitelte.  Er  erwähnt  nicht,  daß  Cicero 
den  Senat  und  den  Ritterstand  nach  20  jährigem  Hader  versöhn^ 


~* 


---H 


Ciceros  Reden,  von  F.  Luterbacher.  281 

Er  übergeht,  daß  Cicero  am  21.  Oktober  dem  Senat  Aufschlösse 
über  die  Verschwörung  gab,  daß  er  am  28.  Oktober  den  Mord- 
anschlag auf  die  Optima ten,  am  1.  November  die  Überrumpelung 
von  Präneste  verhinderte.  Er  erwähnt  nicht,  daß  Cicero  nach 
dem  Auszuge  Catilinas  durch  die  zweite  catilinarische  Rede  seine 
Anhänger  in  Rom  auf  andere  Gesinnungen  zu  bringen  suchte  und 
daß  er  die  Landstädte  in  Kenntnis  setzte  und  ermahnte.  Nach 
der  Ergreifung  der  Verschwörer  redet  er  nur  vom  Beifall  des 
Pöbels,  aber  nicht  von  der  großartigen  Ehrung  und  dem  mehr- 
tägigen Dankfest,  wodurch  der  Senat  Ciceros  Verdienste  anerkannte. 
Die  vierte  catilinarische  Rede  Ciceros  wird  mit  keiner  Silbe  be- 
rührt, während  dem  Cäsar,  dessen  Anteil  an  der  Unterdrückung 
der  Verschwörung  fraglich  ist,  eine  glänzende  Rede  in  den  Mund 
gelegt  wird.  Sallust  verschweigt  auch,  daß  nach  der  Hinrichtung 
das  Volk  Cicero  als  Vater  des  Vaterlandes  begrüßte,  ihn  im 
Triumph  heimgeleitete  und  dadurch  die  Hinrichtung  hilligte. 

Sodann  hat  er  die  Reihenfolge  der  Begebenheiten  zu  Ciceros 
Ungunsten  gefälscht.  Er  erzählt  die  Versammlung  in  Laecas  Haus 
und  den  Mordanschlag  auf  Cicero  viel  zu  früh,  als  ob  sie  haupt- 
sächlich das  senatus  consultum  ultimum  vom  22.  Oktober  ver- 
anlaßt hätten.  Sie  waren  vielmehr  schuld  an  der  Senatssitzung 
vom  8.  November  und  an  der  ersten  catilinarischen  Rede,  die 
Cicero  nach  Sallust  unbesonnen,  nur  aus  Zorn  oder  Furcht  wegen 
Catilinas  Erscheinen,  gehalten  haben  soll.  Sallust  legt  Catilina 
(gegen  Cic.  Or.  129  obmutuit)  eine  Antwort  bei,  die  er  lange  vor- 
her dem  Cato  gegeben  hatte.  Nach  ihm  hat  Cicero  den  Catilina 
ohne  Veranlassung  gezwungen,  Rom  zu  verlassen  und  Krieg  zu 
beginnen,  während  in  Wirklichkeit  die  erste  und  zweite  catili- 
narische Rede  dem  Catilina  die  Hoffnung  nahmen,  sich  noch  länger 
im  Hintergrunde  halten  zu  können,  Senat  und  Volk  von  ihm 
trennten,  die  Verbreitung  des  Aufstandes  über  Italien  verhinderten 
und  seine  Unterdrückung  erleichterten.  Die  Art,  wie  Sallust  die 
allobrogischen  Gesandten  wegen  der  Verschwörung  mit  Cicero 
verhandeln  läßt,  ist  nicht  glaubwürdig;  Cicero  hat  schwerlich  je- 
mals mit  ihnen  über  diese  Sache  gesprochen,  bis  Murena  sie  ihm 
am  Morgen  des  3.  Dezember  vorführte  (de  domo  134).  Die  Ober- 
gehung  der  Rede  Ciceros  in  der  Sitzung  vom  5.  Dezember  wird 
noch  gesteigert  durch  die  nur  gelegentliche  Berührung  des  An- 
trages von  Nero,  da  es  doch  leicht  war,  die  Reden  in  ihrer  wirk- 
liehen  Folge  (Silanus,  Cäsar,  Cicero,  Nero,  Cato)  vorzuführen. 

Sallusts  Catilina  ist  ein  historischer  Roman,  nicht  ein  eigent- 
liches Geschichtswerk,  wie  schon  die  Gründung  Roms  durch  Äneas 
verrät  (6, 1).  Er  rückt  darin  Cicero  gewaltsam  von  seinem  ge- 
schichtlichen Platze,  entzieht  seinen  wichtigsten  Handlungen  durch 
Umstellung  der  Tatsachen  den  Boden,  verschweigt  seine  Verdienste, 
soviel  er  kann,  und  versetzt  ihm,  wo  er  notgedrungen  von  ihm 
reden   muß,    mit  jedem  Satz  einen  Nadelstich.     Sein  Catilina  ist 


282  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

ein  Meisterstuck  in  der  Kunst,    einen  großen  Gegner  unter   dem 
Scheine  historischer  Treue  erbarmungslos  zu  vernichten. 

Zielinski  glaubt  (S.  813),  daß  Sallust  Kap.  44  den  Lentulus- 
Brief  in  originaler  Fassung  wiedergebe,  Cicero  (III  12)  ihn  klausel- 
gerecht zugestutzt  habe.  Cicero  zitiert  aus  dem  Gedächtnis,  hat 
aber  den  Brief  unmittelbar  vorher  verlesen  hören;  Sallust  schrieb 
20  Jahre  später.  Die  Worte  cogita,  quem  in  locum  sis  progressns 
bei  Cicero  sind  passend.  Die  Worte  fae  cogites,  in  quanta  calami- 
tate  sis  scheinen  nicht  original  zu  sein. 

28)  Friedrich    Cauer,    Ciceros    politisches    Deoken.     Eio   Versach. 

Berlin    1903,    Weidmannsche    Buchhandlung.      VI   u.  148    S.       gr.  S. 
3,60  JC. 

Ober  dieses  Buch  verweise  ich  auf  die  Besprechung  von 
F.  Aly  in  der  Zeitschr.  f.  d.  GW.  1904  Heft  1.  Ohne  Cauers  Buch 
zu  kennen,  hat  Banz  sich  ober  die  Sache  folgendermaßen  ge- 
äußert: „Cicero  hatte  auch  politische  Wandlungen  durchgemacht. 
Näher  betrachtet  zeigen  sie  sich  freilich  nicht  sowohl  als  Ände- 
rungen in  seinen  Grundsätzen,  denn  vielmehr  als  Ruckschläge  der 
Schwankungen  inmitten  der  ihn  umgebenden  Parteien.  Seine 
Gesinnung  blieb  unentwegt  die  gleiche.  Denn  was  er  wollte, 
immer  und  überall,  war  das  Wohl  des  Vaterlandes  und  dessen 
historische  Grundlage,  die  republikanische  Verfassung.  Seine  Partei 
waren  die  boni,  die  Freunde  des  Vaterlandes,  ob  er  sie  nun  unter 
den  Demokraten  oder  Aristokraten  zu  suchen  hatte . . .  Wie  er 
die  politische  Laufbahn  betritt,  droht  Sullas  Militärherrschaft  im 
Bunde  mit  den  aristokratischen  Koterien  die  alte  Freiheit  zu 
brechen;  und  kühn  nimmt  Cicero  seinen  Platz  unter  den  eifrigsten 
Demokraten.  Und  wie  diese,  zum  Siege  gelangt,  kein  Maß  kennend 
die  Verfassung  im  Chaos  einer  allgemeinen  Anarchie  zu  begraben 
sich  anschicken,  sehen  wir  ihn  an  der  Spitze  einer  von  ihm  ge- 
bildeten konservativen  Mittelpartei,  und  als  diese  dem  Demagogen- 
tum  gegenüber  sich  zu  schwach  erweist,  in  den  Reihen  des  Senates, 
der  eben  noch  bekämpften  Aristokratie.  Während  des  Bürger- 
krieges unentschieden,  neigt  er  sich  nach  dessen  Austrag  zu  Cäsar, 
solange  er  hofft,  dieser  werde  die  republikanische  Freiheit  wieder 
herstellen;  gezwungen,  seinem  Traume  zu  entsagen,  bricht  er 
entschieden  mit  dem  Usurpator  und  endet  als  dessen  erklärter 
Feind  und  Gegner4'. 

29)  Albert  tirumme,    Kritisches    und    Exegetisches    zo   Ciceros 

Sestiana.     Gera  1902.     8  S.     4. 

§  6  liest  Halm  nach  Mommsen:  duobis  hü  gravissimis  <suroma«) 
antiquitatis  vitis  sie  probatus  fuit.  Grumme  billigt  die  Einfügung 
des  Wortes  summae,  verwirft  aber  gravissimis  als  Glossem  tu 
summae  antiquitatis.  Besser  gefällt  mir  Weidners  Lesung:  gravis- 
simis antiquae  severitatis  viris.    Das  Substantiv  antiquitatis  scheint 


*i 


Giceros  Reden,  von  F.  Luterbacher.  283 

unhaltbar.  —  §  15  möchte  Grumme  lesen:  fuerat  ille  annus  tarn 
(funestus)  in  re  publica,  iudices,  cum  (vgl.  §  59  ittius  funesti  anni). 
Er  sucht  nachzuweisen,  daß  das  Jahr  58  v.  Chr.  gemeint  sei. 
Dann  sind  aber  die  Worte  „jenes  Jahr  war  bereits  unheilvoll  ge- 
wesen41 unpassend,  da  erst  der  Satz  mit  cum  die  verderblichen 
Begebenheiten  erwähnt  (und  zwar  offenbar  Vorfalle  aus  dem 
Jahre  59).  Deshalb  las  Koch:  funestus  ille  annus  tarn  impendebat 
rei  publicae.  Ich  sehe  keinen  andern  Ausweg  aus  diesen  Schwierig- 
keiten, als  daß  man  unter  ille  annus  das  vorher  besprochene  Jahr 
verstehe,  63  v.Chr.,  da  Sestius  Quästor  war  (§  8 f.).  —  §  15 
quod  ilü  nefarius . . .  parum  se  foedus  violaturum  arbitratus  est] 
Das  Wort  foedus  ist  auffallend  weit  von  dem  dazugehörigen  quod 
entfernt.  Grumme  hält  es  für  überflüssig  und  fehlerhaft.  Wenn 
aber  auch  im  vorhergehenden  die  Maßnahmen  des  Pompeius  gegen 
Clodius  als  cautio,  foedus,  exsecratio  bezeichnet  sind,  können  sie 
doch  wohl  hier  in  dem  Begriff  foedus  zusammengefaßt  werden. 
Dieses  Wort  empfiehlt  sich  als  Objekt  zu  violare  (den  Vertrag 
verletzen).  Das  einfache  quod  ist  kein  passendes  Objekt  zu  viola- 
turum und  ein  unklarer  Begriff,  wenn  auch  Grumme  richtig  an- 
gibt, daß  es  die  Worte  hunc  Cn.  Pompeius  omni  cautione,  foedere, 
exsecratione  devinxerat  nihil  in  tribunatu  contra  me  esse  facturum 
zusammenfassen  wurde.  —  §  18  sollen  die  Worte  tamquam  fretu 
ad  columnam  nach  Grumme  interpoliert  sein.  Gabinius  wurde 
Tribun,  ne  in  Scyllaeo  Mo  aeris  alieni  tamquam  fretu  ad  colum- 
nam adhaeresceret,  damit  er  nicht,  um  mich  so  auszudrucken,  in 
jenem  Scyllastrudel  der  Schulden  an  der  columna  Maenia  hangen 
bleibe.  Tamquam  bezeichnet  Scyllaeum  fretum  als  eine  kühne 
Übertragung:  die  den  Gabinius  verfolgenden  faeneratorum  greges 
werden  mit  den  Hundsköpfen  der  Scylla  verglichen.  Adhaeresceret 
kann  nicht  mit  in  Scyllaeo  (an  dem  Scyllafelsen)  verbunden 
werden,  sondern  nur  mit  ad  (vgl.  Acad.  2,  8  tamquam  ad  saxum, 
adhaerescunt).  —  §  19.  Piso  erschien  capillo  ita  horrido,  ut  Capua 
. . .  Seplasiam  sublaturus  videretur.  Nach  Grumme  „wird  dies  der 
Sinn  der  Stelle  sein :  Wenn  man  in  Capua  den  Mann  mit  seinem 
ungepflegten,  struppigen  Haar  sah,  so  konnte  man  meinen,  er 
wolle  die  ganze  Sepiasische  Straße,  d.  h.  alle  dort  befindlichen 
Parfümerievorräte  —  so  viel  schien  er  nötig  zu  haben  —  aus 
Capua  mit  fortnehmen4'.  —  §  27  quem  enim  deprecarere,  cum 
omnes  essent  sordidati  cumque  hoc  satis  esset  signi  esse  improbum, 
qui  mutata  veste  non  esset?  Hierzu  bemerkt  Halm:  omnes  seil. 
boni.  Grumme  hält  für  notwendig,  hont  in  den  Text  zu  setzen. 
Omnes  (jedermann)  steht  übertreibend,  um  die  Minderheit  als  eine 
geradezu  verschwindende  zu  bezeichnen,  wie  §  25  omnes  omnium 
generum  atque  ordinum  cives,  §  26  vestem  mutandam  omnes  putarunt, 
Liv.  21,  18,  13.  Ebenso  hat  Hirschfelder  §  8  et  omnibus  optimus 
civis  videretur  (so  P*G)  die  Änderung  et  bonis  omnibus  (cod.  det. 
et  vobis  omnibus)    nötig    erachtet.  —    §  34    empfiehlt  Grumme: 


284  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

isdemque  consulibus  (coniventibus)  arma  in  templum  Castorfs  palw 
comportabantur.    Die  Spielerei,  zwei  Wörter  nacheinander  mit  cor 
oder  überhaupt  mit  der  gleichen  Silbe  zu  beginnen,  ist  unrömisd 
Die  Meinung  der  Herausgeber,    daß  hier  ein  Partizip  fehle,  teile 
ich  nicht.    Man  lese  doch  den  Satz  zu  Ende:  nullius  erat  serutius, 
nihil  reliqui  magistratus  etc.  —  §  36  rechtfertigt  Grumme  die  von 
Eberhard  und  Halm   aufgenommene  Ergänzung  Fr.  Richters:  tw 
parato  (ordine  equestri).     „Der  Ritterstand   hatte   sich   der  Sachj 
Ciceros    in    ganz  hervorragender  Weise  angenommen   (vgl.  §  25. 
26,  27,  29,  38).     In  Rucksicht  darauf  mußte  Cicero   hier  neben 
dem  Senate,  den  boni  und  Italien  auch  den  Ritterstand  erwähnet 
Durch  Nichter  wähnen    des  Ritterstandes   hätte  er  die  Richter  ao> 
diesem  Stande  geradezu  vor  den  Kopf  gestoßen.4'  —  §  41  (Poro- 
peium)  domi  meae  certi  homines  ad  tarn  rem  positi  monuerwti  «f 
esset  cautior,  eiusque  vitae  a  me  insidias  apud  me  dornt  positas  esst 
dixerunt.    Grumme  meint,  domi  sei  nach  apud  me  überflüssig  und 
lästig    und    darum    zu    tilgen.     Es    kennzeichnet    die  Entrüste 
Ciceros    über    diese    elende  Verleumdung.  —    §  44   semel  ptrirt 
maluissem   quam    bis   vmcere.      Bouterwek    erklärt:    perire]  M 
bürgerlichen  Tod  erleiden44.    Aber  es  handelt  sich  um  den  Kampf 
mit   den  Waffen,    also   um  den   physischen  Tod.     Halms  richtig 
Erklärung    zu    pereundum    wird    von    Grumme    irrtümlich  „wffl 
politischen  Tod"  verstanden.  —  §  54.  statim  me  perculso  ad  fW* 
sanguinern  hauriendum . . .  advolavemnt.    An  demselben  Tage,  ® 
dem  Cicero  Rom  verließ,    wurde    die  Rogation    des  Clodius  an* 
genommen,  d.  h.  bildlich:  sobald  er  getroffen  war,  eilte  man  her- 
bei, um  sein  Blut  zu  vergießen.    Dies  ist  der  konstante  Sinn  & 
Worte  sanguinern  haurire.    Grumme  übersetzt:  um  mein  Blut  fl 
verschlingen.     Da  aber   nicht   von  Tieren   die  Rede  ist  und  k«fl 
Römer  je  das  Blut  seines  Gegners  getrunken  hat,   so  konnte  dtf 
Zuhörer    den  Worten    nicht    diesen  Sinn    beilegen.  —  Zu  §  "* 
§  13 — 15  war  vom  Tribunat  des  Sestius  im  allgemeinen  die  Bede; 
die    Ausführung    im    einzelnen    beginnt   aber    erst    §  72  n#& 
magislratum  tribuni plebis.  Dazwischen  ist  Kap.  7 — 32  eine  Digression 
über   das  Jahr  58   eingeschoben    und  §  70  die  Wahl   der  neuen 
Magistrate  erwähnt.     §  71  ist  von    einer  Reise  die  Rede,  *** 
Sestius  als  designatus  zu  Cäsar  machte;  tribunus  ergänzt  sich  an- 
dern Zusammenhange  von   selbst.     Die  Betrachtungen  über  ^ 
Reise  sind    unterbrochen  durch  den  Satz:    ingredior  tarn  »  &*» 
tribunatum;   nam  hoc  primum  iter  designatus  rei  publica*  W* 
suseepit.     Grumme   bemüht   sich,    diese  Interpolation  als  echt  n 
erweisen.  —   §  77  illo  Cinnano  atque  Octaviano  die]   Halm  "° 
Bouterwek  verstehen  hier  zwei  Tage  und  glauben,  daß  die  beide» 
Adjektiva  gegen  die  chronologische  Ordnung  stehen:  1)  Cn.Od&t** 
consul  armis  expulit  ex  urbe  collegam  (in  Cat.  3,24;  dies  Octarjafltf>| 
2)  superavit  postea   Cinna  cum  Mario.     Grumme  (mit  Eberhard 
bezieht  die  Worte  nur  auf  den  ersten  Tag.     Er  meint,  der  w 


■\ 


Ciceros  Reden,  voo  F.  Luterbacher.  285 

die  nötige  uns,  nur  an  einen  Tag  zu  denken.  Aber  der  Plural 
ist  doch  nicht  möglich;  die  Worte  bedeuten:  Mo  Cinnano  die  atque 
Mo  Octaviano  die.  Grumme  sagt  ferner:  Das  Blutbad  nach  Marius' 
und  Cinnas  Ruckkehr  fand  an  fünf  Tagen  statt.  Das  hindert 
nicht,  hier  den  Tag  zu  verstehen,  an  dem  Octavius  erschlagen 
wurde.  Daß  aber  Cicero  die  Reihenfolge  der  Tage  umkehre, 
glaube  ich  nicht.  Es  scheint  mir,  daß  dies  Cinnanus  der  Tag  sei, 
an  dem  Cinnas  Leute  erschlagen  wurden,  dies  Octavianus  der 
Todestag  des  Cn.  Octavius.  —  §  78.  Der  Satz  gladiatores . . .  cfe- 
fendere  ist  an  Clodius  gerichtet,  nicht  an  Albinovanus,  wie  Grumme 
meint.  Die  Erklärungen  Halms,  die  Grumme  nicht  erwähnt,  lassen 
darüber  keinen  Zweifel  übrig. 


30)  Ciceros  Rede  für  Marcus  Caelius  Rufus,  übersetzt  von  W.  Binder. 
Zweite  Auflage,  revidiert  voq  H.  Uhle.  Berlin  1904,  Langenscheidtsche 
Verlagsbuchhandlung.     53  S.     8.     0,35  JC. 

Eine  Einleitung  gibt  über  Caelius3  Leben  Auskunft.  Leider 
wurde  der  treffliche  Artikel  über  Caelius  von  Müuzer  in  der 
Encyklopädie  von  Pauly-Wissowa  III  Sp.  1266—1272  hierfür  nicht 
benutzt.  Seine  Geburt  wird  nach  Plinius  ins  Jahr  82  gesetzt; 
Münzer  nimmt  88  oder  85  als  Geburtsjahr  an.  Sein  Untergang 
fiel  ins  Jahr  48  v.  Chr.  Uhle  gibt  falsch  50  v.  Chr.  als  Todesjahr 
an.  Seine  Heimat  war  nach  §  5  das  municipium  inlustre  ac  grave 
der  praetorium.  Uhle  setzt  mit  Klotz  Praenestini,  aber  Präneste 
war  von  Sulla  in  eine  Kolonie  verwandelt  worden.  Zudem  wurde 
Cicero  nicht  netnini  umquam  praesenti  Praenestini  maiores  honores 
habuerunt,  sondern  nemini  praesenti  umquam  Praenestini  gesagt 
haben,  um  die  beiden  Wörter  mit  prae  zu  trennen.  Der  Anfang 
prae  ist  also  falsch.  Puteoli  und  Pompei  waren  ebenfalls  Kolonien. 
Münzer  entscheidet  sich  für  TusculanL  Für  toriani  schreibe  ich 
Formiani.  In  der  uralten  Lästrygonenstadt  Formiae  war  also 
Caelius  Mitglied  des  amplissimus  ordo  (nach  §  5),  des  Gemeinde- 
rates; Rom  und  Formiae  waren  seine  gewöhnlichen  Aufenthalts- 
orte. So  versteht  man  nun  Cic.  Epist.  8,17,1,  wo  Caelius  be- 
dauert, bei  Ciceros  Abreise  zu  Pompeius  in  Spanien  gewesen  zu 
sein  statt  zu  Formiae.  Formiae  war  bis  188  v.  Chr.  eine  prae- 
fectura,  wie  Arpinum  und  Fundi.  188  wurde  der  Ort  der  tribus 
Aemilia  zugeteilt  (Liv.  38,  36,  9)  und  war  nun  ein  municipium, 
wie  Arpinum  (Cic.  de  leg.  III  36;  Mommsen  Staatsrecht  III  797). 
Die  heimischen  Beamten  in  Formiae  waren  drei  Ädilen.  Danach 
verstehe  ich  die  Worte  ea  non  petenti  detulerunt,  quae  multis 
petentibus  denegarunt  so,  daß  Caelius  in  Formiae  Ädil  ge- 
wesen war. 

Die  Übersetzung  ist  sinngetreu  und  gut.  Das  Verständnis 
des  Inhalts  wird  außerdem  durch  63  Anmerkungen  gefördert. 


286  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

31)  Hermann    JNohl,    Schiilerk ommeotar    zn    Ciceros    Rede    für 

T.  Annios  Milo.    Leipzig  1905,  G.  Frey  tag.    52  S.    8.    steif  brosch. 
0,60  Jt. 

Schon  in  seiner  Schulausgabe  dieser  Rede  hat  Nohl  "durch 
eine  Einleitung  und  einen  Anhang  zur  Erklärung  der  Eigennamen 
und  schwieriger  Stellen  Hilfsmittel  zu  ihrer  Interpretation  geboten. 
Hier  gibt  er  nun  in  kurzer  Fassung  die  übrigen  für  den  Schüler 
nötigen  Wort-  und  Sacherklärungen. 

§  19  in  templo  Castorfs]  Die  Notiz  sollte  sieben  Zeilen  früher 
(§  18)  stehen.  —  §  25  „Die  Collina  war  die  jüngste  Tribus". 
Sie  war  eine  der  vier  städtischen  und  ältesten.  —  §  33  lutnen 
curiae  „weil  seine  Klugheit  und  Geschäftskenntnis  vielfach  von 
Senatoren  und  Beamten  benutzt  wurde14  (fehlt  bei  Halm).  — 
66.  „Cäsar  wohnte  als  Pontifex  Maximus  in  der  Regia",  befand 
sich  jedoch  seit  58  in  Gallien  (damals  in  Oberitalien,  BG.  7,  1). 
—  §  98.  Es  sollte  erklärt  werden,  daß  vom  18.  Januar  bis  zum 
8.  April  102  Tage  sind  (Halm  S.  11),  daß  dies  die  Zeit  vom  jul. 
8.  Dezember  53—19.  März  52  sei. 

32)  Th.  Wetzel,    Präparation    zu    Ciceros  Rede    für   Q.  Ligarias. 

Leipzig  1903,  B.  G.  Teubner.     12  S.     8.     0,30  JC. 

„Von  der  Etymologie  und  Grundbedeutung  ausgehend,  stellte 
der  Verfasser  die  gebräuchlichsten  Bedeutungen  zusammen;  der 
Schuler  hat  so  noch  reichlich  Gelegenheit,  durch  eigenes  Besinnen 
die  passende  Bedeutung  zu  linden'4.  Ein  Lexikon  scheint  daneben 
kaum  nötig.  —  §  1  omnis  oratio  ad  müericordiam  tuam  confercnda 
est]  „als  was  kündigt  Cic.  selbst  mit  diesen  Worten  seine  Rede 
an?"  Diese  und  andere  Fragen  scheinen  mir  nicht  in  ein  Prä- 
parationsheft zu  gehören.  —  §  11.  Der  Ankläger  bezweckt,  ut 
Ligarius  necetur.  Dies  ist  prodigii  simile.  Die  Angabe  „Wunder- 
zeichen, Wunder"  genügt  nicht;  prodigium  ist  eine  Verimmg  der 
Natur,  eine  Ungeheuerlichkeit.  —  §  35  „der  Dienst,  den  Q.  Ligarius 
als  Quästor  geleistet  hat".  Die  Worte  de  huius  illo  quaestorio 
officio  beziehen  sich  auf  Titus  Ligarius. 

33)  Th.  Wetzel,    Präparation    zu    Ciceros    Rede    für    deo    Kö'oig 

Deiotarus.     Leipzig  1903,  B.  G.  Tenboer.     16  S.     8.     0,30  JL. 

Die  Vokabeln  sind  reichlich  aufgeführt,  so  daß  das  Büchlein 
vielfach  zur  Wiederholung  des  bei  Cäsar  und  Livius  erworbenen 
Wortschatzes  beiträgt.     Die  Anordnung  ist  zweckmäßig. 

§  11.  senatus  consentientis  auctorüate  arma  sumptä]  Nach 
Wetzel  ist  senatus  auctoritas  ein  „Beschlus  des  Senats,  aber  noch 
ohne  Beitritt  der  Volkstribunen,  dagegen  senatus  consultum  der 
vollgültige,  durch  Beitritt  der  Volkstribunen  sanktionierte  Beschluß". 
Wetzel  meint  also,  daß  ein  senatus  consultum  von  sämtlichen 
Volkstribunen  unterzeichnet  war;  nach  Mommsen  (Staatsrecht  1 ' 
2S1)  genügte  es,  daß  kein  Tribun  intercedierte.    Cäsar  sagt  über 


■\ 


Ciceros  Reden,  von  F.  Loterbacher.  287 

diese  auctoritas  BC.  1,  5,  3:  decurritur  ad  illud  extremum  atque 
ultimum  senatus  consultum.  Mir  scheint  es,  daß  es  Cicero  nicht 
darum  zu  tun  sei,  die  dem  Deiotarus  gemachte  Meldung  als  dem 
geschichtlichen  Hergang  (nach  Eberhard)  oder  den  Regeln  des 
römischen  Staatsrechts  entsprechend  hinzustellen,  sondern  daß  er 
einfach  consenlientis  consulto  als  übelklingend  vermied. 


c)  Anhang:    Quintus  Cicero. 

Als  M.  Cicero  nach  seiner  Prätur  66  darauf  bedacht  war,  das 
Konsulat  für  63  zu  erlangen,  soll  sein  etwa  vier  Jahre  jüngerer 
Bruder  Quintus  gegen  Ende  65,  da  er  pleb.  Ädil  war,  eine  Schrift 
de  petitione  consulatus  an  ihn  gerichtet  haben.  Die  Echtheit  dieser 
Schrift  ist  vielfach  bestritten  worden  (vgl.  Gurlitt  in  Bursians 
Jahresberichten  1898,  Band  97,  S.  2 — 4);  sie  wird  auch  neuer- 
dings geleugnet  von 

George  Lincoln  Hendrickson,  The  Commen tari oluin  petitionis 
attributed  to  Qnintus  Cicero.  Authenticity,  rhetorical  form, 
style,  text.  Reprint  from  the  University  of  Chicago  Decennial  Publi- 
cations,  Vol.  VI,  p.  1—26.     Chicago,  Illinois,  1903.     28  cents. 

Q.  Cicero  war  62  Prätor  und  verwaltete  darauf  die  Provinz 
Asien;  im  Jahre  60  wurde  ihm  diese  Provinz  auf  ein  drittes  Jahr 
übertragen,  obwohl  über  seine  Verwaltung  mancherlei  Klagen  laut 
geworden  waren.  In  dem  Briefe  ad  Quintum  fratrem  I  1  teilt 
ihm  sein  Bruder  Marcus  diese  Verlängerung  seines  proprätorischen 
Amtes  mit  und  gibt  ihm  Ratschläge  für  eine  glücklichere  Amts- 
führung. 

Hendrickson    hat    sich    nun  die  Ansicht  gebildet,    das  unter 
dem    Namen    des    Q.  Cicero    erhaltene    Schriftchen   de    petitione 
consulatus  sei  eine  von  einem  jungen  Rhetor  zu  ungewisser  Zeit 
verfaßte  Suasorie,  und  dieser  Rhetor  habe  für  sie  die  Form  eines 
Briefes  des  Q.  Cicero  an  seinen  Bruder  gewählt,    um   ein  Seiten- 
stück  zu  dem  Briefe  ad  Quintum  fratrem  I  1   zu    bieten:    „the 
Commentariolum    is  the  work  of  some   rhetorical  Student,    who 
chose   the  epistolary  form   in   which  to    write  a   suasoria   which 
should  be  a  counterpart  to  Cicero's  first  letter  ad  Quintum  fratrem". 
Als  im  Jahre  64  Catilina  und  Antonius,  Ciceros  Mitbewerber 
um  das  Konsulat,   die  Ruhe  des  Staates  durch  offene  Gewalt  ge- 
fährdeten,   beschloß  der  Senat,    dem  Volke  ein  schärferes  Gesetz 
de    ambitu    vorzulegen;    aber  der  von  Catilina  und  Antonius  be- 
stochene   Tribun    Q.  Mucius    Orestinus    erhob  Einsprache    gegen 
diesen  Senatsbeschluß.     Bei    der  Verhandlung    über    diese  Inter- 
cession   hielt  Cicero   seine  Rede  'in   toga  Candida1,   von  der  sich 
bei  Asconius  Bruchstücke  finden.    Er  deckte  das  schmähliche  Vor- 
leben des  Catilina  und  Antonius  auf  und  verteidigte  das  Ansehen 
des    Senates    und    der    Optimaten.     Die    Bruchstücke    der    Rede 


288  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

zeigen  einige  Anklänge  an  die  Schrift  de  petitione  consulatus,  und 
zwar  in  gleicher  Folge. 

a)  Quintus  sagt  von  Antonius  §  8:  vocem  audivimus  iurantis 
se  Romae  iudicio  aequo  cum  homine  Graeco  certare  non  posse.  Dem 
entsprechen  bei  Marcus  die  Worte :  qui  in  sua  civitate  cum  peregrino 
negavit  se  iudicio  aequo  certare  posse.  Ein  peregrinus  könnte  auch 
ein  Gallier,  Spanier,  Afrikaner,  Ägypter,  Asiate  sein;  homo  Graecus 
ist  der  genauere  Ausdruck.    Ebenso  ist  iurantis  genauer  als  negavit. 

b)  Quintus  schildert  §  10  die  Ermordung  des  M.  Marius  durch 
Catilina.  Macus  erwähnt  sie  kürzer  und  ohne  den  Namen  des 
Gemordeten:  cum  inspectante  populo  Collum  secuit  hominis  maxime 
popularis. 

c)  Quintus  sagt  §  10  von  Catilina:  qui  nullum  in  locum  tarn 
sanctum  ac  tarn  religiosum  accessio  in  quo  non,  etiamsi  aliis  culpa 
non  esset,  tarnen  ex  sua  nequitia  dedecoris  suspicionem  relinqueret. 
Bei  Marcus  liest  man:  ita  vixisti,  ut  non  esset  locus  tarn  sanctus, 
quo  non  adventus  tuus,  etiam  cum  culpa  nulla  subesset,  crimen 
afferret.  Bei  Quintus  ist  der  Verletzung  religiöser  Gebräuche 
(aliis  culpa)  bestimmter  als  bei  Marcus  die  Unsittlich k ei t  Catilinas 
gegenübergestellt. 

d)  Quintus  sagt  §  8 :  Catilina  et  Antonius . . .  ambo  a  pueritia 
sicarii.  Er  hofft,  Marcus  werde  den  Sieg  aber  einen  dieser  Mit- 
bewerber um  das  Konsulat  davontragen:  §  12  quis  enim  reperiri 
potest  tarn  improbus  civis,  qui  velit  uno  suffragio  duas  in  rem 
publicam  sicas  destringere?  Die  Dolche  sind  die  des  Catilina  und 
Antonius;  niemand  will  diese  beide  gegen  die  res  publica  zücken, 
indem  er  durch  eine  einzige  Stimmabgabe  beiden  Männern  zum 
Konsulat  verhilft.  Hendrickson  nimmt  Anstoß  daran,  daß  die 
Worte  uno  suffragio  aus  dem  bildlichen  Ausdruck  herausfallen: 
„the  antithesis  of  uno  suffragio  with  duas  sicas  destringere  falls 
out  of  the  figure  in  puerile  fasbion".  Mir  scheint,  der  bildliche 
Ausdruck  werde  durch  die  Worte  uno  suffragio  nicht  gestört, 
sondern  in  passender  und  notwendiger  Weise  verständlich  ge- 
macht. —  Marcus  sagt:  posteaquam  Mo,  quo  conati  erant,  Hispa- 
niensi  pugiunculo  nervös  incidere  avium  Romanorum  non  potuerunt, 
duas  uno  tempore  conantur  in  rem  publicam  sicas  destringere. 
Einige  Männer  (Cäsar  und  Crassus)  hatten  durch  eine  Verschwörung 
unter  Beteiligung  des  Cn.  Piso  auf  den  5.  Februar  65  non  con- 
sulibus  modo,  sed  plerisque  senatoribus  pemiciem  bereitet  (Sali. 
Ca t.  18, 7).  Da  ihr  Anschlag  mißlungen  war,  wurde' Piso  als 
quaestor  pro  praetore  nach  Spanien  geschickt.  Er  oder  sein  Dolch 
heißt  daher  „jenes  spanische  Stilett".  Da  die  Verschwörer  mit 
diesem  nichts  ausrichten  konnten,  wollen  sie  nun  die  zwei  Dolche 
des  Catilina  und  Antonius  gegen  den  Staat  zücken;  nach  Asconius 
werden  Catilina  und  Antonius  selbst  als  Dolche  bezeichnet.  Der 
Gegensatz  pugiunculo  nervös  incidere  civium  Romanorum  und  duas 
uno  tempore  in  rem  publicam  sicas  destringere  ist  rhetorisch  wirksam 


i 


Ciceros  Reden,  von  F.  Luterbacher.  289 

durchgeführt.  Wenn  nun  aber  H.  es  für  einleuchtend  hält,  daß 
dieser  Gegensatz  das  Ursprungliche  und  die  Wendung  uno  suffragio 
duas  in  rem  pubticam  sicas  destringere  erst  davon  hergenommen 
sei,  so  scheint  es  mir,  daß  letztere  Wendung  auch  für  sich  allein 
verständlich  ist  und  recht  wohl  die  Hinzufügung  eines  entgegen- 
gesetzten Gliedes  erst  veranlaßt  haben  kann. 

Über  die  Bewerbung  um  das  Konsulat  spricht  auch  Cicero 
in  der  Rede  für  Murena  §  43 — 50.  Nach  Hendrickson  kann  ge- 
zeigt werden,  daß  einzelne  Gedanken  und  Ausdrucke  in  der  Schrift 
de  petitione  consulatus  nur  im  Lichte  dieser  Rede  ganz  verständ- 
lich sind:  It  can  be  shown  that  certain  ideas  and  certain  ex- 
pressions  in  the  Commentariolum  are  intelligible,  or  fully  intelligible, 
only  in  the  light  of  the  oration  pro  Murena.  Quintus  ermahnt 
den  Marcus  §  55,  seine  Mitbewerber  von  Bestechungen  abzu- 
schrecken durch  die  Furcht,  daß  sie,  wenn  sie  infolge  von  Be- 
stechung gewählt  wären,  vor  Gericht  gezogen  werden  würden. 
Er  sagt:  fac,  ut  se  abs  te  custodiri  atque  observari  sciant.  Dies  hat 
Marcus  getan,  so  daß  er  in  der  Rede  'in  toga  Candida'  das  Treiben 
seiner  Milbewerber  schildern  konnte.  Quintus  fahrt  fort:  atque 
haec  ita  volo  te  Ulis  proponere,  non  ut  videare  aecusationem  tarn 
meditari,  sed  ut  etc.,  Marcus  soll  nicht  den  Anschein  erregen,  daß 
er  wirklich  an  eine  Anklage  denke,  sondern  bewirken,  daß  von 
den  Mitbewerbern  keine  größere  Bestechung  verübt  werde  oder 
daß  sie  nutzlos  sei.  Hendrickson  vermißt  eine  Begründung  zu 
den  Worten  non  ut  videare  aecusationem  meditari;  sie  ist  selbst- 
verständlich, da  Marcus  grundsätzlich  keine  Anklage  führte  (außer 
gegen  Verres).  In  der  Rede  pro  Murena  §  43  findet  sich  eine 
Erklärung,  wie  ein  Bewerber  mit  aecusandi  terrores  ac  minae  sich 
selber  schade.  Hendrickson  meint,  der  Verfasser  der  Schrift  de 
petitione  habe  diese  zutreffende  Begründung  im  Sinne  gehabt. 
Mir  scheint  umgekehrt,  wenn  er  sie  gekannt  hätte,  würde  er  sie 
irgendwie  angedeutet  haben. 

Quintus  redet  §  43  von  der  assiduüas  bei  der  Bewerbung. 
Zwar  ist  es  schon  vorteilhaft,  während  dieser  Zeit  beständig  in 
Rom  zu  sein;  doch  ist  es  noch  besser,  unablässig  bei  den  Bürgern 
um  ihre  Stimme  zu  werben,  so  daß  keiner  sich  zurückgesetzt 
fühlen  kann:  Prodest  quidem  vehementer  nusquam  discedere;  sed 
tarnen  hie  fruetus  est  assiduitatis9  non  solum  esse  Romae  atque  in 
foro,  sed  assidue  petere,  saepe  eosdem  appellare  etc.  —  Mit  dieser 
Stelle  bringt  Hendrickson  ungehörigerweise  pro  Mur.  21  in  Be- 
ziehung: M.  Cicero  und  Servius  Sulpicius  haben  nach  der  Prätur 
keine  Provinz  verwaltet,  sondern  in  Rom  dem  Anwaltsberufe  ob- 
gelegen. Durch  diese  assiduitas  gelangte  Cicero  bei  der  ersten 
Bewerbung  zum  Konsulat,  Servius  nicht.  Dem  Cicero  war  es 
nützlich,  daß  das  Beliebtsein  auf  den  Augen  beruht:  mihi  quidem 
vehementer  expediit  positam  in  oculis  esse  gratiam,  sed  tarnen... 
utrique   noslrum   desiderium   nihil   obfuisset.     Die    beiden    Stellen 

Jahresberichte  XXX  T.  19 


290  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereint. 

haben   freilich    die  Wörter   assiduüas,   qmdem   vehementer mtd 

tarnen  gemeinsam.  Hendrickson  meint  daher  irrtumlich,  was  Marcus 
speziell  von  sich  sage,  sei  im  Commentariolum  als  allgemeine 
Behauptung  hingestellt;  es  ist  aber  an  den  beiden  Orten  von  ver- 
schiedenen assiduitates  die  Rede,  und  Marcus  hält  das  diseedere 
(d.  h.  das  desiderium)  für  nicht  nachteilig. 

Quintus  sagt  §  17,  bei  der  Bewerbung  um  das  Konsulat  sei 
auch  die  Liebe  der  tribules,  vicini,  clientes,  liberti,  servi  nützlich; 
nam  fere  omnis  sermo  ad  foren&em  famam  a  domesticis  enummt 
auctoribus.  Marcus  sagt  pro  Caelio  §  6:  mens  hie  forensis  labar 
vitaeque  ratio  dimanavit  ad  existimationem  hominum  paulo  latiuz 
tommendatione  ac  iudicio  meorum.  Nach  Hendrickson  wurde  die 
Stelle  im  Commentariolum  geschrieben  in  Erinnerung  an  diesen 
Passus  der  Rede  pro  Caelio;  der  Begriff  tnei  ist  jedoch  erweitert, 
und  fere  omnis  sermo  sagt  doch  mehr  als  paulo  latius.  Zwei  zu- 
sammen aufgewachsene  Bruder  durften  doch  gelegentlich  ähnliche 
Gedanken  aussprechen. 

Horaz  schreibt  Sat.  1,3,58:  Hie  fugit  omnes  Insidias  nullique 
malo  latus  obdit  aperlumy  Cum  genus  hoc  inter  vitae  versetur,  übt 
actis  lnvidia  atque  vigent  ubi  crimina;  pro  bene  sano  Ac  non  tn- 
eauto  fictum  astutumque  voeamus.  Nach  Hendrickson  hatte  der 
rhetorical  Student  of  uncertain  date  diese  Verse  im  Sinne,  als  er 
$  54  schrieb:  Video  esse  magni  consilii  atque  artis  (=  hominis 
bene  sani  ac  non  incauti)  in  tot  hominum  cuiusque  modi  oitüs 
tantisque  versautem  vitare  offensionem,  vitare  fabulam,  vitare  m- 
sidias.  Ebenso  soll  Publilius  469  pars  benefici  est,  quod  petüwr  si 
belle  neges  Anlaß  gegeben  haben  zu  der  Ausführung  über  das 
belle  negare  §  45—46. 

Nach  Hendrickson  ist  die  Schrift  de  petitione  consulatus 
nichts  weiter  als  eine  Schulübung,  wie  die  Epislula  Sallustü  ad 
Caesarem  senem  de  re  publica.  Sie  hat  nicht  die  strenge  Form 
einer  Suasoria:  'Deliberat  M.  Cicero,  an  consulatum  petat';  aber 
sie  hat  den  Zweck,  zu  raten,  und  entspricht  im  ganzen  den  Regeln, 
die  Quintilian  3,  8, 15  f.  für  die  Suasorien  gibt.  Ebenso  entspricht 
die  streng  durchgeführte  Einteilung  dem  Charakter  der  Suasorien ; 
dagegen  stimmt  sie  weniger  zur  Form  eines  Briefes.  Der  Ver- 
fasser nennt  denn  auch  seine  Schrift  nicht  epütula,  sondern  §  50 
oratio,  §  58  commentariolum,  ein  Regelheft,  dem  eine  Bedeutung 
für  längere  Zeit  zukommen  soll  als  einem  Brief,  wie  Marcus  solche 
führte  (de  or.  1,  5).  Er  will  es  nach  dem  Rate  des  Bruders 
möglichst  vollkommen  gestalten;  es  soll  also  wohl  nicht  bloß  eine 
rhetorische  Übung  sein,  sondern  veröffentlicht  und  von  dem  Ver- 
fasser bei  seiner  eigenen  Amtsbewerbung  befolgt  werden.  Die 
Annahme,  daß  unsere  Schrift  ein  Gegenstück  zu  dem  Briefe  ad 
Quintum  fratrem  1  1  sein  sollte,  scheint  unbegründet  und  un- 
zutreffend. Ebenso  ist  die  Meinung,  daß  der  Verfasser  die  Rede 
'in  toga  Candida'  als  Quelle  benutzt  habe,  unhaltbar.    Schon  oben 


i 


Cieeros  Reden,  von  P.  Luterbacher.  291 

wurde  gezeigt,  daß  die  Sätze,  welche  in  erster  Linie  aus  jener 
Rede  stammen  sollen,  genauere  Angaben  enthalten,  als  in  der 
Rede  standen.  Auch  werden  Pakta  erwähnt,  für  die  in  jener  Rede 
kein  Raum  war.  Z.  R.  §  19  heißt  es:  hoc  biemio  quatluor  sodalitates 
homnum  ad  ambitionm  gratiosiisimorum  tibi  oHigasti,  M.  Fundarm, 
Q.  Gallii,  C.  Corneln,  C.  Orchivu:  herum  in  causis  ad  te  deferundis 
quid  tibi  eerwro  sodales  receperint  et  conftrmarint,  seio;  mm  tnter- 
fui.  Das  hat  Cicero  doch  wohl  nicht  im  Senate  gerühmt,  da  die 
Häupter  des  Senates  gegen  C.  Cornelius  als  Belastungszeugen  auf- 
getreten waren  (Q.  Metellus  Pius,  L.  Lucullus,  Q.  Hortensius, 
M\  Lepidus  nach  Val.  Max.  VIII  5,  4).  Die  Behauptung  interfui 
ist  nicht  bloß  Fiktion  eines  Rbetors;  sie  wird  beglaubigt  durch 
die  Richtigkeit  der  Notiz  über  Q.  Gallius.  Auf  diesen  war  in  der 
Rede  *  in  toga  Candida'  hingedeutet  ohne  Nennung  des  Namens. 
Asconius  bemerkt  dazu:  Q.  Gallium,  quem  postea  reum  ambitus 
defendity  significare  videtur;  hie  enm,  cum  esset  praetnrae  candidatus, 
dedit  gladiatores  sub  titulo  patri  se  dare.  Q.  Gallius  leitete  65  als 
Prätor  die  Verhandlung  über  C.  Cornelius.  Sein  Ambitusprozeß 
muß  also  gegen  Ende  66  stattgefunden  haben.  Während  der 
sorgfaltige  Asconius  im  Anschluß  an  die  Rede  'in  toga  Candida* 
mit  den  Worten  quem  postea  defendit  irrt,  ist  der  Autor  von  de 
petitione  wohl  unterrichtet. 

Aber  in  dem  unklaren  und  kaum  richtig  überlieferten  §  33 
soll  (nach  Mommsen,  Staatsrecht  III  484  A.  3)  ein  Anachronismus 
stecken:  *a  dirtmetion  js  made  between  the  equiles  proper  and 
the  young  men  who  are  classed  with  them  in  the  centuriae  eqtti- 
t«m\  Es  ist  die  Rede  von  den  18  centuriae  equitnm  equo  publico, 
die  65  v.  Chr.  noch  bestanden  und  für  sich  stimmten  (v.  Doma- 
zewski  bei  Pauly-Wissowa  III  1957;  Mommsen,  Staatsrecht  IM 
S.  292).  Dazu  geborten  seit  Sullas  Diktatur  namentlich  die  dienst- 
pflichtigen Söbne  4er  Senatoren  (Mommsen  S.  486).  Zu  diesen 
worden,  um  die  Zahl  1800  zu  erreichen,  junge  Ritter  hinzugefügt. 
Im  Jahre  70  hatten  die  Zensoren  L.  Gelliue  und  Cn.  Lefftulus  die 
Ritterliste  festgestellt;  an  sie  hatte  der  Konsul  Pompeius  sein 
Staatspferd  abgegeben,  weil  er  die  gesetzlichen  Feldzöge  gemacht 
habe  (Plut.  Pomp.  22).  Von  diesen  Ritter cen tu rien,  die  aus  jungen 
Memern  (adukscenhtk)  bestanden,  tttfterscheidet  §  33  den  equester 
ordo,  die  viel  zahlreicheren  Titalarrftter  aus  ganz  Italien,  die  den 
Zensus  von  400  000  Sesterzen,  aber  kein  Staatspferd  hatten  trnd 
in  ihren  Tribus  stimmten.  Es  sind  hauptsächlich  die  Pnblicaäi, 
die  Cicero  wohlgesinnt  waren  (de  imp.  Pomp.  4)  und  nach  §  33 
die  Rittercenturien  für  ihn  gewannen.  Die  Einwendung  Mommsen«: 
„hier  werden  die  in  den  centuriae  equitum  stehenden  jungen 
Leute  bestimmt  durch  die  auetoritas  des  equester  ordo,  während 
doch  eigentlich  jene  den  equester  ordo  bilden"  ist  nicht  ganz  zu- 
treffend, da  die  adulescentuli  keineswegs  allein  den  equester  ordo 
bildeten.     Da  es  in  der  Kaiserzeit  keine  andern  Ritter  mehr  gab 

19* 


292  Jahreiberichte  d.  Philolog.  Vereint. 

als  equites  equo  publico,  so  wurde  damals  ein  Fälscher  kaum  auf 
diese  in  §  33  gemachte  Unterscheidung  verfallen  sein,  während 
sie  dem  Q.  Cicero,  der  den  Zensus  vom  Jahre  70  mitgemacht  und 
sich  selbst  bereits  um  Ämter  beworben  hatte,  nahelag.  Stern- 
kopf, der  Hendricksons  Abhandlung  in  der  Berl.  Phil.  WS.  1904 
Sp.  265—272  und  296—301  eingehend  besprochen  hat,  meint: 
„Diese  jungen  Leute  sind  andere  als  die  vorher  erwähnten  equites, 
mit  denen  sie  Mommsen  nur  dadurch  identifiziert,  daß  er  das 
überlieferte  deinde  in  et  inde  verwandelt"  (Staatsrecht  III  497). 
Mir  scheint  Mommsen  die  Stelle  richtig  aufgefaßt  zu  haben,  ob- 
wohl die  Änderung  et  inde  unbegründet  ist. 

Die  Schrift  de  petitione  consulatus  ist  nüchtern  und  trocken. 
Leo  meinte,  von  rhetorischem  Stil  sei  darin  keine  Spur.  Deshalb 
fuhrt  H.  rhetorische  Wendungen  und  Antithesen  vor  und  zeigt 
durch  Untersuchung  der  Klauseln,  daß  der  Verfasser  auf  rhythmische 
Effekte  achtete.  Sternkopf  dagegen  findet  in  dem  Commentariolum 
einen  Mangel  an  rhetorischen  Elementen. 

Zum  Schlüsse  bespricht  H.  einige  Stellen  des  Textes,  für  den 
wir  zwei  Hss.  haben,  den  Cod.  Erfurtensis  und  den  von  Bährens 
1879  verglichenen  Cod.  Harleianus,  den  Müller  1898  zuerst  für 
seine  Ausgabe  benutzte.  —  §  6  praeterea  adulescentes  nobile*  elabora 
ut  häbeas  vel  ut  teneas  studiosos  quos  habet  vermutet  H.  velut  fettes. 
—  §  9  educatus  in  sororis  stupris]  E  bietet  sororum,  H  sorore 
mit  der  Korrektur  sororum,  die  in  den  Text  zu  setzen  ist.  — 
§  12  nequaquam  sunt  tarn  gener e  insignes  quam  vitiis  nobiles  wurde 
insignes  von  Bucheler  ohne  Grund  eingeklammert.  —  §  23  terthm 
iUud  genus  est  studiosorum  voluntarium  „jene  dritte  Art  der  Dienst- 
beflissenen ist  eine  freiwillige"  wird  von  den  Herausgebern  ver- 
ändert; H.  vermutet:  studiosum  voluntate.  —  §  24  schlägt  er  vor: 
hos  ut  internosca*  omnis  curato  ne  (Hss.  catumniatores).  —  §  33 
liest  er:  denique  (Hss.  deinde)  hohes  tecum  ex  iuventute  Optimum 
quemque  et  studiosissimum  humanitatis;  tum  autem,  quod  equester 
ordo  tuus  est,  sequentur  alii  (Hss.  Uli)  auctoritatem  ordinis. 

Ich  finde  mit  Sternkopf,  daß  durch  Hendricksons  Ausführungen 
die  Unechtheit  des  Commentariolums  nicht  wahrscheinlich  ge- 
worden sei.  An  seine  Echtheit  glaube  ich  auch  wegen  §10,  wo 
es  von  Catilina  heißt:  ex  curia  Curios  et  Annios,  ab  atrüs  Sapalas 
et  Carvilios,  ex  equestri  ordine  Pömpilios  et  Vettios  sibi  amicisstmos 
comparavit.  Daß  diese  sechs  Männer  als  Catilinas  beste  Freunde 
genannt  werden,  erklärt  sich  daraus,  daß  die  Schrift  vor  der  Ver- 
schwörung verfaßt  wurde.  Sallust  nennt  nur  die  beiden  ersten, 
Q.  Curius  und  Q.  Annius.  Woher  sollte  ein  Fälscher  die  vier 
andern  genommen  haben?  Daß  sie  von  Livius  (Buch  102)  er- 
wähnt wurden,  ist  mir  nicht  wahrscheinlich.  In  den  atria  Licioia 
hatten  die  praecones  ihren  consessus  (pro  QuincL  12). 

Burgdorf  bei  Bern.  Franz  Luterbacher. 


v 


7. 

Tacitus 

(mit  Ausschluß  der  Germania). 

Ober  das  Jabr  1904/1905. 


I.   Ausgaben. 

1)  P.  Cornelias  Tacitus  erklärt  von  Karl  Nipperdey.  Erster  Band: 
Ab  excessu  Divi  Augnsti  I — VI.  Zehnte,  verbesserte  Auflage, 
besorgt  von  Georg  Andresen.  Berlin  1904,  Weidmaansche  Buch- 
handlung.   443  S.     8.     3  JC. 

Die  einschneidendste  Änderung,  welche  die  neue  Auflage  in 
der  Einleitung  aufweist,  trifft  das  Verhältnis  des  Plutarch  zu 
Tacitus.  Ich  bin  in  dieser  Frage  der  Auffassung  gefolgt,  welche 
Fabia  in  einer  für  mich  überzeugenden  Weise  vertreten  hat,  und 
habe  den  Konsequenzen  Ausdruck  gegeben,  welche  diese  Ent- 
scheidung für  die  Gesamtfrage  der  Quellenbenutzung  des  Tacitus 
mit  sich  bringt.  Auch  in  der  Frage  der  Bücherzahl  der  Annalen 
und  der  Historien,  sowie  des  Schlußpunktes  des  ersteren  Werkes 
habe  ich  mich  an  Fabia  angeschlossen.  Ferner  ist  der  Abschnitt, 
in  welchem  dem  Vorwurf  entgegengetreten  wird,  daß  Tacitus, 
namentlich  in  der  Geschichte  des  Tiberius,  die  Ereignisse  tendenziös 
gefärbt  und  entstellt  habe,  modifiziert  worden.  Als  Konsulatsjahr 
des  Tacitus  gilt  jetzt  wieder  unbestritten  das  Jahr  97:  dieser 
Wendung  hat  sich  die  neue  Auflage  gefügt.  Endlich  bringt  die 
Einleitung  eine  Reihe  von  Zusätzen  verschiedenster  Art  und  ver- 
mehrt die  Literaturnachweise  um  die  wichtigsten  Erscheinungen 
der  neuesten  Zeit. 

Die  Textgestaltung  ist  wiederum  erheblich  konservativer  ge- 
worden. Von  den  eckigen  Klammern  habe  ich  befreit  die  Worte 
aut  gaudium  116,  erat . . .  pramere  II  33,  inter  intimos  aviae  et 
IV  12  (jedoch  bin  ich  der  Schwierigkeiten,  welche  diese  Worte 
dem  Zusammenhange  bereiten,  nicht  Herr  geworden);  auch  habe 
ich  das  von  Nipperdey  IV  3  vor  q\äa  getilgte  et  wiederhergestellt. 
Nach  den  Spuren  der  Handschrift  habe  ich  1  34  seque  et  proximos 
et  Belgarum  civitates  und  III  44  an  et  Sacrovirum  geschrieben, 
ferner  I  35  und  II  17  die  von  Nipperdey  eingeschobenen  Wörter 
obtrent  und  m  (vor  campis)  gestrichen  und  I  41  et  externae  fidei 


294  Jahresberichte  des  Philolog.  Vereins. 

(nach  Siesebye;  s.  JB.  XXX  S.  356),  III  66  propolluebat,  VI  22 
sectam  (in  Halms  kritischem  Apparat  schreibe  'sectas  Wurm*) 
wiederhergestellt  und  I  75  causam  (Med.  causa)  in  causas,  das  sich 
aus  sachlichen  und  paläographischen  Gründen  empfiehlt,  geändert. 
1  8  habe  ich  Morawskis  Konjektur  visu,  IV  28  Madvigs  Vorschlag 
vinctus  peroranli  filio  pater  comparatur  in  unveränderter  Form 
aufgenommen.  Die  jetzt  gewählten  Namensformen  Faianius  I  73 
statt  Faianius,  Vulcacius  IV  43  st.  Vulcatius,  Lucanius  Latiaris  IV 
68.  71.  VI  4  st.  Latinius  Latiaris  haben  ihre  Rechtfertigung  bereits 
in  der  Prosopogr.  Imp.  R.  gefunden;  die  Namen  Cietae  st.  CUtae 
VI  41  und  Lepcttani  st.  Leptitani  III  74  (s.  JB.  XXX  S.  358)  sind 
in  schriftlich  sicher  gestellt.  Ab  habe  ich  (im  Anschluß  an  Noväk) 
)  19.  33.  II  62.  VI  3.  29  (an  allen  fünf  Stelleu  ist  ad  aberliefert) 
in  a,  ex  VI  13  in  e  (Med.  et)  geändert.  Mehrfach  habe  ich  die 
Orthographie  der  Handschrift  hergestellt,  z.  B.  in  den  Worten 
Hispanienses  I  3,  afluentia,  III  30,  ufrulique  VI  37,  in  den  Namen 
Polio  I  12,  Treveri  III  40.  42.  44.  46,  Bruttedius  III  66.  —  Eine 
neue  Konjektur  habe  ich  nur  an  einer  Stelle  gewagt:  II  8  ausurum 
st.  ausum,  ohne  sie  in  den  Text  zu  setzen. 

Im  Kommentar  ist  manches  umgestaltet  worden,  z.  B.  die 
Anmerkungen,  welche  die  Person  des  lunius  Blaesus  I  16,  Cn. 
Lentulus  27,  Libo  Drusus  II  27,  Memmius  Regulus  V  11  und 
Furius  Camillus  VI  1  betreffen,  meist  auf  Anregung  der  Prosopogr. 
http.  R.  Die  Änderung  der  Anmerkung  zu  exoita  cohorte  III  41 
geht  auf  Hirschfeld  zurück.  Hier  und  da  habe  ich  es  für  nötig 
gehalten,  eine  Erklärung  einzufügen,  z.  B.  zu  insuper  IV  60,  ot> 
cessere  VI  7.  Änderungen  der  Erklärung  findet  man  111:  Dis- 
position der  Satzglieder  in  den  Worten  quantum  civium  etc., 
I  30:  Auffassung  von  pramntia,  32  convulsos,  II  5  prompt** 
ipsis  possessionem,  43  Druso  proavus,  46  vagas,  53  vetera  warum 
facta  dictaque,  III  33  quadraginta  und  44  sexaginta  (nicht  runde 
Zahlen),  57  praeceperant,  IV  51  partae  victoriae  qpet,  VI  1  sasoa  H 
sclüudinem,  VI  15  saepius.  —  Die  inschriftlichen  Zitate  sind,  wo 
dieses  noch  nicht  geschehen  war,  bis  auf  den  letzten  Rest  auf 
das  CIL.  reduziert;  grammatische  und  lexikalische  Nachweise,  die 
mir  z.  T.  von  Heraeus,  Wolff  und  John  freundlichst  zur  Verfugung 
gestellt  worden  waren,  dem  Kommentar  in  großer  Zahl  eingefugt 
worden.  Der  Umfang  des  Bandes  ist  infolgedessen  um  13  Seiten 
gewachsen. 

Angezeigt  Gymuasium  1905  S.  181  und  Süd  westdeutsche 
Schulblätter  1905  S.  140  von  R.  Hennesthal;  ferner  von  Th.  Stangl, 
Berl.  phil.  WS.  1905  Sp.  887—895  (Stangl  gibt  einige  kleine  Be- 
richtigungen und  Nachträge  zu  den  sprachlichen  Teilen  des  Korn* 
mentars,  deren  Ausbeutung  er  durch  Anfügung  eines  General- 
registers an  die  sechste  Auflage  des  zweiten  Bandes  zu  erleichtern 
empfiehlt.  Dann  wendet  er  sich  zur  Textgestaltung,  die  er  noch 
konservativer  zu  gestalten  rät.    XIV  48, 19  stecke  in  gut  in  insuU 


^ 


Tacitus,  von  G.  Aodreaen.  295 

nicht  quin  in  insula  ((die  leidigste  aller  Kakophonien'),  sondern 
quin  insula;  denselben  Ablativ  habe  man  XIII  8, 11  quae  Cappadma 
hiemabant.  III  66, 12  sei  Walthers  proluebat  die  beste  Hilfe.  Die 
orthographischen  Formen  derunt  IV  35, 10,  conuderant  I  30, 15, 
compo$($)were  IV  32,  4  seien  nicht  mit  den  gebräuchlichen  zu  ver- 
tauschen. Die  zuletzt  genannte  Form  befremde  grammatisch  nicht 
mehr  ab  an  derselben  Stelle  die  Ausdrücke  scriptum,  ingentia, 
memorabant,  in  arto,  inglorius  lexikalisch.  II  53, 1  sei  Urtio  nicht 
zu  beanstanden:  hier  widmet  Stangl  der  Geschichte  des  Gebrauchs 
der  Formen  auf  -o  neben  denen  auf  -um  eine  eingehende  Be- 
sprechung. Auch  an  Gato  Caesare  ter  consule  Agr.  44, 1  dürfe 
man  sich  nicht  stoßen.  Mit  Unrecht  schiebe  man  VI  45,  4  ea 
nach  munifieenUa  ein  [Stangl  konnte  nicht  wissen,  daß  in  der 
Handschrift  ea  von  erster  Hand  am  Rande  hinzugefügt  ist]  und 
XIV  53, 13  tuae  nach  munificentiae;  vgl.  II  87, 5  dwmas  occupationes 
ohne  ettis.  Endlich  sei  auch  II  62, 10  poslremum  im  Sinne  des 
klassischen  po$tremo  richtig.  Klassizistische  Einförmigkeit  der 
Darstellungsmittel  sei  dem  Tacitus  am  wenigsten  zuzutrauen); 
von  E.  Wolff,  WS.  f.  klass.  Phil.  1905  Sp.  289—294  (W.  bedauert, 
daß  ich  in  der  Quellenfrage,  insonderheit  in  der  Frage  des  Ver- 
hältnisses zwischen  Plutarch  und  Tacitus  mich  durch  Fabias  Be- 
weisführung habe  überzeugen  lassen;  auch  mag  er  nicht  glauben, 
daß  die  Geschichte  Neros  die  sechs  letzten  Bücher  der  Annalen 
umfaßt  habe.  Hit  den  Wiederherstellungen  der  handschriftlichen 
Lesart  ist  er  einverstanden.  IV  12  habe  Job.  Müller  mit  seiner 
Konjektur  atdae  statt  amae  das  Richtige  getroffen;  IV  34  sei  in 
opibusque  das  que  zu  streichen.  II  8  sei  ausum  unbedenklich,  da 
Drusus  sich  ja  bereits  mitten  in  der  Expedition  befinde.  Auch 
trügt  die  Anzeige  eine  Anzahl  treffender  Parallelstellen  nach);  von 
Pb.  Fabia,  Rev.  de  phil.  XXIX  S.  66;  Bull.  bibl.  et  ped.  du  Mus.  b. 
IX  S.  81 '). 

2)  Tacite.  LesAnnales,  traduction  ooavelle  mise  an  courant  des  travaux 
receot«  de  la  philologie  par  L.  Loiseau.  Preface  de  J.  A.  Hild. 
Paris  1905,  Garoier  freres.     XII  u.  698  S.     8. 

In  der  Vorrede  gibt  Hild  an,  in  welchen  Punkten  die  vor- 
legende Obersetzung  ihm  denen  von  Burnouf  und  Dureau  de  la 
Malle  überlegen  zu  sein  scheint.  Kurze  Fußnoten,  teils  historisch» 
intiquarischen,  teils  textkritischen  Inhalts  begleiten  die  Über- 
setzung. Eine  bestimmte  Ausgabe  liegt  ihr,  wie  es  scheint,  nicht 
zugrunde.     Aber  der  Text,    den  Loiseau  wiedergibt,   ist  durchaus 


l)  Io  der  Pitt  press  series  ist  Taeitus  Historie!  boolt  III  by  Walter 
\  Sammers  erschienen,  nach  dem  Urteil  von  E.  T.,  Rev.  crit.  1905,  9 
>.  179,  vgl.  F.  T.  Richards,  Clnss.  Rev.  1905  S.  229,  eine  gute  Schulausgabe. 
—  Voo  G.  Decias  Agricola- Ausgabe,  Torino,  Loescher  (s.  JB.  XV  S.  22S) 
iegt  die  zweite  Auflage  vor.  Vgl.  die  Aozeige  von  Giov.  Ferrara,  Riv.  di 
ilol.  1905  S.  406. 


296  Jahresberichte  d.  Philolog.  Verein«. 

veraltet.  Man  macht  diese  mit  der  im  Titel  enthaltenen  Be- 
hauptung in  Widerspruch  stehende  Beobachtung  am  schnellsten, 
wenn  man  die  Schreibung  der  Eigennamen,  wie  sie  dem  Ober- 
setzer vorlag,  ins  Auge  faßt.  Er  hat  nicht  nur  lulios  I  10r 
Clitarum  VI  41,  Sofonium  Tigeüinum  XIV  51,  sondern  auch  Appn- 
leiam  Variliam  II  50  und  C.  Lutorium  Priscum  III  49  vor  sich  ge- 
habt Auch  andere  textkritische  Erkenntnisse  der  neueren  Zeil 
sind  ihm  verborgen  geblieben.  So  erklärt  sich  z.  B.  die  Schwierig- 
keit, die  ihm  der  Satz  spe  victoriae  inducti  sunt  ut  vincerentitr 
II  52  bereitet.  Er  gibt  ihn  so  wieder:  (on  leur  donnait  l'esperance 
d'une  victoire  pour  les  pousser  ä  une  lutte  dans  laquelle  ils 
devaient  succomber'. 

Als  zusammenhängende  Probe  der  Obersetzung  wähle  ich 
II  13:  'Au  commencement  de  la  nuit,  il  sort  de  l'äugural  par 
une  porte  secrete,  ignoree  des  sentinelles.  Accompagne  d'une 
seule  personne,  les  epaules  couvertes  d'une  peau  de  böte  sau  vage, 
il  parcourt  les  avenues  du  camp,  s'arrete  aupr&s  des  tentes,  et 
goüte  le  plaisir  de  s'entendre  celebrer.  L'un  vantait  l'illosire 
naissance  du  general,  Pautre  son  air  marlial,  la  plupart  son  courage 
ä  supporter  les  fatigues,  son  affabilite,  son  humeur  toujours  egale, 
aussi  bien  dans  les  occupalions  serieuses  que  dans  les  amusements 
frivoles;  tous  se  promettaient  de  lui  temoigner  leur  reconnaissance 
sur  le  champ  de  bataille,  d'immoler  ä  sa  vengeance  et  ä  sa  gloire 
les  parjures  et  les  violateurs  de  Ja  paix.  Sur  ces  entrefaites  Tun 
des  ennemis  qui  connaissait  la  langue  latine  pousse  son  cheval 
jusqu'ä  la  palissade,  et,  ä  haute  voix,  promet,  au  nom  d'Arminius, 
des  femmes,  des  terres  et  cent  sesterces  par  jour  tant  que  durera 
la  guerre,  ä  ceux  qui  deserteraient.  Cette  insulte  enflamme  la 
col&re  de  nos  soldats'  etc. 

Auch  wer  dieser  Obersetzung  das  Lob  der  Korrektheit  und 
Gewandtheit  im  allgemeinen  nicht  versagt  und  davon  absieht,  daß 
am  Schlüsse  die  alte  Lesart  incendit  (statt  mtendü)  wiedergegeben 
ist,  wird  manche  Einzelheit  anfechtbar  finden,  z.  B.  die  Auffassung 
der  Worte  per  occulta  et  vigilibus  ignara  und  die  Deutung  der 
Begriffe  decorem  und  pattentiam. 

Angezeigt  Bev.  de  l'instr.  publ.  en  Belg.  XL  VI  II  S,  116  von 
Jules  Feller  (F.  zeigt  an  einigen  Beispielen,  wie  L.  die  Obersetzung 
von  Burnouf,  die  ihm  als  Grundlage  diente,  retuschiert  hat)  und 
Class.  Bev.  1905  S.  126  von  F.  T.  Bichards,  der,  nachdem  er  die 
schier  unüberwindliche  und  auch  von  L.  nicht  überwundene 
Schwierigkeit  einer  Obersetzung  des  Tacitus  hervorgehoben  hau 
unrichtig  hinzufügt:  (M.  Loiseau  has  however  tbe  benefit  of  the 
latest  corrections  of  the  latin  text\ 

3)  Anzeigen  älterer  Ausgaben:  Müller-Christ,  Historien 
(JB.  XXIX  208):  Blatt,  f.  d.  GSW.  1905  S.  70  von  G.  Amnion; 
Knaut,  Hist.  I  (JB.  XXIX  206):  Boll.  di  fil.  class.  XI  S.  83  von  V. 


Tacitus,  Vott  G.  Andresen.  297 

(der  Text  stehe  nicht  ganz  auf  der  Höbe  der  bis  jetzt  erreichten 
Ergebnisse  der  handschriftlichen  Forschung);  Knaut,  Hist.  II 
(JB.  XXX  314):  N.  phil.  Rundsch.  1904  S.  569  von  E.WolfT  (ähn- 
liches Urteil  in  milderer  Form;  die  Anzeige  enthält  außerdem 
eine  bemerkenswerte  Rechtfertigung  der  handschriftlichen  Lesart 
nam  eos  quoque  Otho  praefecerat  23,  18);  Heraeus,  Hist.  1.  Bd. 
5.  Aufl.  (JB.  XXX  315):  Berl.  phil.  WS.  1905  Sp.  694  von  Th.StangL 
(die  Verteidigung  der  Überlieferung  I  2  haustat  aut  obrutae  urbes 
fecundtmma  Campaniae  ora,  et  urbs  incendiis  vastata  gibt  Stangl 
Gelegenheit  zu  einer  Sammlung  ähnlicher  Wiederholungen  von' 
Wörtern  bei  Tacitus,  unter  Hinweis  auf  Nipperdeys  Note  zu  I  81. 
1  1  übersetzt  er  pluribus  modis  'auf  mehr  als  eine  Weise'.  I  6. 
sei  dux  Neronis  vielleicht  soviel  als  ' Berater  des  Nero',  vgl.  VI  48 
Macrone  duce  =  'unter  der  Einwirkung  des  M.'.  Auch  bespricht, 
er  die  Pluralia  tabernacula  ducis  II  29  (vgl.  Verg.  Aen.  I  469  Rhesi 
tentoria),  ora  singultu  quatiens  III  10  und  datis  mitibm  responsis 
Ann.  IV  47);  Ramsay,  Annais  I— VI  translated  (JB.  XXX  317): 
Athenaeum  3987  S.  397,  und  Class.  Rev.  1904  S.  407  von 
E.  Harrison  (die  Übersetzung  sei  gut  und  nutzlich,  obgleich  an 
einzelnen  Stellen  minder  gelungen.  Die  Anzeige  enthält  ferner 
einige  neue  Auffassungen,  z.  B.  daß  die  Worte  quamquam  trili 
sanguine  I  76  nicht  eine  Milderung,  sondern  eine  Verschärfung 
des  gegen  Drusus  gerichteten  Tadels  enthalten  ('to  rejoice  in 
bloodshed  is  bad,  and  to  rejoice  in  cheap  bloodshed  is  worse'): 
III  55  sei  per  nomen  (among  his  namesakes1,  V  8  aegritudine 
animi  (in  a  faint'  zu  übersetzen);  Weidner-Lange,  Auswahl 
3.  Aufl.  (JB.  XXX  320):  Wurtt.  Korr.  1905  S.  105  von  F.  Knapp 
(empfehlend)  und  WS.  f.  klass.  Phil.  1905  Sp.  46  von  Tb.  Opitz- 
(die  neue  Bearbeitung  durch  R.  Lange  gereiche  der  Auswahl  zum* 
Vorteil;  ihr  wichtigster  Vorzug  sei  die  Gestaltung  des  Textes,  ob-* 
gleich  nicht  jede  Lesart  gebilligt  werden  könne);  Rossr,  Ann.  XV: 
(JB.  XXX  321):  Riv.  di  filol.  1905  S.  406  von  Giov.  Ferrara 
(empfehlend);  Joa.  M öller,  Ann.  vol.  Is,  ed.  minor  (JB.  XXX  323): 
Blatt,  f.  d.  GSW.  1905  S.  70  von  G.  Ammon,  Rev.  de  phil.  XXIX 
S.  67  von  Ph.  Fabia  und  N.  phil.  Rundsch.  1905  S.  5  von  E.  Wolff 
(wohlwollende  Beurteilung  der  Textgestaltung;  besonders  hervor- 
gehoben zu  werden  verdient  die  Empfehlung  der  Döderleinscbero 
Konjektur  ubi  vivamus  XIII  56  und  die  Ablehnung  der  Einfügung 
von  fortunam  II  73  hauptsächlich,  weil  es  nicht  ratsam  sei,  die 
von  Tacitus  regelmäßig  zusammengestellten  Begriffe  formam  und 
aetatem  voneinander  zu  trennen). 

II.  Tacitus  als  Schriftsteller. 

4)  Willy   Bauer,  Die  Verfasser-  und  Zeitfrage  des  dialogus   de 
oratoribus.     Progr.  Hattiugen-Rubr  1905.     91  S. 

Diese  auf  umfassender  Literaturkenntnis  beruhende,  gewandt 
geschriebene  Abhandlung,    zu   deren  Abfassung  die  Publikationen 


298  Jahresberichte,  d.  Pkilolog.  Vereins. 

von  Gudeman,  Norden,  Leo,  John  und  Kaisei*  die  Anregung  ge- 
geben haben,  bringt  zwar  kaum  einen  neuen  Gesichtspunkt,  der 
für  die  Entscheidung  ins  Gewicht  fallen  könnte,  wird  auch  in 
ihren  Ergebnissen  und  in  der  Art,  wie  diese  erreicht  werden,  für 
manchen  nicht  überzeugend  sein,  ist  aber  nutzlich  zur  Orientierung 
über  die  immer  noch  nicht  abgeschlossene  Entwicklungsgeschichte 
des  Problems. 

Nachdem   B.  die    zugunsten   der  Autorschaft  des   Quintiliao 
oder   Plinius  vorgebrachten  Gründe    widerlegt  und    den    fiktiven 
Charakter  des  Gesprächs  festgestellt  bat,   welches  demungeachtet 
den  Schein    einer    historischen  Grundlage  bewahre  und  insofern 
als  typisch  anzusehen  sei,  als  es  ein  in  den  damaligen  Rhetoren- 
schulen    beliebtes  Deklamationsthema   behandle,   sammelt   er  ^ 
äußeren  und  inneren  Momente,  die  för  die  Autorschaft  des  Tacitus 
sprechen.    Zu   jenen    rechnet   er  außer  dem  Zeugnis  der  Hand- 
schriften nicht  bloß  das  sog.  Langesche  Argument,   sondern  auch 
die    Notiz    des    Grammatikers    Pomponius    Laelus;    diese    stellt 
er,    wo   es    sich    um    Ähnlichkeit   der   Gesichtspunkte    und  An- 
schauungen handelt,  nach  Gudeman,  wo  sprachliche  und  stilistische 
Beruhrungen  in  Frage  kommen,    nach  Weinkauff  und   John  zu- 
sammen.   Dann  wendet  er  sich  dem  chronologischen  Problem  zu, 
von    dessen  Lösung   die  Erklärung   der   trotz   aller  Berührungen 
unleugbar  vorhandenen  Stildifferenz  abhängig  sei.     Da  statio  un- 
bedenklich als  *  Regierungsjahr '  und   die  Zahl  120   als   eine  'fixe 
runde  Zahl1  anzusetzen  sei,  da  ferner  eine  Zwischenzeit  von  sieben 
Jahren  (74—81)  durchaus  genüge,  um  den  Ausdruck  iuvenis  ad- 
modum   zu  rechtfertigen,    da   endlich   die  Schrift  unter  Domitian, 
auch  in  dessen  ersten  Jahren,  nicht  geschrieben  sein  könne  und 
der  Stilunterschied  sich   nur   durch  die  Annahme  eines  längeren, 
durch  ungewöhnliche  Erlebnisse  ausgefüllten  Zwischenraums  und 
mit  Hilfe  der  aufklärenden  Lehre  Wölfllius  von  der  genetischen 
Entwicklung  des  Taciteischen  Stils  begreifen  lasse,  so  müsse  man 
die  Abfassung  der  Schrift  in  den  Ausgang  der  Regierung  des  Titu» 
seUen.    Wer  sich  für  die  nachdomitianische  Zeil  entscheide,  müsse 
die  Autorschaft  des  Tacitus  verneinen.    Denn  die  neue,  von  Norden, 
Leo,  Wilamowitz,   Schanz    vertretene   Stiltheorie  4  passe   vielleicht 
auf  einen  Durchschnittsmenschen',   aber  (daß  ein  Historiker,  der 
mitten   im   besten  Schaffen  stand,   plötzlich  den  Seitensprung  zu 
einem  rhetorischen  Kabinettsslückchen  gemacht  haben  sollte,  spreche 
aller  Psychologie  Hohn',   und  John  habe  recht,   wenn  er  es  fuf 
undenkbar  erkläre,  daß  Tacitus  in  seinem  Dialogus  für  den  Klassi- 
zismus   und    gleichzeitig  in  seinen  Geschieh ts werken  dagegen  ge- 
wirkt habe.     Der  zuerst  von  Teuffei  beobachtete  programmatisch- 
persönliche Charakter  der  Schrift   sei    wohl   zu   verstehen,    wenn 
sie  vor  Domitian  geschrieben  sei:  unter  Domitian  hätten  sich  eben 
die  Pläne  des  angebenden  Historikers   nicht  verwirklichen  lassen. 
Der  Hinweis   auf  die  15  Jahre  des   Stillschweigens  Agr.  3  deute 


Tacitui,  von  G.  Andres«*.  299 

auf  eine  vorhergegangene  literarische  Leistung.  Nach  dem  Agricola 
aber,  der  den  Übergang  zur  Historie  bezeichne,  könne  der  Dialogus 
nicht  zu  stehen  kommen,  weil  es  unlogisch  wäre,  plötzlich  eise 
Absage  an  die  Rednerlaufbahn  ergehen  zu  lassen,  nachdem  der 
Verfasser  bereits  seit  längerer  Zeit  mit  ihr  gebrochen  und  sich 
von  der  Anwaltstätigkeit  zurückgezogen  hatte. 

Versehen:  S.  28:  'Q.  Corn.  Tacitus';  S.  52:  'Casars  Erbe  tritt 
sein  Neffe  an1. 

Angezeigt  DLZ.  1905  Sp.  1974. 

5)  Aot.  Cima,    La    tragedia    romaoa    Oetavia    e    gli   Anaali    di 

Tacito.     Pisa,  Nistri.    36  S.    8. 

C.  bekennt  sich,  wie  ich  der  Anzeige  DLZ.  1905  Sp.  1245 
entnehme,  im  ganzen  und  großen  zu  der  Ansicht,  daß  der  Ver- 
fasser der  Oetavia  junger  als  Tacitus  und  dessen  Geschichtswerk 
die  hauptsächliche  oder  die  einzige  Quelle  der  Tragödie  sei.  Zwar 
sei  man  in  der  Annahme  von  Nachahmungen  des  Tacitus  im 
einzelnen  bisher  vielfach  zu  weit  gegangen;  aber  einige  schlagende 
Reminiszenzen  seien  genügend,  um  zu  zeigen,  daß  der  Dichter 
der  Oetavia  Tacitus  gelesen  bat.  Seine  Zeit  könne  daher  nicht 
ins  erste  Jahrhundert  gesetzt  werden. 

6)  Josef  Lcngsteiocr,  Zu  Tacitus.    Progr.  Kalksborg  1903.     12  S. 

L.  vergleicht  im  ersten  Abschnitte  seiner  kleinen  Abhandlung, 
wie  schon  andere  vor  ihm,  Plut.  Otho  17  ijdti  de  ianiqag  ovöijg 
idlifjqös  xal  mwv  iXiyov  vdatog,  SvoXv  ovvtav  av%q>  &q><av, 
ixatiqov  xavsfjuip&avt  %6  (Sndus^a  nolvv  %qqvov>  xal  %o  Hsqov 
andiwx6>  3-äteQOV  di  elg  zag  ayxakag  avakaßunv  zovg  olxfactg 
nQO<J€*aXs%TO  mit  Tac.  Hist.  II  49  vesperascente  die  sitim  haustu 
gelido*  aqua*  sedavü.  Tum  adlatis  pugiombus  (duobus),  cum 
utrumque  pertemptamt,  altertim  capüi  mbdidit.  Wölfflin  schöpfte 
aus  diesem  Vergleich  einen  Beweis  für  die  Abhängigkeit  des 
Plutarcb  von  Tacitus  (Sitzungsber.  d.  bayer.  Akad.  d.  Wiss.  1901,  1 
S.  46),  indem  er  annahm,  Plutarcb  habe  das  ihm  unverständliche 
capiti  'nach  freier  Phantasie  gebessert1.  L.  dagegen  fuhrt  die 
Obereinstimmung  beider  Berichte  auf  die  Benutzung  einer  gemein- 
samen  Quelle  zurück.  So  auch  Borenius,  De  Plutarcho  et  Tacito 
inter  se  congruentibus  S.  137.  Aber  während  dieser  den  Aus- 
druck tig  tag  ayxakag  auf  Bechnung  der  'indiligentia'  des  Plutarch 
setzt,  vermutet  Lengsteiner,  daß,  während  in  der  gemeinsamen 
Quelle  abtrofft  gladium  cubitali  subdidit  gestanden  habe,  Tacitus 
in  seiner  vornehmen  Manier  den  trivialen  Ausdruck  für  Kopfkissen 
durch  capiti  ersetzt,  Plutarch  aber  cubital  für  gleichbedeutend  mit 
cubitum  oder  cubitus  gehallen  und  daher  dg  zag  ayxakag  über- 
setzt habe.  Bei  dieser  Deutung  hat  L.  ebensowenig  wie  Wölfilin 
berücksichtigt,  daß  die  Reihenfolge  der  Handlungen  Othos  bei 
Plutarch  eine  andere  ist  als  bei  Tacitus,  und  daß  es  der  Situation, 


300.  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

wie  Plutarch  sie  schildert,  durchaus  entspricht,  daß  Otho,  nach- 
dem er  den  verworfenen  Dolch  zurückgegeben,  den  gewählten 
unter  den  Arm  nimmt  und  dort  behält,  bis  er  nach  der  Beendigung 
der  Verhandlung  mit  den  Sklaven  sich  in  sein  Zimmer  zurück- 
zieht; vgl.  WS.  f.  klass.  Phil.  1901  Sp.  437.  Wir  haben  also  zwei 
Versionen  vor  uns,  von  denen  jede  in  dem  ihr  eigentümlichen 
Zusammenhange  verständlich  ist,  und  ebendeshalb  ist  es  bedenk- 
lich anzunehmen,  daß  die  eine  ihren  Ursprung  einem  Mißver- 
ständnis verdanke. 

Der  zweite  Abschnitt  ist  der  Erörterung  der  Vorgänge  bei 
dem  Schiffsunglück  der  Agrippina  und  ihrer  topographischen 
Fixierung  gewidmet.  L.  findet  es  unbegreiflich,  daß  Agrippina, 
die  doch  von  Baiae  nach  Bauli  zurückkehren  wollte,  sich  in  ent- 
gegengesetzter Richtung  von  den  Leuten,  die  die  Schwimmende 
aufnahmen,  in  den  lacus  Lucrinus,  d.  h.  in  den  durch  einen 
schmalen  Damm  von  dem  lacus  Baianus  (Golf  von  Pozzuoli)  ab- 
geschlossenen  See  bringen  ließ  (Ann.  XIV  5);  und  daß  eine  von 
Nässe  triefende  und  außerdem  verwundete  Frau  die  weite  Strecke 
vom  Lucriner  See  bis  nach  Bauli  geschleppt  worden  sei  (villae 
suae  infertur),  könne  man  nicht  glauben.  Da  aber  davon,  daß 
Agrippina  auch  am  Lucriner  See  eine  Villa  besessen  habe,  sich 
bei  Tacitus  nicht  die  leiseste  Andeutung  finde,  so  bleibe  nichts 
übrig,  als  XIV  5  Lucrinum  zu  streichen  oder  etwa  in  vicinutn  zu 
ändern  und  unter  diesem  namenlosen  lacus  die  durch  die  Worte 
flexo  mari  adluitur  XIV  4  bezeichnete  kleine  Bucht  zu  verstehen, 
an  der  Bauli  lag. 

Meine  Ansicht  über  den  Verlauf  der  Dinge  habe  ich  JB.  XXVII 
S.  343  ausgesprochen.  Was  L.  unbegreiflich  findet,  wird  verständ- 
lich durch  die  der  Situation  völlig  entsprechende  Annahme,  daß 
Agrippina  sich  den  Leuten,  die  sie  auffischten,  nicht  alsbald  zu 
erkennen  gab,  vielleicht  weil  sie  ihnen  nicht  traute,  und  daß  diese 
sie  daher  nach  dem  Ziele  ihrer  Fahrt,  dem  Lucriner  See,  mit- 
nahmen, woraus  sich  mit  Notwendigkeit  ergab,  daß  sie  von  dort 
in  ihr  Quartier,  d.  h.  nach  Bauli,  gebracht  wurde.  Zu  einem  so 
verwegenen  Schritte,  wie  es  die  Streichung  oder  Änderung  von 
Lucrinum  wäre,  liegt  somit  kein  Anlaß  vor. 

Inhaltsbericht  von  J.  Golling,  Gymnasium  1904  S.  849. 

7)  AttiLio   Profumo,    Le  fonti   cd   i  tempi   dcllo   incendio  Nero- 
niaao.     Roma  1905,  Fortan i  etc.     748  S.    8. 

Über  den  Inhalt  dieses  Buches,  dessen  gewaltiger  Umfang  in 
Erstaunen  versetzt,  habe  ich  WS.  f.  klass.  Phil.  1905  Sp.  629— 638 
ziemlich  ausführlich  berichtet.  Indem  ich  die  Leser  der  JB.  auf 
diese  Anzeige  verweise,  hebe  ich  hier  nur  die  wesentlichsten  Er- 
gebnisse der  weit  ausholenden  Untersuchungen  Profumos  hervor. 
Er  richtet  sein  Hauptaugenmerk  auf  die  Frage,  wie  es  zu  erklären 
sei,    daß,  während   der  ältere  Plinius,  Sueton  und  Dio  den  Nero 


Tacitus,  von  G.  Andreseo.  301 

unbedenklich  als  den  Urheber  des  Brandes  der  Stadt  im  Jahre  64 
n.  Chr.  bezeichnen  (womit  die  Tatsache  an  sich  festgestellt  sei), 
Tacitus  über  die  Entstehung  des  Unglücks  im  Zweifel  ist  (forte 
an  dolo  principis  incertwn,  nam  utrumque  auctores  prodidere  XV  38). 
In  der  Oberzeugung,  daß  Tacitus  die  Möglichkeit  einer  zufälligen 
Entstehung  aus  keiner  der  drei  Quellen,  die  er  XIII  20  nennt, 
selbst  nicht  aus  Cluvius  Rufus,  entnommen  haben  könne,  und  auf 
Grund  gewisser  Beobachtungen,  die  ihn  zu  der  Ansicht  geführt 
haben,  daß  in  den  drei  großen  Erzählungen  des  XV.  Buches,  vom 
Armenischen  Kriege,  vom  Brande  der  Stadt  und  von  der  Pisoniani- 
schen  Verschwörung,  eine  offizielle  Version  herrsche,  welche  zwar 
nicht  den  Nero  persönlich,  wohl  aber  die  kaiserliche  Regierung 
zu  entlasten  bemüht  sei,  spricht  er  die  Vermutung  aus,  daß  diesen 
drei  Erzählungen,  also  auch  jenem  forte,  persönliche  Mitteilungen 
des  alten  Neronianers  Cocceius  Nerva,  des  späteren  Kaisers,  zu- 
gründe  liegen.  An  diese  unhaltbare  Hypothese  —  denn  XV  38 
ist,  wie  sowohl  auctores  als  auch  prodidere  zeigt,  nur  von  Historikern 
die  Rede,  zu  denen  Nerva  nicht  gehörte  —  knüpft  er  seltsame 
Vermutungen  über  die  Entstehung  und  Herausgabe  der  einzelnen 
Büchergruppen  der  Annalen,  Vermutungen,  die  darin  gipfeln,  daß 
Tacitus  die  Bücher  XV  und  XVI  der  Annalen  etwa  zu  derselben 
Zeit  geschrieben  habe,  wo  er  mit  der  Vorbereitung  und  Abfassung 
der  Historien  beschäftigt  war. 

Eine  ausführliche  Besprechung,  die  den  Vorzügen  wie  den 
Schwächen  des  maßlos  angeschwollenen  Buches  gerecht  wird,  hat 
F.  Ramorino,  Atene  e  Roma  1905  Maggio,  S.  151,  geliefert.  Vgl. 
ferner  R.  Ottolenghi,  L'incendio  di  Roma  dell'  anno  64,  Nuova 
antologia  1904,  1.  Settembre,  und  P.  Allard,  Les  chretiens  ont-iis 
incendie  Rome  sous  Neron?     Paris  J904,  Blond  ft  Co. 

h)  Carolas  Bretschneider,  Quo  ordine  ediderit  Tacitus  singiilas 
Annalium  partes  (Straßbarger  Dissertation).  Argen torati  MCMV. 
Typis  expresserunt  C.  et  J.  Goeller.     75  S.     8. 

Angeregt  durch  Münzers  Versuch,  durch  eine  Musterung  der 
Rückverweisungen,  deren  sich  Tacitus  in  den  Historien  bedient, 
zu  zeigen,  welche  Bucher  dieses  Werkes  enger  unter  sich  als  mit 
<den  vorangehenden  und  folgenden  verbunden  und  demgemäß  zu- 
sammen veröffentlicht  zu  sein  scheinen  (s.  JB.  XXIX  S.  277),  unter- 
nimmt es  der  Verfasser  dieser  an  feinen  Beobachtungen  reichen 
Dissertation,  durch  Feststellung  der  verschiedenen  Methoden,  welche 
Tacitus  befolgt,  wenn  er  auf  eine  vorher  erzählte  Begebenheit  oder 
-auf  eine  früher  erwähnte  Person  zurückkommt,  je  nachdem  er 
vorauszusetzen  scheint,  daß  das  Erzählte  noch  im  Gedächtnis  des 
Lesers  hafte  oder  bereits  vergessen  sei,  zu  bestimmen,  welche 
Bücher  der  Annalen  unter  sich  ein  Ganzes  bilden  und  wo  die 
-Grenzen  zwischen  den  nacheinander  veröffentlichten  Teilen  anzu- 
setzen seien.    Es  handelt  sich  hier  nicht  um  zwingende  Argumente, 


302  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Modern  um  Andeutungen,  deren  Beweiskraft  verschieden  starl 
ist,  in  einzelnen  Fällen  von  manchem  Leser  vermutlich  ganz  ge- 
leugnet werden  wird.  Ich  wähle  aus  ßretschneiders  Sammlung 
die  Stellen  aus,  die  ihm  selbst  als  die  maßgebendsten  er- 
scheinen. 

Dafür,  daß  die  Bücher,  welche  die  Regierung  des  Gaius  ent- 
hielten, nicht  zugleich  mit  den  folgenden  ediert  sind,  spricht,  sagt 
B.,  XI  29  ac  primo  Callistus,  tarn  mihi  circa  necetn    C.  Caesaris 
mrratus,  et  Appiauae  caedis  molitor  Narcissus  etc.     Hier   werden 
die  Umstände,    unter  denen  Gaius  ermordet   wurde,    als     bereits 
vergessen,  die  im  Jahre  42  erfolgte  Ermordung  des  Appius  SiJanus, 
auf  die  auch  XI  37  durch  florenli  ßiae  haud  Concors   angespielt 
wird,  als  dem  Leser  noch  erinnerlich  vorausgesetzt.    Das  Xu.  ßucii 
hängt  nicht  bloß  mit  dem  XI.  eng  zusammen  —  dies  wird  be- 
wiesen   durch    die  Art,    wie   im  Anfang    die   Freigelassenen    des 
Claudius,    die  uns  am  Ende  des  XI.  Buches  vorgeführt   sind,   er- 
wähnt  werden  —  sondern  anch  mit  dem  ersten  der  Bucher,    die 
über  Claudius    handelten,    wie  daraus  hervorgeht,    daß  XII   8  auf 
die    im  Jahre  41    erfolgte  Verbannung    des  Seneca   durch    einen 
kurzen  und  dunklen  Ausdruck  hingedeutet  wird. 

Mit  Buch  XIII  hebt  eine  neue  Partie  der  Annalen    an:    dies 
zeigt  das  ganze  Proömium  des  Buches,  insbesondere  der  Umstand, 
daß  Tacitus   die  Vergöttlichung    des  Claudius   sowohl  XII  69    als 
auch  XIII  2  berichtet,  an  der  ersten  Stelle,  um  das,  was  er  über 
Claudius    zu    erzählen    hat,   abzuschließen,    an   der  zweiten   von 
Gesichtspunkt  des  Nero  aus  an  dem  Platze,  die  diesem  Beschlüsse 
in  der  Reihenfolge  der  in   die  Zeit  des  Nero   fallenden  Begeben- 
heiten   zukam.     Die  Worte  Prima  novo  principatu  mors  etc.,   die 
an    sich    nicht  so  aussehen,    als  fange  hier  eine  neue  Partie  an, 
sind  gewählt,  um  an  I  6  zu  erinnern  und  dadurch  in  dem  Leser 
die  Vorstellung    zu    erwecken,    daß  Neros  Regierung  unter  dem- 
selben omen  begonnen  habe,  wie  einst  die  des  Tiberius.    Ferner 
wird  XIII  15   die  Giftmischerin   Locusta  so  erwähnt,    als  ob  sie 
noch   gar   nicht  genannt  worden  wäre,   und  doch  finden  wir  sie 
schon  XII  66.     Es  fallt  daher  auf,  daß  Tacitus  es  unterläßt  her- 
vorzuheben, daß  Vater  und  Sohn  von  demselben  Weibe  vergiftet 
worden   sind.     Pallas,  Seneca,  Burrus  werden  im  XIII.  Buche  so 
eingeführt,    daß  Tacitus   gefürchtet  zu  haben  scheint,    die  Leser 
möchten  vergessen  haben,  was  er  im  XII.  Buche  über  diese  Mäaaer 
erzählt  hat.    XIII 1 1  sind  die  Worte  ob  adultorum  Agrippinat  orim 
demotum  hinzugefügt,  weil  der  Bericht  über  das  hier  berührte  Er- 
eignis im  XI.  Buche  (c.  36),   d.  h.  in  einem  andern  corpus  steht. 
Auf  den  Besieger   der  Britannen  A.  Plautius   wird   als  auf  eine 
bekannte  Persönlichkeit  XI  36  durch  die  Worte  ob  patrui  egreghtm 
meritum  hingewiesen,  während  XIII  32  die  Worte  quem  ovam  de 
Brüannis  rettuli  notwendig  erschienen,  um  diesen  Sieg  wieder  in 
Erinnerung  zu  bringen.    Was  wir  XIII  6  über  Radamistus  lesen: 


Tacitus,  vod  G.  Andreaeo.  303 

qui  satt*  regni  eins  potüm  etc.,  ist  eine  Rekapitulation  des  im 
XII.  Buche  Ober  ihn  Erzählten. 

Das  14.  Buch  leitet  kein  neues  corpus  ein:  der  Schriftsteller 
setzt  voraus,  daß  der  Leser  versteht,  welches  scelus  in  den  An- 
fangsworten des  Buches  gemeint  ist.  Über  Iturius,  Calvisius  und 
Sabina  wird  XIV  12  in  der  Voraussetzung  gesprochen,  daß  die 
XIII  19  ff.  erzählten  Taten  und  Schicksale  dieser  Personen  in  der 
Erinnerung  des  Lesers  haften.  So  erklärt  sich  auch  redditi  scamae 
pantomimi  XIV  21  ohne  einen  Zusatz  wie  olim  pulst,   wenn   man 

XIII  25  vergleicht.  XIV  56  longa  parsitnonia  setzt  XIII  30  prae- 
cipuae  opes  voraus.  Den  XIII  47  genannten  Cornelius  Sulla  nennt 
Tacitus  XIV  57  als  einen  dem  Leser  bekannten  Mann  nur  mit 
Einem  Namen  und  spricht  von  ihm  in  ähnlichen  Ausdrucken, 
wie  Ucenter  XIV  48  auf  licentiam  XIII  28  zurückweist  und  attmeri, 
das  wir  XIII  37  lesen,  XIV  25  wiederkehrt.  Dagegen  erinnert 
das  XIV  29  über  Didius  Gesagte  nicht  an  XII  40,  d.  b.  an  die 
Stelle,  auf  die  er  sich  mit  ut  memoram  beruft,  sondern  an  Agr.  14. 

XIV  46  wird  durch  meminerant  die  Erinnerung  an  das  XII  59 
über  Tarquitius  Priscus  Berichtete  künstlich  aufgefrischt. 

Auch  mit  XV  fängt  kein  neues  corpus  an,  schon  weil  der 
Anfang  mitten  in  das  Jahr  62  fällt,  ebensowenig  mit  XVI,  das 
mit  dehinc  beginnt.  XVI  14  verweist  mit  ut  dixi  auf  den  gleich- 
lautenden Ausdruck  XIV  48,  XVI  21  auf  XIV  12.  Der  kurze 
Ausdruck  de  Agrippina  ist  nur  dem  verständlich,  der  das  XIV  12 
Erzählte  im  Gedächtnis  hat.  Die  Geschichte  des  Nero  füllte  somit 
ein  einziges  corpus,  getrennt  von  der  des  Claudius. 

Im  folgenden  Abschnitt  untersucht  B.  die  Variationen,  welche 
Tacitus  im  Gebrauch  der  Namen  bei  wiederholter  Erwähnung 
derselben  Person  anwendet,  sowie  die  verschiedenen  Gelegenheiten, 
bei  denen  er,  abgesehen  von  den  Nekrologen,  die  Charakteristik 
einer  Persönlichkeit  anbringt.  Da  dieser  Abschnitt  für  den  eigent- 
lichen Zweck  der  Schrift,  die  Scheidung  der  Annalenteile,  weniger 
ergiebig  ist,  so  verzeichne  ich  aus  ihm  nur  zwei  Beobachtungen. 
Den  P.  Suillius  führt  Tacitus  zweimal,  und  zwar  in  ähnlicher 
Weise,  ein:  IV  31  und  XIII  42,  das  zweite  Mal  ohne  auf  XI  5—7 
anzuspielen;  denn  die  Worte  poena  Cinciae  legis  gehen  auf  XIII  5 
zurück.  Rufrius  Crispinus  wird  in  XI  und  XII  genannt,  aber 
XIII  45  als  ein  Unbekannter  eingeführt. 

Die  Bücher  I — III  gehören  zusammen :  sie  enthalten  die 
Tragödie  'Des  Germanicus  Glück  und  Ende'.  Die  enge  Verbindung 
der  Bücher  III  und  II  zeigt  sich  am  Anfang  von  III,  die  von  II 
und  I  u.  a.  darin,  daß  II  6  Silius  und  Caecina  nur  mit  einem 
Namen    genannt    werden.     Caecina    bezieht   sich    in   seiner  Rede 

III  33  auf  das  II  55  geschilderte  Treiben  der  Plancina:  wir  finden 
dieselben  Worte,  aber  nicht  den  Namen  der  Plancina.  III  20 
(a  Camillo)  weist  auf  II  52  (Furius  Camillns)    zurück,    während 

IV  23    schon    der  Ausdruck    adversum   Numidam  Tacfarinatem 


304  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

zeigt,  daß  hier  die  Erinnerung  an  Entlegenes  erneuert  wird.  III  42 
wird  C.  Silius  als  aus  I  31  bekannt  eingeführt,  Visellius  Varro 
dagegen  41  inferioris  Germania*  legatus  genannt. 

Mit  Buch  IV  beginnt  eine  neue  Partie:  IV  1  wird  Sejan  zum 
erstenmal  wieder  nach  I  24  Aelius  Seianus  genannt.  Daran 
schließt  sich  eine  Charakteristik  des  Mannes  und  ein  Ausblick  in 
den  Rest  seiner  Lebensgeschichte,  die  den  Inhalt  der  Bucher 
IV — VI  bildet.  Daß  diese  ein  Ganzes  bilden,  zeigt  ein  Vergleich 
von  IV  57  mit  VI  1 ;  denn  was  er  an  der  zweiten  Stelle  über  die 
foedae  Ixbidines  des  Tiberius  sagt,  deren  Schilderung  er  mit  Ab- 
sicht bis  hierher  aufgespart  hat,  schwebte  ihm  schon  an  der  ersten 
vor  Augen.  Über  Arruntius'  Tod  hatte  Tacitus  sich,  als  er  VI 
(47.  48)  schrieb,  besser  unterrichtet  nnd  das  I  1 3  Behauptete  ver- 
gessen. An  der  letzteren  Stelle  muß  unter  omnes  auch  Cn.  Piso 
mitverstanden  werden.  Diejenigen  nämlich,  welche  pro  Arruniio 
Cn.  Pisonem  tradidere,  glaubten,  Piso  sei  nicht  spmte  extinctum, 
verum  inmisso  percnssore  (III 16).  IV  18  werden  die  in  I— III 
erzählten  Taten  des  Silius  rekapituliert.  Ein  kurzer  Hinweis  wie 
qui  fuerat  Germania  legatus,  hätte  genügt,  wenn  I— IV  ein  corpus 
gebildet  hätten.  IV  21  wird  das  II  34  über  L.  Piso  und  Urgulania 
Gesagte  wiederholt;  auch  heißt  jener  hier  nicht  L.  Piso,  sondern 
Calpurnius  Piso.  Allerdings  wird  L.  Libo,  dessen  Prozeß  im  2.  Buch 
erzählt  ist,  IV  29.  31.  VI  10  als  bekannte  Person  erwähnt.  Aber 
da  Libo  ein  Verwandter  des  Kaisers  war  und  Tacitus  II  27  seinem 
Prozesse  eine  besondere  Bedeutung  beilegt,  durfte  der  Schriftsteller 
voraussetzen,  daß  sein  Fall  noch  unvergessen  sei.  Vielleicht  war 
er  auch  durch  besondere  Darstellungen,  die,  nach  gewissen  An- 
deutungen zu  schließen,  ebenfalls  dem  Tacitus  als  Quelle  dienten, 
noch  bekannter  geworden. 

VI  26  glaubt  Tacitus  die  in  II  und  III  erzählten  Schicksale 
der  Plancina  wiederholen  zu  müssen;  dagegen  erwähnt  er  in  VI 
mehrere  in  IV  genannte  Männer  als  bekannte  Personen;  in  dem- 
selben Sinne   weist  er  in  VI  auf  verlorene  Teile  von  V  zurück. 

Der  I  13  zuerst  genannte  und  im  3.  Buche  oft  erwähnte 
M'.  Lepidus  wird  IV  20  zum  zweitenmal  auf  die  Buhne  geführt 
und  charakterisiert;  in  seinem  Nekrologe  VI  27  wird  an  das  I  13 
Gesagte  nicht  erinnert.  Tacitus  scheint  nach  Vollendung  der 
Bücher  I — HI  durch  neue  Nachforschungen  ein  genaueres  Bild 
von  ihm  gewonnen  zu  haben.  Ähnliches  gilt  von  Golta  Messalinus, 
Fulcinius  Trio,  Haterius  Agrippa.  Q.  Servaeus  wird  VI  7,  P.Vitellius 
V  8  neueingeführt.  Den  IV  29  erwähnten  Brief  des  Vibius  Serenus 
an  Tiberius  kannte  Tacitus  noch  nicht,  als  er  II  30  schrieb,  wo 
er  diesen  Mann  G.  Vibius  nennt. 

Der  Gegenstand  der  Bücher  IV — VI  ist  (des  Seianus  Glück 
nnd  Ende';  am  Schlüsse  von  IV  steht  er  auf  dem  Gipfel  seiner 
Macht.  Auch  diesen  Stoff  hat  Tacitus  nach  Art  einer  Tragödie 
disponiert.    Die  Scheidung  zwischen  den  Perioden  der  Charakter- 


Tacitus,  vod  G.  Andreren.  305 

entwicklung  des  Tiberius,  in  der  nach  dem  Tode  des  Germanicus 
«ine  Wandlung  eintrat,  findet  sich  auch  bei  Dio,  der  außerdem 
den  Sejan  in  ähnlicher  Weise  einfuhrt  wie  Tacitus  im  Eingang 
des  4.  Buches,  ein  Beweis  für  die  Gemeinsamkeit  der  Quelle. 

Die  Bücher  VII  und  VIII    mögen    die  Regierung    des   Gaius, 
IX— XII  die  des  Claudius  enthalten  haben. 

Zuletzt  erörtert  ß.  die  Frage  des  Annalenschlusses,  die  er  in 
anderer  Weise  löst  als  Fabia,  Le  point  final  des  Annales  de  Tacite 
(s.  JB.  XXIX  S.  281).    Die  kurzen  retrospektiven  Notizen  im  Ein- 
gang der  Historien  seien  nicht  ausreichend,  um  als  Ersatz  für  die 
Darstellung    der  Ereignisse    der    zweiten  Hälfte  des  Jahres  68  zu 
dienen,     Schon    deshalb  sei  es  nicht  wahrscheinlich,    daß  Tacitus 
die  Annalen    mit    dem  Tode    des   Nero    abgeschlossen    habe,    so 
wirkungsvoll  auch  ein  solcher  Abschluß  war.    Die  auf  Nymphidius 
bezuglichen  Worte  nam  et  ipse  pars  Romanarum  cladium  erit  XV  72, 
womit,    wie  allgemein  zugestanden  wird,   Tacitus  erklärt,    daß  er 
sich  an  einer  späteren  Stelle  der  Annalen  mit  diesem  unheilvollen 
Menschen  zu  beschäftigen  haben  werde,    seien    nicht    auf   seinen 
Verrat  an  Nero,  sondern  auf  seinen  Versuch,  sich  zum  Kaiser  zu 
machen,    zu    deuten;    denn    sein  Sturz  zog  den  Untergang  vieler 
angesehener  Männer   nach    sich.     Nymphidius    gab    sich    als    den 
letzten  Julier  aus:  dies  verbinde  ihn  mit  den  priores  domini,  und 
wie  das  ganze  Werk  der  Annalen  zeige,    wieviel  Unheil  das  eine 
Haus   über  den  Staat  gebracht  habe,    so  habe  es  geschlossen  mit 
dem  Unglück,  das  der  Sturz  des  angeblich  letzten  Sprossen  dieser 
Familie    herbeigeführt    hat.     Somit  sollten  sich  die  Annalen  nach 
der  XV  72  kundgegebenen  Absicht  bis  an   den  Anfangspunkt  der 
Historien    erstrecken.     Dieses  Ziel    konnte  der  Historiker  in  zwei 
Büchern,  XVI  und  XVII,  erreichen. 

^)  Anzeigen  älterer  Schriften:  Boissier,  Tacite  (JB.  XXVIII 
268):  Museum  XI,  9  S.  335  von  J.  Hartman;  Gonsoli,  L'autore 
del  libro  de  ör.  et  s.  Germ.  (JB.  XXIX  218):  Bull,  bibiiogr.  et 
pedag.  du  Musee  beige  VIII,  3  S.  111  von  J.  P.  W(altzing),  vgl. 
Ph.  Fabia,  Rev.  de  phil.  XXIX  S.  67;  Krözel,  Quo  tempore  Taciti 
dial.  de  or.  babilus  sit  (JB.  XXX  324):  Eos  X  S.  176  von 
S.  Bednarski,  WS.  f.  klass.  Phil.  1904  Sp.  1146  von  E.  WolfT  (in 
der  Deutung  des  Wortes  statio  befinde  sich  Verf.  auf  richtigem 
Wege;  in  den  Worten  sextam  tarn  Stationen  jedoch  mißverstehe 
er  die  Kraft  des  tarn,  und  seine  Berechnung  der  Jahre  vom 
Regierungsantritt  des  Vespasian  bis  zum  Ende  der  sechsten  statio 
sei  wunderlich);  Stein,  Die  Protokolle  des  römischen  Senats 
(JB.  XXX  326):  Bev.  archeolog.  1904  S.  294,  DLZ.  1905  Sp.  97, 
Herl.  phil.  WS.  1905  Sp.  354  von  H.  Peter  (P.  stimmt  der  An- 
sicht zu,  daß  Tacitus  direkt  aus  den  Senatsprotokollen  geschöpft 
habe),  WS.  f.  klass.  Phil.  1904  Sp.  1174  von  E.  Wolff  (auch  dieser 
Hezensent  sagt,  Verf.  schließe  mit  Recht  aus  der  Art  der  Bericht- 

Tahr«ab«Hchte  XXXI.  20 


306  Jahresbericht«  d.  Philolog.  Vereint. 

erstattung  des  Tacitus  über  die  Vorgänge  im  Senat,  daß  diese  nur 
auf  unmittelbarer  Einsicht  in  die  Akten  beruhen  könne);  Fabia, 
La  lettre  de  Pompeius  Propinquus  (JB.  XXX  928):  Riv.  di  storia 
antica  IX,  1  S.  146;  Fabja,  L'adhesion  de  l'Illyricum  etc.  (JB. 
XXX  329):  ebd.  VIHf  2  S.  319  von  G.  Tropea. 

HL  Historische  Untersuchungen. 

10)  V.  Gardthausco,  Augustus  und  seine  Zeit.     13.    II  3.     Leipzig 

1904,  B.  G.  Teubner.     S.  1035-1378.    8  JC.    S.  651-910.    7  Jt. 

Dieser  Schlußband  enthält  die  Bücher  10—13:  Die  Söhne 
der  Li  via;  Die  Söhne  der  Julia;  Rhein,  Donau,  Elbe  (hierin: 
Quinclilius  Varus  und  Arminius;  Die  Varusschlacht);  Die  letzte» 
Jahre  des  Augustus.  Ein  großer  Teil  der  Belege  für  die  Dar- 
stellung in  diesen  vier  Büchern  ist  den  Annalen  des  Tacitus  ent- 
nommen. Die  Kombination  dieser  Belege  mit  den  von  ander» 
Seiten  dargebotenen  historischen  Zeugnissen  sowie  die  staunens- 
werte Reichhaltigkeit  der  Literaturnachweise,  z.  B.  über  die  Varus- 
schlacht (S.  808 — 815),  machen  diesen  inhaltsreichen  Band  zu 
einem  in  erster  Reihe  der  Orientierung  in  allen  Einzelfragen 
dienenden  wertvollen  Hilfsmittel  für  das  Verständnis  des  Tacitus» 

Aus  der  Anzeige  von  M.  Rottmanner,  Blatt,  f.  d.  GSW.  1905 
S.  279  kann  man  sich  über  den  Inhalt  dieser  beiden  letzten  Teile 
des  großen  Werkes  genauer  orientieren.  Die  Frage,  wer  die  Er- 
mordung des  Agrippa  Postumus  angeordnet  habe,  beantwortet 
R.  im  Sinne  Gardthausens  dahin,  daß  Livia  den  Befehl  ge- 
geben habe. 

11)  Friedrich  Koepp,  Die  Römer  in   Deutschland.     Mit  18  Karte» 

und  136  Abbildungen.    Bielefeld  und  Leipzig  1905,  Velhagen  8c  Klasiog. 
153  S.     gr.  8.    3JC.    (=  Monographien  zur  Weltgeschichte  XXII). 

Diese  Monographie  ist  das  Werk  eines  ebenso  kundigen  wie 
behutsamen  Mannes.  Die  Darstellung  ist  gedrängt,  läßt  aber  den 
Leser  auf  jeder  Seite  erkennen,  daß  der  Verfasser  mit  allen  Eiozel- 
fragen,  die  sich  an  sein  Thema  knüpfen,  und  mit  den  bis  in  die 
neueste  Zeit  vorgeschlagenen  Lösungen  dieser  Fragen  wohlver- 
traut  ist.  Seine  Behutsamkeit,  die  ihn  das  Sichere  von  de«  Un- 
gewissen streng  sondern  läßt  und  ihn  besonders  gegen  einen  Teil 
von  Knokes  Ergebnissen  mißtrauisch  macht,  zeigt  sich  am  deut- 
lichsten da,  wo  es  sich  um  Ortsfragen  handelt.  Er  verzichtet  auf 
eine  Entscheidung  der  Frage  nach  der  örilichkeit  der  Varus- 
schlacht —  Mommsens  Hypothese,  fügt  er  hinzu,  sei  mit  des 
Tacitus  Angaben  nicht  gut  vereinbar  — ,  er  erklärt  es  für  ungewiß* 
ob  der  Name  Mattium  in  Maden  oder  Metze  fortlebe,  er  stellt  es 
dem  Leser  anheim,  ob  er  das  von  Tacitus  beschriebene  Gelände 
der  Schlacht  von  Idisiavisus  —  so  schreibt  er  statt  Mistaviso  — 
lieber  mit  Dahin   in   der  Gegend   von  Rehme  oder  mit  Knoke  in 


Y 


Tacitus,  vqd  G.  Aodresco.  307 

der  von  Eisbergen  wiedererkennen  will,  und  der  Altar  des  Drusus 
bei  Aliso,  meint  er,  könne  dem  Grunder  des  Kastells  errichtet 
worden  sein,  auch  ohne  daß  er  hier  starb. 

Dagegen  spricht  er  sich  mit  Entschiedenheit  dahin  aus,  daß 
die  Cherusker  an  der  mittleren  Weser,  die  Ultimi  Bructerorum 
zwischen  Münster  und  Paderborn,  die  pontes  longi  links  der  Ems 
anzusetzen  seien.  Daß  das  castellum  Lupine  flumini  adposüutn  mit 
Aliso  identisch  sei,  könne  nur  ein  Zweifler  von  Profession  be- 
streiten oder  bezweifeln,  und  wenn  auch  ein  durchaus  zwingender 
Beweis  dafür,  daß  Aliso  nun  endlich  bei  Haltern  gefunden  ist, 
schwerlich  jemals  geführt  werden  könne,  so  könne  doch  auch 
kein  triftiger  Grund  dagegen  aufgebracht  werden.  K.  spricht 
ferner  die  Vermutung  aus,  daß  der  Suebenname  ein  Spottname 
war,  den  die  unter  keltischem  Einfluß  fortgeschrittenen  Rhein - 
gerroanen,  die  Istväonen,  den  in  der  Kultur  zurückgebliebenen 
Germanen  des  inneren  Landes  gaben,  daß  das  Heiligtum  der 
Tanfana  der  sakrale  Mittelpunkt  der  Istväonen  gewesen  sei,  wie 
der  von  Müllen  hoff  an  der  Stelle  des  heutigen  Hamburg  gesuchte 
Hain  der  Merthus  das  Heiligtum  der  Ingväonen  war,  und  daß  der 
Name  Veiera  gar  nicht  das  bedeute,  was  die  Volksetymologie  ihn 
wohl  schon  früh  habe  bedeuten  lassen:  der  Name,  der  an  dem 
Orte  haftete,  sei  auf  das  römische  Lager  übertragen  und  dann 
bald,  als  ob  er  lateinisch  wäre,  verstanden  worden. 

Über  die  Quellen  für  die  Varusschlacht  ist  ihm  Mommsens 
Urteil  maßgebend.  Mit  den  Berichten  des  Tacitus  über  die  Feld- 
zöge des  Germanicus  stünden,  bemerkt  er,  unzweifelhafte  geo- 
graphische Verhältnisse  und  unausweichliche  militärische  Erwägungen 
in  Widerspruch;  namentlich  enthalte  der  Bericht  über  den  Auf- 
marsch zu  dem  großen  Feldzuge  des  Jahres  16  viel  Unbegreif- 
liches; eine  Textverderbnis  stecke  jedoch  in  den  Worten  pcnctra- 
tumque  ad  amnem  Visurgin,  wo  entweder  ein  minder  geläufiger 
Flußname  in  den  der  Weser  verwandelt  oder  der  Name  unver- 
ständig hinzugefügt  worden  sei,  während  mit  dem  ungenannten 
Fluß,  zu  dem  Germanicus  mit  der  Flotte  gefahren  war,  der  Rhein 
oder  vielmehr  die  Yssel  gemeint  war.  Dagegen  zeichne  sich  des 
Tacitus  Kriegsbericht  im  4.  und  5.  Buche  der  Historien  durch 
eine  ungewöhnliche,  sach-  und  ortskundige  Anschaulichkeit  aus, 
die  er  seinem  Gewährsmann,  ohne  Zweifel  Plinius,  zu  ver- 
danken habe. 

Ober  Arminius  urteilt  Koepp  folgendermaßen:  4Als  der  Hort 
deutscher  Freiheit  und  Einheit  wird  Arminius  gepriesen . . .  und 
doch  war  er  ein  Bild  der  gepriesenen  deutschen  Treue  gewiß 
nicht,  der  Cheruskerprinz,  der  im  Dienste  des  römischen  Kaisers 
den  Ring  des  Ritters  empfing,  um  dann  den  Statthalter  dieses 
Kaisers  durch  schnöden  Verrat  zu  verderben.  Und  doch  hat 
Arminius  den  vollen  Erfolg  seiner  Tat  vielleicht  nur  dem  Zufall 
zu  verdanken,    daß  der  Germanen  Uneinigkeit  sie  zu  einer  wirk- 

20* 


308  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

lieben  Gefahr  für  das  Reich  nicht  werden  ließ.  Denn  wäre  sie 
das  geworden,  wie  der  pannonische  Aufstand,  so  würde  auch  Rom 
sich  zur  Abwehr  zusammengerafft  haben,  und  der  Feldherr,  der 
jenen  Aufstand  in  vierjährigem  Kampfe  niedergerungen  hatte, 
würde  vielleicht  von  neuem  die  Legionen  bis  an  die  Elbe  geführt 
und  das  vor  Jahren  abgebrochene  Werk  vollendet  haben'.  Ander- 
seits sei  es,  bemerkt  K.,  verkehrt,  den  Varus  als  einen  ganz  Un- 
fähigen hinzustellen.  Daß  sein  Auftreten  in  Germanien  nicht 
durchaus  verwerflich  war,  werde  dadurch  bewiesen,  daß  er  unter 
den  Germanen  Freunde  hatte;  sein  Fehler  sei  gewesen,  daß  er 
verkannte,  daß  die  Germanen  keine  Syrer  waren  —  und  an  Ver- 
schlagenheit doch  Syrer  sein  konnten. 

Angezeigt  Hist.  Ztschr.  95  S.  344  (in  der  Darstellung  Koepps 
überwiege  die  Schärfe  der  auflösenden  Kritik  allzusehr  die  Kraft 
der  Anschauung  und  Gestaltung),  Mitt.  aus  d.  hist.  Lit.  1905  S.  282 
von  Ködderitz,  Lit.  Zentralbl.  1905  Sp.  1118  von  F.  Schneider 
('zugleich  gründlich  und  lesbar1),  Beilage  zur  Münchener  Allgem. 
Zeitg.  1905  Nr.  39. 

12)  E.  Dünzelmann,    Aliso    und    die  Varusschlacht.     Bremen  1905, 
G.Winter.     24  S.    gr.  8.     0,50  ./#. 

Die  Ausgrabungen  bei  Haltern  an  der  Lippe  und  die  eifrig 
verbreitete  Kunde,  hier  sei  Aliso  wiedergefunden,  sowie  das  Er- 
scheinen des  zweiten  Bandes  von  Delbrücks  Geschichte  der  Kriegs- 
kunst haben,  wie  es  scheint,  dem  Verfasser  der  drei  JB.  XVI  297. 
XX  159.  XXVI  241  besprochenen  Schriften  die  Anregung  gegeben, 
seine  Auffassung,  die  man  kurz  als  die  Huntehypothese  bezeichnen 
kann,  wieder  in  Erinnerung  zu  bringen.  Die  Beweisführung  zu- 
gunsten der  Ansicht,  daß  der  Lupia  des  Tacitus  (der  Aovniat; 
des  Strabo)  nicht  die  Lippe,  sondern  die  Hunte  sei  und  daß  Aliso 
in  der  Gegend  von  Hunteburg  gelegen  habe,  ist  in  der  neuen 
Schrift  dieselbe  wie  in  den  drei  älteren.  Alle  an  der  Lippe  für 
Aliso  vorgeschlagenen  Plätze  hätten  den  Fehler,  daß  sie  zu  weit 
südlich  liegen;  Haltern1)  liege  außerdem  dem  Rhein  zu  nahe. 
Die  in  der  neuen  Schrift  enthaltenen  ModiGkationen  der  früheren 
Ausführungen  sind  völlig  unerheblich,  die  Ergänzungen  sind  etwa 
folgende:  Die  Brücke,  die  Caecina  im  Jahre  15  über  das  Diepholzer 
Moor  schlug,  um  dem  nachfolgenden  Germanicus  einen  Weg  zu 
der  Stätte  der  Varusschlacht  zu  bahnen,  sei  die  Brücke  VII  bei 
Prejawa.  Daß  Aliso-Hunleburg  ein  großes  Proviantmagazin  ge- 
wesen sei,  gehe  daraus  hervor,  daß  von  der  Hase  aus  mehrere 
angeblich  römische  Straßen  nach  Hunteburg  führen,  auf  denen 
der  auf  der  Hase  herangebrachte  Proviant  nach  Aliso  geschafft 
wurde,    von    wo    er   auf   der  Hunte    weit  nach  Norden  gebracht 


l)  Ober  die  Ausgrabungen  in  Haltern  im  Sommer  «1904  berichtet 
E.  Krüger,  Westd.  Korr.  1905  S.  7-12.  Vgl.  WS.  f.  klass.  Phil.  1904 
Sp.  1243. 


1 


Tacitus,  von  6.  Aodresen.  309 

werden  konnte.  Als  das  im  Jahre  15  neubesetzte  Hunteburg  im 
Frühjahr  16  von  den  Germanen  belagert  wurde,  erschien  es  von 
so  großer  Bedeutung,  das  Kastell  zu  halten,  daß  Germanicus  mit 
sechs  Legionen  aufbrach,  es  zu  entsetzen.  Während  die  Flotte 
ausgerüstet  wurde,  blieben  die  Legionen,  alle  oder  zum  Teil,  bei 
Aliso*  stellten  den  Altar  des  Drusus  wieder  her,  erbauten  jene 
Straßen  zwischen  der  Hase  und  Hunteburg  (dies  sei  der  Sinn  des 
Satzes  et  cuncta  inter  castellum  Alisonem  ac  Rhenum  novis  limitibus 
aggeribusque  permunita)  und  geleiteten  die  über  See  gekommenen 
Lebensmittel  die  Hase  aufwärts  bis  Hunteburg,  um  von  da  zur 
Weser  vorzurücken. 

Wer  dies  liest,  fragt  sich  erstaunlj:  Wozu  denn  der  Flotten*- 
bau?  Wie  findet  sich  Dünzelmann  mit  der  von  Tacitus  bezeugten 
Tatsache  ab,  daß  das  gesamte  Heer,  die  sechs  Legionen,  welche 
das  Lupiakastell  entsetzt  hatten,  eingeschlossen,  auf  der  zu  diesem 
Zwecke  erbauten  Flotte  vom  Rhein  durch  die  Seen  und  den  Ozean 
in  die  Ems  eingefahren  ist?  Vielleicht  entsprang  diese  Verleugnung 
einer  bezeugten  Tatsache  dem  Bedürfnis,  dem  JB.  XVI  S.  299 
gegen  seine  Ansetzungen  erhobenen  Einwände  zu  begegnen,  der 
darauf  hinauslief,  daß  es  töricht  gewesen  wäre,  die  Truppen  von 
der  Hunte  an  den  Rhein  zurückzuführen,  wenn  das  Ziel  die 
Weser  war. 

Aber  Dünzelmann  selbst  hat  keine  Bedenken :  er  schließt  mit 
der  Bemerkung,  um  seine  Hypothese  über  Aliso  und  die  Varus- 
schlacht zur  Gewißheit  zu  erheben,  bedürfe  es  nur  einiger 
Grabungen. 

Angezeigt  Ztschr.  d.  Hist.  Vereins  f.  Niedersachsen  1905  Heft  2 
von  Schuchhardt. 

13)    Wilhelm     Schott,     Stadien     zur     Geschichte     des     Kaisers 
Tiberius.     Progr.  Bamberg,  K.  Neues  Gymnasium  1904.     48  S. 

Angeregt  durch  J.  C.  Tarver,  Tiberius  the  tyrant,  A.  Spengel, 
Zur  Geschichte  des  .Kaisers  Tiberius,  H.  Willrich,  Caligula,  bat 
Schott,  der  den  Lesern  dieser  JB.  bereits  durch  eine  Übersetzung 
der  Schrift  von  W.  lhne,  A  plea.for  the  emperor  Tiberius  (JB. 
XVIII  S.  259)  bekannt  geworden  ist,  sich  in  diesen  'Studien'  die 
Hauptaufgabe  gestellt,  zu  prüfen,  inwieweit  die  Ergebnisse  der 
Bemühungen  der  letzten  fünf  Jahrzehnte,  die  herkömmliche  Auf- 
fassung von  dem  Charakter  und  der  Regierung  des  Tiberius  durch 
eine  richtigere  zu  ersetzen,  in  Schulbucher,  Jugendschriften  und 
populäre  Werke,  in  wissenschaftliche  Kompendien,  Handbücher 
und  Kommentare  Eingang  gefunden  haben.  Unter  diesem  Gesichts- 
punkt werden  nacheinander  betrachtet:  die  im  Geschichtsunter- 
richt an  bayerischen  Gymnasien  zugelassenen  Lehrbucher,  die 
Äußerungen  P.  Cauers  und  A.  Spengels  über  das  Thema  'Tacitus 
in  der  Schule',  J.  Asbachs  Urteil  über  Tiberius,  die  Stellung  der 
Nipperdey sehen  Ausgabe  (die  unlängst  erschienene  10.  Auflage  des 


3t0  Jahreiberiehte  d.  Philelog.  Vereins. 

ersten  Bandes,  in  der  die  Behandlung  der  Frage  wesentlich  modi- 
fiziert ist,  bat  Schott  nicht  mehr  einsehen  können),  Stegmanne 
'Hilfsheft',  Lübkers  Reallexikon,  Schwabes  Artikel  Cornelius  Tacitus 
bei  Pauly-Wissowa,  Schanz,  Geschichte  der  römischen  Literatur, 
die  geschichtlichen  Werke  von  Pütz-Asbach,  W.  Strehl,  B.  Niese, 
A.  W.  Grube,  K.  L.  Roth,  0.  Jager,  G.  Webers  weltgeschichtliche 
Werke,  Geschichte  der  alten  Welt  von  Schlosser,  Beckers  Weh- 
geschichte, die  Konversationslexika  von  Brockhaus  und  Meyer  and 
die  Monographien  von  Willenbücher,  Wachermann  und  Rösch. 
Das  Gesamtergebnis  der  Umschau  lautet:  (Die  Hoffnung,  daß  die 
Geschichte  dem  ungerecht  Verurteilten  am  Ende  werde  Gerechtig- 
keit widerfahren  lassen,  ist  noch  nicht  durchaus  erfüllt;  aber  es 
ist  doch  ein  guter  Schritt  vorwärts  getan'. 

Diesem  Hauptteil  der  Abhandlung  sind  einige  Ausführungen 
über  das  Thema  im  Anschluß  an  Tarver  und  Willrkh  angefügt. 
Nach  dem  ersteren  wird  gezeigt,  wie  sich  die  Fabel  von  Tiberiu*' 
Heuchelei  aus  zwei  Umständen  herausgebildet  habe,  seiner  von 
Natur  reservierten  Art  und  der  geheimnisvollen  Tragödie,  welche 
die  letzten  Jahre  seines  Lebens  umdösterte.  An  beide  Gewährs- 
männer lehnt  sich  der  Abschnitt,  der  eine  Würdigung  der  weib- 
lichen Mitglieder  des  Kaiserhauses  enthält.  Den  Memoiren  der 
jüngeren  Agrippina  habe  Tacitus  allerdings  nur  in  einem  einzelnen 
Falle  etwas  entnommen,  was  er  bei  seinen  direkten  Gewährs- 
männern nicht  vorfand,  aber  gewiß  habe  er  die  Memoiren,  als  er 
an  seinen  Annalen  arbeitete,  gelesen  und  sich  von  dem  Geist,  der 
sie  durchdrang,  beeinflussen  lassen,  zumal  da  sicher  schon  lange, 
ahe  Neros  Mutter  ihre  Erinnerungen  der  Öffentlichkeit  übergab, 
die  Auffassung,  die  in  ihnen  waltete,  auf  dem  Wege  der  münd- 
lichen Überlieferung  aus  dem  engeren  Bereich  der  Familie  des 
Germanicus  binausgedrungen  war  und  diese  Auffassung  sich  mit 
der  in  senatorischen  Kreisen  herrschenden  Stimmung  deckte,  die 
in  Memoiren,  Briefsammlungen  und  Dichtungen  zum  Ausdruck 
kam.  in  diesem  Vorherrschen  des  Persönlichen  liege  der  Haupt- 
mangel der  Taciteischen  Geschieht  Schreibung.  Schließlich  gibt 
Schott  Tarvers  Urteil  über  den  Wert  der  Historia  Romana  des 
Velleius  wieder,  für  den,  da  er  die  letzten  Zeiten  des  Tiberius 
nicht  erlebte,  jedenfalls  sich  über  sie  nicht  geäußert  bat,  kein 
Grund  vorhanden  war,  einen  anderen  als  einen  optimistischen 
Ton  anzuschlagen. 

14)  W.  Kolbe,    Die  Grenzen  Messeoieos    io   der  ersteo   Kaieer- 
ze it.     Atheu.  Mitteil.  XXIX  S.  364-378. 

Kolbe  bespricht  zwei  Bruchstücke  einer  genaue  Aufzeichnungen 
über  den  Verlauf  der  messenischen  Grenze  enthaltenden  Urkunde, 
nach  deren  subscriptio  die  Grenzsteine  im  Jahre  78  n.  Chr.  von 
einem  Freigelassenen  des  Vespasian  an  der  Hand  ihres  Verzeich- 
nisses  kontrolliert  wurden,   nachdem  Vespasian   Neros  Verfugung 


Tacitas,  von  G.  Androgen.  311 

vom  J.  67,  durch  die  Griechenland  für  frei  erklärt  wurde,  auf- 
gehoben und  auch  in  Achaia  die  Grundsteuer  wiederaufgelegt 
hatte.  K.  geht  dabei  auf  den  Grenzstreit  ein,  von  dem  Tac.  Ann. 
IV  43  berichtet.  Die  Worte  C.  Caesarü  et  M.  Antonii  sententia 
<leutet  er  auf  einen  Schiedsspruch  der  Konsuln  des  Jahres  44 
v.  Chr.,  C.  Caesar  und  M.  Antonius.  Unter  dem  rex  Antigonus 
versteht  er  mit  Beloch,  Griech.  Gesch.  III  2,  304  den  Antigonus 
4ionatas,  von  dessen  Kämpfen  mit  Sparta  wir  durch  Justin  24,  1 
wissen.  Den  Atidius  Geminus,  praetor  Achaiae,  ist  er  geneigt,  in 
<He  Zeit  des  Tiberius  hinabzurücken,  weil  Pausanius  berichtet,  daß 
Augustus  sich  den  Messeniern  nicht  freundlich  gesinnt  erwies,  und 
«s  nicht  wahrscheinlich  ist,  daß  der  Statthalter  eine  Politik  trieb, 
<lie  im  Gegensatz  zu  der  seines  kaiserlichen  Herrn  stand. 

15)    Chr.   Hülsen,    Ksnsularfasten   aas    Kampaoieo.     Mitt.  des    K. 
Deutschen  arcfa.  lost  Rom.  Abt.  19  S.  322—327. 

H.  berichtet  über  ein  von  James  C.  Egbert  im  Amer.  journ. 
of  arch.  1905  S.  67  veröffentlichtes  Inschriftfragment  aus  den 
Fasten  des  kampanischen  Munizipiums  Teanum  Sidicinum.  Das 
Bruchstuck  gehört  zum  Jahre  46  n.  Chr.,  dessen  consules  ordinarii 
D.  Valerius  Asialicus  (Tac.  Ann.  XI  1)  und  M.  Iunius  Silanus  (XIII  1) 
aus  zahlreichen  Zeugnissen  bekannt  sind.  Der  munizipale  Zu- 
sammensteller der  Liste  hat  bei  dem  Namen  des  Asiaticus  die 
Iterationsziffer  //  ausgelassen  und  unter  den  consules  suffecti  des 
Jahres  den  Sulpicius  Camerinus  (Tac.  Ann.  XIII  52)  nicht  erwähnt, 
der  nach  dem  Zeugnis  des  Claudianischen  Dekrets  de  civitate 
Anaunorum  mit  Silanus  zusammen  amtierte.  Doch  erfahren  wir 
aus  der  Liste  als  neue  Tatsache,  daß  am  1.  März  an  die  Stelle 
des  Asiaticus  ein  Antistius  Vetus  trat,  ohne  Zweifel  derselbe,  der 
im  Jahre  50  mit  M.  Suillius  Nerullinus  consul  Ordinarius  war 
(Tac.  Ann.  XII  25).  Als  zweites  Konsulat  des  Antistius  wird 
letzteres  nur  CIL.  XII  2234  bezeichnet.  Ganz  neu  ist  das  Konsulat 
des  am  1.  Juli  eintretenden  D.  Laelius  Baibus.  Schwerlich  ist 
hier  der  bei  Tac.  VI  47  genannte  gemeint,  der  im  Jahre  37  ver- 
bannt wurde  (VI  48);  es  wird  sich  um  einen  andern  Nachkommen 
des  D.  Laelius  Baibus,  cos.  ord.  748,  handeln.  Der  suffectus,  der 
am  1.  Oktober  antrat,  war  nach  den  neuen  Fasten  C.  Terentius 
Tullius  Geminus.  Dieser  wird  in  einer  nur  aus  Marinis  Abschrift 
bekannten  stadtrömischen  Inschrift  genannt,  aus  welcher  sich  zu- 
gleich ergibt,  daß  Geminus  bis  zum  Ende  des  Jahres  im  Amte  blieb. 

Es  werde  demnach,  fügt  Hülsen  hinzu,  zweifelhaft,  ob  sich 
<lie  neuerdings  ziemlich  allgemein  angenommene  Meinung,  daß  das 
nach  Ulpians  Zeugnis  von  den  Konsuln  M.  Silanus  und  Vellaeus 
Tutor  eingebrachte  senatus  eonsultum  Vellaeanum  gleichfalls  in  das 
Jahr  46  gehöre  (s.  Nipperdey  zu  Ann.  III  39),  noch  werde  festhalten 
lassen;  denn  es  scheine  schwer,  den  Vellaeus  Tutor  noch  neben 
den  vier  anderen  consules  suffecti  des  Jahres  46  unterzubringen. 


312  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

16)  Eugen  Tänbler,  Die  Parthernachrichteu  bei  Josephus.     Bei  lio 
1904,  E.  Ebering.    65  S.     8.     lfiQJC. 

Die  Abweichungen    der  Nachrichten    des  Josephus    von     der 
durch  Tacitus,  Sueton  und  Dio  vertretenen  Überlieferung  über   die 
parthisch-armenische  Geschichte  der  ersten  Kaiserzeit   bilden    den 
Gegenstand    dieser  Schrift,    deren    Inhalt    ebendeshalb    an    dieser 
Stelle  nicht  zu  übergehen  ist.    Nach  Josephus  Am.  18  §  52  wurde 
der  arsakidische  Prinz  Orodes   nach  der  Flucht  des  Vonones   von 
seinem  Vater  Artabanus  zum  König  von  Armenien  erhoben,  während 
Tacitus  II  56  durch  die  Worte  regem  illa  tempestate  non  habebans 
die   Herrschaft  des  Orodes    geradezu    eliminiert.     Die    bestimmte 
Angabe  des  Josephus  legt  die  Vermutung  nahe,   daß  dem  Tacitus 
bei  der  Zerstückelung    des  Stoffes    die  inhaltslose   Regierung    des 
Orodes  entfallen  ist,  und  wenn  die  Deutung  zweier  Berliner  Münzen 
auf  Orodes   sicher  ist,    so  dauerte  die  armenische  Herrschaft  des 
Vonones    von   11/12  n.  Chr.  bis    spätestens    zum  Herbst  15,    die 
des  Orodes    von  Herbst  15    bis   in    den  Anfang    des  Jahres    16. 
Tacitus  ist  für  die  chronologische  Bestimmung  der  beiden  Regierungen 
belanglos;  denn  nicht  das  chronologische  Interesse  bewog  ihn,  den 
in    II  1 — 4    enthaltenen    Bericht    hierherzusetzen,    sondern    das 
Streben,  den  ersten  Satz  des  5.  Kapitels  möglich  zu  machen 1). 

Über  die  Nachfolger  des  parthischen  Königs  Artabanus  III 
weichen  die  Angaben  des  Josephus  von  denen  des  Tacitus  ab. 
Die  Entscheidung  bringen  die  Münzen.  Eine  Münze  des  Vardanes 
vom  Jahre  40  zeigt,  daß,  wie  Josephus  sagt,  auf  Artabanus  III 
sein  Sohn  Vardanes  folgte;  eine  Münze  des  Gotarzes  vom  Jahre  40/41 
beseitigt  den  Widerspruch  zwischen  Tacitus  XI  8  und  Josephus 
Ant.  20  §  69  dadurch,  daß  sie  ihre  Angaben  zeitlich  trennt3). 
Sie  bestätigt,  daß  Vardanes  den  Gotarzes  vom  Throne  vertrieb, 
aber,  was  wir  bei  Tacitus  nicht  lesen,  nachdem  vorher  schon  ein- 
mal dieser  Wechsel  zwischen  ihnen  mit  umgekehrten  Rollen  statt- 
gefunden hatte.  Mit  Hilfe  der  Münzen  ergibt  sich  folgende  Jahres- 
liste: 39  Artabanus  III,  39/40  Vardanes,  40/41  Gotarzes,  41/42 
Vardanes,  42/43  Vardanes,  43/44  Vardanes,  Gotarzes  aufständig: 
Tac.  XI  10,  44/45  Vardanes  (letzte  Münze  vom  Aug.  45),  Gotarzes 
aufständig:  Tac.  XI  10,  45/46  Gotarzes. 

Als  Nachfolger  des  Gotarzes,  dessen  Münzen  bis  Juni  51 
laufen,  nennt  Josephus  dessen  Bruder  Vologeses,  Tacitus,  ohne 
das  Verwandtschaftsverhällnis  zu  bezeichnen,  Vonones  II  (XII  14) 


")  Hierzu  bemerkt  K.  Regung  iu  der  Au  zeige  der  Schrift  WS.  f.  Mass. 
Phil.  1905  S.  147,  nichts  hindere,  bei  Tacitus  II  1  die  Worte  mota  Orimtü 
regna  aof  den  Ausgang  des  Orodes  zu  beziehen;  in  diesem  Falle  ergebe  sich 
eine  Übereinstimmung  zwischen  der  anoalistischen  Signierung  der  orientali- 
schen Unruhen   auf  das  Jahr  16   bei  Tacitus  uod  dem  Zeugnis  der  Münzen. 

')  Bei  dieser  Lösung  bleibt,  wie  Regling  a.  a.  O.  mit  Recht  bemerkt, 
die  Angabe  des  Tacitus,  daß  Gotarzes  den  Artabanus  ermordet  habe,  unklar, 
da  doch  nach  den  Münzen  nicht  Gotarzes,  sondern  Vardanes  auf  Artabaaoa 
folgt«. 


n 


Tacitus,  von  G.  Andreseo.  313 

und  erst  als  dessen  Sohn  und  Nachfolger  Vologeses.  Die  erste 
dem  Gotarzes  nicht  mehr  angehörende  Münze  ist  vom  September  51, 
und  wenn  Tacitus  XII  44  zum  Jahre  51  sagt  genti  Parthorum 
Vologeses  impetitabat,  so  ist  unter  Ablehnung  der  Erklärung,  die 
ISipperdey  hierzu  gibt,  der  Regierungsantritt  des  Vologeses  wirk- 
lich ins  Jahr  51  zu  setzen,  wie  dadurch  bestätigt  wird,  daß  er 
im  Jahre  51  Armenien  besetzte  (Tac.  XII  50).  Denn  wäre  Armenien 
noch  wahrend  der  Herrschaft  des  Vonones  besetzt  worden,  wie 
Nipperdey  meint  (zu  XII  14),  der  Vonones  bis  52/53  regieren 
läßt,  so  hätte  Tacitus  dessen  Regiment  nicht  mit  den  Worten 
abtun  können  brevi  et  inglorio  imperio  perfunctus  est.  Anfang 
und  Ende  der  Regierung  des  Vonones  fallen  demnach  in  das 
Jahr  51.  Die  Auslassung  der  Regierung  des  Vonones  bei  Josephüs 
erklärt  sich,  wie  Täubler  vermutet,  aus  der  formalen  Beschaffen- 
heit seiner  parthischen  Quelle,  deren  Zählweise  darin  bestand,  daß 
sie  in  der  Abfolge  der  Königsnamen  und  Herrschaftsdaten  nur  auf 
die  Frage  antwortete,  wie  die  Regentenfolge  am  Jahresanfänge 
stand.  Das  Verwandtschaftsverhältnis  sei  vielleicht  folgendes*: 
Vonones  war  ein  Bruder  des  Gotarzes.  Die  Angabe  des  Josephüs 
bleibe  dann  insofern  richtig,  als  auf  Gotarzes  sein  Bruder  folgte; 
nur  war  dies  nicht  Vologeses,  sondern  dessen  Vater  und  Vorgänger 
Vonones. 

Der  Bericht  über  die  Kämpfe,  die  Tacitus  VI  33—36  erzählt, 
ist  bei  Josephüs  verwirrt  und  fehlerhaft,  und  während  er  erzählt, 
die  parthischen  Verschwörer  gegen  Artabanus  seien  von  Vitelliu» 
bestochen  worden  und  dieser  habe  befohlen,  Artabanus  zu  er- 
morden, sagt  Tacitus  nur,  daß  Vitellius  die  parthischen  Große}* 
zum  Abfall  von  Artabanus  zu  bewegen  versucht  habe;  auch  spricht 
er  nicht  von  einer  beabsichtigten  Ermordung  des  Königs,  sonderh 
sagt  nur  desererent  regem  (VI  36).  Dies  deutet,  meint  Täubler, 
auf  einen  Gegensatz  der  Staatsangehörigkeit  und  der  politischen 
Zuneigung  der  ersten  Erzähler.  Was  ferner  den  Zeitpunkt  des 
Abkommens  mit  Artabanus  betrifft,  so  muß  Tacitus,  da  er  die 
Erzählung  der  orientalischen  Wirren  mit  VI  44  abbricht,  es  wie 
Sueton  und  Dio  unter  Caligula  gesetzt  haben,  während  Josephiis 
es  unter  Tiberius  setzt.  Die  römische  Tradition  muß  an  innerer 
Wahrscheinlichkeit  hinter  die  Erzählung  des  Josephüs  zurücktreten. 
In  der  falschen  Angabe,  daß  der  Friede  erst  nach  dem  Tode  des 
Tiberius  geschlossen  worden  sei,  zeigt  sich  die  bekannte,  dem 
Tiberius  feindliche  Tendenz  der  römischen  Tradition.  Diese 
Fälschung  muß  in  der  nur  bei  Tacitus  erhaltenen  reinen  Tradition 
über  die  Einleitung  der  Wirren  und  über  die  Motive,  die  Tiberius 
zum  Eingreifen  bestimmten,  einer  Tradition,  die  uns  einen  ge- 
nauen Einblick  in  die  Entwicklung  der  Ereignisse  vermittelt,  bereits 
enthalten  gewesen  sein.  Die  Quelle  des  Tacitus  ist,  wie  in  dem 
Bericht  über  den  Feldzug  des  Jahres  49  und  in  der  Darstellung 
der  Kriege  des  Corbulo,    in  dem  Lager  und   der  Umgebung  des 


i 


314  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

römischen  Feldherrn  iu  suchen:  der  Urheber  der  Fälschung  ist 
Vitellius,  der  die  Gunst  des  Gaius  suchte.  Auch  der  Anfang  des 
Berichtes  ist  nicht  ganz  rein.  Denn  es  muß  bei  den  Worten 
meto  Germanici  VI  31  auffallen,  daß  die  Erinnerung  an  Germanicus 
bei  Artabanus  gerade  so  lange  dauerte,  wie  Zeno  auf  dem  Throne 
von  Armenien  saß1). 

17)  A.  Farel,   Säneque  d'apres  Taeite.     Revue  chrltienne  1904  S.  379 

—394. 

Der  Zweck  dieses  Aufsatzes  ist  die  Rettung  des  Seneca.  Die 
Darstellung  seines  Charakters  wird  unterbrochen  durch  lange  Zitate 
aus  Tacitus  und  aus  den  Schriften  des  Philosophen  selber,  um 
zu  zeigen,  daß  er  in  seinen  Handlungen  dem  in  seinen  Schriften 
enthaltenen  Programm  stets  treu  geblieben  sei.  Der  Schluß 
lautet:  'Apres  cette  mort,  qui  couronna  superbement  cette  vie 
d'un  sage  et  qui  en  rach&te  largement  les  quelques  faiblesses,  s'il 
en  eut,  Säneque  a  droit  ä  tout  respect;  il  a  honore  l'humanite. 
et  quand  on  cite  ses  ecrits,  personne  n'a  le  droit  de  lever  les  epaules 
et  de  dire:  bei  esprit  peut-6tre,  mais  pauvre  caract&re'. 

18)  Ed.  Maynial,  A  propos  des  salutations  imperiale«  de  Neroa. 

Rev.  archeol.  IV  (1904)  Sept.-Oct.  S.  172  ff. 

M.  verteidigt  seine  Anordnung  der  imperatorischen  Salutationen 
Neros  (s.  JB.  XXVIII  S.  303)  gegen  die  abweichenden  Behauptungen 
von  Stuart  Jones  (s.  JB.  XXX  S.  344).  Er  besteht  darauf,  daß 
die  Einnahme  von  Artaxata,  der  Marsch  von  Artaxata  nach  Tigrano- 
certa  und  die  Einnahme  von  Tigranocerta  zusammen  in  den  einen 
Sommer  59  fallen,  und  daß  diese  Erfolge  die  sechste  Salutation 
des  Nero  rechtfertigen.  So  auch  Egli;  anders  Nipperdey,  der  die 
Identität  des  von  Tacitus  XIII  41  erzählten  miraculum  mit  der 
von  Plinius  berichteten  Sonnenfinsternis  des  Jahres  59  leugnet 
und  seine  Ansicht,  daß  die  Einnahme  von  Artaxata  und  die  darauf- 
folgenden Ehrenbeschlüsse  für  Nero  in  das  Jahr  58  gehören,  durch 
den  Hinweis  auf  deinde  stützt,  womit  Tacitus  ein  anderes  Ereignis 
des  Jahres  58,  den  Prozeß  des  Suillius,  an  den  eben  gegebenen 
Bericht  anknöpft.  Ebendeshalb  ist  Maynial  genötigt  zu  behaupten, 
daß  dieses  deinde  nicht  streng  annalistisch  zu  fassen  sei:  es  sei 
ein  Irrtum  des  Tacitus,  daß  er  den  Prozeß  des  Suillius  nach  der 
.Diskussion  über  die  Ehrenbeschlusse  für  Nero  setzt.  —  Die  achte 
Salutation  beziehe  sich  auf  den  britannischen  Sieg  des  Suetonius 
Paulinus  Anfang  61,  die  zehnte  auf  den  definitiven  Sieg  des 
Corbulo  über  Tiridates,  nicht,  wie  Jones  meint,  auf  die  Ent- 
deckung der  Pisonianischen  Verschwörung. 


*)  Dem  stimmt  Regung  zu,  indem  er  darauf  hinweist,  dafi  beide 
Trübuogeu  der  reinen  Tradition  sieh  auf  dasselbe  Motiv  zurückfuhr««  lasse«; 
•denn  Germanicus  war  ja  der  Vater  des  Gaius,  um  dessen  Gunst  ea  Vitellins 
zu  tun  war. 


o 


Tacitus,  vom  G.  Aodreseo.  315 

19)  S.  Chabert,    Le  trenblement  de  terre  de  Pompli  et  sa  date 

veri table  (5  fevrier  62  ap.  J.  C).    M Klanges  Boisaier  (Paria  1903) 
S.  115—119. 

Das  für  die  Stadl  Pompeji  unheilvolle  Erdbeben  fand  nach 
Seneca  Q.  N.  VI  1  Nonis  Februariis  Regulo  et  Verginio  co$s.,  d.  i. 
63  n.  Chr.,  statt;  Tacitus  erwähnt  das  Ereignis  unter  dem  Jahre  62 
am  Schlüsse  des  Jahresberichtes.  Die  letztere  Angabe  hat  bereits 
Fritz  Jonas,  De  ordine  librorum  L.  Annaei  Senecae  phüosophi 
(Berlin  1870)  für  die  richtige  erklärt.  Dieser  Entscheidung  stimmt 
Cbabert  zu.  Er  erblickt  in  den  Worten  Regulo  et  Verginio  coss. 
eine  Interpolation;  Seneca  habe,  entsprechend  dem  familiären  Ton 
seines  Werkes,  das  Jahr  überhaupt  nicht  genannt.  Ein  oder  zwei 
Jahrhunderte  nach  Seneca  habe  man  geglaubt,  sich  mit  der  Datierung 
auf  den  5.  Februar  nicht  begnügen  zu  können  und  das  vermißte 
Jahr  bei  Tacitus  gefunden,  bei  dem  man  alles,  was  am  Anfang 
des  15.  Buches  auf  den  Bericht  über  die  Taten  des  Corbulo  folgt, 
dem  Jahre  63  zugeteilt  habe,  während  er  in  Wahrheit  das  Erd- 
beben unter  dem  Jahre  62  an  vorletzter  Stelle  berichtet  Ist  die 
Vermutung  über  die  Interpolation  bei  Seneca  richtig,  so  ist  das 
6.  Buch  der  Q.  N.  nicht  63,  sondern  62  geschrieben. 

Angezeigt  Riv.  di  stör,  antica  IX  1  S.  156  von  R.  C. 

20)  Körber,   Komische  Inschriften  und  Skulpturen.     Westd.  Korr. 

XXIV  6  (Jani  1905)  S.  98—103. 

Unter  den  hier  mitgeteilten  Funden  aus  Mainz  ist  eine  In- 
schrift, aus*  der  wir  erfahren,  daß  L.  Sulpicius  Scribonius  Proculus 
unter  Nero  Befehlshaber  des  obergermanischen  Heeres  war.  Der 
Mann  war  schon  bekannt  aus  Tac.  Ana  XIII  48;  H.  IV  41;  Dio 
LXIII  17.  Aber  seither  wußten  wir  aus  Dio  nur,  daß  von  den 
beiden  Brüdern  Scribonius  Proculus  und  Scribonius  Rufus  der 
eine  das  obergermanische,  der  andere  gleichzeitig  das  nieder- 
germanische Heer  befehligte,  nicht  aber,  welcher  das  eine  und 
welcher  das  andere.  Das  erfahren  wir  aus  der  neuen  Inschrift, 
und  außerdem  noch  den  Tollen  Namen  des  Scribonius  Proculus, 
den  Nero  später  mit  seinem  Bruder  in  den  Tod  trieb. 

'21)  A.  v.  Domaszewski,  Die  Heimat  des  Cornelias  Fascus.     Rhein. 
Mos.  1905  S.  158. 

Cornelius  Fuscus  war  nach  H.  II  86  pro  Galba  dux  ('  militäri- 
scher Führer')  eohmiae  snae  gewesen  und  hatte  durch  dieses  sein 
öffentliches  Auftreten  für  Galba  den  einträglichen  Posten  eines 
kaiserlichen  Prokurators  erlangt.  Cichorius,  Die  römischen  Denk- 
mäler in  der  Dobrudscha  S.  35,  versteht  unter  der  Kolonie,  aus 
der  Fuscus  stammte,  Pompeji.  Domaszewski  wendet  ein,  man 
begreife  nicht,  wie  Fuscus  sich,  wenn  er  aus  Pompeji  stammte, 
so  hohe  Verdienste  um  Galba  erworben  haben  könne,  daß  sie 
seine  Beförderung  zu  dem  hoben  Amte  eines  Prokurators  begründen 
konnten.    Pompeji  habe  für  die  Politik  jener  Zeit  keine  Bedeutung 


-316  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

gehabt.  Es  könne  nur  eine  Kolonie  gemeint  sein,  die  auf  dem 
einzigen  Kriegsschauplatz  jenes  Burgerkrieges,  in  Südgallien,  Jag, 
und  deren  Beteiligung  an  diesen  Kämpfen  so  allgemein  bekannt 
war,  daß  Tacitus  es  nicht  nötig  fand,  ihren  Namen  zu  nennen. 
Diese  Kolonie,  die  colonia  Galbiana  Galliens,  sei  Vienna,  die  somit 
als  die  Heimat  des  Cornelius  Fuscus  zu  gelten  habe. 

22)  Alfred    Kappelmacher,    Eprius    Marcellas    and    QuiotiliaiK 

Wiener  Stadien  26,  1  S.  67—70. 

.  Wie  kommt  es,  daß  Quintilian  von  dem  Namen  des  bei 
Tacitus  so  oft  erwähnten  großen  Redners  Eprius  Marcellus  gänz- 
lich schweigt?  K.  findet  das  Motiv  dieses  Schweigens  in  dem 
Bestreben  des  Quintilian,  sich  bei  Domitian  in  Gunst  zu  setzen. 
Denn  das  Andenken  des  Marcellus  war  bei  den  Flaviern  und  speziell 
bei  Domitian  getilgt,  weil  er  sich  im  Jahre  79  im  Verein  mit 
Alienus  Caecina  gegen  Vespasian  verschwören  hatte. 

23)  R.  Knox  McBldery,  Some   notes  upoo    Roman  Rritain.     Class. 

Rev.  1904  S.  398  und  458. 

Verf.  sucht  es  wahrscheinlich  zu  machen,  daß  die  römische 
Kolonie  zu  Lincoln  (Lindum)  unter  Vespasian  oder  Titus,  zwischen 
74  und  83  n.  Chr.,  vielleicht  durch  Agricola,  gegründet  worden 
sei.  Ferner  bemüht  er  sich,  mit  Hilfe  inschriftlicher  Zeugnisse 
die  Nummern  der  vier  cohortes  Batavorum  festzustellen,  welche 
nach  dem  codex  Toletanus  des  Agricola  an  der  Schlacht  am  Berge 
Graupius  teilnahmen.  Dann  entscheidet  er  sich  für  Asbachs  und 
Gsells  Ansetzung  der  britannischen  Statthalterschaft  des  Agricola 
auf  77—84,  während  die  meisten  sie  78 — 85  setzen.  Sein  Kon- 
sulat falle  in  die  Monate  Mai  und  Juni  77.  Endlich  spreche  die 
richtige  Interpretation  von  Agr.  24  dafür,  daß  Agricola  im  Jahre  81 
eine  Expedition  nach  Irland  unternommen  hat.  Dies  haben  be- 
kanntlich schon  Pfitzner  und  Gudeman  aus  jenem  Kapitel  heraus- 
gelesen. 

24)  Eduard  Moritz,   Die  geographische  Kenntnis  von  den  Nord- 

und   Ostseeküsten   bis   zum   finde  des   Mittelalters.     I.Teil. 
Progr.  Berlin,  Sophienschale  1904.     29  S.     4.     1  JC. 

Im  Eingange  dieser  Abhandlung  stellt  Verf.  die  von  den 
alten  Autoren  überlieferten  Nachrichten  über  die  Nord-  und  Ost- 
seeküsten, darunter  auch  die  des  Tacitus,  zusammen.  Da  er  sich 
neuer  Interpretationsversuche  enthalten  hat,  so  habe  ich  keinen 
Anlaß,  auf  Einzelheiten  einzugehen,  und  erwähne  nur,  daß  er  die 
bei  Cäsar  begegnende  und  Von  Tacitus,  im  Widerspruch  mit  seiner 
besseren  Kenntnis  der  Gestalt  Britanniens,  übernommene  An- 
schauung von  der  Lage  Britanniens  zu  Spanien  daraus  erklärt, 
daß  die  Römer  nicht  auf  dem  Seewege  um  Europa  nach  jenem 
Lande  kamen  und  daher  keine  Kenntnis  von  dessen  Entfernung 
Ton  Spanien  haben  konnten. 


Tacitus,  von  G.  Andresen.  317 

25)  v.  Domaszewski,  Batavodurum.  Korrespondenzbl.  der  Westf. Zteobr. 
f.  Gesch.  u.  Kuost  XXIII  S.  179—181. 

Die  Hauptstadt  der  Bataver  heißt  bei  Ptolemäus  Batavodurum, 
ebenso  bei  Tac.  H.  V  20,  während  der  gleichbedeutende  Ausdruck 
oppidum  Batavorum,  der  in  oppidum  Ubiorum  seine  Parallele  findet, 
\  19  erscheint    Von  den  bei  Tacitus  zusammen  mit  Batavodurum 
genannten  Orten  ist  Arenacum    das    heutige  Rindern   am  Rhein 
östlich   von  Noviomagus;    Grinnes   setzt   die    Peutingersche  Tafel 
23  Leugen  westlich  von  Noviomagus.    Aus  Tacitus'  Darstellung  der 
Kriegsereignisse  geht  hervor,    daß  Batavodurum  sudlich   der  Waal 
lag,    und    zwar  hat  es  nach  den  Worten  Batavoduri  interrumpere 
mchoatum  pontem  den  Anschein,    als   ob  es   unmittelbar  an  dem 
Strom  gelegen  hatte.     Aber  da  die  Peutingersche  Tafel,   die    den 
Lauf   der  Straße    am   Südufer    der  Waal    von   Noviomagus    über 
Grinnes  nach  Tablae  verzeichnet,  Batavodurum  nicht  als  Station 
der  Straße  bezeichnet,  so  muß  die  Stadt,  wenn  auch  nicht  allzu- 
weit vom  Flusse,    so  doch   südlich    der    direkten  Straße    gelegen 
haben.     Zu    diesen  Indizien    kommen    einige  Inschriften   aus  der 
Gegend   von  Herzogenbusch,    die  der  Hauptstadt  der  Bataver  an- 
zugehören scheinen.    Eine  von  ihnen  ist  gesetzt  von  dem  sumtnus 
magistratus  civitatis  Batavorum,    eine  andere  von   dem   staatlichen 
Dolmetsch  (interpres)  der  Bataver,  dessen  sie  im  Verkehr  mit  den 
römischen  Behörden  bedurften.  —  Die  Beweiskraft  der  genannten 
Inschriften  wird  bestritten  von  W.  Vollgraff,  ebd.  XXIV  S.  117. 

26)   Philippe   Fabia,    Domitieo    a   Lyoo.    Revue   d'histoire    de   Lyon 
IV  (1905)  1  S.  5—20. 

Fabia  erzählt,  was  über  die  Reise  des  jugendlichen  Domitian 
nach  Lyon  und  die  diese  Reise  vorbereitenden  Ereignisse  in  den 
Quellen,  unter  denen  Tacitus  (H.  IV  85.  86)  obenan  steht,  über- 
liefert ist.  Die  Abreise  des  Domitian  und  Mucian  aus  Rom  muß 
vor  den  22.  Juni  70  fallen;  denn  bei  der  an  diesem  Tage  er- 
folgten Grundsteinlegung  des  neuen  Kapitols  (H.  IV  53)  waren  sie 
nicht  mehr  anwesend.  Ob  Domitian  wirklich  —  Tacitus  erwähnt 
es  als  Gerücht  —  bei  Cerialis  insgeheim  angefragt  hat,  ob  er 
bereit  sei,  ihm,  wenn  er  käme,  Heer  und  Kommando  zu  über- 
geben, bleibt  dahingestellt,  ist  aber  an  sich  nicht  unwahrscheinlich. 
Von  den  beiden  Motiven  dieses  Schrittes,  zwischen  denen  Tacitus 
schwankt,  ist  das  erste  ganz  auszuschließen;  denn  der  Gedanke, 
meinem  Vater  gegenüber  als  Prätendent  aufzutreten,  konnte  dem 
jungen  Menschen,  der  zwar  ehrgeizig,  aber  kein  Narr  war,  nicht 
kommen ;  das  zweite  bedarf  einer  wesentlichen  Modifikation :  seine 
Absicht  war  nicht,  sich  eine  Streitmacht  zur  Bekämpfung  seines 
Bruders  zu  verschaffen,  sondern  sich  Kriegsruhm  zu  erwerben, 
der  geeignet  wäre,-  ihn  diesem  gegenüber  sowohl  für  den  Augen- 
blick als  auch  für  die  Zukunft,  wo  die  Frage  der  Thronfolge  zu 
entscheiden  war,    besser  zu  stellen:    er  wollte   der  Besieger  der 


318  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Deutschen  werden,  wie  Titus  im  Begriff  war,  der  Besieger  der 
Juden  zu  werden.  Die  Anwesenheit  des  Prinzen  in  der  gallischen 
Hauptstadt,  wo  man  ihm  vielleicht  am  1.  August,  dem  Tage  der 
offiziellen  Versammlung  der  Delegationen  der  60  Gemeinden  am 
Altar  der  Roma,  eine  Gesamthuldigung  dargebracht  bat,  hatte  eine 
politische  Bedeutung,  insofern  sie  das  Prestige  des  Reiches  in  den 
gallischen  Ländern  sicherte.  Das  Wesentliche  in  dieser  Richtung 
hatten  freilich  bereits  die  Waffen,  ja  schon  das  Erscheinen  des 
Cerialis  auf  dem  Kriegsschauplatze  getan.  Verdrießlich  über  die 
im  Vergleich  mit  Cerialis  allzu  geringe  Rolle,  die  er  spielte,  ver- 
ließ Domitian  Lyon  und  tat  so,  als  interessiere  er  sich  nicht  mehr 
für  Regierungsangelegenheiten.  Indem  er  sich  der  Öffentlichkeit 
entzog,  gedachte  er  den  väterlichen  Zorn  zu  besänftigen. 

Es  gab  über  die  Reise  des  Domitian  nach  Gallien  noch  einen 
anderen,  erheblich  abweichenden,  aber  offenbar  schmeichlerischen 
Bericht,  der,  da  wir  ihn  bei  Josephus  finden,  schon  vor  dem 
Prinzipat  des  Domitian  entstanden  ist.  Danach  hätte  Domitian  an 
der  Unterwerfung  der  Barbaren  einen  wesentlichen  Anteil  gehabt 
Diese  Erzählung  des  Josephus,  eines  Klienten  des  fiavischen  Hauses, 
verdient  um  so  weniger  Glauben,  als  sie  mit  anderen  offenbar 
verkehrten  Angaben  belastet  ist. 

27)  Anzeigen  älterer  Schriften:  Willems,  Le  senat  romain 
en  l'an  65  (JB.  XXVIII  302):  Riv.  di  storia  antica  VIII  2  S.  308 
von  G.  Tropea;  Bartels,  Die  Varusschlacht  (JB.  XXX  337):  Ztschr. 
des  Histor.  Vereins  für  Niedersachsen  1904  Heft  3  von  Schuchhardt, 
WS.  f.  klass.  Phil.  1904  Sp.  1423  von  E.  Wolff,  Lit.  Zentralbl.  1905 
Sp,  10  von  A.  R(iese)  (Rez.  erhebt  gegen  Bartels'  Ausführungen 
den  Einwand,  daß  Dio,  dessen  Bericht  er  dem  des  Fiorus  und 
Velleius  mit  Recht  vorziehe,  von  Sümpfen  völlig  schweige,  während 
cfr  selbst  auf  diese  das  Hauptgewicht  lege,  und  fugt  Westd.  Korr. 
1905  S.  21,  wo  er  diesen  methodischen  Fehler  wiederum  hervor- 
hebt, hinzu,  man  habe  konsequenterweise  von  Sumpfen  auf  dem 
Gelände  der  Schlacht  abzusehen:  Velleius  und  Fiorus  hätten,  um 
den  Eindruck  des  Grausigen  zu  verstärken,  die  für  die  Vorstellung 
von  Germanien  nun  einmal  typisch  gewordenen  paludes  in  ihren 
sonst  so  unbestimmten  Schlachtberichten  anzubringen  nicht  ver- 
säumen wollen),  DLZ.  1905  Sp.  160,  Berl.  phil.  WS.  1905  Sp.  579 
von  G.  Wolff;  Henderson,  The  life  and  principate  of  the  emperor 
^Nero  (JB.  XXX  342):  The  Engl.  Hist.  Rev.  76  S.  746  von  E.  S. 
Schuck burgh  (anerkennend,  wenn  auch  manchen  Urteilen  des  Verf. 
widersprechend);  Hofbauer,  Die  erste  Christen  Verfolgung  (JB. 
XXX  343):  Gymnasium  1904  S.  849  von  J.  Golling;  Valmaggi, 
Forum  Alieni  (JB.  XXX  345):  Riv.  di  storia  antica  IX  1  S.  158 
von  D.  Olivieri  und  Rev.  crit.  1905, 15  S.  297  von  J.  T.;  Ferrara» 
La  forma  deila  Britannia  secondo  la  testimonianza  di  Tacito  (JB. 
XXX  346):  Rev.  crit.  1905,  9  S.  179  von  E.  T. 


Tacitus,  von  G.  Andresen.  319 

IV.   Sprachgebrauch. 

28)   Reinhold    Macke,    Die    römischen    Eigennamen    bei  Tacitu*. 
V.    Eine  sprachliche  Untersuchung.     Progr.  Kb'nigshtitte  1905.     14  S. 

M.   spricht  zunächst  seine  Genugtuung  darüber  aus,   daß  wir 
nun  auch  für  Tacitus  die  beiden  zum  sprachlichen  und  sachlichen 
Verständnis    eines   jeden  Schriftstellers    unentbehrlichen  Wörter- 
bächer  und  zwar  in  einer  dem  Stande  der  Wissenschaft  und  den 
Forderungen    der  Lexikographie    durchaus    entsprechenden   Form 
besitzen.     Freilich  bedürfe  das  eine  wie  das  andere  noch  einiger 
Ergänzungen.     Schon  1893  habe  er  darauf  hingewiesen,    daß  im 
Lex.  Tac.  von  den  16  Beispielen  des  Wortes  dictator  sechs  (sämt- 
lich in  den  Annalen)  fehlen.    In  Fabias  Onomasticon  wäre  es,  meint 
er,  zweckmäßig  gewesen,  die  Stellen,  an  denen  eine  schon  genannte 
Person   oder  Sache  wieder  erwähnt,  aber  nicht  mit  ihrem  Namen 
bezeichnet  wird,  ausgeschrieben  in  den  Text  einzufügen,    statt  in 
einer  Anmerkung  nur  die  Kapitelzahlen  zu   sammeln.     So   würde 
z.  B.  bei  Domitia,  Neronis  amita  zu    den    beiden    bei  Fabia    aus- 
geschriebenen Stellen  XIII  19  und  21  noch  XIII  27  (bei  Fabia  in 
der  Anmerkung  irrtümlich  XIII  20)  hinzuzufügen  sein,  wo  dieselbe 
Domitia    einfach    amita   genannt    wird  *).     Auch    die  Stellen,    wo 
Tacitus    eine  Person  erwähnt,    die  er  nirgends  bei  Namen  nennt, 
wie  den  gleichnamigen  Enkel  des  Tiberius,  den  Sohn  des  Drusus. 
wären  von  Fabia,  der  sie  nur  mit  Ziffern  bezeichnet,  besser  aus- 
geschrieben worden.    Es  fehle  auch  der  Name  des  Sokrates,  der 
hinter  der  Bezeichnung  praestantissimus  sapientiae  VI  6  stecke,  der 
der    Werra    oder   der    fränkischen    Saale    (flumen    gignendo   sah 
fecundum  XIII  57)   und   der  des  H.  I  67  erwähnten   Munizipiums 
(tricus  Aquemis  =  Baden  in  der  Schweiz);  und  wenn  pom  sublichu 
Aufnahme   gefunden    habe,    so    hätten    außer  den  von  Thedenat 
(s.  JB.  1901  S.  334)  erwähnten  örtlichkeiten  (von  denen  übrigens 
forum  Romanum  bei  Fabia  nicht  fehle)  auch   die  rostra  und  die 
pontes  longi  verdient,    nicht   ausgeschlossen  zu   werden,    obgleich 
sie  bereits  im  Lex.  Tac.  stehen.    Die  Geringfügigkeit  dieser  Nach- 
tragswünsche zeigt,  daß  das  Onomasticon  mit  bewunderungswerter 
Sorgfalt  hergestellt  ist  und  den  höchsten  Ansprüchen  gerecht  wird. 
An  den  Namen  des  Tacitus  selber  und  die  Art,  wie  er,  teils 
im  Plural,  teils  im  Singular,   von  sich  spricht,  anknüpfend,   ver- 
zeichnet M.  sämtliche  Stellen,  wo  bei  Tacitus  eine  redende  Person 

1)  Diese  nackte  Bezeichnung  erschien  mir  so  seltsam,  daß  ieh  eine 
Lücke  annahm  und  in  der  letzten  Auflage  der  Nipperdeyschen  Ausgabe 
{Jhmüiae,  Neronis}  mnüae  sehrieb.  Daß  die  Deutlichkeit  diesen  Zusatz 
nicht  unbedingt  erfordert,  räume  ich  ein;  von  größerer  Bedeutung  für  die 
Entscheidung  über  seine  Notwendigkeit  ist,  wie  M.  mit  Recht  bemerkt,  der 
Sprachgebrauch,  den  Tacitus  bei  der  Wiederholung  des  Eigennamens  oder 
bei  dessen  Ersetzung  durch  ein  Pronomen,  eine  Verwandtschaftsbezeichnung 
oder  irgend  eine  andere  Ausdrucksart  befolgt.  Ich  hoffe  aber,  daß  dieser 
Sprachgebrauch,  wenn  er  festgestellt  ist,   meine  Konjektur  bestätigen  wird. 


( 


320  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

sich   selber  bei  Namen   nennt  (vgl.  JB.  1893  S.  221),    und    stellt 
sodann    zusammen,    was    sich    nach    dem  Erscheinen   seiner    vier 
Programme    durch    neugefundene  Inschriften    und  genauere  Ver- 
gleichung  der  Handschriften  an  Berichtigungen  Taciteischer  Namens- 
formen ergeben  hat ;  zugleich  ergänzt  er  ein  paar  Lucken  in   den 
Namenslisten    dieser  Programme.     Es    folgt    eine  Übersicht    über 
diejenigen  Doppelnamen  bei  Tacitus,  deren  Bestandteile  durch   ein 
Eingeschobenes  Wort   getrennt   sind  (vgl.  JB.  1893  S.  221).     Ein 
solches  trennendes  Wort  ist  que  (fast  nur  in  den  Annalen;  XIII  25 
ist,  wie  ich  berichtigend  bemerke,  im  Mediceus  Miusque  in  Iuliusq; 
korrigiert),  meist  zwischen  Gentile  und  Cognomen  oder  Cognomen 
und  Gentile  stehend,    ferner  quoque  (meist  zwischen  Nomen  und 
Cognomen,  jedoch  zweimal  hinter  dem  Praenomen),  ne-quidem  und 
autem.    Nicht  notwendig,  aber  häufig  ist  die  Nachstellung  bei  den 
Partikeln  deinde,  dein,  inde,  welche  die  Bestandteile  eines  Namens 
kaum  häufiger  trennen  als  quondam,  interim,  At'nc,  nämlich  außer 
deinde  (zweimal)  nur  je  einmal.    Von  Pronomina  endlich  gehören 
hierher  hunc  Dial.  8,  iste  Dia).  15,  se  H.  II  72  und  Ulis  H.  III  66. 
Hierzu   kommt  noch  Menenium,  ut  puto,  Agrippam  Dial.  17,    vgl. 
ebd.  Hirtio  nempe  et  Pansa   consulibus.     Das   einzige  Beispiel    der 
Verbindung    der    beiden  Konsuln    durch    que   ist  Agr.  44  Collega 
Priscoque  consulibus.     Unter  allen  hier  genannten  Stellen  ist  nur 
die   dreimalige  Verbindung  Primus  Antonius  Varusque  Arrius   (im 
Gen.  und  Abi.)  auffallend,  besonders  da  sich  die  Inversion  bei  dem 
Namen  Arrius  Varus  nur  in  dieser  Formel  findet. 

Schließlich  gibt  M.  eine  Ergänzung  zu  seinem  Plöner  Pro- 
gramm über  die  Substantive  des  Tacitus.  Danach  braucht  Tacitus 
selbst  kein  Verkleinerungswort  schmeichelnden  oder  herabziehenden 
Charakters,  sondern  legt  die  wenigen,  die  in  seinen  Schriften  vor- 
kommen, andern  Personen  in  den  Mund.  Ausgenommen  ist  nur 
XIII  13  quae  princeps  furtim  mulierculae  tribuebat,  wo  Tacitus 
selbst  ein  Dcminutivum  gebraucht.  Eine  zweite  Ausnahme,  füge 
ich  berichtigend  hinzu,  bildet  clientulis  XII  36;  denn  dies  scheint 
die  ursprungliche  Lesung  des  Mediceus  zu  sein;  vgl.  mein  Pro- 
gramm 1892  S.  8. 

V.   Handschriftliches. 

39)  Feiice  Ramorino,  De  codice  Taciti  Aesino  nuper  reperto. 
Atti  del  congresso  internazioaale  di  scieoze  storiehe.  Bstratto  del 
Vol.  II.  Sezione  I:  Storia  antica  e  filologia  ciassica.  Roma  1905, 
tipografia  della  R.  accademia  dei  liocei.     8  8.     8. 

In  diesen  JB.  XXIX  S.  251  ist  mitgeteilt  worden,  daß  in  der 
Bibliothek  des  Grafen  Balleani  zu  Jesi  bei  Ancona  eine  in  ihren 
jlteren  Teilen  angeblich  aus  dem  9.  Jahrhundert  stammende  Hand- 
schrift entdeckt  worden  sei,  welche  außer  der  Ephemeris  des 
Dictys  Cretensis  den  Agricola  und  die  Germania  des  Tacitus  ent- 
halte.    Über   diesen   Fund    bringt  Ramorino    einige    nähere  Auf- 


y^ 


Ttcitug,  von  G.  Andreseo.  321 

schlösse,  die  jedoch  nicht  auf  Autopsie  beruhen,  sondern  auf  Hit- 
teilungen des  Cesare  Annibaldi,  dem  der  Besitzer  der  Handschrift 
die  Einsicht  gestattet  hat.  Danach  füllen  der  Agricola  und  die 
Germania  in  zwiefachen  Kolumnen  zusammen  24  Blätter  der  Hand- 
schrift, von  denen  acht  die  Schrift  des  10.  oder  gar  des  9.  Jahr- 
hunderts aufweisen  und  den  mittleren  Teil  des  Agricola  darbieten, 
während  die  übrigen  16  dem  Schrifttypus  des  15.  Jahrhunderts 
angehören  und  den  Anfang  und  das  Ende  des  Agricola  sowie 
die  ganze  Germania  enthalten.  Von  den  der  Schrift  Ramorinos 
beigegebenen  Tafeln,  welche  Proben  der  verschiedenen  Schrift- 
charaktere aus  dem  Agricola  wie  aus  der  Germania  bieten,  ist 
diejenige  die  wichtigste,  welche  einen  Ausschnitt  aus  dem  älteren 
Teil  der  Handschrift  darstellt.  Es  ist  ein  kleiner  Teil  der  Rede 
des  Calgacus  Agr.  32.  Aber  weder  aus  dieser  Tafel  noch  aus  den 
übrigen  ergibt  sich  ein  Gewinn  für  die  Textgestaltung. 

Ramorino  vermutet,  daß  jene  acht  Blätter  des  Agricola  ein 
Rest  jenes  Kodex  sind,  den  Enoch  von  Ascoli  um  die  Mitte  des 
15.  Jahrhunderts  aus  Deutschland  nach  Italien  gebracht  hat,  und 
schließt  mit  der  Bemerkung,  es  sei  Hoffnung,  daß  man  in  nicht 
zu  ferner  Zeit  durch  Cesare  Annibaldi  vollen  Aufschluß  über  die 
Bedeutung  des  Fundes  erhalten  werde. 

Einen  etwas  ausführlicheren  Bericht  über  Ramorinos  Mit- 
teilungen findet  man  WS.  f.  klass.  Phil.  1905  Sp.  477. 

30)  Remigio  Sabbadioi,  Spogli   Ambrosiani   latini.     Studi  italiani 
di  fil.  class.  XI  (1903).. 

Dem  Tacitus  ist  der  Abschnitt  S.  203—229  gewidmet.  S.  be- 
tont, daß  alle  Anzeichen,  die  man  dafür  gefunden  zu  haben  ge- 
glaubt hat,  daß  es  für  Tac.  Ann.  XI— XVI  und  die  Historien  noch 
andere  Textesquellen  gebe  als  den  Med.  II,  trügerisch  sind,  und 
daß  insonderheit  die  Spur,  die  auf  eine  Handschrift  in  Venedig 
zu  führen  schien,  auf  einem  Mißverständnis  Ernestis  beruht,  die 
durch  eine  Angabe  des  Victorius  hervorgerufen  wurde.  Ferner 
stellt  er  mit  Hilfe  des  datierten  Apographons  cod.  Parmensis  861 
fest,  daß  der  ßiattverlust,  welcher  die  beiden  Lücken  im  Mediceus 
hervorgerufen  hat,  vor  dem  Jahre  1452  eingetreten  ist,  und  ver- 
mutet, daß  die  durch  den  Laur.  68,  5  und  die  editio  princeps 
vertretene  lückenlose  Tradition  vielleicht  auf  die  Abschrift  Boccaccios 
zurückgeht.  —  Sodann  gibt  S.  eine  Kollation  des  cod.  Ambro- 
sianus H  29  sup.  cart.  saec.  XV,  welcher  außer  Sueton  de  gramm. 
et  rhetor.  den  Dialogus  des  Tacitus  enthält,  nach  dem  Texte 
von  ßaehrens.  Für  die  Textgestaltung  des  Dialogus  ist  aus  dieser 
Handschrift  nichts  zu  gewinnen  (in  einer  Anmerkung  konjiziert 
Sabbadini  5,  11  et  ego,  ut  qua(dam)tenus  arbilrum  litis  huius 
inveniri  (patiar},  non  patiar  etc.,  wo  ut  konzessiv  sein  soll) ;  aber 
die  vielen  Auslassungen  im  codex  Ambros.  und  manche  seiner 
Fehler  deuten,  meint  er,  darauf  hin,  daß  seine  Vorlage  jener  alte, 

Jahresbericht«  XXXL  21 


322  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

von  Enoch  von  Ascoli  im  Original  nach  Italien  gebrachte  germanische 
Archetypus  war,  der  aus  dem  10.  oder  11:  Jahrhundert  stammte 
und  teils  infolge  seines  Alters,  teils  infolge  starker  Benutzung 
durch  die  Humanisten  nicht  leicht  lesbar  war.  Überhaupt  seien 
die  Differenzen  zwischen  den  Traditionen  M  und  N  (nach  der  Be- 
zeichnung bei  Baehrens)  als  Produkte  verschiedener  Leseversuche 
zu  betrachten.  Der  Ambrosianus  stehe  96  mal  mit  AI  gegen  N, 
91  mal  mit  N  gegen  M,  und  auch  daraus  ergebe  sich,  daß  er 
direkt  aus  dem  germanischen  Urkodex  abgeschrieben  sei. 

Angezeigt  DLZ.  1905  Sp.  88  von  W.  M.  Liudsay,  Bull.  bibl.  et 
ped.  du  Mus.  b.  von  J.  P.  Waltzing,  Rev.  crit.  1905  S.  179,  WS. 
f.  klass.  Phil.  1905  Sp.  123  von  P.  Weßner. 

31)  Ed.  Philipp,    Über    die  Mailänder   uod   die  Venediger    Haod- 

schrift  zum  Dialog  desTacitus.    Wiener  Studien  26  S. 290 — 308. 

Die  Mailänder  Handschrift,  von  der  Philipp  spricht,  ist  die- 
selbe, über  welche  Sabdadini  berichtet.  Auch  nach  seinem  Urteil 
ist  dieser  Kodex  an  sich  wertlos,  er  bringe  jedoch  insofern  einigen 
Nutzen,  als  er  in  zweifelhaften  Fällen  die  Lesarten  der  Venediger 
Handschrift  feststellen  helfe;  er  stehe  nämlich  zu  dieser  Hand- 
schrift in  dem  Verwandtschaftsverhältnis  eines  entarteten  Netten 
zum  guten  Oheim.  Durch  beide  zusammen  werde  eine  zwischen 
Michaelis1  Urexemplaren  X  und  Y  vermittelnde  dritte  Gruppe  ge- 
bildet. Philipp  nennt  diese  dritte  Gruppe  Z  und  vermutet,  ab- 
weichend von  Sabbadini,  Z  sei  auf  Grund  von  Y  unter  Vergleichung 
des  Urkodex,  d.  i.  des  Enochschen  Exemplars,  angefertigt  worden. 

Hierzu  fugt  Philipp  ein  paar  Beiträge  zur  Textkritik  des 
Dialogus.  1, 16  sei  diversas  vel  easdem  sed  probabiles  causas  intakt: 
*  Die  einzelnen  Unterredner  vertraten  teils  (ich  denke  nur  an  einen) 
den  entgegengesetzten  Standpunkt  von  dir,  lieber  Freund,  teils 
(ich  denke  an  einen  zweiten  und  dritten)  den  nämlichen  (ein- 
leuchtenden) Standpunkt  wie  du';  3,10  leges  tu,  quod  Maiemus 
sibi  debuerit  (als  fut.  II);  8,  5  ohne  Lücke  alterius  (=  altertus 
utrius,  'des  einen  oder  des  andern')  ter  milies  sestertium;  21,  17 
regulae  als  Rest  eines  Glossems  zu  tilgen ;  27, 1  Appareto,  rnquit 
Maternus  =  'das  laß  als  erwiesen  gelten'.  Auf  Beifall  dürfen 
diese  Vorschläge  wohl  nicht  rechnen,  am  wenigsten  der  zweite 
und  der  letzte. 

32)  Georg  Wissowa,  Zur  Beurteilung  der   Leidener  Germania- 

bandschrift.     Festschrift    des   Philologischen  Vereins    in   München 
1905.    München,  J.  Lindaner.     13  S. 

Jungst  hat  B.  Sepp  (s.  JB.  XXIX  S.  252)  behauptet,  daß  der 
codex  Leidensis  XVIII  Periz.  C.  21  (b),  welcher  den  Dial.  und  die 
Germ,  des  Tacitus  sowie  Suetons  Fragment  de  grammaticis  et 
rhetoribus  enthält  und  zusammen  mit  dem  Vaticanus  1862  (B) 
die  Handschriftengruppe  X  repräsentiert,  einfach  aus  diesem  ab- 
geschrieben und  somit  aus  dem  Apparat  völlig  auszuscheiden  sei. 


o 


Tacitos,  von  G.  Andres en.  323 

Diese  Behauptung  widerlegt  Wissowa,  gestutzt  auf  eine  sehr  ein- 
gehende Prüfung  der  Handschrift,  die  er  in  Halle  in  aller  Muße 
vornehmen  konnte.  Sie  röhrt  nicht,  wie  Sepp  voraussetzte,  von 
der  eigenen  Hand  des  Jovianus  Pontanus  her,  auf  den  zwei  Rand- 
notizen der  Handschrift  zurückgehen ;  diese  Randnotizen  aber  ge- 
hören derselben  Hand,  die  den  Text  schrieb,  wie  schon  Michaelis 
(Praefatio  der  Dialogusausgabe  S.  IX  A.  3)  erkannte,  und  stammen 
zusammen  mit  dem  Text  aus  der  Vorlage.  Da  ß  diese  Rand- 
bemerkungen nicht  enthält,  kann  B  nicht  die  Vorlage  von  b  sein. 
Sepps  Beweisgründe  für  das  von  ihm  angenommene  Abhängigkeits- 
verhältnis beruhen  auf  einer  widersinnigen  Ursprungserklärung  der 
beiden  Handschriften  gemeinsamen  Doppellesarten.  Die  von  B 
und  damit  wohl  auch  von  X  abweichende  Reihenfolge  der  drei 
Schriften  wird  man  vermutlich  Pontanus  zuzuschreiben  haben; 
jedenfalls  gilt  dies  für  die  konsequent  durchgeführte  von  der  in 
ß  beobachteten  vielfach  abweichende  Orthographie.  Daraus,  daß 
Pontanus  die  Lücken  der  Vorlage  im  Dial.  (12,  17.  22,  15)  un- 
ergänzt  ließ,  ergibt  sich,  daß  er  sich  gegenüber  dem  Text  der 
Vorlage  in  der  Hauptsache  eine  für  die  damaligen  Verhältnisse 
bemerkenswerte  Zurückhaltung  auferlegte.  Der  ganze  Text  von  b 
ist  von  Anfang  bis  zu  Ende  von  ein  und  derselben  Hand  außer- 
ordentlich gleichmäßig  und  sauber  geschrieben.  Manche  Versehen 
hat  der  Schreiber  während  des  Schreibens  berichtigt,  anderes 
nach  Fertigstellung  des  Textes  bei  erneuter  Vergleichung  der  Vor- 
lage verbessert,  getilgt  oder  nachgetragen,  auch  auf  Korruptelen, 
am  häufigsten  im  Dial.,  durch  ein  Zeichen  am  Rande  oder  über 
dem  betreffenden  Worte  hingewiesen.  Die  zweite  Hand  hat  im 
Leidensis  den  Dial.  mit  reichlichen  Randbemerkungen  versehen, 
in  denen  kurze  Inhaltsangaben  formuliert,  im  Texte  vorkommende 
Eigennamen  oder  sprachliche  Besonderheiten  herausgehoben,  zu- 
weilen auch  Parallelstellen  zitiert  werden.  Für  den  Text  ist  diese 
zweite  Hand  nirgends  von  Bedeutung;  eine  um  so  größere  Rolle 
spielt  in  dieser  Hinsicht  in  allen  drei  Schriften  ein  jüngerer 
Korrektor,  dessen  Textkorrekturen  sich  auch  auf  die  Rand- 
bemerkungen der  zweiten  Hand  erstrecken.  In  der  Germania  geht 
weitaus  das  meiste,  was  sich  von  Text-  und  Randkorrekturen 
findet,  unter  die  erste  und  die  dritte  Hand  auf. 

Man  ist  neuerdings  eifrig  bemüht,  neben  den  beiden  Apo- 
gepha X  und  T  Abkömmlinge  eines  dritten  Apographon  nach- 
zuweisen; aber  der  Beweis  ist  bis  jetzt  nicht  geliefert.  Sollte  es 
aber  wirklich  ein  solches  gegeben  haben  und  sollten  bestimmte 
Handschriften  als  seine  Nachkommenschaft  anzusprechen  sein,  so 
wird  man  doch  um  die  Annahme  nicht  wohl  herumkommen,  daß 
in  diesen  Handschriften  außerdem  noch  eine  starke  Vermischung 
der  verschiedenen  Oberlieferungsströme  stattgefunden  hat;  damit 
wird  aber  der  praktische  Wert  dieser  Textquetlen  für  die  recensio 
so  gut  wie  ganz  aufgehoben. 

21* 


324  Jahresberichte  d.  Philolog    \ereioa. 

VI.  Textkritik  und  Erklärung. 

33)  Ch.  Knapp,  Note  od  Tacitus  Agr.  31,  5.    Proceediogs  of  the  thirty- 

fourth  aooual  sessioa   of  the  Americaa  pbilological  association   (Jolj 
1902)  S.  XLIX— LI. 

Kn.  glaubt  die  viel   erörterte  Stelle  31, 19  ohne  gewaltsame 
Änderung   in  Ordnung   bringen    zu    können.    Er  streicht  nur  t* 
vor  libertatem  und  liest  also  et  libertatem  non  in  paenitentiam  laturi 
(ferre  davontragen').     Die  ganze  Stelle  gibt  er  so  wieder:   'The 
Brigantes  (ever  after  they  had  been   enslaved    and  their   strength 
had  been  tbus  impaired,  and)  though  tbey  had  only  a  woman  to 
lead    them,    were    able    to    burn  a  (Roman)  colony,    to    storm  a 
(Roman)  eamp,  and,  had  tbey  not  repented  them,  had  thrown  off 
the  (Roman)  yoke ;  let  us,  whose  strength  is  unimpaired  and  who 
have  never  yet  been  subdued  (who  have  not  a  woman  but  a  man 
to  lead  us),  who  are  resolved  to  win  our  independence,  not  that 
we    may  repent  of  it  (as  the  Brigantes  did,    but  that  me  may 
possess  it  for  ever),  let  us,  I  say,  ...  show,  wbat  men  Caledonia 
has  had  in  reserve  for  its  defence'. 

34)  W.  C.  F.  Walters,  Class.  Rev.  1905  S.  267  findet  in  Agr.  46 
eine  Reminiszenz  aus  dem  Ennianischen  Nemo  me  laerumis  decoret, 
und  deshalb  könne  Z.  7,  wo  die  Ausgaben  zwischen  den  Lesarten 
colamus  und  decoremus  schwanken,  nur  an  das  letztere  gedacht 
werden.  Zu  den  Worten  non  quia  . . .  possis  vergleicht  er  noch 
Hör.  Ep.  II  1 ,  247  nee  magis  expressi  vultus  per  aenea  signa  Quam 
per  vatis  opus  mores  animique  virorum  Clarorum  apparent. 

35)  Luigi  Valmaggi,   Tacitiaoa.     Estr.  dagli   Atti  della  R.  Accadenit 

delle    Scieoze   di   Torioo    vol.  XL  Adaoaoza   del   12  Febbraio   1905. 
20  S. 

Die  kleine  Schwierigkeit,  welche  die  Worte  At  in  Pannonia 
tertia  decuma  legio  H.  II  86  verglichen  mit  II  67  tertiadecumani 
struere  amphitheatra  (in  Cremona  und  Bononia)  iussi  bereiten, 
löst  V.  durch  die  Annahme,  daß  die  Legion  nach  Vollendung  der 
Bauten  nach  Pannonien  zurückgekehrt  sei,  was  Tacitus  anzugeben 
unterlassen  habe.  Man  findet  dieselbe  Lösung  schon  bei  Heraeus. 
—  Daß  die  beiden  Soldaten  III  23,  die  sich  durch  aufgeraffte 
Schilde  der  Gegner  unkenntlich  machten,  Prätorianer  gewesen 
seien,  hat  schon  WolfT  erkannt.  V.  fugt  hinzu,  die  Stelle  beweise, 
daß  die  Schilde  der  Prätorianer  sich  von  denen  der  Legionare 
nicht  bloß  durch  die  Verzierung,  sondern  auch  durch  die  Gestalt 
unterschieden;  denn  nur  diese  letztere  war  im  Dunkel  der  Nacht 
erkennbar.  —  III  24  sei  illic  auf  vincitis  zurückzubeziehen  und 
= 'im  Siege'  zu  setzen:  eine  neue  und  nicht  unbedenkliche  Er- 
klärung. —  25  sei  limes  viae  (im  Gegensatz  zu  agger  viae)  der 
4 Saum  der  Straße',  das  Gelände  zu  ihrer  Seite;  ebenso  21  per 
apertum  limitem.  —  Die   fünf  Legionen   des  tlavianischen  Heeres 


n 


Ttcitos,  von  G.  Audreten.  325 

müssen  zu  Beginn  des  Feldzuges  mit  den  Auxilien  und  der  Reiterei 
über  50000  Mann  stark  gewesen  sein,  während  wir  33  lesen 
quadraginta  armatorum  milia  inrupere.  Auf  die  Frage,  wodurch 
die  Verminderung  herbeigeführt  sei,  antwortet  V.:  nicht  bloß  durch 
die  bisher  erlittenen  Verluste,  sondern  auch  durch  die  zurück- 
gelassenen Etappenposten  und  Besatzungen,  über  die  Tacitus  uns 
nur  unvollkommen  unterrichte.  So  schweige  er  z.  B.  von  den 
Plätzen  Verona  und  Bedriacum,  die  auf  keinen  Fall  ungeschützt 
bleiben  konnten.  —  39  bedeute  integris  rebus  nicht:  'als  Vitellius 
noch  keine  Nebenbuhler  hatte1,  sondern  genauer:  4als  man  noch 
nicht  wußte,  daß  er  Nebenbuhler  hatte';  denn  Gaecinas  Haltung 
begann  erst  nach  dem  Einzüge  des  Vitellius  in  Rom,  der  am 
18.  Juli  stattfand,  schwankend  zu  werden,  nachdem  Vespasian 
schon  am  1.  Juli  zum  Kaiser  ausgerufen  worden  war.  —  44  ver- 
mutet V.,  an  einen  Vorschlag  von  Urlichs  anknüpfend,  et  Britanniam 
inditus  secundae  legioni  erga  Vespasianum  favor,  quod  Uli  a 
Claudio  etc.,  ein  gewaltsames  Heilmittel  einer  Korrupte!,  die  viel- 
leicht nur  in  der  Einbildung  existiert.  Denn  daß  man  unter 
Britanniam  nicht  das  Land,  sondern  dessen  Besatzung  zu  ver- 
stehen hat,  zeigt  der  Zusammenhang.  —  Nach  II  93  hatte  Vitellius 
16  prä torische  Kohorten  ausgehoben;  111^55  lesen  wir,  daß  Priscus 
und  Alfenns  mit  14  prätorischen  Kohorten  ausrückten;  III  78 
jedoch  werden  nicht  zwei,  sondern  drei  Kohorten,  unter  denen 
man  prätorische  zu  verstehen  pflegt,  als  in  Rom  anwesend  er- 
wähnt. Die  Art,  wie  man  diese  Schwierigkeit  zu  heben  pflegt, 
findet  man  bei  Wolff  und  Heraeus  zu  III  69,  6,  wo  unter  Germanicae 
cohortes  prätorische  verstanden  werden,  und  zu  III  78.  Gegen 
diesen  Lösungsversuch  wendet  sich  V.  Es  sei  durchaus  nicht 
erwiesen,  daß  die  drei  78  erwähnten  Kohorten  prätorische  gewesen 
seien.  Überhaupt  könne  das  zweite  Heer  des  Vitellius  nicht  aus- 
schließlich aus  Prätorianern  bestanden  haben;  denn  wenn  das  der 
Fall  wäre,  so  müßte  Vitellius,  da  auch  41,  2  von  drei  Kohorten 
die  Rede  ist,  im  ganzen  20  prätorische  Kohorten  gehabt  haben. 
Die  Dreizahl  aber  müsse  III  78  rhetorisch  gefaßt  werden,  da  drei 
Kohorten  für  den  Angriff  auf  das  Kapitol  nicht  ausgereicht  haben 
könnten:  tres  stehe  hier  als  indefinites  Numerale  im  Sinne  von 
pauci.  Die  Belege,  die  V.  für  diesen  letzteren  Gebrauch  anführt, 
scheinen  mir  nicht  zu  genügen,  um  ihn  für  Tacitus  annehmbar 
zu  machen. 

36)  Luigi   Valmaggi,   Di   uo    passo    interpolato    nelle    Storie   di 
Tacito.     Atti  d.  R.  Accad.  di  sc.  di  Torino  XXXIX  12  S.  959—961. 

V.  findet,  daß  H.  III  40  die  beiden  Ausdrücke  vitata  Ravenna 
und  per  oecultos  tramites  sich  gegenseitig  ausschließen,  weil  die 
via  Aemilia,  welche  Valens  bis  Bononia  zu  benutzen  hatte,  um 
von  da  nach  Hostilia  zu  gelangen,  eine  ganze  Strecke  von  Ravenna 
entfernt  war.    Welcher  von  den  beiden  Ausdrücken  zu  tilgen  sei, 


( 


326  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

könne  auf  den  ersten  Blick  zweifelhaft  sein.     Bei  genauerer  Er* 
wägung  entscheide  er  sich  für  die  Ausscheidung  der  Worte  vitala 
Ravcnna.    Denn  diese  sähen  eher  einem  Glossem  ähnlich  als  per 
occultos  tramites;   ferner  passe  cum  fidissimis,  wenn  es  auch  dem 
vüata  Ravenna  nicht  widerspreche,    doch  besser  zu    per    occultos 
tramües;   endlich  —  und    das    sei    entscheidend  —  könne    man 
nicht  voraussetzen,  daß  Valens,  der  kein  Heer  hatte,  sich  in  die 
Mitte  der  Linien  der  Feinde  zu  wagen  gedachte,  welche,   als  sich 
die  Nachricht   vom  Abfall    der   ravennatischen  Flotte    verbreitete, 
bereits    einen    guten    Teil    des    Gebietes   zwischen   Aquileia    und 
Ravenna  in  Händen  hatten.    Hervorgerufen  sei  das  Glossem  durch 
die    vorangehenden  Worte  proditam  a  Lucilio  Ba&so  Ravennatem 
classem  . . .  accepit.  —  Diese  Argumentation  überzeugt  nicht.    Aller- 
dings sind  Glosseme  in  den  Historien  mit  Sicherheit  nachgewiesen 
worden;    aber  ihre  Kennzeichen  sind  andere,  ihre  Entstehung  ist 
deutlicher  sichtbar.    Der  Rat,  der  an  der  besprochenen  Stelle  dem 
Valens   gegeben    wird,    läuft  auf  das  f allere  (41,  2  ad  fallendum) 
hinaus:  er  solle  weder  auf  der  via  Aemilia  noch  auf  der  via  PopiJlia 
nach  Hostilia   oder  Cremona    zu   gelangen    suchen,    sondern    per 
occuUos  tramües,   und   schon  von  Ariminum  aus  versteckte  Pfade 
suchen;    vor  Ravenna  wird  er  noch  besonders  gewarnt,    damit  er 
nicht  die  via  Popillia  auf  der  Strecke  von  Ariminum  nach  Ravenna 
benutze    und    erst   von  Ravenna   ab   versteckte  Pfade  einschlage. 
Nur  so  werde  sein  Durchzug  unbemerkt  bleiben. 

37)  Joannes  Krözel,  Ad  Taciti  Ann.  I  35,  14.    Eos  XI  S.  11— 13. 

Krözel  bringt  einen  neuen  Vorschlag  zur  Verbesserung  des 
verderbten  promptas  ostentavere,  ein  Amendement  zu  Walthers 
Vorschlag  promptas  <m>,  nämlich  promptas  (vires).  Er  verweist 
auf  H.  III  10,  2  ostentare  vires  und  bemerkt,  dieser  Ausdruck 
klinge  soldatischer  als  ostentare  res.  Die  einfachste  und  durch 
eine  Parallelstelle  hinreichend  geschützte,  wenn  auch  nicht  sichere 
Verbesserung  bleibt  auch  nach  diesem  Vorschlag  promptos  ostentavere. 

38)  G.  Musotto,  In tornoallatradizionedellamortediGermaoico, 

figlio  di  Druso,  presso  Tacito,  Dione  Cassio  e  Suetonio  und:  Uns 
nuova  cootraddizione  negli  Aooali  di  Tacito  al  libro  I  c.  40  e  41. 
Riv.  di  storia  aotica  IX  1  S.  1—4  und  4—6. 

M.  glaubt  einen  Widerspruch  zu  finden  zwischen  scelere 
Pisonis  Ann.  II  71  und  visus  est  diluisse  Hl  14  und  fährt  ihn 
darauf  zurück,  daß  Tacitus  zwei  verschiedene  Quellen  nacheinander 
benutzt  habe.  Der  Widerspruch  existiert  nicht;  denn  an  der 
ersten  Stelle  ist  es  Germanicus,  der  seine  Überzeugung  ausspricht, 
daß  er  vergiftet  sei;  an  der  zweiten  berichtet  Tacitus  von  seinem 
Standpunkt  aus  das  Ergebnis  der  gerichtlichen  Untersuchung.  — 
Einen  anderen  Widerspruch  findet  M.  in  den  Worten  cur  fütum 
parvulum,   cur  gravidam   contugem  I  40   verglichen    mit  41  tarn 


n 


Tacitns,  von  G.  Andreseo.  327 

infam  in  castris  genitus,  in  contubemio  legionum  eductus.  Er  be- 
trifft die  Person  des  kleinen  Caligula;  aber  die  Ausfuhrungen 
Musottos  über  diesen  Punkt  sind  zu  unklar,  als  daß  ich  angeben 
könnte,  worin  der  angebliche  Widerspruch  besteht.  Die  Worte 
in  castris  genitus  sind  es  nicht,  woran  er  Anstoß  nimmt;  denn  er 
erkennt  an,  daß  Tacitus  in  dieser  Angabe  dem  Volksglauben  folgt. 

39)  W.  Heraeus,  Tacitns  und  Sallust.    Arch.  f.  lat.  Lex.  und  Gramm. 

XIV  S.  273—276. 

II.  weist  eine  durchgehende  sachliche  und  stilistische  Ober- 
einstimmung nach  zwischen  der  Schilderung  des  nächtlichen  An- 
griffes der  Thraker  auf  das  römische  Lager  bei  Tac.  Ann.  IV  50 
und  einer  ähnlichen  Szene  aus  dem  Feldzuge  des  Prokonsuls 
Servilius  gegen  die  Isaurier  bei  Sali.  Hist.  fr.  II  87  Maur.  Beide 
Berichte  schließen  mit  coacta  seditio  (est).  Der  von  Sallust  ge- 
schilderte Zwiespalt  zwischen  den  jüngeren  und  den  älteren  unter 
den  Feinden  hat  sein  Analogon  bei  Tacitus,  nur  daß  dieser  ihn 
vor  den  Angriff  verlegt.  Auch  noch  an  andern  Stellen  des  Tacitus 
werden  von  Heraeus  Anklänge  an  jene  Sallustpartie  nachgewiesen, 
so  daß  es  scheint,  daß  jene  Schilderung  sich  dem  Tacitus  tief 
eingeprägt  hat.  Für  den  Text  des  Sallust  aber  ergibt  der  Ver- 
gleich die  Emendation  plagis  aut  umbonibus  deturbare  nach 
Tac.  51,  6. 

40)  Th.  Stangl.  Zur  Textkritik  der  Annalen  des  Tacitus.     WS.  f. 

klass.  Phil.  1905  S.  754-758  uod  779—783. 

Die  Auffassungen  und  Vorschläge,  welche  dieser  Aufsatz  ent- 
hält, zeichnen  sich,  obgleich  sie  nicht  alle  überzeugend  sind,  da- 
durch aus,  daß  sie  aus  einem  scharfen  Aufmerken  auf  die 
Forderungen  des  Zusammenhangs  hervorgegangen  sind  und  sich 
auf  eine  Fülle  von  parallelen  Gedanken,  sowie  auf  eine  umfang- 
reiche und  genaue  Beobachtung  der  Wortbedeutung  und  des 
Sprachgebrauchs  der  verschiedensten  Perioden  stützen.  Stangl 
bespricht  zuerst  XIV  20,  19.  Er  bemerkt  richtig,  daß  Nipperdeys 
Note  'egregium  ironisch'  nicht  zutrifft,  und  schlägt  vor,  statt  mit 
Prammer  melius  nach  munus  einzuschieben,  egregium,  das  er  für 
überflüssig  erklärt,  in  egregie  zu  ändern.  Ich  habe  gegen  diesen 
Vorschlag  zwei  Bedenken:  erstens  erwartet  man  als  'Parallelbegriff 
zu  auctum  irf  ein  Adverb  in  der  Form  des  Komparativs;  zweitens 
würde  egregie  nicht  an  der  richtigen  Stelle  stehen;  denn  Tacitus 
stellt  dieses  Adverb  stets  in  die  unmittelbare  Nähe  des  Verbs 
oder  Adjektivs,  zu  dem  es  gehört.  —  Eine  gelehrte  Ausführung 
über  die  Verstärkung  eines  Positivs  mit  per  und  die  Ausscheidung 
oder  Umstellung  dieser  vermeintlichen  Präposition  in  den  Hand- 
schriften führt  zu  der  Schreibung  canere  tibiis  perdoctus  (oder  per 
doctus)  XIV  60, 7.  In  Stangls  Aufzählung  der  Neuerungen,  die 
Tacitus  auf  diesem  Gebiete  aufweist,  streiche  man  perscverus;  denn 


i 


328  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

XV  48, 14  ist  perseverus  ein  alter  Lesefehler;  M  hat  praeseverus; 
vgl.  WS.  f.  klass.  Phil.  1902  Sp.  777.  —   Eine   scharfe    logische 
Analyse  von  XVI  21  ergibt  die  vom  Sprachgebrauch   des  Tacitns 
bestätigte  Emendation  dieque  quo  statt  die  quoque  quo.  —  Eben- 
falls aus  Gründen  der  Logik  müsse  XVI  4,  3  qua  in  quo  verwandelt 
werden ;  denn  wie  ut .  . .  averteret  sich  auf  den  ganzen  Satz  offert 
. . .  cantus  beziehe,  so  müsse  auch  der  Relativsatz  nicht  auf  facundiae 
coronam,  sondern  auf  den  Satz  adicit  facundiae  coronam  bezogen 
werden.  —  XVI  22, 6  rät  Stangl  triennio  in  septennio  zu  ändern; 
denn  der  Austritt  des  Thrasea  aus   dem  Senat  werde  XIV  1 2,  7 
unter   dem  Jahre  59   berichtet,    während  die  Anklage  gegen  ihn 
im  Jahre  66  durchgeführt  wurde.    Dagegen  ist  zu  bemerken:   von 
einem  Austritt   aus    dem  Senat   ist    weder  an  jener  Stelle   (exiü 
tum  senatu)  noch  XVI  21,  4  (senatu  egressus  est)  die  Rede,  sondern 
nur   von   einem  Verlassen    der  Senatssitzung    während    der  Ver- 
handlung.    Auch  scheint  es  nicht  Zufall  zu  sein,  daß  die  Wörter 
sexennium  und  septennium  bei  Tacitus  fehlen.  —  Zu  XVI  30,  1 — 5 
zeigt  Stangl,    daß    das    von  Nipperdey    beanstandete  pro  claritate 
sich    nicht   auf   den  Glanz  des  asiatischen  Prokonsülates  bezieht, 
der    sich    von    selbst   verstand,    auch  nicht  auf  die  Herkunft  des 
Soranus,  von  der  Tacitus  nirgends  etwas  zu  sagen  weiß,  sondern 
auf   die  Geltung,    die    diese    sittliche  Persönlichkeit   sich    in    der 
öffentlichen  Meinung  errungen  hatte,  eine  Geltung,  um  derentwillen 
Nero  den  Soranus  zur  Verlosung  jenes  Prokonsulates  zugelassen 
hatte.     Um    diesen   Gedanken    zu    gewinnen,   brauche   man    nur 
accommodatum  vor  sibi  potius  zu  stellen.    Accommodare  stehe  hier 
in   der  auch  sonst  von  der  augusteischen  Zeit  an  nachweisbaren 
verblaßten  Bedeutung  von   tribuere  oder  dare;    der  Dativ  sibi  in 
dem  Sinne  von  sibi  utililiter,  wie  H.  II  26,  7  tamquam  fratri  pro- 

düionem  ageret  und  an  anderen  Stellen. 

t 

41)  Rene  Waltz,  Rev.  de  phil.  XXIX  S.  51. 

W.  rät,  XI  4  nach  praebuissent  nur  ein  Komma  zu  setzen; 
denn  At  beherrsche  beide  Satzteile,  da  der  Sinn  sei:  At,  mm 
causa  necis  ex  eo  esset,  quod . . .  praebuissent,  tarnen  .  . .  obiecta  est. 
Das  ist  derselbe  Gedanke,  der  in  Nipperdeys  Anmerkung  zu  At 
zum  Ausdruck  kommt.  Will  man  sich  bei  dieser  immerhin  ge- 
wagten Deutung  nicht  beruhigen,  so  liegt  die  Vermutung,  daß  at 
aus  erat  verstümmelt  sei,  nahe.  Wir  lesen  dann:  quibus  Tetra 
cognomentum  erat.  Causa  necis  etc.  —  Was  W.  sonst  noch  vor- 
bringt, sind  Einfalle,  wie  sie  früher  häufig  waren,  jetzt  erfreulicher- 
weise seltener  geworden  sind.  Sie  treffen  zwei  der  schwierigsten 
Stellen.  XII  65  schreibt  er:  Convictam  Messalinam  et  Silium: 
pares  Herum  accusandi  causas  esse.  Si  Nero  imperitaret  Britannico 
successor,  nulluni  principi  meritum.  —  At  novercae  insidiis  etc.: 
4Si  Neron  venait  ä  regner  ä  la  place  de  Britannicus,  Narcisse 
n'aurait   aucun    titre   ä   la   bienveillance    imperiale;    tandis  que 


n 


Tacitus,  von  G.  Aodreaen.  329 

Britannicus,  s'il  regne,  lui  devra  sa  reconnaissance'.  —  XIII  26 
Ille,  an  auctor  conslitutionis  fieret,  (egit)  inter  paucos  et  sententiae 
adversos,  quibusdam  coalitam  libertate  inreverentiam  eo  prorupisse 
frementibus,  ut  ne  tarn  aequo  cum  patronis  iure  agerenl,  sententiam 
eorum  consultarent  ac  verberibus  manus  ultro  intenderent.  Impulere 
vel  poenam  [suam]  dissuadentes:  quid  enim  aliud  elc.  Ut  ne  habe 
zwar  kein  zweites  Beispiel  bei  Tacitus  und  ut  non  wäre  'klassi- 
scher'; aber  in  ut  ne  liege  eine  Absicht:  'les  atfranchis  ne  se 
coutenlaient  plus  d'etre  les  egaux  de  leurs  patrons'.  Impulere  vel 
poenam  dissuadentes  heiße:  4ils  ebranlerent  meme  ceux  qui  etaient 
opposes  au  principe  de  la  repression',  d.  b.  die,  'dont  l'opinion 
sera  exposee  au  chapitre  suivant  et  qui  feront  en  elTet  une 
concession  sur  ce  point:  paucorum  culpam  ipsis  exitiosam  esse 
debere\ 

42)  Georg  Andreaeo,  Zu  Tacitus'  Annaleo.     WS.  f.  klass.  Phil.  1905 
S.  104—110.  163—168. 

Der  Aufsatz  enthält  als  Nachtrag  zu  WS.  1902  Nr.  24.  26. 
28  die  textkritischen  Ergebnisse  einer  neuen  Durchsicht  der  SijtholF- 
schen  Reproduktion  des  zweiten  Mediceus.     Diese  sind: 

1.  Berichtigung  alter  Lesefehler:  XI  34, 1  posthac,  nicht  post 
haec;  XV  45,  8  efSecundo,  nicht  ac  Secundo;  XV  66, 7  ac  maxime, 
nicht  et  maxime. 

2.  Vermehrung  der  im  Programm  des  Askanischen  Gymnasiums 
zu  Berlin  1892  gesammelten  Stellen,  wo  man  die  den  ursprüng- 
lichen Text  herstellende  Korrektur  bisher  auf  eine  Abschrift  des 
Mediceus  oder  auf  einen  Herausgeber  zurückgeführt  hat,  während 
sie  in  Wahrheit  von  dem  Schreiber  der  Handschrift  selber  her- 
rührt, wodurch  u.  a,  folgende  Lesarten  sichergestellt  werden: 
XI  24,22  mandare  (Ritter),  XIII  21,2  poenas,  25,10  Iuliusque 
(Orelli),  32,  6  quem  ovasse  de  Britannis  rettuli  (Acidalius),  XVI 
34,  3  coetus  frequentes. 

3.  Eine  Liste  von  Stellen,  wo  in  der  Handschrift  die  richtige 
Lesart  nicht  erst  durch  Korrektur  hergestellt  worden,  sondern  von 
Anfang  an  vorhanden  gewesen  ist,  so  daß  die  von  Ritter  irrtüm- 
lich verzeichneten  Varianten  aus  dem  Apparat  zu  streichen  sind; 
darunter  XIV  48,  1  £.  Afinio  (wie  Borghesi  vermutete),  nicht 
L.  Asinio. 

4.  Einführung  einer  neuen  Lesart  auf  Grund  einer  hand- 
schriftlichen Korrektur  oder  einer  im  Mediceus  erkennbaren  Spur: 
XIII  40, 12  productior  cornu  sinistro,  46,  9  imparem  cupidini  et 
(ohne  se);  ferner  XU  53, 11  et  fixum  est  in  aere  publico,  64,  4 
biformes  hominum  partus,  et  sus  fetum  edidit,  cui  accipitrum 
ungues  inessent,  XIII  5, 1 1  occurrere,  endlich  XI  28,  3  dum  histrio 
cubiculum  per  principis  exultaverit,  wie  Becher  vorgeschlagen  hat. 

5.  Verteidigung  des  Überlieferten:  XI  32,  3  dissimulando 
metum,  XIII  17, 13  id  a  maioribus  institutum  referensy  46, 4  saepe 


330  Jahresbericht«  d.  Philolog.  Vereins. 

audilus   est   consurgens  e  convivio  Caesaris  seque   ire    ad    iUam, 
XIV  8,  9  deiecti  sunt,  61, 16  et  in  urbem  ipsam  pergeret. 

6.  Konjekturen:  XII  22,  4  oraculum  statt  simulacrum,  37,  16 
parti  olim  statt  partim,  wie  der  Med.  hat,  X1I1  35,  3  Romanarum 
als  Glossem  zu  militum  Z.  1  zu  streichen  und  vielleicht  durch 
belli  zu  ersetzen,  XIV  24,  4  eadem  pluraque  cum  gregario  milite 
tolerantis,  37, 10  Otto  (Med.  octingenta)  milia  nach  Nipperdey,  XV 
17,11  a  Vologese  ad  Corbulonem  missi  nuntii,  XVI  2,7  celebrabatur, 
oratoribusque  praecipua  . . .  adsumpta  est  nach  Bekker  und   Ritter. 

43)  Phil.  Fabia,  Tac.  Ann.  14,  10.    WS.  f.  klass.  Phil.  1905  S.  886. 

F.  weist  auf  einen  offenbaren  Widerspruch  hin,  der  zwischen 
14,  9  neque,  dum  Nero  rerum  potiebatur,  congesta  aut  clausa  Humus. 
Mox  domesticorum  cura  levem  tumulum  accepit  und  10  qui  crederent 
. . .  planctus  . .  tumulo  matris  audiri  besteht,    einen  Widerspruch, 
den  man  zwar  schon  früher  bemerkt,  aber  wegzudeuten  versucht 
hat;    s.  die  Anmerkungen  von  Orelli  und  Furneaux.     Agrippina 
hatte,  da  sie  nach  Neros  Tode  nur  einen  levis  tumulus  erhielt,  bei 
dessen  Lebzeiten  überhaupt  keinen  tumulus;  ihre  Asche  war  ver- 
mutlich   in    einer  Urne  zu  Bauli  geborgen.     Die  Schuld   an  dem 
Widerspruch  trage  das  Streben  nach  Kürze:  nachdem  Tacitus  das 
Wort  tumulus  in  eigentlichem  Sinne  gesetzt  habe,  brauche  er  das- 
selbe Wort   gleich    darauf   an    einer  Stelle,    wo  statt  seiner  eine 
Umschreibung    notwendig    gewesen    wäre,    wie    wir   sie    bei    Dio 
61,  14,4  linden:    ix   tov    %(aQiovt~M&  <»  %a   tijs  *AyQtnnivfi$ 
data  exeno. 

44)  F.  ßuecheler,    Lepcis.     Rhein.  Mas.  1904  S.  638.  —  W.  Heraeus, 

Lepcis    neben    Leptis.     Arch.  f.  lat.   Lexikogr.   u.  Gramm.  XIV 
S.  276. 

In  der  WS.  f.  klass.  Phil.  1904  S.  142  habe  ich  auf  eine  jüngst 
gefundene  Leptitanische  Inschrift  amtlichen  Ursprungs  aufmerksam 
gemacht,  in  der  die  Stadt  Lepcis  heißt,  und  darauf  hingewiesen, 
daß  diese  Entdeckung  dazu  zwinge,  die  bei  Tacitus  dreimal  über- 
lieferte Form  Lepcitanu  die  man  allgemein  in  Leptitani  geändert 
hat,  wiederherzustellen;  s.  JB.  XXX  S.  358.  Jetzt  liefern  Buecheler 
und  Heraeus,  ersterer,  ohne  meinen  Artikel  zu  kennen,  eine  will- 
kommene Ergänzung,  indem  sie  die  Spuren  der  Namensform 
Lepcis  aus  den  kritischen  Apparaten  anderer  Autoren  sammeln 
und  den  Taciteischen  Zeugnissen  anfügen.  War  die  neue  Form 
für  Tacitus  durch  die  Übereinstimmung  des  inschriftlichen  Zeug- 
nisses mit  der  Oberlieferung  der  Medicei  bereits  früher  festgestellt, 
so  ist  jetzt  für  die  römische  Literatur  überhaupt  bewiesen,  daß 
sie  neben  der  alten  Form  zu  Recht  besteht.  Heraeus  fügt  richtig 
hinzu,  das  Beispiel  mahne  uns,  wie  große  Vorsicht  den  Eigen- 
namen, zumal  den  fremden,  gegenüber  geboten  sei. 


i 


-j 


Tacitus,  von  G.  Andresen.  331 


46)    £.   Wo! ff,    Beriebt    über    die    Tacitusliteratur    1896  —  1903. 
Bursiaos  Jahresberichte  32  (1904)  S.  1—125. 

Dieser  Bericht  beschrankt  sich  zwar  auf  die  wichtigsten  Er- 
scheinungen und  sieht  vom  Auslande  fast  ganz  ab;  doch  sind  alle 
Besprechungen  ebenso  eingehend  und  gründlich  wie  lehrreich  und 
anregend,  und  von  ausländischen  Publikationen  werden  z.B.  Boissiers 
'Tacite'  und  Fabias  Onomasticon  Taciteum  ausfuhrlich  besprochen. 
In  der  Würdigung  der  die  Quellenfrage  behandelnden  Schriften 
präzisiert  Wolff  sein  eigenes  Urteil  dahin,  daß  Plutarch  Hist.  I 
und  11  vor  sich  gehabt  habe.  Den  Beweis  findet  er  u.  a.  in  jenem 
von  Wölfflin  enthüllten  Irrtum  Plutarchs,  der  darin  bestehe,  daß 
er,  den  Tacitus  mißverstehend,  als  Schauplatz  der  Hist.  I  80  er- 
zählten Meuterei  Ostia  bezeichnet.  Anderseits  betont  W.,  daß  ein 
gewisser  Teil  der  Parallelen  zwischen  Plutarch  und  Tacitus  des- 
halb der  Beweiskraft  entbehre,  weil  es  sich  bei  ihnen  um  All- 
gemeingut handle,  um  Ereignisse,  welche  die  Fama  beschäftigten 
und  im  Gedächtnis  der  Nachwelt  hafteten.  Unzweifelhaft  Tacitei- 
schen  Ursprungs  sei  der  Ausdruck  comilia  imperii  transigü  H.  I  14, 
von  Plutarch  G.  23, 4  durch  ctQ%aiQtai,älovux<;  nachgeahmt,  und 
eiusdem  desertor  ac  proditor  H.  I  72,  was  Plutarch  durch  iyxata- 
Ximav  xal  nqodovg  wiedergebe.  Sehr  ausführlich  bespricht  W. 
&ie  vier  letzten  Hefte  des  lex.  Tac.  und  knüpft  daran  eine  lange 
Reihe  sprachlicher  Beobachtungen,  aus  deren  Fülle  einzelnes  an- 
zuführen unmöglich  ist.  Doch  erwähne  ich,  daß  er  Nipperdeys  Auf- 
fassung von  in  spem  poteniiae  XIV  15, 19  verwirft:  in  spem  sei  auf 
conscripti  sunt  zu  beziehen;  dies  werde  bewiesen  durch  H.  IV  46,3 
lectus  in  eandem  spem  (sc.  praetoriae  militiae)  e  legionibus  miles. 
Dial.  12,  3  konjiziert  er  in  (isto)  strepitu  'in  eurem  Großstadt- 
lärm', wo  man  gewöhnlich  in  strepitu  (urbis)  schreibt.  Ferner 
rechtfertigt  er  das  absolute  expedire  (ohne  se)  in  dem  Sinne  von 
'ausrücken',  'zu  Felde  ziehen'  H.  I  10,  8.  88,  6.  II  99,  2.  Auch 
das  absolute  derigere  H.  IV  58,  30  sei  ein  militärischer  Terminus, 
ein  forensischer  excusare  Dial.  5, 3  neben  se  excusare.  Sodann 
verwirft  er  XVI  18,  2  Nipperdeys  Auffassung  von  officia:  Petronius 
verschlief  den  Tag  und  'lebte'  hei  Nacht  seinen  pflichtmäßigen 
Verrichtungen  und  den  Vergnügungen,  diesen  vermutlich  mit  mehr 
Hingebung  als  jenen,  ein  rechter  Gegensatz  zu  einem  Helvidius 
Priscus,  von  dem  es  H.  IV  5, 13  heißt  eunetis  vitae  offieiis  aequabilis. 
Aus  der  Anzeige  von  Fabias  Onom.  Tac.  erwähne  ich  Wolffs  Ver- 
mutung, daß  Tacitus  H.  II  89, 1.  III  82,  2  absichtlich  Mulvi  ge- 
schrieben habe,  der  Abwechslung  mit  Mulvius  halber;  er  vergleicht 
lacus  Curlii  neben  l.  Curtius.  Er  berichtet  ferner  sehr  eingehend 
über  des  Referenten  Arbeiten  zur  Überlieferung  und  Kritik  des 
Taciteischen  Textes  1899 — 1902,  ebenso  ausführlich  über  Noväks 
Analecta  Tacitea,  welche  Beobachtungen  enthalten,  die  teilweise 
von  bleibendem  Werte  seien,  und  über  dessen  Ausgabe  der  kleinen 


332  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Schriften  1902,    sowie   über  Leuzes  Mitteilungen  aus  dem   codex 
Toletanus  des  Agricola. 

46)  Anzeigen  älterer  Schriften:  Diene],  Beiträge  zur  Text- 
kritik des  Taciteischen  Dialogs  (JB.  XXIX  254):  Gymnasium  1904 
S.  848  von  J.  Golling;  Zöchbauer,  Studien  zu  den  Annalen  des 
Tacitus  III  (JB.  XXX  356):  ebd.  1904  S.  849  von  demselben; 
Ussani,  L'ultima  voce  di  Lucano  (JB.  XXX  357):  Berl.  phil.  WS. 
1904  Sp.  842  von  C.  Hosius. 

VII.  Tacitus  in  der  Schule. 

47)  Anton  Strobl,    Zur  Schallektüre  der  Annalen  des  Tacitus. 

Fortsetzung.     Progr.  des  k.  k.  Staatsgynioasiums  in   Innsbruck    1905. 
S.  1—20. 

S.  skizziert  in  diesem  Teil  einige  für  die  ScbuUektüre  nach 
Inhalt  und  Umfang  geeignete,  teils  der  zweiten  Hälfte,  teils  beiden 
Hälften  der  Annalen  entnommene  Themata.  Sie  lauten:  Die 
Familiengeschichte  des  kaiserlichen  Hauses,  die  feindlichen  und 
freundlichen  Beruhrungen  zwischen  Römern  und  Germanen,  die 
sozialen  Zustände  der  Zeit.  Er  ordnet  den  bunten  Stoff  jeder 
einzelnen  Auswahl  nach  Schlagwörtern  und  zerlegt  einzelne  Ab- 
schnitte (XII  1-9,  die  Reden  XI  24.  XIII  26.  XIV  20)  durch 
detaillierte  Dispositionen. 

Die  Prager  Programme  von  1902  und  1903  (JB.  XXIX  256) 
bespricht  Zöchbauer,  Ztsclir.  f.  d.  österr.  Gymn.  1905  S.  185,  das 
letztere  J.  Golling,  Gymnasium  1904  S.  880. 

Berlin.  Georg  Andresen. 


Erklärung  zu  S.  250. 

Die  sogenannte  dritte  Auflage  meiner  Ausgabe  von  Ciceros 
Rede  de  imperio  Cn.  Pompei  trägt  diese  Bezeichnung  ohne  mein 
Wissen  und  gegen  meinen  Willen ;  der  Text  ist  ein  einfacher  Ab- 
druck der  stereotypierten  zweiten  Auflage,  auch  Einleitung  und 
Anhang  sind  unverändert  geblieben,  nur  mit  anderer  Schrift  ge- 
druckt. 

Berlin.  H.  Nohl. 


•i 


8. 
Xenophon. 

1898—1900. 

Nachträge   zum   Berichte   des  Vorjahres. 
(JB.  1904  S.  63—224;  vgl.  besonders  S.  209  ff.) 


V1).    Zu  den  kleineren  Schriften. 

Da  im  Berichte  des  Vorjahres  eine  Anzahl  von  Anzeigen  über 
die  Literatur  zu  den  kleineren  Schriften  Xenophons,  die  z.  T. 
schon  druckfertig  vorlagen,  aus  verschiedenen  Gründen  nicht  mehr 
zum  Abdruck  gelangen  konnte,  so  folgen  sie  hier,  mit  einigen 
neuen  vereinigt2),  als  Nachträge.  Den  Rest,  zusammen  mit  der 
Besprechung  der  gesamten  Literatur  über  Xenophon  in  den  Jahren 
1901 — 1903,  wird,  wie  ich  hoffe,  der  nächste  Bericht  bringen. 
So  ist  Aussicht  vorhanden,  daß  auch  in  dieser  Zeitschrift  nach 
längerer  Unterbrechung3)  die  Übersicht  der  neueren  philologischen 
Literatur  über  einen  der  wichtigsten  griechischen  Schulschrift - 
steiler  in  absehbarer  Zeit  bis  zur  Gegenwart  gegeben  werden  kann. 

ß)1)  *AnoXoyla  Ztax^axovg, 

1)  Herbert  Richards,    The    minor  works  of  Xenophon.     X.  Apo- 
logia  Socratis.     The  Classical  Review  XII  (1898)  Sp.  193—195. 

In  Fortsetzung  seiner  kritischen  Durchmusterung  Xenophon- 
tischer  Schriften  (zuletzt  IX,  /Togo»,  The  Class.  Rev.  XI  (1897) 
S.  418—425)  bespricht  H.  zunächst  einige  sprachliche  Eigen- 
heiten der  Apologie  im  Verhältnis  zu  Xenophons  andern 
Schriften  wie  zu  denen  der  übrigen  Attiker,  so  S.  193  f.  cog= 
uiats  (§  16),  jj  qqaxaij)  u.a.,  poetische  Worte  wie  tvipQQ- 
avvfi  (8),  evncifrsia  (18),  doogelcd-ai  (17),  yeivofiai  (20),  xvdgog 
(29),  iieycdfjyoQia  (1  u.  2),  andre  ungewöhnliche  Ausdrücke 
wie  duxaa(ft]vi£co  (1),  svfxtvsicc  (7),  aptpiXiYO)  (12),  cfV[ißovi.€VfAa 
(13),    syntaktische  Eigentümlichkeiten    (S.  194  a),   Nichtbeachtung 


*)  Die  hier  angewandten  Zahlen  und  Buchstaben  schließen  sich  an  die 
entsprechenden  des  vorjährigen  Berichtes  (S.  209  ff.)  au. 
')  Vgl.  JB.  1904  S.  214  o. 
3)  Vgl.  ebenda  S.  63. 


334  'Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

des   Hiatus.     Er   berührt  dann  kurz  gewisse  Übereinstimmungen 
des  Inhalts  von  Teilen    der  Memorabilien   und   der  Apologie;    an 
untergeschobenes  Gut  denkt  er  nicht;  ein  Nachahmer  würde  z.  B. 
in  4  nicht  olxrlaaprsc,    sondern    iXeijcfccyTeg  geschrieben    haben. 
Zum  Vergleich    wird    das  Verhältnis  von  Hellenika  und  Agesilaos 
herangezogen.     Ton    und  Geist   stimmt  zu  den  übrigen  Schriften 
Xenophons,  was  It.  unabhängig  von  M.  Schanz  (Die  Xenopbontische 
Apologie,    in    „Sammlung     ausgewählter    Dialoge     Piatons     mit 
deutschem  Kommentar4'  III,   Apologia,  Leipzig  1893,  Abschnitt  IV 
S.  74>— 89;    vgl.  besonders  83  ff.)  feststellt1).     Er   erwähnt    dabei 
auch    einige    ältere    Literatur;     Kaibel  und   v.   Wilamowilz   (s.  u. 
Nr.  2)  scheint  er  nicht  zu  kennen. 

Zum  Schluß  gibt  er  (unter  Hinweis  auf  die  von  Schenkl 
s.Z.8)  bekannt  gegebene  Neuvergleichung  zweier  Hss.)  einigen 
Bedenken  über  den  Wortlaut  des  Textes  Ausdruck  und  macht 
Verbesserungsvorschläge,  z.  ß.  1  (nQog)€xlij&tiJ  zu  hvypv  sei 
ein  parlizipialer  Ausdruck  verloren  gegangen,  5  ipot  (Hs.  ips) 
11  xav  avTog  (xa*)>  14  GO(fooT6Qoy  (Gco(pQOV€Oi€QOP),  20  iviovg 
(ixeipovg)  22  iggföt]  fitv  (oiv)  oder  <o^>  vor  dqlov,  29  saxa* 
(£0Ti);  9  ßccQvvco  (ßccQvvoo)  findet  sich  nach  Hirschigs  Vor- 
schlag schon  in  Dindorfs  Oxforder  Ausgabe  (1862)  —  in  der  Text- 
ausgabe wieder  ßaQvvat  —  und  bei  Schenkl  (1876). 

Von  den  Vorschlägen  sind  einige  möglich,  keiner  —  nach 
dem  hs.  Befunde  —  nötig,  und  der  Wert  der  kleinen  Abhandlung 
liegt  auch  nicht  in  diesen  Konjekturen,  denen  man  leicht  ein 
Dutzend  ähnliche  an  die  Seite  stellen  könnte,  sondern  in  der 
sorgsamen  Sammlung  sprachlicher  Eigenheiten  (vgl.  die  Anzeige 
der  Abhandlung  von  0.  Immisch,  JB.  1904  S.  209—212,  besonders 
S.  211   u.  A.l). 

2)  Martin  Wetzel,   Die  Apologie  des  Xenophon.    Neue  Jahrbücher 
für  das  klassische  Altertum  usw.  1900  (1)  S.  389—405. 

Die  Echtheitsfrage  der  Apologie  ist  im  letzten  Jahrzehnt 
wiederholt  behandelt  worden,  v.  Wilamowitz  (Hermes  32  (1897) 
S.  99 — 106)  hat  die  Schrift  für  eine  wertlose  Fälschung  erklärt, 
Martin  Schanz  (Piatons  Apologie,  1893,  S.  76—89)  die  Echtheft 
nachdrücklich  und  überzeugend  verteidigt. 

Während  nun  Schanz  aus  einer  Vergleichung  des  Schlußkapitels 
der  Memorabilien  (IV  8)  mit  der  Apologie  folgerte,  daß  jenes  sich 
an  diese  anlehne8),  will  W.  ähnliche  Beziehungen  zu  anderen  Teilen 


x)  Der  neueste  Herausgeber  der  Apologie,  Tretter  (Graz  1903),  nimmt 
wieder  die  Uoechtheit  au. 

*)  Sitzungsber.  d.  Wiener  Akad.  83  (1876)  S.  169—176;  vgl.  ebenda 
80  (1875),  S.  135  IT.,  wo  die  Apologie  als  ein  rhetorisches  Kxercitinm  ans 
einer  Schule  etwa  des  2.  Jabrh.  v.  Chr.  bezeichnet  wird. 

s)  „Der  Weg  fuhrt  leicht  von  der  Apologie  zu  dem  Memorabilien- 
Kapitel,  aber  nicht  umgekehrt"  (a.  a.  O.  S.  86). 


Xenophon,  von  R.Ullrich.  335 

der  Memorabilien  (I,  1;  2,  1—8.  62—64)  feststellen,  bei  deren 
Abfassung  sich  X.  an  die  früher  von  ihm  verfaßte  Apologie 
(11 — 22)  angelehnt  habe.  Sie  kann  keine  Fälschung  sein;  denn 
sie  ist  hier  genauer  als  die  entsprechenden  Abschnitte  der  Memo- 
rabilien, in  denen  mehrfach  Irrtumer  vorkommen,  die  sich  nur 
aus  Mißverständnissen  der  in  der  Apologie  nach  dem  Berichte  des 
Hermogenes  wiedergegebenen  wirklichen  Rede  des  Sokrates  er- 
klären lassen.  Im  einzelnen  entspricht  sich  1)  Apol.  11  und 
Mem.  I  1,  2  (Hinweis  auf  die  Teilnahme  des  Sokrates  an  den 
Opfern;  fehlt  in  Piatons  Apologie).  2)  Hinsichtlich  des  deu(i6vH»> 
(Apol.  12)  hat  Xenophon  in  der  Ausführung  in  den  Mem.  I  1,  3  f. 
ein  Mißverständnis  begangen,  indem  er,  ohne  durch  die  nach 
dem  Bericht  des  Hermogenes  in  der  Apologie  verzeichneten  Worte 
des  Sokrates  dazu  gezwungen  zu  sein,  es  als  „Gottheit44  bezeich- 
nete. Vgl.  über  diese  Auffassung,  die  mir  nicht  haltbar  scheint, 
desselben  Verfassers1)  Hrogrammabhandlung  „Haben  die  Ankläger 
des  Sokrates  wirklich  behauptet,  daß  er  neue  Gölter  einführe  ?" 
(Braunsberg  1899).  3)  Auf  Apol.  13  geht  zurück  Mem.  I  1,  4 
(Ratschläge  der  Gottheit).  Auch  hier,  meint  W.,  habe  X.  den 
Sokrates  mißverstanden,  der  nicht  Ratschläge  meint,  die  sich  auf 
die  Handlungen  der  Freunde,  sondern  solche,  die  sich  auf  seine 
eigenen  beziehen  (vgl.  Plato  Phaedr.  242  D  und  Zeller  II  *  1 , 
S.  82);  W.  schließt  aus  solchen  „Mißverständnissen4'  auf  nur 
oberflächliche  Bekanntschaft  X.s  mit  Sokrates2).  Endlich  gebt 
auf  Apol.  16  ff.  (Enthaltsamkeit  des  Sokrates)  wieder  Mem.  I  2, 1 — 8 
(nicht  so  bei  Piaton).  Diese  Berührungspunkte  zeigen  also  deut- 
lich Anlehnung  der  Memorabilien  an  die  Apologie,  welche  somit 
von  X.  verfaßt  sein  muß. 

Andrerseits  finden  sich  wesentliche  Abweichungen  in  beiden 
Schriften,  die  auf  einen  Einfluß  der  dem  X.  inzwischen  bekannt 
gewordenen  Apologie  Piatons  schließen  lassen.  1)  Während  sich 
Sokrates  nach  Xen.  Apol.  24  gegen  den  Vorwurf  des  Atheismus 
nicht  rechtfertigt,  verteidigt  ihn  X.,  so  Mem.  1  2,64,  daher 
sein  Gebrauch  der  Mantik  11,2  und  sein  Glaube  an  die  Götter 
1  1,  5.  Dieser  Widerspruch  erklärt  sich  aus  dem  Einfluß  der 
Fiktion  bei  Hat.  Apol.  26  C3).  2)  In  Xen.  Apol.  ist  keine  Rede 
von  theologisch-kosmologischen  Untersuchungen,  dagegen  in  den 
Mem.  I  1,  11—15  nach  Plat.  Apol.  19  B;  I  1,  12  und  15  sind 
cum  grano  salis  zu  verstehen  (vgl.  1  4  und  IV  3,  die  „später  ver- 


M  Vgl.  dazu  die  Bemerkungen  von  A.  Döring,  WS.  f.  klass.  Phil.  1899 
Sp.  912—915  und  den  nächsten  Jahresbericht. 

2)  £.  Richter  war  in  seinen  „Xenophon -Studien"  (Jahrb.  f.  klass.  Phil. 
Soppl.  XIX  (1893)  S.  57—155)  bekanntlich  noch  weiter  gegangen;  vgl.  be- 
sonders S.  152. 

')  So  Verf.  schon  Gymnasium  1896  Sp.  805—814;  s.  besonders  813  und 
ebenda  Sp.  845—858. 


336  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

faßt  sind  als  M,  als  die  Erinnerung  an  Piatons  Apologie  bereits 
verblaßt   war").     3)  Nach  Xen.  Apol.  20  f.  erklärt  Sokrates    die 
nmdsia   für   seinen  Beruf,    sich    selbst   also   für   einen   Lehrer, 
abweichend  Mem.  I  2,  3  und  auch  noch  l  2,  9—61,  in  letzterem 
Abschnitte  aber  doch  auch  schon  Verwandtes  (l  2,  15;  17;  31); 
vgl.  auch  1  6,  3  und  besonders  Buch  IV,  wo  sich  X.  „in   Wider- 
spruch zu  sich   selbst  setzt".     W.  vermutet,    daß  X.  das    vierte 
Buch  hinzugefugt  habe,  um  den  wirklichen  Schulern  des  Sokrates *) 
zu  zeigen,  daß  auch  er  den  Meister  als  Lehrer  zu  schätzen  wisse. 
Die  Widerspruche   leitet  W.  wieder    aus  Piaton    ab  (191);  20  C; 
33  A).      Was    dieser   aber   fingiert,    hat    X.    „im    apologetischen 
Interesse,   in  allem  Ernste,   wenn  auch  sicher  nicht  ganz  seiner 
Überzeugung    gemäß"    ihm    „nachgesprochen".     4)    Ähnlich    ist 
wiederum    der    Gegensatz    zwischen    Mem.  I  2,  62   und   64    und 
Apol.  18  aus  der  berühmten  Stelle  Piatons  von  dem  „Strafantrag" 
des  Sokrates  auf  Speisung  im  Prytaneum  zu  erklären,    die  eben- 
falls fingiert  ist;  vgl.  Xen.  Apol.  23,  wonach  S.  gar  keinen  „Straf- 
antrag" gestellt   hat,    und    dazu    K.  Lincke,  Jahrb.  f.  klass.  Phil. 
1897,  1  S.  711.     Diese    Einflösse    der  Apologie   Plalons    auf    die 
Memorabilien  fuhrt  W.  auf  apologetisches  Interesse  zurück,  ebenso 
wie    noch   eine   andere  Abweichung    der   Memorabilien    von    der 
(Xenophontischen)  Apologie. 

Apol.  12  nämlich,  das  von  Sokrates  geltend  gemachte  Argu- 
ment über  sein  dcufiovioy,  schien  X.  wenig  beweiskräftig,  deshalb 
verzichtete  er  in  den  Memorabilien  darauf,  obwohl  er  alle  übrigen 
Gedanken  von  Apol.  11 — 14  in  Mem.  I  1,  2 — 4  variiert,  und  be- 
nutzte, wie  Piaton,  das  dcupovwv  nur,  um  den  Vorwurf  des 
Atheismus  zu  widerlegen  (vgl.  Plat.  Euthyphr.  3A).  Aus  dem  Um- 
stände, daß  X.  sich  in  den  Memorabilien  einerseits  an  die  Apologie 
anlehnt,  andrerseits,  durch  Piatons  Apologie  veranlaßt,  von  ihr 
abweicht,  folgert  nun  M.,  daß  X.  seine  Schrift  geschrieben  hat, 
ehe  er  die  Apologie  Piatons  kannte.  Dasselbe  schließt  er  aus  §  1 
der  Xenophontischen  Apologie  (vgl.  besonders  die  als  dipgoveötiqa 
bezeichnete  fieycdrjyoQia);  Piaton  habe  die  ^yaXrjyoQia  wirklich 
motiviert.  Die  Apologie  Piatons  war  noch  nicht  erschienen,  als 
X.  die  seinige  verfaßte. 

Wetzel  versucht  nun  weiter  (398  ff.),  die  von  v.  Wilamowitz 
(a.  a.  0.)  und  Schanz  (desgl.)  trotz  ihrer  grundverschiedenen  Auf- 
fassung des  Autors  der  Apologie  doch  in  gleicher  Weise  behauptete 
Anlehnung  an  die  Schrift  Piatons  (im  Aufbau  der  Verteidigung 
in  drei  Heden,  Erwähnung  des  Palamedes  in  der  dritten,  einer 
Prophezeiung  in  dieser  und  ihrer  Begründung)  in  andrer  Weise 
zu  erklären;  er  will  sie  auf  gemeinsame  Quelle,  nämlich  Sokrates 


l)  W.  weist  aof  Autistheoes  hio,  dessen  Schrift  nsgl  naiäelaq  nach 
Birt  (Rh.  Mas.  1896  S.  155)  io  Mem.  IV  3,  1  berichtigt  in  der  Disposition 
vorliegt. 


o 


Xenophon,  von  R.  Ullrich.  337 

selbst,  zurückfuhren.  Di«  „niederträchtige"  Prophezeiung  Kaibels1) 
erklärt  er  auf  natürlichere  Weise. 

Blicken  wir  zurück,  so  ergibt  sich  m.  E.,  daß  W.  uns  den 
schon  von  Schanz  gezeigten  Weg  von  der  Apologie  zu  den  Meraora- 
bilien  durch  genauere  Nachweise  noch  gangbarer  gemacht  hat; 
auch  der  von  ihm  vermutete  Einfluß  der  Apologie  Piatons  auf 
die  Memorabilien  hat  manches  für  sich.  Von  der  Richtigkeit  der 
Behauptung  aber,  daß  X.  bei  der  Abfassung  seiner  Apologie  Piatons 
Werk  noch  nicht  gekannt  haben  soll,  hat  mich  W.  nicht  über- 
zeugt. Schanz  (a.  a.  0.)  hat  deren  Benutzung  durch  X.,  d.  h.  in 
diesem  Falle  Bekämpfung,  mindestens  sehr  wahrscheinlich  gemacht. 

Überzeugender  ist  wiederum,  was  hier  im  einzelnen  nicht  aus- 
geführt zu  werden  braucht  (über  das  64  am  Anfang  (t)  vgl.  noch 
Ed.  Meyer,  Forschungen  zur  alten  Geschichte  II  (1899)  S.  40  t 
Anra.  1  und  den  vorigen  JB.  S.  215  A.  2),  W.s  Rechtfertigung  der 
Echtheit  der  Apologie  gegen  v.  Wilamowitz  (S.  400  f.),  Kaibel 
(S.  402  f.)  und  K.Lincke2)  (403 f.).  In  der  Tat  hat  es  den  Anschein, 
daß  die  Oberzeugung  von  der  Verfasserschaft  Xenophons  wieder 
zur  Geltung  kommen  wird,  nachdem  man  sich,  wie  Verf.  nicht 
unzutreffend  bemerkt,  besonders  wegen  der  Konsequenzen  für  den 
geschichtlichen  Wert  der  Apologie  Piatons  und  die  Auffassung  des 
Sokrates  als  eines  Bahnbrechers  der  religiösen  Aufklärung  lange 
gegen  die  Anerkennung  gesträubt  hat. 

Verschwiegen  darf  freilich  nicht  werden,  daß  alle  derartigen 
Arbeiten  über  Echtheit  der  somatischen  Schriften  Xenophons  und 
ihr  Verhältnis  zu  gleichartigen  Piatons  (vgl.  z.  B.  die  Symposien- 
literatur), soweit  sie  an  den  Inhalt  anknüpfen,  bei  der  Lücken- 
haftigkeit und  Unbestimmtheit  der  Zeugnisse  es  selten  zu  aner- 
kannten Ergebnissen  im  ganzen  bringen  können,  soviel  Treffendes 
sie  auch  im  einzelnen  enthalten.  Das  gilt  auch  von  der  vor- 
liegenden Untersuchung.  Und  so  erklärt  sich  denn  auch  die 
seltsame  Tatsache,  daß  selbst  Männer  von  der  Bedeutung  von 
v.  Wilamowitz  und  Schanz  über  den  Verfasser  der  Apologie  zu 
ganz  verschiedenen  Ergebnissen  gekommen  sind. 

Fruchtbringender  scheint  mir  die  Untersuchung  der  Apologie, 
auch  für  die  Echtheitsfrage,  nach  ihrer  sprachlichen  Seite.  Sie 
ist  von  0.  Immisch  (s.  o.  S.  334)  mit  Erfolg  geführt  worden. 

y)  'Iigtov. 

3)  K.  Lincke,  Xenophons   Hieron  and   Demetrios  von  Phaleron. 
Philologus  LV111  (N.  F.  XU)  1899  S.  224—251. 

Demetrios  von  Phaleron  hatte  schon  in  der  früher  (JB.  1904 
S.  200 — 204)  besprochenen  Abhandlung  Linckes  eine  Rolle  gespielt. 


')  Xenophons  Kynegetikos,  Hermes  25(1890)  S.  581— 597;  vgl.  besonders 
S.  581,  Aom. 

2)  Fleckeisens  Jahrb.  1S97  I  S.  705—720,  bes.  S.  711  ff. 
Jahresberichte  XXXI.  22 


338  Jahresberichte  d.  Pbilolog.  Vereins. 

Und  wahrend  dort  der  jüngere  Xenophon  mit  Teilen  der  „Memora- 
bilien"  dem  Machthaber  schmeichelt  (er  war  bekanntlich  von  3 IT- 
SO?  durch  Kassander  Statthalter  von  Athen),  wird  hier  versucht,  den 
„Hieron"  seinem  Verfasser  abzusprechen  und  in  das  für  ihn  ge- 
eignetere Milieu  der  „Dekaetie"  zu  versetzen,  in  ebenso  fesselnder 
Darstellung  wie  dort,  aber  auch,  wie  mir  scheint,  auf  ebenso  un- 
sicherer Grundlage  und  daher  mit  kaum  überzeugenderem  Er- 
folge. Der  Verfasser  fühlt  sich  hier  als  Historiker,  der,  nach 
Goethe,  „nicht  alles  aufs  Gewisse  zu  führen  kann  und  braucht4*; 
philologische  Kritik,  besonders  nach  der  sprachlichen  Seite  hin, 
würde  zur  Vorsicht  gemahnt  haben.  Seine  Beweisführung  geht 
oft  zu  sehr  ins  Weite;  wir  erhalten  z.  B.  fesselnde  Schilderungen 
über  die  Akademie  (S.  235  ff.)  und  das  Priestertum  (239),  die  uns 
den  Hauptgegenstand  etwas  aus  dem  Auge  verlieren  lassen  und 
als  „breitere  Grundlage"  zur  Erklärung  der  Verhältnisse,  in  die 
L.  seinen  Verf.  des  Hieron  hineinsetzen  will,  dennoch  wenig  helfen. 

L.  nennt  den  „Hieron"  eins  von  den  Problemen  der  Xeno- 
phonkritik  und  stellt  die  verschiedenen  „Fragen"  zusammen  (S.  224). 
Das  ist  wohl  zu  viel  gesagt.     In  den  31  Jahren,  die  seit  J.  Sitz- 
lers1),   von  W.  Nitsche3)  mit  guten  Gründen  abgewiesenem  Ver- 
suche, den  Dialog  Xenophon    abzusprechen,    vergangen    sind,   ist 
meines  Wissens   das  „Problem"    im  Zusammenhange    nicht    be- 
handelt   worden  —  und   was   an  gelegentlichen  Bemerkungen  in 
dem  einen  oder  andern  Werke  vorgebracht  worden  ist8),  reicht  nicht 
einmal  an  die  über  den  Agesilaos  und  Kynegetikos  schwebenden 
Streitfragen  heran,  geschweige  denn  an  die  noch  lange  nicht  zur 
Ruhe  gekommenen  über  die  sog.  sokratische  Literatur  Xenophons. 
An  der  Hauptsache,  der  Echtheit  der  Schrift,  ist  seit  Jahrzehnten 
ein  Zweifel  nicht  aufgetaucht;  die  Nebenfragen  aber,  die  L.  stellt, 
sind    nach  Lage    der  Dinge  mit    einiger  Sicherheit  nicht  zu  be- 
antworten  und    führen,    wenn  zu  „Problemen"  erhoben,    nur  in 
die  Irre.     Wir  müssen  uns  an  den  Dialog  selbst  halten;  und  aus 
seinen  Personen  wie  Sachen  läßt  sich  doch,  meine  ich,  immerhin 
so  viel  gewinnen,    um  bei   rechter  Beachtung  auch  der  formalen 
Seite  Zweifel  an  der  Urheberschaft  X.s  nicht  aufkommen  zu  lassen. 

L.  skizziert  zunächst  den  Inhalt,  Tyrannenunglück  (I — VII) 
und  Tyrannenglück  (VIII — XI),  hebt  die  Neigung  des  Verfassers  für 
das  Erotische  hervor  und  erklärt  dann  mit  Bezug  auf  das  letztere, 
einen  solchen  Mann,  wie  der  Verf.  ihn  (14.  26—38;  III  3ff.;  VI 
2;  VII  5 f.;  VIII  6)  schildere,  der  (S.  227)  „selbst  der  Bürgerschaft 
angehört  und  die  Freuden  des  Privatlebens  alle  gründlich  durch- 
gekostet   hatte,    dann    aber    bereit    war,    dieses  süße  Glück  dem 


*)  De  Xeoophonteo  qui  fertur  Hierone.    Progr.  Tauberbischofsheim  1874. 

2)  Bursians  JB.  1877  I  S.  25—28. 

s)  Z.  B.  von  R.Hirzel,  Der  Dialog  (Leipzig  1595)  I  S.  16S — 171,  ein 
Werk  übrigens,  dem  L.  als  einer  „literarischen  Fundgrube"  —  das  ist  es  — 
mit  Recht  volles  Lob  zuteil  werden  läßt. 


•> 


Xeoophon,  von  R.  Ullrich.  339 

Wohle  seiner  Mitbürger  zu  opfern  und  sich  an  ihre  Spitze  zu 
stellen44,  weise  die  Geschichte  Athens  zu  Lebzeiten  X.s  nicht 
auf.  Auch  in  Skillus  wäre  kein  Anlaß  zu  einem  solchen  Buche 
gewesen,  während  man  doch  sonst  yon  jeder  Arbeit  dieses  frucht- 
baren Schriftstellers  Ursprung,  Anlaß  und  Zweck  mit  Bestimmt- 
heit angeben  könne.  Wirklich?  Ich  dächte,  wir  fingen  eben  erst 
an,  über  die  eine  oder  andere  Schrift  in  dieser  Beziehung  zu 
leidlich  sicheren  Ergebnissen  zu  gelangen.  Vor  wem  freilich  die 
ganze  Schriftstellerei  des  Mannes  so  klar  ausgebreitet  liegt  wie  vor 
L.  (vgl.  JB.  1904  S.  201  ff.),  für  den  hat  es  keine  Not.  Doch  zu. 
solcher  Sicherheit  vermögen  sich  wenige  zu  erheben.  Der  „Hieron44 
soll  nun  davon  eine  Ausnahme  bilden.  Xenopbons  Arbeiten  seien 
überdies  eine  Frucht  persönlicher  Eindrucke  und  Beobachtungen; 
beliebig  ein  Thema  aus  der  Ferne  aufzugreifen,  sei  seine  Sache 
nicht.  Nach  der  Darstellung  der  Vorzöge  der  Monarchie  in  der 
Person  des  Kyros  sei  der  Hieron  eine  Verirrung,  um  so  mehr, 
als  das  Für  und  Wider  rhetorisch  auf  die  Spitze  getrieben  sei. 
Das  letztere  kann  man  gern  zugeben;  aber  schon  die  Zusammen 
Stellung  mit  der  Gyropädie  bei  L.  selbst  zeigt  doch  einen  ver- 
wandten Stoff  und  Anlaß.  Der  Gedanke  aber,  daß  ein  Mann,  der 
doch  sonst  zu  Piaton  einerseits  wie  zu  Isokrates  andrerseits  so 
mannigfaltige  Beziehungen  aufweist,  nicht  auch  wie  jene  der 
Tyrannenveredelung,  um  es  einmal  so  zu  nennen,  sein  Interesse 
sollte  zugewendet  haben,  ist  schwer  abzuweisen.  Ob  man  an- 
nehmen will,  daß  der  Dialog  wirklich  direkt  an  die  Adresse  des 
Dionysius  II.  (also  367  oder  bald  danach)  gerichtet  war  und  so 
praktischen  Zwecken  dienen  sollte,  oder  daß  er  mehr  als  eine 
„Studie14  aufzufassen  ist  (so  Nitsche  a.  a.  0.  S.  26),  darauf  kommt 
zunächst  nicht  viel  an.  Die  Hauptsache  ist,  daß  er  Gedanken  ent- 
hält, die  X.  auch  sonst  nahelagen.  Lincke  freilich  leugnet  das. 
Sittlicher  Standpunkt  und  politisches  Urteil  sollen  hier  anders  sein 
(S.  228  ff.);  wenn  das  zum  Teil  der  Fall  ist,  besonders  was  den 
ersten  Punkt  anlangt,  so  liegt  das  nicht  an  Xenophon,  sondern 
an  dem  geschichtlichen  Hintergrunde  des  Gemäldes,  das  er  uns 
entwirft,  und  was  den  andern  betrifft,  so  unterscheidet  sich  sein 
„Tyrann44  nicht  eben  sehr  von  dem  Idealbilde,  das  sich  ihm,  dem 
Anhänger  der  aufgeklärten  Monarchie,  sonst  an  Kyros  und  Agesilaos 
gebildet  hatte.  Zwar  L.  findet,  daß  die  Auffassung  des  Tyrannen 
und  seines  „Ratefreundes44  materiell,  selbstsuchtig,  dabei  aber, 
fugt  er  hinzu,  gar  nicht  so  unpraktisch  sei.  Freilich,  die  Schrift 
ist,  das  scheint  mir  nicht  unwahrscheinlich,  praktischer  Natur, 
ein  Ffirstenspiegel,  anderer  Art  allerdings  als  der  „Agesilaos44, 
ohne  die  feste  Grundlage  persönlicher  Beziehungen  und  darum, 
das  kann  gern  zugegeben  werden,  weniger  lebensvoll,  verschwomme- 
ner und  gewiß  keine  der  besten  Leistungen  Xenophons;  aber  bei 
den  Mitteln,  die  der  Aufrechterhaltung  der  Herrschaft  des  Tyrannen 
dienen  sollen  (S.  229),  findet  doch  der  Idealismus  des  Autors  voll 

22* 


340  Jahresberichte  d,  Philolog.  Vereins. 

seine  Rechnung,  dem  das  „Herrschen  über  Willige"  als  schönstes 
Ziel  für  einen  Fürsten  vorschwebt.  Und  wie  der  Weg  dazu  von 
Athen  über  Sparta  nach  Syrakus  geführt  hat,  ist  uns  von  einem 
echten  Historiker,  Ed.  Meyer  (Gesch.  d.  Alt.  V  S.  368  f.),  mit  wenigen 
Strichen  vorgezeichnet  worden.  Vgl.  auch  ebenda  S.  507,  wo 
die  Broschüre  X.s  in  den  richtigen  Zusammenhang  gerückt  wird. 
So  sehen  wir  hier  wie  oft  den  Praktiker  X.  neben  dem  Idealisten 
Piaton.  Daß  der  Verf.  sich  einen  der  „schönsten  Züge"  im  Bilde 
Hierons  habe  entgehen  lassen,  die  Gastfreundschaft,  zumal  gegen 
;  Dichter  und  Philosophen,  bemerkt  Lincke  S.  230  richtig  —  wie 
es  scheint.  Indessen,  ich  glaube  doch,  daß  in  diesem  Zusammen- 
hange, wo  es  sich  wesentlich  um  die  Frage  handelte,  wie  der 
Herrscher  seine  Untertanen  beglücken  und  dadurch  seine  Herr- 
schaft festigen  könne,  das  fremde  Gewächs  der  höfischen  Dichter 
entbehrlicher  war.  Lincke  findet  auch  die  Ansichten,  die  über  das 
Söldnerwesen  in  dem  Dialoge  entwickelt  werden,  befremdlich  für 
X.  und  seine  sonst  geäußerten  Anschauungen  über  diese  Dinge 
und  passender  für  die  Zeit  nach  Demosthenes.  Aber  ich  sehe  ge- 
rade darin  einen  Beweis  für  den  praktischen  Zweck  des  Buchleins. 
Nicht  nur,  daß  der  historische  Hieron  seine  großen  Aufgaben, 
die,  wie  die  Befreiung  Kymes  von  den  Etruskern,  eines  national- 
hellenischen Zuges  nicht  entbehrten,  mit  Söldnern  löste;  auch  in 
der  Zeit  der  Dionyse  war  für  denjenigen,  der  die  Verhältnisse 
praktisch  absah,  eine  andere  Art  von  Truppen  für  Alleinherrscher 
das  Übliche  und  Notwendige1),  und  es  mochte  auch  bei  dem 
praktischen  Xenophon  hier  die  stolzeste  Zeit  seines  Lebens  noch 
einmal  leise  nachklingen;  doch  dies  nur  nebenbei.  Nachdem  L. 
dann  S.  232  noch  zu  zeigen  gesucht  hat,  daß  der  Dialog  in  keine 
Zeit  von  X.s  Leben  und  auf  keinen  geeigneten  Adressaten  passe, 
ist  es  ihm  völlig  klar,  daß  „den  freien  und  auf  ihre  Freiheit  eifer- 
süchtigen Athenern  bewiesen  werden  soll,  daß  sie  wohl  daran 
taten,  sich  einem  einzigen  Lenker  des  Staates  in  die  Arme  zu 
werfen  und  ihm  ihre  Freiheit  zu  opfern"8). 

Dieser  Mann  ist  nun  Demetrios  von  Phaleron,  dessen  viel- 
seitige Tätigkeit  uns  L.  S.  233 ff.,  hauptsächlich  nach  Holm,  so 
anschaulich  schildert,  daß  wir  (s.  o.)  den  Hieron  fast  vergessen. 
Erst  S.  241  lenkt  er  wieder  ein,  um  an  das  Ende  dieser  Ent- 
wicklung den  Hieron  zu  setzen,  den  er  für  einen  Schuldialog  aus- 
gibt, doch  —  mit  praktischem  Zweck  (s.  o.).  Ob  I  4 — 6  sich  an 
Plat.  Tim.  45  A,  64 Äff.,  XI  5—10  an  Piatons  Staat (465 C)  anlehnt, 
wie  L.  annehmen  möchte,  oder  nicht,  ist  für  die  Echtheitsfrage  nicht 
von  Bedeutung,  da  chronologisch  auch  einer  Benutzung  durch  X. 
selbst  nichts  im  Wege  steht,  und  die  von  ihm  weiter  behauptete 
Anlehnung  von  VIII  6  an  Mem.  I  4,  12  steht  und  fallt  mit  seiner 

*)  Vgl.  H.  Droyseo,  Heerwesen  n.  Kriegführung  (1889)  S.  76  ff. 
2)  So    schoo  A.  H.  Christiao  io    der  Einleitung  zu  seiner  Übersetzung 
des  Hieron  (Metzlersche  Sammlung,  Stuttgart). 


Xenophoo,  vod  R.  Ullrich.  34t 

(nicht  bewiesenen)  Annahme  der  „jüngeren  Memorabilien".  Daß 
rhetorischer  „Aufputz",  der  tatsächlich  im  Hieron  vorliegt,  sich  in 
den  echten  Werken,  z.  B.  in  der  Anabasis,  nicht  zeigen  soll,  darf 
doch  seit  Schachts  Untersuchungen  (s.  JB.  1904  S.  65,  79  u.  ö.) 
und  Bruns'  Nachweis  des  Zusammenhangs  von  Anab.  II  6,  16—29 
mit  Isokrates  Euag.  19  (vgl.  ebenda  S.  150  f.)1)  nicht  mehr  behauptet 
werden,  um  zu  beweisen,  daß  gerade  die  in  bezug  auf  Echtheit 
verdächtigen  Werke  rhetorisch  ausgestattet  seien,  um  Ersatz  zu 
bieten  für  die  Mängel  des  Inhalts  (S.  244  f.).  Daß  Schriften  ab- 
handelnder Art  mehr  Rhetorik  zeigen  als  geschichtliche,  ist  in . 
der  Sache  selbst  begründet  (JB.  1904  S.  79,  Z.  11  v.  u.).  Verf/ist 
unmutig  darüber  (S.  245  Anm.  14),  daß  die  Theologie  der  Bibel- 
kritik einen  Deutero-Jesaia  zugestanden  hat,  die  Philologen  von 
dem  Deutero-Xenophon  aber  nichts  wissen  wollen.  Das  ist  nicht 
eben  zu  verwundern.  Denn  dort  stehen  wir  Tatsachen  gegenüber, 
die  sich  aus  zwingenden  Gründen  ergeben  haben,  während  hier 
eine  Vermutung  die  andere  stützen  muß  (JB.  1904  S.  202f.).  Der 
Nachweis  vorhandener  Rhetorik,  den  L.  des  näheren  S.  246  für 
Hieron  und  andere  kleine  Schriften  Xenophons  gibt  (Über  Ab- 
hängigkeit des  Hieron  I — VII  von  Isokrates  VIII  112  vgl.  schon 
E.  Richter,  Xenophonstudien,  Fleckeis.  Jb.  Suppl.  1893  S.  147 
bis  149),  kommt  auch  dein  echten  Xenophon  zugute.  Nachdem 
L.  dann  S.  248 f.  wieder  etwas  abgeirrt  ist  (zu  den  Hellenika;  vgl. 
auch  JB.  1904  S.  204  o.  und  oben  S.  338  u.  340),  kommt  er  zum 
Schlüsse. 

Daß  vieles  von  dem,  was  der  Verfasser  des  Hieron  ausführt, 
zumal  daß  sein  erotisches  Element  auf  Zeit  und  Ort  des  Demetrios 
von  Phaleron  passen  kann,  soll  L.  nicht  bestritten  werden.  Das 
hilft  uns  jedoch  wenig.  Den  Nachweis  aber,  daß  in  dem  Dialoge 
auf  Verbältnisse  der  Dekaetie  deutlicher  angespielt  werde  als  auf 
syrakusanische  zur  Zeit  des  Hieron  und  Simonides,  welche  er  ver- 
mißt, hat  er  nicht  erbracht.  Vor  allem  bleibt  unerklärt,  wie  ein 
Verfasser,  der  nach  L.  athenische  Verhältnisse  vor  Augen  hatte, 
am  Ausgang  des  4.  Jahrhunderts  gerade  dazu  gekommen  sein 
sollte,  den  sizilischen  Tyrannen  und  einen  der  an  seinem  Hofe 
sich  aufhaltenden  Dichter  redend  einzuführen.  Lincke  hat  (S.  232) 
von  diesen  beiden  Personen  „einmal"  abgesehen,  kommt  dann 
aber  auf  sie  nicht  mehr  zurück.  Zum  Schaden  der  Sache.  Wir 
werden  doch  wohl  um  diese  Namen  und  die  mit  Notwendigkeit 
auf  Sizilien  weisende  Beziehung  nicht  herumkommen.  Und  wenn 
es  uns  auch  an  bestimmtem  Nachweise  über  die  Beweggründe  X.s, 
diese  Personen  einzuführen  (den  L.  aber  auch  für  Demetrios  nicht 
erbracht  hat),  fehlt,  so  ist  doch,  ganz  abgesehen  von  dem  Rechte 
der  Überlieferung   und  der   sprachlichen  Form,    wovon  noch  zu 

x)  Vgl.  auch  zur  AaxtSaipovttoV  noXaita  die  entsprechenden  Nach- 
weise Nordens  (vgl.  JB.  1904  S.  79),  dessen  „Attische  Kunstprosa"  L.  wohl 
zu  niedrig  einschätzt. 


342  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

reden  ist,  mancherlei  vorhanden,  was  uns  wenigstens  einen  ge- 
wissen Anhalt  gibt. 

Das  Wesentlichste  hat  schon  Nitsche  (a.  a.  0.)  richtig  hervor- 
gehoben, und  besonders  dessen  Hinweis  auf  die  Abfassungszeit 
in  dem  'mit  Sizilien  in  lebhafter  Verbindung  stehenden  Korinth 
um  367  hätte  Lincke  in  der  Orts-  und  Adressatenfrage  (S.  232) 
bedenklich  stimmen  sollen.  Naturlich  konnte  die  Broschüre  nicht 
für  die  Korinther  bestimmt  sein  (a.  a.  0.);  aber  der  lange  Auf- 
enthalt in  dieser  Stadt  gerade  zu  der  Zeit,  wo  in  Syrakus  der 
Thronwechsel  sich  vollzog,  mochte  in  Verbindung  mit  den  politi- 
schen und  Handelsbeziehungen  beider  Städte  und  auch  der  mehr- 
fachen Unterstützung  der  Spartaner  durch  die  beiden  Dionyse 
(vgl.  Hell.  VI  2,  4.  33;  VII  1,  20—22.  28 ff.;  4,  12)  das  Interesse 
des  Schriftstellers  auf  Sizilien  gelenkt  haben.  Während  seines 
Aufenthalts  in  Skillus  werden  ihm  außerdem  die  mannigfachen 
Zeugen  der  olympischen  Siege  sizilischer  Herrscher  und  der  Sieges- 
helm für  den  Sieg  von  Kyme  (vgl.  Roehl,  Inscr.  Gr.  antiquiss.  510) 
nicht  unbekannt  geblieben  sein  und  Eindruck  gemacht  haben. 
So  viel  im  allgemeinen. 

Ob  nun  X.  sich  an  eins  von  den  Gesprächen  angelehnt  hat, 
die  „über  Hieron  und  Simonides  im  Umlauf  waren"  (vgl.  Hirzel 
a.  a.  0.  I  S.  170  u.  Anm.  3),  oder  ob  er  seinen  politischen  Rat- 
schlägen an  den  sizilischen  Machthaber  seiner  Zeit  den  Namen 
eines  seiner  gefeiertsten  Vorgänger  einfach  untergelegt  hat,  kann 
nicht  mit  Bestimmtheit  entschieden  werden.  Hieron  aber,  der 
nach  Pindars  Worten  (Pyth.  I  117  f.)  die  Stadt  Aitna  &£od}idz(a 
<siv  ei.av&sQiq  \  'YXXidog  Gid&(iag . . . .  sv  vdfioig  gegründet  hatte, 
mußte  recht  ein  Mann  nach  dem  Herzen  des  frommen,  für  dorische 
Einrichtungen  begeisterten  Xenophon  sein.  Und  wenn  nun  zu 
einem  solchen  Könige  sich  der  Sänger  gesellte,  der  —  woran  zu 
zweifeln  kein  Grund  ist  —  auch  politischen  Einfluß  am  Hofe  des 
Hieron  gehabt  und  (476  v.  Chr.)  zwischen  diesem  und  Theron 
von  Agrigent  den  Frieden  vermittelt  hatte1),  wozu  Ed.  Meyer 
(Gesch.  d.  A.  III  S.  629  u.)  fein  bemerkt:  „er  mochte  beiden 
Herrschern  vorstellen,  wie  leicht  der  Kampf  die  Revolution  ent- 
fesseln und  beide  den  Thron  kosten  könne",  —  konnte  es  da  für 
X.  geeignetere  Personen  geben  als  diese,  wenn  es  sich  um  die 
Frage  handelte,  wie  ein  Tyrann  seine  Herrschaft  am  festesten  be- 
gründen könne?  Während  man  also,  eine  Beziehung  des  Dialogs 
auf  Demetrios  angenommen,  vergebens  nach  Gründen  für  die  Wahl 
gerade  dieser  Sprecher  suchen  würde,  liegen  diese  ziemlich  nahe, 
wenn  wir  in  Xenophons  Zeit  selbst  bleiben. 

L.  hat  noch  sprachliche  Bedenken  beigebracht,  im  ganzen 
zwei.  Aber  wenn  auch  tatsächlich  Demetrios,  wie  Holm,  G  riech. 
Gesch.  IV  77  ausführt,  statt  der  Choregie  die  Agonothesie  einge- 


!)  Vgl.  ßnsolt,  Griecb.  Gesch.  II '  S.  799  Anm.  1. 


Xenophon,  von  R.Ullrich.  343 

fuhrt  hat1),  so  ist  doch  zu  beachten,  daß  1X4  nicht  vom  Amte 
des  aywvo&hfjg  die  Rede  ist  (dieser  Name,  und  nur  in  der 
Substantivform,  begegnet  in  den  betr.  Inschriften),  sondern  die 
Sache  liegt  so,  daß  X.  in  freier  Weise  den  sonst  für  Kampfspiel 
üblichen  verbalen  Ausdruck  (dieser  z.B.  XI  5)  auf  szenische 
Agone  übertragen  hat;  gleich  hinterher  folgt  übrigens  das  übliche 
Xowfoq.  Sauppe  hat  daher  das  Wort  im  Lexilogus  nicht  ein- 
mal erwähnt.  Wie  würde  L.  über  aywvodfrcci,  Anab.  III  1,21 
denken?  Ebenso  werden  XI  5  und  7  nqoataxsvsiv  und  ttqootcc- 
zyg  nur  demjenigen  auffallen,  der  schon  mit  dem  Gedanken  an 
den  TiQoaicxtTjg  Demetrios  (der  übrigens  auch  im<Sxa%ng  oder 
inifJksltjTijg  hieß)  an  die  Stellen  herantritt.  Übrigens  kommt  hier 
nicht  einmal  nQoaiaTtjg  direkt  vor,  sondern  nur  in  der  Ver- 
bindung TtQQQ  äXXovg  nqoaxatag  noXswv,  und  Substantiv  wie 
Verb  sind  nicht  bloß  in  der  übrigen  Gräzität,  sondern  auch  bei 
X.  selbst  gar  nicht  selten  (z.  B.  Anab.  V  6,  21;  Mem.  II  8,  4;  Hell.  III 
3,  6  —  TtQoaTdjfjg  allein  8  mal  in  den  Hellenika  u.  ö.). 

L.  hätte  nachweisen  müssen,  daß  sich  die  Sprache  wesent- 
lich von  der  Xenophontischen  unterscheide.  Die  beiden  genannten 
Tatsachen  beweisen  nichts.  Es  würde  übrigens  ein  mißliches 
Unternehmen  sein,  aus  dem  Wortschatz  einer  Schrift  so  kleinen 
Umfanges,  im  Vergleich  zu  dem  größerer,  echter  Schriften  des- 
selben Autors  eine  Erklärung  der  Unechtheit  herleiten  zu  wollen. 
Die  Unterschiede  müßten  gerade  so  auffallend  in  die  Augen 
springen,  dazu  der  Stil  so  verschieden  sein,  daß  kein  Zweifel 
möglich  wäre.  Ober  den  Stil  ist  schon  oben  gesprochen,  und 
die  Sprache  zeigt  nichts,  was  gegen  den  sonst  bekannten  Gebrauch 
des  Schriftstellers  verstieße.  Sogar  manche  Eigentümlichkeit  der 
Art,  wie  sie  Richards  und  Immisch  in  der  Apologie  im  Verhältnis 
zu  den  übrigen  nicht  angezweifelten  Schriften  festgestellt  haben 
(s.  o.  S.  333  f.  und  JB.  1904  S.  209 ff.),  kehrt  hier  wieder;  ich 
notiere  gerade  dwQstffd-ai  VII  9;  evcpQOövvtj  I  2  und  18;  VI  1; 
VIII  3;  ßiOTsvco  IV  4  u.  a.  m.  —  falls  es  derartiger  Nachweise 
überhaupt  bedürfte. 

Aus  dem  Gesagten  geht  hervor,  daß  weder  nach  Form  noch 
Inhalt  begründete  Zweifel  gegen  die  Echtheit  des  „Hieron"  er- 
hoben werden  können,  Linckes  Hypothese  demnach  als  verfehlt 
anzusehen  ist. 

&)  Olxovopixog. 

4)  Friedrich  Ctoer,  Die  Stellnag  der  arbeitenden  Klassen  in 
Hellas  and  Ron,  Nene  Jahrb.  f.  d.  klass.  Altertum  usw.  1899  (l.Teil) 
S.  686—702, 

kommt    S.  691   kurz    auf  Xenophon    und   seine  Auffassung   der 
Arbeit  zu  sprechen.    Die  Handwerker  gewannen  ihm  keine  Achtung 

2)  Vgl.  dazn  A.  Müller,  Lehrb.  d.  griecb.  Bühoenaltertümer  (1886) 
S.  339—341  nnd  die  Quellenstellen  in  den  Anmerkungen. 


344  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

ab,  und  der  soziale  Wert  ihres  Tuns  kam  ihm  nicht  zum  Bewußt- 
sein. Höher  steht  ihm  die  Landwirtschaft.  Wichtig  ist  hier  be- 
sonders der  Umstand,  daß  nach  X.  der  rechte  Landwirt  sich  um 
jede  Einzelheit  in  seiner  Wirtschaft  kummern  und  die  Strapazen 
seiner  Leute  teilen  soll. 

X.  war,  das  geht  auch  aus  diesen  Bemerkungen  wieder  her- 
vor, ein  pädagogisches  Talent  und  auf  diesem  praktischen  Gebiete, 
das  er  wie  das  militärische  aus  langer  Übung  kannte,  auch 
originell. 

5)  L.  Ziehen,  Die  Drakontische  Gesetzgebung,  Rh.  Mos.  LI V  (1899) 

S.  321—344, 

erinnert  S.  331  u.  Anm.  1  an  den  Volksbeschluß  von  409/8  CIA 
I  61;  Dittenberger  Syll.  2I  n.  52  (»I  n.  45)  über  die  neue  Auf- 
zeichnung des  Gesetzes  Drakons  neql  <pdvov  und  das  dadurch 
auch  in  der  Literatur  wieder  wachgerufene  Interesse  für  den  alten 
Gesetzgeber,  auch  für  die  Gesetze,  die  nicht  zum  Blutrecht  ge- 
hörten. Der  nächste  Zeuge  der  Zeit  nach  ist  Xen.  Oik.  XIV  4  IT., 
wo  die  Bestrafung  des  Diebstahls  von  Sklaven  im  Anschluß  an 
Bestimmungen  Solons  oder  Drakons  zur  Sprache  kommt.  Vgl. 
zur  Sache  im  allgemeinen  noch  F.  Cauer,  Verhandl.  d.  40.  Philo- 
logen-Vers, zu  Görlitz  (1890)  S.  119  und  Busolt,  Griech.  Gescb. 
*  II  S.  241  u.  Anm.  5. 

Über  Ed.  Meyers  Bemerkungen  zu  Oik.  XVI  10  IT.  vgl.  den 
Anhang  ^A&ipalw  nolnsia]  im  JB.  1904  S.  218. 

6)  Ivo    Bruns,    Frauenemanzipation    in    Athen.     Ein    Beitrag   zur 

attischen  Kulturgeschichte  des  fünften  'und  vierten  Jahrhunderts1)* 
Rede  zum  27. 1.  1900.  Kiel  1900,  Universitäts-Buchhandlung.  31  S. 
gr.  8.     1,40^. 

Wie  die  Frage  nach  der  Stellung,  welche  die  Frau  von  Rechts 
wegen  einzunehmen  habe,  von  den  Dichtern  und  Denkern  des 
fünften  und  vierten  Jahrhunderts  als  Wortführern  der  Debatten 
der  Gesellschaft  ihrer  Zeit  zuerst  mehr  gelegentlich  angeregt,  dann 
aber  allmählich  in  immer  bestimmterer  Weise  beantwortet  worden 
ist,  zeigt  uns  in  den  Hauptzügen  diese  akademische  Rede  des  um 
die  tiefere  Erkenntnis  der  geistigen  Strömungen  jener  Zeit  (vgl. 
JB.  1904  S.  80;  S.  150  f.)  so  verdienten  Gelehrten  —  eine  seiner 
letzten  Arbeiten.  Beziehungen  zu  ähnlichen  Bewegungen  unserer 
Tage  liegen  nahe;  daher  gewinnt  sie  doppeltes  Interesse. 


l)  Diese  Abhandlung  des  verewigten  Verfassers  ist  mit  anderen,  be- 
sonders solchen,  die  auch  in  weiteren  Kreisen  Interesse  erwecken  köooeo, 
jetzt  wieder  abgedrückt  in  den  von  Th.  Birt  herausgegebenen  „Vorträgen  und 
Aufsätzen",  München  1904,  Beck,  S.  154—193.  Ich  komme  darauf  später 
noch  zurück. 


\ 


Xenophoo,  von  R.  Ullrich.  345 

Daß  in  einer  Übersicht  über  die  geistig  bedeutenden  Männer 
des  fünften  und  vierten  Jahrhunderts,  welche  sich  mit  der  „Frauen- 
frage" beschäftigt  haben,  Xenophon  nicht  fehlen  durfte,  war  selbst- 
verständlich, und  so  hat  ihm  denn  ßruns  nach  vorangegangener 
Erörterung  der  Stellung  des  Euripides,  Aristophanes  und  der 
Philosophen  des  vierten  Jahrhunderts  zu  diesen  Fragen  S.  27—31 
(vgl.  auch  schon  S.  23  und  26)  ein  besonderes  Kapitel  gewidmet. 
Natürlich  handelt  es  sich  hierbei  um  den  „Oikonomikos",  vor 
allem  um  das  berühmte  7.  Kapitel.  Die  Frage  nach  der  Glaub- 
würdigkeit der  Ausführungen  Xenophons  hat  ß.  mit  Recht  nicht 
berührt ;  wir  haben  in  der  Tat  keinen  Grund,  an  dieser  zu  zweifeln 
(vgl.  JB.  1904  S.  76).  X.  befindet  sich  in  entschiedenem  Gegen- 
satze ebenso  zu  grundsätzlichen,  extremen  Anschauungen  Piatons 
von  der  natürlichen  Gleichheit  der  Beanlagung  beider  Geschlechter 
wie  zu  den  daraus  von  jenem  gezogenen  Folgerungen.  Nur  in 
wenigen  Fähigkeiten  und  Tugenden  sind  beide  gleich,  in  den 
meisten  verschieden.  Des  Mannes  Tätigkeit  liegt  außerhalb  des 
Hauses,  die  der  Frau  im  Hause;  er  erwirbt,  sie  erhält.  Diese 
Gedanken  führt  Aristoteles  weiter,  indem  er  zeigt,  daß  die  Tugenden 
beider  nicht  quantitativ,  sondern  qualitativ  verschieden  sind;  ein 
Freund  des  weiblichen  Geschlechts,  weist  er  die  Frau  doch  in  die 
Sphäre  zurück,  die  ihr  die  Volksauffassung  von  jeher  angewiesen 
hatte.  Und  während  Piaton  im  „Staat"  jene  extreme  Auffassung 
vertreten  hatte,  hat  es  den  Anschein,  als  wäre  er  in  den  „Ge- 
setzen44 milder  geworden.  Die  Idee  der  Gleichheit  beider  Ge- 
schlechter verliert  so  im  vierten  Jahrhundert  an  Bedeutung,  aber 
die  von  Piaton  angeregte  Frage  der  Erziehung  der  Frauen  bleibt 
lebenskräftiger;  zu  ihr  hat  (in  der  Zeit  zwischen  „Staat"  und 
„Gesetzen14)  Xenophon  Stellung  genommen.  Seine  Erörterungen 
im  Oikonomikos  haben  um  so  mehr  Bedeutung,  als  er  nicht  ein 
„doktrinärer  Junggeselle  war,  wie  Piaton,  sondern  die  Segnungen 
der  Ehe  an  sich  erfahren  hatte44.  Ihm  verdanken  wir  die  Auf- 
fassung der  Ehe  als  der  naturnotwendigen  Ergänzung  zweier  ver- 
schiedenen und  deshalb  auf  gegenseitige  Unterstützung  angewiesenen 
Naturen  —  worin  ihm  wiederum  Aristoteles  folgt.  Nicht  als  ob 
Xenophon  in  der  indirekten  Polemik  gegen  Piaton  (Oik.  7, 22) 
sich  als  ein  überzeugter  Bekämpfer  jeder  Reform  zu  erkennen 
gäbe;  zwar  schließt  er  sich  den  Forderungen  der  Frauenbewegung 
nicht  an,  aber  in  der  Kritik  der  bestehenden  Verhältnisse  stimmt 
er  mit  ihr  fiberein.  Der  Frau,  dem  beschränkten,  ungebildeten, 
auch  törichten  Wesen,  wie  es  damals  war,  muß  geholfen  werden 
—  das  ist  der  Hauptgedanke,  der  seine  Erörterungen  durchzieht. 
So  wie  sie  jetzt  ist,  kann  sie  auch  die  ihr  von  der  Natur  zu- 
gewiesene Aufgabe,  Erhaltung  des  Hauswesens  und  Erziehung  der 
Kinder,  nicht  erfüllen  —  so  auch  Piaton,  wenigstens  in  den 
„Gesetzen44.  Der  gottesdienstliche  Kult  —  gemeinsam  mit  dem 
Manne  —  muß  zu  diesen  zwei  Obliegenheiten  noch  hinzukommen. 


346  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Aus  der  Mißbilligung  der  bestehenden  Art  der  Frauenerziehung 
(oder  vielmehr  —  Nichterziehung)  zieht  jedoch  der  praktische  X. 
die  reale  Folgerung,  man  solle  der  Frau  keine  größeren  Aufgaben 
stellen,  sondern  sie  in  den  Stand  setzen,  die  bisherigen  kleineren 
zu  erfüllen. 

Seltsamerweise  will  er  nun  aber  nicht  das  Mädchen  anders 
erzogen  wissen  —  hier  zeigt  er  sich  ganz  als  Mann  des  Her- 
kommens — ,  sondern  erst  die  Frau.  Nicht  Eltern  und  Frauen 
tragen  die  Schuld  an  den  Mißständen,  sondern  die  egoistischen 
Männer.  Darum  gehört  es  zu  den  ernstesten  Pflichten  des  Mannes, 
die  ungebildete  und  hilflose  Frau  zu  erziehen. 

B.  ist  der  Meinung,  daß  wir  in  diesen  Ausführungen  Xeno- 
phons  mit  Wahrscheinlichkeit  die  Stimme  der  Majorität  des 
Publikums  über  die  attischen  Emanzipationsbestrebungen  zu  hören 
berechtigt  sind. 

Die  knappen  Darlegungen  des  Verfassers,  die  z.  T.  nur  mit 
seinen  eignen  Worten  treffend  wiedergegeben  werden  konnten, 
geben  eine  ebenso  klare  Vorstellung  bedeutsamer  Strömungen 
einer  von  mannigfachen  Problemen  bewegten  Zeit,  wie  sie  uns 
zeigen,  daß  X.,  Reformen  durchaus  nicht  abhold,  aber  als  Gegner 
utopistischer  Phantastereien  immer  auf  dem  hier  allein  gangbaren 
Grunde  realer  Verhältnisse  sich  bewegend,  ein  Meister  der  Be- 
schränkung gewesen  ist,  nicht  aber  der  beschränkte  Kopf  schlecht- 
hin, zu  welchem  manche  Neueren  ihn  haben  machen  wollen.  Und 
so  fängt  denn  auch  die  kleine,  von  Cicero  mit  Recht  so  hoch- 
geschätzte, von  den  Neueren  ungebührlich  vernachlässigte  Schrift 
„Oikonomikos"  (es  gibt  nicht  einmal  eine  erklärende  deutsche1) 
Ausgabe  aus  neuerer  Zeit)  allmählich  wieder  an,  einige  Beachtung 
zu  finden8). 

x)  2v[A7i6aiov. 

7)  L.  P(armeotier),  Revue  de  l'instruction  publique  eo  Belgique  43  (1900) 
S.  244, 

bespricht  die  Stelle  VI  7,  um  an  einem  Beispiel  zu  zeigen,  wie 
oft  man  unnötige  Verbesserungen  in  klassische  Texte  eingeführt 
hat.  Oberliefert  ist  "Avw&sv  [idv  ye  bvreg  (JcxpsXovGiv,  ävco&tv 
de  <päg  naQe'xovGiv.  Für  ovveg  haben  Herbst  und  Dindorf 
vovzeg  gesetzt,  besonders  wegen  der  angeblichen  Schwierigkeit 
der  Verbindung  von  ävco&w  mit  ovzeq.  Es  ist  aber  dem  zweiten 
ävoo&sv  zuliebe  vom  Autor  gewählt,  vovreg  dazu  nicht  einmal 
sinngemäß,  eine  Änderung  also  unnötig. 


*)  Eine  englische  hat  Holden  1895  herausgegeben;  vgl.  JB.  1904  S.  64  a. 

2)  Vgl.  besonders  M.  Hodermann,  Xenophons  Wirtschaftslehre  uater 
dem  Gesichtspunkte  sozialer  Tagesfragen  betrachtet,  Wernigerode  1899; 
Näheres  darüber  im  nächsten  Bericht. 


Xenophoo,  von  R.  Ullrich. 


347 


Verzeichnis  der  bes 

prochenen  St< 

sllen. 

A1).   Aus  Xenophon. 

a)  Antbasis. 

8eite    1                                        Seite    1 

Seite 

II  6,16-29              341    1   III  1,21                    343   |   V  6,  21 

343 

b)  Hellenika. 

III   3,  6                      343    1     VI  2,  33                   342   1   VII  1, 28 

342 

VI  2,4                      342   1   VII  1,20-22           342   |          4,12 

342 

c)  Memorabilieo. 

Seite 

Seite 

Seite 

Seite 

I   1             335.  336 

t  J,  12              335 

12,31               336 

II  8,4 

343 

2       335  (bis) 

15              335 

62—64       335 

IV 

336 

2—4          336 

2,1—8  335  (bis) 

62              336 

3 

335 

3                335 

3                 336 

64              336 

1 

336 

4                335 

9—61         336 

4                    335 

8 

334 

5                335 

15              336 

12              341 

11-15      335 

17              336 

6, 3                336 

d)   Cyrop'ddie. — 

e)   Zu  den  kleineren  Schriften. 

ß)  *AnoXoy£a 

16  ff.                 335 

I  4-6         340 

XI  5  (bis) 

343 

JSaxQdiovg. 

16                     333 

4               338 

7 

343 

1               333.  334 

17                     333 

18             343 

2                       333 

18             333. 336 

26-38     338 

r\)'Aaxtöaifiovitov 

4                        334 

20  f.                  336 

III  3  ff.           338 

noXutict. 

5                        334 

20                     336 

IV  4               343 

341 

7  (bis)              333 

22                     334 

VI  1               343 

8                        333 

23                     336 

2              338 

#)  Olxovo/uixog. 

9                        334 

24                    335 

VII  5  f.            338 

VII 

345 

11—14             336 

29             333.  334 

9               343 

22 

345 

1 1             334.  335 

VIII- XI          338 

XIV  4  ff. 

344 

1 1—22             335 
12             333.  335 

y)  'tfgow. 

VIII  3              343 
6      338.  341 

XVI  10  ff. 

344 

13            333.  335 

1 — VII     338.  341 

IX  4              343 

x)  Zv/unoöwv. 

14                     334 

I  2                    343 

XI  5—10       340 

VI  7 

346 

B.   Aus  anderen  griechischen  Schriftstellern. 

Seite 

Seite 

Aotisth.  nsgl  nmdiiag                   336 

Plat.  Apol.  26  C 

335 

Isoer.  VIII  (de  pace)  112                341 

33  A 

336 

IX  (Eaag.)  19                     341 

Euthyphr.  3  A 

336 

Piod.  Pyth.  I  117f.                        342 

Phaedr.  242  D 

335 

Plat.  Apol/  19  B                              335 

Repl.  465  C 

340 

D                              336 

Tim.  45  A 

340 

20  C 

336 

64  Äff. 

340 

C.  Aus  griechischen  Inschriften. 
C.  I.  A  I  61  (Ditteob.  Syll. 2 1  52)    344  |  Roehl  ioscr.  aotiquiss.  510  342 

>)  Die  Bachstaben  entsprechen  denen  des  Hauptberichts,  JB.  1904  S.22 1—224. 

Berlin.  Richard  Ullrich. 


9. 
Herodot. 


1)  J.  V.Präsek,  Hekataios  als  Herodots  Quelle  zur  Geschiebte 
Vorderasiens.  Beiträge  zur  alten  Geschichte  IV  S.  193—  208. 
Leipzig  1904. 

Über  Kyros'  Jugend  hat  Herodot,   wie  er  selbst  sagt,    außer 
dein  von  ihm   erzählten  Bericht  noch  drei  andere  gekannt.    Von 
einem    dieser   findet  Verf.  noch   Spuren    in  Herodots   Erzählung, 
nämlich  I  110,  113  und  122.    An  der  ersten  Stelle  werden  Kyros1 
Pflegeeltern  namhaft  gemacht,  c.  122  wenigstens  die  Mutter,  während 
sonst    in  Herodots  Erzählung    die   Persönlichkeiten    lediglich   nur 
allgemein   bezeichnet    werden.     Ferner   wird   hier  der  medische 
Name  Spako  richtig  durch  das  griechische  Kwai  gedeutet,  was 
nicht   von  Herodot,    der  weder  Persisch   noch  Medisch    verstand, 
selbst  herrühren  kann.    Endlich  findet  sich  hier  eine  richtige  geo- 
graphische Charakteristik  von   dem    nördlichen  Medien,    die   aber 
mit  der  Schilderung  der  Landschaft,    in  der  Kyros  aufgewachsen 
ist,  durchaus  nicht  übereinstimmt.    Hier  möchte  ich  nur  einwenden, 
daß  c.  104  die  Lage  Mediens  zu  den  Saspeiren  und  zum  Schwarzen 
Meere  ebenso  angegeben  ist.    Richtig  ist  dann,  wie  schon  Duncker 
erkannt    und    worauf  auch  Stein  in  der  Anmerkung  aufmerksam 
gemacht  hat,    der  Widerspruch  zwischen  c.  113  und  117,    indem 
c.  113  Harpagos  zur  Besichtigung  der  Leiche  des  angeblichen  Kyros 
doQVipoQOi  abschickt,  während  es  c.  1 1 7  Eunuchen  sind.    Eunuchen 
können  nun  freilich  nicht  zugleich  doQVipoqoi  sein.    Daraus  aber 
zu   schließen,    daß  c.  113  Harpagos  als  Kronfeldherr,   c.  117  aber 
nur  als  Hofmann  erscheint,    ist  meines  Erachtens  nicht  angängig. 
Ein  und  derselbe  medische  Große  kann  doch  beides,  Leibwächter 
und    Eunuchen,    gehabt    haben.     Hierbei    möchte   ich    auf   einen 
andern  Widerspruch  in  der  Erzählung,  den  Stein  bemerkt  hat  und 
der  nicht  durch  eine  Verschiedenheit  der  Quellen  erklärt  werden 
kann,  hinweisen.    Harpagos  befiehlt  c.  1 1 1  dem  Hirten  Stvahzßivw 
tö    naidiov    olxea&at    wiQOVxa,    und    dementsprechend   erzählt 
dann  der  Hirt  xai  iyco  avalaßatv  icpsqov.     Gleich    darauf  aber 
fährt  er  fort,   daß  er   unterwegs   die  ganze  Geschichte  von  dem 


Herodot,  voo  H.  Kallenberg.  349 

Diener,  og  ipt  nqon^Ttwv  i?w  noXioc  svs%äQMfs  %6  ßqitfos, 
erfahren  habe.  Es  scheint  mir  darum  noch  zweifelhaft,  oh  man 
berechtigt  ist,  an  dieser  Stelle  die  Spuren  eines  andern  Berichtes 
zu  sehen.  Zugeben  muß  man  aber,  daß,  wie  schon  Grote  und 
Bauer  erkannt  haben,  1 122  die  ursprungliche  Sage  von  der  Säugung 
des  Kyros  durch  eine  Hundin,  wie  sie  bei  Trogus-Justinus  er- 
halten ist,  durchschimmert. 

Den  ganzen  Mrjdixog  Xoyog,  in  den  die  Jugendgeschichte 
des  Kyros  eingeschoben  ist,  teilt  Verf.  (so  schon  in  seiner  Schrift 
„Medien  und  das  Haus  des  Kyaxares",  Studien  für  klassische 
Philologie  und  Archäologie  XI,  Heft  3.  Berlin  1890)  in  zwei  nach 
den  Quellen  verschiedene  Teile:  1)  I  95—104,  106—122  und 
2)  1 123—130.  Im  ersten  erkennt  er  „eine  ursprunglich  medische, 
aber  im  Verlauf  der  Zeit  mit  fremden  Bestandteilen,  die  ins- 
gesamt auf  das  griechische  Kleinasien  und  auf  Delphi  hinweisen, 
vermengte  Quelle,  welche  mit  Vorliebe  den  durch  Harpagos  an 
Astyages  und  dem  Hederreiche  verübten  Verrat  zu  beschönigen 
bestrebt  ist  und  auch  sonst  sehr  nahe  Beziehungen  und  reges 
Interesse  an  der  bekanntermaßen  in  Lykien  begüterten  Harpagiden- 
familie  an  den  Tag  legt4*.  Er  nennt  diese  Quelle  Harpagiden- 
tradition,  den  zweiten  Teil  medische  Volks  Überlieferung.  In  der 
Harpagidentradition  fällt  Astyages  durch  eigene  Schuld,  indem  er 
sich  den  einflußreichen  Harpagos  verfeindet;  sie  sucht  den  Verrat 
dieses  Hannes  zu  entschuldigen,  während  in  der  Volksüberlieferung 
der  König  ein  Opfer  des  Schicksals  ist  und  Harpagos  direkt  des 
Verrats  beschuldigt  wird.  Die  Harpagidentradition  „ist  an  dem 
lykischen  Furstenhof  der  Harpagiden  entstanden,  wurde  teilweise 
vom  persischen  Standpunkte  aus  modifiziert,  nachher  den  loniern 
bekannt  und  der  bedeutendste  unter  den  Gebildeten  des  damaligen 
loniens,  der  milesische  Logograph  Hekataios,  hat  sie  nieder- 
geschrieben, wobei  er  aber  in  deren  Textlaut  auch  Bestandteile 
einer  andern  echt  persischen,  allerdings  von  seinem  Gesichts- 
punkte aus  rationalisierten  Version  aufgenommen  hat.  Diese 
llekatäische  Umarbeitung  der  Erzählung  hat  Herodot  vorgezogen, 
indem  er  sie  fast  wörtlich  zur  Grundlage  seines  Mtjdixdg  Xiyog 
gemacht  hatle,  ohne  aber,  der  wohlbekannten  Art  des  Altertums 
entsprechend,  Hekataios  als  Quelle  zu  bezeichnen41.  Zum  Beweis 
dafür,  daß  diese  Tradition  von  einem  Griechen  niedergeschrieben 
ist,  fuhrt  Verf.  folgendes  an:  1)  die  Obersetzung  des  medischen 
cnaxoi  durch  das  griechische  xvvci,  2)  den  Vergleich  von  Agbatana 
mit  Athen,  3)  die  griechische,  die  „Stadt"  Agbatana  von  dem 
medischen  „Lande"  unterscheidende  Vorstellung,  4)  die  delphi- 
schen Spruche,  die  die  Grundlage  zur  Erzählung  von  der  Ursache 
und  dem  Verlaufe  der  Katastrophe  des  Astyages  geboten  haben. 
Auf  Hekataios  endlich  soll  die  Rationalisierung  der  persischen  Sage 
von  der  Rettung  des  Kyros  durch  eine  Hundin  und  die  geo- 
graphische Kenntnis  vom  Lande  Medien  in  Her.  I  110,  die  sonst 


350  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Herodot  abgeht  und  wozu  Verf.  wörtliche  Anklänge  in  HekaL 
Fragm.  172  findet,  hinweisen.  Ob  er  I  123—130  auch  aus 
Hekataios  ableitet,  sagt  er  nicht. 

2)  H.  R.  Hall,   Nitokris-Rhodopis.    Journal   of  Hellen ic  studies  XXIV 

S.  208—213.     London  1904. 

Verf.  stimmt  Piehls  (Proceedings  of  the  Society  of  Biblical 
Archaeology  XI  221)  Ansicht,  daß  die  in  Ägypten  herrschende 
Sage  von  dem  Gespenst  der  dritten  Pyramide,  die  bei  den  Griechen 
zur  Rhodopis,  der  Rosenwangigen,  geworden  sei,  ihren  Ursprung 
in  der  in  der  Nähe  liegenden  roten  Sphinx  habe,  zu  und  weist 
Wiedemanns  Einwände  (Herodots  zweites  Buch  S.  485)  dagegen 
zurück.  Auch  über  Manelhos  Nitokris  stimmt  er  im  allgemeinen 
seinen  Vorgängern  Lepsius  und  Petrie  zu,  geht  aber  in  einem 
Punkte  ober  sie  hinaus,  indem  er  Manethos  Nitokris  nicht  für 
historisch  hält.  Hanetho  wußte,  daß  die  dritte  Pyramide  von 
einem  Herrscher  namens  Menkaura  erbaut  war.  Nun  gab  es  aber 
zwei  Menkaura  in  den  Listen;  der  erste  war  der  Nachfolger  des 
Khufn  und  gehörte  in  die  vierte  Dynastie,  der  zweite  an  das  Ende 
der  sechsten,  wo  er  dem  Namen  Neterkara  folgt.  Manetho  glaubte 
hier  einen  Platz  für  Herodots  Nitokris  zu  finden  und  zugleich 
eine  Erklärung  für  die  Geschichte  der  Rhodopis  und  der  dritten 
Pyramide,  indem  er  annahm,  daß  die  Namen  Neterkara  und 
und  Menkaura  Personen-  und  Thronname  ein  und  derselben 
Person,  der  Königin  Nitakerti,  d.  h.  Nitokris,  seien.  In  diesem 
Falle  würde  die  dritte  Pyramide  in  der  Tat  von  Menkaura,  Herodots 
Mykerinos,  erbaut  sein,  aber  von  einer  Königin,  vermutlich  Herodots 
Nitokris,  die  dann  keine  andere  sein  würde  als  das  berühmte  Ge- 
spenst der  Pyramide,  das  die  Griechen  zu  Herodots  Zeiten  der 
Buhlerin  Rhodopis  gleichstellten.  So  erhielt  Nitokris  bei  Manetho 
die  Attribute  von  Herodots  Rhodopis,  schön  und  rot.  Aber  Nitokris 
ist  als  reine  Theorie  Manethos  aus  der  sechsten  Dynastie  zu 
streichen,  Neterkara  und  Menkaura  II  sind  zwei  gesonderte  Könige. 

3)  Heinrich    Schäfer,    Die    Auswanderung    der    Krieger    unter 

Psauimetich  I  und  der  Sb'ldneranfstand  in  Elephantioe 
unter  Apries.  Beiträge  zur  alten  Geschichte  IV  S.  152—163.  Leipzig 
1904. 

Für  die  Ansicht,  daß  hinter  den  Übertreibungen  und  dem 
ausschmückenden  Beiwerk  der  Erzählung  vom  Auszug  der  ägypti- 
schen Krieger  nach  Äthiopien  unter  Psammetich  I  doch  ein  histo- 
rischer Kern  steckt,  führt  Verf.  eine  Inschrift  auf  Statue  A  90  in 
der  ägyptischen  Sammlung  des  Louvre  an,  die  von  Neshör,  dem 
Vorsteher  des  Tores  der  Sudländer,  den  drei  Kataraktengöttern 
gewidmet  ist,  an.  Auf  dieser  rühmt  sich  Neshör,  die  Besatzung 
von  Elephantine,  die  nach  S^s-hrt  auswandern  will,  verhindert  zu 
haben,  nach  T^-pdtj  d.  h.  Nubien  zu  ziehen,  und  sie  zum  Aufent- 


Herodot,  von  H.  Kallenberg.  351 

haUsorte  des  Königs  Apries  geführt  zu  haben.  Jenes  S^s-hrt 
findet  Verf.  im  sudlichen  Nubien,  sudlich  vom  zweiten  Katarakt, 
also  in  der  Gegend,  wohin  nach  Herodot  die  Empörer  zu 
Psammetichs  I  Zeit  wirklich  gezogen  sind.  „Ganz  gewiß  kann 
man  annehmen,  daß  die  beiden  Ereignisse  nicht  ohne  einen  ge- 
wissen Zusammenhang  nebeneinanderstehen.  Den  Söldnern  mußte 
der  Auszug  der  Ägypter,  der  seinerzeit,  wie  die  Überlieferung 
zeigt,  großes  Aufsehen  gemacht  hatte,  noch  in  guter  Erinnerung 
sein.  Das  Gerücht  von  deren  Erfolgen  in  Sudnubien  ist  sicher 
bald  nach  Ägypten  gedrungen  und  die  rund  fünfzig  Jahre,  die 
zwischen  beiden  Ereignissen  liegen,  haben  ohne  Zweifel  dazu  bei- 
getragen, diese  Erfolge  noch  durch  allerlei  Zusätze  zu  vergrößern". 


4)  Friedrieb  Westberg,   Zur  Topographie  des  Herodot.     Beiträge 
zur  alteo  Geschichte  IV    S.  182—192.    Leipzig  1904. 

1.  Die  Wohnsitze  der  König-Skythen.  Für  diese  sind 
„der  Graben"  und  der  Stapelplatz  Kremnoi  von  Bedeutung  (Her. 
IV  20,  100,  110).  Nach  Her.  IV  3  reichte  „der  Graben"  vom 
Taurischen  Gebirge  bis  zur  Maietis.  Nun  liegt  am  nordöstlichen 
Ende  dieses  Gebirgszuges  landeinwärts  östlich  von  Theodosia  am 
Fuße  des  Berges  Agirmysch  der  Ort  Alt-Krim.  Daselbst  sind  nach 
Harkavy  (Russ.  Revue  IX  S.  317,  Petersburg  1876)  Spuren  einer 
Befestigung,  hinter  der  sich  ein  alter  Graben  hinzieht.  Harkavy 
erklärt  den  Namen  Krim  durch  Kirym,  d.  h.  Grube,  Graben,  Erd- 
wall, und  verlegt  Kremnoi  ans  Asowsche  Meer.  Verf.  dagegen 
leitet  Krim  von  Kremnoi  ab,  das  Herodot  irrtümlich  an  die  Maietis 
verlegt,  weil  es  nicht  im  Süden  des  Gebirges  und  auch  sonst 
nicht  am  Schwarzen  Meere  lag.  Also  verdankt  die  Krim  dem 
Kremnoi  Herodots  ihren  Namen.  Als  Fortsetzung  des  Grabens 
kann  das  Bett  des  Flußchens,  das  sich  in  nordwestlicher  Richtung 
dem  Siwasch  zuwendet,  angesehen  worden. 

2.  Die  Wohnsitze  der  Issedonen  nach  Herodot 
(IV  21.  116).  Nach  den  Angaben  Herodots  setzt  Verf.  die  Wohn- 
sitze der  Sauromaten  vom  Manytsch  bis  etwa  Kamyschin  an  der 
Wolga  an.  Dann  folgen  die  Budiner  von  Kamyschin  bis  zum 
Shigulewschen  Gebirge,  nördlich  von  Ssysranj  auf  dem  rechten 
Wolgaufer,  wo  früher  die  Waldzone  weiter  nach  Süden  reichte. 
An  der  Wolgabiegung  und  der  unteren  Kama  folgen  die  Tbyssa- 
geten,  dann  die  Argimpäer  am  südlichen  Ural,  etwa  beim  heutigen 
Ufa.  Von  ihnen  östlich,  also  in  der  Steppe  östlich  vom  südlichen 
Ural,  wohnten  die  Issedonen,  die  Tomaschek  nach  Innerasien  süd- 
lich vom  Tianschan  verlegen  wollte. 

3.  Massageten,  Akes,  Araxes.  Nach  Her.  I  201  wohnten 
die  Massageten  den  Issedonen  gegenüber.  Da  nun  Herodot  die 
Lage  des  Massagetenlandes  vom  Perserreiche  aus  bestimmt,  muß 
avvlov  hier  nördlich  bedeuten.    Vom  Aralsee  und  vom  Amu-Darja 


352  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

weiß  Herodot  nichts.  Die  vom  Gebirge  umschlossene  Ebene  mit 
dem  Flusse  Akes  (III  117)  für  den  Aralsee  mit  dem  Oxus  zu 
halten,  verwirft  Verf.  „Die  Vermutung,  es  sei  mit  dem  Akes 
der  Fluß  Heri  (Tedshen)  gemeint,  welcher  im  Altertum  Ochus 
benannt  wurde  und  in  seinem  mittleren  Laufe,  bevor  er  in  die 
Ebene  hinabströmt,  den  Arim-Iacus  bildete;  ist  sehr  ansprechend. 
Die  Reste  dieses  Arim-Iacus  haben  sich  bis  heute  in  Gestalt  von 
vielen  kleinen,  in  Badchis  zwischen  den  Flössen  Kuschk  und 
Tedshen  belegenen  Seen  erhalten".  —  Her.  IV  1 1  gehen  die  Skythen, 
von  den  Massageten  gedrängt,  über  den  Araxes  ins  Kimmerierland. 
Das  kann  nur  die  Wolga  sein.  Denselben  Araxes,  d.  li.  die  Wolga 
mit  ihrem  riesigen  Delta,  beschreibt  er  I  202  in  unverkennbarer 
Weise,  ohne  zu  wissen,  um  was  für  einen  Fluß  es  sich  eigentlich 
handelt.  Also  verwechselt  Herodot  drei  gleichnamige  Araxesflüsse. 
Die  Benennung  Araxes  für  Wolga  findet  Verf.  in  den  Uoxalanen, 
die  bei  Jordanes  noch  Aroxalanen,  d.  h.  Wolgaalanen,  heißen. 

4.   Die  Issedonen   nach   Aristeas.     Mit  Her.  IV  13   läßt 
sich  ein  Zitat  des  Damastes  (Steph.  Byz.  650),    das  ein  Fragment 
des  Hekatäus  darstellt  und  wie  die  Herodotstelle  auf  Aristeas  zu- 
rückgeht.   Bei  Herodot  folgen  auf  die  Arimaspen  die  goldliütenden 
Greife  und  dann  die  Hyperboreer,    bei  Damastes    dagegen    liegen 
oberhalb  des  Arimaspenlandes  die  Rhipäen,  von  denen  der  Nord- 
wind weht,  und  dann  erst  folgen  die  Wohnsitze  der  Hyperboreer. 
Diesen  Bericht  hält  Verf.  für   zusammenhängender    und    ausführ- 
licher;   denn    bei  Herodot  ist  die  Ansetzung  des  Boreas  zu  ver- 
missen, wodurch  die  Sitze  der  Hyperboreer  schwankend  erscheinen. 
Die    goldhütenden  Greife  Herodots   scheidet    er    aus  dem  Bericht 
des  Aristeas    aus.     Die  Sage    von    der    seltsamen  Goldgewinnung 
(Her.  III  102—105,    Ktesias  Ind.  12)   ist  baktrisch-indischen  Ur- 
sprungs.    „Es  lag  nahe,    die  Goldgewinnung  im  Norden  Europas 
(im  Ural)  auf  dieselbe  Weise,  wie  sie  im  äußersten  Osten  Asiens 
geschah,    zu    erklären".  —  Nach  Her.  IV  13  wurden  zu  Aristeas' 
Zeiten  oder  noch  früher  die  Skythen  von  den  Issedonen  verdrängt; 
zu  Herodots  Zeiten  waren  die  Sauromaten  die  östlichen  Nachbarn 
der  Skythen.    Also,  schließt  Verf.,  sind  Issedonen  und  Sauromaten 
ein  und   dasselbe  Volk.     Daraus    erklärt    es   sich    auch,    daß   die 
Stellung  der  Frauen  bei  den  Issedonen  des  Aristeas  dieselbe  wie 
die  der  Sauromatenfrauen  Herodots  ist.     Ferner  werden   die  Ari- 
maspen den  Massageten  und  die  Issedonen  endlich  den  Amazonen 
gleichgestellt.    Denn  nach  Herodot  sind  die  Sauromaten  ein  Misch- 
volk von  Amazonen  und  Skythen,    d.  h.  die  Issedonen    sind   mit 
den  zurückgebliebenen  Skythen  zum  Sauromaten volke  zusammen- 
geflossen.    Die  Issedonen    aber    konnten    mit  ihren  kriegerischen 
Weibern  in  der  Phantasie   der  Griechen  sich  leicht  in  ein  reines 
Weibervolk  umwandeln. 


\ 


Herodot,  vod  H.  Kalleoberg.  353 

5)  Beoj.   Ide   Wheeler,    Herodotus's    Account    of   the    Battle    of 

Salamis.   Transactioos  of  the  American  Philological  Association  1902, 
Volame  XXXIII,  S.  127—188. 

Verf.  wendet  sich  gegen  Löschke  (N.  Jahrb.  f.  Phil.  1877 
S.  25  ff.)  und  Goodwin  (the  Battle  of  Salamis,  Papers  of  the 
American  School  of  Classical  Studies  at  Athens  I  239  ff.),  die  von 
einer  Umzingelung  der  Griechen  in  der  Bucht  von  Salamis  nichts 
wissen  wollen.  Gegen  letzteren  wendet  er  vornehmlich  ein,  daß 
er  VIII  76  den  linken,  VIII  85  aber  den  rechten  als  den  west- 
lichen Flügel  ansieht,  was  in  einer  zusammenhängenden  Erzählung 
derselben  Schlacht  nicht  angehe,  und  daß,  da  nach  ihm  die  Perser 
erst  am  Morgen  in  die  Meerenge  eindringen,  der  c.  76  ä[i<pl  Ttjp 
Kiov  %s  xal  trjv  Kwoaovqav  stehende  Flügel  in  Wirklichkeit 
nichts  tue,  während  doch  nach  Herodot  etwas  Neues  geschehen 
sein  müsse.  Dieser  Flügel  ist  vielmehr  in  der  Nacht  in  die  Meer- 
enge eingedrungen  und  hat  gegenüber  der  Bucht  von  Ambelaki, 
in  der  die  griechische  Flotte  lag,  Aufstellung  genommen.  Hierbei 
war  Vorsicht  nötig;  darum  ist  auch  inoisvv  6h  Giy^  tavxa  zu- 
gesetzt. Zur  Erklärung  der  Bezeichnung  der  Flügel'  bemerkt  er 
folgendes:  Antike  Seeschlachten  wurden  von  Küste  zu  Küste  ge- 
schlagen und  nicht  so,  daß  der  eine  Flügel  sich  auf  Freundesland, 
der  andere  auf  Feindesland  stützte.  Die  Perser  hatten  hinter  sich 
das  von  ihnen  besetzte  Attika,  die  Griechen  Salamis.  So  kann 
auch  die  Bezeichnung  für  die  persischen  Flügel  nur  von  der  atti- 
schen Küste  aus  verstanden  werden,  d.  h.  VIII  76  und  85  kann 
der  westliche  Flügel  nur  der  rechte  sein.  Da  nun  aber  Verf.  aus 
andern  Gründen  xvxXoviisvoi,  (c.  76)  nur  von  einer  Fahrt  um 
Salamis  herum  verstehen  kann,  kommt  er  zu  der  gezwungenen 
Erklärung,  xvxXovpevoi  sei  die  natürliche  Beschreibung  der  Be- 
wegung, die  die  Abteilung  vom  rechten  Flügel  hinter  den  linken 
Flügel  herum  ausführte.  Wie  sollten  die  Perser  dazu  gekommen 
sein,  sich  diese  Umstände  zu  machen?  Natürlich  nahm  man  für 
die  Schließung  des  Sundes  bei  Megara  die  Schiffe  von  dem  Flügel, 
der  diesem  Ziele  am  nächsten  stand,  d.  h.  vom  linken.  Ferner 
hat  Verf.  nicht  beachtet,  was  er  doch  aus  Löschkes  Abhandlung 
selbst  anführt,  daß,  wenn  die  persische  Flotte  der  Bucht  von 
Ambelaki  gegenüber  Stellung  nahm,  die  lange  Fahrt  nach  dem 
Megarischen  Sunde  überflüssig  war.  Endlich  setzt  er  sich  über 
die  notwendige  Annahme  einer  ganz  unglaublichen  Sorglosigkeit 
der  Griechen  leicht  hinweg.  Wie  wiederholt  in  diesen  Berichten 
bemerkt  ist,  befindet  sich  in  Herodots  Bericht  eine  Lücke;  er  hat 
nicht  berichtet,  wo  die  Perser  nach  der  ersten  Ausfahrt  (c.  70) 
geblieben  sind.  Darum  können  wir  auch  über  die  Bewegungen 
in  der  Nacht  nicht  ganz  ins  klare  kommen. 

6)  H.    Baase,    Bio    Beitrag    zur    Darstellung    der    Schlacht    bei 

Salamis.     Inaugural-Dissertation.    Rostock  1904.     56  S.     8. 
Nach  Verf.s  Ansicht  ließ  Xerxes  nach  der  Meldung  des  Sikinnos 

Jahresberichte  XXXI.  23 


354  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

die  Insel  Psyttateia  besetzen,    den  westlichen  Flügel  seiner  Flotte 
im  Kreise  um  Salamis  herum  bis   zur  Insel  Trupika   im  Megari- 
sehen  Sunde  vorgeben,   um  hier  die  Durchfahrt  zu  sperren,   und 
das  Gros  der  Flotte  nördlich  von  Psyttaleia  in  die  Heerenge  hin- 
einfahren   und   sich   dort  so  aufstellen,    daß  die  Straße  zwischen 
Psyttaleia    und    der  Endspitze    der  Kynosura    einerseits    und    der 
gegenüberliegenden  Rüste  Anikas  andrerseits  völlig  eingenommen 
wurde.    Die  Schiffe  standen  dabei  in  schräger  Richtung,  also  wenn 
auch  nicht,   wie  Herodot  sagt,  von  Westen  nach  Osten,    so  doch 
von   Nordwest    nach    Südost,    so    daß    in    Übereinstimmung    mit 
Herodot  (VIII  85)  die  Phönizier  am  rechten  Flügel  nach   Eleusis 
zu,    die  Ionier    aber   am    linken    nach   dem    Piräus   zu    standen. 
Das   ist   etwa  die  Stellung,   die  Goodwin  den  Persern  bei  Beginn 
der  Schlacht  anweist.     Daß  die  Perser  aber  diese   schon    in  der 
Nacht  vorher  eingenommen    haben,    ist  insofern    unwahrschein- 
lich,   als    auch    diese  Annahme   dazu    zwingt,    bei    den   Griechen 
eine  recht  große  Sorglosigkeit  vorauszusetzen.     Die  in   der  Bucht 
von  Ambelaki  vor  Anker  liegenden  Griechen  werden  doch  bei  der 
Nähe  der  Feinde  sicherlich  einen  Außenposten  an  der  Spitze  der 
Kynosura  aufgestellt  haben.    Natürlich  nimmt  die  Polemik  in  dieser 
Schrift  einen  großen  Raum  ein.    Dabei  wendet  sich  R.  auch  gegen 
die  Änderung  xvxlovfievoi  hsqI  (st.  nQog)  xijv  JSalapTva  (VIII  76), 
die  er  Sitzler  zuschreibt.    Hätte  Verf.  diese  Jahresberichte  gelesen, 
so    würde  er  gesehen   haben,    daß   dieser  Änderungsvorschlag  in 
Ergänzung    der  Darstellung  Goodwins    zuerst   von    mir  JB.  1893 
S.  305  gemacht  worden  ist.    Später  habe  ich  ihn  auch  in  den  Text 
gesetzt.    Verf.  hält  diese  Änderung  für  überflüssig  und  führt  Stellen 
für  die  Konstruktion  xvxXstad-ak  (xvxXovo&cu)  inl  x*  an.    Daß 
die  Konstruktion  xvxX.  nqoq  (ini)  xt    überhaupt    unmöglich    sei, 
ist  weder  von  mir  noch  von  Sitzler  behauptet  worden,    sondern 
nur,  daß  sie  an  dieser  Stelle  unpassend  sei.     Schiffe,  die  bereits 
an  der  Küste  von  Salamis  liegen,    können  nicht  in  der  Richtung 
auf  Salamis    hin    eine  Umzingelung    ausführen,    sondern  nur  um 
die  Insel   herum.     Anders   wäre  es,    wenn  die  Flotte  bei  Beginn 
dieser  Bewegung  noch  an  der  attischen  Küste  gelegen  hätte.    Doch 
Verf.  erklärt  „einen  Kreis  beschreibend  in  der  Richtung  auf  Salamis, 
dessen  Zentrum  Salamis  bildet44  und  will  dies   belegen   mit  Plat. 
Politicus  270  b  „wo   es  von    dem  Zentrum,    um    das    die  Kreis- 
bewegung des  Alls  erfolgt,    heißt  xö  xov  navxoq  xoxs  piv  i(p'  « 
vvv  xvxXslxat,  <pigeo&cu,  xoxs  df  inl  xävavxla".    Das  Zitat  ist, 
wie  es  hier  gegeben  wird,  unverständlich,  es  heißt  bei  Plato  xo  xip 
xov  navxog  cpoqäv  xxX.;  von  einem  Zentrum  ist  hier  keine  Rede, 
sondern    nur    von    einer  Kreisbewegung  nach  zwei  verschiedenen 
Richtungen  hin,  was  selbstverständlich  durch  ini  bezeichnet  wird. 
—  Die  Einleitung  bildet    eine    recht   anschauliche    geographische 
Schilderung  der  Ortlichkeiten,  die  durch  eine  gute,  nach  Curtius- 
Kaupert  hergestellte  Karte  unterstützt  wird. 


S 


Herodot,  von  H.  Kalleoberg.  355 

7)  J.  A.  R.  Muoro,  Same  observations  od  the  Persian  wars.  III.  The 
campaigo  of  Plataeae.  The  jouroal  of  Helleoic  stndies  XXIV 
S.  144—165.    London  1904.  —   Vgl.  JB.  1902  S.  84  und  1904  S.  248. 

Mardonius'  Heeresstärke    wird  auf  120000  Mann  berechnet 
(sein  eigenes  Korps  60000,  Artabazus' Korps  40000,    dazu  etwa 
20  000    Griechen).     Da    aber  Artabazus   am    Kampfe    nicht   teil- 
genommen hat  —  nach  M.  befand  er  sich  wahrscheinlich  am  Tage 
der  Schlacht  noch  einige  Tagemärsche  entfernt  — ,  so  bleiben  nur 
SO  000.     Etwa    ebenso    hoch    wird    die  Stärke    der  Griechen  be- 
rechnet.    Die  Geschichte    von    dem   Zögern    der  Spartaner  (Her. 
IX  7 ff.)  wird  vornehmlich  aus  dem  Grunde   verworfen,   weil  eine 
Verteidigung  Anikas,  in  dem  es  nichts  zu  verteidigen  gab,  nicht 
«rnstlich   ins  Auge  gefaßt  sein  konnte.     Skolus  wird  richtig  sud- 
lich vom  Asopus  angesetzt.     Richtig  ist  auch  wohl,   daß  die  dort 
von  Mardonius  angelegte  Befestigung  nicht  sowohl  als  Zufluchtsort 
(xQfl<fipvy€TOv)  im  Falle  einer  Niederlage,  als  zur  Bewachung  der 
beiden  Straßen,    die,   von  Phyle  und  Eleusis  kommend,    daselbst 
den  Asopus    kreuzen,    dienen    sollte.     Von   d$n   von  Grundy  an- 
genommenen  drei  Paßstraßen   über  den  Kithäron  (vgl.  JB.  1900 
S.  92)  streicht  Verf.  den  Weg  Athen — Platää,  der  nie  ein  Haupt- 
weg, höchstens  ein  Abschneideweg  gewesen  sein  könne.    Im  übrigen 
glaubt  er,  daß  Pausanias  nicht  den  Weg  über  Eleutherä  genommen 
habe,    da  dieser  sicherlich    von  Mardonius    besetzt   gewesen    sei, 
sondern  über  önoe  und  Panaktum  auf  Skolus  zu   marschiert  sei, 
dann  aber,  als  er  die  von  den  Persern  errichtete  Befestigung  vor 
sich    sah,    sich    mehr    westlich    gewandt  und  so  die  Perser  zum 
Freigeben  der  Kithäronpässe  gezwungen  habe.     Recht   annehmbar 
ist  die  Vermutung,  daß  für  die  Beschreibung  des  Kampfes  gegen 
Masistius'  Reiter  Lampon,    der  Sohn  des  von  Herodot   erwähnten 
athenischen  Anführers  Olympiodor,    der    bei    der  Gründung    von 
Tburii    mitgewirkt   hat,    die  Quelle    gewesen    sei.     In  der  Topo- 
graphie des  Schlachtfeldes  von  Platää  schließt  er  sich  meist  Grundy 
an;    so  besonders  bei  der  Quelle  Gargaphia,  deren  mehr  südliche 
Ansetzung  er  auch  noch  dadurch  begründet,  daß  1)  die  Gargaphia 
als    ein    allgemein    bekannter   geographischer  Punkt  (sie  hat  von 
vornherein  den  Artikel)  eingeführt  sei,    also  nicht  wie  die  Quelle 
Apotripi,    in  der  andere  die  Gargaphia  suchen,    abseits   versteckt, 
sondern  nahe  an  einer  vielbetretenen  Straße  gelegen  haben  müsse, 
2)  sie  daselbst  leichter  von  der  persischen  Reiterei  erreicht  werden 
konnte  und  3)  die  übrigen  Angaben  besser  zu  dieser  Lage  passen. 
Doch    Gndet   er    mit  Woodhouse  das  Heroon  des  Androkrates  in 
der  Kirche  St.  Johanni  und  glaubt  nicht,  daß  Herodot  den  ersten 
Nebenfluß  des  Asopus  auch  Asopus  genannt  habe.    Ober  den  Ver- 
such, die  Vorgänge  vor  und  in  der  Schlacht  zu  erklären,  der  sich 
z.  T.  an  Grundy  und  Woodhouse  anschließt  und  im  wesentlichen 
darauf   hinausläuft,    den  Athenern   die  Hauptschuld   an  der  miß- 
lichen Lage  der  Griechen  beim  Beginn  der  Schlacht  zuzuschieben, 

23* 


356  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

kann  ich   nicht  anders  urteilen,    als  ich  es  über  seine  Vorgänger 
JfJ.  1900  S.  95  getan  habe. 

8)  H.  ß.  Wright,  The  Campaign  of  Plataea.  New  Haven  1904.  148  S. 
8.  (A  Thesis  preseoted  to  the  Philosophical  Faculty  of  Yale  (Joi- 
versity  in  Gandidacy  for  the  Degree  of  Doctor  of  Philosophy). 

Für  eine  Erstlingsschrift  eine  recht  anerkennungswerte  Leistung. 
Neben   der  Bedeutung  des  Sieges  und  der  Schwierigkeit  der  Er- 
klärung der  militärischen  Vorgänge  ist  es  besonders  die  ungerechte 
Behandlung,    die   die  Spartaner  bei  Gelegenheit  dieses  Feldzuges 
erfahren  haben,  die  Verf.  zu  einer  neuen  Behandlung  des  Gegen- 
standes   bestimmt   hat.     An    die  Spitze   stellt    er    drei  Gesichts- 
punkte:  1)  20 — 30  000  griechische  Hopliten  und  eine  gleiche  Zahl 
Leichtbewaffneter   standen    einer    nur   wenig  überlegenen  Streit- 
macht   gegenüber.     2)  Die    Schlacht  wurde  durch   die  Tapferkeit 
und  Disziplin    der  Lakedämonier,    neben    denen    die  Athener    im 
entscheidenden  Kampfe   eine    untergeordnete  Rolle   spielten,    ge- 
wonnen.    3)  Der  glänzende   und  vollständige  Sieg  der  Spartaner 
wurde    durch    die    vollendete  Feldherrnkunst    des   Pausanias    er- 
fochten.   In  der  Überlieferung  unterscheidet  er  folgende  Perioden: 
1)    die    vorperikleische    Vulgata,    2)    die    Perikleische    Redaktion, 
3)  Thukydides   und    Ktesias,    4)  das  Wiederauftauchen    der    vor- 
perikleischen  Vulgata    im    vierten    Jahrhundert    (Plato,  Ephoros), 
5)  die  Periode  der  Iodividualisation  (Demetrius,  Idomeneus),  6)  Cor- 
nelius   Nepos    und    Trogus    Pompeius,    7)    Plutarch    (Aristides), 
8)  spätere  Zusätze.    Zunächst  versucht  er  nun  eine  genaue  Scheidung 
der    vorperikleischen    und    perikleischen  Bestandteile   in    der  Er- 
zählung Herodots.     Das  Zeitalter    des   Kimon    war    panhelleniscb, 
so    auch    die    Dichter  Simonides,   Pindar   und  Äschylos.     Hierzu 
stimmt  Herodots  Bericht,  wenn  man  die  in  Perikles'  Zeitalter  hin- 
zugetretenen Züge  ausscheidet.     Letztere    erkennt    man    in    dem 
Bestreben,    das  Ansehen  und   die  Leistungen  der  Athener  zu  er- 
höhen (Mardonios'  doppelter  Versuch,  Athen  auf  seine  Seile  her- 
überzuziehen, Pausanias  bittet  die  Athener  um  Hilfe,  die  Athener 
schlagen  die  Bresche   in  den  Lagerwall,    Sophanes'  Heldentaten), 
in  dem  Hervortreten  Alexanders  von  Makedonien,  in  dem  Lob  der 
Phoker  und  der  gelinden  Behandlung  der  Argiver  einerseits   und 
der  gehässigen  Behandlung  der  Thessaler,  Thebaner  und  Äg  ine  teil 
andrerseits,  was  genau  der  politischen  Stellung  dieser  Staaten  bei 
Beginn  des  Peloponnesischen  Krieges  entspricht,  und  in  dem  Vor- 
wurf der  Feigheit  gegen  die  Spartaner  und  ihre  Bundesgenossen. 
Diesen  Vorwurf  aber,  meint  Verf.,  habe  kein  griechischer  Schrift- 
steller vor  den  Ereignissen  bei  Pylos  gegen  die  Spartaner  zu  er- 
heben   wagen    können,    woraus  er  dann  folgert,    daß  die  letzten 
Bücher  Herodots  nicht  vor  425  endgültig  niedergeschrieben  sein 
können.     Ja  er  geht  noch  weiter.     Da   sich  in  den   Acharnern 
des  Aristophanes  (aufgeführt  425)  eine  Anspielung  auf  Her.  I— III 


Herodot,  von  H.  Kaileoberg.  357 

findet,  in  den  Rittern  (a.  424)  eine  auf  Her.  IV — VI  und  in  den 
Wespen  (a.  422)  solche  auf  Her.  VII— IX,  vermutet  er,  daß  I— III 
426,  IV— VI  425  und  VII— IX  424  oder  423  erschienen  seien. 
Diese  Ansicht  verträgt  sich  nicht  mit  der  Tatsache,  daß  Herodot 
an  sein  Werk  überhaupt  nicht  die  letzte  Hand  gelegt  hat.  —  Zur 
Erklärung  der  militärischen  Vorgänge  sei  folgendes  hervorgehoben. 
Als  Grund  für  die  erste  Änderung  der  Stellung  der  Griechen  sieht 
er  nicht  mit  Woodhouse  und  Bury  die  Absicht  an.  Ober  den 
Asopos  zu  gehen  und  Theben  anzugreifen,  wobei  die  Griechen 
sich  auf  längere  Zeit  den  Angriffen  der  feindlichen  Reiterei  hätten 
aussetzen  müssen,  sondern  die  mit  Aufgabe  des  Dryoskephalä- 
passes  sich  die  beiden  nächsten  Straßen  zum  Peloponnes,  Platää — 
Athen  und  Platää — Megara,  und  die  Stadt  Platää  zu  sichern. 
Pausanias'  Plan,  der  die  Entscheidung  herbeiführte,  war  eine  ver- 
stellte Flucht  (nach  Piatos  Laches),  die  die  Gegner  auf  ein  Gebiet 
locken  sollte,  in  der  sie  von  ihrer  Überlegenheit  keinen  Gebrauch 
machen  konnten.  Deshalb  wurde  in  der  Nacht  das  Zentrum  nach 
Platää  zurückgeschickt,  wodurch  das  Nordende  der  Slraße  Platää — 
Megara  gesichert  wurde  und  von  wo  aus  es  als  Reserve  für  die 
Athener  oder  Spartaner  verwendet  werden  konnte.  Die  Athener 
sollten  hinter  der  Asoposhöhe,  wo  sie  außer  Sicht  der  Perser 
waren,  Stellung  nehmen,  während  die  Spartaner  zurückgingen,  so 
daß  bei  Tagesanbruch  Mardonios  nichts  weiter  sah  als  die  Nach- 
hut derselben  unter  Amompharetos,  die  eben  in  der  Senkung 
zwischen  der  Asoposhöhe  und  der  davon  östlich  gelegenen  Höhe 
(Long  Ridge  auf  Grundys  Karte)  verschwand.  Daraus  mußte 
Mardonios  schließen,  daß  der  rechte  Augenblick  zum  Angriff  ge- 
kommen sei.  Seine  Truppen  verfolgten  nun  nicht  die  Asopos- 
höhe hinauf,  sondern  teilten  sich  so,  daß  der  eine  Teil  durch  die 
Senkung  zwischen  den  beiden  genannten  Höhen  vorging,  der  andere 
aber,  die  auf  persischer  Seite  stehenden  Griechen,  auf  der  Straße 
Theben-Platää.  Beide  Abteilungen  kamen  so  auf  ein  Gelände,  in 
dem  sie  von  ihrer  Reiterei  keinen  Vorteil  haben  konnten.  Im 
Fall  einer  Niederlage  hatten  die  Griechen  noch  die  Straße  Platää 
— Athen  zur  Verfügung.  Der  Sieg  war  dann  ein  glänzender 
spartanischer  Sieg,  möglich  gemacht  durch  die  Peldherrnkunst  des 
Pausanias,  durch  den  erfolgreich  ausgeführten  verstellten  Rückzug 
der  Spartaner,  bei  dem  sie  den  Angriff  der  Gegner  aushielten, 
dabei  von  den  Athenern  und  dem  Zentrum  unterstützt.  Verf. 
vertritt  seine  Ansicht  ganz  geschickt,  aber  natürlich  ist  der  von 
ihm  geschilderte  Hergang  nur  eine  von  den  vielen  Möglichkeilen. 
Bemerken  möchte  ich  nur,  daß  die  verstellte  Flucht  der  Spartaner 
in  Piatos  Laches,  die  genau  ihrem  Verfahren  in  den  Thermopylen 
bei  Herodot  entspricht,  nur  eine  Episode  im  Kampfe  darstellen 
kann,  aber  nicht  einen  Rückzug  des  ganzen  Heeres  vor  der 
Schlacht. 

Den  Schluß  bilden  drei  wertvolle  Anhänge:  1)  The  Ancient 


358  Jahresberichte  d.  Philologe  Vereins. 

Documents  as  they  haave  beeil  preserved;  their  Autbenticityv 
Setting  and  Contents.  2)  Modern  Critical  Discussions  of  the 
Campaign.  3)  The  Extant  Evidence  for  the  Carapaign  of  PJataea 
in  Classical  Literature  arranged  Topically  and  Cbronologically. 

9)  Fr.  Reuss,    Ktesias'  Bericht  über  den  Angriff  der  Perser  aof 

Delphi.     Rhein.  Mas.  XL  (1905)  S.  144—147. 

Ktesias'  Bericht  von  einer  zweiten  Sendung  eines  persischen 
Heerhaufens  zur  Plünderung  Delphis  (29,  27)  kann,  da  sie  von 
Xerxes  ausgeht,  als  er  schon  wieder  in  Asien  war,  und  der  An- 
fuhrer, Matakas,  den  König  noch  während  seines  Zuges  nach 
Babylon  wiederein  holte,  sich  nur  auf  einen  Tempel  in  Asien  be- 
ziehen. Ktesias  mag  %6  %ov  *An6täcovog  geschrieben  haben, 
woraus  bei  Photius  %6  iv  JsXcpolq  leqov  geworden  ist.  Die» 
kann  aber  nur  der  Tempel  von  Didyme  gewesen  sein,  den  freilich 
Herodot  unter  Dareios  nach  der  Einnahme  Milets  zerstören  läßt. 
In  diesem  Punkte  entscheidet  sich  Verf.  für  Ktesias:  „Am  persi- 
schen Hofe  war  er  gewiß  eher  in  der  Lage,  darüber  sichere  Kunde 
zu  erhalten  als  jener41. 

10)  Michel  Giere,  La  prise  de  Phocee  par  les  Perses  et  ses  con- 

sequences.     Revue  des  etudes  Grecques  XVIII  (1905)  S.  143 — 15$. 

In  einem  Tage  konnten  die  Phokäer,  wie  Herodot  (I  164) 
erzählt,  nicht  ihre  Flotte  ausrüsten  und  die  ganze  Bevölkerung 
einschiffen,  bemerkt  Verf.  mit  Recht.  Offenbar  hat  die  Belagerung 
längere  Zeit  gedauert,  und  erst  nach  Erschöpfung  ihrer  Mittel  er- 
öffneten die  Phokäer  Verhandlungen,  die  sie  zur  Flucht  benutzten. 
Eine  Auswanderung  en  masse  nach  Korsika  hält  Verf.  auch  für 
sehr  unwahrscheinlich,  da  diese  von  langer  Hand  hätte  vorbereitet 
werden  müssen.  Sie  sind  wahrscheinlich  längere  Zeit  in  Önussä 
gewesen;  ein  Teil  ist  von  da,  und  mit  ihm  die  meisten  Frauen 
und  Kinder,  wieder  nach  Phokäa  zurückgekehrt.  Nur  eine  Schar 
kräftiger  Männer  wird  wirklich  ausgewandert  sein.  Unter  den 
rovg  ncQiolxovg  anavxccq,  die  die  Phokäer  in  Alalia  ausplünderten 
(Her.  I  166),  versteht  er  nicht  die  Karthager  und  Etrusker,  sondern 
die  Bewohner  des  Binnenlandes,  die  dann  die  Karthager  und 
Etrusker  zu  Hilfe  riefen.  Schwerlich  richtig.  Die  Phokäer  werden 
doch  wohl  Seeraub  getrieben  haben,  wie  später  Dionysios  von 
Phokäa  (Her.  VI  17),  und  dadurch  Besitzungen  jener  beiden  Völker 
oder  unter  ihrem  Schutze  stehende  Städte  oder  Volksstämme  be- 
lästigt haben. 

11)  L.  Oppert,    L'ltendue   de    Babylon e.^  Academie   des    Inscriptions 

et  belies- lettr es  (Paris  1903)  S.  611—618. 

Gegen  die  unüberlegten  Angriffe  auf  die  Glaubwürdigkeit  von 
Herodots  Angaben  über  die  Ausdehnung  Babylons,  die  von  deut- 
schen Assyriologen,  vornehmlich  von  Delitzsch,  gemacht  sind,  führt 


\ 


Herodot,  von  H.  Kalleoberg.  35Q 

Verf.  alle  mit  Herodot  übereinstimmenden  Zeugnisse  des  Alter- 
tums, darunter  die  Angaben  des  Aristoteles  (Politik  III  1),  ins 
Feld.  Die  480  Stadien  Herodots  beziehen  sich  auf  die  äußere 
Umfassungsmauer,  die  von  Darius  zerstört  wurde,  die  360  bei 
Strabo  (365  bei  Kleitarch)  auf  die  innere.  Der  gewaltige  Raum 
war  nicht  nur  mit  Häusern  besetzt,  sondern  bestand  auch  z.  T. 
aus  großen  bebauten  Feldern,  was  ein  Aushungern  der  Stadt  so 
erschwerte.  Die  von  Delitzsch  verworfene  20  monatliche  Belagerung 
verkürzt  er  auf  14  Monate,  indem  er  als  Ausgangspunkt  für  die 
Zahl  20  den  Magieraufstand  ansieht.  In  dieser  Zeit  übte  Nabucho- 
donosor,  der  Sohn  des  Nabonid,  in  der  Stadt  die  Regierungsgewalt 
aus.  Urkunden,  die  sich  auf  die  Belagerung  beziehen,  sind  er- 
halten und  datiert.  Wenn  auch  die  Geschichte  von  Zopyrus  eine 
Erfindung  ist,  so  bleibt  doch  so  viel  bestehen,  daß  Babylon  nur 
durch  Überraschung  oder  durch  eine  Kriegslist  genommen  werden 
konnte.  Verf.  schließt  mit  einem  Hinweis  auf  seinen  Bericht  in 
der  „l'Expedition  scientifique  en  Mäsopotamie"  und  mit  der  Be- 
hauptung, daß  die  deutsche  Expedition  nichts  gefunden  hat,  was 
die  Angaben  der  Alten  über  die  Größe  Babylons  widerlegen 
könnte. 

Bemerkenswert  ist  die  unverhüllte  Schadenfreude  des  Verf. 
mit  dem  echt  französischen  Namen  über  die  geringen  Erfolge  der 
deutschen  Ausgrabungen.  Über  die  Sache  vgl.  JB.  1904  S.  244, 
wo  auch  von  einer  anderen  Erklärung  (C.  F.  Lehmanns)  der  20- 
monatlichen  Belagerung  Babylons  die  Rede  ist. 

In  demselben  Bande  S.  470  wird  berichtet,  daß  von  Breal 
über  duxßoXog  in  Verbindung  mit  einer  Herodotslelle  gehandelt 
sei.  Leider  wird  nichts  weiter  zugesetzt.  Vermutlich  hat  es  sich 
um  VII  10  tj  gehandelt. 

Nicht  vorgelegen  haben  mir: 

G.  Roberti,  Erodote  e  la  tirannide  di  Pisistrato. 
Estratto  de  IIa  'Rivista  Tridentina'  Anno  111  (1903)  N.  4.  29  S. 
8.  _  Nach  Fr.  Cauer  (WS.  f.  klass.  Phil.  1905  Sp.  1111)  bietet 
die  Schrift  nichts  Neues. 

Antonio  Oddo,  Pisistrato.     Palermo  1903.     31  S. 

D.  Migliazza,  Data  della  battaglia  di  Lade  e  della 
presa  di  Mileto  secondo  Herodoto.  Sonderabdruck  aus  der 
Rivista  di  scienze  storiche  (fasc.  VIII).  Pavia  1904.  —  Aus  der 
Anzeige  von  A.  Bauer  (Berl.  phil.  WS.  1905  Sp.  149)  entnehme 
ich,  daß  Verf.  die  Schlacht  von  Lade  an  das  Ende  des  Frühjahrs 
495  und  die  Einnahme  von  Milet  an  das  Ende  des  Herbstes  494 
verlegt. 

.  A.G.  Laird,  Studies  in  Herodotus.  Madison,  Wisconsin 
1904.  —  Nach  A.  Bauer  (ebenda)  handelt  Verf.  1.  von  der  Reihen« 
folge  der  Namen  auf  der  Schlangensäule,  2.  von  Herodots  An- 
gaben   über   die  Stärke  der  griechischen  Streitkräfte  bei  Salamis 


360  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

und  Platää,  die  nach  ihm  auf  durchsichtiger  Berechnung,  nur 
selten  auf  Überlieferung  beruhen,  3.  von  der  Schlacht  bei  Salamis. 
Verf.  schließt  sich  im  allgemeinen  Bauers  (Jahresheft  des  öster- 
reichischen Archäologischen  Instituts  I  S.  90 — 111,  vgl.  JB.  1902 
S.  85)  Ansicht  an,  meint  aber,  daß  die  Perser  schon  am  Abend 
vor  der  Schlacht  ihre  Stellung  an  der  attischen  Küste  bis  Kap 
Amphiali  vorgeschoben  haben,  und  hält  es  nicht  für  sicher,  daß 
Kynosura  die  lange,  schmale,  vorspringende  Halbinsel  von  Salamis  sei. 
W.  Klinger,  Die  Märchenmotive  im  Geschichts- 
werke Herodots.     Kiew  1903  (russisch). 

12)   Herbert  Richards,    Notes    ou   Herodotus.     The  classical  review 
XIX  (1905)  S.  290—296,  340—346. 

Es  sind  textkritische  Bemerkungen,  die  sich  in  den  meisten 
Fällen  auf  Stellen  beziehen,  deren  Überlieferung  schon  von  andern 
angefochten  ist;  zuweilen  auch  sind  die  hier  gemachten  Vorschlage 
nicht  neu.  I  24  TsXsvtsovra  (st.  zsXevviovvog)  d£  %ov  vopov 
(rsXsvtav  xivog  =  navsafral  nvog).  Möglich,  doch  schwerlich 
notwendig.  Ebenda  löroqtew  st.  laroqieö&ai,,  weil  das  Passiv 
bei  Herodot  nicht  vorkomme.  —  27  [ev%€ad-ai] . . .  aq&a&a*  (st. 
aQoi[A€Voi);  also  wie  Gomperz.  —  32  für  nav  . ..  övpcpoQij  scheint 
Verf.  naaa  avfitp.  empfehlen  zu  wollen.  —  48  didnefitps  tcbqI 
(st.  naqd)  xd  xqriax^qta.  Recht  ansprechend,  doch  hält  er  selbst 
die  Oberlieferung  für  möglich,  indem  bei  xq^xr^iov  auch'  an  den 
Gott  gedacht  wird.  —  59  di%Gnaö\k&vov  xs  xai  xarexopevov 
st.  xax.  TS  xai  disön.,  weil  das  folgende  vnö  IIsMSHSxqdxov  sich 
nicht  auf  diean.  beziehen  könne.  Ebenda  yev&ö&cu  (d€)  ol 
fi€T<x  xavxa.  Nach  Stein  (zu  I  11)  ist  in  solchen  Sätzen  das 
Asyndeton  oder  dij  bei  Herodot  üblich.  —  65  im  pythischen 
Spruch  äXXd  xi  st.  aXV  hu  So  Stein  1901.  —  67  im  Orakel 
lim  xoi,  (st.  xtg)  *Aqxadirig  Teyifjg  (st.  Teyty),  weil  ztg  zum 
bekannten  Tegea  nicht  passe,  auch  sv&a  sich  nicht  auf  ganz  Tegea 
beziehen  könne.  Am  adjektivischen  *Aqxadivjg  nimmt  er  keinen 
Anstoß,  obwohl  er's  nicht  belegen  kann.  Ebenda  eial  (ol)  %A> 
aöTcov.  Der  partitive  Genetiv  findet  sich  bei  Herodot  eingeschoben, 
aber  schwerlich  so  wie  hier.  —  77  am  Anfang  ovtto  fjyoiviöxo 
(st.  Tjyd&viöavo)  nach  Herodots  Sprachgebrauch  (?).  —  78  ig 
{xijv)  xcov  i^yfitiidv  TsXpfjGöitav  oder  ig  xqv  x&v  [i%qyyx4e>p] 
TeXp.  Der  Zusatz  zijv  ist  überflüssig;  x&v  ityytjTtoop  streicht 
van  Herwerden.  —  84  für  dixaffdvxtav  entweder  dida%avx<*v 
nach  Reiske  oder  ds^dvTcov  (?).  —  90  avaqxriiiivov  tf*  (nach 
Dobree)  ev  (st.  aev)  ävdqog  ßaötXiog  (diä)  xq^xä  iqya  xai 
snea  noiieiv  wegen  des  anstößigen  Genetivus  absolutus,  des 
pointelosen  ävdqog  ßa<fiX4og  und  weil  man  noiqGavxog  st  notslv 
erwarten  müsse.  Letzteres  ist  mir  unverständlich;  ob  ävdqog  ß. 
auf  Kyros  bezogen  sich  besser  ausnimmt,  erscheint  mir  doch 
zweifelhaft.  —  105  am  Ende  xai  oqäv  ndqa  (oder  ndqstix*  oder 


v 


Herodot,  von  H.  Kalleoberg.  36] 

txccq&x*1')  <xvTOt<f&  xoXtSh  dmxveofiivoto'i.  So  schon  Gomperz, 
aber  ohne  avxoJöi.  —  116  für  xavxa  no^aca  erwarte  man 
xoictvxa  7T.,  doch  finde  sich  dergleichen  öfter  bei  Herodot.  Diese 
Bemerkung  ist  richtig,  trifft  aber  hier  nicht  zu.  Astyages  sagt 
„ich  werde  diese  Angelegenheit  so  ordnen,  daß".  —  132  ina- 
ciöe*  [&soyoyifjy].  Wer  sollte  einen  solchen  Zusatz  machen?  — 
137  pfjdiya  xwv  (xwa)  eoovxov  oder  ein  zweites  fjttjdeva  vor 
TüoviwvTov.  Ersteres  ergänzt  schon  Kruger.  —  141  ixßaivovxeg 
«£X&<röa*  st.  ixßaiveiv  iqxeopevoi.  Wenn  zu  ändern  ist,  dann 
würde  ich  es  vorziehen,  mit  van  Herwerden  oqxsopevo*  zu 
streichen.  —  152  zur  Verteidigung  des  überlieferten  fäaw  gegen 
€obets  fäpaai,  wird  bemerkt,  es  stehe  als  Simplex  für  das  Kom- 
positum omoqqti<hv  oder  es  sei  ein  Versehen  für  anoQQtjtnv. 
Nur  letzteres  ist  möglich;  ein  Simplex  kann  doch  nur  bei  gleicher 
Bedeutung  für  ein  Kompositum  eintreten.  —  160  bei  xov  di 
Idxaqviog  wird  eine  Lücke  angenommen.  So  schon  Stein.  — 
186  inexeiveoxov  st.  imxeiveöxe,  schon  wegen  des  folgenden 
anaeiqetixov.  Möglich,  doch  nicht  notwendig.  —  190  nqoxo- 
nxopevov  st.  nqoxonxope'vwv  nach  III  56.  Das  wäre  doch  ein 
auffälliger  absoluter  Akkusativ.  —  195  neqißdkXexcu  st.  ntqi- 
ßaXXSfieyog.  Unnötig,  wenn  man  xai  in  der  Bedeutung  von 
„auch"  nimmt.  —  196  xo  de  dq  (st.  av)  xqvdiov.  Auch  Kruger 
nahm  an  der  Stellung  von  äv  Anstoß,  Hermann  schlug  av  vor. 
Ebenda  will  Verf.  den  von  vielen  gestrichenen  Satz  Iva  py  . . . 
äywvxcu  vorher  nach  ovxm  anayayiGd-ai  unterbringen.  In  dem 
yeviti&cu  vorher,  das  Cobet  auch  streicht,  sieht  er  einen  Rest 
des  änayctyia&cu.  —  207  Empfehlung  von  van  Herwerdens 
xaxäv  (st.  xalüov)  peydXiav  ana&ieg.  Ebenda  am  Schluß  Xeltpexat 
st.  Xeinexat,-,  kaum  nötig.  —  210  Verteidigung  der  Lesart  Im- 
ßovXsvsi  (Bl  Rsv).  —  U  2  ig  xd  noipvia  (ayovx%)\  schwerlich 
notwendig.  —  Für  ^Pafifiijxtxog  de  hätte  Verf.  lieber  W.  ydq. 
Ebensowenig  nötig;    nicht  selten  steht  di,  wo  wir  ydq  erwarten. 

—  3  oaa  (st.  ota)  rjxovov,  entsprechend  dem  folgenden  oaa  di 
äv&Qamfjia.  Doch  siehe  Stein  zu  1  30.  —  5  tijg  niqt  soll  aus 
xAv  niqi  durch  den  Einfluß  des  vorhergehenden  Xifivyg  verdorben 
sein.  Krüger  erklärt  „xijg  bezieht  sich  auf  das  in  %d  (xaxvneq&e) 
liegende  yv{\  was  Verf.  bestreitet.  Vorher  (xaXy  Alyvnxog  oder 
Älyvnxog  xe.  —  8  tjJ  per  ydq  {nqog)  xqg  ^Aqaßiyg  ent- 
sprechend dem  weiter  unten  folgenden  xo  di  nqog  udißvfjg  xijg 
Aiyinxov,  weil  sonst  xijg  Idqaßitjg  von  oqog  abhängen  müßte, 
was  ihm  unwahrscheinlich  erscheint,  da  ja  auch  xrjg  Alyvnxov 
nicht  von  oqog,  sondern  von  xo  nQog  Aißvrjg  abhänge.    Fraglich. 

—  32  nach  inet,  für  das  alles  mögliche  vorgeschlagen  ist,  nimmt 
er  den  Ausfall  eines  Infinitivs  an.  Ebenso  neuerdings  Stein.  — 
39  eX  t*  (jbiXXei  (nach  Rsv  für  /ttiXXoi),  weil  der  Optativ  un- 
passend sei  (?).  —  43  avxol  nach  ^EXXfjvmv  für  das  von  Krüger 
gestrichene    ovxoi.  —  44  <xara>  vor  dem   bösen  piya&og.  — 


362  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

51  van  Herwerden  schreibt  oQ&d  %%ovta  (st.  £%siv  vd)  aldoTa-, 
dazu  verlangt  Verf.  mit  Recht  (vd)  aldota.    Im   folgenden   soll 
noisvtit, . . .  fi,€fia&t}ic6T€Q  für  notsvvxeg .  • .  iA6[ia&ijxa<x*  eintreten. 
86  iikö&ov  (st.  (jLia&cp)  dfioXoy^aavteg.     Doch  siehe  Kruger.  — 
93  Erklärung  des  Optativs  in  Iva  dpaQxouv  nach  einem  Präsens. 
Der  Schriftsteller  denkt  zugleich  an  eine  vergangene  Zeit  mit  (so 
auch  Kruger),  er  denkt  an  eine  dcupovitj  rtg  6q/xij,  die  den  Fisch 
zu   seinem  Tun  antreibt.     Wenn  Verf.  aber  zu  1110  xsXevei . . . 
oxatg  äv  diacp&aQeitj  auch  bemerkt  „xsXsvsi,  refers  to  past  timeu„ 
so  hat  er  das  dv  übersehen.     Siehe  Kruger  z.  St.  —  102  nsgi 
tqg  iXev$eqlrig  (apvveö&ai) ,    wodurch  die  Konstruktion  r^X*' 
ö&ai  nsQi  nvog  beseitigt  wird.    Auch  c.  134  nach  insl  re  yaQ 
nimmt  er  den  Ausfall  eines  Verbums  an,  hier  mit  Stein  zusammen- 
treffend. —  111  fxeyiGxov  für  pe/iata.    So  Kruger  und  Stein.  — 
116  'EXivtjg  pkv  xoiavxtjv  (st  xavx^v)  anifeiv . . .  yevio&cu,  weil 
hier    keiner    von    den  Fällen    vorliege,    in    denen   das  Substantiv 
„appositional  and  exploratoryu  stehe.     Doch  vgl.  VIII  39   vovtav 
p&v   vvv  x&v  ävÖQwv  avirj  dno  xoi  Isqov  dnaXXayri  yivetcu. 
125  [in'  dXXrjg  iifixavng],  da  die  älky  ^f\fjuvr\  mit  der  vorher- 
gehenden ei€QTj  fjLfjxavtj  identisch  sei.    Stein  hat  früher  in1  ättyy 
f4iiX<*vtjv,    also  „zu    einem    neuen   Gerüst"  schreiben    wollen.  — 
135   mit  Valckenaer  'Poöc&mog  (st.  'Podämv).  —  146   tovtovg 
aviovg  (st.  äXXovg).    Aber  äXXovg  kann  auch  „ebenfalls44  heißen 
(Stein).  —  156  %ov  de  devxiqov   st.  x&v  di  dsvxiQwv  (?).  — 
172  xal  (st.  ovx)  evyvfopotfvvy  (so  Aldina  st.  dyvcofAoavVfj)-   Es 
ist  doch  mißlich,  bei  Textänderungen  von  der  Aldina  als  Grund- 
lage   auszugehen.  —   178   olxisw  avxov  (noXXdxig  oder#  ahi) 
<%    wodurch    avxov  von   vavxvXXo^kvoiOi  gelöst  wird.     Ähnlich 
Stein   avxov  (ig  AXyvntov  oder  xax'  i^no^i^v)  dL  —  111  10 
am  Ende  xoxs  xal  st.  xal  xovs.    Ich  versiehe  nicht,  woran  Verf. 
Anstoß  nimmt.     Ende  c  23  [xal\  to  dea^ooxijQtov;  hier  ist  xat 
freilich  entbehrlich.  —  23  am  Anfang  ergänzt  Krüger  £<py;  dafür 
Verf.   besser    (fdvai.    —    25   ijxovs  <7r«ßi)  r<ov  *I%d>vo<paywv> 
Ganz  verkehrt;   der  König  hat  nichts  über  die  Ichthyophagen  ge- 
hört, sondern   sie  selbst  reden  gehört.  —  30  i^ayaywv,  ol  /*iv 
Xiyovtit,    st.  ol    fiiv   Xiyovci  ...  USayayovra,    indem    ol   p& 
Xiyovd  parenthetisch  sieht.    Zu  gewaltsam.  —  34  soll  vvv  &Q& 
. . .  vofjfAova  ein  Fragesatz  sein,  was  ja  auch  geht.  —  52  iv  tov- 
roter*    st.  iv  amoXöh ;    ebenso    c.  82  ix  di  xovxcov  (st  avtav) 
9o)lid£€Tai.     Doch   siehe  Stein   zu  I  9.  —    52  GxsiXag    nXoty 
(sz)  st.  tfr.  TtXoXov.     An  sich  gut;  doch  siehe  Schweighäuser.  — 
60  zu  Anfang  ikäXXov  (ti),   entsprechend  der  letzten  Zeile  des 
Kapitels.      Höchstwahrscheinlich.   —    71    laxe    [vptv]\    es    wird 
wegen   der   ungewöhnlichen  Stellung   für   eine  Wiederholung  aus 
dem    vorhergehenden    Satze    erklärt.  —   110    ig    dXxijv  cfoxtpa 
(st.  äXxifia).    Auch  van  Herwerden  hält  aXxipa  für  unmöglich.  — 
116  am    Schluß  (al)  avxai,   wo    andere  (xd)  ccvxd   schreiben 


^ 


Herodot,  von  H.  Kalleoberg.  363 

(Rsv  avxd,  cet.  avxai).  —  119  (jövv)sXaß6  avxov  entsprechend 
dem  folgenden  övXXaßciv.  —  126  nQoaiQeopevog  st.  neoiaioso- 
pevog  „herausholen4',  wie  das  Aktivum  Arist.  Thesm.  419.  Genügt 
nicht  van  Herwerdens  Erklärung  „neQHUQsopevog,  sc.  xo  Xivov^l 

—  134  Verf.  nimmt  an  ooa  vvv  Anstoß  und  schlägt  vor  Xiysi 
vA%oGGam  doa  vvv  xade  (oder  xade  vvv  do<jc).  —  136  St.  ix 
faoTwvfjg,  das  die  ungewöhnliche  Bedeutung  „aus  Gefälligkeit4' 
haben  mußte,  ig  JHfixwviyv  „zur  Erleichterung,  Unterstützung".  — 
137  am  Ende  (pavij  noog  Jaqetov  (st.  Jaoeiov);  ganz  über- 
flüssig. —  139  in  Sidwfju  de  aXXwg  soll  letzteres  nicht  „gratis", 
sondern  „only,  just",  i.  e.  „no  more  thanu  bedeuten.  —  IV  1 
[KippsQiovg  —  ig  xfjv  *A<$ii{v\  weil  das  folgende  xaxanavoavxeg 
sich  nicht  mit  diesen  Worten  verbinden  läßt  und  die  Worte  selbst 
sich  weder  parenthetisch  fassen,  noch  anderswohin  versetzen  lassen. 
Besser  Stein  hierüber  „Die  Worte  xaxanavtiavxeg  —  *A6itjg 
ständen  richtiger  hinter  tquJxovicc".  —  11  An  der  viel  behan- 
delten Stelle  wird  van  Herwerdens  fjttjdiv  nqog  noXXovg  empfohlen. 

—  18  schreibt  man  gewöhnlich  nach  Herold  ävut  iovxi  (äv&omno* 
ABP,  ccvoi  CR);  Verf.  äXXot.  Ebenda  nimmt  er  Anstoß  an  Steins 
Erklärung  von  inl  xosTg  ypsoag  6doi\  der  odov  von  ypioag 
abhängig  macht.  Kruger  vermutet  odov.  Die  Sache  bleibt  streitig, 
aber  richtig  ist,    daß  Steins  Beispiele  z.  St.  verschiedenartig  sind. 

—  36  für  ov  Xiyaa  Xiywv  (Xiyoov  secl.  Reiske,  Xeyovxa  Schweig- 
häuser) wird  ov  &iXio  Xiyetv  vermutet.  —  53  ovde  (a/Jiog} 
oddelg  'EXlijvtoV.  Ganz  gut,  aber  schwerlich  notwendig.  —  76 
anovoötrjGfi  ig  {t^v)  ewvvov,  da  nicht  „Haus",  sondern  „Land" 
gemeint  sei.  Warum  nicht  „Haus"?  Das  folgende  änixexo  ig 
Ttjv  2xv&ixyv  schließt  das  doch  nicht  aus.  —  79  xobovxov  (sl. 
xoixov)  otixig  paivaG&ai  ivayei  äv&ocinovg.  Nach  Herodou 
Sprachgebrauch  nicht  nötig.  —  85  iovxa  öxetvoxyxa  (so  Schweig- 
häuser  st-  Gxeivoxyxi  in  ABCP)  p£v  —  pqxog  6£  erklärt  Stein 
„gewählte  Prägnanz  st.  evoog  xfj  oxeivoxatoc".  Verf.  findet  dies 
unerträglich  und  schlägt  vor  iovxa  (xd)  axetvoxaxa  (so  nach 
Rsv).  Der  Gegensatz  pyxog  de  verlangt  doch  ein  Substantivum. 
99  ovo  di  Xiymv  xavxa  noXXd  ez&  (st  Xiym)  naoopoia. 
van  Herwerden  nahm  auch  Anstoß  uud  vermutete  atyica  oder 
im.  —  119  wird  die  große  Zahl  der  Konjekturen  für  ov  ne*co- 
p€&a  noch  um  eine  vermehrt,  avxov  xeiaope&a.  —  138  iovteg 
(xedy  Xoyov;  van  Herwerden  iovxeg  Xoyov  (noXXov).  —  157 
zur  Vermeidung  des  Hiatus  im  Verse  ovx  (st.  fuy)  H&<£y.  Ein- 
facher van  Herwerden  fnycf.  —  159  im  Orakel  vöxeQog  (sl.  vöxbqov) 
eXdy.  Stein  vergleicht  VI  120  vöxsqov  ämxofxevoi  xyg  tfr/u- 
ßoXyg.  —  198  evvdoog  für  das  seltene  envdoog;  van  Her  werden 
und  vor  ihm  Cobet  vnvdoog.  Beides  wohl  nicht  nötig.  —  V  3 
(ovde)  pij  xoxe  iyyivqxai.     Schon  Schäfer  wollte  ov  zusetzen. 

—  9  äQfMzxfjXaxieiv  öij  (st.  di);  ebenso  c.  28  xaxvnsQ&e  <Jj 
(st.  d£).  —  13  am  Ende  vermißt  Verf.  bei  avxov  yao  iv  xovxov 


364  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereios. 

elvexa    ein  xdde  oder  ndvxa  und  will  ndvxa  st  avrov  setzen. 
—  18  ineäv  detnvov  nqolx^&cifie&a.     Hier  nimmt   nicht  ein- 
mal   Cobet    am   Tempus    Anstoß.   —  24    evnexiwq    inerte   (st. 
snet&e).  —  28  yivea&ai  [xaxd].    Nach  meiner  Ansicht  ist  xaxd 
nicht  zu  entbehren.  —  42  ijv  %t  (st.  %e)  ov  tpqevqqijg  äxqofxay^g 
64  (st.  ts).     Das  erste  ve  wird  wegen  seiner  Stellung  verworfen; 
in  V  11  (old  %e  ov  zvqavvog)  faßt  er  otd  ze  zusammen  =  <ro, 
wie  das  auch  Kruger  tut.    Aber  keine  Stelle  mit  otd  re  in  dieser 
Bedeutung    ist    einwandfrei.  —  50  zqmv  fiTjVcov  odov   avdysiv 
(st.  äyayetv).    wo  Naber  ändyeiv  vorschlägt.     Da    vorher    dito 
&cdd0(fr]g  steht,  reicht  wohl  das  Simplex  aus.     Der  Infinitiv  des 
Aorists  steht  ebenso  vorher  in  ßovXopevov  i£ayayetv.     Ebenda 
kurz    vorher    Xoyov   evnqenia    (st.  evenia).  —   76   oq&aig   av 
(jtoX&lbioq)  xaX&oixo  unter  Verwerfung  von  Krügers  und  Steins 
Erklärung.    Naber  vermutet  nqäxoq  st  oq&cog  und  van  Herwerden 
will  das  vorausgehende  enl  Kodqov  mit  xaXioixo  (benennen  wo- 
nach)   verbinden.  —  79  xi  (ßif)  det.  —   80   am  Schluß  crt^- 
nifiipetv  st.  GvtintfATisiv.     Das  Präsens  drückt  vielleicht  die  un- 
mittelbare   Ausführung    aus.  —    92/9  (i%)eöiöo(tav.     Die   sonst 
übliche  Präposition  hat  sich  Herodot  vielleicht  wegen  des  folgenden 
i%  dXXijXoav  gespart.  —   99   ov   zd>v  (st.  xyv)  ^A&qvaicav  %dqiv 
iatqaxevovxo    aXXd   [xyv]    avxdov  MtXrjaicov  oder  äXXd  avnSv 
zqv  MiXrjGiwv.     Letzteres    verstehe    ich    nicht;    beide    xtjv  ver- 
dächtigt   auch    van  Herwerden.  —  VI  47  xö    ovvofia   ia%e*  (st. 
Är/s),   Variation    zu    van  Herwerdens    e%ei    oder    ioxyxe.  —  52 
noiyaaad'ai    (st  fjyiJGa<f&cu)    ßa<nX4ag;    Cobet    <fxi}<ra<f&ai>  ß- 
Ebenda  xtfiioaav  xov  $xeqov  (st  nqoxeqov) ;    letzteres   sei   durch 
Einwirken  des  später    folgenden    nqoxeqov   veranlaßt.     Hierüber 
Verf.  schon  Review  XVI  S.  394.  —  57  am  Ende  [xqix^v  öi  %ip 
eavxov)   als   Radikalmittel    zur  Beseitigung    aller  Schwierigkeiten. 
Hätte  dann  Thukydides  (120)  die  Stelle  mißverstehen  können?  — 
64  dtoxi  st.  diä  xd.     Einfacher  Stein   3S  a.  —  98   peyagyiog 
eine  Weiterbesserung  Bekkers   piya  (Hss.  fiiyag)   aqqioq.     Doch 
wird    diese  Stelle    schon    von  Wesseling    für    unecht  erklärt.  — 
107  ovx.   qpexiqti    eöxat,    (st.  iaxi).     Das    Präsens    scheint   mir 
wirkungsvoller   zu   sein  „Das  Land  gehört  uns  (jetzt)  nicht  noch 
werden  wir  es  uns  je  untertänig  machen".    Mit  iöxcu  sagen  beide 
Satzteile    genau    dasselbe.     Auch  c.  109  gegen   Ende   ist  Gobets 
Änderung  stfra»  st.  sgti,  wenn  auch  aus  anderen  Gründen,  nicht 
angebracht  —  121  dfj  (st.  av)  xoxe  dvadi^ctt,  weil  afp  hier  nicht 
am  Platze  sei  und  auch  an  der  entsprechenden  Stelle  c.  123  fehle« 
Warum  soll  sich  das  Gerücht  nicht,  wie  Stein  erklärt,  zweifelhaft 
ausgesprochen  haben?    Außerdem  hat  Plutarch  (de  malign.  Herodoti 
862  F),    wie  Verf.  selbst    erwähnt,    av   gelesen.     Ebenso  will  er 
c.  129  yafißqov  dij  st  y.  av  schreiben.    Doch  hier  wird  av  eher 
mit  AB  Kid  zu  streichen  sein,  ebenso  wie  c.  124  in  &  ye  av  (oro. 
ABd)  xovwov,  wo  Cobet  dij  dafür  einsetzen  will,  das  doch  besser 


Sv 


Herodot,  voo  H.  Kaileoberg.  365 

nach   tovvcov  stände.  —  VII  10  nimmt  Verf.  an  %a  vneqi%ovxa 
£<5a  Anstoß,    erwartet    eher   eine  Erwähnung    von  Bäumen    oder 
Bergen,    ohne    aber   eine  Änderung  vorzuschlagen.  —  23  zu  ev- 
&avta   Xetficov  —  dXrjXsOfisvog   wird  bemerkt,    der  Satz  gleiche 
a  detached  note.     Das  ist  richtig,    aber  soll  man  deshalb   die  an 
sich    unverdächtigen  Worte    streichen?     Am  Anfang  nöXieg  [iiv 
avva*    [<**];    Dittographie.  —   37  am  Anfang  ol  xe  %vxol  (ol). 
Leicht   möglich.  —  65  am  Anfang   vermißt  Verf.  ein  jjoay  oder 
etwas  ähnliches.     Das  ist  zuzudenken,    aber  nicht  zuzuschreiben; 
vgl.  Stein.     Man  beachte  überhaupt  die  kurze,  abgerissene  Rede- 
weise  in    diesem   Abschnitte.  —   106   MaGxdpTjv  (vGxeqov)  ye- 
vopevov  wie  c.  62.     Sinngemäß.  —  143  in  elyje  zb  enog  eiQtj- 
[kivov  soll  entweder  enog  oder  dgtj^voy  weichen,  weil  die  Ver- 
bindung von  efjeiv  nur  mit  dem  Partizipium  des  aktiven  Aoristes 
üblich   sei;    an   der  von  Stein  angeführten  Stelle  111  48  (etye  — 
ysvofjbevov)    gehöre    das  Partizipium    nicht  zu  el%e.     Das  scheint 
richtig;    auch  Krüger    verdächtigt  elQtjfiivov.  —  173  [iexa£v  dq 
(st.  d£).     Wozu?    Krüger  streicht  di,  Stein  idvxa.     Beides  mög- 
lich; im  ersten  Falle  wäre  aber  dann  mit  Dobree  §&ovxa  st.  iovia 
zu  schreiben.  —  191  das  überlieferte  yoijöi  wird  durch  Beispiele 
für  den  instrumentalen  Dativ  von  Personen  verteidigt.     Aber  ab- 
gesehen   davon    bleibt    doch    die  Sache    höchst   seltsam.  —  203 
n satt v  qdfi  (st.  av).    Gewöhnlich    streicht    man    av.  —  220  im 
Orakel  zur  Richtigstellung  des  Verses  dw/ti'  st.  äaxv,  das  eine  Glosse 
sei.    Andere  Besserungen  Stein  und  van  Herwerden.  —  229  Steins 
ei  pip  vvv  §  (st.  yv)  wird  gebilligt,    dann  aber  ein  avvißfi  ver- 
mißt. —  VIII  69  vnoxqia  st.  avaxqiat,  (xgiaei  Rsv)   mit   dem 
Hinweis    auf  III  53,    wo   AB  avaxqi<Skogy    Rsv  dnoxQitivoq,    das 
Richtige  aber  vnoxqiGiog  sei.    Letzteres  ist  doch  nicht  allgemein 
anerkannt.  —  70  inel  di  naQtjyyeilccp  (st.  7taq^yyeXov).    Frag- 
lich. —  74  iXiyexo   naqd  (st.  neqi)  x&v   ccvxdiv.     Kaum    eine 
Verbesserung.  —   80   i%  ipio  (iovtot}  xd   noievpeva.     Krüger 
tdößy  Cobet  xavxa  für  xd,  während  Naber  noievfteva  ergänzt.  — 
86  hält  Verf.  &emsea&ai  (Äldina)    st.  Öefoctööcu  für  nötig.  — 
99  ndvxeg  (st.  avxoi)  ytiav  iv  &völfi<fi\  van  Herwerden  [avxoi]. 
Keins  von  beiden   nötig.     (Hierüber  auch  Review  XVII  146).  — 
111  &eovg  peydXag  st.  &.  peydXovg.    Unnötig.  —  120  van  Her- 
werden iXvaaxo  (avxov);  Verf.  dafür  aixo&i.    Soli  etwa  avxov 
nicht  ionisch  sein?     Meines  Wissens  kommt  avxo&i  bei  Herodot 
nicht  so  oft  vor  als  avtov.  —   142  ovxe  ye  hält  Verf.  für  un- 
möglich;   entweder   ist  nach    seiner  Meinung   dafür    ovdi  ye  zu 
schreiben  oder  der  Verlust  eines  dem  xoGpov  ifiqov  entsprechenden 
Wortes   anzunehmen.     An   ovts  ye   haben    schon  andere  Anstoß 
genommen;    aber    warum    läßt    man  ye  als  Dittographie  nach  %e 
nicht  weg,    zumal  es  Rsv  nicht  haben?    Ebenda   d%qr\Gxa  (xa) 
olxexiwp  ixofieva.     Doch  vgl.  I  193  xä  elq^iiva  xaqn&v  i%6- 
P*va  und  III  25  ndvxa  . .  xä  el%ov  tftxiwv  ixopeva.  —  IX  7 


i 


366  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

xai  st.  xal  ijdi]  (?).     Ebenda   entweder  [ort]  x8X%og    als    falsche 
Wiederholung    des    vorangehenden   ort   oder   to  (st.  or*)  xeX%oq. 
Ein  %6  kann  ausgefallen  sein,  aber  nicht  an  dieser  Stelle.     Stein 
vermutete    früher  (tö)  diä   xov  *Iö&[iov.  —  9  am  Ende   (ig} 
atpdXfia  (f€Qov  mit  Berufung  auf  VIU  137,  wo  in  Rsv  £%tj  riQag 
xal  ifBQOi  ig  (om.  cet.)  fieya  %i  steht.     Aber  genau  so  wie  hier 
steht  VII  6  in  allen  Hss.  ei  p&v  tv    ivkoi    acpdkfia    <p£(>ov    Tto 
ßaqßdqw.  —  16  am  Ende  nqbg  av&qdnovg  (nollovgy;  Valckenaer 
{älkovg).  —  27  nqoaqxst,  für  das  hier  in  «ungewöhnlicher  Be- 
deutung   stehende    nqos'x61-  —    51  oaov    niqi    (st.  neq)    rqia. 
Ungewöhnlich  ist  otiovnsq,  aber  ebenso  bdov  rtsgi;  das  gewöhn- 
liche wäre  oöov  te,  wie  wiederholt  schon  bemerkt  ist.  —  52  will 
Verf.  sich    nicht    anaXXdöösödwi,    zu    iv    vsw    sxovusg    denken, 
sondern  glaubt,  es  sei  ein  Infinitiv  ausgefallen.  —  74  i[mim;ovxsq 
(st.  ixnimovtsg)  ix  Ttjq  xd^iog  fisTctxipTJöai,  indem  ex  r.  r.  mit 
fAsiaxwijöcu   zu  verbinden  sei;    „if  they  came  in  their  Tct&g,  it 
would  still  be  the  same  tbing".  —  92  %6  eqyov  nqoGijye  „doubt- 
fully  I  have  thought  rw  sqyw  nqoG€%%e". 

13)  U.  von  Wilamowitz-Moellendorff,  Satzungen  einer  milesi- 
schen  Sängergilde.  Sitzungsberichte  der  preuß.  Akademie  der 
Wisseosch.  1904  S.  619-640. 

Aus  dem  inschriftlich  belegten  ivoqxig  schließt  Verf.  auf  das 
Maskulinum  ivoqxijg  (statt  ivoqxqg  nach  der  ersten  Deklination). 
Danach  verlangt  er  Her.  VIII  105  nach  Pz  ivoq%£<av  (ivoqxi&v 
ABC,-  woqxis'üov  Rsv)  und  VI  32  iyoQX^ccg  (ivdqxutg  ABC, 
ivoqxccg  PRsv).  „Ein  Lukian  (Dial.  deor.  4,  2)  beweist  mit  seinem 
evoqxw  nicht  mehr  als  das  Aller  der  Varianten".  Zu  dem  in 
der  Inschrift  vorkommenden  qmcov  wird  nicht  gerade  höflich, 
aber  richtig  bemerkt:  „Bei  Herodot  ist  IV  71  qixpi  rezipiert,  ob- 
wohl die  Florentiner  Klasse  qiipsi  hat.  Dagegen  folgt  die  Vulgata 
dieser  II  96  in  &vqij  xaveqqafAfjbivfj  qinet  xccldpcov,  und  man 
schämt  sich  nicht,  ein  neues  Wort  %6  fyinog  auf  den  Itazismus 
zu  gründen,  obwohl  das  richtige  fynl  die  römische  Klasse  und 
Pollux  10,  43  bezeugen".  Das  zweifellos  richtige  §mi  haben 
übrigens  van  Herwerden  und  Holder.  Nicht  richtig  dagegen  ist 
folgende  Bemerkung:  ,?Exiog  mit  dem  Genetiv  im  Sinne  von  n\i\v 
ist  dem  guten  literarischen  Griechisch  ganz  fremd,  zumal  dem 
Attischen;  auch  hier  antizipiert  das  Ionische  die  xoivrf\  denn 
Xenophon  und  PJato  haben  wiederholt  ixrog  im  Sinne  von  nlijv 
gebraucht.  Bemerkenswert  sind  endlich  noch  die  Schlußworte 
über  das  Verhältnis  zwischen  dem  überlieferten  Text  des  Herodot 
und  der  Sprache  der  Inschriften :  „Um  so  greller  ist  der  Kontrast 
zu  dem  Texte  Herodots,  den  wir  und  die  Gelehrten  des  2.  Jahr- 
hunderts n.  Chr.  überliefert  erhalten  haben,  der  also  nach  aller 
Analogie  der  Textgeschichte  um  200  v.  Chr.  ziemlich  ebenso  aus- 
sah.   Daß  über  seiner  nicht  rein  ionischen,  aber  doch  im  wesent- 


Herodot.  von  H.  Kallenberg.  367 

liehen  ionischen  Rede  ein  haßlicher  archaistischer  Firnis  liegt,  ist 
unbestreitbar,  aber  ob  dieser  Archaismus  schon  von  ihm  selbst 
herrührt  oder  von  der  Reaktion  gegen  die  attische  Kultur,  die 
gleich  nach  Alexander  besonders  stark  in  Asien  bemerkbar  wird, 
das  wage  ich  noch  nicht  zu  entscheiden,  glaube  aber  das  letztere". 

14)  U.  von  Wilamowitz-Moellendorff,  Hermes  XL  S.  142, 

verlangt  wie  andere  vor  ihm  Her.  II  145  die  Zahl  1000  statt  1600 
und  erklärt  den  Irrtum  so:  „Herodot  schrieb  X  und  meinte 
%iXia\  es  bedeutete  aber  später  QavLoGia.  Genau  denselben  Irr- 
tum   habe  ich    bei  Theophrast  aufgezeigt  (Hermes  XXXIII  522)". 

15)  Sammlung    der    griechischen    D  ialekt  -  Inschriften,    heraus- 

gegeben von  H.  Collitz  und  F.  Bechtel.  Dritter  Band,  2.  Hälfte. 
5.  Heft:  Die  ionischen  Inschriften,  bearbeitet  von  F.  Bechtel. 
Göttingen  1905. 

Gewissermaßen  die  zweite  Auflage  der  „Inschriften  der  ioni- 
schen Dialekte14  (1887)  und  der  „Thasischen  Inschriften  ionischen 
Dialekts  im  Louvre"  (1884)  von  Fr.  Bechtel,  die  beide  in  den 
Abhandlungen  der  Königlichen  Gesellschaft  der  Wissenschaften  zu 
Göttingen  erschienen  sind.  „Was  für  die  Geschichte  des  Dialekts 
belanglos  ist,  habe  ich  gestrichen,  so  die  meisten  Namen  der 
Plättchen  von  Slyra  und  einen  guten  Teil  der  thasischen  Theoren* 
inschriften.  Der  Zuwachs  besteht  nicht  nur  aus  Denkmälern,  die 
erst  nach  1887  veröffentlicht  sind,  es  sind  auch  früher  absichtlich 
übergangene,  wie  Vasen  in  Schriften,  für  die  früher  ein  besonderes 
Heft  beabsichtigt  war,  oder  andere,  die  übersehen  sind,  aufge- 
nommen". Aus  dem  reichen  Schatz  von  sprachwissenschaftlichen 
oder  sonst  Herodot  betreffenden  Bemerkungen  seien  als  neu 
folgende  angeführt.  N.  5304  (Eretria)  versteht  Verf.  unter  AlyiXltjg 
die  den  Styräern  gehörige  Insel  und  vermutet  deshalb  Her.  VI  107, 
wo  Kül  Alyhiitiv,  B'PRsv  AlyiXeiav  haben,  Alyilii\v.  —  5403 
(Keos)  „Die  Form  dixopai,  oft  in  den  Handschriften  des  Herodot, 
begegnet  hier  zum  erstenmal  auf  einem  Stein  aus  ionischem  Ge- 
biete". —  5493  (Milet)  Inschriftliche  Beglaubigung  des  Her.  I  97 
in  den  Hss.  einstimmig  überlieferten  Infinitiv  des  Futurums  dixav. 
Ferner  wird  auf  die  Wortformen  ovqodp  und  anod$%&£vc(av 
„deren  zweite  mit  änodexvvvvsg  (5653)  der  ältesten  öffentlichen 
Urkunde  von  Chios  und  mit  ansdix&ij,  <xnodi%cu  bei  Herodot 
zu  verbinden  ist".  —  5495  (die  milesische  Sängergilde)  xiQvdccccu 
ein  Beleg  für  Herodots  dvviatcu  (II  142);  Sgty  wie  Herodot  (in 
Eretria  soqvtj).  Kontraktion  von  €(a  in  a>  nach  einem  Vokal: 
noHÜtft,  besonders  aber  &v<Zv  ixaaniwv.  —  5498  (Milet)  etg 
top  inskts  xqovov  neben  dg  xov  snena  %qovov.  Verf.  macht 
auf  die  Variante  snsns  (vielmehr  inshe)  Her.  IX  98  in  R  auf- 
merksam. Das  ist  nicht  die  einzige  (vgl.  Gomperz,  Herodoteische 
Studien  II  S.  34);   aber  soll  man  darum  sns$Te  oder  enenev  in 


368  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Herodots  Text  einfuhren? —  5581  (Priene)  und  5736  (Magnesia, 
Brief  des  Dareios  an  Gadatas)  weisen  nsi&aqxetv  twog  auf,  wo- 
mit nBid-Bti&ai  ttvog  bei  Herodot  verglichen  wird  (vgl.  Ditten- 
}>erger  Syll.  N.  2).  —  5597  (Cphesos)  Xaip6(iedta\  bisher  war  dies 
Futurum  nur  im  Milesischen  bekannt.  —  5605  (Epbesos)  OX4wr 
Genetiv  von  &levg  (Beiname  des  Zeus  im  Kult  von  Chios),  wird 
mit  dem  milesischen  Genetiv  Uqsw  (N.  5495)  zusammengestellt; 
Mq6coq  wird  (zu  N.  5495)  mit  Nelken  g  (Nebenform  zu  Nqlcvg) 
verglichen.  —  5653  (Chios)  hier  wie  auf  Inschriften  von  Samos 
und  Magnesia  findet  sich  das  Herodotische  yöfiatog  (=  attisch 
vo (M fiog).  —  5371  (Amorgos)  „Die  Verbindungen  exdaxov  £vyov, 
exdaxov  Ivtavxov  exdavTjg  dqai%ov  fallen  durch  das  Fehlen  des 
Artikels  hinter  exdaxov  auf1'.  Dann  wird  auf  Meisterhans  8  232 
verwiesen.  Hier  heißt  es  „Das  bei  txatixog  stehende  Substantiv 
hat  bis  318  v.  Chr.  beständig  den  Artikel  bei  sich.  Von  318  an 
(Einfluß  der  Kowij)  wird  der  Artikel  vereinzelt  und  von  300  an 
beständig  weggelassen".  Einen  Einfluß  der  Koivtj  vermag  ich 
hierbei  nicht  zu  erkennen,  glaube  vielmehr,  daß  es  reiner  Zufall 
ist,  wenn  auf  attischen  Inschriften  vor  318  niemals  bei  ixaaxog 
der  Artikel  fehlt.  Denn  auch  bei  Sxaozog  gilt  doch  wohl  dieselbe 
Regel  wie  bei  näg>  ovxog  usw.,  daß  das  Substantiv,  nicht  das 
Pronomen  bestimmend  für  den  Artikel  ist.  Daneben  kann  sich 
bei  häufig  wiederkehrenden  Wendungen  ein  besonderer  Sprach- 
gebrauch herausbilden,  wie  bei  exdaxov  eviavzov.  Hier  fehlt 
nun  im  literarischen  Griechisch  vorwiegend  der  Artikel.  Neben 
zweimaligem  xov  eteog  exdaxov  (I  196  und  III  6,  hier  aber  nicht 
in  allen  Hss.)  und  einmaligem  xijg  y^Qfjg  bcdaxfjg  steht  bei 
Herodot  fünfmal  yptQfjg  exdaxtjg,  achtmal  exeog  exdaxov  und 
einmal  prjvdg  exdaxov.  Bei  Plato  stehen  dieselben  Genetive  wie 
auch  XCC&  exdaxtjv  fjfiiQctv  und  xad'  Ixaaxov  sviavxov  gar  nicht 
selten  und  daneben  nur  dicht  beieinander  Leg  760  D  rfjg  wgag 
ixdoTfjg  und  761  C  xa&'  exdaxag  xdg  doQag.  Von  den  Rednern 
läßt  Lysias  in  diesen  Wendungen  den  Artikel  weg,  während 
Demosthenes  ihn  regelmäßig  zu  setzen  scheint.  Bei  Isokrates 
endlich  herrscht  bei  den  Verbindungen  mit  xUxd  nur  selten  Über- 
einstimmung in  den  Hss. 


16)    Greofell    and    Hunt,    The    Oxyrhynchus    Papyri.     Part.  IV. 
London  1904. 

S.  140  steht  ein  kleines  Fragment  aus  Herodot,  beginnend 
V  104  mit  den  Worten  Kvnqiovg  avvaniaxaa&at,  und  schließend 
mit  olxiveg  ehv  ol  *A&nvaXo*,  (Aexd  di  im  folgenden  Kapitel. 
Erwähnenswert  ist  nur,  daß  es  mit  ifinenq^a&ai  auf  die  Seite 
von  ABC  gegen  Prsv  tritt.  Der  Schrift  nach  wird  es  von  den» 
Herausgebern  in  das  dritte  Jahrhundert  gesetzt. 


\ 


ßerodot,  von  H.  Kallenberg.  369 

17)  A.  G.  Laird,  Her.  VIII  2.    The  classical  Review  1904  (XVIII)  S.  97. 

Verf.  will  die  Schwierigkeit  der  Stelle  etqtjtai,  dt  po*  xal 
€o  g  tö  nXijd'og  l%a<Sxov  rwv  vsäv  naqsi%ov%o  dadurch  beseitigen, 
daß  er  sXqrj%ai  als  Plural  faßt  =  elqiata^  wie  auf  der  großen 
Inschrift  von  Oropus  (Bechtel  N.  18,  jetzt  N.  5339). 

18)  H.  D.  Brackett,  Temporal   clanses    in  Herodotus.     Proceedings 

of  the  American  Academy  of  Arts  and  Sciences  1905  S.  171—232. 

Absicht  des  Verf.s  ist  es,  nicht  nur  den  Gebrauch  Herodots 
festzustellen,  sondern  auch  für  die  Textkritik  auszunutzen.  Letzteres 
ist  in  reichem  Maße  geschehen.  Die  Abhandlung  zerfällt  in  sechs 
Abschnitte: 

1.  Modi.    Sehr  selten  geht  der  Indikativ  in  abhängiger  Rede 
in  den  Optativ  über.     Zu  den  wenigen  Beispielen  gehört  II  121  £ 
(o?£   anoyapoh).    Hier   verteidigt  Verf.  die  Überlieferung   gegen 
Madvigs  Änderung  in  ou.    Eher  ist  er  geneigt,  das  folgende  ort 
in  ot€  umzuwandeln;  schon  darum,  weil  ort  im  Sinne  von  „da- 
durch  daß"  bei  Herodot  nicht   üblich   sei.     Doch  führt  er  selbst 
noch  VII  137  an.    IX  84,  wo  nach  hneiis . . .  rupavrfto  der  Nach- 
satz  fehlt,    hält    er    wohl   gegen  Stein   mit  Recht  nicht  für  ver- 
stummelt, sondern  anakoluthisch  gebildet  wie  VI  137.  —  Der  In- 
finitiv tritt  in  abhängiger  Rede  46  mal  ein,  65  mal  nicht;  darunter 
einmal  für  den  iterativen  Optativ  (II  140  oxcag  (foizäv)  und  zwei- 
mal für   den  Konjunktiv,  I  202  eg  o ...  anixvisG&at,  und  I  165 
nqiv  ij . .  ävayavfjvat,  (Hss.  äva<pqvai).    Hier  schlägt  er  vor  nqiv 
%  [röv  pvdqov  xomov%  Randbemerkung]  ccvacpavfj,  weil  abgesehen 
von  IV  42  nur  hier  in  einem  Temporalsatz  der 'Infinitiv  sich  auf 
ein  Futurum    beziehe    und    nach    eine  Negation   auf   nqiv  folgt. 
IV  42  (3o0£  ig  tfjv  ßoqfjiqv  SdlaötSav  . .  ämxvirt&ai)  aber  faßt 
er  icog  nicht  als  Satzkonjunktion,  sondern  als  eng  zu  ig  gehörig. 
Das  hat  nicht  nur  schon  Helbing  (Die  Präpositionen  bei  Herodot 
S.  44),    den  Verf.  anführt,    ausgesprochen,   sondern    auch    Stein 
und   schon  Krüger,    letzterer  jedoch  voll  Bedenken,    erklären  so. 
Störend  ist  nur,  daß  die  Verbindung  Scog  ig  sich  sonst  bei  Herodot 
nicht  findet.    Oder  liegt  hier  eine  Diltographie  vor,  ig  ig,  woraus 
Spätere    iimg    ig   gemacht   haben?  —  V11I  22  schreibt  er  inBits 
4av)  avevBfyd'fi,  weil  damit  der  einzige  Fall  schwinde,  in   dem 
av  in  einem  futurischen  Satze  fehle.    I  196  liest  er  cog  oöcu  dfj 
st.  dg  av  ai,  wofür  Steins  oöai  ahi  vorzuziehen  ist.    Bei  nqiv 
mit  dem  Konjunktiv  will  er  av  nur  da  fehlen  lassen,  wo  alle  Hss. 
es  nicht  haben;    wo  die  Hss.  schwanken,    will  er  es   aufnehmen. 
—  VIII108  liest  er  mit  ABC  ig  o  i'Woi,  (PRsv  &#S)  und  III  31 
ig  o  (av)  ccTto&ctvaxfi,    so  daß  keine  Stelle  übrig  bleibt  in  der 
auf  ig  o  der  Konjunktiv  ohne  av  folgt.     Wenn   man  nqiv  ohne 
av  mit  dem  Konjunktiv  zugestehen  muß,  wird  man  das  bei  ig  o 
auch  tun  müssen. 

Jahresbericht«  XXXT.  24 


370  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

2.  Tempora    (Tense  System).    Hier   handelt  es  sich  vor- 
nehmlich   um    eine   Anzahl    Stellen,    an    denen    das    Imperfekt 
steht,    während  wir  den  Aorist  als  das  Tempus  der  Vorzeitigkeit 
erwarten.     Wo   die  Hss.  schwanken,    zieht  Verf.  gern  den  Aorist 
vor,    manchmal   setzt    er   ihn   auch  gegen  alle  Hss.     So  VII  146 
dg  di  ntQisovrag  avxovg  xaxiXaßov  xal  ijyayop  (gegen  tjyov 
in  ABCP)  ig  oxpiv  tijv  ßaGiXmg,   %6  iv&evxsy  nvd-opsvog  in* 
ottiw  rjX&ov,  ixiXsvae  mit  der  Bemerkung  „it  is  ciear  that  the 
action  of  qyov  must  have  been  completed  before  that    of   either 
nv&6(i€Vog    or    ixiXevas   began".      Verf.   übersieht,    daß    äysw 
zu    den   Verben    gehört,   die    gern   im    Imperfekt,   dem    Tempus 
der  Entwicklung,    stehen.     Hierüber   hat   in   bezug   auf  Polybius 
besonders    eingehend    Hultsch    (Die    erzählenden    Zeitformen    bei 
Polybios)  gehandelt,  für  Herodot  führt  Zander  (De  imperfecti  at- 
que  aoristi  apud  Herodotum  usu,  Halle  1882,  S.  19)  einiges  an. 
Verf.  erkennt  diese  Talsache  bei  manchen  Verben  sonst  an,  während 
er  bei   anderen  Verben  als  Grund  für  das  Imperfekt  das  Fehlen 
des  Aoristes  anführt.     So  1  47  cog   iöijX&ov  %a%rtxa  • .  xal  in- 
siQWTwv.      Hierbei   bemerkt   er,    die    Tatsache,    daß    hier    nicht 
sXqovto   gebraucht   ist,    spreche   gegen  Kallenbergs  Ansicht,    daß 
slQopevog   und    slgiadcu    (so    geschrieben  st.  eloecf&ai)  Aoriste 
seien.    Diese  Ansicht  ist  nicht  von  mir,  sondern  von  Cobet  zuerst 
ausgesprochen  (Mnemosyne  1883  S.  74)  und  auch  außer  mir  von 
andern  gebilligt  worden.    Die  hier  in  Frage  stehende  Stelle  kann 
keinen  Beweis  dagegen  abgeben.    Zu  III  25  cog  ijxovs  (Rsv)  x&v 
*IX&voq>ccyaiv,    iaxqatevsxo    wird    bemerkt    „rjxovas    is    almost 
certainly    the   right  .reading.     The    clear   supposition  is  that  the 
action  of  rjxov£  (rjxovtfe)  was  purely  antecedent   and,    secondly, 
Herodotus  nowhere  eise  uses  the  imperfect  of  this  verb  with  cog". 
Dazu  werden   21  Stellen  angeführt,    an  denen  auf  tag  der  Aorist 
folgt.     Und  trotzdem  bleibe  ich  bei  ijxovs.     Der  leidenschaftliche 
Kambyses  (pta  ifipavfjg  iobv  xal  ov  (pQtviJQTjg)  faßt  beim  Hören 
schon  den  Entschluß  zur  Heerfahrt;  das  ijxove  soll  gewissermaßen 
gleichzeitig  mit  dem  Beginn  des  GtqaxtvsG&av  sein.    Verf.  macht 
dann    richtige    Bemerkungen    über    das   Imperfekt    in    negativen 
Temporalsätzen,   übersieht  aber  eine  Stelle,  I  214  (cog  ol  KvQog 
ovx  iotjxovöe),  die  von  mir  Philol.  44,  729  korrigiert  ist.    Dann 
beschäftigt    sich    Verf.    mit    dem    Verb    yivopa*   im    besondern. 
Meistens    handelt   es    sich    hier  um  die  Verbindung  dieses  Verbs 
mit  einer  Präposition,  wobei  es  die  Bedeutung  „wohin  gelangen" 
annimmt      Hier   entscheidet    sich  Verf.   in    zweifelhaften    Fällen 
regelmäßig  für  den  Aorist.    So  I  105  ol  di  instxs  avaxcooiovtsg 
onlaoa    iyivovto    (AB    iyivovxo)    iv  'AoxdXcovi,   zw   nXsovwv 
2xv&€(üp  naQ£%sl&6vTcov  atiivioov  SXiyoi  nvig  vnoXsup&irteg 
iGvXyöav.    Hätten  hier  alle  Hss.  den  Aorist,  würde  niemand  etwas 
dagegen  sagen.     Aber  auch   das  Imperfekt   kann    man   sich   klar 
machen,   wenn   man   für  i&X&ovrcov  ein  Hauptverb  einsetzt,  ot 


*v 


Herodot,  von  H.  Kalleoberg.  371 

fji&v  nXiovsg  nccQs^fjl&ov,   oliyoi  xivig.     „Als  sie  sich  Askaloü 
näherten,  zog  das  Hauptheer  (ohne  die  Stadt  zu  betreten)  vorüber, 
einige  aber".     In  II  107  (ineixe  iylvexo  [hier  iyivezo  nur  in  R, 
nicht    auch    in   sv]    ävaxopt&pavog  iv  daq>vr[<$i, . .  xovxov  inl 
gsivia    avxov    xaXiaavxa  . .  nsQivrjcai)  bezieht  sich  das  Imper- 
fekt   auf   das  Partizip;    „als    er    sich    Daphne    näherte,    lud    ihn 
ein".    Ebenso  haben  in  11 103  (ineixe  iyivsxo  inl  Odtii,  noxafiw, 
ovx   8%<a   xo  iv&svxsv  ccxqsxioag   elrcstv,    eXxs  xaxilme  . .  elxs 
oeaxi^eivav)    die    Haupthss.  ABRsv    das   Imperfekt    und   nur  CP 
den  Aorist.    Und  wenn  hier  Verf.  sagt  „the  action  of  both  xaxihns 
and    xaxipeivav  could   not   well  take  place  until  the   army  had 
actually    arrived    at    the    river",    so  ist  das  an  sich  ganz  richtig. 
Aber  Herodot  denkt  zunächst  nicht  an  den  eigentlichen  Nachsatz. 
Man    vergleiche    nur    den    ebenso    gebildeten    Salz  VI  14  dg  o*i 
c^Ytov  iyivovxo  (iyivovxo  nur  in  sv)  xal  avvifjiioyov  äXXijXoiGi, 
tö  ivd-evxev  ovx  e%<*>  äxQsxicog  Cvyygaifjaiy  otxivsg  xcov  Ioovcov 
iyivovxo  (iyivovxo  Rsv)  avdgeg  xaxol  %  dya&oi.    In  I  70,  189, 
III  69,  IV  173,  VIII  37  will  Verf.  sogar  gegen  alle  Hss.  den  Aorist 
herstellen.     An    keiner    von    diesen  Stellen    kann   ich   ihm  darin 
folgen,  auch  nicht  IV  154,  wo  iyivsxo  nur  in  s  steht,  und  VII 197, 
wo  PRsv  den  Aorist  haben.     Endlich    will    er    auch    noch  I  196 
cog  av  ccl  naQ&ivot,  ysvoiaxo  (st.  yivoiaxo),    diesmal  mit  Stein. 
und  VI  110  dg  sxdaxov  avxcov  iyivsxo  (st.  iyivsxo)  novxavqiri 
schreiben.    In  beiden  Fällen  handelt  es  sich  aber  um  eine  Wieder- 
holung   in    der  Vergangenheit,    bei    der    das  Imperfekt   ganz  ge- 
wöhnlich ist.  —  In  III  150  iv   otfw  \yaQ  6  xb  pdyog  fjoxs  xal 
ol    inxd    irtaveäXfiGav,    iv   xovxw  navzl  xco   %qovm  . . .  naqs- 
öxsvddaxo   (so   CP,    naosGxsva"Covxo  ABR,    naQsaxsvdaavxo  d) 
hält  er  das  Plusquamperfekt  für  unmöglich.     Im  Gegenteil;    man 
muß  nur  den  Satz  mit  den  vorhergehenden  Worten  BaßvXoovioi, 
äniaxqcav,   xdoxa  sv  [naQsaxsvaafjbivoi    zusammenhalten:    „in 
der  ganzen  Zwischenzeit  hatten    sie    geröstet4'.     Endlich    will    er 
JV  160  mit  Fuchs  ig  o  iyivsxo  (st.  iyivsxo)  schreiben.    Hiergegen 
habe  ich  mich  schon  im  vorigen  JB.  (1904  S.  244)  ausgesprochen. 
Ebensowenig  erscheint  mir  die  Änderung  IV  196  ig  o  av  nsiacoo** 
(st.  nsi&wGi)  nötig. 

3.  Hier  behandelt  Verf.  the  subject  of  tense  principally  iu 
regard  to  its  function  in  expressing  the  sphere  of  time,  including 
also  a  few  other  matters  which  naturally  ränge  themselves  under 
this  head.  Es  werden  die  Stellen  aufgezählt,  an  denen  ein  Praesens 
historicum  im  Hauptsatz  neben  einem  temporalen  Nebensatz  steht, 
dann  die  wenigen  Stellen  mit  einem  Praesens  historicum  im 
Nebensatz  (es  sind  nur  sechs).  Dann  folgen  die  wenigen  Fälle,  in 
denen  ein  Präsens  oder  Perfekt  im  Temporalsatz  steht,  ohne 
etwas  Allgemeines  auszudrücken,  und  endlich  der  Gebrauch  des 
Plusquamperfekts  im  temporalen  Nebensatz.  Letzteres  kommt 
57  mal  vor;    in   mehr   als  der  Hälfte  der  Stellen  aber  wird,    wie 

24* 


372  Jahresbericht«  d.  Philoleg.  Vereins. 

Verf.  bemerkt,  die  Handlung  des  Verbs  schon  im  vorhergehenden 
beschrieben.  Z.  B.  I  185  xbv  QQvGGöfisvop  %oiv  .  •  insits  di 
oqoAqvxto.  Nicht  beachtet  ist,  daß  das  Verb  meist  im  Passiv 
steht  (im  Medium  nur  die  häufig  vorkommende  Form  ikivixaxö). 
Im  Aktiv  stehen  nur  intransitive  Verba,  am  häufigsten  iytyovsi, 
{-eoccv),  daneben  o^cdttfi,  inemwxsi,  naQtjßijxe*,  nccQe&kykdxsi. 
Letzteres  ist  zwar  eigentlich  kein  Intransitivum,  aber  dem  Gebrauch 
«ach  doch  zu  dieser  Klasse  zu  rechnen. 

4.  Konjunktionen.  Zwischen  insi,  ineivs  und  ins&d^ 
findet  er  keine  scharfen  Grenzen.  Richtig  bemerkt  er,  daß  sich 
eneidfi  gern  an  Relativa  anschließt.  Es  hätte  noch  bemerkt 
werden  können,  daß  die  Verbindungen  insidrj  6i  und  insidij  äv 
nicht  beliebt  sind.  Ob  ineiddv  neben  insdv  herodoteisch  ist, 
läßt  Verf.  unentschieden.  Richtig  erklärt  er  VI  41  äansQ  oQfMJ&tj 
„wie  er  sich  vorgenommen  hatte",  indem  er  vor  ix  Kagöi^g 
nöliog  interpungiert.  Damit  scheidet  wötisq  als  temporale  Kon- 
junktion für  Herodot  aus.  *Eg  ov  verwirft  er,  nach  seiner  Meinung 
ist  es  durch  Spätere  unter  dem  Einfluß  von  ta>g  ov  in  xlen  Text 
gekommen.  Er  macht  auch  dabei  darauf  aufmerksam,  daß  von 
den  elf  Stellen  sieben  sich  in  R.  IV  finden«  Über  ig  ov  vgl.  JR. 
1904  S.  256. 

5.  Stellung  der  Temporalsätze. 

6.  Liste  aller  Temporalsätze  nach  Konjunktionen  geordnet. 

19)   M.  Wandt,    De   Herodoti    elocutione    com  sophistarom   com- 
parata.     Dissert.  inaug.     Leipzig  1903.     63  S. 

Zu  der  schwierigen  Frage  über  den  Einfluß  der  Sophistik 
auf  Herodots  Sprache,  die  darum  schon  so  schwierig  ist,  weil  wir 
von  den  Sophisten  selbst  so  wenig  haben,  spricht  sich  Verf.  gegen 
denselben  aus;  im  allgemeinen  wohl  mit  Recht.  Es  gilt  hierbei, 
wie  er  richtig  bemerkt,  zuerst  festzustellen,  was  den  Sophisten 
im  Vergleich  mit  der  den  Griechen  von  Haus  aus  innewohnenden 
Reredsamkeit  im  besondern  eigen  ist.  Er  nimmt  sich  dazu  im 
ersten  Kapitel,  das  von  der  poetischen  Redeweise  der  Sophisten 
im  Vergleich  mit  Herodot  handelt,  den  Aristoteles  (Rhet.  S.  1405 ff.) 
zum  Fuhrer.  Dadurch  kommt  er  zu  folgenden  Abschnitten:  1.  Ge- 
brauch zusammengesetzter  Wörter  statt  einfacher.  Das  Ergebnis 
der  Untersuchung  ist,  daß  Herodot  im  Vergleich  zu  den  Sophisten 
kein  zusammengesetztes  Wort  gebraucht,  das  Aristoteles  mit  dem 
Ausdruck  tpvxQog  bezeichnen  wurde.  Seine  Komposita  sind  ent- 
weder allgemein  üblich,  oder  die  Simplicia  sind  dafür  nicht  vor- 
handen. 2.  Glossemata.  Von  den  bei  Aristoteles  aufgeführten 
Wörtern  hat  Herodot  nur  ataa&akia,  das  aber  als  ionisch  an- 
gesehen wird.  3.  Adjektivs,  a)  Überflussige  Epitheta?  die  dem 
Nomen  nichts  Neues  zufügen,  fehlen  bei  Herodot,  abgesehen 
von  einigen  allgemein  üblichen  Ausdrücken,  b)  Substantivischer 
Gebrauch    eines    Adjektivs    mit    folgendem    Genitiv    anstatt   des 


K 


Herodot,  voi  H.  Kallenberg.  373 

attributiven  Gebrauchs  desselben.  Auch  hierin  gebt  Herodot  nicht 
über  das  allgemein  Übliche  hinaus.  4.  Metaphern.  Berodot  ge- 
braucht nur  die  üblichen.  Höchstens  in  der  Rede  der  Tomyris 
(I  212)  könnte  man  etwas  Gesuchtes  finden.  Doch  Verf.  erklärt 
sich  die  poetische,  erhabene  Ausdrucksweise  aus  der  Erregung 
der  Königin  nnd  stellt  dem  die  Weise  der  Sophisten  gegenüber, 
die  ober  die  gewöhnlichsten  Dinge  in  erhabener  Rede  sprechen. 
Die  Personifikationen  Herodots  sind  meistens  die  schon  Von  Homer 
an  üblichen,  ausgenommen  etwa  VII  104, 19.  Aber  hier  leitet  er 
den  Ausdruck  d&m6*if$,  von  vopog  gebraucht,  mit  Recht  aus 
Pindar  ab.  Endlich  erkennt  er  an,  daß  beide,  die  Sophisten  wie 
Herodot,  auch  sonst  noch  eine  Menge  poetischer  Wörter  gebrauchen, 
findet  aber,  daß  die  der  Sophisten  meist  ans  der  Tragödie,  die 
Herodots  aber  ans  Homer  stammen.  Was  bei  Herodot  an  die 
Tragödie  erinnert,  ist  Gemeingut  dieser  und  der  ionischen  Sprache. 
—  Das  zweite  Kapitel  handelt  Ton  den  Figuren  des  Gorgias. 
1.  Antithesen.  Herodot  ganz  wie  Homer.  Gorgieische  Auswüchse: 
a)  Antithesen,  deren  zweiter  Teil  überflüssig  ist,  b)  solche,  in 
denen  Wörter  gegenübergestellt  werden,  die  keinen  Gegensatz 
bilden,  finden  sich  nicht  bei  Herodot  2.  Isokolen.  Gorgias  braucht, 
um  sie  zu  erreichen,  zuweilen  seltne  Ausdrücke  oder  fugt  über- 
flüssige Wörter  zu,  Herodot  niemals.  Seine  wenigen  Isokolen 
haben  andern  Charakter,  wie  an  11142,18;  III  80,28;  IV  132, 9 
(Zahlen  nach  Steins  kommentierter  Ausgabe)  gezeigt  wird.  3.  Paro- 
nomasie.  Auch  hier  findet  sich  bei  Herodot  nur  das  allgemein 
Übliche  ohne  Gorgias'  Übertreibung.  Nur  wenige  Beispiele  der 
Parechesis  (I  207,6;  III  122,15  und  16;  VII  171,8;  IX  87,7) 
und  einzelne  Homoioteleuta  (II  173,  14;  III  36,  12;  IV  46,13) 
könnten  vielleicht  von  Gorgias  oder  einem  älteren  herrühren.  Doch 
ist  Verf.  mehr  geneigt,  sie  Herodots  eigener  Erfindung  zuzuschreiben, 
Ob  Herodot  in  seinen  Reden  rhetorische  Vorschriften  befolgt 
hat  und  ob  er  von  gelehrten  Studien  der  Sophisten  abhängig  ist, 
will  Verf.  ein  andermal  untersuchen.  Bemerken  möchte  ich  noch, 
daß  eine  eingehende  Behandlung  der  Sprache  Herodots  in  seinen 
Reden  erwünscht  wäre.  Selbst  in  einfachen,  von  der  Rhetorik 
ganz  unberührten  syntaktischen  Dingen  scheint  sie  sich  manchmal 
von  der  Sprache  der  übrigen  Teile  zu  unterscheiden. 

20)  Br.  Hammer,  De  t«  particvlae  qsv  Herodoteo,  Thncydideo, 

XenephoBteo.    Dissert.  inaue; .    Leipzig  1904.    95  S.    8. 

Ober  diese  mit  großer  Sorgfalt  angefertigte  Abhandlung  vgl. 
meine  Anzeige  in  der  WS.  f.  klass.  Phil.  1904  Sp.  996—998. 

21)  J.  A.  Scott,  Addition»!  aotes  od  the  vocttive.    The  America« 

Journal  of  Philology  XXVI.    Baltimore  1905.    S.  32—43. 

Verf.  gibt  statistische  Angaben  Ober  den  Gebrauch  des  Vokativs 
mit  und  ohne  öS  bei  den  Lyrikern,  Herodot,  Curipides,  Aristophanes, 


374  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Plato.  Im  allgemeinen  wird  festgestellt,  daß  der  Gebrauch  von 
co  zunimmt.  Bei  Herodot  bilden  die  Stellen  mit  w  60J;  171 
Vokative  haben  <o,  116  stehen  ohne  diese  Interjektion.  Bei  Personen- 
namen pflegt  w  nicht  zu  stehen;  nur  zweimal  neben  47  Stellen 
steht  es,  I  32  w  KqoZgs  (zweimal)  und  VIII  59  w  QsfiHfroxleig. 
Hierbei  ist  nicht  beachtet,  daß  I  32  an  der  zweiten  Stelle  ACP 
und  VIII  59  Rsv  w  auslassen.  Ferner  heißt  es  immer  w^A^fjyaZo^ 
aber  äpdQsg^Ad-fjyaZoi  ohne  w  und  so  in  ähnlichen  Fällen  38  mal; 
nur  IX  89  steht  da  avdqeg  SeGtialoi.  Verf.  hat  wohl  recht, 
wenn  er  in  dem  Zusatz  von  <o  Personen  gegenüber  eine  größere 
Erregung,  die  sich  bis  zur  Grobheit  versteigt,  ausgedruckt  sieht. 
I  30,  wo  Krösus  Solon  zu  schmeicheln  und  von  ihm  Schmeicheleien 
zu  hören  sucht,  redet  er  den  Griechen  %sZve  *4&ijpaZ€  an;  I  32 
aber  sagt  er,  da  er  die  gewünschte  Antwort  nicht  erhalten  hat, 
a>  &Zp€  *Ad"nvaT€.  In  seiner  Antwort  hierauf  sagt  nun  auch 
Solon  in  größerer  Erregung  zweimal  co  KqoZcc. 

22)  H.  C,  Tolman,  The  Persian  ßaailrjiot  &toC  of  Herodotus  HF  65, 

V  106.     Proceediügs    of   the    Thirty-Fonrth    Annaal   Session    of   the 
American  Philological  Association  (July  1902)  S.  67—70. 

Verf.  handelt  1)  von  dem  höchsten  Gott,  dem  Ahuramazda, 
der  den  Achämeniden  das  göttliche  Recht  auf  das  Königtum  ge- 
geben hat.  Herodot  stellt  ihn  dem  Zeus  gleich.  2)  von  andern 
Göttern.  Bei  Herodot  wie  auf  den  altpersischen  Inschriften  gibt 
es  neben  dem  höchsten  Gott  noch  andere  Götter.  Herodot  hat 
1 131  Mithra  und  Anahita  verwechselt.  3)  vom  Dualismus.  Ahriman 
ist  zwar  auf  den  altpersischen  Inschriften  nicht  erwähnt,  aber  in 
Ahuramazda,  dem  Wächter  der  Wahrheit  und  Rächer  des  Truges, 
sehen  wir  den  Gegensatz  zu  der  in  der  Lüge  verkörperten  Macht. 
Dazu  paßt,  was  Herodot  1  131  und  138  über  ipevdsod-ai,  und 
äXfjd'itead'cu  bei  den  Persern  sagt.  Zoroaster  kennen  weder  die 
altpersischen  Inschriften  noch  Herodot.  Doch  will  Verf.  aus 
G.  Synkellos  I  315  schließen,  daß  wenigstens  der  Name  Herodot 
bekannt  gewesen  sei  (?). 

23)  H.  T.  Archibald,  The  Fable  in  Archilochus,  Herodotus,  Li v  y, 

and  Horace.     Ebenda  S.  88— 90. 

In  Herodots  Fabel  vom  Pfeifer  und  den  Fischen  (I  141)  er- 
kennt Verf.  folgende  charakteristische  Eigenheiten:  1)  aq&Xeia 
(Wortstellung,  elQO(i£v?i  Id&g,  gen.  abs.  of  conversational  type  (?), 
ungekünstelten  Stil).  2)  ivagysia  (ÖQifiVTtjg,  die  oratio  obliqua, 
die  die  Wirkung  der  wenigen  Worte  in  der  oratio  recta  noch  er- 
höhen, Ironie,  Überraschung  u.  a.,  genauen  Gebrauch  der  Prä- 
positionen und  technischen  Ausdrücke  (?),  Zauber  des  Ionischen 
mit  zugefügten  poetischen  Ausdrucken,  das  Halerische  der  Szene). 
Livius  II  32  bildet  dazu  den  schärfsten  Gegensat?. 


v 


Herodot,  von  H.  Kallenberg.  375 

24)  W.  H.  D.  Ronse,    Greek   aod   eastern  Parallels   to   Herodotus 

III  119.     The  classical  Review  XVIII  S.  386. 

Zu  der  uns  auffälligen  Wahl  der  Frau  des  Intaphrenes  fuhrt 
Verf.  zwei  Parallelen  an:  1)  aus  einer  Ballade  von  Kos.  Bei 
einem  Brückenbau  in  Antimachia  auf  Kos  soll,  um  den  Bestand 
der  Brücke  zu  sichern,  ein  menschliches  Wesen  unter  den  Fun- 
damenten begraben  werden.  Den  Baumeister  trifft  das  Los,  der 
nun  so  überlegt  „Soll  ich  Vater,  Bruder,  Schwester  oder  Mutter 
opfern?  Diese  kann  ich  nicht  wiederbekommen.  Soll  ich  mein 
Weib  opfern?  Ein  Weib  kann  ich  wiederbekommen".  Und  er 
handelte  danach.  2)  Pali  Jataka  vol.  I  S.  307  wird  ein  genaues 
Gegenstück  zu  Herodot  erzählt.  Eine  Frau  erbittet  sich  von 
einem  Könige  nicht  das  Leben  ihres  Mannes  oder  Sohnes,  sondern 
das  ihres  Bruders. 

25)  C.  M.  Mulvany,    Her.  VI  129  and  a   Buddhist  ßirth  Story.    The 

classical  Review  XIX  (1905)  S.  304. 

Verf.  vergleicht  den  tanzenden  Hippokieides  mit  dem  tanzenden 
Pfau  in  Rhys  Davids'  Buddhist  ßirth  Story  292.  Der  König  der 
Vögel  sagt  hier  zum  Pfau:  „Munter  ist  euer  Schrei,  glänzend  euer 
Rucken,  aber  solch  einein  Tänzer  gebe  ich  meine  Tochter  nicht". 

In  neuen  Auflagen  endlich  sind  erschienen: 

Val.  H int  11  er,  Herodots  Perserkriege.  Griechischer  Text  mit  er- 
klärenden Anmerkungen  für  den  Schalgebrauch.  I.  Teil:  Text.  Sechste 
Auflage.  Nach  der  neuen  Rechtschreibung  hergestellter  Abdruck  der 
fünften  Auflage.     Wien  1904,  A.  Holder.    XIV  u.  116  S.    gr.  8. 

Herodote,  Morceauxchoisis  publies  et  annotäspar  Ed.  Tournier. 
Neuvieme  Edition  avec  la  collaboration  d'A.  Desrousseaux.  Paris 
1904,  Hachette.     XLIV  u.  292  S. 

Fr.  Härder,  Herodot.  Aas  wähl  für  den  Schul  gebrau  eh.  Zweiter  Ab- 
druck.    Leipzig  1905,  G.  Frey  tag.     2  Jt* 

J.  Sitzler,  Praparation  zu  Herodot  B.  VII.  Erstes  Heft  (Kap.  1—123) 
und  zweites  Heft  (Kap.  124—239).  Gotha  1903,  F.  A.  Perthes.  Je 
72  S.     0,80  Jt. 

Berlin.  H.  Kallenberg. 


10. 
Tacitus*  Germania. 


1)  Reinhold   Macke,    Die    römischen    Eigennamen   bei    Tacitus. 

V.   Eine   sprachliche  Untersuchung.    Proar.  Kb'nigshiitte  1905.     14  S. 

Die  früheren  Abhandlungen  Mackes  über  die  römischen  Eigen- 
namen bei  Tacitus  (I — IV)  sind  von  mir  im  JB.  XXIV  S.  153  f. 
besprochen  worden;  hinsichtlich  des  vorliegenden  V.  Teils  verweise 
ich  auf  JB.  XXXI  S.  319  f.,  wo  6.  Andresen  über  ihn  ausführlich 
gehandelt  hat.  Gegeben  wird  eine  Obersicht  über  diejenigen 
Doppelnamen  bei  Tacitus,  deren  Bestandteile  durch  ein  einge- 
schobenes Wort  getrennt  sind:  ein  solches  Wort  ist  que,  meist 
zwischen  Gentile  und  Eognomen  oder  Kognomen  und  Gentile 
stehend;  ferner  quoque  (meist  zwischen  Nomen  und  Eognomen, 
jedoch  zweimal  hinter  dem  Pränomen),  ne — quidem  und  autetn. 

Unter  den  S.  8  aufgezählten  Beispielen  ist  auch  eins  aus  der 
Germania  und  zwar  für  que;  G.  37  lautet  Carbone  et  Cassio  et 
Scauro  Aurelio  et  Servilio  Caepione  Gnaeoque  Mauio  fusis  vel  captis. 
Die  Hss.  haben  Marcoque  oder  Marco  quoque,  weshalb  Ernesti 
Cn.  quoque  schreibt.  Halms  Gnaeoque  ist  aber  vorzuziehen,  „denn 
durch  quoque  wird  die  durch  das  spätere  fusis  et  captts  besonders 
hervortretende  enge  Zusammengehörigkeit  der  drei  bei  Arausio 
geschlagenen  Feldherrn  sowohl  untereinander  als  auch  mit  den 
beiden  vorher  genannten  Männern  stark  gelockert".  Darin  hat 
Macke  unbedingt  recht. 

2)  E.Krause,  Übungen  zum  Obersetzen  im  Anschloß  an  Tacitos* 

Germania.    Hannover  1905,  Norddeutsche  Verlagsanstalt,  O.  Goedel. 
50  S.     8.    0,60  JC. 

Die  Norddeutsche  Verlagsanstalt  von  O.  Goedel  in  Hannover, 
die  griechische  und  lateinische  Schultexte  (editio  Hannoverana), 
d.  b.  nackte  Schultexte  mit  einer  möglichst  kurzen  Einleitung, 
herausgibt,  und  zwar  alle  die  Schriften,  zu  denen  Krafft  und 
Rankes  Präparationen  in  demselben  Verlage  bereits  vorhanden  sind, 
läßt  nun  auch  eine  Sammlung  von  deutschen  Übungsstücken  zum 
Übersetzen  ins  Lateinische  erscheinen.    Das  fünfte  Heft  bilden  die 


\ 


Taeitus'  Germaoia,  von  U.  ZeroiaL  377 

vorliegenden  Aufgaben  zum  Übersetzen  im  Anschluß  an  Taeitus9 
Germania. 

Die  46  Kapitel,  die  die  Germania  enthält,  behandelt  der  Verf. 
in  57  ungefähr  ebenso  langen  Abschnitten.  Nachdem  er  im  ersten 
und  zweiten  Stucke  den  Zweck  der  Germania  festgestellt  hat,  und 
zwar  den,  den  er  im  Gegensatze  zu  andern  als  den  allein  richtigen 
«rkannt  hat,  bebandelt  er  in  den  nächsten  42  Stucken  alle  die- 
jenigen Zuge,  die  den  Germanen  allen  eigen  sind,  so  zunächst 
ihre  Herkunft  und  ihre  Heimatsliebe,  und  den  Namen  „Germanen" 
selber.  Betreffs  der  Herkunft  und  Heimatsliebe  beurteilt  der  Verf. 
die  Grunde  des  Taeitus  und  weiß  nachher  andere  richtigere  an- 
zuführen;  in  bezug  auf  die  Erklärung  des  Namens  bleibt  er  bei 
der  des  Taeitus  stehen,  ohne  auf  andere  einzugehen. 

In  sehr  vielen  Abschnitten  zieht  er  zur  Belebung  und  Be- 
lehrung die  Ansichten  und  Aussagen  anderer  Schriftsteller  heran, 
so  daß  das,  was  bei  Taeitus  in  der  Germania  über  diese  Punkte 
zu  lesen  ist,  sich  so  in  schönstem  Zusammenhange  und  zum 
besten  Verständnisse  abrundet  und  ergänzt,  ohne  daß,  wenigstens 
nach  meiner  Ansicht,  auch  nur  im  geringsten  zu  viel  oder  gar 
Ungehöriges  geboten  wird.  Was  Taeitus  von  Herkules  erzählt, 
bezieht  sich  ja  zweifellos  auf  den  deutschen  Donar;  zum  Beweise 
dafür  wird  aber  auch  ein  Stück  aus  der  Edda  eingefügt.  Daß 
nun  auch  Donar  und  Thor  einander  entsprechen,  wird  ebenfalls 
aus  der  Edda  bestätigt,  es  wird  aber  auch  das  ganze  bekannte 
Lied  von  dem  Hammer  des  Thor  aus  der  Edda  in  Prosa  angeführt 
So  ist  es  ferner,  wenn  ein  Vergleich  zwischen  den  Völkerstämmen 
oder  Schriftstellern  angestellt  oder  eine  genauere  Angabe  gemacht 
werden  soll:  in  bezug  auf  die  Körperbildung  aus  der  freund- 
lichen Schilderung  in  Bedas  historia  Anglorum  (9)  oder  den  Ur- 
wald (10)  oder  die  Produkte  (11)  oder  die  Bewaffnung  und 
Kampfesweise  (12).  Ganz  besonders  gilt  diese  Verwertung  fremd«* 
Angaben  bei  der  Besprechung  der  Götter  Wodan,  Tiu,  Balder: 
-die  mythologischen  Angaben  sind  bei  Taeitus  nur  sehr  knapp 
gegeben,  wie  das  an  und  für  sich  nicht  anders  zu  erwarten  ist, 
«und  so  wird  das  Wesen  aller  drei  Götter  durch  einzelne  sagen- 
hafte Züge  wie  durch  ganze,  teilweis  sinnige,  gemütvolle  Sagen, 
die  im  Volke  sich  gebildet  und  gesammelt  haben,  im  klarsten 
Lichte  dargestellt,  nicht  zum  Schaden  der  Primaner,  die  einen 
erfreulichen  Einblick  in  die  germanische  Mythologie  gewinnen. 
Ebenso  ist  auch  das,  was  Taeitus  über  die  Gottesverehrung  im 
allgemeinen  —  sehr  hübsch  der  Hinweis  auf  die  Perser  und  Pauli 
Wort  aus  der  Apostelgeschichte  17,  24  f.  — ,  über  die  Losung 
und  Weissagung  erzählt,  durch  allerlei  belebende  Züge  ausge- 
schmückt. 

Weiter  werden  besprochen:  das  Thing  und  seine  Bedeutung, 
die  Webrhaftmachung  und  das  Gefolgswesen;  die  Entwickelung 
4les   Gefolgswesens    (vgl.  Caes.  BG.  VI  23);    die   Gefolgschaft   im 


378  Jahresberichte  d.  Philolog.  Vereins. 

Kriege;  das  Gefolge  im  Frieden;  das  germanische  Haus  (vgl. 
römische  Verhältnisse);  Tracht  und  Kleidung;  Heiligkeit  der  Ehe 
(vgl.  römische  Verhältnisse);  die  Bräuche  bei  der  Eheschließung 
(vgl.  römische  Verhältnisse) ;  Keuschheit  der  Frauen  (vgl.  römische 
Frauen;  Goten  und  Sachsen);  die  Wurzeln  der  germanischen  Kraft; 
Kindererziehung  (vgl.  römische  Verhältnisse);  Erbrecht  (vgl.  römische 
Erbschleicherei);  Blutrache  und  Gastfreundschaft;  langer  Schlaf 
und  Unmäßigkeit  (vgl.  die  italischen  Bauern);  Gelage;  Beratungen 
beim  Gelage;  Speisen  und  Spiele  (vgl.  römische  Gladiatoren  u.  a» 
Lustbarkeiten);  Knechte  und  Freigelassene  (vgl.  römische  Sklaven); 
Behandlung  der  Knechte  (vgl.  römische  Sklaven);  Ackerbau;  Toten- 
bestattung (vgl.  römische  Pracht;  der  Epilog  zu  Tacitus'  Agricola, 
Kap.  46,  enthält  das,  was  den  Wünschen  der  Germanen  entspricht). 

Von  Abschnitt  46  an  behandelt  der  Verf.  verschiedene  Völker- 
schaften, und  zwar  solche,  die  in  der  Germania  als  die  bedeu- 
tendsten erscheinen;  mit  Angaben  anderer  Schriftsteller,  die  hier 
und  da  unentbehrlich  sind,  ersteht  ein  zusammenhängendes  Bild. 
Von  den  Bojern,  Ubiern  und  andern  Grenzstämmen  ist  die  Rede; 
von  den  Batavern  und  Mattiakern;  von  den  Chatten  und  ihren 
Sitten;  von  den  Usipiern  und  Tenkterern;  von  den  Brukterern; 
von  der  Nordsee  und  den  Chauken;  von  den  Cheruskern;  von 
den  Parthern;  von  den  Germanen,  dem  Erbfeinde  Roms;  von  den 
Sueben,  und  der  letzte  (57.)  Abschnitt  handelt  von  Nerthus,  der 
gemeinsamen  Stammutter  der  Ingävonen,  der  dem  Ozean  zunächst 
wohnenden  Stämme,  der  zu  Ehren  ein  Frühlings-  und  Friedensfest 
in  Gestalt  eines  Umzugs  von  dem  eineq  der  sieben  Völker  zu  all 
den  andern  gefeiert  wurde.  In  dem  55.  Abschnitte  aber,  in  dem, 
wie  oben  bemerkt,  die  Germanen  als  die  Erbfeinde  Roms  dar- 
gestellt werden,  nimmt  Tacitus  den  Kaiser  Trajan  gegen  die  in 
Schutz,  die  ihm  einen  Vorwurf  daraus  machten,  daß  er  nach 
seiner  Wahl  Rom  so  lange  fernblieb.  Tacitus  wollte  seinen  Lands- 
leuten sagen,  daß  der  Kaiser  recht  daran  tue,  die  Sorge  für  den 
Grenzschutz  allen  städtischen  Angelegenheiten  voranzustellen.  „Aus- 
drucklich sagt  er  es  nicht,  sondern  er  ist  sorgfältig  darauf  be- 
dacht, den  Zweck  seiner  Schrift  zu  verbergen,  und  daher  hat  er 
ihr  auch  keine  Einleitung  hinzugefugt,  der  Schlüssel  der  ganzen 
Schrift  aber  liegt  gewissermaßen  in  diesem  Kapitel  (37)". 

Es  ist  kein  Wunder,  wenn  dieses  Buch  zunächst  dem  Inhalt 
nach  einen  durchaus  guten  Eindruck  macht,  denn  es  ist  der 
libellus  aureus,  dessen  Inhalt  die  Schüler  unserer  obersten  Klasse 
auch  als  einen  reichen,  wirklich  anziehenden  durchweg  empfinden 
und  anerkennen  werden.  Wird  nun  die  Anforderung  an  sie  ge- 
stellt, diesen  mannigfaltigen,  in  vieler  Beziehung  lockenden  Stoff 
in  der  Form  des  Ciceronianischen  Lateins  erscheinen  zu  lassen, 
das  sie  in  den  Lehrstunden  zu  lernen  sich  bemühen,  so  ist  es 
wenigstens  der  Inhalt  nicht,  der  nicht  frisches  Leben  brächte  und 
geradezu   doppelte  Anziehungskraft  hätte.     Ich  für  meine  Person 


Tacitus' Germania,  von  U.  Zernial.  379 

möchte  wünschen,  daß  wie  das  ähnliche,  aber  erheblich  kürzere, 
den  gleichen  Zweck  verfolgende  Heft  von  H.  J.  Muller  auch  dieses- 
Buch  von  unsern  Primanern  benutzt  werde. 

3)  Georg  Wissowa,  Zur  Beurteilung  der  Leidener  Germania- 
Handschrift.  Festschrift  zum  25 jährigen  Stiftungsfest  des  Historisch- 
philologischen Vereins  der  Universität  München  (München  1905V 
S.  1—14. 

B.  Sepp  hat  in  den  Blättern  für  das  GSW.  XXVIII  (1892) 
S.  169  f.  und  im  Philologus  LXII  (N.  F.  XVI,  1903)  S.  292  ff.  be- 
hauptet, die  Hs.  b  (Leidensis)  sei  einfach  aus  dem  erhaltenen 
Yaticanus  1862  (B)  abgeschrieben,  habe  also  aus  dem  Apparate 
völlig  auszuscheiden.  Wissowa  weist  diese  Behauptung  zurück, 
gestutzt  auf  eine  sehr  eingehende  Prüfung  der  Handschrift. 

Sepp  geht,  sagt  er,  von  vornherein  von  einer  falschen  Vor- 
aussetzung aus,  nämlich  der,  daß  die  Hs.  von  der  eigenen  Hand 
des  Pontanus  herrühre.  Aber  untrügliche  Randbemerkungen  des 
Pontanus  aus  cod.  Monac.  lat.  822  beweisen,  daß  diese  Hs.  nicht 
von  Pontanus  geschrieben  ist,  und  es  entfällt  jede  Möglichkeit, 
daß  die  Hs.  B  (Vatic.  1862)  die  Vorlage  von  b  sein  könnte,  da 
erstere  Handschrift  diese  Randbemerkungen  nicht  enthält. 

Die  von  Müllenhoff  benutzte  Kollation  des  Leidensis,  die  im 
Jahre  1863  im  Auftrage  0.  Jahns  ausgeführt  wurde,  ist  sehr  sorg- 
fältig gemacht  und  läßt  nur  in  der  Unterscheidung  der  Korrektoren- 
bände  für  einige  Berichtigungen  Raum,  durch  die  die  Zahl  der 
Belege  für  das  ursprüngliche  Zusammengehen  von  Bb  vermehrt 
wird.  Der  Schreiber  (b)  des  Leidensis  hat  selbst  nicht  nur  schon 
während  des  Schreibens  einzelne  Versehen  berichtigt,  sondern  auch 
nach  Fertigstellung  des  ganzen  Textes  in  erneuter  Durchsicht  und 
Vergleichung  mit  der  Vorlage  vielfach  Falsches  verbessert,  doppelt 
Geschriebenes  getilgt,  Ausgelassenes  nachgetragen,  auch  an  einigen 
Stellen  eine  von  ihm  bemerkte,  aber  nicht  emendierte  Korruptel 
durch  ein  Zeichen  am  Rande  oder  über  dein  betreffenden  Worte 
bezeichnet,  so  zu  G.  11, 10. 

Zeitlich  nicht  weit  entfernt  vom  Schreiber  der  Handschrift 
steht  eine  andere  Hand  b\  aber  für  den  Text  ist  die  Hand  b1 
nirgendwo  von  Bedeutung;  eine  um  so  größere  Rolle  spielt  in 
dieser  Hinsicht  ein  jüngerer  Korrektor  ß.  So  geht  weitaus  das 
meiste,  was  sich  in  der  Germania  von  Text-  und  Randkorrekturen 
findet,  unter  die  beiden  Hände  b  und  ß  auf;  nur  einzelne  Kor- 
rekturen sprechen  dagegen. 

Diese  führt  Wissowa  nicht  um  ihrer  kritischen  Bedeutung 
willen  an,  sondern  um  deutlich  hervortreten  zu  lassen,  wie  viele 
Faktoren  tätig  waren,  um  dem  Texte  des  Leidensis  die  Gestalt 
zu  geben,  in  der  er  uns  heute  vorliegt.  Man  ist  neuerdings  eifrig 
bemüht,  neben  den  beiden  durch  Bb  und  Cc  repräsentierten 
Apographa  (x  und  y)  des  Archetypus  Abkömmlinge  eines  dritten 
Apographon  nachzuweisen,   das  im  Falle  der  Diskrepanz  zwischen. 


i^TA 


■  ■PI 


tfu 


m 


$ 


. 


u 


■ 


t 


K7 


&/K&